Der Umgang mit Wissen heute: Zur Erkenntnistheorie im 21. Jahrhundert. Eine Einführung 9783110320367, 9783110320077

Wollte man die Erkenntnistätigkeit der menschlichen Subjekte einer einfachen Analyse unterziehen, dann könnte man z.B. b

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Der Umgang mit Wissen heute: Zur Erkenntnistheorie im 21. Jahrhundert. Eine Einführung
 9783110320367, 9783110320077

Table of contents :
Vorbemerkungen
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel I. WAS IST EINE ERKENNTNISTHEORIE?
1. Einführung
2. Erkenntnistheorie im Kontext anderer Disziplinen
3. Grundlegende Typen der Erkenntnistheorie. Ein geschichtlicher Überblick
3.1. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage in der Antike
3.1.1. Vorsokratisches Fragen nach dem Grund
3.1.2. Platon und die Zweiweltenlehre
3.1.3. Aristoteles´ empirischer Weg
3.2.4. Plotin und das Eine
3.2. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage im Mittelalter
3.2.1. Christlicher Ansatz
3.2.2. Augustinus´ Metaphysik der inneren Erfahrung
3.2.3. Systematik des Thomas von Aquin
3.2.4. Nominalistischer Gedanke von Wilhelm von Ockham
3.3. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage in der Neuzeit
3.3.1. Descartes´ Rationalismus
3.3.2. Der empirische Weg von Hume
3.3.3. Transzendentaler Ansatz Kants
3.3.4. Hegels Dialektik
3.3.5. Marx und dialektischer Materialismus
3.4. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage im frühen 20. Jahrhundert
3.4.1. Der Wiener Kreis und Carnap
3.4.2. Wittgenstein
3.4.3. Husserls Streben nach absoluter Gewissheit
3.4.4. Ingardens intuitiver Weg
3.4.5. Heideggers existentialer Weg
3.5. Exkurs: Eine kritische Zwischenbilanz
3.6. Der aktuelle Umgang mit der Erkenntnisfrage
3.6.1. Der kulturelle Aspekt der Konstitution von Wissen
3.6.1.1. Strukturelle und poststrukturelle Dimension
3.6.1.2. Systemtheoretische Dimension
3.6.2. Der erkenntnistheoretische Aspekt der Konstitution von Wissen: Erkenntnisapparat und Informationsverarbeitung
3.6.2.1. Evolutionäre Erkenntnistheorie
3.6.2.2. Künstliche Intelligenz
3.6.2.3. Philosophie des Geistes
3.6.2.4. Neurowissenschaften
3.6.3. Der pragmatische Aspekt der Konstitution von Wissen
3.6.3.1. Pragmatismus
3.6.3.2. Methodenpluralismus: „Anything goes“
4. Die Relativität im Umgang mit der Erkenntnisfrage. Kritischer Ausblick
Kapitel II. EPISTEMOLOGISCHE GRENZEN
1. Einführung
2. Skepsis als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie?
3. Die perzeptive Skepsis
3.1. Der Versuch des sprachanalytischen Zugriffs und epistemologische Geschlossenheit
4. Die antiken Versuche einer Systematik
4.1. Die pyrrhonische Skepsis
4.2. Die akademische Skepsis
5. Die kartesische Skepsis
6. Der kantische Anti-Minimalismus und das Skepsisproblem
7. Die phänomenologische Skepsis
7.1. Skeptische Tendenzen bei Husserl?
7.2. Skeptische Weiterführung durch Ingarden?
8. Moralische Skepsis
8.1. Moore´s Antwort auf Skepsis. Eine weiterführende Analyse
8.2. Moralische Skepsis heute – Moralbruch?
9. Das Problem des Skeptizismus und die gegenwärtige Erkenntnistheorie
10. Formulierung einiger skeptischer Argumente
11. Kritischer Ausblick
Kapitel III. WAS IST ERKENNEN?
1. Einführung
2. Notwendige und strukturelle Bedingungen des Erkennens
3. Grundlegende Formen des Erkennens
3.1. Einfaches Erkennen
3.2. Begriffliches Erkennen
3.3. Propositionales Erkennen
3.4. Vernünftiges Erkennen: Denken
3.4.1. Glauben und Meinen
3.4.2. Negativer Beigeschmack im Erkenntnisprozess
3.4.3. Positiver Beigeschmack im Erkenntnisprozess
4. Systematisierung der Quellen von Erkenntnis
5. Gründe als Quelle und Bedingung von Erkenntnis
6. Die Struktur von Erkenntnis und die ersten Abgrenzungen: Fundamentalismus und Kohärentismus
7. Das wissenschaftliche Antlitz des Erkennens
7.1. Erscheinen der Wissenschaftstheorie
7.1.1. Das Hempel-Oppenheim Schema der Erklärung
7.2. Ansprüche der Wissenschaftstheorie der Philosophie gegenüber
8. Kritischer Ausblick
Kapitel IV. WAS IST WISSEN?
1. Einführung
2. Wissen als moderner Begriff: Das Ergänzen von Erkennen
3. Wissen und Täuschung
4. Natur von Wissen
4.1. Wissen als Überzeugung
4.2. Wissen als wahre Überzeugung
4.3. Wissen als wahre gerechtfertigte Überzeugung
4.4. Wissen als wahre gerechtfertigte und nicht zufällige Überzeugung. Das Gettierproblem
5. Grundlegende Probleme des gegenwärtigen Wissensbegriffs und einige moderne Lösungsversuche
6. Gründe und Rechtfertigung
6.1. Das Modell des Internalismus und Externalismus beim Wissenserklären
6.2. Die Kausaltheorie des Wissens
6.3. Die reliabilistische Theorie des Wissens
6.3.1. Das Bemühen um konkrete Lösungen. Einige Beispiele: Goldman, Dretske, Nozick. Tugendepistemologie
7. Wissen und Kontextualismus
7.1. Lewis und Cohen
7.2. Das Prinzip der Geschlossenheit des Wissens
8. Sozialer Aspekt des Wissens
9. Vermittlung des Wissens: Funktion der Sprache
10. Kritischer Ausblick
Kapitel V. EPISTEMOLOGISCHE METHODIK
1. Einführung
2. Das methodische begriffliche Instrumentarium
3. Die rationalistische Methode
3.1. Logische Bestimmung der Erkenntnis a priori
3.2. Die Bestimmung der Erkenntnis a priori mit Hilfe des Naturbegriffs
3.3. Die Bestimmung der Erkenntnis a priori mit Hilfe des Subjektsbegriffs
3.4. Transzendentale Bestimmung der Erkenntnis a priori
3.5. Analytisch-semantische Bestimmung der Erkenntnis a priori
3.6. Phänomenologische Bestimmung der Erkenntnis a priori
4. Die naturalistische Methode
4.1. Das empirische Fundament der naturalistischen Methode
4.2. Das strukturelle Vorgehen der naturalistischen Methode
5. Die Begriffsanalyse
6. Die hermeneutische Methode
6.1. Erklären
6.1.1. Kausale Erklärung
6.1.2. Historische Erklärung
6.1.3. Rationale Erklärung
6.1.4. Teleologische Erklärung
6.2. Verstehen
7. Einige praktische Erklärungsmodelle
8. Kritischer Ausblick
Kapitel VI. EPISTEMOLOGISCHE OBJEKTIVITÄT
1. Einführung
2. Was heißt „objektiv“?
2.1. Zwei Beispiele aus der Philosophiegeschichte
2.1.1. Hegel
2.1.2. Husserl
2.2. Die wissenschaftliche Seite des Objektivitätsbegriffs
3. Wie wahr ist unser Wissen?
3.1. Grundlegende Merkmale des Wahrheitsbegriffs
3.2. Epistemische Wahrheitstheorien
3.2.1. Wahrheitstheorien und Evidenz
3.2.2. Kohärenztheorien der Wahrheit
3.2.3. Konsenstheorien der Wahrheit
3.2.4. Pragmatische Theorie der Wahrheit
3.3. Realistische Wahrheitstheorien
3.3.1. Korrespondenztheorie der Wahrheit
3.3.2. Deflationäre Wahrheitstheorien
3.3.2.1. Minimale Wahrheit und interner Realismus Putnams
3.3.3. Primitive Wahrheitstheorien
3.3.4. Axiomatische Wahrheitstheorien
4. Wie gewiss ist unser Wissen?
4.1. Klassische nach Gewissheit strebende Entwicklung
4.2. Das Scheitern klassischer Versuche und dessen Konsequenzen
4.3. Der Fallibilismus: Fehlbarkeit menschlicher Vernunft
4.4. Postmoderner Fallibilismus und die Möglichkeit postmoderner Gewissheit?
5. Geltungsansprüche des Wissensbegriffs. Kantischer Zugriff
6. Wie gerechtfertigt ist unser Wissen?
6.1. Semantische Präzisierung des Rechtfertigungsbegriffs
6.2. Bestimmung der Basis des Rechtfertigungsbegriffs
6.3. Funktionelle Auffassung der Rechtfertigung
7. Gibt es wahrscheinliches Wissen?
8. Wie viel Wissen hat eine Vermutung? Das Problem des Quietismus
9. Kritischer Ausblick
Kapitel VII. DAS RESULTAT EPISTEMOLOGISCHER AKTIVITÄT
1. Einführung
2. Von Meinungen und Überzeugungen zum Wissen
3. Von Überzeugungen und Wissen zum Handeln
4. Das Resultat epistemischer Aktivität als offene metaphysische Frage
4.1. Überzeugung von der Willensfreiheit
4.2. Überzeugung von der Wechselwirkung
4.2.1. Dualistische Dimension
4.2.2. Materialistische Dimension
4.3. Überzeugung von der Existenz Gottes
5. Das Problem der epistemologischen Naturalisierung
6. Kritischer Ausblick
Literaturverzeichnis
Personen- und Sachindex

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Kazimierz Rynkiewicz Der Umgang mit Wissen heute Zur Erkenntnistheorie im 21. Jahrhundert. Eine Einführung

Allen meinen wahren Freunden [...] gewidmet

Kazimierz Rynkiewicz

Der Umgang mit Wissen heute Zur Erkenntnistheorie im 21. Jahrhundert. Eine Einführung

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2012 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 978-3-86838-153-5 2012 No part of this book may be reproduced, stored in retrieval systems or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, microfilming, recording or otherwise without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use of the purchaser of the work. Printed on acid-free paper ISO-Norm 970-6 FSC-certified (Forest Stewardship Council) This hardcover binding meets the International Library standard Printed in Germany by CPI buch bücher.de

Vorbemerkungen 1) Die Schriften der meisten klassischen Autoren werden mit entsprechenden Abkürzungen (Siglen) zitiert (vgl. Literaturverzeichnis). 2) Längere Zitaten werden eingerückt. 3) In doppelten Anführungszeichen sind wörtliche Zitate bzw. Termini der Autoren und andere Wörter in uneigentlichem Gebrauch geschrieben. 4) Die einfachen Anführungszeichen dienen dem Verfasser der vorliegenden Arbeit zur Akzentuierung der Relevanz eines Wortes, eines Ausdrucks oder eines Satzes. 5) Die kursive Schrift dient dem Verfasser zur Hervorhebung mancher Wörter, Formeln und Sätze. 6) Die vom Verfasser vorgenommenen Zusätze und Auslassungen in Zitaten sind mit Hilfe von eckigen Klammern durchgeführt. Darüber hinaus werden eckige Klammern auch verwendet, um eine bessere Übersicht über den Text zu ermöglichen. (Das kommt vor allem dann vor, wenn in einfachen Klammern noch die Notwendigkeit besteht, etwas in Klammern zu bringen). 7) Für manche längere Ausdrücke werden Abkürzungen verwendet; sie richten sich meist nach dem ersten Buchstaben eines Ausdrucks. 8) Andere wichtige in der Abhandlung verwendete Abkürzungen: Bd. – Band / Bde. – Bände ders. – derselbe (dieselbe) ebd. – es bezieht sich auf den vorher zitierten Autor oder das vorher zitierte Werk m.E. – meines Erachtens zit. - zitiert

Inhaltsverzeichnis Einleitung.....................................................................................................7 Kapitel I WAS IST EINE ERKENNTNISTHEORIE? 1. Einführung..............................................................................................13 2. Erkenntnistheorie im Kontext anderer Disziplinen................................15 3. Grundlegende Typen der Erkenntnistheorie. Ein geschichtlicher Überblick....................................................................................................18 3.1. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage in der Antike............................18 3.1.1. Vorsokratisches Fragen nach dem Grund.........................................19 3.1.2. Platon und die Zweiweltenlehre.......................................................22 3.1.3. Aristoteles´ empirischer Weg...........................................................25 3.2.4. Plotin und das Eine...........................................................................28 3.2. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage im Mittelalter...........................30 3.2.1. Christlicher Ansatz...........................................................................30 3.2.2. Augustinus´ Metaphysik der inneren Erfahrung...............................32 3.2.3. Systematik des Thomas von Aquin..................................................35 3.2.4. Nominalistischer Gedanke von Wilhelm von Ockham....................38 3.3. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage in der Neuzeit..........................40 3.3.1. Descartes´ Rationalismus..................................................................41 3.3.2. Der empirische Weg von Hume........................................................44 3.3.3. Transzendentaler Ansatz Kants........................................................47 3.3.4. Hegels Dialektik...............................................................................50 3.3.5. Marx und dialektischer Materialismus.............................................52 3.4. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage im frühen 20. Jahrhundert.......54 3.4.1. Der Wiener Kreis und Carnap..........................................................54 3.4.2. Wittgenstein......................................................................................56 3.4.3. Husserls Streben nach absoluter Gewissheit....................................59 3.4.4. Ingardens intuitiver Weg..................................................................61 3.4.5. Heideggers existentialer Weg...........................................................64 3.5. Exkurs: Eine kritische Zwischenbilanz................................................66 3.6. Der aktuelle Umgang mit der Erkenntnisfrage....................................67 3.6.1. Der kulturelle Aspekt der Konstitution von Wissen.........................69 3.6.1.1. Strukturelle und poststrukturelle Dimension.................................69 3.6.1.2. Systemtheoretische Dimension......................................................72

3.6.2. Der erkenntnistheoretische Aspekt der Konstitution von Wissen: Erkenntnisapparat und Informationsverarbeitung......................................74 3.6.2.1. Evolutionäre Erkenntnistheorie.....................................................74 3.6.2.2. Künstliche Intelligenz....................................................................77 3.6.2.3. Philosophie des Geistes.................................................................78 3.6.2.4. Neurowissenschaften.....................................................................80 3.6.3. Der pragmatische Aspekt der Konstitution von Wissen...................82 3.6.3.1. Pragmatismus.................................................................................83 3.6.3.2. Methodenpluralismus: „Anything goes“...................................…85 4. Die Relativität im Umgang mit der Erkenntnisfrage. Kritischer Ausblick......................................................................................................87 Kapitel II EPISTEMOLOGISCHE GRENZEN 1. Einführung..............................................................................................91 2. Skepsis als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie?................................93 3. Die perzeptive Skepsis............................................................................95 3.1. Der Versuch des sprachanalytischen Zugriffs und epistemologische Geschlossenheit..........................................................................................98 4. Die antiken Versuche einer Systematik................................................101 4.1. Die pyrrhonische Skepsis...................................................................102 4.2. Die akademische Skepsis...................................................................105 5. Die kartesische Skepsis.........................................................................106 6. Der kantische Anti-Minimalismus und das Skepsisproblem................110 7. Die phänomenologische Skepsis..........................................................114 7.1. Skeptische Tendenzen bei Husserl?...................................................115 7.2. Skeptische Weiterführung durch Ingarden?......................................118 8. Moralische Skepsis...............................................................................121 8.1. Moore´s Antwort auf Skepsis. Eine weiterführende Analyse............122 8.2. Moralische Skepsis heute – Moralbruch?..........................................125 9. Das Problem des Skeptizismus und die gegenwärtige Erkenntnistheorie......................................................................................127 10. Formulierung einiger skeptischer Argumente....................................131 11. Kritischer Ausblick.............................................................................137

Kapitel III WAS IST ERKENNEN? 1. Einführung.......................................................................................139 2. Notwendige und strukturelle Bedingungen des Erkennens.............141 3. Grundlegende Formen des Erkennens.............................................146 3.1. Einfaches Erkennen.......................................................................146 3.2. Begriffliches Erkennen.................................................................149 3.3. Propositionales Erkennen..............................................................154 3.4. Vernünftiges Erkennen: Denken...................................................157 3.4.1. Glauben und Meinen..................................................................161 3.4.2. Negativer Beigeschmack im Erkenntnisprozess........................165 3.4.3. Positiver Beigeschmack im Erkenntnisprozess..........................170 4. Systematisierung der Quellen von Erkenntnis.................................173 5. Gründe als Quelle und Bedingung von Erkenntnis..........................176 6. Die Struktur von Erkenntnis und die ersten Abgrenzungen: Fundamentalismus und Kohärentismus...............................................180 7. Das wissenschaftliche Antlitz des Erkennens..................................183 7.1. Erscheinen der Wissenschaftstheorie............................................184 7.1.1. Das Hempel-Oppenheim Schema der Erklärung.......................186 7.2. Ansprüche der Wissenschaftstheorie der Philosophie gegenüber.188 8. Kritischer Ausblick..........................................................................190 Kapitel IV WAS IST WISSEN? 1. Einführung.......................................................................................193 2. Wissen als moderner Begriff: Das Ergänzen von Erkennen............194 3. Wissen und Täuschung....................................................................200 4. Natur von Wissen.............................................................................202 4.1. Wissen als Überzeugung...............................................................206 4.2. Wissen als wahre Überzeugung....................................................211 4.3. Wissen als wahre gerechtfertigte Überzeugung............................215 4.4. Wissen als wahre gerechtfertigte und nicht zufällige Überzeugung. Das Gettierproblem..............................................................................221 5. Grundlegende Probleme des gegenwärtigen Wissensbegriffs und einige moderne Lösungsversuche........................................................225

6. Gründe und Rechtfertigung..............................................................228 6.1. Das Modell des Internalismus und Externalismus beim Wissenserklären...................................................................................230 6.2. Die Kausaltheorie des Wissens.....................................................235 6.3. Die reliabilistische Theorie des Wissens......................................238 6.3.1. Das Bemühen um konkrete Lösungen. Einige Beispiele: Goldman, Dretske, Nozick. Tugendepistemologie..............................241 7. Wissen und Kontextualismus...........................................................244 7.1. Lewis und Cohen..........................................................................248 7.2. Das Prinzip der Geschlossenheit des Wissens..............................251 8. Sozialer Aspekt des Wissens............................................................254 9. Vermittlung des Wissens: Funktion der Sprache.............................258 10. Kritischer Ausblick........................................................................261 Kapitel V EPISTEMOLOGISCHE METHODIK 1. Einführung.......................................................................................265 2. Das methodische begriffliche Instrumentarium...............................266 3. Die rationalistische Methode...........................................................269 3.1. Logische Bestimmung der Erkenntnis a priori.............................270 3.2. Die Bestimmung der Erkenntnis a priori mit Hilfe des Naturbegriffs........................................................................................272 3.3. Die Bestimmung der Erkenntnis a priori mit Hilfe des Subjektsbegriffs...................................................................................275 3.4. Transzendentale Bestimmung der Erkenntnis a priori..................278 3.5. Analytisch-semantische Bestimmung der Erkenntnis a priori......281 3.6. Phänomenologische Bestimmung der Erkenntnis a priori............285 4. Die naturalistische Methode.............................................................289 4.1. Das empirische Fundament der naturalistischen Methode...........290 4.2. Das strukturelle Vorgehen der naturalistischen Methode.............292 5. Die Begriffsanalyse..........................................................................297 6. Die hermeneutische Methode...........................................................302 6.1. Erklären.........................................................................................303 6.1.1. Kausale Erklärung......................................................................304 6.1.2. Historische Erklärung................................................................307 6.1.3. Rationale Erklärung...................................................................309 6.1.4. Teleologische Erklärung............................................................311 6.2. Verstehen......................................................................................314

7. Einige praktische Erklärungsmodelle..............................................317 8. Kritischer Ausblick..........................................................................323 Kapitel VI EPISTEMOLOGISCHE OBJEKTIVITÄT 1. Einführung.......................................................................................325 2. Was heißt „objektiv“?......................................................................326 2.1. Zwei Beispiele aus der Philosophiegeschichte.............................331 2.1.1. Hegel..........................................................................................331 2.1.2. Husserl.......................................................................................333 2.2. Die wissenschaftliche Seite des Objektivitätsbegriffs..................336 3. Wie wahr ist unser Wissen?.............................................................338 3.1. Grundlegende Merkmale des Wahrheitsbegriffs..........................340 3.2. Epistemische Wahrheitstheorien...................................................343 3.2.1. Wahrheitstheorien und Evidenz.................................................344 3.2.2. Kohärenztheorien der Wahrheit.................................................346 3.2.3. Konsenstheorien der Wahrheit...................................................348 3.2.4. Pragmatische Theorie der Wahrheit...........................................352 3.3. Realistische Wahrheitstheorien.....................................................354 3.3.1. Korrespondenztheorie der Wahrheit..........................................354 3.3.2. Deflationäre Wahrheitstheorien.................................................357 3.3.2.1. Minimale Wahrheit und interner Realismus Putnams............361 3.3.3. Primitive Wahrheitstheorien......................................................363 3.3.4. Axiomatische Wahrheitstheorien...............................................365 4. Wie gewiss ist unser Wissen?..........................................................367 4.1. Klassische nach Gewissheit strebende Entwicklung....................368 4.2. Das Scheitern klassischer Versuche und dessen Konsequenzen..371 4.3. Der Fallibilismus: Fehlbarkeit menschlicher Vernunft.................373 4.4. Postmoderner Fallibilismus und die Möglichkeit postmoderner Gewissheit?..........................................................................................377 5. Geltungsansprüche des Wissensbegriffs. Kantischer Zugriff..........379 6. Wie gerechtfertigt ist unser Wissen?...............................................382 6.1. Semantische Präzisierung des Rechtfertigungsbegriffs................383 6.2. Bestimmung der Basis des Rechtfertigungsbegriffs.....................385 6.3. Funktionelle Auffassung der Rechtfertigung................................390 7. Gibt es wahrscheinliches Wissen?...................................................393 8. Wie viel Wissen hat eine Vermutung? Das Problem des Quietismus...........................................................................................398

9. Kritischer Ausblick..........................................................................402 Kapitel VII DAS RESULTAT EPISTEMOLOGISCHER AKTIVITÄT 1. Einführung.......................................................................................407 2. Von Meinungen und Überzeugungen zum Wissen..........................408 3. Von Überzeugungen und Wissen zum Handeln..............................412 4. Das Resultat epistemischer Aktivität als offene metaphysische Frage.....................................................................................................417 4.1. Überzeugung von der Willensfreiheit...........................................418 4.2. Überzeugung von der Wechselwirkung........................................422 4.2.1. Dualistische Dimension.............................................................425 4.2.2. Materialistische Dimension........................................................429 4.3. Überzeugung von der Existenz Gottes..........................................434 5. Das Problem der epistemologischen Naturalisierung......................440 6. Kritischer Ausblick..........................................................................444 LITERATURVERZEICHNIS......................................................................447 PERSONEN- UND SACHINDEX................................................................465

Einleitung „[...] Eben die Figuren selbst, die sie [=Menschen] bildend oder zeichnend herstellen [...], dienen ihnen als Bilder, mit deren Hilfe sie eben das zu erkennen suchen, was niemand auf andere Weise erkennen kann als durch den denkenden Verstand [...]“ (Politeia 510 St.).

Platon wusste schon ganz genau, dass das Erkennen ein komplexer Prozess ist und als solcher analysiert werden muss. Zwar wird im obigen Zitat explizit auf das apriorische Erkennen als einen besonderen, sich hauptsächlich dem Verstand zu verdankenden Erkenntnistypus hingewiesen, dabei werden jedoch zugleich andere Typen von Erkennen angesprochen, zu denen wir den Zugang (etwa) durch die Analyse eines Bildes haben können. Denn Bilder, Zeichen und Figuren werden in erster Linie auf einer empirischen Grundlage wahrgenommen, weil sich hier desgleichen deren anschaulicher Entstehungsvorgang konstituiert. Anders ausgedrückt: Erkennen ist im Leben eines jeden Lebewesens fundiert. Nur das, was lebt, kann als „Subjekt“ von Erkenntnisprozessen angesehen werden. Wenn von den Subjekten aus philosophischer Sicht geredet wird, so werden in erster Linie menschliche Subjekte in Erwägung gezogen. Wollte man die Erkenntnistätigkeit der menschlichen Subjekte einer einfachen Analyse unterziehen, dann könnte man z.B. bei der Frage ansetzen: „Wie gehen die Menschen mit Erkenntnis um?“ Dadurch wird die unmittelbare primitive Grundlage hergestellt, auf der das Erkennen – auch in seiner strukturellen Komplexität – weiter untersucht werden kann. Wenn Menschen sich – wie auch immer - bemühen, den Zugang zu einer sicheren Erkenntnis bzw. zum Wissen mittels irgendeines Erkenntnisprozesses zu gewinnen, dann müssen sie vorab auf einer primitiven Ebene anfangen, indem sie mit ihrem Erkennen „unmittelbar umgehen“. Der unmittelbare Umgang menschlicher Subjekte mit dem Erkennen ist jener dem Menschen direkt aus seinem Bewusstsein bekannte 1

Natürlich könnte man mit Recht die Frage stellen, wie es mit dem Erkennen bei anderen Subjekten (pflanzlichen, tierischen, dem göttlichen) stehe, denen man durchaus auch eine Art Erkennen zuschreiben könnte.

1

8 Lebensvorgang, bei dem der Erkennende (=Subjekt) das Erkannte (=Objekt) so auf tätige Weise in sich hat, dass er es in dieser tätigen Einheit mit sich zugleich sich entgegensetzt. Die auf der primitiven Grundlage gewonnene Erkenntnis, wobei methodisches Verfahren (vgl. Kap. IV) generell belanglos ist, neigt gewöhnlich dazu, ihren Ausgestaltungsprozess fortzusetzen. Und das vollzieht sich hauptsächlich auf der Ebene des Wissens, das schon als eine fundamentale Grundlage der Erkenntnis anzusehen ist. Denn „Wissen“ heißt immer auch „Erkannt-Haben“. In der Natur einer jeden Erkenntnis liegt es, zu einer „gewussten“ (allerdings nicht absolut sicheren) Erkenntnis zu werden. Wir erkennen Sachverhalte in der Welt, um etwas über sie zu wissen: Wir wollen immer mehr wissen. Da wir aber dabei über kein ausreichendes Wissen verfügen (können), bemühen wir uns Dinge um uns herum zu erkennen. Dieser Prozess spielt sich bei uns Menschen in einer vorprädikativ-prädikativen Umrahmung ab. Mit anderen Worten: Wir erkennen vorab bloß mit unseren Sinnen und dann auch intuitiv – hier sind also noch keine prädikativen Entitäten erforderlich, sondern lediglich eine begriffliche Basis. Erst im weiteren Verlaufe des Erkenntnisvorgangs formulieren wir das zuvor Erkannte mit Hilfe eines prädikativen Instrumentariums und lassen es dadurch in einem intersubjektiven (sprachlichen) Gewand erscheinen. Wissen ist nur möglich auf der Basis eines Nichtwissens, das ursprünglicher als alles Wissen ist und erst durch den Erkenntnisvorgang menschlicher Subjekte aus seinem Nichtwissenszustand herausgerissen wird. Erkenntnis, die den Status „sicheren Wissens“ – im Rahmen menschlicher Möglichkeiten – erlangen soll, kann philosophisch oder einzelwissenschaftlich untersucht werden, so wie sämtliche Phänomene auch, in denen sich menschliches Dasein offenbart. Eine systematische Untersuchung der Erkenntnis wird meist innerhalb einer Erkenntnistheorie vorgenommen. Werden philosophische Elemente und Methoden, 2

3

Vgl. Brugger, W. u.a. (1996b), 90. Hier muss auf ein Doppeltes hingewiesen werden: (1) Als Menschen können wir niemals alles wissen. Das kann nur Gott; (2) Will man die Begriffe des Erkennens und Wissens in ihrer alltäglichen Bezogenheit zueinander erläutern, dann lässt sich eine tautologische Formulierung kaum vermeiden. 2 3

9 insbesondere kritisches Verfahren, in einer Erkenntnistheorie systematisch beachtet, so wird sie zu einer philosophischen Erkenntnistheorie, bzw. „Erkenntnistheorie im engeren Sinne“. Damit wird eine kritische Grundlage geschaffen, auf der jetzt mit der Erkenntnis entsprechend umgegangen werden kann. Stellen wir also die ganze Prozedur des Umgangs mit dem Erkennen zusammen: Primitive Grundlage =>Fundamentale Grundlage =>Kritische Grundlage ↓ ↓ ↓ Erkennen Wissen Erkenntnistheorie Da es viele Möglichkeiten gibt, epistemologische Analysen durchzuführen, so finden wir auch heute erfreulicherweise viele Erkenntnistheorien auf dem „philosophischen Markt“. Durch die unterschiedlich festgelegten Kriterien ergeben sich daher verschiedene epistemologische Modelle: apriorische, empirische, evolutionäre, neurowissenschaftliche Erkenntnistheorie usf. Dabei wird jedoch oft so verfahren, dass man entweder die philosophiegeschichtliche oder sachlich argumentative Dimension einseitig hervorhebt. Indes lässt sich m.E. nicht die eine ohne die andere Dimension plausibel in Worte fassen, wenn das genaue Gleichgewicht verloren gegangen ist. Mit der vorliegenden Abhandlung soll versucht werden, einer solchen Konstellation entgegenzuwirken. Dafür gibt es offenbar viele Gründe. Im 21. Jahrhundert wird das Erkennen im Kontext einer (post-)modernen Gesellschaft betrachtet, die viele pluralistische Varianten zulässt: Globale, soziale, Kultur-, Frauen-, Männer-, Bildungs-, Wissenschaftler-, Religionen-, Sportgesellschaft usw. In jeder Form der Gesellschaft wird dem Erkenntnisphänomen eine prinzipielle, wenn auch jeweils spezifische Funktion zugeschrieben, deren objektive Problemstellung auch in ihrem geschichtlichen Horizont gedeutet werden muss, wenn sie sich bewähren soll. Jede Gesellschaftsform erfordert einen bestimmten Umgang mit dem Erkennen. Ganz anders wird mit dem Erkennen im Kulturbereich umgegangen, anders auf der Sportebene und wieder anders auf dem Gebiet der Religionen. Allerdings gilt überall folgendes Prinzip: Entfaltung jeder Form der Gesellschaft erfordert unbedingt die fortschreitende Erkenntnis. Diese Notwendigkeit hat schon von Anfang an als zuverlässiger „Motor“

10 für jedes nur denkbare Modell der Erkenntnistheorie gegolten. Ganz plausibel lässt sich dies an der klassischen Erkenntnistheorie verfolgen angefangen von der Antike, über das Mittelalter und die Neuzeit bis heute. Die vorliegende Untersuchung „bemüht sich“ dieser Tatsache gerecht zu werden, wobei die gegenwärtigen philosophischen Instrumente zum Einsatz kommen. Die Suche nach einer Erkenntnistheorie, welche den Bedürfnissen des Menschen des 21. Jahrhunderts entsprechen könnte, kann aber nicht ziellos und blind erfolgen. Auch heute sind die Philosophen sowohl auf die gleiche Begrifflichkeit als auch die gleichen Methoden angewiesen: Sie bewegen sich zwischen dem Apriori und dem Aposteriori. Deshalb stellen sich die Fragen: Was ist eine Erkenntnistheorie? Wo liegen epistemologische Grenzen? Was ist Erkennen? Was ist Wissen? Wie lässt sich die epistemologische Methodik charakterisieren? Wann ist eine Erkenntnis objektiv? Was gilt als Resultat epistemologischer Aktivität? usf. An diesen Fragen orientiert sich gleichfalls die deduktiv aufgebaute Struktur der vorliegenden Arbeit. Unter Beibehaltung der erprobten Begrifflichkeit und Methodik wird das Problem selbst allerdings im Sinne des Zeitalters behandelt. Denn erst in dieser Weise kann man die Hoffnung aufrechterhalten, dass einige zufriedenstellende Fortschritte erzielt werden können. Aus formaler Sicht sind dabei zwei Faktoren entscheidend: Eine schwerpunktmäßige Auslese aus einem heute kaum zu erblickenden Literaturangebot und die strukturelle Einfachheit. Während das allgemeine Modell des letzteren Faktors schon oben kurz skizziert wurde (vgl. drei grundlegende Schritte: Erkenntnis – Wissen – Erkenntnistheorie), muss der erstere Faktor erst systematisch erarbeitet werden. Förderlich ist dabei eine didaktisch bezogene Prozedur, d.h. die relevanten Begriffe, Gedanken und Problemzusammenhänge werden einerseits durch kursive Schrift hervorgehoben, andererseits mit der Hilfe von Schemata erläutert. Im ersten Kapitel handelt es sich um eine systematische Beantwortung der Frage „Was ist Erkenntnistheorie?“ Dabei wird der geschichtliche Horizont beachtet und zwischen der Erkenntnistheorie „im weiteren Sinne“ und der Erkenntnistheorie „im engeren Sinne“ unterschieden. Die Erkenntnistheorie „im engeren Sinne“ wird dann im Kontext anderer 4

4

Was unter der klassischen Erkenntnistheorie zu verstehen ist, vgl. dazu Kap. I.

11 Disziplinen analysiert. Darüber hinaus wird sich zeigen, dass es verschiedene fundamentale Typen der Erkenntnistheorie gibt. Der Umgang postmoderner Menschen mit der Erkenntnisfrage weist einen relativen Charakter auf. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Problematik des Skeptizismus, der im Kontext des Begriffs „Grenze“ behandelt wird. Wenn jemand eine skeptische Einstellung vertritt, dann heißt das, dass er an etwas zweifelt, weil ihm entsprechendes Wissen fehlt. Skepsis kann aber auch positiv gewürdigt werden, und zwar als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie. Es sind verschiedene Typen von Skepsis denkbar, die auch sprachanalytisch behandelt werden können. Das skeptische Element offenbart sich generell in allen Perioden der klassischen philosophischen Reflexion und kann auch die praktische Dimension der Existenz von Subjekten betreffen. Der kreative Umgang mit der Skepsis ermöglicht vielseitiges argumentatives Verfahren. Mit der Frage „Was ist Erkennen?“ setzt sich das dritte Kapitel auseinander. Dabei wird die Natur des Erkennens analysiert, was auch als die erste Phase der Analyse der Erkenntnistheorie bezeichnet wird. Das führt vorab dazu, dass zwischen den Begriffen „Erkennen“ und „Wissen“ unterschieden und nach ihrem Verhältnis zueinander gefragt wird. Im ersten Schritt werden deshalb notwendige und strukturelle Bedingungen des Erkennens untersucht, um dann verschiedene grundlegende Formen des Erkennens genauer zu betrachten. Eine weitere Analyse des Erkenntnisbegriffs resultiert aus der Abgrenzung zwischen Fundamentalismus und Kohärentismus. Es wird sich auch zeigen, dass der Erkenntnisbegriff im Kontext der Wissenschaftstheorie zu behandeln ist. Im vierten Kapitel steht die Frage „Was ist Wissen?“ im Mittelpunkt. Dabei wird der Wissensbegriff als eine Art „Ergänzung des Erkennens“ aufgefasst, die auch einer Täuschung ausgesetzt sein kann. Für die Bestimmung der Natur von Wissen ist die Analyse von Überzeugung und Rechtfertigung erforderlich. Darüber hinaus werden Kontext und Gründe untersucht. Es wird sich schließlich zeigen, dass Wissen einen sozialen Aspekt aufweist und den Einsatz der Sprache erfordert. So ist auch die Vermittlung von Wissen denkbar. Dass der Umgang mit Wissen stets eine methodische Umrahmung aufweist, wird im fünften Kapitel gezeigt. Darum wird der Frage

12 nachgegangen, wie das Erkennen und Wissen methodisch zustande kommen. So ergibt sich eine Art epistemologische Methodik, die vor allem in apriorischer, naturalistischer und begrifflicher Analyse aufgeht. In dem Kontext werden auch die epistemologischen Entitäten „Erklären“ und „Verstehen“ behandelt, deren Relevanz sich nicht zuletzt auf der praktischen Ebene offenbart. Das sechste Kapitel greift die epistemologische Objektivität auf. Sie gilt als entscheidendes Kriterium zur kritischen Überprüfung des erreichten epistemologischen Resultats. Es wird sich dabei zeigen, dass der Objektivitätsbegriff durch die Elemente von Wahrheit, Gewissheit, Gültigkeit und Rechtfertigung epistemologisch fundiert ist. Dies wird im Kontext verschiedener Wahrheits- und Rechtfertigungstheorien deutlich. Als mögliche Kandidaten werden vorab auch Wahrscheinlichkeit und Vermutung ins Spiel gebracht, nach einer sorgfältigen Analyse jedoch ausgeschlossen. Anschließend wird auch das Problem des Quietismus behandelt. Im siebten und letzten Kapitel wird das Resultat epistemologischer Aktivität selbst bestimmt, und zwar im Kontext gewichtiger Erkenntnisse, die in den Kapiteln I bis VI gewonnen wurden. Es wird sich dabei zeigen, dass es sich um vier Typen von Folgen handelt: theoretische, praktische, metaphysische und naturhafte.

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Kapitel I WAS IST EINE ERKENNTNISTHEORIE? 1. Einführung Wittgenstein schreibt in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ Folgendes: „Aber könnten wir uns nicht vorstellen, dass Gott einem Papagei plötzlich Verstand schenkte, und dieser nun zu sich selbst redete?“ Würden wir diesen Gedanken einer Analyse unterziehen, dann müssten wir unter anderem fragen, in welchem Verhältnis der Papagei zu dem von Gott geschenkten Verstand steht. Und eine der möglichen Antworten darauf könnte durchaus lauten, dass es sich hier um ein Erkenntnisverhältnis handelt. Wie verhält sich aber der Begriff der Erkenntnis zu einem Papagei? Inwiefern kann einem Papagei Erkenntnis überhaupt zukommen? Angenommen, dass sie ihm doch zukommen würde, dann wäre sofort die nächste Frage zu beantworten, welcher Art diese Erkenntnis sei. Bei der Analyse dieses simplen Gedankens fällt schon auf, dass wir eine Theorie stufenweise entwerfen, indem wir die Begrifflichkeit eines Sachverhaltes erforschen. Ausgehend von einem mit dem Verstand versehenen Papagei wird also ein Gedankengang entwickelt, wodurch auch grundlegende Entitäten auf ihre Bezogenheit aufeinander geprüft werden: Papagei, Gott, Verstand usf. Dabei wird man eher deduktiv verfahren, d.h. ein komplexer Sachverhalt „Gott schenkt einem Papagei Verstand“ wird in einzelne Elemente zerlegt, um deren Verknüpfungen miteinander zu untersuchen. Wie schon oben angedeutet wird auch in der vorliegenden Abhandlung als ganzer in erster Linie deduktiv verfahren. Drei prinzipielle Elemente, auf 5

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Wittgenstein, L., PU 346. Die Zulassung dieser Frage setzt offenbar eine gewisse methodologische Grundlage voraus, ähnlich wie wir sie etwa bei Descartes vorfinden (vgl. dessen DämonArgument in den „Meditationen“ [vgl. Med. I, 1]). Eine andere Möglichkeit wäre offenbar induktives Vorgehen.

5 6

7

14 die sich das deduktive Verfahren bezieht, sind in folgenden Fragen fundiert: (1) Was ist eine Erkenntnistheorie? (2) Was ist Erkenntnis? (3) Was ist Wissen? Im folgenden Kapitel gilt es lediglich dem ersten Sachverhalt „Was ist eine Erkenntnistheorie?“ systematisch nachzugehen, insbesondere aus geschichtlicher Sicht. Was eine Erkenntnistheorie eventuell sein könnte, lässt sich wohl schon mit dem Blick auf unser „Papagei-Beispiel“ herausfinden. Kurzum: Dort, wo das Phänomen der Erkenntnis bzw. des Wissens „irgendwie“ analysiert wird, haben wir es schon mit einer „Erkenntnistheorie im weiteren Sinne“ zu tun. Allerdings will hier die Theorie keinen starken Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben. Wenn dagegen streng systematisch und methodisch verfahren wird, um die die Erkenntnis fundierenden Bedingungen herauszufinden und eine vorgegebene epistemologische Vollziehungsordnung genauer zu bestimmen, dann können wir von einer „Erkenntnistheorie im engeren Sinne“ (EES) sprechen, der unser Augenmerk prinzipiell gilt. Die EES ist bestrebt, nicht nur die einzelnen Komponenten wie etwa Erkennen, Wissen, Subjekt, Objekt u.a. kritisch zu erforschen, sondern auch die spekulative Methode, mit der diese Komponenten angegangen werden. Eine praktische Ausrichtung bleibt dabei auch bedeutsam. Es wird sich also zeigen, dass die EES ihre Analysen im Kontext anderer philosophischer sowie empirischer Disziplinen durchführt. Dabei gelten Erkennen und Wissen als zwei grundlegende Untersuchungsgegenstände, deren Analyse die Bestimmung eines geschichtlichen Horizonts erfordert. Die Tatsache, dass das Erkennen in einem Verhältnis zum Seienden steht, dem unterschiedlicher ontologischer Status zukommt, hat zur Folge, dass es verschiedene fundamentale Typen der Erkenntnistheorie gibt. Diese Konstellation führt schließlich dazu, dass der Umgang postmoderner 8

Denn über eine Theorie kann man nur im Kontext einer Praxis sinnvoll reden, oder auch anders formuliert: Es gibt keine Praxis ohne Theorie, da alle Praxis an vorgegebene Bedingungen und in eine vorgegebene Ordnung hineingestellt ist. Das haben vor allem Aristoteles und Kant eindeutig hervorgehoben. Sie behalten sich den Begriff „Praxis“ für die sittliche Willenshandlung vor. Die klassische Aufteilung lässt noch den dritten Bereich zu, d.h. „Téchnē“, in dem sich die (menschliche) Tätigkeit auf äußere Gegenstände richtet (vgl. Brugger, W. [1996b], 402f). 8

15 Menschen mit der Erkenntnisfrage einen zu differenzierenden Charakter hat und auf das Problem der Relativität hin geprüft werden muss. 2. Erkenntnistheorie im Kontext anderer Disziplinen Die Lösung der Erkenntnisfrage war schon immer Gegenstand philosophischer Anstrengungen. Nehmen wir etwa Platon: Im „Phaidon“ können wir erblicken, wie Platon sich um eine genauere Bestimmung der Erkenntnis als Tätigkeit der Seele bemüht. Im Kontext seiner „ZweiWeltenlehre“ lesen wir, die Wahrheit sei allein einem von aller Sinnlichkeit losgelösten Denken zugänglich. Unter dem Wahren versteht Platon (hier) Dinge wie Schönheit an sich, Gerechtigkeit an sich, das Gute, die Größe, die Kraft an sich usf. Sein Schüler Aristoteles lässt sich auch auf das Erkenntnisproblem ein, wenn er von der Seele spricht und dabei zwischen der Pflanzen-, Tier- und Menschenseele (= Geist /noũs/) unterscheidet. Beim genaueren Hinsehen fällt nun auf, dass die Erkenntnisfrage sowohl bei Platon als auch bei Aristoteles im Zusammenhang mit anderen philosophischen Problemen diskutiert wird, welche dem Bereich der „metaphysica generalis“ (vor allem der Ontologie und der natürlichen Theologie) und der „metaphysica specialis“ (vor allem der Kosmologie) angehören. Im Mittelalter und in der Neuzeit hat sich diese Konstellation kaum verändert, wohl aber deren begleitendes methodisches Verfahren. Während das Mittelalter durch die „scholastische Methode“ geprägt ist, vollzieht sich in der Neuzeit eine vielfache Erweiterung epistemologischer Begrifflichkeit – mit der Folge, dass die 9

10

Vgl. Platon, Phaidon 63 e f.; vgl. auch Aristoteles, De anima II 2 f. Die scholastische Methode bezeichnet vor allem eine bestimmte Struktur der Argumentation: Grundlegende Texte, denen Autorität („auctoritas“) zugeschrieben wird, werden mit der Vernunft („ratio“) kritisch beurteilt. Das vollzieht sich auf zwei Wegen: (1) In einer „lectio“ – d.h. Texte werden in einer Vorlesung unmittelbar vorgetragen und kommentiert; (2) In einer „disputatio“ – Texte werden mit Hilfe der aristotelischen Logik (insbesondere der Syllogismuslehre) behandelt: (a) eine These wird aufgestellt; (b) verschiedene Einwände werden vorgebracht; (c) eine Lösung wird zunächst auf eine Autorität gegründet; (d) dann rational bewiesen; (e) Einwände der Gegner werden der Reihe nach widerlegt. Als klassisches Beispiel eines derartigen Verfahrens gelten die Summen des Thomas von Aquin.

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10

16 Erkenntnistheorie im 17. Jahrhundert in den Mittelpunkt der Philosophie schlechthin rückt. Dies lässt sich bezeugen z.B. durch René Descartes´ „Discours de la Méthode“, seine „Meditationes“, John Lockes „An Essay Concerning Human Unterstanding“, George Berkeleys „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, David Humes „A Treatise of Human Nature“ und „An Enquiry Concerning Human Understanding“ und speziell Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Trotz dieser hervorgehobenen Stellung erlangt die Erkenntnistheorie (bzw. Epistemologie) jedoch ihren Status als eigenständige philosophische Disziplin erst im 19. Jahrhundert, als sich ein praxisorientierter nichttheoretischer Umgang mit Erkenntnis in den Naturwissenschaften vom philosophisch-theoretischen Verfahren abspaltete. Der Begriff „Epistemologie“ besteht aus zwei Teilen: (1) ε̉πιστήµη (epistéme – Erkenntnis, Wissen, Wissenschaft) und (2) λόγος (lógos – auch Wissenschaft, Lehre). Von der begrifflichen Analyse her leuchtet schon ein, dass die Erkenntnistheorie als eine der grundlegenden Disziplinen der Philosophie gilt - unter anderem neben der Ethik, der Logik und Ontologie. Während die Ontologie (Seinslehre) die allgemeinen inneren Strukturen des Seienden schlechthin erforscht, die Logik sich mit der Richtigkeit des Denkens befasst und die Ethik fragt, wie wir handeln sollen, fragt die Erkenntnistheorie hingegen, wie wir davon wissen können. Das erkenntnistheoretische Fragen umfasst dabei verschiedene Bereiche, z.B. den Bereich der Naturwissenschaften, der Metaphysik, der Moral usw. Hinsichtlich all dieser Gebiete gilt es, die Fragen zu beantworten: Was sind Erkenntnis und Wissen? Wie kommt Erkenntnis zustande? Was sind Erkenntnissubjekt und -objekt? Was ist ein Erkenntniswert? Wann haben wir es mit einem objektiven, wahren und verlässlichen Erkenntniswert zu tun? Welche Kriterien sind erforderlich, um dies zu beurteilen? Wie steht es mit der Rechtfertigung im Erkenntnisprozess? Wie soll die äußere Umrahmung aussehen, damit bestimmte Überzeugungen als wahr und gerechtfertigt anerkannt werden können usf. Die vielfache Bezogenheit und sachliche Mannigfaltigkeit der Erkenntnisfrage haben zur Folge, dass die Erkenntnistheorie in einem engen Verhältnis zu anderen philosophischen Disziplinen steht. So gehört die Frage nach der Natur von Überzeugungen auch in die Philosophie des

17 Geistes. Da es die Erkenntnistheorie mit Wahrheit zu tun hat, begibt sie sich folglich auf das Gebiet, das sowohl für die Sprachphilosophie als auch Metaphysik relevant ist. Hier ist die methodische Kohärenz nicht zu übersehen, d.h. die Ausrichtung auf das Apriori- und Aposteriori-Element (vgl. Kap. V). Eine plausible Erkenntnistheorie muss heute die Rechtfertigungsfrage dringend behandeln, welche aber auf den Begriff des Grundes und der Überzeugung angewiesen ist. Dieses ganze Argumentationsverfahren weist einen rationalistischen Charakter auf, dessen Enthüllung sich in vielerlei Hinsicht auf dem Gebiet der Rationalitäts-, Entscheidungs-, Wahrscheinlichkeitstheorie und Logik vollzieht. Wenn man eine Analyse von Gründen holistisch durchführen will – nur so können wir vielen schwerwiegenden Einwänden entgehen dann ist der Begriff des Grundes erschöpfend zu verstehen, d.h. wir sprechen von Gründen nicht nur für Überzeugungen, sondern auch für Handlungen. Als behilfliche Disziplinen erweisen sich hier die Handlungstheorie und Metaethik. Im Erkenntnisprozess spielen ferner kausale Zusammenhänge und verlässliche Methoden eine entscheidende Rolle, deren begriffliche Klärung auch die Aufgabe der Wissenschaftstheorie darstellt. Diese Disziplin leistet zudem einen wesentlichen Beitrag bei der Bestimmung des Typus des zu analysierenden Wissens. Natur und Aufgabe der Erkenntnistheorie erfordern darüber hinaus eine Verknüpfung mit zahlreichen nicht-philosophischen Disziplinen. Als verbindendes Element gilt dabei das gemeinsame Interesse an Wissen. Psychologie, Neurowissenschaft, Informatik, Forschungen zur künstlichen Intelligenz usf. sind also die Wissenschaften, deren allgemeines Ziel es ist, ein entsprechend „formatiertes Wissenspaket“ zu liefern, je nachdem, welche interne Prinzipien als bewegende Entitäten angesehen werden. Außer dem Wissen stellt auch das Erkennen den elementaren Untersuchungsgegenstand der Erkenntnistheorie dar. Damit eine klare Bestimmung der grundlegenden Typen von Erkenntnistheorie vollzogen werden kann, wollen wir diese beiden Entitäten (d.h. Erkennen und Wissen) in einem geschichtlichen Horizont betrachten. 11

11

Vgl. Ernst, G. (2007), 9f.

18 3. Grundlegende Typen der Erkenntnistheorie. Ein geschichtlicher Überblick Im Verlaufe der reichen philosophischen Tradition des Abendlandes wurden verschiedene Typen von Erkenntnistheorien entwickelt. Die ursprüngliche Phase dieses Entwicklungsprozesses stand zum Teil unter dem Einfluss von der Natur-, mystischen und prophetischen Religionen: Man denke etwa an die Verehrung der Götter durch die alten Griechen oder die Ursprünge der jüdischen Religion. Selbst wenn die christliche Religion erst viel später auf dem weltweiten „Religionen-Markt“ in Erscheinung trat, darf auch sie keinesfalls ignoriert werden. Wie wir noch unten sehen werden, war der Einfluss der christlichen Religion auf das Denken in einigen philosophischen Perioden maßgeblich, z.B. im Mittelalter, aber auch in der Neuzeit – Hegel ist hier ein ausgezeichnetes Beispiel. Diese ganze Konstellation bezeugt nun, dass man mit dem Erkenntnisproblem unterschiedlich umgehen kann: Dabei können auch Glaubensfaktoren eine gewisse Rolle spielen. Beim Behandeln der Frage, warum man mit dem Erkenntnisproblem unterschiedlich umgehen könne, ist es immer sinnvoll, vorab bei der Natur des Menschen selbst anzusetzen, da es diverse menschliche Naturanlagen gibt, welche unsere Erkenntnisprozesse notwendig fördern. Das hat etwa Kant wie kein anderer plausibel hervorgehoben. Eine besondere Brillanz verdankt diese Frage daher ihrer Verknüpfung mit der philosophischen Perspektive. Vor Kant haben das schon viele andere Denker gesehen, z.B. Sokrates, wenn er sagt: „Erkenne dich selbst“ (vgl. Protagoras 343b). Weitere Stationen des philosophischen Diskurses, die den Reichtum des erkennenden Geistes enthüllen, könnten als eine Fortführung des sokratischen Projekts angesehen werden. 3.1. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage in der Antike Im Vorangehenden haben wir Sokrates (ca. 470-399 v. Chr.) angesprochen, aber philosophisches Fragen nach dem Erkennen begann schon viel früher, und zwar mit den so genannten „Vorsokratikern“. Ihre Tätigkeit, die im Verlaufe der Zeit immer mehr philosophische Züge offenbarte, begann spätestens im 7. Jh. v. Chr. Sokrates, Platon,

19 Aristoteles, Plotin u.a. sind es daher gewesen, die die philosophischen Anstrengungen der Vorsokratiker weiter führten, allerdings mit dem Unterschied, dass philosophische Akzente jetzt nicht nur anders gesetzt werden, sondern auch eine reifere Form erhalten. Die antike Philosophie und somit das antike Entwerfen epistemologischer Ansätze dauerte bis zum 5./6. Jh. n. Chr. an. Ursprünglich geschah dies im Raum der Staaten rund um das Mittelmeer, d.h. der sogenannten „Stadtstaaten“ in Kleinasien, dann aber auch in Italien mit dem Zentrum in Rom. Obwohl in der Antike noch kein System von Universitäten gegründet wurde – es gab lediglich zahlreiche miteinander konkurrierende Akademien - wurde die Frage nach Erkenntnis und Wissen trotzdem temperamentvoll diskutiert. So ist etwa für Aristoteles Philosophie die höchste Form des Wissens. Wissen unterscheidet sich von der Erfahrung durch die strenge Allgemeinheit und ist erst mit der Erkenntnis des allgemeinen Zusammenhangs gegeben. Dabei sind die Begriffe der Ursache (αι̉τία) und des Grundes (α̉ρχή) wesentlich. Philosophie als die höchste Form des Wissens befasst sich nun mit den ersten Ursachen und Gründen (vgl. Met. I, 1-2). Die Anfänge dieser Behauptung finden wir schon bei den Vorsokratikern. 3.1.1. Vorsokratisches Fragen nach dem Grund

12

Mit den Vorsokratikern sind – im Sinne klassischer Auffassung - alle Philosophen gemeint, deren Tätigkeit bis zur zweiten Hälfte des 5. Jh. v. Chr. reicht. Die vorsokratische epistemologische Debatte ist aufs engste mit der Metaphysik verbunden. Diese offenbart sich aber in der Frage „Was ist die den Dingen, wie sie uns erscheinen, zugrunde liegende Wirklichkeit? Was ist das eigentliche Sein, ohne das alles andere nicht wäre?“ Gemeint ist also die Frage nach dem Grund der Dinge. Dass die Beantwortung dieser Frage einen effizienten Erkenntnisprozess erfordert, scheint offenkundig zu sein. Der Ansatz kann dabei allerdings unterschiedlich ausfallen.

In diesem Abschnitt folge ich vor allem Ricken, F. (2000), 13f, und Disse, J. (2001), 17f. 12

20 Die Ursprünge der griechischen Reflexion sind mit Mythen und Göttererzählungen verknüpft. Als klassisches Beispiel wird hier Hesiod (um 700 v. Chr.) angesehen. In seiner „Theogonie“ (Götterentstehung) beschreibt Hesiod die Entstehung der Welt und den Weg des Zeus zur Herrschaft über die Götter und Menschen. Sein Anliegen ist es, die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit mit dem Blick auf ein Erstes darzustellen. Der Übergang vom Mythos zum Logos (Vernunft), also zum eigentlich philosophischen Denken, vollzieht sich erst mit den Ioniern (bzw. Milesiern). Das Charakteristische bei diesen Denkern war das Bewusstsein der beharrlichen Veränderung der Dinge, des Entstehens und Vergehens, des Übergangs vom Leben zum Tod, des Wechsels der Jahreszeiten usf. Dieser Veränderung muss etwas zugrunde liegen, d.h. ein Grund, der aber noch als etwas Materielles aufgefasst wird; damit ist die Vorstellung der Lebendigkeit nicht ausgeschlossen. Bei der Bestimmung dieses Etwas gehen die Ionier aber verschiedene Wege. So behauptet Thales (ca. 624456), dass das Wasser der Grund aller Dinge sei. Für Anaximander (ca. 610-545) ist dagegen das Unendliche (Apeiron) der Ursprung von allem Seienden. Dieses Unendliche, das als aus einem Stoff bestehender Körper gedacht ist, steuert den Kosmos, es ist unsterblich und unvergänglich, d.h. göttlich. Schließlich schreibt Anaximenes (ca. 585-528) der Luft den Charakter des Grundes zu. Wenn die Luft sich verdichtet, wird sie zu Feuer; verdichtet sie sich, dann wird sie vorab zu Wind, dann zu Wolke, Wasser, Erde und Stein. Der nächste wesentliche Schritt auf dem Erkenntniswege des Seienden wird von Pythagoras (ca. 570-496) vollzogen, für den der Grund schon nicht mehr etwas Materielles ist. Nach Pythagoras ist vielmehr die Zahl das Prinzip des Kosmos; durch sie wird das Unbestimmte zu einem Bestimmten. Die Zahl schafft die Körper, grenzt sie ab, gibt ihnen ihre Maße. Eine scharfe Kritik am Polytheismus Griechenlands übt Xenophanes (ca. 570-475) aus. Er behauptet, dass es nur einen Gott gebe, der ganz Geist sowie unsterblich sei und die Welt lenke. Mit Heraklit (ca. 544-484) wird erstmals in der antiken Epistemologie der Begriff „Logos“ (Seele, Vernunft) naturphilosophisch geprägt. Der (ewige) Logos bzw. die Seele ist ein verbindendes Glied zwischen naturphilosophischem Wissen und Weisheit: Die Seele wird zu Wasser, das Wasser zu Erde, die Erde zu Wasser, das Wasser zur Seele. Der

21 Mensch lernt sich selbst kennen, indem er die Gesetze des Kosmos kennen lernt. Der Kosmos ist ein Kampf von Gegensätzen wie Tag und Nacht, Frieden und Krieg, Gesundheit und Krankheit usw. Nach Heraklit ist der „Krieg der Vater aller Dinge“. Im Mittelpunkt des epistemologischen Fragens steht schließlich das Sein als Grund aller Dinge, danach fragt Parmenides (ca. 540-470). So beginnt die Geschichte der Ontologie. Parmenides zählt Merkmale auf, die dem Seienden aufgrund dessen, dass es ist, notwendig zukommen. Das Sein ist also ungeworden, unvergänglich, unveränderlich, vollkommen. Es sind Prädikate, die später Platon für seine Ideen und Aristoteles für seinen Gottesbegriff übernehmen werden. Die Frage nach dem Seienden wird auch von Empedokles (ca. 500-430), Anaxagoras (ca. 500-428) und den Atomisten fortgeführt. Wie Parmenides behaupten sie, Seiendes könne nicht aus dem Nichtseienden entstehen und nicht in das Nichtseiende vergehen. Gegen Parmenides schließen sie aber Werden und Vergehen aus, ohne die Welt der Erfahrung zum Schein zu erklären. Mit der Sophistik, die als eine Aufklärungsbewegung verstanden wird, vollzieht sich in der zweiten Hälfte des 5. Jh. v. Chr. eine thematische Wende in der griechischen Philosophie. Nicht mehr der Kosmos steht im Mittelpunkt, sondern der Mensch. Als Wanderlehrer vermitteln die Sophisten einen Relativismus, der die geltenden Werte und somit auch die Moral in Frage stellt. Da die Sophisten nur das annehmen wollen, was sie selbst geprüft haben, ergibt sich daraus auch eine epistemologische Konsequenz. So lautet z.B. die Erkenntnistheorie des Protagoras: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, wie sie sind, der nicht seienden, wie sie nicht sind. Erkenntnis erschöpft sich in Wahrnehmung; sie ist ein Prozess, den das Subjekt erleidet. Jede Wahrnehmung ist subjekt- und situationsbezogen, sie erschließt keine Wirklichkeit an sich. Im Kontext der sophistischen Bewegung ist auch Sokrates zu betrachten. Seine Philosophie wurde von Platon überliefert. 13

14

Als Atomisten werden vor allem Lukip aus Milet (Anfang 5. Jh. v. Chr.) und Demokrit von Abdera (ca. 460-ca. 370) genannt. Sie sind der Ansicht, die Atome (genannt auch das Seiende) seien unteilbar, weil sie keinen leeren Raum enthalten. Auch Gorgias von Leontinoi (ca. 485-ca. 376) gilt als einer der berühmtesten Sophisten. Seine These lautet unter anderem, wenn etwas sei, dann sei es für den Menschen unerkennbar. 13

14

22 3.1.2. Platon und die Zweiweltenlehre Dank Platon (ca. 427-347 v. Ch.) können wir heute wissen, wie die epistemologischen Elemente der vorsokratischen Periode zu formulieren sind. Das verdanken wir seinen Dialogen, deren Hauptfigur prinzipiell Sokrates ist. Sokrates wird zu einem Wortführer gemacht, der seinen Gesprächspartner sowohl methodisch als auch thematisch aufklärt. Indem Platon Sokrates sprechen lässt, behandelt er verschiedene Themen: Tugend, Schönheit, Frömmigkeit, Ideenlehre usf. Auch seine Methode ist einzigartig: Durch systematisches und gezieltes Fragen beweist Sokrates seinem Gesprächspartner dessen Nichtwissen, um ihn schließlich zu einer Einsicht zu führen. Im Folgenden richten wir unser Augenmerk auf die Erkenntnisfrage im Kontext der platonischen Ideenlehre. Das Problem menschlichen Erkennens erörterte Platon in verschiedenen Dialogen – allerdings nicht als autonomes Anliegen, sondern stets in einem größeren Zusammenhang. Einen besonderen Charakter erlangt die platonische Erkenntnistheorie im Kontext der sogenannten „Zweiweltenlehre“. Um diese These zu begründen, postuliert Platon die Existenz von zwei Welten: der sinnlichen Welt und der Welt der Ideen. Die Idee ist für Platon ein erkenntnistheoretischer Begriff. Gäbe es keine Ideen, dann hätten wir nichts, worauf wir unseren Verstand richten könnten (vgl. Parm., 135bc). Ideen gibt es für jede Klasse von Dingen: Stühlen, Tischen usw. (vgl. Politeia, 596a6 f.). Die sinnlichen Dinge sind Abbilder von Ideen, die als Bilder anzusehen sind. Dieses Verhältnis lässt sich plausibel erläutern, wenn man etwa das Beispiel des Schattens betrachtet. Das reale Ding (=Idee) ist unabhängig vom Schatten (=sinnliches Ding), aber der Schatten ist nicht unabhängig vom realen Ding. Der Schatten verdankt seine Existenz der Teilhabe (=Methexis) am realen Gegenstand (vgl. Parm., 132d). Das Erkenntnisproblem können wir bei Platon unter 15

Generell werden Platons Schriften folgendermaßen aufgegliedert: (1) Die Frühschriften – stellen vor allem Sokrates dar, sind eine Art Ehrung des Sokrates, er ist eine Hauptfigur; (2) die klassischen Dialoge – hier spielt Sokrates auch eine zentrale Rolle, Platon vermittelt aber durch ihn seine Lehre (frühe Ideenlehre); (3) die Spätdialoge – Sokrates ist nicht der Wortführer; diese Dialoge sind trockener und sachlicher geschrieben. 15

23 anderem am Liniengleichnis und Höhlengleichnis verfolgen. Beide Gleichnisse befinden sich im Buch „Politeia“. Im Liniengleichnis unterscheidet Platon zwischen verschiedenen Typen von Erkennen. Eine Linie (AB) wird gezeichnet und in zwei ungleiche Abschnitte (AC, CB) unterteilt. Diese beiden Abschnitte werden auch nach demselben Verhältnis unterteilt, d.h. in (AD, DC) und (CE, EB). Wollen wir dies mit einem Schema darstellen, so haben wir: A

D

C

E

B

Die Abschnitte der Linie symbolisieren Erkenntnisweisen und die ihnen jeweils zugeordneten Gegenstandsbereiche. Der Abschnitt (AB) stellt also den Erkenntnisprozess schlechthin dar. Nach der Unterteilung von (AB) ergeben sich das Meinen (AC) und das Denken (CB). Während die sichtbare veränderliche Welt der Gegenstand der Meinung ist, ist die intelligible unveränderliche Welt der Gegenstand des Denkens. Als Folge weiterer Aufteilung (d.h. von AC, CB) erscheint die Differenzierung zwischen dem Vermuten (AD) und dem Glauben (DC). Dabei bezieht sich das Vermuten auf eine besondere Art von Bildern (d.h. auf Schatten und Spiegelbilder, die auf der Körperoberfläche entstehen), das Glauben hingegen hat es mit den Gegenständen zu tun, die diese Bilder verursachen (z.B. Tiere, Pflanzen usf.). Schließlich ergeben sich nach der Unterteilung von (CB) die mathematische Erkenntnis (CE) und die Erkenntnis der Ideen, d.h. die Vernunfterkenntnis (EB) (vgl. Politeia 509d f.). Diese Typen von Erkenntnisweisen tauchen anschaulich in der idealistischen Erkenntnistheorie auf, die Platon im Höhlengleichnis darstellt: In der unterirdischen höhlenartigen Wohnung mit einem gegen das Licht geöffneten und durch die ganze Höhle sich erstreckenden Zugang sind Menschen seit ihrer Kindheit so an Hals und Schenkeln gefesselt, dass sie nur nach vorne zu sehen vermögen, d.h. ihren Kopf nicht nach hinten drehen können. Die Höhle wird von einem Feuer beleuchtet, das weit hinter den Angeketteten brennt. Zwischen dieser Lichtquelle und den Angeketteten verläuft parallel zu der von diesen angeschauten Wand ein 16

16

Vgl. dazu auch Ricken, F. (2000), 102f.

24 Weg, der durch eine Mauer von den Angeketteten getrennt ist. Auf diesem Weg werden die Mauer überragende Gegenstände vorübergetragen. Die Angeketteten sehen aber diese Gegenstände nicht, sondern lediglich deren Schatten, die durch die Abdunkelung des Lichts aus dem Hintergrund entstehen. Sie erfahren also nur die Schatten und nicht „das Wahre“, dessen Symbol die vorübergetragenen Gegenstände sind. Würde man einen der Angeketteten freilassen, ihn zwingen, sich umzudrehen und in das flimmernde Licht zu sehen, dann würde er die Dinge nicht so ganz erkennen, von denen er zuvor nur die Schatten sah. Er würde nicht gleich begreifen, dass er zuvor „lauter Nichtiges“ gesehen hat, jetzt aber dem „Seienden“ näher ist und „richtiger“ sieht; er würde zunächst glauben, das zuvor Gesehene sei wirklicher als das jetzt Erblickte. Wenn man diesen Menschen aber weiter aus der Höhle ans Licht der Sonne führte, ihn zum Blick in dieses Licht nötigte, dann würden ihm die Augen schmerzen und er würde zu den Angeketteten zurückkehren. Außerhalb der Höhle würde der Befreite Schatten am leichtesten erkennen, dann die Bilder von Menschen und die Spiegelungen der Dinge im Wasser, erst später die Dinge selbst. Er würde ferner im Mondlicht leichter sehen als im Sonnenlicht. Erst am Ende würde er die Sonne selbst betrachten können. Dadurch würde er das Glück erlangen und Mitleid mit den anderen Gefesselten haben. Wie ist dieses Gleichnis auszulegen? Die Gefängniswohnung bedeutet die sinnliche (besonders die visuelle) Wahrnehmung, d.h. den Bereich der Erscheinung. Der Ausstieg aus der Höhle und die Konfrontation mit den oberen Dingen steht für den Aufschwung der Seele in den Bereich der Erkenntnis. Unter allem Erkennbaren ist auch die Idee des Guten, die nur in einem mühevollen Prozess zu erkennen ist. Wird aber diese Idee erblickt, so leuchtet dem Menschen ein, dass sie die Ursache alles Schönen und Richtigen ist. Die Idee des Guten ist also die Ursache der Erkenntnis und der Wahrheit (vgl. Politeia, 514a f.) Für Platon sind die Ideen existierende, unveränderliche, geistige Gegebenheiten, die in der wahren Erkenntnis, im wahren Denken aufleuchten. Da die Ideen dem Menschen eingeboren sind, stellt die Erkenntnis eine Wieder-Erinnerung (Anámnesis) dar, d.h. die

25 Vergegenwärtigung der eingeborenen Ideen. schlägt Aristoteles ein.

17

Einen völlig anderen Weg

3.1.3. Aristoteles´ empirischer Weg Mit dem Blick auf die gegenwärtige philosophische Debatte könnte man den Unterschied zwischen Platon und Aristoteles (384-322 v. Ch.) folgendermaßen auf den Punkt bringen: Platons Schriften sind durch eine Art „literarische Eleganz“ gekennzeichnet, wobei systematisches Verfahren nicht entscheidend ist. Die aristotelischen Werke, die uns überliefert worden sind, zielen hingegen generell auf die Herausarbeitung einer überblickenden Systematik sowie einer einheitlichen, empirisch bezogenen und exakten Argumentation ab. Das literarische Bemühen um „Lebendigkeit“ wird dabei als sekundär betrachtet. Auch im epistemologischen und ontologisch fundierten Bereich ist dieser Stil erkennbar. Der Empirist Aristoteles beginnt seine Metaphysikschrift mit dem Satz: „Alle Menschen streben von Natur nach Wissen“ (Met. I, 1). Anders als Platon geht er nicht von den Ideen oder dem Wesen der Dinge, sondern von deren Erscheinung aus. Denn in den Erscheinungen verwirklicht sich das Werden, vollzieht sich die Selbstverwirklichung des Wesens (=Entelechie). Aus epistemologischer Sicht ist dabei der Begriff der Seele relevant. Es gibt nach Aristoteles verschiedene Seelen, oder genauer gesagt Seelenvermögen: das vegetative, das wahrnehmend-strebende und das vernünftige („Nus“, Intellekt) (vgl. De anima, II – III). Nur das letztere Seelenvermögen kann (in seinem intuitiven Verfahren) erschöpfend die 18

19

Vgl. Meyer, H. (2000), 68f. Das ist die eine klassische Position in der gegenwärtigen Aristoteles-Forschung (vgl. etwa Düring, I. [1966], 29). Eine andere (d.h. entwicklungsgeschichtliche) These wird etwa von Werner Jaeger (vgl. ders., [1955]) vertreten. Sie lautet: „Aristoteles hat sich von einem platonisierenden Idealisten zu einem Empiriker entwickelt“. Das höhere Seelenvermögen enthält jeweils das niedere. Der Intellekt (Nus) ist allerdings nicht (notwendig) an den Körper gebunden: Man denke etwa an die Menschen, deren Intellekt nicht – aus welchem Grund auch immer - vermag, die Standards einer „gesunden“ Vernunft zu erfüllen. Dies könnte man (gewissermaßen) im Hinblick auf die sogenannten „Amokläufer“ behaupten.

17 18

19

26 menschliche Erkenntnis begründen. Diese setzt freilich an der Erfahrung und dem Einzelnen an, um zum Allgemeinen zu gelangen. Auf das Allgemeine zielt alle Wissenschaft ab (vgl. Met. II, 6); dieses Verfahren, d.h. der Aufstieg vom Besonderen zum Allgemeinen wird Induktion im Gegensatz zur Deduktion genannt. Das vernünftige Seelenvermögen, d.h. der Verstand tritt in zwei Formen auf: (1) als der „leidende“ (passive) und (2) der „tätige“ Verstand. Der Prozess der Verallgemeinerung ist dem leidenden Verstand zu verdanken. Die vermöge des leidenden Verstandes gewonnenen Vorstellungen werden aber vom tätigen Verstand weiter verarbeitet – mit der Folge, dass dieser aus ihnen das begriffliche Wesen der Dinge (species intelligibilis) erzielt. Mit anderen Worten: Der tätige Verstand „aktiviert“ das, was der leidende Verstand potentiell schon ermittelte (vgl. De anima III, 4 f.) Aristoteles unterscheidet zwischen Wissen und Erfahrung. In seiner „Analytik“ behauptet er, dass die Erinnerung sich aus der Wahrnehmung bildet, und aus der Erinnerung, wenn sich dieser Vorgang öfter wiederholt, die Erfahrung (vgl. Analytik II, 100a). Während ich durch Erfahrung weiß, dass z.B. die Sonne jeden Morgen im Osten aufgeht, weiß ich durch Wissen, warum sie es tut, nämlich wegen der Bewegung der Erde um sich selbst und um die Sonne. Wissen ist also ein Verstehen von Ursachen und Prinzipien. Alle Erkenntnis gründet in den ersten Erkenntnisprinzipien, die selbst nicht noch einmal durch andere begründet werden. Als Wissenschaft der ersten Prinzipien und Ursachen gilt für Aristoteles die Metaphysik – gemeint als „metaphysica generalis“ (vgl. Met. I, 3). Erkennen heißt also erklären, was die Ursache der Dinge ist, d.h. warum Dinge notwendig so und nicht anders sind. Entscheidend ist dabei der Begriff „Erklärung“. Da Aristoteles Wissenschaft als ein strenges System beweisbarer Sätze versteht, analysiert er die Begründungszusammenhänge zwischen verschiedenen Sätzen. Den Kern seiner Analyse stellt die Lehre vom logischen Folgern dar, d.h. die Syllogismuslehre (vgl. Analytik II, 1 f). Jeder Syllogismus besteht aus drei Satzelementen: 20

20

Vgl. Disse, J. (2001), 64.

27 (1) Obersatz: „Alle Menschen sind sterblich“ + (2) Untersatz: „Sokrates ist ein Mensch“ = (3) Schlusssatz: „Sokrates ist sterblich“ Das Beweisverfahren muss allerdings eine Reihe von epistemologischen Faktoren beachten, um erfolgreich abgeschlossen zu werden. So wollen wir im Folgenden einige wichtige Prinzipien erwähnen. Als erstes stellt sich die Frage nach dem „regressus ad infinitum“: Wie lässt sich diese epistemologische Gefahr vermeiden? Die aristotelische Lösung besteht in der Einführung der sogenannten „Axiome“, d.h. der ersten Sätze, die nicht mehr begründet werden müssen, da sie unmittelbar einleuchten. Axiome sind allen Wissensgebieten gemeinsame Prinzipien, welche nicht bewiesen werden können, sich zugleich aber jedem sinnvollen Zweifel entziehen (vgl. Analytik II, 3; Met. III). Für das erfolgreiche Zustandekommen der Erkenntnis ist auch der „Satz vom Widerspruch“ relevant. Aristoteles hält ihn für das sicherste unter allen Prinzipien. Dieses Prinzip lautet: (1) in der ontologischen Form - Es ist unmöglich, dass jemand annimmt, dasselbe sei und sei nicht. Anders formuliert: Es ist unmöglich, dass dieselbe Bestimmung demselben Seienden unter den gleichen Bedingungen gleichzeitig zukommt und nicht zukommt; (2) in der logischen Form - Zwei kontradiktorisch entgegensetzte Sätze können nicht beide wahr sein, und dasselbe darf folglich niemals bejaht und verneint werden (vgl. Met. IV, 3 f). Beispiel: Es ist unmöglich (zu behaupten), dass die Erde im Jahre 2011 um die Sonne und um ihre eigene Achse kreist und zugleich nicht kreist. Auch der „Satz vom ausgeschlossenen Dritten“ „vervollkommnet“ den Erkenntnisprozess. Demnach heißt das: (1) in der ontologischen Form Zwischen Sein und Nichtsein desselben gibt es kein Drittes (=Mittleres), das weder Sein noch Nichtsein ist; (2) in der logischen Form - Jede (ausreichend bestimmte) Aussage über Sein oder Nichtsein von etwas ist entweder wahr oder falsch, ein Drittes gibt es nicht (vgl. Met. IV, 7 f). 21

Hier sei Folgendes zu beachten: Dieser Satz setzt voraus, dass „wahr“ bedeutet: von dem, was ist, sagen, dass es ist, oder von dem, was nicht ist, sagen, dass es nicht ist, und dass „falsch“ bedeutet: von dem, was ist, sagen, dass es nicht ist, oder von dem, was nicht ist, sagen, dass es ist. Wenn „wahr“ und „falsch“ anders verstanden werden, ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Aussage weder „wahr“ noch „falsch“ ist. Dies

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28 3.1.4. Plotin und das Eine Mit Plotin (205-270 n. Ch.) vollzieht sich der Sprung in den Neuplatonismus. Während bei Aristoteles eine Tendenz mit deutlichen philosophisch-wissenschaftlichen Zügen zu beobachten ist, stoßen wir bei Plotin auf philosophisch-mystische bzw. religiöse Merkmale, die hauptsächlich im Begriff des Einen aufgehen. Plotin versteht sich als Interpret Platons (vgl. V, 1.8), seine Lehre wird später auch die christliche Theologie beeinflussen, insbesondere die Erklärung des Verhältnisses zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Ausschlaggebend für Plotins Verfahren ist der Begriff „Hypostase“, der eine selbstständige Existenz bedeutet. Plotin differenziert zwischen drei auseinander hervorgehenden Hypostasen: der Seele (psychḗ), dem Geist (noũs) und dem Einen (hén). Der Prozess des Hervorgehens der Hypostasen sieht wie folgt aus: 22

die Seele geht hervor aus => dem Geist geht hervor aus => dem Einen Alle diese drei Hypostasen sind nicht nur im Kosmos, sondern auch im einzelnen Menschen anwesend. Der Kosmos wird als ein riesiger Weltleib gedacht, der in allen Teilen von der einen Weltseele durchdrungen ist. Alles, was ist, ist beseelt: die Erde, Steine, Menschen usf. (vgl. II, 3.9; IV, 4.27). Die Weltseele ist das Zwischenglied zwischen der rein geistigen Welt und der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Sie geht aus dem Geist hervor und ist dessen Bild. Plotin differenziert zwischen einer oberen Seele und einer unteren Seele. Während die obere Seele vom Geist kaum zu unterscheiden ist, da sie die reine Anschauung ist, wird die untere Seele hingegen Natur genannt, ist mit dem Körperlichen verbunden und hat an der oberen Seele teil. Die Seelen der Menschen sind als Momente der einen Weltseele aufzufassen (vgl. IV, 8.6f.; V, 3.1; III, 8.3). Die Seele ist die Form des wäre in den sogenannten „drei – oder mehrwertigen Logiken“ denkbar (vgl. de Vries, J. [1996a], 71). Plotins Schrift wird „Enneaden“ genannt, vom griechischen Wort „ennuea“ (= neun). 22

29 Menschen, d.h. sein Menschsein. Als solche ist sie die Ursache der Schönheit. Was keine Form hat bzw. nicht ganz von der Form beherrscht wird, ist hässlich. Erst wenn der Stoff mit der Form übereinstimmt, kann die Schönheit eines Seienden erscheinen. Die Erkenntnis des Schönen (bzw. der Form) ist die Leistung des obersten Vermögens der Seele. Diese Erkenntnis ist nicht nur ein vernünftiger Vorgang, sondern auch ein emotionaler. Sie setzt eine zweifache Existenzweise des Eidos (=Wesens) voraus: Zum einen erscheint das Eidos in der Seele, die ihrer Seinsweise nach ungeteilt ist, zum anderen am wahrgenommenen Gegenstand in der Vielheit der Teile. Die Seele erscheint als Resultat der Emanation aus dem Geist, den Plotin mit einem Künstler vergleicht. Wie der Künstler aus dem Stoff Kunst schafft, so bringt der Geist aus der Seele alle Formen hervor. Im Geist, der die ursprüngliche Einheit ist, sind die Formen nicht voneinander geschieden. Die Gesamtheit der Formen ist der Geist. Die Differenzierung setzt erst dann ein, wenn der Geist die Formen – wie der Künstler dem Stoff – der Seele einprägt. Als Ursache der Formen ist der Geist in einem eigentlicheren Sinne schön. Der Künstler erkennt nicht diskursiv, sondern intuitiv. Hier liegt also auch der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft vor, die mit Prämissen und Konklusionen arbeitet. Die intuitive Erkenntnis des Künstlers ist ursprünglicher als das wissenschaftliche Denken. Indem der Geist eine Form erkennt, erkennt er die gesamte Wirklichkeit und damit sich selbst. Trotz dieser Erkenntnisleistung ist der Geist auch auf eine höhere Entität angewiesen. Plotin bezeichnet diese als das Eine. Der Geist geht also aus dem Einen hervor wie das Licht aus der Sonne. Er ist der Ausdruck der Vollkommenheit des Einen. Das Licht ist notwendig da, solange die Sonne existiert. Das heißt, der Geist und die Seele sind ewig und notwendig wie das Eine. Wie das Licht ohne die Sonne nicht sein kann, so der Geist und die Seele ohne das Eine. Das Eine ist also die Quelle des Geistes, die Wurzel der Seele, der Urgrund des Seienden, die Ursache des Guten. Zum Bereich des Guten, das jenseits des Geistes liegt, gelangt der Geist durch die Liebe. Das bloße Denken reicht dazu nicht aus: So würde der Geist nur in sich selbst verbleiben (vgl. VI, 7.273f., 9.60). 23

23

Vgl. Ricken, F. (2000), 246f.

30 Die Lehre Plotins bleibt nicht ohne den Einfluss auf das Christentum und das frühe Mittelalter. 3.2. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage im Mittelalter Eine neue Qualität erhalten die epistemologischen Ansätze im Mittelalter. Augustinus, Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham sind nur einige Namen, die diese Zeitperiode erfolgreich geprägt haben. Zwar gibt es hier noch keine Erkenntnistheorie als eine selbständige philosophische Disziplin; die epistemologischen Überlegungen entstehen aber rasch und liefern eine Reihe von neuen Anregungen. Dabei sind zwei Dinge zu bemerken: (1) Zum einen werden die epistemischen Probleme so wie in der Antike in einem metaphysischen bzw. ontologischen Kontext diskutiert: Die wichtigsten antiken Systeme werden übernommen; (2) Zum anderen werden diese Systeme mit den christlich orientierten Glaubensfaktoren in einem methodisch systematisierenden Rahmen konfrontiert, welche in der Offenbarungsreligion fundiert sind. Das Letztere führt dazu, dass die Vernunft- und Glaubensautoritäten in der ersten Entwicklungsphase stark vermischt werden, was in einer gegenseitigen Beeinflussung endet. Das mittelalterliche philosophische Geschehen, das den Zeitraum von etwa 500 bis 1500 n. Chr. umfasst, ist auch dem Druck vieler politischer Ereignisse ausgesetzt. Gemeint sind vor allem der Zusammenbruch des Weströmischen Reiches (476) und der Untergang des Oströmischen Reiches (1453). 24

3.2.1. Christlicher Ansatz Auch Offenbarungsreligionen können durchaus eine Grundlage zum Entfalten verschiedener epistemologischer Anregungen darstellen. Dies lässt sich paradigmatisch am Beispiel des Christentums verfolgen. Das Christentum hat vor allem zu fragen, wie sich der Grundsatz der Religion, Mit dem methodisch-organisatorischen Rahmen sind vor allem zwei Faktoren gemeint: (1) Aufbau der Universitäten, und (2) Die scholastische Methode (vgl. dazu etwa die Schriften des Thomas von Aquin).

24

31 d.h. der Glaubensinhalt, zur Erkenntnisfrage schlechthin bzw. zum menschlichen Erkenntnisvermögen verhält. Christliches Fragen war von Anfang an mit zahlreichen antiken philosophischen Vorstellungen konfrontiert, durch diese stark geprägt und zuweilen hermeneutisch ergänzt. Wir nennen hier nur zwei Beispiele. Eine Konfrontation mit philosophischen Standpunkten stellen etwa der Besuch des Apostels Paulus in Athen und dessen Dispute mit den stoischen und epikureischen Philosophen auf dem Areopag dar. Das ist eines der klassischen Beispiele für das Existieren von zwei verschiedenen Gottesvorstellungen nebeneinander, welche sich im Endeffekt als unvereinbar erweisen. Paulus´ Bemühungen, die vorgefundene Aufschrift „Einem unbekannten Gott“ im christlichen Sinne auszulegen, sind darum zum großen Teil gescheitert. Dagegen ist ihm wohl gelungen, die epistemologische Neugier seiner Zuhörer zu erwecken – allerdings nur bis zu dem Moment, wo er den Begriff „Auferstehung von den Toten“ gebraucht. Der Einfluss der antiken Philosophie auf die sich stufenweise entwickelnde christliche Lehre, die auch in dogmatischen Axiomen ihre Ausgestaltung gefunden hat, wird mit dem Neuplatonismus, insbesondere mit Plotin, in Verbindung gebracht. Denn Plotins Lehre von drei Hypostasen konnte eine symbolische Basis liefern, auf der das Verhältnis von den drei göttlichen Personen auslegbar war. Eine besondere Bedeutung bei der Bestimmung des Grades der Beeinflussung des christlichen Weltbildes durch die Elemente der antiken Philosophie wird aber dem Begriff „Logos“ zugemessen. Ganz plausibel ist das in den ersten Sätzen des Johannesevangeliums erkennbar, die sich über den Logos im Kontext einer kosmologischen Perspektive äußern. Dadurch wird nicht nur klar gezeigt, dass die „Vernunft“ im Mittelpunkt der christlichen Überzeugung stehen kann, sondern sich auch mit dem einen Gott identifizieren und schließlich in Verknüpfung mit der Religionssprache denken lässt. In der Bezogenheit auf das Alte Testament ergibt sich daraus eine dualistische christliche Erkenntnistheorie: Es gibt einen Kosmos bzw. eine von Gott erschaffene Welt samt allen Geschöpfen, und es gibt eine 25

26

25 26

Vgl. Apostelgeschichte 17, 16f. Vgl. Johannesevangelium 1,1f.

32 schöpferische göttliche Idee, d.h. einen Gott in drei Personen, der von den Geschöpfen niemals absolut erkannt werden kann, außer wenn er sich selbst zu erkennen gibt. Schließlich gibt es eine durch gnostische Tendenzen beeinflusste Konstellation, die in zwei epistemologischen Bereichen aufgeht: Licht und Dunkelheit. Beide Gebiete befinden sich von ihrem wesenhaft bestimmten Ziel her in einem Gegensatz zueinander. Aus philosophisch-anthropologischer Sicht ist dabei relevant, dass diese Gebiete mit der menschlichen Seele und der körperlichen Materie in Verbindung gebracht werden. Das epistemologische Projekt des Christentums ist zudem geschichtlich angelegt und erlangt seinen Höhepunkt in der aktiven Heilserwartung durch menschliche Subjekte. Eine besonders brillante Form bekommt die christlich-epistemologische Lehre bei Augustinus, der einen subjektiv geprägten Weg einschlägt. 3.2.2. Augustinus´ Metaphysik der inneren Erfahrung Das Projekt einer universellen, Glauben und Wissen vereinenden, theologisch fundierten Philosophie finden wir ursprünglich bei Augustinus (354-430). Theologie und Philosophie werden bei ihm noch nicht voneinander unterschieden. Augustinus´ philosophische Laufbahn ist - wie wohl bei keinem anderen Denker dieses Formats –, durch eine Reihe von subjektiven Erlebnissen gekennzeichnet, so dass man bei ihm mit Karl Jaspers von einer „Metaphysik der inneren Erfahrung“ sprechen kann. Dessen ungeachtet leugnet Augustinus nicht die integrierende Funktion der sinnlichen Wahrnehmung im Erkenntnisprozess. Allerdings ist er dabei der Ansicht, dass dieser Typus der Erkenntnis nicht ausreicht, um die Wahrheit zu erkennen. Die Wahrheit versteht Augustinus einerseits formal, d.h. als die Übereinstimmung der Aussage mit einem Sachverhalt, andererseits ontologisch, d.h. als die Beschaffenheit eines Seienden, letzten Endes aber als die Beschaffenheit Gottes und seiner Geschöpfe. Mit den Neuplatonikern betont Augustinus, dass die Sinneserfahrung eine 27

Natürlich sind hier die einzelnen Stationen aus dem Leben des Augustinus zu beachten: Seine Jugend, Zusammenleben mit der Frau, mit der er den Sohn Adeodatus hatte, Zugehörigkeit zum Manichäismus, Begegnung mit Ambrosius usw. Vgl. dazu auch Heinzmann, R. (1998), 68. 27

33 unzuverlässige und trügerische Richtschnur darstellt. So differenziert er zwischen dem, was vom Geist geschaut wird, und dem, was durch die Sinne wahrgenommen wird. (vgl. De civ. VIII, 6f). Da alles Wissen um sinnlich wahrnehmbare Dinge eine Täuschung sein kann, können wir nicht in Bezug auf sinnliches Wahrnehmen von Gewissheit reden. Mit dem Blick auf Platon formuliert: Wir hätten es dabei also nur mit „dóxa“ zu tun, nicht aber mit „epistéme“. Denn das Wissen liegt erst dann vor, wenn jeder Zweifel ausgeschlossen werden kann. In dem Kontext erweist sich Augustinus indes als Vorläufer von Descartes, wenn er behauptet: Selbst wenn es bezüglich sinnlicher Wahrnehmungen keine Gewissheit gebe, bedeutet das noch nicht, dass es nicht gewiss sei, dass ich etwas wahrnehme, und zwar auch dann, wenn ich mich täusche. Obwohl ich mich irre, weiß ich, dass ich bin, während ich mich irre: „Si enim fallor, sum“ (vgl. Acad. III, 11). Um die Weisheit, die Wahrheit (d.h. Gott) zu finden, muss sich der Mensch von der Sinnenwelt lösen und in sein Inneres einkehren. Dieses Programm fasst Augustinus wie folgt zusammen: 28

„Suche nicht draußen! Kehre in dich selbst zurück! Im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit“ (De vera rel. XXXIX 72).

Somit wird klar, dass bei Augustinus ein apriorischer Gegensatz zwischen „Außen“ und „Innen“ besteht. Das Innen ist höher als das Außen. Die Folge davon ist, dass der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit nicht über die sinnliche Ausstattung des Menschen führen kann, sondern über das reine Denken. Für Augustinus gelten als Inhalte der Vernunft Ideen, Formen, Gattungen, Regeln usf. All diese Entitäten bilden die Basis der wahren Erkenntnis und stellen die Urbilder oder Ideen im Geiste Gottes dar. Das Erlangen dieser Ideen ermöglicht wahre Erkenntnis. Die Frage ist aber, wie der Mensch die wahre Erkenntnis erreichen kann. Nach Augustinus geschieht dies in einem „Illuminationsprozess“. Als Konsequenz des neuplatonischen Dualismus lautet Augustinus´ Überzeugung, dass Wahrheit unveränderlich, notwenig und ewig sein müsse. Dieser Forderung können aber nur ideale Gegebenheiten gerecht werden. Daraus ergibt sich die Priorität der intelligiblen Welt gegenüber der materiellen. Bei der Suche nach der Wahrheit fragt Augustinus nach 28

Hier handelt es sich also um das kartesische „Cogito ergo sum“.

34 dem letzten Grund, und zwar in einem doppelten Sinne: (1) Was ist der Grund dafür, dass nicht notwendig Seiendes überhaupt existiert; und (2) Was ist die Möglichkeitsbedingung dafür, dass der Mensch um diese letztbegründete Wirklichkeit wissen kann (vgl. De vera rel. XXXIX 72). Will der Mensch die Frage nach dem inneren Grund unwandelbarer Wahrheit beantworten, muss er sich „selbst transzendieren“. Dieses Erfordernis ergibt sich daraus, dass die menschliche Vernunft keine absoluten und alle Subjektivität transzendierenden ewigen Wahrheiten entwirft, sondern vielmehr diese – als zeitlose Teilwahrheiten, die ihren Ursprung in der Wahrheit selbst haben - nur vorfindet. Die Wahrheit wird also dem Menschen durch Illumination zugänglich; sie wird ihm eingestrahlt (vgl. Conf. X 9, 16). Die Einstrahlung der Wahrheit auf den erkennenden Geist vergleicht Augustinus mit dem Sonnenlicht, das den Vorgang des Sehens fundiert. Den Augen korrespondiert die Sehkraft des Geistes, den beleuchteten Gegenständen entsprechen die ideellen Gehalte, das Licht der Sonne stellt die Wahrheit dar, welche die Ideen erkennbar macht (vgl. Sol. I 6, 12). Die Erkenntnis der ewigen, unwandelbaren Wahrheit Gottes ist für Augustinus der Ausgangspunkt des „noologischen“ Gottesbeweises, der vom Aufstieg der Seele zu Gott im Geist (noũs) handelt und in der Schrift „De libero arbitrio“ entworfen wird. Augustinus geht hier von der Gewissheit der eigenen Existenz aus und stellt fest, dass das Erkennen (bzw. die Vernunft) von höherer Ordnung ist als Leben und Sein; auch Pflanzen und Tiere leben und sind, sie aber erkennen nicht mittels der Vernunft. Es gibt jedoch noch etwas, was höher als die menschliche dem Wandel unterworfene Vernunft ist, nämlich die unwandelbaren Wahrheiten. Als Beispiele greift Augustinus hier unter anderem die Zahlen- und Weisheitsgesetze auf: „2 + 2 = 4“; „das Ewige ist besser als das Veränderliche“ usf., um schließlich festzustellen, dass es eine unwandelbare Wahrheit geben müsse, die all das enthält, was unwandelbar ist. Diese eine unwandelbare Wahrheit ist Gott als Inbegriff aller Wahrheit (vgl. De lib. arb. II, 7f). Beim Umgang mit der epistemologischen Frage gelten auch für Thomas von Aquin Glaube und Vernunft als zwei Entitäten, die miteinander 29

29

Vgl. dazu auch Heinzmann, R. (1998), 72f.

35 übereinstimmen können. Sein methodisches Verfahren ist aber anders als bei Augustinus. 3.2.3. Systematik des Thomas von Aquin Wollte man die wissenschaftliche Leistung des Thomas von Aquin (12251274) bündig zusammenfassen, dann könnten wir sagen, es sei eine Art „moderne Systematik“. Denn zum einen folgt Thomas Aristoteles, interpretiert ihn, vervollkommnet und ergänzt seine Thesen. Zum anderen bemüht er sich dies zu leisten - mit dem Blick auf die christliche Weltanschauung, ohne die Kompetenzen einzelner Gebiete, d.h. der Vernunft und des Glaubens in Frage zu stellen. Auch beim Umgang mit der Erkenntnisfrage ist diese Konstellation für Thomas bedeutsam. Daher zieht er nicht nur zwischen Philosophie und Theologie eine Grenzlinie, sondern bestimmt auch klar deren Verhältnis zueinander. Die Philosophie behandelt all das, was der Mensch aufgrund des natürlichen Lichts der Vernunft zu erkennen vermag. Das bedeutet, dass die philosophischen Erkenntnisse in Prinzipien gründen, die von der menschlichen Vernunft als solcher und unabhängig von der Offenbarung eingesehen werden. Die Theologie dagegen, selbst wenn sie auch auf die menschliche Vernunft angewiesen ist, gründet in Prinzipien, die die Vernunft nicht von sich aus einzusehen vermag, sondern die der Mensch aufgrund eines höheren, von Gott kommenden Lichts glaubt. Aus der Divergenz der Prinzipien resultiert das Verhältnis beider Disziplinen zueinander, das im Ausdruck „philosophia est ancilla theologiae“ aufgeht. Zwar stützt sich die Theologie auf die Offenbarungsinhalte als ihre Prinzipien, diese Inhalte können aber nur mit Hilfe der menschlichen Vernunft durchdacht werden (vgl. S.th. I a 1,1f.). Das aufeinander bezogene Auffassen von Vernunft und Glauben wirkt sich auf das Modell der thomistischen Epistemologie aus. Im Anschluss an Aristoteles behauptet Thomas, dass sich der menschliche Intellekt zu seinem Vollzug sinnlicher Organe bedienen muss. Der Intellekt besitzt nicht ein von Natur eingegossenes Wissen (d.h. eingeborene Ideen), sondern ist eine „tabula rasa“, die erst mit Inhalten gefüllt werden muss. 30

30

Das heißt: „Philosophie ist die Magd der Theologie“.

36 Sinnlichkeit und Denken fallen im Menschen nicht auseinander; es kann nicht das eine ohne das andere geben, sondern immer nur in Einheit. Alle Erkenntnis beginnt also mit der sinnlichen Wahrnehmung konkreter Dinge (vgl. De anima, a 11 ad 19; a 15). Für das Zustandekommen des Erkenntnisaktes sind nach Thomas drei Elemente erforderlich: (1) der intellectus possibilis (IP); (2) der intellectus agens (IA); und (3) das phantasma. Der Mensch verfügt von Natur aus über den IP, mithin über das Vermögen, wodurch der Intellekt auf alles Seiende bezogen werden kann. Die Einwirkung der äußeren Welt über die Sinnesvermögen führt zur Entstehung des phantasmas, in dem die objektive, sinnliche Form des Dinges erscheint. Dank der Spontaneität des IA vollzieht sich dann der Prozess der Abstraktion, der in der Erkenntnis der Washeit (d.h. des Wesens) des konkreten Seienden resultiert. Der Verstand erfasst also im sinnlich Wahrnehmbaren das geistig Erfahrbare (= das intelligibile). Insofern könnte man behaupten, dass das Erkennen bei Thomas das Erfassen des Wesens ist, das allerdings stets in einem individuellen, in der Materie verwirklichten Ding fundiert bleibt. Da aber die Tätigkeit des Verstandes nicht durch ein körperliches Organ vonstatten gehen kann, bedarf es einer Vermittlung zwischen der sinnlichen Wahrnehmung und der geistigen Erkenntnis, und zwar durch die Vorstellung (= species impressa). Der Erkenntnisvorgang weist folglich nach Thomas einen spezifischen Charakter auf und verläuft in mehreren Schritten. Anfangs gibt es ein Hinausgehen des erkennenden Subjekts zum Objekt. Im zweiten Schritt kommt es zur Reflexion auf den Erkenntnisakt und zur Rückkehr des erkennenden Subjekts zu sich selbst. Schließlich wird diese Rückkehr in der Erkenntnis des eigenen Wesens vollendet (vgl. De ver. I, 9; X, 5). Dadurch entsteht eine klassische philosophisch-epistemologische Grundposition, welche die Rolle der Vernunft hervorhebt und die nachfolgenden Generationen der Philosophen beeinflusst: „Der Geist 31

Nach H. Meyer (vgl. ders. [2000], 88) nahm Thomas von Aquin die Theorie Gehlens (vgl. ders., [1940]) vom Menschen als einem Wesen vorweg, das beim Blick auf seine „tierischen“ Organe als mangelhaft erscheint, in Wirklichkeit aber einen Körper und Geist stimmig verbindenden Sonderentwurf der Natur (bzw. der Schöpfung) darstellt. 31

37 empfängt sein Maß von den Dingen“. Mit anderen Worten: Die menschliche Erkenntnis ist nicht wahr aus sich selbst, sondern weil und insofern sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Thomas geht allerdings weiter und ergänzt diesen epistemologisch natürlichen Standpunkt mit dem Bezug auf Gott: Die geschaffenen Dinge haben ihr Maß vom erkennenden Geist Gottes empfangen; dieser ist maßgebend und nicht maßempfangend. Alles, was ist, ist zwischen den göttlichen und den menschlichen Intellekt gestellt (vgl. S.th. I 78, 1). Es dürfte einleuchten, dass der erkenntnistheoretische Ansatz bei Thomas mit dem Begriff der Wahrheit aufs engste verknüpft ist. In seiner Schrift „Summa contra gentiles“ ist zu lesen: „Veritas est adaequatio intellectus et rei secundum quod intellectus dicit esse quod est vel non esse quod non est“ (ScG I 59, nr. 495). 32

Die Wahrheit ist also für Thomas die Übereinstimmung des Verstandes mit der Sache. Die Frage ist: Was bedeutet das aus epistemologischer Sicht? Jedes Seiende muss „in Wahrheit“ sein und „in Wahrheit“ das sein, was es ist. Das „in Wahrheit“ bekommt erst einen Sinn, wenn das Seiende an etwas, was nicht es selbst ist, gemessen wird, und dazu gehört ein erkennender und messender Verstand. Die Relation (R) zwischen dem Gegenstand und Wissen kann z.B. nach Edith Stein doppelter Art sein: (1) Die rein gedankliche R – ist die R des Gegenstandes zum Wissen. Der Gegenstand ist vom Wissen unabhängig; er bleibt, was er ist, gleichgültig ob ein Mensch von ihm weiß oder nicht; (2) Die reale R – ist die R des Wissens zum Gegenstand. Das Wissen hängt vom Gegenstand ab; d.h. es gibt kein Wissen ohne Gegenstand, das Wissen verdankt dem Gegenstand sein Dasein. Der Gegenstand gibt dem Wissen seinen eigentümlichen „Gehalt“, d.h. das, was das Wissen von einem anderen Wissen unterscheidet. Die Beziehung zum Gegenstand hilft also das Wesen des Wissens aufzubauen. Festzuhalten ist, dass die Erkenntnistheorie bei Thomas in erster Linie im Kontext der Gottesfrage zu behandeln ist. Die Existenz Gottes lässt sich nach Thomas auch mittels der Vernunft beweisen, mithin rein 33

Das ist die Grundlage, auf der die (gegenwärtige) Korrespondenztheorie der Wahrheit formuliert worden ist. Vgl. Stein, E. (2006), 254f. 32

33

38 philosophisch. Diese These wurde aber von Wilhelm von Ockham für fragwürdig erklärt. 34

3.2.4. Nominalistischer Gedanke von Wilhelm von Ockham Wilhelm von Ockham (1280-ca. 1346) gilt als ein wichtiger Vordenker der Neuzeit. Seine kritische Stellung gegenüber der Philosophie des Thomas von Aquin offenbart die neuzeitlichen Akzente. Im Gegensatz zu Thomas, der einen „Intellektualismus“ im Anschluss an Aristoteles vertritt, plädiert Ockham für eine hervorgehobene Stellung des menschlichen Willens, nachdem er sich vorab für ein radikales Verständnis der Freiheit Gottes eingesetzt hat. So kann man die These von Ockham als „Voluntarismus“ bezeichnen. Damit steht er im Gefolge von Duns Scotus: Der Wille hat gegenüber der Vernunft den Vorrang. Die Vernunft vermag den Willensakt als solchen nicht zu beeinflussen. Nur der Wille ist ein freies aktives Vermögen im Menschen, alle anderen Vermögen sind durch Naturgebundenheit gekennzeichnet (vgl. Quodlib. I, 15f). Der Umgang mit Wissen steht aber bei Ockham in erster Linie unter dem Stichwort „Nominalismus“. Der Nominalismus ist ein philosophischer Standpunkt, dass Allgemeinbegriffe nur Namen sind, und dass ihnen keine Existenz in Wirklichkeit zukommt (vgl. SL I 15). Ockhams Nominalismus ist im Zusammenhang mit dem sogenannten „Universalienstreit“ zu betrachten. Universalien sind also Allgemeinbegriffe, die ihrer Natur nach in mehreren Dingen auftreten können. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den individuellen Einzeldingen und den Universalien. Drei klassische Möglichkeiten werden in Erwägung gezogen: (1) Ultrarealismus (bzw. extremer Begriffsrealismus) – ist eine platonische Ansicht. Universalien (U) werden als etwas verstanden, was unabhängig von den individuellen Dingen bzw. Gegenständen existiert, wie z.B. die platonischen Ideen; (2) Gemäßigter Realismus – ist eine aristotelische Ansicht. U werden als existierend in Verbindung mit den individuellen Dingen gedacht, so wie die Formen mit individuellen Wesen; und (3) Thomas formuliert fünf berühmte Gottesbeweise. Sie gehen von folgenden Prinzipien aus: (1) Bewegung; (2) Ursache-Wirkung; (3) Möglichkeit-Notwendigkeit; (4) Grade des Seienden; (5) Zielgerichtetheit der Dinge (vgl. S.th. I a 2,1f.). 34

39 Nominalismus – U sind nur Namen oder Verstandesinhalte und werden Gegenständen nachträglich zugeschrieben, sie sind nicht in den Dingen selbst. Ockhams nominalistische These hat die Spätscholastik erheblich geprägt. So behauptet Ockham, dass der Realismus sich durch zwei wesentliche, aufeinander bezogene Begriffe erläutern lässt: Zeichen und Bezeichnetes. Für das Universalienproblem bedeutet dies Folgendes: Universalien als Allgemeinbegriffe sind Zeichen. Obwohl die Wirklichkeit mit Hilfe von Zeichen beschrieben wird, ergibt sich daraus jedoch nicht, dass die Allgemeinheit der Zeichen auch Bestandteil der Wirklichkeit selbst sein muss (vgl. Sent. I, 2.7). Mit anderen Worten: In Wirklichkeit gibt es kein Menschsein, sondern nur diesen Einzelmenschen – weil die reale Existenz und Allgemeinheit sich ausschließen. Als Zeichen für die Einzeldinge werden folglich die Begriffe gebraucht. Begriffe bezeichnen dabei nicht etwas in den Einzeldingen Vorhandenes und ihnen Gemeinsames (vgl. SL I, 12, 17). Die Frage ist: Was ergibt sich daraus für eine Erkenntnistheorie? Der Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie Ockhams lässt zunächst eindeutig die aristotelischen Züge erkennen, die von Thomas von Aquin bearbeitet worden sind: Der Verstand erkenne nur durch die Vermittlung der sinnlichen Erfahrung. Die Allgemeinbegriffe entstehen durch einen Prozess der Abstraktion, welcher in der Ähnlichkeit zwischen den Dingen fundiert ist. Beispiel: Sokrates und Platon sind sich ähnlicher als jeder von ihnen Ähnlichkeit mit einem Esel besitzt. Diese Ähnlichkeit gibt es jedoch nicht deshalb, weil in Sokrates und Platon eine beiden gemeinsame Beschaffenheit existierte, wodurch sie ähnlich sind, sondern Sokrates und Platon sind als solche ähnlich; d.h. die Ähnlichkeit gründet nicht auf einer Gemeinsamkeit in ihnen, sondern das Wesen des ganzen Sokrates ist mit dem Wesen des ganzen Platons ähnlich (vgl. Sent. I, 2.6). Diese Auffassung der Ähnlichkeit bringt aber gewichtige epistemologische Konsequenzen mit sich. Denn Ockham kann nicht die Korrespondenztheorie der Wahrheit des Thomas von Aquin akzeptieren, d.h. die These über die Kongruenz der Sache mit der Vernunft bzw. der Wirklichkeit mit der Aussage. Wenn ich mir etwa folgendes Urteil bilde: „Das Auto in meiner Garage ist silberblau“, so ist dieses Urteil dann wahr, 35

35

Vgl. etwa Disse, J. (2001), 179.

40 wenn die Elemente meiner Aussage Bestandteile der Wirklichkeit selbst zum Ausdruck bringen. Das heißt, dem Ausdruck „Auto“ entspricht (=korrespondiert) die wirkliche Form „Auto“, und dem Adjektiv „silberblau“ die wirkliche silberblaue Farbe. Diese Korrespondenz setzt allerdings voraus, dass die Wirklichkeit aus real existierenden Allgemeinheiten zusammengesetzt ist, wie sie in dem Urteil über den Sachverhalt zum Ausdruck kommen. Für Ockham, der behauptet, dass es in der Wirklichkeit keine der Aussage entsprechenden Allgemeinheiten gebe, kann die Wahrheit nicht in einer solchen Korrespondenz bestehen. Vielmehr ist nach ihm eine Aussage dann wahr, wenn sie einen Gegenstand bezeichnet, wie er ist (vgl. Exp. aurea 53, c). Es lässt sich durchaus leicht erblicken, dass sich mit Ockham ein „vorsichtiger“ Übergang zum neuzeitlichen Denken vollzieht, das erst aber Descartes völlig in Schwung bringen wird. Auch Ockhams Differenzierung zwischen der intuitiven und der abstrakten Erkenntnis darf keineswegs zu kurz kommen, weil damit der für das neuzeitliche Denken entscheidende Bereich der Selbsterfahrung und –gewissheit angesprochen wird. Während die intuitive Erkenntnis auf die Existenzerfassung eines Gegenstandes abzielt, will die abstrakte Erkenntnis hingegen das Absehen von der Existenz eines Gegenstandes erlangen. Die erstere Erkenntnis ist die Voraussetzung der letzteren. Die intuitive Erkenntnis bezieht sich auf die geistigen Akte wie Denken, Wollen und Fühlen. In diesen Akten offenbart sich die Selbstgewissheit, der ein höheres Maß an Gewissheit und Evidenz zukommt als anderen kontingenten Wahrheiten (vgl. Sent. I, Prol. q 1). 36

3.3. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage in der Neuzeit Wollen wir die für die Neuzeit charakteristischen Merkmale auf den Punkt bringen, so heißt das: Der totale Bruch mit den mittelalterlichen Idealen. Dieser Bruch ist vor allem auf drei Ebenen (E) erkennbar: der religiösen E, der Kultur-E und der philosophischen E. Während die religiöse Ebene mit dem Begriff „Reformation“ und die Kulturebene mit dem Begriff „Renaissance“ einhergehen, ist für die philosophische E die neue

36

Vgl. auch Disse, J. (2001), 182.

41 Bestimmung des Verhältnisses zwischen Theologie und Philosophie relevant. Wenn es noch im Mittelalter als selbstverständlich gilt, dass die Philosophie im Kontext der Theologie als deren Magd zu betreiben sei, verabschiedet sich die Neuzeit endgültig von dieser religiös geprägten Einstellung – selbst wenn die großen neuzeitlichen Denker wie Descartes, Locke und Leibniz durchaus religiös sind. Indes plädieren die neuzeitlichen Philosophen für zwei unabhängige Forschungsgebiete, welche sich der Lehre von der doppelten Wahrheit verpflichtet fühlen: „Die in der Theologie zu erlangende Wahrheit kann sich in der Philosophie als falsch erweisen, und umgekehrt“. Diese Konstellation ist vor allem der naturwissenschaftlichen Methode zu verdanken, deren Ursprünge bei Galilei, Newton u.a. zu suchen sind. Dabei wird ein neues Verständnis des Menschen und der Welt angestrebt, ohne dass der explizite Bezug auf Gott genommen wird. Im Mittelpunkt stehen also der Mensch und die Welt als solche. Die Folge davon ist, dass auch eine neue heliozentrische Weltauffassung erscheint, in der es keinen Platz mehr gibt für die antikmittelalterlichen Elemente wie den „Ordo“-Gedanken und die Finalursache. Bestimmend sind dagegen eine Art Dynamik und die kausalgesetzliche Denkweise. Es gibt keine qualitative, sondern nur noch eine quantitative Betrachtung der Dinge, die analytisch erforscht werden, indem man deren teilbare Struktur planvoll und mit mathematischer Genauigkeit erschließt. Im Endeffekt führt dies zu einer Wende zum Subjekt, dem entweder die Prädikate zugeschrieben werden wie denkendes, moralisches und absolutes Subjekt (Descartes, Kant, Hegel) oder dessen Existenzform überhaupt geleugnet wird (Hegel, Marx). 3.3.1. Descartes´ Rationalismus Der epistemologische Gedanke, der „sich von den scholastischen Gewohnheiten befreit hat“, ist zu Beginn der Neuzeit rationalistisch ausgerichtet. Eingeleitet wird diese Sachlage von René Descartes (15961650), der auch als Begründer des Rationalismus angesehen wird. Seine epistemologische Leistung soll im Folgenden auf zwei Problemfeldern

42 gezeigt werden, d.h. aus Sicht des methodischen Zweifels und des Substanzdualismus. Descartes´ epistemologisches Verfahren weist generell einen schlüssigen und logischen Charakter auf. Einerseits wird eine noch scholastisch geprägte Systematik angestrebt, was sich etwa in der Aufteilung des Wissens offenbart: Descartes vergleicht das gesamte Wissen mit einem Baum: Die Wurzel ist die Metaphysik, die Physik ist der Stamm, alle anderen grundlegenden Wissenschaften (Mechanik, Medizin und Ethik) stellen die Äste dar (vgl. Princ., Vorw.). Andererseits begibt er sich auf die Suche nach einer zuverlässigen Methode und will dabei streng mathematisch verfahren, um evidente und unbezweifelbare Erkenntnis zu erlangen. Nachdem Descartes die aus vier Maximen bestehende provisorische Moral entworfen hat, bemüht er sich einen „methodischen Zweifel“ zu entwickeln, der allerdings nichts mit Skeptizismus zu tun hat, sondern vielmehr zum Erlangen unbedingter Gewissheit verhelfen soll. Es ist ein radikaler Zweifel, der alles in Frage stellt, was nicht als absolut gewiss angesehen werden kann. Am Anfang wird also an der sinnlichen Erfahrung gezweifelt, da uns unsere Sinneswahrnehmungen gelegentlich täuschen. Daraufhin stellt Descartes alle Verstandeseinsichten in Frage und begründet dies damit, dass wir uns auch bei der Durchführung mathematischer Operationen durchaus verrechnen können (vgl. Med. I, 5, 9). Was sich jedoch allem Zweifel entzieht, ist die Tatsache meiner eigenen Existenz, soweit ich denke. Mit anderen Worten: Selbst wenn ich denken kann, dass alles nur eine Täuschung ist, kann ich doch nicht denken, dass ich nicht existiere, wenn ich denke. Ich kann weder denken noch erkennen, ohne zu existieren. Auch wenn mich ein „genius malignus“ in allem, was ich erkenne, täuschen würde, so könnte er mich doch nicht täuschen, wenn 37

38

39

Das Problem des methodischen Zweifels wird ausführlicher in 5 (Kap. II) behandelt. Es sind folgende Maximen (M): M 1 – grenzt den Bereich des zu regelnden Verhaltens ab; M 2 – verlangt die Entschossenheit in der konkreten Situation; M 3 – plädiert für die Beibehaltung der bestehenden Weltordnung; M 4 – enthält die Begründung der vorangehenden drei Maximen (vgl. Disc.). Descartes versteht unter den Kogitationen nicht nur die Akte des Denkens, sondern alle geistigen Akte (d.h. Wollen, Fühlen, Vorstellen usf.) (vgl. Med. II, 9). 37 38

39

43 ich nicht existierte. Selbst mein täuschendes Denken setzt also voraus, dass ich existiere. Der methodische Zweifel bringt gewichtige epistemologische Konsequenzen mit sich. Descartes kann dadurch zu seiner berühmten Formel „Cogito, ergo sum“ gelangen. Allerdings ist dabei zu beachten: Aus der Tatsache, dass ich denke, schließe ich nicht auf die Tatsache, dass ich existiere, sondern ich erkenne unmittelbar mit Gewissheit, dass ich, indem ich denke, notwendig existiere (vgl. Med. II, 3f). Mit dem CogitoGedanken macht Descartes unmissverständlich, dass er die Erkenntnisfrage vor die Seinsfrage setzen und damit die Dominanz der letzteren Frage „abbauen“ will. Die Evidenz des Cogito soll durch folgende Kriterien gesichert werden: Klarheit und Deutlichkeit. Während die Klarheit darin besteht, dass etwas dem aufmerksamen Geist gegenwärtig und offenkundig ist, besagt die Deutlichkeit hingegen, dass es von anderen Dingen so unterschieden wird, dass es nur klare Merkmale enthält. Aus epistemologischer Sicht ist dabei bedeutsam: Erst wenn die Klarheit und Deutlichkeit zusammen auftreten, dann kommt sichere Erkenntnis zustande (vgl. Princ. I, 45). Eine weitere Konsequenz der Einführung des Cogito-Gedanken ist eine dualistische Ontologie, deren Kern der Substanzdualismus darstellt. Nach Descartes besteht die Welt aus zwei verschiedenen Realitäten: „res cogitans“ und „res extensa“, d.h. einer denkenden und einer ausgedehnten. Diese Realitäten werden als Substanzen aufgefasst, wobei Substanz für Descartes ein existierendes Ding ist, das für seine Existenz nichts als sich selbst bedarf. Das Wesen einer Substanz ist das, was wir als eine notwenige Eigenschaft eines Dinges erkennen, von der alle anderen Eigenschaften abhängen. Bezogen auf die zwei obigen Substanzen heißt das: Das Wesen der geistigen Substanz ist das Denken, das der körperlichen Substanz hingegen ist die Ausdehnung (vgl. Princ. I, 51f). Abgesehen von zahlreichen ontologischen Problemen, die sich aus dem kartesischen Substanzdualismus ergeben und den Stoff für die ganze klassische Leib-Seele-Debatte liefern, stellt sich ferner eine rein 40

Damit sind viele Probleme gemeint, z.B. das Problem der Einheit der Substanzen, das Problem der Wechselwirkung der Substanzen usf. Vgl. dazu etwa Searle, J. (2006); Bieri, P. (1993) u.a. 40

44 epistemologische Frage: Wie steht es mit der Erkennbarkeit der kartesischen Substanzen? Inwiefern hängt die Substanzerkenntnis von der Existenzform ab? Um diese Fragen zu beantworten müssen drei Arten von Substanzen geprüft werden: Materie, Geist und Gott. Die Möglichkeit und Reichweite der Erkennbarkeit von Materie und Geist ergeben sich einerseits schon aus dem methodischen Zweifel, andererseits aus der kartesischen Aufteilung der Welt in „res cogitans“ und „res extensa“. Da beide Gegebenheiten eine Art Garantie seitens der göttlichen Substanz erfordern – nur so kann die Existenz eines „genius malignus“ ausgeschlossen werden -, muss der wahre Gott notwendig existieren, der uns nicht täuschen kann. Epistemologisch relevant ist dabei, dass Descartes vorab zu beweisen sucht, dass es überhaupt einen Gott gibt, indem er sich des Begriffs der Idee bedient. Die Folge davon ist, dass eine Ideenlehre entworfen und im Kontext des Kausalprinzips betrachtet wird. Nach Descartes gibt es generell folgende Typen von Ideen (I): (1) angeborene I; und (2) I als Abbilder von äußeren Dingen. Dabei gilt: Jede Idee hat eine Ursache, und die Ursache muss zumindest dieselbe Seinshöhe und Vollkommenheit wie die Wirkung aufweisen (vgl. Med. III, 5, 7, 10f). Für das Beweisen der Existenz Gottes, der im klassischen Sinne aufgefasst ist, d.h. als unendliche, allwissende, allmächtige usw. Substanz, bedeutet das, dass Gott selbst der Ursprung seiner Idee im Menschen sein muss. Er muss also existieren (vgl. Med. III, 16f). Während der Rationalist Descartes deduktiv verfährt, d.h. vom Allgemeinen zum Besonderen, geht Hume hingegen einen induktiven Weg, d.h. vom Besonderen zum Allgemeinen, und stützt sich dabei auf empirische Erfahrung. 3.3.2. Der empirische Weg von Hume Wenn der Empirismus alle Autoritäten ablehnt, so setzt er einerseits das Konzept der Rationalisten fort. Andererseits verleiht er der Erkenntnistheorie zugleich eine völlig neue empirische Grundlage. Diese Grundlage ist in zwei prinzipiellen Faktoren fundiert: (1) Es wird auf Gott

45 kein Rückgriff genommen, um die philosophischen Thesen zu begründen; und (2) Aus dem Bewusstein werden die angeborenen Ideen verbannt. Humes empirischer Weg wurde von Locke (1632-1704) „vorbereitet“. In seinem Buch „Essay concerning Human Understanding“ plädiert Locke für die Erforschung des Bewusstseins auf einer sinnlichen Grundlage. So will er die Frage beantworten: Wie kommt Erkenntnis zustande? Selbst wenn Locke jeden Typus von angeborenen Ideen verwirft, gebraucht er selbst jedoch den Begriff der Idee und versteht darunter jeden Bewusstseinsinhalt sowohl begrifflich rationaler als auch sinnenhafter Art. Dabei differenziert Locke zwischen den einfachen und den zusammengesetzten Ideen, wobei die letzteren durch die Verbindung, den Vergleich oder die Beziehung der ersteren aufeinander entstehen. Die einfachen Ideen entspringen der äußeren Erfahrung, d.h. entweder einem einzelnen Sinnesvermögen wie Empfindungen der Farbe, der Töne usf. oder mehreren Sinnesvermögen, die gleichzeitig auftreten können. Auf dieser Basis arbeitet Locke nicht nur die epistemologischen Grundbegriffe wie Modi, Substanzen und Relationen heraus, sondern behandelt auch die Sprache, mit der die Ideen mitgeteilt werden, wodurch letzten Endes die Kenntnis von Dingen erfolgt. Durch den Vergleich der Ideen miteinander, was zur unmittelbaren Feststellung der Übereinstimmung bzw. des Gegensatzes zwischen ihnen führen kann, erlangt der menschliche Geist intuitives Wissen, dem die höchste und sicherste Stufe der Gewissheit zugeschrieben wird. Die empiristische Erkenntnistheorie Lockes wird von Hume (1711-1776) radikal fortgesetzt. So bemüht sich Hume ebenso um eine erkenntnistheoretische Fundierung des menschlichen Wissens. Erfahrung und Beobachtung gelten für ihn als die einzig sicheren Erkenntnisquellen, d.h. er „arbeitet“ empirisch und experimentell, also mit der naturwissenschaftlichen Methode. Durch die Verwendung dieser Methode auf dem Gebiet der Philosophie kann Hume in einem kritischen Verfahren zu den Ergebnissen gelangen, die unter anderem die klassischen Begriffe wie Substanz und Kausalität in Frage stellen. Die elementare Basis, auf der 41

42

Dagegen lässt sich z.B. bei Locke die Idee Gottes aus dem Umgang mit Wahrnehmungen gewinnen. Vgl. Locke, J. (2000), 29f, 126f; ders., (1998), 167f. 41

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46 Hume seine kritischen Analysen vorführt, stellt die Begrifflichkeit Lockes dar, d.h. die Differenzierung zwischen der äußeren (sensation) und der inneren Erfahrung (reflection) als zwei Quellen der Bewusstseinsinhalte sowie das Auffassen einfacher Ideen als rein passiv aufgenommener Eindrücke bzw. Abbilder der Gegenstände. Allerdings geht Hume über Locke hinaus in den zwei folgenden Punkten: (1) Durch die Unterscheidung zwischen den Eindrücken (impressions) als aktuellen Empfindungen der äußeren Sinne und den Ideen (ideas) als reproduzierten Sinneserkenntnissen (=Vorstellungen), die durch Erinnerung oder Einbildungskraft wiedererweckt werden; und (2) durch die Differenzierung in den Bewusstseinsinhalten zwischen den Ideenbeziehungen (realtions of ideas), zu denen alle intuitiven Einsichten wie die Gesetze der Mathematik gehören, und den Tatsachenwahrheiten (matters of facts), die niemals aus dem Begriff allein zu erweisen sind, sondern unmittelbar als Fakten gegeben und anhand eines Kausalzusammenhangs zu erschließen sind. In dem Kontext stellt sich indes die epistemologische Frage, ob und gegebenenfalls wie wir imstande sind, die Kausalität zu erkennen? Humes Urteil bezüglich der Kausalität fällt überraschenderweise vernichtend aus. Der kausale Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung kann niemals allein durch eine Analyse des Begriffs der Ursache, d.h. a priori, eingesehen werden. Der Begriff der Wirkung ist niemals im Begriff der Ursache enthalten und kann nicht analytisch abgeleitet werden. Wenn z.B. ein Stein frei losgelassen wird, so fällt er immer zur Erde. Aus dem Begriff des Steines können wir aber nie erschließen, warum er sich so und nicht anders bewegt. Was wir erfahren, ist lediglich eine regelmäßige Abfolge von Erscheinungen. Daraus entsteht die Gewohnheit, diese Erscheinungen in zeitlicher Abfolge verbunden vorzustellen. Diese Gewohnheit erweckt die Erwartung, dass auch in Zukunft auf die eine Erscheinung die andere folgen werde. Durch die sinnliche Erfahrung allein können wir also die Kausalität niemals erkennen. 43

44

Vgl. Hume, D. (1993), 17f. Vgl. Hume, D., (1993), 96f. Humes Standpunkt wurde in der philosophischen Tradition zum Gegenstand einer scharfen Kritik. Einer der Vorwürfe lautet: Hume kritisiert einen bestimmten Begriff der Kausalität, d.h. wenn die Wirkung der Ursache folgt und dabei verschiedene Zeitpunkte vorliegen. Wenn man aber die Wirkung und 43 44

47 Das gleiche Schicksal trifft den Begriff der Substanz, der nach Hume auch niemals a priori eingesehen werden kann. Was wir erkennen, sind immer nur sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften in einer faktisch konstanten Verbindung. Diese Eigenschaften bilden ein Bündel von Eindrücken, aber keinen Träger, kein Selbst oder keine Substanz. Festzuhalten ist, dass Hume die ganze menschliche Erkenntnis auf die sinnliche Erkenntnis reduziert und die Grenzen der letzteren aufweist. 45

3.3.3. Transzendentaler Einsatz Kants Kant (1724-1804) wurde insbesondere von Hume zu einem kritischen Denken angeregt. Seiner transzendentalidealistischen Position gehen aber schon die idealistisch-spiritualistischen Ansichten eines Berkeley (16581753) voraus, die noch vor Hume formuliert worden sind. Im Anschluss an Locke geht nun Berkeley zunächst einen empirischen Weg und vertritt einen reinen Nominalismus, indem er die Existenz von Allgemeinbegriffen ablehnt: Es gibt nur konkrete Einzeldinge. Später vollzieht sich bei ihm eine kritische Wende vom Empirismus zu einem reinen Spiritualismus, der bezüglich der materialen Welt die Form eines Idealismus, genauer gesagt eines Solipsismus, einnimmt. Die Folge davon ist, dass es nur ein Subjekt gibt. Die eigenständige Materie wird für überflüssig erklärt, und reale Dinge werden in reine Bewusstseinsinhalte aufgehoben: Ein materiales Ding beschäftigt mich nur dann, wenn ich es wahrnehme. Kant stimmt mit Berkeley in vielen Punkten überein, z.B. dass dem erkennenden Subjekt im Erkenntnisprozess eine entscheidende Rolle zukommt, dass der Raum selbst nicht Gegenstand der visuellen Wahrnehmung sein kann - erst in unserem Bewusstsein wird er zu einem gedachten unendlichen dreidimensionalen Raum -, dass wir Dinge an sich, d.h. Dinge so wie sie für sich selbst sind, nicht wahrnehmen usf. (vgl. KrV B 59). 46

Ursache als gleichzeitig auftretende Phänomene betrachtet, dann trifft die Kritik Humes nicht mehr zu (vgl. etwa Ingarden, R. [1974], 21f). Vgl. Hume, D. (1989), 27f. Diese Behauptung Humes ist äußerst problematisch, z.B. aus Sicht des Verantwortungsproblems. Vgl. Berkeley, G. (1710), §3f. 45

46

48 Anders als Berkeley entgeht Kant aber dem solipsistischen Standpunkt, wenn er behauptet: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (vgl. KrV B 74f). Dadurch wird eine Überwindung des Rationalismus und Empirismus vollzogen. Aus epistemologischer Sicht ist vor allem die sogenannte „kopernikanische Wende“ relevant, deren Folge der Übergang von einer Seinsmetaphysik zu einer Erkenntnismetaphysik ist. Es handelt sich darum, dass sich nicht unsere Erkenntnis nach Gegenständen richtet, sondern umgekehrt die Gegenstände nach unseren Erkenntnismöglichkeiten. Das Subjekt stellt den Gegenständen Bedingungen, entwirft seinen apriorischen Denkgesetzen gemäß Naturgesetze. Nach Kant wird der Gegenstand nicht vom einzelnen Subjekt mit seinen Zufälligkeiten bestimmt, sondern von einem transzendentalen Subjekt, d.h. einem Subjekt, dessen apriorische Anschauungs- und Denkformen für alle gleich uns denkenden Wesen geltendes Gesetz sind (vgl. KrV B XIIIf). Kants Erkenntnistheorie ist mit seiner Kritik an der Metaphysik aufs engste verbunden. Unter Metaphysik versteht er eine philosophische Disziplin, die es mit den Gegenständen zu tun hat, die nicht in der Erfahrung gegeben sind, d.h. mit den Begriffen „a priori“, denen keine sinnliche Erfahrung entspricht (vgl. KrV B XIXf). Kant fragt, ob Metaphysik als Wissenschaft überhaupt möglich ist (vgl. KrV B 22). Und er beantwortet diese Frage folgendermaßen: Die Metaphysik ist nicht möglich als Transzendenzphilosophie, d.h. als eine Disziplin, die sich mit Gott, der Seele und der Welt befasst. Sie ist aber möglich als Transzendentalphilosophie, d.h. als eine Disziplin, die sich mit der apriorischen Struktur der menschlichen Vernunft befasst, also mit den Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis (vgl. KrV B XIXf, 6f). Was den Begriff „transzendental“ anbelangt, erläutert ihn Kant wie folgt: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnis von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt“ (KrV B 25).

Das Erkenntnisproblem ist also bei Kant ein transzendentales Problem. In der transzendentalen Reflexion will er zeigen, dass das Erkenntnissubjekt Erkenntnisse besitzt, die apriorisch sind, d.h. nicht aus der Erfahrung stammen, sondern als Bedingungen der Erfahrung diese ermöglichen. Dabei nimmt Kant die aristotelische Unterscheidung von Materie und

49 Form auf und gibt ihr einen neuen ichphilosophischen Sinn. Verdeutlichen wir dies mit zwei Momenten: Moment (1) - das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung ist die aristotelische Materie, und Moment (2) die apriorischen Formen, die das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung gestalten, stellen die aristotelische Form dar. Zum Entstehen des empirischen Gegenstandes sind beide Momente erforderlich. Die Erfahrung konstituiert den Gegenstand in dem Sinne, dass die apriorischen Formen das Empfindungsmaterial zum Gegenstand gestalten. Die Transzendentalphilosophie hat also die Aufgabe, das System der apriorischen Formen, das die Bedingung unserer Erfahrungswelt ist, aufzuweisen. Dieses apriorische System beinhaltet nach Kant zwei prinzipielle Komponenten: (1) die Strukturen a priori der sinnlichen Wahrnehmung (=Raum, Zeit), und (2) die Strukturen a priori des menschlichen Verstandes (=Kategorien) (vgl. KrV B 33f, 93f). Die richtige Anwendung der Kategorien auf die sinnlichen Anschauungen wird durch die Urteilskraft gesichert. In beiden Typen der apriorischen Strukturen sind synthetische Urteile a priori fundiert. Diese Urteile stellen die Voraussetzung der Möglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft dar und ermöglichen daher eine objektive, d.h. allgemeine und notwendige Erkenntnis. Die synthetischen Urteile a priori sind aus epistemologischer Sicht besonders relevant, weil sie unser Wissen erweitern (vgl. KrV B 11f). Kants transzendentaler Ansatz, der auch als eine Konstitutionstheorie bezeichnet werden kann, geht letzten Endes im „Prinzip der Unabhängigkeit der Vernunft und des Freiheitsgedanken“ auf. Die Selbstbestimmung wird zur höchsten Form des Seins erhoben. Die kantische Dynamik wird von den Vertretern des deutschen Idealismus aufgenommen und weiter entwickelt, allerdings insofern radikaler, als die Wirklichkeit als ganze von der Freiheit bestimmt gedacht wird. Ganz plausibel lässt sich dies bei Hegel verfolgen. 47

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49

Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 117. Vgl. Ruß, H.G. (2004), 53. Kant unterscheidet also zwischen den analytischen und den synthetischen Urteilen a priori. Nur die letzteren sind für eine wissenschaftliche Erkenntnis bedeutsam.

47 48 49

50 3.3.4. Hegels Dialektik Wollen wir Hegels Umgang (1770-1831) mit der Erkenntnisfrage darstellen, so müssen wir zwei grundlegende Begriffe in Anspruch nehmen: Geist und Dialektik. In der Philosophie Hegels ist eine Tendenz zur „begrifflichen Verflochtenheit“ zu beobachten, was sich letzten Endes in den inhaltlichen Auswirkungen offenbart, wie z.B. in der „Aufhebung der Begriffe ineinander“. Aus epistemologischer Sicht können wir deshalb die folgende These aufstellen: „Der Geist ist Wissen“. Mit dem Geist wird hier die Vernunft, die Idee und das Sein identifiziert. Daraus ergibt sich für Hegel die Einheit von Denken und Sein, die im eine monistische Struktur aufweisenden absoluten Idealismus aufgeht. Diese Struktur entsteht graduell in einem dialektischen Prozess, d.h. in der Bewegung des absoluten Geistes im Prozess der Selbstverwirklichung. In diesem Kontext, der von Hegel stets geschichtsphilosophisch gedacht wird, sind mithin epistemologische Elemente fundiert. Im Folgenden wollen wir sie im Kontext der Begriffe „Dialektik“ und „Geist“ bündig hervorheben. Die gesamte Wirklichkeit wird von Hegel als ein einheitliches Ganzes aufgefasst, als eine „Totalität des Wissens“ (vgl. JS, 46). Sie wird nicht nur als Geist gedacht, sondern zugleich als das Absolute, d.h. als Gott, als ein sich selbst verwirklichendes absolutes Subjekt. Die Gesamtwirklichkeit ist ein Prozess der Selbstverwirklichung des Geistes (vgl. PhG 24). Und diese Selbstverwirklichung bezeichnet Hegel als Dialektik. Das unmittelbare Dasein des Geistes ist das Bewusstsein, das zwei Momente aufweist: Das Moment des Wissens und das der Negation des Wissens. Indem der Geist diese beiden entgegensetzten Momente schöpferisch interpretiert, kann er sich selbst entfalten. Dieser Auslegungsprozess umfasst einerseits das Betrachten des dem Geist entgegengesetzten Gegenstandes, andererseits das Selbstbetrachten des Geistes, wobei das erstere im letzteren aufgehoben wird. Der sich dialektisch bewegende Geist wird daher Gegenstand seiner eigenen spekulativen Reflexion (vgl. PhG, 29f). Nach Hegel ist der Geist Selbstbewusstsein, das sich selbst tragende absolute reale Wesen, das aber zugleich durch Gegensätze gekennzeichnet ist. Denn wenn sich der Geist selbst denkt, tritt er in einen Gegensatz zu sich selbst (vgl. PhG, 238f, 505). In der Einheit des Geistes offenbart sich also stets eine Zweiheit, welche

51 die Grundlage der dialektischen Bewegung darstellt. Diese Bewegung spielt sich in der Form eines immanenten Dreierschritts ab: „ThesisAntithesis-Synthesis“. Das heißt: Der Geist erkennt etwas und formuliert es zunächst als eine positive These. Im zweiten Schritt wird diese These durch eine Negation in Frage gestellt. Am Ende wird eine aufhebende Synthesis als Negation der Negation vollzogen, d.h. der Gegenstand der Synthesis wird auf eine höhere Ebene versetzt. Die Synthese von Sein und Nichts wird von Hegel als Werden verstanden. Und das Werden ist das endlose Vernichtetsein von etwas, was gerade war, bzw. das Entstehen von dem, was noch nicht ist; es ist das ständige Übergehen von Sein in Nichts und Nichts in Sein. Mit dem Werden ist aber die dialektische Bewegung des Geistes nicht abgeschlossen. Denn jeder erreichte Begriff enthält erneut seine eigene Negation, was wiederum zu einer höheren Einheit führt. Dieser Prozess geht solange vor sich, bis der Geist alle Inhalte hervorgebracht hat, bzw. bis er sich selbst als absoluter Geist eingeholt hat (vgl. WL I, 35f, 55f, 67f). Die dialektische Bewegung wird also vom Geist allein getragen, der als subjektiver, objektiver oder absoluter Geist erscheinen kann. Der sich in den Erkenntnisakten offenbarende subjektive Geist hat nach Hegel einen individuellen Charakter und verläuft im Prozess seiner Selbstverwirklichung auf drei Ebenen: der Seele, des Bewusstseins und Geistes. In der Seele zeigt sich der Geist als fühlendes Individuum, das fähig ist, die Ebene des Bewusstseins im dialektischen Rhythmus zu erlangen. Auf dieser Ebene erscheint die Erkenntnisaktivität des Geistes in drei spezifischen Formen, d.h. als Sinnlichkeit, Wahrnehmung und Verstand, um schließlich noch als Resultat des anerkennenden Selbstbewusstseins aufzutauchen. Aber erst das Erlangen der Vernunftebene eröffnet dem Geist den Zugang zur Wahrheit als Wissen. Die wissende Wahrheit ist der Geist selbst (vgl. E III, §§ 388f, 413f, 440f). Der subjektive Geist bezieht sich auf eine „äußerliche, vorgefundene Objektivität“, die ihm als objektiver Geist gegenübertritt. Der objektive Geist ist folglich ein überindividueller und tritt als Weltgeist auf, der sich im konkreten Geschichtsprozess als eine Vielzahl einzelner Volksgeister offenbart. Die Gesellschaft, der Staat, die Geschichte, die Entwicklung der Institutionen usf. sind also Stationen der epistemologischen Entwicklung des absoluten Geistes, die mit Recht, Moralität und Sittlichkeit als Einheit

52 der beiden aufs engste verknüpft ist. Der objektive Geist kann aber nicht für sich allein existieren, d.h. unabhängig von einzelnen Individuen. Er verwirklicht sich notwendig durch subjektive einzelne Geister hindurch (vgl. E III, § 488f; VPhW I, 85f). Die Synthese des subjektiven und des objektiven Geistes führt zum Entstehen des absoluten Geistes. Es gibt drei Formen des Sichselbstwissens des absoluten Geistes durch den Menschen hindurch: Kunst, Religion und Philosophie. Während sich der absolute Geist aufgrund der „sinnlichen Schönheit“ in der Kunst offenbart, und aufgrund seiner schöpferischen Vorstellungskraft in der Religion, erreicht er den Höhepunkt seiner Selbstdarstellung erst durch das reine Denken in der Philosophie (vgl. E III, §§ 556f). Dementsprechend gestaltet sich auch seine epistemologische Aktivität. 50

3.3.5. Marx und dialektischer Materialismus Das dialektische Denken Hegels erwies sich als einflussreich insbesondere im Kreise materialistisch geprägter Philosophen, deren Ziel eng mit der Kritik der Religion verbunden ist. Die Religionskritik zielt darauf ab, den Sinnanspruch des Glaubens auf andere Sinnansprüche zu reduzieren und Religion als falsches Bewusstsein zu entlarven. Auf dieser Ebene weist der Umgang mit dem Wissen deutliche materialistische Merkmale auf. Der geistigen Wirklichkeit wird dabei eine vollständige Absage erteilt. Damit wir die epistemologische Relevanz dieses Ablehnungsprozesses hervorheben, muss er geschichtlich strukturiert werden. Die Ablehnung des Geistigen ist also vorab dank Ludwig Feuerbauch (1804-1872) anthropologisch fundiert. Der Mensch verfügt über ein Bewusstsein des Unendlichen. Die Religion ist insofern wahr, als sie das „Bewusstsein des Unendlichen“ ist. Ihre Unwahrheit besteht darin, dass sie das menschliche Gattungswesen, das allein wirklich unendlich ist und in der Geschichte sich in seinen Möglichkeiten entfaltet, als ein vom Menschen geschiedenes, fremdes Wesen ausgibt und nicht mehr begreift, dass alle Bestimmungen des göttlichen Wesens Bestimmungen des menschlichen

50

Vgl. dazu auch Disse, J. (2002), 259f.

53 Wesens sind. Das absolute Wesen, der Gott des Menschen, ist sein Wesen. Im Anschluss an Feuerbach verschärft Karl Marx (1818-1883) die These über den Menschen als Gattungswesen im Sinne des historischen Materialismus. Dabei kommt eine rein materialistisch-ökonomische Dimension zum Vorschein. So ist für Marx Religion ein ideologischer Überbau, das „Opium des Volkes“, die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens. Die völlige Wiedergewinnung des Menschen ist der Praxis des Proletariats zu verdanken, die eine die bisherige Ordnung sprengende dialektische Negativität mit sich bringt. Das Bewusstsein des Menschen wird durch gesellschaftliches Sein bestimmt. Kraft seiner Sinnlichkeit und seiner Produktivität ist jeder Mensch ein „gesellschaftliches Wesen“. Die systematisch entwickelte materialistische Dialektik, die aus epistemologischer Sicht relevant ist, taucht erst bei Friedrich Engels (1820-1895) auf. Sie erscheint auf der Grundlage des Ansatzes von Marx und ermöglicht den praktischen dialektischen Materialismus. Die Dialektik gilt für Engels als eine „absolute Notwendigkeit für die Naturwissenschaft“. Er entwickelt drei „Gesetze“ der Dialektik: (1) Qualitatives Sprunggesetz – ist ein Sprung von einer niederen zu einer höheren Qualitätsstufe innerhalb der materiellen Welt; (2) Widerspruchsgesetz – es handelt sich um die Widersprüche in der materiellen Welt, mithin um die dynamischen, in Veränderung begriffenen Beziehungen, die als Ursachen für die Höherentwicklung der materiellen Welt aufgefasst werden; und (3) Negationsgesetz – enthält eine Aussage über die Weise der Entwicklung der materiellen Welt. Die jeweilige Ausgangsstufe wird nicht abgelöst, sondern die sie negierende Kraft wird ihrerseits auch negiert, so dass die Ausgangsstufe geläutert und entwickelt auf höherer Ebene zurückkehrt. Als Beispiel gilt hier die Entwicklung vom Urkommunismus über die Klassengesellschaft zum vollendeten Kommunismus. 51

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53

Vgl. Feuerbach, L., GW VI, 6f. Vgl. Marx, K., MEW I, 378f, auch Ergänzungsband 1, 537f. Vgl. auch Coreth, E. u.a. (1997), 151f. Vgl. Marx, K., MEW XX, 307f. Vgl. auch Coreth, E. u.a. (1997), 170f. 51 52

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54 3.4. Der Umgang mit der Erkenntnisfrage im frühen 20. Jahrhundert Da das frühe 20. Jahrhundert viele neue Ideen in die philosophische Debatte bringt, kann auch die Epistemologie davon reichlich profitieren. Zum einen werden also Versuche unternommen, das bisherige fragliche Feld der Psychologie des 19. Jahrhunderts endgültig zu verlassen. Dieses Feld war deshalb fraglich geworden, weil die Psychologie sich zum Ziel gesetzt hat, den Naturwissenschaften sowohl methodisch als auch inhaltlich zu folgen, was aber schon von ihrer logischen Struktur her von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Dadurch versperrte sich die Psychologie gegen jedwede philosophisch orientierten, insbesondere klassischen Zugänge zur Wirklichkeit. Zum anderen wird immer öfter gewagt, die alten philosophischen Gebiete nochmals zu betreten, wobei jetzt die neuen Methoden der Erforschung zum Einsatz kommen und die zu erlangenden Ziele neu definiert werden. Maßgebend sind für diese Periode vor allem drei Begriffe: Analytische Philosophie, Phänomenologie und Existentialphilosophie. Es sind also drei grundlegende philosophische Ausprägungen, die auch epistemologisch bedeutsam sind. 3.4.1. Der Wiener Kreis und Carnap Unter den Denkströmungen, die die Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts entschieden prägten, kommt dem sogenannten „Linguistic Turn“ eine besondere Rolle zu. Für die Erkenntnistheorie bedeutet dies, dass ihre bisherigen Fragestellungen auf das Gebiet der Sprache im Allgemeinen und der Aussagenlogik im Besonderen verlagert werden. Diese linguistische Wende, die auch als „Logischer Empirismus“ oder „Neopositivismus“ bezeichnet wird, ist allerdings nicht als eine einheitliche philosophische Position zu verstehen. Gemeinsam ist für den Logischen Empirismus nur, dass er eine kritische Stellung gegenüber der Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis einnimmt und die synthetischapriorischen Urteile (im kantischen Sinne) ablehnt. Sein Ziel ist es, eine klare Grenze zwischen der „sinnlosen“ Metaphysik und den „sinnvollen“ empirischen Wissenschaften zu ziehen. Der Logische Empirismus wird mit dem „Wiener Kreis“ in Verbindung gebracht.

55 Mit dem „Wiener Kreis“ sind die Forscher gemeint, die sich um Moritz Schlick (1882-1936) sammelten, um die philosophische Grundlegung der Wissenschaften zu diskutieren. So folgte Rudolf Carnap (1891-1970) der Einladung von Schlick nach Wien. Zu den Mitgliedern des „Wiener Kreises“ zählten zudem der Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Otto Neurath, die Mathematiker Hans Hahn, Kurt Gödel und Karl Menger, die Philosophen Gustav Bergmann, Herbert Feigl und Friedrich Waismann. Der „Wiener Kreis“ veranstaltete regelmäßige, international ausgerichtete Kongresse für die „Einheit der Wissenschaft“. Seine Grundüberzeugung war, dass die Philosophie wie die Mathematik und die Naturwissenschaften den Forderungen der Genauigkeit, begrifflichen Klarheit und logischen Strenge zu entsprechen habe. Das Erlangen dieses Zieles soll zum einen durch die Anwendung der von Russell und Frege geschaffenen formalen Logik ermöglicht werden, zum anderen durch die Beachtung der Thesen des frühen Wittgensteins, dass die Sätze der Logik und Mathematik Tautologien sind. Logik und Mathematik haben es nicht mit der Wirklichkeit zu tun, sondern nur mit der Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit darstellen (vgl. TLP 4.46f). Der Logische Empirismus ist also durch zwei Grundmerkmale gekennzeichnet: Logik und empirischen Ansatz. Mit dem Empirismus der Vergangenheit verbindet ihn der Versuch, wissenschaftliches Wissen auf die Erfahrung zu gründen. Unsere Erlebnisse, die mit Hilfe unseres Sinnesapparates zustande kommen, sollten als Basis gelten für die Konstruktion von Begriffen und Aussagen, in denen umfassende Erkenntnisse über die Wirklichkeit formuliert werden. Die Konstruierung der komplexen Begriffe aus den Sinnesdaten, die Verknüpfung der Begriffe zu Aussagen und die Analyse der logischen Beziehungen der Aussagen untereinander sollten vor allem auf der Grundlage der Relationenlogik von Frege durchgeführt werden, die erlaubt, komplexe Beziehungen zwischen Elementen zu formulieren, ihre logische 54

Vgl. auch Coreth, E. u.a. (1993), 178f. In dem Kontext sind zwei Hinweise relevant: (1) Es gab noch viele andere Denker, die im engen Kontakt zu dem “Wiener Kreis” standen, vor allem als dessen Gäste, also Tarski, Quine, Ayer, Popper; (2) Für den Logischen Empirismus war nicht nur die Aktivität des „Wiener Kreises“ entscheidend, sondern auch die des „Berliner Kreises“, dem unter anderen Gustav Hempel angehörte.

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56 Stimmigkeit zu prüfen und weitgehende Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf der Basis von Logik und Erfahrung sollte die Realerkenntnis begründet und ihre Wahrheit sichergestellt werden. Wir wollen dies am Beispiel von Carnap kurz erläutern. Carnap akzentuiert das Erfordernis einer Methode der Verifizierung der Sätze. Nur diejenigen Sätze, die sich verifizieren lassen, dürfen als „sinnvoll“ angesehen werden. Die Verifikation der Sätze wird durch deren Zurückführung auf die sogenannten „Protokollsätze“ (d.h. Beobachtungssätze) durchgeführt, die auf die beobachtbare Wirklichkeit verweisen. Verifikation besteht also in der Überprüfung von Sätzen durch Rückführung auf Beobachtungen und Experimente. Der Sinn eines Satzes besteht in der Methode seiner Verifikation. Kann keine Methode der Verifikation angegeben werden, dann hat ein Satz keinen Sinn. Sätze, die keinen empirischen Gehalt haben, sagen nichts über die Wirklichkeit aus und sind – epistemologisch gesehen – sinnlos. Derartige Sätze werden als „Scheinsätze“ bezeichnet, weil in ihnen entweder ein Begriff vorkommt, der keine Bedeutung hat, oder Begriffe, die zwar eine Bedeutung haben, die aber syntaxwidrig zusammengesetzt sind, so dass sie keinen Sinn ergeben. Als Beispiel eines bedeutungslosen Begriffs nennt Carnap das Wort „Gott“, eines syntaxwidrigen Satzes dagegen den Ausdruck „Cesar ist und“ oder „Das Nichts nichtet“. Carnap wurde von Wittgenstein maßgeblich beeinflusst. 55

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3.4.2. Wittgenstein Betrachtet Wittgenstein die Welt als Gesamtheit der Tatsachen, von denen sich die Menschen Bilder machen, und fragt nach der Bedeutung von Wörtern (vgl. TLP 1.12, 2.06f), so kann er damit einen besonderen Zugang zur Erkenntnis- und Wissensfrage gewinnen. Im Einklang mit den Vertretern des „Wiener Kreises“ verabschiedet sich Wittgenstein von den kantischen Begriffen wie „Transzendenz“, „Metaphysik“, „Ding an sich“ Vgl. Ruß, H.G. (2004), 59f. Vgl. Schlick, M. (1986), 168f. Eine Ausnahme stellen die Sätze der Mathematik und Logik dar. Vgl. Carnap, R. (1931), 224f. 55 56

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57 usw. und bleibt der neupositivistischen Tradition verhaftet, wobei sein Augenmerk sich insbesondere auf wirkliche Gegenstände und den Gebrauch der Sprache richtet. Während wirkliche Gegenstände im Mittelpunkt der philosophischen Tätigkeit des frühen Wittgensteins stehen, interessiert sich der späte Wittgenstein hauptsächlich für den Gebrauch der Sprache. Dementsprechend ist auch bei der Analyse der Wissensproblematik zu differenzieren. Der frühe Wittgenstein wird bekanntlich mit dem „Tractatus-LogicoPhilosophicus“ in Verbindung gebracht. Nach dem Tractatus wird eine Aussage dann als sinnvoll angesehen, wenn alle in der Aussage vorkommenden Namen – abgesehen von den logischen Zeichen wie „und“, „oder“ usw. - wirkliche Gegenstände bezeichnen. Unter wirklichen Gegenständen sind die Realitäten zu verstehen, die in Raum und Zeit gegeben sind und mit der Hilfe von Wörtern beschrieben werden können. Die Bedeutung eines Wortes ist nichts anderes als der Gegenstand, den das Wort bezeichnet. Wörter bilden aber die Sätze, die sinnvoll oder nicht sinnvoll sein können. Laut Wittgenstein gibt es zwei Typen von nicht sinnvollen Sätzen. Zum einen gibt es sinnlose Sätze – es sind Sätze der Logik, weil sie formale Begriffe enthalten, die keinen konkreten Gegenstand bezeichnen, wie z.B. „Gegenstand“, „Tatsache“, „Zahl“ usw. Obwohl die formalen Sätze der Logik die logischen Strukturen nicht sagen können, können sie sie jedoch „zeigen“ (vgl. TLP 3.203, 4.11f). Zum anderen gibt es unsinnige Sätze – es sind die Sätze, die Wertbegriffe enthalten wie z.B. „Seele“, „Gott“, „ästhetisches und metaphysisches Subjekt“ usf., und in ethischen, ästhetischen und religiösen Aussagen auftreten. Da diese Sätze sich auf keine realen Gegenstände beziehen, so weisen auch sie keinen Bezug zur realen Welt auf (vgl. TLP 5.641f). Selbst wenn der späte Wittgenstein in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ an der Sinnlosigkeit metaphysischer Aussagen festhält, vollzieht sich bei ihm jedoch eine entscheidende Wende. Wittgenstein spricht jetzt von „Sprachspielen“ und betrachtet die Sprache im Kontext von Handlungen, weil die Sprache in der Art und Weise gelernt wird. Wenn wir gelernt haben, wie ein Wort in einem Handlungszusammenhang 58

Nach Wilhelm Vossenkuhl (ders., [2001], 35f) stellt „Sagen und Zeigen“ das Hauptproblem der Philosophie Wittgensteins dar. 58

58 gebraucht wird, kennen wir auch die Bedeutung des Wortes unabhängig davon, welchen Gegenstand das Wort bezeichnet. Mit anderen Worten: Wir lernen die Bedeutung von Wörtern nicht, indem wir die Gegenstände bezeichnen lernen, für die sie stehen, sondern dadurch, dass wir sie in bestimmten Handlungszusammenhängen verwenden lernen. Handlungszusammenhänge werden immer im Rahmen vorgegebener Sprachzusammenhänge vollzogen (vgl. PU 1f, 7). Die Bedeutung eines Wortes aufweisen ist also zu erklären, wie dieses Wort in einem gegebenen Sprachspiel und damit Handlungszusammenhang funktioniert. Deshalb gibt es keine einheitliche Bedeutung von Wörtern, sondern die verschiedenen Bedeutungen sind in vielerlei Weise miteinander verwandt (vgl. PU 65). Für Wittgenstein ist epistemologisch relevant nicht nur die Bestimmung der Bedeutung eines Wortes bzw. Satzes, was durch die Aktivität des Geistes mit dem Blick auf das theoretische Wissen vollzogen werden kann, sondern auch der Wissenserwerb im Kontext alltäglicher Erlebnisse, mithin praktisches Wissen. Als eines der Beispiele Wittgensteins gilt das Wissen über die Farben, die für das Gestalten von menschlichen Wahrnehmungen und Erlebnissen entscheidend sind. Dabei unterscheidet Wittgenstein zwischen der Logik der Farbbegriffe und den Wissenschaften, die sich mit Farben und Farbwahrnehmung befassen wie z.B. Physik, Psychologie, Physiologie. Diese Wissenschaften können zwar die Ursachen oder die physiologische Grundlage der Farben klären, zum Wissen über das Wesen der Farben können sie aber nichts beitragen (vgl. BüF III, §229). Das Wissen über das Wesen der Farben kann man lediglich auf einem philosophischen Wege erlangen. Denn die Farbwahrnehmung und die Farbbegriffe lassen sich nicht physikalisch auf Lichtwellen reduzieren. Farben, die grundsätzlich keine materiellen Eigenschaften sind, sind nicht die messbaren Eigenschaften von Lichtstrahlen unterschiedlicher Wellenlänge. Wittgensteins philosophische Fundierung der Farbentheorie erfordert mehr als nur eine empirische Untersuchung. Mit seinem „Farbenrätsel“ scheint Wittgenstein m.E. die Grenze berührt zu haben, von der er allerdings ganz 59

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Vgl. auch Disse, J. (2001), 285f. Vgl. Vossenkuhl, W. (1992), 94f.

59 gut weiß, dass sie von keinem Subjekt mit lauter empirischen Mitteln übertreten werden kann. Denn das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt (vgl. TLP 5.632). Dieses intuitive Verfahren erhält in der Phänomenologie Husserls eine besondere Qualität. 3.4.3. Husserls Streben nach absoluter Gewissheit Das Streben nach der absoluten Gewissheit in der Erkenntnistheorie halten viele Philosophen für unentbehrlich. Diese Überzeugung lässt sich schon in den platonischen Dialogen ausfindig machen. Seit der Neuzeit erfreut sich aber diese Tendenz einer besonderen Anerkennung, was man etwa bei Descartes paradigmatisch beobachten kann (vgl. 3.3.1. [Kap. I]). Auch der Begründer der Phänomenologie Edmund Husserl (1859-1938) strebt gezielt die absolute Gewissheit beim Umgang mit Wissen an. Husserls scharfer Blick auf Descartes, insbesondere in seinen „Cartesianischen Meditationen“, ist dabei nicht zu übersehen. Eine allgemeine Basis verschafft sich Husserl allerdings mit dem Gedanken von der „Philosophie als strenger Wissenschaft“. Auf dieser Grundlage erhofft er sich den Zugang zum reinen Bewusstsein, indem das phänomenologische Instrumentarium eingesetzt wird, vor allem aber beide Reduktionen (vgl. unten). Husserl nimmt die epistemologischen Grundprobleme der klassischen Philosophie der Neuzeit auf – in der Absicht, nicht den Anschluss an die Tradition zurückzugewinnen, sondern deren Fragestellungen in einer nicht mehr zu überbietenden Weise zu radikalisieren. Philosophie als transzendentale Weltwissenschaft - gemeint auch als Erkenntnistheorie - , muss nach Husserl in gänzlich anderem Sinne als profane Wissenschaften verstanden werden. Nun soll sie nicht nur deren Wissen anders und tiefer begründen, als es mit den eigenen Mitteln der Wissenschaften geschehen kann, sondern sie hat auch sich selbst eine Begründung zu geben und diese als Selbstbegründung kritisch zu rechtfertigen. Erst dadurch kann die Philosophie als Garant für ein letztes Wissen um die absolute Subjektivität gelten, in der die Quelle jedweder Objektivität liegt, d.h. sowohl die Quelle von Gegenständen der Bewusstseinserlebnisse aller Art als auch jedes auf diese Gegenstände bezogene Wissen. Aus epistemologischer Sicht heißt das, dass es Husserl darum geht, in der Philosophie eine Erkenntnis zu

60 erzielen, die in keiner Weise angezweifelt werden kann, mithin in ihrer Geltung und Sicherheit „absolut“ ist. Eine solche Erkenntnis zu entdecken und zugleich eine Methode zu finden, die ihre Gewinnung und ihren Gebrauch gewährleisten würde, ergibt sich aus der Forderung nach der „Philosophie als strenger Wissenschaft“. Diese Philosophie soll nach Husserl eine Wissenschaft mit speziellen Eigenschaften sein; sie soll eine „absolute Erkenntnis“ liefern, deren Absolutheit sie selbst aufzuweisen hat. Im Unterschied zu allen übrigen Wissenschaften soll sie in dem Sinne absolut sein, dass sie keine Lücken zulässt, weder im Verstehen ihrer Begriffe noch in deren Begründung. Sie soll somit eine universelle Wissenschaft sein, welche die letzten Fundamente für jedes Wissen überhaupt sichert, eine „philosophia prima et ultima“. Die Frage ist aber, wie Husserl das absolute Wissen im Rahmen der „Philosophie als strenger Wissenschaft“ methodisch erlangen will. Zu diesem Zweck bringt Husserl vor allem zwei Reduktionen ins Spiel: die transzendentale (TR) und die eidetische Reduktion (ER). Die TR ermöglicht den erkenntnismäßigen Zugang zur Erfassung des reinen Bewusstseins seinem Wesen nach, so Husserl. Erst sie kann uns zu entscheiden erlauben, was reelles Bestandstück des Bewusstseins sei und was nicht. Nachdem wir die TR vollzogen haben, befinden wir uns „ipso facto“ auf dem Boden des reinen transzendentalen Bewusstseins, auf dem man nicht nur alle erkenntnistheoretischen Untersuchungen durchführen, sondern auch einräumen muss, dass jedes Sein aus dem Wesen der Akte des reinen Bewusstseins abzuleiten ist. Was ist aber die TR und wie wird sie durchgeführt? Die TR ist eine Prozedur der Ausschaltung bzw. der Einklammerung der realen Welt durch das reine Ich, das aber nicht unter die Klausel der Reduktion fällt, weil es zur Struktur des Bewusstseins gehört. Die reale Welt wird dabei weder negiert noch vernichtet, sondern nur „eingeklammert“, und Erlebnisse menschlicher Individuen werden von der Auffassung „gereinigt“, dass sie die Realitäten innerhalb der Welt sind. Die Überzeugung von der Existenz der wirklichen Welt wird also aufgrund der TR „außer Aktion“ gesetzt. Die schrittweise verlaufende TR wird hinsichtlich ihrer Gesamtheit auch die phänomenologische Epoché (=Reduktion) genannt. 61

61

Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 47f.

61 Der zweite methodische Schritt der phänomenologischen Verfahrensweise Husserls besteht in der Durchführung der eidetischen Reduktion (ER). Da die Phänomenologie nicht in natürlicher, alltäglicher Einstellung „arbeitet“, sondern sich reflexiv an das reine Bewusstsein wendet und die Außenwelt in der transzendentalen Reduktion ausschaltet, gelangt das Wesen in den Blick , d.h. die reine Erscheinung im Bewusstsein im Unterschied zur „Tatsache“. Die Phänomenologie wird somit zur Wesensschau, deren leitendes Prinzip im Verzicht auf Zufälligkeit und Individualität fundiert ist. Die eidetische Reduktion nimmt die eidetische Erkenntnis in Anspruch und weist deshalb einen apriorischen Charakter auf. Fassen wir abschließend die epistemologischen Konsequenzen bündig zusammen, die sich aus dem Modell der Phänomenologie Husserls ergeben: Erstens erscheint das Begriffspaar „Noesis-Noema“ (=AktGegenstand) nach der Durchführung der TR. Damit ist auch der sogenannte Konstitutionsproblem verbunden; das Noema entsteht, indem es stufenweise konstituiert wird. Zweitens vollzieht sich der Erkenntnisprozess zum großen Teil auf der Grundlage der eidetischen Erkenntnis. Drittens eröffnet sich für Husserl der Weg zum „transzendentalen Idealismus“ (TI) als Folge des Vorangehenden. Beim TI handelt es sich kurzum um den Unterschied in der Existenzweise: Das reine Bewusstsein existiert absolut, die reale Welt dagegen relativ. Hier setzt Ingardens scharfe Kritik an. 62

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3.4.4. Ingardens intuitiver Weg Husserls phänomenologisch-epistemologischer Ansatz beruht auf zwei fundamentalen Prämissen: Zum einen kommt es zur Entstehung eines besonderen Typus von Sinnesdaten, die als Noemata im Erkenntnisprozess auftreten, der sich im reinen Bewusstsein abspielt. Zum anderen wird eine ontologische Entscheidung getroffen, deren Folge der transzendentale Idealismus ist. Der transzendentale Idealismus wurde unter anderem zum Der frühere Husserl (vgl. 2. und 6. Logische Untersuchung) verwendet noch den Begriff „Spezies“, und nicht „Wesen“. Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 52f, 76f. Dazu vgl. auch vor allem Hua II-V, X.

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62 Gegenstand der Kritik von Roman Ingarden (1893-1970), dem Schüler Husserls. Obwohl wir der Kritik Ingardens selbst im Folgenden nicht nachgehen werden, da sie eine gründliche ontologische Analyse erfordert, wollen wir jedoch ihre epistemologische Grundlage kurz untersuchen. Ingardens epistemologischen Ansatz kann man als „Ingardens Weg zum Realismus“ bezeichnen. Dieser Weg spiegelt das Konzept der Epistemologie Ingardens wider, das drei Elemente umfasst: (1) die reine Erkenntnistheorie (RE); (2) die Kriteriologie; und (3) die angewandte Erkenntnistheorie. Hier interessiert uns lediglich die RE, weil sie in der sogenannten „Intuition des Durchlebens“ (ID) fundiert ist. Dadurch soll nach Ingarden eine sichere Erkenntnis erreicht und das epistemologische Prinzip der Voraussetzungslosigkeit garantiert werden. Die ID ist ein deutliches Beispiel des intuitiven Erkennens. Sie stellt den Kern der reinen Erkenntnistheorie (RE) dar, in der die allgemeinsten Normen und die erkenntnistheoretischen Hauptkategorien festgelegt werden. Das Charakteristische an der RE ist ihr struktureller Aufbau, den Ingarden als „Erkenntnisbegegnung“ bezeichnet. Die „Erkenntnisbegegnung“ wird durch die Analyse des Gehalts von zwei grundlegenden Erkenntnisideen gekennzeichnet: der allgemeinen Idee der Erkenntnis des Erkenntnisergebnisses überhaupt und der der Erkenntnisbeziehung überhaupt. Die Analyse des Gehalts dieser beiden Ideen erlaubt folgende Fragen zu beantworten: „Was ist das Erkenntnisergebnis überhaupt?“ und „Was ist die Erkenntnisbeziehung überhaupt?“ Die Beantwortung dieser Fragen liefert erst eine Basis für die Analyse anderer Erkenntnisideen wie der allgemeinen Idee des Erkenntnissubjekts, des Erkenntnisobjekts und des Wertes eines Erkenntnisergebnisses überhaupt usf. (vgl. GE II, 592; auch FSE 278). Beim Gestalten der Struktur der ontologisch geprägten reinen Erkenntnistheorie, was sich schon im Begriff „Ontologie der Erkenntnis“ zeigt, ist Ingarden ebenfalls auf das intuitive Verfahren angewiesen. Denn 64

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Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 39f. Auf der Grundlage der reinen Erkenntnistheorie stellt die Kriteriologie ein System von Erkenntniskriterien auf, die einen gewissen Grad der Faktizität aufweisen. Diese Kriterien werden dann auf die Beurteilung der Tatsachen angewandt, was sich aber schon in der angewandten Erkenntnistheorie vollzieht.

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63 die Formulierung der Postulate, welche nach Ingarden jede Erkenntnistheorie zu erfüllen hat (also Voraussetzungslosigkeit, Allgemeinheit und Endgültigkeit der Ergebnisse), und welche die reine Erkenntnistheorie in seinem epistemologischen Konzept leisten kann, lässt sich m.E. nur intuitiv durchführen, d.h. ohne jedwede empirische Unterstützung. Die Frage stellt sich aber, wie die RE dies überhaupt leisten kann. Und die Antwort lautet: Dank der Leistung der Intuition des Durchlebens (ID). Das intuitiv geprägte epistemologische Denken Ingardens erreicht also seinen Höhepunkt im Begriff der Intuition des Durchlebens (ID). Dank der Einführung der ID ist es für Ingarden nicht nur erst eine philosophische Erkenntnistheorie denkbar, sondern dadurch wird auch ihr ernsthaftes Problem gelöst, nämlich die erkenntnistheoretische Kontrolle der Erkenntnisse. So können auch zwei grundlegende epistemologische Gefahren vermieden werden: „petitio principii“ (= Voraussetzung des zu Beweisenden) und „circulus vitiosus“ (= Regress). Wollen wir nun die ID mit dem Blick auf die klassische epistemologische Tradition prägnant definieren, dann heißt das: Die ID ist ein besonderer Zustand des Selbstbewusstseins, der einen Bewusstseinsakt begleiten kann, selber aber kein neuer Akt ist. Also:

Bewusstsein (B) Subjekt weiß, dass es den Akt durchlebt

(Sich-selbst-Durchleben) Selbstbewusstsein (SB) Subjekt weiß, dass es weiß, dass es den Akt durchlebt

Intuition des Durchlebens (ID) Ermöglicht dem Subjekt das „klarsmögliche“ Wissen von SB ohne einen neuen Akt zu vollziehen

Das Sich-selbst-Durchleben kann man nach Ingarden mit dem sich selbst durchglühenden Eisen vergleichen. Und die höchste Stufe des Sich-selbstDurchlebens stellt die ID dar. Die ID bildet also eine eigentümliche Erkenntnisart, die sich allen Erkenntnisarten radikal gegenüber stellt. Denn während bei allen anderen Erkenntnisarten die Unterschiedlichkeit

64 zwischen dem Erkannten und dem Erkennen (irgendwie) vorkommt, weil beide zwei selbständige Einheiten darstellen, sind hingegen das Erkannte und das Erkennen bei der ID identisch, und die Erkenntnis ist in diesem Fall eine „Sich-selbst-Erfassung“. Aufgrund dieser Identität ist jede Möglichkeit einer Täuschung prinzipiell ausgeschlossen. 66

3.4.5. Heideggers existentialer Weg Durch eine „gründlichere Phänomenologie“ will Heidegger (1889-1976) die ganze abendländische Denkgeschichte problematisieren – mit dem Blick auf das Sein. Die Vergangenheit des Denkens stellt er unter dem Titel „Metaphysik“ dar. Damit wird angedeutet, dass alles Erfahren, Denken und Gestalten zentral ontologisch, d.h. von der Deutung des Seienden im Horizont des Seins als beständiger Gegenwart, geprägt war und noch irgendwie ist. Phänomenologie ist für Heidegger eine Zugangsart zu dem, was Thema der Ontologie werden soll, sowie die ausweisende Bestimmung desselben. Sie ist also die Wissenschaft vom Sein des Seienden – Ontologie. Da die Phänomenologie und Ontologie die Philosophie selbst charakterisieren, so kann diese als eine universale phänomenologische Ontologie bezeichnet werden, deren Ziel es ist, das Sein zu erschließen. Dabei wird von der Hermeneutik des Seins des Daseins ausgegangen. Die Erschlossenheit des Seins gilt für Heidegger als „phänomenologische Wahrheit“ (vgl. SZ, 35f). Nun ist es nicht schwer einzusehen, welche Bedeutung Heideggers phänomenologisch-ontologisches Verfahren, das auch Existentialphilosophie genannt werden kann, aus erkenntnistheoretischer Sicht aufweist: Es handelt sich um die Erschlossenheit des Seins, die im Begriff der Wahrheit begründet liegt. So könnte man Heideggers Umgang mit Wissen bündig zusammenfassen. Laut Heidegger gibt es Sein (nicht Seiendes) nur insofern, als es Wahrheit gibt. Und sie ist nur, sofern und solange Dasein ist. Das Sein der Wahrheit steht in einem ursprünglichen Zusammenhang mit dem Dasein. Das Dasein ist wesenhaft konstituiert in der Wahrheit - durch die 67

66 67

Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 187f, 282f. Vgl. Coreth, E. u.a. (1993), 28f.

65 Erschlossenheit. Die Erschlossenheit ist eine wesenhafte Seinsart des Daseins (vgl. SZ, 226, 230). Sie wird durch Befindlichkeit, Verstehen und Rede konstituiert und betrifft die Welt, das In-Sein und das Selbst. Zum Sein und Seinkönnen des Daseins als In-der-Welt-Sein gehört wesenhaft die Erschlossenheit und das Entdecken. Damit meint Heidegger die Wahrheit (vgl. SZ, 220, 228). Das heißt, er definiert den Wahrheitsbegriff nicht im Sinne der klassischen Tradition als „Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand“, sondern existential als „Entdecktheit und Entdeckendsein“. Wahrsein als „entdeckend-sein“ ist eine Seinsweise des Daseins; es ist die Wahrheit im primären Sinne. Wahrheit im sekundären Sinne ist hingegen „Endeckt-sein“ (Entdecktheit) (vgl. SZ, 219f). Wir können also sehen, dass Heideggers epistemologischer Standpunkt deutlich durch hermeneutische Elemente gekennzeichnet ist und einen klaren Gegensatz zu Husserl aufweist. Weil der Seinssinn dessen, was Husserl als das transzendentale Ich fasst, von Heidegger als faktische Existenz bestimmt wird, die in sich selbst hermeneutisch ist, wird die transzendentale Phänomenologie Husserls bei Heidegger zur hermeneutischen Phänomenologie. Heideggers Hermeneutik der Faktizität wendet sich gegen Husserls „Wesensschau“. Sie hat die Aufgabe, das eigene Dasein in seinem Seinscharakter diesem Dasein selbst zugänglich zu machen. In der Hermeneutik bildet sich für das Dasein eine Möglichkeit aus, für sich selbst verstehend zu werden und zu sein. Die Folge davon ist, dass die Unterscheidung von Bewusstsein und Sein, die für Husserl entscheidend ist, von Heidegger abgelehnt wird. Er kritisiert auch Husserls Beschränkung auf das reine Bewusstsein. Die daraus resultierende Frage der Erkenntnistheorie als zu bestimmende Beziehung zwischen Subjekt und Objekt hält Heidegger für ein Scheinproblem, das letztlich den Zugang zum faktischen Leben verbaue. Seine hermeneutische Phänomenologie ist bestrebt, den Gegensatz von Ich und Welt aufzuheben, indem eine gemeinsame Grundlage für diese beiden Entitäten gefunden wird. Und diese Grundlage erblickt Heidegger im Sein selbst. Ist das aber für Heidegger eine überzeugende Alternative? 68

68

Vgl. Becke, A., (1999), 92f, 98f.

66 3.5. Exkurs: Eine kritische Zwischenbilanz Bevor wir der Frage nach dem aktuellen methodischen Umgang der Menschen mit Wissen nachgehen – im Rahmen der geschichtlich bezogenen Analyse des vorliegenden Kapitels - wollen wir eine kurze kritische Zwischenbilanz ziehen. Dieser Schritt ist insofern angebracht, als die Ausgestaltung der Epistemologie als selbständiger Disziplin im frühen 20. Jahrhundert als abgeschlossen gelten kann. In der aktuellen Debattenlandschaft erlangt die Epistemologie deutliche Merkmale, welche sich zwischen Konstruktion und Dekonstruktion von Wissensformationen bewegen (vgl. 3.6. [Kap. I]). In der Einleitung zur vorliegenden Abhandlung wurde die Erkenntnistheorie im engeren Sinne (EES) definiert. Als philosophische Disziplin befasst sich die EES systematisch mit den Elementen des Erkenntnisprozesses sowie mit der Methode, nach der diese Elemente analysiert werden. Diese epistemologische Gegebenheit kann uns hier als Kriterium fungieren, aufgrund dessen alle epistemologischen Ansätze – von der Antike bis zum frühen 20. Jahrhundert – bewertet werden können. Dabei wollen wir freilich allgemein verfahren. Das Betreiben der Philosophie in der Antike wies kein besonderes Interesse an epistemologischen Fragen als getrennten Entitäten auf, welche dem menschlichen Geist im Umgang mit der Welt eine theoretische Grundlage liefern könnten. Sämtliche epistemologische Ansätze erschienen im Kontext der Erforschung der Natur und des praktischen tugendhaften Lebens und waren dieser Erforschung untergeordnet. Nicht zu übersehen ist auch die Beeinflussung durch verschiedene Mythen, insbesondere in der vorsokratischen Periode. Auch das mittelalterliche Denken hat es nicht geschafft, über die kontextbedingten Grenzen hinauszugehen und die Epistemologie als selbständige Disziplin zu betrachten. Trotz einiger relevanter epistemologischer Hinweise, die vor allem Thomas von Aquin zu verdanken sind, blieb die Erkenntnistheorie als autonome Disziplin aus, weil man noch mit den antiken Systemen gearbeitet hat. Diese Konstellation wurde zudem durch religiöse und politische Faktoren verdunkelt.

67 Der neue epistemologische Schwung ist erst in der Neuzeit zu verzeichnen, wo es zu einem klaren Bruch mit der mittelalterlichen Tradition kam. Eine der ersten Folgen davon war die neue Bestimmung des Verhältnisses zwischen Glauben und Vernunft, die durch den Druck der aufsteigenden und erfolgreichen Naturwissenschaften beschleunigt wurde. So hat Descartes die materiale Welt den Naturwissenschaften zugeteilt, die geistige hingegen den Theologen. Selbst wenn die Philosophie davon reichlich profitierte, weil sie als kompetent für die Erforschung von beiden Gebieten angesehen wurde, konnte es noch zu keinem entscheidenden epistemologischen Durchbruch kommen, der bewirkt hätte, dass sich die Epistemologie als selbstständige Disziplin etabliert hätte. Die Weichen wurden aber schon gelegt, die Wende zum Subjekt hatte sich schon vollzogen. Mit der Analytischen Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts, die die kantische Kritik der Metaphysik fortgesetzt hat – allerdings mit völlig anderen methodischen Maßnahmen -, wurde erst ganz deutlich, dass der Prozess der Etablierung der Erkenntnistheorie als selbständiger Disziplin schon seit langem in Gang war. Denn die Hervorhebung des theoretischphilosophischen Umgangs mit Erkenntnis nahm stets zu und eine Abkoppelung von den naturwissenschaftlichen Tendenzen, die praxisorientiert und nicht theoretisch eingestellt waren, war schon nicht mehr zu übersehen. Der sprachanalytische Ansatz lieferte m.E. jedoch keine ausreichende Grundlage, auf der sich die Erkenntnistheorie in ihrer ganzen Selbständigkeitsfülle zeigen konnte – sie blieb im Schatten der Sprache. Erst im Rahmen des phänomenologischen Ansatzes bekam die Erkenntnistheorie eine Möglichkeit, sich als selbständige philosophische Disziplin vollständig zu demonstrieren. Durch die existentialphilosophischen Akzente eines Heideggers entstand ein besonders anregendes philosophisches Bild. 3.6. Der aktuelle Umgang des Menschen mit der Erkenntnisfrage Das Charakteristische am aktuellen oder postmodernen Umgang der Menschen mit der Erkenntnisfrage ist die Pluralität von Ansatzpunkten. Versuchen wir diese Behauptung durch die Analyse eines einfachen Satzes zu erläutern, den wir etwa dem Aufsatz von Fred Dretske entnehmen. Bei

68 der Begründung der These über „Conclusive reasons“ schreibt Dretske Folgendes: „If S were going to win the lottery, his chances of winning would not be 1/m (m being the number of tickets sold)”. 69

Bereits dieser einfache Satz kann uns also viele Ansatzpunkte liefern, deren Formulierung eine bestimmte Kriteriengrundlage erfordert. Gemeinsam ist hier die Vielfalt von den sich eröffnenden Möglichkeiten, die Form des eigenen wissenschaftlichen Interesses zu artikulieren. So lassen sich etwa folgende grundlegende Aspekte eventueller Interessen von menschlichen Subjekten formulieren: (1) kulturanthropologischer; (2) erkenntnistheoretischer und (3) pragmatischer Aspekt. Der kulturanthropologische Aspekt entspringt dem Faktum, dass es Lotteriespiele in der menschlichen Gesellschaft überhaupt gibt. Die Veranstaltung derartiger Aktivitäten ist das Zeichen einer bestimmten Kulturform, die ihrerseits mit anthropologischer Dimension verknüpft ist. Selbst wenn die meisten Lotteriespiele mit dem Zufallsgedanken einhergehen, stehen sie immer in einem bestimmten Erkenntnisverhältnis, das wir als Vermuten oder Glauben bezeichnen können: „Ich vermute bzw. glaube, dass ich gewinnen werde“. Der erkenntnistheoretische Aspekt des menschlichen Interesses ist mit der Frage nach der Struktur, Funktionalität und Leistung menschlicher Erkenntnisapparate verknüpft, welche in den letzten Jahrzehnten besonders auf zwei Gebieten diskutiert werden: auf dem Gebiet des Gehirns und dem der künstlichen Intelligenz. Rückblickend auf den obigen Satz kann es also heißen: Die bewusste Teilnahme von menschlichen Individuen am Lotteriespiel erfordert ein Mindestmaß an kognitiven Fähigkeiten: Denk-, Unterscheidungsvermögen usf., die eine klare realistische Einstellung zu den eventuellen Gewinnchancen garantieren können: „Meine Gewinnchancen können nie die Form haben: 1/m (1 wird durch m multipliziert [m = die Nummer des Lotteriekupons])“. Schließlich hängt der pragmatische Aspekt der Interessen der Menschen mit den zu erzielenden praktischen Ergebnissen zusammen, die den Alltag potentiell utilitaristisch bereichern können: „Wenn ich in der Lotterie tatsächlich gewänne, dann hätte das auch für die Gestaltung meiner Existenz nützliche Konsequenzen“. 69

Vgl. Dretske, F. (2000), 7.

69 3.6.1. Der kulturelle Aspekt der Konstitution von Wissen Zum Entstehen von Wissen trägt die menschliche Kultur wesentlich bei. Dabei offenbart sie sich in vielerlei Formen. Träger und Adressat der Kultur ist jeweils der menschliche Geist als Individuum und Mitglied einer Gesellschaft. Deshalb lässt sich die Kultur ganz plausibel durch eine Analyse des Geistes begründen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten einer solchen Analyse. Sie kann mit folgenden Begriffen verbunden sein: Geist, Bewusstsein, Gehirn, künstliche Intelligenz. Das können wir als subjektiven Aspekt der Begründung der Kultur des Geistes bezeichnen. Die Postulierung der subjektiven Seite eines Phänomens zieht allerdings die Frage nach dessen objektiver Seite nach sich. Diese lässt sich dann bestimmen, wenn man einerseits die Gebiete im Allgemeinen betrachtet, auf denen sich der menschliche Geist betätigt, andererseits die Systemstrukturen, die diese Betätigung fundieren. Damit wurden zwei Problemgruppen angesprochen: Strukturalismus und Poststrukturalismus. Es sind die Bereiche, wo die Aktivität des Geistes besonders feststellbar ist. Ferner kommt noch die Systemtheorie als Grundlage dieser Aktivität hinzu. 70

3.6.1.1. Strukturelle und poststrukturelle Dimension Das politische Scheitern des menschlichen Geistes infolge der Kriegsereignisse und seine „Huldigung“ an die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts verlangsamte zum einen seine epistemologische Entwicklung, zum anderen gab ihr dies wieder einen Charakter, an dem humane und kulturelle Elemente deutlicher denn je erkennbar sind. Ausschlaggebend waren dabei die Bereiche der Literaturwissenschaft, Linguistik und der zeitbestimmten Kulturdebatte, deren Umgang mit Wissen als Strukturalismus und Poststrukturalismus bezeichnet werden kann. Diese beiden Forschungsrichtungen hängen ursprünglich mit dem französischen Milieu zusammen; hier hat sich eine moderne Wissenschaftstheorie etabliert - genannt auch Épistémologie. Damit hat sich eine Abkehr von der

70

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 183f.

70 herkömmlichen Erkenntnistheorie vollzogen, welche als Teil eines einheitlichen philosophischen Systems galt. Unter dem Begriff „Strukturalismus“ sind Methoden und Forschungsprogramme zu verstehen, die Strukturen und Beziehungsgefüge untersuchen. Der Strukturalismus sucht zu zeigen, dass sich die Unterschiede der diversen Sprachen (Linguistik), Völkerkulturen (Ethnologie) und Epochen auf systematische Strukturkomplexe zurückführen lassen. Von hier aus legt die postmoderne Perspektive eine Pluralität gleichwertiger Zugriffsweisen und struktureller Ansätze nahe. Der Strukturalismus interessiert sich nicht für einzelne Gegenstände als solche, sondern insofern diese in einem strukturellen Gefüge auftreten und dadurch einen Kontext ermöglichen. Es wird davon ausgegangen, dass Gegenstände bzw. Phänomene keinesfalls in einer Isolierung auftreten, sondern in Verbindung mit anderen Phänomenen. So existiert z.B. ein Wort nicht als ein Zeichen, das substantiell etwas bedeuten würde, sondern aufgrund der jeweiligen Beziehung zu anderen Elementen der Sprache. Kraft der Einordnung in die Struktur der Sprache kann das Wort seine Bedeutung kontextuell entfalten. In der Sprache als Zeichensystem erblickt der Strukturalismus den Grundtyp jeder ganzheitlichen Organisation der Wirklichkeit, wobei zwischen der Sprache als System (langue) und der gesprochenen Sprache (parole) differenziert wird. Indem die parole gesprochen wird, aktualisiert sich auch die langue. Die langue umfasst ein in sich geschlossenes, grammatisches und lautliches System, das den Sprechern der parole vorgegeben ist. Sie hat aber keine von der parole unabhängige Existenz. Die einzelnen Redeepisoden (parole) sind in einem Beziehungsgefüge fundiert, dessen Glieder nicht substantiell bestimmt sind. Vielmehr ergibt sich ein Glied aus dem Vorhandensein des anderen. Dadurch werden Geltung und Wert der Glieder ermöglicht. Die sprachliche Variante des Strukturalismus wurde von Ferdinand de Sassure zu Beginn des 20. Jahrhundert ins Leben gerufen. Er gilt als Begründer des Strukturalismus. 71

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71 72 73

Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 207. Vgl. dazu etwa Holcroft, D. (1998). Vgl. de Sassure, F. (1967), 136.

71 Die kulturelle Variante des Strukturalismus, die ihre spezifische Ausgestaltung auf dem Gebiet der Ethnologie erreicht, ist vor allem mit dem Namen von Claude Lévi-Strauss verbunden. Im Mittelpunkt seiner Analysen standen die Mythen unterschiedlicher Kulturen, die nicht nur als Produkte struktureller Determination gelten, sondern auch als Modelle eines auf Ganzheit zielenden wilden Denkens. Aus der Kritik am Strukturalismus ging in den späten 1960er Jahren der Poststrukturalismus (PS) hervor. Man kann verschiedene Thesen des PS unterscheiden, die auf der Basis der damaligen epochalen Ereignisse wie etwa dem Bruch im Macht-, Sexualitätsbereich- und der Frauenbewegung usf. formuliert worden sind. Abgesehen von der Akzentuierung des Kontextes in den Sprach-, Kunst- und Literaturanalysen werden die Begriffe der Dekonstruktion und Diskursanalyse als Erkennungszeichen des PS angesehen. Damit wird gezielt auf die Veränderbarkeit sprachlicher und diskursiver Strukturen hingewiesen – insbesondere mit dem Blick auf den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund. Dekonstruktion als Analysemethode wird von Jacques Derrida ins Spiel gebracht. In seinem Werk „Die Stimme und das Phänomen“ bemüht er sich aufzuweisen, dass singuläre Intuition (Individuelles) und Bedeutungsintention (Allgemeines) notwendig unvermittelbar sind. Begründet wird dies durch die Zeitversetztheit von Formulierungs- und Auswertungsakten. Denn die sich im Laufe der Geschichte formenden Wissensbestände werden effektiv in historisch verfügbare Einzelteile zerlegt, d.h. dekonstruiert. Für die Analyse der Struktur und Etablierungsbedingungen der Ordnungen des Wissens, die jeweils mit bestimmten „Regeln des Diskurses“ einhergehen, d.h. mit Konventionen über Zulässigkeit und Wertigkeit von Wissenselementen, plädiert Michel Foucault. Er prägt den Begriff des Diskurses als Methodenanalyse, insbesondere im Hinblick auf Literaturwissenschaft. Dabei wird „Diskurs“ als Gesamtheit kulturellen Wissens gefasst, das sich in Form von Aussagen und Texten manifestiert und die Konstituierung von Wahrheit und Wirklichkeit ermöglicht. Denken und Wahrnehmung stehen auch unter 74

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Vgl. Lévi-Strauss, C. (1967), 301. Es gibt noch andere Varianten des Strukturalismus, etwa die von Roman Jakobson (vgl. Prager Strukturalismus). Vgl. Derrida, J. (2003).

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72 dem Einfluss von Diskursordnungen. Das Charakteristische an der Diskursmethode ist, dass das klassische Subjekt bzw. der Autor durch das Gefüge einer Wissensordnung ersetzt wird. 76

3.6.1.2. Systemtheoretische Dimension Die kulturelle Konstitution von Wissen erfordert nicht nur zuverlässige Methoden, die etwa der Strukturalismus und Poststrukturalismus formulieren, wie wir das im vorangehenden Abschnitt gesehen haben, sondern auch eine theoretische Grundlage, welche die Aktivität des menschlichen Subjekts fördert, indem sie dessen Forschungsgebiet präzis umfasst. Diese Grundlage wird als „System“ gedacht und theoretisch unterbaut – mit der Folge, dass eine Systemtheorie in verschiedenen Varianten daraus entspringt wie die Systemlehre, die Kybernetik, die soziologische Theorie, die Theorie komplexer Systeme usf. Die Systemtheorie als solche geht aus dem Strukturalismus in den 1970er Jahren hervor und ist ein interdisziplinäres Erklärungsmodell verschiedener komplexer Phänomene. Die Systemtheorie ist also keine eigenständige Disziplin, sondern ein vielförmiger Rahmen für einen interdisziplinären Diskurs, der den Begriff „System“ als Grundkonzept führt. Ein System wird dabei als durch Operationen der Differenzierung und Beobachtung erzeugt verstanden. So wird von dem Biologen Ludwig von Bertalanffy eine „Systemlehre“ entworfen. Damit wird das deduktive Verfahren und die isolierte Betrachtung von Einzelphänomenen in der klassischen Physik kritisiert. Mit dem Blick auf die Biologie plädiert von Bertalanffy für die Beschreibung vernetzter Phänomene, weil diese immer ein System bzw. eine organisierte Komplexität bilden. Die Systemlehre untersucht die Organisationsformen komplexer Beziehungen zwischen einzelnen 77

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Vgl. Foucault, M. (1973). Andere bedeutende Theoretiker des Poststrukturalismus sind Jacques Lacan, Gilles Deleuze, Roland Barthes u.a. Es gibt noch viele andere Systemtheorien, die wir hier nicht behandeln können: Informations-, Chaos-, Katastrophentheorie, Konnektionismus usw. Die Ursprünge des Systembegriffs liegen bei Johann Heinrich Lambert. Dieser Begriff wurde dann unter anderem von Herder übernommen und weiter entwickelt. Vgl. Ausdruck „Systemtheorie“ in: http://de.wikipedia.org./wiki/Systemtheorie. 76

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73 Elementen jenseits linear darstellbarer Relationen und einfacher Kausalität. Von Bertalanffy differenziert zwischen offenen und geschlossenen Systemen. Während sich die geschlossenen Systeme stets in einem Gleichgewichtszustand befinden, weil sie keine Wechselwirkungen mit der Umwelt aufweisen, können die offenen Systeme (z.B. Lebewesen) dynamisch variieren und sich ihre Zustände durch Umwelteinflüsse verändern. Dies führt zu einer Selbstorganisation der offenen Systeme. Ein anderes Beispiel der Systemtheorie ist die von Norbert Wiener im Jahre 1948 in die moderne Debatte eingeführte und geprägte Kybernetik. Mit der Kybernetik ist die Regelung und Übertragung von Nachrichten im Lebewesen und in der Maschine gemeint. Als Wissenschaft ersetzt die Kybernetik die strukturbezogenen Aspekte aller Wissenschaften durch funktionelle Gesichtspunkte und betont neue Aspekte wie z.B. die Rückkopplung und die damit zusammenhängenden Stabilitätsprobleme. Zudem wird der einfache linear-kausale Zusammenhang durch ein komplexes Ursache-Wirkungs-Gefüge ersetzt. Für die einfachste kybernetische Struktur wird das Zeichen empfangende Subjekt gehalten; darauf kann sich eine elementare Informationstheorie beziehen. Die Kybernetik erscheint im Zusammenhang mit der Analyse von Robotern, künstlicher Intelligenz, künstlichem Leben usf. Der Systembegriff ist auch für die Erforschung von sozialen Strukturen relevant, wie dies etwa Niklas Luhmann mit seiner „soziologischen Theorie“ zeigt. Damit ist eine Theorie der Gesellschaft gemeint, die die Gesellschaft als ein komplexes System erklärt. Luhmann bringt verschiedene Begriffe ins Spiel: Operation, Beobachtung, Differenz, strukturelle Kopplung, Autopoiesis (=Selbstherstellung), Kommunikation, Anschluss usf. Dabei werden die epistemologischen Grundprinzipien des konstruktivistischen Verfahrens akzeptiert: Im Erkenntnisprozess wird die Wirklichkeit konstruiert. Ein System entsteht und erhält sich dadurch, dass Operationen aneinander anschließen: (1) organisches System – im Falle von organischen Operationen; (2) psychisches System 80

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Vgl. von Bertalanffy, L. (1948), 114f. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 272f. Andere Kybernetikforscher sind William Ross Ashby, Heinz von Forster u.a.

80 81

74 (=Bewusstseinssystem) – wenn Gedanken als Operationen gelten; und (3) soziales System – wenn Kommunikationen als Operationen fungieren. In den 1990er Jahren tritt die Systemtheorie insbesondere unter dem Namen „Theorie komplexer Systeme“ auf. Ein komplexes System ist ein System, dessen Merkmale sich nicht gänzlich aus den Merkmalen der Komponenten des Systems erklären lassen. Komplexe Systeme bestehen aus einer Reihe von miteinander verbundenen und integrierenden Teilen. Als klassisches Beispiel kann das aus den Neuronen aufgebaute Gehirn gelten – insbesondere mit dem Blick auf das (emergente) Bewusstsein. Andere Beispiele sind das Internet, Finanzmärkte, multinationale Konzerne usf. 82

83

3.6.2. Der erkenntnistheoretische Aspekt der Konstitution von Wissen: Erkenntnisapparat und Informationsverarbeitung Im Vorangehenden haben wir gesehen, dass sich die kreative Tätigkeit des Geistes in kulturanthropologischen Strukturen und Systemen offenbart. Diese beiden Entitäten stellen nicht nur eine die Aktivität des Geistes fundierende Grundlage dar, sondern werden auch selbst zugleich vom Geist erforscht. Das im Erforschungsprozess gewonnene Wissen wirft jedoch viele erkenntnistheoretische Fragen auf, deren Beantwortung mit der Analyse des Erkenntnisapparates und dessen Informationsverarbeitung verknüpft ist. Dabei wollen wir die evolutionäre Erkenntnistheorie, die künstliche Intelligenz, die Philosophie des Geistes sowie das Problem der Neurowissenschaften kurz ansprechen. 3.6.2.1. Evolutionäre Erkenntnistheorie Wie die modernen Subjekte mit Wissen umgehen, lässt sich zunächst durch eine Analyse der evolutionären Erkenntnistheorie (EE) erfahren. Dabei dürfte schon vom Begriff her einleuchten, in welche Richtung die

Vgl. Luhmann, N. (1990), 24f; (1984), 110f. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 157f. Die bedeutenden Vertreter des Theorie komplexer Systeme sind Stuart Kaufmann, Brian Goodwin u.a. 82 83

75 EE gehen will und was den Kern ihrer Struktur darstellen soll: Biologie und Darwinismus. Der Ausgangspunkt der EE, deren namhafte Vertreter unter anderem Konrad Lorenz und Gerhard Vollmer sind, ist die Auseinandersetzung mit der deutschen idealistischen Philosophie. Ihr Anliegen ist es, die idealistischen Begriffe naturwissenschaftlich zu erläutern und die idealistischen Fragen in der gleichen Weise zu beantworten. So werden die Begriffe wie Zeit, Raum, Kausalität usw. naturwissenschaftlich hinterfragt und gedeutet. Diese Begriffe sind demnach nichts anderes als Wahrnehmungsmuster, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben, weil sie sich als praktisch erwiesen haben. Insofern ermöglichen sie das Erkennen und stellen eine Grundlage für das sogenannte „biologische Denken“ dar, das sich der Umwelt selektiv bedient und das für Organismen Nützliche vom Schädlichen trennt. Die Funktion des Erkennens wird biologisch ausgelegt, d.h. Erkennen ist mit dem Zweck der Arterhaltung verknüpft. Selbst wenn dem menschlichen Erkennen ein besonderer Status zukommt, ist es von dem biologischen Prinzip keineswegs befreit. Vielmehr gilt, dass die menschlichen Erkenntnisorgane, die Erkenntnisprozesse sowie die Erkenntnisresultate im „biologischen Zusammenhang“ zu interpretieren sind. Im Anschluss an Darwin wird die Erkenntnis als eine (ursprünglich) biologische Funktion expliziert, die in einem bestimmten Lebensraum von den Organen ausgebildet und differenziert wird, die sich im Rahmen der natürlichen Auslese der Leistungsfähigeren entwickelten. Die Sinnesorgane, insbesondere das Gehirn, bringen also aus praktischen Gründen die Kategorien, die Dimensionen unserer Wahrnehmung und Erkenntnismuster hervor, die sich der Umwelt jeweils anpassen und durch kulturelle Faktoren gefördert werden. Kant wird etwa vorgeworfen, dass er die Seele des Menschen mit ihren angeborenen Eigenschaften der Vernunft betrachtet hat. Dabei habe er völlig übersehen hat, dass die menschliche Seele sich phylogenetisch aus der Seele der nächstverwandten Säugetiere entwickelt haben könne. Auch die Fähigkeit zu Erkenntnissen a priori sei ursprünglich durch Vererbung von Gehirnstrukturen entstanden, die bei den Vertebratenahnen des Menschen langsam und stufenweise durch 84

84

Vgl. Meyer, H. (2000), 213f.

76 Anpassung an synthetische Verknüpfung von Erfahrungen, von Erkenntnissen a posteriori erworben wurden. Im Rahmen der EE hat sich ein skeptischer Standpunkt entwickelt, der sogenannte „Kritische Realismus“ (KR). Einen wesentlichen Beitrag haben dazu vor allem Karl R. Popper und Donald T. Campbell geleistet. Die grundlegende Behauptung des KR lautet, dass die Evolution der Lebewesen und die Evolution des menschlichen Wissens ineinander übergehen, weil sie beide einen objektiven Lernund Problemlösungsprozess darstellen, der auf den gleichen Prinzipien beruht: Die Selektion in der natürlichen Evolution entspricht der Kritik auf dem Gebiet des menschlichen Wissens. Infolge der Kritik am menschlichen Wissen werden wissenschaftliche Standpunkte oft korrigiert. Dadurch wird die Objektivitätsthese des Wissens abgeschwächt und es eröffnet sich der Weg zu einer fallibilistischen Position. Ein klassisches Beispiel des Fallibilismus, d.h. der These, dass uns sicheres Wissen versagt sei, kann man nach Popper an der „Krise der Physik“ im 20. Jahrhundert beobachten, als die Newtonsche Physik durch die Grundsätze der modernen Quantenphysik erschüttert wurde. Wenn also Newtons Theorie, die auf strengste überprüft war, und die sich besser bewährt hatte, als ein Wissenschaftler je hätte träumen können, sich als eine unsichere und überholbare Hypothese entpuppte, dann wäre es hoffnungslos, von irgendeiner physikalischen Theorie zu erwarten, dass sie mehr als hypothetischen Status erreichen könne. Deshalb ist unser Wissen nur ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen, ein Gewebe von Vermutungen. Nach Popper sind wissenschaftliche Hypothesen fallible Vermutungen, die sich durch strenge Überprüfung bewähren können. Als Überprüfungsmethode schlägt er dabei nicht die Induktion vor, sondern die kritische Methode der Vermutung und Widerlegung. 85

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Vgl. Haeckel, E. (1904), 18f. Vgl. Niemann, H.J. (2004), 311. Vgl. Popper, K. (1994), XVIIIf.

77 3.6.2.2. Künstliche Intelligenz Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ (KI) spiegelt einerseits das Niveau des heutigen Wissens wider sowie ausdrücklich die Art und Weise, wie dieses Wissen zustande kommt, nämlich durch die Einbeziehung von technischen Maßnahmen. Andererseits ist dieser Begriff für das Gestalten des Bildes des Menschen von heute in erheblichem Maße verantwortlich. Die KI-Forschung setzt – so wie die evolutionäre Erkenntnistheorie – bei den Naturwissenschaften an. Allerdings wird der Akzent nicht auf die Biologie gesetzt, sondern auf die Konstruktion von Maschinen: Rechnern, Computern usf. Dabei gelangen zwei prinzipielle Probleme in den Vordergrund: Verstehens- und Bewusstseinsproblem. Diese beiden Probleme erscheinen vorab auf dem Hintergrund intersubjektiver Kommunikation. Im Prozess der Kommunikation eröffnet sich die Möglichkeit zum Verstehen bestimmter Inhalte (= Schritt 1), wobei diese ganze Gegebenheit durchaus bewusst werden kann (= Schritt 2). Das Bewusstwerden im Verstehensprozess betrifft allerdings nur menschliche Subjekte, künstliche Subjekte verfügen dagegen (noch!) nicht über diese Fähigkeit. Sie verbleiben lediglich im Bereich des ersten Schrittes, dessen Erforschung unter anderem in der Kompetenz der Kybernetik als methodischer Wissenschaft über die Regelung und Übertragung von Informationen im Lebewesen und in der Maschine liegt. So wird die Kybernetik auch als Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaften angesehen. In dem Kontext sind jedoch einige fundamentale Fragen zu stellen: (1) Wo fangen das Verstehen und das Bewusstsein an? (2) Wie entstehen diese beiden Phänomene? usf. Jedes Bemühen, diese beiden Fragen sinnvoll zu beantworten, ist auf die Differenzierung zwischen der Schwachen-KI und der Starken-KI angewiesen. Damit wird das Ausmaß des zu erhebenden Anspruchs bestimmt. Die Schwache-KI zielt darauf ab, den Geist (bzw. das Bewusstsein) mit der Hilfe von Computersimulationen zu erforschen, ohne zu behaupten, ihn zu erschaffen. Die Starke-KI behauptet dagegen zudem, einen Geist buchstäblich zu haben. 88

89

88 89

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 273f. Vgl. Searle, J. (2006), 75.

78 Auf dem Technikgebiet gibt es seit einigen Jahrzehnten die verschiedene Programme ausführenden Maschinen, die nach einem Algorithmus funktionieren, d.h. sie erlangen ihre programmbedingten Ziele, indem sie die streng bestimmten Schritte befolgen. Dies erlaubt den Maschinen bereits eine Art Verstehen zu gewinnen, das jedoch den Rahmen eines Programms nicht überschreitet und somit eine andere Qualität aufweist als menschliches Verstehen. Das Maschinen-Verstehen verbleibt notwendig auf der Ebene der Schwachen-KI und kann die Leistungen, die mit der Ebene der Starken-KI verknüpft sind, weder erlangen noch beanspruchen. Erst das menschliche Verstehen, das mit den semantischen Anordnungen einhergeht, kann auf der Ebene der Starken-KI agieren und dadurch eine Grundlage zum Entstehen des Bewusstseins erschaffen. Die Frage aber, wie das Bewusstsein entsteht, geht heute eindeutig über die Kompetenzen der KI-Forschung schlechthin hinaus. Diese Forschung ist noch weit davon entfernt, den Turing-Test zu bestehen und dadurch zu beweisen, dass es keinen Unterschied zwischen einem Menschen und einer Maschine im Hinblick auf den Zugang zum Bewusstsein mehr geben könne, wenn beide in einem Dialog stehen. Diese Frage steht auch im Zentrum des Interesses der Philosophie des Geistes und der Neurowissenschaften. 3.6.2.3. Philosophie des Geistes Auch die Philosophie des Geistes richtet ihr Augenmerk auf die Konstitution von Wissen aus epistemologischer Sicht. Dabei werden drei grundlegende Problemgebiete unterschieden: (1) das Körper-GeistProblem; (2) das Problem der mentalen Verursachung; und (3) das Problem der Intentionalität. Hinsichtlich dieser Problematik ist zu fragen, was und wie wir davon wissen können. So erscheinen verschiedene physikalische oder dualistische Standpunkte. Das Körper-Geist-Problem hängt mit der Frage zusammen, wie mentale Zustände in der kausal geschlossenen physischen Welt existieren können. Genauer formuliert: Wie existieren z.B. meine Gedanken in meinem Gehirn? Dabei wird die Frage nach dem Status von mentalen Zuständen hervorgehoben: Haben die mentalen Entitäten den gleichen Status wie die materiellen Entitäten? Alle Antworten auf diese Frage bewegen sich

79 zwischen einer dualistischen und einer monistischen Sichtweise. Die erstere lässt zwei Varianten zu: einen Substanz- und einen Eigenschaftsdualismus. Während der Substanzdualismus behauptet, dass es materielle und mentale Substanzen gibt, plädiert der Eigenschaftsdualismus hingegen dafür, dass es nur eine Substanz gibt, welche aber zwei Typen von Eigenschaften aufweist: materielle und mentale Eigenschaften. Was die monistische Sichtweise anbelangt, zerfällt sie in eine idealistische und eine materielle Position. Nimmt die erstere nur den Idealismus als die einzig mögliche Perspektive wahr, so behauptet die letztere das Gleiche hinsichtlich des Materialismus, wobei hier wiederum unterschiedliche graduelle Differenzen zu beachten sind. Materialismus (bzw. Physikalismus) tritt also in drei grundlegenden Formen auf: als nichtreduktiver, reduktiver und eliminativer Physikalismus. Bei der mentalen Verursachung handelt es sich um die Frage, wie mentale Entitäten in der physischen Welt kausal wirksam sein können. Diese Frage erhält eine besondere Qualität vor allem dann, wenn man das methodologische Prinzip gelten lässt, dass die physische Welt kausal geschlossen sei. Dadurch wird unsere alltägliche Erfahrung angezweifelt, wie z.B.: „Wenn ich eine Absicht habe, dass meine Hand nach oben geht, dann geht sie tatsächlich nach oben.“ Das Mentale hat also hier kausale Auswirkungen auf das Physische. Eine Analyse des Problems der mentalen Verursachung muss sich auch mit der Freiheitsproblematik befassen, insbesondere dann, wenn der neurowissenschaftliche Standpunkt miteinbezogen wird, der die Freiheit leugnet. Eines der zentralen Probleme in der Philosophie des Geistes ist das Problem der Intentionalität, dessen Hauptanliegen es ist, das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt zu klären. Mit anderen Worten: Wie beziehen sich z.B. meine Gedanken auf einen Gegenstand, der sich in meiner unmittelbaren Nähe befindet wie der Computer, mit dem ich arbeite, oder auf einen Gegenstand, der weit entfernt ist wie das Brandenburger Tor in Berlin. Was kann ich davon wissen? Der klassische 90

Diese Formen des Physikalismus behaupten entsprechend, dass sich mentale Entitäten auf physische Entitäten nicht reduzieren bzw. reduzieren lassen, und dass es mentale Entitäten überhaupt nicht gibt, weil sie sich eliminieren lassen. Dazu vgl. auch 4.2 (Kap. VII) der vorliegenden Abhandlung.

90

80 Umgang mit der Intentionalitätsproblematik geht von der Unterscheidung zwischen der primären (ursprünglichen) und der sekundären (abgeleiteten) Intentionalität aus. Die primäre Intentionalität wird auch als Intentionalität des Geistes bezeichnet, die sekundäre als die der Sprache. Die Intentionalität der Sprache setzt die Intentionalität des Geistes voraus, aber nicht umgekehrt. Wenn ich mir etwa eine Frau vorstelle, die dem Ideal der Frau entspricht, das ich mir durch das Aufstellen bestimmter Kriterien entworfen habe, dann ist diese Frau nur mir allein zugänglich – der Vorstellungsgehalt bleibt also innerhalb des Geistes. Wenn ich aber die Absicht fasse, den Gehalt meiner Vorstellungen in einem Gespräch mitzuteilen oder auf einem Papierblatt niederzuschreiben, dann eröffnet sich auch für andere Subjekte der Weg zum Verstehen meiner Vorstellungsgehalte. Schließlich wäre es denkbar, von einer metaphysischen Intentionalität zu reden. Dies kommt etwa dann vor, wenn ich von meinem Computer sage, dass er denke. 91

3.6.2.4. Neurowissenschaften Die Frage, wie unser Erkenntnisapparat funktioniert, beschäftigt auch die Neurowissenschaften, deren Methode empirisch fundiert ist. Die Neurowissenschaften sind ein Sammelbegriff für biologische, physikalische, medizinische und psychologische Wissenschaftsbereiche, welche die Entwicklung und Funktionsweise von Nervensystemen, insbesondere des Gehirns, analysieren. Ferner wird nach dem Verhältnis des Gehirns zum Bewusstsein gefragt, wobei die empirische Hirnstruktur als Basis für jedwede Analyse gilt. Dieses Verhältnis könnte man mit dem Begriff „Transformation“ auf den Punkt bringen. Die von den Neurowissenschaften angestrebte Transformation des Bewusstseins ins Neuronale ist nichts anderes als die Transformation des Psychischen ins Physische nach Maßgabe der Geschlossenheitsthese, der zufolge jegliche Veränderungen im Bereich des Physischen ausnahmslos auf der Basis der von den gegenwärtig herrschenden Naturwissenschaften unterstellten Gesetzmäßigkeiten

91

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), S. 108f.

81 ablaufen. Eine weitere prinzipielle Behauptung der Neurowissenschaften ist die Evolution der Hirnrindenareale, die für das Entstehen von Bewusstsein erforderlich sind. Ziel der Neurowissenschaften, insbesondere der Neurobiologie, ist es herauszufinden, wie genau Gehirnprozesse Bewusstseinszustände verursachen. Diese Konstellation lässt sich dann erklären, wenn man das neuronale Korrelat des Bewusstseins (NCC) bestimmt. Nach Searle gibt es zwei grundlegende Modelle der Bestimmung des NCC: den Bausteinansatz und den Ansatz des vereinten Feldes. Im Bausteinansatzmodell wird das gesamte Bewusstseinsfeld so behandelt, als bestehe es aus mehr oder weniger unabhängigen Bewusstseinseinheiten, den sogenannten „Bausteinen“ (= Erlebnis von Rot, Geschmack des Bieres usf.). Wenn wir herausfinden, wie das Gehirn etwa das Erlebnis von Rot verursacht, dann können wir vielleicht das ganze Problem des Bewusstseins lösen. Das Modell des Bausteinansatzes weist hauptsächlich drei Forschungsrichtungen auf: die Blindsicht, die binokulare Rivalität und Gestaltwechsel, sowie Wahrnehmungsreize. Der Ansatz des vereinten Feldes zielt hingegen darauf ab, nicht einzelne bewusste Erlebnisse zu untersuchen, sondern das gesamte Bewusstseinsfeld qualitativer, vereinter Subjektivität. Dabei ist also die Frage entscheidend, wie das Gehirn das gesamte Bewusstseinsfeld verursacht. In diesem Ansatz werden Wahrnehmungseinwirkungen nicht so gedacht, als erschüfen sie Bausteine des Bewusstseins, sondern als 92

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Vgl. Sturma, D. (2006a), 9. Vgl. Singer, W. (2003), 57f. Die allgemeine Strukturierung dieser Forschungsrichtungen ist folgende: (1) Blindsicht – die Patienten mit dem verletzten primären Cortex im hinteren Bereich des Gehirns, der für visuelle Erlebnisse verantwortlich ist, können Fragen über Ereignisse beantworten, die in dem Bereich stattfinden, in dem sie blind sind; (2) Binokulare Rivalität und Gestaltwechsel – wenn man dem einen Auge horizontale und dem anderen vertikale Linien zeigt, dann entsteht nicht das Erlebnis eines Gitters, sondern ein Wechsel beim Sehen von Linien; (3) Wahrnehmungsreize – es wird nach der Stelle gesucht, wo bewusste visuelle Erlebnisse verursacht werden. 92 93 94

82 produzierten sie Unebenheiten und Täler im Bewusstseinsfeld, das bereits existieren muss, bevor wir die Wahrnehmungen haben. Das strenge Verfahren der Neurowissenschaften kann uns zwar einen Einblick in die Hirnstruktur und –prozesse ermöglichen, aber nicht das Rätsel des Bewusstseins erschöpfend lösen. Das empirische Scheitern ist schon auf der begrifflichen Ebene vorprogrammiert. Wie können Neurowissenschaften begriffliche apriorische Verbindungen untersuchen? Zu den Begriffen wie Wissen, Glauben, Überzeugung, Gewissheit usw. habe ich auf dem empirischen Wege keinen Zugang. 95

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3.6.3. Der pragmatische Aspekt der Konstitution von Wissen Die philosophische Reflexion war schon immer dadurch gekennzeichnet – man denke etwa an Aristoteles oder Kant - dass Theorie und Praxis miteinander auftreten. Damit kann nicht nur eine Art Systematik hergestellt werden, indem zwei grundlegende Züge des menschlichen Geistes (Erkennen und Wollen) zur Sprache kommen, sondern das ganze Bild des Menschen wird zum Gegenstand einer Analyse. Die Theorie hat es mit Wissen zu tun, und die Praxis gehört zum Bereich der Ethik. Das menschliche Handeln als Resultat des willentlichen Prozesses zieht stets einen pragmatischen Aspekt nach sich, d.h. das menschliche Handeln kann nützlich oder unnützlich sein. Wenn ich etwa zuhause gemütlich sitze, ein philosophisches Buch in die Hand nehme und es fleißig zu lesen beginne, dann ist es für mein Philosophiestudium sehr nützlich. Wenn ich aber in eine Lage gerate, wo mein Leben auf dem Spiel steht – ich werde von einem Verbrecher mit einer Pistole bedroht -, dann kann mir mein Wissen, welche Typen von Erkenntnistheorie im 20. Jh. zu unterscheiden sind, wohl kaum nützlich sein. Vielmehr wäre es hier nur vorteilhaft, gleichsam vorauszusehen, was der mich bedrohende, sehr emotional erscheinende Mann mit der Pistole tun könnte. Die Kenntnis des Charakters eines 97

Vgl. Searle, J. (2006), 163f. Bei der Bestimmung des Gehirns als Korrelats des Bewusstseins (bzw. Geistes) gehen die Meinungen auseinander, auf welcher Ebene angesetzt werden muss: bei den einzelnen Neuronen, bei einem Netz von Neuronen oder einem Kern von Neuronen (vgl. Rynkiewicz, K. [2010], 145). Vgl. Bennett, M.R. u.a. (2006), 35f. Aristoteles spricht auch von der Poietik, also von dem Bereich des Machens. 95

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83 Cholerikers ließe sich also praktisch in die Tat umsetzen: Dadurch, dass ich weiß, wie der andere vielleicht reagieren könnte, gestalte ich dementsprechend meine Verhaltensweise. Der Umgang mit Wissen hat hier einen pragmatischen Aspekt: Erkenntnisse können nutzbar sein. Diese epistemologische Wende steht zum einen unter dem Einfluss des späteren Wittgenstein und kann als Fortsetzung der Debatte des frühen 20. Jh. angesehen werden, zum anderen verdankt sie sich der zur Mode gewordenen Wissenschaftstheorie, die für einen Methodenpluralismus durchaus offen ist. 3.6.1.3. Pragmatismus Die pragmatische Wende, deren Lehrsatz kurzum lautet: „Erkenntnisse sind nutzbar“, hat sich auf der sprachphilosophischen Grundlage des Neopositivismus des frühen 20. Jh. entwickelt. Vor allem der späte Wittgenstein hat dazu einen wichtigen Anstoß gegeben. In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ schreibt er Folgendes: „F.P. Ramsey hat einmal im Gespräch mit mir betont, die Logik sei eine „normative Wissenschaft“. Genau welche Idee ihm vorschwebte, weiß ich nicht; sie war aber zweifellos eng verwandt mit der, die mir erst später aufgegangen ist: dass wir in der Philosophie den Gebrauch der Wörter oft mit Spielen, Kalkülen nach festen Regeln, vergleichen“ (PU §81).

In diesem Zitat ist der Begriff „Gebrauch“ entscheidend, weil er den pragmatischen Aspekt der Sprache zum Vorschein bringt, der sich insbesondere in der klassischen logisch-semiotischen Strukturierung offenbart: „Syntaktik-Semantik-Pragmatik“. Weitere fundamentale Entwicklungen vollzogen sich aufgrund der Arbeiten von J.L. Austin (1911-1960) und dessen Fortsetzung durch J.R. Searle (*1932). Austin unterscheidet an jedem Sprechakt zwei Aspekte: den lokutionären (=sprachhaften) und den illokutionären (=nicht sprachhaften, handlungsorientierten) Aspekt. Die Pragmatik, in der es um die Theorie der Beziehungen zwischen Zeichen und Zeichenbenutzern geht, betont also, dass alles Sprechen wesentlich Handlungscharakter besitzt. 98

98

Vgl. Austin, J.L. (1979), 112.

84 Wird dieser Gedanke im Kontext der Erkenntnis betrachtet, so kann durchaus gelten, dass alles Erkennen bzw. Wissen wesentlich einen pragmatischen Charakter aufweist. In diese Richtung geht z.B. die philosophische Argumentation von John Dewey (1859-1952), deren pragmatische Seite durch pädagogische Elemente gestützt ist. So behauptet Dewey, dass die Aufgabe der Philosophie darin besteht, im Ausgang von den jeweiligen Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenlebens jene Werte zu bestimmen, denen die Naturwissenschaften verpflichtet werden sollen, damit diese wieder an die gerade wichtigen „großen menschlichen Zwecke“ zurückgebunden werden. Dabei werden diese Zwecke aus pragmatisch-anthropologischer Sicht aufgefasst. Ein anderes Beispiel der pragmatisch ausgerichteten Denkweise stellt Thomas Kuhns Paradigmenwechseltheorie dar. Mit seiner Theorie will Kuhn deutlich machen, dass es keinen Erkenntnisfortschritt der Wissenschaften gibt. Das ist dadurch begründet, dass sich gelegentlich ein radikaler (revolutionärer) Wandel in den wissenschaftlichen Disziplinen vollzieht. Um diese Tatsache zu erklären, führt Kuhn den Begriff „Paradigma“ ein. Paradigmen sind subjektseitige Beiträge zur Erkenntnis, die aus der Welt „an sich“ eine Welt „für uns“ machen. Wir haben es in der Erkenntnis immer nur mit einer Erscheinungswelt zu tun, die durch Paradigmen mitkonstituiert ist. So wie Kant behauptet Kuhn, dass uns die Welt an sich verborgen bleibt. Paradigmenwechsel verändern die Erscheinungswelt, bringen uns aber die Welt „an sich“ nicht näher. Daher kann es auch keinen Erkenntnisfortschritt geben. Fortschritt ist nur in einem instrumentalistischen Sinne denkbar, d.h. spätere Theorien sind bessere Werkzeuge zur Problemlösung als frühere. Das klassische Beispiel für einen Paradigmenwechsel stellt der Übergang vom Geozentrismus zum Heliozentrismus bei der Betrachtung des Weltbildes dar. Während die Erde als Mittelpunkt des Universums bis zum Erscheinen der Arbeiten eines Kopernikus galt, wurde der Sonne dieser Status nach diesem „revolutionären Wandel“ zugeschrieben. Eine Sicht der 99

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Vgl. Artikel: „John Dewey“, 2 (http://de.wikipedia.de, Zugriff am 29.05.2009). Vgl. Kuhn, Th. (1976), 159f, 186f. Kuhn unterscheidet sich aber von Kant, wenn er sagt, dass die Faktoren, die die Konstruktion einer Erscheinungswelt bedingen, variabel sind.

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85 Dinge wurde also durch eine andere ersetzt. Ein weiteres Beispiel ist der Planet Uranus, der bis zum Jahr 1871 lediglich als Fixstern angesehen worden war. Durch die veränderten Gestaltwahrnehmungen, d.h. den Paradigmenwechsel, wurde die Welt des betreffenden Forschungsbereichs anders gesehen. 101

3.6.3.2. Methodenpluralismus: „Anything goes“ Im vorangehenden Abschnitt stellte sich heraus, dass weder die These über die universelle epistemische Wahrheit noch die über eine allgemeingültige Methode aufrechtzuerhalten ist, insbesondere aus Sicht der Wissenschaftstheorie. Das bedeutet, es gebe keine Erkenntnis, die nicht in Frage gestellt werden könnte. Diese Konstellation eröffnet den Weg für einen Methodenpluralismus beim Umgang mit Wissen und beim Konstruieren von Erklärungsmodellen. In den 1980er Jahren hat darauf vor allem Paul Feyerabend in seinem Werk „Erkenntnis für freie Menschen“ aufmerksam gemacht. Als Ergebnis seiner Forschungen tauchte die berühmte These „Anything goes“ auf, die für einen Relativismus bezüglich der Interpretation von Traditionen plädiert: Keine kulturellwissenschaftliche Tradition darf als die einzig mögliche betrachtet werden. Denn es kann auch „alles gehen“ – das kann sich noch in der Zukunft durchaus erweisen. In einem bestimmten Kontext kann man das eine Modell anwenden, in einem anderen Kontext aber ein anderes Modell. So entsteht ein Nebeneinander von lokal funktionierenden Wissensbeständen. Wenn sich verschiedene Traditionen nicht aus einer unabhängigen Perspektive bewerten lassen, dann sollten auch alle Traditionen und methodologischen Maßstäbe die gleichen Chancen haben, sich darzustellen und durchzusetzen. Wenn die Wissenschaftler feststellen, dass sie mit bestimmten Regeln und Kriterien nicht weiterkommen, dann Vgl. Kuhn, Th. (1976), 217f, 128f. Im Jahre 1871, als Friedrich Wilhelm Herschel einen verbesserten Fernrohr entwickelt hat, konnte man feststellen, dass Uranus als Planet einzustufen ist, weil er die Gestalt einer Scheibe aufweist und nicht die eines Punktes. Als Beispiel für einen Paradigmenwechsel – allerdings in einem anderen Sinne - könnte man auch das „Hasen-Entenkopf-Beispiel“ von Wittgenstein ins Spiel bringen (vgl. PU, Teil II, XI). Kuhns Paradigmenwechseltheorie wird auch „Inkommensurabilitätsthese“ genannt. 101

86 sollten sie nach Feyerabend alle Freiheit haben, diese Regeln und Kriterien zu verändern, zu ergänzen oder aufzugeben. Mit seiner „Anything goes“-These übt Feyerabend eine scharfe Kritik an der Tradition und dem damit verbundenen Rationalismus. Unter Rationalismus versteht Feyerabend die Ideologie der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie (wie z.B. den wissenschaftlichen Realismus Poppers), die nur eine beschränkte Reihe von Kriterien und Regeln zulässt. Mit Rationalisten sind daher alle Wissenschaftler und Philosophen gemeint, die nur eine universelle wissenschaftliche Methode akzeptieren und etwa folgende Kriterien gelten lassen: Verifikation, Falsifikation, epistemische Werte (Einfachheit, Konsistenz, Voraussagefähigkeit usf.). Die rationalistische Argumentation ist Feyerabend zufolge in doppelter Hinsicht falsch: (1) Die Naturwissenschaften halten sich nicht an die Maßstäbe der Rationalisten: Der Übergang vom geozentrischen Weltbild zum heliozentrischen lässt sich z.B. nicht als Ergebnis des rationalen Abwägens von Daten und Argumenten verstehen; (2) Die folgende Frage ist zu stellen: Wie lässt sich die Überlegenheit einer Tradition begründen? Die rationalistische Beantwortung dieser Frage durch den Bezug auf die selbstgesetzten Ziele und Kriterien ist nicht ausreichend, weil sich jede Tradition auf diese Art und Weise rechtfertigen lässt. In den 1980er Jahren hat der Methodenpluralismus in die Ästhetik der Postmoderne Eingang gefunden. Eine Folge davon war, dass der Begriff der Kunst revidiert werden musste. So vollzog sich eine Verabschiedung von der klassischen Kunstauffassung, nach der vor allem das als Kunst angesehen werden kann, was als Resultat eines besonderen menschlichen Könnens gilt. Demgegenüber hat sich der Begriff der postmodernen Kunst herauskristallisiert, der auch Erzeugnisse von menschlichen Subjekten umfasst, welche einer spontanen, alltagsbedingten Tätigkeit entspringen. So wird etwa ein Pissoir als Kunstwerk betrachtet, oder ein totes Paar beim Geschlechtsverkehr. 102

103

104

Vgl. Feyerabend, P. (1980), 97f. Vgl. Feyerabend, P. (1980), 12f, 72f, 184f. Was das letztere anbelangt, war dies im Rahmen der Berliner Körper-WeltenAusstellung des Plastinators Günter von Hagen im Mai 2009 zu sehen.

102 103 104

87 Diese Beispiele werfen die Frage nach der Relativität im Umgang nicht nur mit der Kunst auf, sondern auch mit der Erkenntnis. Denn die Bezeichnung eines Gegenstandes als Kunstwerk ist im Erkenntnisprozess fundiert. 4. Die Relativität im Umgang mit der Erkenntnisfrage. Kritischer Ausblick Einer der klassischen epistemologischen Standpunkte lautet: „Der Mensch ist zu keiner absolut wahren Erkenntnis fähig“. Dies leuchtet schon beim Betrachten der Philosophiegeschichte ein. So behauptet etwa der Vorsokratiker Protagoras, dass „der Mensch das Maß aller Dinge ist“. Dieser Gedanke wurde allerdings von Platon, Aristoteles und vielen anderen angesehenen Denkern in erster Linie relativistisch interpretiert, so dass jeder einzelne Mensch seine Wahrnehmungen für das Maß aller Dinge halten müsse. Indes lässt sich der Gedanke Protagoras auch anders auslegen: „Der Mensch ist zu keinem göttlichen und somit absoluten Wissen fähig“. Dessen ungeachtet strebt jeder Mensch von Natur nach Wissen, behauptet Aristoteles (vgl. Met. I, 1). Das Streben nach Wissen setzt aber den Umgang mit Wissen voraus, dessen Intensivität im Verlaufe des Prozesses durchaus zu- oder abnehmen kann. Jeder Mensch verfügt über eine spezifische Umgangsweise und -form mit Wissen: Man kann etwas verstehen oder missverstehen, in klare Worte fassen oder unklar formulieren, mithilfe eines empirischen oder apriorischen Instrumentariums zu erklären suchen, und schließlich den Gegenstand des Wissens unterschiedlich definieren usf. Diese ganze Konstellation lässt sich als Relativität bezeichnen, die als Abhängigkeit von Bedingungen aufgefasst werden kann, im Gegensatz zum Absoluten. Ein solcher Relativitätsbegriff ist für die Strukturierung des vorliegenden Kapitels entscheidend. Wir haben gesehen, dass von der Antike über das Mittelalter bis zur Postmoderne betont wird, dass sich das menschliche Subjekt mit der Erkenntnisfrage auf verschiedenen Gebieten befasst: Ethik, Ästhetik, Ontologie, Religion, Neurowissenschaft usf. Es gibt kein 105

Vgl. Deppert, W. (2006), 90f. Auch Kant wird vorgeworfen, dass er sich mit seiner Behauptung „Der Verstand schreibt der Natur die Gesetze vor“ allzu anmaßend verhalten habe.

105

88 universelles methodisches Verfahren zu erläutern, was eine Erkenntnis ist, und es gibt auch keine universelle Erkenntnis als Resultat des Erkenntnisprozesses menschlicher Subjekte. Denn sooft ich mich mit der Erkenntnisfrage befasse, muss ich vorab die bedingende Umrahmung meiner Reflexion festsetzen, in der das zu erwerbende Resultat erst bestimmbar ist. Mit anderen Worten: Ich befasse mich mit der Erkenntnisfrage in einem konkreten Wirklichkeitshorizont. Deshalb heißt es auch, es gebe nicht nur eine ethische Erkenntnis, sondern auch eine ästhetische bzw. künstlerische, ontologische, religiöse, neurowissenschaftliche usf. Die Erkenntnisfrage kann darum sowohl auf die Ordnung des Seienden als auch auf die des Vollziehens bezogen werden: Ich könnte mich durchaus fragen, was ich erkenne (A, B, C usw.) und wie ich A, B, C usw. erkenne, und schließlich wie ich erkenne, dass ich A, B, C usw. erkenne. Die Vielfalt der epistemologischen Organisation zeigt, dass der Relativierungsprozess zwei prinzipielle Richtungen aufweist: die Verallgemeinerung und die Vereinzelung. Eine Verallgemeinerung wird dann angestrebt, wenn der Umgang mit der Erkenntnisfrage über das Horizont eines einzelnen Gebietes hinausgeht, z.B. die ästhetische und die ethische Erkenntnis befinden sich in einem (etwa kausalen) Verhältnis. Dagegen liegt eine Vereinzelung dann vor, sobald ich mich um das Verbleiben innerhalb eines bestimmten Analysegebietes bemühe, was lediglich auf einem deduktiven Wege erreichbar ist. In dieser Hinsicht erfährt der Relativierungsbegriff eine „Relativierungsbewegung“ und die damit verbundene Zerstörung von festen Begründungsendpunkten als eine Konsequenz des begrifflichen Denkens, was epistemologische Orientierungsnot und Sinnverlust hervorbringt. Die Steigerung der epistemologischen Orientierungsnot ist durch die Steigerung des begrifflich-wissenschaftlichen Denkens zu erklären. Diese letztere Steigerung versetzt die Menschen immer mehr in die Lage, ihre 106

Beim Betrachten eines Kunstwerks, dessen hauptsächliches Ziel es ist, eine ästhetische Erkenntnis zu vermitteln, kann ich ethische Impulse für mein Leben gewinnen.

106

89 bisherigen mythogenen Ideen , die eine epistemologische Orientierung liefern können, zu relativieren, ohne dass sie (=die Menschen) dadurch bereits über neue Orientierungspunkte verfügten. Mit dem Relativieren einer mythogenen Idee ist stets eine Vergrößerung von Denkmöglichkeiten und somit auch der epistemologischen Aktivität verbunden. Dabei entsteht allerdings eine Art Unsicherheit, so dass man nicht weiß, nach welcher Denkmöglichkeit man sich richten soll und welche epistemologische Aktivität sonderlich fördernd ist. Genau darin liegt das epistemologische Orientierungsproblem, das nahezu alle Lebensbereiche menschlicher Subjekte betrifft. So gibt es z.B. in der Kunst und in der Kunstmusik kaum noch allgemein anerkannte Paradigmen für das Kunst- und Musikschaffen. Die Rechtswissenschaften sind völlig außerstande, das gesetzgeberische Chaos zu überwinden und die Wirtschaftswissenschaften sind allenfalls Begleiter des wirtschaftlichen Geschehens. Noch schlimmer sieht die Lage in den politischen Wissenschaften aus. Auch die Geisteswissenschaften wie Philosophie können sich nicht dieser Gefahr entziehen. Der epistemologische Drang menschlicher Subjekte hat sich schon längst von deren natürlichem Erkenntnisvermögen losgelöst. Es ist mittlerweile üblich geworden, dass diesbezüglich auf einem technischen Wege nachgeholfen wird. Die Frage ist, wo die Ursprünge der aktuellen Orientierungsnot eventuell liegen könnten. Ich stimme Wolfgang Deppert generell zu, wenn er behauptet, dass die Orientierungsnot ihren Anfang im religiösen Bereich nehme, aus dem die Menschen per definitionem den Sinn ihrer Handlungen und ihrer Pläne beziehen. Die alten religiösen Orientierungssysteme sind weitgehend zusammengebrochen, d.h. wir leben in einer Zeit größter innerer Unsicherheit, obwohl die äußere Existenz der Menschen noch nie so gut abgesichert war wie heute. Wir leben in einer religiösen Krise. Die Existenz ungezählter Menschen ist durch Sinnleere bedroht, weil die überkommenen absolutistischen Stiftungssysteme ihre Überzeugungskraft verloren haben. 107

108

Eine mythogene Idee ist kurzum eine Vorstellung, dass was gedacht wird, auch wirksam ist. Vgl. Deppert, W. (2006), 127, 139f. 107

108

90 In diesem Kontext stellt sich ferner die Frage, ob es überhaupt eine Perspektive gibt, aus dieser Krise herauszukommen. Und die Antwort lautet: Aus philosophischer Sicht kann jede Krise zu einer neuen Chance werden. Deshalb gilt auch Folgendes: Obwohl die Erkenntnistheorie selbst gegen die relativistischen Elemente notwendig zu kämpfen hat, könnte sie gleichwohl „selbstbewusst“ nach epistemologischen Grenzen fragen, wobei auch das Religiöse gewürdigt wird.

91

Kapitel II EPISTEMOLOGISCHE GRENZEN 1. Einführung Das II. Kapitel beginnen wir mit einer einfachen alltäglichen Frage: Warum scheitern viele menschliche Vorhaben und Aktivitäten? In der Zeit der zu Beginn des 21. Jahrhunderts andauernden Weltwirtschaftskrise können wir beobachten, wie diese Konstellation konkrete Formen annimmt. Betrachten wir etwa die Lage der Autoindustrie: Einer der größten Autohersteller, General Motors (GM) musste im Jahre 2009 Insolvenz anmelden. Das ist u.a. darauf zurückzuführen, dass sich viele menschliche Aktivitäten, vor allem im Leitungsbereich, als inkompetent erwiesen haben. So ist die Frage zu stellen: Warum gelang den Managern nicht, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Autowerke und somit die zahlreichen Arbeitsplätze verschont bleiben. Denn jede Insolvenzanmeldung bringt bekanntlich ernsthafte, weil existentielle Probleme mit sich. Wenn Arbeitsplätze verloren gehen, wird dadurch auch die Existenzgrundlage vieler Menschen zerstört. Dann wäre zu fragen: Warum können die Wünsche der Arbeiter, ihren Arbeitsplatz zu erhalten, nicht in Erfüllung gehen? Alle ausbleibenden Faktoren, sei es wirtschaftlicher, sei es wissenschaftlicher Provenienz, lassen sich nicht zuletzt dadurch analysieren, dass man den Begriff „Grenze“ in die Analyse einführt. Die Verantwortlichen in der Autobranche sind also auf ihre Entscheidungskompetenzgrenzen gestoßen, dessen endgültige Folge die Insolvenz von GM war. Man könnte hier wohl auch von einer Überforderung reden. Die allgemeine, im Grenzbegriff fundierte Überforderung der Verantwortlichen von GM lässt sich in verschiedene kleinere Kompetenzbereiche aufteilen, welche sich wissenschaftlich und somit auch philosophisch erörtern lassen. Der philosophische Umgang mit dieser Problematik kommt insbesondere im Begriff „Skepsis“ zum Vorschein. Die meisten in der Philosophie auftretenden skeptischen Tendenzen

92 betreffen in erster Linie das Gebiet der Epistemologie – mit der Folge, dass die kantische Frage „Was kann ich wissen?“ eine Art Konfusion im Leben des erkennenden Geistes verursacht, weil deren Beantwortung durch die epistemologische Unterbestimmtheit notwendig gekennzeichnet ist. Deshalb muss das endgültige Resultat epistemologischer Anstrengungen wie folgt lauten: Ich kann nicht alles wissen, wohl aber einiges. Ich kann z.B. durchaus wissen, dass ich krebskrank bin, nachdem mir die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen vorgelegt wurden. Ich kann aber nicht wissen, ob ich wieder gesund werde, auch dann, wenn ich mich entschließe, mich in eine fachliche Behandlungstherapie zu begeben. Meine ganze Unwissenheit ist auf epistemologische Grenzen zurückzuführen, über die ich aufgrund der mangelhaften Ausstattung meines Vernunftvermögens nicht hinausgehen kann. Das Problem epistemologischer Grenzen ist in der philosophischen Debatte nicht neu. Von der Antike bis zur Gegenwart erscheint es meist im Kontext der Gewissheitsfrage, die mannigfach gestellt und beantwortet werden kann. Dieses Problem wird zudem als wichtiges Element jeder Erkenntnistheorie angesehen, weil es als deren Prüfstein gilt. Das heißt, in jedem Typus der Erkenntnistheorie ist die Frage nach dem Umfang und der Objektivität von Erkenntnisresultaten zu stellen: Kann ich A, B, C, D usf. wissen? Wenn ja, dann welche Gewissheitsstufe kommt dem Erkennen von A, B, C, D usf. zu? Das anthropologisch-kritische Verfahren erlaubt uns die These aufzustellen, dass die menschliche Erkenntnis keinesfalls den Status einer absoluten Erkenntnis beanspruchen kann. Legitimieren lässt sich diese These dadurch, dass das menschliche Subjekt seine epistemologischen Grenzen nicht überschreiten kann. Solange das Subjekt vor diesen Grenzen stehen bleibt, solange ist das Erkenntnisresultat unvollkommen und kann angezweifelt werden. Aus philosophischer Sicht kann das in vielerlei Weise geschehen, als (1) perzeptive Skepsis; (2) antike Skepsis; (3) kartesische Skepsis; (4) anti-minimalistische Skepsis; (5) phänomenologische Skepsis; und (6) moralische Skepsis.

93 2. Skepsis als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie? Bevor der Begriff der Skepsis einer systematischen Analyse unterzogen wird, um das Problem epistemologischer Grenzen klarzulegen, soll gefragt werden, ob dieser Begriff als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie angesehen werden kann. Was für eine Antwort auf diese Frage gegeben wird, entscheidet sich daran, was wir unter dem Begriff „Skepsis“ verstehen und in welchem Kontext wir ihn diskutieren. Aus sprachanalytischer Sicht erübrigt sich zu behaupten, dass der Begriff „Skepsis“ mit dem des Zweifels gleichgesetzt und in einem allgemeinen philosophischen Kontext betrachtet werden kann. Wenn jemand also eine skeptische Einstellung pflegt, dann heißt das nichts anderes, als dass er an etwas zweifelt, z.B. „dass die Sonne morgen aufgehen wird“. Die klassische Lesart dieser Konstellation besagt indes, dass Zweifel neben Staunen der Ausgangspunkt der Philosophie sei. Deshalb wäre es absolut denkbar zu postulieren, dass Zweifel auch den Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie darstellt: Wenn ich z.B. daran zweifle, dass das Gras in meinem Garten grün ist – das ist für mich aus welchem Grund auch immer nicht selbstverständlich, vielleicht weil es seit vielen Wochen nicht mehr geregnet hat -, dann bemühe ich mich in einem Erkenntnisprozess diesen Sachverhalt nachzuprüfen, um am Ende festzustellen, dass das Gras in meinem Garten tatsächlich grün sei. Dieses einfache Beispiel hebt hervor, dass der Verlust der Selbstverständlichkeit das Erfahrungswissen zweifelhaft macht. Der Mensch strebt danach, über eine Kritik des Erfahrungswissens und der Erfahrungswelt eine neue, fundamentale Gewissheit zu erlangen. Er strebt nach einer neuen Grundlegung seiner Möglichkeit zu wissen. Das kann er aber nur dann, wenn er den Zweifel radikal ernst nimmt und ihn bis zur letzten Konsequenz durchführt. Im Verlaufe der Untersuchung wird sich systematisch zeigen, dass selbst wenn der menschliche Geist aufgrund des Zweifels erst das Streben nach der Wahrheit verschaffenden Erkenntnis wagt, er bei diesem Zweifel doch nicht stehen bleiben will. Der menschliche Geist bemüht sich vielmehr von Natur aus Zweifel zu überwinden, indem er die daraus resultierende Erkenntnisfrage wahrnimmt 1

1

Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 20.

94 und konsequent nach einer Antwort sucht. Dass dieser Prozess eine umfangreiche Struktur aufweist, können wir etwa bei Augustinus beobachten. Er schreibt: „Wer könnte jedoch daran zweifeln, dass er lebt, sich erinnert, einsieht, will, denkt, weiß und urteilt? Auch wenn nämlich jemand daran zweifelt, lebt er; wenn er zweifelt, erinnert er sich, woran er zweifelt; wenn er zweifelt, sieht er ein, dass er zweifelt; wenn er zweifelt, will er sicher sein; wenn er zweifelt, denkt er; wenn er zweifelt, weiß er, dass er etwas nicht weiß; wenn er zweifelt, urteilt er, dass er seine Zustimmung nicht leichtfertig geben solle. Woran immer sonst jemand zweifeln mag, an all diesem darf er nicht zweifeln. Denn wenn all dies nicht wäre, könnte er überhaupt an nichts zweifeln.“ 2

Aus diesem Zitat ergibt sich, dass der Zweifel nicht nur das Erkenntnisstreben des Menschen in Gang setzt, sondern auch in einem Zusammenhang mit vielen anderen (geistigen) Lebensvollzügen auftritt: Leben, Sich-Erinnern, Einsehen, Wollen, Denken usf. Ferner kann daraus eine propositionale, im Zweifelsbegriff fundierte Einstellung resultieren, die allerdings entweder vergangenheits- oder zukunftsbezogen logisch wirksam bleibt, aber nicht gegenwartsbezogen. Also: (1) Ich kann zum Zeitpunkt t1 zweifeln, dass ich zum Zeitpunkt t2 an X gezweifelt habe. (2) Ich kann zum Zeitpunkt t1 zweifeln, dass ich zum Zeitpunkt t2 an X zweifeln werde. (3) Ich kann nicht zum Zeitpunkt t1 zweifeln, dass ich zum Zeitpunkt t1 an X zweifle. In (1) bezieht sich mein Zweifel auf die Vergangenheit; ich zweifle heute (zum Zeitpunkt t1), dass ich gestern (zum Zeitpunkt t2) gezweifelt habe. Dabei gilt, dass der Gegenstand meines Zweifelns zum Zeitpunkt t2 streng bestimmt war: Es war ein X. Und dieses X stellt den Garant meines momentanen Zweifels (im Zeitpunkt t1) dar. Ähnlich sieht es im Fall (2) aus, der sich auf die Zukunft ausrichtet: Der Gegenstand meines Zweifelns muss auch hier bestimmt sein; ich muss schon heute (im Zeitpunkt t1) Augustinus, A., Trin. X, 10. In diese Richtung wird später Descartes gehen, allerdings viel radikaler als Augustinus (vgl. 5 [Kap. II]).

2

95 wissen, woran ich morgen (im Zeitpunkt t2) zweifeln werde, um meinen Zweifelsgegenstand genauer bestimmen zu können. Dadurch wird mein gegenwärtiger Zweifelszustand (im Zeitpunkt t1) legitimiert. Andernfalls hätte dieser Zustand keine intentionale Basis zum Aufbau einer logischen Existenz gehabt. Schließlich gilt für (3), wenn ich heute (zum Zeitpunkt t1) nicht zweifle, dann gibt es auch gleichzeitig keinen zu bestimmenden Gegenstand X. Diese auf dem Skepsisbegriff aufgebaute sprachanalytische Reflexion soll systematisch weiter vertieft werden. Als Untersuchungsbasis gilt uns dabei zunächst die perzeptive Skepsis. 3. Die perzeptive Skepsis

3

Die Erkenntnistheorie kann sich skeptischen Tendenzen nicht entziehen; diese stellen vielmehr einen Ansporn innerhalb der Erkenntnistheorie dar. Wenn also eine Erkenntnis angestrebt wird, stellt sich zugleich die Frage, ob es tatsächlich so ist, wie wir zu erkennen glauben. Als die Musikwelt im Juni 2009 vom plötzlichen Tod von Michael Jackson erfuhr, erschien diese Nachricht für viele Fans anfangs als zweifelhaft. Denn es gab gleichzeitig viele Indizien, die dagegen sprachen, vor allem aber den Hinweis auf Jacksons kurz vor dem Tod absolvierte gründliche ärztliche Untersuchung im Rahmen der Vorbereitung auf seine letzte Europa-Tournee, die im Juli 2009 starten sollte. Diese Tatsache war also schon ein schwerwiegender Grund zu zweifeln, dass Jackson gestorben sei. Viele Fans von Jackson waren schockiert und konnten deshalb auf den ersten Blick den Tod ihres Idols nicht glauben. Ihnen schien es zunächst, als ob sie sich in einem Traum befänden. Erst nachdem die visuellen Bilder und Berichte vom Tod des King of Pop immer intensiver alle Kommunikationsmedien beherrscht hatten, wurde den Fans klar, dass Michael Jackson tatsächlich tot sei. Mit diesem Beispiel ist eine Reihe von epistemologischen Problemen angesprochen worden. Für die Analyse der Problematik der perzeptiven Skepsis (PS) ergibt sich daraus vor allen Dingen die Behauptung, dass Skepsis als Folge einer Täuschung erscheint. Wer einmal unter bestimmten Der Begriff der „perzeptiven Skepsis“ ist hier mit dem der „wahrnehmenden Skepsis“ gleichzusetzen.

3

96 Umständen getäuscht wurde, der neigt auch später öfters zu einer skeptischen Einstellung, sollte er wiederum in die gleiche, Täuschung auslösende Lage geraten. In dem Kontext können wir daher zwischen zwei Stufen der PS unterscheiden: Während die erste Stufe der PS als Sinnestäuschung bezeichnet werden kann, nimmt die zweite Stufe der PS die Gestalt einer Bewusstseinstäuschung ein. Und es ist nicht schwierig, anschauliche Alltagsbeispiele herauszufinden, welche diese beiden Typen von Täuschung widerspiegeln. Die Sinnestäuschung hat es mit den Sinnen menschlicher Subjekte zu tun: Sehen, Hören, Tasten usf. Die Sinne ermöglichen also diesen Typus von Täuschung. Das Beispiel, das von den Philosophen gern vorgetragen wird, ist die Sinnestäuschung beim Werfen eines geraden Stocks ins Wasser, z.B. einer Angelrute. Wird eine gerade Angelrute mit einem Ende ins Wasser geworfen – wobei das andere Ende in der Hand des Anglers bleibt - , so scheint sie gebrochen zu sein. Wenn wir aber die Angelrute aus dem Wasser herausziehen, sehen wir einen geraden, und nicht gebrochenen Stock. Wird dieses Experiment mehrmals wiederholt, wird stets die gleiche Sinnestäuschung festgestellt. Die grundlegende Frage, die sich dabei stellt, lautet: Welche Natur weist die sinnliche Erkenntnis auf? Ist die Natur der sinnlichen Erkenntnis rein empirisch zu betrachten, da die letztere auf den sinnlichen und im Hirn fundierten Erkenntnisapparat zurückzuführen ist? Oder soll eine Analyse der sinnlichen Erkenntnis auch im Kontext apriorischer Faktoren behandelt werden, weil sich die sinnliche Erkenntnis auf die Gestaltung mentaler Prozesse auswirkt? Betrachten wir dazu die bekannte Müller-Lyer-Illusion, die von Franz Müller-Lyer vor ungefähr 100 Jahren entdeckt wurde. Dabei handelt es sich um eine geometrisch-optische Täuschung:

Dieses Schema zeigt drei waagerechte Linien. Werden diese drei Linien sinnlich wahrgenommen, so erscheint dabei zugleich das Phänomen der

97 Täuschung: Die obere Linie scheint kürzer als die untere Linie zu sein. Diese Sinnestäuschung wird durch die mittlere Linie noch verstärkt. Die zweite Stufe der perzeptiven Skepsis offenbart sich in Bewusstseinstäuschung. Das klassische Beispiel stellt hier das Phänomen des Traums dar. Oft erscheint uns etwas im Traum in einem realistischen Bezug, d.h. als ob sich dies in der wirklichen Welt abgespielt hätte; in Wirklichkeit erliegen wir aber nur einer mentalen Täuschung. Nach dem Aufwachen werden wir dann mit der realen Welt konfrontiert, was unterschiedliche emotionale Erlebnisse von Subjekten mit sich bringt, je nachdem, welche Qualität der Traum aufweist: Wenn wir z.B. etwas Schönes geträumt haben, so kann sich dies auch positiv bei der Gestaltung des Alltags auswirken: Wir sind froh im Umgang mit den anderen Menschen, wir wünschen uns, dass das Geträumte Wirklichkeit wird usf. Haben wir dagegen etwas Schlechtes geträumt, hatten wir Alpträume, z.B. waren wir im Traum einer Gefahr ausgesetzt, dann sind wir auch im Alltag schlecht gelaunt und weniger produktiv. Ohne eine empirisch ausgerichtete Traumforschung zu betreiben, wäre es auch hier förderlich, nach der Natur von Phänomenen wie Träumen zu fragen. Als erstes ist dabei klar zu machen, dass wir uns den im Traum gespiegelten Gehalt nicht ausdenken können. Diese Konstellation stellt das spezifische Szenario von Träumen dar. Aufgrund empirischer Analysen wäre es vermutlich heute denkbar, die Hirngrundlage dieses Szenarios samt ablaufenden Prozessen gewissermaßen zu skizzieren. Aus philosophischer Sicht spielt das aber eher eine sekundäre Rolle. Philosophisch bedeutsam ist hingegen die „orthodoxe“ Behauptung, dass Träume als bewusste mentale Zustände fungieren. Intrinsisch gesehen sind Traumzustände ähnlich wie Wachzustände, obwohl beide Typen von Zuständen sich aus kausaler Sicht unterscheiden. Was die Natur von Träumen anbelangt, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten, diese zu bestimmen: Entweder werden Träume mit Vorstellungen identifiziert, das ist ein klassischer (philosophischer) Standpunkt, oder Träume werden mit 4

5

Es gibt noch viele Beispiele der Sinnestäuschung, z.B. die Täuschung, die durch das Anschauen einer Attrappe ausgelöst wird. Eine andere Aufteilung von Träumen könnte wie folgt lauten: (1) Träume, die sich erfüllen; und (2) Träume, die sich nicht erfüllen. 4

5

98 Halluzinationen gleichgesetzt; das wird in der gegenwärtigen (empirischen) Traumforschung behauptet. Wenn wir träumen, dann verfügen wir über reale Glaubensinhalte, welche in realen phänomenalen Erfahrungen gründen. Wir können auch in der Form von Glaubensinhalten träumen. Die klassische Position behauptet also in dem Kontext, dass wenn ein Subjekt träumt, dann Glaubensinhalte in seinem Traum real vorhanden sind. Für das Erfassen der Natur von Träumen ist ferner eine Differenzierung zwischen den zwei folgenden Ausdrücken relevant: „in meinem Traum“ und „während ich träume“. Aus der Tatsache, dass etwas in meinem Traum geschieht, kann man noch nicht folgern, dass dies dann geschieht, während ich träume. Aus der Tatsache, dass ich in meinem Traum von einem Löwen gejagt werde, folgt noch nicht, dass während ich träume, ich wirklich gejagt bin. Schließlich gilt auch: Aus der Tatsache, dass etwas geschieht, während ich träume, ergibt sich nicht, dass dies in meinem Traum geschieht. Diese komplexe Differenzierung macht deutlich, dass sich eine Täuschung bei der Auswertung der Gehalte von Träumen nicht ausschließen lässt. Träume bringen Skepsisprobleme mit sich, weil sie mit den Problemen aus dem Bereich der Gewissheit unserer perzeptiven Glaubensakten belastet sind. Eine weitere problematische Dimension könnte man im Kontext des Wahrheitsbegriffes erblicken: Was heißt das, dass Träume wahr sind? 6

7

8

3.1. Der Versuch des sprachanalytischen Zugriffs und epistemologische Geschlossenheit Die Tatsache, dass alle Menschen von Natur aus nach Wissen streben, wie dies Aristoteles treffend hervorhebt (vgl. Met. I, 1), bedeutet längst noch nicht, dass alle Menschen auch den Zugang zum gewünschten Wissen Vgl. Sosa, E. (2008), 124f. Vgl. Sosa, E. (2008), 130. Wir werden dieser Problematik einem weiteren Kapitel nachgehen. Ein anderes Problem ist das der Rechtfertigung der Zuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung, dessen Argumente (A) doppelter Art sind: (1) das epistemisch zirkuläre A – ist ein Argument, das für die Rechtfertigung (nicht die Wahrheit) seiner Prämissen die Wahrheit seiner Konklusion voraussetzt; (2) das epistemisch nichtzirkuläre A – ist ein Argument, das (1) nicht tut (vgl. Hofmann, F. [2001], 226).

6 7 8

99 tatsächlich erlangen. Denn nicht alle Menschen können etwa um A wissen oder A erkennen. Vielmehr gibt es auch menschliche Subjekte, die vielleicht um B wissen oder B erkennen, aber nicht A. Dabei könnte man eine graduelle Ausdifferenzierung vor Augen führen. Auf die Frage, wie man eine derartige Konstellation bezeichnen könne, antworten wir mit dem Begriff der epistemologischen Geschlossenheit, der sich bereits im Bereich der perzeptiven Skepsis offenbart. Ganz einfach formuliert: Die epistemologische Geschlossenheit kommt dann vor, wenn dem Subjekt das angestrebte Wissen verborgen (d.h. verschlossen) bleibt - aus welchem Grund auch immer. Dieser Sachverhalt hat eben eine befördernde Wirkung auf alle nur denkbaren Skepsisarten. Um einen einfachen Fall der epistemologischen Geschlossenheit zu entwickeln, betrachten wir kurz folgendes Beispiel: „Leopold betritt das Speisezimmer, und es scheint ihm, dass er einen Stuhl vor sich sieht“. Die prinzipielle Frage könnte hier lauten: „Weiß denn Leopold, dass es vor ihm einen Stuhl gibt?“ Ein Skeptiker würde diese Frage mit einem Nein beantworten, das verschiedene graduell aufgebaute Skepsis-Formen aufweist. Bezogen auf das obige Beispiel können wir folgende logische Struktur aufbauen: 9

„Für alle S, p, q gilt: Wenn S p betritt, und wenn p q enthält, dann kann S q wissen“. Nun sobald Leopold (S) das Speisezimmer (p) betritt, und wenn p einen Stuhl (q) enthält, dann ist prinzipiell möglich, dass S q erkennt, bzw. um q Wissen hat. Dieser Erkenntnisprozess kann nicht nur mit Hilfe der Sinne (Sehen, Tasten usf.) zustande kommen: Leopold kann den Stuhl sehen und/oder antasten, sondern auch auf dem Wege des logischen Schließens erfolgen: Denn dem das Speisezimmer betretenden Leopold kann von jemandem mitgeteilt werden, dass sich im Speisezimmer ein Tisch befindet. Da Leopold aber weiß, wozu ein Tisch im Speiseraum generell 9

Vgl. David, M. u.a. (2008), 138f.

100 dient (auf dem Tisch befinden sich die zu verzehrenden Speisen), so kann er auch zweifellos die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass die Speisen vor allen Dingen im Sitzen verzehrt werden, was aber die Existenz von Stühlen im Speiseraum erfordert. Das Postulieren der Erkenntnis bzw. des Wissens um den Stuhl im Speisezimmer, in dem sich Leopold befindet, erfordert – mit dem Blick auf den Begriff der Skepsis - noch eine detailliertere Analyse. Da das Wissen von Leopold kein absolutes Wissen ist, so wird auch eine SkepsisDimension zugelassen. Wir könnten z.B. von Leopold sagen: 10

(1) Leopold weiß absolut von dem Stuhl im Speiseraum. (2) Leopold weiß wahrscheinlich von dem Stuhl im Speiseraum. (3) Leopold weiß vielleicht von dem Stuhl im Speiseraum. (4) Leopold weiß zuversichtlich von dem Stuhl im Speiseraum. (5) Leopold weiß nichts von dem Stuhl im Speiseraum. Diese Ausdifferenzierung, die freilich nur einen skizzenhaften Charakter aufweist, weil diese fünf Sätze das epistemologische Möglichkeitsspektrum nicht erschöpfen, zeigt, dass dem Wissen von Leopold verschiedene Prädikate zugeschrieben werden können. In den Sätzen (1 bis 4) handelt es sich also um ein absolutes, wahrscheinliches und zuversichtliches Wissen. Im Satz (5) wird dagegen dem Wissen kein Prädikat zugeschrieben, weil es hier einfach kein Wissen gibt. Die Spannbreite von absolutem bis keinem Wissen wird durch den Grad skeptischer Aktivität geregelt; d.h. das Gestalten des Wissens von Leopold hängt davon ab, wie stark die den Zweifel fördernden Faktoren im menschlichen Geist vertreten sind. Unsere Sprachanalyse des Skepsisbegriffs können wir auch ergänzen, indem wir das Element der propositionalen Einstellung ins Spiel bringen. Dabei bedienen wir uns des folgenden Beispiels: (6) Leopold wünscht sich, dass die Sonne morgen aufgehen wird. Natürlich kann man sich auch auf den Boden hinsetzen, und in dem Fall braucht man keine Stühle mehr. Damit wäre aber der Begriff des Sitzens keinesfalls explizit analysiert. 10

101 (7) Leopold hofft, dass die Sonne morgen aufgehen wird. (8) Leopold glaubt, dass die Sonne morgen aufgehen wird. (9) Leopold ist überzeugt, dass die Sonne morgen aufgehen wird. (10) Leopold weiß, dass die Sonne morgen aufgehen wird. Während wir in den Beispielen (1 bis 5) dem Wissen von Leopold jeweils ein Prädikat zugeschrieben haben, wodurch unser Augenmerk ausschließlich dem Wissen selbst in verschiedenen qualitativen Ausformulierungen galt, wird in den Beispielen (6 bis 10) ein möglicher Weg zum Erlangen des Wissens dargestellt. Bevor also das Subjekt das Wissen erlangt, verläuft sein Erkenntnisweg über die Bereiche des SichWünschens, Hoffens, Glaubens, Überzeugt-Seins usf. Aufgrund der propositionalen Einstellung erhält einerseits dieser Weg einen anschaulichen Charakter, andererseits werden subjektiv- und objektivepistemologische Entitäten auseinandergehalten. Erst wenn das Subjekt weiß, dass die Sonne morgen aufgehen wird, kann die Skepsis erfolgreich ausgeschlossen werden. 11

4. Die antiken Versuche einer Systematik Im Vorangehenden haben wir gesehen, dass der Umgang menschlicher Subjekte mit dem stets zu erwerbenden Wissen schon auf der sinnlichen Grundlage angezweifelt werden kann. Dies wirkt sich auf die Objektivität des Wissens aus. Das Phänomen der Täuschung spielt dabei eine entscheidende Rolle und ist vor allem durch eine Reihe von spontanen Merkmalen gekennzeichnet, die jeweils einer bestimmten Grunderfahrung entspringen: Sehen, Hören; Tasten, Träumen usf. Diese spontanen Merkmale, die als Resultat der Leistung des primären (sinnlichen) naturhaften Erkenntnisvermögens anzusehen sind, ermöglichen den menschlichen Subjekten nicht nur eine zielorientierte grundlegende Existenz, sondern auch deren Entfaltung auf einer höheren, mithin geistigen Ebene. Weder die Sinnes- noch Bewusstseinstäuschung, so wie sie im Alltag menschlicher Personen gewöhnlich und spontan erlebt werden, erheben getrennt Ansprüche auf systematische Reflexion. Sie 11

Erfolgreich bedeutet hier aber nicht absolut.

102 bewegen sich mit im Verlaufe des komplexen Wahrnehmungsgeschehens. Aber erst durch eine systematische Analyse wird ihre epistemologischproblematische Dimension sichtbar. Die ersten systematischen Versuche diesbezüglich sind schon in der Antike feststellbar und werden heute als pyrrhonische und akademische Skepsis diskutiert. 4.1. Die pyrrhonische Skepsis Diese skeptische „Methode“ geht auf Pyrrhon von Elis (ca. 360 – ca. 270 v. Chr.) zurück. Seine skeptische Einstellung soll eine betonte Gleichgültigkeit und eine tiefe Überzeugung von der Hinfälligkeit, Unbeständigkeit und Eitelkeit des menschlichen Lebens gewesen sein. Die wichtigste Quelle für die pyrrhonische Skepsis ist der Arzt Sextus Empiricus, der um 200 n. Chr. wahrscheinlich in Rom lebte. Seine früheste und grundlegende Schrift ist der „Grundriss der pyrrhonischen Skepsis“. In dieser Schrift wird das Grunderlebnis eines Skeptikers mit einer Anekdote dargestellt: Apelles wollte den Schaum vor dem Mund eines Pferdes malen. Weil es ihm misslang, schleuderte er den Schwamm, mit dem er die Farben vom Pinsel abwischte, gegen das Bild. Als der Schwamm auftraf, war die Darstellung des Schaums gelungen. Die Botschaft dieser Anekdote lautet, dass der Skeptiker sein praktisches Ziel, die innere Ruhe und Unabhängigkeit, auf einem unvermuteten Weg erlangt, so wie dem Apelles das Malen des Schaums vor dem Mund eines Pferdes gelungen ist. Der Skeptiker geht davon aus, dass er die innere Ruhe nur dann erreichen kann, wenn er sich ein begründetes Urteil über die Wirklichkeit bildet. Dazu bemüht er sich, vorab drei Fragen zu beantworten: (1) Wie sind die Dinge in Wirklichkeit? (2) Welche Einstellung sollen wir ihnen gegenüber einnehmen? und (3) Was ergibt sich aus dieser Haltung? Aber diese Fragen kann der Skeptiker nicht zufriedenstellend beantworten. Auf dem Weg über die Erkenntnis der Wirklichkeit lässt sich die praktische Frage nicht beantworten. Denn es zeigt sich, dass jeder Aussage mit gleichstarken Gründen eine mit ihr unvereinbare Aussage entgegengestellt werden kann. Wenn z.B. die Stoiker aus der geordneten Bewegung der Gestirne die Existenz der Vorsehung beweisen, so hält der Skeptiker ihnen entgegen, aus der Tatsache, dass es den guten Menschen oft schlecht und den schlechten

103 Menschen oft gut geht, lasse sich auf die gegenteilige Aussage schließen. Weil der Skeptiker sich also außerstande sieht, zwischen den beiden Alternativen zu wählen, enthält er sich des Urteils. Damit gewinnt er eine Zurückhaltung (Epoché), die ihn zu innerer Ruhe führen soll. Die pyrrhonische Skepsis besteht mithin in der Zurückhaltung von einem Urteil. Um die Epoché herbeizuführen, wurden von den Pyrrhoneern verschiedene Weisen (=Tropen) entwickelt. Eine besondere epistemologische Relevanz kommt den fünf Tropen zu, die von Agrippa (ca. 1 – 2 Jh. n.Chr.) hinzugefügt wurden: dem Widerstand der Ansichten, dem unendlichen Regress, der Relativität, den unbewiesenen Voraussetzungen, dem Zirkel. Diese Tropen wirken sich auch in der gegenwärtigen Erkenntnistheorie aus und werden heftig diskutiert. Deshalb wollen wir auch versuchen, sie genauer zu erläutern. Was den Widerstand der Ansichten anbelangt, können wir ihm im Alltag überall dort begegnen, wo die Menschen miteinander kommunizieren. Denn jeder Behauptung kann immer mit einer entgegensetzten Behauptung widersprochen werden. Wenn ich etwa aufgrund gewisser Faktoren sage: „Maria ist glücklich verheiratet“, dann kann mir jemand anders entgegen, dass Maria unglücklich verheiratet sei, weil sie immer traurig aussieht. Ein Beispiel der Relativität können wir im Kontext der Analyse des Prädikatsbegriffs erblicken. Wenn ich mich z.B. äußere, dass die VWAutomarke eine gute Automarke sei, so heißt das eben noch nicht, dass alle Menschen dieser Ansicht sind. Deshalb könnte ich mir auch eine Welt vorstellen, in der die VW-Automarke einen schlechten Ruf genießt. Der Begriff „gut“ wäre hier also relativ. Die Akzeptanz unbewiesener Voraussetzungen führt zum Dogmatismus. Obwohl von diesem epistemischen Schritt oft Gebrauch gemacht wird, damit eine hypothetische Analyse durchgeführt werden kann, ist er – streng genommen - ungerechtfertigt und wird manchmal als „Petitio principii“ (das Voraussetzen des zu Beweisenden) bezeichnet. Epistemologisch gesehen ist jedes Prädikat zu beweisen. Schließlich haben wir es oft in der Epistemologie mit dem sogenannten Zirkel zu tun, d.h. unsere 12

Vgl. Ricken, F. (2000), 227f. Wir werden noch sehen, dass auch andere Philosophen zu diesem methodischen Schritt (Epoché) greifen, z.B. Husserl. 12

104 epistemischen Begründungen sind zirkulär: A wird mit B begründet, B mit C, und C mit A usw. Die systematische Betrachtung dieser Tropen wird heute unter dem Begriff „Agrippa-Trilemma“ subsumiert. Dieses Trilemma können wir am folgenden Gedanken verfolgen: „Ich behaupte, dass p“ (p = ich schreibe ein erkenntnistheoretisches Buch). Die „Behauptung, dass p“ muss aber auch begründet werden, z.B. durch die „Behauptung, dass q“ (q = ich befinde mich in einem Raum, habe entsprechende Mittel zur Verfügung, welche mir das Schreiben erlauben usf.). Schließlich ist die „Behauptung, dass q“ ihrerseits ebenfalls zu begründen, z.B. durch die „Behauptung, dass r“ (r = ich bin am Leben, ich kenne mich in der Erkenntnistheorie aus usf.). Also: (1) Ich gerate in einen infiniten (unendlichen) Regress, weil ich natürlich auch die Überzeugung, dass r, wiederum begründen muss usw. So kann ich meine Rechtfertigung niemals abschließen. Meine ursprüngliche Überzeugung, dass p, bleibt damit auf immer ungerechtfertigt. (2) Ich breche irgendwann meinen Rechtfertigungsversuch ab. Auch dann kann meine ursprüngliche Überzeugung, dass p, nicht als gerechtfertigt gelten, denn ein solcher Abbruch ohne Angabe ist dogmatisch. (3) Schließlich habe ich die Möglichkeit, im Laufe meiner Rechtfertigung irgendwann auf eine Überzeugung zurückzukommen, die ich bereits in einem früheren Stadium der Rechtfertigung angeführt habe. Auch dann scheitert mein Rechtfertigungsversuch, denn auf diese Weise gerate ich in einen Zirkel . 13

All diese skeptischen Überlegungen haben einen „lockeren“, d.h. mit der praktischen Lebensweise zusammenhängenden Charakter. Der skeptische Gedanke erhält einen wissenschaftlich strengeren Charakter in der akademischen Skepsis.

13

Vgl. Ernst, G. (2007), 20f.

105 4.2. Die akademische Skepsis Die Entwicklung dieser Skepsisart hat sich auf dem akademischen Boden vollzogen. Die antike Akademie war also ein Milieu, auf dem sich auch die skeptischen Überlegungen entwickelt haben. Die methodische Grundlage der akademischen Skepsis beinhaltet sowohl die pyrrhonischen als auch die platonischen Tendenzen. Diese Konstellation zeigt sich ganz deutlich, als die Mittlere bzw. Neue Akademie zunächst von Arkesilaos von Pitane in Mysien (Kleinasien) als ihrem Gründer (ca. 268 v. Chr.) geleitet worden war, und dann von Karneades (gest. ca. 129 v. Chr.), der als vierter Nachfolger von Arkesilaos gilt. Die skeptischen Gedanken entstehen vorab im Zusammenhang mit der Kritik am stoischen Dogmatismus. Daher arbeitet Arkesiloas einerseits mit den stoischen Begriffen, andererseits bemüht er sich zugleich, den stoischen Standpunkt von seinen Voraussetzungen her ad absurdum zu führen – inspiriert durch das sokratische Weisheitsethos. Dabei plädiert er als erster für die Zurückhaltung des Urteils wegen der Widersprüchlichkeit der Reden. Eine weitere Entwicklung mit schon deutlichen epistemologischen Zügen ist Karneades zu verdanken. Seine Erkenntnistheorie geht nun vom Begriff des Eindrucks (φαντασία) aus. Jeder Eindruck steht zum einen in einer Beziehung zum Gegenstand, den er vorstellt. So kann er wahr oder falsch sein. Der Eindruck ist wahr, wenn er mit dem vorgestellten Gegenstand übereinstimmt; andernfalls ist er falsch. Zum anderen steht der Eindruck in einer Beziehung zu dem Menschen, der ihn hat. Er kann ihm als wahr oder falsch erscheinen. Die Erkenntnistheorie des Karneades ist insofern skeptisch, als er davon ausgeht, dass uns die Beziehung zwischen dem Eindruck und dem vorgestellten Gegenstand nicht zugänglich ist. Wir können den Eindruck nicht auf das Ding an sich hin überschreiten. Die Zustimmung kann sich nur an der Beziehung zwischen dem Eindruck und dem ihn besitzenden Menschen orientieren. Während die unglaubhaften Eindrücke nicht als Kriterium (der Zustimmung) gelten können, ist bei den glaubhaften Eindrücken zu unterscheiden zwischen den undeutlichen, die z.B. von einem kleinen oder entfernten Gegenstand herrühren oder geschwächten Sehvermögen wahrgenommen werden, und denen, die sich durch ihre Wahrnehmungsqualität als sehr glaubhaft darbieten. Nur

106 Letztere sind das erste Kriterium der Zustimmung, das aber noch durch zwei weitere zu ergänzen ist: (1) Da ein Eindruck stets im Zusammenhang mit anderen Eindrücken auftritt, müssen auch diese Eindrücke eine entsprechende Qualität aufweisen; (2) Wir haben zu prüfen: (a) das wahrnehmende Subjekt, ob sein Sehvermögen hinreichend scharf ist und in welcher psychischen Stimmung es sich befindet; (b) das wahrgenommene Objekt, ob es die erforderliche Größe hat; (c) das Medium, durch das wir den Gegenstand wahrnehmen; (d) den Abstand usw. Der akademische Begriff der Zustimmung ist noch durch das Element der Wahl gekennzeichnet; er ist also anders als bei den Stoikern, für die Zustimmung nur eine passive Folge ist. Darüber hinaus wird dieser Begriff von Kleitomachos weiter entwickelt, indem er ihn von dem der Billigung unterscheidet. Sich eines Urteils zu enthalten kann daher ein Doppeltes besagen: Erstens dass man keinem Sachverhalt im stoischen Sinne zustimmt; und zweitens dass man sich jeder Antwort enthält, etwas weder billigt noch ablehnt. Der Maßstab, nach dem wir uns bei der Billigung richten, ist die Glaubhaftigkeit. Weil aber der glaubhafte Eindruck falsch sein kann, so schließt auch die Billigung den Zweifel nicht aus. 14

5. Die kartesische Skepsis Mit der akademischen Skepsis erscheinen handfeste wissenschaftliche Merkmale, die z.B. beim Aufbau einer Epistemologie behilflich sein können. Die Folge davon ist, dass die Zurückhaltung von einem Urteil dabei nicht entscheidend ist, sondern vielmehr dem kreativen Überlegungsprozess eine bestimmende Rolle zukommt. Dieser Weg lässt sich schon bei Platon verfolgen, wenn er etwa in seinem Dialog „Theätet“ über das Wesen des Wissens reflektiert: „Die Frage aber, mein Theätet, war nicht die, worauf das Wissen geht und wie viele Arten es gibt. Denn nicht sie aufzuzählen war die Absicht unserer Frage, sondern das Wesen des Wissens selbst kennen zu lernen [...]. Wenn uns jemand nach dem Wesen von etwas ganz Alltäglichem [...] fragte, z.B. nach dem Wesen des Lehms [...], und wir antworteten ihm: Lehm der Töpfer [...], würden wir uns damit nicht lächerlich machen?

14

Vgl. Ricken, F. (2000), 231f.

107 Also wer vom Wissen keinen Begriff hat, hat auch keinen Begriff vom Wissen von den Schuhen.“15

In diesem Zitat hebt also Platon eine Verbindung zwischen dem „Wissen an sich“ und dem „konkreten Wissen“ hervor. Gäbe es überhaupt kein Wissen, dann könnte es auch kein Wissen von den Schuhen geben. Die epistemologische Relevanz wird jedoch vor allem erst dann deutlich, wenn wir Folgendes behaupten: Hätten wir keinen Zugang zu dem konkreten Wissen, so könnten wir uns auch gar nicht vorstellen – geschweige denn bestimmen, was das Wissen überhaupt sei. Denn unsere alltägliche Gewissheit diesbezüglich beruht auf wackeligen Beinen. Diese Konstellation dürfte für Descartes ein entscheidender Faktor gewesen sein, seine methodisch orientierten epistemologischen Maßnahmen zu formulieren. Bei Descartes werden wir daher sehen, wie sich der in alltäglichen Erfahrungen fundierte kreative Überlegungsprozess ins methodische Verfahren umwandelt. Diese Umwandlung können wir am Beispiel des Zweifelsbegriffs anschaulich beobachten. Das Anliegen der Philosophie Descartes´ besteht in der Suche nach Gewissheit bzw. Zweifelsfreiheit der Erkenntnis. In den „Meditationes de prima philosophia“ versucht Descartes deshalb alles, was nicht als absolut angesehen werden kann, durch radikalen Zweifel in Frage zu stellen. Wie oben bereits angedeutet, handelt es sich dabei lediglich um einen methodischen Zweifel, d.h. im Gegensatz zum Skeptizismus bleibt Descartes nicht beim Zweifel stehen, er zweifelt auch nicht an der Existenz der Welt, sondern er bedient sich des Zweifels als der notwendigen Voraussetzung für das Erreichen unbedingter Gewissheit. Anfangs wird also der gesamte Bereich sinnlicher Erfahrung in Zweifel gezogen, weil uns unsere Sinneswahrnehmungen gelegentlich täuschen. Aufgrund der fragwürdigen Existenz wahrgenommener Dinge können nach Descartes auch Wachsein und Träumen niemals durch sichere Kennzeichen unterschieden werden. Da Descartes alle denkbaren und möglichen Täuschungen ausschließen will, entwirft er ferner die Hypothese einer größtmöglichen Täuschung „genius malignus“ (d.h. die „Hypothese der Täuschung durch den bösen Geist“). Damit wird auch der Zweifel an allen arithmetischen und geometrischen Wahrheiten in Betracht gezogen, d.h. 15

Platon, Theätet, IV 5 f.

108 ich kann mich z.B. beim Addieren oder Multiplizieren täuschen (vgl. Med. I, 5f). Das, was sich freilich allem Zweifel entzieht, ist für Descartes nur die Tatsache meiner eigenen Existenz, soweit ich denke. Das heißt, selbst wenn ich denken kann, dass alles nur eine Täuschung ist, kann ich doch nicht denken, dass ich nicht existiere, wenn ich denke. Ich kann nicht denken, ohne zu existieren. Selbst wenn ein „genius malignus“ mich in allem, was ich erkenne, täuschen würde, so könnte er mich nicht täuschen, wenn ich nicht existierte. Das Denken, selbst mein mich täuschendes Denken setzt voraus, dass ich existiere. So gelangt Descartes zu seinem berühmten Satz „cogito, ergo sum“, der aber nicht so zu verstehen ist, dass sich aus der Tatsache „ich denke“ die Tatsache „ich existiere“ ergibt, sondern ich erkenne unmittelbar mit Gewissheit, dass ich notwendig existiere, indem ich denke. Das denkende Ich ist mithin das Seiende, das der methodischen „Weltvernichtung“ Descartes´ standhalten kann (vgl. Med. II, 3, 8f). Die Evidenz des „cogito, ergo sum“ zeichnet sich durch Klarheit und Deutlichkeit aus (vgl. Med. VI, 1). Betrachten wir jetzt den kartesischen Standpunkt aus Sicht seiner Relevanz für den Skepsisbegriff schlechthin. Der Ausgangspunkt des methodischen Skepsismodells Descartes´ ist die perzeptive, mithin sinnliche Skepsis. Der Begründer der neuzeitlichen Philosophie setzt also mit seinen Überlegungen bei den alltäglichen Erfahrungen an, in denen Täuschungserlebnisse nicht nur auftreten können, sondern häufig auch mitbestimmend sind. Die alltäglichen Erfahrungen bestehen sowohl aus Wach- als auch aus Traumzuständen. In dem Zusammenhang besteht das methodische Geschick Descartes´ darin, dass er einen bösen Dämon einführt, um nachzuprüfen, welche Konsequenzen sich möglicherweise für unser Wissen angesichts der daraus folgenden Zweifelsforderungen ergeben können. Dieses ganze Verfahren ist lediglich dazu da, die Gewissheit unserer Erkenntnisse festzustellen, die – wie oben schon gesagt 16

17

Das als zweifelsfrei erwiesene „Ich bin“ stellt für Descartes nicht die einzige Evidenz dar, die nach der methodischen Zweifelsbetrachtung verbleibt. Auch die Bestimmungen des „Ich bin“, d.h. die cogitationes (Bewusstseinszustände), sind wie das ego selbst zweifellos gegeben (vgl. Rynkiewicz, K. [2009], 78f). Die Einführung dieses Arguments setzt die Möglichkeit der Existenz Gottes voraus, was Descartes bewiesen zu haben glaubt.

16

17

109 – im „cogito, ergo sum“ als einziger, sich dem Zweifel entziehender Entität fundiert werden kann. Die kartesische Skepsis erfordert darum keine skeptische Einstellung menschlicher Subjekte an sich, d.h. keine dauerhafte skeptische Einstellung, sondern vielmehr nur eine skeptische Einstellung um der Gewissheit unserer Erkenntnis willen. Diese auf Descartes zurückgehende methodische Maßnahme wird oft auch in der gegenwärtigen epistemologischen Debatte in Anspruch genommen, allerdings in einem neuen begrifflichen Gewand. Ein Beispiel dafür ist Hilary Putnam. So können wir uns eine z.B. virtuelle Welt vorstellen, in der ein Wissenschaftler einen Menschen betäubt und ihm sein Gehirn operativ entfernt, das dann in eine Nährflüssigkeit gelegt wird. Die Nervenbahnen des Gehirns sind nicht mit menschlichen Sinnesorganen oder Muskeln verbunden, sondern mit einem Supercomputer, der die Sinneszellen (Rezeptoren) mit geeigneten Reizen versorgt und die Signale der Effektorzellen abliest. Das Gehirn interagiert – und das bemerkt der Patient nicht – mit einer fiktiven Umwelt, die von dem Computer lediglich simuliert wird. Man könnte sich ferner vorstellen, dass ein so manipuliertes Gehirn im Laufe seines Lebens genau dieselben Eindrücke empfängt und dieselben Wahrnehmungserlebnisse hat wie ein „normaler“ Mensch in einer „normaler“ Welt. Eine weitere Konsequenz könnte die Vermutung sein, dass das Gehirn unter diesen Umständen auch dasselbe Weltbild, dieselben Überzeugungen von seiner Umwelt und dieselben Wünsche entwickeln würde wie ein gewöhnliches epistemisches Subjekt unter gewöhnlichen epistemischen Bedingungen. Abschließend ist die Frage zu stellen: Woher wissen wir, dass wir dieselbe Person sind - gefragt im Kontext des Experiments eines Wissenschaftlers. Die geläufigste Antwort würde wohl lauten, wir wissen es nicht. Experimente, die in der Tradition der kartesischen Skepsis stehen, bemühen sich daher aufzuweisen, dass wir keine absolute Erkenntnis erlangen können. Wie es mit diesem Problem steht, wollte Descartes ebenfalls klar machen. Eine gewisse Alternative könnte hier ein epistemologischer Standpunkt darstellen, der als „Fallibilismus“ bezeichnet wird. Demnach heißt es, selbst wenn jede Überzeugung falsch sein kann, bedeutet das noch nicht, dass die Möglichkeit des Wissens 18

18

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 262f. Vgl. dazu auch Putnam, H. (1981).

110 überhaupt in Frage gestellt werden muss. Denn die Gewissheit ist für Wissen keine notwendige Bedingung. Wie steht aber Kant dazu? 19

6. Der kantische Anti-Minimalismus und das Skepsisproblem Auch gegen Kant, dessen philosophisches Werk schlechthin bahnbrechend war, könnte man einige Einwände erheben, wollte man ihn aus epistemologischer Sicht kritisch betrachten. Allerdings könnte man ihm dabei kaum vorwerfen, dass er dem Umgang mit der Wissens- bzw. Erkenntnisfrage zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Das Problem des Erkennens und Wissens stand vielmehr schon immer im Mittelpunkt seiner Überlegungen. Kants Umgang mit dieser Problematik war zugleich ein kritisches Verfahren. Abgesehen vom Begriff „Kritik“, den Kant dem Titel von fast all seinen Werken zugrunde gelegt hat, lässt sich die kritische Schärfe des kantischen Umgangs mit Wissen etwa an der berühmten Frage „Was kann ich wissen?“ erkennen (KrV AA IX 24f). Die qualitative und quantitative Bestimmung des Wissens wird zudem auch dann deutlich, wenn Kant behauptet, er musste das Wissen aufheben, um für den Glauben Platz zu bekommen (vgl. KrV B XXX). Aus diesem Gedanken ergibt sich, dass das menschliche Subjekt durchaus ein umfassendes Wissensvolumen erlangen kann. Damit ist zum einen die Grundlage für eine antiminimalistische These gegeben, d.h. für die These, dass das menschliche Subjekt beim Erwerben des Wissens die naturalistischen Grenzen transzendieren kann. Mit anderen Worten: Kant tritt gegen die sogenannten Minimalisten (=Naturalisten) auf, indem er den Wissensbegriff nicht auf den Naturbereich reduzieren will. Diese Konstellation scheint jedwede skeptische Tendenzen auszuschließen. Zum anderen bleibt aber gleichzeitig unklar, wie Kant den Bereich jenseits der Natur verstehen will, der sich unter anderem im Begriff „Ding an sich“ offenbart. Eine Klärung dieses im Anschluss an Kant entworfenen Dilemmas kann schon bei der perzeptiven Erkenntnis ansetzen. So können wir etwa zwei Fragen stellen: (1) Wie erwirbt das menschliche Subjekt die Erkenntnis 20

19 20

Diese Problematik wird im Kapitel VI genauer behandelt. Problematisch ist z.B. die begriffliche Entität „Ding an sich“.

111 von den es umgebenden Dingen? und (2) Was ermöglicht ihm den Erwerb dieser Erkenntnis? Um diese Fragen mit Blick auf Kant zu erwägen, wollen wir vorab zwischen drei Ebenen differenzieren: Ebene 1 => ist die Ebene der Bedeutungen (Bedeutungen des Wissens um einen Gegenstand sind identifiziert) Ebene 2 => ist die Ebene der Hindernisse (Erwerb des Wissens anhand der beabsichtigten Klärung von Bedeutungen ist verhindert) Ebene 3 => ist die Ebene der Ermöglichung (Bedingungen, die das Erkennen durch beabsichtigte Bedeutungen ermöglichen, sind identifiziert) Aufgrund dieser drei Ebenen können wir jetzt die epistemologisch relevanten Begriffe des Minimalisten und Anti-Minimalisten festsetzen. Ein Minimalist ist also eine Person, die nur die Ebenen 1 und 2 in Anspruch nimmt, die Ebene 3 aber für unzugänglich hält. Nach diesem Kriterium können alle Naturalisten als Minimalisten angesehen werden. Ein Anti-Minimalist ist dagegen eine Person, die alle drei Ebenen bei der Analyse des Erkenntnisprozesses akzeptiert. Als Beispiel kann hier Kant gelten. Im Mittelpunkt der Philosophie Kants steht die Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ Synthetische Urteile sind für Kant Urteile, in denen das Prädikat nicht schon im Satzsubjekt enthalten ist, sondern es fügt ihm eine Bestimmung hinzu, die allein aufgrund des Begriffsinhalts des Satzsubjekts nicht zu erkennen wäre (vgl. KrV B 11f, 19). Nach Kant stellt die Mathematik das glänzendste Beispiel eines Bereichs mit synthetischen Urteilen a priori dar. Ihre Erkenntnisart unterscheidet sich von der philosophischen Erkenntnis. Während die philosophische Erkenntnis die Vernunfterkenntnis aus Begriffen ist, stellt die mathematische Erkenntnis hingegen die Erkenntnis aus der Konstruktion der Begriffe dar; einen Begriff zu konstruieren bedeutet für Kant, die ihm korrespondierende Anschauung a priori darzustellen (vgl. 21

22

23

Vgl. Cassam , Q. (2007), 9f. An dieser Frage entscheidet sich bekanntlich das Schicksal der Metaphysik. Als Beispiel eines synthetischen Satzes könnte etwa gelten „Dieses Auto ist rot“, ein analytisches Urteil wäre dagegen „Der Schimmel ist weiß“. 21 22 23

112 KrV B, 740). Diese Prozedur erfordert die Postulierung der apriorischen Strukturen des menschlichen Erkennens. Kant differenziert prinzipiell zwischen zwei Quellen der Erkenntnis, die beim Erkennen zusammenfinden: der Sinnlichkeit und dem Verstand (bzw. der Vernunft). Das heißt, wir erkennen sowohl aufgrund der sinnlichen Wahrnehmung als auch des Verstandes. Demnach gibt es für Kant zwei Typen der Strukturen a priori: die Strukturen a priori der sinnlichen Wahrnehmung und die des menschlichen Verstandes. Anschauungen (Wahrnehmungen) erhält das Subjekt durch die Sinnlichkeit, mithin durch seine Sinne. Reale Gegenstände rufen in ihm Empfindungen hervor (Farbe, Wärme usf.), die aber lediglich das Material einer sinnlichen Anschauung bilden. Diese Empfindungen sind a posteriori (d.h. empirisch). Damit eine Anschauung zustande kommen kann, müssen noch die Formen a priori (d.h. reine Formen) hinzukommen, nämlich Raum und Zeit (vgl. KrV B 29f). Der menschliche Verstand hat es dagegen mit Begriffen zu tun. Diese werden von Kant in empirische (a posteriori) und reine (a priori) Begriffe aufgeteilt. Während die empirischen Begriffe (wie der Begriff eines konkreten Dinges, z.B. eines Autos) durch sinnliche Anschauung gewonnen werden, entspringen die reinen Begriffe ihrem Inhalt nach dem Verstand selbst und werden deshalb auch Verstandesbegriffe (bzw. Kategorien) genannt. Die empirischen Begriffe setzen reine Begriffe voraus (vgl. KrV B 74f, 95f). Nun sehen wir, warum Kant auch die Ebene 3 (vgl. oben) akzeptieren und dadurch einen antiminimalistischen Standpunkt erreichen kann. Er ist also der Ansicht, dass das menschliche Subjekt die Ebene der Ermöglichung durchaus erlangen kann. Mit anderen Worten: Das menschliche Subjekt ist imstande, die das Erkennen ermöglichenden (aposteriorischen und apriorischen) Bedingungen zu identifizieren, d.h. sie logisch festzustellen, bzw. deren Existenz zu postulieren. Nach dieser kurzen Schilderung des Erkenntnisprozesses bei Kant wollen wir jetzt fragen, wie sich dies zum 24

Kant untersucht die Strukturen a priori der Sinnlichkeit in der „Transzendentalen Ästhetik“, die Strukturen a priori des Verstandes in der „Transzendentalen Analytik“. In der „Transzendentalen Dialektik“ werden die Ansprüche der Metaphysik als Transzendenzwissenschaft zurückgewiesen. 24

113 Skepsisproblem verhält. Entscheidend sind hier folgende Sachverhalte: (1) das Ding an sich; und (2) die Grenze der Erkenntnis. Daher schreibt Kant: „Wir haben also sagen wollen: dass alle unsre Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung sei: dass die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie uns erscheinen, und dass, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können“ (KrV B 59).

Aus diesem Zitat ergibt sich also, dass wir die uns erscheinenden Dinge nur so erkennen können, wie sie uns erscheinen – aufgrund der Strukturen a priori unseres Erkennens. Wir sind aber nicht imstande, Dinge an sich zu erkennen, d.h. so wie sie tatsächlich sind. Das bedeutet, Dinge bzw. Gegenstände an sich bleiben für uns als menschliche Subjekte unerreichbar. Das ist der erste Punkt, an dem wir die kantische Skepsis vermuten können. Kants skeptische Tendenz lässt sich zudem im Kontext der Frage nach der Grenze der Erkenntnis erblicken. Diese Grenze besteht darin, dass es jenseits der Gegenstände möglicher Erfahrung keinen Gebrauch der Kategorien gibt. Nach Kant sind es also zwei Entitäten, die Erkenntnis ermöglichen: Zum einen ist es der Begriff (Kategorie), dadurch wird ein Gegenstand erst überhaupt gedacht. Zum anderen ist es die Anschauung, dadurch wird ein Gegenstand gegeben. Angenommen, dass dem Begriffe eine korrespondierende Anschauung nicht gegeben werden könnte, dann wäre er ein Gedanke der Form nach, aber ohne Gegenstand (d.h. leer). Folglich wäre keine Erkenntnis von irgendeinem Ding möglich (vgl. KrV B146f). Abschließend können wir mit Blick auf Kant feststellen, dass auch eine antiminimalistische Position sich nicht gänzlich jedweder Skepsis entziehen kann. Es bleibt zumindest eine antiminimalistische Skepsis denkbar.

114 7. Die phänomenologische Skepsis Als Husserl seine Phänomenologie als reine Wissenschaft von den sich im Bewusstsein offenbarenden Phänomenen ins Leben gerufen hat, war für ihn noch nicht ganz klar, aus welchen methodischen Elementen sie aufgebaut werden soll. Erst später zeigte sich, dass eine immer wichtigere Rolle dabei dem Begriff „Epoché“ (=Einklammerung, Ausschaltung) zugeschrieben wird. Damit ist nichts anderes als Reduktion gemeint, die in verschiedenen Varianten auftreten kann. So kann sich die Phänomenologie erlauben, auf die Arbeit in natürlicher, alltäglicher Einstellung zu verzichten, und sich statt dessen reflektiv auf das Bewusstsein zu wenden, so dass die Außenwelt ausgeschaltet werden kann. Dank dieser phänomenologischen Reduktion gelangt das Wesen, d.h. die reine Erscheinung im Bewusstsein im Unterschied zur „Tatsache“, in den Blick. Die Phänomenologie wird somit zur „Wesensschau“ . Auf dieser phänomenologischen Grundlage wollen wir die Frage stellen, inwiefern Husserls Standpunkt von einer skeptischen Tendenz geprägt ist, zumal Husserl auch unter dem Einfluss eines Descartes steht, für den Zweifel methodisch relevant ist (vgl. 5 [Kap. II]). Im Anschluss an Husserls Phänomenologie werden wir also versuchen, den Begriff einer phänomenologischen Skepsis zu entwerfen. Ferner soll nach der Möglichkeit einer Weiterführung dieser Skepsis bei Ingarden gefragt werden. 25

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Hier sei auch darauf hingewiesen, dass der Begriff „Phänomenologie“ in der gegenwärtigen philosophischen Debatte nicht nur mit Husserl in Verbindung zu bringen ist. Auch viele andere Philosophen machen davon Gebrauch, etwa Hegel oder Austin. Seit Husserl wird jedoch unter Phänomenologie eine selbständige philosophische Disziplin verstanden, die durch eine eigene Methode gekennzeichnet ist. Vgl. dazu Rynkiewicz, K. (2008), 45f. Also phänomenologische, transzendentale, eidetische Reduktion. Dieses Verfahren wird also erst ab den „Ideen I“ in Anspruch genommen. Vgl. Becke, A. (1999), 11. 25

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115 7.1. Skeptische Tendenzen bei Husserl? Der „provozierende“ Charakter dieser Titel-Frage kann durch Husserls Behauptung selbst zugespitzt werden, er wolle die reale Welt nicht mit seiner phänomenologischen Reduktion negieren. Husserl will also kein Skeptiker sein; er übt nur die phänomenologische Epoché, die ihm jedes Urteil über das Sein der Welt und alles Seiende in ihr verschließt – in der Absicht jedoch, es „dahingestellt“ sein zu lassen, damit es ihm zum Objekt phänomenologischer Befragung werden kann. Nun, worin besteht die phänomenologische (bzw. transzendentale) Reduktion und was kann sie überhaupt leisten? Was diese Reduktion für Husserl ist, wird vorab im Kontext des Verhältnisses zwischen der Phänomenologie und Psychologie als empirischer Wissenschaft deutlich. Während es die Psychologie mit Erlebnissen als Äußerungen des realen (psycho-physischen) Individuums zu tun hat, befasst sich die Phänomenologie dagegen mit Erlebnissen, die von der Auffassung „gereinigt“ sind, dass sie Realitäten innerhalb der Welt sind. Die phänomenologische Reduktion gilt dabei als „Werkzeug zur Durchführung dieser Reinigung“. Die phänomenologische Epoché als bloße Urteilsenthaltung bzw. Ausschaltung der realen Welt führt dazu, dass der Ausschaltende den Übergang von den Gegenständlichkeiten der realen (oder irgendeiner anderen) Welt zu den bloßen Gegenstandsphänomenen vollzieht. Die Reduktion erlaubt uns also zu erfassen, dass die Gegenstandssinne (Noemata) einerseits die Korrelate bestimmter Noesen (d.h. bestimmter Intentionseinheiten des reinen Bewusstseins) sind, andererseits aber zugleich auf dem Untergrund bestimmter – aber wechselnder und mannigfacher – Ansichten (bzw. Abschattungen) erscheinen, welche im Hinblick auf ihre Funktion den Gegenstandssinnen gegenüber auch „Erscheinungen“ von diesen zu nennen sind. Auf den Punkt gebracht: Die transzendentale Reduktion eröffnet uns den Zugang zum reinen Bewusstsein. Diese Eröffnung vollzieht sich auf dem Wege einer radikalen Änderung der natürlichen Thesis – auch Generalthesis genannt. Die Generalthesis 28

29

28 29

Vgl. Ströker, E. (1987), 74. Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 53, 57.

116 besagt, dass die reale Welt stets nicht nur auffassungsmäßig, sondern auch als daseiende Wirklichkeit bewusst ist. Diese Thesis geben wir nach Husserl nicht preis, wir ändern nichts an unserer Überzeugung, die in sich selbst bleibt, so wie sie ist. Was wir lediglich tun, ist, diese Thesis einzuklammern, d.h. außer Aktion zu setzen. Aufgrund dieser Modifikation haben wir es dann mit einer „eingeklammerten Thesis“ zu tun. Damit wird aber das Dasein der realen Welt weder negiert noch angezweifelt. Die Realisierung dieser umwertenden Modifikation setzt allerdings die Freiheit des menschlichen Subjekts voraus, das diese Modifikation auf der Basis der phänomenologischen Reduktion zustande bringt. Auch der universelle Zweifelsversuch, so wie ihn etwa Descartes zu vollziehen strebte, gehört in das Reich der vollkommenen Freiheit, und zwar in dem Sinne, dass nur freie Subjekte ihren epistemologisch-kritischen Umgang mit der Welt „pflegen“ können. Bezüglich jeder Thesis können wir in voller Freiheit die Epoché üben, d.h. eine Urteilsenthaltung, die sich mit der unerschütterten und evidenten Überzeugung von der Wahrheit verträgt. Das in der phänomenologischen Reduktion Auszuschaltende wird von Husserl vorerst mit dem Begriff „Generalthesis“ (bzw. „Thesis“) auf den Punkt gebracht, dann aber viel differenzierter bestimmt. So werden in erster Linie Naturund Geisteswissenschaften mit ihrem gesamten Erkenntnisbestand ausgeschaltet. Damit sind also die natürliche Welt, alle sich durch wertende und praktische Bewusstseinsfunktionen konstituierenden Gegenständlichkeiten, alle Arten von Kulturgebilden, Werke der technischen und schönen Künste, Sitte, Recht, Religion usw. gemeint. Darüber hinaus wird der Mensch als Naturwesen und als Person ausgeschaltet. Was diesbezüglich verbleibt, ist nur das reine Ich, das gegen die reduktive Ausschaltung „immun“ ist. Auch die Transzendenz Gottes ist auszuschalten, betont Husserl. Ferner lautet seine These, ein Phänomenologe dürfe nichts in Anspruch nehmen, als was er am Bewusstsein selbst, in der reinen Immanenz ihm wesensmäßig einsichtig machen könne. Deshalb wird auch die formale Logik und die ganze Mathesis (Algebra, Zahlentheorie, Mannigfaltigkeitslehre usw.) 30

30

Vgl. Husserl, E., Hua III/1, 53f.

117 ausgeschaltet. Schließlich werden alle material-eidetischen Disziplinen ausgeklammert, wie etwa die Physik. Jeder Versuch, irgendetwas Vorhandenes zu bezweifeln, bedingt notwendig eine gewisse Aufhebung der Thesis. Deshalb hat sich Husserl wohl auch entschlossen, seine phänomenologische Reflexion mit Blick auf Descartes durchzuführen, der diesen Weg schon vor ihm – und zum großen Teil erfolgreich - gegangen ist. Daher versucht Husserl Descartes zu folgen, allerdings stets mit phänomenologisch notwendigen Modifizierungen. Für beide ist es mithin entscheidend, einen erfolgversprechenden Weg zum Erlangen absoluter Erkenntnis zu finden. So kann Husserl schreiben: 31

32

„Jedes intellektive Erlebnis und jedes Erlebnis überhaupt, indem es vollzogen wird, kann zum Gegenstand eines reinen Schauens und Fassens gemacht werden, und in diesem Schauen ist es absolute Gegebenheit“.

Damit will Husserl verdeutlichen, dass sich nach ihm eine Sphäre von absoluter Gegebenheit von vornherein bezeichnen lässt. Wir haben oben gesehen, dass der Weg dorthin über die transzendentale Reduktion führt. Selbst wenn Husserl Descartes´ Meditationen für das Urbild der philosophischen Selbstbesinnung hält, will er dabei jedoch nicht unkritisch verfahren, sondern vielmehr in äußerster kritischer Vorsicht und Bereitschaft zu jeder notwendigen Umbildung des kartesischen Gedankenguts. Descartes´ Bemühungen, einen radikalen Neubeginn der Philosophie zu schaffen, indem der methodische Zweifel entworfen und das cogito in den Mittelpunkt gestellt wird, verdient bei Husserl durchaus Anerkennung. Dennoch sieht er sich kaum imstande, in der Nachfolge Descartes´ zum transzendentalen Ego zu gelangen. Denn im Projekt Descartes´ steckt zu viel Scholastik. Es darf keineswegs als selbstverständlich gelten, dass wir in unserem apodiktischen reinen Ego ein kleines Endchen der Welt gerettet hätten, wie dies Descartes zu erlangen meinte. Leider kommt es bei Descartes darauf an, dass er als Vater des transzendentalen Realismus gescheitert ist mit der unscheinbaren, aber 33

Vgl. Husserl, E., Hua III/1, 108f. Vgl. Husserl, E., Hua III/1, 54. Vgl. Husserl, E., Hua II (Zweite Vorlesung, 10f). Für Descartes war das „cogito, ergo sum“. 31 32 33

118 verhängnisvollen Wendung, die das Ego zur substantia cogitans und zum Ausgangsglied für Schlüsse nach dem Kausalprinzip macht. Und davon will sich Husserl entschieden distanzieren, indem er dem Radikalismus der Selbstbesinnung und somit dem Prinzip reiner Intuition oder Evidenz getreu bleibt, also nichts gelten lässt, als was er auf dem ihm durch die Epoche´ eröffneten Feld des ego cogito wirklich und zunächst ganz unmittelbar gegeben hat. Dieser Husserlsche Standpunkt, dem man charakteristische, weil in der Epoché fundierte skeptische Tendenzen durchaus zuschreiben kann und den wir als phänomenologische Skepsis – zumindest in weiterem Sinne – bezeichnen können, hat systematisch transzendentalidealistische Züge angenommen. Dieser Sachverhalt konnte dem aufmerksamen Auge seines Schülers Ingarden nicht entgehen. 34

35

7.2. Skeptische Weiterführung durch Ingarden? Im vorangehenden Abschnitt hat sich herausgestellt, dass es einige skeptische Tendenzen bei Husserl insofern gibt, als sie im Kontext der phänomenologischen Reduktion gedeutet werden. Dies ist aber nicht als klassische Skepsis – etwa im Sinne der antiken Skepsis – zu verstehen (vgl. 4 [Kap. II]). Vielmehr ist es nur eine Art „phänomenologische Vorsicht“, die einen Phänomenologen stets aufmerksam sein lässt, wenn er sich Gedanken über die Existenz der Welt macht auf der Grundlage seiner Epistemologie. Allerdings ist hier zu betonen, dass der Husserlsche Standpunkt auch mit einem scharfen Widerstand zu kämpfen hatte, insbesondere seitens einiger seiner Schüler, zu denen auch Roman Ingarden gehörte. Zwar konnte Ingarden, wie er selbst schreibt, den transzendentalidealistischen Standpunkt seines Meisters nicht teilen, er hat 36

Vgl. Husserl, E., Hua I, 8f, 25f. Hier ist also der späte Hussel gemeint. Mittlerweile ist es eine klassische These, dass sich beim späten Husserl (ab den Ideen I) eine Wende in die transzendentalidealistische Richtung vollzogen hat (vgl. dazu Rynkiewicz, K. [2008]). Der transzendentale Idealismus bei Husserl besteht kurzum darin, dass der realen Welt nach dem Vollzug der transzendentalen Reduktion – eine nur relative Existenz zugeschrieben wird, dem reinen Bewusstsein dagegen eine absolute. Vgl. Ingarden, R., SPhH, 6f. 34 35

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119 aber trotzdem von ihm zahlreiche phänomenologische Elemente übernommen, welche nicht nur aus methodischer Sicht relevant sind, sondern auch in Bezug auf die Skepsisproblematik schlechthin. Ein klassisches Beispiel stellt das Problem von petitio principii und regressus in infinitum dar. Daher können wir mit Recht fragen, inwiefern Ingardens Ansatz als eine skeptische Weiterführung des Husserlschen Gedankenguts zu verstehen ist. Die Problematik der Skepsis, mit der sich jede ernsthafte Erkenntnistheorie stets auseinandersetzen muss, erhält auf dem Gebiet der Phänomenologie einen spezifischen Charakter, der vor allem in zwei fundamentalen epistemischen Gefahren fundiert ist: unendlichem Regress und petitio principii. Nicht zuletzt hat darauf Ingarden hingewiesen. Sollte nun das erkennende Subjekt einmal in eine dieser beiden Gefahren geraten, dann kann es seinen Umgang mit Erkennen und Wissen nicht mehr problemlos erleben. Da es in dem Fall kaum denkbar ist, zu einem zufriedenstellenden Resultat zu gelangen, melden sich auch notwendig diverse skeptische Entitäten, welche den ganzen epistemologischen Prozess bedrohen könnten. Sie könnten nämlich dazu führen, dass das Subjekt dem Zweifel erliegt, weil es seine Erkenntnisbedürfnisse nicht mehr hinreichend befriedigen kann. Eine hinreichende Befriedigung läge aber nur dann vor, wenn keine Warum-Frage mehr gestellt werden müsste, mithin die allgemeinste Frage in einem Rechtfertigungsprozess. Solange dies nicht eingetreten ist, solange kann der Zweifel nicht ausgeschlossen werden. Betrachten wir diese zwei Typen von epistemologischen Gefahren etwas genauer. Zu einem unendlichen Regress kommt es nämlich dann, wenn jede Erkenntnis, die in der Erkenntnistheorie verwendet werden darf, notwendigerweise einer epistemischen Kontrolle unterliegt. Da jede Kontrolle auch eine neue Erkenntnis ist, muss sie wieder einer neuen Erkenntnis unterliegen usw. Dieser Vorgang darf sich aber weder in einem Kreis bewegen noch ins Unendliche gehen. Falls dies aber doch geschähe und wir auf die Kontrolle an einer gewissen Stelle verzichteten, dann hätten wir unbegründete Voraussetzungen, was mit einer petitio principii 37

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Hinzu kommt oft noch circulus vitiosus.

120 gleichbedeutend wäre. Aus phänomenologischer Sicht stellt diese Konstellation eine belangvolle Grundlage für das Auftreten skeptischer Tendenzen in einer Erkenntnistheorie dar. Kurzum: Eine Skepsis wird durch den regressus in infinitum und die petitio principii ausgelöst. Lässt sich dies überhaupt vermeiden? In der gegenwärtigen epistemologischen Debatte gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten, den Regress ins Unendliche zu beenden: (1) Erstens könnte er mit Meinungen enden, die nicht weiter gerechtfertigt werden können. Aus epistemischer Sicht wäre das aber sehr unbefriedigend, weil die epistemische Rechtfertigung einen Indikator für die Wahrheit einer Meinung darstellt. Doch wenn eine Meinung nicht rechtfertigbar ist, spricht nichts für ihre Wahrheit; (2) Zweitens könnten an irgendeiner Stelle Meinungen auftreten, die schon bei früheren Inferenzen (Schlüssen) eine Rolle gespielt haben. Jedoch diese zirkuläre Struktur bietet ebenfalls keinen Grund, die beteiligten Meinungen auch für wahr zu halten; und (3) Drittens gäbe es die Möglichkeit, den Regress nicht an irgendeiner Stelle abzubrechen, sondern bei Meinungen mit einem besonderen Rechtfertigungsstatus. Es handelt sich also um die sogenannten „basalen Meinungen“, d.h. solche, die auf nicht-inferentielle Art und Weise gerechtfertig sind, und deren Rechtfertigung nicht von weiteren Prämissen abhängt. Wenn wir versuchen, eine Lösung des Regresses im Anschluss an Ingarden zu formulieren, dann können wir von der dritten Möglichkeit Gebrauch machen, nämlich von basalen Meinungen. Denn einen mit basalen Meinungen zu vergleichenden Rechtfertigungsstatus weist in der Ingardenschen Erkenntnistheorie die sogenannte Intuition des Durchlebens auf. Die Intuition des Durchlebens ist ein Zustand des Bewusstseins, der einen Bewusstseinsakt begleiten kann, selbst aber kein neuer Akt ist. Sie stellt ein konstitutives und unentbehrliches Moment des Bewusstseins dar, das ihm einerseits erlaubt, sich nicht nur der von ihm verschiedenen Gegenstände, sondern auch seiner selbst „bewusst“ zu sein (d.h. auch das 38

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Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 297. Vgl. Misselhorn, C. (2001), 126f.

121 Von-sich-selbst-Wissen zu haben), andererseits ausschließlich bei den Bewusstseinsakten vorhanden ist (d.h. selbst kein neuer Akt ist). Mit der Einführung der Intuition des Durchlebens kann also Ingarden in seiner Erkenntnistheorie einerseits die als Folge des regressus in infinitum und der petitio principii auftauchende Skepsis beseitigen oder zumindest abschwächen, andererseits den Husserlschen Ansatz weiterführen, weil eine plausible Analyse der Intuition des Durchlebens phänomenologische Elemente in Anspruch nimmt, auch wenn diese freilich realistisch unterbaut sind. 40

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8. Moralische Skepsis In der gegenwärtigen Debatte über den Skeptizismus wird häufig behauptet, dass sich die skeptischen Probleme vollständig auflösen, sobald man nur den epistemologischen Externalismus akzeptiert. Für die phänomenologische Skepsis, die wir in den vorangehenden Abschnitten bei Husserl und Ingarden gesehen haben, bedeutete dies, dass deren im epistemologischen Internalismus fundierte skeptische Tendenzen durchaus verschwänden, sobald wir dem epistemologischen Externalismus (EE) in unserer Argumentation eine größere Relevanz zuschrieben. Der EE verdankt sich aber dem objektiven Wissen um die Welt, und zwar viel stärker als der epistemologische Internalismus. Und Wissen hat eine zentrale Bedeutung für das menschliche Leben. Die soziale und ökonomische Stellung des Einzelnen hängt zunehmend von seinem Wissen und seiner Bildung ab. Ohne Wissen und wissenschaftlichen Fortschritt wäre unser komplexes soziales und politisches Zusammenleben, unser 42

43

Vgl. Ingarden, R., OSW 32f. Die Intuition des Durchlebens stellt den Kern der Ingardenschen Konzeption der Epistemologie dar, weil sie die reine Erkenntnistheorie fundiert. Sachlich und mit Blick auf die klassische Tradition gesehen handelt es sich um nichts anderes als um das „Selbstbewusstsein im klarstmöglichen Zustand“ (vgl. dazu Rynkiewicz, K. [2008], 282f). Damit ist vor allem der späte Ingarden gemeint, dessen phänomenologische Analysen stark ontologisch „gefärbt“ sind. Vgl. Grundmann, Th. (2001), 23f. Denn ein epistemologischer Internalismus kann auch von intuitiven Faktoren beeinflusst werden. 40

41

42 43

122 Wohlstand und kulturelles Leben undenkbar. Wissen bestimmt schließlich auch unser Moralleben. Dies scheint deshalb wichtig zu sein, weil das Moralleben ein Forschungsgebiet darstellt, das heute stark angezweifelt wird. Der gängige Begriff „Moralbruch“ bringt m.E. diese Konstellation deutlich zum Vorschein. So verabschiedet sich z.B. die jüngere Generation von Elementen, die eine ältere Generation noch für tragfähig hielt. Zahlreiche Beispiele können wir etwa im Bereich von Musik, Erziehung, Schule, Politik usf. erblicken, insbesondere aber bei der Betrachtung der Wandlung des Begriffs „Partnerschaft“, der meist auf das Zusammenleben von einem Mann und einer Frau bezogen wird. In dem Kontext wäre also zu fragen, warum und wie menschliche Personen Moralbrüche erleben und diese auch herbeiführen. Der Beantwortung dieser Frage, die wir mit dem Begriff der moralischen Skepsis verbinden, soll ein knapper Blick auf George Edward Moore vorangehen. Ferner werden wir versuchen, den gegenwärtigen Umgang der Menschen mit Moral in diesem Kontext zu skizzieren. 44

8.1. Moore´s Antwort auf Skepsis. Eine weiterführende Analyse Will man das philosophische Gedankengut Moore´s bündig auf den Punkt bringen, so lässt sich kaum ohne den Begriff „Philosophie des Common Sense“ auskommen. Dies ist nicht ohne Bedeutung für unsere Analyse der Skepsisproblematik. Moore vertritt eine Philosophie der Alltagssprache. Er stellt eine Liste von Aussagen auf, von denen er zum einen behauptet, er wisse mit Sicherheit, dass sie wahr sind, z.B. „es existiert jetzt ein lebender menschlicher Körper, der mein Körper ist“. Zum anderen stellt Moore fest, dass viele Menschen oft bezüglich ihrer eigenen Person und ihres eigenen Körpers das entsprechende Wissen (gehabt) haben. Aufgrund dieses Wissens verwirft Moore die philosophischen Auffassungen, dass die obige Aussage sowie viele andere Aussagen zumindest zum Teil falsch seien oder dass ihre Wahrheit nicht mit Gewissheit erkannt werden könne. Mit anderen Worten: Eine Aussage ist wahr, weil sie zum Weltbild des Vgl. Grundmann, Th. (2001), 10. Wir werden das Phänomen des Wissens erst im Kap. IV genauer untersuchen. 44

123 gesunden Menschenverstandes gehört. Diese These lässt sich eben als Moore´s Antwort auf Skepsis verstehen. Die dadurch geäußerte Common-Sense-Behauptung weist jedoch einige schwerwiegende Konsequenzen für die Behandlung des Skepsisproblems auf. Es wäre zu fragen, welche Aussagen zum Weltbild des Menschenverstandes gehören. Gehören dazu auch alle epistemologischen Aussagen? Formulieren wir zunächst diesbezüglich einige weitere Fragen: (1) Wie gehen Subjekte mit Erkennen und Wissen um? (2) Ab wann liegt Wissen vor? (3) Welche Gewissheitsstufe weist empirisches Erkennen auf? Diese Fragen können wir zusammenfassend folgendermaßen beantworten: Subjekte gehen meist verantwortungsbewusst mit Erkennen und Wissen um. Wissen ist objektiv gerechtfertigtes Meinen. Das empirische Erkennen weist eine nur relative Gewissheitsstufe auf. Diese Aussagen sind aber noch keine Common-Sense-Aussagen (CSA) im Sinne von Moore, weil sie zu stark an der Allgemeinheit „kranken“. Nach Nicholas Silins könnte z.B. eine derartige CSA lauten: „Ich habe Hände“. Die Allgemeinheit dieser Aussage besteht darin, dass zwei entgegengesetzte Fragen im Hinblick darauf gestellt werden können. Das Gleiche gilt auch für eine moralische Aussage, z.B. „Ich soll meine Frau niemals schlagen“. Also: 45

Aussage: „Ich habe Hände“ und „Ich soll meine Frau niemals schlagen“ Frage 1: Wie bin ich gerechtfertigt in der Meinung, dass ich Hände habe und meine Frau niemals schlagen soll? Frage 2: Wie bin gerechtfertigt in der Meinung, dass es mir scheint, dass ich Hände habe und meine Frau niemals schlagen soll? Während die Frage 1 grundsätzlich keine Schwierigkeiten mit sich bringt, da sie mit der These Moore´s über die Wahrheit einer Aussage durchaus vereinbar ist: Es ist eine Tatsache, dass ich Hände habe und (als guter Ehemann) meine Frau niemals schlagen soll, lässt sich die Frage 2 dagegen keinesfalls problemlos beantworten: Es ist genau zu bestimmen, was es heißt, dass es mir scheint, dass ich Hände habe und meine Frau niemals schlagen soll. Das bedeutet, dass wir noch eine Grundlage für die epistemologisch unsichere (d.h. scheinbare) Position in Bezug auf 45

Vgl. Coreth, E. u.a. (1993), 129.

124 Letzteres herausfinden müssen. Der Ausweg aus dieser Konstellation kann einen doppelten Charakter aufweisen: Konservatismus oder Liberalismus. Bestimmen wir diese beiden Standpunkte mit dem Blick auf visuelle Erfahrung: 46

Konservatismus: „Whenever your visual experience E gives you justification to believe its content that P”. Liberalismus: “It´s not the case that: whenever your visual experience E gives you justification to believe its content that P”. 47

Es steht außer Zweifel, dass wir die Position von Moore als moralischen Konservatismus bezeichnen können, wenn er die Wahrheit einer CSA am gesunden Menschenverstand messen will. Eine genauere Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem moralischen Konservatismus und moralischen Liberalismus erfordert jedoch eine moralische Epistemologie. Eine Möglichkeit wäre hier, dass diese Epistemologie im ethischen Intuitionismus gründet, der die Gewissheit grundlegender moralischer Thesen in der Selbst-Evidenz zu erblicken sucht. Eine selbstevidente Proposition (SE) muss also (zumindest) zwei Voraussetzungen erfüllen: (1) Das im Hinblick auf die SE Geglaubte muss gerechtfertigt sein; und (2) Wenn man eine SE auf der Basis von (1) glaubt, dann hat man auch das Wissen von der SE. Wird aber die Frage nach Gründen für diese Konstellation gestellt, so können wir unter anderem drei Typen von den damit verbundenen Argumenten benennen: Argument 1 – akzentuiert das, was Gründe im Hinblick auf deren epistemologischen Kontext konstituiert. Hier wird die Konzeptualisierung von Gründen verlangt; Argument 2 – betont Elemente, welche Gründe ausdrücken. Hier kann (muss aber nicht) 48

49

Vgl. Silins, N. (2007), 108f. Als solche Grundlage kann etwa Halluzination oder eine Art Betäubung gelten. Das heißt, ich kann halluzinieren, dass es erlaubt sei, die eigene Ehefrau – aus welchem Grund auch immer - zu schlagen. Vgl. Silins, N. (2007), 110f. Bezogen auf das obige Beispiel „Ich soll meine Frau niemals schlagen“ lassen sich diese beiden Standpunkte wie folgt bestimmen: (1) Moralischer Konservatismus – Ich soll meine Frau niemals schlagen; (2) Moralischer Liberalismus – Es ist nicht der Fall, dass ich meine Frau niemals schlagen soll. Hier wollen wir von dem Gettierproblem absehen. Vgl. dazu 4.4. (Kap. IV). 46

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125 die Konzeptualisierung von Gründen in Anspruch genommen werden; und Argument 3 – besagt, wie stark Gründe gegenüber anderen epistemologischen Entitäten erscheinen. Hier wird auf die Konzeptualisierung von Gründen verzichtet. Die moralische Epistemologie erfordert schließlich einen epistemischen Konsens, um überhaupt erfolgreich zu sein. Das zeigt sich insbesondere auf der praktischen Ebene. 50

8.2. Moralische Skepsis heute – Moralbruch? Moore´s Antwort auf Skepsis lässt sich in der heutigen Welt nicht mehr problemlos in die Tat umsetzen. Wenn jemand also in der Nachfolge Moore´s behaupten will, dass eine Aussage wahr sei, weil sie zum Weltbild des gesunden Menschenverstandes gehöre, dann stößt er auf zahlreiche gesellschaftliche Hindernisse, insbesondere im Bereich der Moral. Eines der klassischen Beispiele, an dem die Gemüter der menschlichen Subjekte auseinander gehen, stellt die Bestimmung der Relation zwischen Mann und Frau dar, welche sich in verschiedenen Formen offenbart: Ehe, Partnerschaft, Liebes- oder Geschäftsbeziehung usf. Die entscheidende Frage lautet: Was prägt all diese Typen von Beziehungen? Und die Antwort ist, es ist eine moralische Skepsis. Der Ausgangspunkt beim Aufbau einer Beziehung zwischen zwei menschlichen Subjekten A und B ist deren Begegnung unter bestimmten Umständen. Es kann entweder eine zufällige oder eine geplante Begegnung sein. Beim Zustandekommen der letzteren können auch andere Subjekte C, D, F usf. gezielt mitwirken. Als Verbindungsfaktor gelten stets gemeinsame Interessen von Subjekten. Wenn das Subjekt A, das am Ankauf von Diamanten interessiert ist, weil es der Inhaber einer Ladenkette mit Schmuckwaren ist, eine Relation zu dem Subjekt B anstrebt, weil dieses einen großen Einfluss auf dem Gebiet hat, wo Diamanten gefördert werden, so unternimmt A notwendige Maßnahmen, um in eine Geschäftsbeziehung mit B zu treten. Diese Beziehung kann allerdings – zumindest in ihrer ersten Phase – von einer moralischen Skepsis begleitet werden, d.h. das Subjekt A traut dem Subjekt B vorab 50

Vgl. Audi, R. (2008), 226f.

126 nicht und umgekehrt. Beide sind skeptisch, was die Ehrlichkeit des jeweiligen Partners anbelangt. Viel komplexer ist der Aufbau einer Liebesbeziehung zwischen A und B, da diese Art Beziehung dem intuitiven Faktor einen großen Spielraum verleiht, der aber häufig unter dem starken Einfluss von Emotionen steht. Gemeinsam ist hier das Interesse am Erleben einer bestimmten Form von Liebe, sei es sexuelle, sei es platonische oder sei es personale Liebe. Das Erleben dieser Typen von Liebe vermag meist noch nicht, sich von skeptischen Tendenzen völlig abzukoppeln. Obwohl A und B sexuell miteinander verkehren, dabei körperliche Wärme austauschen, Gefühle miteinander teilen sowie das daraus resultierende Wohlergehen genießen, steht ihre Beziehung jedoch unter dem Einfluss einer moralischen Skepsis. Mit anderen Worten: Die Liebesbeziehung von A und B weist einen nur eingeschränkten Charakter auf. Das ist aber zu wenig, um die moralische Skepsis zu beseitigen. Die Beziehung zwischen zwei menschlichen Subjekten, einer Frau und einem Mann, erreicht schließlich ihre besondere Form in der Partnerschaft und Ehe. In der Partnerschaft leben A und B zusammen, teilen die Wohnung, das Bett, den Tisch usf., leisten einander finanzielle Unterstützung, übernehmen etliche Verantwortung füreinander, sind aber noch nicht imstande, die moralische Skepsis loszuwerden. Denn in solch einer Beziehung fehlt die absolute Offenheit und das notwendige Vertrauen. Eine Partnerschaft kann jede Zeit aufgelöst werden, ohne dass A und B irgendwelche Konsequenzen zu tragen hätten. Ganz anders ist es dann, wenn eine Partnerschaft in die Ehe mündet. So wird die Beziehung zwischen A und B mit Hilfe eines Vertrags festgesetzt und lässt sich nicht ohne Konsequenzen auflösen. Das heißt, nach der Auflösung der Ehe haben beide Seiten die sich daraus ergebenden Folgen zu tragen. Erst in der Ehe sind also hinreichende Bedingungen vorhanden, welche die gänzliche Beseitigung der moralischen Skepsis ermöglichen. Das Eingehen einer Ehe setzt aber absolutes Vertrauen, volle Offenheit und uneingeschränkte Verantwortung der Partner voraus. 51

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Platonische Liebe ist die Liebe zum Wahren, Guten und Schönen. Abgesehen natürlich davon, dass sie vielleicht schon gemeinsame Kinder haben. Zumindest in juristischem Sinne.

127 In den letzten Jahren lässt sich allerdings immer öfter beobachten, dass die menschlichen Subjekte nicht mehr bereit sind, die Beziehung in einer Ehe anzustreben. Viele Paare bleiben auf der Stufe der Partnerschaft stehen und deshalb auch der moralischen Skepsis stark verhaftet. Insofern könnte man von einem Moralbruch reden, dessen eigentliche Folgen wohl erst in der nächsten Zukunft zum Tragen kommen. Moralische Skepsis führt also heute zu einem erheblichen Bruch der Moral. 9. Das Problem des Skeptizismus und die gegenwärtige Erkenntnistheorie Auch der gegenwärtigen Erkenntnistheorie bleibt eine Auseinandersetzung mit dem Skeptizismusproblem keineswegs erspart. Denn sie muss sich ebenfalls die Frage stellen, was wir heute wissen können und welchen Status unser Wissen hat. Zwar würden wir heute weder Descartes und dessen Gefolgschaft zustimmen, wenn sie behaupten, dass eines der wichtigsten Anliegen der Erkenntnistheorie sei, skeptische Zweifel an der Möglichkeit, Wissen über die Außenwelt zu erwerben, philosophisch zu widerlegen oder zumindest zu neutralisieren, noch Kant folgen, wenn er sagt, dass das Fehlen einer Widerlegung des Skeptizismus ein Skandal der Philosophie sei. Dennoch würden wir zugleich wohl nicht dazu neigen, die epistemologisch gewagte These zu vertreten, es gebe überhaupt kein Problem des Skeptizismus. Denn sobald wir diese These aufstellten, ergäben sich aus epistemologischer Sicht viele schwerwiegende Konsequenzen bezüglich der Auffassung der menschlichen Natur. Dessen ungeachtet lässt sich zugleich nicht verschweigen, dass sich eine epistemologische Neubewertung des skeptischen Problems zugunsten des Rechtfertigungsproblems vollzogen hat. Für den veränderten Stellenwert des Skeptizismus sind vor allem zwei Faktoren verantwortlich: Pragmatismus und Naturalismus. Zur Entwicklung der Pragmatismusthese hat insbesondere Richard Rorty beigetragen, dessen Analysen dem Wahrheitsbegriff eine primäre Funktion zuschreiben. Unsere epistemologische Fixierung auf das skeptische Problem wird nach Rorty 54

55

Dies ergibt sich schon aus der Einschränkung Erkennensvermögens. Vgl. dazu Kap. VI der vorliegenden Abhandlung.

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55

des

menschlichen

128 durch unsere kartesianische Auffassung des Verhältnisses von epistemischem Subjekt und Objekt sowie durch das damit verbundene substantielle Verständnis von Wahrheit als Korrespondenz unserer Gedanken mit den externen Tatsachen in der Welt motiviert. Stattdessen plädiert Rorty für eine pragmatische Auffassung der Wahrheit, wonach diese als Zweckmäßigkeit verstanden wird oder zumindest unser Streben nach Wahrheit durch ein sinnvolles Streben nach Zweckmäßigkeit ersetzt wird. Durch den Verweis auf den falsch verstandenen Wunsch nach Wahrheit will sich der Befürworter des Pragmatismus vom Skeptizismus verabschieden, d.h. dieses epistemologische Projekt fallen lassen. Was den Naturalismus dagegen anbelangt, so ist hier vor allem Quine zu erwähnen. Mit seinem Artikel „Epistemology Naturalized“ hat er eine Naturalisierung der Erkenntnistheorie eingeleitet. Der epistemische Naturalist will also nicht die Erkenntnistheorie aufheben, sondern er konzipiert sie auf eine neue Weise. Ausgehend von der Einsicht Quines, dass Philosophie keineswegs als eine Wissenschaft verstanden werden kann, die vom Gottesgesichtspunkt aus das Fundament für alle Einzelwissenschaften legt, versteht der Naturalist die Erkenntnistheorie als ein Projekt, das selbst ein Teil unserer wissenschaftlichen Erforschung der Welt ist. Die prinzipielle Aufgabe der Erkenntnistheorie besteht darin, die Mechanismen unseres Wissenserwerbs zu beschreiben, und eventuell Vorschläge zur Verbesserung unserer epistemischen Prozedur zu machen. Für eine derartig naturalisierte Erkenntnistheorie kann das Problem des Skeptizismus nur als ein Randproblem gelten, weil innerhalb der Wissenschaften die Möglichkeit des Wissenserwerbs als gegeben vorausgesetzt wird. Selbst wenn allgemeine skeptische Fragen in diesem Kontext für sinnvoll gehalten werden, wird die skeptische Schlussfolgerung nicht akzeptiert, sondern als Überreaktion angesehen. Diese Überreaktion führt zur Überschreitung der naturalisierten 56

Der Pragmatist übersieht allerdings, dass wir den Gehalt unserer Gedanken und die Bedeutung unserer Aussagen nur auf einen nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff rekonstruieren können (vgl. Stüber, K.R. [2001], 210f). Rorty (vgl. ders., [1987], 16f) plädiert - kurzum - für eine Auflösung der Erkenntnistheorie in Hermeneutik.

56

129 Erkenntnistheorie. Als typisches Beispiel gilt etwa die skeptische Frage: Wie können wir wissen, dass wir keine Gehirne im Tank sind? In der gegenwärtigen epistemologischen Debatte gibt es viele Möglichkeiten, mit dieser skeptischen Frage umzugehen. Die meisten Versuche spielen sich auf zwei klassischen Ebenen ab: auf der Ebene des Externalismus und der des Internalismus. Hier konzentrieren wir uns aber lediglich auf den ersteren, um kurz zu zeigen, wie die philosophische Skepsis „beruhigt“ werden kann. Ein externalistischer Standpunkt besagt also, dass sich der Gehalt unserer mentalen Zustände nur in Bezug auf die kausalen Beziehungen zwischen dem Subjekt und der Außenwelt konstituiert. Dabei können wir ferner zwischen einem epistemischen (EE) und einem semantischen Externalismus (SE) unterscheiden. Der EE verlangt für die Rechtfertigung einer Meinung nur, dass diese Meinung eine gewisse Eigenschaft F besitzt. Dabei ist es nicht notwendig zu erkennen, dass eine Meinung diese Eigenschaft hat, damit diese Meinung wirklich gerechtfertig ist. Der SE, der begrifflich schon in der allgemeinen Variante des Externalismus fundiert ist (vgl. oben), verknüpft dagegen seine Forderungen etwa mit dem folgenden Konditionalsatz: „Ich kann nur denken, dass ich ein Gehirn-im-Tank bin, wenn ich kein Gehirn-im-Tank bin“. So gilt es jetzt zu fragen, wie das Verhältnis zwischen dem SE und dem EE sei. Und die Antwort lautet, der SE impliziert (bzw. setzt voraus) den EE. Bei genauerem Hinsehen fällt aber auf, dass diese Konstellation weder das einseitige noch das gegenseitige Ausschließen von SE und EE bedeuten muss. Vielmehr baut sich der SE auf dem EE. Erst dann kann ein Raum entstehen, in dem es für den Skeptizismus kaum Platz mehr gibt. So weist der epistemische Externalist darauf hin, dass wir aufgrund unserer normalen wissenschaftlichen Praktiken das Wissen darüber haben, dass wir keine Gehirne-im-Tank sind. Der semantische Externalist leugnet hingegen 57

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Vgl. Quine, W.V.O. (1981), 475. Dazu vgl. auch Stüber, K.R. (2001), 210f. Zum Problem der Naturalisierung der Erkenntnistheorie vgl. auch 5 (Kap. VII) der vorliegenden Abhandlung. Hier könnte man sich fragen, was ein epistemischer Internalist behauptet. Er ist also der Ansicht, dass eine Meinung nur gerechtfertigt werden kann, wenn man tatsächlich erkennt, d.h. gerechtfertigt glauben kann, dass die Meinung eine rechtfertigende Eigenschaft besitzt, oder es zumindest prinzipiell möglich ist, dies zu erkennen.

57

58

130 die Denkmöglichkeit der skeptischen Szenarien und damit die Möglichkeit, die Rechtfertigungspraktiken von einem philosophischen Standpunkt aus in Frage zu stellen. Dadurch werden also die Grenzen skeptischer Bemühungen entlarvt. Der Entlarvungsprozesses des Skeptizismus kann vielerlei Formen annehmen, je nachdem, welche Argumente und Strategien zugelassen werden. So versuchen etwa semantische Argumente aufzuweisen, dass es Bedingungen gedanklicher (oder sprachlicher) Bezugnahme auf die Welt gibt, die genau das als möglich ausschließen, was skeptische Hypothesen unterstellen: dass wir uns global täuschen können. Als Vertreter dieser Denkweise gelten unter anderem Putnam, Davidson, Chalmers. Idealistische Strategien, die insbesondere mit den Namen von Berkeley, Kant und Frege verbunden sind, gehen davon aus, dass eine globale Täuschung über geistabhängige Phänomene nicht in gleicher Weise möglich ist wie über eine vollkommen geistunabhängige Außenwelt. Wenn sich also zeigen ließe, dass unsere Aussagen und Erfahrungen über die Außenwelt nicht von absolut geistunabhängigen Tatsachen handeln, sondern von geistabhängigen Phänomenen (das besagt die Reduktionsthese des Idealismus), dann wäre die skeptische Bedrohung wenigstens zu einem guten Teil entschärft. Selbstaufhebungsargumente bemühen sich in einer oder anderen Weise zu zeigen, dass die skeptische These im Allgemeinen oder der Skeptizismus in Bezug auf bestimmte Teilbereiche oder 59

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Vgl. Stüber, K.R. (2001), 218f. Putnams Argumentation beruht bekanntlich auf dem Beispiel der Gehirne im Tank, während Davidson die These von der radikalen Interpretation (der Äußerungen) vorschlägt. Chalmers plädiert schließlich für eine Destruktion der Täuschungshypothesen. Bei den idealistischen Strategien ist die Unterscheidung zwischen dem erkenntnistheoretischen (transzendentalen) Idealismus (EI) (= das, worauf sich unsere Überzeugungen beziehen, ist nicht geistunabhängig) und dem metaphysischen Idealismus (MI) (= es gibt keine geistunabhängigen Dinge) zu beachten. Während Kant sich für die These des EI einsetzt, indem er von der transzendentalen Reduktionsthese spricht, will sich dagegen Berkeley mit dem MI durchsetzen, wobei einerseits die phänomenalistische These im Vordergrund steht, andererseits das Meisterargument (= Jede Aussage enthält versteckt einen impliziten Bezug auf das vorstellende Subjekt) akzentuiert wird. Nach Frege ist der EI eine schlecht begründete These. 59 60

61

131 Prinzipien unseres Wissens sich nicht ohne impliziten Selbstwiderspruch behaupten lässt. Schließlich gibt es auch epistemisch zirkuläre Argumente gegen den Skeptizismus, die sich paradigmatisch im Bereich der evolutionären Erkenntnistheorie zeigen. Die antiskeptischen Strategien führen nicht zuletzt dazu, dass die Frage nach dem Erkennen stark zugespitzt wird. Bevor wir aber dieser Problematik gründlich nachgehen, wollen wir noch einige konkrete Beispiele skeptischer Argumente formulieren. 62

10. Formulierung einiger skeptischer Argumente Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Anliegen eines Skeptikers argumentativ darzustellen. Trotz ihres modernen Erscheinungsgewands werden die meisten skeptischen Argumente wesenhaft durch klassische Ideen angeregt. Im Folgenden werden drei Typen von Argumenten dargestellt: (1) Argumente, die auf einer skeptischen Hypothese beruhen; (2) das Regressargument; und (3) das Unterbestimmtheitsargument. Mit einem Schema können wir dies wie folgt zusammenfassend darstellen: DAS SKEPTISCHE ARGUMENT beruht auf ↓ ↓ ↓ (1) skeptischer Hypothese (2) Regress (3) Unterbestimmtheit * Hypothese totalen Irrtums * Unzuverlässigkeitshypothese Wir fangen an mit den Argumenten, die auf einer skeptischen Hypothese beruhen. Eine skeptische Hypothese beschreibt eine Situation, in der aus der Perspektive des Subjekts alles genau so aussieht, als läge keinerlei Irrtum vor, sondern als sei alles ganz normal, in der aber die subjektive Perspektive einer radikalen Täuschung unterliegt, sodass die auf sie gestützten Überzeugungen radikal falsch sind. Die skeptische Hypothese Vgl. Grundmann, Th. (2008), 396f. Die skeptischen Positionen, auf die wir im Vorangehenden zum großen Teil Bezug genommen haben, werden weiter unten aufgefasst als Argumente, die folgende klassische Entitäten betreffen: Gewissheit, Traum, Regress, Unterbestimmtheit. 62

132 sagt also nicht nur, dass eine radikale Täuschung vorliegt, sie erklärt auch kausal, warum sie vorliegt. Skeptische Hypothesen entwerfen Täuschungssituationen, die verhältnismäßig realistisch erscheinen. Allerdings ist lediglich denkbar, dass diese Situationen wahr sind, sicher ist das aber nicht. Der Skeptiker kann keine Gründe dafür anführen, dass seine Hypothese tatsächlich wahr ist. In seiner Argumentation beruft er sich auf die bloße Möglichkeit von bestimmten Situationen. Beim genaueren Hinschauen auf einzelne skeptische Argumente werden wir sehen, dass es sich grundsätzlich um zwei Arten von Hypothesen handelt: die Hypothese totalen Irrtums (z.B. Dämon) und die Unzuverlässigkeitshypothese (z.B. Traum). So nimmt etwa das auf Descartes zurückgehende Gewissheitsargument die Hypothese des totalen Irrtums in Anspruch. Descartes entwirft dieses Argument in seiner „Ersten Meditation“ und verwendet es nicht in skeptischer Absicht, sondern seine skeptische Methode dient dem Zweck, sicheres von vermeintlichem Wissen zu unterscheiden. Das können wir folgendermaßen rekonstruieren: 63

(1) Um zu wissen, dass p, muss meine Überzeugung, dass p, gewiss sein (2) Es ist möglich, dass mich ein Dämon dauernd täuscht. (3) Wenn es möglich ist, dass mich ein Dämon dauernd täuscht, dann gibt es keine gewisse Überzeugung, dass p. Also: Es gibt keine Überzeugung, dass p, die ich weiß. 64

Selbst wenn das kartesische Gewissheitsargument für den universellen Wissensskeptizismus durchaus gelten kann, lässt sich leicht seine Ungültigkeit feststellen. Sie ist in erster Linie auf das Prädikat „möglich“ zurückzuführen. Dieses Prädikat kann keine metaphysische Begründung garantieren, weil das Existieren von Dämonen nur denkbar ist, aber nicht sicher. Ein anderes Argument, das auf einer skeptischen Hypothese beruht, ist das Geschlossenheitsargument. Es handelt sich dabei um die Methode der

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Vgl. Grundmann, Th. (2008), 358f. Vgl. Descartes, R., Med. I.

133 Wissensvermehrung durch logische Schlüsse. Das Argument weist folgende Struktur auf: (1) Wenn ich weiß, dass p, dann weiß ich, dass ich gerade nicht von einem Dämon in einer Welt ohne materielle Dinge getäuscht werde. (2) Ich weiß nicht, dass ich gerade nicht von einem Dämon in einer Welt ohne materielle Dinge getäuscht werde. Also: Ich weiß nicht, dass p. 65

Obwohl das Geschlossenheitsprinzip für einen Skeptiker förderlich zu sein scheint, kann das in diesem Prinzip fundierte Argument dennoch nicht ganz plausibel wirken. Denn Wissen beruht zwar auf wahrheitsgenerierenden Gründen, erhebt jedoch keinen Anspruch auf infallible Gründe. Auf einer skeptischen Hypothese beruht schließlich das Traumargument, dessen Ursprünge schon bei Platon zu erblicken sind. Eine viel deutlichere Struktur hat ihm aber Descartes verliehen. Da dieses Argument bei Descartes jedoch noch von der Behauptung abhängt, dass Wissen infallible Gründe erfordere, lässt es sich nicht streng vom Gewissheitsargument unterscheiden. In der gegenwärtigen Debatte werden hingegen keine infalliblen Gründe (im Sinne des kartesischen Cogito) beim Wissensbegriff vorausgesetzt, und dieses Argument beschränkt sich zudem nicht nur auf die Begründung des Wissensskeptizismus, sondern betrifft auch die Begründung des Rechtfertigungsskeptizismus. Hier formulieren wir die einfache Struktur dieses Arguments im Hinblick auf empirisches Wissen: 66

(1) Um aufgrund der Sinneserfahrung Wissen über die Außenwelt erwerben zu können, muss ich zuvor und davon unabhängig wissen, dass ich gerade nicht träume. (2) Ich kann vor und unabhängig von jeder Sinneserfahrung nicht wissen, dass ich gerade nicht träume. Also: Ich kann kein Wissen über die Außenwelt aufgrund von Sinneserfahrung erwerben. 65 66

Vgl. etwa Nozick, R. (1981), 200f. Vgl. Platon, Theätet 158b-c; auch Descartes, R. Med. I.

134

Bei diesem Argument scheinen allerdings zwei Dinge problematisch zu sein. Zum einen haben wir es in der Prämisse (1) mit einer Version des WW-Prinzips (=Wissen-Wissens-Prinzip) zu tun. Dieses Prinzip besagt, dass jedes Wissen ein Wissen, dass man weiß, impliziert. Diese Konstellation führt deshalb zu einem Wissensregress. Zum anderen liegt in der Prämisse (2) eine erkenntnistheoretische Asymmetrie zwischen Wachzustand und Traum vor. Auch wenn wir im Traum eigentlich nicht wissen können, dass wir träumen und nicht wach sind, können wir im Wachzustand sehr wohl wissen, dass wir wach sind und nicht träumen. Skeptische Argumente können auch auf einem Regress aufgebaut werden. Dann haben wir es mit einem Regressargument zu tun, das sich in erster Linie auf das Rechtfertigungsproblem bezieht. So konnten wir schon in 4.1 (Kap. II) sehen, dass eine Auseinandersetzung mit diesem Argument im Gewand von Agrippas Trilemma erscheint, d.h. in der Struktur „Unendlicher Regress - Dogmatischer Abbruch - Argumentation im Zirkel“. Die klassische Formulierung des Regressarguments wird inferenziell, d.h. in Form eines Schlusses durchgeführt. Dies kann etwa wie folgt verlaufen: (1) Rechtfertigung ist immer inferenziell. (2) Jede inferenzielle Rechtfertigung beruht auf rechtfertigenden Gründen. (3) Jede Rechtfertigung führt entweder in einen unendlichen Regress oder einen Zirkel. (4) Ein unendlicher Regress ist erkenntnistheoretisch unzulässig. (5) Ein Zirkel ist erkenntnistheoretisch unzulässig. Also: Rechtfertigung ist generell unmöglich. Die Betrachtung der inferenziellen Struktur des Regressargumentes macht deutlich, dass drei Elemente des Trilemma Agrippas problematisch sind: Weder unendlicher Regress noch dogmatischer Abbruch noch Argumentation in Zirkel können sich aus epistemologischer Sicht bewähren. Alle Elemente scheitern deshalb, weil sie ihr Ziel, d.h. die nicht mehr rechtfertigbare Überzeugung nicht erlangen können. Folglich wird

135 die Rechtfertigung als solche undenkbar. Wie lässt sich dieser Schwierigkeit entgehen? Es gibt zumindest zwei Möglichkeiten: Der erste Vorschlag kommt aus dem Kreis der Kritischen Rationalisten und besteht in der Einführung der sogenannten Basissätzen. Daher schreibt Popper: 67

„Die Basissätze, bei denen wir jeweils stehen bleiben […], haben wohl insofern den Charakter von Dogmen, als sie ihrerseits nicht weiter begründet werden. Aber diese Art von Dogmatismus ist harmlos, denn sie können ja, falls doch ein Bedürfnis danach auftreten sollte, weiter nachgeprüft werden. Wohl ist dabei die Kette der Deduktion grundsätzlich unendlich, aber dieser unendliche Regress ist unbedenklich, weil durch ihn keine Sätze bewiesen oder auch nur unterstützt werden sollen und können.“ 68

Es fällt jedoch auf, dass dieses Zitat keine epistemologische Zufriedenheit garantieren kann. Denn damit wird das Regressproblem nicht gelöst, sondern nur bestenfalls verschoben. Eine bloße Versprechung Poppers, dass man die Basissätze im „epistemologischen Notfall“ eventuell nachprüfen kann, ist nichtssagend. Damit wäre nur eine vorläufige Lösung gegeben. Auch die Behauptung, dass z.B. ein Turm aus der Ferne klein erscheint und aus der Nähe groß, klingt nicht überzeugend, obwohl eine völlig objektive Tatsache ist, dass die relative Größe eines Gegenstandes mit der Entfernung vom Objekt sinkt. Solange also die Basissätze in der inferentiellen Struktur auftreten, können sie sich auch einer Rechtfertigung nicht entziehen, weil sonst ihre Objektivitätsansprüche in Gefahr stünden. Ein kleines Licht in diesem komplizierten „Rechtfertigungs-Tunnel“ erscheint m.E. vielleicht dann, wenn man auf die reliabilistische Methode des Externalismus zurückgreift. Der externalistische Reliabilismus gibt eine simple Erklärung einer nicht auf Inferenzen beruhenden Rechtfertigung. Danach sind Überzeugungen (oder Gründe in weiterem Sinne) nicht-inferenziell gerechtfertigt, wenn sie durch zuverlässige Prozesse zustande kommen. Da etwa Sinneserfahrungen durch solche zuverlässigen Prozesse gebildet werden, können sie gerechtfertigte Gründe bilden, ohne einer weiteren inferenziellen Rechtfertigung durch Argumente zu bedürfen. Sobald man also die inferenzielle Rechtfertigung (durch

67 68

Vgl. dazu auch Grundmann, T. (2008), 357f. Popper, K. (1994), 70f.

136 Argumentation) von nicht-inferenziellen Rechtfertigungen unterscheidet, muss der Abbruch der inferenziellen Rechtfertigung nicht die Unmöglichkeit jeglicher Rechtfertigung bedeuten. Ein anderes skeptisches Argument, das ohne skeptische Hypothesen auskommt, ist das Unterbestimmtheitsargument. Es betrifft einen partiellen Rechtfertigungsskeptizismus, geht ursprünglich auf David Hume zurück, wurde aber in seiner modernen Form vor allem von dem Logischen Empiristen Alfred Ayer angeregt. Das Argument kann sich auf verschiedene Wissensbereiche beziehen. Im Mittelpunkt des Argumentes steht die Behauptung, dass es eine Rationalitätslücke gibt zwischen den Gründen und dem, was durch diese Gründe gerechtfertigt werden soll. Mit anderen Worten: Unsere Gründe lassen unsere Überzeugungen rational unterbestimmt. Wie entsteht diese Konstellation? Unsere Überzeugungen über die Außenwelt stützen sich also auf unsere Sinneserfahrung. Diese Sinneserfahrung bezieht sich aber nicht unmittelbar auf die Außenwelt, sondern auf subjektive Erscheinungen, d.h. Sinnesdaten, die kausal durch Tatsachen in der Außenwelt hervorgerufen werden. Wenn wir von diesen Sinnesdaten auf Tatsachen in der Außenwelt schließen, dann ist dieser Schluss weder deduktiv noch induktiv noch ein abduktiver Schluss auf die beste Erklärung. Wir können das Unterbestimmtheitsargument wie folgt formulieren: 69

70

(1) Alle Überzeugungen über die Außenwelt werden durch Sinneserfahrung inferenziell gestützt. (2) Es gibt weder deduktive noch induktive Beziehungen zwischen dem Inhalt unserer Sinneserfahrung und dem Inhalt unserer Überzeugungen über die Außenwelt.

Vgl. Grundmann, T. (2008), 381f. Als klassischer deduktiver Schluss gilt der Syllogismus (z.B. „Alle Menschen sind sterblich“ => „Sokrates ist ein Mensch“ => „Sokrates ist sterblich“). Bei Induktion handelt sich um die enumerative (=aufzählende) Induktion, die von einer beobachteten Konstellation (bezüglich der Eigenschaften eines Dinges) auf eine weitere derartige Konstellation schließt (z.B. „Alle beobachteten Schwäne sind weiß“ => „Alle Schwäne sind weiß“). Die Abduktion (d.h. der Schluss auf die beste Erklärung) schließt von der Wirkung auf die Ursache bzw. die Erklärung dieser Wirkung.

69 70

137 (3) Wenn die Beziehungen zwischen Sinneserfahrung und Überzeugungen weder deduktiv noch induktiv noch als abduktiver Schluss auf die beste Erklärung anzusehen sind, dann sind sie auch nicht rational. (4) Inferenzen müssen rational sein, damit sie Überzeugungen epistemologisch rechtfertigen können. Also: Unsere Überzeugungen über die Außenwelt sind epistemologisch nicht gerechtfertigt 71

Festzuhalten ist, dass die skeptischen Argumente eine Art Verunsicherung bei den epistemischen Subjekten verursachen können, obwohl ihre Durchsetzungskraft in den meisten Fällen alles andere als plausibel erscheint. Erkennen als solches wird jedoch dadurch erheblich erschwert. 11. Kritischer Ausblick Das Problem des Skeptizismus ist vor allen Dingen auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, die mit dem Begründungsverfahren verknüpft sind. Insofern können wir behaupten, dass das Problem des Skeptizismus das Problem der Begründung ist. Dass wir unsere Erkenntnisse und unser Wissen jeweils zu begründen haben, muss nicht speziell betont werden. Diese Forderung entspringt einerseits der Natur des menschlichen Geistes selbst, andererseits stellt sie das Fundament der epistemischen Objektivität dar. Der skeptische Gedanke bringt also das Subjekt stets an dessen epistemische Grenzen, die es nicht überschreiten kann. Dies wird durch die geltenden skeptischen Prinzipien nahezu unmöglich gemacht: Dabei handelt es sich in erster Linie um das Prinzip des Fallibilismus, nach dem unser Wissen auch falsch sein kann. Diese Konstellation muss Folgen haben. So werden vorab die epistemische Aktivität und Kreativität der Subjekte erheblich abgeschwächt, weil das vom Subjekt erworbene Wissen ständig angezweifelt wird. Das resultiert in einem Motivationsmangel, was sichtbare Spuren auf dem Gebiet der Wissenschaften schlechthin hinterlässt. Versuchen wir dies mit Wittgenstein deutlich zu machen. In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ schreibt er Folgendes: 71

Vgl. Ayer, A. (1956), 81f. Dazu vgl. auch Grundmann, T. (2008), 383f.

138 „Der Plan ist als Plan etwas Unbefriedigtes [...]. Wie der Wunsch, die Erwartung, die Vermutung, usf. [...]. Und hier meine ich: die Erwartung ist unbefriedigt, weil sie Erwartung von etwas ist; der Glaube, die Meinung, unbefriedigt, weil sie die Meinung ist, dass etwas der Fall ist, etwas Wirkliches, etwas außerhalb dem Vorgang des Meinens.“ 72

Wittgenstein behauptet also, dass es viele unbefriedigte Dinge gibt: Pläne, Wünsche, Erwartungen, Vermutungen usf. Abgesehen davon, wie Wittgenstein seine These hier begründet, müssen wir jedoch zugeben, dass sie unsere alltägliche epistemische Erfahrung treffend widerspiegelt: Es gibt unbefriedigte Dinge im epistemischen Leben von Subjekten. Zwar kann die epistemische Unbefriedigtheit als die „Stunde der Geburt des Skeptizismus“ angesehen werden – weil wir mit unserem Wissen unzufrieden sind, sind wir darum skeptisch - sie muss aber zugleich als Kriterium gelten können, dem nach der Skeptizismus selbst einer Prüfung unterzogen wird. Als Resultat dieser Prüfung ergibt sich deshalb „irgendwann“ die Unzufriedenheit mit dem skeptischen Gedanken selbst, weil er sich auch dem Fallibilismus nicht entziehen kann: Das was wir über den Skeptizismus wissen und ihm zu verdanken glauben, kann sich auch eines Tages als falsch erweisen. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Skeptizismus „durch seine eigenen Waffen getroffen wird“, mithin durch die skeptische Kraft seiner eigenen Argumente. Damit werden zumindest zwei Faktoren deutlich: Zum einen haben wir auf dem Gebiet der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften keine andere Wahl, d.h. wir müssen glauben, dass unser Wissen stets im objektiven Sinne erweitert werden kann. Wir können hier an die synthetischen Urteile a priori bei Kant denken. Zum anderen können wir dadurch vielleicht einer epistemischen Stagnation und Rezession vorbeugend entgegenwirken, welche unser geistiges Leben dauernd bedrohen. Dazu sind aber neues epistemisches Suchen und Finden unerlässlich. Über das, was danach kommt, kann man nur „irgendwie“ reden.

72

Wittgenstein, L., PU 438.

139

Kapitel III WAS IST ERKENNEN? 1. Einführung Nachdem wir auf die im Skeptizismus fundierten epistemologischen Grenzen in der Erkenntnistheorie hingewiesen haben, wollen wir nun die Frage beantworten, was wir über das Erkennen wissen können. Damit wird die Frage nach der Natur des Erkennens gestellt. Die Beantwortung dieser Frage stellt eine der wichtigsten Aufgaben der Erkenntnistheorie dar. Alle epistemologischen Bemühungen, die darauf abzielen, die Natur des Erkennens zu erforschen, werden in der vorliegenden Abhandlung als die erste Phase der Analyse der Erkenntnistheorie bezeichnet. Selbst wenn die Begriffe „Erkennen“ und „Wissen“ oft in der gegenwärtigen epistemologischen Debatte abwechselnd gebraucht werden, was offenbar durchaus gerechtfertigt werden kann – vorausgesetzt, dass man eine Analyse in weiterem Sinne anstrebt -, werden wir uns hier dagegen bemühen, zwischen diesen beiden Begriffen zu unterscheiden, wo dies notwendig ist. Denn unser epistemologischer Grundsatz lautet diesbezüglich: Erst wenn ich etwas schon erkannt habe, dann weiß ich es (umfassend). Aber ich erkenne auch das schon in vielerlei Formen existierende Wissen. Dabei fällt ohne weiteres auf: Während der Begriff „Erkennen“ in erster Linie durch eine aktive Tätigkeit des erkennenden Subjekts gekennzeichnet ist und erst danach das Erkannte als Resultat des Erkennens hervorgehoben wird, wird der Begriff „Wissen“ hingegen vorab mit einem gewissermaßen passiven Zustand, der durch einen schon überwiegend abgeschlossenen Erkenntnisprozess erfolgt ist, in Verbindung gebracht, und erst später stellt sich die Frage, wie dieser Zustand eigentlich 1

2

Wir werden im IV. Kapitel sehen, dass es auch die zweite Phase der Analyse der Erkenntnistheorie gibt, die es aber mit der Natur des Wissens zu tun hat. In dieser Phase nimmt der Begriff „Natur des Wissens“ deutlichere Züge an – nicht zuletzt aufgrund der Rechtfertigungsproblematik. Vgl. etwa Brülisauer, B. (2008), 30f.

1

2

140 entstanden ist. „Wissen“ heißt also immer auch „Erkannt-Haben“. Es gibt keinen Zustand vor dem Erkennen, von dem man etwas wissen könnte. Wer etwas weiß, der hat etwas als etwas erkannt. Allerdings wäre es hier zugleich denkbar, das Gegenteil zu behaupten. Denn von etwas wissen heißt noch lange nicht, etwas erkannt zu haben. Man kann etwas im Sinne eines Glaubens, einer Meinung, eines Gerüchts usw. wissen, erkannt hat man es deswegen noch lange nicht. Als aktiver Prozess ist das Erkennen mit der Verwandlung des Kennens verknüpft. Ich kann z.B. jemanden gut kennen, ohne aber schon erkannt haben, wer dieser jemand tatsächlich ist. Beim Erkennen vollzieht sich also eine Verwandlung des Kennens. Dies hebt auch Hegel hervor, wenn er sagt: „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt“. Das Bekannte verwandelt sich in etwas Erkanntes. Doch beides vollzieht sich als Modifikation im Kennen, wie das Heidegger in „Sein und Zeit“ mit Recht betont, indem er von „Erschlossenheit“ spricht. Wenn wir etwas erkennen, dann muss sich uns schon vorgängig etwas erschlossen haben. Das Erkennen, das sich im Raum des Kennens vollzieht, setzt also nach Heidegger Erschlossenheit voraus. Erkenntnis wird manchmal metaphorisch mit dem Licht verglichen. Demnach ist die Erkenntnis wie ein Lichtkegel, der einen zuvor völlig dunklen Raum erhellt. Zwei gegensätzliche Sachverhalte scheinen hier einander gegenüberzustehen: Licht und Dunkelheit. Sowohl das Licht als auch die Dunkelheit setzen voraus, dass jemand sieht. Wenn ich nichts sehe, dann sehe ich zwar, aber dieses Sehen, eine darin liegende Erwartung, wird nicht durch Licht erfüllt. Licht und Dunkelheit setzen ein Worin voraus, nämlich das Sehen oder den sichtbaren Bereich. Licht und Dunkelheit sind Modifikationen des Sehens. Die Nacht wird gesehen, auch wenn man nachts kein Licht sieht. Wenn ich etwa bei Nacht sage: „Ich kann nichts sehen, mache bitte Licht“, dann verwandelt das Licht nicht ein 3

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Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 125. Wir werden dieser Problematik in einem einzelnen Abschnitt nachgehen. Vgl. Hegel, G.W.F., PhG, 35. So können wir auch von Gott reden, der bekannt aber wissenschaftlich nicht erkannt ist. Vgl. Heidegger, M., SZ 137f.

3

4

5

141 Nichts in Sein, sondern es vollzieht sich vielmehr die Erfüllung des Sehens, das auch bei Dunkelheit schon vorhanden ist. Diese Überlegungen dürften schon klar gemacht haben, wie komplex die Natur des Erkennens ist. Im vorliegenden Kapitel werden wir den Begriff der Natur des Erkennens aus zweierlei Sicht behandeln. Zum einen richten wir unser Augenmerk auf klassische begriffliche Gegebenheiten, die sich vor allem in der Analyse von notwendigen Bedingungen des Erkennens sowie von grundlegenden Formen des Erkennens offenbaren. Dabei werden wir auch die ersten systematisierenden Erläuterungen zu einigen Begriffen wie z.B. dem Grund formulieren. Daraus wird die erste Seite der Natur des Erkennens resultieren. Zum anderen nehmen wir dann Rücksicht auf die moderne Wissenschaft, deren epistemologisches Anliegen es ist, selbst als Philosophie des Zeitalters anerkannt zu werden. Die Folge davon ist, dass die zweite Seite der Natur des Erkennens – mit dem Blick auf die Wissenschaftstheorie – kurz gezeigt wird. 6

7

2. Notwendige und strukturelle Bedingungen des Erkennens Beobachtet man aufmerksam unsere Umgebung, so gelangt man mühelos zu dem Gedanken, dass „alles sich des Daseins in der realen Welt Erfreuende“ immer bedingt sei; allein Gott ist imstande, sich dieser Gegebenheit völlig autonom zu entziehen. Da dadurch eine Aufgabe für die Erkenntnistheorie formuliert wird, hat diese Konstellation auch epistemologische Folgen. Allerdings geht es dabei nicht darum, dass die Theorie der Erkenntnis den Vorgang des Erkennens schildert. Sie prüft vielmehr die Voraussetzungen, die bereits ins Spiel gebracht sind, wo man es unternimmt, einen Vorgang zu schildern. Welche Voraussetzungen sind es, die die Schilderung eines Erkenntnisvorgangs erst möglich machen oder bedingen? Es gibt offenbar sehr viele Voraussetzungen. Einige von ihnen wurden etwa von Kant im Rahmen seiner Transzendentalphilosophie hervorgehoben. Aber schon 8

Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 124f. Manchmal wird von den Quellen der Erkenntnis gesprochen (vgl. z.B. Grundmann, Th. [2008]). Vgl. Hönigwald, R. (1997), 6. 6 7

8

142 eine einfache, nicht unbedingt in dem transzendentalphilosophischen Ansatz Kants zu fundierende Überlegung über den Begriff des Wissens kann uns zeigen, in welche Richtung wir zu gehen haben, wenn wir die grundlegenden Voraussetzungen des Erkennens ans Licht bringen wollen. Denn um Wissen zu sein, muss die innere Denkform sich an eine äußere, objektive Form anlehnen, mit ihr auf die Weise eines Abbildes übereinstimmen oder sich wenigstens bei der praktischen Anwendung bewährt haben. Das Wissen hat zuvor eine subjektive Form, die aber erst dann zum „Wissen“ wird, wenn dieser subjektiven Form eine Wirklichkeit entspricht – eine Wirklichkeit, der sich das Wissen im Erkenntnisprozess anpasst, oder eine Wirklichkeit, die durch Praxis erst hergestellt wird. Ohne Bezug auf die Wirklichkeit bleibt das Wissen bloße Meinung. Die Frage ist also, wie dieses auf die Anpassung an die Wirklichkeit zielende epistemologische Geschehen zustande kommt? Oder anders gefragt: Was bedingt diese Anpassung? Und die Antwort lautet, es sind vor allem drei Gegebenheiten: (1) Subjekthaftigkeit; (2) Subjekt-ObjektRelation; und (3) der erkenntnistheoretische Zirkel. Damit ein Erkenntnisprozess überhaupt zustande kommen kann, muss es vor allem erkenntnisfähige Subjekte geben. Denn in einer Welt, in der etwa nur Objekte aufträten, wäre alles Erkennen undenkbar: Objekte können weder denken noch erkennen. Da der menschliche Geist sich in der realen Welt als Subjekt zu erkennen gibt, gilt auch, dass das geistige Erkennen subjekthaftes Erkennen ist. Würde man versuchen, die Subjekthaftigkeit des Erkennens aus traditioneller epistemologischer Sicht zu betrachten, dann käme man nicht ohne den Begriff des Bewusstseins aus. Als Beispiel nehmen wir vorab Kant. Das Problem des Bewusstseinssubjekts wird bei Kant unter anderem durch den Gedanken „´Das Ich denke´ muss alle 9

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11

Der Begriff „Wissen“ wird ausführlich erst im nächsten Kapitel untersucht. Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 26. Hier spielen auch Gründe als Quelle und zugleich Bedingung von Erkenntnis eine wichtige Rolle. Darauf werden wir noch unten in einem besonderen Abschnitt eingehen (vgl. 5 [Kap. III]). Natürlich muss man von vornherein klar machen, was unter dem Begriff „Subjekt“ zu verstehen ist. Ist eine Pflanze, die auf die Lichtstrahle der Sonne reagiert, als Subjekt zu bezeichnen? Oder ein Tier, das seine naturbedingten Ziele anstrebt? Wir halten uns an eine strenge Definition des Subjekts, unter die nur menschliche Subjekte fallen. 9

10

11

143 meine Vorstellungen begleiten können“ akzentuiert. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben ist, ist für Kant die Anschauung. Sie kann empirisch oder rein a priori sein. In der Anschauung ist uns die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen gegeben. Alles Mannigfaltige der Anschauung hat eine notwendige Beziehung auf das „Ich denke“ im Subjekt. Denn die Verknüpfung der Mannigfaltigkeit dessen, was uns durch die empirische oder reine Anschauung gegeben ist, vollzieht sich nicht durch die Sinne, sondern ist ein Akt der Spontaneität des Verstandes. Diesen bezeichnet Kant als die reine Apperzeption. Er ist nichts anderes als das Selbstbewusstsein, welches alle Vorstellungen begleitet, indem es die Vorstellung „Ich denke“ hervorbringt. Dabei kann das Selbstbewusstsein von keiner weiteren Vorstellung begleitet werden. Nur Vorstellungen, die zum Selbstbewusstsein gehören, sind meine Vorstellungen. Das Selbstbewusstsein, das die Quelle aller Synthesis ist, wird auch die „transzendentale Einheit der Apperzeption“ (TEA) genannt. Die TEA als Selbstbewusstsein ist die Voraussetzung für alle Einheit, die wir in Bezug auf Gegenstände unseres Erkennens herbeiführen (vgl. KrV B, 130f). Auch Husserl macht unmissverständlich klar, dass das Erkennen sich im Bereich des Bewussteins, genauer des reinen Bewusstseins, abspielt und folglich durch es bedingt ist. Die Rolle des Subjekts wird dabei an das reine Ich übertragen. Das reine Bewusstsein ist ein Strom von Erlebnissen, mithin im beständigen Fließen ohne Anfang und ohne Ende in einer eigentümlich strukturierten Zeit, zentriert in einem Ich, wodurch es die Struktur eines prinzipiell unbegrenzten Feldes hat. Das reine Bewusstsein wird vermöge der immanenten Wahrnehmung untersucht. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine unvermittelte Einheit mit ihrem Wahrgenommenen bildet, also mit dem schlicht vollzogenen Akt. Zur Tatsache des Bewusstseins gehört also das reine Ich wesentlich, weil das Bewusstsein die Beziehung auf das Ich ist. Das Ich ist das subjektive Beziehungszentrum zu allen mir bewussten Inhalten (vgl. Hua III/1, 68; LU V, 19f). 12

13

Zum reinen Bewusstsein kann man nach Husserl durch die Durchführung der transzendentalen Reduktion gelangen. Vgl. dazu auch Rynkiewicz, K. (2010), 3.1. (Kap. I). 12

13

144 Die epistemologische Tätigkeit des Subjekts versetzt es jeweils in eine Relation zum Objekt als Gegenstand der möglichen Erkenntnis. Am Objekt wird erst die erkennende Kraft des Subjekts gemessen. So ergibt sich folgendes Schema: Subjekt

Objekt Erkenntnis

Nach Nicolai Hartmann stehen in aller Erkenntnis ein Erkennendes und ein Erkanntes, ein Subjekt und ein Objekt der Erkenntnis, einander gegenüber. Die zwischen ihnen bestehende Relation ist die Erkenntnis selbst. Das Gegenüber beider Glieder ist unaufhebbar und trägt den Charakter gegenseitiger Urgeschiedenheit oder Transzendenz. Die Funktion des Subjekts besteht in einem Erfassen des Objekts, die des Objekts in einem Erfassbarsein für das Subjekt und Erfasstwerden von ihm. Aus Sicht des Subjekts lässt sich das Erfassen beschreiben als ein Hinausgreifen des Subjekts über seine Sphäre, ein Hinübergreifen in die ihm transzendente und heterogene Sphäre des Objekts, ein Eingreifen der Bestimmtheiten des Objekts in diese Sphäre und ein Einbeziehen oder Einholen der ergriffenen Bestimmtheiten in die Subjektsphäre. Außer der Subjekthaftigkeit und der Subjekt-Objekt-Relation gehört zur „strukturellen Existenz der Erkenntnistheorie“ die Auseinendersetzung mit dem Zirkularitätsvorwurf. So wird oft eingewandt, dass in der Unmöglichkeit, ein Subjekt oder ein Objekt jeweils aus sich selbst zu denken, eine unaufhebbare Zirkularität erscheint. In der Wissenschaftstheorie kehrt diese Zirkularität wieder als Frage nach den „theoriefreien“ Basissätzen. Die Einsicht, dass man ein subjektfreies Objekt ebenso wenig denken kann wie ein Subjekt ohne Objekt, beansprucht keine ontologische Struktur, die man als Seinsrelation verstehen könnte. Die Notwendigkeit, Erkenntnis auf diese Weise dual denken zu müssen, hat es vielmehr mit dem Denken der Erkenntnis selbst zu tun. Die Unaufhebbarkeit der Dualität zeigt, dass wenn wir Erkenntnis denken, auch diese Dualität vollziehen. Darüber hinaus muss hier schon 14

14

Vgl. Hartmann, N. (1941), 43f.

145 angedeutet werden, dass beim Versuch, Objekte als Entitäten denkend festzuhalten, eine Unterscheidung dieses Etwas von einem anderen Etwas zu vollziehen ist – sonst wäre das Objekt keine Entität. Dasselbe gilt für das Subjekt. Das heißt, bevor man über die spezifische Dualität von Subjekt und Objekt nachdenkt, muss man sich erst einmal darüber klar geworden sein, was „Das Denken in einer Entität“ bedeutet. Das ist wiederum möglich, wenn man in der Lage ist, das begriffliche Erfassen zu erkennen, ohne es zu ergreifen. Erst wer das Ergreifen durch Begriffe lassen kann, weiß, was er tut, wenn er ergreift. Der Vorwurf der Zirkularität wird in der Erkenntnistheorie auch im Kontext der Frage erhoben, wie wir erkennen bzw. wissen. Denn beim Wissenserwerb kann ich nicht anders als wissend verfahren. Hegel schreibt über diesen Zirkel Folgendes: 15

16

„Aber die Untersuchung des Erkennens kann nicht anders als erkennend geschehen [...]. Erkennen wollen aber, ehe man erkenne, ist ebenso ungereimt als der weise Vorsatz jenes Scholastikus, schwimmen zu lernen, ehe er sich ins Wasser wage“. 17

Es ist ganz leicht zu erkennen, dass Hegel sich damit gegen Kant stellen will, wenn dieser eine seiner Aufgaben darin sieht, die Schranken der Erkenntnis zu erkennen, also die Vernunft in ihren Möglichkeiten darzustellen und Grenzüberschreitungen zu kritisieren. Wenn wir in der Erkenntnis auf Grenzen stoßen würden, dann würden wir sie erkennen und damit wenigstens das Nichterkennbare als nichterkennbar erkennen. Eine Erkenntnisgrenze ist prinzipiell nicht erkennbar. Mit anderen Worten: Wer für das Erkennen eine Grenze setzt und es damit definieren möchte, der sagt etwas, was dem Begriff des Erkennens widerspricht. Auch Popper weist in seiner Erkenntnistheorie auf einen Zirkel des Wissens hin, indem er behauptet, dass der Forschritt unseres Wissens in der Modifikation bestehe, d.h. in der Korrektur von früherem Wissen. Wie soll ich aber diese Korrektur vollziehen? Eine Korrektur des Wissens vollzieht sich im Wissensvorgang. Eine Veränderung des Wissens kann 18

15 16 17 18

Genauer werden wir das in einem weiteren Abschnitt behandeln. Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 163f. Vgl. Hegel, G.W.F., Enz. 8, §10, Zusatz, 54. Vgl. Hegel, G.W.F, PhG, 51.

146 man nicht von einem Standpunkt außerhalb des Wissens erklären. So entsteht aber ein Zirkel. Um diesen Zirkel zu vermeiden, müsste man das Wissen und seine Veränderung durch das erklären, was nicht Wissen ist. Können wir aber diesen Zirkel des Wissens bzw. Erkennens überhaupt verlassen? 19

3. Grundlegende Formen des Erkennens Dass das Erkennen als solches keinen homogenen Charakter aufweist, erfahren wir schon bei dem alltäglichen Umgang mit der realen Welt. Unsere alltägliche Erfahrung wird zum großen Teil durch Vorgänge wie Sehen, Hören, Tasten, Riechen usf. gestaltet. So entsteht eine empirische Erkenntnisgrundlage, an die sich unter normalen Bedingungen noch eine mentale anschließen kann, d.h. eine Reihe von geistigen Prozessen, die ihren Höhepunkt in vernünftigem Denken und freiem Wollen erlangen. Daraus ergibt sich, dass es bei menschlichen Subjekten kein Erkennen gibt, das nur eine einzige Erscheinungsform beanspruchte und dabei alle Erkenntnisforderungen erfüllte. Es gibt vielmehr verschiedene Formen bzw. Wege des Erkennens. Daher schreibt Quassim Cassam Folgendes: „Most ways of knowing are ways of coming to know. Seeing that P, hearing that P, reading that P are all ways of coming to know that P […]”. 20

Alle Formen des Erkennens – hier wollen wir differenzieren – hängen also damit zusammen, auf welchem Wege Erkenntnis erlangt wird. Und diese Konstellation können wir mit der Frage „How do you know that P?“ auf den Punkt bringen. Das Beantworten dieser Frage erfordert aber eine systematische Analyse einiger grundlegender Formen des Erkennens. 3.1. Einfaches Erkennen Mit einfachem Erkennen ist in erster Linie sinnliches bzw. äußeres Wahrnehmen gemeint. Das sinnliche Wahrnehmen stellt die primitive

19 20

Vgl. Popper, K. (1982), 36. Vgl. Cassam, Q. (2009), 115.

147 Form des Kontakts menschlicher Subjekte mit ihrer Umwelt dar. Die meisten alltäglichen Vorgänge sind im sinnlichen Wahrnehmen fundiert. Dadurch dürfte schon einleuchten, warum diesem Typus des Erkennens auch in der philosophischen Reflexion stets eine prinzipielle Rolle zugeschrieben wird. Dies gilt für die ganze philosophische Tradition, d.h. von den Vorsokratikern über die griechische Philosophie, die Neuzeit und die neopositivistische Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts bis zur gegenwärtigen, unter dem Einfluss der Neurowissenschaften stehenden Debatte. Der sinnliche Umgang der Menschen mit der Natur war für die Philosophen schon immer eine reiche Gedankenquelle. Zweifel und Faszination galten dabei als Elemente, welche die Tätigkeit des Geistes erheblich geprägt haben. Die Lage hat sich diesbezüglich auch heute nicht viel verändert, wohl aber die Methoden und deren technische Umrahmung, die das Spektrum dieser Tätigkeit erweitern. Im Mittelpunkt steht aber nach wie vor die klassische Frage nach dem Seienden, dessen eigentliche Bedeutung im Kontext des Seins erst dank Heidegger in Erscheinung getreten ist. Demjenigen, der nach Seiendem fragt, eröffnen sich viele Möglichkeiten. Er kann das Seiende mit seinen eigenen Augen sehen, hören, tasten, schmecken usf. Er kann aber auch über das Seiende mit verschiedener Intensität und Zielgerichtetheit nachdenken. Als Resultat dieses Prozesses erscheint eine Reihe von systematisierenden Begriffen, die dem einfachen Erkennen des Menschen eine Ordnung verleihen. Besondere Verdienste sind auf den englischen Empirismus und den Neopositivismus zurückzuführen. Einfaches, mithin sinnliches Erkennen wurde durch diese beiden philosophischen Strömungen nicht nur prägnant hervorgehoben, sondern auch zu dem Kriterium der Überprüfung von Sätzen erklärt, das Sinnvolles von Sinnlosem in der realen Welt zu unterscheiden ermöglichen soll. Hier sei lediglich am Rande erwähnt, dass das größte Opfer dabei die Metaphysik aufbringen musste, weil sie – 21

22

Natürlich teilen die menschlichen Subjekte sinnliches Wahrnehmen mit anderen Lebewesen. Von der Antike, in der vor allem Aristoteles aus dieser Sicht zu würdigen ist, sehen wir hier ab. 21

22

148 insbesondere in der Tradition Kants durch den Neupositivismus – völlig abgelehnt wurde. So spricht Locke von einfachen und zusammengesetzten Ideen, wobei einfache Ideen der äußeren Erfahrung entspringen und daher als einfaches Erkennen anzusehen sind (vgl. auch 3.2.2. [Kap. I]). Die einfachen Ideen entspringen entweder einem einzelnen Sinnesvermögen wie Empfindungen der Farbe, der Töne usf. oder mehreren Sinnesvermögen, die gleichzeitig auftreten können. Aufbauend auf Locke behauptet Hume, dass es die Eindrücke (imperessions) als aktuelle Empfindungen der äußeren Sinne und die Ideen (ideas) als reproduzierte Sinneserkenntnisse (=Vorstellungen) gibt. Zudem gibt es nach Hume die Tatsachenwahrheiten (matters of facts), die unmittelbar als Fakten gegeben sind. Sowohl die Eindrücke als auch Tatsachenwahrheiten können wir durchaus als Formen des einfachen Erkennens auffassen. Das einfache Erkennen zeigt sich auch in der Beobachtung. Ich kann etwa mit meinen Augen Dinge um mich herum beobachten. Das Beobachtungsphänomen als solches ist für die Durchführung von Experimenten grundlegend. Diese naturwissenschaftlich geprägte These ist vor allem für das Projekt des Neupositivismus entscheidend. Deshalb fundiert Carnap in der Beobachtung seine Protokollsätze, die dann als Verifizierungsmaßnahmen angesehen werden (vgl. dazu 3.4.1 [Kap. I]). Auch seine „Zwei-Schichten-Theorie“ ist darauf angewiesen. Nach dieser Theorie lässt sich das deskriptive, sich auf die Gegenstände der Welt beziehende Vokabular unserer Sprache in zwei Teile zerlegen: das Beobachtungsvokabular und das theoretische Vokabular. Das Beobachtungsvokabular umfasst Eigennamen, die sich auf beobachtbare Dinge beziehen, und Prädikate, die sich als allgemeine Termini auf Eigenschaften von solchen Dingen oder Relationen zwischen ihnen beziehen. Das theoretische Vokabular betrifft dagegen Eigenschaften von nichtbeobachtbaren Gegenständen (z.B. von der elektrischen Ladung von Elementarteilchen) oder Beziehungen zwischen solchen Gegenständen. Ähnlich sieht die Lage in den Neurowissenschaften aus. Durch die Beobachtung des Gehirns mittels moderner technischer Geräte kann man nicht nur seine physikalischen Funktionen besser verstehen, sondern auch 23

23

Vgl. Carnap. R. (1966). Dazu vgl. auch Brülisauer, B. (2008), 71.

149 deren Auswirkung auf Mentales deutlicher bestimmen. Hier liegt also auch das einfache Erkennen vor, so wie wir es im Vorliegenden fassen. In dem Kontext ist die Relevanz des einfachen Erkennens für die epistemologische Rechtfertigungsproblematik nicht zu übersehen. Darauf ist vor allem die These des Fundamentalismus (F) angewiesen. Der F setzt die basalen Meinungen voraus, die bereits ein Wissen sind, ohne dass sie durch weitere Meinungen (höherer Stufe) begründet werden müssen. Die basalen Meinungen erwerben wir aber durch unmittelbare Erfahrung. Dazu gehören Meinungen, die einfach unmittelbare Sinneseindrücke wiedergeben, ferner Meinungen, die auf Erinnerung, und schließlich auf Introspektion (d.h. innerer Wahrnehmung) beruhen. All diese Meinungen werden auch als spontane Meinungen bezeichnet. Das einfache Erkennen ist schließlich aus Sicht der evolutionären Erkenntnistheorie zu betrachten. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass dieser Typus des Erkennens sich nicht nur als erste Erkenntnisform im Verlaufe der Evolution herausgebildet hat, sondern auch vom evolutionären Selektionsprozess am stärksten betroffen ist. Relevant ist dabei insbesondere die evolutive Ausbildung der Erkenntnisorgane, die den generellen Verläufen und Gesetzen der Entwicklung des Lebendigen im Allgemeinen und des Menschen im Besonderen entsprach. 24

25

26

3.2. Begriffliches Erkennen Im Vorangehenden stellte sich heraus, dass einfaches Erkennen nicht zuletzt deshalb zustande kommt, weil menschlichen Subjekten verschiedene Dinge sinnlich gegeben sind. Das heißt, das einfache Erkennen ist auf die Gegebenheit des Sinnlichen stark angewiesen. Davon profitiert – wenn auch nicht ausschließlich - begriffliches Erkennen, wie wir dies noch unten sehen werden. In dem Kontext wird gelegentlich kritisch behauptet, dass in einem Angewiesen-Sein der menschlichen Erkenntnis auf die Gegebenheit des Seienden eine Schranke dieser Erkenntnis zu erblicken ist. Diese Gegebenheit scheint daher die 24 25 26

Vgl. dazu Rynkiewicz, K. (2010), Kap. III. Wir werden dieser Problematik im Kap. VI genauer nachgehen. Vgl. Brülisauer, B. (2008), 76.

150 Bedingtheit der Erkenntnis zu begründen. Selbst wenn sich diese These hinsichtlich der sinnlichen Erkenntnis problemlos aufstellen lässt, überzeugt sie aber kaum mit dem Blick auf andere Typen von Erkennen, z.B. auf begriffliches Erkennen. Anfangs ist noch zu signalisieren, dass das begriffliche Erkennen mit dem einfachen Erkennen eng insofern verbunden ist, als beide Typen von Erkennen als Abbildtheorie aufgefasst werden. Nach dieser Theorie wäre also unsere Wahrnehmung von Objekten zunächst mit dem jeweiligen „Netzhautbild“ von diesen Objekten gleichzusetzen. Dieses physische Modell der Abbildtheorie finden wir schon bei Platon, der die Seele mit einer Wachstafel vergleicht (vgl. Theätet 191A). Eine psychische Variante dieser Theorie ist dagegen folgende: Unsere Wahrnehmung von Objekten ist mit dem gleichzusetzen, was als psychisches Abbild dem physischen entspricht, und was unter vielerlei Namen geläufig ist, wie z.B. als Sinnesempfindung, Sinneseindruck, Sinnesdatum oder als Vorstellung. Auch diese Variante der Abbildtheorie wird seit Platons Ideenlehre in Anspruch genommen (vgl. Phaidon 65A f). Bevor wir das begriffliche Erkennen als solches detaillierter erläutern, wollen wir es noch im Kontext seines funktionalen Charakters dem einfachen Erkennen gegenüberstellen. Über das einfache Erkennen - vorausgesetzt, dass einfaches Sehen der Einfachheit halber als derartiges Erkennen bezeichnet werden kann – schreibt Fred Dretske Folgendes: 27

„(1) Simple seeing is seeing these sorts of things. What is not at issue is our seeing that there are rocks in the road, how many people are in the room, where the cat is, whether the clock has stopped, who is at the door, or what is happening […]. (2) Simple seeing X is compatible with no beliefs about X […]. Simple seenig is incompatible with beliefs about X, and simple seeing X occurs only if, as a matter of fact, the seer has no beliefs about X”. 28

Zu erklären, was einfaches Sehen ist, ist hier wohl nicht erforderlich. Denn die im ersten Zitat angeführten Beispiele verdeutlichen dies treffend. Viel interessanter scheint für uns indes da zweite Zitat zu sein, weil es das Verhältnis des einfachen Sehens zu epistemologischen Glaubensakten

27 28

Vgl. Hönigswald, R. (1997), 59. Dretske, F. (2000), (1) 98, (2) 100.

151 bestimmt. Die erste zu stellende Frage lautet, warum das einfache Sehen von X mit dem Glauben über X nicht inkompatibel ist. Zunächst muss hier noch hinzugefügt werden, dass nach Dretske auch das bloße Anschauen von X keinesfalls mit dem einfachen Sehen gleichzusetzen ist. Denn ich kann X mit meinen eigenen Augen anschauen und dabei doch nicht sehen, dass es sich um ein X handelt. Woher soll ich wissen, dass ich etwa nicht einen Y anschaue? Aus dieser Lage kann ich erst dann herauskommen, wenn ich die Funktion der Begriffe bzw. des begrifflichen Erkennens vor Augen habe. Dann könnte es für mich schon heißen: Wenn ich X anschaue, so weiß ich, dass es ein X und nicht Y ist, weil ich einen Begriff von X habe. Wollen wir jetzt die ganz oben gestellte Frage beantworten, so können wir sagen: Solange das einfache Sehen von X nur als ein bloßes, begriffleeres Anschauen aufgefasst wird, solange bleibt es mit den Glaubensakten inkompatibel, die von ihrer Natur aus Begriffe voraussetzen. Auf der Grundlage des bereits in diesem Abschnitt Ausgeführten ist nicht schwer festzustellen, dass Begriffe und somit begriffliches Erkennen im epistemologischen Prozess eine wichtige Funktion zu erfüllen haben. Sie ergänzen nämlich das einfache Erkennen – mit der Folge, dass sich dem Erkenntnissubjekt Informationen über das sinnlich Gegebene erschließen. Wenn ich z.B. etwas sehe oder höre, so kann ich diesem Etwas aufgrund meines Vermögens zur Begriffsbildung eine bestimmte Form zuschreiben, d.h. ich kann sagen, ich sehe ein X. Das kann ich aber nur deshalb tun, weil ich vorab eine Reihe von bestimmten Informationen aus dem Bereich der Begrifflichkeit (bzw. kantisch gesprochen „aus dem Reich der Begriffe“) erhalten habe. Dadurch entsteht eine Art Kausaltheorie, die das einfache Erkennen bedingt. Also: Begriffliches Erkennen verursacht das gänzliche Zustandekommen des einfachen Erkennens. Außer dieser kausalen Funktion weist das begriffliche Erkennen den Aspekt der Universalität auf. Es handelt sich darum, dass ich mich – eben aufgrund des begrifflichen Erkennens – vom Hier und Jetzt des einfachen Erkennens befreien kann. Genauer gesagt kann ich mir etwa ein X vorstellen, das sowohl auf einen Ort bezogen ist, zu dem ich beim 29

30

29 30

Vgl. Dretske, F. (2000), 106. Denn wenn ich glaube, dann glaube ich etwa, dass X, Y, Z usw.

152 momentanen Vollziehen des Vorstellungsaktes nur in meinen Gedanken gelangen kann (ich bin etwa in München und stelle mir ein X in London vor), als auch in der Vergangenheit oder Zukunft fundiert ist. Als fundamentales Element im Prozess des begrifflichen Erkennens gilt der Begriff, der die einfachste Form des Denkens ist. Nach Kant haben wir zweierlei Begriffe von ganz verschiedener Art, die darin miteinander übereinkommen, dass sie sich beiderseits völlig a priori auf Gegenstände beziehen. Es sind die Begriffe des Raumes und der Zeit als Formen der Sinnlichkeit, und die Kategorien als Begriffe des Verstandes (vgl. KrV B 117f). Unabhängig von der Sinnlichkeit können wir keiner Anschauung teilhaftig werden, und wir können außer der Anschauung nur durch Begriffe erkennen. Während alle sinnlichen Anschauungen auf Affektionen beruhen und in der Rezeptivität der Eindrücke gründen, sind die Begriffe in „Funktionen“ fundiert und mit der Spontaneität des Denkens verknüpft. Unter einer Funktion versteht Kant die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen Vorstellung zu ordnen. Da keine andere Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht als die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar bezogen, sondern auf irgendeine andere Vorstellung von demselben. Die Vorstellung einer Vorstellung eines Gegenstandes ist aber schon ein Urteil, mithin die mittelbare Erkenntnis dieses Gegenstandes. In jedem Urteil ist ein Begriff enthalten (vgl. KrV B 93f). Eine charakteristische Eigenschaft jedes Begriffs ist die Möglichkeit seiner Verbindung mit anderen Begriffen. Hierin ist das Prinzip der Abhängigkeit fundiert, d.h. die propositionale Relation der Begriffe, die auf 31

32

Kant (vgl. ders. KrV B 105) spricht von den Kategorien (K), die den zwölf Arten des Urteilens entsprechen: K der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit); K der Qualität (Realität, Negation, Limitation); K der Relation (Inhärenz, Kausalität, Wechselwirkung); und K der Modalität (Möglichkeit, Dasein, Notwendigkeit). Aristoteles (vgl. ders. Kat 4, 1b 25) kennt dagegen zehn Kategorien als höchste Gattungen der Wirklichkeit (Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Wo, Wann, Lage, Haben, Wirken, Erleiden). In dem Kontext schlägt Cassam (vgl. ders. [2007], 129f) vor, zwischen sortalen und formalen Begriffen zu unterscheiden. Ein sortaler Begriff ist der Begriff von einem Ding, z.B. Begriff „Tasse“, ein formaler Begriff ist die Abstraktion von einem sortalen Begriff. 31

32

153 der Grundlage ihrer Gehalte erscheint. Als abstrakte Entität ist der Begriff kein Selbstzweck, sondern dient der Darstellung der Wirklichkeit. Er bezeichnet und ordnet die Wirklichkeit bewusster und deutlicher als die spontane Sprache. Der Begriff ist zudem eine abstraktiv-geistige Darstellung einer „Washeit“. Er erfasst einen Gegenstand nach dem, „was“ dieser ist, ohne schon eine Aussage über ihn zu machen. Jeder Begriff hat einen Inhalt (Intension) und einen Umfang (Extension). Während der Inhalt des Begriffs die Gesamtheit der zu ihm gehörenden Merkmale darstellt, ist der Umfang des Begriffs hingegen die Gesamtheit der Dinge, auf die er zutrifft. Um einen Gegenstand darzustellen, muss der Begriff auf ihn referieren, d.h. sich auf ihn beziehen. Im Anschluss an W.A. Davis können wir die Referenzproblematik wie folgt skizzieren: 33

Welt

Geist

Dinge

Ideen Repräsentieren

Bestimmen

Ausdrücken Wörter (Begriffe)

Sprache Im obigen Schema hängen drei Elemente zusammen: Welt, Geist und Sprache. Der Geist existiert in der Welt und macht über sie zahlreiche Aussagen, indem er die Sprache gebraucht. Die vom Geist entworfenen Ideen repräsentieren die Dinge der Welt, welche mittels der Wörter bestimmt werden. Die Ideen selbst werden hingegen durch die Wörter

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 40f. Begriffe lassen sich unterschiedlich differenzieren, z.B. in (1) einfache und zusammengesetzte; (2) Eigenbegriffe und analoge Begriffe; (3) eindeutige (univoke) und analoge Begriffe usf.

33

154 ausgedrückt. Das Problem der Referenz ist mit dem der Intentionalität aufs engste verbunden, deren Relevanz auch bei propositionalem Erkennen sichtbar ist. 34

35

3.3. Propositionales Erkennen Auf dem Gebiet des begrifflichen Erkennens setzt auch propositionales Erkennen an. Es ist ein besonderer Typus von Erkennen, zu dem menschliche Subjekte von Natur aus fähig sind. Wir haben schon oben gesehen, dass das begriffliche Erkennen in der Fähigkeit der menschlichen Subjekte zur Begriffsbildung fundiert ist. Diese Begriffsbildung weist allerdings keinen beständigen Charakter auf, was ihre Bezogenheit auf die zu erkennenden Gegenstände anbelangt, sondern kann sich entweder im Objekt-Erkennen oder im propositionalen Erkennen offenbaren. Im vorangehenden Abschnitt haben wir das begriffliche Erkennen mit dem Blick auf das Objekt-Erkennen behandelt, jetzt wollen wir dies ergänzen, indem das propositionale Erkennen ins Spiel gebracht wird. Als Grundlage gilt hier folgende These: Ich erkenne keine einzelnen Objekte außerhalb eines Kontextes, d.h. außerhalb von Sachverhalten, welche unterschiedlich gebaut sein können. Beim Objekt-Erkennen erkennt man also ein Objekt, beim propositionalen Erkennen einen Sachverhalt oder die Wahrheit einer Proposition. Propositionen sind der Inhalt von Behauptungssätzen. Sie sind zu unterscheiden sowohl von den sie ausdrückenden Sätzen (Prädikaten), d.h. der wiederholbaren Gestalt ihres Ausdrucks in einer bestimmten natürlichen Sprache, als auch von den einmaligen Vorkommnissen solcher Sätze in einem Text, d.h. den Satzvorkommnissen. Betrachten wir dazu folgende drei Sätze: 36

(1) VW Golf ist ein gutes Auto (2) VW Golf ist ein gutes Auto (3) VW Golf is a good car

34 35 36

Vgl. Davis, W.A. (2005), 208, 162. Vgl. dazu Rynkiewicz, K. (2010), Abschnitt 6 (Kap. II). Man könnte auch von Objekt-Wissen und propositionalem Wissen sprechen.

155 Bei diesen drei Sätzen handelt es sich um drei Satzvorkommnisse, aber nur um zwei verschiedene Sätze und in allen drei Fällen um den Ausdruck nur einer einzigen Proposition. Wollen wir den Begriff des propositionalen Erkennens (PE) genauer bestimmen - im Kontext des Objekt-Erkennens (OE) und mit Hilfe von Beispielen -, so kann es heißen: Jemand behauptet: OE: Ich kann X auf der Straße erkennen. PE: (a) Trotz der großen Entfernung konnte ich sehen, dass X auf der Straße war. (b) Im Lichte der Sonne konnte ich nicht sehen, wer das Rennen gewonnen hatte. Das PE ist die grundlegendere Form von Erkennen, weil das OE sich auf es zurückführen lässt. Wer sagt (4), sagt damit nichts anderes als „Ich kann erkennen, dass X auf der Straße ist“. Das PE ist also diejenige Form des Erkennens, auf das sich die Frage bezieht: Was bedeutet es genau, etwas zu „erkennen“? Diese Frage kann man auch wie folgt umformulieren: Was ist es, wodurch sich die PE ausdrückenden Meinungen von gewöhnlichen Meinungen oder Überzeugungen auszeichnen? Jedes PE weist einen Umfang und eine hierarchische Struktur auf. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Umfang des PE zu bestimmen, je nachdem welches Kriterium zugelassen wird. Wenn man etwa den Begriff des Bewusstseins als Kriterium gelten lässt, so führt dies zum Entstehen einer zeitlichen Bestimmungsmodalität, die in den Begriffen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fundiert ist. Wenn ich also aktuell einen Sachverhalt B erkenne und zugleich mir bewusst bin, den Sachverhalt A vor zwei Wochen erkannt zu haben, dann hat mein aktuelles Erkennen einen größeren Umfang als mein vergangenes Erkennen. Diese Konstellation erschöpft aber noch nicht die dem Bewusstsein zu verdankende Bestimmungsmodalität. Denn ich kann auch bewusst mit meinen Gedanken in die Zukunft hinauslaufen und mir vorstellen, dass ich in zwei Wochen einen Sachverhalt C erkennen werde. Das bedeutet, dass mein aktuelles Erkennen, das zugleich in die Zukunft hineinreicht, einen größeren Umfang hat als dann, wenn es sich nicht auf die Zukunft

156 beziehen würde. Das PE an sich hat also immer einen größeren Umfang als nur das PE in einer bestimmten Phase des Erkenntnisprozesses. Die hierarchische Struktur des PE kann zumindest aus zweierlei Sicht betrachtet werden, aus Sicht verschiedener Abstraktheits- und Reflexionsebenen. Was das Erstere anbelangt, so ist die unterste Ebene des PE die Ebene flüchtiger Wahrnehmungseindrücke, die sich auf kurzlebige Phänomene unserer Umwelt bezieht. Wenn wir aber die Existenz bestimmter Einzeldinge erkennen, dann liegt schon eine höhere Ebene des PE vor. Hier gehört auch das Erkennen, dass dem Fluss der flüchtigen Wahrnehmungseindrücke etwas Identisches zugrunde liegt. Sind wir ferner fähig, bestimmte Eigenschaften der Dinge zu erkennen, z.B. dass jemand fleißig sei, so vollzieht sich dies wiederum auf einer höheren Ebene. Noch höher steht die Ebene des PE, die durch die Fähigkeit zur Verallgemeinerung geprägt ist. So erkennen wir etwa, dass sich alle Metalle bei der Erhitzung ausdehnen. Eine wiederum höhere Ebene stellt das Erkennen dar, das mit theoretischem Wissen zu tun hat, d.h. etwa mit verschiedenen Theorien (wie der Theorie über das Entstehen des Sonnensystems oder der über die DNA-Moleküle usf.). Wenn wir dagegen die hierarchische Struktur des PE aus Sicht der Reflexion erwägen, dann haben wir zwischen dem Erkennen und Metaerkennen zu unterscheiden. Während das Erkennen sich auf die Welt selbst bezieht, betrifft dagegen das Metaerkennen das Erkennen dieser Welt, d.h. wir fragen, wie wir unser Erkennen der Welt „erkennen“. Das Metaerkennen umfasst daher auf der einen Seite Überzeugungen, Glaubensakte, Meinungen über die Welt, auf der anderen Methoden, mit denen wir dazu gelangen usf. Nun sehen wir, dass das PE mit dem Erkennen von Sachverhalten zu tun hat. Erläutern wir diesen Begriff noch mit dem Blick auf Wittgenstein und Ingarden! Wittgenstein differenziert bekanntlich in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ zwischen Tatsachen und Sachverhalten. Sachverhalte sind in bestehende Sachverhalte (Tatsachen) und nicht bestehende Sachverhalte (bloße Tatsachen) zu unterscheiden. Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte ist die Welt. Der Sachverhalt ist eine (mögliche) Verbindung von Gegenständen (Sachen, Dingen). Im 37

37

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 32f. Er spricht von propositionalem Wissen.

157 Sachverhalt verhalten sich die Gegenstände in einer bestimmten Art und Weise zueinander und bilden damit die Struktur des Sachverhalts. Sie hängen im Sachverhalt aneinander wie die Glieder einer Kette. Die Form des Gegenstandes ist die Möglichkeit seines Vorkommens in Sachverhalten. Wenn ich den Gegenstand kenne, so kenne ich sämtliche Möglichkeiten seines Vorkommens in Sachverhalten. Da Wittgenstein den Begriff des Sachverhalts in der Verbindung mit der Gegenstandsproblematik denkt, so ist für ihn auch das PE mit dem OE eng verbunden. Durch das Letztere kann ich epistemologisch zum Ersteren fortschreiten, wenn bestimmte Faktoren gegeben sind. Noch deutlicher hebt das Ingarden hervor, wenn er behauptet, dass Sachverhalte wie „Fenster“ seien, durch die man in ein und dasselbe Haus – jedes Mal von einem anderen Standpunkt aus – hineinblicken kann, um sich bei der Enthüllung des Gegenstandes samt allen Zusammenhängen zu behelfen. Daher haben Sachverhalte Gegenständen gegenüber eine Darstellungsfunktion. Diese Konsequenz wirkt sich insofern epistemologisch aus, als das PE die kontextuelle Darstellungsfunktion des OE bedingt. Die Relevanz dieser Bedingtheit wird nicht zuletzt bei einem besonderen Sachverhaltstypus sichtbar, den Ingarden als Verhältnis (Relation) bezeichnet. Das Verhältnis bildet einen Sachverhalt, der mehrere Subjekte enthält, z.B. „Berlin ist größer als München“. Das Erfassen dieses zusammengesetzten Sachverhalts erfordert aber den Einsatz der Vernunft. 38

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3.4. Vernünftiges Erkennen: Denken Der Einsatz der Vernunft im Erkenntnisprozess wird vor allem mit dem Denken in Verbindung gebracht. Denken stellt eine der grundlegendsten Leistungen des menschlichen Geistes überhaupt dar. Da allen menschlichen Wesen das Denkvermögen von Natur aus zukommt, sind sie Vgl. Wittgenstein, L., TLP, 2.01f, 2.0123f, 2.03f. Diese Faktoren lassen sich sowohl mit dem Blick auf Subjekt als auch Objekt bestimmen. Vgl. Ingarden, R. (1960), 201f. Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 395f. 38 39

40 41

158 zur epistemologischen „Arbeit mit Begriffen“ fähig, d.h. sie können – kantisch gesprochen – Begriffe auf sinnliche Anschauungen anwenden, das Resultat dieser Anwendung in verschiedene Sachverhalte umwandeln, um diese schließlich in Relationen zu verbinden und im Prozess des Urteilens kritisch zu bearbeiten. Nach Aristoteles ist es die Vernunft, die die Einheit für jedes Gegebene bewirkt. Wenn der Geist den Blick nach innen auf sich selbst richtet und seine eigenen Tätigkeiten betrachtet, so ist das erste, was ihm entgegentritt, das Denken, schreibt Locke. Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht sind – so Hegel – nur in der Erarbeitung des Begriffs zu gewinnen. Diese Arbeit ist die Aufgabe des Verstandes, der das Denken, das reine Ich überhaupt ist (vgl. PhG 15f, 48f). Für Kant fängt das Denken mit der Erfahrung von Gegenständen an; es zielt auf deren Erkenntnis ab. Denken ist die Handlung, eine gegebene Anschauung auf einen Gegenstand zu beziehen (vgl. KrV B 1, 304). Die Relevanz des Denkens für die epistemologische Tätigkeit des Geistes scheint also in der philosophischen Tradition des Abendlandes gut begründet zu sein. Das auf das Verstandes- und Vernunftvermögen angewiesene Denken bedingt seinerseits das vernünftige Erkennen. Im Verlaufe dieses Erkenntnisprozesses werden Begriffe gebildet, was zum Erfassen der den Sinnen unzugänglichen „Washeit“ der Erkenntnisobjekte führt. Während die ursprünglichen Begriffe aufgrund äußerer oder innerer Erfahrungsgegebenheiten gebildet werden, werden die abgeleiteten Begriffe hingegen in bewusstem diskursivem Denken erarbeitet. Die letzteren entstehen also dadurch, dass ich aus mehreren vorher gewonnenen Begriffen das ihnen Gemeinsame (etwa) durch Vergleich und Relationserfassung heraushebe. Da das vernünftige Erkennen mit dem Denken verknüpft ist, stellt es einen komplexen Prozess dar, dessen Ursprünge aber schon in einer einfachen Anschauung beginnen. Wie das vor sich gehen kann, bemüht sich etwa Locke zu zeigen, indem er den Geist mit einem unbeschriebenen Papierblatt vergleicht. Locke stellt dazu 42

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Vgl. Aristoteles, De anima, Buch III, Kap. 6, 430b. Vgl. Locke, J. (2000), Buch II, Kap. XIX, §1. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 17f.

159 folgende Frage: Woher kommt das Material, mit dem dieses unbeschriebene Papierblatt einen Inhalt erhält? Und seine Antwort lautet: „To this I answer, in one word, from experience. In that all our knowledge is founded, and from that it ultimately derives itself. Our observation employed ether about external sensible objects, or about the internal operations of our minds perceived and reflected on by ourselves, is that supplies our understanding with all the materials of thinking. These two are the fountains of knowledge, from whence all the ideas we have, or can naturally have, do spring”. 45

Als Empirist akzentuiert Locke also die Rolle der sinnlichen Erfahrung. Zwar würde auch heute kein Erkenntnistheoretiker diese Rolle bestreiten wollen; diese empirische Position erweist sich aber eindeutig als nicht hinreichend, worauf schon Kant hingewiesen hat. Denn das Erkennen liegt erst dann vor, wenn durch einen Begriff eine (auch sinnliche) Anschauung erfasst wird (vgl. KrV B, 75). Die Behauptung, dass das im Denken fundierte Erkennen viel tiefer angesiedelt werden müsse, finden wir allerdings schon bei Platon. Das Denken bezeichnet er als eine Form des inneren Dialogs. Als Sokrates von Theaitetos gefragt wurde, was er unter „Denken“ verstehe, antwortet er: „Es ist eine Rede, welche die Seele bei sich selbst durchgeht über dasjenige, was sie erforschen will. Solange die Seele denkt, tut sie nichts anderes als sich unterreden, indem sie sich selbst fragt und antwortet, bejaht und verneint“. Der innere Dialog des Geistes, dessen Spitzenleistung im Denken zu erblicken ist, hat einen durchaus konstruktiven Charakter, der dem des dynamischen Handelns ähnlich ist. Denn bereits die Dualität von Denken und Anschauung ist dynamisch. So wie im Handeln wird auch im Denken die Situation den Gedanken angepasst. Sofern das Denken ein Prozess ist, ist es immer aktiv. Das Anschauen eines (inneren) Bildes oder das Hören eines Klanges (eines Wortes) ist noch kein Denken. Es sind lediglich Momente eines Denkprozesses, in dem dual verschiedene Entitäten aufeinander bezogen werden: Wörter auf Bilder, beruhend auf Gefühlen 46

47

Locke, J. (1690), Buch II (vgl. den Beginn des Kap. 1). Nach Kant, der bekanntlich Rationalismus und Empirismus verbunden hat, gibt es noch reine Anschauungen, d.h. ich kann mir etwa einen sinnlichen Gegenstand vorstellen. Vgl. Platon, Theätet 189e-190a.

45 46

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160 usf. Dieses Beziehen ist ein „inneres Handeln“. Erst wenn sich ein Wort von der Anschauung trennt, indem etwa in einem inneren Dialog ein Gefühl, eine Vorstellung oder Anschauung dargelegt wird, dann vollzieht sich das Denken als Handlung. Das Denken hat zudem immer eine situative Struktur, an der die ganze Situation beteiligt ist: Wenn ich denke, so denke ich stets in einer konkreten Situation. Sobald man Aspekte einer Situation denkend auf aktuelle Wahrnehmung überträgt, vollzieht man damit die dem Denkprozess eigentümliche dynamische Dualität. Wie schon angedeutet, wirkt sich die sich im Denken offenbarende Dynamik in der Welt konstruktiv aus, d.h. die Welt wird als Konstruktion bezeichnet. Der konstruktive Charakter des Denkens führt zum Erkennen von bestehenden Weltgegebenheiten, wobei dem Beobachter eine besondere Rolle zukommt. Der Beobachter ist ein menschliches Wesen, d.h. ein lebendes System, und alles, was lebende Systeme kennzeichnet, kennzeichnet auch ihn. Bei menschlichen Wesen ist die Fähigkeit zu vernünftigem Denken signifikant. Selbst wenn der Begriff „Beobachter“ keine neue philosophische Kategorie ist, wird er insbesondere von den Neurowissenschaften in Anspruch genommen. So spricht z.B. Wolf Singer vom „Beobachter im Gehirn“. Allerdings steht der Begriff „Beobachter“ für das, was man in der philosophischen Tradition als Bewusstsein, erkennendes Ich, Subjekt oder Seele bezeichnet. Der Beobachter bleibt in der erkennenden Beobachtung notwendig verborgen. Mit anderen Worten: Das Subjekt ist im Akt der Erkenntnis Subjekt, und nicht erkanntes Objekt. Beobachter, Subjekt, Erkennender stellen also Namen derselben Erkenntnisstruktur dar. Das konstruktiv-epistemologische Engagement des Beobachters, d.h. dessen „Arbeiten mit Begriffen“, zeigt sich insbesondere im Deuten und Schließen. Mit Kant verstehen wir das Deuten als ein spezifisches, d.h. überschreitendes Bestimmen, das zwar bei Vorstellungen ansetzt, aber bei ihnen nicht stehen bleibt, sondern mit Hilfe des Begriffs über sie hinausgeht. Um eine Wahrnehmung als äußere 48

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Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 132f. Schon Thomas von Aquin (vgl. ders., Sth. I, 14, 3f) macht davon – zumindest sachlich gesehen - Gebrauch, aber auch Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“. Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 173f, 243f. Natürlich sehen wir hier vom Problem des Selbstbewusstseins ab. In der Alltagssprache wird Deuten mit Interpretieren identifiziert. 48 49

50

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161 Erfahrung, und d.h. eine Erkenntnis wie „Dies ist ein Stein“ zu erzielen, muss man Anschauungen der Innenwelt auf irgendetwas als Gegenstand beziehen und diesen durch jene bestimmen (vgl. KrV B XVII). In einer Wahrnehmung wie „Dies ist ein Stein“, wo der Begriff „Stein“ mit seiner Vorstellung vereinigt wird, wird nicht diese Vorstellung bestimmt, sondern durch ihre Deutung und somit durch ihre Überschreitung ein Ding, eben jener Stein. Dass Erkenntnis auch durch einen Schluss gewonnen werden kann, gilt für jedermann als selbstverständlich und erfordert (auch hier) keine besonderen Erwägungen. Das zum Wissen strebende vernünftige Erkennen kann sich offenbar – je nachdem wie stark der Grad der Objektivität und Rechtfertigung ist - in vielerlei Formen zeigen, d.h. etwa als Glauben, Meinen, Zweifeln und (gerechtfertigtes) Wissen. 52

3.4.1. Glauben und Meinen Wir erwerben unser Wissen vorwiegend durch einfache, mithin sinnliche Wahrnehmung. Das Resultat sinnlicher Wahrnehmung, das ebenfalls auf die begriffliche Vernunftleistung angewiesen ist, wie dies Kant deutlich betonte, offenbart sich auf einer Aposteriori-Ebene: Wenn ich durch das Fenster meines Arbeitszimmers hinausblicke, so kann ich erkennen, dass etwa heute ein sonniger Tag ist, dass ich einen grünen Baum sehe und nicht z.B. einen Elefanten. Um diese Proposition zu formulieren, benötige ich schon vorab den Begriff „sonniger Tag“ und „grüner Baum“. Wie wir noch unten sehen werden, erkennen wir und erlangen deshalb auch Wissen auf einer Apriori-Ebene. Auch hier ist der Einsatz der Vernunft erforderlich: Um festzustellen, dass 2 + 2 = 4 sind, muss ich keine wahrnehmbaren Dinge abzählen, ich erkenne und weiß es dann allein durch Überlegen. Allerdings kann ich mich dabei nicht der Frage nach dem Gewissheitsgrad meines Erkennens bzw. Wissens entziehen. Mit anderen 53

Vgl. Prauss, G. (1980), 67f. Es genügt den Blick auf die Syllogismuslehre des Aristoteles zu werfen. Es gibt Vorschläge, eine Erkenntnistheorie ohne erkennendes Subjekt zu betreiben, z.B. Popper, K. (1993), 109f. Das läuft aber auf eine formale Wissenschaftstheorie hinaus, was wir noch im Verlaufe des vorliegenden Kapitels sehen werden. Vgl. dazu Kap. V. 52

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162 Worten: Wie kann ich z.B. ausschließen, dass meine Erkenntnis nicht bloß ein Glauben oder Meinen sei. Das ist ein altes erkenntnistheoretisches Problem. Schon Platon hat darauf in seinem Dialog „Politeia“ hingewiesen, indem er zwischen Meinen, Vermuten, Glauben, Denken usf. differenzierte. Die epistemologische Relevanz dieser Unterscheidung erblicken wir auch in Kants „Kritik der reinen Vernunft“; sie wird im Kontext des Begriffs „Fürwahrhalten“ formuliert. Das Fürwahrhalten ist nach Kant eine Begebenheit im menschlichen Verstand, die auf objektiven Gründen beruht und zugleich subjektive Ursachen des Urteilenden erfordert. Wenn das Fürwahrhalten für jedes vernünftige Subjekt gilt und der Grund des Fürwahrhaltens objektiv hinreichend ist, so wird das Fürwahrhalten als Überzeugung bezeichnet. Hat das Fürwahrhalten nur in der besonderen Beschaffenheit des Subjekts seinen Grund, so wird es Überredung genannt. Überredung ist aber nach Kant ein bloßer Schein, weil der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekt liegt, auch immer für objektiv gehalten wird. Das Fürwahrhalten, also die subjektive Gültigkeit des Urteils in Beziehung auf die zugleich objektiv geltende Überzeugung, weist drei Stufen auf: Meinen, Glauben und Wissen. Meinen ist ein mit dem Bewusstsein sowohl subjektiv als auch objektiv unzureichendes Fürwahrhalten. Wenn das Fürwahrhalten nur subjektiv zureichend ist und zugleich für objektiv unzureichend wird, dann heißt es Glauben. Endlich heißt das sowohl subjektiv als auch objektiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen. Die subjektive Zulänglichkeit heißt Überzeugung (für mich selbst), die objektive dagegen Gewissheit (für jedermann) (vgl. KrV B 848f). Fassen wir das in einer Tabelle zusammen: 54

Meinen Glauben Wissen

54

Subjektiv zureichend

Objektiv zureichend

JA JA

JA

Subjektiv unzureichend JA

Vgl. dazu 3.1.2. (Kap. I) der vorliegenden Abhandlung.

Objektiv unzureichend JA JA

163 Auch wenn ich etwas meine, dann muss ich zugleich wenigstens etwas wissen. Denn dadurch wird eine Verknüpfung des problematischen Urteils mit der Wahrheit gewährleistet. In Urteilen aus reiner Vernunft ist es aber nicht erlaubt zu meinen, weil alles a priori erkannt werden soll. Dies erfordert das Prinzip der Verknüpfung der Allgemeinheit und Notwendigkeit, mithin völlige Gewissheit. Auf die Frage, wo völlige Gewissheit verlangt wird, antwortet Kant mit dem Hinweis auf die reine Mathematik und die Grundsätze der Sittlichkeit. Im transzendentalen Gebrauch der Vernunft ist dagegen Wissen nicht erforderlich, sondern lediglich Glauben, was allerdings mehr als bloßes Meinen ist. Kant differenziert zwischen pragmatischem, doktrinalem und moralischem Glauben. Der pragmatische Glaube liegt etwa dann vor, wenn ein Arzt bei einem sich in Gefahr befindenden Kranken etwas tun muss, aber seine Krankheit nicht kennt. Er betrachtet ihre Symptome, urteilt und kommt zum Glauben, dass der Kranke z.B. Fieber hat. Mit dem doktrinalen Glauben haben wir es dann zu tun, wenn wir z.B. an Gott, das ewige Leben oder die Existenz von Einwohnern auf einem anderen Planeten glauben. Der doktrinale Glaube stellt aber nach Kant etwas Wankendes dar; man wird oft durch Schwierigkeiten aus diesem Glauben „herausgerissen“, und man kann zu ihm wiederfinden. Ganz anders ist es mit dem moralischen Glauben. Es muss notwendig etwas geschehen, damit ich dem sittlichen Gesetz folge: Und dafür sorgt eben der moralische Glaube. So kann der Zweck festgesetzt werden, der unter einer einzigen Bedingung möglich ist, nämlich, dass es einen Gott und eine künftige Welt gibt. Da aber die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist, so glaube ich gewiss an ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben. Diesen moralischen Glauben kann nichts wankend machen, weil sonst meine sittlichen Grundsätze selbst umstürzen würden (vgl. KrV B 850f). 55

56

Hier wird offenbar die Glückseligkeit gemeint. Grundsätzlich könnte man von einer dreidimensionalen Perspektive des Glaubensaktes sprechen: „Ich glaube X“, „Ich glaube an X“ und „Ich glaube, dass p“ (vgl. dazu Rynkiewicz, K. [2010], 23f). Das hatte auch Kant bestimmt vor Augen, obwohl er sich in erster Linie verpflichtet fühlt, den moralischen Aspekt von Glauben zu akzentuieren – aus bekannten Gründen, und dabei den propositionalen Aspekt vernachlässigt. 55 56

164 In seiner praktischen Philosophie zeigt Kant plausibel, wie Glaubensakte im Bereich der moralischen Epistemologie „funktionieren“ und dadurch eine rationale Meinungsverschiedenheit fundieren können, die als eine Herausforderung für die praktische Ethik anzusehen ist. In diesem Sinne argumentiert Robert Audi dafür, dass es bestimmte Typen von Meinungsverschiedenheiten gibt, welche nicht nur mit der Objektivität der Ethik kompatibel sind, sondern auch mit der Selbstevidenz einiger moralischer Prinzipien. Er differenziert zwischen der Meinungsverschiedenheit in Gründen und der über Gründe. Die Existenz von Glaubensakten fördert auch die epistemische Rolle des Konsenses und ermöglicht das Projekt der „Epistemologie des Glaubens“. Dretske schreibt Folgendes: 57

„Believing is easy, knowing is hard. Believing is easy because it is just a way of saying something in the internal language of thought […]”. 58

Ähnlich wie Kant betrachtet Dretske den Glaube aus klassischer Sicht, d.h. im Kontext des Vollziehungsprozesses und Wissens: Glauben ist einfach, Wissen hingegen hart. Warum? Die Antwort lautet, das Wissen benötige (außer dem gewöhnlichen Glauben) eine Koordination zwischen dem internen Glauben und der externen Welt. Diese Koordination setzt aber eine besondere Geschicklichkeit des menschlichen Subjekts voraus. Das prinzipielle Problem des Glaubens in der Epistemologie besteht also nicht darin, dass wir nicht verstehen, wie wir es fertig bringen, Glauben zu haben, sondern darin, dass wir nicht verstehen, was die Quellen des Glaubens sind und wie der Umfang seiner Verlässlichkeit ist. Um dies zu erforschen, bedient sich Dretske unter anderem der Begriffe „Representation“ und „Misrepresentation“. Der Kontext des Lernens und der Sprache wird dabei auch ins Spiel gebracht. Im Endeffekt kommt Dretske zu dem Ergebnis, dass es nicht darauf ankommt, wie wir uns entscheiden, das begriffliche Engagement eines Subjekts (sei es ein Frosch, ein Delphin, ein Computer oder ein Mensch) zu beschreiben, sondern darauf zu bestimmen, wie sich Dinge zu der gesamten „epistemologischen Situation“ verhalten, in der sie repräsentiert werden. Die traditionellen Vgl. Audi, R. (2008), 225f. Natürlich muss es sich nicht nur um einen ethischen Konsens handeln. Auch seine epistemologische Variante wäre denkbar. Dretske, F. (2000), 64.

57

58

165 Argumente, die behaupten, dass wir nicht wissen können, was wir imstande sind zu wissen, weil uns die entsprechende Ausstattung fehlt, zeigen aber nicht, dass wir nicht wissen können, was wir glauben, sondern was wir bestenfalls denken zu glauben. Dies erweckt aber eher skeptische Eindrücke. 59

3.4.2. Negativer Beigeschmack im Erkenntnisprozess Das vom Denken getragene Erkennen, das den Status des gerechtfertigen Wissens noch nicht erlangt hat, kann sich auf der Ebene des Meinens oder des Glaubens offenbaren, wie dies im vorangehenden Abschnitt deutlich geworden ist. Diese Konstellation ist allerdings epistemologisch nicht zufriedenstellend und sorgt für einen negativen Beigeschmack im Erkenntnisprozess. Jedes menschliche Subjekt, das nur meint oder glaubt, fragt - unter normalen epistemologischen Umständen - nach der Ursache dieser Konstellation. Beim genaueren Hinsehen gelangt es zur Feststellung, dass es sich unter anderem um Zweifel handelt. Denn solange ich nur meine oder glaube, solange zweifle ich am gerechtfertigten Wissen. Der Zweifel gilt im Erkenntnisprozess als Auslöser von skeptischen Tendenzen, welche auch mit Hilfe des methodischen Instrumentariums formuliert werden können. Da wir uns aber schon mit der Skepsisproblematik im 2. Kapitel genauer befasst haben, wollen wir hier nur einige Schwerpunkte diesbezüglich aufgreifen, die allerdings auf den Begriff „Paradoxie“ hinauslaufen. Zunächst soll aber zwischen der gewöhnlichen und der Erkenntnis-Skepsis unterschieden werden. Der gewöhnliche Skeptiker ist der Ansicht, dass wir es in Bezug auf jede Meinung über die Welt für möglich halten müssen, dass diese Meinung falsch ist, da wir jede Zeit relevante Daten übersehen und auf neue, bisher unzugängliche Daten stoßen können, die uns zwingen, unsere bisherige Meinung zu revidieren. Es ist eine Art „skeptische Vorsicht im Alltag“. In diesem Sinne sind alle Menschen Skeptiker. Dem 60

61

Vgl. Dretske, F. (2000), 64f. Damit werden wir erst im Kap. 4 genauer befassen. Zweifel gilt (neben dem Staunen) als anregender Faktor beim Philosophieren, d.h. als „Anfang der Philosophie“. 59 60 61

166 Erkenntnisskeptiker dagegen geht es um etwas viel Grundlegenderes. Er behauptet, dass wir uns nicht nur in dieser oder jener Meinung irren könnten, sondern dass alle von uns für wahr gehaltenen Meinungen falsch sein könnten. Er hält es für möglich, dass wir alle einer universellen Täuschung unterliegen, was den kausalen Ursprung unserer Meinungen angeht. Er hält es für möglich, dass alles, was wir wahrnehmen, nur ein Traum ist (einschließlich des erlebten Unterschiedes zwischen Wachen und Träumen) oder dass ein höheres Wesen (ein „launischer Gott“) in uns systematisch falsche Meinungen erzeugt (einschließlich der Meinung, dass das nicht der Fall ist) oder dass wir ein Gehirn in einem Laboratorium sind, dem über Elektroden mittels eines kunstvoll zusammengestellten Reizprogramms vorgetäuscht wird, es sei nicht bloß ein Gehirn in einem Laboratorium, sondern eine vollständige Person mit sinnlichen Erfahrungen über eine von ihr unabhängige Welt. Einen negativen Beigeschmack haben im Erkenntnisprozess auch Paradoxien. Auf den ersten Blick ist eine Paradoxie das Gegenteil eines Zirkels. Ein Zirkel besteht in einer Kreisbewegung, d.h. eine Bewegung kommt wieder zu dem Anfang, von dem sie ausgegangen ist. Logisch gesehen bedeutet also ein Zirkel, dass man ausgehend von einem Anfang A über eine Folge von Zwischengliedern B, C usw. schließlich zu einem Glied X gelangt, für das gilt: Aus X folgt A. Eine Paradoxie ist das genaue Gegenteil. Hier beginnt man mit einer Aussage „A“ und kommt über eine bestimmte (endliche) Folge von Zwischenschritten zur Aussage „nicht A“. Es gibt viele Paradoxie-Beispiele. Eines der ältesten und bekanntesten Beispiele ist wohl „der lügende Kreter“: 62

63

„[...] Epimenides, der Kreter sagte, alle Kreter wären Lügner und alle sonst von Kretern aufgestellten Behauptungen wären gewiss Lügen“. 64

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 234f. Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 96. Whitehead, A.N. u.a. (1986), 87. Die Herkunft des Spruchs vom Lügner ist nicht klar. Dass aber dieser Spruch weit verbreitet war, bezeugt etwa eine Aussage des Apostel Paulus aus dem Titusbrief: „Einer von ihnen hat als ihr eigener Prophet gesagt: Alle Kreter sind Lügner und faule Bäuche, gefährliche Tiere“ (vgl. ders., Titus 1,12). 62 63 64

167 Die Auslegung dieses Beispiels ist nun folgende: Wenn Epimenides die Wahrheit sagt, dann lügen alle Kreter. Epimenides ist aber ein Kreter. Also muss die Aussage auch auf ihn zutreffen: Er lügt. Wenn er aber lügt, so trifft das Gegenteil zu. Dann sagen alle Kreter die Wahrheit. Sagt er aber die Wahrheit, dann muss er lügen usf. Diese Paradoxie ist durch eine Besonderheit gekennzeichnet, die an einen negativen Zirkel erinnert. Wenn man sich einmal in die Paradoxie hineinbegibt, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Eine Paradoxie verwandelt einen Widerspruch in eine dynamische Bewegung, die den ganzen Erkenntnisprozess „ins Schleudern bringt“, da die Stabilität des epistemischen Endresultats erschüttert wird. In der Philosophie, insbesondere aber in der Logik gibt es viele Versuche, die negativen epistemologischen Auswirkungen von Paradoxien zu reduzieren. Hier sollen nur zwei Wege kurz angesprochen werden: (1) die Unterscheidung zwischen der Objektsprache und Metasprache; und (2) der Ansatz von Gödels Beweis. Die Unterscheidung zwischen der Objekt- und Metasprache ist prinzipiell auf Tarski zurückzuführen. Tarski wurde allerdings von Russell und Whitehead beeinflusst, wenn diese in ihrem gemeinsamen Werk „Principia Mathematica“ schon viel früher behauptet haben, dass jede Aussage über etwas einer bestimmten logischen Ebene zugehört. Wenn man also den Begriff „Metasprache“ verwendet, dann heißt es: Das, worin eine Aussage formuliert wird, ist eine Sprache. Macht man aber Aussagen über Sätze in einer Sprache, indem man etwa das Prädikat „wahr“ oder „falsch“ verwendet, so entsteht eine Hierarchie von Aussagen. Die Sprache, in der die Aussagen formuliert werden, wird zur Metasprache; die Sprache, über die gesprochen wird, wird zur Objektsprache. Für unser Paradoxie-Beispiel ergibt sich mithin Folgendes: 65

66

(1) Der Kreter sagte => Metasprache (2) Alle Kreter wären Lügner => Objektsprache

65 66

Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 102f. Vgl. Whitehead, A.N. (1986), 89f.

168 Der Begriff „Kreter“ in der Aussage (1) gehört also zu einer logisch anderen (d.h. höheren) Ordnung als der in der Aussage (2). Ist aber damit die Paradoxie tatsächlich gelöst? Was Gödels Beweis anbelangt, hängt er mit einem formalen Aussagensystem zusammen, das aus bestimmten Elementarzeichen besteht, wie z.B. „nicht“, „oder“, „addiere“ usw. Darüber hinaus gibt es in diesem System noch Variablen, wie X oder Y in der Algebra. Jedem Elementarzeichen und jeder Variable wird eine Zahl zugeordnet, die nach bestimmten Regeln konstruiert wird. Mit dieser Methode soll jede logische oder algebraische Formel - durch eine eindeutige Gödelzahl charakterisiert werden. So werden bestimmte Aussagen über logische oder mathematische Sätze in Zahlen verwandelt, d.h. „arithmetisiert“. Logische Sätze werden durch numerische Abhängigkeiten widergespiegelt. Mit dieser Methode will Gödel zeigen, dass sich ein Satz der Form „Die Formel F ist nicht beweisbar“ dann und nur dann beweisen lässt, wenn das Gegenteil (also „nicht F“) beweisbar ist. Die Frage ist aber: Funktioniert diese Methode auch beim Lügner-Paradox? Nach Brodbeck kann der Beweis Gödels hier keinesfalls als eine zufriedenstellende Lösung gelten. 67

68

Die Unterscheidung zwischen der Meta- und Objektsprache gründet in der sogenannten Typentheorie Russells, die das Paradoxon dadurch löst, dass sie selbstbezügliche Aussagen syntaktisch ausschließt. Russells Typentheorie ist aber die moderne Logik nicht gefolgt. Sie gebraucht vielmehr typenfreie Aussagen und hat sich als widerspruchsfrei erwiesen. Das legt nahe, dass es sich beim Lügner nur um einen Trugsschluss handelt. Eine Lösung muss den Selbstbezug präzisieren: A steht für den ganzen Satz; dieser Satz zitiert sich selbst und hat daher die Form L(A), wobei erst die Äquivalenz A = L(A) den Selbstbezug erfasst. Diese Aussage wird in der Ableitung stillschweigend benützt. L(A) ist aber als Lügen- oder Falschheitsprädikat gleichbedeutend mit der Negation ¬A. Daher war die bekannte Falschaussage A = ¬A das unerlaubte, stillschweigend benutzte Beweismittel, das verbale Formulierungen verschleiern. Die suggestive Ableitung der Paradoxie prüft aber gar nicht diese Aussage, sondern nur die eine Seite L(A) der Äquivalenz. Sie beruht also auf einer unsachgemäßen Anwendung logischer Regeln (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Lügner-Paradox, 27.11.2009). Gödels Beweis beruht auf dem Prinzip des Unvollständigkeitssatzes (US): (1) der 1. US – In jedem formalen System der Zahlen, das zumindest eine Theorie der Arithmetik der natürlichen Zahlen (N) enthält, gibt es einen unentscheidbaren Satz, d.h. einen Satz, der nicht beweisbar und dessen Negierung ebenso wenig beweisbar ist; 67

68

169 Denn die Identifikation der Tatsache der Nummerierung aller Zeichen und Formen im System S durch bestimmte Zahlen („Gödelzahlen“) mit der Tatsache der Vollziehung der Operationen mit Elementarzeichen und Variablen in diesem System S ist keineswegs nur eine formale Gleichsetzung in einer Sprache. Für die Konstruktion von Paradoxien ist es vielmehr unerlässlich, dass diese Identität wenigstens implizit personal gedeutet wird. Eine Operation zu beobachten und dann von außen zu nummerieren ist epistemologisch etwas anderes als die Handlung dieser Operation zu vollziehen. Einen Gedanken zu denken ist etwas ganz anderes als über diesen Gedanken nachzudenken. Der sprechende Kreter ist etwas ganz anderes als die Beobachtung des Sprechers, d.h. des Kreters. Wenn man diese Differenz aufhebt durch eine formale Gleichsetzung, dann bedeutet die Einführung der Negation die Einführung des Widerspruchs, der lautet: „A wird beobachtet“ und „A wird nicht beobachtet“. Gödels Beweistechnik ist also philosophisch nicht haltbar, wenn sie dazu verwendet werden soll, epistemologische Fragen zu lösen. Der negative Beigeschmack im Erkenntnisprozess lässt sich dadurch nicht reduzieren. Den hier vorliegenden Fehler können wir als methodischen Solipsismus bezeichnen: Man geht davon aus, dass die Welt nur das ist, was das eigene Ego konstruiert und beobachtet. Dieser Fehler ist darauf zurückzuführen, dass Gödel sich in erster Linie als Metaphysiker betätigt. Eine Metaphysik ersetzt jedoch Handlungen durch Entitäten. Dass Gödels Beweis philosophisch nicht zu halten ist, bedeutet keinesfalls, dass er als eine technische Maßname zu keinen nützlichen Ergebnissen führt. Nützlichkeit hat nichts mit philosophischer Einsicht zu tun – das wäre ein pragmatischer Irrtum, den schon Aristoteles bekämpfte. Der logische Widerspruch, der durch die funktionale Gleichsetzung von gemessener Temperatur und Messgerät erzeugt wird, erlaubt die Konstruktion einer sehr nützlichen Heizungsregelung. Dies klingt aber optimistisch und sorgt dafür, dass auch ein positiver Beigeschmack des Erkennens durchaus erfahrbar ist. 69

(2) der 2. US – Kein formales System der Zahlen, das zumindest eine Theorie der natürlichen Zahlen (N) samt Addition und Multiplikation enthält, lässt sich innerhalb seiner selbst als widerspruchsfrei beweisen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gödelscher-Unvollständigkeitssatz , 27.11.2009). Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 114f. 69

170 3.4.3. Positiver Beigeschmack im Erkenntnisprozess Der epistemologische Umgang des menschlichen Subjekts mit Paradoxien erzeugt stets ein negatives Gefühl im Erkenntnisprozess. So wundert es auch nicht, wenn das Interesse der nach Wissen strebenden Vernunft dadurch einen negativen Beigeschmack erhält. Wie dies vor sich gehen kann, können wir etwa in der transzendentalen Dialektik Kants paradigmatisch beobachten, wo die „Kunst des Beweisens und Widerlegens gegeneinander ausgespielt werden“, und zwar in drei Formen, je nachdem, was als Bezugsgegenstand im Erkenntnisprozess gilt. Also: (1) Paralogismen – beziehen sich auf die Seele und machen klar, dass es der Vernunft unmöglich ist, Erkenntnisse über die Seele als etwas Übersinnliches zu gewinnen; (2) Antinomien – beziehen sich auf die Welt und führen zu dem Schluss, dass diese (Welt) als Inbegriff aller Erfahrung jenseits aller Erfahrbarkeit und Erkennbarkeit liegt; und (3) Kritik der traditionellen Gottesbeweise – macht deutlich, dass der Gottesbegriff nur ein transzendentales Ideal ist und alle Erkennbarkeit übersteigt (vgl. KrV B 399f). Durch diese negativ gefärbte Konstellation wird aber das menschliche Subjekt nicht von seinen Rechtfertigungsbemühungen im Bereich des epistemologisch Zugänglichen abgebracht, diese Bemühungen können nur abgeschwächt werden. Der epistemologisch zugängliche Bereich verdankt seine Existenz speziell dem Prozess der Rechtfertigung des Wissens und sichert daher sämtliche positive epistemologische Erfahrungen des menschlichen Subjekts. Da wir der Rechtfertigungsproblematik im Kontext des Wissens im Kapitel IV genauer nachgehen werden, wollen wir hier kurz die Rechtfertigung nur hinsichtlich deren Verhältnisses zur Rationalität betrachten. Wenn ich etwas zu meinen, zu glauben oder zu wissen beanspruche, dann bin ich epistemologisch verpflichtet, jeweils den propositionalen Gehalt zu 70

Der Begriff der „Rechtfertigung“ ist von dem der „Begründung“ zu unterscheiden. Allgemein formuliert lautet das Unterscheidungskriterium: Von Rechtfertigung sprechen wir dann, wenn es darum geht, Gründe anzuführen für Meinungen, die Handlungen oder Handlungsnormen betreffen. Von Begründung reden wir dagegen dann, wenn es um Meinungen geht, die sich auf die Sachverhalte in der Welt beziehen und mit denen wir einen Wissensanspruch verbinden (vgl. Brülisauer, B. [2008], 58).

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171 rechtfertigen. Im Rechtfertigungsprozess offenbart sich besonders stark die Relevanz des rationalen Verfahrens. Aufgrund der rationalen Überlegung wird es mir also zunächst klar, dass ich zwischen einer persönlichen und einer sachlichen Rechtfertigung differenzieren muss: Ich muss rechtfertigen, warum ich z.B. die Meinung M habe und warum diese Meinung sich auf Dinge der Welt so bezieht, wie ich es behaupte, und diese Dinge so und nicht anders widerspiegelt. Das Erfordernis einer jeden Rechtfertigung ist auf die Einschränkungen von kognitiven Fähigkeiten menschlicher Subjekte zurückzuführen. Bei Laurence BonJour können wir lesen: „Warum sollten wir, als kognitive Wesen, ein Interesse daran haben, dass unsere Überzeugungen erkenntnistheoretisch gerechtfertigt sind? [...]. Was uns allererst zu kognitiven Wesen macht ist unser Vermögen, etwas zu glauben, und das Ziel unserer spezifischen kognitiven Bemühungen ist die Wahrheit: Wir wollen, dass unsere Überzeugungen die Welt richtig und genau wiedergeben. Wäre die Wahrheit auf irgendeine Weise unmittelbar und unproblematisch zugänglich (wie sie es nach manchen Auffassungen für Gott ist), so dass man sich in allen Fällen einfach dafür entscheiden könnte, das Wahr zu glauben, dann hätte der Begriff der Rechtfertigung keine große Bedeutung und würde keine unabhängige Rolle für die Erkenntnis spielen. [...] Die grundlegende Rolle der Rechtfertigung ist es, ein Mittel zur Wahrheit zu sein.“ 71

Im Rechtfertigungsprozess, der zwar abgeschlossen ist, aber keinesfalls einen absoluten Charakter aufweist, wie dies BonJour mit Recht bemerkt, erscheint die positive Seite des Erkenntnisprozesses. Das erkennende Subjekt gewinnt dadurch den Eindruck, dass sein epistemologisches Engagement nicht gänzlich ins Leere gegangen ist. Dieser Eindruck wird noch durch die Konsistenzfrage verstärkt. Die Forderung nach Konsistenz ist eine der wichtigsten Rationalitätsforderungen, sowohl auf einer praktischen als auch auf einer theoretischen Ebene. Auf der praktischen Ebene (z.B. im Bereich der Handlungen) verlangt die Konsistenzforderung, dass das, was wir tun, zu dem passt, was wir für richtig halten. Wenn ich mich z.B. jeden Tag falsch ernähre (ich esse viel Schokolade und wenig Obst), obwohl ich weiß, wie es wichtig ist, auf die Ernährung zu achten, dann entsteht hier eine 71

BonJour, L. (1985), 7. Vgl. Dazu auch Grundmann, Th. (2008), 223.

172 inkonsistente Lage, die vor allem auf meine Willensschwäche zurückzuführen ist. Auch die Zweckrationalität gehört in den Bereich des Praktischen: Ich möchte z.B. ein teures Auto haben, will aber nicht arbeiten, sondern gebe mich mit dem zufrieden, was ich im Rahmen der staatlichen Sozialhilfe bekomme; so wird es kaum möglich sein, dass ich mir ein solches Auto leisten kann. Auf der theoretischen Ebene nimmt die Konsistenzforderung dagegen drei grundlegende Formen ein: (1) Erstens handelt es sich um eine logische Konsistenz. Ein logisch konsistentes System von Überzeugungen ist ein System von Überzeugungen, die gleichzeitig wahr sein können. Wer A glaubt und glaubt, dass B aus A folgt, der darf nicht non-B glauben; (2) Zweitens gibt es eine begriffliche Konsistenz. Wenn ich sage, dass Hans ein Junggeselle ist, der eine hübsche Ehefrau hat, dann glaube ich etwas, was begrifflich inkonsistent ist. Denn der Begriff „Junggeselle“ bezieht sich auf eine unverheiratete Person; und (3) Drittens kann auch eine probabilistische Konsistenz vorliegen. Aus epistemologischer Sicht ist der Begriff der Wahrscheinlichkeit für die Beschreibung der Stärke einer Überzeugung bedeutsam. Gerhard Ernst führt dazu folgendes Beispiel an: Wenn Paul ziemlich (aber nicht vollständig) davon überzeugt ist, dass es einen verregneten Sommer geben wird, und zudem weiß, dass ein verregneter Sommer einen schlechten Weinjahrgang zur Folge hat, aber dennoch ziemlich (aber nicht vollständig) davon überzeugt ist, dass der kommende Weinjahrgang hervorragend sein wird, dann ist Paul zwar nicht inkonsistent im Sinn der deduktiven Logik (denn er hat ja keine sich widersprechenden „vollständigen“ Überzeugungen). Wir würden ihm aber wohl eine Inkonsistenz im weiteren Sinne vorwerfen. Also: Wenn Paul das glaubt, was er glaubt, dann ist sichergestellt, dass er sich wundern wird: Entweder wird er sich über das Wetter wundern (falls der Sommer schön wird), oder er wird sich über die schlechte Qualität des Weins wundern, wo er doch mit einem guten Jahrgang rechnet. Inkonsistent sind seine Überzeugungen, insofern er sich wundern wird, und zwar egal, was passiert. 72

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Natürlich sehen wir hier ab von anderen Faktoren, die durch das Wirken von Dritten zustande kommen können, und Glücksfällen (z.B. Lottogewinn). Vgl. Ernst, G. (2007), 73f.

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173 4. Systematisierung der Quellen von Erkenntnis Im Vorangehenden hat sich herausgestellt, dass es viele Formen des Erkennens gibt, wobei dem vernünftigen Erkennen ein besonderer Rang zukommt. Nicht zuletzt ist darin auch der positive Beigeschmack des Erkennens fundiert: Selbst wenn wir auf der vernünftigen Basis stets nur unvollkommen erkennen – als menschliche Subjekte werden wir nie fähig sein, absolut zu erkennen, wie etwa ein göttliches Wesen -, sind wir durchaus imstande, zu epistemologischen Resultaten zu gelangen, auf die wir stolz sind und die für ein positives Gefühl „sorgen“. Diese epistemologische Prozedur mitsamt begleitenden Faktoren betrifft auch andere Formen des Erkennens, selbst wenn in einem nur minderen Maße als vernünftiges Erkennen. Es dürfte schon einleuchten, dass es verschiedene Quellen des Erkennens und Wissens gibt. Einige dieser Quellen wurden von uns genauer betrachtet, andere nur am Rande angesprochen; als einziges Wahlkriterium galt dabei der Leitgedanke des vorliegenden Kapitels. Damit wurde also eine Art Systematisierung dieser Quellen durchgeführt, welche mit der klassischen Systematisierung übereinstimmt, wenn diese zwischen folgenden sechs Erkenntnisquellen unterscheidet: Wahrnehmung, Erinnerung, Introspektion, Induktion, Schlussfolgern und Bezeugung durch andere. In diesem Abschnitt wollen wir diese Systematisierung lediglich im Kontext der Begriffe „basale“ und „nicht-basale Erkenntnis“ ergänzen. Eine basale Erkenntnisquelle ist eine solche, die von keiner anderen Erkenntnisquelle abhängt. Thomas Grundmann schlägt folgende Aufteilung vor: 74

Basale Erkenntnisquellen

Nicht-basale Erkenntnisquellen

(1) Sinneswahrnehmung (4) Deduktion (2) Rationale Intuition (=Selbstevidenz) (5) Enumerative Induktion (3) Introspektion (6) Abduktive Induktion (=Abduktion) Denn auch sinnliches Erkennen ist bei den Menschen unvollkommen, viele Tiere sind diesbezüglich überlegen. 74

174 (7) Erinnerung (8) Zeugnis anderer (9) Verstehen anderer Wir haben es also mit basalen und nicht-basalen Erkenntnisquellen zu tun, wobei die letzteren in einer klaren quantitativen Überlegenheit sind. Unter den nicht-basalen Erkenntnisquellen werden (4), (5) und (6) als inferentielle Erkenntnisquellen bezeichnet. Alle Erkenntnisquellen (bzw. Wissens-) sind kognitive Vermögen, Erkenntnis oder Wissen hervorzubringen. Jede Erkenntnis setzt eine Erkenntnisquelle voraus; daher setzt z.B. die Wahrnehmungserkenntnis voraus, dass Wahrnehmung eine Quelle der Erkenntnis ist. Durch die basalen Erkenntnisquellen wie Sinneswahrnehmung, rationale Intuition und Introspektion können wir Erkenntnis erwerben, ohne dadurch von anderen Erkenntnisquellen abhängen zu müssen. Allerdings wird diese These mitunter auch als problematisch angesehen. So wird zum einen eingewendet, dass wir unsere Erfahrungen meist im Lichte von Hintergrundtheorien bewerten, die wir größtenteils durch das Zeugnis anderer (z.B. Lehrer) erworben haben. Dieser Einwand kann, muss aber nicht unbedingt gelten. Zum anderen wird behauptet, dass Wahrnehmungsüberzeugungen sprachabhängig sind und dass man eine natürliche Sprache nur durch andere erlernen kann. Auch dieser Einwand ist keinesfalls stichhaltig, denn: (1) Die generelle Sprachabhängigkeit von Gedanken ist unplausibel; (2) Eine Sprache kann nur dann erlernt werden, wenn schon vorausgesetzt wird, dass wir unabhängig vom Spracherwerb denken können; (3) Obwohl das Denken eines Gedanken von bestimmten anderen Quellen abhängt, folgt daraus aber noch nicht, dass aus diesem Gedanken nur dann Wissen entsteht, wenn bereits andere Wissensquellen vorausgesetzt werden. Ähnliches gilt für rationale Intuition und Introspektion. 75

76

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 455f. Zum Erkennen durch sinnliche Wahrnehmung vgl. 3.1 (Kap. III). Da haben wir die sinnliche Wahrnehmung als einfaches Erkennen bezeichnet, das offenbar auch Intuition und Introspektion (=innere Wahrnehmung) umfasst. 75 76

175 Wie bereits angedeutet, stellen die inferentiellen Erkenntnisquellen (z.B. Deduktion, enumerative Induktion, Abduktion) einen erheblichen Teil der nicht-basalen Erkenntnisquellen dar. Durch Inferenzen kann man niemals zu Wissen gelangen, wenn die Prämissen nicht bereits unabhängig davon gewusst werden. Inferentielle Erkenntnisquellen sind also immer abhängig von anderen (nicht-inferentiellen) Erkenntnisquellen und deshalb nichtbasal. Eine andere nicht-basale Erkenntnisquelle stellt die Erinnerung dar. Als Erinnerungsgegenstand kann vor allem das gelten, was wir zuvor etwa durch Wahrnehmung oder Introspektion erlebt haben. Durch die Erinnerung können wir nur dann Wissen erwerben, wenn wir davon unabhängig Vermögen zum Wissenserwerb besitzen. Selbst wenn wir zu einem früheren Zeitpunkt keine explizite Überzeugung über eine wahrgenommene Tatsache haben mussten, um zu einem späteren Zeitpunkt durch Erinnerung Erkenntnis zu erwerben, so ist es doch erforderlich, dass wir zu einem früheren Zeitpunkt Erkenntnis von dieser Tatsache erworben haben, wenn wir eine entsprechende Wahrnehmungsüberzeugung bilden. Wir mussten also zumindest das Vermögen haben, durch Wahrnehmung Erkenntnis zu gewinnen. Die Relevanz der Erinnerung als Erkenntnisquelle gilt für alle sowohl praktischen als auch theoretischen Lebensbereiche von menschlichen Subjekten. 77

Wollen wir die hier erwähnten inferentiellen Erkenntnisquellen erläutern, so gilt: (1) Deduktion – besagt, dass die Konklusion von den Prämissen logisch impliziert wird und immer wahr ist. Als klassisches Beispiel ist der Syllogismus anzusehen (Prämisse 1 [Alle Menschen sind sterblich] + Prämisse 2 [Sokrates ist ein Mensch] = Konklusion [Sokrates ist sterblich]); (2) Enumerative Induktion – ist ein Typus der Induktion (I) (I bezeichnet diejenigen Schlüsse, bei denen die Prämissen die Konklusion stützen, ohne sie jedoch logisch zu implizieren; die Konklusion kann dann auch falsch sein). Bei der enumerativen I wird aus einer Korrelation in einer begrenzten Menge von Einzelfällen auf eine streng allgemeine Korrelation geschlossen (z.B. „Alle Schwäne, die ich bisher gesehen habe, sind weiß“ also „Alle Schwäne sind weiß“); (3) Abduktive Induktion – ist der Schluss auf die beste Erklärung (SBE). Während in einer Erklärung das Explanandum (=das zu Erklärende) aus dem Explanans (=das Erklärende [z.B. eine Hypothese]) folgt, gilt in einem SBE umgekehrt: das Explanans folgt aus dem Explanandum, vgl. z.B. die Ursache-Wirkung-Relation (vgl. Grundmann, Th. [2008], 585, 589). 77

176 Zu den nicht-basalen Erkenntnisquellen gehören schließlich das Zeugnis und Verstehen anderer menschlicher Subjekte. Das Repräsentative an diesen beiden Erkenntnisquellen ist die Mitwirkung eines Dritten (d.h. einer anderen Person), damit meine Erkenntnis über einen Sachverhalt der Welt zustande kommen kann. Einerseits muss also das Zeugnis von anderen Menschen abgelegt werden, das bestimmte Wissenschafts- und Lebensbereiche betrifft, andererseits muss ich selbst imstande sein, die durch dieses Zeugnis vermittelten Informationen zu verstehen. Es erübrigt sich jeder Kommentar, wenn es um die Relevanz dieser beiden Erkenntnisquellen im Leben von menschlichen Subjekten geht. Obwohl das Zeugnis und Verstehen anderer keine basalen Erkenntnisquellen sind, kann jedoch dadurch basales Erkennen erworben werden. Unentbehrlich ist dabei die Rolle von Gründen. 78

5. Gründe als Quelle und Bedingung von Erkenntnis Als eine der allgemeinsten Fragen der Erkenntnistheorie überhaupt gilt die Frage: „Wie kann ich sichere Erkenntnisse erlangen?“ Dass es viele verschiedene Möglichkeiten diesbezüglich gibt, haben wir schon im vorangehenden Abschnitt gesehen. Sie hängen aufs engste mit den uns jeweils zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zusammen. Jede gewonnene Erkenntnis erfordert aber eine Überzeugung, um als eine bestimmte gerechtfertigte Erkenntnisart angesehen zu werden. Wenn wir eine Überzeugung als gerechtfertigt charakterisieren, dann machen wir das im Lichte ihrer kausalen Vorgeschichte. Wir behaupten, dass die Überzeugung auf guten oder sicheren Gründen beruht. Während Gründe sehr spezifisch sind, bezeichnen wir als Quelle von Wissen oder Rechtfertigung den allgemeinen Typ von Grund, auf den ein spezifisches Wissen oder eine bestimmte gerechtfertigte Überzeugung gestützt ist. Nehmen wir ein Beispiel: Ich sehe vor mir ein Auto stehen. Mein visuelles Wahrnehmungserlebnis ist der Grund für diese Überzeugung. Wenn die Umstände günstig sind (d.h. wenn tatsächlich ein 79

Vgl. Audi, R. (2002), 74f. D.h. wir können für verschiedene Wahrnehmungsüberzeugungen unterschiedliche Gründe haben.

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177 Auto vor mir steht, wenn meine Augen in guter Verfassung sind usf.), dann ist meine Überzeugung durch diesen Grund gerechtfertigt. Als Quelle der Rechtfertigung gilt die Wahrnehmung. Die Problematik der Gründe kann einerseits im Kontext des Freiheitsbegriffs diskutiert werden, wo ich sagen kann, ich habe einen Grund für diese bestimmte Handlung, andererseits im Kontext des Erkenntnisbegriffs, wo etwa nach den Gründen für meine Überzeugung, dass p gefragt wird. Insofern kann man von Gründen als Quelle und Bedingung von Erkenntnis sprechen. Gründe in dieser Funktion sollen zumindest sicher, echt und gut sein. Sichere Gründe sind also Gründe, die in allen nahe gelegenen möglichen Welten die Wahrheit der auf sie gestützten Überzeugung garantieren. Es hätte also nicht leicht sein können, dass die durch einen solchen Grund gestützte Überzeugung falsch gewesen wäre. Dadurch werden die sogenannten Gettier-Situationen ausgeschlossen. Im Unterschied zu zwingenden oder infalliblen Gründen sind sichere Gründe keine Unterscheidungskriterien zwischen Situationen, in denen die Überzeugung wahr ist, und Situationen, in denen sie falsch ist. Ein sicherer Grund muss also nicht zwischen p und nicht-p Situationen diskriminieren (können). Nennen wir ein Beispiel: Ich glaube, dass ich kein Gehirn im Tank bin und mein Glaubensakt wird durch die Wahrnehmung der Außenwelt gestützt. Wenn es richtig ist, was ich glaube, dann ist meine so gestützte Überzeugung nicht nur wahr, sondern sie kann auch nicht problemlos falsch sein, weil die Situation, in der ich ein Gehirn im Tank wäre, von der aktuellen Welt extrem weit entfernt ist. Meine Wahrnehmung ist also ein sicherer Grund für meine Überzeugung, dass ich kein Gehirn im Tank bin. Durch sichere Gründe wird also Wissen bzw. Erkenntnis erklärt. 80

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Vgl. Grundmann, Th. (2008), 453f. Dazu vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 4.2.1. (Kap. III). Wir werden von Gründen im Kap. IV ausführlicher sprechen, wo Gründe im Zusammenhang mit dem Begriff der Rechtfertigung behandelt werden. Eine Gettier-Situation ist eine Situation, die dazu führt, dass Wissen als wahre, gerechtfertigte und nichtzufällige Überzeugung definiert wird. Vgl. dazu 4.4 (Kap. IV). Vgl. Grundmann, Th. (2008), 180f. 80 81 82

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178 Darüber hinaus müssen Gründe echt sein. Denn es genügt nicht, dass jemand für seine Meinung (nur) wahre Rechtfertigungsgründe anführt. Solche Gründe weisen nur eine geringe Bedeutung auf, wenn sie nicht zugleich diejenigen Gründe sind, derentwegen jemand seine Meinung vertritt, d.h. wenn sie nicht zugleich echt sind. Echte Gründe sind von den Gründen zu unterscheiden, die aus taktischen Überlegungen angeführt werden, also von den unechten Gründen. Die letzteren stützen zwar tatsächlich eine Meinung, sie werden aber intrinsisch (d.h. subjektiv) nicht für die Gründe gehalten, die eine Meinung stützen. Dies verdeutlicht folgendes Beispiel: „Der Schüler Thomas glaubt, dass er einen Deutschaufsatz mit einer ungenügenden Note zurückerhalten werde. Und dafür gibt es gute Gründe, die auch Thomas als die wirklichen Gründe kennt, nämlich Mängel in seinen früheren Aufsätzen: (1) Ihm sind zu viele Rechtsschreibungs- und Satzbaufehler unterlaufen; (2) Er hat zu wenig gehaltvolle Gedanken geäußert; und (3) Er hat die wenigen Gedanken, die ihm eingefallen sind, überhaupt nicht gegliedert. Thomas ist aber für diese Gründe nicht empfänglich. Vielmehr findet er, er habe – unter diesen drei Gesichtspunkten betrachtet – insgesamt einen guten Aufsatz geschrieben. In seiner Meinung, dass er eine ungenügende Note erhalten werde, ist er vielmehr von einer anderen Meinung beeinflusst, nämlich dass der Lehrer ihn persönlich nicht mag. Seinem Vater gegenüber, der wissen möchte, wie es ihm in der Aufsatzstunde ergangen ist, führt er dagegen nicht diesen Grund als denjenigen Grund an, dessentwegen er selbst meint, der Aufsatz werde als ungenügend bewertet, sondern die anderen, guten Gründe. Denn er weiß, dass sein Vater den Deutschlehrer auch kennt, dass er ihn hoch achtet und nicht glaubt, dass dessen Benotungen davon abhängen, ob der Deutschlehrer einen Schüler gern mag. Er sagt also seinem Vater nicht, welches der Grund für seine ungenügende Note seiner Ansicht nach ist“. 85

Schließlich müssen wir gute Gründe haben, damit gerechtfertige Erkenntnis überhaupt zustande kommen kann. Es gibt zwei Modelle für einen guten Grund: das deontologische Modell (DM) und das instrumentell-rationale Modell (IRM). Das DM ist bestrebt, gute Gründe mit dem Blick auf die natürliche Sprache zu definieren. Damit wird also deutlich, dass es epistemische Pflichten, Normen und Regeln gibt, die dem Erkenntnissubjekt vorschreiben, wie es sich im erkenntnistheoretischen 85

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 54f.

179 Sinne zu verhalten habe. Das Erkenntnissubjekt ist in seiner Überzeugung gerechtfertigt, solange es gegen keine epistemischen Pflichten verstößt. Die deontologische Konzeption der Rechtfertigung geht – historisch gesehen - auf Descartes und Locke zurück. Hier wollen wir nur den letzteren kurz aufgreifen. Locke geht davon aus, dass Überzeugungen Handlungen sind, die wir willentlich kontrollieren können. Es ist der Standpunkt des doxastischen Voluntarismus. Darüber hinaus beziehen sich unsere Pflichten, an denen unsere Urteilshandlungen orientiert sind, nicht auf objektive Sachverhalte, sondern es handelt sich um subjektive Pflichten, die relativ zu dem formuliert sind, was wir können: Sollen impliziert hier also Können. Wir haben unsere Pflichten dann erfüllt, wenn wir unser Bestes tun, die Wahrheit anzustreben. Und das tun wir, wenn wir unsere Überzeugungen an dem orientieren, was uns aus unserer Perspektive als wahrscheinlich und evident erscheint. Wenn wir unsere Pflichten nicht erfüllen, dann wird unser epistemisches Verhalten negativ bewertet, sogar dann wenn wir auf eine Wahrheit treffen. Wenn wir hingegen unsere Pflichten erfüllen, so liegt eine positive Bewertung vor, auch dann wenn wir dadurch zu falschen Überzeugungen kommen. Das IRM fasst hingegen die guten Gründe als gutes Mittel zur Erreichung des erkenntnistheoretischen Ziels. Da wir dieses Ziel bereits früher als die Wahrheit bestimmt haben, sind die guten epistemischen Gründe zuverlässige Indikatoren der Wahrheit. Eine Überzeugung ist dann gerechtfertigt, wenn sie durch Methoden, Verfahren oder Prozesse gestützt wird, die die Wahrheit der resultierenden Überzeugung wahrscheinlich machen. Wenn gute Gründe zuverlässige Mittel zur Erlangung von wahrer Überzeugung sind, dann sind sie wahrheitszuträglich. Mit anderen Worten: Gute Gründe sind zuverlässige Methoden der Überzeugungsbildung, schlechte Gründe sind hingegen unzuverlässige Methoden. Mit Hilfe des IRM kann man die Anfechtbarkeit der Rechtfertigung erklären. Die Anfechtung wird als Verfahren der Korrektur von Fehlern verstanden und als solches für ein geeignetes Instrument zur schrittweisen Annäherung an 86

Vgl. Locke, J. (1981), Buch IV, Kap. Xvii, 24, 391f. Vgl. auch Grundmann, Th. (2008), 238f. 86

180 die Wahrheit gehalten. Je nachdem, welche Gründe uns zugänglich sind, wird auch die Struktur von Erkenntnis gebildet. 87

6. Die Struktur von Erkenntnis und die ersten Abgrenzungen: Fundamentalismus und Kohärentismus Die Struktur von Erkenntnis hängt nicht nur von deren Form ab (vgl. 3 [Kap. III]), d.h. von einer Erkenntnisquelle, sondern auch von deren logischer Rechtfertigung. Dadurch lassen sich schlechthin neue Einblicke in die Natur von Erkenntnis gewinnen. Das, was damit gemeint ist, erscheint im Gewand von zwei mittlerweile klassischen Termini, nämlich als Fundamentalismus und Kohärentismus. Die Begründung dieser beiden Standpunkte erfordert ebenfalls eine Reihe von sicheren, echten und guten Gründen. Versuchen wir die Relevanz dieser Gründe für den hier angedeuteten Rechtfertigungskontext zu bestimmen. Der Ausgangspunkt der epistemologischen Fragestellung weist eine skeptische Grundlage auf. Das bedeutet, es handelt sich (zumindest) um eine Konstellation, die dem Agrippa-Trilemma entspringt: Beim Rechtfertigungsversuch von unseren Erkenntnissen geraten wir also entweder in einen Regress, oder wir werden dogmatisch, oder wir argumentieren schließlich im Zirkel. Die Vertreter des Fundamentalismus und Kohärentismus sind aber fest davon überzeugt, einen Ausweg aus diesem Trilemma gefunden zu haben. Die Fundamentalisten behaupten, dass es Basisüberzeugungen (oder basale Meinungen) gibt. Diese Überzeugungen können in undogmatischer Weise Endpunkte der Rechtfertigung sein. Die Basisüberzeugungen bilden mithin das Fundament, auf dem alle unsere Rechtfertigungen letztlich aufbauen. Darüber gibt es verschiedene Ebenen weiterer Überzeugungen, so dass dies zum Entstehen eines „Überbaus“ führt. Die Überzeugungen einer Ebene werden jeweils durch Überzeugungen der darunter liegenden 88

89

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 246f. Als Fundamentalisten können einerseits die englischen Empiristen angesehen werden (Locke, Hume), andererseits Russell, Schlick, Carnap, Chisholm usw. Man könnte auch von „Überzeugungen zweiter Ordnung“ bzw. „Metaüberzeugungen“ sprechen. 87 88

89

181 Ebene gerechtfertigt. Die Basisüberzeugungen werden allerdings nicht mehr durch weitere Überzeugungen begründet, sonst könnten sie nicht als Endpunkte der Rechtfertigung angesehen werden. Um sich aber dem Dogmatismusvorwurf zu entziehen, müssen sie sich selbst rechtfertigen. Die Frage ist nur, wie das geschehen soll. Zum einen wird diese Frage etwa mit dem Verweis auf sinnliche Wahrnehmungen beantwortet: „Ich kann sehen, hören usf., dass p“; auch durch Erinnerung und Introspektion können derartige Basisüberzeugungen gewonnen werden. All dies bringt jedoch zugleich viele ernsthafte Probleme mit sich, da Wahrnehmungen keine Prämissen sind, die wir bei der Formulierung von Gründen nötig haben. Zum anderen wird der Status von Basisüberzeugungen als sich selbstrechtfertigenden Entitäten hervorgehoben: Das kann entweder aufgrund der Überzeugungen geschehen, dass wir bestimmte Wahrnehmungen haben; diese Überzeugungen können als Gründe für andere Überzeugungen fungieren. Freilich ist auch hier zu fragen, wie diese Überzeugungen zu rechtfertigen sind. Oder wir können den Status von Basisüberzeugungen im Bereich der reinen Vernunft zu bestimmen suchen. Der besondere Status von Basisüberzeugungen besteht also darin, dass sie nicht nur den Inhalt einer Erfahrung erfassen, sondern auch unmittelbar erfassen, dass es sich um eine Erfahrung handelt (und nicht etwa um eine Halluzination). Einen Versuch, dem Rechtfertigungsproblem von Überzeugungen, die durch Wahrnehmung gerechtfertigt werden sollen, im Rahmen des Fundamentalismus zu entgehen, stellt der Phänomenalismus dar. Dieser Standpunkt wird meist auf George Berkeley zurückgeführt, aber auch von den logischen Positivisten wie Rudolf Carnap und Alfred J. Ayer vertreten. Der Phänomenalismus bedient sich des Begriffs „Sinnesdatum“. Demnach lautet seine These: Aussagen über die Welt lassen sich auf die Aussagen 90

91

92

Vgl. Ernst, G. (2007), 85f. Hier ist vor allem Descartes als rationalistischer Fundamentalist zu nennen, der in seinen „Meditationes de prima Philosophia“ die These vom „radikalen Zweifel“ entwirft sowie die „Existenz eines gütigen Gottes“ zu beweisen versucht. In seiner Nachfolge stehen viele moderne Argumente, wie z.B. das Argument „Gehirn im Tank“ von Putnam. Darauf werden wir in einem weiteren Kapitel genauer eingehen. Vgl. dazu etwa BonJour, L. u.a. (2003). Bevor BonJour zum Fundamentalisten wurde, plädierte er für eine Kohärenztheorie. 90 91

92

182 über unsere Wahrnehmungen zurückführen. Wenn ich z.B. sage „Vor meiner Garage sehe ich ein Auto stehen“, dann ist diese Aussage als Aussage über meine momentanen Wahrnehmungen zu analysieren. So können die Vertreter des Kohärentismus den Fundamentalisten vorwerfen, dass diese zwischen den Fragen nicht unterscheiden: Wie entsteht eine Meinung? und Wie ist eine Meinung gerechtfertigt? Die Fundamentalisten sind hauptsächlich auf die zweite Frage fixiert, die erste wird von ihnen völlig übersehen. Dieser Vorwurf stützt sich offenbar auf die unterschiedliche Auffassung des Rechtfertigungsmodells. Während die Fundamentalisten – wie wir gesehen haben - mit einem linearen Modell arbeiten, wo eine Überzeugung durch eine andere gerechtfertigt wird, so dass diese andere Überzeugung jeweils ein Fundament (eine Basis) darstellt, plädieren die Kohärentisten hingegen für ein Netz-Modell der Rechtfertigung. Bedienen wir uns eines Schemas: 93

Lineares Modell der Fundamentalisten

A

B

C

D

E

Netz-Modell der Kohärentisten B

C

D

A E

F

G

Bei dem linearen Modell ist z.B. (A) durch (B) gerechtfertigt, (B) durch (C), (C) durch (D), (D) durch (E), wobei (E) als das Fundament im ganzen Rechtfertigungsverfahren angesehen wird. Beim Netz-Modell erfordert hingegen die Rechtfertigung von (A) nicht nur eine einzige weitere 93

Vgl. auch Ernst, G. (2007), 86f.

183 rechtfertigungstaugliche Überzeugung (B oder C oder D oder E oder F oder G), sondern vielmehr die kohärente Existenz eines Netzes von den Überzeugungen (B, C, D, E, F, G), die sich untereinander stützen. Die Überzeugung (A) wird also durch die Überzeugungen (B), (C), (D), (E), (F) und (G) gestützt, die sich wiederum gegenseitig stützen. Beispiel: Ich bin davon überzeugt, „dass meine Schwester Fieber hat“ (=A). Wie bin ich in dieser Überzeugung gerechtfertigt? Diese Überzeugung kann ich nur dann rechtfertigen, wenn ich auch andere Überzeugungen habe, z.B. „dass ich eine Schwester habe“ (=B), „dass meine Schwester tatsächlich Fieber hat“ (=C), „dass ich typische Fieberanzeichen feststellen kann“ (=D), „dass es Fieberthermometer gibt, deren Gebrauch meine Überzeugung bestätigt“ (=E), „dass Fieberthermometer korrekt funktionieren“ (=F) usw. Meine Überzeugung „Meine Schwester hat Fieber“, obwohl sie als fundamental anzusehen ist, muss mithin mit anderen Überzeugungen kohärent sein. So entsteht ein kohärentes System von Überzeugungen, das zugleich ein Fundament hat, so wie dies die Fundamentalisten wollen. Das bedeutet, der Kohärentist setzt ebenfalls ein Fundament voraus, weil sonst sein Erfahrungswissen in einen Topf mit Gerüchten und Hirngespinsten geworfen werden müsste. Das Charakteristische am Kohärenz-Ansatz ist nach Davidson die These, dass (nur) die Überzeugung eines anderen Typus als Grund für eine bestimmte Überzeugung angesehen werden kann. Selbst wenn etwa die Wahrnehmung in diesem Zusammenhang bedeutsam ist, kommt ihr nur eine kausale, aber nicht rechtfertigende Rolle zu. Sie führt dazu, dass wir Überzeugungen über die Welt haben, rechtfertigt diese aber nicht. Die Kohärenztheorie der Rechtfertigung zeigt schon plausibel genug, dass das Erlangen von gerechtfertigter Erkenntnis einen komplexen Charakter aufweist. Das gilt auch für den wissenschaftlichen Aspekt von Erkennen. 94

95

7. Das wissenschaftliche Antlitz des Erkennens Im Verlaufe des Anpassungsprozesses der Erkenntnisforschung an die wissenschaftlichen, empirisch geprägten Kriterien, zu dem nicht zuletzt die 94 95

Vgl. Sellars, W. (1963). Auch vgl. Brülisauer, B. (2008), 77. Vgl. Davidson, D. (1986), 310.

184 sprachanalytischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts innerhalb der Philosophie selbst beigetragen haben, hat sich ein spezifisches Bild von Erkennen herausgebildet, dessen Fundament hauptsächlich in der Wissenschaftstheorie zu suchen ist. Die Folge davon ist, dass sich dadurch eine Art Formalisierung des Erkennens vollzogen hat. Diese Formalisierung führt zum Entstehen eines typischen epistemologischen Kontextes, den wir jetzt mit dem Blick auf Wissenschaftstheorie analysieren wollen. 96

7.1. Erscheinen der Wissenschaftstheorie In der gegenwärtigen philosophischen Debatte scheint die Analyse der Erkenntnisfrage im Kontext der Wissenschaftstheorie stets an Bedeutung zu gewinnen. Allerdings kommt es dabei hauptsächlich darauf an, eine klare Grenze zwischen der Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie zu ziehen. Wollen wir die Wissenschaftstheorie vorab kurzgefasst definieren, so heißt das, sie sei die Theorie wissenschaftlicher Theorien. Dabei geht es ihr nicht um den Inhalt der Wissenschaften, sondern um die Probleme ihrer Systematisierung. Die Wissenschaftstheorie fragt also: Wie bilden verschiedene Wissenschaften ihre Begriffe? Welche Voraussetzungen müssen sie erfüllen? Welche Methoden wenden sie an? In dieser wissenschaftstheoretischen Fragestellung lassen sich zwei Aspekte unterscheiden: ein logischer und ein empirischer. Der logische Aspekt meldet sich dann zu Wort, wenn man die Wissenschaftstheorie als „angewandte Logik“ versteht. Demnach besteht die Wissenschaftstheorie in der Erläuterung der Struktur von empirischen Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaft, mit Hilfe formaler Strukturen, die von nichtempirischen Formalwissenschaften wie Mathematik und Logik entwickelt werden. Der empirische Aspekt kommt dagegen dann vor, wenn die Reflexion über die Zielsetzung empirischer Wissenschaften und deren grundlegende Methoden angestrebt wird. 97

Gewisse Spuren dieses Prozesses konnten wir schon bei der Analyse des Kohärentismus beobachten (vgl. den vorangehenden Abschnitt), wo ein zu rechtfertigender Satz im Kontext eines Netzes von anderen Sätzen zu betrachten ist. Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 235. 96

97

185 Wie jede empirische und nichtempirische Wissenschaft hat auch die Wissenschaftstheorie eine solche Struktur, dass sie Erkenntnis voraussetzt, mithin ein Gebilde, das entweder wahr oder falsch ist. Sowohl die Erkenntnis selbst als auch ihr Gegenstand sind für die Wissenschaftstheorie, so wie für jede Wissenschaft auch, immer schon vorhanden. Das bedeutet, sie befassen sich nicht mit der Frage, wie Erkenntnis überhaupt als ein Gebilde, das entweder wahr oder falsch ist, ursprünglich zustande kommt. Dies zu klären ist vielmehr die Aufgabe von Erkenntnistheorie. Die Wissenschaftstheorie beschäftigt sich dagegen ausschließlich mit folgenden Fragen: Kann ein Satz begründet werden und wie erfolgt das? Ist er nachprüfbar? Hängt er von gewissen anderen Sätzen logisch ab oder steht mit ihnen im Widerspruch? usw. Damit aber ein Satz in diesem Sinne analysiert werden kann, muss er bereits vorhanden sein, d.h. jemand muss ihn formuliert haben. Die Analysen der Wissenschaftstheorie gelten lediglich den objektiv-logischen Zusammenhängen der wissenschaftlichen Satzsysteme, in denen Sätze nur durch Sätze logisch begründet werden können. Erkenntnis kann hier nur durch solches begründet werden, was selbst schon den Charakter der Erkenntnis besitzt, d.h. was selbst schon ein Gebilde darstellt, das entweder wahr oder falsch ist. Die Wissenschaftstheorie als angewandte Logik befasst sich also grundsätzlich mit Gebilden, die selber immer schon wahr oder falsch sind und die untereinander in verschiedenen Verhältnissen der Begründung, Erschließung, Rechtfertigung usw. stehen. Die Wissenschaftstheorie geht also von bestimmten Voraussetzungen erkenntnistheoretischer Art aus. In dieser Verbindung plädiert sie für bestimmte Zielsetzungen der Wissenschaft und sucht Anleitungen für die Erkenntnispraxis zu formulieren, die für die Zielrealisierung möglichst effektiv sind. So offenbart sich deutlich der empirische Charakter der Wissenschaftstheorie. Diese Konstellation erfordert zahlreiche methodologische Vorarbeiten wie die Klärung allgemeiner wissenschaftlicher Grundbegriffe. Es gilt mithin zu klären, was z.B. unter Theorien zu verstehen oder unter welchen Bedingungen ein Aussagesystem eine Erklärung ist, welche Erklärungstypen es gibt usw. 98

98

Vgl. Prauss, G. (1980), 5f.

186 Neben diesem deskriptiven Verfahren innerhalb der Wissenschaftstheorie gibt es aber auch ein normatives. Das normative methodologische Verfahren der Wissenschaftstheorie wird als Technologie bezeichnet, d.h. als Kanon von Regeln, die Empfehlungen für die Erreichung bestimmter Ziele formulieren. Gemeint ist eine Technologie des Erkenntnisgewinns und -fortschritts. Die Regeln benennen jedoch keine präzisen Handlungsanweisungen, die notwendig zu einem bestimmten Resultat führen würden. Es handelt sich meist um die sogenannten „Heurismen“, d.h. um Rezepte mit empfehlendem Charakter, welche für die Phantasie des Forschers Leitlinien darstellen. Als Beispiel eines Heurismus gilt etwa: Eine Theorie sollte möglichst strengen Prüfverfahren unterzogen werden. Die systematisierende Aufgabe der Wissenschaftstheorie umfasst viele Begriffe und Methoden. So gilt es beispielsweise das Verhältnis zwischen Begriffen wie System, Theorie und Wissenschaft zu klären. Für jedes System ist repräsentativ, dass es aus zwei Klassen besteht: aus der Klasse seiner Elemente und aus der Klasse der Relationen, in welchen diese Elemente stehen. Die Relationen werden auch Strukturen genannt. Im System sind die Elemente durch die Strukturen zu einem Ganzen verbunden. Werden Systeme sprachlich formuliert, dann heißen sie Theorien. Theorien sind also systematisch geordnete Gefüge von Sätzen. Sie können auch selbst ein systematisch geordnetes Gefüge höherer Ordnung bilden, was zum Entstehen von Wissenschaft führt. Da der Begriff „Erklärung“. für die Wissenschaftstheorie eine große Bedeutung hat, widmet sie ihm ihre besondere Aufmerksamkeit. Zeigen wir dies an einem konkreten Beispiel. 99

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101

7.1.1. Das Hempel-Oppenheim-Schema der Erklärung Der Begriff „Erklärung“ kann sich auf jedes Ding und jeden Sachverhalt in der Welt beziehen. Alles, was irgendwie existiert, kann zum Gegenstand Vgl. Ruß, H.G. (2004), 17f. Mittlerweile ist der Begriff „System“ zu einem Terminus technicus geworden. Man redet etwa von sozialen, biologischen, philosophischen, wirtschaftlichen Systemen usf. Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 235f. Was die zu klärenden Methoden anbelangt, sind vor allem klassische Verfahren gemeint: Deduktion, Induktion, Beobachtung, Beschreibung usw. 99

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101

187 eines Erklärungsprozesses werden, und zwar mit Aussicht auf Erfolg. Erklärt werden z.B. die Bedeutung eines Wortes oder Textes, eine problematische Lage, das Funktionieren einer Maschine usf. Eine wissenschaftliche Erklärung im engeren Sinne zeichnet sich durch eine bestimmte Struktur aus und stellt eine Antwort auf die Warum-Frage dar: Warum starben die Dinosaurier aus? Warum stoßen „gleichsinnige“ elektrische Ladungen einander ab? Das Schema einer vollständigen wissenschaftlichen Erklärung wurde von Carl Gustav Hempel und Robert Oppenheim erarbeitet. Es wird darin zwischen dem zu erklärenden Sachverhalt (=dem Explanandum) und dem erklärenden Teil (=dem Explanans) unterschieden. Das Explanandum ist eine Beschreibung des Sachverhalts, der erklärt werden soll. Das Explanans besteht dagegen aus zumindest einem allgemeinen Gesetz (bzw. einer Theorie) und den Beschreibungen der Anwendungsbedingungen dieses Gesetzes. Die Anwendungsbedingungen werden als Anfangs-, Rand- oder Antezedensbedingungen bezeichnet. Zu diesen Bedingungen werden oft noch andere Bedingungen hinzugezählt, genannt auch Hilfshypothesen. Dabei handelt es sich etwa um Angaben über Messverfahren oder um Teile des Hintergrundwissens. Wir können die wissenschaftliche Erklärung (WE) wie folgt definieren: Die WE ist die logisch gültige Ableitung des Explanandums aus dem Explanans. Drücken wir dies mit einem Schema aus, zunächst rein theoretisch: Gesetze: G1, G2........Gk Antezendensbedingungen: A1, A2........An Explanandum: E Wollen wird dieses allgemeine Schema auf einen konkreten Fall anwenden, so heißt es etwa: G: Wenn Metalle erhitzt werden, dehnen sie sich aus. A1: Kupfer ist ein Metall. A2: Dieses Stück Kupfer wird erhitzt. E: Dieses Stück Kupfer dehnt sich aus.

188 Nun sehen wir, eine Erklärung ist ein sprachliches Gebilde und hat eine Form der Deduktion. Logische Ableitungsbeziehungen sind nämlich nur zwischen Sätzen denkbar. Im Erklärungsschema ist zunächst das Explanandum notwendig, weil es nichts zu erklären gibt, wenn es fehlt. Ferner sind die Antezendensbedingungen erforderlich, weil sie für den vorliegenden Fall die Bedingungen spezifizieren, auf die die Gesetzmäßigkeiten angewendet werden. Ohne Gesetze würde das, was in den Antezendensbedingungen genannt ist, nur zufällig mit dem Explanandum zusammentreffen. Darüber hinaus müssen alle Komponenten einer WE unabhängig voneinander prüfbar sein, weil sonst die Vertrauenswürdigkeit einer Erklärung nicht feststellbar ist. Was dagegen das Explanans anbelangt, muss es einen empirischen Gehalt haben und wahr sein. Denn aus empirisch gehaltlosen Voraussetzungen können keine empirisch gehaltvollen Schlussfolgerungen gezogen werden. Zudem kann nur ein wahres Explanans als Erkenntnis gelten. 102

7.2. Ansprüche der Wissenschaftstheorie der Philosophie gegenüber Selbst wenn die Wissenschaftstheorie die eigentliche Aufgabe der Erkenntnistheorie, mithin die Beantwortung der Frage: „Wie ist Erkenntnis als ein Gebilde, das wahr oder falsch sein kann, überhaupt möglich?“, aus formalen Gründen nicht übernehmen kann, wie wir dies im vorangehenden Abschnitt gesehen haben, erhebt sie dennoch manche epistemologische Ansprüche gegenüber der Philosophie. Erstens wird die Wissenschaftstheorie als Befriedigung aller philosophischen Bedürfnisse angesehen. Zweitens wird nach einer Umdeutung philosophischer in erfahrungswissenschaftliche Fragen gestrebt. Drittens werden die Grundlagen philosophischer Theorien im Bereich einer Einzelwissenschaft gesucht. Wenn es um die Wissenschaftstheorie als Befriedigung aller philosophischen Bedürfnisse geht, so hängt dies mit dem Naturalisierungsproblem in der Philosophie zusammen. Dieses Problem kristallisiert sich bekanntlich im 20. Jahrhundert unter dem Einfluss der Analytischen Philosophie heraus und betrifft auch die Erkenntnistheorie. 102

Vgl. Ruß, H.G. (2004), 92f.

189 Daher wird von der Naturalisierung der Erkenntnistheorie gesprochen. Der wohl bekannteste Vertreter der Naturalisierung der Erkenntnis ist Willard Van Orman Quine. Er behauptet, dass man jeden Gegenstandsbereich prinzipiell empirisch angehen kann. Das bedeutet, alle Fragen lassen sich naturalistisch beantworten, also mit den Mitteln der Naturwissenschaften. So kann Quine auch schreiben: Erforschung der Realität, selbst wenn sie fehlbar und korrigierbar ist, ist keinem überwissenschaftlichen Tribunal verantwortlich und bedarf außer der Beobachtung und der hypothetisch-deduktiven Methode keiner Rechtfertigung. Auch die Fragen der Erkenntnistheorie werden in der Klammer des Naturalismus behandelt. Das führt dazu, dass die Idee einer prima philosophia in Frage gestellt wird. Auch dem Erkenntnistheoretiker steht nach Quine letztlich keine andere Perspektive zur Verfügung als die Mit anderen Worten: Die Naturalisierung der naturalistische. Erkenntnistheorie ist sowohl eine Beschränkung als auch eine Befreiung. Die Beschränkung, die aufgegeben werden muss, ist also die Suche nach einem Fundament der Naturwissenschaft, das solider wäre als Wissenschaft selbst. Die Befreiung ist dagegen der ungehinderte Zugang zu den Ressourcen der Naturwissenschaft, ohne Furcht vor Zirkularität. Der naturalistische Erkenntnistheoretiker gibt sich mit dem zufrieden, was er über die Strategie, die Logik und die Mechanik lernen kann, durch die unsere Theorie der physischen Welt projiziert wird, oder projiziert werden könnte, oder sollte. Das sich den empirischen Methoden verdankende wissenschaftliche Durchsetzungspotential des Naturalismus führt darüber hinaus dazu, dass philosophische Fragen in erfahrungswissenschaftliche Fragen umgedeutet werden. Dieses Bestreben ist darauf zurückzuführen, dass das philosophische Erkenntnisideal - aufgrund der großen Erfolge der Naturwissenschaften seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts - durch das naturwissenschaftliche Erkenntnisideal abgelöst worden ist. Seither hat sich der Status empirischer Erkenntnis so verändert, dass die Frage „Was bleibt der Erkenntnistheorie als philosophischer Disziplin an Themen übrig?“ ihre Absurdität verliert. Da die Erkenntnistheorie ihre Legitimation 103

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103 104

Vgl. Quine, W.V.O. (1985), 94f. Vgl. dazu auch Blume, Th. u.a. (1998), 166f. Vgl. Qunie, W.V.O. (2000), 120.

190 als philosophische Disziplin eingebüßt hat, wird sie in eine neue Zuständigkeit verwiesen, nämlich in die Einzelwissenschaften wie z.B. Physiologie, Psychologie, Biologie und allgemeine Sprachwissenschaft. Diesen Wechsel bedingt das Unvermögen der Philosophie, eine sichere Wissenschaft zu sein. Der Preis, den die Philosophie dafür bezahlen muss, dass sie ihre eigenen Grundlagen mitreflektiert, besteht darin, dass sie nicht die Gestalt einer „normalen“ Wissenschaft annehmen kann, und dass sie sich nicht, wie Kant meinte, auf den sicheren Weg der Wissenschaft bringen lässt. Die Folge davon ist, dass die Grundlagen der Erkenntnistheorie in Einzelwissenschaften gesucht werden. So führt dies etwa zum Entstehen des modernen Biologismus, der – epistemologisch gesehen – im Gewand der evolutionären Erkenntnistheorie (EE) erscheint. Das menschliche Erkenntnisvermögen wird demnach als ein Produkt der Evolution aufgefasst. Im kritischen Nachdenken über die Voraussetzungen und Grenzen unseres Erkennens können wir unsere Pflicht – uns selbst und der uns umgebenden Natur gegenüber – bestimmen. Die EE, verstanden als biologische Erkenntnistheorie, erklärt also die Vernunft nicht aus der Vernunft und umgeht damit das Dilemma der philosophischen Erkenntnislehre, die Erkenntnis aus der Vernunft heraus zu begründen sucht. Sie geht vielmehr von der These aus, dass Erkennen eine Gehirnfunktion und als solche zugleich ein Ergebnis der biologischen Evolution ist. Daher vertritt die EE auch einen konsequent naturalistischen Ansatz. Allerdings bleibt ihr damit der Umgang mit Wissen keineswegs erspart. Es gilt zu fragen, was wir über Wissen „wissen“ können. 105

106

8. Kritischer Ausblick Um diese Frage zu beantworten, müssen wir vorab etwas erkannt haben. Was ist aber Erkennen? Mit dieser Frage haben wir uns zwar im dritten Kapitel genauer befasst, eine zufriedenstellende Antwort jedoch wohl nicht gefunden. Warum? Dies liegt besonders daran, dass die von uns ins Spiel gebrachten gegenwärtigen Positionen und Standpunkte grundsätzlich zu 105 106

Vgl. Kutschera, F. (1981), VIIf. Vgl. Zeyer, K. (2005), 23f.

191 wenig überzeugend waren. Aber warum? Wir sehen also, dass die „Warum-Frage“ nur verschoben wird. Selbst wenn diese methodische Prozedur aus epistemologischer Sicht durchaus erlaubt ist, kann sie jedoch nicht als eine überzeugende Lösung gelten. Kann uns vielleicht der Blick auf Heidegger etwas helfen? In seinem vor kurzem erschienenen Buch „Der unabgeschlossene Streit um die philosophische Anthropologie“ weist Jaroslaw Jagiello darauf hin, dass Heideggers Werk „Sein und Zeit“ das unabgeschlossene Projekt der Philosophie enthält, die Heidegger selbst als „fundamentale Ontologie“ bezeichnet. Dieser Begriff stellt einen Terminus technicus dar, der als Inbegriff der Suche nach der Wahrheit über Sein angesehen werden kann. Für Heidegger hat also sein ontologisches Projekt einen unabgeschlossenen Charakter. Das bedeutet, es gilt stets nach der Wahrheit über das Sein zu fragen, finden lässt sich aber diese Wahrheit nicht in dem Sinne, dass das ganze Projekt in einem bestimmten Zeitpunkt als abgeschlossen betrachtet werden könnte: Bei menschlichen Erkenntnissubjekten lässt sich das gar nicht vorstellen. Das, was in diesem Suchverfahren einzig relevant ist, ist nach Heidegger die prinzipielle Erschlossenheit der Wahrheit über das Dasein. In der Erschlossenheit des Daseins ist das existentiale Phänomen der Entdecktheit fundiert, das als Bezugscharakter in sich bergende Eigenschaft aufgefasst wird (vgl. SZ, 225). Es ist nicht schwer zu bemerken, dass dieser ontologische Ansatz auch epistemologische Auswirkungen hat. Damit wollen wir also sagen, dass der Begriff des Erkennens sich auch nicht von dem Begriff der Wahrheit trennen lässt. Beim Erkennen handelt es sich nämlich um den Zugang zu einer wahrhaften Überzeugung, unabhängig davon, wie Wahrheit aufgefasst wird. In diesem Kontext kann man leicht zum Schluss kommen, dass dabei auch ein unabgeschlossenes Forschungsprojekt im Spiel ist: Wir erkennen, ohne schon etwas vollständig erkannt zu haben. Das ist die grundlegende Voraussetzung für die Unabgeschlossenheit des Erkennens, die ein Epistemologe niemals aus der Welt schaffen kann. Denn die Unabgeschlossenheit gehört einfach zum Wesen des Erkenntnisprozesses; sie stellt also seine Grenze dar, die wir nur sprachlich behutsam berühren können, mehr nicht. Dies wurde allerdings von den meisten Denkern leider 107

107

Vgl. Jagiello, J. (2011), 81.

192 übersehen. Deshalb hat Wittgenstein völlig Recht, wenn er sagt: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen der Welt“ (TLP 5.6). Und wir ergänzen diesen Gedanken, indem wir behaupten, es sind epistemologische Grenzen, um die wir nur ganz wenig wissen können.

193

Kapitel IV WAS IST WISSEN? 1. Einführung Wollte man den Menschen von heute treffend charakterisieren, dann würde man wohl nicht ohne die Behauptung des Aristoteles auskommen, alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen (vgl. Met. I, 1). Das Streben nach Wissen ist also in die Natur des Menschen hineingeschrieben. Dieses Faktum bleibt auch für die ganze Gesellschaft nicht ohne Konsequenzen. Durch das naturhafte Streben eines einzelnen Menschen nach Wissen wird zugleich die ganze Gesellschaft epistemologisch geprägt, so dass wir manchmal von einer Wissensgesellschaft sprechen. Verschiedene moderne Kommunikationsmedien wie das Internet fördern die Entwicklung einer solchen Wissensgesellschaft. Zwar wird dadurch der Umgang mit Wissen erleichtert, aber die grundlegenden klassischen epistemologischen Probleme bleiben nach wie vor bestehen, auch im 21. Jahrhundert. All diese Probleme bringt die Frage „Was ist Wissen?“ auf den Punkt. Die Beantwortung dieser Frage, was als Ziel des vorliegenden Kapitels anzusehen ist, setzt die zweite Phase in der Analyse der Erkenntnistheorie voraus. Diese Phase baut auf der ersten Phase auf, in deren Mittelpunkt der Begriff „Erkennen“ steht, wie wir dies im III. Kapitel gesehen haben. Die Verknüpfung dieser beiden Phasen leuchtet schon einerseits dann ein, wenn wir die Frage „Was ist Wissen?“ intuitiv und mit dem Blick auf unsere alltägliche epistemologische Erfahrung zu beantworten versuchen: Wissen ist nichts anderes als abgeschlossene Erkenntnis, das Ende des Erkenntnisprozesses, das Erkannt-Haben. Nicht zu übersehen ist dabei der relative Charakter des Wissens, d.h. nur relatives Wissen ist feststellbar. Andererseits ist klar zu machen, etwas wissen heißt noch lange nicht, etwas erkannt zu haben. Man kann etwas im Sinn eines Glaubens, einer Meinung usw. wissen, erkannt hat man es deswegen noch lange nicht. 1

1

Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 125.

194 Das Anliegen dieses Kapitels ist es, den Begriff „Wissen“ zu analysieren. Dabei gehen wir davon aus, dass der Begriff des Wissens in seiner modernen epistemologischen Umrahmung als eine Art Ergänzung des Begriffs des Erkennens anzusehen ist. Das Streben nach Wissen ist dem Phänomen der Täuschung ausgesetzt, d.h. wir können auch falsches Wissen haben. Die Bestimmung des Wissensbegriffs erfordert eine Analyse seiner Natur, deren zwei fundamentale Elemente die wahre Überzeugung und die Rechtfertigung sind. Beide sind für das Vorliegen von Wissen entscheidend. Zur Verdeutlichung des Wissens trägt nicht nur die Analyse des Kontextes bei, in dem Wissen in Anspruch genommen wird, sondern auch die Rolle der Gründe im Rechtfertigungsprozess. Das Wissen hat schließlich einen sozialen Aspekt und erfordert den Einsatz der Sprache, damit es vermittelt werden kann. 2. Wissen als moderner Begriff: Das Ergänzen von Erkennen Die These, das Wissen sei ein moderner Begriff, dürfte sich schon daraus ergeben, welche Bedeutung diesem Begriff in der gegenwärtigen Erkenntnistheorie zugeschrieben wird. Zwar sprechen wir heute von Erkenntnistheorie, richten aber zugleich unsere Aufmerksamkeit in erster Linie auf den Begriff des Wissens, nicht auf den des Erkennens. In den letzten Jahrzehnten, insbesondere nach dem Erscheinen vom Gettiers Aufsatz in den siebziger Jahren, hat der Wissensbegriff die Aufmerksamkeit nahezu aller Erkenntnistheoretiker auf sich gezogen. Dieses Faktum wird schon dann hervorgehoben, wenn wir das Verhältnis zwischen den Begriffen „Wissen“ und „Erkennen“ genauer betrachten, um festzustellen, dass der Begriff des „Wissens“ umfassender als der des „Erkennens“ ist. Dann gilt auch, dass es auf der einen Seite einen sachlichen Zusammenhang zwischen diesen Begriffen gebe, so dass es fast gleichgültig sei, welchen der beiden wir verwenden. So verstehen wir unter dem Wissen kurzum die Gesamtheit dessen, was wir erkannt haben, wobei durch das Erkennen mehr der Vorgang hervorgehoben wird, der zum Wissen führt, durch das Wissen dagegen mehr das Ergebnis dieses Vorgangs. Auf der anderen Seite besteht zwischen diesen beiden Begriffen 2

2

Darüber werden wir in einem eigenen Abschnitt sprechen.

195 eine Asymmetrie. Während alle Fälle, in denen wir etwas erkannt haben, zugleich Fälle sind, in denen wir in der Folge auch etwas wissen, würden wir nicht in allen Fällen, in denen wir sagen, dass wir etwas „wissen“, zugleich sagen, dass wir das Betreffende auch „erkannt“ hätten. Als Ergebnis des Erkenntnisvorgangs stellt daher das Wissen eine Art Ergänzung des Erkennens dar. Im Begriff des Wissens erlangt der Begriff des Erkennens seinen epistemologischen Höhepunkt. Dies vollzieht sich vor allem auf drei Ebenen: auf einer alltäglichen, auf einer Definitionsund auf einer semantischen Ebene. Im Verlaufe unserer Analyse wird sich herausstellen, dass Wissen etwas mehr als nur eine wahre Überzeugung oder Meinung ist. Darauf hat schon Platon mit Recht hingewiesen (vgl. z.B. Menon 97d-98a). Vorläufig können wir nun die folgende These aufstellen: „Um Wissen zu sein, muss die innere (subjektive) Überzeugung mit einer äußeren objektiven Form der Wirklichkeit übereinstimmen, oder anders gesagt: die subjektive Überzeugung muss sich der Wirklichkeit im Erkenntnisprozess anpassen“. Der alltägliche Umgang mit Wissen lässt sich in vielerlei Weise charakterisieren. Mit dem Blick auf die modernen Kommunikationsmedien wie Internet, Fernsehen oder (elektronische) Bücher können wir durchaus behaupten, dass alles eine Form von Wissen ist. Man denke etwa an Begriffe wie Abitur-Wissen, Bildungswissen, Sportwissen, Wirtschaftswissen, Internetwissen usf. Der Wissensbegriff samt seiner epistemologischen Aktivität durchdringt mithin alle Bereiche des menschlichen Daseins. Dabei wird ein Kriterium aufgestellt, welches einerseits ein Minimum an Wissen in einem bestimmten Bereich festlegen soll - im Sinne der Aussage „das muss man unbedingt wissen“ - und welches andererseits die sich eröffnenden möglichen Horizonte skizziert, wodurch ein gelungenes menschliches Leben schlechthin gesichert werden soll, indem man wiederholt akzentuiert „alles, was man diesbezüglich wissen muss“. Würde das Letztere ausbleiben, so läge die Vermutung nahe, dass das Risiko des praktischen Scheiterns der sich epistemisch betätigenden Subjekte zunimmt. In dem Kontext stellt sich daher die Frage nach der Beständigkeit des Wissens. Angenommen, dass man diesem Wunsch mit positiver Einstellung entgegengeht, dann führt dies zur 3

3

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 31.

196 Behauptung, dass wir „Wissen haben können“. Diese Behauptung ist allerdings schon deshalb problematisch, weil sie sich nur ganz schwer mit der Dynamik von Wissen vereinbaren lässt, mithin der These, dass Wissen – ähnlich wie Bewusstsein - sich stets im Werden befindet. Sie muss erläutert werden. Damit wird also darauf hingewiesen, dass unsere alltäglichen sprachlichen Gewohnheiten, die den prädikativen Inhalt wie „ich habe Wissen über etwas“ erlauben, aufs Neue diskutiert werden müssen. Denn Wissen ist wie Musik. Sie erklingt, aber man kann sie nicht festhalten. Die gedruckten Noten, Schallplatten, CDs müssen immer wieder neu erlebt, empfunden und gedacht werden, um Musik zu werden. In dem Sinne lässt sich auch das Wissen nicht festhalten. Eng mit der gesprochenen Sprache verknüpft erhellt das Wissen einen Augenblick, um dann wieder im Dunkel des Buches oder eines anderen Speichermediums zu verschwinden. Was Bücher aufbewahren, ist noch kein Wissen. Wäre das anders, so könnte jeder durch den Kauf eines Lehrbuches zum sachkundigen Quantenphysiker werden. Das Wissen hat ferner einen informativen Charakter, es liefert dem Subjekt Informationen, welche dessen epistemische Welt verändern. Allerdings ist dabei zugleich der formale Unterschied zwischen Information und Wissen vor Augen zu haben. Während Information objektiv ist, da sie maschinell verarbeitet und auf Medien gespeichert werden kann, ist Wissen dagegen persönlich und besitzt eine subjektive Existenzform. Einer, der etwas weiß, verfügt in dem Sinne über Wissen, so dass er es jederzeit „abrufen“ kann ohne Rückgriff auf externe Informationen. Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem Gedächtnis zu, das als eine biologische Variante des Wissensspeichers angesehen wird. Der philosophische Umgang mit Wissen zielt auf eine klare, zuverlässige Definition und semantische Auslegung ab. Der Wissensbegriff erscheint hier im Kontext des Bezugsbegriffs, d.h. Wissen ist stets ein Wissen von etwas. Wenn man Wissen hat, verweist es auf etwas anderes. In der Philosophiegeschichte lassen sich ohne weiteres Fälle herausfinden, welche diese Bezugskonstellation plausibel auf den Punkt bringen. Zu erwähnen ist etwa Heideggers Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz, Poppers Forderung nach einer prinzipiellen Falsifizierbarkeit des Wissens

197 oder auch der radikale Skeptizismus der Konstruktivisten. Dementsprechend ist eine Definition von Wissen zu formulieren. Beim Definieren von Wissen gibt es zwei grundsätzliche Denkrichtungen, welche sich im Kontext der Begriffe „Intension“ und „Extension“ bestimmen lassen. Zunächst einmal versuchen wir eine intensionale Definition des Wissensbegriffs zu entwerfen. Die Intension eines Wortes ist das, was ein Wort bedeutet. Nehmen wir etwa das Wort „Säugetier“. Die Intension besteht hier in all denjenigen Eigenschaften, aufgrund derer ein Lebewesen zu der Gattung der Säugetiere gehört, also z.B. „lebend geboren werden“, „von der Milch der Mutter ernährt werden“ usw. Für den Begriff des Wissens ergibt sich damit Folgendes: 4

„Wissen ist der mentale Zustand eines Erkenntnissubjekts (S), der mit den Informationen über die Welt widerspiegelnd korreliert, und der all diejenigen Eigenschaften aufweist, aufgrund derer von Wissen überhaupt gesprochen werden kann, also „überzeugt-sein“, „wahr-sein“ und „gerechtfertigt-sein“. 5

Wenn wir dagegen eine extensionale Definition des Wissensbegriffs beabsichtigen, so müssen wir alle Dinge benennen, auf die sich dieser Begriff beziehen bzw. hinweisen kann. So erhalten wir eine Hinweisdefinition. In dem Fall erklären wir nun die Bedeutung des fraglichen Wortes, indem wir auf einzelne Dinge der Extension dieses Wortes hinweisen. Als Beispiel nehmen wir das Wort „rot“ oder „Freude“. Demnach weisen wir auf konkrete rote Gegenstände (z.B. auf den roten Bleistift) bzw. auf die Situationen, wo Freude als erlebbare Entität festgestellt wird (z.B. der sich freuende Hans), solange hin, bis jemand, dem wir es erklären wollen, dies erkannt hat. Für den Begriff des Wissens resultiert daraus Folgendes: „Wissen ist der mentale Zustand des Erkenntnissubjekts (S), der diesem Subjekt erlaubt, bloße Worte bzw. Sachverhalte auf einzelne bzw.

Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 22f. Das sind drei klassische Bedingungen des Wissens, die aber – wie wir noch sehen werden – heutzutage nicht mehr hinreichend sind.

4 5

198 komplexe Dinge zu beziehen, wobei das Prinzip des Überzeugtseins, des Wahrseins und des Gerechtfertigtseins nicht verletzt wird.“ 6

Der semantische Aspekt des Wissensbegriffes zeigt sich im Kontext seiner Relevanz für die Erkenntnistheorie. Zum einen wird Wissen als stabiler Faktor im epistemologischen Prozess betrachtet. Das bedeutet, Wissen ist weniger flüchtig als eine bloß wahre Überzeugung. Erklären wir dies mit einem Beispiel: Ein Einbrecher durchsucht die ganze Nacht ein Haus und riskiert dabei, von den heimkehrenden Hausbesitzern oder von der Polizei entdeckt zu werden. Sein Verhalten lässt sich dadurch erklären, dass er weiß, dass ein wertvoller Diamant im Haus versteckt ist. Hätte er bloß die wahre Überzeugung gehabt, dass im Haus ein Diamant versteckt ist, ohne es zu wissen, dann könnte er diese wahre Überzeugung etwa durch die falsche Information gewonnen haben, dass ein Diamant unter dem Bett versteckt ist. Während also wahre Überzeugungen aus falschen Überzeugungen abgeleitet werden können, ist das beim Wissen nicht möglich. Wenn der Einbrecher keinen Diamant unter dem Bett gefunden hätte, hätte er seine wahre Überzeugung aufgegeben. Dieser Überzeugungswandel wäre völlig rational gewesen. Wenn dagegen der Einbrecher vom Diamanten im Haus weiß, ist es viel schwieriger, dieses Wissen auf rationale Weise zu untergraben, da Wissen ein stabiler Faktor ist, der eine reibungslose Handlungspraxis ermöglicht. Zum anderen gilt Wissen für viele Denker als Ziel von Erkenntnisbemühungen - gemeint ist offenbar wahres Wissen. Das führt zum sogenannten Wahrheitsmonismus: Wahrheit ist der einzige intrinsische Wert in der Erkenntnistheorie. Alle anderen Werte (vor allem der Wert der Rechtfertigung) sind abgeleitet und rein instrumentell. Die Frage ist aber: In welchem Kontext ist dieser Wahrheitsmonismus zu verstehen? Es geht darum, dass wir wahre Überzeugungen haben und falsche vermeiden wollen. Diese erkenntnistheoretische Bewertung wird von einem „epistemischen 7

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 35f. Intensionale und extensionale Definition eines Begriffs schöpfen offenbar nicht alle Möglichkeiten des Definierens aus. Denkbar sind z.B. auch kontextuelle Definitionen, die im Kontext der Ausdrücke wie „und“, „oder“, „wenn-dann“ usw. gebraucht werden. Vgl. Grundmann, Th. (2008), 194f. Das Einbrecher-Beispiel finden wir ursprünglich bei Williamson (2000), 62.

6

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199 Standpunkt“ aus vorgenommen, der durch das Ziel definiert ist, die Wahrheit unserer Überzeugungen in einem möglichst großen Umfang zu maximieren und deren Falschheit zu minimieren. Und daraus ergibt sich unser erkenntnistheoretisches Ziel. Will man den Wahrheitsmonismus vertreten, stößt man dabei auf viele Probleme, die den intuitiven Wert des Wissens betreffen. Das hat schon Aristoteles bemerkt und daher gesagt, dass alle Menschen von Natur aus nach Wissen streben (vgl. Met. I, 1), und nicht nach Wahrheit. Der schwerwiegende Einwand gegen den Wahrheitsmonismus hängt mit der sogenannten Menon-Intuition zusammen, die wir bei Platon finden. Sie lautet: Die Erkenntnis ist höher zu schätzen als die richtige Überzeugung (vgl. Menon 98a). Mit der Menon-Intuition (MI) kann man auf dreifache Weise umgehen: (1) Die MI wird als Grund verstanden, den Wahrheitsmonismus aufzugeben und entweder neben der Wahrheit weitere erkenntnistheoretische Ziele (=Pluralismus) oder ein starkes Gesamtziel anzunehmen; (2) Man kann sich dennoch bemühen, die MI im Rahmen des Wahrheitsmonismus zu erklären; und (3) schließlich kann man versuchen, die MI weg zu erklären. Bereits die Tatsache, dass man mit der MI unterschiedlich umgehen kann, legt die Vermutung nahe, dass Wissen vielleicht ein inkohärenter Begriff ist. Denn einerseits ist Wissen seinem Begriff nach ein reiner Zielbegriff: Wissen ist das Ziel unserer Erkenntnisbemühungen. Andererseits enthält Wissen die Komponenten der wahren Überzeugung und der Rechtfertigung. Eine Möglichkeit, aus diesem Dilemma herauszukommen, wäre wohl die Behauptung, dass Wissen nicht Ziel unserer Erkenntnisbemühungen ist, sondern deren Grundlage und Ausgangspunkt. Genauer gesagt wäre dann Wissen die Basis oder der Grund jeder erkenntnistheoretischen Rechtfertigung. Dieser Gedanke bildet den Kern der kartesianischen Konzeption der Rechtfertigung. Danach muss man in der Kette der Rechtfertigung immer bis zu einem unzweifelhaft gewissen Wissen zurückgehen. Die Basis jeder 8

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10

Viele Erkenntnistheoretiker teilen auch heute diese Ansicht (vgl. z.B. DePaul [2001], Koppelberg [2005] u.a.). Vgl. Grundmann, Th. (2008), 197f. Vgl. Sartwell, C. (1992), 172f. 8

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200 Rechtfertigung wäre demnach ein Wissen, dessen Wahrheit unfehlbar und unbezweifelbar verbürgt ist. 11

3. Wissen und Täuschung: Der Blick auf Hobbes Der Umgang menschlicher Subjekte mit Wissen kann in vielerlei Weise geschehen. Die einfachste Beschreibung dieses Umgangs müsste wohl lauten: Subjekte können Wissen erwerben oder nicht, es kann sich dabei um wahres oder falsches Wissen handeln. Für diese Konstellation sind nicht nur die jeweiligen äußeren Umstände relevant, sondern auch die epistemische Fähigkeit der Subjekte selbst, also deren innere Veranlagung. Für die Qualität des mit dem Wissen abgeschlossenen Resultats eines Erkenntnisprozesses ist zudem das Phänomen der Täuschung bedeutsam. Wenn die Täuschung also das Wissen beeinflusst, so kann es zum Ausbilden von falschem Wissen kommen. Hat jemand falsches Wissen, dann befindet er sich im Irrtum bezüglich eines Sachverhalts. Darauf hat unter anderem Thomas Hobbes hingewiesen. Er unterscheidet dabei zwischen Irrtum und Widersinnigkeit. Wenn jemand etwa im Hinblick auf einzelne Dinge ohne Verwendung von Worten Berechnungen anstellt, schreibt Hobbes in seinem „Leviathan“, und das, was er für die wahrscheinliche Folge hielt, nicht folgt, oder das, was er für das wahrscheinlich Vorausgegangene hielt, nicht vorausgegangen ist, dann sprechen wir von einem Irrtum. Ein Irrtum ist also eine Täuschung, indem man annimmt, dass etwas vergangen ist oder kommen wird, obwohl es nicht vergangen war oder nicht gekommen ist – die Unmöglichkeit eines solchen Geschehens wird dabei ausgeschlossen. Wenn jemand dagegen in Worten von allgemeiner Bedeutung Beweisführungen anstellt und zu einer allgemeinen falschen Schlussfolgerung kommt, so haben wir es nach Hobbes zwar auch mit einem Irrtum zu tun, der allerdings die Form einer Widersinnigkeit oder 12

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 210f. Täuschung kann auch beim Erlangen von Wissen zur Skepsis führen. Die Skepsisproblematik wurde von uns schon im Kapitel II der vorliegenden Abhandlung behandelt. 11 12

201 sinnlosen Äußerung einnimmt. Als Beispiele können hier gelten: ein rundes Dreieck, Akzidenzien des Brotes im Käse, freier Untertan u.ä. Nach Hobbes gibt es viele Ursachen der Widersinnigkeit: (1) Die erste Ursache ist im Mangel an Systematik zu erblicken; die widersinnigen Schlussfolgerungen gehen bei ihren Vernunftschlüssen nicht von Definitionen aus, d.h. von festgelegten Bedeutungen ihrer Worte; (2) Die zweite Ursache besteht darin, dass man Akzidenzien die Namen von Körpern gibt oder Körpern die von Akzidenzien, z.B. „Glaube wird eingehaucht“ (nur etwas Körperliches kann aber eingehaucht werden); (3) Die dritte Ursache ist, wenn man den Akzidenzien unseres eigenen Körpers die Namen der Akzidenzen von Körpern außerhalb von uns gibt, z.B. „die Farbe ist im Körper“; (4) Die vierte Ursache lautet, dass man Namen oder Termini die Namen von Körpern gibt, z.B. „ein Lebewesen ist eine Gattung oder ein allgemeines Ding“; (5) Die fünfte Ursache können wir darin sehen, dass man Namen und Termini mit den Namen von Akzidenzen versieht, z.B. „die Natur eines Dinges ist seine Definition“; (6) Die sechste Ursache ist zu erblicken im Gebrauch von Metaphern, Tropen und anderen Redefiguren anstatt angemessener Worte, z.B. „der Weg geht hierhin“ (Wege gehen aber nicht); und (7) Die siebente Ursache besteht schließlich in Namen, die zwar nichts besagen, aber aufgegriffen und mechanisch gelehrt werden, z.B. „hypostatisch“, „transsubstantiell“, „konsubstantiell“ u.ä. Nun sehen wir, dass es auf verschiedenen Wegen zum Entstehen von Irrtümern kommen kann, welche das Erwerben von wahrem Wissen verhindern. Die Aufzählung der Ursachen von Widersinnigkeit zeigt anschaulich, wie sich Hobbes sprachanalytisch vorzugehen bemüht, indem er die Relationen zwischen Namen, Akzidenzen, Definitionen usf. in der Bezogenheit aufeinander prüft. Dabei soll insbesondere der semantische Aspekt hervorgehoben werden. Abgesehen von der für den gegenwärtigen Leser qualitativen Unzufriedenheit, die mit den Ausführungen Hobbes einhergeht, weist Hobbes freilich auf ein wichtiges Problem hin, das im Rahmen einer jeden Analyse des Wissensbegriffs zu behandeln ist, nämlich auf das Problem der Täuschung beim Wissenserwerb. Denn schon das falsche Beziehen von Begriffen aufeinander trägt dazu bei, dass ein 13

13

Vgl. Hobbes, Th. (1996), 35f.

202 Raum entsteht, in dem die zum Erkennen strebenden Subjekte getäuscht werden können. So kann auch die Natur von Wissen nicht erfasst werden. 4. Natur von Wissen Mit dem Blick auf wissenschaftliche Erfordernisse der Gegenwart klar zu machen, was Natur schlechthin ist, ist alles andere als einfach. Eine einfachere Aufgabe wäre es vielleicht zu erfassen, was die Natur eines Dinges ist, oder noch besser eines konkreten Dinges, z.B. eines Pferdes. Um dies zu beantworten, könnten wir uns fragen – im Sinne der klassischen philosophischen Methodik -, was entscheidet, dass ein Ding zu einem Pferd werden kann. Und die Antwort lautet, es ist sein Wesen, d.h. sein Sosein. Obwohl wir uns hier nicht mit der Wesensproblematik befassen wollen, kann dies vorläufig als Ausgangspunkt gelten, wenn wir nach der Natur von Wissen fragen. Was entscheidet, dass etwas, was auf den ersten Blick in den Bereich des Mentalen gehört, Wissen sein kann? Als ich darüber nachdachte, war ich gerade dabei, einige praktische Schritte durchzuführen, nämlich den Autohändler zu fragen, ob mein vor drei Wochen bestelltes neues Auto schon heute abgeholt werden kann. Auf meine Frage konnte der Händler zu meinem Bedauern nur antworten: „Ich weiß es nicht, ich werde Sie heute noch zurückrufen“. Wäre es hier sinnvoll, nach der Natur des Wissens bei dem Autohändler zu fragen? Lag überhaupt irgendwelche Art Wissen in diesem Kontext vor? In der Hoffnung auf eine Erfolgsperspektive kann ich mich offenkundig bemühen, die Natur von etwas zu erfassen, nachdem ich dieses etwas vorab (zumindest) sprachlich definiert habe. Das heißt, ich weiß, wessen Natur ich zu erfassen habe. Da der Autohändler aber nicht weiß, so frage ich mich, wie ich die Natur seines nicht vorhandenen Wissens zu 14

15

Das Sosein bildet das Gegenteil vom Dasein und fragt, wie ein Ding ist, während das Dasein fragt, ob ein Ding ist. Hier müssten wir also die notwendigen Eigenschaften eines Pferdes vor Augen haben, um sein Wesen bestimmen zu können. Zu dieser Problematik vgl. etwa Rynkiewicz, K. (2008), vor allem 2§2c (Kap. I) und 2§3b (Kap. II). 14

15

203 definieren habe. So können wir vorläufig das Ergebnis unserer Zielsetzung formulieren. Den Zugang zur Natur des Wissensbegriffs wollen wir aber vor allem dadurch gewinnen, dass wir nach der Form von Wissen fragen. Wir beginnen mit einem bekannten Gedankenexperiment von Jackson: „Mary ist eine außergewöhnlich begabte Wissenschaftlerin, die von Geburt an in einem geschlossenen Zimmer lebt, in dem alles schwarz-weiß ist. Das betrifft sogar sie selbst. Mit der Außenwelt ist sie über einen SchwarzWeiß-Monitor verbunden. Und über ihn bekommt sie alle ihre Informationen. Sie liest Bücher, nimmt an Diskussionen teil und leitet sogar Experimente. Auf diese Weise wird sie zur weltweit führenden Expertin über Farben, Farbwahrnehmung und die Neurophysiologie der Farbwahrnehmung. Sie weiß alle objektiven Tatsachen über Farben. Was ihr fehlt, ist das eigene Erleben von Farben. Und solange ihr das fehlt, weiß sie nicht, wie es ist, Farben zu sehen.“ 16

Mit diesem Experiment wird also die Wissensform „Wissen-wie-es-ist“ dargestellt. Das epistemologische Problem dieses Experimentes ist auf die klassische Unterscheidung zwischen der Erste- und Dritte-PersonOntologie zurückzuführen. Für Mary, die als Wissenschaftlerin objektiv mit Farben umgehen kann, steht nur die Dritte-Person-Ontologie zur Verfügung. Da sie selbst Farben weder gesehen noch erlebt hat, hat sie auch keinen wahren Zugang zur Erste-Person-Ontologie. Sie kann sich lediglich vorstellen, wie es ist, Farbenerlebnisse zu haben. Die Wissensform „Wissen-wie-es-ist“ kann aber auch in einer allgemeineren, objektiv geprägten Gestalt auftreten, und zwar in der Form „Wissen-wie“. Diese Wissensform wird auch als nicht-propositionales Wissen bezeichnet. So können wir sagen, Mary weiß, wie Farben am besten zu untersuchen sind. Diese Wissensform weist einen sehr starken praktischen Bezug auf. Im epistemologischen Leben von Subjekten kommt sie wohl am häufigsten vor, offenbar neben der Form „Wissen-dass“, auf die wir noch zu sprechen kommen. Wir können verschiedene Sätze mit dem „Wissen-wie“ formulieren: (1) John weiß, wie man gesund lebt; (2) John weiß, wie er im Beruf erfolgreich werden kann; (3) John weiß, wie 17

Jackson, F. (1986), 291f. Andere Formen des nicht-propositionalen Wissens sind „Wissen-wann“, „Wissenwo“ u.ä.

16 17

204 ein Dieselmotor funktioniert; (4) John weiß, wie sich die Säugetiere vermehren; (5) John weiß, wie das Erdinger Weißbier schmeckt. Wollten wir erfahren, wie John um all diese Dinge weiß, so könnte er uns dies z.B. durch Beispiele erklären, was ihm ziemlich leicht gelingen kann, weil er über eine besonders ausgeprägte Einbildungskraft verfügt. Dadurch würde John also von einer weiteren Wissensform Gebrauch machen, d.h. von „Wissen durch“. Diese Wissensform weist allerdings eine breite Extension auf. Die Folge davon ist: Wir können Wissen nicht nur durch treffende Beispiele erlangen, sondern auch durch andere menschliche Subjekte wie Freunde, Bekannte, Lehrer usf. oder durch Gegenstände wie Computer oder Internet. Das „Wissen-durch“ können wir mit dem „Wissen-dank“ oder dem „Wissen-aufgrund“ gleichsetzen. In dem Fall könnte Folgendes gelten: 18

(1) Ich weiß etwas durch Hans oder (2) Ich weiß etwas dank dem Gespräch mit Hans oder (3) Ich weiß etwas aufgrund des Gesprächs mit Hans Es fällt auf, dass es einen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Beispiel (1) und den Beispielen (2) und (3) gibt. Denn während die Präposition „durch“ sich in (1) unmittelbar auf Hans bezieht, referieren die Präpositionen „dank“ und „aufgrund“ nur mittelbar auf Hans, d.h. mit Hilfe des Terminus „Gespräch“. Zu einer weiteren Wissensform gelangen wir, indem wir den Begriff der Kultur unter die Lupe nehmen. Dadurch eröffnet sich uns der Zugang zu ästhetisch motiviertem Wissen, das sich insbesondere dem Umgang der Subjekte mit Kunstwerken verdankt. Kognitivisten in der Ästhetik behaupten, dass eine der wesentlichen Funktionen von Kunstwerken darin 19

Streng genommen wäre es denkbar zu behaupten, dass wir unser Wissen auch durch nichtmenschliche Subjekte erlangen könnten, z.B. durch Tiere, allerdings dann, wenn wir deren Verhalten beurteilen und zu einem Ergebnis kommen. Aber auch Engel und Gott könnten rein theoretisch gesehen ins Spiel kommen. Vgl. dazu Rynkiewicz, K. (2010).

18

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205 besteht, Erkenntnisse zu erzeugen und zu vermitteln. Gemeint sind vor allem Erkenntnisse, die sich nicht mit Worten vermitteln lassen, sondern durch nicht-wörtliche Repräsentationen, z.B. durch Kunstwerke. Durch ein Musikwerk oder ein Malereiwerk u.ä. kann ein Künstler Wissen vermitteln, das für Erkenntnissubjekte sonst unerreichbar bleibt. Das Erlangen von derartigem Wissen durch Subjekte setzt offenbar deren aktiven Umgang mit Kunstwerken voraus. Darauf hat z.B. Roman Ingarden in seiner Schrift „Das literarische Kunstwerk“ hingewiesen, insbesondere bei der Ausarbeitung der Schicht der schematisierten Ansichten, die von einem mit dem literarischen Kunstwerk verkehrenden Erkenntnissubjekt erlebt wird. Die für die epistemologischen Analysen wohl wichtigste Wissensform hat es mit dem Begriff der Proposition zu tun und wird deshalb „propositionales Wissen“ oder „Wissen-dass“ genannt. Ein einfaches Beispiel könnte hier etwa lauten: „Peter weiß, dass die olympischen Winterspiele in Vancouver in Kanada im Jahre 2010 stattgefunden haben“. Da wir uns schon mit dem propositionalen Wissen in 3.3. (Kap. III) befasst haben, allerdings aus der Sicht des Erkenntnisbegriffs, wollen wir hier nur knapp verfahren. Das Wissen-dass ist auf einen intentionalen Gehalt bezogen, der durch einen Aussagesatz zum Vorschein kommt. Propositionen sind Inhaltseigenschaften von Wahrheitsträgern. Mit Thomas Grundmann können wir sie folgendermaßen charakterisieren: (1) Propositionen (P) sind Träger eines Wahrheitswertes (normalerweise „wahr“ oder „falsch“); (2) P werden durch Tatsachen wahr gemacht, also dadurch, dass etwas Bestimmtes mit dem Gegenstand, von dem sie handeln, der Fall ist; und (3) P sind feiner individuiert als die sie wahr machenden Tatsachen. Fassen wir das Ergebnis unserer Untersuchung in diesem Abschnitt in einer Tabelle zusammen: 20

21

Vgl. Ingarden, R. (1960), 270f. Drei andere Schichten im literarischen Kunstwerk sind: die Schicht der sprachlichen Lautgebilde, die Schicht der Bedeutungseinheiten und die Schicht der dargestellten Gegenständlichkeiten. Vgl. Grundmann, Th. (2008), 71f. 20

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206 Propositionales Wissen 1. Wissen-dass

Nichtpropositionales Wissen 1. Wissen-wie 2. Wissen-wann, -wo usf. 3. Wissen-wie-es-ist 4. Wissen-durch, -dank, -aufgrund 5. Ästhetisch motiviertes Wissen

Abschließend können wir daher feststellen, dass die Natur von Wissen sich durch die Prädikate „propositional“ und „nichtpropositional“ von der methodischen Seite her bestimmen lässt. Vor allem ist aber das erste Prädikat von besonderer Bedeutung und kommt schon etwa im Wissen als Überzeugung vor. Diese kann aber wahr, gerechtfertigt und nicht zufällig sein. Demnach ergibt sich für die Natur von Wissen im eigentlichen klassischen Sinne Folgendes: Subjekt S weiß, dass p, genau dann wenn (1) S ist überzeugt, dass p (2) die Proposition „dass p“ ist wahr (3) S ist in seiner Überzeugung, dass p, gerechtfertigt (1) S ist nicht zufällig zu seiner wahren gerechtfertigten Überzeugung gekommen Jetzt wollen wir die einzelnen Elemente der Natur von Wissen der Reihe nach kurz analysieren. 4.1. Wissen als Überzeugung Als erste den Begriff des Wissens fundierende Entität wollen wir die Überzeugung betrachten. Wenn ein Subjekt S weiß, dass p, so muss S überzeugt sein, dass p. Dabei ist zu bemerken, dass wir den Begriff „Überzeugung“ in der vorliegenden Abhandlung stellvertretend für alle anderen Termini gebrauchen, die einen vergleichbaren mentalen Bedeutungszustand von Subjekten zum Ausdruck bringen. Gemeint sind also Termini wie Glauben, Meinen u.ä. Demnach könnten wir ebenfalls behaupten: Ein Subjekt S weiß, dass p, genau dann, wenn S glaubt, dass p oder wenn S die Meinung „dass p“ hat.

207 Der Begriff „Überzeugung“ steht in einem engen, d.h. unmittelbaren Verhältnis zu Subjekten, die eine Überzeugung „dass p“ haben oder überzeugt sind, dass p. Während die Prädikate „wahr“, „gerechtfertigt“ und „nichtzufällig“ – wie wir dies noch sehen werden – sich zu einem Subjekt insofern verhalten, als sie dem Begriff „Überzeugung“ zugeschrieben werden, so dass wir von einer wahren, gerechtfertigten und nichtzufälligen Überzeugung sprechen können, verhält sich der Begriff „Überzeugung“ dagegen zu einem Subjekt aufgrund seiner eigenen Disposition. Mit anderen Worten: Die Relation zwischen einem Subjekt und dem Begriff „Überzeugung“ ist unmittelbar, die Relation zwischen einem Subjekt und anderen unselbständigen Prädikaten ist hingegen lediglich mittelbar; d.h. diese mittelbare Relation verdankt sich einem selbständigen Prädikat, ganz konkret der Überzeugung. Um sich Klarheit über die Unmittelbarkeit der Relation zwischen dem Subjekt und dem Überzeugungsbegriff zu verschaffen, wollen wir nach den Bedingungen und der Natur von Überzeugung fragen. Was die Bedingungen von Überzeugung anbelangt, unterscheiden wir zwischen primären (fundamentalen) und sekundären (aufbauenden) Bedingungen. Damit eine Überzeugung „dass p“ zustande kommen kann, müssen zunächst zwei primäre fundamentale Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss es einen Träger der Überzeugung geben; es ist ein kognitionsfähiges Subjekt, das überzeugt ist, dass p. Die Überzeugung erfordert also eine sich den Subjekten verdankende kognitive Perspektive. Zum anderen ist die Existenz von einem propositionalen Inhalt „p“ stets erforderlich. Das Vorhandensein dieser beiden fundamentalen Voraussetzungen ermöglicht erst die propositionale Einstellung, die die Form einer Überzeugung einnehmen kann: „Subjekt S ist überzeugt, dass p“. Daraus ergibt sich, dass nicht jede propositionale Einstellung eine Überzeugung ist. So kommen wir zu der Bestimmung von den sekundären 22

23

Die Prädikate „wahr“, „gerechtfertigt“, „nichtzufällig“ sind also unselbständig. Sie existieren sinnvoll nur dann, wenn sie einem anderen selbständigen Begriff zugeschrieben werden, wie z.B. einer Überzeugung. Hier sehen wir also von dem Problem der Universalien ab. Es gibt auch andere Typen der propositionalen Einstellung, z.B. „ich glaube, dass p“; „ich wünsche mir, dass p“ usf. 22

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208 Voraussetzungen einer Überzeugung: Es sind die Anpassungsrichtung der Überzeugung und die Akzeptanz des Propositionsinhalts. Die Existenz einer jeden Überzeugung ist also durch deren Anpassungsrichtung bedingt. Wenn ein Subjekt S die Überzeugung „dass p“ hat, dann richtet sich seine Überzeugung an die Welt und will sich dieser (Welt) anpassen, und nicht umgekehrt. Die Anpassungsaktivität befindet sich mithin in den Händen des Subjekts, das die Überzeugung „dass p“ aufweist. So können wir sagen: „Ein Subjekt S ist überzeugt, dass die Erde um die Sonne rotiert“. Sobald das Subjekt S davon überzeugt ist, dass die Erde um die Sonne rotiert, dann akzeptiert es auch den Inhalt dieser Proposition, d.h. es stimmt der Behauptung zu, dass die Erde um die Sonne rotiert. Der inhaltliche Charakter der primären und sekundären Bedingungen der Überzeugung bestimmt deren Natur, die sich aber im Wissen selbst offenbart, insbesondere durch den Begriff der Gewissheit. Eine der wichtigsten, die Kreativität fördernden Komponenten im Erkenntnisprozess stellt das Streben nach Gewissheit dar. Wenn ich etwas erkennen bzw. um etwas wissen will, dann will ich auch Gewissheit haben, dass es stimmt, was ich erkenne oder weiß. Ich versuche alles, um Gewissheit zu erlangen. Als Vorbild beim Streben nach Gewissheit kann ganz bestimmt Descartes und viele andere Denker wie z.B. Husserl angesehen werden. Ich will also in meinem Erkenntnisprozess gewiss verfahren. Das gleiche gilt auch für eine Überzeugung. Denn wenn ich eine Überzeugung „dass p“ habe, so will ich, dass diese Überzeugung gewiss ist und ich nicht getäuscht werde. Nachdem ich eine für meine Überzeugung erforderliche Gewissheitsstufe erlangt habe, kann ich nach der strukturellen Beschaffenheit meiner Überzeugung „dass p“ fragen. Als erstes sehe ich ein, dass vor mir eine propositionale Einstellung liegt, wie dies schon oben erwähnt wurde. So 24

25

Vgl. Searle, J.R. (2006), 180. Anders ist es offenbar im Fall von Wünschen, wo sich die Welt an den Geist anpassen soll. Natürlich kann ich auch um etwas tatsächlich wissen, d.h. wahres Wissen haben, ohne dass dies vom Gewissheitsgefühl begleitet wird. Ich kann mir z.B. nicht sicher sein, ob das, was ich über meine Freundin Marry weiß, wahr ist. Im Nachhinein stellt sich aber heraus, dass dies wahr war – unabhängig davon, welchen Gründen dies zu verdanken ist, vielleicht nur einem Zufall. Wir werden noch sehen, dass diese Konstellation bei der Analyse des Wissensbegriffs unbedingt geklärt werden muss.

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209 wie bei allen propositionalen Einstellungen ist dann auch bei einer Überzeugung nach dem propositionalen Inhalt zu fragen. Eine einfache Analyse macht schon deutlich, dass der propositionale Inhalt verschiedene Stärke aufweisen kann. Daraus ergibt sich für meine Überzeugung: „Ich kann fest davon überzeugt sein, dass der Audi A3 ein besseres Auto als der Golf ist“, oder „Ich kann nur einigermaßen davon überzeugt sein, dass der Audi A3 ein besseres Auto als der Golf ist“. Darüber hinaus haben die Propositionen verschiedene Inhalte, deren semantische Auswirkung unterschiedlich ausfallen kann. Betrachten wir folgende Beispiele: „Ich bin überzeugt, dass Maria Hans liebt“ und „Ich bin überzeugt, dass Hans Maria liebt“. Beide Beispiele unterscheiden sich also durch ihren propositionalen Inhalt. Im ersten Fall liebt Maria Hans, im zweiten liebt Hans Maria. Die Tatsache, dass Maria Hans liebt, bedeutet noch nicht, dass auch Hans Maria liebt, und umgekehrt. So können wir sehen, dass die semantische Auswirkung in beiden Fällen jeweils eine andere ist. Die Verschiedenheit der propositionalen Inhalte wird insbesondere dann hervorgehoben, wenn wir die klassische Differenzierung zwischen Extension und Intension durchführen, und zwar mit dem Blick auf Frege. Greifen wir nun zu dem Zweck eines seiner Beispiele auf: (1) Ich bin überzeugt, dass der Morgenstern hell leuchtet (2) Ich bin überzeugt, dass der Abendstern hell leuchtet Frege unterscheidet zwischen der Bedeutung eines Ausdrucks (=Extension) und dem Sinn eines Ausdrucks (=Intension). Im ersten Fall geht es um die Frage, worauf sich ein Ausdruck bezieht, und im zweiten, wie sich ein Ausdruck bezieht. Da die Ausdrücke „Morgenstern“ und „Abendstern“ sich auf denselben Planeten Venus beziehen, weisen sie die gleiche Extension auf; weil sie sich aber auf die Venus in verschiedener Weise beziehen, einmal als „Morgenstern“, ein andermal als „Abendstern“, haben sie verschiedene Intensionen. Dies führt dazu, dass auch die Überzeugungen (1) und (2) verschiedenen Inhalt haben. Denn wären sie identisch, so hätten sie die gleichen Intensionen. Dieser Sachverhalt wird 26

26

Vgl. Frege, G. (2002).

210 manchmal als „Problem des intensionalen Kontextes“ bezeichnet. Ein Satz erzeugt immer dann einen intensionalen Kontext, wenn es denkbar ist, dass sich der Wahrheitswert des Satzes ändert, wenn man einen Teilausdruck des Satzes durch einen anderen Ausdruck mit gleicher Extension ersetzt. Aber nehmen wir einmal an, dass es doch zwei gleiche Intensionen gibt. Wie stünde es dann mit zwei diese Intensionen fundierenden Überzeugungen? Wären sie z.B. inhaltlich auch gleich? Diese Frage ist offenbar zu verneinen. Denn man kann sich vorstellen, dass ein Subjekt A die gleiche „Überzeugung, dass der Morgenstern hell leuchtet“ anders versteht als Subjekt B. Die Gleichheit von Intensionen kann also keineswegs die inhaltliche Gleichheit von Überzeugungen garantieren. In dem Fall wird von „hyperintensionalen Überzeugungen“ gesprochen. Zur Klarheit der Unterscheidung zwischen Überzeugungen können wir schließlich dadurch beitragen, dass wir den Begriff „Disposition“ einführen. Denn Überzeugungen sind mit charakteristischen Dispositionen verknüpft. Beispiel: Wenn jemand davon überzeugt ist, dass Drogen seiner Gesundheit schaden, dann hat er grundsätzlich die Disposition dazu, Drogen selbst zu vermeiden und auch andere davon abzuhalten. Eine andere Frage ist offenbar, ob er diese seine Disposition in die Tat umsetzen kann. Bei einem geschwächten Willen – aus welchem Grund auch immer – ließe sich dies wohl kaum vorstellen. Die Verknüpfung zwischen Überzeugungen und entsprechenden Dispositionen erlaubt uns oft festzustellen, welche Überzeugungen andere Menschen aufweisen. Wenn ein Subjekt A sich etwa zum Flughafen mit der S-Bahn begibt, da er von München nach Hamburg fliegen will, so liegt nahe, dass A davon überzeugt ist, dass der Flughafen ein Ort ist, wo Flugzeuge ankommen und abfliegen, dass Menschen mit Flugzeugen befördert werden, dass die SBahn zum Flughafen fährt usf. Damit A sein Ziel, d.h. die Ankunft in Hamburg, in dieser Weise erlangt, ist allerdings erforderlich, dass all diese Überzeugungen wahr sind. 27

27

Vgl. auch Ernst, G. (2007), 62f.

211 4.2. Wissen als wahre Überzeugung Damit Wissen „sinnvoll“ überhaupt vorliegt, muss es freilich ein erkenntnisfähiges Subjekt geben, dem Wissen zugeschrieben werden kann. Derartige Subjekte sind eben durchaus disponiert, Überzeugungen zu haben. So haben wir im vorangehenden Abschnitt gesagt: Subjekt S weiß, dass p, wenn S überzeugt ist, dass p. Daher war die Überzeugung – allerdings in ihrer repräsentativen Funktion – eine notwendige Bedingung des Wissens. Im Folgenden wollen wir anfangen, den Begriff der Überzeugung näher zu bestimmen. Es wird sich also zeigen, dass es sich um eine wahre Überzeugung handelt. Die Klärung, was eine wahre Überzeugung ist, erfordert die Analyse des Wahrheitsbegriffes. Da wir uns mit diesem Begriff noch aus der Sicht epistemologischer Objektivität (vgl. 3 [Kap. VI]) ausführlicher befassen werden, was auch die Erläuterung von verschiedenen Wahrheitstheorien nach sich ziehen wird, wollen wir hier etwas bündiger verfahren und vor allem prinzipielle Eigenschaften von Wahrheit benennen. Das Ganze soll vor allen Dingen mit dem Blick auf Tarski hervorgehoben werden. Im Umgang mit Wissen wollen wir möglichst sicher vorgehen, und das ermöglicht uns vor allem der Begriff „Wahrheit“. Denn wir streben nach wahrem Wissen, freuen uns an wahren Freunden, bewundern wahre Kunstwerke usf. Die Relevanz unseres alltäglichen Wahrheitsbegriffs lässt sich kaum bestreiten. Auf dieser Grundlage ist die Unterscheidung zwischen der Wahrheit selbst und dem Für-wahr-halten (von etwas) vor Augen zu haben. Daraus ergibt sich, dass das, was ein Subjekt S für wahr hält, noch nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss. Es wäre durchaus möglich, dass S sich einfach in einem Irrtum befindet. Dabei lässt sich schon problemlos einsehen, dass Wahrheit in erster Linie ein semantischer Begriff ist – jedoch mit relevanten Auswirkungen für die Erkenntnistheorie, deren Ziel es ist, Irrtümer zu vermeiden. Will man den Wahrheitsbegriff für die Erkenntnistheorie nützlich machen, dann eröffnen sich viele Möglichkeiten. Wir wollen dies tun, indem wir zwischen dem ontologischen, dem hermeneutischen und dem 28

„Sinnvoll“ bedeutet hier, dass es möglich ist, Wissen „epistemologisch wahrzunehmen“. 28

212 propositionalen Aspekt des Wahrheitsbegriffs differenzieren. Um diese Differenzierung zu vollziehen, benötigen wir allerdings zumindest eine vorläufige Definition des Wahrheitsbegriffs. Diese verschaffen wir uns im Anschluss an eine der wohl bekanntesten Wahrheitstheorien, nämlich an die Adaequationstheorie (bzw. Korrespondenztheorie). Sie geht in der klassischen Form auf Thomas von Aquin zurück und lautet: 29

„Die Wahrheit ist die Übereinstimmung der Sache und des Intellekts [...]. Wenn daher die Sachen Maß und Richtschnur des Verstandes sind, besteht Wahrheit darin, dass sich der Verstand der Sache angleicht, wie das bei uns der Fall ist; aufgrund dessen nämlich, dass die Sache ist oder nicht ist, wird unsere Überzeugung oder unsere Aussage wahr oder falsch. Wenn aber der Verstand Richtschnur und Maß der Dinge ist, besteht die Wahrheit darin, dass die Dinge sich dem Verstand angleichen; so sagt man, der Künstler verfertige ein wahres Kunstwerk, wenn es der Kunstauffassung entspricht“ (S. th. I, q. 21 a. 2).

Bereits eine schlichte Analyse dieser Wahrheitstheorie erlaubt uns drei Elemente zu unterscheiden: Subjekt (Ich), Objekt (Sein) und Sprache. Diese Elemente ermöglichen erst zusammen den Wahrheitsbegriff im Sinne der Adaequationstheorie: WAHRHEIT

ICH (1. Fundament der Übereinstimmung)

SPRACHE (Ermöglicht die Prüfung der Fundamente)

SEIN (2. Fundament der Übereinstimmung)

Das obige Schema macht also deutlich, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit hier von Wahrheit überhaupt gesprochen werden kann. Würde auch nur eines der Elemente fehlen, dann ließe sich nicht von der

Natürlich gehörten schon viele Philosophen vor (und nach) Thomas zu den Vertretern dieser Theorie. Diese Theorie war dominierend bis ins 19. Jahrhundert.

29

213 Wahrheit (im Sinne der Korrespondenztheorie) reden. Diese drei Elemente können ferner als Kriterien gelten, welche unseren Analysen des Wahrheitsbegriffs verschiedene Richtungen geben können: ontologisch, hermeneutisch und propositional. Wenn wir das Sein als Kriterium der Wahrheitsanalyse gelten lassen, dann gelangen wir zum ontologischen Sinn der Wahrheit, der allerdings für unsere epistemologischen Zwecke, d.h. für die Klärung einer wahren Überzeugung, kaum brauchbar ist. Denn wir wollen nicht bestimmte Typen von Dingen besitzen, sondern erfassen, wie die Dinge sind. In diesem ontologischen Kontext spricht zudem Aristoteles von einer noetischen Wahrheit. Sie besteht darin, dass man Dinge entweder erfasst oder nicht; die Möglichkeit des Irrtums, d.h. die falsche Erfassung, wird dabei jedoch ausgeschlossen (vgl. Met. 1051b). Beziehen wir uns aber in unserer Wahrheitsanalyse auf den Begriff „Subjekt“, so eröffnet sich uns eine hermeneutische Perspektive und somit der hermeneutische Sinn der Wahrheit. Als Beispiel können wir hier Heidegger nehmen, der Wahrheit in erster Linie als Erschlossenheit des Daseins versteht. Heidegger behauptet, jeder kritischen Unterscheidung zwischen wahren und falschen Urteilen geht eine Gegebenheit der Dinge für uns voraus, d.h. ein Verstehen der Dinge. Alle Wahrheit ist ihrer wesenhaften, daseinsmäßigen Seinsart gemäß relativ auf das Sein des Daseins (vgl. SZ § 44c). Selbst wenn der hermeneutische Wahrheitssinn auch eine epistemologische Grundlage erfordert, die den Subjekten zu verdanken ist, kann er den Wahrheitsbegriff noch nicht hinreichend begründen. Er muss ergänzt werden durch den propositionalen Sinn der Wahrheit, dem in der gegenwärtigen epistemologischen Debatte eine dominierende Rolle zukommt. Der prospositionale Sinn der Wahrheit ist in der Sprachanalyse fundiert. Das bedeutet, dass die Wahrheitsanalyse grundsätzlich auf der Basis der Sprachanalyse durchgeführt wird. Die erste Folge davon ist, dass wir zwischen einem Wahrheitsträger, dessen Funktion auch eine Überzeugung 30

Die Korrespondenztheorie der Wahrheit muss sich zumindest mit folgenden Fragen auseinandersetzen: (1) Verstehen des Begriffs „Übereinstimmen“ – welche Ähnlichkeit besteht zwischen Sätzen und Gegenständen?; (2) Wie steht es mit der Wahrheit von mathematischen Aussagen? 30

214 übernehmen kann, und dessen Wahrheitswert differenzieren. In dem Kontext sprechen wir auch von der propositionalen Wahrheit (PW). Gemeint ist damit eine Eigenschaft von Sätzen, Überzeugungen oder Propositionen, die ein Ding als so-und-so beschaffen darstellen, und dieses Ding so darstellen, wie es tatsächlich ist. Die PW setzt also zweierlei voraus: (1) Der Wahrheitsträger muss einen Bedeutungsgehalt propositionaler Art haben; und (2) dieser Gehalt muss erfüllt sein, damit dem Wahrheitsträger der Wahrheitswert „wahr“ zukommt. Die PW hilft uns zu verdeutlichen, dass Wahrheit eine absolute Eigenschaft und nicht relativ ist. Das heißt, es kann nicht sein, dass Person A eine Überzeugung „dass p“ und auch Person B eine Überzeugung „dass p“ hat, wobei die Überzeugung von A wahr und die von B falsch ist. Da auch Überzeugungen Wahrheitsträger sind, können wir von wahren Überzeugungen sprechen. Wie schon angedeutet ist in diesem Kontext die indexikalistische Perspektive zu beachten. Die Relevanz dieser Perspektive bringt etwa folgendes Beispiel zum Vorschein: „Die zum Zeitpunkt t1 als wahr geltende Überzeugung, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht, erwies sich im Zeitpunkt t2 als falsch.“ Mit dem Blick auf den Wissensbegriff ist daher zu fragen, ob das Wissen, das in der Gestalt der Überzeugung zum Zeitpunkt t1 existierte, vielleicht ohne Wahrheit war. Wir wollen dieses bestimmte Problem nicht weiter verfolgen, sondern die hier angeschnittene Wahrheitsproblematik mit dem Beitrag von Tarski noch etwas verfeinern. Eine grundlegende Voraussetzung der Definition des Wahrheitsbegriffs bei Tarski besteht darin, zwischen der Objekt- und Metasprache zu unterscheiden, da sich andernfalls Antinomien ergäben, die das Projekt einer korrespondenztheoretischen Wahrheitsdefinition vereiteln würden. In 31

32

33

34

Hier sei auf ein Doppeltes hingewiesen: (1) Als Wahrheitsträger gelten: (a) psychologische Zustände wie Überzeugungen, Vorstellungen, Urteile usw.; (b) linguistische Entitäten wie Aussagesätze; und (c) Propositionen – jedoch aufgefasst als abstrakte Entitäten im platonischen Sinne, z.B. von G. Frege (vgl. ders., [2003], 38); (2) Es ist die indexikalistische Perspektive zu beachten: Wahrheit ist im Kontext von Faktoren wie Ort, Zeit und Sprecher zu betrachten. Hier muss also die Konstruktion mit dem „Dass-Satz“ zum Einsatz kommen. Im Gegensatz etwa zum „Für-wahr-halten“. Vgl. auch Grundmann, Th. (2008), 36f. 31

32 33 34

215 der Objektsprache sprechen wir also über die Tatsachen der Welt wie z.B. „Dieses Auto ist blau“, in der Metasprache sprechen wir dagegen über die Wahrheit bzw. Falschheit der in der Objektsprache ausgedrückten Aussagen, also z.B.: „Der Satz „Dieses Auto ist blau“ ist wahr“. Daraus ergibt sich, dass die Prädikate „wahr“ und „falsch“ nur der Metasprache vorbehalten sind. Darüber hinaus betont Tarski die Relevanz der Erfüllung einer Aussage durch einen Gegenstand bzw. Sachverhalt der Welt. Dies will eben die berühmte Formulierung „Es schneit“ ist eine wahre Aussage, wenn es schneit“ sagen. Das, was daraus für den Begriff der Überzeugung resultiert, können wir mit dem folgenden Satz zusammenfassen: Die Überzeugung „dass p“ ist wahr, wenn sie durch Tatsachen der Welt erfüllt wird. Damit sind wir schon beim Rechtfertigungsproblem. 35

4.3. Wissen als wahre, gerechtfertigte Überzeugung Im vorangehenden Abschnitt haben wir ein weiteres Prädikat hervorgehoben, das den Wissensbegriff bestimmt. Demnach heißt es, Wissen ist eine wahre Überzeugung. In dem Kontext stellt sich allerdings die Frage, ob das Prädikat „wahr“ für die Bestimmung des Wissensbegriffs ausreichend ist. Diese Frage ist mit einem klaren Nein zu beantworten. Denn das Prädikat „wahr“ ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Wenn ich also etwa zu wissen behaupte, dass mein Auto blau ist, und will, dass diese Behauptung von anderen Subjekten als wahr akzeptiert wird, so muss ich sie auch rechtfertigen. Beim Wissen um mein Auto muss es sich daher um eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung handeln. Der Begriff „Rechtfertigung“ ist einer der wichtigsten epistemologischen Begriffe. Es gibt offenbar viele Gründe, die dafür sprechen. Sie erfassen die Rechtfertigung entweder als Resultat oder als Ziel epistemologischer Tätigkeit von Subjekten. Wir greifen kurz nur die drei wohl wichtigsten Gründe auf: (1) Kognitive Perspektive; (2) Rationalität; und (3) Sicherung des Wissens. Rechtfertigung kann daher vorab als Resultat der kognitiven Perspektive betrachtet werden. Wie es z.B. in einer Welt ohne kognitive Perspektive kein Wissen geben kann, so kann es auch ohne diese Perspektive keine Rechtfertigung geben. Denn die Rechtfertigung wird von 35

Vgl. Tarski, A. (1935/36), 268.

216 kognitionsfähigen menschlichen Subjekten ausgeführt, die auch imstande sind, eine propositionale Einstellung einzunehmen. Darüber hinaus gilt die Rechtfertigung als Resultat der kognitiven Perspektive schon deshalb, weil sie als Element der Rationalität auftritt. Mit anderen Worten: Im Rechtfertigungsprozess offenbart sich Rationalität als Forderung nach Evidenz und Konsistenz von Wissen. Schließlich erfüllt die Rechtfertigung im Prozess des Wissenserwerbs eine wichtige Funktion, die wir als Sicherung des Wissens bezeichnen. Das heißt, wenn Wissen plausibel und rational gerechtfertig ist, dann werden keine Einwände mehr erhoben. Insofern kann man die Rechtfertigung als Ziel epistemologischer Tätigkeit von Subjekten betrachten. Rechtfertigung kann zum einen verschiedenen Charakter haben, zum anderen verschiedene Stärke. Um dies zu erklären, wollen wir ein Beispiel entwerfen: „Hans und Maria leben in derselben Stadt und in derselben Straße. Sie sind in demselben Jahr geboren und besuchten dieselbe Grundschule und dasselbe Gymnasium. Ihre Charaktere unterscheiden sich vor allem dadurch, dass Hans aufgrund seiner Kindheitserfahrungen eher auf Distanz zu anderen Menschen geht und somit zurückhaltend wirkt, Maria hingegen eine fröhliche Persönlichkeit ist und problemlos Kontakte zu anderen Menschen knüpft. Hans ist in Maria verliebt, er weiß aber nicht, ob Maria seine Gefühle in gleicher Weise erwidert, weil er sich nicht getraut hat, sie danach zu fragen. Durch viele äußere Sympathiezeichen von Maria wie etwa durch gemeinsame Gespräche über die Schulangelegenheiten, die meist von Maria eingeleitet werden, oder durch gemeinsame Spaziergänge im Schulhof während der Unterrichtspausen, kommt Hans zu der Überzeugung, dass Maria ihn auch liebt, obwohl Maria ihm dies nie gesagt hatte. Seine Überzeugung, dass Maria ihn liebt, rechtfertigt Hans also durch die äußerst einfühlsame Verhaltensweise Marias. In dem Fall liegt bei Hans aber nur eine persönliche Rechtfertigung vor, die der sachlichen Rechtfertigung nicht entspricht. Denn Hans weiß nicht, dass Maria seit drei Jahren einen festen Freund hat. Diese Tatsache ist für die sachliche Rechtfertigung entscheidend, die aber

217 bei Hans fehlt. Sooft Hans Maria begegnet, kann er nicht nur deren gutes Aussehen mit seinen Augen bewundern, sondern auch deren geschickte Bewegungen, weil Maria eine tolle Figur hat. Dies stellt eine Basis dar, auf der sich die perzeptuelle Rechtfertigung von Hans aufbaut. Obwohl die auf ihre Gesundheit achtende Maria genetisch veranlagt ist, schnell an Gewicht zuzunehmen, sieht sie dennoch sehr gut aus. Daraus schließt Hans, dass Maria jeden Tag eine große Anstrengung auf sich nimmt, indem sie sich entsprechend ernährt und viel Sport treibt, weil dies die heilkräftigste Methode ist, eigenes Gewicht unter Kontrolle zu halten, ohne Nebenfolgen befürchten zu müssen. Bei der Begründung dieses ganzen Prozesses ist Hans auf argumentative (bzw. inferentielle) Rechtfertigung angewiesen“. Wenn man die einzelnen Typen von Rechtfertigung aus dem obigen Beispiel genauer anschaut, so kann man durchaus feststellen, dass sie auch unterschiedliche Stärke aufweisen, die sich mit den Begriffen „Gewissheit“ und „Wahrscheinlichkeit“ beschreiben lässt. Demnach gibt es zwei Modelle der Rechtfertigung: das Gewissheitsmodell (GM) und das Wahrscheinlichkeitsmodell (WM). Beide Modelle haben auch klassische Hintergründe. Das GM besagt, dass eine Überzeugung nur dann gerechtfertigt ist, wenn ihre Wahrheit durch Gründe objektiv garantiert wird und dies auch aus der subjektiven Perspektive erfasst wird. Nach dem WM gilt hingegen eine Überzeugung bereits dann als gerechtfertigt, wenn es Gründe dafür gibt, dass die Überzeugung wahrscheinlich wahr ist. Die Gründe müssen also hier die Überzeugung der Wahrheit nicht erzwingen, um Rechtfertigungskraft zu bekommen, wie dies etwa beim GM der Fall ist. Rückblickend auf die oben erwähnten Rechtfertigungsbegriffe müsste es daher heißen: Die beste Chance, als Gewissheitsmodell bezeichnet zu werden, hat die sachliche Rechtfertigung, die allerdings subjektiv erfasst 36

37

38

Das Verhältnis zwischen der persönlichen und der sachlichen Rechtfertigung könnte man auch mit dem Begriffspaar „epistemic responsibilty“ und „adequate grounding“ verdeutlichen (vgl. Kornblith, H. [1985], 264f; auch vgl. Ernst, G. [2007], 72f). Als Vertreter des Gewissheitsmodells gelten Descartes, aber auch Platon und Aristoteles. Das Wahrscheinlichkeitsmodell hat dagegen einen pragmatischen Hintergrund, seine Vertreter sind meist Pragmatisten (C.S. Peirce als Vorreiter) und Logische Empiristen. Zudem gibt es deutliche derartige Merkmale bei Locke und den Akademischen Skeptikern. Vgl. dazu Grundmann, Th. (2008), 95f. 36

37

38

218 werden muss. Den Status des Gewissheitsmodells könnte auch die inferentielle Rechtfertigung erlangen, vorausgesetzt, dass Prämissen und Schlussfolgerung wahr sind. Dagegen bewegen sich die persönliche und die perzeptuelle Rechtfertigung nur im Bereich des Wahrscheinlichkeitsmodells. Wissen ist also eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung, wobei die Rechtfertigung unterschiedlichen Charakter und verschiedene Stärke aufweisen kann. Nun gilt es der Frage nach der Instanz von Rechtfertigung nachzugehen. Bereits die Analyse des obigen Beispiels machte deutlich, dass grundsätzlich nur zwei Entitäten ins Spiel kommen: Erfahrung und Vernunft. Beim Bilden von Hypothesen ist offensichtlich auch deren sinnvolle Verknüpfung nicht zu übersehen. Wir versuchen zunächst unser Wissen durch Erfahrung zu rechtfertigen: Hans vermutet, dass Maria ihn liebt, indem er Marias äußere Verhaltensweise genau beobachtet und dadurch seine Überzeugung „Maria liebt mich“ rechtfertigt. Die menschliche Erfahrung weist bekanntlich eine Schichtstruktur auf: Hans kann rote Flecken auf dem Gesicht Marias erkennen, wenn Maria mit ihm spricht. Er kann auch erkennen, dass seine Stimme dabei zittert, dass er schwitzt usw. Um die Schichtstruktur menschlicher Erfahrung zu bestimmen, werden vor allem zwei Begriffe ins Spiel gebracht: Beobachtbares und Theoretisches. Mit Carnap können wir von Beobachtungsvokabular und theoretischem Vokabular sprechen. Dies ermöglicht uns das Aufstellen einer Zwei-Schichten-Theorie. Auf der einen Seite hätten wir also beobachtbare Entitäten, z.B. rote Flecken auf dem Gesicht Marias, auf der anderen theoretische Entitäten, wie z.B. die Atome und Moleküle im Körper von Hans, welche seine Körperspannung mit verursachen und zu seiner Aufregung führen. Nach einigen Philosophen lässt sich aber keine deutliche Grenze zwischen beobachtbaren und theoretischen Größen ziehen. So behauptet Quine, dass die einfachsten Beobachtungssätze „theoriebeladen“ sind. Sätze über Dinge unserer Welt enthalten insofern bereits theoretische Annahmen, als von ihnen die Existenz von relativ dauerhaften, identifizierbaren Gegenständen mit relativ dauerhaften Eigenschaften vorausgesetzt wird. Auf der Grundlage des Schichtenaufbaus der Erfahrung haben sich zwei klassische 39

39

Vgl. Quine, W.V.O. (1953). Dazu vgl. auch Feyerabend, P. (1960).

219 Rechtfertigungspositionen herausgebildet, die wir aber schon früher erläutert haben, nämlich Fundamentalismus und Kohärenztheorie. Die sich der Erfahrung zu verdankenden basalen (bzw. fundamentalen) Meinungen reichen aber nicht aus, um Wissen wissenschaftlich zu fundieren. Erforderlich sind vielmehr dabei komplizierte Überlegungsprozesse, die darüber hinaus das Aufstellen von Hypothesen ermöglichen. Das führt dazu, dass die Vernunft als Instanz der Rechtfertigung angesehen wird, als Vermögen des Argumentierens. Die Rechtfertigung von Wissen hat hier vor allem ein Doppeltes zu beachten: die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Gültigkeit, und die zwischen deduktiven und induktiven Argumenten. Mit folgenden Beispielen sei es kurz erläutert: 40

Bp. (1)

+ Alle Löwen sind Marsbewohner + Goethe ist ein Löwe Also: * Goethe ist ein Marsbewohner

(Prämisse 1) (Prämisse 2) (Konklusion)

Das Argument ist logisch gültig, da es die Form des Schlussschemas hat: Wenn alle F-Dinge G-Dinge sind und wenn das Ding a ein F-Ding ist, dann ist a auch ein G-Ding. Das Argument ist also gültig, obwohl sowohl die Prämissen als auch die Konklusion falsch sind. Es gibt auch logisch ungültige Argumente, in denen die Konklusion – mag sie auch wahr sein – nicht aus den Prämissen folgt. Kehren wir aber nochmals zu Hans und Maria zurück: Bp: (2)

Also:

+ Maria ist eine gut aussehende Person + Die meisten Personen, die gut aussehen, führen ein gesundheitsbewusstes Leben * Maria führt ein gesundheitsbewusstes Leben

Die vernünftigen – ganz zu schweigen von wissenschaftlich fundierten – Überlegungsprozesse weisen eine bestimmte Struktur auf, deren Aufbau von dem Typus der Argumente abhängt. Es gibt zwei klassische Typen von Argumenten: deduktive und induktive, die auch für den Prozess der 40

Vgl. 6 (Kap. III).

220 Wissensrechtfertigung bedeutsam sind, weil sie diesem Prozess die systematische Ordnung erleichtern. Das Beispiel (2) hat einen induktiven Charakter, weil obwohl die Prämissen wahr sind, die Konklusion nicht unbedingt wahr sein muss. Bei deduktiven Argumenten muss hingegen die Konklusion notwendig wahr sein, wenn alle Prämissen wahr sind. Es dürfte schon einleuchten, dass das argumentative Verfahren eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Bilden von Hypothesen ist, auf die die Wissenschaft angewiesen ist, wenn sie neue Tatsachen zu entdecken, zu beschreiben und zu erklären sucht. Der Wissenschaft liegt sowohl an der Erkenntnis, dass es etwa einmal Dinosaurier gegeben hat und wann diese gelebt haben, als auch an Hypothesen als denkbaren Antworten auf die Frage, warum sie ausgestorben sind. Zwar wäre es durchaus denkbar, das hypothetische Verfahren auch beim Rechtfertigungsprozess zu verwenden, das Resultat der Rechtfertigung bliebe dann aber nur im Wahrscheinlichkeitsbereich. Abschließend sei angedeutet, dass es auch Positionen gibt, welche die Funktion bzw. Bedeutung des Rechtfertigungsbegriffs bei der Auffassung von Wissen für irrelevant halten. So behauptet etwa Hilary Kornblith, dass das Wissen keine Rechtfertigung benötigt, und damit distanziert sie sich von der klassischen Auffassung von Wissen, die eben den Begriff der Rechtfertigung in Anspruch nimmt. Er schreibt: 41

42

„Knowledge requires that some sort of objective standard be met; justification requires the meeting of some more subjective standard; but knowledge does not require justification.” 43

Indes gewinnt seit den siebziger Jahren immer mehr die These an Popularität, dass das Wissen nicht nur eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung ist, sondern auch noch eine nicht-zufällige.

41 42 43

Vgl. dazu Fußnote 77 (Kap. III). Vgl. Brülisauer, B. (2008), 86f, 103. Kornblith, H. (2008), 21.

221 4.4. Wissen als wahre gerechtfertigte und nicht zufällige Überzeugung. Das Gettierproblem Damit verlassen wir das Gebiet der Standardanalyse von Wissen, wo die Elemente der Wahrheit und Rechtfertigung einzig entscheidend sind. Seit dem Erscheinen der Gettier-Fälle in den siebziger Jahren gelten nun neue Maßstäbe beim Definieren des Wissensbegriffs. Wahrheit und Rechtfertigung einer Überzeugung reichen nicht mehr aus, es muss auch noch die Zufälligkeit ausgeschlossen werden, also: S ist nicht zufällig zu seiner wahren gerechtfertigten Überzeugung gekommen. Auf diese Schwierigkeit hat als erster Edmund Gettier hingewiesen. Genauer gesagt bezieht sich der Begriff „Nichtzufälligkeit“ auf den Begriff der Wahrheit, d.h. die Wahrheit einer Überzeugung soll objektiv nicht zufällig sein. So wollen wir zunächst die zwei Gettier-Fälle darstellen und dann kurz analysieren: 44

Beispiel 1: Smith und Jones haben sich bei einer Firma X um dieselbe Stelle beworben. Der Personalchef dieser Firma hat Smith mitgeteilt, dass sich der Vorstand für seinen Konkurrenten Jones entschieden hat. Darüber hinaus hat Smith zufällig gesehen, dass Jones zehn Münzen in seine Hosentasche gesteckt hat. Dadurch hat Smith gute Gründe zu glauben, dass (1) Jones derjenige ist, der die Stelle bekommt, und dass Jones zehn Münzen in seiner Hosentasche hat. Daraus schließt Smith deduktiv auf Folgendes: (2) Derjenige, der die Stelle bekommt, hat zehn Münzen in seiner Hosentasche. Es geschehen aber zufällig zwei Dinge, von denen Smith nichts weiß: Erstens hat Smith selbst auch genau zehn Münzen in seiner Hosentasche, und zweitens bekommt er und nicht Jones am Ende die Stelle, trotz der gegenteiligen Vorabinformation. Wenn sich dies alles zufällig so abspielt, dann ist Smiths Überzeugung (2) wahr und gerechtfertigt. Dennoch würden wir ihm kein Wissen zuschreiben. Also ist die Standardanalyse des Wissens falsch, so Gettier. Das heißt, jemand kann eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung besitzen und trotzdem kein Wissen haben. Die Standardanalyse ist also nicht hinreichend für Wissen. 45

Edmund Gettier, amerikanischer Philosoph, publizierte seine zwei berühmten Fälle, die ein völlig neues Licht auf die epistemologische Problematik warfen, im Jahre 1963 in der Zeitschrift „Analysis“. Vgl. Gettier, E. (1987), 91f. 44

45

222 Wie sind die rechtfertigenden Gründe von Smith in diesem Beispiel genauer zu bestimmen? Es handelt sich bei ihm um Gründe nur nach dem Wahrscheinlichkeitsmodell, nicht aber nach dem Gewissheitsmodell. Daher ist Smith in seiner Überzeugung (1) gerechtfertigt, auch wenn sie falsch ist (weil Jones die Stelle nicht bekommt). Durch einen deduktiven Schluss gelangt er zu der Überzeugung (2), die auch gerechtfertigt ist, weil die Rechtfertigung unter der logischen Implikation geschlossen ist. Die Überzeugung (2) ist aber nicht nur gerechtfertigt, sondern auch wahr; sie wird (unerwartet) von Smith selbst wahr gemacht. Smith hat also mit (2) eine gerechtfertigte und wahre Überzeugung. Jedoch kann man Smith kein Wissen zuschreiben, weil seine gerechtfertigte Überzeugung (2) nur aufgrund eines glücklichen Zufalls wahr ist. Denn Smith leitet glücklicherweise die wahre Überzeugung (2) logisch deduktiv von der gerechtfertigten Überzeugung (1) ab, die unglücklicherweise falsch ist. Das zufällige Erlangen der Wahrheit kann keine Komponente des Wissensbegriffs sein. Gehen wir jetzt zu dem zweiten Gettier-Fall über. 46

Beispiel 2: Smith weiß, dass Meier immer schon einen Audi A3 besessen hat, und er wird auch gerade wieder von Meier in einem Audi A3 mitgenommen. Das sind für Smith hinreichende Gründe, um die Proposition zu glauben: (3) Meier besitzt einen Audi A3. Smith hat einen Freund Krause, von dem er nicht weiß, wo er sich derzeit befindet. Er folgt seiner Phantasie und denkt, dass Krause sich zur Zeit in Warschau aufhält. Da sich Smith gut mit der Logik auskennt und deren Methoden oft im Alltag gebraucht, erkennt er sofort, dass man aus der Proposition (3) die folgende Proposition deduktiv folgern kann: (4) Meier besitzt einen Audi A3 oder Krause hält sich in Warschau auf. Sobald Smith diesen Zusammenhang erkennt, gelangt er durch deduktive Referenz aus seiner gerechtfertigten Überzeugung (3) zu der Überzeugung (4). Wenn das Prinzip der Geschlossenheit der Rechtfertigung unter logischer Implikation gilt, ist seine Überzeugung (4) gerechtfertigt. Es passieren aber wiederum zwei zufällige Dinge: Erstens besitzt Meier seinen Audi A3 nicht mehr, sondern er fährt nur einen Mietwagen. Die Proposition (3) ist also falsch. Zweitens ist die Proposition (4) dennoch wahr, weil sich Krause tatsächlich in Warschau aufhält. Smiths Überzeugung (4) ist also wahr und gerechtfertigt. Jedoch würde man nicht sagen, dass Smith Wissen hinsichtlich von (4) besitzt. Es ist nur ein glücklicher Zufall, dass die

46

Wie diese Modelle zu verstehen sind, vgl. den vorangehenden Abschnitt.

223 gerechtfertigte Überzeugung wahr ist. Das Standardanalyse des Wissens nicht hinreichend ist.

bedeutet,

dass

die

Aus der kognitiven Perspektive des Erkenntnissubjekts passieren also in diesem Beispiel keine Fehler. Smith bildet eine Überzeugung (3) auf der Grundlage guter Wahrscheinlichkeitsgründe und folgert aus ihr logisch korrekt eine andere Überzeugung (4), die auf diesem inferenziellen Wege ihre Rechtfertigung erhält. Da Smith für seine Rechtfertigung nur Wahrscheinlichkeitsgründe zur Verfügung stehen, muss auch die Welt auf die richtige Weise mitspielen, damit seine inferenziell erworbene Überzeugung ein Fall von Wissen ist. Die Welt ist so beschaffen, dass die Gründe, die Smith zur Verfügung hat, nicht auf die richtige Weise mit der Wahrheit seiner Schlussfolgerung verbunden sind. In beiden Fällen gelangt Smith zu einer gerechtfertigten, wahren Konklusion auf dem Umweg über eine gerechtfertigte, falsche Prämisse. Für den Wissensbegriff bedeutet diese ganze Konstellation Folgendes: Damit aus einer wahren Überzeugung Wissen werden kann, genügt es nicht, die geeignete kognitive Perspektive auf die Welt zu haben, sondern die Welt muss auch mitspielen, um den wissensgefährdenden Zufall auszuschließen. Es kommt also auf bestimmte wissensgenerierende Faktoren an. Hinsichtlich der Frage, welche Faktoren es aber sind, gibt es unter den Epistemologen keine Übereinstimmung. Eine der Grundlinien bei der Interpretation lautet: Sie müssen jedenfalls externer Natur sein. Diese Faktoren, die in der Epistemologie mit dem Begriff „die vierte Bedingung“ bzw. „no false lemma-condition“ bezeichnet werden, sind also erforderlich, um die Gettierfälle zu lösen. So hat Gilbert Harman als erster vorgeschlagen, dass die persönliche Rechtfertigung des Subjekts nicht auf falschen Prämissen beruhen darf. Diese These wirkt sich auf den Begriff des Wissens wie folgt aus: 47

48

Subjekt S weiß, dass p, genau dann wenn (1) S ist überzeugt, dass p (2) die Proposition „dass p“ ist wahr In diesem Abschnitt folge ich wesentlich Thomas Grundmann (vgl. ders., [2008], 101f.). Vgl. Harman, G. (1973), 47f.

47

48

224 (3) S ist in seiner Überzeugung gerechtfertigt (4) die Rechtfertigung von p beruht nicht auf falschen Prämissen Zu fragen ist, inwieweit sich diese Konstellation aufrechterhalten lässt, wenn es um die epistemologische Sicherung des Wissensbegriffs geht, mit welchen Problemen sie eventuell zu kämpfen hat und welche Lösungen denkbar sind. 5. Grundlegende Probleme des gegenwärtigen Wissensbegriffs und einige moderne Lösungsversuche Grundlegende Schwierigkeiten des gegenwärtigen Wissensbegriffs sind in erster Linie mit dem Gettierproblem aufs engste verbunden. Wir haben oben gesehen, dass dadurch die klassische Auffassung von Wissen problematisch geworden ist. Indes gibt es auf dem epistemologischen Markt eine Reihe von Lösungsvorschlägen, wie dem Gettierproblem zu entgehen sei. Im Folgenden wollen wir einige dieser Probleme im Kontext von deren Lösungen diskutieren. Dabei wird deutlich, dass es grundsätzlich zwei unterschiedliche Wege gibt, dem Gettierproblem zu entgehen. Mit Thomas Grundmann bezeichnen wir sie als Quartettlösungen und Terzettlösungen und werden sie im Verlaufe unserer Analyse stufenweise enthüllen. Die Quartettlösungen gehen davon aus, dass die klassische, auf drei Voraussetzungen aufgebaute Definition von Wissen nicht hinreichend und deshalb durch eine zusätzliche vierte Bedingung zu ergänzen ist. Diese vierte Bedingung ergänzt das Element der internen Rechtfertigung. Dann hätten wir nun Folgendes: 49

Standardanalyse von Wissen + X wobei X für eine vierte Bedingung steht Einen ganz anderen Weg schlagen die Terzettlösungen ein, indem sie die klassische Definition von Wissen weder für hinreichend noch für 49

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 110.

225 notwendig halten. Die Folge davon ist, dass die Elemente der Überzeugung und der Wahrheit in der Wissensdefinition aufrechterhalten bleiben, dagegen auf das Element der Rechtfertigung verzichtet wird. Genauer gesagt wird das Element der internen Rechtfertigung durch einen externalistischen Faktor ersetzt. Demnach ergibt sich folgende Konstellation: Standardanalyse (ohne die Bedingung der internen Rechtfertigung) + externalistischer Faktor In diesem Abschnitt wollen wir uns lediglich mit den Quartettlösungen befassen. Es gilt mithin, die vierte Bedingung zu bestimmen. Wir haben oben schon gesehen, dass eine Variante der vierten Bedingung lauten könnte: „Rechtfertigung des Subjekts S „dass p“ beruht nicht auf falschen Prämissen“. Diese Variante führt aber nicht dazu, dass die persönliche Rechtfertigung des Subjekts S zu einer sachlichen Rechtfertigung werden kann, d.h. diese letztere kann noch nicht garantiert werden. Das verdeutlicht folgendes „Scheunen-Beispiel“ von A. Goldmann: 50

„John fährt mit seinem Auto durch eine ländliche Gegend. Während der Fahrt schaut er nach links aus dem Fenster, sieht eine Scheune und kommt zu der wahren Überzeugung, an einer wahren Scheune vorbeigefahren zu sein. John weiß aber nicht, dass er an der einzig echten Scheune im ganzen Landkreis vorbeigefahren ist. Darüber hinaus gibt es in der Gegend nur eine Menge Scheunenattrappen, die von der Landstraße aus wie echte Scheunen aussehen. Wenn John eine dieser vielen Attrappen gesehen hätte, so wäre er ebenso zu der (dann aber falschen) Überzeugung gekommen, an einer Scheune vorbeigefahren zu sein. Nun war es reines Glück, dass John tatsächlich eine wahre Überzeugung gewonnen hat. So kann man nicht sagen, dass John weiß, dass er gerade an einer Scheune vorbeigefahren ist.“ 51

Aus dem Beispiel ergibt sich also, dass die persönliche Rechtfertigung von John „Aus seinem Auto sieht er stets echte Scheunen“ durch eine zusätzliche Information „Im ganzen Landkreis gibt es nur eine einzige echte Scheune“ zerstört werden kann. Diese Konstellation wirkt sich auf 50 51

Terzettlösungen werden offenbar in weiteren Abschnitten behandelt. Vgl. Goldmann, A. (1992), 433f.

226 die Formulierung der vierten Bedingung aus. Demnach lautet diese Bedingung wie folgt: „Die Rechtfertigung darf nicht durch zusätzliche Informationen anfechtbar sein.“ Wenn wir aber diese vierte Bedingung beim Auffassen von Wissen verwenden, dann entsteht die folgende Wissensdefinition: Subjekt S weiß „dass p“, genau dann, wenn (1) S ist überzeugt „dass p“ (2) Überzeugung „dass p“ ist wahr (3) Überzeugung „dass p“ ist gerechtfertigt (4) Rechtfertigung ist durch zusätzliche Informationen unanfechtbar Die Akzeptanz der vierten Bedingung als unanfechtbar gerechtfertigter Überzeugung führt in den epistemologischen Debatten zum Aufstellen der sogenannten Unanfechtbarkeitstheorien von Wissen. Diese Theorien können die Gettierfälle verhindern und das Scheunenbeispiel erklären, indem sie die persönliche Rechtfertigung zusätzlichen Informationen gegenüber immun machen. So könnte etwa Smith – im ersten Gettierfall – nicht erfahren, dass er in seiner Hosentasche zehn Münzen hat. Auch beim Scheunenbeispiel könnte John verschwiegen werden, dass es nur eine einzige echte Scheune im ganzen Landkreis gibt. Bei genauerem Hinsehen fällt aber auf, dass die Unanfechtbarkeitstheorien zu viele Fälle aus den Augen verlieren. Dieser Vorwurf wird vor allem durch das klassische Beispiel von „Tom Grabits verwirrter Mutter“ gestützt: 52

53

„Stellen wir uns vor, Bill ist in der Bayerischen Staatsbibliothek und sieht einen jungen Menschen in roter Jacke ein Buch aus der Bibliothek stehlen. Bill ist sich sicher, dass es sich um Tom Grabit handelt, da dieser in seiner Nachbarschaft lebt und er ihm oft begegnet ist, als Tom eine rote Jacke anhatte. So gelangt Bill zu der gerechtfertigten Überzeugung, dass Tom Grabit das Buch gestohlen hat. Als Bill nach seinem Aufenthalt in der Bibliothek nach Hause ging und der Mutter von Tom mitteilte, was ihr Sohn getan hatte, sagte sie, ihr Sohn sei zu diesem Zeitpunkt nicht in der In der epistemologischen Debatte wird oft auch der englische Ausdruck „indefeasible“ gebraucht. Die zusätzlichen Informationen können auch externen Charakter haben, d.h. etwa von anderen Subjekten geliefert werden. 52

53

227 Bibliothek gewesen, sondern sein Zwillingsbruder. Was aber Bill nicht weiß, ist, dass die Mutter von Tom geistig verwirrt ist und sich nur eingebildet hat, dass ihr Sohn Tom einen Zwillingsbruder hat. Die Überzeugung von Bill, dass Tom Grabit das Buch gestohlen hat, ist also tatsächlich wahr“ . 54

Dieses Beispiel macht also deutlich, dass obwohl keine zusätzlichen Informationen geliefert werden, welche die Unanfechtbarkeit der Rechtfertigung bedrohten, die Rechtfertigung dennoch durch relevante Tatsachen bedroht werden kann. Zwar kommt dies im Falle von Tom Grabit nicht vor, da seine Mutter geistig verwirrt ist (= eine relevante Tatsache), es wäre aber möglich, eine Welt zu denken, in der Tom Grabit einen Zwillingsbruder hat. Diese Konstellation hätte sich dann auf die endgültige Form der Überzeugung von Bill so ausgewirkt, dass er die Unschuld von Tom Grabit letztlich hätte zugeben müssen. Indes – so das obige Beispiel – verläuft der Prozess der Bildung der Überzeugung von Bill, dass Tom das Buch gestohlen habe, in zwei Etappen: (1) Die wahre Überzeugung von Bill wird durch die Aussage der Mutter von Tom in Frage gestellt, d.h. falsifiziert; und (2) die wahre Überzeugung von Bill wird durch eine relevante Tatsache wiederhergestellt. Aus epistemologischer Sicht ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass auch Tatsachen Informationen vermitteln, die den nach Wissen strebenden Erkenntnisprozess ernsthaft beeinflussen können. Die den Tatsachen zu verdankenden Informationen können unterschiedlichen Evidenz- bzw. Relevanz-Charakter aufweisen. Im Falle von Tom Grabit hatten wir es keinesfalls mit relevanten Informationen zu tun: Die Aussage der Mutter entlarvte sich als eine Lüge, war also irrelevant, und konnte dadurch die Wahrheit der Rechtfertigung nicht zerstören. Dazu könnte es aber durchaus kommen, wenn die Tatsachen der Welt anders gewesen wären, wenn also die Mutter nicht geistig verwirrt wäre. Nach der Berücksichtigung des Relevanzfaktors ergibt sich nun für den Begriff des Wissens Folgendes: Subjekt S weiß „dass p“, genau dann, wenn (1) S überzeugt ist, „dass p“ (2) Überzeugung „dass p“ ist wahr 54

Vgl. Lehrer, K./Paxon, Th. (1969), 225f.

228 (3) Überzeugung „dass p“ ist gerechtfertigt (4) Rechtfertigung kann nicht durch zusätzliche relevante Informationen zerstört werden 55

Obwohl Tatsachen Informationen vermitteln, dürfen wir diesen beiden Entitäten (d.h. Informationen und Tatsachen) nicht die gleiche Auswirkung auf den Wissensbegriff zuschreiben, genauer gesagt auf die Frage, ob Wissen vorliegt oder nicht. Im Kontext des Grabit-Beispiels müssten wir also fragen: Ist die Rechtfertigung der Überzeugung von Bill, dass Tom das Buch gestohlen hat, wiederhergestellt durch die Information der Mutter von Tom oder durch die Tatsache der Entwendung des Buches? Wenn Ersteres der Fall ist, dann bleibt es offen, ob wir es mit einer wahren oder einer falschen Information zu tun haben. Solange dies nicht geklärt ist, wäre alles Wissen nur eine „Begebenheit auf Zeit“. Denn es könnte auch durchaus vorkommen, dass sich die für wahr gehaltene Information als falsch erweist, und zwar aufgrund der Tatsachen. Wenn dagegen die Rechtfertigung durch Letzteres, mithin durch die Tatsache der Entwendung wiederhergestellt wird, dann können wir davon ausgehen, dass das Wissen von Bill darüber, dass Tom das Buch gestohlen hat, von vornherein definitiv bestanden hat. Dieses Wissen muss sich lediglich im epistemologischen Milieu, das auch durch andere Subjekte mitgestaltet ist, durchsetzen. Zu klären, wie dieser Durchsetzungsprozess vor sich gehen könnte, erfordert zum einen eine stabile Basis, auf der rechtfertigungstaugliche Gründe formuliert werden können, zum anderen das Aufstellen von eventuellen Wissens-Modellen, welche sich auch ohne Rechtfertigungspotenzial als plausibel erweisen können. 6. Gründe und Rechtfertigung Seit einigen Jahren kommt dem Begriff „Grund“ in philosophischen Debatten eine immer größere Bedeutung zu, insbesondere im praktischen 56

Thomas Grundmann (vgl. ders. [2008], 115) schlägt vor, diese Bedingung folgendermaßen zu präzisieren „Rechtfertigung ist durch unanfechtbare Gründe unanfechtbar.“ 55

229 Kontext der Freiheitsproblematik, die angesichts der heute nicht zu übersehenden Erfolge neurophysiologischer Ansätze beinahe ständig gezwungen wird, sich selbst zu behaupten. Der Gebrauch des Terminus „Grund“ geht indes eindeutig über die praktische Ebene hinaus und betrifft auch die theoretische. Deshalb machen auch wir von diesem Terminus Gebrauch, wenn wir von Wissen reden. Bereits eine simple strukturelle Analyse anhand des Vorangehenden rechtfertigt unsere Entscheidung: Wenn ich weiß „dass p“, dann bin ich überzeugt „dass p“ und habe dazu hinreichende Gründe. Das bedeutet, Gründe rechtfertigen meine Überzeugung „dass p“. So können wir sagen, Bill hatte gute Gründe zu der Überzeugung zu kommen, dass Tom das Buch aus der Bibliothek gestohlen hat. Im epistemologischen Prozess haben also Gründe eine rechtfertigende Funktion, d.h. jede Rechtfertigung verlangt nach rechtfertigungstauglichen Gründen, oder anders gesagt: Gründe sorgen dafür, dass Rechtfertigung gelingt. Die Funktion von Gründen könnte man hier als „epistemologische Detektivfunktion“ beschreiben. Das heißt, sie sollen beim Aufspüren der epistemischen Realität helfen, so dass wir mit und in der Welt zurechtkommen, dass wir auch weltliche Ereignisse vorteilhaft „manipulieren“ können. Gründe sollen also die Umstände, unter denen Überzeugungen oder propositionales Wissen gebildet werden, mit denjenigen Umständen verbinden, unter denen diese Überzeugungen wahr sind. Gründe sind keine beobachtbaren physischen Zustände, die nach Naturgesetzen variieren; sie können deshalb nicht mit gewöhnlichen Ursachen identifiziert werden. Da sich Gründe strengen Kausalerklärungen entziehen, dürfen sie nur noch die Rolle nachträglich rationalisierender, bloß mitlaufender Kommentare zum unbewussten, neurologisch erklärbaren Verhalten übernehmen. Mit Gründen rechtfertigen wir also rational nicht nur unser Handeln, sondern auch unser Wissen. Das Resultat unseres Rechtfertigungsprozesses kann aber unterschiedlich ausfallen; dies ist nicht zuletzt durch unsere Einschränkung 57

58

Meistens wird in der Pluralform gesprochen, d.h. von „Gründen“. Wollen wir ein einfaches Beispiel für eine Ursache angeben, so können wir sagen: Hans ist gestolpert und hat eine Blumenvase umgeworfen. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 205. 56 57

58

230 im Bereich des Rationalen bedingt. In einigen Fällen sind darum Gründe nicht imstande, eine unanfechtbare Rechtfertigung abzuliefern. So ist zu fragen, welche Konsequenzen sich daraus für den Wissensbegriff ergeben. Daraus ergeben sich vor allem Konsequenzen, die wir im vorangehenden Abschnitt als „Terzettlösungen“ bezeichnet haben. Gemeint sind Lösungen, die dem Gettierproblem entgehen wollen, indem sie die Struktur der Standardanalyse des Wissensbegriffs generell akzeptieren, allerdings mit einer Einschränkung, d.h. es wird auf die interne Rechtfertigung verzichtet. Statt dessen werden externalistische Faktoren zugelassen. So können wir sagen, dass es sich um ein Wissen ohne (interne) Rechtfertigung handelt. Was darunter zu verstehen ist, wollen wir in drei Schritten erklären: (1) Das Modell des Internalismus und Externalismus beim Wissenserklären; (2) die Kausaltheorie des Wissens und (3) die reliabilistische Theorie des Wissens. 6.1. Das Modell des Internalismus und Externalismus beim Wissenserklären Die Begriffe „Internalismus“ und „Externalismus“ gehören mittlerweile zu den Standardbegriffen der Philosophie des Geistes. Sie geben eine Erklärung dafür, wie intentionale Gehalte des Geistes bestimmt werden und wie sie dem erkennenden Geist zugänglich sind. Auch die im Erkenntnisprozess mitspielenden Gründe sind offenbar zu den intentionalen Gehalten zu rechnen. Da der Erwerb von Wissen eine der wichtigsten Aufgaben eines jeden menschlichen Geistes ist, erweisen sich diese Begriffe auch im Bereich der Epistemologie als behilflich. Denn sie tragen zum Erklären des Wissensbegriffs bei, indem sie die Zugänglichkeit von Rechtfertigungsgründen bestimmen. Entscheidend sind nun dabei zwei Probleme: (1) Was sind Gründe? und (2) Wie sieht die kognitive Relation der Gründe zu dem Erkenntnissubjekt aus? Wir haben schon oben etwas über Gründe gesagt – und zwar mit Blick auf deren Funktion. Eine Funktion lässt sich aber erst auf der Grundlage der Natur bestimmen: Das gilt auch für Gründe. Die rechtfertigende Funktion von Gründen erfordert also die Existenz einer Natur, die ontologisch zu bestimmen ist, d.h. durch den Verweis auf die ontologische Beschaffenheit von Gründen. In dem Sinne haben wir etwa mit geistigen Zuständen zu tun

231 wie Überzeugungen, Wünschen, Wahrnehmungserlebnissen, Erinnerungen, Empfindungen usf. All diese Zustände weisen einen internalistischen (d.h. subjektiven) Charakter auf, der im Prozess der Rechtfertigung für sich allein ausreichend ist. Das epistemische Subjekt hat also einen kognitiven Zugang zu diesen internalistischen Zuständen und betrachtet sie in seinem Rechtfertigungsprozess als Gründe. Dieser epistemologische Standpunkt wird Internalismus genannt. Eine Gegenposition behauptet indes, dass subjektive Faktoren allein für eine epistemologische Rechtfertigung des Subjekts nicht ausreichen, weil sie noch keinen plausiblen rechtfertigenden Charakter aufweisen. Diesen Charakter bekommen sie erst durch externalistische (d.h. objektive) Tatsachen, welche dann ebenfalls als Gründe angesehen werden. Diese Tatsachen müssen allerdings dem epistemischen Subjekt nicht unbedingt bekannt sein. Wenn dies wirklich so ist, dann hat das Subjekt auch keinen kognitiven Zugang zu objektiven Tatsachen. Es ist der Standpunkt des Externalismus. Also haben wir: 59

SUBJEKT (S) Internalismus 1. Hat einen kognitiven Zugang zu Gründen 2. Gründe befinden sich im Kopf des S

Externalismus 1. Hat keinen kognitiven Zugang zu Gründen 2. Gründe befinden sich außerhalb des S

Versuchen wir jetzt diese beiden Standpunkte im Kontext des Wissensbegriffs etwas genauer zu bestimmen. Wir fangen mit dem Internalismus an. Da die menschlichen Subjekte mentale Erlebnisse haben, also Wahrnehmungen, Erinnerungen, Wünsche, Überzeugungen usf., lässt sich ohne weiteres nachvollziehen, warum der Internalismus einen

59

Man könnte natürlich auch von Mischformen reden.

232 grundlegenden epistemologischen Standpunkt darstellt. Das hat schon Platon gewusst, wenn er in seinem Dialog „Theätet“ schreibt: „Wenn also die Richter richtig von dem, was man durch Autopsie, und sonst nichts, wissen kann, überredet sind und dann die Sache nur nach dem, was sie gehört haben, beurteilen, so urteilen sie, da sie die richtige Vorstellung über die Sache erhalten haben, auch ohne Wissen richtig, wenn sie anders, nachdem sie richtig überredet sind, nun auch als rechte Richter ihr Urteil abgeben“. 60

Im zitierten Text erscheint der internalistische Standpunkt vor allem im Gewand des Begriffs „Autopsie“. Die Autopsie ermöglicht Wissen, bzw. liefert rechtfertigende Gründe für das Wissen ab. So können wir sagen: 61

Subjekt S weiß „dass p“, genau dann, wenn (1) S ist überzeugt, dass p (2) Überzeugung „dass p“ ist wahr (3) Überzeugung „dass p“ ist durch Gründe gerechtfertigt, wobei diese Gründe S kognitiv zugänglich sind Auf den ersten Blick scheint klar zu sein, welche Bedeutung der Zugänglichkeit von Gründen beim Wissenserwerb zukommt: Gründe müssen als mentale Gehalte dem Subjekt zugänglich sein, damit sinnvoll geredet werden kann, dass ein Subjekt wahrnimmt, sich erinnert, Wünsche, Überzeugungen hat u.ä. Wenn es aber so ist, dann würde der Internalismus Recht haben. Die Attraktivität des Internalismus wird – im Vergleich mit dem Externalismus, wie wir noch sehen werden - oft durch folgendes Hellseher-Beispiel von BonJour hervorgehoben: „Alex kann zuverlässig hellsehen. Er weiß aber nichts von seiner Fähigkeit und verhält sich wie ein normales epistemisches Subjekt. Er mein zudem, dass es keine Hellseherei gibt. Eines Tages erwirbt Alex aufgrund seiner hellseherischen Fähigkeiten die wahre Überzeugung, dass sich der amerikanische Präsident in New York verhält. Aus seiner Perspektive hat er

Platon, Theätet 200d-201d. Unter „Autopsie“ verstehe ich kurzum die allgemeine Untersuchung eines Gegenstandes mit eigenen Augen, mithin das Sehen.

60 61

233 aber keine Gründe, die für oder gegen diese Überzeugung sprechen würden.“ 62

Damit will BonJour einfach sagen, dass die Überzeugung von Alex nicht gerechtfertigt ist, weil er tatsächlich hellseherische Fähigkeiten in der kontrafaktischen Situation besitzt. Abgesehen von den Problemen, die mit den Gettierfällen verbunden sind, haben wir beim Internalismus noch zu bedenken, ob es auch nicht Wissen ohne interne Rechtfertigung geben kann. Diese Frage stellt sich z.B. im Hinblick auf die intuitiv gewonnenen Einsichten, die wir zunächst nicht zu rechtfertigen vermögen, von denen wir aber überzeugt sind, dass sie ein Wissen ausdrücken, und die sich später auch als wahre Meinungen herausstellen. Nehmen wir nun folgendes Beispiel: 63

64

„Peter besucht einen Wahrsager, der ihm sagt, dass Klara ihn liebt. Das macht Peter froh, weil er auch in Klara verliebt ist, dabei aber Angst hat, ihr dies selbst zu sagen. Peter ist überzeugt von dem, was ihm der Wahrsager mitteilt, und tatsächlich will es der glückliche Zufall, dass Klara ihn wirklich liebt“. 65

Das Beispiel zeigt, dass Peters Überzeugung interne Rechtfertigung fehlt. Seine Überzeugung wird vielmehr bloß durch die Behauptung des Wahrsagers gerechtfertigt, also lediglich durch äußere bzw. objektive Faktoren (d.h. externalistisch). 66

Vgl. BonJour, L. (1985), 41. Vgl. dazu 4.4. der vorliegenden Abhandlung. Bei den Gettierfällen handelt es sich bekanntlich um die These, dass es auch dann kein Wissen vorliegt, wenn die Überzeugung wahr und gerechtfertigt ist. Vgl. dazu Sartwell, C. (1991), 157f. Vgl. Ernst, G. (2007), 101. Was den Internalismus (I) anbelangt, könnte man natürlich viel differenzierter verfahren. Wenn wir z.B. Thomas Grundmann (vgl. ders. [2008], 251f.) folgten, dann könnten wir unterscheiden zwischen: (1) der subjektiven Variante des I (=Evidentialismus: es genügt für die Rechtfertigung einer Überzeugung, wenn es mentale Zustände des Subjekts gibt, die die Wahrheit der zu rechtfertigenden Überzeugung wahrscheinlich erscheinen lassen); (2) der objektiven Variante (V) des I: (a) die passive V (Gründe sind dem Subjekt kognitiv bekannte objektive Tatsachen), (b) die aktive V (Gründe machen die Wahrheit der Überzeugung objektiv wahrscheinlich und dass das so ist, ist dem Subjekt kognitiv bekannt). 62 63

64 65 66

234 Wenn Peter sich auf die Behauptung des Wahrsagers verlässt, so wird ein intentionaler Gehalt, mithin das Wissen in seinem Kopf, durch seine Relation zu dem Wahrsager konstituiert, genauer durch seine kausale Relation zu der externen Welt, deren Teil auch der Wahrsager ist. Es gibt viele Argumente, welche die Richtigkeit des Externalismus unter Beweis stellen sollen. Eines der bekanntesten Argumente kommt von Hilary Putnam, es ist das Argument von der Zwillingserde: „Stellen wir uns eine Galaxie vor, die genau wie unsere ist, mit einem Planeten, der genau wie unser Planet ist und den wir Zwillingserde nennen. Auf der Zwillingserde ist alles genau so wie auf der Erde, Molekül für Molekül – mit einer Ausnahme: Was wir auf der Erde „Wasser“ nennen, besteht aus H2O, was die Menschen auf der Zwillingserde „Wasser“ nennen, besteht nicht aus H2O, sondern hat eine sehr lange chemische Formel XYZ. Im Jahr 1750, bevor jemand irgend etwas über chemische Zusammensetzungen wusste, war das, was in den Köpfen der Zwillingserdenbewohner war, wenn sie das Wort „Wasser“ benutzten, genau das gleiche wie das, was in den Köpfen der Erdbewohner war, wenn sie das gleiche Wort benutzten. Aber obwohl der Gehalt in den Köpfen der gleiche war, waren die Bedeutungen unterschiedlich. Bedeutungen können nicht im Kopf sein. Die Bedeutung wird sowohl auf der Erde als auch auf der Zwillingserde von kausalen Beziehungen bestimmt, mit denen Sprecher zu indexikalisch präsentierten Substanzen stehen“. 67

Dieses Argument verdeutlicht nun die Rolle des Externalismus bei der Bestimmung der Bedeutung des Wortes „Wasser“. Dabei stehen Kausalrelationen im Vordergrund. Diese Konstellation wirkt sich auch auf den Wissenserwerb aus: Ich weiß etwas in vollem Umfang dann, wenn ich die Bedeutung von diesem etwas kenne. Diese Bedeutung gewinne ich aber aufgrund kausaler Relation zu der realen Welt. Diese These wird in der Epistemologie vor allem durch die Kausal- und Reliabilitätstheorie des Wissens gestützt. Es sind zwei grundlegende Formen des Externalismus.

67

Putnam, H. (2004). Vgl. dazu auch Searle, J. (2006), 192f.

235 6.2. Die Kausaltheorie des Wissens In seinem Aufsatz „The Epistemology of Belief“ schreibt Fred Dretske, dass der Glaube einfach und das Wissen mühevoll zu erlangen sei. Diesen Gedanken kann man der Kausaltheorie des Wissens nicht zuschreiben. Denn wenn man deren Strategie unter die Lupe nimmt, dann kann man ohne weiteres feststellen, dass gerade das Wissen ganz einfach zu erwerben ist – aufgrund des externalistischen Faktors. Unter einem derartigen Faktor ist kurzum die kausale Relation des Erkenntnissubjekts zur Welt zu verstehen, wobei der weltliche Endpunkt dieser Relation im Sinne einer Tatsache zu bestimmen ist. Die Kausalitätstheorie, die zu den Terzettlösungen des Gettierproblems zählt, erleichtert sich also das Verfahren bei der Wissensbegründung, indem sie sich auf der Grundlage der Standardanalyse des Wissens vom Rechtfertigungselement verabschiedet und statt dessen einen externalistischen Faktor ins Spiel bringt, dem sie den Charakter einer kausalen Relation verleiht. So ergibt sich folgende Auffassung von Wissen: 68

Subjekt S weiß „dass p“ genau dann, wenn (1) S ist überzeugt , dass p (2) Überzeugung „dass p“ ist wahr (3) es gibt eine bestimmte Relation zwischen der Tatsache p und der sie ausdrückenden Überzeugung „dass p“ Nun sehen wir, dass der Punkt (3) bei dieser Wissensdefinition entscheidend ist, d.h. der externalistische Faktor. Seine Funktionalität kommt aber nur auf der Basis von (1) und (2) zum Tragen, mithin auf der Grundlage der Standardanalyse des Wissens (ohne Rechtfertigung). Wollen wir die Signifikanz des Punktes (3) bestimmen, so müssen wir den Charakter der in ihm enthaltenen Relation beschreiben. Dann wird sich aber schnell zeigen, dass es sich um eine kausale Relation handelt. Jede kausale Relation zwischen einem Erkenntnissubjekt und der Welt lässt sich Vgl. Dretske, F. (2000a), 64. Dabei ist zu bemerken, dass Dretske – neben etwa Goldman und Armstrong - ein namhafter Befürworter der Kausaltheorie des Wissens ist.

68

236 aber durch „Weil-Sätze“ charakterisieren. Die Folge davon ist, dass wir nicht nach Gründen fragen, sondern nach Ursachen. Im Hinblick auf das Wissen müsste daher unsere Frage lauten: Was ist die Ursache für die Überzeugung des Subjekts S „dass p“? Und die allgemeine Antwort hieße dementsprechend: Es ist die kausale Relation des Subjekts S zu Tatsache(n) der Welt. Kann man aber von Ursachen für eine Überzeugung überhaupt reden? Sollte man nicht eher über Gründe für eine Überzeugung sprechen? Wenn A mit seinem Auto am Straßenverkehr teilnimmt wohlwissend dass sein Wagen kaputte Bremsen hat, und einen schrecklichen Unfall verursacht, dann können wir sagen, dass zu dem Unfall kam, weil die Bremsen kaputt waren, d.h. die kaputten Bremsen des Autos waren die Ursache des Unfalls. Wenn die Bremsen in Ordnung gewesen wären, dann hätte A rechtzeitig bremsen können. Wir können aber sagen, die Naivität von A, der dem Rat seines Freundes B gefolgt ist, er könne mit seinem Wagen trotz der kaputten Bremsen problemlos fahren, war der Grund dafür, dass A zur Überzeugung kam, dass tatsächlich nichts passieren wird, wenn man mit einem reparaturbedürftigen Wagen auf der Straße fährt. Es lässt sich an diesem Beispiel problemlos erblicken, dass Gründe – im Gegensatz zu Ursachen – rationalen Charakter aufweisen. Die in der Kausaltheorie fundierte Auffassung von Wissen ist also vor allem auf den Begriff „Ursache“ angewiesen. Daher wundert es nicht, dass diese Auffassung sich hauptsächlich für das durch Wahrnehmung erworbene Wissen als förderlich erweist. So konnte auch Goldman argumentieren, dass das Wissen „dass p“ nichts mehr ist als bloß die wahre Überzeugung „dass p“, die durch die Tatsache „dass p“ zustande gekommen ist. Inwiefern lässt sich dies aber rechtfertigen? Die kausale Theorie des Wissens (KTW) muss sich also zahlreichen Einwänden entgegenstellen. Erstens gibt es einen „Zukunfts-Einwand“. Gegen die KTW kann man also einwenden, dass sie nicht imstande ist, zukünftiges Wissen zu erklären. Nehmen wir folgendes Beispiel: „Ich gehe in meinem Garten spazieren und blicke spontan auf eine Rose in der Ecke. Dabei stelle ich fest, dass sie mehr als andere Rosen ausgetrocknet ist. Daraus schließe ich, dass sie dringend Wasser benötigt. Ohne viel darüber nachzudenken begieße ich die stark ausgetrocknete Rose, weil ich 69

69

Vgl. Goldman, A. (1992), 143f.

237 überzeugt bin, dass sie sich dadurch rasch erholen wird. Nach drei Stunden sehe ich, dass sich diese Rose tatsächlich erholt hat (=Tatsache E)“. Da meine Überzeugung, die ich vor dem Eintreten der Tatsache E hatte, sich als wahr erwiesen hat, so kann man sagen, dass sie ein Wissen schon vor dem Begießen der Rose gewesen ist. Deshalb gilt es: Eine Tatsache E, die später als Wirkung (= hier in der Form meiner Überzeugung) eintritt, kann prinzipiell nicht als Ursache angesehen werden. Eine weitere Schwierigkeit hängt mit dem Begriff „Tatsache“ zusammen. Wie können Tatsachen meine Überzeugung verursachen? Können Tatsachen etwas überhaupt verursachen? Tatsachen sind abstrakte Entitäten, sie sind keine realen Dinge. Eine Kausalbeziehung besteht zwischen zwei (oder mehreren) realen Dingen, nicht zwischen einer Tatsache wie z.B. „Mein Auto ist blau“ und einer Überzeugung, dass mein Auto blau ist. Schließlich ist zu fragen, wie wir in dem Kontext mit negativen Tatsachen umgehen. Kann die Tatsache „Mein Auto ist nicht blau“ irgendeine Überzeugung verursachen? Das nächste Problem der KTW bezieht sich auf deren Anwendungsbereich. Während die KTW im empirischen Bereich gut funktionieren kann, d.h. bezogen auf die Fälle des in Wahrnehmung erworbenen Wissens, scheitert sie jedoch z.B. im apriorischen, besonders im mathematischen Bereich. Kann die Tatsache „3 + 2 = 5“ die Ursache dafür sein, dass ich überzeugt bin, dass 3 + 2 = 5. Können Tatsachen im apriorischen Bereich auch alternative und zugleich wahrheitsgemäße Überzeugungen verursachen? Schließlich gibt es den „Intuitions-Einwand“, d.h. es gibt Intuitionen, die uns sagen, dass kein Wissen vorliegt, nach der KTW jedoch Wissen vorliegen müsste. Dies können wir anhand des Scheunenbeispiels beobachten (vgl. 5 [Kap. IV]). Also: Wenn John aus dem Auto auf eine echte Scheune blickt und dadurch zur Überzeugung kommt, dass er an einer Scheune vorüberfährt, dann ist die echte Scheune die auslösende Ursache dieser Überzeugung. Dennoch wird John kein Wissen zugeschrieben, wenn es in der Nähe von der echten Scheune auch eine 70

Hier sehen wir von besonderen philosophischen Fällen der Kausalität ab, wo Ursache als eine später eintretende Entität betrachtet wird (vgl. „Entelechie“ als Zweckursache bei Aristoteles). 70

238 Menge Scheunenfassaden gibt, welche von der Straße aus wie die echte Scheune aussehen. 6.3. Die reliabilistische Theorie des Wissens Beim Definieren von Wissen schlägt auch die reliabilistische Theorie (RTW) einen externalistischen Weg ein. So wie die Kausaltheorie des Wissens baut die RTW ihre Strukturen auf der Grundlage der Standardanalyse von Wissen auf und verzichtet dabei auf den Rechtfertigungsfaktor. Beide Wissenstheorien bedienen sich also eines Ersatzmittels: Während in der Kausaltheorie der kausalen Relation des Subjekts zur Welt eine funktionale Rolle zugeschrieben wird, bringt die RTW dagegen das Element der Methode ins Spiel. Der Begriff „Methode“ wird so zu einem Terminus technicus für die Anhänger der RTW. Mit anderen Worten: Der RTW kommt es auf eine zuverlässige Methode an, mit der sie zu einer wahren Überzeugung gelangen kann. Daher ergibt sich für den Wissensbegriff Folgendes: 71

72

Subjekt S weiß „dass p“ genau dann, wenn (1) S ist überzeugt, dass p (2) Überzeugung „dass p“ ist wahr (3) S ist zu seiner Überzeugung „dass p“ mit einer zuverlässigen Methode gelangt Nun sehen wir, dass vor allem der Punkt (3) für die RTW maßgebend ist. Dabei wird zum einen deutlich, dass die RTW die Genese der wahren Überzeugung „dass p“ erklären will. In dem Sinne verfolgt sie das gleiche Ziel wie die Kausaltheorie des Wissens (KTW). Zum anderen kann die RTW als eine Art Verfeinerung der KTW insofern angesehen werden, als sie aus der kausalen Relation des Erkenntnissubjekts zur Welt lediglich das Element der Methode herausgreift, weil diese Methode ein gelungenes Wie wir im weiteren Abschnitt sehen werden, handelt es sich vor allem um Goldman, Dretske und Nozick als Hauptvertreter dieser epistemologischen Richtung. Daraus ergibt sich auch der Name für die reliabilistische Theorie des Wissens, d.h. aus dem englischen Wort „reliabilism“.

71

72

239 epistemologisches Resultat garantieren soll. Allen anderen Elementen, welche die Struktur dieser kausalen Relation auch mit bestimmen, wird nahezu eine sekundäre Bedeutung zugeschrieben. Was ist aber eine zuverlässige Methode, die den Erwerb von wahrem Wissen garantieren soll? Woher weiß ein Subjekt, dass es sich im Erkenntnisprozess tatsächlich für eine zuverlässige Methode entschieden hat? Dies stellt also ein allgemeines Problem dar, das die RTW unbedingt zu klären hat. Inwieweit kann aber ihr diese Klärung gelingen? Wenn wir nochmals an das Scheunenbeispiel zurückdenken (vgl. 5 [Kap. IV]), dann können wir hier sagen, dass für John, der mit seinem Auto auf der Landstraße unterwegs ist und dabei aus dem Autofenster Scheunen beobachtet, die sinnliche, genauer gesagt visuelle Wahrnehmung als Methode gilt, dank der er zur Überzeugung kommt, dass er an einer echten Scheune vorbeigefahren ist. Wie sich aber gezeigt hat, ist diese visuelle Wahrnehmung keinesfalls zuverlässig, weil John auch beim Vorbeifahren an den Scheunen-Attrappen gedacht hat, er fahre an einer echten Scheune vorbei. In dem Fall können wir bekanntlich bei John nicht von Wissen sprechen. Können wir aber weiterkommen, wenn wir nach einer zuverlässigen Methode im apriorischen Bereich suchen? Wohl keineswegs, denn auch dieser Bereich kann uns nicht eine absolute Zuverlässigkeit beim Erwerben unserer Überzeugungen „dass p“ garantieren. Darauf hat schon Descartes beim Aufbau seines methodischen Zweifels hingewiesen (vgl. Med. I 5f). Und wir müssen zugeben, er hatte Recht, denn wir können uns etwa beim Rechnen durchaus verrechnen. Was ergibt sich daraus für das Prädikat „zuverlässig“? Vor allem ist zu beachten, dass dieses Prädikat mit Hilfe des Begriffs „Wahrscheinlichkeit“ genauer bestimmt werden muss. Wenn eine Methode nicht gänzlich verlässig ist, dann ist zu fragen, inwiefern bzw. in welchem Wahrscheinlichkeitsgrad sie verlässig sei. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ selbst vieldeutig und insofern auch aus epistemischer Sicht genauso erklärungsbedürftig ist wie etwa der Terminus „Kausalität“. In der philosophischen Debatte werden oft Versuche unternommen, den Begriff „Wahrscheinlichkeit“ im Rahmen der 73

Unter diesen anderen Elementen sind vor allem inhaltliche Merkmale der Kausalrelation des Subjekts zur Welt zu verstehen. 73

240 Wahrscheinlichkeitstheorie (WT) verständlicher zu machen. Die WT, die ursprünglich zur Beschreibung von Zufallsereignissen konzipiert wurde, ist aber in ihrer rein mathematischen Form eine abstrakte Theorie, die nichts über die reale Welt und über ihre eigene Anwendung aussagt. Wie jede mathematische Theorie kann auch die WT generell auf alles angewendet werden, was sich mit ihr sinnvoll beschreiben lässt. So können wir die Wahrscheinlichkeit mathematisch wie folgt definieren: SM = FM (=> LM + KM + VM) Die Erläuterung dieser mathematischen Definition der Wahrscheinlichkeit lautet folgendermaßen: SM - ist eine abstrakte Menge, die als Wahrscheinlichkeitsraum bezeichnet wird; FM - ist eine Menge von Teilmengen von SM; zu FM gehören folgende Mengen: LM als leere Mengen, KM als Komplementmenge jedes Elements von FM, und VM als abzählbare Vereinigungsmenge beliebiger Elemente von FM. Dann ist eine Wahrscheinlichkeitsfunktion jede reellwertige Funktion P definiert auf FM, wobei gilt: [1] 0 ≤ P(X) ≤ 1;

[2] P(SM) = 1;

[3] P(A



B) = P(A) + P(B),

wobei A und B zwei separate Mengen aus FM sind.

Solange der Wahrscheinlichkeitsraum SM unspezifiziert bleibt, hat die Wahrscheinlichkeit P also nichts mit irgendetwas Außermathematischen zu tun, d.h. P(X) ist lediglich eine reele Zahl zwischen 0 und 1 (vgl. Punkt [1]). Wenn aber der Wahrscheinlichkeitsraum SM irgendwie (vorab abstrakt) spezifiziert wird, dann hat die Wahrscheinlichkeit P schon eindeutig mit etwas zu tun, was dem außermathematischen Bereich angehören kann, z.B. mit Erkenntnis in der realen Welt (vgl. Punkt [2]). Erst wenn der Wahrscheinlichkeitsraum SM genauer spezifiziert wird, d.h. mit Hilfe von separaten Mengen (A) und (B) aus FM, erlangt die Wahrscheinlichkeit P ihre konkreten Züge (vgl. Punkt [3]). 74

74

Vgl. Bunge, M. u.a. (2004), 101f.

241 Übertragen wir jetzt dies auf den Begriff der Zuverlässigkeit: Die Bestimmungsprozedur weist die gleiche Struktur wie bei dem im Rahmen der WT zu bestimmenden Wahrscheinlichkeitsbegriff auf. Es gibt drei Bestimmungsphasen: In der ersten Phase sind wir im Erkenntnisprozess bloß abstrakt zuverlässig, wobei das epistemische Resultat noch völlig offen bleibt. Hier haben wir also mit dem Allgemeinheitsproblem zu kämpfen: Wenn John aus dem Autofenster hinausblickt, vermutet er nur eine mögliche Existenz von Scheunen, wobei nicht geklärt ist, ob es sich dabei lediglich um echte Scheunen oder Attrappen-Scheunen handelt (vgl. Punkt [1]). In der zweiten Phase erlangen wir schon eine existenziellreale Zuverlässigkeit, d.h. John kommt zur Überzeugung, dass unter allen existierenden Scheunen einige Scheunen echt sind. Zu dieser Überzeugung kann John mit Hilfe von verschiedenen Methoden gelangen, er kann z.B. einige Scheunen, die er während seiner Fahrt sieht, mit seiner Hand berühren, nachdem er aus seinem Auto ausgestiegen ist (vgl. Punkt [2]). In der dritten Phase vermögen wir schließlich wahrheitsgemäß und zuverlässig festzustellen, welche konkreten Scheunen echt sind und welche nicht. Was die Methode anbelangt, so könnte John etwa alle Scheunen, die sich in unserem Forschungsgebiet befinden, der Reihe nach antasten, um so zu seiner wahren Überzeugung „dass p“ zu kommen, unabhängig davon, wie lange dies dauern würde (vgl. Punkt [3]). Die Bestimmungsprozeduren, die in diesen drei Phasen erscheinen, verweisen uns auf ein weiteres Problem, das eine RTW zu lösen hat, nämlich auf das sogenannte Relevanzproblem. Kurzum: Es gilt zu fragen, welche Faktoren relevant sind, damit die Methode, mit der ein Subjekt S eine wahre Überzeugung zu erlangen sucht, tatsächlich zuverlässig ist. Gesucht wird also nach einer konkreten Lösung. 6.3.1. Das Bemühen um konkrete Lösungen. Einige Beispiele: Goldman, Dretske, Nozick. Tugendepistemologie Würde man philosophische Debatten schlechthin charakterisieren, dann müsste man vor allem deren Offenheit für die pluralistische Gestaltung hervorheben. Die Folge davon ist, dass Konkretes in vielerlei sich einander bereichernden Formen auftreten kann. Auf dem Gebiet der Epistemologie können wir dies ganz besonders beobachten. So bringen auch Goldman,

242 Dretske und Nozick verschiedene epistemische Ansätze zur Debatte, um die Frage zu beantworten, was für die reliabilistische Erklärung von Wissen entscheidend ist. Nach Goldman sind es zuverlässige Prozesse, die absolut wahre Überzeugungen verursachen, die Wissen genannt werden können. Es handelt sich dabei um Prozesse, welche wahre Überzeugungen nicht nur in aktuellen Situationen verursachen, sondern auch in relevanten kontrafaktischen Situationen. Das kann diesen Prozessen vor allem deshalb gelingen, weil sie sowohl wahrnehmungsmäßig als auch introspektiv fundiert sind. Goldman spricht sogar von der Kompatibilität dieser reliabilistischen Prozesse mit dem formalen Fundamentalismus (F), der in zwei Varianten auftritt: als Wahrnehmungs- und Introspektions-F. Während der erstere F die klassischen, im Sinnlichen aufgehenden Merkmale aufweist, erweist sich der letztere F dagegen als verbunden mit kognitiven Gehalten, welche in der Erste-Person-Form erscheinen. Goldman ist zudem der Ansicht, dass die reliabilistischen Prozesse das Problem von Wissen nur dann lösen können, wenn sie im externalistischen Gewand auftreten. Als internalistische Prozesse können sie dies aber nicht vollständig tun. Eine andere externalistische Lösung wird von Dretske vorgeschlagen, wenn er behauptet, dass aus reliabilistischer Sicht zwingende Gründe entscheidend sind: Die wahre Überzeugung „dass p“ muss durch einen zwingenden Grund - und zudem richtig - verursacht sein. Ein zwingender Grund G für die Überzeugung „dass p“ ist ein Grund, der in der Welt, in der p nicht der Fall wäre, nicht auftreten würde. Diese Auffassung des zwingenden Grundes ist freilich so breit angelegt, dass damit nicht nur kognitive Zustände von Subjekten gemeint sind, sondern auch objektive Tatsachen. Demnach können wir sagen, dass zwingende Gründe sowohl einen internen als auch einen externen Charakter haben. Diese These wird nicht zuletzt dadurch gestützt, dass Dretske zwischen zwei Erkenntniskonzeptionen klar unterscheidet. Auf der einen Seite haben wir also rationale Erkenntnis, die mit der „top-down-strategy“ (TDS) zu erlangen ist, auf der anderen Seite gibt es reliabilistische Glaubensakte, für 75

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75 76

Vgl. Goldman, A.I. (1976), 771. Vgl. Goldman, A. (1960), 74f.

243 deren Zustandekommen die „button-up-strategy“ (BUS) verantwortlich ist. Die Leistung dieser beiden Strategien beschreibt Dretske wie folgt: (BUS) – „From a button-up point of view, knowledge is an early arrival on the evolutionary scene. It is what animals need in order to coordinate their behavior with the environmental conditions on which their survival and well-being depend”. (TDS) – „According to […] top-down-strategy, knowledge is the result of an assessment and evaluation procedure in which conclusions are reached from premises in conformity with rules that are, if not justified, then rationally justifiable”. 77

Im Bereich des Rationalen verbleibt auch Nozick mit seinem allerdings semantisch geprägten Ansatz. Für die Ausgestaltung der Semantik sind kontrafaktische Konditionalsätze bedeutsam. Sein epistemologisches Projekt wird „truth trucking“ genannt, d.h. „der Wahrheit auf der Spur“. Nach Nozick haben wir es also mit Wissen genau dann zu tun, wenn das Subjekt S eine wahre Überzeugung „dass p“ hat, die mit der Tatsache p, von der sie handelt, kontrafaktisch korreliert. Das heißt: Würde die Tatsache p nicht existieren, dann würde auch das Subjekt S nicht glauben, dass sie existiert; falls die Tatsache p jedoch in möglichen Welten existieren würde, so würde das Subjekt S dies auch glauben. Demnach können wir das Wissen wie folgt auffassen: Subjekt S weiß „dass p“ genau dann wenn (1) Subjekt S ist überzeugt „dass p“ (2) Überzeugung „dass p“ wahr ist (3) Wenn p nicht wahr wäre, würde S nicht überzeugt sein, dass p (4) Wenn p wahr wäre, würde S überzeugt sein, dass p Es fällt auf, dass diese Wissensauffassung auf der Basis der Standardanalyse von Wissen (1 + 2) erfolgt, wobei sie nur durch zwei zusätzliche externalistische Faktoren (3 und 4) ergänzt wird. Den Faktor (3) können wir als „Sensitivitäts-Bedingung“ bezeichnen, den Faktor (4)

77

Dretske, F. (2000b), 80f.

244 dagegen als „Stabilitäts-Bedingung“. Beide Faktoren haben für eine bestimmte Zuverlässigkeit im Erkenntnisprozess zu sorgen. Eine externalistische Ausrichtung weist auch die sogenannte Tugendepistemologie auf. Es handelt sich dabei um eine Wissenstheorie, die etwa von Sosa u.a. entworfen worden ist. Der ethische Tugendbegriff wird epistemologisch verwendet, wobei sowohl internalistische als auch externalistische Faktoren auftreten. Das Subjekt S ist tugendhaft, wenn S die richtige Einstellung zu seiner Handlung (bzw. die richtigen Gründe) hat. Das Subjekt S ist auch tugendhaft, wenn S faktisch stets das erlangt, was es mit seiner Handlung erlangen wollte. Das Gleiche gilt für das Wissen: Ob das Subjekt S weiß, dass p, hängt von inneren und äußeren Faktoren ab, die als epistemische Tugend (ET) bezeichnet werden. Die ET ist also ein kognitives Vermögen, das dem Subjekt ermöglicht, wahre Überzeugungen verlässlich zu erwerben. Gemeint ist damit nicht nur die Fähigkeit des Subjekts zur sinnlichen Wahrnehmung, sondern auch die zum rationalen Denken. Darüber hinaus zeigt Sosa, dass der tugendepistemologische Ansatz auch gegen die Gefahren des Skeptizismus immun sein kann, wenn man nur seine Voraussetzungen beachtet. Das geschieht in einem breiteren epistemologischen Kontext. 78

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7. Wissen und Kontextualismus Das Ziel, das wir in den vorangehenden Abschnitten verfolgten, bestand vorwiegend darin, einerseits die Natur des Wissensbegriffs zu bestimmen, andererseits deren Rechtfertigungsfähigkeit in der realen Welt zu prüfen. Dabei hat sich anfangs herausgestellt, dass Wissen eine wahre und gerechtfertige Überzeugung ist, die allerdings noch mit einer Reihe von Problemen konfrontiert werden muss, z.B. mit dem Gettierproblem. Um die Frage zu beantworten, ob Wissen tatsächlich vorliegt, konzentrierte sich unsere bisherige Analyse in erster Linie auf den Wissensbegriff und Vgl. Nozick, R. (1981), 167f. Dazu vgl. auch Grundmann, Th. (2008), 140f. Diese zusätzlichen Bedingungen haben die Aufgabe, die Fälle wie z.B. „Gehirn im Tank“ auszuschließen. Vgl. Sosa, E. (1991), Greco, J. (2000); vgl. auch Ernst, G. (2007), 114. Vgl. Sosa, E. (2008), 121f. 78

79 80

245 dessen Struktur. Im Folgenden soll die Umgebung, bzw. der Kontext des Wissensbegriffs untersucht werden. Eine solche Formulierung der Aufgabe ist offenbar mit der Beantwortung vieler Fragen verknüpft. Denn wenn das Subjekt S weiß, dass p, so weiß es dies zugleich in einem bestimmten Kontext, z.B. in München, am 15. Juli 2010 um 17.30 Uhr, in einem Raum (Universität, Zuhause, Straße) usf. Alle strukturellen Elemente des jeweiligen Kontextes befinden sich stets in einem zeitlichen Verhältnis miteinander. Wenn aber noch das Subjekt S miteinbezogen wird, dann liegt schon ein kausales Verhältnis vor (S kann z.B. die Fensterscheibe im Raum, in dem es sich befindet, kaputt machen u.ä.). Versuchen wir jetzt einige dieser Fragen auszubuchstabieren, indem wir ein konkretes Beispiel entwerfen: „Peter ist ein gewissenhafter Philosophiestudent an einer Universität. Da er sein Studium äußerst ernst nimmt, besucht er regelmäßig Vorlesungen und Seminare, verbringt viel Zeit in der Bibliothek und arbeitet fleißig zuhause. Nach sechs Semestern an der Universität hat Peter seine Philosophiekenntnisse enorm erweitert. Die Folge davon ist, dass Peters Wissen stark zugenommen hat“. Daher fassen wir diese Konstellation mit der These zusammen: „Peter weiß, dass p“. Wenn wir aber dieses Beispiel weiter betrachten und z.B. eine kontextualistische Analyse durchführen, dann stellen wir ohne weiteres fest, dass Peters Wissen den Stand „dass p“ systematisch und in einem sich jeweils verändernden Kontext erlangte. Dies ergibt sich schon daraus, dass Peters Studium mehrere Semester dauerte. Die aktuelle Wissensstruktur „dass p“ von Peter entfaltete sich unterschiedlich effizient, je nachdem, ob Peter bei der Vorlesung ausgeschlafen war, keine Schmerzen und am Vorabend keinen Streit mit seinen Eltern hatte usf. Diese Struktur entfaltete sich jedoch immer in einem Kontext, der viele Faktoren – je nach der jeweiligen Situation – umfasste. Daher schreiben wir Peter Wissen zu, wobei dieses Wissen jeweils in einem bestimmten Kontext erworben wurde, von ihm abhängt und erst in der Endphase (Ende des 6. Semesters) den Stand „dass p“ erreichte. In diesem Zuschreibungsprozess von Wissen, der sich übrigens auch in einem 81

Der Kontext war jeweils anders, weil Peter z.B. an verschiedenen Veranstaltungen teilgenommen hat.

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246 Kontext vollzieht, sind zwei Aspekte zu differenzieren, die den jeweiligen Kontext bestimmen: der aktive und der passive Aspekt. Also: Peter weiß, dass p (und) (1) Der aktive Aspekt des Kontextes: „Wir schreiben Peter Wissen „dass p“ zu“ => zuschreibungsabhängiger Kontextualismus (2) Der passive Aspekt des Kontextes: „Peter wird Wissen „dass p“ zugeschrieben“ => subjektabhängiger Kontextualismus

Wenn in den Fällen (1) und (2) von Wissen geredet wird, dann tut man dies immer in einem Kontext. So lässt sich fragen, inwiefern sich der Kontext samt seinen Eigenschaften auf den Wissensbegriff auswirkt. Welche Eigenschaften des Kontextes können dazu führen, dass Peter „dass p“ weiß, und welche nicht. In (2) wird Peter das Wissen „dass p“ zugeschrieben. Da die Hauptfigur in diesem Kontext, d.h. Peter passiv bleibt, werden von anderen Personen seine subjektiven mentalen Zustände beschrieben. Darauf richtet sich also in erster Linie unser Augenmerk. Denn wenn Peter weiß, dass p, so kann er z.B. eine Überzeugung „dass p“ haben, oder glauben, dass p. All das wären aber nichts anderes als subjektive mentale Zustände. In diesem Fall können wir deshalb von einem subjektabhängigen Kontextualismus sprechen. In (1) schreiben wir dagegen Peter Wissen „dass p“ zu. In diesem Kontext gelten nun wir als Hauptfiguren, deren Aktivität sich im Zuschreibungsprozess zeigt. Da unsere Aufmerksamkeit sich hier in erster Linie auf die Zuschreibung selbst richtet, und nicht auf den, dem das Wissen zugeschrieben wird, sprechen wir von einem zuschreibungsabhängigen Kontextualismus. Wenn jemand sagt, dass Subjekt S weiß, dass p, dann macht er seine Äußerung immer in einer bestimmten Situation, d.h. in einem bestimmten Kontext. Jetzt wollen wir eine weitere grundlegende Auswirkung dieser Konstellation verdeutlichen. Nehmen wir an, dass Peter in der Welt 1 lebt, wo er ein einfacher Mensch ist, der lediglich die Grundschule abgeschlossen und von Immanuel Kant gehört hat, dieser sei ein großer Philosoph gewesen. Eines Tages bekommt Peter die Frage gestellt, ob

247 Immanuel Kant ein großer Philosoph gewesen sei, und beantwort sie mit einem Ja. Nehmen wir aber jetzt an, dass Peter in der Welt 2 lebt, wo er als gebildeter Mensch gilt, da er sein ganzes Philosophiestudium abgeschlossen hat und so zum Philosophen geworden ist. Es wird ihm einmal die gleiche Frage wie in der Welt 1 gestellt, und er beantwortet sie genauso mit einem Ja. Was ergibt sich daraus für unsere kontextualistische Analyse? Im Hinblick auf diese beiden Welten lässt sich fragen, ob es einen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Ja gibt. Und die Antwort lautet: Das Ja in der Welt 1 hat eine andere Qualität als das Ja in der Welt 2, weil der Kontext, in dem beide Fragen beantwortet wurden, jeweils ein anderer war. In der Welt 1 ist Peter nur ein einfacher Mensch, in der Welt 2 ist er dagegen ein gebildeter Philosoph. Nun können wir sehen, welche Bedeutung der Kontext beim Zuschreiben von Wissen hat. Wenn jemand diese These akzeptiert, dann befürwortet er eine kontextualistische Wissenstheorie (KWT). Aus epistemologischer Sicht wäre es im Rahmen der KWT sinnvoll, den Begriff „Kontextualismus“ im Hinblick auf seine Rechtfertigungsfunktion genauer zu bestimmen. Dazu führen wir folgende Differenzierung durch:

↓ (1) Substantieller K

Kontextualismus (K) ↓ (2) Semantischer K

↓ (3) Pragmatischer K

Wenn der Kontextualismus behauptet, dass die epistemischen Eigenschaften selbst (z.B. die Überzeugung „dass p“ einer Person) vom Kontext abhängen, ist er substantiell (1). Wenn er aber nur besagt, dass die Bedeutung unserer epistemischen Ausdrücke wie z.B. „Wissen“ von ihrem Verwendungskontext abhängt, dann ist er semantisch (2). Der substantielle Kontextualismus kann aber auch zum pragmatischen Kontextualismus (PK) werden, wenn er etwa annimmt, dass der pragmatische Kontext über die Begründungsbedürftigkeit (bzw. –unbedürftigkeit) einer Überzeugung „dass p“ entscheidet. Der PK bringt viele epistemologische Vorteile mit sich: Zum einen ist der PK eine natürliche Position, weil er – aufgrund seiner deskriptiven Angemessenheit unserer tatsächlichen Rechtfertigungspraxis wesentlich besser als andere Positionen entspricht. Es ist eine Tatsache, dass in einer Gruppe unstrittige Annahmen ohne

248 weitere Begründung akzeptiert werden und dass es in jedem Untersuchungskontext Voraussetzungen gibt, die in ihm weder problematisiert werden noch überhaupt problematisiert werden können. Zum anderen erlaubt uns der PK eine Antwort auf skeptische Einwände. Denn wenn man die verschiedenen Kontexte der Untersuchung sauber auseinander hält und nicht davon ausgeht, dass es eine Hierarchie der Untersuchungskontexte gibt, dann kann man dem Skeptiker einerseits zugestehen, dass skeptische Probleme im Kontext der Erkenntnistheorie ernst zu nehmende Probleme sind. Andererseits kann man aber parallel die Reichweite skeptischer Probleme einschränken, indem man daran festhält, dass diese Probleme auch nur im Kontext der Erkenntnistheorie relevant sind und auf andere alltägliche oder wissenschaftliche Kontexte keinen Einfluss haben. Der PK kontextualisiert also das Problem des Skeptizismus und entschärft es, ohne es ganz zu leugnen. Seine Strategie wollen wir jetzt an konkreten Beispielen verfolgen. 82

7.1. Lewis und Cohen Die kontextualistische Wissenstheorie kann als Garant für viele epistemologische Vorteile angesehen werden. Mit diesem allgemeinen Ergebnis haben wir nun den letzten Abschnitt abgeschlossen. Inwiefern dies aber ganz konkret möglich ist und wie dies ganz konkret aussehen kann, wollen wir eben jetzt abwägen, und zwar mit dem Blick auf Lewis und Cohen. David Lewis geht davon aus, dass jede Wissenstheorie zwei grundlegende Prinzipien beachten muss: (1) Wir besitzen Wissen, daher ist die These des Skeptikers (=Wir haben kein Wissen) falsch; und (2) Die These des Fallibilismus (=Jede unserer Überzeugungen kann falsch sein) muss ausgeschlossen werden. Wenn man also diese beiden Prinzipien in gleicher Weise beachtet, gerät man in folgende problematische Lage: Wir müssen entweder einräumen, dass die These des Skeptikers richtig ist, oder wir müssen annehmen, dass wir doch Wissen haben können, wenn sich die 83

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 327f. Diese beiden Philosophen gehören zu den bekanntesten Vertretern des Kontextualismus. 82 83

249 These des Fallibilismus auch nicht vollständig ausschließen lässt. Wie kommen wir aus dieser Situation heraus? Nach Lewis ist vorab anzunehmen, dass Allaussagen sich nicht wirklich auf alle entsprechenden Objekte beziehen, sondern nur auf alle Objekte in einer bestimmten Untergruppe. Beispiel: Wenn jemand in einem Autosalon in München sagt „Alle blauen Audi-Autos sind mit einem Dieselmotor ausgestattet“, dann bezieht er sich nicht auf alle blauen Audi-Autos der Welt. Es ergibt sich vielmehr aus dem Kontext der Äußerung, dass er sich nur auf alle blauen Audi-Autos in diesem Salon in München bezieht. Wie können wir aber dies nachprüfen? Wie lässt sich der Bezugsraum dieser Äußerung bestimmen? Es wäre auch durchaus denkbar, dass wenn jemand in einem Autosalon in München sagt: „Alle blauen Audi-Autos sind mit einem Dieselmotor ausgestattet“, er sich mit seiner Äußerung auf zwei Autosalons in München bezieht, oder auf einen Autosalon in München und auf einen in Berlin. Die Folge davon ist, dass einerseits der Fallibilismus, bzw. manche Fehlermöglichkeiten, sich doch nicht absolut ausschließen lassen. Andererseits lässt sich aber der Fallibilismus mit Wissen nicht vereinbaren. Was kann man also in diesem Fall machen? Diese Fehlermöglichkeiten müssen legitimerweise ignoriert werden. Das bedeutet, dass ein schwacher Fallibilismus doch zugelassen werden muss. Und Lewis formuliert dazu folgende Regel (R): *Die R der Wirklichkeit (RW): Es ist niemals legitim, die Wirklichkeit zu ignorieren. *Die R der Überzeugung (RÜ): Alles, wovon das Subjekt S überzeugt ist, darf nicht ignoriert werden. *Die R der Ähnlichkeit (RÄ): Alternativen, die einer Alternative, die nicht ignoriert werden darf, ähnlich sind, dürfen nicht ignoriert werden. *Die R der Aufmerksamkeit (RA): Alternativen, auf die der Wissenszuschreiber aufmerksam geworden ist, dürfen nicht ignoriert werden. Erläutern wir nun diese Regeln: Die RW garantiert, dass man auch nach der Wissensanalyse von Lewis niemals wissen kann, was nicht wirklich existiert, d.h. was nicht der Fall ist. Man kann nicht wissen, dass p, wenn in Wirklichkeit non-p der Fall ist. Diese Regel besagt also, wir dürfen nicht

250 ignorieren, dass non-p, wenn es tatsächlich der Fall ist, dass non-p. Da das Subjekt in diesem Fall über keine Evidenzen verfügen kann, die non-p ausschließen, kann es auch nicht wissen, dass p. Lewis verzichtet hier also auf die zweite Wissensbedingung (=Rechtfertigung). Diese Bedingung wird aber durch die RÜ geleistet. Damit wird klar gemacht, dass die irrationalen Überzeugungen eines Subjekts niemals Wissen konstituieren. Eine besondere Bedeutung kommt jedoch der RÄ zu, die das GettierProblem zu lösen hat. In den Gettier-Fällen gibt es immer eine Alternative, die der Wirklichkeit ähnlich ist, bei der es aber nicht der Fall ist, dass p, und die durch die Evidenzen des Subjekts nicht ausgeräumt werden kann. Die RÄ fordert, dass diese Alternativen nicht ignoriert werden. Deshalb führt diese Regel dazu, dass dem Subjekt in einer Gettier-Situation kein Wissen zugeschrieben werden kann. Durch die RA wird schließlich die Theorie von Lewis zu einer im engeren Sinn kontextualistischen Theorie. Diese Regel besagt, dass die Alternativen, auf die der Zuschreiber aufmerksam geworden ist, nicht ignoriert werden dürfen. Die Wahrheit des Satzes „Subjekt S weiß, dass p“ kann damit variieren, je nachdem, in welchem Kontext er geäußert wird. Eine andere Möglichkeit, den Wissensbegriff im Rahmen des Kontextualismus zu analysieren, schlägt Stewart Cohen vor, indem er die Indexikalität ins Spiel bringt. Cohen vergleicht also die Kontextabhängigkeit von Wissen mit den indexikalischen Ausdrücken wie „hier“, „jetzt“ usf. Aus allgemeiner Sicht scheint dieser Weg vielversprechend zu sein. Denn die indexikalischen Ausdrücke sind es, die das Gestalten jeweiliger Kontexte entscheidend beeinflussen. Es ist eine klare Sache, dass z.B. die Wahrheit des Satzes „Subjekt S weiß, dass dieses Messer gut ist“ vom Kontext abhängt, in dem er geäußert wird. Die Bestimmung des Kontextes vollzieht sich aber im entscheidenden Maß mit Hilfe von indexikalischen Ausdrücken. Dieses Messer, das eine bestimmte Größe und Form aufweist, ist gut stets in einer bestimmten Situation, d.h. etwa heute in der Küche, wo Klara gemischten Salat zubereitet, weil sie ein paar Freundinnen zum Abendessen eingeladen hat. Für sehr präzise 84

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Vgl. Lewis, D. (1996), 549f. Vgl. auch Ernst, G. (2007), 125f. Cohen, S. (1987), 3f.

251 Eingriffe in einer chirurgischen Praxis würde sich aber dieses Messer als untauglich erweisen. Andere epistemologische Ansätze laufen darauf hinaus, den Wissensbegriff im Hinblick auf den zu erfüllenden Zweck zu erklären. Wenn ich etwas wissen möchte, dann verbinde ich damit einen Zweck, der mit der Frage „Wozu möchte ich etwas wissen?“ auf den Punkt gebracht werden kann. Ein Physikstudent möchte z.B. wissen, wie das Gravitationsgesetz funktioniert, nicht nur deshalb, weil die Prüfung bevorsteht, sondern weil er auch die Welt besser verstehen will. Hier liegt also der Zweck des Wissens des Studenten begründet. Durch die Bestimmung der Zwecke, welche wir mit der Verwendung eines Wortes „Wissen“ verbinden, können wir die Bedeutung dieses Wortes genauer erklären. Auf einen zweckbezogenen, praktischen Charakter des Wissensbegriffs weist unter anderem Wittgenstein hin, wenn er schreibt: 86

„Die Grammatik des Wortes „wissen“ ist offenbar eng verwandt der Grammatik der Worte „können“, „imstande sein“. Aber auch eng verwandt der des Wortes „verstehen“, „eine Technik beherrschen“. „Ein Wort verstehen“, ein Zustand. Aber ein seelischer Zustand? [...] Schmerzen [...]. Wir sagen [...] „Er hatte seit gestern ununterbrochen Schmerzen“ [...] Wann haben deine Schmerzen nachgelassen? [...] Wann kannst du Schach spielen? Immer? [...] Nun gibt es auch diese Verwendung des Wortes „wissen“: wir sagen „Jetzt weiß ich´s!“ – und ebenso „Jetzt kann ich´s!“ und „Jetzt versteh ich´s!“ (PU §§150-151). 87

Trotz des praktischen Charakters des Wissensbegriffs wird im obigen Zitat auch die logisch-grammatikalische Disziplin gefordert. 7.2. Das Prinzip der Geschlossenheit des Wissens Eine der wichtigsten Konsequenzen der Verwendung des Kontextualismus in der Epistemologie ist nicht nur die Hervorhebung der praktischen Dimension des Wissensbegriffs, sondern auch das Aufrechterhalten des Prinzips der Geschlossenheit des Wissens (PGW). Natürlich sehen wir hier von den idealen Fällen ab, wo Wissen um des Wissens willen angestrebt wird. In diese Richtung geht auch die so genannte „Philosophie der Normalsprache“ und „Ordinary language philosophy“ (vgl. etwa John L. Austin, Gilbert Ryle). 86

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252 Die Epistemologie macht von dem PGW häufig Gebrauch. Bereits ein simples Beispiel hebt die Relevanz dieses Prinzips hervor: „Wenn ich weiß, dass alle Menschen sterblich sind, und weiß, dass daraus logisch folgt, dass jeder einzelne Mensch sterblich ist, dann weiß ich auch, dass Sokrates sterblich ist“. Beim PGW handelt es sich also um deduktive Schlüsse. Dass dadurch Wissen gewonnen wird, muss nicht eigens betont werden. Darauf stützt sich das ganze axiomatische System, das Terme, Ausdrücke, Gesetze, Definitionsregeln für Terme, Bildungsregeln für die Ausdrücke sowie Deduktionsregeln umfasst. Zum großen Teil ist hier auch der apriorische Bereich fundiert, der für den Wissenserwerb bedeutsam ist. Für die epistemologische Wissensanalyse ist indes die logische Differenzierung zwischen regressiver und progressiver Deduktion behilflich: Während die erstere von den Theoremen ausgeht und sie auf die Axiome zurückführt, geht die letztere hingegen von den Axiomen aus und schreitet ableitend zu den Theoremen fort. Wenn wir den Wissensbegriff deduktiv auffassen, allerdings so dass auch die Gründe für die Prämissen an die Konklusionen transferiert werden, dann ergibt sich folgende Definition: 88

„Wenn ein Subjekt S Wissen von verschiedenen Propositionen hat und glaubt, dass q, weil S weiß, dass q durch diese Propositionen logisch und begrifflich impliziert wird, dann weiß S, dass q, und zwar aufgrund derselben Gründe, aufgrund derer S die verschiedenen Propositionen weiß, die q implizieren“. Wenn die Gründe in die Auffassung des PGW miteinbezogen werden, können wir - anstatt vom PGW – auch vom Transferprinzip wissensgenerierender Gründe (TPWG) sprechen. Obwohl die allgemeine epistemologische Leistung des PGW außer Frage steht – diese These wird

Vgl. Bochenski, J.M (1993), 84f. Die regressive Deduktion hat also den Charakter eines Beweises (der vorab formulierten Konklusion), die progressive Deduktion ist dagegen Ableitung im engeren Sinne. Es sei noch Folgendes erläutert: Theoreme sind abgeleitete Gesetze, Axiome sind nicht abgeleitete Gesetze.

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253 von den meisten gegenwärtigen Denkern geteilt - gibt es auch Philosophen, die bereit sind, das PGW völlig aufzugeben (bzw. einzuschränken), um die Gefahr des Skeptizismus zu vermeiden. Klassische Einwände gegen das PGW kommen unter anderem von Dretske. Er bringt zwei folgende Beispiele vor: 89

(1) „Ein Zoobesucher weiß aufgrund des Aussehens der Tiere vor ihm und aufgrund der Hinweistafel am Gehwege, dass es sich bei den Tieren vor ihm um Zebras handelt. Wenn etwas ein Zebra ist, dann impliziert das begrifflich, dass es kein geschickt verkleideter Maulesel ist. Also müsste der Zoobesucher auch allein aufgrund dessen, was er sieht, wissen, dass es sich bei den Tieren nicht um geschickt verkleidete Maulesel handelt, wenn das Transferprinzip richtig wäre. Aber das kann er so nicht wissen, weil doch geschickt verkleidete Maulesel genauso aussehen wie Zebras“. 90

(2) „Ich weiß aufgrund dessen, was ich sehe, dass Kekse auf dem Teller vor mir liegen. Selbstverständlich weiß ich auch, dass wenn Kekse auf meinem Teller liegen, dies begrifflich impliziert, dass es eine materielle Welt gibt. Wenn das Transferprinzip gelten würde, dann müsste ich allein aufgrund meiner visuellen Wahrnehmung der Kekse wissen, dass es eine materielle Welt gibt. Aber ich kann nicht allein aufgrund meiner Wahrnehmung der Kekse den Idealismus widerlegen“. 91

In diesen beiden Beispielen ist also die Konklusion eine schwergewichtige Implikation von etwas, das ich weiß, und solche schwergewichtigen Implikationen kann ich aufgrund der Gründe, auf die sich mein alltägliches Wissen stützt, nicht wissen. Ich kann es deshalb nicht wissen, weil die Gründe Wahrnehmungen sind. Die Wahrnehmung selbst ist jedoch nicht unter logischer Implikation geschlossen. Ich sehe nicht alle Implikationen von etwas, was ich sehe. Das wird anhand der schergewichtigen Implikationen deutlich. Wenn ich ein Zebra sehe, dann sehe ich nicht, dass es kein geschickt verkleideter Maultier ist, denn ich würde genau das gleiche wahrnehmen, wenn ich ein so getarntes Tier vor mir hätte. Als Zebra verkleidete Maultiere sehen genau wie Zebras aus. Wenn ich sehe,

Für das Aufrechterhalten des PGW plädieren etwa Michael Williams (1996), Keith DeRose (1995), Laurence BonJour (1987), dagegen sind unter anderem Fred Dretske (1970) und (2005) und Robert Nozick (1981). Dretske, F. (1970). Dretske, F. (2005), 14.

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254 dass Kekse auf meinem Teller liegen, dann sehe ich nicht, dass eine materielle Außenwelt existiert. Das gehört einfach nicht zum Inhalt meiner Wahrnehmung. Die schwergewichtigen Implikationen dessen, was ich sehe, kann ich also nicht sehen. Und deshalb kann ich von ihnen auch aufgrund meiner Wahrnehmung allein kein Wissen haben. Folglich ist das TPWG falsch, so Dretske. Die Frage ist allerdings, inwieweit wir Dretske zustimmen können. Um aus dieser Deutung ein gültiges Argument zu machen, braucht Dretske die Zusatzannahme, dass Wissen Überzeugung aufgrund zwingender Gründe ist. Sobald diese Annahme hinzukommt, können wir nicht allein aufgrund unserer Wahrnehmung von schwergewichtigen Implikationen wissen. Diese sind genau so konstruiert, dass die Wahrnehmung nicht zwischen der Wahrheit und der Falschheit dieser Implikation unterscheiden kann. Hätten wir als Zebras verkleidete Maulesel vor uns, dann würden wir das gleiche wahrnehmen, als wenn wir echte Zebras vor uns haben. Sobald man aber Dretskes Konzeption des Wissens aufgibt und zulässt, dass es Wissen auch dann gibt, wenn wir sichere Gründe für unsere Überzeugung haben (d.h. Gründe, die in nahen Welten nicht in die Irre führen), dann kann man sehr wohl behaupten, dass unsere Wahrnehmung gewöhnlicher Tatsachen Wissen von ihren schwergewichtigen Implikationen ermöglicht. Wenn verkleidete Maulesel in keiner nahen möglichen Welt auftreten, dann ist unsere Wahrnehmung der Zebras ein sicherer Grund für unsere Überzeugung, dass es sich nicht um verkleidete Maulesel handelt, auch wenn das nicht zum Inhalt der Wahrnehmung selbst gehört. Dretskes Argument gegen das TPWG hängt also notwendig von seiner eigenen Wissenskonzeption ab, die aber auch Schwachstellen aufweist. Diese erscheinen vor allem dann, wenn der Wissensbegriff in einer intersubjektiven Debatte erörtert wird. Der Blick auf den sozialen Aspekt des Wissens scheint dabei unabdingbar zu sein. 92

8. Sozialer Aspekt des Wissens Epistemologische Reflexion aus sozialer Sicht anzustreben schien in der klassischen philosophischen Tradition ungewöhnlich. Diese soziale 92

Vgl. Dretske, F. (2005), 14f. Vgl. auch Grundmann, Th. (2008), 172f.

255 Tendenz konnte wohl deshalb auch keine Fundierung auf dem Epistemologiegebiet finden, was Goldman mit Recht bemerkt, wenn er schreibt: „Epistemology has had a strongly individualist orientation, at least since Descartes. Knowledge, for Descartes, starts with the fact of one´s own thinking and with oneself as subject of that thinking. Whatever also can be known, it must be known by inference from one´s own mental contents. Achieving such knowledge is an individual, rather than a collective, enterprise.” 93

Dessen ungeachtet ist es nach Goldman erforderlich, im Rahmen epistemologischer Reflexion auch über eine soziale Epistemologie zu sprechen. Wenn es aber eine soziale Epistemologie geben sollte, dann wäre auch die Annahme erlaubt, es gebe einen sozialen Aspekt von Wissen. Es ist nicht einmal schwierig, einige plausible Faktoren herauszufinden, welche dafür sprechen. Es wird sich ferner zeigen, dass diese Faktoren in der philosophischen Tradition schon immer vorhanden waren. Der soziale Aspekt des Wissens offenbart sich zuerst durch den Konstituierungs-Faktor. Denn wir Menschen werden mit Wissen nicht geboren, sondern lediglich mit genetisch bestimmten Naturanlagen, welche uns erst ermöglichen, die für den Erwerb von Wissen erforderlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Wissen muss also stets neu erworben werden. In dem Kontext können wir auch von einem Konstituierungsprozess des Wissens sprechen, so ähnlich wie Philosophen vom Konstituierungsprozess des Bewusstseins sprechen. Wissen konstituiert sich aber im Prozess der Kommunikation mit den anderen und mit sich selbst. Diesbezüglich gibt es diverse Möglichkeiten, die jeweils für das epistemologische Resultat mitverantwortlich sind. So kommunizieren z.B. Eltern mit ihren Kindern, wodurch diese das notwendige Wissen erlernen, mit alltäglichen Dingen vertrauensvoll und effizient umzugehen. Lehrer kommunizieren mit ihren Schülern, was dazu führt, dass die Schüler mit dem entsprechenden Bildungsmaterial vertraut gemacht werden. Auch in der Arbeitswelt konstituiert sich jeweils sachliches Wissen im 94

Goldman, A. (2009), 1. Das ist vor allem auf dem Gebiet der Phänomenologie von Bedeutung, vgl. z.B. bei Husserl. 93 94

256 kommunikativen Verfahren. Die Folge davon ist, dass die Verwirklichung bestimmter interner Ziele durch verschiedene Firmen mit einem Erfolg gekrönt werden kann. Nicht zu übersehen ist auch der kommunikative Dialog der Subjekte mit sich selbst, den wir vorwiegend als Nachdenken oder Überlegen zu bezeichnen gewohnt sind. Mit den kommunikativen Problemen befasst sich eine spezielle Disziplin, die sogenannte Kommunikationstheorie. Sie wird etwa bei Habermas mit dem Begriff des Handelns verknüpft. Dabei unterscheidet Habermas zwischen dem kommunikativen Handeln als dem sozialen Prozess und dem instrumentellen Handeln. Damit wird schon implizit signalisiert, dass das sich im Kommunikationsprozess offenbarende Wissen auf menschliche Handlungen einwirkt, welche aber ständig einen sozialen Aspekt aufweisen. So können wir auch von einem Einwirkungs-Faktor sprechen, der die soziale Dimension des Wissensbegriffs fördert. Das menschliche Handeln vermittelt daher in sich eine Dualität aus Idee (Begriff), die mit dem Wissensfaktor aufs engste verbunden ist, und etwas Vorhandenem. Das Handeln kann man nicht instrumentell beschreiben, weil es kein bewusstloses Handeln gibt. Zwar spielen im Handeln auch unbewusste Muster und Verhaltensweisen eine Rolle, die formal dem Verhalten von Naturgegenständen gleichen. Doch dieses Verhalten ist nur ein Moment im Handlungsprozess. Das durch das Wissen geleitete Handeln stellt zudem einen sozialen Prozess deshalb dar, weil das Produkt des Tuns in vielerlei Weise auf andere zielt. Dies kann auch negative Züge aufweisen, wenn das Wissen einer Täuschung unterliegt. So können wir durchaus behaupten: Wenn das Subjekt S das Wissen „dass p“ besitzt, wobei „dass nicht-p“ der Fall ist, dann wurde S im Hinblick auf sein Wissen „dass p“ getäuscht. Der soziale Aspekt des Wissens wird nun auch aufgrund des TäuschungsFaktors sichtbar. Dieser Faktor kann sich allerdings auf das Wissen positiv auswirken. Wenn dies tatsächlich so ist, dann wird der Raum für Neues 95

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Vgl. Habermas, J. (1981), 452. Vgl. dazu auch Rynkiewicz, K. (2010), 4 (Kap. IV) der Verfasser betrachtet die Kommunikationstheorie im Zusammenhang mit dem Problem der Kybernetik. Vgl. Brodbeck, K.H. (2002), 60f. 95

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257 geschaffen, d.h. altes Wissen wird durch neues Wissen ersetzt. Die epistemologische Bewegung des Geistes kennt diesbezüglich viele Beispiele: Eines der bekanntesten Beispiele ist wohl der Übergang von der geozentrischen Weltanschauung zur heliozentrischen. Auf den Begriff der Täuschung beim Wissenserwerb hat schon Platon hingewiesen, als er zwischen Idee und Meinung unterschieden hat. Die Täuschung ist nach ihm die Abweichung von der reinen Idee. In seiner anti-platonischen Einstellung behauptete dagegen Nietzsche, dass das Wissen der Ort der Täuschung sei. Diese Täuschung verstand er aber als eine funktionelle Entität, weil das Wissen eine Funktion für das Leben, für die Erhaltung des Lebens erfüllt. Wir wissen gerade so viel, als es im Interesse der Gattung nützlich sein mag. In die gleiche funktionsabhängige Richtung geht der spätere Wittgenstein, wenn er von Sprachspiel redet. Obwohl dieser Begriff unbestimmt und darum vielfach kreativ verwendbar bleibt, weist er schon auf den Gebrauch der Sprache hin, die als Träger von Wissen anzusehen ist. So können wir vom Gebrauchs-Faktor sprechen, der den sozialen Aspekt des Wissens mittels der Sprache gestaltet. Wittgenstein hat die soziale Einbettung des Begriffsnetzes erkannt. Was für eine fremde Sprache gilt, gilt auch für jede Sprache: Die gemeinsame menschliche Handlungsweise stellt das Bezugssystem dar, das uns hilft, eine fremde Sprache zu deuten. Den Ausweg aus dem Netz der Begriffe kann man nicht finden, wenn man im Zirkel des Wissens nur sprechend herumgeht. Auf die Frage „Was ist allen diesen [Spielen] gemeinsam?“ antwortet Wittgenstein: „Sag nicht: Es muss ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht Spiele, sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist.“ Nicht nur das sich dem menschlichen Handeln verdankende Bezugssystem trägt zur Vermittlung von Wissen dank der Sprache bei, sondern auch die Welt selbst, in der sich das Leben von Subjekten abspielt, ist dabei entscheidend. Husserl bezeichnet diese Welt als Lebenswelt, und wir wollen deshalb hier vom Lebenswelt-Faktor sprechen. Die Welt ist zunächst vorwissenschaftlich in der alltäglichen sinnlichen Erfahrung auf 97

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Vgl. Platon, Politeia 509d f. Vgl. Nietzsche, F. Werke, Bd. II, 222. Vgl. Wittgenstein, L., PU §§66 f.

258 subjektive und relative Weise gegeben. Jeder von uns hat seine Erscheinungen, und jedem gelten sie als das wirklich Seiende. Dieser Diskrepanz unserer Seinsgeltungen sind wir im Verkehr miteinander längst inne geworden. Wir meinen aber darum nicht, es seien viele Welten, sondern wir glauben notwendig an die Welt mit denselben Dingen, welche uns nur verschieden erscheinen. Diese Welt, in der sich das Geheimnis der Natur enthüllt, kann man fortan mathematisieren, sagt Husserl und verweist auf die Leistungen eines Galileis. 100

9. Vermittlung des Wissens: Funktion der Sprache Dass Wissen stets mit einer Art Dynamik zu tun hat, muss nicht eigens betont werden. So wird das Wissen zunächst auf verschiedene Art und Weise erworben: zuhause, im Kindergarten, in der Schule, an einer Universität usf. Die dem Wissen eigene Dynamik lässt sich z.B. mit dem Blick auf das Gewicht eines Menschen gleichsam erläutern. Denn das Wissen kann wie das Gewicht zunehmen, abnehmen oder gleich bleiben. Wir freuen uns, sobald wir etwas Neues gelernt haben, d.h. wenn unsere Wissensbestände sich vergrößert haben. Dagegen sind wir traurig, wenn wir etwas vergessen oder verlernt haben. Während das Erstere in erster Linie den schulischen und universitären Bereich betrifft – man denke etwa an die Anspannung bei den Schülern oder Studenten vor dem Ablegen einer Prüfung, zeigt sich das Letztere hingegen im alltäglichen Leben schlechthin, weil jeder Mensch etwas verlernen kann, wenn er es seit langem nicht mehr geübt hat. Zahlreiche Beispiele finden wir sowohl auf dem Gebiet der Psychologie als auch auf dem der Physiologie: Man kann etwa eine Tugend verlieren sowie die Fähigkeit, ein bestimmtes Musikstück von Mozart zu spielen u.ä. Der dynamische Unterschied zum Gewicht wird aber deutlich, wenn wir über das Gleichbleiben nachdenken. Im Fall des Gewichts sind die meisten Menschen froh, wenn sie es stabil halten können, d.h. wenn sie z.B. nicht dicker werden. Im Fall des Wissens 101

Vgl. Husserl, E., Die Krisis, §9. Natürlich sind beide Gebiete, wenn es um das Erwerben oder um das Verlernen von etwas geht, aufs engste verbunden.

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259 würde die Stabilität hingegen eine Gefahr darstellen, weil die Natur des Wissens keine Stagnation zulässt. Der dynamische Faktor ist also bei der Vermittlung des Wissens entscheidend. Und die Vermittlung hängt mit dem kommunikativen Charakter des Wissens insofern zusammen, als sie als Folge intersubjektiver Kommunikation anzusehen ist. Nur dann, wenn menschliche Subjekte miteinander kommunizieren, wird das Wissen vermittelt. Dabei ist es durchaus möglich, dass nicht alle Subjekte gleich aktiv sein müssen, einige Subjekte können einfach als Zuhörer an einem Diskurs teilnehmen. Von dieser kommunikativen Regelung, die sich auf den Vermittlungsprozess auswirkt, sind alle Bereiche menschlichen Lebens betroffen, in welchen Kommunikation als entscheidender Faktor beim Gestalten gesellschaftlicher Prozesse angesehen wird. Das sich im Wissen offenbarende dynamische Potenzial führt dazu, dass sich das Wissen in seiner Vermittlungsrolle als Träger von bestimmten Inhalten zu erkennen gibt. Auf die Möglichkeit der Vermittlung des Wissens, bzw. durch das Wissen sind nicht nur sämtliche Belange alltäglicher menschlicher Existenz angewiesen, sondern auch jedweder Fortschritt in der Wissenschaft, somit in der Epistemologie. Bei der Vermittlung des Wissens kommt der Sprache eine besondere Funktion zu. Deshalb können wir die These aufstellen: „Das Wissen wird mittels der Sprache vermittelt“. Aristoteles formuliert das Ziel der sprachlichen Aktivität folgendermaßen: „Die Stimme ist das Zeichen für Schmerz und Lust und darum auch den anderen Sinneswesen verliehen [...]. Das Wort oder die Sprache ist dafür da, das Nützliche und das Schädliche und so denn auch das Gerechte und das Ungerechte anzuzeigen. Denn das ist den Menschen vor den anderen Lebewesen eigen, dass sie Sinn haben für Gut und Böse, für Gerecht und Ungerecht und was dem ähnlich ist“. 102

Aristoteles betrachtet also hier die Funktion der Sprache in einem praxisbezogenen Kontext. In diesem Kontext spielt aber auch Wissen eine entscheidende Rolle. Denn um zwischen dem Nützlichen und dem Schädlichen unterscheiden zu können, muss man vorab wissen, was nützlich und schädlich ist. Das Gleiche gilt für die Bestimmung, was 102

Aristoteles, Politik I, 2 1253a.

260 gerecht oder ungerecht ist. Die These von der Sprache als Vermittler von Wissen war in der philosophischen Tradition schon immer vorhanden. Als die Griechen den Menschen das „zóon lógon échon“ nannten, meinten sie damit das Lebewesen, welches das Wort hat, wobei „lógos“ Wort wie Geist heißen kann. Dank dem Wort als der sprachlichen Entität offenbart sich das Wissen in größeren Satzzusammenhängen. Die Wörter der Sprache benennen Gegenstände; Sätze sind Verbindungen von solchen Benennungen, schreibt Wittgenstein in seinen „Philosophischen Untersuchungen“. Der Mensch benennt also Dinge, die er in der Welt erkennend vorfindet, er kann über sie reden, sich in der Rede auf sie beziehen. Tiere sprechen nicht, weil ihnen die geistigen Fähigkeiten fehlen (vgl. PU §§1, 25f). Als Vermittler des Wissens kann die Sprache in einigen Fällen sogar zu einer lebensrettenden Maßnahme werden. Deutlich zeigte dies etwa der Fall von den Bergleuten in Chile, die vom August bis Oktober 2010 tief (d.h. 600 Meter) unter der Erde verschüttet waren, bis sie durch den Einsatz spezieller Bohrtechnik endlich gerettet werden konnten. Signal für die Vorbereitung und Durchführung des aufwendigen Rettungsprozesses war nicht zuletzt das Wissen, dass die verschütteten Bergleute noch am Leben sind. Und dieses Wissen erlangte das Rettungsteam eben dank der Sprache, in der die gefährdeten Bergleute, als sie von der speziellen Aufspürsonde entdeckt worden waren, ihre Lebenssignale artikuliert haben. Darüber hinaus ermöglicht der Einsatz der Sprache die Vertiefung des Wissens durch Fragen. Wenn mir etwas unklar ist, so kann ich immer nachfragen, um das verstehend zu erlangen, was dem Interesse meiner Vernunft dient. Dies ist für das reibungslose Funktionieren gesellschaftlicher, erzieherischer, didaktischer und wissenschaftlicher Systeme bedeutsam. Daher schreibt Heidegger mit Recht: 103

„Wir sprechen nicht nur die Sprache, wir sprechen aus ihr. Dies vermögen wir einzig dadurch, dass wir je schon auf die Sprache gehört haben“. 104

Mit diesem Gedanken macht uns Heidegger auf eine Reihe von Relationen aufmerksam, welche in dem Faktum des In-der-Welt-Seins fundiert sind. Versuchen wir dies skizzenhaft darzustellen: 103 104

Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 130. Heidegger, M. (1990), 254.

261 Ich Ù

Sprache als Träger des Wissens Das In-der-Welt-Sein

Ù

Du/Wir

Sowohl das Ich als auch das Du (bzw. Wir) als auch die Sprache als Träger des Wissens gehören zur Welt, die jedoch für die menschlichen Subjekte allein durch das Faktum des In-der-Welt-Seins erfahrbar ist. Dieses Faktum stellt also die Grundlage dar, auf der sich verschiedene Relationen gestalten können: Das Ich steht z.B. in einer Relation nicht nur zu dem Du, sondern auch zu dem Wir, wobei dieses Wir sich mehrfach aufspalten kann, je nachdem, wie die gesellschaftlichen Strukturen aussehen. Alle Kommunikation im Bereich der bestehenden Relationen wird durch die Sprache gesichert, die als Träger des Wissens anzusehen ist. Die durch die Sprache gesicherte Kommunikation offenbart sich meist in den Äußerungen, die einen Handlungscharakter aufweisen, und die wir z.B. mit Austin in lokutionäre, illokutionäre und perlokutionäre Akte differenzieren können. Die Exaktheit der Analyse dieser Akte, durch die das umfangreiche, also sowohl das theoretische als auch praktische Wissen vermittelt wird, erfordert eine zielgerichtete Methodik. Dann wird erst deutlich, wie wir mit dem Wissen methodisch tatsächlich umgehen, und ob wir zum Erkennen gelangen. 105

10. Kritischer Ausblick Gibt es sicheres Wissen? Wenn ja, wie kann man es dann definieren? Jeder Versuch einer Definition lässt sich als Umgang mit Wissen darstellen, und zwar unabhängig davon, was im Endeffekt herauskommt. Eine absolut plausible Antwort auf diese Frage ist bei den menschlichen Erkenntnissubjekten weder zu gewinnen noch zu erhoffen. Das gilt sowohl für die ganzen Ansätze als auch für deren einzelne Partikel. Auch die epistemologische Bewegung der siebziger Jahre, welche hauptsächlich den Gettier-Fällen zu verdanken ist, kann nicht als zufriedenstellend angesehen Vgl. Austin, J.L. (1979), 27f. Diese Akte sind wie folgt zu verstehen: (1) lokutionärer Akt – wenn ich etwas schlechthin sage; (2) illokutionärer Akt – wenn ich z.B. eine Frage stelle, etwas behaupte usf.; und (3) perlokutionärer Akt – wenn meine Äußerung etwas in der Welt bewirkt. Dazu vgl. auch Rynkiewicz, K. (2010), 48f.

105

262 werden. Diese skeptische Konstellation, die die meisten gegenwärtigen epistemologischen Standpunkte zu beherrschen scheint, gilt offenbar nicht nur für die philosophischen Fragestellungen, sondern auch für die naturwissenschaftlichen. Dabei wird allerdings oft gern übersehen, dass eine Art Dynamik stets im Spiel ist, welche m.E. als Komponente anzusehen ist, die wir dem Wissen keinesfalls absprechen dürfen. Auch dann, wenn sich der Gewissheitsgrad von Wissen in Frage stellen lässt, können wir nicht das Gleiche über die Dynamik von Wissen sagen. Diese Dynamik ist immer vorhanden, und ihre Qualität entscheidet darüber, inwiefern der skeptische Faktor zugelassen wird. Diesen Prozess wollen wir jetzt kurz anhand der wissenschaftlichen Tätigkeit des berühmten theoretischen Astrophysikers Stephen William Hawking verdeutlichen . In den 1960er Jahren formulierte Hawking gemeinsam mit Roger Penrose den Beweis der notwendigen Existenz von Singularitäten in der allgemeinen Relativitätstheorie unter sehr allgemeinen Voraussetzungen. 1974 entwickelte er das Konzept der „Hawking-Strahlung“, nach dem schwarze Löcher in der Quantenfeldtheorie (je nach der Masse des schwarzen Lochs mehr oder weniger) zerstrahlen: Im Vakuum werden ständig Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugt und es gibt eine effektive Strahlung, wenn eines dieser Teilchen im schwarzen Loch verschwindet, das andere aber entkommt. In den 1980er Jahren entwickelte Hawking mit Jim Hartle einen Zugang zur Quantengravitation und deren Kosmologie über eine euklidische Pfad(=Raum-Zeit)-Integralformulierung. Beide Forscher schlugen dann vor, in den Pfadintegralen nur geschlossene Raumzeiten ohne dreidimensionale Ränder zu berücksichtigen (d.h. kompakte euklidische Metriken), da diese die dominanten Beiträge liefern 106

S.W. Hawking (geb. 1942) gilt als einer der bedeutendsten Astrophysiker der Gegenwart. Sein wissenschaftlicher Erfolg verdient nicht zuletzt auch dadurch viel Respekt, dass Hawking zumindest seit dem Jahr 1963 von einer degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems (Amyotrophe Lateralsklerose) betroffen und seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Durch einen Luftröhrenschnitt verlor er 1985 die Fähigkeit zu sprechen und ist für die verbale Kommunikation auf die Benutzung eines Sprachcomputers angewiesen, den er zunächst mit seinem rechten Wangenmuskel steuerte. Mittlerweile wird die Bewegung seiner Augen zur Steuerung benutzt (vgl. Artikel: „Stephen Hawking“, 1, in: www.wikipedia.de, Zugriff am 12.01.2012, S. 1). 106

263 würden. Sie nannten dies ihren „no boundary proposal“ (=ohne Rand) und sahen darin eine natürliche Formulierung für Probleme der Quantenkosmologie. Die allgemeine These lautet: „Die Randbedingung des Universums besteht darin, dass es keinen Rand hat“. 1981 nahm Hawking an einer Kosmologietagung im Vatikan teil und stellte sein Konzept vor, dem nach das Universum keine Grenzen habe. Im September 2010 äußerte Hawking erstmals eindeutig, dass für die Entstehung des Universums kein Gott notwendig gewesen war. Folgende Zitate bezeugen nun diese Behauptungen : 107

(1) „Wenn das Universum einen Anfang hatte, können wir von der Annahme ausgehen, dass es durch einen Schöpfer geschaffen worden sei. Doch wenn das Universum wirklich völlig in sich selbst abgeschlossen ist, wenn es wirklich keine Grenze und keinen Rand hat, dann hätte es auch weder einen Anfang noch ein Ende; es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?“ (2) Weil es Gesetz wie das der Schwerkraft gibt, kann und wird sich ein Universum selber aus dem Nichts erschaffen. […] Spontane Schöpfung ist der Grund, warum es statt dem Nichts doch etwas gibt, warum das Universum existiert.“

Hawking wagt also zweifelsohne kühne Thesen in den beiden obigen Zitaten. Diese Thesen könnte man als Resultat der dynamischen Entwicklung der wissenschaftlichen Position des Forschers betrachten. Die Frage bleibt allerdings bestehen, ob dies schon als Wissen gelten kann, das zukünftig, etwa in 50 Jahren, nicht mehr korrigierbar sein wird. Angesichts der in diesem Kapitel erlangten Resultate, die den Begriff des Wissens charakterisieren, müssen wir leider feststellen, dass es kaum möglich ist, diese Frage positiv zu beantworten. Denn sonst müssten wir notwendig das Wissensphänomen seiner Dynamik berauben, die jedoch zu seiner Natur gehört, selbst wenn über deren strukturelle Elemente heute noch keine Übereinstimmung herrscht. Eine epistemologisch denkbare Alternative, allerdings nur auf rein experimenteller Grundlage, wäre m.E. die Behauptung, dass Hawking zugleich auch imstande sein müsse, die eventuelle Wirkung Gottes als solche absolut auszuschließen. Das kann er Vgl. Artikel: „Stephen Hawking“, 2f, in: www.wikipedia.de (Zugriff am 12.01.2112). Zitate stammen aus folgenden Werken von Hawking: (1) Colonize Space or Die. But How?; (2) Kein Gott nötig für das Universum. 107

264 aber nicht. Das übersteigt seine auch nur menschlichen Möglichkeiten. Als Menschen können wir lediglich versuchen, über die Form dieser Wirkung sprachlich zu diskutieren, was auch Hawking mit Erfolg tut. Die Frage, ob sich das Universum ohne Anfang und Ende vielleicht doch Gott verdanke, bleibt aber auch heute epistemologisch unbeantwortet, d.h. wir sind noch nicht imstande, dies zu erkennen. Deshalb müssten wir möglicherweise erneut bei Gott anfangen. Aber wie?

265

Kapitel V EPISTEMOLOGISCHE METHODIK 1. Einführung In den letzten zwei Kapiteln ging es um die Bestimmung der Natur von Erkennen und Wissen. So haben wir – grob gesagt - die Frage diskutiert, wie wir mit dem Erkennen und Wissen in Alltag und Wissenschaft umgehen können. Dabei war unter anderem zu klären, was das Erkennen ist, und was das Wissen ist. Unser Augenmerk richtete sich in erster Linie auf den strukturellen Aufbau dieser beiden epistemologischen Entitäten. Im folgenden Kapitel wollen wir die Frage behandeln, wie das Erkennen und Wissen methodisch zustande kommen. Das heißt, es wird sich dabei um diverse methodische Verfahren handeln, welche erforderlich sind, damit die epistemischen menschlichen Subjekte möglichst zuverlässige epistemische Resultate erlangen können. Dadurch wird also eine Art epistemologische Methodik skizziert. So wird sich vorab zeigen, dass insbesondere die aprioristische Analyse, die naturalistische Analyse und Begriffsanalyse als methodische Verfahren entscheidend sind. Es fällt auf, dass diese drei Arten von Analyse den drei grundlegenden philosophischen Gebieten entsprechen: dem rationalistischen, dem naturalistischen und dem sprachphilosophischen Gebiet. Deshalb wird es auch erforderlich sein, deren Analyse im Hinblick auf einige klassische Standpunkte durchzuführen. Daraufhin werden wir zwei stets nur allgemein „agierende“ epistemische Entitäten zu klären haben, nämlich Erklären und Verstehen. Beide beziehen sich sowohl auf den rationalistischen als auch auf den naturalistischen und sprachphilosophischen Bereich, sind wissenschaftstheoretisch fundiert und hermeneutisch geprägt. Anschließend werden einige in der Praxis fundierte Modelle angesprochen, in denen insbesondere die Wirkungskraft von Erklären und Verstehen auf ihre Plausibilität hin gezeigt und geprüft werden kann. Zuvor wollen wir aber eine Grundlage herausarbeiten, indem das klassische methodische Instrumentarium erläutert wird.

266 2. Das methodische begriffliche Instrumentarium Das Agieren menschlicher Subjekte kann entweder spontan oder methodisch sein. Spontane Aktivitäten wie Gehen, Sprechen, Essen u.a. prägen vor allen Dingen die alltägliche Praxis, die sich beim Gestalten und der Erhaltung der Existenz offenbart. Es gibt viele Lebensbereiche, wo wir mit mehr oder weniger spontanen Handlungen ganz gut zurechtkommen. Es gibt aber auch Bereiche, wo wir unsere Zwecke nur dann erlangen können, wenn wir methodisch handeln, d.h. nach einer Methode verfahren. Ein solcher Bereich ist z.B. die Wissenschaft, gemeint sowohl als Naturwie auch als Humanwissenschaft. Auf das methodische Verfahren kann auch die Epistemologie als philosophische Disziplin nicht verzichten. Im Laufe der Geschichte haben sich vielmehr verschiedene epistemologischrelevante methodische Verfahren herausgebildet, welche die philosophische Reflexion in eine bestimmte Richtung laufen lassen. All diese Verfahren könnte man mit drei grundlegenden Begriffspaaren zusammenfassen, auf die wir beim Lesen philosophischer Texte immer wieder stoßen. Diese Begriffspaare haben eine logisch geprägte Struktur und können wertvolle epistemologische Dienste leisten, wie dies vor allem Kant zeigte : 1

(1) Apriori Aposteriori

(2) Deduktion Induktion

(3) Analyse Synthese

Das erste Begriffspaar besteht aus zwei Elementen: Apriori und Aposteriori. Während das Apriori ganz allgemein bezeichnet, dass man (zeitlich oder nicht) in einer geordneten Folge von einem früheren (prius) Element zu einem späteren fortschreitet, besagt das Aposteriori hingegen, dass man (zeitlich oder nicht) in einer geordneten Folge von einem späteren (posterius) zu einem früheren fortschreitet. Apriori wird also dem Aposteriori entgegengesetzt und bedeutet je nach der Verschiedenheit des Vergleichspunktes jeweils etwas anderes. Beide Termini (apriori und Wir werden unten sehen, dass jede philosophische Richtung dem einen oder anderen Begriffspaar eine besondere Stellung zuschreibt, wobei innerhalb eines Begriffspaares noch Akzente unterschiedlich gesetzt werden. 1

267 aposteriori) können also auf verschiedene Arten der Ordnungsfolge und Elemente bezogen werden, d.h. auf (a) Zeitfolge (gestern-heute); (b) Seinsfolge (Ursache-Wirkung) und (c) logische Denkfolge (Grund-Folge). Seit Kant haben die Begriffe „apriori“ und „aposteriori“ eine besondere epistemologische Bedeutung erhalten. So wird „a priori“ alle Erkenntnis genannt, deren Gültigkeit logisch von der Erfahrung (d.h. im Sinne der Wahrnehmung) unabhängig ist, als „a posteriori“ wird dagegen alle Erkenntnis bezeichnet, deren Gültigkeit von der Erfahrung abhängig ist. Daher schreibt Kant: 2

„Es ist also wenigstens eine der näheren Untersuchung noch benötigte und nicht auf den ersten Anschein sogleich abzufertigende Frage: ob es ein dergleichen von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängiges Erkenntnis gebe. Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung, haben“ (KrV B 1f).

Beim zweiten Begriffspaar handelt es sich um Deduktion und Induktion. Während die Deduktion vom Allgemeinen auf das Besondere, im Grenzfall auch auf das gleich Allgemeine schließt, sucht die Induktion aus beobachteten Einzelfällen ein allgemeines Gesetz zu gewinnen, das auch für die nicht beobachteten Fälle gilt. Deshalb ist es wohl nicht schwer einzusehen, dass die Induktion es in erster Linie mit den Gesetzen der Naturwissenschaft und der empirischen Psychologie zu tun hat, die Deduktion hingegen vor allem auf dem Gebiet der Philosophie, insbesondere der Logik hoch geschätzt wird. Was die Induktion anbelangt, so kann man zwischen der vollständigen und der unvollständigen Induktion unterscheiden. Während die erstere in der Beobachtung sämtlicher Fälle besteht und darum auch kein Schluss ist, sondern nur ein Zusammenzählen, stellt die letztere hingegen die eigentliche Induktion dar, weil sie von wenigen beobachteten Fällen auf alle gleichartigen Fälle schließt. Wenn es aber um die Deduktion geht, so erhält sie etwa bei Kant einen transzendentalen Charakter, d.h. Kant spricht in seiner „Transzendentalen Analytik“ von der transzendentalen Deduktion: 3

2 3

Vgl. Brugger, W. u.a. (1996), 23, (1996a), 23f. Vgl. Fröbes, J. u.a. (1996), 182.

268 „Ich nenne daher die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können, die transzendentale Deduktion derselben, und unterscheide sie von der empirischen Deduktion, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe erworben worden […]“ (KrV B 117).

Das dritte Begriffspaar besteht aus Analyse und Synthese. Beide Begriffe gehören zu den wichtigsten Leistungen des Bewusstseins. Während die Analyse Auflösung eines (wirklichen oder begrifflichen) Ganzen in seine Teile bedeutet, bezeichnet die Synthese hingegen die Zusammensetzung mehrerer (wirklicher oder begrifflicher) Teile zu einem Ganzen. Diesen beiden Leistungen des Bewusstseins kommt eine besondere epistemologische Relevanz zu, weil sie als methodische Verfahren beim Bilden von Urteilen auftreten. So können dadurch analytische Urteile (=Erläuterungsurteile) und synthetische Urteile (=Erweiterungsurteile) gebildet werden. Bei den analytischen Urteilen wird etwas nur erläutert: Es wird dabei kein Prädikat hinzugefügt. Bei den synthetischen Urteilen wird dagegen etwas auch erweitert: Es wird dabei ein Prädikat hinzugefügt. Urteile können entweder a posteriori oder a priori sein. Wenn die Urteile a posteriori sind, so sind sie von der Erfahrung abhängig, wenn sie aber a priori sind, dann sind sie von der Erfahrung unabhängig. Verdeutlichen wir dies mit folgenden Beispielen: 4

(1) Analytisches Urteil: „Alle Körper sind ausgedehnt“ (2) Synthetisches Urteil: „Alle Körper sind schwer“ (3) A posteriori-Urteil: „Das Wasser gefriert bei 0 Grad Celsius“. (4) A priori-Urteil: „7 + 5 = 12“ Die Urteile (2) und (4) sind vor allem für die Erkenntnislehre Kants entscheidend. An der Möglichkeit der synthetischen Urteile a priori entscheidet sich für Kant das Schicksal der Metaphysik als Wissenschaft. Es muss also synthetische Urteile a priori geben, wenn es objektive, d.h. allgemeine und notwendige Erkenntnis geben soll, die unser Wissen erweitert (vgl. KrV B 9f). In dem Kontext schreibt Kant über die Metaphysik: 4

Vgl. de Vries, J. (1996), 13f; auch ders. (1996d), 391f.

269 „In der Metaphysik, wenn man sie auch nur für eine bisher bloß versuchte, dennoch aber durch die Natur der menschlichen Vernunft unentbehrliche Wissenschaft ansieht, sollen synthetische Erkenntnisse a priori enthalten sein, und es ist ihr gar nicht darum zu tun, Begriffe, die wir uns a priori von Dingen machen, bloß zu zergliedern und dadurch analytisch zu erläutern, sondern wir wollen unsere Erkenntnis a priori erweitern, wozu wir uns solcher Grundsätze bedienen müssen, die über den gegebenen Begriff etwas hinzutun, was in ihm nicht enthalten war“ (KrV B 17f).

Das methodische begriffliche Instrumentarium, das in den drei obigen Begriffspaaren aufgeht, ermöglicht grundsätzlich die ganze epistemologische Methodik. Welche Begriffe aber speziell gebraucht werden, entscheidet die Ausrichtung der jeweiligen Methode. 3. Die rationalistische Methode Die rationalistische Methode ist aufs engste mit der traditionellen Erkenntnistheorie verknüpft und daher durch apriorische Elemente geprägt. Zum Selbstverständnis der traditionellen Erkenntnistheorie (TE) gehört, dass sie alle unsere alltäglichen und wissenschaftlichen Erkenntnisbemühungen fundiert. Die TE hat die Aufgabe, alle genuinen Quellen des Wissens und der Rechtfertigung unabhängig zu legitimieren und alle Grundbegriffe der Erkenntnis (z.B. Wissen, Rechtfertigung, Wahrheit) grundlegend zu klären. Wenn alle Erkenntnisquellen von einem unabhängigen Standpunkt legitimiert werden sollen, dann muss es eine autonome Methode der Erkenntnistheorie geben, die eine voraussetzungslose Bewertung aller Erkenntnisquellen ermöglicht. Traditionell ist man deshalb von einer apriorischen Methode der Erkenntnistheorie ausgegangen. Eine unabhängige und grundlegende Erkenntnistheorie kann nicht von den Ergebnissen derjenigen Wissenschaften abhängen, die sie ja allererst - nicht zuletzt gegen den Skeptizismus - legitimieren sollte. Deshalb dürfen empirische Erkenntnisse in der TE keine Rolle spielen . Dies ist das Bild einer von Descartes und Kant geprägten Erkenntnistheorie, die vor allem von den Neukantianern Ende des XIX. und Anfang des XX. Jahrhunderts zur Perfektion getrieben 5

5

Bei Kant müssten wir offenbar sagen „keine allein entscheidende Rolle“.

270 wurde. Auch die Phänomenologie Husserls ließ sich davon erheblich beeinflussen. Auf die methodische Relevanz der apriorischen Denkweise hat aber schon Aristoteles bei der Formulierung der Grundlagen der klassischen Logik aufmerksam gemacht. In den folgenden Abschnitten werden wir einige epistemologisch relevante Elemente hervorheben, welche in ihrer Gesamtheit das Bild einer rationalistischen Methode liefern. Sie alle gehen in den Begriffen wie Logik, Natur, Subjekt, Notwendigkeit, Wahrheit u.a. auf. 6

3.1. Logische Bestimmung der Erkenntnis a priori Es muss nicht sonderlich betont werden, dass die Erkenntnis a priori auf dem Gebiet der Logik und Mathematik auftritt und entscheidend ist. Bereits eine einfache rechnerische Operation wie 2 + 2 = 4 macht deutlich, dass wir es hier mit einer Erkenntnis a priori zu tun haben. Denn diese Operation können wir sicherlich unabhängig von der Erfahrung durchführen. Hier kommt also der Erkenntnis a priori die kantische Bedeutung zu. Die Welt unserer Gedanken können wir auch a priori frei gestalten: Ich kann z.B. jetzt mit meinen Gedanken in New York sein. Auf derartige Erkenntnisse a priori ist auch die Logik angewiesen, wenn das Denken ihren Gegenstand darstellt, jedoch nicht als eine Eigenschaft oder Tätigkeit existierender Subjekte betrachtet, sondern als die Beziehungen der Denkinhalte als solcher, die identisch von vielen Subjekten gedacht werden können. Die Beziehungen der Denkinhalte sind aber zunächst in verschiedenen Zeichen fundiert. Unter Zeichen ist ganz allgemein etwas zu verstehen, was dem Bezeichneten zugeordnet ist. Es gibt natürliche Zeichen wie „Fieber als Zeichen einer Erkrankung“, oder konventionelle Zeichen wie „Grünes Ampellicht als Zeichen zum Fahren“, oder auch synkategorematische Zeichen wie „in, an, auf, mit“ usf. Diese und andere Zeichen werden zum 7

8

Vgl. Grundmann, T. (2008), 543. Vor Kant hatte der Begriff „a priori“ eine ganz andere Bedeutung: Eine Erkenntnis galt als a priori, wenn sie auf einem Schluss von der Ursache auf ihre Wirkung beruhte, und als a posteriori, wenn von den Wirkungen auf die Ursache zurückgeschlossen wurde (vgl. Grundmann, T. [2008], 498). Vgl. Brugger, W. (1996), 225.

6 7

8

271 Bilden von Aussagen gebraucht. Die Aussage ist ein Gebilde, das einen Wahrheitswert besitzt. Eine wahre Aussage ist etwa „Die Zitrone ist gelb“, eine falsche dagegen „Die Tomate ist blau“. Im Anschluss an Frege kann man zwischen der Bedeutung und dem Sinn einer Aussage unterscheiden. A priori können nicht nur Aussagen formuliert werden, sondern auch Prädikate als Namen einer Beschaffenheit. Einen komplementären Aspekt zum Prädikat bezüglich des gleichen Sachverhalts bildet die Klasse, zu der wir den Zugang ebenfalls a priori haben. Die Klasse ist die Extension eines Allgemeinbegriffs oder ein Universale wie z.B. „rote Gegenstände“, „Tische“ usw. Das Kernstück der klassischen Logik bildet die Syllogistik, deren allgemeine Struktur nicht zuletzt Aristoteles zu verdanken ist. Eines der Beispiele des Syllogismus bei Aristoteles lautet: „Ich brauche eine Bedeckung (=Prämisse/Obersatz); ein Mantel ist eine Bedeckung (=Prämisse/Untersatz); ich brauche einen Mantel; was ich brauche, ist herzustellen; ich brauche einen Mantel; ein Mantel ist herzustellen (=Konklusion)“. Wir können einen solchen Syllogismus offenbar a priori problemlos durchführen. Ähnliches gilt schließlich auch für das Bilden von verschiedenen Relationen. Die Relation stellt bekanntlich die Extension eines geordneten Paares dar, d.h. die Reihenfolge der Relationsglieder liegt fest. Das erste Glied der Relation heißt ihr Vorgänger, das zweite Glied ihr Nachfolger. Eine der wichtigsten Errungenschaften der neuzeitlichen Methodologie ist, dass man verstanden hat, dass das Arbeiten mit der Sprache auf der syntaktischen Ebene das gedankliche Verfahren erheblich erleichtern kann. Derartiges Arbeiten wird als Formalismus bezeichnet. Dieser besteht darin, dass man zunächst die Bedeutung von Zeichen außer Acht lässt und nur deren graphische Form betrachtet. Wenn eine Sprache in diesem Sinne formalistisch entworfen wird, dann wird sie formalisierte Sprache 9

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Die Bedeutung der Aussage ist ihr Wahrheitswert (d.h. „worauf sich die Aussage bezieht“), der Sinn der Aussage ist dagegen der Gedanke, den die Aussage ausdrückt (d.h. „wie sich die Aussage bezieht“). Vgl. Menne, A. (2001), 12f, 32f, 58, 75, Vgl. Aristoteles, De motu 7, 701a17-19. Vgl. dazu auch Ricken, F. (1998), 96. Vgl. Menne, A. (2001), 110f. 9

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272 genannt. Beim Entwerfen einer formalisierten Sprache greifen wir auch auf die Erkenntnis a priori zurück. In diese Richtung scheint zudem die Logistik zu gehen, also die symbolische und mathematische Logik. Sie ist die Lehre von jenen Zeichensystemen mit den dazugehörigen Operationsregeln, die logisch, d.h. durch Zuordnung logischer Kategorien und Beziehungen, gedeutet werden können. Die Logistik erlaubt es, mit den Zeichen ähnlich wie in der Mathematik zu operieren, also zu rechnen. Ohne die Erkenntnis a priori ist dies aber nicht durchführbar, ähnlich wie die Bestimmung des Naturbegriffs. 13

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3.2. Die Bestimmung der Erkenntnis a priori mit Hilfe des Naturbegriffs Der Begriff „Natur“ wurde im Laufe der Philosophiegeschichte mannigfach aufgefasst. Für die Stoiker war die Natur das Umfassende, zugleich Normgebende, d.h. sowohl das, was uns physisch umgibt (die Dinge der Natur) als auch das, was den Gegenständen Sein und Wert verleiht (die Natur der Dinge). Dieser Möglichkeit, Natur als Totalität zu begreifen, die auch heute wieder attraktiv erscheint, stand früh ein Begriff von Natur entgegen, der sich abgrenzend im Verhältnis zu einem Gegenpol bestimmte, wie z.B. Natur-Technik, Physik-Metaphysik. Auch diese abgrenzende Strategie wird heute wieder vertreten, allerdings eher in der Gestalt von Natur-Kultur. Dass reproduzierbare Experimente, quantitative Methoden und mathematisches Verfahren beim Erforschen der Natur in der Neuzeit erfolgreich zum Einsatz kamen, muss nicht besonders akzentuiert werden. Dadurch konnte auch die Behauptung eines Galilei „Das Buch der Natur ist in mathematischen Lettern geschrieben“ einen verheißungsvollen Klang aufweisen. Wenn wir aber eine uns interessierende epistemologische Frage in diesem Kontext stellen, so kann sie lauten: Wo können wir mit der Erkenntnis a priori ansetzen? Wie kann man die Erkenntnis a priori mit Hilfe des 15

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Vgl. Bochenski, J.M. (1993), 45f. Vgl. Brugger, W. (1996a), 225f. Natur stammt sprachlich von dem lateinischen Wort „natura“, dem das griechische Wort „physis“ entspricht. Vgl. Mutschler, H.D. (2002), 7. Vgl. Galilei, G. (1987), II, 275.

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273 Naturbegriffs bestimmen? Es scheint zwei prinzipielle Möglichkeiten zu geben. Zum einen können wir das mathematische Verfahren, das Galilei huldigend hervorhebt, unter die Lupe nehmen (vgl. den vorangehenden Abschnitt). Das würde uns aber noch nicht den richtigen Zugang zur Natur von Wissen erlauben. Zum anderen können wir einfach nach dem fragen, was den Gegenständen Sein und Wert verleiht, bzw. nach der Wesensart des Seienden, wie sie ihm von seinem Ursprung her zukommt. Letzteres ist für uns insofern von Bedeutung, als es in einer unserer Analyse angepassten Form lautet: Was ist die Natur von Wissen? Für John Greco ist etwa die Natur von Wissen nichts anderes als eine Art von Erfolg, welcher der Fähigkeit des Subjekts zu verdanken ist. Und diese Fähigkeit wird als These bestimmt, die sich auf die Natur der epistemischen Normativität bezieht. Greco schreibt daher: 18

„S knows that p if and only if S believes the truth (with respect to p) because S´s belief that p is produced by intellectual ability.” 19

Aus diesem Zitat ergibt sich, dass die Natur von Wissen von der intellektuellen Fähigkeit des Subjekts abhängt. Die Frage nach der Natur des Wissens müssen wir auch dann stellen, wenn wir den Umfang von Wissen klären wollen. Bei der Bestimmung der Natur des Wissens sind vor allem zwei Unterscheidungen bedeutsam: (1) die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand und seinen Eigenschaften, und (2) die Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Kontingenz. Wie wir noch sehen werden, erfüllt die Unterscheidung (2) in erster Linie eine rein technische Funktion, d.h. sie dient als Grundlage, auf der entsprechende Prädikate gebildet werden. Daher kann behauptet werden, dass eine bestimmte Eigenschaft E zur Natur eines Gegenstandes G gehört, wenn diese Eigenschaft dem Gegenstand notwendigerweise zukommt. Und eine Eigenschaft kommt einem Gegenstand notwendig zu, wenn der Gegenstand diese Eigenschaft haben muss, wenn er also diese Eigenschaft keineswegs nicht haben kann, wenn es also unmöglich ist, dass der Gegenstand diese Eigenschaft nicht hat. Diesbezüglich behaupten Philosophen oft Folgendes: Eine notwendige In vielen Fällen wird zwischen Natur und Wesen nicht unterschieden. Liegt aber eine Unterscheidung vor, dann schreibt man dem Wesen ein dynamisches Element zu. Im Folgenden ist diese Unterscheidung nicht so relevant. Greco, J. (2010), 71. 18

19

274 Eigenschaft ist eine Eigenschaft, die dem bestimmten Gegenstand in allen möglichen Welten zukommt. Betrachten wir nun folgendes Beispiel: „Ein Junggeselle ist z.B. notwendig unverheiratet“. Das Nichtverheiratetsein gehört deshalb zu seiner Natur. Ein Junggeselle, der verheiratet wäre, wäre eben kein Junggeselle mehr. Im Unterschied dazu gehört es nicht zum Wesen des Junggesellen, dass er gern Bier trinkt. Viele Junggesellen trinken gern Bier. Aber selbst wenn tatsächlich alle Junggesellen gern Bier trinken würden, würde das noch nicht zur Natur des Junggesellen gehören, denn sie trinken nicht notwendigerweise gern Bier. Ein Junggeselle kann die Angewohnheit haben, gern Bier zu trinken, oder auch nicht. Es handelt sich also hier um eine seiner kontingenten Eigenschaften. Unverheiratet sein muss er dagegen, wenn er ein Junggeselle sein möchte. Bei der Bestimmung der Natur eines Gegenstandes wollen wir jedoch nicht nur wissen, welche Eigenschaft der Gegenstand notwendig hat, sondern auch welche Eigenschaften garantieren, dass wir es tatsächlich mit dem entsprechenden Gegenstand zu tun haben. Das bedeutet, dass das Element der Notwendigkeit durch das des Hinreichendseins ergänzt werden muss. Mit anderen Worten: Wir fragen nach notwendigen und hinreichenden Bedingungen, z.B. des Junggesellenseins. Denn ein Junggeselle ist notwendig unverheiratet, aber nicht alle unverheirateten Menschen sind Junggesellen, es gibt auch unverheiratete Frauen. Wenn wir es aber mit einem unverheirateten Mann zu tun haben, dann haben wir es sicherlich mit einem Junggesellen zu tun; ein unverheirateter Mann zu sein ist eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür, ein Junggeselle zu sein. Allerdings nicht alle notwendigen Bedingungen sind hinreichend und nicht alle hinreichenden Bedingungen sind notwendig für eine Sache. Beispiel: Nicht verheiratet zu sein ist notwendig für das Junggesellenleben, aber es reicht nicht hin; man muss noch dazu ein Mann sein. Hinreichend dafür, dass ein Waldbrand entsteht, ist, dass jemand Feuer legt. Aber notwendig ist das nicht: Ein Waldbrand kann auch anders entstehen. Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich also, dass die philosophische Reflexion nach notwendigen und hinreichenden Bedingungen sucht, um 20

Hier wollen wir von den unklaren Grenzfällen absehen wie z.B. „Katholischer Priester“, „Witwer“, „die Einwohner eines Urwaldstammes, wo die Institution der Ehe unbekannt ist“. Könnte man in all diesen Fällen von einem Junggesellen sprechen? 20

275 die Natur des Wissens zu bestimmen. Wie können wir daraus ein Argument ableiten, das die apriorische Vorgehensweise stützen würde? Das Argument kann etwa so lauten: „Wenn wir die Natur des Wissens erkennen wollen, dann wollen nicht nur erkennen, welche Eigenschaften dem Wissen ab und zu, häufig oder immer zukommen, sondern wir wollen erkennen, welche Eigenschaften dem Wissen notwendig zukommen. Da die Erfahrung uns aber immer nur sagen kann, ob eine Eigenschaft einer Sache zukommt oder nicht, kann die Erkenntnis, dass eine Eigenschaft einer Sache – in unserem Fall dem Wissen – notwendig zukommt, anscheinend nicht aus der Erfahrung stammen, jedenfalls nicht allein aus ihr. So kann ich empirisch feststellen, dass alle Junggesellen unverheiratet sind, indem ich etwa im Standesamt nachforsche. Dass es sich bei dem Unverheiratetsein jedoch um eine notwendige Eigenschaft von Junggesellen handelt, erfahre ich durch meine Nachforschungen im Standesamt nicht“. 21

Wie kann ich aber sonst erfahren, dass es sich bei dem Unverheiratetsein um eine notwendige Eigenschaft von Junggesellen handelt? Bei menschlichen Subjekten gibt es wohl keinen anderen Weg außer dem der Intuition. Ich kann also intuitiv erkennen, dass eine notwendige Eigenschaft in bestimmten Fällen im Spiel ist. Es fällt auf, dass dieser intuitive Erkenntnisweg durch eine positive Verfahrensweise gekennzeichnet ist. Kann ich aber darüber etwas mehr sagen? Kann ich erklären, was eine Intuition ist und in welchem Verhältnis sie zu den Begriffen „Notwendigkeit“ und „Hinreichendsein“ steht? Hier wäre ich wiederum auf ein intuitives Verfahren angewiesen. Vielleicht können wir uns mehr Klarheit verschaffen, wenn wir den Subjektbegriff miteinbeziehen. 22

3.3. Die Bestimmung der Erkenntnis a priori mit Hilfe des Subjektsbegriffs Die Neuzeit war nicht nur für die Ausgestaltung des Naturbegriffs entscheidend, sondern auch für die des Subjektbegriffs. In dieser Periode hat sich eine folgenreiche Wende zur Subjektphilosophie vollzogen. Vgl. Ernst, G. (2007), 28f. Es ist anders als bei Kant, der die Erkenntnis a priori als eine Erkenntnis auffasst, die von der Erfahrung unabhängig ist. Kant geht also hier einen negativen Weg. 21 22

276 Seitdem steht nicht mehr die Objektphilosophie im Mittelpunkt, sondern die Subjektphilosophie. Die wichtigsten metaphysischen Modelle der Neuzeit gründen in einer Analyse des Subjekts. In diesem Wandlungsprozess kommt Descartes und Kant eine besondere Rolle zu. Beide Denker begeben sich mit ihren Gedanken auf ein Gebiet, das nur a priori betreten werden kann. Bei Descartes, der diese Wende in die Wege geleitet hat, ist es das Gebiet des Cogito, bei Kant hingegen ist es das des transzendentalen Subjekts. In diesem Abschnitt wollen wir uns nur mit dem Standpunkt Descartes´ aus apriorischer Sicht befassen. Die apriorische Struktur des kartesischen Cogito steht unter dem Zeichen des methodischen Zweifels. Dieser Zweifel ist mit dem prinzipiellen Anliegen der Philosophie Descartes´ verknüpft, das man als die Suche nach einem unerschütterlichen Erkenntnisboden bezeichnen kann, auf dem die Letztbegründung der Erkenntnis möglich wird, welche durch Klarheit und Deutlichkeit gekennzeichnet ist (vgl. Disc. VI, 2). In den „Meditationes de prima philosophia“ versucht Descartes deshalb alles, was nicht als absolut gewiss angesehen werden kann, durch radikalen Zweifel in Frage zu stellen. Damit zweifelt er aber nicht an der Existenz der Welt, sondern er bedient sich des Zweifels als der notwendigen Voraussetzung für das Erreichen unbedingter Gewissheit. Anfangs wird also der gesamte Bereich sinnlicher Erfahrung in Zweifel gezogen, weil uns unsere Sinneswahrnehmungen gelegentlich täuschen. Auch Wachsein und Träumen können niemals durch sichere Kennzeichen unterschieden werden. Da Descartes alle denkbaren und möglichen Täuschungen ausschließen will, entwirft er die Hypothese einer größtmöglichen Täuschung durch den „genius malignus“ (d.h. die „Hypothese der Täuschung durch den bösen Geist“). Damit wird auch der Zweifel an allen arithmetischen und geometrischen Wahrheiten in Betracht gezogen (d.h. ich kann mich z.B. beim Addieren oder Multiplizieren täuschen) (vgl. Med. I, 5f). 23

24

Man könnte offenbar eine Analyse des Subjekts so durchführen, dass man zwischen dem Subjekt (als einem Gegenstand) und den Prädikaten unterscheidet, d.h. nach der Methode, die wir im vorausgehenden Abschnitt angewendet haben. Hier soll aber der Begriff „Substanz“ hervorgehoben werden. Klarheit und Deutlichkeit sind für Descartes zwei notwendige Kriterien der Erkenntnis. 23

24

277 Das was sich freilich allem Zweifel entzieht, ist für Descartes die Tatsache meiner eigenen Existenz, soweit ich denke. Das heißt, selbst wenn ich denken kann, dass alles nur eine Täuschung ist, kann ich doch nicht denken, dass ich nicht existiere, wenn ich denke. Ich kann nicht denken, ohne zu existieren. Selbst wenn ein „genius malignus“ mich in allem, was ich erkenne, täuschen würde, so könnte er mich nicht täuschen, wenn ich nicht existierte. Das Denken, selbst mein mich täuschendes Denken, setzt voraus, dass ich existiere. So gelangt Descartes zu seinem berühmten Satz „cogito, ergo sum“, der aber nicht so zu verstehen ist, dass sich aus der Tatsache „ich denke“ die Tatsache „ich existiere“ ergibt, sondern ich erkenne unmittelbar mit Gewissheit, dass ich notwendig existiere, indem ich denke. Darum besteht für Descartes auch das Wesen des Menschen, soweit es sich in der unmittelbaren Selbstgewissheit des Bewusstseins zeigt, darin, „res cogitans“ zu sein (vgl. Med. II, 3, 8). Das im Denken fundierte Cogito übernimmt also bei Descartes – grob gesagt - die Rolle des Subjekts, das einerseits in mentalen Entitäten aufgeht, andererseits sich aber auch in der Praxis durch die in mentalen Fähigkeiten fundierten Handlungen zeigen kann. So entsteht die Grundlage für eine dualistische Ontologie. Da ich erkennen kann, dass es neben den Bewusstseinsakten auch Fähigkeiten von mir gibt, die völlig unabhängig von meinem denkenden Ich sind (z.B. die Fähigkeit zur Ortsveränderung), so muss ich einen Körper voraussetzen, d.h. ein Ding mit Ausdehnung („res extensa“) (vgl. Med. VI, 17f). Die methodische Verfahrensweise Descartes´ führt ihn nun zu einem Ergebnis, das unter anderem in einer zwei Substanzen zulassenden Ontologie endet. Das sind also „res cogitans“ und „res extensa“. Abgesehen davon, wie diese beiden Substanzen zu verstehen sind, ob wir uns bemühen, deren wesentliche Eigenschaften zu benennen oder auch nicht, wäre allerdings zu fragen, wie man zu deren Postulierung und Bestimmung des Verhältnisses zwischen ihnen überhaupt kommen kann. Rein empirisch gesehen könnten wir den Zugang lediglich zur „res extensa“ erlangen. Um Descartes gerecht zu werden, ist es deshalb unabdingbar, den apriorischen Weg ebenfalls zuzulassen. Dann wäre es zwar denkbar, eine scharfe funktionsbedingte Trennung zu vollziehen, aber 25

25

Vgl. dazu auch Rynkiewicz, K. (2009), 77f.

278 nicht eine begriffliche Klarheit zu gewinnen, welche die meisten gegenwärtigen philosophischen Ansätze fordern. Auf dieser dualistisch geprägten Grundlage kommt es folglich auch zur verschwommenen Ausgestaltung des Subjektsbegriffs, dessen rationalistische Züge von Descartes als dominierend angesehen werden. Dabei kommt zudem ans Licht, dass die menschliche Natur als identisch mit der Natur von „res cogitans“ behandelt wird. Für Kant ist dies aber eine Behauptung, die unbedingt korrigiert werden muss. 26

3.4. Transzendentale Bestimmung der Erkenntnis a priori Mit dem rationalistischen Standpunkt Descartes´ wollte Kant nicht einverstanden sein, weil Kant bekanntlich auch die Position von Hume für bedeutsam hielt. Kants Devise war daher, den Rationalismus und Empirismus so zu verbinden, dass sich daraus eine plausible Erkenntnislehre ergibt. Insofern kann man durchaus behaupten, dass Kant diese beiden Positionen, die zur Einseitigkeit neigen, überwunden hat. Die Kritik an der traditionellen Metaphysik spielte dabei eine entscheidende Rolle. Wenn die traditionelle Metaphysik sich mit Gegenständen wie Gott, der Unsterblichkeit der Seele und der menschlichen Freiheit befasste, dann war sie für Kant als Wissenschaft nicht möglich. Welchen anderen Weg die Metaphysik statt dessen einschlagen kann, zeigt Kant, indem er sie auf das Gebiet des Transzendentalen versetzt. Er schreibt: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt“ (KrV B 25).

Damit wird also klar, dass die Erkenntnis a priori in der kantischen Erkenntnislehre eine fundamentale Funktion zu erfüllen hat, nämlich sie fundiert seine Transzendentalphilosophie. Diese befasst sich – grob gesagt – mit Bedingungen, die notwendig erfüllt werden müssen, damit ein menschliches Subjekt epistemisch tätig werden kann, d.h. damit es effizient erkennen kann. Im Mittelpunkt der Transzendentalphilosophie steht folglich der ganze subjektive Bereich, der durch zahlreiche kognitive

26

Vgl. Shapiro, L. (2010), 16f.

279 Faktoren gekennzeichnet ist. Wir können diese Konstellation auch umgekehrt ausdrücken: Die Erkenntnis a priori, die – negativ formuliert von der Erfahrung unabhängig ist, ist transzendental bestimmt. Dadurch wird von Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ nicht nur eine einfache epistemologische Methode entworfen, sondern die ganze transzendentale Methodenlehre. Diese Methodenlehre folgt der transzendentalen Elementarlehre. Kants Methodenlehre besteht aus vier Teilen (bzw. Hauptstücken). Im ersten Teil versucht Kant die Disziplin der reinen Vernunft zu beschreiben. Unter Disziplin versteht er den Zwang, die Tendenz zur Abweichung von gewissen Regeln einzuschränken und letzten Endes aufzulösen. Einer Disziplin bedarf man nach Kant dann, wenn die Vernunft in ihrem transzendentalen Gebrauch, d.h. nach bloßen Begriffen, weder durch empirische noch durch reine (mathematische) Anschauung gehalten wird (vgl. KrV B, 737f). Das bedeutet, dass eine Disziplin im Falle philosophischer (insbesondere transzendentaler) Erkenntnis gefordert wird. Die philosophische Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus Begriffen, während etwa die mathematische Erkenntnis in der Konstruktion der Begriffe besteht. Einen Begriff zu konstruieren heißt die ihm korrespondierende Anschauung a priori darstellen. Während die philosophische Erkenntnis das Besondere nur im Allgemeinen betrachtet, prüft die mathematische Erkenntnis hingegen das Allgemeine im Besonderen. Wenn die philosophische Erkenntnis im Spiel ist, dann verlangt Kant also die Disziplin der reinen Vernunft und spricht von deren dogmatischem Gebrauch (vgl. KrV B, 740f). 27

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29

30

Aus heutiger Sicht umfassen diese Faktoren auch die neurophysiologische Ebene. Die transzendentale Elementarlehre beinhaltet die transzendentale Ästhetik, wo Kant unter anderem die Analyse von Raum und Zeit durchführt, und die transzendentale Logik. Diese besteht aus der transzendentalen Analytik, wo Verstandesbegriff erläutert werden, und aus der transzendentalen Dialektik, die vor allem auf die Entlarvung des transzendentalen Scheins abzielt. Wir können diese Teile hier nur zusammenfassend darstellen. Weitere Möglichkeiten, von philosophischer Erkenntnis Gebrauch zu machen, gibt es nach Kant dann, wenn wir eine Polemik führen, Hypothesen aufstellen oder Beweise formulieren. 27 28

29 30

280 Im zweiten Teil der Methodenlehre wird der Kanon der reinen Vernunft bestimmt. Unter einem Kanon versteht Kant den Inbegriff der Grundsätze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermögen überhaupt. Demnach ist z.B. die allgemeine Logik (in ihrem analytischen Teil) ein Kanon für Verstand und Vernunft überhaupt, allerdings nur der Form nach, weil sie von allem Inhalt abstrahiert; die transzendentale Analytik ist hingegen der Kanon des reinen Verstandes, weil er allein wahrer synthetischer Erkenntnisse fähig ist. Der letzte Zweck des reinen Gebrauchs der menschlichen Vernunft betrifft folgende drei Gegenstände: die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes. Als Bestimmungsgrund des letzten Zwecks der reinen Vernunft gilt nach Kant das Ideal des höchsten Guts. Je nachdem, wie das Verhältnis zwischen objektiven und subjektiven Gründen aussieht, können wir etwas meinen, glauben oder wissen (vgl. KrV B, 824f). Der dritte Teil der Methodenlehre Kants beschreibt die Architektonik der reinen Vernunft. Unter Architektonik versteht Kant – grob gesagt - die Kunst der Systeme. Ein System ist für ihn die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee, die dadurch ein Ganzes darstellt. Weil die systematische Einheit dasjenige ist, was einfache Erkenntnis erst zur Wissenschaft macht, so ist Architektonik die Lehre über den wissenschaftlichen Vernunftbegriff in unserer Erkenntnis überhaupt, und sie gehört notwendig zur Methodenlehre. Der wissenschaftliche Vernunftbegriff enthält den Zweck und die Form des Ganzen, mithin der Idee. Die Idee bedarf zur Ausführung eines Schemas, d.h. einer wesentlichen Vielfältigkeit und Ordnung der Teile, die aus dem Prinzip a priori bestimmt werden. Das Schema, welches empirisch, also nach zufällig sich anbietenden Absichten entworfen wird, gibt uns nur eine technische Einheit, das Schema hingegen, welches a priori entworfen wird, d.h. wo die Vernunft die Zwecke bestimmt, fundiert eine architektonische Einheit. Kant will nun die Architektonik aller Erkenntnis aus reiner Vernunft entwerfen und stellt fest, dass die Philosophie das System aller philosophischen Erkenntnis ist (vgl. KrV B, 860f). 31

Das höchste Gut besteht nach Kant in der Einheit von Heiligkeit (=Tugend) und Glückseligkeit (vgl. KpV A 198f).

31

281 Im vierten und letzten Teil seiner Methodenlehre versucht Kant eine kurze Geschichte der reinen Vernunft abzuliefern. Dabei sind drei Kriterien relevant: (1) Gegenstand aller Vernunfterkenntnisse – hier wäre eine sensual- (z.B. Epikur) und intellektualphilosophische (z.B. Platon) Richtung zu unterscheiden; (2) Ursprung reiner Vernunfterkenntnisse – Kant differenziert hier zwischen empiristischer (wenn die Erkenntnisse aus der Erfahrung kommen, z.B. Aristoteles) und noologischer Position (wenn die Erkenntnisse von der Erfahrung unabhängig sind, z.B. Platon); und (3) Methode der reinen Vernunft – denkbar wäre es nach Kant naturalistisch, dogmatisch, skeptisch oder kritisch zu verfahren (vgl. KrV B, 880f). Aus methodischer Sicht erhält der transzendentale Ansatz Kants, der nicht nur geschichtlich fundiert ist, sondern auch eine Disziplin und den SystemAufbau der reinen Vernunft sowie den richtigen Gebrauch von Erkenntnis fordert, eine neue Ausrichtung im Neukantianismus. Dieser hält zum einen an der These Kants fest, dass die Metaphysik unmöglich sei, zum anderen behauptet er aber, dass die Philosophie keinen eigenen Sachbereich hat, sondern ihre Funktion in „Wissenschaftstheorie“ liegt, d.h. in erkenntnistheoretischer und methodologischer Reflexion der positiven Wissenschaften. Damit werden zum Teil schon implizit semantische Akzente angesprochen, die für die philosophisch-analytische Denkweise des 20. Jahrhunderts ausschlaggebend sind. 32

3.5. Analytisch-semantische Bestimmung der Erkenntnis a priori Wenn ein Subjekt S im Erkenntnisprozess a priori zu einem Resultat R kommt, so ist damit eine semantische Perspektive in diesen Prozess miteinbezogen. Denn das Resultat R, abgesehen davon, wie es strukturell aufgebaut ist, muss stets eine Bedeutung haben, d.h. es muss semantisch relevant sein. Ohne semantisches Potential wären alle epistemologischen Resultate einfach sinnlos. Behaupte ich etwas erkannt zu haben, dann muss Vgl. Coreth, E. u.a. (2000), 224f. Beide Schulen (die Marburger Schule [MS] und die Badische Schule [BS]) vertreten diese These, der Unterschied liegt nur in der Akzentuierung des Forschungsfeldes: die MS befasst sich mit einer Theorie der exakten Naturwissenschaften, die BS hingegen mit einer Theorie der Geisteswissenschaften. 32

282 ich auch grundsätzlich imstande sein, die Bedeutung von diesem Etwas sprachlich zu formulieren. Wenn das von mir Erkannte semantisch leer, mithin bedeutungslos wäre, dann wäre es nutzlos und zu verwerfen. Diese semantische Forschungstendenz hat sich im 20. Jahrhundert vor allem innerhalb der analytischen Sprachphilosophie durchgesetzt. Einer der prominentesten Denker ist Donald Davidson. In seiner Bedeutungstheorie hebt Davidson folgende zwei Prinzipien hervor: Kontext- und Kompositionalitätsprinzip. Während das Kontextprinzip besagt, dass Wörter nur im Zusammenhang eines Satzes Bedeutung haben und ihnen, unabhängig vom Satz, überhaupt keine Bedeutung zukommt, behauptet das Kompositionalitätsprinzip, dass sich die Bedeutung komplexer Ausdrücke aus den Bedeutungen einfacher Ausdrücke ergibt, aus denen die komplexen Ausdrücke zusammengesetzt sind. Was resultiert daraus für die Bestimmung der Erkenntnis a priori? Oder wie verhält sich der bedeutungstheoretische Ansatz zur Erkenntnis a priori? Es gibt zwei grundlegende Differenzierungen, die daraus resultieren und für die Analyse der Erkenntnis a priori relevant sind: (1) Unterscheidung zwischen logischer, analytischer und synthetischer Wahrheit; und (2) Unterscheidung zwischen notwendigen und kontingenten Tatsachen. Was die erste Unterscheidung anbelangt, so handelt es sich um die Sätze, die sowohl allein aufgrund der Bedeutung der in ihnen enthaltenen Wörter und der Art ihrer Zusammensetzung wahr bzw. falsch sind (=logische, analytische Sätze), als auch aufgrund ihrer Bedeutung und zusätzlicher Weltfaktoren (=synthetische Sätze). Logisch wahre bzw. falsche Sätze sind z.B. „Es ist nicht der Fall, dass es an der gleichen Stelle zugleich regnet und nicht regnet“. Derartige Sätze sind schon aufgrund ihrer logischen Form wahr bzw. falsch. Damit ist der Aufbau und die Bedeutung der logischen Wörter wie „und“, „nicht“, „für alle“, „folgt aus“ usf. gemeint. Der Rest der Wörter, die im Satz auftreten, spielt keine Rolle mehr . So kann man etwa im Satz für „es regnet“ beliebige Behauptungen einsetzen, ohne etwas am Wahrheitswert des Satzes zu verändern: Es ist niemals zugleich der Fall, dass p und dass non-p. Von den Sätzen, die aufgrund ihrer logischen Form wahr bzw. falsch sind, sind die analytischen Sätze zu 33

33

Vgl. Davidson, D. (1986a), 41.

283 unterscheiden. Der Satz „Junggesellen sind unverheiratete Männer“ ist daher nicht logisch wahr, sondern analytisch wahr, weil das Prädikat „ist ein unverheirateter Mann“ bereits im Subjekt „Junggeselle“ enthalten ist. Die analytischen Sätze sind allein aufgrund ihrer Bedeutung wahr, Weltfaktoren sind dabei irrelevant. Es gibt schließlich synthetisch wahre Sätze wie z.B. „Heute ist ein sonniger Tag“. Diese Sätze sind aufgrund ihrer Bedeutung und Weltfaktoren wahr: Wenn die Sonne heute nicht scheint, so ist der Satz „Heute ist ein sonniger Tag“ nicht wahr. Die zweite Unterscheidung ist weniger kompliziert und betrifft notwenige und kontingente Tatsachen. Dass ich gerade existiere, ist eine kontingente Tatsache. Ich hätte auch nicht existieren können, wenn mich meine Eltern nicht gezeugt hätten. Dass Wasser H2O ist, ist hingegen eine notwendige Tatsache. Wasser kann nicht etwas anderes sein. Sonst ist es kein Wasser. Stellen wir nun diese beiden semantisch relevanten Unterscheidungen zusammen: 34

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36

Unterscheidung 1 * logische Sätze – sind wahr allein aufgrund ihrer logischen Form * analytische Sätze – sind wahr allein aufgrund ihrer Bedeutung * synthetische Sätze – sind wahr aufgrund ihrer Bedeutung und Weltfaktoren Unterscheidung 2 * kontingente Tatsache – kann auch nicht existieren * notwendige Tatsache – kann nicht nicht existieren Rücksicht nehmend auf diese beiden Unterscheidungen und mit dem Blick auf Kant können wir unsere semantische Bestimmung der Erkenntnis a priori vertiefen, indem wir drei Thesen (T) aufstellen: T1 – apriorisches Wissen liegt dann und nur dann vor, wenn Wissen von einer notwendigen Tatsache vorliegt; T2 – alle analytischen Aussagen sind a priori erkennbar; und T3 – es gibt neben synthetischen Aussagen a posteriori auch 34 35 36

Das hat schon Kant gesehen. Vgl. Ernst, G. (2007), 31. Vgl. Grundmann, T. (2008), 499f.

284 synthetische Aussagen, die a priori erkannt werden können (vgl. KrV B, 3f, 11f, 19f). Die Frage ist: Inwiefern lassen sich diese kantischen Thesen in der gegenwärtigen epistemologischen Debatte problemlos durchsetzen? Dass dies nicht ganz einfach ist, zeigt etwa Saul Kripke mit seinem berühmten „Urmeter-Argument“: Wir wissen, dass der Urmeter in Paris einen Meter lang ist. Dabei handelt es sich also um eine kontingente Tatsache, weil der Stab auch länger oder kürzer hätte sein können, als er tatsächlich ist. Nach Kripke weiß jedoch zumindest derjenige, der diesen Maßstab einführt, a priori, dass dieser Stab aktuell einen Meter lang ist, weil er selbst mit Hilfe dieses Stabes festlegt, was es bedeutet, einen Meter lang zu sein. Er muss also nicht noch zusätzlich irgendetwas durch Erfahrung über den Stab herausfinden, um zu wissen, dass er einen Meter lang ist. Dieses Argument macht nun klar, dass es apriorisches Wissen von kontingenten Tatsachen gibt. Nach Kripke kann es auch empirisches Wissen von notwendigen Tatsachen geben. Sein Argument bezieht sich hier auf Wasser: Wir wissen aufgrund empirischer Forschungen, dass Wasser H2O ist, obwohl es sich dabei um eine notwendige Tatsache handelt. Diese Beispiele machen deutlich, dass man eine Erkenntnis a priori durchaus auf einem analytisch-semantischen Wege bestimmen kann. Es gibt grundsätzlich zwei Typen von indirekten Argumenten für die Erkenntnis a priori: (1) Exklusivitäts- und (2) Selbstaufhebungsargumente. Sie haben folgende Struktur: 37

Exklusivitätsargument (EA): (1) „Wir haben Wissen von X“ +

(2) “X können wir nur a priori wissen“ (3) „Also haben wir apriorisches Wissen“

37

Vgl. Kripke, S. (1981), 68f, 118f. Vgl. dazu auch Grundmann, T. (2008), 500f.

285 Selbstaufhebungsargument (SA): (1) „Um apriorisches Wissen widerlegen zu können, müssen wir X wissen können“ + (2) „X können wir nur a priori wissen“ (3) „Also können wir apriorisches Wissen nur dann widerlegen, wenn wir es als existent voraussetzen“ Die EA betreffen vor allem das Gebiet der Logik, Mathematik und Intuition. Auf intuitives Verfahren ist die Philosophie zum großen Teil angewiesen. Das zeigt sich schon dann, wenn wir Phänomene wie Willensfreiheit, Wahrheit, Wissen usf. analysieren. Sie lassen sich nicht empirisch, sondern nur intuitiv behandeln. Die SE beruhen hingegen auf Selbstwiderspruchsprinzip. So behauptet etwa BonJour, dass jede Art Widerlegung argumentativer Natur ist, und dass ein Argument nur dann gerechtfertigte Konklusionen hervorbringt, wenn die im Argument angewandte Schlussregel als gültig erkannt wird; das ist aber nur a priori denkbar. Die analytisch-semantische Bestimmung der Erkenntnis a priori greift also reduktive Maßnahmen auf, die aber erst in phänomenologischem Verfahren ihre ganze Wirkung offenbaren. 38

3.6. Phänomenologische Bestimmung der Erkenntnis a priori Die phänomenologische Bestimmung der Erkenntnis „a priori“ vollzieht sich auf der Grundlage der phänomenologischen Methode, die prinzipiell auf Husserl zurückgeht. Die phänomenologische Methode ist eine besondere Art Erkenntnisverfahren, das allerdings von Husserl niemals systematisch dargestellt, sondern nur stufenweise entwickelt wurde. Den 39

Vgl. BonJour, L. (1998), 4f. Vgl. Auch Grundmann, T. (2008), 508f. Zur Ausgestaltung der phänomenologischen Methode haben – generell gesehen – auch andere Denker ([der frühe] Heidegger, Scheler, Pfänder, Ingarden u.a.) zum Teil beigetragen. Husserl war aber der erste, der die Phänomenologie im klassischen Sinne in die Wege geleitet hat. 38 39

286 Kern dieser Methode stellt ein Typus geistiger Anschauung von Gegenständen dar, die auf einer Intuition beruht. Diese Intuition bezieht sich auf das, was gegeben ist. Und das, was gegeben ist, sind die Sachen selbst. Daher lautet das Motto der phänomenologischen Methode: „Zurück zu den Sachen selbst“. Die grundlegende Frage ist dabei, was Husserl unter dem Begriff „Apriori“ versteht, wenn er zu den Sachen selbst gelangen will. Er schreibt: „Wesensanalyse ist eo ipso generelle Analyse, Wesenserkenntnis auf Wesen, auf Essenzen, auf allgemeine Gegenständlichkeiten gerichtete Erkenntnis. Und hier hat auch die Rede vom Apriori ihre legitime Stelle. Denn was bedeutet apriorische Erkenntnis anderes [...] als eine rein auf generelle Essenzen gerichtete, rein aus dem Wesen ihre Geltung schöpfende Erkenntnis? Jedenfalls ist das der eine berechtigte Begriff von Apriori, ein anderer ergibt sich, wenn wir darunter alle Begriffe verstehen, die als Kategorien eine in bestimmtem Sinn prinzipielle Bedeutung haben, und dann weiter die Wesensgesetze, die in diesen Begriffen gründen“. Aus diesem Zitat ergibt sich nun ganz klar, in welche Richtung Husserl beim Auffassen des Begriffs von Apriori tendiert. Es ist das Gebiet der Wesenserforschung. Damit wird überdies hervorgehoben, dass es die Phänomenologie, und somit die phänomenologische Methode mit dem Apriori in der Sphäre der Ursprünge, der absoluten Gegebenheiten zu tun hat, d.h. mit den in generellem Schauen zu fassenden Spezies und mit den apriorischen Sachverhalten, die unmittelbar schaubar sich aufgrund derselben konstituieren. Bevor wir den konkreten methodischen Gebrauch des Apriori bei Husserl näher beschreiben, soll nach dem Verhältnis zwischen Husserl und Kant kurz gefragt werden, zumal dadurch die phänomenologischen Ursprünge des Apriori an Klarheit gewinnen. Wir haben schon oben gesehen, dass eine Erkenntnis für Kant „a priori“ ist, wenn sie von der Erfahrung unabhängig ist; dabei handelt es sich sowohl um die äußere (sinnliche) als auch innere Erfahrung. Aus phänomenologischer Sicht kann man unter dem Ausdruck „unabhängig von der Erfahrung“ vor allem zweierlei 40

41

42

40 41 42

Vgl. Bochenski, J.M. (1993), 26f. Husserl, E., Hua II, Vorlesung III. Vgl. Husserl, E., Hua II, Vorlesung III.

287 verstehen: (1) Zum einen besagt dieser Ausdruck etwas, was „vor aller Erfahrung“ existiert, also nicht durch Erfahrung hervorgerufen und somit deren Folge ist; (2) Zum anderen bedeutet der Ausdruck „unabhängig von der Erfahrung“, dass die Erkenntnis a priori in ihrem Erkenntniswert dem Erkenntniswert der Erfahrung gegenüber autonom ist; d.h. der Wert der Erkenntnis a priori stellt deren eigentliche Eigenschaft dar und wird mit dem Wert der Erfahrung weder verändert noch durch ihn bestimmt. Für die Zwecke der phänomenologischen Methode ist nur die zweite Bedeutung des Ausdrucks „unabhängig von der Erfahrung“ relevant. Insofern hat Husserl diesen Ausdruck von Kant übernommen. Denn dadurch kann das Prinzip der Unabhängigkeit apriorischer Erkenntnis von der Erfahrung und das der Allgemeingültigkeit apriorischer Erkenntnis gesichert werden. Allerdings ist dabei zu betonen, dass die apriorische Erkenntnis bei Husserl keine Erkenntnis ist, welche das Erkenntnisobjekt – in Gegenüberstellung zu einem unerkennbaren „Ding an sich“ – erzeugt, sondern es nur vorfindet wie die aposteriorische Erkenntnis. Darüber hinaus ist dem Subjekt das Erkenntnisobjekt – im Rahmen der phänomenologischen Methode – in der unmittelbaren Erkenntnis a priori im „Original“ (d.h. als selbstgegenwärtig) gegeben. Beide Prinzipien (Unabhängigkeit und Allgemeingültigkeit) stellen das Fundament der phänomenologischen Methode dar, auf dem die weiteren methodischen Maßnahmen entwickelt werden, die Husserl als „Reduktionen“ bezeichnet. In der gegenwärtigen Husserl-Forschung spricht man grundsätzlich von zwei Reduktionen (R): der phänomenologischen (bzw. transzendentalen) und der eidetischen R. Der Begriff „Reduktion“ (Epoché) bedeutet die Einklammerung, Ausschaltung von etwas. Dank der Durchführung der phänomenologischen Epoché will Husserl das Gebiet des reinen Bewusstseins erlangen, das auch als transzendentales Bewusstsein bezeichnet wird. Deshalb heißt die Operation, durch die das transzendentale Bewusstsein gewonnen wird, „transzendentale Epoché“. Weil die Operation der Ausschaltung schrittweise verläuft, spricht Husserl hinsichtlich ihrer Gesamtheit von der „phänomenologischen Reduktion“. In der phänomenologischen Epoché erscheint die ganze Welt nicht außerhalb, sondern innerhalb des 43

43

Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 168f.

288 Bewusstseins. So kann der Phänomenologe „zu den Sachen selbst“ gelangen. Dadurch wird nun die Bewusstseinsunabhängigkeit der Welt ausgeschaltet, d.h. des Ich, der erfassenden Akte und der Gegenstände. Das bedeutet aber nicht, dass die Existenz der realen Welt geleugnet wird, sondern nur eingeklammert. Nach der Durchführung der transzendentalen Epoché haben wir es nicht mehr mit dem Akt zu tun, sondern mit der „Noesis“, und nicht mehr mit dem Gegenstand, sondern mit dem „Noema“. Beide Entitäten gehören also – neben dem reinen Ich - zum reinen Bewusstsein, das als „Residuum“ nach dem Vollzug der transzendentalen Reduktion bleibt. Die in der Erkenntnis a priori fundierte phänomenologische Methode wird durch die eidetische Reduktion ergänzt. Auf dem Gebiet des reinen Bewusstseins gibt es lediglich das reine Ich und die reinen Bewusstseinsinhalte (Noesen und Noemata). Damit werden alle Tatsachen ausgeschaltet und die Phänomenologie wird somit zur „Wesensschau“. Dank der eidetischen Reduktion gelangt jetzt das Wesen von dem, was im reinen Bewusstsein erscheint, in den Blick. Zum einen wird dadurch die Existenz der im Bewusstsein erscheinenden Gegenstände eingeklammert, zum anderen deren zufällige und individuelle Beschaffenheit. Danach verbleibt nur das, was wesenhaft ist. Husserls Lehre von der Erkenntnis a priori leitet viele Impulse von seiner Kritik am Psychologismus her, der durch empirisch-naturalistische Tendenzen geprägt ist. Wie die Geschichte der Philosophie aber zeigt, sind indes auch diese Tendenzen für das methodische Verfahren im Rahmen der Epistemologie bedeutsam. 44

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Dies führt zu einer Position, die als transzendentaler Idealismus bezeichnet wird. Vgl. Husserl, E. (2002), 108f. Vgl. Husserl, E. (2002), 7f; 141f; 179f. Das Charakteristische an der begrifflichen Seite der eidetischen Reduktion ist deren Inkonsequenz. So verwendet Husserl in den „Logischen Untersuchungen“ (II und VI) den Ausdruck „Spezies“ (=ideale Qualität); den Akt, in dem die „Spezies“ erfasst wird, bezeichnet er als „Ideation“. In seinen späteren Publikationen (z.B. „Ideen I“) spricht Husserl nicht mehr von „Spezies“, sondern von „Wesen“ und „Eidos“, und bezeichnet den Akt, in dem das Wesen zum Vorschein kommt, als „Wesensschau“ (vgl. Rynkiewicz, K. [2008], 62). 44 45 46

289 4. Die naturalistische Methode Im Gegensatz zur rationalistischen Methode, die in der traditionellen Erkenntnistheorie fundiert ist, wird die naturalistische Methode in der gegenwärtigen epistemologischen Debatte mit der naturalistischen Erkenntnistheorie (NE) in Verbindung gebracht, wobei der NE bisweilen auch das Prädikat „moderne Erkenntnistheorie“ zugeschrieben wird. Ob dies mit Recht geschieht, wollen wir hier nicht diskutieren. Wir werden aber sehen, dass es doch einige Anzeichen gibt, welche diese These ernsthaft anzweifeln können. Diese Anzeichen entspringen vor allem dem Begriff „Empirismus“, der die Grenzen modernen Denkens eindeutig sprengt. Während also der Rationalismus die Wende zum Subjekt als Wende zur Vernunft und zugleich als Abwertung der Sinnlichkeit vollzieht, geht es bei dem Empirismus um die Wende zum Subjekt als Wende zur sinnlichen Erfahrung. Daher ist der Empirismus bemüht, Vernunft auf Sinnlichkeit zurückzuführen und die sinnliche Erkenntnis als die einzige Erkenntnis zu erweisen. Diese Tendenz wurde vor allem von Hume mit modernen begrifflichen und methodischen Mitteln in Gang gesetzt, so dass schon zu dieser Zeit ein festes empirisches Fundament zu erblicken ist, das aber erst im 20. Jahrhundert sonderlich geschätzt wird, als positivistische und naturalistische Strömungen auch den epistemologischen Bereich zu beeinflussen beginnen. Als epistemologisch relevantes Ergebnis könnte man den „Naturalismus“ nennen. Der Naturalismus in der Erkenntnistheorie geht nun ursprünglich auf Hume zurück und wird von Quine in seiner ersten Form entworfen. Er ist eine Reaktion auf wesentliche Probleme und Einseitigkeiten in der traditionellen Erkenntnistheorie. 47

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Empirische Elemente kommen schon in der Philosophie der Antike vor. Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 134f. Quine hat diese ganze Debatte in die Wege geleitet, und zwar mit seinem Aufsatz „Two dogmas of empirism“. Diese Idee wurde dann von vielen anderen Denkern aufgegriffen.

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290 4.1. Das empirische Fundament der naturalistischen Methode Fundamentale Grundlagen der naturalistischen Methode, welche sich im Laufe der Philosophiegeschichte für die epistemologische Analyse – neben der apriorischen Methode der traditionalen Erkenntnistheorie - als bedeutsam erwiesen hat, wurden schon von David Hume in seinen Werken „A treatise on human nature“ und „An Enquire concerning human understanding“ festgelegt. Hume geht es um eine erkenntniskritische Fundierung des menschlichen Wissens. Die einzig sichere Erkenntnisquelle ist die Erfahrung und Beobachtung, also die Methode der Naturwissenschaft. Diese Methode soll nun auch auf die Philosophie angewendet werden. Hume übernimmt zuvor von Locke zwei Quellen der Bewusstseinsinhalte (sensation und reflection) sowie die Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Ideen und fragt, wie die Inhalte des Bewusstseins zustande kommen. So kommt Hume zum Resultat, dass alle Bewusstseinsinhalte letztlich sinnliche Wahrnehmungen (perceptions) sind. Und es gibt zwei Klassen von perceptions: (1) Impressionen (impressions) – sind aktuelle Sinnesempfindungen, die wir haben, wenn wir hören, sehen, fühlen, lieben, hassen usf.; (2) Ideen (I) (ideas) – sind entweder einfach oder zusammengesetzt: (a) einfache I – ergeben sich aus der Reflexion von Impressionen und sind deren schwächere Kopien; (b) zusammengesetzte I – ergeben sich aus der Verknüpfung einfacher I durch Assoziation. Assoziationen ergeben sich mechanisch aufgrund der Ähnlichkeit, der zeitlichen und räumlichen Berührung, des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung. Da es nach Hume keine Vernunft gibt, die von der Sinnlichkeit verschieden wäre, ergeben sich zwei schwerwiegende Folgen. Zum einen wird die Substanz aufgelöst, weil Dinge nur Reihen von Perzeptionen im sinnlichen Bewusstsein sind. Zum anderen wird das Ich nur für ein Bündel von sinnlichen Perzeptionen gehalten und damit aufgelöst. 50

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Natürlich ist auch nicht zu übersehen, dass Hume die Lockesche Tradition weiterführt. Vgl. Hume, D. (1993), 17f ; ders., (1989), 8f. Vgl. dazu Coreth, E. (2000), 127f; Anzenbacher, A. (2002), 134. 50

51

291 Welche epistemologischen Konsequenzen ergeben sich, sollte man dem empirischen Fundament Hume´s Geltung verschaffen? Wenn die traditionelle Erkenntnistheorie die Aufgabe hat, alle menschlichen Erkenntnisquellen normativ zu bewerten und die erkenntnistheoretischen Grundbegriffe zu klären, und wenn sie sich dabei auf eine autonome, von allen nicht-philosophischen Erkenntnisquellen unabhängige Methode apriorischer Einsicht beruft, dann lässt sich das mit empirischer Sicht anscheinend nicht vereinbaren. Denn nach Hume reichen unsere begrenzten empirischen Gründe, die von nichts anderem als unseren Sinneserscheinungen handeln, niemals aus, um unsere Überzeugungen über die Außenwelt wirklich zu rechtfertigen. Mit anderen Worten: Eine Legitimation unserer Erkenntnis über die Außenwelt ist nach Hume nicht möglich. Darüber hinaus erblickt er ein prinzipielles Problem, wenn man versucht, alle Erkenntnisquellen voraussetzungslos gegen den Skeptiker zu legitimieren. Denn jeder Versuch einer erkenntnistheoretischen Legitimation beruht schon auf vorausgesetzten Erkenntnisquellen und kann deshalb nicht als vollkommen voraussetzungslos angesehen werden. Es hat also keinen Sinn, nach einer unabhängigen Legitimation aller Erkenntnisquellen zu suchen. Diese Behauptung wird unter anderem durch das berühmte „Bibliothek-Beispiel“ zugespitzt. Hume schreibt: 52

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„Greifen wir irgendeinen Band heraus, etwa über Gotteslehre oder Schulmetaphysik, so sollten wir fragen: Erhält er irgendeinen abstrakten Gedankengang über Größe und Zahl? Nein. Enthält er irgendeinen auf Erfahrung gestützten Gedankengang über Tatsachen und Dasein? Nein. Nun, so werft ihn ins Feuer, denn er kann nichts als Blendwerk und Täuschung enthalten“. 54

Aus diesem Zitat ergeben sich zwei Kriterien der Erkenntnis, die Hume für die einzig wahren Kriterien hält: das mathematische und das empirische Kriterium. Alle Kriterien metaphysischer Provenienz sind dagegen zu verwerfen. Die unerbittliche Verwerfung aller Aussagen, die dem mathematischen und empirischen Kriterium nicht genügen, ist als „Humes Das ist der klassische Einwand, der in der epistemologischen Debatte „petitio principi“ (=Voraussetzung des zu Beweisenden) genannt wird. Vgl. Hume, D. (1993), 175f. Vgl auch Grundmann, T. (2008), 544f. Hume, D. (1993), 193.

52

53 54

292 fork“ (Humes Weggabelung) in die Diskussion eingegangen. Wenn wir den empirischen Standpunkt Humes noch deutlicher auf den Punkt bringen wollen, so können wir sagen, er vertrete einen „Sensualismus“. Es handelt es sich also um einen Standpunkt, wonach wir die Existenz von keinerlei Arten von Dingen zulassen sollten, von denen wir nicht über die Sinneserfahrung unmittelbar Zeugnis haben. Hume zufolge sind die unmittelbaren Gegenstände unserer Wahrnehmungen nicht „external objects“, sondern die bewusst erfahrenen Phänomene (Impressionen, Ideen). Der Sache nach ist also Humes Theorie eine Variante des Phänomenalismus. Deshalb ist zu fragen: Welche Auswirkungen hat dieser Phänomenalismus in der gegenwärtigen epistemologischen Debatte? Unsere Aufmerksamkeit gilt dabei der naturalistischen Methode. 55

4.2. Das strukturelle Vorgehen der naturalistischen Methode Humes empirische Denkweise hat sich bekanntlich vor allem im Neupositivismus als fruchtbar erwiesen. Dies kann man am Beispiel von Quine gut beobachten, der das naturalistische Verfahren epistemologisch neu interpretierte, indem er es mit Blick auf die Psychologie kritisch würdigte. Das führt zum Entstehen einer doppelten Struktur des Naturalismus, die sich in zwei Arten des Naturalismus zeigt: im ersetzenden und im erhaltenden Naturalismus, wobei der letztere noch weiter differenziert werden kann. Also: Naturalisierte Erkenntnistheorie ↓ Ersetzender Naturalismus



Erhaltender Naturalismus (N)

↓ Ontologischer N

↓ Methodologischer N (MN)

↓ Starker MN

↓ Schwacher MN

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 227. Hume selbst verwendet allerdings den Begriff „Phänomenalismus“ nicht.

55

293 So wie Hume gibt auch Quine die Suche nach einer Rechtfertigung und Legitimation von Überzeugungen als fruchtlos auf und ersetzt sie durch eine Analyse der kausalen Genese von Überzeugungen. So kommt Quine zu einer Position, die man als ersetzenden Naturalismus (EN) bezeichnen kann. Mit anderen Worten: Die traditionelle Erkenntnistheorie wird durch empirische Erkenntnispsychologie ersetzt. Dieser EN verwirft also die Erkenntnistheorie nicht, sondern er versucht sie der empirischen Psychologie anzupassen. Den Hintergrund für diese Entscheidung stellt Quines Differenzierung zwischen der Theorie der Begriffe (bzw. der Bedeutung) und der Theorie der Geltung (bzw. der Wahrheit) dar. Diese Differenzierung findet in der Erkenntnistheorie des empirischen Wissens nicht weniger Anwendung als in den Grundlagen der Mathematik. Die Parallele ist folgende: Genauso wie die Mathematik auf die Logik reduziert werden kann, soll empirisches Wissen auf Sinneserfahrungen gegründet werden. Mit Blick auf diese Differenzierung heißt das, den Begriff des Körpers von der Sinneserfahrung her zu erklären, und unser Wissen über die Natur von der Sinneserfahrung her zu rechtfertigen. Daher ergeben sich für Quine folgende zwei Thesen des Empirismus: 56

These 1: „Alles, was für oder gegen eine wissenschaftliche Theorie spricht, stammt aus der Erfahrung“. und These 2: „ Jegliche Bedeutungsgebung für Wörter muss letztlich auf der Sinneserfahrung gründen“. Um diesen beiden Thesen gerecht zu werden, greift also Quine auf die empirische Psychologie zurück. Denn er meint, dass die Reizungen unserer eigenen Sinnesrezeptoren letztlich das einzige sind, was wir haben, um zu unserem Bild von der Welt zu gelangen. Die Ersetzung der Erkenntnistheorie durch die Psychologie führt dazu, dass die erstere einen neuen Status bekommt, der ihre Existenz innerhalb der empirischen Wissenschaften garantiert. So kann die Erkenntnistheorie empirische 56

Quine, W.V.O. ( 1985), 95.

294 Phänomene analysieren, vor allem physische menschliche Subjekte. Dem menschlichen Subjekt wird z.B. ein bestimmter, experimentell kontrollierter Input gegeben, und danach liefert das Subjekt zur rechten Zeit als Output eine Beschreibung der Außenwelt und ihres Verlaufs. Die Analyse der Beziehung zwischen Input und Output ist epistemologisch motiviert. Mit anderen Worten: Es kommt darauf an herauszufinden, wie sich Beobachtung und Theorie zueinander verhalten, und in welcher Weise die Theorie eines Subjekts, welche die Natur betrifft, über alle Beobachtungen hinausgeht, die das Subjekt je machen könnte. Während die traditionellen Erkenntnistheoretiker diesbezüglich sagen, die Erkenntnistheorie solle die empirischen Wissenschaften in gewissem Sinne einschließen, behaupten die naturalistischen Erkenntnistheoretiker hingegen, dass die Erkenntnistheorie in den empirischen Wissenschaften als ein Teil der Psychologie - eingeschlossen ist. Die naturalistische Erkenntnistheorie ist daher in den empirischen Wissenschaften und die empirischen Wissenschaften sind in der Erkenntnistheorie enthalten. Der in der empirischen Psychologie fundierte ersetzende Naturalismus weist jedoch manche Schwächen auf. Drei Probleme seien hier angesprochen: Erstens können die Argumente von Quine das Scheitern der traditionellen Erkenntnistheorie nicht nachweisen. Denn Quine beruft sich auf das skeptische Argument der erkenntnistheoretischen Kluft. Dieses Argument betrifft aber nur empiristische Positionen, schließt jedoch keinesfalls aus, dass die Rationalitätslücke zwischen Sinnesdaten und Außenweltüberzeugungen durch ein apriorisches Brückenprinzip geschlossen werden könnte. Zweitens folgt aus dem Scheitern einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie jedoch nicht ohne weiteres, dass alle normativen Fragen der Erkenntnistheorie aufgegeben werden müssen und als einziger Ausweg die Psychologie bleibt. Und drittens handelt es sich bei dem ersetzenden Naturalismus lediglich um einen Themenwechsel, und er kann nicht als Nachfolger der traditionellen Erkenntnistheorie angesehen werden. Denn während die traditionelle Erkenntnistheorie zwischen guten und schlechten Gründen unterscheidet, spielen derartige evaluative Unterschiede in der Psychologie überhaupt 57

57

Vgl. Quine, W.V.O. (2003), 86f, 98f.

295 keine Rolle. Die Psychologie kann die erkenntnistheoretische Normativität nicht erklären. Der ersetzende Naturalismus Quines kann daher nicht als eine überzeugende Alternative der traditionellen Erkenntnistheorie angesehen werden, weil er den normativen Aspekt epistemologischer Fragestellung vernachlässigt. Umso dringender stellt sich die Frage, ob es eine andere Lösung gibt. Wie oben angedeutet wäre der erhaltende Naturalismus (EN) eine Alternative. Damit sind alle Positionen gemeint, die sowohl normative Fragen als auch erkenntnistheoretische Tatsachen im Blick behalten und zugleich annehmen, dass diese erkenntnistheoretischen Tatsachen Teil der natürlich-deskriptiven Welt sind, die sich letztlich mit empirischen Methoden analysieren lässt. Der EN will also Gründe und Erkenntnisquellen mit Hilfe von empirischen Methoden bewerten. Der EN kommt in zwei Varianten vor: als ontologischer (ON) und methodologischer Naturalismus (MN). Der ON in der Erkenntnistheorie behauptet, dass erkenntnistheoretische Tatsachen von ontologischen Tatsachen abhängen. Nennen wir ein paar Beispiele: (1) John weiß, dass Cäsar den Rubikon überquerte; und (2) Alice weiß, dass sie ihre Prüfung nicht bestanden hat. Der Grund für die Rechtfertigung der beiden epistemologischen Wissenstatsachen, die in den obigen Beispielen auftreten, sind ontologische Tatsachen, d.h. die Tatsache, dass Cäsar den Rubikon überquerte, und die Tatsache, dass Alice die Prüfung nicht bestanden hat. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den epistemologischen und ontologischen Tatsachen kann man mit Hilfe des Begriffs „Supervenienz“ formulieren. Also: Erkenntnistheoretische Tatsachen supervenieren auf ontologische Tatsachen. Jede Veränderung in den erkenntnistheoretischen Tatsachen entspricht einer Veränderung in den ontologischen Tatsachen. 58

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60

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 546f. Vgl. Grundmann, Th. (2008), 547f. Vgl. Vgl. Searle, J. (2006), 159f. Der Begriff „Supervenienz“ wurde vor allem durch Jaegwon Kim (vgl. ders. [1984], 257-270) geprägt und erweist insbesondere in der Philosophie des Geistes wertvolle Dienste, indem er das Verhältnis zwischen Bewusstsein und Gehirn bestimmt. Searle unterscheidet zwischen der konstitutiven (z.B. „Gut zu sein und schlecht zu sein supervenieren auf andere Eigenschaften der Tat“) und der kausalen Supervenienz (z.B. „Bewusstsein superveniert auf 58 59 60

296 Der MN, als zweite Form des erhaltenden Naturalismus, tritt wiederum in zwei Formen auf, d.h. als starker MN und schwacher MN. In seiner starken Form besagt der MN, dass die Methode der Erkenntnistheorie rein empirisch ist, in seiner schwachen Form plädiert er hingegen dafür, dass die Ergebnisse der empirischen Wissenschaften (d.h. Psychologie, Neurowissenschaften, Kognitionswissenschaft usf.) für die Erkenntnistheorie relevant sind. Versuchen wir jetzt den erhaltenden Naturalismus (EN) kritisch zu bewerten. Gegen den ontologischen Naturalismus (ON), der durch eine reliabilistische These gestützt wird, wird vor allem der Einwand des naturalistischen Fehlschlusses erhoben: Epistemische Tatsachen lassen sich prinzipiell nicht absolut in nicht-epistemische Tatsachen zerlegen. Genauer gesagt, epistemische Tatsachen lassen sich nicht absolut auf ontologische Tatsachen reduzieren. Gegen den methodologischen Naturalismus (MN) lässt sich allerdings mehr einwenden. So muss sich der starke MN mit folgenden Kritikpunkten auseinandersetzen: (1) Zirkularität – wenn die Erkenntnistheorie eine Theorie aller Quellen ist, dann ist sie auch eine Theorie aller empirischen Quellen, also auch ihrer eigenen Quelle. Das ist aber zirkulär; (2) Inkonsistenz – ist in der These fundiert: „Wahrheit widerspricht ihrer Rechtfertigung“. Die These, dass es keine Rechtfertigung gibt, ist in diesem Sinne inkonsistent. Denn wenn diese These wahr ist, dann ist sie selbst nicht gerechtfertigt; und (3) Notwendigkeit begrifflicher Intuition – um die erkenntnistheoretischen Begriffe (Wahrheit, Wissen, Rechtfertigung) zu erklären, stützen wir uns auf apriorische begriffliche Intuitionen. Der starke MN übersieht jedoch diese Notwendigkeit. Indessen kann man den Einwand gegen den schwachen MN bündig wie folgt formulieren: Der schwache MN schließt nicht aus, dass apriorische Methoden in der Erkenntnistheorie wenigstens partiell verwendet werden. 61

62

Gehirnprozesse“). Im Falle von epistemologischen und ontologischen Tatsachen liegt die kausale Supervenienz vor. Also durch die These: „Wissen ist eine wahre Überzeugung, die durch sichere Gründe verursacht wird“. Vgl. Sellars, W. (1999), 8f. Die These des naturalistischen Fehlschlusses geht bekanntlich auf Hume zurück: „Aus den Ist-Aussagen lassen sich keine Soll-Aussagen ableiten“. 61

62

297 Denn er betont nur, dass die Ergebnisse vieler empirischer Einzelwissenschaften für die Erkenntnistheorie relevant sind und dass man deshalb Erkenntnistheorie ohne Rücksicht auf die Resultate empirischer Wissenschaften nicht vernünftig betreiben kann. Die naturalisierte Erkenntnistheorie weist also auch erhebliche Mängel auf und kann zahlreichen kritischen Anforderungen nicht standhalten, nicht zuletzt deshalb, weil sie einfach die Analyse von grundlegenden epistemologischen Begriffen völlig außer acht lässt. 63

5. Die Begriffsanalyse Jede epistemologische Reflexion erfordert eine Menge von grundlegenden Begriffen wie Wissen, Rechtfertigung, Wahrheit usw., die vorab sorgfältig geklärt werden müssen. Von einer gelungenen begrifflichen Erklärung hängt das endgültige Resultat epistemologischer Tätigkeit ab. Damit die oben genannten, aber auch anderen epistemologischen Begriffe erfolgreich geklärt werden können, benötigen wir jedoch eine Methode. Wie kann aber eine solche Methode aussehen? Es steht außer Zweifel, dass diese nicht im Bereich der Natur zu finden ist. Denn empirische Faktoren sind methodisch nicht in der Lage, eine epistemologisch relevante begriffliche Klärung zu garantieren. Sie können diese nur in einem gewissen Grad fördern. Als kompetent erweisen sich hier vielmehr apriorische Faktoren, deren Beachtung die Standardmethode der rationalistischen Methodik erst ermöglicht. Oder wir können dies auch anders formulieren: Die Begriffsanalyse stellt die Standardmethode der Aprioristen dar und ist sprachphilosophisch fundiert. In diesem Abschnitt wollen wir diese Methode genauer beleuchten. Die Begriffsanalyse zielt nun darauf ab, die Bedeutung von Wörtern zu klären. Im Hinblick auf die Erkenntnistheorie heißt das, als erstes das Wort „Wissen“ zu klären. Zu dem Zweck bedienen wir uns vorab des Satzes „S weiß, dass p“. So können wir für „S“ beliebige Namen von Personen einsetzen, für „p“ hingegen Behauptungssätze, z.B. „John weiß, dass sein Bruder heute aus dem Ausland zurückgekehrt ist“. Die Begriffsanalyse soll dann eine Reihe von notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür 63

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 553f.

298 liefern, dass dieser Satz wahr ist. Mit anderen Worten: Die Begriffsanalyse soll die Wahrheitsbedingungen ans Licht bringen. Dies geschieht in zwei Schritten: (1) Zuvor wird eine Bedingung vorgeschlagen, die man auf den ersten Blick für plausibel hält; (2) Dann werden Beispiele gesucht, um zu überprüfen, ob die Bedingung doch nicht notwendig, eventuell noch nicht hinreichend ist. Wenn man ein Beispiel findet, bei dem wir sagen würden, dass eine Person S weiß, dass p, obwohl die in Frage stehende Bedingung nicht erfüllt ist, so ist die Bedingung nicht notwendig. Wenn man dagegen ein Beispiel findet, bei dem alle bis dahin vorgeschlagenen Bedingungen erfüllt sind, wir aber nicht sagen würden, dass die entsprechende Person S weiß, dass p, so sind die vorgeschlagenen Bedingungen noch nicht hinreichend. In beiden Fällen muss also die Liste der Bedingungen modifiziert werden: Im ersten Fall wird die in Frage stehende Bedingung verworfen, im zweiten Fall schlägt man eine weitere Bedingung vor. Das Verfahren bricht erst dann ab, wenn eine Liste von Bedingungen allen bekannten Beispielen standhält. Wie die Begriffsanalyse konkret funktioniert, zeigen wir nun an folgendem Beispiel: Im ersten Schritt schlagen wir vor, dass wir nur wissen können, dass p, wenn es der Fall ist, dass p. Die Bedingung ist demnach zwar notwendig, jedoch allein noch nicht hinreichend. Allein die Tatsache, dass es regnet, hat noch lange nicht zur Folge, dass John weiß, dass es regnet. Dazu muss John auch mindestens überzeugt sein, dass es regnet. Damit ist aber schon ein zweiter Schritt für eine notwendige Bedingung gemacht: Das Subjekt S weiß nur dann, dass p, wenn S glaubt, dass p. Zweitens prüfen wir dann, ob diese Bedingung tatsächlich notwendig ist – vielleicht brauchen wir auch eine andere zweite Bedingung. Außerdem muss man sich überlegen, ob es Beispiele gibt, welche die beiden bisher genannten Bedingungen als nicht hinreichend für Wissen erweisen. So wird klar, dass Beispiele für eine Begriffsanalyse entscheidend sind. Die apriorisch fundierte epistemologische Begriffsanalyse ist von der naturalistisch fundierten Begriffsexplikation im Sinne Carnaps zu unterscheiden. Während die erstere die schon vorhandenen Begriffe klären will, indem etwa die Natur eines Begriffs bestimmt wird, beabsichtigt die letztere klar zu machen, wie wir über Begriffe sprechen sollen, und stellt

299 dabei die Frage, ob Begriffe überhaupt eine Natur haben. Da die Klärung bestehender Begriffe einen umfassenden Charakter aufweist, so kann man auch von mehreren miteinander verknüpften Formen der Begriffsanalyse sprechen. Hier seien nur einige erwähnt: (1) Wesensdefinition; (2) Angabe von notwendigen, bzw. hinreichenden Bedingungen; (3) Einfache Beschreibung; (4) Logische Rekonstruktion und (5) Intuitive Bestimmung. Wir können also einen Begriff analysieren, indem wir sein Wesen bestimmen. Bei der Bestimmung des Wesens ergeben sich allerdings viele Alternativen, je nachdem, wie dieser Begriff referiert, d.h. ob er sich z.B. auf ein Auto, einen Menschen oder einfach auf Wissen bezieht. Allgemein gesehen können wir auch sagen, dass der Begriff „Wesen“ auf einen Gegenstand referiert; aus epistemologischer Sicht müssen wir dagegen vor allem behaupten, dass der Begriff „Wesen“ auf Wissen referiert. Wenn wir daher Wissen als einen Gegenstand betrachten, dann können wir fragen, was das Wesen von Wissen sei. Das Problem des Wesens des Gegenstandes verbindet sich mit dem Problem der Ideen und idealen Qualitäten. Dadurch wird die ontologische Seite der epistemologischen Bestimmung des Wesensbegriffs hervorgehoben. So können wir zunächst feststellen, zum Wesen des Gegenstandes, d.h. hier des Wissens gehört nicht nur seine Form und Seinsweise, sondern auch seine Materie. Dabei entscheidet vor allem die Materie stets darüber, was und wie das Wissen beschaffen sei. Auf dieser Grundlage können wir weiter behaupten, dass das Wesen von Wissen durch viele Faktoren gebildet wird: Da sind sowohl die konstituierende Natur des Wissens als auch Eigenschaften des Wissens zu nennen. Die Bestimmung des Wesens von Wissen hängt aufs engste mit der Angabe von notwendigen, bzw. hinreichenden Bedingungen oder Eigenschaften zusammen. Das ist also die zweite Form der Begriffsanalyse. Dabei bleibt allerdings offen, durch welche Eigenschaften das Wesen von Wissen zu charakterisieren ist. Auf den ersten Blick scheinen folgende Eigenschaften ins Spiel zu kommen: überzeugt-, wahr-, 64

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Vgl. Ernst, G. (2007), 37f. Natürlich kann der Begriff „Wesen“ auch auf Überzeugung, Rechtfertigung, Wahrheit usf. referieren. Vgl. Rynkiewicz, K. (2008), 176.

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300 gerechtfertigt- und nicht zufällig-sein. Denn wir haben das Wissen unter anderem als eine wahre, gerechtfertigte und nicht zufällige Überzeugung definiert. In dem Kontext soll deshalb eine Begriffsanalyse zeigen, dass alle diese Eigenschaften für den Wissensbegriff notwendig sind, bzw. dessen notwendige Bedingungen darstellen. Wenn aber eine Eigenschaft einzeln betrachtet wird, dann ist sie nicht hinreichend, damit das Subjekt S weiß, dass p. Darüber hinaus können wir den Begriff „Wissen“ dadurch analysieren, dass wir ihn in einer bestimmten Sprache beschreiben, so wie wir z.B. einen Menschen X beschreiben. Eine solche Beschreibung kann jeder abgeben, der diese Sprache spricht. Hierzu benötigen wir allerdings manche Koordinaten wie die Angabe der Zeit, des Ortes, der äußeren und inneren Struktur des Gegenstandes usf. So können wir etwa sagen: „X lebt am 28. Februar 2011 in München, sieht so und so aus, hat einen bestimmten Charakter (z.B. ist immer gut gelaunt, hilfsbereit, verantwortungsbewusst usf.)“. Offenbar können wir simpel einsehen, dass eine Beschreibung von Wissen eine andere ist als die von einem Menschen, da die Beschreibung von Wissen auch teilweise auf den Begriff des Menschen angewiesen ist. Im Hinblick auf Wissen könnten wir dann zwar sagen: „Wissen ist objektiv oder subjektiv, wird mitgeteilt oder bleibt verborgen“. Diese auf Wissen referierenden Prädikate lassen sich aber nur im Kontext des Begriffs „Mensch“ verstehen. Das heißt, das Angewiesensein von Wissen zeigt sich unter anderem dadurch, dass das Wissen von bestimmten menschlichen Subjekten erworben und an andere Subjekte mitgeteilt wird. Eine andere Möglichkeit, den Wissensbegriff zu analysieren, stellt die logische Rekonstruktion dar. Wir können z.B. Wittgenstein folgen, der in seinem „Tractatus“ behauptet, dass in der Logik nichts zufällig sei. Wenn das Ding im Sachverhalt vorkommen kann, so muss die Möglichkeit des Sachverhalts im Ding bereits präjudiziert sein. Wenn ich den Gegenstand 67

Vgl. dazu Kapitel 4. Wenn wir den Begriff „Wesen“ phänomenologisch präzisieren würden, dann müssten wir auch mit Husserl hinzufügen: „Das Wesen (Eidos) ist ein neuartiger Gegenstand. So wie das Gegebene der individuellen oder erfahrenden Anschauung ein individueller Gegenstand ist, so ist das Gegebene der Wesensanschauung ein reines Wesen“ (vgl. Hua III/1, 10f). 67

301 kenne, so kenne ich auch sämtliche Möglichkeiten seines Vorkommens in Sachverhalten. Für den Begriff des Wissens ergibt sich daraus Folgendes: Wenn man dem Subjekt S das Wissen „dass p“ zuschreibt, so muss das Subjekt S bereits potentiell fähig sein, das Wissen „dass p“ irgendwie zu erwerben. Das ist eine logische Folge. Schließlich können wir eine Analyse des Wissensbegriffs durchführen, indem wir intuitiv verfahren. George Bealer schlägt z.B. vor, über die Intuition im Erkenntnisprozess als führende Entität der Möglichkeit zu sprechen. Er schreibt Folgendes: 68

„[...] By intuitions we mean seemings: for you to have an intuition that p is just for it to seem to you that p. Here ´seems´ is unterstood, not in its use as a cautionary […] term, but in its use as term for genuine kind of conscious episode. For example, when you first consider one of de Morgan´s laws, often it neither seems true nor seems false; after a moment´s reflection, however, something happens: it now just seems true. This kind of seeming is intellectual, not experimental – sensory, introspektive, imaginative. Intuition is different from belief: you can believe things that you do not intuit (e.g., that Paris is in France), and you can intuit things that you do not believe (e.g., the axioms of naïve set theory)”. 69

Das menschliche Subjekt kann also durch den Intuitionsfaktor in seinem Erkenntnisprozess gestützt werden. In der Verbindung mit dem Intellektsfaktor trägt das intuitive Verfahren nicht nur dazu bei, dass sich der Umfang von Wissen vergrößert, sondern auch dass die Qualität bzw. Objektivität von Wissen zunimmt. Das Subjekt kann also deutlicher wissen, dass p. Selbst wenn die Begriffsanalyse grundsätzlich wertvolle Dienste für die Erkenntnistheorie erweist, weil sie für die begriffliche Klarheit sorgt, kann sie sich einer lehrreichen Kritik nicht entziehen. So wäre etwa zu fragen: (1) Geht es nur um Wörter? Alles, was die Begriffsanalyse leistet, ist die Bedeutung des Wortes „Wissen“ zu klären. Wir möchten uns aber nicht mit Begriffen, schon gar nicht mit bloßen Wörtern beschäftigen, sondern mit den Sachen selbst; (2) Wenn es um die Analyse der Bedeutung eines Wortes (oder nur einiger Wörter) geht, sind wir dann nicht an eine Vgl. Wittgenstein, L., TLP 2.012, 2.01223. Bealer, G. (2008), 190. Zur Problematik der Intuition vgl. auch Rynkiewicz, K. (2011). 68 69

302 Sprache gebunden? Ist eine solche Konstellation überhaupt akzeptabel? Diesen Einwand gegen die Begriffsanalyse können wir als „Provinzialitätsvorwurf“ bezeichnen; und (3) Ist die Begriffsanalyse nicht wertlos? Dieser Einwand geht auf George E. Moore zurück und kann wie folgt lauten: Ein kompetenter Sprecher bezüglich des Ausdrucks X zeichnet sich dadurch aus, dass er die Bedeutung des Ausdrucks X kennt. Nehmen wir Folgendes an: Das Ergebnis einer Begriffsanalyse ist, dass der Ausdruck X durch den Ausdruck Y analysiert werden kann und dass wir sowohl in Bezug auf X als auch in Bezug auf Y kompetente Sprecher sind. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Analyse ist korrekt oder inkorrekt. Ist sie inkorrekt, so ist sie wertlos. Ist sie aber korrekt, so ist sie ebenfalls wertlos, weil sie uns nichts anderes sagt, als dass die Ausdrücke X und Y dasselbe bedeuten. Da wir aber bezüglich X und Y kompetente Sprecher sind, wussten wir schon, was diese Ausdrücke bedeuten, insbesondere, dass sie dasselbe bedeuten. Die Analyse sagt uns also nichts Neues. Diese Einwände verdeutlichen anschaulich, welche Bedeutung das hermeneutische Verfahren für die Erkenntnistheorie hat. 70

6. Die hermeneutische Methode Im Erkenntnisprozess eines menschlichen Subjekts sind offenbar viele Faktoren relevant. Abgesehen von notwendigen und hinreichenden Bedingungen, welche subjektiv oder objektiv sein können, scheinen vor allem zwei Elemente in diesem Kontext relevant zu sein, nämlich Erklären und Verstehen. Diese beiden Elemente weisen eine hermeneutische Funktion auf, d.h. sie sind zwei grundlegende Säulen der hermeneutischen Methode, wobei dem Verstehen eine besondere Rolle zukommt (vgl. unten). Das Erkennen und Wissen „dass p“ setzen voraus, dass ich das zu Erkennende irgendwie bereits verstanden habe. Wenn ich das aber richtig verstanden habe, dann steht grundsätzlich nichts mehr im Wege, dass ich das Verstandene – mehr oder weniger plausibel - auch erklären kann. Das hermeneutisch orientierte Verstehen und Erklären erfordern eine 71

Vgl. Ernst, G. (2007), 40f. Natürlich könnte man auch von einer anderen Relation sprechen: Bevor ich etwas verstehen kann, muss ein Erkenntnisprozess stattfinden. 70 71

303 wissenschaftstheoretische Grundlage. Je nachdem, wie diese Grundlage jeweils ausgestaltet ist, so können Verstehen und Erklären gelingen oder misslingen, weil die Systematisierung der zu verstehenden und erklärenden Probleme nicht mehr gewährleistet werden kann. Es dürfte schon einleuchten, dass man im gewöhnlichen Sprachgebrauch keinen scharfen Unterschied zwischen „eine Tatsache erklären“ und „eine Tatsache verstehen“ macht. Denn jede Art von Erklärung einer Tatsache fördert zugleich unser Verstehen dieser Tatsache. Beim genaueren Hinsehen fällt jedoch auf, dass das Wort „Verstehen“ zugleich eine zusätzliche semantische Komponente mit sich bringt, die dem Wort „Erklären“ fehlt. Diese Komponente gewährleistet den Bezug auf etwas Psychisches. Wir können dies insbesondere an Beispielen aus der Geschichte beobachten. So hat das Verstehen einer Strategie Napoleons, der Ursachen des Zweiten Weltkrieges, der Unruhen in Tunesien, Ägypten und Libyen im Jahr 2011 wesentlich mit einem Nachvollzug von psychischen Vorgängen zu tun. Wir „verstehen“, warum Napoleon so und so gehandelt hat, warum der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist, warum es zu den Unruhen in Tunesien, Ägypten und Libyen 2011 gekommen ist, indem wir die Gedanken, Beweggründe und Absichten von gewissen Personen nachvollziehen. Das „Verstehen“ in dieser Bedeutung kommt freilich in naturwissenschaftlichen Zusammenhängen kaum oder überhaupt nicht vor, da wir in diesem Fall Tatsachen nur unter Berufung auf Naturgesetze, aber nicht dadurch erklären, dass wir geistige Einstellungen von Personen mit ins Spiel bringen. 72

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6.1. Erklären Selbst wenn sich das Erklären vom Verstehen durchaus unterscheidet, weil das Letztere auf Psychisches stärker Bezug nimmt, weist das Erklären in sich selbst eine differenzierte Struktur auf. Wir können daher von einer In der Wissenschaftstheorie geht es also nicht um den Inhalt der Wissenschaften, sondern um die Probleme ihrer Systematisierung. Entscheidend sind folgende Fragen: Wie bilden die verschiedenen Wissenschaften ihre Begriffe? Welche Voraussetzungen müssen sie machen? Welche Methoden wenden sie an? (vgl. Anzenbacher, A. [2002], 235). Vgl. Brülisauer, B. (2008), 170. 72

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304 kausalen, historischen, rationalen und teleologischen Erklärung sprechen. Alle diese Typen von Erklärungen beanspruchen für sich den Status einer wissenschaftlichen Erklärung. 6.1.1. Kausale Erklärung Im Abschnitt 7.1.1. (Kap. III) haben wir bereits gesehen, dass eine wissenschaftliche Erklärung (WE) im engeren Sinne sich dadurch auszeichnet, dass sie einerseits eine bestimmte Struktur aufweist, andererseits die Antwort auf die Warum-Frage darstellt. Ganz allgemein formuliert: Die WE ist die logisch gültige Ableitung des Explanandums aus dem Explanans. Mit Hempel können wir allerdings zwei Haupttypen der WE unterscheiden: die deduktiv-nomologische (DNE) und die induktivstatistische Erklärung (ISE). Die DNE hat die Form einer logischen Ableitung und besteht aus folgenden Elementen: den Anfangsbedingungen, dem Gesetzes-Sachverhalt und dem Explanandum-Ereignis. Das Explanandum-Ereignis wird dadurch erklärt, dass das Explanandum aus den Anfangsdaten und den Gesetzesaussagen erklärt wird; die Anfangsdaten (A) und die Gesetzesaussagen (G) bilden gemeinsam das Explanans . Also haben wir: Das Explanans (= A1-n + G1-n) => das Explanandum Die ISE nimmt dagegen das Prinzip der Wahrscheinlichkeit in Anspruch und hat die Form: „Die statistische Wahrscheinlichkeit W, dass ein Ereignis oder ein Zustand von der Art F auch von der Art G ist, beträgt R“. So haben wir: W (G,F) = R.

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Diese Aussage besagt, dass einige F-Fälle, die auch G-Fälle sind, R sind. Obwohl statische Gesetze auch universell gelten, gelten sie jedoch nicht streng universell. Während streng universelle Gesetze besagen: „Jedes F ist

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Vgl. Hempel, C. G. (1977).

305 auch ein G“, besagen statisch universelle Gesetze lediglich: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein F auch ein G ist, beträgt R.“ Diese allgemeine Struktur der wissenschaftlichen Erklärung kann als Fundament für die Analyse der kausalen Erklärung betrachtet werden. Dabei müssen wir allerdings eine methodische Einschränkung vollziehen, indem wir aus der Struktur der wissenschaftlichen Erklärung das Element herausgreifen, das für die kausale Erklärung prinzipiell ist. Gemeint ist der Gesetzes-Sachverhalt. Aus Sicht der kausalen Erklärung handelt es sich beim Gesetzes-Sachverhalt um ein Kausalgesetz, mit dem ein Ereignis dadurch erklärt wird, dass man seine Ursache angibt. Daher haben wir folgende kausale Verursachungsrelation: „Das Ereignis A (=Ursache) verursacht das Ereignis B (=Wirkung)“. Einer der ersten Denker, die dieser Problematik mit kritischem Auge gründlich auf die Spur gekommen sind, war David Hume. Nach ihm sind drei Bedingungen erforderlich, damit die kausale Relation sinnvoll beschrieben werden kann: (1) Ereignis A und Ereignis B sind räumlich eng benachbart; (2) Ereignis B folgt zeitlich unmittelbar auf Ereignis A; und (3) Ereignisse von der Art A sind mit Ereignissen von der Art B regelmäßig verbunden. In dem Kontext definiert Hume nun die Ursache folgendermaßen: 75

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„We may define a case to be ´an object precendent and contiguous to another, and where all the objects resembling the former are placed in like relations of precendency and continguity to those objects, that resemble the latter.” 78

Bei seiner Abklärung der Natur der Verursachung geht Hume von zwei Grundsätzen aus. Der erste Grundsatz besagt, am Anfang jeder Vorstellung stehe ein sinnlicher Eindruck. Gemäß dem zweiten Grundsatz können wir die Natur einer Sache nur dann beschreiben, wenn wir unsere Vorstellung dieser Sache bis zum Ursprung dieser Vorstellung zurückverfolgt haben. Vgl. Brülisauer, B. (2008), 123f; 133f. Hier sehen wir von der klassischen Unterscheidung zwischen dem Kausalprinzip (=Jede Wirkung hat eine Ursache) und dem Kausalsatz (=Eine bestimmte Wirkung hat eine bestimmte Ursache) ab. Vgl. Hume, D. (1989), Teil III; (1993), Abschnitt VII. Hume, D. (1739), 179; vgl. auch ders. (1748), 60.

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306 Um zu diesem ursprünglichen Sinneseindruck zu gelangen, müssen wir also – rückblickend auf die oben genannten drei Bedingungen – einerseits eine räumliche und zeitliche Nachbarschaftsbeziehung annehmen, andererseits die Beziehung des Vorangehens. Mit anderen Worten: „Ursache A verursacht Wirkung B nur dann, wenn A und B in Raum und Zeit benachbart sind und A auf B folgt“. Hume ist jedoch mit dieser Auffassung nicht zufrieden, weil nicht alle Paare von Objekten, die in Raum und Zeit benachbart sind und von denen das eine dem anderen vorangeht, in einer kausalen Beziehung zueinander stehen; so verursacht etwa das Fallen eines Barometers keinen Regen. Deshalb ergänzt er seine Analyse der Verursachung mit der notwendigen Verknüpftheit. Die Folge davon ist, dass die Elemente der kausalen Relation nicht nur als zeitliche und räumliche Nachbarn aufeinander folgen, sondern auch notwendig miteinander verknüpft sind. Darüber hinaus betont Hume nicht die Relevanz von Einzelfällen, sondern behauptet vielmehr, die wiederholte Wahrnehmung gleichartiger Vorkommnisse in gleichartigen räumlichen und zeitlichen Verhältnissen müsse der Ursprung unserer Vorstellung der notwendigen Verknüpftheit sein. Dieser knappe Blick auf die Kausalitätstheorie Humes zeigt, wie eine kausale Erklärung aufgebaut werden kann. Zwar behält sie grundsätzlich den Rahmen der wissenschaftlichen Erklärung bei, dabei akzentuiert sie jedoch in einem weiteren Kontext die Entität, die für das Kausalgeschehen selbst von entscheidender Bedeutung ist. Die kausale Erklärung ist also – zumindest bei Hume - sowohl schwerpunktmäßig als auch geschichtlich fundiert. 79

Vgl. Ruprecht, T. (2003), 39f. Natürlich wurde Humes Analyse der Kausalität vielerorts kritisiert. Einige der Haupteinwände lauten: (1) Hume geht unberechtigterweise von der Existenz von Sinneseindrücken aus, die vollkommen unabhängig von unseren Vorstellungen sind; (2) Man kann nach Hume feststellen, wann man den Ursprung einer Vorstellung vor sich hat; das ist aber höchst problematisch; (3) Hume erklärt das Ergebnis einer psychologischen Abklärung (Wie kommen wir zur Vorstellung der Verursachung?) zu einer philosophischen These usf. 79

307 6.1.2. Historische Erklärung Erklären betrifft nicht nur Gesetze, wie etwa das Kausalgesetz, sondern auch komplexe Zusammenhänge, die meist geschichtlich fundiert sind. Bei diesen Zusammenhängen handelt es sich vorwiegend um die Auswirkungen menschlicher Handlungen. Eine philosophische Betrachtung, die das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung hervorheben will, hat auch den weiteren Kontext zu beachten, damit das endgültige Ergebnis des epistemischen Diskurses objektive Züge aufweist. Und den weiteren Kontext zu beachten heißt in erster Linie ihn mit dem Blick auf seine geschichtliche Fundierung zu beschreiben. Das methodische Beschreibungsverfahren erfordert zunächst die Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Während die Naturwissenschaften grundsätzlich auf die Erklärung von Tatsachen bedacht sind, interessieren sich die Geisteswissenschaften für die Erklärung der Bedeutung von Texten, literarischen Werken, Werken der bildenden Kunst, des Sinnes von sozialen Institutionen usf. Wenn wir z.B. keine Erklärung dafür haben, warum die alten Babylonier gerade die und die Kultur entwickelt haben, warum die Buchstabenschrift gerade von den Phöniziern erfunden worden ist oder aus genau welchen Motiven Kolumbus die Fahrt über den Atlantik unternommen hat, verdanken wir der Geschichtswissenschaft viel, indem wir von ihr erfahren, was für eine Kultur die alten Babylonier hatten, dass die Griechen die Buchstabenschrift von den Phöniziern übernommen haben und dass Kolumbus mit seinen Leuten im Oktober 1492 auf Guanahani (San Salvador) gelandet ist. Dennoch werden die Beschreibungen, die für eine historische Erklärung von Zusammenhängen ausschlaggebend sind, auch durch die Erklärung von Gesetzen explizit oder stillschweigend gestützt. Gemeint sind Gesetze, deren Gültigkeit zu verschiedenen Zeiten und Orten anhand wiederholbarer Beobachtungssituationen geprüft werden kann und insofern nicht auf bestimmte zeitliche Entwicklungsstadien beschränkt bleibt. Diese Gesetze stammen aus allen möglichen Wissenschaften: der Psychologie, der Soziologie, der Volkswirtschaft, der Physik usw. So entsteht eine Konstellation, wo der Erklärung historischer Tatsachen eine sekundäre 80

80

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 168f.

308 Rolle zugeschrieben und diese Erklärung mit einem vorwissenschaftlichen Charakter versehen wird. Das bedeutet aber nicht, dass historische Erklärungen unbrauchbar sind. Jedermann versteht die Erklärung „Die Titanic ist gesunken, weil sie auf einen Eisberg gestoßen war“. Dass in dieser Erklärung Gesetzesaussagen nicht explizit angeführt sind, heißt nicht, dass diese Erklärung solche nicht enthält. Historische Erklärungen können aber auch durch genetische Faktoren ergänzt werden. In dem Fall kommt es nicht nur darauf an, die einzelnen Phasen eines Prozesses zu beschreiben, sondern auch zu erklären, wie einzelne Entwicklungsphasen aus früheren hervorgegangen sind. Das führt zur Entstehung einer Kette von Erklärungen, wobei jedes Glied der Kette aufzeigt, wie es zum Übergang von der einen zur nächsten Entwicklungsphase gekommen ist. Betrachten wir folgendes Beispiel: „Das Auto von Herrn X ist stehen geblieben und er holt einen Mechaniker herbei. Dieser erklärt: „Der Motor hat versagt, weil der Ölbehälter ein Leck hat“. Für den Mechaniker mag diese Erklärung ausreichen, nicht aber für X, der keine Ahnung von der Funktionsweise eines Automotors hat. X kann die Erklärung des Mechanikers erst dann verstehen, wenn dieser das Versagen des Motors schrittweise auf das Leck im Ölbehälter zurückführen kann. Also: „Hat der Ölbehälter ein Leck, dann rinnt das Öl heraus, das sonst durch eine Pumpe vom Behälter in den Zylinder befördert wird, und Zylinder und Kolben fehlt dann die Schmierung. Fehlt ihnen diese, dann entsteht in ihnen eine Reibungshitze. Diese führt zur Ausdehnung von Kolben und Zylinderwänden und dadurch wird die Bewegung der Kolben blockiert“ . 81

Dieses Beispiel veranschaulicht, wie eine historisch-genetische Erklärung ihre Funktion erfüllen kann. In einer derartigen Erklärung wird also zwischen einem Obergesetz und mehreren Untergesetzen unterschieden: Obergesetz: „Wenn immer der Ölbehälter eines Automotors ein Leck hat, dann versagt der Motor“ Untergesetze:

81

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 172f. Vgl. dazu auch Dray, W. (1957).

309 (1) „Hat der Ölbehälter ein Leck, dann rinnt das Öl heraus, das durch eine Pumpe vom Behälter in den Zylinder befördert wird“ (2) „Rinnt das Öl heraus, dann fehlt die Schmierung“ (3) „Fehlt die Schmierung, so entsteht eine Reibungshitze“ Eine epistemisch erfolgreiche Differenzierung zwischen einem Obergesetz und vielen Untergesetzen erfordert stets eine gewisse Aktivität von rationalen Faktoren. 6.1.3. Rationale Erklärung Wenn wir das obige Auto-Beispiel genauer betrachten, dann können wir feststellen, dass dessen Erklärung nicht nur einen historisch-genetischen Charakter aufweist, sondern auch einen rationalen. Die zweckmäßige Beschreibung aller ineinander übergehenden funktionalen Prozesse verlangt eine vorausgehende rationale Reflexion. Diese gilt als fundierende Grundlage für eine rationale Erklärung und hat es - im strengen Sinne – immer mit Gründen zu tun. Deshalb wird sie vor allem an menschlichen Handlungen sichtbar. Gegenstand rationaler Erklärungen sind also Handlungen, für die sich die handelnde Person aus bestimmten Gründen entscheidet. Bei diesen Gründen handelt es sich um Annahmen über gewisse Tatsachen. Die Person glaubt, dass diese Tatsachen, sofern sie sie durch ihre Handlung realisiert, ein ausreichendes Mittel zur Erreichung des von ihr verfolgten Zweckes sind. Aus Sicht der handelnden Person sind solche Gründe nun nicht die Ursachen ihrer Handlung, sondern nur Annahmen, welche gewisse Tatsachen betreffen und ihre Handlung auf eine rationale (mithin nicht-kausale) Art in Gang setzen. Die Person würde ihre Handlung nicht mit dem Blick auf das Hempel-Oppenheim-Modell (vgl. 7.1.1. [Kap. III]) erklären und einfach sagen, sie handle, weil bestimmte Anfangsbedingungen vorlägen und es bestimmte Naturgesetze gebe, sondern sie würde vielmehr sagen, sie handle aus freiem Willen so, damit sie den und den Zweck erreiche. Aus Sicht eines Beobachters (d.h. der

310 dritten Person) sind diese Gründe hingegen nichts anderes als die Beweggründe, mithin ein Teil der Ursache dieser Handlung. Daraus ergibt sich, dass eine rationale Erklärung – holistisch gesehen - von der These getragen wird, dass Personen genauso Ursachen unterworfen wie für Gründe empfänglich seien. Die Verfahrensweise von Personen im Raum der Gründe beruht nicht auf Kausalverhältnissen im Raum der Ursachen. Gründe sind auch keine Epiphänomene des Raums der Ursachen, sondern sind in den Einstellungen und Verhaltensweisen von Personen gleichsam fundiert. Da die menschliche Freiheit sich als interne Determination durch Gründe offenbart, so ist es Personen möglich, im Raum der Gründe in praktischer Absicht zu sein, d.h. zu verallgemeinern, zu differenzieren, zu handeln usf. Die Folge davon ist, dass Personen nicht nur dem Raum der Ursachen ausgesetzt sind, sondern sich auch zu Gründen verhalten können: Durch die Gestaltung ihres Lebens können Personen manche Gründe in ihrem Leben gelten lassen und andere verwerfen, nachdem sie es sich rational überlegt haben. Personen können – aufgrund von Gründen – auch anders handeln. Für die rationale Erklärung scheint auch sekundär zu sein, wenn man Gründe als Ursachen auffasst, wie dies etwa Davidson in seiner Kausaltheorie getan hat. Mit Rationalität ist daher nichts anderes gemeint als genau die Tatsache, dass das Handeln von Gründen geleitet ist. Die Person, wenn sie befragt wird, kann in kohärenter und rationaler Weise Auskunft geben, aus welchen Gründen sie sich so und nicht anders verhalten hat. Das, was eigentlich ausmacht, eine Person zu sein, liegt nicht im Wollen, sondern in der Vernunft. Die vollkommen rationale Person lässt ihr Handeln durch Gründe leiten. Als Personen gewinnen wir deshalb unsere Freiheit dadurch, dass wir den von uns akzeptierten Gründen (bzw. dem Ergebnis der Abwägung von Gründen) folgen. Die charakteristische Freiheit der Person ist eine durch Gründe konstituierte Freiheit, durch Gründe, die naturalistisch unterbestimmt sind. 82

83

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82 83 84 85

Vgl. Brülisauer, B. (2008), 182. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 237f. Vgl. Davidson, D. (1980), 12f. Vgl. Nida-Rümelin, J. (2005), 30, 91.

311 Eine rationale Erklärung hat also die Aufgabe, diese durch Gründe geleiteten Handlungszusammenhänge zu erläutern. Und die Erläuterung weist meistens einen normativen Charakter auf. Das heißt: Um in einer bestimmten Situation A zu erlangen, sollen wir in dieser Situation B tun. Die klassische Formulierung der normativen Seite des Rationalitätsbegriffs finden wir etwa in der praktischen Philosophie Kants, wo der Kategorische Imperativ als normierender Faktor auftritt. In der Selbstzweckformel beschreibt Kant diesen Imperativ wie folgt: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (GMS, B 66f). 86

Unsere alltägliche Erfahrung zeigt, dass nicht alle Menschen gleichermaßen fähig sind, eine rationale Erklärung abzugeben. Diese Konstellation ist darauf zurückzuführen, dass Menschen über verschiedene dispositionelle Eigenschaften verfügen. Das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften fördert rationales Handeln und Erklären, das Vorhandensein anderer nicht. Wir können also sagen: Wenn bestimmte Umstände vorhanden sind, handelt die Person A regelmäßig auf eine charakteristische Weise, also z.B. auch rational. 6.1.4. Teleologische Erklärung „Anaxagoras aber setzt das Gute als bewegendes Prinzip, denn der Geist bewegt; aber er bewegt wegen eines Zweckes“ (Met XII, 1075b).

Der Geist bewegt wegen eines Zweckes, so schreibt Aristoteles in seiner „Metaphysik“. Dieser Gedanke ist ein Teil seiner Ursachenlehre, wo zwischen der Formal-, der Material-, der Zweck- und der Wirkursache unterschieden wird. 87

Bei Kant werden grundsätzlich eine Grundform (bezieht sich auf allgemeines Gesetz) und drei Unterformeln (beziehen sich jeweils auf das Naturgesetz, den Menschen als Selbstzweck und das Reich der Zwecke) des Kategorischen Imperativs unterschieden. Die Formal- und Materialursache stellen innere Ursachen dar, die Zweck (gr. Telos) - und Wirkursachen werden hingegen als äußere Ursachen bezeichnet. Nehmen wir 86

87

312 Bei der telelogischen Erklärung interessiert uns allerdings vor allem die Zweckursache. Denn dieser Begriff spiegelt nicht nur einen wesentlichen Teil unserer menschlichen Erfahrungen wider, sondern auch das kausale Geschehen in der Naturwelt. Wenn z.B. Menschen etwas tun, dann ist ihr Tun immer mit einem Zweck verbunden; d.h. sie tun A, um B zu erlangen. Ähnliche, aber nicht gleiche Gesetzmäßigkeiten können wir in der Naturwelt beobachten. Auf dem Fundament der Kausalität geschehen viele zweckbezogene Prozesse in der Naturwelt, z.B. Tiger-Eltern gehen auf die Jagd, um die Nahrung für ihren Nachwuchs zu besorgen; Pflanzenwurzeln sind unter anderem dazu da, um notwendiges Wasser aus dem Boden aufzusaugen usf. All diese Geschehnisse sind mithin so zu erklären, dass ein Grad epistemischer Objektivität feststellbar ist. Dabei erscheinen grundsätzlich zwei Typen von teleologischer Erklärung: (1) Intentionale Erklärung und (2) Funktionale Erklärung. Intentionale Erklärungen sind Erklärungen von typisch menschlichen Verhaltensweisen. Das bedeutet, sie sind mit dem Bewusstsein verknüpft, also mit bewussten Absichten und Intentionen. Mit anderen Worten: Ein intentionales Verhalten liegt dann vor, wenn wir mit der Erklärung auf ein Wesen mit einem Bewusstsein und einem zwecksetzenden Willen Bezug nehmen. Mit der These „Menschliches Verhalten verfolgt einen Zweck und die Erklärung desselben verlangt auch nach einer Zweckerklärung“ ist daher gemeint, dass menschliches Verhalten durch Ziele bestimmt ist, die in der Zukunft liegen. Ziele gibt es aber nur dort, wo eine Person Zielsetzungen vornimmt, und diese hängen mit Wünschen, Gedanken und Entschlüssen zusammen, die diese Person bereits in der Gegenwart hat, bzw. fasst und in die Tat umsetzt. In dieser Hinsicht sind intentionale Erklärungen eine Unterart der kausalen Erklärung. Sie sind Erklärungen, bei denen wir auf Charaktereigenschaften, Absichten und emotionale Beweggründe Bezug nehmen, die wir schon vor dem fraglichen Verhalten haben. Es ist gar nicht schwer, anschauliche Beispiele für eine intentionale 88

das Beispiel „Haus“: Als innere Ursache gälte die - dem Plan des Baumeisters entsprechende Form und das Material (d.h. Materie), die äußere Ursache stellten der Zweck (=das Worumwillen des Hauses, mithin Wohnen) und die Wirkung der Leute, die um dieses Zwecken willen bauen (vgl. Met VII-IX). Vgl. Brülisauer, B. (2008), 194f. 88

313 Erklärung herauszufinden. Also: Student A schreibt eine Seminararbeit, um einen Seminarschein zu erwerben (=Zweck 1); A braucht den Seminarschein, um zur Abschlussprüfung zugelassen zu werden (=Zweck 2); A hat die Abschlussprüfung nötig, um einen guten Job zu bekommen (=Zweck 3) usf. Wir sehen daher, dass eine (bewusste) Handlung auch mit mehreren Zwecken verbunden sein kann. Bei funktionalen Erklärungen fehlen dagegen bewusst verfolgte Zwecke und Wille. Diese Erklärungen beziehen sich auf Maschinen und Organismen und weisen auch einen zielgerichteten Charakter auf. Gegenstand dieser Erklärungen ist also zielgerichtetes Verhalten von Dingen, denen kein Bewusstsein und kein Wille zukommt, der dieses Verhalten lenkt. Ein zielgerichtetes Verhalten liegt bei ihnen insoweit vor, als ihr Verhalten nicht anders erklärt werden kann, als durch die Bezugnahme auf künftige Zustände dieser Dinge – oder anderer Dinge, denen die erstgenannten Dinge dienen. Ganz konkret formuliert: Gegenstände funktionaler Erklärungen sind Artefakte, d.h. von Menschen geschaffene Dinge wie Thermostate, Differentialgetriebe, Torpedos und GPS-Navigationssysteme usf. Diese Artefakte sind so konstruiert und gebaut, dass ihre Funktionsweise gewissen menschlichen Zielvorstellungen entspricht. Es sind final gesteuerte und verhaltensplastische Systeme, deren Funktionsweise sich aufgrund ihrer Bauart kausal erklären lässt. Nach Braithwaite sind teleologische Erklärungen des Verhaltens von solchen technisch konstruierten Systemen lediglich „abgekürzte kausale Erklärungen“ . Viel problematischer ist die Erklärung des zielgerichteten Verhaltens von natürlich gewachsenen Dingen, wie sie in großer Anzahl Gegenstand der Biologie, besonders der Physiologie und der Evolutionstheorie sind. Wir können versuchen, eine teleologische Erklärung abzugeben, indem wir beispielsweise Fragen stellen: (1) bezüglich der fortschreitenden Funktionsdifferenzierung: Warum sind Organismen, im Unterschied z.B. zu Computern, dazu fähig, zu wachsen und sich während des Wachstums 89

90

Menschliche Handlungen oder Verhaltensweisen können offenbar auch rein instinktiv sein, wie z.B. das Zurückziehen der Hand vor dem (schmerzenden) Feuer. Vgl. Braithwaite, R.B. (1953). Eine ähnliche These vertreten unter anderem Hempel, C.G. (1959) und Nagel, E. (1961). 89

90

314 zu etwas zu entwickeln, was sie zu Beginn des Wachstums noch nicht gewesen sind? (2) bezüglich der Reproduktion: Warum sind Organismen dazu fähig, sich selbst durch Hervorbringung von Wesen gleicher Art zu vermehren? und (3) bezüglich der Regeneration: Warum sind Organismen fähig, verletztes Körpergewebe durch gesundes Gewebe zu ersetzen oder gar ganze Körperteile, die von ihnen abgetrennt worden sind, wieder nachwachsen zu lassen? Wollen wir aber diese drei Fragen auch beantworten, so kann es etwa heißen: Organismen sind zu all diesen Dingen deshalb fähig, weil in ihnen eine geheimnisvolle „zielgerichtete, gestalterische Lebenskraft“ wirkt, die alle diese Prozesse steuert und vorantreibt. Diese Erklärung stellt bekanntlich die Antwort eines Vitalisten dar, ist heute offenbar nicht mehr tragfähig, zeigt aber ganz anschaulich, wie eine teleologische Erklärung funktioniert. Für unsere Zwecke, den Kern der teleologischen Erklärung zu verstehen, ist sie aber nützlich. 91

92

6.2. Verstehen Dass sich nicht alle Tatsachen in der Welt vollständig erklären lassen, scheint aus epistemologischer Sicht offenkundig zu sein. Deshalb spricht man auch von einer unvollständigen Erklärung. Die hermeneutische Funktion einer unvollständigen Erklärung ist folglich stark eingeschränkt. In dem Kontext stellt sich dann die Frage: Wie kann man eine epistemische Erklärung möglichst treffend vervollständigen? Lässt sich dies etwa dadurch tun, dass man das Verstehen ins Spiel bringt, das – wie schon oben erwähnt - durch den psychischen Faktor geprägt ist? Im Folgenden wollen wir das am Beispiel von Wilhelm Dilthey nachprüfen. Die auch heute aktuelle Bedeutung von Dilthey, der das Anliegen einer Lebensphilosophie vertritt, liegt vor allem im Bereich der Hermeneutik als Vgl. Brülisauer, B. (2008), 199f. Vitalismus ist die Auffassung, dass es eine Eigenschaft lebender Organismen gibt, die sich nicht auf chemische oder physikalische Eigenschaften zurückführen lässt. Diese Eigenschaft wird entweder als unerklärliche emergente Eigenschaft betrachtet, oder es wird neben den grundlegenden physikalischen Wechselwirkungen eine neue Kraft eingeführt, die das Entstehen des Lebens erklären soll, z.B. élan vital (vgl. Brüntrup, G. [1996], 153).

91 92

315 Methode der Geisteswissenschaften. Auf dieser Grundlage wird eine „Methode des Verstehens“ entwickelt. Den gemeinsamen Ursprung aller menschlichen Erfahrungen und Verstehensprozesse stellen dabei Leben und Bewusstsein dar. Dilthey unterscheidet vorab zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, indem er behauptet, dass die Naturwissenschaften Vorgänge in der Natur erklären, während die Geisteswissenschaften historisch-kulturelle Geschehnisse zu verstehen suchen. Beim Verstehen handelt es sich um ein Nacherleben eines fremden Daseins, wie es sich in Schrift, Sprache, Gesten, Mimik, Kunst usw. ausdrückt. Dieser Prozess ist aber keine passive Rezipierung der vorliegenden Symbole, sondern ein aktives Nacherleben. Im aktiven Nacherlebensakt eröffnet sich also dem Menschen die Innenwelt anderer Menschen. Denn er kann davon ausgehen, dass bewusste mentale Zustände anderer epistemischer Subjekte ähnlich sind. Verdeutlichen wir den Begriff „Verstehen“ tabellarisch im Kontext der Unterscheidung zwischen den Naturund Geisteswissenschaften: 93

Naturwissenschaften - Erklären 1) Gegenstand ist die Natur. Sie kann nur untersucht und beobachtet werden. Es werden Annahmen über die Ursachen natürlicher Vorgänge angestellt, ein Nacherleben ist dagegen nicht möglich. 2) Vorgänge in der Natur werden als Spezialfall eines abstrakten allgemeinen Gesetzes aufgefasst. 3) Naturwissenschaftliches Begreifen ist seinem Untersuchungsobjekt gegenüber neutral und für die Persönlichkeitsentwicklung von geringerer Bedeutung.

Geisteswissenschaften - Verstehen 1) Gegenstand sind die Erzeugnisse des menschlichen Geistes. Da sie vom Menschen selbst hervorgebracht werden, können sie verstanden werden.

2) Gegenstände geisteswissenschaftlicher Untersuchung werden in ihrem konkreten Zusammenhang aufgefasst. 3) Das Verstehen fremden Daseins, vergangener Kulturen und Persönlichkeiten führt zu einer Umformung des Selbst. Fremde geistige Inhalte werden in die eigenen lebendig einbezogen.

Aus dieser Tabelle wird deutlich, dass die Methode des Verstehens, so wie sie Dilthey entwickelt hat, in der Annahme fundiert ist, zu allen Zeiten bestehe derselbe kausale Zusammenhang zwischen einer bestimmten Art 93

Vgl. Coreth, E. (1997), 142.

316 von Bewusstseinszuständen einer Person und den sich in der Außenwelt vollziehenden Handlungen dieser Person. Diltheys Methode des Verstehens weist eine hermeneutische Attraktivität auf. Diese besteht darin, dass nicht nur das Wort seine Bedeutung allein im Zusammenhang mit dem Text erhält, sondern auch durch die Beachtung des Gedankengangs, der literarischen Gattung, Kapiteleinteilung usf. Wenn alle menschlichen Lebensäußerungen verstanden werden sollen, dann ist diese Ausweitung erforderlich. Bedeutung ist daher kontextabhängig und niemals absolut. Menschliche Gesten, Kunstwerke, architektonischer Stil, Gesetze, Ordnungen, religiöse Vorstellungen sind nur im Sinnzusammenhang zu verstehen. Allerdings ergibt sich für Dilthey daraus ein problematischer hermeneutischer Zirkel: „Das Einzelne erschließt sich aus dem Ganzen, das Ganze aus dem Einzelnen“. Was heißt das? Verstehen bewegt sich unbedingt entlang dieses Zirkels. Es kommt nicht darauf an, diesen Zirkel zu vermeiden, sondern in der rechten Weise in ihn hineinzukommen. Wir können diesen Zirkel deshalb nicht vermeiden, weil jegliches Verständnis auf ein Vorverständnis aufbaut. Die Hermeneutik weist also darauf hin, dass jede Tatsache, Einsicht oder Feststellung immer schon an ein vorangehendes Verständnis gebunden ist. Das gilt auch für Naturwissenschaften. Selbst wenn Diltheys Methode des Verstehens von vielen anderen Denkern wie Heidegger, Gadamer und Ricoeur begrüßt wurde, weist sie auch einige Schwachstellen auf. Erstens ist nicht sicher, ob das, was ich durch eine Versetzung in die Lage einer anderen Person gewinne, wahr ist. Daraus, dass ich A getan habe, weil ich B wollte, folgt nicht, dass auch Aristoteles A deshalb getan hat, weil er B wollte. Zweitens ist zu fragen, wie verlässlich diese Methode ist, zumal sie einen heuristischen Charakter hat, d.h. uns erlaubt, Hypothesen aufzustellen, sie aber nicht zu rechtfertigen. Und drittens erweckt diese Methode den Eindruck, dass wir es mit dem überholten Bild von der Funktionsweise des menschlichen Geistes zu tun 94

95

Vgl. Dilthey, W. (2006), Bd. 19. Vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Dilthey, 5f (Zugriff am 24.02.2011). Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Dilthey, 6f (Zugriff am 24.02.2011). Diese hermeneutische Konzeption bei Dilthey wurde vor allem durch Schleiermacher maßgebend beeinflusst. 94

95

317 haben: Der Geist ist einem Ding vergleichbar, das sich in einer Kammer befindet, zu der nur eine einzige Person Zutritt hat, nämlich der Träger des Geistes. 96

7. Einige praktische Erklärungsmodelle Beim Umgang mit Erkennen und Wissen kommt auch einer praktischen Dimension große Bedeutung zu. Diese Behauptung ergibt sich daraus, dass menschliche Subjekte nicht nur generell, sondern im 21. Jahrhundert immer mehr planmäßig bestrebt sind, das erworbene Wissen in die Tat umzusetzen. So können etwa zahlreiche Erfindungen und Projekte zur Steigerung der Qualität menschlichen Lebens beitragen. Diese durch die Praxis geprägte Konstellation wirkt sich auch auf unsere Analyse der epistemologischen Methodik aus. Denn es gibt diverse Forschungsbereiche, wo empirische Tatsachen und mentale Zusammenhänge mit Hilfe von unterschiedlichen Modellen erklärt werden und dabei zugleich verschiedene methodische Verfahren zum Einsatz kommen, z.B. die rationalistische und naturalistische Methode, die Begriffsanalyse und die hermeneutische Methode. Um dies anschaulich zu machen, beschränken wir uns hier auf folgende vier Bereiche: den evolutionären, neurowissenschaftlichen, virtuellen und religiösen, die sich vom Biologischen immer weiter entfernen und auf Mentales hinauslaufen: BEREICH Evolutionärer Mensch als ganzer

Neurowissenschaftlicher Gehirn

Virtueller Virtuelle Welt

Religiöser Gott

Der evolutionäre Bereich ist auf die Biologie zurückzuführen und geht im (entsprechend ausformulierten) Begriff „Evolution“ auf. Aus epistemologischer Sicht offenbart sich diese Problematik im Rahmen der Vgl. Brülisauer, B. (2008), 179f. Diese Auffassung wurde vor allem von G. Ryle (vgl. ders., [1969]) als „Gespenst in der Maschine“ kritisiert; Wittgenstein (vgl. ders., PU) hat dazu auch kritisch Stellung genommen. 96

318 Evolutionären Erkenntnistheorie, die ein Glied der allgemeinen Theorie der Entwicklung des Lebendigen darstellt (vgl. auch 3.6.2. [Kap. I]). Nach den Gesetzmäßigkeiten der Evolution siegt auf Dauer das angepasste überlegene Erbgut und sorgt dafür, dass immer perfektere Lebewesen entstehen. Die Evolution geht „wilde Zickzackwege“, und zwar inklusive der Selektion dessen, was im Augenblick und unter den jeweils vorherrschenden Bedingungen die größte Nachkommenschaft verspricht. Die Natur entwickelt sich mit Hilfe von Mutationen und Selektionen, von Versuchen, beibehaltenen Zweckmäßigkeiten und absterbenden Irrtümern. Das Maß der Selektivität wächst unter anderem mit dem Grad der Für einen evolutionären Differenzierung der Organismen. Erkenntnistheoretiker hängt die biologische Selektivität aufs engste mit dem Erkenntnisproblem zusammen, wobei Letzteres auch für den Prozess der Arterhaltung mitverantwortlich ist. Begriffe wie Zeit, Raum, Kausalität usf. werden als Wahrnehmungsmuster aufgefasst, die sich im Laufe der Evolution – aus praktischer Sicht - herausgebildet haben. Menschliche Erkenntnisorgane, Erkenntnisprozesse sowie Erkenntnisresultate sind also im „biologischem Kontext“ zu interpretieren. So stellt sich die prinzipielle Frage, wie sich dieser evolutionäre Bereich methodisch erklären lässt. Welche Methode soll dabei angewendet werden? Auf den ersten Blick scheint die naturalistische Methode geeignet zu sein, da wir es auf dem Gebiet der Biologie vor allem mit empirischen Faktoren zu tun haben. Freilich kann man diese These nicht bestreiten, wohl aber die Absolutheit ihrer Kompetenz hinterfragen. Demnach wäre ganz schnell klar, dass empirische Faktoren für eine Erklärung evolutionärer Prozesse zwar notwendig sind, aber nicht hinreichend. Denn für ihre Erklärungsfähigkeit bedürfen empirische Faktoren einer vorab geklärten begrifflichen Grundlage. Mit anderen Worten: Damit das Geschehen der Evolution gänzlich verstanden wird, muss man zuvor verstanden haben, was die Zeit, der Raum und die Kausalität sind, da sich die evolutionären Prozesse in der Zeit und dem Raum abspielen und kausal bedingt sind. So lässt sich nicht 97

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97 98 99

Vgl. Sixl, H. (2010), 74f. Meyer, H. (2000), 206f. Vgl. Meyer, H. (2000), 213f.

319 auf den Einsatz der rationalistischen Methode und Begriffsanalyse verzichten. Im Bereich der Neurowissenschaft wird freilich das biologische Gebiet des Lebendigen eingeschränkt, da sich die Analyse lediglich auf das Gehirn bezieht; dabei stoßen wir jedoch auf ähnliche methodische Probleme. Zunächst sei hier nun klar gemacht, der für die Analyse des Gehirns methodisch entscheidende Begriff ist „Neurobiologie“. Der Ausdruck Neurobiologie gilt als akademische Bezeichnung für den populären Ausdruck „Hirnforschung“. Die Neurobiologie ist daher eine biologische Spezialdisziplin, die das Gehirn bzw. das Nervensystem untersucht. Begrifflich ist von Nervenzellen, ihrer Vernetzung, den Aktionspotentialen usw. die Rede, und was die Methoden betrifft, wird das Gehirn mit anatomischen, histologischen, physikalischen und chemischen Techniken untersucht. Als Ergebnis der neurobiologischen Forschung könnte man – grob gesagt – Folgendes festhalten: Es ist zwischen dem strukturellen und funktionellen Gehirn zu unterscheiden. Während das strukturelle Gehirn aus dem Kortex, dem limbischen System, dem Zwischenhirn usf. besteht, hat es das funktionelle Gehirn mit Funktionen wie das Sehen, Hören, Denken usf. zu tun. Die Anatomie des Gehirns ist äußerst komplex, es stellt ein Mehr-Ebenen-System dar: Kortex, Basalganglien, limbisches System, Hirnstamm. Darüber hinaus bildet das Gehirn ein System von Schaltkreisen: Die lokalen Nervennetze sind durch Schaltkreise miteinander verbunden. Die biologische Analyse der Strukturen und Funktionen des Gehirns erfordert also in erster Linie ein empirisches Verfahren und entsprechende Techniken, mithin die naturalistische Methode. Allerdings ist dabei unbedingt zu fragen, ob man in dieser Weise alle auftauchenden Probleme lösen kann, die mit dem Mentalen verknüpft sind. Und die Antwort auf diese Frage fällt eindeutig negativ aus; dies zeigt etwa die klassische und aktuelle Debatte über das „Leib-SeeleProblem“. Weder die empirisch fundierte begriffliche Verschiebung vom „Leib-Seele-Problem“ auf das „Gehirn-Geist-Problem“ bzw. die „GehirnGeist-Debatte“ noch sämtliche Versuche des Reduktionismus können in diesem Zusammenhang eine plausible Alternative darstellen, welche sich 100

101

100 101

Vgl. Tretter, F.u.a. (2010), 145. Vgl. dazu auch Rynkiewicz, K. (2010), Kap. III. Vgl. Tretter, F. U u.a. (2010), 153f.

320 epistemologisch ohne weiteres rechtfertigen ließe. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass die wissenschaftliche Untersuchung der psychischen (bzw. mentalen) Funktionen und der Gehirnfunktionen auf spezifischen Methoden der Psychologie und Gehirnforschung beruht, so mangelt es der Hirnforschung vor allem an der Reflexion der Aussagekraft ihrer Methoden und Konzepte. Es geht also um eine wissenschaftstheoretische Analyse des Begriffs-, Methoden- und Theorienapparats der Hirnforschung. Auch die psychologische Methodenreflexion scheint allein nicht hinreichend zu sein. Vielmehr wird eine Neurophilosophie gefordert, die aber – wesenhaft – wiederum auf strenges rationalistisches Verfahren zurückzugreifen hat. Dann ergibt sich aber erst die Chance, dass eine Kompetenz-Balance zwischen der Neurobiologie und der Philosophie des Geistes (d.h. klassischer Philosophie) wiederhergestellt werden kann, wenn es um die Frage der Gehirn-Geist-Debatte geht. Dass sich das empirische Verfahren der Neurobiologie für sich im Erklärungsprozess als unzulänglich erweist, zeigt Peter Bieri mit seinem „Gemälde-Beispiel“ ganz plausibel: 102

103

„In einem Museum hängt ein Gemälde an der Wand. Wenn dieses Gemälde von einem Museumstechniker beschrieben wird, dann wird es in erster Linie als physikalischer Gegenstand mit Masse und Gewicht und der Zusammensetzung von Farben beschrieben. Wenn aber dieses Gemälde von einem Kunsthistoriker betrachtet wird, so interessiert ihn vor allem der Malstil. Wird dieses Gemälde schließlich von einem Auktionator untersucht, dann werden insbesondere die Echtheit und der Handelswert des Gemäldes hervorgehoben usf. 104

Aus diesem Beispiel wird deutlich, dass es verschiedene Beobachtungsperspektiven gibt, weil das Gemälde mehrere Merkmale aufweist. Das heißt aber, dass jede Perspektive anders und nicht durch andere zu ersetzen ist. Das Gleiche gilt für die Bestimmung der Erklärungsperspektive im Rahmen der Gehirn-Geist-Debatte. Im virtuellen Bereich, wo der Spielraum für die Aktivität des Geistes anders bestimmt wird – oder vielleicht in gewissem Sinne zugleich

102 103 104

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), Kap. II und III. Vgl. Tretter, F. u.a. (2010), 105f. Vgl. Bieri, P. (2006), 36f.

321 eingeschränkt bleibt, lässt sich wiederum ein anderes praktisches Erklärungsmodell herausfinden. Abgesehen von der Computersimulation, die mit Hilfe der technischen Geräte (d.h. Computern) empirisch erzeugt und als ein Prozess aufgefasst werden kann, haben wir das Resultat dieser Simulation zu betrachten. Und es ist die virtuelle Welt, die vom menschlichen Geist nicht nur betreten, sondern auch erst erschlossen werden muss. So kann man aus methodischer Sicht durchaus behaupten, dass die durch naturalistisch-empirische Faktoren erzeugte virtuelle Welt auf die rationalen Kräfte angewiesen sei und diesen ihre „Lebendigkeit“ verdanke. Dies ergibt sich daraus, dass unter der virtuellen Realität (=Cyberspace) – welche auch die virtuelle Welt umfasst – Techniken zu verstehen sind, die es erlauben, einen Menschen unmittelbar in computergenerierte Entwicklungsumgebungen zu integrieren. Dieses Integrieren wird auch „Immersion“ genannt. In der virtuellen Welt wird die reale durch eine künstliche Welt aus dem Computer ersetzt, und man kann in diese neue Realität eintauchen, als sei sie echt. Daher passiert alles in diesem Prozess in Echtzeit, jede Reaktion eines menschlichen Subjekts wird sofort in den virtuellen Raum umgesetzt. Die Technik der virtuellen Realität spricht mehrere Sinne des Menschen zugleich an, wie z.B. den Gesichtssinn, den Tastsinn, den Gehörsinn und perspektivisch auch den Geruchsinn. Was ist aber mit dem menschlichen Geist? Inwiefern spricht die virtuelle Welt den Geist an? Ohne uns auf diese Problematik detaillierter einlassen zu wollen, können wir hier bündig feststellen, dass diese Frage schon deshalb sekundär ist, weil der Geist die virtuelle Welt nicht nur erzeugt, indem er sich empirisch durch Handlungen des Menschen betätigt, sondern die virtuelle Welt auch in einer Immersionsprozedur erschließt, indem er mit ihr in einem bewussten Kontakt bleibt. Das mentale Engagement des Geistes ist also für die Begründung der virtuellen Welt notwendig. Der vierte und letzte Bereich, auf den wir kurz eingehen und in dem sich die praktische Seite des Erklärungsmodells zeigt, betrifft das Phänomen 105

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Mit Einschränkung wird hier gemeint, dass sich die fruchtbare Konfrontation zwischen der naturalistischen und rationalistisch-begrifflichen Methode immer deutlicher auf das Gebiet des Mentalen verschiebt. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 353.

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322 des Religiösen. Das Religiöse versetzt den Geist auf eine höhere Aktivitätsebene. Während der Bereich des Virtuellen sich auch empirisch analysieren lässt, haben wir keinen empirischen Zugang zum Bereich des Religiösen, weil hier Gott als Untersuchungsgegenstand betrachtet wird. Da Gott sich aber weder empirisch noch rational untersuchen lässt, bleibt uns nur der metaphysische Zugang übrig. Dieser Zugang kann sich etwa in folgender metaphysischer Überzeugung offenbaren: „Es gibt Gott als den Schöpfer des Universums und als jenes Wesen, das uns Menschen für die Art unserer Lebensführung einmal zur Verantwortung ziehen wird“. Metaphysische Überzeugungen fundieren religiöse Anschauungen, die sich von naturwissenschaftlichen Anschauungen unterscheiden. Eine religiöse Anschauung gründet aber in einem religiösen Glauben, der zumindest vier Elemente umfasst: (1) den Glauben an ein transzendentes, personhaftes Wesen; (2) den Glauben an eine Kommunikation mit dem transzendenten Wesen (z.B. durch Gebet); (3) Aussagen über den Sinn und Zweck des Weltlaufs sowie über Werte und Verhaltungslinien, an denen sich die Gläubigen ausrichten sollen; und (4) den Glauben an ein Gericht oder wenigstens an Sanktionen des transzendentalen Wesens und gleichzeitig an das Angebot eines Heilsweges für diejenigen Menschen, die sich an die Verhaltensrichtlinien dieses Wesens halten. Es fällt sofort auf, dass im Bereich des Religiösen die hermeneutische Methode entscheidend ist. Zwar müssen dabei auch zugleich empirische, vom Geist gewissermaßen durchleuchtete Grundlagen vorhanden sein, wie etwa das Leben der Menschen in der realen Welt; diesen Grundlagen kommt aber nur eine hermeneutisch motivierende Funktion zu. Vornehmlich können wir dies etwa an der Auslegung religiöser Anschauungen durch Sigmund Freud beobachten. Nach Freud sind also religiöse Anschauungen fundiert im kindlichen Erlebnis der Hilflosigkeit, der Schutzbedürftigkeit und im Erlebnis, dass der Vater dem Kind jeweils Hilfe und Schutz gegeben hat. Diese kindliche Ohnmacht dauert im späteren Leben an und wird in der Erkenntnis des Erwachsenen fortgesetzt. Das führt dazu, dass viele 107

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Natürliche Weltanschauungen beruhen auf Überzeugungen, die es mit der Natur zu tun haben, wie z.B. Evolution, zentrales Nervensystem usf. Vgl. Brülisauer, B. (2008), 245, 314f.

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323 Menschen durch ihr ganzes Leben am Glauben an die Existenz eines Vaters festhalten. 109

8. Kritischer Ausblick Man könnte meinen, dass wenn man schon eine Methode zur Verfügung hat, das beabsichtigte Resultat sich ohne weiteres erlangen lässt. Das gilt auch für alle epistemologischen Aktivitäten. Diese Überzeugung erhielt vor allem bei den Vertretern reliabilistischer Theorien eine besondere Ausgestaltung (vgl. 6.3. [Kap.IV]). Indes schreibt Wittgenstein in seinen „Tagebüchern“ Folgendes: „Ein Meterstab sagt nicht, dass ein zu messendes Objekt einen Meter lang sei. Auch wenn wir nicht wissen, dass er zum Messen dieses bestimmten Objekts dienen soll. Könnte man nicht fragen: Was muss zu jenem Meterstab dazu kommen, damit es etwas über die Länge des Objektes aussagt?“ (TB, 11.1.15).

Bei dieser Behauptung Wittgensteins können wir mit unserer kritischen Reflexion ansetzen. Wenn wir also eine epistemologische Reflexion in Gang setzen und uns dabei etwa auf die apriorische, naturalistische oder begrifflich-analytische Methode berufen, um dann behaupten zu können, dass unser Erkenntnisverfahren von epistemologischen Gefahren (wie Zirkel, Petitio principii, Regress ins Unendliche) ganz frei sei, so können wir schnell eine Überraschung erleben. Das macht Wittgenstein mit seinem Meterstab-Beispiel deutlich, indem er noch auf ein Etwas verweist, das zu einem Meterstab hinzukommen muss. Was bedeutet das aus epistemologischer Sicht? Solange wir also nicht klar machen, was noch zu einer bestimmten Methode, die wir jeweils anwenden, als dieses Etwas hinzukommen muss, solange verbleiben wir in der epistemologischen Gefahrenzone und können eine epistemologische Niederlage erfahren. Auch viele namhafte Denker scheinen den Ernst dieser epistemologischen Lage völlig übersehen zu haben. Die Folge davon ist, dass ihr Erkenntnisresultat beträchtlichen Einbußen ausgesetzt ist, insbesondere im Hinblick auf seine Objektivität.

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Vgl. z.B. Freud, S. (1933).

324 Das Problem der Objektivität, wie wir dies noch im nächsten Kapitel sehen werden, ist vor allem mit der Charakterisierung eines Wahrheitsprädikats verknüpft. Dabei geht es – zumindest nach Davidson - um die Beschreibung der erforderlichen Art Struktur des Wahrheitsprädikats und die Lieferung eines klaren und überprüfbaren Kriteriums für eine Semantik einer natürlichen Sprache. 110

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Vgl. Davidson, D. (1986a), 66.

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Kapitel VI EPISTEMOLOGISCHE OBJEKTIVITÄT 1. Einführung „Wenn ich nun sage: Es ist gleich wahrscheinlich, dass ich eine weiße Kugel wie eine schwarze ziehen werde, so heißt das: Alle mir bekannten Umstände [...] geben dem Eintreffen des einen Ereignisses nicht mehr Wahrscheinlichkeit als dem Eintreffen des anderen. Das heißt, sie geben [...] jedem die Wahrscheinlichkeit ½“ (TLP 5.154).

Das methodische Verfahren wird stets im Kontext des zu erreichenden epistemologischen Resultats betrachtet. Die epistemologische Methodik kann also nie als Ziel an sich angesehen werden. Das bedeutet, wir verwenden eine bestimmte Methode M, um zu einem bestimmten epistemologischen Resultat R zu kommen. So lassen sich unser Weg zum Erkennen und Wissen sowie Umgang mit diesen beiden Entitäten methodisch beschreiben. Der nächste Schritt unserer Analyse in der vorliegenden Abhandlung besteht darin, das mit dieser oder jener Methode erreichte Resultat kritisch zu prüfen. Als entscheidendes Kriterium gilt dabei „Objektivität“. Daher stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit Objektivität um? Wie objektiv kann unser Erkennen und Wissen sein? Wollen wir diese beiden Fragen beantworten, dann werden wir – volens nolens - mit dem Problem der Objektivität in der Erkenntnistheorie konfrontiert. Damit auch dieses Problem erfolgreich angegangen werden kann, müssen wir über klare Begriffe verfügen. Deshalb werden wir vorab den Begriff „Objektivität“ selbst zu klären haben. Anschließend werden einzelne Elemente analysiert, die den Objektivitätsbegriff epistemologisch fundieren, d.h. Wahrheit, Gewissheit, Gültigkeit, Rechtfertigung, Wahrscheinlichkeit, Vermutung. Es wird sich also zeigen, dass wir dem Erkennen bzw. Wissen das Prädikat „objektiv“ dann zuschreiben können, wenn das Erkennen bzw. Wissen wahr, gewiss und gültig ist und sich

326 rechtfertigen lässt. Wahrscheinlichkeit und Vermutung müssen ausgeschlossen werden. Den Grund dafür nennt Wittgenstein in dem obigen Zitat. Wir werden ihn aber erst im Verlaufe unserer Analyse genauer erläutern. 2. Was heißt „objektiv“? In unauflöslicher Verbindung zum Objektivitätsbegriff stehen die Begriffe Wahrheit, Existenz, Ontologie, Realität sowie die Vorstellung einer möglichen Subjekt-Objekt-Trennung. Das Prädikat „objektiv“ gehört ferner zu den sprachlichen Entitäten, die im Kontext begrifflicher Verbindung plausibel geklärt werden können, genauer gesagt im Kontext der Verbindung „subjektiv-objektiv“. Wenn etwas subjektiv ist, dann befindet es sich in einer spezifischen Zugehörigkeitsrelation zu einem Subjekt S und wird von diesem insofern geprägt, als man z.B. von einer subjektiven Eigenschaft E sprechen kann. Und diese subjektive Eigenschaft bleibt prinzipiell diesem einen Subjekt S zugänglich und vorbehalten, insbesondere wenn es um deren individuelle Modifikation geht. Freilich bedeutet dies, dass wir auch einem anderen Subjekt S1 die gleiche subjektive Eigenschaft E (z.B. Intelligenz) zuschreiben können; sie könnte bei ihm aber eine durchaus andere Qualität aufweisen. Ist dagegen etwas objektiv, dann steht es in einer spezifischen Zugehörigkeitsrelation zu einem Objekt O und bleibt zugleich mehreren Subjekten epistemologisch zugänglich, wenn auch in einem qualitativ unterschiedlichen Grade. Dabei könnten wir allerdings von einer objektiven Eigenschaft E reden. „Objektiv“ hieße dann nichts anderes als „gegenüberliegend“. Aus Sicht dieser beiden Relationen ergibt sich daher eine epistemologische SubjektObjekt-Spaltung. Die Subjekt-Objekt-Spaltung stellt z.B. nach Karl Jaspers eine wesentliche Eigenschaft des Denkvermögens dar, das stets darauf abzielt, das „Gegenüberstehende“ zu erkennen und damit die Grenzen des eigenen Selbst zu erweitern bzw. zu überschreiten. Dadurch, dass wir das 1

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Vgl. Anken, L. (2010), 25. Es gibt viele andere philosophische Begriffspaare, die sich in dieser Weise erklären lassen, wie z.B. „induktiv-deduktiv“, „analytisch-synthetisch“ u.a. Man denke etwa an den naiven oder kritischen Realismus. 1 2

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327 uns Gegenüberstehende zum Gegenstand machen, werden wir zu anderen (Menschen). So können wir durchaus behaupten, dass Objektivität die philosophische Erkenntnis der Trennung des Objekts vom Subjekt voraussetzt. Und „objektiv“ ist hier das, was in Beziehung zum Objekt bzw. Gegenstand steht. Das, was dem Gegenstand als solchem eigen ist, oder was im Gegenstand ist, kann „objektiv“ genannt werden. Aus philosophischer Sicht bedeutet das einfach: Etwas ist „objektiv“, wenn es vom Gegenstand her bestimmt, im Gegenstand begründet ist. Diese epistemologische Einstellung bezüglich des Objektivitätsbegriffs, welche die Trennung des Objekts vom Subjekt und eine Bestimmung vom Gegenstand her fordert, wird allerdings nicht selten angezweifelt. In der Philosophiegeschichte gibt es viele Standpunkte, die sich für das Gegenteil einsetzen. Das prominenteste Beispiel ist wohl Kant, den man als radikalen Konstruktivisten bezeichnen kann, wenn er für eine Unterscheidung zwischen der Welt an sich und der Erscheinungswelt plädiert. Nach Kants „kopernikanischer Wende“ bestimmt nicht das Objekt das Subjekt, sondern das Subjekt sein Objekt. Nicht unsere Erkenntnis muss sich nach den Gegenständen richten, sondern die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten. Zugleich hält aber Kant unerschütterlich an der Endlichkeit menschlicher Erkenntnis fest. Sie ist nicht produktive, sondern rezeptive, nicht schöpferische, sondern hinnehmende Erkenntnis, deshalb angewiesen auf sinnliche Anschauung, beschränkt auf den Bereich möglicher Erfahrung. Wenn dennoch das Subjekt sein Objekt bestimmen soll, so kann es als endliches, hinnehmend erkennendes Subjekt den Gegenstand nicht bestimmen, wie er an sich ist, sondern nur, wie er ihm erscheint. Menschliche Erkenntnis ist nicht nur beschränkt auf mögliche Erfahrung, sondern auch im Bereich der Erfahrung auf bloße Erscheinung; sie erreicht also das Ding an sich nicht (vgl. KrV B XVIf.). Damit macht Kant unter anderem Folgendes deutlich: Zum einen wird die Grenze der dem Verstand zu verdankenden Erkenntnis festgesetzt. Der Verstand 4

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Vgl. Jaspers, K. (1971), 24f. Vgl. de Vries, J. (1996c), 272. Eine konstruktivistische Position lässt sich – grob gesagt - zwischen realistischen und solipsistischen Theorien platzieren. Vgl. dazu auch Coreth, E. u.a. (1997), 12.

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328 verbindet verschiedene Wahrnehmungen zu einer Einheit, versieht sie mit Notwendigkeit und Allgemeinheit und gebraucht dabei Kategorien. Die Grenze besteht darin, dass es jenseits der Gegenstände möglicher Erfahrung keinen Gebrauch der Kategorien gibt; unabhängig von der Erfahrung sind die Kategorien völlig leer. Zum anderen handelt es sich um eine objektive Erkenntnis, weil das in der Anschauung Gegebene grundsätzlich unter Kategorien fallen kann. Wenn aber der Verstand das, was in der Anschauung gegeben ist, so verbindet, dass es doch unter keine Kategorien fällt, dann liegt nur eine subjektive Erkenntnis vor. Die Kategorien könnte man daher als Bedingung der Möglichkeit für objektive Erkenntnis bezeichnen (vgl. KrV B 140f; auch vgl. KrV A 108). Auch Fichtes idealistisches Denken steht unter dem Zeichen der Objektivität, die keine Trennung zwischen Subjekt und Objekt zulässt. Während Kant das Ich niemals in seinem aktuellen Vollzug erreicht hatte, ist für Fichte das Ich reale Aktivität, sich selbst setzende, sich selbst vollziehende Tathandlung. Fichte lehnt Kants Rede vom Ding an sich und der bloßen Erscheinung ab und spricht von der Handlung an sich und der an sich gültigen Wirklichkeit. Aus dem transzendentalen Subjekt als dem letzten, unbedingten Reflexionspunkt des Bewusstseins wird ein absolutes Subjekt oder absolutes Ich, das sich das Objekt als Nicht-Ich entgegensetzt. Der Gegenstand wird zum bloßen Nicht-Ich, das durch das Ich und für das Ich im Ich gesetzt ist. Der Begriff „Objektivität“ weist zudem eine sprachanalytische Ausrichtung auf. Im Kontext des semiotischen Modells von Charles Sanders Peirce ist Objektivität das Zeichenobjekt, welches als reines Objekt nie fassbar ist. Das ist aus zwei Gründen undenkbar: Zum einen unterliegt das Zeichenobjekt stets unserem menschlichen Verständnis und der Interpretation, zum anderen ist es mit der mitteilenden Erscheinungsform unlösbar verbunden. Nach Peirce haben wir kein Vermögen, ohne Zeichen zu denken. Denken findet nicht in einzelnen, isolierbaren Zeichen statt, sondern als ein kontinuierlicher Strom von 8

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Vgl. Fichte, J. G., I, 427, 17. Vgl. auch Coreth, E. u.a. (1997), 17f. Charles Sandres Peirce gilt als Mitbegründer der Semiotik (=Lehre von Zeichenreihengestalten) neben Ferdinand de Saussure. 8 9

329 Gedanken im Bewusstsein. In seiner Erkenntnistheorie verwirft Peirce die von Descartes bis Kant dominierende Behauptung, dass das Subjekt der Maßstab für Erkenntnis sei, und schreibt: 10

„Einstweilen wissen wir, dass der Mensch keine Ganzheit ist und dass er wesentlich ein mögliches Mitglied der Gesellschaft ist. Insbesondere ist die Erfahrung eines Menschen, solange sie alleine steht, nichts. Wenn er etwas sieht, was andere nicht sehen können, nennen wir es Halluzination. Es ist nicht „meine“ Erfahrung, sondern „unsere“ Erfahrung, an die zu denken ist; und dieses „wir“ hat unbegrenzte Möglichkeiten“. 11

Aus Sicht der Objektivitätsproblematik ist in diesem Zitat vor allem das Prädikat „unsere Erfahrung“ bedeutsam. Darüber hinaus kann der Begriff „Objektivität“ im Kontext des Wahrheitsbegriffs sinnvoll diskutiert werden, wie dies etwa Crispin Wright in seinem Buch „Wahrheit und Objektivität“ zeigt. Er formuliert folgende These des Minimalismus: „P ist wahr dann und nur dann, wenn P mit den Tatsachen übereinstimmt.“ Das Prädikat „wahr“ drückt nach Wright eine reale Norm aus, die das Treffen von Aussagen und die Bildung von Überzeugungen steuert. Hier erscheint nun ganz deutlich Objektivitätsbezug. Noch deutlicher lässt sich dieser sprachanalytisch geprägte Objektivitätsbezug bei Donald Davidson beobachten, wenn er sich bemüht, die Begriffe „Wahrheit“ und „Bedeutung“ aufeinander zu beziehen. Dabei werden zwei Prinzipien vorgeschlagen: Kontext- und Kompositionalitätsprinzip (vgl. 3.4. [Kap. V]). Während die klassischen Bedeutungstheorien davon ausgehen, dass jedem einzelnen Wort, das in einem Ausdruck (z.B. „der Vater von Annette“) vorkommt, eine eigene Bedeutung zukommt , glaubt Davidson, dass es genügt, die Bedeutung von „Annette“ anzugeben, um zur Bedeutung des Ausdrucks „der Vater von Annette“ zu gelangen. Die sprachanalytische Relevanz des Objektivitätsbegriffs hebt schließlich die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen dem „Wahr-sein“ und dem „Für-wahr-halten“ hervor. Dann heißt es, „objektiv“ könne nur das sein, was tatsächlich wahr sei und nicht nur für wahr gehalten werde. 12

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Vgl. Peirce, C.S., CP V, 265f. Peirce, C.S., CP V, 402. Vgl. Wright, C. (2001), 41f, 55f. Vgl. Davidson, D. (1986a), 41. Hier haben wir es offenbar mit dem frühen Davidson zu tun, der späte Davidson befasste sich vor allem mit dem Problem der Interpretation.

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330 Wenn die Unterscheidung zwischen dem „Wahr-sein“ und dem „Für-wahrhalten“ in der Analyse der Objektivitätsproblematik zugelassen wird, so eröffnet sich der Weg für den Relativismus (R). R geht davon aus, dass die Wahrheit von Aussagen stets bedingt ist. Das heißt, dass jede Aussage auf Bedingungen aufbaut, deren Wahrheit jedoch wiederum auf Bedingungen gründet usf., welche subjektiver Natur sind. Eine relativistische Position entsteht also dann, wenn statt des Gegenstandes, über den geurteilt wird, irgendetwas anderes (z.B. Struktur des Subjekts, Kulturbedingungen usw.) als Norm der Wahrheit gilt. Die Wahrheit wird relativ in einem besonderen Sinne dann, wenn sie für das Subjekt A bestehen, für das Subjekt B aber zugleich auch nicht bestehen kann. Wir können ebenfalls von einem erkenntnistheoretischen R sprechen. Denn bei genauerem Betrachten allen wissenschaftlichen Arbeitens stellen wir fest, dass es keine Wissenschaft gibt, die nicht bestimmter Festsetzungen bedarf, um überhaupt zu klären, worin ihr Objektbereich besteht und von welcher Art die Erkenntnismethoden über diesen Objektbereich sein sollen. Abschließend können wir mit Roman Ingarden behaupten, dass Objektivität durchaus auch als Problem erscheinen kann, und zwar schon im Bereich sinnlicher (äußerer) Wahrnehmung. Eine epistemologisch schwerwiegende Gefahr stellt z.B. der Fehler „petitio principii“ (=Voraussetzen des zu Beweisenden) dar. Damit dieser Fehler vermieden werden kann, müssen wir nach Ingarden die im Akt beschlossene Überzeugung vom Wirklichsein des Gegenstandes „neutralisieren“ und alle Voraussetzungen von der Betrachtung ausschalten, welche das wirkliche Sein des Gegenstandes der äußeren Wahrnehmung behaupten oder implizieren. Dazu schlägt Ingarden folgendes Objektivitätskriterium vor: 14

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Vgl. Santaler, J. (1996), 323. Vgl. dazu etwa Hübner, K. (1978). Vgl. auch http://de.wikipedia.org./wiki/Relativismus (Zugriff am 15.03.2011). Wollen wir genauer verfahren, dann können wir auch von Bedeutungs- (BR) und Wahrheitsrelativismus (WR) sprechen. Während der BR annimmt, dass sprachliche Ausdrücke nur im Zusammenhang der Sprache verständlich sind, in der sie formuliert werden, behauptet dagegen der WR, dass es keine absolute Wahrheit gibt, sondern die Wahrheit vom jeweiligen Beobachter abhängt. 14 15

331 „Eine Wahrnehmung eines Gegenstandes X ist objektiv, wenn in jeder Ansicht, die vom Erkenntnissubjekt beim Vollziehen der Wahrnehmung des Gegenstandes X erlebt wird, kein einziges Element (Moment) vorhanden ist, das eine subjektive Beimischung wäre“. 16

Es fällt auf, dass Ingardens Objektivitätskriterium, das auf den Neutralisierungsprozess angewiesen ist, deutliche phänomenologische Merkmale aufweist. Daraus können wir wohlbegründet folgern, dass eine Analyse des Objektivitätsbegriffs jeweils zu beachten hat, in welcher philosophischen Tradition sie verankert bleibt. Das wollen wir an zwei konkreten Beispielen prägnant beleuchten. 2.1. Zwei Beispiele aus der Philosophiegeschichte 2.1.1. Hegel Bei Hegel erscheint Objektivität vor allem in der Form des objektiven Geistes. Damit wird deutlich, dass wir es mit einer idealistischen Grundlage zu tun haben, die auch bei unserer Analyse zu beachten ist. In seiner „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ schreibt Hegel Folgendes: „Der objektive Geist ist die absolute Idee, aber nur an sich seiend; indem er damit auf dem Boden der Endlichkeit ist, behält seine wirkliche Vernünftigkeit die Seite äußerlichen Erscheinens an ihr. Der freie Wille hat unmittelbar zunächst die Unterschiede an ihm, dass die Freiheit seine innere Bestimmung und Zweck ist und sich auf eine äußerliche vorgefundene Objektivität bezieht, welche sich spaltet in das Anthropologische der partikulären Bedürfnisse, in die äußeren Naturdinge, die für das Bewusstsein sind, und in das Verhältnis von einzelnen zu einzelnen Willen, welche ein Selbstbewusstsein ihrer als verschiedener und partikulärer sind“ (Enz. 8, §483).

Aus diesem Zitat ergibt sich, dass der objektive Geist als absolute Idee sich im Kontext der Endlichkeit offenbart. Seine wirkliche äußerlich erscheinende Vernünftigkeit erfordert vorab die Existenz des subjektiven Geistes, in dem sich die partikulären Bedürfnisse von den Menschen und deren freier Wille zeigt. Der subjektive Geist ist zunächst die Seele als nur 16

Vgl. Ingarden, R., OSW, 34f.

332 latent bewusstes Leben, als „Schlaf des Geistes“; auf der nächsten Stufe erwacht er dann zum Bewusstsein. Die Stufen seiner Entwicklung innerhalb des Bewusstseins gehen über folgende Momente: gegenständliches Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Vernunft. Als Bewusstsein betrachtet also der subjektive Geist das Objekt, das er sich zum Gegenstand macht. Mittels des Selbstbewusstseins macht er sich dann die Objekte des Bewusstseins zu Inhalten seiner selbst, um anschließend die Einheit des Selbstbewusstseins mit seinem Objekt zu vollziehen. Damit erreicht der subjektive Geist die Ebene der Vernunft als Einheit von Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Auf die Stufe der Seele und des Bewusstseins folgt schließlich die Stufe des Geistes. Der subjektive Geist kommt zur Einsicht, dass die Bestimmungen der Objekte, auf die er sich bezieht, für ihn nicht als etwas Gegebenes sind, sondern sie werden aus ihm selbst hervorgebracht. Der subjektive Geist erkennt damit seine eigene Substanz als eine Hervorbringung seiner selbst, d.h. als Freiheit (vgl. Enz. 8, §§317f, 439f). Hegels Reflexion über den objektiven Geist, der zum einen im subjektiven Geist fundiert ist, zum anderen freilich diesem gegenübertritt, lehnt die strenge Subjekt-Objekt-Spaltung ab. Das ist in erster Linie auf Hegels idealistischen Standpunkt zurückzuführen. Während der subjektive Geist als individueller Geist anzusehen ist, hat der objektive Geist einen überindividuellen Charakter und gilt – geschichtlich gesehen – als Weltgeist, der sich im konkreten Geschichtsprozess in eine Vielzahl einzelner Volksgeister (bzw. Gesellschaften) aufgliedert. Der objektive Geist geht - in einem dialektischen Dreierschritt - durch verschiedene Etappen der Entwicklung hindurch: Recht, Moralität und Sittlichkeit (vgl. Enz. 8, §§488f). Welche epistemologische Bedeutung weist diese idealistische Konstellation auf? Die epistemologische Relevanz dieser Konstellation besteht vor allem darin, dass die Gewissheit und Wahrheit der Vernunft hervorgehoben werden. Nach Hegel ist die Vernunft die Gewissheit des Bewusstseins, alle 17

Vgl. dazu auch Disse, J. (2001), 269f. Hegel spricht schließlich auch vom absoluten Geist. Dieser ist eine Synthesis von subjektivem und objektivem Geist. Es gibt drei Formen des Sichselbstwissens des absoluten Geistes durch den Menschen hindurch: Kunst, Religion und Philosophie (vgl. 3.3.4. [Kap. I]).

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333 Realität zu sein. Das Bewusstsein, das als Vernunft auftritt, hat daher unmittelbar jene Gewissheit. Die Vernunft beruft sich auf das Selbstbewusstsein eines jeden Bewusstseins: „Ich bin Ich, d.h. mein Gegenstand und Wesen“. Niemand kann nach Hegel diese Wahrheit leugnen. Indem die Vernunft alle Realität in der Bedeutung des abstrakten Ich betrachtet, wobei das Andere diesem Ich als ein gleichgültiges Fremdes erscheint, wird das Wissen der Vernunft von einem Anderen gesetzt. Und dieses Wissen kommt als Meinen, Wahrnehmen und der das Gemeinte und Wahrgenommene auffassende Verstand vor. Nur die Einheit der Apperzeption ist die Wahrheit des Wissens (vgl. PhG, 157f). Diese Einheit enthält freilich auch objektive Merkmale. 2.1.2. Husserl Bei Hegel haben wir gesehen, dass Objektivität in einem idealistischen Gewand auftritt. Husserl verleiht dagegen dem Objektivitätsbegriff eine phänomenologische Formung, wenn er das Motto seiner Phänomenologie formuliert als „Zurück zu den Sachen selbst“. Mit dieser These wird von Husserl zweifellos Objektivität angesprochen. Die Frage ist allerdings, welcher Typus von Objektivität damit gemeint ist. Zunächst handelt es sich um eine Objektivität, die im Zusammenhang mit dem Begriff „Transzendenz“ gedacht wird. Diese Art Objektivität ergibt sich in der natürlichen Geisteshaltung und betrifft Gegenstände der realen Welt. Wie sie aber erfasst wird, zeigt sich erst in der phänomenologischen Geisteshaltung, wo die Bedingungen der Möglichkeit natürlicher Erkenntnis erforscht werden. Dabei ist zu fragen, wie das Wesen der Erkenntnis und der Erkenntnisgegenständlichkeit aufgeklärt werden kann. Um diese Frage zu beantworten, begibt sich Husserl auf das Gebiet des reinen Bewusstseins, auf dem Objektivität als reines Phänomen aufgefasst wird. Für die Erfassung einer derartigen Objektivität sind insbesondere drei Schritte entscheidend: Lösung der Gewissheitsfrage, Durchführung der Reduktion und Verlauf des Konstituierungsprozesses. Was den ersten Schritt anbelangt, greift Husserl den in der methodischen Skepsis fundierten Entwurf von Descartes auf, um dann festzustellen, dass 18

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Vgl. Husserl, E., Hua II, 17f.

334 Descartes´ Meditationen als Urbild der philosophischen Selbstbesinnung anzusehen sind. In dieser Weise kann man durchaus beginnen, nach möglichen Lösungen der Gewissheitsfrage zu suchen, so Husserl. Die Forderung des Neubaus wirkt sich bei Descartes in einer subjektiv gewendeten Philosophie aus; er sucht apodiktisch gewisse Wege, durch die sich in seiner reinen Innerlichkeit eine objektive Äußerlichkeit erschließen kann. Für Husserl bedeutet dies eine Notwendigkeit radikalen Neubeginns der Philosophie und Verabschiedung von naivem Objektivismus. So kann er auch behaupten, wir fangen neu an, jeder für sich und in sich, mit dem Entschluss radikal anfangender Philosophen, alle uns bisher geltenden Überzeugungen und darunter auch alle unsere Wissenschaften zunächst außer Kraft zu setzen. Diesen Schritt vollzieht also Husserl in Anschluss an Descartes, insbesondere mit dem Blick auf dessen Kriterien der Erkenntnis: Klarheit und Deutlichkeit. Die Existenz der Cogitatio ist durch ihre absolute Selbstgegebenheit gewährleistet, durch ihre Gegebenheit in reiner Evidenz. Wo immer wir die reine Evidenz haben, das reine Schauen und Fassen einer Objektivität, direkt und selbst, da haben wir dieselben Rechte und Unfraglichkeiten. So ergibt sich für Husserl eine neue Objektivität als absolute Gegebenheit, d.h. die Wesensobjektivität, die im Rahmen der „Philosophie als strenger Wissenschaft“ zu erforschen ist. Den Zugang zu dieser Wesensobjektivität erhofft sich Husserl durch die Einführung der technischen Maßnahme, die er als phänomenologische Reduktion (Epoché) bezeichnet; es ist die Methode der Einklammerung der realen Welt. Diesen Schritt beschreibt Husserl wie folgt: 19

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„Die zum Wesen der natürlichen Einstellung gehörige Generalthesis setzen wir außer Aktion, alles und jedes, was sie in ontischer Hinsicht umspannt, setzen wir in Klammern: also die ganze natürliche Welt, die beständig „für uns da“, „vorhanden“ ist, und die immerfort dableiben wird als bewusstseinsmäßige „Wirklichkeit“ [...]. Tue ich so, wie es meine volle Freiheit ist, dann negiere ich diese „Welt“ also nicht, als wäre ich Sophist, ich bezweifle ihr Dasein nicht, als wäre ich Skeptiker; aber ich übe die

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Vgl. Husserl, E., Hua I, §1f. Vgl. Husserl, E., Hua II, 8.

335 „phänomenologische“ έποχή, die mir jedes Urteil über räumlich-zeitliches Dasein völlig verschließt“. 21

Wenn man nach Husserl die phänomenologische Reduktion durchführt, dann gelangt man auf das Gebiet des reinen Bewusstseins, auf dem Erkenntnisgegenstände als reine Phänomene erscheinen. Dabei ist signifikant, dass diese reinen Phänomene keineswegs als fertige Entitäten gegeben sind, sondern sich vielmehr erst konstituieren. Der Konstituierungsprozess gilt mithin als nächster Schritt auf dem Weg Husserls zur Objektivität reiner Phänomene. Es handelt es sich dabei um die phänomenologische Konstitution des Dinges im transzendentalen Bewusstsein überhaupt. Wir gehen also von der verbalen, vielleicht ganz dunklen Vorstellung des Dinges aus, wie wir sie gerade haben. Danach erzeugen wir frei anschauliche Vorstellungen von demselben „Ding“ überhaupt und machen uns den vagen Sinn des Wortes klar. Anschließend können wir exemplarisch verfahren: Wir erzeugen beliebige Phantasieanschauungen von Dingen, z.B. freie Anschauungen von Flügelpferden, weißen Raben, Goldbergen usw. Daran erfassen wir in intuitiver Klarheit das originär gegebene Wesen, das „Ding“ als Subjekt allgemein unbegrenzter noematischer Bestimmungen. Eine generelle Wesenseinsicht ist dabei, dass jede unvollkommene Gegebenheit eine Regel in sich birgt für die ideale Möglichkeit ihrer Vervollkommnung. So gehört es etwa zum Wesen der Kentaurerscheinung, dass ich den verschiedenen Seiten des Dinges nachgehen kann, das zunächst unbestimmt und offen bleibt; ich kann mir dieses Ding frei phantasierend anschaulich machen, d.h. konstituieren. Wir können dem Resultat dieses Konstituierungsprozesses eine rein phänomenale Objektivität zuschreiben. Lässt sich damit die wissenschaftliche Seite des Objektivitätsbegriffs aufrechterhalten? 22

Husserl, E., Hua III/1, §32. Bei Husserl ist bekanntlich zwischen der transzendentalen und der eidetischen Reduktion zu unterscheiden (vgl. dazu 3.4.3 [Kap. I]). Aus Sicht der Objektivitätsproblematik ist diese Differenzierung allerdings irrelevant. Vgl. Husserl, E., Hua III/1, §149. 21

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336 2.2. Die wissenschaftliche Seite des Objektivitätsbegriffs Beim Charakterisieren der Wissenschaft kann man wohl nicht am Objektivitätsbegriff vorbei kommen. Wenn wir einer Disziplin den Status der Wissenschaft zu verleihen beabsichtigen, dann sind wir speziell auf den Begriff der Objektivität angewiesen. Wie oben angedeutet besagt die wohl wichtigste philosophische Bedeutung des Begriffs „objektiv“ „vom Gegenstand bestimmt“ und „im Gegenstand begründet“. In diesem Sinne wird Objektivität für Wissenschaft gefordert. Was darunter zu verstehen ist, leuchtet schon ein, wenn wir den Begriff „Wissenschaft“ kurz erläutern. Wissenschaft ist die Suche nach wahrer Erkenntnis realer Zusammenhänge, d.h. sie „produziert“ Erkenntnisse. Insofern kann man wohl behaupten, dass die Wissenschaft als „Erkenntnisunternehmen“ anzusehen ist. Andere Perspektiven, etwa politischer oder ethischer Art, spielen dabei keine Rolle. Die Wissenschaft im engeren Sinne, d.h. als empirische Wissenschaft, unterscheidet sich von anderen Ansätzen wie der Philosophie oder Theologie durch eine spezifische Methode. Man kann sie die „empirische Methode“ nennen. Dessen ungeachtet wird behauptet, dass Wissenschaften wie Physik, Biologie oder Sozialwissenschaften aufgrund ihres Gegenstandsbereichs zu charakterisieren sind, und nicht aufgrund ihrer Methode. So könnte beispielsweise Physik ganz grob als diejenige Wissenschaft aufgefasst werden, die die Materie in ihren verschiedenen Zustandsformen sowie die Materiebausteine und die Wechselwirkungen zwischen ihnen analysiert. Doch werden diese Gegenstandsbereiche auch außerhalb der empirischen Wissenschaften untersucht. So hat sich die Philosophie unter anderem mit den Fragen auseinandergesetzt, ob überhaupt Materie existiert, was gegebenenfalls Materie ist, ob sie unendlich teilbar ist, oder ob sie in kleinste Bausteine zerlegt werden kann, wie diese Teile beschaffen sind und ob es Kausalbeziehungen (und damit Wechselwirkungen) gibt. Sieht man von der ersten Fragestellung ab, die sich nur zum Teil im Rahmen der Physik klären lässt, so unterscheidet sich die Physik von diesen philosophischen 23

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Vgl. de Vries, J. (1996c), 272.

337 Überlegungen durch die empirische Herangehensweise an derartige Probleme. Sowohl die empirischen Wissenschaften als auch die Philosophie haben ein großes Interesse an der Objektivität der zu untersuchenden Gegenständlichkeiten. Beide wissenschaftliche Disziplinen gebrauchen jedoch dabei unterschiedliche Methoden. Daraus folgt z.B. für die empirischen Wissenschaften, dass deren Grenzziehungen nicht absolut ernst genommen werden dürfen, da die Zugänglichkeit eines bestimmten Sachverhalts durch eine bestimmte Methode sich im Laufe der Zeit verändern kann. Darüber hinaus gibt es Gegenstandsbereiche, die den empirischen Wissenschaften unzugänglich sind. Denn diese Wissenschaften können etwa nicht die Frage nach der Existenz Gottes, dessen Beschaffenheit und Erkennbarkeit beantworten. Das Gleiche gilt für die Frage nach moralischer Richtigkeit und Falschheit sowie für das Problem des ontologischen Status der Realität. Dafür ist die Philosophie zuständig. Allerdings ist dabei zu beachten, dass auch beim Umgang der Philosophie mit metaphysischen Fragen die äußerste Vorsicht geboten ist, weil die Philosophie keinen Anspruch auf die Absolutheit ihrer Resultate erheben darf. Das ist auf die Struktur und Leistungen der menschlichen Vernunft zurückzuführen. Deshalb ist zu fragen, welche Konsequenzen sich daraus für den Objektivitätsbegriff ergeben. Der einfachste Weg zur Feststellung möglicher Konsequenzen verläuft über den Begriff der Sachlichkeit. Da die Sachlichkeit durch Wissenschaft fundiert wird, können wir durchaus behaupten, dass die Sachlichkeit die wissenschaftliche Seite des Objektivitätsbegriffs darstellt. Bei der Betrachtung des Begriffs der Wissenschaft haben wir jedoch gesehen, dass die Wissenschaft – sowohl als empirische Wissenschaft wie auch als Philosophie – mit etlichen Unvollkommenheiten bzw. Schwächen belastet ist. Kurzum: Es fehlt ihr die Absolutheit bei der Grenzziehung im Bereich ihrer Untersuchungsgegenstände. Wenn man also die Objektivität an der 24

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Vgl. Ruß, H.G. (2004), 7f. Man denke etwa an die Gesetze der klassischen Physik, die durch die Gesetze der Quantenphysik korrigiert worden sind. Vgl. Ruß, H.G. (2004), 15f. 24 25

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338 Sachlichkeit messen will, dann ist es erforderlich, diese Belastungskonstellation vor Augen zu haben. Was sodann eventuell bleibt, ist lediglich die Möglichkeit von Prognosen. Prognosen sind streng genommen den empirischen Theorien zu verdanken. Empirische Theorien haben die Welt dadurch verändert, dass sie technische Entwicklungen ermöglicht haben. Der Vorteil empirischer Theorien liegt in der Fähigkeit, unabsehbare Massen von Phänomenen zu systematisieren und aus einfachen Prinzipien zu erklären. Sie schränken mithin die Komplexität der Erfahrung auf ein einfaches Erklärungsmodell ein, durch das Prognosen denkbar werden. Und Prognosen kommt ein gewisser Grad der Objektivität zu. 27

28

3. Wie wahr ist unser Wissen? Wollen wir diese Frage beantworten, so sind wir in erster Linie „gezwungen“, den Wahrheitsbegriff zu klären. Es ist deshalb erforderlich, weil Wissen unter anderem als wahre Überzeugung aufgefasst wird (vgl. 4.2 [Kap. IV]). Und das bedeutet, dass Wahrheit eine notwendige Bedingung für Wissen darstellt. Selbst wenn diese These unter den Philosophen nahezu absolute Akzeptanz genießt, gibt es auch einige geschichtsbezogene Verweise, welche ihre Stabilität bedrohen. So wird etwa folgender Satz behauptet: „Im Mittelalter wusste man, dass die Erde eine Scheibe ist, auch wenn sich später herausgestellt hat, dass die Erde (schon immer) eine Kugel ist“. Wäre dieser Satz sinnvoll, dann könnte aus der Wahrheit von „S weiß, dass p“ nicht mit begrifflicher Notwendigkeit folgen, dass p. Damit soll nun gesagt werden, dass man auch von „Wissen ohne Wahrheit“ sprechen kann. Demnach gäbe es zwei Möglichleiten, den Wissensbegriff (WB) zu bestimmen: In einem Fall würde der WB Wahrheit als notwendige Bedingung beinhalten, im anderen Fall nicht. Wir werden uns jedoch auf die Seite derjenigen Philosophen stellen, für die 29

Natürlich könnte man auch von philosophischen Prognosen sprechen. Sie hätten aber einen anderen Charakter deshalb gehabt, weil sie sich im eigentlichen (empirischen) Sinne nicht verifizieren lassen. Vgl. Anzenbacher, A. (2002), 246. Vgl. Ernst, G. (2007), 49. 27

28 29

339 Wahrheit als entscheidende Komponente bei der Bestimmung von Wissen gilt. Wahrheit kann man unterschiedlich bestimmen, je nachdem, ob man sie als einen möglichst weiten, mit dem Sein selbst koexistenten Begriff oder einen möglichst engen und exakten Terminus zu fassen versucht. Während die erste Tendenz dem Gebrauch dieses Ausdrucks in der philosophischen Tradition des Abendlandes entspricht, was sich insbesondere in den Korrespondenztheorien zeigt, folgt die zweite Denkrichtung eher rein logischen und linguistischen Gesichtspunkten. In dem Kontext zeichnen sich in der gegenwärtigen Debatte zwei prinzipielle Wege ab, den Wahrheitsbegriff zu diskutieren: der epistemische und der realistische Weg, wobei der letztere in verschiedenen Varianten erscheint. Also haben wir: 30

Wahrheitstheorien (WT) Epistemische WT

Korrespondenztheorie

Realistische WT

Deflationäre WT Primitive WT Axiomatische WT

So unterscheiden wir zwischen epistemischen und realistischen WT. Während die epistemischen WT behaupten, dass man Wahrheit durch Rechtfertigungskriterien definieren kann, wird dies hingegen von den realistischen WT bestritten. Die realistischen WT wollen allerdings ihre These in vielerlei Weise verwirklichen: Eine Möglichkeit stellt die Korrespondenztheorie dar, die Wahrheit als eine relationale Eigenschaft zwischen Wahrmachern und Wahrheitswertträgern auffasst. Eine andere Eventualität wird durch die deflationären WT gewährleistet, die davon gehen, dass sich Wahrheit allein durch das Zitattilgungsschema definieren lässt und es ansonsten nichts Interessantes über Wahrheit zu sagen gibt. Darüber hinaus werden Standpunkte vertreten, welche die 31

Vgl. Puntel, L.B. (1996), 447. Unter Zitattilgungsschema ist die These zu verstehen: „P ist wahr genau dann, wenn p“.

30 31

340 Undefinierbarkeit bzw. Primitivität des Wahrheitsbegriffs betonen. Schließlich gibt es Positionen, die Wahrheit mit Hilfe der formalen Logik zu bestimmen suchen. Bevor wir über diese einzelnen WT genauer zu sprechen kommen, wollen wir uns bemühen, einige grundlegende Merkmale des Wahrheitsbegriffs zu formulieren. 32

3.1. Grundlegende Merkmale des Wahrheitsbegriffs Die Relevanz der Wahrheit im Kontext der philosophischen Reflexion lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass Wahrheit in den Kanon der Transzendentalien aufgenommen wurde. Dementsprechend gestalten sich auch grundlegende Merkmale des Wahrheitsbegriffs (WB). Um diese genauer hervorzuheben, differenzieren wir zwischen internen und externen Merkmalen des WB. Die internen Merkmale des WB ergeben sich vor allem als logisches Resultat unseres Denkprozesses, in dem die Struktur der Wahrheit sowie deren Funktion erforscht werden, und sie sind absolut grundlegend, während die externen Merkmale bereits in der schlichten Beobachtung des epistemischen Umgangs menschlicher Subjekte mit der realen Welt zu gewinnen sind, und sie können deshalb auch relativ sein. Wir fangen mit den externen Merkmalen an. Unsere alltägliche Erfahrung zeigt, dass der Wahrheitsbegriff (WB) mehrdeutig ist: Wir sprechen z.B. von wahrer Liebe, einem wahren Freund oder einem wahren Kunstwerk. Wahrheit kann also auf verschiedene Gegenständlichkeiten bezogen werden. Die Folge davon ist, dass wir dem WB einen spezifischen Sinn zuschreiben, je nachdem, was als Hauptelement in diesem Beziehungsprozess angesehen wird. So können wir etwa mit Aristoteles von noetischer Wahrheit sprechen, wenn Gegenstände durch Vernunft direkt erfasst werden. Heidegger konfrontiert uns mit dem Begriff einer hermeneutischen Wahrheit, wenn er von der „Erschlossenheit“ des Seienden oder Seins redet. Haben wir den Bezug 33

34

35

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 42f. Vgl. Thomas v. Aquin, De ver 1, 1; 21, 1. Andere klassische Transzendentalien sind Einheit, Gutheit und Schönheit. Vgl. Aristoteles, Met. X, 1051b. Vgl. Heidegger, M., SZ §44.

32 33

34 35

341 der Wahrheit auf das Seiende selbst vor Augen, dann können wir von einer ontologischen Wahrheit sprechen. Wahrheit kann sich aber nicht nur auf einzelne Gegenstände der Welt beziehen, sondern auch auf komplexe Sachverhalte, die in ihrer Gesamtheit die Welt erschaffen, wie dies Wittgenstein betont. Daher können wir auch von propositionaler Wahrheit reden. Genauer gesagt handelt es sich dabei um eine Eigenschaft von Sätzen (bzw. Propositionen), die einen Gegenstand als so-und-so beschaffen darstellen, d.h. ihn so darstellen, wie er wirklich ist. Wenn wir das Prädikat „wahr“ auf ein bestimmtes Ding A beziehen, dann ist dieses Ding A Träger von Wahrheit, z.B. im Falle von dem Ausdruck „wahrer Freund“ ist es der Terminus „Freund“. Daraus ergibt sich also, dass Wahrheit einen Wahrheitsträger erfordert. Dabei können freilich mehrere Träger in Betracht kommen, d.h. wir können sagen: „A ist wahr“ und „B ist wahr“ usf. Da Wahrheit samt ihren Trägern von vielen Subjekten erfasst werden kann, hat sie einen intersubjektiven Charakter. Darüber hinaus gilt Indexikalität als entscheidendes Merkmal der Wahrheit. Denn die Behauptung „A ist wahr“ kann z.B. in London, München, Krakau usf. geäußert werden, und dies kann im Jahre 2011, 2012, 2013 usf. geschehen. Der Satz „A ist wahr“ kann aber mit der Zeit seine Bedeutung verändern, so dass dann gelten kann: „A ist nicht wahr“. Wenn wir unter A z.B. „Maria ist hübsch“ verstehen, so kann es durchaus dazu kommen, dass der einst wahre Satz „ ist wahr“ sich als falsch erweist, wenn Maria tatsächlich nicht mehr hübsch ist. Was die internen Merkmale des Wahrheitsbegriffs (WB) anbelangt, so können wir als erstes feststellen, dass Wahrheit als absolute Eigenschaft anzusehen ist. Denn es kann nicht der Fall sein, dass eine Person A die Überzeugung hat, dass p, und eine zweite Person B auch die Überzeugung hat, dass p, und dass die Überzeugung von A wahr ist, die Überzeugung von B aber falsch. Als absolute Eigenschaft kann Wahrheit nicht mit dem „Für-wahr-halten“ gleichgesetzt werden. Der Wahrheitswert ist in keiner Weise relativ, d.h. wenn etwas wahr ist, dann ist es sowohl für das Subjekt A, B, C usw. Andernfalls läge der Fall vor, wo etwas bloß für wahr gehalten würde. Eine weitere Eigenschaft des WB ist seine Extensionalität: Der Wahrheitswert eines Satzes ändert sich nicht, wenn man in ihm 36

36

Vgl. Wittgenstein, L., TLP 2.04.

342 Ausdrücke gleicher Extension (mit identischen Referenten) jeweils durch den anderen ersetzt. Beispiel: Der Satz „Der Abendstern ist ein Planet“ ist wahr. Der Ausdruck „Abendstern“ bezieht sich auf die Venus, das Gleiche gilt für den Ausdruck „Morgenstern“. Wenn man in diesem Satz den Ausdruck „Abendstern“ durch den Ausdruck „Morgenstern“ (also einen Ausdruck mit gleicher Extension) ersetzt, dann erhält man den Satz „Der Morgenstern ist ein Planet“. Und dieser Satz ist genau wie der Ausgangssatz wahr. Zu den internen Merkmalen gehört ferner das so genannte Zitattilgungsschema, das vor allem für die deflationären Wahrheitstheorien entscheidend ist. Dabei handelt es sich um folgende grammatikalische Struktur: „P ist wahr genau dann, wenn p“. In dem Kontext ist schließlich festzustellen, dass Wahrheit nicht sprachrelativ sein kann. Sonst wäre es kaum denkbar, etwas z.B. aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen. Mit anderen Worten: Ich kann den Satz „München ist eine schöne Stadt“ in jede andere Sprache übersetzen, ohne befürchten zu müssen, dass sich der Wahrheitswert dieses Satzes in einer anderen Sprache verändert. Fassen wir alle Merkmale des Wahrheitsbegriffs in einer Tabelle zusammen: 37

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Merkmale des Wahrheitsbegriffs Externe Merkmale Interne (=grundlegende) Merkmale Mehrdeutigkeit Absolute Eigenschaft Spezifischer Sinn Mehr als „Für-wahr-halten“ Notwendigkeit Extensionalität eines Wahrheitsträgers Intersubjektiver Charakter Zitattilgungsschema Indexikalität Nicht-Relativität Möglichkeit der Veränderung von Bedeutung

Der Sinn eines Satzes kann sich jedoch ändern, und das ist in diesem Satz passiert (vgl. dazu Frege, G. [2002]). Vgl. dazu auch Grundmann, Th. (2008), 33f. 37

38

343 Inwieweit und wie diese Merkmale ihre Wirkung entfachen, können wir anhand der Wahrheitstheorien verfolgen. 3.2. Epistemische Wahrheitstheorien Mit dem Katalog und der Bestimmung der grundlegenden Merkmale des Wahrheitsbegriffs lässt sich die Frage „Wie wahr ist unser Wissen?“ noch nicht beantworten. Der nächste Schritt besteht darin, Wahrheit im Rahmen verschiedener Theorien zu diskutieren. Wir beginnen mit den epistemischen Wahrheitstheorien, die Wahrheit durch Rechtfertigungskriterien definieren wollen. Es sind also Theorien, welche auch die Substantialität der Wahrheit anerkennen, d.h. behaupten, es gebe etwas Substantielles an der Wahrheit, aber diese Substantialität verdankt sich in erster Linie der kognitiven Leistung von Subjekten. Mit anderen Worten: Die Rechtfertigungskriterien hängen davon ab, in welche Richtung sich die Vernunft bei der Suche nach entsprechenden Kriterien begibt. Und diese Kriterien stellen ein Werkzeug dar, mit dessen Hilfe die Natur der Wahrheit erfasst werden soll. Der Sache nach sind die Kriterien mit der Natur der Wahrheit ein und dasselbe. Mit Blick auf diese Kriterien werden also auch verschiedene epistemische Wahrheitstheorien gebildet. So ergibt sich folgendes Schema: 39

EPISTEMISCHE WAHRHEITSTHEORIEN Kriterium

Wahrheitstheorie

Evidenz → Durch Evidenz gestützte Wahrheitstheorien Kohärenz → Kohärenztheorie der Wahrheit Konsens → Konsenstheorie der Wahrheit Pragmatismus → Pragmatische Theorie der Wahrheit

Wir werden unten sehen, dass die Substantialität der Wahrheit auch von den Korrespondenztheorien anerkannt, von deflationären Wahrheitstheorien dagegen abgelehnt wird. 39

344 3.2.1. Wahrheitstheorien und Evidenz Es gibt etliche denkbare Kriterien, welche die Ansprüche epistemischer Wahrheitstheorien erfüllen können. In der philosophischen Tradition des Abendlandes ist es vor allem das Kriterium der Evidenz. Evidenz bezeichnet einerseits das klare Sichzeigen, Offenbarsein, Einleuchten eines Sachverhalts, andererseits das damit gegebene geistige „Sehen“, Einsehen. Demnach können wir also Folgendes behaupten: 40

„Es ist wahr, dass p, wenn p von den epistemischen Subjekten als evident erkannt und gerechtfertigt werden kann“.

Eine Theorie müsste also mit dieser These vereinbar sein. Wir greifen kurz zwei Beispiele aus der Philosophiegeschichte auf: George Berkeley und Edmund Husserl. Bei Berkeley ist Evidenz einerseits empirisch fundiert, weil er mit Locke übereinstimmt, dass alles, was uns in der Wahrnehmung unmittelbar gegeben ist, bewusstseinsimmanente Ideen seien. Dabei werden auch abstrakte Allgemeinideen abgelehnt: Ich kann mir einen Menschen überhaupt gar nicht vorstellen, sondern immer nur diesen oder jenen bestimmten Einzelmenschen. Andererseits zeichnet sich aber bei Berkeley stark eine idealistische Deutung der Evidenzproblematik ab, wenn er bestreitet, dass es materielle Dinge sowie primäre Sinnesqualitäten als Eigenschaften dieser Dinge gibt. Das heißt, die Sinneserkenntnis entstammt nicht real existierenden Körperdingen, sondern die sinnlichen Wahrnehmungen sind nichts anderes als reine Vorstellungen des Geistes. Ihr Inhalt existiert nicht in materiellen Substanzen, sondern allein in der Vorstellungswelt des Geistes. Berkeley will beweisen, dass die Annahme einer außer uns existierenden Körperwelt nicht nur unbegründet, sondern auch widerspruchsvoll sei. Das Sein der Körperdinge besteht nach ihm darin, dass sie wahrgenommen werden. Berkeley behält dabei den Begriff der Substanz bei, wendet ihn aber allein auf geistige Realitäten an. Sein 41

Vgl. de Vries, J. (1996b), 100. Unter den primären Qualitäten sind z.B. folgende Entitäten zu verstehen: Größe, Gewicht, Ausdehnung usf. 40 41

345 Empirismus und Sensismus erfährt die Wende zu einem „Spiritualismus“, der die realen Dinge in reine Bewusstseinsinhalte aufhebt. In dem Kontext stellt sich die Frage: Wie begründet Berkeley die Evidenz seines Spiritualismus? Da die Welt von ihrem Beobachter abhängig ist, so ist sie ein Phänomen des menschlichen Bewusstseins. Die Ideen, an denen wir dank unserer Seele teilhaben, sind auf den göttlichen Geist zurückzuführen. Die ganze Natur und unser Dasein ruhen also in Gott. Ganz anders ist es hingegen mit der Begründung der Evidenz bei Husserl. Als Phänomenologe spricht er von der Phänomenologie der Evidenz im Zusammenhang mit dem Wahrheitsbegriff. So differenziert Husserl zwischen dem Begriff der Evidenz im weiteren Sinne (EWS) und dem im engeren Sinne (EES). Von der EWS sprechen wir dort, wo immer eine setzende Intention (z.B. Behauptung) ihre Bestätigung durch eine korrespondierende Wahrnehmung (bzw. eine Synthesis von zusammenhängenden Einzelwahrnehmungen) findet. In dieser Hinsicht haben wir es zunächst bloß mit den Annäherungen der Wahrnehmung an die objektive Vollständigkeit ihrer gegenständlichen Präsentation zu tun. Da Husserl auch Grade der Evidenz zulässt, kann die Evidenz nach ihm stets eine höhere Stufe erlangen, bis hin zum letzten Vollkommenheitsideal, d.h. dem Ideal der adäquaten Wahrnehmung, der vollen Selbsterscheinung des Gegenstandes. Der Gegenstand ist dann nicht bloß gemeint, sondern so wie er gemeint ist (d.h. in eins gesetzt mit dem Meinen), ist er auch im strengsten Sinne gegeben. In dem Fall liegt also die EES vor. Dieser Typus der Evidenz stellt für Husserl den Akt der vollkommensten Deckungssynthesis dar. Damit ist ein objektivierender Akt gemeint, dessen objektives Korrelat „Sein im Sinne der Wahrheit“ bzw. Wahrheit selbst ist. Da in der Evidenz die volle Übereinstimmung zwischen dem Gemeinten und Gegebenen als solchem erlebt wird, behauptet Husserl, dass die Evidenz Erlebnis der Wahrheit sei und behandelt das Evidenzproblem als Element der Phänomenologie der Vernunft. Eine weitere Folge davon ist, dass verschiedene Vorkommnisse als existierend in der Sphäre a priori im Hinblick auf ihre Evidenz 42

43

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42 43 44

Vgl. Berkeley, G. (1710); dazu vgl. auch Coreth, E. (2000), 123f. Vgl. http//de.wikipedia.org./wiki/George-Berkeley (Zugriff am 09.04.2011). Vgl. Husserl, E. (1993), §§38f.

346 analysiert werden. Dies führt dazu, dass Husserl die allgemeine Wesenslehre der Evidenz formuliert. Demnach ist die Evidenz nicht irgendein Bewusstseinsindex, der an ein Urteil angeheftet wird. Aufgrund der phänomenologischen Reduktion erkennt man vielmehr mit voller Klarheit, dass es sich bei dieser Evidenz um einen eigentümlichen Setzungsmodus handelt, der zu den eidetisch bestimmten Wesenskonstitutionen des Noema gehört. Man erkennt ferner, dass die Evidenz dem Bewusstsein der Erfüllung der Intention gleicht. Als solche ermöglicht sie die Einsicht, dass es sich nicht um zufällige Fakten handelt, sondern um eidetische Vorkommnisse, welche in einem eidetischen Zusammenhang bzw. in einer eidetischen Kohärenz stehen. 45

3.2.2. Kohärenztheorien der Wahrheit Bei der Suche nach den epistemischen und Wahrheit fundierenden Kriterien erweist sich der Begriff „Kohärenz“ als hilfreich. Wenn man diesen Begriff ins Spiel lässt, dann eröffnet sich uns folgende, ziemlich plausible Perspektive: Wollen wir die Wahrheit einer Überzeugung begründen, so können wir dies tun, indem wir auf andere Überzeugungen zurückgreifen. Daraus ergibt sich dann ein Modell, das viele kohärente Überzeugungen zulässt. Wir können auch von einem Netz von Überzeugungen sprechen, die miteinander kohärent sind. Für den Wahrheitsbegriff ergibt sich daraus Folgendes: Wahrheit ist nichts anderes als Kohärenz zwischen Überzeugungen. So können wir durchaus die These aufstellen: Wenn wir Wahrheit im Rahmen eines kohärenten Systems behandeln, dann können wir sie auch erfassen. Also: „Die Aussage p ist wahr genau dann, wenn ein epistemisches Subjekt (oder eine Gemeinschaft epistemischer Subjekte) im Besitz eines ideal vollständigen und kohärenten Meinungssystems ist, das auch die Überzeugung dass p enthält.“

Vgl. Husserl. E. (2002), §§137, 145. Vgl. dazu auch 3.4.3. (Kap. I) und 2.2.1 (Kap. VI). 45

347 Diese Wahrheitserfassung finden wir etwa bei Brand Blanshard. Als Hauptproblem der Kohärenztheorien der Wahrheit wird die Frage genannt, was genau unter einem ideal vollständigen und kohärenten Meinungssystem zu verstehen ist. Die Befürworter von Kohärenztheorien gehen die theoretische Verpflichtung ein, die Bedingungen anzugeben, die ein Überzeugungssystem erfüllen müsste, um ideal bzw. maximal kohärent zu sein. Es handelt sich zumindest um folgende zwei Bedingungen: (1) Zum einen sind sich alle Kohärenztheoretiker zuerst darin einig, dass die Konsistenz von Überzeugungen als notwendige Bedingung anzusehen ist. Ein kohärentes Überzeugungssystem muss also konsistent sein. Den Terminus „konsistent“ können wir z.B. folgendermaßen definieren: „Eine Menge M von Aussagen ist konsistent genau dann, wenn die Konjunktion aller Elemente von M wahr sein kann, wenn M widerspruchsfrei ist“. Allerdings ist das eine semantische Auffassung der Konsistenz, die vom Zirkularitätseinwand bedroht ist. Und dieser lautet: Wir erklären kohärente Wahrheitstheorien durch den Begriff der Konsistenz, wobei sich die Konsistenz des Wahrheitsbegriffs bedient. Eine andere Möglichkeit der Erklärung der Konsistenz stellt der Versuch von Brandom dar, den Begriff der Inkonsistenz auf den pragmatischen Begriff der materialen Inkompatibilität zurückzuführen. Dann könnte man Inkonsistenz als pragmatische Inkompatibilität verstehen. (2) Zum anderen ist die inferentielle Vernetzung der Elemente eines ideal kohärenten Überzeugungssystems erforderlich. Dazu schreibt etwa Blanshard: 46

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48

„No proposition would be arbitrary, every proposition would be entailed by the others jointly and even singly”. 49

Die Kohärenztheorien von Wahrheit können also aufgrund ihrer Struktur bestimmt eine zweckvolle Alternative für realistische Wahrheitstheorien darstellen. Nehmen wir an, Wahrheit bestünde in der Übereinstimmung zwischen dem Gehalt unserer Überzeugungen und den Tatsachen in der Andere Vertreter der Kohärenztheorie der Wahrheit sind z.B. Francis H. Bradley, Harold H. Joachim, Hilary Putnam. Vgl. Rähme, B. (2010), 202f. Vgl. Brandom, R. (2000), 185f. Vgl. Blanshard, B. (1939), Bd. 2, 365. 46

47 48 49

348 Welt. Dann könnten wir – so Kohärenztheoretiker - die Wahrheit niemals erfassen, weil wir dazu unsere Überzeugungen mit den Tatsachen vergleichen müssten, um gegebenenfalls eine Korrespondenz beider zu erkennen. Um zu erfassen, dass unsere Überzeugung „dass p“ wahr ist, müssten wir also zunächst erfassen, dass wir glauben „dass p“, dann erfassen, dass es der Fall ist „dass p“, und erst dann könnten wir erkennen, dass eine Übereinstimmung zwischen beiden besteht. Doch um zu erfassen, dass es der Fall ist „dass p“, müssten wir erfassen, dass „p“ wahr ist usf. So entsteht eine zirkuläre Denkweise. Bei genauerem Hinsehen lässt sich zugleich feststellen, dass auch die kohärente Fundierung des Wahrheitsbegriffs zahlreiche Probleme mit sich bringt. So ist vorab zu fragen, wie wir Wahrheit und Kohärenz überhaupt verknüpfen können. Ein Lügenmärchen kann etwa kohärent sein – wahr ist es deshalb noch lange nicht. Kohärenz ist – anders als Wahrheit – eine Sache des Grades. Eine Überzeugung kann zwar Teil eines mehr oder weniger kohärenten Systems sein, sie kann aber nicht mehr oder weniger wahr sein. Lassen sich vielleicht diese Probleme in der Konsenstheorie der Wahrheit vermeiden? 50

51

3.2.3. Konsenstheorien der Wahrheit Eine andere Möglichkeit, den Wahrheitsbegriff epistemisch zu erklären, stellen die Konsenstheorien der Wahrheit dar. Auch für diese Theorien ist es entscheidend, ein solches Kriterium herauszufinden, das sich „epistemisch bewährt“, d.h. als Rechtfertigungselement angesehen werden kann. Die Anhänger dieser Denkrichtung behaupten, dass diese Rechtfertigungsaufgabe ein Konsens erfüllen kann. Wenn es aber um die Frage geht, was unter einem Konsens zu verstehen ist oder unter welchen Bedingungen ein Konsens zustande kommen kann, dann gehen Meinungen weit auseinander. Wir zeigen dies kurz anhand von Peirce, Habermas und Apel, die in der gegenwärtigen epistemologischen Debatte als führende Konsenstheoretiker gelten.

50 51

Vgl. Grundmann, Th. (2008), 46. Vgl. Ernst, G. (2007), 56.

349 Nach Charles Sanders Peirce können wir den Wahrheitsbegriff dadurch erklären, dass wir den Konsens der Forschungsgemeinschaft betrachten. Demnach können wir sagen: „Eine Aussage ist wahr genau dann, wenn sie am Ende der Forschung insgesamt von allen Mitgliedern der Forschungsgemeinschaft konsensuell anerkannt werden wird oder doch anerkannt werden würde, wenn die wissenschaftliche Forschung insgesamt an ihr Ende käme“.

Damit wird schon klar gemacht, dass der Konsensvorschlag von Peirce eine pragmatische Perspektive anstrebt. Diese Perspektive wird noch deutlicher im Kontext der Differenzierung zwischen drei Graden der Klarheit: (1) Erster Grad der Klarheit – liegt vor, wenn ein Subjekt S einen Begriff B auf intersubjektiv verstehbare Weise regelmäßig verwenden kann; (2) Zweiter Grad der Klarheit – kommt vor, wenn ein Subjekt S notwendige und hinreichende Bedingungen für das Fallen eines Gegenstandes unter den Begriff B formulieren kann; und (3) Dritter Grad der Klarheit – erscheint dann, wenn ein Subjekt S eine „pragmatische Maxime“ als Maßstab einer Bedeutungsklärung der Begriffe und Hypothesen verfasst. Um den dritten Grad der Klarheit zu erlangen, ist es erforderlich, ein epistemisches Verfahren durchzuführen, das auf drei methodischen Maßnahmen beruht: Deduktion, Induktion und Abduktion. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Abduktion als Schluss auf die beste Erklärung. Laut Jürgen Habermas lässt sich dagegen ein Konsens erst in einer idealen Sprechsituation, in einem ethischen Diskurs gewinnen, wo dann auch der Wahrheitsbegriff erfasst werden kann. Das Zustandekommen des Konsenses in der Forschungsgemeinschaft allein reicht also für Habermas nicht aus. Demnach heißt es für ihn: 52

„Eine Aussage p ist wahr dann, wenn sie sich unter den Bedingungen einer idealen Sprechsituation rein argumentativ als intersubjektiv anerkennungsund daher konsensfähig erweisen würde. Konsens, der auf diesem Weg

Vgl. Peirce, C.S., CP, 5.392f; 2.781f. Dazu vgl. auch Rähme, B. (2010), 151, 156f, 222f. Zum begrifflichen Verständnis von Deduktion, Induktion und Abduktion vgl. Fußnote 245 (Kap. III).

52

350 erreicht wird, kann für diejenigen, die an ihm teilhaben, zugleich als Wahrheitskriterium gelten“. 53

Was ist aber eine ideale Sprechsituation? Welche Bedingungen müssen erfüllt werden, damit wir von einer solchen Situation überhaupt reden können? Da faktische Argumentationen generell fraglichen Kritiken unterworfen sind, die verhindern können, dass relevante Gründe und Argumente angemessen berücksichtigt werden, führt Habermas die Idee einer idealen Sprechsituation ein. Eine ideale Sprechsituation wird durch Bedingungen charakterisiert, die ausschließlich die Anerkennungs- und Gleichberechtigungsverhältnisse zwischen potentiellen Argumentationsund Diskurspartnern betreffen. Diese Bedingungen postulieren die symmetrische Chancengleichheit potentieller Diskursteilnehmer, Sprechakte auszuführen und durch das Infragestellen von Geltungsansprüchen argumentative Diskurse zu eröffnen, so dass keine Vormeinung auf Dauer der Problematisierung entzogen bleibt. Eine ideale Sprechsituation umfasst also folgende Elemente: (1) Öffentlichkeit und Inklusion – niemand, der im Hinblick auf einen kontroversen Geltungsanspruch einen relevanten Beitrag leisten könnte, darf ausgeschlossen werden; (2) Kommunikative Gleichberechtigung – allen wird die gleiche Chance gegeben, sich zur Sache zu äußern; (3) Ausschluss von Täuschung und Illusion – die Teilnehmern müssen meinen, was sie sagen; und (4) Zwanglosigkeit – die Kommunikation muss frei sein von Restriktionen, die verhindern, dass sich das bessere Argument durchsetzt und den Ausgang der Diskussion bestimmt. All diese Elemente sind also nach Habermas für jeden ethischen Diskurs unerlässlich. Die Überlegungen von Habermas über den Wahrheitsbegriff erscheinen jedoch nicht ganz plausibel, weil sie bloß eine ideale Sprechsituation betreffen. Wir wollen indes wissen, ob und wann eine Aussage p in einer faktischen Sprechsituation wahr ist. Aus der Aussage, dass p sich in einer idealen Sprechsituation als konsensfähig erweisen würde, folgt solange nicht die Aussage, dass p wahr ist, solange keine zusätzlichen Annahmen gemacht werden. 54

53 54

Vgl. Habermas, J. (1984), 174f, 160f. Vgl. Habermas, J. (2001), 45. Vgl. dazu auch Rähme, B. (2010), 229f.

351 Auf die Frage „Welche Annahmen könnten es sein?“ antwortet Karl-Otto Apel, indem er den Begriff „Konsens“ im Zusammenhang mit einer idealen Argumentationsgemeinschaft denkt. Nach Apel ist die einseitige Idealisierung der Anerkennungsverhältnisse zwischen Argumentationspartnern, die wir im ethischen Diskurs bei Habermas finden, um die kontrafaktische Annahme epistemisch-idealer Bedingungen zu ergänzen. Epistemisch-ideal wären die Bedingungen für die Beantwortung der Frage „ob p“ genau dann, wenn alle relevanten Gründe, Argumente und Informationen vorhanden wären sowie deren optimale Auswertung gewährleistet wäre. Was ergibt sich daraus für den Wahrheitsbegriffs? Es ist m.E. folgende These: „Wenn eine Aussage p wahr ist, dann ist es prinzipiell denkbar, für p einen Wahrheitsanspruch zu erheben und diesen mit Argumenten einzulösen“.

Diese These greift allerdings die oben angesprochene epistemische Komponente von Peirce „Wenn es wahr ist, dass p, dann ist es möglich, die Aussage p argumentativ zu begründen“ auf und nimmt dann als ganze einen transzendental-pragmatischen Charakter ein: „Wahrheit [...] ist derjenige Konsens, der in einer unbegrenzten Forschergemeinschaft zuletzt erreicht würde, wenn der Forschungsprozess unter idealen kommunikativen [...] und epistemischen [...] Bedingungen über jeden faktischen Konsens kritisch hinausgehend [...] fortgesetzt werden könnte“. 55

Mit dem transzendental-pragmatischen Charakter soll gewährleistet werden, dass einerseits die Bedingungen vorhanden sind, unter welchen ein berechtigter Konsens allein zustande kommen kann, d.h. die ideale Kommunikationsgemeinschaft, andererseits eine Analyse der Beziehungen zwischen Zeichen und Zeichenbenutzern durchgeführt wird, d.h. die Pragmatik bleibt aufrechterhalten. So ergibt sich für Apel letzten Endes folgende These: Das sich auf Aussagen beziehende Prädikat „X ist wahr“ ist gleichbedeutend mit dem Prädikat „X wäre das Element des propositionalen Gehalts des Konsenses der idealen und unbegrenzten Argumentationsgemeinschaft“. Auch diese 56

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55 56 57

Vgl. Apel, K.O. (2000), 120f, 145f. Vgl. Keller, A. (1990), 109. Vgl. Rähme, B. (2010), 241.

352 These lässt sich jedoch nur schwer nachvollziehen, weil offenbar nicht jeder tatsächliche Konsens konstitutiv für Wahrheit sein kann. So müssen wir wohl fragen, wohin wir epistemologisch gehen wollen. 3.2.4. Pragmatische Theorie der Wahrheit Alle Versuche, die Wahrheitsfrage mit Hilfe des Konsensbegriffs zu lösen, sind offenbar pragmatisch orientiert. Demnach wird das, was sich irgendwie als nützlich erweist, entweder selbst für wahr gehalten, oder als Kriterium bei der Wahrheitsbestimmung angesehen. Also: „Wahr ist das, was nützt“.

Derartige Lösungen sind nicht nur äußerst beliebt, sondern lassen sich auch bequem in die Tat umsetzen, so dass dadurch grundlegende menschliche Bedürfnisse gestillt werden können. Gemeint sind vor allem Bedürfnisse religiöser Provenienz. In dem Sinne wird etwa von allen Religionen der Anspruch auf Wahrheit erhoben. Auch andere Lebensbereiche wie Moral oder Kultur sind davon betroffen. In dem Kontext wendet Russell kritisch ein: „Diese Doktrin [=Glaube an Gott] bereitet mir große gedankliche Schwierigkeiten. Sie nimmt an, dass ein Glaube wahr sei, wenn er gute Auswirkungen hat. Soll diese Definition nützlich sein [...], dann müssen wir wissen: (a) Was ist gut? und (b) Welches sind die Wirkungen dieses oder jenes Glaubens? Und zwar müssen wir das wissen, bevor wir erkennen können, dass irgendetwas wahr ist“. 58

Die pragmatische Wahrheitstheorie ist also im Begriff „Pragmatismus“ fundiert, der von William James 1898 mit dem Blick auf die epistemologische Reflexion von Charles Sanders Peirce eingeführt wurde. Wir haben oben schon gesehen, dass Wahrheit für Peirce aus pragmatischer Sicht nicht mehr Aussagewahrheit bedeutet, d.h. Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorie (vgl. 3.3.1 [Kap. VI]), sondern durch den Konsens der Forschergemeinschaft hergestellt wird, d.h. als Wahrheit im Sinne der Konsenstheorie. Diese pragmatische Wahrheitsauffassung wird von James deutlich mit utilitaristischen Zügen versehen. Die Folge davon ist, dass es sich nicht 58

Russell, B. (1977), 60.

353 mehr um ein gemeinsames Wahrheitsideal handelt, das über der Forschergemeinschaft steht, sondern um den praktischen Nutzen, den bestimmtes Wissen liefert. Und wahres Wissen liegt dann vor, wenn es für Bedürfnisbefriedigung sorgt. Pragmatische Wahrheitstheorien betrachten also Wahrheit utilitaristisch und gehen mit Wissen entsprechend um. Utilitarismus ist bekanntlich eine Verbindung von vier Prinzipien, die sich nicht nur auf Handlungen beziehen, sondern auch Wahrheit betreffen können: (1) Konsequenzprinzip – Handlungen und Wahrheit werden aufgrund der zu erwartenden Konsequenzen moralisch beurteilt; (2) Utilitaritätsprinzip – Konsequenzen von Handlungen und Wahrheit werden aufgrund des Nutzens beurteilt; (3) Hedonismusprinzip – durch Handlungen und Wahrheitsakzeptanz werden menschliche Bedürfnisse und Lust befriedigt; und (4) Sozialprinzip – Handlungen und Wahrheit sollen nicht das Glück einzelner Menschen fördern, sondern das aller Betroffenen. Gegen den Utilitarismus (U) gibt es mittlerweile diverse Einwände, die hier nicht diskutiert werden können. Ein Einwand lautet etwa, dass der für den U grundlegende Begriff „Lust“ kein univoker Begriff ist. Daraus ergibt sich, dass wir unter Lust vieles verstehen können: Lust am Biertrinken, Lust als Freude nach dem Erreichen eines Zieles, Lust an der Arbeit usf. Das Gleiche gilt für den Begriff „Nutzen“. Dieser Begriff ist also auch kein univoker. Wir können z.B. etwas nutzen, um unsere Pläne zu verwirklichen; ein Medikament wird eingenommen, d.h. genutzt, um den gesunden Zustand wiederherzustellen; systematisches Lernen ist nützlich, weil es ermöglicht, den gesamten Stoff zu beherrschen usf. Wenn wir aber mit den Pragmatisten sagen, dass wahr das ist, was sich als nützlich erweist, dann geraten wir in eine Lage, welche der eines Utilitaristen gleicht. Es ist kaum denkbar, einen ernstzunehmenden Wahrheitsbegriff zu erhalten, mit dem wir über Wissen plausibel reden können. In seinem Werk „Die Wissenschaft der Gesellschaft“ behauptet Max Scheler, dass der entscheidende Fehler des Pragmatismus darauf zurückzuführen ist, dass er sich nur mit dem Wissen befasst, das man als Dagegen werden Bildungs- und „Arbeitswissen“ bezeichnet. 59

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Vgl. Höffe, O. (2008), 7f. Vgl. Scheler, M. (1926).

354 Erlösungswissen, welche die Person und das Göttliche vor Augen haben, völlig außer acht gelassen. Nach Max Horkheimer liegt der Fehlschluss des Pragmatismus darin, dass die Methode der Naturwissenschaften allein aus Gründen des Erfolgs dieser Wissenschaften auf die gesamte Philosophie übertragen wird. 61

3.3. Realistische Wahrheitstheorien Ganz anders gehen realistische Theorien mit Wahrheit um. Wie oben angedeutet ist das Interesse dieser Theorien realistisch geprägt, d.h. sie fragen nicht wie epistemologische Theorien nach denkbaren Rechtfertigungskriterien, sondern ob man etwas Substantielles an der Wahrheit entdecken kann. Und diese Frage wird einerseits positiv beantwortet, indem die Relation zwischen der Wahrheit und deren Träger hervorgehoben wird; dadurch wird die Objektivität der Wahrheit noch beachtet. Andererseits wird die Substantialität der Wahrheit geleugnet und dem Zitattilgunsschema ein besonderer Status zugeschrieben. Schließlich tauchen bei der Bestimmung des Wahrheitsbegriffs eine spürbare begriffliche Distanz sowie einige Elemente formaler Logik auf. 3.3.1. Korrespondenztheorie der Wahrheit Die Korrespondenz- bzw. Adäquationstheorie der Wahrheit hat die ganze abendländische philosophische Tradition geprägt und war bis ins 19. Jahrhundert hinein dominierend. Erst im 19. und 20. Jahrhundert konnte sie dem Druck des von Charles Sanders Peirce in Gang gebrachten amerikanischen Pragmatismus nicht mehr standhalten und verlor ihre epistemologische Durchsetzungskraft. Auf greifbare Elemente der Korrespondenztheorie der Wahrheit (KW) stoßen wir schon in der Antike. In seiner „Metaphysik“ schreibt Aristoteles: „Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-seiende sei nicht, ist wahr“. 62

61 62

Vgl. Horkheimer, M. (1967). Aristoteles, Met. 1011b 25.

355 Auch Sextus Empiricus schreibt dem antiken Denker Karneades die Behauptung zu, dass die Vorstellung wahr sei, wenn sie mit dem Vorgestellten zusammenstimme, falsch aber, wenn sie ihm widerspreche. Die klassische Formulierung der KW verdanken wir jedoch Thomas von Aquin, der diesbezüglich zwei Möglichkeiten unterscheidet: 63

„Die Wahrheit besteht in der Angleichung (adaequatio) von Verstand (intellectus) und Sache [...]. (1) Wenn daher die Sachen Maß und Richtschnur des Verstandes sind, besteht Wahrheit darin, dass sich der Verstand der Sache angleicht, wie das bei uns der Fall ist; aufgrund dessen nämlich, dass die Sache ist oder nicht ist, wird unsere Meinung oder unsere Aussage wahr oder falsch. (2) Wenn aber der Verstand Richtschnur und Maß der Dinge ist, besteht die Wahrheit darin, dass die Dinge sich dem Verstand angleichen; so sagt man, der Künstler verfertige ein wahres Kunstwerk, wenn es der Kunstauffassung entspricht“. 64

Thomas von Aquin macht also deutlich, dass der Wahrheit eine Art Substantialität zukommt. Und diese Substantialität zeigt sich darin, dass Wahrheit die Relation zwischen dem Verstand und der Welt hermeneutisch fundiert. Eine derartige Auslegung des Wahrheitsbegriffs bleibt auch bei den nachkommenden Generationen von Philosophen aufrechterhalten: Descartes, Locke, Leibniz und Kant usf. So behauptet z.B. Kant, dass die Wahrheit die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand sei. Für Hegel besteht die Wahrheit darin, dass die Objektivität mit dem Begriff identisch ist. Dies kommt etwa dann vor, wenn wir von einem wahren Staat oder einem wahren Kunstwerk reden. Heidegger behauptet schließlich, dass nicht die Aussage der Ort der Wahrheit ist, sondern umgekehrt, die Aussage als Weise des In-der-Welt-seins im Entdecken, bzw. in der Erschlossenheit des Daseins gründet. Die ursprünglichste Wahrheit ist der Ort der Aussage und die ontologische Bedingung dafür, dass Aussagen wahr oder falsch sein können. Auf den ersten Blick scheint die Korrespondenztheorie der Wahrheit plausibel zu wirken. Beim genaueren Hinsehen lassen sich jedoch einige 65

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63 64 65 66 67

Vgl. Empiricus, S. (1957), 168. Thomas von Aquin, S. th. I, q. 21 a.2. Vgl. Kant, I., KrV B 82. Vgl. Hegel, G.W.F. (1929), 423f. Vgl. Heidegger, M., SuZ §44b.

356 Einwände formulieren. Wir weisen hier auf zwei hin, die mit der Natur des Wahrmachers und der Korrespondenzrelation verknüpft sind. Die Erklärungsversuche dieser beiden Entitäten seien von vornherein zum Scheitern verurteilt und führten oft zu mysteriösen Annahmen, so meinen einige Kritiker dieser Theorie der Wahrheit. Zu fragen ist daher: (1) Was ist der Wahrmacher? Nach Bertrand Russell, der auch als klassischer Vertreter der Korrespondenztheorie angesehen wird, werden unsere Überzeugungen durch Gegenstände der Welt wahr gemacht. Da aber diese Gegenstände verschiedene Eigenschaften aufweisen, ist dies höchst problematisch. Gegenstände können auch manche Eigenschaften verlieren. Dazu kommt, dass ein Wahrmacher die Wahrheit der von ihm wahr gemachten Überzeugung erzwingt. Das würde aber bedeuten, dass in jeder möglichen Welt, in der der Wahrmacher und die Überzeugung vorliegen, die Überzeugung wahr ist. Deshalb wäre es wohl sinnvoller die These aufzustellen, dass nicht Gegenstände unsere Überzeugungen wahr machen, sondern vielmehr Tatsachen. Diese bestehen darin, dass ein Gegenstand eine Eigenschaft hat. (2) Was ist ferner unter Korrespondenzrelation zu verstehen? Es handelt sich dabei um eine Korrespondenzrelation zwischen dem Wahrheitsträger und dem Wahrheitsmacher. Bei der Bestimmung dieser Korrespondenzrelation stoßen wir allerdings auf viele Probleme. Zum einen erhebt etwa Frege den Einwand, dass eine Übereinstimmung eine Beziehung ist. Dem widerspricht aber nach ihm die Gebrauchsweise des Wortes „wahr“, das kein Beziehungswort ist und keinen Hinweis auf etwas anderes enthält, mit dem etwas übereinstimmen solle. Mit anderen Worten: Eine Korrespondenzrelation müsste durch ein zweistelliges Prädikat bezeichnet werden, das Wahrheitsprädikat ist jedoch nur einstellig. Das heißt, wir sagen, dass ein Satz wahr ist, und nicht dass er wahr in Bezug auf irgendetwas ist. Zum anderen behauptet Heidegger, dass bevor die Gesetze Newtons entdeckt wurden, waren sie nicht wahr. Dadurch weist er darauf hin, dass Wahrheit subjektabhängig ist. Wenn wir aber diese beiden Einwände genauer betrachten, dann stellen wir fest, dass es sich bei Frege um einen Fehlschluss von der Syntax auf die Semantik handelt, bei Heidegger dagegen um eine Verwechslung zwischen dem 68

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Vgl. Frege, G. (2003), 37. Vgl. Heidegger, M., SuZ, 226.

357 Wahrmacher und der Korrespondenzrelation, auf die Wahrheit jeweils bezogen wird. Damit wird auch der Vorwurf der Mysteriösität teilweise entkräftet. 70

3.3.2. Deflationäre Wahrheitstheorien Eine andere Art realistischer Wahrheitstheorien stellen die sogenannten deflationären Theorien dar, in denen Wahrheit inhaltlich keinesfalls zu stark hervorgehoben werden darf. Deshalb behaupten diese Theorien, dass man über Wahrheit eigentlich nichts Interessantes sagen kann. Die Folge davon ist, dass Wahrheit der Substantialität beraubt wird. Das Wahrheitsprädikat gilt für deflationäre Theorien lediglich als ein semantischer Mechanismus, um indirekt über die Welt reden zu können, indem wir angeführten Sätzen Wahrheit zuschreiben und damit dasselbe aussagen wie mit einem Satz über die Welt. Das Wahrheitsprädikat mag zwar in einigen Situationen nützlich sein, es bezeichnet aber keine echte Eigenschaft. Nehmen wir als Beispiel etwa das Prädikat „Elternteil“: Dieses Prädikat trifft auf eine Person dann zu, wenn sie ein Vater oder eine Mutter ist, und bezeichnet dabei keine echte Eigenschaft, weil es befremdend wäre, wenn wir annehmen würden, dass Personen disjunktive Eigenschaften haben. Das heißt, Personen erfüllen dieses Prädikat dadurch, dass sie Väter oder Mütter sind. Dabei müssen wir nicht noch eine weitere disjunktive Eigenschaft „Elternteil-zu-sein“ hinzunehmen. Dasselbe wird über das Prädikat „wahr“ behauptet. Thomas Grundmann beschreibt diese Konstellation folgendermaßen: „Wenn wir die Welt mit extrem sparsamen Mitteln beschreiben würden, dann würde in einer solchen sparsamen Beschreibung Wahrheit nicht mehr auftauchen, weil Wahrheit nichts ist, was in der Welt vorkommt. Deshalb ist das Zitattilgungsschema nicht nur wahr (was alle Wahrheitstheorien akzeptieren), sondern dieses Schema sagt bereits alles aus, was man über Wahrheit überhaupt sagen kann. Wenn es aber richtig ist, dass „p ist wahr“ im Grunde nichts anderes besagt als „p“, dann kann man alles sagen, ohne das Wahrheitsprädikat überhaupt zu verwenden, und zwar indem man einfach direkt über die Welt redet“. 71

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Vgl. Grundmann, T. (2008), 65f. Grundmann, T. (2008), 57.

358 Dieses Zitat macht also deutlich, dass unser epistemisches Leben tatsächlich denkbar wäre, ohne den Begriff „Wahrheit“ wesenhaft zu verwenden. Wahrheit ließe sich dann lediglich auf das Zitattilgunsschema zurückführen, also auf die Formel „P ist wahr genau dann, wenn p“. Diese Formel wird in der epistemologischen Debatte als „Konvention T“ bezeichnet, wobei T für „truth“ steht. Demnach könnten wir z.B. sagen: Der Satz „Es ist wahr, dass ich Maria sehe“ ist bezüglich des Inhalts gleichzusetzen mit dem Satz: „Ich sehe Maria“. Eine derartige Auslegung der Wahrheitsproblematik hat als erster Gottlob Frege vorgeschlagen. Sie wurde dann von vielen anderen Philosophen aufgegriffen und weiter entwickelt. So könnte man zwischen drei grundlegenden Richtungen der deflationären Auslegung der Wahrheit unterscheiden: (1) der semantischen Wahrheitstheorie; (2) der Redundanztheorie der Wahrheit und (3) der performativen Wahrheitstheorie. Wir werden sehen, dass all diese Theorien sprachanalytisch orientiert sind. Die semantische Theorie der Wahrheit, genannt auch Disquotationstheorie der Wahrheit, ist in erster Linie auf Alfred Tarski zurückzuführen. Tarski geht in seiner Theorie davon aus, dass ein Satz nur im Ganzen der Sprache zu bestimmen ist, zu der er gehört. Mit seiner Theorie hat Tarski eine Methode entwickelt, die den Logikern zum ersten Mal einen konsistenten Gebrauch semantischer Begriffe ermöglichte. Diese Methode setzt zwei einschränkende Akte voraus: (1) Beim Gebrauch semantischer Begriffe ist eine strenge Trennung zwischen „Objektsprache“ (OS) und „Metasprache“ (MS) einzuhalten; (2) Der Ausdruck „wahr“ ist immer auf die Objektsprache zu relativieren, d.h. dieser Ausdruck darf in der Objektsprache nicht vorkommen. Daher gilt: die Aussagen der Gestalt „p ist wahr in OS“ sind in einer dazu geeigneten Metasprache MS zu analysieren. Unter diesen Voraussetzungen ist es also einfach, über die Wahrheit eines Satzes p einer bestimmten Sprache OS zu reden. Denn wir tun dies in einer dazu geeigneten Metasprache MS, wobei im Prinzip irgendeine Sprache, welche logisch reicher als die Objektsprache ist, als Metasprache dienen kann, da nur ihre formal-logische Wesensart dabei entscheidend ist, um darin eine explizite Definition der semantischen Ausdrücke zu ermöglichen. Angenommen, dass „p“ in der Metasprache 72

72

Vgl. Frege, G. (2003).

359 den Namen des zu beurteilenden Satzes der Objektsprache angibt, so ergibt sich für den Wahrheitsbegriff Folgendes: „P ist wahr, wenn p. Das heißt, p ist wahr, wenn der durch p ausgedrückte Sachverhalt tatsächlich besteht. Also: >Es schneit< ist eine wahre Aussage dann und nur dann, wenn es schneit“. Damit wird deutlich, dass für Tarskis Wahrheitsdefinition auch der Begriff „Erfüllung“ bedeutsam ist. Ein Subjekt erfüllt eine Aussagefunktion, wenn ihm die im Prädikat ausgedrückte Eigenschaft zukommt. Die Redundanztheorie der Wahrheit behauptet dagegen, dass das Prädikat „wahr“ redundant ist, d.h. überflüssig. Die Überflüssigkeit des Prädikats „wahr“, das sich auf eine bestimmte Tatsache bezieht, wird durch die allgemeine Bekanntheit dieser Tatsache begründet. So können wir etwa den Satz „Dass der Audi A3 ein deutsches Auto ist, ist wahr“ mit dem Satz ersetzen „Dass der Audi A3 ein deutsches Auto ist, ist allgemein bekannt“. Dieser Gedanke wurde vor allem von Frank P. Ramsey geprägt. Es fällt dabei auf, dass im Mittelpunkt der redundanten Position der Begriff „Reduktion“ steht. Reduktion ist eine Beziehung zwischen Theorien. Eine Redundanztheorie von Wahrheit beinhaltet daher die Vorstellung, dass sich die Wahrheitstheorie auf eine andere Theorie reduzieren lässt. Die deflationäre Redundanztheorie von Wahrheit beansprucht einen besonderen Status, der ihr erlaubt, einerseits auf problematische Ausdrücke zu verzichten, andererseits nicht auf Kausalität, Korrespondenz oder Nützlichkeit aufzubauen. Die Reduktion kann daher so weit gehen, dass eine Entität im Rahmen der Redundanztheorie eliminiert wird. Es gibt zwei grundlegende Stufen des Eliminierungsprozesses: Zum einen handelt es sich um eine syntaktische Eliminierung mit starken Konsequenzen, weil dabei behauptet wird, dass in einer Analyse der logischen Form von Sätzen kein Ausdruck für Wahrheit benötigt wird. Die Verwendung eines Ausdrucks für Wahrheit wäre in diesem Fall ganz überflüssig. Diese Position wird z.B. von Wittgenstein vertreten. Zum anderen geht es um 73

Vgl. Tarski, A. (1935/36), 268. Vgl. dazu auch Rynkiewicz, K. (2008), 520f. Als Inkonsistenzen sind hier Antinomien gemeint, also in sich widersprüchliche, sowohl wahre als auch falsche Aussagen. Vgl. etwa die bekannte Antinomie eines Lügners, der von sich behauptet, er lüge. Durch die Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache lassen sich solche Antinomien vermeiden. An Tarski knüpft Davidson an (vgl. 3.2.3 [Kap. VI]).

73

360 eine semantische Eliminierung, die sich etwa bei Ramsey findet. In dem Fall wäre Wahrheit zwar durch einen eigenen Ausdruck zu explizieren, die Explikation ist aber so, dass es einen bedeutungsgleichen Ausdruck in der Objektsprache gibt, der das Wahrheitsprädikat in allen Kontexten ersetzen kann (vgl. das obige Audi-Beispiel). Die deflationäre Auslegung des Wahrheitsbegriffs kann schließlich auch einen performativen Charakter aufweisen; darauf hat z.B. Peter Strawson hingewiesen. Strawson stimmt einerseits mit den Vertretern der Redundanztheorie überein und behauptet, dass man keine neue Aussage macht, wenn man sagt, dass eine Aussage wahr sei. Andererseits ist er der Meinung, dass die Behauptung der Wahrheit (z.B. diese Aussage ist wahr) keineswegs überflüssig ist, weil man damit etwas tut, was über die bloße Aussage hinausgeht. Der Ausdruck „ist wahr“ gilt für Strawson nicht als metasprachliches Prädikat, das wir im Sprechprozess verwenden, sondern lediglich als sprachlicher Vollzug, mit dem wir eine Aussage noch bestätigen, ohne dass inhaltlich etwas Neues ausgesagt würde. Der Ausdruck „es ist wahr, dass“ stellt folglich nur den Modus des Aussagens dar, d.h. einen „Performator“, welcher eine zunächst bloß mögliche Aussage in eine wirkliche Behauptung überführt. In der gegenwärtigen epistemologischen Debatte treten deflationäre Wahrheitstheorien bisweilen als moderater (MD) und expressiver Deflationismus (ED) auf. Im Falle des MD geht es also darum, nicht den Inhalt des Wahrheitsprädikats zu beschreiben, sondern die methodologischen Prinzipien zu charakterisieren und keine metaphysischen Thesen aufzustellen. Dies führt dazu, dass der MD grundsätzlich neutral bleibt und nur etwa folgende Behauptungen gemacht werden: (1) „Truth is disquotation“; (2) „Deflationism, mantains that truth is a simple and clear and has no substantial role to play in philosophy“ usw. Dagegen ist der ED bestrebt, die irreduzible expressive Funktion des Wahrheitsprädikats zu bestimmen. Diese Funktion erlaubt, blinde und generelle Behauptungen zu machen, die ohne Wahrheitsprädikat schwer zu 74

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Vgl. Fischer, M. (2008), 92f, 150f. Vgl. Strawson, P. (1968), 97. Vgl. Kreiser, L. u.a., (1999), 1716. Vgl. etwa Quine, W.V.O. (1990), 80; auch Gupta, A. (2001), 58.

361 realisieren sind. Bei blinden Behauptungen, die auch eine Klasse von Sätzen sind, wird zwar auf einen Satz Bezug genommen, dieser Satz selbst taucht aber in dem bezugnehmenden Term nicht mehr auf. Der Satz wird in diesem Fall nicht verwendet, um etwas zu behaupten, sondern er wird nur erwähnt. Beispiel: „Der Satz, den Davidson am 17. Januar 1975 um 8 Uhr geäußert hat, ist wahr“. Bei aller Realitätsbezogenheit haben auch deflationäre Wahrheitstheorien ihre Schwachstellen. Zum einen stellt sich die Frage, warum wir das Wahrheitsprädikat überhaupt haben, wenn es – wie die Vertreter dieser Wahrheitstheorien behaupten – gar nichts bezeichnet. Würden wir aber auf das Wahrheitsprädikat verzichten, dann wäre unsere Rede sehr umständlich: Wir müssten etwa behaupten: „Die Person S sagt, dass p und dass q und dass r....“ usf. Zum anderen kann der Deflationist nicht an seiner These festhalten, dass die notwendige Wahrheit der Äquivalenz „Der Satz p ist wahr dann und nur dann, wenn p“ die Bedeutung des Wahrheitsprädikats festlegt. Sonst führt dies zu einem Dilemma: Denn die Äquivalenz ist entweder gar nicht notwendig, weil sie über grammatische Entitäten redet, die auch etwas anderes bedeuten könnten: Mit dem Ausdruck „wenn p“ kann man Verschiedenes meinen. Oder sie ist nicht dazu geeignet, die Bedeutung von „wahr“ zu erklären. 78

79

3.3.2.1. Minimale Wahrheit und interner Realismus Putnams Auf dem Gebiet deflationärer klassischer Wahrheitstheorien, welche die Substantialität von Wahrheit in Frage stellen, lassen sich offenbar Differenzierungen bzw. Präzisierungen durchführen. Die Folge davon ist, dass selbst wenn die Substantialität der Wahrheit nicht akzeptiert wird, einige wahrheitsbezogene Faktoren doch zugelassen werden. Solche Positionen werden vorwiegend als Minimalismus bezeichnet. Der Minimalismus ist also eine Art Deflationismus, so ist unsere vorläufige These. Das minimalistische Programm kann z.B. lauten: Wenn ein Prädikat erwiesenermaßen die relevanten Merkmale aufweist und diese aus richtigen Gründen besitzt, dann steht seine Eignung als 78 79

Vgl. Fischer, M. (2008), 100f. Vgl. Grundmann, T. (2008), 59f.

362 Wahrheitsprädikat außer Frage. Das bedeutet, dass diese Merkmale auf die richtige Art und Weise entstanden und somit echt sind. In diesem Sinne können wir auch behaupten, dass der Deflationismus (und ebenso der Minimalismus) über die Mittel verfügt, um die Aspekte der Idee der Wahrheit als Korrespondenz in sich aufzunehmen. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass es einen Unterschied zwischen den beiden Standpunkten gibt. Denn der Minimalismus unterscheidet sich vom Deflationismus genau dadurch, dass er zugesteht, dass Wahrheit eine reale Eigenschaft von Aussagen und Überzeugungen ist, dass „wahr“ eine reale Norm ausdrückt, die das Treffen von Aussagen und die Bildung von Überzeugungen steuert. Der Minimalismus ist also generell für die Möglichkeit einer pluralistischen Sicht der Wahrheit offen: Es kann eine Vielfalt von Auffassungen geben, die in unterschiedlichen Diskursen betrachtet werden und der Überprüfung standhalten können. Eine davon ist die Auffassung der Wahrheit von Hilary Putnam, die in seinem internen Realismus fundiert ist. Putnam schließt jede Vorstellung aus, dass Wahrheit rationale Akzeptierbarkeit sein könnte. Seine Argumentation ist durch zwei Gedanken geprägt: (1) Wahrheit ist die Eigenschaft einer Aussage, die sie nicht verlieren kann, während sie ihre Rechtfertigung durchaus einbüßen kann; und (2) Rationale Rechtfertigung ist gradierbar, die Wahrheit aber nicht. In dem Kontext formuliert Putnam dann folgende Definition von Wahrheit: „P ist wahr dann und nur dann, wenn P unter idealen epistemischen Umständen gerechtfertigt werden könnte.“ Putnam verbindet zudem seine Wahrheitskonzeption mit einem Konvergenzerfordernis, d.h. mit der These, dass es keine Aussage geben könne, die sich unter epistemisch idealen Umständen gleichzeitig mit ihrer Negation akzeptieren lässt. Selbst wenn mit dieser These des internen Realismus eine minimale Wahrheitstheorie prinzipiell gesichert werden kann, ist es überaus fraglich, ob dadurch die fundamentale Klarheit des Wahrheitsprädikats profitiert. Von dieser Tatsache hängt es aber ab, wie weit sich der Weg für primitive Wahrheitstheorien eröffnet. 80

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80 81

Vgl. Wright, C. (2001), 40f. Vgl. Putnam, H. (1982), 82f. Dazu vgl. auch Wright, C. (2001), 55f.

363 3.3.3. Primitive Wahrheitstheorien Auch strengste Aktivität des Geistes stellt noch keine Garantie dar, dass der zu erkennende Gegenstand plausibel definiert werden kann. Dies lässt sich nicht zuletzt am Begriff der Wahrheit paradigmatisch beobachten. Der epistemologische Standpunkt, der davon ausgeht, dass Wahrheit undefinierbar sei, verliert dadurch seine realistischen Züge offenbar nicht. Diese werden lediglich stark eingeschränkt bzw. „semantisch eingefroren“, so dass eine skeptisch-epistemologische Konstellation entsteht, welche für die sogenannten primitiven Wahrheitstheorien Raum schafft. Die grundlegende These lautet dann: Der Wahrheitsbegriff ist primitiv und deshalb undefinierbar. Die Undefinierbarkeit des Wahrheitsbegriffs wird jedoch meist in einem breiteren Kontext entweder behauptet oder ergibt sich einfach daraus, wie wir dies etwa bei Frege, Davidson und Popper sehen können. Bei Gottlob Frege entsteht ein solcher Kontext etwa dann, wenn er in seiner „Begriffsschrift“ über Funktion und Argument redet. Dort betrachtet Frege unter anderem den Satz „Wasserstoffgas ist leichter als Kohlensäuregas“. Der Kernpunkt seiner Analyse besteht darin, dass die Unterscheidung zwischen dem ersetzbaren und dem bleibenden Bestandteil des Satzes vollzogen wird. Während der Ausdruck „Wasserstoffgas“ auch durch andere Ausdrücke wie „Sauerstoffgas“ ersetzt werden kann, bleibt der Ausdruck „ist leichter als Kohlensäuregas“ aufrechterhalten. Der bleibende Bestandteil wird als „Funktion“ bezeichnet, der ersetzbare dagegen als „Argument“. Für die Wahrheitsproblematik folgt daraus, dass Begriffe als Funktionen gedeutet werden, die durch die Einsetzung von Argumenten Wahrheitswerte ergeben. Daraus folgt aber noch keine direkte Definition von Wahrheit. Das leistet auch nicht die bekannte Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung. Zu Beginn seines Aufsatzes „Getreu den Tatsachen“ schreibt Donald Davidson, dass eine wahre Aussage eine Aussage ist, die den Tatsachen getreu ist. Am Ende formuliert er dann folgende Schlussfolgerung: 82

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Vgl. Frege, G. (1964), §9. Vgl. Frege, G. (2002). Kurzum: Die Bedeutung eines Wortes ist das, worauf es sich bezieht, der Sinn dagegen, wie es sich bezieht. 82 83

364 „Die Schlussfolgerung, die ich versuchsweise ziehen würde, ist folgende: Was allem Anschein nach Darlegungen über die (absolute) Wahrheit zeitloser Aussagen sind, können wir vermeiden, wenn wir einen auf Äußerungsgelegenheiten relativierten Wahrheitsbegriff und eine weitgehende Übersetzungskonzeption akzeptieren“. 84

Aus diesem Zitat ergibt sich, dass Davidson den Begriff der absoluten Wahrheit vermeiden will und dann durchaus bereit ist, einen relativierten Wahrheitsbegriff zu akzeptieren. Die Akzeptanz eines relativen Wahrheitsbegriffs lässt aber vermuten, dass Davidson die Undefinierbarkeit von Wahrheit grundsätzlich für zulässig hält. Das bedeutet freilich nicht, dass wir über eine Wahrheitstheorie nichts sagen können, vielmehr können wir z.B. deren Eigenschaften bestimmen. Bei der Untersuchung der Semantik natürlicher Sprachen behauptet also Davidson, dass die Wahrheitstheorie einer Sprache in minimaler Hinsicht das leistet, was wir wollen, d.h. ihr gelingt die Angabe der Bedeutungen aller unabhängig sinnvollen Ausdrücke auf der Grundlage einer Analyse ihrer Struktur. Eine solche Wahrheitstheorie (WT) sollte insbesondere folgende zwei Eigenschaften aufweisen: (1) Die WT kann die Bedeutung jedes Satzes erklären, indem sie ihn so analysiert, als sei er in wahrheitsrelevanten Weisen aus Elementen zusammengesetzt, die einem endlichen Vorrat entnommen sind; und (2) die WT liefert ein Verfahren, um im Hinblick auf einen beliebigen gegebenen Satz zu entscheiden, welche Bedeutung er hat. Zur primitiven Wahrheitstheorie tendiert auch Karl Popper, wenn er bei der Begründung des Kritischen Realismus behauptet, dass Wahrheit nicht definitiv erreichbar sei, sondern nur in Annäherung. Den Kontext stellt für Popper die Analyse des Erkenntnisfortschritts dar. Erkenntnisfortschritt lässt sich nach Popper dann erzielen, wenn Falsifikationen vollzogen 85

Davidson, D. (1986b), 91. Vgl. Davidson, D. (1986c), 92f. Wenn man Davidsons semantisches Programm aus allgemeiner Sicht beschreibt, dann kann man sagen, Davidson will erklären, was es heißt, dass Ausdrücke das bedeuten, was sie bedeuten, und er will dies durch die Klärung des Interpretationsprozesses erreichen. Sein philosophisches Projekt der Erklärung von Bedeutung ist so zu verstehen, dass die (in der frühen Phase entwickelten) Bedeutungstheorien durch Interpretationstheorien abgelöst werden (vgl. Fischer, M. (2008), 25f). 84 85

365 werden. Falsifikation ist ein methodisches Verfahren zur Beurteilung bestehender Theorien. Nach Auffassung des Kritischen Rationalismus gibt es allerdings kein methodisch rationales Verfahren zur Entdeckung von Theorien. Eine Theorie ist ein kreativer Prozess, der grundsätzlich durch spekulative Phantasie, Intuition, Zufälle und Geistesblitze beeinflusst wird. Im Rahmen dieses Prozesses wird ein immer höheres Niveau des Wissens erreicht. Eine Theorie stellt einen Erkenntnisfortschritt gegenüber einer anderen Theorie dar, wenn sie eine höhere Wahrheitsnähe aufweist. Eine Wahrheitstheorie ist nicht messbar. Jedoch kann man die Wahrheitsnähe zweier Theorien vergleichen. Eine Theorie hat gegenüber einer anderen eine höhere Wahrheitsnähe, wenn sie „gehaltvoller“ ist und wenn sie mehr oder bessere Erklärungen für Sachverhalte bietet als die schwächere Theorie. Es wäre zu fragen, inwiefern das axiomatische Element dabei eine Rolle spielt. 86

3.3.4. Axiomatische Wahrheitstheorien Axiomatische Theorien gehören neben den semantischen Theorien zu den wichtigsten Strömungen in der modernen formalen Debatte. Beide Arten von Theorien haben auch die Wahrheit als Gegenstand ihrer Analyse, wobei ihr Interesse anders zu bestimmen ist. Axiomatische Theorien beschreiben also ein Prädikat dadurch, dass sie eine ausgezeichnete Menge von Sätzen angeben, in denen das Prädikat vorkommt. Durch Axiome werden direkt Prinzipien angegeben, die das Wahrheitsprädikat selbst und das Zusammenspiel mit anderen Ausdrücken charakterisieren. Eine Verbindung von Adäquatheitskriterien und der Formulierung der Theorie in einer axiomatischen Methode lässt sich oft dadurch herstellen, dass die Kriterien selbst als Axiome eingehen, z.B. das Kriterium der Allgemeinheit oder Adäquatheit. Was ist also eine axiomatische Wahrheitstheorie? Unter einer axiomatischen Wahrheitstheorie ist eine Charakterisierung eines Wahrheitsprädikats anhand von Axiomen zu verstehen, die die Verwendung dieses Prädikats bestimmen. Der Ausdruck „Axiom“ wird im 87

Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kritischer_Rationalimus, 13.05.2011). Vgl. Fischer, M. (2008), 244f. 86

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11f

(Zugriff

am

366 Allgemeinen in drei Grundbedeutungen verwendet: (1) als klassischer Axiombegriff – ist ein unmittelbar einleuchtender Grundsatz, z.B. Satz vom Widerspruch; (2) als naturwissenschaftlicher Axiombegriff – ist ein vielfach bestätigtes allgemeines Naturgesetz, z.B. Newtonsche Axiome; und (3) als moderner (formaler) Axiombegriff – ist ein zugrunde gelegter nicht abgeleiteter Grundsatz. Im folgenden Abschnitt ist vor allem die dritte Bedeutung relevant. Für eine aussichtsreiche Analyse axiomatischer Wahrheitstheorien sind grundsätzlich vier Sprachen erforderlich: die Basissprache, die Sprache des Sprechers, die Sprache des Interpreters und die Metasprache. Die Sprache des Sprechers und die des Interpreters werden oft als Objektsprache bezeichnet. Eine axiomatische Wahrheitstheorie W ist daher eine Charakterisierung des Prädikats P durch ein entsprechendes Axiom A. Während die Wahrheitsträger in der Objektsprache formuliert werden, treten die Axiome in der Metasprache auf. Betrachten wir dazu folgende zwei Sätze: (1) Prädikat P „Dass zwei Autos und zwei Autos vier Autos sind, ist wahr“ => Objektsprache (2) Axiom A „Zwei und zwei sind vier“ => Metasprache Im ersten Satz, der das Prädikat P zum Vorschein bringt, kommt die Objektsprache zum Einsatz. Das Prädikat P wird durch eine Proposition charakterisiert, die dem Axiom A entspringt. Dieses Axiom erscheint in der Metasprache (vgl. Satz 2). Das Prädikat P „Dass zwei Autos und zwei Autos vier Autos sind, ist wahr“ ist deshalb wahr, weil es im Axiom A „Zwei und zwei sind vier“ fundiert ist, und dieses Axiom ist wahr. Anders ausgedrückt: Wir können das Prädikat P deshalb verstehen, weil wir bereits das Axiom A verstanden haben. Da eine axiomatische Wahrheitstheorie einen formalen Charakter aufweist, erfordert sie stets eine Syntaxtheorie als ihre Grundlage. Es reicht also nicht, nur Namen für die Ausdrücke der Objektsprache zu besitzen, die auch semantisch gedeutet werden können, sondern man sollte auch eine Theorie der Syntax der Objektsprache besitzen. Unter Syntax sind die rein formalen Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen zu verstehen. Eine Syntaxtheorie wird auch Basistheorie genannt. Die axiomatische Theorie

367 von Wahrheit benötigt also immer eine zuverlässige Basistheorie, auf der sie erst aufbauen kann. Daher können wir auch sagen, dass die Basistheorie als Teiltheorie der Wahrheitstheorie aufzufassen ist. Die Anwendung einer formalen Syntaxtheorie setzt offenbar voraus, dass sich die Syntax der Objektsprache formal beschreiben lässt. Im Kontext axiomatischer Wahrheitstheorien ist es unerlässlich, zwischen den Begriffen „syntaktisch“ und „semantisch“ klar zu unterscheiden, um deren sprachliche Funktionen hinsichtlich des Wahrheitsbegriffs richtig zu erfassen. Wir nennen dazu zwei Unterschiede: (1) Differenz im Untersuchungsgegenstand – d.h. in dem Ausdruck, der durch die jeweilige Theorie charakterisiert wird. Wahrheit ist im Gegensatz zu Beweisbarkeit ein paradigmatisch semantischer Ausdruck; und (2) Differenz in der Methode der Charakterisierung des Wahrheitsprädikats – in einer syntaktischen Wahrheitstheorie wird das Prädikat bestimmt mit Hilfe eines Herleitungsbegriffs, z.B. durch die Angabe entsprechender Axiome, in einer semantischen Wahrheitstheorie wird dagegen der semantische Wert oder die Extension des Wahrheitsprädikats näher erläutert durch die Angabe einer Interpretation innerhalb eines Modells. So ist festzuhalten, dass axiomatische Wahrheitstheorien in erster Linie auf syntaktische Wahrheitstheorien angewiesen sind. 88

89

4. Wie gewiss ist unser Wissen? Zur Objektivität des Wissensbegriffs gehört neben Wahrheit auch Gewissheit. Wenn alle Menschen nach Wissen streben, wie dies Aristoteles mit Recht im ersten Satz seiner Metaphysik betont, so streben alle nach einem Wissen, welches sich der Ungewissheit des Geistes entziehen kann. Mit anderen Worten: Wir streben nach einem Wissen, das durch Gewissheit gekennzeichnet ist. Ein solches Streben hat die meisten Denker schon immer begleitet. Eine andere Frage ist es aber, ob ein gewisses Wissen überhaupt erlangt werden kann. Auch in der Postmoderne ist diese Frage relevant.

88 89

Vgl. Fischer, M. (2008), 176f. Vgl. Fischer, M. (2008), 244f.

368 4.1. Klassische nach Gewissheit strebende Entwicklung

90

Das Streben nach Gewissheit menschlichen Erkennens hat vor allem in der Neuzeit einen neuen Schub bekommen. Es war Galilei, der dank naturwissenschaftlicher Vorgehensweise erhebliche Fortschritte erzielte, was auch für die Philosophie nicht ohne Wirkung blieb. Zwar bemühten sich stets auch die führenden Denkfiguren der Antike und des Mittelalters um Gewissheit ihrer epistemischen Resultate, jedoch konnten deren Anstrengungen noch nicht mit der Unterstützung seitens mathematischnaturwissenschaftlicher Methoden in dem Ausmaß rechnen, wie dies erst seit Descartes geschehen ist. Geprägt durch die Errungenschaften der Naturwissenschaft fragt Descartes als Vater des Rationalismus nach einer zuverlässigen Wissensbasis, von der auch die auf Einzelprobleme abzielenden Naturwissenschaften durchaus Gebrauch machen könnten. Dafür konnte die Erfahrung, die Empirie offenkundig nicht taugen. Die Grundlagen mussten vielmehr aus der Ratio heraus entwickelt werden. Als vertrauenswürdige Grundlage sollte eine Form von Intuition dienen, wie sie etwa in der Erkenntnis der Grundaxiome eines Euklids am Werk ist. Eine derartige Intuition wird nämlich als ein klares und deutlich bestimmtes Begreifen des reinen und aufmerksamen Geistes charakterisiert, sodass kein Raum für den Zweifel mehr verbleibt. Auf diese Weise kann man schon die Einsicht in bestimmte Grundprinzipien gewinnen. Zu weitergehenden Einsichten gelangt man nach Descartes deduktiv durch Schlussfolgerungen, die möglichst Die Grundidee Descartes´ ihrerseits intuitiv einsichtig sein sollten. bestand also darin, über den Zweifel zur Gewissheit zu gelangen. Dabei handelt es sich um einen radikalen und methodischen Zweifel. Alles, was man bis jetzt für wahr gehalten hat, wird in Frage gestellt: die empirische und mathematische Erkenntnis, weil unsere Sinne uns täuschen und wir uns z.B. beim Addieren verrechnen können. Es gibt jedoch etwas, was dem Zweifel standhalten kann, es ist das eigene „Cogito ergo sum“ (d.h. „ich 91

92

Vgl. dazu auch 3.3. und 3.4. (Kap. I). Bei diesen Grundaxiomen handelt es sich bekanntlich etwa um folgende: (1) Je zwei Punkte liegen auf einer geraden Linie; (2) Alle rechten Winkel sind gleich usf. Vgl. Descartes, R. (1972), 10f. 90 91

92

369 denke, also bin ich“). Solange ich denke, solange habe ich die Gewissheit, dass ich existiere. Diese wahre Erkenntnis ist durch Klarheit und Deutlichkeit gekennzeichnet, die deshalb auch als Wahrheitskriterien fungieren. Damit dies aber der Fall sein kann, müssen Klarheit und Deutlichkeit durch eine äußere Instanz verlässlich gemacht werden. Und diese Aufgabe wird von Descartes Gott anvertraut, der aber erst mit Hilfe von angeborenen Ideen bewiesen werden soll. So gerät Descartes bei seiner Suche nach Gewissheit der Erkenntnis notwendigerweise in einen Zirkel. Die Einführung von angeborenen Ideen war aber für die Empiristen ein Dorn im Auge. Bei ihrer Suche nach Gewissheit sahen sie sich deshalb gezwungen, die rationalistische Grundlage von Descartes zu verwerfen. Dieser von Locke eingeleitete Weg wurde von Hume radikal fortgesetzt. Auch Hume fragt also nach der Gewissheit menschlicher Erkenntnis, um dann am Ende festzustellen, dass falls es überhaupt so etwas wie Gewissheit geben sollte, sie auf die eigenen, gerade bestehenden Bewusstseinsinhalte beschränkt ist. Wenn er sein Augenmerk auf das Bewusstsein richtet, stimmt er mit Descartes überein. Die Methode seines Verfahrens ist jedoch eine andere, denn Hume greift auf die Erfahrung zurück. So unterscheidet er zunächst zwischen den Eindrücken (d.h. impressions, also äußeren und inneren Sinnempfindungen) und den Ideen (d.h. ideas, also Vorstellungen). Beide Arten von Entitäten können in einer einfachen oder zusammengesetzten Form auftreten. Die einfachen Vorstellungen werden vom Geist aufgrund des Prinzips der Assoziation zusammengesetzt. Das menschliche Denken hat es mit zwei Gegenstandsbereichen zu tun: mit Beziehungen von Vorstellungen (relations of ideas) und mit Tatsachen (matters of fact). Selbst wenn Hume auch einen bestimmten empiriefreien Gegenstandsbereich menschlichen Wissens anerkennt, d.h. das mathematische Gebiet, und dabei von intuitiver und demonstrativer Gewissheit redet, ist es sein Anliegen, die erkenntnisphilosophische Begründung unserer verallgemeinernden (induktiven) Schlüsse aus der Erfahrung zu erkunden. Sein Befund lautet, 93

94

Vgl. Descartes, R. Med. I-V. Intuitive Gewissheit leuchtet unmittelbar ein, demonstrative erfolgt dagegen durch logisches Schließen. 93 94

370 dass es keine Begründung gibt. Bei Verallgemeinerungen aus der Erfahrung handelt es sich gar nicht um vernunftgeleitete Schlussfolgerungen, sondern um Auswirkungen von Erwartungshaltungen durch Gewohnheit. Die Analysen von Hume blieben nicht ohne Wirkung auf Kant, der sich für eine Konstitutionstheorie einsetzt. Laut dieser Theorie richten sich Gegenstände nach unserem Erkennen. Den Ausgangspunkt für die Reflexion Kants in seinem epistemologischen Hauptwerk bildet seine Kritik der klassischen Metaphysik, die den Anspruch erhob, Gegenstände wie das Dasein Gottes, die menschliche Freiheit und Unsterblichkeit wissenschaftlich zu untersuchen. Indem Kant das menschliche Erkenntnisvermögen gründlich analysiert, zeigt er, dass auf diesem Felde gar keine Erkenntnis möglich ist. So konnten nur zwei Bereiche ins Spiel kommen: die reine Mathematik und die reine Naturwissenschaft. Den Begriff einer sicheren Erkenntnis bestimmt Kant mit dem Blick auf diese Bereiche durch zwei Merkmale, nämlich durch Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit. Gewissheit liegt also für Kant in der Reichweite des menschlichen Erkenntnisvermögens und ist an synthetisch-apriorisches (erweiterndes) Wissen gebunden. Das menschliche Erkenntnisvermögen beinhaltet grundsätzlich drei Komponenten: (1) die reinen Anschauungsformen, d.h. Raum und Zeit – stellen eine Grundlage dar, auf der das ungeordnete, sinnliche Anschauungsmaterial verarbeitet wird; (2) der Verstand – bringt die Anschauungen unter seine Begriffe; es gibt die empirischen (z.B. Sonne) und reinen (z.B. Kausalität) Begriffe, wobei die Letzteren Kategorien genannt werden; und (3) die Urteilskraft – ermöglicht die richtige Anwendung der Kategorien auf den Anschauungsstoff: Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Während Kant bei seiner Suche nach Gewissheit versucht, den rationalen Standpunkt von Descartes mit dem empirischen von Hume in Einklang zu bringen, bemühen sich die Vertreter des Logischen Positivismus, den 95

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Vgl. Hume, D. (1993), 17f, 35f, 74f. Vgl. dazu auch Ruß, H.G. (2004), 34f. Es ist hier zu betonen, dass Kant vor allem die Newtonsche Mechanik vor Augen haben dürfte. Vgl. Kant, I., KrV B, Einleitung, 33f, 74f.

95 96

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371 Empirismus mit der Logik zu verbinden, wobei die letztere als notwendiges Instrument im empirischen Deutungsprozess angesehen wird. Selbst wenn die Logischen Empiristen mit Kant und Hume die metaphysikkritische Haltung teilen, verneinen sie jedoch die Existenz synthetisch-apriorischen Wissens, indem sie das Verfahren und die Leistungen der Naturwissenschaften vor Augen haben. Daher zielt das Programm der Logischen Empiristen darauf ab, zwischen der „sinnlosen“ Metaphysik und den „sinnvollen“ Wissenschaften eine klare Grenze zu ziehen. Dies erfordert aber ein entsprechendes „Sinnkriterium“. Angeregt durch Wittgenstein formulieren die Logischen Empiristen des Wiener Kreises an der Spitze Carnap - das Sinnkriterium, das im Begriff „Verifikation“ fundiert ist. Es lautet: Ist eine Verifikation möglich, haben wir es mit einem sinnvollen Satz zu tun, ist sie nicht möglich, so hat ein Satz auch keinen Sinn. Unter Verifikation verstehen sie eine echte Wahrheitsweise unter Rückgriff auf Sätze, die Erfahrung formulieren. Diese Sätze werden Protokoll- oder Beobachtungssätze genannt. Es leuchtet daher ein, dass die Gewissheit, nach der die Logischen Empiristen suchen, sich allein der im logischen Gewand auftretenden Erfahrung verdankt. 98

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4.2. Das Scheitern klassischer Versuche und dessen Konsequenzen Im vorangehenden Abschnitt haben wir einige klassische Beispiele des Strebens nach epistemologischer Gewissheit dargestellt. Wollen wir deren Ergebnis bündig auf den Punkt bringen, so können wir sagen, dass sie insgesamt gescheitert sind. Diese These lässt sich dadurch begründen, dass bei allen erwähnten Denkern die Gefahr feststellbar ist, in eine „epistemologische Sackgasse“ zu geraten. Will man diese „epistemologische Sackgasse“ treffend formulieren, so kann man dies mit dem Begriff „Agrippa-Trilemma“ machen. Dieser Begriff wurde von uns schon im Kontext des Skepsisproblems verwendet Vgl. dazu Wittgenstein, L., TLP 4.021f; Carnap, R. (1993), 88f; auch Ruß, H.G. (2004), 58f. Dieser logisch-empirische Standpunkt wurde von den Vertretern der phänomenologischen Richtung kritisiert, insbesondere von Husserl (vgl. 3.4.3. [Kap. I]). 98

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372 (vgl. 4.1. [Kap. II]). Im deutschsprachigen Raum wird auch der gleichbedeutende Begriff „Münchhausen-Trilemma“ gebraucht, der von Hans Albert in Anspielung auf den Lügenbaron Münchhausen eingeführt wurde. Der Lügenbaron behauptet, dass er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog. Diese Behauptung erhebt einen sehr hohen Anspruch auf Gewissheit, obwohl die gewöhnliche Erfahrung eindeutig dagegen spricht: Für einen Menschen ist es kaum denkbar, sich lediglich am eigenen Schopf und ohne andere Hilfsmittel aus dem Sumpf herauszuziehen. Ähnliches gilt für epistemologische Bemühungen: Mit eigenen epistemologischen Mitteln lässt sich die Gewissheit im Erkenntnisprozess absolut nicht garantieren. Anders ausgedrückt: Die menschlichen Erkenntnissubjekte können sich auch täuschen und folglich in eine hoffnungslose Lage geraten. Es gibt drei klassische Situationen diesbezüglich: (1) Infiniter Regress – erscheint notwendig dann, wenn das Subjekt S in der Suche nach Gründen immer weiter zurückgeht. Um die Wahrheit der Aussage dass p zu begründen, bringt das Subjekt die Aussage dass q ins Spiel. Diese Aussage muss aber auch auf ihre Wahrheit hin geprüft werden. Deshalb fühlt sich das Subjekt gezwungen, eine weitere Aussage dass r in Anspruch zu nehmen, die aber auch einer epistemischen Kontrolle im Hinblick auf ihre Wahrheit unterliegt usw. So entsteht eine Situation, welche sich praktisch nicht lösen lässt und daher keine sichere Grundlage liefert; (2) Logischer Zirkel – ist ein Deduktionsfehler, der dadurch entsteht, dass das Subjekt S in seinem Begründungsverfahren auf Aussagen zurückgreift, die vorher schon als begründungsbedürftig aufgetreten waren. So ergibt sich folgende epistemologische Konstellation: „A ist wahr, weil B und B ist wahr, weil C und C ist wahr, weil A“. Auch diese Verfahrensweise führt zu keinem epistemologisch begründeten Resultat und liefert deshalb keine sichere Grundlage; und (3) Abbruch des Verfahrens – besteht darin, dass man das Begründungsverfahren an einem bestimmten Punkt einstellt. Die Folge davon ist der ungewollte Dogmatismus, also eine Position, die angeblich nicht begründungsbedürftig ist, weil ihre Wahrheit gewiss erscheint und deshalb nicht angezweifelt werden kann. Keine Art von Dogmatismus kann aber epistemologisch zufrieden stellen, weil die Warum-Frage letzten Endes nicht beantwortet, sondern vielmehr ignoriert wird. 100

100

Vgl. Albert, H. (1991), 11f.

373 Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Münchhausen-Trilemma? Es wird deutlich, dass objektive Gewissheit einerseits ein unerreichbares Ideal ist. Andererseits lässt sich aber ohne diese Erkenntnis kein Erkenntnisanspruch erheben und Wissenschaft als Suche nach wahren Beschreibungen und Erklärungen realer Zusammenhänge wäre damit unmöglich. Wie lässt sich eben diese Konstellation lösen? Eine Lösung kann darin bestehen, dass man Wahrheit und Gewissheit voneinander trennt. Auch wenn nicht bewiesen werden kann, dass eine Aussage wahr ist, kann sie dennoch wahr sein. Im Rahmen der Forderung nach sicherer Begründung kann sie mangels Beweisbarkeit nur nicht als wahr identifiziert werden. Behauptungen über reale Zusammenhänge können wahr sein, es ist lediglich nicht möglich, um ihre Wahrheit zu wissen. Die Behauptung, dass es ohne Wahrheitsgarantie keine Erkenntnis gibt, ist jedoch nicht zwingend. Wenn wir über keine Methode der zureichenden Begründung verfügen, dann können wir vielleicht unsere Erkenntnisansprüche daran anpassen, indem wir einfach Gewissheit und Wahrheit entkoppeln. In dem Kontext spricht man in der Wissenschaftstheorie vom Vermutungswissen: Erkenntnis ist möglich, sie ist aber niemals sicher. Trotz der Entkopplung von Wahrheit und Gewissheit können Aussagen als grundsätzlich wahrheitsfähig betrachtet werden. 101

4.3. Der Fallibilismus: Fehlbarkeit menschlicher Vernunft Die Tatsache, dass objektives Wissen generell ein unerreichbares Ideal bleibt, führte viele Denker zu einer fallibilistischen Position. Den Kern des Fallibilismus stellt die Behauptung dar, dass menschliche Vernunft fehlbar sei. Die Folge davon ist, dass jede Aussage falsch sein kann, d.h. sie ist fehlbar. So könnte man den Fallibilismus bündig definieren. Diese auf den ersten Blick unproblematische These wurde vor allem von Pragmatisten (Peirce, Dewey) und Kritischen Rationalisten (Popper, Albert) vertreten, zudem von Otto Neurath und Quine.

Vgl. Ruß, H.G. (2004), 76f. Zum Vermutungswissen vgl. Punkt 8 des vorliegenden Kapitels.

101

374 Beim genaueren Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die fallibilistische These auch viele Fragen mit sich bringt. So ist es zunächst unklar, wie der Begriff „Fallibilismus“ überhaupt zu verstehen ist, aber auch welchen propositionalen Gehalt er aufweist. Für Habermas kann etwa sogar gut begründetes Wissen falsch sein. Im Allgemeinen lässt sich dennoch behaupten, dass der Fallibilismus die Unverfügbarkeit absoluter rationaler Gewissheit und Sicherheit in epistemischen Fragen betont, mithin die niemals ausschließbare Möglichkeit, dass wir uns mit unseren Meinungen und Aussagen im Irrtum befinden. Diese Behauptung zieht allerdings zwei prinzipielle Konsequenzen nach sich: Erstens ist deutlich zu akzentuieren, dass Fallibilität und Unfallibilität – anders als Wahrheit und Falschheit – keine Eigenschaften von Propositionen und Aussagen sind, sondern primär Eigenschaften von Meinungen, Überzeugungen und Behauptungen, d.h. Eigenschaften von konstitutiv mit Wahrheitsansprüchen verbundenen doxastischen Einstellungen und Sprechhandlungen. Zweitens steht im Hintergrund die These, dass eine Überzeugung genau dann fallibel ist, wenn ihr propositionaler Gehalt nicht auf epistemisch wahrheitsgarantierende Weise begründet ist. Darüber hinaus ist nicht ganz deutlich, ob der Fallibilismus bezüglich seines Geltungsbereichs als uneingeschränkte These zu formulieren ist oder doch manche Überzeugungen auszuschließen sind. Wenn man schon den Begriff „Fallibilismus“ weder einheitlich verstehen noch seinen Gültigkeitsbereich unkompliziert bestimmen kann, dann ist es umso schwieriger, das Problem des Fallibilismus zu formulieren. Dessen ungeachtet könnte man einige Standardmerkmale herausfinden, die in einer epistemischen Analyse grundsätzlich zu beachten sind. So behauptet etwa David Lewis, dass es einen direkten begrifflichen Zusammenhang zwischen Wissen und Infallibilität gibt. Er schreibt: 102

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„It seems that knowledge must be by definition infallible. If you claim that S knows that P, and yet you grant that S cannot eliminate a certain possibility in which not-P, it certainly seems as if you have granted that S does not after all know that P. To speak of fallible knowledge, of

102 103

Vgl. Habermas, J. (1999), 44. Vgl. Rähme, B. (2010), 98f.

375 knowledge despite uneliminated possibility of error, just sounds contradictory.” 104

In die gleiche Richtung scheint Charles Peirce zu gehen, wenn er den Fallibilismus im Kontext des Wissensbegriffs behandelt und ihn vom Skeptizismus deutlich trennt. Darüber hinaus wird der Fallibilismus bei Peirce auf den Begriff des Irrtums bzw. der fehlerhaften Überzeugung bezogen. Unsere Überzeugungen und Behauptungen können also wie alles menschliche Handeln fehlerhaft sein. Diese These wird auch von Karl Popper und Hans Albert geteilt. Der Letztere schreibt, dass man sich in Bezug auf den Wahrheitswert aller möglichen Aussagen irren kann. Von Popper wurde eine Verknüpfung aus Fallibilismus und Antiskeptizismus vorgeschlagen. Zum einen sind also alle unsere Überzeugungen fallibel, zum anderen können wir aber in vielen Fällen, in denen wir zu wissen beanspruchen, dass p, tatsächlich wissen, dass p. Mit dem Fallibilismus wird auch die These über die epistemische Gewissheit in Zusammenhang gebracht. Demnach heißt es, die menschlichen Subjekte können keine absolute Gewissheit erlangen. Schließlich wird auch behauptet, dass wir keine Garantie der Wahrheit erreichen können. Dies aufzuweisen ist die Aufgabe der Vertreter des Fallibilismus. Stellen wir jetzt diese Standardmerkmale der fallibilistischen These in einer Tabelle zusammen: 105

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(A) (B) (C) (D) (E)

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Die Standardmerkmale des Fallibilismus (F) Es gibt einen direkten begrifflichen Zusammenhang zwischen Wissen und Infallibilität Der F nimmt den Bezug auf den Begriff „Irrtum“ Der F kann in Verbindung mit dem Antiskeptizismus stehen Der F bestreitet die Möglichkeit der Erlangung absoluter epistemischer Gewissheit Der F fragt nach der Garantie der Wahrheit

Lewis, D. (1996), 549. Vgl. Peirce, C.S. (1931-1938), 1.171, 5.577. Vgl. Albert, H. (1987), 427. Vgl. Popper, K. (1962), 375f. Vgl. Rähme, B. (2010), 124f.

376 Mit Hilfe von diesen Standardmerkmalen können wir jetzt versuchen, den fallibilistischen Standpunkt genauer zu differenzieren. So ergibt sich Folgendes: (1) Starker Fallibilismus (StF) – behauptet, dass es kein Wissen gibt, weil Wissen ausschließt, dass Irrtum leicht möglich wäre. Für den StF sind also vor allem die Merkmale (A) und (B) bedeutsam. Wenn es Wissen gibt, dann muss es infallibel sein. Sonst gäbe es einen Widerspruch. So kann auch der Irrtum ausgeschlossen werden; und (2) Schwacher Fallibilismus (ScF) – besagt, dass jede Aussage falsch sein könnte (muss aber nicht sein), d.h. in Bezug auf jede Aussage sind skeptische Täuschungssituationen möglich. Der ScF wäre daher identisch mit der These, dass keine Aussage skepsisresistent ist. Das bedeutet, jede Aussage könne auf einer skeptischen Täuschung beruhen. Für den ScF ergibt sich daraus, dass sein propositionaler Gehalt vor allem durch die Merkmale (B), (D) und (E) gekennzeichnet ist. Selbst wenn wir den Irrtum nicht ausschließen könnten, sei eine epistemische Gewissheit durchaus denkbar. Dabei wäre lediglich zu fragen, was diese Gewissheit garantieren kann. Abgesehen davon, wie diese Frage beantwortet wird, ist festzustellen, dass dem ScF das Prädikat „universell“ nicht zugeschrieben werden kann. Das heißt, wir können nicht vom universellen ScF reden, weil dies zum Problem der Selbstaufhebung des ScF führte. Dieses Problem können wir wie folgt formulieren: 109

(1) Keine Aussage ist gewiss => ScF1 (2) Es ist nicht gewiss, dass keine Aussage gewiss ist => ScF2 (3) Es ist nicht gewiss, dass es nicht gewiss ist, dass keine Aussage gewiss ist => ScF3 Nun sehen wir, dass die Selbstanwendung des ScF, die in den Fällen (2) und (3) vorkommt, zu seiner Selbstaufhebung führt. Mit anderen Worten: Der ScF zweiter (ScF2) und dritter Stufe (ScF3) verfügt über die epistemologische Selbstaufhebungskraft, die seine epistemologische Wirkung letzten Endes in Frage stellt. Wer kurzum behauptet, dass jede Überzeugung fallibel ist, der behauptet das auch von seiner eigenen Überzeugung. 109

Vgl. Grundmann, T. (2008), 426f.

377 Im 21. Jahrhundert erscheint diese epistemologische Selbstaufhebungskraft des Fallibilismus im Gewand postmoderner Eigenschaften. Jetzt gilt es, diese näher zu bestimmen. 4.4. Postmoderner Fallibilismus und die Möglichkeit postmoderner Gewissheit? Der Fallibilismus ist eine Art Skeptizismus und als solcher wirkt er sich auf die epistemologische Kompetenz von menschlichen Erkenntnissubjekten aus, und zwar mit unterschiedlicher Stärke. Jede Überzeugung, die Subjekte kraft ihres epistemologischen Vermögens in die Welt setzen, könnte durchaus fallibel sein. Diese Konstellation hat ihre Gültigkeit in einem überzeitlichen Horizont, weil die epistemischen Leistungen von Subjekten sich seit ihrer systematischen Erforschung kaum verändert haben. Wir streben heute nach Wissen wie damals die alten Griechen oder Römer und wir können nur das erkennen, was mit unserem Erkennensvermögen kompatibel ist. Lassen wir hier die „transzendentale Entdeckung“ Kants beiseite. Was sich verändert hat, das ist die Umrahmung des Erkenntnisprozesses. Sie hat sich sowohl methodisch als auch pragmatisch verändert. So stehen uns heute etwa die Mittel der formalen Logik zur Verfügung, die dann in verschiedene Computerprogramme gezielt integriert werden können. Diesem pragmatischen Aspekt kommt in der postmodernen Gesellschaft eine Bedeutung zu, welche die von damals, d.h. aus der Zeit der alten Griechen oder Römern, einfach in vielerlei Weise übertrifft. Bündig formuliert: Die heutige Gesellschaft ist in erster Linie eine pragmatische. In dem Kontext ist allerdings zu fragen, inwiefern sich der Charakter des menschlichen Erkennens nicht verändert hat. An einem Punkt, so lautet die Antwort, hat sich unser Erkennen gar nicht verändert, nämlich im Hinblick auf Fallibilität. Denn Erkenntnisse, die heute erzielt werden, nicht zuletzt mit Hilfe von modernen Geräten, unterliegen auch einer Täuschungssituation. Deshalb können wir von einem postmodernen Fallibilismus sprechen. Eines der bekanntesten Beispiele, an dem dieser

378 Fallibilismus sichtbar wird, ist derzeitig wohl das Internet. Von der auf das Internet zurückzuführenden Möglichkeit des Irrtums werden immer breitere Kreise von Erkenntnissubjekten betroffen, wenigstens proportional zu dem wachsenden Zugang zu diesem Kommunikationsmedium. Mit dem Ausbau des Internetzugangs steigt zugleich die Möglichkeit epistemischer Täuschung an, die auch eine globale Dimension haben kann. In den letzten Wochen wurde etwa in den Medien berichtet, dass die Hacker vertrauliche Informationen aus wichtigen Wirtschafts- und Sicherheitssektoren wie Banken und Militär gestohlen haben. Was dies für andere Menschen bedeutet, kann man sich leicht vorstellen. Damit haben sich die Hacker etwa den Zugang zu den Kundendaten verschafft, die dann epistemisch manipuliert werden können, indem man z.B. Zugriff auf die Bankkonten oder Sicherheitsprojekte gewinnt. Was dann geschehen könnte, muss nicht eigens betont werden. Der postmoderne Fallibilismus entlarvt also nichts anderes als die Unvollkommenheit bestehender und praktisch eingesetzter Erkenntnisse und baut auf dem klassischen Fallibilismus auf, der es unmittelbar mit den kognitiven Funktionen menschlicher Natur zu tun hat. So stellt sich zumindest die Frage: Würde es zu dieser Situation auch dann kommen, wenn andere praktisch einsetzbare Erkenntnisse im Spiel wären bzw. anders beschaffen wären? Und die Antwort lautet: Wir wissen es nicht. Es ist eine fallible Antwort. Zu keiner anderen Antwort sind wir von Natur aus fähig. Der hier gemeinte postmoderne Fallibilismus hat also einen pragmatischen Charakter und kann nur auf der Grundlage der Fallibilität menschlicher Subjekte Bestand haben. Denn alle pragmatischen Entwürfe sind letzten Endes diesen Subjekten zu verdanken. Damit wird auch die Möglichkeit postmoderner Gewissheit angesprochen. Aufgrund des postmodernen Fallibilismus entsteht diesbezüglich eine Situation mit überwiegend nur dunklen Aussichten. Denn die postmoderne Gewissheit nimmt das Kriterium ihrer praktischen Umsetzung in Anspruch und kann deshalb auf Dauer kaum bestehen. Bezogen auf die gegenwärtige Lage heißt das: Es werden immer neue Geräte auf den Markt gebracht, welche die älteren ablösen. Dadurch wird zwar der postmoderne 110

Es gibt offenbar auch andere Beispiele wie das Fernsehen, Radio usf., Internet ist aber heute wohl das verbreitetste Medium. 110

379 Fallibilismus als solcher nicht ausgeschlossen, das Wirkungsfeld der Hacker jedoch mit Recht erschwert. 5. Geltungsansprüche des Wissensbegriffs. Kantischer Zugriff Mit der Frage nach der Objektivität von Wissen wird zugleich der Anspruch auf dessen Geltung erhoben. Das Wissen soll besonders dort gelten, wo zwischen Subjekten eine sprachliche Kommunikation denkbar ist. Anders ausgedrückt: Subjekte, denen wir Wissen zuschreiben, haben das Recht auf Geltung ihres Wissens. Deshalb ist zu fragen: Unter welchen Bedingungen gilt unser Wissen? Die Frage nach der Geltung von Wissen kann auch als Konsequenz des Fallibilismus angesehen werden, weil auch falsches Wissen als wahres gelten, bzw. für wahr gehalten werden kann. Im Folgenden wollen wir die Bedingungen herausfinden, unter denen die Geltungsansprüche erhoben werden. Es wird sich zeigen, dass es sich um transzendentale und realistische Bedingungen handelt. Beim Herausfinden transzendentaler Bedingungen greifen wir auf Kant zurück, indem wir sein transzendentales Argument als Grundlage unserer Analyse gelten lassen. Damit wird klar gemacht, dass transzendentale Bedingungen die epistemischen Möglichkeiten des Subjekts akzentuieren. So schreibt etwa Arthur Collins: „Taking ordinary knowledge at face value, Kant asks how it is possible for us to have this knowledge. This is the order of Kantian transcendental arguments. It is the stance from which Kant formulates the famous ´howpossible´ questions in the introduction to the first Critique and elsewhere…´How is such and such knowledge, knowledge that we do possess, possible?´ That is Kant´s question…The knowledge is given. The philosophical problem is to account for the possibility of this knowledge”. 111

Dass Erkenntnisse in der Welt gegeben sind, ist eine Tatsache. Angesichts dieser Gegebenheit stellt sich aber das philosophische Problem, wie die Erkenntnis überhaupt möglich sei. Genauer gesagt fragt Kant: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? (vgl. KrV B 19). Die Frage nach dem Wie bedeutet, unter welchen Bedingungen solche Urteile möglich sind und für welche Wissensbereiche es sie gibt, insbesondere ob in Bezug 111

Collins, A. (1999), 91f.

380 auf die Metaphysik synthetische Urteile a priori möglich sind. Synthetisch ist ein Urteil, wenn es unser Wissen erweitert, wie z.B. der Satz „Dieses Wasser enthält Bakterien“, a priori hingegen, wenn es unabhängig von der empirischen Erfahrung existiert, wie z.B. die Aussage „7 + 5 = 12“ (vgl. KrV B 14). An der Frage nach synthetischen Urteilen a priori entscheidet sich nach Kant das Schicksal der Wissenschaft. Denn die Wissenschaft ist nur dann möglich, wenn es entweder synthetische Urteile a priori gibt oder diese Urteile in Prinzipien gründen, die a priori sind. Für die Wissenschaft ist nun ein solches Wissen entscheidend, das durch synthetische Urteile a priori zustande kommt, d.h. einerseits bereichernd, andererseits durch Allgemeinheit und Notwendigkeit gekennzeichnet ist. Ein Urteil ist allgemein dann, wenn es keinerlei Ausnahmen zulässt, und notwendig, wenn es nicht anders sein kann, als es ist. Allgemeinheit und Notwendigkeit stellen also die Kriterien der Objektivität eines Urteils dar. Objektivität und damit Wissenschaft ist nach Kant nur da möglich, wo es allgemeine und notwendige Urteile gibt. Allgemeine und notwendige Urteile aber sind entweder selbst a priori oder gründen in Urteilen a priori. Mit dem Blick auf Kants transzendentales Argument können wir jetzt das Geltungsproblem behandeln, indem wir einfach fragen: Wie ist die Geltung von Wissen möglich? Sind dazu auch synthetische Urteile a priori erforderlich? Wir haben oben gesehen, dass diese Urteile nach Kant für die objektive Erkenntnis und damit für Wissen unerlässlich sind. Sind sie aber auch für die Geltung von Wissen unerlässlich? Die Beantwortung dieser Frage verlangt jedoch eine andere Frage zu stellen, nämlich: Wie verhalten sich die Begriffe „Geltung“, „Wissen“ und „synthetisches Urteil a priori/a posteriori“ zueinander? Zwischen diesen drei Begriffen besteht eine funktionelle Relation des Angewiesenseins. Also: 112

(1) Synthetische Urteile => (2) Wissen => (3) Geltung a priori / a posteriori Vorab wollen wir Kant einerseits zustimmen, dass objektives Wissen mit synthetischen Urteilen verknüpft ist. Sonst wäre eine Erweiterung von 112

Vgl. Disse, J. (2001), 222f.

381 Wissen überhaupt nicht denkbar. Die Folge davon wäre, dass ein semantisch-leerer Wissensbegriff vorläge, der in sich schon widersprüchlich wäre. Denn wenn jemand weiß, dann weiß er stets etwas, wobei dieses etwas als eine Proposition zu verstehen ist, d.h. als versehen mit einem bestimmten Inhalt. Dagegen hätten wir andererseits heute Schwierigkeiten, die Objektivität von Wissen mit Kant lediglich a priori erklären zu wollen. Denn es gibt zweifelsohne auch das empirisch gewonnene Wissen – was schon Hume mit Recht bemerkt hatte, das zwar einer anderen Gattung von Wissen zuzuordnen, aber immerhin als Wissen anzusehen ist. Man müsste also auch das a posteriori Element in der Rede über die Geltung von Wissen viel stärker akzentuieren, ohne Rücksicht darauf, ob man dadurch die Objektivität von Wissen abschwächt oder nicht. Damit sind offenbar synthetische Urteile a posteriori gemeint. Obwohl die synthetischen Urteile a posteriori nicht als allgemein und notwendig im absoluten Sinne zu betrachten sind, was wir den synthetischen Urteilen a priori zuschreiben, kommt ihnen dennoch eine zeitlich beschränkte, d.h. relative Allgemeinheit und Notwendigkeit zu, die einen praktischen Charakter aufweist und zur Steigerung der Qualität epistemischen Engagements von menschlichen Subjekten beiträgt. Als klassisches Beispiel gilt hier das Wissen um die Planeten-Konstellation vor der Entdeckung eines Kopernikus. Während also der Wissensbegriff von Natur aus auf synthetische Urteile angewiesen ist, wobei diese sowohl a priori als auch a posteriori sein können, ist der Geltungsbegriff hingegen auf einen Wissensbegriff angewiesen, der durch eine Erweiterungsfunktion gekennzeichnet ist. Diese Funktion kann aber nur von den epistemischen Subjekten „aktiviert“ werden. Insofern können wir unsere transzendentale Antwort auf die Frage, wie die Geltung von Wissen möglich sei, wie folgt formulieren: Die Geltung von Wissen ist deshalb möglich, weil es epistemische Subjekte gibt, die dazu fähig sind, ihr Wissen zu erweitern. Das erweiterte Wissen gilt aber intersubjektiv dann, wenn es sich objektiv begründen lässt und als schöpferisch in einer Gemeinschaft von Subjekten erscheint. Während die transzendentalen Bedingungen, unter denen die Geltungsansprüche erhoben werden, mit den epistemischen Fähigkeiten von Subjekten verknüpft sind, akzentuieren die realistischen Bedingungen hingegen die Bezugsobjektivität dieser Fähigkeiten auf die reale Welt. So

382 werden wir mit der Frage nach dem mentalen Zugang zur Welt konfrontiert. Dabei ist vor allem der realistische Standpunkt entscheidend. Allerdings geht es hier nur um eine semantische Variante des Realismus, wie sie etwa von Michael Dummett vertreten wird. Ein Realist ist daher jemand, der mit Blick auf eine Klasse von Aussagen behauptet, dass diese Aussagen eindeutig wahr oder falsch sind, und zwar unabhängig davon, ob wir dies feststellen können oder nicht. Ein Antirealist hingegen macht die Wahrheit oder Falschheit von Aussagen abhängig von unserer Fähigkeit, ihre Wahrheit oder Falschheit festzustellen. Der semantische Realismus wirkt sich auch auf den Begriff „Geltung von Wissen“ aus. Dann können wir also behaupten: Das Wissen, das sich auf eine Klasse von Aussagen bezieht, gilt eindeutig unabhängig davon, ob Geltungsansprüche erhoben werden oder nicht. Abschließend stellt sich aber dann die Frage, ob Geltung eine Eigenschaft von Wissen ist. Wenn wir den semantisch-realistischen Kontext vor Augen haben, können wir diese Frage durchaus positiv beantworten. Geltung gehört also zum Wissen: Wenn jemand etwas weiß, dann gilt sein Wissen, und zwar entweder nur subjektiv oder intersubjektiv. Darauf hin wäre allerdings eine weitere Frage zu klären, wie solches Wissen gerechtfertigt werden kann. 113

6. Wie gerechtfertigt ist unser Wissen? Zur epistemologischen Objektivität gehört auch die Klärung der Frage, wie unser Wissen bzw. das gewonnene Erkenntnisresultat gerechtfertigt ist. Dabei geht es uns aber weder um die methodische Auslegung noch um den Kontext der Rechtfertigung, was wir schon im Kapitel IV behandelt haben, sondern lediglich um deren Entstehungszusammenhang. Es wird sich zeigen, dass wir es mit verschiedenen Faktoren zu tun haben, die zum einen einer bestimmten Wissensquelle zugeordnet werden, zum anderen 114

Vgl. Dummett, M. (1963), 146. Dieser semantische Realismus wird deutlicher, wenn wir ihn im Kontext von zwei klassischen Auffassungen des Realismus betrachten: (1) Universalien-Realismus – behauptet, dass es nicht nur einzelne Dinge gibt, sondern auch sogenannte Universalien wie Röte usf.; (2) Unabhängigkeits-Realismus – besagt, dass die Wirklichkeit von unserem Denken unabhängig ist. Vgl. dazu auch 4 (Kap III) der vorliegenden Abhandlung.

113

114

383 als Basis für die jeweilige Art von Rechtfertigung gelten können. Dann zeigt sich auch die funktionelle Seite des Rechtfertigungsbegriffs. Zuvor wollen wir aber eine semantische Präzisierung des Rechtfertigungsbegriffs vollziehen. 6.1. Semantische Präzisierung des Rechtfertigungsbegriffs Die semantische Präzisierung des Rechtfertigungsbegriffs beabsichtigt zu erklären, warum wir von Rechtfertigung sprechen und nicht von Begründung. Damit sollte auch klar gemacht werden, warum Rechtfertigung und nicht Begründung als notwendige Komponente in der Struktur des Wissensbegriffs angesehen wird. Wir erinnern uns an die Wissensdefinition: Wissen ist eine wahre, gerechtfertigte und nicht zufällige Überzeugung (vgl. 4.4. [Kap. IV]). Wenn wir den Begriff der Rechtfertigung von dem der Begründung unterscheiden, dann sprechen wir von der „Rechtfertigung im engeren Sinn“ (RES). Wollen wir dagegen diese Unterscheidung nicht durchführen, so haben wir es nur mit der „Rechtfertigung im weiteren Sinn“ (RWS) zu tun. Die RWE besagt also, dass Rechtfertigung Begründung umfasst. Für den Wissensbegriff ist offenbar in erster Linie die RES entscheidend. Die semantische Erklärung der RES wird meist im Zusammenhang mit Gründen vollzogen. So lässt sich das Begriffspaar „Rechtfertigung/Begründung“ differenzierend betrachten, je nachdem welche Entitäten bzw. Kriterien hervorgehoben werden: (1) Im Hinblick auf Handlungen und Sachverhalte - wir sprechen von Rechtfertigung dann, wenn wir Gründe für Überzeugungen anführen, die Handlungen oder Handlungsnormen betreffen. Es sind also Gründe für etwas, was getan werden bzw. Gültigkeit für unser Verhalten haben soll. Dagegen sprechen wir von Begründung, wenn wir Gründe für Überzeugungen anführen, welche sich auf die Sachverhalte in der Welt beziehen; (2) Im Hinblick auf den Überlegungsprozess – wenn die Überzeugungen das Ergebnis eines Überlegungsprozesses sind, in dem andere Überzeugungen unterschiedlicher Evidenzkraft gegeneinander abgewogen werden, dann sprechen wir von Rechtfertigung. Wenn dagegen die Überzeugungen nicht das Ergebnis eines Überlegungsprozesses sind, sondern vielmehr spontan

384 entstanden sind, z.B. aufgrund von Sinneswahrnehmungen, dann liegt eine Begründung vor. Bei der semantischen Präzisierung des Rechtfertigungsbegriffs kommt also den Überzeugungen, die durch andere Überzeugungen oder Meinungen gestützt werden, eine besondere Rolle zu. Dabei ist es völlig irrelevant, welche Kriterien im Vordergrund stehen: Handlungen, Überlegungsprozess usf. So stellt sich die Frage: Lassen sich die Rechtfertigungen, die auf andere Meinungen angewiesen sind, externalistisch oder internalistisch verstehen? Externalistisch würden wir sie dann verstehen, wenn diese anderen Meinungen für die zu rechtfertigende Überzeugung Gründe sein könnten, und zwar unabhängig davon, ob ein Subjekt S, das diese Überzeugung hat, sich diese anderen Meinungen zu eigen macht. Diese externalistische Erklärung kann allein jedoch der rationalen Rechtfertigung nicht gewachsen sein. Dazu ist vielmehr auch noch eine internalistische Erklärung erforderlich. Sie besagt, dass das Subjekt S, das die zu rechtfertigende Überzeugung hat, sich die anderen Überzeugungen bzw. Meinungen als Gründe zu eigen macht, d.h. „diese anderen Überzeugungen befinden sich im Kopf des Subjekts S“. Die internalistische und externalistische Erklärung erlauben uns also, eine rationale Rechtfertigung zu formulieren. Eine solche Rechtfertigung liegt jedoch erst dann vor, wenn sie durch rationale Überzeugungen oder Meinungen zustande kommt. Wenn wir eine Überzeugung von einem Sachverhalt der Welt als „rational“ bezeichnen, dann nehmen wir eine epistemische Bewertung vor. Dementsprechend stellt sich die Frage: Welche Regeln der Rationalität müssen wir befolgen, damit die fragliche Überzeugung oder Meinung als rational bewertet werden kann? Nach Brühlisauer handelt es sich um folgende Regeln: (1) Aus der Gesamtheit der Meinungen, die uns zur Verfügung stehen, ermitteln wir im kritischen Verfahren diejenigen, die für die zu rechtfertigende Meinung relevant sind; (2) Dann ermitteln wir alle Meinungen, die relevant sind; und (3) Schließlich bringen wir die relevanten Meinungen nach ihrem Gewicht für die Sache der fraglichen Meinung in eine Rangfolge. Dies vollzieht sich mit dem Blick auf die Grundsätze, welche vor allem durch den Entwicklungsstand der Kultur vorgegeben sind. So haben in unserer Kultur 115

115

Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 58f.

385 die Meinungen, die durch Erfahrungen, welche jede Person nachvollziehen kann oder die durch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse gestützt werden, in einem epistemischen Bewertungsprozess einen höheren Rang als die Meinungen, die einem überholten Wissensstand angehören, einer religiösen Überzeugung oder einem persönlichen Wunschdenken Daher ist es notwendig, die Basis des entspringen. Rechtfertigungsbegriffs zu bestimmen, damit auch dessen Entstehungszusammenhang sichtbar wird. 116

6.2. Bestimmung der Basis des Rechtfertigungsbegriffs Das Rechtfertigungsverfahren erfordert eine Basis, die seine Entstehung fundiert. Wie es keine gleichen Rechtfertigungsprozesse gibt, so gibt es auch keine gleichartige Basis, die man einem jeden Rechtfertigungsvorgang zuschreiben könnte, selbst wenn die gleichen Komponenten in den verschiedenen Basistypen auftreten können: Erfahrung, Vernunft, Intuition, Gedächtnis, Autorität usf. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Proportion dieser Komponenten, welche eine jeweilige Basis im Rechtfertigungsprozess aufbauen, unterschiedlich sein kann. Im Folgenden wollen wir daher die Einsatzstärke der grundlegenden Komponenten untersuchen. Im Rechtfertigungsprozess gilt vor allem Erfahrung als eine der wichtigsten Komponenten. Wir rechtfertigen also unser Wissen, indem wir auf die Erfahrung Bezug nehmen; es ist der Weg der sogenannten Fundamentalisten. Der Begriff „Erfahrung“ ist aber vieldeutig. Aus epistemologischer Sicht kommt der Sinneserfahrung bzw. Sinneswahrnehmung eine besondere Bedeutung zu. Die Sinneswahrnehmung ist zudem ein wesentlicher Teil der Lebenserfahrung, die eine geschichtliche Dimension aufweist, weil sie mit der Zeit zunimmt, von jemandem erworben wird oder ihm zustößt. Unter der Sinneserfahrung, die in einem Augenblick entsteht und vergeht, verstehen wir vorwiegend diejenige Erfahrung, die in der Tradition die äußere 117

Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 61. Jedes zu rechtfertigende Wissen weist eine andere Basis auf, es ist anders im Falle von Wissen über den Sachverhalt A, B, C usw. 116 117

386 Wahrnehmung genannt wird. Durch die äußere Wahrnehmung erfahren wir mit der Hilfe von Sinnesorganen etwas über die Dinge in der Außenwelt. Was wir über diese Dinge erfahren, nehmen wir zum Teil nicht unmittelbar wahr, sondern erschließen dies vielmehr aus den Daten des uns in der Wahrnehmung Gegebenen, z.B. die Fortdauer der Existenz der Dinge während einer Unterbrechung unserer unmittelbaren Wahrnehmung, oder die Konstanz ihrer Größe während eines Zeitabschnitts, in dem sich unser Wahrnehmungsbild infolge unserer Annäherung an es oder Entfernung von ihm verändert. Inwiefern die äußere Wahrnehmung die Basis unserer Rechtfertigung ist, bleibt in der epistemologischen Debatte problematisch. So behaupten radikale Empiristen wie Quine, dass die Sinneswahrnehmung die alleinige Quelle von all unserem Wissen ist. Gemäßigte Empiristen sind dagegen der Ansicht, dass unser gesamtes Wissen über die aktuelle raumzeitliche Außenwelt auf Sinneswahrnehmung gestützt ist. Wissen über Bedeutungen und abstrakte Gegenstände kann dagegen durchaus auch apriorische Quellen haben. Bei schwachen Empiristen wird schließlich davon ausgegangen, dass jedes Wissen von Sinneswahrnehmungen abhängig ist, aber nicht allein von ihnen. Das bedeutet nichts anderes, als dass Wissen ein Produkt mehrerer Quellen sein kann. Das Gleiche gilt auch für den Einsatz der Sinneserfahrung im Rechtfertigungsprozess, so dass wir von einer radikalen, einer gemäßigten und einer schwachen Basis des Rechtfertigungsbegriffs sprechen können. Im diesem Kontext stellt sich noch die Frage: Was ist der unmittelbare Gegenstand der Sinneswahrnehmung? Es gibt generell zwei Standpunkte diesbezüglich, nämlich einen naiven (direkten) und einen kritischen (indirekten) Realismus. Während die naiven Realisten behaupten, dass Dinge genau so sind, wie wir sie mit Hilfe unserer Sinnesorgane wahrnehmen, plädieren die kritischen Realisten hingegen für die Annahme sogenannter Sinnesdaten. Demnach sind objektive Dinge und Tatsachen der Außenwelt nicht die unmittelbaren Gegenstände der Sinneserfahrung, sondern subjektive Ideen, Vorstellungen, Erscheinungen usf. Sinnesdaten werden durch objektive Dinge verursacht und stimmen mit diesen überein. Der indirekte Realist glaubt, dass wir aufgrund der besonderen 118

118

Vgl. Brühlisuaer, B. (2008), 62f.

387 Charakteristika subjektiver Sinnesdaten kausale Rückschlüsse auf die Beschaffenheiten der verursachenden Dinge in der Außenwelt ziehen können. Da Sinneserfahrung etwas Subjektives ist, kann sie auch einer Täuschung unterliegen. Ein klassisches Beispiel ist die optische Illusion des gebrochen aussehenden Stabes im Wasser. Zwecks Rechtfertigung wird manchmal die innere Wahrnehmung, genannt auch Introspektion, in Anspruch genommen. Allerdings kommt ihr – epistemologisch gesehen – eine viel kleinere Bedeutung als der äußeren Wahrnehmung zu. Unser Wissen wird danach durch die Wahrnehmung von Zuständen unserer Innenwelt gerechtfertigt. Zu dieser Welt gehören körperliche Empfindungen wie Lust und Schmerz, seelische Gestimmtheiten wie Freude und Angst, Träume, Vorstellungsbilder und Aufwallungen der Leidenschaft wie Liebe und Hass. Nach Brentano betrifft die innere Wahrnehmung psychische Phänomene und stellt die Quelle psychologischer Erfahrung dar. Zur Bestimmung der Basis des Rechtfertigungsbegriffs trägt auch die Vernunft als eine weitere Komponente bei. Die Vernunft ist hier ganz allgemein zu verstehen, so dass damit auch der Verstand als Denkvermögen gemeint ist. Wenn man die Basis des Rechtfertigungsprozesses aufgrund der sinnlichen Daten bestimmen will, dann müssen diese Daten als reine Stoffinhalte verarbeitet werden. Und das leistet die Vernunft. Das kann gänzlich durch die These Kants gestützt werden: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (vgl. KrV B 75). Vor Kant vergleicht schon Locke zu Beginn des 1. Kapitels des 2. Buches seines Werkes „An Essay Concerning Human Understanding“ die Vernunft mit einem „leeren unbeschriebenen Blatt“. Bei der Entstehung von Meinungen und deren Rechtfertigung ist also die Vernunft entscheidend. Sie bringt zuerst die Daten der Sinneswahrnehmung auf Begriffe und befähigt Erkenntnissubjekte, das Wahrgenommene zu ordnen. Um das wahrgenommene Auto als Audi A3 119

120

121

Vgl. dazu die Müller-Lyer-Illusion (vgl. 3 [Kap. 2]). Vgl. Grundmann, Th. (2008), 466f. Dazu vgl. auch Ingarden, R., OSW. In der epistemologischen Debatte gibt es offenbar auch andere Hypothesen über die Entstehung von Sinnesdaten: Hypothese des bösartigen Naturwissenschaftlers, Traumhypothese, Dämonhypothese, Solipsismus. Vgl. Brentano, F. (1924), 40f.

119 120

121

388 zu bezeichnen, müssen wir vorab den Begriff „Audi A3“ haben. Auf einer abstrakteren Ebene tritt die Vernunft als Phantasie und Einfallsvermögen auf. Damit in der ungeordneten Vielfalt der wahrgenommenen Phänomene eine Gesetzmäßigkeit erkannt wird, bedarf es zuerst des Einfalls einer entsprechenden Gesetzeshypothese. Das wird am folgenden Beispiel von Hempel sichtbar: „Wie zur Zeit Galileis bekannt war, kann eine Wasser-Saugpumpe, die das Wasser mit Hilfe eines im Pumpenrohr beweglichen Kolbens aus dem Brunnen zieht, das Wasser nicht höher als ca. 10,35 m über die Brunnenoberfläche bringen. Nach dem Tode Galileis, dessen Erklärung für dieses Phänomen Fehler enthielt, versuchte sein Schüller Torricelli eine neue Erklärung zu geben. Die richtige Hypothese lag da durchaus nicht auf der Hand, zumal damals bereits eine Erklärung herumgeisterte und das Denken beeinflusste, nämlich die Vorstellung, dass die Natur jedes Vakuum verabscheue und dass Wasser deshalb das Pumpenrohr hinaufsteige, weil es das durch das Hochziehen des Kolbens erzeugte Vakuum ausfüllen wolle. Torricelli stellte eine andere Hypothese auf: Er behauptete, dass die Erde von einem Luftmeer umgeben sei, das durch sein Gewicht einen Druck auf die Oberfläche ausübe, und dass dieser Druck auf die Oberfläche des Brunnens das Wasser im Pumpenrohr hinauftreibe, wenn der Kolben hochgezogen werde. Die maximale Höhe der Wassersäule im Rohr (10,35 m) spiegle einfach den Druck dieses Luftmeeres auf die Brunnenoberfläche wider“. 122

Dieses Beispiel verdeutlicht also anschaulich die Rolle der Vernunft beim Aufstellen von Hypothesen. Torricelli musste seinen Einfall, der sich der Vernunft verdankte, an der Erfahrung prüfen. Nach der erfolgreichen Prüfung konnte man dann erst sagen, dass der Einfall die Erfahrung auf eine Erkenntnis gebracht habe. Der in der Vernunft fundierte Einfall hat zum Teil einen intuitiven Charakter. Die Folge davon ist die These, dass auch die Intuition im Rechtfertigungsprozess bedeutsam ist, weil sie ein wesentliches Element der Basis des Rechtfertigungsbegriffs bildet. Intuition wird zumeist im Kontext diskursiven Erkennens betrachtet. Während diskursives Erkennen Sinneswahrnehmungen und aufeinander aufbauende Schlussfolgerungen in Anspruch nimmt, d.h. die Erfahrung und Vernunft, stellt intuitives Erkennen hingegen eine geistige Anschauung dar. Freilich ist es 122

Hempel, C.G. (1966), Kap. 1.

389 problematisch genau zu bestimmen, inwiefern die Intuition eine geistige Anschauung ist und in welchem Verhältnis sie zur Vernunft steht. Deshalb kann man sowohl von der Intuition in einem weiteren als auch in einem engeren Sinne sprechen. Als Intuition im weiteren Sinne könnte man schon die Gesetzeshypothese von Torricelli bezeichnen, in der die Wirkung des Vernunftfaktors sichtbar geworden ist. Intuition in diesem Sinne ist das Resultat des Abwägens von Argumenten bezüglich der Sachverhalte, welche zuvor durch die Erfahrung festgestellt worden sind. Intuition im engeren Sinne ist dagegen eine sich überraschend einstellende unvermittelte Einsicht sowie eine besondere ihr zugehörige Art sowohl von Erkenntnisquelle als auch von Rechtfertigungsinstanz. Sie offenbart sich in vielerlei Formen: Traum, Vision, innere Stimme, besonderes Gefühl usf. Es lässt sich problemlos erkennen, dass die Intuition im engeren Sinne weniger Rechtfertigungspotential als die Intuition im weiteren Sinne besitzt und deshalb durch das begleitende Engagement der Vernunft unerlässlich ergänzt werden muss. Eine weitere Komponente, die beim Entstehen von Wissen und folglich beim Aufbau der Basis des Rechtfertigungsbegriffs mitwirkt, ist das Gedächtnis als sekundäre Erkenntnisquelle; es speist sich aus der Erfahrung und Vernunft, die als primäre Erkenntnisquellen gelten. Der Gegenstand der Erinnerung ist von uns zuvor entweder über die Sinne wahrgenommen oder als Ergebnis eines Überlegungsprozesses gedacht. Würden wir nach jedem Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis eines Zusammenhangs alles, was die vorangegangen Schritte erbracht haben, vorweg vergessen, würde der Entstehung jeglicher Erkenntnis der Boden entzogen. Die Wahrnehmung von etwas ist zudem immer ein Wiedererkennen von etwas. Ohne die Erinnerung daran, was z.B. das Wort „Erdinger Weißbier“ bedeutet, würden wir eine Biersorte nicht als Erdinger Weißbier erkennen können. Wollen wir also die Rechtfertigungsstärke von Gedächtnis bestimmen, dann heißt es, das Gedächtnis könne uns durchaus täuschen, da wir uns an etwas auch falsch erinnern können. Schließlich ist die Autorität im Rechtfertigungsprozess zu beachten, weil sie hier auch eine erhebliche Rolle spielt. Das klassische Beispiel stellt etwa der Erwerb von Wissen während des Studiums an einer Universität dar. Studenten wird durch die Lehrenden entweder im Rahmen einer

390 Vorlesung oder eines Seminars bestimmtes Spezialwissen vermittelt. Diese Vermittlung beruht vorwiegend auf der Autorität der Lehrenden. So wissen die Studenten um bestimmte Sachverhalte deshalb, weil sie darüber von einer Lehrautorität in Kenntnis gesetzt worden sind. Darum können wir auch sagen, dass die Rechtfertigung des zu vermittelnden Wissens durch das Zeugnis anderer zustande kommt. Die Relevanz des Autoritäts-Faktors kann man leicht erkennen: Wenn z.B. jemand weiß, dass die Atmosphäre des Planeten Jupiter Methan und Ammoniak enthält, dass die Kontinente Afrika und Lateinamerika auseinander driften oder dass ein Diamant (reiner Kohlenstoff) 140-mal härter ist als Korund (Al2O3) und dass er deshalb so hart ist, weil er ein Atomkristall ist, so hat er diese Dinge in der Regel nicht selbst erkannt, sondern aus Lehrbüchern als ungeprüfte Sachverhalte übernommen. Festzuhalten ist kurzum: Wir wissen viele Dinge, von denen wir zugleich nicht sagen würden, dass wir sie auch „erkannt hätten“. Vielmehr wissen wir sie aufgrund einer Autorität. Diese Konstellation muss aber für die Forderung offen bleiben, dass die Grundlage unseres Wissens und somit unserer Rechtfertigung einerseits im intuitiven Erleben gestärkt, andererseits durch die sinnliche Wahrnehmung und rationale Abwägung nachgeprüft wird. So entsteht eine Rechtfertigungsbasis und nimmt dabei alle grundlegenden Elemente in Anspruch. Ihre erfolgreiche Wirkung ist aber funktionell zu bewerten. 123

6.3. Funktionelle Auffassung der Rechtfertigung Das epistemologische Rechtfertigungsverfahren zielt stets darauf ab, unser Wissen zu rechtfertigen. Wenn jemand also behauptet, zu wissen dass p, dann muss er sein Wissen dass p auch rechtfertigen können. Im vorangehenden Abschnitt haben wir gesehen, dass jede Rechtfertigung eine stabile Basis erfordert, bei deren Aufbau verschiedene Elemente mitwirken können: Erfahrung, Vernunft, Intuition, Gedächtnis, Autorität usf. Je nachdem, wie sich die Mitwirkung dieser Elemente im Rechtfertigungsprozess jeweils gestaltet, so werden auch konkrete epistemologische Leistungen erbracht, die deutlich machen, ob und 123

Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 66f.

391 inwiefern die Rechtfertigung ihre bestimmte Funktion jeweils erfüllen kann. All diese Rechtfertigungs-Leistungen lassen sich auf vier folgende zurückführen: RECHTFERTIGUNG (R) Persönliche R => Sachliche R => Konsistente R => Unanfechtbare R Die Art der Rechtfertigung, die in einem Rechtfertigungsverfahren wohl am häufigsten vorkommt, ist die persönliche Rechtfertigung. Man könnte auch sagen, sie sei stets der Ausgangspunkt im ganzen Rechtfertigungsverfahren. Damit ist also eine Rechtfertigung gemeint, welche ein Subjekt S aufgrund bestimmter Gründe hat, abgesehen davon, ob diese Rechtfertigung wahr oder falsch ist. Das lässt sich deutlich an den Gettier-Fällen verfolgen (vgl. 4.4. [Kap. IV]). Wir erinnern uns deshalb an den ersten Fall, wo sich Smith bei einer Firma X um eine Stelle bewirbt. Dabei wird ihm vom Sprecher der Firma mitgeteilt, dass sich deren Vorstand für seinen Konkurrenten Jones entschieden hat. Darüber hinaus hat Smith zufällig gesehen, wie Jones zehn Münzen in seine Hosentasche einsteckte. Nach einer Überlegung kommt Smith ganz schnell zur Überzeugung, dass Jones die Stelle bekommt und zehn Münzen in seiner Hosentasche hat. Abgesehen davon, wie dieser Fall endet und worauf Gettier damit hinweisen will, können wir problemlos einsehen, dass es sich bei Smith nur um eine persönliche Rechtfertigung handelt. Da Smith gute Gründe hat, so ist er gerechtfertigt darin zu glauben, dass derjenige, der die Stelle bekommen wird, zehn Münzen in der Tasche hat. Smith verhält sich also nicht irrational, wenn er zu dieser Überzeugung kommt. Er verhält sich vielmehr epistemisch verantwortlich und ist darum auch persönlich gerechtfertigt. Bei genauerem Hinsehen können wir aber feststellen, dass eine persönliche Rechtfertigung etwas anderes ist als eine sachliche. Die letztere Rechtfertigung, welche zur aktuell bestehenden Sachlage adäquat ist und als Hauptrechtfertigung im Rechtfertigungsprozess angesehen werden kann, fehlt einfach Smith. Denn die Sachlage sieht ganz anders aus als Smith sie sich vorstellt: Selbst wenn Jones zehn Münzen in seiner Tasche hat, bekommt er die Stelle doch nicht. Mit anderen Worten: Dass Jones,

392 der zehn Münzen in der Tasche hat, die Stelle bekommen wird, kann nicht dafür sprechen, dass derjenige, der die Stelle bekommen wird, zehn Münzen in der Tasche hat, denn Jones wird die Stelle nicht bekommen. In dem Kontext hat Smith keine guten Gründe für seine Überzeugung, und insofern hat er auch keine wahre, gerechtfertige Überzeugung. Wenn jemand eine sachliche Überzeugung hat, dann bedeutet dies, dass seine persönliche Überzeugung mit der Tatsache „dass p“ übereinstimmt. Wenn ein in München lebendes Subjekt S davon überzeugt ist, dass es heute in Berlin regnet, dann ist seine Überzeugung sachlich gerechtfertigt, wenn es heute in Berlin tatsächlich regnet. Es fällt schon auf, dass die sachliche Überzeugung eine Art Konsistenz erfordert. Konsistenz setzt aber zumindest zwei Elemente A und B voraus, d.h. A ist mit B konsistent. Der Terminus „konsistent“ kann also auch wertvolle epistemologische Dienste erweisen, so dass wir von einer konsistenten Rechtfertigung sprechen können. Dabei müssen wir allerdings einige grundlegende Unterscheidungen im Hinblick auf den Konsistenzbegriff beachten, die uns ermöglichen, den Kontext der Rechtfertigung genauer zu beschreiben. Also: 1) Theoretische Konsistenz (K) – kann auftreten, als (a) logische K – wenn jemand glaubt A und glaubt, dass B aus A folgt, dann darf er nicht non-B glauben; (b) mathematische K - ein Subjekt S glaubt, dass 300 + 400 = 700 ist; (c) begriffliche K – wenn jemand glaubt, dass Hans ein Junggeselle ist, der das Glück hat, eine nette Ehefrau zu haben, so glaubt er etwas, was begrifflich bzw. semantisch inkonsistent ist; und (d) probabilistische K – stellt eine Unterart mathematischer Konsistenz dar und bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Da wir dieser Problematik im nächsten Abschnitt ausführlicher nachgehen werden, sei hier lediglich auf das sogenannte „Dutch Book-Argument“ hingewiesen. Dieses Argument besagt kurzum, dass eine Person X mit ihren Überzeugungen eine Wette akzeptieren würde, bei der sie unabhängig vom tatsächlichen Ausgang Geld verlieren würde; (2) Praktische K – betrifft die Handlungen von Subjekten. Wenn z.B. jemand als Professor an einer Universität künftig arbeiten will, ist aber im Schulalter faul, sodass er kein Abitur erwirbt, dann fehlt in seinem Verhalten einfach praktische Konsistenz. 124

124

Vgl. Ernst, G. (2007), 72f.

393 Je mehr Konsistenz eine Rechtfertigung daher aufweist, desto unanfechtbarer ist sie. Dabei handelt es sich um alle oben genannten Konsistenzarten, die gemeinsam ein konsistentes Überzeugungssystem bilden. Die unanfechtbare Rechtfertigung geht also über die persönliche Rechtfertigung hinaus, baut dann auf der sachlichen Rechtfertigung auf und wird schließlich durch die konsistente Rechtfertigung gestützt. Der Einsatz der letzteren entscheidet über den Grad der Unanfechtbarkeit, bringt die Relevanz der Rationalität zum Vorschein und ist auf deren epistemologische Effizienz angewiesen. Dessen ungeachtet müssen wir jedoch gleichzeitig zugeben, dass Menschen unter Bedingungen entscheiden, die epistemologisch nie ideal sind und deshalb die Konsistenz nur eingeschränkt ermöglichen. Die Folge davon ist, dass man auch das Problem der Irrationalität in der epistemologischen Debatte zu beachten hat, wie dies etwa John L. Pollock mit Recht bemerkt. Die Rationalität offenbart sich nach ihm schon im Kontext simpler Fragen „Was soll ich glauben?“ und „Was soll ich tun?“ Da diese Fragen auch angesichts epistemischer Eingeschränktheit der Menschen zu beantworten sind, kommt es oft zu irrationalen Antworten. In den meisten Fällen weist jedoch die epistemische Irrationalität menschlicher Subjekte einen rätselhaften Charakter auf. Denn sie entspringt nach Pollock der praktischen Irrationalität, die aber wiederum auf der Grundlage der reflexiven Kognitivität erscheint. In dem Kontext scheint also die Frage sinnvoll zu sein, ob es wahrscheinliches Wissen gibt? 125

7. Gibt es wahrscheinliches Wissen? Wir stellen diese Frage, um die Objektivität von Wissen genauer zu bestimmen, allerdings – wie dies schon in der Einleitung zu diesem Kapitel gesagt wurde – im negativen Sinn. Wenn wir heute mit Wissen epistemologisch umgehen, dann wollen wir einen solchen Wissensbegriff haben, der die Prädikate „wahr“, „gewiss“, „gültig“ und „gerechtfertigt“ beinhaltet. Deshalb zielte unsere bisherige Analyse in diesem Kapitel darauf ab, durch die Klärung dieser Prädikate die Objektivität von Wissen zu erhellen. Dessen ungeachtet wäre es auch logisch denkbar, den 125

Vgl. Pollock, J.L. (2008), 249f.

394 Wissensbegriff im Hinblick auf zwei weitere Prädikate „wahrscheinlich“ und „vermutlich“ zu prüfen. Dieses Wagnis lässt sich ferner durch die Relevanz der Problematik des Skeptizismus in der Erkenntnistheorie rechtfertigen. Mit diesem Schritt wollen wir dafür argumentieren, dass wahrscheinliches und vermutliches Wissen, falls es so etwas überhaupt geben sollte, epistemologisch auszuschließen sind. Darin besteht also die genauere Bestimmung der Objektivität von Wissen im negativen Sinn. Im folgenden Abschnitt interessiert uns lediglich wahrscheinliches Wissen. Dass unsere Frage nach dem wahrscheinlichen Wissen gerechtfertigt ist, bezeugt unsere Alltagssprache. Wir sagen oft „John hat es wahrscheinlich gewusst“, „Lisa weiß wahrscheinlich, dass Mark sie für eine andere Frau verlassen hat“ usf. Bevor wir das Prädikat „wahrscheinlich“ epistemologisch bewerten, wollen wir es mathematisch erschließen, indem die Wahrscheinlichkeits- und Statistik-Lehre bündig ins Spiel gebracht wird. Dabei dürfte schon problemlos einleuchten, dass statistische Gesetze, die neben streng universellen Gesetzen in unserer Welt gelten, auf Wahrscheinlichkeit beruhen. Während also die streng universellen Gesetze behaupten: „Jedes A ist ein B“, besagen die statistischen Gesetze hingegen: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein A auch ein B ist, beträgt X“. Daraus ergibt sich für unseren Wissensbegriff, dass wahrscheinliches Wissen das Resultat statistischer Gesetze ist. Es gibt viele praktische Bereiche, in denen der Wahrscheinlichkeitsfaktor bei der Erklärung von Phänomenen entscheidend ist, z.B. im Medizinbereich. So lässt sich etwa bei der Anwendung einer bestimmten Arznei keinesfalls mit dem Blick auf die streng universellen Gesetze sagen, dass diese Arznei absolut, d.h. immer eine bestimmte gewünschte Wirkung haben wird. Auch wenn alle auf dem Markt gängigen Arzneimittel eine sorgfältige Testphase hinter sich haben, könnte man bezüglich ihrer Wirkung nur etwas behaupten, was auf Wahrscheinlichkeit beruht. Darüber hinaus werden die Ergebnisse von den nahezu genauen DNA–Analysen nur mit Wahrscheinlichkeit formuliert, d.h. in der Form: „In 99,9 % ist ein A ein B, z.B. Hans ist der Vater von Maria“. Eine Behauptung, deren Proposition weniger als 100 % beträgt, lässt also stets die Wahrscheinlichkeit und folglich menschliche

395 Fehlbarkeit zu. In dem Kontext sei noch darauf hingewiesen, dass Wahrscheinlichkeit immer mit Erwartung verknüpft ist, die sich zum Teil auch graduell bestimmen lässt. Dies wird nicht zuletzt durch die Leistungen der Mathematik erheblich gestützt. Die Leistungen der Mathematik könnte man diesbezüglich mit dem Begriff „Wahrscheinlichkeitstheorie“ (WT) oder „Wahrscheinlichkeitsrechnung“ zum Ausdruck bringen. Die WT ist also ein Teil der Mathematik und bildet gemeinsam mit der mathematischen Statistik das mathematische Teilgebiet der Stochastik, die von der Beschreibung zufälliger Ereignisse und ihrer Modellierung handelt. Die Ereignisse der WT sind exakt und vom jeweiligen Verständnis des Wahrscheinlichkeitsbegriffs unabhängig. Versuchen wir jetzt den strukturellen Aufbau der WT zu beschreiben: Dabei geht man konzeptionell von einem Zufallsvorgang oder Zufallsexperiment aus. Alle möglichen Ergebnisse dieses Zufallsvorgangs werden in der Ergebnismenge Ω zusammengefasst. Ein Ergebnis ist also ein Element der Ergebnismenge. Wenn ein bestimmtes Ergebnis eintritt, spricht man von einem Ereignis. Das Ereignis ist als Teilmenge von der Ergebnismenge Ω definiert. Umfasst das Ereignis genau ein Element der Ergebnismenge, so handelt es sich um ein Elementarereignis. Zusammengesetzte Ereignisse enthalten dagegen mehrere Ergebnisse. Um den Ereignissen Wahrscheinlichkeiten zuordnen zu können, muss man sie in einem Mengensystem aufführen, das auch Ereignisraum Σ genannt wird. Der Ereignisraum ist daher eine Menge von Teilmengen von der Ergebnismenge Ω. Die Wahrscheinlichkeiten sind dann Bilder einer gewissen Abbildung P des Ereignisraums in das Intervall [0,1]. Eine solche Abbildung wird Wahrscheinlichkeitsmaß genannt und definiert als ein Maß P : Σ→ [0,1] im Sinne der Maßtheorie P(Ω) = 1. Schließlich wird das Tripel (Ω,Σ,P) als Wahrscheinlichkeitsraum bezeichnet. Wollen wir jetzt 126

Der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ hat bekanntlich zwei verschiedene Bedeutungen: (1) Wahrscheinlichkeit des Ereignisses – lässt sich generell mit Hilfe der Zahlen erfassen; dann kann man sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis auftritt, z.B. 50 % beträgt; und (2) Wahrscheinlichkeit der Hypothese – lässt sich mit Hilfe der Zahlen nicht erfassen; es wäre sinnlos zu sagen, dass etwa die Theorie von Einstein die Wahrscheinlichkeit von 70 % habe (vgl. Bochenski, J.M. [1993], 125). Es fällt auf, dass für unsere Zwecke in erster Linie die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses bedeutsam ist.

126

396 den strukturellen Aufbau der WT mit einem Schema zusammenfassen, dann haben wir: Der strukturelle Aufbau der Wahrscheinlichkeitstheorie (WT) Begrifflich fundierte Elemente

Begrifflich fundierende Elemente

(1) Wahrscheinlichkeitsmaß

(1) Zufallsvorgang

(2) Wahrscheinlichkeitsraum

(2) Ergebnis / Ergebnismenge Ω (3) Ereignis / Ereignisraum Σ (4) Abbildung P

Für die Begründung der WT sind vor allem die sogenannten KolmogorowAxiome und Laplace-Experimente entscheidend. Die Kolmogorow-Axiome werden bei der Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsmaßes verwendet. Dieses Maß muss demnach drei folgende Kolmogorow-Axiome erfüllen: * Axiom 1: Für jedes Ereignis A aus ∑ ist die Wahrscheinlichkeit eine reelle Zahl zwischen 0 und 1: 0 ≤ P(A) ≤ 1; * Axiom 2: Das sichere Ereignis hat die Wahrscheinlichkeit 1: P(Ω) = 1. * Axiom 3: Die Wahrscheinlichkeit einer Vereinigung abzählbar vieler inkompatibler Ereignisse entspricht der Summe der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Ereignisse. Inkompatible Ereignisse sind paarweise disjunkte Mengen A1, A2,.....; es muss also gelten: P (A1 U A2 U.....) = Σ P (Ai). Diese Eigenschaft wird auch σ-Additivität genannt. Wenn wir diese drei Axiome jetzt auf ein Beispiel anwenden, z.B. auf das Werfen einer Münze, wobei die Ergebnisse des Werfens „Zahl“ und „Adler“ sind, dann haben wir Folgendes: Die Ergebnismenge Ω = {Zahl, Adler}; als Ereignisraum kann die Potenzmenge II (Ω) gewählt werden, also Σ = {Ǿ, { }, { }, Ω}; und für das Wahrscheinlichkeitsmaß P steht aufgrund der Axiome fest: (1) P (Ø) = 0; (2) P( {Zahl}) = 1 – P({Adler}); und (3) P(Ω) = 1. Wenn man dagegen annimmt, dass nur endlich viele Elementarereignisse möglich und alle gleichberechtigt sind, d.h. mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auftreten, wie z.B. beim Werfen einer idealen Münze,

397 wo Zahl und Adler jeweils die Wahrscheinlichkeit 0,5 besitzen, dann spricht man von einem Laplace-Experiment. Dieses Experiment zeigt, dass sich die Wahrscheinlichkeiten berechnen lassen: Wir nehmen also eine endliche Ergebnismenge Ω an, welche die Mächtigkeit ‫׀‬Ω‫ = ׀‬n besitzt, d.h. sie hat n Elemente. Dann ist die Wahrscheinlichkeit jedes Elementarereignisses einfach P = 1/n. Für die Ereignisse, die sich aber aus mehreren Elementarereignissen zusammensetzen, gilt die entsprechend vielfache Wahrscheinlichkeit: Wenn A ein Ereignis der Mächtigkeit ‫׀‬A‫= ׀‬ m ist, so ist A die Vereinigung von m Elementarereignissen. Jedes davon hat die Wahrscheinlichkeit P = 1/n, also ist P(A) = m · 1/n = m/n. Im Endeffekt erhält man den folgenden einfachen Zusammenhang: P(A) = ‫׀‬A ‫ ׀‬/ ‫׀‬Ω‫׀‬. Beim Laplace-Experiment ist also die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses gleich der Zahl der für dieses Ereignis günstigen Ergebnisse, dividiert durch die Zahl der insgesamt möglichen Ergebnisse. Sowohl die Kolmogorow-Axiome als auch die Laplance-Experimente zielen nun darauf ab, das Prinzip der Wahrscheinlichkeit zu erhellen und erweisen sich deshalb bei der Begründung der Wahrscheinlichkeitstheorie als behilflich. Beide Verfahren haben den Charakter einer probabilistischen Hypothese und beruhen überwiegend auf Beobachtungssätzen wie z.B. „Beim Werfen der Münze kann ich Zahl oder Adler haben“. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einzelne Beobachtungssätze, sondern um Sätze, welche aufgrund der Statistik gewonnen werden. Statistik ist daher nichts anderes als die Auffassung einzelner Ereignisse mit Hilfe von Zahlen, wobei in diesen Ereignissen (zumindest) zwei Arten von Phänomenen gleichzeitig oder in einer zeitlichen Folge gemeinsam auftreten. Der statistische Satz nimmt deshalb folgende Form ein: „Aus den Ereignissen m, die den Phänomenen der Klasse A zuzuordnen sind, gehören die Ereignisse n zugleich zu der Klasse B“. Konkretes Beispiel: „Auf 3567 127

Vgl. Ausdruck „Wahrscheinlichkeitstheorie“, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrscheinlichkeitstheorie (Zugriff am 10.08.2011), S. 1f. 127

398 Einwohner von München fallen 78 Ausländer“. Bereits dieses einfache Beispiel weist auf die Relevanz mathematischer Verfahren hin. Jedes mathematische Verfahren lässt sich aber immer epistemologisch bewerten. Es gibt diesbezüglich generell zwei Möglichkeiten. Zum einen haben die mathematischen Resultate einen sehr hohen epistemologischen Wert, weil die Mathematik für eine Wissenschaft gehalten wird, die mit exakten Methoden arbeitet: Man denke hier an komplizierte rechnerische Operationen, die mit Hilfe von moderner Technik durchgeführt werden. Zum anderen lässt sich der epistemologischen Täuschung weder vorbeugen noch sie ausschließen, da wir es stets auch mit dem menschlichen Faktor zu tun haben, der von seiner Natur aus eine gewisse Fehlbarkeit zulässt. Dies betonte schon Descartes. Die Folge davon ist, dass wir gewissermaßen „epistemologisch gezwungen“ sind, die Rede über wahrscheinliches Wissen zu akzeptieren. Sonst bliebe in unserem epistemischen Bewertungssystem eine nicht erklärbare Lücke. Eine einzige Alternative wäre vielleicht das epistemologische Schweigen, worauf schon Wittgenstein hingewiesen hat. 128

8. Wie viel Wissen hat eine Vermutung? Das Problem des Quietismus Die Akzeptanz wahrscheinlichen Wissens lässt sich in der epistemischen Debatte deshalb nicht vermeiden, weil die epistemologische Leistung menschlicher Subjekte keinen Anspruch auf Absolutheit erheben kann. Das bedeutet, dass unser Wissen stets fragmentarisch und darum ergänzungsbedürftig ist. So lautet kurzum das Ergebnis des vorangehenden Abschnitts. Wenn es also wahrscheinliches Wissen tatsächlich gibt, dann ist die Frage durchaus gerechtfertigt, wie viel Wissen eine Vermutung hat. Denn unser alltägliches Vokabular kennt zweifellos propositionale Ausdrücke wie „Ich vermute, dass John so und so handeln wird“, „Ich vermute, dass ich es schaffen werde“ usf. Wollen wir diesen propositionalen Gehalt mit Hilfe des Wahrscheinlichkeitsbegriffs ausdrücken, dann können wir sagen: „John wird wahrscheinlich so und so handeln“, „Ich werde es wahrscheinlich schaffen“. Der Unterschied zwischen den Begriffen „Vermutung“ und „Wahrscheinlichkeit“ weist hier 128

Vgl. Bochenski, J.M. (1983), 125f.

399 einen funktionellen Charakter auf: Während die Vermutung meist in der Struktur der propositionalen Einstellung auftritt, kommt der Wahrscheinlichkeit dagegen diese Möglichkeit nicht zu. Auf dieser alltäglichen Sprachgrundlage ist eine wissenschaftstheoretische Disziplin entstanden, nämlich die Stochastik. Als „Kunst des Vermutens“ stellt die Stochastik ein Teilgebiet der Mathematik dar und fasst als Oberbegriff die Gebiete der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik zusammen. Mit Hilfe der Stochastik kann man etwa die Wahrscheinlichkeit für Lottogewinne berechnen oder die Größe des Fehlers bei Meinungsumfragen bestimmen. Das Prädikat „Kunst des Vermutens“ spiegelt also einen gewissen Grad des Könnens wider. Das bedeutet einerseits, dass es sich um eine Art Vermutung handelt, die sich dem geistigen Vermögen des Subjekts verdankt und dessen epistemologische Leistung verstärkt. Diese spezifische, höherstufige Vermutung unterscheidet sich also von einer simplen, alltagssprachlichen Vermutung. Andererseits befindet sich der epistemologische Beitrag der höherstufigen Vermutung keinesfalls im Bereich der Gewissheit. Der Grund dafür ist, dass auch diese Vermutung stets angezweifelt werden kann. Deshalb können wir durchaus behaupten, dass die „Kunst des Vermutens“ die „Kunst des Wissens“ lediglich verstärke. Aus philosophischer Sicht ergibt sich daraus, dass „Kunst des Vermutens“ im Gewand des Quietismus auftreten kann. Einen wichtigen Beitrag zum Erhellen des Problems des Quietismus lieferte Ludwig Wittgenstein. In seinem „Tractatus“ schreibt er Folgendes: 129

„Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische. Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat -, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige. Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen Vgl. Ausdruck „Stochastik“, http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrscheinlichkeitslehre (Zugriff am 10.08.2011).

129

in:

400 ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist). Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. 130

Das Erfordernis des Quietismus wird mit dem letzten Satz des obigen Zitats hervorgehoben: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Nach Wittgenstein gibt es also Dinge in der Welt, die dem Mystischen zuzuordnen sind und über die man nicht sprechen kann. Dann bleibt das Schweigen als einzige sinnvolle Alternative. Diese regelhafte Behauptung scheint zweifellos bei der Analyse des Wissensproblems von entscheidender Bedeutung zu sein. Denn wir können kein absolutes Wissen haben, sondern lediglich ein lückenhaftes. Und dieses Wissen kann uns keine epistemologische Zufriedenstellung garantieren. Dies ist aber der Grund dafür, dass man über diejenigen Sachverhalte schweigen muss, welche im Endeffekt nicht genügend erschlossen sind bzw. erschlossen werden können. So kann man nach Wittgenstein die epistemisch-quietistische Methode der Philosophie bündig definieren. Der Quietismus ist also der Ansicht, dass eine bedeutsame metaphysische Debatte unmöglich ist. In einer Version besagt er etwa, dass realistische und antirealistische Tendenzen den wirren Wunsch verfolgen, gleichsam aus der eigenen Haut herauszukommen. Das führt dazu, dass man zu keinem konstruktiven epistemischen Resultat kommt. Entscheidend sind dabei die geltenden Regeln, die von kognitiven Subjekten sublimiert werden müssen. Diese Sublimierung der Regeln stellt uns jedoch vor zwei hoffnungslose Aufgaben, die man mit dem klassischen Modell „SkyllaCharybdis“ erläutern könnte: Einerseits müssen wir also zumindest 131

Wittgenstein, L., TLP 6.53f. Bei Skylla und Charybdis handelt es sich bekanntlich um die Ungeheuer aus der Odyssee Homers. Das Ungeheuer Skylla haust auf dem größeren der beiden sich gegenüberstehenden Felsen der Meerenge und Chabrydis unterhalb des kleineren Felsens, auf dem ein großer Feigenbaum steht. Sie saugt dreimal am Tag das Meereswasser ein, um es danach brüllend wieder auszustoßen. Schiffe, die in den Sog geraten, sind verloren. Auf den Rat von Kirke meidet Odysseus zwar die Charybdis, gerät aber dabei zu nahe an Skylla heran, die daraufhin sechs seiner Gefährten aus dem Schiff holt. Die Redewendung „Zwischen Skylla und Charybdis“ steht für eine 130 131

401 irgendeine Art von Begründung liefern für das, was vollkommen unabhängig von menschlichen Fähigkeiten die reale Richtung festlegt, der eine Regel folgt. Andererseits müssten wir etwas Nützliches darüber sagen, wie und warum wir in kognitiver Verbindung mit dieser „wirklichen Richtung“ sein sollen. Wenn wir von dieser platonistischen Skylla zurückweichen, dann wird unser epistemisches Schiff vielleicht von der entsprechenden Charybdis verschlungen, d.h. dem regelskeptischen Gedanken, dass es in Wirklichkeit keine irgendwie objektiv gearteten Erfordernisse gibt, die durch Regeln erzeugt werden. Es gibt dagegen bloß natürliche uneingeschränkte Fähigkeiten, die uns erlauben zu erkennen, dass es nirgendwo in unserer Praxis allgemeine Objektivität gibt. Eine Zwischenposition, die vielleicht zufrieden stellen könnte, ergibt sich aufgrund folgender Reflexion: Das Einzige, was mit der Skylla nicht in Ordnung ist, ist die Vorstellung, dass eine wirklich objektive einschränkende Bedingung der Art sein muss, dass ihre Anforderungen aus einer „externen Perspektive“ beurteilbar sein müssen, d.h. einer Perspektive, die von menschlichen Reaktionsneigungen getrennt ist und folglich zu beobachten erlaubt, in welchem Maß diese uns auf der Spur halten, welche durch die wirklichen Erfordernisse der einschränkenden Bedingung festgelegt wird. Wir müssen also die harte Lektion lernen, dass wirkliche Objektivität das gerade nicht sein kann. Denn zum Wesen einer Regel gehört es vielmehr, dass sie nur innerhalb der Praxis existieren kann, die eben dadurch aufrechterhalten wird, dass die daran beteiligten Subjekte sich über das einig sind, was Wittgenstein als „Lebensform“ bezeichnet, also über Orientierungen der Interesse und Gefühle, Sinn für Humor, Bedeutsamkeit und Erfüllung usf. Fassen wir diesen Gedankengang mit einem Schema zusammen: 132

Situation, in der man sich zwischen zwei Gefahren befindet. Weicht man der einen Gefahr aus, begibt man sich in die andere. Es gilt also, den richtigen Weg zwischen zwei Verhängnissen hindurch zu finden (vgl. Homer, Odyssee, 12, 101f, 235f; auch http://de.wikipedia.org/wiki/Charybdis [Zugriff am 16.09.2011]). Vgl. Wright, C. (2001), 259f. 132

402 Skylla

Zwischenposition

↓ (Die Begründung der realen Richtung und kognitiven Verbindung mit der Wirklichkeit)

↓ (Das Ausschließen einer externen Perspektive, die von menschlichen Reaktionsneigungen getrennt ist)

Charybdis ↓ (Die These: In der Wirklichkeit gibt es keine objektiven Erfordernisse)

Nach Crispin Wright ergeben sich die quietistischen Tendenzen aus der schlecht durchdachten Vorstellung, dass unsere Reflexion irgendwie einen olympischen Standpunkt erreichen könnte, von dem aus der Anspruch der Objektivität einer sprachlichen Praxis, bzw. eines „Sprachspiels“ kritisch geprüft werden kann. Einen solchen Standpunkt gibt es jedoch nicht. Selbst wenn eine reflexive Beschreibung von Sprachspielen im Einzelnen möglich ist, muss sie jedoch der Erkenntnis untergeordnet bleiben, dass jedes davon sich selbst reguliert und nur den Maßstäben verantwortlich ist, die ihm immanent sind. Ein allgemeines Maßsystem, an dem sie gemessen bzw. mit dem sie verglichen werden können, ist weder erwünscht noch vorhanden. Trotzdem kann sich der Quietismus in der epistemischen Debatte grundsätzlich positiv auswirken. Er kann nämlich darauf hinweisen, dass objektive Erkenntnis nur ein unerreichbares Ideal ist. Selbst wenn Erkenntnis als solche möglich ist, kann sie den Status der Gewissheit niemals erlangen. Bei menschlichen Erkenntnissubjekten bleibt das immer nur ein Wunschtraum. Ist das aber alles, was wir als Resultat unseres Umgangs mit Wissen bezeichnen können? 133

9. Kritischer Ausblick Die menschlichen Erkenntnissubjekte akzentuieren allzu gern in fast allen Lebensbereichen die Relevanz universaler Gesetze. Wenn wir an die universalen Gesetze denken, so haben wir vor allem klassische Naturgesetze wie etwa das Gravitationsgesetz vor Augen. Die philosophische Reflexion darf sich indes damit keinesfalls zufrieden geben, obwohl dabei auch die Geltung der Naturgesetze nicht in Frage 133

Vgl. Wright, C. (2001), 255.

403 gestellt wird. Mit Blick auf Wittgenstein können wir also demnach behaupten, im Verlaufe des Gebrauchs der Sprache, sei es schriftlich oder mündlich, werden manche syntaktische Gewohnheiten gebildet, die letzten Endes auch semantische Auswirkungen notwendig nach sich ziehen. Derartige Gewohnheiten, deren Erkennungsmerkmale im Gewand der Begriffe wie Wahrheit, Gewissheit, Rechtfertigung, Objektivität usf. erscheinen, konnten wir eben in diesem Kapitel unter die Lupe nehmen. Eine solche begriffliche Strukturierung des Kapitels war allerdings nicht zufällig, sondern spiegelte vielmehr eine der klassischen philosophischen Einstellungen wider. Zur Verdeutlichung greifen wir nun Hegel paradigmatisch auf. In seiner Schrift „Phänomenologie des Geistes“ behandelt Hegel in zwei aufeinanderfolgenden Kapiteln „Die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst“ (=Kap. IV) und „Gewissheit und Wahrheit der Vernunft“ (=Kap. V). Es fällt gleich auf, dass Wahrheit und Gewissheit von Hegel zusammengedacht werden. Aufgrund dieses Denkprozesses wird zudem das Element der Vernunft automatisch ins Spiel gebracht. So lesen wir: 134

„In den bisherigen Weisen der Gewissheit ist dem Bewusstsein das Wahre etwas anderes als es selbst. Der Begriff dieses Wahren verschwindet aber in der Erfahrung von ihm; wie der Gegenstand unmittelbar an sich war, das Seiende der sinnlichen Gewissheit, das konkrete Ding der Wahrnehmung [...], so erweist er sich vielmehr nicht in Wahrheit zu sein, sondern dies Ansich ergibt sich als eine Weise, wie er nur für ein anderes ist; der Begriff von ihm hebt sich an dem wirklichen Gegenstande auf [...], und die Gewissheit ging in der Wahrheit verloren. Nunmehr aber ist dies entstanden, was in diesen frühen Verhältnissen nicht zustande kam, nämlich eine Gewissheit, welche ihrer Wahrheit gleich ist, denn die Gewissheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Bewusstsein ist sich selbst das Wahre“ (PhG 103).

Aus diesem Zitat ergibt sich, dass wir die Relation zwischen Gewissheit und Wahrheit in doppelter Hinsicht betrachten können. Zum einen ist also denkbar, dass Gewissheit, die mit dem konkreten Ding der Wahrnehmung verknüpft ist, in der Wahrheit verloren geht. Diese Behauptung von Hegel setzt eine klare Differenzierung zwischen Gewissheit und Wahrheit voraus, Das lässt sich vor allem dann nachvollziehen, wenn man die absolutistischidealistische Ausrichtung der Philosophie Hegels beachtet.

134

404 wobei die letztere Entität grundlegender ist. Ich kann also eine wahre Überzeugung haben, ohne gewiss zu sein, dass sie wahr ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der skeptische Gedanke bei den Erkenntnissubjekten stark ausgeprägt ist. So können wir auch sagen, dass Gewissheit der Wahrheit untergeordnet ist. Zum anderen kann eine Konstellation entstehen, wo Gewissheit und Wahrheit gleich gestellt werden, und zwar in dem Sinne, dass wir es nur mit einer einzigen Entität zu tun haben. So können wir sagen, Gewissheit habe sich von der Wahrheit „intrinsisch befreit“, d.h. sich in der Wahrheit aufgehoben. Diese Tatsache wird durch die Fälle bezeugt, in denen Erkenntnissubjekte von der Wahrheit von Propositionen einfach ausgehen, ohne sich dabei zu fragen, welchen Gewissheitsgrad diese Propositionen überhaupt aufweisen. Wenn man die gegenwärtigen epistemischen Debatten verfolgt, dann kann man durchaus feststellen, dass diese Doppellösung Hegels leider eindeutig zu kurz kommt. Denn man versucht bloß um jeden Preis die beiden Entitäten, d.h. Gewissheit und Wahrheit, auseinanderzuhalten und verfügt dabei über keine zuverlässige Methode. Diese Tendenz könnte man vielleicht als Resultat einer „altmodischen Denkpolitik“ bezeichnen, die unermüdlich darauf abzielt, die epistemologische Existenz der Objektivität mit allen Mitteln zu retten. Und diese Existenz soll insbesondere durch eine klare Differenzierung zwischen Gewissheit und Wahrheit gerettet werden. Die Frage ist, ob dies aber im 21. Jahrhundert, mithin im Zeitalter des Internets und der virtuellen Welt, auf allen epistemischen Bereichen nach wie vor gelingen kann. Einige praktische Erfahrungen mit dem Internet scheinen dagegen zu sprechen. Man denke etwa an die verschiedenen Sozialportale, die heutzutage zur Verfügung stehen: Facebook, Badoo, Zoosk, Lablue, Zone der Aktiven usf. Solche Portale ermöglichen zweifellos eine wertvolle Kommunikation zwischen völlig unbekannten Menschen. Die Teilnehmer an diesem Kommunikationsprozess können sich gegenseitig bereichern und motivieren, einander ermutigen und Freude machen, gemeinsame Interessen entdecken und alltägliche Probleme sowie deren Lösungen austauschen usf. Selbst wenn wir dieser 135

Natürlich werden bei der Registrierung einige Daten abgefragt, diese kann man aber problemlos manipulieren.

135

405 Perspektive der Kommunikation das Element der Wahrheit durchaus zuschreiben können, weil ich nicht leugnen kann, dass ich mit einem bestimmten X virtuell kommuniziere, wäre es hier wohl problematisch, gleichzeitig über Gewissheit zu reden – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem es zur realen Begegnung zwischen den Kommunikationspartnern kommt. Denn die bloße Tatsache, dass ich mit einem X wahrhaftig kommuniziere, ich schicke ihm etwa Texte und Fotos, kann noch nicht meine Gewissheit begründen, dass dieser X in der realen Welt tatsächlich existiert. Während ich mir nun sorglos denke, dass ich mit einem X gut gelaunt maile oder chate, lässt sich dessen ungeachtet nicht ausschließen, dass ich doch mit einem Y in dieser Art und Weise verbunden bin. Der Raum für einen Skeptiker bleibt also durchaus aufrechterhalten. Angesichts dieser Konstellation, die beim Umgang der epistemischen Subjekte mit Wissen im 21. Jahrhundert nicht zu übersehen ist, müsste man sich m.E. in der gegenwärtigen epistemischen Debatte erneut auf Hegels Doppellösung besinnen. Denn es wird immer schwieriger werden, die klassischen epistemologischen Prinzipien, die Gewissheit und Wahrheit sauber trennen wollen, in ihrer bisherigen Strukturierung aufrechtzuerhalten. Diese Sachlage könnte auch als Herausforderung für die Kognitionswissenschaft als interdisziplinäre Forschungsrichtung angesehen werden, deren Resultate heute viel mehr Durchsetzungskraft als die der reinen Epistemologie aufweisen.

407

Kapitel VII DAS RESULTAT EPISTEMOLOGISCHER AKTIVITÄT 1. Einführung „Unser denkendes Ich in uns ist unser denkender Geist, der nur in unserem Körper leben kann und der mit den Informationen aus dem eigenen Gedächtnis arbeitet [...]. Er arbeitet mit unserer Sprache aber auch in Bildern, Tönen, Zahlen, Zeichen usw. und versteht, was wir wollen. Er bewertet und verarbeitet [...]. Wenn wir denken, dann erkennen wir Zusammenhänge und ziehen daraus unsere Schlussfolgerungen, die für unsere Entscheidungen wichtig sind. Dabei nutzen wir unseren analytischen Verstand, der umso mehr leisten kann, je mehr wir gelernt haben.“ 1

Was die epistemische Aktivität menschlicher Subjekte leisten kann, lässt sich schon dem obigen Zitat entnehmen: Wir erkennen Zusammenhänge und ziehen daraus entsprechende Schlussfolgerungen, die für unsere Entscheidungen wichtig sind. Damit wurden zwei Ebenen angesprochen, die für das genauere Bestimmen des Resultats epistemologischer Aktivität unentbehrlich sind: die theoretische und die praktische Ebene. Wenn man die These „Die Erkenntnissubjekte gehen irgendwie mit Wissen um“ gelten lässt, dann muss man auch nach dem Resultat dieser epistemischen Aktivität fragen. Den Kontext, in dem dieses Resultat im letzten Kapitel der vorliegenden Abhandlung formuliert werden soll, stellen diverse gewichtige Erkenntnisse dar, die in den vorangehenden Kapiteln schwerpunktmäßig angesprochen wurden. Diese Erkenntnisse hängen mit einigen grundlegenden Fragen zusammen, die im Verlaufe unserer Analyse behandelt worden waren, und wirken sich sowohl auf der theoretischen als auch auf der praktischen Ebene aus. All diese Fragen lassen sich grundsätzlich auf die drei folgenden zurückführen: (1) Erstens ist zu 1

Sixl, H. (2010), 251.

408 fragen, was Erkenntnis bzw. Wissen bedeutet. Dabei geht es nicht um die Frage, wie die Wörter „erkennen“ bzw. „wissen“ gewöhnlich gebraucht werden. Vielmehr wollen wir wissen: Welches sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür, dass wir sagen können: Jemand hat „erkannt“ bzw. jemand „weiß“, dass etwas der Fall ist? (2) Zweitens gilt es herauszubekommen, welche Rechtfertigungsgründe Erkenntnisse aus bloßen Meinungen machen. Anders formuliert: Was für Arten von epistemischer Rechtfertigung garantieren am ehesten, dass eine für wahr gehaltene Meinung auch tatsächlich wahr ist? Und (3) drittens haben wir schließlich das Interesse, die Frage zu beantworten: Wie können wir jemals wissen, ob die möglichen Arten von Rechtfertigung, die uns garantieren sollen, dass eine für wahr gehaltene Meinung tatsächlich eine Erkenntnis darstellt, uns nicht bloß mit einer Erscheinungswelt, sondern mit der Wirklichkeit in Verbindung bringen? Die Beantwortung dieser Fragen, um die es in den vorangehenden Kapiteln ging, ermöglicht uns das Resultat epistemischer Aktivität genauer zu bestimmen. Es wird sich also im letzten Kapitel zeigen, dass dieses Resultat vier Typen von Folgen nach sich zieht, um sich dann in ihnen zu offenbaren. Gemeint sind also theoretische, praktische, metaphysische und naturhafte Folgen. 2

3

2. Von Meinungen und Überzeugungen zum Wissen Wenn wir anfangs theoretische Folgen als Resultat epistemischer Aktivität behandeln, dann hängt das mit der Natur der Erkenntnistheorie zusammen. Es dürfte schon eingeleuchtet haben, dass es die Epistemologie mit einigen grundlegenden philosophischen Fragen zu tun hat: Was ist Wissen? Kann man falsches Wissen haben? Was unterscheidet Wissen von wahrer Meinung? Wann sind unsere Wissensansprüche gerechtfertigt? usw. Insofern lässt sich die These durchaus aufstellen, die Epistemologie sei eine theoretische Wissenschaft. Als solche Disziplin ist sie daher imstande, 4

In unserer Abhandlung sind wir genauer verfahren und haben deshalb zwischen „Erkennen“ und „Wissen“ differenziert. Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 22f. Vgl. Bernecker, S. (2003), 151. 2

3 4

409 viele gewichtige theoretische Folgen ins geistige Leben von menschlichen Subjekten hineinzuprojizieren. Diese Folgen stellen einen fundamentalen Teil des Resultats epistemischer Aktivität dar und offenbaren sich in einem zu differenzierenden Prozess, in dem Meinungen, Überzeugungen und Wissen auseinander gehalten werden. Diese drei epistemologischen Begriffe sind mittlerweile in 3.4.1. (Kap. III) und 4 (Kap. IV) ausführlicher behandelt worden. Hier sollen sie lediglich aus holistischer Sicht, d.h. als Resultat epistemischer Tätigkeit von Subjekten aufgegriffen werden. Damit wird gleichfalls deutlich, dass das epistemische Resultat nicht nur eine punktuelle Struktur hat, die wir mit Wissen als einer beständigen Entität identifizieren können, sondern auch eine lineare Struktur, die sich dem Wissen als Prozess verdankt. Dieser letztere Wissensbegriff, der einen dynamischen Charakter aufweist und für uns von besonderer Bedeutung insofern ist, als wir den „Umgang mit Wissen“ zu erklären suchen, fällt offenkundig mit Erkennen zusammen. Der dynamische Erkenntnisprozess ist äußerst komplex und verläuft in vielen sich stufenweise steigernden Phasen: von Meinungen über Überzeugungen zu Wissen. So wollen wir diese drei Begriffe kurz analysieren, allerdings im Kontext epistemischer Dynamik. Unsere alltägliche Erfahrung lehrt uns, dass wir keineswegs mit dem fertigen Wissen geboren werden, sondern lediglich mit den Hirnanlagen, die uns den Erwerb des Wissens erst ermöglichen. Der Wissenserwerb vollzieht sich grundsätzlich in einem lebenslangen Lernprozess, der unterschiedliche propositionale Abstufungen und Intensität aufweist. Was die Intensität des Lernens anbelangt, so ist es eine wohl bekannte Tatsache, dass Babys, Kinder, Erwachsene und alte Menschen unterschiedlich schnell lernen und sich Wissensstoff aneignen. Wenn es sich aber um den Unterschied in propositionalen Abstufungen handelt, dann sind entsprechend Meinungs-, Überzeugungs- und Wissensstufe zu differenzieren. All diese Entitäten weisen einen theoretischen Charakter auf und bilden den kognitiven Gehalt epistemischer Aktivität von menschlichen Subjekten. Alles, was wir über die Welt erfahren, lässt in uns 5

Es gibt offenbar Situationen, wo wir ein bestimmtes Wissen spontan in einem Augenblick erwerben. Diese Art Wissenserwerb könnte man als intuitives Lernen bezeichnen.

5

410 bestimmte Meinungen über die Welt entstehen. Wir sagen: Ich meine, dass p. Doch bloße Meinungen sind eine unsichere Angelegenheit. Sie entstehen oft spontan und ohne kritische Beurteilung der Gründe, die angeblich für sie sprechen. Mit bloßen Meinungen können wir uns leicht irren. Deshalb sind wir bestrebt, möglichst viele Meinungen in Wissen umzuwandeln, weil Wissen eine höhere Form des Für-wahr-Haltens ist. Auch Wissen besteht aus Meinungen, aber diese sind besonders gut gerechtfertigt. Unser Bild von der Welt besteht jedoch nicht nur in der Gesamtheit dessen, was wir meinen und was wir wissen. Es gibt noch eine dritte Art des Für-wahr-Haltens, nämlich Überzeugungen. Sie sind eine andere ausgezeichnete Art von Meinungen. Sie stehen sozusagen zwischen bloßen Meinungen und Wissen. Wer überzeugt ist, dass p, ist sich bezüglich p nicht so sicher wie jemand, der weiß, dass p; aber er ist sicherer als jemand, der aufgrund eines schwachen Indizes bloß meint, dass p. Versuchen wir diese epistemisch-propositionale Konstellation mit einem Schema darzustellen: DAS FÜR-WAHR-HALTEN Meinung

Überzeugung (=die höhere Meinungsstufe)

Wissen (=die höchste Meinungsstufe)

Das Für-wahr-Halten, das als theoretisches Resultat epistemischer Aktivität anzusehen ist, kann also verschiedene Formen einnehmen: Meinung, Überzeugung und Wissen. Dabei ist zu betonen, dass die Meinung ferner als grundlegende Komponente sowohl für Überzeugung als auch für Wissen gilt. Deshalb können wir sagen, dass eine Überzeugung die höhere und das Wissen die höchste Meinungsstufe darstellt. Das jeweilige Auftreten einer bestimmten Form des theoretischen Resultats hängt davon ab, wie stark sie mit dem Wahrheitsprädikat verknüpft ist. Die stärkste Verknüpfung lässt sich beim Wissen beobachten, bei der Überzeugung dagegen eine schwächere. Überzeugungen werden generell in metaphysische Überzeugungen und Erfahrungsüberzeugungen aufgeteilt. In diesem Abschnitt wollen wir uns

411 lediglich mit den letzteren befassen. Es gibt also zwei Arten von Erfahrungsüberzeugungen (EÜ): einfache und gebrochene EÜ. Was darunter zu verstehen ist, erklären wir mit folgenden Beispielen: (1) Einfache EÜ – Nehmen wir an, dass Geologen der Meinung sind, dass die Arbeiter, die einen Eisenbahntunnel durch einen Berg bauen, auf wasserführende Gesteinsschichten im Berg stoßen könnten. Geologen wissen, dass an solchen Stellen aufwändigere Baukonstruktionen notwendig sind. Nachdem sie beim Bau von mehreren Probestollen an anderen Stellen des Berges auf solche Schichten gestoßen sind, sind sie überzeugt, dass sie im Verlauf der Bergarbeiten mit diesem Problem konfrontiert würden. Wissen können sie es allerdings nicht, weil die Arbeiter noch auf keine solche Schicht gestoßen sind. Doch ihre Meinung hat den Status einer einfachen Überzeugung bekommen. Dabei handelt es sich also um eine Meinung, für deren Wahrheit mehr Indizien sprechen als für die anfängliche bloße Meinung über dieselbe Sache, ohne dass es neben einer Vielzahl von Indizien, die für die Wahrheit dieser Überzeugung sprechen, auch vereinzelte Gegenindizien gibt, die gegen ihre Wahrheit sprechen; (2) Gebrochene EÜ – Lasst uns einen Geschäftsführer G vorstellen, der einen Stellenbewerber S unter anderem deshalb in seiner Firma anstellt, weil er bei einem Vorstellungsgespräch den Eindruck gewonnen hat und daher anschließend meint, dieser sei ein zuverlässiger Mitarbeiter. Nach einer gewissen Zeit, in der S immer pünktlich zur Arbeit erschienen ist und seine Aufgaben sorgfältig ausgeführt hat, ist G überzeugt, dass er einen zuverlässigen Arbeiter angestellt hat. Wissen kann er es allerdings noch nicht; dafür müsste er mit S dieselbe Erfahrung über eine sehr viel längere Zeit gemacht haben. Außerdem muss er feststellen, dass S hin und wieder seine Aufgabe nicht sorgfältig erledigt. Angesichts dieser Unregelmäßigkeiten mag G im Hinblick auf eine neue Aufgabe, die er S überträgt, zwar nach wie vor überzeugt sein, dass S die Arbeit sorgfältig machen werde, aber seine Überzeugung wurde schon durch vereinzelte Gegenindizien abgeschwächt bzw. „gebrochen“. Wir können uns mühelos vorstellen, dass die Überzeugungen, von denen in beiden Beispielen die Rede ist, verschiedene und dem jeweiligen 6

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Zu den metaphysischen Überzeugungen vgl. 4 (Kap. VII). Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 242f.

412 Kompetenzbereich entsprechende praktische Konsequenzen auch dann nach sich ziehen können, wenn sie den Status von Wissen nicht erreicht haben. Kantisch ausgedrückt: Theoretische Folgen sind mit praktischen aufs engste verbunden. 3. Von Überzeugungen und Wissen zum Handeln Dass Theorie und Praxis zusammen gedacht werden müssen, davon waren philosophische Überlegungen von Anfang an überzeugt und brachten dies in den verschiedenen Denksystemen zum Ausdruck. Auch die hermeneutische Deutung dieser beiden Begriffe gelingt am besten in ihrer Bezogenheit aufeinander. Diese These können wir auch existentialphilosophisch ausdrücken: Es gibt keine Theorie ohne Praxis und umgekehrt. Die epistemische Relevanz dieser These lässt sich ebenfalls problemlos erblicken, insbesondere im Kontext der Naturwissenschaften, deren empirische Bemühungen überwiegend pragmatisch ausgerichtet sind: Es muss nicht speziell betont werden, dass der ganze technische Fortschritt davon profitiert. Nichtsdestoweniger können auch Geisteswissenschaften sich ihres pragmatischen Profits erfreuen; dieser bleibt allerdings zugleich dem Bereich des Mentalen verhaftet, wobei es durch Überzeugungen und Wissen erheblich aufgebaut wird. Wenn diese beiden Entitäten theoretische Folgen nach sich ziehen, dann schaffen sie damit zugleich eine Grundlage für praktische Auswirkungen, die man ganz allgemein als Handeln bezeichnen kann. So vollzieht sich bei den menschlichen Erkenntnissubjekten ein Übergang vom Überzeugt-Sein und Wissen zum Handeln. Diese Möglichkeit ist schon im Begriff des Wissens impliziert, wenn wir neben dem propositionalen (=Wissen, dass) und phänomenalen Wissen (=Wissen, wie etwas ist) auch von dem praktischen Wissen (=Wissen, wie) sprechen. Das praktische Wissen stellt einen integrierten Teil unseres gesamten Wissenskonzeptes dar. Denn jeder Mensch weiß, wie „a, b, c, d usf.“ zu tun sind: Wir wissen, wie Fahrrad und Auto zu fahren sind, wie Pflanzen in unserem Garten angebaut werden können, wie Essen zubereitet wird usf. Wenn wir über kein praktisches Wissen 8

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Vgl. Bernecker, S. (2003), 151.

413 diesbezüglich verfügten, gäbe es auch keinen Spielraum für unser Handeln. Das war z.B. Kant ganz klar, als er seine „Kritiken“ in einem engen Zusammenhang gedacht hatte. Daraus ergibt sich also, dass jede überlegte Handlung im praktischen Wissen fundiert ist. Dies wird noch deutlicher, wenn wir den Handlungsbegriff aus ethischer und ästhetischer Sicht betrachten. Unter Handlungen verstehen wir hier die von Personen wissentlich und willentlich hervorgerufenen Ereignisse. Allerdings sind nicht alle von Personen ausgehenden Vorgänge zugleich Handlungen, wie die Beispiele „Frieren“, „Verdauen“ oder „Niesen“ zeigen. Die philosophische Tradition bringt diese Konstellation auf den Punkt, indem sie zwischen „actio humana“ und „actio hominis“ unterscheidet. Während die erste Art Handlung auf einer vorausgehenden Absicht beruht, wird die zweite hingegen lediglich von einer Handlungsabsicht begleitet. Dagegen müssen willentliches Tun und Unterlassen ebenfalls als Handlungen gelten, wobei die Handlung als Oberbegriff angesehen wird, unter den Tun und Unterlassen fallen. Unter Zwang oder in verminderter Zurechnungsfähigkeit begangene Handlungen wiederum weisen einen verminderten Grad von Willentlichkeit und deswegen einen reduzierten Handlungscharakter auf. Der Begriff der Handlung wird häufig unscharf sowohl für Arten oder Typen von Handlungen (z.B. Spazierengehen) als auch für Einzelhandlungen (Herr X geht hier und jetzt spazieren) gebraucht. Aus ethischer Perspektive geht es primär um die sittliche Beurteilung von Handlungstypen. Eine wichtige Anschlussfrage liegt jedoch darin, ob eine bestimmte Einzelhandlung eventuell in relevanter Hinsicht vom Normalfall abweicht und daher anders bewertet werden muss. Praktisches Wissen, das sich ganz besonders in ethisch relevanten Einzelhandlungen offenbart, erfordert eine Beurteilungsfähigkeit der Subjekte, die aber zumindest eine begriffliche Grundlage beansprucht (vgl. 9

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Hier sind vor allem die „Kritik der reinen Vernunft“ und „Kritik der praktischen Vernunft“ gemeint. Vgl.Horn, Ch. (1997), 123. Vgl. Thomas von Aquin, S.th.1-2 q.1 a.1. Vgl. Horn, Ch. (1997), 123; auch vgl. Ricken, F. (1998), 92f.

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414 unten). Um etwa entscheiden zu können, ob eine Handlung als „actio humana“ oder „actio hominis“ aufzufassen sei, inwiefern sie wissentlich und willentlich sei, sind nicht nur die entsprechenden Begriffe selbst erforderlich, sondern auch der naturhaft gegebene kognitive Apparat, der den Erkenntnissubjekten den theoretischen Umgang mit Begriffen erst möglich macht. Beim theoretischen Umgang, der grundsätzlich über Begriffliches hinausgeht, um sich dann auch auf die in den Handlungen fundierten Propositionen zu beziehen, erweisen sich praktische Grundsätze und Regeln als behilflich. Eine Erkenntnistheorie hat deshalb ferner die Aufgabe zu klären, was wir um praktische Grundsätze und Regeln wissen, damit sie dann formuliert und angewandt werden können. Praktische Grundsätze sind notwendig für die Beurteilung einer Handlung, weil sie letzte Ziele formulieren, die ein Mensch um ihrer selbst willen verfolgt. Regeln beschreiben hingegen eine konkrete Situation und schreiben ein bestimmtes Verhalten vor. In beiden Fällen, die einen praktischen Bezug aufweisen und das ethische Leben von Personen ordnen, ist stets ein bestimmter Grad epistemischer Aktivität erforderlich. Wenn wir jetzt kurz lediglich bei den Regeln bleiben, so liegt es gleichsam auf der Hand, dass der kommunikative Umgang mit Regeln für das Handeln von Personen entscheidend ist. Denn bevor wir andere Menschen über bestimmte Regeln in Kenntnis setzen, müssen wir selbst diese Regeln wissen sowie von ihrer Effizienz überzeugt sein. Der kommunikative Regelumgang setzt also das Akzeptieren von Regeln voraus. Auf dieser Grundlage kann es erst zum Anwenden und Befolgen von Regeln kommen. Von dem jeweiligen Anwendungs- und Befolgungseinsatz der Erkenntnissubjekte hängt es ferner ab, inwiefern das Prinzip der Verantwortung beachtet wird. Das Respektieren der Verantwortung spiegelt in erheblichem Maße die ethische Dimension des Handelns wider. Da zeigt sich, ob eine Handlung moralisch gut ist oder schlecht. Eine moralisch gute Handlung ist eine Handlung aus voller Verantwortung, wo die Interessen aller Parteien gleichmäßig zur Sprache kommen. Dieser Grundsatz gilt auch beim Erwerb und Umgang mit praktischem Wissen. Im Verantwortungsprinzip ist bereits eine Antwort impliziert; diese kann aber nur dann sinnvoll erscheinen, wenn sie 13

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Vgl. Ricken, F. (1998), 100f. Vgl. Iorio, M. (2011), 86f.

415 durch Wissen und Überzeugung unterbaut ist. Jemanden als verantwortlich für sein Handeln betrachten heißt, von ihm zu erwarten, dass er vernünftig antworten kann auf die Frage, warum er so und nicht anders gehandelt hat. Wir billigen Handlungen dann, wenn wir sehen, dass sie einer vernünftigen Rechtfertigung fähig sind, d.h. wenn die Begründungen, die der Handelnde äußert, einsichtig und nachvollziehbar sind. Der in Wissen und Überzeugungen fundierte Handlungsbegriff offenbart sich auch auf dem Kunstgebiet. Aristoteles verwendet diesbezüglich nur den Begriff „Herstellen“ (poiesis). Das Herstellen verfolgt ein Ziel, das wiederum Mittel ist, während das Handeln auf das „Ziel einfach hin“ ausgerichtet ist. Wenn man heute nach dem Wesen der Kunst und ihren Prinzipien fragt, dann hat man es mit der „Ästhetik im engeren Sinne“ zu tun. Was jeweils unter Kunst verstanden wurde, wandelte sich in verschiedenen Epochen. Die Metapher der Kunst als Sprache ist m.E. besonders geeignet, das Verbindende der Kunst über die Epochen hinweg zu charakterisieren. Nach Danto hat die Philosophie seit jeher versucht, die Kunst zu kontrollieren, zu rationalisieren und zu marginalisieren. Einen erheblichen Beitrag hat dazu auch die Erkenntnistheorie als philosophische Disziplin geleistet, deren Interesse es war und auch heute ist, die Frage zu beantworten, was wir über Kunst wissen können. Das, was wir über Kunst wissen und als Kunst begreifen, erweist sich auch beim Kunstschaffen als entscheidend. Dieses Wissen und die Überzeugungen weisen keinesfalls die gleiche Qualität beim Kunstschöpfer und beim bloßen Kunstrezipienten auf. Der letztere ist durch eine andere, meist weniger schöpferische Kreativität gekennzeichnet, die sich aber auch philosophisch, insbesondere epistemologisch artikulieren kann. Epistemologisch-hermeneutische Äußerungen, die desgleichen unbedingt als praktische Folgen anzusehen sind, insbesondere dann wenn sie sich auf die Bereiche menschlichen Handelns beziehen, erfordern ihrerseits – wie oben bereits angedeutet - die Unterstützung durch den Prozess der 15

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Vgl. Anzenbacher, A. (2003), 13. Vgl. Aristoteles, NE VI 2, 1139b2. Ästhetik im weiteren Sinne betrifft dagegen – grob gesagt – die sinnliche Wahrnehmung. Vgl. Nida-Rümelin, J. (1998), XIf. Diese Ausdrucksweise kommt auch bei Kunstschöpfern vor. 15 16 17

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416 Konzeptualisation. Dieses Erfordernis wurde neuerdings von Walter Hopp in seiner Schrift „Perception and Knowledge“ hervorgehoben. Der Verfasser greift unter anderem die Position von John McDowell auf, um den Zusammenhang zwischen Konzeptualismus und Erkenntnis zu analysieren. Dabei weist er auf zwei Faktoren hin: (1) The space of concepts und (2) Spontaneity and the space of reasons. Eine mögliche Auslegung dieser beiden Entitäten kann lauten, es handle sich um eine begriffliche Organisation und Spontanität der praktischen Vernunft. Daher schreibt Hopp Folgendes: (I) “When we charakterize something as „conceptually organized“, we could mean any of the following: (1) the item [i.e. a mental state] is itself a concept or a whole composed of concepts; (2) the item […] grasps […] a concept or a whole composed of concepts; (3) the item is a conceptualized object, and is therefore the object of a mental state whose contents are conceptually organized in sense (1) or (2); […] [and] (4) the item is an object of the ideal contents of category (1) or possible mental states of category (2)”. (II) “Another reason McDowell opposes the myth of the given, as one might expect from his and Sellars´s normative conception of epistemic justification, stems from his conception of the “space of reasons” as a realm of spontaneity or freedom, whose paradigmatic actualization is judging”. 20

Nun ist zu fragen, was diese beiden Behauptungen für die Problematik des vorliegenden Abschnitts bedeuten. Es geht ohne weiteres darum, dass der Mythos des Gegebenen, der bekanntlich von Wilfrid Sellars in die philosophische Debatte gebracht wurde, aus epistemischer Sicht als fraglich erscheint. Denn im Erkenntnisprozess gibt es nichts, was als hinlänglich begründet gegeben wäre. Auch die im praktischen Wissen verwendeten Begriffe müssen erst einen Anpassungsprozess durchlaufen, um letzten Endes als begründete Entitäten zu fungieren, damit die praktische Wirklichkeit, die auch freies Handeln beinhaltet, wahrheitsgemäß erscheinen kann. Dieser Anpassungsprozess weist allerdings einen theoretischen Charakter auf und verläuft systematisch zwischen Überzeugungen, Wissen und Handlungen. Das kann ferner zur unvermeidlichen Konfrontation mit metaphysischen Hypothesen führen. 21

20 21

Hopp, W. (2011), 84 (= Teil I), 87 (=Teil II). Vgl. Sellars, W. (1963), 127f.

417 4. Das Resultat epistemischer Aktivität als offene metaphysische Frage Die epistemische Aktivität menschlicher Subjekte erschöpft sich keinesfalls in theoretischen und praktischen Folgen oder Resultaten, sondern offenbart sich zwangsläufig auch in metaphysischen Folgen. Das ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen sind die epistemischen menschlichen Subjekte in ihrer Aktivität eingeschränkt und können folglich keine absolute Gewissheit erlangen, zum anderen gehört das uneingeschränkte Streben nach Wissen zu ihrer Natur. Diese Konstellation führt dazu, dass man metaphysischen Fragen begegnet und dabei nicht ganz weiß, wie diese sinnvoll zu behandeln, geschweige denn zu beantworten sind. Zwar werden dabei metaphysische Überzeugungen gebildet, das Resultat epistemischer Aktivität als solches bleibt allerdings stets offen. Bei metaphysischen Überzeugungen handelt es sich also um transzendente Sachverhalte, die sich ebenfalls auf die Welt beziehen und durch gewisse Erfahrungen gestützt werden, so behaupten ihre Anhänger. Es ist dabei freilich ungewiss, wie diese Erfahrungen aufgefasst werden sollen: Gibt es nur eine einzige mögliche Deutung oder mehrere? Die Gegner metaphysischer Überzeugungen behaupten indes, dass derartige Überzeugungen aufgrund rationaler Erwägungen durchaus falsifiziert werden können. Demnach gilt die These, dass metaphysische Überzeugungen zu den gebrochenen Überzeugungen gehören. Metaphysisch werden sie deshalb genannt, weil wir nicht ganz einsehen können, wie wir bei ihrer Verifizierung durch Erfahrung (Beobachtung und Experimente) und Falsifizierung durch rationale Überlegungen zu verfahren hätten. Im Allgemeinen wird dann behauptet, dass wir uns immer in etwas Chaotisches zu verwickeln scheinen, wenn wir versuchen, die Frage endgültig zu beantworten, was metaphysische Überzeugungen tatsächlich sind. Im Folgenden wollen wir diese Problematik genauer verfolgen, indem wir drei klassische metaphysische Überzeugungen kritisch beleuchten: die Überzeugung von der Willensfreiheit, die Überzeugung von der Wechselwirkung und die Überzeugung von der Existenz Gottes. 22

22

Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 243.

418 4.1. Überzeugung von der Willensfreiheit Wir sind überzeugt, dass wir frei sind: Ich kann mich für A und gegen B entscheiden; wenn ich z.B. meine Stimme im Wahllokal abgebe, dann kann ich die Person A oder Person B wählen. Es ist eine Erfahrung, die wir in der realen Welt erleben. Die reale Welt ist aber durch kausale Naturgesetze bestimmt, sie ist im Bereich dieser Gesetze geschlossen. Da meine Überzeugung einen mentalen Charakter hat, lässt sie sich nicht mit den physikalischen Entitäten der realen Welt vereinbaren. So entsteht folgendes Problem: Wie kann ich mich in der physikalisch geschlossenen Welt überhaupt mental entscheiden? Diese Konstellation bekommt daher einen metaphysischen Hintergrund, so dass wir nicht einsehen können, welche Erklärung dieser Konstellation sinnvoll wäre. Zudem können wir auch Gründe, auf die sich die Willensfreiheit stützt, in keine logische Verknüpfung mit Ursachen bringen, die für die physikalische Welt entscheidend sind. Es handelt sich also um das Problem der Willensfreiheit, wobei damit die Entscheidungs- und nicht Handlungsfreiheit gemeint ist. Denn auch wenn ich aus bestimmten Gründen keine Handlungsfreiheit habe – ich sitze etwa im Gefängnis, kann ich doch meine Entscheidungsfreiheit haben, also ich kann entscheiden, was ich will oder nicht. Allerdings gibt es auch Versuche, Gründe mit Ursachen logisch doch zu verbinden, indem man Gründe als Ereignisse auffasst. Als Ereignisse können dann Gründe durchaus für Ursachen gehalten werden. In Anschluss an Davidsons Kausaltheorie wird. z.B. oft in der gegenwärtigen epistemischen Debatte behauptet, dass Gründe sich aus Wünschen und Überzeugungen konstituieren. Obwohl Wünsche und Überzeugungen – ontologisch betrachtet – in die Kategorie von Dispositionen oder Zuständen fallen und selbst keine Ereignisse sind, können die von solchen Zuständen und Ereignissen ausgehenden Wirkungen jedoch auch Ereignisse sein. Betrachten wir folgendes Beispiel: Eine Person sieht eine Melone – es ist ein Ereignis. Sobald also das Ereignis des Sehens eingetreten ist, beginnt die Person sich zu wünschen, eine Melone zu essen. Der Grund für die später folgende Handlung (das Essen der Melone) besteht darin, dass die Person etwas sieht, was sie sich zu essen wünscht. Und das Eintreten dieses Grundes ist ein Ereignis, auch wenn der Grund

419 dann als Zustand länger fortbesteht. Überzeugungen und Wünsche entspringen häufig genau in dem Augenblick, in dem etwas Bestimmtes wahrgenommen, bemerkt, erinnert usf. wird. Obwohl Davidson den Reduktionismus generell ablehnt, hat die Konzeptualisierung von Gründen als Ursachen eine Lesart suggeriert, welche die metaphysische Kluft zwischen dem Mentalen und dem Physischen zu schließen verspricht: Wünsche und Einstellungen, Intentionen und Überzeugungen gelten als Ursachen einer Handlung, wenn sie Gründe sind, aus denen ein Akteur diese Handlung ausgeführt hat. Der epistemologische Umgang mit metaphysischen Überzeugungen lässt immer viele denkbare Lösungen zu, weil es keine einzige Lösung mit absolutem Gewissheitsgrad gibt. Beim Problem der Willensfreiheit erscheinen dann vor allem zwei klassische Standpunkte, nämlich Indeterminismus und Determinismus. Frei ist also das, was indeterminiert ist. Sowohl der Determinismus als auch Indeterminismus treten generell in zwei Gestalten auf. Während der Determinismus einen psychologischen oder einen physikalischen Charakter haben kann, weist der Indeterminismus hingegen eine epistemologische oder eine ontologische Dimension auf. Erklären wir jetzt diese vier Standpunkte genauer: Behauptet der psychologische Determinismus, dass bestimmte psychologische Ereignisse und Zustände (z.B. Wünsche, Überzeugungen usf.) und darauf basierende Handlungsabsichten die Ursachen bestimmter Wirkungen sind, so gilt für den physiologischen Determinismus die These, dass der Gesamtzustand des Universums zusammen mit den Naturgesetzen einen einzigen späteren Gesamtzustand des Universums bedingt. Bei dem epistemologischen Indeterminismus handelt es sich indes um die Ansicht, dass Ereignisse dann als indeterminiert erscheinen, wenn kein Wissen bzw. kein vollständiges Wissen über ihre Determination gegeben ist. Wenn hingegen behauptet wird, dass es Ereignisse innerhalb der physikalischen Welt gibt, die nicht von anderen Ereignissen determiniert werden oder von diesen irgendwie abhängen, dann liegt der ontologische Indeterminismus vor. Die Akzeptanz eines der beiden Standpunkte, d.h. des Determinismus oder Indeterminismus, zieht jedoch immer eine Art „metaphysische 23

23

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 240f.

420 Unzufriedenheit“ nach sich, weil keine Position allein den Zuständen der gesamten Erfahrung menschlicher Subjekte gerecht werden kann. Die Notwendigkeit der Wahl zwischen (Willens-) Freiheit bzw. Indeterminismus und Determinismus enthüllt sich daher als epistemisch unbefriedigend. Folglich wird auch eine dritte Möglichkeit in Erwägung gezogen, nämlich der Kompatibilismus. Dieser Standpunkt erfordert zwar keinen absoluten Verzicht auf die Annahme der Freiheit oder auf die deterministische Bestimmung, erscheint aber ganz fühlbar erst im Kontext einer gegensätzlichen Position, d.h. des Inkompatibilismus. Bei dem kompatibilistischen Modell, dem in der gegenwärtigen Debatte eindeutig eine vorherrschende Rolle zukommt, wird also die Willensfreiheit mit dem Determinismus vereinbart. Diesbezüglich gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird die bedingte Freiheit in Kauf genommen, oder die Willensfreiheit wird auf die Handlungsfreiheit reduziert. Die Freiheit kann also durch verschiedene Faktoren bedingt sein, etwa durch äußere Kräfte (Umstände, Situationen usw.), oder durch die Faktoren, die innerhalb der Handelnden liegen (Motive, Überzeugungen, Wünsche, Charakter der Person usw.). Im Fall des Inkompatibilismus haben wir es dagegen entweder mit einer starken Willensfreiheit (d.h. der unbedingten Freiheit) oder der Leugnung der Freiheit zu tun. Selbst wenn die Entscheidungen die darauf folgenden Handlungen determinieren, sind sie selbst nicht determiniert, so lautet die These über die unbedingte Freiheit. Dabei gilt auch, selbst wenn die psychologischen Zustände genau dieselben wären, wie sie tatsächlich sind, die Entscheidung könnte dessen ungeachtet anders ausfallen. Wenn man aber das Prinzip der Geschlossenheit der physikalischen Welt gelten lässt, dann eröffnet sich der Weg für die Leugnung der Freiheit, die als eine Illusion angesehen wird. Um diese ganze metaphysisch-begriffliche Konstellation aus methodischer Sicht zu verdeutlichen, wird in der epistemologischen Debatte oft zwischen der dünnen und der dichten Beschreibung unterschieden. Während die Erläuterungsbasis der ersteren Beschreibung physisch ist, erhält sie bei der letzteren Beschreibung einen mentalen Charakter, allerdings auf der Basis des Physischen. Verwenden wir jetzt diese Unterscheidung z.B. bei der Beschreibung einer denkenden Person: Eine dünne Beschreibung des Denkers ist nur eine Zusammenstellung von empirischen Daten, die ein äußerer Beobachter an der Verhaltensoberfläche gewinnt. In einer dichten

421 Beschreibung zeigt sich dagegen, dass der Denker sich mit wirklichen und möglichen Sachverhalten beschäftigt, die für ihn Anlass zum Nachdenken oder Reflektieren sind. Diese Art Beschreibung erfasst also die komplexen Bedeutungszusammenhänge eines Systems von Sprache, Einstellung, Verstehen und Handlung, die im Verhalten des Denkers wirksam werden. Dabei nimmt sie ihren Ausgang von Phänomenbeschreibungen der menschlichen Lebenswelt, um sie dann zum Gegenstand semantischer Überprüfungen zu machen. Stellen wir jetzt den ganzen metaphysischen Charakter der Überzeugung von Willensfreiheit aus begrifflicher Sicht in einer Tabelle zusammen: 24

Begriffliche Unterscheidung (1)

(2)

(3)

Das Problem der Willensfreiheit

Determinismus * psychologischer * physikalischer Kompatibilismus * Bedingte Freiheit (F) * Reduktion der F auf die Willensfreiheit Dünne Beschreibung * Ursachen

Indeterminismus * epistemologischer * ontologischer Inkompatibilismus * Starke (Willens-) Freiheit (=Unbedingte Freiheit) * Leugnung der (Willens-) Freiheit Dichte Beschreibung * Gründe

Angenommen, dass man die Existenz der Willensfreiheit als mentaler Entität in der physikalischen Welt zulässt, obwohl ihr ontologischer Status nicht hinreichend geklärt ist, dann stellt sich sofort die Frage nach ihrer Wechselwirkung mit den physikalischen Entitäten. Wir werden sehen, dass jede denkbare Überzeugung diesbezüglich sich auch in metaphysische Spekulationen verwickelt.

24

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 242f.

422 4.2. Überzeugung von der Wechselwirkung

25

Wenn wir annehmen, dass wir von der Existenz der Willensfreiheit überzeugt sind, obwohl wir nicht imstande sind, deren mentalen Status genauer zu bestimmen, dann bringt dies freilich etliche Konsequenzen mit sich. Denn wir müssen unter anderem fragen, wie das Verhältnis zwischen dem Mentalen (also z.B. der Willensfreiheit) und dem Physischen sei. Und die Antwort lautet, es sei das Verhältnis der Wechselwirkung. Dementsprechend kommt unser Geist zu der epistemischen Überzeugung von der Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und dem Physischen. Wenn wir diese Frage stellen, dann begeben wir uns - nolens volens – auf das Gebiet des klassischen „Leib-Seele-Problems“. In der gegenwärtigen philosophischen Debatte wird mittlerweile vom „Körper-Geist-Problem“ gesprochen. Im vorangehenden Abschnitt haben wir schon deutlich gemacht, dass wir in der kausal determinierten Welt Freiheit erleben. Aus philosophischer Sicht ist deshalb die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Mentalen und Physischen erforderlich. Dabei ist zu bemerken, dass das Mentale und Physische als Oberbegriffe aufgefasst werden. Das Mentale umfasst demnach das Seelische (d.h. Empfindungen, Gefühle usf.) und das Geistige (d.h. rationales Denken). Beide mentale Entitäten erscheinen im Bewusstsein, spielen sich in der Zeit ab und weisen keine Ausdehnung auf, d.h. lassen sich nicht im Raum lokalisieren. Wir können also unsere Gedanken, Wünsche und Vorstellungen nirgendwo in einem Raum finden. Das Physische kommt hingegen sowohl im Raum als auch in der Zeit vor, es geht einerseits im Materiellen bzw. Körperlichen auf, andererseits in Entitäten, die keinen materiellen Charakter haben, wie z.B. Ultraviolettstrahlen und elektromagnetische Felder. Bei der allgemeinen Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Mentalen und dem Physischen ist ferner zu beachten, dass diese beiden Entitäten zwei verschiedenen Ontologien zugeordnet werden: Während das Mentale in den Bereich der Erste-Person-Ontologie fällt und deshalb lediglich dem einen Subjekt unmittelbar zugänglich ist, gehört das Physische hingegen der Dritte-Person-Ontologie an und bleibt für mehrere Subjekte gleichzeitig erreichbar. Das Körper-Geist-Problem hat aufgrund 25

In diesem Abschnitt folgen wir grundsätzlich Rynkiewicz, K. (2010), 143-181.

423 der in den letzten zwei Jahrzehnten erzielten Fortschritte in den Naturwissenschaften - insbesondere in der Neurophysiologie - eine neue begriffliche Umwandlung erfahren. Seine moderne Form lautet: Das Seelische als denkendes und fühlendes Bewusstsein wird mit dem Gehirn und den Nerven in Verbindung gebracht, wobei das Gehirn als Begriff gilt, der alle Aspekte des Physischen subsumiert. Eine plausible Erklärung für diese Umwandlung können wir schon mit dem Blick auf unser alltägliches Leben abgeben: Denken wir etwa an Schlaf- und Schmerzmittel, an Narkose oder Drogen. Durch Substanzen, welche auf das Nervengewebe einwirken, wird das Bewusstsein verändert, und umgekehrt, wenn wir Bewusstseinstörungen beobachten (z.B. nach einem Schlaganfall), dürfen wir auf eine Gehirnschädigung schließen. Normales Bewusstsein ist also auf ein intaktes Gehirn angewiesen. Das Umgekehrte ist leider nicht der Fall, so dass ein „gesundes“ Gehirn ein entsprechend qualifiziertes Denken garantieren könnte. Damit nimmt das Gehirn eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Körperorganen ein, bei denen eine physiologische Normalität ganz natürlich die Funktion leistet, für die das Organ angelegt ist. Es wäre absurd, z.B. von einer genialen Leber oder einer beschränkten Niere zu sprechen. Aus diesem unterschiedlichen Verhalten lässt sich erkennen, dass dem Bewusstsein ein gewisser Freiheitsgrad gegenüber dem Gehirn zukommt. Die Überzeugung von der Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und dem Physischen stellt allerdings nur den einen Aspekt des Körper-GeistProblems dar, der andere Aspekt ist die Frage nach der Existenz des Mentalen. Die beiden Aspekte hängen in epistemologischer und ontologischer Hinsicht zusammen. Wenn die reale Welt nur aus physischen Elementen aufgebaut ist, wie uns die Physik lehrt, dann muss man auch das methodologische Prinzip der Geschlossenheit der Welt gelten lassen, d.h. die These, dass für die Erklärung der Welt bloß physikalische Gesetze erforderlich seien. Die Folge davon ist, dass Elementen, die keinen physischen Charakter haben, die Existenz verweigert wird. Angenommen, dass sie doch existieren würden, dann könnte ihnen nur eine physische Existenzweise zukommen. Indessen sind aber in der realen Welt – das wissen wir doch aus unserer alltäglichen Erfahrung – verschiedene mentale Prozesse wie Denken, Wünschen, Hoffen usf. feststellbar, die kausal wirksam sind. Wenn ich z.B. das Fenster meines Arbeitszimmers

424 aufmachen will, so hebe ich die Hand nach oben und tue es einfach. Hier liegt also die kausale Wirkung meines Willens vor, der zum Bewegen meiner Hand und dann zum Öffnen des Fensters führt. Offenbar kann es auch die kausale Wirkung in eine andere Richtung geben. Während ich das Fenster öffne, kommt jemand plötzlich ins Zimmer ohne angeklopft zu haben; ich werde in Schrecken versetzt und verletze dabei meine Finger. Das führt dazu, dass ich starke Schmerzen erleide. Bereits dieses einfache Beispiel scheint unsere Überzeugung von der Wechselwirkung gut zu rechtfertigen. Welchen Charakter diese Überzeugung hat, hängt erheblich von der Existenzqualität der aufeinander wirkenden Entitäten ab. Alle Standpunkte bezüglich der Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und Physischen, die in der gegenwärtigen philosophischen Debatte diskutiert werden, lassen sich auf zwei grundlegende Begriffe zurückführen: Dualismus und Monismus, wobei der letztere in der Gestalt des Idealismus und Materialismus (=Physikalismus) auftreten kann. Da der Idealismus in der von den Naturwissenschaften beherrschten Welt so gut wie keine Rolle spielt, wird er in der Debatte über das Körper-Geist-Problem nahezu ausgeklammert. Es bleiben also Dualismus und Materialismus, die jeweils in verschiedenen Varianten erscheinen. Bevor wir all diese Varianten kurz erläutern, so dass deren epistemologische Dimension wie auch Einsatz im Prozess der Wechselwirkung sichtbar werden, stellen wir sie mit Hilfe eines Schemas zusammen: 26

26

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 142f.

425 DUALISMUS (D) Ontologischer

Substanz-D Eigenschafts-D

MONISMUS (M)

Zwei-Aspekte-Theorie Materialismus Idealismus (= Neutraler M) Epistemologischer Behaviorismus(B) Physikalismus

Methodologischer B Parallelismus Okkasionalismus Epiphänomenalismus

Logischer B

Identitätsthese

Typen-Identität

Token-Identität

Funktionalismus Black box

Computerfunktionalismus

4.2.1. Dualistische Dimension Wir fangen also mit den dualistischen Standpunkten an. Bei dem Dualismus handelt es sich um die These, dass unsere alltägliche Welterfahrung nicht verändert werden müsse: In der realen Welt, die aus physischen Elementen aufgebaut ist, gibt es auch mentale Phänomene. Es ist also der Weg der Alltagspsychologie. Es gibt zwei grundlegende Möglichkeiten, den Dualismus zu denken, nämlich als ontologischen und erkenntnistheoretischen Dualismus. Während der ontologische Dualismus sich für die ontologische Verschiedenheit des Geistes von dem Gehirn einsetzt und dies durch die Existenz einer Erklärungslücke zwischen den beiden begründet, vertritt der erkenntnistheoretische Dualismus dagegen die These, dass das Verhältnis von Geist und Gehirn einer solchen angestrebten ontologischen Lösung nicht zuführbar sei. Dualistischer Provenienz ist auch der im Physikalismus fundierte neutrale Monismus (bzw. Zwei-Aspekte-Theorie), der eine Lösung des Leib-Seele-Problems durch die Einführung einer dritten Entität anstrebt. Für den Bildungsprozess der Überzeugung von der Wechselwirkung ist vor allem der ontologische Dualismus entscheidend. Dabei wird zwischen dem Substanz- und dem Eigenschaftsdualismus unterschieden. Während der Substanzdualismus kurzum behauptet, dass es zwei gleichberechtigte

426 Substanzen, nämlich das „Physische“ und „Mentale“ gibt, besagt der Eigenschaftsdualismus hingegen, dass nur eine physische Substanz existiert, die aber sowohl physische als auch mentale Eigenschaften hat. Der Substanzdualismus geht in seiner klassischen Form auf Descartes zurück, der in einem methodischen Verfahren zwischen den zwei unabhängig existierenden und in realer Wechselwirkung verbleibenden Substanzen „res cogitans“ (=Mentales) und „res extensa“ (=Physisches) unterschieden hat. Beide Substanzen, die für die Innen- und die Außenwelt stehen, werden auf ihre existentielle Gewissheit im Kontext der Formulierung „cogito ergo sum“ hin überprüft. Da sich dieser Standpunkt Descartes´ auf alle möglichen Welten bezieht, wird er als starke Variante des Substanzdualismus bezeichnet, im Gegensatz zu einer schwachen Variante, die nur die aktuelle Welt betrifft und die wir etwa bei John Eccles finden (vgl. unten). Wenn Descartes die radikale Unabhängigkeit der Substanzen betont, dann ist das die exklusive Lesart des ontologischen Dualismus, die sich in der gegenwärtigen philosophischen Debatte nicht mehr vertreten lässt. Den „metaphysischen Graben“, der durch diese Art Interpretation entsteht, können wir aber dann überwinden, wenn wir Gedanken und Gefühle selbst als physikalische Vorgänge betrachten, die in Raum und Zeit lokalisierbar und datierbar sind. Es ist die inklusive (psychophysische) Lesart des ontologischen Dualismus. Diese geht davon aus, dass das denkende Subjekt „res cogitans“ und „res extensa“ zugleich ist, also in Raum und Zeit existiert wie alle anderen physikalischen Phänomene auch, sich aber von den physikalischen Objekten dadurch unterscheidet, dass es ein Bewusstsein vom eigenen Dasein besitzt. Im 20. Jahrhundert wurde im Anschluss an Descartes eine Position von John Eccles entwickelt, die man als schwache Variante des ontologischen Dualismus bezeichnet, weil sie sich nur auf die aktuelle Welt bezieht. Dabei soll der independente Status des Mentalen dem Physischen gegenüber gesichert werden. Auch wenn dieser Standpunkt als kontrovers erscheint, wird er in der gegenwärtigen philosophischen Debatte diskutiert. Eccles geht also von der „Drei-Welten-Theorie“ Karl Poppers aus, nach der die Gegenstände und Zustände drei verschiedenen Welten zuzuordnen 27

28

27 28

Vgl. Descartes, R., Med. I, 5f; II, 3f; VI, 24f. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 146f.

427 sind, welche aber verschiedenen kosmisch-evolutionären Stufen entsprechen: (1) Welt 1 – umfasst die physisch materielle Natur; (2) Welt 2 – bildet die subjektive Bewusstseinswelt (Empfindungen, Denkakte usf.); und (3) Welt 3 – ist die Welt der Kulturleistungen jeder Art. Das menschliche Bewusstsein gründet in der physischen Welt 1 als ihrer notwendigen Basis, hat sich im Laufe der Evolution als „emergente Größe“, d.h. als etwas Neuartiges herausgebildet und gehört zur Welt 3. Poppers These lautet: „Die Welt 3 beeinflusst kausal die Welt 1 vermittels der Welt 2“. Ausgehend von Poppers Theorie versucht Eccles den kausalen Einfluss des immateriellen Geistes auf das materielle Gehirn experimentell nachzuweisen und durch neurophysiologische Forschungen zu stützen. Diesbezüglich können wir zwei Hypothesen aufstellen: Hypothese 1 – der unabhängige selbstbewusste Geist befasst sich aktiv mit dem Auslesen aus der Vielzahl aktiver Zentren in den Moduln der Liaisonszentren (=Verbindungszentren) der dominanten Großhirnhemisphäre; er wirkt also auf die neuronalen Zentren zurück; Hypothese 2 – besagt, dass Geist und Gehirn zwei eigenständige Entitäten sind, die verschiedenen ontologischen Gebieten angehören und über die Quantenmechanik eine Wechselwirkung aufnehmen. Beide ontologische Gebiete verfügen über eine Grenze, über die sie Informationen (nicht Energie) austauschen, ohne dass dabei die Gesetze der Physik verletzt werden. Auch der Eigenschaftsdualismus unterstützt die These über die Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und Physischen. Wie oben schon angedeutet behauptet diese Theorie, dass es keine zwei Arten von eigenständigen Substanzen gibt, sondern nur zwei Arten von Eigenschaften. Es gibt also physische Eigenschaften wie „eine bestimmte Masse haben“ und mentale Eigenschaften wie „einen Schmerz fühlen“. Das bedeutet, dass das menschliche Gehirn (als physikalische Entität) sowohl physische als auch mentale Eigenschaften aufweist. Einer der bekanntesten Vertreter des Eigenschaftsdualismus ist David Chalmers, der den Begriff des phänomenalen Bewusstseins (Qualia-Bewusstseins) hervorhebt und dabei zwischen dem schwierigen und dem leichten Problem des Bewusstseins unterscheidet. Während es sich bei dem schwierigen Problem des Bewusstseins um die Frage handelt, wie wir zu dem subjektiven Qualia29

29

Vgl. Popper; K.R./Eccles, J.C. (1982), 10f, 428f:, auch Eccles, J.C. (2000), 22f, 233f.

428 Erleben überhaupt fähig sind, ist das leichte Problem hingegen mit der kognitionswissenschaftlichen Erklärung mittels computionaler und neuronaler Systeme verknüpft . Die Akzeptanz des ontologischen Dualismus impliziert einerseits das Faktum der Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und Physischen und fragt andererseits, wie diese Wechselwirkung vor sich geht. Diesbezüglich gibt es drei klassische Standpunkte: (1) den Parallelismus – er geht vor allem auf Gottfried Wilhelm Leibniz und dessen These über die „prästabilierte Harmonie“ zurück. Demnach heißt es, bei der Schöpfung habe Gott die Monaden (d.h. hier Materie und Geist) so aufeinander abgestimmt wie ein Uhrmacher zwei Uhren. Auch wenn jede Monade ihren eigenen Gesetzen folgt und die kausalen Beziehungen es nur innerhalb einzelner Monaden gibt, entsteht der Anschein, als ob es zwischen ihnen einen wechselseitigen Einfluss gäbe; (2) den Okkasionalismus – er ist eine These, die von Nicolas Malebranche vertreten worden ist; sie bestreitet die echten kausalen Beziehungen und besagt, dass Gott die Gelegenheit (occasio) z.B. meiner Verletzung wahrnimmt, um in mir Schmerzen hervorzurufen, und er nimmt meine Absicht zum Arzt zu gehen als Anlass, um mich in Bewegung zu setzen; und (3) den Epiphänomenalismus – er wurde von Thomas Huxley angeregt und behauptet, dass obwohl mentale Phänomene durch physikalische Gehirnprozesse verursacht werden, sie ihrerseits keinen kausalen Einfluss auf den kausal abgeschlossenen Bereich des Physischen ausüben, wie z.B. das Pfeifen der Lokomotive auf das Fahren des Zuges. Neben dem ontologischen Dualismus, der als eine radikale Position in der Körper-Geist-Debatte anzusehen ist, weil er nicht nur die Existenz von zwei verschiedenartigen Entitäten, d.h. dem Mentalen und Physischen behauptet, sondern auch deren ontologischen Status bestimmen will, gibt es ferner einen auf Kant zurückgehenden gemäßigten dualistischen Standpunkt, den man als erkenntnistheoretischen Dualismus bezeichnet. Diese Position besagt, das Verhältnis von Geist und Gehirn lasse sich ontologisch nicht lösen, sondern es bleibe einer epistemischen Ebene vorbehalten wie die Relation zwischen dem „Ding an sich“ und der 30

31

30 31

Vgl. Chalmers, D. (1996), 3f; auch ders., (1998), 222f. Vgl. Bieri, P. (1993), 26.

429 Erscheinung (vgl. KrV B XVIIIf). Das Körper-Geist-Problem wird also von der ontologischen auf die epistemische Ebene hinübergeführt. In dem Kontext behauptet z.B. Colin McGinn, dass das Bewusstsein mit dem Gehirn „irgendwie“ verbunden ist, aber die Natur dieser Verbindung bleibt den Menschen „kognitiv verschlossen“. Dieser kantische Ansatz, der den dualistischen Charakter beibehält, erweckt jedoch in der gegenwärtigen philosophischen Debatte kein großes Interesse, ähnlich wie der Neutrale Monismus bzw. die Zwei-Aspekte-Theorie. Der Kern dieser Theorie besteht darin, dass eine dritte neutrale Entität eingeführt wird. Die Folge davon ist, dass der Unterschied zwischen dem Mentalen und Physischen für sekundär erklärt wird; beide Elemente sind nur zwei Erscheinungen eines Dritten. Diese Idee schwebte bereits Ernst Mach, Williams James und Bertrand Russell vor. 32

4.2.2. Materialistische Dimension Wenn man die Überzeugung von der Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und Physischen dualistisch erklären will, dann stößt man auf zahlreiche Probleme, auf die wir in unserer Abhandlung nicht näher eingehen können. Hier sei nur angedeutet, dass die meisten Probleme durch die Konfrontation der dualistischen Argumentation mit der These über die „Geschlossenheit der physischen Welt“ ausgelöst werden. Um derartige Probleme zu vermeiden, versuchen viele Denker ihre Ansätze monistisch zu begründen, d.h. es wird bloß eine einzige Entität zugelassen, die den Prozess der Wechselwirkung erklären soll. Dieser Erklärungsansatz wird daher als Monismus bezeichnet und tritt entweder als Materialismus oder als Idealismus auf, wobei der letztere – wie oben schon angedeutet – in der gegenwärtigen Debatte über das Körper-GeistProblem kaum eine Rolle spielt. Auch zur modernen, d.h. naturwissenschaftlich geprägten Begründung der epistemischen Überzeugung von der Wechselwirkung kann der Idealismus kaum etwas beitragen. Aus diesem Grund wird dem Materialismus eine spezifische Begründungsfunktion zugeschrieben. Obwohl die Ursprünge des Materialismus schon in der Antike zu erblicken sind, ist für ihn vor allem 32

Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 157f.

430 das 17. Jahrhundert, gekennzeichnet durch die Entwicklung der modernen Wissenschaften, entscheidend. So nimmt der Materialismus die Gestalt des Physikalismus ein, der dann im 20. Jahrhundert verschiedene Argumentationsstrategien entwickelt, je nachdem wie stark das Mentale reduziert wird. Die Entwicklung dieser Strategien wurde allerdings durch den Behaviorismus des 19. Jahrhunderts angeregt, der in zwei Varianten vorkommt, d.h. als methodologischer und logischer Behaviorismus. Während der erstere sich als eine Bewegung innerhalb der Psychologie auffassen lässt (z.B. John Broadus Watson und Burrhus Frederic Skinner) und behauptet, dass mentale Phänomene wissenschaftlich irrelevant seien, weil nur das menschliche Verhalten als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand ernst genommen werden könne, ist der letztere hingegen als eine Bewegung innerhalb der Philosophie anzusehen (z.B. Carl Gustav Hempel und Gilbert Ryle) und betont, dass die mentale Verursachung nichts anderes sei als die Manifestation von Verhaltensdispositionen. Ein logischer Behaviorist erklärt also, eine Aussage über den mentalen Zustand der Person lasse sich mit einer Menge von hypothetischen Aussagen übersetzen – nach dem Modell: „Wenn p, dann q“. Die Aussage „Hans glaubt, dass es regnen wird“ gleicht etwa einer Menge von Aussagen „Wenn Hans spazieren gehen wird, dann wird er einen Regenschirm mitnehmen. Wenn er sein Haus verlassen wird, so wird er alle Fenster schließen usf.“ Während die Behavioristen also bemüht sind, die wissenschaftliche Relevanz des Mentalen im Prozess der Wechselwirkung herunterzuspielen, wollen die Physikalisten hingegen auf dieser Basis den Status und die Funktion des Mentalen mit Hilfe des Begriffs „Reduktion“ bestimmen. Diese Bestimmung wird in der Identitätsthese (=Mentales ist mit Physischem identisch) fundiert und vollzieht sich in dreierlei Weise: (1) 33

34

Vgl. Ryle, G. (1969), 7f; auch Searle, J.R. (2006), 58f. Mit dem Blick auf das obige zu erklärende Schema müssen wir hier Folgendes sagen: Alle Abspaltungen der Identitätsthese lassen sich im Rahmen des reduktiven Physikalismus erläutern. Wenn wir in dem Zusammenhang auch den nichtreduktiven und den eliminativen Physikalismus sowie den naturalistischem Biologismus ansprechen, bedeutet das einfach, dass diese physikalischen Argumentationsstrategien für die Bildung der Überzeugungen von der Wechselwirkung ebenfalls entscheidend sind.

33 34

431 Als nichtreduktiver Physikalismus – hier wird der Begriff „Reduktion“ nur behutsam gebraucht. Demnach heißt das, es gibt sowohl physische als auch mentale Entitäten, und die letzteren lassen sich nicht auf die ersteren reduzieren. Die Nichtreduzierbarkeit kommt allerdings nur den Entitäten (wie höheres Bewusstsein und Selbstbewusstsein) zu, die wir den höheren Lebewesen zuschreiben können. Dabei wird jedoch klar betont, dass das Physische bei der Erklärung der Wechselwirkung entscheidend sei. So wird etwa von Jaegwon Kim die Supervenienzthese vorgeschlagen, die besagt, dass das Bewusstsein auf Gehirnprozesse superveniere. Mit anderen Worten: Das Mentale (M) superveniert auf das Physische (P), weil M von P komplett abhängt. Supervenienz bedeutet daher soviel wie „noch dazukommen“ und weist unterschiedliche Stärken auf. Eine andere Möglichkeit, die Nichtreduzierbarkeit des Mentalen zu begründen, stellt die Emergenzthese dar. Sie wurde aufgestellt, um den Mittelweg im Streit zwischen den Mechanisten und Vitalisten aufzuweisen. Ihre Befürworter (z.B. Conwy LIoyd Morgan, Samuel Alexander) behaupten, dass das Physische die Basis sei, auf der das Mentale erscheint (= emergiert). Schließlich wird die Token-Identitätstheorie, die besonders von Donald Davidson in der philosophischen Debatte hervorgehoben wurde, als nichtreduktives Verfahren angesehen. Wenn also die mentale Seite der realen Welt aus den Typen (z.B. Schmerzen „an sich“) und den Tokens (z.B. einzelnen Schmerzen) besteht, dann lassen sich nur einige Tokens auf Gehirnzustände reduzieren. So wird weder die kausale Geschlossenheit der Welt verletzt noch das Prinzip der Anomalie des Mentalen preisgegeben; (2) Als reduktiver Physikalismus - er nimmt den Begriff der Reduktion umfassend in Anspruch, so dass das Mentale auf das Physische gänzlich reduziert wird; beide Entitäten werden daher sowohl auf der Token-, als auch auf der Typen-Ebene für identisch gehalten. Deshalb wird der reduktive Physikalismus auch als Identitätstheorie bezeichnet, die von John Smart Ende der fünfziger Jahre angeregt wurde. Die Identitätstheorie 35

36

37

Vgl. Kim, J. (1984), 257f. Während die Mechanisten die Ansicht vertraten, dass sich die Eigenschaften von Lebewesen wie Fortpflanzung, Wahrnehmung usf. mechanisch erklären lassen, behaupteten die Vitalisten hingegen, dass dies grundsätzlich undenkbar sei, und darum postulierten sie einen besonderen Lebensgeist (élan vital). Vgl. Davidson, D. (1985); (1993), 3f; auch (1994), 231f. 35 36

37

432 reduziert den Dualismus zweier bloß korrelierender Ereignisse auf den Monismus eines letztlich neuronalen Ereignisses; dabei sind der semantische und der empirische Aspekt entscheidend, wie dies etwa der Gedanke „Wasser ist identisch mit H2O“ verdeutlicht. Die Identitätstheorie (IT) kann entweder in einer schwächeren Form auftreten, d.h. als Token-IT, die besagt, dass alle einzelnen Vorkommnisse (=Token) mentaler Phänomene faktisch mit bestimmten einzelnen Vorkommnissen von neurophysiologischen Phänomenen identisch sind, oder in einer stärkeren Form, d.h. als Typen-IT, die behauptet, dass alle Vorkommnisse (=Typen, d.h. Universalien) mentaler Phänomene schlechthin mit den Vorkommnissen neurophysiologischer Phänomene identisch sind. Sowohl die Token- als auch Typen-Identitätstheorie behauptet also, dass der Geist nichts anderes als das Gehirn und das Gehirn das Korrelat des Geistes sei. Wenn die Identitätstheorie eine Theorie über mentale Universalien ist, so scheint sie empirisch unplausibel. Will sie aber doch ihre Plausibilität durch die empirische Bezugname auf einzelne Zustände erlangen, dann kann sie keine allgemeinen Grundsätze liefern. Diese Konstellation eröffnet den Weg für den Funktionalismus, der besagt, dass die Bewusstseinszustände Funktionen von Gehirnzuständen sind. Anders formuliert: Gehirnzustände werden dadurch zu mentalen Zuständen, dass sie eine bestimmte Funktion im Gesamtverhalten des Organismus erfüllen. Mentale Zustände sind also funktionale Zustände, die in vielerlei Weise realisiert werden können. Der Funktionalismus (F) erscheint als semantischer F (=Black-box-F) und als empirischer F (=Computer-F). Der semantische Funktionalismus besagt, dass es zur Bedeutung mentalistischer Termini gehört, dass sie funktionale Zustände bezeichnen. Dabei wird das Gehirn als Black box behandelt und seine inneren Mechanismen bleiben unerklärt. Der empirische Funktionalismus beschreibt hingegen die Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und Physischen, indem er zum einen die Struktur des Computers „HardwareSoftware“ vor Augen hat, zum anderen dessen Arbeitsweise „EingabeVerarbeitung-Ausgabe“; und (3) Als eliminativer Physikalismus – dieser geht mit dem Mentalen sehr radikal um und bemüht sich, es aus der realen Welt wegzuräumen, d.h. zu eliminieren. Der Eliminierungsprozess 38

38

Dazu vgl. vor allem Putnam, H. (1993) und Dennett, D. (1994).

433 vollzieht sich in zwei Phasen, je nachdem wie stark das Mentale angegriffen wird. In der ersten Phase werden mentale Entitäten, obwohl sie streng genommen nicht existieren, doch für nützliche Abstrakta gehalten, ähnlich wie z.B. die Annahme des Schwerpunktes in der Physik. Diese Phase wird als Abstraktionismus bezeichnet und etwa von Daniel Dennett vertreten. In der zweiten Phase, die man als „Eliminativismus im engeren Sinne“ bezeichnen kann, wird dem Mentalen dagegen die Existenz völlig abgesprochen. So versucht etwa Richard Rorty die These des eliminativen Physikalismus zu begründen, indem er den Begriff der „Unkorrigierbarkeit des Mentalen“ kritisiert. Eine spätere Variante dieses Standpunktes wurde vor allem von Paul und Patricia Churchland formuliert. Demnach heißt es, dass wir unsere gegenwärtige alltagspsychologische Einstellung, deren Kern der Bezug auf mentale Phänomene ist, als eine Common-senseTheorie über das Verhalten verstehen können, die durch eine zukünftige, ideale Verhaltenstheorie abgelöst werden könnte, in der nur noch von neurophysiologischen Phänomenen die Rede wäre. Als klassisches Beispiel solcher Verfahrensweise gilt etwa die Theorie über die Sonnenuntergänge, die später durch die Rotation der Erde um ihre eigene Achse erklärt wurde. Bei der Analyse der Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und Physischen stellt sich allerdings die Frage, ob das Mentale auf das Physische tatsächlich reduziert werden muss. In dem Kontext schlägt John Rogers Searle eine Lösung vor, die als biologischer Naturalismus bezeichnet wird. Diese Lösung verabschiedet sich von der alltagspsychologischen Begrifflichkeit, um dann den Dualismus und Materialismus zu „überwinden“, indem diese beiden Standpunkte in der philosophischen Debatte vermieden werden. Deshalb kann man den biologischen Naturalismus als Mittelweg zwischen Dualismus und Materialismus bezeichnen. Entscheidend ist dabei die Verknüpfung von zwei folgenden Behauptungen: (1) Bewusstsein ist eine höherstufige (oder emergente) Eigenschaft des Gehirns, durch eine subjektive Erste-PersonOntologie gekennzeichnet und lässt sich nicht auf Gehirnvorgänge ontologisch reduzieren, sondern lediglich kausal; (2) Bewusstsein ist vom Gehirn verursacht, im Gehirn realisiert und mit anderen 39

39

Vgl. etwa Churchland, P.S. (1995), 464.

434 Makroeigenschaften wie z.B. Verdauung oder mit Flüssigkeit des Wassers vergleichbar; wenn man etwa Schmerzen empfindet, so werden diese durch bestimmte neuronale Prozesse sowohl verursacht als auch realisiert. Für den Begriff des Bewusstseins ergibt sich also daraus, dass Bewusstseinszustände im Gehirn als Eigenschaften des Gehirnsystems realisiert werden und deshalb auf einer höheren Ebene als der Ebene von Neuronen und Synapsen existieren. 40

4.3. Überzeugung von der Existenz Gottes Wenn menschliche Erkenntnissubjekte davon überzeugt sind, dass es einen Gott gibt, dann werden sie mit der Frage nach der Existenz Gottes konfrontiert. Diese Frage weist selbst einen metaphysischen Charakter auf und begründet gleichzeitig andere metaphysische Überzeugungen, wie z.B. die Überzeugung von der Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und Physischen (vgl. oben). Aus epistemologischer Sicht ist dabei zwingend festzustellen, dass wenn jemand eine Überzeugung von etwas hat, er auch einen Glaubensakt vollzieht. Das trifft vor allem auf die Überzeugung von der Existenz Gottes zu. Denn wenn ich davon überzeugt bin, dass Gott existiert, dann heißt das nichts anderes als zu glauben, dass Gott existiert. Will ich dieselbe Proposition auch anders ausdrücken, dann kann ich etwa behaupten, dass ich an die Existenz Gottes oder einfach an Gott glaube. So werden zwei verschiedene Dimensionen des Glaubensaktes sichtbar, nämlich „Ich glaube, dass X“ und „Ich glaube an X“. Während die erste Dimension sachbezogen ist, ist die zweite hingegen personbezogen. Wenn wir die beiden Dimensionen des Glaubensaktes auf Gott beziehen, dann erhalten sie einen metaphysischen Charakter und können – philosophisch gesehen – durchaus zum Problem werden. So stellt sich die Frage nach der Begründung von Überzeugungen oder Glaubensakten. Denn je mehr Erkenntnisse und begründete Überzeugungen wir haben, umso mehr nähern sich unsere Meinungen über die Welt dem an, was wir 41

Vgl. Searle, J.R. (1993), 130f; auch ders. (2006), 122f. Vgl. Rynkiewicz, K. (2010), 18f. Zudem gibt es eine dritte Dimension des Glaubensaktes „Ich glaube X“.

40 41

435 als ein rationales Weltbild bezeichnen. Soweit wir uns dabei nur von den Naturwissenschaften leiten lassen, bleibt dieses Weltbild bruchstückhaft. Denn naturwissenschaftliche Annahmen über die Welt sind im Prinzip stets revidierbar und bezogen auf viele Sachbereiche unvollständig. Trotz dieser Unabgeschlossenheit alles naturwissenschaftlichen Forschens gibt es für uns gute Gründe, unser Weltbild in den Naturwissenschaften zu verankern. Diese Gründe hängen mit den Methoden zusammen, nach denen die Naturwissenschaftler bei ihrer Forschungsarbeit vorgehen. Ein Blick in die Gegenwart und geschichtlich frühere Epochen zeigt aber, dass sich viele Menschen mit einem solchen bruchstückhaften Weltbild nicht begnügen. Sie möchten von der Welt ein vollständiges und dauerhaft gültiges Bild haben. Dieses Weltbild soll ihnen die Antworten vor allem auf zwei Fragen geben, nämlich auf die Woher-Frage: Woher ist das Leben und das Bewusstsein in die Welt gekommen? Allgemeiner formuliert: Wie ist die Welt entstanden? und auf die Wohin-Frage: Wo führt die Geschichte des Menschengeschlechts, des Universums hin? Beim Suchen nach den Antworten auf diese beiden Fragen geht es allerdings nicht nur um die Kenntnis von Tatsachen über die Welt, sondern auch um die Anhaltspunkte für eine normative Orientierung im Leben. Das bedeutet, es geht um die Wozu-Frage: Gibt es im Weltgeschehen einen übergeordneten Sinn? Gibt es unter dem, was wir in der Welt vorfinden, eine Grundlage für Wertüberzeugungen, durch die wir uns bei unserem Handeln leiten lassen können? Wollen wir nun diese Frage beantworten, dann können wir zumindest zwei Arten von Weltanschauungen ins Spiel bringen: eine religiöse und eine naturwissenschaftliche Weltanschauung. Da von dem Typus der Weltanschauung unsere Überzeugungen von der Existenz Gottes abhängen, wollen wir diese beiden Typen prägnant erläutern. Die religiöse Weltanschauung gründet im religiösen Glauben, der zumindest die folgenden vier Elemente umfasst: (1) den Glauben an ein transzendentes, personhaftes Wesen oder an mehrere solche Wesen, wobei ein solches Wesen Gott genannt wird; (2) den Glauben an eine Kommunikation mit Gott (z.B. in der Form des Gebets) sowie besondere Gefühle ihm gegenüber (z.B. Ehrfurcht, Dankbarkeit, Demut); (3) 42

42

Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 312f.

436 Aussagen über den Sinn und Zweck des Weltlaufs sowie über Werte und Verhaltenslinien, an denen sich die Gläubigen ausrichten sollen; und (4) den Glauben an ein Gericht oder wenigstens an Sanktionen Gottes und gleichzeitig an das Angebot eines Heilswegs für diejenigen Menschen, die sich an die Verhaltenslinien dieses Wissens halten. Das Charakteristische am religiösen Glauben an Gott ist also der Glaube an eine unsere Sinneserfahrung übersteigende Wirklichkeit „jenseits“ oder „hinter“ der sinnlich erfahrbaren natürlichen Wirklichkeit. Das bedeutet, für den religiös Glaubenden, insbesondere für den Monotheisten, zerfalle die Welt in zwei Bereiche, einen natürlichen und einen göttlichen. Inwiefern es zwischen den beiden Bereichen Verbindungen gebe, ist allerdings umstritten. Für die einen ist Gott das ganz Andere, Ferne, den Menschen Unzugängliche. Für die anderen gibt es zwischen den beiden Bereichen Übergänge. Ihnen zufolge kann sich Gott auch in der Welt offenbaren, sei es in einer Stimme oder sei es in Gestalt eines von Gott auf die Erde gesandten Stellvertreters. Innerhalb des Monotheismus ist zwischen dem Theismus und dem Deismus zu unterscheiden. Die christlichen Theisten z.B. glauben, dass Gott auch nach der Erschaffung der Welt seine Schöpfung weiterhin beeinflusst: durch Wunder, die Sendung seines Sohnes in die Welt, die Erhörung des Gebets usf. Die Deisten behaupten hingegen, dass Gott das Universum gebaut, Naturgesetze festgelegt und das Weltgeschehen nach der Ordnung dieser Gesetze in Gang gesetzt hat. Danach hat er aber in den Lauf der Welt nicht mehr eingegriffen und sich um die Angelegenheiten der Menschen nicht mehr gekümmert. Der religiöse Glaube wird stets durch eine Art Religion angeregt, innerhalb einer solchen erlebt, und gilt zudem als Fundament, auf dem sich eine Umdeutung der Religion vollzieht. Die Folge dieser Umdeutung ist eine Weltanschauung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Religion umzudeuten: (1) Als erste Form der Umdeutung können wir den Pantheismus nennen. Demnach wirkt Gott innerhalb der Welt, der Natur oder Geschichte. Er ist im Ganzen der Schöpfung und in den einzelnen Dingen oder Vorgängen derselben stets gegenwärtig, so dass wir ihn darin erkennen können. Die prinzipielle Schwierigkeit des Pantheismus besteht jedoch darin, dass nicht klar ist, welche Dinge und Vorgänge in der Natur 43

43

Die deistische Richtung wurde vor allem von vielen Aufklärern vertreten.

437 (bzw. Geschichte) als Manifestationen Gottes und welche als etwas NichtGöttliches zu betrachten sind. Wie steht es z.B. mit Magnetfeldern, Eiszeiten oder Verdauungsvorgängen? Das gleiche Problem tritt dann auf, wenn wir Gott etwa mit Hegel als einen Weltgeist oder mit Bergson als élan vital betrachten. (2) Die Umdeutung der Religion kann auch einen humanistischen Charakter aufweisen. So wird Gott z.B. mit dem Bezug auf den 1. Johannesbrief (1,4) gedeutet, wo es heißt: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“. Diese Umdeutung löst Gott in eine zwischenpersönliche Beziehung auf. Selbst wenn es Gott gibt, handelt es sich bei ihm nicht um das, worum es bei den Fragen wie „Existiert Gott?“ geht oder „Müssen wir Gott für das, was wir getan haben, einmal Rechenschaft ablegen?“ (3) Eine dritte Form der Umdeutung der Religion könnten wir das nennen, was man unter dem Begriff „Religion der Physiker“ versteht. Dabei handelt es sich jedoch nicht um das, was Physiker selbst meist glauben, sondern um das, was andere Menschen ihnen zuschreiben, d.h. das Staunen angesichts des Aufbaus des Universums, seiner großartigen Strukturen im Kleinen und Großen usf. In dem Kontext behauptet z.B. Einstein, dass er eine großartige Struktur in der Natur erblickt, die wir nur sehr unvollkommen zu erfassen vermögen und die einen denkenden Menschen mit dem Gefühl der Demut erfüllen muss. Selbst wenn dieses Gefühl echt religiös ist, hat es mit Mystizismus nichts zu tun. Einsteins Behauptung macht daher schon deutlich, dass die Physiker anstelle einer religiösen eine naturwissenschaftliche Weltanschauung setzen. Diese gründet größtenteils im empirisch nachweisbaren Wissen. Trotz seiner prinzipiellen Revidierbarkeit, was aus epistemologischer Sicht auch als Mangel angesehen werden kann, liefert dennoch das jeweilige naturwissenschaftliche Wissen ein spezifisches Gefühl der Sicherheit im Umgang mit der realen Welt und bei der Bildung entsprechender Überzeugungen, weil dadurch heute mehr Menschen erreicht werden können als durch eine bestimmte religiöse Weltanschauung. Demnach heißt das unter anderem, das Universum habe eine Geschichte und sei nicht als einmaliger Schöpfungsakt Gottes anzusehen. Es ist innerhalb sehr großer Zeiträume entstanden. Als entscheidende Ereignisse gelten dabei 44

44

Vgl. Brühlisauer, B. (2008), 314f.

438 insbesondere eine gewaltige Explosion vor 15 bis 20 Milliarden Jahren, durch die wahrscheinlich der Wasserstoff in den Weltraum geschleudert wurde, sowie die Bildung der Erde als Himmelkörpers vor etwa 5 Milliarden Jahren. Auf den ersten Blick scheint die These gerechtfertigt zu sein, dass der Entwicklung des Universums keine bewusste Planung zugrunde liege. Das muss auch erhebliche Auswirkungen für unsere Überzeugungen von der Existenz Gottes haben. Zwar werden die klassischen Eigenschaften Gottes wie Allmacht, Allwissendheit u.ä. desgleichen hervorgehoben, sie erhalten jedoch eine andere hermeneutische Umrahmung. In seinem Buch „Göttliches aus naturwissenschaftlicher Sicht“ fragt Hans Sixl, wie wir uns Gott vorstellen müssen. Diese Frage ist für die Bildung unserer Überzeugungen von Gott entscheidend. Nach menschlichen Vorstellungen muss Gott also ein geistiges Wesen sein, das schon immer und überall alles, was es gibt, beseelt. Nach naturwissenschaftlichen Erkenntnissen haben der unendlich ausgedehnte Raum, die Zeit und die darin befindliche Gesamtenergie sowie die Gesetzmäßigkeiten, die alles beherrschen, göttliche Eigenschaften. Sie sind alle etwas Geistiges, Allgegenwärtiges, Vollkommenes, Allmächtiges und Ewiges. Angesichts des riesigen Universums mit Trillionen von Sonnen und Planeten, das aus einer absolut unvorstellbar gewaltigen Energie vor Milliarden Jahren entstanden ist, gleicht es einer absolut kindlich naiven Vorstellung, sich Gott als Individuum, wie einen Menschen, vorzustellen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass er eher seine göttlichen Eigenschaften in das von ihm geschaffene Universum und die gesamte Natur einfließen ließ, als dass allein der Mensch, eine vielleicht unbedeutende Spezies in der Natur auf einem von den Trillionen Planeten im Universum, das nach Milliarden von Jahren der Evolution zuletzt entstand, für ihn wichtig war. Wenn vor dem Urknall, aus dem unser Universum entstanden ist, etwas war, dann war es aus naturwissenschaftlicher Sicht neben Raum und Zeit etwas Geistiges, aus dem alles nach physikalischen Gesetzen entstanden ist. Dies kann nur eine unvorstellbar große Energie gewesen sein, die nach dem Energieerhaltungssatz der Physik alle Zeiten überlebt. Da Gott nach unseren Vorstellungen schon immer seit Ewigkeiten existierte und weitere Ewigkeiten existieren wird, ergeben sich zunächst zwei Möglichkeiten: Entweder hat Gott die Energiequelle, aus der alles entstanden ist, und die

439 Naturgesetze, mit denen alles nach seinem Willen abläuft, durch ein Wunder geschaffen, oder Gott ist selbst die Energiequelle, aus der alles entstanden ist und der Geist in den Naturgesetzen, mit denen er alles beherrscht. Die erste Variante entspricht einem Wunder, an das wir zwar glauben können, das aber nicht wahrhaft göttlich ist. Hier wird also davon ausgegangen, dass Gott vor Milliarden Jahren nur ein oder zweimal aktiv war und sich danach aus dem Geschehen zurückgezogen hat. Die zweite Variante hingegen führt alles, was ewigen Bestand hat, ohne Wunder zusammen. Wenn Gott die Energiequelle ist, mit der alles entstanden ist und die in unterschiedlicher Form auch ewige Zeiten zuvor existiert hatte, dann steht alles im Einklang mit dem Geist seiner Naturgesetze und entspricht unseren Vorstellungen von seinen göttlichen Eigenschaften. So wie nach unseren menschlichen Vorstellungen ein allmächtiger Gott schon immer und ewig existiert, so existieren auch Raum und Zeit, Energie und die Naturgesetze schon immer und ewig. Wenn Gott eine Einheit mit allem bildet, dann steht das gesamte materielle und geistige Geschehen in unserem Universum ohne Wunder im Einklang mit den Naturwissenschaften. Wie der Geist unseren Körper beseelt, so beseelt sein göttlicher Geist alles, was es gibt. Unser naturwissenschaftlicher Sachverstand fordert diese einzig mögliche Gottesvorstellung. Der riesige Raum, die ewige Zeit, die unvorstellbare Energie des Universums und die alles beherrschenden Naturgesetze besitzen seit ewigen Zeiten alle göttlichen Eigenschaften. Niemand weiß genau darüber Bescheid, aus was das riesige Energiebündel bestand, aus dem unser Universum entstand und warum es zu dieser gewaltigen Explosion kam, die Trillionen Sonnen ins Weltall schleuderte. Jedoch allein, dass es so war, ist wissenschaftlich mit eindeutigen Fakten beweisbar, das Wie und Warum wissen wir nicht. Wenn wir Gott suchen, dann finden wir ihn in der riesigen Energie des Universums und den Gesetzmäßigkeiten der Natur, die uns ihre göttlichen Eigenschaften offenbaren und die er mit seinem Geist seit ewigen Zeiten beherrscht. Was vor dem Urknall war, wissen wir zwar nicht, aber wenn Gott schon immer wandelbar in allem existierte und alles beherrschte, dann bleiben unsere Vorstellungen von Gott, deren Logik ebenfalls seinen göttlichen Regeln unterworfen ist, in sich absolut schlüssig und widerspruchsfrei. So wie unser Universum aus Energie entstanden ist,

440 Sonnen und Planeten bildete, so wird es sich mit ihr auch weiter verändern. Mit ihr verwandelt sich auch der göttliche Geist, der alles vorantreibt. 45

5. Das Problem der epistemologischen Naturalisierung Das epistemologische Engagement menschlicher Subjekte muss im 21. Jahrhundert stärker denn je aus Sicht der Naturwissenschaften betrachtet werden. Eine derartige Analyse ist schon deshalb erforderlich, weil das Resultat epistemischer Aktivität zum großen Teil naturhafter Provenienz ist, wobei hier das Prädikat „naturhaft“ soviel wie „empirisch“ bedeutet. Das leuchtet besonders dann ein, wenn wir in der Epistemologie über empirische Erkenntnis sprechen. Die Relevanz der empirischen Erkenntnis für die epistemologische Debatte wurde neuerdings von Fred Dretske hervorgehoben, wenn er im Kontext seiner Betrachtungen bezüglich des Wissensbegriffs von „simple seeing“ spricht. Dabei handelt es sich um nichts anderes als um das einfache Sehen von Gegenständen. Durch diesen Erkenntnisvorgang erhalten die Erkenntnissubjekte viele grundlegende Informationen über ihre Erkenntnisgegenstände. Das was das einfache Sehen ausmacht, ist der intrinsische Charakter dieses Erkenntnisprozesses, welcher sich in den Subjekten abspielt und insofern als spezifischer Typus des Informationsträgers angesehen wird. Diese Behauptung von Dretske bringt für die philosophische Debatte eigentlich nichts Neues. Denn auf die Relevanz empirischer Erkenntnis hat schon David Hume paradigmatisch hingewiesen, vermutlich viel stärker als seine philosophischen Vorläufer. Humes Entwurf einer Fundierung der Wissenschaften soll ohne apriorisches Wissen über die Funktionsweise der Realität auskommen. In seinem „Traktat über die menschliche Natur“ vertritt Hume nun die Auffassung, die einzig sichere Grundlage zunächst der Lehre vom Menschen, d.h. seiner Erkenntnisfähigkeit in philosophischer und psychologischer Hinsicht liege in der Erfahrung und Beobachtung. 46

47

Vgl. Sixl, H. (2010), 296f, 309f. Vgl. Dretske, F. (2000), 97f, 112. Erkenntnisprozess als Informationsträger muss von dem Subjekt als Informationsträger unterschieden werden. Vgl. Hume, D. (1984), 4. 45 46

47

441 Der empirische Standpunkt Humes wurde von Willard Van Orman Quine aufgegriffen und im Kontext seiner Reflexion über die Naturalisierung der Erkenntnistheorie kritisch betrachtet. Quine war einer der wichtigsten Befürworter der naturalisierten Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. Im Anschluss an das Verfahren der Mathematik und Logik unterscheidet Quine zwischen Begriffs- und Geltungsanalysen, die er im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für epistemologische Analysen prüft, um dann festzustellen, dass sie auch für die Erkenntnistheorie im Allgemeinen nützlich seien. Während eine Begriffsanalyse sich mit der Bedeutung von Begriffen befasst, handelt es sich hingegen bei einer Geltungsanalyse um das Wahrheitsproblem. So können wir nach Quine bei Hume sowohl die Begriffs- als auch die Geltungsseite des Problems erblicken. Bei der Erläuterung der begrifflichen Seite setzt Hume den Begriff „Körper“ mit dem Begriff „Sinneseindruck“ gleich, weil der gesunde Menschenverstand etwa zwischen dem materiellen Apfel und unseren Sinneseindrücken von ihm unterscheidet. Wollte man diese Unterscheidung leugnen, so käme es zu einer allgemeinen Verwirrung. Wenn es hingegen um die Geltungsseite geht, so kann Hume keine Lösung bringen. Obwohl ihm durch die Gleichsetzung von Körpern mit Sinneseindrücken gelingt, einige singuläre Aussagen über Körper als unbezweifelbare Wahrheiten zu verstehen, kann er doch nichts zur Verbesserung der Gewissheit allgemeiner Aussagen und singulärer Aussagen über die Zukunft beitragen. Laut Quine gibt es vorab zwei Möglichkeiten, diesem Unbehagen Humes zu entgehen. Zum einen ist die von Jeremy Bentham entdeckte und von Gottlob Frege und Bertrand Russells geprägte Kontextdefinition zu beachten. Demnach heißt es, wenn wir einen Term erklären wollen, dann brauchen wir weder einen Bezugsgegenstand noch ein synonymes Wort, sondern lediglich aufzuweisen, wie alle vollständigen Sätze zu übersetzen sind, in denen dieser Term vorkommt. Damit wird also deutlich, dass der den Kontext bildende Satz als primärer Bedeutungsträger anzusehen ist. Zum anderen erweist sich die Mengentheorie für die epistemisch-begrifflichen Analysen auf dem Gebiet der Ontologie der Sinneseindrücke als behilflich. Dann haben wir es nicht mehr mit den Sinneseindrücken zu tun, sondern mit den 48

48

Vgl. dazu auch 4.2. (Kap. V).

442 Mengen von ihnen. Mit diesen Behauptungen plädiert Quine also für eine epistemologische Position, die man inzwischen in der philosophischen Debatte als Holismus bezeichnet. Dieser holistische Standpunkt beruht auf zwei Hauptthesen des Empirismus: Während die erste These besagt, dass alles, was für oder gegen wissenschaftliche Theorien spricht, aus der Sinneserfahrung stammt, will die zweite These hingegen klar machen, dass jegliche Bedeutungsgebung für Wörter letztlich auf der Sinneserfahrung gründen muss. Wenn wir Quine fragen, wie er seine epistemologischen Ansprüche in die Tat umsetzen wolle, dann gibt er uns Folgendes zur Antwort: Wir müssen die Psychologie als empirische Wissenschaft in Betracht ziehen. Die Folge davon ist, dass die Erkenntnistheorie durch Quine in der Psychologie aufgelöst wird. Eine klassische Erkenntnistheorie, welche wir etwa bei Hume finden und welche die aus Sinnesdaten zusammengebauten empirischen Wissenschaften einzuschließen strebt, ist nach Quine nicht mehr möglich. Eine Erkenntnistheorie muss vielmehr heute dem Prozess der Naturalisierung dadurch unterzogen werden, dass sie die der empirischen Psychologie zu verdankenden Möglichkeiten in Anspruch nimmt. Als Teilgebiet der Psychologie kann die Erkenntnistheorie dann in die empirischen Wissenschaften problemlos eingegliedert werden. Was ergibt sich daraus für die epistemologische Erwägung? Nach Quine untersuchen wir, wie das menschliche Subjekt, das unseren Gegenstand bildet, Körper postuliert und seine Physik aus seinen Daten projiziert, und wir begreifen, dass unsere Stellung in der Welt der seinen gleicht. Die Erkenntnistheorie „studiert“ also ein physisches menschliches Subjekt. Diesem Subjekt wird ein bestimmter, experimentell kontrollierter Input gegeben, und zur rechten Zeit liefert das Subjekt als Output eine Beschreibung der dreidimensionalen Außenwelt und ihres Verlaufs. Dieses empirische Modell der Epistemologie lässt sich bündig wie folgt beschreiben: Die Erkenntnistheorie ist in den empirischen Wissenschaften und die empirischen Wissenschaften sind in der Erkenntnistheorie enthalten. 49

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49 50 51

Vgl. Quine, W.V.O. (2003), 85f. Vgl. Quine, W.V.O. (2003), 90f. Vgl. Quine, W.V.O. (2003), 98f.

443 Der epistemologische Anspruch von Quine lautet also, die naturalisierte Erkenntnistheorie habe heute vom klassischen Standpunkt auszugehen und sich der mathematischen und psychologischen Elemente zu bedienen. Während der Einsatz der mathematischen Elemente bei der Erläuterung epistemologischer Resultate an sich weder in Frage gestellt noch außerhalb einer konkreten Konstellation genauer bestimmt werden muss, weil diese Elemente für jeden Erkenntnisprozess erforderlich sind, sollen hingegen die psychologischen Elemente, die für die Naturalisierung der Erkenntnistheorie schlechthin stehen, auch durch die Aspekte der Neurowissenschaften ergänzt werden. Denn die Lage der Epistemologie im 21. Jahrhundert hat sich vor allem aufgrund der neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Neurowissenschaften radikal verändert. Wollte man also heute eine zeitgemäße Naturalisierung der Erkenntnistheorie vorantreiben, dann könnte man dies dadurch tun, dass man etwa die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung vor Augen hat. Daran konnte Quine selbstverständlich noch nicht denken, weil die Hirnforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch keine gewichtigen Resultate vorlegen konnte. Dass es derzeit anders ist, können wir etwa an der Auffassung des Mikro-Makro-Problems aus neurophilosophischer Sicht beobachten. Selbst wenn wir von der Mikroebene ausgehen müssen, weil z.B. Drogen wie Alkohol, Kokain usw. bei Substrukturen von einzelnen Nervenzellen Reaktionen auslösen können, müssen wir zugleich die Makroebene beachten, weil erlebens- und verhaltensrelevante Effekte nur durch veränderte Prozesse und Zustände von größeren Nervennetzen auftreten. Deshalb ist die Kenntnis einzelner molekularer Mechanismen nicht hinreichend. In dem Kontext ist auf eines der heute wohl wichtigsten Prinzipien der kognitiven Neurobiologie hinzuweisen, nämlich auf den Grad der Kohärenz elektrischer Aktivität. Diese Kohärenz lässt sich über Frequenzanalysen des EEGs (=Elektroenzephalographen) ermitteln. Die Verbindung zwischen der Signalebene der globalen Gehirnaktivität und der Einzelzellaktivität erblickt man vor allem in der Synchronizität (Kohärenz) der Entladungen der lokalen Neuronenpopulationen. Bei starker Kohärenz kann eine hohe geistige Leistung auftreten, wie dies z.B. bei den

444 Erkenntnisleistungen der visuellen Wahrnehmung nachgewiesen werden kann. Aus dem Vorangehenden ergibt sich, dass die Naturalisierung der Erkenntnistheorie – und zwar unabhängig davon, wie weit dieser Prozess aufgefasst wird – einen Teil der empirischen Forschung darstellt. Dadurch entstehen sowohl epistemologische Vorteile als auch Nachteile. Unter Vorteilen ist vor allen Dingen eine außergewöhnliche Überzeugungskraft zu erwähnen. Ihre Außergewöhnlichkeit besteht darin, dass sämtliche epistemologische Behauptungen durch empirisch-experimentelle Resultate gestützt werden, die sich überwiegend kaum in Frage stellen lassen. Zu den Nachteilen gehört hingegen, dass empirische Forschung in der Regel nur „beschreibt“, aber nicht „erklärt“, denn dazu sind Hypothesen erforderlich oder gar Theorien. Bloße Beobachtungen ohne Überlegungen „erklären“ prinzipiell nichts. So können wir durchaus folgende These aufstellen: Empirie ist ohne Theorie „blind“. Diese zweidimensionale epistemologische Konstellation hat als Resultat ein wissensbasiertes Menschen- und Weltbild. Es baut auf naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten auf, mit denen unsere Welt und die Menschheit im 21. Jahrhundert beschrieben und verstanden werden kann, begleitet von epistemologischem Realitätsbezug und Beweisbarkeit. 52

53

6. Kritischer Ausblick Abgesehen davon, welches Forschungsgebiet betrachtet wird, gilt, dass jedes Resultat sich verändern kann. Das bedeutet, dass wir niemals von einem endgültigen Resultat reden können. Denn die innere Logik des Begriffs „Resultat“ verfügt über ihre eigenen Gesetze, welche die semantische Stabilität nicht garantieren können. Das Gleiche lässt sich auch im Hinblick auf andere wissenschaftliche Begriffe feststellen, auch in Bezug auf den Begriff „Philosophie“. In der Einleitung zu seiner „Einführung in die Logik“ schreibt Albert Menne Folgendes: „Ich möchte hier einmal nachdrücklich vor solcher Methode warnen, denn viele Worte haben im Laufe der Geschichte ihre Bedeutung gründlich 52 53

Vgl. Treter, F. u.a. (2010), 166f. Vgl. Treter, F. (2010), 151, 39.

445 geändert: ίδιώτης hieß soviel wie der einfache Soldat oder der Privatmann, keineswegs „Idiot“, und βιολόγος darf man nicht mit „Biologe“ übersetzen, sondern es bedeutete „Schauspieler“. Übrigens darf man deshalb auch φιλοσοφία nicht mit „Philosophie“ übersetzen, sondern es bedeutet ganz allgemein „Wissenschaft“. Wenn man das einmal weiß, bekommt die Forderung Platos, der Staat solle von den „Philosophen“ regiert werden, einen ganz anderen Sinn!“ 54

Dieses Zitat macht also deutlich, dass sich die Bedeutungen von Wörtern im Laufe der Zeit verändern. Das gilt nicht nur für das Wort „Logik“, das Menne in erster Linie vor Augen hat, sondern auch für das Wort „Resultat“. Derartige semantische Veränderungen ziehen jedoch auch propositionale Auswirkungen nach sich. So können wir durchaus behaupten, dass sich auch die Bedeutung des Ausdrucks „epistemologisches Resultat“ im Verlaufe der Philosophiegeschichte verändert hat und noch weiter verändern wird. Für unsere ganze Analyse heißt das: Der hier skizzierte Umgang menschlicher Erkenntnissubjekte mit Wissen erhebt weder den Anspruch auf die Endgültigkeit des Resultats noch auf seine epistemische Objektivität. Die Folge davon ist, dass die Dynamik epistemologischer Prozesse unangetastet bleibt. Das ist aber unerlässlich für die Entwicklung des epistemischen Raumes überhaupt sowie dessen Anpassung an die sich dauernd verändernde Welt. Deshalb werden auch wir dankend und mit voller Bewusstsein in Kauf nehmen müssen, wenn die Resultate unserer Analysen kritisch behandelt werden. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass einige Impulse zum Umgang mit Wissen heute trotzdem gegeben wurden.

Menne, A. (2001), 7. Was die im Zitat angesprochene Methode anbelangt, so handelt es sich um die Ergründung eines Wortes, indem man auf seinen Ursprung zurückgeht. 54

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465

Personen- und Sachindex I. PERSONENINDEX Adeotatus, 32 Albert, H., 372, 375 Ambrosius, 32 Anaxagoras, 21, 311 Anaximander, 20 Anken, L., 326 Anzenbacher, A., 49, 70, 184f, 289f, 415 Apel, K.O., 351f Aristoteles, 14f, 18, 25f, 82, 87, 98, 158, 193, 259, 271f, 340, 254, 415 Arkesilaos von Pitane, 105 Audi, R., 125, 164, 176 Augustinus, 30, 32f, 94 Austin, J.L. 83, 251, 261 Ayer, A., 137, 181 Barthesm, R., 72 Bealer, G., 301 Becke, A., 65, 114 Bennett, M.R., 82 Bergmann, G., 55 Berkeley, G., 16, 47f, 344f Bernecker, S., 408f Bertalanffy, L., 72 Bieri, P., 43, 320, 428 Blanshard, B., 347 Blume, Th., 189 Bochenski, J.M., 252, 272, 286, 395f BonJour, L., 171, 181, 233, 253, 285 Bradley, F.H., 347 Braithwaite, R.B., 313

Brandom, R., 347 Brentano, F., 387 Brodbeck, K.H., 140f, 145f, 160, 166f, 193f, 256 Brugger, W., 8, 14, 267, 270f Brülisauer, B., 139f, 148f, 156f, 166f, 170f, 178f, 195f, 220f, 292f, 303f, 310f, 322f, 384f, 390f, 408f, 417f, 435f Brüntrup, G., 314 Bunge, M., 240 Campbell, D.T., 76 Carnap, R., 54f, 148, 180, 218, 298, 371 Cassam, Q., 111, 146, 152 Chalmers, D., 130, 428 Churchland, P.S., 433 Chisholm, R.M., 180 Cohen, S., 248 Collins, A., 379 Coreth, E., 53, 64, 123, 281, 290, 315, 327f David, M., 99 Davidson, D., 130, 183, 282, 310. 324, 329, 363f, 431 Davis, W.A., 154 Deleuze, G., 72 Dennett, D., 432 DePaul, M., 199 DeRosse, K., 253 Deppert, W., 87f

466 Derrida, J., 71 Descartes, R., 16, 26, 33, 40f, 59f, 67, 94, 108f, 117, 132f, 269, 276f, 333f, 368f, 426f Dewey, J., 84 Dilthey, W., 324f Disse, J., 19, 26, 39, 52, 58, 332, 379 Dowell, J., 416 Dray, W., 308 Dretske, F., 67f, 150f, 164f, 235, 238, 241f, 253f, 440 Dummett, M., 382 Düring, I., 25 Eccles, J.C., 427f Empiricus, S., 102, 355 Empodekles, 21 Engels, F., 53 Ernst, G., 17, 104, 172, 180f, 210, 217, 233, 250, 275, 283, 299, 302f, 338, 348, 392 Feigl, H., 55 Feuerbach, L.52f Feyerabend, P., 85f, 218 Fichte, J.G., 328 Fischer, M., 360f, 364f Forster von, H., 73 Foucault, M., 71f Frege, G., 209, 214, 342, 356f, 363 Freud, S., 323 Fröbes, J., 276 Galilei, G., 41, 272 Georgias von Leontinoi, 21 Gettier, E., 221f Goldman, A., 225, 235, 238, 241f, 255

Goodwin, B., 74 Gödel, K., 55, 168 Greco, J., 244, 273 Grundmann, Th., 121f, 131f, 141, 171f, 177f, 198f, 205f, 214f, 223f, 248f, 254f, 270f, 283f, 295f, 340f, 348f, 357f, 376f Gupta, A., 360 Habermas, J., 256, 349f, 374f Haeckel, E., 76 Hagen von, G., 86 Hahn, H., 55 Harman, G., 223 Hartmann, N., 144 Hawking, S.W., 262f Hegel, W.G., 18, 41, 50f, 114, 140, 145, 158, 331f, 355 Heidegger, M., 64f, 140, 147, 260, 340, 355, 356 Heinzmann, R., 32f Hempel, G., 55. 187f, 304, 313, 388 Heraklit, 20f Herschel, W., 85 Hesiod, 20 Hobbes, Th., 200f Hofmann, F., 98 Holcroff, D., 70 Hopp, W., 416 Horn, Ch., 413 Höffe, O., 353 Hönigwald, R., 141, 150 Horkheimer, M., 354 Hume, D., 16, 44f, 148, 180, 290f, 305f, 369f, 440 Husserl, E., 59f, 65f, 103, 114f, 258, 286, 333f, 344f

467 Hübner, K., 330 McGinn, C., 429 Ingarden, R., 61f, 118f, 156f, 205, 331, Menger, K., 55 387 Menne, A., 271f, 445 Iorio, M., 414 Meyer, H., 25, 36, 75, 318 Jackson, M., 95, 203 Misselhorn, C., 120 Jaeger, W., 25 Moore, G., 122f Jagiello, J., 191 Mutschler, H.D., 272 Jakobson, R., 71 Müller-Lyer, F., 96, 387 James, W., 352, 429 Nagel, E., 313 Jaspers, K., 326f Neurath, O., 55 Joachim, H.H., 347 Newton, I., 41 Kant, I., 16, 18, 41, 47f, 82f, 110f, 130f, Nida-Rümelin, J., 310, 415 143f, 152f, 170f, 246f, 267f, 278f, 327f, Niemann, H.J., 76 355f, 370, 379f, 413 Nietzsche, F., 257 Karneades, 105 Nozick, R., 133, 238, 241f, 253 Kaufmann, S., 74 Ockham von, W., 38f Keller, A., 351 Oppenheim, R., 187f Kim, J., 295, 431 Paulus (der Apostel), 31, 166 Koppelberg, D., 199 Paxon, Th., 227 Kornblith, H., 217, 220 Peirce, C.S., 217f, 328f, 349f, Kreiser, L., 360 352f, 375 Kripke, S., 284 Platon, 7, 14, 18, 21, 22f, 26, 33, Kuhn, Th., 84f 39, 87, 106f, 133, 159f, 195, 232, Kutschera, F., 190f 256 Lacan, J., 72 Plotin, 19, 28f Lambert, J.H., 73 Pollock, J.L., 393f Lehrer, K., 227 Popper, K., 55, 76, 135, 146, 161, Leibniz, G.W., 41 196f, 363, 375, 427 Levi-Strauss, C., 71 Prauss, G., 161, 185 Lewis, D., 248f, 375 Puntel, L.B., 329 Locke, J., 16, 45, 148, 158f, 179f, 387 Putnam, H., 109, 130, 181, 234, Lorenz, K., 75 347, 361f, 432 Luhmann, N., 73f Pyrrhon von Elis, 102 Lukip aus Milet, 21 Pythagoras, 20f Mach, E., 429 Quine, W.V.O., 55, 129f, 189f, Marx, K., 41, 52f 218, 289f, 293f, 360, 386, 442f

468 Ramsey, F.P., 83, 360 Tales, 20 Rähme, B., 347f, 374f Tarski, A., 55, 167f, 211, 215, 359 Ricken, F., 19, 23, 29, 102, 106, 271, Thomas von Aquin, 15, 30, 34f, 37f, 413 66, 160f, 212f, 340f, 355, 413 Ruß, H.G., 49, 56, 186f, 337f, 371f Tretter, F., 319f, 444f Rorty, R., 127f Vollmer, G., 75 Ross Ashby, W., 73 Vossenkuhl, W., 57f Ruprecht, Th., 306 de Vries, J., 28, 268, 327, 336, 344 Russell, B., 168, 180, 352, 429 Waismann, F., 55 Ryle, G., 251, 317, 430 Whitehead, A.N., 166f Rynkiewicz, K., 60f, 64f, 69, 73f, Wiener, N., 73 77, 80f, 108f, 114, 118f, 143f, 149f, Williams, M., 253 157f, 177f, 202f, 229f, 256f, 261f, Williamson, T., 198 277f, 299f, 310f, 359f, 419f, 426f, Wittgenstein, L., 13, 56f, 83, 138, 434 156f, 251, 257, 300f, 317, 323, 341, Santaler, J., 330 371, 400f Sartwell, C., 199, 233 Wright, C., 329, 362f, 401f Sassure, F., 70f Xenophanes, 20 Scheler, M., 353 Zeyer, K., 190 Schlick, M., 55f Scotus, D., 38 Searle, J., 43, 77, 82f, 208f, 234, 295f, 430, 434f Sellars, W., 183, 296, 416 Shapiro, L., 278 Silins, N., 124 Singer, W., 81, 160 Sixl, H., 318, 407f, 440f Smart, J., 431 Sokrates, 18, 21f, 39 Sosa, E., 98, 244f Stein, E., 37 Ströker, E., 115 Strawson, P., 360 Sturma, D., 81 Stüber, K.R., 128f

469

II. SACHINDEX Anámnesis, 24 Antike, 18f Antinomien, 170f Apeiron, 20 Argument - Exklusivitäts-, 284f -Selbstaufhebungs-, 285f - skeptischer, 131f Autorität, 389 Bedeutung, 75 Begriff, 152f, 297f Beschreibung - dünne/dichte, 421f Bewusstsein, 63f, 80f, 332f, 425f - Täuschung, 96, 200f Christentum, 30f Cogito, 43, 108, 277, 368 Deduktion/Induktion, 26f, 175, 266f Denken, 23f, 157f Deutlichkeit/Klarheit 43 Dialektik, 50f Diskursanalyse, 71f Dualismus/Monismus, 425f Eidos/Wesen, 29 Eine das, 28f Empirismus - logischer, 54f Entelechie, 25 Erfahrung - empirische, 45f - innere 32f Erkennen/Erkenntnis, 7f, 22f, 36f,

54f, 67f, 113f, 139f, 183f, 235f, 270f, 326f, 370f, 407f - abstrakte, 40 - begriffliches, 149f - einfaches, 146f - intuitive, 40 - propositionales, 154f - Quellen, 173f - Resultat, 407-447 Erkenntnistheorie/Epistemologie, 7f, 13f, 62f - christliche, 31f - evolutionäre, 74f, 190 - im engeren Sinne, 9, 14, 66f - naturalisierte, 292f, 440f - Erklärung, 26, 186f, 230f, 265f, 303-314 Erschlossenheit, 64f Ethik, 16f Evidenz, 108f, 227f, 344f Fallibilismus, 109f, 249f, 373f Fundamentalismus, 180f, 219f, 385f Gedächtnis, 389 Gegenstand, 57f, 327f Geist, 28f, 50f, 78f, 153f, 331f Geltung, 379f Geschlossenheit - epistemologische, 98 - von Wissen, 251f Gesellschaft, 9 Gettierproblem, 177, 221f Gewissheit, 33, 59, 107f, 162f, 208f, 217f, 334f, 367f, 377f

470 Glaube, 34, 321f, 435f Gott, 34f, 434f Gottesbeweis, 170f - noologischer, 34 Grenze, 91f, 113 Grund, 19f, 176f, 228f, 252f, 310, 418f Handeln, 412f Handlungstheorie, 17 Hypostase, 28 Idealismus, 50f - transzendentaler, 61f, 288f Idee/n, 22f, 45f, 89 - angeborene, 44 - des Guten, 24 Indeterminismus/Determinismus, 419f Intellekt/Nus, 25, 35f Intelligenz - Künstliche, 77f Intension/Extension, 197f Internalismus/Externalismus, 121f, 129f, 230f, 384 Intuition, 61f, 120f, 296f, 388f Kategorien, 49 Kausalität, 45f, 151f Kohärentismus, 180-183, 219 Kompatibilismus/ Inkompatibilismus, 420f Konsistenz, 172f, 392f Kontextualismus 244-248 Kybernetik, 73f Logik 16 Logos, 20f, 31 Materialismus - dialektischer, 52f

Meinen/Glauben, 23f, 161f, 408 Metaethik, 17 Metaphysik, 15, 32f, 48f, 56f Methode, 22, 32f, 48f, 56f - hermeneutische, 302f - naturalistische, 289-296 - rationalistische, 269-290 - reliabilistische, 135f, 238-241 - scholastische, 15 Methexis, 22 Minimalismus (Anti-), 110f Mythos des Gegebenen, 416 Naturalismus, 127f, 290f, 440f - biologischer, 433f Neurowissenschaft, 80f Nominalismus, 38f Objektivität, 325f Ontologie, 15f, 64f Paradigma, 84f Paradox, 166f Paralogismus, 170f Petitio principii, 119f, 330 Phänomenologie, 59f, 61f, 285f Philosophie - als strenge Wissenschaft, 59f, 334 Pragmatismus, 82f Problem - transzendentales, 48f Protokollsätze, 56 Prozess - Illuminations-, 32f Psychologie, 17 Quietismus, 398f Rationalismus, 41f Realismus, 38f - Interner, 361f

471 - Kritischer, 76 Rechtfertigung, 16, 131f, 171f, 215f, 228-230, 382-393 Reduktion, 60f, 115f, 287f, 334 Regress ad infinitum, 27, 103f, 119f, 134f, 372f Relativismus, 21, 87f, 103f Religion, 18, 30f, 435f Satz - vom ausgeschlossenen Dritten, 27 - vom Widerspruch, 27 Seele, 15, 20, 28, 51 Sein, 21f, 64f Skepsis, 91f, 125f, 165f - akademische, 105-106 - kartesische, 106-110 - perzeptive, 95-98 - phänomenologische, 114-121 - pyrrhonische, 102-105 Skylla/Charybdis, 401f Solipsismus, 47, 169 Sophistik, 21 Sprache, 258f Sprachspiele, 57f Strukturalismus (Post-), 69f Subjekt, 126, 142f, 221f, 275f, 326f - menschliches, 7f - transzendentales, 47f Substanz, 43f, 79f Syllogismus, 26f, 271 System, 72f Theologie, 35f Transzendental, 278f Traum, 97f

Universalien, 38f Ursache/Wirkung, 46f Urteile - a priori/a posteriori, 49f, 111f, 268f, 380f Überzeugung, 162f, 206f, 211f, 215f, 221f, 408f - Basis-, 180f - metaphysische, 417f Vernunft, 15, 48f, 280f, 373f Verstand, 13 Verstehen, 314-317 Wahrheit, 17, 24, 34f, 64f, 148f, 211f, 329f, 338f, 410 - doppelte, 41 Wahrheitstheorie, 339 - Axiomatische, 365-367 - deflationäre, 357-362 - epistemische/realistische, 343368 - Kohärenz-, 346-348 - Konsens-, 348-352 - Korrespondenz-, 354-357 - Pragmatische, 352-354 - Primitive, 363-365 Wahrnehmung, 24f, 112f, 178f, 290f, 387f Wahrscheinlichkeit, 217f, 239f - Theorie, 17, 396f Wechselwirkung, 422f Willensfreiheit, 418f Wissen, 8f, 19f, 25f, 139f, 193f, 408f - Form von, 203f - Kausaltheorie von, 235-238 - Konstitution von, 69f

472 - Natur von, 202f - Wahrscheinliches, 393f Wissenschaftstheorie, 17, 184f, 336f Zirkel, 103f, 142f, 296f, 372 Zweifel, 93f, 107f, 368f - methodischer, 42f, 276f Zwei-Welten-Lehre, 15, 22f