Mit Freundschaft oder mit Recht?: Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.-19. Jahrhundert 9783412217907, 9783412224028

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Mit Freundschaft oder mit Recht?: Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.-19. Jahrhundert
 9783412217907, 9783412224028

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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR HÖCHSTEN GERICHTSBARKEIT IM ALTEN REICH HERAUSGEGEBEN VON ANJA AMEND-TRAUT, FRIEDRICH BATTENBERG, ALBRECHT CORDES, IGNACIO CZEGUHN, PETER OESTMANN UND WOLFGANG SELLERT

Band 65

Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.–19. Jahrhundert

Herausgegeben von ALBRECHT CORDES Unter Mitarbeit von ANIKA M. AUER

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Der Druck erfolgt mit freundlicher Unterstützung des LOEWE-Schwerpunkts »Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung« der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Kaufurkunde vom 28. August 1405. Pergament. Stadtarchiv Lohr, I C 13. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung. © 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Meinrad Böhl, Leipzig Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22402-8

Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Albrecht Cordes »Mit Freundschaft oder mit Recht« Quellentermini und wissenschaftliche Ordnungsbegriffe. . . . . . . . . . . . . . 9 Philipp Höhn Verflechtungen der Streitschlichtung? Zum Austrag kaufmännischer Interessenkonflikte im Hanseraum (1365–1435). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Ute Rödel König Ruprecht (1400–1410) als Richter und Schlichter. . . . . . . . . . . . . . 41 Alain Wijffels Krieg, Diplomatie und Recht: Die englisch-hansischen Konflikte 1468–1603. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Antonio Sánchez Aranda Arbitro iuris oder Schlichter: Die Reform der Katholischen Könige (1474–1504). Ein Versuch, die Rolle der Richter als Schiedsrichter bei Rechtstreitigkeiten einzuschränken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Horst Carl Über das Ausloten von Grenzen: Schiedsgerichtsbarkeit im Schwäbischen Bund (1488–1534) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Mia Korpiola Marriage-Counselling and Reconciliation in Marriage Cases in the Ecclesiastical Courts of Reformation Sweden (16th–17th Centuries) . . . . . . 133 Mark Godfrey Alternative Dispute Resolution within Law Courts in 16th-Century Scotland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Siegrid Westphal Austräge als Mittel der Streitbeilegung im frühneuzeitlichen Adel des Alten Reiches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

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Inhalt

Bernhard Diestelkamp Landgraf, Reichskammergericht, Kaiser, Reichshofrat (als privilegien-erteilende Instanz) und Vergleichsverhandlungen als konkurrierende (alternative) Handlungsoptionen vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Alten Reiches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Ulrich Rasche Urteil versus Vergleich? Entscheidungspraxis und Konfliktregulierung des Reichshofrats im 17. Jahrhundert im Spiegel neuerer Aktenerschließung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Anja Amend-Traut Wie Prozesse enden können – alternative Formen der Beendigung reichskammergerichtlicher Zivilverfahren im 17. und 18. Jahrhundert. . . . 233 Sonja Breustedt Kaufmännische Pareres – Gutachten als Konsens und Beweismittel im 17. und 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Serge Dauchy Judicial and Extrajudicial Conflict Resolution in the Code de procèdure civile of 1806. Between Historical Heritage and Revolutionary Innovation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Yorick Wirth Englische superior courts und ihre Reform im 19. Jahrhundert. . . . . . . . . . 281 Kurzbiographien der Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Vorwort Die Tagung, deren Vorträge in diesem Band präsentiert werden, fand vom 2. bis zum 4. Oktober 2013 in Wetzlar statt. Es handelte sich um das wissenschaftliche Kolloquium der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e.V. und zugleich um die Jahrestagung des Frankfurter LOEWE-Schwerpunkts »Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung«. Die Teams der Reichskammergerichtsgesellschaft, des LOEWE-Schwerpunkts und meines Frankfurter Lehrstuhls haben die Tagung in vorbildlicher Weise organisiert. Anette Baumann und Andreas Karg sowie Maria Caterina Arnaldi Klink, Bettina Gaedke, Hilke Flechsig und Andrea Müller verdienen besondere Erwähnung. Peter Oestmann war an der Konzeption der Tagung beteiligt und hat sie mit einem inspirierenden, hier aber nicht veröffentlichten Einleitungsreferat eröffnet. Auch die Beiträge von Johanna Bergann, Anna Meiwes, Florian Lehrmann und Steffen Welker gelangten aus unterschiedlichen Gründen nicht zum Druck. Umgekehrt konnten die Referate von Antonio Sánchez Aranda und Horst Carl aus Gesundheitsgründen in Wetzlar nicht persönlich gehalten, aber für den Tagungsband nun zur Verfügung gestellt werden. Ellen Franke verfasste einen schönen Tagungsbericht, der auch auf die hier nicht veröffentlichten Vorträge hinweist.1 Die Herausgeber der »Grünen Reihe« haben der Aufnahme des Bandes zugestimmt, der Böhlau-Verlag in Fortsetzung der guten Zusammenarbeit die Veröffentlichung übernommen. Der LOEWE-Schwerpunkt hat den Druck des Bandes finanziert. Die Redaktion lag in den bewährten Händen von Anika Auer. Allen Beteiligten sei für die vorbildliche Zusammenarbeit herzlich gedankt! Albrecht Cordes

1 Der Bericht ist online abrufbar unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=5316&view=pdf&pn=tagungs berichte (23.10.2014).

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»Mit Freundschaft oder mit Recht« Quellentermini und wissenschaftliche Ordnungsbegriffe Die Verwendung von Quellentermini als wissenschaftliche Ordnungsbegriffe ist für Rechtshistoriker verführerisch. Wie kann man besser unter Beweis stellen, dass man die alte Rechtssprache ernst nimmt und ihre Nähe sucht?2 Zumal wenn man mit diesem Verfremdungseffekt das Interesse des Publikums wecken kann? Die Überzeugung, dass es eine enge, wechselbezügliche Verbindung zwischen Recht und Sprache gibt, ist nicht nur romantisches Erbe aus der Zeit der Brüder Grimm.3 Auch der hier vorgelegte Sammelband steht in dieser Tradition und trägt als Titel einen im Spätmittelalter weit verbreiteten Ausdruck, ohne dass deshalb alle Autoren auf die Behandlung einschlägiger Quellen verpflichtet worden wären. Es war im Gegenteil auf der Tagung, deren Beiträge dieser Band versammelt, relativ wenig die Rede von Belegen zu »Freundschaft oder Recht« beziehungsweise »Minne oder Recht«. Die beiden Verwendungen entsprechen zwei Arbeitsschritten, die einander ergänzen, aber methodisch sauber zu trennen sind. Das ist etwas schwieriger als es aussieht: Entweder betreibt man Quellenstudien oder aber Kategorienbildung ex post; entweder bemüht man sich um ein besseres Verständnis dessen, was in den Quellen gemeint ist, oder man entwickelt eine moderne, zweckmäßige, mög1 Wertvolle Vorarbeiten zu diesem Einleitungsartikel leisteten Anika Auer und Alexander Krey. 2 Beispielhaft seien nur zwei klassisch gewordene rechtshistorische Habilitationsschriften aus den frühen 1960er Jahren angeführt, die den Quellenbegriff zum Titel erhoben: Karl Kroeschell, Weichbild. Untersuchungen zur Struktur und Entstehung der mittelalterlichen Stadtgemeinde in Westfalen. Köln/Graz 1960 und Dieter Medicus, Id quod interest. Studien zum römischen Recht des Schadensersatzes. Köln/Weimar/Wien 1962. 3 Diese philologisch-rechtshistorische Zusammenarbeit prägt etwa auch das Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, dessen erste Lieferung ebenfalls aus den frühen 1960er Jahren stammt (die 1. Lieferung ist 1964 erschienen, der 1. Band, Aachen–Haussuchung, der 1. Auflage erschien 1971). Das Werk wurde begründet von dem Germanisten Wolfgang Stammler und herausgegeben von den Rechtshistorikern Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann sowie der Germanistin Ruth Schmidt-Wiegand als philologischer Beraterin. Die frühen 60er Jahre waren, nicht zuletzt angeregt durch die intensiven Diskussionen um das zum Klassiker avancierte Werk von Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter. Wien/Wiesbaden 5 1965; dazu Karl Kroeschell/Albrecht Cordes/Karin Nehlsen-van Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2: 1250–1650, Köln/Weimar/Wien 92008, S. 164–166.

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licherweise vom Quellenbegriff inspirierte Begrifflichkeit. Zwar kommt die Zusage, man wisse natürlich um die Verschiedenheit der beiden Ebenen, leicht über die Lippen, doch unterschwellig steht die Behauptung sachlicher Kontinuität im Raum. Bevor anschließend die Autoren in den Beiträgen die Dichotomie »Freundschaft und Recht« als modernen Ordnungsbegriff verwenden, wird hier zunächst dem Sprachgebrauch der Quellen die Ehre erwiesen. Es sei gefragt, welche Inhalte die spätmittelalterlichen Urkunden transportieren, wenn sie festlegen, dass Konflikte »mit Freundschaft oder mit Recht« gelöst werden sollen. Die beiden Formeln »mit Freundschaft oder mit Recht« und die verbreitetere Variante »mit Minne oder Recht« sind schon seit langer Zeit Gegenstand rechtshistorischer4 und sprachwissenschaftlicher5 Forschungen. Ausweislich der Belege des Deutschen Rechtswörterbuchs ist die erstere Version vor allem in Nieder-, die letztere in Oberdeutschland verbreitet.6 Die von Alexander Krey gefundene Urkunde aus dem unterfränkischen Städtchen Lohr am Main aus dem Jahre 1405, deren Ausschnitt den Umschlag dieses Bandes ziert, bildet freilich ein Gegenbeispiel. Sie zeigt, dass die im Titel des Bandes gewählte Variante »mit Freundschaft oder mit Recht« auch im ausgehenden Mittelalter im fränkischen Sprachraum bekannt war. Wurde die Urkunde ursprünglich vor allem wegen ihrer optischen Qualität als Umschlagbild ausgewählt, erwies sie sich bei näherem Hinsehen auch inhaltlich für das weite Bedeutungsfeld von »Freundschaft und Recht« als ergiebig. Die traditionelle, unter anderem auf Forschungen von Carl Gustav Homeyer7 und Dietrich Schäfer8 zurückgehende und in einem Aufsatz von Hans 4 Wichtig vor allem Hans Hattenhauer, »Minne und Recht« als Ordnungsprinzipien des mittelalterlichen Rechts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 80 (1963), S. 325–344, hier v. a. S. 327 ff. mit wertvollem Forschungsbericht. Zum ganzen Thema auch Hermann Krause, Art. Minne und Recht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, 11984, Sp. 582–588 und Kroeschell/ Cordes/Nehlsen-von Stryk (wie Anm. 3), S. 26 f. 5 So beispielsweise Hugo Kuhns, Minne oder Recht, in: Richard Kienast (Hg.), Festschrift für Friedrich Panzer, Heidelberg 1950, S. 29–37; Peter Bründl, Minne und Recht bei Neidhart. Interpretationen zur Neidhartüberlieferung, München 1972; Utta Kim-Wawrzinek, Minne und Recht. Untersuchungen zu funktionalen Wortgruppen bei rechtlichen Handlungsverläufen im 12. und 13. Jahrhundert, Bonn 1974 sowie Ernst Dittmer, Untersuchungen zum Formelschatz der frühen deutschen Urkunden im Verhältnis zum Lateinischen. Die Formel minne oder recht, in: Sprachwissenschaft 4 (1979), S. 24–52. 6 Deutsches Rechtswörterbuch IX, Weimar 1992–1996, Sp. 653–657. 7 Carl Gustav Homeyer, Über die Formel »der Minne und des Rechts eines Anderen mächtig sein«, in: Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, phil.hist. Klasse, Berlin 1866, Nr. 2, S. 29–55. 8 Dietrich Schäfer, Consilio vel judicio = mit minne oder mit rechte, in: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 37 (1913), S. 719–733.



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Hattenhauer aus dem Jahre 19639 in die heute herrschende Fassung gebrachte These lautete, »Recht« stünde hier für »gerichtlich« im Sinne eines ordentlichen kontradiktorischen Gerichtsverfahrens, während »Minne« beziehungsweise »Freundschaft« sich auf konsensuale außergerichtliche Wege der Konfliktlösung, vor allem auf die Schiedsgerichtsbarkeit, beziehe. Diese These, von deren Klarheit eine unleugbare Suggestivkraft ausgeht, setzt also »mit Minne oder Recht« gleich mit »außergerichtlich oder gerichtlich« – eine Steilvorlage für den LOEWE-Forschungsschwerpunkt mit dem Titel »Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung«.10 Die These krankt aber zunächst einmal daran, dass sie »gerichtlich« mit »kontradiktorisch« gleichsetzt. Dass diese Gleichsetzung nicht zutrifft, verdeutlicht der Untertitel des Tagungsbandes. Bei weitem nicht alle Gerichtsverfahren endeten (oder enden heute) mit Urteilen. Peter Oestmann sprach auf der Tagung sogar von einer verfehlten Urteilszentriertheit der Forschung. Vielmehr gehören auch die Fälle einverständlicher, »freundschaftlicher« Konfliktbeilegung im Rahmen eines bereits anhängigen Gerichtsverfahrens in den Fokus. Aber auch jenseits der Grenze, im außergerichtlichen Bereich, melden sich Zweifel. Bereits die begriffliche Präzision der herrschenden Lehre irritiert den Kenner der spätmittelalterlichen einheimischen Rechtsgeschichte. Sollten die Laienrichter des 15. Jahrhunderts auch ohne juristisches Studium wirklich so präzise differenziert haben? Nach Hattenhauer vollzog sich die Beilegung eines Streits »nach Recht« in strengerer Form als beim Vorgehen »nach Minne«, und während das Verfahren »nach Recht« nur mit Stattgabe oder Abweisung der Klage hätte enden können, habe dasjenige »nach Minne« einen Ausgleich erfordert, der zu unterschiedlichen Ergebnissen habe führen können.11 Bei regulären Verfahren habe dem Gericht aus eigener Kompetenz nur die Beendigung des Prozesses durch Urteil »nach Recht« offen gestanden, doch die Streitparteien hätten die Beilegung einem Dritten übertragen können, der »nach Minne oder nach Recht« habe entscheiden können.12 Der Ausspruch »nach Minne« habe hierbei verschiedene Möglichkeiten beinhaltet. Neben dem Schiedsspruch, also einer verbindlichen Billigkeitsentscheidung ohne Bindung an formelles oder materielles Recht, sei auch die Erarbeitung einer Vergleichsvorschlags durch einen neutralen Dritten in Betracht gekommen, dessen Ablehnung durch eine Seite die Fortführung des Streits »nach Recht« zur Folge gehabt hätte.13 Weiterhin verortete Hattenhauer diese Zweispurigkeit in 9 Hattenhauer (wie Anm. 4). 10 Die Homepage des LOEWE-Schwerpunkts ist online abrufbar unter: http://www.konflikt loesung.eu/de (20.10.2014). 11 Hattenhauer (wie Anm. 4), S. 329 und 335; ähnlich Krause (wie Anm. 4), Sp. 582. 12 Krause (wie Anm. 4), Sp. 586. 13 Ebd.

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der Hauptsache im Fehdewesen.14 Gerade hier sei das Verfahren »nach Minne« demjenigen »nach Recht« vorgezogen worden, weil ein gütlicher Ausgleich eine größere Akzeptanz und damit die Chance auf einen dauerhafteren Frieden beinhaltet hätte.15 Doch die Vorstellung, ein Verfahren »nach Minne« habe zur einer Billigkeitsentscheidung ohne Bindung an ›formelles oder materielles Recht‹ führen können, ist legalistisch und dem Rechtsdenken des späten Mittelalters weitgehend fremd. Sie impliziert, die mittelalterlichen Urteiler oder Schiedsleute hätten eine Art ungeschriebenes Gesetzbuch vor Augen gehabt, das sie entweder angewandt oder aber im Verfahren »nach Minne« zur Seite gelegt hätten. Das ist unwahrscheinlich. Jedenfalls aber gibt es im einheimischen mittelalterlichen Recht nur selten Rechtsgewohnheiten, die in solch konturierter Schärfe durchgängig nachweisbar wären. Nur ein Gegenbeispiel aus einer klassischen germanistischen Quelle: Der Ingelheimer Oberhof war, obwohl mit sehr erfahrenen Schöffen besetzt, im Stande, auf identische, aber an drei verschiedenen Tagen gestellte Frage drei unterschiedliche Antworten als seine Rechtsauffassung mitzuteilen.16 Weiterhin verengt die Fokussierung auf den Umkreis der Fehde den Blick in unzweckmäßiger Weise. Das ergibt bereits die exemplarische Betrachtung der besagten alltäglichen und zufällig ausgewählten Urkunde aus Lohr vom 28. August 1405.17 Sie hat mit dem Fehdewesen nichts zu tun. Vielmehr wird darin ein Kauf besiegelt, und die Frage der Konfliktlösung ist darin besonders ausführlich geregelt. Man gewinnt den Eindruck, dass der Käufer Konrad Harder Streit witterte und deshalb den Verkäufer Götz Streckfuß dazu veranlasste, ihn gegen alle nur erdenklichen Formen nachträglicher Konflikte zu schützen. Möglicherweise hatten die verkauften Güter eine Vorgeschichte, die Anlass für solche Sorgen gab. In der Urkunde verkaufte und übereignete Götz – aus seiner Perspektive ist der Text geschrieben – dem Konrad Eigengülte, Zins und Gut in Dorf und Mark von Sackenbach, einem heutigen Stadtteil Lohrs, quittierte den Erhalt des Kaufpreises und wies Konrad in den Besitz ein. Götz versprach für sich und seine Erben, keine Ansprüche auf das Gut zu erheben, und zwar weder »mit gericht noch ann gericht«. Anschließend sagte er zu, Konrad auf Jahr und Tag, also zwölf Monate lang und nach Ablauf dieses Jahres noch bis zum nächstfolgenden Gerichtstag, auch vor Ansprüchen Dritter zu bewahren. In diesem Zusammenhang 14 Hattenhauer (wie Anm. 4), S. 332. 15 Ebd., S. 336. 16 Siehe hierzu die demnächst erscheinende Arbeit von Alexander Krey, Die Praxis der spätmittelalterlichen »Laien«gerichtsbarkeit im 15. Jahrhundert. Gerichts- und Rechtslandschaften des Rhein-Main-Gebiets in vergleichender Perspektive (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte). Köln/Weimar/Wien 2015 [im Druck]. 17 Stadtarchiv Lohr am Main, Urkunden (im Folgenden StaALohr I C 13).



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findet dann die hier interessierende Formel Verwendung. Wird Konrad nämlich doch belangt, so will Götz ihm auf Anforderung zur Hilfe eilen: »[...] würde ich dann gemant von den obgenanten h(er)n Conraten, so sol und will ich gen lor komen und nit von danne [gehen] ich habe dann die kÜmernÜß gentzlich und wol abgetan mit frÜntschaft oder mit recht ann allen schaden, dem vorgenanten h(er)n Conraten, ann geverde«.18 In kasuistischer Breite19 walzt die Urkunde die Palette von Konfliktmöglichkeiten und den dagegen getroffenen Vorsorgemaßnahmen aus. Wie wichtig die Regelungen für die Vertragsparteien sind, kommt in der geradezu quälenden Umständlichkeit zum Ausdruck. Zunächst versicherte der Käufer mit einer im 15.  Jahrhundert üblichen Renuntiationsformel20, dass die verkauften Güter frei von Rechten Dritter seien (unversetzt, unbekÜmmert, unklaghaft, und unansprÜchig von allermenclich). Er bezieht sich dabei auf die Gewohnheiten im Lande Franken, ein Verweis, der bei sachenrechtlichen Geschäften und gerade beim Ausschluss von Belastungen vielfach und beinahe wortgleich auch ander-

18 StaALohr I C 13, Regest Nr. 125, in: Quellen und Erläuterungen zur Geschichte der Stadt Lohr am Main bis zum Jahr 1559, hg. von der Stadt Lohr am Main, Lohr 2011 (im Folgenden: Regest Nr. 125). Zur Fomel »ann geverde« beziehungsweise »ane geverde« siehe Gunter Gudian, Zur rechtlichen Bedeutung der Formel »ane geverde« im Spätmittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 82 (1965), S. 333–336. 19 StaALohr I C 13: »Ich wer in auch der obgenanten gůt alle und ieglichs besunder unversetzt, unbekÜmmert, unklaghaft, und unansprÜchig von allermenclich, alz friaigens gůtz recht ist, und alz man das billich und von recht weren sol nach dem alz sittlich und gewonlich ÿme lande zü franken, und setze den obgenanten h(er)n Conraten, in nutzlich, leiplich gewalt und gewer der vorgenanten gůt alle und ieglichs besunder, zů nießen und zü gebruchen alz aigens gůt recht und gewonhait ist, nach dem alz vor geschriben stat, ann geverde, Und ich und min erben, verzeichen und v(er)schießen üns der obgenanten gůt, alle und ieglichs besunder mit halmen und mit handen, kainerlaÿ ansprach oder fordrung zů den obgenanten güten nÿmm(er) mer gehaben sullen noch wöllen od(er) wider disen kauf zů tůn mit gericht noch ann gericht oder sust mit worten mit werken, haimlich noch offenlich, ann geverde / Ich vorgenanter Götz Strekfůs, wer auch den vorgenanten h(er)n Conraten, fÜr mich und alle min erben, der egenanten gůt alle und ieglichs besunder, jar und tag, unansprüchig und ann allen eintrag, der im, dar ein komen oder werden möchte, alz aigenz recht ist und man pfliget zü tun kauffen und zü v(er)kauffen ÿme lande zu franken, ann geverde / Wer aber daz dem egenanten h(er)n Conraten, darÜber kainerleÿ ansprÜch od(er) hindernůß geschech in disem jar, wann oder zu welcher zit diz were oder geschech oder wer diz tete. So gerede ich mit gÜten trüwen ann geverde, alz bald ich dez ÿme werde unnerzogenlich abzetůn, Tete ich dez mit, würde ich dann gemant von den obgenanten h(er)n Conraten, so sol und will ich gen jar komen und nit von deme ich habe denn die kÜmernů genzlich und wol abgetan mit frÜntschaft oder mit recht ann allen schaden […]«. 20 Hattenhauer (wie Anm. 4), S. 326.

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weitig begegnet.21 Ferner verzichtete der Verkäufer für sich und seine Erben mit Halm und Hand, also offenbar bei der Auflassung der Güter, auf eine Geltendmachung etwaiger Ansprüche, und zwar »mit gericht noch ann gericht«, also gerichtlich oder außergerichtlich. Wenige Zeilen später folgt die besagte Zusicherung des Verkäufers, alle binnen Jahr und Tag geltend gemachten Ansprüche Dritter »mit frÜntschaft oder mit recht« abzuwehren. Die beiden Formeln folgen also dicht aufeinander und sind durch einen ununterbrochenen Gedankenfluss miteinander verbunden. Dieser enge Textzusammenhang macht es völlig unwahrscheinlich, dass ein und derselbe Tatbestand auf zwei verschiedene Weisen ausgedrückt wurde. Vielmehr müssen die beiden verschieden formulierten Ausdrücke auch unterschiedliche Bedeutung haben. Die beiden Formeln »mit gericht noch ann gericht« und »mit frÜntschaft oder mit recht« sind nicht synonym. Aber auch für sich genommen passt die Erwähnung des Verfahrens »nach Freundschaft« beziehungsweise »nach Minne« nicht recht in die Kategorien der bisherigen Forschung. Warum wollte sich der Käufer auch gegen eine Inanspruchnahme im Verfahren »nach Minne« sichern? Der Verkäufer hatte ihm bereits zuvor zugesichert, ihn nicht belangen zu wollen. Vor dem Verkäufer (und seinen Erben) war er also schon geschützt. Dritte wiederum hätten nach der bisherigen Ansicht im ordentlichen Gerichtsverfahren ohne weiteres nur ein Verfahren »nach Recht« durchführen können, während für eines »nach Minne« die Kooperation des Käufers nötig gewesen wäre. Diese Kooperation hätte er einfach selbst verweigern können, ohne auf die in der Urkunde zugesicherte Hilfe des Verkäufers angewiesen zu sein. So verstanden ergibt die Formel also keinen rechten Sinn; sie ist fast funktionslos. Was bedeutete »Freundschaft und Recht« dann aber stattdessen? Wiederum muss der Kontext weiterhelfen. Die Formel steht im Zusammenhang einer möglichst vollständigen rechtlichen Absicherung der Bestandskraft des Kaufvertrags. Wenn nun doch Dritte sich in der besagten Frist an den Käufer wenden, kann dieser den Verkäufer herbeizitieren. Der Verkäufer wird ihm dann »mit frÜntschaft oder mit recht« beistehen, und das muss hier so viel heißen wie »auf jede erdenkliche Weise«, also ähnlich wie bekannte Paarformeln22 wie »Mann und Maus« oder »Kind und Kegel« in einem allumfassenden Sinn gemeint sein, ohne dass dabei »Freundschaft« beziehungsweise »Minne« und »Recht« scharf gegeneinander abzugrenzen wären. Ein Quellenbeispiel aus dem angeblichen Kernbereich der Formel, dem Fehdewesen, weckt weitere Zweifel. Diese und die folgenden Quellen stammen aus 21 Jürgen Petersohn, Franken im Mittelalter (Vorträge und Forschungen Sonderband 51), Ostfildern 2008, S. 232–238. 22 Vgl. dazu Gerhard Dilcher, Paarformeln in der Rechtssprache des frühen Mittelalters. Frankfurt am Main 1960 und Ruth Schmidt-Wiegand, Art. Paarformeln, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, 11984, Sp. 1387–1393.



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dem reichen Fundus niedergerichtlicher Quellen aus dem Rhein-Main-Gebiet.23 Es geht um die Frankfurter Beurkundung der Beilegung einer Fehde zwischen zwei Rittern aus dem Taunus. Am 7. Juni 1386 bekannten die Ritter Philipp von Falkenstein und Emmerich von R[e]iffenberg, die in diese Fehde verstrickt gewesen waren, »daz wir aller zweyunge, schuldigunge schadin und forderu(n)ge, die wir unß eyne parthie zu der ande(rn) bis uff deß hutige(n) dag hatte adir habin mochte ad(er) sich zuschin uns biz her irlauffen han in weliche wise daz geschee(n) ist gentzlich zur mynne und zum rechte(n) gegange(n) sin und gestalt han an die ersamen wise lude den Rat der Stede franckenfurd / und wie uns der Rat vorg(enant) od(er) daz merteil dez Rade darumb nach beid(e) parthie ansprache und widderantworte richte(n) mit der myn(n)e od(er) mit dem rechte daz wir die richtu(n)ge« halten werden.24 Auch hier ist der Unterschied zwischen »Minne« und »Recht« fast nicht zu fassen. Allem Anschein nach hatten die beiden Ritter gemeinsam und im Konsens (dem herkömmlichen Verständnis zufolge »nach Minne«) den Frankfurter Rat angerufen. Bei ihm sind sie – so nun die Quelle – »zur Minne und zum Recht« gegangen, und sie versprechen nun, das zu halten, was der Rat ihnen »mit der Minne oder mit dem Recht« richten wird. Vor dem Richtspruch werden sie beide die Möglichkeit zur Ansprache, also Anspruchsbegründung, und Widerrede bekommen. All das hat zusammen mit der vorherigen freiwilligen Unterwerfung unter den Spruch des Rats alle Merkmale eines einheitlichen Schiedsverfahrens. Die Formel »zur Minne und zum Recht« würde hier also die spezifische Bedeutung »per Schiedsverfahren« haben. Ein separates, weniger formelles Verfahren »nach Minne«, wie es in der bisherigen Forschung postuliert wird, ist hier jedenfalls nicht erkennbar. Zudem ist im Umfeld Frankfurts am Main nicht bloß die Formel »Minne und Recht« verbreitet, auch »gütlich« oder »freundlich« lassen sich finden, was ebenfalls gegen eine allzu scharf konturierte Vorstellung eines Verfahrens »nach Minne« spricht. Am 6. September 1430 erklärte beispielsweise Conrad Regeler »fur mich und myn erbin wie uns die selben myn Hern Burg(er)meiste(r) und Radt zu franckenfurdt darumb entscheident und ussprechent iß sij fruntlich oder

23 Vgl. hierzu Klaus Crössmann, Sühneverträge der Stadt Frankfurt am Main mit ihren Fehdegegnern. Untersucht und dargestellt anhand von Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts aus dem Frankfurter Stadtarchiv. Frankfurt am Main 1664, S. 52 ff., der allerdings die Auffassung Hattenhauers (wie Anm. 4) bestätigte. 24 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (im Folgenden ISG Frankfurt), Rachungen, Nr. 170 (1386, Juni 7), Regest, in: Inventare des Frankfurter Stadtarchivs II, bearbeitet von Rudolf Jung. Frankfurt am Main 1889, S. 31.

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rechtlich, das das myn gut(er) wille ist« und er sich daran halten wolle.25 Andererseits erklärte die Stadt Mainz etwa am 29. Mai 1444 in einem Streit mit Speyer, »wie uns die obge(na)nt (en) Burgermeiste(r) und Radt der Statt frankenfurt alsdanen in der gutlichkeit oder dem Rechten entscheiden und zuschen uns ussprechen werden«, würden sie anerkennen.26 Am 3. Februar 1393 wiederum unterwarf sich der Edelknecht Bertram Vilbel dem Spruch Frankfurts, zu »richte(n) und entscheiden mit der früntschafft od(er) züm Rechte(n)«.27 Ein letztes Beispiel betrifft eine Streitschlichtung des Mainzer Erzbischofs zwischen den Herren von Kronberg und der Stadt Frankfurt am Main am 19. August 1380, einige Jahre vor der Kronberger Schlacht von 1389. Der Erzbischof erklärte, eine »Sühne geben« zu wollen. So bezeichnet er die Einsetzung eines kirchenrechtlichen Schiedsgerichts. Zu dessen Kompetenz bestimmt der Erzbischof: »und [sie] sollen minne und rechtis gewalt han sie zu entscheiden« nach beider Ansprache und Widerrede.28 Am 12. November des gleichen Jahres scheinen die fünf Schiedsrichter getagt zu haben. Denn nun erklärt der Bischof nach der erneuten Betonung, dass er »Minne und Rechtes Gewalt« hat, dass »das merteil under uns funffe zu eyner gutlichkeit« geneigt habe.29 Dies klingt nun doch, als hätte es zwei verschiede Vorgehensweisen oder zumindest Ergebnisse gegeben. Die Entscheidung für ein Verfahren »nach Minne« lag dieses Mal aber nicht in der Hand der Parteien, sondern bei den Schiedsleuten. Die wenigen hier angeführten Beispiele zeigen bereits, dass es sich lohnt, die Forschungen zu »Minne und Recht« zu überdenken. Hierbei dürfen keinesfalls moderne Vorstellungen der außergerichtlichen Streitschlichtung auf das Mittelalter zurückprojiziert werden, wie es in der Literatur mitunter geschah. Vielmehr müssen die Fragen der Streitentscheidung – nicht bloß für das Mittelalter – anhand der Quellen beantwortet werden. Bereits die wenigen Quellenbeispiele genügen zudem, um vor der Annahme einer konsistenten Begrifflichkeit zu warnen. In jedem Beispiel lagen die Verhältnisse etwas anders, und die Bedeutungsfelder unterschieden sich jedes Mal etwas. Andererseits ist deutlich, dass die eine Seite 25 ISG Frankfurt, Rachtungen, Nr. 975 (1430, September 6), Regest, in: Jung (wie Anm. 23), S. 70. Eine beinahe wortgleiche Urkunde des Clas Salman vom gleichen Tag findet sich unter ISG Frankfurt, Rachtungen, Nr. 976 (1430, September 6), Regest, in: Jung (wie Anm. 23), S. 70. 26 ISG Frankfurt, Rachtungen, Nr. 1301 (1444, Mai 29), Regest in: Jung (wie Anm. 23), S. 84. 27 ISG Frankfurt, Kopialbücher, Nr. 7 (Alt.-Sig.: Kopialbücher Nr. VI), fol. 144r (Urkunde 286 vom 3. Februar 1393), Regest, in: Jung (wie Anm. 23), S. 187. 28 ISG Frankfurt, Rachtungen, Nr. 170 (1380, August 19), Regest, in: Jung (wie Anm. 23), S. 28. 29 ISG Frankfurt, Rachtungen, Nr. 127 (1380, November 12), Regest, in: Jung (wie Anm. 23), S. 28.



Quellentermini und wissenschaftliche Ordnungsbegriffe

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der Dichotomie, »mit Recht«, ein klareres Profil hat, während die andere Seite begrifflich (mit Minne, mit Freundschaft, gütlich) diffuser ist. Die Begriffspaare sind weit verbreitet und wurden häufig verwandt. Eine erneute, präzise, zeitlich, räumlich und sachlich differenzierte Durchsicht der Quellen würde sich lohnen. Sie könnte versuchen, Antworten auf die heute noch offenen Fragen zu finden: Gab es eine trennscharfe Unterscheidung von »Recht und Minne«? Gab es etwa sogar verschiedene Verfahren? Können die Fälle kategorisiert werden, wann bot sich ein Verfahren »nach Minne«, wann eines »nach Recht« an? Doch damit genug der strittigen Fragen und methodischen Bedenken. Dass sich der Quellengebrauch des Ausdrucks »Freundschaft und Recht« nur schwer über einen Kamm scheren lässt, spricht, wie eingangs gesagt, noch nicht gegen seine Funktionalität als wissenschaftlicher Ordnungsbegriff. Dies werden nun die anderen Beiträge dieses Bandes erproben.

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Verflechtungen der Streitschlichtung? Zum Austrag kaufmännischer Interessenkonflikte im Hanseraum (1365–1435) I. Einleitung: Fragestellung und Perspektiven. II. Quellenlage. III. »Mit Freundschaft oder mit Recht«? Gericht oder nicht? IV. Spezialisten der Konfliktbeilegung? Die Mitglieder hansischer Führungsgruppen als Vermittler in kaufmännischen Streitigkeiten – Perspektiven einer Prosopographie der Schlichtung. V. Fazit.

I. Einleitung: Fragestellung und Perspektiven Im Zentrum dieser Überlegungen steht die Frage, wie Hansekaufleute ihre Konflikte austrugen, auf welche Strategien sie zurückgriffen, um Rechtsinteressen zu verfolgen und durchzusetzen, und welche Optionen sie und ihre Heimatstädte hatten, um Kontroversen beizulegen und einen Interessenausgleich vorzunehmen.1 Behandelt werden dabei die alltäglichen berufsbedingten Konfrontationen von Kaufleuten, die durch betrügerische Geschäftspartner, insolvente Schuldner, Kaperfahrer, einander befehdende Adelige oder schlicht durch Untergang eines Schiffes hervorgerufen werden konnten. Solche Risiken hatten als stete Begleiter des Handels starken Einfluss auf die Mentalität der spätmittelalterlichen Fernhandelskaufleute.2 Diesen Widrigkeiten des Fernhandels und der Durchsetzungsproblematik von Rechtsansprüchen über große Distanzen und verschiedene Rechtskreise hin1 Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um die erweiterte Fassung eines Vortrags über mein Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel »Kaufmännischer Konfliktaustrag im Hanseraum«, den ich auf der Wetzlarer Tagung »Mit Freundschaft oder mit Recht« gehalten habe. Für ihre Anregungen sei den Teilnehmern der Wetzlarer Tagung, aber auch denen der von Christian Jörg geleiteten Tagung »Reisende Spezialisten. Trierer Werkstattgespräche zu den Akteuren städtischer Außenpolitik während des späten Mittelalters (ca. 1250–1500)« herzlich gedankt. Einen ersten Überblick über mein Vorhaben bietet Philipp Höhn, Kaufmännische Konfliktaustragung im Hanseraum (ca. 1350– ca. 1450), in: Oliver Auge (Hg.), Hansegeschichte als Regionalgeschichte. Beiträge einer internationalen und interdisziplinären Winterschule in Greifswald vom 20. bis 24. Februar 2012 (Kieler Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 37), Frankfurt am Main 2014, S. 317–332. 2 Aron J. Gurjewitsch, Der Kaufmann, in: Jacques LeGoff (Hg.), Der Mensch des Mittelalters, Essen 2004, S. 291 f.

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weg3 standen Kaufleute und Hansestädte keineswegs hilflos gegenüber. Vielmehr boten sich vielfältige Handlungsspielräume, die von einvernehmlichen Einigungen über Schlichtungen durch den städtischen Rat oder die Hansestädte, die gerichtliche Auseinandersetzung vor städtischen, landesherrlichen oder königlichen Gerichten bis hin zur gewaltsamen Konfrontation in Form von Beschlagnahmen, der Arrestierung Dritter oder der offenen Fehde reichten. Durch den Austritt oder die Androhung des Austritts aus der Bürgergemeinde konnten diese Spielräume noch erweitert werden.4 Die Heimatstädte und Landesherren, Freunde und Verwandte nahmen dabei Einfluss auf die Konfliktführung, demonstrierten Solidarität und Unterstützung, wirkten zugleich aber auch disziplinierend auf die Parteien ein, um eine den Fernhandel gefährdende Eskalation zu verhindern und den Frieden (pax), die Eintracht (concordia) und die Freundschaft (amicitia), zentrale Werte der einungsrechtlich verfassten Stadtgemeinde, wiederherzustellen.5 Einvernehmliche konsensuale Konfliktbeilegungen lagen daher im Interesse der Beteiligten und waren – so meine These – besonders effektiv, da sie einen schnellen und nachhaltigen Interessenausgleich versprachen, dessen Wirksamkeit auf der verbindlichen Zustimmung der Konfliktparteien beruhte.6 Dies galt besonders bei überregionalen Auseinandersetzungen, bei denen städtische Gerichte vor dem Problem standen, Urteile in der Ferne durchsetzen zu müssen, und die königliche beziehungsweise geistliche Gerichtsbarkeit dies ebenso allenfalls auf einer nominellen Ebene beanspruchen konnten. Anhand der Untersuchung von Niederstadtbucheinträgen aus Lübeck zeigt sich aber, dass auch bei der innerstädtischen Konfliktregulierung der Rat der Stadt Urteilssprüche eher zögernd erteilte und vielstufige Verfahren der außergerichtlichen 3 Die »fragmentation of law« im Mittelalter ist insbesondere durch Verwendung von Konzepten aus der Neuen Institutionenökonomik in den Fokus der Forschung zum spätmittelalterlichen Handel und zur Hanse gerückt worden, zuletzt etwa bei Oscar Gelderbloom, Cities of Commerce. The Institutional Foundations of International Trade in the Low Countries, 1250–1650, Princeton 2013, insbesondere S. 102–140. Perspektiven des Zugriffs auf die Hanse anhand der Transaktionskostentheorie zeigen Stuart Jenks, Transaktionskostentheorie und die mittelalterliche Hanse, in: Hansische Geschichtsblätter (im Folgenden HGBll) 123 (2005), S. 31–42, und Stephan Selzer/Ulf Christian Ewert, Die Neue Institutionenökonomik als Herausforderung an die Hanseforschung, in: ebd., S. 7–29. 4 Höhn (wie Anm. 1), S. 326–327. 5 Gerhard Oexle, Friede durch Verschwörung, in: Johannes Fried (Hg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 43), Sigmaringen 1996, S. 115–150. 6 Höhn (wie Anm. 1), S. 324. Für die Untersuchung rechtlicher Praktiken mit einem besonderen Fokus auf »arbitration« plädiert Stuart Jenks, Conclusion, in: Justyna Wubs-Mrozewicz/Stuart Jenks (Hg.), The Hanse in Medieval and Early Modern Europe, (The Northern World 60), Leiden 2012, S. 255–281, hier S. 265–267.



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Schlichtung unter den Parteien durch die Vermittlung von Freunden und schließlich durch Abordnung von meist zwei Ratsherren als Schlichtern vornahm.7 Zu beachten ist, dass diese Tendenz, konsensuale Konfliktbeilegungen zu erwirken, nicht mit dem Verzicht gleichbedeutend war, sich gerichtlich auseinanderzusetzen, dass also die Frage »mit Freundschaft oder mit Recht« nicht gleichbedeutend ist mit der Frage »Gericht oder nicht«.8 Von erheblicher Bedeutung ist demnach, welche Zielsetzung das Verfahren hatte, ob es auf einen Interessenausgleich gerichtet war oder ob eine kontroverse, möglicherweise selbst wiederum Konflikte hervorrufende Streitentscheidung gefällt wurde.9 Die Perspektiven und Interessen der Kaufleute als Justiznutzer, ihres sozialen Umfelds und der vermittelnden oder entscheidenden Akteure sollen daher im Rahmen dieses Artikels anhand der Städte Lübeck, Stralsund und Danzig in den Blick genommen werden.10 Diese Auswahl versucht dem Umstand Rechnung zu tragen, dass neben der Hansezugehörigkeit auch die regionale Eigenständigkeit »als konstitutives Element der hansischen Geschichte« begriffen werden muss.11 Die Zugehörigkeit zum Reich oder zu landesherrlichen Territorien, die Beziehungen zu lokalen weltlichen und geistlichen Eliten, nachbarschaftliche und 7 So schon Wilhelm Ebel, Lübisches Recht, Bd. I, Lübeck 1971, S. 367 und S. 400 ff. Die in den Niederstadtbucheinträgen immer wieder erscheinende Abordnung zweier Ratsherren zur Schlichtung und der regelmäßige Verweis auf die Wiederherstellung von Freundschaft und Eintracht bestärken deutlich diesen Eindruck; vgl. den zweiten Band des Niederstadtbuchs: Das Lübecker Niederstadtbuch 1363–1399, 2 Teile, bearbeitet von Ulrich Simon, hg. vom Hansischen Geschichtsverein (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte [im Folgenden QDhansG] 56), Köln/Weimar/Wien 2006. 8 Albrecht Cordes, Die Erwartungen mittelalterlicher Kaufleute an Gerichtsverfahren: Hansische Privilegien als Indikator, in: ders./Serge Dauchy (Hg.), Eine Grenze in Bewegung: Öffentliche und private Justiz im Handels- und Seerecht. Une frontière mouvante: Justice privée et justice publique en matières commerciales et maritimes (Schriften des Historischen Kollegs 81), München 2013, S. 39–63, hier S. 47. 9 »Das Recht dient nicht der Vermeidung von Konflikten, es führt sogar, verglichen mit der Repression von Konflikten in interaktionsnah gebildeten Gesellschaften, zu einer immensen Vermehrung der Konfliktchancen. Es sucht nur die gewaltsame Austragung von Konflikten zu vermeiden und für jeden Konflikt noch dazu passende Formen der Kommunikation zur Verfügung zu stellen«, so Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1987, S. 511. 10 Zum Konzept der Justiznutzung mit seinem Vorzug einer akteurszentrierten Sichtweise siehe Martin Dinges, Justiznutzung als soziale Kontrolle in der frühen Neuzeit, in: Andreas Blauert/Gert Schwerthoff (Hg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 1), Konstanz 2000, S. 503–544. 11 Volker Henn, Kommunikative Beziehungen und binnenhansisches Raumgefüge, in: Rolf Hammel-Kiesow (Hg.), Vergleichende Ansätze in der hansischen Geschichtsforschung (Hansische Studien 13), Trier 2002, S. 37.

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landschaftliche Identitäten boten alternative Konfliktregelungsmechanismen, die neben hansischen und städtischen Formen des Austrags rechtlicher Auseinandersetzungen standen, aber auch gegeneinanderwirken konnten. Im Zentrum steht daher die Frage, welche Institutionen und Normen Städte, Hansekontore und Hansetage ausbildeten, um die Konfliktaustragung zu regulieren und zu kanalisieren, und in welchem Maße Kaufleute auf diese Institutionen zurückgriffen und somit an ihrer Ausgestaltung mitwirkten. Dabei wird bewusst ein weiter Fokus gewählt, um neben den formalisierten Institutionen der Konfliktaustragung – etwa städtischen oder landesherrlichen Gerichten – auch informelle Strategien zu erfassen, die sich in normativen Quellen nur schwer fassen lassen und nur durch die Untersuchung der Rechtspraxis greifbar werden. Im Rahmen der folgenden Überlegungen wird dabei das Engagement der Mitglieder städtischer Führungsgruppen als Vermittler in kaufmännischen Konflikten zur Sprache kommen. Im Mittelpunkt stehen dabei das »hansische Amigonat« oder die »Herren der Hanse«12, also die durch Familienverbindungen, Freundschaft und ökonomische Kontakte hervorragend vernetzte Gruppe der hansischen Ratsherren und Bürgermeister. Anhand eines personengeschichtlichen Ansatzes soll skizziert werden, welche Funktion ihre Vermittlung hatte und welche Interessen die beteiligten Akteure verfolgten. Dabei ist Zurückhaltung angebracht: Netze und Netzwerke sind Gegenstand kaum überschaubarer historischer Forschung geworden, bei denen die Definitionen auch aufgrund quellenbedingter Probleme ihrer empirischen Untermauerung stark differieren.13 Von diesen Verflechtungen wird im Folgenden die Rede sein. Die Bildhaftigkeit dieser 12 Der Begriff »Amigonat« bei Friedrich Bernward Fahlbusch, Zwischen öffentlichem Mandat und informeller Macht. Die hansische Führungsgruppe, in: HGBll 123 (2005), S. 43–60; zur Vernetzung der hansischen Führungsgruppe Dietrich W. Poeck, Die Herren der Hanse. Delegierte und Netzwerke (Kieler Werkstücke, Reihe E: Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 8), Frankfurt am Main 2010. 13 Einen guten Überblick über den Stand der Forschung zu Netzwerken im spätmittelalterlichen Handel bietet der Band von Gerhard Fouquet/Hans-Jörg Gilomen (Hg.), Netzwerke im europäischen Handel des Mittelalters (Vorträge und Forschungen 72), Ostfildern 2010. Zur Kritik an der inflationären Verwendung des Begriffs Netzwerk und seiner gelungenen Operationalisierung siehe Mike Burkhardt, Der hansische Bergenhandel im Spätmittelalter. Handel – Kaufleute – Netzwerke (QDhansG 60), Köln/Weimar/Wien 2009, insbesondere S. 31–61. Ein Abrücken vom Netzwerkbegriff zugunsten weniger problematischer »Beziehungsgeflechte« auch bei Mike Burkhardt, Kaufmannnsnetzwerke und Handelskultur. Zur Verbindung von interpersonellen Beziehungsgeflechten und kaufmännischem Habitus im spätmittelalterlichen Ostseeraum, in: Raumbildung durch Netzwerke? Der Ostseeraum zwischen Wikingerzeit und Spätmittelalter aus archäologischer und geschichtswissenschaftlicher Perspektive. Beiträge des am 28. und 29. Oktober veranstalteten internationalen Workshops (Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Beiheft 23), Bonn 2012, S. 119.



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Begriffe wird nicht als Hindernis für die Deskription von Beziehungsgeflechten gesehen, sondern als Möglichkeit des Erkenntnisgewinns. Zurückgegriffen werden kann dabei auf umfangreiche prosopographische und netzwerkgestützte Studien zu Lübeck und dem Hanseraum.14

II. Quellenlage Kurz sei auf die Quellen eingegangen, aufgrund derer vermittelnde Tätigkeiten erfasst werden können. Da ist zunächst das Schriftgut zu nennen, das in konkreten Konflikten entstand, so etwa Briefe der Konfliktparteien und ihrer Heimatstädte an Gegner, Landesherren und andere Städte, Verwendungsschreiben, Urfehden und Schadensverzeichnisse. Diese in den Urkundenbüchern in großer Zahl überlieferten Quellen liefern reichhaltiges Material, das die subjektive Sichtweise der Beteiligten wiedergibt und ihre Strategien besonders verdeutlicht. Die Rezesse von Städtetagen und die Überlieferung der Hansekontore geben einen Einblick in den Umgang hansischer Institutionen mit kaufmännischen Konflikten.15 Zentral ist darüber hinaus die Stadtbuchüberlieferung.16 Die Stadtbucheinträge entwerfen ein differenziertes Bild des städtischen Rechtslebens und verzeichnen neben der einvernehmlichen Konfliktbeilegung zwischen den Konfliktparteien und der Vermittlung von amici auch institutionalisierte Formen der Schlichtung durch deputierte Ratsherren und einzelne Entscheidungen des Rats. Festgehalten wurden nicht nur Rechtsakte, die die Konfliktparteien für fixierungsbedürftig hielten und vor den Stadtnotar brachten, sondern auch solche, die ex iussu consilii 14 Poeck (wie Anm. 12); Georg Asmussen, Die Lübecker Flandernfahrer in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (1358–1408) (Kieler Werkstücke, Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters 9), Frankfurt am Main 1999; Michael Lutterbeck, Der Rat der Stadt Lübeck im 13. und 14. Jahrhundert. Politische, personale und wirtschaftliche Zusammenhänge in einer städtischen Führungsgruppe (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck 35), Lübeck 2002. 15 Umfangreiches Material findet sich in den Hansischen Urkundenbüchern, den Hanserezessen sowie den einschlägigen regionalen und städtischen Urkundeneditionen, ungedrucktes Material soll im Rahmen der Dissertation ebenfalls hinzugezogen werden. Es erfolgt eine systematische Durchsicht dieser Editionen, um Konflikte nach den beteiligten Konfliktparteien, Entscheidern oder Vermittlern, Zeugen und Unterstützern, aber auch nach den entscheidenden Instanzen und der Form der Konfliktaustragung zu registrieren. 16 Im Rahmen dieses Artikels soll vor allem die Lübecker Niederstadtbuchüberlieferung im Mittelpunkt stehen. Vergleichend wurde auch der für den Untersuchungszeitraum in Edition vorliegende Stralsunder Liber Memorialis herangezogen, der ebenfalls reichhaltiges Material bietet: Liber Memoralis, bearbeitet von Horst-Diether Schroeder, hg. von Herbert Ewe (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Stralsund V), 6 Bde., Weimar 1964–1988.

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niedergeschrieben wurden17 – bei denen der Rat also die Notwendigkeit einer schriftlichen Absicherung der Konfliktbeilegung sah. Solche Stadtbucheinträge waren nicht scheltbar, wie Ratsurteile des 15. Jahrhunderts belegen18, und boten demnach weitgehende rechtliche Sicherheiten, was sich in der Heranziehung der Stadtbucheinträge anderer Städte als Beweismittel in rechtlichen Auseinandersetzungen widerspiegelt.19 Daher bietet die Stadtbuchüberlieferung einen Einblick in den Umgang des Rats mit den Konflikten seiner Bürger, da sich ihr entnehmen lässt, in welchen Auseinandersetzungen der Rat darauf bedacht war, durch vermittelndes Wirken eine Eskalation zu vermeiden, und in welchen Fällen er den Parteien weitgehende Autonomie bei der Regulierung ihrer Streitigkeiten zubilligte.

III. »Mit Freundschaft oder mit Recht«? Gericht oder nicht? Dabei gilt es jedoch zu betonen, welche Schwierigkeiten die Erfassung dieser Vermittlungstätigkeit bereitet. Mit der Bildung von Idealtypen, mit Gegensatzpaaren wie »Freundschaft« oder »Recht« oder mit begriffsgeschichtlichen Ansätzen sind sie nur um den Preis einer sehr hohen Abstraktion zu erfassen. Dass der Rat der Friedenssicherung und der Herstellung des Konsenses unter den Beteiligten besondere Bedeutung zumaß, wird daran deutlich, dass immer wieder Ratsmitglieder dazu deputiert wurden, eine Schlichtung zu vermitteln. Dabei zeigt sich eine erhebliche Flexibilität der städtischen Administrationen: Neben in Lübeck sehr häufig auftauchenden Schlichtungen durch zwei vom Rat dazu abgeordnete Ratsherren20 finden sich auch Viererbesetzungen, gemischte Gremien aus Bürgern und Ratsherren21, in Stralsund aber auch Schlichterkollegien, die von den Parteien ernannt wurden.22 Darüber hinaus traten auch Freunde oder nicht näher bezeichnete Dritte als Vermittler auf. Über die eigentliche Tätigkeit des Schlich17 Siehe die Einträge zu iussu consilii (consulatus, dominorum) im Register von Simon (wie Anm. 7), S. 253. 18 Wilhelm Ebel, Lübecker Ratsurteile, Bd. 1: 1421–1500, Göttingen 1955, Nr. 59. Siehe auch Ulrich Simon, Lübecks zweites Niederstadtbuch. Bemerkungen anläßlich der Fertigstellung der Edition, in: Der Wagen (2004), S. 201–211; Antjekathrin Grassmann, Zu den Lübecker Stadtbüchern, in: Jürgen Sarnowsky (Hg.), Verwaltung und Schriftlichkeit in den Hansestädten (Hansische Studien 16), Trier 2006, S. 71–80. 19 Siehe zum Beispiel das Niederstadtbuch (wie Anm. 7), S. 94,9, 117,2, 479,5 (zitiert werden im Folgenden die Seiten des Niederstadtbuchs, nicht die der Edition). 20 Zum Beispiel Simon (wie Anm. 7), S. 427,4. 21 Simon (wie Anm. 7), S. 88,5, 380,8, 393,5. 22 Zum Beispiel Stralsunder Liber Memorialis (wie Anm. 16), Bd. 5, S. 17, Nr. 6, S. 33, Nr. 50, S. 42 f., Nr. 78.



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tens oder Vermittelns geht aus den Quellen nur wenig hervor.23 Zugleich werden Akte der Streitschlichtung und Streitentscheidung mit sehr verschiedenen Begriffen (etwa concordare, placitare, compositum facere) benannt und die Schreiber scheinen erhebliche Freiheiten bei der Erstellung der Einträge gehabt zu haben, sodass der Binnenstruktur des Stadtbuchs und inhaltlichen Verschiebungen und Innovationen – etwa der Nutzung von Querverweisen innerhalb des Buches – Beachtung geschenkt werden muss. Die Unterscheidung zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Konfliktbeilegung stößt als schlichtes Gegensatzpaar dort an ihre Grenzen, wo Gerichte selbst schlichtend oder vermittelnd tätig wurden.24 Die Stadtbuchüberlieferung scheint daher dazu zu mahnen, das Bild einer den kaufmännischen Belangen vollkommen fernen spätmittelalterlichen Rechtspflege, die insbesondere auswärtige Kaufleute geradezu zu »amicable settlements« genötigt hätte, zu hinterfragen.25 Die Bildung von Antagonismen und Subsidiaritätsvorstellungen scheint die wohl zentrale Zielsetzung der spätmittelalterlichen städtischen Konfliktbeilegung zu verfehlen, die nach dem Rezess zur Beendigung des Lübecker Ratsstreits von 1416 darin lag, die Parteien »to eendracht herde vnde to vruntschap bringe«.26 Zudem unterstellt man den Quellen möglicherweise ein Maß an sprachlicher Präzision und rechtlicher Differenzierung, das ihnen eher fremd ist. Vielmehr bietet es sich an, einen pragmatischeren Zugang zu wählen, der dem Umstand Rechnung trägt, dass die städtischen Eliten juristische Laien waren, die in Konflikten unter Kollegen schlichteten oder richteten.27 Dass sich kaufmännische Er23 Dies deckt sich mit der Feststellung von Hermann Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst), Darmstadt 2001, S. 26: »Wichtig für die Zeitgenossen war, daß in einer Auseinandersetzung für Frieden gesorgt wurde, aber das Wie war nur ganz am Rande ein Thema. Die Techniken und Mittel blieben weithin unterbelichtet«. 24 Ein Beispiel dafür Höhn (wie Anm. 1), S. 321 f. 25 Siehe Gelderbloom (wie Anm. 3), S. 139 f., der dies allerdings dahin gehend abschwächt: »These private solutions functioned in the shadow of the law, however«, und den städtischen Gerichten in Brügge, Antwerpen und Amsterdam zubilligt, sich kaufmännischen Anforderungsprofilen in besonderem Maße angepasst zu haben, ferner Jenks (wie Anm.6), S. 265–267 Kritisch setzt sich mit der letztlich auch die Debatte um eine mittelalterliche »Lex mercatoria« berührenden Vorstellung, Kaufleute hätten »private order solutions« bevorzugt, Stephen E. Sachs, Conflict Resolution at a Medieval English Fair, in: Eine Grenze in Bewegung (wie Anm. 8), S. 19–38, auseinander, dort auch der Verweis auf weitere Literatur. 26 Lübeckisches Urkundenbuch (im folgenden LUB), 1. Abteilung, 5. Teil, bearbeitet von Carl Wehrmann, Lübeck 1877, Nr. 583, S. 642. 27 Mit dem weberschen Begriff der Rechtshonoratioren beschreibt dies Albrecht Cordes, Die Lübecker Ratsherren als Richter, in: forum historiae iuris (2010), online unter: http:// www.forhistiur.de/zitat/1008cordes.htm (20.01.2014).

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wartungshaltungen in besonderen Anforderungen an die Gestaltung rechtlicher Auseinandersetzungen widerspiegelten, hat Albrecht Cordes anhand der Untersuchung hansischer Privilegien nachgewiesen. Prozessrechtliche Belange, etwa kurze Verfahren, die eine schnelle Weiterreise ermöglichten, zählten zu dem, was Hansekaufleute für regelungsbedürftig hielten, und stellten einen eifersüchtig gehüteten Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten dar.28

IV. Spezialisten der Konfliktbeilegung? Die Mitglieder hansischer Führungsgruppen als Vermittler in kaufmännischen Streitigkeiten – Perspektiven einer Prosopographie der Schlichtung Die Mitglieder städtischer Führungsgruppen waren neben ihrer richterlichen Tätigkeit im Rahmen der Nieder- und Ratsgerichtsbarkeit Teil einer Vermittlungsund Verwendungskultur innerhalb der Stadtgemeinde. Festzuhalten gilt es, dass die Ratsherren und Bürgermeister selbst immer wieder aufgrund ihrer kaufmännischen Tätigkeiten in Konflikte verwickelt wurden, dass sie also die Konfliktgegenstände aus erster Hand kannten.29 Die Stadt Danzig beispielsweise hielten die Rechtshändel ihres Ratsmitglieds Bertold Burammer über mehr als dreißig Jahre in Atem. Herausgegriffen seien nur einige: Neben einem langwierigen Rechtsstreit mit Stralsund, in dessen Verlauf Burammer seinen Gegner auf offener Straße ergriff, nach Danzig verschleppte und ihm 300 preußische Mark abnahm30, ließ er die Güter eines englischen Kaufmanns in Schonen beschlagnahmen, um sich für eine lange zurückliegende Inhaftierung in London zu rächen, die er wegen der heimlichen Einfuhr von Wein erlitten hatte.31 Aus dem Raub von fünf dem Gesandten Kaiser Sigismunds, Nikolaus Stock, gehörenden Pferden, deren Transport Burammer organisiert hatte, erwuchsen Auseinandersetzungen mit der Stadt

28 Cordes (wie Anm. 8). 29 Eine ähnliche Beobachtung macht Peter Schuster, Richter ihrer selbst? Delinquenz gesellschaftlicher Oberschichten in der spätmittelalterlichen Stadt, in: Kriminalitätsgeschichte (wie Anm. 10), S. 359–378, für die städtische Strafjustiz. 30 Hansisches Urkundenbuch (im Folgenden HUB), Bd. 7, 1. Halbbd., bearbeitet von HansGerd Rundstedt, Weimar 1939, Nr. 93, 202, 635, 662, 682; Hanserecesse (im Folgenden HR), 2. Abteilung, Bd. 2, bearbeitet von Goswin Freiherr von der Ropp, Leipzig 1878, Nr. 604, 607, 630; HR, 2. Abteilung, Bd. 3, bearbeitet von Goswin Freiherr von der Ropp, Leipzig 1881, Nr. 121, 174, 176, § 2, 178, 231, § 14. 31 HUB, Bd. 6, bearbeitet von Karl Kunze, Leipzig 1905, Nr. 614; Theodor Hirsch, Danzigs Handels- und Gewerbegeschichte unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, Leipzig 1858, S. 96, Anm. 98.



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Lübeck.32 Nach dem Schadensverzeichnis der preußischen und livländischen Städte hatte er in elf der in den Jahren 1438–1441 durch Holländer und Seeländer gekaperten Schiffe Geld oder Waren geladen, an fünf besaß er Anteile.33 Und auch Kollegen Burammers wurden in dessen Rechtsstreitigkeiten involviert. Der Rat von Rostock ließ 200 Mark des Danziger Bürgermeisters Heinrich Vorrat beschlagnahmen, nachdem Burammer das Schiff eines Rostocker Ratsmannes mit Genehmigung des Hochmeisters des Deutschen Ordens hatte beschlagnahmen lassen.34 Auch wenn man Burammer eine gewisse Streitlust unterstellen kann, so ist doch auffallend, dass seine Reputation als Kaufmann, Ratsherr und Gesandter kaum darunter gelitten hat und er selbst in der Rechtspflege tätig war. Burammer war Schöffe und erscheint als Bevollmächtigter anderer Hansekaufleute.35 Am Rande eines Städtetags in Hamburg berichtete sein Danziger Ratskollege Heinrich Vorrat in die Heimatstadt über Burammers gute, freundschaftliche Verbindungen.36 Enge Beziehungen unterhielt er zum Hochmeister des Deutschen Ordens, für den er als Gesandter mit dem dänischen König und der Herzogin von Burgund verhandelte.37 Seine Verbindungen zum dänischen König waren auch ökonomischer Natur; Burammer verwaltete beispielsweise ge32 LUB, 1. Abteilung, 7. Teil (ohne Angabe des Bearbeiters), Lübeck 1885, Nr. 253; zu Stocks Gesandtschaftsreise siehe Friedrich Bernward Fahlbusch, Städte und Königtum im frühen 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte Sigmunds von Luxemburg (Städteforschung A 17), Köln/Wien 1983, S. 177 f. 33 HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 767, §§  4, 7, 12, 13, 17–19, 21, 23, 87, 111, 121, 125; Charlotte Brämer, Die Entwicklung der Danziger Reederei im Mittelalter, in: Zeitschrift des westpreußischen Geschichtsvereins 63 (1922), S. 51 mit Anm. 2. 34 HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 149. 35 HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 105. Ernst Daenell, Die Blütezeit der deutschen Hanse. Hansische Geschichte von der zweiten Hälfte des vierzehnten bis zum letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, Berlin 1905/06, S. 522 f., zählt Burammer aufgrund seiner umfassenden Handelsverbindungen im Kapitel »Die führenden Männer und Kreise der Hanse« zu den herausragendsten Exponenten der Danziger Politik und Wirtschaft. Ein bibliographischer Überblick zu Burammer bei Joachim Zrdenka, Rats- und Gerichtspatriziat der Rechten Stadt Danzig, Teil 1: 1342–1525 (Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen 63), Hamburg 1991, S. 244 f. 36 HR 2,2 (wie Anm. 30), Nr. 4. 37 Dazu Leon Loczy, The Baltic Policy of the Theutonic Order, in: Baltic and Scandinavian Countries 2 (1936), S. 171. Einer seiner Handelsdiener wurde während seiner Tätigkeit als Gesandter mit Gütern in Lübeck arrestiert, LUB 7 (wie Anm. 32), Nr. 94, 95, 372, 379. In das Geleit der dänischen Königin Philippa wurde Burammer 1430 aufgenommen – HUB 6 (wie Anm. 31), Nr. 647 –, geschäftliche Beziehungen lassen sich ableiten aus HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 765. Zur Gesandtschaftsreise nach Flandern, in deren Verlauf Burammer vor dem Brügger Kontor gegen den Danziger Kaufmann Johann Rurendancz prozessierte, siehe HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 298, 411, 463, § 1.

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meinsam mit Olaf Nielssen 1438 Steuerangelegenheiten in Island.38 Neben Beziehungen zum weiteren Umfeld des Kaisers lassen sich auch solche nach Rom nachweisen. So vermittelte Burammer dem Danziger Rat seinen Kontakt zum italienischen Bankier Gerardo Bueri in Lübeck, über den die Danziger 1432 eine Überweisung an die Kurie tätigten; sein Stiefsohn Johann Krouwel war 1437 Ordensprokurator in Rom und seit 1439 Bischof von Ösel.39 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die etwas nebulöse Formulierung in einem Stralsunder Brief von 1441 an Danzig deuten, nach der Burammer in seinem Rechtsstreit mit der Stadt nicht nur die Stralsunder »swarliken jegen recht vorvolget« habe, sondern die Stadt auch »to ghestliken rechte in unses hilgen vaders und heren des pawes hoff« habe vorladen lassen.40 Seine vielfältigen geschäftlichen und diplomatischen Aktivitäten erhöhten seinen Spielraum in der Konfliktaustragung, da er seine Beziehungen innerhalb der hansischen »Elitenlandschaft«41 in seinem Interesse zu nutzen wusste. Die Einbeziehung einflussreicher Unterstützer bot die Möglichkeit, sich dem disziplinierenden Anspruch der Heimatstadt zu entziehen.42 Im städtischen Schlichtungswesen scheint vor allem das Ratsherrenamt zum Schlichter prädestiniert zu haben, auch wenn aufgrund der vielfältigen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen häufig Verbindungen zu den Konfliktparteien bestanden, die es näher zu untersuchen gälte. So lassen sich anhand der Niederstadtbucheinträge in annähernd vierzig Jahren 41 verschiedene vermittelnde Ratsherren ausmachen, von denen 17 nur einmal tätig wurden. Neunmal schlichtete der Bürgermeister Simon Swerting, achtmal der 38 Kurt Forstreuter, Zu den Anfängen der hansischen Islandfahrt, in: HGbll. 85 (1967), S.  118, Ernst Bahr, Art. Buramer, Berthold, in: Neue Deutsche Biographie III, Berlin 1957, S. 24. 39 Forstreuter (wie Anm. 38), S. 114, Anm. 38, Bahr (wie Anm. 38); Burammers Rolle im Zahlungsverkehr Danzigs nach Rom bei Hirsch (wie Anm. 31), S. 238, und Gerhard Fouquet, Ein Italiener in Lübeck. Gerardo Bueri (†1449), in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 78 (1998), S. 212. Zu Crowel siehe Bernhart Jähnig, Art. Johannes Krouwel (Crowel, Creul) (OT) (um 1400–1457). 1439–1449 Ernannter Bischof von Ösel-Wiek. 1449–1457 Bischof von Ösel-Wiek, in: Erwin Gatz (Hg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. Ein biographisches Lexikon, Bd. I: 1198–1448, Berlin 2001, S. 501 f. 40 HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 662. 41 Der Begriff bei Stefan Selzer, Die Herren der Kathedralen. Überlegungen zu Bischöfen in der hansischen Elitenlandschaft (1230–1530), in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 147 (2011), S. 195–220. 42 Geht für Burammer besonders hervor aus HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 682 (Danzig an Stralsund). Siehe auch Franz Irsigler, Kölner Kaufleute im 15. Jahrhundert. Die Akten des Prozesses Rosenkrantz/Viehof als Quelle für die kölnische Handelsgeschichte, in: Rheinische Vierteljahresblätter 36 (1972), S. 71–88, hier insbesondere S. 86; Höhn (wie Anm. 1), S. 326 f.



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Ratsherr Hermann Osenbrugge, zehnmal Bürgermeister Hinrich Westhof.43 Ob neben dem Amt die Reputation der Schlichter oder schlicht ihre Anwesenheit vor Ort von Bedeutung waren, kann aufgrund dieser Zahlen nur schwerlich beurteilt werden. Dagegen spricht vielleicht, dass vielfach nicht die Konfliktparteien die Schlichter auswählten, sondern dass diese vom Rat bestimmt wurden.44 Für das Ende des 15. Jahrhunderts hat Harm von Seggern für den Ratsherrn Diedrich Basedow 52 Auftritte als Vermittler nachgewiesen, die sich wohl mit dessen Funktion als Wetteherr erklären lassen.45 Im Stralsunder Liber Memorialis lassen sich neben den Ratsherren im Allgemeinen vor allem die Kämmereiherren bei der Fixierung von Schuldverhältnissen und der Vermittlung und Entscheidung kaufmännischer Konflikte nachweisen, aber auch bei der Rückgabe von durch Kaperfahrer genommenem Gut und der Durchführung und Aufhebung von Güterarresten.46 Dies lässt sich vermutlich auf den Umstand zurückführen, dass sie mit der Verwaltung der städtischen Finanzen und Liegenschaften betraut waren47 und ihnen demnach bei der Verwahrung von Nachlässen und der Überwachung und Durchführung von Beschlagnahmen möglicherweise besonderer Sachverstand zugetraut wurde. Sie waren folglich, wie es Gunnar Meyer anhand der Lübecker Bürger43 Nach Durchsicht von Simon (wie Anm. 7), Teil 1. Hier sei nur verwiesen auf die Rechtsakte, bei denen die genannten Drei mitwirkten, das heißt für Swerting auf ebd., S. 375,5, 390,6, 393,5, 396,3, 449,1, 479,5, 511,1, 568,3, 646,3, für Ossenbrugge auf ebd., S. 86,5, 87,1, 88,5, 184,8, 341,9, 375,5, 380,8, 568,3, und für Westhof auf ebd., S. 336,9, 407,5, 442,1, 472,5, 509,4, 511,1, 514,1, 519,4, 646,1. Die kurzen Einträge machen eine Einordnung nach »kaufmännischen« und »nicht kaufmännischen« Konfliktgegenständen schlichtweg unmöglich. Eine solche Unterteilung ist gerade bei häufigen Konfliktgegenständen wie Schulden oder Nachlässen auch nicht gerade hilfreich. Daher sind im Folgenden alle im Niederstadtbuch gefundenen Vermittlungen aufgenommen. Die Formulierungen erschweren es in Einzelfällen, zu bewerten, ob die Ratsherren tatsächlich schlichteten oder nur rechtlichen Auseinandersetzungen auf Anordnung des Rates beiwohnten. Die hier angegebenen Zahlen sind demnach sehr problematisch, geben aber Trends wieder, die es anhand der unedierten Bände des Niederstadtbuchs zu überprüfen gilt. Zwischen 1363–1399 gab es nach Lutterbeck (wie Anm. 14), S. 177–179, 76 Ratsherren. 44 In den Fällen, in denen eine Abordnung des Rats nicht angezeigt ist, zeigen sich dagegen Präferenzen, etwa für den renommierten Jacob Plescow oder für Simon Swerting. In Stralsund wird die Auswahl der Schlichter durch die Konfliktparteien hervorgehoben – zum Beispiel im Stralsunder Liber Memorialis (wie Anm. 16), Bd. 5, Nr. 6, 50, 78, 136. 45 Harm von Seggern, Die führenden Kaufleute in Lübeck gegen Ende des 15. Jahrhunderts, in: Netzwerke im europäischen Handel des Mittelalters (wie Anm. 13), S. 304, 310–316. 46 Anstelle von vielen siehe zum Beispiel Liber Memorialis (wie Anm. 16), Bd. 3, Nr. 316, 482, 505, 718, 743. 47 Antjekatrin Grassmann, Die städtische Verwaltung, in: Jörgen Bracker/Volker Henn/ Rainer Postel (Hg.), Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos, Lübeck 42006, S. 483 f.

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testamente für die Einsetzung der Werkmeister der Pfarrkirchen als Vormünder gezeigt hat, »von Amts wegen zentral«.48 Dass die Stralsunder Kämmereiherren häufig in Rechtsstreitigkeiten tätig wurden, verdeutlicht daher – ebenso wie die Tendenz, Schlichtergremien in Lübeck doppelt zu besetzen und die Vermittlertätigkeit unter den Ratsherren breit zu streuen – vor allem eine Institutionalisierung von Verfahren der gütlichen Konfliktbeilegung. Der Rat nahm die Konflikte der Bürger bewusst wahr und war auf eine deeskalierende Streitbeendigung bedacht. So verweisen diese – nur begrenzt aussagekräftigen – Zahlen vor allem auf das vermittelnde Wirken der Ratsherren als Amtsträger und verdeutlichen, dass die städtischen Funktionsträger Bestandteil einer »Infrastruktur« konsensualer Konfliktbeilegung waren. Fanden über die Stadt hinaus Ausgleichsbemühungen statt, so prädestinierte die Präsenz vor Ort zur Verwendung und Vermittlung. So finden sich Hinweise darauf, dass reisende Ratsherren sich vor Ort mit konkreten Rechtsstreitigkeiten beschäftigten. Der schon genannte Danziger Bürgermeister Heinrich Vorrat nahm 1435 beispielsweise auf einer Gesandtschaftsreise zum englischen König in Flandern die Klagen einiger Flamen gegen Hamburg auf und bezeugte, dass der anwesende Hamburger Bürgermeister Genugtuung versprach.49 In London brachte er 1437 die Klage eines Danzigers wegen Seeraubs vor den Court of Chancery. Dort nahm er sich auch der Sache Ekhard Junges, dessen Schiff beschlagnahmt, und Henke Horns, der unter dem Vorwand, er sei Schotte, vom Stadtkommandanten von Newcastle beraubt worden war, an. Daneben verwendete er sich aber auch für einen Bürger des Herzogs von Pommern-Stettin.50 Schon zuvor war Vorrat als Mittlerpersönlichkeit aufgefallen. So hatte er für mehrere von den Polen arrestierte Hanseschiffe eine Bürgschaft gestellt und Lösegeld bezahlt, das Danzig 1436 von den Eigentümern der Schiffe zurückzufordern versuchte.51 Die Verwendung für andere Hansekaufleute barg jedoch auch Risiken; so war Vorrat selbst auf die Unterstützung Lübecks und Bremens angewiesen, als er in die Gefangenschaft des Bischofs von Münster geriet, der auf diesem Wege versuchte, Forderungen gegen Hamburg durchzusetzen.52 Bei Vorrats Vermittlungstätigkeit 48 Gunnar Meyer, »Besitzende Bürger« und »elende Sieche«. Lübecks Gesellschaft im Spiegel ihrer Testamente 1400–1449 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, Reihe B 48), Lübeck 2010, S. 140–153. Meyer kommt ferner zu dem Schluss, dass die Ratsherren, die als Vormünder bestimmt wurden, ihre Zentralität im Netzwerk vor allem ihrem gesellschaftlichen Status und Rückhalt zu verdanken hatten, der wiederum Voraussetzung ihrer Aufnahme in den Rat war (ebd., S. 200). 49 HUB 7,1 (wie Anm. 30), Nr. 82, 84, 92. 50 Ebd., Nr. 462, 358–360. 51 Ebd., Nr. 176. 52 Ebd., Nr. 39, § 14, 322, 330, 351.



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spielte neben seinem Amt die Reputation eine große Rolle, kann man ihn doch gewiss als einen hansischen »Spitzendiplomaten« bezeichnen. Gleiches gilt für den Lübecker Bürgermeister Simon Swerting (1363/70– 1388), der im Niederstadtbuch als vom Lübecker Rat deputierter Vermittler, aber auch als von den Konfliktparteien gewählter Schlichter in mehreren Erbschaftsangelegenheiten und anderen Streitigkeiten erscheint.53 Als Konfliktpartei war er in einen Streit ex parte lignorum navalium verwickelt, in dem die Ratsherren Johannes Lange und Hinrich Schonenberch ex iussu consulatus schlichteten.54 Am Rande eines Lübecker Hansetags vermittelte Swerting nach dem Niederstadtbucheintrag vom 13. Juli 1377 zudem gemeinsam mit seinem Lübecker Ratskollegen Hermann Ossenbrugge in einem Streit um einen Schiffsverkauf. Die Konfliktparteien stammten aus Lübeck, Danzig und Aberdeen. Swerting und Ossenbrugghe handelten in diesem Falle explizit im Namen der in Lübeck versammelten Hansestädte.55 Im gleichen Jahr bezeugte Swerting gemeinsam mit seinem Bürgermeisterkollegen Jacob Plescow einen Zuversichtsbrief Lübecks für 14  Lübecker und Stockholmer, deren Schiffsladung bei Bornholm gestrandet war.56 1378 war er Teil eines sechsköpfigen Schlichtergremiums, zu dem auch der Ratsherr Heinrich Constantin zählte und das im Streit über eine Handelsgesellschaft zwischen einem Braunschweiger, einem Lübecker und einem Goslarer entschied, die mit Falken über Nürnberg und Venedig bis nach Alexandria handelte.57 1387/88 besiegelte er literas respectivales nunciorum communium civitatum maritimarum, die zu dieser Zeit mit den Flamen in Antwerpen verhandelten, wegen eines bei Holland verunglückten Schiffs.58

53 Siehe dazu Anm. 43. 54 Simon (wie Anm. 7), S. 427,4. 55 Ebd., S. 375,5. In den HR, 1. Abteilung, Bd. 2, bearbeitet von Karl Koppmann, Leipzig 1872, Nr. 148–152, sowie in den Nachträgen HR, 1. Abteilung, Bd. 3, bearbeitet von Karl Koppmann, Leipzig 1875, Nr. 95, und in HR, 1. Abteilung, Bd. 8, bearbeitet von Karl Koppmann, Leipzig 1897, Nr. 574, findet sich zur Versammlung vom 24. Juni 1377 dieser Vorgang nicht thematisiert. Dies könnte darauf hindeuten, dass solche Vergleiche am Rande von Hansetagen öfter stattfanden, ohne in den Rezessen thematisiert zu werden. An der Edition der Hanserezesse haben Angela Huang/Ulla Kypta, Ein neues Haus auf altem Fundament. Neue Trends in der Hanseforschung und die Nutzbarkeit der Rezesseditionen, in: HGBll 129 (2011), S. 213–229, starke Kritik geübt. 56 HUB 6 (wie Anm. 31), Nr. 593. 57 Simon (wie Anm. 7), S. 393,5. Zur Identifizierung der genannten Nürnberger siehe Simon (wie Anm. 18), S. 208 f. 58 Simon (wie Anm. 7), S. 646,4; dazu auch ebd., S. 647,2 und S. 647,5; HUB, Bd. 4, bearbeitet von Karl Kunze, Halle an der Saale 1896, Nr. 962, Anm. 1. Der Eintrag wurde aufgrund eines Briefs von Braunschweig gestrichen.

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Hervorgehoben werden müssen Swertings gute Verbindungen innerhalb des Kreises der »Herren der Hanse«.59 Er war Sohn eines Wisbyer Ratsherrn und Bürgermeisters und Bruder des Stralsunder Ratsherrn Gregor Swerting. Unter den familiären Beziehungen seien nur die zur ebenfalls aus Wisby stammenden Familie Plescow, deren Mitglieder Jacob Plescow und Jordan Plescow die vielleicht bekanntesten Exponenten der Lübecker Außenpolitik im ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhundert waren, und die Verbindungen zu den Ratsfamilien der Attendorn und Russenberg hervorgehoben.60 1370 befehligte er als Bürgermeister die lübeckische Flotte. Regelmäßig vertrat Swerting seine Heimatstadt auf Hansetagen61, in den Ratsaufzählungen wurde er seit dem Tod seines Vetters Jacob Plescow 1381 gar an erster Stelle genannt.62 Daneben fand er sich immer wieder auch mit Gesandtschaftstätigkeiten betraut, etwa 1375, als er gemeinsam mit dem Elbinger Bürgermeister Hartwig Beteke im Brügger Kontor ein Statut über den Umgang mit säumigen Schuldnern beschloss, mit dem französischen König über die Einstellung von Überfällen normannischer Kaperfahrer verhandelte und auf Bitte des Londoner Kontors nach England weiterreiste, um in Schadensersatzverhandlungen mit der englischen Krone zu treten. Dankesschreiben des Brügger Kontors und der Umstand, dass der englische König Swerting mehrere Reliquien Thomas Becketts als Geschenk an die Stadt Lübeck mitgab, belegen, dass er dabei wohl recht erfolgreich war.63 Amt, Reputation, Beziehungen und diplomatisches Geschick machten Swerting zu einer besonders geeigneten Vermittlerpersönlichkeit. Nicht zu unterschätzen ist zudem, dass die Mitglieder des »hansischen Amigonats« zudem über einen besonders guten Zugang zu Informationen verfügten.64 Beruhend auf regelmäßiger Kommunikation in überregionalen Netzwerken konnten sie auf politische und ökonomische Wechsellagen besonders flexibel reagieren. Die langwierige Nachrichtenübermittlung machte Informationen zu einer zentralen Ressource. Einschlägig bekannt ist der gescheiterte Versuch des in 59 Poeck (wie Anm. 12), S. 181–213; Asmussen (wie Anm. 14), S. 157 und S. 774–787; Lutterbeck (wie Anm. 14), S. 385–388. 60 Jürgen Wiegandt, Personale Grundlagen städtischer Führungsschichten am Beispiel der Familie Swerting, in: Klaus Friedland (Hg.), Visby-Colloquium des Hansischen Geschichtsvereins 15.–18. Juni 1984. Referate und Diskussion (QDhansG 32), Köln/Wien 1987, S. 15–40. 61 Vgl. die Synopse bei Poeck (wie Anm. 12), S. 602–637. 62 Wiegandt (wie Anm. 60), S. 31. 63 HUB 4 (wie Anm. 58), Nr. 513; LUB, 1. Abteilung, 4. Teil, bearbeitet von Carl Friedrich Wehrmann, Lübeck 1873, Nr. 230, 265, 266, 268, 275, 276, 281, 297. 64 Carsten Jahnke, Geld, Geschäfte, Informationen. Der Aufbau hansischer Handelsgesellschaften und ihre Verdienstmöglichkeiten (Handel, Geld und Politik vom frühen Mittelalter bis heute 10), Lübeck 2007, S. 22–25.



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Brügge lebenden Lübecker Kaufmanns Hildebrand Veckinchusen, auf Grundlage solchen »Insiderwissens« ein Salzmonopol in Livland aufzubauen, bevor konkurrierende Kaufleute über das Ausbleiben der Salzlieferung aus der Baye informiert waren.65 Dass der Zugang zu Informationen von höchster Bedeutung war, belegt die Korrespondenz der Gebrüder Veckinchusen im Lübecker Ratsstreit von 1408–1416.66 Diese innerlübeckische Auseinandersetzung war nicht nur verfassungsgeschichtlicher Bedeutung; durch die Beschlagnahme des Eigentums des aus Lübeck ausgezogenen alten Rats wurden auch ökonomisch motivierte Erstattungsforderungen geltend gemacht. Unterstützt durch andere Hansestädte prozessierte der alte Rat – vertreten durch Jordan Plescow und Reyner von Calven – vor König Ruprecht. Dies stellte einen komplizierten diplomatischen Schachzug dar, da der alte Rat dem König bisher die Huldigung und damit auch die Reichssteuer versagt hatte, während sich der neue Rat eifrig um die Gunst des Herrschers mühte.67 Ruprecht leitete Vermittlungsversuche in Hildesheim und Oldesloe ein, die jedoch ohne Erfolg blieben. Ein Urteil des Hofrichters setzte im Juli 1409 den alten Rat wieder in seine Rechte und Besitzungen ein, während der König zu einem Ausgleichstag nach Hamburg lud, den der neue Rat jedoch nicht beschickte.68 Aus dem Briefwechsel der Brüder Veckinchusen geht hervor, dass sie die Ereignisse mit erheblicher Besorgnis verfolgten. Am 15. Juli erwirkte Hildebrand Veckinchusen einen königlichen Geleitbrief, am 18. August stellte Ruprecht einen weiteren Geleitbrief für Hildebrand, seinen Bruder Sivert, Peter Karbow, Heinrich vamme Orde, Heinrich Styffen und Tidemann Brekelveld aus.69 Im Hintergrund stand die Gefahr der drohenden Reichsacht über Lübeck. In diesem Zusammenhang wurde vor allem das Brügger Kontor aktiv und mahnte die westfälischen und livländischen Städte, dringend beschwichtigend aktiv zu wer65 Wilhelm Stieda (Hg.), Hildebrand Veckinchusen. Briefwechsel eines deutschen Kaufmanns im 15. Jahrhundert, Leipzig 1921, S. XXXI. Eine Untersuchung der Veckinchusen-Briefe mit dem Fokus der Nachrichtenübermittlung: Margot Lindemann, Nachrichtenübermittlung durch Kaufmannsbriefe. Brief-»Zeitungen« in der Korrespondenz Hildebrand Veckinchusens (1398–1428) (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung 26), München/New York 1978. 66 Zum Lübecker Ratsstreit siehe Erich Hoffmann, Lübeck im Hoch- und Spätmittelalter. Die große Zeit Lübecks, in: Antjekathrin Grassmann (Hg.), Lübeckische Geschichte, Lübeck 42008, S. 250–263; Fahlbusch (wie Anm. 32), S. 81–95. Eine ausführliche Darstellung bei Carl Friedrich Wehrmann, Der Aufstand in Lübeck bis zur Rückkehr des Alten Raths 1408–1416, in: HGBll 8 (1878), S. 101–156. 67 Ebd., S. 115 ff.; LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 204–207, 215, 217–220, 658–660. 68 Ebd., Nr. 222, 228, 233, 661, 240–242, 247, 249, 664, 251, 252, 665, 257, 666–668, 258 (in chronologischer Reihenfolge). 69 Ebd., Nr. 263 mit Anm. 1.

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den, um größeren Schaden zu verhindern.70 Zwar setzte Ruprecht die Acht vorerst außer Kraft und versuchte, einen Ausgleich zu erwirken71, doch Hildebrand Veckinchusen ließ sich im Dezember 1409 vom Brügger Kontor gegenüber König Ruprecht bestätigen, dass er bereits seit langer Zeit in Flandern seinen Geschäften nachgehe, an den Lübecker Händeln »met raede unde dade unschuldich zy« und sich der königlichen Gewalt vollkommen unterwerfe.72 Hildebrand Veckinchusen war über die Ereignisse durch Briefe seiner Frau unterrichtet, die ihm auch mitteilte, dass Sivert seine Bürgerschaft in Lübeck aufgekündigt hatte.73 Zudem kann vermutet werden, dass Hildebrand als ehemaliger Ältermann des Brügger Kontors Zugang zu den dort vorliegenden Informationen hatte.74 Dass im fernen Flandern die Vorgänge in Lübeck mit besonderer Sorge betrachtet wurden, geht aus den Rechnungen der Tagfahrten der flämischen Städte von 1411 hervor.75 Hildebrand kam der Achterklärung Ruprechts vom 20. Januar 1410 um wenige Tage zuvor.76 Diese Präventivmaßnahme war offensichtlich von Erfolg gekrönt, denn er und sein inzwischen nach Köln geflüchteter Bruder Sivert erhielten am 23. Januar 1410 einen Geleitbrief des Königs.77 Am 2. April 1410 konnte Sivert ferner seinem Bruder mitteilen, dass er von den Mitgliedern des alten Rates erfahren habe, dass »wy alle und unse gud sole unghehydert blyven, woe wy neyne borger to Lubeke syn«. Außerdem habe er dem Rat geschrieben, dass zwei ihnen gehörende Tonnen Werk auf Gotland nicht beschlagnahmt werden 70 HR, 1. Abteilung, Bd. 5, bearbeitet von Karl Koppmann, Leipzig 1880, Nr. 624; LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 276, 282, 291. 71 Ebd., Nr. 278, 279. Der neue Rat feierte Ende 1409 einen Erfolg, da ihm die diplomatische Annäherung an Lüneburg und Herzog Erich von Braunschweig gelang, 1410 erreichte er ein Bündnis mit Rostock und Wismar, wo ebenfalls Bürgerausschüsse entstanden waren. Dazu Fahlbusch (wie Anm. 32), S. 86 f. 72 LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 669. 73 Stieda (wie Anm. 65), S. 30–32, Nr. 22, 23. 74 Biografische Darstellung bei Rolf Hammel, Art. Veckinchusen, Hildebrand, geb. in Westfalen um 1370, gest. Juli 1426 Lübeck, in: Alken Bruns (Hg.), Lübecker Lebensläufe aus neun Jahrhunderten, Neumünster 1993, S. 402–408. 75 HUB, Bd. 5, bearbeitet von Karl Kunze, Leipzig 1899, Nr. 996; Handelingen van de Leden en van den Staten van Vlaanderen (1405–1419). Excerpten uit de rekeningen der steden, kasselrijen en vorstelijke ambtenaren, bearbeitet von Antoine Zoete, 2 Teile, Brüssel 1981–1982, Teil 1, Nr. 364, 366, 371, 374, 376. Zur Rolle der Lede als Vermittler und Ansprechpartner der Hanse siehe Wim P. Blokmans, Konfliktregelung der Hanse in Flandern (1391–1451), in: Hubertus Menke (Hg.), Die Niederlande und der europäische Nordosten. Ein Jahrtausend weiträumiger Beziehungen (700–1700), Neumünster 1992, S. 209–219. 76 LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 298, 299, 672, 308. 77 Ebd., Nr. 264, Anm. 1.



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sollten, »dyt hebbe ic her Herman Yborg mynem swager screven«. So hoffe er, dass »unse gud und selscap sole sunder angest van der achte blyven«.78 Durch die Beseitigung von Informationsdefiziten versuchten die Gebrüder Veckinchusen also, Konflikte zu vermeiden, die ihre Handelstätigkeit noch stärker beeinträchtigt hätten. Zugleich galt es, dies publik zu machen, um den Geschäftspartnern volle Handlungsfähigkeit zu demonstrieren: »Ok dyt segget Hynric opme Orde, dat he dyt ok vrunden scryve op dat wy sunder schaden blyven«, forderte Sivert von seinem Bruder.79 Davon, dass die Gebrüder Veckinchusen die Situation wohl richtig eingeschätzt hatten, zeugen Briefe des Hansekontors zu Brügge an die livländischen Städte und Braunschweig aus dem Juni 1410, in denen ein beunruhigendes Bild entworfen wurde. Allen nach Flandern reisenden hansischen Kaufleuten drohe Schaden, da »men« überall viele »heren und andere« finde, »de dach by daghe dem copmanne entweldigen van synen ghuden« und die die Reichsacht als Vorwand nutzen könnten, um Hansekaufleute zu bekümmern.80 Verschärft wurde diese ungewisse Situation durch den Tod Ruprechts am 15. Mai 1410, zu dem Sivert festhielt, »an dem konynge« habe man viel verloren.81 Im Februar 1411 erschienen Jordan Plescow und ein weiterer Kollege aus dem alten Rat persönlich im Brügger Kontor, um Lübecker Güter zu beschlagnahmen, ließen sich aber auf Bitten der Kontorsvertreter davon abbringen.82 Auf den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung sei hier nur kurz eingegangen. In einer bemerkenswerten Kehrtwende spielte der alte Rat nach dem Herrschaftsantritt Sigismunds die dynastische Karte, verwies auf seine fortwährende Treue zu den Luxemburgern und betonte, Ruprecht nur unter Zwang anerkannt zu haben.83 Zugleich drängten das Hansekontor in Brügge und die übrigen Hansestädte auf eine Einigung. Ihnen lag vor allem daran, eine erneute Achterklärung und eine drohende Auseinandersetzung mit dem dänischen König, der sich durch den neuen Rat brüskiert sah84, zu verhindern. Nach langwierigen Verhandlungen 78 Stieda (wie Anm. 65), S. 32–34, Nr. 25. 79 Ebd. 80 LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 324, 325. 81 Stieda (wie Anm. 65), S. 35, Nr. 27. 82 HUB 5 (wie Anm. 75), Nr. 987, 1022; Wehrmann (wie Anm. 66), S. 130–133; Hoffmann (wie Anm. 66), S. 256 f.; Fahlbusch (wie Anm. 32), S. 87. Die Gefahr der Bekümmerung von Kaufleuten, die von oder nach Brügge reisten, kündigte sich auch an in dem Schreiben Herzog Bernhards von Braunschweig und Lüneburg an den Gemeinen Kaufmann zu Brügge – LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 338. Ähnlich Graf Wilhelm V. von Holland, Hennegau und Seeland – ebd., Nr. 353 – und Herzog Johann von Burgund, HUB 5 (wie Anm. 75), Nr. 998. 83 LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 389; Wehrmann (wie Anm. 66), S. 133. 84 Ebd., S. 138–143; LUB 5 (wie Anm. 26), Nr. 592, 594, 598, 599.

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kam mit Zustimmung kaiserlicher Gesandter und unter Vermittlung der Ratsendboten der Hansestädte 1416 ein Friedensschluss zustande, der im Wesentlichen den Forderungen des alten Rats entsprach, allerdings auch zur Übernahme einiger Mitglieder des neuen Rats führte.85

V. Fazit Diese Fallbeispiele zeigen also, was die hansischen Führungsgruppen als Vermittler und Verwender attraktiv machte: Amt, Reputation, diplomatische Beziehungen, Verbindungen zu Landesherren, König oder Kaiser und auswärtigen Herrschern, darüber hinaus Verhandlungsgeschick und der Zugang zu Informationen. Sie zeigen, dass das Beziehungsgeflecht zwischen den städtischen Führungsgruppen im Hanseraum neben seiner ökonomischen Funktion, die die neueren Arbeiten im Rahmen der Netzwerkanalyse hervorgehoben haben, auch von zentraler Bedeutung war, um Konflikte zu regulieren. In diesem Zusammenhang wird man wohl davon sprechen können, dass die »Herren der Hanse« einen Pool potenzieller Vermittler bildeten, folglich mithin Bestandteil einer »hansischen Infrastruktur« der Konfliktaustragung waren, zu der auch die Kontore, die städtische Gerichtsbarkeit und die Hansetage zählten. Im Sinne der Neuen Institutionenökonomik, die die institutionellen und damit auch rechtlichen Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns in den Blick nimmt, bildete das Vermittlungswesen also eine Institution, die der Senkung von Transaktionskosten, in diesem Fall etwa der Rechtsdurchsetzungskosten, diente.86 Der Zugang zu diesen Vermittlern und Verwendern stellte für konfliktführende Hansekaufleute einen erheblichen Vorteil dar, da er die Durchsetzbarkeit ihrer Rechtsansprüche erhöhte, sie ein Stück weit sogar zu politischen Angelegenheiten machte. Zudem konnten die Betroffenen ihre Sachen in vertrauenswürdige Hände legen, sich teure und zeitaufwendige Reisen ersparen und mussten sich rechtlichen Unsicherheiten nicht aussetzen. Auf der innerstädtischen Ebene war das institutionalisierte Schlichtungswesen von zentraler Bedeutung, um amicitia, pax und concordia als friedenssichernde Werte der Stadtgemeinde aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne war ein Verfahren des Konfliktaustrags, bei dem nicht die kontroverse Streitentscheidung, sondern die schnelle, nachhaltige und konsensuale Konfliktlösung im Vordergrund stand, auch im Interesse des Rates, dem selbst am stärksten daran gelegen sein musste,

85 Ebd., Nr. 583 (Rezess zur Beendigung des Ratsstreits); Wehrmann (wie Anm. 66), S. 147– 156. 86 Im Sinne von Jenks (wie Anm. 3), S. 36.



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die ökonomischen Interessen der Stadt nicht durch langwierige Prozesse, durch Fehden und Beschlagnahmen zu gefährden. Zugleich bleibt die Frage, warum die Mitglieder hansischer Führungsgruppen sich immer wieder auf das schwierige Geschäft des Verhandelns und Sichverwendens in scheinbar recht banalen Streitigkeiten einließen. Eine mögliche Erklärung haben Wilhelm Ebel und Ernst Pitz geboten, die von einer Schutzpflicht der einungsrechtlichen Stadtgemeinde für ihre Bürger ausgingen, welche, so Pitz, ebenso für die nächsthöhere einungsrechtliche Ebene, die hansische Städteeinung, gegolten habe.87 Dabei bezogen sich beide unter anderem auf einen Titel des lübischen Rechts, nach dem der Rat im Falle der Bekümmerung eines Bürgers in der Ferne einen Boten auszusenden habe, um diesen auszulösen, und bei Misserfolg die Kosten dieser Gesandtschaft zu zahlen habe.88 Zugleich, so Pitz, habe für die Bürger die Verpflichtung bestanden, bei Strafe des Verlusts von Gütern und Leben ihre Rechtsangelegenheiten in die Hände des Rats zu legen. Dass die Hansestädte ein besonderes Interesse daran hatten, Klagen ihrer Bürger an städtischen Institutionen vorbei zu verhindern, belegen Hanserezesse.89 Die Prozesse, die Hansekaufleute vor dem Königsgericht oder auch vor geistlichen Gerichten führten, scheinen aber zu einer weniger dogmatischen, pragmatischeren Sichtweise zu mahnen.90 Da die vor diesen Gerichten erworbenen Rechtstitel nur schwer durchzusetzen waren, diente die Anrufung solcher Gerichte wohl eher als Druckmittel, um Verhandlungen zu eröffnen. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kaufleute, die diesen Weg gingen, grundsätzlich die Unterstützung ihrer Heimatstadt verloren hätten. Zudem agierten Mitglieder hansischer Führungs87 Ebel (wie Anm. 7), S. 403–416, und Ernst Pitz, Bürgereinung und Städteeinung. Studien zur Verfassungsgeschichte der Hansestädte und der deutschen Hanse (QDhansG 52), S. 312 ff. 88 Rolf Sprandel (Hg.), Quellen zur Hanse-Geschichte (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 36), Darmstadt 1982, S. 27 (Art. 217). Problematischerweise wurde dieser Artikel in der Kieler und Bardowicker Handschrift gestrichen und fehlt in den jüngeren. Dazu Ebel (wie Anm. 7), S. 404, Anm. 2. 89 Hervorzuheben ist für die königliche Gerichtsbarkeit HR, 1. Abteilung, Bd. 7, bearbeitet von Karl Koppmann, Leipzig 1893, Nr. 51 mit Nr. 52, 53 vom 14. Mai 1419. Siehe dazu auch Horst Wernicke, Hanse und Reich – ihre Beziehungen im Vergleich, in: ders./Nils Jörn (Hg.), Beiträge zur hansischen Kultur-, Verfassungs- und Schifffahrtsgeschichte, Weimar 1998, S. 222 und S. 225–230, sowie Pitz (wie Anm. 87), S. 273–288. Zur Verhinderung des Zugs vor Landfriedens- und Femegerichte in den sogenannten Justizverträgen siehe die Untersuchung von Wilhelm Ebel, Justizverträge niedersächsischer Städte im Mittelalter, in: Festschrift für das Oberlandesgericht Celle. Zum 250-jährigen Bestehen dargebracht von der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien 40), Göttingen 1961, S. 9–26. 90 Höhn (wie Anm. 1), S. 323 f.

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gruppen wie Jordan Plescow durchaus mit Geschick und Sachkenntnis auf eigene Initiative vor königlichen Gerichten.91 Bei der Verfolgung schiffbrüchigen Guts wandten sich die Hansestädte sogar bevorzugt an den Papst, um ihre Ansprüche durchzusetzen.92 Harte Sanktionen richteten sich wohl vor allem gegen auswärtige Kläger, die entgegen bestehenden Privilegien Bürger aus Hansestädten vor geistliche Gerichte zogen, oder gegen Hansekaufleute in den Kontoren, die durch die Anrufung der lokalen Gewalten die rechtliche Autonomie des Kontors infrage stellten, und in diesen Gründen scheint die politische Brisanz der ausschlaggebende Faktor gewesen zu sein.93 Naheliegender scheint es vielmehr, die Gründe für die schlichtende Tätigkeit von Ratsmitgliedern darin zu sehen, dass die erfolgreiche Vermittlung die Reputation der Vermittler erhöhte und dass dadurch Abhängigkeiten erwachsen konnten. Die Legitimation der Ratsherrschaft wurde dadurch untermauert, dass der Rat sich für die Bürger einsetzte. Zudem kann das Schlichtungswesen als Bestandteil der Kontrolle und Disziplinierung unter Kollegen gesehen werden: Dadurch, dass Zugang zu Vermittlern und Verwendern bestand, wurde das Gewaltpotenzial reguliert, während alternative Konfliktaustragungsmechanismen, etwa innerhalb der Familie, prinzipiell unangetastet blieben. Die Vermittlung und Verwendung der hansischen Führungsgruppe hatte jedoch auch Grenzen: Sie beruhte auf persönlichen Beziehungen und letzten Endes auf Vertrauen und Reputation.94 Auswärtige Kaufleute, die nicht selbst Teil des Beziehungsgeflechts des Hanseraums waren, hatten demnach vermutlich keinen Zugang zu ihr und waren zwangsläufig benachteiligt. Ihnen blieb nur der langwierige Klageweg oder 91 Zur pragmatischen Anwendung des Kaiserrechts in Lübeck siehe Albrecht Cordes, Kaiserliches Recht in Lübeck: Theoretische Ablehnung und praktische Rezeption, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte 89 (2009), S. 123–145; allgemein Peter Oestmann, Prozesse aus Hansestädten vor dem Königs- und Hofgericht in der Zeit vor 1400, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 128 (2011), S. 114–168. 92 Vilho Niitemaa, Das Strandrecht in Nordeuropa im Mittelalter (Suomalaisen Tiedeakatemian toimituksia Serie B 94), Helsinki 1955, S. 120–137. 93 Für die Klageerhebung vor geistlichen Gerichten siehe den spektakulären Fall des Priesters Johannes van der Helle bei Jürgen Reetz, Die Prozesse um den Priester Johann van der Helle, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte 36 (1956), S. 7–30. Für die Anrufung lokaler Gewalten, die die Zuständigkeit des Kontors infrage stellten, siehe den Rechtsstreit zwischen den Hansekaufleuten Johann Sudermann und Arnd Lewerke, in dessen Zusammenhang Lewerke verhanst wurde. Dazu Ingo Dierck, Die Brügger Älterleute des 15. Jahrhunderts. Werkstattbericht über eine hansische Prosopographie, in: HGBll 113 (1995), S. 52–54. 94 Dazu Stephan Selzer/Ulf Christian Ewert, Verhandeln und Verkaufen, Vernetzen und Vertrauen. Über die Netzwerkstruktur des hansischen Handels, in: HGBll 119 (2001), S. 135–161, hier S. 150–161.



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ein gewaltsames Vorgehen. In dieser Hinsicht muss man wohl sagen, dass die Endpunkte der Netze der gütlichen Streitbeilegung ihrerseits Konfliktpotenzial schufen.

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König Ruprecht (1400–1410) als Richter und Schlichter1 I. Einleitung. II. Innergerichtliche Streitbeilegung im königlichen Hofgericht. III. Außergerichtliche Konfliktlösungsverfahren. IV. Stand und Herkunft der Parteien. V. Fazit.

I. Einleitung Die zentralen Aufgaben eines mittelalterlichen Königs, das Fundament seines Königtums waren die Rechts- und Friedenssicherung, die Hand in Hand gingen.2 Nachdem »Mehrer des Reichs« spätestens seit den exzessiven Verpfändungsge1 Bei diesem Aufsatz handelt es sich um die erweiterte Fassung des gleichnamigen Vortrags der Tagung. Die hierfür ausgewerteten Quellen entstammen einer Sammlung von Archivalien und – in geringerem Maße – von Drucken, die seit Beginn der Siebzigerjahre in jahrzehntelangen Recherchen für ein Forschungsprojekt unter Leitung von Bernhard Diestelkamp entstanden ist. Das Projekt wird seit 1984 von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz betreut. Die dazugehörige Publikationsreihe: Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Sonderreihe), hg. von Bernhard Diestelkamp, Bd. 1–16, Köln/Weimar/Wien 1986–2013. Die Zeit König Ruprechts (1400–1410) wird drei Bände umfassen, von denen zwei bereits erschienen sind: Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451, Bd. 15: Die Zeit König Ruprechts 1400–1403, bearbeitet von Ute Rödel, Köln/ Wien 2009 (im Folgenden URH 15), und Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451, Bd. 16: Die Zeit Ruprechts 1404–1406, bearbeitet von Ute Rödel, Köln/Weimar/Wien 2013 (im Folgenden URH 16). 2 Pax et iustitia wurden als Einheit, als unabdingbare gegenseitige Voraussetzung betrachtet. Recht ohne Frieden war nicht denkbar, so wie es keinen Friedenszustand ohne Recht geben konnte. Es kann hier nicht auf die Landfriedenspolitik als hohes Gut und Teil der mittelalterlichen Rechtsordnung eingegangen werden. Als Beispiel der Verwobenheit sei auf die Bedeutung des Mainzer Landfriedens von 1235 für das Hofgericht hingewiesen. In den Kapiteln 28 und 29 werden das Amt des Hofrichters als des ständigen Stellvertreters des Königs sowie das des Hofgerichtsschreibers eingerichtet, vgl. Monumenta Germaniae Historica, Const. II, Nr. 196, S. 241–247 (lateinische Fassung), S. 248–263 (deutsche Fassung), hier S. 246 f. und S. 261 ff. Zu der Paarformel selbst vgl. Hans Hattenhauer, Pax et iustitia. Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Jahrgang 1, Heft 3, Hamburg 1982/83. Literatur zu Frieden und Recht und der Landfriedensbewegung zusammengefasst bei Klaus Schreiner, Rituale, Zeichen, Bilder. Formen und Funktionen symbolischer Kommunikation im Mittelalter, Köln/Wien 2012, insbesondere S. 65–125 und hier S. 68 f. mit Anm. 13.

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schäften mit Reichsgütern durch Karl IV.3 (1346–1378) zu einem bloßen Titel verkommen war4, verblieben diese Aufgaben des »Obersten Richters des Reichs«5 die wirkungsvolle Klammer des politischen Gebildes »Reich« – und zwar bis zum Ende des Alten Reiches.6 Die Jurisdiktionsgewalt war immer auch ein Machtinstrument. An ihrer Handhabung lassen sich der jeweilige König und seine Herrschaft messen. Eine scheinbar banale Feststellung, jedenfalls eine altbekannte Tatsache. Und doch wurde und wird diese grundlegende Tatsache bei der – überwiegend negativen – Bewertung König Ruprechts durch die historische Forschung nicht angemessen

3 Der massive Schwund von Reichsgut nahm unter Ludwig dem Bayern seinen Anfang und erreichte mit dem »Operieren mit Reichspfändern« seitens Karls IV. zur Durchsetzung seiner politischen Interessen seinen Höhepunkt, vgl. dazu Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 147–203, hier S. 153, und Klaus Bender, Die Verpfändung von Reichseigentum in den ersten drei Regierungsjahren Karls IV. von 1346 bis 1349, Hamburg 1967. 4 Was die Kurfürsten nicht daran hinderte, den Vorwurf der Minderung des Reichs als einen gewichtigen Grund für die Absetzung Wenzels von Böhmen zu erheben, vgl. URH 14 (wie Anm. 1), Nr. 111, 401. 5 Dieser Terminus, der praktisch in der gesamten rechtshistorischen Literatur ganz selbstverständlich auf den mittelalterlichen König angewandt wird, ist als Selbstbezeichnung wie Fremdzuschreibung erst seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Gebrauch. Gleiches gilt für die Benennung des königlichen Hofgerichts als »oberstes Gericht im Reich«. Die Rangordnung der Gerichte im Reich mit dem König als Spitze bildete sich erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts aus. Vgl. Bernhard Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht zur obersten Rechtsmittelinstanz. Die deutsche Königsgerichtsbarkeit und die Verdichtung der Reichsverfassung im Spätmittelalter (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 64), Köln/Weimar/Wien 2014, S. 148 ff. In URH 16 (wie Anm. 1) kommt der Begriff in Eigennennung vor (vgl. Nr. 43: »wile wir der oberster richter sint«). 6 Die Quellen der URH von Bd. 1 bis Bd. 16 (wie Anm. 1) bestätigen diese altbekannte Tatsache. Paul-Joachim Heinig konstatiert für die Zeit Friedrichs III., »daß die Leistung des Königtums für den Zusammenhalt des Reiches weiterhin und verstärkt durch das Gerichtswesen erfolgte«, vgl. Regesta Imperii, Bd. XIII, Heft 3: Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Regierungsbezirks Kassel (vornehmlich aus dem Hessischen Staatsarchiv Marburg/L.), bearbeitet von Paul-Joachim Heinig, Wien 1983, S. 17. Bernhard Diestelkamp hat in seinem jüngsten Werk (wie Anm. 5) gezeigt, wie mit der Entwicklung der Gerichtsbarkeit vom einstufigen Gericht hin zum Instanzenzug, die bei Karl IV. einsetzte und mit den Reformen Friedrichs III. vollendet wurde, dem Reichsoberhaupt durch die Funktion als oberster Richter des Reichs »eine neue Kraft [zuwuchs], mit der es das Reich rechtlich zusammenhalten konnte« (ebd., S. 150). Diese Entwicklung »legte den Grundstein dafür, dass das Heilige Römische Reich sich zum Justizstaat ausbildete, bei dem die Gerichtsbarkeit zum wirkungsvollen Bindemittel für das sonst stark zentrifugale Reich wurde« (ebd., S. 151 f.).



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berücksichtigt, bisweilen gänzlich negiert.7 Es verwundert unter diesem Aspekt nicht, dass jene Wissenschaftler, die das Augenmerk auch auf die Sicherung und Handhabung von Recht und Frieden durch den König legen, König Ruprecht positiver beurteilen.8 Ruprecht war sich aufgrund der Umstände der seiner Wahl vorangegangenen Absetzung Wenzels von Luxemburg (1363–1400) bewusst, dass er die Rechtspflege und Friedenssicherung beherzt anpacken musste, war doch deren Ver7 Eine Zusammenstellung der tendenziell negativen Bewertungen der Herrschaft Ruprechts von der Pfalz durch die Forschung findet sich in URH 15 (wie Anm. 1), S. I f. und S. XI ff. Die gänzliche Ausblendung des Judiziellen und das Negieren dazu gehöriger Quellen führen zu erstaunlichen Fehlbeurteilungen. Bei Jörg Peltzer, der in seinem Vortrag, den er auf der Tagung zur Vorbereitung der Ausstellung »Die Wittelsbacher am Rhein« 2013/14 in Mannheim hielt, nur kurz auf Ruprecht eingeht, liest man mit Verwunderung, dass es nach der Absetzung König Wenzels »zwei Könige im Reich« gegeben habe, weil Wenzel die Absetzung nicht anerkannt habe. »Die prinzipielle Ranggleichheit mit Wenzel blieb während seiner [Ruprechts] gesamten Königszeit bestehen. Das Reich blieb zweigeteilt«: Jörg Peltzer, Die Institutionalisierung des Rangs der Pfalzgrafen bei Rhein im 13. und 14. Jahrhundert, in: ders./Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter/Alfried Wieczorek (Hg.), Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?, Regensburg 2013, S. 89–107, hier S. 106. Schon Schubert hatte auf die De-facto-Beendigung der Königszeit Wenzels ab der Absetzung hingewiesen: Ernst Schubert, Probleme der Königsherrschaft im spätmittelalterlichen Reich. Das Beispiel Ruprechts von der Pfalz (1400–1410), in: Peter Moraw (Hg.), Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im Späteren Mittelalter (Vorträge und Forschungen 32), Stuttgart 2002, S. 134–184, hier S. 140. Unter dem Aspekt der für das Königtum grundlegenden Jurisdiktionsgewalt war dies unzweifelhaft der Fall. Wenzel war unmittelbar nach der Absetzung nicht mehr »Oberster Richter im Reich«. Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), S. XII–XV. Er mag zwar weiterhin den Titel eines römischen Königs geführt haben, nach seiner Absetzung war er jedoch nur noch »König von Böhmen«, Ruprecht hingegen war »Römischer König«, anfangs auch der »newe künig« (Monumenta Germaniae Historica, Deutsche Chroniken 2, hg. von Ludwig Weiland, Hannover 1877 [ND 2001], S. 361) genannt. Von einer Ranggleichheit kann nicht gesprochen werden. 8 Vgl. etwa Otto Franklin, Das Reichshofgericht im Mittelalter I, Neudruck der Ausgabe Weimar 1867, Hildesheim 1967, S. 258–267; Schubert (wie Anm. 7), S. 148–157. Um ein ausgewogeneres Urteil in Anlehnung an Schubert bemüht sich Auge, dem »eine zumindest teilweise Revision der gängigen Sicht auf Ruprechts Regierungszeit mehr als angebracht« scheint, wie er in einem Vortrag, gehalten in Oppenheim, anmahnt: Oliver Auge, Ein kleiner König? Zum 600. Todestag König Ruprechts von der Pfalz (1400–1410), in: Oppenheimer Hefte 89 (2011), S. 2–29. Dieses Thema greift er auch in dem Vortrag auf, den er bei der Tagung in Mannheim (siehe Anm. 7) hielt. Vgl. ders., König Ruprecht. Versuch einer Bilanz oder: Wie erfolgreich muss ein mittelalterlicher König sein?, in: Jörg Peltzer/Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter/Alfried Wieczorek (Hg.), Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?, Regensburg 2013, S. 169–190.

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nachlässigung Wenzel zum Verhängnis geworden.9 Er wollte seiner Aufgabe als oberster Richter des Reichs gerecht werden und ging dabei nicht ungeschickt vor, wie man etwa an seiner Handhabung der großen Konflikte zwischen Fürsten des Reichs, die zu lösen er angerufen worden war, sehen kann. Die Hauptkonflikte des Reichs sind sozusagen über seinen Schreibtisch gegangen, wenn dieses moderne Bild gestattet sei.1100 Der Wirkungsradius dieses Königs als Richter war, wie aus den Quellen der »Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451« (URH) ersichtlich ist, größer als der Machtbereich, der ihm nach dem allgemeinen Tenor der Forschung zugebilligt wird. Es ist offenkundig, dass die Ausdehnung seines Einflussbereichs durch die geschickte Handhabung der judiziellen Möglichkeiten des Königtums erfolgte. Gegenstand des Tagungsbandes ist jedoch nicht die Rehabilitation eines Königs, sondern die Schnittmenge außergerichtlicher und gerichtlicher Konfliktlösung. Bei Ruprecht greifen die beiden komplexen Themen sichtlich ineinander. Dieser König hat alle Möglichkeiten, die ganze Bandbreite königlichen rechtlichen Wirkens zur Wahrnehmung der Herrschergewalt ausgeschöpft und bewusst ausgebaut. Die Voraussetzungen dafür waren durchaus nicht schlecht. Der mittelalterliche König war zu keiner Zeit festgelegt, wie er seiner hohen Aufgabe, dem Recht Geltung zu verschaffen, gerecht werden sollte. Seine Jurisdiktionsgewalt war ursprüngliche Herrschergewalt, von niemandem abgeleitet, und berechtigte ihn, seine Gerichtsbarkeit auszuüben, wann und wo und in welcher Form er wollte – dinggenossenschaftlich im Gericht oder persönlich allein entscheidend. Neben der an feste Formen gebundenen richterlichen Tätigkeit im Hofgericht kamen die Könige in früheren Zeiten der Aufgabe der Rechts- und Friedenssicherung nicht selten mittels Kriegen nach11, was von ihnen erwartet 9 Vgl. URH 14 (wie Anm. 1), Nr. 111, 401. 10 Zu nennen sind hier die Auseinandersetzungen des Königs mit dem Markgrafen von Baden und der französischen Front, die Streitigkeiten zwischen Braunschweig und dem Mainzer Erzbischof, zwischen diesem und dem Landgrafen von Hessen und auch der Stadt Frankfurt, die Konflikte infolge der eversteinischen Erbauseinandersetzung, zwischen den Herzögen von Braunschweig und den Herren zur Lippe, die zwischen den Herzögen von Berg, die aus dem Großen Städtekrieg herrührenden Streitigkeiten zwischen dem Bischof von Würzburg und Angehörigen des Bundes, die innerstädtischen Konflikte in Dortmund, Minden und Lübeck. Vgl. jeweils die Register der Bände URH 15–16 (wie Anm. 1). Allen voran ist der Konflikt zu nennen, der eine rechtliche und politische Herausforderung und Bedrohung für Ruprechts Königtum war: der mit dem Marbacher Bund. Vgl. hierzu URH 16 (wie Anm. 1), S. XVII–XXV. 11 Auch Ruprecht verzichtete nicht auf diese bewährte Methode. Ein beherzter Kriegszug gegen den Markgrafen von Baden, der sich zum Schaden des Reichs, wie der König betonte, mit seinen Feinden verbündet hatte, förderte dessen rasche Vergleichsbereitschaft, wenn die



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wurde und ihren Ruhm – bei Sieg – beträchtlich mehrte. Seit dem Interregnum traten die Kronträger zunehmend als Schlichter und Schiedsrichter auf12, bedienten sich der Mittel der Mandate zur Streitbefriedung und erweiterten die Methoden zur Konfliktlösung mit dem Ausbau richterlicher und schiedsrichterlicher Delegation. Zur Zeit Ruprechts war dieser Prozess weit fortgeschritten. Wenden wir uns zunächst der traditionellen Methode des deutschen Königs, Streitigkeiten im Gericht beizulegen, zu.

II. Innergerichtliche Streitbeilegung im königlichen Hofgericht13 Es gab zwei grundlegend unterschiedliche Methoden für Konfliktparteien, dem Königshof eine Streitsache bekannt zu machen. Der Beschwerdeführer hatte es dabei in der Hand, ob er auf einen Gerichtsprozess zielte oder auf eine Entscheigeschlossene Sühne auch nicht wirklich nachhaltig war. Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 314, 317, 323 f. und 328–338. 12 Darauf verwies schon früh Jutta Schutting, Die Schiedsgerichtsbarkeit der römisch-deutschen Herrscher von Rudolf von Habsburg bis Sigmund, Wien 1963; vgl. auch Ute Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reichs 1250–1313, Mainz 1979, hier S. 127–208. 13 Es würde zu weit führen, die Literatur zu dem königlichen Hofgericht anzuführen. Es sei hier auf das in Teilen veraltete, aber immer noch grundlegende Werk von Franklin (wie Anm. 8) verwiesen sowie auf die einschlägigen Werke von Friedrich Battenberg, Gerichtsschreiberamt und Kanzlei am Reichshofgericht 1235–1451 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Reihe B 2), Köln/Wien 1974; ders., Das Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1235–1451. Mit einer Liste der Hofgerichtsurkunden (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 6), Köln 1979; ders., Beiträge zur höchsten Gerichtsbarkeit im Reich im 15. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 11), Köln/ Wien 1981; ders., Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der höchsten königlichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich, besonders im 14. und 15. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 18), Köln/ Wien 1986; ders., Das Achtbuch der Könige Sigmund und Friedrich III. Einführung, Edition und Register (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 19), Köln/Wien 1986; ders., Fälschung und königliches Hofgericht. Die Legitimation Steingadener Ansprüche durch den Hofrichter Berthold V. Tranchberg, in: Fälschungen im Mittelalter III (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 33, III), Hannover 1988, S. 583–610; ders., Die Hofgerichtsbriefe Karls IV. von Luxemburg. Vorstudien zu einer kanzlei- und personengeschichtlichen Beurteilung, in: Archiv für Diplomatik 40 (1994), S. 123–169; ders., Die königlichen Hofrichter vom 13. bis 15. Jahrhundert. Eine Untersuchung zur sozialen und funktionalen Einbindung der Hofgerichtsbarkeit in den Königshof, in: Peter Moraw (Hg.), Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, Sigmaringen 2002, S. 239–290.

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dung durch den König, einen seiner Räte oder durch einen königlichen Delegierten. Im ersten Fall erwirkte man eine gebührenpflichtige Ladung des Streitgegners vor das Hofgericht und setzte damit einen Prozess in Gang, dessen Verlauf geregelt war. 1. Die Ladung vor das Hofgericht geht jedem Hofgerichtsprozess als unabdingbarer Bestandteil des Verfahrens voraus. Den der Ladung innewohnenden Gestaltungsmöglichkeiten wird bislang nicht die adäquate Aufmerksamkeit geschenkt. Für König wie Hofrichter war die Ladung ein wirksames Mittel, um Einfluss auf Streitigkeiten – auch außerhalb des engeren Machtbereichs des Königs – zu nehmen und Streitparteien in den Bann der Königsgerichtsbarkeit, sprich: an den Königshof, zu bringen. Ganz in diesem Sinne waren die erklagten, formelhaften Ladbriefe14, für die eine entsprechende Gebühr zu zahlen war und die in das Ladungsregister eingetragen wurden15, für den Kläger ein sicherer Rechtstitel. Ladbriefe durften niemandem versagt werden, die Verweigerung wäre einer Rechtsverweigerung gleichgekommen.16 Nicht nur musste einer Klage auf Ladung nach dem Recht des Hofgerichts stattgegeben werden, vor einer Ladung konnte auch niemand sichergestellt werden. Die vom Kläger erwirkte Ladung war weder für den König noch für den Hofrichter verhandelbar. Hierauf wurden Geladene, die gegen die Ladung protestierten oder sie abzuwenden suchten, immer wieder hingewiesen. Sie hatten in jedem Fall vor Gericht zu erscheinen, ungeachtet etwaiger Freiheiten.17 Mit diesen konnten sie sich vor dem Hofrichter 14 Diese hat der Hofgerichtsschreiber in eigener Regie ohne weitere Autorisierung durch den König oder den Hofrichter in standardisierter Form erstellt und in das Register eingetragen. Formelhaft heißt es, der Geladene N. N. solle sich auf Klage des N. N. vor dem Hofrichter des Königs an dem nächsten Hofgericht, das nach dem Fest N. N. sein werde, verantworten. Beispiele vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 32, 79, 315, 367, 402; URH 16 (wie Anm. 1), Nr.  132, 148  f., 159. Für die Ladungen gab es feste Formen und Zustellungsbedingungen, vgl. Wolfgang Sellert, Art. Ladung, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 18. Lieferung, ²2013, Sp. 390–398. 15 Vgl. URH 14 (wie Anm. 1), S. XXXIV f. 16 URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 371: »wann man alle dy die under dem Rich sind fur das hofgericht laden mag«, ebd., Nr. 370: »do kam fur uns [...] und clagt mit sinem fursprechern uff euch als des hofgerichts recht ist also das im erteilt ward das man im ladbrief uff euch geben solt wann man die an des Richs Recht nymand versaget«; ebd., Nr. 368: »so mogt Ir selber wol versten das [Hofrichter und König] des Richs Recht nyman versagen noch verzihen mogen« (ebd., Nr. 371: »Ir verstet selber wol das wir des Richs recht nymand versagen sollen noch mögen«); siehe auch URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 21. 17 URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 371: »hat aber yman friheit das man in wisen solle und brengt die für als recht ist den weiset man ouch als des hofgerichts recht ist«. Der Rat der Stadt Basel entschied 1404, eine Bürgerin auf Kosten der Stadt mit den städtischen Freiheiten gegen eine Klage vor dem Hofgericht zu verantworten, da es nach den Freiheiten niemandem aus Basel zustehe, ein fremdes Gericht anzunehmen. Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 24 und auch



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verteidigen und ein Urteil abwenden, beziehungsweise sie wurden mit Urteil von der Klage befreit. Der Kläger wurde dann an das entsprechende Gericht verwiesen, vorausgesetzt, es lag keine Rechtsverweigerung vor. In dem Fall wurde der Klage trotz Privilegien stattgegeben. Es war im Interesse eines Geladenen, vor dem Hofgericht zu erscheinen oder bevollmächtigte Stellvertreter zu schicken. Kam jemand der Ladung nicht nach und fehlte unentschuldigt, drohten unliebsame Konsequenzen, bei weiterem zweimaligem Fernbleiben ein Säumnisverfahren und die Acht mit ihren gravierenden Folgen und finanziellen Risiken.18 Die »gebührenpflichtige« Ladung war das bewährte Mittel, eine Streitpartei vor Gericht zu bringen oder Säumige in einem Kontumazialverfahren in absentia zu verurteilen. So weit zu dem juristischen Prozedere, bei dem die Ladung nur den Ausgangspunkt im Gerichtsverfahren darstellt. Vom Königtum aus gesehen hatte die Ladung einen weiteren, praktischen Nutzen: Es gab eine Ladungsform, die sich in der Androhung einer Ladung darstellt. Sie stammte nicht in der bekannten formelhaften Weise aus der Feder des Hofgerichtsschreibers, sondern wurde vom Hofrichter oder dem König ausgestellt. Zitiert wurde unter Angabe des Klägers, des Streitgegenstands und des genauen Gerichtstermins vor den König, aber auch das Hofgericht. Die Form war individuell auf den Fall zugeschnitten. Die Ladung konnte mit Urteil oder auch nur auf die Beschwerde eines Geschädigten hin ergehen. Die Androhung einer Ladung oder eines Ladungstermins wurde als Mittel genutzt, um im Vorfeld oder zur Abwehr eines drohenden Prozesses die Parteien zum Ausgleich zu bewegen. Auch zu Beginn einer Sitzung des Hofgerichts konnte ein neuer Termin angedroht werden, verbunden mit dem Befehl an die Parteien, zwischenzeitlich zu einer Einigung zu kommen. Es findet sich eine ganze Reihe von Briefen des Königs, auch einige des Hofrichters, in denen in eindeutig dieser Absicht eine terminierte Ladung angedroht wurde, etwa wegen versäumter oder verweigerter Sühnetage.19 29, 151, 158, 176, 316. Gemeint sind Freiheiten in Form von »Gerichtsstandsprivilegien«. Hierzu Friedrich Battenberg, Die Gerichtsstandsprivilegien der deutschen Kaiser und Könige bis zum Jahre 1451, 2 Bde. (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 12, 1–2), Köln/Wien 1983. 18 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 92, 94, 217, 248, 334, 448. 19 Vgl. etwa URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 29, 81, 146, 152–155, 170 ff., 185, 239, 423, 485. In diesen individuell auf den Fall abgestellten Briefen werden Streitgegner und Streitgegenstand sowie zumeist schon feste Termine genannt, Konsequenzen angedroht oder Vorleistungen gefordert, oft in Gestalt von Ausgleichsbemühungen bis zu dem Ladungstermin. Diese Ladungen konnten auch mit Urteil erwirkt sein. Die Anzahl dieser Briefe ist höher als die der eigentlichen Ladbriefe in der althergebrachten Form, wobei die unterschiedliche Quantität auch an der Tatsache liegen kann, dass Ladbriefe über den Gerichtstag hinaus

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Diese »speziellen Ladbriefe« sollten und vermochten die Bereitschaft der Parteien zum Ausgleich fördern. Genau dies war vom Hof beabsichtigt. Aus den Quellen ist nicht erkennbar, ob eventuell auch Kläger die Ladung als Mittel nutzten, um damit die Gegenseite zu Verhandlungen und zum Einlenken zu drängen. Denkbar wäre es, selbst wenn bekannt war, dass der Streitgegner entsprechende Freiheiten vor dem Hofgericht hatte. War der Fall erst einmal am Hof und der König damit involviert, konnte dem Kläger daraus ein Nutzen erwachsen, auch wenn die Streitsache entsprechend den Freiheiten an den zuständigen Richter zurückverwiesen wurde.20 2. Gerichtliche Streitbeendung durch König Ruprecht kann nach strenger rechtshistorischer Definition nur im althergebrachten königlichen Hofgericht stattgefunden haben. Ruprecht von der Pfalz, der oberste Richter des Reichs, hat Streitigkeiten nur in wenigen Ausnahmefällen innergerichtlich beendet. Dies geht aus den Quellen eindeutig hervor. Zwar ist keine Abwendung des Königs vom Hofgericht oder gar eine Abwertung zu beobachten21, wohl aber eine eindeutige Verengung seines innergerichtlichen Wirkens: Die fast ausschließliche Aufgabe Ruprechts als Richter des Hofgerichts waren die Verkündung der Acht und Aberacht und deren Lösung.22 Das Achturteil selbst ließ der Hofrichter fällen. Erst durch die Verkündung durch den König erhielt das Achturteil seine Wirksamkeit

keinen Wert an sich darstellten und dementsprechend nicht aufgehoben wurden, während die Ladungsandrohungen zum Teil des erwünschten Sühneverfahrens werden konnten. 20 Der Kläger hatte allerdings auch für die vor Gericht erwirkte Ladung und für deren Eintrag in das Register Gebühren zu entrichten. Diese Gebühren fielen selbst dann an, wenn es wegen eines Vergleichs nicht zu der Gerichtssitzung kam, vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 352, 409, 431, auch 23. Dass die Ladbriefe für den Königshof eine willkommene Einnahmequelle waren, sei hier wenigstens angedeutet, auch wenn nicht darauf eingegangen werden kann. Vgl. Schubert (wie Anm. 3), S. 186. Zu den Gerichtsgebühren vgl. Battenberg, Gerichtsschreiberamt (wie Anm. 13), S. 98 f., 142 ff., 207 ff. und 271 ff. Zur Entwicklung der Kanzleigebühren vgl. Paul-Joachim Heinig, Der Preis der Gnade. Sporteln, Kanzleitaxen und urkundliche Gebührenvermerke im Europäischen Mittelalter, in: Peter Thorau/ Sabine Penth/Rüdiger Fuchs (Hg.), Regionen Europas – Europa der Regionen. Festschrift für Kurt-Ulrich Jäschke zum 65. Geburtstag, Köln 2003, S. 143–165. 21 Das Hofgericht erfuhr im Gegenteil bei König Ruprecht, der sich wieder in den Grenzen des deutschen Königsreichs aufhielt, eine Wiederbelebung. Die fast zwölfjährige Abwesenheit König Wenzels hatte ihre Auswirkungen auf das Hofgericht, das in dieser Zeit nur unzulänglich gepflegt wurde und vor allem nur schwer erreicht werden konnte, vgl. URH, Bd.  13: Die Zeit Wenzels 1394–1396, bearbeitet von Ute Rödel, Köln/Weimar/Wien 2001, S. XI ff.; URH, Bd. 14: Die Zeit Wenzels 1397–1400, bearbeitet von Ute Rödel, Köln/Weimar/Wien 2005, S. IX ff. 22 Zu dem Achtverfahren vgl. Battenberg, Reichsacht (wie Anm. 13), passim.



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und wurde exekutierbar.23 Die Verkündung musste nicht am Tag des Urteils erfolgen. Sie konnte vom König bewusst hinausgezögert werden, um demjenigen, über den das Achturteil gefällt war, noch die Möglichkeit eines Ausgleichs mit dem Kläger zu geben.24 Zum Vollzug dieses rechtlich grundlegenden Verfahrensabschnitts war die persönliche Anwesenheit des Königs im Gericht allerdings nicht nötig. König Ruprecht scheint so gut wie gar nicht mehr »im« Hofgericht anwesend gewesen zu sein.25 Die bekannten Fälle, bei denen er persönlich dem Gericht vorsaß, sind buchstäblich an einer Hand abzuzählen.26 Sie wurden offenbar von ihm selbst als Ausnahme empfunden. Bei einer seiner Verbriefungen betont er eigens seine leibliche Anwesenheit im Hofgericht27, was den Befund bestätigt. Dieser, dem König im Hofgericht vorgebrachte Fall ist zudem ein beredtes Beispiel für die mehrfach erwähnte Prozessvermeidungsstrategie des Königs. Ruprecht ließ die Edlen zur Lippe wissen, die Herzöge von Braunschweig hätten während der Hofgerichtssitzung am Vortag gegen sie klagen wollen. Zusammen mit den ihm beisitzenden 23 Dass das Achturteil des Hofrichters einzig durch die Achtverkündung des Königs wirksam wurde, lässt sich sehr deutlich an dem Beispiel der Ächtung der Stadt Dortmund zeigen. 1404 im Januar fällte der Hofrichter ein Achturteil über die Stadt mit dem Vorbehalt, der König könne es verkünden, wann er »wolle in des heyligen richs ahte geteilet [...] von der clage wegen [...] doch also das der [...] kunig solich ahte uber sy spreken mag wan sin gnad wil«, URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 5. 24 Bis Juli 1406 zögerte der König die Verkündung des zwei Jahre zuvor gefällten Achturteils gegen Dortmund (siehe Anm. 23) hinaus (»die achte uszusprechen verhalden«), um der Stadt eine Einigung mit ihren Gläubigern zu ermöglichen, drängte dann jedoch auf eine rasche Entschädigung des Gläubigers: »das sy den [...] unclaghaft machen wann nit zimlich were das wir im de richs rechte und die egenante achte in die lenge vertzugen«, URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 438. Denn wenn er angerufen werde, die Acht zu verkünden, müsse er dies billigerweise tun: »wann so man uns umb solich achte zutund anruffen würde so sollen wir das das an des richs hofgericht mit urteyle erteilet wirdet ye vollenden als billich ist«, ebd., Nr. 358. Dass er zwar die Verkündung der Acht in diesem Fall hinauszögern konnte, nicht aber die Zahlung der Gebühren an den Hofgerichtsschreiber oder gar die Ladung, die dieser gegen die Stadt erwirkt hatte, aufheben wollte und konnte, bekräftigt obigen Befund bezüglich der Ladung. 25 Wenn er auch nach wie vor »vor Ort« sein musste, wenn das Hofgericht abgehalten wurde. An diesem Grundsatz hat sich bis zum Verschwinden des Hofgerichts nicht geändert. 26 Für die Zeit 1400–1406 kann dies wörtlich genommen werden. Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 414 (Bestätigung eines Urteils des Rottweiler Hofgerichts), und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 67 (Verkündung einer vor ihm erwirkten Anleite), Nr. 200 (Achturteil und Achtverkündung über Personen, die einen Reichsächter nicht gemieden haben), Nr. 216 (der König bestimmt die Parteien zu einem Sühnetag) sowie Nr. 423 (setzt Parteien, die vor das Hofgericht kamen, um sich auf eine Klage hin zu verantworten, als Schiedsrichter ein). 27 URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 216: »fur unszerm und des Richs hoffgerichte da wir mit unser selbes libe und unser kurfursten [...] by uns saszen«.

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Kurfürsten von Mainz und Köln28 sei er übereingekommen, es sei das Beste, die Klage aufzuhalten. Es sei ihnen gelungen, die Freunde der Herzöge zu gütlichen Tagen zu bestimmen.29 Diese Handhabung der Klage entspricht der gängigen Praxis, einen Konflikt zwischen Großen außerhalb des Hofgerichts zu lösen. 3. Die Hofgerichtsverfahren fanden in der Regel vor dem königlichen Hofrichter, nicht mehr vor dem König statt.30 An dem Prozedere des Hofgerichtsprozesses hat sich in der Zeit König Ruprechts wenig geändert, weshalb hier summarisch darauf eingegangen werden kann. Die Sitzungen folgten den althergebrachten Regeln nach der Strenge des Rechts und verlief in traditioneller Weise mit Rede und Gegenrede, Urteilsfrage(n) und Urteil(en), gegebenenfalls mit Anleite-, Exekutions- oder Gehorsamsmandat. In den Urkunden folgte am Ende zumeist eine Poen. Bei den an Zahl zunehmenden Bestätigungen mit Urteil ersetzte die Beweiserhebung in Gestalt des Vortrags die Rede und Gegenrede. Die Abwicklung der Prozesse war professionell und verlief reibungslos. Eine moderate Modernisierung wie auch Verfahrensrationalisierung ist unverkennbar. Der Beitrag Johanns von Kirchen, des Hofgerichtsnotars und Verwahrers der Hofgerichtssiegel, zur Ausgestaltung das Rechts- und Gerichtswesen am Hof und sein Einfluss auf die Prozessgestaltung können hierbei nicht hoch genug angesetzt werden.31 Die Vor- oder auch Fürsprecher der Parteien, gerne aus dem – juristisch geschulten – Hofpersonal gewählt, gehörten jetzt unabdingbar zum Hofgerichtsprozess. Die Parteien brachten ihre Klage durch Fürsprecher vor (»mit fursprechen geclagt und furgezogen / und clagt mit sinem fursprecher uff«), verantworteten sich mit Fürsprecher (»mit fursprechen reden laszen waz sie duht daz in not28 Die namentliche Nennung der beiden Kurfürsten als Beisitzer ist für die Zeit fast schon als sensationelle Ausnahme zu werten und wohl dem Stand der streitenden Parteien geschuldet. 29 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 216. 30 Das Hofrichteramt hat in dieser Zeit zwar eine Institutionalisierung und das Hofgericht einen Funktionswandel erfahren, der Hofrichter blieb bei seiner Gerichtstätigkeit jedoch unverändert von der königlichen Anwesenheit am Hof und der Autorität des Königs abhängig, war dessen »Schatten«, so Aloys Schulte, Der hohe Adel des deutschen Hofrichters, in: Festschrift Georg von Hertling zum 70. Geburtstage, dargebracht von der Görres-Gesellschaft, Kempten 1913, S. 332–542, hier S. 539. Seine Urteile erhielten ihre Legitimierung allein durch die königliche Autorität. Besonders deutlich wird dies beim Achtverfahren. 31 Zu Kirchen vgl. Battenberg, Gerichtsschreiberamt (wie Anm. 13), S. 130–148. Johann Kirchen, der juristisch versierte Hofgerichtsschreiber, dessen Handschrift die »Ordnung« von 1409, die von dem Hofrichter Engelhard von Weinsberg ausgestellt ist, im doppelten Wortsinn trägt, versuchte in dieser eine rationale Systematisierung durch die Unterscheidung der causae personales und causae reales. Hinzu kommt die Verschriftlichung des Verfahrens, die aus der »Ordnung« selbst hervorgeht. Es handelt sich um keine offizielle Ordnung, sondern um einen Entwurf mit dem Niederschlag der Gerichtspraxis, vgl. dazu Battenberg, Gerichtschreiberamt (wie Anm. 13). Es verwundert nicht, dass Kirchens Name stets auch im Zusammenhang mit den »Ruprechtschen Fragen« fällt (vgl. unten zu den Anm. 141 ff.).



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durfft wer / mit fursprechen geantwortet«) und ließen diese um Urteil fragen (»bat uns [...] mit sinem fursprechen ein Urteil zufragend«). Fürsprecher wurden als Gerichtsvertreter beglaubigt, und selbst beglaubigte Gerichtsvertreter nahmen sich Fürsprecher.32 Es gibt sogar den Fall, dass Parteien bei einem Schiedsgericht, zu dem der König den Obmann bestimmt hatte, ihre Sache von Fürsprechern vorbringen ließen (»mit fürsprechen widerumb geantwortet und brieff gezeuget und furgezogen hat«).33 Hofrichter Engelhard, Herr zu Weinsberg, der von Mai 1401 bis zum Spätjahr 1409 allein amtierende Hofrichter34, war überwiegend befasst mit35: Acht- und Anleiteurteilen, der Bestätigung von Privilegien durch Urteil, der Bestätigung früherer Hofgerichtsurteile durch Urteil und mit der Bestätigung von Urteilen anderer Gerichte, etwa des Nürnberger Landgerichts oder des Hofgerichts Rottweil, wiederum mit Urteil. Bei den Verfahren vor dem Hofgericht hat, wie man sieht, eine Spezialisierung auf die Acht und die Bestätigung mit Urteil stattgefunden. 4. Die Wirkkraft der Acht als wirksame »Waffe« des königlichen Hofgerichts sollte nicht unterschätzt werden.36 Dies zeigt sich gerade bei jenen Fällen, in die mächtige Landesherren verwickelt waren.37 Selbst wenn die angeordnete Anleite mit ihren bekannten finanziellen Risiken für den Geächteten de facto nicht vorgenommen werden konnte, war der Druck auf widerspenstige Geächtete, ob mächtige Landesherren, Städte oder Herren wie deren Anhänger, aufgrund des dem Achturteil immanenten Unterstützungsverbots38 groß. Allein die Beein32 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 398, 403. 33 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 43. Das Schiedsgericht fand in der Form einer Gerichtssitzung statt. Der Obmann kam zu keiner Entscheidung und brachte den Fall vor den König. 34 Engelhard von Weinsberg war ab 1401 Hofrichter. Er wurde im September 1409 von Graf Johann von Wertheim abgelöst, der dieses Amt bis zu Ruprechts Tod ebenfalls als allein amtierender Hofrichter innehatte. Das Amt des Hofrichters hatte sich institutionell manifestiert, vgl. hierzu URH 16 (wie Anm. 1), S. XXXVI f. 35 Beispiele sind den Registern der URH 15–16 (wie Anm. 1) zu entnehmen. 36 Hierauf hat schon Battenberg, Gerichtsschreiberamt (wie Anm. 13), in seinem grundlegenden Werk hingewiesen. Es spricht für sich, dass die »Ordnung« König Ruprechts von 1409, geschrieben von Johann Kirchen, Acht und Anleite regelt, vgl. Battenberg, Gerichtsschreiberamt (wie Anm. 13), S. 42 ff. 37 Vgl. etwa URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 137, 170 ff., 214 ff., 217 ff., 238, 277 ff., 334–346, 365 ff., 383 f. 38 Niemand durfte einen Geächteten aufnehmen, ihm Speise und Trank geben, ihn »hausen und hofen«, so der Terminus der Quellen. Niemand durfte Gemeinschaft mit ihm halten, ihn in irgendeiner Weise unterstützen oder Handel mit ihm treiben. Ein Geächteter war jederzeit anzugreifen, zu bekümmern und zu beeinträchtigen. Dies war von Rechts wegen weder Frevel noch Unrecht, wie jedes Mal eigens klargestellt wurde. Wer sich dem widersetzte, verfiel ebenfalls der Strafe der Acht.

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trächtigung der Schar an Kaufmannschaften, die eines sicheren Geleits und des Rechtsfriedens durch den König bedurften und es nicht ohne gravierende Folgen wagen konnten, das Handelsverbot mit Geächteten zu ignorieren, stellte nicht nur für die Städte, sondern auch für Herren wie Landesherren ein Problem dar.39 Die fehlenden eigenen Exekutionsmöglichkeiten des Königtums waren nur scheinbar von Nachteil. Es gab stets willige Gegner oder Konkurrenten, die das Exekutionsmandat zu nutzen wussten.40 Dies zeigt sich gerade bei jenen Fällen in der Zeit Ruprechts, in die eine Reihe mächtiger Landesherren involviert war. Die Konzentration des Hofgerichts bei den streitigen Verfahren auf die Achtprozesse war eine folgerichtige Entwicklung der königlichen Gerichtsbarkeit und legt letztlich ein beredtes Zeugnis ab von der ungeschmälerten Bedeutung der Achtverfahren für die Herrschergewalt. Durch die Achtverfahren konnte der König seine Richtermacht auch in königsfernen Gebieten und über ihm abgeneigte Große des Reichs ausüben. 5. Die Bestätigungen mit Urteil im Hofgericht begannen seit Mitte des 14. Jahrhunderts einen neuen Zweck zu erfüllen. Sie waren mehr als bloße Vidimierungen und können nicht nur von einer »notariellen beziehungsweise quasinotariellen«41 Beurkundungsfunktion des Hofgerichts her gewertet werden. Sie waren »Ausübung echter Gerichtstätigkeit in Fortsetzung kontradiktorischer Verfahren« und stellten ein Bindeglied zwischen dem Justizgeschehen im Reich und dem Hofgericht dar, wie Bernhard Diestelkamp nachgewiesen hat. In dem Ersuchen um Bestätigung durch Urteil des Königsgerichts kommt das Streben nach einer stärkeren Autorität zum Ausdruck. Die Vorstellung von dem Hofgericht als einer übergeordneten Instanz zeichnet sich ab und lässt sich an den zu dieser Zeit auftauchenden Termini »oberstes Gericht im Reich« wie auch »oberster Richter« ablesen. Die Überordnung des Hofgerichts über andere Reichsgerichte mag es de jure nicht gegeben haben. Die Zeitgenossen scheinen eine solche aber vorausgesetzt zu haben, auch wenn sie dem herkömmlichen einstufigen

39 Wie angreifbar selbst Große durch Störung des weitverzweigten Handels waren, mussten die Kaufleute eines so mächtigen Fürsten wie Gian Galeazzo Visconti, Herzog von Mailand, und ihre Handelspartner erfahren, vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 138, 128, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 185. 40 Dies hat die reiche Handelsstadt Straßburg schmerzhaft erfahren. 1398 wurde über sie in einem merkwürdig anmutenden Verfahren von König Wenzel die Acht verhängt. Eine stattliche Zahl an willigen und profitierenden Exekutoren fand sich zu einer Fehde gegen Straßburg zusammen, vgl. URH 13 (wie Anm. 21), Nr. 1, 3, 11 ff., 16, 20–51. Der finanzielle Schaden war für die Stadt enorm. 41 Vgl. Battenberg, Hofrichter (wie Anm. 13), S. 289.



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Verfahrensmodus eigentlich fremd war. Der grundlegende Strukturwandel vom »einstufigen Gericht zur obersten Rechtsmittelinstanz« zeichnete sich ab.42 6. Bei der Arbeitsweise des Hofgerichts sind Veränderungen wahrzunehmen. Das traditionelle Verfahren scheint bei allzu komplexen wie komplizierten rechtlichen Auseinandersetzungen, wie sie in jener Zeit zunehmend zu finden sind, an seine Grenzen gestoßen zu sein. Es ist eine Tendenz zu beobachten, solche Rechtsstreitigkeiten vor dem Hofgericht aufzuspalten, Teilfragen zu behandeln, andere in außergerichtliche Konfliktbeendigungsverfahren zu überführen. Immer wieder vertagte der Hofrichter bereits zu Beginn einer Hofgerichtssitzung das Verfahren auf Wunsch der Parteien beziehungsweise bewog diese dazu, einer Vertagung zuzustimmen. Dies geschah zumeist mit der Auflage an die Streitgegner, zwischenzeitlich eine außergerichtliche freundschaftliche Lösung zu suchen.43 War die Materie zu kompliziert und konnten die Urteiler zu keiner Entscheidung kommen, ließ der Hofrichter einen Fürsprecher oder Beisitzer zum König und seinem Rat schicken und Läuterung oder Ratschlag bezüglich des weiteren Prozederes erbitten4444, was ebenfalls zu einer außergerichtlichen Lösung führen konnte. Gerichtliche und außergerichtliche Konfliktlösungen griffen ineinander über. So wie ein Gerichtsverfahren in eine Schlichtung konnte auch eine Schlichtung in eine gerichtliche Klärung münden. Der Hofrichter beurkundete und bestätigte auch in seiner Funktion als Hofrichter eine Parteienvereinbarung und besiegelte dies mit dem Hofgerichtssiegel.45 Die friedlichen Lösungsversuche hatten im Hofgericht aktiv wie passiv Einzug gehalten. Ein Beispiel, wie es bei Großen des Reichs und flächendeckenden Streitigkeiten nicht unüblich war, mag das Gesagte verdeutlichen: Die Streitsache zwischen den Herren von Reden, zur Lippe und dem Grafen von Everstein einerseits und den Herzögen von Braunschweig andererseits zog sich über fünf Jahre hin. Die von Reden hatten Herzog Heinrich von Braunschweig-Lüneburg gefangengenommen, waren verlandfriedet und ungeachtet ihrer Verlandfriedung von den Herren zur Lippe und dem Grafen von Everstein unterstützt worden. Dies wurde in einer Klageschrift von Ende Dezember 1404 detailliert vorgebracht (exponitur).46 Im Januar 1405 wandte sich Herzog Bernhard direkt an den König um Unterstützung: »Ek clage juwen koningliken gnaden swarliken alse mynem rechten heren«. Dem König wurde dabei auch gleich die Vorgehensweise vorgeschlagen: Er solle 42 Vgl. hierzu Diestelkamp (wie Anm. 5), S. 46–52, 147 ff., Zitat ebd., S. 51. 43 1404 beurkundete Hofrichter Engelhard, er habe auf Gebot des Königs einen Hofgerichtstermin dreimal vertagt, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, sich entsprechend dem Königsmandat in Güte oder nach Recht zu einigen, vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 81. 44 Vgl. etwa URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 237. 45 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 466. 46 Ebd., Nr. 137.

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entsprechend den heiligen Gesetzen unter Androhung schwerer und furchtbarer Strafen die Herren von Reden zur Freilassung und Buße bewegen (procedere secundum iusticiam contra et [...] compellere secundum sacrarum legum tramites vestri sacri imperii gravibus et formidabilibus penis).47 Im Februar warf der König dem Edlen zur Lippe, dem eigentlichen Gegner der Braunschweiger in dem Streit um Everstein, vor, er mache sich der Unterstützung eines Geächteten und Friedlosen schuldig, und gebot ihm, er solle sich um die sofortige Freilassung kümmern. Vorsorglich legt der König auch einen Tag vor dem Hofgericht fest (»oder euch aber vor uns und unserm und des Richs hofrichter und hofgerichte in unserm kuniglichen hofe des und ouch gegen clage [...] versprechen und verantworten«).48 Am Tag der angedrohten Hofgerichtssitzung vereinbarten der König, der Mainzer und der Kölner Erzbischof sowie andere Fürsten und Herren mit den Parteien eine Verschiebung des Prozesses und einen zwischenzeitlichen Versöhnungsversuch.49 Dieser scheiterte. Am 15. Dezember 1405 belegte König Ruprecht unter Aufzählung der gesamten Vorgeschichte und der Vergehen den Grafen von Everstein, die Herren zur Lippe und einige weitere mit der Acht.50 Die Acht wurde auf Bitten der Herzöge im Januar 1406 flächendeckend bekanntgegeben.51 In der Folgezeit bemühte sich der Kölner Erzbischof auf Anregung des Königs um einen Ausgleich zwischen den Parteien. Er bat dabei auch Ruprecht vergebens um die Aufhebung der Acht.52 Der Hofrichter lud weitere Helfer vor das Hofgericht.53 Am 21. Februar 1407 wurde die Aberacht verkündet.54 Auch in der Folgezeit bemühten sich der Erzbischof von Köln und weitere Fürsten um eine friedliche 47 Ebd., Nr. 142. 48 Ebd., Nr. 170. 49 Ebd., Nr. 214 ff. Die Anwesenheit und das Mitwirken der Erzbischöfe und Fürsten werden in der Urkunde des Königs eigens betont, eindeutig wegen Würde und Stand der Herzöge. 50 Vgl. ebd., Nr. 334–346. 51 Vgl. ebd., Nr. 365. Die Verkündung der Acht und die Begleitmandate an etwa hundert Empfänger, von welchen allein acht Fürsten, sieben Grafen und 30 Städte namentlich genannt sind, zeugen nicht nur von der Bedeutung, die dem Fall zugemessen wurde, und der finanziellen Situation der Braunschweiger Herzöge, die diese unglaubliche Zahl an Mandaten erwarben, sondern auch von der Leistungsstärke der Kanzlei des Johann Kirchen. Dessen Anweisungen an den Sekretär der Herzöge bezüglich Handhabung und Auslieferung der Briefe zeugen von Kirchens Kunst der zeremoniellen Inszenierung auf hohem Niveau und seinem Wissen um die Bedeutung der Außenwirkung des Hofs; ebd., Nr. 366. 52 Vgl. ebd., Nr. 394 und 443. 53 Vgl. ebd., Nr. 448 ff. 54 Vgl. die Verkündung an die Reichsfürsten im Hauptstaatsarchiv Hannover (Hann. 91, Nachlaß Sudendorf, Bd. 1, Bl. 191–193 – Abschrift 19. Jahrhundert). Daneben gibt es wieder eine sehr große Zahl an Verkündungen, wie bereits 1405, vgl. demnächst URH 17 sub dato.



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Streitbeendigung, die im April 1409 beurkundet wurde.55 Im Juni erfolgte die Achtlösung durch den König aufgrund dieser Einigung und der Tatsache, dass den Ansprüchen des Hofrichters und Hofgerichtsschreibers Genüge getan war.56 7. Justitia delegata. Als letzter Punkt zu den innergerichtlichen und gleichzeitig als Übergang zu den außergerichtlichen Verfahren sei noch die Justitia delegata erwähnt, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts an Bedeutung für die Gerichtsbarkeit des Königs zunahm. Bernhard Diestelkamp weist in seiner jüngsten Publikation darauf hin, dass die Delegation es dem König nicht nur ermöglichte, seine herrschaftliche Autorität auch in ansonsten für ihn nicht erreichbare Teile des Reichs zu tragen, sondern dass dieses Mittel über die Weiterdelegation an gelehrte Juristen »eine Professionalisierung der Tätigkeit des königlichen Gerichtswesens [ermöglichte], ohne dass es dazu der Veränderung am Königshof bedurfte«.57 Richterkommissaren oder delegierten Richtern wurde eine Klage vom König übertragen – entweder zur Untersuchung des Falles und Berichterstattung an den König oder zur Entscheidung anstelle des Königs. Der Judex delegatus oder dessen subdelegierte Räte führten die Prozesse in der Regel wohl als selbstentscheidende Richter.58 Bei den wenigen Fällen eines Judex delegatus aus der Zeit Ruprechts scheint entsprechend der Auflage der königlichen Kommission eher nach den Regeln des dinggenossenschaftlichen Verfahrens verhandelt worden zu sein.59 Insgesamt tritt der delegierte Richter, ausgestattet mit der Vollmacht und dem Auftrag, Parteien zu laden und einen Streit im Namen des Königs nach dem 55 Ausfertigung im Landesarchiv Schleswig (Urk. Abt. 210, Nr. 204). 56 Ausfertigung im Landesarchiv Detmold (L 1, G III, Nr. 29). 57 Diestelkamp (wie Anm. 5), S. 20 ff., Zitat ebd., S. 21, mit Verweis auf weitere Literatur. Zu dem Phänomen bedürfte es noch intensiver Studien. 58 So Diestelkamp (wie Anm. 5), S. 21. 59 Ein Landvogt, vom König in einer Sache um Reichslehen eigens beauftragt, mit Reichslehnmannen, die ebenfalls ein Aufgebot erhielten, zu Gericht zu sitzen, bekundet das nach Rede, Gegenrede und Beweisdarlegung der Fürsprecher von den Mannen einhellig gefällte Urteil. Die Terminologie scheint mir auf das typische deutsch-rechtliche Gerichtsverfahren zu deuten: »zu dem rechten geseßen syen [...] von heißendes und emphelhens wegen des künig der auch daz für uns und des richs lehenlüt den [!] er ouch darzuo geruft und geboten hett gewyset hant [!] recht dorumb zu sprechen, – nach baiderteil furlegung red und widerred haben wir die lehenluit uns darumb erkennet und einhelleklich gesprochen und ouch unzerworffenlich, – ze erfarn an ainer urtail, – dieser brief geben mit urteil und mit dem rechten«, URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 121. Ähnlich verhält es sich in einem weiteren Fall, in dem es ebenfalls um Reichslehen ging. Der König hatte die Entscheidung an Johann von Ysenburg delegiert: »gebodin hat sy mit einym rechte zu rychten«. Auch hier hat der König den Urteilerkreis – die Burgmannen von Gelnhausen – bestimmt, die dann nach Anhörung von Rede und Gegenrede das Recht sprachen: »des merteil [...] gewisit zuom rechten nach schuldigunge und antworte und sprechen dis selbin zum rechten«, URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 7.

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Recht zu richten, bei Ruprecht von der Pfalz im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern nur noch in Ausnahmefällen in Erscheinung.60 König Ruprecht steht damit außerhalb des Trends61, nicht jedoch, wenn man die Kommissionen nach »Minne oder Recht« einbezieht. Denn Kommissionen des Königs an Schlichter oder Schiedsrichter zur Untersuchung komplizierter Streitfälle vor Ort und zur Beendigung nach »Minne oder Recht« finden sich zahlreich.62 Diese Delegationen sind im Zusammenhang zu sehen mit den Verfahren, auf die im Folgenden noch eingegangen wird. 8. Abschließend kann festgehalten werden: Auch wenn die kontradiktorische Tätigkeit des Hofgerichts erkennbar abgenommen hat, war das Hofgericht zu Beginn des 14. Jahrhunderts nach wie vor nicht nur ein rechtliches, sondern auch ein arbeitsfähiges und funktionierendes Machtinstrumentarium für den König und wurde in diesem Sinne genutzt. Vor allem über die Achtverfahren und die Möglichkeiten, die in der Ladung steckten, konnte der Kronträger seine Richtermacht über die Gebiete hinaus, in denen er anerkannt war, und über Große des Reichs, die ihm abgeneigt waren, ausüben. Die Bestätigungen durch Urteil – ob von Urteilen anderer Gerichte oder von Privilegien – zeugen von der (ideellen) Vorstellung der Zeitgenossen von einer höheren Autorität der Urteile des Hofgerichts und damit von einer Überordnung des Königsgerichts (dem »obersten Gericht«) über andere Gerichte des Reichs. Hätte es nicht einen praktischen Nutzen dieser Prozessverfahren für die um Bestätigung Ersuchenden gegeben, und wenn dieser nur in der vom Hofrichter verhängten Poen bestand, nähmen diese Urteile des Hofrichters keinen so großen Raum ein, wie dies der Fall ist. 60 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), S. LI; Beispiele ebd., Nr. 7, 342, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 121; zwei der drei bekannten Kommissionen gingen an Landvögte, ebd., Nr. 342 und Nr. 121. Vielleicht kann man darin den letzten Versuch des Königs sehen, die Landvögte als Instrumente königlicher Herrschaftsausübung auf diesem Sektor wieder zu aktivieren. Franklin (wie Anm. 8) hatte für Ruprecht kein Beispiel für eine dieser königlichen Kommissionen gefunden. Auch Schubert (wie Anm. 7), S. 150 f., war kein Fall bekannt, weshalb er davon ausging, Ruprecht habe durch den »Verzicht« auf diese Rechtspraxis in anachronistischer Weise seinen königlichen Wirkungskreis verkürzt. 61 Diestelkamp (wie Anm. 5) hat die Entwicklung aufgezeigt, durch die der königliche Kommissar als Richter zum Regelfall wurde. Bezüglich des Trends bei Ruprecht muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass zu der Entwicklung während der letzten vier Jahre seiner Regierungszeit noch keine Aussage gemacht werden kann, da der Bearbeitungsstand zu URH 17 noch nicht weit gediehen ist. 62 Vgl. z. B. die informative Zusammenstellung der königlichen Kommissionen im Falle von Bürgerunruhen bei Bernhard Diestelkamp, Bürgerunruhen vor dem spätmittelalterlichen deutschen Königsgericht, in: Albrecht Cordes/Joachim Rückert/Reiner Schulze (Hg.), Stadt – Gemeinde – Genossenschaft. Festschrift für Gerhard Dilcher zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 67–101, hier S. 88 ff.



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Das Hofgericht hat sich unter Beibehaltung der dinggenossenschaftlichen Rechtsfindung mit den Bedürfnissen und Bedingungen der Könige wie der »Rechtsuntertanen« weiterentwickelt – wohl kaum ohne »Nachhelfen« durch die Könige. König Ruprecht selbst hat im Hofgericht, wie dargestellt, praktisch nicht mehr agiert. Er fällte seine Entscheidungen bevorzugt außerhalb des Hofgerichts als persönlich selbsturteilender Richter kraft seiner Autorität oder agierte als Schiedsrichter wie Schlichter. Er delegierte Streitfälle an selbstentscheidende Richter, an Mediatoren oder Schiedsrichter. Die unterschiedlichen außer- wie innergerichtlichen Verfahren konnten zu jedem Zeitpunkt ineinander übergreifen, der König konnte zu jedem Zeitpunkt und in jedes Verfahrensstadium eingreifen. Deshalb bestand kein zwingender Bedarf an größeren Strukturreformen, so wie es auch keinen Reformdruck bezüglich des Hofgerichts gab.63 Dieses funktionierte samt einer modernen Kanzlei64 reibungslos. Es hatte an dem Wendepunkt, den die Regierungszeit Ruprechts für die Jurisdiktion ohne Frage darstellt, eine Wandlung erfahren, sich aber noch nicht überlebt.

III. Außergerichtliche Konfliktlösungsverfahren In der Mehrzahl aller dem König vorgebrachten Streitfälle erfolgte die Konfliktlösung nicht erst in dieser Zeit außerhalb des Hofgerichts. König wie Reichsglieder zogen die außergerichtlichen Verfahren dem traditionellen Hofgerichtsprozess vor.65 Die Tendenz des spätmittelalterlichen Königs oder – was wahrscheinlicher ist – die Strategie, Konflikte außerhalb des Hofgerichts kraft königlicher Autorität zu beenden, die bei König Wenzel – bedingt nicht zuletzt durch die langen Phasen seiner Abwesenheit aus dem Reich – zu einem Höhepunkt kam, setzte sich bei Ruprecht von der Pfalz ungemindert fort. Dabei gab ihm die institutionelle Konsolidierung des Hofgerichts mit dem über acht Jahre ununterbrochen amtierenden Hofrichter Weinsberg den Freiraum, sich den jeweils erfolgsträchtigen außergerichtlichen Verfahren zuzuwenden. Gemeinsam ist diesen Methoden,

63 Hierauf hat auch Diestelkamp (wie Anm. 5), S. 140 f., im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Hofgerichts wenige Jahrzehnte später hingewiesen. 64 Vgl. Battenberg, Gerichtsschreiberamt (wie Anm. 13), S. 89  f., 120  ff.; ders., Beiträge (wie Anm. 13), S. 28 ff., 42 ff.; Peter Moraw, Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 15 (1969), S. 428–531; URH 15 (wie Anm. 1), S. XXII–XXVIII; und URH 16 (wie Anm. 1), S. XXVIII–XXXIV. 65 Was nicht ausschließt, dass eine Partei trotz königlicher Vermittlungsangebote auf dem Hofgerichtsverfahren beharrte, vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 116, 375, 383 ff., 411.

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dass der König selbst entschied, so es sich nicht um eine Delegation oder Weiterdelegation handelte. Eine exakte Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Verfahren ist nur in seltenen Fällen möglich, was – wie bereits betont – damit zusammenhängt, dass alle Verfahren zur Konfliktlösung vor dem König zu jedem Zeitpunkt ineinander übergreifen und jederzeit vom König aufgeteilt und weiterdelegiert werden konnten, streitige wie nichtstreitige, gerichtliche wie außergerichtliche. Die Übergänge gerade bei Schlichtungs- oder Schiedsverfahren waren fließend. Da alle Formen, alle Methoden der außergerichtlichen Konfliktbeendigung vom König und seinem Hof praktiziert wurden, mit allen Variationsmöglichkeiten des autoritativen Eingreifens des Königs zu jedem Zeitpunkt und an jeder Stelle, kann hier nur ein Überblick geboten werden. Es sei der Versuch einer strukturellen Zusammenfassung gewagt über das Prozedere am Hof, wenn dem König eine Klage/Beschwerde zur Kenntnis gelangt war. Diese standen zu Beginn eines jeden dieser außergerichtlichen Verfahren.66 Der König ging dann das Problem je nach Schwere und Komplexität des Falles an und oft auch entsprechend dem Wunsch des Klägers, der um ein persönliches Eingreifen des Königs bat oder den Wunsch äußerte, der König möge seine Räte zur Klärung der Streitfrage oder Vermittlung senden oder Schiedsrichter (eventuell nur einen Obmann) bestimmen. Die Bitte um Vermittler oder Schiedsrichter oder auch schiedsrichterliches Eingreifen des Königs selbst erfolgte zumeist erst dann, wenn ein Streit schon längere Zeit andauerte, eine Fehde die Beteiligten ohne erkennbaren Sieger erschöpft hatte oder bereits verschiedene Konfliktlösungsversuche ergebnislos geblieben waren. 1. Mandate des Königs. Zu den häufig praktizierten Methoden gehörte es, Streitigkeiten und Missstände mit einem Mandat des Königs an den/die Rechtsverletzer oder an die streitenden Parteien zu beenden. Diese Mandate waren geprägt von dem Versuch des Kronträgers, persönlich möglichst viele Konflikte möglichst rasch kraft seiner königlichen Autorität so zu regeln, dass es zu keinem weiteren Verfahren mehr kommen musste. Diese Mandate waren von anderer Qualität als Schutz- oder Exekutionsmandate und sind nicht zu verwechseln mit den gerichtlichen Geboten, den sogenannten »Mandatsprozessen«, die größere

66 In den Briefen des Königs heißt es, es sei ihm eine Klage/Beschwerde von X vorgebracht worden (»vor uns bracht«). Die Formulierung ähnelt wohl nicht zufällig jener des Hofrichters, der Kläger sei im Gericht vor ihn gekommen und habe die Klage vorgebracht. Während dies vor dem Hofrichter durch die Partei oder deren Bevollmächtigten mündlich bei der Gerichtssitzung zu geschehen hatte, konnte die Sache dem König auch schriftlich vorgebracht werden.



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Bedeutung erst mit dem Übergang der höchsten Gerichtsgewalt vom König auf das Reichskammergericht am Ende des Spätmittelalters (1495) erlangten.67 Bei den »Mandatsfällen« wurde dem König die Rechtsverletzung mündlich oder schriftlich zur Kenntnis gebracht und Abhilfe erbeten.68 Eine Ladung vor das Hofgericht und ein hofgerichtliches Verfahren waren von der beschwerdeführenden Seite nicht angestrebt. Die Mandate des Königs an die rechtsverletzende Partei beinhalteten je nach Art der Rechtsverletzung die sofortige Einstellung rechtsverletzender Handlungen, die Abstellung des angezeigten Unrechts, die sofortige Restitution des Entwendeten, die Wiedergutmachung eines Schadens oder (allgemein gehalten) eine Einigung mit der Gegenseite. Zur Durchführung des Gebotenen konnte jeweils eine Frist gesetzt sein. Es lassen sich Konflikte aller Art in diesen Mandaten ausmachen. Die Gebote betreffen etwa die Freilassung eines zu Unrecht Gefangenen69, die Freigabe von beschlagnahmtem Gut70, die Wahrung von Forstrechten.71 Es werden die Missachtung »Erster Bitten«72, die Verletzung der Rechte von Kirchen oder Geistlichen73 moniert und es finden sich Verbote, über königliches Hofgesinde zu richten74 oder Ausbürger aufzunehmen.75 Die königlichen Gebote konnten jeden Rechtsverletzer treffen, gleich welchen Standes oder von welcher Macht er war. Wurde dem Mandat des Königs nicht widersprochen, nahm es Entscheidungscharakter an.76 Der Vorteil dieser Methode für den König liegt auf der Hand: Im besten Fall erfolgte eine zügige Abwicklung der Sache mit dem geringstmöglichen Aufwand, und zwar auch in jenen Gegenden, die nicht nur geographisch königsfern waren. 67 Vgl. hierzu Manfred Uhlhorn, Der Mandatsprozess sine clausula des Reichshofrats (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 22), Köln/Wien 1991. 68 In den seltensten Fällen sind die Beschwerden überliefert. In den Königsbriefen heißt es meist nur lapidar, X habe sich über den Angeschriebenen beklagt, oder nur ganz allgemein, dem König sei folgendes Vergehen zur Kenntnis gebracht worden. Oft sogar beginnt das Mandat drohend (den Angeschriebenen dürfte bekannt sein, dass [...]), vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 8. Bisweilen finden sich sprachliche Anlehnungen an die Eröffnung des Hofgerichtsprozesses, wie er sich in den Urkunden des Hofrichters darstellt: »daz uns furbracht ist mit clage«, ebd., Nr. 12, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 328 (»furbracht mit clage«), sowie ebd., Nr. 351 (»mit clage furbracht«). 69 Vgl. etwa URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 5, 6. 70 Ebd., Nr. 131, 136, 316, und URH 16 (wie Anm.1), Nr. 34, 41, 247. 71 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 104. 72 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 111, 173, 373, 380, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 290. 73 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 61, 350 f., 395, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 28, 54. 74 Vgl. ebd., Nr. 201. 75 Ebd., Nr. 287 f. 76 Vgl. Diestelkamp (wie Anm. 5), S. 59.

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Der König setzte seine königliche Autorität ein und untermauerte sie bei Bedarf mit der Androhung eines Verfahrens nach der Strenge des Rechts des Hofgerichts für den Fall, dass sein Gebot missachtet werden sollte. Oft mahnte er in einem Mandat bereits eine gütliche Einigung an und setzte hierfür eine Frist. Die Drohung, nach diesem Termin werde er nichts unterlassen, dem Geschädigten zu seinem Recht zu verhelfen, förderte die Bereitschaft zu einem Ausgleich in den meisten Fällen.77 Es war angeraten, auf die Gebote einzugehen, denn Ruprecht zeigte eine beachtliche Perseveranz bei ihrer Durchsetzung und sorgte für flankierende Maßnahmen, etwa in Gestalt von Hilfsgeboten an Dritte, die zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen bevollmächtigt wurden.78 Wenn dies nichts fruchtete, so schöpfte er alle Möglichkeiten, die Erfolg versprachen, aus und suchte, sich verschiedene Rechtsverfahren und -formen gleichzeitig und ineinandergreifend zunutze zu machen.79 Die Mandate waren von nicht geringem Erfolg gekrönt80 und von einer erstaunlichen Wirksamkeit, was die Theorie von dem zunehmenden Autoritätsverlust des Königtums zumindest nicht bestätigt. An ihrer Handhabung lässt sich, wie mir scheint, ein Grundzug der Politik Ruprechts erkennen, wie er schon bei den »Spezialladungen« vermutet wurde, nämlich die Strategie, 77 Die Methode, Ausgleich zwischen den Parteien anzuordnen und bei Widersetzlichkeit mit einem Verfahren nach Recht zu drohen, findet sich bereits im 13. Jahrhundert, vgl. Rödel (wie Anm. 12), S. 134 ff. 78 Dem Frankfurter Bartholomäusstift entzog der König wegen der Missachtung seiner Ersten Bitte, was er als eine frevelhafte Verletzung königlicher Rechte ansah, alle Privilegien samt allen Einkünften. Dem Landvogt wurde geboten, diese einzuziehen. Die Frage spielte sogar in einem Vergleich zwischen dem König und dem Mainzer Erzbischof eine Rolle, vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 226, 358 [1., 4], und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 370, 474 f. In einem ähnlichen Fall wandte sich der König an die Erzbischöfe von Köln und Trier um Unterstützung. Diese sollten als Zwangsmaßnahme Güter der ungehorsamen Abtei Nivelles in Beschlag nehmen. Das Stift versuchte, die arretierten Güter zu verkaufen. Mit einem Mandat des Königs an die Erzbischöfe wurde dies unterbunden. Das Stift entsprach danach den Ersten Bitten des Königs, vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 173, 187, 277 und 284. 79 Als anschauliches Beispiel sei der »Fall Schelriß« angeführt. Hermann Schelriß, ein Burgmann des Mainzer Erzbischofs zu Seligenstadt, hatte den Frankfurter Stadtschreiber Peter unter dem Vorwand eines Pfändungsanspruchs gegen die Stadt überfallen, gefangengenommen und Lösegeld gefordert. Peter war im Auftrag der Städte Frankfurt und Mainz und auf Anforderung und unter Geleit Ruprechts auf dem Weg zu diesem nach Nürnberg unterwegs, unter anderem, um über die Bedrückungen durch den Erzbischof zu berichten. Durch die Verletzung des Königsgeleits, zudem gegenüber einem in seinem Dienst Reisenden, fühlte der König sich in seiner Würde angegriffen und sah seine Herrschaftsrechte infrage gestellt. Entsprechend stringent war sein Vorgehen, vgl. URH 15 (wie Anm. 1), S. LVII ff. 80 Nicht wenige Streitsachen scheinen sich auf diese Weise erledigt zu haben, da man nichts mehr von ihnen hört.



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für eine rasche Abhilfe bei Konflikten zu sorgen und Prozesse möglichst zu vermeiden. 2. Der König entscheidet selbst kraft königlicher Autorität. Ganz traditionell und mit dem Wissen um das Fundament seiner Herrschaft stehen König Ruprechts außergerichtliche wie innergerichtliche Handlungen unter dem Grundsatz der Wahrung der höchstrichterlichen königlichen Autorität. Nicht von ungefähr wird in vielen seiner Briefe auf die plenitudo potestatis abgehoben. Diese Urkunden sind mit einer Ausnahme alle unter dem Majestätssiegel ergangen und beinhalten auf Klage einer Partei hin außergerichtliche Rechtsentscheidungen kraft königlicher Autorität. Hierunter finden sich: die Lösung von einer von König Wenzel nicht ordnungsgemäß ausgesprochenen Acht (»nicht als redlich geben und ußgangen [...] als billich und rechte were gewesen«), der Widerruf von sogenannten »Membranen« König Wenzels, die Lösung einer Acht des Landgerichts Rottweil, die Anordnung (»wollen setzen und orden«), dass eine Stadt hinfort keine widerrechtlichen Forderungen mehr an ein Stift stellen darf, der Widerruf eines im Widerspruch zu einem Hofgerichtsurteil König Wenzels erschlichenen Privilegs, die Bestätigung dieses Urteils (»sprechen [...] meynen setzten und wollen«), die Aufhebung einer Reihe von früheren Urteilen sowie die Bestätigung von Renunziationen, Kassationen und eines Hofrichterbriefs samt allen darin enthaltenen Artikeln in einem langwierigen Verfahren (»omnes processus predictos littera Judiciales et extraiudiciales [...] sollempniter revocamus cassamus et nullius esse [...] decernimus«) sowie das Verbot (»meynen auch setzen und wollen«) von Beschlagnahmungen nach der Sühne in dem gleichen Fall, eine Entscheidung zu Eigenleuten eines Klosters sowie das Erlassen einer Poen nach Totschlag aufgrund von Buße und Reue der Verurteilten »nach keiserlichen gesetzten und rechten«.81 Selten fehlt bei diesen Entscheidungen die Betonung, dass sie mit der durch sorgfältige Recherche erworbenen sicheren Kenntnis des Sachverhalts und der Rechtslage nach eingehender Beratung rechtmäßig zustande gekommen sind, dass sie »ex certa scientia« oder »mit wolbedachtem mute gutem

81 In der Reihenfolge der Zitate vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 64. Bei diesem Brief von 1401 handelt es sich offenbar um eine Hofgerichtsurkunde, die in der Reichskanzlei hergestellt wurde, da eine Hofgerichtskanzlei noch nicht existierte. Sie ist unter dem Majestätssiegel ausgestellt für König und Hofrichter. Letzterer ist in der Urkunde selbst nicht genannt: »so han wir unser kuniglich maiestat ingesigel an diesen brief dun henken fur uns und unsern hofferichter«, vgl. ferner ebd., Nr. 90, 390, 395, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 14, 128, 135, 445, 465.

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Rat und Rechter wißen« erfolgt seien.82 Hier finden sich Formulierungen des Hofrichters zur Urteilsfindung der Urteiler im Hofgericht wieder.83 Eine ganze Reihe von Vorbringungen wurde vom König derart »autoritativ« entschieden. Der Entscheidung vorangegangene Klagen oder Beschwerden sind nur ausnahmsweise bekannt.84 Zu finden ist meist nur die Bekundung der Entscheidung in einem Brief an den Kläger oder als Verkündung an die rechte- oder friedensverletzende Seite, verbunden mit dem Gebot, die Entscheidung auszuführen beziehungsweise zu gehorchen. 3. Der König entscheidet im Kreis seiner Räte oder zusammen mit seinem »Geheimen Rat«. In der Zeit Ruprechts ist ein Wandel in der Handhabung der Königsgerichtsbarkeit zu beobachten. Prozessschilderungen des Hofrichters legen die Vermutung nahe, dass König Ruprecht sein persönliches Agieren im Hofgericht bewusst einschränkte, um sich einen größeren Spielraum für eine direktere Einflussnahme auf den Prozess des Hofgerichts zu verschaffen, als er sie als vorsitzender Richter gehabt hätte, indem er zusammen mit seinem Geheimen Rat für Rückfragen des Hofrichters, der Beisitzer und Urteiler zur Verfügung stand.85 Die Anfragen um Rechtsbelehrung an den König als den obersten Richter des Reichs, der sich für die Beantwortung an seinen gelehrten Rat wenden konnte, sind Anzeichen eines Strukturwandels, der darauf hindeutet, dass der König die Herrschaft über Rechts- und Gerichtswesen nicht erst unter Friedrich III. ausübte.86 Darauf näher einzugehen, wäre lohnend, ist aber in diesem Rahmen nicht angezeigt. Anteil an diesem zu konstatierenden Wandel hat der geheime Rat des Königs. Schon König Wenzel hatte ein gut funktionierendes Rätesystem zu seiner eigenen Entlastung aufgebaut. Er bedurfte dieses Systems vor allem deshalb, weil er sich überwiegend in Böhmen aufhielt. Seine Räte reisten in rechtlichen Missionen durch das Reich und hatten großen Anteil an der Abwicklung zahlreicher Rechtsfälle.87 Ähnlich nutzte Ruprecht seine Räte, die als Schiedsrichter oder 82 Vgl. etwa URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 19, 124, 226, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 14, 113, 133, 313,423. 83 Vgl. z. B. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 313: »so hat daz Riche erkant gemeynet und gesatzet mit wolbedachten mute gutem rate und rechter wissen von Romischer koniglicher mechte«. 84 Unabhängig davon, dass nur wenige Beschwerden schriftlich vorgelegt worden sein dürften, ist wieder auf die archivalische Situation hinzuweisen. Allenfalls in Archiven der großen Reichs- und Handelsstädte, die in jener Zeit schon wohlorganisiert waren und in denen Ausgangsbücher geführt wurden und erhalten sind, ließen sich Kopien der Beschwerden finden. 85 Vgl. etwa URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 81. 86 Diestelkamp (wie Anm. 5). 87 Vgl. URH 14 (wie Anm. 1), S. XXVI f.



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Schlichter auch »königliche Freunde« hießen, für rechtliche Aufgaben.88 Zu den abgelegeneren Orten – wie etwa Minden oder Lübeck – wurden vornehmlich Ortskundige geschickt oder Ortsnahe beauftragt. In den ersten drei Jahren seiner Regierung sind 35 Räte namentlich auszumachen, später verringerte sich die Zahl.89 Die königlichen Räte waren in mannigfaltigen diplomatischen Missionen unterwegs und wurden in unterschiedlichen Funktionen im Gerichts- und Schiedswesen eingesetzt. Der König sandte sie zu Gütetagen, bestimmte sie den Parteien als Obmann oder Schiedsrichter oder lud die Parteien nach Heidelberg vor seinen Rat.90 Räte wurden während eines Verfahrens zur Beratung hinzugezogen oder waren an Verfahren aktiv beteiligt. Sie vermittelten zusammen mit dem König oder dem Hofrichter.91 Wichtige Entscheidungen fällte der König nach Beratung mit seinen Räten.92 Es finden sich Angebote von Streitparteien, vor den König und seinen Rat zum Recht und Austrag zu kommen oder vor die Räte, die der König aus seinem Rat dazu bestimmen werde, aber auch, vor dem Rat des Königs zu Recht zu stehen. Ebenso wurde die Bitte vorgebracht, der König möge einen oder mehrere aus seinem Rat zur Klärung von Streitfragen oder zur Beilegung von Zwisten schicken.93 Der rechtliche Rat des Königs war im doppelten Wortsinn geschätzt und gesucht. Der König war sich der Sachkompetenz seines Rates bewusst und klärte schwierigere Rechtsfragen, etwa hinsichtlich der Echtheit von Privilegien, zusammen mit diesem.94 So antwortete er auf eine Anfrage im Münzstreit unumwunden, er könne seine Entscheidung wegen der Wichtigkeit der Sache erst mitteilen, 88 Zu dem Rat des Königs vgl. Peter Moraw, Beamtentum und Rat König Ruprechts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 116 (1968), S. 59–126. Moraw untersucht – methodologisch über die Personengeschichte – die führenden Hofbeamten König Ruprechts, »Großhofmeister, Haushofmeister, Reichshofrichter, Hofmarschall und Kammermeister sowie die Räte des Königs«. Er kommt bei der Bewertung des königlichen/ Geheimen Rats zu einem Ergebnis, das dem hier dargestellten Befund konträr ist. 89 Zu den namentlich bekannten Räten siehe URH 15 und 16 (wie Anm. 1), die Register unter dem Stichwort »Ruprecht, röm. Kg.«, Unterstichwort »Räte, kgl. Beauftragte, Bevollmächtigte«. Zu Räten allgemein vgl. die entsprechenden Lemmata im Sachverzeichnis. 90 Vgl. z. B. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 134, 169, 196, 356, 375, 423, 482. 91 Vgl. z. B. ebd., Nr. 17, 62, 87, 196, 436. 92 Ebd., Nr. 87: »des haben wir mit unsern Reten daruber gesessen und ansprache und antwurte beider parthien eigentlichen verhoret und ingenommen und sie darnach mit beider parthien wissen und willen mit der gutlicheit entscheiden und ein fruntliche stallung und ordenunge zuschen yn gemachet«, siehe auch ebd., Nr. 17, 134, 169. 93 Vgl. z. B. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 244, 252, 255, 263 ff., 276, 309, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 32 f., 169, 182, 184, 289, 356. 94 Bei diesem Fall wurde auch der Schreiber zur Beratung hinzugezogen, vgl. ebd., Nr. 43.

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wenn er sich mit seinen Räten besprochen habe, der Entwurf werde dann ausgearbeitet.95 In politischen Verfahren setzte Ruprecht seinen Rat mit Geschick und gewinnbringend ein, wie sich bei seinen Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern des Marbacher Bundes beobachten lässt.96 Unmittelbar nach dem Zusammenschluss wurde der König zusammen mit seinen Räten aktiv. Es begann ein Ringen um die Form der Verhandlung zwischen König und Bund. Die königlichen Räte agierten als Vertreter des Königs und legten Zeugnis ab für ihr diplomatisches Geschick, ihre rhetorische und argumentative Finesse. Das geschickte Zusammenspiel zwischen dem König, der sich in einem gesonderten Saal mit seinen Getreuen aufhielt, und den mit den Bündnispartnern in einem anderen Raum verhandelnden Räten ist sehr anschaulich in einem Bericht der Straßburger Boten geschildert.97 In einer Gesprächsnotiz, einer Nota, zu einer der ersten Verhandlungen werden auch die Begriffe Rat und Heimlichkeit verwandt. Der Hofmeister schildert, es seien Fürsten in des Königs »rate und heimlichkeid« gewesen.98 Wenn eingangs festgestellt wurde, dass König Ruprecht so gut wie nicht mehr im Hofgericht als Richter agierte, so bedeutet dies nicht, dass er nicht am Ort, an dem das Hofgericht stattfand – in der Mehrzahl der Fälle also in der Burg zu Heidelberg –, anwesend gewesen wäre. In dieser Hinsicht ist der Grundsatz, dass das Hofgericht nur am Aufenthaltsort des Königs stattfinden konnte, nicht infrage zu stellen. Der König nahm an den Hofgerichtssitzungen nicht teil, war aber erreichbar. Er hielt sich »drinnen« – gemeint war die Heidelberger Burg, in der das 95 Im November 1409. Vgl. die Kopien im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt (Münzwesen, Nr. 85, 89 f.). 96 Dies war ein Zusammenschluss des Mainzer Erzbischofs, des Grafen von Württemberg, des Markgrafen von Baden, der Stadt Straßburg und 17 schwäbischen Städten, eine Koalition der Unzufriedenen gegen den König. Die Bundesgenossen wollten von Anbeginn an öffentliche Tage zur rechtlichen Verhandlung über das Bündnis vermeiden und auf keinen Fall sich dem König gegenüber wegen des Bündnisses nach geltendem Recht verantworten, allenfalls gütliche Aussprachen anstreben. Die Intention Ruprechts dagegen war, den Bund unter Beteiligung einer großen Zahl von Fürsten, Grafen, Herren, Städten und Reichsgetreuen nach geltendem Recht als Unrecht und als ihm und dem Reich schädlich erklären zu lassen und aufzulösen. Der König musste sich gegen den Vorwurf der Bundesgenossen, Freiheiten, Rechte und Herrlichkeiten von Reichsangehörigen verletzt zu haben, wehren und wandte sich an Kurfürsten, Fürsten, Grafen, Herren und Städte, es gehe etwas vor gegen ihn, auch werde im Reich das Gerücht gestreut, er sei ein harter Herr, er müsse den Anfängen wehren. Durch die detaillierten Straßburger Botenberichte und die oben erwähnten Werbungen und Klageschriften lässt sich der Ablauf der Auseinandersetzung verfolgen. Näheres hierzu: URH 16 (wie Anm. 1), S. XVII–XXIV. 97 Vgl. ebd., Nr. 357. 98 Vgl. z. B. ebd., Nr. 292.



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Hofgericht tagte – oder »oben im Saal«999 auf, wie es in den wenigen detaillierten Schilderungen präzisiert wird. Er tagte dort zusammen mit seinem gelehrten Rat, oft parallel zu dem Hofrichter, und stand Urteilern und Beisitzern für Rückfragen und Läuterungen zur Verfügung. Dies ist ersichtlich aus einer Urkunde Engelhards, der zur Klärung einer Rechtsfrage Beisitzer zu dem König schickte.100 Nicht nur der Hofrichter nahm den Rat im doppelten Wortsinn gerne in Anspruch, auch von außerhalb, von den Reichsgliedern, gab es gezielte Anfragen an die Gelehrten, die doctores, in Heidelberg, wenn man an der Klärung juristischer Probleme zu scheitern drohte. Offenbar hatte es sich rasch herumgesprochen, dass der König in Heidelberg entsprechende Gelehrte um sich versammelt hatte. Der Rat scheint binnen kurzer Zeit zu hohem Ansehen im Reich gekommen zu sein. Hierfür sprechen nicht nur die Anfragen, sondern auch die Beliebtheit der Räte als Schiedsrichter und Vermittler. Dieser juristisch versierte gelehrte Rat wird in den Quellen immer wieder einmal im Singular angesprochen und damit bewusst abgesetzt von den Räten und Freunden des Königs, die als ortskundige Schiedsrichter und Schlichter tätig waren.101 Den Quellen ist nicht zu entnehmen, wer von den darin 35 namentlich angeführten Räten102 dem königlichen, dem Geheimen Rat angehörte. Man kann von einem engeren Kreis, einem festen Stab Rechtskundiger ausgehen, mit dem sich der König umgeben hat.103 König Ruprecht und sein gelehrter Rat104 treten 99 100 101 102

Vgl. URH 15 (wie Anm. 1) Nr. 237, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 191. Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 237. Vgl. ebd., Nr. 190, 195, 309, 421, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 169, 182, 420. Moraw (wie Anm. 88), S. 86 f., zählte insgesamt über hundert Personen, die er den königlichen Räten zuordnet. 103 Vgl. auch Diestelkamp, Bürgerunruhen (wie Anm. 62), S. 52 ff., 79. 104 Peter Moraw (wie Anm. 88) geht davon aus, dass die Rekrutierung der gelehrten Juristen bei Ruprecht überwiegend aus dem Bereich der Hausmacht erfolgte und abgesehen von Johann Kirchen so gut wie alle an die Kanzlei oder die Universität Heidelberg gebunden waren beziehungsweise an Kanzlei und Universität. Heinig folgt ihm hierbei. Vgl. Paul-Joachim Heinig, Gelehrte Juristen im Dienst der römisch-deutschen Könige im 15.  Jahrhundert, in: Recht und Verfassung am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, I.  Teil: Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1994–1995 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge 228), Göttingen 1998, S. 167–184, hier S.  169  f. Ob es tatsächlich überwiegend die Gelehrten der 1386 gegründeten Universität Heidelberg waren, auf die der König bei seinem Rat zurückgriff, wie es allgemein angenommen wird, bedürfte einer näheren Untersuchung. Nicht allein Johann Kirchen hat seine juristische Schulung in Wien bezogen. Ein interessanter Aspekt wäre, eine Art »interne Schulung« durch den rechtspraktischen Hofgerichtsnotar Johann Kirchen am Hof selbst anzunehmen. In diesem Zusammenhang wäre auch die Frage nach dem Einfluss etwaiger Konkurrenz zwischen dem »Rechtspersonal« am Hof des Königs und dem der an-

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zunehmend als Gremium hervor.105 Zusammen mit seinem Rat erscheint der König als Einheit zum Auslegen und Ausgeben von Rechten.106 Der Rat gewann an Bedeutung am Heidelberger Hof und im Reich und muss in dieser Zeit zu einem festen Bestandteil des mit Rechtsangelegenheiten befassten Hofsystems geworden sein. Ungeachtet des offenkundigen Einflusses des Rats ging jegliche Macht von der Autorität des Königs aus. Nur in des Königs Namen, kraft königlicher Gewalt oder Autorität konnte der Rat seine Aktivitäten entfalten. Formulierungen in den Briefen sowohl des Königs als auch der Rechtsuchenden lassen den Eindruck entstehen, als hätten Gerichtsverfahren vor dem König selbst und seinem Rat stattgefunden. Ruprecht scheint mehr und mehr Fälle an sich persönlich gezogen zu haben, die er gleichsam als selbsturteilender Richter mit seinem Rat entschied oder auch seinen Rat entscheiden ließ. Der Rat fungierte bei diesen Verfahren, als sei er Teil eines Gerichts. Der König und sein Geheimer Rat stehen für den sich bereits in dieser Zeit deutlich abzeichnenden Wandel in der Gerichtsbarkeit. Die Theorie in Gestalt der »Verfassung« hinkte der Praxis hinterher. Die »Verfassung« kannte in dieser Zeit den König als selbsturteilenden Richter nicht. Rechtshistoriker subsumieren unter »persönliche Gerichtsbarkeit«. In der Praxis gab es den selbsturteilenden König bereits. Das Manko: Es gab kein Gericht dazu. Es hätte einer Art »Neuen Mainzer Landfriedens« bedurft. Dazu war die Zeit jedoch noch nicht reif. 4. Die Sühneverfahren107 erfreuten sich bei König und Reichsgliedern großer Beliebtheit. Unter dem Oberbegriff Sühneverfahren wird hier der Einfachheit deren Kurien, etwa der kurmainzischen, zu stellen. Den Gedanken an einen rhetorischen Wettbewerb legen Sprache und Argumentationen der »Werbungen« nahe. Zum Mainzer Rat vgl. Ingrid Männl, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz (1250–1440), in: ebd., S. 185–198. 105 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 177, 189, 264, 387, 415. Anders Moraw (wie Anm. 88), der ausschließt, dass sich ein engerer Rat um Ruprecht gebildet hat. 106 Vgl. etwa URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 2: Der König hat die Sache eines Tuchscherers vor sich und seine Heidelberger Gelehrten gezogen, um festzustellen, ob dieser recht habe (»wanne wir die sache vor uns und unsere meister hie zu heidelberg genomen haben zu besehen dartzu der obgenant hans gutgemach recht habe«). Es wurde entschieden, Gutgemach solle bei diesem Recht verbleiben; vgl. auch URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 4, und URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 175. 107 Zu den Vergleichs- und Schiedsverfahren gibt es eine Fülle an Literatur, die hier nicht angeführt werden kann. Vgl. dazu auch Ekkehard Kaufmann, Art. Sühne, Sühneverträge, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte V, 11998, Sp. 72–76, und Wolfgang Sellert, Art. Sühneverfahren, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte  V, 1 1998, Sp. 76 f. Neuere Literatur findet sich in den Beiträgen des Sammelbandes Gerd Althoff (Hg.), Frieden stiften. Vermittlung und Konfliktlösung vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2011, siehe dort insbesondere die Beiträge von Althoff und Kamp. Mit Schwerpunkt auf



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halber die Vielfalt der Methoden, Rechtshändel mit dem Willen der Parteien zu beenden – Vergleichsverfahren und Schlichtungen, Teidinge, Richtungen und Schiedsverfahren nach »Minne oder Recht« – zusammengefasst, ohne dass damit die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Verfahren nivelliert werden sollen. Ein allgemeiner Oberbegriff hat sich weder für konsensuale noch für autoritative Verfahren entwickelt, zumindest keiner, der sich über die Zeitläufte hinweg gehalten hätte. Die mittelalterliche Verwendung des Terminus »suone« oder »suene« reicht von Beilegung, Urteil, Gericht, Versöhnung, Genugtuung über Ruhe bis Freundschaft als Ausdruck für die einzelnen Stadien der Streitbeilegung. Sühne findet man für den konsensualen Vergleich, der sich auch umschrieben findet mit »suene (tedingen) und beredten«, wie für den autoritären Schiedsspruch (»scheidunge und uzspruch«), was nicht zuletzt daran liegen mag, dass viele der komplizierteren Verfahren verschiedene Stufen mit vielen Schiedsund Sühnetagen durchliefen, ehe sie »gentzlich verrichtet und gesuenet« waren. Der Begriff ist definiert von dem erwünschten Ende, dem erstrebten Ziel aller dieser Verfahren her: dem wiederhergestellten Friedens- und Rechtszustand zwischen Streitenden, der Sühne.108 4.1 Auf die Tendenz, Streit außergerichtlich und möglichst über Vergleiche und Schiedssprüche zu beenden, wurde zuvor bei den Ausführungen zu den Ladungsverschiebungen und Mandaten hingewiesen. Die Handhabung der Sühneverfahren war bereits zur Zeit König Rudolfs von Habsburg (1273–1291) so weit gediehen, dass die Ausgestaltung der Urkunde in ein Formelbuch Eingang gefunden hatte.109 Die Verfahren haben sich rasch etabliert, nicht zuletzt wohl deshalb, weil dem mittelalterlichen Beharren auf den eigenen Rechtsstandpunkt mit einem Sühneverfahren, das mit dem und durch den Willen der Parteien zustande kam, ob es nun »Minne oder Recht« folgte, leichter beizukommen war. Bis zur Zeit König Ruprechts hatten sich feste Formalien zur professionellen Handhabung dieser Verfahren ausgebildet. Der Ablauf war durchorganisiert, was bei dem erheblichen Konfliktlösungsbedarf zwischen einzelnen Reichsfürsten wie zwischen Fürsten,

dem Früheren Mittelalter: Hermann Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zu Geschichte, Literatur und Kunst), Darmstadt 2001; Erhard Hirsch, Generationsübergreifende Verträge reichsfürstlicher Dynastien vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte 10), Berlin 2013, S. 113 f. mit Anm. 354. 108 Vgl. Rödel (wie Anm. 12), S. 8 f. 109 Vgl. Das Baumgartenberger Formelbuch. Eine Quelle zur Geschichte des XIII. Jahrhunderts, vornehmlich der Zeiten Rudolfs von Habsburg (Fontes rerum Austriacarum, 2. Abt., Bd. 25), hg. von Hermann Baerwald, Wien 1866, S. 69: Si vero lis non possit terminari nisi per arbitros, tunc talis erit forma.

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Städten und König und bei den »Großvergleichen«, die sich über Jahre hinziehen konnten, unabdingbar war.110 Am Anfang eines Sühneverfahrens stand der Kompromiss der Parteien, die Entscheidung ihres Rechtsstreits einem oder mehreren Schiedsrichtern zu überlassen. Der Wille der Streitgegner spielte in verschiedenen Stadien der von der Qualität her unterschiedlichen Verfahren eine entscheidende Rolle. Beide Seiten bestimmten ihre jeweiligen Schiedsrichter und Schlichter, die in ihrem Sinn und mit ihrem Willen die Entscheidung nach »Minne oder Recht« fällen beziehungsweise die Auseinandersetzung in einem konsensualen Verfahren zu Ende bringen sollten.111 Theoretisch verpflichteten sich die Parteien bei den schiedsrichterlichen Verfahren vorab, das Schiedsurteil anzunehmen, und stimmten dann im Vermittlungsverfahren der erzielten Einigung zu. Dieser grundsätzliche Unterschied gilt für diejenigen Verfahren, in die der König direkt oder indirekt involviert war, jedoch nur bedingt. Es gibt Fälle, bei denen der Übergang zwischen den beiden Verfahrensmethoden fließend war, zumal dann, wenn der König vom Schlichter übergangslos zum Richter wurde und die zuvor konsensuale Schlichtung autoritative Züge annahm. Unter diesem Aspekt sind auch die vom König gebotenen Verwillkürungen und gütlichen Einigungen, bei denen die Autorität des Königs über dem Parteienwillen stand, zu sehen, genauso wie die Verpflichtung der Parteien, eine gütliche, vom König noch zu vermittelnde Entscheidung unverbrüchlich einzuhalten. Daneben gab es auch immer wieder die klare Differenzierung durch den König selbst, wenn er etwa mit »Wissen, Willen und Zustimmung« der Parteien, wie es dann heißt, eine gütliche Übereinkunft traf. Diese Formulierung findet sich aber eben auch dann, wenn sich die Parteien vorab zur Wahrung des Schiedsspruchs verpflichtet hatten.112 4.2 Der König konnte bei den Sühneverfahren sowohl eine aktive Rolle ausüben als auch indirekt an dem Zustandekommen einer Sühne Anteil nehmen. Er griff als Schiedsrichter oder Schlichter selbst ein, sandte seine Räte zur Problemlösung oder bestimmte den Parteien auf deren Bitte hin Schiedsrichter oder einen Obmann. Die Bitte konnte auch einseitig ohne Abstimmung der Streitgegner, also ohne vorherigen Parteienkompromiss, erfolgen – auch dies ein Unterschied zu »gewöhnlichen« Verfahren. Die Parteien verbanden in ihren Briefen an den 110 Beispiele für die folgenden Ausführungen zu den Vergleichs- und Schiedsverfahren lassen sich in großer Zahl den Sachregistern zu URH 15 und 16 (wie Anm. 1) entnehmen (unter »Ausgleich, »Aussöhnung«, »Austrag«, »Einigung«, »Schiedsgericht, -richter, -spruch, -tag, -verfahren«, »Sühne«, »Sühnebrief«, »Sühnetag«). 111 Der Parteienwille scheint bei Verfahren, die der König selbst führte oder delegierte, bisweilen sekundär. Der König konnte den Parteien auch Schiedsrichter bestimmen und die Modalitäten vorgeben. 112 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 319, 437, 411, 179, 378, 484.



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König, in denen die Streitsache klagend vorgebracht wurde, die Bitte um Abhilfe bei Bedrängung oder Streit bisweilen mit dem Ersuchen, der König möge selbst vermitteln, einen Schiedsspruch fällen, seine königlichen Freunde113 und Räte zur Streitbeilegung senden oder Schiedsrichter und/oder den Obmann bestimmen. Die Frage, ob König Ruprecht auf ausdrückliches Ersuchen der Parteien als Schiedsrichter und Schlichter agierte beziehungsweise Schiedsrichter und Schlichter einsetzte oder ob er von sich aus autoritär aktiv wurde und das Prozedere bestimmte, nachdem eine Streitsache dem Hof »vorgebracht« worden war, ist in vielen Fällen nicht zu klären. Schriftliche Kompromisse auf den König sind nur selten erhalten. Dies mag ein Überlieferungsproblem sein, da Verwillkürungsbriefe nach erfolgter oder gescheiterter Sühne für die Parteien und schon gar nicht für den Königshof einen Archivierungswert an sich darstellten.114 Die geringe Zahl solcher Quellen muss jedoch nicht an der lückenhaften Überlieferung liegen. Der König konnte – und dies unterscheidet ihn von gewöhnlichen Schiedsrichtern – eine Partei zum Schiedsverfahren zitieren, nachdem ihm einseitig eine Klage/Beschwerde, verbunden mit einem Kompromiss auf ihn, vorgebracht worden war. Dabei war es de facto unerheblich, ob das Prozedere letztlich dem Grundgedanken der Verwillkürung zuwiderlief. Wer dem »Verwillkürungsgebot« des Königs nicht nachkam oder auch nur einseitig die Bedingungen für die 113 Den Begriff »Freunde« verwendeten die Parteien auch für die von ihnen gewählten und abgesandten Schlichter oder Schiedsrichter, bevorzugt die Städte für ihre Boten/Gesandten bei Schlichtungs- und Schiedsverfahren. Daneben finden sich bei Herrschaft ausübenden Akteuren auch »Getreue« in dieser Funktion. Beide Bezeichnungen bringen sehr deutlich zum Ausdruck, dass man Interessenvertreter und nicht neutrale Vermittler wählte. Überparteilichkeit wurde nur vom Obmann eines Schiedsgerichts erwartet beziehungsweise dieser unter diesem Aspekt von beiden Seiten gewählt oder vom König bestimmt. Das Phänomen der parteigebundenen Vermittler, das Kamp (wie Anm. 105) für die politische Vermittlung und Konsensfindung zwischen Herrschaftsträgern als Entwicklung von der frühen Zeit bis ins 14. Jahrhundert herausarbeitete, hat sich bis weit ins Spätmittelalter gehalten und ist auch für Städte oder Untertanen feststellbar. Die Bezeichnung »Freunde« kommt bereits in der Zeit Karls IV. sporadisch im genannten Sinn vor – etwa URH 10 (wie Anm. 1), Nr. 8, 59 –, mehrheitlich findet sie sich in der Zusammenstellung »Freunde, Helfer und Diener«, die in eine Sühne mit einbezogen werden, oft als Zusammenfassung der vormaligen Fehdehelfer, was die Feststellung der Parteilichkeit bestätigt. Erbat die Partei »Freunde des Königs« als Vermittler, hat sie sicherlich an ihr wohlgesonnene Delegierte gedacht. 114 Entsprechend sind Kompromisse auf den König auch in den »Fallakten« eher nicht zu finden. Gemeint sind die von einer Partei zusammengefügten Abschriften oder Originale von Briefen, Privilegien, Urteilen, Schiedssprüchen und dergleichen, die sie in Streitigkeiten, die sich über Jahre, bisweilen Jahrzehnte hinzogen oder wieder aufbrachen, als Beweise und Verhandlungsgrundlagen gesammelt hatte und in die den Archiven als geschlossene Einheit aufbewahrt sind.

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Schiedsrichter ändern wollte, hatte gravierende Rechtsnachteile zu erwarten.115 Eine Ablehnung wurde von König Ruprecht als Angriff auf seine Herrschergewalt interpretiert. Er reagierte entsprechend bis hin zur Fehdeansage.116 4.3 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier einige Maßnahmen vorgestellt, die der König ergreifen konnte, um Streitigkeiten auf dem Weg der Schlichtung oder durch Schiedssprüche zu beenden oder beenden zu lassen. Hatten die Parteien (oder auch nur eine Partei) dem König Vorschläge zum Prozedere gemacht, so entsprach er in der Regel deren Bitten, solange sie nicht seinen Interessen oder der königlichen Autorität entgegenstanden. Am Anfang all dieser Konfliktlösungen stand immer das Friedensgebot des Königs, das für die Zeit bis zu einer endgültigen Regelung galt, beziehungsweise die Vereinbarung der Parteien, wonach alle bisherigen Streitigkeiten und tätlichen Konflikte ruhen sollten, bis der König selbst oder die von ihm bestimmten oder von den Parteien vorgeschlagenen Vermittler einen Sühnetag abgehalten hätten. Oft war an einem angesagten Sühnetag oder zu Beginn einer Gerichtssitzung117 eine sofortige Streitlösung wegen der Streitsache an sich, der Unnachgiebigkeit oder der mächtigen Stellung der Streitgegner nicht möglich. Der König ordnete dann die Vertagung der bereits anhängigen Sache an, setzte gleichzeitig einen neuen Tag zur Entscheidung nach »Minne oder Recht« oder gar einen

115 So musste der Hofrichter Engelhard auf Gebot König Ruprechts dreimal eine Gerichtssitzung vertagen, um den Parteien die Gelegenheit zum zwischenzeitlichen Ausgleich vor Schiedsrichtern zu geben. Während eine Partei dem königlichen Gebot nachkam, versuchte die andere, die Schiedsrichter mit einem Vorbehalt einzuschränken, und erregte damit den Zorn des Königs, der dies als nicht rechtmäßig ansah, weil Personen, an die man eine Streitsache bringe, nicht durch einseitig festgelegte Bedingungen gebunden sein dürften (»wann nu solich lüde uff die man solich sachen also komet billicher unverdinget sin sollen uff dass das sich ein iglicher wol erfaren und bedenken möge das er ussprechet das den partien bedersyt recht beschehe«). Deshalb machte der König »mit gutem rate und redlicher underwisung siner Rete und doctores die er zu disen sachen die zuverhoren geschickt hatt« alle zuvor ergangenen Hofgerichtsurteile, erwirkten Ladungen und Klagen unwirksam. Hofrichter Engelhard hob deshalb kraft königlicher Gewalt und auf Gebot des Königs diese Urteile ebenfalls auf und bestimmte, dass beide Parteien entsprechend der von Parteienvertretern und königlichen Räten errichteten Sühne gänzlich ausgesöhnt sein sollen. Er setzte eine Poen, vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 81. 116 In einer Auseinandersetzung der Grafen von Nassau mit dem Kölner Erzbischof hatte Letzterer auf den König kompromittiert, der die Grafen aufforderte, ebenfalls auf ihn zu kompromittieren, damit er eine Entscheidung »mit mynne oder mit rechte« herbeiführen könne. Da die Grafen dies ablehnten, sandte er ihnen einen Fehdebrief; vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 31. 117 Ein Sühneverfahren konnte seinen Ausgang auch nach einer Klage und Ladung und im Gericht nehmen, ebd.



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Hofgerichtstag an und legte den Parteien einen zwischenzeitlichen Versuch einer friedlichen Beilegung nahe. Der König konnte die Parteien »per Dekret« zur Verwillkürung bestimmen, Streitigkeiten mit oder ohne Willen der Parteien an Schiedsrichter delegieren, nur den Obmann selbst festlegen beziehungsweise die Letztentscheidung für den Fall der Uneinigkeit der Schiedsrichter in eigener Hand behalten, während die Parteien die Schiedsrichter selbst bestimmten. Er setzte den Parteien eine Frist, Obmann und Schiedsrichter zu bestimmen, diesen wiederum gab er einen Termin zur Entscheidung vor. Bisweilen gebot und sanktionierte er von vorne herein bei gleich welcher ins Auge gefassten Methode die Wahrung der Entscheidung nach »Minne oder Recht«, beurkundete und bestätigte ferner Entscheidungen seiner Räte, von Dritten oder von ihm Delegierten und erteilte Geleit zu den Sühnetagen. Er delegierte Schlichter und Schiedsrichter, komplizierte Streitfälle vor Ort zu untersuchen und zu beenden. Hierfür bevorzugte er, wenn es möglich war, seine Räte. Diese sandte er von sich aus oder auf Anfrage zu Streitenden, um einen friedlichen Ausgleich herbeizuführen. Die Rolle der königlichen Räte bei Sühneverfahren wurde schon gewürdigt. Für den König war es von großem Nutzen, wenn seine Räte angefordert oder von ihm delegiert an Sühneverfahren beteiligt waren. Sie waren ihm verpflichtet, über sie konnte er Einfluss auf den Verfahrensablauf nehmen.118 Hatte der König das Schiedsgericht initiiert, so bestimmte er in der Regel auch Termine und Fristen, trat er selbst als Schiedsrichter auf, so sanktionierte er die Entscheidungen teilweise mit Poen. Bei Sühnetagen vor dem König konnten selten alle Streitpunkte geklärt werden. Dazu waren die meisten der von ihm beizulegenden Fälle zu komplex, zu kompliziert und zu umfangreich sowohl hinsichtlich der Beteiligten als auch der Streitpunkte, zumal wenn den Verhandlungen Fehden mit einer Schar von Helfern auf beiden Seiten vorausgegangen waren. Es wurden sozusagen Rahmenverhandlungen geführt und grundlegende allgemeine Fragen entschieden. Details, die zum Beispiel einer weiteren Beweisaufnahme und der Kenntnis der Gegebenheiten vor Ort bedurften, wurden weiterdelegiert an königliche Räte, an Freunde der Parteien, an Ortskundige und, je nach Stand und Würde der Parteien, an hochrangige Personen.119 Auch in diesen 118 Es dürfte nicht nur die Gelehrsamkeit des Rats Grund für seine Sendung gewesen sein. Schutting (wie Anm. 12), hier S. 82, hat auf die finanziellen Anreize für Schiedsrichter, die nicht umsonst tätig waren, hingewiesen. 119 Als typisches Beispiel wäre hier die vom König entschiedene Streitsache zwischen dem Mainzer Erzbischof und dem hessischen Landgrafen zu nennen. Knapp siebzig Artikel der Streitschrift wurden vom König Punkt für Punkt entschieden oder weiterdelegiert, dann wurde ein weiterer Tag angesetzt, um Erkundungen für ungeklärte Fragen einziehen zu lassen. Trotz des königlichen Einsatzes kam es zu Fehdehandlungen. Danach mussten

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Fällen finden sich strenge zeitliche und verfahrensmäßige Vorgaben. Nicht selten wurde den Parteien die Wahrung des zu fällenden Spruchs oder herbeizuführenden Vergleichs vorab auferlegt. Auch konnten die Parteien jederzeit an ein Gericht zurückverwiesen oder an das Gericht zurückgeholt werden, wenn sich eine oder beide Seiten einer Lösung verschlossen. Die Sühneverfahren selbst fanden sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gerichte statt. Wie mehrfach erwähnt, ergänzten sich die verschiedenen Verfahren und griffen ineinander über. 4.4 Auffällig ist die Neigung der reichsunmittelbaren Städte, zumal der Hansestädte, sich bei Streitigkeiten mit anderen Städten, benachbarten Herren wie Landesherren, vor allem aber bei innerstädtischen Konflikten bereits in einem frühen Stadium an den König um Abhilfe zu wenden, die zumeist zunächst in der Bitte um Vermittlung bestand. Bei der Auseinandersetzung zwischen dem alten und neuen Rat von Lübeck fällt dies besonders ins Auge.120 Dieser Streit, der sich acht Jahre hinzog, soll hier skizziert werden, da sich an seinem Verlauf das Ineinandergreifen der verschiedenen Konfliktlösungsmethoden aufgrund der Reichsferne der Streitparteien exemplarisch darstellen lässt. Lübeck hatte Ruprecht nicht als König anerkannt. Dies änderte sich nach Ausbruch des Konfliktes zwischen dem alten und dem neuen Rat, als man des Königs als entscheidender Instanz bedurfte. Die Bürgerschaft hatte 1408 begleitet neue Streitfragen, entstanden aus den alten, geklärt werden. Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 259 ff., 273; ferner in diese Sache hineinragend die Auseinandersetzungen zwischen den Herzögen von Braunschweig und dem Landgrafen von Hessen mit dem Mainzer Erzbischof; vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 133 f. 120 Zu dem Folgenden vgl. Carl Wehrmann, Der Aufstand in Lübeck bis zur Rückkehr des alten Raths 1408–1416, in: Hansische Geschichtsblätter 8 (1878), S. 101–156; Stadtarchiv Lübeck (7.1-1/01, Interna, Nr. 359); Sascha Möbius, Das Gedächtnis der Reichsstadt. Unruhen und Kriege in der lübeckischen Chronistik und Erinnerungskultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Formen der Erinnerung 47), Göttingen 2011, S.  52  f.; Diestelkamp (wie Anm. 62), S. 67–101; Regesten der Pfalzgrafen am Rhein (1214–1508), Bd. 2: 1400–1410, bearbeitet von Graf Ludwig von Oberndorff, Innsbruck 1912; Nachträge, Ergänzungen und Berichtigungen zum 1. und 2. Bd., bearb. von Manfred Krebs, Innsbruck 1939, Nr. 5369, 5390 ff., 5439 f., 5487 ff., 5604, 5672 f., 5768 ff., 5862 f., 5865, 5867, 5871, 5911, 6024, 6064, 6127, 6133, 6833; Codex diplomaticus Lubecensis. Lübeckisches Urkundenbuch, 1. Abt.: Urkundenbuch der Stadt Lübeck, hg. vom Verein für Lübeckische Geschichte und Alterthumskunde, Teil 5 (um 1400–1417), Lübeck 1877, Nr. 206, 217 ff., 222, 225, 233, 259, 274, 277, 278 f., 298 f., 308, 338, 666, 669, 672; Regesta Imperii, Bd. 11,1: Die Urkunden Kaiser Sigmunds (1410–1437), bearbeitet von Wilhelm Altmann, Innsbruck 1896 (ND Hildesheim 1968), Nr. 1834, 1837, 1840 f., 1941; Die Recesse und andere Akten der Hansetage von 1256–1430, Bd. 5: Hansetage von 1401–1410, bearbeitet von Karl Koppmann, Leipzig 1880 (ND Hildesheim 1975), Nr. 682, 700.



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von heftigen Auseinandersetzungen einen neuen Rat mit Beteiligung der Handwerker gewählt. 14 Mitglieder des alten Rats flüchteten aus der Stadt. Der neue Rat wandte sich an den Königshof, leistete Huldigung, zahlte die seit 1400 ausstehenden Reichssteuern und schob die Schuld für das bisher Versäumte auf den alten Rat. Am 4. Juli 1408 nahm der König Lübeck in seine Huld. Der Ratsstreit mündete in ein langwieriges Verfahren vor dem König selbst, dem Hofgericht, königlichen Delegierten und Vermittlern. Man kann an ihm alle Methoden, den Konflikt zu lösen, studieren. Der alte Rat wies sofort jede Schuld von sich und erwirkte noch am 4. Juli eine Ladung des neuen Rats vor das Hofgericht auf den 5. Oktober. Im August versicherte der König dem neuen Rat, sich nicht mit den Abgeordneten des alten einzulassen, und stellte einen Geleitbrief für den Hofgerichtstag aus. Im September schalteten sich die Hansestädte zum zweiten Mal ein, um den alten Rat vor dem Hofgericht zu vertreten. Schon im Juni hatten sie sich beim König für diesen verwandt. Sie hatten bereits leidvolle Erfahrungen gesammelt mit dem jahrelangen Streit, der sich in der Hansestadt Minden am Verfahren der Ratswahl entzündet hatte121, und drängten immer wieder auf einen Ausgleich. Am 10. Oktober 1408 verschob der König die bis zu diesem Tag aufgehaltene Klage erneut. Ein neuer Tag wurde auf den 25. Juni 1409 terminiert. In der Zwischenzeit wollte Ruprecht eine gütliche Einigung versuchen und bei Misslingen einen Sühnetag unter Teilnahme der Hansestädte noch vor Weihnachten nach Oldesloe bescheiden und dahin seine Räte schicken. Bei Fehlschlagen auch dieser Sühne sollte der bereits angesagte Gerichtstag stattfinden. Die Hansestädte bereiteten sich auf den Tag vor, die Räte wurden abgesandt. Der König hatte im November eigens den Lüneburger Rat gemahnt, die königlichen Räte bei den Verhandlungen zu unterstützen. Im Januar wurde das Gebot wiederholt und wurden zugleich die Mitglieder des alten Rats, die dem König zwischenzeitlich gehorsam und untertänig geworden waren, wieder in Gnaden aufgenommen. Im April forderte der König zahlreiche Städte auf, zum 10. Juni Abgeordnete nach Heidelberg zu senden, wo er den Streit schlichten wollte. Dem neuen Rat teilte er sein Befremden über die gescheiterten Verhandlungen mit und 121 Der Streit um die Ratswahl, die sogenannte Mindener Schicht, der am Pfingstfest 1405 begann und sich bis 1408 hinzog, beschäftigte neben dem König und dem Hofgericht die Stadt Dortmund als Oberhof von Minden, den Bischof von Minden, die Stadt Osnabrück, den Rat von Bremen, die zum Teil im Auftrag des Königs als Richter oder Schiedsrichter aktiv wurden, und die Hansestädte, allen voran Lübeck. Der Streit zog weite Kreise mit Verunrechtungen Dritter durch verbannte Ratsmitglieder. Im November 1406 fällte der königliche Hofrichter ein Urteil wegen des Bruchs der vom König angeordneten Schiedsurteile, am 14. Mai 1407 fällte er ein Achturteil. Der König hob die Acht über Lübeck am 30. November des Folgejahres auf, verfestigte sie aber über einen Teil der Bürger zur Aberacht. Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 321 f. (samt Anm.) sowie Nr. 423, 437, 441, 447, 471 ff., 482, und demnächst URH 17 sub dato.

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forderte ihn auf, bevollmächtigte Boten zu dem Tag nach Heidelberg zu schicken zu einem letzten Güteversuch vor dem Gerichtstag. Im Mai beglaubigte der neue Rat seinen Prokurator beim Hofgericht. Während der alte Rat bereit war, sich der Entscheidung des Königs in »Freundschaft und Recht« zu unterwerfen, beharrte der neue Rat darauf, Recht vor dem Hofgericht nehmen zu wollen. Der König setzte daraufhin einen neuen Gerichtstag auf den 28. Juni an, den er mit Grafen, Herren und Rittern besetzen ließ. In einer langwierigen Hofgerichtssitzung vor dem Hofrichter mit Reden, Gegenreden und Urteilen wurde das einhellige Urteil gefällt, der alte Rat sei in Gewere und Besitz der Stadt einzusetzen, der neue Rat könne sich von den Schadensforderungen des alten Rats binnen zweier Monate durch Eid reinigen. Bereits am ersten Juli bestimmte der König einen weiteren Tag auf den 15. August nach Hamburg zu einem neuerlichen Sühneversuch mit seinen Räten. Der neue Rat lehnte diesen als nicht nötig ab. Am 19. August forderte Hofrichter Engelhard von Weinsberg die Mitglieder des neuen Rats auf, dem alten Rat den Schaden zu ersetzen, der diesem durch ihren Ungehorsam gegenüber dem Hofgerichtsurteil, ihre Sühneverweigerung und weitere Untaten entstanden sei. Von des Königs Gewalt und von Hofgerichts wegen gebot Hofrichter Engelhard, den Mitgliedern des alten Rats entsprechend den Urteilen Genüge zu tun, den Schaden zu ersetzen und die Klage des alten Rats damit abzuwenden oder aber sich an dem nächsten Hofgerichtstag gegen die Klagen zu verantworten. Am 22. Oktober bestätigte der neue Hofrichter Graf Johann von Wertheim das Urteil seines Vorgängers mit Urteil und gebot Hilfe für den alten Rat. Die Hansestädte waren über die Verhältnisse in Lübeck mittlerweile in großer Sorge. Der deutsche Kaufmann zu Brügge warnte eindringlich wegen des Schadens und der Gefahr, die aus dem Widerstand des neuen Rats entstehen könnten, und beraumte eine Tagfahrt für alle westfälischen, livländischen und preußischen Städte sowie Dortmund an. Deren Vermittlungsbeschluss – unter anderem bestehend aus der Forderung, dass der König einen neuen Rat einsetzen solle – wurde abgelehnt. Die Hansepartner Lübecks mahnten in der Folgezeit mehrfach vor der Gefahr durch einen Hofgerichtsprozess und lehnten jede Verantwortung für das Verhalten des neuen Rats ab. Am 21. November schaltete sich der König erneut ein, setzte dem neuen Rat eine Frist zur Aussöhnung mit dem alten und erklärte, die Achtverkündung bis dahin auszusetzen. Am gleichen Tag beurkundete der Hofrichter das Urteil, dass der alte Rat in Besitz und Nutzgewere der Stadt einzusetzen sei, und gebot, diesem behilflich zu sein, bis der Schaden bezahlt sei. Am 21. Januar 1410 verkündete König Ruprecht über alle Einwohner Lübecks, die älter als 14 Jahre waren, die Reichsacht samt allen Folgen und gab dies den Reichsfürsten bekannt. Noch immer gab es Vermittlungsversuche – unter anderem von dem Herzog von Braunschweig –, die jedoch am neuen Rat abprallten.



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Die Vermittler zogen daraus die Konsequenz und verboten entsprechend dem Urteil jeglichen Verkehr mit der Stadt. Es gab Bürger, die ihr Bürgerrecht aufgaben und wegzogen, um ihren Gehorsam gegenüber Reich und Hofgericht zu bekunden, wie sie dem König vermeldeten. Am 2. März gab König Ruprecht eine öffentliche Darlegung des gesamten Streitablaufs mit allen Vermittlungsversuchen und Urteilen zur Kenntnis. Er gebot, dem neuen Rat keinen Glauben zu schenken und dem alten Rat behilflich zu sein, dem Reich und dem Hofgericht zu Ehren. Am 1. April warnten die preußischen Städte die Stadt Lübeck, ihnen seien die Briefe des Königs vorgelesen worden. Sie rieten eindringlich zur Aussöhnung mit dem alten Rat. Der Kaufmannschaft erwachse sonst großer Schaden, sei doch Lübeck Haupt des Gemeinen Kaufmanns. Anderenfalls sei zu befürchten, dass der Hochmeister den Briefen des Königs gehorchen müsse, was eine große Gefahr mit sich bringe. Das Ende des Streits erlebte König Ruprecht nicht mehr. Sein Nachfolger König Sigismund hob die Acht in einem seltsamen Geschäftsakt 1415 »pfandweise« zunächst auf, ließ den Brief dann 1416 von seinen bevollmächtigten Räten einziehen und den alten Rat wieder einsetzen.122 Ein Paradebeispiel für Städte, die den König bei Streitigkeiten mit umliegenden Herren und Landesherren gerne anriefen, ist die Messestadt Frankfurt am Main. Eine Konfliktlösung durch die königliche Autorität war der Eigenhilfe, die diese streitbare Stadt durchaus nicht scheute123, allemal vorzuziehen. Man konnte sich hinter der königlichen Entscheidung »verstecken«, stieß Handelspartner wie auch die für das Messegeleit wichtigen Herren und Landesherren weniger vor den Kopf und vermied neue Nebenkriegsschauplätze. Allerdings wurde diese Hilfe nicht selten erst am Ende von einer der vielen Fehden mit den zahllosen Gegnern und deren Helfern zur Entwirrung der Streitigkeiten gesucht. Eine schnelle Lösung war dann schon allein wegen der Vielzahl der Streitpunkte und Gegner sel122 Vgl. Friedrich Bernward Fahlbusch, Städte und Königtum im frühen 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte Sigmunds von Luxemburg (Städteforschung, Reihe A 17), Köln 1983, S. 92–95, 102. 123 Der Grundsatz der Stadt, Bürgergut außerhalb Frankfurts zugunsten bedrängter Bürger vehement zu schützen, brachte die Stadt in Gegensatz zu vielen hessischen Herren, nicht wenige davon Amtsleute des Mainzer Erzbischofs. Orth zählte über zweihundert Fehden, die Frankfurt in der Zeit zwischen 1381 und 1425 führte: Elsbet Orth, Die Fehden der Reichsstadt Frankfurt am Main im Spätmittelalter. Fehderecht und Fehdepraxis im 14. und 15. Jahrhundert (Frankfurter Historische Abhandlungen 6), Wiesbaden 1973, hier S. 163; dies., Stadtherrschaft und auswärtiger Bürgerbesitz. Die territorialpolitische Konzeption der Reichsstadt Frankfurt im späten Mittelalter, in: Hans K. Schulze (Hg.), Städtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit (Städteforschung, Reihe A 22), Köln/Weimar/Wien 1985, S. 99–156.

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ten möglich124. Die städtische Kanzlei hat, wie es scheint, in dem »Fall Schelriß« eine Art »Amtshilfe« für die Reichskanzlei geleistet.125 4.5 Einen Sonderfall bilden die Sühneverfahren, an denen der König als Partei beteiligt war. Sie pflegten kompliziert, umfangreich und langwierig zu sein. Zu nennen sind die Verhandlungen nach einem erfolgreichen Kriegszug gegen den Markgrafen von Baden, bei denen der König den Vergleich mehr oder minder diktieren konnte. Nach dem Vergleichsabschluss mit detaillierten Beurkundungen mussten der Erzbischof von Köln wie auch die königlichen und markgräflichen Räte noch einmal vergleichend eingreifen.126 Das Ringen um die Form der Verhandlung wie auch die raffiniert geführten Verhandlungen der königlichen Räte lassen sich an der Streitsache zwischen dem Bischof, dem Domkapitel und der Stadt Straßburg verfolgen. Auch hier war der König Partei, wenn er auch nicht als solche in Erscheinung trat.127 Hier wären auch die Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern des Marbacher Bundes zu nennen.128 4.6 Ein letzter Punkt sei noch erwähnt. In unseren Quellen findet sich eine strikte Unterscheidung zwischen den Verfahren nach »Minne« oder nach »Recht«. Die Formel »Minne und Recht« widerspricht dem nicht. Sie besagt lediglich, dass der Schiedsrichter durch den Kompromiss die Entscheidung darüber erhielt, die Sache nach beiden Methoden zu beenden. Dem Minneverfahren wurde Vor124 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 9–11, 37, 48, 53, 55, 56, 63–65, 76–78, 80, 83, 91, 108, 174, 177, 178. 125 In dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt (Bestand Reichssachen 763) befinden sich zahlreiche Originalbriefe des Königs zu dem »Fall Schelriß« (vgl. zu Anm. 79), die nicht an Frankfurt adressiert waren. Es ist denkbar, dass Königsbriefe womöglich in Frankfurt entworfen wurden, einige Kopien von Königsbriefen wirken wie Entwürfe. Nicht allein, dass Mandate des Königs von der städtischen Kanzlei vorformuliert wurden, über die Frankfurter Gesandten lief auch die Verteilung von königlichen Mandaten an Streitgegner Frankfurts wie Schiedsvorschläge des Königs. Frankfurt war Knotenpunkt des Briefverkehrs zu und von dem König. Der Stadt war es erlaubt, Briefe der Gegenseite aufzubrechen und dann an den König weiterzuleiten, vgl. URH 15 (wie Anm. 1), S. LIX. In einem der ersten Briefe in dem Fall hatte sich Frankfurt an den königlichen Kanzler Raban und den Hofgerichtsschreiber Kirchen gewandt. Letzterer war der Stadt seit der Zeit Königs Wenzels ein guter Freund. Frankfurt hielt in den letzten Tagen Wenzels unverdrossen den Kontakt zu diesem und seinem Hof, nicht ohne Vorteile davon zu haben, vgl. URH 14 (wie Anm. 1), S. XIII und Nr. 280 f. Raban wiederum nannte den Frankfurter Schreiber Peter von Gelnhausen, der von Schelriß gefangen worden war, seinen Freund, vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 251. 126 Vgl. ebd., Nr. 314, 317, 323 f., 328–338 und 421. 127 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 181, 191, 209. 128 Vgl. Anm. 94. Es wäre lohnend, diesen wichtigen Fall näher zu erörtern, was hier nicht möglich ist. Seiner Dimension wäre eine eigene Untersuchung angemessen. Eine ausführliche Darstellung findet sich in der Einleitung zu URH 16 (wie Anm. 1), S. XVII–XXV.



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rang eingeräumt, da eine einvernehmliche Lösung zwischen den Parteien erfolgversprechender und »nachhaltiger« war, um ein politisch beliebtes Wort zu gebrauchen. Die beiden Verfahrensmethoden mussten nicht getrennt werden, man konnte sie sozusagen nacheinander »abarbeiten«. Sollte ein Vergleich nicht gelingen, war der Obmann aufgrund der umfassenden Formulierung berechtigt, eine bindende Entscheidung nach Recht zu treffen. Die Entscheidungsfindung fand oft in Nachahmung des Gerichtsverfahrens statt, indem die Schiedsrichter einer jeden Partei ein Urteil (einen Urteilsvorschlag) aussprachen und der Obmann aufgrund der Beweisaufnahme und der Urteile die endgültige Entscheidung »nach Recht« fällte. Die Formulierung, ein Urteil sei »nach Recht« oder auch »nach der Strenge des Rechts« zu fällen, deutete in dieser Zeit nicht zwingend auf ein (Hof-)Gerichtsurteil hin. Auch Schiedsurteile konnten mit/nach der Strenge des Rechts – und bisweilen im Gericht – gefällt werden.129 5. Verschriftlichung der einzelnen Stadien der Sühneverfahren. Da Streitigkeiten in dieser Zeit, zumal nach großen Fehden und zwischen Großen des Reichs, umfassend bis ausufernd zu sein pflegten und die Beweisaufnahme und die Entscheidung immer komplizierter und umfangreicher wurden, führte man zur Bewältigung der Aufgaben zunehmend eine schriftliche Fixierung der Parteienforderungen und schriftliche Anweisungen an die Freunde ein. Es finden sich solche Instruktionen, Klage- und Antwortschriften sowie Gedächtnisse in großer Zahl.130 1406, bei der Auseinandersetzung zwischen dem König und dem Marbacher Bund, waren diese Schriften schon zur Selbstverständlichkeit geworden.131 Der König, die Schlichter und Schiedsrichter erwarteten von den Parteien, dass ihre Klagen und Forderungen vor Beginn des Verfahrens schriftlich formuliert vorlagen.132 Je umfassender und komplizierter ein Fall war, desto unabdingbarer war diese Methode, damit die Schiedsrichter sich einen Überblick verschaffen, gegebenenfalls Rechtsberatung einholen und sich so auf das Verfahren vorbereiten konnten. An diesen Klageschriften und Instruktionen haben sich die Schiedsrichter dann sprichwörtlich Punkt für Punkt entlang gearbeitet. Bei den großen Schiedstagen zwischen mehreren Parteien mit zahllosen Streitfragen war es zudem Usus geworden, die Klagen in Schriftform der jeweiligen 129 Im 13. Jahrhundert dagegen scheint die Drohung, es werde nach der Strenge des Rechts gegen Parteien vorgegangen, falls sie sich nicht friedlich einigten, noch eindeutig die Androhung eines hofgerichtlichen Verfahrens zu beinhalten, vgl. Rödel (wie Anm. 12), S. 134 f. 130 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 76 f., 136 f., 145, 150 f., 175, 257 ff., 273, 181, 306, 421, 432, 435, URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 7, 39, 87, 137, 169 f., 234, 274, 313 f., 324, 353, 356, 361, 374, 377 f., 400, 407. Viele der Anweisungen des Königs sind im dem Registerbuch (1399–1408) im Generallandesarchiv Karlsruhe (67/950), erhalten. 131 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 362. 132 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), Nr. 181, 258 mit Anm. 3.

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Gegenseite vorab zukommen zu lassen. Diese konnte darauf aufbauend schon eine Verteidigungsschrift verfassen. Nach einem Kurzzitat der jeweiligen Klageforderungen der Gegenseite wurden diese Punkt für Punkt beantwortet, und zwar in Rede- und Gegenredemanier. Klagen und Gegenklagen wurden diese Schriften in Nachahmung der Diktion des Hofgerichtsprozesses oft genannt. Auch während laufender Verhandlungen forderten die Räte des Königs eine Abschrift der gerade vorgebrachten Klagepunkte oder der Klageschriften der Gegenseite ein.133 Die schriftlichen »Instruktionen« der Parteien waren Anweisungen an ihre Räte und Freunde und dienten diesen als Vorlage für eine stringente Argumentation bei den Prozessen, offenbar aber auch als Hinweis auf die Grenzen ihrer Kompetenz.134 Die Gedächtnisse, Werbungen und Instruktionen des Königs, die er für seine Gesandten zu den Verhandlungen mit dem Marbacher Bund und zur Rechtfertigung seiner Klagen anfertigen ließ, und die Klageschriften der Parteien sind außerordentlich aufschlussreich nicht nur über den Verfahrensablauf an sich, sondern auch über die gesonderte Behandlung der einzelnen Klage- und Streitpunkte. Dass die gelehrten Räte des Königs und vor allem die juristisch geschulten Räte des Mainzer Erzbischofs135, die an diesen Verfahren beteiligt waren, zu der Professionalisierung beigetragen haben, darf aufgrund einiger Quellenstellen und vor allem der rhetorischen und juristischen Finesse der Argumente angenommen werden.136 Die »Verwaltungs«-Rationalität, die Paul-Joachim Heinig in der Praxis Friedrichs III. und seines Hofs erkannte, die Beweiserhebung für die Verhandlung vor dem Kammergericht und dergleichen zu delegieren137, war auch zur Zeit Ruprechts bereits weit fortgeschritten. 133 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 362. 134 Gerade städtische Gesandte wiesen in Vergleichsverfahren immer wieder einmal darauf hin, dass sie für bestimmte Punkte keine Anweisung hätten, vgl. etwa ebd., Nr. 210. 135 Zu den gelehrten Juristen in Mainzer Diensten und ihre Verwendung in diplomatischen Missionen vgl. Ingrid Männl, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz (1250–1440), in: Recht und Verfassung am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, I. Teil: Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1994–1995 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge. 228), Göttingen 1998, S. 185–198, hier S. 191. Literatur zu gelehrten Juristen und ihrer Rolle im Modernisierungskomplex der Rechtskultur bei Sigrid Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Teil  1: Darstellung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 26), Köln/Weimar/Wien 2011, S. 62 mit Anm. 50. 136 Vgl. URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 361 f., 374, 376 f. 137 Heinig (wie Anm. 6), S. 18.



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Die zunehmend juristische Argumentationsweise bei den Instruktionen und Gedächtnissen führte zu vermehrter Rationalität bei den Verfahren. Die Schriften dienten nicht nur zur Dokumentation der Rechtsstandpunkte und Rechtsmeinungen zu strittigen Fragen, sie wurden auch als »Streitschrift«, als politisches Instrument eingesetzt, wie ganz deutlich bei den Auseinandersetzungen zwischen König und Marbacher Bund zu sehen ist.138

IV. Stand und Herkunft der Parteien Wagt man den vorsichtigen Versuch, die Parteien, die im Hofgericht, vor dem König als selbsturteilendem Richter (und seinem Rat) oder vor diesem als Vermittler und Schiedsrichter auftraten oder die von delegierten Vermittlern oder Schiedsrichtern befriedet wurden, nach Stand, Würde oder geographischer Herkunft zu quantifizieren, kann man allenfalls Tendenzen diagnostizieren. Eindeutig feststellen lässt sich lediglich, dass man am Hof, wie zu erwarten war, der Justitia delegata den Vorzug bei Streitsachen gab, die in entfernten bis abgelegenen Reichsgebieten zu erkunden oder zu beenden waren. Ähnliches gilt für Streitigkeiten in Fehdegebieten oder nach ausufernden Fehden. Die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens bedarf keiner Erklärung. Oftmals bat in diesen Fällen eine Streitpartei den König um Absendung seiner Räte. Ranghohe Reichsangehörige sahen die persönliche Jurisdiktion des Königs als ihnen gemäß an, so wie auch der König diese Fälle zu seiner Angelegenheit machte. Dies schloss nicht aus, dass diese Streitsachen in einem Achtverfahren vor dem Hofgericht endeten beziehungsweise eine Zwischenstation nahmen. Die Auseinandersetzungen der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg mit den Grafen von Everstein und den Herren zur Lippe sind ein anschauliches Beispiel für die Verwobenheit der Verfahren. Bei Konflikten zwischen dem König und Reichsgliedern hatte das Hofgerichtsverfahren praktisch nur noch als Androhung für den Fall, dass es zu keiner Einigung kam, einen festen Platz – wobei Stellung und Macht des königlichen Gegners bei gleich welcher Streitbeendigungsmethode Rücksicht fanden. Kam hier ein Vermittler ins Spiel, so bot es sich an, einen von hohem Rang zu wählen, da ein solcher den herbeigeführten Konsens am ehesten garantieren konnte. Der Kölner Erzbischof genoss beispielsweise das Vertrauen des Königs und der Großen des Reichs. Er war mehrfach, gerade bei den Auseinandersetzungen des Königs mit dem Marbacher Bund, vermittelnd tätig. 138 Der König wie auch der Mainzer Erzbischof haben diese Schriften nicht nur den Mitgliedern des Bundes zukommen lassen, sondern ließen sie im Reich verbreiten, wie sich an der archivalischen Überlieferung ablesen lässt.

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Die Parteien, die sich an den König wandten oder von diesem in ein Verfahren gezogen wurden, sind bezüglich Stand und geographischer Herkunft weit gefächert: Von dem Pfleger von Hohentrüdingen über die Markgrafen von Hachberg bis zu den Herzögen von Berg und Braunschweig, von Bürgern der schwäbischen Städte über solche aus dem äußersten Westen wie aus Metz oder aus St. Truiden und Maastricht im Nordwesten bis hin zu den Hansestädten im Norden wie Lübeck und im Nordosten wie Minden sind alle vertreten.139 Weitere Aussagen bedürften einer Vertiefung, die hier nicht zu leisten war.

V. Fazit Die Praxis des »Justizalltags« des Königs zeugt nicht nur von der Routine bei der Abwicklung der Verfahren, sondern spiegelt auch die schier unerschöpfliche Bandbreite der Methoden zur Lösung von Konflikten wider. Es stand dem König zur Beendigung einer jeden Streitfrage – zumindest theoretisch – ein adäquates Mittel zur Verfügung, als Richter, als Schiedsrichter oder Schlichter, über Mandate oder mittels Delegation richterlicher, schiedsrichterlicher und schlichtender Funktionen an seine Räte oder an von den Parteien Erwünschte – und immer deutlicher hervortretend als selbsturteilender Richter im Kreise seines »Geheimen Rats«. Es gab Interaktionen zwischen den gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren und denen nach »Minne und/oder Recht«. So war etwa ein Wechsel vom Gericht zu Schiedsrichtern und umgekehrt jederzeit möglich. Die Übergänge während der verschiedenen Stadien der Prozesse waren fließend, und zwar in beide Richtungen. Die Maßnahmen, die der König ergriff, die Mittel, die er wählte, nachdem eine Klage oder Beschwerde vorlag, waren abhängig von der Qualität und dem Stadium eines Streits, dem Stand der Parteien, von den jeweiligen Einflussmöglichkeiten des Königs und den politischen Rahmenbedingungen. Das Vorgehen am Hof war bewusst unter dem Aspekt der Optimierung der Erfolgschancen auf den jeweiligen Fall abgestimmt. In dieser Hinsicht lassen sich ein gewisser Pragmatismus wie auch eine Versachlichung am Hof Ruprechts ausmachen, was sowohl zu einer Ausdehnung des Aktionsradius als auch zur Mehrung der Handlungsoptionen beitrug.

139 Ungeachtet der Versuche des Königs, über diese Streitigkeiten Einfluss auf den Norden zu gewinnen, ist nicht zu verkennen, dass sein Interessen- und Wirkungsbereich auf die traditionellen Kerngebiete ausgerichtet war.



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Die Produktivität der Ruprechtschen Kanzlei mit der großen Menge der dahinter stehenden Verwaltungsvorgänge und rechtsrelevanten Aktivitäten zeugt für den Bereich der königlichen Rechtstätigkeit von der Effizienz des »Regierungsapparats« als Teil des Hofsystems. Dank der herausragenden Persönlichkeit des Johann Kirchen war die Hofgerichtskanzlei modern und effizient organisiert. Bestrebungen, auch das Hofgerichtsverfahren unter Wahrung des traditionellen Verfahrens zu modernisieren, sind zumindest nicht auszuschließen. Die Verschriftlichung bei den außergerichtlichen Verfahren nahm stetig zu und war bei den Sühneverfahren zwischen Großen des Reichs oder des Königs mit Großen des Reichs zum Standard geworden. Neben dem praktischen Vorteil, der Erleichterung bei der Abwicklung der Verfahren, haben sie der gelehrten Argumentationsweise die Tür geöffnet. Es war von erkennbarem Nutzen für die Parteien, den Text von versierten Rechtskundigen formulieren zu lassen. König Ruprechts Grundanliegen, Kontrollrechte über die Gerichte im Reich auszuüben140, dokumentiert sich unter anderem in den sogenannten »Ruprechtschen Fragen« von 1408 zu den Vemegerichten. Ausgelöst wurde das Interesse Ruprechts sicherlich durch konkrete Fälle der Missachtung der königlichen Jurisdiktionsgewalt durch Freigerichte.141 Vier westfälische Freigrafen kamen an den Hof nach Heidelberg, wo Hofgerichtsschreiber Johann Kirchen die Fragen und Antworten entgegennahm.142 Ernst Schubert mutmaßt, Ruprecht habe mit der Förderung der Feme auch ein »Stück Reichsreform verfolgt« und darauf abgezielt, die Friedensrichter für die königliche Rechtswahrungspflicht einzusetzen.143 Die Aufzeichnung selbst wird zusammen mit der »Hofgerichtsordnung« von 1409,

140 Dieses Kontrollrecht wurde auch bei Verfahrensrügen ausgeübt, vgl. Diestelkamp (wie Anm. 5), S. 141. 141 Vgl. etwa URH 16 (wie Anm. 1), Nr. 75. 142 Vgl. Theodor Lindner, Die Feme. Geschichte der »heimlichen Gerichte« Westfalens. ND der 2. Auflage von 1896 mit einer Einleitung von Wilhelm Janssen, Paderborn 1989, S. 212 ff. Die Fragen sollten unter anderem die Stellung der Freigrafen zum König und die Autorität des Königs über die westfälischen Vemegerichte klären. Die Antworten waren in dieser Hinsicht weitgehend befriedigend für den König. In der Praxis jedoch nahmen die Übergriffe der Freigerichte und damit die Zuständigkeitskonflikte im Laufe des 15. Jahrhunderts zu, ohne dass dem mit entsprechenden königlichen Privilegien oder Mandaten beizukommen gewesen wäre. Näheres bei Bernhard Diestelkamp, Das Königliche Hofgericht unter Karl IV., Wenzel und Ruprecht und die Veme, in: Rechtsgeschichte Interdisziplinarität. Festschrift für Clausdieter Schott zum 65. Geburtstag, Bern 2001, S. 3–14, hier S. 8–13; Schubert (wie Anm. 7), S. 154  ff.; vgl. auch Johanna Naendrup-Reimann, Karl IV. und die westfälischen Femegerichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 114 (1978), S. 289–306, hier S. 305 f. 143 So Schubert (wie Anm. 3), S. 154 f.

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ebenfalls aus der Feder Kirchens, auch als Ansatz zur Schaffung einer Gerichtsordnung gedeutet.144 »Ruprecht war ein gescheiterter König«, fasst Peter Moraw sein Urteil über den Pfälzer zusammen.145 Er sei das Symbol eines Herrschers ohne »langfristige staatlich weiterentwickelnde oder auch nur staatlich stabilisierende Zielsetzung und Wirkung«.146 Alois Gerlich war immerhin bereit, König Ruprecht eine Position im Vorhof der Reichsreformbewegung einzuräumen.147 Auch die jüngste Forschung von Oliver Auge kann »Alles in allem keine prächtige Bilanz« finden, wenn auch »Licht auf die Schattenseite« falle.148 Aus den beiden für die Zeit 1400–1406 vorliegenden Bänden der URH lässt sich ein recht prägnantes und facettenreiches Bild von König Ruprecht als dem »Obersten Richter« des Reichs gewinnen. Die Fülle der Quellen ermöglicht einen differenzierten Blick auf Art und Qualität der inner- und außergerichtlichen Konfliktlösungen durch den König, sein Hofgericht und seinen Geheimen Rat, 144 Vgl. Friedrich Battenberg, Von der Hofgerichtsordnung König Ruprechts von 1409 zur Kammergerichtsordnung Kaiser Friedrichs III. von 1471, in: ders., Beiträge zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Reich im 15. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 11), Köln/Wien 1981, S. 21–81, hier S. 28 ff. Sie ist ein weiterer Beleg für das große Interesse Kirchens an Verfahrensregeln und der schriftlichen Fixierung des Rechts- und Gerichtswesens am Hof. 145 Dieses scharfe abschließende Urteil von Peter Moraw, Ruprecht von der Pfalz – ein König aus Heidelberg, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 149 (2001), S. 97–110, hier S. 99 f. und S. 104 f., über den Pfälzer wiegt umso schwerer, als Moraw sich mehrfach mit diesem König auseinandergesetzt hat. Zu dem wenigen Positiven, das er Ruprecht abgewinnen kann, zählt er die Ausbildung, Verwissenschaftlichung und Modernisierung der Kanzlei. 146 In einer Reihe dreier Generationen Herrscher zwischen dem Ende des »karolingischen Systems«, der Zeit starker Herrschaft bis um 1384 und dem Beginn des Reichstagszeitalters um 1470, so Moraw (wie Anm. 143), S. 107 f. 147 »[…] und sei es nur, weil er entweder selbst erkannte, auf welchen Wegen man nicht weiterkommen könne[,] oder sein Verhalten und seine Maßnahmen Lehrstücke boten, wie man es anders machen müsse, um das Reich nicht zerfallen zu lassen«, ist das Fazit von Gerlich im Zusammenhang mit der Handhabung der Landfriedenspolitik durch Ruprecht. Ruprecht habe »wohl als erster in der Reihe der spätmittelalterlichen Reichsoberhäupter den Verfassungswandel erkannt, durch den Reichslandfrieden alten Stils obsolet geworden waren, aber noch keine Institutionen bestanden, die einer Normierung und Überwachung dienen konnten«, stellt Gerlich in diesem Zusammenhang weiter fest. Alois Gerlich, König Ruprecht von der Pfalz (1352–1410), in: Hartmut Harthausen (Hg.), Pfälzer Lebensbilder, Bd. 4 (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 80), Speyer 1987, S. 9–60, hier S. 34. – ders., Habsburg – Luxemburg – Wittelsbach im Kampf um die deutsche Königskrone. Studie zur Vorgeschichte des Königtums Ruprechts von der Pfalz, Wiesbaden 1960. 148 Auge (wie Anm. 8), S. 185.



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auf die Vielfalt der Methoden und Mittel zur Konfliktlösung, die Bandbreite an vorgebrachten Streitfragen wie an Rechtsuchenden, auf die geographische Ausdehnung seines Wirkens. Ruprecht von der Pfalz herrschte nur knapp zehn Jahre. Die Bände 15 und 16 der URH umfassen 924 Regesten. In Band 17 werden nach jetzigem Stand über 500 Regesten aufgenommen werden. Diese zehn Jahre werden also mit über 1400 Nummern dokumentiert sein. Nimmt man die mehr als doppelt so lange Regierungszeit Wenzels und die 1684 Regesten in den Bänden 11–14 zum Vergleich, so sprechen die Zahlen für sich. Es gab zum einen eine deutliche Zunahme an Rechtsgeschäften, die sich dann ab dem zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts stetig und enorm vergrößern sollte. Es gab aber eben auch eine stärkere Zuwendung zu König Ruprecht als Richter, Schlichter und Schiedsrichter. Art und Weise der Wahrnehmung der zentralen Herrschergewalt durch diesen König könnten zu einer Revision, zumindest einer Relativierung des mehrheitlich negativen Urteils über ihn führen. In den zahlreichen Kompromissen kommt nicht nur der Respekt der Parteien, die aus allen Ständen kamen, gegenüber der obersten Richtergewalt dieses Königs zum Ausdruck, sondern auch die Anerkennung seiner rechtlichen Kompetenz und der seines Geheimen Rats. Die anspruchsvolle und »staatstragende« Aufgabe der Rechts- und Friedenssicherung »bot gleichsam als Klammer des politischen Gebildes Reich jedem König Gestaltungsmöglichkeiten für seine Herrschaft«.149 Ruprecht scheint willens und fähig gewesen zu sein, diese Gestaltungsmöglichkeit kreativ zu nutzen und auszubauen. Es zeichnen sich nicht nur »modernere« Strukturen der Rechtssicherung ab, König Ruprecht hat sie offenkundig bewusst gefördert, nutz- und gewinnbringend auch für seine Machtposition.150 War Ruprecht von der Pfalz wirklich so machtlos und rückwärtsgewandt, wie von der Forschung dargestellt?

149 Vgl. URH 15 (wie Anm. 1), S. XVIII. 150 Man wird die Feststellung von Heinig (wie Anm. 6), S. 18, der Versuch der Stärkung seines Einflusses mittels Gerichtsbarkeit sei eine Komponente der Regierung Friedrichs III. gewesen, mit den Einschränkungen, die sich aus der vergleichsweise kurzen Regierungszeit und den deutlich anderen Bedingungen, denen Ruprechts Herrschaft unterlag, auf Ruprecht von der Pfalz ausdehnen können.

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Krieg, Diplomatie und Recht: Die englisch-hansischen Konflikte 1468–1603 I. Einleitung. II. Erste Momentaufnahme: Der Utrechter Frieden (1474). III. Zweite Momentaufnahme: Verhandlungen während der 1550er-Jahre. IV. Dritte Momentaufnahme: Die Endphase – Lobbying bei den eigenen politischen Institutionen. V. Fazit.

I. Einleitung Die englisch-hansischen Beziehungen1 bieten eine Vielfalt von historischen Vorgängen, die über einen langen Zeitraum darstellen, wie in internationalen wirtschaftlichen Konflikten eine gewaltsame, gegebenenfalls kriegerische Lösung vermieden werden konnte – abgesehen davon, dass das wichtigste Beispiel der 1 Die wichtigsten Monografien der letzten 25 Jahre sind (in chronologischer Reihenfolge): Terrence Henry Lloyd, England and the German Hanse, 1157–1611. A study of their trade and commercial diplomacy, Cambridge 1991; Stuart Jenks, England, die Hanse und Preußen. Handel und Diplomatie 1377–1474, 3 Bde. (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Neue Folge 38), Köln/Wien 1992; John D. Fudge, Cargoes, Embargoes, and Emissaries. The Commercial and Political Interaction of England and the German Hanse 1450–1510, Toronto 1995; Nils Jörn, »With Money and Bloode«. Der Londoner Stalhof im Spannungsfeld der englisch-hansischen Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Neue Folge 50), Köln/Weimar/ Wien 2000. Die Bibliografien dieser Monografien bieten eine fast vollständige Übersicht der wissenschaftlichen Literatur zum Thema. Kürzere Übersichten in: Eleonora M. Carus-Wilson, Die Hanse und England, in: Hanse in Europa. Brücke zwischen den Märkten, 12.–17. Jahrhundert. Ausstellung des Kölnischen Stadtmuseums 9. Juni bis 9. September 1973, Köln 1973, S. 85–106; dies., The German Hanse in the Economy of Medieval England, in: Paul Kluke/Peter Alter (Hg.), Aspekte der deutsch-britischen Beziehungen im Laufe der Jahrhunderte. Ansprachen und Vorträge zur Eröffnung des Deutschen Historischen Instituts London. Aspects of Anglo-German Relations through the Centuries. Addresses and Papers given at the Opening of the German Historical Institute London, Stuttgart 1978, S. 14–23; Stuart Jenks, Der Englandhandel. Erfolge und Rückschläge, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos. Eine Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte in Verbindung mit der Vereins- und Westbank, Lübeck 1989, Bd. 1, S. 68–73; Alain Wijffels, Le déclin de la Hanse au fil des négociations avec l’Angleterre (1474–1604), in: Jean-Marie Cauchies (Hg.), Rencontres de Calais (20 au 23 septembre 2012): Négociations, traités et diplomatie dans l‘espace bourguignon (XIVe–XVIe siècles) (Publication du Centre européen d’études bourguignonnes [XIVe–XVIe s.] 53), Neuchâtel 2013, S. 275–289.

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englisch-hansischen Auseinandersetzung, ein Krieg zwischen den beiden Parteien, kaum als eine Art Konfliktlösung betrachtet werden kann.2 Zugleich zeigen die sich besonders seit dem Ende des 14. Jahrhunderts immer wiederholenden Spannungen und Streitigkeiten zwischen England und der Hanse, dass die Vorbeugung oder Bändigung gewaltsamer Konfrontationen noch nicht ausreichte, um einen langfristigen strukturellen (Interessen-)Konflikt zu lösen. Es kann dann höchstens von einer immer wieder neuen, relativ friedlichen Konfliktsteuerung die Rede sein. Charakteristisch für das Spannungsverhältnis waren sowohl die wirtschaftliche Konkurrenz als auch die Handelsrivalität zwischen den hansischen und englischen Kaufleuten. Politisch stellte sich das Verhältnis nicht immer ganz symmetrisch dar. Im Allgemeinen war die Spannung zwischen den hansischen Kaufleuten und ihren eigenen Stadtverwaltungen meistens relativ gering – was auch nicht erstaunlich ist, wenn man bedenkt, wie stark die Kaufleute und damit auch ihre Interessen meistens in den Verwaltungen der Hansestädte vertreten und präsent waren. Interessenkonflikte auf der hansischen Seite traten vielmehr zwischen den Städten selbst und oft zwischen Städten aus verschiedenen Regionen auf3 – meist aufgrund der regional bedingten Unterschiede in Gewerbe und Handel und damit auch in Bezug auf die jeweiligen wirtschaftspolitischen Interessen jeder Region im internationalen Handel.4 Auf der englischen Seite hat die Geschichtsschreibung hervorgehoben, dass die Regierung häufig eine Politik verfolgte (insbesondere in ihrer Auslandspolitik), die zu Kompromissen, Nachsicht und Zugeständnissen gegenüber der Hanse führte – sogar dann, wenn es zum Nachteil der eigenen englischen Kaufmannschaft war.5 So wurden beispielsweise unter der Regierung von König Heinrich VIII. (1509–1547) die hansischen Kaufleute während der ersten Jahre – jedenfalls solange Kardinal Thomas Wolsey die Außenpolitik lenkte – stark in die Defensive getrieben, während die Interessen der englischen Kaufleute bevorzugt und stärker gefördert wurden.6 Ab 1529 verfolgte der König andere Prioritäten, 2 Gemeint ist hier der unten angeführte Krieg von ca. 1468–1474, der mit dem Utrechter Frieden beendet wurde. 3 Siehe dazu unter anderem Jörn (wie Anm. 1), S. 19. Im 15. Jahrhundert hatte z. B. der Gegensatz zwischen Lübeck und Köln auf den Englandhandel großen Einfluss; sonst nahm Danzig fast immer wegen eigener Handelsinteressen eine Sonderstellung in Bezug auf den Englandhandel ein. 4 Diese Verhältnisse haben zum Teil die juristische Organisation der Hanse und ihre Entwicklung geprägt. Dazu Albrecht Cordes, Die Rechtsnatur der Hanse. Politische, juristische und historische Diskurse, in: Hansische Geschichtsblätter 119 (2001), S. 49–62. 5 Diese Stellung wird deutlich bei Jörn (wie Anm. 1), passim, z. B. S. 173, betont. 6 Lloyd (wie Anm. 1), S. 252–257; Jörn (wie Anm. 1), S. 180–206. Wolseys Politik gegenüber der Hanse wurde schon im älteren deutschen Schrifttum besprochen, z. B. bei Fried-



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für die fortdauernde Auseinandersetzungen mit der Hanse unvorteilhaft gewesen wären, sodass sich die Lage der hansischen Kaufleute in England einige Jahre lang wieder günstiger gestaltete. Unter seinem Nachfolger Edward VI. (1547–1553) gelang es den Vertretern bestimmter englischer Handelsinteressen, den Privy Council davon zu überzeugen, die Rechtslage der Hansekaufleute in London und in England insgesamt drastisch zu verschlechtern. Allerdings brachte der vorzeitige Tod des jungen Königs kurzzeitig eine Rettung für die Hanse. Begünstigt wurde dies vor allem durch die unsichere innenpolitische Stellung seiner Nachfolgerin Maria I. Tudor (1553–1558), die versuchte, durch habsburgische Unterstützung ihre Position zu stärken und sich deshalb auch der Hanse gegenüber kompromissbereit zeigte. Es war aber schließlich während der langen Herrschaft von Elisabeth I. Tudor (1558–1603), dass zunehmend vonseiten der englischen Regierung eine immer konsequentere Politik zur Unterstützung der eigenen Kaufleute verfolgt wurde. Die Regierung setzte nun die nationalen Belange größtenteils mit den Interessen der englischen Kaufmannschaft gleich, während die Relevanz der Hanse für den Außenhandel Englands und für die Landesverteidigung immer negativer beurteilt wurde. Auch waren in dieser Zeit bestimmte Gruppen unter den englischen Kaufleuten, wie beispielsweise die »Merchants Adventurers«, den hansischen Kaufleuten in vielen Bereichen überlegen, da die Hanse mit wachsenden Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Vor allem wurde es unter den Hansestädten, von denen mehrere im Zuge politischer Entwicklungen in der Frühen Neuzeit viel von ihrer Selbstständigkeit hatten einbüßen müssen, immer schwieriger, ein politisches Allgemeininteresse zu formulieren.7 Zusammengefasst lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass im Übergang vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit die englischen Kaufleute sich den Vorteil zunutze machen konnten, dass ihre Interessen immer stärker von herrschaftlicher Seite wahrgenommen und unterstützt wurden. Im Gegensatz dazu wurden die Belange der hansischen Kaufleute gegenüber der englischen Obrigkeit und den englischen Konkurrenten von einem Verband vertreten, der zunehmend uneinheitlicher und damit auch unwirksamer wurde.8 Drei Momentaufnahmen dieser langen Phase, die jeweils eine eigene Strategie aufzeigen, wie mit Konflikten umgegangen wurde, sollen im Rahmen dieses Beitrags kurz vorgestellt werden: Erstens geht es um die Friedensverhandlungen von 1473–1474, die 1474 im Utrechter Frieden mündeten. Zweitens werden die rich Schulz, Die Hanse und England von Eduard III. bis auf Henrichs VIII. Zeit, Berlin 1911, S. 154–163. 7 Jörn (wie Anm. 1), S. 233–250. 8 Ebd., S. 170.

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Unterhandlungen anlässlich der Krise in den Beziehungen nach der Entziehung der Hanseprivilegien in England im Jahr 1552 zwischen der englischen Regierung und einer hansischen Gesandtschaft 1553 betrachtet. Drittens wird schließlich der Blick auf die Endphase der englisch-hansischen Verhältnisse am Anfang des 17. Jahrhunderts gerichtet. In dieser Phase hatte die Hanse den Streit um ihre Rechtslage in England so gut wie endgültig verloren und wurde darüber hinaus mit der unmittelbaren Konkurrenz der »Merchants Adventurers« im Reich selbst konfrontiert. In diesem Kontext soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien als »Schattenspiel« der Gegner, die kaum noch einen Nutzen darin sahen, miteinander zu argumentieren, aber dennoch bestimmte Argumente benutzten, um bei der eigenen Obrigkeit beziehungsweise gegenüber bestimmten Interessengruppen ihre Ansprüche und Politik zu legitimieren, eingeschätzt werden kann.

II. Erste Momentaufnahme: Der Utrechter Frieden (1474)9 Anlass der ersten hier zu betrachtenden Auseinandersetzung könnten zunächst die Teilnahme von Danziger Kaperfahrern an dänischen Seekriegsoperationen 9 Die Verhandlungen und Vorarbeiten des Friedensvertrags sind ausführlich dokumentiert. Viele Quellen wurden veröffentlicht in: Hanserecesse, 2. Abteilung, Bd. 7, bearbeitet von Goswin Freiherr von der Ropp, Leipzig 1892; dort findet man auch den Text des Vertrages: Nr. 142–143, S. 340–353. Der Vertrag ist auch abgedruckt in: Thomas Rymer (Hg.), Foedera, conventiones, literae et cujuscunque generis acta publica inter reges Angliae, Et alios quosvis imperatores, reges, pontifices, principes, vel communitates ab Ineunte saeculo duodecimo, viz. ab Anno 1101, Ad nostra usque tempora, habita aut tractata [...], Editio tertia, Bd. V, Teile 3 und 4, Den Haag 1741, S. 36–40. Der Utrechter Friedensvertrag wurde auch in den schon erwähnten modernen Studien der englisch-hansischen Verhältnisse detailliert analysiert (Lloyd, Jenks, Fudge, Jörn [alle wie Anm. 1]). Daneben gibt es eine Fülle von Aufsätzen, die dem Vertrag gewidmet sind, so insbesondere Stuart Jenks, Der Frieden von Utrecht 1474, in: ders./Michael North (Hg.), Der Hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftgeschichte der Hanse, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 59–76; Terence Henry Lloyd, A Reconsideration of two Anglo-Hanseatic Treaties of the Fifteenth Century, in: English Historical Review 102 (1987), S. 916–933; Hans P. Jansen, De vrede van Utrecht, in: Spiegel Historiael 9 (1974), S. 916–933; Walter Stark, Der Utrechter Frieden von 1474 zwischen der Hanse und England, in: Zeitschrift für Geschichtswisssenschaft 19/7 (1971), S. 893–903; Alain Wijffels, De vrede van Utrecht (1474), in: Pro Memorie 16 (2014), S. 3-23. Siehe ebenfalls die Akten der Tagung, die anlässlich des 500. Jubiläums des Vertrags in London stattfand: Klaus Friedland (Hg.), Frühformen Englisch-Deutscher Handelspartnerschaft. Referate und Diskussionen des Hansischen Symposions im Jahre der 500. Wiederkehr des Friedens von Utrecht in London vom 9. bis 11. September 1974 (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, Neue Folge 23), Köln/Wien 1976.



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gegen englische Schiffe in den Jahren 1467–1468 sowie die darauf folgenden Repressalien gegen hansische Schiffe durch die Engländer gewesen sein.10 Die Konfliktverhältnisse an sich waren aber älter und gingen tiefer. Deutsche Kaufleute waren bereits am Ende des 12. Jahrhunderts in England tätig, aber es dauerte noch etwa ein Jahrhundert – bis zur Herrschaft von Edward I. (1272–1307) –, bis ein als »Hanse« bezeichneter Verband von deutschen Kaufleuten systematisch privilegiert zu werden begann.11 Zugleich entwickelte sich das später als »Stalhof« bekannte Londoner Kontor der deutschen Kaufleute.12 Vom späteren 14. Jahrhundert an waren die Handelsbehinderungen, die englische Kaufleute im Ostseegebiet erfuhren, Anlass wiederholter Spannungen. Vor allem in Preußen, zunächst unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, später des polnischen Königs, und in der Hansestadt Danzig13 war es den englischen Preußenfahrern nur unter äußerst großen Schwierigkeiten möglich, ohne starke Einschränkungen ihre Kaufmannschaft zu führen.14 10 Stuart Jenks, Die Hansen in England. Die wirtschaftliche und politische Bedeutung ihres Handels (1380–1474) und ihre Versuche zur Bewältigung der Krise von 1468, in: Volker Henn/Arnved Nedkvitne (Hg.), Norwegen und die Hanse. Wirtschaftliche und kulturelle Aspekte im europäischen Vergleich, Frankfurt am Main 1994, S. 109–159; Walter Stein, Die Hanse und England. Ein hansisch-englischer Seekrieg im 15. Jahrhundert, in: Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins 1 (1905), S. 1–51. 11 Natalie Fryde, Deutsche England-Kaufleute in frühhansischer Zeit, in: Hansische Geschichtsblätter 97 (1979), S. 1–14. Zu den Anfängen des deutschen Handels und der Hanse in England: Lloyd (wie Anm. 1), S. 13–49. 12 Derek Keene, Ein Haus in London. Von der Guildhall zum Stalhof, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos. Eine Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte in Verbindung mit der Vereins- und Westbank, Lübeck 1989, Bd. 1, S. 57–62; ders., New Discoveries at the Hanseatic Steelyard in London, in: Hansische Geschichtsblätter 107 (1989), S. 15–25; Werner Kurzinna, Der Name »Stalhof«, in: Hansische Geschichtsblätter 18 (1912), S. 429–461; Martin Weinbaum, Stalhof und Deutsche Gildhalle zu London, in: Hansische Geschichtsblätter 33 (1928/29), S. 45–65; Stuart Jenks, Leben im Stalhof, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos. Eine Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte in Verbindung mit der Vereins- und Westbank, Lübeck 1989, Bd. 1, S. 210–216. 13 Theodor Hirsch, Danzigs Handels- und Gewerbegeschichte unter der Herrschaft des deutschen Ordens, Leipzig 1858. 14 Die Spannungen zwischen englischen Kaufleuten und Danzig im 14. Jahrhundert und während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden behandelt von Hirsch (wie Anm. 13), S. 97–116. Einen Überblick über die politische Stellung von Danzig während des Spätmittelalters und über die Handelskonflikte mit englischen und niederländischen Kaufleuten bietet (mit Hinweisen auf das frühere Schrifttum): Edda Frankot, »Of Law of Ships and Shipmen«. Medieval Maritime Law and its Practice in Urban Northern Europe, Edinburgh 2012, S. 69–75. Siehe auch Walter Stark, Lübeck und Danzig in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Untersuchungen zum Verhältnis der wendischen und preußischen Han-

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In den Jahren unmittelbar nach dem Stralsunder Frieden (1370)15 verlangten die Engländer Reziprozität und damit freien Zugang zum Handel in Preußen – eine Forderung, die noch im 16. Jahrhundert immer wieder von Danzig verweigert wurde.16 Als Reaktion drohte die englische Regierung mit einer Suspension der Privilegien, die hansische Kaufleute in England genossen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, vor allem im Jahr 1402 und den darauffolgenden Jahren, wurde der Streit letztlich auch gewaltsam geführt. Mindestens zweimal (1409 und 1437) kam es im Zuge dieser Auseinandersetzung zu Verträgen, deren Formulierung erkennbar den Engländern das Recht zuerkannte, in Preußen Handel treiben zu dürfen. Doch jedes Mal erwiesen sich die vertraglichen Bestimmungen als unzureichend, sodass der Widerstand der Danziger nicht überwunden werden konnte. Dabei wiesen die Vereinbarungen oftmals auf vergangene Praxis oder auf allgemeine oder redliche Bräuche hin, was vonseiten der Danziger immer wieder restriktiv interpretiert wurde.17 Daraufhin wurde in England erneut mit Entzug der Privilegien gedroht und die englischen Kaufleute wandten sich schließlich mit ihren Protesten an ihr Parlament. Da die Hansestädte selbst aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen im Englandhandel uneins waren – aus dem Reichsgebiet hatte Köln den größten Anteil an jenem Handel18 –, wurde dieser Konfliktgrund allerdings nie behoben. Der englisch-hansische Krieg traf aber auch andere Akteure, die nicht unbedingt an diesem Konflikt direkt beteiligt waren. Der Herzog von Burgund beispielsweise, dessen niederländische Territorien (vor allem Flandern und Brabant) großes Interesse an einem friedlichen Handelsverkehr mit England hatten, trat mehrfach als Vermittler zwischen dem englischen König und den Hansestädten auf. So fanden bereits 1469 erste Vorbesprechungen in Brügge statt. Doch die

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sestädte in der Zeit des Niedergangs der Hanse (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 11), Weimar 1973, S. 162–211. Für die spätere Zeit: Jan K. Fedorowicz, England’s Baltic Trade in the early seventeenth century, Cambridge 1980. Ahasver von Brandt, Der Stralsunder Friede. Verhandlungsablauf und Vertragswerk 1369–1376. Eine diplomatische Studie, in: Hansische Geschichtsblätter 88 (1970), S. 123– 145; und Philippe Dollinger, Die Bedeutung des Stralsunder Friedens in der Geschichte der Hanse, in: Hansische Geschichtsblätter 88 (1970), S. 148–162. Georg von Schanz, Englische Handelspolitik gegen Ende des Mittelalters, Leipzig 1881, S. 228–244. Jörn (wie Anm. 1), S. 13–17, 21–24. Frank R. Salter, The Hanse, Cologne, and the Crisis of 1468, in: The Economic History Review 3 (1931), S. 93–101; Horst Buszello, Köln und England (1468–1509), in: Köln, das Reich und Europa. Abhandlungen über weiträumige Verflechtungen der Stadt Köln in Politik, Recht und Wirtschaft im Mittelalter, Köln 1971, S. 431–467; vgl. Joachim Deeters, Gerhard von Wesel – ein Kölner Kaufmann im Londoner Hansekontor, in: Volker Henn/Arnved Nedkvitne (Hg.), Norwegen und die Hanse. Wirtschaftliche und kulturelle Aspekte im europäischen Vergleich, Frankfurt am Main 1994, S. 161–176.



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instabile politische Lage in England und die Gegensätze innerhalb der Hanse (besonders zwischen Lübeck und Köln19) zögerten konkrete Vereinbarungen über Friedensverhandlungen bis zum Sommer 1473 hinaus. Die Vorbereitung der Verhandlungen wurde darüber hinaus zusätzlich durch weitere Faktoren erschwert: Bisweilen entwickelten die Seekriegsoperationen ihre eigene Dynamik, was die Ansprüche und späteren Besprechungen über Schadensersatz nur komplizierte; der durch die Hanse gegen England verkündete Handelsboykott hatte auch andere Nachbarländer indirekt in den Konflikt gezogen und der König von Frankreich, selbst durch die burgundisch-englische Allianz bedroht, war bestrebt, eine eigene Vereinbarung mit der Hanse auszuhandeln.20 Als schließlich die englische und die hansische Gesandtschaft von Juli 1473 bis Februar 1474 (mit längeren Unterbrechungen) Besprechungen führten, war die Lage für die Hanse durchaus günstig, da Edward IV. (1442–1483) sich auf einen Krieg gegen Frankreich vorbereitete und in diesem Zusammenhang (sowie auf Druck Burgunds) einer raschen Friedensregelung mit der Hanse zugeneigt war. Diese besonderen und zeitgebundenen Umstände verdeutlichen, weshalb der Vertrag sehr vorteilhaft für die Hanse abgefasst und später dementsprechend auch von der Geschichtsschreibung beurteilt wurde.21 Die Berichte über die Unterhandlungen geben darüber Auskunft, dass die Gesandten und Ratsendboten sich sowohl über aktuelle Kontroversen, die aber keine dauernden Konfliktbereiche zwischen der Hanse und England betrafen, als auch über strukturelle und langfristige Divergenzen einigen mussten. Das Ergebnis der Unterhandlungen, der Friedensvertrag, zeigt, dass bezüglich Ersterer ein Kompromiss erzielt wurde, der indes zum Vorteil der hansischen Kaufleute ausfiel: zum einen, was die getroffenen Schadensersatzregelungen anging, und zum anderen bezüglich des Ausschlusses von Köln. Allerdings hatten die englischen Gesandten bei beiden Punkten zu verstehen gegeben, dass nur eine Regelung, die die Ehre ihres Königs achtet, für sie akzeptabel sei. Auf diese Forderung wurde wenigstens formell eingegangen. Für die langfristigen Streitpunkte, die vornehm19 Wobei auch das Verhältnis zwischen Köln und Danzig in der innerhansischen Diplomatie eine Rolle spielte, siehe dazu Eich Weise, Die Hanse, England und die Merchants Adventurers. Das Zusammenwirken von Köln und Danzig, in: Jahrbuch des Kölnischen Vereins 31–32 (1957), S. 137–164; Susanna Gramulla, Kölner Kaufleute im Handel mit dem Ostseeraum am Ende des 15. und im 16. Jahrhundert, in: Köln, das Reich und Europa. Abhandlungen über weiträumige Verflechtungen der Stadt Köln in Politik, Recht und Wirtschaft im Mittelalter, Köln 1971, S. 553–598. 20 Hanserecesse (wie Anm. 9), S. 131 (Akte des französischen Königs Ludwig XI., verliehen am Mont Saint Michel in periculo maris, den 25. August 1473). 21 So z. B. – freilich im Kontext einer englischen Veröffentlichung während des Ersten Weltkrieges – Ian D. Colvin, The Germans in England 1066–1598, London 1915, S. 119–127.

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lich die Privilegien der Hanse in England betrafen, fallen allerdings fast alle Bestimmungen des Vertrags auffällig zugunsten der Hanse aus. Die Privilegien selbst wurden nun vertraglich bestätigt.22 In Bezug auf den Preußenhandel wurde hingegen eine Formulierung gefunden, die anscheinend auch den Engländern entgegenkam – obwohl die hier getroffenen Vereinbarungen, genau wie die übereinstimmenden Vereinbarungen in den Verträgen von 1409 und 1437, noch immer unterschiedlich ausgelegt werden konnten. So beharrte Danzig auf einer eigenen Interpretation, nach welcher die Engländer keinen privilegierten Zugang zum Handel in Preußen behaupten, sich deshalb nicht auf reziproke Handelsabkommen berufen und somit keinen Anspruch auf eine ähnliche Rechtslage wie die Hansekaufleute in England beanspruchen konnten. Weitere Bestimmungen betrafen die Beziehungen zwischen den Hansekaufleuten in London (wo der »Stalhof« nun auch rechtlich der Hanse übertragen wurde) und der Verwaltung der City sowie mehrerer Amtsträger, die zur Kontrolle der Handelsgeschäfte und Waren, für die Einziehung von Steuern usw. zuständig waren. Dabei war nach der Erfahrung der deutschen Kaufleute öfter von »bürokratischer Schikane« die Rede. Diese Verwaltungsmissbräuche dürften dann auch ein weiterer Grund dafür gewesen sein, weshalb die hansischen Unterhändler auf die Aufnahme von ausdrücklichen und detaillierten Bestimmungen in den Vertrag bestanden. Während der ersten Jahre nach dem Abschluss des Utrechter Vertrages gab die englische Regierung der Hanse keinen Anlass, sich über eine mangelhafte Umsetzung der Vereinbarungen zu beklagen. Vergeblich versuchten die englischen Kaufleute, sich auf die Bestimmung über den Preußenhandel zu berufen.23 Dennoch war der Friedensvertrag keine endgültige Lösung für die Streitigkeiten, die die einseitige Privilegierung der Hanse immer wieder auslöste. Die tiefer liegenden Spannungen, die aus der Konkurrenz zwischen Engländern und der Hanse hervorgingen, konnten nicht durch einen Vertrag behoben werden. Sobald die besonderen Umstände, die Edward IV. zum Kompromiss und zu weitgehenden Zugeständnissen veranlasst hatten, nicht mehr galten, traten die Interessenkonflikte und damit die früheren Kontroversen wieder auf. Gerade weil der Vertrag in hohem Maß eindeutig zugunsten der Hanse ausgefallen war, hatte die englische Krone kein Interesse daran, sich an die vertraglichen Verpflichtungen zu halten. Bereits im ausgehenden 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts dürfte es der Hanse deutlich gewesen sein, dass die Gültigkeit oder zumindest der Anwendungsbereich ihrer Privilegien sowie die Vertragsbestimmungen von 22 Über die Textentwicklung: Lloyd (wie Anm. 9). 23 Jörn (wie Anm. 1), S. 122.



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den Engländern vehement angefochten wurden. Dies zeigen beispielsweise auch die meist wenig erfolgreichen englisch-hansischen Verhandlungen, die in den Niederlanden stattfanden (Brügge 1491, Antwerpen 1497, Brügge 1499, Brügge 1520–1521).24 Darüber hinaus wurden auch unter Thomas Wolsey die Vertragsbestimmungen, die den Hansekaufleuten einen besonderen richterlichen Schutz garantierten, wirkungslos, wenn der Kanzler selbst ihnen diesen Schutz nicht tatsächlich zuerkennen wollte. Spätestens im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde der Friedensvertrag von beiden Parteien ganz unterschiedlich bewertet. Für die Hanse war das Utrechter Abkommen kein rein einseitiger Akt oder eine Konzession des Herrschers, sondern eine formelle Bestätigung ihrer Privilegien. Immer wieder wurde betont, die günstigen Bestimmungen für die hansischen Kaufleute seien als Gegenleistung und Ersatz für die Verluste und Schäden verliehen worden, welche die Hanse während des Krieges und davor erlitten habe. Damit sollte impliziert werden, dass der Vertrag bindend war und deshalb nicht einseitig gekündigt werden konnte. Die Argumentation der Engländer entwickelte sich davon divergierend. Sie argumentierten, dass sowohl die Privilegien als auch die Bestimmungen im Vertrag nur dann Gültigkeit besäßen, wenn sie nicht unmäßig nachteilig für die Interessen des englischen Königreichs und seiner Untertanen ausfielen. Sowohl für den hansischen als auch für den englischen Standpunkt konnten Berater beider Parteien sich auf Grundsätze des gelehrten Rechts stützen. Damit bildete der Friedensvertrag von Utrecht eine fortdauernde gemeinsame Grundlage der englisch-hansischen Verhältnisse. Zugleich war er aber auch ein Instrument, um die Gegensätze hervorzuheben, und wurde oftmals zum Anlass genommen, die gegensätzlichen Interessen in politischen und diplomatischen Auseinandersetzungen hervorzuheben. Die juristischen Argumente – vor allem des gelehrten Rechts –, die auf dieser Grundlage entwickelt wurden, zeigen, dass der Friedensvertrag nur teilweise und zeitlich begrenzt als eine Art Konfliktlösung betrachtet wurde, bald aber sogar als ein Mittel angesehen wurde, um die Interessenkonflikte weiter zuzuspitzen.

24 Ebd., S. 151.

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III. Zweite Momentaufnahme: Verhandlungen während der 1550er-Jahre25 Eine neue Phase im Konflikt begann 1552, als die englische Regierung die hansischen Privilegien in England einzog. Anlass und Begründung dieser Entscheidung waren besonders die vermeintlichen Missbräuche einzelner hansischer Kaufleute und ihre Verletzung von Exportbeschränkungen, die die englische Regierung ihnen auferlegt hatte. Daraufhin wurden 1553 (und erneut in späteren Jahren) hansische Gesandtschaften nach London geschickt, um über diese Streitpunkte sowie die Frage der Privilegien zu verhandeln. Dass alle Verhandlungen nun in London stattfanden und nicht mehr in »neutralen« Territorien auf dem Kontinent (wie beispielsweise in niederländischen Städten), kann wohl als ein Indiz dafür gewertet werden, dass sich die Machtverhältnisse verschoben hatten. Der englischen Regierung war es jetzt effektiv möglich, der Hanse den größeren Aufwand und die größeren Kosten für eine längere Entsendung ihrer Gesandtschaften nach England aufzubürden. Die englischen Kaufleute griffen nun ihre hansischen Konkurrenten aufs Schärfste an, indem sie forderten, dass die hansischen Privilegien endgültig abgeschafft und die Hansekaufleute vom Englandhandel ausgeschlossen werden sollten. Selbst die Existenz der Hanse erschien ihnen sinnwidrig. Diese radikale Stellungnahme der englischen (besonders Londoner) Kaufleute, die in engem Kontakt mit einigen einflussreichen Mitgliedern des königlichen Rates standen, erlaubte es der englischen Regierung, eine im Verhältnis eher gemäßigte Haltung gegenüber der Hanse einzunehmen. Diese Position wurde während der 1550er-Jahre (und wohl noch während der ersten Dezennien der elisabethanischen Regierung) wahrscheinlich auch durch die Auffassung geprägt, in internationalen Konflikten sei es für England vorteilhafter, mit dem guten Willen (oder wenigstens der Neutralität) der Hanse rechnen zu können, damit England sich eine noch immer bedeutende Seemacht nicht zum Feind mache. Darüber hinaus musste die Regierung auch dem ständig wachsenden Einfluss ihrer eigenen kaufmännischen Gemeinschaft Rechnung tragen und zugleich die politische Teilung und Schwächung der Hanse ausnutzen. In ihren Verhandlungen mit hansischen Gesandtschaften betonte die englische Regierung deshalb immer wieder die Notwendigkeit, die Privilegien zu revidieren und, wie sie behauptete, die Verhältnisse zwischen England und der Hanse auf einer Grundlage, 25 Alain Wijffels, International Trade Disputes and ius commune. Legal Arguments on the »Gdańsk Issue« during the Hanseatic Embassy to London in 1553, in: Albrecht Cordes/ Serge Dauchy (Hg.), Eine Grenze in Bewegung: Öffentliche und private Justiz im Handels- und Seerecht. Une frontière mouvante: Justice privée et justice publique en matières commerciales et maritimes (Schriften des Historischen Kollegs 81), München 2013, S. 65– 89.



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die als »Billigkeit« qualifiziert wurde, neu zu etablieren26 – eine teilweise dem gelehrten Recht entnommene Formel, hinter der sich die realpolitische Strategie verbarg, eine Anpassung an die neuen Machtverhältnisse zu erzwingen. Anders als die alten Privilegien, die die hansischen Kaufleute aus einer Überlegenheitsposition heraus erworben hatten, konnten sie in dieser Phase nicht darauf hoffen, den früheren Status wiederzuerlangen. Dennoch versuchte die Hanse wiederholt, wenigstens eine zeitliche Regelung zu erwirken, die es ihren Kaufleuten und dem »Stalhof« zumindest teilweise ermöglichen sollte, die Geschäfte von und nach England weiterzuführen. Dabei wurde allerdings nicht auf frühere Ansprüche verzichtet. Im Gegenteil: In den Verhandlungen wurden vonseiten der Hanse – wohl, weil ihr allzu bewusst war, nunmehr aus einer relativ schwachen Position heraus ihre Interessen vertreten zu müssen – immer mehr und stärker juristische Argumente vorgebracht, um jene Ansprüche zu untermauern. Gerade aus den 50er-Jahren des 16. Jahrhunderts sind Rechtsgutachten erhalten, die zeigen, dass sowohl vonseiten der Hanse wie auch vonseiten der »City-Kaufleute« völlig gegensätzliche Positionen gegenüber der Regierung jeweils durch Grundsätze des gelehrten Rechts legitimiert werden konnten.27 Einerseits entsprach diese Anwendung eines juristischen Diskurses dem Bedürfnis, den völlig unterschiedlichen (wirtschafts-)politischen Ausgangspunkten und Zielen in einem gemeinsamen Kommunikationsmodell Gestalt zu geben, andererseits waren jene Rechtsabhandlungen ein Instrument, durch welches nicht kompromissfähige Stellungnahmen behauptet und verteidigt werden konnten. Die Anwendung des gelehrten Rechts in den Verhandlungen soll hier deshalb nicht als ein Modell eindeutig nur zur Konfliktlösung vorgestellt werden. Ein Vergleich mit der Anwendung von Rechtsgutachten in Gerichtsverfahren wäre auch nicht zutreffend, da die Stellung des englischen Geheimen Rates oder der englischen Krone keiner Gerichtsbarkeit entsprach. Sie traten selbst auch nicht direkt in den Verhandlungen mit den Vertretern der Hanse als Partei auf, denn die Hanse vermied es durchaus, formell unmittelbar mit den »Merchants Adventurers« oder anderen Gruppen von englischen Kaufleuten über ihre Rechtslage in England zu verhandeln. Immerhin behaupteten die Rechtsgutachter zugunsten der englischen Interessen, dass der König, der gegenüber seinem Reich und seinen Untertanen eine übergeordnete Pflicht zur Förderung des Gemeinwohls habe, als Souverän und oberster Richter (iudex) über die weitere Gültigkeit und Anwendung der hansischen Privilegien 26 Wijffels (wie Anm. 25), S. 72 mit Anm. 21. 27 Kopien der Rechtsgutachten beider Seiten sind aufbewahrt in der British Library (Hs. Lansdowne 170 und Add. Ms. 48010); von den Rechtsgutachten der Löwener Juristen Gabriel Mudaeus und Elbertus Leoninus zugunsten der Hanse – und insbesondere Danzigs – werden ebenfalls Kopien aufbewahrt im Stadtarchiv von Danzig [Gdańsk] (Hanseatica 300, 28:90 und 130).

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entscheiden könne. Im Laufe des 16. Jahrhunderts ist zu beobachten, dass die englische Krone und Regierung immer weniger dazu neigten, die Hanse als eine vollwertige »Korporation« oder souveräne Entität anzusehen.28 Immerhin, die juristischen Argumente, die entwickelt wurden, blieben meistens bei den bekannten Fragestellungen, wobei die damals schon mehr als ein Jahrhundert alten Positionen wieder aufgenommen wurden. Lediglich die späteren Texte, wie der Utrechter Vertrag oder Vereinbarungen und Erklärungen, die anlässlich von Konferenzen und Verhandlungen erstellt wurden – ohne jedoch neue Lösungen zu bieten –, wurden immer wieder als Gegenstand von Argumentations- und Interpretationstechniken des gelehrten Rechts verwendet. Mit den wirtschaftspolitischen Mitteln, die die Parteien einsetzten, um Druck auf den Gegner auszuüben (wie zum Beispiel die Beschränkungen oder Verbote des Tuchexports in die Niederlande, die durch die englische Regierung angeordnet wurden, oder die Versuche der Hanse, den Englandhandel so umfassend wie möglich zu boykottieren), befassten sich die Rechtsgutachten offensichtlich wenig oder gar nicht. Mit jenen Druckmitteln erreichten die Parteien aber, dass sie einschätzen konnten, in welchem Maß sie ohne extreme, gegebenenfalls bewaffnete Gewalt der anderen Partei Verluste beibringen konnten. Im Rahmen der vielen traditionellen Streitpunkte, die während der Verhandlungen von 1553 in London besprochen wurden, kam die englische Regierung erneut auf die Danziger Frage zurück. Es ist nicht vollständig geklärt, ob sie wirklich damit rechnete, ein Zugeständnis mit effektiver Wirkung zu bekommen – dafür war die Frage schon viel zu alt und die Position der Danziger bekannt. Trotzdem konnte die Regierung mit dem Aufgreifen dieser Frage auf Vorteile hoffen: Zum einen erweckte sie damit den Anschein, sich um die Klagen ihrer eigenen Ostseefahrer zu kümmern. Im Kontext der komplexen Fragen, die während der Verhandlungen zur Sprache kamen, galt diese immer noch ungelöste Frage für die Engländer überdies als ein geeignetes Tauschobjekt, da sie durchaus wussten, dass die Hansestädte in dieser Frage viel zu zerstritten waren, als dass sie sich je auf eine für die englischen Kaufleute akzeptable Lösung hätten einigen können. Zugleich drängte die Frage die hansischen Gesandten im Laufe der Verhandlun-

28 Richard Grassby, Die letzten Verhandlungen zwischen England und der Hanse 1603– 1604, in: Hansische Geschichtsblätter 76 (1958), S. 73–120, hier v. a. S. 83: Anlässlich der Tagung in Bremen im Jahr 1603 (siehe unten) soll die englische Königin Elizabeth I. direkte Verhandlungen mit den Ratsendboten der Hanse untersagt und ihre Gesandten beauftragt haben, ausschließlich mit den Vertretern des Kaisers zu verhandeln. Die Königin gab auch zu verstehen, dass nur einzelnen Städten, die sich nicht auf die Hanse als eine eigenständige Korporation beriefen, Privilegien verliehen werden konnten.



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gen in die Defensive (und die Strategie war, wie sich aus den internen hansischen Protokollen dieser Verhandlungen ergibt, in dieser Hinsicht auch sehr effektiv).29 Dazu kann schließlich noch angemerkt werden, dass, obwohl die juristischen Streitschriften freilich keine Art der bewaffneten Gewalt darstellten, Sprachstil und Inhalt dennoch gewaltsam und damit eher eine Form der Konfliktführung sein konnten, als zu einer Konfliktlösung beizutragen. Das illustriert beispielsweise ein kurzes, aber sehr polemisches Schriftstück eines englischen civil lawyer von ca. 1557, in dem er das Verschwinden der Hanse aus England befürwortet und mit einer damnatio memoriae konkludiert, »dass jede Erinnerung an [jene] Gesellschaft in ewige Vergessenheit geraten solle«. Auch in anderen Fällen kann festgestellt werden, dass gerichtliche Verfahren und juristische Argumentationen instrumentalisiert wurden, um den Konflikt zu erhalten und zu steuern.

IV. Dritte Momentaufnahme: Die Endphase – Lobbying bei den eigenen politischen Institutionen30 Während der Regierungszeit von Elisabeth I. wurde die Rechtslage der hansischen Kaufleute und des Londoner »Stalhofes« immer weiter ausgehöhlt. Spätestens seit den 1580er-Jahren passten auch die Hansestädte ihre Argumentation gegenüber den »Merchants Adventurers« an. Konfrontiert mit der Anwesenheit der »Adventurers« in deutschen Gebieten (so beispielsweise in Stade, Emden oder Hamburg31) und der Unmöglichkeit, das allmählich erstarkte »Tudor-Regime« für eine für die Hanseinteressen günstigere Politik zu gewinnen32, entwickelte die Hanse neben den Beschwerden über den Verlust ihrer Privilegien auch eine 29 Das ergibt sich z. B. aus dem ausführlichen Protokoll (oder »Rezess«) der hansischen Gesandtschaft, die im Sommer 1553 die Verhandlungen mit Kommissaren der englischen Regierung führte. Von diesem Protokoll werden mehrere Exemplare – in zum Teil einigermaßen abweichenden Fassungen – im Stadtarchiv von Danzig aufbewahrt. Ich habe das Exemplar 300,28/20 benutzt. Das Protokoll wurde wahrscheinlich größtenteils von einem Danziger Syndikus, der als Mitglied der Gesandtschaft auftrat, verfasst. 30 Lloyd (wie Anm. 1), S. 341–343; Alain Wijffels, Alberico Gentili and the Hanse. The Early Reception of De iure belli (1598), in: Pierre-Marie Dupuy/Vincent Chetail (Hg.), The Roots of International Law. Les fondements du droit international. Liber amicorum Peter Haggenmacher, Leiden 2013, S. 181-209; ders., History and Law. The case for the German Hanse against the English Merchants Adventurers (1603–04), in: Ignazio Czeguhn (Hg.), Recht im Wandel – Wandel des Rechts. Festschrift für Jürgen Weitzel zum 70. Geburtstag, Köln/Wien 2014, S. 427–452. 31 Richard Ehrenberg, Hamburg und England im Zeitalter der Königin Elisabeth, Jena 1896. 32 Lloyd (wie Anm. 1), S. 327–339.

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neue Argumentationslinie, die den »Adventurers« eine handelsmonopolistische Politik vorwarf. Wahrscheinlich erschien es den Beratern der Hanse strategisch vorteilhaft, diesen Vorwurf einer Monopolisierung vorzubringen, denn in England selbst wurden Monopolkonzessionen immer häufiger kontestiert und auch prinzipiell auf der politischen Ebene (zum Beispiel im Parlament) angefochten.33 Aber auch im Reich hatte sich eine antimonopolistische Tendenz entwickelt, die unter anderem in mehreren Reichsordnungen zum Ausdruck kam. Der Monopolisierungsvorwurf war außerdem nützlich, um den schädlichen Einfluss der »Adventurers« darzustellen und so bei den Führungsgremien der wichtigsten Reichsterritorien die Toleranz gegenüber den englischen Niederlassungen im Reich anzuklagen. Die Gegenoffensive der Hanse war im Wesentlichen eine defensive Strategie, die auf die Ausweisung der »Merchants Adventurers« aus dem Reich abzielte. Nach vielem Lobbying, besonders am kaiserlichen Hof, gelang es im August 1597, den Erlass eines kaiserlichen Mandats zu erreichen, das jenem Ziel entsprach.34 Die effektive Durchführung des Mandats erfolgte jedoch nur lückenhaft, weil sie in einigen Territorien den regionalen wirtschaftlichen Interessen widersprach. Weiteres Lobbying war deshalb notwendig. In der Zwischenzeit kam 1598 die voraussehbare Reaktion aus England: Die Königin schloss den »Stalhof« und die übrig gebliebenen hansischen Vorrechte wurden eingezogen. Trotz einiger späterer Vorfälle und des Fortbestehens des »Stalhofes« bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts35 können die Jahre 1597–1598 wenigstens symbolisch als das Ende des Londoner Kontors und der Sonderstellung der Hanse in England betrachtet werden.

33 Adam Mossoff, Rethinking the Development of Patents. An Intellectual History, 1550– 1800, in: Hastings Law Journal 52 (2000/01), S. 1255–1322; Thomas B. Nachbar, Monopoly, Mercantilism, and the Politics of Regulation, in: Virginia Law Review 91/6 (2005), S.  1313–1379; Terrence E. Hartley, Elizabeth’s Parliaments. Queen, Lords and Commons 1559–1601, Manchester/New York 1992, insbesondere Kap. VIII; Joan Thirsk, Economic Policy and Projects. The Development of a Consumer Society in Early Modern England, Oxford 1978 (Neudruck 1988), S. 98–99 und passim; David H. Sacks, The countervailing of benefits. Monopoly, liberty, and benevolence in Elizabethan England, in: John Guy (Hg.), The Tudor Monarchy, London 1997, S. 135–155. Die hansischen Argumente zum Thema »Monopole« habe ich besprochen in: Wijffels, History and Law (wie Anm. 30). 34 Hier zitiert wird ein gedrucktes Exemplar des Mandats (vom 1. August 1597) im Lübecker Stadtarchiv (ASA Lübeck, Hanseatica, EA 150); eine englische Übersetzung, wohl noch aus ungefähr derselben Zeit, befindet sich in London (British Library, Add. Ms. 48126, fol. 68v). 35 Lloyd (wie Anm. 1), S. 345.



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Selbst danach ließ die Hanse in jener Zeit wenigstens noch einmal (1603) eine ausführliche juristische Denk- beziehungsweise Streitschrift verfassen, in die kumulativ alle früheren Argumente einbezogen wurden.36 Formell ist die Streitschrift, die eine Fülle von Hinweisen auf juristische Quellen und Literatur enthält, eine Widerlegung eines Pamphlets, das zwei Jahre zuvor vom Sekretär der »Merchants Adventurers« veröffentlicht worden war und sich gegen die hansischen Ansprüche und Angriffe (die zum Mandat von 1597 geführt hatten) richtete.37 Dennoch bieten diese beiden Streitschriften keine große Auseinandersetzung zwischen den englischen38 und den deutschen Interessen der Kaufleute. Aufbau und Sprachstil lassen erkennen, dass das auf Englisch verfasste Pamphlet zugunsten der »Adventurers« vor allem auf die eigenen Interessengruppen und Führungsschichten in England zielte. Die hansische Schrift (wohl anlässlich der gescheiterten Verhandlungen in Bremen im Frühjahr 160339 verfasst) zeigt, dass die Adressaten vor allem die Reichsstände und kaiserliche Behörden waren40, die durch das auf Latein verfasste wissenschaftlich-juristische Argumentationsmuster angesprochen werden sollten, und dass die Auftraggeber und Verfasser der Schrift darauf abzielten, strengere und wirksamere Maßnahmen gegen die »Adventurers« zu begründen und die eigenen Interessen der deutschen Kaufleute zu schützen.

V. Fazit Es heißt, dass während der langen Endphase der handelspolitischen Konkurrenz zwischen englischen und hansischen Interessen sich sowohl der geografisch-politische Raum der Konfliktbereiche als auch die materiellen Konflikthemen verlagert hätten (die Lage im Konfliktraum zwischen beiden, in den Niederlanden, hatte sich ebenfalls grundlegend mit dem Aufstand der nördlichen Provinzen und dem Rückgang von Antwerpen als Handels- und Finanzzentrum geändert41). 36 Lübeck, AHL, ASA, Externa, Anglicana 158. Siehe dazu auch Benjamin Möller, Verhandlungen der Hanse im Jahr 1604 über Handelsprivilegien in England (AHL, ASA Externa Anglicana 59), Kiel 2010. 37 Siehe die Neuausgabe der editio princeps (Middelburg 1601), zugleich mit einer modernen Edition und einer ausführlichen Einleitung: George B. Hotchkiss (Hg.), A Treatise of Commerce by John Wheeler Secretary of the Society of Merchants Adventurers of England 1601, Edited with an Introduction and Notes, New York 1931. 38 Vgl. Jörn (wie Anm. 1), S. 242: Danzig habe noch nicht angenommen, »dass die Zeit, in der Juristen über die Wortgebung von Privilegien stritten, vorbei war«. 39 Grassby (wie Anm. 28); siehe dazu auch Möller (wie Anm. 36). 40 AHL, ASA, Externa, Anglicana 150, fol. 2v. 41 George D. Ramsay, The City of London in international politics at the accession of Elizabeth Tudor, Manchester 1975, S. 62 ff.

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Auch habe die Schwächung der Hanse als aktionsfähigem Verband es erschwert, sich politisch gegenüber den Engländern behaupten und die eigenen Interessen fördern zu können.42 Die Hansestädte sahen sich dadurch immer mehr genötigt, sich auf die Unterstützung der Territorialfürsten des Reiches zu verlassen, um ihre jetzt überwiegend defensiven Ansprüche zu verteidigen. Es leuchtet ein, dass die Streitmittel, die dazu angewandt wurden, ebenso wenig wie früher eine Konfliktlösung erzielten, aber, in für die Hanse zwar erheblich weniger günstigen Machtverhältnissen43, immer noch der Weiterführung des Konkurrenzstreites entsprachen.

42 Jörn (wie Anm. 1), S. 247 und S. 249, mit Hinweis auf die Umwandlungen in der »balance of power«. 43 Heinz Duchhardt, Die Hanse und das europäische Mächtesystem des frühen 17. Jahrhunderts, in: Antjekathrin Grassmann (Hg.), Niedergang oder Übergang? Zur Spätzeit der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Neue Folge 44), Köln/Weimar/Wien 1998, S. 11–24.

Antonio Sánchez Aranda

Arbitro iuris oder Schlichter: Die Reform der Katholischen Könige (1474–1504). Ein Versuch, die Rolle der Richter als Schiedsrichter bei Rechtstreitigkeiten einzuschränken1 I. Einleitung. II. Hauptcharakteristika der Schiedsgerichtsbarkeit in der Gesetzgebung von Alfons X. III. Die Grundzüge der Schiedsgerichtsbarkeit in der alfonsinischen Regelung. IV. Die gleichzeitige Praxis des árbitro iuris und des Schlichters (árbitrador): Die Reform unter den Katholischen Königen. V. Fazit.

I. Einleitung Den geografischen Rahmen, innerhalb dessen sich diese Analyse der Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel der außergerichtlichen Konfliktlösung am Rande der ordentlichen Gerichtsbarkeit ansiedelt, bildet das Territorium der Krone von Kastilien, das im Jahre 1229 als Folge der Vereinigung der Königreiche von León und Kastilien unter Ferdinand III. (1217–1252) entstand. Durch diesen Zusammenschluss wurde aus den im frühen Mittelalter politisch zersplitterten Königreichen eine Einheit. Ferdinand III. war ein Monarch, der die Ausdehnung der autonomen Städte in den kurz zuvor wiedereroberten Gebieten – dazu zählten die Königreiche Jaén, Córdoba, Sevilla und Murcia – eindämmte, indem er das neue System der »repoblación« (Wiederbevölkerung) einführte. Der Prozess der Wiederbevölkerung basierte zwar auf einer Aufteilung, die zuvor bereits in den eroberten Gebieten vorhanden war, doch wurde die Verwaltungs- und Justizautonomie, wie sie bis dato üblich war, nun nicht weiter beachtet. Damit gehörten die herrschaftlichen und städtischen Verwaltungsorganisationen des frühen Mittelalters, die mit den Immunitätsbriefen und den Partikularrechten ihre jeweilige Verwaltungs- und Justizautonomie gegenüber dem König erhalten hatten, der Vergangenheit an.

1 Ich möchte Professor Albrecht Cordes für seine freundliche Einladung, an der Veranstaltung »Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.–19. Jahrhundert«, die vom 2.–4.10.2013 in Wetzlar stattfand, teilzunehmen, danken.

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II. Hauptcharakteristika der Schiedsgerichtsbarkeit in der Gesetzgebung von Alfons X. Als Ferdinands Sohn Alfons X. (1252–1284) die Regierung übernahm, kam es im Hinblick auf Prinzipien der rechtlichen Einheit und Erneuerung zu einem entscheidenden Impuls, der in ein Reformwerk der Krone mündete.2 Alfons, der den Beinamen »El Sabio« (der Weise) erhielt, förderte einen Gesetzgebungsprozess, der ein dreifaches Ziel verfolgte: 1. die autonomen städtischen Gemeindeverwaltungen des Königreichs Kastilien, die vor dem 13. Jahrhundert entstanden waren, zu verdrängen, 2. eine rechtliche Einheit in seinem Herrschaftsgebiet herzustellen und 3. die gesetzlichen Grundlagen zu erneuern. Die Gesetzeswerke Fuero Real (1255), Espéculo (1256, ein unvollendetes Werk, von dem fünf Bände erhalten sind) und Partidas (1265) waren die Wegbereiter zur Durchsetzung dieser Reformbestrebungen. Diese gesetzgeberische Tätigkeit stützte sich auf die Rezeption und Einführung des neuen gelehrten Rechts, des ius commune. Dieses Recht herrschte in fast ganz Europa seit dem 12. Jahrhundert vor und steuerte die programmatischen Prinzipien bei, die die Konsolidierung der königlichen Macht in Kastilien ermöglichten. Dies geschah durch den Übergang von der traditionellen Figur des »Richterkönigs« zum »Richter-König-Gesetzgeber«. Wie Antonio Pérez Martín aufgezeigt hat, arbeiteten die kastilischen Juristen die Königsdoktrin aus, die – gestützt auf dieses gelehrte Recht – die Einführung der exceptio ab imperio ermöglichte, was zu einer Gleichstellung mit dem Kaiser3 führte. Besondere Bedeutung hatte dabei die Ausarbeitung der Partidas, ein einflussreiches siebenbändiges Werk, das die Texte des Corpus Iuris Civilis und des Corpus Iuris Canonici in einer Übersetzung ins Spanische beinhaltete. Dies war die Grundlage für die Entwicklung der Doktrin des rex imperator in regno suo, nach der die Monarchie als Gottes Stellvertreterin auf Erden ihre Macht von Gott erhält4, die plenitudo potestatis innehat, diese an ihre Erben weitergibt und somit 2 Zur Thematik siehe die Arbeiten von Aquilino José Iglesia Ferreiros, Las Cortes de Zamora de 1274 y los casos de Corte, in: Anuario de Historia del Derecho Español (im Folgenden AHDE) 41 (1971), S. 945–972, und dems., Derecho municipal, Derecho señorial, Derecho regio, in: Historia Instituciones y Documentos (im Folgenden HID) 4 (1977), S. 115–197, sowie Miguel Angel Pèrez de la Canal, La justicia de la Corte en Castilla durante los siglos XIII al XV, in: HID 2 (1975), S. 385–481. 3 Antonio Pérez Martín, La institución real en el »Ius commune« y en las Partidas, in: Cahiers de Linguistique Hispanique Médiévale 23 (2000), S. 305–321, v. a. S. 308 ff. 4 Partidas 2,1,1: »Vicarios de Dios son los reyes casa uno en su reyno, puestos sobre las gentes para mantenerlas en justicia, e en verdad quanto en lo temporal, bien así como el emperador en su imperio«. Ich verwende die Ausgabe der Partidas glossiert durch den Lizenziaten Gre-



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sowohl die Regierungs- als auch die Justizgewalt übernimmt.5 Folglich richteten sich die Bestrebungen von Alfons X. darauf, auf dem Gebiet der Justiz die Einheit und Erneuerung der Rechtsprechung zu erreichen und so zu »einer hierarchischen Strukturierung der Gerichtsverfassung«6 zu gelangen. Nach Susana Aikin Araluce war es »Ziel dieser Ordnung […], Rechtssicherheit durch die Anwendung des königlichen Rechts zu erhalten«, und zwar »um einer juristisch-politischen Homogenisierung und Vereinheitlichung willen«.7 Lassen wir aber die Bewertung dieser gesetzgeberischen Tätigkeit sowie den Rückschlag, den sie durch den gegen Alfons gerichteten Aufstand, der erst mit dem Abkommen der Ständeversammlung von Zamora 1274 beendet wurde, erlitt, an dieser Stelle beiseite. Mit dem gerichtlichen Schutz der Anwendung der lokalen Stadtrechte und mit der Regulierung der sogenannten »pleytos foreros« – die im Gegensatz zu den »pleytos del rey« oder anderer Fälle, die am Hofe verhandelt wurden, standen – entstand im 13. Jahrhundert in Kastilien ein Prinzip, nach dem der König als oberster Richter als »der Richter schlechthin« galt, denn – so Pérez Martín – »er ernennt Richter, das Recht wird in seinem Namen gesprochen, er kann die Verhandlung eines jeden Falles für sich beanspruchen und man kann vor ihm Berufung einlegen gegen die von seinen Richtern ergangenen Urteile, sogar gegen die Urteile der höheren Gerichte (beneficium supplicationis)«.8 An diesem Punkt wollen wir die Anwendung einer Norm als Schlüssel für den frühen Erfolg einer autokratischen Monarchie in der Krone Kastiliens näher betrachten.9 Wenn wir uns den kastilischen Aphorismus ius est sententia iudicis gorio López: Las Siete Partidas. Del Sabio rey Don Alosno el Nono. Glosadas por el licenciado Gregorio López de Tovar, Salamanca 1555. 5 Partidas (wie Anm. 4) 1,1,8: »Sabida cosa es que todos aquellos poderes, que de suso diximos que los emperadores han e deven aver en las gentes de su imperio, que esos mismos han los reyes en las de sus reynos e mayores. Ca ellos non tan solamente son señores de sus tierras mientra biven, mas aun a sus finamientos las pueden dexar a sus herederos, porque han señorío por heredad, lo uqe non pueden fazer los emperadores, que lo ganan por elección, así como de suso diximos«. 6 Jesús Vallejo, La regulación del proceso en el Fuero Real. Desarrollo, precedentes y problemas, in: AHDE 55 (1985), S. 550. Die Gesetzgebung von Alfons X. wurde ebenfalls als ein direkter Angriff auf das lokale Herrschaftsrecht und damit auch generell auf seine Rechtsprechung angesehen. Siehe dazu Iglesia Ferreiros (wie Anm.2), insbesondere S. 154. 7 Susana Aikin Araluce, El recurso de apelación en el Derecho castellano, Madrid 1982, S. 11. 8 Pérez Martín (wie Anm. 3), S. 321. 9 Siehe Antonio Pérez Martín, El Derecho Procesal del Ius Commune en España. Instituciones de Derecho Común Europea, Murcia 1999; ders., El ordo iudiciarius »ad summariam notitiam« y sus derivados, in: HID 7 (1981), S. 195–266; ders., El estudio de la recepción del Derecho común en España, in: Joaquín Cerdá Ruiz-Funes/Pablo Sal-

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zu eigen machen, so war die frühe Kontrolle der Gerichte der Ausgangspunkt für die anschließende Etablierung einer unangefochtenen politischen Machtstellung des Königs – praktisch ohne institutionelle Einschränkungen in der Regierungsausübung, was Ende des 15. Jahrhunderts unter den Katholischen Königen vollends verfestigt wurde. Alfons X. führte als unangefochtene Maxime die königliche Kompetenz des »mero y mixto imperio« ein. Dies war die Grundlage, auf der Alfons XI. (1312–1350) bei der Ständeversammlung von Alcalá de Henares 1348 mit der Einführung des Corregidor (Statthalter oder Amtmann) die Kontrolle der städtischen Rechtsprechung an die Monarchie band. Darüber hinaus führte Heinrich II. von Trastamara (1369–1379) im Jahr 1371 die Audiencia –  ein Organ, das ausschließlich für Zivilverfahren zuständig war – ein.10 Wie Jesús Vallejo ausführt, war die »alfonsinische Dynamik« somit wegweisend und der Grund für die Tendenz, die gesamte frühmittelalterliche kastilische Gesetzgebung als einen Versuch anzusehen, »den Anspruch [des Königs] auf die ausschließliche Ausübung der Hochgerichtsbarkeit und somit auf die gesamte Bandbreite der ihm eigenen Gerichtshoheit« zu festigen.11 Wenn sich also in diesem Rahmen in Kastilien der König »als Protagonist eines Prozesses der Festigung und Verherrlichung seiner Figur sowie der Zentralisierung und Konzentration der politischen Macht auf seine Person«12 erweist, so geht dies unausweichlich mit einem eigenen, nach Instanzen strukturierten Gerichtsmodell Hand in Hand. Das Prinzip des trium conformium sententiarum wurde Ende des 14. Jahrhunderts mit der Einführung eines außerordentlichen letzten Rechtsmittels vor dem König, das mit dem erwähnten Prinzip in Einklang stand, endgültig etabliert: dem Rechtsmittel gegen eine Einspruchsentscheidung.13 Es handelte sich dabei aber definitiv um in Instanzen geordnete Gerichte. Die Einführung von Instanzen löste damit schließlich die vorherigen partikularrechtlichen Ordnungen, die auf mündlicher Tradierung basierten, ab. vador Coderch (Hg.), I Seminario de Historia del Derecho y Derecho Privado, Barcelona 1985, S. 241–326; Manuel Pérez-Victoria de Benavides, Prelación de Fuentes en Castilla (1348–1889), Granada 1993; ders., El juicio civil ordinario en el procedimiento de la Recepción, in: Anuario de Estudios Sociales y Jurídicos X–XI (1981–1982), S. 541–561. 10 Siehe Benjamin González Alonso, El Corregidor Castellano (1348–1808), Madrid 1970, und Carlos Garriga Acosta, La Audiencia y las Chancillerías castellanas (1371–1525). Historia política, régimen jurídico y práctica constitucional, Madrid 1994. 11 Jesús Vallejo, Historia del proceso, procedimiento de la Historia. Diez años de historiografía procesal en España (1979–1988), in: Per la Historia del Pensamiento Giuridico 34/35 (1990), S. 891. 12 David Roberto Torres Sanz, La Administración Central castellana en la Baja Edad Media,Valladolid 1982, S. 15. 13 Partidas (wie Anm. 4) 3,24,25 führt das Drei-Instanzen-Prinzip ein, damit das ergangene Urteil zu einer verhandelten Sache rechtskräftig wird.



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Diese neue Gerichtsstruktur, die gegen Ende des 14. Jahrhunderts bereits durch Juristen, die im ius commune bewandert waren, gefestigt war, wurde von der Einführung eines feierlichen ordo iudiciorum privatorum im dritten Teil der Partidas begleitet. Dieser gründete sich auf die Prinzipien der Schriftlichkeit und des Strengbeweises. Darüber hinaus wurden präklusive Prozessabschnitte etabliert, die unbedingt eingehalten werden mussten: Beginn per libellum, Gegenerklärung, Gegenerwiderung, Beweis, Schlussfolgerungen, Urteil, Rechtsmittel etc.14 – ein Prozessrahmen, der schon früh die Bildung eines spezifischen, komplexen und langwierigen kastilischen ordo iudiciorum privatorum erlaubte und dazu führte, dass die kastilische Gesellschaft zu einer prozessierenden Gesellschaft wurde, die sich daran gewöhnte, ihre Differenzen von der neuen Justiz, die dem ius commune anhing, beheben zu lassen. Von Anfang an wurde in Kastilien vor der königlichen Justizverwaltung geklagt und damit bei einer langsamen und sehr kostspieligen Rechtsprechung, die im Gegensatz zu früheren Verfahren stand. Vor allem die Kosten für die Prozessagenten und Rechtsanwälte, deren Hilfe für die neuen Verfahren und für die neuen Verwaltungsmethoden benötigt wurde, waren ein Aspekt, der immer wieder zu Beschwerden der Stände vor dem Parlament führte. Die Anstrengungen der Stände in dieser Sache spielten für die Verbesserung des Gerichtsprozesses dabei eine wichtige Rolle, denn die Vorschläge brachten – wie es David Roberto Torres Sanz beschreibt – »einen Prozess außerordentlicher Dimensionen« ins Rollen, »dessen Ziel es war, eine Justizverwaltung im Dienste des neuen Staates, den man aufzubauen versuchte, zu gestalten«.15 Greifen wir auf die zeitgenössische Literatur zurück, um die Bedeutung der frühen Einführung des ordo procesal des ius commune in Kastilien besser zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass trotz des Versuchs der Monarchie, seine Anwendung seit der Ständeversammlung von Alcalá de Henares 1348 zu verbieten (Titel XXVIII, Gesetz I), das ius commune in der Praxis die Grundlage für die Begründung der juristischen Fundamente und Prozessabsichten der Parteien in den Verfahren war. Dies stellte einen Zweckentfremdung seitens der Juristen dar, die für ihre Argumentationen rechtlich-literarische Werke ausführ14 Zur Entstehung des ordo procesal siehe Linda Fowler-Magerl, Ordines Iudiciarii and Libelli de Ordine Iudiciorum, Turnhout 1994, und dies., Ordo iudiciorum vel ordo iudiciarius. Begriff und Literaturgattung (Ius Commune-Sonderhefte 19), Frankfurt am Main 1984. 15 David Roberto Torres Sanz, Las Cortes bajomedievales castellano-leonesas y la Administración de Justicia, in: José Luís Martín Martín/Eduardo Fuentes Ganzo (Hg.), De las Cortes históricas a los Parlamentos democráticos. Castilla y León (XII–XXI), Madrid 2003, S. 171–198, hier S. 183. Zu den ständischen Beschwerden siehe auch María Paz Alonso Romero, Las Cortes y la administración de la justicia, in: Las Cortes de Castilla y León en la Edad Moderna, Valladolid 1989, S. 501–563.

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lich studierten (opinio communis doctorum), wodurch die ohnehin schon langen und kostspieligen Verfahren noch länger und teurer wurden. Diese Arbeitsweise führte wiederum zur Einführung bestimmter Zitierweisen, die den Umfang der Wiedergabe der opinio communis doctorum einschränkten. Diese Vorgehensweise sah vor, dass die Prozessparteien die opinio communis nur noch im Abschnitt der Schlussfolgerungen anführen durften, also bevor der Richter das endgültige Urteil fällte (Ständeversammlung von Briviesca 1287). Wie wir jedoch in dem Werk Cancionero de Baena, das im 15. Jahrhundert entstanden ist, lesen können, hatte diese Einschränkung nur mäßigen Erfolg. Denn oftmals nährten die unterschiedlichen Meinungen der Kommentatoren und Dekretalisten weiterhin eine Gerichtspraxis, die die Rechtsprechung in Kastilien in die Länge zog und nicht selten – da die Justizverwaltung häufig durch eine hohe Anzahl von Verfahren überlastet war – sogar die Armut von Prozessparteien zur Folge hatte. Ein Auszug aus dem Cancionero de Baena verdeutlicht darüber hinaus, dass zwischen dem »offiziellen Recht« und dem »praktischen Recht«, das dem richterlichen Schiedsspruch des ius commune verbunden war, unterschieden wurde: Desir que fue fecho sobre la justiçia e pleytos e de la gran vanidad d’este mundo Viene el pleyto á disputaçion, Alli es Bartola é Chino, Digesto: Juan Andrés e Baldo, Enrrique, do sson Mas opiniones que uvas en cesto, E cada abogado es y mucho preto E desqu’es bien visto é bien disputado Fallan el pleito en un punto errado. E tornan de cabo á quistion por esto. A las partes disen los sus abogados Que nunca jamas tal punto sintieron E que se fasen muy maravillados Por que en el pleito tal sentençia dieron; Mas que ellos ende culpa non ovieron, Por que non fueron bien enformados, E asy perecen los tristes cuytados Que la su justiçia buscando benieron. […] En tierra de moros un solo allcade Libra lo çevil é lo criminal E todo el dia de está él de balde Por la justiçia andar muy egual Alli non es Azo é nin Decretal Nin es Rruberto nin la Clementina, Salvo discreçion é buena doctrina, La qual muestra a todos bevir comunal.16 16 Aus dem Cancionero de Baena (340), anonym, Ende des 15. Jahrhunderts.



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Kehren wir jedoch zum Beginn der Rezeption des römisch-justinianischen Rechts zurück. Alfons X. ist es zu verdanken, dass nach den Partidas die Möglichkeit bestand, Meinungsverschiedenheiten auch außerhalb des Prozessbereichs im Rahmen des feierlichen ordo iuduciarius zu lösen. Zu einer Zeit, in der »Vergebung und freundschaftliche Ermahnung […] sehr viel höher geschätzt wurden als die objektiven und neutralen Urteile«17, und verbunden mit dem ersten Versuch, den römischen ordo iudiciorum privatorum zu etablieren, führte der weise König die subtile Unterscheidung zwischen »pleytos de justicia« (Gerichtsverfahren) und »pleytos de otras cosas« (sonstige Verfahren) ein. Dies erlaubte es der kastilischen Gesetzgebung, der Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel der Konfliktlösung zwischen den Parteien außerhalb der ordentlichen königlichen Gerichtsbarkeit einen Platz einzuräumen.

III. Die Grundzüge der Schiedsgerichtsbarkeit in der alfonsinischen Regelung18 Die Schiedsgerichtsbarkeit als Instrument zur Konfliktlösung war in den lokalen Stadtrechten in Form der Regelung der sogenannten »alcaldía de avenencia« (für die Streitschlichtung zuständige Bürgermeister) vorgesehen. Nach Antonio Merchán Álvarez war diese Einrichtung, die ihrer Natur und ihrem Charakter 17 Pedro Cardim, Memoria comunitaria y dinámica constitucional en Portugal (1640–1750), in: Pablo Fernández Albadelejo (Hg.), Los Borbones. Dinastía y memoria de Nación en la España del siglo XVIII, Madrid 2001, S. 117–140, hier v. a. S. 126. 18 Diejenigen Teile dieses Beitrags, die sich der Schiedsgerichtsbarkeit in Kastilien zur Zeit der Katholischen Könige widmen, stützen sich vorwiegend auf die Arbeiten von Antonio Merchan Alvarez, El Arbitraje. Estudio histórico-jurídico, Sevilla 1981; ders., El Arbitraje y el Derecho común. Consideraciones sobre los árbitros y los asuntos objeto de su jurisdicción, in: El Derecho común y Europa. Jornadas internacionales de Historia del Derecho de El Escorial, Madrid 2000, S. 121–156; ders., La alcaldía de avenencia como forma de justicia municipal en el derecho de León y Castilla, in: Estudios en Homenaje a don Claudio Sánchez Albornoz en sus 90 años, hg. von María del Carmen Carlé, Bd. III, Buenos Aires 1985, S. 263–292; ders., Consideraciones terminológicas y conceptuales sobre la distinción árbitros-arbitradores, in: Libro Homenaje a Juan Berchmans Vallet de Goytisolo, hg. von der Junta de Decanos de los Colegios Notariales de España, Bd. II, Madrid 1988, S. 627–648; ders., La jurisdicción arbitral en la Constitución de Cádiz, in: Juan Cano Bueso (Hg.), Materiales para el estudio de la Constitución de 1812, Sevilla 1989, S. 465–479; und ders., Un arbitraje sobre términos de villas señoriales, in: Historia, Instituciones y Documentos 14 (1987), S. 123–138. Vgl. dazu auch den Aufsatz von Jesús Vallejo, Amor de árbitros. Episodio de la sucesión de Per Afán de Ribera el viejo, in: Johannes-Michael Scholz (Hg.), Fallstudien zur spanischen und protugiesischen Justiz (15.–20. Jahrhundert), Frankfurt am Main 1994, S. 211–269.

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zufolge wohl von dem westgotischen Werk Liber Iudiciorum aus dem Jahre 654 beeinflusst wurde, »sehr gerichtlicher Natur, denn sie folgt der Tradition des Liber, kraft dessen der Streitschlichter ein iudex ex compromiso ist; und die Streitschlichtung ist Aufgabe des Bürgermeisters oder des Richters, so dass ein Urteil eines Schlichters ebenso viel Wert wie dasjenige eines Bürgermeisters oder eines ordentlichen Richters« hat.19 Dieses für die Streitschlichtung zuständige Amt wurde in die alfonsinische Gesetzgebung aufgenommen, obwohl sie bereits unter dem Einfluss des ius commune stand, wodurch sie eine Neuerung aufwies, die so bislang nicht bekannt gewesen war. Der Fuero Real, ein Werk, das teilweise sowohl das traditionelle kastilische Recht als auch die Hauptforderungen des Prozessrechts des ius commune übernahm, legte zum ersten Mal die Unterscheidung zwischen »Gerichtsverfahren« und »sonstigen Verfahren« fest: »Como los alcaldes puestos por las partes no pueden librar pleytos de justicia. Todos los pleytos que acaescieren, también de justicia, como de otras cosas, juzguen los alcaldes que fueron puestos por el rey e los que pusieren los alcaldes en su lugar, así como manda la ley; mas los que fueron puestos por avenencia de las partes no juzguen ningún pleyto de justicia«.20 Daher sah die königliche Gesetzgebung bereits ab 1255 die Schiedsgerichtsbarkeit als ein Mittel an, um ein Verfahren abzuschließen, ohne die ordentliche Gerichtsbarkeit des Königs zu bemühen. Die Schiedsentscheidung wurde als Urteil anerkannt und für den Fall, dass mehrere »alcaldía de avenencia« ernannt wurden, herrschte das Mehrheitsprinzip vor.21 Der Einfluss des ius commune machte sich auch in Aspekten wie der Einschränkung der Angelegenheiten, die der Schiedsgerichtsbarkeit übergeben werden konnten, bemerkbar. Ausgeschlossen wurden die sogenannten »Gerichtsverfahren«, das heißt schwere Kriminalprozesse, deren Urteile Strafen wie die Verstümmelung der Gliedmaßen oder die Todesstrafe nach sich ziehen konnten. Mit dieser gesetzgeberischen Vorgeschichte etablierten die Partidas eine weiter gefasste Regelung, die darin bestand, dass das Amt des Streit schlichtenden Bürgermeisters durch eine »zutiefst römische Regelung, […] wobei die Institution den Namen der ›Schiedsgerichtsbarkeit‹ [erhielt]«, ersetzt wurde, bei der die »traditionelle Figur des Streitschlichtungsbürgermeisters oder -richters Vorrang gegenüber der Figur des römisch-justinianischen Schiedsrichters [hatte]«.22 Die 19 Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 122. 20 Fuero Real 1,7,4. Ich zitiere die Ausgabe der Real Academia de la Historia, Imprenta Real, Madrid 1836. 21 Fuero Real (wie Anm. 20) 2,13,4. 22 Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 126 und S. 130. Die Partidas (wie Anm. 4) regeln dies in 3,4, Gesetze 23–35.



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Partidas regelten die verschiedenen Aspekte der kastilischen Schiedsgerichtsbarkeit, die im Wesentlichen bis ins 19. Jahrhundert Gültigkeit hatten: a) Unter der Bezeichnung ›Schiedsrichter‹ vereinen die Partidas zwei Arten von Richtern: zum einen die árbitros iuris (Schiedsrichter im engeren Sinne), die von den Parteien ernannt wurden, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung richteten, »als ob es sich um ordentliche Richter handeln würde«, und die Reihenfolge eines Prozesses einhielten; zum anderen diejenigen, die als árbitradores (Schlichter) bekannt waren, die nach bestem Wissen und Gewissen handelten, ohne sich den Vorgehensformalitäten der Justiz unterwerfen zu müssen.23 b) Ohne hier die Bestimmungen hinsichtlich Alter, Geschlecht oder Tauglichkeit der árbitros iuris oder Schlichter näher untersuchen zu wollen, soll dennoch auf einige Bestimmungen über sie hingewiesen werden, die in Partidas 3,4,24 zu finden sind. Diese nehmen zum Teil den Anfang von Digeste 4,8,9.2 auf und regeln: si quis iudex sit, árbitrium recipere eius rei, de qua iudex est, inve se compromitti iubere prohibetur lege Iulia. Hier wurde das Verbot, dass ein ordentlicher Richter árbitro iuris in einem Prozess wird, den er bereits auf ordentlichem Wege verhandelt, festgelegt. Hingegen wurde es dem Richter, der einen Prozess bereits begonnen hatte, nicht verboten, als Schlichter in demselben zu agieren, sofern die Prozessparteien dies ausdrücklich forderten. Auch war es ihm gestattet, árbitro iuris in einem anderen Prozess zu sein, der außerhalb seiner Zuständigkeit als Richter lag: »Quales pleitos, o contiendas pueden ser metidos en manos de auenidores, o non. En mano de auenidores, puede ser metido todo pleito, para delibrarlo, sobre qualcosaquier que sea […]. Otrosidezimos, que si alguna cosa fuere demandada en juyzio, delante del judgador ordinario, que si las partes quisieren meter el pleyto della, en mano de aquel juez, que lo libre por derecho, segund auenidor: que lo non puede fazer. Pero si aquel pleyto le quisiessen meter en poder del, en tal manera que lo librasse por auenencia delas partes, o en otra guisa qual el touiesse 23 Partidas (wie Anm. 4) 3,4,23: »Quantas maneras son de juezes de auenencia, e como deuen ser puestos. Arbitros en latin, tanto quiere dezir en Romance, como juezes auenidores, que son escogidos, e puestos de las partes, para librar la contienda, que en entrellos. E estos son en dos maneras. La vna es, quando los omes ponen sus pleitos, e sus contiendas, en mano dellos, que los oyan, e los libren, segund derecho. E estonce dezimos, que tales auenidores como estos: desque recibieren, e otorgaren, delibrar los assi, que deuen andar adelante por el pleyto, tambien como si fuesen juezes ordinarios, faziendo los començar el pelyto, ante si, por demanda, e por respuesta: e oyendo, e recibiendo las prueuas, e las razones, e las defensiones, que ponen cada vna delas partes. E sobre todo deuen dar su juyzio, segund entendieren que lo deuenfazer de derecho. La otra manera de juezes de auenencia es, a que llaman en latin arbitratores, que quieren tanto decir como aluedriadores, e comunales amigos: que son escogidos, por auenencia de amas las partes, para auenir, e librar las contiendas, que ouieren entre si, en qualquier manera que ellos touieren por bien. E estos atales, de oyr las razones de amas las partes: e de auenirlas enqual manera quisieren«.

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por bien, assi como amigo comunal: estonce dezimos que lo podría recebir el juez ordinario: maguer fuesse primero demandado antel en juyzio. E valdra todo lo que el dixere, o mandare, en razon de aquel pleyto. Mas si por auentura las partes loquisiessenmeter en mano de otri, puedenlofazer en qualmaneraquier: maguer sobre aquellacosa, fuessemouidopleyto en juyzio« (Partidas 3,4,24). c) Hinsichtlich der Angelegenheiten, die der Schiedsgerichtsbarkeit unterlagen, wurde in Partidas 3,4,25 festgelegt, dass die Parteien »sich zuerst versichern müssen, dass das Verfahren, das sie in seine Hände legen wollen, dergestalt ist, dass es von Streitschlichtungsrichtern abgehandelt werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein, dürfen und können sie dies keinesfalls tun […]«. So wurde in Partidas 3,4,24 die allgemeine Regel aufgestellt, dass »in die Hände der Schiedsrichter jede Art von Verfahren gelegt werden kann, um darüber zu verhandeln, über jede Angelegenheit, gleich, welche dies sei«, mit Ausnahme von schweren Kriminalfällen, die körperliche Züchtigungen, die Todesstrafe oder Verbannungen nach sich ziehen konnten, und derjenigen, bei denen es sich um Gemeingut, Eherecht oder Leibeigenschaft und Freiheit der Menschen handelte.24 Wie Merchán Álvarez a sensu contrario aufgezeigt hat, unterlagen der Schiedsgerichtsbarkeit somit diejenigen »Kriminalfälle, die so geartete Strafen nicht nach sich zogen, wie die Straftaten der Verleumdung und Beleidigung oder allgemein diejenigen Delikte, die mit Geldstrafen belegt werden«.25 d) Den Schiedsrichtern wurde die Verpflichtung auferlegt, ein Urteil zu fällen. Dies sollte schriftlich und feierlich geschehen (in Form einer öffentlichen Urkunde).26 Dadurch wurde das allgemeine Prinzip der Unanfechtbarkeit des Schiedsurteils festgelegt – zumindest bis zur Reform unter den Katholischen Königen.27 e) Es gab auch Fälle, die obligatorisch vor einen Schiedsrichter zu bringen waren, was vor allem in Handelsstreitigkeiten häufig praktiziert wurde (Partidas 5,10,5). Der einzige Fall, bei dem es sich um ein Schlichtungsverfahren handelte, waren Meinungsverschiedenheiten zwischen Gesellschaftern hinsichtlich der Abrechnungen einer Gesellschaft. Folglich etablierten die Partidas als Hauptcharakteristik die Existenz von zwei Vorgehensweisen bei der Schiedsgerichtsbarkeit, je nachdem, ob der bestehende Prozessweg eingehalten wurde oder nicht: die Vorgehensweise der Schiedsrichter (Rechtsschiedsrichter), bei der die gleichen Vorgehensregeln einzuhalten waren 24 Partidas (wie Anm. 4) 3,4,24. Danach wurde von der juristischen Literatur ebenfalls das Verbot eingeschlossen, Angelegenheiten, bei denen es um die Vormundschaft oder Pflegschaft von Minderjährigen ging, der Schiedsgerichtsbarkeit zu übergeben. Siehe hierzu Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 152 ff. 25 Ebd., S. 148 ff. 26 Partidas (wie Anm. 4) 3,4,29. 27 Partidas (wie Anm. 4) 3,4,35.



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wie in ordentlichen Verfahren (Prozessabschnitte etc.), und die sogenannte Vorgehensweise der Schlichter (Vermittler), bei der diese eine größere Handlungsfreiheit besaßen und sich nicht an die »Rechtsregeln« halten mussten und die Berechtigung hatten, die Parteien zu versöhnen oder zu einer Einigung zu bringen und ihre Meinungsverschiedenheiten zu schlichten.28

IV. Die gleichzeitige Praxis des árbitro iuris und des Schlichters (árbitrador): Die Reform unter den Katholischen Königen Die Zeit der Katholischen Könige ab 1474, dem Beginn des Absolutismus in Kastilien, war von Beginn an durch eine Neuorganisation der Gerichte gekennzeichnet und um eine Reform zur Bekämpfung der durch eine langsame, überlastete und auf die Anwendung des ius commune gestützte Justiz verursachten Probleme bemüht. Diese Reformbestrebungen waren der Ausdruck einer gefestigten königlichen Macht (De Dios), die einen Regierungs- und Justizapparat entwickeln konnte, der dafür sorgte, dass das königliche Recht eingehalten wurde.29 Auf der Ständeversammlung von Toledo 1480 wurde eine Reihe von Neuerungen eingeführt, die nach María Paz Alonso Romero zum Ziel hatten, »eine zuvor existierende Organisation zu sanieren und klarer zu gestalten«.30 Diese »hatte sich kumulativ gebildet und war vor allem in den Organen der höheren Justiz notwendig geworden: im königlichen Rat und der Audiencia y Chancillería«.31 Ziel dieser Erneuerungen war gleichzeitig eine strenge Kontrolle der Justiz in den verschiedenen Instanzen durch die Krone, eine Hierarchisierung ihrer Struktur sowie die Beschleunigung der Justizverwaltung, um Prozessverzögerungen zu vermeiden. Nach Beendigung der Neugestaltung der Gerichtsstruktur, die 1494 praktisch schon abgeschlossen war, war die Reform des feierlichen ordo iudiciorum privatorum an der Reihe, die darauf zielte, die Langsamkeit des beschwerlichen und komplexen Prozesses zu bekämpfen, und sich besonders an die Organe der höchsten Instanz – den Rat von Kastilien und die Audiencia – richtete. Der Umgestaltungsprozess folgte dem, was Papst Clemens V. in seiner berühmten Dekretale Saepe contingit festgelegt hatte, dass die Verfahren »einfach und ohne 28 In Bezug auf den árbitrio judicial siehe Pedro Ortego Gil, El arbitrio de los jueces inferiores. Su alcance y limitaciones, in: Josè Sánchez-Arcilla Bernal (Hg.), El arbitrio judicial en el Antiguo Régimen (España e Indias, siglos XVI–XVII), Madrid 2013, S. 133–220. 29 El Consejo Real de Castilla (1385–1522), hg. von Salustiano de Dios, Madrid 1982, S. 146. 30 Alonso Romero (wie Anm. 15), S. 512. 31 Ebd.

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Prozess« abgehandelt werden sollten, »nur durch Herausfinden der Wahrheit«.32 Die zahlreichen Beschwerden in der kastilischen Ständeversammlung zielten alle in diese Richtung und prangerten die Verteuerung der Rechtsstreitigkeiten sowie ihre Verzögerung an und vertraten die Meinung, »es sei sehr schädlich, die Justiz für den, der recht hat, zu verzögern, denn es sei, als ob man sie ihm wegnähme«.33 In diesem Sinne erließen die Katholischen Könige zwischen 1499 und 1503 eine weitgefasste Prozessgesetzgebung, deren Ziel es war, den ordo iudiciorum in seinen verschiedenen Instanzen zu verbessern und zu beschleunigen sowie den übertriebenen Gebrauch der Literatur des ius commune einzuschränken – ohne sie aber ganz auszuschließen. Die »Leyes por la Brevedad y Orden de los Pleitos« (Gesetze über die Kürze und die Ordnung der Rechtsstreite) von 1499 wurden von den am 4. Dezember 1502 in Madrid erlassenen Ordenanzas (Anordnungen) aufgehoben, die wiederum von den Ordenanzas von Alcalá de Henares vom 17. Januar 1503 vervollständigt wurden. Dies war eine ehrgeizige Prozessgesetzgebung, die, wie Carlos Garriga Acosta aufgezeigt hat, »die Formalitäten und Fristen des ordentlichen Prozesses ordnete, die durch die ungeordnete Gesetzgebungspolitik des Frühmittelalters durcheinandergebracht worden war«.34 In diesem Ambiente der Vereinheitlichung der Rechtsprechung und Vorgehensweisen reformierten die Katholischen Könige ebenfalls die Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit. Seit ihrer Regelung in den Partidas 3,4 erfüllte die Schiedsgerichtsbarkeit eine essenzielle Funktion als Mittel zur Konfliktlösung, als Alternative zum starren, formalistischen, breiten und teuren Ablauf des ordo iudiciorum.35 Insbesondere war es aufgrund der Doppelregelung, die in den Partidas eingeführt worden war, sowie des Fehlens einer Prozessökonomie des ordo iudiciarius häufig der Fall, dass die Prozessparteien, die einen Rechtsstreit angestrengt hatten, sich der Schiedsgerichtsbarkeit zuwandten und so eine schnellere und kostengünstigere Lösung für die Konfliktbeendigung suchten. Dieser Aspekt führte zu einer häufigen Praxis der árbitraje iuris oder der richterlichen Schiedsgerichtsbarkeit, die gleichzeitig zur rechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit führte. Sie gab dem Richter, der mit der Verhandlung des Rechtsstreites begonnen hatte, die Möglichkeit, entweder in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht zu 32 Ordenanzas de Toledo de 1480, Nr. 26, siehe Cortes de los antiguos reinos de León y de Castilla (im Folgenden CLC), Bd. 4, hg. von der Real Academia de la Historia, Madrid 1861, S. 118–119. 33 Obwohl wir uns auf einen Text der Cortes de Valladolid von 1542 beziehen, waren diese Beschwerden auch zu Zeiten der Katholischen Könige eine Konstante – siehe in diesem Kontext auch die Bitten 26 und 28 der Ständeversammlung von Toledo von 1480 (CLC Bd. 4, S. 118) und 155–157 (CLC Bd. 5, S. 239), der dieses Zitat entnommen ist. 34 Garriga Acosta (wie Anm. 10), S. 149. 35 Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 45 ff.



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handeln (wie in der ordentlichen Gerichtsbarkeit) oder aber als Schlichter beziehungsweise Streitschlichtungsrichter zu agieren und den Rechtsstreit nach bestem Wissen und Gewissen zu lösen, also »nur eine Übereinkunft in gutem Glauben und ohne List zu suchen« (Partidas 3,4,23). Wenn wir zuvor auf den Aphorismus ius est sententia iudicis anspielten, so zeigt sich in der Rechtspraxis auch ein Bestreben der Richter selbst, nicht prozessuale Formen zur Beendigung von Rechtsstreitigkeiten zu finden – vor allem in Fällen, in denen sich die Auseinandersetzungen äußerst lange hinzogen und mit hohen Prozesskosten verbunden waren. Deswegen erlangte die Figur des Richters als árbitro iuris árbitrador im ausgehenden Mittelalter eine außerordentliche Bedeutung.36 Die existierenden Dokumente verdeutlichen, dass die Prozessparteien sich oft während eines Rechtsstreites an den árbitro iuris als Schlichter wandten und so dem Schiedsrichter die Möglichkeit gaben, den Konflikt außerhalb des festgelegten Rechtsweges zu lösen.37 Analysieren wir innerhalb dieses Bereichs ein Beispiel der richterlichen und der rechtlichen Schlichtung: den Streit über die Grundsteuerveranlagung und Nutzung der Gemeingüter in den herrschaftlichen Orten Sepúlveda und Fuentedueña.38 Im Mai 1449 ernannten die Herren dieser Orte »den ehrenwerten gelehrten Herrn Alfonso García de Cuellar, Richter an der Audiencia unseres Herrn, des Königs« zum kommissarischen Richter, um den bestehenden Rechtsstreit um die Demarkation ihrer jeweiligen Ortsgrenzen zu lösen. Diese Auseinandersetzung konnte auf dem zuvor eingeschlagenen Rechtsweg bislang nicht gelöst werden, obwohl zuvor bereits zwei weitere kommissarische Richter vom König mit dieser Angelegenheit betraut worden waren. Im Februar 1452, fast drei Jahre später, war noch immer kein Urteil ergangen. Der Rechtsstreit war komplex und verzögerte sich, weswegen die Prozessparteien beschlossen, sich an die Schiedsgerichtsbarkeit zu wenden. Am 13. Februar 1452 wurde ein Schiedsgerichtsbrief zugunsten des Richters García de Cuellar ausgestellt, damit dieser darüber entscheiden solle, »welches die Grenzen, Weiden, Wald- und sonstigen Grundstücke seien, die jeweils zu den Orten Sepúlveda und Fuentedu-

36 Ein Aspekt, der nicht nur in der Krone Kastiliens beobachtet werden kann, sondern auch in der französischen Gerichtsordnung. Dazu W. F. Leemans, Juge ne peut accepter arbitraje. L’applitión de cette régle dans le Principauté d’Orange et une sentence arbitrale en langue provençale, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 46 (1978), S. 99–106, hier S. 100 ff. 37 Unter anderen Quellen finden wir die von Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 283ff. und Merchan Alvarez, Un arbitraje sobre términos (wie Anm. 18), S. 123–138 sowie von Vallejo (wie Anm. 18). 38 Siehe Colección Diplomática de Sepúlveda, Bd. I, hg. von Emilio Saez, Segovia 1956 und Merchan Alvarez, Un arbitraje sobre términos (wie Anm. 18), S. 123 ff.

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eña gehören«.39 Die Wahl beziehungsweise die Ernennung erfolgte im gemeinsamen Einverständnis zwischen den Herren der beiden Orte – Alvaro de Luna (Sepúlveda) und seinem Sohn Pedro de Luna (Fuentedueña) – und wurde vor dem öffentlichen Notar und Kammerschreiber Francisco Martínez de Talavera durchgeführt. Sie erging durch eine öffentliche Urkunde, in der die Prozessparteien ausdrücklich auf die Rechtsprechung verzichteten. García de Cuellar wird in seiner Eigenschaft als »Richter, Schiedsrichter, Schlichter, Freund, Vermittler, Vergleicher« anerkannt und mit der doppelten Eigenschaft des árbitro iuris (Schlichter und Richter in Übereinstimmung mit Partidas 3,4,24) ausgestattet. Dies ermöglichte es ihm, nicht nur als árbitro iuris zu handeln, sondern auch als rechtlicher Schlichter.40 Wie Merchán Álvarez zusammenfasst, waren bei dieser Dualität die gerichtlichen Kompetenzen, die García de Cuellar als árbitro iuris árbitrador zugestanden worden waren, sehr weit gefasst. Er genoss »eine große Freiheit, sowohl in der Ausübung der Vorgehensweise als auch im Erlass des Urteils«. Allerdings dürfen wir die Qualifizierung des Schiedsrichters nicht vergessen und auch nicht, dass ein »sehr viel gebildeteres Regelsystem« angewandt worden war, »[…] ähnlich demjenigen, das in den Partidas enthalten ist«.41 Der Schiedsrichter konnte die Prozessform auswählen – mündlich oder schriftlich –, ob an einem Feiertag geschlichtet werden sollte, ob die Parteien zur Aussage bei der Schlichtung gerufen werden sollten etc. Eine große Freiheit, die mit der geringen Frist von zwei Monaten kontrastierte, die ihm die Prozessparteien eingeräumt hatten. Sie wurde später um zwei weitere Monate verlängert, damit der Rechtsstreit mit einem Urteil abgeschlossen werden konnte.42 Schließlich erging das Schiedsurteil im Juni 1452, das ausdrücklich so genannt wurde und gegen das Rechtsmittel einzulegen die Prozessparteien verzichteten. Gleichzeitig wurden der Vollstreckung ebenfalls zwei Monate zugestanden.43 Dieses Schiedsurteil wurde mittels eines zweiten Urteils vom 22. Juni 1452 berichtigt, das den Rechtsstreit beendete – obwohl die Parteien unzufrieden mit der Lösung waren und sogar ihre Absicht bekundeten, Rechtsmittel dagegen einzulegen. Diese Praxis, einen rechtlichen Schiedsrichter zu ernennen – jemanden, der juristisch geschult war und als tatsächlicher Schiedsrichter agieren konnte –, führte definitiv zu einer Fusion der Schiedsgerichtsbarkeit, was nach Merchán Álvarez »eine Ausweitung der Nichteignungsgründe für Schiedsrichter auf die Schlichter zur Folge hatte, wodurch es einem Richter allgemein verboten wurde, 39 40 41 42 43

Colección (wie Anm. 37), Nr. 159, S. 554 und Nr. 171, S. 565 und 575. Colección (wie Anm. 37), Nr. 169, S. 554 f. Merchan Alvarez, Un arbitraje sobre términos (wie Anm. 18), S. 129 und S. 138. Colección (wie Anm. 37), Nr. 169, S. 556 ff., und Nr. 170, S. 560 ff. Ebd., Nr. 171, S. 565 ff.



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Schiedsrichter zu sein«.44 Auch ohne in den Bereich der Reformen der schiedsrichterlichen Vorgehensweisen tiefer einzudringen, ist kurz auf die von den Katholischen Königen eingeführten Reformen zur Vermeidung der Praxis des árbitro iuris árbitrador einzugehen, da in ihnen die Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit jener Zeit erkannt werden kann. Eine der ersten Handlungen der Katholischen Könige war die Reform der kastilischen Audiencia durch die Ordenanzas von Medina del Campo 1489. Jedoch finden wir ebenfalls den Versuch, die Praxis des Schiedsgerichts bei bereits vor den Gerichtsorganen eröffneten Rechtsstreiten einzuschränken. Zu jener Zeit verboten die Monarchen den Zivilrichtern und Bürgermeisterrichtern (Strafrichtern) ausdrücklich, als Schiedsrichter tätig zu werden. Allerdings gab es für dieses Verbot zwei Ausnahmen: einerseits die gemeinschaftliche Schiedstätigkeit, bei der alle Richter, die das Tribunal bildeten und in der Sache entschieden, die Schiedstätigkeit annehmen konnten, und andererseits die ausdrückliche königliche Erlaubnis, als Schiedsrichter tätig zu werden. Im Falle der Zuwiderhandlung sah das Gesetz eine Strafe (einen Monat Suspendierung vom Dienst) und den Verlust zweier Monatsgehälter vor.45 Das Verbot, in bereits begonnenen Rechtsstreitigkeiten zu urteilen oder in solchen, die unter die richterliche Kompetenz fallen könnten, wurde im Jahre 1500 auf ordentliche Richter ausgedehnt – Gouverneure, Amtsmänner und Richter, die die Amtshandlungen der Beamten untersuchten.46 Jedoch wurden die Verbote in der Praxis nicht eingehalten – wohl aufgrund der Bedeutung, die der árbitro iuris árbitrador erreicht hatte. Darüber hinaus war diese Einrichtung oftmals missbräuchlich verwendet worden. Wir dürfen nicht vergessen, wenn wir Merchán Álvarez folgen, dass es wahrscheinlich die Rich44 Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 143. 45 Ordenanzas de Medina del Campo de 1489, Kap. 24: »Que los oidores, y Alcaldes no sean Abogados, ni árbitros […]. Otrosi ordenamos, que los nuestros Oidores, y alcaldes no sean Abogados […] ni aceten arbitramiento después de començado el pleyto ante ellos salvo si el negocio se compremetiere en todos los Oidores de un auditorio, ò con nuestra licencia, so pena que por qualquierdestas cosas que quebrantaren sean echados de la Audiencia por treinta dias, y pierdan el salario de dos meses«. Aus: Nueva Recopilación de Leyes de Castilla 2,5,17. Ich zitiere die offizielle Ausgabe: Madrid 1640. Sie wurde zur Novísima Recopilación de las Leyes de España von 1805, Novísima 5,11,5. 46 Nueva Recopilación (wie Anm. 44) 3,6,9: »Que no consientan lleuar assessores, ni vistas de processos, ni reciban compromissos de pleitos que ante ellos esten pendientes. Iten, que no lleuen, ni consientan lleuar a sus oficiales assessorias, ni vistas de procesos, segun que se contiene en la ley nueue, titulo precedente, y que sobre ello reciban juramento a sus Alcaldes y Tenientes, y sino lo guardaren que lo castiguen, y no reciban el, ni sus oficiales compromissos de ningunos pleytos que ante ellos estuuieren pendientes, ni del que pudiere conocer, so pena que torne lo que lleuare con otro tanto«.

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ter selbst waren, die den Prozessparteien empfahlen, einen Schiedsrichter anzurufen. Sie waren es nämlich, die seine Anwendung ausschließen konnten, eine Praxis, die »dem Fiskus bedeutende Rechtsverluste« verursachte »und gleichzeitig eine nicht zu verachtende Einkommensquelle für diejenigen bedeutete, die als Schiedsrichter ernannt wurden«.47 Aus diesen Gründen griffen die Monarchen ausdrücklich ein und wiederholten in der »Königlichen Urkunde vom 29. März 1503« das ausdrückliche Verbot für die Richter, als Schiedsrichter zu agieren. Auch die gemeinschaftliche Schiedstätigkeit wurde in dieser Urkunde untersagt und es blieb nur noch die Möglichkeit der ausdrücklichen Erlaubnis des Königs bestehen, in zweifelhaften und komplizierten Rechtsstreiten als Schiedsrichter tätig zu werden.48

V. Fazit Folglich deutet alles darauf hin, dass zu Zeiten der Katholischen Könige die Schiedsgerichtsbarkeit zu einer häufigen und sehr gefragten Praxis geworden war. Sie stellte eine Alternative zum langsamen und kostenaufwendigen Ablauf des feierlichen kastilischen ordo iudiciarium privatorum dar – insbesondere – und dies dürfen wir nicht vergessen – wenn diejenigen, die sie in Gang brachten (Richter, Bürgermeister, Richter der Audiencias etc.), diejenigen waren, die Befugnis hatten, diese zum Ende zu bringen, wie es Partidas 3,4,24 vorsah. So wurde die Praxis, als Alternative zum Prozessweg einen Schiedsrichter anzurufen, vielfach aus finanziellen Überlegungen heraus missbräuchlich angewandt, was zu ihrer massiven Einschränkung durch die Katholischen Königen in der erwähnten Urkunde von 1503 führte und sie nur noch für einen einzigen Fall zuließ: »bei einem zweifelhaften und komplizierten Rechtsstreit«.49 47 Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 144. 48 Real Cédula de 29 de marzo de 1503: »Que el Presidente y Oidores no compelan à las partes comprometer sus causas sin se consultar. Mandamos, que de aquí adelante nuestros Presidentes, y Oidores de las nuestras Audiencias, no manden a las partes que comprometan en sus manos los pleytos que truxeren, sino que en todos los negocios determinen lo que sea justicia: y que esto mismo se haga en los pleitos que hasta aqui estan comprometidos, que no están sentenciados. Y si por ventura algún pleito fuere tan dudoso, y intrincado, que parece que no se puede bien determinar la justicia, y que se debe mandar comprometer, los dichos Presidentes y Oidores no lo hagan, sin lo consultar primero con Nos; y nos embien la razon del negocio que fuere, con los votos de los Oidores que lo ovieren visto, y con las causas que les mouieren, para que Nos mandemos lo que se debe hacer«, in: Nueva Recopilación (wie Anm. 44) 2,5,13 und 5,1,17. 49 Merchan Alvarez, El Arbitraje y el Derecho común (wie Anm. 18), S. 144 ff., und Vallejo (wie Anm. 18), S. 227 ff.



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Es handelte sich also um eine »obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit«, die den árbitraje iuris verdrängte und nur noch abhängig von einem Kriterium war: ob der Rechtsstreit wegen seiner Schwierigkeit nur schwer auf dem ordentlichen Prozessweg durchgeführt werden konnte und somit das Schiedsverfahren eine Alternative zu diesem mühseligen Geschäft darstellte. Hinzu kamen solche Fälle, in denen die Parteien nicht über eine höhere Instanz verfügten, die angerufen werden konnte.50 So wurde die Gerichtspraxis des árbitro iuris als rechtlicher Schiedsrichter beendet und damit die Schiedstätigkeit der Richter als Alternative des ordentlichen Prozesswegs etabliert. Seit den Katholischen Königen blieb praktisch als Weg der Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten nur der Prozess, sodass die kastilische Gesellschaft zu einer prozessierenden Gesellschaft mit einer langsamen, hierarchisierten und kostspieligen königlichen Justizverwaltung wurde.51

50 Als Beispiel einer solchen obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit bei einem zweifelhaften und komplizierten Prozess mag das kolumbische Schiedsverfahren dienen, das den 1511 zwischen dem Katholischen König und Kolumbus begonnenen Rechtsstreit mittels eines Schiedsspruches im Jahre 1536 beendete. Gegenstand dieses Rechtsstreits war die juristische Natur der Titel, Gnaden und Gunsterweisungen, die dem Admiral von den Katholischen Königen seit den Kapitulationen von Santa Fé 1491 verliehen worden waren. Es ging um die Frage, ob ein Vertrag zwischen den Parteien vorlag oder ob es sich um eine königliche Vereinbarung handelte. Da keine Einigung erzielt werden konnte, wurden 1535 die Rechtsgelehrten García de Loaysa, Präsident des Überseerats, und Gaspar de Montoya, Präsident des Königlichen Rats von Kastilien, zu Schiedsrichtern ernannt. Diese obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit konnte den Rechtsstreit mittels Schiedsspruch am 28. Juni 1536 beenden, der am 7. Juli 1536 rechtskräftig wurde, da er von beiden Streitparteien akzeptiert und kein Rechtsmittel eingelegt wurde. Siehe hierzu u. a. Gustavo Villapalos Salas, La naturaleza procesal de los pleitos colombinos, in: Anuario Jurídico 3/4 (1976/77), S. 285–308; Angel Altolaguirre y Duvale, Estudio jurídico de las s Capitulaciones y Privilegios de Cristóbal Colón, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 38 (1901), S. 279–294 und Teresa Vila Vilar, Los pleitos colombinos, in: AHDE 63/64 (1993), S. 897–956. 51 Siehe hierzu die Werke von Richard L. Kagan, Pleitos y poder real. La Chancillería de Valladolid, 1500–1700, in: Cuadernos de Investigación Histórica 2 (1978), S. 291–316; ders., Pleitos y pleiteantes en Castilla (1500–1700), Salamanca 1991; Francisco Josè Aranda Pérez, Letrados, Juristas y Burócratas en la España Moderna. Ediciones de la Universidad de Castilla-La Mancha, Cuenca 2005 und Juan Benyto Pérez, La gestación de la magistratura moderna, in: AHDE (1953), S. 55–81.

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Über das Ausloten von Grenzen: Schiedsgerichtsbarkeit im Schwäbischen Bund (1488–1534) I.  Einleitung: Schiedsgerichtsbarkeit als integraler Bestandteil einer Landfriedenseinung. II. Professionalisierung und Institutionalisierung. III. Schiedsgerichtsbarkeit und Reichsjustiz. IV. Leistungsfähigkeit und Grenzen bündischer Schiedsgerichtsbarkeit. V. Fazit.

I. Einleitung: Schiedsgerichtsbarkeit als integraler Bestandteil einer Landfriedenseinung Die verfassungsgeschichtliche Forschung hat dem Schwäbischen Bund (1488– 1534) traditionell immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt, gilt er doch als verfassungsgeschichtlich bedeutendste Landfriedenseinung im Heiligen Römischen Reich.1 Rechtsgeschichtlich kann er ebenfalls ein besonderes Interesse beanspruchen, weil er die Tradition der Schiedsgerichtsbarkeit als Bestandteil spätmittelalterlicher Landfriedenseinungen auf einen Höhepunkt geführt hat.2 Er hat dabei einerseits den Funktionszusammenhang von Friedenswahrung und Schiedsgerichtsbarkeit noch einmal eindrucksvoll demonstriert, zugleich aber auch die Grenzen einer solchen Konzeption, Frieden durch jeweils vereinbarte Rechtsverfahren zu sichern, geradezu exemplarisch vorgeführt. Der Institutiona1 Ernst Bock, Der Schwäbische Bund und seine Verfassungen 1488–1534. Ein Beitrag zur Geschichte der Reichsreform. Neudruck der Ausgabe Breslau 1927 mit Vorrede des Verfassers, Aalen 1968. Die rechts- und verfassungsgeschichtlichen Aspekte beleuchtet v. a. Adolf Laufs, Der Schwäbische Kreis. Studien über Einungswesen und Reichsverfassung im deutschen Südwesten zu Beginn der Neuzeit, Aalen 1968, S. 58–141. Allgemein zum Schwäbischen Bund Horst Carl, Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 24), Leinfelden-Echterdingen 2000; bündische Nachfolgeorganisationen im Gefolge des Schwäbischen Bundes traktiert Guido Komatsu, Landfriedensbünde im 16. Jahrhundert. Ein typologischer Vergleich, Göttingen 2001. 2 Ingeborg Most, Schiedsgericht, Rechtlicheres Rechtgebot, Ordentliches Gericht, Kammergericht. Zur Technik fürstlicher Politik im 15. Jahrhundert, in: Aus Reichstagen des 15. und 16. Jahrhunderts. Festgabe, dargebracht der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Göttingen 1958, 116–153; Herbert Obenaus, Recht und Verfassung der Gesellschaften mit St. Jörgenschild in Schwaben. Untersuchungen über Adel, Einung, Schiedsgericht und Fehde im fünfzehnten Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 7), Göttingen 1961.

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lisierungsprozess einer solchen Schiedsgerichtsbarkeit, der sich durchaus parallel zu einer beschleunigten Verdichtung der Reichsverfassung um 1500 vollzog, näherte das bündische Schiedsgericht immer mehr einem ortsfesten »ordentlichen« Gericht an und gefährdete damit gerade die spezifischen Vorzüge einer Schiedsgerichtsbarkeit. Wenn der Schwäbische Bund als Exempel für die Annäherung von Schiedsgerichtsbarkeit und ordentlicher Gerichtsbarkeit dient, dann bietet diese Konstellation auch Hinweise darauf, welche schiedsgerichtlichen Traditionen und Praktiken auf die Ausgestaltung der Reichsjustiz ausgestrahlt haben oder dort integriert worden sind. Die verfassungsgeschichtliche Bedeutung des Bundes für die Ausgestaltung der Landfriedensregelungen im Reich hat schon Johann Friedrich Datt 1698 zur Leitlinie seines Kompendiums zur Geschichte des Landfriedens im Reich gemacht.3 Solche institutionelle Nähe gründet zunächst in einer zeitlichen Parallelität: Die Etablierung des Reichskammergerichts 1495 fiel in die erste Einungsphase des Bundes (1488–1496), unter dessen führenden Mitgliedern sich zugleich Protagonisten der sogenannten »Reichsreform« finden.4 Doch auch bei der Gerichtsbarkeit beider Institutionen sollte es in der Folgezeit erhebliche personelle Verflechtungen geben: Einige der Bundesrichter wechselten nach ihrer Tätigkeit ans Kammergericht, während wiederum Kammergerichtsprokuratoren zeitweilig als Bundesrichter fungierten.5 Formen der Schiedsgerichtsbarkeit und bündische Landfriedenswahrung waren indes schon vor Gründung des Schwäbischen Bundes systematisch aufeinander bezogen, wobei diese Verbindung insbesondere den oberdeutschen und »eidgenössischen« Raum charakterisierte.6 Aufgrund der hier besonders ausgeprägten herrschaftlichen Zersplitterung sollte nicht mehr wie in den Reichslandfrieden königlicher Provenienz im 13. oder 14. Jahrhundert oder wie in territo3 Johann Philipp Datt, Volumen Rerum Germanicarum Novum, Sive De Pace Imperii Publica Libri V: ad illustrandam publicae pacis, regimenti, camerae imperialis, Vemicorum Westphaliae iudiciorum, foederum imperii eiusque statuum [...] statusque seculi XII. XIII. XIV. & XV. publici historiam, ex antiquis legibus, rescriptis Caesarum, actis & recessibus comitiorum veterum [...], Ulm 1698. Zur Bedeutung des Landfriedens für die Verfassungsgeschichte des Reiches Horst Carl, Art. Landfrieden, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, ²2014, Sp. 483–505. 4 Aufgrund nicht immer korrekter Zuordnung hat die ältere Forschung diesen Aspekt unterschätzt: Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 1), S. 78 f. 5 Siegfried Frey, Das Gericht des Schwäbischen Bundes und seine Richter 1488–1534, in: Josef Engel (Hg.), Mittel und Wege früher Verfassungspolitik, Stuttgart 1979, S. 224– 281. 6 Karl Siegfried Bader, Die Entwicklung und Verbreitung der mittelalterlichen Schiedsidee in Südwestdeutschland und in der Schweiz, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Neue Folge 54 (1935), S. 100–125.



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rialen Landfrieden ein ordentliches königliches oder landesherrliches Gericht für rechtliche Konfliktregelung zuständig sein, sondern ein zwischen den Vertragspartnern eines Landfriedensbundes verpflichtend vereinbartes Schiedsgericht. Da Verfahren und Zusammensetzung in den Einungsbriefen in der Regel detailliert vorab festgelegt wurden, findet sich in der rechtsgeschichtlichen Begriffssystematik dafür der Begriff des »institutionalisierten« Schiedsgerichts.7 Auch den Fehden gegen außerhalb der jeweiligen Landfriedenseinung stehende Stände ging ein Angebot eines Schiedsgerichtes voraus. Der Rechtscharakter der Fehde äußerte sich hier also nicht mit Bezug auf ein königliches oder landesherrliches Gericht, sondern in Form schiedsgerichtlichen Konfliktaustrags – und dies war im Spätmittelalter die Regel und nicht die Ausnahme.8 Der Schwäbische Bund knüpft dabei in direkter Kontinuität an die oberdeutschen Landfriedenseinungen des Adels an, von denen die »Gesellschaft mit Sankt Georgenschild« im 15. Jahrhundert modellbildend wurde. Grundlegende Strukturen, so die Fixierung der Vereinbarungen in einem von den Einungsmitgliedern beschworenen Einungsbrief als Verfahrensgrundlage oder die Konkretisierung des rechtlichen Austrags – etwa Zusammensetzung und Kompetenz eines Schiedsgerichts –, finden sich bereits im Georgenschild.9 Ebenso lässt sich in diesen Einungsbriefen auch schon die Verflechtung von deutschrechtlichen Traditionen in Gestalt der Scheidung von Urteilern und Richtern oder dem Institut der Urteilsschelte mit Traditionen des kanonischen Rechts beobachten. Von Oberitalien aus hatte dieses die oberdeutsche Ausformung der Schiedsgerichtsbarkeit schon seit dem Hochmittelalter beeinflusst.10 Die Zuständigkeit eines solchen bündischen Schiedsgerichts war weder personal noch in puncto Rechtsmaterien umfassend. Von der Schiedsgerichtsbarkeit in Landfriedensmaterien blieben beispielsweise Streitigkeiten um Frevel, Erbfall, Eigen oder Lehen sowie maleficia und »sachen, so die ere antreffen«, ausgeschlossen. Konflikte zwischen Hintersassen der fürstlichen oder adeligen Einungsmit7 Im Unterschied zu speziellen beziehungsweise »isolierten« Schiedsgerichten, die ad hoc zur Konfliktregelung tätig wurden. Karl Siegfried Bader, Das Schiedsverfahren in Schwaben vom 12. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert, Freiburg 1929, S. 36 ff.; Obenaus (wie Anm. 2), S. 94–99. 8 Hierin liegt der entscheidende Erkenntnisgewinn der Arbeit von Obenaus gegenüber den Forschungen Otto Brunners, der sehr stark auf bereit verfestigte Territorialstrukturen rekurrierte. Obenaus (wie Anm. 2), S. 66 f. 9 Diese Kontinuität belegte schon Datt (wie Anm. 3), S. 254–315; grundlegend Obenaus (wie Anm. 2), passim. 10 Dies betraf etwa Appellationsmöglichkeiten sowie die Flexibilität des Verfahrens. Bader, Schiedsverfahren (wie Anm. 6), passim; Karl-Heinz Ziegler, Arbiter, arbitrator und amicabilis compositor, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 84 (1967), S. 376–381.

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glieder oder im Schwäbischen Bund dann auch zwischen einzelnen Bürgern der Mitgliedsstädte verblieben vor den zuständigen Gerichten.11 Auffällig ist, dass in den meisten Einungs- und Bundbriefen nicht ausdrücklich festgehalten ist, dass das Schiedsgericht »nach minne und recht« urteilen solle.12 Für die Gesellschaften mit Sankt Georgenschild ist vermutet worden, dass es selbstverständlich gewesen sei, dass das Schiedsgremium zunächst eine gütliche Einigung versuchen sollte, weshalb sich eine entsprechende schriftliche Fixierung im Einungsbrief erübrigt habe.13 Auch in den einzelnen Bundesbriefen anlässlich der Gründung und periodischen Verlängerung des Schwäbischen Bundes (1488, 1496, 1500, 1512, 1523) findet sich ein entsprechender Passus nicht. Für das Bundesgericht lassen sich in Einzelfällen zwar durchaus erfolgreiche oder gescheiterte Güteregelungen nachweisen, doch hat es offensichtlich kein obligatorisches, formal geregeltes Güteverfahren gegeben. Für den Schwäbischen Bund dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben, dass der Bundesrat als politische Schlichtungsinstanz diese Funktion wahrgenommen hat, es also eine informelle Arbeitsteilung zwischen Bundesgericht und Bundesrat gegeben hat.14

II. Professionalisierung und Institutionalisierung Die Gründung des Schwäbischen Bundes stellte eine qualitative Erweiterung der Landfriedenseinungen dar, wurden 1488 doch auch die reichsunmittelbaren Städte im Südwesten des Reiches und die bedeutendsten Fürsten in den ursprünglich adeligen Landfriedensbund einbezogen. Erstmals gelang somit eine fast flächendeckende Einbeziehung von Reichsständen in eine ständeübergreifende Landfriedenseinung. Da am Kernbestand eines institutionalisierten Schiedsgerichts festgehalten wurde, wurde es zu einer zentralen Frage dieses neuen Landfriedensbundes, wie denn in solchem Rahmen zwischenständische Austragsmodalitäten auszugestalten waren. Bis zum Ende des Bundes 1534 blieb es im Prinzip bei einer institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit, die nach dem Prinzip des actor rei forum sequitur funktionierte. Die periodischen Verlängerungen des Bundes boten darüber hinaus jeweils die Chance zu Veränderungen und Anpassungen an neue

11 Obenaus (wie Anm. 2), S. 104–106; Bock (wie Anm. 1), S. 29; Laufs (wie Anm. 1), S. 95; Frey (wie Anm. 5), S. 232 f. 12 Ebd., S. 93. 13 So Obenaus in seinen grundlegenden Ausführungen zur Schiedsgerichtsbarkeit in den Gesellschaften mit Sankt Georgenschild (Jörgenschild): Obenaus (wie Anm. 2), S. 108 f. 14 Vgl. dazu unten, Anm. 34.



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Herausforderungen, die das Schiedsgericht des Bundes immer stärker zu einem »ordentlichen Gericht mit schiedsrichterlichen Zügen«15 werden ließen. Drei Phasen lassen sich für die Entwicklung dieser institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit unterscheiden: Der erste Bundbrief orientierte sich 1488 ganz in den Traditionen des Georgenschildes an den herkömmlichen Austragsmodalitäten, wenn er bestimmte, dass der Kläger seine Klage vor dem Hauptmann des Bundesstandes, dem der Beklagte angehörte, vorzubringen hatte. Diese Regelung wiederum rekurrierte auf die Zusammensetzung der Leitungsgremien des Bundes: Die beiden Stände, die zunächst den Bund bildeten – Adel und Städte –, stellten im Bundesrat paritätisch je einen Hauptmann und je neun Räte. Wenn also ein Adeliger vor dem Hauptmann der Städte gegen eine Stadt oder einen Stadtbürger klagte, dann wählte der Hauptmann aus dem Kreis seiner neun Bundesräte einen Obmann für das Schiedsverfahren, dem die Parteien jeweils gleich viele »Zusätze« zur Seite stellten. In der Regel beließ man es bei zwei Zusätzen. Obmann und Beisitzer wurden dabei von ihren jeweiligen Eiden entbunden und entschieden nach Mehrheit. Freies Mandat und Mehrheitsprinzip als vergleichsweise moderne Kennzeichen eines Landfriedensbundes hingen also beim Schwäbischen Bund originär mit der Ausgestaltung der Schiedsgerichtsbarkeit zusammen.16 Bei der Bundesverlängerung 1496 wurde das Verfahren geändert, wobei es vor allem die dem Bund bislang nur assoziierten fürstlichen Mitglieder waren, die auf eine Änderung drängten. Nunmehr wurde für den gesamten Bund ein einzelner »Bundesrichter« bestallt, der zudem ortsfest agierte. Trotzdem blieb es bei einem Schiedsgericht: Dieser »Bundesrichter« waltete als vorbestimmter Obmann des Verfahrens, in dem weiterhin die Parteien die Beisitzer bestimmten. Waren in der ersten Phase die Bundeshauptleute wie auch ihre Räte als potenzielle Obleute und Beisitzer nicht rechtsgelehrt, so traf dies auch auf den Bundesrichter in dieser zweiten Phase zu. Noch also lassen sich Charakteristika eines deutschrechtlichen Verfahrens deutlich erkennen, wenngleich die wenigen uns bekannten Fälle bereits die Schriftlichkeit des Verfahrens sowie die Beteiligung rechtsgelehrter Anwälte dokumentieren. Die Struktur änderte sich schon mit der Bundesverlängerung 1500, wobei erneut die Fürsten als treibende Kraft der Fortentwicklung des Bundesgerichts 15 Adolf Laufs/Emil Reiling, Art. Schwäbischer Bund, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte IV, 11990, Sp. 1551–1557, hier Sp. 1555. Vgl. auch Frey (wie Anm. 5), S. 228. 16 Horst Carl, Identische Akteure – unterschiedliche Kommunikationsprofile. Schwäbische Bundestage und Reichstage in der Epoche Maximilians I. im Vergleich, in: Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hg.), Der Reichstag 1486–1613: Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten, München 2006, S. 29–54, hier S. 34 f.

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agierten. Die Bundesverlängerung von 1500 schuf insofern neue Rahmenbedingungen, als nunmehr die Fürsten – darunter König Maximilian I. (1486–1519) für Tirol, der Mainzer Kurfürst Berthold von Henneberg sowie die Herzöge von Württemberg und der fränkische Markgraf – institutionell in den Bund integriert wurden. Sie erhielten eine eigene Bank mit neun Räten und einen eigenen Hauptmann. Statt eines im Einzelfall aus den Bundesräten zu formierenden Schiedsgerichts sollte deshalb nunmehr aus pragmatischen Gründen ein Kollegium aus drei Bundesrichtern, die von den drei Bänken nominiert wurden, als institutionalisiertes Schiedsgericht fungieren. Dessen grundlegende Verfahren, auch Restriktionen wurden beibehalten, denn es blieb auf Landfriedenssachen beschränkt und trat weiterhin nur bei Streitfällen der Bundesgenossen untereinander zusammen. Geklagt wurde vor dem Richter des Standes des Beklagten und in der Regel stellten die beiden Kollegen dann die Beisitzer des Verfahrens. Da somit eine Scheidung von Richtern und Urteilern in den Hintergrund trat, kamen in Zukunft nur noch Rechtsgelehrte bei der Besetzung dieser Funktion zum Zuge. Unter den Bundesrichtern finden sich dabei durchaus bedeutende Juristen der Zeit – darunter als bekanntester der Humanist Johannes Reuchlin.17 Die Bundesordnungen legten zudem die Grundsätze, nach denen verfahren wurde, fest, und auch diese orientierten sich zunehmend an Vorgaben des Römischen Rechts und Praktiken ordentlicher Gerichtsbarkeit: Vertretung der Parteien durch Anwälte, präzise geregelte Schriftlichkeit des Verfahrens, Appellationsmöglichkeiten vor dem Reichskammergericht – die in der Bundesordnung von 1500 festgelegten Verfahrensweisen und Organisationsstrukturen des Bundesgerichts standen auf der Höhe der Zeit.18 Dazu gehörte auch, dass das Bundesgericht insofern zur Rechts- beziehungsweise Gerichtsvereinheitlichung im Reich beitrug, als es für Streitigkeiten unter Bundesmitgliedern obligatorische Zuständigkeit beanspruchte und Klagen vor »fremden Gerichten« wie etwa dem Rottweiler Hofgericht, aber auch geistlichen Gerichten einen Riegel vorschob. Dies galt selbst für das Reichsoberhaupt, dessen Evokationsrecht19 – also die Möglichkeit, ein laufendes Verfahren an sich zu ziehen – die Bundesordnung gleichfalls für unstatthaft erklärte. Gegenüber entsprechenden Versuchen König Maximilians haben

17 Markus Rafael Ackermann, Der Jurist Johannes Reuchlin (1455–1522), Berlin 1999. 18 Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, München 62009, S. 113; Bock (wie Anm. 1), S. 98 ff.; Laufs/ Reiling (wie Anm. 15), Sp. 1555; Frey (wie Anm. 5), S. 228 f.; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 1), S. 379. 19 Gerd Buchda, Art. Jus evocandi, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, 11978, Sp. 496–498; Ulrich Eisenhardt, Art. Jus evocandi, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, ²2011, Sp. 1462–1465.



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sich die Bundesrichter mit Rückendeckung der Bundesversammlung auch erfolgreich behaupten können.20 Wir haben es also bei der organisatorischen Entwicklung des Bundesgerichts mit einer immer weitgehenderen Institutionalisierung einer ohnehin schon institutionalisierten Schiedsgerichtsbarkeit zu tun. Beließen es die ständeübergreifenden Austragsvereinbarungen 1488 noch bei flexibel zu handhabenden Regeln und Verfahren, indem sie in erster Linie Vorgaben für die Besetzung der von Fall zu Fall neu zu bildenden Spruchkollegien machten, so haben wir es ab 1500 schon mit einer fast bürokratisierten Institution mit »Behördencharakter« zu tun. Die drei Bundesrichter tagten – wenn auch nicht kontinuierlich – an festen Gerichtsorten. Bis 1512 war dies Tübingen, gefolgt von Augsburg, das bis zum Ende des Bundes Gerichtsort blieb. Auch die Modalitäten des Aktenprozesses unterschieden sich nicht von denen ordentlicher Gerichte.21 Wenn zudem die Bundesrichter rechtsgelehrt sein mussten, wie dies ab 1500 die Bundesbriefe bestimmten, dann leistete dies dem weiteren Eindringen von Grundsätzen des römischen Rechts in die bündische Schiedsgerichtsbarkeit natürlich Vorschub. Es muss allerdings stets in Rechnung gestellt werden, dass der Gang vor das Bundesgericht nicht die einzige Austragsmöglichkeit im Schwäbischen Bund gewesen ist. Es blieb den Mitgliedern unbenommen, ihre Konflikte auch vor die Bundesversammlung zu bringen, die dann mehrere Möglichkeiten hatte: Entweder versuchten die Bundesräte, einen Vergleich zu vermitteln, oder sie fällten selbst einen Entscheid, der als Rechtsspruch verfasst wurde und in seiner Bindewirkung einem Urteil des Bundesgerichts gleichkam. Allerdings gab es hier einen entscheidenden Unterschied: Ein solcher Entscheid der Bundesversammlung war nicht vor dem Reichskammergericht appellabel.22 Die dritte Variante dürfte die häufigste gewesen sein: Die Bundesversammlung verwies die Angelegenheit an das Bundesgericht weiter.

III. Schiedsgerichtsbarkeit und Reichsjustiz Das Verhältnis der Bundesgerichtsbarkeit zur Reichsgerichtsbarkeit, die 1495 in Gestalt des Reichskammergerichts auf eine neue Grundlage gestellt worden war, 20 Beispiele bei Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 1), S. 389. Dies entsprach im Übrigen der Reichskammergerichtsordnung, denn auch dort implizierte § 29 eine Einschränkung königlicher Eingriffe in laufende Verfahren. 21 Zu Gerichtsort und Verfahren vgl. Frey (wie Anm. 5), S. 228  f.; Laufs (wie Anm. 1), S. 93 ff. 22 Zu diesen unterschiedlichen Ebenen schiedsrichterlicher Tätigkeit des Bundes vgl. Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 1), S. 382 f.

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wirft Licht auf ein zentrales Problem, das nicht nur den Schwäbischen Landfriedensbund betraf: In welchem Verhältnis sollten künftig Schiedsgerichtsbarkeit und Höchstgerichtsbarkeit des Reiches zueinander stehen? Schon in den Auseinandersetzungen um Etablierung und Ordnung des Reichskammergerichts war dies ein neuralgischer Punkt, hielten doch die Fürsten an ihren Austrägalgerichten bei der Einrichtung des Reichskammergerichts fest.23 Austrägalgerichtsbarkeit war dabei nichts anderes als eine weitere Form vorab festgelegter, meist bilateraler Schiedsgerichtsbarkeit, wenngleich als Standesvorrecht formuliert. Bekanntlich haben die Reichsgrafen 1521 durchsetzen können, dass das Standesvorrecht einer Austrägalgerichtsbarkeit auch auf sie ausgedehnt wurde.24 In der Ordnung des Reichskammergerichts von 1495 wurde als Kompensation zur von den Fürsten durchgesetzten Fortgeltung ihrer Austräge jedoch in §  28 bestimmt, dass eine Appellation von Austrägalgerichten an das Kammergericht möglich war. Die Schiedsgerichtsbarkeit wurde so eines zentralen Vorteils – der Endgültigkeit ihrer Urteile – beraubt und sie verlor damit an Attraktivität. Trotzdem ist die Bestätigung der fürstlichen Austrägalgerichtsbarkeit von der älteren Forschung eher kritisch gewertet worden, weil damit die spätmittelalterlichen Gewohnheiten des Einungswesens mit seinen Standesvorbehalten fortgesetzt worden seien. Dies sei zulasten der Rationalität der Rechtsfindung im Zeitalter der Rezeption erfolgt. Dass durch die Appellationsmöglichkeit die spätmittelalterliche Schiedsgerichtsbarkeit in das Gefüge der Reichsgerichtsbarkeit eingeordnet wurde, wird demgegenüber erst in der neueren Forschung deutlich positiver gewürdigt.25 Die Schiedsgerichtsbarkeit des Schwäbischen Bundes mag für diese Problematik aufschlussreich sein, denn hier stellte sich die Situation nach 1495 vergleichbar dar. Es war zunächst allerdings nicht die Appellation, sondern die Zuständigkeit des Reichskammergerichts in der Landfriedensmaterie, die ein Konkurrenz23 Vgl. dazu jetzt Nils Meurer, Die Entwicklung der Austrägalgerichtsbarkeit bis zur Reichskammergerichtsordnung von 1495, in: Anette Baumann/Peter Oestmann/Stephan Wendehorst/Sigrid Westphal (Hg.), Prozesspraxis im Alten Reich. Annäherungen – Fallstudien – Statistiken (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 50), Köln 2005, S. 17–51; die Konzentration auf die Vorgänge auf Reichsebene lässt freilich die regionale Dichte und Bedeutung des spätmittelalterlichen Austragswesens nur erahnen. Vgl. dazu beispielsweise Constance Proksch, Die Auseinandersetzungen um den Austrag des Rechts zwischen Fürsten und Ritterschaft in Franken vom Ende des 14. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Dieter Rödel/Joachim Schneider (Hg.), Strukturen der Gesellschaft im Mittelalter. Interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg, Wiesbaden 1996, S. 168–195. 24 Angela Kulenkampff, Einungen mindermächtiger Stände zur Handhabung Friedens und Rechtens 1422–1565, Frankfurt am Main 1967, S. 109–121; Proksch (wie Anm. 23), S. 191 f. 25 Meurer (wie Anm. 23), S. 50 f.



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verhältnis zum Bundesgericht etablierte. Die Bundesordnungen schrieben den Mitgliedern Klageerhebung vor dem Bundesgericht vor, während die Kammergerichtsordnung dessen Kompetenz in Landfriedenssachen herausstellte. Soweit wir dies aus den Akten erschließen können, erwies sich dies in der Praxis nicht als gravierendes Problem: Es war letztlich ins Ermessen der Kläger gestellt, wo sie ihre Klage anbringen wollten, und die konkurrierende Instanz akzeptierte solche Präzedenz, nicht anders, als dies in späteren Zeiten auch zwischen Reichshofrat und Reichskammergericht üblich war. Aufgrund besserer Exekutionsmöglichkeiten geriet das Bundesgericht in der Konkurrenz in Landfriedensangelegenheiten bis 1534 nicht ins Hintertreffen. Strittig war auch nicht die grundsätzliche Berechtigung des Kammergerichts, als Appellationsinstanz aufzutreten. Dies lag schon in der Vorgeschichte der bündischen Schiedsgerichtsbarkeit selbst begründet, denn bereits im Georgenschild hatten sich ab 1463 die Einungsgenossen vom Prinzip verabschiedet, dass gegen Schiedssprüche der Einung nicht appelliert werden durfte.26 Wie eine solche Appellation aussehen sollte und vor welcher Instanz dies geschehen konnte, war bis 1495 allerdings nicht geregelt und blieb unklar. Danach aber kam es zu einer Art Zweiteilung der bündischen Schiedstätigkeit: Gegen Entscheide der Bundesversammlung war keine Appellation möglich, durchaus aber gegen Urteilssprüche des Bundesgerichts vor dem Reichskammergericht – zum Glück für den Historiker. Denn da das Bundesgericht kein eigenes Archiv ausbildete, weil die Prozessakten den Parteien überstellt wurden, haben wir über die Tätigkeit des Bundesgerichts zum Gutteil nur über entsprechende Verfahren vor dem Reichskammergericht, in denen das Bundesgericht als Vorinstanz auftaucht, Kenntnis.27 Trotzdem barg die Appellationsproblematik ein hohes Konfliktpotenzial. War die Appellationsmöglichkeit gegen bündische Endurteile ans Kammergericht von vornherein unstrittig, so war die Appellation aus laufenden Verfahren heraus gegen bündische Zwischen- und Beiurteile (Interlokute) an das Reichskammergericht höchst umstritten. Schwäbischer Bund und Bundesrichter versuchten hier, ihre Definitionsmacht über die Rechtmäßigkeit solcher Appellationen zu wahren. Die Bundesordnung von 1496 legte mit Blick auf die neue Reichskammergerichtsordnung fest, dass gegen ein Beiurteil ans Kammergericht nur appelliert werden durfte, wenn es das Endurteil präjudizierte beziehungsweise Tatsachen schuf, die ein Endurteil nicht mehr revidieren konnte. Wann dies aber der Fall und eine solche Appellation folglich legitim war, bestimmten die Bundesrichter 26 Obenaus (wie Anm. 2), S. 109–113. Laufs hat allerdings darauf verwiesen, dass diese Appellationsmöglichkeit noch sehr den Formen der älteren deutschrechtlichen »Urteilsschelte« verpflichtet gewesen ist. Laufs (wie Anm. 1), S. 117. 27 Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 1), S. 402–404. Bekannt sind bislang etwa achtzig Verfahren, die vor dem Bundesgericht verhandelt wurden.

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und nicht das Kammergericht: War die Qualität des Beiurteils zwischen den Parteien strittig und damit auch die Möglichkeit einer Appellation, oblag die rechtliche Würdigung den Bundesrichtern.28 Wir wissen darüber vergleichsweise gut Bescheid, weil der berühmte Humanist Johannes Reuchlin, der von 1502 bis 1513 als Bundesrichter der Fürstenbank amtierte, diesen Konflikt ausfechten musste. In dem betreffenden Fall – es ging um Grenzstreitigkeiten zwischen den Grafen von Oettingen und dem fränkischen Markgrafen von Brandenburg-Ansbach –, der zwischen 1509 und 1512 vor dem Bundesrichter Reuchlin verhandelt wurde, versuchte die markgräfliche Seite immer wieder, den Prozess zu verzögern und aus dem laufenden Verfahren heraus ans Kammergericht zu appellieren. Mit Rückendeckung des Bundesrates konnte Reuchlin diese Versuche zunächst abwehren. Als er jedoch aus pragmatischen Gründen eine Beschränkung der Zeugenzahl im Beweisverfahren verlangte, weil die Markgrafen angekündigt hatten, ganze Dorfgemeinden als Zeugen zu benennen, appellierten die markgräflichen Prozessvertreter erneut ans Kammergericht – und diesmal mit Erfolg, denn auch die Bundesräte bewerteten Reuchlins Vorgehen als mögliches Präjudiz eines Endurteils. Dass die Bundesräte hier dem Bundesrichter gegen entsprechende Compulsorialbriefe des Kammergerichts keine Rückendeckung mehr gewährten und Reuchlin zur Aktenherausgabe zwangen, mag einer der Gründe gewesen sein, dass Reuchlin sein Amt im folgenden Jahr niederlegte.29 Die grundlegende Problematik aber führte diese Auseinandersetzung durchaus exemplarisch vor: Die Bundesrichter waren bestrebt, solche Appellationsmöglichkeiten gegen Beiurteile möglichst abzuwehren, weil sie von den Parteien und ihren Anwälten fast immer zur Verzögerung der Verfahren missbraucht wurden. Und sie konnten sich immer dann gegen Ansprüche des Reichskammergerichts behaupten, wenn der Bundesrat als bündisches Leitungsgremium ihnen den Rücken stärkte. Auf diese Weise wuchs dem Bundesrat allerdings auch immer mehr die Rolle einer Art Revisionsinstanz des Bundesgerichts zu.

28 Ebd., S. 388, in Korrektur der abweichenden Interpretation bei Ackermann (wie Anm. 17), S. 114 und S. 142. 29 Den Fall dokumentiert in den Grundzügen schon Johann Heinrich Harpprecht, Staats-Archiv des Kayserlichen und des H. Röm. Reichs Cammer-Gerichts oder Sammlung von gedruckten und mehrentheils ungedruckten Actis publicis, Archivalurkunden, 6 Bde., Ulm 1757–1760, Frankfurt am Main 1767, 1768, hier Bd. 3, S. 307–315; Ackermann (wie Anm. 17), S. 139–142; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 1), S. 388.



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IV. Leistungsfähigkeit und Grenzen bündischer Schiedsgerichtsbarkeit Das Potenzial bündischer Schiedsgerichtsbarkeit zeigte sich vor allem in den beiden kritischen Bereichen, die den 1520er-Jahren ihren Stempel aufdrückten: Zum einen wurde der Schwäbische Bund noch vor dem Reichskammergericht mit der Problematik konfrontiert, dass die neuen Konfessionsstreitigkeiten rechtlich als Landfriedensangelegenheiten behandelt werden sollten. Das Wormser Edikt von 1521 hatte diesen Weg gewiesen, aber noch bevor das Kammergericht mit entsprechenden Klagen konfrontiert wurde, geschah dies aufgrund genuiner Zuständigkeit im Schwäbischen Bund.30 Erste Klagen in Religionssachen wurden noch vor dem Bauernkrieg ab 1523 vor das Bundesgericht gebracht. Die bündische Schiedsgerichtsbarkeit nahm hier vor allem auf das sogenannte »Restitutionsverfahren« Bezug, das dem Landfriedensbund die Kompetenz zusprach, strittige Güter in seine Obhut zu nehmen, ohne dass damit schon ein Urteil darüber, wem dieses Gut schließlich zustehe, ausgesprochen werden sollte.31 Funktional mag dies einem Mandatum sine clausula entsprechen, doch kam hier eine eigene Tradition des Landfriedensbundes zum Tragen, für den es eben oberste Priorität war, Gewaltverzicht durchzusetzen. Übertragen hieß dies, dass auch Konflikte konfessioneller Provenienz auf solche Weise pazifiziert werden konnten, ohne dass schon eine Entscheidung in der eigentlichen Streitfrage getroffen werden musste. Für rechtliche Streitigkeiten in Glaubenssachen eröffnete sich damit die Möglichkeit, diese als weltliche Landfriedensangelegenheit zu traktieren und damit von Glaubensfragen zu trennen.32 Allerdings bevorteilte dies natürlich die altgläubigen Stände, denn wenn beispielsweise im Zuge reformatorischer Neuerungen der Kirchenzehnt aufgehoben wurde, so hatte ein Eingreifen des Bundes zumindest aufschiebende Wirkung. Enteignungen mussten gegebenenfalls bis zu einem Endurteil rückgängig gemacht werden. Es überrascht deshalb nicht, dass gerade die protestantischen Stände sich 1534 gegen eine Verlängerung des Bundes aussprachen. Zum anderen, dies der zweite kritische Bereich neben den Konfessionsstreitigkeiten, ist die bündische Schiedsgerichtsbarkeit auch schon früh mit Streitigkei30 Vor allem die grundlegenden Arbeiten von Martin Heckel haben diese Vorgeschichte aufgrund ihrer Fixierung auf das Reichskammergericht nicht in den Blick genommen. Auch die Übertragung landfriedensrechtlicher Verfahrensmuster auf die Religionsagenden hat Heckel, der vor dem Hintergrund eines Reichskirchenrechts argumentiert, zu gering veranschlagt. Martin Heckel, Die Religionsprozesse des Reichskammergerichts im konfessionell gespaltenen Reichskirchenrecht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 77 (1991), S. 283–350. 31 Zum Restitutionsverfahren im Schwäbischen Bund vgl. Laufs (wie Anm. 1), S. 119 f. 32 Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 1), S. 414–422.

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ten von Untertanen mit ihren Obrigkeiten befasst worden, wodurch im Übrigen die Untertanen als Prozesspartei tendenziell aufgewertet wurden. Die Untertanen des Kemptener Fürstabts machten 1492 den Anfang, weitere Untertanenklagen folgten. 1525 sollten schließlich die revoltierenden Untertanen in Oberschwaben ihre zahlreichen Beschwerden vor das Bundesgericht bringen, obwohl sie ihrerseits eher ein gütliches Verfahren vor der Bundesversammlung vorgezogen hätten. Offensichtlich befürchteten sie weitschweifige und teure rechtliche Verfahren. Zu entsprechenden Verfahren vor dem Bundesgericht kam es infolge der blutigen Eskalation des Bauernkriegs jedoch nicht mehr. Trotzdem hat der Schwäbische Bund neben der kompromisslosen militärischen Niederschlagung des Aufstandes doch auch einer rechtlichen Alternative Raum gelassen. Der Weingartner Vertrag, den Truchsess Georg von Waldburg im Namen des Bundes am 17. April 1525 mit den oberschwäbischen Bauern abschloss, offerierte diesen eine schiedsgerichtliche Lösung durch ein eigenes Schiedsgericht des Schwäbischen Bundes. Den bäuerlichen Untertanen wurden dabei sehr gute Schiedsbedingungen angeboten, denn als Beisitzer unter dem Obmann Ferdinand von Habsburg sollten nur städtische Ratsherren agieren. Die adeligen Grundherren – und damit die eigentlichen Gegenspieler der Bauern – blieben folglich außen vor, und alleine dies hat in einer Reihe von Fällen oberschwäbische Adelige und Prälaten dazu bewogen, auf die Beschwerden ihrer bäuerlichen Untertanen einzugehen.33 Das Vorgehen des Schwäbischen Bundes beim Weingartner Vertrag verdeutlicht noch einmal, dass es neben dem Bundesgericht weiterhin die Möglichkeit gab, Schiedsgerichte ad hoc zu vereinbaren. Wie die Bundesstände mit dieser Mehrdimensionalität und Flexibilität bündischer Schiedsgerichtsbarkeit und Austragsformen umgingen, für welche Alternative sie sich aus welchen Gründen entschieden, können wir nur in wenigen Fällen nachvollziehen. Exemplarisch führen die Beweggründe vor allem zwei Nürnberger Rechtsgutachten unmittelbar nach dem Bauernkrieg vor, in denen die Vor- und Nachteile der diversen Schiedsinstanzen des Bundes mit einer für die Reichsstadt charakteristischen Rationalität reflektiert und durchgespielt wurden.34 Anlass war ein Streit um Schadensersatz wegen nicht erfüllter Geleitzusage durch den Bamberger Bischof Weigand von Redwitz. Im Zuge der Auseinandersetzung der Stadt mit dem berühmt-berüchtigten Fehdeführer Hans Thomas von Absberg war 1523 der Nürnberger Kauf33 Ebd., S. 495 f. 34 Zum Prozess Nürnberg contra Bamberg vor dem Bundesgericht vgl. Peter Ritzmann, »Plackerey in teutschen Landen«. Untersuchungen zur Fehdetätigkeit des fränkischen Adels im frühen 16. Jahrhundert und ihrer Bekämpfung durch den Schwäbischen Bund und die Reichsstadt Nürnberg, insbesondere am Beispiel des Hans Thomas von Absberg und seiner Auseinandersetzungen mit den Grafen von Oettingen (1520–1531), München 1995, hier S. 542–564.



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mann Stephan Geiger in bambergischem Geleit überfallen, beraubt und entführt worden. Die Reichsstadt verlangte nun Schadensersatz vom Bamberger Bischof, weil der Überfall in seinem Geleit geschehen war. Die Nürnberger Rechtskonsulenten führten zunächst als erste Variante aus, dass eine Klage vor dem Reichskammergericht als erster Instanz in Landfriedenssachen eine Einschaltung des Bundes unmöglich machen werde. Für diesen aber spreche die effektivere Exekution eines Urteils. Als zweite Variante wurde diskutiert, dass Nürnberg sich zuerst an den Bund wenden möge, denn vom Bundesgericht könne gegebenenfalls immer noch ohne Probleme später ans Kammergericht appelliert werden. Ohnehin sei bekannt, dass das Bundesgericht kein Freund langer Beweisaufnahmen sei – eine Bemerkung, die einerseits die Möglichkeit der Appellation unterstrich, andererseits aber auch eine späte Reminiszenz an Reuchlins Vorgehen gewesen sein mag. Für die dritte Variante, sich direkt an die Bundesversammlung zu wenden, sprach nach Ansicht der Nürnberger Rechtskonsulenten zwar die größere Öffentlichkeit, die damit erreicht würde, aber ein gütlicher Vermittlungsspruch des Bundesrates als politischer Kompromiss ließ sich nur schwer als Präzedenzfall in künftigen Auseinandersetzungen verwenden. Außerdem barg dieser Weg ein unkalkulierbares Risiko, konnte Bamberg im Bundesrat doch möglicherweise eine altgläubige Mehrheit gegen Nürnberg mobilisieren. So klagte Nürnberg schließlich Ende 1525 vor dem Bundesgericht und investierte erhebliche finanzielle Mittel in zusätzliche Gutachten aus der Feder von Ulrich Zasius, des wohl angesehensten Juristen im Reich zu dieser Zeit. Das lohnte sich schließlich auch, denn das Bundesgericht urteilte 1530 zugunsten der Reichsstadt. Wie vorauszusehen war, appellierte die Bamberger Seite zwar umgehend gegen das Urteil an das Reichskammergericht, doch bestätigte dieses schließlich 1536 den Spruch des Bundesgerichts. Nürnberg hatte also nach zehn Jahren Prozessdauer das ersehnte höchstrichterliche Musterurteil in der für die Reichsstadt existenziellen Geleitfrage in Händen.

V. Fazit Da war der Schwäbische Bund schon jüngere Geschichte, denn 1534 war er aufgrund des konfessionellen Dissenses nicht mehr verlängert worden. Die Reichsinstitutionen, ab 1555 die Reichskreise, übernahmen die Aufgabe der Landfriedenswahrung im Reich. Trotzdem lässt gerade dieser späte Prozess Nürnberg contra Bamberg noch einmal das im Bund Erreichte resümieren. Die Schiedsgerichtsbarkeit des Schwäbischen Bundes stand juristisch durchaus auf der Höhe der Zeit und hat für die Verrechtlichung konfessioneller und

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sozialer Konflikte im Reich sogar eine Art Vorreiterrolle gespielt. Möglich war dies, weil der Schwäbische Bund in beiden Kontexten demonstrieren konnte, dass unter den Strukturbedingungen des Reiches das Landfriedensrecht ein probates Mittel sein konnte, gewaltsamer Eskalation vorzubeugen. Deshalb ist mehr noch als beim Reichskammergericht beim Schwäbischen Bund die friedensstiftende Rolle rechtlicher Verfahren zu beobachten, selbst wenn es oft nicht zu einem Endurteil oder einer endgültigen Lösung der Konflikte kam. Aber eine Landfriedensinstitution rechtfertigte ihre Existenz mehr noch als das höchste Reichsgericht schon durch die Tatsache, dass nicht zu den Waffen gegriffen wurde, weil der Rechtsweg beschritten wurde. Dass für einen solchen Rechtsweg Schiedsgerichtsbarkeit ein probates Mittel darstellte, demonstrierte die Schiedsgerichtsbarkeit des Schwäbischen Bundes über fast fünf Jahrzehnte. Die in der rechtsgeschichtlichen Forschung gelegentlich spürbaren Vorbehalte gegen spätmittelalterliche Schiedsgerichtsbarkeit, die die juristische Rationalität des Kammergerichts gegen die ständische Parteilichkeit solch »vorinstanzlicher Sondergerichte« herausstreichen, findet in der Judikatur der Bundesgerichtsbarkeit keine Grundlage. In diesem Erfolg liegt allerdings auch schon die Wurzel für das Ende dieser besonders ambitionierten Ausprägung von Schiedsgerichtsbarkeit im Reich. Ein ortsfestes, mit gelehrten Juristen besetztes Schiedsgericht näherte sich so stark einer ordentlichen Gerichtsbarkeit an, dass es sich selbst gegenüber dem Reichskammergericht und einer schließlich auch exekutierbaren Reichsjustiz überflüssig machte. Die spezifischen Vorzüge einer Schiedsgerichtsbarkeit – flexibles Verfahren, hohe Akzeptanz des Urteils – gingen gleichzeitig verloren, wenn sich diese von der »ordentlichen« Justiz kaum mehr unterschied. Spätere Landfriedensbünde oder Einungen, die sich am Vorbild des Schwäbischen Bundes orientierten, wie die Rheinische Einung von 1532 oder der Landsberger Bund haben deshalb auf eine institutionalisierte Schiedsgerichtsbarkeit in Form eines eigenen Bundesgerichtes verzichtet.

Mia Korpiola

Marriage-Counselling and Reconciliation in Marriage Cases in the Ecclesiastical Courts of Reformation Sweden (16th–17th Centuries) I. Introduction. II. Reconciliation and the Ecclesiastical Courts. III. Broken Promises of Marriage Settled, Compensated and Reconciled. IV. Spousal Disputes, Friendship-Giving and Reconciliation. V. Conclusion.

I. Introduction Using an oft-cited expression of Richard H. Helmholz, the medieval European ecclesiastical courts functioned as »rather heavy-handed marriage counsellors« whose »paramount goal was to bring quarrelling couples to concord and agreement«.1 In this article, I will investigate how and in what matrimonial cases the cathedral chapters of Reformation Sweden tried to persuade and pressure parties into reconciliation. In assessing such arbitration, one ought to consider that one may expect differing mechanisms and processes depending on whether the conflict was between social equals, crossing »lines of stratification« or between the ruler/his agent and subjects.2 While the Church represented an institution of power and religious authority that had its rules, its ecclesiastical censure also attempted to reconcile the sinner not only with God but also with the congregation, community and neighbours. Thus, the reconciliation process between the parties that the Church insisted on differed from the penance which it imposed on the individual sinner to be reconciled with and readmitted and to the community. The means might well be the same, however. The Swedish communities were small. The biggest metropoles like Stockholm had several thousand inhabitants during this period, while small village communities could only consist of a few families. The poverty of the sparsely populated country and the modes of agriculture favoured cooperation and peaceful – if not out-and-out amicable – relations within the communities, but they also created tensions and competition for resources. Swedish medieval society, with its com1 Richard H. Helmholz, Marriage Litigation in Medieval England, Cambridge 1974, p. 101. 2 Simon Roberts, The Study of Dispute. Anthropological Perspectives, in: John Bossy (Ed.), Disputes and Settlements. Law and Human Relations in the West, Cambridge 1983, p. 8.

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munal structures and lack of feudalism, favoured local reconciliation. In Swedish medieval criminal law, the injured party originally had extensive powers to insist on either revenge or compensation, but as royal power over the judiciary grew during the Middle Ages, the unlimited power of private vengeance and power over cases was curtailed. The injured party still retained the right to accept compensation and settlements were made, but these cases were not to be handled completely extrajudicially as this would have defrauded the king of his third of the fines. The Swedish 1442 Law of the Countryside by King Christopher of Bavaria (1441–1448) thus enacted that if a person had initiated a criminal process in court but failed to pursue it further, it could be continued ex officio by a local royal official (länsman).3 Thus, at least theoretically, the injured party was not completely at liberty to use the trial as a means of pressuring the accused into an extrajudicial settlement in serious crimes. For infractions, this was still permitted. The länsman was also allowed to prosecute the case in lieu of the injured party if he suspected that the guilty party had secretly paid the fine to the injured party, thus attempting to avoid the payments to the hundred and the king.4 Yet, a number of dropped criminal cases in medieval and sixteenth-century court records suggest that they might have been at least partly settled out of court. In a case dealt with by Archbishop Abraham Angermannus of Uppsala (1593–1599) in 1596, a man had accepted out-of-court compensation, money and a barrel of rye, from his wife’s lover, which made him her pimp (horekrämmare). This support for such iniquity merited his denunciation in the visitation records and possible later ecclesiastical censure.5 However, even though the criminal case, once initiated, was supposed to be taken to court, an in-court settlement was naturally permitted. The power of the injured party over the suit diminished in the cause of the late medieval and early modern period. Sweden fits the rough general longue durée notion that the punitive elements of the law were emphasized at the expense of the restitutive and conciliatory features when state control over the justice system grew and the influence of the communities themselves diminished.6 In the Reformation period, however, the attitude of the injured party still decided the fate 3 Kuningas Kristoferin maanlaki 1442, ed. Martti Ulkuniemi (SKS:n toimituksia 340), Helsinki 1978, Käräjäkaari (Chapter on Trials) 18, p. 113. 4 Kuningas Kristoferin maanlaki (as n. 3) 17, p. 113. 5 Asby sochen, Ärkebiskop Abrahams räfst (hereafter VAA), ed. Otto Holmström (Skrifter utgifna af kyrkohistoriska föreningen IV,1), Upsala 1901, p. 85. 6 See, e. g., Bruce Lenman/Geoffrey Parker, The State, the Community and the Criminal Law in Early Modern Europe, in: Victor A. C. Gatrell/Bruce Lenman/Geoffrey Parker (Eds.), Crime and the Law. The Social History of Crime in Western Europe since 1500, London 1980, pp. 11–48, especially pp. 12 and 23.



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of the culprit in case of breaches of the peace and homicide. If the injured party refused all efforts at reconciliation or offered reparation and insisted on capital punishment, this would bind the hands of the court so that it usually had no option but to sentence the culprit to death. However, the community intervened in many cases and contributed to a reconciliatory outcome in which the severity of the law-imposed punishments was mitigated. This settlement often involved compensation for the injured party and so-called »friend gifts« (vängåva).7 Such communal intercession could also occasionally take place in ecclesiastical courts as will be discussed below in more detail. For this article, I will analyse two types of cases in particular that constituted the most frequent marriage litigation in Swedish ecclesiastical courts. Firstly, breaking and disputing engagements, and secondly, instances of marital discord which can be divided into two subcategories: divorce suits and other marital disputes. The oldest surviving actual church court registers of Sweden from the 1590s and 1600s form the source material of this essay. I have been investigating the surviving records of four courts: the cathedral chapters of Uppsala (1593–1608), Västerås (1595–1603) and Linköping (1600–1610), as well as the consistory of Stockholm (1595–1600).8 In addition, I have been using the register of the 1596 visitation of Archbishop Abraham Angermannus of the diocese of Linköping.9

II. Reconciliation and the Ecclesiastical Courts Settlement and reconciliation invoked both the terminology and sentiment of love, peace and amity as these led to peace.10 The ethical aim of the Church also formed part of the Lord’s Prayer:

7 Hans Peterson, Art. Vängåva, in: Kulturhistorisk leksikon for nordisk middelalder fra vikingetid til reformationstid 20, Copenhagen, 2 ed. 1982, especially col. 307. 8 Uppsala, Upplands landskapsarkiv (Regional Archive of Uppland, hereafter ULA), Uppsala domkapitels arkiv (Archive of the cathedral chapter of Uppsala), A I,1: Protokoll (Records) 1593–1608 (hereafter UDP); Västerås, Västerås domkapitels arkiv (Archive of the cathedral chapter of Västerås, hereafter VDA), Domkapitlets protokoll m.bil. huvudserie (VDP), A I,1: 26.3.1595–1.12.1603, A I,2: 1598–1602, 1616–1617, 1619–1621; Vadstena, Landsarkivet i Vadstena (hereafter VaLA), Linköpings domkapitels arkiv, A I a:1: Protokoll 1600–1632 (hereafter LiDA); Stockholm, Stockholms stadsarkiv (Municipal Archive of Stockholm, hereafter SStA), Stockholms domkapitel, A I,1: Protokoll (hereafter SDP) 1595–1600. 9 VAA (as n. 5). 10 On this, see, e. g., Michael Clanchy, Law and Love in the Middle Ages, in: John Bossy (Ed.), Disputes and Settlements. Law and Human Relations in the West, Cambridge 1983, pp. 47–67, especially pp. 47–50.

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And forgive us our trespasses, as we forgive them that trespass against us.11

The Swedish Church Ordinance of 1571 taught that those who had trespassed against God and their neighbours were to attempt reconciliation (ståå effter förlijkning), whereas the other party was to be disposed to friendship (benäghen til wenskap). Both parties had to share an inclination to concord so that they could in turn »both win and keep God’s friendship« (winna och behålla Gudz wenskap).12 Thus, by fostering »friendship«, the Church advocated peace between people. Disseminating Christian charity at the community level amounting to acting as mediators in disputes was perceived as an important duty of the clergy. In fact, in the French Ancien Régime countryside, the parish priest (curé) was the favourite arbitrator, as Nicole Castan has shown, and he was also a person who could wield religious sanctions.13 Just as clerics could take the part of the »heavy-handed marriage counsellor«, they could also assume the role of roughly-dealing arbitrator who pressured the more or less unwilling parties to reconciliation with the use of ecclesiastical censure and punishment. While the parish priest had some such powers, the rural dean, the bishop and the chapter had a much more extensive arsenal of ecclesiastical means of persuading and compelling available. Indeed, those who had unresolved disputes or enmity against others could be denied the Lord’s Supper or threatened with whipping.14 For example, withholding the sacrament was a relatively effective way of doing this since, as the Church Ordinance of 1571 required, if a sick person who called for the priest and the sacrament was willing to persist in sin and »the hardness of his heart«, the priest was to deny him the sacrament.15 This the vicar Göran Laurentii of Vadstena did in 1600. He was called to the sickbed of Lasse Persson to administer the sacrament which Göran Laurentii »could not with a good conscience do because of the great quarrel and discord between him [Lasse] and 11 Matthew 6:12. 12 Om Herrans natward, Den svenska kyrkoordningen 1571 jämte studier kring tillkomst, innehåll och användning [hereafter KO 1571], ed. Sven Kjöllerström, Lund 1971, pp. 87– 88. 13 James A. Sharpe, Such Disagreement between Neighbours. Litigation and Human Relations in Early Modern England, in: John Bossy (Ed.), Disputes and Settlements. Law and Human Relations in the West, Cambridge 1983, pp. 169–187, especially pp. 178–180 and 184–185; Nicole Castan, The Arbitration of Disputes under the ›Ancien Régime‹, in: John Bossy (Ed.), Disputes and Settlements. Law and Human Relations in the West. Cambridge 1983, pp. 189–217, especially pp. 224, 235–236, 238–240, 245–249 and 254. 14 Torpa sochen, VAA (as n. 5), p. 84. 15 Ordning om the siukas besökning, KO 1571 (as n. 12), p. 133.



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his sister’s sons«.16 He had the two nephews summoned and started to delve into the reasons for the disagreement that had caused envy and irritation which had also been discussed at the local assizes. After »many assiduous exhortations« (efter månge och flijtige förmaninger), the pastor was able to bring about a reconciliation between the parties with the help of secular authorities. If either party backed out or repeated any such talk again, the party breaking the concord would have to give to the church a pair of oxen.17 As elsewhere, if the sinner had died excommunicated, impenitent and unshriven, he or she could not be buried in the churchyard or cemetery.18 As mentioned above, the ecclesiastical courts could also appeal to a communal aspect, the intervention of other people, as a reason to mitigate the normal penance. In 1599, Anders Mattsson and his wife’s stepmother who had committed adultery, and through their affinity incest as well, were spared whipping at the local church door »for the intercession of some« (vtan rijsslitande för någhras förböner skull). Instead, they had only to pay fines, perform public penance and be absolved publicly after the service on Sunday.19 Public penance for a public sin or crime was not to be permitted to anyone who had not been reconciled or promised compensation to the injured party or the person against whom he or she had trespassed.20 A wish to promote reconciliation between spouses could also contribute to the Church imposing a lighter penance on the criminal. Public whipping was considered shaming and could hinder reconciliation and reassuming ordinary communal life after retribution and penance. The reconciliation settlement between the spouses after adultery sometimes included the commutation of the ecclesiastical penance – something the Church seems to have been prepared to do for pastoral purposes. For example, a peasant who had committed adultery with a »loose woman« had already been sentenced to a fine in the secular court. As for his penance, its severity was to be reduced »so that his wife shall not be vexed by it as she had entreated for him« (på thz hans hustro ickie skall förargas ther aff, efther hon haffwer bediat för honnom). Thus, he was only to be whipped at the door of the cathedral and only perform public penance at the local church, probably in order not to shame him beyond 16 »[I]cke medh gott samwet göra kunde, för then store träta och oenigheet som war emellan honom och hans syster söner«. 17 Vadstena stads äldsta tänkeböcker (»Domboken«) 1577–1610, ed. Georg J. V. Ericsson, Uppsala 1945–1952, appendix 1, 30 December 1600, p. 445. 18 Ordning med christeligh begraffning, KO 1571 (as n. 12), p. 137. 19 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 17 October 1599, p. 74v. 20 Om vppenbara scrifft, KO 1571 (as n. 12), p. 78: »Item, ingen then sigh icke haffuer förlijkt eller förlijkning vthloffuat medh retta målzegande, eller them som moot brutit är, skal warda afflöst«.

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reintegration in front of his neighbours. But as there was no such special concern to reintegrate the seemingly unmarried »loose woman«, she was to be whipped at three different churches.21 For example, Brita Johansdotter had committed adultery with Lasse Eriksson in the absence of her husband, the foot soldier Anders Gustavsson. Lasse had defied both church discipline and a summons, and there was no reason to spare him from the rigours of public whippings at the cathedral and public penance at two local churches. As to Brita, her penance was suspended and depended on the attitude of her husband. The local priest was to »carefully investigate whether her husband had taken her back and is reconciled with her«.22 As Anders came to the ecclesiastical court and declared that he took back his wife and »forgave her with all his heart« (wederkendes sinn hustru Brita Johansdotter och gaff henne til af alt hans hierta), he managed to free her from the public whipping but not ordinary public penance.23 Even if the innocent spouse sometimes made evasion of the public whipping more or less explicitly the condition for reconciliation, the Church seems to have been ready to comply.24

III. Broken Promises of Marriage Settled, Compensated and Reconciled In the case of either party to the engagement wishing to break the bond, the cathedral chapters closely investigated the possible grievances of the parties and the reasons they gave for wishing to extricate themselves as the bishop was to adjudicate such cases.25 In cases in which the engaged couple had had intercourse, the court attempted to reconcile them. In the case of Anders Olsson and Margreta Månsdotter, both parties confessed to sexual relations after trothplight, but according to Anders, Margreta and her parents had thrown him out (hafua wijst honom bort). When interrogated, Margreta explained that she was free from the rumour which Anders had spread that she had had an adulterous relationship with the master whom she served. »After such questioning, a long investigation and exhaustive exhortations«, the couple finally »gave each other their hands« (rechte the huar annan handen) that Anders was to stay on the farm after the »old 21 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 26 February 1596, p. 109v. 22 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 26 February 1596, p. 109v: »[...] pastor skaall granneliga ransaka om hennes man haffwer tagit henne igien och förlicth sigh mz henne [...]«. 23 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 1 March 1596, p. 109v. 24 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 26 February 1596, p. 109v. 25 Mia Korpiola, Between Betrothal and Bedding. Marriage Formation in Sweden, 1200– 1600 (The Northern World 43), Leiden 2009, especially pp. 183–191, 314–323.



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man’s death«, obviously in order to take it over after Margreta’s father. Moreover, they were to arrange their wedding before the feast of St. Michael.26 However, not all reconciliation attempts were successful. Indeed, the little we know of the late medieval Swedish ecclesiastical courts suggests that breaking betrothals was one of their most common matrimonial causes. Even if the ecclesiastical court nearly always dissolved the engagement unless the couple had had sexual relations, it was necessary to establish guilt. The party deemed guilty for the break could lose the right to the engagement gifts, be forced to pay compensation for possible wedding preparations, be whipped or be forced to stay unmarried for some time until the innocent party married.27 For example, Lasse and Anna of Leksand, a betrothed couple, were investigated at the chapter of Västerås regarding their engagement. Although there was fault on both sides, no reconciliation could take place between them. Lasse was preparing to take her back, hoping that she would mend her ways, but Anna refused altogether. Lasse’s neighbour witnessed that she had behaved towards Lasse and especially his small children in a dishonest, disloyal and unchristian (oredelighan och ochristelighan; otrooheet) way. The court observed that »as no reconciliation could take place« (effter förlijkningh icke kunne skee), both parties were to remain unmarried while they reconsidered the matter further. Anna, however, was meanwhile to be birched for her non-compliance (stå Rijsplicht […] för sin treeskheet) both at the churches of Leksand and Kopparberget.28 Anders Eriksson’s son was asked to explain why he had given up the trothplight with a widow, and he told the court that this was due to a physical disability that also afflicted his »secret limb«. Consequently, she gave him his engagement gifts back and a »friendly settlement« (een wenligh föreeningh) took place between them. The widow was allowed to contract again when she wished.29 Since there was no recalcitrance here, only an amicable attitude, no penalties were necessary. The court was also prepared to punish other people than the 26 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 5 June 1594, pp. 26v–27. The late autumn was the most popular wedding time in later medieval Sweden; see Mia Korpiola, Tempus nuptiarum. Ecclesiastical Influences on Wedding Times in Medieval Sweden, in: Pavel Krafl (Ed.), Sacri canones servandi sunt. Ius canonicum et status ecclesiae saeculis XIII–XV, Prague 2008, pp. 633–643, especially pp. 638–641. 27 Mia Korpiola, Marriage Causes in Late Medieval Sweden. The Evidence of Bishop Hans Brask’s Register (1522–1527), in: Mia Korpiola (Ed.), Regional Variations in Matrimonial Law and Custom in Europe 1150–1600. Leiden 2011, pp. 211–249, especially pp. 222– 225. 28 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 12 April 1598, p. 52v: »ändogh thz kan wara på både parterna feel och orsak till theras oenigheet […] kunde ingen förlijkningh them emillan skee«. 29 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,2, 3 feria Nativitatis, p. 7.

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parties to the engagement whom the bishop and the members of the chapter considered as preventing or hindering reconciliation. For example, the chapter of Västerås excommunicated both the widow of Olof the Taylor and her daughter until they had reconciled with the daughter’s jilted fiancé, Olof Siulsson.30 If the circumstances seemed favourable or a sense of justice demanded it, the court could work for reconciliation and a wedding between the parties. The Uppsala chapter put pressure on a peasant who had had a relationship with his maid servant that resulted in the birth of two children. Moreover, the man had promised her marriage. After long and serious exhortations (long och alfwarsam förmaning), the peasant betrothed the maid in the presence of the chapter (in conspectu capitularium) and promised to arrange the wedding before the feast of St. Michael.31 In another Uppsala case from 1594, Marie Mattsdotter claimed that Clemet Pedersson had often promised her marriage, which the youth first denied, and that they had had sex. Two witnesses claimed that Clemet himself had admitted having promised Marie marriage, but that his relatives objected. However, a witness testified that Clemet’s mother had said to him that she would be quite content if Clemet married Marie. When the parties were summoned to enter the chapter’s meeting room, Clemet was »seriously exhorted to fulfil his marriage in the fear of God« (alfuarsamligen förmant, att han sitt ächtenskap fullborda skulle vthi Gudz fruchtan). The protocol tells us that this suggestion was »accepted by all the peasants who were then there present« (alle Bönderna gillade, som tå ther tillstädes wore). Finally, Clemet consented to this and gave his hand to »Domino Archiepiscopo and Capitularibus« as a sign of agreement. Clemet then promised to arrange the wedding before the feast of St. Martin, which he affirmed with his handshake with the peasants. As further confirmation, the peasant assured them – assuming the role of sureties – that this would be complied with. In the margin of the protocol, the court wrote down the name of the peasant – probably Clemet’s relative – who opposed to the marriage.32 Sometimes, the initiated marriage process ended on a different note, the marriage either being called off or even forbidden. The reconciliation then had a different meaning, enabling the couple to break up amicably and taking care of the various consequences of the breach. In practice, this probably meant paying compensation for the girl’s virginity and the costs for her pregnancy and childbirth as well as providing for the upkeep of the child.

30 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 2 December 1597, 9 August 1598, pp. 44, 56. 31 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 24 May 1593, p. 2v. 32 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 29 May 1594, p. 23.



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In a case from the diocese of Västerås, the engagement of Magister Carolus Hedemorensis, the rector of the school of Stockholm, and Margreta, the daughter of Hans Jåpsson of Hedemora, was considered invalid. However, this dissolution of an engagement was described in conciliatory tones. The couple was »lawfully and amicably separated« (Laghligen och wenlighen åtskilde) and Magister Carolus promised Hans Jåpsson four pounds of grain for the expenses and the girl twelve ells of English cloth »so that it would be well reconciled« (på att thz skulle vara velförlicht).33 Similarly, the chapter of Linköping dissolved the trothplight of the priest Jacob Haquini and Margreta Larsdotter because the latter had been pressurized into the union and had previously clandestinely promised marriage to a young German called Bernt. Nevertheless, the matter was postponed so that the couple could be reconciled (Kommo till någon förlikningh). Indeed, an amicable settlement was reached with the consent of both parties. Jacob was to take back his trothplighting gifts to her, and she was to pay him five dalers for his travel costs »as settlement« (till ehn förlikningh). Both parties clasped hands as a sign of their agreement, and both »pledged themselves mutually to speak well of each other« (utloffuade sigh wilia tala wäll om huar annan på båda sidor).34 Similarly, in a disputed case of marriage promises that the consistory of Stockholm found to be fornication without the necessary formalities of lawful trothplights, both parties were to be received publicly in church. But the couple was also reconciled »so that neither will accuse the other but be friends and do each other good«.35 If a promise of marriage was not considered binding by an ecclesiastical tribunal but a child had been born, its upkeep and compensation for the postpartum expenses were normally adjudicated at secular courts in connection with the possible sentence for the sexual crime if the parents did not reach an amicable settlement out of court. For example, the former lover of the priest Andreas Somme complained to the chapter of Linköping that he refused to give her the one daler he was supposed to for her »salary« (sin lön) and that he was not willing to give her money to feed their child. As Andreas was so unwilling to offer anything that would help to reach a settlement (till förlikningh hielpa kunde), both parties were referred to the local district court, the competent forum, »so that both can seek their rights according to the law there« (måga ther, för rätta Sökia sin fördeell effter lagen).36 At the secular court of Nya Lödöse, a small town with about 1,300–1,600 inhabitants, Ingel Jonsson promised Karin Nilsdotter four ells of English cloth, 33 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 9 September 1596, p. 23v. 34 VaLA (as n. 8) and LiDA (as n. 8), 11 May 1607, pp. 25v–26. 35 SStA (as n. 8) and SDP (as n. 8), 19 September 1599, p. 154: »Thz ähre förlichte så ingen skall för wijthe then andre uthan wara wänner och giöra hwar annan gott«. 36 VaLA (as n. 8) and LiDA (as n. 8), 30 (?) June 1605, p. 13.

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worth one daler an ell, and one ell of macke, a rougher woolen cloth, »for friendship« and for the upkeep of their child. He also promised the court not to have sexual relations with Karin in the future.37 At another instance, Engelbrecht Andersson accused Toll Siggesson of having sex with his sister, who consequently died in childbirth. He insisted that Toll had to pay him ten dalers as expenses for the funeral. Some months later, the court registered an agreement between Engelbrecht Andersson and Toll Siggesson. Toll gave Engelbrecht and his sister »a friendship gift« (ij wennskaps gåffua) after which he was declared free from all responsibility and accusations.38 Nevertheless, occasionally even the upkeep of children was mentioned in connection with court sentences which ended in conciliatory tones although the sentence went against the wishes of both parties. For example, the chapter of Västerås forbade the marriage of Olof Jonsson and Karen Mattsdotter, who had had a relationship and produced a child together. However, the couple claimed not to have known that they were related to each other in the third degree and that they would therefore be denied marriage. The parents of the young man, having learned of the impediment of consanguinity, could not consent to the marriage »with a good conscience« (icke med något gott samwete kunne nu samtyckia) either. In addition, the couple had been punished by the secular officials for the incest. Despite the categorical refusal to allow the marriage, which would have remedied the status of the mother and child, the ecclesiastical court seems to have attempted to soften the blow and inspire amity between the related families. Olof ’s parents bound themselves to »advance Karen Mattsdotter and the child to all the best and also satisfy her mother«.39 Thus, even when administering justice in an inflexible way, the court could attempt to deliver »friendly justice« by including certain conciliatory elements.

IV. Spousal Disputes, Friendship-Giving and Reconciliation In the marital context, the crime of adultery is a good example of how important – sometimes even crucial – the attitude of the innocent party was in determining the severity of the sanctions on the guilty party. His or her willingness to be reconciled to the adulterer had considerable legal relevance. However, reconciliation (förlikningh) or »giving one’s friendship (wenskap) to someone again« did 37 Nya Lödöse tänkeböcker (1586–1621), ed. Sven Grauers, Göteborgs jubileumspublikationer, Göteborg 1923, 1 December 1600, p. 467. 38 Nya Lödöse tänkeböcker (as n. 37), 11 June and 15 October 1604, pp. 503, 509–510. 39 VDP (as n. 8), 26 March 1595, p. 1: »förplictade sigh wti alle måtte wilia förfodra samma Karen Matz dotter och barnet til thz besta, samptt och hennes moder wel förnöija«.



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not necessarily mean that marital life would be resumed. For example, when Per Tyrielsson, a soldier, had committed adultery with a »loose woman« called Marit, he was absolved on condition that he had been reconciled to his wife. Some days later, his »reconciliation and friendship« with his wife was confirmed by a priest. While the wife had given him her »friendship«, she had not taken him back as her husband (wenskap, dogh honom inthz igen tagandes till sin man). The court observed that nobody could force her to do this against her will (till huilken ingen kan henne heller ther til tuinga, emot hennes wilia). Per was obviously completely penniless (prorsus nihil possideret), and his wife could start a new life and remarry as an innocent divorcee as the law allowed – possibly with some property of her own as a nest egg.40 In many cases, one spouse being convicted of adultery at the secular court made the treatment at the church court relatively cut and dried once the verdict of the secular court had been pronounced and the innocent party insisted on divorce. For example, the chapter records of Västerås mention that an anonymous couple from Fellingsbro was divorced because of adultery. Both adulterers were pardoned against fines by the secular authorities, and both had to be whipped at the door of their parish church. The proceedings of the court merely observe coolly that »the husband was given a letter of divorce« (mannen gaffs skilio breff).41 Indeed, while not many of the divorce cases based on adultery heard by the church courts of Uppsala, Västerås and Stockholm in the 1590s and early 1600s record very serious attempts at reconciliation or hint at forced marriage-counselling at the episcopal level, this may be a distortion of perspective. Several cases from the diocese of Linköping, for example, indicate that there had been serious attempts to reconcile the couple at the parish level. Lasse of Asby, for instance, came to the chapter with a letter from his parish priest, Dominus Magnus, indicating that ever since Lasse had performed public penance for his adultery at the cathedral both the local priest »and others had gone to considerable trouble to persuade his wife to remain married to Lasse«. However, she refused this completely, backed by her whole family’s consent, and they also insisted that Lasse could not use her third of the joint marital property to pay for his adultery fines.42 The possibility of resuming marital life and re-ratifying the marriage had been suggested to Lasse’s wife, but she insisted on a divorce. It would seem that local efforts at reconciliation usually went unrecorded, while the cathedral chapter 40 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 24 and 27 February 1599, p. 62v. 41 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 29 March 1595, p. 2. 42 VaLA (as n. 8) and LiDA (as n. 8), 30 (?) June 1607, die Michaelis 1607, pp. 28v, 29v: »pastor Loci D. Magnus och Andra haffua sigh mÿckit beflitat […] att öffuertala hans hustru att thet hon wille bliffua J Äcteskap medh thenna sin man Lasse«.

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more rarely played »the heavy-handed marriage counsellor« in divorce-for-adultery cases. Only under exceptional circumstances, when the members of the chapter considered that the supposedly innocent party had in fact caused the other spouse to fall by his/her behaviour and neglect, the Chapter of Uppsala put pressure on the innocent spouse for reconciliation. In such a rare instance in 1593, the Chapter of Uppsala pressured on the cavalry soldier Olof Månsson to reconcile with his wife Merita, who had committed adultery with a young nobleman (hoffiunkare) called Erik Eriksson. Olof wanted a divorce, but the court record observed that »as guilt was found in him in as much as he had greatly caused her fall, the matter was referred to the secular court for further investigations there«.43 The chapter members then appealed to Olof´s conscience: »he was to check the balance with himself, and investigate whether he could so abandon her and completely reject her with a good conscience«. After this soul-searching, Olof ’s attitude was more malleable, and he declared himself relatively content to »accept her back if she would ask him for his friendship«.44 The court then asked Merita whether she wanted to return to him and ask him for his friendship. She answered in the affirmative and »started lovingly to ask him« (Sedan begynte hon kerligen bidia honom). Olof was given some weeks to consider the matter while she was meanwhile to do penance under supervision of the penitentiary of the chapter.45 Merita was to perform public penance and her sin was to be publicly proclaimed from the pulpit.46 The court records do not specify how Olof was considered to have contributed to the adultery of his wife, but from the fact that the couple does not reappear in the existing register, one may assume that the reconciliation attempt was successful. In cases of more general conjugal dispute and discord not involving adultery, the cathedral chapters indeed took a more active role which often is entered in the records as well. The local community usually intervened to restore peace and harmony, and both secular and ecclesiastical officials worked together in such cases. The ecclesiastical courts were using a variety of different means of persuading the couple to reconcile, often ranging from pastoral admonitions and threats 43 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 27 August 1593, p. 8: »Men efter skuld fans hooss honom, at han hade mykit warit wållande til hennes fhall skötz saken till werldzligh doom, att hon ther ransakas skulle. etc.«. 44 »Tå blef han förmant, at han skulle gå til rekenskap medh sigh sielf, och ransaka om han medh ett godh samwet, kunde så öfwergifwa och aldeles förskiuta henne. […] thå gaff han sigh någeledes til fridz, at han wille taga henne igen, om hon wille bidia honom, om wenskap«. 45 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 3 September 1593, p. 8. 46 ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), April 1594, p. 15v.



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to oaths backed by financial pledges and sureties. In the case of obdurate spouses who severely maltreated their spouses or exhibited contempt for ecclesiastical justice, some more effective means such as short prison spells or whipping could be used to persuade the couple to demonstrate more appropriate and loving behaviour towards each other. In the case of misbehaving priests, temporary suspension from their office amounting to a significant loss of income helped. A temporary or permanent separation from bed and board was seen as a last resort when the whole range of peacemaking means had been exhausted.47 For example, the married couple Jon Larsson and Ingrid Larsdotter – under the title »ill will between married people« (Inimicitiae inter Conjuges in Bÿrie) – was reported not to be reconciled (kunne inthet sine emellann förlikas) but living like »dogs and cats together« (lefua som hunder och kattor tilhop). Ingrid was exhorted to return to the conjugal home and her husband and live honestly with him or she would be punished.48 Bertil the Shoemaker and his wife Ingeborg were reconciled on pain of excommunication.49 The chapter of Västerås resorted to inventive means in attempting to mediate between Henrik the Goldsmith and his wife Karen, widow of Claes the Goldsmith. Both suspected the other of embezzling joint property, especially silver. Therefore, with both their consents, it was to be kept in the cathedral in order to facilitate reconciliation. However, this proved an insufficient means as some weeks later the couple was back again complaining about each other.50 The chapter of Västerås investigated thoroughly the problems of Thomas Jåpsson and his wife, Margreta, whose marital difficulties were on the lips of many in the community. Thomas wanted a divorce while Margreta claimed to have been treated most contemptuously by her husband. He threatened her with violence so that she had been forced to depart from the conjugal home, but not before explaining to Dominus Anders, the local priest, her predicament and her reasons for taking refuge elsewhere. At the first hearing in the chapter, the grievances of both parties were heard in detail. In addition, eight witnesses (six men and two women) were present, including Daniel, the priest of Aspö, who testified how Margreta had behaved in her previous marriage. Both parties were exhorted to reconsider, ask for God’s mercy and resume conjugal life. Margreta was willing to try again, but Thomas was obstinate. As the hearing did not lead to a concilia-

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See Korpiola (as n. 27), pp. 226–235. ULA (as n. 8) and UDP (as n. 8), 7 November 1599, p. 164v. VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, Easter 1598, p. 53. VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 9 November 1597, 26 April 1598, 10 May 1598, pp. 43, 53, 54.

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tory outcome, the case was postponed until the bishop came back home.51 More than a month later, the case was again thoroughly investigated and the couple was diligently exhorted to reconcile and was finally »united and reconciled« (förente och förlickte), which was confirmed on both sides by oaths in the presence of the bishop, several chapter members and other witnesses. Bygones were to be bygones, and they were thereafter to remain together in loving company.52 In a case from Stockholm, the »clerical estate took upon itself to try to reconcile« Jochim the Needlemaker and his wife Karin. The latter had grossly neglected her duties and had wished to poison her husband at the instigation of another woman. The clergy was successful: »he let himself to be persuaded and took her into his grace again as she asked for her husband’s friendship on her knees and confessed to having behaved badly«. Karin also expressed repentance and promised to mend her ways with a detailed list of do’s and don’ts.53 In another difficult case, amounting to divorce, Lasse Persson the Piper and his wife Gertrud had both remarried on either side without a divorce sentence more than a decade before the case was heard in the consistory of Stockholm. Instead of ratifying and reinstating their marriage or having the secular court prosecute either or both for bigamy, the court chose a more pragmatic approach typical of the Swedish ecclesiastical courts of the period. This was probably because Lasse Persson had ten children with his second wife and even Gertrud had several children with her second husband. Thus, the sentence recorded in the case is reconciliation between the parties: »Both parties settled with each other (The förlijckte sigh emellan medh huar) and promised that that neither will further pursue each other (och loffuadhe att ingen there will wijdhere förfölia huar annan)«.54 The court accepted the status quo as the couple agreed to let sleeping dogs lie.

51 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,1, 7 February 1599, p. 61v; VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,2, 7 February 1599, pp. 8v–9v: »förmante Man them att the ännu skulle besinna sigh, bedia Gudh om Nåden, och komma tilhopa igen«. 52 VDA (as n. 8) and VDP (as n. 8), A I,2, 14 March 1599, p. 10: »alt hwadh honom och hans hustru här till haffuer warit emillan, skulle platt wara förgåtit och the häreffter vdi kärligit vmgängie blifwe tillhoopa«. 53 SStA (as n. 8) and SDP (as n. 8), 18 Feburary 1596, p. 23: »han lätt sigh öffuertala och togh henne till nådgher wp igen, ther hon på Knää beddes Wenskap aff sin Man och bekendhe sigh haffua illa giordtt«. 54 SStA (as n. 8) and SDP (as n. 8), 20 June 1598, p. 132: »The förlijckte sigh emellan medh huar och loffuadhe att ingen there will wijdhere förfölia huar annan«.



Marriage-Counselling and Reconciliation in Reformation Sweden

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V. Conclusion By way of concluding, I can observe that the Swedish cathedral chapters did indeed play an active role in promoting reconciliation and peace in their dioceses, and many local clerics also fostered friendship among their more or less willing parishioners. In engagement-related disputes, the court favoured amicable endings which sometimes meant that the engagement was dissolved or broken off, but that the jilted party was paid compensation. Reconciliation did not always mean that the engagement was confirmed or the marriage preserved. However, questions of guilt had to be determined, and guilty and obdurate parties could expect ecclesiastical censure, even physical punishment. In cases of adultery, reconciliation attempts took place at the local level particularly, and the cathedral chapter did not try to force the innocent party to take the adulterous spouse back. In other conjugal disputes, the court played a very active role, using its whole repertoire of ecclesiastical censure. The handclasp, the centuries-old gesture for contract and agreement, was mentioned time and time again in the ecclesiastical court records as a sign of the settlement between the parties and any other third persons involved. Although some researchers have emphasized the growth in the litigiousness of the people of early modern Europe, they have also granted that the people of the past were »strategic litigators« who used the courts of law as only one of a »myriad of options« for dispute resolution. Indeed, Julie Hardwick has described »informal mediation, not simply as an alternative to judicial process, but as an interwoven and integral part of court cases«.55 Thus, the Swedish practice reveals more alternatives than merely »Freundschaft« or »Recht«. There was also »freundschaftliches Recht«, reconciliatory justice, in cases which were not dispositive, for example, when the court either upheld or quashed the validity of an engagement or marriage, but attempted to ensure a fairer and amicable outcome for the parties. Moreover, the Church’s discretionary use of ecclesiastical censure also depended on the attitude of the parties. Those refusing settlement or »friendship« could be denied the sacraments and face excommunication, financial or corporal punishment. Not simply representing a disinterested third mediating party, the Church was also a spiritual and religious authority which had several means of forcing – not simply persuading – the parties to friendship and peace. As has been pointed out, »[a]djudication and mediation are in principle opposites, and can be 55 See, e.  g., Henry L. Kagan, Lawsuits and Litigants in Castile 1500–1700, Chapel Hill 1981, pp. 3–20; Sharpe (as n. 13), pp. 167–171; Julie Hardwick, Family Business. Litigation and the Political Economies of Daily Life in Early Modern France, Oxford/New York 2009, pp. 57–59, quotations on pp. 74–75.

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separated analytically, but they do not represent historical oppositions. In practice, they were […] present in most European courts, sometimes in the same decisions«.56 Thomas Kuehn has also pointed out that in legal practice as indicated in the records of late medieval Europe, the dichotomy between law and arbitration was not so pronounced.57 This certainly applies to the Swedish ecclesiastical courts that also used both persuasion and compulsion and punishment even for the same cases. However, it would not seem that cases at the ecclesiastical courts would normally have been used as »part of a larger strategy designed to force an out-of-court settlement in an on-going, often protracted dispute«58 – as Richard L. Kagan has described sixteenth-century Castile. For investigating extrajudicial means of dispute resolution, the church court records of Reformation Sweden are not ideal as the entries are usually short and the accompanying documents are lost. Moreover, as James A. Sharpe has observed for the seventeenth-century English village, »arbitration through friends, respected members of the community, the local clergyman […] must have kept many disputes and differences from entering the court«.59 Thus such successfully negotiated disputes never necessarily surfaced in the legal or other historical records at all. Alternatively, only the outcome was recorded for posterity in the court record, whereas the arbitration process itself, the mechanisms of peacemaking and the identity of the mediators remain largely in the shadows and thus unknown to us.60 There were probably many local processes of mediation going on simultaneously, working at various private and official, ecclesiastical and temporal, formal and informal levels in Reformation Swedish communities. Only occasionally we can catch some rare and tantalizing documented glimpses of them in our sources.

56 Roger Collins/Paul Fouracre/Chris Wickham, Conclusion, in: Wendy Davies/Paul Fouracre (Eds.), The Settlement of Disputes in Early Medieval Europe, Cambridge 1986, pp. 207–241, especially p. 237. 57 Thomas Kuehn, Law, Family and Women: Toward a Legal Anthropology of Renaissance Italy, Chicago 1991, p. 21. 58 Kagan (as n. 55), pp. 82–84. See also Edward Powell, Settlement of Disputes by Arbitration in Fifteenth-Century England, in: Law and History Review 21 (1984), pp. 21–43, especially pp. 24 and 38–41. 59 James A. Sharpe, Enforcing the Law in the Seventeenth-Century English Village, in: Victor A. C. Gatrell/Bruce Lenman/Geoffrey Parker (Eds.), Crime and the Law. The Social History of Crime in Western Europe since 1500, London 1980, pp. 97–119, especially pp. 111–112. 60 On the failings of the information available on informal dispute resolution in court records, as Roberts (as n. 2), pp. 20–22.

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Alternative Dispute Resolution within Law Courts in 16th-Century Scotland I. Introduction. II. Use of Court Proceedings to Enable Enforcement of Private Settlement. III. Suspension of Court Process to Facilitate Settlement. IV. Submission to Arbitration during Court Proceedings. V. Conclusion.

I. Introduction Scotland provides an interesting example of an early modern state whose mechanisms of judicial dispute resolution developed very significantly between the late fifteenth and early sixteenth centuries. The story is a not unfamiliar one of a central court developing from the jurisdiction of a medieval king’s council, becoming established in Scotland as a separate college of justice in 1532. Even after 1532 it retained its familiar name from earlier decades, when a sustained judicial sitting of the King’s Council was termed »the Session«. The court became known later as the Court of Session, and it successfully developed a superior jurisdiction in the sixteenth century and established its authority over all other forms of jurisdiction and courts in Scotland. Recent research has revised traditional accounts which suggested that the development of a supreme central court was still very limited in extent by the first half of the sixteenth century, and instead the court has come to be regarded by scholars as possessing an extensive and unconstrained authority and jurisdiction relatively early in its history and specifically by the time it was established as a college of justice in 1532.1 This represented a transformation of extraordinary significance in the structure of jurisdiction and – consequently – in the development of judicial dispute resolution in Scotland.2 Recent research has tended to concentrate on exploring this question. However, a more obscure and problematic part of the story is to explain the implications of this for extrajudicial forms of dispute resolution. What difference did it make to how disputes were conducted? How did the two – judi1 See generally Mark Godfrey, Civil Justice in Renaissance Scotland. The Origins of a Central Court, Leiden 2009. 2 See Mark Godfrey, Royal Councils, Law Courts and Governance. The Role of Litigation in Early Modern Scotland, in: Nils Jansen/Peter Oestmann (Eds.), Rechtsgeschichte Heute. Religion und Politik in der Geschichte des Rechts. Schlaglichter einer Ringvorlesung, Tübingen 2014, pp. 77–94.

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cial and extrajudicial – interact? Many disputes at this time would not necessarily have involved litigation at all. Did the balance change? In this context, three main questions arise about the implications of the massive enhancement in the authority of a central court in Scotland. First, did it make recourse to the courts more common or frequent as a means of progressing or resolving a dispute? Second, if so, did it result in the courts simply being involved in a higher proportion of disputes, or did their involvement also become deeper and more substantial? Third, did it cause a change in the overall balance between public and private forms of justice? Did the enhancement of mechanisms of judicial dispute resolution lead to the marginalization or displacement of extrajudicial forms of dispute resolution? These are very big questions, a full treatment of which lies beyond the scope of this paper. Moreover, the current state of research would allow only limited answers. Instead, I wish to merely sketch some preliminary insights to inform further research which might help address them in the future. In relation to the first two questions – concerning the frequency and depth of involvement of the courts – a possible though somewhat crude starting point in trying to assess any change in the role of litigation between 1500 and 1600, given the limited research available, would be to examine the number and volume of cases heard by the Court of Session over time, at its most basic in terms of the size of the manuscript record of proceedings. An assessment could begin with the years around 1500, when the King’s Council’s judicial sittings had already become very regular, and then compare this with the years around 1532, when the College of Justice was founded, and beyond that with the period around 1600, by which time any significant change would surely be apparent to some degree. Taking the period around 1500 first, consultation of the manuscript record reveals that for the five year period 1507–1512 there are approximately 1,153 folios spread over five volumes of the register of the King’s Council (230 per year), principally though not exclusively recording civil litigation.3 Move forward a quarter of a century, and we find that for a similar five-year period around 1532 (1529–1534) there are approximately 1,411 folios in eight volumes of the register (280 per year), an increase of 22 %.4 3 November 1507 to November 1512: National Archives of Scotland [hereafter NAS], CS 5/19 (20 November 1507–27 October 1508 – fol. 357 ff.); NAS, CS 5/20 (20 November 1508–27 September 1509 – fol. 258 ff.); NAS, CS 5/21 (19 October 1509–21 October 1510 – fol. 205 ff.); NAS, CS 5/22 (4 November 1510–30 June 1511 – fol. 181 ff.); NAS, CS 5/23 (27 June 1511–4 November 1512 – fol. 152 ff.). 4 March 1529 to March 1534: NAS, CS 5/40 (March 1529–27 February 1530 – fol. 171 ff.); NAS, CS 5/41 (7 March 1530–20 January 1531 – fol. 161 ff.); NAS, CS 5/42 (21 January 1531–7 July 1531 – fol. 195 ff.); NAS, CS 5/43 (8 July 1531–15 May 1352 – fol. 201 ff.); NAS, CS 6/1 (27 May 1532–7 November 1532 – fol. 137 ff.); NAS, CS 6/2 (12 Novem-



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This crude measure of increase in the physical extent of the record probably underestimates the greater volume of litigation by the late 1520s, since from 1527 onwards a larger size of paper was used by the clerks, and it is likely that more business was recorded per page.5 By 1600, however, taking the records for only a single year6, there are no fewer than nine such volumes, with 2,597 folios for this one calendar year alone, relating to 2,221 separate court actions recorded.7 Without exploring these figures further and the many qualifications which would undoubtedly have to be made in order to interpret them systematically (including changes in the form of record), we can at least be certain that recourse to courts and the Court of Session in particular had become very much more common between 1500 and 1600, suggesting that a much higher proportion of disputes must have involved formal litigation at the end of the century than at the beginning, though behind these figures it is also possible that there were other changes such as an increase in the number of disputes generally. Overall, it seems likely that the volume of litigation in the Court of Session increased very dramatically, and it is conceivable that it might have doubled or quadrupled and possibly even have increased seven- or eight-fold between 1500 and 1600, though a clear answer must await further research based on detailed scrutiny of the record and systematic comparison. But taking these as provisional answers to the first two questions, in the absence of more systematic research, we are left with the third question: to what extent was there a change in the overall balance between public and private forms of justice and an encroachment by the Court of Session and the role of litigation into the sphere of extrajudicial dispute resolution? The case of Scotland has a particular interest, owing to its deep-rooted culture of extrajudicial dispute resolution structured around the bloodfeud. Feud and recourse to violence were very prevalent in late medieval Scotland, reflecting the localized and kin-based structure of social and political authority.8 Modern research

5

6 7 8

ber 1532–5 July 1533 – fol. 225 ff.); NAS, CS 6/3 (7 July 1533–12 February 1534 – fol. 218 ff.); NAS, CS 6/4 (13 February 1534–20 May 1534 – fol. 158 ff. [fol. 103 ff. to end of March]). Beginning with NAS, CS 5/38 (4 November 1527–13 November 1528), as also noted in: Acts of the Lords of Council in Public Affairs, ed. Robert K. Hannay, Edinburgh 1932, p. 270 [hereafter ADCP]. Of course, this measure is not an adequate substitute for counting the number of actions to measure the volume of litigation, but points to the value of doing so. Mid-November 1599 to the start of 1601. Winifred Coutts, The Business of the College of Justice in 1600 (Stair Society 50), Edinburgh 2003, pp. 1 and 221. The number of folios has been calculated by Winifred Coutts and generously communicated to the writer privately. Jenny Wormald, Bloodfeud, Kindred and Government in Early Modern Scotland, in: Past and Present 87 (1980), pp. 54–97. See also Jenny Wormald, Court, Kirk and Community.

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has shown how blood feud continued to be an important method of dispute resolution throughout the first 75 years or so in which the Court of Session operated in permanent form after 1532 as the College of Justice.9 This research has shown that feud did not decline in Scotland until towards the very end of the sixteenth century, perhaps even intensifying temporarily as a result of political instability following the Scottish Protestant Reformation of 1560. This instability escalated to the level of a Scottish civil war between 1567 and 1573, unleashed after the forced abdication from the Scottish throne of Mary Queen of Scots (1542–1587) – a period of religious and constitutional conflict and faction very much like the situation during the late-sixteenth-century French wars of religion, where resort to feud also revived at this time.10 The termination of the culture of bloodfeud after 1600 reflected the success of a deliberate royal campaign of suppression of such violent forms of dispute by Mary’s successor, King James VI (1566–1625), as well as the promotion of more peaceful alternatives enshrined in parliamentary legislation and based around the practice of arbitration.11 It has also been suggested by historians that it reflected a wider cultural shift which saw the legal profession, and the Court of Session in particular, acquire a greater role in resolving disputes, perhaps because propertied elites began to prefer reliance upon formal adjudication and the longer-term security which a court decree could bring to the resolution of a dispute – though this is another relatively untested hypothesis awaiting further research.12 Research on litigation in the Court of Session, however, has also demonstrated that this apparent shift from private to public methods of dispute resolution in the sixteenth century should not be exaggerated, since private and public methods often interacted with each other, litigation often playing a concurrent role in resolving a dispute alongside other methods which the parties pursued simultane-

9 10

11 12

Scotland 1470–1625, London 1981, and Jenny Wormald, Lords and Men in Scotland. Bonds of Manrent, 1442–1603, Edinburgh 1985. For an appraisal of Wormald’s work on feud see Mark Godfrey, Rethinking the Justice of the Feud in Sixteenth Century Scotland, in: Julian Goodare/Steve Boardman (Eds.), Kings, Lords and Men in Scotland and Britain (1300–1625). Essays in Honour of Jenny Wormald, Edinburgh 2014, pp. 136–154. Keith M. Brown, Bloodfeud in Scotland. Violence, Justice and Politics in an Early Modern Society, Edinburgh 1986. Jane E. A. Dawson, Scotland Re-Formed 1488–1587 (The New Edinburgh History of Scotland 6), Edinburgh 2007, pp. 264–282; Stuart Carroll, Blood and Violence in Early Modern France, Oxford 2006; and Stuart Carroll, The Peace in the Feud in Sixteenthand Seventeenth-Century France, in: Past and Present 178 (2003), pp. 74–115. Brown (as n. 9), Chapter 9; Godfrey (as n. 1), pp. 400–409 and 439–440. Ibid., pp. 402, 407–408 and 435–440.



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ously.13 In this paper, I wish to single out for further comment just one particular aspect of this picture of integration between the public world of formal court procedure and remedies and the private sphere of informal methods. This is the position, within a formal court process, of alternative informal processes of conflict resolution, and the extent to which they could be deployed within or alongside court process. In particular, what was the posture of the courts towards the facilitation of alternatives to judicial resolution of a dispute? The sources I have examined are the litigation records of the Court of Session in the early sixteenth century, though of course in a sense these show only one side of the picture – the view from the courts, whose officials and procedures created the records. A wider range of private sources would require to be examined as well to study comprehensively the way particular disputes were progressed and in order to evaluate more systematically any change in the overall balance between public and private forms of justice. However, what can be readily established is the way the courts were not excluded from extrajudicial processes of conflict resolution, but could flexibly interact with them, and even help initiate or actively facilitate them. I will look briefly at three categories to examine the distinctiveness of these features of conflict resolution in sixteenth-century Scotland: the use of court proceedings to enable enforcement of private settlement; the suspension of court proceedings to facilitate settlement; and submission to arbitration during court proceedings.

II. Use of Court Proceedings to Enable Enforcement of Private Settlement Private resolutions and settlement often still required enforcement, in the absence of voluntary or timely implementation by both parties, and public justice could be invoked in situations in which other informal sanctions appeared to have been ineffective. The King’s Council played a significant role here by the fifteenth century, but by the sixteenth century the court system itself was fulfilling this purpose through the Court of Session, once it had separated from the King’s Council in 1532. Parties might first register a compromise agreement (a »compromit«) and then look to the Court of Session to determine further procedure in carrying out the agreement or to adjudicate upon its breach. With an agreement to arbitrate, for example, the appointment of arbiters might require supervision, and we can find the Court of Session being involved in formalising 13 Ibid., Chapter 8; an earlier account is available in Mark Godfrey, Arbitration and dispute resolution in sixteenth-century Scotland, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 70 (2002), pp. 109–135.

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such arrangements so that an arbitration could proceed. Royal letters and charges were also often obtained to help enforce the fulfilling of a private settlement. A decree arbitral could be registered in the Court of Session and then enforced like a normal court decree. Public and private justice were therefore often closely interrelated in this context.14

III. Suspension of Court Process to Facilitate Settlement It was not at all uncommon for public justice to be suspended while private justice was allowed to operate. Sometimes it was conditional, as when formal legal action was suspended to make way for negotiation and the possibility of a private settlement, but on the explicit understanding that if such a settlement was not reached within a certain period of time then legal process would be resumed.15 An example of the suspension of court process is Gilbert Wauchop’s action against Friar James Paterson, the minister of Peebles, which came before the Court of Session on 7 May 1534. The action concerned the reduction of a charter and the interaction with a parallel judicial process before a papal judge delegate and an appeal which was pending in Rome. The previous day Gilbert had tried to get the Court of Session to suspend James’ attempts to have him removed from the disputed land while the appeal was still undecided but he was unsuccessful. Then, the following day, with the consent of the parties, the Lords of Council, as the judges were styled, continued the action »in hope of concord« until the following week »so that thai may in the meyntime tak freindes and aggre thame betwix and the said day«.16 This phrase »in hope of concord« was in fact a very standard one used in this context in relation to private settlement.17 Unsurprisingly, though, it was never used to denote the objective of litigation. In the case of Gilbert and James, we do not know what exact steps were taken to find concord, but we know they were not successful, since by March the following year litigation had resumed, meaning that concord had proved impossible to establish or maintain.18 Where concord could be reached and formalised in an agreement, the courts might nevertheless become involved, not just to regulate or enforce but also to adjudicate upon the agreement in case of further dispute, reflecting ways in which public justice tended to play a role even in disputes which were primarily ap14 15 16 17 18

For this paragraph see generally Godfrey (as n. 1), Chapter 8. Ibid., p. 420. NAS, CS 6/4, fol. 125v. Godfrey (as n. 1), p. 433. ADCP (as n. 5), pp. 435–436.



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proached in terms of private justice. In particular, if the social pressure to honour private agreements failed, then by the early sixteenth century there is a sense that public justice tended to fill the vacuum. In a supplication in 1532 by Alexander, prior of Pluscarden, for example, we find reference to a dispute resolved by an agreement, but followed by litigation over the fulfilling of that agreement. William Wood of Bonnington and Arthur Panton, the other parties, had alleged that the prior would not fulfil the agreement (referred to as a contract and »appunctment«) he had entered into, and obtained formal letters charging him to fulfil his obligations. The prior raised a summons calling on them to produce these letters for review by the court. However, the »term peremptour« having arrived in July 1532, one of the parties (Panton) suddenly produced to the court a compromise agreement (»compromit«) providing for arbitration. The parties were reverting back to the modes of private justice. At this point we are told that the Council superseded (»supersedes«) the legal action until the third day of the next court term.19 It was not terminated, however, but merely superseded »so that the named arbiters should give furth thir deliverance«, but in the meantime all judicial process was suspended. Such examples are not especially remarkable but they do help us avoid the trap of treating the worlds of private and public dispute resolution as somehow opposed.

IV. Submission to Arbitration during Court Proceedings It is also the case that submissions to arbitration often resulted from a compromise agreed in the midst of substantive litigation. In such cases, the parties were not agreeing to end their litigation, but were suspending it to explore settlement through an alternative private procedure. The implications of the use of arbitration for our understanding of the balance between public and private forms of justice in the sixteenth century are hard to determine, however. As I have observed elsewhere, when arbitration arose only after a long period of litigation, for example, it is difficult to tell »whether there had been frustration at the failure of legal process to achieve a resolution, whether legal process had simply taken time to serve the purpose of exerting pressure on the other party to compromise, or whether it had simply been intended to prevaricate and postpone any resolution for as long as possible through the use of court action«.20 Sometimes we can also trace not only the form of private settlement method adopted after litigation was suspended, but also find the court taking the in19 NAS, CS 6/1, fol. 93. See Godfrey (as n. 1), p. 420. 20 Ibid., p. 416.

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itiative. The integrated nature of private and public justice is apparent in the telling detail of the Lords of Council on occasion requesting a litigant to submit to arbitration. For example, on 11 July 1532 there was a case where the record tells us »the lordis desirit the said Gavin to submit the mater betwix him and Jane Carmichael to the lordis of counsal as juges arbitouris and amicable compositors betwix them [...] and thai suld dress the matter according to justice and saif the kinges honour«.21 Indeed, the Scottish Council records suggest more generally that arbitration was often used in conjunction with litigation, and that a strong degree of interdependence existed between them in resolving disputes. The judges of the Court of Session were appointed arbiters themselves quite frequently, with 32 examples of disputes being submitted to them in this way over the five year period 1529–1534, and a further 13 submissions where the capacity in which they were to act in resolving the dispute appears similar to that of arbiters but without this being specified.22 Generally, the evidence of arbitration shows the Session fulfilling a very similar role to the Court of Chancery in fifteenth-century England, in being used to lend authority and formality to arbitration procedure, agreements and awards, and to resolve disputes about arbitration, as well as to foster arbitration in relation to those disputes brought before it, by helping arrange it – on occasion choosing the arbiters23 – or even by sitting as arbiters. In one case in 1534, the court actively promoted informal resolution in a case where parties appeared before the Court of Session by royal command and were assigned a period of time following which they were to »schaw and declare thir myndis to the lordis of counsale gif thai war inclynit to pas to concord and submit thaim to the saidis lordis in the caus debatable«.24 Overall, the relationship between private arbitration and public justice in Scotland seems remarkably similar to the situation in England in this period, where – in the words of the English historian Edward Powell – »legal action was often pursued, not as an end in itself, but as a practical preliminary or accompaniment to arbitration«, and »the resources of the law were [...] harnessed to provide support and protection for arbitration«.25 All of this is evident in Scot21 22 23 24 25

NAS, CS 6/1, fol. 60v (emphasis supplied). See Godfrey (as n. 1), p. 390. Ibid., p. 377. Ibid., p. 421. NAS, CS 6/4, fol. 70r, discussed in: Godfrey (as n. 1), pp. 381–382. Edward Powell, Arbitration and the Law in England in the Later Middle Ages, in: Transactions of the Royal Historical Society 33 (1983), pp. 49–67, especially p. 62; in a recent study embracing legal disputes in early-sixteenth-century Scotland, John Finlay also notes that »there can be little doubt that formal legal proceedings were sometimes raised by a party in order to encourage his adversary to negotiate«: John Finlay, Men of Law in Pre-Reformation Scotland, East Linton 2000, p. 122.



Alternative Dispute Resolution within Law Courts in 16th-Century Scotland

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land by 1532. The implication is that the balance of private and public justice was tipping towards greater acceptance of public justice, and that the centrality of private modes of justice was becoming qualified by the ease and flexibility with which the newly-enhanced public forms of central justice and authority could be integrated with them. Gauging the extent to which this represents a longer term development which influenced the decline of the bloodfeud in Scotland by 1600 must be the subject of future research.26

V. Conclusion The progression of a particular dispute often involved pursuit of a range of concurrent strategies, only one of which might involve court process. However, the effectiveness of private justice clearly drew to some extent upon the availability of turning instead to public justice. Here, the appeal of the new form of central justice seems to have provided the impetus for change. By comparison with the way in which local jurisdiction could be seen as partial and politically controlled or conditioned by local hierarchies, the way in which the newly developed Court of Session embodied a new central form of authority in early modern Scottish society, largely free from noble (and to an extent even royal) influence, seems to have promoted a wider acceptance of its role. This allowed it to transcend a purely technical role in exercising jurisdiction after it was invoked procedurally through litigation, and instead to promote more broadly an integrated approach to public and private modes of justice, and to assume different complementary roles in the course of a dispute once it was brought into court. Its authority was judicial in form but it retained a political underpinning derived from its historic connection to the King’s Council, though now much more insulated from the risk of political bias which would always have been present in the Council itself. Whilst Lords of Session who sat as judges in the College of Justice often remained concerned with Council business, members of the Council could not act as judges unless specifically appointed to the College of Justice.27 After 1532 the Court of Session was therefore less vulnerable to the influence of the nobility, and it seems likely that this helped enhance its judicial authority. However, it also emphasises how the distinction between judicial and extrajudicial processes of conflict resolution did not map precisely onto some distinction between public and private methods, since in practice litigants seem to have viewed all methods as simply part of a spectrum of ways to progress a dispute, 26 See Godfrey (as n. 1), pp. 444–449. 27 Ibid., pp. 150–152.

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and the courts themselves – at least the judges of the College of Justice – shared this outlook and were willing to fulfil a dual role in exercising both public and private functions.

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Austräge als Mittel der Streitbeilegung im frühneuzeitlichen Adel des Alten Reiches I. Einleitung. II. Austräge: Definition, Entstehung und Funktion. III. Gewillkürte Austräge des Adels. IV. Gewillkürte Austräge bei den Ernestinern. V. Konfliktregulierung im Zusammenspiel von Austrägen und höchster Gerichtsbarkeit. VI. Fazit.

I. Einleitung Schon die Reichspublizisten nahmen die in den Reichskammergerichtsordnungen festgeschriebenen drei Formen von Austrägen für Reichsunmittelbare – die gesetzlichen, die gewillkürten und die privilegierten – zwiespältig auf. Grundsätzlich waren sie zwar der Meinung, dass das Institut der Austräge – sofern man es im vorgeschriebenen Sinne gebrauchte – für das Rechtsleben des Alten Reiches sinnvoll sei. So spricht beispielsweise Johann Stephan Pütter noch 1792 von ihnen als dem »Kleinod des Fürstenstandes«.1 Die in der Rechtspraxis gemachten Erfahrungen spiegeln sich jedoch in Johann Jacob Mosers Feststellung wider, dass die Austräge ein Justizhindernis seien und von den Parteien missbraucht würden.2 Beide Positionen stehen für unterschiedliche Perspektiven. Während Moser vor allem aus der Sicht der höchsten Gerichte des Reiches auf die Austräge blickt, nimmt Pütter die Position des reichsunmittelbaren Adels ein, der in den Austrägen ein wichtiges Vorrecht der Reichsstände sah. Die Forschung hat sich bis heute wenig mit dieser besonderen Form der Streitschlichtung beschäftigt. Auch wenn im Zuge der florierenden Adelsforschung die Konflikte dieses Standes größeres Interesse fanden3, so fehlt es doch noch immer an Untersuchungen, die sich den spezifischen Möglichkeiten der Streitschlichtung innerhalb des Adels zuwenden. In der Forschung zu den höchs1 Johann Stephan Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, 2 Bde., Bayreuth 1792, hier Bd. 2, S. 159. 2 Johann Jacob Moser, Teutsches Staats-Recht, 50 Teile, Nürnberg 1737–1753, hier Bd. 23, S. 308. 3 Vgl. Christian Wieland, Nach der Fehde. Studien zur Interaktion von Adel und Rechtssystem am Beginn der Neuzeit. Bayern 1500–1600, Epfendorf am Neckar 2013; Siegrid Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806, Köln/Weimar/Wien 2002.

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ten Gerichten des Alten Reiches konzentriert sich das Interesse vor allem auf die Formierungsphase der Austräge und ihre Festschreibung in der Reichskammergerichtsordnung von 1495.4 Selten wurde bisher in den Blick genommen, wie die Entwicklung danach verlief. Im Folgenden soll deshalb gefragt werden, in welchem Verhältnis die gewillkürten Austräge des Adels zu den höchsten Gerichten des Alten Reiches standen. Dabei wird auf das in der Kriminalitätsforschung verwendete Konzept der Infrajustiz zurückgegriffen, das die Konfliktregulierung im Umfeld von Gerichten beziehungsweise die Interaktion außergerichtlicher Akteure mit obrigkeitlich-staatlichen Gerichten untersucht.5 In Anlehnung daran wird davon ausgegangen, dass die Austräge weder ein Justizhindernis darstellten noch missbraucht wurden, sondern von Mitgliedern des Adels genutzt wurden, um dynastische Konflikte im Zusammenspiel mit den Möglichkeiten der höchsten Gerichte zu regeln. Austräge sind in diesem Sinne weder eine Alternative noch eine Konkurrenz zur höchsten Gerichtsbarkeit, sondern Teil eines komplexen Gesamtsystems von Konfliktregulierung, das auf den Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung von Frieden und Ordnung innerhalb der Dynastien beziehungsweise zwischen den Dynastien zielte.6 Daher konnten Kaiser und höchste Reichsgerichte Austräge akzeptieren und immer wieder bestätigen. Zunächst sollen die Entstehung der Austräge, ihre Funktion und ihre unterschiedlichen Ausprägungen erläutert werden, bevor dann die gewillkürten Austräge im Allgemeinen und am speziellen Beispiel der Ernestiner dargestellt werden und ihre Wirksamkeit im Verbund mit der Rechtsprechung der höchsten Gerichte erörtert wird.

II. Austräge: Definition, Entstehung und Funktion Unter einem Austrag wird ein institutionalisiertes Schiedsgericht verstanden, »das ausdrücklich für alle künftigen Streitigkeiten zwischen den seiner Spruchpraxis 4 Nils Meurer, Die Entwicklung der Austrägalgerichtsbarkeit bis zur Reichskammergerichtsordnung von 1495, in: Anette Baumann/Peter Oestmann/Stephan Wendehorst/ Siegrid Westphal (Hg.), Prozesspraxis im Alten Reich. Annäherungen – Fallstudien – Statistiken, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 17–52. 5 Francisca Loetz, L’infrajudiciaire. Facetten und Bedeutung eines Konzepts, in: Andreas Blauert/Gerd Schwerhoff (Hg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 545–562. 6 Karl Härter, Konfliktregulierung im Umfeld frühneuzeitlicher Strafgerichte. Das Konzept der Infrajustiz in der historischen Kriminalitätsforschung, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (KritV) 95 (2012), H. 2, S. 130–144, hier S. 140.



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unterworfenen Parteien zuständig sein sollte«.7 Hintergrund ihrer Einrichtung bildeten das Interregnum von 1254 und die Krise der Königsgewalt, die mit der Zunahme gewaltsamer Selbsthilfe einhergingen.8 In diesem Zusammenhang entstand die Idee des Landfriedens, worunter »eine auf Gewaltverzicht gegründete, räumlich organisierte und ursprünglich zeitlich befristete Friedensordnung« verstanden wurde. »Frieden sollte dabei im wesentlichen dadurch erreicht und gewahrt werden, dass an Stelle der Selbsthilfe (Faustrecht) zur Durchsetzung jeweiliger Rechtsansprüche oder zur Ahndung von Unrecht rechtliche Regelungen und entsprechende Gerichts- oder Schiedsinstanzen verbindlich gemacht wurden«.9 Die Friedenswahrung wurde seit 1254 dezentralisiert, indem sich weltliche Herrschaftsträger zu befristeten Landfriedensbünden und -einungen (Schwäbischer Bund) zusammenschlossen, um die interterritoriale Friedenswahrung zu gewährleisten.10 In diesem Zusammenhang vereinbarten reichsunmittelbare Adlige im Voraus untereinander, bei unter ihnen entstehenden Streitigkeiten eine friedliche Beilegung des Streits vor einem richterlichen Gremium vorzunehmen – bevor der Streit in einen gewaltsamen Konflikt münden konnte. Die im 15. Jahrhundert zunehmende und reichsweit um sich greifende Gewalttätigkeit, die sich durch die Landfriedensbewegung nicht eindämmen ließ, führte zu einer einschneidenden Transformation, die auf unbefristete Regelungen und institutionelle Lösungen zielte. Im Zentrum stand dabei der auf dem Wormser Reichstag von 1495 beschlossene und unbefristete »Ewige Landfriede«, zu dessen Durchsetzung und Schutz das Reichskammergericht gegründet wurde.11 In §  16 der Reichskam7 Michael Kotulla, Art. Austrägalinstanz, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, ²2008, Sp. 387–388. 8 Heinz Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966. 9 Horst Carl, Art. Landfriede, in: Enzyklopädie der Neuzeit 7 (2008), Sp. 493. Vgl. Hans-Jürgen Becker, Art. Landfrieden I (Landfriedensgesetzgebung), in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, 11979, Sp. 1451; Heinz Holzhauer, Art. Landfrieden II (Landfrieden und Landfriedensbruch), in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, 11979, Sp. 1465; Arno Buschmann, Art. Ewiger Landfriede, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, ²2008, Sp. 1447. 10 Vgl. Horst Carl, Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation, Leinfelden-Echterdingen 2000. 11 Der sogenannte Ewige Landfriede, 1495, August 7, Nr. 173, in: Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Tübingen 1913, S. 281; Reichs-Kammergerichts-Ordnung, 1495, August 7, Nr. 174, in: Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Tübingen 1913. Die Quellensammlung von Zeumer schöpft aus einem frühneuzeitlichen Standardwerk über den Landfrieden. Vgl. Johann Philipp Datt, Volumen rerum Germanicorum novum, sive de pace imperii publica libri V, Ulm 1698.

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mergerichtsordnung von 1495 wurde festgelegt, dass alle Reichsunmittelbaren in erster Instanz vor dem Reichskammergericht als zuständiger Instanz beklagt werden konnten. Gleichzeitig hieß es in § 28 der Reichskammergerichtsordnung: »welche sonderlich gewilkürte rechtlicher Außtreg gegen ainander haben, der söllen sy sich laut derselben gegenainander geprauchen«.12 Das bedeutete, dass ein Kläger zunächst vor einem frei vereinbarten Austrägalgericht sein Recht suchen musste, bevor er sich an die ordentlichen Gerichte wenden durfte.13 Diese Bestimmung gilt als Kompromiss zwischen Kaiser und Reichsständen, die an ihren Privilegien festhielten, obwohl die Austräge ihre ursprüngliche Funktion verloren hatten, nämlich für die Wahrung des Landfriedens zuständig zu sein. Die Ahndung von Landfriedensbrüchen fiel in die Zuständigkeit des Reichskammergerichts, die Austräge dienten seit 1495 ausschließlich Funktionen der ordentlichen Gerichtsbarkeit.14 Von ihnen konnte deshalb an die höchsten Gerichte des Reichs appelliert werden. In der Zeit nach 1495 kam es zu einer Ausdifferenzierung der Austräge. So verständigten sich Kaiser und Reichsstände auf dem Wormser Reichstag von 1521 darauf, dass auch der nicht fürstliche reichsunmittelbare Adel das volle Austragsrecht erhalten sollte, was vor allem die Grafen und Reichsritter betraf. Im Ergebnis wurden für den Fall, dass ein Mitglied dieser Gruppe gegen einen ranghöheren Fürsten oder Kurfürsten klagte, acht verschiedene Wege der Bildung eines Legalaustrags eingeführt. Dadurch erhielten die Kläger ein größeres Mitspracherecht bei der Besetzung des Gerichts.15 Weitere Ergänzungen wurden in der Reichskammergerichtsordnung von 1548 beziehungsweise 1555 vorgenommen.16 Im Zentrum dieses Beitrags stehen die gewillkürten Austräge, nicht die in den Reichskammergerichtsordnungen ausführlicher behandelten gesetzlichen oder die privilegierten Austräge, die allein auf der Verleihung von Privilegien durch den Kaiser beruhten.17 Bei gewillkürten Austrägen handelte es sich um frei vereinbarte oder in Familienverträgen festgelegte Regelungen zum Konfliktaustrag. Dazu zählten Bundes-,

12 Reichs-Kammergerichts-Ordnung, 1495, August 7, Nr. 174, in: Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Tübingen 1913, S. 284. 13 Gerd Frühauf, Die Austrägalgerichtsbarkeit im Deutschen Reich und im Deutschen Bund, München 1976, S. 57. 14 Meurer (wie Anm. 4), S. 49. 15 Ebd., S. 51. 16 Adolf Laufs, Die Reichskammergerichtsordnung von 1555, Köln/Wien 1976. 17 Frühauf (wie Anm. 13), S. 17.



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Einigungs-, Burg-, Ganerben-, Familien-, Erb-, Stamm- und Hausausträge.18 Während jeder die gesetzlichen Austräge bei Klagen gegen Kurfürsten, Fürsten und Fürstmäßige sowie deren Familienangehörige berücksichtigen musste, banden die gewillkürten Schiedsgerichte, die zum Teil zeitlich begrenzt und auf bestimmte Streitgegenstände bezogen waren, nur die Vertragsparteien.19 Das Recht, gewillkürte Austräge durch Vertrag oder Testament zu errichten, stand allen unmittelbaren Reichsständen zu, unabhängig davon, ob sie laut Gesetz zunächst vor den gesetzlichen Austrägen verklagt werden mussten.20 Allerdings besaßen alle dem Fürstenstand angehörenden Reichsstände ein umfassenderes Austrägalrecht als der übrige reichsunmittelbare Adel.21 Auch den Reichsstädten war es erlaubt, gewillkürte Austräge untereinander zu vereinbaren. Gegenstand der Verhandlungen vor den gewillkürten Austrägen konnten alle Fälle sein, »die nicht durch Gesetz, Privileg oder Herkommen ausgenommen waren«.22 Fälle von Landfriedensbruch, Reichsfiskalsachen, Fälle der lex diffamari oder Klagen über streitigen Besitz, zu Mandaten geeignete Sachen oder Fälle, die unmittelbar vor die Reichsgerichte gehörten, durften deshalb nicht vor den gewillkürten Austrägen verhandelt werden. Form und Art des Verfahrens wurden in den jeweiligen Vereinbarungen der Parteien oder in Hausgesetzen und Testamenten festgelegt. Kam es zu Unklarheiten darüber, wer bei mehreren infrage kommenden Möglichkeiten zuständig war, besaßen die gewillkürten Austräge den Vorrang vor den privilegierten und den gesetzlichen. Wenn die gewillkürten Schiedsgerichte jedoch unzureichende oder den Reichsgesetzen widersprechende Regelungen enthielten, traten die Bestimmungen der gesetzlichen Austräge in Kraft. Auch hier bestand unter den Reichspublizisten Unklarheit darüber, ob für die Gültigkeit der Austräge eine kaiserliche Bestätigung benötigt wurde oder nicht. Die Reichsgerichte erkannten jedoch nur solche gewillkürten Schiedsgerichte an, die kaiserlich bestätigt worden waren.23 Dies lässt sich mit der gewandelten Bedeutung der gewillkürten Austräge erklären. Waren diese vor den Regelungen der Reichskammergerichtsordnung von 1495 Verfahren zur Streitschlichtung durch Dritte, gegen deren Entscheidung nicht appelliert werden konnte, so stellten sie nach 1495 echte Austrägalinstanzen dar, deren Richter kraft kaiserlichen Auftrags handelten. Der Aus18 Ebd., S. 57. 19 Wolfgang Sellert, Über die Zuständigkeitsabgrenzung von Reichshofrat und Reichskammergericht insbesondere in Strafsachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Aalen 1965, S. 52. 20 Frühauf (wie Anm. 13), S. 58. 21 Ebd., S. 41. 22 Ebd., S. 44. 23 Ebd., S. 60.

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trag wandelte sich »von einem mündlichen Verfahren vor Standesgenossen hin zu einem formalisierten außergerichtlichen Schiedsprozess vor gelehrten Juristen«.24 Ein grundlegender Unterschied bestand zudem darin, dass von den Austrägen an die höchsten Gerichte appelliert werden durfte. Darüber hinaus fühlte sich der Reichshofrat bei Mandatssachen nicht an die vertraglichen Zuständigkeitsvereinbarungen gebunden.25 Obwohl durch die – heftig umstrittene – Verankerung der Austräge in der Reichskammergerichtsordnung von 1495 und die immer wieder erfolgte Bestätigung dieses Standesrechts in den wichtigsten Reichsgrundgesetzen die Zuständigkeit der höchsten Gerichte eingeschränkt wurde, blieben die Rechte des Kaisers durch die Einbindung der Austräge in das Reichsrecht, durch die Appellationsmöglichkeit und die Genehmigungspflicht der gewillkürten Austräge gewahrt. Nicht zuletzt deshalb wurde im Konfliktfall unter adligen Standesgenossen die Zuständigkeit von Reichskammergericht oder Reichshofrat (exceptiones fori declinatoriae) immer wieder bestritten, was die Verfahren in die Länge ziehen konnte.26 Dies stellte – wie schon Jürgen Weitzel angemerkt hat – nicht nur eine verfahrensrechtliche Strategie dar, sondern verweist auch auf die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen und das Bemühen des reichsständischen Adels, seine Autonomie bei der Klärung von innerständischen Konflikten zu bewahren.27 Traf die Einrede im Übrigen zu, dann forderten die höchsten Gerichte dazu auf, einen Austrag einzurichten. Wurde einem Adligen die Konfliktregulierung vor einem Austrag nicht ermöglicht beziehungsweise die Benennung von Austrägalrichtern verzögert, dann durfte die Sache wegen versagter Austrägaljustiz (protracta et denegata justitia austraegali) gleich an einem der höchsten Gerichte angebracht werden, die dann je nach Sachlage die Klage annehmen oder den Beklagten zur gütlichen Einigung auffordern konnten.28

24 Constance Proksch, Die Auseinandersetzung um den Austrag des Rechts zwischen Fürsten und Ritterschaft in Franken vom Ende des 14. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Dieter Rödel/Joachim Schneider (Hg.), Strukturen der Gesellschaft im Mittelalter. Interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg, Wiesbaden 1996, S. 168–195, hier S. 191. 25 Manfred Uhlhorn, Der Mandatsprozeß sine clausula des Reichshofrats, Köln/Wien 1990, hier S. 79. 26 Meurer (wie Anm. 4), S. 52. 27 Jürgen Weitzel, Die Rolle des Reichskammergerichts bei der Ausformung der Rechtsordnung zur allgemeinen Friedensordnung, in: Ingrid Scheurmann (Hg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495–1806 (Ausstellungskatalog), Mainz 1994, S. 40–48. 28 Meurer (wie Anm. 4), S. 52.



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III. Gewillkürte Austräge des Adels Im Reich findet sich eine Vielzahl von gewillkürten Austrägen unterschiedlichster Art.29 Gerade der hohe und niedere Adel hat dieses Instrument in diversen Hausverträgen verankert und sah es als eine Frage der Standesehre an, einen Streit unter seinesgleichen zu klären.30 Einen Standesgenossen vor Gericht zu ziehen, galt als schändlich und äußerst nachteilig für die Arkana des Hauses, da im Zuge eines Prozesses häufig die Hausverträge offengelegt werden mussten. Bevor zur Einrichtung eines Austrags geschritten wurde, sollten jedoch alle Möglichkeiten der Güte ausgeschöpft werden. Dieses Element findet sich offenbar bei vielen Dynastien. Folgt man Johann Jacob Mosers vergleichender Analyse einer Reihe von Hausverträgen, für die er sieben Gemeinsamkeiten ausmacht31, so steht bei den von ihm gesichteten Hausverträgen an erster Stelle ein Appell zur Einigkeit an alle Mitglieder eines Hauses, die alle Widerwärtigkeiten untereinander vermeiden sollen, verbunden mit dem Hinweis auf den großen Nutzen, den dies für das ganze Haus habe. Bei dennoch aufflammenden Streitigkeiten solle zuerst die »Güte« gesucht werden. Dafür war die persönliche Aussprache, eine Vermittlung durch Freunde, andere Agnaten, deren Räte oder sogar die Landstände vorgesehen. Aus heutiger Sicht stellt es allerdings ein Problem dar, dass es für diesen ersten Schritt der Schlichtung in den Hausverträgen keine konkreten Vorgaben gab. Zudem handelte es sich um Gespräche, die in der Regel nicht protokolliert wurden – möglicherweise noch ein Relikt der vor 1495 geübten Schiedspraxis. Deshalb ist es schwer, diese Form der außergerichtlichen Schlichtung in den Quellen zu greifen. Kenntnisse darüber ergeben sich erst, wenn die Konflikte nicht gütlich zu klären waren und die nächste Stufe eingeleitet werden musste. Moser verweist darauf, dass in den meisten Hausverträgen dezidiert vorgeschrieben wurde, keine Gewalt auszuüben, sondern den Weg des Rechts zu beschreiten.32 In diesem Zusammenhang erläutert er, dass aus seiner Sicht das Hauptproblem der Hausverträge darin bestehe, dass sie keinerlei Angaben darüber enthalten, »wie es mit der Possession einer Sache, worüber man würcklich

29 Hermann Schulze, Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, 3 Bde., Jena 1862–1883. 30 Jürgen Weitzel, Die Hausnormen deutscher Dynastien im Rahmen der Entwicklungen von Recht und Gesetz, in: Johannes Kunisch (Hg.), Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, Berlin 1982, S. 35–48. 31 Johann Jacob Moser, Neues Teutsches Staats-Recht, Bd. 12,2, 2. Hälfte (Neudruck der Ausgabe 1775), Osnabrück 1967, S. 1130–1132. 32 Ebd., S. 1130.

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strittig ist, oder strittig werden könnte, gehalten werden solle«.33 Oft ergreife ein rechtskundigeres oder mächtigeres Mitglied einer Familie den Besitz und wolle darin geschützt sein in der Hoffnung, diesen auf irgendeine Weise sichern und behalten zu können. Damit spielt Moser auf die zahlreichen Erbfolgestreitigkeiten innerhalb der Dynastien an, bei denen es in der Regel um ein Territorium ging, das von einer der Parteien meist gewaltsam in Besitz genommen und nicht mehr herausgegeben worden war. Auch in solchen Fällen sollte der Rechtsweg eingeschlagen werden, jedoch nur vor den Austrägen. Alle Hausverträge enthalten – seinen Angaben nach – mehr oder weniger ausführliche Vorgaben für die Besetzung und das Verfahren des Austrags sowie den Zeitraum, innerhalb dessen der Streit beigelegt werden sollte. Ziel war es, dass die Austräge nicht die erste, sondern die einzige Instanz sind. »Gehen fast alle dergleichen Pacta und Dispositionen dahin, daß es bey dem Spruch dieser Austräge simpliciter verbleiben solle, ohne an ein Reichsgericht gehen, oder sich sonsten eines Beneficii Juris bedienen zu dörffen […]«.34 Allerdings war in den Reichskammergerichtsordnungen grundsätzlich festgelegt worden, dass gegen Austrägalentscheidungen an die höchsten Gerichte appelliert werden durfte, sodass die Vorgaben in den Hausverträgen in Widerspruch zum Reichsrecht standen. Problematisch war in diesem Zusammenhang, dass die Kaiser auch solche Hausverträge bestätigt hatten, in denen die Appellation an die höchsten Gerichte dezidiert ausgeschlossen worden war. Schon Moser sah hier das Problem, dass zwei Rechtsprinzipien aufeinanderprallten, und mahnte deshalb dringend die Klärung dieses strittigen Punktes an.35 Häufig wandten sich benachteiligte Parteien an Kaiser und Reichshofrat, weil diese zum einen die gewillkürten Austräge bestätigt hatten, zum anderen eine kaiserliche Austrägalkommission einsetzen konnten. Diese war im Gegensatz zu anderen kaiserlichen Kommissionen dazu berechtigt, den Streit nicht nur zu untersuchen.36 Die vom Kommissar delegierten Räte einer Austrägalkommission durften auch in der Sache selbst erkennen oder die Akten an eine Juristenfakultät »zum Spruch Rechtens« verschicken. Die Angelegenheit sollte dann binnen Jahr und Tag beendigt werden. Im Unterschied zu anderen kaiserlichen Kommissionen konnte gegen die Entscheidung der Austrägalkommission sowohl am Reichskammergericht als auch am Reichshofrat appelliert werden. 33 Ebd. 34 Ebd., S. 1132. 35 Ebd., S. 1137. 36 Frühauf (wie Anm. 13), S. 50 f. Die besondere Stellung der Austrägalkommissionen zeigt sich auch daran, dass sie nach dem Tod eines Kaisers bestehen blieben. Vgl. Eva Ortlieb, Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637–1657), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 100–102.



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Moser steht den letztgenannten Möglichkeiten jedoch kritisch gegenüber, da der Streit dadurch unnötig in die Länge gezogen werde, der Ausgang ungewiss sei und der Dynastie äußerst geschadet werde. Daher sollten sich die Parteien am besten gleich dazu bequemen, sich der Einsicht des Austrägalgerichts zu unterwerfen. »Und o wie glücklich wäre Teutschland und manches Haus, wann wir noch über diser alten Einfalt hielten! wie lange wäre die Coburgische Succeßionssache, und so vile hundert andere, zu Ende, und die Interessenten hätten alle ein ruhigeres Gewissen, weniger Verdruß, weniger Unkosten, und weniger Schulden!«37 Mit diesem Stoßseufzer bezieht sich Moser auf den Sachsen-Coburg, -Eisenberg und -Römhildischen Sukzessionsstreit innerhalb der gothaischen Linie der Ernestiner, der als längster und kompliziertester Erbstreit des 18. Jahrhunderts gilt.38 Bemerkenswert ist er deshalb, weil gerade die Ernestiner in ihren Hausverträgen sehr ausführliche Regelungen festgeschrieben hatten, um eine solche Eskalation eines innerdynastischen Streits zu vermeiden.

IV. Gewillkürte Austräge bei den Ernestinern Die Ernestiner wollten sowohl bei der außerstreitigen (Belehnungen, Bestätigungen) als auch der streitigen Gerichtsbarkeit (Lehns- und Sukzessionsdifferenzen) den Einfluss von Kaiser und Reichsgerichten möglichst gering halten. Daher bestanden gleichzeitig mehrere Austräge, je nachdem, welche Linien miteinander stritten. Das Verhältnis von Albertinern und Ernestinern regelte der Naumburger Vertrag von 1554.39 Nach diesem sollten bei strittigen Punkten, die nicht über Berichte und Schriften geklärt werden konnten, zuerst die jeweiligen Räte einen Vergleich suchen. Wenn dies nichts half, besaß jede Seite das Recht, vier adlige und zwei gelehrte Räte zu entsenden, die im Beisein der Anwälte »in Kürze und ohne Verbitterung« nochmals einen Vergleich aushandeln sollten. Erst nachdem dies gescheitert war, durfte ein Urteil gesprochen werden. Dabei sollten jedoch alle strittigen Punkte auf einmal geklärt werden. Konnten sich die zwölf Räte nicht einigen, schrieb der Naumburger Vertrag vor, sich an der Rechtsprechung und den Urteilen des Reichskammergerichts zu orientieren. Lediglich bei Artikeln, die hauptsächlich unter das sächsische Recht fielen, fand dieses auch weiterhin Anwendung. Beide Seiten gelobten, die Vergleiche und Urteile, gegen die nicht appelliert werden durfte, einzuhalten.

37 Moser (wie Anm. 31), S. 1132. 38 Westphal (wie Anm. 3), S. 88–255. 39 Moser (wie Anm. 31), S. 1072 f.

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Der Hauptvergleich von 1629 für die weimarische Linie legte unter Punkt zehn fest, dass die Brüder, falls sie sich untereinander nicht vergleichen konnten, drei der Hof- und Kammerräte – von denen einer der Obmann sein sollte –, einen Rechtsgelehrten von der Universität Jena und ein Mitglied der Ritterschaft dazu abordnen sollten, die Streitfrage durch Mehrheit der Stimmen zu entscheiden. Auch hier waren Einwände nicht erlaubt.40 Ein Vertrag zwischen Weimar und Gotha von 1657 legte die Austräge zwischen diesen beiden Häusern fest. Ein spezielles Austrägalverfahren gab es darüber hinaus für die drei Inhaber der geteilten Grafschaft Henneberg.41 Allerdings weiß man wenig darüber, ob die Austräge tatsächlich zusammentraten und erfolgreich arbeiten konnten. Häufiger scheint die gütliche Vermittlung gewesen zu sein. Jedenfalls sind bis Ende des 17. Jahrhunderts keine Appellationen der Ernestiner gegen Entscheidungen der Austräge an die Reichsgerichte bekannt. Der weitgehende Ausschluss der Reichsgerichtsbarkeit von innerernestinischen Differenzen spricht für das Funktionieren der häuslichen Konfliktregulierungsmechanismen und die Akzeptanz der Hausverträge. Insofern ist Jürgen Weitzel darin zuzustimmen, dass der Standort der Hausnormen außerhalb des Rechts anzusiedeln sei.42 Eine Änderung trat erst ein, als innerhalb der gothaischen Linie nach dem Tod Ernsts des Frommen zwischen seinen sieben Söhnen Auseinandersetzungen über die Auslegung des väterlichen Testaments von 1654 sowie die erläuternde Regimentsverfassung von 1672 ausbrachen, die ab 1699 in den oben genannten Erbstreit mündeten. Ernst der Fromme hatte festgelegt, dass das Herrschaftsterritorium in der Gemeinschaft seiner Söhne verbleiben und die Regierung durch den ältesten Sohn in Form eines Direktoriums ausgeübt werden sollte. Für den Fall von Auseinandersetzungen zwischen seinen Söhnen verankerte er verschiedene Möglichkeiten der innerdynastischen Streitbeilegung. Wurden die Söhne im Testament lediglich zur Eintracht ermahnt, sah die Regimentsverfassung detaillierte Schlichtungsmöglichkeiten vor.43 Eine eindringliche Aufforderung zum Frieden innerhalb des Hauses dokumentiert zwar die Hoffnung des Herzogs, dass es erst gar nicht so weit kommen möge44, allerdings beweist das mehrstufige Austrägalverfahren seinen Realitätssinn.45 Herzog Ernst unterschied dabei zwischen zwei Fällen: zum 40 Ebd., S. 1074. 41 Ebd., S. 1074 f. 42 Weitzel (wie Anm. 30), S. 43 f. 43 Regimentsverfassung vom 9. November 1672, in: Schulze (wie Anm. 29), Bd. 3, S. 121– 143. 44 Ebd., S. 128. 45 Ebd., S. 128–130.



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einen, wenn zwischen den Söhnen persönliche Irrungen entstehen, zum anderen, wenn es zwischen ihnen zu Parteibildungen kommen sollte. Im ersten Fall sollten die nicht involvierten Söhne versuchen, mit ihren Räten zu vermitteln und die Missstände gütlich beizulegen. Im zweiten Fall war folgender Ablauf vorgeschrieben: Zunächst war vorgesehen, dass alle gemeinschaftlichen Räte, deren Unparteilichkeit vorausgesetzt wurde, »durch bewegliches Remonstriren und Zusprechen zwischen ihnen [scil.: den Streitparteien] gütlich« vermitteln sollten.46 Wenn dies nichts fruchtete, dann sollten zwei bis drei angesehene Vertreter der Landstände hinzugezogen werden. Wenn auch dies vergeblich gewesen sein sollte, war erst im dritten Schritt ein Austrag vorgesehen, der in einem komplizierten Modus aus den Räten von zwei nahen verwandten Fürsten und den gemeinschaftlichen Räten zu bilden war. Diese sollten dann auf der Basis des Testaments und der Regimentsverfassung sowie der Landesgesetze die Sache eingehend erörtern. Für den Fall von Unstimmigkeiten unter ihnen oder Stimmengleichheit war die Wahl eines Obmanns aus den Räten eines weiteren Fürsten vorgesehen, der einen einmütigen oder einen Mehrheitsbeschluss herbeiführen sollte. Um spätere Streitigkeiten und Vorwürfe zu vermeiden, war es den Räten erlaubt, ihre Stellungnahme ohne Begründung und ohne Nennung ihres Namens versiegelt abzugeben. Ein eigens von ihnen gewählter Sekretär, der zu Vertraulichkeit und Stillschweigen verpflichtet war, sollte die Voten verlesen und jeder Rat die Ergebnisse protokollieren. Den klagenden und beklagten Fürsten wurde geraten, sich Unterstützung bei einheimischen Gelehrten oder Professoren der Universität Jena zu suchen. »Gestalt dann ihnen, bey Antretung solcher Assistenz, von denen Austrags-Richtern, bewegliche Erinnerung zu thun seyn wird, das sie nicht Oel ins Feuer giessen, sondern vielmehr, da sie vermercken würden, daß ein oder der ander Theil zu weit gienge, sie demselben unterthänigste bescheidentliche Erinnerung thun solten, zu welchem Ende dann von ihnen ein Handschlag, solches alles fideliter zu beobachten, und die Sache in geheim zu halten, zu nehmen seyn wird«.47 Mit besonderem Nachdruck befahl Ernst seinen Söhnen, sich an den vorgeschriebenen Austrag zu halten und »keineswegs, aus Unmuth und Affecten, sich verleiten [zu] lassen, zu Unsers Hauses Unglimpff, Ihrer eigenen Trennung, und daraus besorgenden gäntzlichen Ruin, an höhere Gerichte in Zanck und Rechtfertigung sich zu begeben, viel weniger an ausländische Potentaten sich zu hängen, oder mit Gewalt der Waffen Ihnen selbst Recht zu schaffen, einander zu bevehden und zu überfallen«.48 Der Herzog schloss damit – wie die meisten anderen Fürsten in ihren Hausgesetzen – eine Anrufung der Reichsgerichte ausdrück46 Ebd., S. 128. 47 Ebd., S. 129. 48 Ebd.

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lich aus und verwies somit dynastische Streitigkeiten in die Zuständigkeit des Hauses oder anderer Reichsstände.49 Um sicherzugehen, dass seine Verfügungen auch eingehalten wurden, sollte das Lesen und Referieren der väterlichen Dispositionen fester Bestandteil der fürstlichen Erziehung sein. Außerdem forderte Ernst von jedem seiner Söhne einen eigenhändigen Revers, den sie bei Erreichen der Volljährigkeit ausstellen sollten. Darin mussten sie die Befolgung der testamentarischen Verfügungen versprechen, was am 2. Juli 1675 geschah.50 Dennoch kam es in der Folge zu massiven Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern – zum einen über die Frage der Regierung, zum anderen über die Verteilung von angefallenen Territorien –, die nicht mehr mithilfe der Austräge geklärt werden konnten.51 Der Streit über das Herzogtum Sachsen-Coburg wurde nach der gewaltsamen Besitzergreifung durch Sachsen-Gotha von Sachsen-Meiningen beim Reichshofrat anhängig gemacht. Der Reichshofrat erließ ein Mandatum sine clausula und setzte eine Kommission ein, die auf die Einhaltung des Mandats und eine gütliche Einigung hinwirken sollte. Damit wurden die hausgesetzlichen Austräge ignoriert, woraufhin Sachsen-Gotha das Corpus Evangelicorum am Reichstag einschaltete und beim Kaiser vorstellig wurde. Der Gothaer Herzog beschwerte sich darüber, dass die Hausverträge und der Austrag nicht beachtet worden seien, weshalb die Kommission wieder kassiert werden sollte. Der Reichshofrat forderte darauf am 13. Oktober 1701 die Parteien zur gütlichen Einigung durch Räte oder Austräge auf. »Indessen bliebe doch die Sache nach wie vor am Reichs-Hof-Rath hangen und es wurde eine andere Commission am Kayserlichen Hoflager angeordnet welche erstlich die Güte tentirte und hernach die Parthien schrifftlich gegen einander verfahren liesse«.52 Trotz aller Bemühungen von verschiedenen Linien des ernestinischen Hauses, die höchsten Gerichte aus den innerhäuslichen Auseinandersetzungen herauszuhalten und eine gütliche Einigung mithilfe eines Austrags zu erreichen, blieb der Reichshofrat ab diesem Zeitpunkt in die Erbstreitigkeiten involviert.

V. Konfliktregulierung im Zusammenspiel von Austrägen und höchster Gerichtsbarkeit Wie man am ernestinischen Beispiel sehen kann, scheinen die Austräge in der Rechtspraxis auf den ersten Blick wenig wirksam gewesen zu sein. Obwohl der 49 50 51 52

Weitzel (wie Anm. 30), S. 44. Moser (wie Anm. 31), S. 1078. Westphal (wie Anm. 3), S. 180–255. Moser (wie Anm. 31), S. 1079 f.



Austräge als Mittel der Streitbeilegung im frühneuzeitlichen Adel des Alten Reiches 171

reichsunmittelbare Adel durch das Beharren auf seinem Standesvorrecht des Austrags grundsätzlich versuchte, die höchste Gerichtsbarkeit aus inner- beziehungsweise zwischendynastischen Konflikten herauszuhalten, erfuhren die Austräge – trotz zahlreicher Bestätigungen in den Reichsgrundgesetzen – im Verlauf der Frühen Neuzeit einen Bedeutungswandel. Gütliche dynastische Einigungsbemühungen allein brachten oftmals aufgrund verhärteter Positionen der Parteien keinen Erfolg. Die Austräge erwiesen sich in der Praxis als kompliziert und schwerfällig. Zudem besaßen sie keine Möglichkeit der Exekution und die Parteien mussten bei einem der Reichsgerichte um die Anordnung der Vollstreckung, das sogenannte Mandatum de exequendo, nachsuchen. Moser beklagte deshalb zu Recht nicht nur den Missbrauch der Austräge durch die stärkeren Dynastiemitglieder und forderte deshalb entsprechende Gesetze, sondern benannte auch innerdynastische Gründe für diese Praxis: »Wann es aber würcklich zu Strittigkeiten in einem Haus kommt, denckt der klagende Theil unter 100mal gegen 1mal nicht daran, die Sache vor die Stamm-Austräge zu bringen; bald weil er unpartheyischere, oder schleunigere Hülffe, etwa auch mit wenigeren Kosten, bey einem Reichsgericht zu erlangen verhoffet, bald umgekehrt, weil er seiner Sache nicht trauet, oder es auf den Fuß eines casus pro amico durchzutreiben glaubet«.53 Auch wenn die Kritik von Moser durchaus berechtigt war, so konnte sich die Anrufung eines Reichsgerichts doch auch als Druckmittel erweisen, das eine Konfliktlösung im infrajustiziellen Raum beförderte. Denn häufig genügte schon die Drohung, sich an eines der höchsten Gerichte zu wenden, um die Gegenseite zu gütlichen Verhandlungen zu bewegen. In dieser Hinsicht fungierte »Infrajustiz als Vorstufe zur Justiz, die als Option zur Verfügung stand und eingeschaltet werden konnte, sobald der Konflikt keiner außergerichtlichen Lösung mehr zugeführt wurde«.54 Im Unterschied zur Strafjustiz war ein »Drop-out« jederzeit möglich, und zwar wenn beide Seiten mit einer gütlichen Einigung beziehungsweise einem Austrag einverstanden waren. Es lag grundsätzlich im Ermessen der Parteien, ob sie ein Verfahren am Reichskammergericht oder Reichshofrat fortführen wollten oder nicht. Die höchsten Gerichte waren bei der Ankündigung einer gütlichen Einigung zur Unterbrechung des Konflikts verpflichtet. Reichskammergericht und Reichshofrat akzeptierten die mithilfe des Austrägalverfahrens erzielten Einigungen und legten diese, falls es zu erneuten Auseinandersetzungen zwischen den Streitparteien kam, ihrer weiteren Urteilsfindung zugrunde.

53 Ebd., S. 1139. 54 Härter (wie Anm. 6), S. 140.

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VI. Fazit Betrachtet man die wenigen Untersuchungen, die sich mit Auseinandersetzungen aus dem Bereich des adligen Familienverbands an den höchsten Gerichten beschäftigen, dann zeigen sich durchaus Gemeinsamkeiten bei der Konfliktregulierung.55 Ein gewisses Muster ergibt sich dadurch, dass gerade Adlige, die innerhalb ihres Familienverbandes eine untergeordnete Position einnahmen, entweder versuchten, die Austräge zu umgehen, indem sie die höchsten Gerichte direkt anriefen, oder bei festgefahrenen gütlichen Verhandlungen die Anrufung der höchsten Gerichte androhten beziehungsweise dann tatsächlich auch vornahmen. Konkrete Beispiele finden sich nicht nur im Bereich von Erbstreitigkeiten, die oft zuungunsten der nachgeborenen Söhne ausgingen. Auch der Komplex von Streitfällen im Umfeld von Eheschließungen, ehelichen Konflikten oder Eheauflösungen56 im Adel bietet Einblicke in die – sich unter den jeweiligen Rahmenbedingungen ausformenden – komplexen »Mischungsverhältnisse« von adliger Selbstregulierung, Infrajustiz und höchster Gerichtsbarkeit im Alten Reich.57 Es ist wohl auch kein Zufall, dass unter den Reichspublizisten umstritten war, ob apanagierte Adlige überhaupt das Recht der Austräge besitzen, was von der Mehrheit allerdings bejaht wurde. Noch umstrittener war die Frage, ob weibliche Dynastieangehörige oder Ehefrauen von Angehörigen des hohen Adels Anspruch auf einen Austrag haben. Johann Jacob Moser lehnte dies beispielsweise kategorisch ab, indem er darauf verwies, dass »überall nur des Sexus masculini gedacht« werde.58 Allerdings waren Gräfinnen und Fürstinnen ebenso reichsunmittelbar wie die nachgeborenen, nicht regierenden Söhne. Vielleicht hat gerade dieser Spielraum in den Reichsgrundgesetzen dazu beigetragen, dass so viele Fälle aus dieser Gruppe bei den höchsten Gerichten anhängig gemacht wurden. 55 Westphal (wie Anm. 3). 56 Heide Wunder, Einleitung: Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht, in: dies. (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht, Berlin 2002, S. 9–28; Katrin Iffert, Gescheiterte Ehen im Adel. Trennung und Scheidung des Herzogspaares Alexius Friedrich Christian und Marie Friederike zu Anhalt-Bernburg (1794–1817), in: Eva Labouvie (Hg.), Adel in Sachsen-Anhalt. Höfische Kultur zwischen Repräsentation, Unternehmertum und Familie, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 95–120; Stephanie Marra, Allianzen des Adels. Dynastisches Handeln im Grafenhaus Bentheim im 16. und 17. Jahrhundert, Köln/Weimar/ Wien 2007; Michael Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2009; Siegrid Westphal/Inken Schmidt-Voges/Anette Baumann, Venus und Vulcanus. Krisen einer Ehe in der Frühen Neuzeit, München 2011. 57 Loetz (wie Anm. 5), S. 560 f. 58 Moser (wie Anm. 2), S. 355.



Austräge als Mittel der Streitbeilegung im frühneuzeitlichen Adel des Alten Reiches 173

Neben der Frage, wer überhaupt zu Austrägen berechtigt war, bestimmten die Auseinandersetzungen über die Besetzung der Austräge die Diskussionen zwischen den Konfliktparteien. Viele gewillkürte Austräge orientierten sich am Verfahren der gesetzlichen Austräge. Das hieß mit Blick auf standesgleiche Personen des hohen Adels, dass die Austragsrichter ebenfalls gleichen Standes sein mussten, wobei de facto die Verhandlungen von den Räten aller Beteiligten geführt wurden. Bei altfürstlichen Häusern war es üblich, dass jede Partei drei Vermittler vorschlug, wovon jeweils einer von der Gegenpartei ausgewählt wurde. Neben den Konfliktparteien kam diesen Dritten eine wesentliche Bedeutung zu, da sie zentrale »Funktionen wie Schlichten, Vermitteln und auch Entscheiden ausübten«.59 Deshalb war es aus Sicht der jeweiligen Konfliktpartei entscheidend, nur Personen vorzuschlagen, die einem wohlgesonnen waren – wobei diese nicht Mitinteressierte sein durften. Die Auswahl der Austragsrichter rückte auf diese Weise ins Zentrum der Verhandlungen und konnte sich jahrelang hinziehen, ohne dass in der Sache eine Entscheidung gefällt wurde. Nicht zuletzt deshalb sahen wohl Konfliktparteien in der Einschaltung eines der höchsten Gerichte eine gute Möglichkeit, einen mühsamen Auswahlprozess abzubrechen und den Kaiser gleich um einen Austrägalkommissar zu bitten. Festzuhalten bleibt jedoch, dass alle bei den höchsten Gerichten anhängig gemachten Konflikte aus dem adligen Familienverband nur durch das Zusammenspiel außergerichtlicher und gerichtlicher Akteure und Institutionen befriedet werden konnten. Um diese Interaktionsprozesse besser nachvollziehen zu können, ist es nötig, künftig die Austräge stärker in den Blick zu nehmen und bestimmte Praktiken und Mechanismen der Streitbeilegung herauszuarbeiten. Wenn Pütter feststellt, dass es der »Dunkelheit, die vielleicht unter den practischen Rechtsgelehrten noch hie und da in Ansehung der Lehre von den Austrägen herrschen mag«, zuzuschreiben ist, »daß man so wenig von Processen vor Austrägal-Instanzen höret«, dann ist es heute höchste Zeit, etwas mehr Licht in dieses Dunkel zu bringen.60

59 Härter (wie Anm. 6), S. 135. 60 Pütter (wie Anm. 1), S. 160.

Bernhard Diestelkamp

Landgraf, Reichskammergericht, Kaiser, Reichshofrat (als privilegien-erteilende Instanz) und Vergleichsverhandlungen als konkurrierende (alternative) Handlungsoptionen vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Alten Reiches1 I. Einleitung: Das Untersuchungsobjekt. II. Der Landgraf von Hessen. III. Das Reichskammergericht. IV. Der Reichshofrat. V. Rückkehr zum Reichskammergericht. VI. Neuer Anlauf beim Reichshofrat. VII. Vergebliche kaiserliche Intervention. Vergleichsverhandlungen. VIII. Neuer Versuch beim Reichshofrat. IX. Fortsetzung durch hoheitliche Maßnahmen und beim Reichshofrat. XI. Fazit: Mit »Freundschaft« oder mit »Recht«.

I. Einleitung: Das Untersuchungsobjekt Welche Handlungsoptionen Streitparteien besaßen, lässt sich in der Regel an einem einzelnen Verfahren nur fragmentarisch ermitteln. Das ist anders bei einer Verfahrenskette derselben Parteien – wenn auch naturgemäß in wechselnden personellen Besetzungen –, die sich von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis über das Ende des Alten Reiches hinaus, also über zweieinhalb Jahrhunderte, hinzog. Es sind dies die Auseinandersetzungen um die Durchsetzung der Landeshoheit der Grafen zu Solms-Laubach im oberhessischen Dorf Freienseen.2 Diese Abfolge von Verfahren bietet die Möglichkeit, zu beobachten, welche Instanzen die Bauern bemühten, um sich gegen die Zugriffe der Grafen zur Wehr zu setzen, und wie sie situationsbedingt die eine oder andere Option ergriffen oder fallen ließen. Dies will ich im ersten Teil konkret darstellen, um sodann in einem zweiten Teil daraus allgemeinere Folgerungen zu ziehen.

II. Der Landgraf von Hessen Ausgangspunkt und Grundlage der Streitigkeiten war der Umstand, dass die Bewohner des Dorfes Freienseen als Leibsangehörige überwiegend den Landgrafen 1 Nach Bernhard Diestelkamp, Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach, Köln/Weimar/Wien 2012. 2 Ebd.

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Bernhard Diestelkamp

von Hessen und etwas weniger den Grafen zu Solms gehörten. Ursprünglich waren die hessischen Leibsangehörigen nicht nur in der Überzahl, sondern besetzten auch die gemeindlichen Ämter, sodass sie die Gemeinde Freienseen dominierten. Wenn die solmsische Herrschaft etwas anordnete, das ihnen nicht behagte, riefen sie den Landgrafen um Schutz an. Dieser kam ihnen schon am Ende des 15. Jahrhunderts – in den Jahren 1471, 1475, 1493, 1500 und 1503 – mit fünf Schutzbriefen zu Hilfe.3 Diesen Vorgang hatte Graf Philipp zu Solms zu steuern versucht, indem er vom Heimbürgen und der Gemeinde zu Freienseen am 28. Mai 1505 urkundlich die Anerkennung erzwang, seine Untertanen zu sein.4 Zudem sicherten sie ihm zu, sich der landgräflichen Schutzbriefe nicht mehr zu bedienen. Die Hoffnung, damit den Konflikt endgültig bereinigt zu haben, trog jedoch. Die Freienseener nutzten die unruhigen Zeiten des Schmalkaldischen Krieges und versuchten, Hessen wieder gegen Solms auszuspielen.5 Auch dies scheiterte jedoch und sie mussten sich am 5. Juni 1548 erneut unterwerfen. Als sie 1552 – nach der Rückkehr Landgraf Philipps aus der kaiserlichen Gefangenschaft – wieder versuchten, ihn erneut für ihre Sache zu aktivieren, begnügten sich die Erben Graf Philipps, sein einziger überlebender Sohn Reinhard und sein Enkel Friedrich Magnus I., nicht damit, die Probleme mit den rebellischen Untertanen zu regeln. 1554 konnten sie Landgraf Philipp den Großmütigen dazu bringen, die Streitigkeiten über die Rechte Hessens in Freienseen dem Herzog von Sachsen-Weimar vorzulegen. Dieser sollte in einem Schiedsverfahren entscheiden, welche Rechte dem Landgrafen in Freienseen zustünden.6 Nach langwierigen Verhandlungen, an deren Ende die Räte Herzog Wilhelms des Jüngeren ein Rechtsgutachten der Tübinger Rechtsfakultät einholten, entschied dieser, dass Hessen in Freienseen zwar eine Schutzgerechtigkeit besitze, diese aber der solmsischen Obrigkeit nicht schaden solle, da es nur ein Nebenschutz sei.

III. Das Reichskammergericht Bei der realen Teilung der von Graf Philipp noch geschlossen regierten Grafschaft am 9. November 1548 erhielt sein Enkel Friedrich Magnus das Amt Laubach als selbstständige Reichsgrafschaft.7 Friedrich Magnus hatte bislang in der ihm schon vorher zugefallenen lausitzischen Herrschaft Sonnewalde residiert. Nunmehr musste er für seine oberhessische Grafschaft eine angemessene Residenz errichten. 3 4 5 6 7

Ebd., S. 6, Anm. 6. Ebd., S. 4–6. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7 f. Ebd., S. 15 ff.



Landgraf, Reichskammergericht, Kaiser, Reichshofrat

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Er tat dies durch Ausbau des Amtssitzes Laubach zu einem Schloss. Um für den Bau das notwendige Material wie Holz, Steine, Kalk und Erde nach Laubach zu schaffen, zog er die solms-laubachischen Untertanen zu vermehrten Fuhrdiensten heran. Wie die anderen Bauern darauf reagiert haben, wissen wir nicht. Die Freienseener waren aber offenbar nicht gesonnen, dies widerstandslos hinzunehmen. Da die hessische Schutzherrschaft sich als nicht ausreichend effektiv erwiesen hatte, wandten sich die Bauern an das Reichskammergericht. Wir wissen weder, weswegen sie geklagt haben, weil keine Prozessakte überliefert ist, noch, aus welchem Grund ihre Klage abgewiesen wurde. Doch deutet das Fehlen der Prozessakte darauf hin, dass sie schon im Extrajudizialverfahren gescheitert sind. Der Vorgang ist nur bekannt, weil die abgewiesenen Kläger versuchten, das Ergebnis mit einem Revisionsersuchen bei der Visitationskommission korrigieren zu lassen. Gleichwohl konnte die Kommission sie davon überzeugen, dass die Revision unbegründet sei, weshalb sie ihre Revision zurücknahmen. Diese Rücknahme bewahrte die Freienseener jedoch nicht davor, dass die Visitationskommission sie am 18. Mai 1550 zur Übernahme der Kosten des Verfahrens sowie wegen mutwilliger Revision zu einer Strafe von 4 Mark lötigen Silbers verurteilte. Diese erste Berührung mit dem Gericht in Speyer war also eine unangenehme Erfahrung. In den folgenden Jahren reagierte Graf Friedrich Magnus auf die Weigerung der aufsässigen Untertanen mit der Pfändung großer Mengen Viehs und der Gefangennahme der Rädelsführer. Am 25. August 1554 erwirkten die Freienseener deswegen gegen ihn beim Reichskammergericht ein Mandat wegen Landfriedensbruchs.8 In ihrer Supplik hatten sie sich auf ihre Privilegien, Freiheiten und Gewohnheiten berufen, gegen die der Graf mit seinen Pfändungen und Gefangennahmen verstoßen habe. In seiner Klageerwiderung bestritt der Graf, dass es solche Privilegien gebe, und verlangte deren Vorlage.

IV. Der Reichshofrat Da die Freienseener solche Urkunden nicht besaßen, schickten sie umgehend eine Delegation an den Hof Kaiser Karls V. nach Brüssel und betraten damit die dritte Handlungsebene ihres Widerstands.9 Am kaiserlichen Hofe trugen sie vor, dass Graf Friedrich Magnus sie gewaltsam bedränge und sie in seine Knechtschaft zwingen wolle; Freienseen sei jedoch immer nur Kaiser und Reich untertan gewe8 Ebd., S. 16 ff. 9 Ebd., S. 17 ff.; siehe dazu auch Bernhard Diestelkamp, Die Privilegien Kaiser Karls V. für Freienseen vom 9. Januar 1555, in: Stephan Buchholz/Heiner Lück (Hg.), Worte des Rechts – Wörter zur Rechtsgeschichte. Festschrift für Dieter Werkmüller zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 95 ff.

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Bernhard Diestelkamp

sen, weshalb sie den Kaiser nun um Schutz gegen die unrechtmäßige Gewalt des Grafen baten. Auch behaupteten sie, sie hätten durch Kriegsläufe und Brand ihre Urkunden eingebüßt, darunter auch ihr Wappenprivileg. Daher beantragten sie, ihnen die Verleihung ihres zweigeteilten Wappens mit einem Adler in der oberen Hälfte zu bestätigen. Der Reichshofrat konnte solche Anträge nur auf ihre Schlüssigkeit hin überprüfen. Eine solche Prüfung musste ergeben, dass die von den Freienseenern vorgetragenen Fakten keineswegs unwahrscheinlich waren: Es gab Reichsdörfer, die sich gewaltsamer Übergriffe ihrer Nachbarn erwehren mussten, und ein solches Reichsdorf konnte auch durchaus ein Wappen mit dem Reichsadler besitzen. Zusätzlich zu solcher Schlüssigkeitsprüfung fragte der Reichshofrat sicherheitshalber auch bei Nachbarn an, deren Rechte von einer Privilegienbestätigung betroffen sein könnten. So geschah es auch in diesem Fall. Weshalb der Reichshofrat die beiden erbetenen Urkunden aber bereits am 9. Januar 1555 – vor dem Eintreffen der Antworten aus Laubach – ausstellte, ist unerfindlich. Als danach die Stellungnahmen des Grafen eintrafen und man in Brüssel erfuhr, dass die solmsische Herrschaft über Freienseen ebenso Gegenstand eines Verfahrens am Reichskammergericht war wie der Gebrauch des verliehenen Wappens durch die Dörfler, ordnete der Reichshofrat an, dass der Schutzbrief die begründeten Rechte des Grafen nicht schmälern solle. Bis zur Beendigung ihres Prozesses in Speyer sollten die Freienseener ihrer alten Obrigkeit gehorsam sein und beide Parteien sollten bis zum gerichtlichen Austrag am Reichskammergericht keine Neuerungen einführen. Dies sollte auch für den Gebrauch des verliehenen Wappens gelten. In beiden Fällen sollte also das Reichskammergericht über die Rechtmäßigkeit der in den Urkunden fixierten Rechtspositionen entscheiden. Damit waren die Freienseener mit ihrem Plan gescheitert, über den Reichshofrat als Privilegienerteiler ihre Positionen in Speyer rechtlich zu festigen. Daher kann es auch nicht verwundern, dass sie es unterließen, sich ihre Privilegien bei den Herrscherwechseln zu den Kaisern Ferdinand I. (1556), Maximilian II. (1564), Rudolf II. (1576) und Matthias (1612) bestätigen zu lassen10, wie es allgemein üblich war.

V. Rückkehr zum Reichskammergericht Die klare Anweisung des Reichshofrates, dass das Reichskammergericht über die Rechtmäßigkeit der in den Urkunden ausgedrückten Reichsunmittelbarkeit entscheiden solle, förderte den Eifer, das Verfahren primi mandati in Speyer an10 So Bernhard Diestelkamp, Der Reichshofrat und die Bestätigung der Privilegien Kaiser Karls V. vom 9. Januar 1555 für die Gemeinde Freienseen in Oberhessen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 57 (2007), S. 27 ff. und S. 29 mit Anm. 13.



Landgraf, Reichskammergericht, Kaiser, Reichshofrat

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gemessen zu betreiben.11 Nach zwei Beweisaufnahmen erging am 10. November 1574 das Endurteil in dieser Sache.12 Die Hoffnung, dass nach diesem 20-jährigen Prozessverlauf nun endlich Frieden zwischen Freienseen und Solms-Laubach einkehren werde, trog jedoch: Das Urteil entschied den Streit über fünf konkrete Problemfelder, schwieg aber in der entscheidenden Frage, ob Freienseen ein Reichsdorf oder solms-laubachischer Obrigkeit unterworfen war. Beide Parteien interpretierten das Schweigen in ihrem Sinne. Als die Freienseener von den Erben des mittlerweile verstorbenen Grafen Friedrich Magnus I. den ihnen zugesprochenen Schadensersatz für das gepfändete Vieh einforderten, verweigerten diese dessen Leistung, bis die Bauern einen neuen Huldigungseid geleistet hätten.13 Deshalb erwirkten die Kläger am 16. Januar 1575 ein Exekutorialmandat, mit dem den Beklagten bei Androhung einer Poen von 20 Mark Gold die Urteilserfüllung befohlen wurde. Die Beklagten legten daraufhin dar, dass sie durchaus zur Urteilserfüllung bereit seien – nachdem die Kläger ihnen pflichtgemäß gehuldigt hätten. Dies nötigte die Kläger dazu, ihre abweichende Interpretation des Urteils kundzutun, nach der sie darin nicht zu solms-laubachischen Untertanen erklärt worden seien. Sie baten daher am 8. Juni 1575 darum, die Beklagten wegen Urteilsungehorsams zu der angedrohten Poen zu verurteilen und das Urteil vom November 1574 in ihrem Sinne zu (er-)läutern.14 Das Gericht brauchte nicht viel Zeit für seine bereits am 20. September 1575 verkündete Entscheidung, dass die Beklagten noch nicht zu der Poen des Exekutorialmandats zu verurteilen seien, sondern dass die Kläger nach dem Urteil vom 10. November 1574 den Beklagten als ihrer ordentlichen Obrigkeit vorab die Erbhuldigung zu leisten hätten. Damit hatte das Reichskammergericht die Hoffnung der Freienseener, sich der solms-laubachischen Untertänigkeit entziehen und in die Reichsfreiheit ausweichen zu können, als Illusion entlarvt. Auch diese Klarstellung sowie die erfolgte Erbhuldigung konnten jedoch das Ringen um die Exekution des Urteils nicht beenden, denn um die Ausführung jedes einzelnen Urteilspunktes wurde unter den Juristen erbittert gestritten.15 Die Unklarheit des Urteilstenors forderte bei jedem entschiedenen Streitpunkt langwierige und – selbst bei scheinbar eindeutigem Sachverhalt – fruchtlose Auseinandersetzungen über die Konkretisierung im Einzelnen heraus. Die verzweifelten Freienseener waren schließlich derart entnervt, dass sie – entgegen der schon 1550 gemachten Erfahrung – am 7. Mai 1580 bei der Visitationskommission um 11 12 13 14 15

Diestelkamp (wie Anm. 1), S. 41 ff. Ebd., S. 69 ff. Ebd., S. 72 f. Ebd., S. 73 mit Anm. 6. Ebd., S. 84 ff.

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Revision des Urteils baten.16 Zur Begründung trugen sie vor, dass sie durch die den Beklagten zugesprochenen Zinsen, Gülten und Renten beschwert würden. Auch die von den Beklagten spezifizierten Dienste meinten sie in dieser Form nicht zu schulden. Schließlich fühlten sie sich dadurch beschwert, dass sie wegen der Kirchenschlüssel und der Kirchenrechnungen sowie wegen der Einfahrt, die ihnen alle im Urteil zugesprochen worden seien, gepfändet worden seien. So laufe das – klagten sie völlig frustriert – nun schon im 26. Jahr, ohne dass ein Ende abzusehen sei. Diese Liste der Beschwerungen liest sich wie die Begründung einer Oberappellation, bei der alles noch einmal neu zu verhandeln gewesen wäre. Die Revision diente jedoch nur der Überprüfung des Prozesses daraufhin, ob dem Gericht Verfahrensverstöße unterlaufen waren. Da die Revisionskläger solche Verstöße nicht behaupten konnten, blieb in der Kommissionssitzung vom 20. Mai 1580 nur wieder die Aufforderung, von der Revision abzusehen. Doch leider war dies auch dieses Mal nicht das Ende des unbedachten juristischen Abenteuers. Zum abschreckenden Exempel verurteilte die Visitationskommission die Freienseener zu der für leichtfertige Revisionen in der Reichskammergerichtsordnung vorgesehene Strafe. Hatten sie 1550 schon 4 Mark lötigen Silbers dafür zahlen müssen, so sollten sie jetzt die 4 Mark in lötigem Gold aufbringen. Kleinlaut baten sie die Visitationskommission um Ermäßigung der Summe, da sie unverständige Leute und Laien seien. Doch die Kommission sah keinen Anlass zur Milde, weil sie wusste, dass niemand solche Aktionen ohne Zuhilfenahme juristischen Sachverstandes durchführte. Sie verwies die Freienseener an Kaiser Rudolf II. persönlich. Doch dieser sah es genauso. Die Aufbringung einer so enormen Summe brachte die finanziell ohnehin schon erschöpften Bauern in große Schwierigkeiten. Schließlich ließ sie der Reichsfiskal wegen Nichtzahlung der Strafsumme sogar vorübergehend in die Reichsacht verurteilen. Unter diesem Druck zahlten sie ihm 130 fl. mit der Bitte, sich wegen des Restes bis zum Vollzug des Mandats über die Restitutionen zu gedulden. Sie hofften also, durch die zu erwartenden Entschädigungszahlungen wenigstens so liquide zu werden, dass sie den Reichsfiskal endgültig würden befriedigen können. Damit waren sie wieder darauf verwiesen, sich um eine Lösung in Speyer zu bemühen. Obwohl das Gericht am 22. Juni 1582 noch einmal in extenso alle Fragen erläutert hatte17, endete der Streit am 15. Oktober 1584 mit einer Fristverlängerung von vier Monaten für die Beklagten.18 Dann geschah in diesem Verfahren bis zum 1. Dezember 1597 nichts mehr. Auch danach vollzogen die 16 Ebd., S. 76 f. 17 Gräfliches Archiv Laubach, LXXIII, Nr. 50, Protokoll sub dato. 18 Ebd., sub dato.



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Prokuratoren nur einige formale Richtigstellungen – wie die Bestellung neuer Bevollmächtigter nach dem Tod eines Prokurators oder eines Grafen –, ohne dass es zu Fortschritten in der Sache gekommen wäre. Das Protokoll endet mit einer Notiz zum 15. Mai 1629, in der der Prokurator der Freienseener sich lebhaft darüber beklagte, dass seine Mandanten immer wieder mit Inhaftierungen und Pfändungen geängstigt würden. Dies alles missachte die Urteile des höchsten Gerichts und laufe schließlich darauf hinaus, dass seine Not leidende Partei mit Häufung immer neuer Prozesse und unbilligen Drangsalen ermattet oder gar verderbt werde.

VI. Neuer Anlauf beim Reichshofrat Dieser zermürbende Verlauf der Exekution des Urteils primi mandati mag die entnervten Freienseener auf die Idee gebracht haben, ihrer Sache durch Bestätigung ihrer kaiserlichen Privilegien neuen Auftrieb zu geben.19 Nachdem sie bei vier Herrscherwechseln darauf verzichtet hatten, sich vom neuen Kaiser die Urkunden Kaiser Karls V. bestätigen zu lassen, wandten sie sich in der langen Prozesspause in Speyer nun an Kaiser Ferdinand II. Dieser bestätigte ihnen am 5. August 1622 die Urkunden durch Vidimierung. Doch blieb das zunächst singulär. Nach dem Tod Ferdinands II. suchten die Freienseener wieder nicht um Bestätigung an.

VII. Vergebliche kaiserliche Intervention. Vergleichsverhandlungen. Ob die Vorlage der bestätigten Urkunden nicht die gewünschte Wirkung hatte und die Freienseener deshalb wieder stärker an Fortschritten in Speyer interessiert waren, kann nur vermutet werden. Im Frühjahr 1618 hatten sich die Vogelsberger noch einmal an den Kaiser gewandt, diesmal mit der Bitte, ihnen mit einem Unterstützungsschreiben in Speyer zu helfen.20 Mit bewegten Worten hatten sie geklagt, dass ihr freier Flecken seit der Zeit des Grafen Friedrich Magnus in seinen Freiheiten, Gewohnheiten, Rechten und Gerechtigkeiten beeinträchtigt werde. Innerhalb dieser zurückliegenden 60 Jahre hätten sie in 17 unterschiedlichen Sachen um mancherlei Förderungsschreiben gebeten, weil Urteile ausgeblieben seien – obwohl die Sachen zu Recht beschlossen und submittiert worden seien. Antragsgemäß hatte Kaiser Matthias am 4. April 1618 sein Gericht in Speyer gemahnt, die langwierigen Sachen endlich durch Urteil zu beenden. Am 21. Juni 1618 hatte er diese Anordnung wiederholt. Der Kammerrichter hatte daraufhin 19 Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 29 ff. 20 Diestelkamp (wie Anm. 1), S. 174 f.

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an den Kaiserhof berichtet, dass er schon in den Jahren 1590, 1591 und 1594 in verschiedenen Sachen Entsprechendes veranlasst habe. In einigen Sachen – wie etwa in der Exekutionssache – seien außerdem längst Bescheide ergangen. Die Intervention am Kaiserhof blieb damit faktisch ergebnislos, da trotz der Bitte des Kaisers kaum Bewegung in die mittlerweile unübersichtliche Kette von Verfahren zwischen Freienseen und Solms-Laubach kam. Allmählich setzte sich in Laubach wohl die Einsicht durch, dass alles zu verwickelt für einfache gerichtliche Lösungen sei. Dies ergibt sich aus dem Bericht eines gräflichen Bediensteten an seine Herrschaft vom 16. Februar 1625.21 Gleichwohl bedrängte die Gräfinwitwe Anna als Vormund ihrer Kinder die Freienseener weiter, was diese zu neuen Klagen in Speyer veranlasste. Als schließlich 1631 Graf Albert Otto II. an die Regierung kam, intensivierte er den Druck auf die Bauern.22 Am 12. April 1633 forderte ihn das Reichskammergericht in einem Mandat auf, endlich anzuzeigen, dass den verkündeten Urteilen gehorcht worden sei. Dies löste hektische Aktivität in Laubach aus: Der Oberamtmann Dr. Causedemius warnte, dass zu vielen Mandaten schon vor Jahren Urteile ergangen und diese längst rechtskräftig seien, sodass man ihnen gehorchen müsse. Eindringlich mahnte er, dies nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Prozesse am Reichskammergericht gingen zwar nur langsam voran, schnitten aber sehr scharf.23 Am 30. Dezember 1633 versuchte Graf Albert Otto II., den einflussreichen hessischen Kanzler Dr. Wolf mit einer Gabe von 200 fl. auf seine Seite zu ziehen.24 Dieser wies den Versuch zwar eindeutig, aber ohne Schärfe zurück und mahnte den Grafen, sich auf gütliche Verhandlungen einzulassen. Doch dieser war, wie sich aus einem Positionspapier vom 4. März 1634 für seine Deputierten auf einer nach Frankfurt einberufenen Konferenz ergibt25, noch nicht wirklich kompromissbereit. Das änderte sich erst, nachdem das Reichskammergericht am 28. März 1634 erneut angemahnt hatte, den ergangenen Mandaten und Urteilen zu gehorchen.26 Am 20. August 1634 ergänzte es diesen Befehl zum Urteilsgehorsam durch ein Mandat an Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, wegen seiner Schutzgerechtigkeit in Freienseen die Einhaltung der Speyerer Entscheidungen zu überwachen. Diese kammergerichtliche Anordnung stärkte die rechtliche Position des hessischen Landgrafen, da Graf Albert Otto II. sich demgegenüber 21 Ebd., S. 175. 22 Ebd., S. 180 ff. 23 Ebd. 24 Ebd., S. 189. 25 Ebd., S. 186 f. 26 Ebd., S. 189 f.



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nun nicht mehr darauf berufen konnte, dass Hessen in Freienseen nur ein Nebenschutzrecht besitze. Die Veränderung zeitigte Folgen, als sich die Freienseener bei der landgräflichen Regierung in Marburg über Strafgelder beschwerten, die ihnen auferlegt worden seien. Am 12. April 1638 beanstandeten die Hessen bei der gräflichen Verwaltung in Laubach, dass eine Strafe, die sie den Freienseenern auferlegt hätten, gegen Entscheidungen des Kammergerichts verstoße.27 Nun waren der Graf und seine Räte zu gütlichen Verhandlungen bereit, woraufhin Landgraf Georg II. eine Konferenz nach Marburg einberief. Am 29. Mai 1639 konnten die landgräflichen und gräflichen Delegierten sowie der von der Gemeinde Freienseen beauftragte Jurist das auf dieser Marburger Konferenz erzielte Ergebnis unterschreiben und besiegeln.28 Das Ergebnis bestand darin, dass die Parteien die Lösungen aus den Entscheidungen des Reichskammergerichts noch einmal ausdrücklich anerkannten. Neu war, dass die durch eine kammergerichtliche Entscheidung abgeschaffte Nebengemeinde sich an der Tilgung aller durch die Prozesse verursachten und noch nicht bezahlten Schulden beteiligte. In den so lange umstrittenen Pfändungssachen mussten die Kläger allerdings auf ihr mühsam erstrittenes Recht auf Schadensersatz verzichten. Doch hatten die quälenden Auseinandersetzungen um die Realisierung dieses Anspruchs deutlich gemacht, dass sie sich faktisch ohnehin nichts von dieser Entscheidung erhoffen konnten. Als wenige Monate nach dem Marburger Vergleich Graf Albert Otto II. am 6. September 1639 einem Jagdunfall zum Opfer fiel, brach eine unruhige Zeit für die Grafschaft Solms-Laubach an. Während die Grafen zu Solms-Laubach der lutherischen Konfession angehörten, war die Gräfinwitwe reformierten Bekenntnisses. Dies blieb nicht folgenlos. Sie brachte den jungen Erbgrafen an den Hof Landgraf Wilhelms IV., ihres Schwagers, nach Kassel, wo er im reformierten Glauben erzogen werden sollte.29 Zudem versuchte sie aber auch, unter Umgehung der nächsten Agnaten aus der Linie Solms-Lich die – ebenfalls reformierten – Grafen zu Solms-Greifenstein als Vormünder einsetzen zu lassen. Nach ihrer Wiederverheiratung mit Moritz Christian Graf zu Wied am 31. März 1642 klagten die Untertanen in Speyer gegen diese Vormundschaftsregelung. Im Jahr 1644 erließ das Reichskammergericht ein Mandat, das sowohl Gräfin Katharina Juliana als auch die beiden Greifensteiner Grafen als Vormünder absetzte und die Vormundschaft den Licher Grafen übertrug. Der Vormundschaftswechsel wurde teilweise von Gewalt begleitet; die Unsicherheit endete erst mit der Volljährig-

27 Ebd., S. 191. 28 Ebd., S. 192 ff. 29 Ebd., S. 197 f.

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keit des Erbgrafen Carl Otto, der im Februar 1654 eine Gräfin zu Bentheim heiratete. Mittlerweile hatte der Große Krieg auch den Vogelsberg erreicht und hatte die wirtschaftliche Grundlage der Bauern vollends ruiniert. Das mochte die Freienseener dazu veranlasst haben, bei einem 1650/51 ausbrechenden Streit um den Bierausschank in ihrem Dorf nicht den kostspieligen Weg nach Speyer einzuschlagen, sondern sich sofort an ihren Schutzherrn, den Landgrafen von Hessen-Darmstadt, zu wenden.30 Die Gräfinwitwe bat ihrerseits ihren Schwager, Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, um die Entsendung von 50 Soldaten aus der Festung Ziegenhain.31 Damit, betonte sie, solle den Untertanen keine Gewalt angetan, sondern nur bewirkt werden, dass die Herrschaft Laubach bis zur weiteren Erörterung bei ihrem hergebrachten Besitz des Bierausschankrechts in Freienseen bleiben könne. Offenbar dachte die Gräfin an die Möglichkeit einer »Dragonade«. Die hessen-darmstädtische Regierung in Gießen habe wegen dieser Sache mehrfach geschrieben und sich für die Freienseener auf den Marburger Vergleich berufen – obwohl darin kein Wort über den Bierausschank stehe. Zusätzlich ging es in dieser Bittschrift auch um Probleme der Gräfin mit ihrer Residenzstadt Laubach. In den Beratungen des Geheimen Rates in Kassel wurde deutlich, wie die Zeitgenossen die Gewichtigkeit der einzelnen Faktoren dieses Spiels einschätzten. In ihrer Resolution vom 20. Februar 1651 versicherten sie vorab, dass Landgraf Wilhelm IV. die Gräfin und ihren Sohn natürlich unterstützen wolle. Die Entsendung von 50 Soldaten werde jedoch der laubachischen Sache nicht dienen, sondern sie nur noch beschwerlicher machen. Da Landgraf Georg II. sich auf das Mandat von 1634 berufen könne, spreche der äußere Schein gegen die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme. Ein deswegen beim Reichskammergericht anhängig gemachtes Verfahren würde das gute Einvernehmen zwischen Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt stören, womit auch Solms-Laubach nicht gedient sei. Hinsichtlich einer Konferenz zur gütlichen Einigung erinnerten die Räte daran, dass eine solche letzthin durch laubachisches Missgeschick gescheitert sei (die Gräfin hatte vor Beginn der Konferenz in Freienseen pfänden lassen, weshalb die Zusammenkunft platzte). Besänftigend fügten die Räte hinzu, ihnen sei allerdings auch berichtet worden, dass die Gräfin während der Rechtshängigkeit der Vormundschaftssache keine Tätlichkeiten habe dulden wollen, damit die Sache zur gütlichen Verhandlung gebracht werden könne. Landgraf Georg II. habe am 27. Januar geschrieben, dass entweder der Kameralprozess seinen stracken Lauf nehmen oder alles zur gütlichen Unterredung gestellt werden solle. Der 30 bd., S. 198 ff. 31 Ebd., S. 199 ff.



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Kasseler Landgraf riet seiner Schwägerin in Laubach eindringlich, einer neuen Konferenz zuzustimmen. Gräfin Juliana Katharina folgte diesem Rat und schloss als Erstes zu Frankfurt am 17. Juni 1651 eine vorläufige gütliche Einigung über den Bierausschank in Freienseen ab.32 Das dürfte ihr deshalb nicht schwergefallen sein, weil die Freienseener zugestimmt hatten, für das Recht zum Bierbrauen und Kornbranntweinbrennen sowie den Ausschank dieser Getränke jährlich 26 fl. an die Rentkammer zu zahlen. Damit hatten sie – wenn auch nicht endgültig – anerkannt, dass das Schankrecht der Herrschaft zustand. Allerdings war es nur eine vorläufige Lösung bis zur gerichtlichen Klärung am Reichskammergericht. Weniger erfolgreich verlief die einen Monat später (am 17. Juli 1651) eröffnete eigentliche Frankfurter Konferenz, die unter der Leitung eines hessen-darmstädtischen Regierungsrates stattfand.33 Schon der Beginn versprach nichts Gutes: Die solms-laubachischen Deputierten beanstandeten vorab, dass die Freienseener Vollmacht mit demjenigen Siegel besiegelt worden sei, das schon 1639 in Marburg in Zweifel gezogen worden sei. Die Freienseener beriefen sich ihrerseits auf den Marburger Vergleich; dort sei gefordert worden, das kaiserliche Siegelprivileg vorzulegen. Da sie dies getan hätten, seien sie befugt, sich des Siegels auch zu bedienen. Die gräflichen Deputierten forderten jedoch erneut die Vorlage der Urkunde, damit die Gräfin sie selbst einsehen könne. Nach diesem unerfreulichen Beginn verwundert der weitere Verlauf der Konferenz kaum noch. Selbst Punkte, über die in Frankfurt Einigkeit erzielt werden konnte, durften die gräflichen Deputierten nicht vorbehaltlos akzeptieren, sondern sie konnten nur versprechen, sie der Gräfin wohlwollend vorzutragen. Andere Punkte, deren Diskussion zu keiner Einigung geführt hatte, wurden schlicht zurückgestellt. Um diese Fragen weiter zu erörtern, berief der Landgraf eine Konferenz nach Grünberg ein.34 Doch auch dort konnte keine Einigkeit erzielt werden, weil die Gräfin zu keinen Zugeständnissen bereit war und sich als vormundschaftliche Regentin dazu nicht befugt glaubte, da sie ihren minderjährigen Sohn nicht belasten dürfe. Als Graf Carl Otto 1654 schließlich die Herrschaft antrat, erbte er also auch eine Reihe unerledigter Probleme mit Freienseen. Er verstärkte seinerseits den Druck auf die ungehorsamen Untertanen, was diese wieder ans Reichskammergericht trieb35: Allein im Jahr 1656 wurden vier neue Verfahren anhängig gemacht.

32 33 34 35

Ebd., S. 201 ff. Ebd., S. 202 ff. Ebd., S. 206 ff. Ebd., S. 216 ff. und S. 223 ff.

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Aber auch der Landgraf von Hessen-Darmstadt mischte sich – sogar mit der Entsendung von Soldaten – wieder in die Auseinandersetzungen ein.

VIII. Neuer Versuch beim Reichshofrat Die Bestätigung der Urkunden durch Kaiser Ferdinand II. war – wie schon bemerkt – zunächst singulär geblieben. Da alles auf Lösungen durch gütliche Verhandlungen zuzulaufen schien, mochten die Urkundenbestätigungen nicht mehr so wichtig erscheinen. Doch diese Phase ging mit dem Scheitern der Grünberger Konferenz zu Ende. Bei jeder Konferenz war den Freienseenern der Wert ihres Wappenbriefs vor Augen geführt worden, weil die gräfliche Seite immer wieder verlangte, dass sie die Urkunde, die sie zur Siegelführung legitimierte, vorlegen müssten. Nach dem Tod Ferdinands IV. beantragten die Freienseener daher bei dessen Nachfolger, Kaiser Leopold I., die renovatio et confirmatio privilegiorum und begründeten dies damit, dass sie diese Privilegien als ihr bestes Kleinod und köstlichstes Gut konservieren wollten.36 Diese Wendung mag etwas pathetisch klingen, deutet aber darauf hin, dass die bedrängten Bauern mittlerweile die Urkunden wieder zu schätzen wussten. Fortan ließen sie sich von jedem neuen Herrscher die Urkunden erneuern. Bei Leopolds I. Nachfolger, Kaiser Joseph I., versuchten sie im Jahr 1705 sogar, die ihnen in dem Schutzprivileg zugesicherten Freiheiten über den Wortlaut hinaus zu konkretisieren37: Seit unvordenklichen Zeiten hätten sie das Recht des freien Handels und Wandels sowie der Immunität von Innungen und Zünften genossen. Sie zögen ihre Nahrung vorwiegend aus der Fertigung von und dem Handel mit Leinentuch. Deshalb baten sie darum, ihnen zum freien Handel mit Leinentüchern die Abhaltung zweier Jahrmärkte zu bewilligen und diese Konzession in die Privilegienbestätigung zu inserieren. Mit dieser List wollten die Freienseener die Absicht des Grafen konterkarieren, für seine Grafschaft den Zunftzwang und den Zwang zum Besuch des Laubacher Marktes durchzusetzen. Gegen die dieser Absicht dienenden Maßnahmen hatten die Untertanen schon beim Reichskammergericht geklagt.38 Sie hätten also mit einer ausdrücklichen Jahrmarktverleihung und der Befreiung vom Zunftzwang ihre Rechtsposition klar stärken können. Aber das verhinderte die Art der Urkundenbestätigung des Reichshofrates. Bestätigt wurde immer nur, dass ihm eine Urkunde bestimmten Inhalts vorgelegen habe, die er wörtlich inserierte und deren Wortlaut er konfir36 Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 29. 37 Ebd., S. 30. 38 Diestelkamp (wie Anm. 1). S. 245 f.



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mierte. Dadurch gab es keine Möglichkeit, einfach neue Klauseln einzufügen. Die Freienseener erhielten also am 13. Dezember 1708 nur die üblichen Bestätigungen in Form solcher Vidimusbriefe. Die Vogelsberger Bauern waren über diesen Ausgang so enttäuscht, dass sie die Urkunde in dieser Form bis zum Tode Ferdinands IV. in Wien nicht abholten – zumal sie für die Ausfertigung erhebliche Gebühren hätten entrichten müssen. Gleichwohl versuchten sie nach dem Tode Kaiser Josephs I. (am 17. April 1711) erneut, ihrem Schutzprivileg die Bewilligung zweier Jahrmärkte beifügen zu lassen – auch dieses Mal wieder vergeblich.39

IX. Fortsetzung durch hoheitliche Maßnahmen und beim Reichshofrat Obwohl die solms-laubachische Seite sowohl in Marburg (1639) als auch in Frankfurt am Main (1651) und in Grünberg (1653) die Benutzung des durch den Wappenbrief legitimierten Siegels gerügt hatte, wurde der Mitte des 16. Jahrhunderts begonnene Prozess gegen Freienseen wegen unberechtigter Führung eines Wappens40 – mit dem sie dem unerwünschten Siegelgebrauch ein schnelles Ende hätten bereiten können – von den Grafen doch niemals wirklich aktiv betrieben. Vielmehr ließen sie ihn zwischen 1555 und 1598 und dann wieder zwischen 1602 und1739 ruhen.41 Ebenso hatten sie sich niemals darum gekümmert, wenn die Freienseener am Kaiserhof um die Bestätigung ihres Wappenprivilegs nachgesucht hatten. Das änderte sich erst unter Graf Friedrich Ernst (1696–1723), der beste Beziehungen zum Kaiserhof unterhielt42 und 1696 zum Kaiserlichen Geheimen Rat sowie 1698 zum Kammergerichtspräsidenten ernannt wurde. Er versuchte als Erster, in Wien die Bestätigung der Urkunden zu verhindern. Er überlegte, hierfür beim Reichshofrat geltend zu machen, dass beim Kammergericht ein Prozess wegen Missbrauchs des Wappenbriefs anhängig sei.43 Hierzu gab der gräfliche Reichshofratsagent jedoch zu bedenken, dass dies zur Folge habe, dass man gefragt werde, weshalb dieser Prozess nicht intensiver betrieben worden sei. Auf alle Fälle müsse man vom Reichskammergericht eine Bescheinigung der Rechtshängigkeit des Falles erwirken. Doch sei es ohnehin zu spät für eine solche Intervention zur Verhinderung der Urkundenbestätigung, weil die Urkunden schon expediert seien. Graf Friedrich Ernst wollte sich damit allerdings nicht abfinden und wandte sich 39 40 41 42 43

Ebd., S. 246, und Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 31 ff. Gräfliches Archiv Laubach, A. LXXIII, Nr. 98. Gräfliches Archiv Laubach, Protokoll. Diestelkamp (wie Anm. 1), S. 244 ff. Ebd., S. 246 f.

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in einem Memorandum an den Kaiser persönlich (9. April und 6. Mai 1712). In diesem Schreiben versuchte er, die Freienseener zu diskreditieren, indem er sie der Beteiligung am Bauernkrieg und insbesondere an den müntzerschen Irrungen zieh. Doch konnte er auch damit die Ausfertigung der Urkunden am 21. Juni 1713 nicht verhindern. Daraufhin verstärkten die gräflichen Beamten den Druck auf die Freienseener, indem sie systematisch Fälle sammelten und sanktionierten, in denen Bürgermeister und Gemeinde Gesundheits- und Reisepässe unter ihrem Siegel ausstellten. Am 25. August 1719 hatte sich der Freienseener Bürgermeister Heinrich Immel bei der Regierung des landgräflichen Schutzherrn in Gießen beschwert, dass ihm 10 fl. als Strafe auferlegt worden seien, weil er einigen Kesslern einen Gesundheitspass unter dem Gemeindesiegel gegeben habe.44 Die Sache sei in Wetzlar rechtshängig, sodass über die Berechtigung der Siegelführung dort entschieden werden könne und solle. Bis zu diesem Urteil dürfe der Graf aber deswegen keine Strafen aussprechen. Die hessische Regierung in Gießen hielt sich in diesem Fall jedoch mit einer Intervention zurück, sodass die Freienseener schließlich die Geduld verloren und sich am 11. März 1720 direkt an den Reichshofrat wandten. Sie beschwerten sich dort darüber, dass Heinrich Immel zur Vollstreckung der Strafe schon eine Kuh gepfändet und ein anderer Bürgermeister sogar ins Gefängnis geworfen worden sei, weil er einem Mitbürger einen Reisepass ausgestellt und mit dem Gemeindesiegel besiegelt habe. Ein Prozess am Reichskammergericht sei ins Stocken geraten, weil der gräfliche Prokurator die Besiegelung der Freienseener Vollmacht beanstandet habe. Die Bauern baten daher darum, der Kaiser möge ihr Wappenprivileg dahin gehend erläutern, dass niemand sie unter irgendeinem Vorwand daran hindern dürfe, Gesundheitszeugnisse oder Reispässe unter ihrem Gemeindesiegel auszustellen, und dass sie das Siegel auch in Wetzlar gebrauchen dürften. Eine solche Erläuterung hätte aber als Präjudiz für den Prozess am Reichskammergericht verstanden werden können, was eine unerwünschte Diskussion über einen Jurisdiktionskonflikt zwischen den beiden Reichsgerichten ausgelöst hätte. Auch könne und dürfe der Reichshofrat nicht selbst zu solchen Konflikten Stellung nehmen, berichtete der Reichshofratsagent dem Grafen, sondern in diesen Sachen entscheide der Kaiser allein (immediate). Graf Friedrich Ernst und seine Juristen waren klug genug, einen solchen Disput daher zu vermeiden. Sie bestritten der Gemeinde Freienseen nicht das Recht der aus dem Wappenbrief abgeleiteten Siegelführung, sondern nur die Befugnis, solche Pässe ausstellen zu dürfen, weil dies eine Polizeisache sei, die eindeutig nur der Herrschaft zustehe. Eine reichshofrätliche Resolution über den Antrag der Freienseener ist nicht be44 Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 31.



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kannt und es ist auch keine Urkunde mit der erbetenen Erläuterung überliefert. Offenbar hat die kluge Reaktion aus Laubach den Konflikt von einer Jurisdiktionskonkurrenz freigehalten. Doch hatte die gräfliche Seite damit zum ersten Mal einen Zusammenhang des Besiegelungsproblems mit der Urkundenbestätigung am Reichshofrat erkannt. Aber erst gegen Ende der Regierungszeit Kaiser Karls VI. wurde dieses Problem von dem 1738 gerade zur Herrschaft gelangten 24-jährigen Grafen Christian August virulent gemacht.45 Als erster Graf zu Solms-Laubach bat er den Reichshofrat, den Wappenbrief nicht zu bestätigen, weil dieser erschlichen worden sei. Die Freienseener antworteten am 17. März 1739 mit der Bitte um Einsetzung einer Kommission, die sie gegen unrechte Gewalt schützen könne. Diesem Begehren trat Graf Christian August unvorsichtigerweise entgegen, indem er am 3. April 1739 beim Reichshofrat eine Bescheinigung überreichen ließ, dass die Sache des Wappenbriefs seit fast zweihundert Jahren am Reichskammergericht rechtshängig sei. Der Agent der Freienseener wiederholte am 13. April und 8. Mai 1740 den Antrag auf Privilegienerneuerung. Doch bevor darüber befunden werden konnte, starb Kaiser Karl VI. am 20. Oktober 1740, sodass die Sache unerledigt ins Interregnum hineinreichte. Am 7. November 1740 intervenierte der Graf beim Vikariatshofgericht des Kurfürsten von der Pfalz, das während des Interregnums als Reichshofrat fungierte.46 Er beantragte, die Bestätigung der angemaßten Privilegien zu suspendieren, bis der seit 1555 rechtshängige und 1740 wieder aufgenommene Reichskammergerichtsprozess entschieden sei. Die Wiederaufnahme des Verfahrens in Wetzlar beantragte der Graf allerdings erst am 13. Dezember 1740. Damit war die Jurisdiktionskollision der beiden Höchstgerichte amtlich und es war das eingetreten, was noch Graf Friedrich Ernst juristisch-diplomatisch hatte vermeiden können. Der Reichshofrat des neuen Kaisers nahm den Ball jedoch nicht auf, sondern bestätigte am 5. Mai 1742 den Freienseenern erneut die beiden Urkunden – also auch das Wappenprivileg – in Form von Vidimusbriefen. Den Jurisdiktionskonflikt vermied der Reichshofrat diplomatisch, indem er der Bestätigungsformel den Zusatz beifügte, dass dies unbeschadet der am Reichskammergericht wegen Kassation des kaiserlichen Privilegs schwebenden Hauptsache geschehe, obwohl dies eigentlich nicht mehr in die Zuständigkeit dieses Gerichts falle. Wien konnte oder musste sogar so entscheiden, weil es bei der Urkundenbestätigung nicht um den Inhalt der Urkunde ging, sondern nur darum, ob ein intaktes Exemplar vorgelegt worden war. Der Streit über den Wahrheitsgehalt der Urkunde und die Berechtigung, sie erwirken zu dürfen, musste also in Wetzlar 45 Ebd., S. 33, und Diestelkamp (wie Anm. 1), S. 254 ff. 46 Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 34, und ders. (wie Anm. 1), S. 276 f.

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ausgetragen werden. Der gräfliche Reichshofratsagent versuchte noch einmal (am 7.  Juni 1742), eine dem Grafen günstigere Entscheidung zu erwirken, indem er vortrug, die am 5. April überreichte Anzeige der Rechtshängigkeit sei bei der Bestätigung nicht bedacht worden. Er forderte daher eine entsprechende Erläuterung der Urkunde. Das lehnte der Reichshofrat jedoch am 19. Juni 1742 ab und entschied, dass es bei dem Conclusum vom 5. Mai 1741 bleibe. Auch der Rekurs, den Graf Christian August beim Reichstag mit dem Ziel einlegte, beim Kaiser wegen Fortsetzung des Reichskammergerichtsprozesses zu intervenieren, führte in der Sache nicht weiter. Die Intervention ist verständlich, weil sich die anfangs durchaus lebhaft betriebene Prozessführung in Wetzlar schon wieder festgefahren hatte.47 Immer wieder hatte der Advokat der Beklagten ihrem Prokurator den Schriftsatz nicht liefern können. Als der Prokurator am 8. Juni 1742 endlich tätig werden konnte, machte er die Einrede der Unzuständigkeit des Reichskammergerichts geltend. Am 2. Oktober 1742 berief der Beklagtenvertreter sich darauf, dass der Reichshofrat in seinen Conclusa selbst gesagt habe, das Reichskammergericht sei eigentlich für die Kassation von Privilegien nicht mehr zuständig, weshalb die Gegenseite sogar den Rekurs an den Reichstag ergriffen habe.48 Eine Entscheidung dieser mit großem juristischem Sachverstand geführten Kontroverse ist nicht bekannt. Doch ein Urteil des Wetzlarer Gerichts wurde umso uninteressanter, je länger der Streit andauerte. Beim nächsten Herrscherwechsel im Jahr 1745 brachte Graf Christian August sein Anliegen unmissverständlich zum Ausdruck, indem er am 26. November verlangte, die Bestätigung nur mit einer ausdrücklichen Klausel vorzunehmen, dass die Laubacher Obrigkeit unberührt davon bleibe.49 In seinem Conclusum betonte der Reichshofrat dann, dass er gezwungen gewesen sei, die Bestätigungen vorzunehmen, da der neue Kaiser in seiner Wahlkapitulation versprochen habe, allen Reichsständen ihre urkundlich belegten Gnaden und Freiheiten zu bekräftigen. Die Freienseener hätten ihre einschlägigen Urkunden vorgelegt. Ihren Widerwillen gegen diese Bestätigungen brachten die Reichshofräte vollends dadurch zum Ausdruck, dass sie dem Antrag des Grafen folgten und der Bestätigung eine Klausel beifügten, nach der diese Bestätigung die gräfliche Landesherrlichkeit und Obrigkeit nicht beeinträchtigen solle.50 Wie sehr sich der Wind in Wien zugunsten des Grafen gedreht hatte, zeigte sich, als der Reichshofrat am 7. Januar 1747 ein Mandat an die Vogelsberger 47 48 49 50

Gräfliches Archiv Laubach, S. LXXIII, Nr. 98, Protokoll sub 1740–1742 Juni 4. Ebd., sub dato. Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 35 f. Ebd., S. 35 f.



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Bauern und die Regierung ihres Schutzherrn in Gießen wegen Tumultes und verweigerten Gehorsams erließ.51 Den Freienseenern wurde befohlen, ihrem angeborenen Eigenherrn weder durch eigene Taten noch durch Anrufung Mächtigerer weiter zu widerstehen, sondern ihm ohne Vorbehalt zu huldigen. Falls die Untertanen diesem Mandat nicht gehorchen sollten, sondern sich weiteren Missbrauch kaiserlicher Privilegien zuschulden kommen ließen, solle der Graf um deren Kassation ansuchen dürfen. Damit hatte der Reichshofrat eine juristische Möglichkeit geschaffen, ohne Verletzung der kammergerichtlichen Zuständigkeit über die Privilegien befinden zu können. In Wetzlar sollte geurteilt werden, ob die Freienseener die beiden Urkunden 1555 wahrheitswidrig erschlichen hatten, während der Reichshofrat sich die Entscheidung darüber vorbehielt, ob ihnen die Privilegien wegen Missbrauchs wieder abgesprochen werden sollten. Damit hatte sich das Rad um 180 Grad gedreht. Hatten bislang die Freienseener ihre Urkunden problemlos bestätigt bekommen, so wurde dies nun an ihren Gehorsam gegenüber dem Grafen geknüpft, den sie mithilfe der Urkunden gerade unterlaufen wollten. Dem Nachlassen der solmsischen Aktivitäten im Wetzlarer Kassationsprozess im Januar 1744 korrespondierte ein zunehmendes Interesse der Laubacher Kanzlei an dem Geschehen in Wien, das sich in ihrer Korrespondenz mit den solms-laubachischen Reichshofratsagenten ab 1750 spiegelt.52 Unter Kaiser Joseph II. kulminierte diese Entwicklung.53 Als die Freienseener am 2. Juli 1766 beim neuen Kaiser wieder die Bestätigung ihrer Urkunden beantragten, widersprach Graf Christian August vehement. Daraufhin behandelte der Reichshofrat die Sache nur sehr zögerlich. Nach einem Jahr reichten die ungeduldig werdenden Supplikanten sechs Extrakte aus Reichshofratsprotokollen zum Nachweis ein, dass die Vorgänger des Kaisers die Bestätigungen trotz solms-laubachischen Widerspruchs stets vorgenommen hätten. Doch die Zeit solcher die Freienseener begünstigenden Normalität war vorbei. Als der Reichshofrat endlich am 7. Juli 1775 zu einer Entscheidung kam, fiel diese für die Bauern enttäuschend aus. Das Conclusum beschied, dass vor der Bestätigung der Ausgang der Prozesse wegen Kassation abgewartet werden solle. Damit waren beide Parteien nicht zufrieden; doch ihre Widersprüche führten zu keiner Änderung des Beschlusses, den der Reichshofrat am 1. September 1775 vielmehr ausdrücklich bekräftigte. Darüber hinaus befahl er den beiden in Wien anwesenden Freienseener Deputierten, die Stadt binnen 14 Tagen zu verlassen. Die Bauern waren über diese unerwartete Wendung ihrer Sache zutiefst verunsichert. Ihr Anliegen beruhe auf einem Vor51 Ebd., S. 36 f., und Diestelkamp (wie Anm. 1), S. 278 f. 52 Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 37, und ders. (wie Anm. 1), S. 279 f. 53 Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 40.

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gang unvordenklicher Jahre und dem seither behaupteten Besitzstand. Für dieses Kleinod hätten sie unsägliche Drangsale erlitten und den größten Teil ihres Vermögens geopfert. Die Gemeinde sei in einem so erschöpften Vermögenszustand, dass sie nicht mehr in der Lage sei, zur Erhaltung ihrer Freiheiten dieselben Summen aufzubringen wie bisher. Diese Bemerkung mag allgemein die unerwartete Wendung erklären, da man bekanntermaßen zusätzlich zu den offiziellen Gebühren erhebliche Summen aufwenden musste, um beim Reichshofrat etwas zu erreichen. Bei diesem Zustand blieb es auch nach dem Tod Kaiser Josephs II., als der Reichshofrat am 8. Januar 1791 erneut unter Hinweis auf die älteren Conclusa die Bestätigung der Privilegien ablehnte.54

X. Reichskammergericht und Landgraf von Hessen-Darmstadt Die aufreibenden Gefechte am Kaiserhof in Wien wurden begleitet von immer neuen Klagen in Wetzlar gegen Zwangsmaßnahmen der Grafen. Nur der Prozess, den Solms-Laubach wegen Missbrauchs des Wappenprivilegs begonnen und wieder aufgenommen hatte, konnte getrost ruhen, nachdem der Reichshofrat die weiteren Urkundenbestätigungen von seinem Ende abhängig gemacht hatte. Die gräfliche Seite konnte sich damit begnügen, den Gebrauch des Gemeindesiegels gewaltsam zu unterbinden. Damit hatte sie ein Ergebnis erzielt, das durch ein obsiegendes Urteil nicht hätte verbessert werden können. So gab es noch unentschiedene Verfahren zwischen den Parteien am Reichskammergericht, als 1806 das Heilige Römische Reich endete. Mit dem Untergang des Reiches verloren die Grafen zu Solms-Laubach ihren Status als reichsunmittelbare Grafen, stattdessen wurden sie Standesherren in der zum Großherzogtum erhobenen Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Der Großherzog ordnete an, dass alle unerledigt am Reichskammergericht zurückgebliebenen Verfahren von seinem Oberappellationsgericht in Darmstadt fortgeführt und beendet werden sollten.55 Damit war der Schutzherr zum Gerichtsherrn mutiert. Wie das Darmstädter Oberappellationsgericht die fünf Prozesse entschied, kann leider nicht gesagt werden, da die Urteile fehlen.

54 Diestelkamp (wie Anm. 10), S. 40. 55 Diestelkamp (wie Anm. 1), S. 333 ff.



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XI. Fazit: Mit »Freundschaft« oder mit »Recht« Es ist erstaunlich, wie groß der Handlungsspielraum und wie zahlreich die Optionen waren, die die rebellischen Untertanen für ihren Widerstand gegen die Unterwerfungsaktionen des Landesherrn hatten. Woher sie wussten, an wen sie sich gegebenenfalls wenden konnten, und weshalb sie dann von der einen Handlungsebene zur anderen übergingen, kann nur vermutet werden. Sich an den Landgrafen von Hessen zu wenden, lag für die Freienseener im wahrsten Sinne des Wortes nahe: Er war der Leibherr der Mehrzahl der Einwohnerschaft des Dorfes. Zudem lag Freienseen in direkter Nachbarschaft zur hessischen Amtsstadt Grünberg, zu deren Bürgerschaft verwandtschaftliche Bande bestanden. Ebenso waren die hessen-darmstädtischen Regierungen in Marburg und später in Gießen von Freienseen aus schnell erreichbar. Hessen und seine Amtsträger waren daher die ersten Ansprechpartner für die Freienseener, wenn sie Hilfe brauchten. Sie blieben es bis zum Schluss. Diese Funktion endete erst, als Hessen-Darmstadt nach 1806 vom Schutzherrn für Freienseen zum Gerichtsherrn über die alten Streitigkeiten mutiert war. 1535 hatte der Reichstag den Rechtsweg an das Reichskammergericht für Beschwerden von Untertanen gegen ihre Herrschaft geöffnet. Ob die Bauern im Vogelsberg selbst davon schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts etwas gehört haben oder ob sie durch andere darauf aufmerksam gemacht wurden, ist nicht zu sagen. Die Wegstrecke nach Speyer – und vollends später nach Wetzlar – war jedenfalls kein unüberwindbares Hindernis für Aktivitäten am Kammergericht. Delegationen aus Freienseen, die die Interessen der Kläger in Speyer vertraten, sind vielfach bezeugt. Das Revisionsbegehren bei der Visitationskommission im Jahr 1580 war so offenkundig unzulässig, dass die Vermutung naheliegt, die Freienseener hätten diesen Schritt ohne juristischen Rat auf eigene Faust getan. Ihre in Speyer anwesenden Delegationsmitglieder mochten sie über die Visitationskommission informiert haben. Den Kaiser einzuschalten, um diesen zu einem Promotoriale an sein Kammergericht zu veranlassen, brauchte den Vogelsberger Bauern niemand zu sagen. Das lag nahe, weil sie wussten, dass der Kaiser der Herr dieses Gerichtes war und jederzeit in jedes Verfahren eingreifen konnte. Sich am Kaiserhof in Brüssel 1554/55 die beiden Urkunden zu beschaffen, könnte eine Idee ihrer städtischen Verwandten in Grünberg und ihres Advokaten gewesen sein, nachdem Graf Friedrich Magnus in Speyer die Vorlage der Urkunden für die im Prozess behaupteten Freiheiten verlangt hatte. Nachdem der Reichshofrat die vorgesehene Verwendungsfähigkeit der Urkunden für die Freienseener durch zwei Mandate beseitigt hatte, erlosch ihr Interesse am Reichshof-

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rat ebenso jäh, wie die Bauern ihn bemüht hatten. Erst 1622 ließen sie sich zum ersten Mal ihre Privilegien von einem neuen Herrscher bestätigen, verzichteten aber sofort wieder darauf, als die Hoffnung bestand, die Auseinandersetzungen durch gütliche Verhandlungen beenden zu können. Als diese Phase jedoch erfolglos zu Ende ging und die Herrschaft 1656 neue Maßnahmen gegen sie ergriff, brachten sie erneut den Reichshofrat ins Spiel, indem sie sich um die Erneuerung ihrer Urkunden bemühten. Dem seitdem nicht wieder nachlassenden Interesse der Freienseener an den Urkundenerneuerungen durch den Reichshofrat stand ein fast demonstratives Desinteresse der Solms-Laubacher Grafen an diesen Vorgängen am Kaiserhof gegenüber. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts endete das Spiel damit, dass der Reichshofrat die Bestätigung so lange aufschob, bis das Reichskammergericht über die Rechtmäßigkeit des Privilegienerwerbs entschieden habe. Die Konnexität zwischen dem Prozess am Reichskammergericht wegen Missbrauchs des Wappenbriefs – den Graf Friedrich Magnus 1555 angestrengt hatte – und dem Versuch Graf Christian Augusts Ende 1740, die Urkundenbestätigung zu verhindern, ist eindeutig. Anfangs hatte Solms-Laubach den Prozess in Speyer so eifrig betrieben, wie es der Wichtigkeit des Streitgegenstandes entsprach. Das Interesse des Grafenhauses erlosch jedoch nach dieser kurzen Anfangsphase wieder, sodass der Prozess über zweihundert Jahre ruhte. In dieser Zeit begnügten sich die Grafen und ihre Amtsträger damit, die Benutzung des auf dem Wappenbrief beruhenden Gemeindesiegels gewaltsam zu verhindern. Erst als durch eine Beschwerde der Freienseener beim Reichshofrat ruchbar wurde, dass der Graf sie wegen des Siegelgebrauchs bestrafe, obwohl über die Berechtigung des Wappenbriefs noch ein Prozess schwebe, wurde die Parallelität der Urkundenbestätigung und des Missbrauchsprozesses zum Problem. Sofort ließ Graf Christian August den Prozess in Wetzlar wieder aufnehmen. Die Aktivität hielt an, bis erkennbar wurde, dass der Reichshofrat die Freienseener Urkunden nicht mehr umstandslos bestätigen werde. Als er die Bestätigung dann vom Ausgang des Prozesses in Wetzlar abhängig machte, brauchte der Graf den Kammergerichtsprozess nur ruhen zu lassen, um an beiden Stellen seine Ruhe zu haben. Den Kaiser um ein Promotoriale an sein Kammergericht zu bitten, brauchte den Vogelsberger Bauern niemand zu sagen. Eine Supplik an den Kaiser war zudem die kostengünstigste Maßnahme, mit der sie Einfluss auf ihre Prozesse zu nehmen hoffen konnten. Die Phase gütlicher Verhandlungen konnte erst dann beginnen, als beide Parteien durch die fruchtlosen Umsetzungsversuche des Endurteils von 1574 zermürbt genug für die Einsicht waren, dass es sinnlos war, ihre Hoffnungen auf die Lösung ihrer Probleme auf den Prozessweg zu setzen. Hinzu kam, dass das Reichskammergericht offensichtlich auch müde war, zusehen zu müssen, wie seine Man-



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date und Urteile nicht befolgt wurden. So zählte es in einem Mandat von 1634 alle Entscheidungen auf, denen die Beklagten nicht gehorcht hatten, um dann den Landgrafen von Hessen-Darmstadt als Kommissar damit zu beauftragen, für die Durchsetzung der Urteile zu sorgen. Damit erhielt Landgraf Georg II. eine Legitimation zum Handeln, die über die Möglichkeiten der Schutzgerechtigkeit in Freienseen hinausreichte. Dies machte den Weg frei für die unter seiner Aufsicht und der Leitung seines Juristen durchgeführte Marburger Konferenz. An deren Ende stand 1639 ein Vergleich, in dem die Parteien versprachen, alle Mandate und Urteile des Kammergerichts zu befolgen. Waren sie dazu aber nicht von Rechts wegen schon verpflichtet? Was brachte der Vergleich also darüber hinaus? Er schnitt die Dispute über die Auslegung und Durchführung der einzelnen Anordnungen ab. In besonders strittigen Fällen wurden konkrete Verabredungen getroffen. So wurde die leidige Frage der Entschädigung für die rechtswidrigen Pfändungen für erledigt erklärt. Dieser Verzicht brauchte die Kläger deshalb weniger zu schmerzen, weil sie schon zu lange vergeblich für eine Realisierung dieses Anspruchs gekämpft hatten. Umgekehrt musste der Graf auf die von ihm geschaffene oder zumindest protegierte Nebengemeinde verzichten, die er immer wieder gegen die Kläger instrumentalisiert hatte. Dieser Teil der Freienseener Einwohnerschaft musste sich jetzt sogar an der Tilgung der durch die Prozesse angewachsenen und noch offenen Schulden beteiligen, die er gar nicht gewollt hatte. Es blieben jedoch einige Fragen offen, die noch nicht vom Gericht entschieden waren. Zur Lösung dieser Probleme berief der Landgraf zwei Konferenzen nach Frankfurt und nach Grünberg ein. Mittlerweile war aber der Graf, der den Marburger Vergleich akzeptiert hatte, plötzlich verstorben. Für den erst sechsjährigen Erbgrafen musste eine vormundschaftliche Regentschaft eingerichtet werden. Das führte deshalb zu Konflikten, weil die Gräfinwitwe reformierten Bekenntnisses war und im lutherischen Laubach die Reformierten bevorzugte. Als Vormund verweigerte sie den neuen Übereinkommen ihre Zustimmung, weil sie glaubte, damit ihren minderjährigen Sohn nicht belasten zu dürfen. Unabhängig davon, ob dies ernst gemeint oder nur eine Ausrede war, endete damit die Phase der Hoffnung, die Streitigkeiten gütlich beilegen zu können. Damit wurde das Reichskammergericht wieder interessant, das für die Untertanen bis zum Ende des Reiches der normale Austragungsort blieb, regelmäßig ergänzt um Aktivierungen des landgräflichen Schutzherrn. Zur Fragestellung »mit Freundschaft« oder »mit Recht« bietet die jahrhundertelange Auseinandersetzung zwischen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach aufschlussreiches Anschauungsmaterial. Allerdings darf man nicht fragen, welche Option den Klägern objektiv genutzt hat, da sich das ja erst nachträglich herausstellte, sodass dies für die Wahl der Handlungsebene nicht maßgebend gewesen sein konnte. Handlungsentscheidend war vielmehr allein die

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Vorstellung, ob und weshalb eine Option in der konkreten Situation für nützlich gehalten wurde. Dabei ist damit zu rechnen, dass die gewählte Handlungsebene keineswegs so tragfähig war, wie man sich das erhoffte. Das ist unübersehbar bei dem zweimaligen vergeblichen Versuch, die Visitationskommission durch ein Revisionsbegehren zu einer Urteilsänderung zu bewegen. Am Anfang stand das bei Kondominaten übliche Ausspielen des einen Herrn gegen den anderen. Dem wollte Graf Friedrich Magnus dadurch ein Ende setzen, dass er seinen Stiefbruder, Landgraf Philipp den Großmütigen, dazu bewegte, den Streit über die Reichweite der hessischen Schutzgerechtigkeit in Freienseen durch den Herzog von Sachsen-Weimar in einem gütlichen Verfahren klären zu lassen. Im Jahr 1570 entschied dieser nach Einholung eines Rechtsgutachtens der Tübinger Rechtsfakultät zwar nach »Recht«, aber in »Freundschaft«, wie es unter Reichsständen üblich war. Den rebellischen Untertanen war dieser Weg jedoch versperrt, weil ihr Landesherr es abgelehnt hätte, sich auf dieselbe Ebene mit ihnen zu begeben, wie es die Einigung auf ein Schiedsverfahren erfordert hätte. Die Freienseener waren daher darauf angewiesen, am Reichskammergericht zu klagen, so wie es der Reichstag dafür vorgesehen hatte. Der Versuch der Freienseener, das Gerichtsverfahren durch die Inanspruchnahme des Reichshofrates einseitig für sich zu beeinflussen, indem sie sich Kaiserurkunden über die von ihnen beanspruchten Rechtspositionen verschafften, scheiterte daran, dass der Reichshofrat nachträglich die Benutzungsfähigkeit der ausgestellten Urkunden für den Prozess beseitigte. Damit waren die Bauern wieder allein auf den Rechtsweg in Speyer verwiesen. Erst als sich die Parteien nach dem Endurteil von 1574 jahrzehntelang über den Vollzug der einzelnen Urteilspositionen streiten mussten, wuchs allmählich die Einsicht, dass das gerichtliche Verfahren nicht zu einer befriedenden Lösung führen würde. Als dann das Reichskammergericht Solms-Laubach vor Augen führte, wie hartnäckig es den Entscheidungen des Gerichts bisher den Gehorsam verweigert hatte, und Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt zum Vollstreckungskommissar ernannte, gelang es diesem, die Parteien zu einem gütlichen Verfahren zu sich nach Marburg zu laden. Der dort 1639 geschlossene Marburger Vergleich scheint über das Verfahren »nach Recht« nicht hinauszugehen, weil die Parteien zunächst nur alle kammergerichtlichen Mandate und Urteile anerkennen mussten. Das gütliche Verfahren ging dann aber doch noch über das »Recht« hinaus, weil einige beim Vollzug der Entscheidungen heftig umstrittene Fragen konkret gelöst wurden. Damit ergänzte das Verfahren »in Freundschaft« das strenge Gerichtsverfahren sinnvoll. Über die konsentierten Punkte sollte es fortan keinen Streit mehr geben können. Dieser Erfolg ließ sich allerdings nicht beliebig wiederholen. Der vertragschließende Graf starb wenige Monate nach dem Marburger Vergleich plötzlich und hinterließ einen 6-jährigen Sohn als Nachfolger.



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Die vormundschaftliche Regentschaft wagte es auf den folgenden Konferenzen in Frankfurt und in Grünberg nicht, Zugeständnisse zu machen, weil dadurch Rechtspositionen des minderjährigen Erbgrafen geschwächt würden. Gegen dieses Rechtsargument konnte auch der gerichtliche Vollzugskommissar nichts ausrichten. Zugeständnisse zu machen, fiel auch deshalb so schwer, weil es zu manchen Positionen noch keine kammergerichtlichen Entscheidungen gab, die nur noch hätten vollzogen werden müssen. Deshalb kehrten die Freienseener 1656 zum strengen Rechtsweg zurück – nicht ohne sich parallel dazu beim Reichshofrat ihrer Urkunden zu versichern. Das Reichskammergericht blieb seit 1550 neben dem landgräflichen Schutzherrn der basso continuo dieser langjährigen Auseinandersetzungen. Verfahren in Güte blieben die Ausnahme.

Ulrich Rasche

Urteil versus Vergleich? Entscheidungspraxis und Konfliktregulierung des Reichshofrats im 17. Jahrhundert im Spiegel neuerer Aktenerschließung I. Einleitung und Problemstellung. II. Perspektiven der Aktenerschließung und der neueren historischen Forschung. III. Überlegungen zu Funktion und Wirkung reichshofrätlicher Entscheidungen. IV. Entscheidungsfrequenz und Fazit.

I. Einleitung und Problemstellung Die kaiserliche Justiz des 17. Jahrhunderts war nach eigenem Bekunden »iederzeit mehr zue der güte unnd lindigkeit dann zue scherffe deß rechten genaiget« (1602).1 Dementsprechend verpflichteten die statutarischen Ordnungen des höchsten kaiserlichen Gerichts, des unmittelbar am kaiserlichen Hof tätigen Reichshofrats, die als Richter fungierenden Räte, »die strittigen sachen zur guettlichen handlung und vertrag zu weisen«.2 Diese Aufgabe hat der Reichshofrat in zahlreichen Fällen vor Ort agierenden Kommissionen übertragen, denen stets und mitunter auch mehrfach eingeschärft wurde, die Parteien »güettlich mitainannder zu verainichen und zu vertragen«.3 Die unübersehbare Tendenz zur compositio amicabilis, zum gütlichen Vergleich, ist von der Forschung längst als maßgeblich für die Praxis der reichshofrätlichen Justiz erkannt worden, ebenso die geringe Urteilsquote. Hierzu liegen im Gegensatz zum Reichskammergericht allerdings bislang lediglich für die reichshofrätlichen Appellationsprozesse erste quantifizierende Untersuchun1 Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie II, Antiqua, Bd. 2: Karton 44–135, hg. von Wolfgang Sellert, bearbeitet von Ulrich Rasche, Berlin 2014, Nr. 895. 2 Wolfgang Sellert, Die Ordnungen des Reichshofrats 1550–1766, 1. Halbbd.: 1550 bis 1626, 2. Halbbd.: 1626 bis 1766 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 8/I und 8/II), Köln/Wien 1980 und 1990, hier 1. Halbbd., S. 174 (1617), und 2. Halbbd., S. 115 (1654). 3 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, RK, Kanzleibücher 6, Formularbuch der Reichskanzlei aus der Zeit Maximilians II., fol. 188v. Zur Sache: Eva Ortlieb, Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637–1657) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 38), Köln/Weimar/Wien 2001; Sabine Ullmann, Geschichte auf der langen Bank. Die Kommissionen des Reichshofrats unter Kaiser Maximilian  II. (1564–1576) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 214), Mainz 2006.

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gen vor, die die allgemeine und gewiss zutreffende Wahrnehmung einer geringen Urteilsquote freilich bestätigen.4 Diese wird in der Forschung zumeist mit der nur schwach ausgebildeten Fähigkeit der Reichsjustiz erklärt, Urteile tatsächlich auch zu vollstrecken.5 Obgleich gelegentlich noch weitere Gründe für die geringe Urteilsquote und die Bevorzugung von Vergleichslösungen angeführt werden – wie etwa Überlastung oder auch Bequemlichkeit der Richter6 –, durchzieht weite Teile der Forschungsliteratur doch insgesamt eine Sichtweise, die Exekutionsschwäche, geringe Urteilsquote und Tendenz zum Vergleich kausal miteinander verkettet und darin das Spezifikum der reichshofrätlichen Justiz erblickt. Darüber hinaus liegt einer solchen Sicht zumeist die Vorstellung zugrunde, dass – wie bei modernen Gerichten – auch beim Reichshofrat der Vergleich innerhalb des Spektrums judikaler Konfliktregulierung die quasi gegenpolige Alternative zum Urteil gebildet habe. Beides möchte ich im Folgenden hinterfragen und andere Lösungen zur Diskussion stellen. Die These, dass die Fähigkeit zur Vollstreckung von Urteilen die Praxis richterlichen Handelns und Entscheidens in der Vormoderne geprägt habe, provoziert eigentlich die Frage nach Autorität, Art und Maß der Herrschaft des Gerichtsträgers über den jeweiligen Gerichtssprengel beziehungsweise nach dessen Einbindung in die jeweiligen Herrschaftsstrukturen. Insofern ließen sich die Spezifika reichshofrätlicher Justiz wohl erst erkennen, wenn die Steuerungsgewalt des Kaisers im Reich am Verhältnis von Herrschaft und Justiz anderer Höchstgerichte in Europa sowie der Ober- und insbesondere auch der Untergerichte der Territorien gespiegelt und Zusammenhänge zwischen Exekutionsmöglichkeiten und 4 Siehe Ellen Franke, Bene appellatum et male iudicatum. Appellationen an den Reichshofrat in der Mitte des 17. Jahrhunderts an Beispielen aus dem Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 3 (2013), S. 121–145, die auf der Basis einer Analyse von 150 Appellationsprozessen aus der Zeit von 1648 bis 1657 eine Urteilsquote von 13 % errechnet hat (ebd., S. 137). Zur Urteilsfrequenz des Reichskammergerichts (und den Schwierigkeiten, diese zu ermitteln): Peter Oestmann, Die Rekonstruktion reichskammergerichtlicher Rechtsprechung als methodisches Problem, in: Anette Baumann/Siegrid Westphal/Stephan Wendehorst/Stefan Ehrenpreis (Hg.), Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 15–54; Manfred Hörner, Anmerkungen zur statistischen Erschließung von Reichskammergerichtsprozessen, in: ebd., S. 69–81. 5 Vgl. Wolfgang Sellert, Vollstreckung und Vollstreckungspraxis am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Walter Gerhardt/Uwe Diederichsen/Bruno Rimmelspacher/Jürgen Costede (Hg.), Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag, Berlin/New York 1995, S. 817–839. 6 Vgl. die ausgewogene Erörterung bei Franke (wie Anm. 4), S. 137–139.



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Urteilsquoten vergleichend geprüft würden.7 Diesen Ansatz zu verfolgen würde freilich den Rahmen dieses Beitrags sprengen, der die aufgeworfene Problematik ohnehin in andere Zusammenhänge stellen möchte. Jedenfalls bilden aus einer solchen Perspektive auf das Problemfeld von Urteil und Vergleich das ständische und politische System des Alten Reichs sowie die Stellung des Kaisers innerhalb desselben den semantischen Bezugsrahmen für die Beurteilung der Reichsjustiz. Tatsächlich hat sich die Forschung auch in diesen Bahnen fortbewegt.8 Parallel und im Nachlauf zum Paradigmenwechsel in der Beurteilung des Alten Reichs9, parallel auch zur Kritik am Absolutismusbegriff und zur Entwicklung eines neuen Verständnisses von Herrschaft als kommunikativem Prozess10 hat 7 Gerade zu den Höchstgerichten hat sich die Forschungslage in den letzten Jahren entscheidend gebessert, vgl. Bernhard Diestelkamp (Hg.), Oberste Gerichtsbarkeit und zentrale Gewalt im Europa der Frühen Neuzeit, Köln/Wien 1996; Leopold Auer/Werner Ogris/ Eva Ortlieb (Hg.), Höchstgerichte in Europa. Bausteine frühneuzeitlicher Rechtsordnungen (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 53), Köln/ Weimar/Wien 2007; Ignacio Czeguhn/José Antonio López Nevot/Antonio Sánchez Aranda/Jürgen Weitzel (Hg.), Die Höchstgerichtsbarkeit im Zeitalter Karls V. Eine vergleichende Betrachtung (Schriftenreihe des Zentrums für rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung Würzburg 4), Baden-Baden 2011; Alain Wijffels/Remco C. H. van Rhee (Hg.), European Supreme Courts. A Portrait through History, London 2013. 8 Vgl. etwa Volker Press, Der Reichshofrat im System des frühneuzeitlichen Reiches, in: Friedrich Battenberg/Filippo Ranieri (Hg.), Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa. Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, Köln/Wien 1994, S. 349–365; Gabriele Haug-Moritz, Des »Kaysers rechter Arm«. Der Reichshofrat und die Reichspolitik des Kaisers, in: Harm Klueting/Wolfgang Schmale (Hg.), Das Reich und seine Territorialstaaten im 17. und 18. Jahrhundert. Aspekte des Mit-, Neben- und Gegeneinander, Münster 2004, S. 23–42. 9 Vgl. Heinz Schilling, Reichs-Staat und frühneuzeitliche Nation der Deutschen oder teilmodernisiertes Reichssystem. Überlegungen zu Charakter und Aktualität des Alten Reiches, in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 377–395; Matthias Schnettger, Imperium Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher Reichs-Staat. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 57), Mainz 2002; sowie zuletzt etwa Horst Carl, »Schwerfälligen Angedenkens« oder »das Recht, interessant zu sein«? Das Alte Reich in der neueren Forschungsliteratur, in: Zeitschrift für Historische Forschung 37 (2010), S. 73–97. 10 Vgl. Markus Meumann/Ralf Pröve, Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildung, in: dies. (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 2), Münster 2004, S. 11–49; Dagmar Freist, Einleitung: Staatsbildung, lokale Herrschaftsprozesse und kultureller Wandel in der Frühen Neuzeit, in: Ronald G. Asch/dies. (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 1–47; Stefan Brakensiek, Akzeptan-

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sich auch die Beurteilung der Reichsjustiz gewandelt. Zum einen erweisen sich die Höchstgerichte nun mehr und mehr als wichtige integrative Institutionen für die Formung des Reiches als Rechtssystem mit erheblichem Einfluss sowohl auf das konkrete politische Zusammenspiel als auch auf die grundsätzliche strukturelle Verklammerung von Reich, Territorien, Ständen und Untertanenverbänden.11 Zum anderen – darauf kommt es hier an – wird der gerichtliche und insbesondere der außergerichtliche Vergleich allmählich weniger als eine Art Notlösung für das ohnehin nur schwer vollstreckbare Urteil, sondern als das wesentliche Ziel der Reichsjustiz begriffen und dem Verfahren selbst die eigentliche friedensstiftende und konfliktregulierende Funktion zuerkannt.12 Ob zu Recht oder nicht – das Argument der Exekutionsschwäche verliert damit erheblich an Gewicht. zorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Die Frühe Neuzeit als Epoche (Historische Zeitschrift, Beihefte 49), München 2009, S. 395–406. Starke Impulse für ein neues Herrschaftsverständnis gehen von der Policeyforschung aus, zum Forschungsstand: Karl Härter, Art. Polizei, in: Enzyklopädie der Neuzeit 10 (2009), S. 170–180; Andrea Iseli, Gute Policey. Öffentliche Ordnung in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2009. 11 Siegrid Westphal/Stefan Ehrenpreis, Stand und Perspektiven der Reichsgerichtsforschung, in: Anette Baumann/dies./Stephan Wendehorst/ders. (Hg.), Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln/Weimar/ Wien 2001, S. 1–13; Edgar Liebmann, Reichskammergericht und Reichshofrat in der historischen Forschung von 1866 bis zur Gegenwart, in: Jahrbuch der juristischen Zeitgeschichte 6 (2004/05), S. 81–103; ders., Reichs- und Territorialgerichtsbarkeit im Spiegel der Forschung, in: Anja Amend/Anette Baumann/Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal (Hg.), Gerichtslandschaft Altes Reich. Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 52), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 151–172; Dietmar Willoweit, Das Reich als Rechtssystem, in: Heinz Schilling/Werner Heun/Jutta Götzmann (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1595 bis 1806. Essays, Dresden 2006, S. 81–91. 12 So etwa schon das Fazit von Bernhard Diestelkamp, Das Reichskammergericht im Rechtsleben des 16. Jahrhunderts, in: Adalbert Erler/Adolf Fink/Hans-Jürgen Becker (Hg.), Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte. Festschrift für Adalbert Erler zum 70. Geburtstag, Aalen 1976, S. 435–480. Vgl. ferner etwa Siegrid Westphal, Stabilisierung durch Recht. Reichsgerichte als Schiedsstelle territorialer Konflikte, in: Ronald G. Asch/ Dagmar Feist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 235–253; dies., Der Reichshofrat – kaiserliches Machtinstrument oder Mediator?, in: Leopold Auer/ Werner Ogris/Eva Ortlieb (Hg.), Höchstgerichte in Europa. Bausteine frühneuzeitlicher Rechtsordnungen (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 53), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 115–137; Wolfgang Sellert, Pax Europae durch Recht und Verfahren, in: ebd., S. 97–114; sowie insbesondere und mit weiterer Literatur die Ausführungen unten bei Anm. 54 ff.



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Auch das dichotomische Verhältnis von Urteil und Vergleich gerät dadurch ins Wanken. Hieran knüpfen die folgenden Überlegungen an. Erwartet werden sollten keine endgültigen Antworten, schon gar keine speziell rechtsgeschichtlich-juristischer Art. Formuliert werden lediglich knappe vorläufige Eindrücke zum angerissenen Problemkreis in thesenhafter Form. Sie beruhen insbesondere auf der archivischen Erschließung von ca. 1.400 reichshofrätlichen Judizialakten des 17. Jahrhunderts im Gesamtumfang von ca. 120.000 Aktenblättern, über die zunächst berichtet werden soll.

II. Perspektiven der Aktenerschließung und der neueren historischen Forschung Die Geschichte der Erforschung des Reichskammergerichts und dessen Wirkens ist eine fast beispiellose Erfolgsgeschichte. Der wesentliche Garant dafür war, dass sich die Forschung und die Ende der 1970er-Jahre aufgenommene und inzwischen nahezu abgeschlossene systematische Erschließung der gewaltigen Aktenüberlieferung gegenseitig befruchtet haben.13 Obwohl auch die Forschung zum Reichshofrat allmählich Fahrt aufnimmt14, haben sich derartige Synergieeffekte für dieses zweite Höchstgericht des Alten Reiches, das das Reichskammergericht an Zulauf schon seit den 1620er-Jahren zu überflügeln begann15, noch nicht oder allenfalls ansatzweise einstellen können. Nach ertragreichen Vorarbeiten seit 1999 gelang der professionelle und vorerst bis 2024 abgesicherte Einstieg in die moderne Erschließung der ca. 70.000–80.000, in elf Serien unterteilten reichshofrätlichen Judizialakten erst mit der Einrichtung eines deutsch-österreichischen Kooperationsprojekts unter Federführung der Göttinger Akademie der Wissenschaften im Jahr 2007.16 13 Vgl. Friedrich Battenberg/Bernd Schildt (Hg.), Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 57), Köln/Weimar/Wien 2010, S. 415–427; Sigrid Jahns, Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Teil I: Darstellung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 26/1), Köln/Weimar/Wien 2011, S. 1–11. 14 Laufend aktualisierter Literaturspiegel unter: http://reichshofratsakten.de/. 15 Vgl. Eva Ortlieb/Gert Polster, Die Prozessfrequenz am Reichshofrat (1519–1806), in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 26 (2004), S. 189–216, hier S. 206–206 sowie die Grafik S. 215. 16 Vgl. Wolfgang Sellert, Vorwort, in: Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie I, Alte Prager Akten, Bd. 1: A–E, hg. von dems., bearbeitet von Eva Ortlieb, Berlin 2009, S. 7–17; Tobias Schenk, Ein Erschließungsprojekt für die Akten des kaiserlichen Reichshofrats, in: Archivar 63 (2010), S. 285–290; ferner die Projekthomepage unter http://reichs-

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Ulrich Rasche Diagr. 1: Die Judizialserien der Reichshofratsakten (Kartons) und der Stand ihrer Verzeichnung (Ulrich Rasche, 12/2013) 3100 3000 2900 2800 2700 2600 2500 2400 2300 2200 2100 2000 1900 1800 1700 1600 1500 1400 1300

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Die 11 Aktenserien der Judicialia des Reichhofrats umfassen insgesamt 9.924 alte Aktenkartons. Neu verzeichnet sind 7174 Akten aus 454 solcher alten Kartons (= 4,6%). Diagramm 1: Die Judizialserien der Reichshofratsakten (Kartons) und der Stand ihrer Verzeichnung (Ulrich Rasche, 12/2013)

hofratsakten.de/. Zu den Arbeiten vor 2007: Arthur Stögmann, Die Erschließung von Prozessakten des Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Ein Projektzwischenbericht, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47 (1999), S. 249–265; Eva Ortlieb, Die »Alten Prager Akten« im Rahmen der Neuerschließung der Akten des Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51 (2004), S. 593–634.



Entscheidungspraxis des Reichshofrats im 17. Jahrhundert

Die Reichshofratsakten werden als Teil der sogenannten »Reichsarchive« nahezu geschlossen im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt.17 Ihre archivische Lagerung und Betreuung im Umfeld von ebenfalls sehr umfangreichen Beständen gleicher Provenienz unter einem Dach bringt große logistische und forschungsstrategische Vorteile mit sich, bedeutet allerdings auch, dass ihre Erschließung im Unterschied zu den Akten des Reichskammergerichts, die nach der Gründung des Deutschen Bundes entsprechend der Herkunft der Kläger auf die Archive der deutschen Bundesstaaten verteilt worden sind, nicht gleichzeitig an mehreren Orten durch mehrere Bearbeiter erfolgen kann. Die Dauer ihrer Gesamterschließung wird deshalb die rund dreißigjährige Bearbeitungszeit der Reichskammergerichtsakten deutlich übersteigen. Zurzeit steckt die moderne Erschließung der Judizialakten des Reichshofrats quasi noch in den Anfängen; sie steuert gerade erst auf die Fünfprozentmarke zu (Diagramm 1).18 17 Zur Bestandsgruppe »Reichsarchive« zählen neben dem Reichshofratsbestand, der mit ca. 1,3 Regalkilometern den umfangreichsten Teilbestand bildet, die Bestände »Reichskanzlei«, »Mainzer Erzkanzlerarchiv« und die (im Übrigen noch nicht verzeichneten) »Österreichischen Reichskammergerichtsakten«, siehe die noch immer maßgebliche Bestandsübersicht von Lothar Gross, Reichsarchive, in: Ludwig Bittner (Hg.), Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Bd. 1, Wien 1936, S. 273–394. Die sogenannten Adelsakten, die sich im Rahmen der Verwaltung des kaiserlichen Standeserhebungsrechts ebenfalls beim Reichshofrat gebildet haben, sind 1841 aus der Bestandsgruppe »Reichsarchive« ausgegliedert und der Vereinigten Hofkanzlei als der damals obersten österreichischen Adelsbehörde unterstellt worden; sie befinden sich heute nicht mehr in der Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs, sondern im Allgemeinen Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv, siehe Walter Goldinger, Das ehemalige Adelsarchiv, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 13 (1960), S. 468–502. Ferner sind ca. 2000–3000 Reichshofratsakten im 19. Jahrhundert auf Antrag an deutsche Bundesstaaten abgetreten worden, vgl. Friedrich Battenberg, Reichshofratsakten in den deutschen Staatsarchiven. Eine vorläufige Bestandsaufnahme, in: Wolfgang Sellert (Hg.), Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhältnis (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 38), Köln/Weimar/Wien 1999, S. 221–240. 18 Die Publikation der Erschließungsergebnisse erfolgt zum einen über das Archivinformationssystem des Österreichischen Staatsarchivs (http://www.archivinformationssystem.at/), das dem Nutzer neben einer bequemen Volltextsuche im Gesamtbestand auch die Möglichkeit bietet, sich mit einer tektonischen Suche (»Archivplansuche«) zu den Beständen des Reichshofrats und von dort über die Serien zu einzelnen Akten »durchzuklicken«, vgl. Tobias Schenk, Präsentation archivischer Erschließungsergebnisse analog und digital. Das deutsch-österrei-

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Diese Bilanz zeigt wohl zur Genüge, dass das gegenwärtige Bild von der Reichsjustiz auch und gerade angesichts der von der Aktenerschließung ausgehenden Forschungseffekte vermutlich in einem sehr hohen und sachlich sicher nicht vertretbaren Maß vom Reichskammergericht bestimmt wird.19 Aufgabe und Ziel der fortschreitenden Erschließung der Reichshofratsakten, an der ich seit 2010 als Mitarbeiter beteiligt bin, ist deshalb nicht nur, allen historisch arbeitenden Disziplinen Kenntnisse über die reichen Inhalte dieser nahezu omnivalenten Akten20 zu verschaffen, sondern auch, diese Dysbalance allmählich auszugleichen. chische Kooperationsprojekt »Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats«, in: Thomas Aigner/Stefanie Hohenbruck/Thomas Just/Joachim Kemper (Hg.), Archive im Web. Erfahrungen, Herausforderungen, Visionen. Archives on the Web. Experiences, Challenges, Visions, St. Pölten 2011, S. 187–202. Zum anderen werden in regelmäßigen Abständen Druckbände veröffentlicht. Bislang sind jeweils unter dem Titel »Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats« und der Herausgeberschaft des Projektleiters Wolfgang Sellert fünf Bände erschienen: Serie I, Alte Prager Akten, Bd. 1–3: A–O, jeweils bearbeitet von Eva Ortlieb, Berlin 2009, 2011, 2012; Serie II, Antiqua, Bd. 1: Karton 1–43, bearbeitet von Ursula Machoczek, Berlin 2010; Serie II, Antiqua, Bd. 2: Karton 44–135, bearbeitet von Ulrich Rasche, Berlin 2014. Ein sechster und siebter Bd., welche als Bd. 4 und 5 der Serie I, Alte Prager Akten, dieselbe abschließen, jeweils bearbeitet von Tobias Schenk, befinden sich im Druck. Für die Suche in den noch nicht von der modernen Erschließung erfassten Judizialbeständen liegen ältere Findmittel vor. Das bei Weitem umfassendste ist das gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandene sogenannte »Wolfsche Repertorium«, dessen elektronische Version vor Ort zur Verfügung steht, vgl. Gert Polster, Die elektronische Erfassung des Wolfschen Repertoriums zu den Prozessakten des Reichshofrats im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51 (2004), S. 635–649. Die leider nur rudimentären Angaben dieses Repertoriums und anderer älterer Findmittel werden sukzessive in das Archivinformationssystem überführt und so lange die Basis der Aktensuche bilden, bis sie durch die detaillierten Ergebnisse moderner Erschließung ersetzt werden. 19 Das Reichskammergericht hat in der Vergangenheit auch unabhängig von den Effekten der Aktenerschließung auf die Forschung mehr Aufmerksamkeit erfahren als der Reichshofrat, vgl. zu den Gründen die Beiträge von Liebmann (wie Anm. 11) sowie Sellert (wie Anm. 16), S. 7–12. 20 Vgl. etwa Leopold Auer, Das Archiv des Reichshofrats und seine Bedeutung für die historische Forschung, in: Bernhard Diestelkamp/Ingrid Scheurmann (Hg.), Friedenssicherung und Rechtsgewährung. Sechs Beiträge zur Geschichte des Reichskammergerichts und der obersten Gerichtsbarkeit im alten Europa, Bonn/Wetzlar 1997, S. 117–130; Eva Ortlieb/Siegrid Westphal, Die Höchstgerichtsbarkeit im Alten Reich. Bedeutung, Forschungsentwicklung und neue Perspektiven, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 123 (2006), S. 291–304. Zur wirtschaftsgeschichtlichen Relevanz der Reichshofratsakten vgl. beispielsweise Anja Amend-Traut, Der Reichshofrat und die Kapitalgesellschaften. Die Bemühungen um eine Handelskompanie zwischen den Hansestädten und Spanien, in: dies./Albrecht Cordes/Wolfgang Sellert (Hg.), Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue



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Damit ist auch angedeutet, dass sich unsere Arbeit an den Akten im Kern als Dokumentation der Akteninhalte im Sinne bewährter archivischer Methoden der Aktenerschließung versteht. Erschließung bedeutet nicht nur Verzeichnung und Bereitstellung der Findmittel, sondern darüber hinaus – dies sei ausdrücklich erwähnt – physische Sicherung des Bestandes (Abbildung 1).21

Abbildung 1: Aktenerschließung bedeutet auch konservatorische Bestandssicherung: Bei der Neuverzeichnung werden die Akten, die sich in alten, säurehaltigen, brüchigen und teilweise überfüllten Kartons befinden (oberes Bild) in Jurismappen verpackt und in neue, säurefreie Kartons gelegt (unteres Bild).

Folge 23), Berlin/New York 2013, S. 61–89, oder aus der älteren Literatur mit Blick auf die kaiserlichen Fabrik- und Handelsprivilegien Lothar Gross, Die Reichshofratsakten zur Geschichte der deutschen Untersuchung [!], in: Carl Brinkmann (Hg.), Zur Wirtschaftsgeschichte der deutschen Unternehmung (Schriften der Akademie für Deutsches Recht, Gruppe Wirtschaftswissenschaften, Heft 5), Berlin 1942, S. 65–97, sowie zuletzt Leopold Auer, Zwangsverwaltungen in den Territorien des Alten Reiches: Zu den reichshofrätlichen Debitkommissionen im 18. Jahrhundert, in: Fabian Frommelt (Hg.), Zwangsadministrationen. Legitimierte Fremdverwaltung im historischen Vergleich (17. bis 21. Jahrhundert) (Historische Forschungen 100), Berlin 2014, S. 45–62. 21 Vgl. Winfried Reininghaus, Archivisches Erschließen in der Wissensgesellschaft, in: Frank. M. Bischoff (Hg.), Benutzerfreundlich – rationell – standardisiert. Aktuelle Anforderungen an archivische Erschließung und Findmittel (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 46), Marburg 2007, S. 17–36.

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Die eigentliche Verzeichnung ist wesentlich tiefer, als es regionale deutsche oder internationale Richtlinien archivischer Aktenverzeichnung22 vorsehen. Sie soll der Forschung durch Schlüsselangaben über Laufzeiten, Personen, Orte und Sachen nach einem speziell auf den Typus der Reichshofratsakten zugeschnittenen Erfassungsschema und unter Berücksichtigung von arbeits- und zeitökonomischen Gesichtspunkten, die sich angesichts der oben angedeuteten logistischen Verhältnisse und der enormen Aktenmassen zwingend ergeben, möglichst breite Zugänge zu den Akten legen.23 Wir erschließen also keine Prozesse oder gar Konflikte, sondern Akten, keine Quellen, sondern historisches Material, das erst im Forschungsprozess zur jeweiligen Quelle wird.24 Beides bedeutet auch, dass unsere Verzeichnung keinesfalls oder jedenfalls in der Regel nicht den Blick in die Akten selbst ersetzen kann, der je nach Fragestellung ohnehin ganz unterschiedlich ausfallen wird. Allein der eine Akte mit seinen Fragen durchdringende Forscher entscheidet, ob aus ihr jeweils eine Quelle zur Rechts-, Wirtschafts-, Sozial-, Landes-, Reichs- oder etwa Kulturgeschichte wird, nicht aber die Akte oder gar deren Verzeichnung. Wenn auch die Akten einer Regierung, einer Verwaltung und eines Gerichts – alle diese drei Funktionen hat der Reichshofrat bekanntlich innegehabt – naturgemäß über die Ausübung dieser Funktionen handeln und sich dieser Umstand natürlich auch in angemessener Weise in unserer Verzeichnung abbildet, so ist doch die Perspektive der Akten im Prinzip offen. Sie präjudiziert keinen wie auch immer gearteten disziplinorientierten Blick auf die jeweiligen Akteninhalte. Wie jedes quellennahe Forschen dämpft sie aber wohl die über allen historischen Erkenntnisprozessen schwebende Gefahr, dass sich ein Phänomen allzu leicht von seiner lebensweltlichen Umwelt löst. Akten bringen den Forscher in größtmögliche Nähe zur rauen historischen Wirklichkeit, konfrontieren ihn mit der ungefilterten Vergangenheit, mit seinem Nichtwissen zumeist. Sie verheißen zwar jede Menge Erkenntnisse, erlauben sie freilich nur durch Binnenkontextualisierung, 22 Siehe etwa: »Richtlinien der staatlichen Archive Bayerns für die Verzeichnung von Akten« (August 2010) unter http://www.gda.bayern.de/aufgaben/erschliessung.php, oder: ISAD (G). Internationale Grundsätze für die archivische Verzeichnung, übersetzt und neu bearbeitet von Rainer Brüning, Werner Heegewaldt und Nils Brübach (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 23), Marburg 2006 (http://www.icacds.org.uk/eng/ISAD(G) de.pdf). 23 Siehe für Details Ulrich Rasche/Tobias Schenk, Benutzungshinweise, in: Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie II, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 13–20. 24 Grundlegend: Otto Gerhard Oexle, Was ist eine historische Quelle?, in: Rechtsgeschichte 4 (2004), S. 165–186. Vgl. ferner etwa Ulrich Rasche, Die frühneuzeitliche Universitätsgeschichte und ihre Quellen. Idee und Konzeption dieses Bandes, in: ders. (Hg.), Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven (Wolfenbütteler Forschungen 128), Wiesbaden 2011, S. 11–26.



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was Peter Moraw mit Blick auf die Universitätsgeschichtsforschung einmal in Abgrenzung zum vertikalen, anachronistischen Tunnelblick die »horizontale Verflechtung« der Phänomene genannt hat25 – ein Fundamentalprinzip allen historischen Forschens. So gesehen ist der »Staub der Archive« vielleicht nicht nur der »Dünger für die Rechtsgeschichte«26 und andere Disziplinen, sondern auch für die Methode historischer Forschung überhaupt – oder zumindest für eine eher profane Art, Fragen zu stellen. Während man zum Beispiel aus rechtsgeschichtlich-juristischer Sicht vollkommen zu Recht darüber nachdenkt, wie Prozesse enden27, stellt sich aus der Sicht der Aktenverzeichnung zunächst einmal die simple Frage, wie überhaupt Akten enden, nämlich in gegebener Hinsicht nicht etwa, indem der Reichshofrat auf irgendeine Weise ein Verfahren für beendet erklärt, sondern schlicht und einfach, wenn die Parteien aufhören, Gesuche zu stellen. Aus welchen Gründen sie das tun, also warum Akten enden, geht in den allermeisten Fällen aus den Akten selbst nicht hervor. Man sollte sich davor hüten, das Ende der Laufzeit einer Akte mit dem Ende eines Konfliktes gleichzusetzen. Kräftige Impulse für Überlegungen dieser Art gehen von der neueren Forschung zur frühneuzeitlichen Strafjustiz, Sozialkontrolle und Policey aus. Aus empirischen Studien entwickelte Konzepte über »Justiznutzung« und »Infrajustiz« lehren uns, die justizförmige nur als eine von mehreren Arten oder auch komplementäre Art der Konfliktregulierung zu betrachten. Sie sehen in den vormodernen Gerichten institutionalisierte obrigkeitliche Angebote an die potenziellen »Nutzer«, Konflikte alternativ zu anderen

25 Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: ders./Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45), Marburg 1982, S. 1–43, hier S. 4 f., 11 (Wiederabdruck in: ders., Gesammelte Beiträge zur Deutschen und Europäischen Universitätsgeschichte. Strukturen – Personen – Entwicklungen (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 31), Leiden/Boston 2008, S. 3–54). 26 So Peter Oestmann, Geistliche und weltliche Gerichte im Alten Reich. Zuständigkeitsstreitigkeiten und Instanzenzüge (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 61), Köln/Weimar/Wien 2012, S. VI. Sehr lesenswert ist in diesem Kontext auch das Plädoyer für eine konsequente Ausrichtung historischer Forschung auf Archive und Akten von Michael Hochedlinger, Das Ende der empirischen Geschichte? Quellenarbeit, Editionen und die »Krise der Frühneuzeitforschung«. Eine Polemik, in: Grete Klingenstein/Fritz Fellner/Hans Peter Hye (Hg.), Umgang mit Quellen heute. Zur Problematik neuzeitlicher Quelleneditionen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wien 2003, S. 91–104. 27 Vgl. den instruktiven Beitrag von Anja Amend-Traut in diesem Band (Seite 233), den mir die Verfasserin dankenswerterweise vorab zukommen ließ, ferner Oestmann (wie Anm. 4).

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Formen auch im Rahmen der jeweils praktizierten juristischen Verfahren zu regulieren beziehungsweise einer Lösung näher zu bringen.28 Zwar sind diese Konzepte nicht in all ihren Implikationen auf den Reichshofrat und dessen Klientel übertragbar. Aber mindestens zwei ihrer keinesfalls neuen, gleichwohl elementaren Erkenntnisse sind auch für die Reichshofratsforschung von grundlegender Bedeutung. Das ist zum einen die schon angedeutete Unterscheidung zwischen Konflikt und Verfahren/Prozess. Die Akten dokumentieren also in der Regel nur diejenigen Segmente oder Stadien eines Konflikts, die in die Sphäre eines reichshofrätlichen Verfahrens getreten sind, und zwar im Wesentlichen aus der zumeist konträren Sicht der Parteien. Konfliktregulierung findet im »infrajustiziellen Raum« (Karl Härter) statt, nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich vor Gericht. Das bedeutet auch: Prozesse, ebenso juristische Argumente der Parteien und gerichtliche Entscheidungen, kann man eigentlich nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Konflikte verstehen. Der Forschungsaufwand wächst dadurch immens, der Ertrag aber eben auch.29 Das Zweite ist eine Art Forschungsimperativ, welcher lautet, Wesen und Wirken vormoderner Gerichte stets aus einer zweifachen Perspektive zu beurteilen, nämlich sowohl aus der des Gerichts als insbesondere auch aus der der Parteien. Dieser Gedanke ist sehr entscheidend für die Frage nach den Spezifika der jewei28 Martin Dinges, Frühneuzeitliche Justiz. Justizphantasien als Justiznutzung am Beispiel von Klagen bei der Pariser Polizei im 18. Jahrhundert, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Simon (Hg.), Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 1, Frankfurt am Main 1992, S. 269–292; ders., Justiznutzung als soziale Kontrolle in der Frühen Neuzeit, in: Andreas Blauert/Gerd Schwerhoff (Hg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozialund Kulturgeschichte der Vormoderne (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 1), Konstanz 2001, S. 503–544; Francesca Loetz, L’infrajudiciaire. Facetten und Bedeutung eines Konzepts, in: ebd., S. 545–564; Karl Härter, Konfliktregulierung im Umfeld frühneuzeitlicher Strafgerichte. Das Konzept der Infrajustiz in der historischen Kriminalitätsforschung, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung 95 (2012), S. 130–144. Eine beachtenswerte Weiterentwicklung der Justiznutzungsthese auf der Basis mikroökonomischer Modelle, die Gerichtslandschaften in »Jurisdiktionsmärkte« verwandeln, hat jüngst Michael Ströhmer, Jurisdiktionsökonomie im Fürstbistum Paderborn. Institutionen – Ressourcen – Transaktionen (1650–1800) (Westfalen in der Vormoderne 17), Münster 2013, vorgelegt. 29 Eindrucksvolle jüngere Beispiele: Bernhard Diestelkamp, Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach, Köln/Weimar/Wien 2012; Tobias Schenk, Reichsjustiz im Spannungsfeld von oberstrichterlichem Amt und österreichischen Hausmachtinteressen. Der Reichshofrat und der Konflikt um die Allodifikation der Lehen in Brandenburg-Preußen (1717–1728), in: Anja Amend-Traut/Albrecht Cordes/Wolfgang Sellert (Hg.), Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge 23), Berlin/New York 2013, S. 103–219.



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ligen gerichtlichen Praxis. Unterliegt nämlich das Verhältnis zwischen Gericht und Parteien den gleichen wechselseitigen Bedingungen des Zusammen- und Aufeinandereinwirkens wie die insbesondere von der modernen Policeyforschung mit großem Erkenntnisgewinn für das Verständnis von Herrschaft überhaupt beobachteten Kommunikations- und Interaktionsprozesse zwischen Obrigkeit und Untertanen, so folgt daraus, dass mindestens in ebenso starkem Maße wie die gerichtseigenen Intentionen auch die Bedürfnisse und Interessen der Parteien die judikalen Praktiken von Gerichten geprägt haben. Letztlich würde dies auch bedeuten, dass Gerichte ihre Angebote zur Konfliktregulierung unter Berücksichtigung eigener Interessen auf die Parteien zugeschnitten haben.30 Diese Annahme gilt wohl umso mehr, wenn ein Gericht nicht exklusiv zuständig war, sondern in Konkurrenz zu einem anderen Gericht stand. Bekanntlich war keine Partei gezwungen, sich bei entsprechender Zuständigkeit der Reichsjustiz in streitigen Angelegenheiten an den Reichshofrat zu wenden. Damit ist nicht nur gemeint, dass Parteien in solchen Fällen auch das Reichskammergericht in Anspruch nehmen konnten, sondern dass sie ihre Konflikte entweder ganz, teil- oder auch phasenweise selbst austragen, regulieren und lösen konnten. Dabei sollte man nicht nur an Formen gewaltsamer Selbstjustiz denken, die es nach Ausweis der Akten häufig und auch während der laufenden Verfahren gegeben hat, sondern auch an informelle Einigungsversuche, deren Scheitern dann zur Inanspruchnahme der Reichsgerichte führen konnte. In vielen der an den Reichshofrat gelangten Klageschriften wird die Klage mit dem Scheitern vorheriger Güteverhandlungen eröffnet.31 Der Gang vor Gericht schloss eine Fort30 Vgl. dazu die weiterführenden Überlegungen von Westphal (wie Anm. 12), S. 123–126, die sehr zu Recht fordert, die beachtlichen Erkenntnisse neuerer Forschungen zur Kriminalitätsgeschichte, Disziplinierung, Sozialkontrolle, Policey usw. für die Erforschung der Reichsjustiz zu nutzen, z. B. im gegebenen Kontext etwa außer die oben in Anm. 10 und 28 genannte Literatur André Holenstein, Klagen, anzeigen und supplizieren. Kommunikative Praktiken und Konfliktlösungsverfahren in der Markgrafschaft Baden im 18. Jahrhundert, in: Magnus Erikson/Barbara Krug-Richter (Hg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.–19. Jahrhundert) (Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft 2), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 335–369; Karl Härter, Das Aushandeln von Sanktionen und Normen. Zur Funktion von Supplikationen in der frühneuzeitlichen Strafjustiz, in: Cecilia Nubola/Andreas Würgler (Hg.), Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.–18. Jahrhundert) (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 19), Berlin 2005, S. 243–274. 31 Vgl. zur Geschichte solcher vorprozessualer Güteverhandlungen Wolfgang Sellert, Art. Schiedsgericht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte IV, 11990, Sp. 1386– 1393; Andreas Roth, Art. Güteverfahren, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, ²2012, Sp. 627–630, der im Übrigen darauf hinweist, dass seit 2002 bei erstinstanzlichen Zivilprozessen in Deutschland ein vorgeschalteter Gütetermin obligatorisch ist.

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setzung des Konfliktaustrags und Güteverhandlungen vor Ort keinesfalls aus; es wird sogar eher der Normalfall gewesen sein, dass Streit und Verhandlungen vor Ort und vor Gericht parallel zueinander abliefen. Der Beitrag der Reichsgerichte zur Konfliktregulierung lässt sich nicht pauschal bestimmen; er dürfte von Fall zu Fall verschieden gewesen sein. Da viele Konflikte überhaupt nur in das Blickfeld der Forschung treten, weil sie vor Gericht gelangt, aktenkundig geworden sind und daher vornehmlich aus der judikalen Perspektive beurteilt werden, besteht vermutlich insgesamt die Tendenz, die Rolle der Reichsgerichte bei der Konfliktregulierung zu überschätzen. Jedenfalls dürfte die Inanspruchnahme der Reichgerichtsbarkeit auch und gerade angesichts der damit verbundenen Kosten und Mühen oft eine Ultima Ratio und die Inanspruchnahme des Reichshofrats im Speziellen das Resultat einer zwischen beiden Höchstgerichten abwägenden Wahl gewesen sein. Darüber hinaus haben viele Parteien, wenn sie mit dem Ergebnis des Verfahrens an einem der beiden Gerichte nicht zufrieden waren oder wenn sie ein an einem Gericht erzieltes Ergebnis in irgendeiner Form auch noch von dem anderen bestätigen lassen wollten, sogar beide Gerichte angerufen, und zwar entweder nacheinander oder zugleich. Das reichsrechtlich verankerte Prinzip der Prävention, dem zufolge ein Verfahren nur an dem Reichsgericht anhängig sein und behandelt werden sollte, das zuerst angerufen worden ist32, ließ sich in beiden Fällen leicht umgehen. Erstens konnten Konflikte trotz bereits gefundener judikaler Lösungen offen oder unterschwellig weiterlaufen entweder ganz oder teilweise erneut in ein justizförmiges Stadium treten, dann als neu deklariert und somit unabhängig von früherer Anhängigkeit dem Reichsgericht der jeweiligen Wahl vorgetragen werden. Zweitens ließ sich praktisch jeder Konflikt in Teilsegmente zerlegen, die dann als neue Streitfragen vor das jeweils andere Gericht gebracht werden konnten.33 Auf diese Weise scheint so gut wie jeder langwierige 32 Siehe Wolfgang Sellert, Über die Zuständigkeitsabgrenzung von Reichshofrat und Reichskammergericht (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge 4), Aalen 1965, S. 112–124. 33 So monierte etwa Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt als Beklagter in einem langwierigen Reichshofratsprozess mit Graf Wolfgang Ernst von Isenburg-Büdingen um einen umstrittenen Güterverkauf, dass der Graf den bereits am Reichskammergericht anhängigen Streit entgegen den Reichsgesetzen zusätzlich noch vor den Reichshofrat gebracht habe. Dies sei aus keinem anderen Grund geschehen, »dann das er seiner sachen am ordentlichen Rechten mißtrawet und dieselbig nunmehr per sub- & obreptionem an denen orten, da solche seine sach noch unbekandt und das Jegentheil nicht gehört worden, durchzutringen gemeint«. Die Klage des Grafen sei abzuweisen. Der Reichshofrat folgte dieser Argumentation nicht und vertrat in seinem Votum vom 27. März 1601 die Ansicht, dass es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände handle und deshalb beide Prozesse parallel laufen könnten: der Prozess vor dem Reichskammergericht verhandle den Bruch des Erbvertrags von 1517



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oder in irgendeiner Weise politisch relevante Streit, zumal die größeren Konflikte der Reichsstände um Erbteilung und Herrschaft, zeitgleich oder nacheinander an beiden Höchstgerichten verhandelt worden zu sein. Insofern haben die beiden Reichsgerichte nicht nur miteinander konkurriert, sondern zugleich einander ergänzt.34 Die Verzeichnung der Reichskammergerichts- und der Reichshofratsakten bietet dafür unzählige Beispiele. Eines der eindrücklichsten ist gewiss der Streit zwischen den Herzögen von Bayern beziehungsweise Pfalz-Neuburg und dem Kloster Kaisheim um dessen Reichsunmittelbarkeit, der im 14. Jahrhundert begann und 1417 auch das Konstanzer Konzil beschäftigte. 1542 gelangte er an das Reichskammergericht35, 1596 an den Reichshofrat. Dieser vermittelte 1627 in Wien einen Vergleich, in dem sich die Parteien darauf einigten, die offenbar als unentwirrbar empfundene Aufspaltung des Konfliktes in zahlreiche, vor beiden Reichsgerichten geführte Prozesse zugunsten eines einzigen neuen Reichshofratsprozesses aufzulösen. Im Zuge dessen befahl der Reichshofrat dem Reichskammergericht, die Akten nach Wien zu senden. Da das Reichskammergericht diesem Befehl nicht nachkam, erhielten die Parteien 1630 in Donauwörth die Gelegenheit, aus ihrer jeweils eigenen Überlieferung Schriftsätze und Beilagen (der in dem Streit um den Güterkauf eine wichtige Rolle spielte), der vor dem Reichshofrat die Veräußerung von Reichsgut. Siehe Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie II, Bd. 2 (wie Anm. 1), Nr. 895. Für ein sehr einschlägiges Fallbeispiel siehe auch Anja Amend, Gerichtslandschaft Altes Reich im Spiegel einer Wechselbürgschaft, in: dies./Anette Baumann/Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal (Hg.), Gerichtslandschaft Altes Reich. Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 52), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 7–15. 34 Grundlegend: Sellert (wie Anm. 32). Die neuere Forschung betont vor allem das komplementäre Verhältnis der beiden Höchstgerichte, vgl. Siegrid Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 43), Köln/Weimar/Wien 2002, S. 267; Eva Ortlieb, Reichshofrat und Reichskammergericht im Spiegel ihrer Überlieferung und deren Verzeichnung, in: Friedrich Battenberg/Bernd Schildt (Hg.), Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 57), Köln/Weimar/Wien 2010, S. 205–224, hier S. 220–224, die sehr zu Recht darauf verweist, dass der Reichshofrat darüber hinaus eine Art Oberaufsicht über die Justiz im Reich einschließlich über die des Reichskammergerichts ausgeübt hat. 35 Siehe Manfred Hörner/Margit Ksoll-Marcon, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Reichskammergericht, Bd. 9 (Bayerische Archivinventare 50/9), München 2002 (Fiskal contra Pfalz-Neuburg); Stefan Breit/Wolfgang Pledl, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Reichskammergericht, Bd. 14 (Bayerische Archivinventare 50/14), München 2008 (Kaisheim contra Pfalz-Neuburg und Pfalz-Neuburger Beamte). Zur Sache: Karl Huber, Die Zisterzienserabtei Kaisheim im Kampfe um Immunität, Reichsunmittelbarkeit und Souveränität, Erlangen 1928.

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der Reichskammergerichtsprozesse in den neuen Prozess einzubringen. So entstanden aus der Parteienüberlieferung rekonstruierte Versionen der Reichskammergerichtsakten, die die Wiener Reichshofratsakte entsprechend anschwellen ließen. Diese dokumentiert deshalb in ganz besonderer, auch augenfälliger Weise die enge Verzahnung von reichskammergerichtlicher und reichshofrätlicher Justiz. Mit ihren 12.050 Aktenblättern – das entspricht der Textmenge eines zwanzigbändigen Universallexikons im Stile von Meyer oder Brockhaus – ist sie die umfangreichste Akte, die die Neuverzeichnung der Reichshofratsakten bislang zutage gefördert hat (Abbildung 2).36 Abbildung 2: Blick in das Magazin des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs und die zwölf alten Kartons über die Akten des Prozesses zwischen dem Kloster Kaisheim und den Herzögen von Pfalz-Neuburg (siehe Anm. 36). Was Johann Jacob Moser über die Reichskammergerichtsakten gesagt hat, gilt auch für manche Reichshofratsakte: »Bei manchen Prozessen konnte kaum ein Pferd die Prozessakten wegziehen, so umfangreich sind sie geworden« (zitiert nach Diestelkamp [wie Anm. 12], S. 460).

36 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichshofrat, Antiqua, K. 140, Nr. 2, K. 141, Nr. 1–K. 152, Nr. 1 (1596–1661). Siehe zum Inhalt die Angaben im Archivinformationssystem (wie Anm. 18).



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III. Überlegungen zu Funktion und Wirkung reichshofrätlicher Entscheidungen Der Reichshofrat verkörperte den imperialen Anspruch auf Ausübung der allerhöchsten Justiz im Reich. Er war zugleich Hüter der kaiserlichen Reservatrechte, entschied also nicht nur in streitigen Angelegenheiten, sondern auch über die Vergabe der kaiserlichen Privilegien, Schutz- und Schirmbriefe, anderer Gratialsachen, zum Beispiel Standeserhebungen, sowie insbesondere auch der Reichslehen. Seine archivalische Hinterlassenschaft umfasst deshalb außer den Judicialia auch einen bedeutenden Bestand an Privilegien-, Gratial- und Lehnsakten.37 Der Reichshofrat war also im Unterschied zum Reichskammergericht, seinem ständisch kontrollierten Pendant, nicht nur ein Gericht, sondern zugleich auch die höchste kaiserliche Verwaltungs- und Regierungsbehörde.38 Auch aus diesem Grund haben die Kaiser ebenso hartnäckig wie erfolgreich die Versuche ständischer Einflussnahme auf den von ihnen allein besetzten und finanzierten Reichshofrat im Großen und Ganzen abgewehrt. Was die Justizfunktion des Reichshofrats betrifft, so zielte die ständische Kritik einerseits auf alle Formen konfessionell bedingter Parteilichkeit.39 Andererseits wurde dem Reichshofrat im 17. und 37 Zum Bestand: Gross (wie Anm. 17), S. 305–316. Zu den Adelsakten siehe Anm. 17. Zu Suppliken und Gratialsachen: Sabine Ullmann, »um der Barmherzigkait Gottes Willen«: Gnadengesuche an den Kaiser in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Wolf Kießling/dies. (Hg.), Das Reich in der Region während des Mittelalters und in der Frühen Neuzeit, Konstanz 2005, S. 161–184; Eva Ortlieb, Gnadensachen vor dem Reichshofrat (1519–1564), in: Leopold Auer/Werner Ogris/Eva Ortlieb (Hg.), Höchstgerichte in Europa. Bausteine frühneuzeitlicher Rechtsordnungen (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 53), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 177–202. Zu den Lehnsakten und deren Relevanz: Tobias Schenk, Der Reichshofrat als oberster Lehnshof. Dynastie- und adelsgeschichtliche Implikationen am Beispiel Brandenburg-Preußens, in: Anette Baumann/Alexander Jendorff (Hg.), Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Europa (bibliothek altes Reich 15), München 2014, S. 255–294. 38 Ulrich Eisenhardt, Der Reichshofrat als kombiniertes Rechtsprechungs- und Regierungsorgan, in: Jost Hausmann/Thomas Krause (Hg.), »Zur Erhaltung guter Ordnung«. Beiträge zur Geschichte von Recht und Justiz. Festschrift für Wolfgang Sellert zum 65. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 245–267. 39 Vgl. Sigrid Jahns, Die Reichsjustiz als Spiegel der Reichs- und Religionsverfassung, in: Klaus Bussmann/Heinz Schilling (Hg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textbd. 1 zum Ausstellungskatalog: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, München 1998, S. 455– 463; dies., Das Ringen um die Reichsjustiz im Konfessionellen Zeitalter – ein Kampf um die Forma Reipublicae (1555–1648), in: Hartmut Bookmann/Ludger Grenzmann/Bernd Moeller/Martin Staehelin (Hg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, 2. Teil, Göttingen 2001, S. 407–472, hier S. 442 ff.; Stefan Ehrenpreis, Die Tätigkeit des Reichshofrats um 1600 in der protestantischen Kritik, in: Wolfgang Sellert (Hg.), Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhältnis (Quellen und

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18. Jahrhundert kontinuierlich vorgeworfen, dass er im Gegensatz zum Reichskammergericht an keine Prozessordnung gebunden war. Wolfgang Sellert, dem wir die maßgeblichen Untersuchungen zum reichshofrätlichen Verfahren verdanken, spricht von »prozessualen Versatzstücken«40, die sich theoretisch zwar je nach Beschaffenheit der jeweiligen Vorgänge als »Berichtsprozess«, »Kommunikationsprozess«, »Reskriptprozess« oder »Mandatsprozess« usw. fassen ließen, aber eben wiederum je für sich nicht oder nur zu einem geringen Teil verbindlich normiert gewesen seien.41 Auch die Regelung des Westfälischen Friedensvertrags, wonach der Reichshofrat die Prozessordnung des Reichskammergerichts übernehmen sollte, habe nichts an der freieren Verfahrensweise des Reichshofrats geändert.42 Diese spiegelt sich nicht nur im Inhalt, sondern im Übrigen auch in einer eher lockeren Führung der Akten wider, in denen gelegentlich mehrere Vorgänge zusammengefasst sind, einzelne Schriftstücke, die oft in andere Akten umgelegt worden sind, fehlen, die Grenzen zwischen Streit-, Gratial- und Privilegiensachen verschwimmen und die im Gegensatz zu den Akten des Reichskammergerichts auch nicht durch ein Quadrangelsystem und ein darauf bezogenes Spezialprotokoll43 strukturiert sind. Insgesamt korrespondieren diese Befunde – so die einhellige und einleuchtende Meinung der ForForschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 38), Köln/Weimar/Wien 1999, S. 27–46; Wolfgang Sellert, Zur Parteilichkeit und religionsparitätischen Besetzung des Reichshofrats, in: Inge Kroppenberg/Martin Löhnig/Dieter Schwab (Hg.): Recht – Religion – Verfassung. Festschrift für Hans-Jürgen Becker zum 70. Geburtstag, Bielefeld 2009, S. 225–238. 40 Sellert (wie Anm. 5), S. 830. 41 Vgl. Wolfgang Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge 18), Aalen 1973, S. 93–101, sowie die einschlägigen Artikel im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, ferner Manfred Uhlhorn, Der Mandatsprozess sine clausula des Reichshofrats (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 22), Köln/Wien 1990. 42 Vgl. Sellert (wie Anm. 41), S. 77–84; ders., Das Verhältnis von Reichskammergerichtsund Reichshofratsordnungen am Beispiel der Regelungen über die Visitation, in: Bernhard Diestelkamp (Hg.), Das Reichskammergericht in der Deutschen Geschichte. Stand der Forschung, Forschungsperspektiven (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 21), Köln/Wien 1990, S. 111–128. 43 Vgl. mit Hinweisen auf weitere Literatur Anette Baumann, Der Aufbau einer Reichskammergerichtsprozessakte, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, URL: http://www.zeitenblicke. de/2004/03/baumann1/index.html (13.12.2004). Zur Aktenführung des Reichshofrats: Carola Hartmann-Polomski, Die Regelung der gerichtsinternen Organisation und des Geschäftsgangs der Akten als Maßnahmen der Prozessbeschleunigung am Reichshofrat, Göttingen 2000, S. 5–55, die sich allerdings nicht auf tatsächliche Befunde, sondern allein auf die Normen und die Publizistik im Wesentlichen des 18. Jahrhunderts stützt.



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schung – mit dem unbedingten Willen der Kaiser, nicht nur die Verwaltung der kaiserlichen Reservatrechte, sondern auch die kaiserliche reichshofrätliche Justiz, die ja leicht politische Dimensionen annehmen konnte, möglichst flexibel und damit vor allem eben auch autonom zu halten. Nimmt man allerdings an dieser Stelle die oben angesprochenen neueren Konzepte über kommunikative Herrschaft, »Infrajustiz« und »Justiznutzung« beim Wort, dann dürfte die Offenheit und Flexibilität des reichshofrätlichen Verfahrens nicht nur den imperialen, sondern auch den Interessen der Parteien entsprochen haben, die sich offenbar nicht von vornherein den Bedingungen eines juristisch streng geregelten Verfahrens, etwa eines aufwendigen Zitationsprozesses, unterwerfen, sondern bis zu einem gewissen Grad selbst bestimmen wollten, in welcher Weise und vor allem auch in welchem Umfang sie die reichshofrätliche Justiz in Anspruch nahmen.44 Überhaupt korrespondieren die sehr häufige Beauftragung von Kommissionen, die Bevorzugung von Vergleichen und die geringe Urteilsquote in geradezu auffälliger Weise mit Prinzipien und Praktiken der Konfliktregulierung des deutschen Adels. So gesehen wäre das Spezifikum der reichshofrätlichen Justiz nicht das Resultat gerichtseigener Intentionen und Normen, sondern eine Prägung ihrer wichtigsten Klientelgruppe.45 Wer sich an den Reichshofrat wandte, erwartete ohnehin zunächst einmal kein Urteil, sondern einen wie auch immer gearteten kaiserlichen Befehl an die Gegenseite, etwas zu tun oder zu unterlassen, also etwa ein Darlehen zurückzubezahlen oder die Zinsen zu entrichten, etwas Weggenommenes oder ohne Gerichtsbeschluss Gepfändetes zurückzugeben, ein in Besitz genommenes Haus oder Feld zu räumen, einen Inhaftierten freizulassen usw.46 Modern gesprochen ähneln die allermeisten erstinstanzlichen reichshofrätlichen Prozesse Verfahren um einstweilige Verfügungen. Selbstverständlich spielten in diesen »Angelegen-

44 Vgl. zur sogenannten »Parteienherrschaft« über die Verfahren zuletzt etwa die überzeugenden Ausführungen von Ullmann (wie Anm. 3), S. 235 ff. Ein sehr wichtiger und oft übersehener Unterschied zwischen den offenen summarischen Prozessen und den bei Säumnis oft als »arctius processus« angedrohten ordentlichen Zitationsprozessen betrifft die Prozesskosten. In den summarischen Prozessen trugen die Parteien bis zu einem gewissen Punkt ihre Kosten jeweils selbst. Bei Zitationsprozessen hatte die obsiegende Partei in der Regel Anspruch auf Übernahme ihrer Prozesskosten durch die unterlegene Partei. Von einer differenzierten Transaktionskostenanalyse, wie sie Ströhmer (wie Anm. 28), S. 266–319, für die Gerichte des Hochstifts Paderborn unternommen hat, ist die Reichshofratsforschung noch meilenweit entfernt. 45 So auch Westphal (wie Anm. 12), S. 126–137, mit interessanten weiterführenden Überlegungen. Siehe auch ihren Beitrag über die Austrägalgerichtsbarkeit in diesem Band (Seite 159). 46 Vgl. Uhlhorn (wie Anm. 41), S. 10–26.

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heiten dringenden, eilbedürftigen Rechtschutzes«47 zivilrechtliche Fragen nach Besitz-, Eigentums- und Vertragsverhältnissen oder nach Herrschaftsverhältnissen (etwa bei Untertanenprozessen) eine wichtige Rolle, aber nicht an sich, sondern eben nur für die Frage, ob eine von den Parteien erbetene reichshofrätliche Entscheidung gewährt werden konnte oder wie sonst auf das Vorbringen der Parteien zu reagieren war. Ganz allgemein gesprochen bestand also das Angebot des außerordentlich flexiblen reichshofrätlichen Verfahrens an die Parteien darin, im Rahmen eines in aller Regel schriftlichen Verfahrens durch Gesuche/Suppliken/ Anträge/Klagen kaiserliche Entscheidungen zu ihren Gunsten erwirken zu dürfen, die nicht zwangsläufig in einem Urteil gipfeln mussten. Das Entscheidungsspektrum des reichshofrätlichen Verfahrens war vielmehr breit gefächert und hierarchisch hoch differenziert.48 Es reichte von der Anforderung eines Berichts über das Promotorial- und Interventionsschreiben, das einfache Reskript, die Einsetzung einer Kommission, das strafbewehrte Mandat sine clausula oder das Paritionsurteil, das Zwischenurteil, das Endurteil, die sogenannten »executoriales«, die die Vollstreckung androhten, bis schließlich hin zum Vollstreckungsbefehl.49 Entscheidungen über Fristverlängerungen gaben den Parteien den nötigen taktischen Spielraum, nicht nur weiterhin vor Gericht, sondern auch vor Ort agieren zu können. Sehr wichtig und ebenfalls entsprechend häufig waren auch die Verfügungen, Schriftsätze der einen Partei der anderen zur Kenntnis zu bringen. Diese Entscheidungen waren zumeist mit einem Befehl an die andere Partei verbunden, innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine Gegenschrift vorzulegen. Einerseits verschaffte sich der Reichshofrat damit sowohl den nötigen Einblick in die Parteienstandpunkte als auch die Möglichkeit, das Verfahren eine Weile in der Schwebe zu halten. Andererseits steuerte und beförderte er auf diese Weise den Dialog zwischen den Parteien und zwang sie, ihren Standpunkt zu überdenken und ihre Argumente zu schärfen. Entscheidungen konnten in der Regel nur schrittweise erwirkt werden. Jede Phase des Verfahrens, jeder Zwischenschritt, bot Klägern und Beklagten die Ge47 Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln/ Wien 1981, S. 65. 48 Vgl. zum Folgenden im Einzelnen Sellert, Prozeßgrundsätze (wie Anm. 41), passim. 49 Die Variationsmöglichkeiten reichshofrätlicher Entscheidungen sind viel diffiziler, als es diese kurze Aufzählung wiedergeben kann. Zum Beispiel sind Mandate und Paritionsurteile sehr oft mehrfach und in gesteigerter Form (etwa mit höheren Strafandrohungen oder in strengerer Form) ausgestellt worden. Ferner gab es außer den »executoriales« als weitere Vorstufe zum Vollstreckungsbefehl an eine Kommission zum Beispiel noch den Befehl zur Einrichtung einer Eventualkommission »ad exequendam«, also den Befehl an bereits ausgewählte Exekutoren, ein Paritionsurteil zu vollstrecken, falls dieses nicht innerhalb einer festgelegten Frist befolgt werde.



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legenheit zu überprüfen, ob der Streitgegenstand die teils enormen Kosten und Mühen, die etwa mit der jedesmaligen notariellen Insinuation (Zustellung)50 kaiserlicher Reskripte, Mandate, Urteile usw. an die Gegenseite verbunden waren, tatsächlich auch wert war, ob die eigenen Argumente, Anstrengungen und Mittel wirklich ausreichten, um die nächsthöhere Entscheidung zu erlangen oder eben abzuwehren. Diesen Grenznutzen konnten die Parteien selbst nicht abschätzen, da keine Prozessordnung existierte und der Reichshofrat seine Entscheidungen auch nicht begründete.51 Die Parteien mussten deshalb die konkrete Prozessführung wiederum sehr teuren Spezialanwälten, den sogenannten Reichshofratsagenten, überlassen.52 Diese waren nicht nur mit dem »stilus« des Reichshofrats und mit dessen intransparenten Entscheidungspraktiken besser vertraut als die Parteien oder deren Anwälte vor Ort, sondern verfügten im Idealfall auch über den nötigen »Credit« bei den Reichhofräten und im Umfeld des Hofes, um Entscheidungen auch informell beeinflussen zu können.53 Die Parteien hatten jederzeit, nach jeder Entscheidung, auch nach einem Endurteil und selbst noch nach einem Vollstreckungsbefehl, die Möglichkeit, das Verfahren abzubrechen und sich entweder mit oder ohne Beteiligung des Reichshofrats zu einigen. Wie eingangs erwähnt, hat der Reichshofrat darauf stets selbst gedrängt. Allen Kommissionen, welchen Auftrag sie auch immer hatten, sogar oft noch den Vollstreckungskommissionen wurde – zum Teil mehrfach – eingeschärft, vor Ort Vergleiche herbeizuführen. Gelang eine gütliche Einigung, wurde ein Vergleich geschlossen, hatte die reichshofrätliche Justiz ihren friedensstiftenden Zweck er50 Siehe Sellert (wie Anm. 41), S. 220–226; ders., Art. Insinuation, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, 11978, Sp. 385–387. 51 Vgl. Wolfgang Sellert, Zur Geschichte der rationalen Urteilsbegründung gegenüber den Parteien insbesondere am Beispiel des Reichshofrats und des Reichskammergerichts, in: Gerhard Dilcher/Bernhard Diestelkamp (Hg.), Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposion für Adalbert Erler, Berlin 1986, S. 97–113. 52 Vgl. Stephan Ehrenpreis, Die Reichshofratsagenten. Mittler zwischen Kaiserhof und Territorien, in: Anette Baumann/Peter Oestmann/Stephan Wendehorst/Siegrid Westphal (Hg.), Reichspersonal. Funktionsträger für Kaiser und Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 46), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 165–177; Wolfgang Sellert, Die Agenten und Prokuratoren am Reichshofrat, in: Deutscher Anwaltsverein (Hg.), Anwälte und ihre Geschichte. Zum 140. Gründungsjahr des Deutschen Anwaltvereins, Tübingen 2011, S. 42–64. 53 Vgl. Thomas Dorfner, »Es kommet mit einem Reichs-Agenten haubtsächlich darauf an […]«. Die Reichshofratsagenten und ihre Bedeutung für die Kommunikation mit dem und über den Reichshofrat (1658–1740), in: Anja Amend-Traut/Anette Baumann/Stephan Wendehorst/Steffen Wunderlich (Hg.), Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis (bibliothek altes Reich 11), München 2012, S. 97–111.

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füllt.54 Aber selbst wenn dies nicht gelang – die Akten enden oft abrupt und lassen das in sehr vielen Fällen offen –: Der Erfolg reichshofrätlicher Justiz lag schon darin, dass sich Parteien überhaupt auf die vom Reichshofrat angebotene Form der Justiznutzung einließen. Die reichshofrätlichen Entscheidungen – so meine zentrale These – fungierten deshalb nicht unbedingt im Sinne ihrer materiellen Umsetzung und man sollte sie auch nicht daran messen. Sie fungierten vielmehr als abgestufte und mit der Aura und Autorität des Kaisertums versehene Voten zugunsten des Klägerstandpunkts, die im Übrigen im Gegensatz zu denjenigen des Reichskammergerichts unmittelbar vom Kaiser stammten und daher auch als höherwertiger empfunden wurden.55 Je nach ihrem Stellenwert innerhalb des Entscheidungsspektrums übten sie Druck auf die Gegenseite aus, sich zunächst überhaupt erst einmal einzulassen – das war ja nicht selbstverständlich – und sich dann dem Standpunkt der anderen Seite anzunähern und den Streit aufzugeben oder beizulegen. Bisweilen erzeugte schon die Anforderung eines Berichtschreibens diese Wirkung, manchmal bedurfte es eines strafbewehrten Mandats, eines Urteils oder gar eines Vollstreckungsbefehls. Oft dürfte allein der Umstand, dass der Reichshofrat durch verfahrenssteuernde Entscheidungen anzeigte, die eine Seite weiterhin anzuhören, die andere Seite zum Einlenken bewogen haben. Die mit der Beauftragung einer Kommission verbundene Verlagerung der Verfahren in die Region konnte

54 So auch Martin Fimpel, Reichsjustiz und Territorialstaat. Württemberg als Kommissar von Kaiser und Reich im Schwäbischen Kreis (1648–1806) (Frühneuzeit-Forschungen 6), Tübingen 1999, S. 60: »Es bestätigt sich in fast allen Einzelfällen der Verdacht, daß sich Prozeßparteien, die es auf eine Ausrückung der Exekutionskommission ankommen ließen, auch danach noch an ihrem Ziel, das Urteil zu revidieren, festhielten«. Von 125 der von ihm untersuchten Exekutionskommissionen endeten nur 19 mit einer tatsächlichen Urteilsvollstreckung (ebd., S. 293). Es gab hingegen 68 Vergleiche und 30 Paritionsanzeigen (ebd., S. 56–58). Vgl. auch ebd., S. 104–106, und das Fazit ebd., S. 105: »Gradmesser für die Effizienz der Reichsrechtsprechung« sei »nicht die Vollstreckung, sondern der Vergleich«. Auch den grundlegenden Untersuchungen von Ortlieb (wie Anm. 3), S. 114–117, zufolge war unabhängig von dem speziellen Kommissionsauftrag die Vermittlung eines Vergleichs die wichtigste Aufgabe der Kommissionen und »erscheint geradezu als das eigentliche Potential, das die Kommissionen dem reichshofrätlichen Umgang mit Konflikten zur Verfügung stellen konnten« (ebd., S. 348). 55 Zur Höherrangigkeit des Reichshofrats gegenüber dem Reichskammergericht: Peter Moraw, Art. Reichshofrat, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte IV, 11990, Sp. 630–638; Barbara Stollberg-Rilinger, Die Würde des Gerichts. Spielten symbolische Formen an den höchsten Reichsgerichten eine Rolle?, in: Peter Oestmann (Hg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln/Weimar/Wien 2009, S. 191–216.



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den Einigungsdruck noch erhöhen.56 Ebenso vielfältig wie die vor den Reichshofrat gelangten Konflikte waren auch die Möglichkeiten judikaler Regulierung derselben durch ein »ausgefeiltes Instrumentarium«57 an Entscheidungen. Die hier vertretene und schon gelegentlich im Zuge von aktengestützten Untersuchungen sowohl zur reichskammergerichtlichen Justiz als auch zur frühneuzeitlichen Kriminaljustiz geäußerte These58 zur Funktion und Wirkung gerichtlicher Entscheidungen rückt nicht nur das Urteil aus dem Zentrum richterlichen Handelns, sondern löst auch die Dichotomie von Urteil und Vergleich auf. Sie macht das Urteil zu einem von stets mehreren Gliedern einer Entscheidungskette, dessen funktionale Abgrenzung gegenüber anderen Gliedern noch weiterer empirischer Untersuchung bedarf. Eindrücken aus der Praxis der Aktenverzeichnung zufolge markierte auch nicht etwa das Urteil, sondern das strafbewehrte Mandat sine clausula den Einstieg in die Serie der höherwertigen Entscheidungen, insofern nämlich die Gegenparteien spätestens an diesem Punkt eines Verfahrens die Einlassung als unumgänglich angesehen haben. Deshalb geriet auch nicht etwa die Urteilspraxis, sondern die offenbar seitens der höheren Stände als zu leichtfertig empfundene Vergabe der Mandate insbesondere bei Untertanenprozessen und Klagen gegen Obrigkeiten in den Fokus der ständischen Kritik an der Ausübung 56 So Ortlieb (wie Anm. 3), S. 348: »Die Einschaltung von Kommissaren konfrontierte die Konfliktparteien nicht nur mit einem Mandat oder Reskript des in der Regel vergleichsweise fernen Kaisers, sondern zusätzlich mit dem Regelungsbemühen der jeweils beauftragten Persönlichkeiten, die in der Regel Nachbarn waren, in vielen Fällen über eigene Autorität verfügten und den Parteien gelegentlich auch in rechtlicher oder familiärer Hinsicht nahestanden oder als vertrauenswürdig gelten konnten. Der Druck auf die Betroffenen, an einer Lösung mitzuwirken, ließ sich auf diese Weise verstärken und konkretisieren«. Dazu hat auch das Prinzip der Mündlichkeit der Kommissionsverhandlungen beigetragen, vgl. Sabine Ullmann, Schiedlichkeit und gute Nachbarschaft. Die Verfahrenspraxis der Kommissare des Reichshofrats in den territorialen Hoheitskonflikten des 16. Jahrhunderts, in: Barbara Stollberg-Rilinger/André Krischer (Hg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 44), Berlin 2010, S. 129–155. 57 Sellert (wie Anm. 5), S. 833. 58 Ernst Pitz, Ein niederdeutscher Kammergerichtsprozeß von 1525 (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 28), Göttingen 1969, S. 121: »Der Kammergerichtsprozeß [...] wurde nicht um des Urteils willen betrieben, sondern um ein Druckmittel zu gewähren, mit dem bald die eine, bald die andere Partei ihre Stellung in den außergerichtlichen Verhandlungen zu verbessern hoffte«; Diestelkamp (wie Anm. 12), S. 478: »Ist das Urteil in vielen Fällen nicht unbedingt das erstrebte Ziel, so bildet auch der erwirkte Spruch nur einen weiteren Schritt auf dem Wege zur außergerichtlichen Erledigung«. In diesem Sinne äußern sich auch Härter (wie Anm. 28), S. 140: »Parteien nutzten den Weg zur Justiz daher auch als Druckmittel, um Konfliktlösung im infrajustiziellen Raum zu erreichen […]«, und Dinges (wie Anm. 28), S. 51: »Die Gerichte wurden häufig nur eingeschaltet, um die eigenen, grundsätzlich bevorzugten außergerichtlichen Lösungsmöglichkeiten zu verbessern«.

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der reichshofrätlichen Justiz.59 Im Idealfall stand am Ende der Entscheidungskette als Folge derselben der Vergleich, von dem wir aus den Reichshofratsakten allerdings nur erfahren, wenn er mit Beteiligung des Reichshofrats (oder der Kommissionen) geschlossen wurde oder die Parteien um dessen Bestätigung baten. Es liegt im Übrigen im Wesen des Vergleichs, dass die im Recht befindliche Partei auf Teile ihrer Ansprüche verzichten muss. Insofern wirkte die reichshofrätliche Justiz in der Regel weniger im Sinne eines vollumfänglichen Rechtsschutzes, sondern eher im Sinne der Befriedung von Konflikten. Deshalb darf es keineswegs als Schwäche oder Versagen derselben gedeutet werden, wenn sich Parteien nach einem Urteilsspruch noch verglichen haben. Denn gerade in diesen Fällen hat sie ihren stets auf den gütlichen Vergleich abzielenden konfliktregulierenden Zweck erreicht.60 Dass Urteile nur schwer vollstreckbar waren, Reskripte, Mandate und Vollstreckungsbefehle oft ins Leere liefen, bedeutet also keinesfalls, dass diese Entscheidungen wertlos waren. Im Gegenteil, das waren die höchsten Formen kaiserlicher Willensbekundung zugunsten einer Partei, die ihr auch ohne faktischen Vollzug auf vielfältige Weise nutzen konnten, vor Ort zu agieren, Personen und Gruppen in der Region auf ihre Seite zu ziehen, die Interessenkonstellationen, in die jeder Konflikt eingebettet war, zu ihren Gunsten zu verändern und den Konflikt vor Ort – darauf kam es letztlich an – zu regulieren. Auch die Erteilung eines Privilegs, etwa eines Druckprivilegs in einem Streit um den Druck eines Buches61, eines Schutzbriefes im Falle einer Landfriedensbruchklage, oder eine Mündigkeitserklärung in einem Erbstreit, konnten je nach Konstellation und Situation solche Wirkungen entfalten. Privilegien, Mandate, Urteile werden zwar in der Aktenkunde und Diplomatik streng voneinander getrennt. Tatsächlich waren 59 Vgl. Sellert (wie Anm. 41), S. 183–191; ders. (wie Anm. 2), S. 173 mit Anm. 306; Uhlhorn (wie Anm. 41), S. 124–131; Westphal (wie Anm. 12), S. 130–132. Siehe auch das Beispiel unten, Anm. 68. 60 Zum gleichen Ergebnis kommt etwa Thomas Schulz, Der Kanton Kocher der Schwäbischen Reichsritterschaft 1542–1805. Entstehung, Geschichte, Verfassung und Mitgliederstruktur eines korporativen Adelsverbandes im System des alten Reichs, Sigmaringen 1986, S. 82, der bilanziert, dass Vergleiche bei Konflikten zwischen Rittern und Territorialherren zumeist erst dann geschlossen werden konnten, wenn die Ritter zuvor ein für sie günstiges Reichskammergerichtsurteil erwirkt hatten. Ähnliche Ansichten vertreten Dietrich Kratsch, Justiz – Religion – Politik. Das Reichskammergericht und die Klosterprozesse im ausgehenden sechzehnten Jahrhundert, Tübingen 1990, S. 54, und Bernhard Ruthmann, Die Religionsprozesse am Reichskammergericht (1555–1648) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 28), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 12. 61 Dazu zuletzt mit zahlreichen Beispielen aus reichshofrätlichen Verfahren: Thomas Gergen, Druck und Nachdruck von Büchern und Zeitungen im gegenreformatorischen Köln. Ein Beitrag zum Umbruch der Wissensgesellschaft in der Frühen Neuzeit, in: UFITA. Archiv für Urheber- und Medienrecht 2013, S. 87–151.



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sie aber sehr oft komplementär aufeinander bezogen, indem sie den Willen ihrer Aussteller verdichteten und intensivierten.62 Des Weiteren haben viele Parteien während des Verfahrens großen Wert darauf gelegt, die zu ihren Gunsten ergangenen streitigen Entscheidungen – auch Privilegien, Schutzbriefe usw. – im Umfeld des Kaiserhofes, an benachbarten Fürstenhöfen und Städten, am Reichstag und überall dort zu kommunizieren, wo Möglichkeiten zur Lenkung des Konfliktes in die gewünschte Richtung bestanden. Zu diesem Zweck haben sie entweder in Wien oder vor Ort Streitschriften drucken lassen, die für gewöhnlich eine parteiische Darstellung des Verfahrensverlaufs sowie in oft umfangreichen Anhängen die Texte der zugunsten der jeweiligen Partei ergangenen Reskripte, Kommissionsbefehle, Mandate, Urteile, Privilegien usw. enthielten (Abbildung 3).

Abbildung 3: Gedruckte Streitschriften von 1609 und 1610 aus der umfangreichen Reichshofratsakte über den Prozess des Klosters Kaisheim gegen die Herzöge von Pfalz-Neuburg um die Reichsunmittelbarkeit des Klosters (siehe Anm. 36 sowie Abbildung 1).

62 Siehe dazu den Beitrag von Bernhard Diestelkamp in diesem Band (Seite 175). Auch insofern sollte man die reichshofrätlichen Funktionsbereiche Regierung und Verwaltung, auch Diplomatie, auf der einen und Justiz auf der anderen Seite stets zusammendenken. Und bei der Untersuchung einzelner Prozesse darf die bisweilen ohnehin unscharfe archivische Scheidung der Wiener Reichshofratsbestände in Judicialia und Gratialia nicht etwa die Erkenntniswege blockieren.

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Diese Druckschriften, die keinesfalls bloß im Zuge der größeren, reichspolitisch relevanten Konflikte entstanden sind, sollten Öffentlichkeit im infrajustiziellen Raum herstellen, dessen Kräfte für den Parteienstandpunkt mobilisieren und wohl nicht zuletzt auch in diesem Sinne auf den Reichshofrat zurückwirken. Sie hatten zumeist einen broschürenartigen Umfang, konnten aber auch buchähnliche Dimensionen von mehreren Hundert Druckseiten annehmen und sind zu Tausenden in Bibliotheken und vor allem in den Prozessakten überliefert.63 Ihr enormer Quellenwert für die Untersuchung einzelner Prozesse steht außer Frage.64 In der überaus regen medien- und kommunikationsgeschichtlichen Forschung zur Frühen Neuzeit65 fristen sie allerdings noch ein Schattendasein und teilen damit das Schicksal anderer scheinbar inferiorer, gleichwohl massenhaft verbreiteter und in ihrer temporären Wirkung kaum zu überschätzender Gelegenheitsschriften.66 Alles in allem war das äußerst diffizile und flexibel einsetzbare Spektrum der reichshofrätlichen Entscheidungen eine Art relationales System und der Reichs-

63 Zum Beispiel enthalten die beiden umfangreichen Reichshofratsakten zum Hohenlohe-Neuenburger Erb- und Schuldenstreit (1652–1690) insgesamt 18 (13 verschiedene) gedruckte Streitschriften, von denen die umfangreichste 408 Seiten zählt, oder die Akte über den Isenburger Teilungsstreit (1655–1663) 14 Druckschriften (11 verschiedene), siehe Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie II, Bd. 2 (wie Anm. 1), Nr. 371 f. und Nr. 899. Zahlreiche solcher Druckschriften finden sich ferner in dem der Bestandsgruppe »Reichskanzlei« zugeordneten Teilbestand der sogenannten »Deduktionen« im Wiener Haus-, Hofund Staatsarchiv, siehe Gross (wie Anm. 17), S. 370 f., und die vollständige Verzeichnung (Titelaufnahme) im Archivinformationssystem (wie Anm. 18). 64 Vgl. exemplarisch etwa Wolfgang Sellert, Der Recursus ad comitia im Rechtsstreit zwischen der Reichsritterschaft am Niederrhein und dem Kurfürsten von der Pfalz um die Herrschaft und Burg Ebernburg vor dem Kaiserlichen Reichshofrat, in: Ignacio Czeguhn (Hg.), Recht im Wandel – Wandel des Rechts. Festschrift für Jürgen Weitzel, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 245-280. 65 Vgl. Gabriele Haug-Moritz, Das Reich als medialer Kommunikationsraum. Skizze eines Forschungsprojektes, in: Frühneuzeit-Info 17 (2006), S. 58–69; Johannes Arndt/Esther-Beate Körber, Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600–1750) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 75), Göttingen 2010. Johannes Arndt, Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648–1750 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 224), Göttingen 2013, untersucht einzelne prominente Stücke. 66 Vgl. demnächst Ulrich Rasche, Kommunikationspraktiken und mediale Formen studentischer Disziplinarordnungen in der Frühen Neuzeit. Zugleich ein Beitrag zur Genese und Verbreitung frühneuzeitlicher Gelegenheits- und Massendrucke, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte (im Druck).



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hofrat selbst ein von schwankender Verfahrensautonomie67 geprägtes vormodernes herrschaftliches Gericht. Das bedeutet: 1. Formell gleiche Entscheidungen übten je nach Art und Schwere des Konflikts sowie je nach Stand, Ansehen und Macht des Adressaten unterschiedliche Wirkungen aus. Entscheidungen sind deshalb nicht in einem gleichsam absoluten normativen Verständnis, sondern stets entsprechend der jeweiligen Parteienverhältnisse und Interessenkonstellationen getroffen worden.68 Zudem war ihre Akzeptanz und Wirkung abhängig von der in verschiedenen Zeiten und Räumen unterschiedlich starken Autorität des Kaisers im Reich. 2. Die Parteien konnten über netzwerkartige Verbindungen im Reich, am Reichstag und insbesondere am Kaiserhof, über Gesandte und Reichshofratsagenten die Entscheidungspraxis beeinflussen. Dabei waren zeitgemäße Formen von Bestechung und Korruption keine singulären Phänomene, sondern hatten systemrelevante Ausmaße.69 67 Im Sinne von Barbara Stollberg-Rilingers anregenden Überlegungen zur Adaption der luhmannschen Verfahrenstheorie auf formalisierte vormoderne Verfahren, in: dies./Krischer, Verfahren, Verwalten, Verhandeln (wie Anm. 56), S. 9–13. 68 Nur ein Beispiel: Im Streit zwischen dem Kurfürsten von Brandenburg und der Stadt Herford um die brandenburgische Drangsalierung der Stadt im Zuge des Streits um deren Reichsunmittelbarkeit war der Reichshofrat 1652 der Ansicht, dass die Handlungen des Kurfürsten »notorie des Heyl. Reiches Satzungen schnurstracks zuwider lauffen und mit keinem schein rechtens sich iustificiren lassen«. Die Gesandten der Stadt beantragten mehrmals ein Mandat sine clausula, für dessen Erteilung sich auch der Reichshofrat in Voten an den Kaiser aussprach. Nach Intervention des Geheimen Rats wurde aus Rücksicht auf den kurfürstlichen Stand des Beklagten jedoch nur ein einfaches Reskript ausgestellt; ein Mandat sine clausula erging dagegen an die vor Herford liegenden kurfürstlichen Truppen, vgl. Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie II, Bd. 2 (wie Anm. 1), Nr. 302. 69 Dies ist nach den jüngsten empirischen Forschungen von Schenk (wie Anm. 29), S. 130– 144 (»Bestechungsoffensive« Preußens im frühen 18. Jahrhundert), und Maria von Loewenich, Korruption im Kammerrichteramt. Das Beispiel Karl Philipps von Hohenlohe-Bartenstein, in: Anja Amend-Traut/Albrecht Cordes/Wolfgang Sellert (Hg.), Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge 23), Berlin/ New York 2013, S. 249–266, zu vergleichbaren Praktiken am Reichskammergericht kaum noch zu bezweifeln. Vgl. ferner etwa schon Werner Trossbach, Soziale Bewegung und politische Erfahrung. Bäuerlicher Protest in hessischen Territorien 1648-1806, Weingarten 1987, S. 188–190; Thomas Winkelbauer, Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (Mitteilungen des Institus für Österreichische Geschichte 34), Wien/München 1999, S. 277–281, sowie insgesamt Wolfgang Sellert, Richterbestechung am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Friedrich Battenberg/Filippo Ranieri (Hg.), Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa. Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, Köln/Wien 1994, S. 339–348; Stephan Ehrenpreis, Korruption im Verfahren. Bestechung an den höchsten

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3. Der Reichshofrat selbst entschied keinesfalls per se unparteiisch. Er agierte in vielen Fällen als kaiserliches Regierungsorgan, welches die ihm über die Justiznutzung, Lehns-, Gratialia- und Privilegienvergabe gebotenen Möglichkeiten der Einflussnahme vor allem auf die konfessionellen und politischen Verhältnisse im Reich entsprechend ausschöpfte.70

IV. Entscheidungsfrequenz und Fazit Intransparente Entscheidungspraktiken, Urteils- und Exekutionsschwäche, Parteilichkeit, Bestechung und Korruption, konfessionelle und herrschaftliche Instrumentalisierung der Justiz71 und vieles mehr (z.  B. »Faulheit« der Richter, Begünstigung der sogenannten »Prozessverschleppung«) – dies alles ist der Forschung natürlich nicht verborgen geblieben. Auch wenn die vernichtenden

Reichsgerichten zwischen Gerichtsfinanzierung und Rechtsbeugung, in: Nils Grüne/Simona Slanicka (Hg.), Korruption. Historische Annäherung an eine Grundfigur politischer Kommunikation, Göttingen 2010, S. 283–305. 70 Vgl. die unten, Anm. 81, angeführten Studien sowie insbesondere auch die Reichs- und Landesgeschichte verbindenden Forschungen etwa von Gabriele Haug-Moritz, Württembergischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverbands in der Mitte des 18. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen 122), Stuttgart 1992; Westphal (wie Anm. 34); Ortlieb (wie Anm. 3); Ullmann (wie Anm. 3); sowie neuerdings etwa Tobias Schenk, Reichsgeschichte als Landesgeschichte. Eine Einführung in die Akten des kaiserlichen Reichshofrats, in: Westfalen 90 (2012), S. 107–161; ders., Das Alte Reich in der Mark Brandenburg. Landesgeschichtliche Quellen aus den Akten des kaiserlichen Reichshofrats, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 63 (2012), S. 19–71; ders. (wie Anm. 29). 71 Ein besonders einschlägiges Beispiel dafür ist der Rat, den der damalige Reichsvizekanzler Schönborn zur Frage des strittigen erbrechtlichen Anspruchs Brandenburg-Preußens auf Brandenburg-Bayreuth, dessen Realisierung das Machtgefüge Frankens und Süddeutschlands auf Kosten des Kaisers und des Hauses Schönborn zugunsten von Brandenburg-Preußen verschoben hätte, in einer Wiener Ministerialkonferenz 1715 gegeben hat. Er schlug vor, »mit solcher Manier behutsam darinnen fürzugehen, daß äußerlich nichts anders als der alleinige Weg der Kläger, des Richters und der Rechten erscheine, innerlich und unter der Hand aber mit Rat und Tat aller Vorschub gegeben, jedoch von seiten E. ksl. Mt. hierunter insonderheit dermaßen fürsichtig gehandlet werde, damit man Dieselbe keiner Parteilichkeit beschuldigen, folglich darab von dem König in Preußen kein begründeter Anlaß hergenommen werden könnte, gegen E. ksl. Mt. Dero ksl. obristlehenherrl. und hochrichterl. amt [...] befügte Klage zu führen«. Siehe Rudolf Endres, Die Erbabreden zwischen Preußen und den fränkischen Markgrafen im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 25 (1965), S. 43–87, hier S. 63.



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Urteile, die die ältere Forschung daraufhin über die Reichsjustiz verhängt hat72, heute niemand mehr teilt, verursachen diese Phänomene in Teilen der Forschung immer noch ein gewisses Unbehagen, erzeugen Erklärungsnöte und werden dann zumeist im Ton nachträglichen Bedauerns als den Zeitumständen geschuldeter unvermeidlicher »Missbrauch«, als Geburtswehen der modernen Justiz gedeutet. Sie sind aber keine Degenerationserscheinungen, die posthumer Entschuldigung bedürfen, sondern konstitutive Faktoren vormoderner Justiz. Derartige Sichtweisen tragen daher selbst einen Geburtsfehler in sich, und der heißt Anachronismus. »Missbrauch« taugt ohnehin nicht als Kategorie historischer Analyse. Konsequente Historisierung kennt keinen »Missbrauch«, nicht einmal den, den die Zeitgenossen selbst als solchen empfanden. Es gibt nur den verschiedenartigen Gebrauch einer Sache. Und der erste wirklich objektive Maßstab für »Versagen« oder »Erfolg« ist zunächst einmal die Frequenz und Intensität des Gebrauchs, methodisch gesehen also die Vermessung von Quantitäten. So gesehen war der Reichhofrat mit seinem Angebot an judikalen und gouvernementalen Entscheidungen sehr erfolgreich. Circa 70.000–80.000 Judizialakten lassen daran gar keinen Zweifel. Nimmt man die Privilegien-, Gratial-, Lehns- und Adelsakten hinzu73, dürften es sogar über 100.000 Akten sein. Das ist die umfangreichste zusammenhängende Aktenüberlieferung, die uns das Alte Reich überhaupt hinterlassen hat. Die genauen Zahlen kennt freilich niemand. Quantitative Aussagen, die über gut begründete Schätzungen hinausgehen, sind schwierig. Der durchschnittliche Umfang der Akten hat sich vom 16. zum 17. Jahrhundert hin etwa vervierfacht, was möglicherweise einen entscheidenden Professionalisierungsschub der Justiz und steigende Intensität der Justiznutzung gleichermaßen widerspiegelt. In die Mehrzahl der alten Aktenfaszikel hat freilich zuletzt der für das jeweilige Verfahren zuständige Referent hineingeschaut. Bislang existiert nur eine einzige Gesamtvermessung des reichshofrätlichen Wirkens im Zeitverlauf, und zwar die innovative Studie von Eva Ortlieb und Gert Polster über die Prozessfrequenz des Reichshofrats.74 Sie basiert im Wesentlichen auf einer intelligenten Kombination von statistischen Methoden und der Auswertung älterer Findmittel zu den Akten. Die Arbeit hat wertvolle Ergebnisse erbracht, etwa im Hinblick auf die schon erwähnte Überflügelung des Reichskammergerichts durch den Reichshofrat im frühen 17. Jahrhundert sowie auf Zusammenhänge zwischen Reichstagen und Prozessfrequenz oder deren Abhängigkeit von der Reichspolitik insgesamt.

72 Vgl. die Beiträge von Liebmann (wie Anm. 11). 73 Siehe Anm. 17 und Anm. 37. 74 Ortlieb/Polster (wie Anm. 15).

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Das reichshofrätliche Archiv bietet freilich mehr als Akten, nämlich auch einen hervorragenden Bestand an Amtsbüchern, der im Wesentlichen aus den Protokollbüchern über die im 17. Jahrhundert in der Regel wöchentlich dreimal abgehaltenen Sitzungen des Reichshofrats besteht.75 Die Serie setzt etwa Mitte des 16. Jahrhunderts ein und reicht – von anfänglichen Lücken abgesehen – nahezu geschlossen bis zum Ende des Alten Reichs 1806. Es sind rund 900 Bände, die meisten davon Beschlussprotokolle (protocolla rerum resolutarum) (Abbildung 4).

Abbildung 4: Protokolle des Reichshofrats aus dem 16. und 17. Jahrhundert im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv.

75 Zum Bestand: Gross (wie Anm. 17), S. 295 f.; ders., Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559–1806 (Inventare des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs 5), Wien 1933, S. 247–260; Barabara Staudinger, Die Resolutionsprotokolle des Reichshofrats, in: Zeitenblicke 3 (2004), URL: http://www.zeitenblicke.de/2004/03/staudinger/index.html (13.12.2004); Tobias Schenk, Die Protokollüberlieferung des kaiserlichen Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, in: Wilfried Reininghaus/Marcus Stumpf (Hg.), Amtsbücher als Quellen der landesgeschichtlichen Forschung (Westfälische Quellen und Archivpublikationen 27), Münster 2012, S. 125–145. Themenbezogene Studien: Lothar Gross, Reichshofratsprotokolle als Quellen niederösterreichischer Geschichte, in: Jahrbuch für Landeskunde Niederösterreichs 26 (1936), S. 119–123; Barbara Staudinger, Die Resolutionsprotokolle des kaiserlichen Reichshofrats als Quelle zur jüdischen Geschichte, in: Anette Baumann/Siegrid Westphal/Stephan Wendehorst/Stefan Ehrenpreis (Hg.), Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 119–140. Siehe auch unten Anm. 77.



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Darin verzeichnet sind Datum und Teilnehmer der Sitzungen, knappe Zusammenfassungen der behandelten Materien (Propositionen), die auf die in der jeweiligen Sitzung referierten Parteienanträge zurückgehen und oft mit einem Hinweis auf den jeweiligen Referenten in Form eines Namenskürzels versehen sind, sowie natürlich die jeweils gefassten Beschlüsse (Abbildung 5).

Abbildung 5: Blick in das Resolutionsprotokoll des Jahres 1640, Beginn des Protokolls der Sitzung vom 23. April 1640, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Protocolla rerum resolutarum saec. XVII, Nr. 119, Bl. 95v–96r.

Zusammen mit den sogenannten Reichsregistern und den in der Forschung nahezu unbekannten, jedenfalls kaum genutzten 650 Taxbüchern der Reichskanzlei, in denen die Gebühren für Reskripte, Kommissionsbefehle, Mandate, Urteile, Schutzbriefe, Privilegien usw. sowie deren Empfänger verzeichnet sind76, gehören die Resolutionsprotokolle des Reichshofrats zu den bedeutendsten Amtsbuchüberlieferungen des Alten Reiches. Ihre Einträge haben enormen Quellenwert nicht nur für die Untersuchung einzelner Prozesse, für die sie mit großem Gewinn schon längst herangezogen werden, sondern auch für den Geschäftsanfall am Reichshofrat, für dessen jeweilige personelle Zusammensetzung sowie insbesondere für die angesprochene Vermessung des reichshofrätlichen Wirkens in

76 Vgl. Gross (wie Anm. 17), S. 372–374; ders. (wie Anm. 75), S. 261–280.

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Zeit und Raum.77 Dass die Reichshofratsforschung noch »entwicklungsgeschichtlich blind« ist, wie zutreffend festgestellt wurde78, ist also in gar keiner Weise ein Quellenproblem, sondern eher ein Problem des Umgangs mit (sehr) großen Quellenmengen und der enormen Fülle an Informationen. Wir denken deshalb in unserem eingangs vorgestellten Akademieprojekt intensiv über die Digitalisierung und Onlinepräsentation der Protokolle nach, die zumindest logistische Hindernisse beseitigen und insgesamt einen Quantensprung nicht nur für die Erforschung des Reichshofrats als Institution, sondern auch von dessen Durchdringung des Reiches auf der Ebene von Territorien, Städten und Regionen bedeuten würde. Im gegebenen Zusammenhang hat mich zunächst nur die absolute Zahl der reichshofrätlichen Entscheidungen im Zeitverlauf interessiert. Diagramm 2 beruht auf einer entsprechenden Auszählung der Protokolle nach Stichjahren pro Dekade. Berücksichtigt wurden sämtliche Beschlüsse, also neben denen zur Erteilung von Reskripten, Mandaten, Kommissionsbefehlen, Urteilen, Privilegien, Schutzbriefen oder Lehnsurkunden etwa auch verfahrenssteuernde Verfügungen über Fristverlängerungen, die Mitteilung von Klageschriften an die Gegenseite oder die Vorlage bestimmter Dokumente, ferner sogar Beschlüsse, die Akten inrotulieren zu lassen, einen Schriftsatz »ad acta« zu nehmen oder das Referat über einen Parteienantrag in der nächsten Sitzung fortzusetzen usw.79 Alles also, was in den Protokollen blockweise abgehoben und in der Regel deutlich identifizierbar (Abbildung 5) in den Sitzungen der Stichjahre als reichshofrätliche Beschlüsse zu den einzelnen Propositionen verzeichnet wurde, ist als Entscheidung gezählt wor-

77 Davon zeugen etwa die Studien von Tobias Freitag/Nils Jörn, Zur Inanspruchnahme der obersten Reichsgerichte im südlichen Ostseeraum 1495–1806, in: Nils Jörn/Michael North (Hg.), Die Integration des südlichen Ostseeraums in das Alte Reich (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 35), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 39–141, oder zuletzt von Verena Kasper-Marienberg, »vor Euer Kayserlichen Mayestät Justiz-Thron«. Die Frankfurter jüdische Gemeinde und der Reichshofrat in josephinischer Zeit (1765–1790) (Schriften des Centrums für Jüdische Studien 19), Innsbruck/Wien/ Bozen 2012. Auch für Untersuchungen zu den kaiserlichen Kommissionen im 16. und 17. Jahrhundert sind die quantitativen Auswertungsmöglichkeiten der Protokolle, auf die auch Haug-Moritz (wie Anm. 8), S. 29, nachdrücklich verweist, schon erfolgreich genutzt und erprobt worden, vgl. Ortlieb (wie Anm. 3), S. 51–123; Ullmann (wie Anm. 3), S. 44–110. 78 Haug-Moritz (wie Anm. 8), S. 28. 79 Auch die zuletzt genannten Entscheidungen waren keinesfalls bloß gerichtsinterne Verfügung. Die Reichshofratsagenten hatten stets Zugang zu den Protokollen und waren jederzeit über Entscheidungen in den von ihnen geführten Prozessen informiert. Auch diese Entscheidungen hatten deshalb entsprechende Signalwirkung nach außen.



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Diagr. 2: Entscheidungen des Reichshofrats 1596-1803 (Susanne Gmoser/Ulrich Rasche 2013) 4750

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den.80 Der Verlauf der auf diese Weise entstandenen Entscheidungskurve deckt sich für das 18. Jahrhundert im Großen und Ganzen mit der von Ortlieb und Polster errechneten Kurve der Prozessfrequenz. Für das 17. Jahrhundert weicht sie erheblich davon ab und markiert in Form der steil ansteigenden Entscheidungsfrequenz nach der Jahrhundertmitte möglicherweise erstmals wirklich belastbare Zusammenhänge zwischen rasant zunehmender Justiznutzung und dem von der Forschung dem Reichshofrat zugeschriebenen Anteil am Wiederaufstieg des Kaisertums nach 1648 und somit im Grunde auch diesen selbst.81 Eine detail80 Außer der deutschen ist auch die lateinische Expedition des Reichshofrats berücksichtigt worden, auf die von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts rund 10 % und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rund 20–25 % der Entscheidungen entfielen. 81 Vgl. Volker Press, Die kaiserliche Stellung im Reich zwischen 1648 und 1740 – Versuch einer Neubewertung, in: Georg Schmidt (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Univer-

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lierte Analyse der Entscheidungskurve, die vor allem zu ähnlichen und differenzierteren Vermessungen anregen soll, muss ich an dieser Stelle schuldig bleiben. Die Frequenz des Geschäftsanfalls bildet sie gewiss zuverlässig ab.82 Sonst ist sie aber wegen der äußerst heterogenen Entscheidungsinhalte in ihrer Aussagekraft begrenzt (Diagramm 2). Jedenfalls beläuft sich die Gesamtzahl der Entscheidungen im 17. Jahrhundert auf ca. 160.000, im 18. Jahrhundert sogar auf beinahe 400.000. Alles in allem hat der Reichshofrat von etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1806 in ca. 30.000 Sitzungen deutlich mehr als eine halbe Million Entscheidungen getroffen. Nimmt man den diesen Zahlen zugrunde liegenden weiten Entscheidungsbegriff zum Maßstab – für den ich ausdrücklich plädieren möchte –, herrschte also am Reichhofrat ganz sicher keine »Kultur der Entscheidungsvermeidung«.83 Was uns die reichshofrätlichen Akten und Protokolle vorführen, ist vielmehr die hoch differenzierte judikale und gouvernementale Entscheidungskultur einer Gesellschaft der Unterschiede , in der zudem »die funktionale Unabhängigkeit des Rechtssystems gegenüber dem politischen System und der ständischen Sozialordnung […] noch gering«84 war. Die unfassbar reiche archivalische Überlieferung des Reichshofrats fordert uns eindringlich dazu auf, die anachronistische Fixierung auf das in der Tat recht selten verhängte Endurteil sowie dessen viel zu kurz greifende Konfrontierung mit dem Vergleich aufzugeben und das Steuerungspotenzial und die Funktion anderer Entscheidungen zu erkennen, deren Wirkung oftmals schon genügte, um diejenigen Segmente eines Konflikts zu regulieren und mitunter sogar aufzulösen, die überhaupt in ein justizförmiges Stadium getreten waren. Je mehr wir uns auf diese Überlieferung einlassen, je mehr wir über die soziale, relationale und herrschaftliche Differenzierung der vormodernen Gesellschaft wissen und je mehr wir insbesondere im Verfahren selbst das eigentlich friedensstiftende Moment sehen, desto leichter sollte uns das fallen.

salgeschichte, Beiheft 29), Stuttgart 1989, S. 51–80, hier S. 69–75; ders. (wie Anm. 8); Haug-Moritz (wie Anm. 8); Sigrid Jahns, »Mecklenburgisches Wesen« oder absolutistisches Regiment? Mecklenburgischer Ständekonflikt und neue kaiserliche Reichspolitik (1658–1755), in: Paul Joachim Heinig/Sigrid Jahns/Hans-Joachim Schmidt/Rainer Christoph (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S. 323–351 sowie Westphal (wie Anm. 12). 82 Hochrechnungen im zeitlichen Umfeld der Stichjahre haben die jeweiligen Spitzen und Ausschläge der Kurve bestätigt. 83 So Stollberg-Rilinger (wie Anm. 56), S. 19, mit Blick auf die geringe Urteilsquote vormoderner Gerichte. 84 Ebd.

Anja Amend-Traut

Wie Prozesse enden können – alternative Formen der Beendigung reichskammergerichtlicher Zivilverfahren im 17. und 18. Jahrhundert I. Einleitung. II. Untersuchungsgegenstand – inhaltliche und räumliche Aspekte der Auswahl reichskammergerichtlicher Akten. III. Gütebereitschaft – Motive und Zeitpunkt. IV. Mitwirkung des Reichskammergerichts beziehungsweise anderer Einrichtungen oder Personen. V. Formale Anforderungen. VI. Wirkungen. VII. Fazit.

»Ich[,] Andreas Rübmann, […] bekenne hirmit: […] mich bey hochbesagtem hochgerichtl. kayl. und Reichß Cammergericht […] erhobene Klage gäntzlich zu begeben. […] Als wird dann dieses von mir nicht nur offentlich bezeuget, sondern ich verzeyhe und begebe mich auch in bester und zu zeiht beständigster form hiermit […] dießer, […] bey diesem höchsten Reichs Gericht erhobenen Klage […] vielmehr mich dessen gäntzlich verzeyhen, und mit der erhaltenen gnade vollkommen mich befriedigen wolle«.1 Diese Erklärung, die im Zusammenhang mit der Beendigung eines reichskammergerichtlichen Verfahrens ohne Streitentscheidung zu den Akten gelangte, soll die folgenden Ausführungen flankieren, versinnbildlicht sie doch den hier untersuchten Gegenstand.

I. Einleitung Heute wie damals entspricht es in gerichtlichen Verfahren den natürlichen Anforderungen an die Justiz, dass sie dem Wunsch der Verfahrensbeteiligten entspricht, ein einmal selbst angestrengtes Verfahren vorzeitig beenden zu können, und zwar ohne damit über den eingeklagten Anspruch oder das Recht selbst zu entscheiden. Für den Kläger kann sich etwa die Aussichtslosigkeit seiner Klage herausstellen, weil der Beklagte mittellos geworden ist. Oder der Kläger hat sein Ziel bereits erreicht, weil der Beklagte den Anspruch erfüllt hat. Denkbar ist auch, dass der Beklagte bittet, die Rechtsverfolgung nicht weiter zu betreiben, da er freiwillig leisten wolle, oder dass die Parteien parallel zu dem betriebenen justiziellen Verfahren außergerichtlich zu einer Übereinkunft finden. 1 Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden HStA), C 3, Büschelnummer (im Folgenden BüNr.) 3635, Schreiben vom 11.02.1752, ohne Quadrangel (im Folgenden [Q]).

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Anja Amend-Traut

Diese Situationen beschreiben die Ebene, die zwischen außergerichtlicher Streitbeilegung einerseits und der Lösung des Konflikts durch ein Gericht andererseits liegt: Selbst nach bereits erfolgter Anrufung des Gerichts stand und steht es den Parteien offen, den Streit auch ohne Definitivsentenz ganz oder teilweise nicht weiter zu betreiben beziehungsweise zu beenden.2 Die verschiedenen Möglichkeiten solcher alternativen Verfahrensausgänge sind durch die traditionelle »Urteilszentristik« der Prozessrechtsgeschichte bislang weitgehend unbeachtet geblieben.3 2 Dies galt und gilt freilich insbesondere nicht für strafrechtliche Angelegenheiten, die bereits seit dem Mittelalter grundsätzlich der juristischen Handlungsfreiheit des Einzelnen entzogen waren. Zur Entwicklung siehe neuerdings Georges Martyn/Anthony Musson/ Heikki Pihlajamäki (Hg.), From the Judge’s Arbitrium to the Legality Principle. Legislation as a source of Law in Criminal Trials (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History. Vergleichende Untersuchungen zur kontinentaleuropäischen und anglo-amerikanischen Rechtsgeschichte 31), Berlin 2013. 3 Die neuere Forschung zur Prozessrechtsgeschichte hat sich zwar mittlerweile hiervon gelöst, vgl. etwa Peter Oestmann, Die Rekonstruktion der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung, in: Anette Baumann/Siegrid Westphal/Stephan Wendehorst/Stefan Ehrenpreis (Hg.), Prozessakten als Quelle (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 15–54; ders., Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich (Rechtsprechung. Materialien und Studien. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 18), Frankfurt am Main 2002; Anja Amend-Traut, Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht. Praktiziertes Zivilrecht in der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 54), Köln/ Wien 2009; dabei wurden jedoch alternative Verfahrensweisen noch kaum aufgegriffen. Die zivilprozessuale Habilitationsschrift von Friedrich Ebel, Berichtung, transactio und Vergleich. Untersuchungen zu Schuldversprechen und Vergleichsvertrag des Zivilrechts (Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 48), Tübingen 1978, S. 77–80, sowie Stefan Chr. Saar, Art. Vergleich, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte V, 11998, Sp. 724 f., und die knappen Vertiefungen bei Wolfgang Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge 18), Aalen 1973, S. 208–211, reißen die hier interessierenden Unterschiede zwischen formellem Verfahren mit Beendigung durch eine Definitivsentenz und Alternativen dazu an, wenngleich eine Rückbindung an die gerichtliche Praxis bestenfalls angedeutet wird. Vgl. etwa auch den entsprechenden Hinweis bei Friedrich Ebel (wie oben). Auch die meisten Beiträge im Sammelband von Stefan Esders (Hg.), Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung. Gerichtliche und außergerichtliche Strategien im Mittelalter, Köln/ Weimar/Wien 2007, die Untersuchungen zum frühneuzeitlichen Kommissionswesen am Reichshofrat von Eva Ortlieb, Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637–1657) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 38), Köln/Weimar/Wien 2001, sowie von Sabine Ullmann, Geschichte auf der langen Bank. Die Kommissionen des Reichshofrats unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 214, Beiträge



Wie Prozesse enden können – alternative Verfahrensbeendigungen

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Zwar gab es in Form von normativen Quellen, festen Rechtsgewohnheiten und in späterer Zeit des stylus curiae sowohl im redaktionellen Sinn wie auch als Gerichtsgebrauch einen vergleichsweise verbindlichen Rahmen für die Förmlichkeit reichskammergerichtlicher Verfahren und damit auch ihren Abschluss durch ein Endurteil. Doch bei der Suche nach Spuren der alternativen Wege der Streitbeilegung sieht man sich der Schwierigkeit ausgesetzt, die moderne begriffliche Trennschärfe nicht vorzufinden. Es gibt keine klare Scheidung zwischen Klagerücknahme, Erledigung und Verzicht4, wie es moderne Prozessordnungen vorsehen.5 Allein für den Prozessvergleich finden sich in Prozessordnungen seit dem frühen 16. Jahrhundert einschlägige Regelungen.6 Gerade dessen Zulässigzur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 18), Mainz 2006, hinterfragen die Beachtung normativer Vorstellungen durch die Praxis nicht. Allein Karl Kroeschell, Eine Totschlagssühne vor 700 Jahren. Die Rechtssache des Abtes von Walkenried, in: Esders (wie oben), S. 121–139, hier insbesondere S. 121 f., S. 138, weist auf die Bedeutung des »law in action« hin. 4 Eine erste gründliche Bearbeitung dazu stellt das Werk von Philipp Wilhelm Leopold Graebe, Die Lehre des Verzichts, nach den Quellen bearbeitet, Kassel 1843, dar. 5 Nach heutigem Prozessrecht kommen als Alternativen zum streitigen Urteil neben dem Prozessvergleich und dem Klagerücknahmeversprechen – das im Fall des Nichtbefolgens von der Gegenseite im Prozess als Einrede geltend gemacht werden kann – die Klagerücknahme, der Klageverzicht und die Erledigungserklärung in Betracht. Der Prozessvergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur: Er ist einerseits Prozessvertrag (vgl. BGHZ 79, 71, 74; BGH NJW 1985, 1962, 1963), andererseits ein privatrechtlicher Vertrag nach § 779 BGB. Da das Prozessrecht keine abschließende Regelung für dieses Rechtsinstitut vorsieht, sondern lediglich voraussetzt – etwa in § 794 I Nr. 1 ZPO –, ist § 779 BGB ergänzend heranzuziehen. Durch einen Prozessvergleich wird der Rechtsstreit beendet (§§ 81, 83 ZPO) und ist damit im Rahmen der Reichweite des Vergleichs nicht mehr rechtshängig. Prozessual ist er Vollstreckungstitel (§ 794 I Nr. 1 ZPO), materiell-rechtlich zeitigt der Vergleich seinen Bestimmungen folgend eine neue Rechtslage. Eine Berufung auf die alte Rechtslage ist ausgeschlossen. Der Prozessvergleich entfaltet jedoch keine materielle Rechtskraft, wodurch er hinsichtlich einer Leistungsklage, die sich auf den im Vergleich geregelten Anspruch bezieht, keine Sperrwirkung entfaltet. Mit der Klagerücknahme (§ 92 VwGO, § 269 ZPO) bleibt der klägerische Anspruch bestehen und kann erneut geltend gemacht werden, wenn sich die an die Rücknahme geknüpften Erwartungen nicht erfüllen sollten. Nach Beginn der mündlichen Verhandlung hängt die Klagerücknahme von der Zustimmung des Beklagten ab, da auch dieser ein Recht auf richterliche Entscheidung hat, nachdem er sich einmal in der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache eingelassen hat (§ 269 I ZPO). Im Gegensatz zur Klagerücknahme kann bei einem Klageverzicht eine Klage aus demselben Grund nicht mehr erhoben werden, d. h. bei ihm wird auf den ganzen materiellen Anspruch verzichtet (§ 306 ZPO). Bei der generell beidseitigen Erledigungserklärung wird nur über die Kosten entschieden (§ 91a ZPO). Bei der Erledigung muss der Kläger im Gegensatz zur Klagerücknahme nicht zwingend alle Kosten tragen. 6 Zur intensiven Debatte hierüber an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vgl. Paul Oertmann, Der Vergleich im gemeinen Civilrecht, Berlin 1895; Karl Paul, Der Vergleich

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keit war jedoch am Reichskammergericht lange Zeit bestritten7, weshalb er im Rahmen dieser Untersuchung zwangsläufig eine untergeordnete Rolle spielt. Sehr vage bleibt also der Versuch, den Prozessausgang ohne Definitivsentenz damit beschreiben zu wollen, es handele sich jedenfalls um die Erklärung eines Berechtigten, ein Recht nicht beanspruchen zu wollen. Denn weder ist damit gesagt, in welcher Form diese Erklärung abzugeben war, noch ob diese Erklärung prozessuale beziehungsweise materiell-rechtliche Wirkungen entfaltete, noch ob diese Erklärung ohne Wirkung blieb oder zu Einschränkungen beziehungsweise zur völligen Vernichtung des Rechts führte.8 Einige der untersuchten Akten legen die Vermutung nahe, dass einvernehmliche Streitbeilegungen nicht allein materiell-rechtliche, sondern eben auch eine prozessbeendigende und darüber hinausgehend eine klagesperrende Wirkung zeitigten. Auch gibt die bisherige Durchsicht einschlägiger Verfahren Anlass zur Annahme einer gängigen Praxis, wonach die Einhaltung gewisser Formalien, wie etwa die notarielle Beurkundung des Parteikonsenses, als notwendig erachtet wurde. Von großem Interesse ist auch, in welchem Ausmaß insbesondere das Reichskammergericht oder andere offizielle Einrichtungen an gütlichen Einigungen der Prozessparteien mitwirkten. Womöglich waren es nicht allein die Parteieninteressen, die bei alternativen Streitbeendigungen eine Rolle spielten. Peter Oestmann hat bereits 2010 Beschwerden über richterlichen Druck auf die Parteien, sich gütlich zu einigen, dahin gehend gedeutet, dass die verlockende Arbeitsersparnis des Richters – er brauchte kein Urteil zu verfassen – dafür spreche, dass eine gerichtliche Beförderung einer gütlichen Einigung tatsächlich viel früher einsetzte, als normative Quellen sie verpflichtend für Gerichte formulierten. Doch nicht allein auf die Mitwirkung von Gerichten und anderen offiziellen Einrichtungen soll das Augenmerk gerichtet werden. Von Interesse ist auch, ob zwischen den Parteien selbst eine Unterstützung von Friedensbemühungen der Gegenseite geboten oder verboten war, ob eine förmliche Zustimmung zum Abschluss des

im Civilprozeß. Ein Beitrag zur Lehre von den Urtheilssurrogaten, Leipzig 1898; Heinrich Lehmann, Der Prozeßvergleich (Abhandlungen zum Privatrecht und Civilprozeß des Deutschen Reiches 22,1), München 1911. Neuerdings dazu: Astrid Thomsch, David Mevius und der (Prozess-)Vergleich im Usus modernus pandectarum. Eine Analyse von Gerichtsordnung, Decisionen und Akten (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft 8), Hamburg 2014, die eine Zusammenfassung der Entwicklung des Vergleichs liefert, ebd., S. 12–19 mit weiteren Nachweisen. 7 Näheres dazu unter Punkt IV. 8 Nach Friedrich Carl von Savigny, Pandektenvorlesung 1824/25, hg. von Horst Hammen (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 62), Frankfurt am Main 1993, S. 61, entfaltet eine einseitige Entsagung in den Obligationen grundsätzlich keine Bindungswirkung.



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Verfahrens notwendig war oder ob die bloße Mitteilung einer der Parteien, der Prozess sei beendet, ausreichte.

II. Untersuchungsgegenstand – inhaltliche und räumliche Aspekte der Auswahl reichskammergerichtlicher Akten Für die aufgeworfenen Fragen bieten sich Verfahren, die am Reichskammergericht anhängig waren, in besonderem Maße an. Insbesondere der Kameralprozess und die höchstgerichtliche, namentlich reichskammergerichtliche Rechtsprechung fanden als stylus curiae9 Eingang auch in andere Höchstgerichte10 und unterinstanzliche Gerichtsstuben11, sodass die Suche nach dem Herkommen entsprechender Gewohnheiten an ihrem vermutlichen Ursprungsort aufzunehmen zweckmäßig erscheint. Weil sich Parteien aus allen Teilen des Reichs an das Reichskammergericht wandten, kann schließlich die Analyse von dort anhängigen Verfahren am ehesten gewährleisten, dass nicht bloß Aussagen über Gewohnheiten eines bestimmten Platzes oder eines bestimmten Gebiets getroffen werden können. Um einer solchen Konzentration entgegenzuwirken, basiert die Untersuchung auf vier Aktenbeständen, deren Provenienz größere Teile des Reichs abdecken. Diese räumliche Ausrichtung hilft der Studie über die Ungewissheit hinweg, nicht allein regionale Besonderheiten zutage gefördert zu haben. Die Durchsicht der Inventarbände zu den Akten des Reichskammergerichts weist für die Bestände Hamburg, Köln12, Lübeck und Stuttgart insgesamt 21 Verfahren aus, bei denen der rechtshängige Streit förmlich, jedoch ohne Definitivsentenz

9 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs mit weiteren Nachweisen siehe Filippo Ranieri, Gerichtsgebrauch, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, 22012, Sp. 155 f. 10 So namentlich das Wismarer Tribunal, das als Oberappellationsgericht für die schwedischen Lehen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation fungierte und erst 1653 gegründet worden war, vgl. Thomsch (wie Anm. 6), S. 2, 425. 11 Eine Ausnahme bildete hier z. T. das Gebiet des sächsischen Rechts. Näher dazu Heiner Lück, Gemeines Sachsenrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, 2 2012, Sp. 77–84, und Karin Nehlsen-van Stryck, Art. Gerichtsverfahren, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte II, 22012, Sp. 178–192, hier Sp. 186. 12 Was den Kölner Bestand betrifft, ist man zwar auf nicht absehbare Zeit auf die Angaben der Inventarbücher angewiesen – Matthias Kordes (Bearb.), Reichskammergericht Köln (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv zu Köln 81, 82, 83, 84; Inventar der Akten des Reichskammergericht, 26, 26,2, 26,3, 26,4), Köln 1998 ff. –, doch schon der hierdurch mögliche Überblick ist dank der hervorragenden Erschließung aufschlussreich, wie eines der hier einschlägigen Verfahren zeigt. Siehe dazu unten, Punkt IV.

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endete.13 Sämtliche causae enthalten den Hinweis auf eine renunciatio. Sie wird in der frühneuzeitlichen rechtsgelehrten Literatur als Handlung beschrieben, mit der man sich vom Prozess lossagte beziehungsweise die den Rechtsstreit aufhob.14 Ihre Blütezeit erlebten die Renunziationsklauseln bereits im 13. und 14. Jahrhundert und fanden Eingang in die juristische Praxis durch die geistlichen Gerichte der Zeit, vor die nicht allein kirchliche Angelegenheiten gelangten. Die Renunziationen werden deshalb heute allgemein als Gradmesser für die Rezeption des gelehrten Rechts bewertet, das über das kanonische Recht und die geistlichen Gerichte Eingang in die weltliche Gerichtspraxis fand15, um die es hier geht. 13 Davon entfallen auf den Kölner Bestand fünf (Stadtarchiv [im Folgenden StA] Köln, RKG, Nr. 813, 1736, 1759, 1781, 1856), auf den Hamburger acht (StA HH, RKG, Nr. K 28, M 07, M 50, P 21, S 012, S 018, S 020, W 26), auf den Stuttgarter sieben (HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 2449, 3031, 3261, 3635, 3797, 4924, 4671) und auf den Lübecker ein Verfahren (StA Lübeck, RKG, Nr. 13/M 08). Zu berücksichtigen ist freilich, dass es eine gewisse Dunkelziffer von einschlägigen Verfahren geben könnte, die bei ihrer Inventarisierung nicht entsprechend verschlagwortet wurden. 14 Dabei sind die Werke regelmäßig untergliedert in gerichtliche und außergerichtliche Verzichte, wobei im Hinblick auf die letztere Gruppe Erörterungen der Rechte, auf die verzichtet werden konnte, besonderen Raum einnehmen: So u. a. Ernst Friedrich von Schröter, Renunciationes vulgo. Die Verzichte, Jena 1674; Johann Heinrich Berger, Renunciationem jurium, Wittenbergae [= Wittenberg] 1687; Johann Christian Schröter/Christoph Konrad Schmid (Hg.), De litis renunciatione, Jenae [= Jena] 1693; Johann Schilter, Tractatvs Præcipvi De Renunciationibus [...], Argentorati [= Straßburg] 1701 f. (darin enthalten sind Traktate verschiedener Autoren: Hubert Giphani, De Renunciationibus, Argentorati [= Straßburg] 1701; Andreas Dalner, Tractatus de variorum jurium Renunciationibus, Argentorati [= Straßburg] 1701; Heinrich Breulaeum, De Renunciandi recepto more modoque, Argentorati [= Straßburg] 1701; Bartholomaeus Kellenbenz, De Renunciatione successionum, Argentorati [= Straßburg] 1701); Gabriel Schweder, Disputatio Inauguralis Iuridica De Renunciatione Appellationis, Tubingae [=  Tübingen] 1703. Nur vereinzelt wurde die Prozesshandlung auf die Erklärung beschränkt, man wolle den von seinem Vorfahren begonnenen Prozess nicht aufnehmen beziehungsweise weiterführen: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexikon Aller Wissenschafften und Künste, Halle/Leipzig 1732, Bd. I, Sp. 685 f., siehe auch einzelne Hinweise im Deutschen Rechtswörterbuch Bd. XI, Sp. 909. Zu den byzantinischen beziehungsweise romanisch-kanonischen Wurzeln dieser Handlung siehe Friedrich Ludwig von Keller, Der römische Civilprocess und die Actionen, 3. Ausgabe, Leipzig 1863, § 70, S. 301; Hugo Müchel, Das Verfahren bis zur Litiscontestation im ordentlichen canonischen Civilprocess, Leipzig 1870, S. 87; Artur Steinwenter, Neue Urkunden zum byzantinischen Libellprozess, in: Abhandlungen zur antiken Rechtsgeschichte. Festschrift für Gustav Hanausek, Graz 1925, S. 36–51, hier S. 48; Knut Wolfgang Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus, Berlin/Heidelberg 2012, S. 180–182. 15 Karl Kroeschell/Albrecht Cordes/Karin Nehlsen-van Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2: 1250–1650, Köln/Weimar/Wien 92008, S. 40 f.; Hans Schlosser, Renun-



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Diese noch überschaubare Zahl der so ausgewiesenen Verfahren ermöglicht es, sie ohne einen noch weiter beschränkenden zeitlichen Rahmen, als dies die Einrichtung des Reichskammergerichts selbst vorgibt, oder eine räumliche Eingrenzung auf nur einen Aktenbestand vollständig in die Untersuchung einzubeziehen.

III. Gütebereitschaft – Motive und Zeitpunkt Im Zentrum der Fragen, warum und in welchem Prozessstadium ein Verfahren am Reichskammergericht aufgehoben wurde, steht die Bereitschaft der Parteien, sich auf eine gütliche Einigung einzulassen. Vor diesem Hintergrund ist – was den der prozessualen Streitbeilegung häufiger zugrunde liegenden Vergleich betrifft – eine Unterscheidung zwischen außergerichtlichem und gerichtlichem Vergleich nicht besonders ergiebig, zumal beide einem weitgehend gleichförmigen Muster folgen. Lohnender scheint es vielmehr, danach zu unterscheiden, ob die Vergleiche vor oder nach der Urteilsfindung geschlossen wurden. In dem von Bernhard Diestelkamp geschilderten Fall16 geht es um einen Vergleich, der nach der Urteilsfindung geschlossen wurde – und zwar auf Anregung des Gerichts. Nachdem die Vollstreckung des Urteils nicht betrieben wurde beziehungsweise wegen eines unpräzisen Urteilsspruchs nicht betrieben werden konnte, kam es nochmals zu Verhandlungen, die sich mit der Auslegung des Urteils befassten. Sodann erfolgte der Vergleich unter Eindruck des bereits bestehenden Urteils, dem sich die Parteien letztlich durch den Vergleich beugten. Hier hatte sich das Gericht bereits intensiv zur Sache eingelassen, das Verfahren war in einem fortgeschrittenen Stadium und die Einwirkung auf die Parteien entsprechend hoch. Wurde ein Vergleich dagegen vor Urteilsfindung geschlossen, kann die Vergleichsbereitschaft häufig mit der Abfolge der üblichen Prozessführung in Verbindung gebracht werden. Anhand des Protokollbuchs lässt sich verfolgen, welche Partei den nächsten Schritt schuldig blieb. Dieser nächste Schritt war nicht selten der erste, mit dem auf den Verfahrensgegner vergleichsbereit zugegangen wurde. Je offensichtlicher ein Unterliegen drohte, desto größer war die Verhandlungsbereitschaft. Zweifel an der Zulässigkeit des Rechtsmittels, wie insbesondere die Zuständigkeit des Gerichts, erhärteten sich häufig in einem früheren Stadium des Verfahrens. Vernunftgeleitet scheinen hier die Rechtsuchenden auch persönliche Vorteile bei der Aufhebung – genannt seien Kostenersparnis und Hinzugewinn tiationen, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte IV, 11990, Sp. 901–903 mit weiteren Nachweisen. 16 Siehe dazu den Beitrag von Bernhard Diestelkamp im vorliegenden Band (Seite 175).

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einer Instanz – erkannt zu haben, die sie für sich nutzbar machen wollten. Eine recht zügige und zugleich großzügige Kompromissbereitschaft tritt auch in Fällen zutage, bei denen das öffentliche Verfahren drohte, nachhaltig rufschädigend oder gar allgemein schädlich zu wirken. Um inhaltliche Aspekte des geltend gemachten Anspruchs oder Rechts, also in »zweifelhaften und verwirrten Rechtshändeln, wo man […] mehr rathen als sagen könne, wer Recht habe«17, wurde dagegen nachhaltiger gestritten, zum Teil gelangten die Parteien erst nach Jahren oder Jahrzehnten zu der Einsicht, sich besser gütlich zu einigen, als zu keinem absehbaren Ende zu finden. Ein paar Beispiele sollen dies verdeutlichen: 1. Mandatsverfahren: Die Untertanen zu Weiler und Eichelberg erkannten die Aussichtslosigkeit ihres Begehrens bereits zu einem Zeitpunkt, als sie erstmals am Zuge waren, Stellung zu ihnen vorgelegten Privilegien zu beziehen. Im Jahr 1700 wehrten sich die Untertanen mit einer bei der Württembergischen Regierung anhängig gemachten Klage gegen ihre Herrschaft wegen übermäßiger Verpflichtungen zu Botendiensten, Arbeiten im Weinberg, zur Anlegung eines Sees vor dem Schlossgarten, zur Beherbergung herrschaftlicher »Handwercks Leuth« im klägerischen Wirtshaus, das vermietet werde, um sich »damit Profit [zu] suchen«, und anderer Verpflichtungen mehr.18 Gegen den Vorwurf »solcher Sclaveray«19 wandte sich Ludwig von und zu Weiler mit einem mandatum sine clausula an das Reichskammergericht, in dem er einen Verstoß gegen seine reichsritterschaftlichen Freiheiten und ihn schützende Gerichtsstandprivilegien Reichsunmittelbarer rügte, die sich aus dem Jüngsten Reichsabschied und der Reichskammergerichtsordnung (RKGO) ergaben.20 Der Intervenient Eberhard Ludwig von Württemberg machte dagegen – unter Hinweis auf eine Reihe entsprechend gelagerter Fälle – die Zuständigkeit des Württembergischen Lehnshofs geltend: Auch bei Weiler und Eichelberg handele es sich um Württembergische Lehen und das Lehnsrecht sehe vor, dass Vasallen ihr Lehen entzogen bekommen könnten, wenn sie ihre Lehnsuntertanen missbrauchten.21 Doch nach Vorlage der kaiserlichen Privilegien der Fränkischen Reichsritterschaft von 1609 und 168822 sowie mehreren älteren Entscheidungen der beiden Höchstgerichte, wonach »die Lehens Jurisdiction sich nur auf die Jenige jura und obligationes, welche der Lehnsherr und Vasall oder die Vasalli unter sich selbsten von wegen deß Lehens gegeneinander 17 Dazu Georg Gottlieb Balemann, Jüngere Visitations-Schlüsse, die Verbesserung des Kaiserlichen Reichs-Kammergerichtlichen Justizwesens betreffend, Bd. II, Lemgo 1780, S. 447. 18 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, [Q] 3, fol. 12, undatierte Beschwerdeschrift. 19 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, [Q] 3, fol. 2r. 20 Mit Verweis auf Teil 2 Tit. 1 und 26: HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, [Q] 2. 21 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, Extract der Intervention vom 20.11.1700, [Q] 9, Intervention, [Q] 11, fol. 3, 18. 22 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, Lit. H [Q] 36.



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haben, nicht aber auf deß vasalli subditos« erstrecke, vielmehr in Sachen gegen Reichsunmittelbare nach RKGO Teil 2 Tit. 4 ff. die höchsten Reichsgerichte allein zuständig seien23, wurden die Einwohner von Weiler und Eichelberg darauf verwiesen, dass ihre Klage bei der Württembergischen Regierung aussichtslos sei. Kurz darauf widerriefen sie diese. 2. Zitationen: Auch bei dem von Graf Gabriel von Ortenburg im Jahr 1535 angestrengten Zitationsverfahren gegen Herzog Ulrich von Württemberg führte die Einrede der Unzuständigkeit zu einer zeitnahen Klagerücknahme. Von Ortenburg machte Ansprüche auf mehrere Herrschaften (darunter auch L’Isle-sur-leDoubs) geltend. Zuständig für diese in der Freigrafschaft Burgund gelegene Herrschaft war jedoch das Parlament zu Dôle.24 Nachdem Herzog Ulrich deshalb die Einrede der Unzuständigkeit geltend gemacht hatte und von Ortenburg hierauf nichts Substantiiertes zu erwidern wusste, widerrief der Kläger diesen Klagepunkt mit dem Hinweis darauf, dass er irrtümlich mit in die Ladung aufgenommen worden und ja noch keine Kriegsbefestigung erfolgt sei.25 Der hochgräfliche Castell-Rüdenhausische Jäger zu Burghaßlach Andreas Rübmann begehrte mittels einer reichskammergerichtlichen Zitation von Graf Johann Friedrich von Hohenlohe die Erstattung von 300 Reichstalern Werbegeld einschließlich Zinsen sowie die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 2.000 Reichstalern. Rübmann hatte bei dem Beklagten als Jagdlakai in Diensten gestanden, als er von ihm im Jahr 1732 gegen seinen Willen an den Preußischen Werbekapitän von Heyden veräußert worden war.26 Das von von Heyden empfangene Geld habe Graf Johann »bis dato behalten«.27 »Gewalttätig armata manu in einer chaise fortgeführet« musste Rübmann in Magdeburg als »Musquetier« in das Grävenitzsche Infanterieregiment eintreten. In den darauffolgenden zwölf Jahren Dienstzeit nahm er an diversen Feldzügen in Schlesien, Mähren und Böhmen teil und trug einen »incurablen Leibes-Schaden«, insbesondere einen gelähmten Arm, davon. Seine Dienstunfähigkeit zog dann im Jahr 1744 »seinen

23 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, [Q] 29, fol. 3. Reichskammergerichtliches Mandat von 1696/97, das die am Wertheimer Lehnshof anhängig gemachte Klage von Schultheiß, Bürgermeister und Gemeinde zu Neunstetten gegen ihre berlichingische Herrschaft kassierte: ebd., [Q] 29, fol. 30; reichshofrätliches Conclusum von 1698, das auf ein Reskript Leopolds I. an den Bischof von Würzburg in Sachen der gräflich hatzfeldischen Untertanen des Amts Haltenbergstetten gegen die hatzfeldischen Beamten erging: ebd., [Q] 35, fol. 48. 24 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3261, [Q] 11. 25 HStA Stuttgart C 3, BüNr. 3261, [Q] 12. 26 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Zitation vom 07.05.1751, ohne [Q]. 27 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Schreiben vom April 1751, fol. 1v, ohne [Q].

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ehrlichen Abschied«28, die Entlassung, nach sich.29 Der als arme Partei notariell ausgewiesene30 Rübmann begehrte nach seiner Rückkehr nicht nur den bislang von Graf Johann einbehaltenen Verkaufserlös, sondern darüber hinaus wollte er den »durch die angemaßte Verkauffung erlittene[n] Schaden« ersetzt haben, oder aber, dass »dafür eine hinlängliche Jägerey-Bedienung in Gnaden gegeben werden möchte«. Denn er sei schließlich kein Leibeigener des Beklagten gewesen und hätte dementsprechend auch nicht verkauft werden dürfen. Durch seine Veräußerung »als sonst gesunder und erfahrner Jäger« sei er »um sein gantzes zeitliches Glück und gerade Glieder gebracht worden«. Nachdem er trotz mehrfachen Flehens »gäntzlich trostlos gelassen« worden war31, hatte sich Rübmann mit seinem Begehr an das Reichskammergericht gewandt. Unter dem Eindruck des mehr als eindeutigen Sachverhalts ließ der durch Johann Jakob Zwierlein und Johann Paul Besserer bestens beratene und vertretene Graf Johann das Gericht schon kurz darauf wissen, der Kläger habe sich bei Graf Johann »wieder eingefunden, in der Absicht […], seine anderweite Versorgung oder eine gütliche Beylegung der Sache aus zu würcken«. Hierfür habe Rübmann schon »einstweil[en] das zur nöthig[en] Lebens Unterhaltung erforderl. empfang[en]«. Man habe daher keine Zweifel, dass der Kläger »auf eine seinen Umständen convenable Arth klagloß gestellet« werde. Wegen dieser »unter der Hand« berichteten gütlichen Beilegung des Streits bat Graf Johanns Rechtsbeistand schließlich, »mit weiterem Gerichtlichen Verfahren noch in etwas zurückzuhalten« und den Erfolg der außergerichtlichen Einigung abzuwarten.32 Drei Monate später nahm Rübmann das Verfahren zurück.33 3. Appellationen: Noch verhältnismäßig schnell erkannte schließlich auch der aus Hamburg stammende Vincent Moller, dass seine Appellation kaum Aussicht auf Erfolg haben werde. In der im April 1657 dem Reichskammergericht insinuierten Sache bat er etwas mehr als ein Jahr später durch seinen Rechtsbeistand Kühorn um Anerkennung, »gerichtlich renuncijrt« zu haben.34 Schriftlich hatte Moller kurz zuvor bereits erklärt, dass der appellatische Einwand, durch die An28 Ebd. 29 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Kopie der Entlassungsurkunde vom 08.08.1744, ohne [Q]. 30 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Armutszeugnis des Notars Dr. Johann Gottlob Fridmann Lucke, Aktenbeilage Nr. 3 vom 14.04.1751, und des Försters zu Fürstenforst Abraham Birckner, Aktenbeilage Nr. 4 vom 17.04.1751, beide ohne [Q]. 31 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Schreiben vom April 1751, fol. 2r, ohne [Q]. 32 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Schreiben vom 08.11.1751, ohne [Q]. 33 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Instrument des Öhringer Notars Georg Heinrich Ludwig Zaun, 10.02.1752, ohne [Q]. 34 StA HH, RKG, Nr. M 50, Spezialprotokoll, Eintrag vom 26.08.1658, fol. 4r.



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rufung des Reichskammergerichts sei eine Instanz übersprungen worden, wohl auch ihm zugutekomme: »Wan Ich obsiegen solte, die Inhibitio für sich selbst dahin fallen würde«. Für den Fall, dass der Hamburger Rat ihn mit seiner »hauptsachlichen notturfft […] werde hören, undt die Sache nach anleitung Rechtens entscheiden: Allermaßen dan in solcher Zuversicht […] bedarff es also keiner remission noch Urtheil«.35 Noch in derselben Verhandlung gab Gegenanwalt Gülich zu Protokoll, er nehme die beantragte Aufhebung des Verfahrens »hirmit in Recht an«.36 Nicht immer kam es so verhältnismäßig zügig zur Aufhebung des rechtshängigen Streits. Schien die Rechtslage weniger durchsichtig, waren die Parteien häufig nicht vergleichsbereit, solange sich beide Erfolgsaussichten ausrechneten. Erst insgesamt 15 Jahre, nachdem die Sache an das Reichskammergericht gelangt war, kam Bewegung in den Streit zwischen der Lübecker Maurerzunft und dem Maurergesellen Salomon Stahl.37 Der ursprünglich aus Danzig stammende Stahl hatte zunächst als fremder Maurergeselle ohne Bürgerrecht bei einem Lübecker Meister gearbeitet, als er »mit der Tochter des hiesigen Feuerwerkers Hans Joachim Rhode bekandt« wurde: »Wir wurden mit einander vertrauter, gewannen uns lieb, und lebten lange in der hoffnung einer künfftigen glücklichen Ehe; allein eine Stunde der Schwachheit überraschte uns beyde, wir fielen leider, und entfernten uns von dem Wege[,] auf den wir oft in stärckeren Stunden zu bleiben uns gelobt hatten«.38 Stahl entschloss sich, das durch ihn »gefallene Mädgen auf das eiliges noch vor ihrer Entbindung zu heurathen, und durch diese Heurath alle Mackel wieder abzuwaschen« – und »zwar mit aller der Eile, die hier in Lübeck nur möglich ist«.39 Dafür erlangte er das Lübecker Bürgerrecht, ohne jedoch zuvor die Maurerzunft hierzu konsultiert zu haben. Erst nach seiner Heirat beantragte Stahl, als einheimischer Geselle in die Zunft aufgenommen zu werden. Das Maureramt verwehrte ihm jedoch unter Berufung auf seine Verfassung die Aufnahme. Nach dieser wurden allein fremde Gesellen, die sich »nicht beweiben« und niederlassen, und einheimische bis zu einer Höchstzahl von 42 in das Amt aufgenommen. Hierfür musste jedoch ein fremder Bewerber, der sich in Lübeck »häußlich niederlaßen« wollte, »einheimisch werden, und hierzu kann er gelangen, wenn er seine Zeit abwartet, da keine 42 einheimische Gesellen vorhanden sind«.40 Wer dagegen bereits verheiratet war, sollte nicht mehr aufgenommen werden können. 35 36 37 38 39 40

StA HH, RKG, Nr. M 50, [Q] 18. StA HH, RKG, Nr. M 50, Spezialprotokoll, Eintrag vom 26.08.1658, fol. 4v. StA Lübeck, RKG, Nr. M 8. Ebd., Unterordner 4, fol. 40. Ebd., Unterordner 4, fol. 42. Ebd., [Q] 7, fol. 21.

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Gegen die Ablehnung seines Aufnahmegesuchs wandte sich Stahl zunächst an das Lübecker Wettegericht, eines von drei Niedergerichten in Lübeck, das vor allem für »Gewerbsangelegenheiten« zuständig war.41 Weil Stahl dort unterlegen war, suchte er sodann erfolgreich sein Recht beim Lübecker Obergericht als Tribunal zweiter Instanz auf der Grundlage der »Zweifels- und Entscheidungsgründe« der Juristenfakultät Leipzig42, die nach Einschätzung des Maureramts freilich deren »Verfassung nicht kannte, und der der Wohlstand der hiesigen Aemter eben nicht sehr am Herzen lag«.43 »Weil es aber nicht nur dem Amt, sondern auch der Stadt und deren Bürgerschafft zur größten Last und beschwerde gereichen würde, wenn die Anzahl derer einheimischen Gesellen gar zu sehr gehäufet würde, indem diese entweder nahrlos und ohne Arbeit bleiben würden«44, sah sich die Maurerzunft genötigt, sich »dieser ganz neuen[,] äußerst gefährlichen Anordnung nach aller Möglichkeit zu widersezzen und[,] weil Magistratus Lubecensis durch das von auswärtigen Rechts Gelehrten gesprochene Urtheil außer Stand gesezt war, demselben dero Obrigkeitlichen Schutz angedeyhen zu laßen, und ihre […] Verfaßung […] aufrecht zu halten, zu diesem allerhöchsten kaiserlichen und Reichs Gericht ihre unterthänigste Zuflucht zu nehmen«.45 Nachdem in der Sache im Verlauf mehrerer Jahre keinerlei Fortschritte zu verzeichnen waren, kam es dann innerhalb weniger Monate zu einer einvernehmlichen Aufhebung des Verfahrens. Vor der Streitbeilegung verglichen sich die Parteien dahin gehend, dass Stahl, »wenn kein Lübeckischer Maurer Meister von dene Travemündern ausdrücklich verlangt wird, geringe arbeiten und kleines Bauwesen zu Travemünde mit seinen Handlangern ohne Widerspruch des Lubeckischen Maurer-Amts unternehmen möge, der Verfertigung ganzer gebäuden aber sich zu enthalten und solche lediglich den Lübeck. Maurer Meistern und deren gesellen zu überlaßen habe«.46 Also nicht im innerstädtischen Bereich, sondern nur im etwa zwanzig Kilometer entfernt gelegenen Travemünde, das seit dem 14. Jahrhundert zu Lübeck gehörte, sollte Stahl seinem Beruf nachgehen dürfen.47 41 Nach: Handels-Almanach oder Uebersicht des in den verschiedenen Ländern der Erde Wissenswürdigsten für den Handel, Weimar 1838, S. 108. 42 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, fol. 170–176. 43 Ebd., Unterordner 2, fol. 25v. 44 Ebd., Unterordner 2, fol. 21r. 45 Ebd., Unterordner 2, fol. 26r. 46 Ebd., Eintrag im Spezialprotokoll der Verfahrensakte vom 15.09.1797. 47 Schon durch den Lübecker Reichsfreiheitsbrief von 1226 waren der Stadt Lübeck von Kaiser Friedrich II. Rechte an Travemünde zugesichert worden. 1329 kaufte Lübeck die Siedlung und das komplette Gelände an der Travemündung für 1060 Lübische Mark und sicherte sich diesen wichtigen Hafen gegen lästige Zölle durch Dritte. Näher dazu Thorsten Albrecht, Travemünde (Kleine Hefte zur Stadtgeschichte 19), Lübeck 2005.



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Die Bereitschaft zur Aufhebung des Rechtsstreits dürfte aufseiten des Appellaten Stahl vor allem dem wirtschaftlichen Druck geschuldet gewesen sein, unter dem dieser stand. Immerhin musste er eine Familie ernähren, konnte jedoch nicht den von ihm erlernten Beruf ausüben und war so gezwungen, niederen und damit schlechter bezahlten Verrichtungen nachzugehen. Die Maurerzunft hingegen ließ sich womöglich auf die gütliche Beilegung des Streits ein, weil zu vermuten stand, dass das höchste Gericht sich den Erwägungen der Leipziger Juristenfakultät anschließen könnte. Immerhin berief diese sich auf die Reichszunftordnung, die auf den Augsburger Reichsschluss von 1731 zurückging, und auf das spätere kaiserliche Kommissionsdekret von 1772.48 Beide Reichsgesetze missbilligten in vielerlei Hinsicht zünftige Ordnungen, etwa im Hinblick auf den Zunftzwang, und erleichterten so unter anderem den Zugang zum Handwerk.49 Dies gab auch Appellat Stahl zu bedenken: »Allein ein jeder weis, daß nur in rebus artis vel professionis den Zünften ein gewißer Zwang beygeleget worden. In bürgerlichen oder peinlichen Sachen kömt ihnen nicht die mindeste cognition zu«.50 Tatsächlich ist die praktische Bedeutung der Reichsschlüsse insbesondere in den Reichsstädten allerdings eher gering einzuschätzen, da sie mangels Reichsexekutivgewalt von den Reichsständen hätten umgesetzt werden müssen und hiervon nur sehr zurückhaltend – so auch in Lübeck – Gebrauch gemacht wurde.51 Wahrscheinlicher ist es deshalb, dass die Maurerzunft durch Erwägungen milde gestimmt wurde, die sie bereits zur Appellation veranlasst hatten. Nun war es freilich genau dieser über so lange Zeit öffentlich geführte Streit, der das Ansehen der Zunft nachhaltig zu beschädigen drohte. Und von dem Makel des »Unehrlichen«, wie er Henkern, Badern, Schindern und Totengräbern anhaftete und diese zwang, ein Leben abseits der Gemeinschaft zu führen, und der auch für Stahl und seine vorehelich geschwängerte Frau und deren Kind gelten mochte, war die Zunft jedenfalls durch die Aussiedlung der Familie nach Travemünde gereinigt. 48 Abgedruckt bei Hans Proesler, Das gesamtdeutsche Handwerk im Spiegel der Reichsgesetzgebung von 1530 bis 1806, Berlin 1954, Anhang C: »Reichsgesetze zur Regelung des Handwerkswesens«, Nr. 29. 49 Zum Heiratsverbot durch den Reichsschluss von 1772 näher Peter Schichtel, Das Recht des zünftigen Handwerks im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken während des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Gewerberecht eines deutschen Kleinstaates gegen Ende des Ancien Régime (Schriften zur Rechtsgeschichte 37), Berlin 1986. Im Dekret von 1772 wird in Art. 4 die Begrenzung von Lehrjungen- und Gesellenzahl aufgehoben und die Heirat von Gesellen zugelassen, vgl. dazu ebd., S. 49 ff. 50 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, Unterordner 4, fol. 49. 51 Schichtel (wie Anm. 49), S. 51; Gerhard Deter, Autonomes Zunft- und obrigkeitliches Gewerberecht. Zum Verhältnis von staatlichem und statuarischem Recht im Münster des 18. Jahrhunderts, in: forum historiae iuris, online unter: http://www.forhistiur.de/1999-09deter/?l=de (11.02.2015).

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IV. Mitwirkung des Reichskammergerichts beziehungsweise anderer Einrichtungen oder Personen Seit dem Mittelalter wirkten die Gerichte in zunehmendem Maße schlichtend auf die Parteien ein. Zuletzt verpflichtete der Jüngste Reichsabschied den »Richter erster Instantz, die Parteyen in zweiffelhafften Sachen nicht allein vor angefangenem Recht-Stand, und litis contestation, sondern auch, in quacunque parte Iudicii, durch alle dienliche Mittel und Weg, auch schiedliche Erinnerungen in Güte von einander zu setzen, und hierdurch alle weitläufftige kostspaltige Rechtsfertigung zu verhüten«.52 Doch was für die unterinstanzlichen Richter und für den Reichshofrat53 gleichermaßen obligat war, war für das Reichskammergericht höchst umstritten. In der Kameralliteratur konstatierte man dazu: »Das Stillschweigen der Gesetze über einen so merkwürdigen Gegenstand ist bedenklich«.54 Eine Mitwirkung von Assessoren des Reichskammergerichts am Zustandekommen eines Vergleichs wurde allgemein für unzulässig erachtet, ja, der Reichshofrat sprach dem Gericht unter Berufung auf eine Vorschrift des Mainzer Landfriedens von 1235 gar die Zuständigkeit für Vergleichsabschlüsse gänzlich ab:55 Das Reichskammergericht sei »nicht zum Vergleichstiften vom Reich besoldet«56 beziehungsweise allein »zur Entscheidung streitiger Sachen bestimmt«.57 Zudem befürchtete man, die Parteien könnten übervorteilt werden, indem sie zu Prozessvergleichen genötigt würden, um den Richtern die Mühe einer Urteilsabfassung zu ersparen, oder indem mehr der zu erwartenden Belohnungen als der Billigkeit wegen zur Güte angeraten werde.58 Hieraus wird deutlich, dass von der Skepsis solche Vergleiche 52 So §  110 JRA 1654 aus: Ernst August Koch, Neue und vollständige Sammlung der Reichsabschiede, Dritter Theil derer Reichs=Abschiede von dem Jahr 1552 bis 1654 inclusive, Neudruck der Ausgabe Frankfurt 1747, Osnabrück 1967, S. 660 f. Zusammenfassend zur normativen Entwicklung der gerichtlichen Gütebemühungen mit weiteren Nachweisen Saar (wie Anm. 3), S. 724. 53 Balemann (wie Anm. 17), S. 440; Sellert (wie Anm. 3), S. 208 f. 54 Balemann (wie Anm. 17), S. 439. 55 In der Vorschrift heißt es u. a., dass der »hoverichter […] sol […] niemant vertagen, er thu es dan mit unserm [kaiserlichen, Anm. d. Verf.] worte«, nach Monumenta Germaniae Historica IV, Const. II, hg. von Ludwig Weiland, Hannover 1896, Nr. 196a, S. 261 f. Dazu auch Balemann (wie Anm. 17), S. 439, und Sellert (wie Anm. 3), S. 210. 56 Damian Ferdinand Haas, Vorschläge wie das Justizwesen am Kammergericht bey künftiger Visitation, oder am Reichstage nach den schon vorhandenen ältern Gesetzen einzurichten und zu verbessern sey: wenn zu baldiger Entscheidung aller Rechtshängigen Sachen Hofnung seyn- und wenn erst alsdann der Gemeine Bescheid vom 13. May 1785 einen Justiz-beförderlichen Endzweck und Nutzen haben solle, o. O. 1786, Teil 1, S. 180 f. 57 Balemann (wie Anm. 17), S. 446. 58 Ebd., S. 447 ff.



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ausgenommen waren, die bereits zuvor ausgehandelt und dem Reichskammergericht nur noch zur Kenntnisnahme und als Grundlage für die Aufhebung eines Rechtsstreits übermittelt worden waren. Wenngleich man am Reichskammergericht selbst mit Hinweis auf die mit einem gerichtlichen Vergleich verbundenen Vorteile anderer Auffassung über dessen Zulässigkeit war59, dokumentiert das untersuchte Aktenmaterial doch eine kaum zufällige Zurückhaltung.60 Anhaltspunkt für eine schlichtende Einwirkung auf die Parteien finden sich in dem untersuchten Aktenmaterial nicht. Mit einer Ausnahme rührten die Initiativen zur gütlichen Einigung offenbar stets von den Prozessparteien selbst her. Es zeigt sich, dass, mit den Worten von Johanna Bergann gesprochen, »Streitkultur und Friedensstiftung [einander] bedingen, indem der sprachliche Dialog im Rahmen eines streitigen Verfahrens zu einer gütlichen Einigung führt«.61 Hier wie auch bei der überwiegenden Mehrheit der 14 von Florian Lehrmann untersuchten Amtsträgerprozesse62 wird deutlich, dass die Verhandlungen zwischen den Parteien fast ausnahmslos außergerichtlich geführt wurden. Das Reichskammergericht wurde meist erst nach Abschluss der gütlichen Korrespondenz durch entsprechende Anzeige des Prokurators in Kenntnis gesetzt. Häufig wurde das Verhandlungsergebnis, also das Erreichen eines Konsenses, etwa durch einen Vergleich, in einer Abschrift vollständig oder auszugsweise zu den Akten gereicht. Hierdurch war die Grundlage für die informelle Beendigung des Prozesses geschaffen, die auf unterschiedliche Weise möglich war. Eine richterlich initiierte Verfahrensbeendigung ist allein in der Sache des Kölner Kaufmanns Hochhausen nachweisbar. Dort allerdings wurde der Druck auf die rechtsuchende Partei nicht etwa von Assessoren des Reichskammergerichts ausgeübt, die in der Sache kein Urteil schreiben wollten. Vielmehr waren es die Kölner Unterrichter, die hier den Rechtsuchenden überzeugend beeinflussten. Heinrich Hochhausen beabsichtigte im Jahr 1583, eine Appellation an das Reichskammergericht anzustrengen, nachdem er mit einer Schuldforderung gegen seinen ehemaligen Mitgesellschafter vor dem erstinstanzlich mit dem Streit

59 Ebd., S. 452  f.; Johann Jacob Moser, Einleitung zu dem Reichs-Hof-Raths-Proceß, Bd. IV, Franckfurth [= Frankfurt am Main] 1747, S. 810. 60 Einige wenige weitere Nachweise außerhalb der untersuchten Bestände bei Thomsch (wie Anm. 6), S. 18. 61 So Bergann in ihrem Vortrag am 02.10.2013 auf der Tagung »Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.–19. Jahrhundert« vom 02.–04.10.2013 in Wetzlar. 62 So Lehrmann in seinem Vortrag am 03.10.2013 auf der Tagung »Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.–19. Jahrhundert« vom 02.–04.10.2013 in Wetzlar.

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befassten Kölner Rat unterlegen war.63 Weil Hochhausen jedoch in einer persönlichen Beschwerdeschrift auch »allerhant schmeheliche wortt« für die Kölner Richter fand, verweigerten diese ihm die Ausstellung des Apostelbriefs. Dieser war die förmliche Zulassung des Rechtsmittels durch das mit der Streitsache vorinstanzlich befasste Gericht.64 Im Falle der Billigung übersandte das Gericht dann die bisher angefallenen Verfahrensakten nebst dem Apostelbrief an das Reichskammergericht. Prozessual standen Hochhausen nun mehrere Möglichkeiten offen: Ließ der iudex a quo die Appellation nicht zu, blieb dem Appellanten zum einen der Weg, sich wegen Nichtzulassung an das Reichskammergericht zu wenden, oder zum anderen die Möglichkeit, die Sache nicht weiter zu betreiben.65 Verfolgte er dagegen weiter eine Appellation, konnte in Ermangelung einer für die Zulässigkeit des weiteren Verfahrens entscheidenden Prozessvoraussetzung ein Prozessurteil ergehen. Statt sich wegen der Rechtsverweigerung weiter an das Reichskammergericht zu wenden, verzichtete Hochhausen jedoch in der Folgezeit – offensichtlich unter dem Eindruck der Androhung rechtlicher Schritte gegen seine Person – auf das Rechtsmittel, indem er sein Appellationsgesuch förmlich zurücknahm.66 Auch in der causa der Weilerschen Untertanen regte nicht das Reichskammergericht die Aufhebung des Verfahrens an, wenngleich schon dessen bloße Einschaltung eine Klagerücknahme bewirkte. Dieser und ein weiterer Fall67 ver63 StA Köln, RKG, Nr. 813. 64 Dazu Friedrich Merzbacher, Apostelbrief, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, 11971, Sp. 195 f.; Samuel Oberländer (Hg.), Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum, unveränderter Nachdr. der 4. Auflage, Nürnberg 1753, hg. von Rainer Polley, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 301. 65 Zur Rechtsverweigerung insgesamt Peter Oestmann, Rechtsverweigerung im Alten Reich, in: ZRG.GA 127 (2010), S. 51–141, hier insbesondere S. 90–102. Zum Ablauf näher Bernhard Diestelkamp, Von der Arbeit des Reichskammergerichts, in: ders., Recht und Gericht im Heiligen Römischen Reich (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 122), Frankfurt am Main 1999, S. 283–308, hier S. 285. Wegen der Möglichkeit, sich wegen der Nichtzulassung an das Reichskammergericht zu wenden, konnte die Partei praktisch ungeachtet des auch in der RKGO erwähnten Apostelbriefs (vgl. RKGO 2, 30, 1) die Herausgabe der Akten verlangen, Oberländer (wie Anm. 64). Vgl. dazu auch Adolf Laufs, Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 3), Köln/Wien 1976, S. 208–211 und S. 292. 66 StA Köln, RKG, Nr. 813. 67 Sebastian Volz und Konsorten hatten 1568 vor dem Hofgericht Rottweil gegen die Vormünder der Kinder des verstorbenen Hans Dietrich von Gemmingen um die Auslösung ihrer Güter prozessiert, die in der Gemarkung Mühlhausen gelegen waren. Nachdem die Kläger in der Beweisaufnahme vom einschlägigen Mühlhausener Gewohnheitsrecht unterrichtet worden waren, hatten sie ihre – offensichtlich aussichtslose – Klage zurückgezogen. Zu der klägerischen Appellation an das Reichskammergericht kam es in der Folge dann aber nicht



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deutlichen übrigens, dass sich häufig erst bei gründlicherem Aktenstudium zeigt, in welchem Stadium eines über mehrere Instanzen geführten Prozesses ein Streit aufgehoben wurde. In beiden Fällen wurden nicht die am Reichskammergericht anhängigen Verfahren zurückgenommen. In der causa der Untertanen zu Weiler führte vielmehr das reichskammergerichtliche Mandatsverfahren zu einer Klagerücknahme bei der unteren Instanz. Der von den Weilerschen Untertanen unterinstanzlich Beklagte begehrte dabei die Feststellung der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts.68 Ebenso wenig, wie eine Mitwirkung des Reichskammergerichts nachgewiesen werden konnte, sind auch Empfehlungen rechtsbeistehender Anwälte, die das Zustandekommen von Güteverhandlungen eingeleitet hätten, dokumentiert, wenngleich sie mit ihren rechtsgelehrten Kenntnissen und damit ihrem Wissensvorsprung gegenüber ihren Parteien die Erfolgsaussichten eines Verfahrens natürlich besser einschätzen konnten und freilich unterstellt werden darf, dass sie ihre Mandanten hierüber auch in Kenntnis gesetzt haben. Immerhin findet in einem der untersuchten Verfahren eine Kommission Erwähnung, die eine gütliche Einigung zwar nicht nachweislich anregte, wie das Florian Lehrmann bei den sogenannten »Amtsträgerprozessen« für vom Reichskammergericht eingesetzte Exekutionskommissionen aufdecken konnte69, aber am Zustandekommen des friedlichen Übereinkommens doch maßgeblich mitwirkte. In der Sache des Maurergesellen Salomon Stahl gegen die Lübecker Maurerzunft setzte Letztere eine Kommission aus ihren eigenen Reihen ein – namentlich die Ältesten der Zunft –, die das vorläufige Ergebnis der Vergleichsverhandlungen der gesamten Zunft zur Beratung vorstellten und zur Unterzeichnung vorlegten.70 Zu berücksichtigen ist freilich, dass diese Kommission kein neutrales, vermittelnd tätiges Organ war, sondern eindeutig auf der Seite der appellatischen Partei stand. An dieser gütlichen Einigung wirkte zudem das Lübecker Wettegericht mit, vor dem die Vergleichsgespräche geführt wurden und vor dem der Vergleich letztlich auch förmlich geschlossen wurde. Die weitere Frage, ob eine Streitbeilegung einseitig erfolgen konnte oder ob die streitbeilegende Partei auf die Mitwirkung des Kontrahenten angewiesen war, hing augenscheinlich davon ab, ob der Streit bereits befestigt war oder nicht. Dabei ist bei reichskammergerichtlichen Verfahren besonders zu berücksichtigen, dass es sowohl bei Appellationen als auch bei Mandatsverfahren cum etwa, weil man es sich anders überlegt hätte, sondern sie richtete sich gegen das Kostenurteil, das die Kläger zur Zahlung von 420 fl. verpflichtete, HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4924, [Q] 11, Urteilsbrief des Hofgerichts Rottweil von 1576. 68 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671. 69 So Lehrmann (wie Anm. 62). 70 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, Commissions-Vergleich von 1797, [Q] 36.

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clausula keiner speziell kammergerichtlichen Streitbefestigung bedurfte: Bei den Appellationssachen stellte schon das erstinstanzliche Verfahren eine hinreichende Streitbefestigung dar, bei den Mandatsverfahren versagte sich das Erfordernis einer Litiskontestation wegen der Eilbedürftigkeit der Sache. »Da dann einmahl obangezogener Weise libelliret, soll es dabey gelassen und hernach keine Variation […] gestattet werden«.71 Nach der mit der Streitbefestigung eingetretenen Litispendenz, die mit der heutigen Rechtshängigkeit vergleichbar ist und die den judiziellen Abschnitt des Verfahrens einleitete und den Umfang des streitigen Inhalts beschrieb72, war die einseitige Lossagung vom Verfahren im Prozess nicht mehr möglich.73 Weil im Klageverfahren der Kläger nach der Streitbefestigung durch Beweis seines behaupteten Klagerechts Anspruch auf Verurteilung des Beklagten und damit korrespondierend Letzterer einen Anspruch auf Abweisung des Klägers für den Fall der Nichterweislichkeit des Behaupteten hatte, war zur förmlichen Beendigung des Verfahrens grundsätzlich ein Endurteil erforderlich. Auch wenn eine der beiden Parteien nach Streitbefestigung ausblieb, bestand nach Reichsrecht an sich nur die Möglichkeit der einseitigen Prozessführung oder des Ruhens des Prozesses.74 Daneben wurde jedoch in der zeitgenössischen Literatur zum Prozess71 So ausweislich des Gemeinen Bescheids vom 13.12.1593, zitiert nach Georg Melchior von Ludolff, Corpus Juris Cameralis, das ist/ des Kayserlichen Cammer-Gerichts Gesetz-Buch, Frankfurt am Main 1724, S. 452–453, Nr. CCCXX. Dazu auch Peter Oestmann, Gemeine Bescheide, Teil 1: Reichskammergericht 1497–1805 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 63,1), Köln/Weimar/Wien 2013, Nr. 92, S. 279. Anderer Auffassung ist Jacob Friederich Ludovici, Einleitung zum Civil-Proceß, Halle 121750, 34. Cap., § 28, S. 384. 72 Zur Litiskontestation insgesamt vgl. Steffen Schlinker, Litis Contestatio. Eine Untersuchung über die Grundlagen des gelehrten Zivilprozesses in der Zeit vom 12. bis zum 19.  Jahrhundert (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 233), Frankfurt am Main 2008. 73 Allgemein für Prozesse siehe zusammenfassend Zedler (wie Anm. 14), Bd. XLVIII, Sp. 225 f. mit weiteren Nachweisen, für den Kameralprozess Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln/Wien 1981, S. 146 f.; Schlinker (wie Anm. 72), S. 218 f. Etwas anderes galt nach sächsischem Recht, vgl. ebd., S. 438. So auch die spätere prozessrechtliche Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, vgl. etwa Moritz August von Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß des gemeinen Rechts in geschichtlicher Entwicklung, Bonn 1865, Bd. 2, § 86, S. 216; Georg Wilhelm Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, Leipzig ³1878, § 14, S. 126, § 46, S. 549. 74 So u. a. auch Steinwenter (wie Anm. 14). Dieser Lesart widerspricht allerdings Wilhelm August Friedrich Danz, Grundsätze des gemeinen ordentlichen, bürgerlichen Prozesses, Stuttgart ³1800, §  459, S. 649, der bei klägerischer Säumnis eine »Entbindung von der Instanz« auf Antrag des Beklagten vorsieht. Dazu vgl. auch Dick (wie Anm. 73), S. 192.



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recht die Ansicht vertreten, den Parteien sei auch die Möglichkeit eingeräumt gewesen, sich durch übereinstimmenden Antrag auf das Fallenlassen des anhängigen Prozesses zu einigen. Für den Richter irrelevant gewesen seien dabei sowohl das Motiv des Rückzugs – Befriedigung des Anspruchs, Vergleich – als auch die Reichweite des gemeinsam formulierten Widerrufes – Verzicht auf das Klagerecht insgesamt oder nur auf das bisherige Verfahren mit der Möglichkeit einer erneuten Klageerhebung.75 Diese Auffassung wird durch die in den untersuchten Verfahren sich niederschlagende Praxis bestätigt. Dabei mag die Mitwirkung beider Seiten als das freundschaftliche Element im Gegensatz zur Definitivsentenz als Entscheidung durch Recht angesehen werden. In der causa der als Freiort klagenden Gemeinde Kochendorf gegen die Herren von und zu Kochendorf setzt das im Jahr 1604 zu den Akten gereichte Schriftstück darüber in Kenntnis, dass »kunde und zu wissen sey«, dass die reichskammergerichtliche Zitation »verglichener Strittigkeiten halber […] durch beedtheil [Hervorhebung durch Verf.] gebrauchte Procuratores […] also bald abgeschafft« sein solle.76 Die appellantische Maurerzunft zu Lübeck erteilte im Zuge der städtischen Dokumentation des Vergleichs zunächst ihrem Prokurator den Auftrag, den Prozess vor dem Reichskammergericht zu »renunciiren« und dem Gegner Stahl hiervon entsprechende Mitteilung durch Zustellung einer von der Lübecker Kämmerei beglaubigten Abschrift77 zu machen.78 Der Eintrag im Spezialprotokoll lässt erkennen, dass man nach Einreichung des Aufhebungsgesuchs durch den anwaltlichen Vertreter »ein gleiches von [sic!] Gegenanwaldt gewärtige«.79 Die einvernehmlichen Erklärungen über die Beilegung des Rechtsstreits wurden dem Gericht, wenn es nicht ausnahmsweise selbst daran beteiligt war, sowohl zu den Akten gereicht als auch mündlich vorgetragen, um so die prozessuale Bindung, die Rechtshängigkeit, formal beenden zu können.80 Motive und Reichweite dagegen waren individuell in den Vergleichen ausgestaltet. Aufschluss über das Mitwirkungsrecht bei Aufhebung eines Mandatsverfahrens gibt der Streit zwischen Ernst Graf von Holstein, Schauenburg und Sternberg und dem Rat der Stadt Hamburg.81 Die Parteien stritten in den Jahren 1609 bis 1611 über das Recht, Zölle zu erheben. Der Antragsteller behauptete, 75 Vertiefende Hinweise bei Wetzell (wie Anm. 73), § 14, S. 127, § 46, S. 549 f. 76 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 2449, Vergleich zwischen Herrschaft und Gemeinde, 1604, [Q] 33. 77 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, [Q] 36, Beilage Nr. G. 78 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, [Q] 36, Beilage Nr. F, fol. 4. 79 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, Eintrag im Spezialprotokoll der Verfahrensakte vom 15.09.1797. 80 Siehe dazu näher die Ausführungen unten, Punkt V. 81 StA HH, Nr. S 12.

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dieses Recht stehe ihm für bestimmte Waren auch für das Hamburger Gebiet allein zu. Tatsächlich habe jedoch die Stadt von seinen »Underthanen so in der selben Statt Ogßenheütt kaufft von jeder haut zwölff schilling Lübisch, wie dan auch von Käeß, Butter Holtz, […] Korken[,] Weitzen, Gewürtz und Lübeckisch Bier, einen vermeinten Zoll« verlangt.82 Um zu seinem Recht zu kommen, beantragte Graf von Holstein schließlich ein mandatum poenale sine clausula, das auf Unterlassung der Zollerhebung gerichtet war. Nach einer Reihe von Schriftsätzen zeigte der implorantische Vertreter Reinhardt im August 1611 an, dass er von den schauenburgischen Räten die Information bekommen habe, der in Hamburg genommene Zoll sei abgeschafft worden, sodass er für seinen Mandanten auf das weitere Verfahren verzichte.83 Gödelman, der Rechtsbeistand des Antragsgegners, hielt dem entgegen, nichts von einer so gearteten Mitteilung zu wissen – das Verfahren war nicht beendet. Rund zwei Wochen später wiederholte Reinhardt seine Verzichtsabsicht, worauf Gödelman zu Protokoll gab, dass er es trotz immer noch fehlender Informationen in der Sache ebenfalls »dismahls darbey« belasse.84 Ein Completum-Vermerk vom 30. September 1611 schließt die Akte. Auch wenn darüber hinausgehende Formalia nicht überliefert sind, wird doch deutlich, dass auch bei der vorzeitigen Beendigung eines Mandatsverfahrens ein Einverständnis der Gegenseite eingeholt wurde. Dieser Gerichtsgebrauch könnte im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Gemeinen Bescheid aus dem Jahre 1593 stehen, wonach wegen der Eilbedürftigkeit der Sache nach Eingang eines Antrags auf Erlass eines Mandats »hernach keine Variation […] gestattet werden« solle.85 Eine solche Änderung konnte zunächst natürlich inhaltlicher Art sein, wahrscheinlich ist aber, dass diese Auffassung genereller gedeutet wurde, und zwar dahin gehend, dass die antragstellende Partei überhaupt nicht mehr einseitig den weiteren Gang des Verfahrens beeinflussen können sollte. In diesem Zusammenhang aufschlussreich ist auch die bereits erwähnte causa Hochhausen.86 Die Rücknahme des Appellationsgesuchs durch Hochhausen war offensichtlich ohne weiteres Zutun der gegnerischen Partei möglich87, obwohl die Sache am Reichskammergericht anhängig gemacht worden war. Immerhin war jedoch das Reichskammergericht in der Sache noch gar nicht tätig geworden. Ähnliches gilt für den Streit der Weilerschen Untertanen: Der Beklagte Ludwig von und zu Weiler hatte sich bereits unmittelbar nach Erhebung der unterinstanzlichen Klage und damit vor jeglichem Tätigwerden des Untergerichts mit 82 83 84 85 86 87

StA HH, Nr. S 12, [Q] 1. StA HH, Nr. S 12, Spezialprotokoll, Eintrag vom 21.08.1611. Ebd., Eintrag vom 16.09.1611. Siehe dazu Anm. 70. Zum Sachverhalt siehe näher StA Köln, RKG, Nr. 813. So auch Oberländer (wie Anm. 64) mit weiteren Nachweisen.



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seinem Mandat an das Reichskammergericht gewandt. In diesem Stadium war die Aufhebung eines Streits nach gemeinrechtlichen Grundsätzen jedenfalls noch möglich, denn Einreden »wider den Richter, den Kläger und den Gerichtszwang« waren vor Kriegsbefestigung anzubringen, da niemand schuldig sei, »zu nehmen die Klage von deme/ so nicht sein Richter ist«.88 Was das reichskammergerichtliche Mandatsverfahren betrifft, dürfte Implorant Weiler nach der Klagerücknahme durch seine Untertanen kein Interesse mehr an einem förmlichen Mandat gehabt haben, hatte er sein damit angestrebtes Ziel doch bereits erreicht. Das Reichskammergericht hatte darüber hinaus Kenntnis von der Beilegung des Verfahrens durch die zu seinen Akten gereichte notariell beglaubigte Aufhebung. Ein förmliches Mandat hatte sich demzufolge in der Sache erledigt.

V. Formale Anforderungen In den untersuchten Akten werden unterschiedliche Formalia bei der renunciatio erkennbar.89 Noch Mitte des 19. Jahrhunderts heißt es dazu, dass »oft die Förmlichkeiten dabei bis zum Kleinlichen getrieben, oder ganz vernachlässigt, und bald mehr, bald weniger die Bestimmungen der Gesetze befolgt werden«.90 Dieses mannigfaltige Bild bestätigen die hier in den frühneuzeitlichen Quellen dokumentierten gütlichen Einigungen. Die privaten Übereinkünfte werden stets schriftlich dokumentiert, und zwar nicht allein auf privatschriftlichem Weg, sondern mittels Einschaltung obrigkeitlicher Stellen. Dies deckt sich mit Befunden für die mittelalterliche Praxis, wonach für Vergleiche zum hinreichenden Nachweis ihres Abschlusses häufig ein Gerichtszeugnis oder Gerichtsbrief ausgestellt wurde oder sie in städtische Bücher einzutragen waren.91 Auch scheint es ständiger Gerichtsgebrauch gewesen zu sein, dass die Aufhebung eines Streits den damit befassten Gerichten schriftlich angezeigt werden musste. Schon aus einem Gemeinen Bescheid aus dem 16. Jahrhundert geht hervor, dass »alle Exceptiones dilatoriae, declinatoriae, non devolutionis, desertionis und dergleichen […] in Novis auch wohl mündlich, wofern solches mit kurtzem in specie geschehen mag; sonsten aber anderst nicht als schrifftlich […] gehandelt« werden sollten.92 Dabei waren es üblicherweise unterinstanzliche Gremien, die sowohl den schriftlichen Nachweis über die gütliche Einigung der 88 RKGO 1508, V, § 2. 89 Zur Unterscheidung siehe auch zusammenfassend Zedler (wie Anm. 14), Bd. XLVIII, Sp. 212. Näher zu den formalen Anforderungen u. a. Dalner (wie Anm. 14), Cap. XVII. 90 Graebe (wie Anm. 4), Vorrede. 91 Ebel (wie Anm. 3), S. 36–39. 92 Gemeiner Bescheid vom 13.12.1593, wie Anm. 71.

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Parteien erstellten und das Reichskammergericht hiervon in Kenntnis setzten als auch das prozessuale Aufhebungsbegehren abfassten und dem Reichskammergericht zustellten. In der Sache des Kölner Kaufmanns Hochhausen wurde die Rücknahme seines Appellationsgesuchs durch das Bürgermeister- und Amtleutegericht vor dem Rathaus zu Köln beurkundet und sodann nach Speyer gesendet.93 Im Streit der Weilerschen Untertanen erfolgte die gerichtlich »beschehene[n,] auch jurato bestätigte[n] Renunciation[en]« nach den mündlichen Berichten der Wortführer in »optima forma«, das heißt zu Protokoll des Weilerschen Gerichts, das notariell beglaubigt dem Reichskammergericht zu den Akten gereicht wurde.94 In dem Streit der Lübecker Maurerzunft war zunächst das Lübecker Wettegericht beteiligt, vor dem die Vergleichsgespräche geführt wurden und vor dem der Vergleich letztlich auch förmlich geschlossen wurde. Anschließend wurde der städtische Kämmerer zuerst mit der Zustellung des Vergleichsergebnisses an den Appellaten Stahl beauftragt.95 Sodann wurde dem hierauf an die Kämmerei einbestellten Stahl das Verhandlungsprotokoll nochmals verlesen und zur Unterschrift vorgelegt.96 Häufig wurden die schriftlichen Erklärungen auch vor einem Notar beurkundet. So wurde in dem Begehren von Elisabeth von Schienen (geb. vom Stein) gegen ihre drei Brüder die Klagerücknahme in Form eines notariellen Instruments in den Prozess eingeführt.97 Auch in der causa Rübmann beurkundete ein in Öhringen, der Residenzstadt der gegnerischen Hohenlohischen Territorialherrschaft, ansässiger Notar förmlich die Entsagung jeglicher rechtlicher Schritte.98 Hierfür begaben sich Notar und zwei Zeugen in Form der beiden Bürgermeister in die hochgräfliche Kanzlei, wo sie von drei Kanzleibediensteten in Empfang genommen wurden. Rübmann gab sodann mündlich den Sachverhalt und die Prozessgeschichte wieder und erklärte auf Befragen, ob er wegen der ihm zuteilgewordenen Gnade »mit der Ihme bereits angedyhenen und auch künfftig sich zu getrösten habenden Hochherrschaftl[ichen] Gnad unterth[änigst] vergnügt« sei und auf seinen am Reichskammergericht anhängig gemachten Prozess verzichte. »So gab dieser Rübmann hirauff seine vollkommene zufriedenheit mittelst Erstattung seiner unterth[ängi]sten Danksagung […] deutlich zu erkennen« und er-

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StA Köln, RKG, Nr. 813. HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, [Q] 46. StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, [Q] 36, Beilage Nr. C. Ebd., [Q] 36, Beilage Nr. D. HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3797, Instrumentum renunciatae litis des Notars Johann Müller, Gerichtsschreiber zu Ulm, 1594, [Q] 13. 98 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Instrument des Öhringer Notars Georg Heinrich Ludwig Zaun, 10.02.1752, ohne [Q].



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klärte förmlich seine Renunziation. Er habe nach »ausgewürcketer Citation […] ursach«, sich der »erhobenen Klage gäntzlich begeben«.99 Insbesondere diese Renunziationen unter Einbindung eines Notars weisen auf die lange Tradition des Rechtsinstituts in der Notariatspraxis und ihre damit zum Ausdruck kommende bereits frühe Bedeutung als prozessrechtserhebliche Erklärung hin, die sich in systematischen Darstellungen niederschlug, in denen teils einzelne Verzichtsformeln zusammengestellt wurden, teils sich aber auch mit wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit betriebene inhaltliche Auseinandersetzungen finden.100 In einigen Fällen sind die persönlichen Unterschriften der streitenden Parteien beziehungsweise solche von Vertretern für »des Schreibens ohnerfahr[ene]«101 Personen, Beeidigung102, Siegel oder das Beisein von zwei Zeugen nachweisbar.103 Korrespondierend zu dieser uneinheitlichen Handhabung wird auch von der zeitgenössischen Literatur die Frage, ob die eigenhändigen Unterschriften beziehungsweise die Eidesleistungen zur Rechtswirksamkeit der Erklärung zwingend abzuleisten seien oder ob diese von den Beteiligten nur vorgenommen würden, um die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens zu unterstreichen, nicht einheitlich beantwortet.104 Da eine außergerichtliche Handlung, wie insbesondere der Vergleich, gerichtliche Prozesshandlungen nicht aufheben kann105, schließen sich an die Vergleichsbemühungen Aufhebungsgesuche an. Sie sind in den reichskammergerichtlichen Spezialprotokollen mit den Worten mitgeteilt, man wolle »feyerlichst renunciren«106, es sei in der Sache »ferner procedirens nit nötig«107, oder man wolle es schlicht »dismahls darbey« belassen.108 Die anwaltlichen Parteivertreter mussten dem Reichskammergericht für solche Eingaben nach überwiegender Ansicht eine besondere, das Recht zur Beilegung umfassende Vollmacht vorlegen.109 So gab 99 Ebd., fol. 3v. 100 Hans Schlosser, Die Rechts- und Einredeverzichtsformeln (renuntiationes) der deutschen Urkunden des Mittelalters vom 13. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge 2), Aalen 1963, S. 99 f. (mit weiteren Nachweisen) und S. 103. 101 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4671, [Q] 46. 102 Ebd. 103 Vgl. etwa HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Schreiben vom 11.02.1752, ohne [Q]. 104 Bejahend etwa Berger (wie Anm. 14), Cap. V. 105 Zu den Rechtswirkungen der renunciationes in deutschen Urkunden des Mittelalters vgl. Schlosser (wie Anm. 100), S. 99–103. 106 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3031, Spezialprotokoll, fol. 4. 107 StA HH, RKG, Nr. M 50, Spezialprotokoll, Eintrag vom 26.08.1658, fol. 4r. 108 StA HH, Nr. 12, Spezialprotokoll, Eintrag vom 16.09.1611. 109 So auch eindrücklich bei Johann Ulrich von Cramer, Wetzlarische Nebenstunden, Teil 103, IX. Fall, Ulm 1770, S. 417–447, hier S. 418 f., der auch den Meinungsstand zusam-

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etwa in der Sache der Neippergischen Fideicommiss-Interessenten Prokurator Zwierlein beim Reichskammergericht an, das Aufhebungsgesuch auf »special Instruction« anzubringen.110 Üblicherweise wurde das Aufhebungsgesuch in den mündlichen Verhandlungen des Reichskammergerichts erörtert und entweder Bezug nehmend auf eine zuvor schon zu den Akten gereichte schriftliche Erklärung von beiden Seiten förmlich angenommen oder eine solche wurde angefordert und in einem späteren Termin mündlich bestätigt. Diese formalen Schritte erfolgten häufig in rascher Abfolge. Vom Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwischen der Lübecker Maurerzunft und dem Gesellen Stahl an vergingen nur rund sechs Wochen, bis mit Datum vom 30. September 1797 der Completum-Vermerk in das reichskammergerichtliche Spezialprotokoll eingetragen wurde.

VI. Wirkungen Die Reichweite einer Begebungserklärung hing grundsätzlich allein vom Parteiwillen ab. »Ein[e] jede Verzicht[serklärung] ist also zu verstehen, wie sie derjenige gemeynet und gedeutet haben würde, der sie geleistet«.111 Die renunciatio mit ihrer allein prozessbeendigenden Wirkung zeitigte jedenfalls eine Kostenentscheidung.112 Wer ein selbst angestrengtes Verfahren zurücknahm, hatte hierfür – nach dem Verursacherprinzip – üblicherweise die Kosten zu tragen.113 In diesem Sinne gab auch der appellatische Anwalt Gülich in der Sache des Hamburger Appellanten Moller während des Sitzungstermins des Reichsmenfasst, vgl. ebd., Teil 97, IV. Fall, S. 89 f.; zusammenfassend auch Zedler (wie Anm. 15), Bd. XLVIII, Sp. 225, der auf die Ausführungen bei Michael Heinrich Griebner, Michael Heinrich Griebners Icti Königl. Pohlnischen Churfürstl. Sächsischen Hof- und Justitien-Rahts, auch Ordinarii zu Leipzig Discurs zur Erläuterung der Churfürstl. Sächsischen alten, und verbesserten Proceß-Ordnung, Leipzig 1780, VII, § 2, S. 121, verweist. Auch dazu Dalner (wie Anm. 15), Kap. III, Rn. 44, S. 327. 110 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3031, Beilage Nr. 17. 111 Zedler (wie Anm. 14), Bd. XLVIII, Sp. 212. 112 Zu den Wirkungen der renunciatio vgl. Schröter (wie Anm. 14), Cap. IIX, Dalner (wie Anm. 14), Cap. XIX und Müchel (wie Anm. 14). 113 In der Sache Sebastian Volz und Konsorten gegen die Vormünder der Kinder des verstorbenen Hans Dietrich von Gemmingen beinhaltete die streitgegenständliche Kostenaufstellung jedoch fälschlicherweise auch weitere Kosten, die die Beklagten ihrerseits in anderen Prozessen verursacht hatten, vgl. HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 4924. Weitere Beispiele etwa bei Schröter (wie Anm. 14), Cap. VI, Rn. 51, Cap. IIX, Rn. 28 ff. Zur Kostentragungspflicht vgl. auch Griebner (wie Anm. 109), S. 121.



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kammergerichts zu Protokoll, er nehme die beantragte Aufhebung des Verfahrens »hirmit in Recht an«, jedoch nur unter der Bedingung, dass die appellantische Seite wegen des Rechtsmittels »in hießig[er] alß voriger Instantz aufgeloffen[en]« Kosten übernehme.114 Aus dem untersuchten Aktenmaterial lässt sich schließen, dass mit der Renunziation üblicherweise ein Vergleich und damit auch eine materiell-rechtliche Wirkung verbunden wurde.

Commissionsvergleich von 1797115

Diese gütlichen Einigungen wuchsen durch ihren Abschluss unter Einbindung öffentlicher Ämter, wie es hierzu etwa in einem Ratsdekret heißt, erst in »ihre volle Rechts-Kraft«, nachdem sie von beiden Parteien »angenommen – beschloßen und bestättiget« worden waren.116 Damit erlosch nicht allein der geltend gemachte Anspruch beziehungsweise das Recht, sondern die prozessierende Partei nahm dann das Rechtsmittel zurück 114 StA HH, RKG, Nr. M 50, Spezialprotokoll, Eintrag vom 26.08.1658, fol. 4v. 115 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, Commissionsvergleich von 1797, [Q] 36, fol. 140. 116 StA Lübeck, RKG, Nr. M 8, [Q] 36, Beilage Nr. F, fol. 3.

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und darüber hinaus verzichteten die Kontrahenten auf die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen für die Zukunft. Nach dem Parteiwillen sollten beide Elemente miteinander stehen und fallen.117 In der Sache der Neippergischen Fideicommiss-Interessenten gegen Wilhelm Reinhard Graf von Neipperg heißt es im Vergleich »cum renunciatione litis« vom August 1773: »[…] nach unserer allerseitigen eigenen Hand- und Pettschaftsferttigung dieses gegenwärttigen Vergleichs und Renunciations Urkund […] verzeihen, renunciren, und entsprechen wir sämtliche Fidei Comiss-Interessenten krafft gegenwärttiger Urkund allen und jeden in mentionirter Sache bereits erhobenen und künftigen Ansprüchen, es mögen solche Nahmen haben, wie sie nur immer wollen, für Uns, unsere Erben und Erbeserben, auch Pfleegbefohlenen, dann deren Erben und Erbnehmer mit wohlbedachtem muth und guten Wißen, auf immer und ewig, also und dergestalten, daß keines von uns, noch unsere und unserer Pfleegbefohlenen Erben und Nachkommen, unter was Vorwand es immer sey, dieserwegen mehr weitere Ansprüche in Zukunft machen zu können, fug haben, sondern von dieser Stund an die ganze Sache also angesehen werden solle, als wenn hievon niemal eine Rede gewesen«.118 Die Urkunde reichte Prokurator Zwierlein zwei Tage später beim Reichskammergericht zu den Akten und gab an, »feyerlichst renunciren« zu wollen. Und auch in der eingangs zitierten causa Rübmann gegen Graf Johann Friedrich von Hohenlohe wurde der Erklärung sowohl materiell-rechtliche als auch prozessuale Wirkung beigelegt: Rübmann verzichtete zunächst »an würcklicher Eydes Statt« wegen der Überlassung in die Dienste der Königlich Preußischen Armee künftig auf alle rechtlichen Ausflüchte, wie diese »im[m]er Nahmen haben – oder erdacht werd[en] mögen.«119 Sodann wurde protokolliert, dass sich Rübmann der am Reichskammergericht erhobenen Klage vollumfänglich begebe, und zwar »dergestalten und also, daß ich nun und nimmer mehr wegen solcher meiner überlassung in Königl. Preußische dienste, einige Klage, Anspruch, forderung, oder sonsten etwas zu keiner zeith jemahles wieder gerichtl. oder außer gerichtlich erheben, formiren, oder vornehmen […] wolle«.120 Die in diesen Verfahren skizzierte Mitwirkung gerichtlicher Gremien ist aufschlussreich, denn von den Absichten, die die Parteien mit den Erklärungen verbanden, muss die Frage unterschieden werden, ob auch die Rechtsprechung die prozessuale Wirkung von Renunziationen anerkannte. Dies lässt sich für das Mit117 So auch Cramer (wie Anm. 109) für den dort, Bd. 97, IV, § 3, S. 88, geschilderten Fall. 118 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3031, Beilage Nr. 17. 119 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Instrument des Öhringer Notars Georg Heinrich Ludwig Zaun, 10.02.1752, ohne [Q], fol. 4r. 120 HStA Stuttgart, C 3, BüNr. 3635, Schreiben vom 11.02.1752, ohne [Q].



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telalter jedenfalls nicht einheitlich beantworten.121 Und auch für die höchstrichterliche Rechtsprechungspraxis der Frühen Neuzeit fehlen, von Einzelstudien abgesehen122, empirische Studien.

VII. Fazit 1. Nur ausnahmsweise beeinflussten das Reichskammergericht oder andere offizielle Einrichtungen die Prozessparteien, gütliche Einigungen zu treffen. Dagegen hatte der Prozessgegner nach Streitbefestigung regelmäßig an der Beilegung des Streits mitzuwirken. Eine einseitige Erklärung hierüber reichte nicht aus. 2. Das untersuchte Aktenmaterial spiegelt insgesamt eine gütegeneigte Praxis wider. Ohnehin waren Parteien bei offensichtlichen Mängeln der Zulässigkeit eines Rechtsmittels gewillt, den Streit zügig beizulegen. Im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Rechten oder materiell-rechtlichen Ansprüchen war die große Gütebereitschaft vermutlich der Erkenntnis der streitenden Parteien geschuldet, aus eigener Kraft ein wirkungsvolleres Ergebnis erzielen zu können, als auf die höchstrichterliche Justiz zu vertrauen.123 Die Klagen über mangelnden Rechtsschutz vor dem höchsten Gericht des Reiches sind vor allem mit Rücksicht auf die lange Verfahrensdauer und dessen beschränkte Vollstreckungsmöglichkeiten überliefert. Damit hätte auch für diese frühneuzeitliche Praxis der bereits für die antike und mittelalterliche Geschichte erhobene Befund Geltung, wonach die Vergleichsfreudigkeit immer dann zunimmt, wenn »die Effektivität des gewöhnlichen Rechtsschutzes nicht eben hoch ist«.124 Solche Vergleiche dürften häufig auch der großen Zahl der schlicht nicht weiter betriebenen Verfahren zugrunde liegen, die durch die vorliegende Untersuchung nicht erfasst wurden. Über die Gründe, warum Parteien über eine Einigung hinaus auch die prozessuale – und mit Kosten verbundene – Aufhebung des gerichtlichen Verfahrens begehrten, anstatt es ruhen zu lassen, kann nur spekuliert werden. Es mussten jedenfalls handfeste Vorteile sein, die sich die Parteien davon versprachen. Diese konnten in der mit der förmlichen und damit öffentlichen Aufhebung des Verfahrens einherge121 Schlosser (wie Anm. 100), S. 102 f. 122 Anja Amend-Traut, Brüder unter sich – die Handelsgesellschaften Brentano vor Gericht. Elemente privater Konfliktlösung im Reichskammergerichtsprozess, in: Albrecht Cordes/Serge Dauchy (Hg.), Eine Grenze in Bewegung: Öffentliche und private Justiz im Handels- und Seerecht. Une frontière mouvante: Justice priveé et justice publique en matiéres commerciales et maritimes (Schriften des Historischen Kollegs 81), München 2013, S. 91–116. 123 In diesem Sinne auch schon Haas (wie Anm. 56), S. 182. 124 Ebel (wie Anm. 3), S. 2.

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henden Wiederherstellung des guten Rufs oder der Möglichkeit, den Instanzenzug hierdurch voll ausschöpfen zu können, gesehen werden. 3. Die analysierten Verfahren legen eine gängige förmliche Praxis offen, die bei gütlicher Beilegung eines Verfahrens eingehalten wurde. Der Parteikonsens wurde unter Einschaltung einer obrigkeitlichen Stelle schriftlich fixiert und dem Reichskammergericht in der mündlichen Verhandlung insinuiert. Die anwaltlichen Vertreter bedurften für das Aufhebungsgesuch einer besonderen Vollmacht. 4. Einigten sich die streitenden Parteien auf materiell-rechtlicher Ebene in Form eines Vergleichs, wurde dieser regelmäßig mit der Beendigung des reichskammergerichtlichen Verfahrens verbunden. Dann zeitigten die Streitbeilegungen auch eine prozessbeendigende und darüber hinausgehend eine klagesperrende Wirkung.

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Kaufmännische Pareres – Gutachten als Konsens und Beweismittel im 17. und 18. Jahrhundert1 I. Einleitung. II. Formen der Streitentscheidung. III. Probleme der Nachweisbarkeit außergerichtlicher Konfliktlösung. IV. Konfliktbeilegung mit »Freundschaft«. V. Fazit.

I. Einleitung Kaufmännische Pareres sind als Quellengattung nahezu unbekannt. Während die handels- und wechselrechtliche Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts sich ausführlich mit dieser Quellengruppe auseinandersetzte, nahm ihre Bedeutung wohl mit der zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommenden Einrichtung handelsrechtlicher Gerichte ab, bis das Parere im 20. Jahrhundert in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Unter einem Parere wurde in der zeitgenössischen Literatur des 18. Jahrhunderts mehrheitlich ein kaufmännisches Gutachten2 verstanden, welches Auskunft über Handelsgewohnheiten, sogenannte Usancen – meist speziell für einen bestimmten Handelsplatz – gab.3 Die Gutachten wurden regelmäßig von Gre1 Der Aufsatz steht thematisch im Zusammenhang mit der Dissertation der Verfasserin (Arbeitstitel: »Pareres der ›löblichen Kaufmannschaft‹ Frankfurt am Main. Handelsrechtliche Konfliktlösung im 18. Jahrhundert«), welche zurzeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt entsteht. 2 Der neuralgische Begriff »Gutachten« wird in diesem Beitrag wie auch in der entstehenden Dissertation bewusst verwendet. Es mag diskussionswürdig sein, ob Pareres, die lediglich eine Usance mitteilen, als Gutachten bezeichnet werden können. Da die Pareres aber mehrheitlich eine inhaltliche Auseinandersetzung sowie eine rechtliche Würdigung aufweisen, verwendet die Verfasserin die Begriffe Parere und Gutachten synonym. 3 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschaften und Künste […], Bd. 26, Leipzig/Halle 1740, Sp. 847 f.; Carl Günther Ludovici/ Johann Christian Schedel, Neu eröffnete Academie der Kaufleute, oder encyclopädisches Kaufmannslexicon alles Wissenswerthen und Gemeinnützigen. Vierter Theil, Leipzig 1799, Sp. 1913; Johann Heinrich Bender, Grundsätze des engeren Handlungs-Rechts, ohne Rücksicht auf das Wechselrecht, Darmstadt 1824, §  190, S. 420; Leopold Carl Bleibtreu, Lehrbuch der Handelswissenschaft. Zum Gebrauche bei Vorlesungen und zum Selbststudium, Karlsruhe 1830, § 467, S. 506; Friedrich August Biener, Wechselrechtliche Abhandlungen, Leipzig 1859, Abh. IV, § 9, S. 428; Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Teil B: Geschichtlich-literarische Einleitung und Grundlehren, Bd. 1, Nachdruck der Ausgabe von 1875, Aalen 1973, § 35, S. 352.

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mien erstattet, die mit Kaufleuten besetzt waren. Hin und wieder erstellte aber auch ein Einzelkaufmann das Parere.4 Wenngleich die Gutachten die ganze Bandbreite handelsrechtlicher Problemstellungen abbildeten, lag ihr Schwerpunkt auf der Beantwortung wechselrechtlicher Fragen. Dies überrascht nicht, da der Wechsel zu dieser Zeit das wichtigste Zahlungs- und Kreditmittel zwischen Kaufleuten war. Das Wort parere und wohl auch das Parere selbst sind italienischen Ursprungs und waren dort, wie auch in Frankreich, bereits Mitte des 17. Jahrhunderts verbreitet.5 Für Deutschland sind erste Pareres Mitte des 16. Jahrhunderts in Nürnberg, ab Ende des 17. Jahrhunderts, in Leipzig, Hamburg und dann auch in Frankfurt am Main, nachweisbar.6 Das dem Aufsatz zugrunde liegende Quellenmaterial stammt aus dem Zeitraum zwischen 1690 und 1740. Räumlich ist die Untersuchung auf die Pareres der Frankfurter Kaufleute begrenzt.7 Die Pareres bieten nicht nur vertiefte Einblicke in das Wechselrecht des 18.  Jahrhunderts, sondern geben vielmehr auch Aufschluss über den Umgang der Kaufleute mit Konflikten innerhalb ihrer Geschäftsbeziehungen. Während die Funktion der Pareres im Dissertationsvorhaben im Vordergrund steht, liegt 4 Karl Gottlob Rössig, Erste Grundsätze des deutschen Privatrechts zu Vorlesungen und als Einleitung zur Erlernung des reinen deutschen Privatrechts, Leipzig 1797, § 15, S. 184; Georg Carl Treitschke, Alphabetische Encyclopädie der Wechselrechte und Wechselgesetze, Bd. 2: M–Z, Leipzig 1831, S. 53; Biener (wie Anm. 3), Abh. IV, § 9, S. 431 f. In Hamburg erstellten zunächst Einzelkaufleute die Gutachten. Siehe dazu: Ernst Baasch, Die Handelskammer zu Hamburg 1665–1915, Bd. 1: 1665–1814, Hamburg 1915, S. 646 f. 5 Jacques Savary des Brulons/Louis-Philémon Savary des Brulons, Dictionnaire universel de commerce, Bd. 3: L–Z. Paris 1748, Art. Parere, Sp. 709; Paul Jacob Marperger, Neu-eröffnetes Handels-Gericht oder Wohlbestelltes Commercien-Collegium. Worinnen von Dessen Nothwendig- und Nutzbarkeit / denen dazu erforderten Personen / dahin gehörigen Sachen […], Hamburg 1709, III. Cap., S. 68; Jakob Friedrich Ludovici, Einleitung zum Wechsel-Prozeß. Darinnen Von denenienigen Fällen in welchen nach Wechsel-Recht geklaget werden kann […], Halle 1713, Cap. XII, S. 214; Ludovici/Schedel (wie Anm. 3), Sp. 1912; Süpke, Art. Parere, in: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, Dritte Section: O–Z, Zwölfter Theil: Pardaillan–Pascalia, hg. von Johann Samuel Ersch/Johann Gottfried Gruber, Leipzig 1850, S. 26–27. 6 Eine Auswahl der Pareres der Leipziger Kramermeister ist bei Johann Gottlieb Siegel, Corpus juris cambialis. Einleitung zum Wechselrecht überhaupt, Zweyter Theil, Leipzig 1742, abgedruckt; für Nürnberg siehe Philipp Pommer, Die Rechtsgutachten der Nürnberger Marktvorsteher, Erlangen 1948; für Hamburg siehe Baasch (wie Anm. 4), S. 646 f., und vor allem Eva-Christine Frentz, Kaufmännische Gutachten – Parere – im Hamburgischen Seeprozeß, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 10 (1988), S. 151–178. 7 Dies entspricht auch der Quellenauswahl der entstehenden Dissertation, in welcher die Auswahl näher erläutert wird.



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der Fokus dieses Aufsatzes auf einem Teilaspekt: der Vermeidung kontroverser Streitentscheidung durch Pareres.

II. Formen der Streitentscheidung Zunächst ist festzustellen, welche Formen der Streitentscheidung, ob gerichtlich oder außergerichtlich, streitig oder konsensual, sich in den Pareres wiederfinden. Grundsätzlich dienten die Pareres sowohl der Einschätzung der Rechtslage8 als auch der Prozessverkürzung9 und -vermeidung.10 In der Literatur wird von Fällen berichtet, in denen Pareres als Beweismittel vor Gericht vorgelegt wurden und der Richter seine streitige Entscheidung auch auf das Parere stützte, der Konflikt somit »mit Recht« gelöst wurde.11 Inwiefern dies auch auf die Frankfurter Pareres zutrifft, wird die Verfasserin im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens noch grundlegend überprüfen. Wurden die Pareres vor Gericht verwendet, ersetzten sie vor allem die nicht vorhandene Spezialgerichtsbarkeit. In Deutschland gab es bis zu Beginn des 19.  Jahrhunderts nur vereinzelt spezifische Handelsgerichte.12 Die mangelnde Expertise eines Schöffengerichts im kaufmännischen Bereich konnte durch Hinzuziehen eines Parere als kaufmännisches Fachgutachten ausgeglichen werden, das nicht nur funktional, sondern auch im Aufbau den Gutachten der Juristenfakultäten ähnelte.13 8 Ludovici (wie Anm. 5), Cap. XII, S. 214; Meno Pöhls, Darstellung des gemeinen Deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts für Juristen und Kaufleute, Hamburg 1828, § 153, S. 345; Carl Joseph Anton Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts mit Einschluss des Handels-, Wechsel- und Seerechts. In zwei Abtheilungen, Erste Abtheilung, Regensburg 1847, § 25, S. 98. 9 Martin Wagner, Idea mercaturae. Darinnen was von der Kaufleute Commercien, Credit und Glauben, Fallimenten oder Banckrotten, Wexeln und dessen Rechte, Protesten, Parêre, Rescontreën Kaufmans Messen, Assecurationen, Buchhalten und bilanciren an zumercken und zubehalten, kürz jedoch eigentlich beschrieben wird, Bremen 1661, S. 42; Johann Jakob Heydiger, Kurtze Anleitung zu gründlichem Verstand des Wechsel-Rechts, Köln 1715, Cap. XII, S. 116; Johann Georg Krünitz/Heinrich Gustav Flörke, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats-[,] Stadt-[,] Haus- und Landwirthschaft, Bd. 107: Papieradel–Pasternak, Berlin 1807, S. 485; Süpke (wie Anm. 5), S. 26. 10 Süpke (wie Anm. 5), S. 26. 11 Mittermaier (wie Anm. 8), § 25, S. 98; Heinrich Thöl, Das Handelsrecht, Erster Bd., Göttingen 1854. 12 Siehe hierzu vor allem Willy Silberschmidt, Die Entstehung des deutschen Handelsgerichts. Nach archivalischen Quellen dargestellt, Leipzig 1894. 13 Die Pareres wurden häufig mit den Gutachten der Juristenfakultäten verglichen: Wagner (wie Anm. 9), S. 41; Marperger (wie Anm. 5), III. Cap., S. 68; Ludovici (wie Anm. 5),

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Neben einer richterlichen Entscheidung, die auf Grundlage eines Parere gefällt wurde – also eine Entscheidung »mit Recht« –, gab es sicherlich auch eine innergerichtliche Alternative der kontroversen Streitentscheidung, indem der Konflikt aufgrund des Gutachtens mittels eines Vergleichs beigelegt wurde. Wie hoch die Zahl der Konfliktlösungen ist, in denen ein Parere als Gutachten herangezogen wurde und der Streit »mit Recht« gelöst wurde, lässt sich nicht abschließend für den untersuchten Zeitraum sagen. Für die Frankfurter Untergerichte sind bislang noch keine Prozesse auf diese Fragestellung hin untersucht worden.14 Was den Frankfurter Bestand der Reichskammergerichtsakten betrifft, wurde für die quantitative Auswertung auf das Repertorium von Inge Kaltwasser zurückgegriffen.15 Nach diesem wurden im Untersuchungszeitraum in lediglich drei Prozessen Pareres der Frankfurter Kaufleute sowie in ungefähr einem Dutzend weiterer Fälle Gutachten aus anderen Städten herangezogen. Darüber hinaus berichtet Anja Amend-Traut in ihrer 2009 publizierten Habilitationsschrift von weiteren vier Reichskammergerichtsprozessen aus dem besagten Zeitraum, in denen ein Gutachten der Frankfurter Kaufleute den Akten beilag.16 Für den gewählten Forschungszeitraum von 1690 bis 1740 lassen sich aber ca. 450 Gutachten in einem gesonderten Pareres-Bestand finden, der im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte aufbewahrt wird.17 Die Gutachten sind zu 95 % mit wechselrechtlichen Problemen befasst. Anja Amend-Traut hat für ihre Untersuchung der Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht 195 Prozesse herangezogen, von denen 77 % – nämlich 150 Prozesse – zweitinstanzliche Appellationsverfahren waren.18 73  % der von Amend-Traut untersuchten Verfahren stammen aus dem 18. Jahrhundert und mehr als 30 % der von ihr herangezogenen Fälle sogar aus den 1720er-

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Cap. XII, S. 214; Ludovici/Schedel (wie Anm. 3), Sp. 1916; Philipp Carl Scherer, Handbuch des Wechselrechts worinnen theils die Art und Weise, wie die Wechselgeschäfte zu behandeln und zu beurtheilen, gezeigt […], Bd. 2: J–S, Frankfurt am Main 1800, S. 326; Hermann Krause, Die geschichtliche Entwicklung des Schiedsgerichtswesens in Deutschland, Berlin 1930, S. 72. Da der Frankfurter Aktenbestand der Bürgermeisteraudienzen, die ab 1732 die maßgebliche erste Instanz gewesen wären, unverzeichnet und unsortiert ist, birgt die Auswertung der obigen Fragestellung auch für die Zukunft große Schwierigkeiten. Inge Kaltwasser, Inventar der Akten des Reichskammergerichts 1495–1806. Frankfurter Bestand (Inventar der Akten des Reichskammergerichts 27), Frankfurt am Main 2000. Anja Amend-Traut, Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht. Praktiziertes Zivilrecht in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2009. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (im Folgenden ISG Frankfurt am Main), W 2/5 1.053 und W 2/5 1.054. Amend-Traut (wie Anm. 16), S. 145.



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und 1730er-Jahren, sodass der Untersuchungszeitraum für einen großen Teil der Fälle deckungsgleich ist.19 Es gab somit trotz zahlreicher Appellationsprivilegien und Beschränkungen hinsichtlich des Erreichens einer bestimmten Appellationssumme nicht wenige zweitinstanzliche Verfahren in Wechselsachen vor dem Reichskammergericht.20 Sowohl gegen Urteile des bis 1732 erstinstanzlich in Wechselsachen zuständigen Schöffengerichts als auch gegen solche der ab 1732 ausschließlich zuständigen Bürgermeisteraudienz waren Rechtsmittel zulässig.21 Die bis 1743 in Frankfurt geltende Appellationssumme von 60 fl. konnte für die den Pareres zugrunde liegenden Sachverhalte auch kein Hindernis darstellen, da die streitigen Summen regelmäßig mehrere Hundert, teilweise auch mehrere Tausend Gulden überschritten. Konkrete Rückschlüsse, wie viele erstinstanzliche Verfahren, in denen Pareres hätten beigelegt werden können, den gerade sieben verzeichneten Reichskammergerichtsprozessen gegenübergestanden haben, können daraus selbstverständlich nicht gezogen werden. Die nur geringe Zahl an Reichskammergerichtsprozessen, in denen nachweisbar Pareres herangezogen wurden, im Vergleich zu der hohen Zahl der in diesem Zeitraum verfassten Gutachten lässt jedoch den Schluss zu, dass die Pareres auch im Rahmen einer außergerichtlichen Konfliktlösung verwendet worden sein müssen.

III. Probleme der Nachweisbarkeit außergerichtlicher Konfliktlösung Um abschließend seriöse Aussagen über die Anzahl der erstinstanzlich herangezogenen Pareres treffen zu können, müssten die Prozesse des Schöffengerichts bis 1732 und anschließend die der Bürgermeisteraudienzen für den besagten Zeitraum untersucht werden, was allerdings die oben angedeuteten Schwierigkeiten der Quellenauswertung mit sich bringt. Denn selbst wenn es möglich sein sollte, die Akten dahin gehend auszuwerten, lässt sich trotz allem nicht positiv nachweisen, ob Pareres im Regelfall tatsächlich der Konfliktvermeidung dienten. Hier liegt wohl ein grundsätzliches Forschungsproblem im Feld der außergerichtlichen Konfliktlösung. 19 Ebd., S. 30. 20 Näheres zu den Appellationsprivilegien und Beschränkungen der Appellationssumme ebd., S. 145 ff. 21 Erhard Zimmer, Die Zivilgerichtsbarkeit in Frankfurt am Main im 19. Jahrhundert, Erster Teil: Die Zeit von 1800 bis 1806, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 57 (1980), S. 87–123, hier S. 92, und Amend-Traut (wie Anm. 16), S. 133.

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Während Gerichtsentscheidungen klassischerweise archiviert wurden, lassen sich Quellen außergerichtlicher Einigung bestenfalls dann finden, wenn die Einigung vor staatlichen beziehungsweise obrigkeitlichen Gütestellen stattgefunden hat und diese Stellen die Kompromisse verschriftlicht haben. Darüber hinaus ist man darauf angewiesen, Hinweise auf außergerichtliche Streitbeilegung in privaten Nachlässen und ähnlichen Quellengattungen zu finden. Für Frankfurt am Main existieren zwar bis zum Jahr 1740 Gutachten, die in ein eigens dafür angelegtes Pareres-Buch geschrieben wurden. Jedoch handelt es sich hierbei um eine Sammlung anonymisierter Gutachten. Die Pareres liegen nicht den einzelnen Rechtsstreiten bei und können ihnen auch nicht zugeordnet werden, so dass der Ausgang der einzelnen Verfahren nicht mehr nachvollzogen werden kann. Wenngleich es aus dem Grund der geringen Aufzeichnungspraxis und den angedeuteten Schwierigkeiten der Quellenauswertung nicht beweisbar sein wird, die außergerichtliche Streitbeilegung dezidiert nachzuweisen, gibt es viele Indizien dafür, dass Konflikte zwischen Kaufleuten häufig »mit Freundschaft« beigelegt wurden. In diesem Zusammenhang muss zunächst der Begriff der »Freundschaft« definiert werden.

IV. Konfliktbeilegung mit »Freundschaft« Anders als in einigen anderen Beiträgen dieses Bandes lässt sich in den für den vorliegenden Aufsatz verwendeten Quellen keine Begriffsformel zu »Freundschaft oder Recht« finden. Die Gutachten stellen keinen Vergleich dar, sondern müssen vielmehr als Vorstufe der Einigung begriffen werden. Eine Konfliktbeilegung aus Freundschaft im Sinne einer freiwilligen Beilegung aus altruistischen Gründen lässt sich in den Quellen nicht nachweisen. Vielmehr dürften äußere Zwänge die Parteien veranlasst haben, den Konflikt nicht vor Gericht auszutragen, sondern ihn »freundschaftlich«, für beide Seiten Vorteile bringend, zu lösen. Um diese äußeren Zwänge, die in einem Konflikt vordergründig wirken konnten, zu verdeutlichen, soll beispielhaft ein Parere vom 23. November 1729 herangezogen werden, in dem die Abwicklung eines blanko indossierten Wechsels streitig war.22 In diesem konkreten Fall wurden weder die Klarnamen der Parteien23 genannt – sie werden stattdessen als »Antigonus«, »Seleucus« und »Ptolomäus« bezeichnet – noch lässt sich gesichert sagen, aus welcher Stadt die beteiligten Personen 22 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204. 23 Auf die Anonymisierung der Gutachten wurde bereits unter III. hingewiesen.



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stammten. Die in dem Parere erwähnte Stadt Eichelberg gab es zwar, doch lässt sie sich aufgrund ihrer geringen Größe als Wechselumschlagplatz, als der sie im Parere dargestellt wird, ausschließen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Eichelberg ein Synonym für eine andere, bedeutendere Handelsstadt war, die man nicht nennen wollte, da Rückschlüsse auf die beteiligten Personen möglich gewesen wären. Dieses Gutachten, wie zahlreiche andere auch, in denen nicht nur die Personen und ihr Herkunftsort verschleiert, sondern teilweise auch die Höhe der Valuta eines Wechsels verheimlicht wurden24, zeigt, dass der gute Ruf des Kaufmanns auf keinen Fall beschädigt werden sollte, weshalb die Verfahren häufig anonymisiert wurden. Eine vergleichbare Anonymität wäre im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens kaum möglich gewesen. Von der Bevorzugung kaufmännischer Pareres zur Konfliktlösung gegenüber einem gerichtlichen Verfahren berichtet auch Philipp Carl Scherer in seinem »Handbuch des Wechselrechts«: »Sie [Anm. d. Verf.: die Pareres] vertreten unter der Kaufmannschaft gleichsam die Stelle richterlicher Aussprüche, und werden von den Kaufleuten lieber von unpartheyischen Banquiers als vom Richter erfordert, weil sie damit dem gerichtlichen Prozeß ausweichen«.25 Neben dem Aspekt der Reputation dürfte die Funktionalität des Handelsverkehrs der wichtigste Grund der Konfliktvermeidung beziehungsweise zeitnahen Streitbeilegung gewesen sein. Nur ein ungestörter Ablauf konnte den Bedürfnissen des Handelsverkehrs ausreichend Rechnung tragen. So stand auch in der Frankfurter Entscheidung aus dem Jahr 1729 nicht die strikte Einhaltung der Rechtsordnung im Vordergrund. Vielmehr trafen die Kaufleute eine Billigkeitsentscheidung, da, wie sie selbst sagten, »in Wechsel=Sachen alles bona fide« zugehe.26

V. Fazit Zum Abschluss soll aufgezeigt werden, was dies nun für die Frage, ob Konflikte »mit Freundschaft oder mit Recht« gelöst wurden, bedeutet. 24 E. B. A., Der in allen Vorfällen vorsichtige Banquier, Oder: Gründlich und Deutliche Anweisung, Was Ein Banquier in seinem Negotio, auch allen und jeden darin vorkommenden Fällen, zu beobachten, und welcher gestalt er dabey allen Praejuditz vermeyden, mithin seine Handlung vorsichtig führen könne, Alles, so wohl durch die neueste Europäische Wechselordnungen / Vernünftig- und unpartheyische, hinten angehängte Parere der Franckfurter Kauffmannschafft, als überall angeführte und in Praxi bewährte rationes erläutert und bestärckt, Bd. 2, Frankfurt am Main 1733, P LXXVIII. 25 Scherer (wie Anm. 13), S. 326. 26 ISG Frankfurt am Main, W 2/5 1.054, P 204, S. 59.

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Zum einen lässt sich festhalten, dass eine außergerichtliche Konfliktbeilegung aufgrund der oben genannten Schwierigkeiten, sie in den Quellen nachzuweisen, nur selten dezidiert feststellbar ist. Zum anderen muss der Begriff der »Freundschaft« beziehungsweise der »Freiwilligkeit« beleuchtet werden. Für die diesem Beitrag zugrunde liegenden Quellen lässt sich feststellen, dass Kaufleute zwar häufig Konflikte anstatt mit »Recht« mit »Freundschaft« beigelegt haben dürften, der Begriff der Freundschaft aber als Geschäftssinn und der Freund im wahrsten Sinne als Geschäftsfreund begriffen werden muss.

Serge Dauchy

Judicial and Extrajudicial Conflict Resolution in the Code de procèdure civile of 1806. Between Historical Heritage and Revolutionary Innovation I. Introduction. II. The Code de procèdure civile and the Legacy of the French Revolution. III. Civil Procedure, Conflict Resolution and the Control of the Judges. IV. Conclusion.

I. Introduction From all the Napoleonic codes, the Code de procédure civile is the only one to suffer from a bad reputation. Even before it came into force on January 1st 1807, the new code, prepared by a governmental commission composed exclusively of Ancien Régime practitioners, had been severely criticized. Two years earlier, the courts of appeal and the Court of Cassation, invited to submit their remarks on the project, already unanimously deplored a purely descriptive set of procedural rules without any general conceptual vision. Although the Supreme Court proclaimed that »a codification of procedural rules was probably more expected and more necessary than the Code civil«1, the judges feared that excessive formal precautions would again make civil justice slow and expensive.2 Several generations of lawyers and historians have therefore considered the Code of civil procedure to be – in the words of Eugène Garsonnet at the end of the nineteenth-century3 – a slavish imitation of the Civil Ordinance of 1667 and a restoration of the eighteenth-century practice of the Châtelet court in Paris. Nobody will deny that the new code was largely inspired by pre-revolutionary procedural principles.

1 Observations préliminaires de la Cour de cassation sur le projet de procédure civile, Paris 1803–1804 (http://polib.univ-lille3.fr/documents/B593505406_000000005D.43_IMG. pdf ). 2 Serge Dauchy, Les formes sont à la justice de la République ce que le pendule est à l’horloge. Les observations des cours d’appel sur le projet de Code de procédure civile de l’an XIII, in: Renée Martinage/Jean-Pierre Royer (Eds.), Justice et République(s), Lille 1993, pp. 289–297. 3 Eugène Garsonnet, Cours de procédure, organisation judiciaire, compétence et procédure en matière civile et commerciale, Paris 1883.

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Eustache-Nicolas Pigeau, the most influential member of the commission and also the main author of the project4, had published in 1773 a book entitled »La procédure civile du Châtelet et de toutes les juridictions ordinaires du royaume«. His project openly claimed the Ancien Régime legacy and therefore opted for fitting civil procedure tightly in a stringent framework. Three reasons have been put forward by nineteenth-century doctrine to explain not only that very formal approach to procedural codification but also the choice of continuity with roman-canonical rules forged since the late Middle Ages by ecclesiastical courts and taken over by royal high courts. Firstly, Napoleon’s (supposed) personal disinterest for procedural matters; he attended only two sessions of the Council of State and thus gave the impression to leave discussions about the code to legal practitioners. Secondly, the disastrous memory of the revolutionary period, in particular the reform introduced by the decrees of Brumaire Year II, which called for conflict resolution without formalities or procedural obstacles and banished professional judges and even lawyers from the courts.5 Thirdly, the knowledge that, unlike substantive civil law, civil procedure had been codified before the Revolution and that, despite some imperfections, the Ordinance of 1667 still offered the best guarantees for settling civil disputes. For those reasons, the 1806 Code of civil procedure was unanimously presented by nineteenth-century legal literature as a reactionary legislation, to be understood as an attempt to offset at the time recent excesses and to restore the thread of the pre-revolutionary heritage and legal secu-

4 In March 1801, the minister of justice, André-Joseph Abrial, ordered a first draft. A few months later, Eustache-Nicolas Pigeau wrote his own project, a project which, according to Stefano Solimano’s investigations, seems to have been largely confirmed by the governmental commission chaired by Jean-Baptiste Treilhard. Cf. Stefano Solimano, Alle origini del Code de procedure civile del 1806: il progetto Pigeau, in: Studi di storia del diritto, Milano 1999, pp. 729–772. See also Jean-Louis Halperin, Le code de procédure civile de 1806. Un code de praticiens?, in: Loïc Cadiet/Guy Canivet (Eds.), De la commemoration d’un code à l’autre. 200 ans de procédure civile en France, Paris 2006, pp. 23–34, and Catherine Lecomte, Le nouveau Code de procédure civile, rupture et continuité, in: Jean Foyer/Catherine Puigelier (Eds.), Le nouveau Code de procédure civile (1975–2005), Paris 2006, pp. 5–16. 5 Pierre Boncenne, Théorie de la procédure civile précedée d’une introduction, titre 1, Poitiers 1828, p. 7, described the radical reform introduced in October 1793 as »cette expérience dont l’échec apparaissait si terrible et patent pour les contemporains que toute description en était superflue«. For a more objective analysis of the revolutionary decree of Brumaire Year II, see Jean-Louis Halpérin, Le juge et le jugement en France à l’époque révolutionnaire, in: Robert Jacob (Ed.), Le juge et le jugement dans les traditions juridiques européennes, Paris 1996, pp. 233–256; cf. also Gérard Cornu/Jean Foyer, Procédure civile, Paris 1948, p. 22.



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rity.6 Recent research has highlighted a more political interpretation of that code, showing an imperial will to control conflict resolution and moreover to control the actors of judicial conflict resolution, but also the commission’s attempt to conciliate and even synthesize, much more than was previously acknowledged, continuity and innovation, the Ancien Régime tradition and the Revolution’s achievements.7

II. The Code de procédure civile and the Legacy of the French Revolution The 1806 Code of civil procedure does not have the appearance of an innovative codification proposing a new approach to settle civil disputes. It rather looks like a very formal and purely descriptive achievement, a textbook explaining in 1,042 articles all aspects of ordinary and special procedures in the area of civil law, without any general outline or any theoretical conceptualization.8 By refusing Pigeau’s proposal to include at the beginning of the Code an introductory chapter stating »the general rules of civil procedure« and a preliminary presentation of the judicial organization and the guiding principles of judicial conflict resolution – in their remarks, several courts of appeal had expressed the wish to have such a general introduction –, the lawmaker failed to express clearly his intentions. Moreover, the new code appeared in contradiction to the revolutionary ideal (or utopia) to settle conflicts without forms or formalities and to organize justice without procedure. In the new polity imagined by the Revolution’s leading figures in 1789, the implementation of a legicentric organization, the only political system able to ensure individual liberties, had absolute priority and was also considered to be the only way to keep the judiciary within strict boundaries. Since the courts’ organization inherited from the absolute monarchy and all privileges, in particular 6 Peter Endres, Die französische Prozessrechtslehre vom Code de procédure civile (1806) bis zum beginnenden 20. Jahrhundert, Tübingen 1985. 7 For a more general survey, see Alain Wijffels, The Code de procédure civile (1806) in France, Belgium and the Netherlands, in: C. H. Remco van Rhee/Dirk Heirbaut/Marcel Storme (Eds.), The French Code of civil procedure (1806) after 200 years. The civil procedure in France and abroad, Mechelen 2008, pp. 5–73. 8 Treilhard, chairman of the government’s commission, explains that the code should foresee everything in order to avoid any arbitrary decision (»Le code doit tout prévoir afin que rien ne se fasse qui n’ait été ordonné et imposer une marche fixe qui ne permette pas l’arbitraire dans l’instruction parce qu’il serait bientôt suivi de l’arbitraire dans le jugement«): P. Lepage, Nouveau style de la procédure dans les cours d’appel, les tribunaux de première instance, de commerce et dans les justices de paix ou le Code judiciaire mis en pratique par des formules; suivi de l’exposé des motifs présentés au Corps législatif par les orateurs du Gouvernement, et du texte de la loi d’après l’édition originale et officielle, Paris 1806.

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judicial privileges, had been completely abolished, the Constituent Assembly did not consider a codification of civil procedure to be a matter of urgency. A full and thorough overhaul of the judicial system – institutions, legal professions, modes of conflict resolution and even legal education – was to be undertaken.9 The members of the revolutionary Assembly promoted in particular extrajudicial conflict resolution10 – »extra« to be understood as outside the public sphere. That policy was in the first place based on practical considerations. In a period during which the whole society would have to be reshaped, extrajudicial conflict resolution seemed the easiest and less expensive way to settle disputes. Secondly, the policy was founded on philosophical and ideological reasons: the idea of man’s natural goodness, cherished by Jean-Jacques Rousseau, led several members of the Assembly (following a both utopian and legal trend) to proclaim the primacy of equity over law. By the decrees of August 1790 the Assembly encouraged the use of arbitration and conciliation as the »most reasonable ways to end disputes between citizens«.11 Arbitration was allowed in all matters, without any exception, and appeal was only allowed if it had been expressly provided by the litigants in the arbitration clause. None of that was really very new12, as arbitration had been frequently used by litigants since the late Middle Ages, in particular in commercial cases, but also when several courts claimed competence. With the birth of the modern centralized state it had been organized by successive ordinances which shaped its formal rules, taking over various provisions from the Digest. The history of arbitration, in particular the question related to the possibility of an appeal before a royal jurisdiction13, is in that sense a good way to assess the control of extra- or infrajudicial conflict resolution by central authorities. In early modern times, that control became gradually but steadily more restrictive; in addition, statutory formalities imposed to arbitration – as, for example, those required by the royal edicts of 1560 and 1561 – tried to assimilate arbitration proceedings with judicial conflict resolution. The French Revolution, on the contrary, relaxed the courts’ grip on 9 Jean-Pierre Royer, Histoire de la justice en France, Paris 42010, pp. 251 seq. 10 Claudine Bloch/Jean Hilaire, Nouveauté et modernité du droit révolutionnaire. La procédure civile?, in: La Révolution et l’ordre juridique privé. Rationalité ou scandale?, Paris 1988, titre 2, pp. 469–482. 11 Thomas Clay, Une erreur de codification dans le Code civil. Les dispositions sur l’arbitrage, in: 1804–2004, le Code civil. Un passé, un présent, un avenir, Paris 2004, pp. 693–713. 12 Except in family disputes where »forced« arbitration became compulsory. See Carine Jallamion, Arbitrage forcé et justice d’Etat pendant la Révolution française d’après l’exemple de Montpellier, in: Annales historiques de la Révolution française 4 (2007), pp. 69–85. 13 Serge Dauchy, Le recours contre les décisions arbitrales en perspective historique. Aux origines des articles 1481–1491 NCPC, in: Revue de l’arbitrage 4 (1999), pp. 763–783.



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non-judicial forms of dispute settlement and freed them from any constraints other than those freely accepted by the litigants themselves.14 Nevertheless, arbitration still bore much resemblance with judicial resolution of conflicts. Arbitral proceedings remained subject to formal rules and arbitration awards often had to be enforced through court judgments. The revolutionary ideology aimed in fact to achieve prejudicial rather than extra- or infrajudicial conflict resolution. The purpose was to prevent and/or avoid disputes rather than to settle them. Conflict mediation, and in particular »conciliation«, was therefore to become the cornerstone of the new judicial structure.15 When discussions about the new judicial organization started in the Constituent Assembly on March 24th 1790, deputy Thouret proposed the creation of justices of the peace as the foundation of the new judicial edifice.16 According to Thouret’s own phrase, a judge of the peace had to be »un homme de bien« (i. e. without any legal training or special qualification), elected by the community to prevent and, if necessary, to settle disputes. Not a judge, but an all-round pater familias. He was expected to preclude all procedural chicanery, to pay attention to the facts and not to legal issues, which was the reason why professional lawyers had to be excluded from any attempt to reach conciliation. In the famous decrees of 16–24 August 1790, conciliation became compulsory: Judicial proceedings before the district courts were subject to the presentation of a certificate issued by a »peace office« (bureau de paix) proving that all attempts to bring peace between the parties had failed or that one of the parties had refused to appear. The official and compulsory character of preliminary conciliation (préalable de conciliation) was without any doubt the most emblematic shift in civil conflict resolution and the one that had the greatest impact on civil procedure. Ancien Régime justice did not ignore the possibility to settle a dispute out of court, even when the case had been brought before the judge. Ever since the Middle Ages, many municipal courts had proposed so-called »gracious justice« to their inhabitants and the royal edict of Fontainebleau issued in 1560 had imposed arbitration by family or friends in matters concerning successions, guardianship

14 See Carine Jallamion, L’arbitrage en matière civile du XVIIe au XIXe siècle. L’exemple de Montpellier (unpublished doctoral dissertation), Montpellier 2004. 15 Serge Dauchy, La médiation. Bref survol historique, in: C. H. Remco van Rhee/Dirk Heirbaut/Marcel Storme (Eds.), The French Code of civil procedure (1806) after 200 years. The civil procedure in France and abroad, Mechelen 2008, pp. 77–88. 16 See, among many other works on the history of the »justice de paix«, the contributions in Jacques-Guy Petit (Ed.), Une justice de proximité. La justice de paix (1790–1958), Collection »Droit et justice«, Paris 2004.

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or dowry.17 Nevertheless, mediation in all its forms had never been imposed as a preliminary condition for bringing a case before the judge. For the revolutionary Assembly, on the contrary, judicial conflict resolution had to become the exception and extrajudicial conflict resolution the rule. Citizens should reach dispute settlement outside the court, prior to any legal action, if necessary with the help of a good father or an amicabilis compositor called (although that name may appear to be contradictory to its mission) a juge de paix. The Constitution of the Year VIII (1799), article 60, even ranked preliminary conciliation among the constitutional principles. For Jean-Baptiste Treilhard and the other members of the commission appointed by the First Consul, the main difficulty was without any doubt the integration of the revolutionary legacy, but also of the new imperial regime’s view on the judiciary, in a code of formal rules forged by Ancien Régime practice. Although the general structure of the Code draws its inspiration from the Ordinance of 1667, the first book (or chapter) is entitled »De la justice de paix« and the first title of the second book dedicated to the »lower courts« deals with »conciliation«. Article 48 even repeats the revolutionary principles: »Parties are not allowed to introduce a claim before a court without having first been summoned or having appeared of their own free will before a justice of the peace in order to settle their dispute by conciliation«.18 At first sight, preliminary conciliation seems always required before a judicial settlement, except for disputes related to public interest, municipalities, governmental institutions, minors, vacant successions, trusteeship and various other matters listed in article 49, or also when a lawsuit required to be settled promptly. However, what remained of the revolutionary ideas and the Constituents’ hope to settle most disputes by mediation, or even of the litigants’ enthusiasm for the utopian belief in the »innate goodness of man«?19 Justices 17 James F. Traer, The French family court, in: The Journal of the Historical Association 59 (1974), pp. 211–228. 18 Code de procédure civile de 1806, livre 1, titre 1, art. 48: »Aucune demande principale introductive d’instance entre parties capables de transiger, et sur des objets qui peuvent être la matière d’une transaction, ne sera reçue dans les tribunaux de première instance, que le défendeur n’ait été préalablement appelé en conciliation devant le juge de paix, ou que les parties n’y aient volontairement compare«. See about the »préliminaire de conciliation«: Thomas Clay, Le modèle pour éviter le procès, in: Thierry Revet (Ed.), Code civil et modèles. Des modèles du Code au Code comme modèle, Paris 2005, pp. 51–73, especially pp. 57–59. 19 Several courts of appeal expressed their doubts about preliminary conciliation. They considered it a useless formality, mainly because of a lack of means given to the peace offices but also because the litigants’ unwillingness. Observations des cours d’appel sur le projet de procédure civile, Paris 1803–1804, Cour d’appel de Dijon (Titre III, section I): »L’institution des bureaux de paix est une belle conception dans la théorie; mais dans la pratique, elle n’est



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of the peace had become part of the judicial organization, the lowest level of a state-controlled establishment. They were not longer elected but appointed by the Emperor for a term of ten years (two candidates were presented by the cantonal assembly) and gradually most of them became trained professionals.20 In that way, the new rules of civil procedure first served the government’s judicial policy, half way between Ancien Régime hierarchy and revolutionary rationalism.

III. Civil Procedure, Conflict Resolution and the Control of the Judges Parties often seek to resolve their disputes outside the institutional courts for pragmatic reasons. Litigants choose alternative forms of dispute resolution because they are faster, less expensive, less formal, more confidential – especially in family disputes; the Revolution therefore also created special family tribunals21 –, or they opt for arbitration because they need an appropriate degree of expertise to bring highly technical issues to a conclusion. However, the scope of extra- or infrajudicial conflict resolution and the relationship with judicial conflict resolution – in particular the possibility left to litigants to settle freely whatever issue out of court, the limited or enlarged avenues for appeal of non-judicial settlements and even the enforceability recognized to those settlements by judges – depend upon the degree of state-building, on political choices and ideological commitments. When distinguishing decentralized and centralized legal orders, Hans Kelsen wrote that the former ignored central legislation and left to the judiciary the discretionary power to decide in individual cases, whereas in the latter the lawmaker limits the power of the courts to a strict application of general norms.22 Thus he opposes the well-known dialectic distinction between judicial norms enforceable towards the parties only, on the one hand, and statute-law, which is expected to be general and abstract, on the other. In the same way the latitude left to extrajuqu’une formalité illusoire qui embarrasse l’action de la justice et multiplie les procédures. Deux choses ont surtout contribué à tromper presque entièrement les vues du législateur; la mauvaise volonté des plaideurs et l’insuffisance des moyens de la plupart de ceux à qui la conciliation était confiée«. 20 Jacques Krynen, L’Etat de justice. France, XIIIe–XXe siècle, titre II: L’emprise contemporaine des juges, Paris 2012; and for the evolution of the justices of the peace in Belgium towards professionalism: Jean-Pierre Nandrin, La justice de paix à l’aube de l’indépendance de la Belgique (1832–1848). La professionnalisation d’une fonction judiciaire, Brussels 1998. 21 Jean-Louis Halpérin, La composition des tribunaux de famille sous la Révolution ou les juristes, comment s’en débarrasser?, in: La famille, la loi, l’Etat. De la Révolution au Code civil, Paris 1989, pp. 292–304. 22 Hans Kelsen, Pure Theory of Law, translated by Max Knight, New Jersey 2008, p. 286.

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dicial conflict resolution and the control of those means of conflict resolution (arbitration, conciliation, mediation, but also, during the pre-revolutionary period, private settlements by notaries, corporations, guilds, towns or clerical office-holders) depend on the degree of state-building and even more on the relationship between the central political authorities and the judges.23 From the late Middle Ages onwards and during early modern times, we can observe a tendency to integrate extra- and infrajudicial means to settle disputes in the legal order, in particular by allowing litigants to appeal against decisions reached through such private settlements. At a time when it was often difficult to enforce decisions of a court, even judgments given by the highest court of the realm, judges encouraged this kind of settlements as one can make out from the so-called concordia of the Parlement of Paris. At any moment of the procedure, even after the litis contestatio, litigants could end a case brought before the sovereign court by a settlement, and judges not only offered their mediation to the parties, they also conferred enforceability to these concordia, which were considered to have the same force as a final judgment. Progressively, arbitration was also integrated in the legal system through royal statutes that made it possible to appeal before the royal courts against any arbitral decision (whether issued by arbitri, arbitrators or amicabiles compositores) and, according to case law, even when the parties had decided in the arbitral clause that the decision was not open to appeal.24 Extrajudicial means of conflict resolution could much more easily be controlled through their incorporation into the legal and judicial process. Even more important, it also proved to be the best way to impose the authority of the king’s justice, particularly in newly conquered territories. During the 17th and 18th centuries, when the judiciary became more and more independent (in particular due to the heredity and venality of the judicial offices) and when the Parlements began to consider themselves as a »senate« whose task was to counter-balance the monarch’s raising absolutist authority (through the so-called right of remonstrance against royal ordinances and decrees), codification appeared to be the best and most efficient way to neutralize the arbitrary power of the judges, in particular by codifying civil and criminal procedure. The fact that the great ordinances of 1667 and 1670, called ordinances for the reformation of justice, started with codifying civil and criminal procedure (whereas civil law only very partially had been codified before the French Revolution) is one argument among others which may 23 Jean Hilaire, La construction de l’Etat de droit dans les archives judiciaires de la cour de France au XIIIe siècle (Dalloz, L’esprit du droit), Paris 2011. 24 Serge Dauchy, Les recours contre les sentences arbitrales au Parlement de Paris (XIIIe–XIVe siècles). La doctrine et la législation à l’épreuve de la pratique judiciaire, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 67 (1999), pp. 255–312.



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indicate that Louis XIV‘s main purpose was to quash the judiciary’s opposition.25 It also explains why France has always chosen (whether under Louis XIV or under Napoleon) the technique of separate special codes or Einzelkodifikationen. Indeed, beyond the political will to rationalize and unify civil procedure in the courts of the realm and to clarify the relationship between statute law and case law, the ordinance of 1667 expressed seemingly contradictory principles: on the one hand the state’s monopoly of conflict resolution, and on the other hand a distrust on the monarchs’ side against the judges, in particular against the Parlements. Pussort, the main architect of the royal decree for the reformation of justice (and also Colbert’s nephew), was commissioned to impose control on extrajudicial conflict resolution through institutional justice, but at the same time he worked out a formal procedure considered to be the most efficient bulwark against the judges’ arbitrary power. Napoleon also distrusted professional judges and therefore introduced a code of civil procedure which was expected to anticipate everything in detail in order to reduce the role of the judge to a mechanical application of the law26, something which had been impossible to achieve in Ancien Régime France, not only because of a (non-codified) plurality of sources of law (royal decrees, customary law, Roman law), but even more because judges did not have to give the reasons of their decisions, the ratio decidendi.

IV. Conclusion In a certain sense, the Napoleonic Code of civil procedure appears to be some kind of historical reiteration. Inevitably, the code of 1806 was primarily a reaction against some of the bold reforms or projects from the revolutionary period and it contributed to stabilize the »bourgeois society«. However, is it still possible to argue (as one may still often read) that procedural rules were only envisaged as adjective rules, less important than the substantial rules of the civil and penal codes which guaranteed the bourgeois order based on family and ownership?27 Nevertheless codification of civil procedure appears to have been a cornerstone of Napoleon’s deliberate and ambitious policy to reshape the legal system 25 Jacques Krynen, La haute magistrature contre la codification. Autour de l’Ordonnance civile (1667), in: Aquilino Iglesia Ferreiros (Ed.), El dret comú i Catalunya, Barcelona 2005, pp. 175–196. 26 Claudine Bloch/Jean Hilaire, Interpréter la loi, les limites d’un grand débat révolutionnaire, in: Miscellanea forensia historica, Amsterdam 1988, pp. 29–48. 27 Jean-Louis Halpérin, Histoire du droit privé français depuis 1804, Collection droit fondamentale, Paris 1996, chapters »L’ordre des familles« (pp. 82–117) and »Le règne des propriétaires« (pp. 118–167).

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in France (and later in Europe) and to reform the courts’ organization. From 1800 onwards, courts of appeal were re-introduced and professional lawyers were re-established. The first to be re-instated were the avoués or solicitors, who were appointed by the minister of justice and regarded (as were also the notaries) as »auxiliaries of justice«. Later (in 1810), the advocates with their corporate organization were also re-admitted into the legal system. Legal education was also restored as a state monopoly and under the state’s control.28 Last but not least, judges were no longer elected, but appointed by the head of the executive. They could not be removed from office, except the justices of the peace (who were appointed for ten years) and the magistrates who were appointed as public prosecutors. Generally speaking, the government controlled all the branches of the legal profession (with regard to their education and training, their appointments and their professional discipline), including the careers of the judges, from the lowest courts to the Court of Cassation. Napoleon also introduced a strict separation between ordinary courts and administrative tribunals by establishing in 1799 (art. 52 of the Constitution of the Year VIII) the Council of State, a move which prevented judges to challenge the constitutionality of statutes and enactments, and at the same time limited structurally the influence of ordinary courts.29 Reducing the judiciary’s influence (or, in the line of the Ancien Régime, the judges’ arbitrary powers) was also a major objective of the new Code of civil procedure, which imposed public oral debates as a general rule and made the explicit legal justification of all judicial decisions compulsory. In Britain, Jeremy Bentham also recommended in his Scotch Reform, written during the very same years 1806–1807 and perhaps influenced by the French codification, a complete set of procedural formalities imposed by the legislator as the most efficient guarantee against judges and lawyers.30 But apart from controlling the judiciary, the Code also pursued a state monopoly on conflict resolution. What is often considered to be an attempt to strike a balance between tradition and revolution, or as a compromise between legal equality and individual liberty on the one hand and political authority and social stability on the other, appears in fact to have been 28 Frédéric Audren/Jean-Louis Halpérin, La culture juridique française. Entre mythes et réalités, XIXe–XXe siècles, Paris 2013, pp. 15–29. 29 Jean-Guillaume Locré, first secretary-general of the Council of State (1799) and author of »L’esprit du Code de procédure civile« published in 1815, considered the Napoleonic Council of State, reshaped by the decrees of 11 June and 22 July 1806, to be a continuation of the former King’s Council. Cf. Charles Durand, Etudes sur le Conseil d’Etat napoléonien, Paris 1949, and Charles Durand, Le fonctionnement du Conseil d’Etat napoléonien, Gap 1953. 30 See Anthony J. Draper, Corruptions in the administration of Justice: Bentham’s critique of civil Procedure, 1806–1811, in: Journal of Bentham Studies 7 (2004), pp. 1–21.



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the integration of extrajudicial conflict resolution in a state-controlled legal system and the institutional legalization of non-judicial forms of dispute settlement between citizens. The judge himself had to attempt to bring about conciliation before settling conflicts through a formal judicial decision. Even so, one may wonder whether the judge was really perceived by the parties as a mediator trying to reach conciliation or as an official authority acting as a judge. Did these judges act »mit Freundschaft« or did they (for whatever reason) settle conflicts »mit Recht«? Today we tend to avoid the phrases of extra- or infrajudicial conflict resolution (a terminology which puts too great an emphasis on the relationship with institutional justice). We rather refer to »alternative« modes of conflict resolution, probably because the association with state-building and the state control over judges seems less important and gradually fades away in favour of a new understanding of the question and new challenges around conflict resolution.

Yorick Wirth

Englische superior courts und ihre Reform im 19. Jahrhundert1 I. Einleitung. II. Gegenstand des Promotionsprojekts. III. Englische superior courts als Streitentscheidungsinstanzen. IV. Fazit.

I. Einleitung Dieser Beitrag soll das Promotionsvorhaben des Autors zum Thema »Common Law- und Equity-Gerichtsbarkeit in England und ihre Reform im 19. Jahrhundert«2 im ersten Abschnitt lediglich zusammenfassend vorstellen. Der eigentliche Schwerpunkt der hier gemachten Ausführungen wird – bedingt durch die Fokussierung der Tagung und des daraus resultierenden Sammelbandes auf alternative Streitentscheidungsmöglichkeiten – in einem Überblick über superior courts als unterschiedliche Streitentscheidungsinstanzen der vormaligen englischen Zivilgerichtsbarkeit liegen.3 Zunächst sind dazu einige allgemeine Anmerkungen zur Struktur des englischen Gerichtsaufbaus zu machen, um darauf folgend eine Übersicht zu Common Law- und Equity-Gerichten, zu Appellationsmöglichkeiten und schließlich zum Supreme Court of Judicature zu geben.

1 Der Beitrag stellt die überarbeitete Fassung eines Kurzvortrags zum Promotionsprojekt »Common Law- und Equity-Gerichtsbarkeit in England und ihre Reform im 19. Jahrhundert« dar, welchen der Autor am 3. Oktober 2013 im Rahmen des »Nachwuchsforums Moderne« auf der Jahrestagung des LOEWE-Schwerpunkts »Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung« (zugleich das Wissenschaftliche Kolloquium der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung) in Wetzlar gehalten hat. 2 Das Promotionsvorhaben mit diesem Titel wird im Rahmen des obengenannten LOEWESchwerpunkts unter der Betreuung von Herrn Professor Andreas Fahrmeir an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main durchgeführt. 3 Für eine ausführlichere Darstellung, als sie hier möglich ist, sei auf die vorbildliche Betrachtung der englischen superior courts mit einem epochalen Schwerpunkt auf der Frühen Neuzeit von John H. Baker, The superior courts in England, 1450–1800, in: Bernhard Diestelkamp (Hg.), Oberste Gerichtsbarkeit und zentrale Gewalt im Europa der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 29), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 73–111, verwiesen.

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II. Gegenstand des Promotionsprojekts Das englische Gerichtswesen wurde im 19. Jahrhundert mit den Judicature Acts4 völlig umgestaltet und erfuhr die seit der normannischen Eroberung im Jahr 1066 radikalste Reform der Justizverwaltung.5 Bis in die 1870er Jahre war das Gerichtswesen, insbesondere die zentralen Common Law-Gerichte, ohne einen hierarchischen Aufbau und ohne einen durchgehenden Zug der Instanzen geblieben.6 »Die Gerichte entstanden planlos nebeneinander, übereinander und überschnitten sich in ihren Zuständigkeiten«.7 Mit dem Judicature Act von 1873 wurden die nach Common Law urteilenden Gerichte mit dem Court of Chancery vereint und es wurde ein neuer Supreme Court of Judicature eingerichtet.8 Im Rahmen des Promotionsprojekts sollen sowohl politisch-gesellschaftliche als auch wissenschaftlich-juristische Hintergründe der Reform der englischen Obergerichtsbarkeit im vorletzten Jahrhundert erörtert werden. Dabei sind verschiedene Diskurse in der zeitgenössischen Politik, Jurisprudenz und Rechtspraxis zu berücksichtigen. Vor allem erscheint eine Zusammenschau sinnvoll, die den soziokulturellen Hintergrund des Viktorianischen Zeitalters in Verbindung mit gesellschaftlichen Ausprägungen der Reformdiskussionen zu den superior courts bringt. Eine Übersicht über die englischen Zentralgerichte als alternative Streitentscheidungseinrichtungen soll zunächst die institutionenhistorischen Voraussetzungen darlegen.

4 In den »English Historical Documents« werden die Judicature Acts vereinfacht als »Supreme Court of Judicature Act (1873)« und als »Appellate Jurisdiction Act (1876)« bezeichnet; vgl. dazu English Historical Documents. 1833–1874, hg. von George M. Young/William Day Handcock (English Historical Documents 12,1), London 1956, S. 545, 550. 5 Vgl. Chantal Stebbings, The Restructuring of the Superior Courts in England during the 19th Century, in: Alain Wijffels/C. H. (Remco) van Rhee (Hg.), European Supreme Courts. A Portrait through History, London 2013, S. 182–189, hier S. 187; Heinrich Händel, Großbritannien, Bd. 1: Staat und Verwaltung (Einführungen in die Landeskunde = Beck’sche Schwarze Reihe 203), München 11979, S. 200 f. 6 Vgl. Händel (wie Anm. 5), S. 200; Mathias Reimann, Art. Common Law, in: Enzyklopädie der Neuzeit II, Stuttgart/Darmstadt 2005, Sp. 798–806, hier Sp. 799. 7 Händel (wie Anm. 5), S. 200. Vgl. dazu auch Reimann (wie Anm. 6), Sp. 799. 8 Vgl. John Hamilton Baker, An Introduction to English Legal History, Oxford/New York/ Auckland u. a. 42007, S. 50 f.; Stebbings (wie Anm. 5), S. 187; Reimann (wie Anm. 6), Sp. 803.

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III. Englische superior courts als Streitentscheidungsinstanzen 1. Zum Gerichtsaufbau Englands Das englische Recht war von einer Fülle von nebeneinander bestehenden örtlichen Grafschafts- und Stadtgerichten sowie Kirchengerichten gekennzeichnet.9 Vor diesem Hintergrund erlangte die königliche Gerichtsgewalt eine besondere Stellung.10 Für den Gerichtsaufbau bis in das 19. Jahrhundert lässt sich eine grobe Einteilung vornehmen in inferior courts (im Sinne einer untergeordneten Gerichtsbarkeit) und superior courts (Obergerichte).11 Als niedere Jurisdiktion entschieden Grafschaftsgerichte (county courts) und königliche Wandergerichte (courts of assize) sowohl in zivil- als auch in strafrechtlichen Angelegenheiten, die courts of quarter sessions mit ihren Friedensrichtern (justices of the peace) dagegen nur in Strafsachen.12 Im Jahre 1846 wurden schließlich landesweit die modernen county courts mit einer Zuständigkeit für geringwertige Zivilrechtsstreitigkeiten eingeführt.13 Diese Reform der county courts war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass bei solchen Streitigkeiten vor den Common Law-Gerichten wegen ihrer hohen Gerichtskosten kaum Prozesse geführt wurden.14 Während der Regentschaft König Eduards I. (1272–1307) hatten sich aus dem königlichen Rat (Curia Regis) – in dessen Kreis der englische König schon zur normannischen Zeit Recht sprach15– verschiedene superior courts herausgebildet, deren wesentliche Struktur über viele Jahrhunderte bis 1873 erhalten blieb.16

9 Vgl. Kent D. Lerch, Art. Englisches Recht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, Berlin ²2008, Sp. 1332–1345, hier Sp. 1333. 10 Siehe ebd., Sp. 1333 f. 11 Vgl. A. H. Manchester, A Modern Legal History of England and Wales. 1750–1950, London 1980, S. 86. 12 Vgl. Händel (wie Anm. 5), S. 200. 13 Vgl. Theodore F. T. Plucknett, A Concise History of the Common Law, London 51956, S. 208; Händel (wie Anm. 5), S. 267 mit Anm. 265; Baker (wie Anm. 8), S. 27. 14 Vgl. Dieter Henrich/Peter Huber, Einführung in das englische Privatrecht (Ausländisches Recht), Heidelberg/Darmstadt ³2003, S. 17. 15 Vgl. ebd., S. 14. 16 Vgl. ebd.; Albert Thomas Carter, A History of the English Courts, London/Sydney/Melbourne u. a. 1944 (= 7. Aufl. von Albert Thomas Carter, A History of English Legal Institutions), S. 49; Reimann (wie Anm. 6), Sp. 799; Lerch (wie Anm. 9), Sp. 1333 f.

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Yorick Wirth

2. Common Law-Gerichte Ursprünglich hatten diese königlichen Obergerichte (der Court of King’s Bench, der Court of Common Pleas und der Court of Exchequer) Kompetenzen für verschiedene Formen von Streitigkeiten.17 Jene urteilten nach Common Law, einem in ganz England einheitlich geltenden Recht; im Gegensatz dazu richteten sich die älteren Grafschaftsgerichte nach örtlichen Rechtsgewohnheiten. a) Court of Exchequer

Im Aufgabenbereich des Court of Exchequer (auch Exchequer of Pleas)18 lagen Steuer- und Abgabenstreitigkeiten.19 Das Gericht war ursprünglich lediglich eine Kanzleiabteilung; unter der Herrschaft König Heinrichs II. (1154–1189) wurde daraus 1154 eine Steuerbehörde und schließlich ein Finanz- und Verwaltungsgericht, das später auch für Verträge und Schulden zuständig und bis 1841 ein sowohl nach Common Law als auch nach Equity urteilendes Gericht war.20 b) Court of King’s Bench

Im 14. Jahrhundert spaltete sich gegen Ende der Regierungszeit Eduards I. von der Curia Regis der Court of King’s Bench ab.21 Dieser wurde in Auseinandersetzungen von besonderem Interesse für die Krone angerufen.22 Ursprünglich war der Gerichtshof in Strafsachen und bei Verfahrensmängeln zuständig und »somit auch eine frühe Erscheinungsform eines Appellationsgerichts.«23 Die Zuständigkeit des Court of King’s Bench wurde im 16. Jahrhundert auf zivilrechtliche Angelegenheiten ausgeweitet.24 c) Court of Common Pleas

Der sich gegen Ende des 12. Jahrhunderts formierende Court of Common Pleas (auch Court of Common Bench genannt)25 entschied in Zivilrechtsstreitigkeiten 17 Vgl. auch im Folgenden Reimann (wie Anm. 6), Sp. 799; Lerch (wie Anm. 9), Sp. 1334; Händel (wie Anm. 5), S. 197; Henrich/Huber (wie Anm. 14), S. 14. 18 Vgl. Baker (wie Anm. 8), S. 47. 19 Vgl. Manchester (wie Anm. 11), S. 129; Reimann, (wie Anm. 6), Sp. 799. 20 Vgl. Henrich/Huber (wie Anm. 14), S. 14; Manchester (wie Anm. 11), S. 129. 21 Vgl. Henrich/Huber (wie Anm. 14), S. 14; Lerch (wie Anm. 9), Sp. 1334. 22 Vgl. Reimann (wie Anm. 6), Sp. 799. 23 Händel (wie Anm. 5), S. 197; siehe auch Hans Peter, Art. Englisches Recht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, 11971, Sp. 922–939, hier Sp. 923; Lerch (wie Anm. 9), Sp. 1334. 24 Vgl. Händel (wie Anm. 5), S. 197. 25 Vgl. Carter (wie Anm. 16), S. 51.

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der Untertanen untereinander (in denen also die Krone als Partei nicht beteiligt war), insbesondere in besitz- und schuldrechtlichen Fragen.26 Die jeweiligen Zuständigkeiten der superior courts wurden allerdings immer stärker ausgeweitet und überschnitten sich, sodass die wesentlich gleichberechtigten Zentralgerichte durch Kompetenzstreitigkeiten in Konkurrenz zueinander gerieten.27 3. Court of Chancery Neben den zentralen Common Law-Gerichten bildete sich im 15. Jahrhundert ein nach Equity (Billigkeit) urteilender Gerichtshof heraus, der Court of Chancery.28 Ursprünglich sollte dieser die nach Common Law vorgenommene Rechtsprechung korrigieren.29 Dazu wurde dem Lordkanzler die Befugnis übertragen, im Namen des Königs zu urteilen; als selbständiger Richter trat der Kanzler gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf.30 Equity stellte dabei eigentlich kein eigenes Rechtssystem, sondern lediglich ein Korrektiv dar, um das Common Law flexibler handhaben zu können, verfestigte sich jedoch – ähnlich dem Common Law – während des 17. und 18. Jahrhunderts mit einem eigenen Fallrecht und eigenen Maximen.31 Entscheidungen des Court of Chancery hatten seit dem frühen 17. Jahrhundert sogar höheres Gewicht als die der drei Common Law-Gerichte32: Der Court of Chancery konnte die Vollstreckung der von Common Law-Gerichten gefällten Urteile seit 1615 verhindern.33 Auch hatte König Jakob I. (König von England 1603–1625) entschieden, dass im Zweifel Equity Vorrang vor Common Law haben sollte.34

4. Appellationsmöglichkeiten Während die erstinstanzliche Jurisdiktion der Common Law-Gerichte auf England beschränkt blieb, wurde in der Frühen Neuzeit die Appellationsmöglichkeit 26 Vgl. Reimann (wie Anm. 6), Sp. 799; Peter (wie Anm. 23), Sp. 923; Lerch (wie Anm. 9), Sp. 1334. 27 Vgl. Manchester (wie Anm. 11), S. 129; Reimann (wie Anm. 6), Sp. 799. 28 Vgl. Dieter Henrich, Art. Equity, in: Enzyklopädie der Neuzeit III, Stuttgart/Darmstadt 2006, Sp. 388–390, hier Sp. 388 f. 29 Vgl. ebd., Sp. 388; Händel (wie Anm. 5), S. 200 f. 30 Vgl. Henrich (wie Anm. 28), Sp. 389. 31 Vgl. Reimann (wie Anm. 6), Sp. 802; Henrich/Huber (wie Anm. 14), S. 16. 32 Vgl. auch im Folgenden Reimann (wie Anm. 6), Sp. 802. 33 Vgl. Peter (wie Anm. 23), Sp. 926. 34 Vgl. Reimann (wie Anm. 6), Sp. 802.

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beim Court of King’s Bench auf Irland ausgeweitet.35 Zwar hatte Schottland ein vom englischen Recht vollkommen unterschiedliches Rechtssystem, dennoch gingen seit 1707 schottische wie englische Appellationen an das House of Lords.36 Laut John Baker könne das House of Lords aufgrund der Überprüfungsmöglichkeit von Urteilen des Court of King’s Bench theoretisch als das oberste der Common Law-Gerichte angesehen werden37; in der Praxis sei das House of Lords allerdings vor dem 17. Jahrhundert nur wenig konsultiert worden und habe folglich auf die englische Rechtswissenschaft eher geringen Einfluss ausgeübt. Als weitere Appellationsmöglichkeit kam im Jahr 1851 zusätzlich zum Court of Chancery noch ein Court of Appeal in Chancery hinzu.38 5. Supreme Court of Judicature Zu einer hierarchischen Systematisierung der Höchstgerichtsbarkeit kam es erst durch den Judicature Act von 1873.39 Diesem Gesetz war die mehrere Jahre dauernde Arbeit einer Judicature Commission vorausgegangen, die in ihrem ersten Kommissionsbericht vom 25. März 1869 nicht nur einen Übergang und eine Überweisung von einzelnen Jurisdiktionen der nach Common Law und Equity rechtsprechenden superior courts – inklusive der (hier nicht dargestellten) Eheund Scheidungs- sowie der Admiralitätsgerichtsbarkeit – vorschlug, sondern überdies eine Konsolidierung aller Gerichte, um dadurch Konflikte zwischen diesen zu beenden.40 Die Kommission betonte die Defizite der bestehenden Judikatur und wies auf die Unzulänglichkeit der Anpassung des prozeduralen Systems der Common Law-Gerichtsbarkeit an die komplexen Streitigkeiten in einer modernen Gesellschaft hin.41 Mit dem Supreme Court of Judicature Act von 1873 wurden die nach Common Law und Equity urteilenden Obergerichte zu einem Supreme Court of Judicature mit einer einheitlichen Klageart und einheitlichen Verfahrensregeln zusammen-

35 Vgl. auch im Folgenden Baker (wie Anm. 3), S. 78. 36 Vgl. ebd., S. 78 mit Anm. 17. 37 Vgl. auch im Folgenden ebd., S. 81. 38 Vgl. Henrich (wie Anm. 28), Sp. 389; Henrich/Huber (wie Anm. 14), S. 16. 39 Vgl. Reimann (wie Anm. 6), Sp. 803; Händel (wie Anm. 5), S. 201. 40 Vgl. Judicature Commission, First Report of the Commissioners, London 1869 (= House of Commons Parliamentary Papers [HCPP], Nr. 4130), S. 9, 25. 41 Vgl. ebd., S. 5.

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gefasst, der aus einem High Court of Justice und einem Court of Appeal – als oberstem Gerichtshof – bestand.42 Der neue High Court of Justice war in fünf Abteilungen (divisions) aufgeteilt, die sich an den vorherigen Gerichten und ihren Zuständigkeiten orientierten.43 Die Abteilungen (Chancery Division, Queen’s Bench Division, Common Pleas Division, Exchequer Division, Probate and Divorce and Admirality Division) befassten sich mit rechtlichen Fragen aus Common Law und Equity, Scheidungs-, Erb- und Seerecht.44 Ferner bestimmten die Judicature Acts von 1873/75, dass die Grundsätze der Equity nicht mehr nur ausschließlich im Court of Chancery, sondern in allen Gerichten anzuwenden seien.45 Der Court of Appeal nahm nunmehr die Aufgaben des Lordkanzlers, des Court of Appeal in Chancery und des Court of Exchequer Chamber als Appellationsinstanz wahr.46 Nach dem konservativen Regierungswechsel wurde jedoch mit dem Appellate Jurisdiction Act von 1876 die noch 1873 unter den Liberalen abgeschaffte Appellationsmöglichkeit beim House of Lords wieder eingeführt.47 Damit war dem Court of Appeal in England sowie schottischen und irischen Gerichten eine letzte Appellationsinstanz (das Appellate Committee, bestehend aus Law Lords unter dem Vorsitz des Lordkanzlers) vorgesetzt. Diese höchstgerichtliche Struktur wurde erst 2005 durch die Einrichtung eines neuen Supreme Court of the United Kingdom abgeschafft.48

IV. Fazit Für die zukünftigen Überlegungen und Erörterungen zur Reform der englischen Gerichtsbarkeit im 19. Jahrhundert sind Gegenstände und Positionen aus den Diskussionen um ein modernes Gerichtswesen in einem modernen Staat herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang sollen rechtliche und gesellschaftliche Modernisierungsprozesse und -vorstellungen aufgezeigt werden. 42 Vgl. Baker (wie Anm. 8), S. 51; Neil G. Jones, Art. Equity: English Common Law, in: The Oxford International Encyclopedia of Legal History, Bd. II, hg. von Stanley N. Katz, Oxford 2009, S. 466–472, hier S. 471; Reimann (wie Anm. 6), Sp. 803 und Lerch (wie Anm. 9), Sp. 1344. 43 Vgl. Baker (wie Anm. 8), S. 51; Plucknett (wie Anm. 13), S. 212. 44 Vgl. Carter (wie Anm. 16), S. 110 f.; Plucknett (wie Anm. 13), S. 212. 45 Vgl. Henrich/Huber (wie Anm. 14), S. 16. 46 Vgl. Plucknett (wie Anm. 13), S. 211 f. 47 Vgl. auch im Folgenden ebd., S. 212; Manchester (wie Anm. 11), S. 178; Stebbings (wie Anm. 5), S. 188. 48 Vgl. Stebbings (wie Anm. 5), S. 188.

Kurzbiographien der Autoren Anja Amend-Traut ist Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Bürgerliches Recht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die höchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich und die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Handels- und Wirtschaftsrechtsgeschichte. Antonio Sánchez Aranda ist Professor für Rechts- und Institutionengeschichte der Universität Granada. Er gehört mehreren Forschungsprojekten im nationalen und internationalen Umfeld an. Seine Forschungen konzentrieren sich auf die Geschichte des Prozessrechts und der Justizverwaltung, die Geschichte des öffentlichen Rechts und die Geschichte des juristischen Denkens. Sonja Breustedt hat Rechtswissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main studiert und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Rechtsgeschichte, Lehrstuhl Prof. Dr. Albrecht Cordes an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie verfasst gegenwärtig eine Promotion über kaufmännische Gutachten (sog. Pareres) im 17. und 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Handelsplatzes Frankfurt. Horst Carl ist Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf die Landfriedenswahrung und föderale Ordnung, Gewaltgemeinschaften in der Frühen Neuzeit sowie Erinnerungskulturen sozialer Gruppen. Albrecht Cordes ist Professor für mittelalterliche und neuere Rechtsgeschichte und für Zivilrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zu seinen Forschungsfeldern zählen unter anderem die Geschichte der Hanse, Reichskammergerichtsforschung sowie Konfliktlösungsstrategien von Kaufleuten. Bernhard Diestelkamp besuchte die Schulen Marienstiftsgymnasium in Stettin, das Wilhelmgymnasium in Hamburg und das Archigymnasium in Soest. Er studierte Rechtswissenschaften in Köln, Göttingen und Freiburg (1. Juristisches Staatsexamen in Celle; 2. Juristisches Staatsexamen in Hannover). Promotion und Habilitation erfolgten in Freiburg (Ehrenpromotion Lund). Ordinariat an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Emeritierung 1994.

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Kurzbiographien der Autoren

Mark Godfrey ist Professor für Rechtsgeschichte an der Universität Glasgow und Herausgeber der Zeitschrift The Journal of Legal History. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte der höchsten Gerichtsbarkeit mit ihren Rechtssprechungsinstanzen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schottland sowie das Verhältnis zwischen Gerichten und alternativen Methoden der Streitbeilegung im Allgemeinen. Philipp Höhn hat Germanistik und Geschichte an der Universität des Saarlandes studiert und ist Promotionsstipendiat an der International Max Planck Research School for Comparative Legal History in Frankfurt am Main. Er verfasst gegenwärtig eine Promotion zum Austrag kaufmännischer Interessenkonflikte im Hanseraum im ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhundert. Mia Korpiola ist Professorin für Rechtsgeschichte an der Universität Turku. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Beiträge zum schwedischen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ehe- und Familienrecht sowie kirchenrechtliche Themen im Zeitraum vor und nach der Reformation. Ulrich Rasche ist als Mitarbeiter des Göttinger Akademieprojekts »Die Erschließung der Akten des Kaiserlichen Reichshofrats« im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv tätig (www.reichhofratsakten.de). Seine Forschungsschwerpunkte sind neben der Reichsjustiz die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters, Paläographie, Urkunden-, Akten- und Quellenkunde sowie insbesondere die deutsche Universitätsgeschichte des 16. bis 19. Jahrhunderts. Ute Rödel studierte Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte und Buchwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 1978 fächerübergreifende  Promotion mit dem Thema: »Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reichs 1250–1313«. Seit 1978 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem Forschungsprojekt unter Leitung von Bernhard Diestelkamp »Urkundenregesten zur Tätigkeit des Deutschen Königsund Hofgerichts bis 1451«. Das Projekt ist seit 1981 bei der Akademie der Wissenschaften Mainz, Kommission für Rechtswissenschaft, angesiedelt. Siegrid Westphal ist Inhaberin des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück. Von 1994-2004 war sie Assistentin/ Oberassistentin und Leiterin einer Nachwuchsgruppe sowie eines Teilprojekts im Sonderforschungsbereich »Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800« an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2001 Habilitation (Jena), 1992 Promotion (München), 1983-1988 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Mit-



Kurzbiographien der Autoren

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telalterlichen Geschichte, Kunstgeschichte und Evangelischen Theologie an den Universitäten Mainz und München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Reichs- und Verfassungsgeschichte der Frühen Neuzeit, Historische Friedensforschung, Geschlechtergeschichte, Reformationsgeschichte, Konfessionalisierung und Landesgeschichte. Alain Wijffels ist Professor für Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung an den Universitäten zu Leiden (Niederlande), Leuven und Louvain-la-Neuve (Belgien) und Forschungsdirektor am CNRS (Frankreich). Zu seinen Forschungsthemen zählen Alte Gerichtsbarkeit, Ius Commune, Kodifikation, Verfassungsgeschichte und Völkerrechtsgeschichte. Yorick Wirth hat Mittlere und Neuere Geschichte, Rechtswissenschaft und Politologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität studiert (2007 Zertifikat »Wissenschaftsgeschichte«, 2010 Magister Artium). 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsgeschichte, Lehrstuhl Prof. Dr. Albrecht Cordes. Seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter im LOEWE-Schwerpunkt »Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung« an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Forschungsschwerpunkte: Neuere Geschichte, Rechts- und Verfassungsgeschichte, Kulturgeschichte, insbesondere zu England im 19. Jahrhundert.

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Recht im Wandel – Wandel des Rechts lautet der Titel dieses Bandes zu Ehren von Jürgen Weitzel und nimmt sich damit eines Themas an, das immer in der rechtshistorischen Wissenschaft diskutiert wurde: Recht unterliegt immer einem Wandel und ist damit stetig in Bewegung. Gesellschaftliche, politische und ökonomische Faktoren führen immer wieder dazu, dass sich bestehendes Recht verändert, modifi ziert wird oder gänzlich verschwindet. Dabei spielen Gesetzgebung, aber auch Rechtsprechung eine wichtige Rolle, da beide an diesem Wandelprozess beteiligt sind. Diesem Phänomen widmen sich die Beitragenden der Artikel zu diesem Band, die von der Römischen Zeit bis in die jüngste Zeitgeschichte des Rechts reichen. 2014. 769 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22237-6

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