MiFID II: Recht, Praxis, Perspektiven 9783956471223, 9783956471230, 9783956471247, 9783956471254, 3956471229

Die europäischen Regelungen der MiFID II sowie der MiFIR und der EMIR stellen die Finanzindustrie vor große Herausforder

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MiFID II: Recht, Praxis, Perspektiven
 9783956471223, 9783956471230, 9783956471247, 9783956471254, 3956471229

Table of contents :
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis
1 Einleitung
2 Ausgewählte Themen bei der Implementierung
2.1 Provisionen und Honorare, Kosten und Spesen
2.2 Eignung, Angemessenheit und Product Governance
2.3 Internationale Transaktionen
2.4 Beratung und IT
2.5 Beratung und Papierkram
2.6 Märkte, Marktplätze und IT
3 Fazit
Recht
Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland
1 Einleitung
2 Die Finanzmarktnovellierungsgesetze
3 Entstehung des 2. FiMaNoG
4 Neuerungen im 2. FiMaNoG
4.1 Begriff der Finanzinstrumente und Anwendungsbereich des WpHG
4.2 Erlaubnispflicht beim Eigengeschäft und relevante Ausnahmen
4.2.1 Erlaubnispflicht für das Eigengeschäft in Finanzinstrumenten
4.2.2 Relevante Ausnahmen
4.2.2.1 Nebentätigkeitsausnahme
4.2.2.2 Eigengeschäftsausnahme
4.2.2.3 Übergangsregelungen
4.3 Regelungen zu Handelsplätzen
4.3.1 Börsen
4.3.2 Multilaterale und organisierte Handelssysteme
4.3.3 Systematische Internalisierer
4.4 Neuerungen bei den Verhaltenspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen
4.5 Neuerungen bei den Organisationspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen
4.5.1 Allgemeines
4.5.2 Algorithmischer Handel
4.5.3 Product Governance
4.5.4 Geschäftsleiter eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens
4.5.5 Pflicht zum Taping
4.5.6 Verwahrung des Kundenvermögens
4.6 Anforderungen an Datenbereitstellungsdienste
4.7 Festlegung von Positionslimits
4.8 Bußgeldregelungen
4.9 Produktintervention
4.10 Konkretisierung des WpHG in der WpDVerOV
4.10.1 Schutz des Kundenvermögens
4.10.2 Produktfreigabeverfahren
4.10.3 Zuwendungen und Analysen
4.11 Neufassung der WpDPV
5 Ausblick
Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich
1 Einleitung
2 Wertpapieraufsichtsgesetz 2018
2.1 Anleger- und anlagegerechte Beratung
2.2 Informationen über Kosten und Gebühren
2.3 Gewährung und Annahme von Vorteilen
2.3.1 Änderungen zum WAG 2007
2.3.2 Gewährung und Annahme von Vorteilen bei unabhängiger Anlageberatung
2.3.3 Gewährung und Annahme von Vorteilen bei nicht-unabhängiger Anlageberatung
2.3.4 Zuwendungsregister
2.4 Finanzanalysen (Research)
2.5 Qualifikation von Wertpapierberatern
2.6 Product Governance
2.6.1 Produktüberwachungspflichten für Rechtsträger, die Finanzinstrumente konzipieren
2.6.2 Produktüberwachungspflichten für Vertreiber
2.7 Auslagerung
2.8 Drittlandregelung
3 Börsegesetz 2018
3.1 Approved Publication Arrangement Services
3.2 Positionslimits und Positionsmangementkontrollen bei Warenderivaten
3.3 Exkurs: Notierungsbeendigung (Delisting)
3.4 Neue Marktstruktur/Entfall des geregelten Freiverkehrs
Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein
1 Einleitung
2 Umsetzung im Überblick
2.1 Vorabumsetzung der MiFID II
2.2 Gesetzesänderungen
2.3 Betroffene Marktteilnehmer
3 Wesentliche Neuerungen und ihre Auswirkungen
3.1 Interne Organisation
3.1.1 Leitungsorgan
3.1.2 Geschäftsleitung
3.1.3 Neue Organisationspflichten
3.2 Neuerungen im Vertrieb
3.2.1 Kundenklassifikation
3.2.2 Vorvertragliche Informationspflichten und Kundendokumentation
3.2.3 Anlageberatung und Portfolio-Verwaltung
3.2.4 Vertriebsentschädigungen
3.2.5 Reine Ausführungsgeschäfte
3.2.6 Produktgenehmigung und -überprüfung
4 Fazit
Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten
1 Einleitung
2 Regelungen betreffend Mitgliedstaaten
2.1 Dienstleistungsfreiheit
2.1.1 Erbringung von Dienstleistungen einer Wertpapierfirma/eines Kreditinstituts aus einem Mitgliedstaat in Österreich
2.1.1.1 Voraussetzungen
2.1.1.2 Umfasste Tätigkeiten
2.1.1.3 Verfahrensablauf
2.1.2 Erbringung von Dienstleistungen einer Wertpapierfirma/eines Kreditinstitutes aus Österreich in anderen Mitgliedstaaten
2.1.2.1 Allgemein
2.1.2.2 Verfahrensablauf
2.2 Niederlassungsfreiheit
2.2.1 Errichtung einer Zweigstelle in Österreich
2.2.1.1 Allgemein
2.2.1.2 Vertraglich gebundene Vermittler
2.2.1.3 Notwendige Angaben zur Zulassung in Österreich
2.2.2 Errichtung einer Zweigstelle in einem Mitgliedstaat
3 Regelungen betreffend Drittlandfirmen
3.1 Regelungen gemäß §§ 21 ff. WAG
3.1.1 Allgemeines
3.1.2 Voraussetzungen zur Zulassung der FMA
3.1.3 Zulassungsverfahren
3.2 Regelungen gemäß BWG
4 Strafausmaß bei Verstößen gegen die Melde-/ Anzeigepflicht
Wertpapierhandel und Handelsplätze
Handelsplattformen und Systematische Internalisierung
1 Einleitung
2 Handelsplattformen: Das OTF neben Börse und MTF
2.1 Das OTF in der Handelsplatzsystematik von MiFID II
2.2 Das OTF als multilaterales Handelssystem
2.3 Eigenschaften des OTF im Regelungsumfeld von MiFID II
2.3.1 Non-Equity-Plattform
2.3.2 Matched Principal Trading
2.3.3 Ausschließlichkeit von OTF und Systematischer Internalisierung
2.3.4 Kunden des OTF
2.3.5 Energiegroßhandel
2.3.6 Ausübung von Ermessen durch den OTF-Betreiber
2.4 Ausblick
3 Systematische Internalisierung
3.1 Regulatorische Einordnung
3.2 Schwerpunkte der Begriffsdefinition
3.2.1 Handel für eigene Rechnung
3.2.2 Systematische Internalisierung durch Schwellenwertüberschreitung
3.2.2.1 Grundlagen der Schwellenwertberechnung
3.2.2.2 Einzelfragen der Schwellenwertberechnung
3.2.2.3 Zeitliche Parameter
3.2.3 Systematische Internalisierung aufgrund freiwilliger Unterwerfung
3.3 Aufsichtsrechtliche Pflichten
3.3.1 Mitteilungspflicht
3.3.2 Vorhandelstransparenzpflichten
3.3.3 Pflicht zur Bereitstellung von Referenzdaten
3.4 Ausblick
Die Bestimmungen zur Handelstransparenz
1 Einleitung
2 Zur Markttransparenz
2.1 Markttransparenz im weiteren Sinn
2.2 Markttransparenz im engeren Sinn – Vor- und Nachhandelstransparenz
3 MiFIR – die „Markttransparenzverordnung“
4 Markttransparenzvorschriften der MiFIR
4.1 Systematischer Überblick
4.2 Anwendungsbereich – Akteure
4.2.1 Handelsplätze
4.2.2 Wertpapierfirmen
4.2.3 Systematische Internalisierer
4.3 Anwendungsbereich – Produkte
4.3.1 Gehandelte Finanzinstrumente
4.3.2 Eigenkapitalinstrumente
4.3.3 Nicht-Eigenkapitalinstrumente
4.3.4 Traded on a Trading Venue
4.3.5 Nicht-preisbildende Transaktionen
4.3.6 Financial Instrument Reference Database
4.4 Vorhandelstransparenz
4.4.1 Vorhandelstransparenz für Systematische Internalisierer
4.4.2 Erleichterungen bei der Vorhandelstransparenz
4.4.2.1 Ausnahmen für illiquide Geschäfte
4.4.2.2 Ausnahmen für große Geschäfte
4.4.2.3 Erleichterungen für Eigenkapitalinstrumente unter dem Double- Volume-Cap
4.5 Nachhandelstransparenz
5 Fazit
Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten
1 Einleitung
2 Meldepflichtige Finanzinstrumente gemäß Art. 26 MiFIR
2.1 Finanzinstrumente mit Zulassung zum Handel/Zulassungsantrag oder Handelbarkeit an einem Handelsplatz
2.2 Finanzinstrumente, deren Basiswert an einem Handelsplatz handelbar ist
2.2.1 Abgrenzung börslicher und außerbörslicher Derivate (Traded on a Trading Venue (ToTV))
2.2.2 Ausprägungen des Meldesatzes bei der Meldung von OTC-Derivaten
2.2.3 Meldungen nachträglicher Veränderungen an OTC-Derivaten
2.3 Finanzinstrumente, deren Basiswert ein Index oder ein Korb von Finanzinstrumenten ist
3 Einzelfragen zu Transaktionsmeldungen nach Art. 26 MiFIR
3.1 Begriff des Geschäfts
3.2 Ausführung eines Geschäfts
3.3 Angabe der Handelskapazität
3.4 Code des Entscheidungsträgers/Anlageentscheidung innerhalb der Firma/Ausführung innerhalb der Firma
4 Meldepflicht von Referenzdaten gemäß Art. 27 MiFIR
5 Identifizierung von Finanzinstrumenten mittels ISIN
5.1 Hintergrund
5.2 Rückblick auf die Meldepflicht gemäß § 9 WpHG a. F.
5.3 Meldepflichten unter Art. 26 und 27 MiFIR
6 Identifizierung von Finanzmarktakteuren mittels Legal Entity Identifier
6.1 Hintergrund
6.2 Umsetzung auf europäischer Ebene
6.2.1 Umsetzung im Rahmen der Meldepflicht gemäß Art. 9 EMIR
6.2.2 Umsetzung im Rahmen der Meldepflichten gemäß Art. 26 und 27 MiFIR
MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur
1 Einleitung
2 Central Counterparties
2.1 Hintergründe und Definition
2.2 Funktionsweise des Clearing
2.3 Funktion innerhalb der Finanzmarktinfrastruktur
2.4 Nutzer von Clearing-Diensten
3 Die European Market Infrastructure Regulation
3.1 Geschichte
3.2 Bedeutung für den Finanzmarkt/Anwendungsbereich
3.3 Regelungsinhalte
3.4 Aufsicht
4 Prinzipen von CPSS und IOSCO für Finanzmarktinfrastrukturen
5 Risk Management einer Central Counterparty
5.1 Instrumente der Risikosteuerung
5.2 Default Waterfall
5.3 Weitere Anforderungen an Clearing-Mitglieder
6 Fazit und Ausblick
Kapitalmarkt-Compliance
Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht
1 Einleitung
2 § 163 BörseG – gerichtlich strafbare Insider-Geschäfte und Offenlegungen
2.1 Primär-Insider
2.1.1 Organ-Insider
2.1.2 Insider kraft Beteiligung am Kapital des Emittenten
2.1.3 Arbeits-, Berufs- oder Aufgaben-Insider
2.1.4 Kriminelle Insider
2.2 Sekundär-Insider
2.3 Insider-Information
2.3.1 Emittentenbezug
2.3.2 Präzise Information
2.3.3 Informationsvorsprung
2.3.4 Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung
2.3.5 Zusammenfassung
2.4 Kurzeinführung in das Strafrecht
2.4.1 Objektiver Tatbestand
2.4.2 Subjektiver Tatbestand
2.4.3 Behandlung aller Beteiligten als Täter
2.4.4 Strafbarkeit des Versuchs
2.5 Straftatbestände im Einzelnen
2.5.1 Nutzung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 1 BörseG)
2.5.2 Nutzung durch Sekundär-Insider – (§ 163 Abs. 5 BörseG)
2.5.3 Empfehlung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 2 BörseG)
2.5.4 Empfehlung durch Sekundär-Insider (§ 163 Abs. 6 BörseG)
2.5.5 Unrechtmäßige Offenlegung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 3 BörseG)
2.5.6 Unrechtmäßige Offenlegung durch Sekundär-Insider (§ 163 Abs. 7 BörseG)
2.5.7 Finanzinstrumente (§ 163 Abs. 8 BörseG)
3 Gerichtlich strafbare Marktmanipulation (§ 164 BörseG)
3.1 Allgemeines
3.2 § 164 Abs. 1 BörseG
3.2.1 Unrechtmäßig
3.2.2 Geschäfte tätigen oder Handelsaufträge erteilen
3.2.3 Falsche oder irreführende Signale
3.2.4 Anormales oder künstliches Kursniveau
3.2.5 Subjektiver Tatbestand
3.2.6 Beitrag, Versuch, Strafdrohung
3.3 § 164 Abs. 2 BörseG
3.3.1 Vorspiegelung falscher Tatsachen, sonstige Kunstgriffe, Formen der Täuschung
3.3.2 Subjektiver Tatbestand
3.3.3 Beitrag, Versuch, Strafdrohung
3.4 Legaldefinitionen (§ 164 Abs. 3 und 4 BörseG)
4 Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG)
5 Exkurs: Verwaltungsübertretung des Missbrauchs einer Insider-Information und der Marktmanipulation
6 Verfahrensrechtliche Bestimmungen
Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht
1 Einleitung
2 Marktmanipulation
2.1 Tatbestand der Marktmanipulation
2.2 Typische Praxisfälle
2.2.1 Wash Trade
2.2.2 Pre-arranged Trade
2.2.3 Falsche Informationen an Anleger
2.2.4 Weitere Praxisfälle
3 Insider-Informationen und Insider-Geschäfte
3.1 Tatbestand der Insider-Information
3.2 Umgang mit Insider-Information in Instituten
3.2.1 Weitergabe
3.2.2 Überwachung der Mitarbeitergeschäfte
3.2.2.1 Beobachtungsliste (Watch List)
3.2.2.2 Sperrliste (Restricted List)
3.3 Insider-Geschäfte
3.4 Insider-Listen nach MAR in Instituten
3.5 Marktsondierungen
3.5.1 Anwendungsbereich
3.5.1.1 Tatbestandsmerkmale Art. 11 MAR
3.5.1.2 Anwendungsbereich der MAR
3.5.1.3 Sonderfall Block Trades
3.5.2 Ablauf der Marktsondierung
3.5.3 Marktsondierung aus Sicht des angesprochenen Investors
4 Vorbeugung, Aufdeckung und Meldung von Marktmissbrauch als Aufgabe von Wertpapierfirmen
4.1 Erforderliche Regeln, Systeme und Verfahren
4.1.1 Marktbetreiber
4.1.2 Vermittler
4.2 Verdachtsmeldung an die Aufsicht
4.3 Safe-Harbour-Regelungen für Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen
4.3.1 Rückkaufprogramme
4.3.2 Stabilisierungsmaßnahmen
4.3.3 Meldungen an die zuständigen Behörden
5 Offenlegungsvorschriften
5.1 Ad-hoc-Publizität
5.2 Directors' Dealings
5.2.1 Betroffener Personenkreis
5.2.2 Meldepflichtige Geschäfte
5.2.2.1 Meldefrist
5.2.2.2 Schwellenwert
5.2.2.3 Meldeformular
5.2.3 Handelsverbot
5.2.4 Organisations- und Informationspflichten
6 Mögliche Sanktionen
6.1 Strafrechtliche Sanktionen
6.2 Bußgeldbewehrung
7 Fazit
Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen
1 Einleitung
2 Ablauf von M&A-Transaktionen
3 Ad-hoc-Publizität
3.1 Veröffentlichungspflicht
3.2 Tatbestand der Insider-Information
3.2.1 Öffentlich nicht bekannte Information
3.2.2 Präzise Information
3.2.3 Kursrelevante Information
3.3 Ad-hoc-Publizität bei M&A-Transaktionen
3.3.1 Veröffentlichungspflicht von gestreckten Sachverhalten
3.3.2 Aufschub der Veröffentlichung
3.3.2.1 Voraussetzungen für einen Aufschub
3.3.2.2 Voraussetzungen für den Aufschub bei M&A-Transaktionen
4 Insider-Handel
4.1 Tatbestand
4.1.1 Verbotene Transaktionen
4.1.2 Nutzung der Insider-Information
4.2 Legitime Handlungen
4.2.1 Fallgruppen legitimer Handlungen
4.2.2 Legitimes Handeln von juristischen Personen
4.2.3 Legitime M&A-Transaktionen
4.3 Insider-Listen
4.3.1 Verpflichtung zum Führen von Insider-Listen
4.3.2 Eintragungspflichtige Personen
4.3.3 Insider-Listen bei M&A-Transaktionen
4.3.4 Vorabeintragung
5 Marktmanipulation
6 Directors’ Dealings
6.1 Meldepflichtige Personen
6.2 Meldepflichtige Transaktionen
6.2.1 Transaktionsgegenstand
6.2.2 Meldeschwellen
6.3 Handelsverbote
6.4 Emittentenpflichten
6.4.1 Zeitrahmen für die Veröffentlichung
6.4.2 Informations- und Dokumentationspflichten
7 Fazit
Anlageberatung und Anlegerschutz
Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht
1 Der Vertriebsprozess
2 Onboarding des Kunden
2.1 Starter-Paket
2.2 Erhebung von Kundeninformationen
2.3 Weitere Kundeninformationen
3 Beratung und Geschäftsabschluss
3.1 Aufzeichnungspflichten
3.1.1 Regulatorische Anforderungen und Datenschutz
3.1.2 Archivierung und Herausgabe
3.2 Zielmarktabgleich
3.2.1 Anlageberatung
3.2.2 Finanzportfolioverwaltung
3.2.3 Beratungsfreies Geschäft
3.3 Eignungsbericht
3.4 Weitere Informationen
4 After Sales
4.1 Verlustschwellen-Reporting
4.2 Quartalsweiser Depotausweis
4.3 Berichtspflichten in der Finanzportfolioverwaltung
4.4 Ex-Post-Kostenausweis
5 Mitarbeiteranzeigeverordnung
6 Fazit
Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht
1 Einleitung
2 Verhältnis von Aufsichts- und Zivilrecht
2.1 Regelungszweck und Einordnung der Wohlverhaltensregeln
2.2 Doppelnatur oder Ausstrahlungstheorie?
2.3 Der gewerbliche Vermögensberater als Beispiel für die Ausstrahlungswirkung der Wohlverhaltensregeln
3 Überblick über Tendenzen der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zur Beraterhaftung
3.1 Haftungsgrundlage
3.2 Umfang der Beratung und Risikoaufklärung
3.3 Fehlerhafte Anlageberatung, Schadenshöhe und Beweislast
3.4 Mitverschulden
3.5 Verjährung
4 Ausgewählte Regeln des WAG 2018 und ihre möglichen Implikationen auf Beratungstätigkeit und Beraterhaftung
4.1 Zielmarktbestimmung und Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung
4.2 Unterscheidung zwischen unabhängiger und abhängiger Beratung
4.3 Telefonaufzeichnungen
5 Fazit
Literatur
Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II
1 Hintergrund und Einführung
2 Unabhängige Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung
2.1 Geldleistungen
2.1.1 Unabhängige Anlageberatung
2.1.2 Finanzportfolioverwaltung
2.2 Nicht-monetäre Vorteile
2.2.1 Allgemeines
2.2.2 Geringfügige vs. nicht geringfügige nicht-monetäre Vorteile
2.2.3 Insbesondere: Research
2.2.4 Geringfügige nicht-monetäre Vorteile in der Finanzportfolioverwaltung
2.3 Offenlegung und Dokumentation
3 Andere Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen
3.1 Nicht-unabhängige Anlageberatung
3.1.1 Qualitätsverbesserung
3.1.2 Offenlegung und Dokumentation
3.2 Anlagevermittlung, reine Ausführungsgeschäfte
3.2.1 Qualitätsverbesserung
3.2.2 Offenlegung und Dokumentation
3.3 Sonstige
4 Fazit und Ausblick
Produktentwicklung und Product Governance
Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II- Regelungen
1 Einleitung
2 Regulatorische Anforderungen an den Kostenausweis
2.1 Historische Entwicklung der rechtlichen Vorgaben zur Kostentransparenz
2.2 Rechtsgrundlagen für die Bereitstellung von Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweisen
2.3 Allgemeine Vorgaben für Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweise
2.4 Rechtzeitiger Kostenausweis vor dem Geschäftsabschluss – Der Ex-ante-Kostenausweis und seine speziellen Vorgaben
2.5 Jährlicher Ausweis über die angefallenen Kosten – Der Ex-post- Kostenausweis und seine speziellen Vorgaben
3 Umsetzungsvarianten im Markt und Herausforderungen in der Umsetzung
3.1 Vielzahl an Umsetzungsformen und -varianten durch Interpretationsspielräume der Regulation
3.1.1 Transaktionsindividuelle vs. standardisierte Kostenausweise
3.1.2 Von minimalistischen bis hin zu kundenverständlich, hoch-detaillierten Kostenausweisen
3.1.3 Vorgabe der Form der Umsetzungsvariante durch Geschäfts- und Prozessmodelle
3.2 Bewältigte und anstehende Herausforderungen in der Umsetzung
3.2.1 Hoher IT-Aufwand für Erstellung von Kostenausweisen
3.2.1.1 Anbindung der Quelldatensysteme
3.2.1.2 Integration und Anpassung von Front-Office-Systemen
3.2.1.3 Kernfunktionalitäten des Kostenausweis-Tools
3.2.2 Erforderliche Transparenz über die eigenen Gebührenmodelle
3.2.3 Besondere Komplexität im neuen Feld der Produktkosten
3.2.4 Einbindung in den Kunden-On- und -Off-boarding-Prozess
3.2.5 Keine rechtzeitige Umsetzung aller Level-III-Anforderungen zum Ex-ante- Kostenausweis wegen später ESMA-Stellungnahmen
4 Bewertung der regulatorischen Ziele und der Umsetzung
5 Fazit, Ausblick und kritische Würdigung
Product Governance in Vertriebsunternehmen
1 Einleitung
2 Produktfreigabeverfahren
2.1 Zielmarktbestimmung
2.2 Festlegung Vertriebsstrategie
2.3 Produktinterventionen
3 Interessenkonflikte
4 Informationspflichten
5 Produktüberwachungsprozess
6 Sachkundeanforderungen
7 Verantwortlichkeiten
8 Zusammenfassung/Fazit
Quellen
Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten
1 Einleitung
2 Europäische und nationale Grundlagen der Product- Governance-Regulierung
3 Anwendungsbereich
3.1 Begriff des Konzepteurs
3.2 Gemeinsame Herstellung
3.3 Finanzinstrumente
3.4 Professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien
3.5 Zeitlicher Anwendungsbereich
4 Bestimmung des Zielmarkts
4.1 Überblick
4.2 Zielmarktkonzept (DK/DDV/BVI-Verbändekonzept)
4.2.1 Charakter
4.2.2 Einzelproduktbetrachtung
4.2.3 Positiver und negativer Zielmarkt/Graubereich
4.3 Kategorien des Zielmarktkonzepts
4.3.1 Angabe der Produktkategorie
4.3.2 Kundenkategorie
4.3.3 Kenntnisse und Erfahrungen
4.3.4 Finanzielle Verlusttragfähigkeit
4.3.5 Risikobewertung des Finanzinstruments
4.3.6 Risiko- und Renditeprofil nach PRIIPs
4.3.7 Anlageziele des Kunden
4.3.8 Anlagehorizont des Kunden
4.3.9 Ggf. spezielle Anforderungen im Einzelfall (optional)
4.3.10 Vertriebsstrategie/Vertriebsweg
4.4 Information über den Zielmarkt
5 Product-Governance-Prozess bei Emittenten
5.1 Produktfreigabeverfahren
5.1.1 Gegenstand des Produktfreigabeverfahrens
5.1.2 Zweistufiges Verfahren
5.1.3 Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit
5.1.4 Verhinderung negativer Auswirkungen auf Endkunden
5.1.5 Analyse konkreter Interessenkonfliktlagen
5.1.6 Marktintegrität; Ausschluss von Gefahren für Finanzmärkte
5.1.7 Bestimmung eines Zielmarkts
5.1.8 Bestimmung der Vertriebsstrategie
5.1.9 Szenarioanalyse (Product Testing)
5.1.10 Prüfung der Kostenstruktur
5.1.11 Bestimmung zentraler Ereignisse
5.1.12 Informationsweitergabe an Vertriebsunternehmen
5.2 Regelmäßige Überprüfung
5.2.1 Fortlaufende Überprüfung/Rückmelderegime
5.2.2 Ergreifung von Maßnahmen
5.3 Allgemeine organisatorische Maßnahmen
5.3.1 Verfahren und Maßnahmen betreffend Interessenkonflikte
5.3.2 Sachkenntnis der Mitarbeiter
5.3.3 Einbindung der Compliance-Funktion
5.3.4 Einbindung der Geschäftsführung und der Aufsicht
5.3.5 Informationsweitergabe an die Aufsicht
5.3.6 Zusammenarbeit mit Dritten
MiFID II als Last oder Chance – welche Potenziale bieten digitale Technologien?
1 „Software eats the World“
2 Beziehung von Technologie und Regulation
3 Potenziale von Technologie in der Regulation
4 Lücke zwischen Potenzial und Standard am Beispiel der Anlageberatung
4.1 Analoger Anlageberatungsprozess
4.2 Digital unterstützter Anlageberatungsprozess
4.3 Bedeutung digitaler Anlageberatungsprozesse für die Umsätze der Banken
5 Zeit, Potenziale zu heben
6 Fazit

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MiFID-II.book Seite III Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Doris Wohlschlägl-Aschberger (Hg.)

MiFID II Recht, Praxis, Perspektiven

MiFID-II.book Seite IV Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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978-3-95647-122-3

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978-3-95647-123-0

ISBN (epub):

978-3-95647-124-7

ISBN (mobi):

978-3-95647-125-4

1. Auflage 2018 © Frankfurt School Verlag | efiport GmbH, Adickesallee 32-34, 60322 Frankfurt am Main

MiFID-II.book Seite V Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Vorwort Die Market in Financial Instruments Directive II (MiFID II) ist eine Richtlinie der Europäischen Union (EU), die Märkte und Marktteilnehmer bewegt und sie weltweit vor neue Herausforderungen stellt. Die Autorinnen und Autoren dieses Buches sind Praktiker und verfügen über langjährige nationale und internationale Erfahrung mit MiFID I und II sowie den anderen relevanten Rechtsnormen in diesem Bereich, den regulatorischen Erfordernissen sowie den zivilrechtlichen als auch den strafrechtlichen Aspekten. Die Beiträge umfassen einleitend allgemeine Überlegungen zur Richtlinie und deren Umsetzung in ausgewählten Ländern und zu den damit verbundenen Herausforderungen im täglichen Betrieb der einzelnen Marktteilnehmer. Der 1. Teil des Buches widmet sich in der Folge wesentlichen Aspekten des Wertpapierhandels und der Handelsplätze, die sich im Laufe der letzten Jahre sehr verändert haben. Die Beiträge gehen insbesondere auf Handelsplattformen und auf Kernthemen der Markttransparenz ein. Der 2. Teil gibt einen umfassenden Überblick über ausgewählte Themen der Kapitalmarkt-Compliance und setzt sich sowohl mit strafrechtlichen Aspekten als auch mit täglichen Compliance-Themen einzelner Marktteilnehmer auseinander. Ein weiterer Teil widmet sich den in der Praxis sehr anspruchsvollen Themen, nämlich jenen der Beratung und der Beratungsqualität sowohl aus Kundenvertriebssicht als auch aus aufsichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Perspektiven. Der letzte Teil beschäftigt sich mit einem von der Richtlinie neu eingeführten Begriff, nämlich dem Begriff der „Product Governance“. Dieser stellt nicht nur den Vertrieb, sondern auch die Produkthersteller bei einer nationalen oder internationalen strategischen Umsetzung vor große Herausforderungen. In diesem Teil wird auch die geforderte Kostentransparenz erläutert sowie auf neue Technologien eingegangen. Die Beiträge zeigen auf, dass die Umsetzung einer Richtlinie für alle Marktteilnehmer – ob für Emittenten und Produkthersteller, für Vertriebsstrukturen oder auch für Kunden/ Anleger – mit einer intensiven Vorbereitung und großer Herausforderung verbunden ist. Ich möchte mich auf diesem Wege bei allen Autorinnen und Autoren für ihre informativen und interessanten Beiträge bedanken, die sie trotz der täglichen Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Mein besonderer Dank gilt dem Verlag, der die Idee zu diesem Buchprojekt aufgegriffen und großartig unterstützt hat. Wien, im Mai 2018

Dr. Doris Wohlschlägl-Aschberger

V

MiFID-II.book Seite VI Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

MiFID-II.book Seite VII Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausgeberin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V VII IX XI

MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . Doris Wohlschlägl-Aschberger

1

Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . Nikita Litsoukov

19

Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Zahradnik/Michael Binder

49

Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . Sonja Schwaighofer

71

Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Livia Graf/Thomas Seeber

93

Wertpapierhandel und Handelsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117

Handelsplattformen und Systematische Internalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen Müller/Konstantin Meljnik

119

Die Bestimmungen zur Handelstransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gunnar Stangl

147

Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten . . . . . . . Dominik Zeitz/Thomas Höppner

183

MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Hickersberger

201

VII

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Inhalt

Kapitalmarkt-Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221

Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volkert Sackmann

223

Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Fleischmann/André Krause

255

Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Dollenz

285

Anlageberatung und Anlegerschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Alpheus/Philipp Söchtig

317

Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichtsund Zivilrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Zahradnik/Elisabeth Reiner

339

Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Lange

369

Produktentwicklung und Product Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

389

Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen. . . . . . . Dennis Schetschok/Florian Grimm

391

Product Governance in Vertriebsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anika Feger

423

Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Bergmann

445

MiFID II als Last oder Chance – welche Potenziale bieten digitale Technologien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicholas Ziegert/Ralf Rubin Heim

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Herausgeberin Dr. Doris Wohlschlägl-Aschberger ist Bank-, Börsenund Kapitalmarktexpertin mit langjähriger Erfahrung insbesondere im Bereich Compliance (einschließlich AML-Compliance, Betrugs- und Korruptionsprävention) und Risikomanagement (oprisk). In diesen Bereichen ist sie für zahlreiche Unternehmen im In- und Ausland und auch für Aufsichtsbehörden im Rahmen von EU-, Weltbank- oder IMF-Projekten tätig. Sie verfügt über langjährige praktische Erfahrung bei der Implementierung von EU-Richtlinien – sowohl bei Aufsichtsbehörden als auch bei Marktteilnehmern. Seit vielen Jahren ist Dr. Doris Wohlschlägl-Aschberger im Bereich von Gerichtsverfahren mit der Erstellung von Gutachten und Expertisen für die Staatsanwaltschaft tätig. Dr. Doris Wohlschlägl-Aschberger verfügt über umfassende Erfahrung als Lektorin, Vortragende und Trainerin zu Compliance- und aufsichtsrechtlichen Themen für unterschiedliche Zielgruppen und auch an unterschiedlichen universitären und nicht-universitären Einrichtungen. Weiters liegen von ihr Publikationen zu den Themen MiFID und AML-Compliance vor. Dr. Doris Wohlschlägl-Aschberger Tel.: + 43 664 153 26 71 E-Mail: [email protected]

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Praxiswissen Finanzinstrumente

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MiFID-II.book Seite XI Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Autorenverzeichnis Sebastian Alpheus

Senior Consultant Projekte, Portfolio und Digitalisierung, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG, Hamburg

Dr. Henning Bergmann

Rechtsanwalt, Geschäftsführer, Deutscher Derivate Verband, Berlin

Michael Binder

Mag., LL.M., Rechtsanwalt, DORDA Rechtsanwälte GmbH, Wien

Florian Dollenz

Mag., juristischer Mitarbeiter, Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Graz, zuvor Universitätsassistent, Institut für Unternehmensrecht und Internationales Wirtschaftsrecht, Karl-FranzensUniversität, Graz

Anika Feger

Certified Compliance Professional (CCP), Rechtsanwältin, Inhaberin Kanzlei für Compliance-Beratung, Bielefeld

Alexander Fleischmann

Gruppenleiter Kapitalmarkt-Compliance, DZ BANK AG, Frankfurt am Main

Livia Graf

LL.M. (WU), Rechtsanwaltsanwärterin, Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte GmbH, Wien

Florian Grimm

Senior Consultant – Financial Services Solutions, Deloitte Consulting GmbH, Frankfurt am Main

Ralf Rubén Heim

Founder, Co-CEO, Fincite GmbH, Frankfurt am Main

Sabine Hickersberger

LL.M., Chief Compliance Officer, CCP Austria Abwicklungsstelle für Börsengeschäfte GmbH, Wien

Thomas Höppner

Referent für Meldewesen bei Geschäften in Finanzinstrumenten, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Frankfurt am Main

XI

MiFID-II.book Seite XII Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Autorenverzeichnis

André Krause

Gruppenleiter Kapitalmarkt-Compliance, DZ BANK AG, Frankfurt am Main

Dr. Markus Lange

Rechtsanwalt, Partner, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main

Dr. Nikita Litsoukov

Referent, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Frankfurt

Konstantin Meljnik

Ass. iur., Mag. rer. publ. (Speyer), Referent, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Frankfurt am Main

Dr. Jochen Müller

Referent, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Frankfurt am Main

Dr. Elisabeth Reiner

LL.M., Rechtsanwaltsanwärterin, DORDA Rechtsanwälte GmbH, Wien

Volkert Sackmann

Rechtsanwalt, Köb | Reich-Rohrwig | Kilian | Friedl | Sackmann, Wien

Dennis Schetschok

Senior Manager – Capital Markets, Deloitte Consulting GmbH, Düsseldorf

Sonja Schwaighofer

Mag.iur., LL.M. (King's College London), Rechtsanwältin, Marxer & Partner Rechtsanwälte, Vaduz

Dr. Thomas Seeber

MASCI (Padova), LL.M. (Krems), Rechtsanwalt, Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte GmbH, Wien

Philipp Söchtig

Co-Head Projekte, Portfolio und Digitalisierung, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG, Hamburg

Gunnar Stangl

Director Compliance Strategy & Coordination, Commerzbank AG, Frankfurt am Main

Dr. Doris Wohlschlägl-Aschberger Bank- und Börsenexpertin, Wien Dr. Andreas Zahradnik

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Partner, DORDA Rechtsanwälte GmbH, Wien

MiFID-II.book Seite XIII Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Autorenverzeichnis

Dr. Dominik Zeitz

Referent für Meldewesen bei Geschäften in Finanzinstrumenten, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Frankfurt am Main

Dr. Nicholas Ziegert

Geschäftsführender Gesellschafter, W&Z GmbH („OWNLY App“), Hamburg

FinTech

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MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis Doris Wohlschlägl-Aschberger

1 Einleitung 2 Ausgewählte Themen bei der Implementierung 2.1 Provisionen und Honorare, Kosten und Spesen 2.2 Eignung, Angemessenheit und Product Governance 2.3 Internationale Transaktionen 2.4 Beratung und IT 2.5 Beratung und Papierkram 2.6 Märkte, Marktplätze und IT 3 Fazit

1

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1 Einleitung Die Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) aus dem Jahr 2014 ist schon seit geraumer Zeit in aller Munde, durchaus bekannt, aber keineswegs beliebt ist. Die Umsetzung erfolgte mit Wirkung zum 03.01.2018. Ihr Vorläufer, die MiFID I, ist eine 2004 von der Europäischen Union (EU) beschlossene Richtlinie zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt, die seit 2007 umgesetzt ist. MiFID II ist eine Neuregelung und Erweiterung und stellt ein sehr umfangreiches und komplexes Regelwerk dar. Sie ist auch im Zusammenhang mit weiteren Regularien,1 wie u.a. der Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR) oder der European Market Infrastructure Regulation (EMIR) als auch mit den Richtlinien der European Securities and Markets Authority (ESMA) und den Rundschreiben der nationalen Aufsichtsbehörden, zu sehen. MiFID II wird oftmals als Reaktion auf die weltweite Finanzmarktkrise oder als Spätfolge der Krise gesehen. Die Zielrichtung des Regelwerkes ist eindeutig: • mehr Anlegerschutz, • bessere Beratung der Kunden der Finanzinstitute und • mehr Transparenz auf den Finanzmärkten, v.a. auch auf den von neuen Technologien geprägten Handelsplätzen. Die Konsequenzen und Folgen sind vielleicht nicht so eindeutig: Nicht eindeutig ist, ob das neue Regelwerk den gewünschten Erfolg bringen kann, v.a. die erforderliche Markttransparenz und den geforderten Schutz für die Anleger. Zudem ist fraglich, ob diese Richtlinie – oder überhaupt irgendeine EU-Richtlinie – eine weitere Finanzmarktkrise verhindern kann. Eindeutig sind allerdings die mit der Implementierung verbundenen sehr hohen Kosten und der immense Aufwand für die Markteilnehmer. Insbesondere der hohe Umsetzungsaufwand für die Institute führt(e) auch zu unterschiedlichen Einschätzungen der Lage zwischen den Aufsichtsbehörden und den Instituten selbst.

1

Eine umfassende Aufzählung aller Regelwerke wird hier nicht vorgenommen. MiFIR und EMIR sind EU-Verordnungen, die direkt zur Anwendung kommen. Näheres vgl. Websites der EU oder der jeweiligen Aufsichtsbehörden.

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Doris Wohlschlägl-Aschberger

So meinte Steven Maijoor, Chef der ESMA, „es habe bei der Einführung der neuen Regeln bis dato keine Pannen gegeben.“2 Dem standen bzw. stehen Aussagen gegenüber, dass „vermutlich jede sechste Bank es nicht schafft, bis zum 03.01.2018 die Richtlinie vollumfänglich umzusetzen, und dass knapp drei Monate vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Umsetzungsstatus bei lediglich 75% lag – es müssten aber 94% sein, um eine branchenumfassende, fristgerechte Einführung zu gewährleisten.“3 Die bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung von derartigen Richtlinien zeigen, dass den meisten Marktteilnehmern durchaus bekannt und bewusst ist, wie schwierig eine Implementierung sein kann, u. a. durch Verzögerungen bei der Konkretisierung von Anforderungen an Ablaufprozesse und an die IT-Systeme, ohne die eine Umsetzung der rechtlichen Vorgaben aber nicht vorgenommen werden kann. Ein „Hinauszögern“ war daher in der Praxis immer wieder die Folge. Oftmals kommt es zu Verzögerungen nur oder v.a. deshalb, weil Regelwerke – noch dazu sehr umfangreiche und komplexe wie gerade auch MiFID II – nicht so einfach eins zu eins in die Praxis umzusetzen sind.

2 Ausgewählte Themen bei der Implementierung Neue Regelwerke erfordern häufig auch ein Überdenken oder ein Neuausrichten der bisherigen, oft langjährig bestehenden Geschäftspolitik. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Kunden- und Anlegerstrukturen und auf die angebotenen Dienstleistungen und Finanzinstrumente, sondern auch auf Kooperationspartner und Vertriebsstrukturen. Technische Neuerungen dürfen ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Derartig grundsätzliche Änderungen in der Geschäftsausrichtung und -gebarung eines Marktteilnehmers – sei es eine Bank oder ein Emittent – lassen sich daher nicht kurzfristig beschließen und umsetzen. In der Praxis stehen die Marktteilnehmer oftmals vor einer Fülle von Fragestellungen – genereller Art oder auch sehr ins Detail gehend. Die folgenden Zitate machen deutlich, dass die Umsetzung einer Richtlinie nicht nur rein operative Konsequenzen mit sich bringt:

2 3

4

Ferber, Mifid-II-Start ohne grosse Pannen, in: Neue Züricher Zeitung, 04.01.2018, S. 52. Banken hängen bei der MiFID II-Umsetzung, in: diebank Newsletter für Bankpolitik und Praxis, 19.12.2017, S. 1 ff.

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MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis

• „So MiFID is going to require banks to rethink their strategy first of all; so they are going to have to redefine what sort of products they offer in the market, what sort of trading platforms they will operate in the future, they will have to rethink the viability of certain businesses such as derivatives, automated trading etc. Those are some key business decisions that will need to be made, so firstly that is quite important to understand in terms of the impact of MiFID.“4 • „Out of all the European regulations to affect investment management, all but one of our interviewees thought that MiFID II will have the greatest impact on their strategy over the next two years.“5

2.1 Provisionen und Honorare, Kosten und Spesen Durch eine neue Richtlinie kann auch eine seit Jahrzehnten gelebte Praxis beendet werden. So fordert MiFID II u.a.,6 dass Analysen und Handelsgebühren für Kunden/Anleger transparent und „entbündelt“, d.h. getrennt und nicht in einem Paket, auszuweisen sind. Ein Bereich, der zu „entbündeln“ ist, ist der Analysebereich und die mit ihm verbundenen Kosten, die bis dato in den Gebühren mitverrechnet wurden, nun aber getrennt auszuweisen und zu verrechnen sind. Damit stellen sich für die Institute grundlegende Fragen: • Wer wird sich Aktienanalysten noch leisten können? • Werden dies nur mehr die großen Investmenthäuser sein? • Müssen Emittenten selbst Research und Analyse in Auftrag geben? • Wie werden die Investoren die neue Entwicklung sehen und werten? Dies sind nur einige der Fragen in der Praxis der Implementierung und die nächsten Monate werden zeigen, welche Lösungen von den Marktteilnehmern umsetzbar sind und von den Aufsichtsbehörden als zulässig angesehen werden.

4

5

6

Vgl. https://www.pwc.co.uk/industries/banking-capital-markets/insights/mifid_ii-for-theuk-banking-industry-transcript.html (21.01.2018). Deloitte, Navigating MiFID II – Strategic decisions for investment managers, S. 1, https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/uk/Documents/financial-services/ deloitte-uk-fs-mastering-mifidII.pdf (25.02.2018). Maranz, MiFID II könnte zu weniger IPOs in den USA führen laut Studie, in: WELT, https://www.welt.de/newsticker/bloomberg/article169832236/MiFID-II-koennte-zuweniger-IPOs-in-den-USA-fuehren-laut-Studie.html (26.11.2017).

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Doris Wohlschlägl-Aschberger

Auch in einem weiteren Bereich, nämlich bei den Vergütungen, wird Transparenz bei den Kosten und der Kostentragung verlangt. Beim Thema der Vergütung – Schlagwort Provisionen versus Beraterhonorare – gab es schon bei der Investment Service Directive (ISD)7 und bei der MiFID I heftige Diskussion, die nun im Rahmen der MiFID-IIUmsetzung nochmals verschärft werden. Provisionszahlungen an Banken, die Finanzprodukte von Dritten, nämlich den Produktherstellern, vertreiben, waren eine am internationalen Finanzmarkt gängige Usance und finden auch heute noch weltweit in dieser Form statt. Der Kunde/Anleger hatte davon i.d.R. keine Kenntnis. Diese Marktusance wurde solange geduldet oder akzeptiert – v.a. von Kunden/Anlegern –, solange der Markt boomte, sich alles bestens entwickelte und Erträge im Investment erreicht wurden. Erst durch Negativentwicklungen bei den Produkten – v.a. im Zusammenhang mit der letzten Krise – gerieten die dem Kunden/Anleger vorab nicht offengelegten Provisionen, oftmals auch als Kick-Backs bezeichnet, in den Fokus. MiFID I war Anfang November 2007 gerade erst implementiert worden und nun, am Beginn der Finanzmarktkrise, wurden diese Provisionszahlungen massiv hinterfragt – just zu dem Zeitpunkt, als die Märkte weltweit einbrachen, Erträge verschwanden und Verluste sich häuften. Der Vorwurf war einfach: Dem Kunden/Anleger wurden Produkte verkauft, die durch die hohen, nicht offengelegten Provisionen zwar für die Bank von Vorteil waren, sich für den Kunden/Anleger aber nicht unbedingt als geeignet und gut erwiesen. Allerdings war und ist es nicht so einfach: Märkte ändern sich, und Finanzinstrumente unterliegen Marktänderungen – Fakten, die oftmals bis heute nicht gesehen oder verstanden werden. Und so kamen und kommen diese Vorwürfe auch immer wieder, insbesondere nach einer Krise. Die – wie soeben dargestellt – schon seit langem bestehende Forderung von Aufsichtsbehörden und Konsumentenschutzvertretern, dass anfallende Kosten und Provisionen vor jedem Transaktionsabschluss dem Kunden/Anleger offenzulegen sind, brachte und bringt Banken und Finanzdienstleister8 bis heute in ein Dilemma: Wie soll man diese Forderung erfüllen?

7

8

6

Die ISD ist eine Richtlinie aus dem Jahre 1993, die erste EU-Richtlinie für den Wertpapiermarkt und -behörden und somit ein „Vorläufer“ der MiFID I und II. Unter dem Begriff Finanzdienstleister sind grundsätzlich jene Unternehmen zu verstehen, die nach ISD oder MiFID agieren, aber keine Bank i.S.d. deutschen Kreditwesengesetzes (KWG) oder des österreichischen Bankwesengesetzes (BWG) sind, sondern über eine eingeschränkte Konzession für gewisse Finanzdienstleistungen, wie Beratung, Vermittlung und Verwaltung, u.a. nach dem österreichischen Wertpapieraufsichtsgesetz (WAG i.d.j.g.F.), verfügen.

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MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis

Provisionen durch die Produktanbieter können im Vorhinein oft nicht genau festgelegt werden, sie sind i.d.R. auch volumenabhängig, und es können daher oft nur Bandbreiten, basierend auf historischen Daten und Erfahrungswerten, angegeben werden. Diese Diskussionen wurden auch bei der Implementierung der MiFID I geführt und nicht wirklich optimal gelöst, wobei man zudem nicht außer Acht lassen darf, dass die Provisionssituationen und die damit verbundenen Lösungsmöglichkeiten nicht für alle Marktteilnehmer und auch nicht für alle EU-Mitgliedstaaten gleich sind. Märkte, Kunden und Produkte unterscheiden sich erheblich. Es war und ist daher naheliegend, ein Honorar auch für Beratungen durch Banken und Finanzdienstleister in den Raum zustellen, um die Provisions- und Vergütungstransparenz zu gewährleisten. Dies bedeutet aber ein Umdenken bei den Markteilnehmern, auch bei den Kunden/Anlegern. Ob dies gewünscht ist und den erhofften Erfolg bringt, sei dahingestellt. Eine solche Umstellung ist oder wäre auch mit einem hohen Aufwand verbunden, und somit werden sich u.U. viele Banken doch nicht von ihrem alten Modell abwenden. Das Modell der „abhängigen“ Beratung (eine Definition der MiFID) bedeutet – hier vereinfacht dargestellt –, dass eine Vergütung im „alten“ Sinne möglich ist; allerdings sind in diesem Fall die damit verbundenen und von der MiFID verlangten Qualitätsverbesserungen nachzuweisen und dem Kunden/Anleger gegenüber auszuweisen. Ob dies in jedem Fall erfolgen kann und ob der Zugang zur persönlichen Beratung und somit der Zugang über ein Filialnetz, wie derzeit regulatorisch verlangt, wirklich eine Qualitätsverbesserung darstellt, ist nur eine der vielen offenen Fragen. Die Qualität der Beratung hängt – wie fast immer – sehr vom Berater und dessen Wissens- und Kenntnisstand zu Produkten und Regularien ab und natürlich auch von den Zielvorgaben der Geschäftsleitung. Eine weitere Frage ist bspw., ob ein Filialnetz auch der Geschäftspolitik der Bank entspricht oder ob die angedachten Möglichkeiten von ausgewählten Online-Tools zur Qualitätsverbesserung nicht doch auch zu prüfen sind, sofern sie regulatorisch als solche akzeptiert werden. Manche dieser Fragen sind nicht nur im Einzelfall zu prüfen, sondern auch sehr stark im Zusammenhang mit der Kunden- und Produktstruktur bzw. der Geschäftspolitik eines jeden Marktteilnehmers zu sehen.

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Doris Wohlschlägl-Aschberger

2.2 Eignung, Angemessenheit und Product Governance Im Rahmen der nun geforderten Transparenz zu den genauen Vergütungen bei Finanzprodukten – v.a. bei sehr komplexen – lässt sich durchaus auch eine weitere neue Tendenz zum Thema „Produkte“ erkennen. Die Liste der Produkte, die unter die Regelwerke fallen, wird nicht nur immer umfangreicher, sie enthält u.a. Warenderivate, sondern auch die Hersteller von Produkten sind sehr gefordert. „‚Es gibt einen Paradigmenwechsel im Anlegerschutz: Der Hersteller rückt stärker in den Fokus der Regulierung, er soll Verantwortung für das Produkt während der gesamten Laufzeit übernehmen‘, erklärt Elisabeth Roegele, Leiterin der Wertpapieraufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).“9 Oder noch umfassender: „Die neuen Normen bilden den gesamten Lebenszyklus der betroffenen Finanzprodukte ab: von der Wiege bis zur Bahre – von der Produktherstellung über die Produktbeobachtung im Nachgang zum Vertrieb bis zum Ende des Produktes – zum Beispiel bei Rückzahlung und bei Laufzeitende.“10 Gemäß den Vorgaben von MiFID I ist man bisher immer davon ausgegangen, dass der Kunde/Anleger „geeignet“ und Produkte für ihn „angemessen“ sein müssen. Durch entsprechende Dokumentation, Prozesse und Risikohinweise waren diese Kriterien zu erfüllen. Nun steht der Begriff „Product Governance“ im Vordergrund, d.h., eine Bank muss sich vorab überlegen, welche Produkte, die vertrieben werden oder vertrieben werden sollen, für welche Kunden/Anleger oder auch für welche Target Markets (Zielmärkte) angemessen sind. In der Praxis ist zu prüfen, ob neben dem positiven Zielmarkt auch ein negativer Zielmarkt zur Abgrenzung und Klarlegung zu definieren ist. Ein Vertrieb ist somit nicht mehr zulässig, bevor nicht in einem Produktfreigabeverfahren u.a. die Anlageziele des Kunden/Anlegers sowie seine Fähigkeit, mögliche Verluste tragen zu können, geprüft wurden. Zusätzlich sind u.a. auch das Verlust- und Ausfallrisiko sowie das Wertschwankungs- oder Zinssatzrisiko zu prüfen.

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10

8

dpa, Richtlinie „MiFID II“ in Kraft. Neue Regeln für die Geldanlage, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.2018, http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/ sparen-und-geld-anlegen/mifid-ii-in-kraft-neue-regeln-fuer-die-geldanlage-15369917.html/ (12.02.2018). Bafin, Thema: Kostentransparenz und Product Governance, Meinung: Elisabeth Roegele zur Product Governance, in: Bafin Jahresbericht 2016, S. 30 ff., https://www.bafin.de/DE/ PublikationenDaten/Jahresbericht/Jahresbericht2016/Kapitel2/Kapitel2_1/Kapitel2_1_1/ kapitel2_1_1_artikel.html/ (18.02.2018).

MiFID-II.book Seite 9 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis

Zudem muss der Hersteller sein Produkt überdenken und auch die „Angemessenheit“ für gewisse Kunden/Anleger überprüfen, und zwar für die gesamte Laufzeit des Produktes – eine sehr große Herausforderung, generell, aber auch und v.a. bei strukturierten Produkten, auch wenn klar ist, dass der Hersteller eines Produktes an diesem verdienen muss/soll. Ohne entsprechende Zusammenarbeit und Abstimmung bzw. auch Anpassungen während der Laufzeit zwischen Hersteller und Vertrieb und einem gemeinsamen Verständnis i.S.d. Wohlverhaltensregeln (Rules of Conduct, ein Begriff der ISD) sowie der klaren Zielmarktbestimmung werden die Banken und Finanzdienstleister gewisse Produkte kaum für ihre eigene Product Governance und für ihren Vertrieb aufnehmen. Der Druck auf beide, Hersteller und Vertrieb, wächst: Produkte mit Erträgen sind gefragt – generell und v.a. in der jetzigen Zinslandschaft –, die aber auch auf Lebzeit für Kunden/Anleger angemessen sein sollen. Eine große gedankliche Umstellung ist angesagt: Der Finanzdienstleister muss sich mit dem Zielmarkt beschäftigen bevor er an Kunden/Anleger herantritt; somit ist eine Betrachtung ex ante vorzunehmen.

2.3 Internationale Transaktionen Der Fokus auf den Hersteller eines Produktes ist auch für Emittenten, die z.B. gerade im Ausland, also in einem Drittstaat, gelistet sind, eine große Herausforderung, wenn sie unverändert auch in den EU-Mitgliedstaaten ihre Emissionen über europäische und somit der MiFID II unterliegenden Banken und Finanzdienstleister vertreiben möchten. Der Begriff „Product Governance“ beschäftigt somit nicht nur die europäischen Anbieter von Finanzprodukten, sondern beeinflusst auch die zukünftige Geschäftsausrichtung von Emittenten und somit auch internationale Cross-Border-Geschäfte. MiFID II hat auch Auswirkungen auf grenzüberschreitende Transaktionen, denn auch Schweizer Banken sind bspw. von der Richtlinie betroffen, wenn sie Kunden in der EU ihre Dienstleistungen anbieten wollen.11

11

Vgl. dazu bspw. Ferber, Mifid-II-Start ohne grosse Pannen, in: Neue Züricher Zeitung, 04.01.2018, S. 52.

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Daher wird die neue Regelung auch international wahrgenommen und kommentiert: „Mifid II will introduce new ‚third country‘ requirements for non-EU managers who wish to provide portfolio management investment services to EU investors. This is a completely new provision.“12

2.4 Beratung und IT Es ist naheliegend, dass der Gesetzgeber auf neue Entwicklungen eingehen und somit auch neue Technologien entweder zulassen oder zum Einsatz bringen soll. Ein Beispiel für neue IT-Tools, die die Gemüter erhitzen, sind u.a.13 Robo-Advisor, die bereits jetzt verstärkt Anwendung finden und deren Einsatz in Zukunft noch weiter zunehmen wird. Hier stehen dem Kunden/Anleger keine Personen – z.B. der Kundenberater – mehr gegenüber, sondern Tools übernehmen die Beratung und die PortfolioVerwaltung. In so einem Fall sind andere bzw. weitere umfangreiche Aufklärungspflichten in Kundendokumentationen einzubauen und entsprechende Prozesse aufzusetzen, die von den Aufsichtsbehörden vorzugeben bzw. auch zu genehmigen sind. Ob Kunden/Anleger dann wirklich „aufgeklärt“ wurden/sind, werden wohl die nächsten Krisen und (in der Folge) Zivilrechtsprozesse zeigen. IT-Lösungen spielen auch in einem weiteren Bereich eine wichtige Rolle: der nun geforderten Aufzeichnungen eines Telefonates bzw. eines Gespräches mit dem Kunden. Diese Vorgabe soll in Zukunft für allfällige Rechtsstreitigkeiten – was sicherlich nachvollziehbar ist – eine bessere und klarere Dokumentation darstellen, und zwar sowohl für die Bank als auch für den Kunden/Anleger. Telefonaufzeichnungen waren im Handelsbereich (Wertpapierhandel einer Bank) schon sehr lange auch international üblich und für Banken eine Selbstverständlichkeit. Ob der Kunde/Anleger, im Besonderen der schutzwürdige Privatanleger, für diese Aufzeichnung Verständnis aufbringt, bleibt abzuwarten.

12

13

10

Ripley, What is Mifid II?, in: City, University of London, https://www.city.ac.uk/news/ 2017/december/cass-academics-explain-mifid-ii/ (21.08.2018). Vgl. u.a. Waigel, Mifid II: 7 Neuerungen für Berater, Robo-Advisor und Kunden, http://www.dasinvestment.com/rechtsanwalt-ueber-nachhaltigkeits-richtlinie-der-esma-7neuerungen-fuer-berater-robo-advisor-und/(20.07.2017).

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MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis

In manchen Banken werden auch persönliche Beratergespräche aufgrund der besseren Nachvollziehbarkeit nun mit zwei Beratern geführt. Grundsätzlich ist das Vier-AugenPrinzip immer zu begrüßen, doch viele Kunden sind dadurch verunsichert. In anderen Fällen sind Video-Konferenzen mit Fachberatern für einzelne Produkte vorgesehen, und auch hier kann das Hinzuziehen dieser Berater bei den Kunden u.U. die Verunsicherung erhöhen. Das Bankgeschäft wird unverändert mit Vertrauen und Diskretion verbunden – ein Argument, das auch schon bei der MiFID I, dem Eignungs- und Angemessenheitstest und auch bei den Beraterprotokollen sehr häufig und vehement als Einwand vorgebracht wurde. Aufzeichnungen könnten bei den Kunden Irritationen auslösen und die Vertrauensbasis untergraben. Auch wenn es einfach klingt, Kundengespräche aufzuzeichnen, einfach ist dabei nur die technische Umsetzung. Im Beratungsalltag stellen sich jedoch eine Reihe rechtlicher und praktischer Fragen: • Manche Institute nehmen das gesamte Gespräch auf – also ggf. auch Privates. Bei anderen wird die Aufnahmetaste erst gedrückt, wenn es um das Produkt selbst geht. Doch wo ist die Grenze zu setzen? • Ist nicht vielleicht auch schon der private Small Talk für eine Beratung hilfreich oder sogar nötig? • Wird der Kunde/Anleger vielleicht nach dem Drücken der Aufnahmetaste anders sprechen und argumentieren? • Was kann in einem Streitverfahren in der Zukunft wirklich als Nachweis angesehen werden? Es gibt hier viele offene Fragen und Aspekte, die in der Praxis zu berücksichtigen sind. Eines ist allerdings schon jetzt klar. Der zeitliche Aufwand und v.a. die damit verbundenen Kosten sind enorm: „Der Privatbankenverband BdB rechnet nach früheren Angaben wegen der Neuregelungen mit einmaligen Umstellungskosten von einer Milliarde Euro für die deutschen Banken. Ein Kostenfaktor: Die Technik zur telefonischen Aufzeichnung von Beratungsgesprächen muss in jeder Filiale vorhanden sein, zudem muss die Archivierung des Datenmaterials sichergestellt werden.“14

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dpa, Richtlinie „MiFID II“ in Kraft. Neue Regeln für die Geldanlage, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.2018, http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/ sparen-und-geld-anlegen/mifid-ii-in-kraft-neue-regeln-fuer-die-geldanlage-15369917.html/ (12.02.2018).

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Doris Wohlschlägl-Aschberger

Eine der vielen Fragen, die sich bei der Umsetzung immer stellt – und die auch gelöst werden muss –, ist jene nach der Datensicherung dieser Aufzeichnungen, und die Frage, wer wann wie auf diese Aufzeichnungen Zugriff haben darf. Dies ist auch risikotechnisch (Oprisk) nicht unwesentlich.

2.5 Beratung und Papierkram Es ist absolut nachvollziehbar, gut und richtig, dass Banken sich durch eine gute Dokumentation für allfällige Streitfälle mit Kunden/Anleger absichern sollen bzw. müssen. Gerade die jüngste Vergangenheit, wobei damit inzwischen bereits die letzten zehn Jahre – eine lange Zeit – gemeint sind, zeigte, wie wichtig die Kundendokumentation war und ist, v.a. in den vielen Zivilverfahren, aber auch bei außergerichtlichen Lösungen. Dass der Gesetzgeber aufsichtsrechtlich einen Fokus auf den Schutz der Banken, des Marktes und der Kunden/Anleger legt, ist verständlich. Ob die Forderungen zu mehr Anlegerschutz, besserer Beratung und mehr Transparenz, die sich gerade in den Regelwerken in und um MiFID II widerspiegeln, in vielen Bereichen wirklich weitere Anlegerschadensfälle oder Finanzkrisen verhindern können, ist fraglich. Alleine die aktuellen Fälle15 und die Diskussionen zu Krypto-Währungen – auf die hier allerdings nicht eingegangen wird – zeigen, dass durch Regelwerke alleine nicht alles verhindert werden kann, da der Mensch, sein persönliches Vorgehen – wodurch auch immer geprägt und motiviert – und alte Tricks, wie etwa Ponzi-Schemes, oft die Praxis bestimmen. Diese wichtigen und notwendigen Regeln und Regelwerke unterschiedlicher Art verursachen neben dem enormen Aufwand für die Marktteilnehmer bei der Implementierung auch für Kunden/Anleger zusätzliche Bürokratie, aufwendige Ablaufprozesse und vermehrten Papierkram. „Berge von Papier“ wird der Kunde nach jedem Beratungsgespräch mitnehmen müssen – u.a. Produktinformationen, Kostenaufstellungen, Beratungsunterlagen etc. – mehr noch als nach der MiFID-I-Implementierung. Schon damals weigerten sich einige Kunden, die Unterlagen mitzunehmen, manche wollten die Bank nicht einmal mehr betreten, sondern ersuchten darum, alles „postlagernd“ in einem Fach der Bank zu deponieren – dies war nicht wirklich die Zielsetzung des Gesetzgebers.

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Vgl. u.a. auch Hecht/Jilch, Bitcoin-Affäre: Wieso ließen sich so viele Anleger blenden?, in: Die Presse, 16.02.2018, https://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/5373383/ BitcoinAffaere_Wieso-liessen-sich-so-viele-Anleger-blenden (18.02.2018).

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MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis

Aber auch während der Dauer der Geschäftsbeziehung wird der Kunde regelmäßig mit Unterlagen versorgt bzw. muss er versorgt werden, wenn die Sorgfaltsnormen eingehalten werden sollen: Depotübersicht, Veränderungen des Portfolios und Schwellenwerte, um nur einige zu nennen. Ob der Kunde/Anleger alle diese Papiere lesen und v.a. auch verstehen wird und er dadurch besser geschützt ist, wird sich erst in der Zukunft – nach der nächsten Krise – zeigen. Papier kostet, das steht fest. Daher stellt sich für Banken durchaus die berechtigte Frage, ob die geforderten Unterlagen und Dokumente nicht online, in welcher technischen Form auch immer, dem Kunden zur Verfügung gestellt werden könnten. Dies wäre in jedem Fall eine Kostenersparnis für die Banken, aber vielleicht nicht optimal für die Kunden und vielleicht von diesen auch gar nicht gewünscht. Um die Unterlagen online zur Verfügung zu stellen, bedarf es wiederum einer ausgezeichneten IT und entsprechender IT-Tools. Diese verursachen Kosten, die wiederum von der Kundenseite zu tragen sind – direkt oder indirekt. Sie stellen aber auch ein zusätzliches Risiko dar – Hackerangriffe auf Websites und Banken hat es in der Vergangenheit bereits mehrfach gegeben. Auch das OpRisk wird sich für die Marktteilnehmer erhöhen.

2.6 Märkte, Marktplätze und IT Wie aus der Entwicklung alleine der letzten zwei Jahrzehnte hervorgeht, ändern sich nicht nur die Märkte laufend, sondern auch der Gesetzgeber definiert Märkte und Marktplätze anders bzw. neu, indem er auf geänderte Marktsituationen, negative Entwicklungen und technische Neuerungen reagiert, um dann mit Neudefinitionen für Transparenz und Stabilität zu sorgen. Die schon erwähnte ISD aus dem Jahre 1993 hat einen wesentlichen Einschnitt gebracht, indem Börsenplätze in regulierte und nicht regulierte Märkte gegliedert wurden – dies war im Zusammenhang mit den Marktmissbrauchsregeln und einem strengeren Regelwerk für den Insider-Tatbestand zu sehen. Ein Aufschrei ging damals durch den Markt, denn der Aufwand, die flankierenden Maßnahmen, wie u.a. das Wertpapiertransaktionen-Reporting,16 einzuführen, war sehr groß. Die enorme Herausforderung für Banken und Aufsichtsbehörden war nicht zu übersehen.

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Vgl. auch u.a. die relevanten Bestimmungen im österreichischen WAG (erstmals in der Fassung 1997).

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Mit der MiFID I aus dem Jahr 2004 kam es als Folge der Dot-com-Blase zur nächsten Neudefinition und Klassifikation von Handelsplätzen. Diese Richtlinie, die 2007 umgesetzt wurde, spricht von Geregelten Märkten, aber auch von Multilateralen Handelssystemen und dem Systematischen Internalisierer. Mit diesen Neudefinitionen waren weitere Vorschriften, wie u.a. die Nachhandels- und Vorhandelstransparenz, Transparenzvorschriften für den Over-the-Counter-Handel (OTC), oder auch die Definition von Best Execution erforderlich. Letztere bedeutete damals auch eine sehr genaue und umfangreiche, oftmals schwer durchzuführende Analyse der Art der Durchführung von Wertpapiergeschäften und in der Folge die entsprechende Offenlegung der Best-Execution-Policy dem Kunden/Anleger gegenüber. Eine Diskussion, die damals u.a. geführt wurde, war, ob auch OTC-Geschäfte von dieser umfasst sind; eine andere war bspw., wie oft tatsächlich Änderungen dem Kunden/Anleger mitzuteilen sind, denn Änderungen im Bereich der Auswahl der Broker können sehr kurzfristig nötig sein, um u.a. auch auf Marktsituationen zeitnahe zu reagieren. Eine sehr gute Compliance und eine enge Zusammenarbeit bzw. Kommunikation mit dem Treasury war und ist absolut nötig, um die Anforderungen – eben auch zeitnahe – erfüllen zu können. Dieses Best-Execution-Konzept der MiFID I wurde von Markteilnehmern oftmals als rein regulatorisches und daher lästiges Erfordernis angesehen. Die Ausführungen in der Policy waren häufig sehr vage und wenig oder gar nicht konkret beschrieben: Es handelte sich um Formalkriterien, die erfüllt werden mussten. Es kann – wie die Praxis in der Folge auch zeigte – davon ausgegangen werde, dass die Kunden/Anleger diesem Konzept und der offengelegten Policy i.S.d. Markttransparenz und der Kundenaufklärung wenig Beachtung geschenkt haben. Interessant war u.a. auch, dass – sah man sich bspw. nach der Finanzmarktkrise manche Policies an – noch manche Broker genannt wurden, die gar nicht mehr existierten. Manche Beispiele der letzten Jahre zeigen auch, dass der Kundenberater auf Fragen von Kunden/Anlegern die Antwort und Erklärung schuldig blieb. Vielleicht war dieses Konzept nicht wirklich optimal und richtig eingesetzt, aber es wurde durch die Krise und auch durch die Entstehung neuer Märkte, die bis dahin vom Regelwerk nicht umfasst waren, überholt.

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MiFID II im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Praxis

Die Markteilnehmer waren weltweit nicht nur mit einer Zunahme von OTC-Geschäften konfrontiert, sondern auch mit anderen Handelssystemen und -plattformen, wie u.a. den Organised Trading Facilities (OTF).17 Darauf reagierte man im Jahre 2010 und somit nach der Finanzmarktkrise mit der MiFID II, die eine weitere Neudefinition der Handelsplätze vornahm. Für Markteilnehmer bedeuten diese Änderungen u.a. eine erneute Analyse ihrer Handelsaktivitäten – damit verbunden ist bspw. das Aufsetzen einer geänderten Best-Execution-Policy, die Einhaltung neuer Meldevorschriften und die Einführung von neuen ITSystemen, aber u.U. auch eine komplette Neuausrichtung der bestehenden Geschäftspolitik und damit auch die Auswahl neuer Geschäftspartner. Die Frage ist nicht nur, wie aufwendig und kostspielig die Implementierung ist, die Frage ist auch, ob sich die Kosten im long run rechnen und v.a. ob die neuen Vorgaben im Rahmen der bestehenden Kundenstruktur umgesetzt werden können oder ob sich u.U. auch die Kundenstruktur dadurch geändert hat oder ändern wird. Diskussionen betreffend die bereits erwähnte Product Governance oder auch die Entstehung und Regulierung neuer Handelsplattformen und die Zunahme der internationalen Aktivitäten sind im Implementierungsprozess einer Richtlinie zu berücksichtigen. Wie erwähnt, ändert sich auch die Liste der Finanzinstrumente – von Richtlinie zu Richtlinie wird sie länger –, da u.a. nunmehr auch Warenderivate erfasst sind. Aber die Aktivitäten in den Instrumenten ändern sich, das Volumen wird größer und die TradingGeschwindigkeit nimmt zu. Aus der enormen Entwicklung bspw. des Derivatemarktes und der damit verbundenen Notwendigkeit, trotzdem für Transparenz und Stabilität zu sorgen, wurde auch u.a. das System des Central Counterpart (CCP)18 eingeführt, ein System der Clearing-Verpflichtungen für Derivate über eine klar definierte und nominierte Stelle. Diese ClearingAbwicklung muss naturgemäß wiederum zeitnahe sein, d.h. schnellstmöglich durchgeführt werden. Dafür sind IT-Systeme und entsprechende technische Anbindungen erforderlich. Für kleinere Institute mag dies eine besondere Herausforderung darstellen – ähnlich wie damals vor 20 Jahren u.a. bei der Einführung der Wertpapiertransaktionsmeldungen nach der ISD.

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Vgl. dazu u.a. bei MiFID II auf den Websites der Europäischen Kommission (https://ec.europa.eu/commission/index_de). Vgl. dazu u.a. bei EMIR und MiFIR auf den Websites der Europäischen Kommission (https://ec.europa.eu/commission/index_de).

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Doris Wohlschlägl-Aschberger

3 Fazit Die nachstehenden Beiträge zeigen in der Tiefe die Fülle der Themen der MiFID II aus unterschiedlichen Perspektiven und befassen sich auch mit Sichtweisen der Umsetzung in den deutschsprachigen Ländern. Sie untermauern, wie sehr die Implementierung eine Herausforderung für alle darstellt und auch den Markt und die Geschäftspolitik der Marktteilnehmer beeinflussen kann. Die MiFID II ist umgesetzt. Damit stellen sich nun einige Fragen: • Wie teuer und kompliziert war es wirklich, diese Richtlinie mit allen dazugehörigen Regelwerken und Dokumenten zu implementieren? • Wie hoch werden die Folgekosten sein? • Gibt es nur Verlierer? • Wenn nicht, wer sind die Gewinner? • Kann die Richtlinie die nächste Finanzkrise verhindern und Kunden/Anleger umfassend schützen? • Und was folgt nach der erfolgreichen Implementierung? Die tägliche Herausforderung, die MiFID II in der Praxis anzuwenden und umzusetzen, verbleibt.

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Recht

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Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland Nikita Litsoukov

1 Einleitung 2 Die Finanzmarktnovellierungsgesetze 3 Entstehung des 2. FiMaNoG 4 Neuerungen im 2. FiMaNoG 4.1 Begriff der Finanzinstrumente und Anwendungsbereich des WpHG 4.2 Erlaubnispflicht beim Eigengeschäft und relevante Ausnahmen 4.2.1 Erlaubnispflicht für das Eigengeschäft in Finanzinstrumenten 4.2.2 Relevante Ausnahmen 4.2.2.1 Nebentätigkeitsausnahme 4.2.2.2 Eigengeschäftsausnahme 4.2.2.3 Übergangsregelungen 4.3 Regelungen zu Handelsplätzen 4.3.1 Börsen 4.3.2 Multilaterale und organisierte Handelssysteme 4.3.3 Systematische Internalisierer 4.4 Neuerungen bei den Verhaltenspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen 4.5 Neuerungen bei den Organisationspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen 4.5.1 Allgemeines 4.5.2 Algorithmischer Handel 4.5.3 Product Governance 4.5.4 Geschäftsleiter eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens 4.5.5 Pflicht zum Taping 4.5.6 Verwahrung des Kundenvermögens 4.6 Anforderungen an Datenbereitstellungsdienste 4.7 Festlegung von Positionslimits 4.8 Bußgeldregelungen

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4.9 Produktintervention 4.10 Konkretisierung des WpHG in der WpDVerOV 4.10.1 Schutz des Kundenvermögens 4.10.2 Produktfreigabeverfahren 4.10.3 Zuwendungen und Analysen 4.11 Neufassung der WpDPV 5 Ausblick

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1 Einleitung Die nationale Umsetzung der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II)1 und der Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR)2 in Deutschland stellt Aufsichtsbehörden und Marktteilnehmer noch immer vor große Herausforderungen. Das deutsche Recht in Bezug auf Wertpapierfirmen bzw. – gemäß der Terminologie des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) – Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Handelsplätzen basierte bis zum Inkrafttreten des 2. Finanzmarktnovellierungsgesetzes3 (2. FiMaNoG) am 03.01.2018 noch auf dem Stand der MiFID I4 und geht in seiner Struktur z.T. noch auf die EU-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie5 zurück.6 Das deutsche Recht ist dabei durch ein Nebeneinander des Wertpapierhandelsrechts einerseits und Börsenrechts andererseits geprägt, weshalb sich eine im Bereich der Märkte für Finanzinstrumente angestoßene Reform zwangsläufig sowohl auf das für Wertpapierdienstleister maßgebliche WpHG als auch das für Börsen einschlägige Börsengesetz (BörsG) auswirkt. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist die Börsenaufsicht in Deutschland Sache der Börsenaufsichtsbehörden der Länder.7 In diesem Bereich ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) nicht zuständig. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich auf die Marktaufsicht an Börsen und im Rahmen des außerbörslichen Handels mit Finanzinstrumenten sowie die Unternehmensaufsicht im Hinblick auf Wertpapierdienstleistungen erbringende Wertpapierdienstleistungsunternehmen.

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Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU. Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012. Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) v. 23.06.2017, BGBl. I S. 1693. Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates. Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen. Die letzte große Reform kam mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 16.07.2007, BGBl. I S. 1330 zustande. Litsoukov, in: Bafin Journal 10/2015, 37, 38.

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Hinzu kommt, dass der Umsetzungsprozess der MiFID II/MiFIR längst nicht mehr ausschließlich aus der Umsetzung einer einzelnen europäischen Richtlinie in nationales Recht besteht. V.a. in Folge des europäischen Lamfalussy-Verfahrens8 wurden neben dem Erlass der MiFID II (Level-I-Rechtsakt) unter Beteiligung der European Securities and Markets Authority (ESMA) zahlreiche im Verordnungswege unmittelbar geltende Level-II-Rechtsakte erlassen. Insbesondere aufgrund der sehr technischen Anforderungen an Handelsplätze und Wertpapierfirmen im Bereich der Transparenzpflichten kann zu Recht davon gesprochen werden, dass die Anpassung an Level-II-Rechtsakte aufgrund der MiFID II/MiFIR von den betroffenen Marktteilnehmern ähnliche Kraftanstrengungen abverlangt wie die Umsetzung der MiFID II selbst. Es bleibt abzuwarten, ob sich das in Europa praktizierte Modell des Nebeneinanders von europäischer Rahmenrichtlinie und dem an ihrer Seite erlassenen unmittelbar geltenden EU-Verordnungsrecht auf mittlere Sicht in der Praxis bewähren wird.

2 Die Finanzmarktnovellierungsgesetze Die Novellierung des Finanzmarktrechts in Deutschland aufgrund der MiFID II war zunächst in den Umsetzungsprozess mehrerer anderer europäischer Gesetzgebungsvorhaben eingebettet. Ähnliche Umsetzungsfristen wie die MiFID II9 sahen zunächst die Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation (MAR))10, die Zentralverwahrer-Verordnung (Central Securities Depositories Regulation (CSDR))11 sowie die PRIIPS-Verordnung12 (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products Regulation) vor.

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Zu dem Verfahren Litsoukov, in: Meyer/Veil/Rönnau, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 27 Rn. 7 (im Erscheinen). Zunächst sollte die MiFID II am 03.01.2017 in Kraft treten. Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/ EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission. Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2010. Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP).

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Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland

Aus diesem Grund war die MiFID-II-Umsetzung zu Beginn Teil eines gemeinsamen Finanzmarktnovellierungsgesetzes gewesen, welches das Bundesministerium der Finanzen als Referentenentwurf erstmals im Herbst 2015 veröffentlicht hatte. Gegen Ende des Jahres 2015 wurde allerdings deutlich, dass mit dem Erlass der das Gesetzgebungspaket flankierenden Level-II-Rechtsakte der MiFID II/MiFIR durch die Europäische Kommission in absehbarer Zeit nicht zu rechnen war. Aus diesem Grund wurde das Inkrafttreten der MiFID II auf europäischer Ebene auf den 03.01.2018 verschoben.13 Letzteres veranlasste den deutschen Gesetzgeber, das Projekt eines einheitlichen Finanzmarktnovellierungsgesetzes aufzuteilen.14 Anfang 2016 wurde das 1. Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FiMaNoG)15 im Regierungsentwurf veröffentlicht. Dieses umfasste zunächst die Umsetzung der MAR, der CSDR und der PRIIPS-Verordnung. Hingegen wurde die Umsetzung der MiFID II/MiFIR auf 2017 verschoben.16

3 Entstehung des 2. FiMaNoG Nachdem das Gesetzgebungsverfahren des 1. FiMaNoG Mitte 2016 abgeschlossen war, legte das Bundesministerium der Finanzen im Herbst 2016 den Referentenentwurf eines 2. FiMaNoG vor. Der Referentenentwurf war zunächst Gegenstand einer öffentlichen Konsultation bis der Regierungsentwurf17 im Dezember 2016 veröffentlicht wurde. Anfang des Jahres 2017 wurde das Gesetz im Bundestag und Bundesrat beraten und war im März 2017 Gegenstand der Sitzungen des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages.18 Ende März 2017 wurde das 2. FiMaNoG vom Bundestag verabschiedet, einige Wochen später vom Bundespräsidenten ausgefertigt sowie am 23.06.2017 im Bundesgesetzblatt verkündet.19

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Vgl. auch Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 10.02.2016, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-265_en.htm. BMF, Pressemitteilung, 06.01.2016, abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2016/01/2016-01-06-PM02.html. Erstes Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG) v. 30.06.2016, BGBl. I S. 1514. Vgl. BMF, Pressemitteilung, 06.01.2016, abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/ 2016/01/2016-01-06-PM02.html. RegE 2. FiMaNoG, BT-Drucks. 18/10936. Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 18/11775. BGBl. I 2017, S. 1693.

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Aufgrund der zwischenzeitlich vom europäischen Gesetzgeber finalisierten weiteren EU-Rechtsakte bezog das 2. FiMaNoG neben der Umsetzung der MiFID II/MiFIR zudem die Umsetzung der Regulation on Securities Financing Transactions (SFT-Verordnung)20 und der Benchmark-Verordnung21 ein. Die betreffenden Regeln der SFTVerordnung und der Benchmark-Verordnung traten jeweils gestaffelt teilweise bereits vor dem 03.01.2018 in Kraft. Dem Gesetzgeber war es im Zuge der Umsetzung der MiFID II/MiFIR, aber auch der MAR und der anderen zuvor genannten europäischen Rechtsakte, ein wichtiges Anliegen, das WpHG redaktionell neu zu fassen. Das Gesetz wurde aufgrund der weitreichenden Änderungen durch die Umsetzung der MAR und MiFID II/MiFIR sowie der anderen europäischen Rechtsakte neu nummeriert. Zugleich wurden neue Abschnitte im WpHG eingefügt. Am Ende des Umsetzungsprozesses der MiFID II/MiFIR und der anderen europäischen Rechtsakte steht somit ein mit neuer Gesetzessystematik angereichertes Wertpapierhandelsrecht. Neben der Umsetzung der Level-I-Gesetzgebungsakte im Bereich der MiFID II stand im Rahmen des 2. FiMaNoG auch die Umsetzung der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/ 593 (Delegierte Richtlinie)22 und die Anpassung an die Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 (Delegierte Verordnung)23 im Vordergrund. In Teilen erfolgte die Umsetzung bzw. Anpassung an diese Level-II-Rechtsakte bereits im WpHG.

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Verordnung (EU) 2015/2365 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und der Weiterverwendung sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012. Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014. Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 der Kommission vom 7. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den Schutz der Finanzinstrumente und Gelder von Kunden, Produktüberwachungspflichten und Vorschriften für die Entrichtung beziehungsweise Gewährung oder Entgegennahme von Gebühren, Provisionen oder anderen monetären oder nicht-monetären Vorteilen. Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie.

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Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland

Dies erfolgte namentlich dort, wo im deutschen Recht die Durchführungsrichtlinie zur MiFID I24 umgesetzt worden war. Insbesondere die Delegierte Verordnung führte zu Streichungen im WpHG sowie der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV), namentlich weil es sich bei der Delegierten Verordnung im Gegensatz zur alten Durchführungsrichtlinie um in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht handelt. Ferner legte das Bundesministerium der Finanzen im Mai 2017 einen Referentenentwurf für eine neu gefasste WpDVerOV25 vor, in welcher die übrigen Teile der Delegierten Richtlinie in deutsches Recht im Verordnungswege umgesetzt werden sollten.26 Die neue Gesetzes- und Verordnungssystematik zeichnet sich dadurch aus, dass die Level-II-Vorgaben im Bereich der MiFID II neben die Regelungen des WpHG bzw. der neu gefassten WpDVerOV treten. An einschlägigen Stellen des WpHG wurden die relevanten Querbezüge auf technische Regulierungsstandards zur MiFID II/MiFIR bzw. die Delegierte Verordnung deshalb auch im deutschen Gesetzestext kenntlich gemacht. Letzteres soll die Rechtsanwendung erleichtern.

4 Neuerungen im 2. FiMaNoG Das 2. FiMaNoG führt zunächst zu zahlreichen inhaltlichen Neuerungen im WpHG. Dies betrifft insbesondere den Anwendungsbereich sowie den Begriff des Finanzinstruments.27 Ferner werden im WpHG die Regeln zu multilateralen Handelssystemen (MTF) überarbeitet und neue Regeln zu den organisierten Handelssystemen (OTF) eingefügt.28

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Richtlinie 2006/73/EG der Kommission vom 10. August 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie. Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und -Organisationsverordnung – WpDVerOV) v. 17.10.2017, BGBl. I S. 3566. Referentenentwurf der WpDVerOV, abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/ Gesetze_Verordnungen/2017-05-09-WpDVerOV.html. Vgl. Abschnitt 4.1. Vgl. Abschnitt 4.3.3.

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An ihre Seite treten in Anlehnung an die europäischen Vorgaben neue Regeln für Systematische Internalisierer.29 Zahlreiche Änderungen, die Handelsplätze betreffen, wurden im BörsG vorgenommen.30 Die Gesetzessystematik des deutschen Aufsichtsrechts basiert auf dem materiellen Institutsbegriff31 im Sinne des Kreditwesengesetzes (KWG) und ordnet im WpHG jeweils eigenständig an, ob die Anforderungen des WpHG für bestimmte Wertpapierdienstleistungen gelten. Diese Systematik wurde im 2. FiMaNoG beibehalten.32 Ein Großteil der Neuregelungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen im WpHG betrifft den Bereich der Verhaltenspflichten und Organisationspflichten.33 Weitere Regelungen betreffen u.a. Datenbereitstellungsdienste34 und die Festlegung von Positionslimits.35 Anknüpfend an die bereits im 1. FiMaNoG umgesetzten entsprechenden Änderungen der MAR wurden schließlich auch die Bußgeldtatbestände des WpHG grundlegend überarbeitet.36

4.1 Begriff der Finanzinstrumente und Anwendungsbereich des WpHG Die Umsetzung der MiFID II führt dazu, dass Emissionszertifikate (und nicht wie bislang lediglich Termingeschäfte auf Emissionsberechtigungen) nunmehr selbst als Finanzinstrumente i.S.d. WpHG anzusehen sind (§ 2 Abs. 4 Nr. 5 WpHG). Gleichzeitig werden die „anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Vermögenswerte, Rechte, Obligationen, Indizes und Messwerte […], die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen“ (Anhang I Abschnitt C (10) MiFID II) fortan u.a. auch als Finanzinstrument angesehen, wenn sie an einem OTF gehandelt werden. Das WpHG setzt die Vorgaben der MiFID II konsequent in § 2 Abs. 3 WpHG um und zeichnet damit die von der Richtlinie beabsichtigte Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf OTFs nach.37

29 30 31 32 33 34 35 36 37

26

Vgl. Abschnitt 4.3.3. Vgl. Abschnitt 4.3.3. Vgl. Reschke, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Stand Dezember 2017, § 1 Rn. 32. Vgl. zur Erlaubnispflicht Abschnitt 4.3. Vgl. Abschnitt 4.4 und 4. 5. Vgl. Abschnitt 4.6. Vgl. Abschnitt 4.7. Vgl. Abschnitt 4.8. § 2 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b WpHG.

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Für die Praxis bringt diese Ausdehnung einige Anpassungen mit sich. Insbesondere erweitern sich die einschlägigen Organisations- und Informationspflichten von Handelsplätzen und Wertpapierdienstleistungsunternehmen um die neu hinzugekommenen Handelsplätze und Finanzinstrumente. Gleichzeitig erweitert sich aber auch die Aufsichtszuständigkeit der Bafin auf Geschäfte mit Emissionszertifikaten und an OTF gehandelten Derivaten. Zudem führt die MiFID II auf Level-II-Ebene zu Anpassungen bei der regulatorischen Behandlung von Devisentermingeschäften. Wie sich aus § 2 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b WpHG ergibt, sind Devisentermingeschäfte grundsätzlich als Finanzinstrument anzusehen, es sei denn, das Geschäft erfüllt die Voraussetzungen des Art. 10 Delegierte Verordnung. Art. 10 der Delegierten Verordnung enthält einerseits eine neue Definition, wann ein Kassageschäft für die Zwecke der Devisengeschäfte vorliegt. Auf der anderen Seite werden durch die Regelung Arten von Devisentermingeschäften privilegiert, welche bestimmte oder jedenfalls konkret bestimmbare realwirtschaftliche Transaktionen gegen Währungsrisiken absichern. Letzteres ist gesetzgeberisch vorgegeben, solange das Devisentermingeschäft nicht an einem Handelsplatz gehandelt wird, d.h. nicht standardisiert ist, und nicht wie eine Option oder ein Währungs-Swap spekulativen Zwecken dient.38 Die Neuerungen der MiFID II im Bereich der Finanzinstrumentedefinition haben nicht nur Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der MiFID II selbst, sondern auch auf andere, an den Finanzinstrumente- oder Derivatebegriff der MIFID II anknüpfende europäische Verordnungen wie die MAR39 und die European Market Infrastructure Regulation (EMIR).40 Neue Vorgaben enthält das 2. FiMaNoG darüber hinaus in Bezug auf den Verkauf von bzw. die Beratung zu strukturierten Einlagen (§ 96 WpHG).41 In Anlehnung an Art. 1 Abs. 4 MiFID II sind strukturierte Einlagen nicht als Finanzinstrumente anzusehen, sondern unterliegen lediglich ausgewählten Verhaltens- bzw. Organisationspflichten des WpHG.

38 39 40

41

Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 13 der Delegierten Richtlinie a.E. Vgl. zu ihrem Anwendungsbereich Art. 2 MAR. Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister. Zur Definition vgl. § 2 Abs. 19 WpHG.

27

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4.2 Erlaubnispflicht beim Eigengeschäft und relevante Ausnahmen 4.2.1

Erlaubnispflicht für das Eigengeschäft in Finanzinstrumenten

Von entscheidender praktischer Bedeutung sind die Neuregelungen der Erlaubnispflichten für das Eigengeschäft in Finanzinstrumenten. Ein struktureller Unterschied der Regelungen in KWG und WpHG besteht darin, dass das Eigengeschäft, d.h. der Handel für eigene Rechnung ohne Kundenauftrag, im WpHG eine Wertpapierdienstleistung darstellt (§ 2 Abs. 8 S. 2 WpHG), im KWG demgegenüber aber grundsätzlich nicht als Finanzdienstleistung anzusehen ist. Gleichwohl ordnet § 32 Abs. 1a S. 2 KWG an, dass ein Unternehmen mangels Vorliegen einer Ausnahme einer Erlaubnis der Bafin auch dann bedarf, wenn das Unternehmen das Eigengeschäft als Mitglied oder Teilnehmer eines organisierten Marktes oder eines MTF oder mit direktem elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz oder mit Warenderivaten, Emissionszertifikaten oder Derivaten auf Emissionszertifikate betreibt. In der Folge des 2. FiMaNoG hat die Bafin die Voraussetzungen des für das Eigengeschäft prägenden Merkmals des „Anschaffens und Veräußerns von Finanzinstrumenten“ konkretisiert: Unter diesen Begriff fallen bspw. auch die Übertragung von Ansprüchen aus Wertpapierrechnung und die sicherungsweise Übertragung von Wertpapieren, bei denen die Verfügungsbefugnis beschränkt ist, z.B. zur Liquiditätssteuerung oder bei der Übertragung von Wertpapieren aufgrund von Wertpapierpensionsgeschäften.42

4.2.2

Relevante Ausnahmen

Im Folgenden soll auf die wichtigsten Ausnahmen von dem vorgenannten Grundsatz eingegangen werden, die Nebentätigkeitsausnahme und die Eigengeschäftsausnahme.43

4.2.2.1

Nebentätigkeitsausnahme

Betreibt ein Unternehmen Eigengeschäft ausschließlich mit Warentermingeschäften, Emissionszertifikaten und Derivaten auf Emissionszertifikaten und erbringt keine anderen Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen und ist dieses Unternehmen nicht Teil

42

43

28

Bafin, Hinweise zu den Tatbeständen des Eigenhandels und des Eigengeschäfts, Stand Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/ Merkblatt/mb_110322_eigenhandel_eigengeschaeft_neu.html. Weitere relevante Ausnahmen von bestimmten Vorgaben des WpHG für bestimmte Unternehmen der Energiewirtschaft wurden unter Ausnutzung des Wahlrechts gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. d und e MiFID II in § 3 Abs. 1 S. 1 Nrn. 9 und 10 WpHG eingeführt.

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einer Unternehmensgruppe, die in der Haupttätigkeit Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen i.S.d. § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 1 bis 4 WpHG erbringt, so kann es die Nebentätigkeitsausnahme in Anspruch nehmen, wenn das Bankgeschäft des Unternehmens und der Gruppe im Verhältnis zu der sonstigen Tätigkeit des Unternehmens sowie der Gruppe auf individueller und aggregierter Basis eine Nebentätigkeit i.S.v. Art. 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/592 (RTS 20)44 ist und das Unternehmen die Inanspruchnahme der Nebentätigkeitsausnahme der Bafin jährlich anzeigt (§ 32 Abs. 1a S. 3 Nr. 3 KWG). Ganz ähnlich ist die entsprechende Ausnahme in § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 WpHG ausgestaltet.45

4.2.2.2

Eigengeschäftsausnahme

Betreibt das Unternehmen das Eigengeschäft mit anderen Finanzinstrumenten als Warenderivaten, Emissionszertifikaten oder Derivaten auf Emissionszertifikate, so bedarf es keiner Erlaubnis der Bafin, wenn das Eigengeschäft betrieben wird, um objektiv messbar die Risiken aus der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditäts- und Finanzmanagement des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe des Unternehmens zu reduzieren, und das Unternehmen keine Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt (§ 32 Abs. 1a S. 3 Nr. 1 KWG). Entsprechend sieht die Ausnahme gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 WpHG vor, dass Unternehmen, die ausschließlich das Eigengeschäft mit anderen Finanzinstrumenten als Warenderivaten, Emissionszertifikaten oder Derivaten auf Emissionszertifikate betreiben, nicht als Wertpapierdienstleistungsunternehmen gelten, es sei denn, (1) es handelt sich bei dem Unternehmen um einen Market Maker, (2) das Unternehmen ist Mitglied oder Teilnehmer eines organisierten Marktes oder MTF oder hat einen direkten elektronischen Zugang zu einem Handelsplatz, mit Ausnahme bestimmter nicht-finanzieller Stellen, (3) das Unternehmen wendet eine hochfrequente algorithmische Handelstechnik an oder (4) das Unternehmen betreibt Eigengeschäft bei der Ausführung von Kundenaufträgen.46

44

45 46

Delegierte Verordnung (EU) 2017/592 der Kommission vom 1. Dezember 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards zur Festlegung der Kriterien, nach denen eine Tätigkeit als Nebentätigkeit zur Haupttätigkeit gilt. Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Buchst. j MiFID II. Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MiFID II.

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4.2.2.3

Übergangsregelungen

Unternehmen, die der Neuregelung nach § 32 Abs. 1a S. 2 und 3 KWG unterfallen, können die Übergangsregelung nach § 64v Abs. 6 KWG in Anspruch nehmen, sofern diese einen vollständigen Erlaubnisantrag bei der Bafin bis zum 02.07.2018 einreichen. Ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat, das aufgrund der § 32 Abs. 1a S. 2 und 3 KWG eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 S. 1 KWG benötigt, kann eine Befreiung gemäß § 2 Abs. 5 KWG in Anspruch nehmen, sofern es bis zum 02.07.2018 einen vollständigen Freistellungsantrag gemäß § 2 Abs. 5 S. 1 KWG bei der Bafin einreicht (§ 64v Abs. 8 KWG).47 Etwaige Äquivalenzentscheidungen der Europäischen Kommission und die Vornahme einer Eintragung des Unternehmens in das Register der ESMA gemäß Art. 48 MiFIR bleiben von dieser Regelung unberührt.

4.3 Regelungen zu Handelsplätzen Die MiFID-II-Umsetzung führt zu zahlreichen Neuregelungen für Börsen, MTF und OTF48 sowie Systematische Internalisierer.

4.3.1

Börsen

Sehr umfangreich fallen die auf Börsen anwendbaren Regelungen der MiFID II aus. Wie sich aus den Änderungen in Art. 8 des 2. FiMaNoG im Inhaltsverzeichnis ergibt, werden im BörsG insbesondere Regeln aufgenommen zu: (i)

der Geschäftsleitung des Börsenträgers,49

(ii)

dem Verwaltungs- und Aufsichtsorgan des Börsenträgers;50

47

48

49 50

30

Die Bafin hat ihre entsprechende Verwaltungspraxis in einem Informationsblatt zusammengefasst, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Anlage/ 171205_Informationsblatt_Erlaubnispflicht_grenzueberschreitendeGe.html. Das BörsG definiert den Begriff des Handelsplatzes in § 2 Abs. 5 BörsG als „Börsen, multilaterale Handelssysteme oder organisierte Handelssysteme“. Wegen des entsprechenden Sachzusammenhangs werden die Regelungen zu Systematischen Internalisierern, die selbst nicht als Handelsplätze zählen, aber in Abschnitt 4.3 gemeinsam abgehandelt. § 4a BörsG. § 4b BörsG.

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(iii) der Verantwortung des Handelsteilnehmers für Aufträge von mittelbaren Handelsteilnehmern,51 (iv) der Synchronisierung von im Geschäftsverkehr verwendeten Uhren,52 (v)

Market-Making-Systemen,53

(vi) algorithmischen Handelssystemen und zum elektronischen Handel,54 (vii) Informationen über die Ausführungsqualität,55 (viii) Positionsmanagementkontrollen,56 (ix) der Übermittlung von Daten der Handelsteilnehmer der Börse,57 (x)

dem KMU-Wachstumsmarkt58 und

(xi) dem organisierten Handelssystem an einer Börse.59 Wegen der Vielfalt der auf Börsen anwendbaren Neuregelungen kann im Rahmen dieses Beitrags nicht auf sämtliche Anforderungen an Börsen in entsprechender Detailtiefe eingegangen werden. Hinzu tritt im Zuge der MiFID-II-Umsetzung neben dem BörsG darüber hinaus eine Vielzahl von unmittelbar auf Börsen sowie MTF/OTF anwendbaren Level-II-Regelungen. Eine entscheidende Klarstellung des 2. FiMaNoG für Börsen liegt darin, dass der Freiverkehr i.S.d. BörsG als multilaterales Handelssystem gilt (§ 48 Abs. 3 S. 2 BörsG). Die im Zuge der Umsetzung der Anforderungen der MiFID II an von Börsen betriebene MTF erforderlichen Anpassungen wurden daher konsequenterweise im BörsG vorgenommen. Hinsichtlich der Anforderungen an von Börsen betriebene MTF und OTF und die von Wertpapierdienstleistungsunternehmen betriebenen MTF und OTF wurde im Rahmen der Umsetzung des 2. FiMaNoG grundsätzlich ein Gleichlauf der auf sie anwendbaren Anforderungen im BörsG und WpHG angestrebt. Aus diesem Grund kann in Bezug auf die auf MTF und OTF anwendbaren Regeln grundsätzlich auf die

51 52 53 54 55 56 57 58 59

§ 19a BörsG. § 22a BörsG. § 26c BörsG. Vgl. dazu näher Abschnitt 4.5.2 und § 26d BörsG. § 26e BörsG. Vgl. dazu Abschnitt 4.7 und § 26f BörsG. § 26g BörsG. § 48a BörsG. § 48b BörsG.

31

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nachfolgend anhand des WpHG besprochenen Regeln für von Wertpapierdienstleistungsunternehmen betriebene MTF und OTF verwiesen werden.

4.3.2

Multilaterale und organisierte Handelssysteme

Das 2. FiMaNoG regelt die organisatorischen Anforderungen an MTF neu und führt darüber hinaus neue Anforderungen für den Betrieb von OTF ein. § 74 WpHG n.F. sieht besondere Anforderungen vor, denen der Betreiber eines MTF nachkommen muss. Entsprechend den MiFID-II-Vorschriften sieht der Gesetzgeber besondere Vorgaben für OTF in § 75 WpHG vor. Ein entscheidender Unterschied zwischen MTF und OTF liegt darin, dass die an einem MTF geschlossenen Handelsgeschäfte in nichtdiskretionärer Weise zusammengeführt werden und die Preise eines MTF entsprechend den Anforderungen von § 24 Abs. 2 BörsG zustande kommen müssen (§ 74 Abs. 2 WpHG).60 Die gemeinsamen Anforderungen an MTF und OTF werden in § 72 WpHG zusammengefasst, einschließlich der Vorgabe zum Festlegen von nichtdiskriminierenden Regelungen für den Zugang zum MTF bzw. OTF durch den Betreiber, zur Vermeidung von Interessenkonflikten, der Festlegung eines angemessenen Order-Transaktions-Verhältnisses und angemessener Risikokontrollen und Schwellen für den Handel über den direkten elektronischen Zugang. Sowohl MTF- als auch OTF-Betreiber haben außerdem gemäß § 73 Abs. 1 WpHG unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis zur Aussetzung des Handels mit einem Finanzinstrument oder zum Ausschluss eines Finanzinstruments vom Handel. Weiterhin ist neben dem schon bisher erlaubnispflichtigen Betrieb eines MTF auch der Betrieb eines OTF im Einklang mit Anhang I Abschnitt A MiFID II nunmehr als erlaubnispflichtige Wertpapierdienstleistung anzusehen.61 Insbesondere bei einem Antrag auf Zulassung des Betriebs eines OTF muss ein OTFBetreiber nunmehr darlegen, aus welchen Gründen das OTF keinem regulierten Markt, MTF oder Systematischen Internalisierer entspricht und nur in dieser Form betrieben werden kann (§ 75 Abs. 7 S. 1 WpHG). Gleichzeitig darf das OTF nicht innerhalb derselben rechtlichen Einheit mit einem Systematischen Internalisierer betrieben werden (§ 75 Abs. 4 S. 1 WpHG).

60 61

32

Vgl. dazu auch im Vergleich Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 und 23 MiFID II. § 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 9 WpHG.

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Die Anforderungen an OTF sollen insbesondere dazu führen, dass bislang intransparente Handelsplattformen den weitreichenden Transparenzpflichten des MiFID/MiFIRRegimes unterliegen, insbesondere zur Vorhandels- und Nachhandelstransparenz.62

4.3.3

Systematische Internalisierer

Neu geregelt wird durch das 2. FiMaNoG auch das Recht der Systematischen Internalisierer. Die Systematische Internalisierung wird in § 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 2 Buchst. b WpHG n.F. definiert als das „häufige organisierte und systematische Betreiben von Handel für eigene Rechnung in erheblichem Umfang außerhalb eines organisierten Marktes oder eines multilateralen oder organisierten Handelssystems, wenn Kundenaufträge außerhalb eines geregelten Marktes oder eines multilateralen oder organisierten Handelssystems ausgeführt werden, ohne dass ein multilaterales Handelssystem betrieben wird.“ § 2 Abs. 8 S. 3 WpHG enthält Kriterien, auf deren Basis ein häufiger systematischer Handel vorliegt. Zugleich legt § 2 Abs. 8 S. 4 WpHG mit Verweis auf Art. 12 bis 17 der Delegierten Verordnung fest, wann ein Handel in erheblichem Umfang vorliegt. Neben einem Überschreiten der auf Level-II-Ebene festgelegten Schwellenwerte kann ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen sich auch freiwillig den Regelungen für die Systematische Internalisierung unterwerfen (§ 2 Abs. 8 S. 5 WpHG). Die Tätigkeit als Systematischer Internalisierer setzt voraus, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dies der Bafin unverzüglich mitteilt (§ 79 S. 1 WpHG). Diese Mitteilungspflicht besteht unabhängig von dem eigenständigen Erfordernis, über eine Erlaubnis zum Betrieb des Eigenhandels nach dem KWG zu verfügen.63 Die Bafin hat die Einzelheiten des Anzeigeverfahrens nach § 79 S. 1 WpHG in einem Formular festgelegt.64 Praktisch bedeutsam für die Tätigkeit als Systematischer Internalisierer sind zudem die z.T. eingeräumten Ausnahmen von bestimmten Transparenzpflichten in Bezug auf Kursofferten.65 Wie die Handelsplätze unterliegen auch Systematische Internalisierer grundsätzlich umfangreichen Level-II-Anforderungen der MiFiD II/ MiFIR, insbesondere Transparenzvorgaben.

62 63 64

65

Vgl. Art. 8 ff. MiFIR. § 32 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4 Buchst. b KWG. Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Formular/WA/ fo_170105_wphg_si.html. Abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Aufsichtsrecht/Verfuegung/vf_180102_allgvfg_systematische_internalisierer.html.

33

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4.4 Neuerungen bei den Verhaltenspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen Der Bereich der Verhaltenspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen wurde in Anlehnung an die Art. 24 ff. MiFID II im neu gestalteten Abschnitt 11 des WpHG umfassend neu geregelt. Im Vordergrund stehen zunächst die Informationspflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gegenüber dem Kunden, einschließlich über etwaige Interessenkonflikte (§ 63 Abs. 2, 5, 7 und 12 WpHG)66 sowie Kosten (§ 70 Abs. 6 WpHG),67 und die Beachtung der Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten (§ 63 Abs. 3 WpHG). Ferner muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen für die von ihm konzipierten Finanzinstrumente einen Zielmarkt festlegen (§ 63 Abs. 4 WpHG), mit dem die Vertriebsstrategie für die Finanzinstrumente vereinbar sein muss. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss die von ihm angebotenen und empfohlenen Finanzinstrumente verstehen (§ 63 Abs. 5 S. 1 WpHG). Es muss außerdem vor der Erbringung anderer Wertpapierdienstleistungen als der Anlageberatung oder der Finanzportfolioverwaltung Informationen über die Kenntnisse und Erfahrungen der Kunden in Bezug auf Geschäfte mit bestimmten Arten von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen einholen, soweit die Informationen erforderlich sind, um die Angemessenheit der Finanzinstrumente oder Wertpapierdienstleistungen für die Kunden beurteilen zu können (§ 63 Abs. 10 WpHG (Angemessenheitsprüfung)). Nach dem 2. FiMaNoG erhalten geblieben sind die Regelungen für das nationale Produktinformationsblatt (PIB) für Privatkunden im Falle der Anlageberatung, falls für das betreffende Finanzinstrument kein Basisinformationsblatt nach der PRIIPS-Verordnung erstellt werden muss (§ 64 Abs. 2 S. 1 WpHG und § 4 WpDVerOV). Betrifft die Anlageberatung Aktien, die an einem organisierten Markt gehandelt werden, kann mit Wirkung vom 01.07.2018 anstelle des PIB gemäß § 64 Abs. 2 S. 1 WpHG ein standardisiertes Informationsblatt verwendet werden (§ 64 Abs. 2 S. 3 WpHG). Erbringt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Anlageberatung oder die Finanzportfolioverwaltung, gelten hierfür besondere Anforderungen. Insbesondere ist im Falle der Anlageberatung gemäß § 64 Abs. 3 WpHG eine Geeignetheitsprüfung durchzuführen und ist dem Kunden vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor Vertragsschluss eine Geeignetheitserklärung zur Verfügung zu stellen (§ 64 Abs. 4 S. 1 WpHG). Die

66 67

34

Vgl. zur Interessenkonfliktvermeidungspflicht auch Buck-Heeb/Poelzig BKR 2017, 485, 487. Zur Kostentransparenz vgl. Buck-Heeb/Poelzig BKR 2017, 485, 487.

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Geeignetheitserklärung löst gemeinsam mit den Aufzeichnungspflichten gemäß § 83 WpHG68 das bislang in Deutschland maßgebliche Beratungsprotokoll ab.69 Besondere Anforderungen gelten im Hinblick auf die Vergütung für die Unabhängige Honorar-Anlageberatung (§ 64 Abs. 5 WpHG).70 Nicht-monetäre Zuwendungen sind im Bereich der Unabhängigen Honorar-Anlageberatung z.B. nicht zugelassen, während monetäre Zuwendungen nur unter bestimmten eng gefassten Voraussetzungen erlaubt sind.71 Neu gestaltet wird im Übrigen der gesamte Bereich der Zuwendungen durch Dritte. Grundsätzlich muss ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen nachweisen können, dass jegliche von ihm erhaltenen oder gewährten Zuwendungen – insbesondere im Falle der provisionsbasierten (abhängigen) Anlageberatung72 – dazu bestimmt sind, die Qualität der jeweiligen Dienstleistung für Kunden zu verbessern (§ 70 Abs. 1 S. 3 WpHG). Wann eine Zuwendung die Qualität verbessert, wird u.a. im Rahmen der neu gefassten WpDVerOV konkretisiert.73 Besonderheiten gelten bei der Bereitstellung von Analysen durch Dritte. Diese betreffen insbesondere Zahlungen von einem separaten Analysekonto des Wertpapierdienstleistungsunternehmens (§ 70 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und Abs. 3 WpHG).74 Bei der Zahlungsabwicklung von einem Analysekonto aus liegt keine verbotene Zuwendung vor.75 Die verschärften Regeln für Zuwendungen und Analysen sind in der Praxis auf Kritik gestoßen, die eine Reduzierung der im Bereich der von Fondsgesellschaften in Auftrag gegebenen Analysen befürchtet.76 Nicht ins Gesetz eingeflossen ist indes der Vorschlag, dem Kunden ein Recht auf Herausgabe der Zuwendungen einzuräumen, sofern diese nicht offengelegt werden.77

68 69 70

71 72

73 74 75 76

77

Vgl. hierzu Abschnitt 4.5.5. Vgl. RegE 2. FiMaNoG, BT-Drucks. 18/10936, S. 235. Das bisherige Recht der Honoraranlageberatung in Deutschland geht auf das Gesetz zur Förderung und Regulierung einer Honorarberatung über Finanzinstrumente (Honoraranlageberatungsgesetz) v. 15.07.2013, BGBl. I S. 2390 zurück. Buck-Heeb/Poelzig BKR 2017, 485, 487. Wie im vorstehenden Absatz beschrieben, gelten im Bereich der „Unabhängigen HonorarAnlageberatung“ besondere Vorgaben. Vgl. dazu Abschnitt 4.10.3. Vgl. dazu Abschnitt 4.10.3. Neusüß, in: BafinJournal, 06/2017, 19, 22 f. Schreiber, Alles hat seinen Preis, in: Süddeutsche Zeitung, 31.08.2017, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mifid-richtlinie-alles-hat-seinen-preis-1.3647694. Buck-Heeb/Poelzig BKR 2017, 485, 488.

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Weitere Anforderungen ergeben sich im Bereich der bestmöglichen Ausführung von Kundenaufträgen (Best Execution). Insbesondere muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nunmehr einmal jährlich für jede Gattung von Finanzinstrumenten die aus Sicht des Handelsvolumens fünf wichtigsten Ausführungsplätze samt Informationen zur Ausführungsqualität zusammenfassen und veröffentlichen (§ 82 Abs. 9 WpHG). Die im deutschen Recht bislang verankerten Anforderungen an Vertriebsbeauftragte bzw. Mitarbeiter in der Anlageberatung werden nach Inkrafttreten des 2. FiMaNoG ebenfalls fortgeführt (§ 87 WpHG) und in der geänderten WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung (WpHGMaAnzV)78 konkretisiert. Schließlich wird in Anknüpfung an das bisher in Deutschland verfügbare öffentliche Honoraranlageberaterregister (§ 36c WpHG a.F.) ein öffentliches Register Unabhängiger Honorar-Anlageberater fortgeführt (§ 93 WpHG n.F.).

4.5 Neuerungen bei den Organisationspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen Neu geregelt wird der Bereich der Organisationspflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen.

4.5.1

Allgemeines

Die MiFID-II-Umsetzung zeichnet sich im Bereich der Organisationspflichten dadurch aus, dass wichtige Teile der bisher im WpHG umgesetzten Vorgaben der Durchführungsrichtlinie zur MiFID I nunmehr in der Delegierten Verordnung geregelt werden. Daher verringert sich jedenfalls optisch der Kreis der im WpHG geregelten Anforderungen an die Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, einschließlich im Bereich der Organisationspflichten für die Auslagerung von Prozessen, welche nunmehr in den Art. 30 bis 32 der Delegierten Verordnung konkretisiert werden. Gleichwohl nimmt der Umfang der Organisationspflichten in der Gesamtschau eher zu. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen nunmehr bspw. über solide Sicherheitsmechanismen verfügen, die die Sicherheit der Authentifizierung der Informationsübermittlungswege gewährleisten, das Risiko der Datenverfälschung und des unberechtigten

78

36

Verordnung über den Einsatz von Mitarbeitern in der Anlageberatung, als Vertriebsmitarbeiter, in der Finanzportfolioverwaltung, als Vertriebsbeauftragte oder als ComplianceBeauftragte und über die Anzeigepflichten nach § 87 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung) v. 21.12.2011, BGBl. I S. 3116, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung v. 24.11.2017, BGBl. I S. 3810.

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Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland

Zugriffs minimieren und verhindern, dass Informationen bekannt werden, so dass die Vertraulichkeit der Daten jederzeit gewährleistet ist (§ 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpHG n.F.). V.a. für kleinere Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die über keine Banklizenz nach dem KWG verfügen, dürften diese Pflichten mit einigem Aufwand im Hinblick auf die IT-Implementierung verbunden sein.

4.5.2

Algorithmischer Handel

Bereits im Hochfrequenzhandelsgesetz (HFHG)79 wurden in Deutschland die zum damaligen Zeitpunkt erwarteten Anforderungen der MiFID II an den algorithmischen Handel vorweggenommen (§ 33 Abs. 1a WpHG a.F.). Aus diesem Grund musste das 2. FiMaNoG lediglich solche Anforderungen an Hochfrequenzhändler umsetzen, welche nicht bereits im HFHG Teil des deutschen Rechts geworden waren. Die im HFHG umgesetzten organisatorischen Anforderungen werden aufgrund der MiFID-II-Umsetzung insbesondere ergänzt durch Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten (§ 80 Abs. 3 WpHG n.F.) und Anforderungen an die Verfolgung einer Market-Making-Strategie im Rahmen des algorithmischen Handels (§ 80 Abs. 4 und 5 WpHG n.F.). Auch nach Inkrafttreten des 2. FiMaNoG verbleibt der Hochfrequenzhandel eine Wertpapierdienstleistung i.S.d. WpHG und eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung i.S.d. KWG80, wobei die Voraussetzungen der Erlaubnispflicht nunmehr in Anlehnung an die Definition der hochfrequenten algorithmischen Handelstechnik in der MiFID II ausgestaltet worden sind (§ 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Abs. 44 WpHG). Im Zuge der Neuregelung des 2. FiMaNoG wurden außerdem die Berechnung des Order-Transaktionsverhältnisses und die Ermittlung der Mindestpreisänderungsgröße anhand der europäischen Vorgaben ausgestaltet.81 Weitere Anforderungen, insbesondere zu Market-Making-Systemen und zu dem Betrieb von algorithmischen Handelssystemen, ergeben sich fortan aus §§ 26c und 26d BörsG. Insbesondere muss die Börse sicherstellen, dass algorithmische Handelssysteme nicht zu einer Beeinträchtigung des ordnungsgemäßen Börsenhandels führen (§ 26d Abs. 1 S. 1 BörsG).

79

80 81

Gesetz zur Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel (Hochfrequenzhandelsgesetz) v. 07.05.2013, BGBl. I S. 1162. § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4 Buchst. d KWG. Neusüß, in: BafinJournal, 06/2017, 19, 22.

37

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4.5.3

Product Governance

An den gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung von Art. 16 Abs. 3 MiFID II, der Product-Governance-Vorschriften, hat der deutsche Gesetzgeber vergleichsweise lange gefeilt. Eine erste Fassung der deutschen Umsetzung des Art. 16 Abs. 3 MiFID II war bereits im Kleinanlegerschutzgesetz (KASG)82 enthalten und sollte mit den übrigen MiFID-II-Vorgaben gemeinsam in Kraft treten. Mit dem Eintritt in das Gesetzgebungsverfahren für das 2. FiMaNoG wurde die Umsetzung des Art. 16 Abs. 3 MiFID II in § 80 Abs. 9 bis 11 WpHG n.F. noch enger an den Wortlaut der MiFID II angelehnt. Im deutschen Recht wurde für die Product Governance der Begriff des Produktfreigabeverfahrens im Gesetz verankert (§ 80 Abs. 9 S. 1 WpHG). Im Zusammenhang mit dem Erlass der Delegierten Richtlinie stand in Deutschland v.a. das Verhältnis zwischen Level-I-Text und Level-II-Vorgaben im Hinblick auf die Product-Governance-Pflichten von Vertriebsunternehmen im Fokus. Insbesondere in § 80 Abs. 12 WpHG n.F. hat der Gesetzgeber nicht nur Teile der Vorgaben der Delegierten Richtlinie für Vertriebsunternehmen im WpHG umgesetzt, sondern auch klargestellt, dass die Anforderungen nach dem WpHG auch für die Vertriebsunternehmen gelten. Genaueres regelt in diesem Zusammenhang allerdings § 12 WpDVerOV n.F.83

4.5.4

Geschäftsleiter eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens

Neue Vorgaben ergeben sich im Bereich der Organisationspflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen darüber hinaus bei den Anforderungen an ihre Geschäftsleiter. Die in § 81 WpHG n.F. eingefügten Vorgaben bleiben eng in die Regelungen des § 25c KWG eingebettet, welche bereits auf Grund der Umsetzung der Capital Requirements Directive IV (CRD IV)84 eingefügt worden waren. Von Bedeutung ist namentlich die Regelung des § 81 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG, wonach die von den Geschäftsleitern festzulegende, umzusetzende und zu überwachende Geschäftspolitik mit der Risikotoleranz des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und etwaiger Besonderheiten und Bedürfnissen seiner Kunden in Einklang stehen muss. In der Praxis muss geklärt werden, anhand welcher Modelle die Risikotoleranz des Wert-

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Kleinanlegerschutzgesetz v. 03.07.2015, BGBl. I S. 1114. Vgl. dazu Abschnitt 4.10.2. Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG.

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papierdienstleistungsunternehmens genau zu bestimmen ist. Zentrale Bedeutung hat auch die nunmehr explizit im Gesetz geregelte Pflicht der Geschäftsleiter, Vergütungsregeln für Wertpapierdienstleistungen erbringende Personen zu treffen, die auf eine Vermeidung von Interessenkonflikten im Verhältnis zu den Kunden ausgerichtet sein müssen (§ 81 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 WpHG). Ergänzt werden die vorstehenden Regelungen bei den betroffenen Instituten i.S.d. KWG durch die Regeln der Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV).85 Im Zuge der Umsetzung der Delegierten Richtlinie wurde weiter vorgesehen, dass die Geschäftsleiter nunmehr auch den Produktfreigabeprozess ihres Unternehmens wirksam zu überwachen haben (§ 81 Abs. 4 S. 1 WpHG), was insbesondere anhand der Compliance-Berichte geschehen soll (§ 81 Abs. 4 S. 2 WpHG).

4.5.5

Pflicht zum Taping

Besonders kompliziert gestaltete sich die Umsetzung der Aufzeichnungspflichten der MiFID II, insbesondere im Hinblick auf die in § 83 Abs. 3 WpHG geregelte Pflicht zur Aufzeichnung der Telefongespräche und der elektronischen Kommunikation mit Kunden, sofern das Wertpapierdienstleistungsunternehmen für eigene Rechnung handelt oder Dienstleistungen erbringt, die sich auf die Annahme, Übermittlung und Ausführung von Kundenaufträgen beziehen (Taping). Die Ausgestaltung der deutschen Umsetzungsnorm trägt den einschlägigen Datenschutzvorgaben Rechnung. Im Hinblick darauf wurden im deutschen Gesetzestext verschiedentlich Klarstellungen vorgenommen. So dienen die Aufzeichnungen nach § 83 Abs. 3 S. 1 WpHG der „Beweissicherung“ und der Gesetzgeber hat klargestellt, dass die Aufzeichnung nicht „unbefugt“ i.S.d. § 201 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) erfolgt, wenn die Vorgaben von § 83 Abs. 3 WpHG eingehalten werden.86 Gleichzeitig wurde konkretisiert, dass die Aufzeichnung jene Teile zu beinhalten hat, in welchen die Risiken, die Ertragschancen oder die Ausgestaltung von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen erörtert werden (§ 83 Abs. 3 S. 2 WpHG). Entsprechend wurde dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen die datenschutzrechtlich erforderliche Befugnis eingeräumt, personenbezogene Daten zu erheben, zu verarbeiten und zu nutzen (§ 83 Abs. 3 S. 3 WpHG). Neu geregelt wurde außerdem eine Aufbewahrungsfrist für die Aufzeichnungen von grundsätzlich fünf Jahren (§ 83 Abs. 8 S. 1 WpHG). Anschließend sind die Aufzeichnungen in Anbetracht der datenschutzrechtlichen Anforderungen grundsätzlich zu

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Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Institutsvergütungsverordnung – InstitutsVergV) v. 16.12.2013, BGBl. I S. 4270. RegE 2. FiMaNoG, BT-Drucks. 18/10936, S. 245.

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löschen. Lediglich, wenn die Bafin vor Ablauf der Fünfjahresfrist Kenntnis von Umständen erlangt, welche eine längere Speicherung insbesondere zur Beweissicherung erfordern, kann sie die Frist um zwei weitere Jahre verlängern (§ 83 Abs. 8 S. 2 WpHG). Ein entscheidender Aspekt bei der Umsetzung der Taping-Vorgaben war auch die Berücksichtigung der Belange der eingebundenen Mitarbeiter des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, die aufgrund der Aufzeichnungen gemäß § 83 WpHG nicht überwacht werden dürfen (§ 83 Abs. 9 S. 1 WpHG).87 Weitere Vorgaben an das Taping ergeben sich aus Art. 76 der Delegierten Verordnung.

4.5.6

Verwahrung des Kundenvermögens

Die Pflichten zur Verwahrung von Kundenvermögen durch Wertpapierdienstleistungsunternehmen ändern sich unter dem Einfluss der MiFID II und der Delegierten Richtlinie signifikant. Die Änderungen weisen eine hohe Komplexität auf, weshalb hier nur ein Überblick gegeben werden kann. Klargestellt wurde zunächst, dass Einlagenkreditinstitute grundsätzlich nicht den Regeln der MiFID II im Hinblick auf das Halten von Kundengeldern unterliegen (§ 84 Abs. 1 und 2 WpHG). Die Gelder von Einlagenkreditinstituten sind bereits als Einlagen hinreichend geschützt.88 Des Weiteren erfolgte entsprechend den Vorgaben der Delegierten Richtlinie89 eine Konkretisierung der Regelungen zur Nutzung von für Kunden verwahrten Finanzinstrumenten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens (§ 84 Abs. 5 WpHG). Finanzsicherheiten in Form der Vollrechtsübertragung können nicht mit Privatkunden vereinbart werden (§ 84 Abs. 7 WpHG). Bei professionellen Kunden sind, ebenfalls aufgrund der Umsetzung der Delegierten Richtlinie, u.a. besondere Sorgfalts- und Hinweispflichten zu beachten (§ 84 Abs. 8 WpHG).

4.6 Anforderungen an Datenbereitstellungsdienste Das 2. FiMaNoG setzt die europäischen Vorgaben zu den Datenbereitstellungsdiensten90 in den §§ 58 ff. WpHG um und fügt hierzu im WpHG einen neuen Abschnitt 10 ein. Ziel der Vorschriften zu Datenbereitstellungsdiensten ist u.a. das Erreichen größerer Markt-

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RegE 2. FiMaNoG, BT-Drucks. 18/10936, S. 246. Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 18/11775, S. 391. Vgl. Art. 5 Delegierte Richtlinie zur MiFID II. Datenbereitstellungsdienste sind gemäß § 2 Abs. 40 WpHG ein genehmigtes Veröffentlichungssystem (§ 2 Abs. 37 WpHG), ein Bereitsteller konsolidierter Datenticker (§ 2 Abs. 38 WpHG) oder ein genehmigter Meldemechanismus (§ 2 Abs. 39 WpHG).

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transparenz, indem Marktteilnehmer Zugang zu den relevanten Marktdaten erhalten.91 Die Bafin überwacht die Organisationspflichten der Datenbereitstellungsdienste (§ 61 WpHG), welche jeweils gesondert für genehmigte Veröffentlichungssysteme (§ 58 WpHG), konsolidierte Datenticker (§ 59 WpHG) und genehmigte Meldemechanismen (§ 60 WpHG) geregelt sind. Zentral sind dabei v.a. die Anforderungen an die Echtzeitveröffentlichung bestimmter Transparenzdaten zu Geschäften in Finanzinstrumenten, zur diskriminierungsfreien Verbreitung der Informationen, der Vermeidung von Interessenkonflikten und die Anforderungen an die Sicherheit der Informationsübermittlungswege. Die Zulässigkeit der Erbringung von Datenbereitstellungsdienstleistungen und der bei der Bafin zu beantragenden Erlaubnis von Datenbereitstellungsdiensten richtet sich nunmehr nach § 32 Abs. 1f KWG n.F.92

4.7 Festlegung von Positionslimits In Umsetzung der MiFID II enthält das 2. FiMaNoG in den §§ 54 ff. WpHG n.F. erstmals Regelungen zu Positionslimits, Positionsmanagementkontrollen und Positionsmeldungen bei Warenderivaten. Warenderivate sind in § 2 Abs. 36 WpHG definiert als Finanzinstrumente i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Nr. 30 MiFIR. Erfasst sind danach insbesondere Derivate in Bezug auf Waren und Basiswerte, die in Anhang I C (5), (6), (7) und (10) MiFID II genannt sind. Gemäß § 54 Abs. 1 WpHG legt die Bafin für jedes nicht europaweit gehandelte Derivat (§ 55 WpHG) einen quantitativen Schwellenwert für die maximale Größe einer Position in diesem Derivat, die eine Person halten darf (Positionslimit), fest. Durch das Positionslimit werden geordnete Preisbildungs- und Abwicklungsbedingungen gefördert, marktverzerrende Positionen verhindert und eine Konvergenz zwischen dem Preis des Derivats und dem Preis für die zugrunde liegende Ware an den entsprechenden Spotmärkten hergestellt, ohne dass die Preisbildung am Markt für die zugrunde liegende Ware davon berührt wird (§ 54 Abs. 2 WpHG).

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Neusüß, in: BafinJournal, 06/2017, 19, 21. Eine Zusammenfassung des Verfahrens für Erlaubnisanträge von Datenbereitstellungsdiensten ist auf der Bafin-Internetseite verfügbar, abrufbar unter: https://www.bafin.de/DE/ Aufsicht/BoersenMaerkte/Datenbereitstellungsdienste/ datenbereitstellungsdienste_node.html.

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Erste Positionslimits hat die Bafin bereits festgelegt.93 Entscheidend für die Festlegung eines Positionslimits ist die insgesamt verfügbare lieferbare Menge eines Derivats. Schwankt die lieferbare Menge, so legt die Bafin das jeweilige Positionslimit neu fest (§ 54 Abs. 5 S. 1 WpHG). Die Positionslimits gelten nicht für Positionen, für die die Bafin oder eine andere zuständige Behörde auf Antrag festgestellt hat, dass sie von einer oder für eine nichtfinanzielle Partei gehalten werden und welche die Risiken, die mit deren Geschäftstätigkeit verbunden sind, objektiv messbar verringern (§ 56 Abs. 3 S. 1 WpHG). Der Betreiber eines MTF oder OTF, an denen Warenderivate gehandelt werden, muss des Weiteren Verfahren zur Überwachung der Einhaltung der von der Bafin festgelegten Positionslimits (Positionsmanagementkontrollen) einrichten (§ 54 Abs. 6 S. 1 WpHG). Der Betreiber unterrichtet die Bafin über die Einzelheiten der von ihm eingerichteten Positionsmanagementkontrollen (§ 54 Abs. 6 S. 4 WpHG). Mitglieder und Teilnehmer von Handelsplätzen sind jeweils verpflichtet, dem jeweiligen Betreiber des Handelsplatzes einmal täglich die Einzelheiten ihrer eigenen Positionen in Warenderivaten, die an dem Handelsplatz gehandelt werden, sowie die Positionen ihrer Kunden bis zum Endkunden zu melden (§ 57 Abs. 1 S. 1 WpHG). Die jeweiligen Kunden müssen den zur Meldung verpflichteten Mitgliedern oder Teilnehmern an Handelsplätzen die für die Meldung notwendigen Informationen zur Verfügung stellen (§ 57 Abs. 1 S. 2 WpHG). Der Handelsplatzbetreiber muss anschließend wöchentlich eine Aufstellung der aggregierten Positionen in den verschiedenen an dem Handelsplatz gehandelten Warenderivaten oder Emissionszertifikaten bzw. Derivaten davon, die von Personenkategorien nach § 57 Abs. 2 S. 4 WpHG gehalten werden, veröffentlichen und der Bafin sowie der ESMA übermitteln (§ 57 Abs. 2 S. 1 WpHG). Die Bafin kann in kritischen Marktsituationen häufigere Positionsmeldungen verlangen (§ 57 Abs. 5 WpHG). Nähere Bestimmungen zu den Positionsmeldungen soll die vom Bundesministerium der Finanzen gemäß § 57 Abs. 6 WpHG zu erlassende Positionsmeldeverordnung enthalten.

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Vgl. die online zusammengestellte Liste der von der Bafin im Bereich der Positionslimits erlassenen Allgemeinverfügungen, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/ Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2018/meldung_180103_Positionslimits.html.

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Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland

4.8 Bußgeldregelungen Wie bereits in der MAR wurde im Rahmen der MiFID-II-Umsetzung der konsequente Weg zu höheren Bußgeldandrohungen im Rahmen des 2. FiMaNoG fortgeführt. Der bisherige Bußgeldparagraph des WpHG (§ 39 WpHG a.F.) wurde um zahlreiche neue Absätze ergänzt, die eigenständige Bußgeldtatbestände aufgrund der MiFID-II-Umsetzung enthalten (insbesondere § 120 Abs. 8 und 9 WpHG). Gleichzeitig wurde die Bemessung der Bußgelder grundlegend überarbeitet. Ein Verstoß gegen Normen der MiFID II kann nunmehr Bußgelder in Höhe von bis zu 5 Mio. EUR bzw. umsatzabhängige Bußgelder in Höhe von bis zu 10% des Gesamtumsatzes einer juristischen Person im vergangenen Geschäftsjahr nach sich ziehen (im Einzelnen § 120 Abs. 20 WpHG). Maßgeblich bei der Bemessung der verhängten Bußgelder sind die überarbeiteten Bußgeldleitlinien II der Bafin.94 Wie zuvor bereits im Bereich der Sanktionen bei Verstößen gegen die MAR95 sieht das 2. FiMaNoG in § 126 WpHG nunmehr eine Rechtsgrundlage für die öffentliche Bekanntmachung von Maßnahmen und Sanktionen wegen Verstößen gegen die Abschnitte 9 bis 11 des WpHG und gegen die MIFIR vor (Naming & Shaming).

4.9 Produktintervention Eine für das deutsche Recht bedeutsame Befugnis der Bafin, und seit dem 03.012018 auch der ESMA, ist die Produktintervention. Bereits mit dem KASG nahm der deutsche Gesetzgeber die materiellen Regeln der MiFIR weitgehend vorweg und fügte § 4b WpHG a.F. im deutschen Recht ein.96 Auf dieser Grundlage unternahm die Bafin im Jahr 2016/2017 eine Anhörung zu Bonitätsanleihen, die jedoch aufgrund der Zusammenarbeit mit Vertretern aus der Bankpraxis in Deutschland und u.a. nach Änderung der Bezeichnung in „bönitätsabhängige Schuldverschreibungen“ nicht zu der Verhängung eines Produktverbots führte.97

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Vgl. Bafin, WpHG-Bußgeldleitlinien II, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Leitfaden/WA/dl_bussgeldleitlinien_2016.html. Vgl. hierzu u.a. Litsoukov, in: Meyer/Veil/Rönnau, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 26 Rn. 28 (im Erscheinen). Vgl. zur Produktintervention als besondere Bafin-Befugnis auch Litsoukov, in: Meyer/Veil/ Rönnau, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 26 Rn. 32 f. (im Erscheinen). Vgl. Bafin, Pressemitteilung, 05.12.2017, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/ Veroeffentlichungen/DE/Pressemitteilung/2017/ pm_171205_bonitaetsanleihen_verbot.html.

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Hinsichtlich CFDs folgte Mitte des Jahres 2017 seitens der Bafin allerdings die Verhängung eines Verbots von CFDs mit unbeschränkter Nachschusspflicht.98 Ende 2017 leitete zudem die ESMA ihre Bemühungen im Bereich der CFDs und der binären Optionen europaweit ein.99 Die Bafin kann gemäß Art. 42 MiFIR die Vermarktung, den Vertrieb oder den Verkauf von bestimmten Finanzinstrumenten oder strukturierten Einlagen oder eine Form der Finanztätigkeit oder -praxis verbieten oder beschränken (Art. 42 Abs. 1 MiFIR), sofern u.a. das Finanzinstrument, die strukturierte Einlage oder die entsprechende Tätigkeit oder Praxis erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwirft oder eine Gefahr für das ordnungsgemäße Funktionieren und die Integrität der Finanz- oder Warenmärkte in mindestens einem Mitgliedstaat für die Stabilität des Finanzsystems oder eines Teils davon darstellt und die Maßnahme verhältnismäßig ist (Art. 42 Abs. 2 MiFIR). Der ESMA steht gemäß Art. 40 MiFIR eine ähnliche Befugnis zur vorübergehenden Produktintervention bezogen auf die gesamte EU zu. Maßnahmen, die von der ESMA für die Dauer von drei Monaten erlassen und nicht verlängert werden, treten allerdings automatisch außer Kraft (Art. 40 Abs. 6 MiFIR). Neben der europäischen Befugnis zur Produktintervention, die sich nur auf Finanzinstrumente i.S.d. MiFID II erstreckt, wurde die Bafin im Rahmen des 2. FiMaNoG in Bezug auf Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) mit der nationalen Befugnis zur Produktintervention ausgestattet (15 Abs. 1 WpHG). Die Interventionsvoraussetzungen richten sich nach Art. 42 MiFIR, mit Ausnahme von Art. 42 Abs. 3 und 4 MiFIR, da eine Abstimmung mit der ESMA im Hinblick auf Vermögensanlagen entbehrlich ist. Soweit die MiFIR nicht unmittelbar anwendbar ist, kann die Bafin Anordnungen nicht nur gegenüber Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kreditinstituten, sondern gegenüber jedermann treffen (§ 15 Abs. 1 S. 2 WpHG).100 Weitere Kriterien, nach denen sich die Interessenabwägung in einer Produktintervention richtet, ergeben sich aus den Art. 19 ff. der Delegierten Verordnung zur MiFIR.101

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Bafin, Allgemeinverfügung vom 08.05.2017, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Pressemitteilung/2017/pm_170508_cfd.html. ESMA, Konsultation zu Maßnahmen betreffend CFDs und binären Optionen, 18.01.2018, abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/press-news/esma-news/esma-consultspotential-cfd-and-binary-options-measures-protect-retail. Wie auch § 4b WpHG a.F. betrifft § 15 WpHG den Vertrieb durch freie Finanzvermittler und den Direktvertrieb, vgl. RegE 2. FiMaNoG, BT-Drucks. 18/10936, S. 228. Delegierte Verordnung (EU) 2017/567 der Kommission vom 18. Mai 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Begriffsbestimmungen, Transparenz, Portfoliokomprimierung und Aufsichtsmaßnahmen zur Produktintervention und zu den Positionen.

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Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland

4.10 Konkretisierung des WpHG in der WpDVerOV Neben den zuvor dargestellten Neuerungen im WpHG erfolgten zahlreiche Konkretisierungen der MiFID-II-Level-I-Vorgaben in der WpDVerOV. Diese setzt die Delegierte Richtlinie in nationales Recht um und enthält weitere ergänzende Regelungen. Aufgrund der umfangreichen Änderungen im Vergleich zur bisherigen Fassung der WpDVerOV wurde diese neu nummeriert und im Bundesgesetzblatt neu verkündet. Bedeutsam sind die Regelungen der WpDVerOV insbesondere im Bereich des Vermögensschutzes von Kunden, des Produktfreigabeverfahrens und im Bereich der Zuwendungen und Analysen.

4.10.1 Schutz des Kundenvermögens Für die Praxis zentral sind die Regelungen des § 10 WpDVerOV zum Schutz von Kundengeldern und Kundenfinanzinstrumenten durch Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Dabei findet aufgrund des Verweises in § 10 Abs. 4 S. 1 WpDVerOV auf § 84 Abs. 2 WpHG die Regelung des § 10 Abs. 4 WpDVerOV auf Einlagenkreditinstitute keine Anwendung. Neu sind insbesondere die organisatorischen Vorkehrungen nach § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 WpDVerOV, welche das Risiko eines Verlusts oder Teilverlusts von Kundengeldern oder Kundenfinanzinstrumenten so gering wie möglich halten müssen. Klargestellt wurde, dass die strengen Vorgaben zur Kontentrennung nach § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 WpDVerOV nur dann keine Anwendung finden, sofern ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, welches über eine Depotgeschäftserlaubnis i.S.d. KWG verfügt, die Finanzinstrumente einem Kreditinstitut mit Sitz im Inland, das seinerseits eine entsprechende Depotgeschäftserlaubnis besitzt, oder einem zugelassenen Zentralverwahrer anvertraut (§ 10 Abs. 4 S. 2 WpDVerOV). In diesem Bereich gelten die Vorgaben des deutschen Depotgesetzes (DepotG).

4.10.2 Produktfreigabeverfahren Die im deutschen Recht umgesetzten Level-II-Vorgaben der MiFID II an das Produktfreigabeverfahren von Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind in § 11 und § 12 WpDVerOV umgesetzt worden. § 11 enthält dabei die Anforderungen an das Produktfreigabeverfahren für Konzepteure von Finanzinstrumenten, d.h. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Finanzinstrumente entwickeln. § 12 WpDVerOV enthält hierzu komplementäre Anforderungen an das Produktfreigabeverfahren von Vertriebsunternehmen.

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Die Pflichten des § 12 WpDVerOV, die sich an die ein Finanzprodukt vertreibenden Wertpapierdienstleistungsunternehmen richten, sind sehr umfangreich und können im Rahmen dieses Beitrags nur ansatzweise beschrieben werden.102 Sie sind allerdings so zu erfüllen, wie dies angesichts der Art des Finanzinstruments, der Wertpapierdienstleistung und des Zielmarkts des Produkts angemessen und verhältnismäßig ist (§ 11 Abs. 1 S. 2 und § 12 Abs. 1 S. 2 WpDVerOV). Entscheidend ist, dass die Verantwortlichkeiten der in den Vertrieb eines Finanzprodukts eingebundenen Wertpapierdienstleistungsunternehmen klar abgegrenzt werden (§ 12 Abs. 12 WpDVerOV) und die Konzepteure insbesondere Interessenkonflikte im Verhältnis zum Endkunden (§ 11 Abs. 2 und 3 WpDVerOV) vermeiden. Entsprechend anzuwenden sind die §§ 11 und 12 WpDVerOV gemäß § 13 WpDVerOV auf den Verkauf und die Beratung zu strukturierten Einlagen.

4.10.3 Zuwendungen und Analysen § 6 Abs. 2 WpDVerOV konkretisiert das Merkmal der Qualitätsverbesserung nach § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG. Danach liegt eine Qualitätsverbesserung u.a. vor, sofern mit der Zuwendung ein verbesserter Zugang zu Beratungsdienstleistungen, etwa durch die Bereitstellung eines weitverzweigten Filialberaternetzwerks, das für den Kunden die Vor-Ort-Verfügbarkeit qualifizierter Anlageberater auch in ländlichen Regionen sicherstellt, verbunden ist (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. d WpDVerOV). Dieses kontrovers diskutierte Regelbeispiel privilegiert insbesondere regionale Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Weitere Konkretisierungen der WpDVerOV betreffen gemäß § 7 WpDVerOV insbesondere die Ausgestaltung der Analysegebühr (§ 7 Abs. 1 und 2 WpDVerOV), des Analysebudgets (§ 7 Abs. 4 und 5 WpDVerOV) und des Analysekontos (§ 7 Abs. 3 und 5 WpDVerOV).103

4.11 Neufassung der WpDPV Teil der MiFID-II-Umsetzung im nationalen Recht war zudem die Neufassung der am 24.01.2018 in Kraft getretenen WpDPV.104 Die Überarbeitung der WpDPV war aufgrund der umfangreichen Änderungen im nationalen Recht und insbesondere wegen der MAR-

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Vgl. weiterführend z.B. Bley, in: AG, 2017, 806 ff. Zur Relevanz des Analysekontos vgl. Abschnitt 4.4. Verordnung über die Prüfung von Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach § 89 des Wertpapierhandelsgesetzes (Wertpapierdienstleistungs-Prüfungsverordnung) v. 17.01.2018, BGBl. I S. 140.

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Nationale Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Deutschland

und der MiFID-II-Umsetzung erforderlich. Die WpDPV konkretisiert das Prüfungsprogramm und die Anforderungen an den Prüfer und enthält Anforderungen für die Erstellung des Prüfungsberichts sowie des Prüfungsfragebogens. Des Weiteren enthält sie Regelungen zur Einreichung von Unterlagen bei der Bafin und den Aufbewahrungsfristen.105

5 Ausblick Die Umsetzung der MiFID II/MiFIR in Europa bzw. Deutschland ist eine komplexe Herausforderung mit vielen verschiedenen Baustellen. Bei dem Inkrafttreten am 03.01.2018 noch nicht in der Praxis anwendbar war insbesondere die Berechnung des Double Volume Cap.106 Zugleich stehen betroffene Marktteilnehmer in der Pflicht, Legal Entity Identifier (LEI)107 zu beantragen.108 Ebenfalls noch nicht erlassen war die auf freie Finanzanlagenvermittler anwendbare und aufgrund der MiFID-II-Umsetzung erforderliche Überarbeitung der gemäß §§ 34f und 34g Gewerbeordnung (GewO) ergehenden Finanzanlagenvermittlerverordnung (FinVermV).109 Von entscheidender praktischer Bedeutung ist die gemäß Art. 23 Abs. 1 MiFIR bestehende Pflicht von Wertpapierfirmen, Geschäfte mit Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder an einem Handelsplatz gehandelt werden, nur an einem geregelten Markt oder im Rahmen eines MTF, OTF, Systematischen Internalisierers oder an einem für äquivalent anerkannten Dritthandelsplatz auszuführen (Handelspflicht). Es bleibt abzuwarten, welche Handelsplätze, in- oder ausländische, nach Inkrafttreten der MiFID II im Wettbewerb für die der Handelspflicht unterliegenden Wertpapierfirmen attraktiver werden.

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Vgl. Diskussionsentwurf der Bafin, WpDPV, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Konsultation/2017/ dl_kon_0317_Diskussionsentwurf_WpDPV.pdf?__blob=publicationFile&v=5. Vgl. Art. 5 MiFIR. Vgl. Art. 26 Abs. 6 MiFIR. Vgl. auch ESMA, Pressemitteilung vom 09.01.2018, abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/press-news/esma-news/esma-delays-publication-doublevolume-cap-data. Der maßgebliche Rechtsrahmen richtet sich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a bis c i.V.m. Abs. 2 MiFID II.

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Nikita Litsoukov

Die Zukunft wird zudem zeigen, inwieweit die MiFID-II-Regelungen de lege ferenda in einer abgestuften Form proportional auf kleine, mittelgroße und große Wertpapierdienstleistungsunternehmen zugeschnitten werden könnten.

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Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich Andreas Zahradnik/Michael Binder

1 Einleitung 2 Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 2.1 Anleger- und anlagegerechte Beratung 2.2 Informationen über Kosten und Gebühren 2.3 Gewährung und Annahme von Vorteilen 2.3.1 Änderungen zum WAG 2007 2.3.2 Gewährung und Annahme von Vorteilen bei unabhängiger Anlageberatung 2.3.3 Gewährung und Annahme von Vorteilen bei nicht-unabhängiger Anlageberatung 2.3.4 Zuwendungsregister 2.4 Finanzanalysen (Research) 2.5 Qualifikation von Wertpapierberatern 2.6 Product Governance 2.6.1 Produktüberwachungspflichten für Rechtsträger, die Finanzinstrumente konzipieren 2.6.2 Produktüberwachungspflichten für Vertreiber 2.7 Auslagerung 2.8 Drittlandregelung 3 Börsegesetz 2018 3.1 Approved Publication Arrangement Services 3.2 Positionslimits und Positionsmangementkontrollen bei Warenderivaten 3.3 Exkurs: Notierungsbeendigung (Delisting) 3.4 Neue Marktstruktur/Entfall des geregelten Freiverkehrs

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1 Einleitung In Umsetzung der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II)1 und der Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR)2 in die österreichische Rechtsordnung wurden am 29.06.2017 im österreichischen Nationalrat u.a. das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 (WAG 2018) und das Bundesgesetz über die Wertpapier- und allgemeinen Warenbörsen 2018 (BörseG 2018) beschlossen.3 Der österreichische Bundesrat beschloss am 05.07.2017, gegen die beiden Gesetze und gegen Änderungen in 48 anderen Materiengesetzen, die im Rahmen der Umsetzung von MiFID II und MiFIR novelliert wurden, keinen Einspruch zu erheben.4 Das WAG 2018 und das BörseG 2018 sind am 03.01.2018 in Kraft getreten. Gleichzeitig sind deren Vorgängerbestimmungen, das Wertpapieraufsichtsgesetz 2007 (WAG 2007) und das BörseG 1989, aufgehoben worden. Der österreichische Gesetzgeber hat sich daher zu einer Neufassung der beiden Gesetze entschlossen. Dies ist im Sinne einer besseren Übersichtlichkeit der Gesetze zu begrüßen, auch wenn sich dadurch auch die Nummerierung der Regelungen geändert hat, die im Wesentlichen gleich geblieben sind oder nur angepasst wurden. Mit dem WAG 2018 und dem BörseG 2018 wird daher die MiFID II in das österreichische Recht umgesetzt und es werden flankierende Regelungen zur MiFIR geschaffen. Neben diesen beiden Gesetzen hat der österreichische Gesetzgeber zu diesem Zweck auch 48 Materiengesetze novelliert. Ein Teil dieser Novellen beschränkt sich auf sprachliche Anpassungen und geänderten Verweisen auf die neuen Regelungen. Generell ist die österreichische Umsetzung nah am Wortlaut der unionsrechtlichen Vorgaben. Allerdings ist aus praktischer Sicht darauf hinzuweisen, dass die unterschiedliche Anwendung der MiFID-Reglungen (wie auch anderer kapitalmarktrechtlicher Regelungen) oft weniger auf unterschiedlichen Wortlauten der nationalen Umsetzungsregelungen beruhte, sondern auf einer unterschiedlichen Auslegung durch die Aufsichtsbehörden und Gerichte. Dieses Problem wird auch der verstärkte Rückgriff auf Verordnungen der Europäischen Union (EU) statt Richtlinien nicht beseitigen können.

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Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU. Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012. https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/BNR/BNR_00541/index.shtml. https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/BNR/BNR_00541/index.shtml.

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Andreas Zahradnik/Michael Binder

Die zuständige österreichische Aufsichtsbehörde, die Finanzmarktaufsicht (FMA), hat bislang – außer zur Frage der Qualifikation von Wertpapierberatern5 – keine veröffentlichten Rundschreiben zum WAG 2018 erlassen.6 Natürlich sind aber die verschiedenen Questions & Answers (Q&A), Guidelines und Opinions der European Securities and Markets Authority (ESMA) auch für Österreich relevant.7 Weiterführende Informationen für Österreich bietet zunächst der Leitfaden der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) zur Anwendung der Wohlverhaltensregeln nach dem WAG 2018.8 Darüber hinaus kann auf Fachliteratur zurückgegriffen werden.9 Im Folgenden wird – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – auf einige Neuerungen und spezifische Aspekte der österreichischen MiFID-II-Umsetzung eingegangen. Im Zuge der Novellierung v.a. des BörseG wurde – wenn auch nicht in Umsetzung der MiFID II – erstmals auch eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für börsennotierte Unternehmen im Amtlichen Handel geschaffen, über entsprechenden Antrag und unter Einhaltung gewisser Voraussetzungen, eine Notierungsbeendigung herbeizuführen (Delisting).10

2 Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 MiFID II, bzw. das WAG 2018, brachten insbesondere die im Folgenden dargestellten Änderungen für Wertpapierdienstleister.

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Vgl. Abschnitt 2.5. Derartige Rundschreiben sind rechtlich nicht verbindlich, praktisch aber höchst relevant, da sie die Auslegung der betreffenden Regelungen durch die FMA wiedergeben. https://www.esma.europa.eu/policy-rules/mifid-ii-and-mifir. Abrufbar unter https://www.wko.at/branchen/bank-versicherung/wag-2018-leitfaden.pdf. Solche – ebenfalls unverbindlichen – Leitfäden geben Branchenstandards vor und können insoweit bei der Interpretation von gesetzlichen Bestimmungen herangezogen werden, wenn es darum geht, welcher Sorgfaltsmaßstab heranzuziehen ist. Soweit ersichtlich wird der gerade in Druck befindliche Kommentar von Brandl/Saria (Hg.) zum WAG 2018 die umfassendste Darstellung liefern. Vgl. Abschnitt 3.3.

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Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich

2.1 Anleger- und anlagegerechte Beratung Wie auch bisher hat ein Rechtsträger (darunter sind gemäß § 26 WAG 2018 Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, Wertpapierdienstleistungsunternehmen,11 bestimmte Versicherungsunternehmen, Verwaltungsgesellschaften und Alternative Investmentfondsmanager (AIFM) sowie bestimmte Zweigstellen von Wertpapierfirmen, von Drittlandfirmen und von Kreditinstituten aus Mitgliedstaaten zu verstehen) seinen Kunden angemessene Informationen über den Rechtsträger, die vorgeschlagenen Anlagestrategien, Ausführungsorte und sämtliche Kosten und Gebühren rechtzeitig (daher vor der Veranlagungsentscheidung) zu erteilen. Neu ist allerdings, dass ein Kunde gemäß § 48 WAG 2018 auch darüber aufzuklären ist, ob die Anlageberatung unabhängig erbracht wird, ob sich die Beratung auf eine umfangreiche oder eine eingeschränkte Analyse verschiedener Arten von Finanzinstrumenten stützt und insbesondere, ob die Palette an Finanzinstrumenten auf solche Finanzinstrumente beschränkt ist, die von Einrichtungen emittiert oder angeboten worden sind, die in enger Verbindung zu dem Rechtsträger stehen.12 In diesem Zusammenhang zeichnet sich ab, dass in der Praxis in Österreich (fast) alle Vermögensberater nicht unabhängig tätig werden, selbst wenn sie die Anforderungen erfüllen könnten. Dies ist bei Finanzinstitutsgruppen, wo Gruppengesellschaften auch Emittenten sind, insbesondere auf das Erfordernis der breiten Produktpalette und im Übrigen auf die für die unabhängige Beratung noch wesentlich restriktiveren Regelungen der MiFID II betreffend Vergütungen zurück zu führen. Die Geeignetheitsbeurteilung (vormals Eignungsprüfung) im Zusammenhang mit Anlageberatungs- und Portfolio-Verwaltungsdienstleistungen ist erweitert worden und hat nun auch Informationen über die Fähigkeit zur Verlusttragung und zur Risikotoleranz zu umfassen. Dementsprechend haben viele österreichische Banken ihre Kundenprofile, die bei einer Kontoeröffnung gemeinsam mit den Kunden ausgefüllt werden (sollten), an die neue Rechtslage angepasst. Die Angemessenheitsprüfung entspricht der bisherigen Rechtslage. Neu ist ferner auch, dass dem Kunden mitzuteilen ist, ob eine regelmäßige Beurteilung im Zusammenhang mit der Eignung der Finanzinstrumente, die diesem Kunden empfohlen worden sind, angeboten wird (was nicht verpflichtend ist). Diesfalls hat ein Rechts-

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Bei Wertpapierdienstleistungsunternehmen handelt es sich um kleine Wertpapierfirmen, die nicht alle Anforderungen der MiFID II für Wertpapierfirmen erfüllen müssen (z.B. auch hinsichtlich des Kapitals). Daher dürfen diese nur in Österreich tätig werden. Die Definition der „engen Verbindung“ findet sich in § 1 Z. 50 WAG 2018, der im Wesentlichen Art. 4 Abs. 1 Z. 35 MiFID II entspricht.

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träger in den regelmäßigen Berichten gemäß § 60 Abs. 1 WAG 2018 eine Erklärung anzuschließen, wie die Anlage auf die Präferenzen, Ziele und sonstigen Merkmale des Privatkunden abgestimmt worden ist. Diese regelmäßige Beurteilung kann eine Qualitätsverbesserung der angebotenen Dienstleistungen sein (vgl. Abschnitt 2.3 im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Annahme und Gewährung von Vorteilen). Ebenfalls neu sind die nun verpflichtenden Beratungsprotokolle zur Dokumentation der vorgenommenen Beratung.13

2.2 Informationen über Kosten und Gebühren Ein Kunde ist nun auch detaillierter über sämtliche Kosten im Zusammenhang mit Wertpapierdienstleistungen, Nebendienstleistungen, Beratung, den empfohlenen oder vermarkteten Finanzinstrumenten und den diesbezüglichen Zahlungsmöglichkeiten des Kunden sowie etwaiger Zahlungen durch Dritte zu informieren. Dies soll den Kunden in die Lage versetzen, die Gesamtkosten sowie die kumulative Wirkung der Kosten auf die Rendite der Anlage zu verstehen. Marktbedingte Preisschwankungen gelten nicht als Kosten, die im Rahmen der Informationspflicht bekanntzugeben sind. Während der Laufzeit einer Veranlagung sind derartige Informationen einem Kunden regelmäßig, mindestens jährlich, zur Verfügung zu stellen. Wertpapierfirmen sind dann gemäß Art. 50 Abs. 5 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 zur rechtzeitigen Vornahme einer Ex-ante-Offenlegung von Informationen über die aggregierten Kosten und Nebenkosten in Bezug auf Finanzinstrumente verpflichtet, wenn sie Kunden Finanzinstrumente empfehlen oder anbieten oder wenn sie verpflichtet sind, einem Kunden ein UCITS-KIID (Undertakings for Collective Investments in Transferable Securities/Key Investor Information Document) oder ein PRIIPsKID (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products/Key Information Document) zu übermitteln („zukommen zu lassen“). Ein KID – sofern vorhanden – gilt als angemessene Information bezüglich der Kosten und Nebenkosten, einschließlich Ausgabeaufschläge und Rücknahmeabschläge. Es handelt sich dabei um das UCITS-KID gemäß § 134 Investmentfondsgesetz 2011 (InvFG 2011). Gemäß Art. 50 Abs. 4 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 müssen allfällige Produktkosten oder Nebenkosten (wie etwa Transaktionskosten), die nicht vom UCITSKID umfasst sind, ebenfalls offengelegt werden.

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Vgl. dazu und zur Beratung allgemein den Beitrag von Zahradnik/Reiner, Abschnitt 4.1.

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Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich

Es ist festzuhalten, dass es bislang eine vergleichbare Bestimmung im Zusammenhang mit PRIIPs-KID nicht gibt, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die Delegierte Verordnung 2017/65314 eine umfangreiche Offenlegungsverpflichtung von Kosten in einem PRIIPKID beinhaltet. Die ESMA15 geht davon aus, dass eine Wertpapierfirma ihren Verpflichtungen der Ex-ante-Offenlegung nach der MiFID II nachkommt, wenn sie ihren Kunden ein PRIIPs-KID übermittelt. Wörtlich heißt es in Antwort 7 im 9. Teil: „The PRIIPs KID will contain detailed information about costs and charges of the PRIIP. ESMA is of the view that the cost components, as mentioned in the PRIIPs KID, cover all cost components, so that an investment firm can fulfil its obligation under the MiFID II regime with regard to the ex-ante costs and charges of a financial instrument.“ Kunden sind sowohl im Vorhinein (ex ante) als auch im Nachhinein (ex post) über sämtliche Kosten zu informieren. Dabei ergeben sich in der Praxis einige Zweifelsfragen. Gemäß Erwägungsgrund 78 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 können Ex-anteInformationen über die Kosten in Bezug auf das Finanzinstrument oder die Nebendienstleistung auf der Grundlage eines angenommenen Anlagebetrages zur Verfügung gestellt werden. In diesem Sinne hat sich auch die FMA auf eine Anfrage der österreichischen Wirtschaftskammer, Bundessparte Bank und Versicherung, im Dezember 2017 geäußert: „Der erforderliche Detaillierungs- bzw. Individualisierungsgrad hinsichtlich der ex-ante-Kostenoffenlegung leitet sich aus Erwägungsgrund 78 der DelVO ab, welcher ausführt, dass exante-Informationen über die Kosten in Bezug auf das Finanzinstrument oder die Nebendienstleistung auf der Grundlage eines angenommenen Anlagebetrages zur Verfügung gestellt werden können. […] Es ist daher im Sinne dieses Erwägungsgrundes davon auszugehen, dass der ex-ante-Kostenausweis durch Heranziehung von standardisierten Anlagebeträgen ausreichend ist. Wir weisen in diesem Zusammenhang allerdings auf Art. 50 Abs. 4 DelVO hin, der vorsieht, dass auch beim ex-ante-Kostenausweis die Kosten als Geldbetrag und als Prozentsatz anzugeben sind. Im Hinblick auf die Darstellung der Gebühren für die Erbringung von Dienstleistungen ist darauf zu achten, dass hier nur auf jene Dienstleistungen abgestellt wird, welche der Kunde tatsächlich in Anspruch nimmt und nur die diesbezüglich anfallenden Gebühren offengelegt werden. In jedem

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Delegierte Verordnung (EU) 2017/653 der Kommission vom 8. März 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) durch technische Regulierungsstandards in Bezug auf die Darstellung, den Inhalt, die Überprüfung und die Überarbeitung dieser Basisinformationsblätter sowie die Bedingungen für die Erfüllung der Verpflichtung zu ihrer Bereitstellung. ESMA, Questions and Answers on MifID II and MiFIR investor protection and intermediaries topics, 23 March 2018, ESMA35-43-349.

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Fall sollten die Informationen dem Kunden rechtzeitig unter Darlegung der zugrundeliegenden Annahmen übermittelt werden (siehe Frage 14 der ESMA Q&As). Für die expost-Offenlegung gilt, dass die Informationen in Bezug auf die Kosten und Gebühren den tatsächlichen Anlagebetrag des Kunden zum Zeitpunkt der Offenlegung widerspiegeln sollten.“ Dies ist zweifellos eine Erleichterung für die Rechtsträger, weil ein individueller Ex-anteKostenausweis anhand des konkreten Anlagebetrags mit einem höheren IT-Aufwand und zu höheren Kosten im Zusammenhang mit der Implementierung geführt hätte. Die Erbringung eines individuellen Ex-ante-Kostenausweises könnte aber für Zwecke der Vergütungsregelungen (vgl. Abschnitt 2.3) als Qualitätsverbesserung in Anschlag gebracht werden. Festzuhalten ist ferner, dass die Ausführung eines Wertpapiergeschäftes unter Verwendung eines Fernkommunikationsmittels ohne vorherige Übermittlung der Kosteninformationen gemäß § 48 Abs. 3 WAG 2018 nur erfolgen darf, wenn der Kunde der Übermittlung der Kosteninformation unverzüglich nach Geschäftsabschluss zugestimmt hat und der Rechtsträger dem Kunden die Möglichkeit eingeräumt hat, das Geschäft zu verschieben, um die Kosteninformation vorab zu übermitteln.

2.3 Gewährung und Annahme von Vorteilen 2.3.1

Änderungen zum WAG 2007

Bereits das WAG 2007 beinhaltete umfangreiche Bestimmungen, unter welchen Voraussetzungen die Gewährung und Annahme von Vorteilen – Vergütungen in Geld oder nicht-monetären Vorteilen – von Dritten (also nicht dem Kunden selbst) zulässig sind (§ 39 WAG 2007 in Umsetzung des Art. 26 der MiFID-Richtlinie 2006/73/EG). Bereits bis zum 03.01.2018 handelte ein Rechtsträger nicht ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse seiner Kunden, wenn er im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapier- oder Nebendienstleistungen einen Vorteil gewährte oder annahm. Die Gewährung und Annahme von Vorteilen war jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn die Existenz, die Art und der Betrag (oder zumindest die Art und Weise der Berechnung) dem Kunden gegenüber offen gelegt wurden und die Annahme oder die Gewährung des Vorteiles geeignet war, die Qualität der zu erbringenden Dienstleistungen zu erhöhen bzw. die Erbringung der Wertpapierdienstleistung überhaupt erst zu ermöglichen. Zudem durfte die Pflicht des Rechtsträgers, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, durch die Vorteile nicht beeinträchtigt werden.

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Die Gewährung oder Annahme von Vorteilen ist nach der neuen Rechtslage in Entsprechung der MiFID II bei nicht-unabhängiger Beratung unter bestimmten Voraussetzungen nach wie vor zulässig. Im Rahmen der Erbringung der Dienstleistung der unabhängigen Beratung ist sie nunmehr aber fast ganz ausgeschlossen. Eine weitere Neuerung ist, dass der Qualitätsverbesserung, die Voraussetzung für die Annahme von Vorteilen von Dritten – wie etwa den Emittenten von Finanzinstrumenten – ist, sowohl in der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/593 als auch im WAG 2018 breiterer Raum eingeräumt worden ist. In der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/593 werden als Beispiele für Qualitätsverbesserung der Zugang zu einer breiten Palette geeigneter Finanzinstrumente oder die Durchführung der jährlichen Geeignetheitsbeurteilung angeführt. Die Erbringung einer zusätzlichen oder höherrangigen Dienstleistung im Rahmen der Qualitätsverbesserung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der erhaltenen Anreize stehen (im WAG 2018 wird der Begriff „Vorteile“ statt „Anreize“ bzw. „Inducements“ verwendet). Nach dem Erwägungsgrund 23 der Delegierten Richtlinie bedeutet Qualitätsverbesserung, dass ein Rechtsträger das verbesserte Qualitätsniveau der Dienstleistung aufrechterhalten sollte. Er ist jedoch nicht verpflichtet, die Qualität der Dienstleistung im Zeitverlauf ständig zu verbessern. Der österreichische Gesetzgeber hat die Richtlinie diesbezüglich weitgehend übernommen. Bemerkenswert ist, dass im ursprünglichen Gesetzesentwurf des WAG 2018 des Bundesministeriums für Finanzen vom 31.03.2017 die Vor-Ort-Verfügbarkeit nicht ausdrücklich als Qualitätsverbesserung vorgesehen war. Erst aufgrund entsprechender Forderungen in Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren (bspw. durch die WKO)16 wurde ergänzt, dass auch der Zugang zur Anlageberatung durch die Vor-Ort-Verfügbarkeit von qualifizierten Vertretern eine Qualitätsverbesserung ist, die die Vorteilsannahme gerechtfertigt (§ 52 Abs. 1 Buchst. d WAG 2018). In den Erläuterungen17 zu § 52 WAG 2018 führt der österreichische Gesetzgeber in diesem Zusammenhang aus, dass die Vor-Ort-Verfügbarkeit von qualifizierter Beratung als Qualitätsverbesserung es ermöglicht, Privatkunden flächendeckend mit Wertpapierdienstleistungen und persönlicher Anlageberatung auf hohem Niveau zu versorgen.

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Die Stellungnahmen zum Ministerialentwurf sind abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00304/index.shtml#tabStellungnahmen. Abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00304/ index.shtml#tab-Uebersicht.

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Dadurch würde insbesondere die „finanzielle Nahversorgung technologieferner Bevölkerungsschichten“ sichergestellt. Der bloße Zugang zu Online-Banking fällt sohin nicht unter den Begriff der Vor-OrtVerfügbarkeit. Ein entsprechendes Filialnetz (oder zumindest temporäre Verfügbarkeit vor Ort, wie etwa auch Hausbesuche) kann sohin als qualitätsverbessernde Maßnahme in Anschlag gebracht werden und die Zulässigkeit einer entsprechenden Vorteilsannahme (oder Gewährung) begründen.

2.3.2

Gewährung und Annahme von Vorteilen bei unabhängiger Anlageberatung

Anders als in Deutschland, das bereits 2014 mit der Erlassung des Honoraranlageberatungsgesetzes die unabhängige Anlageberatung geregelt hat, ist diese Dienstleistung in Österreich erst in Umsetzung der MiFID II mit dem WAG 2018 eingeführt worden. Informiert ein Rechtsträger einen Kunden darüber, dass die Anlageberatung unabhängig erbracht wird, so ist der Rechtsträger verpflichtet, eine ausreichende Palette von Finanzinstrumenten anzubieten, die hinsichtlich ihrer Art und Emittenten hinreichend gestreut sein muss, um sicherzustellen, dass die Anlageziele des Kunden in geeigneter Form erreicht werden können. Die Angebotspalette darf nicht auf Finanzinstrumente beschränkt sein, die von Anbietern stammen, zu denen der Rechtsträger eine enge Verbindung hat. Eines der Wesensmerkmale der unabhängigen Anlageberatung ist zudem, dass die Gewährung und Annahme von Vorteilen bei unabhängiger Anlageberatung (oder bei Portfolio-Verwaltung) mit Ausnahme von geringfügigen nicht-monetären Vorteilen unzulässig ist. Der Rechtsträger darf daher nur Honorare seiner Kunden annehmen. Aber selbst die Annahme oder Gewährung geringfügiger nicht-monetärer Vorteile ist nur dann zulässig, wenn sie zu einer Qualitätsverbesserung der Dienstleistungen führt (siehe oben) und keine Interessenskonflikte auslöst. Außerdem muss eine (allfällige) Vorteilsannahme dem jeweiligen Kunden gegenüber offen gelegt werden. Bei der Definition, was unter „geringfügigen nicht-monetären Vorteilen“ zu verstehen ist, greift der österreichische Gesetzgeber auf Art. 12 der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/593 zurück, indem er diesen fast wortgleich übernimmt, wobei durch die Ergänzung des Wortes „insbesondere“ klargestellt wird, dass die Aufzählung in § 53 Abs. 5 WAG 2018 nicht erschöpfend ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor oder hat ein Rechtsträger bspw. monetäre Vorteile von Dritten erhalten, so hat er diese Vorteile an seine Kunden auszukehren.

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Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich

Wie schon oben erwähnt, wird aufgrund dieser Einschränkungen – soweit bisher ersichtlich – die unabhängige Beratung ein Schattendasein fristen. Selbst im Private Banking für betuchte Kunden stellt die nicht-unabhängige Beratung die Regel dar.

2.3.3

Gewährung und Annahme von Vorteilen bei nicht-unabhängiger Anlageberatung

Bei der Erbringung nicht-unabhängiger Anlageberatung ist die Annahme oder Gewährung auch monetärer Vorteile zulässig, wenn sie u.a. die Qualität der Dienstleistung verbessert (§ 51 WAG 2018). Bisher war es nach § 39 WAG 2007 ausreichend, dass die Dienstleistung auf eine Qualitätsverbesserung ausgelegt ist. Allerdings wird dies unserer Einschätzung auch jetzt ex ante zu beurteilen sein. Bspw. wird es wohl nicht darauf ankommen können, dass jeder einzelne Kunde die Möglichkeit zur Vor-Ort-Beratung18 auch tatsächlich in Anspruch nimmt, weil man sonst die Zulässigkeit der Vergütung immer erst im Nachhinein beurteilen könnte. Darüber hinaus darf – wie auch schon bisher – die Pflicht des Rechtsträgers, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, nicht beeinträchtigt werden. Die Existenz, die Art und der Betrag (oder zumindest die Art und Weise der Berechnung) ist dem Kunden vor der Erbringung der Dienstleistung gegenüber offen zu legen.

2.3.4

Zuwendungsregister

Um nachweisen zu können, dass angenommene oder gewährte Vorteile die Qualität der jeweiligen Dienstleistungen für den Kunden verbessert haben, haben Rechtsträger eine interne Liste (Zuwendungsregister) zu führen, in der alle Vorteile angeführt werden, die ein Rechtsträger bei der Erbringung von Wertpapier- und Nebendienstleistungen von einem Dritten annimmt (§ 52 Abs. 3 WAG 2018). In diesem Zuwendungsregister ist zu beschreiben, wie angenommene, gewährte oder beabsichtigte Vorteile die Qualität der Dienstleistungen verbesserten und welche Schritte gesetzt wurden, um die Erfüllung der Pflichten des Rechtsträgers, ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, nicht zu beeinträchtigen.

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Vgl. Abschnitt 2.3.1.

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2.4 Finanzanalysen (Research) Besondere Regelungen gelten nun für Gewährung von Vorteilen in Form der Zurverfügungstellung von Analysen. Gemäß § 54 WAG 2018 ist die Bereitstellung von Analysen durch Dritte an Rechtsträger nicht als Vorteil anzusehen, wenn sie vom Rechtsträger entweder direkt bezahlt werden oder die Bezahlung von einem separaten Analysekonto erfolgt, das von Kunden finanziert wird. Finanzanalysen (Research) dürfen sohin regelmäßig nicht mehr unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Dies ist vom Interessenverband für Anleger kritisiert worden, der eine Verschlechterung der Transparenz befürchtet, weil kleinere börsennotierte Unternehmen aus Kostengründen nur mehr eingeschränkt analysiert werden würden.19 Exkurs: Qualitätsverbesserung und Umsatzsteuer Wie in Abschnitt 2.5 erwähnt, stellt eine jährliche Geeignetheitsbeurteilung (ob die Finanzinstrumente, in die der Kunde investiert hat, weiterhin für diesen Kunden geeignet sind) eine qualitätssteigernde Dienstleistung dar, die die Gewährung oder Annahme von Vorteilen rechtfertigen kann. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu klären, ob diese ergänzende Leistung der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen kann. Grundsätzlich sind – im Gegensatz zu Beratungshonoraren – Vermittlungsprovisionen, die der Kunde bezahlt, gemäß § 6 Abs. 1 Z. 8 Buchst. f Umsatzsteuergesetz (UStG) umsatzsteuerbefreit, solange die Hauptleistung, sohin die Vermittlung von Wertpapieren, überwiegt. Bietet nun ein Rechtsträger zusätzlich qualitätssteigernde Dienstleistungen an, ist fraglich, ob es sich hierbei um eine eigenständige Hauptleistung handelt, die der Umsatzsteuer unterliegen würde, oder um eine Nebendienstleistung, die ohne die Hauptleistung der Vermittlung von Wertpapieren entweder nicht zustande gekommen oder tatsächlich zwecklos wäre. Das Bundesministerium für Finanzen hat sich über Anfrage der WKO am 10.11.2017 dazu geäußert und festgehalten, dass qualitätssteigernde Dienstleistungen ebenfalls im Rahmen des regulären Verständnisses von umsatzsteuerlichen Haupt- und Nebenleistungen einzuordnen sind, weshalb eine abschließende Beurteilung nicht möglich sei. Das österreichische Bundesministerium für Finanzen verweist auf die Rechtsansicht der deutschen Finanzverwaltung, wonach es für die endgültige Beurteilung, inwieweit

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Stellungnahme des Interessenverbandes für Anleger zum ersten Ministerialentwurf, abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00304/index.shtml#tabStellungnahmen.

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qualitätssteigernde Dienstleistungen (noch) unter den Begriff der umsatzsteuerlichen Vermittlungsleistungen fallen, es auf die vertragliche und tatsächliche Ausgestaltung der Beratungsleistungen ankomme. Werden die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Vermittlung neben der Qualitätsverbesserung für den Kunden (weiterhin) erfüllt, handelt es sich um steuerfreie Vermittlungsleistungen.20

2.5 Qualifikation von Wertpapierberatern Gemäß § 55 WAG 2018 haben Rechtsträger dafür zu sorgen und der FMA auf Anfrage nachzuweisen, dass natürliche Personen, die gegenüber Kunden im Namen des Rechtsträgers eine Anlageberatung erbringen oder Kunden Informationen über Anlageprodukte, Wertpapier- oder Nebendienstleistungen erteilen, über jene Kenntnisse und Kompetenzen verfügen, die für die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen nach dem WAG 2018 notwendig sind. Auch wenn es bisher wohl bereits zu den allgemeinen Sorgfaltsanforderungen gehörte, dass Kundenbetreuer entsprechend ausgebildet sind, gab es bisher keine näheren Regelungen dazu. Die FMA hat zur Konkretisierung der Anforderungen der Qualifikation von Wertpapierberatern das Rundschreiben „Kriterien zur Beurteilung von Kenntnissen und Kompetenzen von Anlageberatern und Personen, die Informationen zu Anlageprodukten erteilen (§ 55 WAG 2018)“ veröffentlicht.21 Anders als in Deutschland gab es keine Übergangsfrist. In diesem Rundschreiben unterscheidet die FMA, in Entsprechung des § 55 WAG 2018, zwischen Personen, die Informationen über Anlageprodukte, Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen erteilen, und Mitarbeitern, die Anlageberatung erbringen und an die dementsprechend höhere Anforderungen gestellt werden. Anlageberater müssen bspw. die Funktionsweise von Finanzmärkten verstehen und ein Verständnis über wirtschaftliche Kennzahlen und Zusammenhänge von globalen oder regionalen Ereignissen auf Anlageprodukte haben. Ebenso müssen sie Kenntnisse über die wesentlichen Merkmale und Risiken der angebotenen oder empfohlenen Anlageprodukte sowie über allgemeine steuerliche Auswirkungen für den Kunden haben. Ferner werden entsprechende Kenntnisse über Marktmissbrauch und Geldwäsche vorausgesetzt. Anlageberater müssen die Anforderungen an die Beurteilung der Geeignetheit (Eignung)

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Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen an die Wirtschaftskammer Österreich vom 10.11.2017. Abrufbar unter: https://www.fma.gv.at/fma/fma-rundschreiben/.

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der Anlageprodukte für die Kunden, einschließlich der Verpflichtungen, die in den ESMALeitlinien zu einigen Aspekten der MiFID-Anforderungen an die Eignung (ESMA/2012/ 387) dargelegt sind, erfüllen. Gemäß dem Rundschreiben sind diese Kenntnisse und Kompetenzen durch die Absolvierung von Ausbildungen zu den jeweils angeführten Lerninhalten zu erwerben. Die Erreichung der Lernziele und die positive Ablegung von Prüfungen haben durch entsprechende Dokumente nachweisbar zu sein. Mitarbeiter, die diese Anforderungen nicht erfüllen, können Wertpapierdienstleistungen nur unter Aufsicht erbringen. Letztlich besteht eine Pflicht der Mitarbeiter zur angemessenen Weiterbildung, wobei die FMA berufliche Schulungen oder Weiterbildungen im Ausmaß von mindestens 15 Stunden pro Jahr erwartet.

2.6 Product Governance 2.6.1

Produktüberwachungspflichten für Rechtsträger, die Finanzinstrumente konzipieren

Neu im Vergleich zu dem WAG 2007 sind die Produktüberwachungspflichten der Rechtsträger, die entweder Finanzinstrumente konzipieren oder sie vertreiben (§§ 30 f. WAG 2018). Rechtsträger, die Finanzinstrumente konzipieren, treffen umfangreiche Produktüberwachungspflichten. Ebenso haben sie einen Produkteinführungsprozess zu schaffen, wobei insbesondere Interessenskonflikte zu vermeiden sind. Der Gesetzgeber führt bspw. („insbesondere“) an, dass der Produkthersteller zu überprüfen hat, ob er entweder bereits eine Gegenposition zu den jeweiligen Kunden, für die das Finanzinstrument konzipiert ist, eingenommen hat oder ob er eine entsprechende Gegenposition gegenüber den Kunden einnehmen wird. Ebenso hat der Produkthersteller zu prüfen, welche (negativen) Auswirkungen ein Finanzinstrument für die Kunden, die Marktintegrität und die Stabilität der Finanzmärkte haben könnte. Der Produkthersteller hat Szenarioanalysen durchzuführen und das Finanzinstrument unter negativen Marktbedingungen zu bewerten. Der Produkthersteller hat zudem sicherzustellen, dass nur Personen, die über die erforderlichen Sach- und Fachkenntnisse verfügen, an der Konzeption eines Finanzinstrumentes beteiligt sind. Diese Regelung ist als Reaktion auf die globale Finanzkrise 2007/

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2008 zu verstehen, wo sich herausstellte, dass offenbar nicht alle Produkthersteller (und schon gar nicht der Vertrieb) die Risiken ihrer eigenen Produkte ausreichend verstanden oder berücksichtigt hatten. Für jedes Finanzinstrument hat ein Produkthersteller einen Zielmarkt zu bestimmen. Mit anderen Worten, der Produkthersteller hat festzulegen, für welche Kundenkategorie ein Finanzinstrument geeignet ist (Privatkunden, professionelle Kunden, geeignete Gegenpartei; die Kategorisierung ist im Vergleich zum WAG 2007 unverändert geblieben) und welche Kenntnisse und Erfahrungen für den Erwerb eines Finanzinstrumentes notwendig sind (weshalb etwa auch in der Kategorie der Privatkunden differenziert werden kann). Zudem werden folgende Punkte bei der Bestimmung des Zielmarktes zu berücksichtigen sein: finanzielle Verhältnisse inkl. Verlusttragfähigkeit, Risiko- und Renditeprofil, Anlageziele und Anlagehorizont. Letztlich hat jeder Produkthersteller in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob die Finanzinstrumente in der beabsichtigten Weise funktionieren. Allenfalls hat der Produkthersteller geeignete Maßnahmen zu ergreifen, falls er von Ereignissen Kenntnis erlangt, die das potenzielle Risiko für Anleger wesentlich beeinflussen könnten.

2.6.2

Produktüberwachungspflichten für Vertreiber

Auch Vertreiber von Finanzinstrumenten treffen Produktüberwachungspflichten (§ 31 WAG 2018). Der österreichische Gesetzgeber legt dabei fest, dass diese Anforderungen auch zu erfüllen sind, wenn Finanzinstrumente angeboten oder empfohlen werden, die von Unternehmen konzipiert worden sind, die nicht unter die MiFID II fallen (was z.B. für Fonds i.d.R. der Fall ist). Der Rechtsträger ist angehalten, von den betreffenden Produktherstellern ausreichende Informationen über die Finanzinstrumente zu erhalten. Der Rechtsträger hat über Produktüberwachungsvorkehrungen zu verfügen, die sicherstellen, dass die Finanzinstrumente und Dienstleistungen, die er anbieten oder empfehlen will, mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen eines bestimmten Zielmarkts vereinbar sind und dass die beabsichtigte Vertriebsstrategie dem bestimmten Zielmarkt entspricht. Es handelt sich hierbei um eine geschäftspolitische Entscheidung, in deren Rahmen ein Rechtsträger festlegt, welche Finanzinstrumente und Dienstleistungen er anbieten möchte, wobei die angebotenen Leistungen mit den Bedürfnissen seiner Kunden übereinstimmen müssen (es handelt sich somit um einen „Vorfilter“ für die Beurteilung, ob ein Anlageprodukt für den Kunden geeignet oder angemessen ist; bisher wurde diese Prüfung erst bei der individuellen Beurteilung für den einzelnen Kunden durchgeführt, nun scheiden für bestimmte Kundentypen bestimmte Produkte von vornherein aus).

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Insbesondere sollte ein Rechtsträger ein Finanzinstrument oder eine Dienstleistung nicht in sein Produktuniversum aufnehmen, wenn diese nicht mit den Kundenbedürfnissen übereinstimmen (negativer Zielmarkt).22 Gemäß dem Final Report der ESMA23 ist der Verkauf eines Finanzinstrumentes außerhalb eines Zielmarktes dennoch unter gewissen Voraussetzungen zulässig, nämlich dann, wenn der Kunde an den Rechtsträger mit dem Wunsch herantritt, ein bestimmtes Finanzinstrument zu kaufen, ohne dass der Rechtsträger zuvor entsprechende Marketingaktivitäten an diesen Kundenkreis gesetzt hat (nonadvised sales). Ein Rechtsträger hat die von ihm angebotenen oder empfohlenen Finanzinstrumente und die von ihm erbrachten Dienstleistungen regelmäßig zu überprüfen und dabei alle Ereignisse zu berücksichtigen, die das potenzielle Risiko für den bestimmten Zielmarkt wesentlich beeinflussen könnten. Die Produktüberwachungsvorkehrungen sind zu aktualisieren, wenn dem Rechtsträger bewusst wird, dass er den Zielmarkt für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung nicht richtig bestimmt hat oder dass das Produkt oder die Dienstleistung den Gegebenheiten des bestimmten Zielmarkts nicht mehr gerecht wird.

2.7 Auslagerung Art. 16 Abs. 5 MiFID II wurde in § 34 WAG 2018 umgesetzt, wobei dieser im Wesentlichen auf Art. 30 bis 32 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 verweist (bislang gab es hier eine eigenständige Regelung in § 25 WAG 2007 und der Anlage dazu). Gemäß § 1 Z. 67 WAG 2018 ist unter Auslagerung eine Vereinbarung zwischen einer Wertpapierfirma oder einem Kreditinstitut und einem anderen Dienstleister zu verstehen, in deren Rahmen der Dienstleister anstatt der Wertpapierfirma oder des Kreditinstitutes ein Verfahren abwickelt, eine Dienstleistung erbringt oder eine Tätigkeit ausführt. Dass auf das Thema „Auslagerung“ in Österreich vermehrt Augenmerk gelegt wird, zeigt sich auch daran, dass am 03.01.2018 § 25 Bankwesengesetz (BWG) in Kraft getreten ist, der ebenfalls die Auslagerung regelt. Bemerkenswert ist, dass sich § 25 BWG an § 25 WAG 2007 und sohin an die Vorgängerbestimmung des § 34 WAG 2018 anlehnt. Rechtsträger, die sowohl dem BWG als auch dem WAG 2018 unterliegen, werden sich sohin mit beiden Bestimmungen auseinandersetzen müssen (ungeachtet dessen, dass sich

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ESMA, Final Report, Guidelines on MiFID II product governance requirements, 2 June 2017, ESMA35-43-620. ESMA, Final Report, Guidelines on MiFID II product governance requirements, 2 June 2017, ESMA35-43-620 (RZ 72).

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Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich

Bestimmungen zur Auslagerung bspw. auch im InvFG, im Alternative Investmentfondsmanagergesetz (AIFMG) und im Zahlungsdienstegesetz (ZaDiG) finden). Zu erwähnen ist, dass die FMA im Januar 2018 mitteilte, dass sie einen der Aufsichts- und Prüfungsschwerpunkte im Jahr 2018 auf die Auslagerungsrisiken und die Implementierung der neuen Rahmenbedingungen bei Outsourcing legen wird.24

2.8 Drittlandregelung Österreich hat von der Wahlmöglichkeit, die den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten durch Drittlandfirmen25 eingeräumt worden ist, Gebrauch gemacht und die Bestimmungen in Art. 39 bis 41 MiFID II in den §§ 21 bis 25 WAG 2018 umgesetzt.26 Diese Regelungen sind somit u.a. für Dienstleister aus der Schweiz und den USA sowie – nach dem Brexit, soweit keine spezifischen Regelungen geschaffen werden – aus dem Vereinigten Königreich relevant. Gemäß § 21 WAG 2018 muss eine Drittlandfirma, die Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten in Österreich gegenüber Privatkunden oder Opt-up professionellen Kunden i.S.v. Anhang II Abschnitt 2 der MiFID II27 ausüben möchte, eine Zweigstelle in Österreich errichten und eine vorherige Zulassung der FMA einholen. Eine entsprechende Zulassung durch die FMA setzt folgendes voraus: 1. Die Erbringung der Dienstleistungen, für die die Drittlandfirma eine Zulassung beantragt, unterliegt der Zulassung und der Beaufsichtigung in dem Drittland, in dem die Drittlandfirma ihren Sitz hat. Die Drittlandfirma ist ordnungsgemäß zugelassen, wobei die zuständige Behörde die Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung berücksichtigt. 2. Es bestehen Kooperationsvereinbarungen zwischen der FMA (als zuständige Behörde in dem Mitgliedstaat, in dem die Zweigstelle errichtet wird) und den zuständigen Aufsichtsbehörden des Drittlandes, in dem die Firma ihren Sitz hat.

24 25 26

27

Abrufbar unter: https://www.fma.gv.at/publikationen/fma-pruefschwerpunkte/. Also Unternehmen aus Ländern, die nicht Mitglied der EU oder des EWR sind. Vgl. dazu näher Zahradnik/Reiner, in: Brandl/Saria (Hg.), WAG 2018, §§ 21 bis 25 (in Druck). Also solchen, die nicht schon kraft Gesetzes (§ 66 WAG 2018) professionelle Kunden sind, sondern sich nach § 67 WAG 2018 hochstufen lassen.

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3. Der Zweigstelle steht ein ausreichendes Anfangskapital zur freien Verfügung. 4. Eine oder mehrere Personen sind zur Leitung der Zweigstelle bestellt, die die Anforderungen gemäß Art. 9 Abs. 1 MiFID II erfüllen. 5. Das Drittland, in dem die Drittlandfirma ihren Sitz hat, hat mit Österreich eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet, die den Standards gemäß Art. 26 des OECDMusterabkommens (Organisation for Economic Co-operation and Development) zur Vermeidung von Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen und einen wirksamen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten gewährleistet (ggf. einschließlich multilateraler Steuervereinbarungen). 6. Die Firma gehört einem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungssystem an. Die österreichischen Bestimmungen im Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht von Drittlandfirmen und mit der Erteilung der Zulassung entsprechen der MiFID II (Art. 40 und 41). § 23 Abs. 3 WAG 2018 sieht vor, dass die Einhaltung jener Bestimmungen des WAG 2018, des BörseG 2018, der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/565 sowie der MiFIR, die auch für eine Drittlandfirma gelten, durch den Abschlussprüfer der Drittlandfirma zu überprüfen ist. Das Ergebnis dieser Prüfung ist in einem schriftlichen Prüfbericht festzuhalten, der von der Drittlandfirma innerhalb von sechs Monaten nach dem Abschluss des Geschäftsjahres der FMA zu übermitteln ist. Die FMA kann die Zulassung nach § 25 WAG 2018 unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere Wegfall einer Zulassungsvoraussetzung) auch wieder entziehen. Aufgrund des Erfordernisses zur Errichtung einer Zweigstelle ist eine rein grenzüberschreitende Tätigkeit grundsätzlich nicht möglich. Nach § 24 WAG 2018 gelten die Zulassungsanforderungen nicht, wenn die österreichischen Kunden bei der Drittlandfirma ausschließlich auf eigene Initiative (somit nicht aufgrund von Marketing in Österreich) nachfragen (Reverse Solicitation). Für professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien kraft Gesetzes gelten hingegen die Art. 46 bis 49 MiFIR unmittelbar. Die EU Kommission kann hier einen Gleichwertigkeitsbeschluss in Bezug auf ein bestimmtes Drittland fassen (Art. 47 MiFIR), was aber noch nicht erfolgt ist.

3 Börsegesetz 2018 Im Zuge der Umsetzung der MiFID II und der MiFIR in österreichisches Recht ist auch das BörseG 2018 erlassen worden. Die im Folgenden dargestellten Neuerungen sollen an dieser Stelle hervorgehoben werden.

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Nationale Umsetzung der MiFID II in Österreich

3.1 Approved Publication Arrangement Services Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren für Datenbereitstellungsdienste, sohin dem Betrieb eines genehmigten Veröffentlichungssystems (Approved Publication Arrangement), dem Bereitstellen konsolidierter Daten-Ticker (Consolidated Tape Provider) oder dem Betrieb eines genehmigten Meldemechanismus (Approved Reporting Mechanism) finden sich in §§ 84 ff. BörseG 2018 (diese setzen Art. 59 ff. MiFID II um). Die Erbringung dieser Datenbereitstellungsdienste bedarf der Genehmigung durch die FMA. Sämtliche Datenbereitstellungsdienste werden von der FMA in einem Register erfasst, das öffentlich zugänglich sein wird. Gemäß § 84 Abs. 2 BörseG 2018 ist es Wertpapierfirmen oder Betreibern eines Handelsplatzes gestattet, die oben genannten Datenbereitstellungsdienste zu erbringen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Wiener Börse AG seit Januar 2018 eine Lösung zur MiFID-II-Reporting-Verpflichtung anbietet.28

3.2 Positionslimits und Positionsmangementkontrollen bei Warenderivaten Im Zusammenhang mit Warenderivaten werden – in Umsetzung von Art. 57 ff. MiFID II – in den §§ 18 bis 20 BörseG 2018 Positionslimite festgelegt und Positionsmanagementkontrollen sowie Berichtspflichten vorgesehen. Unter Warenderivaten werden gemäß Art. 4 Abs. 1 Z. 50 MiFID II i.Z.m. Art. 2 Abs. 1 MiFIR nicht nur Futures oder Optionen verstanden, sondern darüber hinaus auch Zertifikate, sohin Inhaberschuldverschreibungen, die i.d.R. von Banken emittiert werden und nicht zuletzt auch für Privatkunden bestimmt sind. Das Positionsmanagementverfahren und die Berichtspflichten sind zweifellos mit hohen Kosten insbesondere für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen verbunden. Erleichterung verschafft diesbezüglich die Verordnung der FMA, mit der in Bezug auf bestimmte Warenderivate Positionslimits gesetzt und Positionsmeldepflichten ausgesetzt werden.29 Gemäß dieser Verordnung – die Ermächtigung ist in § 20 Abs. 6 BörseG vorgesehen – werden für börsengehandelte Warenzertifikate (das sind börsengehandelte Inhaberschuldverschreibungen), deren Emissionsvolumen 2,5 Millionen Stück nicht überschreitet, die Pflichten von Marktbetreibern und Wertpapierfirmen, die einen Handels-

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Vgl. https://www.wienerborse.at/technik/ttr-ii-approved-publication-arrangement-apaservice/. BGBl II Nr. 390/2017, vgl. auch Art. 15 Z. 1c Delegierte Verordnung 2017/591.

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platz betreiben, zur wöchentlichen Berichterstattung über aggregierte Positionen sowie zur täglichen Übermittlung vollständig aufgeschlüsselter Positionen und die Pflicht von Wertpapierfirmen zur täglichen Übermittlung vollständig aufgeschlüsselter Positionen ausgesetzt. Die Verordnung trat mit 03.01.2018 zeitgleich mit dem WAG 2018 und dem BörseG 2018 in Kraft.

3.3 Exkurs: Notierungsbeendigung (Delisting) Eine wesentliche Neuerung, die das BörseG 2018 gebracht hat, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, obwohl sie nicht auf MiFID II oder MiFIR zurückgeführt werden kann: Im österreichischen BörseG fehlte bis zum 03.01.2018 für das oberste Marktsegment, den Amtlichen Handel, eine Regelung für den freiwilligen Rückzug von der Börse, während § 83 Abs. 4 BörseG 1989 (der mit Ablauf des 02.01.2018 außer Kraft getreten ist) den freiwilligen Rückzug aus dem geregelten Freiverkehr zuließ (beides geregelte Märkte im Sinn des Unionsrechts, wobei es nun nur noch den Amtlichen Handel gibt). Gemäß BörseG 1989 war die Zurückziehung der Aktien vom geregelten Freiverkehr dem Börseunternehmen mindestens einen Monat im Vorhinein anzuzeigen und gleichzeitig zu veröffentlichen. Diese Frist konnte auf Antrag vom Börseunternehmen sogar verkürzt werden, wenn berücksichtigungswürdige Umstände vorlagen. Bis zum 03.01.2018 blieb sohin für börsengelistete Unternehmen, die eine Notierungsbeendigung von der Wiener Börse (Amtlicher Handel) anstrebten, nur die Möglichkeit des unechten oder kalten Delistings, worunter die Notierungsbeendigung als Rechtsfolge einer Umstrukturierung verstanden wird. Eine Notierungsbeendigung konnte u.a. durch eine Verschmelzung der börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft, durch Gesellschafterausschluss (Squeeze-out) oder durch Umwandlung in eine GmbH erreicht werden. Die Vorgehensweise war jedenfalls strittig. Zuletzt gab der Oberste Gerichtshof (OGH) einer entsprechenden Anfechtungsklage statt.30 Mit diesen Überlegungen müssen sich börsennotierte Gesellschaften im Amtlichen Handel nicht mehr auseinander setzen, weil gemäß § 38 Abs. 6 BörseG 2018 die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Amtlichen Handel auf Antrag des Emittenten zu widerrufen ist, wenn der Anlegerschutz nicht gefährdet wird. Der Antrag ist nur zulässig, wenn zum Zeitpunkt des Antrages die amtliche Notierung der Finanzinstrumente zumindest drei Jahre gedauert hat (ein Jahr, wenn nach dem Wirksamwerden des Widerrufs

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6 Ob 221/16t.

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die Zulassung und der Handel der Beteiligungspapiere an mindestens einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) gewährleistet ist, an dem für einen Widerruf der Zulassung zum Handel an diesem Markt gleichwertige Voraussetzungen gelten). Der Antrag auf Widerruf der Zulassung von Beteiligungspapieren ist nur zulässig, wenn die Hauptversammlung mit einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfasst, einen entsprechenden Beschluss gefasst hat oder wenn dies Aktionäre verlangen, die gemeinsam über mindestens drei Viertel des stimmberechtigten Grundkapitals verfügen.

3.4 Neue Marktstruktur/Entfall des geregelten Freiverkehrs Ebenfalls nicht auf MiFID II oder MiFIR zurückzuführen ist die neue Marktstruktur der Wiener Börse. Mit dem BörseG 2018 ist auch der geregelte Freiverkehr entfallen. Es handelte sich bei diesem Markt ebenfalls um einen geregelten Markt, der aber weniger strenge Zulassungsvoraussetzungen vorsah, als der Amtliche Handel. Es gibt sohin nur noch den Amtlichen Handel als geregelten Markt an der Wiener Börse.

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1 Einleitung 2 Umsetzung im Überblick 2.1 Vorabumsetzung der MiFID II 2.2 Gesetzesänderungen 2.3 Betroffene Marktteilnehmer 3 Wesentliche Neuerungen und ihre Auswirkungen 3.1 Interne Organisation 3.1.1 Leitungsorgan 3.1.2 Geschäftsleitung 3.1.3 Neue Organisationspflichten 3.2 Neuerungen im Vertrieb 3.2.1 Kundenklassifikation 3.2.2 Vorvertragliche Informationspflichten und Kundendokumentation 3.2.3 Anlageberatung und Portfolio-Verwaltung 3.2.4 Vertriebsentschädigungen 3.2.5 Reine Ausführungsgeschäfte 3.2.6 Produktgenehmigung und -überprüfung 4 Fazit

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1 Einleitung Als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist Liechtenstein zur Übernahme europäischer Rechtsakte im Bereich der Finanzmarktregulierung verpflichtet. Die Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) ist für den liechtensteinischen Finanzmarkt, der traditionell stark auf die Vermögensverwaltung für institutionelle und private Kunden ausgerichtet ist, von zentraler Bedeutung, da die meisten liechtensteinischen Finanzdienstleister eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen i.S.d. Anhang I Abschnitt A der MiFID II erbringen. Der Finanzsektor trägt nach der Industrie zudem den größten Anteil zur Wertschöpfung des Landes bei. Die Umsetzung von MiFID II wurde daher von der liechtensteinischen Regierung und allen betroffenen Marktteilnehmern intensiv vorbereitet und begleitet.1

2 Umsetzung im Überblick 2.1 Vorabumsetzung der MiFID II Liechtenstein muss nach Art. 7 des EWR-Abkommens Rechtsakte der Europäischen Union (EU), die in das EWR-Abkommen übernommen wurden, in nationales Recht umsetzen. Die Übernahme eines EU-Rechtsaktes in das EWR-Abkommen setzt einen einstimmigen Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses voraus. Vor ihrer Übernahme sind EWR-Mitgliedstaaten nicht an europäische Rechtsakte gebunden. In den letzten Jahren sind jedoch Übernahmen von EU-Rechtsakten auf dem Gebiet des Finanzmarktrechts wegen rechtlicher oder politischer Vorbehalte einzelner EWR-Mitgliedstaaten kaum vorangekommen.2 Viele für den liechtensteinischen Markt wichtige EU-Rechtsakte werden zur Zeit erst mit erheblicher Verzögerung umgesetzt. Um Wettbewerbsnachteilen vorzubeugen, die liechtensteinischen Wertpapierdienstleistern auf dem europäischen Binnenmarkt durch die verzögerte Umsetzung entstehen könnten, hat der liechtensteinische Gesetzgeber begonnen, wichtige EU-Rechtsakte bereits vor Über-

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Die liechtensteinische Regierung ließ im Vorfeld eine Studie über die Auswirkungen der MiFID II auf den Finanzplatz Liechtenstein erstellen – vgl. Ernst &Young LLC, Marktstudie MiFID II – Wesentliche Auswirkungen der MiFID II auf den Finanzplatz Liechtenstein, Juni 2013. Die Studie ist im Internet publiziert unter: https://www.eycom.ch/de/Publications/. Betroffen sind ca. 200 Rechtsakte und neben MiFID II insbesondere auch die Richtlinie 2013/ 36/EU (CRD IV). Vgl. ausführlich Raschauer, Die Umsetzung des EU-Finanzmarktrechts in Liechtenstein, in: ZfRV 2017, 244, 246.

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nahme in das EWR-Abkommen umzusetzen, in dem er sie zu nationalen Rechtsvorschriften erklärt.3 Auch MiFID II wurde vom liechtensteinischen Gesetzgeber autonom umgesetzt, als im Laufe des nationalen Umsetzungsprozesses klar wurde, dass MIFID II und die dazugehörigen Durchführungsvorschriften nicht rechtzeitig bis zu ihrem Inkrafttreten in der EU in das EWR-Abkommen übernommen werden würden.4 Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass MiFID II und ihre Durchführungsvorschriften in Liechtenstein ebenso wie in den EU-Mitgliedsstaaten am 03.01.2018 in Kraft traten.5

2.2 Gesetzesänderungen Im Bereich des Finanzmarktrechts verfolgt der liechtensteinische Gesetzgeber typischerweise einen institutsbezogenen Ansatz. Daher musste der Großteil der erforderlichen Änderungen sowohl im Bankengesetz (BankG)6 als auch im Vermögensverwaltungsgesetz (VVG)7 umgesetzt werden. Europäische Richtlinien werden in Liechtenstein außerdem i.d.R. auf verschiedenen Erlassstufen umgesetzt, sodass auch die Bankenverordnung (BankV)8 und die Vermögensverwaltungsverordnung (VVO)9 umfassend geändert werden mussten. Im Zuge der Umsetzung von MiFID II wurden außerdem das Gesetz über bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (UCITSG),10 das Gesetz über Alternative Investmentfonds-Manager (AIFMG),11 das Investmentunternehmensgesetz (IUG),12 das Gesetz über die Finanzmarktaufsicht (FMAG)13 sowie andere Gesetze und Verordnungen geändert.

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Zu verfassungs- und europarechtlichen Bedenken vgl. Raschauer, in: ZfRV 2017, 244, 246. In Kapitel III des jeweiligen Umsetzungsgesetzes (LGBl 2017.397, LGBl 2017.398) werden die Vorschriften der MiFID II und ihre Durchführungsvorschriften zu nationalen Rechtsvorschriften erklärt. Der aktuelle Stand der Übernahme von MiFID II in das EWR-Abkommen kann im Internet abgerufen werden: http://www.efta.int/eea-lex/32014L0065. Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein vom 26.09.2017, 72/2017, 7. LGBl 1992.108, geändert durch LGBl 2017.397. LGBl 2005.278, geändert durch LGBl 2017.398. LGBl 1992.022. LGBl 2005.289. LGBl 2011.295. LGBl 2013.049. LGBl 2016.045. LGBl 2004.175.

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Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein

2.3 Betroffene Marktteilnehmer Banken und Wertpapierfirmen, die nach den Bestimmungen des BankG bewilligt wurden (Wertpapierfirma), dürfen grundsätzlich alle in Anhang I Abschnitt A und B der MiFID II aufgeführten Wertpapier- und Nebendienstleistungen erbringen und sind daher am stärksten von der MiFID II betroffen. Von derzeit 15 bewilligten liechtensteinischen Banken erbringt nur eine einzige Bank keine Wertpapier- oder Nebendienstleistungen. Große Auswirkungen haben die neuen Bestimmungen auch für liechtensteinische Vermögensverwaltungsgesellschaften. Es handelt sich dabei um Wertpapierfirmen i.S.d. MiFID II mit einem eingeschränkten Tätigkeitsbereich. Ihr Kerngeschäft ist die Portfolio-Verwaltung und die Anlageberatung.14 Zusätzlich dürfen sie auch die Wertpapierund Finanzanalyse erbringen und Kundenaufträge weiterleiten oder ausführen. Sie können jedoch keinen Handel auf eigene Rechnung, kein multilaterales Handelssystem (Multilateral Trading Facility (MTF)) und kein offenes Handelssystem (Organised Trading Facility (OTF)) betreiben, und auch kein Kundenvermögen entgegen nehmen.15 Vermögensverwaltungsgesellschaften sind in Liechtenstein neben den Banken die wichtigste Kategorie von Wertpapierdienstleistern; i.d.R. handelt es sich dabei um kleine Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern, die hauptsächlich Privatkunden, Stiftungen und andere Privatvermögensstrukturen sowie institutionelle Anleger zu ihren Kunden zählen. Zurzeit sind in Liechtenstein 110 Vermögensverwaltungsgesellschaften aber nur eine Wertpapierfirma mit einer Bewilligung nach dem BankG zugelassen.16 Der Gesetzgeber hat die Vermögensverwaltungsgesellschaft im Jahr 2005 im Rahmen der Umsetzung von MiFID I geschaffen, um den bis dahin kaum regulierten liechtensteinischen Vermögensverwaltern den einfacheren Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu ermöglichen.17 Auch Vermögensverwalter aus der Schweiz nutzen Liechtenstein z.T. als Standort für Vermögensverwaltungsgesellschaften, um Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu erhalten. Neben Banken, Wertpapierfirmen und Vermögensverwaltungsgesellschaften dürfen auch Alternative-Investmentfonds-Manager (AIFM) mit einer Bewilligung nach dem

14

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FMA Liechtenstein, Finanzmarkt Liechtenstein, Ausgabe 2017, 14, abrufbar unter https:// www.fma-li.li/de/fma/publikationen/finanzmarkt-liechtenstein.html. Art. 3 Abs. 3 VVG. FMA Register, Stand 16.03.2018, abrufbar unter http://register.fma-li.li/. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 65/ 2007, 10.

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AIFMG und UCITS-Fondsmanager (Undertakings for Collective Investments in Transferable Securities) mit einer Bewilligung nach dem UCITSG mit einer Zusatzbewilligung die individuelle Portfolio-Verwaltung und die Anlageberatung erbringen.18 Über einen Verweis im AIFMG bzw. UCITSG auf das VVG müssen AIFM und UCITS-Fondsmanager die neuen Bestimmungen hinsichtlich der organisatorischen Anforderungen, des Anlegerschutzes und des Vertriebs im Rahmen der Erbringung dieser Wertpapierdienstleistungen ebenfalls anwenden.19 In den Anwendungsbereich von MiFID II fallen ferner geregelte Märkte und ihre Betreiber, die Betreiber von MTFs oder OTFs, Datenbereitstellungsdienste, bestimmte Rohstoffhändler und Händler von Emissionszertifikaten sowie Zweigniederlassungen von Wertpapierfirmen aus Drittstaaten. Diese Finanzinstitute sind am liechtensteinischen Finanzmarkt jedoch bislang nicht vertreten und deshalb haben die sie betreffenden Bestimmungen von MiFID II derzeit auch keine praktische Relevanz. Unter gewissen Voraussetzungen können von den neuen Bestimmungen nun auch Personen betroffen sein, die nicht dem Finanzsektor angehören, wenn sie algorithmischen Handel betreiben20 oder börsengehandelte Warenderivate halten.21

3 Wesentliche Neuerungen und ihre Auswirkungen Aufgrund der vorherrschenden Ausrichtung des liechtensteinischen Finanzmarkts auf die Vermögensverwaltung im weitesten Sinne sind die für liechtensteinische Wertpapierdienstleister bedeutendsten Änderungen von MiFID II jene im Bereich der internen Organisation, des Anlegerschutzes und der Dienstleistungserbringung. Weniger oder keine praktische Bedeutung für den liechtensteinischen Finanzmarkt haben hingegen die Mehrheit der Neuerungen im Bereich der Marktstruktur und -transparenz, da in Liechtenstein derzeit keine Handelsplätze oder Datenbereitstellungsdienste zugelassen sind. Auch die Regelung von Handelstechniken wie den algorithmischen Hochfrequenzhandel und die neuen Anforderungen an Rohstoffhändler dürften in Liechtenstein derzeit keine praktische Bedeutung haben.

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Art. 14 Abs. 2 UCITSG; Art. 29 Abs. 3 AIFMG. Art. 30 Abs. 3 AIFMG und Art. 15 Abs. 3 UCITSG verweisen auf Art. 15, 16, 24 und 25 MiFID II. Art. 3 Buchst. c BankG; Art. 8k BankG. Art. 30w BankG.

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Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein

Der Tätigkeitskatalog von Vermögensverwaltungsgesellschaften wurde im Zuge der Umsetzung von MiFID II um eine Nebendienstleistung erweitert. Sie dürfen nun auch Unternehmen hinsichtlich der Kapitalstrukturierung und im Bereich von Fusionen und Akquisitionen beraten.22 Diese Erweiterung des Bewilligungsumfangs gilt seit Inkrafttreten des Gesetzes für alle bewilligten Vermögensverwaltungsgesellschaften ex lege.23 Drittlandfirmen, die in Liechtenstein Wertpapierdienstleistungen gegenüber professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien erbringen möchten, können in Zukunft von einem erleichterten Marktzugang profitieren, sofern sie in das von der European Securities and Markets Authority (ESMA) geführte Register über Drittlandfirmen eingetragen sind. Andernfalls ist die grenzüberschreitende Erbringung von Wertpapierdienstleistungen insbesondere an nichtprofessionelle Kunden in Liechtenstein weiterhin nur im Rahmen der passiven Dienstleistungsfreiheit möglich.24 Mit der Umsetzung von MiFID II wurden außerdem auch die Aufsichts- und Strafbefugnisse der Finanzmarktaufsicht (FMA) deutlich ausgeweitet und teilweise verschärft. Aufgrund der Tatsache, dass MiFID II die Vereinheitlichung des europäischen Regelwerks für den Handel mit Finanzinstrumenten bezweckt (Single Rulebook) und einen höheren Regulierungsgrad aufweist als MiFID I, hatte der liechtensteinische Gesetzgeber bei der Umsetzung weniger Spielraum für nationale Abweichungen als seinerzeit bei der Umsetzung von MiFID I. Dort wo nationale Abweichungen möglich waren, hat der liechtensteinische Gesetzgeber die marktfreundlichste Umsetzungsvariante gewählt. Er hat es zudem bewusst unterlassen, bei der Umsetzung über den Richtlinientext von MiFID II hinauszugehen, um Wettbewerbsnachteile für liechtensteinische Wertpapierdienstleister gegenüber Wertpapierdienstleistern aus anderen EU-Staaten zu vermeiden. Im Folgenden werden schwerpunktmäßig die Änderungen hinsichtlich der internen Organisation, der Anlegerschutzbestimmungen und der Vertriebsanforderungen behandelt, da von ihnen die größten Auswirkungen auf die liechtensteinischen Wertpapierdienstleister und ihre Geschäftsmodelle zu erwarten sind.25

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Art. 3 Abs. 1 VVG. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 129. Weder das BankG noch das VVG enthält eine Rechtsgrundlage für die grenzüberschreitende Erbringung von Wertpapierdienstleistungen durch Drittlandfirmen in Liechtenstein; vgl. Kapitel III Abschnitt D (Art. 30p) BankG; Art. 37 i.V.m. Art. 5 VVG. Ernst &Young LLC, Marktstudie MiFID II – Wesentliche Auswirkungen der MiFID II auf den Finanzplatz Liechtenstein, Juni 2013, S. 7.

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3.1 Interne Organisation Die Anforderungen an die Organisationsstruktur, die Compliance-Funktion, das Risikomanagement und die Interne Revision einer Wertpapierfirma haben sich im Vergleich zur alten Rechtslage nicht wesentlich geändert. Neuerungen ergeben sich jedoch in Hinblick auf das Leitungsorgan und die interne Organisation von Wertpapierfirmen.

3.1.1

Leitungsorgan

Die neuen Bestimmungen von MiFID II zum Leitungsorgan wurden in Art. 23, 29 und 29a BankG26 und Art. 7a VVG umgesetzt. Das Leitungsorgan ist nach MiFID II27 das Gesellschaftsorgan, dem die Befugnis obliegt, Strategie, Ziele und Gesamtpolitik des Unternehmens festzulegen, die Entscheidungen der Geschäftsleitung zu kontrollieren und zu überwachen, und dem die Personen angehören, die die Geschäfte des Unternehmens tatsächlich führen. In der Terminologie des liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR)28 entspricht das Leitungsorgan der Verwaltung einer Verbandsperson (juristischen Person), dem von Gesetzes wegen die Leitung, Geschäftsführung und Vertretung zusteht.29 Das Leitungsorgan entspricht daher bei Banken und Wertpapierfirmen dem Verwaltungsrat30 und bei Vermögensverwaltungsgesellschaften i.d.R. dem Verwaltungs- oder Treuhänderrat.31 MiFID II sieht vor, dass die Anforderungen an die Mitglieder des Leitungsorgans an die für Mitglieder der Leitungsorgane von Banken geltenden Bestimmungen angeglichen werden.32 Die unübertragbaren Aufgaben des Leitungsorgans wurden zudem gesetzlich

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Art. 21c BankV. Art. 4 Abs. 1 Ziff. 36 MiFID II. LGBl 1926.004. Art. 180 Abs. 1 i.V.m. Art. 182 Abs. 2 PGR; Art. 349 PGR (Aktiengesellschaften). Nach Art. 18 Abs. 1 BankG sind nur die AG und die SE erlaubte Rechtsformen für eine Bank oder eine Wertpapierfirmen. Verwaltungsorgan bei diesen Rechtsformen ist jeweils der Verwaltungsrat. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a VVG kann eine Vermögensgesellschaft als AG, SE, Anstalt, Treuunternehmen, GmbH oder als Personengesellschaft gegründet werden. In der Praxis werden Vermögensverwaltungsgesellschaften jedoch überwiegend als AG, Treuunternehmen oder Anstalt gegründet. Verwaltungsorgan ist bei diesen Rechtsformen entweder der Verwaltungsrat (AG, Anstalt) oder der Treuhänderrat (Treuunternehmen). Vgl. Art. 4 Abs. 1 Ziff. 21 VVG. Nach Art. 9 Abs. 1 MiFID kommen die für Banken geltenden Anforderungen nach Art. 88 (Unternehmensführung und -kontrolle) und Art. 91 (Leitungsorgan) der Richtlinie 2013/36/ EU (CRD IV) auch auf Wertpapierfirmen zur Anwendung.

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Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein

geregelt.33 Im Wesentlichen hat das Leitungsorgan für eine wirksame Unternehmensführung und -kontrolle zu sorgen.34 Bei Vermögensverwaltungsgesellschaften, die über keine große interne Organisation verfügen, wurden diese bereits bisher durch das Leitungsorgan wahrgenommen. Neu ist auch die Vorschrift, dass jedes einzelne Mitglied seines Leitungsorgans ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Wahrnehmung seiner Aufgaben nachweisen muss. Bisher wurde dies nur von den geschäftsführenden Mitgliedern des Leitungsorgans verlangt. Alle Mitglieder des Leitungsorgans müssen außerdem ausreichend Zeit für die Erfüllung ihrer Aufgaben aufwenden. Zu prüfen ist insbesondere, ob Mitglieder des Leitungsorgans durch die gleichzeitige Ausübung mehrerer Leitungsoder Aufsichtsfunktionen möglicherweise ihren Aufgaben nicht ausreichend Zeit widmen können.35 Die bisherige Aufsichtspraxis der FMA entspricht dieser Vorgabe bereits. Liechtensteinische Wertpapierdienstleister müssen neue Mitglieder des Leitungsorgans künftig mit angemessenen Mitteln einschulen und dafür Personal- und Finanzressourcen bereitstellen.36 Zusätzliche Anforderungen werden an das Leitungsorgan von Wertpapierfirmen mit erheblicher Bedeutung gestellt, die jedoch in Liechtenstein derzeit keine Bedeutung haben, da keine liechtensteinische Wertpapierfirma mehr als 250 Mitarbeiter hat.37

3.1.2

Geschäftsleitung

Nach liechtensteinischem Recht sind alle Mitglieder der Verwaltung gemeinsam zur Geschäftsführung befugt. Daher ist der Verwaltungsrat oder Treuhänderrat gleichzeitig auch Geschäftsleitung i.S.d. MiFID II, sofern die Geschäftsleitung nicht an einzelne Mitglieder des Verwaltungsorgans oder an Dritte delegiert wurde.38 Bei den Anforderungen an die Geschäftsleitung ergeben sich gegenüber der bisherigen Rechtslage keine wesentlichen Neuerungen für liechtensteinische Wertpapierdienstleister.39

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Art. 23 VVG. Art. 7b Abs. 1 VVG; Art. 25 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565. Art. 7a Abs. 1 VVG; Art. 29 Abs. 1 BankG. Art. 7a Abs. 4 VVG. Art. 4 Abs. 1 Ziff. 30 VVG; Art. 29a BankG und Art. 3b BankV, Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 136. Art. 181, 348 Abs. 1 PGR; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 133; Art. 4 Abs. 1 Ziff. 37 i.V.m. Art. 9 Abs. 6 MiFID II. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 144.

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Eine Wertpapierfirma benötigt wie bisher zwingend zwei natürliche Personen als Geschäftsleiter.40 Bei Vermögensverwaltungsgesellschaften kann die FMA jedoch vom Erfordernis eines zweiten Geschäftsleiters absehen, wenn die solide und umsichtige Führung gewährleistet ist, die betreffende Person die entsprechenden persönlichen Voraussetzungen dafür besitzt und der Geschäftsführungsaufgabe ausreichend Zeit widmet.41 Die FMA verlangt in diesen Fällen bisher, dass der Alleingeschäftsführer sein volles Arbeitspensum den Geschäftsführungsaufgaben am Sitz der Vermögensverwaltungsgesellschaft in Liechtenstein widmet und für den Fall des Verlustes der Handlungsfähigkeit des Geschäftsleiters der Fortbestand der Vermögensverwaltungsgesellschaft durch eine geeignete Stellvertretungs- bzw. Nachfolgeregelung ununterbrochen gesichert ist.42 Der Geschäftsführer muss außerdem hauptsächlich am Sitz der Wertpapierfirma in Vaduz tätig sein und diesen von seinem Wohnort aus in 60 bis 90 Minuten Fahrzeit erreichen können, damit er als Geschäftsleiter einer liechtensteinischen Wertpapierfirma tätig sein kann. Es ist davon auszugehen, dass diese Aufsichtspraxis nach Umsetzung von MiIFD II beibehalten wird.

3.1.3

Neue Organisationspflichten

Die Anforderungen an die interne Organisation wurden im Vergleich zu MiFID I um neue Organisationspflichten zur Stärkung des Anlegerschutzes erweitert. Die Bestimmungen zum Umgang mit Interessenskonflikten wurden in Art. 8h Abs. 1 und 4 BankG sowie in Art. 7c Abs. 1 und 2 VVG umgesetzt. Es wird nun erstmals der Grundsatz aufgestellt, dass Interessenskonflikte in erster Linie durch wirksame organisatorische und administrative Maßnahmen vermieden werden sollen und eine Offenlegung als letztes Mittel nur mehr dort zum Einsatz kommen darf, wo die getroffenen Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenskonflikten nicht ausreichen.43 So zielen insbesondere die neuen Organisationspflichten hinsichtlich der Mitarbeitervergütung, die Produktgenehmigung und -überwachung und die Vertriebsentschädigungen

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Art. 22 Abs. 2 Buchst. b BankG. Art. 7 Abs. 1b VVG. Der liechtensteinische Gesetzgeber macht bezüglich Vermögensverwaltungsgesellschaften von der Wahlmöglichkeit nach Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 2 MiFID II Gebrauch. FMA-Mitteilung 2013/8, letzte Änderung vom 09.05.2017. Erwägungsgrund 48 Delegierte Verordnung (EU)2017/565.

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Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein

auf die Vermeidung von Interessenskonflikten ab, die den Kundeninteressen schaden könnten.44 Unter der alten Rechtslage war die Offenlegung von Interessenskonflikten i.d.R. ausreichend. Für die Offenlegung von unvermeidbaren Interessenskonflikten ist in Liechtenstein auch nach Umsetzung von MiFID II eine standardisierte Kommunikation für alle Kundenklassen zulässig.45 Eine individuelle Aufklärung jedes einzelnen Kunden ist weiterhin nicht erforderlich. Wertpapierdienstleister sind neuerdings dazu verpflichtet, durch entsprechende interne Maßnahmen wie Schulungen dafür Sorge zu tragen, dass ihre Mitarbeiter über die notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen für eine gesetzeskonforme Erbringung von Wertpapierdienstleistungen verfügen. Dies gilt besonders für jene Kundenberater, die die Anlageberatung durchführen. Die getroffenen Maßnahmen sind zu dokumentieren und der FMA auf Verlangen nachzuweisen.46 Die entsprechenden Bestimmungen wurden in Art. 14 Abs. 3 VVG und Art. 8d Abs. 1 BankG umgesetzt. Die FMA hat dazu eine Mitteilung erlassen.47 Diese Pflicht zur Schulung von Mitarbeitern steht im engen Zusammenhang mit zwei weiteren neuen Verhaltenspflichten von Wertpapierdienstleistern: • die Pflicht, durch angemessene interne Maßnahmen dafür zu sorgen, dass sämtliche Produktinformationen über ein Finanzinstrument, einschließlich der Zielmarktdefinition, vom Hersteller verfügbar sind,48 und • die Pflicht, einem Kunden nur Finanzinstrumente anzubieten oder zu empfehlen, deren Eigenschaften verstanden wurden.49 So soll sichergestellt werden, dass die Kundenberater nur Finanzinstrumente anbieten oder empfehlen, die im Interesse des Kunden liegen. Das Kundeninteresse muss weiterhin im Rahmen des Eignungstests abgeklärt werden.50 Im Rahmen der Vergütungspolitik dürfen Wertpapierdienstleister ihren Mitarbeitern außerdem keine Anreize mehr setzen, gegen das Kundeninteresse zu handeln.51 Dieses

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Art. 16 Abs. 2 MiFID II. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 151; Anhang 2 Abschnitt I (B)(7)(1) BankG. Art. 14 Abs. 3 VVG; Art. 8d Abs. 1 BankG. FMA, Mitteilung 2017/7 vom 19.12.2017. Art. 7c Abs. 3 VVG; Art. 8b Abs. 4 BankG. Art. 8a Abs. 2 BankG; Art. 14 Abs. 2 VVG. Art. 8a Abs. 2 BankG; Art. 14 Abs. 2 VVG. Erwägungsgrund 77 MiFID II; Art. 20 Abs. 2 VVG; Art. 8h Abs. 2 BankG.

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Verbot betrifft insbesondere Anreize, nichtprofessionellen Kunden ein bestimmtes Finanzinstrument zu empfehlen oder zu verkaufen, das nicht seinem Bedürfnis entspricht. Variable Vergütungskomponenten von Kundenberatern, die sich nur an produktspezifischen Verkaufszielen orientieren, sind daher mit diesem Grundsatz nicht mehr vereinbar.52 Nach der alten Rechtslage waren solche Verkaufsziele für Kundenberater noch zulässig und eher die Regel als die Ausnahme. Wertpapierdienstleister müssen ihre Vergütungspolitik daher an die neuen Vorgaben anpassen. Außerdem muss die Vergütungspolitik künftig zwingend vom Leitungsorgan nach einer Beratung mit Compliance genehmigt werden.53 Wertpapierdienstleister sind nun auch grundsätzlich verpflichtet, angemessene Verfahren einzurichten, über die Mitarbeiter Gesetzesverstöße intern über einen unabhängigen Weg melden können.54 Bei Vermögensverwaltungsgesellschaften, die nur über wenige Mitarbeiter verfügen, wird das praktisch nicht möglich sein. Gesetzesverstöße können jedoch auch anonym der FMA gemeldet werden.55 Bei den Anforderungen an die Delegation bzw. Auslagerung von Tätigkeiten oder Geschäftsbereichen durch die Wertpapierdienstleister ergeben sich gegenüber der alten Rechtslage keine materiellen Änderungen. Insbesondere die im Rahmen der Durchführungsvorschriften zu MiFID II aufgestellten Grundsätze56 entsprechen im Wesentlichen den Richtlinien gemäß Anhang 6 BankV, auf die Art. 35 BankV und Art. 9 Abs. 3 VVG verweisen. Eine liechtensteinische Besonderheit ist jedoch das für Vermögensverwaltungsgesellschaft geltende Verbot, Haupttätigkeiten an Dritte zu delegieren. Haupttätigkeiten sind die von der FMA bewilligten Wertpapierdienstleistungen, also insbesondere die Portfolio-Verwaltung und die Anlageberatung. Folglich können Vermögensverwaltungsgesellschaften die Anlageentscheidungen im Rahmen der Portfolio-Verwaltung und die Durchführung der Anlageberatung nicht an Dritte delegieren.57

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Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 75; Art. 21r und Anhang 4.4 BankV. Art. 7b Abs. 3 VVG; Anhang 4.4 BankV. Art. 6 Abs. 1 Buchst. n VVG. Art. 61a VVG. Art. 30 und 31 Delegierte Verordnung. Art. 12 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a VVG; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 157.

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Durch das Delegationsverbot soll sichergestellt werden, dass die Vermögensverwaltungsgesellschaften in Liechtenstein tatsächlich ihre Haupttätigkeit entfalten und nicht nur als Briefkästen fungieren.58 Der Wortlaut von Art. 12 Abs. 2 VVG wurde im Zuge der Umsetzung von MiFID II zum besseren Verständnis angepasst. Alle delegierten Tätigkeiten sind wie schon bisher laufend zu überwachen. Dafür haben Wertpapierfirmen ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen.59 Unter der neuen Rechtslage haben Wertpapierdienstleister ferner umfangreichere Aufzeichnungspflichten wie bisher. Die Aufzeichnungspflicht betrifft alle Dienstleistungen, Tätigkeiten und Geschäfte und insbesondere Telefongespräche und die elektronische Kommunikation im Zusammenhang mit Kundenaufträgen. Über mündliche Besprechungen sind ebenfalls Aufzeichnungen zu führen.60 Die Grundsätze wurden in Art. 22 Abs. 1 VVG und Art. 31c BankG umgesetzt. Abschnitt 8 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 enthält detaillierte Ausführungsbestimmungen, die in Liechtenstein direkt anwendbar sind. Die Aufzeichnungen müssen für mindestens fünf Jahre aufbewahrt und der FMA zugänglich gemacht werden. Wertpapierfirmen haben geeignete interne Maßnahmen zur Umsetzung der Aufzeichnungspflichten zu treffen. Die neuen organisatorischen Anforderungen sind von Wertpapierfirmen und Vermögensverwaltungsgesellschaften im Organisationshandbuch umzusetzen.

3.2 Neuerungen im Vertrieb Eine der größten Herausforderungen für liechtensteinische Wertpapierdienstleister ist die Umsetzung und Anwendung der neuen Bestimmungen zur Dienstleistungserbringung und zum Vertrieb.61

3.2.1

Kundenklassifikation

Die Einteilung von Kunden in die drei Kategorien nichtprofessionelle und professionelle Kunden sowie geeignete Gegenparteien wird beibehalten. Neu ist jedoch, dass die liechtensteinischen Gemeinden nun als nichtprofessionelle Kunden eingestuft werden müs-

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Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 157. Anhang 6 BankV. Art. 76 Abs. 9 und Annex I Delegierte Verordnung. Ernst &Young LLC, Marktstudie MiFID II – Wesentliche Auswirkungen der MiFID II auf den Finanzplatz Liechtenstein, Juni 2013, S. 42.

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sen. An den Wechsel nichtprofessioneller Kunden in die Kategorie der professionellen Kunden werden außerdem höhere Anforderungen gestellt.62 Stiftungen, Trusts und andere Privatvermögensstrukturen können weiterhin freiwillig in die Kategorie der professionellen Kunden wechseln, sofern sie über mehr als 500.000 EUR liquide Mittel oder Finanzinstrumente verfügen und das geschäftsführende Organ über entsprechende Kenntnisse verfügt.

3.2.2

Vorvertragliche Informationspflichten und Kundendokumentation

Die vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten wurden unter MiFID II ausgeweitet, insbesondere in Bezug auf die Anlageberatung und Querverkäufe.63 Die Bestimmungen waren bisher in Anhang 7.2 BankV umgesetzt und sind nun in Anhang 7.3 BankV und Art. 16 VVG geregelt.64 Gegenüber der alten Rechtslage wurde nun ausdrücklich klargestellt, dass dem Kunden die vorvertraglichen Informationen rechtzeitig vor Vertragsschluss zugestellt werden müssen.65 Dem Kunden soll genügend Zeit bleiben, die Informationen zu lesen und zu verstehen, wobei bei dem Erfordernis der Rechtzeitigkeit auf die jeweiligen Umstände Rücksicht genommen werden muss (z.B. auf die Dringlichkeit).66 Außerdem muss der Kunde vor Ausführung des Geschäfts über sämtliche Kosten und Nebenkosten einer Wertpapierdienstleistung informiert werden.67 Erfasst sind sowohl Kosten der Dienstleistung bzw. des Produkts als auch Dritt- und Transaktionskosten.68 Die Angabe einer Gesamtsumme der Kosten ist ausreichend, sofern der Kunde eine Aufstellung der Einzelposten nicht ausdrücklich verlangt.69 Zusätzliche vorvertragliche Informationspflichten sind ferner bei der Anlageberatung und bei Querverkäufen zu beachten.

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Anhang 7.2 Abschnitt 3 BankV; Anhang 1 Abschnitt 2 (C) VVG; vgl. Art. 45, 58 und 71 Delegierte Verordnung. Art. 8c Abs. 2 bis 8 BankG; Art. 16 VVG. Vgl. auch Art. 8c Abs. 2 BankG; Art. 44 bis 51 Delegierte Verordnung. Art. 8c Abs. 2 BankG; Art. 16 Abs. 2 VVG. Diese Bestimmungen fanden sich vor der Umsetzung der MiFID II in Anhang 7.2 BankV. Erwägungsgrund 83 MiFID II. Art. 8c Abs. 2 Buchst. e BankG; Art. 16 Abs. 1 VVG. Im Detail: Art. 50 Abs. 2 und Annex II Delegierte Verordnung. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 61; Art. 16 Abs. 2 VVG.

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Wertpapierdienstleister müssen ihre Kunden, die Anlageberatung in Anspruch nehmen wollen, vor der Beratung noch zusätzlich darüber aufklären, • ob die Beratung unabhängig erbracht wird, • ob sich die im Rahmen der Beratung durchzuführende Analyse auf eine breite oder eher eingeschränkte Palette von Finanzinstrumenten stützt und • ob der Anbieter dem Kunden eine regelmäßige Überprüfung der Eignung der empfohlenen Finanzinstrumente anbietet.70 Querverkäufe sind Geschäfte, bei denen eine Wertpapierdienstleistung zusammen mit einer anderen Dienstleistung oder einem anderen Produkt als Teil eines Pakets verkauft wird.71 Wertpapierdienstleister können solche Pakete nicht mehr zu einem Pauschalpreis anbieten, sondern müssen dem Kunden vor Vertragsschluss über die einzelnen im Paket vertretenen Dienstleistungen und Produkte informieren und ihre Kosten und Gebühren aufschlüsseln.72 Entsprechend müssen liechtensteinische Banken, die ihren Kunden die Portfolio-Verwaltung für eine Pauschalgebühr (All-in Fee) anbieten, das Entgelt für die einzelnen Dienstleistungen – typischerweise die Wertpapierverwahrung, die PortfolioVerwaltung und die Ausführung von Kundenaufträgen – nun offen legen. Bei den vorvertraglichen Informationspflichten ist der liechtensteinische Gesetzgeber den Wertpapierdienstleistern insofern entgegen gekommen, als dass er von der in Art. 24 Abs. 5 MiFID II eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat und den Einsatz von standardisierten Informationsblättern erlaubt.73 Eine individuelle Aufklärung einzelner Kunden ist in Liechtenstein daher weiterhin nicht erforderlich.

3.2.3

Anlageberatung und Portfolio-Verwaltung

Viele Neuerungen unter MiFID II betreffen die Anlageberatung. Insbesondere wird nun zwischen unabhängiger und nicht unabhängiger Anlageberatung unterschieden; im Rahmen des Eignungstests müssen umfangreichere Abklärungen getroffen und die Eignung eines Finanzinstruments muss vom Wertpapierdienstleister schriftlich begründet werden.

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Art. 8c Abs. 2 Buchst. a BankG; Art. 16 Abs. 1 Buchst. a VVG; Art. 52 Delegierte Verordnung. Art. 3a Abs. 1 Ziff. 40 BankG enthält eine Definition. Art. 8c Abs. 6 BankG. Art. 8c Abs. 4 BankG.

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Durch MiFID II wird die unabhängige Anlageberatung im Gesetz verankert. Die unabhängige Anlageberatung, insbesondere auf Honorarbasis, hat in Liechtenstein keine Tradition und es bleibt abzuwarten, ob sie sich durch die neuen Vorschriften als eigenständige Dienstleistung am liechtensteinischen Markt etablieren kann. Bislang wurde die Anlageberatung von den wenigsten liechtensteinischen Wertpapierdienstleistern als entgeltliche Dienstleistung erbracht.74 Nach den neuen Bestimmungen kann eine Wertpapierfirma die Anlageberatung nur dann als „unabhängig“ gegenüber dem Kunden vermarkten, wenn sie zusätzliche organisatorische Anforderungen und Verhaltenspflichten erfüllt. Eine unabhängige Anlageberatung setzt insbesondere voraus, dass der Berater vor der Abgabe einer Empfehlung an den Kunden eine ausreichende Anzahl von Finanzinstrumenten unterschiedlicher Anbieter bewertet und verglichen hat.75 Für den Wertpapierdienstleister ist die unabhängige Beratung daher mit höherem Aufwand verbunden als die nicht unabhängige Beratung – insbesondere wenn man berücksichtigt, dass alle angebotenen und empfohlenen Finanzinstrumente auch im Rahmen der Produktüberprüfungspflichten überprüft werden müssen. Es ist zulässig, dass ein und derselbe Wertpapierdienstleister unabhängige und nicht unabhängige Beratungen anbietet, jedoch nicht durch denselben Kundenberater.76 Vermögensverwaltungsgesellschaften, die nur wenige Mitarbeiter beschäftigen, werden sich daher wahrscheinlich für eine Variante entscheiden müssen. MiFID II hat in Bezug auf die Anlageberatung auch den Grundsatz normiert, dass Wertpapierdienstleister ihren Kunden nur Finanzinstrumente anbieten oder empfehlen dürfen, die sie verstehen und die – unter Berücksichtigung des Zielmarktes – mit den Bedürfnissen der nichtprofessionellen Kunden vereinbar sind.77 Wie bisher ist das Kundeninteresse von Wertpapierdienstleistern im Rahmen des Eignungstests abzuklären, wobei sie nun auch die objektive Fähigkeit eines Kunden, Verluste zu tragen – gemessen an seiner gesamten Einkommens- und Vermögenssituation –, sowie seine subjektive Risikotoleranz feststellen müssen.78

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Ernst &Young LLC, Marktstudie MiFID II – Wesentliche Auswirkungen der MiFID II auf den Finanzplatz Liechtenstein, Juni 2013, S. 49. Art. 8c Abs. 7 BankG; Art. 16 Abs. 4 VVG; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 58. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 59; Art. 53 Abs. 3 Buchst. c Delegierte Verordnung. Art. 7c Abs. 3 VVG. Art. 8d Abs. 2 BankG; Art. 15 Abs. 1 VVG; Art. 54 Abs. 4 Delegierte Verordnung; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 68.

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Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein

Wertpapierdienstleister müssen ferner ihren Beratungskunden vor Ausführung des Geschäfts bestätigen, dass die empfohlenen Finanzinstrumente für sie geeignet sind und die Gründe dafür aufführen (Eignungserklärung). Nach der liechtensteinischen Umsetzung kann die Erklärung in standardisierter Form erfolgen und muss dem Kunden lediglich rechtzeitig zugestellt werden.79 Es ist nicht erforderlich, dass der Kunde die Eignungserklärung unterschreibt. Haben Wertpapierdienstleister dem Kunden angeboten, die Eignung von Finanzinstrumente für ihn zu überwachen, müssen sie zumindest einmal im Jahr beurteilen, ob das empfohlene Finanzinstrument auch weiterhin für ihn geeignet ist.80 Die Portfolio-Verwaltung ist von den neuen Vorschriften weniger stark betroffen als die Anlageberatung. Insbesondere können Wertpapierdienstleister im Rahmen der Portfolio-Verwaltung auch ein Finanzinstrument erwerben, wenn der betreffende Kunde nicht zum Zielmarkt des Finanzinstruments zählt, sofern das erworbene Finanzinstrument der Risikotoleranz des Kunden entspricht und mit den vereinbarten Anlagerichtlinien und der gewählten Anlagestrategie vereinbar ist.81 Die Performance-Berichte müssen nach MiFID II mindestens einmal im Quartal erstellt werden und haben außerdem weitergehende Angaben als bisher zu enthalten (z.B. Gesamtbetrag der Erträgnisse und Corporate Actions in der Berichtsperiode).82 Bei einem Wertverlust des Portfolios von 10% seit Beginn der Berichtsperiode ist der Kunde außerdem zu warnen und die Warnungen sind bei jedem weiteren 10%-igen Wertverlust zu wiederholen.83

3.2.4

Vertriebsentschädigungen

Die neuen Bestimmungen über Vertriebsentschädigungen dürften große Auswirkungen auf das Geschäftsmodel vieler liechtensteinischer Wertpapierdienstleister haben. Die MiFID II lässt Vertriebsentschädigungen grundsätzlich nur mehr zu, wenn sie zu einer Verbesserung der Dienstleistungsqualität für den Kunden führen, der Wertpapierdienstleister nicht daran gehindert wird, im besten Interesse des Kunden zu handeln und die Vertriebsentschädigungen offen gelegt werden.84 Keine Offenlegung ist erforderlich, wenn die Provisionen an den Kunden weitergeleitet werden.

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Art. 19 Abs. 3 VVG. Art. 54 Abs. 12 Delegierte Verordnung. Art. 54 Abs. 2 Buchst. a Delegierte Verordnung; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 160. Art. 60 Abs. 2 Delegierte Verordnung. Art. 62 Delegierte Verordnung. Art. 12b, Anhang 2 Abschnitt III Sektion A VVO.

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In der liechtensteinischen Umsetzung wird die Qualitätsverbesserung generell weit ausgelegt, sodass es ausreichend ist, wenn die Verbesserung bspw. in Form eines größeren Dienstleistungsangebots den Kunden insgesamt zu Gute kommt.85 Es kommt nicht darauf an, dass ein einzelner Kunde das verbesserte Dienstleistungsangebot konkret in Anspruch nimmt. Die Wertpapierdienstleister haben interne Aufzeichnungen über die erhaltenen Vertriebsentschädigungen zu führen, die die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen überprüfbar machen.86 Die entsprechenden Prozesse sind im Organisationshandbuch umzusetzen. Wertpapierfirmen, die Portfolio-Verwaltung oder die unabhängige Anlageberatung erbringen, dürfen keine Vertriebsentschädigungen mehr annehmen, Vertriebsentschädigungen müssen stattdessen den Kunden weitergeleitet werden.87 In Liechtenstein haben Wertpapierdienstleister die Provisionen, die sie von Dritten erhalten haben, z.T. mit der PortfolioVerwaltungsgebühr verrechnet. Nach Erwägungsgrund 74 MiFID II soll eine Verrechnung mit Gebühren nicht mehr erlaubt sein. Ein Aufrechnungsverbot ist jedoch weder in der Richtlinie selbst noch in den liechtensteinischen Umsetzungsgesetzen vorgesehen. Daher darf davon ausgegangen werden, dass eine Aufrechnung weiterhin zulässig ist.88 Für die Offenlegung von Vertriebsentschädigungen gilt ein höherer Standard als bisher. Die Art und der Betrag oder allenfalls die Berechnung des Betrags der Vertriebsentschädigung müssen in umfassender, verständlicher und zutreffender Weise unmissverständlich offengelegt werden.89 Daher wird eine Offenlegung von Zuwendungen in zusammengefasster und inhaltlich allgemeiner Form in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) mit diesen Vorgaben nicht mehr vereinbar sein.90 Nach § 1009a Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) darf ein Wertpapierdienstleister grundsätzlich davon ausgehen – außer bei unabhängiger Anlageberatung und Portfolio-Verwaltung –, dass der Kunde ihm gegenüber auf die Herausgabe allfälliger Vertriebsentschädigungen verzichtet hat, sofern er seinen Offenlegungspflichten korrekt nachgekommen ist. Der Wertpapierdienstleister kann sich auf § 1009a ABGB somit nur

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Anhang 2 Abschnitt III Sektion A VVO. Anhang 2 Abschnitt III Sektion A VVO. Art. 8c Abs. 7 Buchst. b BankG. § 1438 ABGB (LGBl 1003.001). Anhang 7.1 Abschnitt III.B BankV; Art. 16 Abs. 6 VVG; Art. 50 und Annex II Delegierte Verordnung. In den Gesetzesmaterialien ist dazu zu lesen, dass dies weiterhin zulässig sein soll: Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 175.

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Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein

berufen, wenn er die Vertriebsentschädigungen gesetzeskonform offengelegt hat, was bei einer lediglich pauschalen Offenlegung in den AGBs nicht mehr der Fall ist.

3.2.5

Reine Ausführungsgeschäfte

Der Kreis der nicht komplexen Finanzprodukte, die im Rahmen von reinen Ausführungsgeschäften (Execution-only-Geschäften) vertrieben werden können, wurde eingeschränkt.91 Nach neuer Rechtslage muss vor Ausführung oder Weiterleitung von Kundenaufträgen, die alternative Investmentfonds, strukturierte UCITS-Fonds oder Komplexe strukturierte Produkte zum Gegenstand haben, sowie im Falle der kreditfinanzierten Anschaffung von Finanzinstrumenten nun auch eine Angemessenheitsprüfung durchgeführt werden.92 Wenn ein Wertpapierdienstleister nach Durchführung der Angemessenheitsprüfung zum Ergebnis gelangt, dass ein Finanzinstrument oder eine Wertpapierdienstleistung nicht angemessen ist, oder wenn der Kunde die zur Durchführung der Angemessenheitsprüfung notwendigen Angaben verweigert oder diese unzureichend sind, trifft den Wertpapierdienstleister eine Warnpflicht.93 Diese Warnung kann in Liechtenstein als standardisierter Hinweis erfolgen. Verlangt der Kunde danach weiterhin die Ausführung des Geschäfts, darf der Wertpapierdienstleister das Geschäft ausführen.

3.2.6

Produktgenehmigung und -überprüfung

Mit MiFID II wurden in Liechtenstein erstmals verbindliche Vorschriften für die Entwicklung von Finanzinstrumenten für Banken und Wertpapierfirmen eingeführt, die in Art. 8b Abs. 1 und 2 BankG und Art. 27e BankV umgesetzt wurden. Banken und Wertpapierfirmen, die Finanzinstrumente zum Verkauf an Kunden konzipieren, müssen vor deren Vermarktung einen Zielmarkt für das Finanzinstrument definieren und die damit im Zusammenhang stehende regulatorischen Vorgaben einhalten. Diese neuen Produktgenehmigungsverfahren gilt für alle Finanzinstrumente, auch für solche, die nur für professionelle Kunden und geeignete Gegenpartien konzipiert wurden.94 Ausgenommen sind jedoch Fonds, da diese nach den Bestimmungen des UCITSG, des AIFMG oder des Investmentunternehmensgesetzes (IUG) aufgelegt werden. In

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Art. 8d Abs. 3 und 4 BankG; Art. 15 Abs. 6 VVG, Art. 57 Delegierte Verordnung. Art. 15 Abs. 6 Buchst. a VVG; Anhang 7.4 Abschnitt III.2.1 Abs. 2 Buchst. a BankV. Art. 56 Delegierte Verordnung. Art. 8b Abs. 1 BankG.

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Liechtenstein ist v.a. die Entwicklung von strukturierten Produkten von diesen neuen Bestimmungen betroffen. Die Bestimmungen über das Produktgenehmigungsverfahren sind für Vermögensverwaltungsgesellschaften nicht direkt relevant, da sie keine Kundengelder entgegennehmen dürfen. Entsprechend wurden die Bestimmungen zum Produktgenehmigungsverfahren nicht im VVG umgesetzt. Allerdings sind Vermögensverwaltungsgesellschaften verpflichtet, den Zielmarkt anhand von Informationen des Herstellers selbst zu definieren, wenn sie ein Finanzinstrument empfehlen oder anbieten, das von einem Anbieter konzipiert wurde, der nicht den Vorschriften von MiFID II untersteht.95 In Liechtenstein betrifft dies v.a. Wertpapierdienstleister, die Produkte von Schweizer oder anderen ausländischen Anbietern vertreiben, die keine Zielmarktdefinition vorgenommen haben. Wertpapierdienstleister, die Finanzinstrumente vertreiben, die sie nicht selbst konzipiert haben, müssen durch geeignete interne Prozesse sicherstellen, dass sie alle Informationen über den Zielmarkt, die Risiken und Merkmale der von ihnen vertriebenen Finanzinstrumente von den Herstellern eingeholt und verstanden haben.96 Liechtensteinische Wertpapierdienstleister werden daher in Zukunft auch vermehrt prüfen müssen, ob bei der Einführung neuer Finanzinstrumente Schulungen der Vertriebsmitarbeiter angebracht sind.97 Nach den neuen Bestimmungen zum Vertrieb müssen Wertpapierdienstleister bei den von ihnen angebotenen oder vermarkteten Finanzinstrumenten auch eine zumindest jährliche Überprüfung dahingehend vornehmen, ob sie weiterhin den Bedürfnissen des definierten Zielmarktes entsprechen und die beabsichtigte Vertriebsstrategie für die angesprochene Kundenklasse noch geeignet ist.98 Zusätzlich muss sie überprüfen, ob bestimmte Marktereignisse einen wesentlichen Einfluss auf das potenzielle Risiko des Produkts für den bestimmten Zielmarkt haben könnten. Auch diesbezüglich haben sie entsprechende interne Vorkehrung zu treffen. Es ist derzeit noch nicht klar, wie dieses Erfordernis der Ad-hoc-Überprüfung in der Praxis gehandhabt wird. Der liechtensteinische Gesetzgeber stellt jedoch klar, dass die Anforde-

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Vgl. Art. 27f Abs. 5 und 6 BankV; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 56. Art. 7c Abs. 2 VVG; Art. 27f Abs. 4 BankV. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 55. Art. 8d Abs. 3 BankG; Art. 7c Abs. 4 VVG; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/2017, 54.

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Umsetzung und Auswirkungen von MiFID II in Liechtenstein

rungen an solche Überprüfungen nicht überspannt werden dürfen.99 Da diese neuen Bestimmungen auf das Anbieten oder Empfehlen bzw. Vermarkten von Finanzinstrumenten abstellen, gelten sie außerdem nicht für Finanzinstrumente, die von Wertpapierdienstleistern im Rahmen der Portfolio-Verwaltung aufgrund des ihnen eingeräumten Ermessensspielraums ausgewählt und in ein Kunden-Portfolio aufgenommen werden.100 Die Bestimmungen über das Produktgenehmigungsverfahren sind in Liechtenstein insbesondere für die Entwicklung strukturierter Produkte relevant. Strukturierte Produkte sind, sofern es sich nicht um Finanzinstrumente handelt, Einlagen i.S.d. Richtlinie 2014/ 49/EU, bei denen der Anspruch des Kunden auf Rückzahlung der Einlage von einem Index, einem Finanzinstrument, einer Ware oder anderen Vermögenswerten, einem Wechselkurs oder einer Kombination davon abhängt (strukturierte Einlagen).101 Nach der Umsetzung der MiFID II sind strukturierte Produkte nun auch vollständig von den Vertriebsbestimmungen nach MiFID II erfasst und ihr Vertrieb ist zudem stärker reguliert worden. Insbesondere dürfen Komplexe strukturierte Produkte, die auf Derivate basieren, nicht mehr im Rahmen von Execution-only-Geschäften an nichtprofessionelle Kunden verkauft werden. Seit der Umsetzung von MiFID II ist die Eigenemission von strukturierten Einlagen in Liechtenstein außerdem ein bewilligungspflichtiges Finanzkommissionsgeschäft, was bisher nicht der Fall war. Die Emission von strukturierten Einlagen ist in Liechtenstein Banken und Wertpapierfirmen vorbehalten. Vermögensverwaltungsgesellschaften können keine strukturierten Einlagen emittieren, da sie keine Kundengelder entgegennehmen dürfen.

4 Fazit MiFID II wurde vom liechtensteinischen Gesetzgeber so marktfreundlich wie möglich umgesetzt. Trotzdem sind erhebliche Auswirkungen von MiFID II auf die liechtensteinische Wertpapierdienstleister und ihr Geschäftsmodell zu erwarten. Es kann davon ausgegangen werden, dass die MiFID II den Kostendruck insbesondere auf liechtensteinische Vermögensverwaltungsgesellschaften weiter erhöhen und die Konsolidierung in diesem Sektor beschleunigen wird.

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Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 152. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, Nr. 14/ 2017, 153. Art. 3a Abs. 1 Ziff. 43 BankG.

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Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten Livia Graf/Thomas Seeber

1 Einleitung 2 Regelungen betreffend Mitgliedstaaten 2.1 Dienstleistungsfreiheit 2.1.1 Erbringung von Dienstleistungen einer Wertpapierfirma/eines Kreditinstituts aus einem Mitgliedstaat in Österreich 2.1.1.1 Voraussetzungen 2.1.1.2 Umfasste Tätigkeiten 2.1.1.3 Verfahrensablauf 2.1.2 Erbringung von Dienstleistungen einer Wertpapierfirma/eines Kreditinstitutes aus Österreich in anderen Mitgliedstaaten 2.1.2.1 Allgemein 2.1.2.2 Verfahrensablauf 2.2 Niederlassungsfreiheit 2.2.1 Errichtung einer Zweigstelle in Österreich 2.2.1.1 Allgemein 2.2.1.2 Vertraglich gebundene Vermittler 2.2.1.3 Notwendige Angaben zur Zulassung in Österreich 2.2.2 Errichtung einer Zweigstelle in einem Mitgliedstaat 3 Regelungen betreffend Drittlandfirmen 3.1 Regelungen gemäß §§ 21 ff. WAG 3.1.1 Allgemeines 3.1.2 Voraussetzungen zur Zulassung der FMA 3.1.3 Zulassungsverfahren 3.2 Regelungen gemäß BWG 4 Strafausmaß bei Verstößen gegen die Melde-/Anzeigepflicht

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1 Einleitung Durch die Markets in Financial Instruments Directive (MiFID II)1 wurden in Österreich u.a. das Börsegesetz (BörseG) und das Wertpapieraufsichtsgesetz 2007 (WAG 2007) abgeändert. Auf Basis der MiFID II wurde das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 (WAG 2018) erlassen, welches mit 03.01.2018 in Kraft getreten ist und das WAG 2007 außer Kraft setzt. Neben Neuregelungen, welche v.a. die Anleger in Finanzinstrumente und die Transparenz schützen sollen, wurde auch der Bereich der grenzüberschreitenden Sachverhalte durch die MiFID II in den Art. 34 ff. erneuert. Die Regelungen dazu finden sich nunmehr im 1. Hauptstück des WAG 2018 (Allgemeines), konkret im 2. Abschnitt (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) und im 3. Abschnitt (Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten durch Drittlandfirmen). Im Vordergrund der Neuregelungen steht die Vereinheitlichung der Zulassungsverfahren von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, v.a. innerhalb der Europäischen Union (EU), im Einklang mit den Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit. Nunmehr ermöglicht die MiFID II i.V.m. dem WAG 2018 Wertpapierfirmen, welche in einem Land des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) zugelassen sind, die Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten auch in anderen Mitgliedstaaten zu erbringen (EU-Pass). Wenn Tätigkeiten in den Anwendungsbereich des Art. 1 MiFID II fallen, sind keine weiteren Anforderungen als die im WAG 2018 zulässig, damit die Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nicht eingeschränkt werden.2 Um nachfolgend den Unterschied der verschiedenen Regelungen zu verdeutlichen, werden vorab einige Begrifflichkeiten definiert. Unter Wertpapierfirma versteht man gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 MiFID II jede juristische Person, welche im Rahmen ihrer üblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt. Bezug nehmend auf das österreichische Recht werden Wertpapierfirmen in den Bestimmungen des WAG 2018 geregelt.

1 2

ABl. L 2014/173, 349. § 17 Abs. 1 und 19 Abs. 1 WAG 2018.

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Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten werden im Anhang I der MiFID II wie folgt definiert und zeichnen sich durch folgende Tätigkeiten aus: • Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrumente zum Gegenstand haben, • Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden, • Handel auf eigene Rechnung, • Portfolio-Verwaltung, • Anlageberatung, • Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierungen von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung, • Platzierung von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung, • Betrieb eines multilateralen Handelssystems (Multilateral Trading Facility (MTF)), und • Betrieb eines organisiertes Handelssystems (Organised Trading Facility (OTF)). Dazu kommen noch Nebendienstleistungen gemäß Anhang I Abschnitt B der MiFID II, welche auch in den jeweiligen anderen Mitgliedstaaten ausgeübt werden dürfen, jedoch immer mit der Einschränkung, dass diese nur gemeinsam mit einer Wertpapierdienstleistung oder Anlagetätigkeit erbracht werden dürfen. Ein CRR-Kreditinstitut (Capital Requirements Regulation) ist gemäß § 1a Abs. 1 Z. 1 Bankwesengesetz (BWG) i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Z. 1 der Richtlinie 2013/36/EU3 ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite auf eigene Rechnung zu gewähren. In Österreich ist ein jedes Unternehmen, welches eine Dienstleistung gemäß dem Bankgeschäftekatalog des § 1 BWG ausführt, ein Kreditinstitut und unterliegt den diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen.

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Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl L 2013/176, 338.

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Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

Jedes Kreditinstitut darf ex lege4 die in § 3 Abs. 2 Z. 1 bis 3 WAG 2018 angeführten Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten5 erbringen. Die Legaldefinition einer Wertpapierfirma des § 3 Abs. 1 WAG 2018 bestimmt zudem, dass natürliche und juristische Personen, deren Berechtigung zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten sich auf das BWG gründen, keine Wertpapierfirmen i.S.d. des WAG 2018 sind. Folglich ist festzuhalten, dass sowohl Kreditinstitute, als auch Wertpapierfirmen Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten erbringen können und dürfen. Die Regelungen für Sachverhalte von Kreditinstituten finden sich vorrangig im BWG, während die Regelung für Wertpapierfirmen sich im WAG 2018 befinden. Da gemäß beiden Gesetzestexten die genannten Dienstleistungen erbracht werden dürfen, wird in diesem Beitrag auch auf beide Gesetzesbestimmungen eingegangen. Für die Frage, ab wann eine Dienstleistung als grenzüberschreitende Dienstleistung angesehen wird, ist auf den Einzelfall abzustellen. Dazu gibt es mehrere Lösungsvarianten. Zum einen kann dieses Thema aufgrund von faktischen Anknüpfungspunkten (z.B. gewöhnlicher Aufenthalt des Kunden, Ort der Niederlassung des Dienstleisters) betrachtet werden, zum anderen anhand wesentlicher Handlungen im Rahmen einer Finanzdienstleistung (z.B. Entgegennahme einer Kundenorder, Vornahme der Abrechnung oder Abschluss des Ausführungsgeschäfts) und der Ort von deren Erbringung/Durchführung.6 Durch die vermehrte Inanspruchnahme von Online-Dienstleistungen wird dieses Thema aktueller denn je, jedoch kann i.S.d. Einordnung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts auch die bloße Zurverfügungstellung von Dienstleistungen in einem anderen Land maßgeblich sein. Die Kommunikation und Antragsstellung eines EU/EWR-(Wertpapier-)Unternehmens erfolgt grundsätzlich immer mit der zuständigen Behörde in dessen Herkunftsmitgliedstaat. Die Behörde des Herkunftsmitgliedstaates ist für die Übermittlung der Unterlagen/Informationen an die zuständige Behörde im anderen Mitgliedstaat (Aufnahmemitgliedstaat) zuständig. Welche Behörde als zuständige Behörde angesehen wird, wird

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6

§ 1 Abs. 3 BWG. Dies umfasst alle Tätigkeiten bis auf den Betrieb eines multilateralen und/oder eines organisierten Handelssystems (MTF, OTF). Vgl Gapp/Gfall, Grenzüberschreitende Bankgeschäfte ohne inländische Niederlassung – Internationale Anknüpfung und Konzessionspflicht, ecolex 2003, 244 i.V.m. Graf/Gruber (Hg), Rechtsfragen des Internetbanking, 2002, 148.

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Livia Graf/Thomas Seeber

von jedem einzelnen Mitgliedstaat gemäß Art. 67 MiFID II geregelt. Die jeweiligen zuständigen Behörden werden von der European Securities and Markets Authority (ESMA) veröffentlicht.7 In Österreich ist die zuständige Behörde gemäß § 90 Abs. 1 WAG 2018 die Finanzmarktaufsicht (FMA). Die Einbringung von Anträgen bei der FMA ist grundsätzlich sowohl auf elektronischem, mündlichem, telefonischem oder schriftlichem Weg möglich.8 Für Anträge betreffend die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ist die Einbringung durch eine zentral eingerichtete Internet-Plattform (Incoming Plattform9) vorgesehen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich sowohl mit Verfahren, in welchen eine Wertpapierfirma oder ein Kreditinstitut in einem anderen Land tätig werden möchte (Ausgangsverfahren, Outbound), als auch mit Verfahren im Aufnahmemitgliedstaat (Zugangsverfahren, Inbound). Zudem werden EU/EWR-Kreditinstitute/Wertpapierfirmen und solche aus Drittländern behandelt.

2 Regelungen betreffend Mitgliedstaaten 2.1 Dienstleistungsfreiheit 2.1.1

2.1.1.1

Erbringung von Dienstleistungen einer Wertpapierfirma/eines Kreditinstituts aus einem Mitgliedstaat in Österreich Voraussetzungen

Um in einem anderen Mitgliedstaat Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen erbringen zu dürfen, müssen die Wertpapierfirmen und Kreditinstitute in ihrem jeweiligen Herkunftsland gesetzeskonform zugelassen10 und überdies wie von den zuständigen Behörden kontrolliert werden. Diejenigen Leistungen,

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8 9

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Die Liste mit weiterführenden Links zu den jeweiligen Behörden findet sich unter https://www.esma.europa.eu/about-esma/governance/board-supervisors-and-ncas (abgefragt am 26.02.2018). § 13 Abs. 1 AVG. Abrufbar unter https://www.fma.gv.at/finanzdienstleister/wertpapierdienstleister/ incoming-plattform/(abgefragt am 26.02.2018). § 3 Abs. 12 WAG 2018.

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Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

welche auch in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden sollen, müssen von der Genehmigung im Herkunftsland umfasst sein. Ein Ansuchen auf Notifikation ist immer bei der zuständigen Behörde11 des Herkunftsmitgliedstaates einzubringen. Auch Änderungen und Ergänzungen erfolgen immer über den Herkunftsmitgliedstaat. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaates hat den Antrag an die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaates weiterzuleiten (zumeist innerhalb einer Frist von einem Monat). Etwaige Kommunikation erfolgt über denselben Weg.

2.1.1.2

Umfasste Tätigkeiten

Folgende Tätigkeiten dürfen gemäß § 17 Abs. 1 WAG 2018 i.V.m. § 9 Abs. 1 BWG von den oben definierten Wertpapierfirmen und Kreditinstituten erbracht werden, sofern diese Dienstleistungen und Tätigkeiten durch ihre Zulassung im Herkunftsland gedeckt sind: • Erbringung von Wertpapierdienstleistungen, • Ausübung von Anlagetätigkeiten, • Nebendienstleistungen gemäß Anhang I Abschnitt B der MiFID II, • Dienstleistungen gemäß Anhang I der Richtlinie 2013/36/EU (betrifft Kreditinstitute).12 Diese Dienstleistungen dürfen sowohl an Unternehmer, als auch an Verbraucher erbracht werden. Bei denjenigen Dienstleistungen, welche mit Verbrauchern abgeschlossen werden, sind u.U. die Bestimmungen des Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz (FernFinG) anzuwenden. Ein Fernabsatzvertrag wird gemäß § 3 Z. 1 FernFinG durch folgende Tatbestandsmerkmale gekennzeichnet: • Verbraucher und Unternehmen sind bei Vertragsverhandlungen und -abschluss nicht gleichzeitig körperlich anwesend und • der Vertrag wird durch ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem des Unternehmers abgeschlossen (darunter fallen u.a. Briefe, Mails, Internet, Telefon, Fax).13

11 12 13

Vgl. dazu Abschnitt 1. § 9 Abs. 6 BWG. Vgl Meister, Chancen und Risiken von Banking-Apps, ÖBA 2013, 584.

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Livia Graf/Thomas Seeber

Bei Anwendbarkeit der Bestimmungen aus dem FernFinG treffen das Unternehmen erhöhte Informationspflichten betreffend Finanzdienstleistungen, den Fernabsatzvertrag als auch für die Rechtsbehelfe. Zudem räumt das Gesetz dem Verbraucher eine gesonderte Rücktrittsfrist von 14 (bzw 30) Tagen ein.14 Diese Regelungen sind somit auch für ausländische Kreditinstitute verpflichtend.

2.1.1.3

Verfahrensablauf

Um in Österreich eine der oben genannten Tätigkeiten im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit ausüben zu dürfen, muss dies bei der FMA als zuständiger Behörde angemeldet werden.15 Die zuständige Behörde des Herkunftsstaates ist zur Prüfung verpflichtet, ob alle Parameter übereinstimmen und leitet den Antrag nach positiver Prüfung – innerhalb einer Frist von einem Monat – an den Aufnahmemitgliedstaat (in diesem Fall an die FMA) weiter. Der FMA müssen folgende Angaben schriftlich dargelegt werden: • Information über den Mitgliedstaat bzw die Mitgliedstaaten, in welchem/n die Tätigkeit ausgeübt werden soll. • Zudem muss ein Geschäftsplan eingereicht werden, aus welchem eine genaue Beschreibung der genauen Tätigkeiten im Aufnahmestaat hervorgeht. Erwähnt werden muss auch, ob sich das Unternehmen vertraglich gebundener Vermittler aus Österreich bedienen wird. Wenn dies der Fall ist, müssen von diesen auch die Namen bekannt gegeben werden.16 Die FMA muss der zuständigen Behörde des Herkunftsstaats das Einlangen der Unterlagen bestätigen. Die Mitteilung, dass die Angaben an die FMA übermittelt wurden, ergeht von der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates an das antragsstellende Unternehmen. Ab dem Zeitpunkt des Einlangens der Informationen bei der FMA dürfen die Dienstleistungen in Österreich erbracht werden.17 Die FMA hat zudem die Pflicht, ab dem Zeitpunkt des Einlangens der Angaben diese auf ihrer Homepage zu veröffentlichen.18 Änderungen in Bezug auf die übermittelten Angaben dürfen ab Einlangen bei der FMA eingebracht werden.19

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§ 8 FernFinG. § 9 Abs. 6 BWG, § 17 Abs. 1 WAG 2018. Im Fall der Heranziehung von vertraglich gebundenen Vermittlern sind die Regelungen und Bestimmungen der Niederlassungsfreiheit (vgl. Abschnitt 2.2) anzuwenden. § 17 Abs. 3 WAG 2018. § 17 Abs. 2 WAG 2018. § 18 Abs. 3 WAG 2018.

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Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

Möchte z.B. ein in Deutschland zugelassenes Kreditinstitut seine Dienstleistungen in Österreich unter Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit erbringen, muss dieses Vorhaben der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) – als zuständiger Behörde des Herkunftsstaates – gemeldet werden. Die Bafin stellt dafür online auf deren Homepage ein Formblatt zur Verfügung.20 Zusätzlich dazu muss ein Übersendungsschreiben vom Kreditinstitut verfasst werden, in welchem das Vorhaben, die Eingliederung in die bestehende Struktur und das geschätzte Volumen dargelegt wird. Wenn es sich um einen Antrag in einem deutschsprachigen Aufnahmemitgliedstaat handelt, kann dieses Schreiben auf Deutsch verfasst sein, ansonsten auf Englisch. Die Bafin prüft, ob die Dokumente vollständig und schlüssig sind und leitet diese – nach positiver Prüfung – an die zuständige Behörde des Aufnahmestaates (somit z.B. in Österreich an die FMA) weiter. Wenn eine Wertpapierfirma aus einem Mitgliedstaat in Österreich aktiv wird, unterliegt diese Tätigkeit insbesondere auch den folgenden Regelungen:21 • §§ 47 bis 67, 69, 70 WAG 2018: Diese umfassen die Regelungen zur Verpflichtung der Wertpapierfirma zum Handeln im besten Interesse des Kunden, der Eignungs- und Angemessenheitsprüfung, Berichtspflichten, bestmögliche Umsetzung von Kundenaufträgen und die Einschränkungen bezüglich unerbetener Nachrichten und Haustürgeschäften; • Art. 36, 44 bis 70 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565:22 Finanzanalysen und Marketingmitteilungen, Information von Kunden und von potenziellen Kunden, Anlageberatung, Eignungs- und Angemessenheitsprüfung, Berichtspflichten gegenüber den Kunden, bestmögliche Ausführung, Bearbeitung von Kundenaufträgen; • Art. 14 bis 26 der Verordnung (EU) 600/2014:23 Ausführung von Kundenaufträgen, Pflichten der zuständigen Behörden, Zugang zu Kursofferten, Überwachung durch die ESMA, Veröffentlichungen von Wertpapierfirmen, Bereitstellung von Informationen, Handelspflichten für Wertpapierfirmen;

20

21 22

23

Siehe https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/BankenFinanzdienstleister/Zulassung/EU-EWRKreditinstitute/eu-ewr-kreditinstitute_node.html (abgefragt am 26.02.2018). § 17 Abs. 4 WAG 2018. VO (EU) 2017/565 der Kommission vom 25.04.2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABl L 2017/87, 1. Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl L 2014/173, 84.

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• §§ 34 bis 38 BWG: Verbrauchergirokonten, Preisaushänge, Geschäftsbeziehungen zu Jugendlichen, Wertstellung, Einlagensicherung, Bankgeheimnis; • § 52 Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (ESAEG): Informationen für den Anleger; • sowie aufgrund der oben genannten Bestimmungen erlassene Verordnungen und/oder Bescheide. Handelt es sich um ein Kreditinstitut, welches im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs in Österreich tätig wird, unterliegt dieses zusätzlich folgenden Vorschriften:24 • §§ 31 bis 39a, 39e, 66 bis 68, 93 Abs. 1, 94, 95 Abs. 3 und 4 BWG: Spareinlagen, Verbraucherbestimmungen, Bankgeheimnis, Eigenkapitalausstattung, Beschwerdeabwicklung, Deckungsstock, Einlagensicherung, Bezeichnungsschutz, Werkssparkassen; • §§ 4, 26 bis 48 Zahlungsdienstegesetz (ZaDiG): Zugang zu Zahlungssystemen, Vorschriften bzw. Zahlungsdiensten.

2.1.2

2.1.2.1

Erbringung von Dienstleistungen einer Wertpapierfirma/eines Kreditinstitutes aus Österreich in anderen Mitgliedstaaten Allgemein

Möchte eine Wertpapierfirma (gemäß § 3 WAG 2018),25 welche in Österreich ansässig ist, in einem anderen Mitgliedstaat oder mehreren anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs tätig werden, ist dies gemäß § 18 Abs. 1 WAG 2018 der FMA vorab zu melden. Handelt es sich nicht um eine Wertpapierfirma gemäß § 3 WAG 2018, sondern um ein Kreditinstitut gemäß BWG ist die Erbringung einer Wertpapierdienstleistung und Anlagetätigkeit ebenso bei der FMA anzumelden. Die Regelungen dazu finden sich jedoch in §§ 9 bis 15 BWG. Ein Kreditinstitut, welches in einem Mitgliedstaat erstmals eine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben möchte, hat der FMA diejenigen Tätigkeiten anzuzeigen, die es in diesem Mitgliedstaat ausüben möchte.26 Die FMA hat die Anzeige

24 25

26

102

§ 9 Abs. 8 BWG. Achtung: Hier wird lediglich auf Wertpapierfirmen gemäß § 3 WAG 2018 abgestellt. Dies bedeutet, dass insbesondere Kreditinstitute, welche gemäß BWG gegründet wurden und gemäß § 1 Abs. 3 BWG Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten durchführen, nicht unter den Begriff Wertpapierfirma fallen. § 10 Abs. 6 BWG.

MiFID-II.book Seite 103 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

binnen einer Frist von einem Monat an die zuständige Behörde des Aufnahmestaates zu übermitteln.27

2.1.2.2

Verfahrensablauf

Das Verfahren vor der FMA ist jedoch fast identisch im WAG und im BWG geregelt. Der FMA müssen folgende Informationen bekanntgegeben werden:28 • Anführung des Mitgliedstaates bzw der Mitgliedstaaten, in welchem/n die Tätigkeit ausgeübt werden sollen. • Es muss ein Geschäftsplan eingereicht werden, aus welchem eine genaue Beschreibung der Tätigkeiten im Aufnahmestaat entnommen werden kann. Jedenfalls sollten die Zielgruppen, die Märkte, die angebotenen Finanzinstrumente und Produkte, sowie allfällige Kooperationspartner erwähnt werden. Zudem müssen die für das Unternehmen im EWR-Ausland tätigen Personen bekannt gegeben werden, wie auch eine Angabe des konkreten Dienstleistungs- und Abwicklungsablaufes und die Einbindung des österreichischen Unternehmens in die Abläufe und in das interne Kontrollverfahren betreffend der Erbringung der grenzüberschreitenden Dienstleistungen. • Erwähnt werden muss auch, ob sich das Unternehmen vertraglich gebundener Vermittler, welche in Österreich niedergelassen sind, bedienen wird. Wenn dies der Fall ist, müssen deren Namen bekannt gegeben werden.29 • Zudem muss noch eine Ansprechperson in Angelegenheiten der Dienstleistungsfreiheit angeführt werden. • Zusätzlich hat die FMA der zuständigen Behörde des Aufnahmestaates noch genaue Angaben über das anerkannte Anlegerentschädigungssystem zu erteilen, welchem die Wertpapierfirma angeschlossen ist.30 • Möchte die Wertpapierfirma ein MTF oder ein OTF in einem anderen Mitgliedstaat betreiben, ist dies explizit in der Information an die FMA anzugeben. Die FMA hat zudem die Pflicht, auf Ersuchen der zuständigen Behörde des Aufnahmestaates unverzüglich die Namen der Fernmitglieder oder -teilnehmer des im Herkunftsmitgliedstaat niedergelassenem OTF oder MTF zu übermitteln.31

27 28

29 30 31

§ 10 Abs. 7 BWG. Für Wertpapierfirmen gibt es diesbezüglich auf der Homepage der FMA einen Fragebogen, welcher als Vorlage dient. Abrufbar unter https://www.fma.gv.at/finanzdienstleister/ wertpapierdienstleister/notifikation/(abgefragt am 26.02.2018). §§ 18 Abs. 1 Z. 2 und 19 Abs. 4 WAG 2018. Gemäß § 93 Abs. 3 BWG dürfen diese Daten ausgetauscht werden. § 18 Abs. 5 WAG 2018.

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MiFID-II.book Seite 104 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Livia Graf/Thomas Seeber

Die Aufgabe der FMA ist die Überprüfung der Kriterien und die Weiterleitung der oben genannten Angaben an die zuständige Behörde im Aufnahmestaat bzw. in den Aufnahmestaaten. Die Weiterleitung muss innerhalb einer Frist von einem Monat ab Erhalt der Angaben stattfinden.32 Sobald die Angaben weitergeleitet wurden, erhält das Kreditinstitut bzw. die Wertpapierfirma ein Bestätigungsschreiben der FMA. Ab diesem Zeitpunkt darf die Wertpapierfirma bzw. das Kreditinstitut die angezeigten Dienstleistungen im Aufnahmestaat erbringen. Die Anzeige ist nur in einfacher Ausfertigung einzubringen, auch wenn die Dienstleistung in mehreren Mitgliedstaaten erbracht werden soll. Die Vervielfältigung erfolgt durch die FMA. Sollte die Amtssprache des Mitgliedstaates nicht Deutsch sein, sind die Angaben zusätzlich auch auf Englisch zu übermitteln.33

2.2 Niederlassungsfreiheit 2.2.1 2.2.1.1

Errichtung einer Zweigstelle in Österreich Allgemein

Neben der Möglichkeit, eine (Wertpapier-)Dienstleistung im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs auszuüben, können Wertpapierfirmen und Kreditinstitute auch Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten errichten. Diese Regelungen basieren auf der Niederlassungsfreiheit. Zweigniederlassungen werden gemäß MiFID II als eine Betriebsstelle definiert, welche nicht die Hauptverwaltung darstellt und auch einen rechtlich unselbständigen Teil einer Wertpapierfirma bildet. Gemäß Art. 4 Abs. 17 der Verordnung (EU) 575/2013,34 welche die Regelungen für Kreditinstitute umfasst, wird als eine Zweigstelle eine Betriebsstelle definiert, die einen rechtlich unselbständigen Teil eines Instituts bildet und sämtliche Geschäfte oder einen Teil der Geschäfte, die mit der Tätigkeit eines Instituts verbunden sind, unmittelbar betreibt. Alle Geschäftsstellen einer Wertpapierfirma mit Hauptverwaltung in einem anderen Mitgliedstaat, die sich in ein und demselben Mitgliedstaat befinden, gelten als eine einzige

32 33

34

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§ 18 Abs. 2 WAG 2018. Vgl. FMA Homepage, DL Merkblatt, https://www.fma.gv.at/banken/konzessionierung/ oesterreichische-kreditinstitute-im-ewr-dienst-und-niederlassungsfreiheit/(abgefragt am 26.02.2018). Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABl. L 2013/176, 1.

MiFID-II.book Seite 105 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

Zweigniederlassung.35 Es muss daher nur das erstmalige Tätigwerden in einem anderen Mitgliedstaat beantragt werden.36

2.2.1.2

Vertraglich gebundene Vermittler

Die Regelungen bezüglich der Errichtung von Zweigniederlassungen umfassen zusätzlich auch jene zur Heranziehung von vertraglich gebundenen Vermittlern, welche in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind.37 Unter diesen Begriff fallen sowohl natürliche, als auch juristische Personen, welche als Erfüllungsgehilfen38 oder sonst unter vollständiger und unbedingter Haftung einer Wertpapierfirma bzw eines Kreditinstituts Leistungen erbringen. Der Katalog der Leistungen, welche ein solcher erbringen darf, ist abschließend im WAG 201839 geregelt und umfasst: • die Förderung des Dienstleistungsgeschäfts, • die Akquisition neuer Geschäfte, • die Annahme von Kundenaufträgen, • die Übermittlung dieser Aufträge, • das Platzieren von Finanzinstrumenten, • die Anlageberatung hinsichtlich Finanzinstrumente und Dienstleistung. Da all diese Leistungen nur für den Haftungsträger erbracht werden dürfen (und natürlich nur im Umfang von dessen Eigenberechtigung), ist ein vertraglich gebundener Vermittler selbst kein/e Wertpapierfirma/Kreditinstitut.40 Ein vertraglich gebundener Vermittler ist ein Exklusivvermittler, sodass dieser zum gleichen Zeitpunkt nur für jeweils eine einzige Wertpapierfirma oder ein Kreditinstitut tätig werden darf. Für die Anmeldung eines vertraglich gebundenen Vermittlers ist der Haftungsträger, somit die Wertpapierfirma/das Kreditinstitut, zuständig. Dieser muss den Antrag bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates einbringen. Wenn der Haftungsträger bereits in dem Aufnahmeland eine Niederlassung hat, ist der vertraglich gebundene Ver-

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§ 1 Z. 46 WAG 2018. Art. 39 der Richtlinie 2013/36/EU; vgl. die österreichische Umsetzung des Anzeigeverfahrens in §§ 9 ff BWG. §§ 19 f. WAG 2018. § 36 Abs. 2 WAG 2018 führt explizit § 1313a ABGB (Erfüllungsgehilfe) als Haftungsgrundlage an. § 36 Abs. 1 WAG 2018. § 1 Z. 44 WAG 2018.

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MiFID-II.book Seite 106 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Livia Graf/Thomas Seeber

mittler lediglich in ein Register einzutragen (in Österreich wird dieses öffentliche Register wiederum bei der FMA geführt41).

2.2.1.3

Notwendige Angaben zur Zulassung in Österreich

Der FMA müssen folgende Informationen vor der Errichtung einer Zweigniederlassung bzw. vor dem Tätigwerden eines vertraglich gebundenen Vermittlers vorgelegt werden: • Angabe der Mitgliedstaaten, in welchen die Zweigniederlassung bzw. der vertraglich gebundene Vermittler tätig werden soll; • Geschäftsplan, aus welchem hervorgeht, welche Dienstleistungen konkret erbracht werden sollen; • Organisationsstruktur der Zweigstelle samt Erläuterung und Angabe, ob beabsichtigt wird, dass die Zweigstelle vertraglich gebundene Vermittler beschäftigt; • Anschrift in Österreich; • Bekanntgabe der Namen der verantwortlichen Geschäftsführer (auch bei Zweigstellen von Kreditinstituten ist davon auszugehen, dass das Vier-Augen-Prinzip anzuwenden ist42) in Österreich oder der vertraglich gebundenen Vermittler. Ab dem Zeitpunkt des Einlangens einer Mitteilung samt den oben erwähnten Angaben bei der FMA oder bei Nichtäußerung der FMA spätestens zwei Monate nach Weiterleitung der Mitteilung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaates darf die Zweigniederlassung bzw. der vertraglich gebundene Vermittler die Tätigkeit aufnehmen.43 Änderungen in Bezug auf die angeführten notwendigen Informationen müssen mindestens einen Monat vor deren Umsetzung bei der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates angezeigt werden; diese hat die Verpflichtung, diese Information an die FMA weiterzuleiten. Auch im Falle einer Änderung gilt, dass diese erst nach Eingang der Mitteilung der FMA oder – bei Nichtäußerung – zwei Monate nach Weiterleitung an die FMA durchgeführt werden darf. Gemäß WAG 2018 ist es nicht mehr erforderlich, dass Zweigstellen, welche aufgrund der Niederlassungsfreiheit gegründet wurden, sich durch Abschlussprüfer über

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§ 36 Abs. 6 WAG 2018. Vgl 2. Bankenrechtskoordinierungsrichtlinie, 2. Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG, ABl. L 1989/386, 1. § 19 Abs. 3 WAG 2018.

MiFID-II.book Seite 107 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

die Beachtung diverser Vorschriften prüfen lassen – dies ist nur mehr bei Drittlandfirmen und bei Kreditinstituten gemäß BWG44 erforderlich. Wenn ein ausländischer Rechtsträger in Österreich eine Zweigniederlassung gründet, ist diese ebenfalls ins österreichische Firmenbuch einzutragen.45 Wertpapierfirmen und Kreditinstitute, welche eine Zweigstelle eröffnen oder mittels eines vertraglich gebundenen Vermittlers in Österreich tätig werden, unterliegen den selben innerstaatlichen Gesetzesbestimmungen, welche auch für Wertpapierfirmen und Kreditinstitute gelten, die im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit handeln.46 Die FMA hat das Recht, die Einhaltung der Voraussetzungen der oben genannten Gesetzesbestimmungen zu überprüfen und auch Änderungen zu verlangen, falls diese im Zusammenhang mit der Überprüfung notwendig sind. Auch die zuständige Behörde des Herkunftsstaates darf in Wahrnehmung ihrer Pflichten vor Ort in Österreich Ermittlungen in dieser Zweigstelle durchführen. Eine solche Ermittlung muss der FMA zuvor jedoch gemeldet werden.47 Zusätzlich zu beachten ist, dass die Bestimmungen des Finanzmarkt-Geldwäschegesetzes (FM-GwG) auch für Kreditinstitute48 und Wertpapierfirmen49 anwendbar sind, welche in Österreich über eine Zweigstelle tätig werden. Grundlage dieses Gesetzes ist die Richtlinie 2015/849/EU50 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und umfasst umfangreiche interne Informations- und Prüfpflichten.

2.2.2

Errichtung einer Zweigstelle in einem Mitgliedstaat

Eine Wertpapierfirma mit Sitz und Hauptverwaltung51 in Österreich kann durch eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat agieren bzw durch einen vertraglich

44 45 46 47 48 49 50

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§ 44 Abs. 4 BWG. § 12 UGB. Vgl. dazu Abschnitt 2.1.1.3. § 19 Abs. 7 WAG 2018. § 2 Z. 1 FM-GwG. § 2 Z. 2 Buchst. h FM-GwG. Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl. L 2015/141, 73. § 3 Abs. 1 WAG 2018.

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gebundenen Vermittler in einem anderen Mitgliedstaat handeln. Dies ist wiederum nur nach vorheriger Meldung an die FMA als zuständige Behörde des Herkunftsstaates möglich. Diese Meldung an die FMA muss folgende Angaben enthalten: • Angabe des Mitgliedstaates bzw. der Mitgliedstaaten, in welchem/n die Zweigniederlassung bzw. der vertraglich gebundene Vermittler tätig werden soll; • detaillierter Geschäftsplan, in welchem der Antragssteller auf folgende Fragen bzw. Punkte eingehen muss:52 • Welchen Beitrag leistet die Zweigstelle zur Unternehmensstrategie? Was sind die wichtigsten Funktionen der Zweigstelle? • Beschreibung der Kunden/Gegenparteien der Zweigstelle, sowie Einzelheiten im Bereich Kundenakquisition und kundenspezifische Abläufe. • Wie ist die Zweigstelle in die Organisationsstruktur eingebunden? (Anlage eines Organigramms über die Aufbauorganisation der gesamten Unternehmensgruppe). • Wie sind die funktionalen Berichtslinien und die Meldepflichten der Zweigstelle? • Informationen über die zuständigen Mitarbeiter (Tagesgeschäft der Zweigstelle, Compliance-Officer, Beschwerdemanagement). • Wie wird das Berichtswesen der Zweigstelle erfolgen? • Welche (ggf. operativen) Unternehmensbereiche werden ausgelagert? • Darstellung der Vorkehrungs- und Kontrollmaßnahmen in Bezug auf Art. 35 Abs. 8 und Art. 16 Abs. 11 MiFID II, Regelungen von Mitarbeitergeschäften, Geldwäschebestimmungen, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen in Bezug auf ausgelagerte Unternehmensbereiche. • Durch welchen Abschlussprüfer wird die Zweigstelle geprüft? • Planungsrechnung samt Cashflow-Rechnung für die kommenden zwölf Monate; • Information, ob beabsichtigt wird, dass die Zweigstelle vertraglich gebundene Vermittler beschäftigt. Wenn dies zutrifft, müssen diese namentlich bekannt gemacht werden sowie auch deren Eingliederung in die Organisationsstruktur bekanntgegeben werden; • Anschrift im Aufnahmemitgliedstaat;

52

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Vgl. Fragebogen der FMA, https://www.fma.gv.at/finanzdienstleister/ wertpapierdienstleister/notifikation/(abgefragt am 26.02.2018).

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Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

• Lichtbildausweis und Lebenslauf der verantwortlichen Geschäftsführer der Zweigniederlassung; • Zusätzlich hat die FMA der zuständigen Behörde des Aufnahmestaates noch genaue Angaben über das anerkannte Anlegerentschädigungssystem zu erteilen, welchem die Wertpapierfirma angeschlossen ist. Wenn der Antrag an Mitgliedstaaten ergehen soll, in welchen die Amtssprache Deutsch ist, sind die Informationen in Deutsch an die FMA zu übermitteln. Wenn in den Aufnahmestaaten jedoch die Amtssprache nicht Deutsch ist, hat die Bekanntgabe der oben erwähnten Informationen in englischer Sprache zu erfolgen. Wenn der FMA keine Gründe vorliegen, die geplanten Tätigkeiten aufgrund der Angemessenheit der Verwaltungsstrukturen oder der Finanzlage der Wertpapierfirma anzuzweifeln, muss die FMA die Informationen an die zuständige Behörde des Aufnahmestaates innerhalb von drei Monaten übermitteln.53 Zusätzlich muss die FMA das anerkannte Anlegerentschädigungssystem bekannt geben.54 Unter angemessene Verwaltungsstrukturen und angemessene Finanzlage fallen u.a. folgende Themen: • Wie ist die Zweigniederlassung in das Interne Kontrollsystem (IKS) der Wertpapierfirma/des Kreditinstituts eingebunden? • Grobe Schätzungen über die angestrebten Umsätze der Zweigstelle samt Umfang der Betriebskosten. • Welche Geschäfte sollen über die Zweigstelle abgewickelt werden? Wird angedacht, Dienstleistungen auch über die Dienstleistungsfreiheit in dem anderen Mitgliedstaat zu erbringen? Hintergrund hiervon ist, dass sich ein Unternehmen nicht pro Vertrag/ Kunde immer die für ihn günstigere Regelung aussuchen soll. Das zeitgleiche Tätigwerden über die Niederlassungs- als auch über die Dienstleistungsfreiheit ist jedoch zulässig.55 Wenn die FMA der Meinung ist, dass die Zweigstelle keine angemessene Verwaltungsstrukturen und/oder keine angemessene Finanzlage vorweist, kann die FMA gemäß § 13 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) einen Verbesserungsauftrag

53 54 55

§ 20 Abs. 3 WAG 2018. § 20 Abs. 4 WAG 2018. Vgl Janovsky, Das Anzeigeverfahren zur Errichtung einer Zweigstelle eines EWR-Kreditinstitutes aus österreichischer Sicht, in: ZFR 2008, 124 (125).

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erteilen. Wird dieser rechtzeitig von der Wertpapierfirma erfüllt, gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht und die Frist verlängert sich nicht. Die Information der Übermittlung der Angaben von der FMA an die zuständige Behörde im Aufnahmestaat ergeht in Bescheidform, wobei eine Begründung der FMA gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht erforderlich ist. Die Wertpapierfirma wird von der FMA zeitgleich über den Bescheid informiert.56 Verweigert die FMA die Übermittlung der Angaben, muss die FMA der Wertpapierfirma innerhalb von drei Monaten nach Eingang sämtlicher Angaben die Gründe dafür mitteilen.57 Zusätzlich ist insbesondere zu beachten, dass die Bestimmungen der jeweiligen nationalen Umsetzung der Richtlinie 2015/849/EU zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung auch für österreichische Kreditinstitute und Wertpapierfirmen anwendbar sind, wenn diese durch eine Zweigstelle in einem anderem Mitgliedstaat aktiv werden.

3 Regelungen betreffend Drittlandfirmen 3.1 Regelungen gemäß §§ 21 ff. WAG 3.1.1

Allgemeines

Im Folgenden werden die Regelungen betreffend Drittlandfirmen58 überblicksmäßig besprochen. Geregelt werden diese in Art. 39 ff. MiFID II, welche in Österreich in den §§ 21 ff. WAG 2018 umgesetzt wurden. Im Gegensatz zu den unionsrechtlichen Regelungen besteht ein gesetzlicher Zwang zur Errichtung einer Zweigniederlassung, wenn folgende Tätigkeiten von Drittlandfirmen in Österreich und/oder einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt werden sollen: • Erbringung von Wertpapierdienstleistungen; • Ausübung von Anlagetätigkeiten.

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57 58

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Vgl Janovsky, Das Anzeigeverfahren zur Errichtung einer Zweigstelle eines EWR-Kreditinstituts aus österreichischer Sicht, in: ZFR 2008, 124 (127). § 20 Abs. 5 WAG 2018. Somit jene Unternehmen, welche als Wertpapierfirma bzw. Kreditinstitut gelten würden, wenn sie ihre Hauptverwaltung oder ihren Sitz in der Union hätten (§ 1 Z. 42 WAG 2018).

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Grenzüberschreitende Sachverhalte in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten

Erbracht werden dürfen die eben genannten Tätigkeiten für Privatkunden oder professionelle Anleger i.S.v. Anhang II der MiFID II (darunter fallen u.a. Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds und Großunternehmen).59 Zusätzlich ist eine Zulassung der FMA (als definierte zuständige Behörde auch für Zulassungsverfahren von Drittlandfirmen) notwendig, um überhaupt eine Zweigniederlassung in Österreich gründen zu dürfen.

3.1.2

Voraussetzungen zur Zulassung der FMA

§ 21 Abs. 2 WAG 2018 definiert die Zulassungsvoraussetzungen wie folgt: • Die Erbringung der Dienstleistungen (Wertpapierdienstleistungen, Anlagetätigkeiten mit/ohne Nebentätigkeiten) unterliegt im Drittland, in welchem das Unternehmen seinen Sitz hat, einer Zulassung und einer Aufsicht. Das Unternehmen muss ordnungsgemäß zugelassen sein, wobei als Mindestmaß die Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung herangezogen werden. • Zwischen der FMA und der zuständigen Aufsichtsbehörde des Drittlandes, in welchem das Unternehmen seinen Sitz hat, bestehen Kooperationsvereinbarungen, durch welche die Integrität des Marktes und der Anlegerschutz gewahrt werden. • Der zu gründenden Zweigstelle wird ein ausreichendes Anfangskapital zur Verfügung gestellt. • Ein oder zwei Leitungsorgane (Art. 9 Abs. 1 MiFID II) müssen für die Zweigstelle ernannt werden.60 • Ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Österreich und dem Drittstaat muss gegeben sein, welches vollständig dem Art. 26 des Musterabkommens zur Vermeidung von Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) entspricht. Der Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten muss zusätzlich gewährleistet werden sowie ggf. auch die multilateralen Steuervereinbarungen. • Das Unternehmen gehört einem System der Anlegerentschädigung an, welches im Einklang mit der Richtlinie 97/9/EG61 zugelassen bzw. anerkannt ist.

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60 61

Darunter fallen Unternehmen, welche zwei der drei nachfolgend genannten Anforderungen erfüllen: Bilanzsumme > 20 Mio. EUR; Nettoumsatz > 40 Mio. EUR; Eigenmittel > 2 Mio. EUR. Zu beachten ist auch hier das Vier-Augen-Prinzip wie in Abschnitt 2.2.1.3 erwähnt. Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 03.03.1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger, ABl. L 1997/84, 22.

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Die Drittlandfirma hat den Antrag selbst – in Unterschied zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit – bei der FMA einzubringen, wenn beabsichtigt wird, die Zweigniederlassung in Österreich zu gründen. In einem Zulassungsantrag an die FMA müssen folgende Daten bekannt gegeben werden:62 • Namen der zuständigen Behörde im Drittland (samt Zuständigkeiten, falls es mehrere zuständige Behörden gibt); • Firmenangaben (Name, Rechtsform, Firmensitz, Adresse, Mitglieder des Leitungsorgans, relevante Gesellschafter), Geschäftsplan, organisatorische Struktur der Zweigstelle, Beschreibung jeglicher Auslagerung wichtiger betrieblicher Aufgaben an Dritte; • die Namen, der für die Leitung der Zweigstelle verantwortlichen Personen und die entsprechenden Unterlagen; • Angabe des Anfangskapitals, das der Zweigstelle zur Verfügung gestellt wird.

3.1.3

Zulassungsverfahren

Nur wenn die unter Abschnitt 3.1.2 genannten Informationen von der Drittlandfirma vorgebracht wurden, darf die FMA eine Zulassung erteilen. Eine weitere Voraussetzung ist der Nachweis, dass die Zweigstelle der Drittlandfirma in der Lage ist, die folgenden gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten: • §§ 29 bis 34, 38 bis 64, 65 Abs. 1 und 68 WAG 2018: Allgemeine organisatorische Anforderungen, Produktüberwachungspflichten, Risikomanagement und Interne Revision, Verpflichtung zur Führung von Aufzeichnungen, Auslagerung von wesentlichen Aufgaben an Dienstleister, Schutz des Kundenvermögens, Interessenkonflikte, Verpflichtung zum Handeln im besten Interesse des Kunden, Eignungs- und Angemessenheitsprüfung, Berichtspflichten, bestmögliche Durchführung von Dienstleistungen, geeignete Gegenparteien; • §§ 75 und 77 bis 81 BörseG: Handel und Abschluss von Geschäften über MTF und OTF samt Überwachung; • Art. 3, 21 bis 77 und 80 bis 82 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565: Bedingungen für die Bereitstellung von Informationen, Organisatorische Anforderungen; • Art. 3 bis 26 der Verordnung (EU) 600/2014: Transparenz für (Nicht-)Eigenkapitalinstrumente, Verpflichtung Handelsdaten gesondert und zu angemessenen kaufmän-

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§ 22 WAG 2018.

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nischen Bedingungen anzubieten, Transparenzbestimmungen für OTF, Meldung von Geschäften; • sowie den in Einklang damit erlassenen Maßnahmen. Ein zusätzliches Erfordernis gegenüber den Bestimmungen der EU-Mitgliedstaaten ist jenes der Prüfpflicht der Einhaltungsmöglichkeit der erwähnten rechtlichen Bestimmungen durch einen Abschlussprüfer. Über das Ergebnis ist vom Abschlussprüfer ein Prüfbericht samt Erläuterungen in Deutsch zu erstellen; dieser muss der FMA innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss eines jeden Geschäftsjahres übermittelt werden. Zudem steht der FMA im Gegensatz zu den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ein längerer Prüfungszeitraum zur Verfügung – innerhalb von sechs Monaten ab Einreichung eines vollständigen Antrages muss die FMA mitteilen, ob eine Zulassung erteilt wurde.63 Wertpapierdienstleistungen bzw. Anlagetätigkeiten von Drittlandfirmen unterliegen nicht dem Zulassungsverfahren des WAG 2018, wenn diese ausschließlich in Eigeninitiative der folgenden Kundengruppen erfolgen (passive Dienstleistung):64 • in Österreich ansässige oder niedergelassene Kleinanleger; oder • professionelle Kunden i.S.v. Anhang II Abschnitt 2 der MiFID II: darunter fallen u.a. Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds und Großunternehmen.65 Mitumfasst von dieser Ausnahme sind alle Tätigkeiten in Bezug auf die Durchführung der durch die Eigeninitiative angefragten Dienstleistung bzw. Anlageberatung. Die Wertpapierfirma ist jedoch nicht berechtigt, im Zuge dessen weiter Produkte oder Dienstleistungen diesem Kunden zu vermarkten.66 Eine erteilte Zulassung kann von der FMA wieder entzogen werden, wenn die Drittlandfirma einen der folgenden Tatbestände erfüllt:67 • Die Drittlandfirma hat innerhalb von zwölf Monaten ab Zulassung nicht davon Gebrauch gemacht, ausdrücklich darauf verzichtet oder in den letzten sechs Monaten keine Wertpapierdienstleistung bzw. Anlagetätigkeit erbracht.

63 64 65

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§ 23 Abs. 1 WAG 2018. § 24 WAG 2018. Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 03.03.1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger, ABl L 1997/84, 22. § 24 letzter Satz WAG 2018; vgl auch Sindelar, Quo vadis MiFID II – Welche Neuerungen und Herausforderungen bringt die neue Finanzmarktrichtlinie? ÖBA 2014, 478. § 25 WAG 2018.

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• Die Drittlandfirma hat die Zulassung aufgrund falscher Angaben oder auf sonstige rechtswidrige Weise erhalten. • Die Voraussetzungen, auf welchen die Zulassung beruht, werden nicht mehr erfüllt. • Die Drittlandfirma verstößt schwerwiegend und systematisch gegen die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder der MiFID II. • Dasselbe gilt für Verletzung von sonstigen Bestimmungen, welche den Entzug der Zulassung vorsehen.

3.2 Regelungen gemäß BWG Möchte eine Drittlandfirma eine Dienstleistung aus dem Bankenkatalog gemäß § 1 Abs. 1 BWG erbringen, wonach ebenso Wertpapierdienstleistungen und Anlageberatungen angeboten werden dürfen, so ist diesbezüglich eine Konzession erforderlich. Das ausländische Kreditinstitut muss einen Antrag auf Erteilung einer Konzession für den Betrieb einer inländischen Zweigstelle stellen; in diesem müssen folgende Informationen enthalten sein:68 • der Sitz und die Rechtsform; • die Satzung; • der Geschäftsplan, aus dem die Art der geplanten Geschäfte, der organisatorische Aufbau des Kreditinstitutes, die geplanten Strategien und Verfahren zur Überwachung, Steuerung und Begrenzung der bankgeschäftlichen und bankbetrieblichen Risiken gemäß § 39 BWG (Sorgfaltspflichten) und die Verfahren und Pläne gemäß § 39a BWG (Bewertung der Eigenkapitalausstattung) hervorgehen; des Weiteren hat der Geschäftsplan • eine Budgetrechnung und • wenn der Konzessionsantrag die Entgegennahme von Einlagen umfasst, eine Prognoserechnung über die Höhe der gedeckten Einlagen gemäß § 7 Abs. 1 Z. 5 ESAEG für die ersten drei Jahre zu enthalten; • die Identität und die Höhe des Beteiligungsbetrages der Eigentümer, die eine qualifizierte Beteiligung am Kreditinstitut halten, sowie die Angabe der Konzernstruktur, sofern diese Eigentümer einem Konzern angehören, sowie die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit dieser Eigentümer, der gesetzlichen Vertreter und der allenfalls persönlich haftenden Gesellschafter dieser Eigentümer erforderlichen Angaben;

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§ 4 Abs. 4 BWG.

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• die Namen der vorgesehenen Geschäftsleiter und deren Qualifikation zum Betrieb des Unternehmens; • die letzten drei Jahresabschlüsse des Unternehmens; • die vom ausländischen Unternehmen betriebenen Geschäfte sowie die Standorte, an denen jene betrieben werden; • die den Geschäftsleitern im Inland in Euro unbeschränkt und ohne Belastung zur freien Verfügung stehende Anfangsdotation; • die Entscheidungsbefugnisse der Leitung der Zweigstelle sowie über die Stellen der Hauptniederlassung, deren Zustimmung zu bestimmten Entscheidungen im Innenverhältnis eingeholt werden muss; • eine schriftliche Erklärung der Aufsichtsbehörde der Hauptniederlassung des Unternehmens, wonach seitens dieser gegen die Eröffnung einer Zweigstelle des Unternehmens in Österreich keine Bedenken bestehen. Wenn eine Zulassung an eine Drittlandfirma erteilt wurde, ist dies unverzüglich von der FMA an die Europäische Kommission, die European Banking Authority (EBA) und den Europäischen Bankenausschuss zu melden.69

4 Strafausmaß bei Verstößen gegen die Melde-/ Anzeigepflicht Die Strafbestimmungen bei Verstoß gegen die Vorschriften und Melde-/Anzeigepflichten bei der FMA sind gemäß §§ 94 ff. WAG 2018 wie folgt: • Zum einen begeht eine natürliche Person, welche als Verantwortliche des Rechtsträgers gegen die Anzeige-/Mitteilungspflicht und/oder gegen die Anforderungen aus den oben genannten Rechtsbestimmungen verstößt,70 eine Verwaltungsübertretung. Diese ist von der FMA mit einer Geldstrafe bis zu 5 Mio. EUR oder bis zum Zweifachen des aus dem Verstoß gezogenen Nutzens, soweit sich dieser beziffern lässt, zu bestrafen. • Zum anderen kann die FMA auch gegen die juristische Person Geldstrafen bis zu 5 Mio. EUR oder bis zu dem Zweifachen des aus dem Verstoß gezogenen Nutzens, soweit dieser beziffern lässt, oder bis zu 10% des jährlichen Gesamtumsatzes verhän-

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§ 8 BWG. § 95 Abs. 1 Z. 3 bis 7 WAG 2018.

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Livia Graf/Thomas Seeber

gen.71 Dies ist möglich, wenn natürliche Personen, die entweder alleine oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt haben und eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person aufgrund folgender Tatsachen innehaben: • die Befugnis zur Vertretung der juristischen Person; • die Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen; oder • eine Kontrollbefugnis. Die oben genannten Strafen gegen juristische Personen können auch geltend gemacht werden, wenn mangelnde Kontrolle oder Überwachung zu einer Begehung der Verwaltungsübertretung durch die für die juristische Person tätige Person geführt hat. Zusätzlich werden Verstöße gegen die Bestimmungen des WAG 2018 auch auf der Homepage der FMA samt Identität der betroffenen Personen und des zugrunde liegenden Verstoßes veröffentlicht (Prangerwirkung).72 Für Kreditinstitute gemäß BWG sind die Strafbestimmungen in §§ 96 ff. BWG geregelt. Strafbar bei Verstößen sind zum einen die jeweiligen Kreditinstitute sowie auch die Verantwortlichen des Kreditinstituts/der Zweigstelle.

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Gemäß Erkenntnis des VFGH vom 13.12.2017 ist die Verhängung hoher Strafen durch die FMA nicht verfassungswidrig, wir sehen dies jedoch nicht so. § 100 Abs. 1 WAG 2018.

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Wertpapierhandel und Handelsplätze

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung Jochen Müller/Konstantin Meljnik1

1 Einleitung 2 Handelsplattformen: Das OTF neben Börse und MTF 2.1 Das OTF in der Handelsplatzsystematik von MiFID II 2.2 Das OTF als multilaterales Handelssystem 2.3 Eigenschaften des OTF im Regelungsumfeld von MiFID II 2.3.1 Non-Equity-Plattform 2.3.2 Matched Principal Trading 2.3.3 Ausschließlichkeit von OTF und Systematischer Internalisierung 2.3.4 Kunden des OTF 2.3.5 Energiegroßhandel 2.3.6 Ausübung von Ermessen durch den OTF-Betreiber 2.4 Ausblick 3 Systematische Internalisierung 3.1 Regulatorische Einordnung 3.2 Schwerpunkte der Begriffsdefinition 3.2.1 Handel für eigene Rechnung 3.2.2 Systematische Internalisierung durch Schwellenwertüberschreitung 3.2.2.1 Grundlagen der Schwellenwertberechnung 3.2.2.2 Einzelfragen der Schwellenwertberechnung 3.2.2.3 Zeitliche Parameter 3.2.3 Systematische Internalisierung aufgrund freiwilliger Unterwerfung 3.3 Aufsichtsrechtliche Pflichten 3.3.1 Mitteilungspflicht 3.3.2 Vorhandelstransparenzpflichten 3.3.3 Pflicht zur Bereitstellung von Referenzdaten 3.4 Ausblick

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Der Beitrag gibt ausschließlich die private Auffassung der beiden Autoren wieder und stellt unter keinen Umständen eine amtliche Äußerung der Bafin dar.

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1 Einleitung Das Aufsichtsrecht für Handelsplattformen und die Systematische Internalisierung hat durch die überarbeitete Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II)2 und die neue Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR)3 eine neue Prägung erfahren. Wesentliche Neuerungen betreffen die durch die alte MiFID I4 geschaffene Marktstruktur. MiFID II ergänzt die Handelsplatzlandschaft um organisierte Handelssysteme (Organised Trading Facilities (OTF)) mit dem Ziel, unter der alten Rechtslage identifizierte Aufsichtslücken bei der Überwachung von multilateralen Handelsplattformen (Multilateral Trading Facilities (MTF)) zu schließen. Zusätzlich wird der Umfang des außerhalb von Handelsplätzen Over the Counter (OTC) stattfindenden bilateralen Handels weiter eingegrenzt, indem etwa die Reichweite des Regelungsregimes der systematischen Internalisierung von Eigenkapitalfinanzinstrumenten auch auf Nichteigenkapitalfinanzinstrumente ausgeweitet wird.5 Damit gelten seit Anwendbarkeit der neuen Regulierung zum 03.01.2018 umfangreiche Vorhandelstransparenzpflichten für Finanzdienstleistungsinstitute, die in erheblichem Maße OTC für eigene Rechnung mit Finanzinstrumenten6 handeln. Flankiert durch weitere Maßnahmen, zu denen die neu eingeführte Handelsplatzpflicht für Aktien gehört, die an einer Börse (Regulated Market) zum Handel zugelassen sind oder an einem Handelsplatz gehandelt werden,7 und für bestimmte Derivate,8 reflektiert dies die zentralen Ziele der neuen Regulierung: Liquidität soll auf Handelsplätze bzw.

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Richtlinie 2014/65/EU vom 15.05.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. 2014 Nr. L 173/349. Verordnung (EU) Nr. 600/2014 vom 15.05.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. 2014 Nr. L 173/84. Richtlinie 2004/39/EG vom 21.04.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG, ABl. 2014 Nr. L 145/1. Eigenkapitalfinanzinstrumente i.S.d. MiFID-II-Regulierung sind Aktien, Aktienzertifikate, börsengehandelte Fonds, Zertifikate und andere vergleichbare Finanzinstrumente, die an einem Handelsplatz gehandelt werden. Nichteigenkapitalfinanzinstrumente sind Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzprodukte, Emissionszertifikate und Derivate, die an einem Handelsplatz gehandelt werden. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 MiFID II bzw. Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 MiFIR sind dies die in Anhang I der MiFID II unter Abschnitt C genannten Instrumente. Vgl. Art. 23 MiFIR. Vgl. Art. 28 MiFIR und die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2417 vom 17.11.2017 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 durch technische Regulierungsstandards zur Handelspflicht für bestimmte Derivate, ABl. 2017 Nr. L 343/48.

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Systematische Internalisierer gelenkt werden, um den OTC-Handel zurückzudrängen, wie er zuvor etwa im Falle von Aktien in Dark Pools weitestgehend unreguliert stattfand. Im Visier stehen damit v.a. Broker-Crossing-Systeme, die jetzt je nach Art ihrer Ausgestaltung als multilaterale Handelsplätze oder Systematische Internalisierer erlaubnispflichtig sind.9 Dies soll verhindern, dass der OTC-Handel eine effiziente Kursfestsetzung an den Handelsplätzen gefährdet, und zu transparenten und gleichen Wettbewerbsbedingungen für alle Handelsformen beitragen.10 Der vorliegende Beitrag führt in wesentliche Neuerungen im Bereich der Handelsplatzlandschaft ein und ordnet diese in die Systematik der MiFID-II-Regulierung ein. Mit Blick auf den Verwendungszweck des vorliegenden Buches, das sich auch an den Praktiker richtet, sowie angesichts der Komplexität des behandelten Gegenstandes stellt der Beitrag die wichtigsten Aspekte in den Grundzügen dar. Darüber hinaus handelt es sich bei vielen Einzelfragen noch um Moving Targets, an deren aufsichtsrechtlicher Bewertung die European Securities and Markets Authority (ESMA) weiterhin arbeitet.11

2 Handelsplattformen: Das OTF neben Börse und MTF Mit der Umsetzung der MiFID II zum 03.01.2018 ist der MiFID-I-Formenkreis der Handelsplätze bestehend aus Börsen (Regulated Markets) und MTFs erweitert worden um eine neue, dritte Form von Handelsplätzen, die OTFs. Dies ist eine wesentliche Neuerung unter MiFID II/MiFIR in Bezug auf den Wertpapierhandel und die Marktstruktur.

2.1 Das OTF in der Handelsplatzsystematik von MiFID II Stellt man die Frage nach dem Grund für die Einführung des OTF als drittem Handelsplatz-Typus, ist ein Blick in die jüngste Vergangenheit der Börsenregulierung hilfreich. Nach Aufhebung des Börsenzwangs und der Einführung von MTF im Rahmen der MiFID I ergab sich die zunächst auch gewollte Öffnung des Handels mit Finanzinstru-

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Vgl. Erwägungsgrund 6 MiFIR. Vgl. Erwägungsgrund 18 MiFIR. Vgl. die aktuellsten Fassungen der ESMA-Auslegungshinweise zu Transparenz- und Marktstrukturthemen unter https://www.esma.europa.eu/questions-and-answers.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

menten auf anderen Handelsplattformen außerhalb der Börse, allerdings floss auch Liquidität von den geregelten Märkten in den außerbörslichen Graumarktbereich ab; Geschäfte wurden zunehmend OTC abgewickelt. Die Transparenz litt, und auch mögliche Auswirkungen auf die Systemstabilität wurden vom Gesetzgeber wahrgenommen.12 Daher wird unter MiFID II der multilaterale Handel im OTC-Bereich durch die OTFEinführung wieder einer stärkeren Regulierung unterzogen, insbesondere Broker Crossing Networks (BCN) sollen hiermit abgedeckt werden. Ein BCN zeichnet sich i.d.R. dadurch aus, dass Kauf- und Verkaufsaufträge – meist elektronisch – ausgeführt werden, ohne die Orders an eine Börse oder ein MTF weiterzuleiten; Käufer und Verkäufer großer Pakete von Finanzinstrumenten nutzen die Anonymität dieser BCN, um ohne Vorund Nachhandelstransparenz ihre Interessen außerhalb einer Börse zusammenzubringen. Das gesetzgeberische Ziel der Einführung des OTF ist die Steigerung von Transparenz und Effizienz der verschiedenen multilateralen Handelsplätze auf den Finanzmärkten der Europäischen Union (EU) in Bezug auf gleiche Wettbewerbsbedingungen. MiFID II und die entsprechende Delegierte Verordnung zur MiFID II13 sollen eine angemessene Regulierung und einen diskriminierungsfreien Zugang zum OTF sicherstellen. Das OTF erhielt dabei eine produktbezogene Beschränkung: Auf einem OTF dürfen nur Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzprodukte, Emissionszertifikate und Derivate gehandelt werden. OTF sind also ausgewiesen für Nichteigenkapitalfinanzinstrumente (Non-equity Financial Instruments). Aktien und andere Eigenkapitalfinanzinstrumente dürfen auf einem OTF nicht gehandelt werden und sind Börsen und MTF sowie dem Handel über Systematische Internalisierer vorbehalten. Die Aufsicht über MTF und OTF richtet sich danach, ob diese Handelsplattformen von einem Börsenbetreiber selbst betrieben werden. Die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) für die Aufsicht über MTF und OTF, die nicht von einem Börsenbetreiber selbst betrieben werden, sondern von einer Investmentfirma, ergibt sich aus § 72 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG). Einzelheiten zu OTF regeln § 75

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Vgl. Erwägungsgrund 154 f MiFID II. ITS 19, Durchführungsverordnung (EU) 2016/824 der Kommission vom 25. Mai 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf den Inhalt und das Format der Beschreibung der Funktionsweise multilateraler Handelssysteme und organisierter Handelssysteme sowie die Benachrichtigung der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde gemäß der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente.

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WpHG sowie § 74 WpHG für MTF. In Deutschland sind alle Freiverkehre als MTF eingestuft und werden entsprechend vom Börsenbetreiber des jeweiligen Regulated Market betrieben. Für MTF und OTF, die von einem Börsenbetreiber selbst betrieben werden, liegt die Aufsicht bei der jeweiligen Börsenaufsichtsbehörde des betroffenen Bundeslandes, in dem der Börsenbetreiber seinen Sitz hat. Die Zuständigkeit der Börsenaufsichtsbehörde für MTF und OTF, die von einem Börsenbetreiber betrieben werden, ergibt sich aus § 2 Abs. 6 Nr. 16 Kreditwesengesetz (KWG). Danach sind Betreiber organisierter Märkte, die neben dem Betrieb eines multilateralen Handelssystems keine anderen Finanzdienstleistungen i.S.d. § 1 Abs. 1a S. 2 KWG erbringen, keine Finanzdienstleistungsinstitute und unterfallen insofern nicht der Aufsicht der Bafin. Gemäß § 2 Abs. 1 Börsengesetz (BörsG) sind Börsen teilrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts, die nach Maßgabe des BörsG multilaterale Systeme regeln und überwachen, welche die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Wirtschaftsgütern und Rechten innerhalb des Systems nach festgelegten Bestimmungen in einer Weise zusammenbringen oder das Zusammenbringen fördern, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Handelsobjekte führt. Gemäß Art. 75 Abs. 7 WpHG kann sich die Bafin bzw. die jeweils zuständige Börsenaufsichtsbehörde vom Handelsplatzbetreiber erläutern lassen, warum der Geschäftsbetrieb als OTF organisiert ist und warum er nicht als Börse, MTF oder Systematischer Internalisierer betrieben werden kann. Insofern ergibt sich eine Subsidiarität des OTF gegenüber anderen Handelsplattformen und Systematischen Internalisierern.

2.2 Das OTF als multilaterales Handelssystem Börsen, MTF und OTF sind multilaterale Handelssysteme. Ein multilaterales System ist definiert als ein System oder Mechanismus, der die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems auf eine Weise zusammenführt, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt.14 Die Zulassung als OTF ist erforderlich, wenn ein multilaterales System zur diskretionären, d.h. von der Ermessensausübung des OTF-Betreibers geprägten Ausführung von Kundenaufträgen vorliegt. Grundsätzlich ist der Terminus „System“ technologieneutral

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§ 2 Abs. 8 Nr. 9 WpHG, Art. 4 Abs. 1 Nr. 19 MiFID II.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

bzw. technikneutral zu verstehen15 (z.B. die mündliche bzw. telefonisch Übermittlung, etwa bei einfachen Varianten von BCN).16 Ein System kann bejaht werden bei Vorliegen einer elektronischen Handelsplattform, aber auch bei der systematischen Übermittlung der Handelsabsicht eines Kunden an die anderen Kunden, und zwar unabhängig von der verwendeten Technik, inklusive nicht elektronischer Mittel.17 Insofern ergeben sich aus Art. 20 Abs. 6 MiFID II grundsätzlich zwei technische Ansätze: • OTF-Betreiber, die elektronische Handelssysteme betreiben, die Kundenaufträge nach den OTF-Maßgaben zusammenführen, und • OTF-Betreiber, die Transaktionen in Nichteigenkapitalfinanzinstrumenten systematisch arrangieren, indem sie Verhandlungen zwischen Kunden erleichtern, um zwei oder mehr übereinstimmende Handelsinteressen in einer Transaktion zusammenzuführen.18 Multilateraler Handel liegt vor, wenn die Handelsabsicht eines Kunden mit der Handelsabsicht anderer Kunden in systematischer Weise interagiert, unabhängig vom gewählten Medium. Dabei reicht die potenzielle Interaktion mit anderen entgegengesetzten Handelsinteressen aus. OTF müssen mindestens drei materiell aktive Kunden bzw. Nutzer haben, von denen jeder mit allen anderen zum Zwecke der Preisbildung interagieren kann.19 Beim OTF kann die Interaktion der Nutzerinteressen auf unterschiedliche Weise erfolgen, u.a. durch die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge (Matched Principal Trading)20 oder durch das Market Making21 innerhalb der in Art. 20 Abs. 2 und Abs. 5 MiFID II festgelegten Grenzen.22 Gemäß § 75 Abs. 7 S. 3 WpHG hat der OTF-Betreiber dabei der Bafin den Rückgriff auf die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge zu erklären. Die Bafin wiederum überwacht den Handel durch Zusammenführung sich deckender Aufträge, damit dabei keine Interessenkonflikte zwischen dem OTF-Betreiber und seinen Kunden auftreten (§ 75 Abs. 8 WpHG).

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ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#17. ESMA, Questions and Answers, topic 5.2 Organised Trading Facilities (OTF), Q&A No#7. ESMA, Questions and Answers, topic 5.2 OTF, Q&A No#6 b). ESMA, Questions and Answers, topic 5.2 OTF, Q&A No#6 und No#7. § 72 Abs. 1 Nr. 13 WpHG, Art. 18 Abs. 7 MiFID II. § 2 Abs. 29 WpHG, § 75 Abs. 2 WpHG. § 75 Abs. 5 WpHG; vgl. auch § 72 Abs. 2 S. 3 WpHG. ESMA, Questions and Answers, topic 5.2 OTF, Q&A No#6.

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2.3 Eigenschaften des OTF im Regelungsumfeld von MiFID II Die Praxis hat schon im Vorfeld der MiFID-II-Implementierung gezeigt, dass ergänzend zu den Level-I- und Level-II-Texten23 der Markt weitere Hinweise benötigt, wie in Einzelfällen oder auch grundsätzlich betrachtet die gesetzlichen Grundlagen zu verstehen sind. Daher sieht sich die ESMA in der Verantwortung, im Rahmen von Level-III-Maßnahmen Fragen zu klären. Relevant sind diesbezüglich ESMA-Leitlinien und Questions & Answers (Q&A). Leitlinien und Q&A nach Art. 16 und Art. 29 ESMA-Verordnung24 als Konvergenzinstrumente der EU-Aufsichtsbehörden werden mit dem Ziel angewendet, eine Harmonisierung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten zu erreichen und eine kohärente Aufsicht durch die verschiedenen national zuständigen Aufsichtsbehörden (National Competent Authorities (NCA)) der EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen. Im Folgenden sollen daher einige zentrale Eigenschaften eines OTF im Lichte der mittlerweile veröffentlichten ESMA-Q&A25 zu OTF erläutert werden. Diese Q&A werden je nach Bedarf in gewissen Abständen von der ESMA ergänzt und überarbeitet.

2.3.1

Non-Equity-Plattform

OTF sind gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 23 MiFID II und § 75 Abs. 2 WpHG Plattformen für den Handel mit Schuldverschreibungen, strukturierten Finanzprodukten, Emissionszertifikaten oder Derivaten (Nichteigenkapitalfinanzinstrumente). Aktien und andere Eigenkapitalinstrumente bleiben dem Handel auf Börsen, MTF oder über Systematische Internalisierer vorbehalten.

2.3.2

Matched Principal Trading

Sich deckende Kundenaufträge dürfen vom OTF-Betreiber zusammengeführt werden (Matched Principal Trading) (Art. 20 Abs. 2 MiFID II, § 75 Abs. 2 WpHG). Matched Principal Trading gemäß § 2 Abs. 29 WpHG ist das Zusammenführen sich deckender Kundenaufträge, mithin ein Geschäft, bei dem (1) zwischen Käufer und Verkäufer ein Vermittler26 zwischengeschaltet ist, der während der gesamten Ausführung des Geschäfts zu keiner Zeit einem Marktrisiko ausgesetzt ist, (2) Kauf- und Verkaufsgeschäfte gleich-

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MiFID II als Level-I-Text sowie die entsprechenden Delegierten Verordnungen bzw. Durchführungsverordnungen als Level-II-Texte. Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde). ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 Organised Trading Facilities (OTF). Dies kann der OTF-Betreiber selbst sein oder ein beauftragter Dritter.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

zeitig ausgeführt werden und (3) das zu Preisen abgeschlossen wird, durch die der Vermittler abgesehen von einer vorab offengelegten Provision, Gebühr oder sonstigen Vergütung weder Gewinn noch Verlust macht. Wo es dem Betreiber eines MTF gemäß § 74 Abs. 5 WpHG nicht gestattet ist, auf die Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge i.S.v. § 2 Abs. 29 WpHG zurückzugreifen,27 erlaubt dies der Gesetzgeber dem OTF-Betreiber gemäß § 75 Abs. 2 WpHG, wenn der Kunde dem zugestimmt hat. Allerdings darf gemäß § 75 Abs. 2 S. 2 WpHG auf Matched Principal Trading bei Derivaten nicht zurückgegriffen werden, wenn diese der Verpflichtung zum Clearing nach Art. 4 European Market Infrastructure Regulation (EMIR)28 unterliegen. Die Zustimmung des Kunden zur Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge wird i.d.R. durch die Zustimmung des Kunden zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB, Terms & Conditions) des OTF eingeholt.

2.3.3

Ausschließlichkeit von OTF und Systematischer Internalisierung

Ein OTF und ein Systematischer Internalisierer dürfen gemäß § 75 Abs. 4 S. 1 WpHG nicht von derselben juristischen Person betrieben werden.29 Die EU-Mitgliedstaaten untersagen den Betrieb eines OTF und die Systematische Internalisierung innerhalb derselben rechtlichen Einheit. Gemäß § 75 Abs. 4 WpHG darf ein OTF keine Verbindung zu einem Systematischer Internalisierer oder einem anderen organisierten Handelssystem in einer Weise herstellen, die eine Interaktion von Aufträgen in dem organisierten Handelssystem mit den Aufträgen oder Angeboten des Systematischen Internalisierers oder im OTF ermöglicht. Das Verbot des Betriebs eines OTF und eines Systematischen Internalisierers innerhalb derselben rechtlichen Einheit ist umfassend zu verstehen und gilt unabhängig von AssetKlassen und Instrumenten.30 Wenn ein Systematischer Internalisierer und ein OTF in juristisch getrennten Entitäten eines Unternehmens bzw. eines Konzerns betrieben werden, aber jeweils Ressourcen des Unternehmens bzw. des Konzerns genutzt werden sollen (z.B. IT-Kapazität), müssen entsprechende rechtliche und technische Vorkehrungen

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Vgl. auch Art. 19 Abs. 5 MiFID II. EMIR, Verordnung (EU) Nr. 648/2012 vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister. Vgl. Art. 20 Abs. 4 MiFID II. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#11.

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getroffen werden, die dem Trennungsgrundsatz und den Anforderungen an das Management von Interessenkonflikten Rechnung tragen.31 Nach Auffassung der ESMA beschränkt Art. 20 Abs. 4 MiFID II die Umstände, unter denen ein OTF mit anderen Liquiditäts-Pools in Verbindung treten kann. Danach dürfen in einem OTF platzierte Orders oder Quotes nicht mit solchen in einem Systematischen Internalisierer oder in anderen OTF interagieren, da solche Interaktionen einen OTF-SILiquiditäts-Pool schafften und zu gerade nicht gewollten Matching-Aktivitäten zwischen OTF und Systematischem Internalisierer führten.32 Die ESMA weist darauf hin, dass ein Handelsinteresse an einem OTF nicht gegen eine passende Order oder Quote an einem anderen Ausführungsplatz ausgeführt werden darf. Damit eine Transaktion stattfinden kann, müssen die beiden entgegengesetzten Handelsinteressen am gleichen Ausführungsplatz platziert werden. Der OTF-Betreiber darf jedoch eine Order vom OTF zurückzuziehen und sie an einem anderen OTF, einem Systematischen Internalisierer, einem MTF oder einer Börse platzieren, sofern dies mit der Best Execution Policy und den OTF-Vorschriften zur Ausübung von Ermessen vereinbar ist.33

2.3.4

Kunden des OTF

Im Gegensatz zu Börsen und MTF34 haben OTF keine Handelsteilnehmer, sondern Kunden gemäß Art. 20 Abs. 1 MiFID II. § 75 Abs. 1 WpHG spricht von der „Ausführung von Kundenaufträgen“. Daraus folgt, dass hinsichtlich der auf einem OTF abgeschlossenen Geschäfte Wohlverhaltensregeln (Client Facing Rules) gelten, und zwar unabhängig davon, ob das OTF von einer Wertpapierfirma oder einem Marktbetreiber betrieben wird.35 Dazu gehören z.B. Allgemeine Grundsätze und Kundeninformationspflichten,36 Pflicht zur Beurteilung der Eignung und Zweckmäßigkeit sowie Berichts-

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ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#12. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#13. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#13. Richtlinie 2014/65/EU des europäischen Parlamentes und des Rates vom 15.05.2014 über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II), Erwägungsgrund 16. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#8. Art. 24 MiFID II.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

pflicht gegenüber Kunden,37 Verpflichtung zur kundengünstigsten Auftragsausführung38 sowie Vorschriften für die Bearbeitung von Kundenaufträgen.39 Diese Anforderungen sind im Wesentlichen im 11. Abschnitt des WpHG (Verhaltenspflichten, Organisationspflichten, Transparenzpflichten) geregelt.

2.3.5

Energiegroßhandel

Energiegroßhandelsprodukte, die effektiv geliefert werden müssen, sind gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 16 MiFID II i.V.m. Anhang 1 Abschnitt C Nr. 6 MiFID II keine Finanzinstrumente, wenn sie auf einem OTF gehandelt werden; man spricht hier vom C6-REMITCarve-out (Regulation on Wholesale Energy Market Integrity and Transparency). Die Energieversorgung als zentraler Bestandteil einer modernen und vitalen Industrieinfrastruktur soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mit einer in diesem Sachzusammenhang wenig zweckmäßigen bankaufsichtsrechtlichen Regulierung belastet werden. Da Energiekontrakte unter MiFID II grundsätzlich den Finanzinstrumenten zugeordnet werden, wurde mit dem C6-REMIT-Carve-out eine Möglichkeit geschaffen, die Auswirkungen einer solchen Einbeziehung auf Firmen abzumildern, die Handel mit physisch lieferbaren Energiegroßhandelsprodukten treiben.40 Auf einem OTF müssen – neben den C6-non-FI, also den C6-Nichtfinanzinstrumenten – auch „echte“ Finanzinstrumente gehandelt werden. Ein OTF darf nicht betrieben werden, wenn nur C6-non-FI gehandelt werden. Dabei ist es unbeachtlich, dass C6-Instrumente erst dann C6-non-FI werden, wenn sie auf einem OTF gehandelt werden; für eine juristische Sekunde sind sie – vor dieser Einstufung als C6-Ausnahme – systematisch als Finanzinstrumente anzusehen. Dies ist jedoch für den OTF-Betrieb nicht ausreichend. Die ESMA hat entschieden, dass es neben dem Handel mit C6-non-FI zusätzlich des Handels mit Finanzinstrumenten bedarf.41 Wer eine Zulassung als OTF beantragt und auch den Handel mit C6-non-FI anbietet, sollte eine detaillierte Beschreibung der REMIT-Carve-out-Handelsaktivität in die Antragsunterlagen aufnehmen, damit die zuständige Behörde die potenziellen Auswirkungen des C6-REMIT-Handels auf den Markt und auf die Wertpapierfirma oder den

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Art. 25 MiFID II. Art. 27 MiFID II. Art. 28 MiFID II. Erwägungsgrund 9 MiFID II. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#18.

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Marktbetreiber, die das OTF betreiben, verstehen und bewerten kann.42 Die Vorgaben bezüglich der zu erteilenden Informationen sind in ITS 1943 enthalten.

2.3.6

Ausübung von Ermessen durch den OTF-Betreiber

Im Gegensatz zu Börsen und MTF, die nicht-diskretionär arbeiten müssen, hat der OTFBetreiber gemäß Art. 20 Abs. 6 MiFID II, § 75 Abs. 6 und 7 WpHG zwingend Ermessen auszuüben. Dies kann er auf Ebene der Order sowie auf der Ebene der Ausführung tun (exercise of discretion at an order level und exercise of discretion at an execution level).44 Diese beiden Möglichkeiten ergeben sich bei Vorliegen eines oder beider der folgenden Umstände: a) Der OTF-Betreiber entscheidet darüber, einen Auftrag über das von ihm betriebene OTF zu platzieren oder zurückzunehmen (exercise of discretion at an order level). b) Der OTF-Betreiber entscheidet darüber, einen bestimmten Kundenauftrag nicht mit anderen zu einem bestimmten Zeitpunkt im System vorhandenen Aufträgen zusammenzuführen, sofern dies gemäß den spezifischen Anweisungen eines Kunden und den Verpflichtungen nach Art. 27 MiFID II, § 82 WpHG zur kundengünstigsten Ausführung von Aufträgen erfolgt (exercise of discretion at an execution level). Der Terminus „exercise of discretion at an order level“ beschreibt das Ermessen des OTFBetreibers, ob er eine Order eines Kunden • überhaupt ausführt. Beispiel: Nachdem der OTF-Betreiber eine Order bereits platziert hat, merkt er, dass eine Ausführung auf einem anderen Handelsplatz zu einem besseren Ergebnis führen würde. Er nimmt die Order zurück und führt sie an einem anderen Handelsplatz aus. • teilweise ausführt. Beispiel: Der OTF-Betreiber führt einen Teil der Order auf dem einen Handelsplatz aus, die verbleibende Teilorder leitet er an einen anderen Handelsplatz.

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Weiterführend hierzu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70-872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#18. Durchführungsverordnung (EU) 2016/824 vom 25. Mai 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf Inhalt und Form der Beschreibung der Funktionsweise von MTF und OTF und der Notifizierung an die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#15 a) und b).

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

Grundsätzlich ist das Ausüben des Ermessens auf Orderebene nur möglich, wenn dies nicht einer Weisung des Kunden zuwiderläuft und der Best Execution Policy entspricht.45 Der Terminus „exercise of discretion at an execution level“ beschreibt das Ermessen des OTF-Betreibers, ob, wann und in welchem Umfang er zwei ausführbare Orders im eigenen OTF-Handelssystem zusammenführt. Grundsätzlich muss das Ausüben des Ermessens auf Ausführungsebene im Einklang mit Weisungen des Kunden stehen und der Best Execution Policy46 entsprechen. Bei der Ausübung von Ermessen i.S.d. Art. 20 Abs. 6 MiFID II, § 75 Abs. 6 und 7 WpHG sind einige Aspekte von erheblicher Bedeutung. So sollen nach Einschätzung der ESMA Order Discretion und Execution Discretion nicht nur theoretische Möglichkeiten sein, die in den Terms & Conditions des OTF vorgesehen sind. Die Ausübung von Ermessen muss im gewöhnlichen Geschäftsablauf des OTF implementiert sein. Art. 20 Abs. 7 MiFID II, § 75 Abs. 7 S. 2 WpHG stellt Anforderungen an die Darlegung gegenüber der Aufsichtsbehörde. Danach hat der OTF-Betreiber eine ausführliche Beschreibung darüber abzugeben, wie der Ermessensspielraum genutzt wird, insbesondere, wann ein Auftrag im OTF zurückgezogen werden kann und wann und wie zwei oder mehr sich deckende Kundenaufträge innerhalb des OTF zusammengeführt werden. Die Ausübung von Ermessen (Order Discretion/Execution Discretion) muss nicht auf einer Order-für-Order-Basis, d.h. bei jeder einzelnen Order individuell ausgeübt werden. So kann der OTF-Betreiber zu einem bestimmten Zeitpunkt in Betracht ziehen, einige oder alle Orders einer bestimmten Größe in einem bestimmten Instrument aus dem OTF zurückzuziehen, da an anderer Stelle vorübergehend günstigere Ausführungsbedingungen herrschen. Der OTF-Betreiber muss jedoch die Möglichkeit haben, auf Orderebene Ermessen auszuüben, wenn die Umstände dies erfordern, z.B. im Falle der vorherigen Ausführung eines Auftrags an einem anderen Handelsplatz.47 Die ESMA hat sich bei der aufsichtsrechtlichen Beurteilung der „Ausübung von Ermessen“ im OTF-Betrieb für die konsequente Anwendung des Grundsatzes der Technolo-

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ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#15 c); weiterführend dazu auch ESMA, Questions and Answers, topic 5.2 OTF, Q&A No#14. Vgl. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#14. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#16.

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gieneutralität entschieden, so dass es keine Vorgaben für ein OTF-Handelsprotokoll gibt, sofern es mit dem Grundsatz fairer und ordnungsgemäßer Handelspraktiken im Einklang steht und Ermessen ausgeübt wird.48 Die Ausübung des Ermessensspielraums, ob und wann ein Auftrag erteilt oder zurückgezogen wird, kann durch Künstliche Intelligenz und Algorithmen automatisiert werden, ohne dass dies notwendigerweise auf Einzelfallbasis auf der Grundlage einer menschlichen Entscheidung geschehen muss. Menschliches Eingreifen allein reicht grundsätzlich nicht aus, um die Ausübung von Ermessen zu bejahen (z.B. nur zufällige Platzierung oder Zurücknahme oder nur zufällige Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung von Aufträgen). Entscheidend ist, dass es auf der Ausübung menschlichen Urteilsvermögens beruht, ansonsten wird eine Ermessensausübung zu verneinen sein.49 Bei der Ausübung des Ermessens auf Ausführungsebene (exercise of discretion at an execution level), d.h. bei der Entscheidung, ob, wann oder wie viel von zwei oder mehr Handelsinteressen aufeinander abgestimmt werden, kann ein OTF-Betreiber sein Handelssystem auch vollautomatisiert auf Basis Künstlicher Intelligenz/intelligenter Algorithmen betreiben, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere müssten die Algorithmen, die ein automatisches Matching unterstützen, die Umstände vorwegnehmen, unter denen die Orders nicht gegeneinander ausgeführt würden. Diese Algorithmen müssen auch sicherstellen, dass die Entscheidung, zwei entgegengesetzte Handelsinteressen zusammenzuführen, mit der Best Execution Policy und eventuell vorliegenden Kundenweisungen übereinstimmt. Im Gegensatz zu Ausführungsalgorithmen eines MTF müssen die vom OTF betriebenen Algorithmen externe Marktfaktoren oder andere externe Informationsquellen berücksichtigen.50

2.4 Ausblick Die Erfahrungen im Vorfeld der MiFID-II-Implementierung und auch die ersten Erfahrungen seit dem 03.01.2018 zeigen, wie komplex das Thema ist und wie schwierig es für die Regulatoren ist, adäquate Antworten auf Fragen der Marktteilnehmer zu finden. Die

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ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#17. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#17. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures, ESMA70872942901-38, Stand 18.12.2017, topic 5.2 OTF, Q&A No#17.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

ESMA spielt hier eine immer wichtigere Rolle sowohl als EU-Behörde, der künftig wohl mehr Kompetenzen übertragen werden, als auch als zentrale EU-Koordinatorin, die den national zuständigen Aufsichtsbehörden (NCA) der EU-Mitgliedstaaten ein Forum zur Diskussion und zur gegenseitigen Abstimmung bietet. Die Bedeutung dieser EU-weiten Abstimmung gerade bei der Einführung eines regulatorischen Novums wie dem OTF ist enorm. Unabhängig von diesen rechtlichen und regulatorischen Betrachtungen muss die Zukunft zeigen, in welchem Umfang das OTF als dritte Möglichkeit des multilateralen Handels im Markt akzeptiert und als praktikabel angesehen wird. Ob die restriktivere Regulierung des multilateralen Handels unter MiFID II zu einer Einhegung des Handels im Graumarktbereich beiträgt, kann derzeit noch nicht beurteilt werden.

3 Systematische Internalisierung Im Unterschied zum multilateralen Handelsplatzhandel findet die systematische Internalisierung ausschließlich außerhalb von Handelsplätzen statt. Sie ist also bilateraler OTCHandel, der durch die Beteiligung mindestens eines Systematischen Internalisierers aus dem dort bislang herrschenden Dunkel- in den handelstransparenten Hellbereich gedrängt wird.

3.1 Regulatorische Einordnung Als einzige umsetzungsbedürftige Regelung des in MiFID II enthaltenen Richtlinienrechts war für die systematische Internalisierung ihre in Art. 4 Abs. 1 Nr. 20 enthaltene Begriffsdefinition in das deutsche Aufsichtsrecht zu transformieren. Diese hat der deutsche Gesetzgeber dem Tatbestand der in § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4 KWG51 normierten und nach § 32 KWG erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistung des Eigenhandels eingegliedert. Damit bildet die Systematische Internalisierung keinen eigenständigen Erlaubnistatbestand, sondern gilt als Eigenhandel, der von Finanzdienstleistungsinstituten i.S.d. § 1 Abs. 1a S. 1 KWG auf Grundlage einer entsprechenden Erlaubnis auf eine bestimmte Art und Weise erbracht wird. Diese Art und Weise präzisieren die dem S. 1 des § 1 Abs. 1a KWG nachfolgenden S. 6 bis 8.

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Parallel hat der Gesetzgeber für die Zwecke des WpHG eine nahezu gleich lautende Umsetzungsnorm geschaffen, vgl. § 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 2b WpHG.

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Der ganz überwiegende Teil des Rechts der Systematischen Internalisierung ist über die Texte von MiFID II und MiFIR selbst sowie über die Rechtsakte verteilt, die von der EUKommission in delegierter Rechtsetzung erlassen worden sind.52 Weil sich im Zuge der Implementierung des neuen Rechts durch die Rechtsunterworfenen und ihrer Aufsicht zeigt, dass viele Regelungen in der Praxis weiterer Präzisierung bedürfen, hat die ESMA bereits eine Vielzahl an Fragen zu den verschiedensten Aspekten der Systematischen Internalisierung beantwortet und Stellungnahmen zu Detailfragen abgegeben.53 Zusätzlich hat auch die Bafin das regulatorische Umfeld durch rechtsgestaltende Verwaltungsakte mitgeprägt.54 Erst das Zusammenspiel aller Regelungen ergibt ein deutliches Bild davon, was die vom europäischen Gesetzgeber angestoßenen Änderungen im Bereich der Systematischen Internalisierung in der Praxis bedeuten.

3.2 Schwerpunkte der Begriffsdefinition Erster Ansatzpunkt für eine Annäherung an den Begriffsinhalt der systematischen Internalisierung ist ihre in § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4b KWG niedergelegte Definitionsgrundlage. Nach ihr gilt die Systematische Internalisierung als „das häufige organisierte und systematische Betreiben von Handel für eigene Rechnung in erheblichem Umfang außerhalb eines organisierten Marktes oder eines multilateralen oder organisierten Handelssystems, wenn Kundenaufträge außerhalb eines geregelten Marktes oder eines multilateralen oder organisierten Handelssystems ausgeführt werden, ohne dass ein multilaterales Handelssystem betrieben wird.“ Im Folgenden sollen wesentliche Merkmale der gesetzlichen Definition beleuchtet werden.

3.2.1

Handel für eigene Rechnung

Prägendes qualitatives Tatbestandsmerkmal der Systematischen Internalisierung ist der Handel für eigene Rechnung bei der Ausführung von Kundenaufträgen. Es korrespondiert im Wesentlichen mit der klassischen deutschen aufsichtsrechtlichen Definition für den Eigenhandel als „das Anschaffen und Veräußern von Finanzinstrumenten für eigene Rechnung als Dienstleistung für andere“.55

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Vgl. die Zusammenstellung im ABl. 2017 Nr. L 87. Vgl. die aktuellsten Fassungen der ESMA-Auslegungshinweise zu Transparenz- und Marktstrukturthemen unter https://www.esma.europa.eu/questions-and-answers. Näheres dazu in Abschnitt 3.3.2. Vgl. § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 4c KWG und § 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 2c WpHG.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

Indes beschreiben MiFID II und MiFIR nicht näher, was den Handel für eigene Rechnung konkret ausmacht. Da das Merkmal aber als einer der zentralen Ankerpunkte für die von MiFID II geforderte eindeutige Abgrenzung zwischen bilateralem OTC- und multilateralem Handelsplatzhandel gilt56 und weil sich der Betrieb eines OTF und das Erbringen der Systematischen Internalisierung innerhalb derselben rechtlichen Einheit kategorisch ausschließen,57 haben sowohl die EU-Kommission als auch die ESMA bereits frühzeitig weitere Hinweise zu seiner inhaltlichen Konturierung gegeben. Denn noch vor Eintritt der Anwendbarkeit waren im Markt Befürchtungen laut geworden, Broker-Crossing-Systeme könnten die von ihnen betriebenen Handelsstrukturen trotz der neuen Regulierung im Wesentlichen weiterbetreiben.58 Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die Frage, inwieweit als Systematische Internalisierer tätige Unternehmen sich deckende Kundenaufträge zusammenführen, also passende Kaufs- und Verkaufspositionen unterschiedlicher Kunden miteinander matchen dürfen (Matched Principle Trading).59 Denn schließen sie bspw. beim Handeln mit einem Kunden zur Beschaffung erforderlicher Liquidität jeweils passende gegenläufige Eindeckungsgeschäfte (Back-to-Back-Geschäfte) nicht an einem Handelsplatz, sondern mit einem anderen Kunden ab, so kann diese Tätigkeit unter gewissen Umständen als das systematische Zusammenführen der Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten, also als Betrieb eines erlaubnispflichtigen multilateralen Systems60 zu werten sein. Deshalb hatte die EU-Kommission bereits bei Erlass der Delegierten Verordnung 2017/ 565 klargestellt, dass als Systematische Internalisierer tätige Unternehmen nicht in funktional gleicher Weise wie ein Handelsplatz regelmäßig sich deckende Kundenaufträge

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Vgl. Art. 1 Abs. 7 Unterabs. 2 MiFID II: „Alle multilateralen Systeme für Finanzinstrumente sind entweder im Einklang mit den Bestimmungen des Titels II für MTF bzw. OTF oder gemäß den Bestimmungen des Titels III für geregelte Märkte zu betreiben.“ § 75 Abs. 4 S. 1 WpHG. Vgl. dazu Abschnitt 2.3.3. Vgl. für weitere Hintergründe und Einzelheiten der nachfolgend skizzierten Entwicklung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, den Briefwechsel zwischen der ESMA (Schreiben des ESMA-Vorsitzenden Steven Maijoor vom 01.02.2017), dem Europäischen Parlament (Schreiben der MdEP Roberto Gualtieri und Markus Ferber vom 24.02.2017 und 07.04.2017) und der EU-Kommission (Schreiben von Kommissar Valdis Dombrovskis vom 16.03.2017), sämtlich abrufbar im Internet unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/ esma70-872942901-19_letter_chair_guersent_si_0.pdf und http://www.europarl.europa.eu/ committees/en/econ/finanial-services.html?id=20170228CPU12241. Vgl. Abschnitt 3.3.2. Vgl. zum Begriff des multilateralen Systems Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 MiFID II.

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intern matchen dürfen.61 Diesen Grundsatz hat die ESMA in zwei Auslegungshinweisen weiter präzisiert. Dabei hebt sie hervor, dass prägend für die Tätigkeit eines Systematischen Internalisierers eine eigene Risikoübernahme ist, auch wenn ihm die Möglichkeit von Hedging-Geschäften zur Absicherung offener Risikopositionen ausdrücklich unbenommen bleibt. Verwehrt sind ihm demzufolge regelmäßige, d.h. öfter als nur gelegentliche und unregelmäßige risikolose Back-to-Back-Geschäfte.62 Außerdem haben verschiedene Marktteilnehmer befürchtet, einige Unternehmen könnten versuchen, sich – vermittelt durch zwischengeschaltete hochfrequente technische Systeme oder als Hochfrequenzhändler tätige Servicedienstleister – untereinander, also extern zu vernetzen. Eine solche Konstruktion kann u.U. allerdings selbst in die Nähe eines erlaubnispflichtigen multilateralen Systems geraten. Dem hat die EU-Kommission dadurch entgegengewirkt, dass sie den Begriff des Systematischen Internalisierers nachjustiert hat.63 Seitdem enthält die Delegierte Verordnung 2017/565 in einem neuen Art. 16a die Präzisierung, dass die Beteiligung an internen oder externen Zusammenführungssystemen mit dem Ziel oder der Folge, außerhalb eines Handelsplatzes de facto risikolose Back-to-Back-Geschäfte mit einem Finanzinstrument zu tätigen, nicht als Handel für eigene Rechnung zu betrachten ist. Ausdrücklich ausgenommen davon sind lediglich konzerninterne Zusammenführungssysteme, die zur Sicherstellung einer gruppenweiten Risikosteuerung weiterhin zulässig bleiben.64

3.2.2

Systematische Internalisierung durch Schwellenwertüberschreitung

Gemäß § 1 Abs. 1a S. 8 1. Alt. KWG erbringt ein Finanzdienstleistungsinstitut den Eigenhandel in Form der Systematischen Internalisierung, wenn es beim Handel mit

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Vgl. näher Erwägungsgrund 19 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 vom 25.04.2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie. Vgl. im Einzelnen ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Market Structures Topics vom 18.12.2018, Fragen 5.3.21 und 5.3.22 (S. 47 ff.). Die Ermächtigungsgrundlage der Kommission für den Erlass delegierter Rechtsakte zur Bestimmung technischer Elemente der in Art. 4 Abs. 1 MiFID II enthaltenen Begriffsbestimmungen mit dem Ziel, sie an neue Entwicklungen anzupassen, bildet Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 89 MiFID II. Auf sie hat die Kommission die hier angesprochene Delegierte Verordnung (EU) 2017/2294 vom 28.08.2017 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 durch Präzisierung der Begriffsbestimmung des systematischen Internalisierers für die Zwecke der Richtlinie 2014/65/EU gestützt. Vgl. Erwägungsgrund 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2294.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

einem bestimmten Finanzinstrument Schwellenwerte überschreitet, die in der Delegierten Verordnung 2017/565 niedergelegt sind. Grundsätze für die Berechnung der Schwellenwerte sind in den S. 6 und 7 des § 1 Abs. 1a KWG angelegt. Sie formen die Tatbestandsmerkmale des „häufigen systematischen Handels“ und des „Handels in erheblichem Umfang“ quantitativ aus.

3.2.2.1

Grundlagen der Schwellenwertberechnung

So bestimmt sich gemäß § 1 Abs. 1a S. 6 KWG der häufige systematische Handel nach der Zahl der Geschäfte mit einem Finanzinstrument, die ein Unternehmen außerhalb eines Handelsplatzes, also OTC, im Kundenauftrag auf eigene Rechnung tätigt. Demgegenüber bemisst sich gemäß § 1 Abs. 1a S. 7 KWG ein Handel in erheblichem Umfang entweder nach dem Anteil, den der OTC-Handel in einem bestimmten Finanzinstrument am Gesamthandelsvolumen eines Unternehmens hat, oder nach dem Verhältnis seines OTC-Handelsvolumens in diesem Finanzinstrument zu dem dazu in der EU angefallenen Gesamthandelsvolumen. Weitere Einzelheiten für die vorzunehmenden Berechnungen gibt die Delegierte Verordnung 2017/565 vor. Nach ihnen erfolgt die Berechnung jeweils bezogen auf einzelne Finanzinstrumente, die einzelnen Anlageklassen zuzuordnen sind.65 Vereinfacht dargestellt erbringt ein Finanzdienstleistungsinstitut die Systematische Internalisierung also immer nur für diejenigen Finanzinstrumente, für die es die maßgeblichen Schwellenwerte erreicht oder überschritten hat.

3.2.2.2

Einzelfragen der Schwellenwertberechnung

Mit Blick auf die Art und Weise der Durchführung der Schwellenwertberechnung hat die ESMA bereits zu einer Vielzahl von Auslegungsfragen Stellung genommen.66 Diese hatten z.T. die in die Kalkulation einfließenden Finanzinstrumente und Transaktionen zum Gegenstand, also die Frage, was zu zählen ist. Andere betrafen die Art und Weise der Durchführung der Berechnung für verschiedene Finanzinstrumente, d.h. die Frage, wie zu zählen ist. Nachfolgend sollen einige Punkte exemplarisch herausgehoben werden.

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Für Eigenkapitalfinanzinstrumente gilt Art. 12, für Nichteigenkapitalfinanzinstrumente gelten die in Art. 13 (Schuldverschreibungen), Art. 14 (strukturierte Finanzprodukte), Art. 15 (Derivate) und Art. 16 (Emissionszertifikate) der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565. Vgl. dazu und zum Folgenden ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 3 und 4 (S. 45 ff.).

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So hat die ESMA etwa klargestellt, dass entsprechend dem gesetzgeberischen Ziel, den OTC-Handel mit auch an Handelsplätzen gehandelten Finanzinstrumenten transparenter zu machen, alle auf dem Sekundärmarkt getätigten Transaktionen in die Schwellenwertberechnungen einzufließen haben. Primärmarkttransaktionen bleiben insoweit grundsätzlich unberücksichtigt.67 Diese Primärmarktausnahme hat die ESMA ausdrücklich für Aktien und börsengehandelte Fonds bestätigt. Von den Unternehmen für die Durchführung der Berechnungen zu zählen sind grundsätzlich alle unter die Regelungen der Systematischen Internalisierung fallenden Geschäfte mit ihren Kunden. Damit ist etwa im Falle des Handels zweier Finanzinstitute miteinander entscheidend, welche der beiden an einer Transaktion beteiligten Parteien als Kunde gilt. Dies ist insbesondere in Fällen, in denen beide Handelspartner als Systematische Internalisierer tätig sind, nicht immer eindeutig. Damit es hier nicht zu Doppelzählungen kommt, hat die ESMA klargestellt, dass auch bei Transaktionen zwischen beaufsichtigten Finanzinstituten immer eine Partei Kunde ist und die Kundeneigenschaft zwischen den Beteiligten im Zweifel gesondert klargestellt werden muss, bspw. im Einzelfall einer jeden Transaktion.68 Für Back-to-Back-Geschäfte69 war demgegenüber fraglich, ob für die Zwecke der Schwellenwertberechnung tatsächlich zwei Geschäfte zu zählen sind: • das Kundengeschäft als eine für das handelnde Unternehmen zu zählende OTCTransaktion und • das für das Gesamthandelsvolumen in der EU zu zählende Eindeckungsgeschäft des Unternehmens am Handelsplatz. Denn reicht das Unternehmen das im Rahmen des Eindeckungsgeschäfts am Handelsplatz beschaffte Produkt unmittelbar und zum selben Preis an den Kunden weiter, stellen sich beide Geschäfte bei rein wirtschaftlicher Betrachtung als ein Geschäft dar. Deshalb hat die ESMA klargestellt, dass das Geschäft in dieser Konstellation lediglich für den EUweiten Handel im Nenner, nicht aber für den Eigenhandel des Unternehmens im Zähler zu berücksichtigen ist.

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Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 3 (S. 45 f.). Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 7 (S. 50). Vgl. zu Back-to-Back-Geschäften Abschnitt 3.2.1.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

Daneben waren auch die in der Delegierten Verordnung 2017/565 enthaltenen Einzelheiten der Methodik der Schwellenwertberechnungen für einzelne Klassen von Finanzinstrumenten klärungsbedürftig. Für Schuldverschreibungen etwa bestimmt der in Art. 13 normierte und von der EU-Kommission eingeführte70 One-triggers-all-Ansatz (oder Trigger-Mechanismus) dass ein Finanzdienstleistungsunternehmen dann, wenn es in einem Beurteilungszeitraum für die Schuldverschreibung eines Unternehmens die in der Vorschrift niedergelegten Schwellenwerte erreicht oder überschritten hat, gleichzeitig als Systematischer Internalisierer für alle Schuldverschreibungen derselben Kategorie gilt, die ein emittierendes Unternehmen selbst oder ein anderes seiner Gruppe angehörendes Unternehmen begibt. Der Begriff der Kategorie und damit die konkrete Reichweite der Norm sind allerdings nicht näher definiert. Die ESMA stellt hier in einem ihrer Auslegungshinweise auf die Anleihetypen ab, wie sie in Anhang III Tabelle 2 der Delegierten Verordnung 2017/583 definiert sind.71 Als Kategorien von Schuldverschreibungen gelten damit Staatsanleihen, sonstige öffentliche Anleihen, Wandelschuldverschreibungen, Pfandbriefe, Unternehmensanleihen sowie sonstige Anleihen. Vergleichbare Hinweise hat die ESMA zum Begriff der Kategorie bei strukturierten Finanzprodukten und bei Derivaten (Art. 14 bzw. Art. 15 der Delegierten Verordnung 2017/565) gegeben.72

3.2.2.3

Zeitliche Parameter

Betroffene Unternehmen haben die Schwellenwertberechnungen gemäß Art. 17 der Delegierten Verordnung 2017/565 vierteljährlich auf Grundlage der Daten der vergangenen sechs Monate vorzunehmen. Dabei hat jedes Unternehmen die von ihm im relevanten Beurteilungszeitraum anzusetzenden eigenen Handelsdaten selbst im Blick zu halten. Sie ergeben sich grundsätzlich aus dem jeweiligen Handelsaufkommen auf Einzelinstituts-

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Er war in dieser Form nicht Bestandteil der technischen Beratung, die die ESMA der EUKommission vor Erlass des Delegierten Rechtsakts übermittelt hat, vgl. ESMA, Final Report – ESMA’s Technical Advice to the Commission on MiFID II and MiFIR, S. 230 ff. (ESMA/ 2014/1569), abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/ 2014-1569_final_report_-_esmas_technical_advice_to_the_commission_on_mifid_ii_and_ mifir.pdf. Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 4 Buchst. c (S. 47 f.). Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 4 Buchst. b bzw. a (S. 47 f.).

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ebene. Dem wird allerdings das Handelsaufkommen von im EWR ansässigen Zweigstellen in konsolidierter Form zugerechnet.73 Die für die Vornahme der Berechnungen notwendigen EU-weiten Handelsdaten veröffentlicht die ESMA auf ihrer Homepage.74 Sie generiert diese Zahlen aus den Informationen, die ihr von den nationalen zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, zu denen auch die Bafin gehört, auf Grundlage von Art. 22 MiFIR zur Verfügung zu stellen sind. Die Konsolidierung erfolgt über eine von der ESMA geschaffene Datenbank, das Financial Instruments Reference Data System (FIRDS). Die ESMA plant diese Daten erstmals zum 01.08.2018 zu veröffentlichen.75 Sie werden den Zeitraum vom 03.01. bis zum 30.06.2018 abdecken. Eine frühere Datensammlung, die eine erstmalige Berechnung zum Eintreten der Anwendbarkeit der neuen Regeln zum 03.01.2018 ermöglicht hätte, war mangels einer Übergangsbestimmung in der maßgeblichen Delegierten Verordnung 2017/565 nicht möglich. Für eine solche hätte sich im Übrigen auch weder in der MiFID II noch in der MiFIR eine entsprechende Rechtsgrundlage gefunden. Damit konnte formal erst mit der Scharfschaltung der neuen Regeln zum 03.01.2018 mit der Einspeisung der notwendigen Datengrundlage in die FIRDSDatenbank begonnen werden. Auf Grundlage der zum 01.08.2018 zu veröffentlichenden Daten haben Unternehmen, die den Eigenhandel in einschlägigen Finanzinstrumenten betreiben, erstmalig zum 01.09.2018 zu berechnen, ob sie dabei die jeweils geltenden Schwellenwerte erreichen oder überschreiten. Dabei hat sich die ESMA, um i.S.d. Wettbewerbsgleichheit gleiche Startbedingungen zu schaffen, dazu entschlossen, diese Frist einheitlich sowohl für liquide wie illiquide, aber auch für neu ausgegebene Finanzinstrumente gelten zu lassen. Denn für illiquide Instrumente könnte eine Berechnung ggf. auch auf Grundlage der bei einem Unternehmen vorhandenen Datenlage erfolgen, etwa, wenn – wie es etwa für Zertifikate der Fall sein kann – nur ein Unternehmen EU-weit ein spezifisches Instrument handelt. Außerdem können nach dem anwendbaren Recht für neu emittierte Instrumente auch kürzere Beurteilungszeiträume gelten.76

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Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 2 (S. 45). Vgl. unter https://registers.esma.europa.eu/publication/. Alle relevanten Informationen des FIRDS-Projekts werden von der ESMA auch über spezielle Webinterfaces veröffentlicht. Vgl. zum nachfolgend dargestellten Zeitplan im Ganzen ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 1 (S. 44 f.). Vgl. § 17 Unterabs. 2 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

Nachfolgende Veröffentlichungen der EU-weiten Daten wird die ESMA dann immer einen Monat nach dem jeweiligen Quartalsstichtag für den Beurteilungszeitraum i.S.d. § 17 Unterabs. 1 der Delegierten Verordnung 2017/565 vornehmen. Betroffene Unternehmen haben dann zwei Wochen Zeit, um erforderliche Berechnungen durchzuführen und die daraufhin ggf. für sie entstehenden Pflichten einzuhalten. In Anbetracht dieser Terminlage steht Aufsicht und Unternehmen der Praxistest der Schwellenwertberechnung aus heutiger Sicht also erst noch bevor.

3.2.3

Systematische Internalisierung aufgrund freiwilliger Unterwerfung

Alternativ zur Schwellenwertüberschreitung können sich Finanzdienstleistungsinstitute gemäß § 1 Abs. 1a S. 8 2. Alt. KWG auch freiwillig den für die Systematische Internalisierung geltenden Regelungen unterwerfen. Mit der englischsprachigen Fassung der MiFID II lässt sich dies etwas griffiger als Opt-in bezeichnen.77 Die Möglichkeit zu einem Opt-in besteht formal bereits seit Inkrafttreten des novellierten KWG zum 03.01.2018. Seitdem kann die erforderliche Unterwerfungserklärung gegenüber der Bafin jederzeit zu einem selbst bestimmten Stichtag abgegeben und auch wieder zurückgenommen werden. Die Bafin hat dafür ein Formularmuster gefertigt.78 Rechtsfolge der Unterwerfungserklärung ist, dass das erklärende Unternehmen sich ab diesem Zeitpunkt an die für die Systematische Internalisierung geltenden Vorschriften halten muss, wenn es den Eigenhandel in davon betroffenen Finanzinstrumenten erbringt. Diese muss es insbesondere auf Anfrage der Bafin jederzeit benennen können.79

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79

Diese Begrifflichkeit wird daher auch im Folgenden für die freiwillige Unterwerfung eines Unternehmens unter die für die Systematische Internalisierung geltenden Regelungen verwendet. Das Formular ist einschließlich erläuternder Hinweise zu seiner Verwendung im Internet unter https://www.bafin.de/dok/10041518 abrufbar. Vgl. dazu die erläuternden Hinweise auf der Homepage der Bafin im Internet unter https://www.bafin.de/dok/10041518.

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3.3 Aufsichtsrechtliche Pflichten Erbringt ein Unternehmen den Eigenhandel in Form der Systematischen Internalisierung, so hat es die spezifisch an diesen Tatbestand geknüpften Rechtsfolgen zu beachten, die sich nahezu sämtlich unmittelbar aus der europäischen Regulierung ergeben.80

3.3.1

Mitteilungspflicht

Die einzige im deutschen Aufsichtsrecht im engeren Sinne enthaltene besondere Rechtsfolge der Systematischen Internalisierung ist die von § 79 S. 1 WpHG normierte Pflicht, der Bafin unverzüglich die Aufnahme dieser Tätigkeit mitzuteilen. Sie geht zurück auf die in der MiFIR an die Mitgliedstaaten gerichtete Anweisung, eine solche Unterrichtungsverpflichtung zu schaffen,81 und ist unabhängig davon, ob die Systematische Internalisierung wegen Schwellenwertüberschreitung oder aufgrund eines Opt-in erbracht wird. Für die Mitteilung kann ebenfalls das bereits erwähnte, von der Bafin erstellte Formularmuster verwendet werden.82 Die Mitteilung hat unverzüglich nach der erstmaligen Aufnahme der Tätigkeit zu erfolgen. Stellt ein Unternehmen also erstmalig fest, dass es im Rahmen des Eigenhandels mit einem bestimmten Finanzinstrument die maßgeblichen Schwellenwerte erreicht oder überschritten hat, muss es die Mitteilung anschließend ohne schuldhaftes Zögern abgeben. Demgegenüber können Unternehmen, die einen freiwilligen Opt-in ab einem bestimmten Datum mitteilen, zugleich die Aufnahme der Tätigkeit zum selben Zeitpunkt mitteilen. Denn mit Überschreitung der Schwellenwerte in einem bestimmten Finanzinstrument bzw. mit dem Opt-in sind die Voraussetzungen der Systematischen Internalisierung er-

80

81 82

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Für die Zwecke der Darstellung in diesem Beitrag sollen nur diejenigen besonderen Rechtsfolgen betrachtet werden, die sich für Unternehmen, die als Systematische Internalisierer tätig sind, spezifisch aus diesem Umstand ergeben. Ausgeklammert bleiben daher insbesondere die für alle Wertpapierfirmen geltenden Nachhandelstransparenzpflichten gemäß Art. 20 und 21 MiFIR und die ebenso für Handels- bzw. Ausführungsplätze geltende Pflicht zur Erstellung von Berichten über die Ausführungsqualität von Aufträgen gemäß Art. 27 Abs. 3 MiFID II bzw. § 82 Abs. 10 und Abs. 11 WpHG i.V.m. §§ 3 ff. der Delegierten Verordnung 2017/575 vom 08.06.2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente durch technische Regulierungsstandards bezüglich der Daten, die Ausführungsplätze zur Qualität der Ausführung von Geschäften veröffentlichen müssen, ABl. 2017 Nr. L 87/152. Vgl. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 MiFIR und Art. 18 Abs. 4 MiFIR. Vgl. § 17 Unterabs. 2 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565.

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

füllt.83 Deshalb haben sie fortan den Eigenhandel in den einschlägigen Finanzinstrumenten in Form der Systematischen Internalisierung zu erbringen. Gemäß § 79 S. 2 WpHG hat die Bafin die in Deutschland als Systematische Internalisierer tätigen Unternehmen der ESMA zu übermitteln. Die ESMA erstellt daraus eine Liste aller in der EU tätigen Systematischen Internalisierer und veröffentlicht sie auf ihrer Homepage.84 Auf ihr sind derzeit 15 deutsche Unternehmen verzeichnet, die auf Grundlage eines Opt-in den Eigenhandel als Systematische Internalisierung erbringen.85 Die von ESMA erstellte Liste enthält zusätzlich noch die Angabe, welchen Anlageklassen die Finanzinstrumente zuzuordnen sind, in denen ein Unternehmen den Eigenhandel als Systematische Internalisierung erbringt, nicht aber diese Finanzinstrumente selbst. Deshalb haben betroffene Unternehmen der Bafin gegenüber auch jeweils zu erklären, welchen Anlageklassen die Finanzinstrumente zuzuordnen sind, in denen sie die Systematische Internalisierung erbringen. Auch dazu kann das genannte Formularmuster der Bafin verwendet werden.

3.3.2

Vorhandelstransparenzpflichten

Bereits vor der Einführung des neuen Regelungsregimes unterlagen Unternehmen, die als Systematische Internalisierer tätig waren, der Pflicht, für bestimmte Eigenkapitalfinanzinstrumente verbindliche Kaufs- und Verkaufsangebote (Kursofferten (Quotes)) zu veröffentlichen.86 Mit Art. 18 MiFIR wird die Quotierungspflicht nunmehr auch auf den Handel mit Nicht-Eigenkapitalinstrumenten ausgedehnt. Sie gilt für Geschäfte, die ein bestimmtes Volumen nicht überschreiten.87 Oberhalb dieser Schwelle sind die Regelungen zur Vorhandelstransparenz nicht anwendbar.

83 84

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Vgl. § 1 Abs. 1a S. 8 KWG. Die Liste ist als ESMA-Register, Database of MiFID2/MiFIR Trading venues/Systematic internalisers/Data Reporting Service providers öffentlich zugänglich und abrufbar im Internet unter https://www.esma.europa.eu/databases-library/registers-and-data. Stand: 15.03.2018. Vgl. die für Aktien und aktienvertretende Zertifikate geltende Norm des § 32a Abs. 1 WpHG a.F. Art. 18 Abs. 10 MiFIR nimmt Geschäfte, die den für das Finanzinstrument gemäß Art. 9 Abs. 5 Buchst. d MiFIR ermittelten typischen Geschäftsumfang überschreiten, die Size Specific to the Instrument (SSTI) vom Geltungsbereich des Art. 18 MiFIR insgesamt aus. Auf die SSTI kann hier nicht näher eingegangen werden; für ihre Berechnung siehe Art. 10 der Delegierten Verordnung 2017/583 vom 14.07.2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/ 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente durch technische Regulierungsstandards zu den Transparenzanforderungen für Handelsplätze und Wertpapierfirmen in Bezug auf Anleihen, strukturierte Finanzprodukte, Emissionszertifikate und Derivate, ABl. 2017 Nr. L 87/229.

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Besteht für ein betroffenes Finanzinstrument ein liquider Markt, so haben Systematische Internalisierer ihre verbindlichen Kursofferten zu veröffentlichen, sofern sie für die Kursofferte für einen Kunden erforderlich und sie außerdem mit der Abgabe einer Kursofferte einverstanden sind.88 Diese Pflicht gilt allerdings nicht für Finanzinstrumente, die unter den nach Art. 9 Abs. 4 MiFIR zu ermittelnden Liquiditätsschwellenwert fallen. Die Verpflichtung kann in der Praxis dadurch erfüllt werden, dass ein Unternehmen für die Instrumente, für die es die Systematische Internalisierung erbringt, permanent ausführbare Quotes an seine Kunden übermittelt (Quote Streaming).89 Abgegebene Quotes müssen für eine angemessene Frist gültig bzw. ausführbar sein, was nach Ansicht der ESMA bedeutet, dass ein Kunde tatsächlich Gelegenheit haben muss, die veröffentlichte Kursofferte anzunehmen.90 Im Falle illiquider Werte bieten Systematische Internalisierer, sofern sie mit der Abgabe einer Kursofferte einverstanden sind, ihren Kunden auf Anfrage Kursofferten an.91 Diesbezüglich hat die ESMA klargestellt, dass diese Kursofferten grundsätzlich nur dem anfragenden Kunden angeboten werden müssen. Eine Pflicht zu ihrer Veröffentlichung besteht nicht, wohl aber zu ihrer Offenlegung auf Kundenanfrage.92 Diesbezüglich hat die Bafin aber von der ihr durch Art. 9 Abs. 1 MiFIR eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine davon befreiende Allgemeinverfügung erlassen.93 Einmal abgegebene Kursofferten können Unternehmen, die als Systematische Internalisierer tätig sind, jederzeit aktualisieren,94 was aber nicht dazu führen darf, dass dadurch einzelne Kunden diskriminiert und von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, ihnen angebotene Quotes auch tatsächlich anzunehmen.95 Im Falle außergewöhnlicher

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Art. 18 Abs. 1 MiFIR. Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 5 Buchst. a (S. 48 f.). Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 5 Buchst. c (S. 48 f.). Art. 18 Abs. 2 MiFIR. Vgl. dazu die ESMA Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 5 Buchst. d (S. 48 f.). Vgl. Bafin, Allgemeinverfügung – Befreiung systematischer Internalisierer von den Pflichten nach Art. 18 Abs. 2 Satz 1 MiFIR in Bezug auf Kursofferten, 02.01.2018, https://www.bafin.de/dok/10336302. Art. 18 Abs. 3 S. 1 MiFIR. Vgl. dazu ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 5 Buchst. c)(S. 48 f.).

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Handelsplattformen und Systematische Internalisierung

Marktbedingungen können sie ihre Kursofferten auch ganz zurückziehen.96 Sie sind so bekanntzumachen, dass sie zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen leicht zugänglich sind.97 Den Kreis der Kunden, dem Kursofferten zugänglich zu machen sind, können Systematische Internalisierer im Rahmen ihrer Geschäftspolitik auf Grundlage objektiver, nichtdiskriminierender Standards selbst festlegen.98 Dabei können Bonitäts-, Gegenparteiund Abwicklungsrisiken berücksichtigt werden.99 Gemeinsam ist sämtlichen der hier genannten Vorhandelstransparenzpflichten, dass sie sich nur auf Finanzinstrumente beziehen, die auch an einem Handelsplatz gehandelt werden. Die neue Regulierung erklärt selbst aber nicht, wann ein Finanzinstrument als an einem Handelsplatz gehandelt gilt. Dies kann im Einzelfall zu schwer zu entscheidenden Zweifelsfragen führen. So werden bspw. Derivate zumindest bis zu einem gewissen Grad jeweils individuell ausgehandelt und abgeschlossen. Dabei sind sie häufig so weitgehend standardisiert, dass sie nur marginaler Anpassungen bedürfen, die sich etwa auf die Vertragspartner beziehen. Unter welchen Voraussetzungen in solchen Fällen ein OTC gehandeltes Derivat als auch an einem Handelsplatz gehandelt gilt, hat die ESMA in einer Stellungnahme näher beschrieben.100

3.3.3

Pflicht zur Bereitstellung von Referenzdaten

Gemäß Art. 27 MiFIR sind Unternehmen, die als Systematische Internalisierer tätig sind, ebenso wie die Betreiber von Handelsplätzen dazu verpflichtet, ihren zuständigen Behörden zu den über ihr System gehandelten Finanzinstrumenten Referenzdaten zu liefern. Sie werden von dort an die ESMA bzw. die von ihr dazu betriebene FIRDS-Datenbank übermittelt.

96 97

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Art. 18 Abs. 3 S. 2 MiFIR. Art. 18 Abs. 8 MiFIR. Einzelheiten ergeben sich aus dem Auslegungshinweis ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 5 Buchst. e (S. 48 f.). Art. 18 Abs. 5 MiFIR. Diese und weitere Einzelheiten dazu ergeben sich aus dem Auslegungshinweis ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR Transparency Topics vom 07.02.2018, Kapitel 7 Frage 8 (S. 50 f.). Stellungnahme der ESMA, OTC derivatives traded on a trading venue, vom 22.05.2017 (ESMA70-156-117), abrufbar im Internet unter https://www.esma.europa.eu/press-news/ esma-news/esma-clarifies-traded-trading-venue-under-mifid-ii.

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Die Bafin hat dazu einen Zugang zum Portal ihrer Melde- und Veröffentlichungsplattform (MVP Portal) bereitgestellt.101 Die zu liefernden Referenzdaten dienen der eindeutigen Identifizierung der unter die MiFID-II-Regulierung fallenden Finanzinstrumente. Ihre richtige und vollständige Erfassung ist ein wichtiger Baustein für das ordnungsgemäße Funktionieren des auf diesen Daten aufsetzenden Aufsichtsrechts, etwa die Pflicht zur Meldung der mit diesen Instrumenten getätigten Geschäfte gemäß Art. 26 MiFIR. Die für Systematische Internalisierer geltende Pflicht ist allerdings gemäß Art. 27 Abs. 1 Unterabs. 2 MiFIR auf Finanzinstrumente beschränkt, die nicht bereits an einem Handelsplatz gehandelt werden.

3.4 Ausblick Die im Verlauf der obigen Darstellung zahlreich in Bezug genommenen Auslegungshinweise der ESMA und die an vielen Stellen nur angedeuteten Bezüge zu weiteren aufsichtsrechtlichen Regelungsgegenständen unterstreichen, dass es sich bei dem für die Systematische Internalisierung heute geltenden Rechtsregime um eine der komplexeren Materien der neuen Regulierung handelt. Trotz der Vielzahl bislang schon geklärter Fragen steht hier zu vermuten, dass Regelungsunterworfene und Aufsicht dazu auch weiterhin in Dialog werden bleiben müssen. Denn mit der oben genannten Veröffentlichung der Schwellenwerte durch die ESMA im August 2018 steht der nächste Schritt auf dem Weg zur vollständigen Anwendbarkeit der neuen Anforderungen erst noch bevor. Ob und inwieweit sich dann aus Sicht des Gesetzgebers die Erwartungen erfüllt haben werden, die er bei Überarbeitung der Regeln für die Systematische Internalisierung hatte, wird sich frühestens im Anschluss vollständig bewerten lassen.

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Nähere Informationen dazu hat die Bafin im Internet unter https://www.bafin.de/dok/ 8230930 zum Abruf bereitgestellt.

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz Gunnar Stangl

1 Einleitung 2 Zur Markttransparenz 2.1 Markttransparenz im weiteren Sinn 2.2 Markttransparenz im engeren Sinn – Vor- und Nachhandelstransparenz 3 MiFIR – die „Markttransparenzverordnung“ 4 Markttransparenzvorschriften der MiFIR 4.1 Systematischer Überblick 4.2 Anwendungsbereich – Akteure 4.2.1 Handelsplätze 4.2.2 Wertpapierfirmen 4.2.3 Systematische Internalisierer 4.3 Anwendungsbereich – Produkte 4.3.1 Gehandelte Finanzinstrumente 4.3.2 Eigenkapitalinstrumente 4.3.3 Nicht-Eigenkapitalinstrumente 4.3.4 Traded on a Trading Venue 4.3.5 Nicht-preisbildende Transaktionen 4.3.6 Financial Instrument Reference Database 4.4 Vorhandelstransparenz 4.4.1 Vorhandelstransparenz für Systematische Internalisierer 4.4.2 Erleichterungen bei der Vorhandelstransparenz 4.4.2.1 Ausnahmen für illiquide Geschäfte 4.4.2.2 Ausnahmen für große Geschäfte 4.4.2.3 Erleichterungen für Eigenkapitalinstrumente unter dem Double-Volume-Cap 4.5 Nachhandelstransparenz 5 Fazit

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1 Einleitung Neben einem Gesamtüberblick über die in der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) verankerten Transparenzanforderungen und einer Würdigung ihrer Rechtfertigung geht dieser Beitrag v.a. auf die Neuerungen gegenüber dem zuvor geltenden MiFID-I-Regime in diesem Bereich ein. Spezielle Beachtung finden hierbei die Anforderungen im Over-the-Counter-Geschäft (OTC) für Wertpapierfirmen im Allgemeinen und für Systematische Internalisierer im Besonderen. Aus Vereinfachungsgründen beziehen sich Verweise auf MiFID II in diesem Beitrag, so es sich um keine explizite Zitate von Artikeln handelt, auf die Gesamtheit des legislativen Werkes, d.h. MiFID II, Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR) sowie die hieraus abgeleiteten europäischen und nationalen Rechtsvorschriften.

2 Zur Markttransparenz Hinter den Regelungen der MiFID II zur Transparenz stehen spezifische Überlegungen, die durchaus nicht alternativlos sind. Um den regulatorischen Grundgedanken würdigen und einordnen zu können, wird daher zunächst auf unterschiedliche Ausprägungen der Markttransparenz und das ökonomische Rational dahinter eingegangen.

2.1 Markttransparenz im weiteren Sinn Markttransparenz im weiten Sinn umfasst alle Informationen, i.d.R. quantitativer, häufig aber auch qualitativer Natur, anhand derer das Zustandekommen von Preisen an Märkten beobachtet und nachvollzogen werden kann. Dies beginnt bei strukturellen Informationen über Art und Anzahl gehandelter Produkte, die Marktteilnehmer, inklusive der Handelsplätze, über laufende Information zu aktuellem Angebot und Nachfrage – also Quotierungen ebenso wie tatsächlichen Umsätzen – zu Informationen über Positionen, Marktanteilen, Risikokennzahlen und detaillierten statistischen Informationen zur Marktkapazität, Verwendung von Orderarten und weiteren Auswertungen zur Art der Markteilnehmer, also z.B. Buy-and-Hold, Arbitrage oder spekulativer Anlage. All diese Informationen können dazu verwendet werden, das eigene Anlage- und Handelsverhalten zu optimieren, etwa um Transaktionskosten zu minimieren, theoretische Erkenntnisse zur Preisbildung zu gewinnen oder aber auch um Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Die meisten dieser Aspekte sind auch für Aufsichtsbehörden von Interesse,

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einerseits um eventuelle systemische Risiken frühzeitig zu erkennen, andererseits aber auch um Versuche zur Beeinflussung von Preisen, welche sich zum Nachteil anderer Marktteilnehmer auswirken könnten, erkennen und verfolgen zu können. Viele der oben angeführten Punkte finden sich daher auch im MiFID-II-/MiFIR-Regelwerk wieder. Hierzu gehören auch die zahlreichen von der European Securities and Markets Authority (ESMA) und den nationalen Aufsichtsbehörden veröffentlichten Register zu Finanzinstrument, Handelsplätzen, zugelassen Investmentfirmen, Investmentfonds etc. Gerade für Aufsicht und Akademiker stellen diese Register umfangreiche auswertbare Informationen zum Nulltarif zur Verfügung.

2.2 Markttransparenz im engeren Sinn – Vor- und Nachhandelstransparenz Markttransparenz im engeren Sinne für diesen Beitrag bezieht sich auf die zeitnahe Bereitstellung von Informationen zu getätigten Umsätzen (Nachhandelstransparenz) sowie auf Informationen zu den Konditionen, zu denen Anleger Transaktionen in Finanzinstrumenten abschließen können (Vorhandelstransparenz). Weder die Bereitstellung von Vor- noch von Nachhandelstransparenz ist dabei keineswegs auf regulatorische Intervention angewiesen. Beides sind Tätigkeiten, die im Kern des ökonomischen Interesses von Marktteilnehmern liegen bzw. von Marktplätzen aktiv zur Beförderung ihres Geschäftsmodels eingesetzt werden. Vor- wie Nachhandelstransparenz sind dem Markt- bzw. Geschäftsmodell von öffentlichen Handelsplätzen inhärent und waren daher bereits lange vor den ersten Ansätzen zur Regulierung von Ticker-Tapes (z.B. Regulation National Market System in den USA in den 1970ern) an Märkten zum Handel mit Aktien, Futures, Rohstoffen und anderen Wertpapieren regelmäßig vorhanden. Die Vorhandelstransparenz wurde traditionell durch den Aufruf von Preisen durch Floor Brokern in Open-outcry Pits oder anderen Formen der Auktion bewerkstelligt. Die Nachhandelstransparenz wurde neben Ausrufen und Anschreiben der Preise seit über 150 Jahren auch technisch durch Ticker-Tapes kommerziell angeboten und genutzt. Gerade bei Assets, die an mehreren Handelsplätzen gehandelt werden, war lange Zeit der Zugang zu schnelleren und vollständigeren Markttransparenzdaten ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, erlaubt er doch risikoarme Arbitrage-Profite. Die Tätigkeit der Arbitrageure führte dabei in Folge zu einer Annäherung der Preise an den verschiedenen Handelsplätzen und damit zu faireren Preisen für alle Marktteilnehmer.

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Während die Nachhandelstransparenz v.a. ex post erlaubt, die mögliche Existenz von Potenzial zur Preisverbesserung zu identifizieren, gibt die Vorhandelstransparenz anderen Marktteilnehmen die Möglichkeit, mit den Geboten zu interagieren und den Preis ex ante zu verbessern. Es sei dahingestellt, ob derart öffentlich zustande gekommene Preise fairer in dem Sinne sind, dass sie den tatsächlichen (inneren) Wert eines Gutes besser bewerten als privat, bilateral ausgehandelte Preise. I.d.R. gewährt aber ein transparentes Bieterverfahren, dass Bieter, die bereit sind, für das selbe Gut einen höheren Preis zu zahlen bzw. einen niedrigeren zu akzeptieren, zum Zuge kommen können – was speziell für gelegentliche Marktteilnehmer i.d.R. zu besseren Preisen führen wird, als in einer privaten Transaktionen mit dem „Makler ihres Vertrauens“ erzielt werden könnten. Voraussetzung für diesen positiven Transparenzeffekt sind hierbei allerdings das Ausbleiben von Signal- oder Feedback-Effekten, die dazu führen können, dass sich der letztlich von einem Käufer bzw. Verkäufer erzielte Preis deutlich vom letzten Preis unterscheiden kann, wenn dessen Geschäftsabsicht andere Marktteilnehmer veranlasst, sich entsprechend zu positionieren.

3 MiFIR – die „Markttransparenzverordnung“ Die Transparenz von Märkten steht im Zentrum der MiFIR. In der Tat könnte man die MiFIR mit Fug und Recht als „Markttransparenzverordnung“ bezeichnen. Bereits im ersten Erwägungsgrund findet sich der Begriff vier Mal. Transparenz ist direktes Ziel der MiFIR, um das mittelbare ordnungspolitische Ziel stabiler, funktionierender Märkte, die als Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren der monetären Transmissionsmechanismen moderner Volkswirtschaften gesehen werden, zu erreichen. Der vermutete Wirkungsmechanismus, der das Gleichsetzen von Transparenz und stabilen Märkten rechtfertigt, ist dabei die Annahme, dass Märkte letztlich auf das Vertrauen ihrer Nutzer angewiesen sind. Mangels Vertrauen, den erwarteten Abschluss zu einem fairen Preis zu erzielen, werden sich Käufer und Verkäufer nur mit großer Vorsicht – also mit kleinen Mengen und Sicherheitsmargen in den Preisen – einem Markt nähern. Transparenz wird als notwendige Vorbedingung für Vertrauen erachtet. Dass diese regulatorische Theorie nicht uneingeschränkt gilt, zeigt sich an alternativen Marktmodellen wie Dark Pools im Aktienhandel, Blind Auctions in Bieterverfahren oder auch bei Marktmodelle in denen Risiken aktiv gehalten und transformiert werden, was, bei vollständiger Transparenz, nicht ohne Risiken für den Risk Transfer Agent erfolgen kann. Wenn man aber auch eine universale Gültigkeit der regulatorischen Transparenztheorie in Frage stellen kann, so dürfte sie im Bereich von atomistischem Angebot und Nachfrage in beinahe idealen, standardisierten Märkte auch einer empirischen Prüfung standhalten.

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Die Bedeutung eines Level Playing Fields schlägt sich auch direkt in der Tatsache nieder, dass die MiFIR als Verordnung verfasst wurde und damit in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen anwendbares Recht darstellt. Dieses war eine bewusste Entscheidung, um den zuvor bestandenen Wildwuchs in der Europäischen Union (EU) an unterschiedlichen Anforderungen zur Abgabe von Transaktionsmeldungen, Transparenzerfordernissen und anderen Auflagen einzudämmen – und damit letztendlich Marktzugangshemmnisse abzubauen, aber eben auch um mehr Transparenz zu schaffen, da nun Informationen von verschiedenen Ausführungsplätzen besser miteinander vergleichbar sein sollten. Trotz der Ausgestaltung als Verordnung finden sich aber gerade im Bereich der Vor- und Nachhandelstransparenz noch Möglichkeiten für nationale Behörden, unterschiedliche Akzente zu setzen. Dies geschieht v.a. über unterschiedlich gehandhabte Ausnahmen von der Vorhandelstransparenz für illiquide Instrumente bzw. große Aufträge sowie unterschiedlich lange Karenzzeiten, die bis zur (Nachhandels-)Meldung großer Transaktionen gewartet werden kann.

4 Markttransparenzvorschriften der MiFIR 4.1 Systematischer Überblick Die Transparenzanforderungen der MiFIR unterscheiden sich nach Asset-Klasse, Art des Marktteilnehmers und Liquidität des Finanzinstruments. Entsprechend sind auch die entsprechenden Anforderungen in verschiedenen Abschnitten der MiFIR sowie verschiedenen Durchführungsverordnungen (Regulatory Technical Standards (RTS)) verteilt. Die relevanten Vorschriften finden sich auf Level I im Wesentlichen in den Art. 3 bis 22 MiFIR (Titel II und III) mit ergänzenden Definitionen in den Art. 1 bis 16 der Delegierten Verordnung1 sowie den beiden primären RTS zu den Transparenzverpflichtungen.2 Zu beachten sind daneben noch die Definition in der RTS 22 zum Transaktions-Reporting3 sowie die Durchführungsverordnung zur Security Financing Transaction Regulation SFTR).4

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EU 2017/567. RTS 1 (EU 2017/587) für Eigenkapitalinstrumente und RTS 2 (EU 2017/583) für andere Finanzinstrumente und die die RTS 11 (EU 2017/588) zur Festlegung der Tickgrößen für Eigenkapitalinstrumente. EU 2017/590. EU 2015/2365.

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Andere RTS mit Bezug auf Transparenzvorschriften wie die RTS 3 zur Bestimmung des Double-Volume Caps5 haben nur mittelbare Auswirkungen auf regulierte Firmen. Neben den Level-I- und Level-2-Anforderungen ist noch die laufende Fortentwicklung von Detailanforderungen durch die ESMA in der Form von Questions &Answers (Q&A) zu beachten, die seit kurzem auch in Deutschland de facto einem Auslegungsschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) gleichgestellt sind, und auch ohne Übersetzung von Wertpapierfirmen zu beachten sind. Da die MiFIR direkt anwendbares Recht darstellt, fehlen größten Teils nationale Interpretationen. Allerdings befinden sich die Vorschriften für mögliche Bußgelder im Bereich des nationalen Rechts (§ 119 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) – Strafvorschriften; § 120 WpHG – Bußgelder). Auch ist zu beachten, dass einige Bestimmungen im Ermessensspielraum der jeweiligen nationalen Aufsicht liegen, wodurch z.B. bei der Anwendbarkeit von Ausnahmebestimmungen nationale Unterschiede bestehen. Ausgangspunkt sind dabei immer die primären Transparenzanforderungen für Handelsplätze. Anforderungen an andere Akteure sind mit dem Ziel verfasst, dass eine Vergleichbarkeit mit den Anforderungen für Handelsplätze erreicht wird. Hierbei wird jeweils zwischen den Anforderungen für Eigenkapitalinstrumente, also Aktien und aktienähnliche Instrumente, und denen für andere Instrumente (v.a. Anleihen und Derivate) differenziert. Dabei sind die Anforderungen für Eigenkapitalinstrumente generell höher als für andere Finanzinstrumente, jene für liquide Instrumente strenger als für illiquide Instrumente, und die Anzahl der Ausnahmen für Wertpapierfirmen etwas größer als jene für Handelsplätze. In dieser Abstufung spiegelt sich die Eingangs gemachte Beobachtung, dass der Wert von Transparenz an sich für liquide Aktienmärkte kaum in Frage gestellt wird, während sich bei weniger liquiden Instrumenten mit höheren Anforderungen an das Risikomanagement der Liquidität zur Verfügung stellenden Marktteilnehmer ein differenzierteres Bild ergibt. Betrachtet man das Regelwerk, kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Anforderungen im Kern relativ einfach zu erfassen sind. Die eigentliche Komplexität stellt sich bei den Ausnahmen bzw. den Abgrenzungen zu Transaktionen ein, die den Verpflichtungen nicht unterliegen. Neben den Ausnahmen stellen auch die Detailausführungen der für Systematische Internalisier geltenden Vorschriften den Anwender vor beträchtliche Herausforderungen. Dreh- und Angelpunkt der Vorschriften ist dabei die korrekte Klassifikation eines Finanzinstruments, die sich als keineswegs trivial herausstellt. Veranschaulicht wird die Bedeutung der Klassifikation wohl am besten durch die Ausfüh-

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EU 2017/577.

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rungen zu den Liquiditätsschwellen für einzelne Asset-Klassen im Bereich der Nicht-Eigenkapitalinstrumente, die im Anhang III der RTS 2 beinahe 100 Seiten einnehmen. Tabelle 1: Relevantes EU-Recht zu Transparenzanforderungen

Eigenkapitalinstrumente

Nicht-Eigenkapitalinstrumente

Vor/ Nach

Handelsplätze/ Systematische Internalisier/ Wertpapierfirmen

Pflichten

Ausnahmen

Vor

Handelsplatz

Art. 3 MiFIR RTS 3-8

Art. 4-5 MiFIR Art. 5-8 RTS 1

Vor

Systematischer Internalisierer

Art. 14-15 MiFIR Art. 9-11 RTS 1

Art. 6 MiFIR Art. 14 Abs. 1, 14 Abs. 2, 15 Abs. 3 RTS 1

Nach

Handelsplatz

Art. 6 MiFIR Art. 12 RTS 1

Nach

Systematischer Internalisierer, Wertpapierfirma

Art. 20 MiFIR Art. 12 RTS 1

Art. 7 MiFIR Art. 13 (Nicht-preisbildende OTC-Geschäfte), 15 (Verzögerte Veröffentlichung) RTS 1

Vor

Handelsplatz

Art. 8 MiFIR Art. 2 RTS 2

Art. 9 MiFIR Art. 3-6 RTS 2

Vor

Systematischer Internalisierer

Art. 18 MiFIR Art. 7-10 RTS 2

Art. 9, Art. 18 Abs. 1 MiFIR Art. 8 RTS 2

Nach

Handelsplatz

Art. 10 MiFIR Art. 12 RTS 2

Nach

Systematischer Internalisierer, Wertpapierfirma

Art. 21 MiFIR Art. 12 RTS 2

Art. 11 Abs. Buchst. a-c, 11 Abs. 2, 11 Abs. 3 MiFIR Art. 11 (Standard Market Size), Art 12 (Ausnahme für nicht preisbildende OTCGeschäfte) RTS 2

Innerhalb der beiden Instrumentengruppen – also einerseits Aktien und aktienähnliche Instrumente (Aktien und Fonds) und allen anderen Finanzinstrumente (Bonds und Derivate) andererseits – ergeben sich weitere Differenzierungen. So wirkt sich hier z.B. das Handelsplatzgebot für an Handelsplätzen gehandelte Aktien aus (Art. 23 MiFIR) – ein Handel kann hier nur an Regulierten Märkten, Multilateral Trading Facilities (MTFs) oder Systematischen Internalisierer erfolgen. Und auch wenn die Vorschriften für Aktienzertifikate, börsengehandelte Fonds, Zertifikate und anderen vergleichbaren Finanzinstrumente im wesentlich deckungsgleich mit jenen für Aktien sind, ergibt sich hier eine Differenzierung durch unterschiedliche Schwellwerte für die Anwendbarkeit mancher Vorschriften. Ebenso wird innerhalb der anderen Finanzinstrumente auch zwischen

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den einzelnen Anlageklassen differenziert. So weisen z.B. die Vorschriften für die Ermittlung des Status eines Systematischen Internalisier für Bonds oder Derivate deutliche Unterschiede aus.

4.2 Anwendungsbereich – Akteure 4.2.1

Handelsplätze

Ihren primären Anwendungsbereich finden Transparenzvorschriften bei regulierten Handelsplätzen, also geregelten Märkten (Börsen), MTFs und Organised Trading Facilities (OTFs) – zusammen „Handelsplätze“. Bei Handelsplätzen ist die Vorhandelstransparenz, also die Veröffentlichung von Kaufund Verkaufsgeboten, i.d.R. systemimmanent. Die Wahrscheinlichkeit eines Abschlusses – und damit einer Kommissionszahlung an den Handelsplatz – steigt mit der Anzahl der Akteure, die Kenntnis von den Geboten haben. Die meisten Handelsplätze versuchen, die über sie abgewickelten Umsätze zu maximieren, und werden daher alles daran setzen, Gebote zu veröffentlichen. Da an diesen Geboten nicht nur die Teilnehmer des Handelsplatzes interessiert sind, sondern auch OTC-Händler, die nach Aribtrage-Möglichkeiten oder Informationen zum Risikomanagement – speziell bezüglich Liquidität und Marktrisiko – suchen, ergibt sich hier für Handelsplätze regelmäßig eine zusätzliche Ertragsmöglichkeit durch die Vermarktung der Gebote. Auch die Anforderungen zur Nachhandelstransparenz laufen zu einem guten Teil parallel zum natürlichen Geschäftsgebaren der Handelsplätze. Allerdings liegt hier traditionell das Interesse der Handelsplätze auf der Vermarktung der Marktdaten. Erträge aus der Echtzeitversorgung von Marktteilnehmern ebenso wie die Bereitstellung historischer Daten für Analysen sind für viele Handelsplätze traditionell eine wichtige Einnahmequelle. Historisch genossen manche Handelsplätze hier eine monopolähnliche Marktstellung, die durch regulatorische Anforderungen zur Bewertung auf Basis gehandelter Kurse und die Tendenz hin zu einem Real-time-Management von Marktrisiken noch verstärkt worden ist. Das Ungleichgewicht in der Stellung von Anbietern und Nachfragern von Marktdaten versuchte der Gesetzgeber auch in der MiFIR zu adressieren. Die Herausforderung in der Umsetzung der daraus resultierenden Bestimmungen liegt für Handelsplätze v.a. darin, sicherzustellen, dass die Veröffentlichung von Daten gesondert und zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen, also in Einklang mit den technischen Anforderungen des

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Art. 12 MiFIR bzw. des RTS 14,6 sowie zu kaufmännischen Konditionen, die den Bestimmungen des Art. 13 MiFIR bzw. des 2. Kapitel der Delegierten Verordnung EU 2017/567 entsprechen, erfolgt. Hierbei könnte sich im Einzelfall die Verpflichtung nach Art. 13 Abs. 1 S. 2 MiFIR zur kostenlosen Veröffentlichung der Vor- und Nachhandelstransparenzinformationen nach 15 Minuten auch in Ertragseinbußen bemerkbar machen. Diese Bestimmungen bedeuten allerdings keineswegs, dass Handelsplätze keine Möglichkeit zur kommerziellen Nutzung ihrer Daten mehr hätten. So kann weiterhin für historische Daten eine Gebühr verlangt werden, denn kostenfrei ist lediglich der real-time (t+15m) veröffentlichte Preis.7 Der „kostenlose“ Aspekt wird auch dadurch relativiert, dass Handelsplatzbetreiber Drittanbietern, die für die Zurverfügungstellung der t+15m-Preise ihrerseits Gebühren erheben, auch wenn dies nur eine Grundgebühr für die Nutzung des Service ist, ihrerseits Kosten belasten können. Weitere Anforderungen für Handelsplätze ergeben sich aus der Anforderung, ihre Systeme bzw. Regelungen auch Wertpapierfirmen zur Veröffentlichung der von diesen zu erbringenden Transparenzdaten zur Verfügung stellen.8 Den zusätzlichen technischen und organisatorischen Aufwendungen steht hier allerdings eine weitere Einkommensquelle gegenüber. Während für Wertpapierfirmen das Hauptproblem im Kontext der Transparenzvorschriften in der Identifikation der zu veröffentlichen Daten und deren technischer Bereitstellung besteht, besteht für Handelsplätze kein Zweifel darüber, welche Daten zu veröffentlichen sind – dies im Einklang mit den umfangreichen und detaillierten Anforderungen der MiFIR zu tun, stellte sich in den ersten Wochen nach in Kraft treten der MiFIR als eine signifikante Herausforderung dar.

4.2.2

Wertpapierfirmen

Der Gesetzgeber macht in den Erwägungsgründen9 der MiFIR das ordnungspolitische Ziel deutlich, dass der Handel mit Finanzinstrumenten nach Möglichkeiten an Handelsplätzen erfolgen soll. Daneben sollen auch Wettbewerbsverzerrungen vermieden wer-

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EU 2017/572. Vgl. ESMA Transparency Q&As, GEN Q9. Art. 6 Abs. 2 MiFIR (Eigenkapitalinstrumente) bzw. Art. 8 Abs. 3 MiFIR für Nicht-Eigenkapitalinstrumente. Erwägungsgrund 6: Es ist unbedingt sicherzustellen, dass der Handel mit Finanzinstrumenten nach Möglichkeit an organisierten Handelsplätzen stattfindet.

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den – was impliziert, dass der Handel außerhalb von Handelsplätzen weitestgehend den gleichen Vorschriften, im Besonderen bezüglich der Transparenzanforderungen, unterliegen soll wie der Handel an den regulierten Handelsplätzen. Für Wertpapierfirmen resultiert dies in – im Vergleich mit Handelsplätzen – teilweise überproportionalen Anforderungen. Einerseits handeln viele Wertpapierfirmen – im Besonderen die auf Grund des Kundenspektrums produktseitig breit aufgestellten Banken – mit einer deutlich größeren Bandbreite an unterschiedlichen Instrumenten als spezialisierte Handelsplätze. Hieraus ergeben sich beträchtliche Komplexitätskosten, auch aufgrund der Vielzahl ähnlicher, aber leicht unterschiedlicher regulatorischen Anforderungen. Neben MiFIR wären hier die European Market Infrastructure Regulation (EMIR) und andere Berichtsanforderungen an europäische und internationale Aufsichtsbehörden zu nennen. Allerdings haben solche Firmen geringere Skaleneffekte als organisierte Handelsplätze, welche deutlich höhere Stückkosten pro Transaktionen zur Erfüllung regulatorischer Anforderungen implizieren als dies bei Handelsplätzen der Fall ist. Wertpapierfirmen müssen die zu berichteten Transaktionen identifizieren, ihre eigene Berichtspflicht bestimmen und dokumentieren, Meldungen innerhalb sehr kurzer Zeit durchführen, ggf. die Anwendbarkeit von Ausnahmebestimmungen laufend überwachen und umfangreiche Kontrollen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung unter Beachtung von Funktionstrennung durchführen. Daneben sind, so OTC-Geschäft auf eigene Rechnung durchgeführt wird, noch Schwellwerte für die Bestimmung als Systematischer Internalisierer zu überwachen. Neben der technischen Einrichtung der benötigten Berichtsmechanismen und zur Aufzeichnungspflicht wird daher mindestens eine vom Handel unabhängige Kontrollfunktion benötigt. Eine konservative Schätzung sind daher etwa zwei Vollzeitkräfte. Dagegen sind die direkt messbaren externen Kosten der Berichtserstattung, die an APA (Approved Publication Arrangement) oder andere technische Dienstleister zu entrichten sind, von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung. Da die laufenden Kosten für die korrekte Durchführung von Transaktionsmeldungen gerade für kleinere Wertpapierfirmen im Vergleich zum Geschäftsumfang erheblich sein können, sind diese bemüht, die Verpflichtung zur Abgabe der Meldung zu vermeiden. Neben der Verlagerung von Transaktionen auf Handelsplätzen besteht die Möglichkeit zur Delegation der Durchführung der Meldung an eine Gegenpartei oder aber Aufträge gezielt an Systematische Internalisierer im betreffenden Finanzinstrument zu vergeben, da diese zur Meldung verpflichtet sind, wenn die Gegenpartei selbst kein Systematischer Internalisierer ist.

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4.2.3

Systematische Internalisierer

Für Wertpapierfirmen die Transaktionen auch außerhalb von Handelsplätzen ausführen, also OTC handeln, stellen die Bestimmungen zur Systematischen Internalisierung eine der wesentlichsten Änderungen der MiFID II gegenüber dem MiFID-I-Regime dar. Systematische Internalisier sind definiert als Wertpapierfirmen, die auf einer organisierten Basis, regelmäßig, systematisch und in substantiellem Umfang Kundenaufträge auf eigene Rechnung außerhalb von Handelsplätzen auf bilateraler Basis ausführen. Der Gesetzgeber betrachtet Systematische Internalisierer als einem Handelsplatz ähnliche Ausführungsplätze und sucht daher, diese ähnlichen Anforderungen wie Handelsplätze zu unterwerfen. Ziel ist, den Raum für regulatorische Arbitrage, die dazu inzentiveren könnte, Geschäfte abseits von Handelsplätzen auszuführen, möglichst zu unterbinden. Zusätzlich zu den Transparenzverpflichtungen, die auch für „normale“ Wertpapierfirmen im OTC-Handel anwendbar sind, gelten für Systematische Internalisierer auch Vorhandelstransparenzpflichten (Art. 14, 17, 18 MiFIR), die Verpflichtung Referenzdaten für von ihnen zum Handel angebotene Instrumente an die nationale Aufsicht zu melden (Art. 27 MiFIR) und die Veröffentlichung von Berichten zur Ausführungsqualität nach Art. 27 MiFID II (detailliert in RTS 27). Bei der letztgenannten Verpflichtung, die ein Aspekt des Best-Execution-Regimes ist, handelt es sich dabei um Markttransparenz im weiteren Sinne, da diese Informationen nur mittelbar Handelsentscheidungen beeinflussen. Die oben genannten Verpflichtungen stellen einen beträchtlichen Umsetzungsaufwand dar, der v.a. für kleinere Wertpapierfirmen unverhältnismäßig wäre. Der Gesetzgeber wollte daher sicherstellen, dass nur solche Firmen den erhöhten Anforderungen unterliegen, die tatsächlich ihre Dienstleistung als eine Alternative zu Handelsplätzen anbieten. Gleichzeitig war aber auch Ziel der MIFID II, die Anwendung gegenüber dem MiFID-I-Regime deutlich auszuweiten – denn hier gab es gerade mal zwölf Firmen in der EU, die den – nur für Aktien definierten – Status des Systematische Internalisierer inne hatten. Das MiFID-I-Systematische-Internalisierer-Regime war weitestgehend ohne Auswirkung für das Geschäftsmodell der betreffenden Firmen und führte zu keinen merkbaren Marktanteilsverlagerungen – weder zu den Systematischen Internalisierern noch von ihnen weg. Unter MiFID II gibt es deutlich mehr Systematische Internalisierer als unter MiFID – im Februar 2018 bereits über 60 – in fast allen Asset-Klassen. Die wesentliche Auswirkungen auf die Marktstruktur des Systematischen-Internalisierer-Status dürfte nach ersten Beobachtungen aber nicht die erhöhte Markttransparenz sein, sondern der vom Regime genierte starke Anreiz für kleinere Wertpapierfirmen, ihre Transaktionen auf Handelsplätzen auszuführen, um zu vermeiden selbst in den Anwendungsbereich des Systematischen-Internalisierer-Regimes zu geraten. Diese Vermeidungs-

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strategie rührt auch daher, dass die Eingangsschwellen, ab denen eine Firma verpflichtet ist, den Systematischen-Internalisierer-Status anzunehmen, teilweise bereits bei einer Handelsaktivität von sehr geringem Umfang überschritten werden können. Die Kriterien für den Systematischen-Internalisierer-Status sind in der Durchführungsverordnung zur MiFID II10 für einzelne Asset-Klassen festgelegt (Art. 12 bis 16 Durchführungsverordnung). Während der Status im Wortlaut der Level-I-Texte nur für einzelne Instrumente definiert ist, hat die ESMA in einigen Fällen einen Class-of-InstrumentAnsatz (COFIA) gewählt: Die Überschreitung des Schwellwertes in einem Instrument innerhalb einer Klasse führt zum Systematischen-Internalisierer-Status für alle Instrumente innerhalb dieser Klasse. So gilt der Systematische-Internalisierer-Status bei Anleihen in Folge für alle Anleiheemissionen nicht nur eines Emittenten, sondern sämtlicher anderer Emittenten in der gleichen Gruppe (Art. 13 Durchführungsverordnung) – wobei der Begriff der „Gruppe“ hier nicht definiert wird. Nicht erheblich ist dabei, ob es sich um Instrumente in gleichem Gläubigerrang wie das Instrument, das die Systematische-Internalisierer-Verpflichtung ausgelöst hat, handelt, oder ob die anderen Instrumente liquide oder illiquide sind. Gleiches gilt für den Systematischen-Internalisierer-Status für strukturierte Finanzprodukte (Art. 14 Durchführungsverordnung), der sich auch auf strukturierte Finanzprodukte, die innerhalb der gleichen Gruppe emittiert wurden, erstreckt. Für Derivate (Art. 15 Durchführungsverordnung) ist der COFIA am weitesten gefasst, da er für alle Transaktionen in Instrumenten innerhalb der (Sub-)Asset-Klasse gilt. Abbildung 1: Relevante Umsätze für Systematische Internalisierer

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EU 2017/565.

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Das Systematische-Internalisierer-Regime stellt Wertpapierfirmen daher vor zwei Herausforderungen, die zunächst unabhängig von den eigentlichen Folgeverpflichtungen sind: 1. Bestimmung des Systematischen-Internalisierer-Status: Soweit dieser nicht vorsorglich freiwillig eingenommen wird, sind umfangreiche Monitoring-Arbeiten notwendig, um die eigenen OTC-Transaktionen – so solche noch getätigt werden – in Relation zu Schwellwerten, die teilweise Gesamtmarktgrößen referenzieren, zu betrachten. 2. Beantworten der Frage, für welche Instrumente der Systematische-Internalisierer-Status eigentlich besteht, d.h. welche anderen Emittenten gehören der gleichen Gruppe an wie der Emittent, für den man Systematischer Internalisierer ist, oder welche anderen Transaktionen waren in der gleichen Derivateklasse? Beide Anforderungen werden in der Praxis auch noch dadurch verschärft, dass keineswegs klar ist, in welche Kategorie ein Instrument fällt, da die in der Durchführungsverordnung definierten Eingangskriterien nicht den Gesamtumfang aller möglichen Finanzinstrumente darstellen. Offen bleibt dabei, ob für Instrumente, die nicht offensichtlich einzuordnen sind – wie z.B. Geldmarktinstrumente – (definiert in Anhang I Abschnitt C Nr. 2 MiFID II, eigenständig neben Anleihen, und nicht erwähnt in der RTS 2) –, schlicht kein Systematischer-Internalisierer-Status vorgehsehen ist11 oder ob ein Anwender hier individuelle Grenzwerte für „im wesentlichen Umfang“ und „regelmäßig“ definieren müsste. Da der Begriff der Anleihe weder in der MiFID II oder der MIFIR noch in einer der Durchführungsverordnungen definiert ist,12 muss es offenbleiben, ob ein Geldmarktinstrument wie z.B. etwa ein Treasury Bill für die Zwecke der Transparenzpflichten eine „Anleihe“ ist oder nicht. Eine weitere technische Hürde ist bei der Definition bzw. der Identifikation der relevanten (Sub)-Asset-Klassen zu nehmen, die zur Erhebung des Liquiditätsstatus in der RTS 1 bzw. RTS 2 definiert werden, dabei aber teilweise von den Instrumentendefinitionen der MiFID II im Abschnitt C des Anhang I bzw. im Art. 4 abweichen bzw. auf diese nicht näher eingehen.

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Definiert wird dieser in der MiFIR-Durchführungsverordnung lediglich für: Aktien etc. (Art. 12), Anleihen (Art. 13), strukturierte Finanzprodukte (Art. 14), Derivate (Art. 15) und Emissionsrechte (Art. 16). Zwar enthält der Anhang III der RTS eine Aufzählung verschiedener Sub-Asset-Klassen zur Anlageklasse der Anleihe, aber auch diese gebraucht den Begriff der Anleihe ohne genaue Begriffsbestimmung.

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

Unerwartete Ergebnisse findet man auch bei verbrieften Derivaten (44c-Derivate), die rechtlich als Anleihen ausgestaltet sind, in Art. 4 Abs. 1 S. 27 MiFID II aber in der Definition von „Derivate“ aufgeführt sind. Diese sind auch in der RTS 2 berücksichtigt, allerding sind keinerlei Sub-Asset-Klassen definiert. Stellt man lediglich auf den rechtlichen Status als Anleihe ab, kommt man zum Ergebnis, dass der Systematische-InternalisiererStatus für alle verbrieften Derivate eines Emittenten gilt. Gemäß der Einstufung als Derivat aber begründet ein Systematischer-Internalisierer-Status in einem verbrieften Derivat einen Systematischen-Internalisierer-Status in allen verbrieften Derivaten aller Emittenten. Vermieden werden die Folgen einer solchen unerwarteten Ausweitung lediglich dadurch, dass Emittenten i.d.R. OTC-Handel nur in von ihnen selbst emittierten Produkten anbieten. Aufgrund der Tatsache, dass Fehlentscheidungen unter den oben genannten Punkten 1) und 2) erhebliche Compliance-Risiken nach sich ziehen können, haben sich viele Häuser daher in der Umsetzung zu einem Alles-oder-Nichts-Ansatz entschieden: Wer keine OTC-Transaktionen tätigt, muss diese auch nicht überwachen. Und wer in einer Anleihe Systematischer Internalisierer ist, kann den Verpflichtungen genauso gut in allen von einem Haus gehandelten Anleihen nachkommen. In beiden Fällen entfällt Aufwand zur Überwachung von Schwellwerten oder Abgrenzung von Instrumenten. Bei der Überwachung der Schwellwerte ist zusätzlich zu beachten, welche Transaktionen als „Ausführung von Kundenaufträgen auf eigene Rechnung“ zu betrachten sind. Nur diese fließen in den Nenner der Verhältnisrechnungen sowohl für die Schwellwerte zum „erheblichen Umfang“ als auch der „regelmäßigen Ausführung“ ein. Da in Handelsgeschäften zwischen zwei Wertpapierfirmen immer eine der Parteien als Kunde gilt, kann es auch hier zu überraschenden Konstellationen kommen. Während für die Zwecke der Nachhandelsmeldung nach Art. 26 MiFIR eine logische Abfolge der Berichtspflicht, welche dem Prinzip „Verkäufer meldet“ folgt, festgelegt ist, fehlt diese bei der Frage, wer der Kunde ist. Im Allgemeinen kann hierbei allerdings davon ausgegangen werden, dass die Partei, die einen Preis anfragt, in der Rolle des Kunden ist. Die Aktivitäten von Treasury-Abteilungen von Banken werden daher regelmäßig nicht als „Ausführung von Kundenaufträgen“ zählen, selbst wenn es sich hier um Geschäft auf eigene Rechnung handelt. So in einer Firma sowohl treasury- als auch kundenbezogener Handel (Market Making) betrieben wird, sind diese beiden Aktivitäten sowohl für die Berechnung von Schwellwerten als auch bei den Berichten zur Ausführungsqualität eines Ausführungsplatzes nach Art. 27 MiFID II getrennt zu betrachten, wobei die Tätigkeiten ohne Kundenbezug jeweils unerheblich wären. Nicht von Bedeutung ist diese Differenzierung hingegen für die Nachhandelstransparenzpflichten, welche bei allen OTC-Transaktionen zu beachten sind.

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Tabelle 2: Aktivitätsschwellen für Systematische Internalisierer Klasse

Eigenkapitalfinanzinstrumente

Anleihen

Strukturierte Finanzierungsprodukte

Derivate

Emission

M-II-DVO

Art. 12

Art. 13

Art. 14

Art. 15

Art. 16

Scope

Instrument

Emittent

Emittent

(Sub)-Klasse

Instrument

O&S -L Häufigkeit und Anzahl (#)

1/t und # >0,4% EU

1/w. und # >2,5% EU

1/w. und # > 4% EU

1/w. und # >2,5% EU (Klasse!)

1/w. und # >4% EU

O&S–NL Häufigkeit

1/t.

1/w.

1/w.

1/w.

1/w

erheblich

a) >=15% b) >=0,4% EU

a) >=25% b) >=1%

(a) >=30% (b) >=2,25%

a) >=25% b) >= 1%

a) >=30% b) >=2,25%

M-II-DVO: MiFID II Delegierte Verordnung EU/2017/565; O&S = Organisiert & systematisch; L = Liquide, NL=nicht Liquide; vgl. auch Tabelle 1

Auf eigene Rechnung handelt eine Wertpapierfirma, wenn sie als Gegenpartei fungiert. Nicht auf eigene Rechnung i. S. d. Systematischen-Internalisierer-Definition handelt gemäß Art. 16a Durchführungsverordnung eine Firma, wenn sie Kundenaufträge de facto risikolos ausführt, indem sie zeitgleich mit der Kundenorder eine entsprechende Order zum gleichen Preis ausführt. Für die meisten Zwecke gilt ein solches Back-to-backGeschäft als eine einzige Transaktion, bei der der dazwischenstehende Intermediär i.d.R. keine Transparenzverpflichtungen hat. Wird das Back-to-back-Geschäft auf einem Handelsplatz ausgeführt, so gilt daher auch der Kundenauftrag an einem Handelsplatz ausgeführt. Umgekehrt, wenn die Risikoeindeckung also über einen anderen Ausführungsplatz als über einen Handelsplatz erfolgt – z.B. bei einem Systematischen Internalisierer –, stellt dies aus der Sicht der dazwischenstehenden Firma daher die OTC-Ausführung eines Kundenauftrages dar. Allerdings erfolgt diese Transaktion gemäß obiger Definition nicht auf eigene Rechnung und bleibt damit für Zwecke der Systematischen-Internalisierer-Schwellwertberechnung unerheblich. Da der Preis der Kundenorder und der Preis des Eindeckungsgeschäfts deckungsgleich sein müssen, impliziert dies ein Handelsmodel, in dem Endkunden Provision verrechnet wird. Während der Art. 16a Durchführungsverordnung für Häuser, die Aufträge ihrer Kunden mittelbar auf Handelsplätzen oder anderen Ausführungsplätzen, etwa einem Systematischen Internalisierer, ausführen, eine Möglichkeit ist, einen SystematischenInternalisierer-Status zu vermeiden, war sie primär dazu gedacht Auftragsketten, speziell in Aktien, zu unterbinden, hinter denen ein Umgehungstatbestand der Handelsplatzpflicht für Aktien gesehen werde könnte.

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

4.3 Anwendungsbereich – Produkte 4.3.1

Gehandelte Finanzinstrumente

Wie auch die restliche MiFID II gelten auch die Transparenzanforderungen der MiFIR zunächst für Finanzinstrumente. Allerdings sind diese beschränkt auf preisbildende Transaktionen in Finanzinstrumenten, die an einem Handelsplatz gehandelt werden13 (Traded on a Trading Venue (ToTV)), und zwar unabhängig davon, ob die Transaktion an einem Handelsplatz stattfindet. Diese Einschränkung ist für veröffentlichungspflichtige Handelsplätze – also regulierte Märkte, MTFs und OTFs – irrelevant: Alle dort gehandelten Instrumente sind zunächst zu berücksichtigen. Für Wertpapierfirmen, einschließlich Systematische Internalisierer, hingegen ist diese Qualifizierung beim OTC von Handel von beträchtlicher Relevanz, da sich hieran auch eventuelle Systematische-Internalisierer-Pflichten anschließen, aber auch die Notwendigkeit technischer oder organisatorischer Vorkehrungen mit häufig signifikanten Kostenimplikationen davon abhängen können. Innerhalb der Finanzinstrumente werden die Transparenzanforderungen zwischen den Asset-Klassen bzw. Produktgruppen unterschieden. Hierbei ist zunächst die Differenzierung in Eigenkapitalinstrumente und Nicht-Eigenkapitalinstrumente zu betrachten auf die im Folgenden eingegangen werden soll.

4.3.2

Eigenkapitalinstrumente

Der Begriff der Eigenkapitalinstrumente wird durch die Überschrift des 1. Kapitels des Titel II der MiFIR eingeführt und durch die Aufführung der Instrumente in den Art. 3 und 6 MiFIR für die Zwecke der Vor- bzw. Nachhandelstransparenz definiert. Die Kategorie umfasst neben Aktien auch Aktienzertifikate, börsengehandelte Fonds (Exchange Traded Funds (ETFs)), Zertifikate und „andere vergleichbare Finanzinstrumente“. Die „vergleichbaren Finanzinstrumente“ dürften sich dabei nicht auf die gesamte Liste der explizit genannten Instrumente beziehen, sondern lediglich auf Zertifikate.14 Der Begriff „Eigenkapitalinstrument“ mutet mit dem Blick auf ETFs und Zertifikate zunächst ungewöhnlich an.

13 14

Art. 20 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 MiFIR. Vgl. hierzu RTS 1, Annex II, Tabelle 2: „Aufträge mit großem Volumen im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang in Bezug auf Zertifikate und andere vergleichbare Finanzinstrumente“ – der Zusatz findet sich nicht bei den entsprechenden Tabellen für andere Instrumententypen.

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Abbildung 2: Transparenzrelevante Transaktionen

Die Einordnung der ETFs erfährt ihre Berechtigung jedoch dadurch, dass auch Anteile an börsengehandelten Fonds i.d.R. letztlich Eigentumsanteile am Fondsvermögen verbriefen. Hierbei ist beachtenswert, dass die MiFIR den Begriff des Fonds nicht definiert und sich auch auf keine der Definitionen aus z.B. der OGAW-Richtlinie (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) oder der Alternative Investment Fund Manager Directive (AIFMD) bezieht, sondern den eigenständigen Begriff des „börsengehandelten Fonds“ (Art. 4 Abs. 46 MiFID II) einführt. Dieser schränkt die Fonds auf jene ein, die während des Tages kontinuierlich gehandelt werden, also auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch als ETF gesehen würden. Fondsanteile, für welche lediglich ein Ausgabe-/Rücknahmepreis quotiert wird, fallen daher gewöhnlich nicht in diese Kategorie. Auch andere Arten von Investmentvermögen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, sind demnach keine ETFs und damit nicht von den Transparenzvorschriften für Eigenkapitalinstrumente erfasst. Nachdem diese Instrumente auch in der abschließenden Liste der Nicht-Eigenkapitalinstrumente nicht verortet werden können, unterliegen Fonds, die keine börsengehandelten Fonds i.S.d. Definition sind, keinen Vor- oder Nachhandelstransparenzanforderungen, selbst wenn sie an Handelsplätzen gelistet sind. Auch die Einordnung der Zertifikate als Eigenkapitalinstrumente verwirrt auf den ersten Blick – erklärt sich aber aus der Tatsache, dass die in Deutschland als Zertifikate gehandelten strukturierten Investmentprodukte, bei denen es sich technisch betrachtet i.d.R.

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

um Anleihen handelt, nicht mit MiFIR-Zertifikaten identisch sind, sondern es sich um verbriefte Derivate nach Art. 4 Abs. 1 S. 44 Buchst. c MiFID II (44c-Derivate) handelt. MiFIR-Zertifikate hingegen sind Miteigentumsanteile mit eingeschränkten Eigentumsrechten (Partizipationskapital), die zumindest in Deutschland nur äußerst selten begeben werden. Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei Aktien-Zertifikaten15 wiederum um Certificates of Deposits (CD) (auch bekannt als American Depository Receipts (ADR) bzw. Global Depository Receipt (GDR)), also um handelbare Hinterlegungsscheine, die ein Eigentumsrecht an gebietsfremden Wertpapieren darstellen.

4.3.3

Nicht-Eigenkapitalinstrumente

Nicht-Eigenkapitalinstrumente ist der Sammelbegriff für jene Finanzinstrumente, die den im 2. Kapitel des Titel II der MiFIR definierten Transparenzvorschriften unterliegen und die keine Eigenkapitalinstrumente sind. Im Einzelnen sind dies die in den Überschriften der Art. 8, 10, 18 und 21 MiFIR genannten Instrumente: Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzprodukte,16 Emissionszertifikate17 und Derivate.18 Letztere umfassen neben OTC-Derivaten wie z.B. Zins-Swaps oder FX Optionen auch Contracts for Difference (CFD) und die in der Art. 4 Abs. 44c MiFID II definierten „verbrieften Derivate“. Wichtig ist hierbei hervorzuheben, dass Derivate auch Aktienderivate umfassen, diese also bezüglich der Handelstransparenzanforderungen anders behandelt werden als der Basiswert. Bei OTC-Derivaten stellt sich dabei auch immer die Frage nach der Abgrenzung zu Kassageschäften.19 Diese ist von besonderer Bedeutung für Devisengeschäfte, da Kassageschäfte (FX-Spot) keine Finanzinstrumente sind und daher auch keinen Transparenzanforderungen unterliegen. Da die Definition von einer Abrechnung innerhalb von zwei Tagen spricht, liegen damit auch overnight- und tomorrow-next-Forward-Transaktionen in Devisen außerhalb der MiFIR. Sowohl für FX, aber auch bei Warengeschäften ist dabei auch immer die physische Lieferung des Bezugswerts erforderlich, um die

15 16 17 18 19

Vgl. Art. 4 MiFID II. Art. 4 Abs. 28 MiFIR. Anhang I Abschnitt C(11) MiFID II. Art. 4 Abs. 29 MiFIR. Art. 7 Abs. 2 (für Warengeschäfte) und Art. 10 Abs. 2 (FX Spot) Delegierte Verordnung EU 2017/565.

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Bereichsausnahme zu wahren. Physische Lieferung kann auch durch äquivalente Bucheinträge oder bei Waren durch Übergabe eines Zertifikats erfolgen, auf den Einsatz eines Geldtransporters können Devisenhändler damit auch weiterhin verzichten. Nicht von der Ausnahme erfasst sind dagegen Geschäfte, die durch Differenzausgleich abgerechnet werden, wie dies z.B. bei nicht-lieferbaren Währungen (Non Deliverable Forwards (NDFs)) regelmäßig geschieht. Auch das kontinuierliche Rollen einer FXPosition wird daher i.d.R. als Derivat zu beurteilen sein. Für Forward-Geschäfte in Wertpapieren ist die Folge einer falschen Abgrenzung etwas geringer, da das Kassageschäft ebenfalls in den Anwendungsbereich fällt. Allerdings wären für Forward-Geschäfte in Eigenkapitalinstrumente, die in die Definition eines Derivats nach C(4) fallen, dann nicht die Vorschriften für Eigenkapitalinstrumente, sondern jene für Nicht-Eigenkapitalinstrumente zu beachten. Nach der Einführung der EMIR zeigte sich, dass innerhalb der EU keine einheitliche Auffassung darüber bestand, ob FX-Forward-Geschäfte als Derivat eingestuft werden sollen. Die MiFIR-Durchführungsverordnung hat versucht, im Art. 10 Abs. 1 hier eine Vereinheitlichung herbeizuführen, indem sie beschreibt, in welchen Umständen ein FX Forward kein Finanzinstrument, sondern ein Zahlungsverkehrsinstrument sein soll. Diese neue Definition kann für Wertpapierfirmen größere operationelle Auswirkungen haben, da für solche Transaktionen weder die verschiedenen Berichtsanforderungen (EMIR, Art. 26 MiFIR, Transparenzanforderungen etc.) noch die organisatorischen Anforderungen der MiFID II (Zielmarkt, Kundenklassifikation etc.) anwendbar wären. Während die neue Definition Klarheit dahingehend geschaffen hat, dass FX-ForwardTransaktionen zwischen finanziellen Gegenparteien jedenfalls immer Derivate sind und für eine Einstufung als Zahlungsverkehrsinstrument auch immer eine physische Lieferung (also kein Differenzausgleich) zu erfolgen hat, lässt sich die Nebenbedingung, dass es ein identifizierbares Grundgeschäft in Gütern, Dienstleistungen oder direkten Anlagen geben muss, in der Praxis oft nicht eindeutig beantworten. Instruktiv sind hier die Perimeter-Guidance der britischen Financial Conduct Authority (FCA), die zahlreiche Beispiele aufführt, wann eine Transaktion ein Zahlungsverkehrsinstrument sein könnte – selten aber eine eindeutige Stellungnahme abgibt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Bestimmung in der EU derzeit nicht einheitlich gehandhabt wird und v.a. durch die bisher geübte nationale Praxis geleitet werden dürfte. So bleiben irische Landwirte, die FX Forwards einsetzen, weiterhin regelmäßig von Anforderungen zu Legal Entity Identifier (LEI), EMIR-Reporting u.ä. verschont, während die meisten kontinentalen Großbanken angesichts der Tatsache, dass ein konkreter Zusammenhang zu einem Grundgeschäft im Tagesgeschäft eines Handelshauses regelmäßig nur mit hohem Aufwand zu dokumentieren ist, FX Forwards grundsätzlich als Derivate betrachten.

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

4.3.4

Traded on a Trading Venue

Intuitiv vermutet man, dass die MiFIR für alle Geschäfte in Finanzinstrumenten gelten soll. Tatsächlich ist die Zielsetzung der meisten Vorschriften der MiFIR, eine faire Preisbildung an Handelsplätzen bzw. den Handel dort zu befördern. Es ist daher klar, dass die einschlägigen Vorschriften immer Anwendung finden, wenn es sich um Geschäfte auf Handelsplätzten handelt. Für Geschäfte außerhalb von Handelsplätze findet sich aber konsequenterweise in Abs. 1 sowohl des Art. 20 (Eigenkapitalinstrumente) als auch des Art. 21 (Nicht-Eigenkapitalinstrumente) MiFIR jeweils die Einschränkung „ […] die an einem Handelsplatz gehandelt werden [...]“ – denn in diesen Fällen fehlt es an einem schutzbedürftigen Geschäft, zu dem Äquivalenz hergestellt werden müsste. Festgemacht wird die Einschränkung dabei stets am konkreten Instrument. Im Fall von Wertpapieren ist dieses i.d.R. durch eine International Securities Identification Number (ISIN) eineindeutig identifizierbar. Praktische Bedeutung erlangt diese Einschränkung dadurch, dass Aufsichtsbehörden bei der Abgabe von Transparenzmeldungen nicht nur das Unterlassen von notwendigen Meldungen, sondern auch überschießende Meldungen sanktionieren können. Als Begriff für diese Einschränkung hat sich die englische Abkürzung ToTV etabliert. Bei der Umsetzung der Transparenzvorschriften verhindert diese Anforderung einfache Lösungen, bei denen einfach für jedes Instrument, im Besonderen solchen mit einer ISIN, Meldungen abgeben werden. Stattdessen muss immer überprüft werden, ob das konkrete Instrument tatsächlich an einem Handelsplatz gehandelt bzw. an einem solchen zum Handel zugelassen ist. Der Begriff ToTV findet sich aber auch bei anderen Bestimmungen der MiFIR, etwa bei der Transaktionsmeldung nach Art. 26. Über Definitionen, die sich auf zu meldende Transaktionen beziehen, kann in Non-ToTV-Instrumenten auch keine Systematische-Internalisierer-Pflicht begründet werden. Damit ist es z.B. möglich, dass die Tätigkeit von Häusern, die laufende Preise in nicht-börsengehandelten Aktien stellen, solange nicht durch die Vorschriften der MiFIR tangiert werden, als kein multilaterales Handelssystem vorliegt. In der Praxis stellt sich gerade bei bilateral gehandelten OTC-Derivaten die Frage, inwieweit diese den Transparenzanforderungen unterliegen können – oder sollen. Letztendlich handelt es sich hier um frei ausgehandelte Verträge, die mit anderen, ähnlichen Verträgen i.d.R. nicht fungibel sind, und in ihrer Preisgestaltung nicht nur von objektiven, universellen Parametern, sondern auch von den Vertragsparteien abhängen, da hier auch Gegenparteienrisiko und Besicherungsvereinbarungen Eingang finden. Wer sich mit den umfangreichen und komplexen Preisadjustierungen (X-Value Adjustment (xVA)), wie sie z.B. alleine aus den Grundsätzen der Capital Requirements Regulation (CRR) zur Prudent-Valuation-Anforderungen gefordert sind, auseinandersetzt,

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wird schnell zu dem Schluss kommen müssen, dass sich der Preis eines zwischen A und B gehandeltem Derivats deutlich vom Preis eines Vertrages mit ansonsten identischen Merkmalen zwischen C und D, selbst wenn simultan gehandelt, unterscheiden kann. Letztlich kann man lediglich bei Geschäften, von denen klar ist, dass sie bei einer Central Counterparty (CCP) gecleart werden, einen Preisvergleich sinnvoll durchführen. Gerade bei Zinsderivaten, aber auch bei Optionen im allgemeinen, sind veröffentlichte Transaktionsdaten zur Berechnung eines Fair Values nur eingeschränkt nutzbar, da hier für Marktteilnehmer oder Risikomanager i.d.R. alle Preise entlang einer Fälligkeitskurve (etwa bei Zins-Swaps) oder sogar auf einer Oberfläche über eine Preis-/Fälligkeitsmatrix relevant sind – die in aller Regel nie simultan gehandelt werden, weswegen sich aus Daten von gehandelten Geschäften nur bedingt Schlussfolgerungen auf den Fair Value des Underlyings ziehen lassen. Daneben stellt sich die praktische Herausforderung festzustellen, ob ein Instrument überhaupt auf einem EU-Handelsplatz angeboten wird. Allgemein betrachtet kann auch diese simple Frage als ein Aspekt der Transparenzpflichten betrachtet werden, stellt sie doch die Voraussetzung dafür her, herauszufinden, wo überhaupt Geschäfte abgeschlossen werden können – und dann ggf. weitere Informationen zu Preisen etc. zu finden. Betreiber von Handelsplätzen sind verpflichtet, die von ihnen zum Handel angebotenen Instrumente der nationalen Aufsicht bekanntzugeben; dies ist keine fundamentale Neuerung der MiFIR. Was sich aber geändert hat, ist die EU-weite Vereinheitlichung des Formats der Meldung und die EU-weite Verbreitung der Information. Bereits vor dem Inkrafttreten der MiFIR wurde durch Art. 4 Market Abuse Regulation (MAR)20 eine Verpflichtung zur Meldung der an einem Handelsplatz zum Handel angebotenen Finanzinstrumente an die nationale Aufsichtsbehörde begründet. Diese Verpflichtung wurde zum 01.07.2017 wirksam und beschränkte sich im Wesentlichen auf Angabe des Namens und einer eindeutigen Bezeichnung des Instruments. Im Rahmen der MiFIR wurde im Art. 27 die Pflicht zur Bereitstellung von Referenzdaten begründet und in der RTS 2321 detailliert. Demnach umfasst die Meldung bis zu 48 Felder, in Abhängigkeit der Asset-Klasse. Art. 27 MiFIR findet aber nicht nur auf Handelsplätze Anwendung, sondern auch auf Systematische Internalisierer. Auf die Umstände, wann bzw. für welche Transaktionen ein Systematischer Internalisierer Referenzdaten bereitzustellen hat, wurde in Abschnitt 4.1 näher eingegangen.

20 21

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EU 2014/596. EU 2017/585.

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

4.3.5

Nicht-preisbildende Transaktionen

Während die ToTV-Qualifizierung sich bereits in der Definition der Anforderung findet, findet eine Einschränkung auf preisbildende Transaktionen erst im Wege einer Ausnahme statt (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Nr. iii; 7 Abs. 2 Buchst. a, 11 Abs. 4 Buchst. a, 15 Abs. 3, 17 Abs. 3 Buchst. b, 20 Abs. 3 Buchst. a und b, 21 Abs. 5 Buchst. a und b, 23 Abs. 3 Buchst. b MiFIR). Ist diese Einschränkung auf Ebene 1 noch eher vage als KannBestimmung formuliert, ist deren Ziel durch die Erwägungsgründe vorgezeichnet: nämlich Transaktionen, in denen ein Eigentumsübergang an Wertpapieren oder eine Veränderung der Rechte unter bestehenden Finanzkontrakten eher technischer Natur sind und damit keinen Informationsgehalt über die Bewertung dieses Instrumentes geben, von den Transparenzbestimmungen auszunehmen. Dieses Ziel wird in der Ebene 2 deutlich und führt damit zum Ergebnis, dass für die in Art. 2 und 6 RTS 1 bzw. Art. 12 RTS 2 aufgeführten Transaktionen aus der Sicht von OTC handelnden Wertpapierfirmen keine Transparenzverpflichtungen bestehen. Für Handelsplattformen gilt diese Ausnahme nur mit Abstrichen: diese müssen auch Nachhandelsinformationen zu nicht-preisbildenden Transaktionen (Non-price Forming Transactions (NPFT)) veröffentlichen, allerdings nur mit Verzögerung und unter Verwendung des Zusatzes „NPFT“. Auch wenn die Formulierungen der betroffenen Geschäfte in den einzelnen Verordnungen leicht voneinander abweichen, überdecken sich die Definitionen weitestgehend. Zu beachten ist dabei v.a. der Verweis auf den Art. 2 RTS 22, wodurch die Konsistenz mit dem Transaktions-Reporting hergestellt wird: Bestehen aufgrund dieses Artikels für ein Geschäft einer Wertpapierfirma keine Berichtspflichten gemäß Art. 26 MiFIR, so gelten auch keine Transparenzpflichten. Im Ergebnis sind damit die Tätigkeiten von Verwahrstellen i.d.R. nicht transparenzrelevant, so etwa die Ausgabe (oder Rücknahme) von Anteilen an Investmentfonds oder Umbuchungen zwischen Depots. Gleiches gilt für Maßnahmen im Rahmen des Positions- bzw. Risikomanagements von Derivate-Portfolien wie etwa die Übertragung von Wertpapieren im Zuge einer Sicherheitenübereignung, z.B. unter einem ISDA-Besicherungsanhang (International Swaps and Derivatives Association), sowie die Zusammenlegungen von Positionen (Portfolio-Compression) oder auch die Anpassung von Verträgen als Folge des Eintritts im Vorfeld festgelegter Ereignisse (Nominalherabsetzung). Auch Wertpapierfinanzierungsgeschäfte (Security Financing Transactions (SFT)), für die im Rahmen der SFTR ein eigenes Transparenzregime definiert wurde, sind ausgenommen. Diese Ausnahme wurde im Zuge der Umsetzung auf Ebene 1 verlagert und ist daher in den RTS teilweise obsolet. Zu beachten ist allerdings, dass gewisse SFT-Transaktionen

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mit Zentralbanken, nämlich solche, die von den Zentralbanken nicht in ihrer geldpolitischen Funktion abgeschlossen werden, relevant für das Transparenzregime sind, da diese von der SFTR nicht erfasst werden. Daneben fallen der Bezug von Finanzinstrumenten im Rahmen der Ausübung eines Options- oder Wandlungsrechts unter die Ausnahmen. Bei Give-up-Geschäften ist zu beachten, dass von der Ausnahme nur das Geschäft zwischen dem Execution Broker und dem Prime Broker erfasst wird. Der Prime Broker, der letztendlich das Gegenparteienrisiko mit dem Endkunden trägt, ist demnach i.d.R. für eine Meldung des Kundengeschäfts verantwortlich.

4.3.6

Financial Instrument Reference Database

Die an die nationalen Behörden gemeldeten Referenzdaten werden von diesen an die ESMA weitergeleitet und im Financial-Instrument-Reference-Database-System (FIRDS) der ESMA veröffentlicht. Dort findet sich neben der Möglichkeit, nach einzelnen ISINs, Classification of Financial Instruments (CFI) oder Handelsplätzen abzufragen, auch eine Gesamtliste aller in der EU zum Handel zugelassenen Instrumente sowie ein täglich aktualisiertes Delta-File mit neu zugelassenen Instrumenten. Die Dateien sind dabei nach den Hauptbuchstaben des CFI-Systems22 nach ISO 10962 (C, D, E, F, H, I, J, O, R, S) klassifiziert. Nachteilig für den nur gelegentlichen Nutzer dieser Daten ist der beträchtliche Umfang – eine Gesamtlieferung bestand im März 2018 aus 24 Einzeldaten mit insgesesamt mehreren Millionen Einträgen – und der Tatsache, dass nur Teile des CFI-Codes öffentlich dokumentiert sind. Unter den Neo-ISIN-Instrumenten stechen zahlenmäßig v.a. Equity-Swaps (CFI SESTXT) mit etwa 800.000 FIRDS-Einträgen und Zins-Swaps (CFI SRCCSP) mit etwa 340.000 Einträgen23 heraus. Dies kontrastiert mit etwa 520.000 „klassischen“ Aktien (CFI ESVUFR) sowie in Summe über 2 Mio. „verbriefter Derivate“, die i.d.R. mit verschiedenen Schuldtitel-CFIs (z.B. DEAYTS) gemeldet wurden. Aussagen über „normale“ Anleihen lassen sich daher auf Basis der FIRDS-Daten nur begrenzt treffen, da diese zumindest bezüglich der CFIKlassifizierungen häufig von strukturierten Produkten nicht unterscheidbar sind. Die Anzahl von FIRDS-Einträgen ist dabei nicht gleichbedeutend mit Instrumenten, da jeder Handelsplatz, der ein Instrument zum Handel zulässt, eine Meldung abgibt. So finden sich i.d.R. deutlich über 30 Einträge für deutsche Bundesanleihen.

22

23

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Vgl. http://www.anna-web.org/standards/cfi-iso-10962/or a full list of top level categories of the CFI Code Zahlen gemäß Recherche des Autors am 20.03.2018 in https://registers.esma.europa.eu/publication/searchRegister?core=esma_registers_firds.

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Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass sich die Namen von Instrumenten, im besonderen OTC-Derivaten, selbst wenn sie dieselbe ISIN tragen, unterscheiden können. Exemplarisch herausgegriffen sei hier die ISIN EZ1004CM2JX4, ein Fünfjahres-Swap mit Fälligkeit 20.06.2023, wie er am 18.06.2018 gehandelt würde (unter Berücksichtigung eines zweitägigen Settlements). Dieses Instrument wurde zu Beginn 2018 von einem Betreiber dreier Handelsplätze angelegt, wobei drei unterschiedliche Namen verwendet wurden: „EUR SWAP VS 3M 5Y“, „Rates Swap Fixed_Float EUR-EURIBOR-R“, „Rates Swap Fixed_Float EUR-EURIBOR-Reuters 3 MNTH 20230620“. Bedeutung erlangt diese Inkongruenz dadurch, dass die ESMA in ihrer Stellungnahme24 zur Anwendung des Begriffs ToTV feststellte, dass ein OTC-Instrument dann einem ToTV-Instrument entspricht, wenn die zu meldenden Referenzdaten – mit Ausnahme der handelsplatzspezifischen Felder – identisch sind. Zu diesen Referenzdaten gehören auch die Namensfelder, womit die oben dargestellten Instrumente in diesem Sinn drei unterschiedliche MiFIR-Instrumente sind – die allerdings die selbe ISIN haben, da die Ausgabebehörde DSB ANNA (Derivatives Service Bureau – Association of National Numbering Agencies) den Namen des Instruments nicht in die Validierung einbezieht. Somit wäre aber ein ansonsten identisches Instrument, das sich lediglich durch den Namen unterscheidet, ebenfalls als nicht-ToTV und damit als außerhalb der Transparenzvorschriften liegend anzusehen. Auch wenn die ESMA selbst FIRDS nicht als „Golden Source“ für Instrumentenreferenzdaten bezeichnet, ist es doch für den MiFIR-Transparenzanforderungen unterliegende Wertpapierfirmen faktisch die einzige realistische Quelle – entweder durch direkte Auswertung oder indirekt über Drittanbieter –, Antwort auf die Frage zu bekommen, ob die Vorschriften für ein konkretes Instrument beachtlich sind. Zumindest in der Einführungsphase stellte dies Firmen vor eine Herausforderung. Neben den oben beschriebenen Inkonsistenzen lag dies auch an der uneinheitlichen Verwendung von CFI-Codes zur Klassifikation von Instrumente, aber auch daran, dass die Files häufig deutlich später als in den Spezifikationen vorgesehen (08:00 Uhr am nächsten Handelstag) zur Verfügung standen. Selbst bei rechtzeitiger Bereitstellung durch FIRDS und Bezug einer ISIN durch DSB ANNA ist es Wertpapierfirmen daher i.d.R. nicht möglich festzustellen, ob ein Instrument zum Zeitpunkt des Handels die ToTV-Kriterien erfüllt. Für „echte“ Wertpapiere sind die oben genannten Einschränkungen aber nur bedingt relevant. Speziell bei Eigenkapitalinstrumenten erfolgt hier eine Vorinformation des Marktes, zumal die zuständigen Behörden auch Einschätzungen zur Liquidität für die ersten Wochen des Handels treffen müssen. Aber auch bei Anleihen sind häufig Listings

24

ESMA70-156-117.

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und ISINs bereits vor dem ersten Handelstag bekannt. Hierzu kommt noch, dass die Transparenzvorschriften auf Geschäfte im Zusammenhang mit Primärmarkttransaktionen nicht anwendbar sind.25

4.4 Vorhandelstransparenz Adressat der Vorschriften zur Vorhandelstransparenz (Art. 3 und 14 (Eigenkapitalinstrumente) bzw. 8 und 18 (Nicht-Eigenkapitalinstrumente) MiFIR) sind Handelsplätze und Systematische Internalisier. Ziel ist es, eine transparente und effiziente Preisbildung zu unterstützen, indem einer möglichst großen Anzahl von Investoren die Information über handelbare Preise und Volumen zur Verfügung gestellt wird. Wenn einem Marktteilnehmer ein Angebot gemacht wird, sollen auch andere Marktteilnehmer die Chance haben, zu diesem Angebot zu handeln, zumindest aber wissen, dass es zu diesem Preis zumindest Interesse an einem Abschluss gibt. Soweit wie möglich soll auch das handelbare Volumen transparent gemacht werden. Von Handelsplätzen ist die Geld-Briefspanne zu veröffentlichten sowie die Tiefe des Angebots, d.h. wieviel Angebot bzw. Nachfrage zu welchen Preisen hinter dem aktuell bestem Gebot mit weiter von der aktuellen Mitte entfernt liegenden Limits noch besteht. Die Details richten sich dabei nach der Art des Handelssystems und der Art des Finanzinstruments. Für Eigenkapitalinstrumente finden sich die Anforderungen für die einzelnen Handelssystem in Anhang I Tabelle 1 RTS 1 und für Nicht-Eigenkapitalinstrumente in Anhang I Tabelle 1 RTS 2. Allerdings sind – zumindest für Handelsplätze – die eigentlichen Anforderungen bezüglich der Vorhandelstransparenz zwischen den beiden Instrumentengruppen weitestgehend synchron. Deutliche Unterschiede bestehen hingegen bei den Ausnahmen und bei den Pflichten von Systematischen Internalisierern. Dies reflektiert auch die Tatsache, dass Transaktionen, die nicht lediglich eine Vermittlung eines Eigentumsübergang an Wertpapieren darstellen, ein aktives Risikomanagement durch den Market Maker bzw. Systematischen Internalisierer erforderlich machen. Um dem Liquiditätssteller, speziell bei illiquiden Instrumenten, ein effektives Risikomanagement zu ermöglichen, sind teilweise Einschränkungen der Transparenz gegenüber dem „trivialen“ Aktienmodell notwendig, dieses umgekehrt aber ein hohes Maß an Transparenz „verträgt“.

25

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ESMA Transparency Q&A, GEN Q4: „The transparency obligations should not be applicable to primary market transactions such as issuance, allotment or subscription for securities and the creation and redemption of units in ETFs.“

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

Für Handelsplätze ist der primäre Vorhandelstransparenzunterschied in der Durchführung zwischen Eigenkapitalinstrumenten und Nicht-Eigenkapitalinstrumenten, dass für Eigenkapitalinstrumente voice nicht als Handelssystem vorgesehen ist. Dies erklärt sich daraus, dass die Zusammenführung mehrerer Interessenten über Sprachleitung das typische Modell der Interdealer Broker ist, das mit Inkrafttreten der MiFID II i.d.R. als OTF angemeldet wurde. Da OTFs als Ausführungsplatz für Aktien aber nicht vorgesehen sind, wurde scheinbar dieses Interaktionsmodell für Eigenkapitalinstrumente als nicht erforderlich erachtet. „Handelssystem“ beschreibt dabei die Art, wie und zu welchem Preis Kauf- und Verkaufsinteressen zu einer Transaktion zusammengeführt werden und nicht etwa die ITPlattform. Eine ausführliche Diskussion der einzelnen Typen findet sich in den verschiedenen Diskussionspapieren und Guidelines der ESMA. Definiert sind Anforderungen für die folgenden Systeme: • Orderbuch bzw. laufende Auktion: Für das klassische Real-Time-System für Instrumente mit perfekter atomistischer Handelbarkeit ist die Markttiefe, also das handelbare Volumen, in Form der jeweils fünf besten Kauf- und Verkaufsgebote laufend zu veröffentlichen. • Quotierungsgetrieben (Nicht-Eigenkapital) bzw. Market-Maker-Modell (Eigenkapital): Dies entspricht dem traditionellen Kursmaklersystem, das bei nur begrenzt liquiden Aktien und vergleichbaren Instrumenten häufig anzutreffen ist. In diesem Marktsystem veröffentlicht jeder quotierende Market Maker seinen besten verbindlichen Brief- bzw. Geldkurs sowie das dazugehörige Volumen. Dieses Modell entspricht im Wesentlichen auch den Vorhandelstransparenzanforderungen für Systematische Internalisierer für Eigenkapitalinstrumente. • Periodische Auktionen: Hier ist der durch den Transaktionsalgorithums bestimmte aktuelle theoretische Clearing-Preis sowie das zu diesem Preis theoretisch handelbare Volumen zu veröffentlichen. • Preisanfrage (Request for Quote (RFQ)): Dieses System ist das im OTC-Derivatehandel bzw. Anleihenhandel am häufigsten anzutreffende Modell, in dem Kunden simultan an die für den mit ihnen zum Handel aufgesetzten Liquiditätsbereitstellern eine Preisanfrage für ein konkretes Geschäft senden. Alle aktuellen auf eine Preisanfrage abgegebenen verbindlichen (ausführbaren) Quotierungen mit dazugehörigem Volumen sind zu veröffentlichen. Dies ist auch das Modell für die Systematische-Internalisierer-Verpflichtungen für Nicht-Eigenkapitalinstrumente.

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• Voice (nur Nicht-Eigenkapitalinstrumente): Dies beschreibt das typische Interaktionsmodell von Interdealer Brokern, das seit Einführung der MiFID II für Nicht-Eigenkapitalinstrumente regelmäßig als OTF organisiert ist. Da es sich um ein MTF handelt, trifft es i.d.R. nicht auf die bilateral geführten Verhandlungen zwischen einer Wertpapierfirma (oder Systematische Internalisierer) und dessen Kunden zu. Von Handelsplätzen mit Preis und Volumen zu veröffentlichen sind die ausführbare Quotierungen (Firm Quotes), die einem Mitglied oder Teilnehmer des Systems auf Anfrage genannt wurden. Bei der Vorhandelstransparenz ist zwischen dem „zur Verfügung stellen“ von Kursofferten und deren Veröffentlichung zu unterscheiden. Im ersten Fall kann derjenige, dem ein verbindlicher fester Kurs zur Verfügung gestellt wird, zu diesem sofort abschließen, so die dafür notwendigen persönlichen und abwicklungstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind. Im Fall von unverbindlichen Kursen kann auf Basis der Indikationen eine Anfrage zum Abschluss eines Geschäftes gestellt werden. Die „Veröffentlichung“ eines Kurses hingegen hat lediglich Informationscharakter und muss nicht in einen Geschäftsabschluss münden. Im Besonderen ist der Adressatenkreis im zweiten Fall potenziell uneingeschränkt und umfasst auch solche Personen, für die ein konkretes Angebot nicht in Frage kommt. Veröffentlicht wird also an das Publikum, zur Verfügung gestellt aber nur den zum Handel aufgesetzten Kunden.

4.4.1

Vorhandelstransparenz für Systematische Internalisierer

Die Auflagen zur Vorhandelstransparenz für Systematische Internalisierer stellen den wohl wesentlichsten Unterschied in der Umsetzung der MiFID II für einen Systematischen Internalisierer im Vergleich zu einer „normalen“ Wertpapierfirma dar. Im Wesentlichen wird dabei der Systematische Internalisierer ähnlich behandelt wie ein Market Maker im quotierungsgetriebenen System (Eigenkapitalinstrumente) bzw. wie ein Liquiditätsprovider an einem RFQ-Handelsplatz (Nicht-Eigenkapitalinstrumente). Der organisatorische Aufwand ist dabei erheblich, hat der Systematische Internalisierer doch neben der Pflicht, seinen Kunden Preise gleichmäßig zur Verfügung zu stellen, die gleichen Sorgfaltspflichten wie ein APA, was die Verfügbarkeit und Qualitätskontrolle von veröffentlichten Preisen anbelangt (Art. 9 RTS 1). Dabei hat er aber nur eingeschränkte Preisautonomie, da er sich in seiner Preisstellung am „Leitmarkt“ eines Finanzinstruments zu orientieren hat (Art. 10 RTS 1). Für liquide Eigenkapitalinstrumente (Art. 14 MiFIR) muss der Systematische Internalisierer daher seinen Kunden laufend feste Kurse für mindestens 10% der Standardmarktgröße (Standard Market Size (SMS)) eines Instruments anbieten. Bei illiquiden Instrument ist lediglich auf Anfrage ein Kurs zu nennen, analog einem RFQ-System. Bei Aufträgen oberhalb der SMS, die im Wesentlichen dem gerundeten Mittelwert der

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

durchschnittlichen Auftragsgröße26 entspricht, sind die Vorhandelstransparenzvorschriften nicht anwendbar. Einen entsprechend großen Auftrag kann ein Systematischer Internalisierer daher teilweise oder ganz ausführen, muss dies aber nicht tun. Auch muss ein Angebot für ein Geschäft oberhalb der SMS nicht veröffentlicht werden. Für Nicht-Eigenkapitalinstrumente (also im Besonderen für Anleihen) besteht hingegen, analog des RFQ-Modells die Verpflichtung, ein gemachtes festes Angebot einerseits zu veröffentlichen und andererseits dieses auch weiteren Kunden zur Verfügung zu stellen (Art. 18 MiFIR). Eingeschränkt wird diese de-facto-Handelspflicht bei Nicht-Eigenkapitalinstrumenten aber weiter dadurch, dass dies nur unter der Maßgabe der Risikotragfähigkeit geschehen kann. Diese wird regelmäßig das zur Verfügung stehende Inventar berücksichtigen: Es kann weder von einem Systematischen Internalisierer noch einem Market Maker auf einer Handelsplattform verlangt werden, in einem Finanzinstrument short zu gehen. Für Derivate ergibt sich die Grenze aus Marktrisikolimits für einzelne Desks oder Händler bzw. aus den Gegenparteienrisiken. Auch kann ein Preis, der die spezifischen Risikoparameter einer Gegenpartei berücksichtigt, nicht ohne weiteres anderen Kunden gezeigt werden. Dies wäre etwa so, als wollte man einen Maßanzug ein zweites Mal verkaufen. Für die Ablehnung von Aufträgen aus Risikogründen (bzw. Nicht-Veröffentlichung von Angeboten) ist ebenso wie bei der Nicht- oder Teilausführung von Aufträgen oberhalb der SMS eine konsistente Handhabung wichtig. Eine wesentliche Anforderung für Systematische Internalisierer ist daher die Ausarbeitung und Dokumentation klarer, nicht diskriminierender Risikomanagement-Richtlinien, auf Basis derer diese Entscheidungen nachvollziehbar getroffen werden können.

4.4.2

Erleichterungen bei der Vorhandelstransparenz

Nicht alle Geschäfte unterliegen der Vorhandelstransparenz. Dies liegt darin begründet, dass v.a. bei großen Transaktionen weitere Risikoparameter den Preis beeinflussen und dieser daher für „normale“ Transaktionen nur bedingt repräsentativ ist. Daneben würden auch Preise, die über andere Mechanismen zustande kommen als über die Festsetzung eines fairen Wertes, zu einer Verzerrung des Bildes führen, sie sind daher von der Vorhandelstransparenz ausgenommen. Diese Ausnahme ist analog zu den NPFT in der Nachhandelstransparenz (vgl. Abschnitt 4.5).

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Vgl. Anhang II Tabelle 3 RTS 1.

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4.4.2.1

Ausnahmen für illiquide Geschäfte

Die Erleichterungen für Nicht-Eigenkapitalinstrumente gehen weiter als jene für Eigenkapitalinstrumente, begründet durch die geringere Standardisierung und damit auch geringere Vergleichbarkeit von Preisen: Zwei Derivate mit gleicher Laufzeit und gleichem Bezugswert können in zahlreichen Parametern voneinander abweichen, die einen anderen Preis bedingen. Eine Vergleichbarkeit „auf den ersten Blick“ ist i.d.R. nur für an Plattformen gehandelte hinreichend standardisierte Kontrakte gegeben. Dies schlägt sich nieder in der Bestimmung in Art. 9 Buchst. c MiFIR, die es National Competent Authorities (NCAs) erlaubt, Derivate, die nicht der Handelsplatzpflicht unterliegen, sowie illiquide andere Nicht-Eigenkapitalinstrumente von der Vorhandelstransparenz auszunehmen. Bei Derivaten ist diese Ausnahme nicht auf „nicht liquide“ eingeschränkt. In beiden Fällen gilt sie sowohl für Handelsplätze als auch für Systematische Internalisierer. Diese Ausnahme, von der nach der Einführung der MiFIR von den meisten NCAs Gebrauch gemacht wurde, stellt den wesentlichsten Unterschied zwischen Eigenkapitalinstrumenten und Nicht-Eigenkapitalinstrumenten dar.

4.4.2.2

Ausnahmen für große Geschäfte

Ähnlich geartet sind die Ausnahmen zwischen den Instrumentenklassen in Bezug auf große Aufträge (Large in Scale (LIS)), für die NCAs die Anforderungen aussetzen können (Art. 4 Abs. 1 Buchst. c bzw. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a MiFIR). Quotierungen für Aufträge oberhalb dieses Schwellwertes müssen daher nicht anderen Kunden zur Verfügung gestellt bzw. veröffentlicht werden. Definiert sind die Schwellwerte, die sich an durchschnittlichen Tagesumsätzen (Nominalen bei Nicht-Eigenkapitalinstrumenten) orientieren für Eigenkapitalinstrumente im Anhang II RTS 1 und für Nicht-Eigenkapitalinstrumente im umfangreichen Tabellenanhang des Anhang III RTS 2. Der letztere Anhang hat hohe Bedeutung, da er auch die für viele Fälle relevanten Asset-Klassen und Unter-Asset-Klassen definiert, die u.a. auch den Anwendungsbereich einer eventuellen Systematischen-Internalisierer-Verpflichtung definieren. LIS-Schwellen reichen bei Aktien von 15.000 EUR für Aktien mit Tagesumsätzen bis zu 650.000 EUR für die liquidesten Papiere. Im Kontrast hierzu liegen LISSchwellen für Derivate bei 5 Mio. EUR aufwärts, in Abhängigkeit von Liquidität und Asset-Klasse. Zu beachten ist, daß sich die LIS-Schwellen für die Zwecke der Vor- und Nachhandelstransparenz unterscheiden. Für Nicht-Eigenkapitalinstrumente sind auch Erleichterungen bei Anfragen für Quotes oberhalb der für ein Instrument spezifischen Größe vorgesehen (Size Specific to an Ins-

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

trument (SSTI); vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und 18 Abs. 6 MiFIR). Diese orientiert sich wie die LIS im Wesentlichen am durchschnittlichen Tagesumsatz eines Instruments, kann aber von der LIS, i.d.R. nach unten, abweichen. Wie alle anderen hier genannten Erleichterungen ist auch diese von einer Erlaubnis der zuständigen NCA abhängig (Waiver). Aufträge in Handelssystem, die noch nicht mit anderen Aufträgen interagieren können und von objektiven, im System definierten Bedingungen abhängen, können von der Veröffentlichung ausgenommen werden (Art. 4 Abs. 1 Buchst. d MiFIR und Art. 8 RTS 1 für Eigenkapitalinstrumente sowie Art. 9 Abs. 1 Buchst. a MiFIR und Art. 4 RTS 2 für Nicht-Eigenkapitalinstrumente). Diese Ausnahme wird als OMF-Waiver (Order Management Facility) bezeichnet. Hierunter fallen v.a. Reserve-Orders, wie sie z.B. bei Iceberg-Orders, die sukzessive in den Markt abgegeben werden, sobald die jeweils vorhergehende Order ausgeführt worden ist. Bei der Anwendung sind die vom Handelsplatz definierten Mindestgrößen bzw. für Reserve-Orders 10.000 EUR zu berücksichtigen.

4.4.2.3

Erleichterungen für Eigenkapitalinstrumente unter dem DoubleVolume-Cap

Ebenfalls für Eigenkapitalinstrumente können nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a MiFIR Aufträge von der Vorhandelstransparenz befreit werden, wenn sie in Bezug zu einem Referenzpreis abgeschlossen werden (insbesondere dem Mid-Preis des Leitmarkets, aber auch Volume Weighted Average Price (VWAP) oder Schlußkursgeschäfte) (Reference-Price Waiver (RPW)), sowie nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b MiFIR Aufträge, die außerhalb von Handelsplätzen ausgehandelt wurden (Negotiated Trade Waiver (NTW)). Um Missbrauch und die Verlagerung von Transaktionen auf intransparente Handelsplattformen zu vermeiden, unterliegen sowohl der RWP als auch der NTW dem in Art. 5 MiFIR beschriebenen Double Volume Cap (DVC). Sobald für ein Instrument die unter RPW und NTW abgeschlossenen Transaktionen den Schwellwert für einen Handelsplatz bzw. für alle Handelsplätze überschreiten, wird die Anwendung der Waiver für die nächsten sechs Monate ausgesetzt. Für Geschäfte an einem Handelsplatz beträgt der Schwellwert 4% des Umsatzes an allen EU-Handelsplätzen in diesem Instrument, für die Geschäfte an allen Handelsplätzen zusammen 8%. Die Berechnung erfolgt dabei über einen Zeitraum von zwölf Monaten. Anwendung findet der DVC bereits seit der Einführung der MiFIR, wobei auf die bereits im Jahr 2017 von den Handelsplätzen zu berichtenden Zahlen referenziert wurde. Monatliche Berichte hierzu werden von der ESMA auf ihrer Website veröffentlicht. Diese

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zeigen, dass der DVC v.a. auf Small- und Mid-Cap-Aktien Anwendung findet. Zum Ende März 2018 waren etwa 600 Titel von der Anwendung einer der beiden Caps betroffen. Hierbei zeigte sich aber auch, dass die Datenlage nicht immer eine fehlerfreie Kategorisierung erlaubte, was auch daran liegt, dass Geschäfte unter Ausnutzung des Caps in der Nachhandelstransparenz entsprechend zu kennzeichnen sind, was für Handelsplätze eine Herausforderung dargestellt haben dürfte.

4.5 Nachhandelstransparenz Die Nachhandelstransparenz ist, inklusive der Ausnahmebestimmungen, für Eigenkapitalinstrumente in den Art. 6 bis 8 (Handelsplätze) und 20 (Wertpapierfirmen) MiFIR sowie in der Art. 12 bis 16 RTS 1 und für Nicht-Eigenkapitalinstrumente in den Art. 10 und 11 (Handelsplätze) und 21 (Wertpapierfirmen) MiFIR und in der Art. 7 bis 12 RTS 2 geregelt. Gemeinsam ist in allen Fällen die grundsätzliche Verpflichtung zu einer zeitnahen Veröffentlichung der im Anhang der jeweiligen RTS (1 bzw. 2) angeführten Felder über einen APA. Unterschiede gibt es dabei v.a. bezüglich der zu befüllenden Felder, der im Normalfall einzuhaltenden Zeit bis zur Veröffentlichung und den Möglichkeiten zu einer verzögerten Veröffentlichung. Generell sind Meldungen immer so zeitnahe wie technisch möglich abzugeben. Maximal zulässig sind 1 Minute für Eigenkapitalinstrumente und 15 Minuten für Nicht-Eigenkapitalinstrumente. Die Berichtsspanne für Nicht-Eigenkapitalinstrumente soll allerdings zum 01.01.2021 auf fünf Minuten abgesenkt werden. Implizit erhöht dies den Druck, den Handel auf elektronische Plattformen bzw. Handelsplattformen zu migrieren, da bei einem manuellen Bearbeitungsprozess, gerade für komplexere Derivate, eine Meldung innerhalb weniger Minuten nur schwer darstellbar ist. Gerade bei Derivaten, die aufgrund der Ausgestaltung der Anforderungen zu Referenzdaten häufig „Eintagsfliegen“ sind, stellt sich im Zeitpunkt des Handels häufig die Frage, ob diese Geschäfte überhaupt berichtspflichtig (d.h. ToTV) sind – auch da häufig keine ISIN vorhanden ist. Diese ist daher zum Zeitpunkt der ersten Meldung nicht zwingend notwendig – ein Geschäft kann auch auf andere geeignete Weise einem Instrument zugeordnet werden. Dies begründet einen der Unterschiede bei den Meldefeldern, nämlich ein zusätzliches Identifkationsfeld neben der ISIN für Nicht-Eigenkapitalinstrumente. In weiteren zusätzlichen Feldern ist zu kennzeichnen, ob Derivategeschäfte gecleart werden sollen, sowie Nennwert (Nominale) und dazugehörige Währung. Für Warenderivate

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

und Emissionszertifikate ist darüber hinaus noch die Mengeneinheit, für die der Preis gestellt wird, anzugeben. Erleichterungen bei der Nachhandelstransparenz Mit Ausnahme der von Wertpapierfirmen OTC ausgeführten NPFTs gibt es keine vollständigen Befreiungen von der Nachhandelstransparenz. Allerdings gibt es Erleichterungen in Form von verzögerten Veröffentlichungen bzw. der Möglichkeit, mehrere Transaktionen in aggregierter Form darzustellen. Diese Erleichterung ist ebenso wie die Waiver für die Vorhandelstransparenz von der Genehmigung der jeweils zuständigen NCA abhängig. Ob eine solche Erleichterung besteht oder nicht bzw. deren konkrete Ausgestaltung, kann sich daher innerhalb der EU unterscheiden. So gestattete die Bafin mit ihrer Allgemeinverfügung vom 02.01.201827 die Verwendung der Ausnahmen für die verzögerte Veröffentlichung von Geschäften i.S.v. Art. 11 Abs. 1 Buchst. a bis c MiFIR. Dabei überlässt sie es den einzelnen Handelsplätzen, welche Art der verspäteten Veröffentlichung sie wählen. Diese Verfügung ist zunächst bis zum 01.01.2019 befristet. Einzelne Handelsplatzbetreiber benötigen darüber hinaus eine Einzelgenehmigung. Für von der Bafin beaufsichtigte Wertpapierfirmen (inklusive Systematische Internalisierer) sind die analogen Ausnahmen nach dem herrschendem Verständnis im Markt auch ohne Einzelgenehmigung anwendbar. Die Erleichterung im Bereich der Nachhandelstransparenz ist v.a. eine Verzögerung in der Veröffentlichung. Diese soll es Liquiditätsbereitstellern ermöglichen, die als Dienstleistung von Kunden übernommenen Risiken ohne systematische Verluste im Markt zu hedgen. Ohne diese Verzögerung wäre es sehr wahrscheinlich, dass andere Marktteilnehmer auf Basis der bekanntgewordenen Transaktion ihre Konditionen in Erwartung eines Forced Sellers anpassen würden. Hierdurch wäre es einem Liquiditätsbereitsteller kaum noch möglich, einen Bid-ask Spread als Entgelt für seine Dienstleistung zu realisieren. Ohne eine nachhaltige angemessene Profitabilität aber würden die meisten Liquiditätsbereitsteller sich aus dem Markt zurückziehen oder aber ihre Preiskonditionen deutlich anpassen müssen – beides Handlungen, die der Zielsetzung von liquiden Märkten entgegenlaufen würden. Die Möglichkeit für eine verzögerte Veröffentlichung bestehen daher generell für große Transaktionen und für Transaktionen in illiquiden Instrumenten. Die maximale Verzögerung der Veröffentlichung der detaillierten Informationen beträgt bei Nicht-Eigenkapitalinstrumenten bis zu vier Wochen (Art. 11 RTS 2). NCAs können aber auch nied-

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WA 21-FR 1900-2017/00019.

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rigere Werte festsetzen. Unmittelbar nach Inkrafttreten der MiFIR hatte sich hier innerhalb der EU noch kein einheitlicher Standard durchgesetzt – Verzögerungen reichen von zwei Tagen bis hin zu den maximal zulässigen vier Wochen. Für Eigenkapitalinstrumente hingegen ist die maximale Verzögerung bis zum Ende des Handelstages bzw. bis 12:00 Uhr des nächsten Handelstages für Geschäfte außerhalb der Handelszeit oder kurz vor Handelsschluss. Die genaue Verzögerung richtet sich nach den Tabellen 4 (Aktien), 5 (ETFs) und 6 (Zertifikate) im Anhang II der RTS 1 und unterscheidet sich nach Asset-Klasse und Größe des Geschäfts relativ zur durchschnittlich gehandelten Auftragsgröße (SMS) des Instruments. Bei der Berechnung der Schwellwerte kommt auch der „für Liquiditätszwecke wichtigste Markt“ ins Spiel, denn nach diesem richten sich die Anzahl der Handelstage im Jahr für die Durchschnittsbildung. Für Nicht-Eigenkapitalinstrumente wird die Grundlage für die verzögerte Veröffentlichung im Art. 11 MiFIR gelegt. Die Möglichkeit zur verzögerten Veröffentlichung besteht dabei für große Transaktionen (Art. 11 Abs. 1 Buchst. a (LIS) bzw. Art. 11 Abs. 1 Buchstr. c (SSTI) MiFIR), wobei, wie bereits oben erwähnt, die LIS- bzw. SSTI-Schwellwerte für die Zwecke der Nachhandelstransparenz das Vielfache der entsprechenden Vorhandelstransparenzwerte erreichen können. Zusätzlich besteht noch die Möglichkeit, Transaktionen, die mit Transaktionen in illiquiden Instrumenten in unmittelbarem Zusammenhange stehen (Package Orders (Art. 11 Abs. 1 Buchst. b MiFIR)), verzögert zu veröffentlichen. In der Praxis wirft gerade diese Erleichterung zahlreiche Fragen auf, zu denen die ESMA in ihren laufend weiterentwickelten Q&As28 zu Fragen der Handelstransparenz Stellung bezieht. Ein Beispiel für die Anwendung könnte z.B. ein Assets-Swap-Package sein, also ein simultanes Geschäft und ein Zins-Swap, die zusammengenommen für den Anleger einen konstanten Zahlungsstrom des Credit Spreads erzeugen. Ist hier z.B. die Anleihe als illiquides Instrument nach Art. 9 MiFIR von der Vorhandelstransparenz ausgenommen, so könnten die Erleichterungen der Nachhandelstransparenz für den damit verbundenen Zins-Swap auch dann in Anspruch genommen werden, wenn dieser für sich genommen nicht die LIS- bzw. SSTI-Schwellwerte erreicht. Neben einer einfachen Verzögerung ist für manche Geschäftsarten auch eine aggregierte Veröffentlichung von Geschäften bzw. die zeitnahe Veröffentlichung von Rumpfdaten (z.B. nur Preise ohne zugehörige Volumina) vorgesehen. Die konkrete Handhabung ist dabei spezifisch für einzelne Handelsplätze und unterliegt der Genehmigungspflicht durch die zuständige Aufsicht. In jedem Fall sind nach Ablauf der jeweiligen Periode zur Verzögerung die vollständigen Informationen zu veröffentlichen.

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ESMA, Questions and Answers On MiFID II and MiFIR transparency topics.

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Die Bestimmungen zur Handelstransparenz

5 Fazit Die Bestimmungen zur Vor- und Nachhandelstransparenz haben bereits im Vorfeld der Einführung der MiFIR zu Veränderungen im Marktverhalten geführt. Gerade kleinere Wertpapierfirmen haben Umsätze systematisch auf Handelsplattformen verlagert, um den als beträchtlich empfundenen organisatorischen und finanziellen Aufwand zur Umsetzung der Transparenzanforderungen zu vermeiden. Gerade die potenziellen Anforderungen für Systematische Internalisierer wurden hier häufig als bedrohlich empfunden. Noch ist das Transparenzrahmenwerk der MiFIR nicht vollständig in Kraft, da Schwellwerte für Systematische Internalisierer erst gegen Ende 2018 veröffentlicht werden. Für eine Beurteilung, ob die Zwecke der Regulierung erfüllt werden, also letztlich liquidere Märkte und verbesserte Ausführung für Kunden, ist es damit noch zu früh. Jedenfalls wird durch die Regulierung ein signifikantes Datenvolumen produziert, dessen Auswertung die Möglichkeit geben sollte, verbesserte Transparenz über Prozesse im Markt herzustellen. Wie die Erfahrung mit anderen Regulierungen zeigt, wird die Qualitätssicherung und die Entwicklung der Auswertungsmethoden für die teilweise äußerst umfangreichen Datenbestände (Big Data) wohl mehrere Jahre benötigen. Eine radikale Veränderung der Anforderungen im Rahmen der ersten Review-Termine der MiFIR und MiFID II in 2019 bzw. 2020 ist daher wohl nicht zu erwarten, wohl aber ein Fine-tuning von Schwellwerten und Ausnahmen, die im Zuständigkeitsbereich der ESMA bzw. der NCAs liegen.

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Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten Dominik Zeitz/Thomas Höppner1

1 Einleitung 2 Meldepflichtige Finanzinstrumente gemäß Art. 26 MiFIR 2.1 Finanzinstrumente mit Zulassung zum Handel/Zulassungsantrag oder Handelbarkeit an einem Handelsplatz 2.2 Finanzinstrumente, deren Basiswert an einem Handelsplatz handelbar ist 2.2.1 Abgrenzung börslicher und außerbörslicher Derivate (Traded on a Trading Venue (ToTV)) 2.2.2 Ausprägungen des Meldesatzes bei der Meldung von OTC-Derivaten 2.2.3 Meldungen nachträglicher Veränderungen an OTC-Derivaten 2.3 Finanzinstrumente, deren Basiswert ein Index oder ein Korb von Finanzinstrumenten ist 3 Einzelfragen zu Transaktionsmeldungen nach Art. 26 MiFIR 3.1 Begriff des Geschäfts 3.2 Ausführung eines Geschäfts 3.3 Angabe der Handelskapazität 3.4 Code des Entscheidungsträgers/Anlageentscheidung innerhalb der Firma/Ausführung innerhalb der Firma 4 Meldepflicht von Referenzdaten gemäß Art. 27 MiFIR 5 Identifizierung von Finanzinstrumenten mittels ISIN 5.1 Hintergrund 5.2 Rückblick auf die Meldepflicht gemäß § 9 WpHG a.F. 5.3 Meldepflichten unter Art. 26 und 27 MiFIR

1

Die Verfasser geben ihre persönliche Meinung wieder.

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6 Identifizierung von Finanzmarktakteuren mittels Legal Entity Identifier 6.1 Hintergrund 6.2 Umsetzung auf europäischer Ebene 6.2.1 Umsetzung im Rahmen der Meldepflicht gemäß Art. 9 EMIR 6.2.2 Umsetzung im Rahmen der Meldepflichten gemäß Art. 26 und 27 MiFIR

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1 Einleitung Die überarbeitete Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) sowie die begleitende Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR) regulieren auf der obersten Rechtsebene (Level I) den Wertpapierhandel und die Organisation der Marktstruktur. Beide Regelungswerke gelten europaweit seit dem 03.01.2018.2 Damit werden die vorher in § 9 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) kodifizierten Transaktionsmeldepflichten durch die neue Regelung in Art. 26 MiFIR abgelöst. Die Meldepflicht nach § 9 WpHG war auf Geschäfte in Finanzinstrumenten beschränkt, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen oder in den regulierten Markt oder den Freiverkehr einer inländischen Börse einbezogen waren. Art. 26 MiFIR erweitert diese Meldepflicht auf alle Finanzinstrumente mit einem Handelsplatzbezug. Auf der darunterliegenden Rechtsebene (Level II) regelt die Delegierte Verordnung (EU) 2017/590 vom 28.07.20163 durch technische Regulierungsstandards (RTS) das Format und den Inhalt von Transaktionsmeldungen. Art. 27 MiFIR regelt die Verpflichtung zur Bereitstellung von Referenzdaten für die einzelnen Finanzinstrumente an die zuständigen Aufsichtsbehörden. Auf Level II legt hierzu die Delegierte Verordnung (EU) 2017/585 vom 14.07.20164 durch RTS weitere Einzelheiten zur Lieferung dieser Daten an die zuständigen Aufsichtsbehörden fest. Geht man gedanklich noch eine Rechtsebene weiter nach unten (Level III), so hat dort die European Securities and Markets Authority (ESMA) Leitlinien zur „Meldung von Geschäften, Aufzeichnung von Auftragsdaten und Synchronisierung der Uhren nach MiFID II“5 veröffentlicht. Darüber hinaus veröffentlicht die ESMA in unregelmäßigen Abständen „Questions and Answers on MiFIR data reporting“,6 die Einzelfragen zu Transaktionsmeldungen nach Art. 26 MiFIR und der Bereitstellung von Referenzdaten für Finanzinstrumente nach Art. 27 MiFIR beantworten.

2

3 4 5

6

Beide Regelwerke wurden am 12.06.2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht (L 173/84 ff. bzw. L 173/349 ff.) und traten am 02.07.2014 in Kraft. Veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 31.03.2017 (L87/449 ff.). Veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 31.03.2017 (L87/368 ff.). Dok.-Nr. ESMA/2016/1452 DE vom 02.10.2017, abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/search/site/ESMA%252F2016%252F1452. Jüngste Veröffentlichung vom 18.12.2017, Dok.-Nr. ESMA70-1861941480-56, abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/search/site/ESMA70-1861941480-56.

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Dominik Zeitz/Thomas Höppner

2 Meldepflichtige Finanzinstrumente gemäß Art. 26 MiFIR Art. 26 Abs. 2 MiFIR stellt klar, dass die Meldeverpflichtung für die Ausführungen von Geschäften in Abs. 1 für die im Folgenden dargestellten Fälle eingreift.

2.1 Finanzinstrumente mit Zulassung zum Handel/Zulassungsantrag oder Handelbarkeit an einem Handelsplatz Zunächst fallen gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. a MiFIR solche Finanzinstrumente unter die Meldepflicht, die zum Handel an einem Handelsplatz zugelassen sind oder für die bereits ein entsprechender Antrag auf Zulassung gestellt worden ist. Der Begriff des Handelsplatzes ist in Art. 2 Abs. 1 Nr. 16 MiFIR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 24 MiFID II definiert und umfasst neben geregelten Märkten auch multilaterale Handelssysteme (Mulitlateral Trading Facilities (MTF)) und multilaterale Systeme (Organised Trading Facilities (OTF)), an denen Finanzinstrumente handelbar sein können. Der Zulassung ist gleichgestellt, wenn das Finanzinstrument, ohne über eine Zulassung zu verfügen, an dem Handelsplatz gehandelt wird, wie es bei einer Einbeziehung der Wertpapiere in den regulierten Markt oder in den Freiverkehr einer Börse der Fall ist (§§ 33, 48 Börsengesetz (BörsG)). In diesen Fällen ist der betreffende Handelsplatz verpflichtet, das dort handelbare Finanzinstrument gemäß Art. 27 MiFIR an die zuständige Aufsichtsbehörde zu melden. Für inländische Handelsplätze liegt die Zuständigkeit für die Entgegennahme der Meldungen dabei gemäß § 22 Abs. 1 WpHG bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Die zuständige Aufsichtsbehörde übermittelt die erhaltene Meldung weiter an die ESMA, wo sie in deren Referenzdatensystem Financial Instruments Reference Data System (FIRDS) veröffentlicht wird.7 Die gemäß Art. 26 Abs. 1 MiFIR meldepflichtigen Wertpapierdienstleistungsunternehmen können daher durch einen Abgleich des gehandelten Finanzinstruments mit der FIRDS-Datenbank ermitteln, ob es sich um ein solches handelt, das gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. a MiFIR meldepflichtig ist.

7

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Vgl. hierzu ausführlich ESMA, Reporting Instructions FIRDS Reference Data System, verfügbar unter http://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/20161522_firds_reference_data_reporting_instructions.pdf.

MiFID-II.book Seite 187 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten

Ist das betreffende Finanzinstrument in FIRDS verfügbar und damit gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. a1. MiFIR meldepflichtig, ist darauf zu achten, dass nur die International Securities Identification Number (ISIN) dieses Finanzinstruments in Feld Nr. 41 der Transaktionsmeldung einzutragen ist. Die Felder Nr. 42 bis Nr. 56 sind in der Transaktionsmeldung dagegen leer zu lassen, da die diesbezüglichen Informationen sich bereits aus den in FIRDS verfügbaren Referenzdaten zu diesem Finanzinstrument ergeben. Allerdings ist in diesem Fall außerdem folgendes zu beachten. Sollte es sich bei dem Finanzinstrument um ein Derivat handeln, bei dem der Festsatz (Referenzdatenfelder Nr. 43 und 44) oder der Ausübungspreis (Referenzdatenfeld Nr. 31) ein „volatiles Element“ darstellt und damit eher der jeweiligen Transaktion, als den Referenzdaten des Instruments zuzuordnen ist, bleiben diese Felder in dem durch den Handelsplatz zu übermittelnden Referenzdatensatz leer. Der diesbezügliche Wert ist stattdessen in dem Preisfeld (Referenzdatenfeld Nr. 33) des Transaktionsdatensatzes anzugeben.8

2.2 Finanzinstrumente, deren Basiswert an einem Handelsplatz handelbar ist Sollte eine Meldepflicht gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. a MiFIR mangels Handelbarkeit an einem Handelsplatz ausscheiden, besteht für Derivate dennoch eine Meldepflicht gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. b MiFIR, wenn der Basiswert dieses Derivats zum Handel an einem Handelsplatz zugelassen ist bzw. an einem Handelsplatz gehandelt wird. Dies ist bspw. der Fall bei Optionen oder Forwards auf Aktien, wenn die betreffenden Aktien solche sind, die an einem Handelsplatz handelbar sind. Auch insoweit können die meldepflichtigen Institute auf FIRDS zurückgreifen und durch einen Abgleich des Basiswerts des von ihnen gehandelten Derivats mit den Einträgen in FIRDS ermitteln, ob das gehandelte Derivat einer Meldepflicht unterliegt oder nicht.

2.2.1

Abgrenzung börslicher und außerbörslicher Derivate (Traded on a Trading Venue (ToTV))

Problematisch wird diese Differenzierung, wenn das gehandelte Finanzinstrument ein OTC-Derivat (Over the Counter) ist, das über einen Basiswert verfügt, der selbst kein an einem Handelsplatz handelbares Finanzinstrument ist, wie es bspw. für Derivate auf Rohstoffe, Währungen oder Zinssätze der Fall ist. Für diese Produkte hängt die Melde-

8

Vgl. ESMA, Questions and Answers on MiFIR data reporting, Ziff. 14 (Financial instruments‘ volatile attributes).

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pflicht alleine davon ab, ob ein Finanzinstrument existiert, das dieselben Ausprägungen aufweist wie das OTC-Derivat und das an einem Handelsplatz handelbar ist. In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass es sich bei dem OTC-Derivat um dasselbe Finanzinstrument handelt wie das an dem Handelsplatz handelbare, sodass für das OTC-Derivat die Meldepflicht des Art. 26 Abs. 2 Ziff. a MiFIR eingreift. Um bestimmen zu können, ob eine solche Identität vorliegt, muss der Meldepflichtige einen Abgleich der inhaltlichen Ausprägungen des von ihm gehandelten Finanzinstruments mit den in FIRDS enthaltenen Finanzinstrumenten vornehmen. Wie dieser Abgleich vorzunehmen ist, kann einer Stellungnahme der ESMA zu dieser Thematik entnommen werden.9 Dort wird klargestellt, dass der Meldepflichtige in den vorzunehmenden Abgleich sämtliche in der Delegierten Verordnung (EU) 2017/585 genannten Referenzdatenfelder einbeziehen muss, mit Ausnahme der Referenzdatenfelder Nr. 5 bis Nr. 12. Sollte dieser Abgleich ergeben, dass die Ausprägungen des in FIRDS enthaltenen Finanzinstruments und des in Frage stehenden (Waren-, Zins- oder Währungs-) OTC-Derivats deckungsgleich sind, ist das OTC-Derivat gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. a MiFIR zu melden. Besteht keine Deckungsgleichheit, entsteht auch keine Meldepflicht gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. a MiFIR und auch keine solche nach Art. 26 Abs. 2 Ziff. b MiFIR, da der Basiswert kein Finanzinstrument ist.

2.2.2

Ausprägungen des Meldesatzes bei der Meldung von OTC-Derivaten

Wie bereits in Abschnitt 2.1 dargestellt, gilt die Vorgabe, dass die Angaben in den Referenzdatenfeldern Nr. 42 bis Nr. 56 entfallen können, nur, wenn es sich bei dem meldepflichtigen Finanzinstrument um ein solches handelt, das in FIRDS vorhanden und damit gemäß Art. 26 Abs. 2 Ziff. a MiFIR meldepflichtig ist. Handelt es sich dagegen um ein solches nach Art. 26 Abs. 2 Ziff. b MiFIR, sind sämtliche Referenzdatenfelder für dieses Finanzinstrument in der Transaktionsmeldung zu befüllen. Um den Meldepflichtigen hierzu weitere Hilfestellungen zu geben, hat die ESMA in den Leitlinien zur Meldung von Geschäften, Aufzeichnung von Auftragsdaten und Synchronisierung der Uhren nach MiFID II10 zu einigen Finanzinstrumenten Beispiele erarbeitet und dargestellt, wie für solche Instrumente typischerweise Meldungen erfolgen sollten.

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ESMA. Opinion on OTC derivatives traded on a trading venue, 22.05.2017, ESMA70-156117, abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esma70-156117_mifir_opinion_on_totv.pdf. Vgl. Amtsblatt der EU vom 31.03.2017 (L87/368 ff.).

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Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten

In Ziff. 5.35 dieser Leitlinien werden dabei u.a. Optionen, Differenzgeschäfte, Spreadbets und Credit Default Swaps (CDS) beleuchtet und den Marktteilnehmern Beispiele für deren Meldungen an die Hand gegeben.

2.2.3

Meldungen nachträglicher Veränderungen an OTC-Derivaten

Weiterhin ist für die Meldung von OTC-Derivaten zu beachten, dass eine nachträgliche Veränderung der inhaltlichen Ausprägungen des Derivats dazu führen kann, dass dieses Derivat als neues Finanzinstrument anzusehen ist. Die ESMA hat in einer Q&A11 klargestellt, dass von dem Entstehen eines solchen neuen Derivats auszugehen ist, wenn die inhaltliche Änderung zu einer anderen Befüllung der Referenzdatenfelder Nr. 50 bis Nr. 56 führen würde. In diesem Fall muss der Meldepflichtige nach der ursprünglichen Meldung des OTCDerivatekontrakts zwei weitere Meldungen abgeben: In der ersten dieser beiden Neumeldungen wird der ursprüngliche Derivatekontrakt für beendet erklärt (dies wird erreicht, indem in dieser Neumeldung die Angabe des Käufers und des Verkäufers aus der Ursprungsmeldung vertauscht wird) und in der zweiten Neumeldung wird der neue Kontrakt mit den neuen Ausprägungen gemeldet.

2.3 Finanzinstrumente, deren Basiswert ein Index oder ein Korb von Finanzinstrumenten ist Besteht eine Meldepflicht weder nach Art. 26 Abs. 2 Ziff. a noch nach Ziff. b MiFIR, ist zuletzt noch Ziff. c dieses Absatzes zu überprüfen. Nach dieser Regelung unterfällt ein Finanzinstrument auch dann der Meldepflicht, wenn der Basiswert entweder ein Index oder aber ein Korb von Finanzinstrumenten ist und zumindest ein Bestandteil des Indexes bzw. des Korbs ein solches ist, das über eine Zulassung zu einem Handelsplatz verfügt oder an einem Handelsplatz handelbar ist. In diesem Fall muss der Meldepflichtige bei der Befüllung des Meldesatzes auf die richtigen Eintragungen in den Referenzdatenfeldern Nr. 47 ff. achten. Handelt es sich bei dem Basiswert um einen Index, ist in Referenzdatenfeld Nr. 47 die ISIN des Indexes einzu-

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Vgl. ESMA, Answer 5 der Questions and Answers on MiFIR data reporting, vgl. Dok.-Nr. ESMA/2016/1452 DE vom 02.10.2017, Ziff. 15 (Transaction Reporting), abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/search/site/ESMA%252F2016%252F1452.

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tragen, falls dieser über eine ISIN verfügt. Darüber hinaus sind in den Referenzdatenfeldern Nr. 48 und 49 weitere Zusatzinformationen zu diesem Index einzutragen, nämlich dessen Name (Referenzdatenfeld Nr. 48) und die Laufzeit (Referenzdatenfeld Nr. 49). Handelt es sich bei dem Basiswert dagegen um einen Korb von Finanzinstrumenten, muss der Meldepflichtige in Referenzdatenfeld Nr. 47 alle Finanzinstrumente eintragen, die Bestandteil dieses Korbes sind und über eine Zulassung an einem Handelsplatz verfügen bzw. an einem Handelsplatz handelbar sind.

3 Einzelfragen zu Transaktionsmeldungen nach Art. 26 MiFIR 3.1 Begriff des Geschäfts Gemäß Art. 26 Abs. 1 MiFIR müssen Wertpapierfirmen,12 die Geschäfte mit Finanzinstrumenten tätigen, der zuständigen Behörde die vollständigen und zutreffenden Einzelheiten dieser Geschäfte melden. Die Frage, was als ein Geschäft im Sinne dieser Vorschrift angesehen wird, ist daher von zentraler Bedeutung. Art. 2 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/590 vom 28.07.2016 bestimmt als Grundsatz, dass als Geschäft der Abschluss eines Erwerbs oder einer Veräußerung eines in Art. 26 Abs. 2 MiFIR genannten Finanzinstruments anzusehen ist. Ausdrücklich nicht als Geschäft im Sinne des Art. 26 MiFIR sind die Tatbestände zu qualifizieren, die in Art. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/590 aufgelistet sind. Danach ist z.B. ein Kontrakt, der ausschließlich zu Clearing- und Abwicklungszwecken geschlossen wurde, nicht als Geschäft anzusehen (Art. 2 Abs. 5b der Delegierten Verordnung). Ebenso wenig fällt die Ausgabe oder Rücknahme von Fondsanteilen durch den Verwalter (Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG)) unter den Geschäftsbegriff (Art. 2 Abs. 5g der Delegierten Verordnung) der Delegierten Verordnung. Ferner sind bestimmte unternehmerische Maßnahmen nicht unter den Geschäftsbegriff des Art. 26 MiFIR zu subsumieren, so z. B. die Ausgabe, der Ablauf oder die Rücknahme eines Finanzinstruments als Ergebnis vorab festgelegter Vertragsbedingungen, wenn der Anleger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Änderung bezüglich des

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Der Begriff wird im Folgenden synonym zu Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S.d. § 2 Abs. 10 WpHG verwendet.

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Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten

Finanzinstruments keine Anlageentscheidung trifft (Art. 2 Abs. 5i der Delegierten Verordnung).

3.2 Ausführung eines Geschäfts In Art. 3 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/590 vom 28.07.2016 sind eine Reihe von Leistungen bzw. Tätigkeiten aufgeführt, die als die Ausführung eines Geschäfts angesehen werden, wenn diese von einer Wertpapierfirma ausgeführt werden und ein Geschäft zur Folge haben. Darunter fallen z.B. die Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrumente zum Gegenstand haben (Anlage- bzw. Abschlussvermittlung), die Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden sowie der Handel für eigene Rechnung (Art. 3 Abs. 1a-c der Delegierten Verordnung). Ausdrücklich wird ebenfalls in dieser Vorschrift das Treffen einer Anlageentscheidung im Einklang mit einem von einem Kunden erteilten Vermögensverwaltungsmandat erwähnt, die Portfolio-Verwaltung (Art. 3 Abs. 1d der Delegierten Verordnung). Der PortfolioVerwalter hat in diesem Fall also eine eigene Meldepflicht zu erfüllen. Dies gilt nicht, wenn der Portfolio-Verwalter den Auftrag i.S.d. Art. 4 der Delegierten Verordnung an eine andere Wertpapierfirma übermittelt. Sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt, wird die Meldung der anderen Wertpapierfirma unter Nennung des Kunden des Portfolio-Verwalters als ausreichend angesehen, die Meldepflicht des Portfolio-Verwalters entfällt daher (Art. 3 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/590).

3.3 Angabe der Handelskapazität Die Delegierte Verordnung (EU) 2017/590 vom 28.07.2016 sieht in Anhang I Tabelle 2 vor, dass für das Referenzdatenfeld Nr. 29 drei verschiedene Handelskapazitäten gemeldet werden können: • Wenn eine Wertpapierfirma einen „Handel für eigene Rechnung“ betreibt, ist im Referenzdatenfeld Nr. 29 „DEAL“ (dealing on own account) einzutragen. In diesem Fall ist die Wertpapierfirma in der Transaktionsmeldung als Käufer bzw. Verkäufer zu benennen. Der entsprechende Verkäufer bzw. Käufer ist die Gegenpartei, mit der die

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Wertpapierfirma das Geschäft abgeschlossen hat. In einem solchen Fall kann die Wertpapierfirma als reiner Eigenhändler auftreten oder als Händler, der von einem Kunden erteilte Aufträge für eigene Rechnung ausführt. • Eine „Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge“, die im Referenzdatenfeld Nr. 29 mit „MTCH“ (matched principal) zu kennzeichnen ist, ist gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 38 MiFID II ein „Geschäft, bei dem der betreffende Vermittler zwischen den mit dem Geschäft im Zusammenhang stehenden Käufer und Verkäufer in einer Weise zwischengeschaltet ist, dass er während der gesamten Ausführung des Geschäfts zu keiner Zeit einem Marktrisiko ausgesetzt ist […].“ Für die ausführende Wertpapierfirma bedeutet dies, dass sich ihre Position nach Ausführung des Geschäfts nicht ändert und sie aus diesem Geschäft weder einen Gewinn erzielt noch einen Verlust erleidet. • Wenn ein Geschäft weder als ein „Handel für eigene Rechnung“ noch als die „Zusammenführung sich deckender Kundenaufträge“ zu klassifizieren ist, ist als Auffangtatbestand vorgesehen, dass das Geschäft im Rahmen „andere Kapazität“ ausgeführt wird und das Referenzdatenfeld Nr. 29 mit „AOTC“ (any other capacity) zu befüllen ist. Unter diese Kategorie fallen auch Geschäfte auf Vermittlungsbasis, z.B. Kommissionsgeschäfte.

3.4 Code des Entscheidungsträgers/Anlageentscheidung innerhalb der Firma/Ausführung innerhalb der Firma Der Code des Kaufentscheidungsträgers (Referenzdatenfeld Nr. 12) dient gemäß Anhang I Tabelle 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/590 der Identifikation der Person, die die Entscheidung zum Erwerb des Finanzinstruments trifft. Er ist nur zu verwenden, wenn der Kunde der Käufer ist und die Anlageentscheidung im Rahmen einer Vertretungsmacht getroffen wird. Wird diese Entscheidung von einer Wertpapierfirma getroffen, ist in diesem Feld die Identität der Wertpapierfirma anhand deren Legal Entity Identifier (LEI) anzugeben,13 nicht hingegen die Identität einer Einzelperson der Wertpapierfirma. Wenn der Entscheidungsträger eine sonstige juristische Person ist, ist deren LEI-Code zu verwenden, im Falle einer natürlichen Person deren nationale Kundenkennung gemäß Art. 6 der Delegierten Verordnung.

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Vgl. auch Abschnitt 6.2.2.

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Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten

Referenzdatenfeld Nr. 57 (Anlageentscheidungen innerhalb der Firma) ist nur bei Entscheidungen zu befüllen, die innerhalb der Wertpapierfirma getroffen werden. Für den Fall, dass ein einzelner Entscheidungsträger in der betreffenden Wertpapierfirma die Entscheidung zum Erwerb eines Finanzinstruments trifft, ist dessen nationale Kundenkennung gemäß Art. 6 der Delegierten Verordnung in diesem Feld anzugeben. Ist innerhalb der Wertpapierfirma ein Algorithmus für die Anlageentscheidung verantwortlich, so ist in diesem Feld der Code zur Identifikation des Algorithmus gemäß Art. 8 der Delegierten Verordnung anzugeben. Hingegen sollte Referenzdatenfeld Nr. 59 (Ausführung innerhalb der Firma) bei jeder Transaktionsmeldung ausgefüllt werden. Dieses Feld dient zur Identifikation der natürlichen Person bzw. des Algorithmus innerhalb der Wertpapierfirma, die bzw. der für die Ausführung verantwortlich ist. Wurde die Entscheidung hinsichtlich des Ausführungsorts von einem Kunden oder einer anderen Person außerhalb der Wertpapierfirma getroffen, so ist dieses Feld mit „NORE“ zu befüllen.14

4 Meldepflicht von Referenzdaten gemäß Art. 27 MiFIR Für die in Abschnitt 2.1 angesprochene Information in FIRDS, die dazu führt, dass die Referenzdatenfelder Nr. 42 bis Nr. 56 bei an einem Handelsplatz handelbaren Finanzinstrument leer bleiben können, ist eine entsprechende Meldepflicht der Handelsplätze erforderlich. Diese Meldepflicht wird in Art. 27 Abs. 1 MiFIR bzw. Art. 4 Abs. 1 Market Abuse Regulation (MAR) aufgestellt. Dort wird festgelegt, dass alle Handelsplätze (innerhalb der Europäischen Union (EU)) ihren zuständigen Aufsichtsbehörden Informationen zu allen dort handelbaren Finanzinstrumenten zur Verfügung stellen müssen. Art. 27 Abs. 1 Unterabs. 2 MiFIR dehnt diese Verpflichtung außerdem auf Systematische Internalisierer aus, stellt deren Meldepflicht allerdings unter die Einschränkung, dass sie nur für solche Finanzinstrumente gilt, die über das System des Systematischen Internalisierers gehandelt werden und für die nicht bereits eine Referenzdatenlieferung durch einen Handelsplatz erfolgt.

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Vgl. ESMA-Leitlinien, Abschnitt 5.12, veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 31.03.2017 (L87/368 ff.).

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Nach der Übermittlung der Referenzdaten durch die Handelsplätze bzw. die Systematischen Internalisierer an die zuständige Aufsichtsbehörde übermittelt diese die erhaltenen Daten an die ESMA.15 Die ESMA konsolidiert die so erhaltenen Referenzdaten und veröffentlicht sie in einer einheitlichen Datenbank (FIRDS). Eine weitere Konkretisierung der Referenzdatenmeldepflicht erfolgt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/585. Dort wird in Art. 2 Abs. 1 festgelegt, dass die Referenzdatenlieferung bis 21:00 Uhr jedes Handelstages für alle diejenigen Finanzinstrumente zu erfolgen hat, die vor 18:00 Uhr an diesem Tag zum Handel zugelassen waren oder gehandelt wurden. Für Finanzinstrumente, die nach 18:00 Uhr zum Handel zugelassen oder gehandelt werden, erfolgt die Meldung gemäß Art. 2 Abs. 2 dieser Verordnung bis 21:00 Uhr des nächsten Handelstages. Auch die zu verwendenden Meldefelder für die Referenzdatenmeldungen werden im Anhang zu dieser Verordnung genau beschrieben. Weitere Detailfragen, z.B. wie mit Fällen umzugehen ist, in denen das Datum der Zulassung des Finanzinstruments nicht bekannt ist oder welcher Fälligkeitstermin in Referenzdatenfeld Nr. 15 einzutragen ist, wenn das Instrument nicht über eine Fälligkeit verfügt, werden in den „Questions and Answers on MiFIR data reporting“16 der ESMA eingehend dargestellt.

5 Identifizierung von Finanzinstrumenten mittels ISIN 5.1 Hintergrund Die Internationale Wertpapierkennnummer (ISIN) ist eine zwölfstellige BuchstabenZahlen-Kombination nach ISO 6166, die zur Identifizierung von Finanzinstrumenten verwendet wird. Dabei ist zu beachten, dass mit dieser Nummer ausschließlich eine Identifizierung des Finanzinstruments, nicht aber eine Klassifizierung der Art des Finanzinstruments einhergeht.

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Einige Aufsichtsbehörden haben den Empfang der Daten an die ESMA delegiert, sodass in diesen Fällen eine Übermittlung direkt durch den Handelsplatz an die ESMA erfolgt. Eine solche Delegation hat die Bafin jedoch nicht vorgenommen. Dok.-Nr. ESMA/2016/1452 DE vom 02.10.2017, abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/search/site/ESMA%252F2016%252F1452.

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Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten

Anhand der ISIN kann daher bspw. nicht festgestellt werden, ob es sich bei dem betreffenden Instrument um eine Aktie, eine Schuldverschreibung oder ein Derivat handelt. Diese weiterführenden Informationen ergeben sich erst aus den im Zuge der ISIN-Vergabe ebenfalls vergebenen weiteren Identifizierungs-Codes, insbesondere dem CFICode (Classification of Financial Instruments) nach ISO 10962, der das Finanzinstrument in Klassen eingruppiert, und dem Financial Instrument Short Name (FISN) nach ISO 18774, der eine verbale Beschreibung des Instruments beinhaltet (z.B. für die Aktie der Commerzbank AG: COMMERZBANK AG/AKT o.N.). Die ISIN wird von nationalen Nummernvergabestellen vergeben, in Deutschland liegt die Zuständigkeit hierfür bei WM Datenservice. Sämtliche Nummernvergabestellen sind in einem internationalen Verbund, der Association of National Numbering Agencies (ANNA),17 zusammengeschlossen.

5.2 Rückblick auf die Meldepflicht gemäß § 9 WpHG a. F. Für die Identifizierung von Wertpapieren war die ISIN auch bereits in § 3 Abs. 2 S. 1 Wertpapierhandel-Meldeverordnung (WpHMV)18 für Meldungen gemäß § 9 Abs. 1 WpHG a.F. vorgesehen. Allerdings war es auch möglich, für den Fall einer nicht vorhandenen ISIN auf die deutsche Wertpapierkennnummer oder eine sonstige nationale Kennnummer zurückzugreifen (§ 3 Abs. 2 S. 2 WpHMV). Für Derivate war die ISIN ebenfalls nicht verpflichtend als Identifizierungsart vorgesehen. Hierfür galt gemäß § 3 Abs. 2 S. 4 WpHMV, dass entweder die ISIN zu verwenden war oder der Produkt-Code des jeweiligen Derivats, ergänzt durch weitere Zusatzinformationen im Meldesatz, wie z.B. den Preismultiplikator, den Basispreis, die Fälligkeit und das Underlying, woraus sich der Alternative Instrument Identifer (AII) ergab. Diese Differenzierung war dem Umstand geschuldet, dass an einigen Börsenplätzen die dort handelbaren Finanzinstrumente nicht mittels ISIN identifiziert wurden, sondern mittels eben dieses Produkt-Codes. Die meldepflichtigen Institute konnten anhand der ESMA-Datenbank ermitteln, an welchen Börsenplätzen welche Identifizierungsart zum Einsatz kam und ihre Meldesätze entsprechend aufbauen.

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Weitere Informationen hierzu sind unter http://www.anna-web.org/verfügbar. Aufgehoben zum 03.01.2018.

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5.3 Meldepflichten unter Art. 26 und 27 MiFIR Diese Differenzierungen sind mit der neuen Meldepflicht des Art. 26 MiFIR vollständig entfallen. Als einzige Identifizierungsart für sämtliche Finanzinstrumente, die an einem Handelsplatz handelbar sind, ist nunmehr in Referenzdatenfeld Nr. 41 in Tabelle 2 Anhang 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/59 die kontraktspezifische ISIN verpflichtend vorgesehen, was für einige Handelsplätze und Handelsteilnehmer einen großen Umstellungsaufwand nach sich zog. Allerdings erleichtert diese Vorgabe jedoch die nach Art. 26 MiFIR abzugebenden Geschäftsmeldungen, da in dieser Meldung lediglich die ISIN des gehandelten Finanzinstruments anzugeben ist. Weitere Angaben zu den Ausprägungen dieses Instruments (z.B. Laufzeit, Ausübungspreis) sind nicht zu machen, da diese Informationen sich bereits aus den in den Referenzdatenmeldungen gemäß Art. 27 MiFIR zu dieser ISIN angegebenen Stamminformationen ergeben. Die Referenzdatenfelder Nr. 42 bis 56 bleiben daher in diesen Fällen leer. Eine weitere Schwierigkeit ergab sich für den Bereich der OTC-Derivate daraus, dass die nationalen Nummernvergabestellen für solche bilateral ausgehandelten Produkte keine ISIN-Vergabe vorsahen.19 Da FIRDS für solche Produkte auch keine Stamminformationen enthält, sieht die Delegierte Verordnung (EU) 2017/590 daher hierfür vor, dass in den Transaktionsmeldesätzen in Referenzdatenfeld Nr. 41 keine ISIN einzutragen ist und stattdessen die ergänzenden Informationen der Referenzdatenfelder Nr. 42 bis 56 anzugeben sind.

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Eine ISIN-Vergabe für OTC-Derivate wird zukünftig durch das ANNA Derivatives Service Bureau (ANNA DSB) ermöglicht, weitere Informationen hierzu sind unter http://www.anna-web.org/home/derivatives-service-bureau/verfügbar.

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Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten

6 Identifizierung von Finanzmarktakteuren mittels Legal Entity Identifier 6.1 Hintergrund Die Verpflichtung zur Identifizierung von Finanzmarktakteuren mittels des LEI geht zurück auf einen Beschluss der G20 im Jahr 2011,20 in dem festgestellt wurde, dass es für die Funktion und Stabilität der Finanzmärkte wichtig sei, Parteien von Finanztransaktionen eindeutig identifizieren zu können. Zu diesem Zweck wurde dem Financial Stability Board (FSB) der Auftrag erteilt, entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. Dieses Mandat hat das FSB durch die Erstellung eines Berichts erfüllt, der am 08.06.2012 veröffentlicht wurde und ausführliche Erläuterungen zu Struktur, Vergabe und zentralisierter Speicherung von LEI-Codes beinhaltet.21 Diesen Vorschlägen des FSB folgend wurde eine weltweite Struktur lokaler LEI-Vergabestellen (Local Operating Units (LOUs)) geschaffen, die durch das LEI Regulatory Oversight Committee (LEIROC) beaufsichtigt werden,22 in dem die zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden vertreten sind.23 Diese lokalen Nummernvergabestellen erteilen auf Antrag des betreffenden Rechtsträgers und nach eingehender Prüfung dessen Referenzdaten einen LEI, der in einer konsolidierten Datenbank, die bei der Global LEI Foundation (GLEIF) geführt wird, gespeichert und veröffentlicht wird. Eine Aktualisierung dieser Liste erfolgt täglich und beinhaltet derzeit knapp 1,2 Mio. Einträge.24

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Abrufbar unter http://www.g20.utoronto.ca/2011/2011-cannes-declaration-111104-en.html. A Global Legal Entity Identifier for Financial Markets, abrufbar unter http://www.fsb.org/wp-content/uploads/r_120608.pdf. Eine Liste sämtlicher Local Operating Units ist unter https://www.leiroc.org/lei/how.htm abrufbar. Eine Liste der betreffenden Aufsichtsvertreter ist unter https://www.leiroc.org/about/membersandobservers/index.htm abrufbar. Stand: 12.04.2018, die jeweils aktuelle Datei ist abrufbar unter https://www.gleif.org/de/lei/ search#query=Deutsche+Bank&start=0&rows=25.

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6.2 Umsetzung auf europäischer Ebene Auf europäischer Ebene wurden diese Vorgaben in verschiedenen Verordnungen aufgegriffen und als Merkmal zur Identifizierung von Finanzmarktakteuren vorgesehen.

6.2.1

Umsetzung im Rahmen der Meldepflicht gemäß Art. 9 EMIR

Zunächst wurde diese Vorgabe in Art. 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1247/2012 umgesetzt, um Unternehmen zu identifizieren, die als Gegenparteien, Begünstigte, Makler, zentrale Gegenparteien oder Clearing-Mitglieder am Abschluss von Derivatekontrakten beteiligt sind.25 Während in dieser Verordnung für den Fall des Fehlens eines LEI-Codes zur Identifizierung weitere Möglichkeiten vorgesehen waren (so z.B. der Bank Identifier Code (BIC) oder eine von dem Meldepflichtigen zu vergebende Kundenkennziffer), ist diese Art der Ersatzidentifikation in der seit dem 01.11.2017 geltenden Fassung26 dieser Verordnung nicht mehr enthalten.

6.2.2

Umsetzung im Rahmen der Meldepflichten gemäß Art. 26 und 27 MiFIR

Auch für die Geschäfts- und Referenzdatenmeldungen gemäß Art. 26 und 27 MiFIR wird die Verwendung des LEI gefordert. Für die Referenzdatenmeldungen gemäß Art. 27 MiFIR ergibt sich dieses Erfordernis aus Art. 3 Abs. 2 sowie Referenzdatenfeld Nr. 5 in Tabelle 3 des Anhangs der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 2017/585. Dort ist vorgesehen, dass der meldepflichtige Handelsplatz den Emittenten des in der Referenzdatenmeldung angegebenen Finanzinstruments mit dessen LEI identifiziert, was zumindest für außereuropäische Emittenten bisweilen Schwierigkeiten aufwirft, da nicht alle dieser Emittenten über einen LEI verfügen.

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Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1247/2012 der Kommission vom 19.12.2012 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf das Format und die Häufigkeit von Transaktionsmeldungen an Transaktionsregister gemäß der Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, abgedruckt in Amtsblatt EU L 352/20 vom 21.12.2012. Durchführungsverordnung (EU) 2017/105 der Kommission vom 19. Oktober 2016 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1247/2012 der Kommission zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf das Format und die Häufigkeit von Transaktionsmeldungen an Transaktionsregister gemäß der Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, abgedruckt in Amtsblatt EU L 17/17 vom 21.01.2017.

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Meldepflichten und Referenzdaten für Geschäfte in Finanzinstrumenten

Die ESMA und die nationalen Aufsichtsbehörden sind sich dieser Problematik bewusst, daher wurde in einer Stellungnahme seitens der ESMA27 vom 22.12.2017 eine Übergangslösung dargestellt, im Rahmen derer in einer Übergangszeit von sechs Monaten solche außereuropäischen Emittenten, die noch nicht über einen LEI verfügen, zunächst mit dem LEI des Handelsplatzes, der die Referenzdatenmeldung abgibt, identifiziert werden können. Vor noch größere Probleme stellt der bislang noch nicht verfügbare LEI einiger Finanzmarktakteure Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die verpflichtet sind, ihre Geschäfte in Finanzinstrumenten gemäß Art. 26 MiFIR zu melden. Während die Meldepflicht gemäß § 9 WpHG bis zum 02.01.2018 zur Identifizierung der Kunden noch zahlreiche verschiedene Möglichkeiten, wie z.B. die deutsche Bankleitzahl des Unternehmens, die Bafin-ID oder den Member-ID-Code eines elektronischen Handelssystems28 vorgesehen hatte, ist diese Möglichkeit unter Art. 26 MiFIR seit dem 03.01.2018 nicht mehr gegeben. Im Rahmen dieser Meldepflicht ist nämlich in Art. 13 und den Referenzdatenfeldern Nr. 12 und Nr. 16 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/590 (EU) nicht nur vorgesehen, dass ein LEI-fähiger Käufer bzw. Verkäufer (also der Kunde des meldepflichtigen Wertpapierdienstleistungsunternehmens) ausschließlich mit seinem LEI zu identifizieren ist. Art. 13 Abs. 2 dieser Verordnung untersagt darüber hinaus sogar jegliche Geschäfte für Kunden, die nicht über einen LEI verfügen, wenn diese Geschäfte zu einer Meldepflicht für das Geschäft gemäß Art. 26 MiFIR führen (No-LEI-no-Trade-Regel). Auch insoweit sind die ESMA und die nationalen Aufsichtsbehörden sich der daraus ergebenden praktischen Probleme bewusst, sodass auch hier eine Übergangslösung geschaffen wurde. Diese Übergangslösung sieht vor, dass es die nationalen Aufsichtsbehörden für einen Zeitraum von sechs Monaten dulden, dass die meldepflichtigen Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch weiterhin meldepflichtige Geschäfte für LEIfähige Kunden durchführen, die nicht über einen LEI verfügen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der jeweilige Kunde dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen spätestens zum Zeitpunkt der Ordererteilung auch die Bevoll-

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Die Originalfassung dieser Stellungnahme sowie eine deutsche Übersetzung sind abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2017/ meldung_171222_ESMA_LEI.html. Vgl. Feld-Nr. 3 der Anlage zur Verordnung über die Meldepflichten beim Handel mit Wertpapieren und Derivaten (Wertpapierhandel-Meldeverordnung (WpHMV)), abgedruckt im Anlagenband zum BGBl. I 2007, Nr. 66 vom 21.12.2007, S. 1-29.

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mächtigung erteilt, in seinem Namen einen LEI-Code zu beantragen. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gibt die erforderliche Meldung erst ab, wenn ihm der LEI des Kunden vorliegt. Die daraus resultierende Meldefristverletzung wird von der nationalen Aufsichtsbehörde während dieser Übergangszeit in Kauf genommen.

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MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur Sabine Hickersberger

1 Einleitung 2 Central Counterparties 2.1 Hintergründe und Definition 2.2 Funktionsweise des Clearing 2.3 Funktion innerhalb der Finanzmarktinfrastruktur 2.4 Nutzer von Clearing-Diensten 3 Die European Market Infrastructure Regulation 3.1 Geschichte 3.2 Bedeutung für den Finanzmarkt/Anwendungsbereich 3.3 Regelungsinhalte 3.4 Aufsicht 4 Prinzipen von CPSS und IOSCO für Finanzmarktinfrastrukturen 5 Risk Management einer Central Counterparty 5.1 Instrumente der Risikosteuerung 5.2 Default Waterfall 5.3 Weitere Anforderungen an Clearing-Mitglieder 6 Fazit und Ausblick

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1 Einleitung In einem Finanzmarkt ohne Central Counterparty (CCP) werden Transaktionen in Form von bilateral verhandelten Verträgen abgeschlossen, die in ihrer Gesamtheit zu einem komplexen und verwobenen Netz aus Interdependenzen zwischen den Marktteilnehmern führen. Es ist leicht erkennbar, dass ein rein auf bilateralen Beziehungen aufbauender Finanzmarkt ausgesprochen ineffizient wäre. Im Falle der Investmentbank Lehman Brothers zeigte sich, dass der Ausfall eines einzelnen Marktteilnehmers eine Kettenreaktion ungeahnten Ausmaßes hervorrief, die andere Marktteilnehmer in arge Bedrängnis brachte. Im Nachhandelsbereich (Post Trading) soll die verpflichtende Zwischenschaltung von CCPs dieses Risiko reduzieren und Finanzkrisen wie im Jahr 2008 verhindern. Zu diesem Zeitpunkt existierten schon CCPs, allerdings erfolgte das Clearing auf freiwilliger Basis. Zukünftig sollte es eine Clearing-Pflicht für die als riskant identifizierten, standardisierten OTC-Derivate (Over the Counter) geben. Überdies sollte es eine Meldeverpflichtung sämtlicher Details von abgeschlossenen Derivatekontrakten an ein Transaktionsregister geben, das als Informationsquelle für die European Securities and Markets Authority (ESMA), den European Systemic Risk Board (ESRB), die national zuständigen Behörden oder andere Behörden dient. Eine CCP trägt entscheidend zur Stärkung der Finanzmarktstabilität bei. Ein Ausfall ihrer Leistungen würde mit negativem Effekt auf jene Stabilität einhergehen. In diesem Beitrag wird auf den Sinn und Zweck von CCPs eingegangen und darüber hinaus ein Überblick über die Anforderungen und Prozesse aus Praxissicht gegeben.

2 Central Counterparties 2.1 Hintergründe und Definition Im Jahr 2006, als die Markets in Financial Instruments Directive I (MiFID I) das regulatorische Umfeld für Multilateral Trading Facilities (MTFs) geschaffen hat, um mit nationalen Aktienbörsen zu konkurrieren, wurden neue paneuropäische CCPs geschaffen, um dieses Marktsegment zu bedienen. Zu dieser Zeit gab es in Europa rund zehn CCPs, welche ihre Dienstleistungen vorwiegend für einzelne Börsen erbrachten. Mittlerweile hat sich die Anzahl der CCPs in Europa mehr als verdoppelt.

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Gemäß der European Market Infrastructure Regulation (EMIR) ist eine CCP „eine juristische Person, die zwischen die Gegenparteien der auf einem oder mehreren Märkten gehandelten Kontrakte tritt und somit als Käufer für jeden Verkäufer bzw. als Verkäufer für jeden Käufer fungiert.“1 Folglich ist die Aufgabe einer CCP die wechselseitige Erfüllung der Pflichten von Käufer und Verkäufer (Gegenparteien) im Hinblick auf Finanzinstrumente (bspw. Aktien, Anleihen, Derivate), welche entweder an Handelsplätzen (bspw. Börsen) oder bilateral zwischen Handelsteilnehmern (OTC) gehandelt werden. Dieser Prozess wird als Clearing bezeichnet. Ein großer Vorteil besteht hierbei in der Anonymität (pre-trade und post-trade), was insbesondere von hoher Bedeutung ist, wenn große Transaktionsvolumina abgewickelt werden. Aufgrund der essentiellen Rolle der CCP im Hinblick auf die zentrale Risikosteuerung für Finanzinstitute ist sie vom Anwendungsbereich der EMIR erfasst, welche Sicherheitsstandards für alle Aspekte des Risikomanagements einer CCP vorsieht.

2.2 Funktionsweise des Clearing Beim Clearing übertragen Gegenparteien ihre Positionen und Sicherheiten an eine CCP. Agieren sie dabei als Clearing-Mitglied, wird dieser Prozess auch als direktes Clearing bezeichnet. Allerdings muss man nicht zwingend den Status eines Clearing-Mitglieds innehaben, um am Clearing teilzunehmen – es besteht auch die Möglichkeit, ein Clearing-Mitglied zu diesem Zweck zu beauftragen. Die EMIR definiert Clearing als „Prozess der Erstellung von Positionen, darunter die Berechnung von Nettoverbindlichkeiten, und die Gewährleistung, dass zur Absicherung des aus diesen Positionen erwachsenden Risikos Finanzinstrumente, Bargeld oder beides zur Verfügung stehen.“2 In der Praxis werden also die erhaltenen Transaktionsdaten für ein bestimmtes Finanzinstrument für jeweils eine Geschäftskategorie – es ist gemäß EMIR zwingend in Eigenund Kundenhandel zu unterscheiden – und Handelstag zusammengefasst und aufgerechnet. Dieser Vorgang wird als Netting bezeichnet und die Folge ist, dass nur jene Salden zur Verrechnung an die Clearing-Mitglieder gelangen, die sich durch diese Aufrechnung ergeben.

1 2

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Art. 2 Z. 1 EMIR. Art. 2 Z. 3 EMIR.

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MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur

Wesentlicher Nutzeffekt für die Clearing-Mitglieder ist die damit einhergehende Minimierung der Anzahl der Transaktionen sowie des Risikos; dies führt zu hoher Effizienz in der Abwicklung von Geschäften. Darüber hinaus kommt es für die Clearing-Mitglieder zu einer Kostenreduktion im Hinblick auf die Transaktionskosten. Die Beispiele zum Netting in Abbildung 1 veranschaulichen dies. Abbildung 1: Beispiele für Netting

Hierbei erheben CCPs gleichzeitig von ihren Clearing-Mitgliedern Sicherheitenleistungen (Margins), die das möglichst aktuell berechnete Risikopotenzial aus den offenen Geschäften dieser Mitglieder wertmäßig abdecken. Die akzeptierten Sicherheiten weisen typischerweise ein geringes Kredit- und Liquiditätsrisiko auf. Diese Zeitspanne des Clearings, also der Zeitraum zwischen dem Handels- und dem Erfüllungszeitpunkt, ist je nach Art des Finanzinstruments unterschiedlich lang. Im Fall von Derivaten, die oftmals eine Laufzeit von mehreren Monaten oder sogar Jahren aufweisen, ist sie entsprechend lange. Jedoch beträgt die Abwicklungszeit auch bei Spotoder Kassageschäften meist mehrere Tage. So regelt Art. 15 der EU-Leerverkaufsverordnung,3 dass eine CCP das Verfahren für die Eindeckung mit Aktien in Gang setzen muss, falls eine natürliche oder juristische Person, die Aktien verkauft, nicht in der Lage ist, die Aktien innerhalb von vier Geschäftstagen nach dem Tag, an dem die Abwicklung fällig ist, zur Abwicklung des Geschäfts zu liefern.

3

Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps.

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2.3 Funktion innerhalb der Finanzmarktinfrastruktur Zu den einer breiteren Öffentlichkeit bekannten Finanzmarktinfrastrukturen gehören die Börsen. Weniger öffentliche Beachtung finden häufig die dem Handel mit Finanzprodukten nachgelagerten Abwicklungsbereiche. Jedoch spielen vielmehr alle drei Finanzmarktinfrastrukturen – Börse, CCP und Central Securities Depository (CSD – Zentralverwahrer) – in ihrer Gesamtheit eine zentrale Rolle für die Abwicklung von Finanzgeschäften oder für den Zahlungsverkehr. Sie stellen das Rückgrat für nationale und internationale Finanzmärkte dar und unterstützen die Realwirtschaft in erheblichem Maße. Die Finanzmarktinfrastrukturen, welche die drei sequentiellen Funktionen Handel, Clearing und Settlement zur Verfügung stellen, können entweder als vertikal integrierte Unternehmen unter einem Eigentümer zusammengefasst sein oder verschiedene Eigentümer haben. Nachdem das Clearing dem Handel nachfolgt, kann eine CCP nur Geschäfte abwickeln, wenn die Handelsplattform Zugang zu ihren Transaktionen und somit Transaktionsdaten gibt. Beispiel der CCP Austria: Die CCP Austria wurde am 02.08.2004 gegründet und ist von der Wiener Börse AG als Abwicklungsstelle mit der sicheren und zuverlässigen Abwicklung der abwicklungsfähigen Börsengeschäfte beauftragt. Die Wiener Börse AG hält 50% der Gesellschaftsanteile an der CCP Austria. Sie fungiert als CCP für alle an der Wiener Börse AG getätigten Geschäfte am Kassamarkt. Um nun zu verstehen, warum die Finanzmarktinfrastrukturen für den reibungslosen Ablauf der Finanzmärkte von essentieller Bedeutung sind, welche Aufgaben sie dabei wahrnehmen und welche wechselseitigen Abhängigkeiten gegeben sind, ist es ratsam, zunächst die einzelnen Schritte eines Finanzmarktgeschäftes näher zu betrachten. Allerdings ist hier darauf hinzuweisen, dass in diesem Beitrag primär auf die Funktion und die Aufgaben einer CCP eingegangen wird, wodurch die anderen Finanzmarktinfrastruktureinrichtungen nur in groben Zügen beschrieben werden. Beim Handel von Finanzinstrumenten werden Käufern und Verkäufer zusammengeführt, was entweder an einer Börse oder außerbörslich (OTC) erfolgen kann. Die meisten Börsen und Handelsplattformen sind auf den Handel bestimmter Finanzinstrumente spezialisiert. So gibt es etwa Börsen, an denen ausschließlich Aktien- oder Anleihenhandel erfolgt, während an anderen Börsen insbesondere Derivate, wie bspw. Optionen oder Futures, gehandelt werden. In ferner Vergangenheit war es üblich, dass ein spezifisches Finanzinstrument nur an einer einzigen Börse gehandelt wird, allerdings hat der Wettbewerb zwischen den einzelnen Börsenplätzen zugenommen. Diese Konkurrenz wird überdies durch die regulatori-

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schen Initiativen der letzten Jahre vermehrt gefördert. So will bspw. die Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR)4 zum einen transparente und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und zum anderen einen effizienten Wettbewerb zwischen geeigneten Handelsplätzen ermöglichen, indem u.a. eine Handelspflicht für bestimmte Derivate besteht. Handelsplätze sollen demnach explizit für sich keine Exklusivrechte in Bezug auf diese Handelspflicht unterliegende Derivate beanspruchen können und damit andere Handelsplätze darin hindern können, Handelsgeschäfte mit diesen Finanzinstrumenten anzubieten.5 Die Handelsteilnehmer können folglich heute meist zwischen mehreren Handelsplätzen auswählen. Allerdings sei nochmals darauf hingewiesen, dass bestimmte Finanzinstrumente an keiner Börse oder sonstigen Handelsplattform, sondern OTC gehandelt werden. Im Zuge des Abschlusses eines Geschäfts einigen sich sodann die Vertragsparteien über sämtliche Transaktionsbedingungen, wie bspw. die Wertpapierart, die Quantität oder den Preis. Bei außerbörslich gehandelten Finanzinstrumenten müssen die relevanten Transaktionsdaten zuerst von den beiden Handelsteilnehmern intern erfasst (Trade Capture), gegenseitig abgestimmt (Trade Matching oder Trade Reconciliation) sowie bestätigt (Trade Confirmation) werden. Bei Finanzinstrumenten, die an einer Börse gehandelt werden, müssen die Handelsteilnehmer diese Handlungen hingegen im Regelfall nicht selbst durchführen, da die Transaktionsdaten beim Geschäftsabschluss direkt von der Börse erfasst, gespeichert und an die Vertragsparteien übermittelt und bestätigt werden. Sämtliche Prozesse und Abläufe, die dem erfolgreichen Abschluss eines Geschäfts nachfolgen, erfolgen in den Nachhandelsinfrastrukturen bzw. Post Trade Infrastructures. Diese Infrastrukturen sind ein integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette eines jeden Finanzmarktes und umfassen alle Schritte, die zwischen dem Abschluss und der Abwicklung bzw. Erfüllung eines Geschäftes erfolgen. CCPs und CSDs tragen also in hohem Maße zur Aufrechterhaltung von Nachhandelsinfrastrukturen bei, die die Finanzmärkte sichern und die Marktteilnehmer darauf vertrauen lassen, dass Wertpapiergeschäfte ordnungsgemäß und zeitgerecht ausgeführt werden.

4

5

Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012. Vgl. Erwägungsgrund 28 MiFIR.

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Die CCP erhält von der Handelsplattform über eine Schnittstelle die ausgeführten Transaktionen, welche alle für das Netting und die Abwicklung erforderlichen Daten beinhalten müssen. Das CSD nimmt insbesondere die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren sowie die Abrechnung von Wertpapiertransaktionen vor. Dies bedeutet, dass im Anschluss an das Netting die Buchung der Wertpapiere erfolgt.

2.4 Nutzer von Clearing-Diensten Die erste Gruppe von Nutzern von Clearing-Diensten einer CCP sind die Handelsplätze, für die das Clearing stattfindet. In aller Regel wird die CCP nicht von einem Handelsplatz für die Erbringung der Dienstleistung entlohnt, allerdings ist die CCP auf eine Beauftragung durch den Handelsplatz angewiesen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass gemäß EMIR ein diskriminierungsfreier und transparenter Zugang sowohl zu einer CCP als auch zu einem Handelsplatz gewährleistet sein muss. Die Rückmeldung auf einen Antrag auf Zugang muss in jedem Fall binnen drei Monaten erfolgen und eine Verweigerung ist ausführlich zu begründen. Darüber hinaus enthält die MiFIR neue Vorschriften für den Nachhandelsbereich, um einen größeren Wettbewerb zu ermöglichen. Oftmals arbeiten Handel und Clearing eng zusammen, da Handelsplatz und CCP demselben Konzern bzw. derselben Unternehmensgruppe angehören. Die MiFIR soll konzernfremden Handelsplätzen bzw. CCPs den Weg für einen Anschluss an eine CCP bzw. einen Handelsplatz freimachen. Ein solcher Zulassungsantrag darf lediglich abgelehnt werden, wenn der Anbindung operationelle, finanzielle oder rechtliche Risiken entgegenstehen. Ungeachtet dessen, kann die national zuständige Behörde einen solchen Antrag ablehnen, wenn es zu einer Liquiditätszersplitterung oder zu einer signifikanten Erhöhung von systemischen Risiken kommen könnte. Um den Rahmen der MiFIR zu detaillieren, wurden von ESMA hierzu technische Regulierungsstandards erlassen. Im April 2016 wurden über 99,8% der an Handelsplätzen von Mitgliedern der Federation of European Securities Exchanges (FESE) in der Europäischen Union (EU), dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und der Schweiz ausgeführten Geschäfte über CCPs abgewickelt. Die übrigen 0,2% werden an kleineren Börsen ohne CCP gehandelt. Die zweite Gruppe der Nutzer sind die Gegenparteien, die von den Diensten der CCP, insbesondere vom Risikomanagement, profitieren und somit zahlende Kunden der CCP sind. Gegenparteien bei der Verrechnung von Wertpapiergeschäften sind nicht Privatkunden, sondern Kreditinstitute und zugelassene Händler, die Aufträge für ihre Kunden (Privatpersonen, institutionelle Anleger) an der Börse ausführen.

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Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, der Clearing-Pflicht nachzukommen: • einerseits können Gegenparteien selbst (direktes) Clearing-Mitglied einer CCP werden oder • sie nutzen andererseits die Clearing-Dienstleistungen eines bestehenden ClearingMitglieds als dessen Kunde. Letzteres wird auch indirektes Clearing genannt. Um Clearing-Mitglied zu werden, ist eine Registrierung bei der CCP nötig. In diesem Zusammenhang ist einer Reihe von Zulassungsvoraussetzungen und -anforderungen zu entsprechen. Diese dienen der Sicherstellung der Erfüllung gewisser Grundvoraussetzungen, damit die CCP in der Folge die Risiken aus den Geschäften übernehmen kann. Bspw. müssen Clearing-Mitglieder über die notwendigen finanziellen Mittel (Eigenkapitalanforderungen) verfügen, um der Erfüllung ihrer Geschäfte nachkommen zu können. Beispiel: Die CCP Austria ordnet im Zuge der Registrierung und während der Teilnahme an der Abwicklung jedes Clearing-Mitglied anhand einer umfangreichen Bonitätsprüfung in eine Bonitätsklasse ein. Die Einordnung dient zur Wahrung der Stabilität der CCP Austria, erfolgt vertraulich und evaluiert die aktuelle wirtschaftliche und finanzielle Lage des Clearing-Mitglieds auf Basis von errechneten Bilanzkennzahlen oder auch unter Berücksichtigung von zur Verfügung gestellten (anerkannten) Ratings. Je nach Finanzmarkt und Art der Mitgliedschaft können einzelne Zulassungserfordernisse abweichen. Ungeachtet dessen sind die bestehenden Clearing-Mitgliedschaften, die Kriterien der Zulassung, die Aussetzung sowie die Beendigung der Mitgliedschaft stets offenlegungspflichtig. Die Registrierung eines direkten Teilnehmers einer CCP kann in Form einer GeneralClearing-Mitgliedschaft (GCM) oder einer Direct-Clearing-Mitgliedschaft (DCM) erfolgen. Letzterem ist es lediglich erlaubt, seine eigenen Geschäfte (Eigenhandel) oder seine Kundengeschäfte (Kundenhandel) über die CCP abzuwickeln. Im Unterschied hierzu darf ein GCM zusätzlich noch die Geschäfte von Handelsteilnehmern ohne direkte Anbindung an die CCP – also indirekte Clearing-Teilnehmer oder Non-Clearing-Mitglieder (NCM) – übernehmen. Kontrahent bzw. Gegenpartei der CCP bleibt in diesem Fall allerdings stets der (haftbare) GCM. Nicht zuletzt haben Kunden von Clearing-Mitgliedern, die selbst keine Handelsteilnehmer sind, die Möglichkeit, sich bei der CCP eigens registrieren zu lassen und so zu einem Registered Client zu werden.

209

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3 Die European Market Infrastructure Regulation 3.1 Geschichte Die EMIR hat ihren Ursprung in den Zielen, die im Hinblick auf die Verbesserung der Transparenz von OTC-Derivaten, die Minderung des Systemrisikos und den Schutz vor Marktmissbrauch von den G-20-Mitgliedsstaaten in Pittsburgh 2009 sowie in Cannes 20116 definiert wurden. Konkret wurde von den Staats- und Regierungschefs am 26.09.2009 in Pittsburgh vereinbart, dass alle standardisierten OTC-Derivatekontrakte bis spätestens Ende 2012 über eine CCP gecleart und OTC-Derivatekontrakte an Transaktionsregister gemeldet werden sollten. Der Financial Stability Board (FSB) überwacht seit seiner Errichtung im April 2010 für die G-20-Mitgliedsstaaten die Implementierung der vereinbarten Prinzipien im Rahmen von Berichten. Aus dem Bericht der FSB zur Implementierung der Reform von Derivaten7 wird das Regulierungsvorhaben der G-20-Mitgliedsstaaten wie folgt gerechtfertigt: „OTC derivatives benefit financial markets and the wider economy by improving the pricing of risk, adding to liquidity and helping market participants manage their risks. While markets in certain OTC derivatives asset classes continued to function well throughout the recent financial crisis, the crisis exposed weaknesses in OTC markets that had contributed to the build-up of systemic risk. These weaknesses included the build-up of large counterparty exposures between particular market participants which were not appropriately riskmanaged; contagion risk arising from the interconnectedness of OTC derivatives market participants; and the limited transparency of overall counterparty credit risk exposures that precipitated a loss of confidence and market liquidity in time of stress.“ Die EMIR ist am 16.08.2012 in Kraft getreten und soll einen einheitlichen aufsichtsrechtlichen Rahmen für CCPs schaffen. Außerdem sind in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards erlassen worden. Von großer Bedeutung ist hierbei die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 153/2013 der Kommission vom 19. Dezember 2012 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf technische Regulierungsstandards für Anforderungen an zentrale Gegenparteien (RTS 153/2013).

6 7

210

http://www.g20.utoronto.ca/summits/index.html. http://www.fsb.org/wp-content/uploads/r_101025.pdf.

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MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur

Andere technische Regulierungsstandards (RTS) regeln bspw. die Eigenkapitalanforderungen, indirekte Clearing-Vereinbarungen oder auch die Mindestangaben der Meldungen an Transaktionsregister.

3.2 Bedeutung für den Finanzmarkt/Anwendungsbereich Die EMIR ist zweifelsfrei eine europäische Finanzmarktregulierung von elementarer Bedeutung für die Marktteilnehmer, die überdies starke Interdependenzen zu anderen Finanzmarktregulierungen, wie bspw. die MiFIR, aufweist. Bei der Implementierung der EMIR-Anforderungen ist hierauf besonders Bedacht zu nehmen. Einer europäischen CCP, die von der nationalen Aufsichtsbehörde nach EMIR zugelassen ist, ist es möglich, ihre Clearing-Dienstleistungen für die von der Zulassung erfassten Produktkategorien überall in der EU anzubieten. Die ESMA ist befugt, CCPs aus Drittstaaten zuzulassen, was sie für das Clearing innerhalb der EU berechtigt. CCPs, die in der EU zugelassen sind, werden von der ESMA auf ihrer Homepage veröffentlicht. Derzeit sind innerhalb der EU 16 CCPs zugelassen; diese sind in Tabelle 1 aufgelistet. Tabelle 1: Zugelassene CCPs innerhalb der EU (Stand: 18.01.2018) Central Counterparty

Herkunft

1

Nasdaq OMX Clearing AB

Sweden

2

European Central Counterparty N.V.

Netherlands

3

KDPW_CCP

Poland

4

Eurex Clearing AG

Germany

5

Cassa di Compensazione e Garanzia S.p.A. (CCG)

Italy

6

LCH SA

France

7

European Commodity Clearing

Germany

8

LCH Ltd

United Kingdom

9

Keler CCP

Hungary

10

CCP Austria Abwicklungsstelle für Börsengeschäfte GmbH

Austria

11

LME Clear Ltd

United Kingdom

12

BME Clearing

Spain

13

OMIClear – C.C., S.A.

Portugal

14

ICE Clear Netherlands B.V.

Netherlands

15

Athens Exchange Clearing House (Athex Clear)

Greece

16

ICE Clear Europe Limited (ICE Clear Europe)

United Kingdom

211

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Der örtliche Anwendungsbereich der EMIR erstreckt sich auf sämtliche Mitgliedstaaten der EU. Dabei unterscheidet die EMIR zwischen finanziellen Gegenparteien und nichtfinanziellen Gegenparteien: • Finanzielle Gegenparteien sind gemäß Art. 2 Abs. 8 EMIR Wertpapierfirmen, Kreditinstitute, (Rück-)Versicherungsunternehmen, Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und deren Verwaltungsgesellschaften, Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung sowie alternative Investmentfonds, die von zugelassenen oder eingetragenen Verwaltern alternativer Investmentfonds verwaltet werden. • Alle anderen Unternehmen mit Sitz in der EU sind gemäß Art. 2 Abs. 9 EMIR nichtfinanzielle Gegenparteien.

3.3 Regelungsinhalte Wie bereits zuvor beschrieben und in Entsprechung der üblichen EU-Gesetzgebung, bilden die Bestimmungen und Vorgaben der EMIR lediglich einen gesetzlichen Rahmen für die Unterworfenen, wodurch zahlreiche Durchführungsmaßnahmen in Form von RTS sowie Durchführungsverordnungen erlassen wurden. Die EMIR selbst lässt sich in die in Tabelle 2 dargestellten Regelungskomplexe gliedern. Tabelle 2: Gliederung und Regelungskomplexe der EMIR Art.

Regelungskomplexe

1-3

Allgemeine Bestimmungen und Definitionen

4-13

Clearing, Reporting, Risikominimierung

14-50

Zulassung, Beaufsichtigung und Struktur von CCPs

51-54

Interoperabilität zwischen CCPs

55-82

Zulassung, Beaufsichtigung und Struktur von Transaktionsregistern

83-90

Abschließende Regelungen und Übergangsregelungen

Herzstück von EMIR ist die Pflicht, standardisierte außerbörsliche Derivategeschäfte über eine CCP abzuwickeln. Ein weiteres Kernstück von EMIR sind die Meldepflichten an Transaktionsregister, welche allerdings nur Geschäfte in Derivaten betreffen. Sämtliche Geschäfte sind an Transaktionsregister zu übermitteln, wobei es hierbei nicht von Bedeutung ist, ob die Geschäfte über eine zentrale Gegenpartei oder nur bilateral abgewickelt werden.

212

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MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur

Diese Transaktionsregister selbst sind Unternehmen, die Dienstleistungen für den Finanzmarkt erbringen. Die Transaktionsregister haben zum Zweck, den Aufsichtsbehörden zu ermöglichen, sich umfassend über die Positionen der Marktteilnehmer und die generelle Marktlage zu informieren. Überdies legt EMIR samt allen technischen Regulierungs- und Implementierungsstandards detaillierte Kriterien für die Zulassung und laufende Beaufsichtigung von CCPs fest. Bspw. gelten bestimmte Anforderungen an die Geschäftsleitung, die Risikosteuerung, die von den Clearing-Mitgliedern zu erbringenden Sicherheitenleistungen und das Eigenkapital der CCP. Bei der Zulassung werden in einem eigens gemäß der EMIR einzurichtenden Aufsichtskollegium (College)8 alle relevanten Aufsichtsbehörden der größten Clearing-Teilnehmer einer CCP sowie die jeweiligen nationalen Zentralbanken innerhalb der EU hinzugezogen. Die EU-Kommission und die ESMA geben in Frequently Asked Questions (FAQ)9 einige Hinweise und Antworten zu Anwendungs- und Umsetzungsfragen.

3.4 Aufsicht Vor der EMIR gab es lediglich nationale Zuständigkeiten für bereits bestehende CCPs. Mit der EMIR wurden darüber hinaus Colleges eingerichtet, die einen besseren Informationsaustausch der Aufsichtsbehörden über potenzielle Risiken grenzüberschreitend tätiger CCPs gewährleisten sollen. Das College setzt sich u.a. aus der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörde und den Aufsichtsbehörden der von der CCP bedienten Handelsplätze, den Aufsichtsbehörden der Clearing-Mitglieder aus den drei Mitgliedstaaten, auf die die größten Anteile am Ausfallfonds der CCP entfallen, sowie der ESMA zusammen. Die Teilnahme der ESMA soll bewirken, dass diese europaweit besser in der Lage ist, auf eine Konvergenz der nationalen Aufsichtspraktiken hinwirken zu können. Sie verfügt jedoch über kein Stimmrecht innerhalb des Colleges. Den Vorsitz des Colleges hält die nationale, für die CCP zuständige Aufsichtsbehörde. Zu den Aufgabengebieten der Colleges zählen bspw. die Erteilung oder der Entzug der Zulassung einer CCP, die Zulassung der Ausweitung ihrer Tätigkeiten und angebotenen Dienstleistungen, die Validierung von wesentlichen Modell- oder Parameteränderungen im Risikomanagement oder auch die Genehmigung von Interoperabilitätsvereinbarungen zwischen CCPs.

8 9

Vgl. Art. 18 EMIR. Vgl. Questions & Answers – Implementation of the Regulation (EU) No 648/2012 on OTC derivatives, central counterparties and trade repositories (EMIR), Stand 05.02.2018.

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Zusätzlich zu den gesetzlichen Bestimmungen, die den Betrieb einer CCP regulieren und maßgeblich beeinflussen, und den Colleges gibt es eine weitere Aufsichtskomponente – die national zuständigen Behörden – in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) oder in Österreich die Finanzmarktaufsicht (FMA). Diese Instanz beobachtet, beaufsichtigt und beurteilt die regelkonforme Ausübung des Geschäftsbetriebs der CCP.

4 Prinzipen von CPSS und IOSCO für Finanzmarktinfrastrukturen Die Prinzipien des Committee on Payment and Settlement Systems (CPSS) und der International Organization of Securities Commissions (IOSCO) für Finanzmarktinfrastrukturen10 unterstützen die Reformvereinbarungen der G-20-Mitgliedsstaaten aus 2009 und 2011 und stellen für CCPs neben den Bestimmungen der EMIR eine weitere Richtschnur für die Organisation sowie die Prozesse der CCPs dar. Konkret folgte sowohl der EU-Gesetzgeber bei der Erarbeitung der EMIR-Bestimmungen als auch die ESMA im Hinblick auf die Erlassung der zugehörigen Regulierungs- und Implementierungsstandards den bereits seit 16.04.2012 bestehenden Prinzipien des CPSS und der IOSCO.11 Diese Prinzipien sollen zu einer verbesserten Transparenz, zur Senkung der Systemrisiken sowie zur Verhinderung von Marktmissbrauch beitragen und auf alle systemisch relevanten Infrastrukturen angewendet werden. Um eine kohärente, effiziente und harmonisierte Anwendung bzw. Umsetzung beider Regelwerke, EMIR sowie der CPSS-IOSCO Prinzipien, sicherzustellen, hat die ESMA im September 2014 Leitlinien und Empfehlungen12 zur Umsetzung veröffentlicht. Sie verpflichten die nationalen Aufsichtsbehörden, die nach Art. 22 EMIR für die Überwachung der CCPs zuständig sind, die EMIR-Bestimmungen gemäß den Prinzipien auszulegen. Die ESMA geht grundsätzlich davon aus, dass EMIR und die zugehörigen technischen Regulierungs- und Implementierungsstandards die Vorgaben der CPSS-IOSCOPrinzipien vollständig umsetzen. Grund für den Erlass der Leitlinien und Empfehlungen war, dass CPSS und IOSCO zu dieser Zeit eine Bewertung vornahmen, inwieweit die IOSCO-Mitglieder die Prinzipien im Hinblick auf Zentrale Gegenparteien umgesetzt haben. Da die EMIR-Diktion von der

10 11 12

214

Vgl. Principles for financial market infrastructures, CPSS Publication No 101, April 2012. Vgl. Erwägungsgrund 90 EMIR. Vgl. https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/2014-1133_en.pdf.

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MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur

operativen Sprache der CPSS-IOSCO-Prinzipien jedoch teilweise abweicht, war die ESMA besorgt, dass die Regulierung der CCPs durch EMIR nicht vollständig in die Bewertung integriert wird. Von den nationalen Aufsichtsbehörden verlangt die ESMA, dass diese bestätigen, für die Umsetzung von EMIR unter Berücksichtigung der Prinzipien Sorge zu tragen, um etwaigen Bedenken von CPSS und IOSCO besser entgegentreten zu können (Comply-Erklärungen). Die 24 Prinzipien lassen sich in neun verschiedene Kategorien einteilen; sie sind in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: CPSS-IOSCO-Prinzipien nach Kategorien unterteilt

Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juli 2012, S, 45

Von wesentlicher Bedeutung für CCPs sind insbesondere die Prinzipien, die ein wirksames Management der Risiken ermöglichen sollen, insbesondere des Kredit- und Liquiditätsrisikos. Hierzu zählen auch die Anforderungen an Sicherheiten und Margins. Ferner sollen vorbeugende Regelungen für den Ausfall eines Teilnehmers getroffen werden. Des Weiteren umfassen die Prinzipien die Themen Zugang, Effizienz sowie Transparenz.

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5 Risk Management einer Central Counterparty 5.1 Instrumente der Risikosteuerung Eine CCP wird bei Verträgen, die auf Finanzmärkten gehandelt werden, rechtlich zwischen die Vertragsparteien geschaltet, wodurch zugleich eine Risikoübernahme und Garantie der Erfüllung durch die CCP erfolgt. Die übernommenen Risiken umfassen etwa das Kontrahentenausfallrisiko, das Marktrisiko oder das System- und Rechtsrisiko. Das Kontrahentenausfallrisiko bezeichnet hierbei das Risiko, dass die Gegenpartei eines Geschäfts während der Laufzeit ausfällt. Um ihre Funktion zur Bündelung und Begrenzung der Ausfallsrisiken für ihre Abwicklungsteilnehmer erfüllen zu können, müssen CCPs ein robustes Management der übernommenen Risiken aufweisen und es ist unabdingbar, dass sie umsichtige Verfahren anwendet, die sämtliche Risiken, denen sie ausgesetzt sind oder sein könnten, berücksichtigt. Die angemessene Festlegung extremer, aber plausibler Marktbedingungen ist eines der Kernelemente des Risikomanagements. Um den Rahmen für die Risikosteuerung jeweils auf dem neusten Stand halten zu können, werden die extremen, aber plausiblen Marktbedingungen nicht als statisches Konzept definiert, sondern als Bedingungen, die sich im Laufe der Zeit entwickeln und je nach Markt unterschiedlich sein können. Ein solides und effizientes Risikomanagement einer CCP ist stets auf die Komplexität der durchgeführten Geschäftsprozesse und der abzuwickelnden Produkte abgestimmt und stellt einen wesentlichen Bestandteil der Unternehmenstätigkeit dar. Damit die CCP ihre Verpflichtungen selbst dann erfüllen kann, wenn eines ihrer Clearing-Mitglieder seinen Verpflichtungen nicht nachkommen sollte, muss sie über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen. I.d.R. fordern CCPs deshalb von ihren ClearingMitgliedern die Lieferung entsprechender Sicherheiten, bspw. in Form von Sicherheitenleistungen (Margins) und Beiträgen an einen Ausfallfonds (Default Fund).

5.2 Default Waterfall Die Ressourcen einer CCP, um die übernommenen Risiken in der Abwicklung zu bewältigen, werden in einer von EMIR vorgeschriebenen Abfolge, dem Default Waterfall, verwendet.

216

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MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur

Abbildung 3: Default Waterfall am Beispiel der CCP Austria

Nachschüsse anderer Clearing-Mitglieder Ausfallfondsbeiträge anderer Clearing-Mitglieder

CCP als Skin in the Game

Ausfallfonds des Clearing-Mitglieds in Verzug

Wertpapiersicherheiten des Clearing-Mitglieds in Verzug

Geldsicherheiten des Clearing-Mitglieds in Verzug

Wenn also ein Clearing-Mitglied ausfällt und es zu einer Beendigung hinsichtlich dieses Clearing-Mitglieds kommt, nutzen CCPs zur Erfüllung der offenen Geschäfte bzw. zum Ausgleich der Verluste in einem ersten Schritt die vorhandenen Sicherheitenleistungen dieses ausgefallenen Clearing-Mitglieds, um die entstandenen Verluste auszugleichen. Hierbei genießen Geldsicherheiten Vorrang gegenüber Sicherheiten, die in Wertpapieren hinterlegt sind, da Letztere erst von der CCP zu verwerten sind. Darauffolgend werden die Beiträge zum Ausfallfonds des entsprechend ausgefallenen Clearing-Mitglieds verwendet. Falls die von dem ausgefallenen Clearing-Mitglied hinterlegten finanziellen Mittel nicht ausreichen sollten, um alle aufgetretenen Verluste auszugleichen, verwertet die CCP im Anschluss ihre eigene gemäß EMIR für einen solchen Ausfall gebildete, zweckgebundene Rücklagen zur partiellen Deckung von Verlusten (Skin in the Game). Falls diese finanzielle Ressource ebenfalls noch nicht zur Deckung der entstandenen Verluste ausreichen sollte, kommt die Solidarhaftung der anderen Clearing-Mitglieder zum Tragen. Hiernach verfügen CCPs über eine institutionalisierte Gemeinschaftshaftung in Form eines Ausfallfonds, die nach der Verwertung der von einem ausgefallenen ClearingMitglied geleisteten Sicherheiten und des Skin in the Game ihre Wirkung entfaltet. Dabei werden die dem Ausfallfonds zugeführten Sicherheiten der verbleibenden Clearing-Mitglieder verwendet. Falls diese Beträge immer noch nicht ausreichen sollten, haben die verbleibenden Clearing-Mitglieder im Regelfall auch noch Nachschussverpflichtungen zum Ausfallfonds.

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Sabine Hickersberger

5.3 Weitere Anforderungen an Clearing-Mitglieder Neben den oben angeführten Elementen der Risikosteuerung stellen CCPs eine Vielzahl an Anforderungen an ihre Clearing-Mitglieder, um sicherzustellen, dass sie grundsätzlich in der Lage sind, ihren finanziellen Verpflichtungen aus geschlossenen Transaktionen nachzukommen und die übernommenen Risiken durch die CCP in einem vertretbaren Rahmen sind. Clearing-Mitglieder müssen über ausreichende finanzielle Mittel und operationelle Kapazitäten verfügen, um den aus der Anbindung an die CCP als Teilnehmer erwachsenden Verpflichtungen nachkommen zu können. Clearing-Mitglieder, die Geschäfte im Namen ihrer Kunden abwickeln, müssen über die für die Ausübung dieser Tätigkeit erforderlichen zusätzlichen finanziellen Mittel und operationellen Kapazitäten verfügen. Beispiel: Die CCP Austria verlangt von einem DCM anrechenbare Eigenmittel i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Z. 71 Capital Requirements Regulation (CRR) von mindestens 2,5 Mio. EUR und von einem GCM anrechenbare Eigenmittel i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Z. 71 CRR in der Höhe von mindestens 5 Mio. EUR. CCPs sind berechtigt, von Clearing-Mitgliedern relevante grundlegende Informationen für die Ermittlung, Überwachung und Steuerung relevanter Risikokonzentrationen im Zusammenhang mit der Erbringung von Diensten für Kunden einzuholen. ClearingMitglieder haben meist die Verpflichtung, auf Anfrage Informationen gegenüber der CCP bekannt zu geben, welche Kriterien sie eingeführt haben und welche Vorkehrungen sie getroffen haben, um ihren Kunden den Zugang zu den Dienstleistungen der CCP zu ermöglichen. Die Clearing-Mitglieder bleiben stets dafür verantwortlich, dass die Kunden ihren Verpflichtungen nachkommen. Ein weiteres wesentliches Kernelement des Risikomanagements stellt die Bonitätsprüfung der Clearing-Mitglieder dar. Vor und während der Teilnahme an der Abwicklung wird jedes Clearing-Mitglied in eine Bonitätsklasse eingeordnet. Die Einordnung erfolgt vertraulich und evaluiert die aktuelle wirtschaftliche und finanzielle Lage des ClearingMitglieds. Während der Teilnahme an der Abwicklung wird die Bonitätsprüfung jährlich und im Anlassfall durchgeführt. CCPs verfügen oftmals über das Recht, auch weitere zusätzliche Nachweise und Informationen zur Bonität, wie Zwischengeschäftsberichte sowie Berichte von nationalen und internationalen Informationsagenturen, einzuholen und in die Bonitätsbeurteilung einzubeziehen. Die Prüfung erfolgt auf Basis von bestimmten Bilanzkennzahlen, errechnet aus den Jahresabschlüssen samt Anhang und Lagebericht der letzten Geschäftsjahre, bei einem erst kürzlich gegründeten Clearing-Mitglied auf Basis des letzten Geschäftsjahres, und, soweit vorhanden, unter Berücksichtigung des Ratings einer international aner-

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MiFID II und die Central Counterparty als zentraler Teil der Finanzmarktinfrastruktur

kannten Ratingagentur. Im Regelfall baut ein Bonitätsratingsystem auf dem Vergleich mit Benchmarkwerten auf.

6 Fazit und Ausblick Die EMIR stellt die betroffenen Finanzmarktinfrastrukturen vor zahlreiche Herausforderungen, insbesondere bedarf die korrekte Umsetzung stets einer Analyse der Wirkungszusammenhänge der darin enthaltenen Anforderungen und Pflichten für CCP mit anderen Regulierungen, wie bspw. der MiFID II. In diesem Beitrag wurde aufgezeigt, welche Bedeutung den Finanzmarktinfrastrukturen im Finanzsystem, konkret den CCPs, zukommt. Das Augenmerk richtete sich dabei in erster Linie auf die Aufgaben und Funktionen, welche die CCPs bei der Abwicklung von Finanzinstrumenten wahrnehmen. Zudem wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, inwiefern die CCPs zur Standardisierung, Automatisierung und Risikominimierung für die Marktteilnehmer beitragen und daher für einen modernen und stabilen Finanzmarkt unerlässlich sind. Zugleich soll allerdings stets bedacht werden, dass jede Art der Zentralisierung auch gewisse Gefahren birgt und im Fall, dass einzelne Finanzmarktinfrastrukturen derart wichtig werden, eine Beeinträchtigung ihrer Funktion oder gar ein Ausfall ernstliche Folgen für Handelsteilnehmer, einzelne Finanzmärkte oder überhaupt für den weltweiten Kapitalmarkt haben könnte. Es scheint daher ratsam, im Hinblick auf die Vermeidung eines solchen Klumpenrisikos insbesondere auch kleinere regionale CCPs zu stärken und somit die Vielfalt und Konkurrenz der CCPs zu erhalten.

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Kapitalmarkt-Compliance

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht Volkert Sackmann

1 Einleitung 2 § 163 BörseG – gerichtlich strafbare Insider-Geschäfte und Offenlegungen 2.1 Primär-Insider 2.1.1 Organ-Insider 2.1.2 Insider kraft Beteiligung am Kapital des Emittenten 2.1.3 Arbeits-, Berufs- oder Aufgaben-Insider 2.1.4 Kriminelle Insider 2.2 Sekundär-Insider 2.3 Insider-Information 2.3.1 Emittentenbezug 2.3.2 Präzise Information 2.3.3 Informationsvorsprung 2.3.4 Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung 2.3.5 Zusammenfassung 2.4 Kurzeinführung in das Strafrecht 2.4.1 Objektiver Tatbestand 2.4.2 Subjektiver Tatbestand 2.4.3 Behandlung aller Beteiligten als Täter 2.4.4 Strafbarkeit des Versuchs 2.5 Straftatbestände im Einzelnen 2.5.1 Nutzung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 1 BörseG) 2.5.2 Nutzung durch Sekundär-Insider – (§ 163 Abs. 5 BörseG) 2.5.3 Empfehlung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 2 BörseG) 2.5.4 Empfehlung durch Sekundär-Insider (§ 163 Abs. 6 BörseG) 2.5.5 Unrechtmäßige Offenlegung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 3 BörseG) 2.5.6 Unrechtmäßige Offenlegung durch Sekundär-Insider (§ 163 Abs. 7 BörseG) 2.5.7 Finanzinstrumente (§ 163 Abs. 8 BörseG)

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3 Gerichtlich strafbare Marktmanipulation (§ 164 BörseG) 3.1 Allgemeines 3.2 § 164 Abs. 1 BörseG 3.2.1 Unrechtmäßig 3.2.2 Geschäfte tätigen oder Handelsaufträge erteilen 3.2.3 Falsche oder irreführende Signale 3.2.4 Anormales oder künstliches Kursniveau 3.2.5 Subjektiver Tatbestand 3.2.6 Beitrag, Versuch, Strafdrohung 3.3 § 164 Abs. 2 BörseG 3.3.1 Vorspiegelung falscher Tatsachen, sonstige Kunstgriffe, Formen der Täuschung 3.3.2 Subjektiver Tatbestand 3.3.3 Beitrag, Versuch, Strafdrohung 3.4 Legaldefinitionen (§ 164 Abs. 3 und 4 BörseG) 4 Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) 5 Exkurs: Verwaltungsübertretung des Missbrauchs einer Insider-Information und der Marktmanipulation 6 Verfahrensrechtliche Bestimmungen

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1 Einleitung Marktmissbrauch ist der Überbegriff für „Marktmanipulation“ einerseits und „Missbrauch von Insider-Information“ andererseits.1 Die in diesem Beitrag untersuchten Verbotsnormen der „gerichtlich strafbaren Insider-Geschäfte und Offenlegungen“ (§ 163 Börsengesetz (BörseG)) und der „gerichtlich strafbaren Marktmanipulation“ (§ 164 BörseG) bezwecken die Verhinderung von Marktmissbrauch. Sie sollen die Integrität der Finanzmärkte und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte sicherstellen.2 Durch die Market Abuse Regulation (MAR)3 wurden Kernmaterien des Kapitalmarktrechts, wie das Insiderrecht, die Ad-hoc-Publizität, das Verbot der Marktmanipulation und die Veröffentlichung von Directors‘ Dealings durch die in allen Mitgliedstaaten direkt geltenden Vorschriften der MAR geregelt. Die Pflichten werden durch die Verordnung erweitert und die Sanktionen bei Verstößen drastisch verschärft. Ergänzt wird die Verordnung durch die in nationales Recht umzusetzende Directive on Criminal Sanctions for Market Abuse (CSMAD).4 Sowohl die CSMAD als auch die MAR sehen für die Vornahme von Insidergeschäften bzw. Offenlegungen von Informationen sowie für Marktmanipulation Sanktionen vor.5 Die CSMAD verpflichtet die Mitgliedstaaten überdies erstmals zwingend, für bestimmte schwerwiegende Fälle gerichtliche Strafen vorzusehen (Art. 3, 4 und 5 CSMAD sowie Erwägungsgründe 11 und 12). In Österreich war bis BGBl I Nr. 76/2016 (also vor Umsetzung der CSMAD) ausschließlich der Missbrauch von Insiderinformationen gerichtlich strafbar, Verstöße gegen das Verbot der Marktmanipulation wurden hingegen nur verwaltungsstrafrechtlich geahndet. Das nun geltende Recht sieht vor, dass grundsätzlich bei Überschreiten von bestimmten Schwellenwerten eine gerichtliche Strafbarkeit bestehen soll (§§ 163 f. BörseG); werden diese Werte nicht erreicht, drohen Verwaltungssanktionen (§ 154 BörseG).6 Weil das gerichtliche Strafrecht in der – überaus dicht regulierten – Welt des Kapitalmarktrechts einen Nebenschauplatz einnimmt, werden im vorliegenden Beitrag auch kurz die wichtigsten relevanten Bestimmungen des materiellen Strafrechts erläutert, um Aufbau und Wirkung eines Straftatbestands besser nachvollziehen zu können.

1 2 3 4 5 6

Brandl, in: Temmel, BörseG, § 48a Rz. 3. Schrank, in: Kert/Kodek, Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016), Rz. 17.8. Verordnung (EU) Nr. 596/2014. Richtlinie 2014/57/EU. EBRV 1186 BlgNR 25. GP 1. Zeder, in: Glaser/Kert (Hg.), Marktmanipulation und Insiderhandel (2017), 40.

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Volkert Sackmann

2 § 163 BörseG – gerichtlich strafbare Insider-Geschäfte und Offenlegungen 2.1 Primär-Insider Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Insider eine Person, die etwas weiß, was andere nicht oder noch nicht wissen. Aus kapitalmarktrechtlicher Sicht sind Insider Personen, die über nicht öffentlich bekannte, kursrelevante Informationen früher verfügen, als gegenwärtige oder künftige Marktteilnehmer (insbesondere Aktionäre).7 Sowohl MAR (Art. 8 Abs. 4) als auch CSMAD (Art. 3 Abs. 3) definieren als taugliches Deliktssubjekt für die Begehung von Insider-Geschäften Personen, • die über Insider-Informationen verfügen und dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan des Emittenten oder des Teilnehmers auf dem Markt für Emissionszertifikate angehören, • am Kapital des Emittenten oder des Teilnehmers auf dem Markt für Emissionszertifikate (energieintensive Industrie wie Stahlwerke, Raffinerien, Zementwerke etc.) beteiligt sind, • aufgrund der Ausübung einer Arbeit oder eines Berufs oder der Erfüllung von Aufgaben Zugang zu den betreffenden Informationen haben oder • sich die Information durch die Begehung strafbarer Handlungen verschafft haben. Das BörseG nennt diese Personengruppe Insider und meint damit eigentlich den PrimärInsider.8

2.1.1

Organ-Insider

Primär-Insider ist, wer über Insider-Informationen verfügt, weil er dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan des Emittenten angehört. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, ob dieses Organ aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung eingerichtet ist oder ob es sich um ein freiwillig etabliertes Organ des Emittenten handelt. Personen, die

7 8

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Hinterhofer, in: Höpfel-Ratz, WK² StGB, BörseG, § 48b Rz. 1 (Stand 01.09.2014, rdb.at). Hausmaninger, Insider Trading, 156 ff.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

faktisch über Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsbefugnisse verfügen, ohne formal zum Organwalter bestellt zu sein, sind nach dieser Bestimmung ebenfalls PrimärInsider.9 Dies gilt auch für Teilnehmer auf dem Markt für Emissionszertifikate. Unter Emissionshandel versteht man den Kauf und Verkauf (Handel) von Rechten, ein bestimmtes Abgasvolumen zu emittieren. Emissionszertifikate sind nach der österreichischen Definition10 Finanzinstrumente, die aus Anteilen bestehen, deren Übereinstimmung mit den Anforderungen der Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandelssystem) anerkannt ist. Die Stellung als (faktisches) Organmitglied muss allerdings kausal für die Erlangung der Information sein. Nicht ausreichend wäre z.B. die Informationsgewinnung im Rahmen eines Gesprächs unter Freunden bei einem Abendessen (allenfalls käme hier SekundärInsider-Eigenschaft in Betracht (vgl. Abschnitt 2.2)). Organmitglieder einer Mutter- oder Tochtergesellschaft des Emittenten sind schon nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Primär-Insider.

2.1.2

Insider kraft Beteiligung am Kapital des Emittenten

Die zweite Gruppe der Primär-Insider definiert sich über die Beteiligung am Kapital des Emittenten oder des Teilnehmers auf dem Markt für Emissionszertifikate. Auch in dieser Variante gilt, dass nur derjenige Insider sein kann, der Aktionär oder Gesellschafter des Emittenten ist; hingegen wäre eine Beteiligung an der Mutter- oder Tochtergesellschaft des Emittenten nicht qualifizierend. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Groß- und Kleinaktionären, sondern stellt nur auf die Eigenschaft der Beteiligung am Kapital ab, weshalb grundsätzlich jeder am Kapital Beteiligte Täter sein kann.11 Und auch hier gilt wieder, dass der am Kapital Beteiligte aufgrund seiner Beteiligung von der Information Kenntnis erlangt haben muss, Informationsgewinnung auf anderem Weg wäre nicht ausreichend (allenfalls käme hier SekundärInsider-Eigenschaft in Betracht (vgl. Abschnitt 2.2)).

9

10 11

Vgl. Hausmaninger, Insider Trading, 161; Hinterhofer, in: Höpfel-Ratz, WK² StGB, BörseG, § 48b Rz. 65 m.w.N. (Stand 01.09.2014, rdb.at). § 1 Z. 7 Buchst. k WAG 2018. Hinterhofer, in: Höpfel-Ratz, WK² StGB, BörseG, § 48b Rz. 74 (Stand 01.09.2014, rdb.at).

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Volkert Sackmann

2.1.3

Arbeits-, Berufs- oder Aufgaben-Insider

Die zahlenmäßig wohl größte Gruppe ist jene, die aufgrund der Ausübung ihrer Tätigkeit Zugang zu Insider-Informationen hat. Hier werden einerseits die Angestellten des Emittenten, die nicht der Kategorie der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsfunktion zugerechnet werden, weil sie nicht in die Entscheidungsprozesse des Unternehmens eingebunden sind (Prokuristen, Abteilungsleiter, Außendienstmitarbeiter, Controller, Sekretärinnen des betroffenen Emittenten etc.)12 und andererseits all jene, die in einer sonstigen Rechtsbeziehung zum Emittenten stehen (Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftstreuhänder, Bankangestellte, Investmentbanker etc.), zusammengefasst. Weil aber die Bestimmung nicht darauf abstellt, dass der potenzielle Insider in einer Rechtsbeziehung zum Emittenten steht, können auch andere Personengruppen, denen aufgrund ihrer Tätigkeit Zugang zu Insider-Informationen ermöglicht wird, PrimärInsider sein. Zu denken wäre an Mitarbeiter der Finanzmarktaufsicht (FMA), Bankenprüfer, Strafverfolgungsbehörden, Börsenmakler, aber auch Journalisten.

2.1.4

Kriminelle Insider

Insider-Informationen können bei richtigem Einsatz zu hohen finanziellen Vorteilen führen und sind daher auch für die Schattenwelt von großem Interesse. Der österreichische Gesetzgeber hat zwar mit der Umsetzung der CSMAD das Tatbestandselement der Verschaffung eines Vermögensvorteils aus dem Tatbestand des Missbrauchs von InsiderInformationen entfernt, nichtsdestotrotz wird das Hauptmotiv für das Ausnutzen einer Insider-Information stets der Wille sein, einen Vermögensvorteil zu erzielen. Die Sanktionen für die Beschaffung von Insider-Informationen durch strafbare Handlungen können im Verhältnis zu den möglichen wirtschaftlichen Vorteilen jedoch inadäquat niedrig sein. So sehen in Bezug auf die Informationsbeschaffung einschlägige Straftatbestände wie die Urkundenunterdrückung (§ 229 Strafgesetzbuch (StGB)) die Androhung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die Auskundschaftung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses (§ 123 StGB) eine solche von zwei Jahren und ein widerrechtlicher Zugriff auf ein Computersystem (Hacking (§ 118a StGB)) gar nur eine solche von sechs Monaten (oder Geldstrafe) vor. Die Insider-Straftatbestände dienen dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und der Anleger, weshalb das durch das verpönte Insider-Geschäft verwirklichte Unrecht nicht mit einer Sanktionierung der das Insider-Geschäft vorbereitenden straf-

12

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Hinterhofer, in: Höpfel-Ratz, WK² StGB, BörseG, § 48b Rz. 69 f. (Stand 01.09.2014, rdb.at).

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

baren Handlung abgegolten wäre. Darüber hinaus wäre es unsachlich, Personen, die durch strafgesetzwidrige Handlungen an Insider-Informationen gelangt sind und diese sodann ausnutzen, besser zu stellen, als jene Personen, die legal an die Informationen gelangt sind. Die Insider-Information muss durch die Begehung der strafbaren Handlung verschafft werden. Wird erst durch die Begehung einer strafbaren Handlung eine Situation am Markt geschaffen, die sich so auswirkt, als hätte der Täter über eine Insider-Information verfügt, so ist er nicht (Primär-)Insider. Beispiel: Wenn jemand einen Anschlag auf den vollbesetzten Vereinsbus eines börsennotierten Fußballvereins kurz vor einem UEFA-Champions-League-Spiel verübt, weil er sich dadurch einen Kurssturz erhofft und er zuvor mit Put-Optionsscheinen auf einen fallenden Kurs gewettet hat, so hat sich diese Person keine Insider-Information durch eine strafbare Handlung verschafft.

2.2 Sekundär-Insider Sekundär-Insider sollen jene Personen sein, die aus anderen als den in § 163 Abs. 4 BörseG erwähnten Gründen über eine Insiderinformation/Empfehlung verfügen (Art. 3 Abs. 3 CSMAD).13 Der österreichische Gesetzgeber hat sich für die Terminologie „wer sonst wissentlich eine Insiderinformation oder von einem Insider eine Empfehlung erlangt hat“ als Merkmal des Sekundär-Insiders entschieden. Diese Formulierung umfasst daher im Umkehrschluss alle Personen, die wissentlich eine Insider-Information bzw. eine Empfehlung von einem Insider erlangt haben und nicht Primär-Insider sind. Damit fallen Verwandte, Angehörige und Freunde von PrimärInsidern, ein Freund des Ehegatten der Vorstandsvorsitzenden einer AG (Weitergabe der Insider-Information in einer Kette) und schlussendlich auch der berühmte Taxifahrer, der zwei Vorstandsmitglieder einer AG chauffiert und deren Strategiebesprechung für die Übernahme einer Gesellschaft belauscht, in den Anwendungsbereich. Der Sekundär-Insider muss sich bewusst sein, also positive Kenntnis davon haben, dass er von einer Insider-Information Kenntnis erlangt hat. Die Insider-Information kann er von einem Primär-, einem Sekundär-Insider oder von einem dazwischentretenden Dritten erlangt haben.

13

EBRV 1186 BlgNR 25. GP 6.

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Bei der Empfehlung verhält es sich anders, denn in diesem Fall muss der Empfänger der Empfehlung wissen, dass er diese von einem Primär-Insider bekommen hat. Eine Empfehlung durch einen Sekundär-Insider oder einen Dritten, wäre nicht qualifizierend, bezeichnet das Gesetz doch nur die Primär-Insider als Insider (arg. „oder von einem Insider eine Empfehlung erlangt hat“).

2.3 Insider-Information Der österreichische Gesetzgeber verweist zur Definition der Insider-Information auf Art. 7 Abs. 1 bis 4 MAR. Nach der dortigen Definition umfasst der Begriff „InsiderInformationen“ folgende Arten von Informationen: • nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente (z. B. Wertpapiere, Anteile an Organismen für gemeinsam Anlagen an Wertpapieren (OGAW), Geldmarktinstrumente, Finanzterminkontrakte, Zins- und Devisenswaps, Credit Default Swap (CDS) etc.)14 betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen; • in Bezug auf Warenderivate (z.B. Futures, Swaps, Forwards) nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt ein oder mehrere Derivate dieser Art oder direkt damit verbundene Waren-Spot-Kontrakte betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Derivate oder damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte erheblich zu beeinflussen, und bei denen es sich um solche Informationen handelt, die nach Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Europäischen Union (EU) oder der Mitgliedstaaten, Handelsregeln, Verträgen, Praktiken oder Regeln auf dem betreffenden Warenderivate- oder Spotmarkt offengelegt werden müssen bzw. deren Offenlegung nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann; • in Bezug auf Emissionszertifikate oder darauf beruhende Auktionsobjekte nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt ein oder mehrere Finanzinstrumente dieser Art betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen;

14

230

Vgl. die Aufzählung in Hinterhofer, in: Höpfel-Ratz, WK² StGB, BörseG, § 48b Rz. 36 ff. (Stand 01.09.2014, rdb.at).

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

• für Personen, die mit der Ausführung von Aufträgen in Bezug auf Finanzinstrumente beauftragt sind, bezeichnet der Begriff auch Informationen, die von einem Kunden mitgeteilt wurden und sich auf die noch nicht ausgeführten Aufträge des Kunden in Bezug auf Finanzinstrumente beziehen, die präzise sind, direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente, damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte oder zugehöriger derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

2.3.1

Emittentenbezug

Unter Insiderinformationen mit Emittentenbezug sind zu verstehen: • M&A-Transaktionen (Mergers & Acquisitions), • Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen etc. (die Gesellschaftssphäre betreffend), • ein Großauftrag, eine Großinvestition, hohe Gewinne oder Verluste, ein Vorstandswechsel etc. (die Geschäftstätigkeit betreffend), • die Insolvenz eines Schuldners, das Eingehen von außergewöhnlichen Verbindlichkeiten, der Abverkauf von Liegenschaften etc. (die Vermögenslage betreffend).15 Insiderinformationen mit Bezug zum Finanzinstrument sind z.B. die Informationen, die der Wertpapierhändler über Kundenorders erhält. Damit wird auch das Ausnutzen dieser Informationen zu dem Zweck, vor der Durchführung des Kundenauftrags selbst Geschäfte mit dem Finanzinstrument vorzunehmen (Front Running), erfasst.16

2.3.2

Präzise Information

Eine Insider-Information muss genau bzw. präzise sein, wobei eine vernünftige Prognose („mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“) für den Eintritt des angekündigten Ereignisses ausreichend ist.17 Informationen (i.S.d. Art. 7 Abs. 2 MAR) sind als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits gegeben sind oder bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder von dem vernünftigerweise erwartet werden kann, dass es in

15 16 17

Hinterhofer, in: Höpfel-Ratz, WK² StGB, BörseG, § 48b Rz. 35 (Stand 01.09.2014, rdb.at). Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG6, § 13 Rz. 71. Kalls/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht², § 21 Rz. 26.

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Volkert Sackmann

Zukunft eintreten wird, und diese Informationen darüber hinaus spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse der Finanzinstrumente oder des damit verbundenen derivativen Finanzinstruments, der damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakte oder der auf den Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekte zuzulassen. So können im Fall eines zeitlich gestreckten Vorgangs, der einen bestimmten Umstand oder ein bestimmtes Ereignis herbeiführen soll oder hervorbringt, dieser betreffende zukünftige Umstand bzw. das betreffende zukünftige Ereignis und auch die Zwischenschritte in diesem Vorgang, die mit der Herbeiführung oder Hervorbringung dieses zukünftigen Umstandes oder Ereignisses verbunden sind, in dieser Hinsicht als präzise Information betrachtet werden.18 Wann ein Zwischenschritt in einem gestreckten Vorgang als Insider-Information nach der Rechtsprechung angesehen wird, wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bereits – MAR-konform – beantwortet.19 In der Gesamtbetrachtung führt dies dazu, dass Emittenten künftig früher Ad-hoc-Meldungen erstatten müssen als dies bisher – zumindest in Österreich – der Fall war. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat diese Rechtsprechung übernommen:20 „Zum einen kann ein Zwischenschritt ein Indiz dafür sein, dass das Endergebnis – als Endpunkt des gestreckten Sachverhaltes – hinreichend wahrscheinlich eintreten wird; zum anderen kann er nach der Rechtsprechung des EuGH auch selbst eine ‚Reihe von Umständen‘ bzw. ein ‚Ereignis‘ darstellen, sodass die Eignung zur erheblichen Beeinflussung des Kurses sowie die Spezifität der Information im Hinblick auf diesen Zwischenschritt eigenständig zu beurteilen ist. Im letzten Fall wird die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Endergebnisses jedoch in der Regel für die Fragen von Bedeutung sein, ob erstens die Information spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung auf die Kurse von Finanzinstrumenten zuzulassen und ob sie zweitens geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, weil ein verständiger Anleger sie wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde. […] Eine interne Beschlussfassung, die im Ergebnis auf die Durchführung von Prüfungen hinausläuft, ob eine bestimmte Variante tatsächlich gewählt werden soll, stellt keine genaue Information im Sinne des § 48a Abs. 1 Z. 1 BörseG 1989 dar, wenn zu diesem Zeitpunkt nicht angenommen werden kann, dass und in welcher Weise das Projekt auch tatsächlich durchgeführt wird.“

18

19 20

232

Vgl. hierzu auch Schrank, in: Kert/Kodek, Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016), Rz. 17.19 ff. m.w.N. EuGH vom 28.06.2012, C-19/11, Geltl; EuGH vom 11.03.2015, C- 628/13, Lafonta. VwGH vom 15.04.2016, Ra 2015/02/0152.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

2.3.3

Informationsvorsprung

Kennzeichen der Insider-Information ist der Umstand, dass sie nicht öffentlich bekannt ist. Eine Legaldefinition dazu, wann eine Information nicht öffentlich bekannt ist, fehlt, sodass nach herrschender Meinung darauf abzustellen ist, dass die Information einer Bereichsöffentlichkeit nicht bekannt ist, was bedeutet, dass die am Börsenhandel interessierten Personen die Information (noch) nicht kennen dürfen.21

2.3.4

Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung

Unter „Informationen, die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs von Finanzinstrumenten, derivativen Finanzinstrumenten, damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakten oder auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekten spürbar zu beeinflussen“ sind Informationen zu verstehen, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde. Hinweis: Die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung ist ex ante aus der Sicht eines verständigen Anlegers anhand des Inhalts und des Kontexts der Information im Marktgeschehen zu prüfen. Der verständige Anleger ist eine Maßfigur, der aus unionsrechtlicher Perspektive zu unterstellen ist, dass sie alle bereits öffentlich bekannten Informationen kennt. Eine nachträgliche, tatsächliche Kursveränderung ist lediglich ein Indiz für die Kursbeeinflussungseignung, für das Vorliegen eines Pflichtverstoßes jedoch nicht erforderlich.22 Das Kriterium der Erheblichkeit ist nicht prozentuell quantifizierbar, sondern hängt von der Volatilität des jeweiligen Finanzinstruments ab.23

2.3.5

Zusammenfassung

Eine Insider-Information ist eine Information, • die direkt oder indirekt den Emittenten eines Finanzinstruments bzw. ein Finanzinstrument betrifft, • die (noch) nicht öffentlich bekannt ist, • die deshalb (so) präzise ist, weil das dahinterstehende Ereignis bereits eingetreten ist, oder in naher Zukunft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird,

21 22 23

Schrank, in: Kert/Kodek, Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016), Rz. 17.17. RS0130033. Schrank, in: Kert/Kodek, Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016), Rz. 17.23.

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Volkert Sackmann

• die geeignet ist, bei öffentlicher Bekanntmachung den Kurs des Finanzinstruments (oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente) erheblich zu beeinflussen und • die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde.

2.4 Kurzeinführung in das Strafrecht Bevor auf die einzelnen Straftatbestände eingegangen werden kann, bedarf es vorab einer Kurzeinführung in die allgemeinen Bestimmungen des StGB. Denn nicht jedes Verhalten, das auf den ersten Blick nach Strafbarkeit aussieht, erfüllt auch sämtliche Voraussetzungen, die Strafbarkeit nach sich ziehen. Um strafbar zu werden, bedarf es der Erfüllung des Tatbilds eines Delikts und einer von der Rechtsordnung nicht gebilligten psychischen Einstellung bei der Tatbildverwirklichung. D. h., dass der präsumtive Täter, um tatbestandsmäßig zu handeln, sowohl die objektiven, als auch die subjektiven Elemente erfüllen muss – erst dann besteht Strafbarkeit. Auf der anderen Seite kann aber auch schon der Versuch der Begehung eines Delikts (also gerade nicht die Verwirklichung sämtlicher objektiven Merkmale eines Straftatbestands) als auch die bloße Beteiligung an der strafbaren Handlung eines Anderen Strafbarkeit begründen.

2.4.1

Objektiver Tatbestand

Im österreichischen Strafrecht versteht man unter dem objektiven Tatbestand die Summe all jener Sachverhaltselemente, die vorliegen müssen, damit ein gesetzlich typisierter Straftatbestand verwirklicht wird. Fehlt ein Sachverhaltselement, so ist das Delikt nicht vollendet, es kann jedoch Versuch (§ 15 StGB) vorliegen. Nachdem die wichtigsten objektiven Tatbestandsmerkmale der Straftatbestände des § 163 BörseG – Typen von Insidern und die Insider-Information – bereits dargestellt wurden, beschränkt sich die nachfolgende Darstellung auf die weiteren objektiven Tatbestandsmerkmale der Straftatbestände und den subjektiven Tatbestand.

2.4.2

Subjektiver Tatbestand

Vom objektiven Tatbestand ist der subjektive Tatbestand zu unterscheiden, der darauf abstellt, was sich der Täter im Zeitpunkt der Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale gedacht hat.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

Die gerichtliche Strafbarkeit für fahrlässige Handlungen ist in Österreich von untergeordneter Bedeutung, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass dem Strafrecht das Prinzip der Ultima Ratio inhärent ist. Strafrecht, als die schärfste Sanktionsmöglichkeit des Staates, soll also nur greifen, wenn kein anderer Ausweg mehr offensteht. Die Stigmatisierung durch strafgerichtliche Verfolgung und allenfalls Verurteilung von Fahrlässigkeitstätern ist i.d.R. nicht erforderlich, um den sozialen Frieden im Land zu bewahren. Das BörseG enthält jedoch eine Vielzahl an Verwaltungsstrafbestimmungen (§ 154 BörseG) für deren Verwirklichung fahrlässiges Handeln ausreicht und die von der FMA sanktioniert werden. Von der fahrlässigen Handlung ist das vorsätzliche Handeln zu unterscheiden. Vorsätzlich handelt, wer einen Tatbestand verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet (§ 5 Abs. 1 StGB). Diese Vorsatzform wird bedingter Vorsatz oder dolus eventualis genannt. Wenn das Gesetz keine besondere Vorsatzform vorsieht, so ist bedingter Vorsatz zur strafbaren Tatbestandsverwirklichung ausreichend. Eine weitere Vorsatzform, die in einigen Straftatbeständen des § 163 BörseG vom Täter verlangt wird, ist die Wissentlichkeit. Der Täter handelt wissentlich, wenn er den Umstand oder Erfolg, für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt, nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiss hält (§ 5 Abs. 3 StGB). Nur derjenige, der alle objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und auch mit dem vom Gesetz geforderten Vorsatz gehandelt hat, macht sich strafbar. Fehlt der Vorsatz auf ein Tatbildmerkmal oder handelt der Täter nicht wissentlich, sondern nur bedingt vorsätzlich, entfällt die Strafbarkeit. Während es für die Strafverfolgungsbehörden einfach ist, das Vorliegen der objektiven Tatbestandselemente eines Delikts nachzuweisen, ist dies mit Blick auf die subjektiven Tatbestandselemente schon viel schwieriger. Staatsanwälte und Richter müssen – wenn der Täter nicht geständig ist – aus den Handlungen und Begleitumständen bei der Tatbegehung Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters ziehen. Dabei greift das Strafverfolgungsorgan bzw. das Gericht auf die allgemeine Lebenserfahrung zurück. Beispiel: Nach der allgemeinen Lebenserfahrung weiß ein Vorstandsvorsitzender einer AG, die kurz davor ist, eine Rückholaktion in Bezug auf ein von ihr vertriebenes Produkt zu veröffentlichen, dass dies den Kurs der Aktie negativ beeinflussen wird. Empfiehlt er daher kurz vor Veröffentlichung der Ad-hoc-Meldung einem Freund, die gehaltenen Aktien zu verkaufen, so lässt dies gar keinen anderen nachvollziehbaren Schluss mehr zu, als dass er sein Insiderwissen durch Empfehlung vorsätzlich ausgenutzt hat. Ob die anderen objektiven Tatbestandselemente vorliegen, ist streng zu prüfen, allenfalls liegt Versuchsstrafbarkeit oder auch „nur“ ein Verwaltungsstraftatbestand vor (§ 154 BörseG).

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Volkert Sackmann

2.4.3

Behandlung aller Beteiligten als Täter

Nicht nur der unmittelbare Täter begeht die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie auszuführen, oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt (§ 12 StGB). Auch die Anstifter zu strafbaren Handlungen und die Personen, die dem unmittelbaren Täter sonst „behilflich“ sind, werden in den Täterkreis aufgenommen. Auch sie müssen, um sich strafbar zu machen, vorsätzlich handeln.

2.4.4

Strafbarkeit des Versuchs

Die Strafdrohungen gegen vorsätzliches Handeln gelten nicht nur für die vollendete Tat, sondern auch für den Versuch und für jede Beteiligung an einem Versuch (§ 15 Abs. 1 StGB). Damit wird der Anwendungsbereich der meisten Straftatbestände immens ausgeweitet. Wollte der Täter zwar alle Tatbildmerkmale eines Straftatbestands erfüllen, ist ihm dies aber – aus welchem Grund auch immer – nicht geglückt, so ist und bleibt er – sofern der Versuch tauglich war – dennoch strafbar, es sei denn, er setzt einen contrarius actus, um die Strafbarkeit wieder aufzuheben (§ 16 StGB (Rücktritt vom Versuch)). Hinweis: Die Frage, ob eine Verletzung der Ad-hoc-Meldepflicht sich in der Folge tatsächlich auf den Kurs auswirkt oder nicht, ist für die Frage eines Pflichtverstoßes nicht relevant. Der Umstand, dass nachträglich kein Einfluss einer Meldepflichtverletzung auf den Kursverlauf feststellbar ist, nimmt der Information daher noch nicht ihren Charakter als Insider-Information, über die der Markt in Kenntnis zu setzen gewesen wäre.24 Nach der zivilrechtlichen Judikatur ist es unerheblich, ob die Information ex post betrachtet geeignet war, den Kursverlauf zu beeinflussen. Dies gilt auch im Strafrecht. Zwar ist die Ausnutzung der Insider-Information ein wesentliches Merkmal der Insider-Strafbarkeit, für die Lösung der Frage, ob das Delikt vollendet wurde oder nur versucht, hat dies jedoch keine Relevanz. Wenn der Kurs des Finanzinstruments unbeeindruckt von der verspäteten Veröffentlichung der Information nicht ausschlägt, konnte der Insider keinen Vorteil erlangen, doch ändert dies nichts an der Verwendung einer Insider-Information, die ausgenutzt wurde. Der wirtschaftliche Vorteil ist kein Tatbestandsmerkmal der Insider-Strafbarkeit, weshalb dessen Eintritt für die Qualifikation als vollendetes Delikt nicht relevant ist. Die Versuchsstrafbarkeit setzt dort an, wo die Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals zwar tätergewollt war, es jedoch aus nicht vom Täter zu vertretenden Gründen nicht zur

24

236

Vgl. OGH vom 27.05.2015, 6 Ob 71/15g.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

Vollendung kam. Zu denken wäre an den Versuch, eine bereits erteilte Verkaufsorder zu stornieren, weil man kurz nach Auftragserteilung von einem Ereignis erfahren hat, das den Kurs in die Höhe schnellen lassen wird, der Broker jedoch bereits verkauft hat. Dass der Markt dann doch nicht so wie erwartet reagiert hat und dass deshalb die InsiderInformation nicht wie erwartet ausgenutzt hätte werden können, ändert nichts daran, dass das Delikt versucht wurde und Strafbarkeit besteht.

2.5 Straftatbestände im Einzelnen Die ersten drei Absätze des § 163 BörseG normieren die Straftatbestände für PrimärInsider, die Abs. 5 bis 7 die korrespondierenden Bestimmungen für Sekundär-Insider. Abs. 5 ist das Pendant zu Abs. 1 (Nutzung von Insider-Wissen), Abs. 6 jenes zu Abs. 2 (Empfehlung) und Abs. 7 das Gegenstück zu Abs. 3 (unrechtmäßige Offenlegung).25 Die Paare werden wegen des engen sachlichen Zusammenhangs und zum besseren Verständnis jeweils hintereinander behandelt.

2.5.1

Nutzung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 1 BörseG)

Nach Abs. 1 macht sich strafbar, wer als Insider über eine Insider-Information verfügt und unter Nutzung dieser Information für sich oder einen anderen um den in Z. 1, 2 bzw. 3 genannten Betrag in Höhe von mehr als 1 Mio. EUR entweder (Z. 1) Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, oder solche auf Emissionszertifikaten beruhende Auktionsobjekte erwirbt oder veräußert oder (Z. 2) vor Erlangung der Insiderinformation erteilte Aufträge zum Erwerb oder zur Veräußerung von solchen Finanzinstrumenten oder solchen auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekten storniert oder ändert. Außerdem ist die (Z. 3) Einreichung von Geboten auf Emissionszertifikate oder auf andere darauf beruhende Auktionsobjekte, auf die sich die Information bezieht bzw. deren Zurücknahme oder Änderung im Falle des Übersteigens von 1 Mio. EUR, gerichtlich strafbar.26 Die Tatbestände des Abs. 1 erwähnen die auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekte gesondert als Tatobjekt, nicht jedoch Emissionszertifikate selbst, weil diese ohnehin unter den Begriff „Finanzinstrument“ i.S.v. Anhang I Abschnitt C (11) der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) fallen.

25 26

Zeder, in: Glaser/Kert (Hg.), Marktmanipulation und Insiderhandel (2017), 41. EBRV 1186 BlgNR 25. GP 4 f.

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Volkert Sackmann

Der Insider muss es zur Tatbildverwirklichung lediglich ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, dass er über eine Insider-Information verfügt und dass er diese durch die in § 163 Abs. 1 Z. 1, 2 bzw. 3 BörseG genannte Weise im Umfang von mehr als 1 Mio. EUR für sich oder einen anderen ausnutzt. I.d.R. wird der Insider bei lebensnaher Betrachtung wissentlich i.S.d. § 5 Abs. 3 StGB handeln, doch reicht – wie bereits erwähnt – bedingter Vorsatz auf Tatbildverwirklichung nach dem Gesetz aus. In Übereinstimmung mit der CSMAD sehen die österreichischen Insider-Straftatbestände die Verschaffung eines Vermögensvorteils und den bedingten Vorsatz darauf als Voraussetzung für eine Strafbarkeit nicht (mehr) vor, wenngleich i.d.R. der Wille zur Bereicherung das Hauptmotiv sein wird. Wer einen Insider dazu anstiftet (bestimmt), seine Insider-Information auf die verpönte Weise auszunutzen, ist wegen Beteiligung an der Straftat (§ 12 2. Fall StGB) genauso zu verfolgen und zu bestrafen, wie der Insider selbst. Gleiches gilt für den Bekannten des Insiders, der im eigenen Namen aber auf Rechnung des Insiders ein Insider-Geschäft abwickelt und den Insider dadurch bei der Tatbildverwirklichung unterstützt (§ 12 3. Fall StGB). Wie erwähnt führt bereits der Versuch der Begehung einer der in § 163 Abs. 1 BörseG dargestellten Handlungen zur Strafbarkeit. Der Täter, der im Versuchsstadium steckenblieb, sieht sich derselben Strafdrohung ausgesetzt, wie der Täter, der das Delikt vollendete. Im Falle der Verurteilung würde sich dieser Umstand jedoch bei der Strafausmessung mildernd auswirken. Beispiel: Ein Vorstandsmitglied eines börsennotierten Unternehmens schreibt seinem Broker in einer E-Mail, dieser solle die gehaltenen Aktien des Unternehmens sofort verkaufen, wobei das Vorstandsmitglied weiß, dass am nächsten Tag eine Ad-hocMeldung erstattet wird, die einen Kurssturz auslösen wird. Weil der Broker in den Bergen wandern war und keine E-Mails empfangen konnte, empfängt und liest er die E-Mail erst am nächsten Tag, nach dem Kurssturz. Das Ausnützen der Insider-Information ist dem Vorstandsvorsitzenden nicht gelungen, er ist aber wegen des Versuchs nach § 163 Abs. 1 Z. 1 BörseG und § 15 StGB zu bestrafen. Der Broker wäre nicht zu bestrafen, selbst dann nicht, wenn er am nächsten Tag in der Früh die Aktien verkauft hätte. Er hätte zwar dann zum Ausnutzen einer Insider-Information beigetragen (§ 12 3. Fall StGB), doch hätte er vorsatzlos (ohne Wissen über die Hintergründe der Verkaufsorder) gehandelt und wäre deshalb nicht zu bestrafen.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

Der Täter (ebenso wie der Bestimmungs- und Beitragstäter) ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Anzumerken ist, dass es nach Vollendung des Delikts nicht mehr möglich ist, die einmal eingetretene Strafbarkeit wieder aufzuheben (so wie beim Versuch), was bei strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen, wie z.B. Diebstahl durch vollständige Schadenswiedergutmachung vor der Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden nämlich grundsätzlich schon möglich wäre (§ 167 StGB (tätige Reue)). Der Gesetzgeber hat m.E. mit Recht davon Abstand genommen, diesen Strafaufhebungsgrund zu gewähren, ist es doch beinahe denkunmöglich, die einmal vollendete Insider-Tat durch tätige Reue „wiedergutzumachen“.

2.5.2

Nutzung durch Sekundär-Insider – (§ 163 Abs. 5 BörseG)

Täter des Abs. 5 ist eine Person, die sonst wissentlich eine Insider-Information oder von einem Insider eine Empfehlung erlangt hat. Der Unterschied zu § 163 Abs. 1 BörseG besteht also einerseits darin, dass sich dieser Straftatbestand nicht gegen den PrimärInsider, sondern gegen den Sekundär-Insider richtet und andererseits darin, dass der Sekundär-Insider auf der Vorsatzebene wissen muss, dass er eine Insider-Information erlangt hat bzw. dass er von einem Insider eine Empfehlung erlangt hat. Hält er es nur ernstlich für möglich und findet sich damit ab, dass er Ohrenzeuge einer Insider-Information geworden ist oder dass es sich bei dem Empfehlungsgeber um einen Insider handelt, so ist er nicht strafbar. Für alle übrigen objektiven Tatbildmerkmale reicht hingegen – so wie beim Primär-Insider – bedingter Vorsatz zur Tatbildverwirklichung aus. Im Grunde genommen gilt das zum Primär-Insider zu § 163 Abs. 1 BörseG Gesagte auch für den Sekundär-Insider, insbesondere auch die Ausführungen zur Versuchsstrafbarkeit. Der Sekundär-Insider muss die Insider-Information oder die Empfehlung des Insiders auf die in Abs. 1 Z. 1, 2 oder 3 genannte Weise (also auch jeweils im Betrag über 1 Mio. EUR) ausnutzen. Eine Beitragshandlung zum Sekundär-Insider i.S.d. § 12 3. Fall StGB (sonstiger Tatbeitrag) soll nach dem Gesetzeswortlaut nur in dem Fall nicht zur Strafbarkeit des Beitragstäters führen, wenn dieser dabei behilflich ist, dass ein Sekundär-Insider eine Empfehlung ausnutzt (z.B. durch Bereitstellung von über 1 Mio. EUR): „Wer jedoch bloß zur Nutzung einer Empfehlung beiträgt (§ 12 3. Fall StGB), ist nicht strafbar.“ Der Gesetzgeber hat somit die Beitragstäterschaft nur für den Fall der Empfehlung für straflos erklärt, den 2. Deliktsfall „Wer sonst wissentlich eine Insider-Information [...] erlangt hat und diese auf die in Abs. 1 Z. 1, 2 oder 3 genannte Weise nutzt […]“ jedoch unerwähnt gelassen. Die Bestimmung hätte lauten sollen: „Wer jedoch bloß zur Nutzung einer erlangten Insider-Information oder einer Empfehlung beiträgt (§ 12 3. Fall StGB), ist nicht strafbar.“

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Der Gesetzgeber wollte nämlich in beiden Deliktsfällen nur die Strafbarkeit wegen Anstiftung (Bestimmungstäterschaft i.S.d. § 12 2. Fall StGB) weiterhin unter Strafe stellen, nicht jedoch die sonstige Beitragstäterschaft.27 Die Strafdrohung ist dieselbe wie in § 163 Abs. 1 BörseG (sechs Monate bis fünf Jahre).

2.5.3

Empfehlung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 2 BörseG)

Nach § 163 Abs. 2 BörseG ist ein Insider zu bestrafen, der über eine Insider-Information verfügt und einer anderen Person die Vornahme der in Abs. 1 aufgezählten Handlungen empfiehlt, wobei jedoch weder der Insider die Empfehlung des Einsatzes von mehr als 1 Mio. EUR aussprechen muss noch der Empfehlungsempfänger Handlungen über mehr als 1 Mio. EUR vornehmen muss, um Strafbarkeit des Empfehlungsgebers zu bewirken. Die Empfehlung zur Vornahme einer in Abs. 1 genannten Handlung ist jedoch nur unter den weiteren Voraussetzungen gerichtlich strafbar, wenn es innerhalb der fünf auf das Bekanntwerden der Insider-Information folgenden Handelstage bei den Finanzinstrumenten auf dem nach Liquiditätsaspekten wichtigsten Markt zu einer Kursveränderung von mindestens 35% kommt, wobei das Vorliegen eines bestimmten Gesamtumsatzes innerhalb dieses Zeitraums (mindestens 10 Mio. EUR) eine weitere Voraussetzung ist. Damit soll das gerichtliche Strafrecht nur in besonders schweren Fällen, nämlich dann, wenn die Auswirkungen auf die Integrität des Markts gravierend, der tatsächlich oder potenziell erzielte Gewinn bzw. vermiedene Verlust, das Ausmaß des für den Markt entstandenen Schadens oder der Gesamtwert der gehandelten Finanzinstrumente hoch ist, greifen.28 Hinweis: Beobachtet man Kursveränderungen aufgrund von Insider-Informationen in der Vergangenheit, lässt sich erkennen, dass der Kurs im Falle eines liquiden Marktes zumindest auf wichtige Informationen um 35% oder mehr reagiert. Durch das Abstellen auf die Kursveränderung nach Bekanntwerden der Insider-Information am Markt kann die Wichtigkeit der Information für die Adressatenkreise wiederum ex post gemessen werden.

27

28

240

Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 17.08.2016, BMJ-S712.518/0005-IV 2/2016, S. 5. Vgl. Erwägungsgrund 11 der CSMAD.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

Naturgemäß ist dadurch keine 100%-ige Genauigkeit i. S. v. Kausalität gegeben, jedoch ein sehr aussagekräftiger Messwert. Allerdings können im Falle eines illiquiden Markts auch weniger wichtige Informationen zu Kursveränderungen von 35% oder mehr führen. Für diese Fälle stellt das kumulative Kriterium eines Gesamtumsatzes von zumindest 10 Mio. EUR ein geeignetes Korrektiv dar. Dieses Kriterium erfüllen z.B. an der Wiener Börse bei Stichproben in aller Regel nur ATX-Werte (Austrian Traded Index) und mithin Finanzinstrumente mit einem liquiden Markt.29 Das Bekanntwerden der Information ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Information als Ad-hoc-Meldung und im Falle verspäteter oder unterlassener Ad-hoc-Meldungen, der Zeitpunkt des Bekanntwerdens für die Öffentlichkeit. Der bedingte Vorsatz des Primär-Insiders umfasst die Insider-Information und die Empfehlung an eine dritte Person, eine der Tathandlungen des Abs. 1 Z. 1, 2 oder 3 vorzunehmen. Vom Vorsatz nicht umfasst sein muss die Kursveränderung von 35% bzw. ein Umsatz von 10 Mio. EUR innerhalb von fünf Handelstagen ab Bekanntwerden der Information. Diese Kriterien sind objektive Bedingungen der Strafbarkeit.30 Die Bedingung der Kursveränderung um zumindest 35% ist auch nur dann eingetreten, wenn sich der Kurs in eine Richtung um 35% verändert, nicht aber, wenn z.B. der Kurs um 18% am ersten Tag fällt und sich im Laufe der nächsten vier Tage wieder erholt und wieder den Kurs vor Bekanntwerden der (verspäteten) Ad-hoc-Meldung erreicht. An der Straftat des Insiders kann man sich kraft gesetzlicher Anordnung nicht beteiligen, sodass sich selbst die Person, die den Primär-Insider anstiftet, ihr eine auf einer InsiderInformation basierende Empfehlung auszusprechen, nicht strafbar macht. Auch die Versuchsstrafbarkeit ist gesetzlich ausgeschlossen. Die Strafdrohung ist dieselbe wie in Abs. 1 und 5 (sechs Monate bis fünf Jahre).

2.5.4

Empfehlung durch Sekundär-Insider (§ 163 Abs. 6 BörseG)

Täter des § 163 Abs. 6 BörseG ist eine Person, die wissentlich über eine Insider-Information verfügt und einem Dritten eine Tathandlung des Abs. 1 (unter Entfall der 1-Mio.EUR-Grenze) empfiehlt. Der Unterschied zu der Strafbestimmung betreffend den Primär-Insider besteht wieder darin, dass der Sekundär-Insider auf der Vorsatzebene

29 30

EBRV 1186 BlgNR 25. GP 5. Tipold, JSt 2016, 310.

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wissen muss, dass er eine Insider-Information erlangt hat bzw. über eine solche verfügt. Hält er es nur ernstlich für möglich und findet sich damit ab, dass er über eine InsiderInformation verfügt, so ist er nicht strafbar. Für alle übrigen objektiven Tatbildmerkmale reicht – so wie beim Primär-Insider – bedingter Vorsatz zur Tatbildverwirklichung aus. Wiederum entsprechen die Ausführungen zum Primär-Insider des Abs. 2 jenen für den Sekundär-Insider des Abs. 6. Auch in Bezug auf den Sekundär-Insider sind die Beteiligung an dessen strafbarer Handlung und die Versuchsstrafbarkeit ausgeschlossen. Es gilt überdies derselbe Strafrahmen (sechs Monate bis fünf Jahre).

2.5.5

Unrechtmäßige Offenlegung durch Primär-Insider (§ 163 Abs. 3 BörseG)

§ 163 Abs. 3 BörseG sanktioniert die unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen. Eine unrechtmäßige Offenlegung liegt vor, wenn ein Insider, der über InsiderInformationen verfügt, diese Informationen an eine andere Person weitergibt und diese Offenlegung nicht im Rahmen der normalen Ausübung seiner Arbeit oder seines Berufs oder der Erfüllung seiner Aufgaben erfolgt. Aber auch Gespräche im Rahmen der Marktsondierung können eine unrechtmäßige Offenlegung bedeuten, wenn sie nicht im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 bis 8 MAR erfolgen.31 Eine Marktsondierung besteht in der Übermittlung von Informationen vor der Ankündigung eines Geschäfts an einen oder mehrere potenzielle Anleger, um das Interesse von potenziellen Anlegern an einem möglichen Geschäft und dessen Bedingungen wie seinem Umfang und seiner preislichen Gestaltung abzuschätzen. Marktsondierer i.S.d. MAR sind Emittenten, Zweitanbieter eines Finanzinstruments, Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate oder Dritte, die im Auftrag oder für Rechnung einer der genannten Personen agieren. Aber auch derjenige, der ein Übernahmeangebot für die Anteile eines Unternehmens oder für einen Unternehmenszusammenschluss an Dritte richtet, die Anspruch auf die Anteile des Unternehmens haben, legt eine Insider-Information offen und ist Marktsondierer, sofern die Information an die Dritten erforderlich ist, damit diese sich eine Meinung zu den Übernahmebedingungen machen können und nach vernünftigem Ermessen für die Beschlussfassung, das Angebot abzugeben, erforderlich ist. Der Marktsondierer ist verpflichtet, schriftlich festzuhalten, wie er zu der Überzeugung gelangte, dass eine Information, die er offenlegt, eine Insider-Information ist oder nicht. Diese muss er der FMA über Ersuchen vorlegen. Sollte er zu dem Schluss gelangen, dass

31

242

Art. 4 Abs. 2 CSMAD.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

er eine Insider-Information offenlegen wird, so hat er die Zustimmung von dem potenziellen Erklärungsempfänger dazu einzuholen, dass dieser eine Insider-Information erhält. Sodann muss der korrekt agieren wollende Marktsondierer den Erklärungsempfänger über die Tatbestände des Insider-Handels i.S.d. § 163 Abs. 1 Z. 1, 2 und Abs. 5 BörseG sowie über den Umstand, dass die Informationen von ihm vertraulich zu behandeln sind, aufklären. Dies und die Informationen, die offengelegt werden, muss der Marktsondierer gründlich dokumentieren. Geht zu einem späteren Zeitpunkt die Insider-Informationseigenschaft verloren, so muss der Marktsondierer dies den Empfängern unverzüglich mitteilen. Auf der anderen Seite nimmt der Informationsempfänger selbst die Einschätzung vor, ob er im Besitz von Insider-Informationen ist und ob er dies nicht (mehr) ist. Einen pragmatischen Zugang zur Marktsondierung wird man in der MAR nicht finden. Es empfiehlt sich daher, sofern man den Verwaltungsaufwand für nicht administrierbar bzw. für zu kostenintensiv hält, mit Ad-hoc-Meldungen zu arbeiten. Beispiel: Ein börsennotiertes Unternehmen plant eine Kapitalerhöhung, verlautbart dies in einer Ad-hoc-Meldung und führt dazu aus, dass noch nicht final feststeht, wie hoch die Erhöhung konkret ausfallen wird, sie sich aber in einer Bandbreite von 4 bis 6 Mio. EUR befinden wird. Damit wäre die sprichwörtliche Katze aus dem Sack, ohne die Publizitätsvorschriften verletzt zu haben, und es können unkomplizierte Sondierungsgespräche geführt werden. Der bedingte Vorsatz des Primär-Insiders umfasst die Insider-Information und die unrechtmäßige Offenlegung an eine dritte Person. Vom Vorsatz nicht umfasst sein muss – wie schon bei § 163 Abs. 2 BörseG erläutert – die Kursveränderung von 35% bzw. ein Umsatz von 10 Mio. EUR innerhalb von fünf Handelstagen ab Bekanntwerden der Information. Diese Kriterien sind objektive Bedingungen der Strafbarkeit und streichen heraus, dass nur schwerwiegende Fälle zur Strafbarkeit führen sollen. Der Versuch (§ 15 StGB) ist nicht strafbar, die Strafdrohung beträgt bis zu zwei Jahre.

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2.5.6

Unrechtmäßige Offenlegung durch Sekundär-Insider (§ 163 Abs. 7 BörseG)

Täter des § 163 Abs. 7 BörseG ist eine Person, die wissentlich über eine Insider-Information verfügt oder von einem Insider eine Empfehlung erlangt hat und diese einem Dritten unrechtmäßig offenlegt. Der Unterschied zu der Strafbestimmung betreffend den Primär-Insider besteht wieder darin, dass der Sekundär-Insider auf der Vorsatzebene wissen muss, dass er über eine Insider-Information verfügt bzw. dass er von einem Insider eine Empfehlung erlangt hat. Für alle übrigen objektiven Tatbildmerkmale reicht – so wie beim Primär-Insider – bedingter Vorsatz zur Tatbildverwirklichung aus. Wiederum entsprechen die sonstigen Ausführungen zum Primär-Insider des Abs. 3 jenen für den Sekundär-Insider des Abs. 7. Der Versuch (§ 15 StGB) ist nicht strafbar, die Strafdrohung beträgt bis zu zwei Jahre.

2.5.7

Finanzinstrumente (§ 163 Abs. 8 BörseG)

Finanzinstrumente im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt gestellt wurde. Ferner solche, die in einer Organised Trading Facility (OTF) oder in einem Mulitlateral Trading Facility (MTF – z.B. Dritter Markt der Wiener Börse) gehandelt werden, zum Handel in einem MTF zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel in einem MTF gestellt wurde, sowie die gehandelten Derivate dieser Finanzinstrumente.

3 Gerichtlich strafbare Marktmanipulation (§ 164 BörseG) 3.1 Allgemeines Marktmanipulation ist vom Insider-Handel dadurch abgrenzbar, dass ein Marktmanipulator eine Preisfehlbildung am Markt verursacht ohne über einen Informationsvorsprung zu verfügen, der Insider hingegen mithilfe eines Informationsvorsprungs eine Marktsituation ungerechtfertigt ausnutzt.32 Marktmanipulator kann jedermann sein, um Insider zu sein, müssen hingegen (besondere) persönliche Eigenschaften vorliegen.

32

244

Schrank, in: Kert/Kodek, Das große Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016) Rz. 17.73.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

Marktmanipulation liegt vor, wenn eine Person alleine oder durch Absprache mit Dritten durch Geschäft oder Orders falsche oder irreführende Signale für das Angebot von Finanzinstrumenten oder der Nachfrage nach diesen abgibt, um den Kurs eines oder mehrerer dieser Instrumente künstlich zu beeinflussen.33 Bis zur Umsetzung der MAR und der CSMAD war in Österreich die Marktmanipulation als Verwaltungsstraftatbestand ausgebildet. Art. 5 Abs. 1 CSMAD verlangte jedoch von den Mitgliedstaaten Straftatbestände für schwere Fälle der Marktmanipulation zu schaffen. Der österreichische Gesetzgeber war daher nicht nur gefordert, einen gerichtlichen Straftatbestand zu kodifizieren, sondern gleichzeitig geeignete Mittel zu finden, um mit einer klaren Trennung zwischen verwaltungsbehördlicher und gerichtlicher Zuständigkeit Rechtssicherheit gewährleisten zu können. Diese scharfe Trennung erfolgte durch die Einziehung einer Betragsgrenze vom 1 Mio. EUR. Der Tatbestand der Marktmanipulation wurde – im Einklang mit der MAR – inhaltlich dem Tatbestand des Insider-Handels angeglichen. Aufgrund der schier nicht enden wollenden Innovationskraft der Marktteilnehmer war es überdies erforderlich, den Anwendungsbereich auf neue Märkte und Handelsplattformen und neue derivative Finanzinstrumente auszuweiten.

3.2 § 164 Abs. 1 BörseG 3.2.1

Unrechtmäßig

Das Tatbestandsmerkmal „unrechtmäßig“ wird im Gesetz nicht legaldefiniert. Die ErlBem34 wollen „unrechtmäßig“ i.S.d. Schlussteils von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a CSMAD und Art. 13 MAR (zulässige Marktpraxis) auslegt wissen. Dies ist insofern bemerkenswert, als auch die CSMAD und die MAR keine exakte Definition des Begriffs im Zusammenhang mit Marktmanipulation (wohl aber im Zusammenhang mit der unrechtmäßigen Offenlegung von Insider-Informationen) bieten. In beiden Rechtsakten35 werden eine Vielzahl an unerlaubten Handlungen formuliert, die man zusammengefasst als „unrechtmäßig“ bezeichnen kann. Es ist aber fraglich, ob damit

33 34 35

Ketzer/Pauer, ÖBA 2014, 165. EBRV 1186 BlgNR 25. GP 7. Art. 5 Abs. 2 CSMAD; Art. 12 MAR sowie Anhang I der MAR, der eine demonstrative Aufzählung von Indikatoren für manipulatives Handeln durch das Aussenden falscher oder irreführender Signale und durch Herbeiführen bestimmter Kurse bietet.

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Volkert Sackmann

Normunterworfene i.S.d. strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots eine klare Vorstellung davon haben, wann die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wird. Die Wortfolge „Wer unrechtmäßig um mehr als 1 Mio. EUR Geschäfte tätigt oder Handelsaufträge erteilt“ könnte vermuten lassen, dass nur dann Strafbarkeit bestehen soll, wenn ein Geschäft auf verpönte Art und Weise getätigt wird und dass damit nicht der kontradiktorische Gegensatz zur zulässigen Marktpraxis gemeint ist. Zweifellos wollte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, dass nicht auf Marktmanipulation gerichtete Geschäftstätigkeiten bzw. Handelsauftragserteilungen über 1 Mio. EUR selbst dann nicht strafbar sind, wenn sich Marktteilnehmer in die Irre geführt fühlten. Denn ließe man das Wort „unrechtmäßig“ in dem Tatbestand weg, so wäre vorsatzloses Handeln auch strafbar. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber nur in der Formulierung vergriff und mit „unrechtmäßig“ eigentlich sagen wollte: „Wer mit dem Vorsatz, einen Markt zu manipulieren, um mehr als 1 Mio. EUR Geschäfte tätigt […]“. Märkte i.S.d. Gesetzes sind die in der MAR genannten geregelten Märkte, die MTFs und OTFs.36

3.2.2

Geschäfte tätigen oder Handelsaufträge erteilen

Unter Geschäfte tätigen werden alle Transaktionen mit Finanzinstrumenten gemeint. Ob es sich dabei um Eigen- oder Fremdgeschäfte handelt und in eigenem oder fremden Namen bzw. auf eigene oder fremde Rechnung gehandelt wird, ist unerheblich. Damit sind alle effektiven Geschäfte, bei denen es zum Wechsel des wirtschaftlich Berechtigten eines Finanzinstruments kommt, aber auch alle Scheingeschäfte, die keinen Wechsel des wirtschaftlich Berechtigten nach sich ziehen, erfasst.37 Aber auch schon die Erteilung eines Auftrags, ein Finanzinstrument zu kaufen oder zu verkaufen, stellt eine mögliche Tathandlung dar. Aufträge sind Willensbekundungen der Marktteilnehmer, bestimmte Finanzinstrumente zu kaufen oder zu verkaufen. Sobald dem Broker der Auftrag zugegangen ist, gilt dieser als erteilt.38

3.2.3

Falsche oder irreführende Signale

Geschäftstätigkeiten oder erteilte Aufträge zum Handel mit Finanzinstrumenten im Gegenwert von mehr als 1 Mio. EUR sind jedenfalls geeignet, bei anderen Marktteilneh-

36 37 38

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Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis c MAR. Brandl, in: Temmel, BörseG, § 48a Rz. 67. Brandl, in: Temmel, BörseG, § 48a Rz. 67.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

mern Aufmerksamkeit zu erregen. Werden diese Handlungen unrechtmäßig – also mit dem Vorsatz, den Markt zu manipulieren – gesetzt und werden dadurch falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots oder des Preises eines Finanzinstruments i.S.d. Gesetzes an die übrigen Marktteilnehmer gesendet, wobei es nicht darauf ankommt, dass sie ihr Investitionsverhalten ändern, so liegt Strafbarkeit vor. Ob ein falsches oder irreführendes Signal gegeben wurde, kann nur der Markt, respektive die Marktteilnehmer, die auf die Legitimität der Geschäftstätigkeit (des Auftrags) vertrauten und deshalb missinterpretierten, beantworten. Mit anderen Worten darf eine Verurteilung nur erfolgen, wenn aufgrund von Aussagen von Zeugen oder Opfern feststeht, dass ein falsches oder irreführendes Signal gegeben wurde, nicht aber schon, wenn ein Gericht der Meinung ist, dass die Geschäftstätigkeit (der Auftrag) geeignet war, ein derartiges Signal zu senden.39 Das Signal muss sich auf das Angebot oder den Preis eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts oder der Nachfrage danach beziehen.

3.2.4

Anormales oder künstliches Kursniveau

Die zweite Variante der strafbaren Marktmanipulation ist das Verursachen eines anormalen oder künstlichen Kursniveaus durch die Geschäftstätigkeit oder die Handelsauftragserteilung in einem 1 Mio. EUR übersteigendem Umfang. Ein wichtiges Kriterium ist, dass der Kurs eines Finanzinstruments auf einem anderen (höheren, tieferen oder stabil unveränderten) Kursniveau stehen würde, wenn die Geschäfte oder Aufträge nicht stattgefunden hätten.40 Während es im Fall der falschen oder irreführenden Signale mithilfe von Zeugen nachträglich möglich ist festzustellen, ob dieses Signal gesendet wurde, wird das nachträgliche Simulieren eines Kursverlaufs nur schwer – wenn überhaupt, dann wohl nur im illiquiden Markt – möglich sein. Zweifel daran, dass die Handlungen für die Kursveränderung kausal waren, führen spätestens im Hauptverfahren zu einem Freispruch. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren wegen dieses Tatbestands viele Strafverfahren geführt werden.

39 40

Tipold, JSt 2016, 311. Brandl, in: Temmel, BörseG, § 48a Rz. 72.

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Volkert Sackmann

Tatbestandsmäßig ist ein manipuliertes Kursniveau eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts.

3.2.5

Subjektiver Tatbestand

Der bedingte Vorsatz des Marktmanipulators muss sich auf sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen. Der Täter muss es also ernsthaft für möglich halten und sich damit abfinden, dass er um 1 Mio. EUR Geschäfte tätigt oder Handelsaufträge erteilt und dadurch falsche oder irreführende Signale gibt bzw. ein anormales oder künstliches Kursniveau sichert. Diese innere Einstellung zur Tat reicht bereits aus, um Strafbarkeit zu begründen. Manipulative Handlungen bergen schon begrifflich eine Täuschung in sich, sodass bei der Prüfung marktmanipulativer Handlungen auch zu hinterfragen ist, ob der Täter es anlässlich seiner Handlungen ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, dass er mit seinen Handlungen die anderen Marktteilnehmer täuscht, sodass diese täuschungsbedingt eine Vermögensverfügung, nämlich den Kauf von Wertpapieren, vornehmen und sich selbst dadurch einen Schaden zufügen. Bejaht man bei lebensnaher Betrachtung der Handlungen diese innere Einstellung, so wird man wohl auch zwanglos bejahen können, dass der Täter es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass er sich oder einen Dritten durch die Handlungen der Getäuschten unrechtmäßig bereichert. Damit wäre dann zusätzlich auch der Tatbestand des Betrugs (§ 146f StGB) erfüllt. Der Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung wird im Regelfall das Hauptmotiv für marktmanipulative Handlungen sein.

3.2.6

Beitrag, Versuch, Strafdrohung

Die Bestimmung (Anstiftung) als auch jeder sonstige Beitrag zur Tat ist nach § 12 StGB jeder Versuch der Begehung nach § 15 StGB jeweils i.V.m. § 164 BörseG strafbar. Die Strafdrohung beträgt sechs Monate bis zu fünf Jahre.

3.3 § 164 Abs. 2 BörseG 3.3.1

Vorspiegelung falscher Tatsachen, sonstige Kunstgriffe, Formen der Täuschung

Durch das Tätigen von Geschäften oder Erteilen von Aufträgen um mehr als 1 Mio. EUR unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen können andere Marktteilnehmer dazu verleitet

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

werden, Handlungen vorzunehmen, die nicht auf Basis der wahren wirtschaftlichen Verhältnisse am Markt getroffen werden können.41 Die Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen oder aber auch die Abgabe von Analysen und Anlageempfehlungen, die geeignet sind, die anderen Marktteilnehmer über die tatsächlichen wirtschaftlichen Gründe der Informationen zu täuschen, erfüllen den Tatbestand. Unter Formen der Täuschung sind marktmanipulative Praktiken wie Painting the Tape oder Pump and Dump zu verstehen. So kann der Eindruck von lebhaften Umsätzen eines Unternehmens dadurch suggeriert werden, dass eine Reihe von Geschäften vorgenommen wird (Painting the Tape) oder der Kurs eines Werts hochgetrieben werden, um die gehaltenen Finanzinstrumente auf dem künstlichen Niveau zu verkaufen (Pump and Dump).42 Im Unterschied zum ersten Deliktsfall, bei der durch die Geschäftstätigkeit oder der Erteilung von Aufträgen falsche oder irreführende Signale gesendet werden, ist unter diesem Tatbestand die bewusste Falschinformation, die vor, während oder nach dem Tätigen des Geschäfts oder der Erteilung eines Auftrags gestreut wird, zu verstehen. Was die MAR, die CSMAD und der Gesetzgeber unter der Wendung „Verwendung sonstiger Kunstgriffe“ verstehen, bleibt im Dunkeln. Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot kann diese Wendung jedoch nicht als Auffangtatbestand dienen, sodass deren Bedeutung eher gering ist. Allen Handlungsweisen dieses Tatbestands ist gemein, dass sie lediglich objektiv geeignet sein müssen, den Preis eines Finanzinstruments, eines damit verbundenen Waren-SpotKontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts zu beeinflussen.

3.3.2

Subjektiver Tatbestand

Für die Tatbildverwirklichung ist bedingter Vorsatz erforderlich und ausreichend. Der Vorsatz muss alle objektiven Tatbestandsmerkmale umfassen.

3.3.3

Beitrag, Versuch, Strafdrohung

Die Bestimmung (Anstiftung) als auch jeder sonstige Beitrag zur Tat sind nach § 12 StGB jeder Versuch der Begehung nach § 15 StGB jeweils i.V.m. § 164 BörseG strafbar. Die Strafdrohung beträgt sechs Monate bis zu fünf Jahre.

41 42

Brandl, in, Temmel, BörseG, § 48a Rz. 110. Brandl, in: Temmel, BörseG, § 48a Rz. 113 f. m.w.N.

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Volkert Sackmann

3.4 Legaldefinitionen (§ 164 Abs. 3 und 4 BörseG) In § 164 Abs. 3 BörseG werden die Finanzinstrumente, die der Marktmanipulation i.S.d. Tatbestände des § 164 Abs. 1 und 2 BörseG zugänglich sind, definiert. Es sind dies die in § 163 Abs. 8 BörseG genannten Finanzinstrumente sowie Derivatekontrakte und derivative Finanzinstrumente für die Übertragung von Kreditrisiken, bei denen das Geschäft oder der Handelsauftrag eine Auswirkung auf den Kurs oder Wert eines Waren-SpotKontrakts hat, dessen Kurs oder Wert vom Kurs oder Wert dieser Finanzinstrumente abhängt. Waren-Spot-Kontrakte sind solche, die keine Energiegroßhandelsprodukte sind und bei denen das Geschäft oder der Handelsauftrag eine Auswirkung auf den Kurs oder den Wert eines Finanzinstruments nach § 163 Abs. 8 BörseG hat.

4 Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) Art. 8 CSMAD verlangt von den Mitgliedstaaten die Schaffung einer rechtlichen Grundlage dafür, dass Verbände (juristische Personen) für die Straftaten ihrer Entscheidungsträger oder die strafbaren Handlungen der diesen unterstellten Personen verantwortlich gemacht werden können. Zumal das VbVG in Österreich bereits seit 01.01.2006 in Kraft ist, musste diese Forderung nicht mehr umgesetzt werden. Nach dem VbVG ist ein Verband für die Straftaten seiner Entscheidungsträger strafrechtlich verantwortlich, wenn die (tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte) Straftat des Entscheidungsträgers im Rahmen seiner Tätigkeit für den Verband begangen und diese Tat entweder zugunsten des Verbands gesetzt wurde oder durch die Tat Pflichten verletzt wurden, die den Verband treffen. Zugunsten des Verbands bedeutet, dass der Verband einen finanziellen Vorteil aus dem Handeln des Organmitglieds zieht oder ziehen hätte sollen – damit wird deutlich, dass auch die versuchte Straftat des Entscheidungsträgers Verbandsverantwortlichkeit auslöst. Die Pflichten, die den Verband treffen und die dieser durch seine Organe zu erfüllen hat, können sich je nach dem Tätigkeitsbereich des Verbands aus dem Zivil- und dem Verwaltungsrecht ergeben. Kann das Organ seine eigene Strafbarkeit durch Rücktritt vom Versuch oder durch tätige Reue aufheben, so entfällt auch die Verantwortlichkeit des Verbands. Hingegen hat der Tod des Entscheidungsträgers keinen Einfluss auf die Verbandshaftung.43

43

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Fabrizy, StGB11, § 3 VbVG, Rz. 6.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

Die Verbandshaftung für die strafbaren Handlungen von Mitarbeitern tritt ein, wenn der oder die Mitarbeiter insgesamt tatbestandsmäßig und rechtswidrig, nicht jedoch unbedingt schuldhaft gehandelt hat bzw. haben und überdies die Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben. Der Sorgfaltsverstoß muss das Risiko der Begehung der Tat durch den Mitarbeiter zumindest erhöht haben.44 Die Verantwortlichkeit eines Verbands für eine Tat und die Strafbarkeit von Entscheidungsträgern oder Mitarbeitern wegen derselben Tat schließen einander nicht aus. Wird im Urteil die Verantwortlichkeit des Verbands für eine Tat eines Entscheidungsträgers oder eines Mitarbeiters festgestellt, so wird eine Verbandsgeldbuße, die in Tagessätzen zu bemessen ist, verhängt. Die Obergrenze für die Anzahl der Tagessätze richtet sich nach der Strafdrohung der zugrundeliegenden Tat. Für die in diesem Beitrag behandelten Delikte, die eine Strafdrohung bis zwei bzw. bis fünf Jahre vorsehen, beträgt die maximale Anzahl der Tagessätze 70 bzw. 100. Die Höhe des Tagessatzes richtet sich wiederum nach der Ertragslage des Verbands und ist unter Berücksichtigung dessen sonstiger wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu bemessen. Festzusetzen ist er mit dem 360 Teil des Jahresertrags plus/minus einem Drittel, mindestens jedoch mit 50 EUR und höchstens mit 10.000 EUR.

5 Exkurs: Verwaltungsübertretung des Missbrauchs einer Insider-Information und der Marktmanipulation Die strafgerichtliche Verfolgung von Marktmissbrauchsdelikten ist nur für schwerwiegende Verstöße gegen die Integrität der Finanzmärkte und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte vorgesehen. Grundsätzlich soll daher nur bei Überschreiten von bestimmten Schwellenwerten gerichtliche Strafbarkeit bestehen, darunter drohen Verwaltungssanktionen. Im Bereich der Marktmanipulation hat der österreichische Gesetzgeber die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. c und d MAR bzw. Art. 5 Abs. 2 Buchst. c und d CSMAD vorgesehenen Erscheinungsformen der Marktmanipulation zur Gänze als Verwaltungsübertretungen ausgestaltet.45

44 45

Fabrizy, StGB11, § 3 VbVG, Rz. 9. Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 17.08.2016, BMJ-S712.518/0005-IV 2/2016, S 2.

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Volkert Sackmann

Weil die im Bereich der verwaltungsbehördlichen Zuständigkeit vorgesehenen Sanktionen für Marktmissbrauch aufgrund ihrer Höhe auch Erwähnung finden sollten, wird in diesem Punkt ein kurzer Seitenblick auf die zu den gerichtlichen Straftatbeständen (§§ 163, 164 BörseG) korrespondierenden Verwaltungsstraftatbestände, die in § 154 BörseG geregelt sind, geworfen. Die gesetzlich vorgesehene Geldstrafe für natürliche Personen bis zur Höhe von 5 Mio. EUR ist empfindlich hoch angesetzt; dies v.a. unter Berücksichtigung der Strafenpraxis der FMA und dem Umstand, dass Verwaltungsstrafen nicht nur bei vorsätzlicher, sondern auch bei fahrlässiger Tatbegehung verhängt werden. Die FMA kann aber gemäß § 156 BörseG Geldstrafen auch gegen juristische Personen verhängen, wenn Personen, die entweder allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt haben und eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person aufgrund der Befugnis zu ihrer Vertretung, der Befugnis, Entscheidungen in ihrem Namen zu treffen, oder einer Kontrollbefugnis in ihr innehaben, gegen die in den §§ 154 und 155 BörseG angeführten Verbote oder Verpflichtungen verstoßen haben. Juristische Personen können wegen der genannten Verstöße auch verantwortlich gemacht werden, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine der genannten Personen die Begehung dieser Verstöße durch eine für die juristische Person tätige Person ermöglicht hat. Damit ist die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Person jener der strafgerichtlichen Verantwortlichkeit sehr ähnlich nachgebildet. Die Geldstrafe beträgt im Falle von Verstößen gegen die in Art. 14 und 15 MAR (umgesetzt in § 154 BörseG) festgelegten Verbote oder Verpflichtungen bis zu 15 Mio. EUR oder 15% des jährlichen Gesamtnettoumsatzes oder bis zum Dreifachen des aus dem Verstoß gezogenen Nutzens einschließlich eines vermiedenen Verlusts, soweit sich der Nutzen beziffern lässt.

6 Verfahrensrechtliche Bestimmungen Die gerichtlichen Strafbestimmungen gelten gemäß § 162 BörseG unabhängig davon, ob die Handlung an einem Handelsplatz (das ist ein geregelter Markt, ein MTF oder ein OTF) vorgenommen wurde. Sie gelten jedoch nicht für Maßnahmen im Rahmen der Geldpolitik, der Staatsschuldenverwaltung, der Klimapolitik und der Gemeinsamen Agrar- oder Fischereipolitik gemäß Art. 6 MAR sowie für den Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen und für den Handel mit Wertpapieren oder damit verbundenen Instrumenten gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b MAR zur Stabilisierung von Wertpapieren, soweit dieser Handel im Einklang mit Art. 5 MAR erfolgt.

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Marktmissbrauch aus strafrechtlicher Sicht

Sobald die FMA feststellt, dass für die Ahndung eines Verstoßes das Gericht – konkret das bundesweit zuständige Landesgericht für Strafsachen Wien (§ 166 BörseG) – zuständig ist, hat sie davon die Staatsanwaltschaft zu verständigen und zugleich ein bereits eingeleitetes verwaltungsbehördliches Strafverfahren vorläufig einzustellen. Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 171 Abs. 1 BörseG ein oder wird das gerichtliche Hauptverfahren rechtskräftig durch eine Entscheidung, die auf der Ablehnung der Zuständigkeit beruht, beendet, so hat die FMA das Verwaltungsstrafverfahren fortzusetzen. Der FMA kommen bei der Aufklärung von Straftaten nach §§ 163, 164 BörseG die in § 153 BörseG vorgesehenen Befugnisse zu. Sollen Ermittlungshandlungen vorgenommen werden, für die die Befugnisse der FMA nicht ausreichen (z.B. Sicherstellungen, Durchsuchungen, Festnahmen, Überwachung von Telefongesprächen etc.), so hat die Staatsanwaltschaft die Kriminalpolizei damit zu beauftragen. Könnte der aufzuklärende Sachverhalt auch den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung anderer Art erfüllen (z.B. Betrug), so kann u.a. auch in diesem Fall die Kriminalpolizei beauftragt werden. Gemäß § 169 BörseG kommt der FMA im Ermittlungsverfahren, sofern sie nicht nach § 168 BörseG mit den Ermittlungen betraut wurde, und auch in Hauptverfahren wegen Straftaten nach §§ 163, 164 BörseG die Stellung eines Privatbeteiligten zu. Im Ermittlungsund auch im Hauptverfahren stehen ihr überdies weitreichende, grundsätzlich nur der Staatsanwaltschaft zustehende Rechte zu (z.B. Bekämpfung gerichtlicher Entscheidungen), die sich auch auf die anderen gerichtlich strafbaren Handlungen, die mit strafbaren Handlungen nach §§ 163, 164 BörseG zusammentreffen, erstrecken. Wollen Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren oder das Gericht im Hauptverfahren diversionell vorgehen, so muss gemäß § 170 Abs. 1 BörseG vorher die FMA hierzu gehört werden. Stellen Staatsanwaltschaft oder Gericht fest, dass der untersuchte/angeklagte Sachverhalt nicht in die Zuständigkeit der Gerichte fällt (z.B. kein Vorsatz oder mangelnde Überschreitung eines tatbestandlichen Schwellenwerts), so haben sie das Verfahren insoweit einzustellen und die FMA hiervon in Kenntnis zu setzen, die dann ein allenfalls vorläufig eingestelltes verwaltungsbehördliches Verfahren fortzusetzen oder zu eröffnen hat. Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren jedoch aus anderen Gründen ein oder geht sie diversionell vor, so hat sie hiervon die FMA zu verständigen, die berechtigt ist, die Fortführung des Ermittlungsverfahrens zu beantragen (§ 195 Strafprozessordnung (StPO) i.V.m. § 171 Abs. 3 BörseG).

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht Alexander Fleischmann/André Krause

1 Einleitung 2 Marktmanipulation 2.1 Tatbestand der Marktmanipulation 2.2 Typische Praxisfälle 2.2.1 Wash Trade 2.2.2 Pre-arranged Trade 2.2.3 Falsche Informationen an Anleger 2.2.4 Weitere Praxisfälle 3 Insider-Informationen und Insider-Geschäfte 3.1 Tatbestand der Insider-Information 3.2 Umgang mit Insider-Information in Instituten 3.2.1 Weitergabe 3.2.2 Überwachung der Mitarbeitergeschäfte 3.2.2.1 Beobachtungsliste (Watch List) 3.2.2.2 Sperrliste (Restricted List) 3.3 Insider-Geschäfte 3.4 Insider-Listen nach MAR in Instituten 3.5 Marktsondierungen 3.5.1 Anwendungsbereich 3.5.1.1 Tatbestandsmerkmale Art. 11 MAR 3.5.1.2 Anwendungsbereich der MAR 3.5.1.3 Sonderfall Block Trades 3.5.2 Ablauf der Marktsondierung 3.5.3 Marktsondierung aus Sicht des angesprochenen Investors

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4 Vorbeugung, Aufdeckung und Meldung von Marktmissbrauch als Aufgabe von Wertpapierfirmen 4.1 Erforderliche Regeln, Systeme und Verfahren 4.1.1 Marktbetreiber 4.1.2 Vermittler 4.2 Verdachtsmeldung an die Aufsicht 4.3 Safe-Harbour-Regelungen für Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen 4.3.1 Rückkaufprogramme 4.3.2 Stabilisierungsmaßnahmen 4.3.3 Meldungen an die zuständigen Behörden 5 Offenlegungsvorschriften 5.1 Ad-hoc-Publizität 5.2 Directors' Dealings 5.2.1 Betroffener Personenkreis 5.2.2 Meldepflichtige Geschäfte 5.2.2.1 Meldefrist 5.2.2.2 Schwellenwert 5.2.2.3 Meldeformular 5.2.3 Handelsverbot 5.2.4 Organisations- und Informationspflichten 6 Mögliche Sanktionen 6.1 Strafrechtliche Sanktionen 6.2 Bußgeldbewehrung 7 Fazit

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1 Einleitung Das Marktmissbrauchsrecht ist Teil des Kapitalmarktrechts, welches zwei wesentliche Regelungsziele verfolgt. Es dient einerseits dem Schutz der Funktionsweise des Kapitalmarkts und andererseits dem Anlegerschutz, wobei eine klare Zuordnung einzelner Vorschriften zu diesen Zielen nicht möglich ist. Dies zeigt sich auch im Marktmissbrauchsrecht, wo sich der Anlegerschutz gleichzeitig auf den Funktionsschutz des Kapitalmarktes auswirkt.1 Entwicklung des Marktmissbrauchsrechts in Deutschland Die Entwicklung des Marktmissbrauchsrechts der letzten Jahre in Deutschland ist im Wesentlichen durch europäische Vorgaben geprägt. Während das Verbot der Kurs- und Marktpreismanipulation bereits 1884 Niederschlag im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch und in der Folgezeit Einzug ins Börsengesetz (BörsG) fand,2 setzte man in Deutschland beim Umgang mit Insider-Informationen noch bis 1994 auf eine Selbstregulierung. Erst das 2. Finanzmarktförderungsgesetz (2. FMFG) vom 26.07.1994 setzte die Insider-Richtlinie3 um, indem das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) geschaffen wurde und erstmals gesetzliche Regelungen zum Umgang mit Insider-Informationen eingeführt wurden. Dagegen hat die Europäische Kommission erst 1999 die Mitteilung „Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan“ veröffentlicht, in der die Normierung des Verbots der Kurs- und Marktpreismanipulation auf europäischer Ebene erstmals angedeutet wurde. In der Folge wurde 2003 u.a. die Market Abuse Directive (MAD)4 erlassen. Die Umsetzung der Vorgaben in deutsches Recht erfolgte 2004 mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG) insbesondere durch Änderungen des WpHG im Bereich des Insider-Rechts, der Ad-hoc-Publizität, der Meldepflicht für Directors’ Dealings und Regelungen zum Verbot der Marktmanipulationen. Das Verbot von Insider-Geschäften, die Pflicht, Insider-Informationen und Eigengeschäfte von Führungspersonen zu ver-

1 2 3

4

Vgl. Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lowowski, Bankrechtshandbuch, Vor § 104 Rn. 89. Vgl. Mock, in: KK-WpHG, 2. Aufl., § 20a Rn. 21 m.w.N. Richtlinie des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte (89/592/EWG). Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch).

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Alexander Fleischmann/André Krause

öffentlichen, und das Verbot der Marktmanipulation waren dem Grunde nach bereits damals angelegt. Gründe für die Reform 2016 Vor diesem Hintergrund erscheinen die Änderungen, welche sich nun durch die MAD5 und die Market Abuse Regulation (MAR)6 ergeben, zunächst zwar überschaubar, sie sind jedoch – wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden – in manchen Bereichen durchaus nennenswert. Reformbedarf sah der europäische Gesetzgeber insbesondere, weil die MAD 2003 einen klaren Fokus auf Finanzinstrumente gerichtet hatte, die an geregelten Märkten gehandelt werden. Seit Verabschiedung der MAD 2003 hatte sich dieser Handel jedoch zu Gunsten neuer, elektronischer Handelsplätze (Mulitlateral Trading Facility (MTF) und Organised Trading Facilitiy (OTF)) verschoben, und auch der OTC-Handel (Over the Counter) hat stark an Bedeutung gewonnen. Da ein Ziel des europäischen Gesetzgebers darin bestand, voneinander abweichende nationale Vorschriften zu verhindern und weitgehend einheitliche Bedingungen in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten (Vollharmonisierung), hat er den wesentlichen Kern des neuen Marktmissbrauchsrechts in Form einer in allen Mitgliedstaaten ohne Umsetzungsrechtsakt unmittelbar gültigen Verordnung (MAR) geregelt.7 Lediglich diejenigen Bereiche, für die dem europäischen Gesetzgeber die unmittelbare Regelungskompetenz fehlt, sind in einer umsetzungsbedürftigen Richtlinie (MAD 2014) geregelt worden. Damit folgt auch das Marktmissbrauchsrecht dem allgemeinen Trend des europäischen Kapitalmarktrechts, Richtlinien soweit wie möglich durch Verordnungen zu ersetzen.8 Ebenfalls zur Gewährleistung einer möglichst einheitlichen europaweiten Anwendung der neuen Regelungen wird die Kommission an verschiedenen Stellen der MAR ermächtigt, durchführende oder delegierte Rechtsakte zu erlassen (Lamfalussy-Verfahren). Die so entstandenen insgesamt 13 konkretisierenden Rechtsakte schaffen zwar einerseits an

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7 8

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Richtlinie 2014/57/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie). Verordnung 596/2014/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission. Vgl. Erwägungsgrund 5 MAR. Vgl. z.B. CRR und CRD sowie MiFIR und MiFID.

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

vielen Stellen erfreuliche Klarheit, bringen aber andererseits gegenüber der Rechtslage vor der Reform auch eine erheblich gesteigerte Regelungstiefe mit sich. Anwendungsbereich der MAR Entsprechend des identifizierten Reformbedarfs wurde der Anwendungsbereich des Marktmissbrauchsrechts durch die MAR deutlich erweitert. Viele Vorgaben gelten nicht mehr nur für Finanzinstrumente, die an einem geregelten Markt zugelassen sind, sondern auch für Finanzinstrumente an MTF und OTF.9 Dadurch kommt es insbesondere zu Veränderungen für Emittenten des Freiverkehrs. Für diese waren vor Inkrafttreten der MAR nur die gesetzlichen Verbote von InsiderGeschäften und der Marktmanipulation einschlägig.10 Durch die Neuerung werden die Vorschriften zur Ad-hoc-Publizität, zur Meldepflicht von Eigengeschäften von Führungskräften (Directors´ Dealings) und zum Führen von Insider-Listen auch für Freiverkehrsemittenten anwendbar. Um Umgehungen vorzubeugen, fallen darüber hinaus nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MAR solche Finanzinstrumente in den Anwendungsbereich, die nicht zum Handel zugelassen sind, deren Kurs oder Wert von einem an einem Handelsplatz11 gehandelten Finanzinstrument abhängt oder sich darauf auswirkt. In nicht abschließender Aufzählung werden Kreditausfall-Swaps und Differenzkontrakte genannt. Daneben sind insbesondere Wandel- und Optionsrechte einschließlich Aktienoptionen aus Mitarbeiterprogrammen erfasst.

2 Marktmanipulation Der Kern der Regelung ist auf den Schutz der Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an Börsen und Handelsplätzen gerichtet. Vereinfacht gesagt sollen bei der Preisfindung für Finanzinstrumente ausschließlich echtes Angebot und echte Nachfrage Niederschlag finden und alle störenden Faktoren ausgeschlossen werden.

9 10 11

Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis c MAR. Zusätzliche Anforderungen ergaben sich ggf. aus den einschlägigen Börsenregularien. Geregelter Markt, MTF oder OTF gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 24 MiFID II.

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Neu ist die ausdrückliche Nennung der Manipulation von Referenzwerten, die auf den LIBOR-Skandal zurück zu führen ist,12 sowie die Erweiterung des Verbots der Marktmanipulation um das Verbot des entsprechenden Versuches.13

2.1 Tatbestand der Marktmanipulation Der Begriff der Marktmanipulation wird in Art. 12 Abs. 1 MAR grundlegend definiert, Art. 12 Abs. 2 enthält sodann eine nicht abschließende Liste von Handlungen, die als Marktmanipulation gelten. Darüber hinaus enthält der Anhang I der MAR eine nicht abschließende Liste von Indikatoren für Marktmanipulation und diese Indikatoren werden schließlich im Anhang II der Delegierten Verordnung 2016/52214 durch eine Beschreibung bestimmter Praktiken weiter konkretisiert, wobei es leider zu erheblichen Redundanzen kommt, welche die Klarheit nicht immer steigern. Das eigentliche Verbot der Marktmanipulation sowie des Versuchs und damit auch der Anknüpfungspunkt für die Sanktionsnormen des WpHG finden sich in Art. 15 MAR. Zusammenfassend lassen sich folgende Begehungsformen der Marktmanipulation unterscheiden: • Handels- und handlungsgestützte Marktmanipulation: Art. 12 Abs. 1 Buchst. a MAR erfasst Geschäfte, Handelsaufträge und alle anderen Handlungen, die (wahrscheinlich) falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots, der Nachfrage oder des Preises eines Finanzinstruments15 senden oder ein künstliches Preisniveau herbeiführen. Darüber hinaus enthält Art. 12 Abs. 1 Buchst. b MAR einen Auffangtatbestand, der alle sonstigen handels- und handlungsgestützten Marktmanipulationen unter Verwendung falscher Tatsachen, sonstiger Kunstgriffe oder durch Täuschung umfasst.

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Vgl. Art. 12 Abs. 1 Buchst. d sowie Erwägungsgrund 44 S. 2 MAR. Vgl. Art. 15 MAR. Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf eine Ausnahme für bestimmte öffentliche Stellen und Zentralbanken von Drittstaaten, die Indikatoren für Marktmanipulation, die Schwellenwerte für die Offenlegung, die zuständige Behörde, der ein Aufschub zu melden ist, die Erlaubnis zum Handel während eines geschlossenen Zeitraums und die Arten meldepflichtiger Eigengeschäfte von Führungskräften. Zu Gunsten der Lesbarkeit und entsprechend der vermuteten praktischen Relevanz wird hier und im Folgenden auf die jeweilige ausdrückliche Nennung von mit Finanzinstrumenten verbundenen Waren-Spot-Kontrakten und auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionshausobjekten verzichtet.

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

Hinweis: Eine tatsächliche Kursbeeinflussung ist für das Vorliegen einer Marktmanipulation grundsätzlich nicht erforderlich. • Informationsgestützte Marktmanipulation: Art. 12 Abs. 1 Buchst. c MAR erfasst ferner die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen, die (wahrscheinlich) falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots oder des Kurses von sowie der Nachfragen nach Finanzinstrumenten senden oder ein falsches oder künstliches Kursniveau herbeiführen. • Manipulation von Referenzwerten: Schließlich wird – wie eingangs bereits erwähnt – in Art. 12 Abs. 1 Buchst. d MAR nun die Manipulation von Referenzwerten ausdrücklich vom Tatbestand der Marktmanipulation eingeschlossen. Eine diesbezügliche Klarstellung war erforderlich geworden, weil § 20a WpHG (entsprechend der europarechtlichen Vorgabe durch die MAD 2003) nur die Manipulation börsengehandelter Finanzinstrumente verboten hatte. Dementsprechend waren standardisierte, börsengehandelte Zins-Futures vom Anwendungsbereich der Vorgängernorm erfasst, nicht aber bspw. bilateral abgeschlossene OTC-Zinsgeschäfte.16

2.2 Typische Praxisfälle In der Praxis ist eine Vielzahl unterschiedlichster Arten der Marktmanipulation zu beobachten. Dabei entwickeln sich die Methoden stetig weiter. Nachfolgend sollen drei häufige Manipulationstatbestände vorgestellt werden: die handelsgestützte Marktmanipulation mittels Wash Trades und Pre-arranged Trades sowie die informationsgestützte Marktmanipulation mittels falscher Informationen an (potenzielle) Anleger.

2.2.1

Wash Trade

Ein Wash Trade ist ein Geschäft, bei dem das wirtschaftliche Eigentum nicht wechselt. Käufer und Verkäufer sind dieselbe Person. Der Hintergrund für derartige Geschäfte ist oftmals steuerlich motiviert: Anleger wollen Gewinne oder Verluste realisieren und dabei das entsprechende Finanzinstrument dennoch im Depot behalten.17 Beispiel: Herr Harsch hat im Jahr 2017 mit dem Verkauf seines Bestandes an AAktien 11.600 EUR Gewinn gemacht, während sein Bestand an B-Aktien 12.100 EUR an Wert verloren hat. Um die Steuerlast aus dem Gewinn der A-Aktie zu reduzieren, entschließt sich Herr Harsch, den Verlust aus der B-Aktie zu reali-

16 17

Vgl. ausführlich Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561 ff. Vgl. hierzu auch Meurer, Marktmanipulation, in: Bafin-Journal, April 2015, S. 14 f.

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sieren. Er gibt einen limitierten Verkaufsauftrag ein, welcher vorerst nicht ausgeführt wird. Daraufhin gibt er einen Kaufauftrag mit den gleichen Parametern (Limit, Stückzahl) ein. Beide Aufträge werden zeitgleich und gegeneinander ausgeführt. Obgleich Herr Harsch vermutlich nicht „den Markt manipulieren“ wollte, liegt hier eine verbotene Marktmanipulation vor. Das Geschäft, bei dem das wirtschaftliche Eigentum nicht wechselt, sendet irreführende Signale hinsichtlich Angebot und Nachfrage der B-Aktie an den Markt. Herr Harsch würde sich richtig verhalten, wenn er zunächst wartet, bis seine Verkaufsorder über den Markt ausgeführt wurde. Anschließend deckt er sich – ebenfalls über den Markt – wieder mit der B-Aktie ein. Da diese Art der Marktmanipulation oftmals aus Unwissenheit der Anleger geschieht, empfiehlt es sich in der Bankpraxis, die Kundenberater entsprechend zu sensibilisieren und auch die Kunden über diese Regelungen zu informieren.

2.2.2

Pre-arranged Trade

Bei einem Pre-arranged Trade handelt es sich um ein abgesprochenes Geschäft zwischen zwei (oder mehr) Parteien. Ähnlich wie beim Wash Trade werden hierbei irreführende Signale (insbesondere hinsichtlich der Liquidität des betroffenen Finanzinstruments) an den Markt gesendet, wodurch eine verbotene Marktmanipulation vorliegt.

2.2.3

Falsche Informationen an Anleger

Während es sich bei den beiden vorgenannten Beispielen jeweils um eine handelsgestützte Marktmanipulation handelt, wird nachfolgend die informationsgestützte Marktmanipulation vorgestellt. Dabei werden meist falsche Informationen verbreitet, um Anleger zu täuschen und zum Kauf zu motivieren. In den letzten Jahren sehr verbreitet ist dabei die Masche der Betrugsfaxe. Derartige Faxe werden breit gestreut, wobei den jeweiligen Empfängern dabei suggeriert wird, dass es sich um Irrläufer handelt. Es werden Informationen verbreitet, wie bspw. in Abbildung 1 dargestellt.

262

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

Abbildung 1: Beispiel eines Betrugsfaxes Holger, der Deal mit China ist abgeschlossen. Morgen wird alles öffentlich gemacht. Der Kurs wird sich mit Sicherheit verfünffachen. Hier nochmal die Details: Muster-AG, WKN AB1234 Deck Dich auf jeden Fall ein. Wie gesagt – 250% Kurssteigerung sind sicher! Gruß Tobias

Die Muster-AG und die von ihr emittierten Aktien existieren und es handelt sich meist auch um ein normales Unternehmen, welches gewissermaßen zum Spielball von Betrügern werden soll. Bei dieser auch als Pump and Dump bezeichneten Manipulationsstrategie haben sich die Betrüger vorher mit den entsprechenden Aktien eingedeckt und warten nun darauf, dass genügend unbedarfte Anleger auf diesen Trick hereinfallen und die Aktie kaufen. Nachdem der Kurs entsprechend gestiegen ist, stoßen die Betrüger ihren Bestand wieder ab und die übrigen Anleger erleiden meist Verluste. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) warnt in bekannt gewordenen Fällen regelmäßig vor Kaufempfehlungen für Aktien.18 Eine weitere Form der informationsgestützten Marktmanipulation ist die Verbreitung von falschen oder zumindest fraglichen Finanzanalysen. Die Analysen, welche oftmals durch unbekannte Analysehäuser veröffentlicht werden und im Internet kursieren, enthalten meist vermeintliche negative Nachrichten zu einem Unternehmen. Damit soll der Kurs einer Unternehmensaktie bspw. zum Fallen gebracht werden, wodurch die Betrüger, welche sich vorher mit entsprechenden Derivaten – die von fallenden Kursen profitieren – eingedeckt haben, einen Gewinn erzielen können.

18

Vgl. Bafin-Webseite, Verbraucher, Aktuelles für Verbraucher, Mitteilungen und Warnungen der Bafin, Warnungen vor Marktmanipulation (https://www.bafin.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Expertensuche_Formular.html?cl2 Categories_Format=Meldung>s=dateOfIssueOrModification_dt+desc&documentType_ =News&sortOrder=dateOfIssueOrModification_dt+desc&cl2Categories_Thema= Marktmanipulation&language_=de).

263

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Alexander Fleischmann/André Krause

2.2.4

Weitere Praxisfälle

• Proprietary Crossing: Hierbei handelt es sich um ein Geschäft, bei dem dasselbe Institut sowohl auf der Kauf- als auch auf der Verkaufsseite steht – bspw. indem zwei Eigengeschäfte gegeneinander ausgeführt werden. Analog zum Wash Trade liegt kein Wechsel des wirtschaftlichen Eigentums vor. Für beabsichtigte Crossings besteht für Institute die Möglichkeit, diese bei der Börse anzumelden und entsprechend kenntlich zu machen.19 • Layering: Hierbei werden zunächst mehrere – unter dem aktuellen Marktpreis liegende – limitierte Kauforders aufgegeben. Damit soll dem Markt die Illusion einer regen Nachfrage gegeben werden. Im nächsten Schritt platziert der Betrüger eine Verkaufsorder über dem aktuellen Marktpreis. Durch die Nachfrage anderer Teilnehmer steigt der Preis und die Verkaufsorder des Kunden wird ausgeführt. Im Anschluss storniert der Kunde seine Kaufaufträge. Der umgekehrte Fall (Aufgabe gestaffelter Verkaufsaufträge, um das Preisniveau zu senken) ist ebenfalls denkbar, dürfte jedoch insbesondere für Privatkunden erheblich schwieriger durchführbar und deshalb deutlich seltener zu beobachten sein. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Layering eine relativ aufwändige Vorgehensweise darstellt, welche risikobehaftet und ohne technische Unterstützung kaum ausführbar ist.

3 Insider-Informationen und Insider-Geschäfte 3.1 Tatbestand der Insider-Information Der Begriff der Insider-Informationen wird in Art. 7 Abs. 1 MAR definiert. Eine InsiderInformation ist demnach eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. Nachfolgend soll auf die Merkmale im Einzelnen eingegangen werden. Dabei wird insbesondere auch der Emittentenleitfaden der Bafin20 als Grundlage herangezogen. Dieser

19

264

Am Beispiel XETRA nähere Informationen unter www.xetra.com, Handel, Ordertypen, Cross Request (http://www.xetra.com/xetra-de/handel/ordertypen/cross-request).

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

liegt zwar noch nicht in aktualisierter Form vor, gibt aber dennoch gute Hinweise zu den Merkmalen im Einzelnen. Aufgrund der gegenüber den alten nationalen Regelungen nur geringfügig veränderten Vorschriften können nach Ansicht der Autoren zahlreiche Aussagen des Leitfadens bis auf weiteres als gültig betrachtet werden. • Nicht öffentlich bekannte Information: Insider-Informationen sind grundsätzlich unverzüglich öffentlich bekannt zu geben (Abschnitt 5.1). Hierfür sind die entsprechenden Verfahren zu nutzen. Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass eine Information nur dann als öffentlich bekannt anzusehen ist, wenn sie einem breiten Kreis an Anlegern bekannt gemacht wurde. Dies ist bei Ad-hoc-Mitteilungen der Fall. Eine Veröffentlichung auf der Hauptversammlung erfüllt dieses Kriterium jedoch regelmäßig nicht, wie die Bafin im Emittentenleitfaden ausführt. • Präzise Information: Gemäß Art. 7 Abs. 2 MAR sind Informationen insbesondere dann als präzise anzusehen, wenn die damit umschriebenen Umstände bereits eingetreten sind bzw. vernünftigerweise erwartet werden kann, dass diese eintreten. Ähnlich führte die Bafin im Emittentenleitfaden aus, dass solche Informationen gemeint seien, die derart konkret seien, dass sie dem Anleger eine Einschätzung des künftigen Kursverlaufs des Finanzinstruments erlauben. Bei mehrstufigen bzw. gestreckten Vorgängen wird ein einzelner Zwischenschritt dann als Insider-Information betrachtet, wenn er für sich genommen die Kriterien des Art. 7 MAR erfüllt. • Information betrifft direkt oder indirekt Emittenten oder Finanzinstrumente: Bezüglich dieses Merkmals lassen sich zwei Arten von Insider-Informationen unterscheiden: 1. Information betrifft einen Emittenten: Hiermit sind klassischerweise Unternehmensinterna, Kennzahlen und dergleichen gemeint. Eine Information bezieht sich auf einen Emittenten und erlaubt somit Prognosen bezüglich des Kursverlaufs einzelner oder aller von diesem Emittenten begebenen Finanzinstrumente. 2. Information betrifft ein Finanzinstrument: Völlig unabhängig vom Emittenten können Insider-Informationen bezüglich einzelner Finanzinstrumente vorliegen. Dies ist bspw. der Fall, wenn Mitarbeiter einer Bank Informationen über eine anstehende Großorder haben. • Information ist geeignet, den Kurs von Finanzinstrumenten erheblich zu beeinflussen: In der Praxis ist die Kursrelevanz einer Informationen oftmals das ex ante am schwierigsten einzuschätzende Merkmal. Gemäß Art. 7 Abs. 4 MAR sind hiermit solche

20

Bafin, Emittentenleitfaden, 4. Auflage (Stand März 2018).

265

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Alexander Fleischmann/André Krause

Informationen gemeint, die wahrscheinlich von einem verständigen Anleger für seine Anlageentscheidungen genutzt werden. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein Geschäft auf Grundlage dieser Information dem Anleger lohnend erscheint und ein Kauf- bzw. Verkaufsanreiz gegeben ist. Insider-Informationen in Instituten Kreditinstitute und Wertpapierdienstleistungsunternehmen (im Folgenden: Institute) können von diesem Themenkomplex in doppelter Hinsicht betroffen sein. Einerseits können in einem Institut eigene, das Institut betreffende Insider-Informationen vorliegen – bspw. wenn eine Bank selbst als Aktiengesellschaft börsennotiert ist oder die Bank Anleihen begeben hat, die an einem Markt gehandelt werden. Andererseits können Insider-Informationen vorliegen, welche aus der Geschäftstätigkeit des Instituts stammen und Drittemittenten betreffen. Dies können bspw. Informationen bezüglich Großorders (vgl. Art. 7 Abs. 1 Buchst. d MAR) oder auch Insider-Informationen aus dem Investment-Banking, wie bspw. eine Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft durch einen Kunden der Bank, sein.

3.2 Umgang mit Insider-Information in Instituten 3.2.1

Weitergabe

Insider-Informationen dürfen nicht unrechtmäßig offengelegt bzw. weitergegeben werden (Art. 10 i.V.m. Art. 14 MAR; zur Veröffentlichung von Insider-Informationen vgl. Abschnitt 5.1). Vor diesem Hintergrund sind in jedem Fall entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um einen sachgemäßen Umgang mit den Insider-Informationen zu gewährleisten. So sind u.a. Vertraulichkeitsbereiche einzurichten und durch Chinese Walls funktional oder räumlich zu trennen bzw. mit unterschiedlichen Zutrittsberechtigungen auszustatten.21 Bspw. sollte die Einheit, welche das M&A-Geschäft (Mergers & Acquisitions) betreibt, räumlich getrennt von den Vertriebseinheiten sitzen. Verfügt das Institut über ein eigenes Research, so stellt dies ebenfalls i.d.R. einen eigenen Vertraulichkeitsbereich dar. Eine Weitergabe von Insider-Informationen über die Grenze der Vertraulichkeitsbereiche hinaus (Wall Crossing) ist allerdings im Rahmen des Need-to-Know-Prinzips gestattet, wenn diese Offenlegung im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben erfolgt (Art. 10 Abs. 1 MAR).

21

266

Vgl. hierzu AT 6.2 MaComp.

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

In der Praxis hat sich die Einführung eines Meldeprozesses für Insider-Informationen an die Compliance-Funktion bewährt. Dadurch erhält die Compliance-Funktion einen zentralen Überblick darüber, welche Einheiten und welche konkreten Mitarbeiter im Haus über welche Insider-Informationen Kenntnis erlangt haben.

3.2.2

Überwachung der Mitarbeitergeschäfte

Die Compliance-Funktion führt auf Basis der ihr gemeldeten Informationen zwei Arten von Listen – die Beobachtungsliste (Watch List) und die Sperrliste (Restricted List).

3.2.2.1

Beobachtungsliste (Watch List)

Auf der Beobachtungsliste, welche von der Compliance-Funktion streng vertraulich zu führen und die nicht öffentlich ist, werden all diejenigen Emittenten geführt, zu denen Insider-Informationen im eigenen Institut vorliegen. Während die entsprechenden Finanzinstrumente zwar keinen Handels- und/oder Beratungseinschränkungen unterliegen, ermöglicht diese Liste der Compliance-Funktion den Abgleich zwischen • den persönlichen Geschäften der Mitarbeiter- und den Eigengeschäften des Instituts und • den in einen Insider-Fall involvierten Mitarbeitern, welche Kenntnis von der InsiderInformation haben – diesen Mitarbeitern sind Geschäfte in den entsprechenden Finanzinstrumenten verboten (vgl. Abschnitt 3.3). So kann die Compliance-Funktion überprüfen, ob die Chinese Walls zwischen den verschiedenen Vertraulichkeitsbereichen der Bank eingehalten wurden. Beispiel: Die Firmenkundenbetreuerin Frau Reich erfährt in einem Kundengespräch, dass die A-AG erwägt, die ebenfalls börsennotierte B-AG zu übernehmen. Frau Reich wird um das Angebot einer Finanzierung gebeten. Frau Reich verhält sich aus Compliance-Sicht richtig und meldet den Fall unverzüglich ihrer Compliance-Abteilung. Diese setzt sowohl die A-AG als auch die B-AG auf die Beobachtungsliste, weil die Information für die Aktien beider Gesellschaften als potenziell kursrelevant betrachtet wird. Die genannten Kontrollen wurden damit implementiert und die A-AG verbleibt so lange auf der Watch List, bis der Sachverhalt ordnungsgemäß veröffentlicht wurde.

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MiFID-II.book Seite 268 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Alexander Fleischmann/André Krause

3.2.2.2

Sperrliste (Restricted List)

Im Gegensatz zur Beobachtungsliste ist die Sperrliste keine geheime Liste, welche nur in der Compliance-Funktion bekannt ist. Sie wird genutzt, um den Fachbereichen etwaige Handels- und/oder Beratungsbeschränkungen mitzuteilen. Der Grund für die Aufnahme eines Wertes auf die Sperrliste darf dabei jeweils nur genannt werden, soweit er öffentlich bekannt ist. Beide Listen sind von der Compliance-Funktion zu führen und jeweils unverzüglich zu aktualisieren. Hierfür ist die Einrichtung entsprechender Meldeverfahren durch die Fachbereiche unentbehrlich. Hinsichtlich der Überwachung der Mitarbeitergeschäfte hat sich die Einrichtung eines Zweitschriftenverfahrens bewährt, d.h. die Bank erhält von der Depotbank des Mitarbeiters automatisch eine Zweitschrift über alle getätigten Geschäfte und kann diese mit etwaigen Insider-Informationen, die im eigenen Haus vorliegen, abgleichen.

3.3 Insider-Geschäfte Verfügt eine Person über Insider-Informationen und nutzt diese zum Erwerb oder der Veräußerung eines Finanzinstruments, so liegt gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 1 MAR ein InsiderGeschäft vor. Gleiches gilt gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 MAR für die Stornierung von Aufträgen – dies stellt eine Neuerung dar, welche durch die MAR eingeführt wurde. Beispiel: Herr Schreyer gibt eine limitierte Kauforder (Gültigkeit: 30 Tage) für die X-AG auf. Da die Order mit einem Limit ausgestattet ist, welches deutlich unter dem aktuellen Marktpreis liegt, wird die Order zunächst nicht ausgeführt. Einige Tage später erfährt Herr Schreyer von einem Freund, welcher in einer leitenden Funktion in der X-AG beschäftigt ist, dass ein wichtiger Großauftrag unerwartet nicht zustande kommen und die X-AG dies in Kürze bekannt geben wird. Herr Schreyer storniert daraufhin seine Kauforder ersatzlos. Obgleich de facto kein Handelsgeschäft zustande gekommen ist, hat Herr Schreyer eine Insider-Information für das Stornieren einer Order ausgenutzt. Dies stellt ein verbotenes Insider-Geschäft dar. Insider-Geschäfte zu tätigen, der Versuch hierzu oder auch Dritten Insider-Geschäfte zu empfehlen oder diese anzustiften, Insider-Geschäfte zu tätigen, ist verboten (Art. 14 MAR).

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

3.4 Insider-Listen nach MAR in Instituten In allen Fällen, in denen in einem Institut Insider-Informationen vorliegen, ist eine Liste derjenigen Mitarbeiter zu führen, welche Kenntnis über die Insider-Information haben. Dies ergibt sich bereits aus der Verpflichtung der Überwachung der persönlichen Geschäfte gemäß Art. 29 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 zur Konkretisierung der MiFID II. Demnach müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass die Mitarbeiter, die Zugang zu Insider-Informationen haben, keine nach der MAR verbotenen Geschäfte abschließen. Im dem Fall, dass in einer Bank bspw. Insider-Informationen bezüglich eines Emittenten aus der Kreditbeziehung zu diesem vorliegen, genügt damit eine einfache Liste mit den involvierten Mitarbeitern und die Einrichtung wirksamer Vorkehrungen zur Verhinderung von Insider-Geschäften. Einen – in der Praxis wichtigen und aufwändigen – Sonderfall stellt die Führung einer Insider-Liste gemäß Art. 18 MAR dar. Demnach sind Emittenten und alle in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnden Personen verpflichtet, eine Insider-Liste zu führen, deren detailliertes Format in einer gesonderten Durchführungsverordnung22 vorgegeben wird. Neben dem Emittenten selbst sind alle in seinem Auftrag oder für seine Rechnung handelnden Personen von dieser Vorschrift betroffen. Bei Banken ist dies regelmäßig der Fall, wenn über normale Bankdienstleistungen hinaus Dienstleistungen, wie z.B. M&A-Beratung oder Begleitung von Kapitalmaßnahmen, erbracht werden.23 Dabei kann die Insider-Liste in einen Abschnitt mit permanenten Insidern (Vorlage 2) und ereignisbasierten Insider-Informationen (Vorlage 1, vgl. Abbildung 2) unterteilt werden. So bietet sich in der Praxis bspw. das Führen einer permanenten Insider-Liste u.a. für die Compliance-Funktion an, an die alle Insider-Informationen zu melden sind. Die Mitarbeiter aus den Fachbereichen werden jeweils in geschäftsspezifischen oder ereignisbasierten Insider-Listen dokumentiert. Die Insider-Liste ist ferner rasch zu aktualisieren und auf Ersuchen der zuständigen Behörde zur Verfügung zu stellen.

22 23

EU 2016/347, Anhang I. Vgl. Bafin, FAQ zur Insiderliste; Frage II.4 in der 3. Version vom 13.01.2017; abrufbar unter www.bafin.de.

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Abbildung 2: Insider-Liste gemäß Anhang I der Durchführungsverordnung (EU) 2016/347 Insider-Liste Datum und Uhrzeit der Einrichtung dieses Abschnitts: [JJJ-MM-TT, hh:mm UTC (koordinierte Weltzeit)] Datum und Uhrzeit (letzte Änderung): [JJJ-MM-TT, hh:mm UTC] Datum der Übermittlung an die zuständige Behörde: [JJJ-MM-TT] Vorname(n) des Insiders

Nachname(n) des Insiders

Geburtsname(n) des Insiders (falls abweichend)

Dienstliche Name und Telefonnu mmer(n) Anschrift des (Durchwahl Unternehmens und mobil)

Funktion und Grund für die Einstufung als Insider

[Text]

[Text]

[Text]

[Nummern (kein Leerzeichen)]

[Text mit Beschreibung von Rolle, Funktion und Grund für die Aufnahme in die Liste]

[Anschrift]

Erlangung des Zugangs (Datum und Uhrzeit der Erlangung des Zugangs zu InsiderInformationen)

Ende (Datum und Uhrzeit der Beendigung des Zugangs zu InsiderInformation

Geburtsdatum

Nationale Identifikationsnummer (falls zutreffend)

Private Telefonnumm ern (Festnetz und mobil)

Vollständige Privatanschrift

[JJJ-MM-TT, hh:mm UTC]

[JJJ-MM-TT, hh:mm UTC]

[JJJ-MM-TT]

[Nummer und/oder Text]

[Nummern (kein Leerzeichen)]

[Text: genaue Privatanschrift des Insiders]

Die äußerst granularen Vorgaben stellen den Praktiker vor eine ganze Reihe von Herausforderungen,24 von denen zwei etwas näher ausgeführt werden sollen: • Im Gegensatz zu der alten nationalen Regelung ist ein Verweis auf andere Systeme nicht zulässig. Dies bedeutet, dass auch hinsichtlich solcher privater Daten wie Geburtsdatum und privater Telefonnummer nicht auf andere Systeme, wie bspw. das Personalstammdatensystem, verwiesen werden kann, sondern alle Daten direkt in der jeweiligen Insider-Liste zu speichern sind. Hierdurch werden in den ComplianceAbteilungen in einem bedeutenden Umfang persönliche Daten verarbeitet und gespeichert – mit den entsprechenden datenschutzrechtlichen Konsequenzen.

24

270

Vgl. Simons, Die Insiderliste, in: CCZ – Corporate Compliance Zeitschrift, 5/2016, S. 221231.

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

• Die Erfassung der Daten und Uhrzeiten im Format der Koordinierten Weltzeit (Coordinated Universal Time (UTC)) birgt darüber hinaus eine enorme Fehleranfälligkeit. Von der mitteleuropäischen Zeit zur Koordinierten Weltzeit gelangt man, indem man von der mitteleuropäischen Sommerzeit zwei und von der Winterzeit eine Stunde abzieht. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es unter Umständen zu Veränderungen des Datums kommen kann. So entspricht die Angabe „1.30 Uhr MESZ am 01.09.2017“ in UTC der Angabe „2017-08-31; 23:30 UTC“. Alle Mitarbeiter, welche in das Insider-Verzeichnis aufgenommen werden, sind ferner über ihre damit verbunden Pflichten zu belehren (Art. 18 Abs. 2 MAR). Diese Belehrung muss zwar nur einmal erfolgen,25 ist allerdings vom betroffenen Mitarbeiter schriftlich anzuerkennen.

3.5 Marktsondierungen Durch Art. 11 MAR erstmals gesetzlich geregelt wird die Marktsondierung. Sinn und Zweck einer Marktsondierung besteht darin, dem Emittenten oder Verkäufer von Finanzinstrumenten Sicherheit über die Durchführbarkeit eines geplanten Geschäfts zu verschaffen, indem die Nachfrage nach diesen Finanzinstrumenten durch gezielte Investorenansprache eruiert wird. Zu diesem Zweck wird es dem offenlegenden Marktteilnehmer unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, Informationen mit potenziellen Investoren auszutauschen. Dies gilt selbst dann, wenn es sich bei diesen Informationen um Insider-Informationen handelt, ohne dass eine unrechtmäßige Offenlegung vorliegen würde. Dem entsprechend definiert Art. 11 Abs. 1 MAR die Marktsondierung als • Übermittlung von Informationen • vor der Ankündigung eines Geschäfts • durch den Emittenten/Zweitanbieter/einen Dritten im Auftrag eines Emittenten oder Zweitanbieters • an einen oder mehrere potenzielle Anleger, • um das Interesse von potenziellen Anlegern an einem möglichen Geschäft und dessen Bedingungen abzuschätzen.

25

Vgl. Bafin, FAQ zur Insiderliste; Frage III.3 in der 3. Version vom 13.01.2017; abrufbar unter www.bafin.de.

271

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Alexander Fleischmann/André Krause

Dies scheint vor dem Hintergrund der vorstehend erläuterten Regelungen (Abschnitt 3.2) eigentlich nur problematisch, wenn bei der Investorenansprache Insider-Informationen weitergegeben werden. Denn nur die Offenlegung von Insider-Informationen ist gemäß Art. 10 MAR regelmäßig unrechtmäßig und somit gemäß Art. 14 MAR verboten. Die Weitergabe von Informationen, die den Tatbestand der Insider-Information nicht erfüllen, ist dagegen grundsätzlich erlaubt. Dies würde die Schlussfolgerung nahe legen, dass es sich bei Art. 11 MAR um eine Safe-Harbour-Regelung handelt, die immer nur dann einschlägig ist, wenn Insider-Informationen vorliegen und bei der Marktsondierung weitergegeben werden sollen. Dies ist indes nicht der Fall. Vielmehr sind die umfangreichen Regeln und Vorgaben des Art. 11 MAR und der Delegierten Verordnung (EU) 2016/960 auch dann zu beachten, wenn bei der Marktsondierung keine Insider-Informationen weitergegeben werden.26

3.5.1

Anwendungsbereich

Gleichwohl kann das nicht dazu führen, dass jede Kommunikation mit einem potenziellen Investor als Marktsondierung zu behandeln ist. Einschränkungen für den grundsätzlich weiten Anwendungsbereich können sich einerseits aus dem Tatbestand der Marktsondierung gemäß Art. 11 Abs. 1 MAR und andererseits aus dem Anwendungsbereich der MAR gemäß Art. 2 ergeben, wobei die nachfolgenden Ausführungen lediglich eine kurze Übersicht über diesbezüglich mögliche Überlegungen geben sollen. Eine endgültige Entscheidung über die Frage, ob eine geplante Investorenansprache unter das Regelungsregime der MAR fällt oder nicht, kann in Anbetracht der Vielzahl verschiedenster Sachverhalte und Wertungsmöglichkeiten nur aufgrund eingehender Prüfung und einzelfallbezogen erfolgen.

3.5.1.1

Tatbestandsmerkmale Art. 11 MAR

Einerseits enthält die Definition des Art. 11 MAR eine zeitliche Komponente. Erfasst werden nur Informationen, die vor der Ankündigung eines Geschäfts übermittelt wer-

26

272

Dies ergibt sich einerseits aus der in Art. 11 Abs. 3 MAR geregelten Pflicht, wonach der Marktteilnehmer vor Durchführung der Marktsondierung entscheiden soll, ob die Marktsondierung die Offenlegung von Insider-Informationen erfasst, oder nicht. Dass der europäische Gesetzgeber auch die Weitergabe von Nicht-Insider-Informationen regulieren wollte, ergibt sich ferner daraus, dass er für diesen Fall im Anhang II zur Delegierten Verordnung 2016/960 eigens ein Muster für die schriftlichen Protokolle und Vermerke vorgibt, die anzufertigen sind, wenn es sich bei den offengelegten Informationen nicht um Insider-Informationen handelt.

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

den. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass nach der Ankündigung eines Geschäfts grundsätzlich keine Marktsondierungen mehr vorliegen können. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Kommunikation mit einem Investor ab diesem Zeitpunkt regelmäßig nicht mehr der Abschätzung seines Interesses an einem möglichen Geschäft, sondern dem Abschluss des konkret angekündigten Geschäfts dient.

3.5.1.2

Anwendungsbereich der MAR

Weitere Einschränkungen können sich aus dem Anwendungsbereich der MAR ergeben. Die MAR gilt – wie eingangs beschrieben – gemäß Art. 2 nur für Finanzinstrumente, die an einem Handelsplatz gehandelt werden (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis c MAR) und für Finanzinstrumente, deren Kurs oder Wert vom Kurs oder Wert eines handelsplatzgehandelten Finanzinstruments abhängt oder sich darauf auswirkt (Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MAR). Auch die Definition des Anwendungsbereichs hat erhebliche Auswirkungen auf das Vorliegen einer Marktsondierung. Transaktionen von Erstemittenten, die bislang keine Finanzinstrumente (die unter den Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 MAR fallen) emittiert haben, fallen grundsätzlich nicht unter den Anwendungsbereich der MAR und somit auch nicht unter das Regime der Marktsondierung. Die zu emittierenden Finanzinstrumente von Emittenten, deren Finanzinstrumente unter den Anwendungsbereich fallen, eröffnen dann den Anwendungsbereich, wenn diese neuen Finanzinstrumente unter Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MAR fallen. Der Kurs oder Wert der neuen Finanzinstrumente muss also vom Kurs oder Wert der bereits emittierten und an einem Handelsplatz gehandelten Finanzinstrumente abhängen oder sich darauf auswirken. Letzteres wird bei Aktienemittenten, die erstmalig eine Anleihe begeben, meist ausgeschlossen sein, da der Aktienkurs regelmäßig nicht vom Kurs oder Wert der neu emittierten Anleihe abhängt. Dagegen wird der Kurs oder Wert einer neuen Anleihe häufig Auswirkungen auf den Kurs oder Wert bereits emittierter Anleihen haben.27

3.5.1.3

Sonderfall Block Trades

Art. 11 der MAR definiert als Marktsondierung darüber hinaus die Übermittlung von Informationen durch den Zweitanbieter eines Finanzinstruments, der das betreffende Finanzinstrument in einer Menge oder mit einem Wert anbietet, aufgrund dessen sich das

27

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz dürften Emissionen von Daueremittenten bilden, weil neue Emissionen hier i.d.R. keinen Einfluss auf den Kurs/Wert der Altemissionen haben, solange es nicht zu Veränderungen der Konditionen kommt.

273

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Geschäft vom üblichen Handel unterscheidet, wobei es außerdem auf einer Verkaufsmethode beruhen muss, die auf der Vorabbewertung des potenziellen Interesses möglicher Anleger beruht. Daraus ergibt sich, dass jedenfalls geplante Geschäfte, bei denen die Kauf- oder Verkaufsentscheidung noch nicht endgültig getroffen ist und diese Entscheidung vom Investoreninteresse abhängt, in den Anwendungsbereich fallen. Ist eine Kauf- oder Verkaufsentscheidung dagegen final getroffen und wird nun marktschonend durch Ansprache von Investoren abgearbeitet, muss grundsätzlich nicht von einer Marktsondierung ausgegangen werden.

3.5.2

Ablauf der Marktsondierung

Wenn gemäß den vorstehenden Ausführungen der Anwendungsbereich der MAR eröffnet ist und die Tatbestandsmerkmale des Art. 11 Abs. 1 MAR gegeben sind, ergeben sich weitreichende Dokumentationspflichten (Art. 11 Abs. 3 MAR) sowie Informationspflichten (Art. 11 Abs. 5 MAR) für den die Information offenlegenden Marktteilnehmer: • Zunächst muss der offenlegende Marktteilnehmer vor der Kontaktaufnahme mit den anzusprechenden Investoren prüfen, ob bei der geplanten Ansprache Insider-Informationen offengelegt werden sollen, oder nicht. Er muss das Ergebnis und die Gründe hierfür schriftlich festhalten und der Aufsichtsbehörde diese Aufzeichnung auf Verlangen herausgeben (Art. 11 Abs. 3 MAR). • Anschließend muss der offenlegende Marktteilnehmer den Investor kontaktieren und vor Übermittlung der eigentlichen Information dessen Einverständnis an der Teilnahme der Marktsondierung einholen. Signalisiert der Investor dieses Einverständnis, ist er (entsprechend der Einschätzung des offenlegenden Marktteilnehmers) darüber zu informieren, ob er eine Insider-Informationen erhalten wird, und muss über die damit verbundenen Restriktionen (Verbot von Insider-Geschäften und Verbot der Weitergabe der Insider-Information) unterrichtet werden (Art. 11 Abs. 5 MAR). Erst dann darf die eigentliche Information weitergegeben werden, um das Interesse des Investors an dem Geschäft zu erfragen. Der gesamte Gesprächsverlauf ist (inklusive der offengelegten Information, der Identität der am Gespräch beteiligten natürlichen und juristischen Personen, deren Kontaktdaten sowie Datum und Uhrzeit) zu dokumentieren.28

28

274

Details inklusive Muster für anzufertigende Protokolle sind in der Delegierten Verordnung 2016/960 geregelt.

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

• Schließlich hat der offenlegende Marktteilnehmer – sofern die Marktsondierung aus seiner Sicht eine Insider-Informationen erhält – den angesprochenen Investor zu informieren, sobald die Information ihre Eigenschaft als Insider-Informationen verloren hat (Art. 11 Abs. 6 MAR). Auch diese neuerliche Information ist zu dokumentieren und der Aufsichtsbehörde auf Verlangen vorzulegen.

3.5.3

Marktsondierung aus Sicht des angesprochenen Investors

Diese umfangreichen Informations- und Dokumentationspflichten des offenlegenden Marktteilnehmers entbinden den Investor als Informationsempfänger nicht von ihm auferlegten zusätzlichen Pflichten. So muss der Investor gemäß Art. 11 Abs. 7 MAR eine eigene Einschätzung darüber vornehmen, ob er Insider-Informationen erhalten hat oder ob die Information ihren Charakter als Insider-Information ggf. verloren hat. Die European Securities and Markets Authority (ESMA) hat in einer Leitlinie29 u.a. definiert, anhand welcher Umstände der informationsempfangende Investor beurteilen kann, ob die erhaltenen Informationen als Insider-Informationen anzusehen sind. Ferner enthält die ESMA-Leitlinie weiterführende Regelungen dazu, wie sich die Informationsempfänger in diesem Fall zu verhalten haben, um die Insider-Verbote, insbesondere die unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen, zu beachten, und stellt weiterführende Dokumentationspflichten auch für den informationsempfangenden Investor auf.

4 Vorbeugung, Aufdeckung und Meldung von Marktmissbrauch als Aufgabe von Wertpapierfirmen 4.1 Erforderliche Regeln, Systeme und Verfahren Mit Blick auf die einzurichtenden Verfahren wird in Art. 16 MAR hinsichtlich der Anforderungen zwischen Marktbetreibern (Abs. 1) und Vermittlern (Abs. 2) unterschieden.

4.1.1

Marktbetreiber

Betreiber von Märkten und Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben, sind verpflichtet, wirksame Regeln, Systeme und Verfahren einzurichten, welche der Vorbeu-

29

ESMA/2016/1477 DE.

275

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gung und Aufdeckung von Insider-Geschäften und Marktmanipulation (sowie jeweils dem Versuch hierzu) dienen. In aller Regel sind damit auch IT-gestützte Verfahren vonnöten, welche die Geschäfte auswerten und auf Basis bestimmter Parameter verdächtige Geschäfte ausgeben, die dann näher geprüft werden können. Liegt ein begründeter Verdacht vor, so sind diese Geschäfte, einschließlich deren Stornierung oder Änderung, sind unverzüglich an die zuständige Behörde zu melden (vgl. Abschnitt 4.2).

4.1.2

Vermittler

Wer gewerbsmäßig Geschäfte vermittelt oder ausführt benötigt wirksame Regeln, Systeme und Verfahren zur Aufdeckung und Meldung verdächtiger Aufträge und Geschäfte. Im Gegensatz zu den Betreibern sind folglich keine Verfahren zur Vorbeugung nötig. Bei begründetem Verdacht, dass ein Geschäft eine Marktmanipulation oder Insider-Handel oder den Versuch hierzu darstellt, ist dieses ebenfalls unverzüglich an die zuständige Behörde zu melden. Während insbesondere Vermittler in der Vergangenheit oftmals keine eigenen Systeme dieser Art eingerichtet hatten, haben sich seit Inkrafttreten der MAR im Sommer 2016 entsprechende Anbieter von Systemen am Markt etabliert.

4.2 Verdachtsmeldung an die Aufsicht Im Zuge der Harmonisierung der europäischen Gesetzgebung wurde auch das Verfahren der Verdachtsmeldungen mit Art. 32 MAR i.V.m. der Delegierten Verordnung (EU) 206/957 europaweit einheitlich geregelt. So sind insbesondere der Aufbau und Inhalt der Verdachtsmeldungen (Suspicious Transaction and Order Reports (STOR)) im Detail vorgegeben. Die Bafin hat ein der Delegierten Verordnung (EU) 2016/957 entsprechendes Muster veröffentlicht.30 Das Formular ist entsprechend zu befüllen und über das Portal der Melde- und Veröffentlichungsplattform (MVP) der Bafin (Fachverfahren „Verdachtsmeldungen nach MAR“) auf elektronischem Weg einzureichen.

30

276

Abrufbar auf der Bafin-Webseite, Service, MVP-Portal, Verdachtsmeldungen nach MAR (https://www.bafin.de/DE/DieBaFin/Service/MVPportal/Verdacht_MAR/ verdacht_mar_artikel.html?nn=7845910).

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

4.3 Safe-Harbour-Regelungen für Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen Für die Durchführung von Rückkaufprogrammen und Kursstabilisierungsmaßnahmen hat der Verordnungsgeber in Art. 5 MAR Ausnahmen (Safe-Harbour-Regelungen) geschaffen. Sofern die entsprechenden Bedingungen eingehalten werden, gelten die Art. 14 (Verbot des Insider-Geschäfte und der unrechtmäßigen Offenlegung von InsiderInformationen) und 15 (Verbot der Marktmanipulation) der MAR nicht. Die einzuhaltenden Bedingungen und deren jeweilige Rechtsgrundlagen werden im Folgenden kurz dargestellt.

4.3.1

Rückkaufprogramme

Beim Handel mit eigenen Aktien im Rahmen eines Rückkaufprogramms gelten die Verbote der Art. 14 und 15 nicht, wenn alle nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sind: • die Einzelheiten des Programms werden vor Beginn des Handels vollständig offengelegt; • die Geschäfte werden der zuständigen Behörde gemeldet und anschließend veröffentlicht; • in Bezug auf Kurs und Volumen der Geschäfte werden angemessene Grenzen eingehalten; • das Rückkaufprogramm erfüllt die Anforderungen an den Zweck gemäß Art. 5 Abs. 2 MAR. Die Delegierte Verordnung (EU) 2016/1052 enthält detaillierte Vorgaben bezüglich der Bekanntgabe- und Meldepflichten (Art. 2), Handelsbedingungen (Art. 3) und -beschränkungen (Art. 4).

4.3.2

Stabilisierungsmaßnahmen

Der Handel von Wertpapieren oder Derivaten zur Stabilisierung des Kurses von Wertpapieren ist gemäß Art. 5 Abs. 4 MAR an die folgenden Voraussetzungen geknüpft: • die Dauer der Stabilisierungsmaßnahme ist begrenzt; • die relevanten Informationen werden offengelegt und der zuständigen Behörde gemeldet; • es werden angemessene Grenzen in Bezug auf den Kurs eingehalten.

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Alexander Fleischmann/André Krause

Ferner enthält auch hier die Delegierte Verordnung (EU) 2016/1052 entsprechende Detailvorschriften bezüglich des Stabilisierungszeitraumes (Art. 5), der Bekanntgabeund Meldepflichten (Art. 6) sowie der Kurs- (Art. 7) und ergänzenden Bedingungen (Art. 8).

4.3.3

Meldungen an die zuständigen Behörden

Wie vorstehend aufgezeigt sind sowohl bei der Durchführung von Rückkaufprogrammen als auch bei Stabilisierungsmaßnehmen Meldungen an die zuständigen Behörden eines jeden Handelsplatzes erforderlich, an dem die entsprechenden Wertpapiere und/oder Derivate zum Handel zugelassen sind bzw. die entsprechenden Transaktionen durchgeführt werden (Art. 2 Abs. 2 und 6 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2016/1052). Für die Meldungen in Deutschland stellt die Bafin über das MVP ein entsprechendes Fachverfahren bereit. Die Meldung hat mittels Vorlagen im Excel-Format zu erfolgen.31

5 Offenlegungsvorschriften 5.1 Ad-hoc-Publizität Emittenten sind gemäß Art. 17 MAR verpflichtet, alle Insider-Informationen, die sie in ihrer Eigenschaft als Emittent betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen. Die Spezialvorschriften der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 geben zudem vor, dass diese Informationen unentgeltlich, zeitgleich in der gesamten Europäischen Union (EU) und nichtdiskriminierend an eine möglichst breite Öffentlichkeit bekannt gegeben werden. Dies erfolgt in der Praxis im Regelfall über Ad-hoc-Mitteilungen. Eine Bekanntgabe von Insider-Informationen lediglich auf der Homepage des Emittenten genügt hingegen den Anforderungen grundsätzlich nicht.

31

278

Abrufbar auf der Bafin-Webseite, Service, MVP-Portal, Aktienrückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen (https://www.bafin.de/DE/DieBaFin/Service/MVPportal/ RueckSta5/ruecksta5_node.html).

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

Aufschub Unter gewissen Umständen gestattet Art. 17 Abs. 4 MAR einen Aufschub der Veröffentlichung von Insider-Informationen. Dies ist der Fall, wenn • die unverzügliche Veröffentlichung der Insider-Information geeignet ist, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen; • der Aufschub der Veröffentlichung nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen; • der Emittent die Geheimhaltung der Insiderinformationen sicherstellen kann. Darüber hinaus ist in solch einem Fall die zuständige Behörde unmittelbar nach der Veröffentlichung über den Aufschub zu informieren. Dabei ist schriftlich zu erläutern, inwieweit die genannten Bedingungen erfüllt waren. Für Kredit- und Finanzinstitute existiert zudem in Art. 17 Abs. 5 MAR eine weitere Möglichkeit des Aufschubs, wenn die Stabilität des Finanzsystems durch die Veröffentlichung der Insider-Information gefährdet sein könnte.

5.2 Directors' Dealings Eine erhebliche Erweiterung bringt die Neuregelung der MAR bezüglich der Vorschriften zum Umgang mit Eigengeschäften von Führungskräften. Einerseits sind durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs (Abschnitt 1) nunmehr auch Führungskräfte von Freiverkehrsemittenten und mit diesen eng verbundene Personen von der Meldepflicht betroffen, andererseits unterfallen nicht mehr nur Eigengeschäfte in Aktien, sondern auch sämtliche Eigengeschäfte mit Anteilen oder Schuldtiteln der Meldepflicht.

5.2.1

Betroffener Personenkreis

Betroffen sind zunächst Führungspersonen i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Nr. 25 MAR. Dies sind neben Organmitgliedern (Vorstände, Aufsichtsräte, Geschäftsführer) auch höhere Führungskräfte, die, ohne Organmitglieder zu sein, regelmäßig Zugang zu Insider-Informationen haben und die gleichzeitig befugt sind, unternehmerische Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen und Geschäftsperspektiven des Emittenten zu treffen.

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Alexander Fleischmann/André Krause

Letzteres ist insbesondere bei Generalbevollmächtigten möglich, aber nicht zwingend der Fall. Denn die unternehmerische Entscheidung muss von der Führungsperson wohl alleine getroffen werden können, was in der Praxis selten sein dürfte. Betroffen sind ferner mit diesen Führungspersonen eng verbundene Personen. Dies sind gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 26 MAR zunächst Ehepartner und eingetragene Lebenspartner, unterhaltsberechtigte Kinder und Verwandte, die zum Zeitpunkt des fraglichen Geschäfts seit mindestens einem Jahr dem Haushalt der Führungspersonen angehören. Darüber hinaus können eng verbundene Personen aber auch juristische Personen sein, wenn sie von der Führungsperson oder einer mit dieser eng verbundenen natürlichen Person kontrolliert werden. Von einer Kontrolle in diesem Sinn ist auszugehen, wenn die Führungsperson oder die mit ihr eng verbundene Person an der juristischen Person zu 50% oder mehr am Kapital, den Stimmrechten oder den Gewinnanteilen beteiligt ist.32

5.2.2

Meldepflichtige Geschäfte

Die MAR selbst regelt in Art. 19 Abs. 7, was zu den meldepflichtigen Eigengeschäften gehört. Eine Konkretisierung erfolgt zusätzlich durch die Delegierte Verordnung (EU) 2016/522, die in Art. 10 Abs. 2 eine detaillierte Auflistung enthält. Wenig überraschend sind alle denkbaren Lebenssachverhalte von der Meldepflicht erfasst, die auf einem aktiven Willensentschluss der betroffenen Personen beruhen. Überraschen mag hingegen einerseits, dass auch Geschäfte, die von einem Vermögensverwalter getätigt werden, eine Meldepflicht auslösen, selbst wenn der Vermögensverwalter eigenes Ermessen ausübt, und andererseits, dass auch passive Erwerbsvorgänge wie die Entgegennahme von Schenkungen oder Erbschaften eine Meldepflicht auslösen.33

5.2.2.1

Meldefrist

Deutlich verkürzt wurde die Frist zur Abgabe der Meldung. Diese hat nunmehr unverzüglich und spätestens drei Geschäftstage nach dem Datum des Geschäfts zu erfolgen. Die Meldung hat grundsätzlich sowohl gegenüber dem Emittenten als auch gegenüber der Bafin zu erfolgen. Innerhalb derselben Frist hat der Emittent gemäß Art. 19 Abs. 3 MAR das gemeldete Geschäft zu veröffentlichen.

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33

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Bafin, FAQ zu eigenen Geschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Version 9, Frage 9 Art. 10 Abs. 2 Buchst. k der Delegierten Verordnung (EU) 2016/522.

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Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

In der Praxis bieten verschiedene Unternehmen die Veröffentlichung als Dienstleistung an.

5.2.2.2

Schwellenwert

Gemäß Art. 19 Abs. 8 MAR gilt die Meldepflicht nur für Geschäfte, die getätigt werden, nachdem innerhalb eines Kalenderjahres ein Gesamtvolumen von 5.000 EUR erreicht worden ist, wobei für jede Führungspersonen und jede mit ihr eng verbundene Person ein eigener Schwellenwert gilt. Die Meldepflicht gilt für dasjenige Geschäft, das zur Überschreitung des Schwellenwerts führt und für alle folgenden Geschäfte eines Kalenderjahres. Zu beachten ist, dass der Schwellenwert an der Transaktionsvolumen geknüpft ist. Daraus ergibt sich, dass Käufe nicht mit Verkäufen verrechnet werden dürfen, sondern dass die jeweiligen Geschäftsvolumina auch von Kauf und Verkauf bei der Ermittlung des Schwellenwerts addiert werden müssen.

5.2.2.3

Meldeformular

Für die eigentliche Meldung sieht der Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2016/523 ein Formular mit umfangreichen Erläuterungen vor.

5.2.3

Handelsverbot

Für Führungspersonen (nicht aber für mit diesen eng verbundene Personen) gilt darüber hinaus für einen Zeitraum von 30 Kalendertagen vor der Ankündigung eines Jahresabschlussberichts oder Zwischenberichts, zu dessen Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist, gemäß Art. 19 Abs. 11 MAR ein Handelsverbot in den Finanzinstrumenten des Emittenten.

5.2.4

Organisations- und Informationspflichten

Ferner gelten sowohl für den Emittenten als auch für die Führungspersonen bestimmte Organisations- und Informationspflichten. So ist der Emittent verpflichtet, Führungspersonen über die diesem obliegenden Pflichten schriftlich in Kenntnis zu setzen. Korrespondierend damit ist die Führungsperson ihrerseits verpflichtet, die mit ihr in enger Beziehung stehenden Personen von deren Verpflichtungen schriftlich in Kenntnis zu setzen und von dieser Belehrung eine Kopie aufzubewahren. Der Emittent hat darüber hinaus intern eine Liste der Führungspersonen sowie der mit diesen eng verbundenen Personen zu führen und zu aktualisieren.

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Alexander Fleischmann/André Krause

6 Mögliche Sanktionen Die Sanktionsmöglichkeiten für Verstöße gegen die Verbote des neuen Marktmissbrauchsrechts wurden dramatisch verschärft.

6.1 Strafrechtliche Sanktionen Dem Grunde nach unverändert bleiben bestimmte Verstöße gegen das Insider-Handelsverbot (§ 119 Abs. 3 WpHG) und gegen das Verbot der Marktmanipulation (§ 119 Abs. 1 WpHG) Straftaten, wobei im letztgenannten Fall eine Kurs- oder Preiseinwirkung Voraussetzung für die Strafbarkeit ist. Hervorzuheben ist die drastische Strafverschärfung für Täter, die in Ausübung ihrer Tätigkeit für eine Finanzaufsichtsbehörde, ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, eine Börse oder einen Betreiber eines Handelsplatzes gemäß § 119 Abs. 5 WpHG handeln. In diesem Fall beträgt der Strafrahmen ein Jahr bis zehn Jahre. Die Mindestfreiheitsstrafe beträgt demnach ein Jahr, eine Geldstrafe ist ausgeschlossen. Durch diese Einordnung der Straftat als Verbrechen ergeben sich über die Sanktionshöhe hinaus auch prozessuale Folgen. Insbesondere ist das Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit34 und unter Auflagen und Weisungen35 ausgeschlossen. Ferner erscheinen in der Praxis weitere Auswirkungen insbesondere auf die gesetzlich geforderte Zuverlässigkeit von Mitarbeitern im Wertpapiergeschäft36 sowie unter Gesichtspunkten der Geldwäschepräventionen37 denkbar. Strafrechtlich nicht sanktioniert sind dagegen Verstöße gegen die Pflicht zur Ad-hocPublizität, Verstöße gegen die Pflicht, Insider-Listen zu führen, und Verstöße gegen die Vorschriften des Directors` Dealings.

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Gemäß § 153 StPO. Gemäß § 152a StPO. Zur Zuverlässigkeit von Anlageberatern, Vertriebsbeauftragten, Vertriebsmitarbeitern und Mitarbeitern in der Finanzportfolioverwaltung vgl. § 87 WpHG i.V.m. § 6 WpHGMaAnzV. Vgl. § 1 Abs. 20 i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 5 GwG.

MiFID-II.book Seite 283 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Marktmissbrauch aus Compliance- und Praxissicht

6.2 Bußgeldbewehrung Verstöße gegen das Insider-Handelsverbot und das Verbot der Marktmanipulation können darüber hinaus als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Gegenüber natürlichen Personen sind in diesem Fall Bußgelder von bis zu 5 Mio. EUR möglich. Gegenüber juristischen Personen sind Bußgelder von bis zu 15 Mio. EUR oder 15% des Jahresumsatzes möglich. Darüber hinaus besteht eine Verschärfung der Gewinnabschöpfung, indem das Bußgeld bis zum Dreifachen des aus dem Verstoß erzielten wirtschaftlichen Vorteils reichen darf. Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht können gegenüber natürlichen Personen mit Bußgeldern von bis zu 1 Mio. EUR geahndet werden, gegenüber juristischen Personen mit Bußgeldern von bis zu 2,5 Mio. EUR oder 2% des Jahresumsatzes. Auch in diesem Fall kann das Bußgeld darüber hinaus bis zum Dreifachen des aus dem Verstoß erzielten wirtschaftlichen Vorteils reichen. Verstöße gegen die Verpflichtung, Insider-Listen zu führen und gegen die Meldepflichten nach Directors` Dealings können gegenüber natürlichen Personen mit Bußgeldern von bis zu 500.000 EUR geahndet werden. Gegenüber juristischen Personen sind Bußgelder bis zu 1 Mio. EUR oder bis zum Dreifachen des aus dem Verstoß erzielten wirtschaftlichen Vorteils möglich. Die Bafin hat ihre WpHG-Bußgeldleitlinien38 entsprechend aktualisiert, wobei sich die tatsächliche Verwaltungspraxis hinsichtlich der verhängten Bußgelder in der Zukunft erst noch zeigen wird. Schließlich sind über die dargestellten strafrechtlichen Sanktionen und Bußgelder hinaus auch börsenrechtliche Sanktionen möglich, wie bspw. der (temporäre) Ausschluss eines Marktteilnehmers vom Handel.39

7 Fazit Die dargestellten Regelungsbereiche stellen – wie ausgeführt – nur selten eine wirkliche Neuerung gegenüber den bisherigen nationalen Regelungen dar. Gleichwohl haben sich vereinzelt sehr tiefgreifende Veränderungen ergeben, wie der vorstehende Beitrag zeigt.

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Abrufbar unter www.bafin.de. Vgl. § 22 Abs. 2 BörsG.

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MiFID-II.book Seite 284 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Alexander Fleischmann/André Krause

Sowohl hinsichtlich der Regelungstiefe als auch hinsichtlich der möglichen Sanktionen sind die Auswirkungen durchaus bedeutender, als zunächst vielleicht vermutet. Dabei erscheinen weitere Regelungen und Konkretisierungen seitens der Aufsichtsbehörden – insbesondere vor dem Hintergrund der anhalten technischen Weiterentwicklung – durchaus möglich, weshalb die aufsichtsrechtliche Entwicklung aufmerksam verfolgt werden sollte.

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MiFID-II.book Seite 285 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen Florian Dollenz

1 Einleitung 2 Ablauf von M&A-Transaktionen 3 Ad-hoc-Publizität 3.1 Veröffentlichungspflicht 3.2 Tatbestand der Insider-Information 3.2.1 Öffentlich nicht bekannte Information 3.2.2 Präzise Information 3.2.3 Kursrelevante Information 3.3 Ad-hoc-Publizität bei M&A-Transaktionen 3.3.1 Veröffentlichungspflicht von gestreckten Sachverhalten 3.3.2 Aufschub der Veröffentlichung 3.3.2.1 Voraussetzungen für einen Aufschub 3.3.2.2 Voraussetzungen für den Aufschub bei M&A-Transaktionen 4 Insider-Handel 4.1 Tatbestand 4.1.1 Verbotene Transaktionen 4.1.2 Nutzung der Insider-Information 4.2 Legitime Handlungen 4.2.1 Fallgruppen legitimer Handlungen 4.2.2 Legitimes Handeln von juristischen Personen 4.2.3 Legitime M&A-Transaktionen 4.3 Insider-Listen 4.3.1 Verpflichtung zum Führen von Insider-Listen 4.3.2 Eintragungspflichtige Personen 4.3.3 Insider-Listen bei M&A-Transaktionen 4.3.4 Vorabeintragung 5 Marktmanipulation

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MiFID-II.book Seite 286 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

6 Directors’ Dealings 6.1 Meldepflichtige Personen 6.2 Meldepflichtige Transaktionen 6.2.1 Transaktionsgegenstand 6.2.2 Meldeschwellen 6.3 Handelsverbote 6.4 Emittentenpflichten 6.4.1 Zeitrahmen für die Veröffentlichung 6.4.2 Informations- und Dokumentationspflichten 7 Fazit

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1 Einleitung Häufig sind börsennotierte Gesellschaften mit der Frage konfrontiert, ob die InsiderCompliance-Vorschriften eingehalten wurden. Derartige Verstöße erregen regelmäßig öffentliche Aufmerksamkeit.1 Ganz generell wird unter dem Begriff der „Compliance“ ein regelkonformes Verhalten verstanden.2 Bei börsennotierten Gesellschaften wird in der Literatur auch oft von der Insider-Compliance gesprochen.3 Dieser Begriff erfasst die Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Vorschriften. Dazu zählen v.a. die Regelungen über die Ad-hoc-Publizität, den Insider-Handel, die Marktmanipulation, das Führen von Insider-Listen sowie die Publizitätspflichten bei Transaktionen mit Führungskräften und diesen nahestehenden Personen.4 Dieses dynamische Regelungsgebiet macht es erforderlich, dass sich Emittenten rasch auf die geänderten Anforderungen einstellen.5 Erst kürzlich wurde das kapitalmarktrechtliche Regelungsregime umfassend geändert. Die relevanten Vorschriften sind seit dem 03.07.2016 in der Market Abuse Regulation (MAR)6 geregelt.7 Damit wurde ein einheitliches europäisches Regelwerk für den Markt-

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Vgl. etwa Hoffmann/Schieffer, Pflichten des Vorstands bei der Ausgestaltung einer ordnungsgemäßen Compliance-Organisation, NZG 2017, 401 (401). Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) § 23 Rz. 1; Hlawati/Wilfling, in: Kalss/ Kunz (Hg.), Handbuch Aufsichtsrat2 (2016) § 32 Rz. 40. Zahradnik/Brandl, in: Lucius/Oppitz/Pachinger (Hg.), Compliance im Finanzdienstleistungsbereich (2010) § 8 Rz. 3.7.2; Widder, Insiderrisiken und Insider-Compliance bei Aktienoptionsprogrammen für Führungskräfte, WM 2010, 1882 (1882 ff.); Spatz, Umsetzung der Revision der Transparenzrichtlinie, GesRZ 2016, 38 (43). Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 § 23 Rz. 1; Hlawati/Wilfling, in: Kalss/Kunz, AR-HB2 § 32 Rz. 40; Napokoj, in: Kalss/Frotz/Schörghofer (Hg.), Handbuch für den Vorstand (2017) § 13 Rz. 9; Fuchs, in: Fuchs (Hg.), Wertpapierhandelsgesetz² (2016) Einl Rz. 13. Vgl. Hoffmann/Schieffer, Pflichten des Vorstandes bei der Ausgestaltung einer ordnungsgemäßen Compliance-Organisation, NZG 2017, 401 (402). Verordnung (EU) 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.04.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/ EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. L 2014/173, 1. Vgl. dazu etwa von der Linden, Das neue Marktmissbrauchsrecht im Überblick, DStR 2016, 1036 (1036); Krause, Kapitalmarktrechtliche Compliance: neue Pflichten und drastisch verschärfte Sanktionen nach der EU-Marktmissbrauchsverordnung, CCZ 2014, 248 (248).

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Florian Dollenz

missbrauch geschaffen.8 Viele relevante Insider-Compliance-Vorschriften finden sich seitdem in der MAR sowie der zugehörigen Durchführungsverordnung.9 Die Regelungen der MAR sind unmittelbar anwendbar und ersetzten die bisherigen europäischen Richtlinienvorgaben10 sowie die geltenden nationalen Bestimmungen.11 Das neue Regelungsregime solle Emittenten dazu veranlassen, ihre bestehenden Instrumente zur Einhaltung der Insider-Compliance-Vorschriften auf deren Konformität zu überprüfen und ggf. anzupassen.12 Eine besonders hohe Gefahr für die Verletzung von Insider-Compliance-Vorschriften besteht für börsennotierte Gesellschaften bei der Vornahme von M&A-Transaktionen.13 Dies ist v.a. im typischen Ablauf dieser Transaktionen sowie der regelmäßig hohen Anzahl involvierter Personen begründet. Vor dem Hintergrund des neuen Marktmissbrauchsregimes sollen in diesem Beitrag die relevanten Neuerungen der Insider-Compliance-Vorschriften behandelt werden. Dabei soll insbesondere auf die speziellen Erfordernisse, die bei der Vornahme von M&A-Transaktionen beachtet werden müssen, eingegangen werden.

2 Ablauf von M&A-Transaktionen I.d.R. laufen M&A-Transaktion nach demselben Schema ab.14 Der Transaktionsprozess besteht typischerweise nicht nur aus einem einaktigen Vorgang, sondern aus mehreren

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Vgl. etwa Dollenz/Simonishvili, Ad-hoc-Publizität nach der MAR unter besonderer Berücksichtigung von zeitlich gestreckten Sachverhalten, ÖBA 2017, 668 (668); Napokoj, in: Kalss/ Frotz/Schörghofer, Handbuch § 13 Rz. 23. Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 der Kommission v 29.06.2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards hinsichtlich der technischen Mittel für die angemessene Bekanntgabe von Insiderinformationen und für den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 173, 47 (47 ff.). RL 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v 28.01.2003 über InsiderGeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 2003/96, 16. Vgl. etwa Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 669; Mennicke/Jakovou, in: Fuch (Hg.), Wertpapierhandelsgesetz Kommentar2 (2016) § 13 Rz. 18a; Napokoj, in: Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch § 13 Rz. 23; Krause, Kapitalmarktrechtliche Compliance: Neue Pflichten und drastisch verschärfte Sanktionen nach der EU-Marktmissbrauchsverordnung, CCZ 2014, 248 (261). Vgl. Napokoj, in: Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch § 13 Rz. 23. Blassl, Compliance-Fragen in M&A-Prozessen, CCZ 2017, 37 (37). Vgl. etwa Engelhardt, Mergers & Aquisitions (2017) 1 (3); Knauder/Sima, Vertragsvorbereitende und -begleitende Maßnahmen beim Unternehmenskauf, ZUS 2011, 52 (53); Gran, Abläufe bei Mergers & Aquisitions, NJW 2008, 1409 (1409 f.); Schönhaar, Verfahrensabläufe bei Unternehmenskäufen, GWR 2014, 273 (273).

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

aufeinanderfolgenden Zwischenschritten.15 Daher soll ein kurzer Überblick über den Ablauf von M&A-Prozessen gegeben werden. Abbildung 1: Typischer Ablauf einer M&A-Transaktion

Üblicherweise lässt sich der Ablauf von M&A-Transaktionen in mehrere wesentliche Bestandteile gliedern: Ausgangspunkt der Transaktion sind i.d.R. entsprechende Marktanalysen zur Auswahl möglicher Zielgesellschaften und die Entscheidung des Käufers darüber (Screening). Normalerweise werden bereits in dieser Phase entsprechende Berater beigezogen. Nach der ersten Kontaktaufnahme wird meist eine gemeinsame Absichtserklärung (Letter of Intent (LoI) bzw. Memorandum of Understanding (MoU)) – welche u.U. schon wesentliche Elemente des Kaufvertrages beinhaltet – abgeschlossen. Im Zuge dieser Kontaktaufnahme wird regelmäßig auch eine Vertraulichkeitsvereinbarung (Non-Disclosure-Agreement (NDA)) abgeschlossen. Sobald sich Käufer und Verkäufer über die wesentlichen Eckpunkte der Transaktion geeinigt haben, wird üblicherweise eine umfassende Prüfung der Zielgesellschaft durchgeführt (Due-DiligencePrüfung). Dadurch werden potenzielle rechtliche oder finanzielle Risiken aufgezeigt, die dem Käufer einen umfassenden Überblick über die Verhältnisse des Zielunternehmens geben sollen. Die Ergebnisse der Due-Diligence-Prüfung finden dann Eingang in die darauffolgenden Vertragsverhandlungen. Danach wird der Unternehmenskaufvertrag errichtet und unterzeichnet (Signing). Dazu können auch noch weitere Organbeschlüsse erforderlich sein, sofern diese nicht bereits eingeholt worden sind. Nach dem schuldrechtlichen Vertragsabschluss folgt die Erfüllung des Unternehmenskaufvertrags (Closing). Anschließend sind in aller Regel noch Maßnahmen zu treffen, um das erworbene Unternehmen in die Struktur des Erwerbers zu integrieren (Post-Closing-Phase).16 Da der Ablauf von M&A-Transaktionen i.d.R. aus mehreren, zeitlich aufeinander folgenden Zwischenschritten besteht, liegt ein zeitlich gestreckter Sachverhalt vor.17 Aufgrund dieses speziellen Ablaufs besteht eine besonders hohe Gefahr, dass InsiderCompliance-Vorschriften verletzt werden. Denn im Rahmen des zeitlich gestreckten

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Dazu etwa Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 672; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 36 ff. Zum Vorstehenden vgl. etwa Gran, NJW 2008, 1409 ff.; Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15 Rz. 256; Schönhaar, GWR 2014, 273 ff. Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15 Rz. 256; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671.

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Florian Dollenz

Sachverhalts können involvierte Personen Zugang zu nicht öffentlich bekannten Informationen erlangen und dadurch die einzelnen Bedingungen der geplanten Transaktion beeinflussen.18

3 Ad-hoc-Publizität 3.1 Veröffentlichungspflicht Die Ad-hoc-Publizität ist in Art. 17 MAR geregelt. Die Bestimmung sieht eine Veröffentlichungspflicht für Insider-Informationen vor. Durch die Veröffentlichung von Insider-Informationen soll der missbräuchlichen Verwendung dieser Informationen präventiv entgegengewirkt werden.19 Gleichzeitig soll der Anleger- und Funktionsschutz des Kapitalmarkts sichergestellt werden.20 Die Veröffentlichungspflicht gemäß Art. 17 MAR besteht jedoch nicht für alle InsiderInformationen, sondern nur für jene, die den Emittenten unmittelbar betreffen.21 Generell kann zwischen im Tätigkeitsbereich des Emittenten auftretenden sowie von außen kommenden Ereignissen unterschieden werden.22 Zu den Informationen im Tätigkeitsbereich des Emittenten zählen etwa unternehmensinterne Vorgänge, wie etwa Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse.23 Zu den äußeren Ereignissen können etwa die Abgabe eines Übernahmeangebots oder die Durchführung eines Squeeze-outs zählen.24 Nach Art. 17 Abs. 1 MAR hat die Veröffentlichung „so bald wie möglich“ zu erfolgen. Relevante Informationen sollen der Öffentlichkeit so schnell wie möglich als Entschei-

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Vgl. Bühren, Auswirkungen des Insiderhandelsverbots der EU-Marktmissbrauchsverordnung auf M&A-Transaktionen, NZG 2017, 1172 (1172). Vgl. Erwägungsgrund 49 der VO (EU) 529/2014. Vgl. dazu nur Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 670 m.w.N. Vgl. etwa Klöhn, in: KölnKomm WpHG2 § 15 Rz. 77 ff; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 135; von der Linden, DStR 2016, 1038. Vgl. nur Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG6 § 15 Rz. 58 ff. Vgl. nur Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 140. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 140.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

dungsgrundlage zur Verfügung stehen.25 Dies bedeutet, dass die Veröffentlichung von Insider-Informationen nach sorgfältiger Prüfung, aber ohne schuldhaftes Zögern, zu erfolgen hat.26 Den Emittenten verbleibt daher ein Zeitfenster, um komplexe Sachverhalte und die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.27 Gegenüber Dritten offengelegte Informationen sind gemäß Art. 17 Abs. 8 MAR zu veröffentlichen, sofern nicht eine Geheimhaltungspflicht besteht.28 Im Falle einer absichtlichen Weitergabe hat der Emittent die Informationen zeitgleich zu veröffentlichen. Erfolgt die Weitergabe unabsichtlich, muss die Veröffentlichung bloß unverzüglich erfolgen. Emittenten sollen nur zeitgleich veröffentlichen müssen, wenn diese Kenntnis vom Vorliegen einer Insider-Information haben.29

3.2 Tatbestand der Insider-Information Art. 7 MAR definiert den Tatbestand einer offenlegungspflichtigen Insider-Information. Die Neuregelung in der MAR hat die einzelnen Elemente des Tatbestands nicht wesentlich verändert. Die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a bis d MAR kennt vier unterschiedliche Arten von offenlegungspflichtigen Insider-Informationen. Generell kann zwischen Informationen, die den Emittenten oder dessen Finanzinstrumente (a), Warenderivate (b), Emissionszertifikate (c) betreffen, unterscheiden werden sowie Informationen, die Personen betreffen, die Aufträge für Geschäfte in Finanzinstrumente ausführen (d). Der Tatbestand der Insider-Information wird in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a MAR wie folgt definiert: „nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die,

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Klöhn, in: Hirte/Möllers (Hg.), Kölner Kommentar zum WpHG2 (2014) § 15 Rz. 5; Dollenz/ Simonishvili, ÖBA 2017, 669; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 150. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 § 16 Rz. 48; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 669; Lechner/Temmel, in: Temmel (Hg.), Börsegesetz Praxiskommentar (2011) § 48d Rz. 25; Kalss/Hasenauer, Ad-hoc-Publizität bei Beteiligungs- und Unternehmenstransaktionen, GesRZ 2010, 301 (302). So etwa von der Linden, DStR 2016, 1038. Zetsche, Normaler Geschäftsgang und Verschwiegenheit als Kriterien für die Weitergabe transaktionsbezogener Insiderinformationen an Arbeitnehmer, NZG 2015, 817 (822); Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 140; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 669. Zum Vorstehenden vgl. etwa Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 669; Assmann, in: Assmann/ Schneider, WpHG6 § 15 Rz. 115.

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wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.“ Dieser Tatbestand setzt sich aus drei wesentlichen Elementen zusammen: 1. Die Insider-Information darf nicht öffentlich bekannt sein. 2. Es muss sich um eine präzise Information handeln (Kursspezifität). 3. Im Falle des Bekanntwerdens muss die Insider-Information geeignet sein, den Kurs der Finanzinstrumente des Emittenten oder verbundener derivativer Instrumente erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz).

3.2.1

Öffentlich nicht bekannte Information

Das erste Element des Tatbestands betrifft die öffentliche Bekanntheit einer Information. Nur jene Informationen, die nicht bereits öffentlich bekannt sind, können als InsiderInformationen qualifiziert werden.30 Öffentliche Bekanntheit liegt vor, wenn ein unbestimmter Personenkreis bereits von der Information Kenntnis hat. Dabei ist es ausreichend, wenn die Information einem breiten Anlegerpublikum zeitgleich zugänglich ist.31 Umgekehrt ist die Information nicht öffentlich bekannt, wenn bloß ein bestimmter Personenkreis informiert ist, wie z.B. die Teilnehmer einer Hauptversammlung oder einer Pressekonferenz sowie die Mitglieder eines Newsboards.32 Auf die tatsächliche Kenntnis über die Insider-Information kommt es jedoch nicht an.33

3.2.2

Präzise Information

Das zweite Tatbestandsmerkmal sieht vor, dass es sich bei einer Insider-Information um eine „präzise“ Information handeln muss. Eine Definition der präzisen Information fin-

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Vgl. etwa Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 § 16 Rz. 25; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 670; Temmel, in: Althuber/Schopper (Hg.), Handbuch Unternehmenskauf und Due Diligence I2 (2014) 706; Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 13 Rz. 107 ff; Mennicke/ Jakovou, in: Fuchs (Hg.), Wertpapierhandelsgesetz² § 13 Rz. 78 ff. Vgl. etwa Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 81; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 52. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 670; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 26; Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 13 Rz. 111. Vgl. nur Klöhn, Die (Ir-)Relevanz der Wissenszurechnung im neuen Recht der Ad-hocPublizität und des Insiderhandelsverbots, NZG 2017, 1285 (1290 ff.).

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

det sich in Art. 7 Abs. 2 MAR. Demnach ist das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals anhand einer zweistufigen Prüfung festzustellen:34 1. Die Information muss ein Ereignis oder eine Reihe von Umständen betreffen, das bzw. die bereits eingetreten ist bzw. sind oder deren Eintritt vernünftigerweise erwartet werden kann. 2. Darüber hinaus muss die Information so genau sein, dass diese Rückschlüsse auf mögliche Auswirkungen auf den Kurs der Finanzinstrumente, damit verbundener derivativer Instrumente, Waren-Spot-Kontrakte oder Emissionszertifikate zulässt. Zuerst ist zu prüfen, ob das Ereignis oder die Reihe von Umständen eingetreten ist bzw. sind oder vernünftigerweise zu erwarten ist. Keine Auslegungsschwierigkeiten bestehen, wenn ein Ereignis oder eine Reihe von Umständen bereits eingetreten ist bzw. sind. Nicht ganz eindeutig ist auf den ersten Blick jedoch, wann der Eintritt eines Ereignisses oder einer Reihe von Umständen vernünftigerweise erwartet werden kann. Ein Abstellen auf die bloße Eintrittswahrscheinlichkeit ist nicht ausreichend.35 Der Eintritt muss anhand der allgemeinen Lebenserfahrung unter Beiziehung aller ex ante zur Verfügung stehenden Umstände beurteilt werden.36 Zu berücksichtigen sind dabei etwa die finanziellen Verhältnisse des Emittenten sowie langfristige Pläne.37 Durch eine Gesamtwürdigung derartiger Umstände lässt sich feststellen, ob der Eintritt eines zukünftigen Ereignisses oder einer Reihe von Umständen vernünftigerweise erwartet werden darf.38 Im Anschluss daran ist zu prüfen, ob die Information spezifisch genug ist, um Rückschlüsse auf den Kurs zu geben. Das Ereignis muss konkret genug sein, um den Tatbestand zu erfüllen. Zu ungenau sind etwa bloße Gerüchte, Spekulationen oder Vermutungen.39 Die Kursspezifität ist dabei nicht mit der Kursrelevanz gleichzusetzen. Die

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Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 25; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 26. Zum Vorstehenden vgl. nur Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; vgl. auch Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 72b; Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15 Rz. 110; Ritz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 13 Rz. 93 f.; Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 13 Rz. 85 ff. Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 72b; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 72b. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 30; Zahradnik, Anmerkung zu VwGH 29.04.2014, 2012/17/0554, ÖBA 2014, 630 (631); Kalss/Hasenauer, Aktuelles zur Ad-hoc-Publizität bei Beteiligungs- und Unternehmenstransaktionen, GesRZ 2014, 269 (270); Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 13 Rz. 54.

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Information ist ausreichend spezifisch, wenn überhaupt eine Beurteilung der Kursrelevanz vorgenommen werden kann.40

3.2.3

Kursrelevante Information

Insider-Informationen müssen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a MAR dazu geeignet sein, den Kurs von Finanzinstrumenten oder den Kurs von verbundenen derivativen Instrumenten erheblich zu beeinflussen. Die Kursrelevanz ist anhand eines objektiven Maßstabs durch eine Ex-ante-Prognose festzustellen.41 Irrelevant ist dabei, ob es später tatsächlich zu einer Kursveränderung kommt.42 Die MAR geht von der normativen Maßfigur eines verständigen Anlegers aus.43 Dabei handelt es sich um einen professionellen Marktteilnehmer, der alle Informationen nutzt, die sich an einem effizienten Markt auf den Kurs von Finanzinstrumenten auswirken können.44 Eine nachfolgende Kursveränderung kann jedoch ein Indiz für die Kursrelevanz einer Information sein.45 In den Erwägungsgründen zur MAR wird klargestellt, dass bei der Beurteilung der Kursrelevanz die Gesamttätigkeit des Emittenten, die Verlässlichkeit der Informationsquelle und sonstige Marktvariablen zu berücksichtigen sind.46 Bei der Beurteilung der Kursrelevanz sind durch eine Ex-ante-Gesamtbetrachtung alle relevanten Umstände zu berücksichtigen.47

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Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG6 § 13 Rz. 8; Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 13 Rz. 33 ff.; Bunz, Ad-hoc-Pflichten im Rahmen von Compliance Audits, NZG 2016, 1249 (1250). Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 42; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 130; Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 13 Rz. 122; Dollenz/ Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Bunz, NZG 2016, 1251. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 123; Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 13 Rz. 121; Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 13 Rz. 157. Vgl. etwa Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 § 16 Rz. 41; Kalss/Hasenauer, GesRZ 2014, 271; Schopper/Walch, Ad-hoc-Publizität bei zeitlich gestreckten Sachverhalten – zugleich eine Besprechung von VwGH 2012/17/0554, ÖBA 2014, 255 (257); Dollenz/ Simonishvili, ÖBA 2017, 671. Vgl. nur Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 13 Rz. 248 f. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Dollenz, ÖBA 2017, 646; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 76e; ähnlich Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 13 Rz. 204. Vgl. Erwägungsgrund 8 und 14 VO (EU) 596/2014, ABl. L 2014/173, 3; dazu auch Dollenz/ Simonishvili, ÖBA 2017, 671. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Dollenz, ÖBA 2017, 646; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 76e; vgl. auch Klöhn, in: KölnKomm WpHG2 § 13 Rz. 204.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

3.3 Ad-hoc-Publizität bei M&A-Transaktionen 3.3.1

Veröffentlichungspflicht von gestreckten Sachverhalten

Bei M&A-Transaktion kommt jede einzelne Phase für eine Ad-hoc-Publizitätspflicht in Betracht.48 Denn gemäß Art. 7 Abs. 2 MAR kann bereits ein Zwischenschritt, der auf ein bestimmtes zukünftiges Ereignis gerichtet ist, eine präzise Information darstellen. Damit wurde die Veröffentlichungspflicht von Zwischenschritten erstmals ausdrücklich geregelt.49 Art. 7 Abs. 3 MAR stellt klar, dass einzelne Zwischenschritte eines zeitlich gestreckten Sachverhalts, wie z.B. der Abschluss eines LoI im Rahmen einer M&A-Transaktion, eigenständige Insider-Informationen darstellen können.50 Bei jedem einzelnen Zwischenschritt einer M&A-Transaktion muss daher – anhand der oben dargestellten Kriterien – geprüft werden, ob eine veröffentlichungspflichtige Insider-Information vorliegt.51 Der Zwischenschritt darf selbst nicht öffentlich bekannt sein und muss das Kriterium der Kursspezifität sowie Kursrelevanz für sich selbst erfüllen.52 Häufig wird bei einer DueDiligence-Prüfung eine meldepflichtige Insider-Information vorliegen, da sensible Informationen über die Zielgesellschaft ermittelt und dem Erwerbsinteressenten mitgeteilt werden.53 Der Erwägungsgrund 17 zur MAR nennt beispielhaft, wann ein Zwischenschritt für sich genommen als Insider-Information zu qualifizieren ist. Dies ist der Fall, wenn im Zuge von Vertragsverhandlungen vorläufige Bedingungen vereinbart werden oder ein wesent-

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So Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15 Rz. 257; vgl. auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 46, 147. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 671; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 46. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673; vgl. zur alten Rechtslage VwGH 20.04.2016, 2015/02/ 0152 ÖBA 2016, 615 (Dollenz); Fida, in: FS Ch. Nowotny 648 f.; Schopper/Walch, ZFR 2014, 256 f. Vgl. EuGH 28.06.2012, C-19/11, Geltl/Daimler GesRZ 2012, 248 (Oppitz); VwGH 20.04.2016, 2015/02/0152 ÖBA 2016, 615 (Dollenz); VwGH 27.04.2017, Ro 2016/02/0020 ÖBA 2017, 646 (Dollenz); Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673; Fida, in: FS Ch. Nowotny 648 f.; Schopper/Walch, ZFR 2014, 256 f.; Dollenz, Anmerkung zu VwGH 20.04.2016, 2015/ 02/0152, ÖBA 2016, 615 (618 f.); Sindelar, Zwischenschritte als Insiderinformationen – Steht die jüngst dazu vom VwGH aufgestellte Judikatur im Einklang mit der Marktmissbrauchsverordnung?, ÖBA 2015, 483 (489). Vgl. nur Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 674; Dollenz, ÖBA 2016, 619; Schopper/Walch, ZFR 2014, 256 ff. So Bühren, NZG 2017, 1172.

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licher Bestandteil der Vertragsverhandlungen feststeht.54 Die bloße Festlegung von Multiples, Berechnungs- oder Bewertungsmethoden zur Bestimmung des Kaufpreises wird im Regelfall nicht kursspezifisch sein, wenn sich abhängig von den einzelnen Faktoren noch grobe Abweichungen ergeben können.55 Wird durch einen LoI bloß die Vertraulichkeit von Verhandlungen sichergestellt, reicht dies noch nicht für das Vorliegen einer Insider-Information aus.56 Generell kann festgehalten werden, dass bloße Vorbereitungsmaßnahmen i.d.R. nicht zur Ad-hoc-Publizitätspflicht führen.57 Ein Indiz für eine fehlende Kursspezifität könnte der Abschluss von mehreren LoIs mit unterschiedlichen Verhandlungspartnern sein.58 Jedoch sind Zwischenschritte im Rahmen einer M&A-Transaktion als kursspezifisch zu qualifizieren, wenn grobe Leitlinien für die Kaufpreisermittlung, konkrete Zahlungen oder Asset-Swaps für die Unmöglichkeit der Durchführung vorgesehen werden.59 Die Beurteilung, ob ein Zwischenschritt im Zuge der M&A-Transaktion ausreichend präzise ist, muss jedoch im jeweiligen Einzelfall erfolgen.60 Der Zwischenschritt einer M&A-Transaktion wird geeignet sein, den Kurs von Finanzinstrumenten erheblich zu beeinflussen, wenn ein verständiger Anleger diesen als Teil seiner Anlageentscheidung nutzen würde.61 I.d.R. wird die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Endereignisses für die Kursrelevanz bedeutend sein.62 Auf eine Mindestwahrscheinlichkeit kommt es dabei jedoch nicht an, sondern vielmehr auf die möglichen Auswirkungen der Informationen.63 Dabei sind etwa die Gesamttätigkeit des Emittenten, die Verlässlichkeit der Informationsquelle sowie sonstige Marktvariablen zu berücksichtigen.64 Umso eher das Ereignis von der bisherigen Praxis des Emittenten abweicht, wird

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Vgl. Erwägungsgrund 17 der VO (EU) 529/2014; dazu auch Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 672. Dollenz, ÖBA 2016, 619; dem folgend Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 48. Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15 Rz. 257. Vgl. dazu Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15 Rz. 258; vgl. auch Bafin, Emittentenleitfaden i.d.F. vom 22.07.2013, 58 f. VwGH 20.04.2016, 2015/02/0152 ÖBA 2016, 615 (Dollenz). Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673. Vgl. nur Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 41. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673. Vgl. EuGH 28.06.2012, C-19/11, Geltl/Daimler GesRZ 2012, 248 (Oppitz); VwGH 27.04.2017, Ro 2016/02/0020 ÖBA 2017, 646 (Dollenz); Schopper/Walch, ZFR 2014, 258; Dollenz, ÖBA 2017, 646; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673. VwGH 27.04.2017, Ro 2016/02/0020 ÖBA 2017, 642 (Dollenz); Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673; Dollenz, ÖBA 2017, 646.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

dieses erhebliche Auswirkungen auf den Kurs haben.65 Bei der Prüfung, ob einzelne Zwischenschritte im Rahmen von M&A-Transaktionen kursrelevant sind, ist im jeweiligen Einzelfall anhand einer Ex-ante-Gesamtbetrachtung aller Umstände zu beurteilen.66 Jedes einzelne Ereignis im Rahmen einer M&A-Transaktion kann dabei gleichzeitig mehrere Informationspflichten begründen: Zum einen kann der Zwischenschritt selbständig zu einer Veröffentlichungspflicht führen, zum anderen kann in Bezug auf das Endereignis eine Veröffentlichungspflicht bestehen.67

3.3.2 3.3.2.1

Aufschub der Veröffentlichung Voraussetzungen für einen Aufschub

Nach Art. 17 Abs. 4 MAR besteht für Emittenten die Möglichkeit, die Veröffentlichung von Insider-Informationen aufzuschieben. Dabei tritt der Informationsanspruch der Marktteilnehmer hinter das Geheimhaltungsinteresse des Emittenten.68 Nach der European Securities and Markets Authority (ESMA) soll die Möglichkeit zum Aufschub als Ausnahme zu verstehen sein und eng ausgelegt werden.69 Um wirksam aufschieben zu können, müssen gleichzeitig mehrere Voraussetzungen vorliegen.70 Der Aufschub der Veröffentlichung einer Insider-Information ist gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR möglich, wenn 1. eine unverzügliche Veröffentlichung die Interessen des Emittenten beeinträchtigen kann (Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 1a MAR), 2. die Öffentlichkeit durch den Aufschub nicht irregeführt wird (Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 1b MAR), 3. die Geheimhaltung der aufgeschobenen Insider-Information durch den Emittenten sichergestellt werden kann (Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 1c MAR).

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Klöhn, in: KölnKomm WpHG2 § 13 Rz. 203; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 673. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 674; vgl. auch Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG² § 13 Rz. 72b. Vgl. dazu nur Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 674; Schopper/Walch, ZFR 2014, 257. Frotz/Schörghofer/Krausler, in: Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch § 14 Rz. 30; vgl. auch Lechner/Temmel, in: Temmel, BörseG § 48d Rz. 65. ESMA/2016/1130, 13.07.2016, 3.2.1; vgl. auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 151. Pfüller, in: Fuchs, WpHG2 § 15 Rz. 430; Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 15 Rz. 178; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 674; Frotz/Schörghofer/Krausler, in: Kalss/Frotz/ Schörghofer, Handbuch § 14 Rz. 30.

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Nach Art. 17 Abs. 5 und 6 MAR können Finanz- oder Kreditinstitute die Veröffentlichung von Insider-Informationen zur Wahrung der Stabilität des Finanzsystems aufschieben. Für einen wirksamen Aufschub müssen jedoch weitere Voraussetzungen erfüllt sein: Die Veröffentlichung einer Insider-Information gemäß Art. 17 Abs. 5 Buchst. a MAR muss die finanzielle Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems gefährden, dies wird nur bei systemrelevanten Instituten der Fall sein.71 Zudem muss der Aufschub gemäß Art. 17 Abs. 5 Buchst. a MAR im öffentlichen Interesse liegen.

3.3.2.2

Voraussetzungen für den Aufschub bei M&A-Transaktionen

Der Aufschub der Ad-hoc-Publizität ist insbesondere bei M&A-Transaktionen von besonderer Bedeutung, da bei zeitlich gestreckten Vorgängen bereits frühzeitig eine Veröffentlichungspflicht bestehen kann.72 Auch bezieht sich Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR ausdrücklich auf zeitlich gestreckte Sachverhalte.73 Die Regelung stellt somit das Gegenstück zu Art. 7 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 MAR dar, wonach Zwischenschritte unter bestimmten Umständen als veröffentlichungspflichtige Insider-Informationen zu qualifizieren sind.74 Ein berechtigtes Interesse des Emittenten für einen Aufschub liegt jedenfalls dann vor, wenn diesem durch die Veröffentlichung ein erheblicher Nachteil entstehen würde.75 Bei M&A-Transaktionen kann dies der Fall sein, wenn durch die Veröffentlichung laufende Verhandlungen oder die Durchführung der Gesamttransaktion beeinträchtigt werden könnte.76 Das Scheitern von Verhandlungen über eine geplante Übernahme, eine Fusion oder wesentliche Erwerbs- bzw. Veräußerungsvorgänge können etwa zu erheblichen Nachteilen für Emittenten führen.77 Ebenso können bessere Angebote eines Konkurrenten oder die Gegenwehr der Gewerkschaft ein berechtigtes Interesse des Emittenten zur

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Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 161. So Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 151. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 151. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 151. Vgl. etwa Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 69; Assmann, in: Assmann/ Schneider, WpHG6 § 15 Rz. 150; Frotz/Schörghofer/Krausler, in: Kalss/Frotz/Schörghofer, § 14 Rz. 30. ESMA/2016/1130, Annex V, Nr. 5.1 Buchst. a; Erwägungsgrund 50 der MAR; Retsch, Die Selbstbefreiung nach der Marktmissbrauchsverordnung, NZG 2016, 1201 (1202); Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 674; Pfüller, in: Fuchs, WpHG2 § 15 Rz. 259; Voß, in: Just/Voß/Ritz/ Becker, WpHG § 15 Rz. 191 f.; Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG6 § 15 Rz. 150; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 153. So ESMA/2016/1130, Annex V, Nr. 5.1; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 153.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

Geheimhaltung der Information begründen.78 Gleiches gilt, wenn im Rahmen einer Transaktion die Überlebensfähigkeit des Emittenten gefährdet ist.79 Das für den Aufschub gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR erforderliche berechtigte Interesse muss nicht in äußeren Umständen begründet sein. Auch interne Entscheidungen des Emittenten können ein berechtigtes Interesse für einen Aufschub begründen.80 Dies kann etwa bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen im Rahmen einer Transaktion der Fall sein.81 Jedenfalls müssen konkrete Umstände – und nicht bloß formelartige Hinweise – vorliegen, damit die Veröffentlichung aufgeschoben werden kann.82 Der Aufschub kann nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass die Öffentlichkeit dadurch nicht irregeführt wird.83 Eine Irreführung wird angenommen, wenn die InsiderInformation von vorherigen Ankündigungen abweicht, zuvor bekanntgegebene finanzielle Ziele nicht erreicht werden oder diese im Widerspruch zur Markterwartung steht.84 Dies kann etwa der Fall sein, wenn der veröffentlichungspflichtige Verhandlungsstand eines Zwischenereignisses erheblich von der vorherigen Ankündigung abweicht. Der Emittent hat für die Geheimhaltung der aufgeschobenen Insider-Information sowie der schnellstmöglichen Veröffentlichung bei Bekanntwerden zu sorgen.85 Dabei stellt der Art. 17 Abs. 7 MAR klar, dass aufgeschobene Informationen bereits beim Bestehen von Gerüchten zu veröffentlichen sind.

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Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 15 Rz. 192. ESMA/2016/1130, Nr. 5.1 Buchst. b; dazu auch Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 674; Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 151. ESMA/2016/1130, Annex V, Nr. 5.1 Buchst. d; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 675; Retsch, NZG 2016, 1203; von der Linden, DStR 2016, 1038. ESMA/2016/1130, Annex V, Nr. 5.1 Buchst. c; Erwägungsgrund 50 der MAR; vgl. Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 674; Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 15 Rz. 199 ff.; Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 154. Voß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 15 Rz. 193; Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15 Rz. 361; Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG6 § 15 Rz. 153. Vgl. dazu Abschnitt 3.3.2.1. ESMA/2016/1130, Annex V, Nr. 5.2; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 675; vgl. auch Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 156. Vgl. Retsch, NZG 2016, 1204; Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 675; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 165.

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4 Insider-Handel 4.1 Tatbestand 4.1.1

Verbotene Transaktionen

Das Verbot zur Vornahme von Insider-Geschäften und deren Empfehlung ist in Art. 14 MAR geregelt. Nach Art. 8 MAR liegt ein solches vor, wenn eine Person über InsiderInformationen verfügt und unter Nutzung dieser für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich diese Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert. Nach Art. 8 Abs. 2 MAR wird nun auch das Stornieren oder Ändern eines Auftrags aufgrund von Insider-Informationen vom Begriff des Insider-Handels erfasst.86 Auch in diesem Fall manifestiert sich die Nutzung einer Insider-Information nach außen.87 Ausreichend ist bereits ein obligatorischer Abschluss der Transaktion, sofern dieser bindend ist.88 Bei Erwerbs- und Veräußerungsvorgängen ist dabei nicht auf den dinglichen Rechtserwerb abzustellen.89 Ausreichend ist vielmehr, wenn der Vertrag dem Insider eine gesicherte Erwerbs- oder Veräußerungsposition vermittelt.90 Gleiches gilt auch für die Stornierung und sonstigen Änderungen bei Transaktionen. Irrelevant für den Tatbestand des Insider-Handels ist es, ob der Erwerb aufgrund eines Rechtsgeschäft oder ex lege erfolgt.91 Dies entspricht den Regelungszielen der MAR, den Insider-Handel so weit wie möglich zu verhindern.92 Daher werden vom Insider initiierte

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300

Vgl. etwa Bühren, NZG 2017, 1174. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 63; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht8 Rz. 317. Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 14 Rz. 101; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 63. Vgl. etwa Mennicke, in: Fuchs, WpHG² § 14 Rz. 26; Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 14 Rz. 101; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 63; Ritz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 14 Rz. 11. OLG Karlsruhe vom 04.02.2004, 3 Ws 195/03 NZG 2004, 377 (379); Assmann, in: Assmann/ Schneider, WpHG6 § 14 Rz. 13, 18; Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 14 Rz. 93 ff.; Ritz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 14 Rz. 11 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 64; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht8 Rz. 317. Vgl. Erwägungsgrund 8 und 10 zur MAR; vgl. auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 64.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

Erwerbs- und Veräußerungsvorgänge, z.B. die Verschmelzung oder ein Squeeze-out, erfasst.93

4.1.2

Nutzung der Insider-Information

Ein Insider-Geschäft liegt gemäß Art. 8 Abs. 1 MAR nur vor, wenn eine Person über die Insider-Information verfügt und diese für einen Erwerbs- und Veräußerungsvorgang von Finanzinstrumenten, auf die sich die Information bezieht, nutzt. Generell wird zwischen verschiedenen Insidern unterschieden: Bei Primär-Insidern – das sind die in Art. 8 Abs. 4 MAR genannten Personen – wird die Kenntnis von der InsiderInformation unwiderleglich vermutet.94 Bei Sekundär-Insidern wird auf eine Maßfigur abgestellt, die unter den gegebenen Umständen von der Information Kenntnis erlangt hätte.95 Für das Vorliegen eines Insider-Handels ist jedoch ein Kausalzusammenhang zwischen dem Insider-Geschäft und der Kenntnis des Insiders über diesen erforderlich.96 Entscheidend ist die Kenntnis des Sekundär-Insiders zum Zeitpunkt des Erwerbs- bzw. Veräußerungsvorgangs, nicht jedoch, ob sich dadurch Gewinne oder Verluste realisieren lassen.97

4.2 Legitime Handlungen 4.2.1

Fallgruppen legitimer Handlungen

Art. 9 MAR enthält legitime Handlungen, die nicht gegen das Verbot des Insider-Handels verstoßen. In diesen Fällen ist keine Nutzungsvermutung anzunehmen.98 Bei den in

93 94

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96

97

98

Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 64. Vgl. etwa Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 21 Rz. 37; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 68; Bühren, NZG 2017, 1175; Seibt/Wollenschläger, Revision des Marktmissbrauchsrechts durch die Marktmissbrauchsverordnung und die Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Marktmanipulation, AG 2014, 593 (597); Veil, Europäisches Insiderrecht 2.9: Konzeption und Grundsatzfragen der Reform durch MAR und CRIM-MAD, ZBB 2014, 85 (91). Vgl. Erwägungsgrund 26 zur MAR; vgl. auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 68. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 21 Rz. 37; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht8 Rz. 325; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 69; Nietsch, Die Verwendung der Insiderinformation, ZHR 2010, 556 (571 f.). Vgl. nur Klöhn, in: KölnKomm WpHG² § 14 Rz. 43; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 71. Vgl. etwa Bühren, NZG 2017, 1175.

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der Bestimmung genannten Ausnahmen vom Verbot handelt es sich um eine demonstrative Aufzählung.99 Mitunter sind etwa spezielle Ausnahmen für juristische Personen, Market Maker, der Ausführung von Kundenaufträgen, fällig gewordene Verpflichtungen sowie für Unternehmensübernahmen vorgesehen. Wird über die in Art. 9 MAR genannten Fälle hinausgehend eine Nutzungsvermutung widerlegt, ist im Einzelfall – unter Berücksichtigung der Zwecke des Insider-Handelsverbots – zu beurteilen, ob eine Ausnahme vorliegt.100

4.2.2

Legitimes Handeln von juristischen Personen

Nach Art. 9 Abs. 1 MAR wird bei juristischen Personen, die im Besitz von InsiderInformationen sind, unter bestimmten Voraussetzungen angenommen, dass diese bei Erwerbs- und Veräußerungsvorgängen nicht genutzt werden. Zum einen ist dies der Fall, wenn entsprechende Verfahren und Regelungen vorgesehen sind, die sicherstellen, dass Personen, die in den Handel von Finanzinstrumenten involviert waren, nicht von der Information erfahren konnten (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a MAR). Zum anderen muss sichergestellt sein, dass die juristische Person eine für sie handelnde Person weder auffordert, empfiehlt, anstiftet oder in anderer Weise beeinflusst.

4.2.3

Legitime M&A-Transaktionen

Für M&A-Transaktionen sieht der Art. 9 Abs. 4 MAR eine spezielle Ausnahme vor: Ein verbotener Insider-Handel liegt demnach nicht vor, wenn die Information im Zuge eines öffentlichen Übernahmeangebots bzw. Zusammenschlusses erworben wurde und diese ausschließlich dazu genutzt wird, die Übernahme bzw. den Zusammenschluss weiterzuführen.101 Gleichzeitig müssen die Insider-Informationen zum Zeitpunkt der Annahme des Übernahmeangebots bzw. der Genehmigung des Zusammenschlusses öffentlich bekannt gemacht werden oder in anderer Form den Charakter der Insider-Information

99

100

101

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Vgl. etwa Poelzig, Die Neuregelung der Offenlegungsvorschriften durch die Marktmissbrauchsverordnung, NZG 2016, 761 (767); Veil, ZBB 2014, 91; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 78; Klöhn, Ad-hoc-Publizität und Insiderverbot im neuen Marktmissbrauchsrecht, AG 2016, 423 (433); Bühren, NZG 2017, 1175. Poelzig, Insider- und Marktmanipulationsverbot im neuen Marktmissbrauchsrecht, NZG 2016, 528 (533); Bühren, NZG 2017, 1175; Klöhn, AG 2016, 433; Veil, ZBB 2014, 91; Krause, CZZ 2014, 252. Vgl. dazu etwa Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 88; Bühren, NZG 2017, 1177; Poelzig, NZG 2016, 533.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

verlieren. Durch diese Ausnahme soll das Vertrauen in die Integrität und Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sichergestellt werden.102 Erwerbsvorgänge sind unter den genannten Voraussetzungen ausgenommen, wenn sich etwa Erwerbsinteressenten nach einer Due-Diligence-Prüfung Unterlagen über eine Zielgesellschaft vorlegen lassen und dadurch Insider-Informationen erwerben.103 Ein Interessent, der den Erwerbsvorgang an der Zielgesellschaft aufgrund dieser InsiderInformationen ausführt, unterfällt nicht dem Verbot des Insider-Handels.104 Die Ausnahme gilt gemäß Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR ausdrücklich nicht für einen sukzessiven Beteiligungsaufbau. Nach Art. 3 Abs. 1 Z. 31 MAR handelt es sich dabei um den Erwerb von Anteilen an Unternehmen, durch welche keine rechtlichen oder regulatorischen Verpflichtungen entstehen, ein öffentliches Übernahmeangebot abzugeben. Der sukzessive Beteiligungserwerb nach einer Due-Diligence-Prüfung ist nach der MAR nicht vom Insider-Handelsverbot ausgenommen.105 Erlangt der Erwerbsinteressent aus einer Due-Diligence-Prüfung negative Insider-Informationen über eine Zielgesellschaft, darf er seinen Auftrag nicht stornieren.106 Solange die (negative) Insider-Information nicht öffentlich bekannt gemacht wurde, ist der Erwerber an den Auftrag gebunden.107 Das Verbot des Insider-Handels erfasst auch die Weitergabe von Insider-Informationen über ein bevorstehendes Übernahmeangebot an Dritte, sofern es sich bei diesen nicht um Personen aus derselben Bietergemeinschaft handelt.108 Erwerbsvorgänge sind unzulässig, wenn diese über die vorhergehende unternehmerische Entscheidung hinausgehen (Alongside-Käufe).109 Daher ist eine genaue Dokumentation von der Planungsphase bis zur Durchführung der Transaktion erforderlich.110

102 103

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Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 88. Bühren, NZG 2017, 1176; Klöhn, AG 2016, 433; dem folgend Hopt/Kumpan, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 88; vgl. etwa auch Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG6 § 14 Rz. 45, 164. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 88; vgl. auch EuGH vom 23.12.2009, RS C-45/08 (Spector Photo Group) ZIP 2010, 78. Zum Vorstehenden Buhren, NZG 2016, 1176 f.; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 89. Vgl. etwa Bühren, NZG 2016, 1177; Klöhn, AG 2016, 423. So Bühren, NZG 2016, 1177. Vgl. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 91. Bafin, Emittentenleitfaden 38 f.; Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG6 § 14 Rz. 165; Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 91 m.w.N. Bafin, Emittentenleitfaden 39; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 107 Rz. 91.

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4.3 Insider-Listen 4.3.1

Verpflichtung zum Führen von Insider-Listen

Bereits nach alter Rechtslage waren Emittenten verpflichtet, Insider-Verzeichnisse zu führen.111 Die Neuregelung des Art. 18 MAR hat diesen Begriff durch den der „InsiderListe“ ersetzt. Emittenten sowie Personen im Auftrag und für Rechnung des Emittenten haben gemäß Art. 18 Abs. 1 MAR Insider-Listen aufzustellen, zu aktualisieren und auf Ersuchen der Aufsichtsbehörde zu übermitteln. Dadurch soll der Marktmissbrauch verhindert und eine Kontrolle von Insider-Informationen ermöglicht werden.112 Aufgrund der Erweiterung des Anwendungsbereichs des Marktmissbrauchsregimes durch die MAR sind nun mehr Emittenten verpflichtet, Insider-Listen zu führen. Die Eintragung umfasst nach Art. 18 Abs. 3 MAR zumindest den Namen des Insiders, den Grund für die Aufnahme sowie das Datum des Informationszugangs.113 Insider-Listen sind streng vertraulich aufzubewahren, so dass nur jene Personen, die für die Führung der Listen verantwortlich sind, darauf Zugriff haben.114 Die Verpflichtung zur Führung von Insider-Listen gilt gemäß Art. 18 Abs. 8 MAR für den geregelten Markt sowie für den Handel über MTF-/OTF-Handelssysteme (Multilateral Trading Facility/Organised Trading Facilitiy). Eine Ausnahme besteht gemäß Art. 18 Abs. 6 MAR für den KMU-Wachstumsmarkt (Kleine und mittlere Unternehmen).115

4.3.2

Eintragungspflichtige Personen

Art. 18 Abs. 1 Buchst. a MAR stellt klar, welche Personen in der Insider-Liste zu verzeichnen sind. Erfasst werden alle Personen, die aufgrund eines Arbeitsvertrages oder durch Wahrnehmung anderer Aufgaben einen Zugang zu Insider-Informationen haben.116 Dabei führt Art. 18 Abs. 1 Buchst. a MAR Berater, Buchhalter und Ratingagenturen ausdrücklich als demonstrative Beispiele an. Gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b MAR sind die

111

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113 114 115 116

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Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 16 Rz. 62 f.; vgl. auch Neusüß, in: Just/Voß/ Ritz/Becker, WpHG § 15b Rz. 1 ff. ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation Rz. 269; vgl. auch Poelzig, NZG 2016, 767. Vgl. dazu etwa von der Linden, DStR 2016, 1038. Franke/Schulenburg, in: Umnuß, Corporate Compliance Checklisten³ § 3 Rz. 60. Vgl. Franke/Schulenburg, in: Umnuß, Compliance Checklisten³ § 3 Rz. 37. Dazu auch Poelzig, NZG 2016, 767.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

vom Emittenten zu führenden Listen rasch zu aktualisieren und der zuständigen Behörde auf Ersuchen unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Nach Art. 18 Abs. 4 MAR sind eingetragene Personen unter bestimmten Umständen aus der Liste zu löschen.117 Dies ist der Fall, wenn die betreffende Information den Charakter einer Insider-Information verliert, etwa weil die Transaktion ergebnislos abgebrochen wurde.118 Auszutragen sind auch Personen, die keinen Zugang zur Insider-Information mehr haben, weil z.B. ein Beratungsvertrag aufgelöst wurde.119

4.3.3

Insider-Listen bei M&A-Transaktionen

Bei der Vornahme von M&A-Transaktionen bestehen keine speziellen Anforderungen für das Führen von Insider-Listen.120 Auch dabei müssen die Insider spätestens in die Insider-Liste eingetragen werden, wenn ein Zwischenschritt einer Transaktion als insiderrelevant zu qualifizieren ist.121 Bei M&A-Transaktionen ist jedoch zu beachten, dass mehrere Insider-Informationen – auch durch ein einziges Zwischenereignis – vorliegen können.122 Für jede Insider-Information ist eine eigenständige Insider-Liste zu führen.123 Im Rahmen einer M&A-Transaktion kann es daher erforderlich sein, dass für einzelne Zwischenschritte, wie etwa dem Abschluss eines MoU oder der Durchführung einer Due-Diligence-Prüfung, gleichzeitig mehrere Insider-Listen zu führen sind.124 Die einzelnen Insider-Listen können sich dabei jedoch voneinander unterscheiden, da im Rahmen der einzelnen insider-relevanten Zwischenschritte unterschiedliche Personen involviert sein können. Dies könnte den eigentlichen Zielen des europäischen Gesetzgebers, eine präzise Darstellung jener Personen, die auf Insider-Informationen Zugriff haben,125 zuwiderlaufen, da die Übersichtlichkeit bei der Führung zahlreicher Insider-Listen verloren gehen

117 118 119 120 121 122 123

124 125

Vgl. dazu auch von der Linden, DStR 2016, 1038; Poelzig, NZG 2016, 767. Simons, (Weitere) Zweifelsfragen zur Insiderliste, CCZ 2017, 182 (185). Vgl. Simons, CCZ 2017, 185. Simons, CCZ 2017, 185. Simons, CCZ 2017, 185. Vgl. Abschnitt 3.3.1. Simons, CCZ 2017, 185; vgl. dazu auch Durchführungsverordnung (EU) 2016/347 der Kommission vom 10.03.2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf das genaue Format der Insiderlisten und für die Aktualisierung von Insiderlisten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 65, 49 ff. Simons, CCZ 2017, 185. Vgl. Erwägungsgrund 3 Durchführungsverordnung (EU) 2016/347, ABl. L 65, 49.

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könnte.126 Durch die Verpflichtung zur Führung von Insider-Listen für jede einzelne Insider-Information erhöht sich der Verwaltungsaufwand für Emittenten massiv. Die bloße Führung einer Insider-Liste für das gesamte M&A-Projekt127 erscheint jedoch nach der geltenden Rechtslage unzulässig. Emittenten oder in ihrem Namen bzw. für ihre Rechnung handelnde Personen haben die Insider-Listen gemäß Art. 18 Abs. 5 MAR für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nach der Erstellung oder Aktualisierung aufzubewahren. Eine längere Aufbewahrung ist jedoch zulässig,128 da eine ausdrückliche Pflicht zur Löschung nicht vorgesehen ist.129

4.3.4

Vorabeintragung

Art. 18 Abs. 4 MAR regelt den Zeitpunkt der Eintragung in die Insider-Liste. Demnach haben Emittenten oder Personen, die in ihrem Namen bzw. auf ihre Rechnung handeln, Insider-Listen unverzüglich zu aktualisieren, wenn • sich der Grund für die Erfassung bereits eingetragener Personen auf der Insider-Liste ändert, • neue Personen Zugang zur Insider-Information erhalten haben oder • eine Person keinen Zugang mehr hat. Art. 18 MAR regelt den Zeitpunkt der möglichen Eintragung nicht genau, sondern nur den Zeitpunkt der Eintragungspflicht. Nach alter Rechtslage entsprach es der herrschenden Auffassung, dass Eintragungen in die Insider-Liste auch bereits vor einer Eintragungspflicht vorgenommen werden können.130 Dies erscheint auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage zulässig.131 Gerade bei der Vornahme von M&A-Transaktionen erscheint eine Vorabeintragung praktikabler,

126 127 128

129 130

131

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Kritisch auch Simons, CCZ 2017, 185. Dafür Simons, CCZ 2017, 185. Seibt/Wollenschläger, Revision des Marktmissbrauchsrechts durch Marktmissbrauchsverordnung und Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Marktmanipulation, AG 2014, 593 (FN 107); Franke/Schulenburg, in: Umnuß, Compliance Checklisten³ § 3 Rz. 61. Franke/Schulenburg, in: Umnuß, Compliance Checklisten³ § 3 Rz. 61. Pfüller, in: Fuchs, WpHG² § 15b Rz. 36; Heinrich, in: KölnKomm WpHG § 15b Rz. 35; Neusüß, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 15b Rz. 16; Sethe, in: Assmann/Scheider, WpHG6 § 15b Rz. 28, 30; vgl. dazu auch Simons, CCZ 2017, 184. Dafür Simons, CCZ 2017, 184; vgl. auch Haßler, Insiderlisten gem. Art. 18 MMVO und ihre praktische Handhabung, DB 2016, 1920 (1922).

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

da es hierbei zu zahlreichen Eintragungen kommen kann. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die vorab erstellte Insider-Liste unverzüglich aktualisiert werden muss.

5 Marktmanipulation Nach Art. 15 MAR sind die Marktmanipulation und der Versuch dazu verboten. Neu ist dabei, dass nach der MAR nun auch die versuchte Marktmanipulation verboten ist.132 Der Tatbestand der Marktmanipulation kann auf verschiedene Weise verwirklicht werden. Art. 12 Abs. 2 MAR sowie der Anhang I der MAR enthalten demonstrative Aufzählungen, welche Handlungen unter das Verbot der Marktmanipulation fallen.133 Ferner werden auch in der Delegierten Verordnung 2016/522134 weitere Praktiken, die den Verbotstatbestand erfüllen, genannt. Erfasst werden mitunter der Abschluss von Transaktionen, die Erteilung eines Handelsauftrags sowie andere Handlungen, die zu falschen oder irreführenden Signalen hinsichtlich des Angebots, der Nachfrage oder des Preises eines Finanzinstruments führen. Beachtenswert ist, dass nach der MAR nicht bloß Transaktionen und Kauf- und Verkaufsaufträge, sondern bereits jegliche Täuschungshandlungen den Verbotstatbestand verwirklichen können.135 Neben der handelsgestützten wird auch eine informationsbezogene Manipulation erfasst.136 Bereits die wahrscheinliche Verbreitung von Informationen über Medien, die zu falschen oder irreführenden Signalen hinsichtlich des Angebots oder des Kurses eines Finanzinstruments führen bzw. ein künstliches Kursniveau verursachen, werden ebenfalls vom Verbotstatbestand erfasst.137

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133 134

135 136

137

Vgl. de Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 20a Rz. 379; zur alten Rechtslage nur Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 22 Rz. 10 ff. Vgl. de Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 20a Rz. 379. Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17.12.2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 2014/596 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf eine Ausnahme für bestimmte öffentliche Stellen und Zentralbanken von Drittstaaten, die Indikatoren für Marktmanipulation, die Schwellenwerte für die Offenlegung, die zuständige Behörde, der ein Aufschub zu melden ist, die Erlaubnis zum Handel während eines geschlossenen Zeitraums und die Arten meldepflichtiger Eigengeschäfte von Führungskräften, ABl. L 88, 1 (13 f.). De Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 20a Rz. 380. Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 104 Rz. 191; de Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 20a Rz. 380. De Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG § 20a Rz. 380; Seiler/Geier, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch5 § 104 Rz. 191.

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Das Verbot der Marktmanipulation muss beim gesamten Vorgang einer M&A-Transaktion berücksichtigt werden. Einzelne Handlungen können jedoch gemäß Art. 13 MAR vom Verbotstatbestand ausgenommen werden, sofern diese von der zuständigen Behörde als zulässige Marktpraxis anerkannt werden.

6 Directors’ Dealings M&A-Transaktionen können auch unter Beteiligung von Führungskräften oder diesen nahestehenden Personen vorgenommen werden. Für derartige Transaktionen (Directors’ Dealings) sieht das Marktmissbrauchsregime nach der MAR spezielle Meldepflichten vor.

6.1 Meldepflichtige Personen Meldepflichtig sind Transaktionen mit Führungskräften sowie diesen nahestehende Personen. Der Begriff der Führungskraft wird in Art. 3 Abs. 1 Z. 25 MAR näher definiert. Erfasst werden demnach Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane des Emittenten sowie andere Personen mit höheren Führungsaufgaben, die regelmäßig Zugang zu Insider-Informationen haben, die direkt oder indirekt den Emittenten betreffen. Nach Art. 19 Abs. 1 MAR müssen diese Personen in einer engen Beziehung zur Führungskraft stehen. Die Begriffsdefinition des Art. 3 Abs. 1 Z. 26 MAR spricht von „eng verbundene[n] Personen“ und konkretisiert den erfassten Personenkreis. Die Regelung erfasst sowohl natürliche als auch juristische nahestehende Personen. Meldepflichtig sind Transaktionen mit Ehepartnern oder diesen gleichgestellten Personen, unterhaltsberechtigte Kinder sowie Verwandte, die zum Zeitpunkt der Tätigkeit zumindest ein Jahr im selben Haushalt leben. Ebenso erfasst werden Transaktionen mit juristischen Personen, Treuhand- sowie Personengesellschaften, deren Führungsaufgaben durch eine Führungskraft oder dieser nahestehenden Person wahrgenommen werden.138

138

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Vgl. dazu nur Rathammer/Sam, ÖBA 2016, 437.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

6.2 Meldepflichtige Transaktionen 6.2.1

Transaktionsgegenstand

Der Meldepflicht unterliegen alle Geschäfte zwischen Emittenten und einer Führungskraft bzw. einer dieser nahestehenden Person, die sich auf Anteile, Schuldtitel des Emittenten, damit verbundene Finanzinstrumente oder Derivate beziehen.139 Weitere meldepflichtige Transaktionen werden in Art. 19 Abs. 7 MAR genannt. Dazu zählen etwa die Verpfändung oder die Wertpapierleihe sowie bestimmte Geschäfte, die im Rahmen einer Lebensversicherung getätigt werden. Darüber hinaus werden die meldepflichtigen Transaktionen – auf Grundlage des Art. 19 Abs. 14 MAR – in Art. 10 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/522 näher definiert. Demnach zählen zu den meldepflichtigen Transaktionen etwa Erwerbs- und Veräußerungsvorgänge, Leerverkäufe, die Zeichnung, der Austausch, das Eingehen oder das Ausüben von Aktien-Swaps sowie die Zeichnung einer Kapitalerhöhung.140

6.2.2

Meldeschwellen

Nach Art. 19 Abs. 8 MAR besteht die Meldepflicht nur, wenn ein Gesamtvolumen von 5.000 EUR innerhalb eines Kalenderjahres erreicht wird. Dabei werden alle Transaktionen, die mit Führungskräften oder diesen nahestehende Personen vorgenommen werden, zusammengerechnet. Ein Netting zwischen Führungskraft bzw. einer dieser nahestehenden Person ist dabei nicht zu berücksichtigen. Eine Meldung kann daher unterbleiben, wenn das Gesamtvolumen der mit einer Führungskraft vorgenommenen Transaktion unter der Meldeschwelle bleibt. Die nationalen Behörden können die relevante Meldeschwelle gemäß Art. 19 Abs. 9 MAR auf 20.000 EUR erhöhen. Von dieser Möglichkeit wird die Finanzmarktaufsicht (FMA) wohl keinen Gebrauch machen.141

139

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Vgl. etwa Hartlieb/Simonishvili, Directors’ Dealings nach der Marktmissbrauchsverordnung, ZFR 2015, 61 (61). Vgl. dazu Art. 10 Abs. 2 Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17.12.2015, zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf eine Ausnahme für bestimmte öffentliche Stellen und Zentralbanken von Drittstaaten, die Indikatoren für Marktmanipulation, die Schwellenwerte für die Offenlegung, die zuständige Behörde, der ein Aufschub zu melden ist, die Erlaubnis zum Handel während eines geschlossenen Zeitraums und die Arten meldepflichtiger Eigengeschäfte von Führungskräften, ABl. L 88, 1 (9). Vgl. dazu auch Rathammer/Sam, ÖBA 2016, 438.

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Nach dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 8 MAR besteht die Meldepflicht nur für Transaktionen, wenn die Meldeschwelle innerhalb eines Kalenderjahres überschritten wird. Wird die Meldeschwelle erst im Folgejahr überschritten, ist keine Nachmeldung erforderlich.142

6.3 Handelsverbote In bestimmten Zeitfenstern ist ein generelles Handelsverbot (Closed Period) vorgesehen. Führungskräfte dürfen nach Art. 19 Abs. 11 MAR in den 30 Kalendertagen vor der Ankündigung des Zwischen- oder Jahresabschlussberichts keine Transaktion mit Anteilen oder Schuldtiteln des Emittenten vornehmen. Erfasst werden daher sowohl Jahres-, Halbjahresfinanzberichte sowie Quartalsberichte.143 Der Wortlaut des Art. 19 Abs. 11 MAR ist nicht besonders deutlich gefasst. Hinsichtlich des Zeitfensters, in dem der Handel ausgeschlossen ist, spricht die Norm von „Ankündigung“. Auch die englische Sprachfassung spricht vom announcement. Häufig sind Emittenten – aufgrund der für bestimmte Marktsegmente vorgesehenen Regelwerke – zur Ankündigung von Veröffentlichungen einzelner Berichte in einem Unternehmenskalender verpflichtet.144 Durch sonstige Ankündigungen des Emittenten über die Veröffentlichung aller Finanzberichte, könnte der Emittent das Zeitfenster für Handelsverbote festlegen. Die eigenmächtige Festlegung der Handelsverbote kann jedoch nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein. Auch könnte damit das Handelsverbot auf ein einmaliges Zeitfenster beschränkt werden. Aus diesen Gründen erscheint ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Ankündigung nicht zweckmäßig.145 Daher dürfte der Beginn des Handelsverbots eher an die Veröffentlichung des Finanzberichts anknüpfen. Der Anwendungsbereich für die Handelsverbote ist weiter eingeschränkt. Nach Art. 19 Abs. 11 MAR besteht dieses nur für Führungskräfte, nicht jedoch für Personen, die diesen nahestehen. Erfasst wird der Handel mit Aktien, Schuldtiteln oder andere damit im

142 143 144

145

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Rathammer/Sam, ÖBA 2016, 438. Vgl. Rathammer/Sam, ÖBA 2016, 431. Vgl. dazu Regelwerk prime market 12; abrufbar unter https://www.wienerborse.at/uploads/ u/cms/files/emittenten/aktien/regelwerk-prime-market.pdf; Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse 36; http://www.boerselife.at/eBusiness/services/resources/media/ 212251493524270627-217604696286713925_220360216313545716-932148225164519810-1NA-NA-NA-NA.pdf. So bereits Rathammer/Sam, ÖBA 2016, 439.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

Zusammenhang stehende Finanzinstrumente des Emittenten. Das Handelsverbot gilt für direkt oder indirekt geschlossene Eigengeschäfte sowie für Dritte geschlossene Geschäfte. Welche Personen als Dritte i.S.d. Art. 19 Abs. 11 MAR zu qualifizieren sind, wird jedoch nicht ausdrücklich geregelt. Art. 19 Abs. 12 MAR sieht die Möglichkeit vor, dass der Emittent bestimmte Ausnahmen für das Handelsverbot vorsehen kann. Bei außergewöhnlichen Umständen kann der Emittent eine Transaktion genehmigen, wenn ein Verkauf von Aktien, z.B. aufgrund schwerer finanzieller Probleme, erforderlich ist (Art. 19 Abs. 12 Buchst. a MAR). Dies kann auch bei Geschäften der Fall sein, welche die Ausgabe von Belegschaftsaktien oder Arbeitnehmersparplänen zum Gegenstand haben (Art. 19 Abs. 12 Buchst. b MAR). Die Kompetenz zur Entscheidung über eine Ausnahme vom Handelsverbot liegt grundsätzlich beim Vorstand. Bei Transaktionen mit Vorstandsmitgliedern und diesen nahestehende Personen verschiebt sich die Kompetenz gemäß § 97 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG) zum Aufsichtsrat.146

6.4 Emittentenpflichten 6.4.1

Zeitrahmen für die Veröffentlichung

Nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 MAR hat die meldepflichtige Person den Emittenten unverzüglich, spätestens drei Tage nach der Vornahme der Transaktion zu informieren. In der Folge muss der Emittent sicherstellen, dass diese Meldung unverzüglich, spätestens nach drei Geschäftstagen zu veröffentlichen ist. Die Frist zur Veröffentlichung deckt sich mit der Übermittlung der Meldung durch die meldepflichtige Person. Nützt die meldepflichtige Person die Frist gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 MAR vollständig aus, so trifft den Emittenten eine unverzügliche Veröffentlichungspflicht.147

6.4.2

Informations- und Dokumentationspflichten

Emittenten haben gemäß Art. 19 Abs. 5 MAR eine Liste über ihre Führungskräfte sowie diesen nahestehenden Personen zu führen. Gleichzeitig hat der Emittent diese schriftlich über die Directors’-Dealings-Vorschriften zu informieren und eine Kopie des Schreibens

146

147

Dazu Hartlieb/Simonishvili, ZFR 2015, 64 f.; so zur Entscheidung über den Aufschub von Insider-Informationen Dollenz/Simonishvili, ÖBA 2017, 675. Rathammer/Sam, ÖBA 2016, 438.

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Florian Dollenz

aufzubewahren. Die Aufbewahrungspflicht wird jedoch nur bestehen, sofern die Person in der vom Emittenten geführten Liste verzeichnet ist.

7 Fazit Da M&A-Transaktionen aus mehreren, aufeinander folgenden Zwischenschritten bestehen, sind diese als zeitlich gestreckter Sachverhalt zu qualifizieren. Dies ist insbesondere für die Einhaltung der Vorschriften über die Ad-hoc-Publizität relevant, da einzelne Ereignisse bereits eigenständig den Tatbestand einer veröffentlichungspflichtigen InsiderInformation erfüllen können. Für die einzelnen Ereignisse im Rahmen einer M&A-Transaktion ist jeweils eigenständig zu prüfen, ob eine Insider-Information vorliegt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Information ausreichend kursspezifisch und kursrelevant ist. Dies kann nur im Rahmen der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden. Generell kann jedoch festgehalten werden, dass Vereinbarungen über die Vertraulichkeit oder bloße Vorbereitungshandlungen i.d.R. nicht als veröffentlichungspflichtige Insider-Information zu qualifizieren sind. Emittenten können die Veröffentlichung von Insider-Informationen im Rahmen von M&A-Transaktionen aufschieben. Ein dafür erforderliches berechtigtes Interesse des Emittenten kann dabei bereits vorliegen, wenn die Durchführung der Gesamttransaktion oder laufende Verhandlungen dadurch gefährdet werden. Gleichzeitig muss das Verbot der Vornahme von Insider-Geschäften berücksichtigt werden. Verlieren Informationen im Rahmen einer Fusion oder einer öffentlichen Übernahme den Charakter einer Insider-Information, so gilt dies als legitime Handlung und verstößt nicht gegen das Verbot des Insider-Handels. Dies gilt jedoch ausdrücklich nicht bei einem sukzessiven Beteiligungsaufbau. Auch im Rahmen von M&A Transaktionen besteht die Verpflichtung zur Führung von Insider-Listen. Insider müssen spätestens ab dem Zeitpunkt des Bestehens einer InsiderInformation in die Liste aufgenommen werden. Einzelne Zwischenschritte können sowohl eigenständige als auch in Bezug auf das Endereignis eine Insider-Information begründen. Die bloße Führung einer Insider-Liste für eine M&A-Transaktion wird i.d.R. nicht ausreichen, da mehrere Ereignisse Insider-Informationen darstellen können. Daher wird es erforderlich sein, dass gleichzeitig mehrere Insider-Listen geführt werden. Dies kann den Verwaltungsaufwand für Emittenten massiv erhöhen. Emittenten können jedoch von der Möglichkeit der Vorabeintragung Gebrauch machen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Insider-Listen bei Änderungen unverzüglich zu aktualisieren sind.

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Insider-Compliance am Beispiel von M&A-Transaktionen

Bei jedem Zwischenereignis einer M&A-Transaktionen ist das Verbot der Marktmanipulation zu berücksichtigen. Dabei können unterschiedliche verbotene Handlungen zu irreführenden Signalen hinsichtlich des Angebots, Kurses oder der Nachfrage eines Insider-Papiers führen. Sofern die zuständige Behörde einzelne Handlungen als zulässige Marktpraxis anerkennt, können diese vom Verbotstatbestand ausgenommen werden. Darüber hinaus muss die Meldepflicht für Transaktionen mit Führungskräften und diesen nahestehenden Personen beachtet werden. Eine Meldepflicht besteht dabei bereits ab einem Gesamtvolumen in der Höhe von 5.000 EUR. In bestimmten Zeitfenstern dürfen jedoch überhaupt keine Transaktionen mit Führungskräften durchgeführt werden. Gerade aufgrund der drastisch verschärften Sanktionen ist die Einhaltung der InsiderCompliance-Vorschriften von besonders hoher Bedeutung. Daher sollten Emittenten bestehende Instrumente zur Einhaltung der Insider-Comliance überprüfen und ggf. anpassen.

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Anlageberatung und Anlegerschutz

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht Sebastian Alpheus/Philipp Söchtig

1 Der Vertriebsprozess 2 Onboarding des Kunden 2.1 Starter-Paket 2.2 Erhebung von Kundeninformationen 2.3 Weitere Kundeninformationen 3 Beratung und Geschäftsabschluss 3.1 Aufzeichnungspflichten 3.1.1 Regulatorische Anforderungen und Datenschutz 3.1.2 Archivierung und Herausgabe 3.2 Zielmarktabgleich 3.2.1 Anlageberatung 3.2.2 Finanzportfolioverwaltung 3.2.3 Beratungsfreies Geschäft 3.3 Eignungsbericht 3.4 Weitere Informationen 4 After Sales 4.1 Verlustschwellen-Reporting 4.2 Quartalsweiser Depotausweis 4.3 Berichtspflichten in der Finanzportfolioverwaltung 4.4 Ex-Post-Kostenausweis 5 Mitarbeiteranzeigeverordnung 6 Fazit

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1 Der Vertriebsprozess Unabhängig von der Art der Dienstleistung (Anlageberatung, Finanzportfolioverwaltung oder Anlagevermittlung/beratungsfreies Geschäft) lässt sich der Vertriebsprozess eines Finanzdienstleisters in drei Prozessschritte unterteilen: • das Onboarding eines Kunden, • den Geschäftsabschluss und • das After Sales. Durch das Inkrafttreten der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) hat sich die grundsätzliche Struktur des Vertriebsprozesses im Privatkundengeschäft nicht verändert; vielmehr gibt es veränderte und neue Anforderungen innerhalb des bestehenden Prozesses, die durch den Finanzdienstleister zu erfüllen sind. Abbildung 1 illustriert einen beispielhaften Vertriebsprozess und gibt eine erste Indikation, welchen Einfluss das neue MiFID-II-Regime auf den Vertriebsprozess hat. Abbildung 1: Auswirkungen von MiFID II auf den Vertriebsprozess Onboarding

Beratung und Geschäftsabschluss

After Sales

Starter-Paket

Aufzeichnungspflichten

Abrechnung der Transaktion

Erhebung von Kundeninformationen

Angemessenheitsprüfung

Laufende Qualitätsverbesserung

Kundeneinstufung

Geeignetheitsprüfung

Reporting zum Portfolio-Bestand

Kundenindividuelle Identifikationsnummer

Eignungsbericht (für Privatkunden i.S.d. WpHG)

Ex-post-Kostenreport

Zielmarktabgleich

Ex-ante-Kostenausweis

Aushändigung von Produktinformationen

Keine Veränderung durch MiFID II

Veränderte Anforderung durch MiFID II

Neue Anforderung durch MiFID II

Aus Abbildung 1 geht hervor, dass die Einführung von MiFID II Auswirkungen auf alle Phasen des Vertriebsprozesses hat. So müssen bspw. im Onboarding-Prozess neue Kundeninformationen wie eine kundenindividuelle Identifikationsnummer eingeholt werden, im Rahmen der Beratung erhöhte Transparenzanforderungen beachtet werden und im Nachgang einer Transaktion modifizierte Reporting-Pflichten erfüllt werden.

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Sebastian Alpheus/Philipp Söchtig

In diesem Beitrag wird der ganzheitliche Vertriebsprozess dahingehend beleuchtet, welche Änderungen unter dem neuen MiFID-II-Regime auftreten und wie sich diese Veränderungen auf die Qualität der Dienstleistung für den Kunden und auf den Umfang der Dokumentationsanforderungen für den Finanzdienstleister auswirken.

2 Onboarding des Kunden Vor der Erbringung der eigentlichen Dienstleistung ist es erforderlich, dass sowohl der Kunde relevante Informationen vom Finanzdienstleister erhält als auch der Kunde Informationen, die in direkter Verbindung mit der Erbringung der entsprechenden Dienstleistung stehen, an den Finanzdienstleister übermittelt. Während das Onboarding i.d.R. nur zu Beginn einer Kundenbeziehung stattfindet, verlangte das Inkrafttreten von MiFID II aufgrund des Umfanges der neuen Anforderungen für das Privatkundengeschäft eine Aktualisierung wesentlicher Informationen, um auch Bestandskunden auf die Zeit nach Einführung von MiFID II vorzubereiten.

2.1 Starter-Paket Zu Beginn einer Geschäftsbeziehung mit einem neuen Kunden ist es branchenüblich, dass der Kunde ein Starter-Paket erhält. Während einige Bestandteile solch eines StarterPaketes, wie bspw. die Übermittlung allgemeiner Informationen zum Finanzinstitut, zu den angebotenen Dienstleistungen und zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen, gesetzlich verpflichtend sind, kann ein Finanzinstitut darüber hinaus individuell entscheiden, welche Informationen es dem Neukunden zu Beginn der Geschäftsbeziehung zur Verfügung stellen möchte. Dadurch, dass sich die Starter-Pakete unterschiedlicher Banken voneinander unterscheiden und dass es selbst bei einer Bank je nach Art des Kunden (z.B. Privatkunde, Firmenkunde oder institutioneller Anleger) unterschiedliche Starter-Pakete geben kann, ist eine möglichst genaue Beschreibung eines exemplarischen Starter-Paketes an dieser Stelle nicht zielführend. Vielmehr sollen im Folgenden zwei Themen erläutert werden, die seit dem Inkrafttreten von MiFID II zu einer flächendeckenden Integration in das StarterPaket für Neukunden geführt haben. Standardisierter Ex-ante-Kostenausweis Finanzinstitute müssen unter MiFID II bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen sowohl vor der Ausführung einer Dienstleistung (ex ante) als auch nach der Ausfüh-

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

rung einer Dienstleistung (ex post) umfangreiche Anforderungen zur Offenlegung von entstehenden Kosten erfüllen.1 Insbesondere die Pflicht zum Ex-ante-Kostenausweis, welche unabhängig von der erbrachten Dienstleistung und dem betroffenen Kunden besteht, stellt dabei eine Veränderung für den bisherigen Vertriebsprozess dar. Zur Ex-ante-Kostenoffenlegung kann ein Finanzinstitut per Gesetz einen transaktionsindividuellen Ex-ante-Kostenausweis erstellen oder auf einen standardisierten Kostenausweis zurückgreifen. Während der transaktionsindividuelle Kostenausweis alle Details einer anstehenden Transaktion berücksichtigt, beinhaltet der standardisierte Ex-anteKostenausweis Kosteninformationen zu beispielhaften Transaktionen. Die Verwendung von standardisierten Ex-ante-Kostenausweisen bietet dem Kreditinstitut dabei die Flexibilität, dem Kunden einen aktuellen standardisierten Kostenausweis vor jeder Transaktion zur Verfügung zu stellen oder einmalig zu Beginn einer Geschäftsbeziehung und anschließend bei entsprechenden Änderungen in größeren Abständen. Insbesondere in Hinblick auf die telefonische Orderausführung ist die einmalige Ausgabe eines standardisierten Ex-ante-Kostenausweises eine Erleichterung im Orderprozess für Kunden sowie das Finanzinstitut. Durch die Integration eines standardisierten Ex-ante-Kostenausweises, welcher auf Grundlage kundenindividueller Konditionen die Kostenstruktur beispielhafter Transaktionen zeigt, in das Starter-Paket, dürfte eine telefonische Nennung der Einstiegskosten, der laufenden Kosten und der Aufstiegskosten einer Transaktion ausreichen, um die transaktionsbezogenen Offenlegungspflichten zu erfüllen. Auf Anfrage des Kunden ist ein detaillierter Ex-ante-Kostenausweis für die jeweilige Transaktion auszugeben. Eine Integration des standardisierten Ex-ante-Kostenausweises in das Starter-Paket ist daher insbesondere für Finanzdienstleister mit Telefongeschäft empfehlenswert. Hinweis zur Telefonaufzeichnung Auch die Anforderungen an die Aufzeichnung von elektronischer und telefonischer Kommunikation haben sich durch das Inkrafttreten von MiFID II verschärft. So sind Finanzinstitute künftig dazu verpflichtet, die Kommunikation im Kontext einer Wertpapierdienstleistung vollumfänglich aufzuzeichnen – unabhängig davon, ob es letztendlich zu der Ausführung einer Transaktion kommt oder nicht.

1

Für weitere Informationen vgl. den Beitrag von Schetschok/Grimm.

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Sebastian Alpheus/Philipp Söchtig

Durch den großen Umfang der Aufzeichnungspflichten sind alle Kunden, die nicht ausschließlich schriftlich mit dem Finanzdienstleister kommunizieren, zu Beginn einer Kundenbeziehung über die Aufzeichnung von Telefongesprächen zu informieren.

2.2 Erhebung von Kundeninformationen Zusätzlich zur Aushändigung von Informationen durch den Finanzdienstleister besteht zu Beginn einer Kundenbeziehung, die auf die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen (z.B. die Empfehlung von Wertpapieren im Rahmen einer Anlageberatung) abzielt, auch die Verpflichtung, je nach Art der vom Kunden gewünschten Dienstleistung gemäß § 64 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) unterschiedliche Informationen vom Kunden einzuholen. Unabhängig von der gewählten Dienstleistung des Kunden, ist das Finanzinstitut dazu verpflichtet, die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden bezüglich Geschäften in Finanzinstrumenten und Wertpapierdienstleistungen einzuholen. Die verpflichtende Abfrage ergibt sich für das Finanzinstitut daraus, dass selbst bei der Orderaufgabe eines beratungsfreien Kunden grundsätzlich zu prüfen ist, ob der Kunde über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, um die Risiken des gewünschten Finanzinstrumentes einschätzen zu können (Angemessenheitsprüfung). Informationen zu Kenntnissen und Erfahrungen sind dabei sowohl vom Depotinhaber einzuholen als auch von Bevollmächtigen, die zur Durchführung von Wertpapiertransaktionen berechtigt sind. Im Falle einer Anlageberatung oder einer Finanzportfolioverwaltung reicht eine Angemessenheitsprüfung wie im beratungsfreien Geschäft nicht aus. Da das Finanzinstitut beratend tätig ist (Anlageberatung) oder die Verantwortung für das Management des Kundenvermögens übernimmt (Finanzportfolioverwaltung), sind zusätzliche Informationen zu den Anlagezielen sowie den finanziellen Verhältnissen des Kunden einzuholen, um die Dienstleistung erbringen zu können. Dazu zählen unverändert auch der Anlagehorizont, die Risikotoleranz und die Renditeerwartungen des Kunden. Mit Inkrafttreten von MiFID II ist zudem eine explizite Berücksichtigung der Verlusttragfähigkeit des Kunden erforderlich. Informationen zu den Anlagezielen und den finanziellen Verhältnissen sind dabei ausschließlich vom Depotinhaber einzuholen; eine Abfrage der entsprechenden Informationen von Bevollmächtigten ist nicht erforderlich, da die Wertpapiertransaktionen im Kontext des Depots des Depotinhabers durchgeführt werden. Die Abfrage der zusätzlichen Informationen des Depotinhabers ermöglicht es dem Finanzinstitut, eine Geeignetheitsprüfung durchzuführen. Diese Geeignetheitsprüfung stellt im Rahmen einer Finanzportfolioverwaltung sicher, dass eine Strategie zur Verwaltung des Kundenvermögens verwendet wird, die auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kun-

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

den abgestimmt ist. In der Anlageberatung hingegen ist bei jeder Empfehlung eine Geeignetheitsprüfung auf Grundlage der eingeholten Kundeninformationen durchzuführen, sodass ausschließlich Empfehlungen ausgesprochen werden, die für den individuellen Kunden geeignet sind. Liegen die erforderlichen Kundeninformationen unvollständig vor, so wirkt sich dies auf die Dienstleistungen aus, die ein Finanzinstitut gegenüber einem Kunden erbringen kann. Ist bspw. keine vollständige Geeignetheitsprüfung aufgrund unvollständiger Angaben zu den Anlagezielen möglich, so ist es gesetzlich nicht zulässig, eine Anlageberatung durchzuführen. Während sich am bestehenden Zusammenwirken der Datenerhebung und der Durchführung von Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung durch die MiFID II wenig verändert, muss auf Grundlage der Kundeninformationen künftig zusätzlich ein Zielmarktabgleich durchgeführt werden. Beim Zielmarktabgleich werden anhand festgelegter Kriterien die individuellen Kundeninformationen mit den Zielmarktinformationen eines Produktes verglichen, um zu bestimmen, ob sich der individuelle Kunde im abstrakten Zielmarkt des betroffenen Produktes befindet.2 Daher ist es eine Option, bei einer Anpassung der Datenerhebung die einheitlichen Zielmarktkriterien und die entsprechenden Ausprägungen zu beachten, um diese Informationen bei der Erhebung der Kundeninformation mit einzuholen. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten mit diesen neuen Anforderungen umzugehen: 1. eine komplette Neuerhebung aller Kundeninformationen, die zwar mit hohem Aufwand verbunden ist, jedoch eine saubere Struktur der Daten für die Zukunft sicherstellt; 2. ein Ergänzen von bislang nicht vorhandenen Informationen (z.B. die Verlusttragfähigkeit); 3. ein Mapping der vorhandenen Kundeninformationen auf eine neue Struktur, die zum Zielmarkt passt (z.B. können fünf bestehende Risikoklassen auf sieben Risikoklassen aus dem Zielmarkt gemappt werden). Aufgrund der laufenden Bedeutung der Kundeninformationen für den Vertriebsprozess ist eine Prüfung der Aktualität der vom Kunden erhobenen Informationen notwendig.

2

Vgl. Abschnitt 3.2 für eine detaillierte Beschreibung des Zielmarktkonzeptes, der Anforderungen an den Zielmarktabgleich in der Anlageberatung, im beratungsfreien Geschäft und in der Finanzportfolioverwaltung sowie die Auswirkung auf die Beratungsqualität und die Dokumentationsanforderungen aus Vertriebssicht.

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Daher sind Finanzinstitute rechtlich verpflichtet, die Aktualität der Informationen, die für die Erbringung einer Wertpapierdienstleistung erforderlich sind, vor der Durchführung der Dienstleistung sicherzustellen. Ein regelmäßiger Austausch mit dem Kunden ist daher ebenso empfehlenswert wie der Hinweis an den Kunden, dass eine Übermittlung von Änderungen der für die Wertpapierdienstleistung relevanten Informationen an das Finanzinstitut hilfreich ist, damit das Finanzinstitut die Durchführung der Dienstleistung an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen kann.

2.3 Weitere Kundeninformationen Zusätzlich zu den Kundenangaben zu den Kenntnissen und Erfahrungen mit Geschäften in Finanzinstrumenten, den Anlagezielen sowie den finanziellen Verhältnissen müssen im Rahmen des Onboarding eines Kunden weitere Informationen eingeholt werden, um den Kunden weiterhin eine qualitativ hochwertige Dienstleistung anbieten zu können, die gleichermaßen konform mit den neuen MiFID-II-Anforderungen ist. Exemplarisch werden an dieser Stelle drei Aspekte ausgewählt und erläutert: • Kundenindividuelle Identifikationsnummer: Finanzdienstleister sind im neuen MiFIDII-Regime verpflichtet, ihre Kunden bei der Transaktionsmeldung an Handelsplätze und Aufsichtsbehörden mit einer kundenindividuellen Nummer zu identifizieren. Während sich diese Identifikationsnummer bei natürlichen Personen nach der Nationalität des Kunden richtet, müssen juristische Personen mit dem Legal Entity Identifier (LEI) identifiziert werden. Ohne Vorliegen der entsprechenden Identifikationsnummer für sowohl Bestands- als auch Neukunden kann seit Inkrafttreten von MiFID II keine Order für den entsprechenden Kunden ausgeführt werden. • Kundeneinstufung: Da sich die Anwendbarkeit und der Umfang einiger MiFID-IIAnforderungen nach der WpHG-Kategorie (Privatkunde, professioneller Kunde, geeignete Gegenpartei) eines Kunden richtet, sind Finanzinstitute weiterhin verpflichtet, auf Grundlage der vorliegenden Informationen eine Kundeneinstufung vorzunehmen und diese dem Kunden gegenüber zu kommunizieren. Sofern der Kunde ein höheres Schutzniveau wünscht, kann er unter bestimmten Voraussetzungen eine Änderung der WpHG-Kategorie (z.B. vom professionellen Kunden zum Privatkunden) veranlassen. • Vereinbarung zur Kundenkommunikation: Insbesondere in der Anlageberatung unter MiFID II müssen dem Kunden unterschiedliche Dokumente auf einem dauerhaften Da-

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

tenträger zur Verfügung gestellt werden (z.B. Eignungsbericht und Ex-ante-Kostenausweis), bevor eine Transaktion ausgeführt werden kann. Daher ist die Ausgestaltung der Kommunikationsvereinbarung zu Beginn einer Geschäftsbeziehung ein wichtiger Bestandteil, um die Qualität der Beratungsdienstleistung aufrechterhalten zu können.

3 Beratung und Geschäftsabschluss 3.1 Aufzeichnungspflichten Eine der meist diskutiertesten Änderungen durch MiFID II sind die Aufzeichnungspflichten von Aufträgen, insbesondere die Telefonaufzeichnung. Im Folgenden werden die Anforderungen und Implikationen der Aufzeichnungspflichten für die Praxis dargestellt.

3.1.1

Regulatorische Anforderungen und Datenschutz

Aufzeichnungspflichtig ist jegliche elektronische Kommunikation, die zu einer Order hinführen kann, die Ordererteilung selbst sowie auch die interne Weitergabe von Aufträgen. Dies gilt sowohl für Kundenorders als auch für Aufträge auf eigene Rechnung. Die so aufgezeichnete Kommunikation ist fünf Jahre, auf Anforderung der Aufsicht sieben Jahre aufzubewahren und auf Nachfrage an den Kunden sowie an die Aufsicht herauszugeben. Hintergrund dieser Regelung ist ein erhöhter Investorenschutz durch Nachvollziehbarkeit der Beratung und Ordererteilung sowie eine vereinfachte Beweisführung im Fall von Marktmissbrauch. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, muss zunächst definiert werden, über welche Kanäle dem Kunden es überhaupt möglich gemacht werden soll, Aufträge abzugeben. Wenn ein Kommunikationskanal als Orderkanal dienen soll, so ist dieser entsprechend aufzuzeichnen. Dabei wird man feststellen, dass die Liste möglicher Orderkanäle relativ lang ist und einige Kanäle technisch schwer oder nicht verlässlich aufzuzeichnen sind. Diese Liste kann z.B. umfassen Festnetztelefon, Mobiltelefon, SMS, WhatsApp und andere Kommunikationsdienste, Chats (insbesondere im Handelsumfeld), Fax, Brief, Videotelefonie sowie E-Mail. Insbesondere die Aufzeichnung von Kommunikationsdiensten wie WhatsApp und SMS ist mit den hier erforderlichen Archivierungsanforderungen kaum realisierbar. Demnach müssen diese Kanäle als Orderkanäle ausgeschlossen werden. Sollte es trotzdem eine Order über so einen Kanal geben, so ist diese nicht anzunehmen und der Kunde an einen erlaubten Orderkanal weiterzuleiten. Neben der elektronischen

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Kommunikation ist ebenfalls die persönliche Kommunikation – soweit diese einen Orderkanal darstellt – zu protokollieren und die Protokolle entsprechend aufzubewahren. Der Kunde ist rechtlich über die Aufzeichnung zu informieren. Dies kann z.B. über das MiFID-II-Starter-Paket erfolgen (Abschnitt 2.1). Das WpHG erfordert die Aufzeichnung von Gesprächen über Wertpapierdienstleistungen und ist damit die datenschutzrechtlich erforderliche Erlaubnisnorm. Jedoch wird insbesondere bei telefonischer Kommunikation in der Praxis nicht ausschließlich über Wertpapiere gesprochen werden, sodass mehr aufgezeichnet werden könnte, als von der Erlaubnisnorm erfasst ist. Dies ist grundsätzlich möglich, wenn der Kunde dem zustimmt. Die Zustimmung kann dabei auch über konkludentes Handeln nach Information über die Aufzeichnung, z.B. per Bandansage, erfolgen, indem der Kunde das Gespräch fortsetzt. Im Handel war die Aufzeichnung telefonischer Kommunikation ohne Bandansage bereits vor Inkrafttreten von MiFID II üblich. Im Privatkundenumfeld ist die Aufzeichnung eine Neuerung und kann über verschiedene Varianten umgesetzt werden: • Einerseits per Knopflösung bei der die Aufzeichnung auf Kopfdruck aktiviert wird, sobald es zu aufzeichnungspflichtigen Inhalten kommt. Dabei ist zu beachten, dass sobald die Aufzeichnung einmal gestartet wurde, diese nicht mehr beendet werden sollte, da die Aufsicht das Vorliegen einzelner Gesprächsschnipsel vermeiden möchte. Der Vorteil dieser Lösung liegt darin, dass das Finanzinstitut besser steuern kann, dass nur wertpapierrelevante Gesprächsinhalte aufgezeichnet werden. Dies ist insbesondere sinnvoll, wenn der Kunde vermehrt auch über andere Themen z.B. das Kreditgeschäft spricht. Der Nachteil liegt in der manuellen Steuerung der Aufzeichnung, da der Mitarbeiter ständig überlegen muss, wann genau die Aufzeichnung zu starten ist und dies gerade in der Anfangsphase vergessen werden kann. • Andererseits gibt es die Möglichkeit zur Vollaufzeichnung, bei der das gesamte Gespräch aufgezeichnet wird. Mit Zustimmung des Kunden ist auch dies möglich. Der Nachteil dabei ist, dass der Kunde bestimmte private Themen, wie z.B. Erbschaftsthemen etc., ungern aufgezeichnet wissen möchte. Zudem ist bei ausgehenden Telefonaten sicherzustellen, dass der Angerufene über die Aufzeichnung informiert und damit einverstanden ist. Die Vorteile der Lösung liegen im vergleichsweise einfachen Handling für den Mitarbeiter und der Vermeidung möglicher Manipulationen.

3.1.2

Archivierung und Herausgabe

Auch bei der Archivierung der Aufzeichnungen gibt es einiges zu beachten. Dies umfasst v.a. die Auffindbarkeit der Aufzeichnungen sowie die Konzeption von Löschkonzepten und Zugriffsrechten.

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

Eine große Herausforderung wird das Auffinden von bestimmten Aufzeichnungen sein, wenn es von Kunden oder der Aufsicht zu Anfragen kommt. So sind Anfragen zu bestimmten Aufträgen möglich, aber auch Anfragen zu allen Aufträgen in bestimmten Instrumenten inklusive möglicher Vorgespräche zu diesen Orders. Idealerweise wäre also jede Aufzeichnung mit bestimmten Metadaten zu versehen, aus denen sich auf Zeit, Kanal, Mitarbeiter, Kunde und besprochene Finanzinstrumente schließen lässt. Während Zeit und Mitarbeiter relativ einfach darzustellen sind, wird es bei Kunden schon schwieriger, z.B. wenn Bevollmächtigte oder externe Vermögensverwalter mehrere Aufträge für verschiedene Kunden übermitteln. Ein Merkmal aus denen sich Finanzinstrumente auslesen lassen, wird zumindest bei mündlicher Kommunikation kaum möglich sein. Bestenfalls eine Freitextsuche mit Spracherkennung kann hier helfen, diese dürfte aber nicht so zuverlässig sein, um wirklich alle Fälle zu finden. Um die Handhabung der Suche von Aufzeichnungen zu erleichtern, sollte man darüber hinaus darauf achten, dass alle Aufzeichnungen möglichst an einem Speicherort mit einer übergreifenden Suchfunktion abgelegt sind. So kann eine aufwendige Suche vermieden werden, wenn nicht klar ist, auf welchem Kanal eine bestimmte Order von einem Kunden eingegangen ist. Beim Löschkonzept ist darauf zu achten, dass alle Aufzeichnungen entsprechend der regulatorischen Anforderungen über fünf Jahre gespeichert werden. Jedoch gibt es auch die Möglichkeit der Aufsicht zu verlangen, dass bestimmte Aufzeichnungen länger aufzubewahren sind. Dies macht es erforderlich, dass bestimmte Aufzeichnungen nicht automatisch nach fünf Jahren, sondern erst nach sieben Jahren gelöscht werden. Ein komplett automatisiertes Löschen anhand des Aufzeichnungsdatums allein ist also nicht möglich. Vielmehr muss jede Aufzeichnung ein eigenes Löschdatum erhalten. Im Hinblick auf das Zugriffskonzept muss berücksichtigt werden, dass es verschiedene Interessengruppen gibt, die auf die Aufzeichnungen zugreifen wollen. Die Revision und die Compliance haben ein Interesse, um ihren laufenden Prüfungspflichten nachzukommen. Die aufgezeichneten Mitarbeiter sollten ggf. Zugriff auf ihre Gespräche haben. Außerdem muss ein Prozess etabliert sein, der mit der Anfrage von Kunden und der Aufsicht umgeht.

3.2 Zielmarktabgleich Neben der Anforderung zur Aufzeichnung von Kommunikation ist der seit dem Inkrafttreten von MiFID II verpflichtende Zielmarktabgleich die größte Neuerung für das Privatkundengeschäft. Wie in Abschnitt 2.2 beschrieben, umfasst der Zielmarktabgleich den Abgleich der Zielmarktkriterien eines Produktes mit den entsprechenden Informationen eines individuellen Kunden und ist aus Vertriebssicht zwingend bei Empfehlung oder

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Vermarktung eines Produktes vor der Ausführung einer Transaktion durchzuführen. Während die Pflicht zur Erhebung der relevanten Informationen vom Kunden sowie die Pflicht zum Abgleich mit den Zielmarktdaten des Produktes bei dem betreuenden Finanzinstitut liegen, obliegt die Pflicht zur Festlegung eines Zielmarktes für ein Produkt grundsätzlich dem jeweiligen Emittenten. Durch die Festlegung eines Zielmarktes legt der Emittent die Zielgruppe von Anlegern fest (positiver Zielmarkt). Darüber hinaus kann der Emittent auch festlegen, für welche Art von Anlegern ein Produkt explizit nicht gedacht ist (negativer Zielmarkt). Um die Umsetzung der Anforderung an den Zielmarktabgleich für jedes Institut im deutschen Markt zu ermöglichen, hat die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) ein standardisiertes Konzept erstellt, welches für ein einheitliches Verständnis des Zielmarktes im deutschen Markt sorgt und dadurch zur Folge hat, dass die Umsetzungskonzepte der einzelnen Finanzinstitute inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Auf Grundlage des DK-Zielmarktkonzeptes zeigt Abbildung 2 alle Zielmarktkriterien auf und gibt einen Überblick über die Ausprägungen des positiven Zielmarktes sowie exemplarisch über die Systematik des negativen Zielmarktes. Abbildung 2: Begriff des Zielmarktes

Zielmarkt

Kriterium

Positive Ausprägung

Kundenkategorie

Privatkunde, professioneller Kunde, geeignete Gegenpartei

Anlagehorizont

Kurz-, mittel- und langfristig

Anlageziele

Altersvorsorge, Vermögensbildung, überproportionale Kursgewinne

Finanzielle Verlusttragfähigkeit

Geringe Verluste, bis 100% des eingesetzten Kapitals, mehr als 100%

Risikoindikator/ Risiko- und Renditeprofil

Wert auf einer Skala von 1-7 (7 höchster Wert)

Kenntnisse und Erfahrungen (KE)

Basis KE, erweiterte KE, umfangreiche KE, spezielle KE

Vertriebsstrategie

Anlageberatung, beratungsfreies Geschäft, Execution only

Negative Ausprägung

Alle Ausprägungen des positiven Zielmarktes können gleichermaßen als negativer Zielmarkt definiert werden (z.B. nicht für Privatkunden oder nicht für Kunden mit einem kurzfristigen Anlagehorizont).

Erst nachdem der Zielmarkt von einem Emittenten festgelegt wurde, kann ein vertreibendes Finanzinstitut einen Abgleich der Zielmarktdaten eines Produktes mit den persönlichen Angaben eines Kunden durchführen. Aus Vertriebssicht ergibt sich daraus die Notwen-

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

digkeit, dass die Erhebung der Kundeninformationen auf die Zielmarktausprägungen des Zielmarktkonzeptes der DK abgestimmt werden muss, sodass ein direkter Abgleich von Produkt und Kunde oder ein entsprechendes Mapping der Kundeninformationen zu den Ausprägungen des DK-Konzeptes ermöglicht wird. Der Zielmarktabgleich kann dabei die folgenden Ergebnisse liefern: • Kein Zielmarktverstoß: Die Ausprägung eines Zielmarktkriteriums auf Seiten des Kunden passt zum Zielmarkt des Produktes (Beispiel: Ausprägung Kunde = Privatkunde; Ausprägung Produkt = Privatkunde, professioneller Kunde und geeignete Gegenpartei). Kauft der Kunde das Produkt, so wird es im Hinblick auf das betroffene Zielmarktkriterium in der vom Emittenten definierten Zielgruppe vertrieben. • Verstoß gegen einen positiven Zielmarkt: Die Ausprägung eines Zielmarktkriteriums auf Seiten des Kunden liegt nicht im positiven Zielmarkt eines Produktes; ein negativer Zielmarkt wurde vom Emittenten nicht festgelegt (Beispiel: Ausprägung Kunde = Privatkunde; Ausprägung Produkt = professioneller Kunde und geeignete Gegenpartei). Aus dem Verstoß gegen den positiven Zielmarkt eines Produktes ergibt sich kein Vertriebsverbot, da ein Vertrieb außerhalb des Zielmarktes gesetzlich nicht ausgeschlossen ist. Jedoch ist mit einem Vertrieb außerhalb der vom Emittenten festgelegten Zielgruppe eine erhöhte Pflicht zur Dokumentation und Begründung der entsprechenden Abweichung verbunden. • Verstoß gegen einen negativen Zielmarkt: Die Ausprägung eines Zielmarktkriteriums auf Seiten des Kunden liegt im negativen Zielmarkt eines Produktes (Beispiel: Ausprägung Kunde = Privatkunde; Ausprägung Produkt = nicht für Privatkunden). Analog zum Verstoß gegen einen positiven Zielmarkt liegt kein Vertriebsverbot vor, da der Vertrieb nicht auf die vom Emittenten festgelegte Zielgruppe beschränkt ist. Zusätzlich zur erhöhten Dokumentationspflicht des Zielmarktverstoßes ist es aus Vertriebssicht empfehlenswert, die Durchführung der anstehenden Transaktion mit besonderer Berücksichtigung des Verstoßes gegen den negativen Zielmarkt erneut zu hinterfragen. Ergänzend zu den erhöhten Dokumentationspflichten von Zielmarktverstößen auf Einzeltransaktionsebene besteht die Pflicht, dass der ganzheitliche Vertrieb an einer zentralen Stelle dahingehend ausgewertet werden muss, inwieweit innerhalb bzw. außerhalb des Zielmarktes vertrieben wird. Durch die zentrale Auswertung der Zielmarktinformationen kann insbesondere der Vertrieb außerhalb des Zielmarktes intern überwacht und nachvollzogen werden. Zudem besteht die Verpflichtung, dass ein Finanzinstitut gezielt den Dialog mit einem Emittenten sucht, um über unterschiedliche Auffassungen der Zielmarkteinschätzungen eines Produktes zu diskutieren. Diese Möglichkeit zum direkten Austausch mit dem Emittenten ist in der MiFID II ausdrücklich vorgesehen und ist ein wichtiger Bestandteil der langfristigen Optimierung des Zielmarktkonzeptes.

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Sebastian Alpheus/Philipp Söchtig

3.2.1

Anlageberatung

Während einige Anforderungen an den Zielmarktabgleich, wie bspw. die Durchführung des Zielmarktabgleiches vor Ausführung einer Transaktion oder die zuletzt beschriebene zentrale Konsolidierung und Auswertung aller Zielmarktinformationen, losgelöst von der Art der erbrachten Dienstleistung zu sehen sind, weichen Umfang des Zielmarktabgleiches und die Pflicht zur Kommunikation von Zielmarktverstößen je nach Art der Dienstleistung ab. Abbildung 3 vergleicht daher den Umfang des Zielmarktabgleiches in der Anlageberatung, der Finanzportfolioverwaltung und dem beratungsfreien Geschäft. Abbildung 3: Vergleich der Anforderungen an den Zielmarktabgleich in der Anlageberatung, der Finanzportfolioverwaltung und dem beratungsfreien Geschäft Anlageberatung

Finanzportfolioverwaltung

Beratungsfreies Geschäft

Kundenkategorie

Anlagehorizont

Anlageziele Finanzielle Verlusttragfähigkeit Risikoindikator/ Risiko- und Renditeprofil Kenntnisse und Erfahrungen

Vertriebsstrategie Prüfung erforderlich

Keine Prüfung erforderlich

In der Anlageberatung muss künftig zusätzlich zur Geeignetheitsprüfung ein vollumfänglicher Zielmarktabgleich durchgeführt werden. Obwohl es thematische Überschneidungen der Zielmarktkriterien (z.B. Kenntnisse und Erfahrungen) mit den Inhalten der Geeignetheitsprüfung gibt, ist der Zielmarkt als neuer Prüfschritt bei der Ausarbeitung einer Empfehlung anzusehen. Bevor es zu der Ausführung einer Transaktion kommen kann, müssen mögliche Zielmarktverstöße dem Kunden gegenüber kommuniziert werden.

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

Aufgrund der inhaltlichen Nähe zur Geeignetheitsprüfung und entsprechender Guideline der European Securities and Markets Authority (ESMA) ist es daher empfehlenswert, die Kommunikation der Zielmarktverstöße in den Eignungsbericht, welcher das bisherige Anlageberatungsprotokoll ablöst und die Geeignetheit einer Empfehlung dokumentiert, zu integrieren.3 Erst wenn der Kunde nach zur Verfügung Stellung des Eignungsberichtes und nach der Kommunikation der Zielmarktverstöße einer Empfehlung folgt, kann die Transaktion ausgeführt werden. Für die Anlageberatung erhöht sich durch die neue Anforderung eines vollumfänglichen Zielmarktabgleiches der Dokumentationsaufwand, da neben dem Zielmarktabgleich auch die Kommunikation gegenüber dem Kunden und die entsprechende Rückmeldung des Kunden zu dokumentieren ist. Dennoch trägt die korrekte Anwendung des Zielmarktkonzeptes auch zu einer Erhöhung der Beratungsqualität bei, da direkt bei der Emission die Zielgruppe eines Produktes definiert wird. Auf diese Informationen kann der Vertrieb zurückgreifen und aus dem gesamten Produktuniversum anhand des Zielmarktes Produkte identifizieren, die zu den Eigenschaften eines individuellen Kunden passen.

3.2.2

Finanzportfolioverwaltung

Im Gegensatz zur Anlageberatung folgt eine Transaktion innerhalb des Kunden-Portfolios im Rahmen einer Finanzportfolioverwaltung nicht auf eine direkte Kundenkommunikation. Vielmehr wird zu Beginn einer Kundenbeziehung die Übertragung der Verantwortung zur Vermögensverwaltung an das Finanzinstitut sowie die Rahmenbedingung der Vermögensverwaltung vertraglich zwischen dem Kunden und dem Finanzinstitut geregelt. Die abweichende Konstellation im Vergleich zur Anlageberatung wirkt sich in Hinblick auf den Umfang des Zielmarktabgleiches nur geringfügig aus. Auch in der Finanzportfolioverwaltung besteht die Pflicht zur Durchführung eines umfangreichen Zielmarktabgleiches auf Einzelproduktebene vor der Durchführung einer Transaktion. Lediglich die Prüfung des Zielmarktkriteriums „Kenntnisse und Erfahrungen“ ist in der beschriebenen Situation als nicht praktikabel anzusehen, da die Transaktionsentscheidung durch den Kunden bewusst an den Portfolio-Manager des Finanzinstitutes übertragen wurde und angenommen wird, dass der Portfolio-Manager die Risiken eines entsprechenden Produktes einschätzen kann.

3

Vgl. Abschnitt 3.3 für eine detaillierte Vorstellung des Eignungsberichtes.

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In Hinblick auf die Kommunikation möglicher Zielmarktverstöße unterscheidet sich die Finanzportfolioverwaltung grundlegend von der Anlageberatung, da es keine Pflicht zur Kommunikation der Zielmarktverstöße gegenüber dem Kunden gibt. Die Begründung hierfür liegt in dem beschriebenen Setup einer Finanzportfolioverwaltung, wonach der Kunde die Verantwortung zur Verwaltung des Vermögens bewusst an das Finanzinstitut überträgt und nicht in die Entscheidung einzelner Transaktionen involviert sein möchte. Daher ist eine interne Dokumentation von Zielmarktverstößen zunächst ausreichend. Auf Anfrage eines Kunden sind die Dokumentationen der einzelnen Zielmarktverstöße herauszugeben.

3.2.3

Beratungsfreies Geschäft

Im Gegensatz zur Anlageberatung und zur Finanzportfolioverwaltung geht die Transaktion beim beratungsfreien Geschäft grundsätzlich vom jeweiligen Kunden aus. Das Finanzinstitut hat künftig die Pflicht, zusätzlich zu einer Angemessenheitsprüfung einen eingeschränkten Zielmarktabgleich durchzuführen. Dieser beschränkt sich auf die Zielmarktkriterien „Kundenkategorie“, „Vertriebsstrategie“ und „Kenntnisse und Erfahrungen“, wobei die Prüfung der Kenntnisse und Erfahrungen dahingehend grundsätzlich keine neue Anforderung darstellt, als dass die Prüfung bereits durch die Angemessenheitsprüfung abgedeckt wird. Lediglich in Hinblick auf die beratungsfreie Orderausführung von nicht komplexen Finanzinstrumenten ergibt sich durch die Prüfung der Kenntnisse und Erfahrungen im Rahmen des Zielmarktabgleiches eine neue Anforderung, da auf eine Angemessenheitsprüfung bisher bei explizitem Hinweis an den Kunden verzichtet werden konnte. Liegt ein Zielmarktverstoß vor, so ist dieser dem Kunden unabhängig von dem Medium, das zur Übermittlung des Orderwunsches gewählt wurde, vor Ausführung der Transaktion zu kommunizieren. Anschließend kann die Order ausgeführt werden, sofern der Kunde nach der Kommunikation der Zielmarktverstöße zustimmt.

3.3 Eignungsbericht Im Falle einer Anlageberatung von Kunden, die im Rahmen der Kundeneinstufung als Privatkunde gemäß WpHG eingestuft wurden, löst der Eignungsbericht das Anlageberatungsprotokoll ab, welches für Finanzinstitute im deutschen Markt bis zum Inkrafttreten von MiFID II verpflichtend war. Durch die Ablösung durch den Eignungsbericht verschiebt sich der inhaltliche Fokus von einer Protokollierung der ausgesprochenen Empfehlungen hin zu einer Dokumentation der Geeignetheitsprüfung, welche dem Kunden vor der Ausführung einer entsprechenden Order auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen ist.

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

In Hinblick auf die zur Verfügung Stellung erhöht sich durch den Wegfall des Protokollcharakters aus Vertriebssicht die Flexibilität, da ein Eignungsbericht nicht zwangsläufig an ein persönliches Gespräch gebunden ist und somit auch initiativ erstellt und an den Kunden versandt werden kann. Da das Anlageberatungsprotokoll im deutschen Markt bereits gängige Praxis war und deutsche Finanzinstitute folglich auf bestehenden Strukturen und Prozessen aufbauen können, nimmt der Dokumentationsaufwand im europäischen Vergleich nur geringfügig zu. Der zusätzliche Dokumentationsaufwand ist dabei insbesondere auf zwei Faktoren zurückzuführen: • Zum einen liegt der Fokus künftig stärker als bisher auf der Dokumentation der Geeignetheitsprüfung, also der kundenindividuellen Prüfung, inwiefern die Empfehlung zu den persönlichen Angaben des Kunden passt. • Zum anderen ergibt sich der Mehraufwand aus der Integration des Zielmarktabgleiches in die Ausarbeitung einer Empfehlung und in die Integration möglicher Zielmarktverstöße in die Kommunikation gegenüber dem Kunden. Wie in Abschnitt 3.2.1 erläutert, ist eine Erläuterung von Zielmarktverstößen im Eignungsbericht aufgrund der inhaltlichen Verknüpfung von Geeignetheitsprüfung und Zielmarktabgleich empfehlenswert. Durch eine verständliche und einheitliche Dokumentation von Geeignetheitsprüfung und Zielmarktabgleich im Eignungsbericht erhöht sich die Beratungsqualität unter MiFID II dahingehend, dass der Kunde alle relevanten Informationen zu der Empfehlung auf einen Blick erhält und auf dieser Grundlage eine fundierte Anlageentscheidung treffen kann.

3.4 Weitere Informationen Während der Eignungsbericht mit dem Anlageberatungsprotokoll ein bestehendes Dokument ablöst, sind Finanzdienstleister künftig verpflichtet, weitere Produktinformationen in Beratungssituationen an den Kunden auszuhändigen. Ex-ante-Kostenausweis Wie in Abschnitt 2.1 erläutert, müssen einem Kunden vor Ausführung einer Transaktion die Kosten offengelegt werden. Sofern es sich bei der Kommunikation nicht um eine telefonische Orderaufgabe im beratungsfreien Geschäft (hier greift wie beschrieben die Erleichterung des standardisierten Ex-ante-Kostenausweises) handelt, muss dem Kunden ein Ex-ante-Kostenausweis zur Verfügung gestellt werden, sodass der Kunde vor Orderausführung über die anfallenden Kosten und die Auswirkung der Kosten auf die

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Rendite der Investition informiert ist und diese Informationen in die Investitionsentscheidung einbeziehen kann. Da die Pflicht zur Kostenoffenlegung unabhängig von der WpHG-Kategorie des Kunden besteht, ist die Erstellung eines Ex-ante-Kostenausweises, welcher sowohl interne als auch externe Dienstleistungskosten umfasst, künftig ein verpflichtender Bestandteil des Vertriebsprozesses. Basisinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte Unabhängig von MiFID II ist auch die PRIIPs-Verordnung (Packaged Retail and Insuranse-based Investment Products) zum Beginn des Jahres 2018 in Kraft getreten. Diese verpflichtet Finanzdienstleister in Beratungssituationen mit Kunden, die i.S.d. WpHG als Privatkunden eingestuft sind, für alle Produkte, die sich im Anwendungsgebiet der PRIIPs-Verordnung befinden, ein standardisiertes Basisinformationsblatt (Key Information Document (KID)) vor Ausführung der Transaktion auszuhändigen. Die Pflicht zur Erstellung der KIDs obliegt dabei dem Emittenten eines Produktes, das nach Definition der PRIIPs-Verordnung als verpacktes Anlageprodukt einzustufen ist. Inhaltlich werden in dem KID die Risiken und Kosten des Produktes dargestellt sowie unterschiedliche Performance-Szenarien ausgewiesen. Durch die einheitlichen Vorgaben zur Erstellung der KIDs soll insbesondere die Vergleichbarkeit von verpackten Anlageprodukten erhöht werden.

4 After Sales Neben den Informationspflichten am Point of Sales gibt es auch verschiedene Anforderungen an das After-Sales-Reporting, welche laufend durchzuführen sind.

4.1 Verlustschwellen-Reporting Unter MiFID II gibt es zwei verschiedene Anforderungen an das VerlustschwellenReporting: • Die erste bezieht sich auf die Finanzportfolioverwaltung und verlangt, dass Kunden bei Verlusten von 10% des Portfolio-Wertes oder eines Vielfachen davon informiert werden. Die 10%-Schwellen sind jeweils zum letzten Regel-Reporting zu berechnen. Außerdem ist die Berechnung um Entnahmen und Einlagen zu korrigieren.

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

Grundsätzlich ist dieses Reporting für alle Kundenkategorien erforderlich und nicht verzichtbar, jedoch kann mit geeigneten Gegenparteien eine Vereinbarung zu einem geänderten Timing getroffen werden. Falls dies nicht der Fall ist, muss das Reporting im Laufe des Geschäftstages, nachdem die Überschreitung der Verlustschwelle festgestellt wurde, dem Kunden zugestellt werden. Bisherige Verlustschwellen, die z.B. durch einen Vermögensverwaltungsvertag geregelt waren, sind weiterhin möglich. Auch werden diese nicht durch die neuen gesetzlichen Anforderungen ersetzt. • Die zweite Anforderung an das Verlustschwellen-Reporting bezieht sich auf Leveraged Financial Instruments oder Contingent Liabilities und besteht unabhängig von der zu Grunde liegenden Dienstleistung. Darunter fallen insbesondere Hebelprodukte wie gehebelte Zertifikate oder Optionsscheine. Auch bei dieser Anforderung gelten wieder eine Verlustschwelle von 10% sowie Vielfache dieser Schwelle. Die Schwelle ist in Bezug auf den Inital Value, also dem Einstand des Kunden, zu berechnen. Sollte der Einstand nicht vorliegen, z.B. bei historischen Beständen oder Depotüberträgen, ist es sinnvoll, dass ersatzweise der Wert vom 03.01.2018, also dem Beginn der Anwendbarkeit der MiFID-II-Regeln, herangezogen wird. Der Gesetzgeber hat keine Bagatellgrenze für dieses Reporting vorgesehen; daher ist das Reporting auch bei sehr geringen Investitionssummen oder Restwerten zu erstellen. Die Anforderung beschränkt sich dabei allerdings auf den Umgang mit Privatkunden und es besteht die Möglichkeit, dass mit dem Kunden ein Reporting auf Depotebene anstatt eines Reporting auf Einzeltitelebene vereinbart wird. Dies kann die Anzahl der Mitteilungen deutlich verringern. Auch dieses Reporting muss im Laufe des Geschäftstages erstellt werden, an dem die Überschreitung festgestellt wurde.

4.2 Quartalsweiser Depotausweis Bislang galt die Anforderung einmal jährlich einen Depotauszug zur Abstimmung an den Kunden zu versenden. Eine Aufstellung über Kundenfinanzinstrumente und Kundengelder, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen für den Kunden hält, hat nun quartalsweise zu erfolgen, es sei denn, eine solche Aufstellung ist bereits in einer anderen Aufstellung übermittelt worden. Dies soll auf einem dauerhaften Datenträger passieren und muss auf Wunsch des Kunden auch häufiger und auf Kosten des Finanzdienstleisters passieren. CRR-Kreditinstitute (Capital Requirements Regulation) müssen in diese Aufstellung keine Einlagen aufnehmen, sind jedoch nicht gänzlich davon ausgenommen. Hat der Kunde Zugriff auf ein Online-System, das als dauerhafter Datenträger eingestuft werden kann, und der Kunde nachweisbar einmal im Quartal auf die Aufstellung seiner Finanzinstrumente zugegriffen, kann die Aufstellung entfallen.

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Sebastian Alpheus/Philipp Söchtig

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hat bereits angekündigt, dass die bisherigen Regelungen zur Depotabstimmung aus der Bekanntmachung über die Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit des Depotgeschäfts und der Erfüllung von Wertpapierlieferungsverpflichtungen auf Basis der neuen rechtlichen Anforderungen aktualisiert werden wird.

4.3 Berichtspflichten in der Finanzportfolioverwaltung Zu dem Verlustschwellen-Reporting und dem quartalsweisen Depotausweis gibt es in der Finanzportfolioverwaltung noch zusätzliche Berichtspflichten. Dem Kunden ist i.d.R. quartalsweise ein Reporting inklusive Wertentwicklung zur Verfügung zu stellen. Außerdem müssen darin Informationen über die ausgekehrten Zuwendungen enthalten sein. Auch dieses Reporting kann online zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus muss eine Aussage über die fortbestehende Geeignetheit enthalten sein. Allerdings ist davon auszugehen, dass es keiner vollständigen Wiederholung aller Aussagen zur Geeignetheit bedarf. Es sollte viel mehr ausreichend sein, sich auf mögliche Veränderungen der Dienstleistung oder ggf. Änderungen der Kundensituation zu beschränken. Grundsätzlich ist es auch möglich, den quartalsweisen Depotausweis mit dem Reporting der Vermögensverwaltung zu verbinden bzw. zu integrieren.

4.4 Ex-Post-Kostenausweis Zu den After-Sales-Reporting-Pflichten gehört ebenfalls das Ex-post-Kosten-Reporting, welches einmal jährlich versendet werden muss.4

5 Mitarbeiteranzeigeverordnung Neben den prozessualen Anforderungen gibt es auch erneuerte Anforderungen an die Qualifikation von Mitarbeitern. Diese wurden in der WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung (WpHGMAnzV) konkretisiert und sind weitreichender als die bisherigen Regelungen. Bislang werden bereits der Compliance-Beauftragte, Vertriebsbeauftrage und Anlageberater bei der Bafin registriert.

4

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Vgl. dazu den Beitrag von Schetschok/Grimm.

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Beratungsqualität und Dokumentation aus Vertriebssicht

Obwohl auch weiterhin nicht gegenüber der Bafin meldepflichtig, müssen durch das Inkrafttreten von MiFID II auch Vertriebsmitarbeiter und Finanzportfolioverwalter vorgegebene Qualitätsanforderungen erfüllen. Die Qualifikationsanforderungen unterteilen sich dabei in Sachkundeanforderungen, Zuverlässigkeit und praktischer Erfahrung. Die Sachkundeanforderungen umfassen die Themen Kundeberatung (z.B. Bedarfsermittlung etc.), rechtliche Grundlagen (z.B. Vertragsrecht), fachliche Grundlagen (z.B. Funktionsweise des Finanzmarktes), interne Anweisungen und für Portfolio-Manager der Portfolio-Management sowie die Portfolio-Analyse. Abbildung 4: Anforderungen an die Sachkunde Anforderungen

Finanzportfolioverwaltung

Anlageberatung

Vertriebsmitarbeiter

Kundenberatung a) Bedarfsermittlung, b) Lösungsmöglichkeiten, c) Produktdarstellung und -information und d) Serviceerwartungen des Kunden, Besuchsvorbereitung, Kundenkontakte, Kundengespräch, Kundenbetreuung Rechtliche Grundlagen Vertragsrecht WpHG und KAGB Bafin-Verwaltungsvorschriften Fachliche Grundlagen Funktionsweise des Finanzmarkts Merkmale, Risiken und Funktionsweise der Finanzinstrumente Wertentwicklung von Finanzinstrumenten Grundzüge der Bewertungsgrundsätze Gesamtheit der Kosten und Gebühren Grundzüge des Portfolio-Managements Aspekte in Bezug auf Marktmissbrauch Portfolio-Management Portfolio-Analyse Interne Anweisungen

Die Sachkunde kann über Zeugnisse, Schulungen oder sonstige Zertifikate nachgewiesen werden. So gelten Studienabschlüsse in relevanten Fachrichtungen, der Abschluss als Bankoder Sparkassenfachwirt, Ausbildungen der Industrie- und Handelskammern (IHK) etc. als Nachweise. Bislang galt die Alte-Hasen-Regel, der zur Folge man annehmen durfte, dass Mitarbeiter in der Anlageberatung, Vertriebsbeauftragte und Compliance-Beauftragte, die seit 2006 in dieser Funktion tätig sind, über die notwendigen Qualifikationen verfügen. Diese Regel wurde ersatzlos gestrichen. Allerdings gibt es eine Übergangsregelung von sechs Monaten, soweit die entsprechenden Mitarbeiter bereits seit dem 03.01.2018 in der Funktion tätig sind und falls notwendig an das Bafin-Register gemeldet waren. Die Sachkunde der Mitarbeiter muss mindestens jährlich überprüft werden, auch in Hinblick auf gesetzliche Änderungen und auf das Angebot an Dienstleistungen und Produkten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens.

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Sebastian Alpheus/Philipp Söchtig

Es gibt keine Definition, wann ein Mitarbeiter die nötige Zuverlässigkeit hat, sondern nur eine Negativabgrenzung. Wenn ein Mitarbeiter fünf Jahre vor Beginn seiner Tätigkeit eines Verbrechens verurteilt wurde, gilt er nicht als zuverlässig. Für die praktische Erfahrung gilt ein Zeitraum von sechs Monaten – gerechnet als Vollzeitäquivalent –, in dem der Mitarbeiter die Tätigkeit ausgeübt haben muss, bevor er die Dienstleistung selbständig erbringen kann. Dies kann unter Aufsicht eines entsprechend qualifizierten Mitarbeiters passieren, wobei die Aufsicht angemessen zu den Kenntnissen und praktischen Anwendungen des beaufsichtigten Mitarbeiters sein muss. Die Tätigkeit unter Aufsicht darf nicht länger als vier Jahre ausgeübt werden.

6 Fazit Zusammenfassend kann man sagen, dass sich durch MiFID II einiges an der Schnittstelle zum Kunden ändert. Von Informationspflichten vor Dienstleistungserbringung über die Änderungen am Point of Sale bis hin zum Reporting gibt es diverse Neuerungen. Dies erfordert eine Vielzahl von Anpassungen und Änderungen in den bestehenden und eingespielten Prozessen und einige Zeit, bis alle neuen Prozesse vollständig funktionieren und gelebt werden. Nach dem Start von MiFID II am 03.01.2018 ist darüber hinaus noch mit weiteren Auslegungen der nationalen und europäischen Behörden zu rechnen. Daher kann man davon ausgehen, dass die Prozesse noch nicht alle final sind und es auch im Laufe der ersten Monate noch weitere Änderungen geben wird. Es wird einiges an Zeit und Aufwand kosten, bis alle Mitarbeiter und Kunden die Änderungen von MiFID II verinnerlicht haben, insbesondere, da einige Anforderungen, wie der Ex-post-Kostenausweis, erst im Jahr 2019 erstmalig an Kunden ausgehändigt werden. Inwieweit sich die Beratungsqualität durch diese Änderungen verändert, bleibt abzuwarten. Jedoch ist es sicher, dass es eine große Herausforderung ist, den Kunden bei diesen Änderungen mitzunehmen.

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht Andreas Zahradnik/Elisabeth Reiner

1 Einleitung 2 Verhältnis von Aufsichts- und Zivilrecht 2.1 Regelungszweck und Einordnung der Wohlverhaltensregeln 2.2 Doppelnatur oder Ausstrahlungstheorie? 2.3 Der gewerbliche Vermögensberater als Beispiel für die Ausstrahlungswirkung der Wohlverhaltensregeln 3 Überblick über Tendenzen der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zur Beraterhaftung 3.1 Haftungsgrundlage 3.2 Umfang der Beratung und Risikoaufklärung 3.3 Fehlerhafte Anlageberatung, Schadenshöhe und Beweislast 3.4 Mitverschulden 3.5 Verjährung 4 Ausgewählte Regeln des WAG 2018 und ihre möglichen Implikationen auf Beratungstätigkeit und Beraterhaftung 4.1 Zielmarktbestimmung und Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung 4.2 Unterscheidung zwischen unabhängiger und abhängiger Beratung 4.3 Telefonaufzeichnungen 5 Fazit Literatur

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1 Einleitung Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) samt ihrer Umsetzung im österreichischen Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 (WAG 2018) auf die Beratungspraxis und die Beraterhaftung. Offen bleibt dabei, ob die neuen Elemente der Wohlverhaltensregeln die Beratungsqualität entscheidend verbessern können oder ob es nicht v.a. zu einem Mehr an Regelungen kommt.1 Einleitend wird zunächst ein Überblick über das Verhältnis von Aufsichts- und Zivilrecht gegeben, an dessen Schnittstelle sich die Wohlverhaltensregeln des WAG 2018 bewegen. Anhand des Beispiels des gewerblichen Vermögensberaters wird gezeigt, dass Anwendungsbereich und Umfang der Wohlverhaltensregeln z.T. unklar bleiben, was wiederum für die Ausübung der Beratungstätigkeit, aber auch aus Anlegersicht mit Rechtsunsicherheit verbunden ist. Anschließend wird überblicksartig auf die zivilrechtliche Judikatur zur Beraterhaftung eingegangen. Anhand einiger zentraler Elemente der Wohlverhaltensregeln des WAG 2018 werden schließlich deren mögliche Implikationen für die Beratungspraxis und die Beraterhaftung analysiert.

2 Verhältnis von Aufsichts- und Zivilrecht 2.1 Regelungszweck und Einordnung der Wohlverhaltensregeln Kapitalmarktrechtliche Regelungen, zu denen auch das WAG 2018 gehört, sollen die Funktionalität des Marktes und den Schutz der Anleger sicherstellen.2 Funktional gehört das WAG 2018 auf den ersten Blick dem Aufsichtsrecht an und seine Einhaltung wird auch durch die Finanzmarktaufsicht (FMA) sichergestellt. Soweit das Verhältnis zwischen

1

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Das WAG 1996, das die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie umsetzte, bestand aus 35 Paragrafen während das WAG 2018 nunmehr – zusätzlich zur unmittelbar anwendbaren MiFIR und den Durchführungsverordnungen – 118 Paragrafen umfasst. Vgl. etwa Kalss, Das Scheitern des Informationsmodells, in: ÖJT (Hg.), 19. Österreichischer Juristentag, Anlegeransprüche – kapitalmarktrechtliche und prozessuale Fragen, Band II/1 (2015), 8.

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Andreas Zahradnik/Elisabeth Reiner

einem dem WAG 2018 unterliegenden Rechtsträger (im Wesentlichen Kreditinstitute und Wertpapierfirmen)3 und Anlegern, die von diesen Wertpapierdienstleistungen in Anspruch nehmen, betroffen ist, berühren die Regelungen aber auch das Zivilrecht. Martin Oppitz weist auf die bestehenden strukturellen Unterschiede zwischen Aufsichtsund Zivilrecht hin: Das Aufsichtsrecht stellt das Fundament und die Rahmenbedingung für unternehmerische Prozesse bereit und geht dabei nicht von individuellen Vertragsverhältnissen aus. Das Zivilrecht fokussiert hingegen auf diese spezifische Vertragsbeziehung und bietet ein Regelwerk für eine Durchsetzung von Ansprüchen in einem konkreten Einzelfall.4 Anlegerschutz bedeutet nicht automatisch, dass es sich dabei generell auch um Verbraucherschutz handelt. Das WAG 2018 orientiert sich nicht an einem Konsumentenschutzbegriff.5 Vom Schutzbereich umfasst sind professionelle Kunden sowie Privatkunden, welche das höchste Schutzniveau genießen. Die geborenen professionellen Kunden6 (wie Institutionelle) sind per se keine Konsumenten. Anders verhält es sich bei den gekorenen professionellen Kunden: Es handelt sich dabei um Privatkunden, die über Antragstellung zum professionellen Kunden hochgestuft werden (Opt-up). Voraussetzung dafür ist, dass diese Kunden zwei von drei qualitativen Kriterien erfüllen (§ 67 Abs. 2 WAG 2018). Privatanleger werden wiederum in den überwiegenden Fällen den Konsumentenbegriff erfüllen, da für sie das Finanzgeschäft meist nicht zum Bereich ihres Unternehmens gehört.7 Diese Konsumenteneigenschaft würde grundsätzlich auch durch ein Opt-up zum professionellen Kunden nicht verloren gehen. Dies führt zu der widersprüchlichen Situation, dass ein Kunde im Bereich des WAG 2018 zwar ausdrücklich auf den Schutz als Privatanleger verzichtet,8 aber dennoch daneben das Konsumentenschutzrecht zur

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§ 26 Abs. 1 WAG 2018. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017), 435. Vgl. § 1 Abs. 1 KSchG: Konsument ist jemand, für den das Rechtsgeschäft nicht zum Betrieb seines Unternehmens gehört (negative Definition). Vgl. zum Verbraucher- und Anlegerbegriff, Kalss, Das Scheitern des Informationsmodells (2015), 16-20. Vgl. Anhang II MiFID II. Vgl. zum Anlegerleitbild, Oppitz, Das Anlegerleitbild im Kapitalmarktrecht, GesRZ 2015, 359. Der Kunde muss sogar schriftlich in einem separaten Dokument festhalten, dass er sich der Folgen des Verlustes des Schutzniveaus bewusst ist (§ 67 Abs. 2 Z. 3 WAG 2018).

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht

Anwendung gelangt. Der Rechtsträger muss also weiterhin bspw. Informationsverpflichtungen nach dem Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz (FernFinG)9 erfüllen.10 Das WAG 2018 bewegt sich demnach an der Grenze zwischen Aufsichts- und Zivilrecht.11 Seinem Regelungszweck nach gehört es dem Aufsichtsrecht an. Es lässt sich jedoch keine klare Zuordnung treffen, da das Gebiet des Kapitalmarktrechts eine Querschnittsmaterie ist und als solche Elemente des Privatrechts und des öffentlichen Rechts aufweist. Das Ineinandergreifen und gegenseitige Beeinflussen der beiden Rechtsgebiete Aufsichtsund Zivilrecht zeigt sich insbesondere an den Wohlverhaltensregeln des WAG 2018.12 Die Wohlverhaltensregeln haben jedenfalls öffentlich-rechtlichen Charakter, es bestehen aber Wechselwirkungen mit den vertraglichen Regelungen.13 Bestimmte Rechtsträger müssen bei der Erbringung ihrer Dienstleistungen die Wohlverhaltensregeln des WAG anwenden. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen bedeutet sowohl eine von der FMA zu ahndende Verwaltungsverletzung (Bereich des Aufsichtsrechts), als auch eine mögliche Schadenersatzpflicht gegenüber dem Kunden (Bereich des Zivilrechts).14 Diese Normen sind somit janusköpfig, da ihre Verletzung gleichzeitig Grundlage sowohl von Aufsichtsmaßnahmen im Verwaltungsrechtsweg als auch von zivilrechtlichen Ansprüchen sein kann. Dies unterstreicht das Nebeneinander der beiden Rechtsgebiete auch auf Ebene der Rechtsfolgen. Die Tätigkeit der Rechtsträger beruht auf privatrechtlichen Vereinbarungen (wie bspw. einem Beratungsvertrag mit dem Kunden). Das WAG 2018 konkretisiert hier die bereits zivilrechtlich geforderten vertraglichen (sowie vor- wie auch nachvertraglichen15) Pflichten. Das WAG 2018 ist in diesem Sinn lex specialis und würde (bei einem Widerspruch) in der Anwendung dem allgemeinen Zivilrecht vorgehen.

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Das FernFinG setzt die Richtlinie 2002/65/EG um. Das zentrale Rücktrittsrecht des FernFinG kommt allerdings nicht bei Verträgen über Finanzdienstleistungen (wie handelbare Wertpapiere) zur Anwendung, deren Preis auf dem Finanzmarkt Schwankungen unterliegt, die innerhalb der Rücktrittsfrist von 14 Tagen auftreten können. Vgl. § 10 Z. 1 FernFinG. Vgl. dazu umfassend Brandl/Klausberger, „Ausstrahlungstheorie“ – Zum Verhältnis zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht nach MiFID und WAG, ZFR 2009/89, 131. Vgl. Brandl/Klausberger, ZFR 2009/89, 131 (131) m.w.N. Vgl. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) Rz. 6/11. Vgl. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 64 (01.02.2015, rdb.at). Vgl. zu den nachvertraglichen Pflichten: Schopper, Nachvertragliche Pflichten, Das Pflichtenprogramm nach Erlöschen der vertraglichen Hauptleistungspflicht (2009).

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Andreas Zahradnik/Elisabeth Reiner

Dies trifft aber nicht auf alle Bestimmungen des WAG 2018 gleichermaßen zu. So dienen etwa organisatorische Anforderungen, z.B. zur Schaffung von organisatorischen Einheiten für Risikomanagement oder Compliance16 z.T. indirekt auch dem Kundenschutz, eröffnen aber keine direkten zivilrechtlichen Ansprüche für Anleger, weil sie – anders als etwa die Regelung zur Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung – nicht die Rechtsbeziehung zwischen Anleger und Rechtsträger betreffen.17 Ein Teil der Normen des WAG 2018 dient überhaupt primär dazu, dass die FMA die Einhaltung der Regelungen überprüfen kann. Ein Beispiel dafür ist die Verpflichtung der Rechtsträger, Aufzeichnungen zu führen (§ 33 WAG 2018). Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat bereits zur alten Rechtslage festgehalten, dass die Aufzeichnungspflicht der Kontrolle der Einhaltung der Wohlverhaltensregeln dient. Daher bildet die Verletzung keine Grundlage für quasivertragliche oder deliktische Schadenersatzansprüche.18 Das Nebeneinander von Aufsichts- und Zivilrecht stößt in der Lehre auf Kritik: Alexander Schopper fordert etwa, dass der österreichische Gesetzgeber die Zweigleisigkeit zwischen öffentlich- und zivilrechtlichem Kapitalmarktrecht beseitigt, damit es keine Parallelwelten von Zivilrecht und öffentlichem Recht gibt.19 Als Beispiel nennt Schopper die aus seiner Sicht notwendige Schaffung eines zivilgerichtlichen Haftungstatbestandes für (börsenrechtliche) Ad-hoc-Meldepflichtverletzungen.20 Ein solcher Haftungstatbestand wurde bereits von Susanne Kalss ausdrücklich empfohlen.21 Somit werden von der Lehre teilweise ergänzende spezifische zivilrechtliche Normen (Sanktionen) für Sachverhalte gefordert, die bislang nur aufsichtsrechtlich (etwa im Börsegesetz (BörseG) oder im WAG) geregelt waren. Der OGH hat allerdings für Österreich klargestellt, dass – was durchaus strittig war22 – Ad-hoc-Meldepflichtverletzungen Schutzgesetze sind und daher Grundlage für zivilrechtliche Ansprüche sein können.23 Die herrschende Lehre in Österreich geht inzwischen von einer Schutzgesetzverletzung aus.24

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Art. 22 (Compliance) und Art. 23 (Risikomanagement) Delegierte Verordnung 2017/565. § 56 (Geeignetheitsprüfung) und § 47 (Angemessenheitsprüfung) WAG 2018. RIS-Justiz: RS0123044. Schopper, Anmerkungen zum Anlegerschutz de lege ferenda, VbR 2015, 104 (104). Schopper, VbR 2015, 104 (104). Kalss, Das Scheitern des Informationsmodells (2015), 72. Kalss, Das Scheitern des Informationsmodells (2015), 72 (13. Empfehlung). Vgl. etwa Harrer, Zivilrechtliche Irritationen im Kapitalmarktrecht, ZFR 2011, 9. Vgl. etwa OGH 15.03.2012, 6 Ob 28/12d; OGH 24.01.2013, 8 Ob 104/12w; OGH 20.03.2015, 9 Ob 26/14k; vgl. auch RIS-Justiz: RS0127724. Vgl. etwa Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017), 73; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015), Rz. 20/16 m.w.N.; Schopper, Ad-hoc-Meldepflicht als Schutzgesetz, ÖBA 2014, 495.

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht

Diese Überlegung würde sich etwa auch auf eine spezifische Haftungsnorm im WAG übertragen lassen.25 Das WAG 2018 beinhaltet – anders als noch das ursprüngliche WAG 1996 – keine solche eigene Haftungsnorm.26 Für allfällige Schadenersatzansprüche sind die allgemeinen Bestimmungen über die Haftung für Informationserteilung, Beratung und Empfehlung heranzuziehen. Verstöße gegen die Wohlverhaltenspflichten begründen meist eine Haftung aufgrund einer Vertragsverletzung oder Verletzung vorvertraglicher Pflichten (culpa in contrahendo).27 Fragen der Verjährung für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen werden ebenfalls im allgemeinen Zivilrecht geregelt. Es bestehen keine Sonderfristen für die Geltendmachung der Ansprüche bei Beratungshaftungsfällen. Wie unten näher ausgeführt (Abschnitt 3), werden die Wohlverhaltensregeln des WAG von den Gerichten zur Auslegung der (vor-)vertraglichen Beziehung zwischen Rechtsträger und Anleger herangezogen.28 Gleichzeitig bedeutet völlige Compliance mit dem Aufsichtsrecht nicht automatisch, dass jedenfalls eine zivilrechtliche Haftung im Zusammenhang mit einem Finanzgeschäft ausgeschlossen ist,29 was aber auch umgekehrt gilt. Dies resultiert einerseits aus verschiedenen Gesichtspunkten einer zivil- und öffentlichrechtlichen Betrachtung und andererseits in der Praxis durchaus auch aus unterschiedlichen Sichtweisen, die Gerichte einerseits und FMA bzw. die Verwaltungsgerichtsbarkeit andererseits einnehmen können. Folglich müssen von den Betroffenen sowohl die aufsichtsrechtlichen als auch die zivilrechtlichen Standards der Beratungsqualität eingehalten werden. Erstere werden in erster Instanz von der FMA überprüft, während die zivilrechtlichen Pflichten von den Zivilgerichten angewendet werden.

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Brandl/Klausberger, ZFR 2009/89, 131 (131) mit Verweis auf den früheren § 15 WAG i.d.F. BGBl 1996/753: „(1) Bei Verletzung der Pflichten nach den §§ 13 und 14 kann Schadenersatz verlangt werden. (2) Eine Vertragsbestimmung, nach der von der Bestimmung des Abs. 1 zum Nachteil eines Verbrauchers im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 2 KSchG abgewichen wird, ist unbeschadet des § 6 Abs. 1 Z. 9 leg. cit. nur dann verbindlich, wenn sie in einem vom Verbraucher zu unterfertigenden Vertragswerk gegenüber dem übrigen Vertragstext deutlich hervorgehoben ist.“ Vgl. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 64 (01.02.2015, rdb.at). Vgl. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 64 (01.02.2015, rdb.at). Knobl/Grafenhofer, Haftung einer Bank für allfälliges Fehlverhalten von externen Anlageberatern oder Vermittlern, GesRZ 2010, 27 (28). Vgl. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017) 427 f.

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Zudem besteht keine Bindung der Zivilgerichte an öffentlich-rechtliche Standards, Auslegungen (wie FMA-Rundschreiben) oder Entscheidungen der Aufsichtsbehörden.30

2.2 Doppelnatur oder Ausstrahlungstheorie? Der Meinungsstand in Österreich zur Einordnung der Wohlverhaltensregeln im Zivilund Aufsichtsrecht kann in zwei Sichtweisen unterteilt werden:31 • Zum einen wird von einer Doppelnatur der Wohlverhaltensregeln gesprochen, sodass die Wohlverhaltensregeln des WAG zugleich auch (eigenständige) zivilrechtliche Normen sind, die folglich eine unmittelbare Wirkung im Vertragsrecht entfalten.32 • Die Ausstrahlungstheorie ordnet die Wohlverhaltensregeln hingegen primär dem Aufsichtsrecht zu, weshalb diese auch keine unmittelbare Wirkung im Zivilrecht entfalten. Die Regelungen strahlen nach dieser These aber trotzdem auf das Zivilrecht aus.33 Dies selbstverständlich nur, wenn die betreffende Regelung (wie bspw. § 56 WAG 2018) dazu geeignet ist, den Inhalt des (vor-)vertraglichen Verhältnisses zwischen Anleger und Rechtsträger auszugestalten.34 Peter Knobl und Katharina Grafenhofer legen zudem Wert darauf festzuhalten, dass die Ausstrahlungswirkung nicht so weit geht, Wohlverhaltensregeln als Schutzgesetze zu qualifizieren und so eine deliktische Haftungsmöglichkeit zu eröffnen.35 Ernst Brandl und Philipp Klausberger erachten demgegenüber eine Qualifizierung der Wohlverhaltensregeln als Schutzgesetze für möglich.36 Die Annahme von Schutzgesetzen i. S. d. § 1311 ABGB im Bereich des WAG wird jedoch weitgehend abgelehnt und muss im Einzelfall betrachtet werden.37 Brandl/Klausberger stellen schließlich fest, dass sich die Meinungsverschiedenheit schlussendlich auf die Frage reduzieren lässt, „ob es zu einem zwingenden Gleichlauf von auf-

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Vgl. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017) 430; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) Rz. 12/109. Vgl. etwa Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017) 406 ff.; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) Rz. 1/121; Brandl/Klausberger, ZFR 2009/89, 131 (131 ff.); Knobl/ Grafenhofer, Haftung einer Bank für allfälliges Fehlverhalten von externen Anlageberatern oder Vermittlern, GesRZ. 2010, 27. Brandl/Klausberger, ZFR 2009/89, 131 (131) m.w.N.; vgl. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) Rz. 1/122 m.w.N. Brandl/Klausberger, ZFR 2009/89, 131 (131) m.w.N. Knobl/Grafenhofer, GesRZ 2010, 27 (28). Knobl/Grafenhofer, GesRZ 2010, 27 (29). Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 64. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017) 228 ff.; 436; Graf, in: Gruber/Raschauer, § 38 Rz. 48.

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht

sichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Pflichten oder zu einer bloßen Ausstrahlung ohne wechselseitige Bindung kommt.“38 Kalss, Martin Oppitz und Johannes Zollner betonen, dass die Qualifikation als Doppelnatur nur für Generalklauseln (wie Interessenwahrungs- und Treuepflichten) des WAG angenommen werden könne. Konkrete öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten würden demnach keine vertragliche Wirkung entfalten, sondern würden nur auf die privatrechtlichen Verhältnisse ausstrahlen.39 Von den Autoren wird zudem darauf verwiesen, dass „Ausstrahlung“ nicht als eine neue Art der Auslegung, sondern nur als „systematische Interpretation im Sinne einer arbeitsteiligen Rechtsordnung mit dem Ziel einer widerspruchsfreien Ordnung“ zu verstehen sei. Ähnlich hält Oppitz eine Doppelnatur für plausibel, wenn das Aufsichtsrecht „genuin zivilrechtliche Sorgfaltsmaßstäbe“ importiert, wie etwa hinsichtlich des § 47 WAG 2018.40 Hingegen sei die Theorie der Doppelnatur wenig tragfähig, wenn es um Normen geht, bei denen im Vordergrund steht, dass ein „Korrelat zu ursprünglich zivilrechtlichen Pflichtenstandards“ geschaffen werde.41 Für Oppitz ist das WAG 2007 (das gilt folglich ebenso für das WAG 2018) der Versuch, zivilrechtliche Standards auch aufsichtsrechtlich zu verankern.42 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich tendenziell die Sichtweise einer Ausstrahlungstheorie durchgesetzt hat, es aber bei der theoretischen Frage nach dem Charakter der Wohlverhaltensregeln v.a. auf die konkrete Norm ankommt. Eine solche Wirkungsweite der WAG Normen zeigt sich etwa daran, dass z.T. sogar eine analoge Anwendung der Wohlverhaltensregeln für Sachverhalte angeregt wird, die überhaupt nicht in den Anwendungsbereich des WAG fallen. Dies gilt bspw. für gewerbliche Vermögensberater.43 In Abschnitt 2.3 wird auf deren spezifische Situation eingegangen. In der Praxis ist diese dogmatische Unterscheidung allerdings weitgehend von geringer Bedeutung. Dies liegt v.a. daran, dass die Gerichte schon vor Einführung der Wohlverhaltensregeln im WAG eine primär auf allgemeinen vor- und nebenvertraglichen zivilrechtlichen Schutz- und Sorgfaltspflichten abgeleitete Rechtsprechung entwickelt haben (vgl. Abschnitt 3). Haftungsgrundlagen sind daher die Schadenersatzregelungen des ABGB, die allenfalls durch die Regelungen des WAG 2018 konkretisiert werden.

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Brandl/Klausberger, ZFR 2009/89, 131 (132 in FN 16). Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) Rz. 1/122. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017) 425. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017) 426. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017) 414. Vgl. Schenk/Linder, Anwendung der Wohlverhaltensregeln bei Veranlagungen, ecolex 2008, 4.

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2.3 Der gewerbliche Vermögensberater als Beispiel für die Ausstrahlungswirkung der Wohlverhaltensregeln Die Verhaltensregelungen des WAG 2018 gelten nur für bestimmte Rechtsträger, die Wertpapierdienstleistungen und Nebendienstleistungen erbringen. Grundsätzlich gilt das WAG 2018 auch nur für Finanzinstrumente. Anhand des Beispiels des gewerblichen Vermögensberaters zeigt sich aber die Ausstrahlungswirkung der Wohlverhaltensregeln auf allgemeine Grundsätze der Beraterhaftung. Frage nach der Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 47 Abs. 1 WAG 2018 Das österreichische Kapitalmarktgesetz (KMG) kennt neben den übertragbaren Wertpapieren auch die Veranlagungen (wie bspw. Kommanditbeteiligungen oder Genussrechte).44 Veranlagungen unterliegen grundsätzlich nicht der MiFID II, da es sich meist um keine Finanzinstrumente handelt.45 Folgerichtig würden Rechtsträger beim Vertrieb von Veranlagungen nicht den Wohlverhaltensregeln des WAG 2018 unterliegen. Da es aber dem Anlegerschutz zuwiderlaufen würde, wenn gerade solche Veranlagungen nicht erfasst werden, sieht § 47 Abs. 1 WAG 2018 vor, dass ein Rechtsträger beim Handel sowie der Annahme und Übermittlung von Aufträgen im Zusammenhang mit Veranlagungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Z. 3 KMG „insbesondere“ den §§ 48 bis 54, 59 und 60 WAG 2018 entsprechen muss. In Tabelle 1 sind die entsprechenden Bestimmungen dargestellt.

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Der Begriff der Veranlagung nach dem KMG hat auf Unionsebene kein Pendant. § 1 Abs. 1 Z. 3 KMG lautet: „Vermögensrechte, über die keine Wertpapiere ausgegeben werden, aus der direkten oder indirekten Investition von Kapital mehrerer Anleger auf deren gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko oder auf gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko mit dem Emittenten, sofern die Verwaltung des investierten Kapitals nicht durch die Anleger selbst erfolgt; unter Veranlagungen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind auch alle vertretbaren, verbrieften Rechte zu verstehen, die nicht in Z. 4 genannt sind; Geldmarktinstrumente mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Monaten unterliegen nicht der Prospektpflicht gemäß § 2.“ Die Qualifizierung, ob es sich bei einem Instrument um ein übertragbares Wertpapier oder um eine Veranlagung handelt, muss jeweils im Einzelfall vorgenommen werden. Die Einstufung ist insbesondere für kapitalmarktrechtliche Fragen relevant, da nicht alle Bestimmungen des KMG auch für Veranlagungen gelten (vgl. § 2 Abs. 2 KMG). Vgl. Schenk/Linder, Anwendung der Wohlverhaltensregeln bei Veranlagungen, ecolex 2008, 4 (5).

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht

Tabelle 1: Einzuhaltende Wohlverhaltensregeln bei Veranlagungen gemäß WAG 2018 WAG 2018

Überschrift

MiFID II

§ 48

Angemessene Informationen für Kunden

Art. 24 Abs. 4, 5, 6

§ 49

Redliche, eindeutige und nicht irreführende In- Art. 24 Abs. 3 formationen

§ 50

Plichten bei unabhängiger Anlageberatung

Art. 24 Abs. 7 Buchst. a

§ 51

Gewährung und Annahmen von Vorteilen

Art 24 Abs. 9; teilweise auch Delegierte Richtlinie 2017/593

§ 52

Qualitätsverbesserung der Dienstleistung

Art. 11 Delegierte Richtlinie 2017/ 593

§ 53

Gewährung und Annahme von Vorteilen bei unabhängiger Anlageberatung und PortfolioVerwaltung

Art. 24 Abs. 7 Buchst. b, Art. 24 Abs. 8 erster Satz sowie teilweise Delegierte Richtlinie 2017/593

§ 54

Gewährung und Annahme von Vorteilen mit Analysen

Art. 13 Abs. 1 Delegierte Richtlinie 2017/593

§ 59

Dokumentation der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien

Art. 25 Abs. 5

§ 60

Berichtspflicht

Art. 25 Abs. 6

Der Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 WAG 2018 ist dem Wortlaut des Gesetzes nach auf bestimmte Rechtsträger eingeschränkt (persönlicher Anwendungsbereich).46 Der sachliche Anwendungsbereich wird auf Veranlagungen ausgeweitet, obwohl diese grundsätzlich nicht dem WAG 2018 unterliegen würden. Hier ist zudem anzumerken, dass aufgrund der Verwendung des Wortes „insbesondere“ unklar ist, ob möglicherweise auch andere Bestimmungen des WAG 2018 einzuhalten sind.47 Lukas Schenk und Florian Linder äußern in diesem Zusammenhang Bedenken aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots, sind aber letztlich für eine weite analoge Anwendung.48 Eine demonstrative Aufzählung ist jedenfalls problematisch, wenn es um die Normierung von Verhaltenspflichten geht, da die betroffenen Rechtsträger über den Umfang ihrer Verpflichtungen im Unklaren gelassen werden. Jedenfalls verwaltungsrechtlich kommt eine analoge Anwendung schon wegen des verwaltungsstrafrecht-

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Schenk/Linder, ecolex 2008, 4 (5). Vgl. Schenk/Linder, ecolex 2008, 4 (5 f.). Schenk/Linder, ecolex 2008, 4 (5); sowohl hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs („insbesondere“), als auch hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs (keine Einschränkung auf Rechtsträger); vgl. auch Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 28 (Stand: 01.02.2015, rdb.at).

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lichen Analogieverbots nicht in Betracht. Zivilrechtlich besteht aber keine solche grundsätzliche Einschränkung. In der Literatur wird nun diskutiert, ob der persönliche Anwendungsbereich der Bestimmung auch auf andere juristische und natürliche Personen auszudehnen ist, die eben keine Rechtsträger gemäß § 26 WAG 2018 sind.49 Zu denken ist dabei in der Praxis insbesondere an die gewerblichen Vermögensberater gemäß § 136a Gewerbeordnung (GewO). Was dürfen die gewerblichen Vermögensberater in Österreich? Diese sind berechtigt, selbständig bestimmte Anlageinstrumente zu vermitteln. Neben bestimmten Arten von Krediten und Versicherungen (Lebens- und Unfallversicherungen) dürfen diese Veranlagungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Z. 3 KMG vermitteln und entsprechende Beratungsleistungen erbringen. Ausdrücklich ausgeschlossen ist jede Tätigkeit in Bezug auf Finanzinstrumente (§ 3 Abs. 2 Z. 1 WAG 2018). Derartige Dienstleistungen dürfen bekanntlich nur von konzessionierten Rechtsträgern – wie Kreditinstituten und Wertpapierfirmen – erbracht werden. Daneben können die gewerblichen Vermögensberater aber als vertraglich gebundene Vermittler oder Wertpapiervermittler50 für eine Wertpapierfirma oder ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen tätig sein.51 Was die Wertpapiervermittler betrifft, dürfen allerdings maximal drei Vertretungsverhältnisse eingegangen werden und es darf nur die Anlageberatung (§ 3 Abs. 2 Z. 1 WAG 2018) und die Annahme und Übermittlung von Aufträgen (§ 3 Abs. 2 Z. 3 WAG 2018) ausgeübt werden.52 In diesen Fällen unterliegen Wertpapiervermittler nicht selbst dem WAG 2018, da sie keine Rechtsträger i.S.d. § 26 WAG 2018 sind.53 Ihr Verhalten wird jedoch den Rechtsträgern gemäß § 1313a ABGB zugerechnet.54 Die Rechtsträger treffen wiederum Überwachungs- und Organisationsverpflichtungen.

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Schenk/Linder, ecolex 2008, 4. Die Regelungen zu Wertpapiervermittlern stammen nicht aus der MiFID II, sondern sind spezifisch österreichisch, weshalb diese auch nur in Österreich eingesetzt werden dürfen. Vgl. § 136a Abs. 4 GewO. Es wird in diesem Zusammenhang auch von „Haftungsdach“ gesprochen. Vgl. Winternitz/Jetschgo, Der Vermögensberater, Berater und Vermittler von Kapitalanlagen, Versicherungen und Finanzanlagen (2015), 151. § 1 Z. 45 GewO. Vgl. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) Rz. 4/21. § 37 WAG 2018; vgl. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 74 (Stand: 01.02.2015, rdb.at).

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht

Obwohl die gewerblichen Vermögensberater bei der Vermittlung oder Beratung bezüglich Veranlagungen nicht dem WAG 2018 unterliegen, stellt sich trotzdem die Frage, inwieweit die Wohlverhaltensregeln des WAG nicht auch für sie zur Anwendung kommen (sollten). Für einen erweiterten Anwendungsbereich scheint der Anlegerschutzgedanke zu sprechen. Gegenargument ist wiederum, dass gewerbliche Vermögensberater eben keine Rechtsträger sind (vgl. die Formulierung des § 47 Abs. 1 WAG 2018).55 Erst mit dem WAG 2007 (BGBl I 60/2007) wurde der damalige § 38 (jetzt § 47 WAG 2018) auf Rechtsträger eingeschränkt. Schenk/Linder führen aus, dass im Zusammenhang mit der alten Rechtslage (§ 11 WAG 1996) klar war, dass die Wohlverhaltensregeln auf alle Personen anwendbar sind, die gewerbliche Dienstleistungen im Zusammenhang mit Veranlagungen erbringen.56 Obwohl sich der damalige § 38 WAG 2007 ausdrücklich auf Rechtsträger bezog, führten die entsprechenden Erläuterungen mit Verweis auf § 11 Abs. 1 Z. 3 Buchst. c WAG 1996 an, dass „der Anlegerschutz im Bereich der sonstigen Veranlagungen gewährleistet bleiben“ soll.57 Dieser Widerspruch zum Wortlaut der Bestimmung weckt freilich Zweifel, ob die Einschränkung auf Rechtsträger vom Gesetzgeber tatsächlich gewollt war. Nach dem Telos der Wohlverhaltensregeln – den Anlegern Schutz beim Erwerb von bestimmten Produkten zu bieten – müssen diese nach Literaturmeinungen auch beim Erwerb von Veranlagungen Geltung entfalten, die von anderen Personen als den ausdrücklich verpflichteten Rechtsträgern vermittelt werden. Schenk/Linder führen hier ins Treffen, dass es für den Kunden im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob er das Produkt (die Veranlagung) von einer Wertpapierfirma oder einem selbständigen gewerblichen Vermögensberater erwirbt.58 Dem wäre hier einerseits der Wortlaut der Bestimmung entgegenzuhalten: § 47 Abs. 1 WAG 2018 legt den Umfang ganz klar auf Rechtsträger fest. Es kann hier dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass sich die Bestimmung ebenso auf andere Akteure beziehen soll. Für diese Ansicht spricht zusätzlich, dass ja wie ausgeführt bewusst eine Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs vorgenommen wurde und dass die GewO selbst regelt, welche Regelungen des WAG 2018 auf gewerbliche Vermögensberater anwendbar sind (vgl. Unterpunkt 1).

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Vgl. Schenk/Linder, ecolex 2008, 4 (5). Schenk/Linder, ecolex 2008, 4 (5) mit Verweis auf § 11 Abs. 1 Z. 3 Buchst. c WAG 1996. ErläutRV 143 BlgNR 23. GP 17. Schenk/Linder, ecolex 2008, 4 (5).

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Georg Graf hält es hingegen für vertretbar, dass trotz Transzendierung des Wortlauts des § 38 WAG 2007 dem Zweck des Gesetzes gegenüber seinem Wortlaut der Vorrang eingeräumt wird.59 Eine derartige Erweiterung des Anwendungsbereichs scheitert verwaltungsrechtlich schon am erwähnten Analogieverbot. Aber auch zivilrechtlich sprechen unserer Ansicht nach die besseren Gründe gegen eine Anwendung der Wohlverhaltensregeln auf gewerbliche Vermögensberater. Ungeachtet des Anlegerschutzgedankens des WAG 2018 muss den Anlegern bewusst sein, dass die Wohlverhaltensregeln generell nur im Verhältnis zu den verpflichteten Rechtsträgern – also primär Kreditinstituten und Wertpapierfirmen – Wirkung entfalten. Die Rechtssicherheit der von den Verpflichtungen des WAG 2018 (mutmaßlich) Betroffenen ist hier höher zu werten, als ein ausgedehnter Rechtsschutz der Anleger, der zudem keine Grundlage im Wortlaut des Gesetzes findet. Hier ist allerdings anzumerken, dass die Anleger ohnehin einen weitreichenden Schutz durch die Rechtsprechung zu allgemeinen vorvertraglichen Schutz- und Aufklärungspflichten genießen, der im Ergebnis dem Schutzniveau des WAG 2018 nahekommt.60 Dies bedeutet freilich wiederum, dass es in der Beratungspraxis vorteilhaft ist, wenn sich auch gewerbliche Vermögensberater (jedenfalls) an den im § 47 Abs. 1 WAG 2018 genannten Verpflichtungen orientieren.61 In diesem Sinne kommt es wieder zu der bereits besprochenen Ausstrahlungswirkung aufsichtsrechtlicher Verpflichtungen auf allgemeine zivilrechtliche Aufklärungs- und Beratungspflichten. Brandl/Klausberger sprechen treffend von einer „Leitbildfunktion“.62 Eine analoge generelle Anwendung ist aber unserer Einschätzung nach jedenfalls abzulehnen.63 Brandl/Klausberger verweisen in diesem Zusammenhang auf das enge Lückenverständnis im öffentlichen Recht und auf die verwaltungsstrafrechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltensregeln.64 Würde nämlich eine analoge Anwendung der Wohlverhaltensregeln auf gewerbliche Vermögensberater bejaht werden, hätte ein Verstoß gegen § 47 WAG 2018 letztlich eine Verwaltungsstrafe gemäß § 95 Abs. 1 Z. 30 WAG 2018 zu Folge. Eine solche Verwal-

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Graf, in: Gruber/Raschauer, § 38 Rz. 41. Vgl. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 30 (Stand: 01.02.2015, rdb.at). § 69 WAG 2018 (Unerbetene Nachrichten) ist nicht auf Rechtsträger eingeschränkt, sodass diese Bestimmung wohl auch für die gewerblichen Vermögensberater zur Anwendung gelangt. Anders wiederum § 70 WAG 2018 (Haustürgeschäft), der explizit auf die in § 26 genannten Rechtsträger Bezug nimmt. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 30 (Stand: 01.02.2015, rdb.at). Anders etwa Graf, in: Gruber/Raschauer, § 38 Rz. 41. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 29 (Stand: 01.02.2015, rdb.at).

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht

tungsübertretung ist von der FMA mit Geldstrafen bis zu 5 Mio. EUR oder bis zum Zweifachen des aus dem Verstoß gezogenen Nutzens (soweit sich dieser beziffern lässt) zu bestrafen.65 Eine solche Ausweitung ist wie erwähnt bereits aufgrund des verwaltungsstrafrechtlichen Analogieverbotes rechtswidrig.66 Bedeutung des § 136a Abs. 11 GewO für die Beratungsqualität Als weiteres Argument gegen eine generelle analoge Anwendung der Wohlverhaltensregeln auf die Tätigkeit von gewerblichen Vermögensberatern kann die GewO herangezogen werden. Der bereits angesprochene Schutzgedanke, dass Anleger auch bei Geschäften mit gewerblichen Vermögensberater in den Genuss der Wohlverhaltensregeln des WAG 2018 kommen sollten, wird von der GewO aufgegriffen. Da die Tätigkeit als gewerblicher Vermögensberater von der GewO normiert wird (siehe oben), ist diese primäre Rechtsquelle für die gesetzlichen Obliegenheiten der gewerblichen Vermögensberater. § 136a Abs. 11 GewO nimmt sohin explizit Bezug auf das WAG 2018 und legt fest, dass gewerbliche Vermögensberater bei der Annahme und Übermittlung von Aufträgen im Zusammenhang mit Veranlagungen gemäß § 1 Abs. 1 Z. 3 KMG § 56 WAG 2018 beachten müssen. § 56 WAG 2018 (vormals § 44 WAG 2007) setzt Art. 25 Abs. 2 MiFID II um und regelt die Geeignetheitsbeurteilung67 bei Anlageberatungs- und Portfolio-Verwaltungsdienstleistungen. Die GewO stellt also einen direkten – wenn auch nur punktuellen – Bezug zum WAG 2018 her. Diese Einbeziehung des § 56 WAG 2018 in die Verhaltenspflichten der gewerblichen Vermögensberater scheint zunächst eindeutig. Allerdings bezieht sich die Geeignetheitsbeurteilung nicht auf den reinen Vermittlungsvertrag, sondern ist im WAG 2018 für die Anlageberatung und die Vermögensverwaltung relevant. Daher stellt sich die Frage, ob der Verweis des § 136a Abs. 11 GewO, der sich ja nur auf den Vermittlungsvertrag

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Bemerkenswerterweise erachtet der österreichische VfGH die hohe Strafandrohung durch die FMA im Bereich des BWG nicht für verfassungswidrig. Im Zusammenhang mit § 99d BWG hat der VfGH im Dezember 2017 Anträge auf dessen Aufhebung abgewiesen. Im Vorfeld hatten mehreren Kreditinstituten Beschwerden an das BVwG wegen einer Verfassungswidrigkeit der Strafbestimmung gegeben, da diese aufgrund der Höhe in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit falle. VfGH 13.12.2017, G 408/2016-31, G 412/2016-10, G 2/2017-9, G 21/2017-7, G 54/2017-7. Vgl. Brandl/Klausberger, in: Brandl/Saria, WAG § 38 Rz. 29 (Stand: 01.02.2015, rdb.at). Vormals Eignungsbeurteilung. Der Begriff der deutschsprachigen Delegierten Verordnung 2017/565 wurde berichtigt (Amtsblatt L 246/16 vom 26.09.2017).

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(„Annahme und Übermittlung von Aufträgen“) bezieht, nicht ins Leere geht.68 Dies würde allerdings sowohl dem Zweck der Bestimmung als auch dem Willen des Gesetzgebers widersprechen.69 In der Literatur wird der Anwendungsbereich der Geeignetheitsbeurteilung dahingehend reduziert, dass eine solche nur vorzunehmen sei, wenn es neben der Vermittlungstätigkeit auch zu einer Beratungsleistung kommt.70 Den Anforderungen des § 56 WAG 2018 kann nämlich nur nachgekommen werden, wenn eine Beratung erbracht wird. Die Bestimmung erfordert schließlich, dass bei der Erbringung von Anlageberatungs- oder Portfolio-Verwaltungsdienstleistungen, Informationen über (i) die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden im Anlagebereich in Bezug auf den spezifischen Typ der Produkte oder Dienstleistungen und (ii) die finanziellen Verhältnisse, einschließlich seiner Risikotoleranz, eingeholt werden. Dies dient dazu, dass nur solche Wertpapierdienstleistungen und Finanzinstrumente (oder eben Veranlagungen) empfohlen werden, die für den Kunden geeignet sind und darüber hinaus seiner Risikotoleranz und Fähigkeit, Verluste zu tragen, entsprechen. In der Praxis übernehmen gewerbliche Vermögensberater jedoch in vielen Fällen nur die Vermittlung in Bezug auf ein spezifisches Produkt eines Anbieters. Dies steht wieder in Konflikt mit den Anforderungen des § 56 WAG 2018: Sie dürften das Produkt nur vermitteln, wenn es für den Kunden auch geeignet ist. Aus diesem Grund muss laut Graf eine Geeignetheitsbeurteilung eben nur vorgenommen werden, wenn die gewerblichen Vermögensberater zusätzlich eine Beratungsleistung erbringen.71 Dem ist zu folgen, weil nicht anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber für gewerbliche Vermögensberater strengere Anforderungen aufstellen wollte, als für konzessionierte Kreditinstitute oder Wertpapierfirmen. Dies wäre aber der Fall, wenn man auch bei bloßer Vermittlung eine Geeignetheitsprüfung verlangen würde. Allerdings würde es dem Schutzzweck des Gesetzes besser entsprechen, wenn bei der reinen Annahme und Übermittlung (Vermittlung) zumindest eine Angemessenheitsprüfung vorzunehmen wäre. Insofern wäre unseres Erachtens der Verweis in § 136a Abs. 11 GewO entsprechend teleologisch dahingehend zu reduzieren (die Angemessenheitsprüfung stellt gegenüber der Geeignetheitsprüfung ein Minus dar).

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Vgl. Graf, in: Gruber/Raschauer, Kommentar zum WAG 2007, § 38 Rz. 42. Vgl. Graf, in: Gruber/Raschauer, Kommentar zum WAG 2007, § 38 Rz. 42. Graf verweist auf das methodische Postulat, ein Gesetz nicht so auszulegen, dass ihm kein Anwendungsbereich verbleibt. Graf, in: Gruber/Raschauer, Kommentar zum WAG 2007, § 38 Rz. 43. Graf, in: Gruber/Raschauer, Kommentar zum WAG 2007, § 38 Rz. 43.

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Beratungsqualität aus Compliance-Sicht – Anlegerschutz im Aufsichts- und Zivilrecht

Die verwaltungsstrafrechtlichen Bestimmungen des WAG 2018 kommen für Verstöße von gewerblichen Vermögensberatern nicht in Betracht, da das WAG keine unmittelbare Geltung für sie entfaltet. Es gilt die GewO, welche für schwerwiegende Verstöße gegen zu beachtende Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, eine Entziehung der Gewerbeberechtigung vorsieht (§ 87 Abs. 1 Z. 3 GewO). Die Ausführungen zeigen, dass Rechtsunsicherheit darüber besteht, wann gewerbliche Vermögensberater eine Geeignetheitsbeurteilung durchführen müssen und ob möglicherweise auch andere Wohlverhaltensregeln des WAG 2018 für sie zur Anwendung gelangen. Es wäre wünschenswert, wenn zumindest die Aufsichtsbehörde die Umsetzung der MiFID II zum Anlass nehmen würde, um eine entsprechende Klarstellung vorzunehmen. Auch eine gesetzliche Klarstellung der angesprochenen Fragen des Anwendungsbereichs wäre geboten. Insbesondere auch deshalb, da in der Praxis häufig auf die Leistungen von gewerblichen Vermögensberatern zurückgegriffen wird.

3 Überblick über Tendenzen der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zur Beraterhaftung Das MiFID-II-Regelwerk samt dem WAG 2018 hat die Regelungsdichte für die Tätigkeit von Rechtsträgern drastisch erhöht. In der Praxis kommt es häufig zu Rechtsstreitigkeiten wegen (behaupteten) Beratungsfehlern in Zusammenhang mit dem Erwerb von Finanzinstrumenten. Wesentliche Aspekte solcher Schadenersatzprozesse – wie Haftungsgrundlage, Mitverschulden und Verjährung – müssen nach allgemeinem Zivilrecht beantwortet werden. Das Aufsichtsrecht strahlt jedoch wie ausgeführt in die zivilrechtliche Beurteilung aus. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die zivilgerichtliche Judikatur in Österreich zur Beraterhaftung gegeben. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob und inwiefern die neu hinzugekommenen Regelungen die bisherige Judikatur zur Beraterhaftung beeinflussen werden, worauf in Abschnitt 4 näher eingegangen wird.

3.1 Haftungsgrundlage Wie ausgeführt kennt das WAG keine eigene auf die Anlageberatung zugeschnittene Schadenersatzregelung. Maßgebliche Haftungsgrundlagen sind: • Beratungsvertrag (hier ist auch ein allfälliger stillschweigender Vertragsabschluss zu berücksichtigen);

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• sonstiger Vertrag (wie etwa ein Vermittlungsvertrag), der Informations- und Aufklärungspflichten einschließt; • vorvertragliche Schuldverhältnisse.

3.2 Umfang der Beratung und Risikoaufklärung Nach der Judikatur hängt der Umfang der Beratungspflichten von den Umständen des Einzelfalls ab.72 Der OGH hat zum damaligen § 13 WAG 1996 (Wohlverhaltensregeln) ausgeführt, dass die Informationen nach dem WAG von einer „dosierten Interessensabwägung zwischen den Zielen des Kunden und einer maßvollen Risikoabschätzung“ bestimmt sind.73 Die Bank sei nicht dazu verpflichtet, einen spekulierenden Kunden zu bevormunden. Grundsätzlich gilt, dass die Aufklärungspflichten desto weiter reichen, je risikoträchtiger die Anlage und je unerfahrener der Kunde ist. Die Beratung muss also auf den einzelnen Kunden zugeschnitten sein. Ein standardisiertes Vorgehen – wie bei Konsumentenschutzbestimmungen, die nicht auf die individuelle Schutzbedürftigkeit abstellen – ist somit schwierig. Werden daher in Ergänzung zu standardisierten schriftlichen Informationen und Risikohinweisen mündliche Erläuterungen vorgenommen, sollten diese unbedingt gut dokumentiert werden. Eine schriftliche Ausfertigung und Gegenzeichnung durch den Kunden ist empfehlenswert. Die Geeignetheitsbeurteilung, auf deren Basis unter MiFID II die Produktempfehlungen vorgenommen werden, sollte jedenfalls anhand der Kundeninformationen nach einheitlichen Kriterien vorgenommen werden. Dafür ist eine automatisierte Auswertung denkbar und sinnvoll, wobei aber nicht übersehen werden darf, dass nach der Rechtsprechung dennoch auf konkrete vom Kunden geäußerte Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen ist. Es ist absehbar, dass schon aus Kostengründen und der jederzeitigen Verfügbarkeit Robo-Advice zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Dabei wird die Beratungsleistung ganz oder teilweise automatisiert erbracht. Von der European Securities and Markets Authority (ESMA) werden in diesem Zusammenhang besondere Systemanforderungen gestellt.74

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OGH 22.11.2007, 8 Ob 104/07p; RIS-Justiz RS0119752. OGH 22.11.2007, 8 Ob 104/07p. ESMA, Consultation Paper, Guidelines on certain aspects of the MiFID II suitability requirements, 13.07.2017, ESMA35-43-748.

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Bislang liegt keine Judikatur zu Beratungsfehlern von Robo-Advice-Systemen vor. Allerdings macht es aus unserer Sicht weder zivil- noch aufsichtsrechtlich einen Unterschied, ob die Beratungsleistung von einem menschlichen Berater oder (ganz oder teilweise) einem IT-System nach bestimmten vom Rechtsträger vorgegebenen Kriterien erbracht wird (zumal mit technischem Fortschritt der Unterschied für den Kunden im OnlineGeschäft wahrscheinlich zunehmend schwerer erkennbar sein wird).

3.3 Fehlerhafte Anlageberatung, Schadenshöhe und Beweislast Bei einer fehlerhaften Anlageberatung liegt der Schaden des Anlegers bereits darin, dass er als Kunde aufgrund der unrichtigen Beratung einen nicht-gewünschten Vermögenswert erworben hat.75 Fragt der Anleger bspw. ausdrücklich nach einer „konservativen und sicheren“ Anlage und wird ihm stattdessen eine mit einem Totalverlustrisiko verbundene Kommanditbeteiligung empfohlen, dann liegt ein Schaden vor.76 Der Ersatz des Schadens hat dann durch Naturalrestitution zu erfolgen. Dabei ist der Anleger so zu stellen, wie er ohne Fehlberatung stünde.77 Der Anleger erhält aber – gegen Rückgabe der erworbenen Instrumente – nicht notwendigerweise den Kaufpreis ersetzt, sondern wird finanziell so gestellt, wie er stünde, wenn er eine andere „passende“ Vermögensveranlagung getätigt hätte (hypothetische Alternativveranlagung). Hätte er mit dieser einen – wenn auch kleineren Verlust erlitten – reduziert sich sein Schadenersatzanspruch entsprechend. Die Beweislast für eine Aufklärungspflichtverletzung trifft grundsätzlich den Kunden.78 Dies gilt laut OGH selbst dann, wenn es zu einer unzutreffenden Einordnung als „beratungsfreies Geschäft“ kommt.79 Es gilt der Grundsatz, dass jede Partei das Vorliegen der für sie günstigen Norm behaupten und beweisen muss.80 Den Finanzdienstleister trifft somit die Beweislast für eine gesetzeskonforme Aufklärung und Beratung des Kunden unter Einhaltung der Wohlverhaltensregeln. Aus diesem Grund spielt aus Sicht der Berater in der Praxis der Beraterhaftungsprozesse eine akribische Kundendokumentation eine ganz entscheidende Rolle (vgl. dazu die Ausführungen zu den Beratungsprotokollen unter Abschnitt 4.1).

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OGH 25.10.2017, 3 Ob 167/17f m.w.N. Vgl. OGH 25.10.2017, 3 Ob 167/17f. Vgl. etwa OGH 23.07.2014, 8 Ob 66/14. RIS-Justiz RS0106890. OGH 22.06.2011, 2 Ob 207/10w; RIS-Justiz RS0129706. OGH 30.08.2017, 1 Ob 113/17z (T10); RIS-Justiz RS0037797; RS0039939.

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3.4 Mitverschulden Unter gewissen Umständen müssen sich Anleger am entstandenen Verlust ihrer Kaufentscheidung ein Mitverschulden anrechnen lassen. Das Institut des Mitverschuldens berücksichtigt auf rechtlicher Ebene, dass Anleger eine Mitverantwortung für ihre Handlungen tragen und die wirtschaftlichen Folgen solcher (Fehl-)Entscheidungen nicht generell überwälzen können. In der Praxis geht es dabei oft um Fälle, bei denen der Anleger – trotz Aushändigung – die Unterlagen und entsprechende Risikohinweise nicht gelesen hat, nicht auf beschwichtigende Ausführungen des Beraters blind vertrauen hätte dürfen oder unrealistisch hohe Gewinnversprechen81 nicht hinterfragt hat.82 Ob tatsächlich ein Mitverschulden vorliegt, muss im Einzelfall beurteilt werden. Liest bspw. ein erfahrener Anleger und Jurist die schriftlichen Risikohinweise nicht, sondern verlässt sich nur auf die beschwichtigenden Ausführungen seines Beraters, kann ein Mitverschulden von einem Drittel am Scheitern der Investition angemessen sein.83

3.5 Verjährung Die Verjährungsfrist beträgt nach § 1489 ABGB drei Jahre und beginnt mit Kenntnis des Anlegers von Schaden und Schädiger.84 Die entscheidende Frage ist daher, wann Kenntnis vorliegt. Der OGH hat bspw. festgehalten, dass unbestimmt und allgemein gehaltene Meldungen in den Medien nicht ausreichen, um den Verjährungsbeginn auszulösen. Es komme darauf an, wann sich eine Information – etwa über eine entsprechende Medienberichterstattung – so verdichtet, dass Anleger Kenntnis erlangen hätten müssen (Erkundigungsobliegenheit).85 Insbesondere sieht das WAG 2018 keine eigene Verjährungsfrist vor. Kalss hält eine Verkürzung der Fristen für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen Anlageberater für überlegenswert.86 Dies würde das praktische Problem reduzieren, dass der Anleger bis zu drei Jahre Zeit hat, auf Kosten des Rechtsträgers zu „spekulieren“, indem

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Vgl. OGH 25.06.2015, 8 Ob 60/14b. Vgl. OGH 25.10.2017, 3 Ob 167/17f. Vgl. OGH 25.02.2016, 9 Ob 85/15p. Vgl. etwa OGH 19.12.2013, 3 Ob 205/13p; RS0034951. Vgl. OGH 07.05.2013, 2 Ob 41/13p. Kalss, Das Scheitern des Informationsmodells (2015), 72 (14. Empfehlung).

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er nach Erkennen des Beratungsfehlers die weitere Entwicklung abwartet und dann bei schlechtem Verlauf klagt oder sonst die Gewinne in Anspruch nimmt.

4 Ausgewählte Regeln des WAG 2018 und ihre möglichen Implikationen auf Beratungstätigkeit und Beraterhaftung Die Umsetzung von MiFID II im WAG 2018 hat an verschiedenen Stellen zu Verschärfungen des Regelungsumfangs geführt. Im Folgenden werden einige der wesentlichsten Neuerungen kurz vorgestellt und hinsichtlich ihrer möglichen Implikationen für die Beratungsqualität und die Beraterhaftung analysiert. Charakteristisch für das WAG 2018 ist, dass nunmehr der Lebenszyklus eines Finanzinstruments stärker reguliert wird. Im Mittelpunkt stehen die Produktentwicklung und der Produktverkauf.

4.1 Zielmarktbestimmung und Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung Neu eingeführt wurde die Zielmarktbestimmung. Rechtsträger, die Finanzinstrumente konzipieren,87 müssen umfassende Produktüberwachungspflichten einhalten (§ 30 WAG 2018). Dazu gehört die Bestimmung eines potenziellen Zielmarkts für jedes Finanzinstrument. Dies umfasst die Festlegung der Kundentypen, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen das Finanzinstrument vereinbar ist (§ 30 Abs. 11 WAG 2018). Im Zuge dessen muss – als eine Art negative Gegenüberstellung – eine Kundengruppe bestimmt werden, für die das Finanzinstrument eben nicht vereinbar ist. So können also bestimmte Finanzinstrumente als nicht für den Vertrieb an (bestimmte Arten von) Privatkunden geeignet definiert werden. Ergänzend muss auch der das Finanzinstrument vertreibende Rechtsträger den Zielmarkt berücksichtigen (§ 31 Abs. 1 WAG 2018). Unterliegt ein Emittent eines Finanzproduktes nicht den Produktüberwachungspflichten der MiFID II, dann ist jedenfalls vom vertreibenden Rechtsträger eine Zielmarktbestimmung vorzunehmen (§ 31 Abs. 2 WAG 2018). Somit wird sichergestellt, dass jedes Finanzinstrument über eine Zielmarktdefinition verfügt.

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Diese werden als Konzepteure bezeichnet (§ 30 Abs. 1 WAG 2018).

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Vertreibt ein Rechtsträger Produkte an Kunden, die nicht dem Zielmarkt entsprechen, dann könnte eine Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums überlegt werden. Auch schadenersatzrechtliche Ansprüche des Anlegers sind denkbar. Allerdings wird die bloß formale „Verletzung“ des Zielmarkts alleine noch keine Haftungsgrundlage sein. Hat der Kunde nämlich ausreichende Informationen über das Produkt und die Risiken erhalten und sich dennoch dafür entschieden, liegt keine Fehlberatung vor. Der Zielmarktdefinition sollte in der Praxis eine ausreichende Bedeutung zugemessen werden. Kommt es hier zu Fehlern, dann kann dies für den Rechtsträger weitreichende Folgen haben. Der vertreibende Rechtsträger darf sich nicht generell auf die Zielmarktbestimmung des Konzepteurs verlassen, sondern muss eigenständig prüfen, ob die Zielmarktdefinition adäquat ist. Verstöße gegen die Produktüberwachungspflichten sind gemäß § 95 Abs. 1 Z. 15 WAG 2018 mit Verwaltungsstrafe bedroht. Bei der Erbringung von Anlageberatungs- oder Portfolio-Verwaltungsdienstleistungen88 muss bereits die thematisierte Geeignetheitsbeurteilung vorgenommen werden (§ 56 WAG 2018).89 Die Eignung (Suitability) eines Produkts hängt maßgeblich mit der Zielmarktdefinition zusammen. Eine detaillierte und klar abgegrenzte Zielmarktdefinition erleichtert die Vornahme der Geeignetheitsbeurteilung. Erfolgt keine Beurteilung der Geeignetheit oder wird ein Produkt empfohlen, obwohl der Test ein anderes Ergebnis gebracht hat, liegt eine Fehlberatung vor. Auf Basis dieser Fehlberatung könnte der Kunde schadenersatzrechtliche Ansprüche geltend machen. Bereits aus Dokumentationsüberlegungen wird die Beurteilung der Geeignetheit mittels standardisierter Kundenfragebögen (Beratungsprotokollen) vorgenommen werden. Die Protokolle fragen ab, inwiefern die abgegebene Empfehlung mit den Bedürfnissen des jeweiligen Privatkunden zusammenpasst. Dabei fließen die Anlageziele und persönlichen Umstände des Kunden sowie dessen Kenntnisse und Erfahrungen und seine Risikobereitschaft (§ 56 WAG 2018) ein. Die verwendeten Beratungsprotokolle müssen eine umfassende Abfrage der entsprechenden Punkte ermöglichen. Sollten Ergänzungen notwendig sein, dann können diese vom jeweiligen Berater handschriftlich ergänzt werden. Die Beratungsprotokolle dokumentieren die vorgenommene Beratung und sind daher zentraler Bestandteil einer sorgfältigen und angemessenen Dienstleistungserbringung. Die Beratungsprotokolle können zudem zu Beweiszwecken – wiederum für beide Seiten – herangezogen werden. Der Fragebogen sollte daher jedenfalls vom Kunden gegengezeichnet werden. Es sollte auch später (im Falle eines Gerichtsverfahrens) klar nach-

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Bei allen anderen Wertpapierdienstleistungen – also etwa bei einem reinen Vermittlungsvertrag – muss nur eine Angemessenheitsbeurteilung erfolgen (§ 57 WAG 2018). Der Verstoß gegen diese Verpflichtung ist gemäß § 95 Abs. 1 Z. 56 WAG 2018 mit Strafe bedroht.

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vollzogen werden können, auf welcher Grundlage einem Kunden ein bestimmtes Produkt empfohlen wurde. Die Durchführung der Geeignetheitsprüfung wird in der Praxis von den Mitarbeitern des Rechtsträgers vorgenommen. Folglich ist es entscheidend, dass die Mitarbeiter entsprechend geschult sind, damit die Beurteilung der Geeignetheit auch korrekt durchgeführt wird. Schließlich haftet der Rechtsträger für Verfehlungen seiner Mitarbeiter. Ebenso muss er sich bei der Heranziehung von vertraglichen Vermittlern oder Wertpapiervermittlern deren Fehlverhalten gemäß § 1313a ABGB zurechnen lassen (§§ 36 Abs. 2 und 37 Abs. 2 WAG 2018).

4.2 Unterscheidung zwischen unabhängiger und abhängiger Beratung MiFID II differenziert zwischen unabhängiger und nicht-unabhängiger (abhängiger) Beratung (§§ 50, 51 WAG 2018). Wird die Beratung unabhängig erbracht, dann ist eine ausreichend vielfältige Palette an Produkten von unterschiedlichen Anbietern notwendig. Erwägungsgrund 73 der MiFID II stellt klar, dass es nicht notwendig ist, dass der Berater die auf dem Markt verfügbaren Anlageprodukte aller Produktanbieter oder Emittenten prüft; die angebotenen Produkte dürfen aber nicht auf Finanzinstrumente beschränkt sein, die von Anbietern emittiert werden, die in einer engen Verbindung zu dem vertreibenden Rechtsträger stehen. Maßstab ist somit, ob das Angebot so vielfältig ist, dass die Erbringung einer unabhängigen Beratung durch den Rechtsträger angenommen werden kann. Die Vorgaben in Bezug auf die unabhängige und abhängige Beratung dienen dem Anlegerschutz.90 Im Bereich der unabhängigen Beratung ist es dem Rechtsträger in weiterer Folge verboten, „Vorteile“ (Gebühren, Provisionen, andere Geldleistungen oder nichtmonetäre Zuwendungen)91 von Dritten anzunehmen oder zu behalten (§ 53 WAG 2018). Sämtliche erhaltene Vorteile müssen an den Kunden weitergegeben werden. Geringfügige nicht-monetäre Vorteile sind unter bestimmten Voraussetzungen (wie einer Qualitätsverbesserung) zulässig, müssen aber offengelegt werden (§ 53 Abs. 5 WAG 2018). Die strengen Vorschriften im Zusammenhang mit der Unterscheidung von unabhängiger und abhängiger Beratung führen dazu, dass in der Praxis meist nur nicht-unabhängige Beratung erbracht wird. Wenn der Marktstandard somit nicht-unabhängige Anlagebera-

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Vgl. Erwägungsgrund 74 MiFID II. § 51 Abs. 1 WAG 2018.

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tung ist, gibt es auch keinen oder nur einen geringen Reputationsvorteil, wenn unabhängige Beratung erbracht wird. Das WAG 2018 sieht für die Erbringung von unabhängiger Beratung auch keine sonstigen Vorteile vor. Einem möglichen Reputationsgewinn stehen das höhere organisatorische Anforderungsniveau an die Beratung und die Beschränkungen bei den Vergütungen entgegen. Eine falsche oder unklare Offenlegung,92 ob unabhängige oder nicht-unabhängige Beratung erbracht wird, könnte eine Anfechtungsgrundlage für Anleger darstellen. Diese könnten argumentieren, dass sie das Produkt in Kenntnis der „Abhängigkeit“ des Beraters nicht erworben hätten.

4.3 Telefonaufzeichnungen Durch MiFID II wurde die Verpflichtung des Rechtsträgers zur Aufzeichnung von Telefongesprächen und elektronischer Kommunikation (wie E-Mailverkehr mit dem Kunden) festgeschrieben.93 Die Umsetzung erfolgte in § 33 WAG 2018.94 Gemäß § 33 Abs. 2 WAG 2018 müssen diese Aufzeichnungen zumindest die beim Handel für eigenen Rechnung getätigten Geschäfte und die Erbringung von Dienstleistungen, die sich auf die Annahme, Übermittlung und Ausführung von Kundenaufträgen beziehen, enthalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es anschließend tatsächlich zum Abschluss solcher Geschäfte oder zur Erbringung solcher Dienstleistungen kommt (§ 33 Abs. 3 WAG 2018). Im Mittelpunkt steht also die Frage, ob sich aus einem Gespräch eine Order ergeben könnte.95 Es liegt dabei in der Verantwortung des Rechtsträgers, alle angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, damit einschlägige Telefongespräche und elektronische Kommunikation aufgezeichnet werden. Schwierig ist in diesem Zusammenhang, dass praktisch nicht nur die Gespräche oder Gesprächsteile aufgezeichnet werden können, die tatsächlich in Zusammenhang mit einem (möglichen) Geschäft mit einem Finanzinstrument stehen, zumal das am Beginn des Gesprächs oft auch gar nicht klar sein wird. Oft gibt es keine klare Trennung oder einen eindeutigen Übergang zwischen privaten und beruflichen, insbesondere auftragsbezogenen Gesprächsinhalten.

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Der Berater gibt an, dass er unabhängige Beratung durchführt, obwohl es sich tatsächlich um abhängige Beratung handelt. Vgl. Brandl/Toman, MiFID II und Telefonaufzeichnungen, Vorratsdatenspeicherung in neuem Gewand?, ÖBA 8/16, 564. Eine nähere Ausgestaltung erfolgt durch Art. 76 der Delegierten Verordnung 2017/565. Vgl. WKO, Praxisfragen – MiFID II und WAG 2018, 24.01.2018, 10.

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Dies steht potenziell in Konflikt mit dem Datenschutzrecht. De facto könnte man dem aber nur begegnen, wenn der Kundenbetreuer manuell mit der Aufnahme von einem Gespräch beginnen würde, sobald der Inhalt zu einem Geschäftsabschluss führen könnte und die Aufzeichnung beenden würde, wenn dies nicht der Fall ist. Eine derartige manuelle Auslösung der Aufnahme wäre jedoch viel zu fehleranfällig und würde wohl den Anforderungen des WAG 2018 nicht genügen. Jede zu spät einsetzende oder gar nicht erfolgte Aufnahme eines Gesprächs bedeutet einen Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung und ist folglich mit einer Verwaltungsstrafe bedroht (§ 95 Abs. 1 Z. 17 WAG 2018). Außerdem ist explizit in Abs. 8 geregelt, dass ein Rechtsträger alle Maßnahmen ergreifen muss, um zu verhindern, dass seine Mitarbeiter über private Geräte Telefongespräche oder elektronische Mitteilungen (wie bspw. SMS) erstellen, senden oder empfangen, die der Rechtsträger nicht aufzeichnen oder kopieren kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Anordnungen ist die Aufzeichnung der vollständigen Gespräche daher als zulässig anzusehen. Es besteht auch die gesetzliche Verpflichtung, dass Neu- und Altkunden vorab und zumindest einmal jährlich über die Aufzeichnungen informiert werden (§ 33 Abs. 5 WAG 2018). Diese Information erfolgt im Regelfall auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Erfolgt keine vorherige Information, dann darf der Rechtsträger keine telefonischen Anlagetätigkeiten oder Wertpapierdienstleistungen erbringen, wenn sich diese auf die Annahme, Übermittlung und Ausführung von Kundenaufträgen beziehen (§ 33 Abs. 6 WAG 2018). Die gespeicherten Aufzeichnungen können zu Beweiszwecken herangezogen werden und müssen dem Kunden auf Anfrage kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die Aufbewahrungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 33 Abs. 9 WAG 2018). Die FMA kann mittels Verordnung eine Verlängerung der Aufbewahrungsfrist auf maximal sieben Jahre vorsehen. Die Telefonaufzeichnungen können daher nunmehr sowohl von den Rechtsträgern als auch von den Kunden herangezogen werden, um die jeweilige Rechtsposition in einem Rechtsstreit (etwa wegen fehlerhafter Beratung) zu untermauern. In manchen Fällen kann dies möglicherweise zur Aufklärung eines strittigen Sachverhalts beitragen. Beratungsgespräche, über deren Inhalt es im Nachhinein unterschiedliche Ansichten gibt, finden jedoch häufig nicht am Telefon statt, sondern in den Räumlichkeiten des Rechtsträgers.

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Es ist daher fraglich, wie häufig die Telefonaufzeichnungen in Gerichtsverfahren zur Aufklärung des Sachverhalts herangezogen werden. Bei telefonischen Geschäftsabschlüssen ist aber durchaus davon auszugehen, dass diesen Aufzeichnungen große Bedeutung zukommen wird. Die Aufzeichnungsfristen führen zu einer großen Ansammlung von Datenmaterial, das gespeichert werden muss. Sowohl die Aufzeichnung an sich, als auch die sichere Verwahrung der Daten ist für die Rechtsträger mit hohen Kosten verbunden. Davon abgesehen kritisieren Ernst Brandl und Raphael Toman zu Recht, dass eine generelle Verpflichtung zu Aufzeichnungen in einem solchen Ausmaß grundrechtlich problematisch ist.96 Die Bestimmungen zu den Telefonaufzeichnungen zeigen jedenfalls, dass der europäische Gesetzgeber bei der Regulierung der Finanzmärkte Maß und Ziel aus den Augen verloren hat. In keiner anderen Branche wäre es (derzeit) denkbar, dass verpflichtend jedes relevante Kundengespräch aufgezeichnet und fünf Jahre lang aufbewahrt wird – dies umso mehr vor der auf der anderen Seite immer stärker in den Vordergrund tretenden Diskussion zum Datenschutz. Es ist zweifelhaft, ob eine „Überwachung“ des – noch dazu nur telefonischen – Beratungsgesprächs verhältnismäßig ist. In dieser Logik müsste in einem nächsten Schritt die Tonaufzeichnung von persönlichen Kundenterminen in der Bank folgen und schließlich sogar eine Videoaufzeichnung, da ja nur so festgestellt werden könnte, ob etwa ein Verkaufsprospekt dem Kunden wirklich ausgehändigt wurde.

5 Fazit Die Umsetzung der MiFID II durch das WAG 2018 führte zu einer weiteren Verdichtung der Regelungen für Wertpapierfirmen und Kreditinstitute sowie für andere Rechtsträger. Neben den nationalen Regelungen müssen insbesondere die Bestimmungen der Delegierten Verordnung 2017/565 zu den organisatorischen Anforderungen berücksichtigt werden. Hinzukommen – rechtlich an sich unverbindliche, in der Praxis aber sehr relevante – Rundschreiben der FMA und andere Auslegungen des europäischen Rechts, wie Questions & Answers (Q&A) und Guidelines der ESMA. Der gesetzliche Rahmen ist folglich von einer Vielzahl von Details geprägt, die nur schwer und v.a. mit hohen Kosten (etwa für Rechtsberatung oder den Aufbau einer adäquaten internen Governance) im Griff behalten werden können.

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Brandl/Toman, ÖBA 8/16, 564.

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Das Regelwerk der MiFID II setzt sich zum Ziel, die Funktionalität des Marktes und den Anlegerschutz zu verbessern. Die genannten Zielvorgaben sollen primär durch eine immer höhere Regelungsdichte erreicht werden. Im Einzelnen bleibt jedoch unklar, ob die Bestimmungen (wie bspw. die ausufernde Aufzeichnung von Kundenkommunikation) zur Zielerreichung geeignet sind. Wichtiger als eine allfällige Eignung, die sich ohnehin nur schwer messen lässt, ist aber die Frage, ob die Regelungen verhältnismäßig sind. Bevor neue Regelungen erlassen werden, sollte zunächst analysiert werden, welche Eingriffe in andere Rechtsgüter (wie Privatsphäre aber auch Erwerbsausübungsfreiheit) damit einhergehen. Anschließend sollte evaluiert werden, ob die Regelungen zur Zweckerreichung beigetragen haben. Diese Gedanken scheinen der europäischen Gesetzgebung abhandengekommen zu sein. Ein Mehr an Regeln führt nicht automatisch zu einer höheren Compliance oder gar zu einer Verbesserung der Beratungsqualität. Die hohen Strafdrohungen bei Verstößen gegen die Verpflichtungen des WAG 2018 sollen hier offenbar ansetzen und durch ein Bedrohungsszenario zu Compliance führen. Die im Vergleich zum WAG 2007 vorgenommene Straferhöhung ist kritisch zu sehen. Der zunehmende Detailierungsgrad der Regelungen hat nämlich bedauerlicher Weise nicht zu mehr Klarheit geführt, sondern die Anzahl der Auslegungsfragen erhöht. Darunter leidet aber die Vorhersehbarkeit der Auslegung der Normen durch die Aufsichtsbehörden für die Beaufsichtigten, dies aber bei gleichzeitig verschärften Sanktionsdrohungen. Unbestritten muss die Erbringung von Finanzdienstleistungen Regelungen unterliegen. Diese dienen schließlich dazu, dass die Anleger beim Erwerb von Finanzprodukten mit einem gewissen Standard bei der Beratung rechnen können. In vielen Fällen hängt die Beratungsqualität jedoch nicht allein vom Regelwerk ab, sondern einerseits vom Wissen und Können des konkreten Beraters und anderseits von der Bereitschaft des Anlegers, sich mit einem Produkt oder einer Dienstleistung auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang erscheint es dringend notwendig, dass die Eigenverantwortung der Anleger wieder mehr in den Vordergrund rückt. Die Praxis zeigt nämlich, dass sich Schäden für Anleger dadurch vermeiden lassen, dass sich die Anleger bewusst sind, dass hohe Renditeerwartungen (oder derartige Versprechen) auch mit hohen Risiken einhergehen. Unseriöse Marktteilnehmer lassen sich nämlich – wie verschiedene Fälle von Anlagebetrug im großen Stil oder salopper Umgang mit den bestehenden Regelungen der letzten Jahre zeigen – erfahrungsgemäß durch strengere Regelungen nicht abschrecken, die Unwissenheit und unrealistische Gewinnerwartungen potenzieller Anleger auszunützen.

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In diesen Fällen wurden auch die damals bestehenden Regelungen verletzt, sodass eine Verschärfung der Regelungen das Problem nicht lösen dürfte, sondern primär zu zusätzlichem Aufwand und Kosten für die überwiegend seriösen Anbieter führt. Missbrauch ließe sich durch Beseitigung des weitverbreiteten „Analphabetismus“ in Fragen der Vermögensveranlagung wahrscheinlich wirkungsvoller begegnen. Der Kauf von Finanzprodukten bleibt eine persönliche und freiwillige Entscheidung des einzelnen Anlegers. Diese sollte wie jede andere weitreichende Entscheidung wohlüberlegt und fundiert getroffen werden. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass die Informationen über die Produkte korrekt und umfassend sind. Dazu dienen die kapitalmarktrechtlichen Bestimmungen. Die Letztverantwortung über die Kaufentscheidung eines (riskanten) Produkts trägt jedoch der Kunde. Die hohe Regelungsdichte für die Rechtsträger birgt den zusätzlichen Nachteil, dass Anleger zunehmend ihre eigene Verantwortung (wie etwa das aufmerksame Lesen der Produktinformationen) unterschätzen. Wie zahlreiche Gerichtsverfahren zeigen, liest in der Praxis auch fast kein Anleger die sehr umfangreichen Informationsunterlagen, die der Gesetzgeber vorschreibt. Der europäische Gesetzgeber ist gefordert, klare und verständliche Vorgaben zu erlassen. Er hat die Problematik des Informationsüberflusses wohl auch z.T. erkannt und versucht dem durch Einführung der Kundeninformationsdokumente, die eine Kurzdarstellung der Anlageprodukte bieten und Vergleiche ermöglichen sollen, sicher zu stellen. Auch dadurch werden aber neue Fragen aufgeworfen. Als Negativbeispiel kann in diesem Zusammenhang auf das neue Regelwerk der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products (PRIIP)) genannt werden. Die PRIIPs-Verordnung soll langfristig die Vorgaben aus der Richtlinie zu Undertakings for Collective Investments in Transferable Securities (UCITS) (Richtlinie 2009/65/EG) hinsichtlich des schon länger gebräuchlichen Key Investor Document (KID) ersetzen. Die neue Art der Berechnung des Risikoindikators auf der siebenstufigen Skala führt nun jedoch zu geänderten Ergebnissen zwischen KID und PRIIP. Im Extremfall muss aufgrund unterschiedlicher nationaler Umsetzungen ein Anbieter zu ein und demselben Produkt sowohl ein UCITS-KID als auch ein PRIIPs-KID verwenden, obwohl diese eine andere Risikostufe ausweisen. Dieser Unterschied ist für die Kunden nicht nachvollziehbar, irreführend und führt sicher nicht zu einer erhöhten Bereitschaft der Anleger, sich ernsthaft mit der Kundendokumentation auseinanderzusetzen. Es bleibt daher zu hoffen, dass es auf europäischer Ebene früher oder später zu einem Paradigmenwechsel kommt und ein Weniger an dafür klareren und einheitlichen Regeln zur erklärten Zielsetzung wird.

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Die Judikatur der Zivilgerichte in den nächsten Jahren zur Beraterhaftung wird zeigen, ob neue Regelungen die zivilrechtlichen Anforderungen an Beratungsstandards verändern. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte wie schon bisher im Sinne der Ausstrahlungswirkung, die Wohlverhaltensregeln für eine nähere Konkretisierung der zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten heranziehen werden. Dies gilt etwa für die Offenlegung der Durchführung einer (i.S.d. WAG 2018) „nicht-unabhängigen“ Anlageberatung. Auch die Möglichkeit zur Verwendung von nunmehr verpflichtenden Gesprächsaufzeichnungen für telefonische Aufträge wird Auswirkungen auf die Gerichtspraxis haben. Den Beratungsprotokollen kommt ebenfalls eine entscheidende Bedeutung zu, da sie das Beratungsgespräch dokumentieren und somit zu Beweiszwecken herangezogen werden können. Die von der Judikatur herausgearbeiteten Grundsätze zur Beratungshaftung werden sich aber aller Voraussicht nach durch das Regelwerk des WAG 2018 nicht maßgeblich verändern. Für die Praxis stellt das neue Regelwerk jedoch ohne Zweifel eine große Herausforderung dar.

Literatur Baum, Das Spannungsverhältnis zwischen dem funktionalen Zivilrecht der „Wohlverhaltensregeln“ des WpHG und dem allgemeinen Zivilrecht, ÖBA 2013, 396. Baum, Pflichten und Haftung im arbeitsteiligen Vertrieb von Finanzprodukten, Zur Verantwortlichkeit im Verhältnis zwischen selbständigem Vertriebspartner und depotführendem Kreditinstitut, ÖBA 2010, 278. Brandl/Klausberger, „Ausstrahlungstheorie“ – Zum Verhältnis zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht nach MiFID und WAG, ZFR 2009/89, 131. Brandl/Saria (Hg.), Kommentar WAG 2007 (2015). Brandl/Toman, MiFID II und Telefonaufzeichnungen, Vorratsdatenspeicherung in neuem Gewand?, ÖBA 2016, 564. Gruber/Raschauer (Hg.), Kommentar WAG 2007 (2010). Harrer, Zivilrechtliche Irritationen im Kapitalmarktrecht, ZFR 2011, 9. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015).

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Andreas Zahradnik/Elisabeth Reiner

Kalss, Das Scheitern des Informationsmodells, in: ÖJT (Hg.), 19. Österreichischer Juristentag, Anlegeransprüche – kapitalmarktrechtliche und prozessuale Fragen, Band II/1 (2015). Knobl/Gasser, Aufklärungspflichten und irrtumsrechtliche Gehilfenzurechnung bei Einschaltung einer kundennäheren Wertpapierfirma, Zur Auslegung des § 27 WAG 2007, ÖBA 2012, 352. Knobl/Grafenhofer, Haftung einer Bank für allfälliges Fehlverhalten von externen Anlageberatern oder Vermittlern, GesRZ 2010, 27. Knobl/Janovsky, Entscheidungsbesprechung OGH 07.11.2007, 6 Ob 110/07f, ZFR 2008, 68. Koziol, OGH 08.10.2008, 9 Ob 32/08h, ÖBA 2009, 389. Oppitz, Das Anlegerleitbild im Kapitalmarktrecht, GesRZ 2015, 359. Oppitz, Glosse zu OGH 27.09.2016, 1 Ob 21/16v, ÖBA 2017/2355. Oppitz, Kapitalmarktaufsicht (2017). Ramharter, Inducements nach MiFID II und IDD und das zivilrechtliche Geschenkannahmeverbot (§ 1013 ABGB) (Teil II), VbR 2016/94. Ramharter, Inducements nach MiFID II und IDD und das zivilrechtliche Geschenkannahmeverbot (§ 1013 ABGB) (Teil I), VbR 2016/68. Schenk/Linder, Anwendung der Wohlverhaltensregeln bei Veranlagungen, ecolex 2008, 4. Schopper, Ad-hoc-Meldepflicht als Schutzgesetz, ÖBA 2014, 495. Schopper, Anmerkungen zum Anlegerschutz de lege ferenda, VbR 2015, 104. Schopper, Nachvertragliche Pflichten, Das Pflichtenprogramm nach Erlöschen der vertraglichen Hauptleistungspflicht (2009). Schopper, WAG 2018: Ausgewählte Neuerungen im Anlegerschutz, VbR 2018, 4. Wilhelm, Zur Haftungsbegründung nach falscher Ad hoc-Mitteilung, ecolex 2010, 534.

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Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II Markus Lange

1 Hintergrund und Einführung 2 Unabhängige Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung 2.1 Geldleistungen 2.1.1 Unabhängige Anlageberatung 2.1.2 Finanzportfolioverwaltung 2.2 Nicht-monetäre Vorteile 2.2.1 Allgemeines 2.2.2 Geringfügige vs. nicht geringfügige nicht-monetäre Vorteile 2.2.3 Insbesondere: Research 2.2.4 Geringfügige nicht-monetäre Vorteile in der Finanzportfolioverwaltung 2.3 Offenlegung und Dokumentation 3 Andere Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen 3.1 Nicht-unabhängige Anlageberatung 3.1.1 Qualitätsverbesserung 3.1.2 Offenlegung und Dokumentation 3.2 Anlagevermittlung, reine Ausführungsgeschäfte 3.2.1 Qualitätsverbesserung 3.2.2 Offenlegung und Dokumentation 3.3 Sonstige 4 Fazit und Ausblick

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1 Hintergrund und Einführung Begriffe und Abgrenzung Anreize sind insbesondere Geldleistungen oder nicht-monetäre Vorteile, die ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht von seinem Kunden erhält, sondern von einem Dritten, bspw. dem Produktlieferanten. Die insoweit grundlegenden Regeln enthalten Art. 24 Abs. 7, 8 und 9 der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II)1 sowie Art. 11, 12 und 13 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593.2 Im deutschen Recht werden Anreize nach wie vor als Zuwendungen bezeichnet (§ 70 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG),3 § 64 Abs. 5 S. 2, Abs. 7 WpHG sowie § 6 und § 7 Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und -Organisationsverordnung (WpDVerOV)4). Im österreichischen Recht kommt das Wort Zuwendungen mitunter auch vor (§ 51 Abs. 1 Wertpapieraufsichtsgesetz (WAG 2018)5), als Oberbegriff wird insoweit aber durchgängig von Vorteilen gesprochen (§ 51 bis § 54 WAG 2018). Im Folgenden wird, soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt, durchgängig von der aktuellen Rechtslage in Deutschland ausgegangen; es werden dementsprechend grundsätzlich die deutschrechtlichen Begriffe verwendet. Die von den Zuwendungsregeln erfassten Zahlungen bzw. Vorteile werden über das eingangs Gesagte hinaus im Gesetz weiter konkretisiert und abgegrenzt. So sind einerseits auch Geldleistungen oder nicht-monetäre Vorteile, die ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen seinerseits an einen Dritten gewährt, Zuwendungen i.S.d. Gesetzes (§ 70 Abs. 1 S. 1 WpHG). Andererseits fehlt es an dem erforderlichen hinreichenden Drittbezug des Entgegennehmens oder Gewährens, wenn der Dritte im Auftrag des Kunden tätig wird. Auch muss die Zahlung bzw. der Vorteil stets im Zusammenhang mit der Erbringung einer Wertpapierdienstleistung oder Wertpapiernebendienstleistung stehen

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Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente vom 15.05.2014, ABl. EU vom 12.06.2014, L 173, 349. Der Text spricht hier von „Gebühren“ oder „Provisionen“ sowie „andere[n] monetäre[n] oder nichtmonetäre[n] Vorteile[n]“. Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 der EU-Kommission vom 07.04.2016, ABl. EU vom 31.03.2017, L 87, 500. Hier wird der Oberbegriff „Anreize“ verwendet. Wertpapierhandelsgesetz in der Fassung des 2. Finanzmarktnovellierungsgesetzes (2. FiMaNoG) vom 23.06.2017, BGBl. I Nr. 39 vom 24.06.2017, 1693. Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und -Organisationsverordnung vom 17.10.2017, BGBl. I Nr. 69 vom 23.10.2017, 3566. Wertpapieraufsichtsgesetz 2018, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Teil I, Jahrgang 2017, Nr. 107 vom 26.07.2017, 99.

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(§ 70 Abs. 1 S. 1 WpHG). Schließlich werden für die Erbringung der Dienstleistung notwendige oder diese erst ermöglichende Gebühren und Entgelte von den Zuwendungsregeln ausgenommen (§ 70 Abs. 7 WpHG). Sinn und Zweck Zuwendungen (deutlicher: Anreize) wirken als Incentivierung für bestimmte Verhaltensweisen. Sie können Interessenkonflikte verursachen oder verstärken. Das Zuwendungsregime ist daher eine besondere Ausprägung des den anlegerschützenden Verhaltensregeln des WpHG zugrunde liegenden allgemeinen Grundsatzes, dass Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse der Kunden zu erbringen sind (§ 63 Abs. 1 WpHG). Dass Zuwendungen der Dienstleistungserbringung im bestmöglichen Interesse des Kunden nicht entgegenstehen dürfen, wird in den speziellen Vorschriften auch noch einmal wiederholt (§ 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG sowie § 64 Abs. 7 S. 2 Nr. 2 WpHG). Weder diese Grundsätze noch die Zuwendungsvorschriften als solche sind neu. Bereits mit der Umsetzung der MiFID I waren seit November 2007 entsprechende Vorschriften in Kraft (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. sowie § 31d WpHG a.F.).6 Nunmehr ist aus dem zu wahrenden Interesse des Kunden das bestmögliche Interesse geworden. Im Übrigen geht es v.a. darum, die Reichweite bestimmter neu hinzugekommener Anforderungen auszuloten und das künftige Verständnis grundsätzlich bereits bekannter einschlägiger Anforderungen zu erschließen.7 Gegenstand und Gang der Darstellung Im Folgenden wird, sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, vom Grundfall ausgegangen, der in der Anwendungs- und Aufsichtspraxis die größte Relevanz haben dürfte. Es geht um diejenigen monetären oder nicht-monetären Vorteile, die ein Dritter, der nicht der Kunde ist (und auch nicht in dessen Auftrag handelt), an ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen gewährt. Dies ist die klassische Drei-Personen-Konstellation, die den Zuwendungsregeln gedanklich zugrunde liegt: Gewährender – Empfänger – Kunde (Abbildung 1).

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Vgl. dazu etwa Rozok, BKR 2007, 217 ff. Vgl. hierzu auch Lange/Baumann/Prescher/Rüter, DB 2018, 556, 562 f.

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Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II

Abbildung 1: Grundkonstruktion des zuwendungsbasierten Produktvertriebs

Die nachstehende Darstellung unterscheidet nach verschiedenen Dienstleistungskonstellationen, für die jeweils spezielle Anforderungen gelten. Soweit angezeigt, wird die Rechtslage für monetäre bzw. nicht-monetäre Zuwendungen dabei gesondert erörtert.

2 Unabhängige Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung 2.1 Geldleistungen 2.1.1

Unabhängige Anlageberatung

Im Zusammenhang mit der unabhängigen Anlageberatung dürfen keine monetären Zuwendungen (Provisionen etc.) angenommen und behalten werden. Die Dienstleistung muss allein durch den Kunden vergütet werden (§ 64 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 WpHG). Etwaige dennoch angenommene Zuwendungen sind alsbald an den betreffenden Kunden auszukehren, der darüber zu informieren ist (§ 64 Abs. 5 S. 3 bis 6 WpHG). Während der europäische Gesetzgeber den Begriff der unabhängigen Anlageberatung (Art. 24 Abs. 4 Buchst. a und Abs. 7 MiFID II) geprägt hat (was u.a. auch der österreichische Gesetzgeber so übernommen hat (§ 53 Abs. 1 WAG 2018)), verwendet der deutsche Gesetzgeber insoweit den sperrigen Begriff der Unabhängigen Honorar-Anlageberatung (§ 64 Abs. 5 WpHG). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass in Deutschland bereits im August 2014 Vorschriften zur Honorar-Anlageberatung

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in Kraft getreten waren.8 Nach einigem Hin und Her während des Gesetzgebungsverfahrens zur MiFID-II-Umsetzung kam es zu der neuen Begrifflichkeit. Die Unabhängige Honorar-Anlageberatung ist – im Einklang mit den europäischen Vorgaben – ein gesetzlich geregelter Unterfall der Wertpapierdienstleistung Anlageberatung (§ 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 10 WpHG und § 64 Abs. 5 S. 7 WpHG). Damit gelten auch für die Unabhängige Honorar-Anlageberatung die für die Anlageberatung generell geltenden Regeln (etwa hinsichtlich Geeignetheitsprüfung, Geeignetheitserklärung etc.). Darüber hinaus kommen die speziellen Anforderungen, insbesondere gemäß § 64 Abs. 5 WpHG, zum Tragen.

2.1.2

Finanzportfolioverwaltung

Auch im Zusammenhang mit der Finanzportfolioverwaltung dürfen keine monetären Zuwendungen angenommen und behalten werden. Etwaige dennoch vereinnahmte Zuwendungen sind auch hier alsbald an den betreffenden Kunden auszukehren, der entsprechend zu unterrichten ist (§ 64 Abs. 7 S. 1 und S. 4 bis 6 WpHG).

2.2 Nicht-monetäre Vorteile 2.2.1

Allgemeines

Angesichts des uneingeschränkten Verbots, monetäre Zuwendungen anzunehmen und zu behalten, spielen nicht-monetäre Vorteile bei der Unabhängigen Honorar-Anlageberatung und der Finanzportfolioverwaltung eine besondere Rolle. Das jeweilige Zuwendungsverbot erstreckt sich grundsätzlich auch auf nicht-monetäre Vorteile. Es wird aber jeweils eine Ausnahme hinsichtlich kleinerer nicht-monetärer Vorteile gemacht, die unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein sollen (Art. 24 Abs. 7 Buchst. b und Abs. 8 MiFID II). Der österreichische Gesetzgeber hat diese Vorgaben entsprechend umgesetzt, wobei er insoweit von geringfügigen nicht-monetären Vorteilen spricht (§ 53 WAG 2018). Der deutsche Gesetzgeber verwendet ebenfalls den Begriff des geringfügigen nicht-monetären Vorteils, hat im Übrigen aber einen z.T. abweichenden Weg der Umsetzung gewählt. Nach deutscher Rechtslage dürfen Unabhängige Honorar-Anlageberater auch keine nicht-monetären Zuwendungen annehmen (§ 64 Abs. 5 S. 2 WpHG). Für Finanzportfolioverwalter gilt demgegenüber auch nach deutschem Recht, dass geringfügige nicht-

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Honoraranlageberatungsgesetz vom 15.07.2013, BGBl. I Nr. 38 vom 18.07.2013, 2390.

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Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II

monetäre Vorteile angenommen werden dürfen, wenn bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllt sind (§ 64 Abs. 7 S. 2 und 3 WpHG).

2.2.2

Geringfügige vs. nicht geringfügige nicht-monetäre Vorteile

Vor dem Hintergrund der vorstehend beschriebenen grundsätzlich umfassenden Verbotskonstellation mit Ausnahme etwaiger geringfügiger nicht-monetärer Vorteile stellt sich die Frage, wie ggf. zulässige geringfügige nicht-monetäre Vorteile von unzulässigen nicht geringfügigen nicht-monetären Vorteilen abgegrenzt werden können. In Umsetzung der Vorgaben des Art. 24 Abs. 8 MiFID II sowie des Art. 12 Abs. 3 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 hat der deutsche Gesetzgeber folgende Anhaltspunkte für die notwendige Abgrenzung niedergelegt. Zulässige geringfügige nicht-monetäre Vorteile sind • geeignet, die Qualität der für den Kunden erbrachten Dienstleistung zu verbessern (§ 64 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 WpHG), und • hinsichtlich ihres Umfangs (wobei die Gesamthöhe der von einem einzelnen Unternehmen oder einer einzelnen Unternehmensgruppe gewährten Vorteile zu berücksichtigen ist) und ihrer Art vertretbar und verhältnismäßig und lassen daher nicht vermuten, dass sie die Pflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens beeinträchtigen, im bestmöglichen Interesse seiner Kunden zu handeln (§ 64 Abs. 7 S. 2 Nr. 2 WpHG). In jedem Fall müssen geringfügige nicht-monetäre Vorteile dem Kunden vorab unmissverständlich offengelegt werden, was allerdings in Form einer generischen Beschreibung erfolgen kann (§ 64 Abs. 7 S. 2 am Ende, S. 3 WpHG). Außerdem enthält die neu gefasste WpDVerOV einen – nicht abschließenden – Beispielkatalog für zulässige geringfügige nicht-monetäre Vorteile. Dies können insbesondere sein: • Informationen oder Dokumentationen zu einem Finanzinstrument oder einer Wertpapierdienstleistung, sofern sie allgemein angelegt oder individuell auf die Situation eines bestimmten Kunden abgestimmt sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 WpDVerOV). • Von einem Dritten erstellte schriftliche Materialien, die von einem Emittenten oder potenziellen Emittenten aus dem Unternehmenssektor in Auftrag gegeben und vergütet werden, um eine Neuemission des betreffenden Emittenten zu bewerben, oder bei dem der Dritte vom Emittenten oder potenziellen Emittenten vertraglich dazu verpflichtet ist und dafür vergütet wird, derartiges Material fortlaufend zu erstellen, sofern die Beziehung zwischen dem Dritten und dem Emittenten in dem betreffenden Material unmissverständlich offengelegt und das Material gleichzeitig allen Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die daran interessiert sind, oder dem Publikum zur Verfügung gestellt wird (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 WpDVerOV).

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• Die Teilnahme an Konferenzen, Seminaren und anderen Bildungsveranstaltungen, die zu den Vorteilen und Merkmalen eines bestimmten Finanzinstruments oder einer bestimmten Wertpapierdienstleistung abgehalten werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 WpDVerOV). • Bewirtungen, deren Wert eine vertretbare Geringfügigkeitsschwelle nicht überschreitet (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 WpDVerOV). Im Einzelfall müssen aber stets zugleich die vorstehend genannten generellen Anforderungen vorliegen (§ 6 Abs. 1 am Anfang WpDVerOV i.V.m. § 64 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 und 2 WpHG). Ist ein konkreter nicht-monetärer Vorteil, gemessen an diesen Kriterien, nicht als geringfügig anzusehen, ist er unzulässig, auch wenn insoweit eine der in § 6 Abs. 1 WpDVerOV beispielhaft genannten Konstellationen grundsätzlich einschlägig sein sollte. Man findet darüber hinaus in einigen Präambeln zur Delegierten Richtlinie (EU) 2017/ 593 weitere Anhaltspunkte für die erforderliche Abgrenzung. So heißt es etwa in Präambel 30 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593, dass jeder nicht-monetäre Vorteil, der die Übertragung von Wertmitteln Dritter auf die Wertpapierfirma beinhaltet, nicht als geringfügig angesehen werden könne. Es wird sich noch herausstellen müssen, wie sich diese sehr strikt klingende Vorgabe insbesondere mit dem vorstehend wiedergegebenen Beispielkatalog verträgt. Schließlich hat die European Securities and Markets Authority (ESMA) im Rahmen ihres Fragen- und Antwortenkatalogs zu Anlegerschutzthemen9 weitere einschlägige Hinweise gegeben, auch unter Bezugnahme auf entsprechende Präambeln der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/593, dabei allerdings insbesondere auf den Sachzusammenhang des Research abgestellt (vgl. Abschnitt 2.2.3).

2.2.3

Insbesondere: Research

Eine stringente Abgrenzung zwischen geringfügigen und nicht geringfügigen nichtmonetären Vorteilen wird dadurch erschwert, dass im Laufe der Diskussion um die weitere Konkretisierung der Regeln der MiFID II im Kontext der Zuwendungen das Thema Research eine zunehmend eigenständige Bedeutung erlangte. Die Thematisierung geschah, soweit ersichtlich, zunächst im Konsultationspapier der ESMA vom 22.05.2014,10 wobei

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ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR investor protection and intermediaries topics, ESMA35-43-349, zuletzt aktualisiert am 23.03.2018 und nur in englischer Sprache verfügbar. ESMA, Consultation Paper MiFID II/MiFIR, ESMA/2014/549, nur in englischer Sprache verfügbar.

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Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II

zunächst nur erwogen wurde, unter welchen Umständen Research als geringfügiger nicht-monetärer Vorteil angesehen werden könne.11 In der darauf folgenden Technischen Stellungnahme der ESMA an die EU-Kommission vom 19.12.201412 wurden dann eigenständige Regeln für die Zulässigkeit der Entgegennahme von Research formuliert. Diese reichten über den bisherigen Stand der Maßstäbe für die Zulässigkeit nicht-monetärer Vorteile deutlich hinaus.13 Diese zusätzlichen Regeln haben dann ihren Niederschlag in den Präambeln 26 bis 30 sowie in Art. 13 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 gefunden. Der deutsche Gesetzgeber hat dies in § 70 Abs. 2 S. 2 bis 4, Abs. 3 und Abs. 6 WpHG sowie § 7 WpDVerOV umgesetzt. Der Begriff Research wird dabei nicht verwendet, es wird von Analysen gesprochen. Auch in der österreichischen Umsetzungsgesetzgebung ist entsprechend verfahren worden (§ 54 WAG 2018). Eine Definition des Begriffs Research bzw. Analysen findet sich in den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht. Den Versuch einer näherungsweisen Umschreibung enthält Präambel 28 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593, wonach Analysen „in diesem Zusammenhang so verstanden werden [sollten], dass sie Analysematerial oder -dienstleistungen in Bezug auf ein oder mehrere Finanzinstrumente oder sonstige Vermögenswerte oder in Bezug auf die Emittenten oder potenziellen Emittenten von Finanzinstrumenten umfassen oder in engem Zusammenhang mit einer bestimmten Branche oder einem bestimmten Markt stehen, so dass sie zur Meinungsbildung über Finanzinstrumente, Vermögenswerte oder Emittenten in dieser Branche beitragen. Mit dieser Art von Material oder Dienstleistungen wird explizit oder implizit eine Anlagestrategie empfohlen oder nahegelegt und eine fundierte Meinung zum aktuellen oder künftigen Wert oder Preis solcher Instrumente oder Vermögenswerte abgegeben oder anderweitig eine Analyse und neuartige Erkenntnisse vermittelt und werden auf der Grundlage neuer oder bereits vorhandener Informationen Schlussfolgerungen gezogen, die genutzt werden könnten, um eine Anlagestrategie zu begründen, und die für die Entscheidungen, die die Wertpapierfirma für die die Analysegebühr entrichtenden Kunden trifft, relevant und von Mehrwert sein könnten.“

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ESMA, Consultation Paper MiFID II/MiFIR, ESMA/2014/549, S. 120 ff. Tz. 11-16. ESMA, Final Report. ESMA’s Technical Advice to the Commission on MiFID II and MiFIR, ESMA/2014/1569, nur in englischer Sprache verfügbar. ESMA, Final Report. ESMA’s Technical Advice to the Commission on MiFID II and MiFIR, ESMA/2014/1569, S. 130 ff. Tz. 12-31 und S. 139 ff. Tz. 7-9.

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Für Analysen, die ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen von Dritten erhält, gilt jedenfalls, dass diese nicht als Zuwendung angesehen werden, wenn sie angenommen werden als Gegenleistung für • direkte Zahlungen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens aus seinen eigenen Mitteln, oder • Zahlungen von einem durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen kontrollierten separaten Analysekonto, vorausgesetzt, dass auch bestimmte weitere Anforderungen erfüllt sind (§ 70 Abs. 2 S. 2 bis 4 WpHG). Während die etwaigen Vorgänge rund um die Verwendung entsprechender Analysekonten Gegenstand weiterer detaillierter Regeln sind (verbunden mit nicht unerheblicher Komplexität für den etwaigen Anwender), scheint die Praxis andere Wege zu gehen. Man tendiert vielfach dazu, Analysen selbst zu bezahlen oder auf andere Weise zu vermeiden, insoweit überhaupt in den Anwendungsbereich des Zuwendungsregimes zu fallen. Damit scheint folgendes vorgezeichnet: Analysen sind im Einzelfall nicht als Zuwendungen anzusehen, wenn die obigen Voraussetzungen erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen jedoch nicht vor, handelt es sich stets um Zuwendungen in Form unzulässiger nicht-monetärer Vorteile. Analysen könnten demnach in keinem Fall als zulässiger nichtmonetärer Vorteil qualifiziert werden, weil sie als solche immer eine hinreichende Wertigkeit aufweisen und nicht als nur geringfügig eingestuft werden können. Diese Sichtweise wird durch die Ausführungen der ESMA in ihrem Fragen- und Antwortenkatalog zu Anlegerschutzthemen bestätigt. In Abschnitt 7 Frage/Antwort 6 wird Bezug genommen auf die erforderliche Abgrenzung zwischen Analysen (Research) auf der einen Seite und geringfügigen nicht-monetären Vorteilen auf der anderen Seite. Dabei wird auch auf die Präambeln 28, 29 und 30 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 verwiesen, die weitere entsprechende Hinweise enthalten. Danach wären Analysen in keinem Fall geringfügig, von ihrer Qualität her immer hinreichend werthaltig und damit allein den für sie geltenden besonderen Kriterien hinsichtlich ihrer Zulässigkeit unterworfen. Es bleibt dann noch die Frage, ob es außer Analysen noch bestimmte andere nichtmonetäre Vorteile gibt, die nicht als nur geringfügig einzustufen sind und damit ohne weitere Prüfung unzulässig wären (vorbehaltlich einer jeweils adäquaten Gegenleistung seitens des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, wodurch auch hier der Zuwendungscharakter entfiele). Die vorstehend skizzierten Erwägungen der ESMA scheinen dies auszuschließen, weil sie von einem klaren Entweder-oder auszugehen und alle werthaltigen Vorteile der Kategorie der Analysen zuzuordnen scheinen. In den weiteren Fragen/Antworten 7, 8 und 9 in Abschnitt 7 thematisiert die ESMA jedoch bestimmte andere mögliche Vorteile, die einerseits tendenziell keinen technischen Ana-

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Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II

lysecharakter haben, aber auch durchaus werthaltig sein können (wie Unternehmensbesuche oder Treffen mit hochrangigen Unternehmensvertretern), oder andererseits zwar technischen Analysecharakter haben, aber möglicherweise dennoch nicht als hinreichend werthaltig anzusehen sein könnten (wie ggf. bestimmte volkswirtschaftliche Analysen, Zins- oder Währungsanalysen).

2.2.4

Geringfügige nicht-monetäre Vorteile in der Finanzportfolioverwaltung

Im Hinblick auf die Finanzportfolioverwaltung folgt aus alledem, dass die Zulässigkeit der Annahme geringfügiger nicht-monetärer Vorteile wie folgt zu beurteilen ist: • Die Zuwendungsregeln sind nur anwendbar, wenn ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem betreffenden nicht-monetären Vorteil und der Erbringung der Finanzportfolioverwaltung für bestimmte Kunden besteht. • Es darf sich bei dem betreffenden nicht-monetären Vorteil nicht um eine werthaltige Analyse (bzw. werthaltiges Research) oder einen anderweitig werthaltigen – und damit nicht nur geringfügigen – Vorteil handeln. • Der betreffende nicht-monetäre Vorteil ist einem der Beispiele aus dem Beispielkatalog der WpDVerOV zuzuordnen oder es handelt sich um einen qualitativ vergleichbaren Sachverhalt, was mit Blick auf den Anreizcharakter zu würdigen sein dürfte (§ 6 Abs. 1 WpDVerOV). • Die generellen Anforderungen an die erforderliche Geringfügigkeit des betreffenden nicht-monetären Vorteils sind außerdem erfüllt (§ 64 Abs. 7 S. 2 WpHG). Insbesondere die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 WpDVerOV genannten Beispiele verdeutlichen, dass es auch im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung grundsätzlich zulässig sein soll, bestimmte nicht-monetäre Vorteile anzunehmen. Den einzelnen Beispielsfällen liegen aber durchaus unterschiedliche gesetzgeberische Vorstellungen zugrunde, so dass entsprechend differenziert werden sollte. Auch besteht ein gewisses Spannungsfeld zur Research-Thematik. Im Einzelnen bedeutet dies: • Bei den Tatbeständen der Nr. 1 bis Nr. 3 stellt der Wortlaut jeweils Bezüge zu „einem Finanzinstrument“ bzw. „einer Wertpapierdienstleistung“ (Nr. 1), „einem Emittenten“ bzw. „eine[r] Neuemission“ (Nr. 2) oder „eines bestimmten Finanzinstruments“ bzw. „einer bestimmten Wertpapierdienstleistung“ (Nr. 3) her. Damit wird insbesondere bezweckt, dass Finanzportfolioverwaltern zulässigerweise auch Informationen oder Schulungen zu einzelnen Produkten zugutekommen können, damit sie ihrerseits den eigenen Kunden gegenüber entsprechend kompetent agieren können. Dies ist – nicht zuletzt im Interesse der Kunden – sinnvoll und nachvollziehbar. Bei Informationen oder Veranstaltungen mit derart konkretem Produkt- oder Dienstleistungsbezug kann aber zugleich auch die potenzielle – und aus Sicht der einschlägi-

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gen Zuwendungsregeln grundsätzlich unerwünschte – Anreizwirkung größer sein als bei eher allgemein gehaltenen Informationen oder Veranstaltungen. Es kann dann zum einen deutlich näher liegen, den grundsätzlich erforderlichen Zusammenhang zwischen Vorteil und erbrachter Dienstleistung zu bejahen. Und zum anderen kann sich mit zunehmender, insbesondere produktbezogener Fundiertheit von Informationen oder Veranstaltungsinhalten umso eher die Frage stellen, ob es sich nicht jeweils um werthaltige Analysen (bzw. Research) handelt und damit nicht um nur geringfügige nicht-monetäre Vorteile. • Bei dem weiteren Tatbestand der Nr. 4 (Bewirtungen) dürften andere Überlegungen anzustellen sein. Dort wird unmittelbar auf eine vertretbare Geringfügigkeit abgestellt, ohne weitere Produkt- oder Dienstleistungsbezüge. Daraus könnte zu schließen sein, dass es sich um einen Annextatbestand handelt, der keine eigenständigen und ggf. großzügigen Einladungen ohne Bezug zu einer Schulung o.ä. erlaubt. Entsprechende Hinweise enthält auch Art. 12 Abs. 3 S. 1 Buchst. d Delegierte Richtlinie (EU) 2017/ 593, wo es ergänzend heißt: „[…] wie Bewirtung während geschäftlicher Zusammenkünfte oder der [vorstehend] genannten Konferenzen, Seminare und anderen Bildungsveranstaltungen“. In der Technischen Stellungnahme der ESMA an die EU-Kommission vom 19.12.2014 war insoweit die Rede von „hospitality of a reasonable de minimis value, this could for example include food and drink during a business meeting or a conference, seminar or other training events […]“.14 Der deutsche Regelgeber hat dies in der Begründung zum Referentenentwurf der WpDVerOV ebenfalls aufgegriffen und zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 ausgeführt, als vertretbar geringfügige Bewirtung i.S.d. Vorschrift gelte „beispielsweise die Bewirtung während geschäftlicher Zusammenkünfte oder Konferenzen, Seminare und anderer Bildungsveranstaltungen“.15

2.3 Offenlegung und Dokumentation Geringfügige nicht-monetäre Vorteile sind dem Kunden gegenüber unmissverständlich offenzulegen, bevor die betreffende Dienstleistung erbracht wird (§ 64 Abs. 7 S. 2 am Ende WpHG). Die Offenlegung kann in Form einer generischen Beschreibung erfolgen (§ 64 Abs. 7 S. 3 WpHG).

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ESMA, Final Report. ESMA´s Technical Advice to the Commission on MiFID II and MiFIR, ESMA/2014/1569, S. 139 Tz. 5. BMF, Referentenentwurf der WpDVerOV, S. 27.

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Anreize bei Wertpapierdienstleistungen nach MiFID II

Für die Dokumentation, d.h. interne Aufzeichnung für prüferische und aufsichtliche Zwecke, gilt Entsprechendes. Insoweit sind insbesondere die konkretisierenden Vorgaben der Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten (MaComp) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zu berücksichtigen.16 Nach dem vorgesehenen unlängst neu gefassten neuen Modul BT 10 der MaComp ist es im Rahmen des zu führenden Zuwendungsverzeichnisses ausreichend, geringfügige nicht-monetäre Zuwendungen generisch zu beschreiben.17 Auch die Beschreibung der jeweiligen Qualitätsverbesserung im Rahmen der Verwendungsverzeichnisse braucht nur generisch zu sein.18

3 Andere Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen Für die herkömmliche nicht-unabhängige Anlageberatung, für die Anlagevermittlung (das in der Praxis so bezeichnete beratungsfreie Geschäft) oder reine Ausführungsgeschäfte (Execution only) gelten andere Zuwendungsregeln. Entsprechendes gilt auch für alle anderen Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen. Zuwendungen sind zwar auch insoweit grundsätzlich verboten, können aber ausnahmsweise und immer dann zulässig sein, wenn sie nachweislich dazu bestimmt sind, eine qualitätsverbessernde Wirkung zu entfalten (§ 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 WpHG). Es wird dabei generell kein Unterschied zwischen monetären und nicht-monetären Zuwendungen gemacht (§ 70 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 WpHG). Dies entspricht im Ausgangspunkt der bisherigen Rechtslage, die unterschiedslos für alle Dienstleistungen galt (§ 31d WpHG a.F.). Im Unterschied zur bisherigen Anwendungs- und Aufsichtspraxis sollen nunmehr allerdings strengere Anforderungen für die Begründung und Darlegung der erforderlichen Qualitätsverbesserung gelten. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich in erster Linie an dem praktisch v.a. bedeutsamen Sachverhalt der monetären Zuwendungen (Vertriebsprovisionen, Bestandsprovisionen etc.).

16

17 18

Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018 zu den Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 63 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, BT 10.1 Tz. 3. Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, RT 10.2, Tz. 2.

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3.1 Nicht-unabhängige Anlageberatung 3.1.1

Qualitätsverbesserung

Vom nicht-unabhängigen Anlageberater (im Folgenden auch vereinfacht Anlageberater) vereinnahmte Provisionen müssen insbesondere darauf ausgelegt sein, die Qualität der für den Kunden erbrachten Dienstleistung zu verbessern (§ 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG). Der Anlageberater muss außerdem nachweisen können, dass jegliche von ihm erhaltene Zuwendung dazu bestimmt ist, die Qualität der jeweiligen Dienstleistung für den Kunden zu verbessern (§ 70 Abs. 1 S. 2 WpHG). Was kommt als Qualitätsverbesserung in diesem Sinne in Betracht? • Es muss eine zusätzliche oder höherwertige Dienstleistung für den jeweiligen Kunden vorliegen, die in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der erhaltenen Zuwendung steht (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 am Anfang WpDVerOV). • Die Zuwendung darf nicht unmittelbar dem annehmenden Anlageberater (bzw. dessen Gesellschaftern oder Beschäftigten) zugutekommen, ohne zugleich einen konkreten Vorteil für den jeweiligen Kunden darzustellen (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WpDVerOV). • Einer vereinnahmten laufenden Zuwendung muss die Gewährung eines fortlaufenden Vorteils für den betreffenden Kunden gegenüber stehen (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 WpDVerOV). • Die Anlageberatung muss unvoreingenommen und im besten Kundeninteresse erbracht werden (§ 6 Abs. 2 S. 2 WpDVerOV). • Diese Anforderungen sind fortlaufend zu erfüllen, solange die Zuwendungen vereinnahmt werden (§ 6 Abs. 2 S. 3 WpDVerOV). § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a, b, c und d WpDVerOV enthalten vier Beispielskonstellationen für etwaige zusätzliche oder höherwertige Dienstleistungen für den jeweiligen Kunden. Drei dieser Konstellationen entstammen dem zugrunde liegenden Art. 11 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593, eine vierte wurde vom deutschen Gesetzgeber ergänzt. Nach Wortlaut und Systematik der WpDVerOV ist nicht ganz eindeutig, welche Beispiele für welche Dienstleistungen in Betracht kommen sollen. Angesichts der Formulierungen in Art. 11 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 und der ergänzenden Ausführungen in Präambel 22 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 ist davon auszugehen, dass sich zwei der vom deutschen Gesetzgeber übernommenen Konstellationen (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und b WpDVerOV) auf die nicht-unabhängige Anlageberatung beziehen, während die dritte übernommene Konstellation (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. c WpDVerOV) für andere Dienstleistungen als

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die nicht-unabhängige Anlageberatung relevant ist. Das vom deutschen Gesetzgeber hinzugefügte vierte Beispiel (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. d WpDVerOV) zielt seinem Wortlaut nach wiederum – insbesondere – auf die Anlageberatung ab. Die drei demnach für die nicht-unabhängige Anlageberatung einschlägigen Beispielkonstellationen umfassen folgendes: • Anlageberatung auf Basis einer vergleichsweise breiteren Produktpalette, einschließlich Produkte von nicht nahestehenden Produktlieferanten (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a WpDVerOV); • Anlageberatung in Kombination mit dem Angebot einer regelmäßigen – mindestens jährlichen – Beurteilung, ob die Finanzinstrumente im Bestand des Kunden für diesen weiterhin geeignet sind, oder in Kombination mit einer anderen fortlaufenden Dienstleistung mit wahrscheinlichem Wert für den Kunden, bspw. einer Beratung zur optimalen Vermögensstrukturierung (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. b WpDVerOV); • das Ermöglichen eines verbesserten Zugangs zu Beratungsdienstleistungen, etwa durch die Bereitstellung eines weitverzweigten Filialberaternetzwerkes, das für den Kunden die Vor-Ort-Verfügbarkeit qualifizierter Anlageberater auch in ländlichen Regionen sicherstellt (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. d WpDVerOV). Der österreichische Gesetzgeber hat in § 52 WAG 2018 einen ganz ähnlichen Ansatz gewählt. Das von ihm ergänzte vierte Beispiel lautet: „[…] wenn der Zugang zur Anlageberatung durch die Vor-Ort-Verfügbarkeit von qualifizierten Beratern ermöglicht wird“ (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d WAG 2018).

3.1.2

Offenlegung und Dokumentation

Zuwendungen im Zusammenhang mit der Anlageberatung sind gegenüber den betreffenden Kunden in umfassender, zutreffender und verständlicher Weise unmissverständlich offenzulegen. Dies hat zunächst vor Erbringung der Dienstleistung (ex ante) zu geschehen. Dabei sind grundsätzlich Existenz, Art und Umfang der Zuwendung mitzuteilen. Soweit sich zu diesem Zeitpunkt der Umfang noch nicht bestimmen lässt, ist stattdessen die Art und Weise seiner Berechnung anzugeben (§ 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG). Auch im Nachhinein, d.h. nach Erbringung der Anlageberatung, sind Offenlegungspflichten zu erfüllen (ex post). Zum einen muss der Kunde immer, wenn zunächst nur Art und Weise der Berechnung einer Zuwendung offengelegt werden konnte, über den genauen Betrag unterrichtet werden (§ 70 Abs. 1 S. 3 WpHG). Und zum anderen und unabhängig davon ist der Kunde mindestens einmal jährlich individuell über die tatsächliche Höhe der angenommenen Zuwendungen zu informieren, solange im Zusammenhang mit der Anlageberatung fortlaufend Zuwendungen vereinnahmt werden (§ 70 Abs. 1 S. 4 WpHG).

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Für nicht-monetäre Vorteile gilt folgendes: Nicht nur geringfügige nicht-monetäre Vorteile sind der Höhe nach anzugeben und separat offenzulegen (§ 70 Abs. 4 S. 2 WpHG). Geringfügige nicht-monetäre Vorteile können auch hier in Form einer generischen Beschreibung offengelegt werden (§ 70 Abs. 4 S. 1 WpHG). Im Hinblick auf die Dokumentation bzw. Aufzeichnung für prüferische und aufsichtliche Zwecke sind in der Praxis wiederum insbesondere die Anforderungen der MaComp der Bafin maßgeblich. Im Hinblick auf die Dokumentation der Qualitätsverbesserung der jeweiligen Zuwendung enthalten § 70 Abs. 1 S. 2 WpHG und § 6 Abs. 3 WpDVerOV weitere Vorgaben. Im Einklang mit dem zugrunde liegenden Art. 11 Abs. 4 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 bestimmt § 6 Abs. 3 WpDVerOV, dass Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein internes Verzeichnis aller vereinnahmten Zuwendungen führen und darlegen müssen, wie die Zuwendungen die Qualität der Dienstleistungen für die betreffenden Kunden verbessern. Außerdem ist aufzuzeichnen, welche Schritte unternommen wurden, um die Pflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, nicht zu beeinträchtigen. Aus deutscher Sicht sind diese Dokumentationsanforderungen nicht neu. Seit 2012 enthielten die MaComp der Bafin die Verpflichtung, ein Zuwendungs- und Verwendungsverzeichnis zu führen (AT 8.2 MaComp a.F.). Die Bafin hat unlängst eine Neufassung der MaComp veröffentlicht und darin die insoweit nunmehr geltenden Anforderungen konkretisiert.19 Danach gilt für die Dokumentation im Hinblick auf die Qualitätsverbesserung künftig folgendes: Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben ein Zuwendungs- und Verwendungsverzeichnis sowie ein Maßnahmenverzeichnis zu führen.20 Das Zuwendungsverzeichnis ist geschäftsjahresbezogen fortlaufend zu führen; es ist zwischen verschiedenen Arten der Zuwendungen zu unterscheiden. An Kunden ausgekehrte Zuwendungen können, müssen aber nicht aufgeführt werden.21 Das Verwendungsverzeichnis ist ebenfalls fortlaufend zu führen. Zum Nachweis der Qualitätsverbesserung ist künftig stärker aufzuschlüsseln und kundenbezogen (bzw. kundengruppenbezogen) zu argumentieren. Auf Nachfrage der Bafin oder des Prüfers sind Details der qualitätsverbessernden Verwendung für betreffende Kunden darzulegen.22 Der nach dem Wortlaut der gesetzlichen Vor-

19 20 21 22

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Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, BT 10; vgl. auch Abschnitt 2.3. Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, BT 10 Tz. 2 und 3. Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, BT 10.1. Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, BT 10.2.

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gaben generell erforderliche Bezug zusätzlicher oder höherwertiger Dienstleistungen zum jeweiligen Kunden wird auch noch einmal betont.23 Schließlich ist im neuen Maßnahmenverzeichnis fortlaufend zu dokumentieren, welche Schritte bzw. Maßnahmen in einem Geschäftsjahr zur Wahrung der einschlägigen Kundeninteressen unternommen wurden.24

3.2 Anlagevermittlung, reine Ausführungsgeschäfte 3.2.1

Qualitätsverbesserung

Für die Anlagevermittlung (bzw. das beratungsfreie Geschäft) und reine Ausführungsgeschäfte (Execution only) gelten grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie für die Anlageberatung (vgl. Abschnitt 3.1.1). Allerdings ist insoweit auf andere Beispielskonstellationen für etwaige zusätzliche oder höherwertige Dienstleistungen für den jeweiligen Kunden abzustellen. Insbesondere die Konstellation des § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. c WpDVerOV zielt, wie bereits dargelegt, auf andere Dienstleistungen als die nicht-unabhängige Anlageberatung ab. Sie umfasst die Gewährung von Zugang zu einer vergleichsweise breiteren Produktpalette, einschließlich Produkte von nicht nahestehenden Produktlieferanten, in Kombination mit der Bereitstellung von Hilfsmitteln, die einen Mehrwert aufweisen, wie etwa objektiven Informationsinstrumenten zu Anlageentscheidungen und Anlage-Portfolien des Kunden, oder der Übermittlung periodischer Berichte zu Wertentwicklungen und Kosten bzw. Gebühren. Laut Begründung zum Referentenentwurf der WpDVerOV „steht eine Erbringung der Anlageberatung einer Qualitätsverbesserung [im Sinne dieses Beispiels] nicht entgegen.“25 Wie sich dies mit der klaren Weichenstellung in der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/593 (vgl. Abschnitt 3.1.1) vereinbaren lässt, erscheint, zumal diese Beispielskonstellation offensichtliche Redundanzen mit den für die nicht-unabhängige Anlageberatung relevanten Konstellationen (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und b WpDVerOV) aufweist.

23 24 25

Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, BT 10.4. Vgl. Bafin, Rundschreiben 05/2018 (WA) vom 19.04.2018, BT 10.3. BMF, Referentenentwurf der WpDVerOV, S. 27.

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Angesichts des unterschiedlichen gesetzlich determinierten generellen Anforderungsund Qualitätsniveaus der Dienstleistungen der Anlageberatung einerseits (Geeignetheitsprüfung, Geeignetheitserklärung etc.) und der Anlagevermittlung bzw. des reinen Ausführungsgeschäfts andererseits (nur Angemessenheitsprüfung bzw. auch keine Angemessenheitsprüfung (§ 63 Abs. 11 WpHG)) und im Einklang mit dem Wortlaut, auch des § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und b WpDVerOV dürfte es daher näher liegen, dass die Beispielskonstellation des § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. c WpDVerOV nicht auch für die nicht-unabhängige Anlageberatung herangezogen werden kann. Für diese sind weitergehende qualitätsverbessernde Anstrengungen zu unternehmen, weil das gesetzliche Ausgangsniveau bereits ein höheres ist (vgl. Abschnitt 3.1.1). Ob schließlich das vom deutschen Gesetzgeber ergänzte weitere Beispiel in § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. d WpDVerOV (Filialberaternetzwerk) auch für andere Dienstleistungen als die nicht-unabhängige Anlageberatung in Betracht kommen kann, erscheint zweifelhaft. Man könnte ggf. argumentieren, es komme insoweit allein auf das Ermöglichen des Zugangs zu Beratungsdienstleistungen und die Verfügbarkeit qualifizierter Anlageberater an, und es sei dann unerheblich, ob dies im Einzelfall tatsächlich beansprucht werde. Ein solches sehr weitgehendes Verständnis machte aber die von der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/593 vorgesehene differenzierte Konstruktion der qualitätsverbessernden Beispielskonstellationen – ungeachtet deren grundsätzlicher Übernahme in nationales Recht, einschließlich der vorstehend dargestellten Erwägungen – im Ergebnis möglicherweise hinfällig.

3.2.2

Offenlegung und Dokumentation

Für die Offenlegung gegenüber Kunden und die Dokumentation bzw. Aufzeichnung für prüferische und aufsichtliche Zwecke gilt das oben zur Anlageberatung Ausgeführte entsprechend (vgl. Abschnitt 3.1.2).

3.3 Sonstige Für alle anderen Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen (§ 2 Abs. 8 und 9 WpHG; in Österreich: § 1 S. 1 Nr. 3 und 4 WAG 2018) gilt das vorstehend zur Anlagevermittlung reinen Ausführungsgeschäften Ausgeführte entsprechend (vgl. Abschnitt 3.2).

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4 Fazit und Ausblick Die Regulierung des Gewährens und Entgegennehmens von Zuwendungen, d.h. insbesondere des provisionsbasierten Wertpapiervertriebs, gehörte bereits im Zusammenhang mit der Umsetzung der MiFID I vor mittlerweile mehr als zehn Jahren zu den meist diskutierten Themen. Daran hat sich seit Vorliegen der ersten Vorschläge zur Ausgestaltung des Zuwendungsregimes unter MiFID II nichts geändert, eher im Gegenteil. Die aktuelle Diskussion dreht sich v.a. um das Verständnis und die Reichweite der Ausnahmeregeln zu den jeweiligen Verbotstatbeständen (vgl. Abschnitte 2.2 sowie 3.1.1 und 3.2.1). Über das Für und Wider von Zuwendungen und Zuwendungsverboten kann man weiter trefflich streiten. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in verschiedenen europäischen Jurisdiktionen hin zu Provisionsverboten (bspw. in Großbritannien und den Niederlanden) und der tendenziell zuwendungskritischen Haltung nicht nur der ESMA, sondern auch einer Reihe nationaler Aufsichtsbehörden im Ausland wird der zuwendungsbasierte Vertrieb weiter mit besonderer regulatorischer Aufmerksamkeit zu rechnen haben. Die betroffenen Wertpapierdienstleistungsunternehmen stehen letztlich vor der Wahl, sich weiter mit dem immer komplexeren und nur begrenzt verlässlichen Zuwendungsregime zu befassen und zu versuchen, dies operativ mit noch vertretbarem Aufwand zu bewältigen – oder neue Wege zu gehen und alternative Vertriebs- und Geschäftsmodelle zu verfolgen, bei denen entsprechende Vergütungen mit dem Kunden vereinbart und vom Kunden vereinnahmt werden. Finanzportfolioverwalter gehen diesen Weg aufgrund des für sie nunmehr geltenden Provisionsverbots bereits, und auch Robo Adviser bedienen sich ebenfalls überwiegend solcher kundenorientierter Preismodelle. Bei alledem sollte man auch nicht vergessen, dass die Modalität der Vergütung mit dem Kunden – im Rahmen des zivilrechtlich Zulässigen – grundsätzlich frei vereinbart werden kann. Die Unabhängige Honorar-Anlageberatung ist eine vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit der entsprechenden Gestaltung. Dies bedeutet aber nicht, dass es die einzig mögliche oder etwa notwendige Gestaltung als Alternative zur klassischen provisionsbasierten Beratung wäre, wie Abbildung 2 im Vergleich zu Abbildung 1 zeigt.

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Abbildung 2: Alternativkonstruktion des Produktvertriebs ohne monetäre Zuwendungen

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Produktentwicklung und Product Governance

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-IIRegelungen Dennis Schetschok/Florian Grimm

1 Einleitung 2 Regulatorische Anforderungen an den Kostenausweis 2.1 Historische Entwicklung der rechtlichen Vorgaben zur Kostentransparenz 2.2 Rechtsgrundlagen für die Bereitstellung von Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweisen 2.3 Allgemeine Vorgaben für Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweise 2.4 Rechtzeitiger Kostenausweis vor dem Geschäftsabschluss – Der Ex-ante-Kostenausweis und seine speziellen Vorgaben 2.5 Jährlicher Ausweis über die angefallenen Kosten – Der Ex-post-Kostenausweis und seine speziellen Vorgaben 3 Umsetzungsvarianten im Markt und Herausforderungen in der Umsetzung 3.1 Vielzahl an Umsetzungsformen und -varianten durch Interpretationsspielräume der Regulation 3.1.1 Transaktionsindividuelle vs. standardisierte Kostenausweise 3.1.2 Von minimalistischen bis hin zu kundenverständlich, hoch-detaillierten Kostenausweisen 3.1.3 Vorgabe der Form der Umsetzungsvariante durch Geschäfts- und Prozessmodelle 3.2 Bewältigte und anstehende Herausforderungen in der Umsetzung 3.2.1 Hoher IT-Aufwand für Erstellung von Kostenausweisen 3.2.1.1 Anbindung der Quelldatensysteme 3.2.1.2 Integration und Anpassung von Front-Office-Systemen 3.2.1.3 Kernfunktionalitäten des Kostenausweis-Tools 3.2.2 Erforderliche Transparenz über die eigenen Gebührenmodelle 3.2.3 Besondere Komplexität im neuen Feld der Produktkosten 3.2.4 Einbindung in den Kunden-On- und -Off-boarding-Prozess 3.2.5 Keine rechtzeitige Umsetzung aller Level-III-Anforderungen zum Ex-ante-Kostenausweis wegen später ESMA-Stellungnahmen

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4 Bewertung der regulatorischen Ziele und der Umsetzung 5 Fazit, Ausblick und kritische Würdigung

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1 Einleitung Dieser Beitrag diskutiert die regulatorischen Anforderungen, Umsetzungserfahrungen aus MiFID-II-Projekten (Markets in Financial Instruments Directive II) in deutschen Finanzinstituten sowie das Erreichen der regulatorischen Ziele des Themas „Kostenausweis“ und gibt abschließend einen Ausblick auf mögliche zukünftige regulatorische Initiativen. Im zweiten Abschnitt werden die regulatorischen Anforderungen an den Ex-ante- und den Ex-post-Kostenausweis dargestellt. Abschnitt 3 zeigt unterschiedliche Umsetzungsvarianten innerhalb des deutschen Marktes auf. Hierbei wird nicht nur auf unterschiedliche Auslegungen und Interpretationen der regulatorischen Anforderungen eingegangen, sondern auch auf die besonderen Herausforderungen wie bspw. die technische Umsetzung. Hieraus folgt in Abschnitt 4 eine Bewertung der Erreichung der regulatorischen Zielsetzungen. Der Beitrag schließt im fünften Abschnitt mit einer kritischen Würdigung der Anforderungen und einem Ausblick auf mögliche zukünftige Schritte des Regulators zum Thema der Kostentransparenz.

2 Regulatorische Anforderungen an den Kostenausweis Die Kostentransparenz hat in den vergangenen Jahren in der Finanzdienstleistungsindustrie immer mehr an Bedeutung gewonnen und blickt auf eine umfangreiche Entwicklung zurück. Im Folgenden wird daher zunächst ihre historische Entwicklung beleuchtet. In einem nächsten Schritt werden die relevanten rechtlichen Grundlagen sowie ihre Kernaussagen in Form von allgemeinen Vorgaben zu den im Zuge von MiFID II umzusetzenden Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweisen dargestellt. Anschließend werden die speziellen Vorgaben für Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweise erläutert.

2.1 Historische Entwicklung der rechtlichen Vorgaben zur Kostentransparenz Die historische Entwicklung der rechtlichen Vorgaben zur Kostentransparenz nahm ihren für die nationale Ebene entscheidenden Anfang basierend auf dem im Dezember 1976 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG) und dessen fortlaufender Entwicklung. Die darin festgelegten Anforderungen wurden 2002 zwar im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung weitest-

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gehend inhaltsgleich in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) übernommen, regelten jedoch bereits damals notwendige Angaben in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Banken zu Kosten der Bankdienstleistung (z.B. über Zinsen, Entgelte und Auslagen). Hierbei durfte auf den jeweiligen Preisaushang und auf das Preis-/Leistungsverzeichnis verwiesen werden, in denen entsprechende Angaben ausgewiesen werden mussten. Letzteres enthält auch heute noch eine sehr detaillierte, jedoch oftmals nur beispielhafte und für Kunden nicht einfach nachzuvollziehende Aufstellung diverser Kostenkomponenten. In den 1990er Jahren folgte die Einführung von Verkaufsprospekten für bestimmte Produkte inklusive Beschreibungen sonstiger Leistungen, die ebenfalls bereits gewisse Angaben über Kosten enthalten mussten (z. B. bei Fonds der Ausgabeaufschlag oder Verwaltungskosten sowie Angaben zu dem Produkt innewohnenden Kosten und der Gesamtkostenquote (Total Expense Ratio (TER)). Im Juli 2007 wurde im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) durch entsprechende Vorschriften eine erste Offenlegung von Zuwendungen gegenüber Kunden bei der Erbringung von Wertpapierdienst- und -nebendienstleistungen geregelt. Dies erfolgte im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID I) in nationales Recht mittels des Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (FRUG) in Verbindung mit der Wertpapierdienstleistungs-, Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV). Ausgelöst durch die Finanzmarkt- oder Suprime-Krise im Sommer 2007 und der sich anschließenden Banken-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise wurde der Ruf nach einer deutlichen Verbesserung des Anlegerschutzes als Konsequenz immer lauter. Als eine der in diesem Zuge eingeführten Verbesserungsmaßnahmen traten die folgend dargestellten, auch „Beipackzettel“ genannten Produktinformationsblätter (PIBs) in verschiedenen Ausprägungen für unterschiedliche Finanzinstrumente in Erscheinung, die im weiteren Zeitverlauf kontinuierliche angepasst und weiterentwickelt wurden. Zunächst bahnten sich hierbei ab 2009 vereinzelt die aufgrund einer Forderung des deutschen Verbraucherschutzministeriums auf freiwilliger Basis eingeführten PIBs ihren Weg in die Finanzindustrie. Sie sollten im Falle einer Anlageberatung u. a. entsprechende Angaben über die wesentlichen Kosten enthalten. Durch Einführung des auf nationaler Initiative beruhenden Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes (AnSFuG) im Juli 2011 wurden diese somit fortan einheitlich geregelten PIBs im Falle einer Anlageberatung verpflichtend und mussten u.a. Angaben zu den mit der Anlage verbundenen Kosten enthalten.

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Zur gleichen Zeit wie das PIB wurden durch die Umsetzung der EU-Richtlinie 2009/65/ EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW IV) die Key Investor Information Documents (KIIDs) eingeführt. Hiernach hatte eine Kapitalanlagegesellschaft (KAG) für die von ihr verwalteten Sondervermögen wesentliche Anlegerinformationen zu veröffentlichen, die den Anleger in die Lage versetzen, Art und Risiken des angebotenen Anlageprodukts zu verstehen und auf dieser Grundlage eine fundierte Anlageentscheidung zu treffen. Auch hier mussten in einem ersten Ansatz mit dem Produkt verbundene Kosten ausgewiesen werden. Kurz darauf im Juli 2012 wurde erneut durch eine nationale Initiative durch die Novellierung des Finanzanlagevermittler- und Vermögensanlagerechts vornehmlich für die meisten Produkte des grauen Kapitalmarkts das Vermögensanlagegesetz (VermAnlG) eingeführt. Hiermit wurden Anbieter von Vermögensanlagen verpflichtet, vor Beginn des öffentlichen Angebots im Inland ein Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB) zu erstellen, in welchem u.a. auch gewisse produktspezifische Kostenangaben enthalten sein mussten. Änderungen sowohl beim PIB, KIID und VIB gab es daraufhin im Juli 2013 durch das Inkrafttreten des im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-UmsG) neu geschaffenen Kapitalanlagengesetzbuchs (KAGB). Sowohl Alternative Investmentfonds (AIFs) als auch OGAWs fielen nun unter dessen umfassend neu strukturierte Regelungen. Zudem mussten entsprechende Informationen u.a. zu finanzinstrumentspezifischen Kostenbestandteilen für diverse Produkte fortan im Zuge der dort detaillierten „wesentlichen Anlegerinformationen“ ausgewiesen werden. Diese Einzelinitiativen haben jedoch jeweils einen speziellen Anwendungsbereich und sind auch inhaltlich nicht vollständig aufeinander abgestimmt. Eine umfassende Kostentransparenz ist also zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht. Nach langjährigen Vorbereitungen wagte die Europäische Kommission im Juli 2012 mit der Veröffentlichung eines Vorschlags einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für Anlageprodukte einen Vorstoß in Richtung einer einheitlichen Regelung. Mit dieser PRIIPs-Verordnung (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) wollte sie Kleinanlegern auf europäischer Ebene eine höhere Vergleichbarkeit der Produkte ermöglichen und darauf basierend eine Beurteilung von Risiken und Kosten verbessern. Nach zähen Trilog-Verhandlungen und einer Erweiterung auch auf Versicherungsanlageprodukte wurde die PRIIPs-Verordnung vom Europäischen Parlament im Dezember 2014 verabschiedet und trat nach einem Aufschub zum Januar 2018 in Kraft. Kleinanleger

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sollen somit für verpackte Anlageprodukte und Versicherungsanlageprodukte durch einheitliche Basisinformationsblätter (Key Information Documents (KIDs)) u. a. entsprechend notwendige Informationen zu den Kosten eines Finanzprodukts erhalten, um diese vergleichen und daraufhin fundierte Anlageentscheidungen treffen zu können. Für die Bereitstellung entsprechender Kosteninformationen bei OGAWs gilt jedoch noch eine Übergangsphase bis Ende Dezember 2019. Nur wenige Monate vor der PRIIPs-Verordnung, mithin im Juli 2014, trat auch die MiFID II1 nach langjährigen Trilog-Verhandlungen in Kraft. Nach einem Aufschub zur nationalen Umsetzung entfalteten deren Regelungen fast zeitgleich seit dem 03.01.2018 mit der PRIIPs-Verordnung Geltung. Eines der Kernthemen der mittels des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes (2. FiMaNoG) insbesondere in einer Neufassung des WpHG in deutsches Recht umgesetzten MiFID II ist im Bereich der Wohlverhaltensregeln angesiedelt und wird durch diese regulatorischen Anforderungen erheblich erweitert: die Kostentransparenz. Es hatte sich gezeigt, dass die im Nachgang der Finanzmarktkrise eingeführten Regelungen nicht weitreichend genug waren und somit zur weiteren Verbesserung des Anlegerschutzes einer umfassenden Überarbeitung und Ergänzung bedurften. Deren Zielsetzung ist es • einerseits den Anleger zu befähigen, seine Entscheidung auf vollständig informierter Basis treffen zu können, • andererseits aggregierte Informationen in einem Dokument darzustellen und diese auch auf den Ausweis von Zuwendungen auszudehnen. Bereits anhand dieser komprimierten chronologischen Darstellung wird deutlich, welch große Bedeutung der Kostentransparenz und ihrer Weiterentwicklung in der Finanzdienstleistungsindustrie, insbesondere auf regulatorischer und gesetzgeberischer Ebene, aus Anlegerschutzgründen und Reaktion auf verheerende Krisen beigemessen wird.

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Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU.

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

2.2 Rechtsgrundlagen für die Bereitstellung von Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweisen Die Rechtsgrundlagen für die Bereitstellung von Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweisen setzen sich auf europäischer Ebene wie folgt zusammen: • auf Level I aus Art. 24 Abs. 4 und Erwägungsgrund 78, 83 MiFID II, • auf Level II aus Art. 50, 51 und Erwägungsgrund 74 ff. der Delegierten Verordnung 2017/5652 sowie • auf Level III aus den Questions & Answers (Q&A) der European Securities and Markets Authority (ESMA).3 Die nationale Umsetzung dieser Vorgaben erfolgte in Deutschland im Zuge des 2. FiMaNoG in § 63 Abs. 7 i.V.m. § 70 Abs. 1, 4 WpHG. Die Anwendbarkeit dieser Regelungen kann je nach Kundengruppe unterschiedlich sein. Prinzipiell besteht eine vollumfängliche Geltung der detaillierten Regelungen der Delegierte Verordnung 2017/565 neben § 63 Abs. 7 WpHG. Bei professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien kann unter gewissen Bedingungen jedoch ein Opt-out aus den Regeln des Art. 50 der Delegierten Verordnung 2017/565 vereinbart werden. Mit professionellen Kunden ist dies nur möglich, sofern es sich nicht um Anlageberatung, Portfolio-Management oder eine Dienstleistung bzgl. Finanzinstrumenten mit eingebettetem Derivat handelt. Mit geeigneten Gegenparteien ist ein Opt-out nicht möglich, sofern eine Dienstleistung bzgl. Finanzinstrumenten mit eingebettetem Derivat erbracht wird und die geeignete Gegenpartei beabsichtigt, ihren Kunden diese Finanzinstrumente anzubieten. Aus den genannten Vorschriften ergeben sich somit allgemeine und spezielle Vorgaben für Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweise.

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Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie. ESMA, Questions and Answers on MiFID II and MiFIR investor protection and intermediaries topics (ESMA35-43-349, Topic 9, Nr. 1-21, zuletzt veröffentlicht 18.12.2017).

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2.3 Allgemeine Vorgaben für Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweise Die allgemeinen Vorgaben an Wertpapierdienstleistungsunternehmen umfassen eine Angabe und Darstellung von aggregierten Gesamtkosten in Form von Kosten der Dienstleistung und des Finanzinstruments, sowohl als Geldbetrag als auch als Prozentsatz. Hierbei sind die Kosten der Dienstleistung regelmäßig, die Kosten des Finanzinstruments jedoch nur bei Empfehlung oder Vermarktung oder im Falle der Verpflichtung zur Aushändigung eines PRIIPs-KID oder OGAW-KIID auszuweisen. Darüber hinaus muss eine gesonderte Angabe von Zahlungen Dritter (Zuwendungen) erfolgen. Auch muss der Kostenausweis eine Illustration der Auswirkungen der Kosten auf die Rendite enthalten. Sowohl der Ex-ante- als auch der Ex-post-Kostenausweis müssen zumindest auf Kundenwunsch zusätzlich um eine detaillierte Einzelaufstellung ergänzt werden. Der Umfang der darzustellenden Kostenkomponenten unterscheidet sich nach den beiden großen genannten Aggregationsposten: • Dienstleistungskosten: Diese umfassen einmalige (Ein- und Ausstiegs-) und laufende Kosten, inkl. Transaktionskosten, Nebendienstleistungskosten und weitere Nebenkosten. Zu diesem Komplex zählen somit Transaktionsentgelte, Depotführungsentgelte, Handelsplatzentgelte, Finanztransaktions- und Stempelsteuern sowie diverse weitere mit der eigentlichen Wertpapierdienstleistung verknüpfte Kosten, wobei deren gesamte Dauer zu berücksichtigen ist. • Produktkosten: Diese umfassen hingegen einmalige (Ein- und Ausstiegs-) und laufende Kosten des jeweiligen Produktes, inkl. Transaktionskosten, evtl. Rücknahme- und anlassbezogene Kosten, Differenz zum Fair Value sowie weitere Nebenkosten. Sie beschränken sich auf Fonds und verbriefte Derivate/strukturierte Produkte und müssen im Regelfall, insbesondere bereits teilweise durch die PRIIPs-Vorgaben durch die Emittenten zur Verfügung gestellt werden. Die aggregierte Gesamtsumme der Kosten muss als Geldbetrag und als Prozentsatz unter Zugrundelegung der Bruttokosten erfolgen, es dürfen also keine Positionen verrechnet werden. Zudem sind neben eventuellen Aufschlägen beim Festpreisgeschäft (z.B. Margen beim Devisenhandel) auch die Differenzen zwischen dem Preis einer Wertpapierposition für das Wertpapierdienstleistungsunternehmen und dem Preis für den Kunden anzugeben. Hierbei sind jedoch keine durch ein zugrundeliegendes Marktrisiko (z.B. negative Wertentwicklung) verursachte Preisschwankungen relevant, sondern einzig der aktuelle Marktpreis. Der Ausweis von Zuwendungen hat separat zu erfolgen. Bei einer detaillierten Einzelaufstellung auf Kundenwunsch sind die oben genannten Kostenkomponenten ent-

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

sprechend in Einzelsummen aufzugliedern. Im Zuge der Vergleichbarkeit empfiehlt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hierbei, nicht-einschlägige Kostenfelder mit einer 0 zu kennzeichnen.4 Hinsichtlich der Illustration der kumulativen Auswirkungen der Gesamtkosten auf die Rendite des Investments kann zwischen einer Darstellung entweder als Graphik, als Tabelle oder als Beschreibung in Textform gewählt werden. Zudem sind voraussichtliche bzw. erwartete Kostenspitzen (z.B. aufgrund von Ein- und Ausstiegskosten) und -schwankungen (z. B. aufgrund von Veränderungen bei fortlaufenden Kostenkomponenten) anzugeben und die gewählte Illustration ist mit einer eigenen Beschreibung zu versehen. Erbringt nach dem Wortlaut der Regulation mehr als ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen Wertpapier- oder Nebendienstleistungen gegenüber dem Kunden, so hat jedes Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Informationen über die Kosten der von ihm erbrachten Wertpapier- bzw. Nebendienstleistungen zu ermitteln. Eine Befreiung einzelner Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Ermittlung von Kosten ist somit nicht möglich. Zudem folgt die Regulation einer Kettenregel, nach der regelmäßig das dem Kunden gegenüber zuletzt auftretende Institut zu einem Kostenausweis verpflichtet sein soll. Sofern also ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen seinen Kunden Dienstleistungen empfiehlt oder anbietet, die von einer anderen Firma erbracht werden, so muss es die Kosten und Nebenkosten der eigenen Dienstleistungen zusammen mit den Kosten und Nebenkosten der von der anderen Firma erbrachten Dienstleistungen aggregieren. Hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Kunden sogar an eine andere Firma verwiesen, so muss es auch die Kosten und Nebenkosten im Zusammenhang mit der Erbringung anderer Wertpapier- oder Nebendienstleistungen durch diese andere Firma berücksichtigen. Sofern Kosten oder Nebenkosten eine Fremdwährungskomponente beinhalten, ist der zugrundeliegende Wechselkurs ebenfalls anzugeben. Im Zusammenhang mit dem Ausweis von Produktkosten und -nebenkosten gehen die Vorgaben nach MiFID II über die Vorgaben aus OGAW IV und PRIIPs hinaus und regeln diese deutlich strenger. So ist nach MiFID II einerseits die Angabe von Produktkosten erforderlich, die im OGAW-KIID nicht enthalten sind (z.B. Transaktionskosten des Produkts) und welche durch entsprechende Berechnung oder Einholung der Informationen bei den Emittenten zu integrieren sind. Andererseits ist die Angabe von Kosten erforderlich, die im PRIIPs-KID nicht enthalten sind (z.B. Vertriebskosten).

4

Vgl. https://www.bafin.de/SharedDocs/Veranstaltungen/DE/171027_MiFID_II.html.

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Hier folgt die ESMA in ihren Stellungnahmen in den Q&A der gleichen Regel und setzt auch hier eine entsprechende Berechnung i.d.R. nach PRIIPs-Vorgaben oder eine Einholung der Informationen bei den Emittenten voraus. Sowohl der Ex-ante- als auch der Ex-post-Kostenausweis sind Kunden rechtzeitig und regelmäßig, mindestens jedoch jährlich zur Verfügung zu stellen.

2.4 Rechtzeitiger Kostenausweis vor dem Geschäftsabschluss – Der Ex-ante-Kostenausweis und seine speziellen Vorgaben Kunden und potenziellen Kunden sind nach Art. 24 Abs. 4 MiFID II „angemessene Informationen über [...] sämtliche Kosten und verbundenen Gebühren rechtzeitig zur Verfügung zu stellen“. Die rechtzeitige Zurverfügungstellung von Ex-ante-Kostenausweisen muss in der Praxis somit vor der Anlageentscheidung bzw. der Ausführung einer Order oder dem Abschluss eines Vermögensverwaltungsvertrages erfolgen und sollte im Regelfall ausreichend Möglichkeit zur Kenntnisnahme bieten (transaktionsindividueller Ex-ante-Kostenausweis). Prinzipiell soll hierbei die Regel gelten, je komplexer das Produkt oder die Dienstleistung ist, desto frühzeitiger sollte die Zurverfügungstellung erfolgen. Die Verpflichtung zur rechtzeitigen Zurverfügungstellung von Ex-ante-Kostenausweisen gilt darüber hinaus auch für Fernabsatzgeschäfte wie z.B. den Telefonhandel. Hierbei ist jedoch ein Ausweis anhand beispielhafter Anlagebeträge aber unter entsprechender Personalisierung auf die gegenüber dem jeweiligen Kunden erbrachte Wertpapierdienstleistung als ausreichend anzusehen (standardisierter Ex-ante-Kostenausweis). In beiden Fällen ist die Form der Zurverfügungstellung (z.B. auf einem dauerhaften Datenträger oder via Webpage) den Instituten überlassen. Die Berechnung der Dienstleistungs- und Produktkosten soll für Ex-ante-Kostenausweise nach regulatorischem Minimum grundsätzlich unter Verwendung tatsächlich angefallener Kosten als Indikator der zu erwartenden Kosten erfolgen. Nur ersatzweise, sofern tatsächliche Kosten nicht bekannt sind, kann dies auch anhand nachvollziehbarer und somit hinsichtlich ihrer Annahmen und Grundlagen zu erläuternder Schätzung vorgenommen werden. Solche Ex-ante-Annahmen sind von Wertpapierdienstleistungsunternehmen regelmäßig, mindestens jedoch jährlich auf Basis der Ex-post-Erfahrungen zu prüfen und im Sinne einer Kalibrierung ggf. anzupassen. Einer tatsächlichen Berechnung der Ex-ante-Kosten, sofern prozessual und technisch umsetzbar, steht dies jedoch nicht entgegen.

400

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

Zum Aufbau eines solchen Ausweises hat der Bundesverband deutscher Banken (BdB) frühzeitig Vorschläge bereitgestellt, an denen sich viele Institute orientiert, diese jedoch für ihre eigenen Bedürfnisse abgewandelt und individualisiert haben. Dies umfasste auch eine Erweiterung der Transparenz in Form einer zusätzlichen Untergliederung der genannten aggregierten Kostenbestandteile in einerseits Entgelte des Finanzinstituts (z.B. Depotführungsentgelte) und andererseits Entgelte Dritter (z.B. Handelsplatzentgelte). In Abbildung 1 ist zu sehen, wie ein detaillierter Ex-ante-Kostenausweis inklusive erläuternder Hinweistexte zu den einzelnen Kostenkomponenten aussehen kann.

401

402 10.000,00 XXXX KVG

Auragsart: Wertpapier: Produktgruppe: Depotentgeltmodell: Kurs: Verkauf LU0757432116 Akenfonds X XXX 50,00 USD

Quelle: Deloitte (2018)

Ohne Berücksichgung von Kosten läge die Wertentwicklung Im Jahr der Veräußerung um 105,56 EUR höher

0,00 0,00

100,56 0,00

1,01% 0,00%

-/-/-

5,00 100,56

0,05% 1,01%

Darstellung der kumulaven Auswirkung der Kosten auf die Rendite:

Summe der erhaltenen Zuwendungen an Bank gezahlte Vertriebsfolgeprovision

3. Von der Bank erhaltene Zuwendungen Drier

Koste n des Finanzinstrume nts: Kosten der Wertpapier- und Nebendienstleistung davon Entge l te de r Bank Entge l te Dri tte r

2. Aufstellung der Kostenposionen nach Empfänger

0,00 0,00 105,56 85,00 0,00 15,56 5,00 We rtpapi e r- & Ne be ndi e nstl e i stung We rtpapi e r- & Ne be ndi e nstl e i stung We rtpapi e r- & Ne be ndi e nstleistung Finanzinstruments

0,00% 0,00% 1,06% 0,85% 0,00% 0,16% 0,05%

Einstiegskosten Fortlaufende Kosten p.a. Ausstiegskosten Transakti onse ntge l t Hande l spl atze ntge l t De vi se nkonve rti e rungsaufschl ag Tatsächliche Rücknahmekosten (Fonds)

in EUR 105,56 0,00 Kosten des/der…

in % 1,06% -/-

1. Aufstellung der Kostenpositionen nach Anlass

Gesamt Von der Bank erhaltene Zuwendungen gesamt

Die Kosten ergeben unter Berücksichgung einer Transakon in einem Zeitraum von 1 Jahr einen Gesamtbetrag von:

Geschäsvorfall: Die folgende Übersicht zeigt die zu erwartenden Kosten, die sich für einen Kunden bei einem Verkauf von Anteilen eines USDnoerten Akenfonds (LU0757432116) zu dem angegebenen Transakonsvolumen nach einer Haltedauer von 1 Jahr via KVG ergeben. Dabei wird angenommen, dass der Kunde über ein EUR-Verrechnungskonto verfügt.

Transakonsvolumen (EUR): Anzahl (Stück/Kontrakt/Nominale): Transakonsentgeltmodell: Handelsplatz:

Voraussichtliche Kostenspitzen und -schwankungen: Entsprechender Erläuterungstext zu Kostenspitzen und -schwankungen.

Erläuterung zur Darste llung der kumulativen Auswirkung der Kosten auf die Rendite: Entsprechender Erläuterungstext zur Darstellung der Auswirkung auf die Rendite.

Kostenposionen: Entsprechender Erläuterungstext zum Auau und der Zusammensetzung.

Umrechnungskurs: Entsprechender Erläuterungstext zum Umrechnungskurs der beteiligten Währungen.

Kurs des Wertpapiers: Entsprechender Erläuterungstext zum Kurs des Wertpapiers.

Devisenkonvererungsaufschlag: Entsprechender Erläuterungstext zur Zusammensetzung der Kosten.

Produktkosten: Entsprechender Erläuterungstext zur Zusammensetzung der Kosten.

Vertriebsfolgeprovision: Entsprechender Erläuterungstext zur Zusammensetzung der Kosten.

Depoührungsentgelt: Entsprechender Erläuterungstext zur Zusammensetzung der Kosten.

Handelsplatzentgelt: Entsprechender Erläuterungstext zur Zusammensetzung der Kosten.

Transakonsentgelt: Entspre che nde r Erl äute rungste xt zur Zusamme nse tzung de r Kosten.

Erläuterung zu den Berechnungen:

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Abbildung 1: Beispiel eines detaillierten Ex-ante-Kostenausweises für den Verkauf eines Aktienfonds über eine Kapitalverwaltungsgesellschaft

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

2.5 Jährlicher Ausweis über die angefallenen Kosten – Der Ex-postKostenausweis und seine speziellen Vorgaben Die Verpflichtung zu einem Ex-post-Kostenausweis über alle Kosten und Nebenkosten in Bezug auf Finanzinstrumente sowie Wertpapier- und Nebendienstleistungen trifft Wertpapierdienstleistungsunternehmen, sofern sie entsprechende Finanzinstrumente empfohlen oder angeboten oder sofern sie dem Kunden in Bezug auf entsprechende Finanzinstrumente ein KID/KIID zur Verfügung gestellt und im jeweiligen Fall zudem mit dem Kunden eine laufende Geschäftsbeziehung im Berichtsjahr unterhalten haben (= teilweise) oder noch unterhalten (= laufend). Hierbei wird explizit festgelegt, dass der Ausweis nur tatsächlich angefallene Kosten umfassen darf und auf einer für den jeweiligen Kunden individualisierten Basis zur Verfügung gestellt werden muss. Zwar gilt auch für den Ex-post-Kostenausweis die geforderte Rechtzeitigkeit, dieser darf aber nach Art. 50 Abs. 9 der Delegierten Verordnung 2017/565 im Rahmen einer bereits bestehenden regelmäßigen Berichterstattung übermittelt, muss jedoch regelmäßig, mindestens auf jährlicher Basis zur Verfügung gestellt werden. Weichen die Angaben im Ex-post-Kostenausweis von den ex ante ausgewiesenen Kosten ab, so ist durch die Wertpapierdienstleistungsunternehmen, wie bereits oben beschrieben, eine Anpassung der Ex-ante-Logiken vorzunehmen. Ob betroffene Kunden im Rahmen von ex ante fehlender oder fehlerhaft ausgewiesener Kosten zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen können, bleibt der Auslegung nationaler Gerichte überlassen und somit abzuwarten. Auch zum Aufbau des Ex-post-Kostenausweises hat der BdB frühzeitig Vorschläge bereitgestellt, an denen sich viele Institute orientiert, wohl aber für ihre eigenen Bedürfnisse abgewandelt und individualisiert haben. Er unterscheidet hier zwischen einerseits einem regulatorischen Minimum in Form einer aggregierten und an den Aufbau und Inhalt des Ex-ante-Kostenausweises angelehnten Darstellung sowie andererseits einem optionalen Zusatz in Form einer detaillierten und nach Finanzinstrument bzw. Transaktion unterteilten Aufgliederung. In Abbildung 2 ist ein nach regulatorischem Minimum geforderter aggregierter, in Abbildung 3 ein als optionaler Zusatz möglicher detaillierter Ex-post-Kostenausweis dargestellt.

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Dennis Schetschok/Florian Grimm

Abbildung 2: Beispielformat eines Ex-post-Kostenausweises nach regulatorischem Minimum Kostenoffenlegung für den Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2017 Depot-Nr.: 1234567890

Aggregierter Ex-post-Ausweis

Gesamtkosten für den Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2017

957,00 EUR

1,87%*

Kosten der Finanzinstrumente davon Zahlungen Dritter an die Bank

465,00 EUR 100,00 EUR

0,91%*

Die unter übergreifende Kosten ausgewiesenen Positionen sind auf Depotebene angefallen und wurden nicht einzelnen Finanzinstrumenten zugeordnet.

Gesamtkosten der Wertpapierdienstleistung und Nebendienstleistung davon Entgelte/Margen der Bank Fremde Kosten/Steuern Zahlungen Dritter an die Bank

492,00 EUR 312,00 EUR 10,00 EUR 170,00 EUR

0,96%*

Die Zahlungen von Dritten an die Bank bestehen aus Vertriebs- und Orderflow-Vergütungen. Je nach Zahlungsgrundlage sind sie daher als Kosten des nstrume Finanzinstruments oder als Kosten der Wertpapierdienstleistung a ausgewiesen.

Erläuterungen: ++++ Mustertexte +++++

Die ausgewi ausgewiesenen Prozentwerte entsprechen Rund Rundungswerten.

Auswirkung der Kosten auf die Wertentwicklung Wertentwicklung ohne Berücksichtigung von Kosten

1.997,00 EUR

Angefallene Gesamtkosten Wertentwicklung nach Kosten

3,89%*

957,00 EUR

1,87%*

1040,00 EUR

2,02%*

* Bezogen auf ein durchschnittliches Depotvolumen (Monatsendkurswerte Januar-Dezember) in Höhe von

51.258,59 EUR

Quelle: Deloitte (2018)

Abbildung 3: Beispielformat eines Ex-post-Kostenausweises als optionaler Zusatz Kostenoffenlegung für den Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2017 Depot-Nr.: 1234567890

Detaillierter Ex-post-Ausweis

Wertpapierbezogene und übergreifende Kosten Kosten für die Wertpapierdienstleistung/Nebendienstleistung WKN

Wertpapierbezeichnung

847400

Investa Inhaber Anteile

723610

Siemens AG Namensaken

DB2ABC

DB Express Zerfikate

Kosten des Finanzinstruments

Entgelte/Margen der Bank

Fremde Kosten/Steuern

Zahlungen von Drien an die Bank

145,00 EUR

0,00 EUR

0,00 EUR

0,00 EUR

150,00 EUR

10,00 EUR

100,00 EUR 0,00 EUR

220,00 EUR

90,00 EUR

0,00 EUR

170,00 EUR

365,00 0 EUR

240,00 EUR 24

10,00 EUR

270,00 EUR

10,00 EUR

270,00 EUR

Übergreifende Kosten Depotführungsentgelt

Gesamtkosten

72,00 EUR

365,00 EUR

312,00 EUR

Quelle: Deloitte (2018)

Eine zentrale Umsetzungsfrage im Markt ist, in welcher Form eine Detaillierung des Expost-Kostenausweises in den Finanzinstituten vorgehalten wird, da der Kunde stets das Recht hat, eine Detaillierung der ihm ausgewiesenen aggregierten Ex-post-Kosteninformationen zu verlangen.

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MiFID-II.book Seite 405 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

3 Umsetzungsvarianten im Markt und Herausforderungen in der Umsetzung Aufgrund der oben beschriebenen Vorgaben und den damit einhergehenden, in vielerlei Hinsicht den jeweiligen Instituten überlassenen Auslegungsspielräumen, insbesondere bezogen auf Ex-ante-Kostenausweise, haben sich nicht nur verschiedene Umsetzungsvarianten, sondern auch diverse Herausforderungen ergeben. Nach einem kurzen Überblick über die bestehenden Umsetzungsformen (Abschnitt 3.1) werden sodann bestehende und anhaltende Umsetzungsherausforderungen beschrieben (Abschnitt 3.2).

3.1 Vielzahl an Umsetzungsformen und -varianten durch Interpretationsspielräume der Regulation Im deutschen Markt bestehen grundsätzlich zwei Umsetzungsformen des Ex-ante-Kostenausweises: der transaktionsindividuelle und der standardisierte. Zudem ergeben sich unabhängig von der gewählten Variante erhebliche Unterschiede bei der Bereitstellung an Kunden sowie bei der Individualisierung auf den Kunden, bei der Anzahl evtl. verwendeter Geschäftsvorfälle und beim Detaillierungsgrad dieser Kostenausweise (Abbildung 4). Im Folgenden wird daher zunächst auf die beiden Umsetzungsformen und im Anschluss auf die bestehenden Unterschiede näher eingegangen.

3.1.1

Transaktionsindividuelle vs. standardisierte Kostenausweise

Die rechtlich vorgegebene rechtzeitige Zurverfügungstellung von Ex-ante-Kostenausweisen hat aufgrund der Unterschiede in den Geschäftsmodellen und -prozessen sowie der verschiedenen Geschäftsbereiche innerhalb der Banken zwei Formen dieser Ausweise hervorgebracht. Man unterscheidet daher notwendigerweise nach transaktionsindividuellen und standardisierten Ex-ante-Kostenausweisen: • Transaktionsindividuelle Kostenausweise können hierbei innerhalb von über entsprechende Ordermasken durchgeführten Orderprozessen technisch integriert werden. Sie bieten dem Kunden dadurch die Möglichkeit, sich z.B. mittels eines Klicks auf einen entsprechenden Button noch innerhalb des Orderprozesses und vor der Orderaufgabe einen auf sich und die von ihm eingegebenen Orderdaten individualisierten Ex-ante-Kostenausweis generieren zu lassen sowie zu speichern.

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MiFID-II.book Seite 406 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Dennis Schetschok/Florian Grimm

Transaktionsindividuelle Kostenausweise können somit nur Anwendung finden, sofern der Orderprozess über entsprechende Portale direkt durch den Kunden angestoßen wird, stellen jedoch am ehesten den regulatorisch geforderten Umfang und Zeitpunkt sicher. • Standardisierte Kostenausweise sind vorab zur Verfügung gestellte beispielhafte Ausweise für ausgesuchte Geschäftsvorfälle, die den Kunden in die Lage versetzten sollen, die im Falle einer Order im Rahmen eines solchen oder ähnlichen Geschäftsvorfalls entstehenden Kosten abschätzen und nachvollziehen zu können. Auch hier gibt es verschiedene Umsetzungsformen, die dem regulatorisch und rechtlich geforderten Umfang und dem Ziel der Regulation, eine Verbesserung der Transparenz und Vergleichbarkeit herzustellen, gerecht werden sollen. Die Standardisierung kann sich entweder lediglich auf den Umfang und Aufbau beziehen, jedoch auf den Kunden individualisierte Kosten ausweisen, oder sie kann sowohl den Umfang, den Aufbau und die ausgewiesenen Kosten umfassen, mithin keinerlei Kundenindividualisierung enthalten. Darüber hinaus nehmen die für die standardisierten Formen zugrunde gelegten Geschäftsvorfälle einen sehr großen oder lediglich geringen Umfang ein. Sie können somit entweder • das gesamte Spektrum der den Kunden gebotenen Investitionsmöglichkeiten oder • nur vom jeweiligen Institut priorisiert ausgewählte oder • über alle Kunden hinweg am häufigsten vorkommende bzw. • tatsächlich kundenindividuell relevante Beispiele umfassen. Die Zurverfügungstellung der Kostenausweise kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: • postalisch in gedruckter Form, • in Dateiform (dauerhafter Datenträger) in eine Kundenpostbox bzw. als passiver Dateidownload (dauerhafter Datenträger) auf einer Webpage sowie • als Online-Berechnungs-Tool mit Standardsätzen.

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MiFID-II.book Seite 407 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

3.1.2

Von minimalistischen bis hin zu kundenverständlich, hoch-detaillierten Kostenausweisen

Gemeinsam haben die unterschiedlichen Umsetzungsformen der transaktionsindividuellen als auch standardisierten Ex-ante-Kostenausweise einen erheblichen Unterschied in ihrem Detaillierungsgrad. Dieser reicht von minimalistischen Ausweisen, in denen lediglich die regulatorisch geforderten Aggregationsstufen umgesetzt wurden, bis hin zu sehr detaillierten und auf größtmögliche Verständlichkeit abzielenden Ansätzen. In Letzteren wurde neben den rechtlich geforderten Einteilungen eine Aufsplittung auf jede einzelne Kostenkomponente inkl. einer Einstufung in Dienstleistungs- oder Produktkosten und Instituts- oder Fremdkosten sowie eine detaillierte Erläuterung mittels diverser sogar dynamischer Hinweistexte zu den einzelnen Kostenkomponenten vorgenommen. Abbildung 4: Stellschrauben zu Variationen des standardisierten Ex-ante-Kostenausweises

Akve vs. passive Bereitstellung an den Kunden Minimal geforderte vs. größtmögliche Detaillierung

Rein standardisierte vs. kundenindividuelle Ausweise Umfassende Anzahl vs. priorisierte Auswahl von Geschäsvorfällen

Quelle: Deloitte (2018)

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MiFID-II.book Seite 408 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

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3.1.3

Vorgabe der Form der Umsetzungsvariante durch Geschäfts- und Prozessmodelle

In Abschnitt 2.1 wurde gezeigt, dass innerhalb der regulatorischen Anforderungen an den Kostenausweis nicht nach Kundenkategorien oder verschiedenen Wertpapierdienstleistungen oder -nebendienstleistungen differenziert wird – mit Ausnahme der Opt-outRegelungen. Dies birgt in der Umsetzung jedoch einige besondere Herausforderungen für viele Banken bzw. Geschäftsbereiche innerhalb der Banken. Dort, wo bspw. das Finanzkommissionsgeschäft über automatische Orderschnittstellen angeboten wird, ist ein Kostenausweis vor jeder Order nicht nur technisch schwierig, sondern würde den gesamten Orderprozess immens verlangsamen. In einer ähnlichen Situation befinden sich Handelsbereiche, die telefonischen Handel mit ihren Kunden und Kontrahenten betreiben oder den Handel über elektronische Kommunikationswege – wie bspw. Bloomberg-Chats – durchführen. Auch in diesen Handelsprozessen, die gerade im Derivatebereich mit professionellen Kunden und anderen Finanzinstituten meist sehr schnell erfolgen müssen, würde ein Kostenausweis vor Geschäftsabschluss eine nicht umsetzbare Verzögerung der Prozesse bedeuten. In vielen Instituten wurde daher in Bezug auf den Ex-ante-Kostenausweis eine differenzierte Umsetzung verfolgt, die die regulatorischen Anforderungen mit den jeweiligen Geschäfts-Usancen und Kundeninteressen verbindet. In Geschäftsbereichen bzw. Finanzinstituten, in denen das Geschäftsmodell überwiegend darin besteht, über technische Plattformen, auf denen der Kunde selbst seine Order erfassen kann, Finanzkommissionsgeschäfte durchzuführen oder im direkten Kundengespräch Anlageberatungsdienstleistungen zu erbringen, wird meist auf einen transaktionsindividuellen Ex-ante-Kostenausweis gesetzt. Dort wo dem Kunden reine OrderRouting-Schnittstellen angeboten werden oder telefonischer/elektronischer Handel mit überwiegend professionellen Kunden durchgeführt wird, setzen viele Institute auf eine standardisierte, nicht-transaktionsindividuelle Variante des Ex-ante-Kostenausweises.

3.2 Bewältigte und anstehende Herausforderungen in der Umsetzung Die sich bei der Umsetzung ergebenden Herausforderungen erwiesen sich als umfangreicher als von den meisten Instituten vermutet und eingeplant.

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MiFID-II.book Seite 409 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

3.2.1

Hoher IT-Aufwand für Erstellung von Kostenausweisen

In der Konzeptionsphase der IT-Umsetzung der Anforderungen an den Kostenausweis befassten sich viele Institute mit der Fragestellung, ob die Einführung einer Standardsoftware den IT-Umsetzungsaufwand wesentlich reduziert. Einige Finanzinstitute stellten sich diese Frage bereits im 4. Quartal 2016, während andere Institute erst im Laufe des 2. Quartals 2017 bei dieser Frage angekommen waren. Zu beiden Zeitpunkten existierten auf dem Markt keine Plug-and-Play-Standardsoftwarelösungen für diese regulatorische Herausforderung. Die Hauptursache lag wohl zum einen darin, dass viele Details des Kostenausweises regulatorisch nicht definiert waren und damit von kundenspezifischen Interpretationen abhingen. Zum anderen erfordert die Umsetzung der Kostenausweise die Integration einer entsprechenden Softwarelösung in die Systemlandschaft der Institute im Wertpapier- und Derivategeschäft mit ihren zahlreichen und heterogenen Schnittstellen und Technologien. Ein System für den Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweis ist nicht nur an diverse Quelldatensysteme anzubinden und mit verschiedenen Funktionalitäten auszustatten, sondern muss für eine Darstellung der Ergebnisdaten an die Front-Office-Systeme der Bank, wie auch an die Belegsteuerung oder die elektronische Postbox angebunden werden. Abbildung 5 zeigt eine exemplarische fachliche Systemarchitektur für ein Institut, welches wie in Abschnitt 3.1.3 beschrieben einen differenzierten Umsetzungsansatz für verschiedene Geschäftsbereiche (bspw. Capital Markets, Private Banking und Privatkunden) verfolgt. Die Komplexität einer solchen Systemarchitektur wird erheblich reduziert, wenn bspw. ein Finanzinstitut rein auf die Annahme und Ausführung von Kundenorders im Standardwertpapiergeschäft fokussiert ist. Denkbar wäre ein pures Direktbankgeschäftsmodell. Allerdings kommt dieses in der Realität so gut wie nicht vor, denn Direktbanken wie bspw. die comdirect oder die Consorsbank haben ein differenziertes Geschäftsmodell, welches nicht nur die Anlageberatung und Vermögensverwaltung, sondern auch das Angebot im Business-to-Business sowie von automatischen Orderschnittstellen vorsieht.

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MiFID-II.book Seite 410 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Dennis Schetschok/Florian Grimm

Abbildung 5: Exemplarische fachliche Systemarchitektur – Kostenausweis bspw. WM Datenservice, Bloomberg, Reuters

Marktdaten: • Kurse • Produktkosten • etc.

Postversand

Kostenausweis-Tool

bspw. Murex, Kondor+, Sophis

OTC-Derivate: • FX • Rates • Equies

bspw. Rolfe & Nolan

Börsengehandelte Derivate

bspw. WP2, GEOS, KGS

Standardisierte Wertpapiere • Kondionenmodelle • Konzernverrechnungspreise • Handelsplatzentgelte • etc.

Versandsteuerung

(ex ante & ex post)

Elektronische Postbox

Online-Banking

? • Kostendatenaggregaon und -haltung • Kostenberechnung • Schätzalgorithmen und Berechnungslogiken • Historisierung • Archivierung • Output-Erzeugung • etc.

IDV (Excel, Access …)

BeratungsFront-End

Transakonsindividueller Ausweis ex ante

Detailanzeige ex post

PorolioManagementSysteme Administraon & Pflege (GUIKostenausweisTool)

Generierung, Detailanzeigen etc. Korrekturen, Pflege etc.

Quelle: Deloitte (2018)

Die wesentlichen Aufwandtreiber im Rahmen der Umsetzungsprojekte sind zum einen die Anbindung der Quelldatensysteme, die Realisierung des „eigentlichen“ Kostenausweis-Tools und zum anderen die Anbindung an Front-Office-Systeme sowie deren Anpassungen. Bevor auf die Kernaspekte in der Umsetzung des Kostenausweis-Tools eingegangen wird, werden im Folgenden die Herausforderungen in der Anbindung der Quellsysteme dargestellt. Anschließend werden die unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten und zu treffende Umsetzungsentscheidungen im Rahmen der Integration und Anpassung der Front-Office-Systeme beleuchtet. Last but not least werden die Funktionalitäten des Kostenausweis-Tools beschrieben.

3.2.1.1

Anbindung der Quelldatensysteme

Das Kostenausweis-Tool ist mit einer Vielzahl an Quelldaten aus Handelssystemen, positionsführenden Systemen sowie teilweise auch Excel-Dateien und MS-AccessDatenbanken zu versorgen, um die unterschiedlichen Kostendaten berechnen und aggregieren zu können. Da sich die Systeme für die Durchführung und Abwicklung von Transaktionen in standardisierten Wertpapieren, börsengehandelten Derivaten und OTC-Derivaten (Over the Counter) unterscheiden, bestehen bereits hier mindestens drei verschiedene Quellsysteme, die über neue Schnittstellen an ein Kostenausweis-Tool anzubinden sind.

410

MiFID-II.book Seite 411 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

Je nach Umsetzungsvariante für den Ex-ante-Kostenausweis im OTC-Derivatebereich sind für die Erstellung eines solchen Kostenausweises keine Schnittstellen zwischen den positionsführenden Systemen und dem Kostenausweis-Tool notwendig. Werden für die Asset-Klasse nur standardisierte Ex-ante-Kostenausweise erstellt, so kann dies in den meisten Fällen ohne eine technische Anbindung des Kostenausweis-Tools an diese Systeme erfolgen. Für den Ex-post-Kostenausweis ist jedoch eine entsprechende technische Anbindung erforderlich, da für diesen Ausweis Informationen zu den Beständen erforderlich sind (bspw. Haltedauern, Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkte etc.). Die Berechnung von Produktkosten stellt ex ante wie auch ex post eine große Herausforderung dar. Die Basis für die Berechnungen bildet die Versorgung des KostenausweisTools mit den entsprechenden Daten der Emittenten bzw. der jeweiligen Handelstage. Für die Berechnung von laufenden Produktkosten kann auf die neuen Datenstrukturen des WM Datenservice (hier MiR-II-Service) zurückgegriffen werden. Gleiches gilt für die Daten zum Fair Value von verbrieften Derivaten, die entscheidend für die Berechnung der Ein- und Ausstiegskosten sind. Für die Berechnung kundenindividueller Kostenausweise werden die kundenspezifischen Konditionenmodelle benötigt. Des Weiteren kommt es in internationalen Instituten häufig vor, dass OTC-Derivate nur in bestimmten Niederlassungen, z.B. in London oder Zürich, gehandelt werden. Dies wiederrum bedeutet, dass im Rahmen des Handels dieser Produkte Kostenverrechnungssätze zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften in die Kurse eingepreist werden. Diese sind entsprechend der regulatorischen Anforderungen auszuweisen und dafür müssen diese Daten in den Datenbestand des Kostenausweis-Tools importiert werden. In der Praxis werden diese Kostenverrechnungssätze meist in sehr komplexen Excel-Sheets geführt, da die Verrechnungssätze in Abhängigkeit der Kundenkategorie, des Trade-Volumens und der Asset-Klasse variieren können. Eine Analogie zur Datenhaltung gilt in fast ähnlicher Weise für Gebührenmodelle. Wird nur das Geschäft in standardisierten Wertpapieren betrachtet, werden diese meist in Systemen wie WP2, GEOS oder KGS gehalten. Sobald jedoch ein Kunde dazu börsengehandelte Derivate und verschiedene OTC-Derivate handelt, greifen meist Gebührenmodelle, die nicht nur in einem System gehalten werden. In einigen Projekten müssten hierfür mehrere Datenquellen manuell zusammengefasst und dann in das Kostenberechnungs-Tool importiert werden.

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MiFID-II.book Seite 412 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Dennis Schetschok/Florian Grimm

3.2.1.2

Integration und Anpassung von Front-Office-Systemen

Eine wesentliche Architekturentscheidung betrifft die Fragestellung, in welchem Maße Kostenausweisdaten in den Front-Office-Systemen angezeigt und/oder bearbeitet werden sollen. Dagegen ist fast unstrittig, dass die produzierten Kostenausweise entweder im PDF-Format über eine elektronische Postbox dem Kunden zur Verfügung gestellt werden oder über eine Versandsteuerung in Papierform auf dem Postweg. Da letzteres erhebliche Druck- und Portokosten verursacht, wurde in vielen Projekten versucht, den Grad an elektronischen Wegen möglichst hoch zu halten. Eine Integration des Kostenausweis-Tools in alle relevanten Front-Office-Systeme, um eine Anzeige von Ex-ante-Kostenausweisdaten zu ermöglichen, würde erhebliche Integrations- und Testaufwände erzeugen und wurde daher so gut wie nie durchgeführt. In den von uns begleiteten Umsetzungsprojekten wurden keine Handelssysteme dahingehend angepasst, in diesen die Ex-ante-Kostenausweisdaten vor der Durchführung eines Trades anzeigen zu können. In den meisten Fällen wurden nur Front-Office-Systeme angepasst, die entweder durch den Kunden zur Ordereingabe oder von Relationship-Managern/Kundenbetreuern in der Anlageberatung genutzt werden. Für diese Prozesse wurde dann die transaktionsindividuelle Variante des Ex-ante-Kostenausweises umgesetzt. Funktionalitäten wie bspw. das Erzeugen eines neuen standardisierten Ex-ante-Kostenausweises für Kunden oder die Fehlerkorrektur von Kostenausweisen sind nicht in den jeweiligen Front-Office-Systemen vorgesehen, sondern stellen Kernfunktionalitäten des Kostenausweis-Tools dar. Gleichzeitig sind dies auch neue Geschäftsprozesse für die Finanzinstitute. Damit wird deutlich, dass die Umsetzung des Ex-ante- wie auch des Ex-post-Kostenausweises nicht nur eine technische Umsetzung in den Systemlandschaften der Finanzinstitute erfordert, sondern auch Änderungen der Aufbau- und Ablauforganisation. Prozesse zur Umsetzung des Ex-ante- und Ex-post-Kostenausweises sollten in einer neuen organisatorischen Funktion gebündelt und entsprechende Funktionalitäten in einem zentralen Kostenausweis-Tool umgesetzt werden. Zu denken ist hier u. a. an detaillierte Anzeigen von angefallenen Kosten im Rahmen des Ex-post-Kostenausweises sowie Funktionalitäten zur Korrektur und Erzeugung von Ex-post-Kostenausweisen. Im Gegensatz zu einer Umsetzung in einem zentralen Tool erscheint die Umsetzung einer detaillierten Anzeige über verschiedene Stufen der aggregierten Ex-post-Kostendaten in jedem Front-Office-System die Option mit den höchsten Umsetzungsaufwänden zu sein.

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MiFID-II.book Seite 413 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

3.2.1.3

Kernfunktionalitäten des Kostenausweis-Tools

Das Kostenausweis-Tool bündelt Funktionalitäten wie die Berechnung und Schätzung von Kosten sowie die Historisierung und Archivierung dieser Daten bzw. der erzeugten Kostenausweise. Wie bereits gezeigt, sollte es sich bei diesem System nicht nur um eine reine Berechnungs-Engine handeln, sondern vielmehr um ein „vollwertiges“ System mit entsprechender Benutzeroberfläche. Eine solche wird zum einen benötigt, um das System administrieren sowie weiter parametrisieren zu können. Des Weiteren sollte es einem Fachbereich größtmögliche Unterstützung in neuen Geschäftsprozessen bieten, die durch die Anforderungen an den Kostenausweis entstehen. Im Rahmen der Erzeugung von standardisierten, kundenindividuellen Ex-ante-Kostenausweisen sollte es möglich sein, Fehler zu korrigieren und daraufhin einen neuen Kostenausweis generieren zu können. Analoges gilt noch vielmehr für die Ex-post-Kostenausweise. Da der Kunde das Recht hat, auf Nachfrage detaillierte Informationen zu den ihm ausgewiesenen Kostendaten zu erhalten, sind Detaillierungsfunktionen auf bereits erzeugte Kostenausweise erforderlich. Im Bereich der Ex-post-Kostenausweise ist diese Funktionalität komplex, erspart jedoch dem Fachbereich erhebliche manuelle Aufwände. Werden bspw. Produktkosten für verbriefte Derivate und Fonds über ein Jahr als eine Kostengröße aggregiert im Ex-post-Kostenausweis dargestellt und der Kunde verlangt eine Detaillierung, so ist diese nicht trivial herzustellen. Denn in die aggregierte Größe fließen nicht nur Ein- und Ausstiegskosten von eingegangenen Positionen in verbrieften Derivaten ein, sondern auch laufende Produktkosten von bspw. Fonds. Während die Ein- und Ausstiegskosten jeweils von den Kursen und Fair Values zu den verschiedenen Ein- und Ausstiegszeitpunkten abhängen, wirken unterschiedliche Haltedauern und ggf. schwankende Kostenangaben zu den laufenden Kosten während der Haltedauer auf die laufenden Produktkosten. Die Detaillierung der Ex-post-Kostenausweisinformationen stellt eine Herausforderung zum einen in der Umsetzung der Anzeige dieser Detailinformationen und zum anderen in den entsprechenden Berechnungen dar. Das Kostenausweis-Tool beinhaltet diverse Berechnungsfunktionen für die Ex-post-Kosteninformationen sowie Berechnungs- und Schätzfunktionen für den Ex-ante-Kostenausweis. Dabei sollen Schätzfunktionen solche Berechnungsfunktionen sein, die mindestens teilweise auf Annahmen basieren. Diese Abgrenzung ist wichtig, da regulatorisch für den Ex-ante-Kostenausweis gefordert ist, dass nur diejenigen Kosteninformationen geschätzt werden dürfen, die nicht berechnet werden können.

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Dennis Schetschok/Florian Grimm

In den von uns begleiteten Umsetzungsprojekten gab es diverse Diskussionen über die verschiedenen Ansätze für die Schätzungen (bzw. besser: annahmebasierte Berechnungen). Als nur ein Beispiel seien Depotgebührenmodelle genannt, nach denen sich die Depotgebühr auf Basis des durchschnittlichen Depotvolumens in einem Jahr multipliziert mit einem Kostenfaktor von 0,x% berechnet. Es stellt sich die Frage, in welcher Höhe Depotgebühren in einem transaktionsindividuellen Ex-ante-Kostenausweis gezeigt werden? In jedem Fall ist klar, dass eine Berechnung nur auf Annahmen basieren kann – also eine Schätzung darstellt. In der Umsetzung wurde in einigen Instituten eine Art Grenzkostenansatz verfolgt, in anderen eher ein Totalkostenansatz: • Im Grenzkostenansatz wird davon ausgegangen, dass das Depotvolumen des Anlegers um den Anlagebetrag, wie er im Ex-ante-Kostenausweis ausgewiesen wird, steigt und sich daher die am Jahresende zu zahlende Depotgebühr um den Betrag aus Anlagebetrag multipliziert mit dem Kostenfaktor erhöht. Entsprechend wird nur dieser Mehrbetrag an Depotgebühr ausgewiesen. • Im Totalkostenansatz wird dagegen die erwartete zu zahlende Depotgebühr berechnet und auf die jeweilige Transaktion heruntergebrochen. Dazu werden nicht nur Annahmen über das durchschnittliche Depotvolumen pro Jahr aufgestellt, sondern auch über die durchschnittliche Transaktionsanzahl im Jahr.

3.2.2

Erforderliche Transparenz über die eigenen Gebührenmodelle

Eines der größten Probleme bei der Umsetzung der MiFID-II-Vorgaben zur Kostentransparenz bestand für die Institute darin, zunächst einen Überblick über ihre auszuweisenden Kostenkomponenten und insbesondere die eigenen Gebührenmodelle zu gewinnen. In den meisten Instituten sind über die Jahre hinweg diverse Prozesse und Systeme sowie eine Vielzahl von teilweise auch veränderbaren Modellen implementiert worden. Da diese nicht zwangsläufig miteinander kommunizieren oder harmonisieren müssen, existiert somit in den allermeisten Fällen keine umfassende Einzelquelle für die entsprechenden Daten und manche Prozesse werden sogar noch auf manueller Basis durchgeführt. Eine große Schwäche vieler Institute ist somit noch immer der nicht vorhandene einheitliche Datenhaushalt. Es war daher eine große Herausforderung, die für die Kostentransparenz benötigten Daten an den verschiedenen Stellen und in der benötigten Form zusammen zu stellen. Aus dieser bereits an sich umfassenden technisch-prozessualen Herausforderung konnten sich zudem aber noch weitere Probleme ergeben.

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

Da mache Institute gewisse Abrechnungsprozesse z.B. an externe Dienstleister ausgelagert haben, musste dieses Wissen und somit eine Zugriffsmöglichkeit nicht mehr zwangsläufig im eigenen Institut vorhanden sein. Denn wo die entsprechenden Modelle direkt systemseitig beim externen Dienstleister gepflegt werden, erfolgt nicht immer spiegelbildlich eine fortlaufende Pflege im eigenen Institut. Dies konnte dazu führen, dass ein Zugriff auf die Daten beim externen Dienstleister und eine entsprechende systemseitige Anbindung nur unter zusätzlichen Kosten bzw. hohem Aufwand realisierbar wären. Unterlag nun aber auch der externe Dienstleister selbst diversen Verpflichtungen und Umsetzungsnotwendigkeiten nach MiFID-II-Anforderungen, so konnte es vorkommen, dass ihm eine Zurverfügungstellung entsprechender Kapazitäten für eine benötigte Anbindung noch in 2017 nicht mehr möglich war. Dies konnte daher im Endeffekt dazu führen, dass ein Institut mangels Kenntnis der entsprechenden Modelle nicht in der Lage war, einen ausreichenden Überblick über diverse unter MiFID II auszuweisende Kostenkomponenten wie z.B. im Zuge der Wertpapierabrechnung benötigte Transaktions- und Depotführungs- sowie Handelsplatzentgelte, Zuwendungen oder Lagerstellengebühren zu erlangen. Dies wiederum machte es für betroffene Institute notwendig, plausible und oftmals auf Vergangenheits- und Durchschnittswerten beruhende Schätzalgorithmen herzuleiten und zu implementieren. Doch selbst dies reichte nicht immer aus, um benötigte Vergangenheits- oder Durchschnittsdaten in der benötigten Art und Weise generieren zu können, sodass hier ebenfalls diverse Workarounds gefunden werden mussten, um die Einhaltung der Ex-ante-Ausweispflichten sicherzustellen.

3.2.3

Besondere Komplexität im neuen Feld der Produktkosten

Eine weitere große Herausforderung bestand insbesondere für Vertriebsbanken durch den nun verpflichtenden Ausweis von Produktkosten. Da der Bezug dieser Daten in den allermeisten Fällen nicht systemseitig über entsprechende PIBs, sondern zentral über einen externen Dienstleister (WM Datenservice) funktioniert, der wiederum auf die rechtzeitige Zurverfügungstellung durch die jeweiligen Emittenten angewiesen ist, konnte sich hier ein erhebliches Nadelöhr ergeben. Als Produktkosten konnten in vielen Fällen die bereits unter der PRIIPs-Verordnung auszuweisenden Kosten herangezogen werden. Deren Errechnung stellte jedoch für die Emittenten aufgrund der sehr hohen Komplexität eine immense Herausforderung dar. Zudem wurde ihnen insbesondere bei gewissen Fondsdaten nach PRIIPs-Vorgaben noch eine Übergangsphase bis zur verpflichtenden Zurverfügungstellung (Ende 2019) eingeräumt.

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Dennis Schetschok/Florian Grimm

Dies führte dazu, dass für eine Vielzahl an Produkten entsprechende Testdaten erst sehr spät im November 2017 zur Verfügung gestellt werden konnten, diese zudem in vielerlei Hinsicht noch nicht vollständig und somit nicht ausreichend waren und selbst mit Inkrafttreten der MiFID-II-Regeln im Januar 2018 bei weitem noch nicht alle innerhalb dieses Regimes auszuweisenden Produktkostendaten vorlagen und auch nicht zur Verfügung gestellt werden konnten. Zwar hatte die ESMA in ihren Q&A aus Oktober 2017 darauf hingewiesen, dass sie in solch einem Fall die Verpflichtung zur Einholung der Daten bei den Emittenten bzw. zur Berechnung der fehlenden Daten nach PRIIPs-Regeln bei den nach MiFID II verpflichteten Instituten sehe. Da jedoch zum einen mit einem solchen Ausmaß an Problemen bei den Produktkosten nicht gerechnet wurde, zum anderen zwischen der Veröffentlichung der Q&A der ESMA Mitte Oktober 2017 und dem Inkrafttreten der MiFID-II-Regeln nicht mehr ausreichend Umsetzungszeit für das von der ESMA erwartete Vorgehen verblieb, wird wohl kaum ein Institut eine solche Lösung rechtzeitig umgesetzt haben. Dies gilt insbesondere aufgrund der Tatsache, dass eine solche Lösung ebenfalls wiederum mit diversen Problemen behaftet ist, wie z.B. einer korrekten Identifizierung der betroffenen Produkte, einer Bewältigung der erheblichen Datenmasse, eines notwendigen Prozesses zur Anfrage bei den Emittenten sowie eine Umsetzung eines Berechnungsbzw. Schätzprozesses, sofern Emittenten keine Daten bereitstellen können. Zum anderen wurden für diverse andere Produktkostenfelder nicht plausible und unerwartete Daten geliefert, was wohl auf die Komplexität der PRIIPs-Regeln und die Herausforderungen der Emittenten zurückzuführen sei, jedoch zu erheblichen Ausreißern in Ex-ante-Kostenausweisen führen konnte (z.B. Negativwerte, immens hohe oder geringe Prozentwerte etc.) und sicherlich zumindest für die erste Bereitstellung von Ex-postKostenausweisen zu weiteren Problemen führen wird.

3.2.4

Einbindung in den Kunden-On- und -Off-boarding-Prozess

Ebenfalls notwendig war die Einbindung der neuen Regelungen in die bestehenden Prozesse zum On- und Off-boarding von Kunden. Die geforderte Rechtzeitigkeit der Bereitstellung der Kosteninformationen macht je nach Geschäftsmodellen und -prozessen – insbesondere vor Geschäftsabschluss (ex ante) – eine Übergabe von standardisierten Kostenausweisen bereits bei der Neukundenanlage notwendig. Die bestehenden Prozesse mussten somit an eine rechtzeitige Bereitstellung angepasst werden. Dies gilt insbesondere für solche Orderwege, bei denen kein transaktionsindividueller Kostenausweis zur Verfügung gestellt werden konnte. Denn ein Handel über diese Orderwege darf erst nach möglicher Kenntnisnahme der zusammen mit den Kundenanlage- bzw. Depoteröffnungsdokumenten versandten standardisierten Kostenauswei-

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

sen ermöglicht werden. Je nach Kundenneuanlageprozess und On-boarding-Kanal konnte dies einen systemseitigen oder manuellen, in jedem Fall aber mit Implementierungsaufwand verbundenen Auslöser zur Generierung der standardisierten Kostenausweise notwendig machen. Auch für die im Kunden-Off-boarding-Prozess zur Verfügung zu stellenden Ex-postKostenausweise gilt die geforderte Rechtzeitigkeit. Allerdings wurde hier eine Abmilderung in der Form vorgenommen, dass betroffene Wertpapierdienstleistungsunternehmen diese im Rahmen einer bereits bestehenden regelmäßigen Berichterstattung übermitteln können (Abschnitt 2.5). Auch dies konnte je nach Prozess einen systemseitigen oder manuellen Auslöser zur entsprechenden Generierung, mithin Implementierungsaufwand notwendig machen.

3.2.5

Keine rechtzeitige Umsetzung aller Level-III-Anforderungen zum Ex-anteKostenausweis wegen später ESMA-Stellungnahmen

Eine weitere Herausforderung bestand in der Berücksichtigung und noch rechtzeitigen Umsetzung von durch die ESMA in den entsprechenden Q&A fortlaufend bis in das 4. Quartal 2017 veröffentlichten Stellungnahmen zu Anfragen aus dem Marktumfeld bezüglich Unklarheiten und Auslegungsschwierigkeiten bzw. Umsetzungsalternativen und den damit einhergehenden Level-III-Anforderungen. Insbesondere die Klarstellung der ESMA, dass hinsichtlich des Ausweises von Produktkosten die notwendigen Informationen entweder bei den Emittenten in Erfahrung zu bringen oder selbständig nach PRIIPs-Vorgaben zu errechnen seien, wurde erst im Oktober 2017 veröffentlicht. Eine den rechtlichen Anforderungen entsprechende Umsetzung bis zum Inkrafttreten der MiFID-II-Vorgaben war den betroffenen Instituten damit unmöglich.

4 Bewertung der regulatorischen Ziele und der Umsetzung In den von uns begleiteten MiFID-II-Umsetzungsprojekten konnten wir eine Bandbreite von Umsetzungsvarianten im Rahmen des Kostenausweises beobachten. Die möglichen Varianten wurden umfangreich in Abschnitt 3 dieses Beitrages beschrieben. Es stellt sich nun die Frage, ob mit der Umsetzung im Markt der Regulator seine Ziele erreichen konnte? Die regulatorischen Ziele der Anforderungen zum Kostenausweis bestehen in der Stärkung des Anlegerschutzes. Dieser soll zum einen durch eine höhere Transparenz über die Kosten und Gebühren beim Anleger und zum anderen über

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Dennis Schetschok/Florian Grimm

Vergleichsmöglichkeiten zwischen Finanzinstrumenten und Wertpapierdienstleistungen erreicht werden.5 Aus Sicht der Autoren konnte mit der Umsetzung der Anforderungen im deutschen Markt das regulatorische Ziel einer Stärkung des Anlegerschutzes nur unzureichend erreicht werden. Eine höhere Transparenz ist sicherlich mit den zusätzlichen Informationen über Kosten und Gebühren gegeben. Allerdings ist fraglich, ob das Ausmaß der Transparenz ausreichend und nicht ggf. sogar verwirrend für einige Anleger ist. Fehlinterpretation und Missverständnisse sind zu erwarten, wenn Ex-ante-Kostenausweise auf dem regulatorischen Mindestmaß ohne hinreichende Erläuterungen erstellt und dem Kunden ausgewiesen werden. Als Beispiel kann die Aggregation der Gesamtkosten der Wertpapierdienstleistungen mit den Gesamtkosten i.V.m. dem Finanzinstrument sowie den Zahlungen Dritter an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor einem Kauf eines Finanzinstruments herangezogen werden. Denn während die Kosten für die Wertpapierdienstleistung dem Kunden direkt durch den Kauf als Betrag seinem Verrechnungskonto belastet werden (mit Ausnahme von laufenden Kosten wie bspw. Depotgebühren), werden die Zahlungen Dritter an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht als Kosten negativ wirksam. Darüber hinaus werden so auch einmalige Kosten mit laufenden Kosten aggregiert, was ebenfalls keine ausreichende Transparenz darstellt. Wir stellen des Weiteren die These auf, dass mit der Umsetzung im deutschen Markt keine ausreichenden Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen gegeben ist. Ein Vergleich der Produktkosten über verschiedene Asset-Klassen hinweg nur anhand einer aggregierten Kostenzahl ähnelt einem Vergleich von „Äpfeln mit Birnen“. Denn während eine Aktie keine Produktkosten aufweist, entstehen bei Kauf und Verkauf eines Discount-Zertifikats zu mindestens Ein- und Ausstiegskosten. Allerdings birgt das Discount-Zertifikat auch andere Eigenschaften und bietet dem Anleger ein Mehr an „Ausstattung“. Eine Vergleichbarkeit innerhalb einer Asset-Klasse scheint möglich bzw. durch die Kostenausweise gegeben. Allerdings bestehen auch hier Unterschiede. Denn während ein Faktor-Zertifikat auf den Dax zwar Ein- und Ausstiegskosten enthält, würde ein währungsabgesichertes Faktor-Zertifikat auf den Dow Jones noch zusätzliche laufende Produktkosten enthalten.

5

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Vgl. hierzu Erwägungsgrund 74, 78 der Delegierten Verordnung.

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Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass eine breite Schicht von Anlegern die Unterschiede in den Produktkosten zwischen einer Aktie und einem verbrieften Derivat nachvollziehen kann, so scheint dies bei einem Vergleich innerhalb der verbrieften Derivate wohl eher nur einigen Anlegern möglich. Diese Beispiele zeigen, dass eine Vergleichbarkeit der Kosten von Finanzinstrumenten in starkem Maße von dem gewählten Detailgrad in den Ausweisen sowie den beigefügten Erläuterungen abhängt. Da es in diesen Punkten keinen Standard gibt, sondern eine breite Vielfalt an Varianten, scheint auch hier eine Vergleichbarkeit mindestens bis heute nicht gegeben. Kritisch sehen die Autoren die Anforderung, die Auswirkungen der Kosten und Gebühren auf die Rendite zeigen zu müssen. Während im Ex-post-Kostenausweis diese Information einen Mehrwert darstellen kann, ist fraglich, ob im Vorfelde des Geschäftsabschlusses ein zusätzlicher Nutzen aus dieser Information entsteht. In der aktuellen Umsetzung ist dies nicht der Fall. Denn in vielen Ex-ante-Kostenausweisen werden die prozentualen Gesamtkosten, die ohnehin bereits im Kostenausweis ausgewiesen sind, herangezogen und textuell dargelegt, dass die mögliche zukünftige Rendite um diesen Kostensatz geringer ausfällt. Werden nun noch sämtliche, aus unterschiedlichen Regulationen geforderten Anlegerinformationen mit Kostenbezug verglichen, so kann festgestellt werden, dass keine erhöhte Transparenz beim Anleger erreicht wird, sondern eher Verwirrung. So erscheinen die nach MiFID II und der PRIIPS-Regulierung geforderten Kosten auf den ersten Blick zwar gleich, werden jedoch z.T. anders berechnet. Darüber hinaus weichen diese von den Angaben in den wesentlichen Anlegerinformationen für Fonds ab. Mit den Anforderungen zu den Kostenausweisen verfolgt der Regulator das primäre Ziel der Erhöhung von Transparenz sowie die Verbesserung der Vergleichbarkeit wie oben erläutert. Es stellt sich die Frage, ob auch regulatorische Ziele erreicht wurden, die nicht explizit genannt wurden bzw. als sekundär betrachtet werden können. So stellen wir die These auf, dass der Regulator mit der Opt-out-Regelung im Kostenausweis im Geschäft mit professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien Umsetzungserleichterungen schaffen wollte. Diese Regelungen sind jedoch so umständlich bzw. in der Umsetzung kompliziert, dass eine wirkliche Erleichterung nicht gegeben ist. Es ist meist einfacher, die Anforderungen an einen Kostenausweis im Geschäft mit professionellen Kunden vollständig umzusetzen als bspw. für jedes Geschäft in Finanzinstrumenten zu prüfen, ob eine Vereinbarung mit dem Kunden vorliegt und kein Derivat in das Produkt eingebettet ist.

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MiFID-II.book Seite 420 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Dennis Schetschok/Florian Grimm

Für den Ex-post-Kostenausweis müsste sogar jeweils an den Transaktionen für nicht derivative Finanzinstrumente gespeichert werden, ob diese im Rahmen einer Anlageberatung oder einer Portfolio-Verwaltung durchgeführt wurden. Sollte dies der Fall sein müsste – obwohl eine Opt-out-Vereinbarung mit dem Kunden besteht – ein uneingeschränkter Ex-post-Kostenausweis erfolgen. Weiterhin nehmen wir an, dass der Regulator mit der Regelung, dass Produktkosten nur auszuweisen sind, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden dieses Finanzinstrument anbietet oder empfiehlt, ebenfalls eine Erleichterung schaffen wollte. Aus unserer Umsetzungserfahrung ist jedoch genau das Gegenteil eingetreten. Das Begriffspaar „anbieten und empfehlen“ hat in den von uns begleiteten Umsetzungsprojekten einen hohen Aufwand an Diskussionen sowie Unsicherheiten ausgelöst. Denn der Begriff „anbieten“ kann im deutschen Sprachgebrauch nicht nur als anbieten im Rahmen einer Anlageberatung verstanden werden, sondern eben auch als das reine „verfügbar machen“. Auch hier gibt es im deutschen Markt Variationen in der Interpretation und Umsetzung dieser Vorschrift. So weisen viele Direktbanken sämtliche Produktkosten aus, da sie „anbieten“ als „verfügbar machen“ interpretieren, während andere Marktteilnehmer nur für die Finanzinstrumente, die sie aktiv bewerben oder in der Anlageberatung und dem Portfolio-Management empfehlen, auch Produktkosten ausweisen.

5 Fazit, Ausblick und kritische Würdigung Die vorhergehenden Abschnitte haben einen Einblick in den Umsetzungsstand von Finanzinstituten im deutschen Markt gezeigt. Die meisten Finanzinstitute werden noch im Jahr 2018 mit der weiteren MiFID-II-Umsetzung in Projekten beschäftigt sein. Der Ex-post-Kostenausweis birgt dabei eine vergleichbare, wenn nicht sogar höhere Komplexität in der Umsetzung als der Ex-ante-Kostenausweis. Den Ansatz, eine erhöhte Transparenz und Vergleichbarkeit für den Anleger im Rahmen von Wertpapiergeschäften erreichen zu wollen, werten die Autoren grundsätzlich positiv. Die regulatorischen Vorgaben der MiFID II legen dafür auch eine entsprechende Basis. Allerdings reichen die Vorgaben nicht aus, um dieses Ziel vollständig zu erreichen. Die Darstellungen in Abschnitt 3 zeigen, dass im deutschen Markt diverse Umsetzungsformen der Ex-ante-Kostenausweise vorliegen. Es ist damit zu rechnen, dass sich eine ähnliche Vielfalt auch im Bereich des Ex-post-Kostenausweises herausbildet.

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MiFID-II.book Seite 421 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Kostenausweis und -transparenz im Rahmen der MiFID-II-Regelungen

Diese Vielfalt führt jedoch aus Sicht der Autoren dazu, dass die Zielsetzung der Regulation, eine erhöhte Transparenz und Vergleichbarkeit von Angeboten verschiedener Finanzinstitute für den Anleger zu schaffen, nur unzureichend erreicht wurde. Aus diesem Grund kann mit Nachschärfungen der regulatorischen Vorschriften gerechnet werden. Fraglich ist, ob diese Nachschärfungen auf europäische Ebene oder durch die nationalen Aufsichtsbehörden erfolgen. Da die meisten Privatkunden im Wertpapiergeschäft wohl eher auf den nationalen Märkten agieren, ist eine europäische Nachregulierung zur Herstellung einer europaweiten Vergleichbarkeit von Angeboten auch nicht zwingend notwendig. Wünschenswert ist, dass eine Nachregulierung nicht nur neue Anforderungen umfasst, sondern auch Unsicherheiten in den Interpretationen der Vorschriften reduziert. Beispielhaft ist hier das Begriffspaar „anbieten und empfehlen“ zu nennen. Es sollte klargestellt werden, ob „anbieten“ das reine Verfügbarmachen eines Finanzinstruments meint oder eng auf die Wertpapierdienstleistung der Anlageberatung abgestimmt ist. Im Rahmen der Opt-out-Regelungen wäre zu überlegen, ob diese nicht eher auf die Schutzwürdigkeit der Kunden und weniger auf die dem jeweiligen Geschäft zu Grunde liegenden Finanzinstrumente abgestellt werden. So würde es eine Vereinfachung darstellen, wenn Finanzinstitute untereinander einen Verzicht auf den Kostenausweis vereinbaren könnten – zumal diese meist ohnehin kein Interesse an einem solchen Ex-anteoder Ex-post-Kostenausweis haben. Des Weiteren sind Klarstellungen und Beispiele zur Umsetzung der Anforderung in Bezug auf die Darstellung von Kostenspitzen und -schwankungen sowie der Gesamtwirkung der Kosten auf die Rendite in den Kostenausweisen erforderlich, um mit diesen Informationen einen werthaltigen Nutzen bei Anlegern zu erzeugen. Durch einen Verzicht dieser Anforderungen im Bereich des Ex-ante-Kostenausweises wird weder die notwendige Transparenz, noch die Vergleichbarkeit von Wertpapierdienstleistungen oder Finanzinstrumenten erreicht. Aus Sicht der Autoren wird eine für den Anleger ausreichende Transparenz und Vergleichbarkeit in Bezug auf die Bankdienstleistungen durch standardisierte, kundenindividuelle Ex-ante-Kostenberichte, die einmal jährlich oder bei wesentlichen Änderungen erstellt werden, erfüllt. Eine Grundvoraussetzung ist jedoch, dass eine entsprechende standardisierte Form und Detailtiefe institutsübergreifend vorgegeben wird. Dem Anleger vor jeder Transaktion im Kommissionsgeschäft die Kosten aufzuzeigen, die gerade im Privatkundengeschäft meist sehr einfach zu errechnen sind, schafft auf Anlegerseite keinen wesentlichen Nutzenwert. Dies gilt in hohem Maße für die Kosten der Wertpapierdienstleistungen.

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MiFID-II.book Seite 422 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Dennis Schetschok/Florian Grimm

Auf der Seite der Produktkosten schafft der Kostenausweis für die Anleger einen Zugewinn an Transparenz und mehrwertige Informationen, da diese produktspezifisch und für den typischen Anleger nicht einfach zu errechnen sind. Dies trifft jedoch nur die Asset-Klassen der verbrieften Derivate sowie der Fonds. Für den Ausweis der Produktkosten innerhalb dieser Asset-Klassen sollten standardisierte, einfache Erläuterungstexte vorgegeben werden, die ein besseres Verständnis ermöglichen und so die Vergleichbarkeit erhöhen. Aus Sicht der Autoren können solche Erläuterungstexte sicherlich aus den vielen Kostenausweisvarianten im Markt abgeleitet werden. In gleichem Maße sollte ein Standard für die Struktur vorgegeben werden, um Ein- und Ausstiegskosten von den laufenden Produktkosten trennen zu können. Über ein Konzept, welches zur Schaffung der Transparenz und Vergleichbarkeit für die Kosten der Wertpapierdienstleistungen auf einmal jährlich zur Verfügung zu stellende, standardisierte kundenindividuelle Kostenausweise und hinsichtlich der Produktkosten auf einen transaktionsindividuellen Kostenausweis setzt, sollte aus Sicht der Autoren näher nachgedacht werden. Eine solche Änderung würde zwar einen Rückbau der transaktionsindividuellen Umsetzung in den Finanzinstituten bedeuten, jedoch zukünftig einen hohen Anteil an Kosten für die weitere Wartung und den Betrieb dieser Lösungen eliminieren. Welche Auswirkungen die den Kunden zur Verfügung gestellten Ex-ante- und Ex-postKostenausweise auf das Kundenverhalten hinsichtlich der Wahl des Finanzinstituts oder der Anlageprodukte haben werden, bleibt abzuwarten. Die Tatsache, dass nun über die MiFID-II-Kostenausweise z.B. die höheren Kosten bei aktiv verwalteten Fonds noch transparenter werden als ohnehin schon, dürfte wohl nicht zu einer Art plötzlichen „Massenflucht“ aus dieser „teureren“ Produktklasse führen. Im Rahmen der Wertpapierdienstleistungskosten dürfe der Ex-post-Kostenausweis zu einem Nutzengewinn bei den Bankkunden führen. Denn diese werden nun regelmäßig durch die Bank in einer Übersicht und aggregiert dargestellt und dem Kunden zur Verfügung gestellt. Hierdurch kann sicherlich mit einem erhöhten Kostenwettbewerb gerechnet werden. Im Allgemeinen ist daher stark damit zu rechnen, dass Kunden die neu geschaffene Kostentransparenz und die eröffneten Vergleichsmöglichkeiten in Bezug auf die Wertpapierdienstleistungskosten aktiver nutzen und ihr Verhalten entsprechend anpassen werden. Finanzinstitute sollten frühzeitig analysieren, wie sie sich in diesem verschärften Wettbewerbsumfeld positionieren. Ein stärkeres Hervorheben von Qualität und Services für den Kunden erscheint dabei zielführender als der Eintritt in Kostensenkungsrunden.

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MiFID-II.book Seite 423 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Product Governance in Vertriebsunternehmen1 Anika Feger

1 Einleitung 2 Produktfreigabeverfahren 2.1 Zielmarktbestimmung 2.2 Festlegung Vertriebsstrategie 2.3 Produktinterventionen 3 Interessenkonflikte 4 Informationspflichten 5 Produktüberwachungsprozess 6 Sachkundeanforderungen 7 Verantwortlichkeiten 8 Zusammenfassung/Fazit Quellen

1

Der vorliegende Beitrag stellt keine individuelle Rechtsberatung dar. Die gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Vorgaben wurden mit Stand vom 05.03.2018 berücksichtigt. Der Beitrag richtet sich an Leser in Deutschland, Österreich und der Schweiz und beinhaltet insbesondere die Regelungen auf europäischer Ebene, die geringfügig von den nationalen Vorgaben abweichen können.

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MiFID-II.book Seite 424 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

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MiFID-II.book Seite 425 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

1 Einleitung Das Themengebiet Product Governance erreichte mit der Veröffentlichung der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II)2 am 12.06.2014 in den Wertpapierfirmen3 der MiFID-II-Staaten größte Aufmerksamkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt war es zwar in international agierenden Emissionsbanken mit grenzüberschreitenden Emissionen zu Finanzinstrumenten für den Zielkundenmarkt Privatkunden bereits ein umfangreiches und sich auf die operativen Prozesse auswirkendes Themenfeld. So bestanden bspw. entsprechende aufsichtsrechtliche Vorgaben in Europa bis zu diesem Zeitpunkt seitens der damaligen Aufsichtsbehörde Financial Services Authority (FSA). In Vertriebsunternehmen, die Finanzinstrumente an Endkunden in Deutschland, Österreich oder der Schweiz vertreiben, hatte das Thema damals jedoch noch keine Relevanz. Nach der Veröffentlichung der neuen und sich auf die operativen Prozesse von Wertpapierfirmen detailliert auswirkenden Product-Governance-Regelungen stellten sich für Vertriebsunternehmen zahlreiche praktische Fragestellungen. Insbesondere Vertriebsunternehmen mit einer lediglich geringen Anzahl von Kunden im Produktvertrieb standen vor der Abwägung der Umsetzung der umfangreichen Vorgaben in Relation zum bisherigen Ertrag mit dem Vertrieb von Finanzinstrumenten. Ebenfalls von Interesse für die Vertriebsunternehmen war der eigene Anspruch, den Kunden auch weiterhin eine umfassende Beratung mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Anlageformen zukommen zu lassen. Die wesentlichen Rechtsgrundlagen zu den Product-Governance-Anforderungen sind in Art. 16 Abs. 3 MiFID II und Art. 24 Abs. 2 MiFID II enthalten. Art. 16 Abs. 12 MiFID II sowie Art. 24 Abs. 13 und 14 MiFID II enthalten eine Befugnis der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte, von der diese auch Gebrauch gemacht hat. Die entsprechende „Delegierte Richtlinie (EU) der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/ 65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den Schutz der Finanzinstrumente und Gelder von Kunden, Produktüberwachungspflichten und Vorschriften

2

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Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU, veröffentlicht am 12.06.2014 im Amtsblatt der EU. Die Publikation berücksichtigt insbesondere die Begriffsdefinitionen auf europäischer Ebene, die ggf. nicht denen der nationalen Umsetzungsgesetze entsprechen. „Konzepteur“ ist ein Unternehmen, das ein Anlageprodukt konzipiert, was die Schaffung, Entwicklung, Begebung oder Gestaltung dieses Produkts sowie die Beratung von Emittenten bei der Einführung eines neuen Produkts beinhaltet. „Vertriebsunternehmen“ meint ein Unternehmen, welches einem Kunden ein Anlageprodukt oder eine Wertpapierdienstleistung anbietet, empfiehlt oder verkauft.

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MiFID-II.book Seite 426 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Anika Feger

für die Entrichtung beziehungsweise Gewährung oder Entgegennahme von Gebühren, Provisionen oder anderen monetären oder nicht-monetären Vorteilen“ (im Folgenden Delegierte Richtlinie (EU)) wurde am 07.04.2016 verabschiedet. Ein weiteres wesentliches Regelwerk in diesem Zusammenhang stellen die „Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II“ der European Securities and Markets Authority (ESMA) vom 02.06.2017 dar.4 Hierbei handelt es sich um Vorgaben der ESMA an die nationalen Aufsichtsbehörden, die im Rahmen von deren Verwaltungspraxis zu berücksichtigen sind, sofern diesen nicht im Comply-or-Explain-Verfahren widersprochen wurde.5 Die Vorgaben der ESMA beinhalten eine Vielzahl von Antworten auf praxisrelevante Umsetzungsfragen, die im vorliegenden Beitrag ausführlich dargestellt werden. Abbildung 1 enthält eine Übersicht zu den für Vertriebsunternehmen relevanten ProductGovernance-Anforderungen. Abbildung 1: Übersicht über die Anforderungen an die Product Governance in Vertriebsunternehmen Produktfreigabe: Zielmarkt Vertriebsstrategie Produktintervention

Verantwortlichkeiten Sachkunde Berichtspflichten

Produktüberwachung

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Product Governance Vertriebsunternehmen

Interessenkonflikte

Informationspflichten

Erstmals in deutscher Sprache auf der Homepage der ESMA am 05.02.2018 veröffentlicht. Die Bafin verkündete am 15.02.2018 auf ihrer Homepage die grundsätzliche Übernahme aller Leitlinien sowie Fragen und Antworten (Q&As) der Europäischen Aufsichtsbehörden in ihre Verwaltungspraxis.

MiFID-II.book Seite 427 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Product Governance in Vertriebsunternehmen

2 Produktfreigabeverfahren Aus Art. 10 Abs. 2 S. 1 Delegierte Richtlinie (EU) ergibt sich die Pflicht der Vertriebsunternehmen sicherzustellen, dass die Produkte und Dienstleistungen, die angeboten oder empfohlen werden sollen, mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen eines bestimmten Zielmarktes vereinbar sind und dass die beabsichtigte Vertriebsstrategie dem bestimmten Zielmarkt entspricht. Vertriebsunternehmen müssen nach den ProductGovernance-Anforderungen gemäß MiFID II ein Produktfreigabeverfahren für die an Endkunden vertriebenen Finanzinstrumente durchführen. In diesem Zusammenhang erforderlich ist die Bestimmung eines Zielmarktes und einer Vertriebsstrategie (Art. 10 Abs. 2 S. 1 Delegierte Richtlinie (EU)). Im Rahmen der Bestimmung des Zielmarktes ist es erforderlich, etwaige von Aufsichtsbehörden erlassene Produktinterventionen mit zu berücksichtigen. Das Produktfreigabeverfahren ist vor dem Vertrieb eines Finanzinstrumentes abzuschließen.

2.1 Zielmarktbestimmung Die Pflicht zur Bestimmung eines Zielmarktes durch das Vertriebsunternehmen geht aus Art. 10 Abs. 1 S. 4 Delegierte Richtlinie (EU) hervor.6 Die Vertriebsunternehmen müssen demnach im Rahmen ihres Produktfreigabeverfahrens den „positiven Zielmarkt“ bestimmen. Hiervon abzugrenzen ist der ebenfalls von den Vertriebsunternehmen zu bestimmende „negative Zielmarkt“, der definiert, mit welchen Zielkunden ein Finanzinstrument nicht vereinbar ist.7 Bei der Zielkundengruppe, die weder unter den „positiven Zielmarkt“ noch unter den „negativen Zielmarkt“ fällt, handelt es sich um den so genannten „Graubereich“. Bei der Bestimmung des Zielmarktes gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.8 Zu berücksichtigende Kriterien in diesem Zusammenhang sind insbesondere die Komplexität sowie das Risiko-Rendite-Profil des Finanzinstrumentes. Folglich wird es bei so genannten „Plain-Vanilla-Produkten“ eine kleinere Gruppe von möglichen Anlegern

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Vgl. zu den Definitionen zu den verschiedenen Zielmarktkriterien den Beitrag von Bergmann. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 67 sowie Art. 9 Abs. 9 und Art. 10 Abs. 2 Delegierte Richtlinie (EU). ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 69.

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geben, mit denen das Finanzinstrument nicht vereinbar ist. Bei einem komplexeren Finanzinstrument ist die Gruppe der Kunden, mit denen das Produkt nicht vereinbar ist, dagegen üblicherweise deutlich größer. Insbesondere im Zusammenhang mit der Zielmarktbestimmung ergeben sich in der Umsetzungspraxis eine Vielzahl von Fragestellungen, die für die aufsichtsrechtskonforme Aufstellung eines Vertriebsunternehmens von wesentlicher Relevanz sind. Die ESMA hat in diesem Zusammenhang in ihren Leitlinien zu einer Reihe unterschiedlicher Fragestellungen Bezug genommen, an denen sich die nationalen Aufsichtsbehörden bei der Ausübung ihrer Verwaltungspraxis orientieren werden. Nachfolgend sind verschiedene Fragestellungen aufgeführt, zu denen erfahrungsgemäß seitens der Vertriebsunternehmen Nachfragen im Rahmen der Umsetzung der neuen Product-Governance-Vorgaben bestanden: • In welchem Verhältnis stehen die Product-Governance-Anforderungen zu den Vorgaben bezüglich der Prüfung der Geeignetheit oder Angemessenheit? Die Pflicht des Vertriebsunternehmens, den tatsächlichen Zielmarkt zu bestimmen und zu gewährleisten, dass ein Produkt im Einklang mit dem tatsächlichen Zielmarkt vertrieben wird, kann nicht durch eine Prüfung der Geeignetheit und Angemessenheit ersetzt werden, sondern muss zusätzlich zu und vor einer solchen Beurteilung erfüllt werden.9 Die Zielmarktbestimmung nach den Product-Governance-Vorgaben ist den Anforderungen an die Prüfung der Geeignetheit oder Angemessenheit vorgeschaltet und bezieht sich auf die grundsätzliche Vereinbarkeit des Vertriebs eines Produktes im Hinblick auf eine gesamte Kundengruppe. Die Vorgaben zur Prüfung der Geeignetheit oder Angemessenheit berücksichtigen dagegen einen bestimmten Kunden inklusive dessen individueller persönlicher Verhältnisse. • Ob und ggf. wie unterscheidet sich die Bestimmung des Zielmarktes durch den Konzepteur von der Bestimmung des Zielmarktes durch das Vertriebsunternehmen? Der Konzepteur bestimmt den Zielmarkt eines Finanzinstrumentes ohne spezifische Kenntnisse über die einzelnen Kunden auf Basis einer allgemeineren Betrachtung und somit einer abstrakteren Ebene als das Vertriebsunternehmen.10 Das Vertriebsunter-

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 33. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 35.

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nehmen muss dagegen den tatsächlichen Zielmarkt auf der Grundlage seiner Informationen und Kenntnisse in Bezug auf den eigenen Kundenstamm unter Verwendung der allgemeineren Betrachtung des Konzepteurs definieren.11 • Ist es notwendig, die Bestimmung eines eigenen Zielmarktes zu dokumentieren, obwohl der Konzepteur des Finanzinstrumentes einen solchen im Rahmen seiner Produktfreigabe bereits bestimmt und dem Vertriebsunternehmen gegenüber mitgeteilt hat? Ist es bspw. ausreichend, dass der Konzepteur bei einem Vertrieb von Finanzinstrumenten an Privatkunden den Zielmarkt im Basisinformationsblatt gemäß PRIIPVerordnung12 (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) bereits schriftlich fixiert hat? Unter Verweis auf die Antwort zur vorstehenden Fragestellung resultiert die differenzierte Betrachtungsweise und Heranziehung von zusätzlichen Anforderungen durch das Vertriebsunternehmen in einer Dokumentationsanforderung, um die Pflicht zur Berücksichtigung der eigenen zusätzlichen detaillierteren Kriterien im Rahmen der Zielmarktbeurteilung gegenüber den Aufsichtsbehörden nachweisen zu können. • Besteht für Vertriebsunternehmen die Möglichkeit eines technisch automatisierten Zielmarktabgleichs mit den Vorgaben des Konzepteurs, mittels dessen auch eine Dokumentation des Zielmarktes erfolgt? Vorliegende Fragestellung ist insbesondere für nicht lediglich regional, sondern national bzw. auch international tätige Vertriebsunternehmen mit einer sehr hohen Anzahl von vertriebenen Finanzinstrumenten relevant. Es bestünde für Vertriebsunternehmen in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, für Produktmerkmale und Produktstrukturen systemseitig Zielmarktkriterien zu hinterlegen, die automatisch mit den bereits vorhandenen Zielmarktkriterien des Konzepteurs abgeglichen werden. Im Fall einer Übereinstimmung würde dies vor der Veräußerung des Finanzinstrumentes an den Endkunden systemseitig dokumentiert werden. Im Fall einer Abweichung würde dagegen eine automatische „Überschreibung“ der Zielmarktkriterien entsprechend der vom Vertriebsunternehmen systemseitig hinterlegten Zielmarktkriterien erfolgen.

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 36. Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP).

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In Bezug auf den Konzepteur enthalten die Leitlinien der ESMA hierzu den Hinweis, dass insbesondere Dienstleistungen für den Massenmarkt eine Automatisierung von Prozessen erforderlich machen können.13 Eine gleichlautende Aussage in Bezug auf die Automatisierung der Prozesse von Vertriebsunternehmen ist den Leitlinien der ESMA nicht zu entnehmen. In diesem Zusammenhang stellt die ESMA lediglich allgemein fest, dass die Product-Governance-Anforderungen dem Grundsatz der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit unterliegen.14 • Ist es für ein Vertriebsunternehmen möglich, ein Finanzinstrument außerhalb des „positiven Zielmarktes“ zu veräußern? Im Einzelfall können Situationen auftreten, in denen Finanzinstrumente unter bestimmten Umständen unter Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen außerhalb des „positiven Zielmarktes“ veräußert werden können.15 Entsprechende Einzelfälle müssen jedoch gerechtfertigt sein und insbesondere im Rahmen einer Anlageberatung auch in der Geeignetheitserklärung dokumentiert werden.16 Ein Verkauf von Finanzinstrumenten außerhalb des „positiven Zielmarktes“ sollte sehr selten vorkommen und die Rechtfertigung für die Abweichung signifikant sein. Die Anforderungen an die Dokumentation für die Rechtfertigung einer Abweichung vom „negativen Zielmarkt“ sind höher, als bei einer Veräußerung im „Graubereich“.17 • Müssen die neuen Product-Governance-Vorgaben auch gegenüber professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien berücksichtigt werden? Die neuen Product-Governance-Anforderungen sind auch gegenüber professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien zu berücksichtigen.18 Hierbei sind die Vertriebsunternehmen berechtigt davon auszugehen, dass professionelle Kunden über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um die Risiken der Finanzinstrumente zu verstehen, für die sie als professioneller Kunde eingestuft wurden.19

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 13. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 11. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 70. Dies gilt nicht für einen „negativen Zielmarkt“, der aufgrund einer Produktintervention seitens einer Aufsichtsbehörde bestimmt wurde. Weiterführende Informationen hierzu in Abschnitt 2.3. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 71. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 75. Anhang II zur MiFID II.

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Die MiFID II differenziert hierbei jedoch zwischen geborenen und gekorenen professionellen Kunden und gibt in diesem Zusammenhang vor, dass die gekorenen professionellen Kunden nicht über die mit einem geborenen professionellen Kunden vergleichbaren Kenntnisse und Erfahrungen zu Finanzinstrumenten verfügen.20 Einzelne Finanzinstrumente haben einen breiteren Zielmarkt, der neben Privatkunden auch die über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügende Zielkundengruppe der professionellen Kunden umfasst. Folglich kann deshalb standardmäßig davon ausgegangen werden, dass eine sich an die Zielkundengruppe Privatkunden richtende Zielgruppendefinition standardmäßig den Zielmarkt der versierteren professionellen Kunden mit einschließt.21 • Was ist bei der Zielmarktbestimmung zu berücksichtigen, wenn das Vertriebsunternehmen im Rahmen der Anlageberatung die Geeignetheit nicht aufgrund jedes einzelnen Finanzinstrumentes beurteilt, sondern den Portfolio-Ansatz berücksichtigt? Gelten entsprechende Anforderungen auch im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung oder bei Geschäften zu Absicherungszwecken? Vertriebsunternehmen können im Rahmen einer Anlageberatung unter Berücksichtigung des Portfolio-Ansatzes wie auch der Finanzportfolioverwaltung Finanzinstrumente zur Portfolio-Diversifizierung oder Absicherung einsetzen. In diesem Zusammenhang dürfen Finanzinstrumente auch außerhalb des definierten Zielmarktes veräußert werden, wenn das Portfolio als Ganzes oder die Kombination eines Finanzinstrumentes gemeinsam mit dem entsprechenden Absicherungsgeschäft für den Kunden insgesamt geeignet ist.22 Die Bestimmung eines Zielmarktes durch das Vertriebsunternehmen erfolgt unbeschadet einer nachgelagerten Geeignetheitsprüfung. Aufgrund des Abstellens auf einen gesamten Zielmarkt ohne die Berücksichtigung der Eignung auf Einzelkundenebene können in Bezug auf eine Portfolio-Betrachtung zulässige Abweichungen bestehen.23 Im Zusammenhang mit den vorgenannten Geschäftsabschlüssen ist ein Vertriebsunternehmen nicht verpflichtet, dem Konzepteur einen Verkauf im „Graubereich“ zu melden, wenn die Verkäufe Diversifizierungs- und Absicherungszwecken dienen und unter Berücksichtigung des Gesamt-Portfolios sowie des abzusichernden Risikos

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 81. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 83. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 52. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 53.

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noch geeignet sind.24 Anders verhält sich dies jedoch bei einem Verkauf von Finanzinstrumenten zu Diversifizierungs- oder Absicherungszwecken in den „negativen Zielmarkt“. Entsprechende Verkäufe sind dem Konzepteur immer zu berichten und offenzulegen und sollten nur selten vorkommen.25 • Gelten die neuen Product-Governance-Anforderungen auch, wenn ein Vertriebsunternehmen Produkte von einem Konzepteur mit Sitz in einem Drittstaat vertreibt? Die Product-Governance-Anforderungen gelten auch für Produkte von Konzepteuren mit Sitz in einem Drittstaat und unabhängig davon, ob diese auf dem Primär- oder Sekundärmarkt veräußert werden.26 Aufgrund des Interesse von Konzepteuren aus Drittstaaten, den Vertrieb ihrer Finanzinstrumente über Vertriebsunternehmen an Kunden mit Sitz in einem MiFID-Staat auch nach dem 03.01.2018 aufrechtzuerhalten, werden die Product-Governance-Anforderungen größerer Emissionshäuser in der Praxis üblicherweise auf freiwilliger Basis umgesetzt. Aus diesem Grund ist die vorstehende Fragestellung eher von untergeordneter Bedeutung. Sofern dies jedoch nicht der Fall sein sollte, müssen die Vertriebsunternehmen selbst in Bezug auf die Product-Governance-Anforderungen nach MiFID II hinsichtlich Finanzinstrumenten von Konzepteuren mit Sitz in einem Drittstaat ein entsprechendes angemessenes regulatorisches Niveau erfüllen.27 In Bezug auf die Zielmarktdefinition bedeutet dies bspw., dass das Vertriebsunternehmen ohne eine entsprechende Vorgabe seitens des Konzepteurs seinen eigenen Zielmarkt definieren und in diesem Zusammenhang sicherstellen muss, dass es sämtliche hierfür erforderlichen Informationen vom Konzepteur erhält.28 Erlangt ein Vertriebsunternehmen nicht die notwendigen Informationen und kann es somit seinen Anforderungen gemäß MiFID II nicht nachkommen, muss es von der Aufnahme des Produkts in sein Produktsortiment absehen.29

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 54. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 55. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 62. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 60. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 61. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 63.

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Product Governance in Vertriebsunternehmen

• Sind die Product-Governance-Anforderungen auch auf Produkte anzuwenden, die vor dem 03.01.2018 emittiert wurden und über den Sekundärmarkt vertrieben werden? Vor dem 03.01.2018 konzipierte und vertriebene Produkte sollten nicht in den Geltungsbereich der Product-Governance-Anforderungen fallen.30 In Bezug auf die vor dem 03.01.2018 konzipierten, jedoch erst danach über den Sekundärmarkt an Anleger vertriebene Produkte kommen die neuen Product-Governance-Anforderungen gemäß MiFID II jedoch zur Anwendung. Insbesondere muss für die hiervon betroffenen Produkte vor einer Veräußerung ein Zielmarkt bestimmt werden. In der Praxis sollten die Vertriebsunternehmen so vorgehen, als wäre der Konzepteur ein Unternehmen aus einem Drittstaat, welcher die Product-Governance-Anforderungen nach MiFID II nicht berücksichtigen muss.31

2.2 Festlegung Vertriebsstrategie Analog zu den Vorgaben der Bestimmung eines Zielmarktes müssen Vertriebsunternehmen ebenfalls dafür Sorge tragen, dass die beabsichtigte Vertriebsstrategie zu einem Produkt oder einer Dienstleistung dem definierten Zielmarkt entspricht (Art. 10 Abs. 2 S. 1 Delegierte Richtlinie (EU)). Als mögliche Vertriebsstrategien kommen die Anlageberatung, das beratungsfreie Geschäft (mit Angemessenheitsprüfung), das reine Ausführungsgeschäft (Execution Only) sowie die Finanzportfolioverwaltung in Betracht. Analog zu der Anforderung an ein Vertriebsunternehmen, neben dem Konzepteur einen eigenen Zielmarkt zu definieren, muss dieses auch eine eigene Vertriebsstrategie unter Berücksichtigung der Informationen über seinen eigenen Kundenstamm und die Art der erbrachten Dienstleistung festlegen.32 So könnte sich das Vertriebsunternehmen bspw. dazu entschließen, einen vorsichtigeren Vertriebsansatz zu verfolgen, indem es für den Vertrieb eines Finanzinstrumentes die Anlageberatung fordert.33 Die Anlageberatung wird in diesem Zusammenhang seitens

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 64. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 65. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 49. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 50.

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der ESMA gegenüber dem beratungsfreien Geschäft (mit Angemessenheitsprüfung) und dem reinen Ausführungsgeschäft (Execution Only) als Vertriebsstrategie mit dem höchsten Anlegerschutzniveau angesehen. Dies wird damit begründet, dass der Kunde im Rahmen einer Anlageberatung über die Funktionsweise und die Risiken aufgeklärt und eine Geeignetheitsprüfung durchgeführt wird. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, nach einer ausführlichen Analyse des Zielmarktes und des Produkts für ein bestimmtes Kundensegment einen den Zielkunden weniger schützenden Vertriebsweg zu wählen und das Finanzinstrument bspw. anstatt im Rahmen der Anlageberatung über Vertriebsplattformen mit reinem Ausführungsgeschäft anzubieten.34

2.3 Produktinterventionen Ebenfalls in das Produktfreigabeverfahren integriert sein sollte ein Prozess, der bestehende Produktinterventionen seitens der Aufsichtsbehörden berücksichtigt. Auf europäischer Ebene ergeben sich die Befugnisse der ESMA und der European Banking Authority (EBA) zu Produktinterventionen aus Art. 39 ff. Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR).35 Diese gelten seit dem 03.01.2018. Daneben bestehen weitere Produktinterventionsrechte seitens der nationalen Aufsichtsbehörden. So besitzt bspw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) ein Produktinterventionsrecht aufgrund der nationalen Regelung des § 15 Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG). Sofern eine Produktintervention zu einem Finanzinstrument bestehen sollte, ist dies im Rahmen der Zielmarktdefinition zu berücksichtigen. Hierzu veröffentlichte bspw. die ESMA am 18.03.2018 auf ihrer Homepage eine Konsultation zu einer Produktintervention zu Contracts for Differences (CFDs) sowie binären Optionen.36 Geplant sind u.a. ein Verbot von Vermarktung, Vertrieb und Verkauf von binären Optionen. In Bezug

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 51. Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012. ESMA, Call for evidence, Potential product intervention measures on contracts for differences and binary options to retail clients, 18 January 2018.

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Product Governance in Vertriebsunternehmen

auf das Angebot von CFDs werden Hebelbeschränkungen, automatische Verlustbegrenzungen, Nachschusspflichtverbote, Vermarktungsbeschränkungen und eine standardisierte Risikowarnung erwogen. Sollte es in diesem Zusammenhang zu Produktinterventionen in Bezug auf den Vertrieb von CFDs und binären Optionen für Privatkunden kommen, müssten Privatkunden in Bezug auf die vorgenannten Konstellationen in den „negativen Zielmarkt“ aufgenommen werden. In diesem Fall ist ein Vertrieb außerhalb des „positiven Zielmarktes“, der grundsätzlich in Einzelfällen zulässig sein kann, ausgeschlossen.37 Ein Produktvertrieb an einen Privatkunden könnte in diesem Fall auch nicht im Rahmen einer Anlageberatung nach einer ausführlich dokumentierten Begründung in der Geeignetheitserklärung für einen vermeintlich zulässigen Ausnahmefall erfolgen. Im Fall eines grenzüberschreitenden Produktvertriebes, wie dies bei Großbanken und Privatbanken in Grenzregionen oftmals üblich ist, sind neben den Produktinterventionen der nationalen Aufsichtsbehörden sowie der ESMA und EBA zusätzlich die Produktinterventionen von Aufsichtsbehörden weiterer Staaten zu berücksichtigen. Bspw. besteht aufgrund einer Produktintervention seitens der Bafin in Bezug auf CFDs mit einer Nachschusspflicht seit dem 10.08.2017 ein Verbot des Vertriebs entsprechender Produkte an Privatkunden.38 Die internen Prozesse zum Produktfreigabeverfahren sind von Vertriebsunternehmen mit einem grenzüberschreitenden Produktvertrieb deshalb so auszugestalten, dass auch die Produktinterventionen der weiteren nationalen Aufsichtsbehörden berücksichtigt werden, in deren Länder ebenfalls ein Vertrieb von Produkten an Zielkunden erfolgt. In den Fällen, in denen Produktverbote nur für einzelne Zielkundengruppen bestehen, ist vom Vertriebsunternehmen mittels einer entsprechenden Ausgestaltung der internen Product-Governance-Prozesse sicherzustellen, dass die betroffenen Finanzinstrumente ausschließlich die Zielkundengruppen erreichen, die nicht durch ein Produktverbot betroffen sind. Idealerweise sollte die Berücksichtigung von Produktinterventionen systemseitig unterstützt sein. So besteht bspw. die Möglichkeit, entsprechende Kennziffern zu den von einer Aufsichtsbehörde ausgesprochenen Produktinterventionen zu den betroffenen Finanzinstrumenten systemseitig in den Wertpapiermanagementsystemen der unterschiedlichen Anbieter zu hinterlegen.

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Weiterführende Informationen hierzu in Abschnitt 2.1. Allgemeinverfügung gemäß § 4b Abs. 1 WpHG bezüglich CFDs, Bafin, 08.05.2017. Die Allgemeinverfügung wurde auf der Homepage der Bafin veröffentlicht.

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Die Einhaltung von Produktinterventionen seitens der Aufsichtsbehörden im Rahmen der Zielmarktdefinition wie auch die Berücksichtigung beim Produktvertrieb ist von den Vertriebsunternehmen in die internen Prüfungs- und Überwachungshandlungen aufzunehmen. Auch im Rahmen der regelmäßig durchzuführenden Produktüberwachungsprozesse sollten entsprechende Prüfungs- und Überwachungshandlungen in Bezug auf neue oder modifizierte Produktinterventionen seitens der Aufsichtsbehörden implementiert sein.39

3 Interessenkonflikte Art. 16 Abs. 2 MiFID II bestimmt, dass eine Wertpapierfirma auf Dauer wirksame organisatorische und verwaltungsmäßige Vorkehrungen für angemessene Maßnahmen treffen muss, um zu verhindern, dass Interessenkonflikte i.S.d. Art. 23 MiFID II den Kundeninteressen schaden. In Art. 23 MiFID II sind die allgemeinen Anforderungen an den Umgang mit Interessenkonflikten geregelt. Ein Vertriebsunternehmen muss auch im Rahmen seiner Product-Governance-Prozesse für einen ordnungsgemäßen Umgang mit Interessenkonflikten sorgen. Etwaige bestehende Interessenkonflikte sind entsprechend zu dokumentieren und ggf. offenzulegen. Zu besonderer Sorgfalt ist ein Vertriebsunternehmen verpflichtet, wenn Endkunden neue Finanzinstrumente oder Dienstleistungen angeboten werden sollen. Weiterführend enthält Art. 10 Abs. 2 S. 2 Delegierte Richtlinie (EU) im Zusammenhang mit den Product-Governance-Anforderungen die Vorgabe, dass die Kundeninteressen nicht aufgrund kommerziellen oder finanziellen Drucks beeinträchtigt werden dürfen. Folglich sind unangemessen hohe Anreize monetärer Art gegenüber Anlageberatern, die zu einem Fehlvertrieb von Finanzinstrumenten führen könnten, zu unterlassen. Erhebliche Interessenkonflikte bestehen aus Sicht der ESMA bspw., wenn Produkte vom Vertreiber selbst oder anderen Konzerneinheiten emittiert werden.40 Ein weiteres Beispiel für einen Interessenkonflikt stellt der Umstand dar, dass ein Vertriebsunternehmen Finanzinstrumente von nur einem Konzepteur in seine Produktpalette aufgenommen hat. Ebenfalls relevant ist die Bevorzugung einzelner Produktgruppen in den internen Empfehlungslisten der Vertriebsunternehmen, die typischerweise höhere Kosten ausweisen als vergleichbare Produktgruppen mit einer für den Kunden günstigeren Kostenstruktur.

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Weiterführende Informationen hierzu in Abschnitt 5. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 40.

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Product Governance in Vertriebsunternehmen

4 Informationspflichten Art. 10 Abs. 9 Delegierte Richtlinie (EU) enthält die Vorgabe für die Mitgliedstaaten, dass diese im Rahmen ihrer Gesetzgebung zur Umsetzung der Anforderungen der MiFID II sicherstellen, dass die Vertriebsunternehmen den Konzepteuren Informationen über die Verkäufe übermitteln. Außerdem sind, sofern angebracht, auch Informationen zu den fortlaufenden Produktüberwachungen des Vertriebsunternehmens zu übermitteln, um die von den Konzepteuren durchgeführten Produktüberprüfungen zu unterstützen. Hierbei kann es sich bspw. um Informationen handeln, die Anhaltspunkte dafür liefern, dass der Zielmarkt für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung falsch identifiziert wurde oder das Produkt oder die Dienstleistung nicht mehr den Umständen des identifizierten Zielmarktes entspricht. Solche Informationen unterliegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und können grundsätzlich in aggregierter Form vorliegen und müssen nicht notwendigerweise auf Einzelinstrumentenebene oder Einzelverkaufsbasis erfolgen. Allerdings sollten instrumentenspezifische Informationen in Fällen mit besonderer Bedeutung für bestimmte Einzelinstrumente (z.B. wenn der Vertreiber zu dem Schluss kommt, dass ein Zielmarkt für ein bestimmtes Produkt zu Unrecht bestimmt wurde) bereitgestellt werden.41 Im Hinblick auf die Lieferung von Informationen über Verkäufe außerhalb des Zielmarktes sollten die Vertriebsunternehmen in der Lage sein, dem Konzepteur alle Entscheidungen, die sie bezüglich eines Verkaufs außerhalb des Zielmarktes oder zur Ausweitung der Vertriebsstrategie im Vergleich zu den Empfehlungen des Konzepteurs getroffen haben, zur Verfügung zu stellen. Neben den dokumentierten Entscheidungen zu bewussten Abweichungen gilt dies auch für Informationen zu durchgeführten Verkäufen außerhalb des Zielmarktes oder der Vertriebsstrategie.42 Für Vertriebsunternehmen in Deutschland gelten vorgenannte Informationspflichten gegenüber den Konzepteuren bspw. mit der Maßgabe, dass dem Konzepteur die Informationen nur auf deren Anfrage übermittelt werden müssen.43

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 58. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 59. § 12 Abs. 11 WpDVerOV.

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5 Produktüberwachungsprozess Aus Art. 16 Abs. 3 S. 4 MiFID II ergibt sich die Pflicht der Vertriebsunternehmen, die vertriebenen Finanzinstrumente regelmäßig zu überprüfen und hierbei alle Ereignisse zu berücksichtigen, die wesentlichen Einfluss auf das potenzielle Risiko für den bestimmten Zielmarkt haben könnten. Außerdem muss das Vertriebsunternehmen gemäß Art. 16 Abs. 3 S. 4 MiFID II zumindest beurteilen, ob das Finanzinstrument weiterhin den Bedürfnissen des bestimmten Zielmarktes entspricht und ob die beabsichtigte Vertriebsstrategie immer noch geeignet ist. In diesem Zusammenhang sollen die Vertriebsunternehmen Daten und Informationen berücksichtigen, die Anhaltspunkte dafür liefern, dass sie den Zielmarkt für ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung falsch identifiziert haben oder dass das Produkt oder die Dienstleistung nicht mehr den Umständen des identifizierten Zielmarktes entspricht.44 Im Rahmen der Produktüberwachungsprozesse lassen sich demnach insgesamt vier unterschiedliche Prüfungszielrichtungen identifizieren. Zum einen geht es um die Veränderung produktbezogener Merkmale wie auch um die Prüfung von Abweichungen des ursprünglich definierten Zielmarktes sowie der gewählten Vertriebsstrategie. Zum anderen sind auch neue oder modifizierte Produktinterventionen seitens der Aufsichtsbehörden, die sich unmittelbar und ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens auf die Zielmarktdefinition auswirken können, zu berücksichtigen. Abbildung 2: Zielrichtungen des Produktüberwachungsprozesses

Produktüberwachungsprozess

Geschäftsbereiche Insgesamt vier unterschiedliche Zielrichtungen des Produktüberwachungsprozesses

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Veränderungen produktbezogene Merkmale

Zielmarkt weiterhin geeignet

Vertriebsstrategie weiterhin geeignet

neue/modifizierte Produktinterventionen

ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 58.

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Product Governance in Vertriebsunternehmen

In Bezug auf das Produkt ergeben sich relevante Veränderungen bspw. durch eine eingetretene Illiquidität oder sehr hohe Volatilität.45 Ebenfalls in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind wesentliche Anpassungen bereits bestehender Finanzinstrumente, deren Eintritt zu einem erneuten Durchlaufen des Produktfreigabeprozess inklusive der Überprüfung der Definition des ursprünglichen Zielmarktes sowie der Vertriebsstrategie führen würde.46 Eine wesentliche Anpassung eines bestehenden Produktes könnte bspw. gegeben sein, wenn einer der Wertentwicklung eines Finanzinstrumentes zugrundeliegende Basiswert während der Laufzeit nicht mehr fortbesteht und seitens des Konzepteurs durch einen neuen Basiswert im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Vorgaben ersetzt wird. Ob ein Zielmarkt oder eine Vertriebsstrategie weiterhin geeignet sind, lässt sich bspw. aufgrund vermehrt auftretender Abweichungen beim Vertrieb von Finanzinstrumenten zum ursprünglichen Zielmarkt oder der Vertriebsstrategie ermitteln. Diesbezüglich sollten Prozesse implementiert sein, die entsprechende Informationen zumindest in aggregierter Form und nicht notwendigerweise auf Einzelinstrumentenebene erheben. Ebenfalls zur Überprüfung der Richtigkeit der ursprünglichen Bestimmung des Zielmarktes sowie der Vertriebsstrategie oder der fortlaufenden Geeignetheit kann die Analyse von Kundenbeschwerden zu Finanzinstrumenten herangezogen werden. Abweichungen wie auch Beschwerden sind zu berücksichtigen, wenn diese bspw. im Hinblick auf die Anzahl der betroffenen Kunden zu einem bedeutenden Phänomen geworden sind.47 Ebenfalls im Rahmen der Produktüberwachungsprozesse berücksichtigt werden sollten neue oder modifizierte Produktinterventionen seitens der Aufsichtsbehörden. Im Gegensatz zu den vorgenannten Überwachungshandlungen wird es jedoch nicht ausreichend sein, diesbezüglich auf einen regelmäßigen Prüfungsturnus abzustellen. Entsprechende Produktinterventionen seitens der Aufsichtsbehörden sind i.d.R. bereits mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung von den Vertriebsunternehmen zu berücksichtigen. In der Praxis ist davon auszugehen, dass sich bezüglich der Berücksichtigung neuer oder modifizierter Produktinterventionen systembasierte Lösungen durchsetzen, wie dies bspw. mittels entsprechender hinterlegter Kennziffern zu den jeweiligen Finanzinstrumenten in den Wertpapiermanagementsystemen der verschiedenen Anbieter erfolgen kann.

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ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 58. Vgl. Art. 16 Abs. 3 S. 2 MiFID II. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, Nr. 73.

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Anika Feger

Sofern die fortlaufende Berücksichtigung von Produktinterventionen über vollautomatisierte systembasierte Wertpapiermanagementsysteme erfolgt, sollten die systemseitigen Prozesse in der internen Organisationsanweisung des Vertriebsunternehmens beschrieben sein und der Anbieter des Wertpapiermanagementsystems mittels eines AuslagerungsControlling regelmäßig überwacht werden.

6 Sachkundeanforderungen Art. 10 Abs. 7 Delegierte Richtlinie (EU) schreibt den Mitgliedstaaten vor, gegenüber den Wertpapierfirmen sicherzustellen, dass die maßgeblichen Mitarbeiter über die notwendige Sachkenntnis verfügen, um die Merkmale und Risiken der Produkte, die sie anbieten oder empfehlen wollen, der erbrachten Dienstleistungen sowie der Bedürfnisse, Merkmale und Ziele des bestimmten Zielmarktes zu verstehen. Neben der Kenntnis zur Funktionsweise einzelner Produktstrukturen ist somit insbesondere auch das Verständnis zu den einzelnen sich aus einem bestimmten Finanzinstrument für den Kunden ergebenden Risiken zwingend erforderlich. In der Praxis wird es sich bei den maßgeblichen Mitarbeitern insbesondere um solche des Bereiches Produktmanagement, Mitglieder von Produktkomitees oder auch um Mitarbeiter handeln, die im Private-Banking-Segment außerhalb des Produktspektrums etwaig vorhandener interner Empfehlungslisten Anlageberatungen gegenüber Kunden durchführen und selbst einzelfallbezogen einen Produktfreigabeprozess durchlaufen oder entsprechende beratungsfreie Orderaufträge von Kunden annehmen. Neben den Kenntnissen zu Finanzinstrumenten sowie deren Risiken ist folglich insbesondere die Sachkunde zu den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen des bestimmten Zielmarktes von Relevanz. Um die aufsichtsrechtlichen Erfordernisse an die Sachkunde zu erfüllen, könnte neben dem allgemeinen Erfordernis an die Kenntnisse zur Funktionsweise und den Risiken von Finanzinstrumenten insbesondere im Rahmen interner Schulungen den relevanten Mitarbeitern vermittelt werden, in welchem Ausmaß und mit welcher Begründung Kundenbeschwerden zu einzelnen Finanzinstrumenten seitens der Endkunden eingegangen oder Rechtsstreitigkeiten entstanden sind. Neben einer Information der Mitarbeiter über die von den Aufsichtsbehörden ausgesprochenen Produktverbote sind entsprechende Maßnahmen geeignet, ein Verständnis der Mitarbeiter dafür zu entwickeln, welche Finanzinstrumente für welche Zielkundengruppen geeignet sind. Die Schulungskonzepte für die Mitarbeiter der Vertriebsunternehmen sollten darüber hinaus zur Sicherstellung der Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen die jeweiligen Prozessschritte der implementierten Produktfreigabeverfahren sowie der

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Product Governance in Vertriebsunternehmen

Produktüberwachungsprozesse enthalten. Ebenfalls empfiehlt es sich, die Mitarbeiter regelmäßig zu den aufsichtsrechtlichen Product-Governance-Anforderungen im Allgemeinen zu unterrichten. Sofern in den Vertriebsunternehmen aufgrund bereits bestehender aufsichtsrechtlicher Anforderungen Schulungskonzepte vorhanden sind, sollte geprüft werden, inwiefern die neuen Anforderungen gemäß MiFID II in die bereits bestehenden Prozesse integriert bzw. in welchem Umfang Modifikationen bereits bestehender Prozesse vorgenommen werden können. So müssen bspw. in Wertpapierdienstleistungsunternehmen in Deutschland bereits seit dem 21.12.2011 Anlageberater bestimmte Sachkundevoraussetzungen erfüllen, die u. a. auch Kenntnisse zu Finanzinstrumenten und deren Funktionsweise sowie Risiken umfassen.

7 Verantwortlichkeiten Abbildung 3 gibt einen Gesamtüberblick zu den verschiedenen Verantwortlichkeiten in Bezug auf die internen Product-Governance-Prozesse von Vertriebsunternehmen. Neben den vorstehend beschriebenen Anforderungen an die Geschäftsbereiche sind auch die Compliance-Funktion und die Geschäftsleitung in den neuen Product-GovernanceRegularien explizit erwähnt.

Verantwortlichkeiten Product Governance

Abbildung 3: Verantwortlichkeiten Product-Governance-Prozesse Geschäftsleitung

Revision

Gesamthafte Überwachung Produktüberwachungsprozess und Zurverfügungstellung Compliance-Berichte an Aufsicht

Ex-postPrüfungen

Compliance Ex-post-Überwachungshandlungen/ Berichterstattung Compliance-Berichte

Zurverfügungstellung von Informationen für die Erstellung der Compliance-Berichte

Geschäftsbereiche Produktfreigabeverfahren und Produktüberwachungsprozess/ Berücksichtigung Interessenkonflikte/Einhaltung Informationspflichten/Sicherstellung Sachkundeanforderungen

Nach Art. 10 Abs. 6 Delegierte Richtlinie (EU) verpflichten die Mitgliedstaaten die Wertpapierfirmen sicherzustellen, dass ihre Compliance-Funktion die Entwicklung und regelmäßige Überprüfung der Produktüberwachungsvorkehrungen kontrolliert, damit jegliches Risiko, dass die Wertpapierfirma die in diesem Artikel festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllt, erkannt wird. Aus Art. 22 Abs. 2 der unmittelbar anwendbaren

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Anika Feger

Delegierten Verordnung (EU) 2017/56548 ergibt sich, dass der Compliance-Funktion eine überwachende, beratende und berichtende Rolle zukommt. In die operativen Prozesse selbst ist die Compliance-Funktion nicht eingebunden. Gemäß Art. 10 Abs. 8 S. 2 Delegierte Richtlinie (EU) stellen die Wertpapierfirmen sicher, dass die Compliance-Berichte an das Leitungsorgan systematisch auch Informationen über die von der Wertpapierfirma angebotenen oder empfohlenen Produkte und die erbrachten Dienstleistungen enthalten. Zur Umsetzung dieser Anforderungen empfiehlt es sich in der Praxis, eine interne Berichtspflicht der Geschäftsbereiche an Compliance mit den für den Compliance-Bericht erforderlichen Informationen zu implementieren. Die Geschäftsbereiche sind die Organisationseinheit in den Vertriebsunternehmen, welche über die vorgenannten Informationen inklusiver der entsprechenden Auswertungsmöglichkeiten verfügen und selbige üblicherweise auch für die Durchführung der eigenen Produktüberwachung benötigen. Die zur Verfügung gestellten Informationen könnten bspw. als Anlage mit in die Compliance-Berichte aufgenommen werden. Eine Überwachungshandlung der Compliance-Funktion könnte bspw. darin bestehen, dass etwaige Produktinterventionen seitens der Aufsichtsbehörden zum Zeitpunkt der Bestimmung des Zielmarktes berücksichtigt wurden. Ebenfalls bspw. regelmäßig seitens der Compliance-Funktion überwacht werden sollte, inwiefern der individuelle Endkunde im Rahmen einer Anlageberatung dem definierten Zielmarkt zum Zeitpunkt der Anlageempfehlung entsprochen hat. Im Fall einer Abweichung müsste eine plausible ausführliche Begründung für eine Empfehlung außerhalb des Zielmarktes in der Geeignetheitserklärung dokumentiert worden sein. In Bezug auf die Verantwortlichkeit der Leitungsorgane verpflichten die Mitgliedstaaten die Vertriebsunternehmen sicherzustellen, dass diese eine tatsächliche Kontrolle über den Produktüberwachungsprozess der Firma ausüben (Art. 10 Abs. 8 S. 1 Delegierte Richtlinie (EU)). Auf Verlangen der zuständigen Behörden werden diesen die ComplianceBerichte zur Verfügung gestellt (Art. 10 Abs. 8 S. 3 Delegierte Richtlinie (EU)).

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Delegierte Verordnung (EU) der Kommission vom 25. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie.

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Product Governance in Vertriebsunternehmen

8 Zusammenfassung/Fazit Für die Vertriebsunternehmen besteht mit den neuen Product-Governance-Vorgaben der Vorteil, dass künftig auch die Konzepteure in die Verantwortung genommen werden, bereits zu Beginn der Prozesskette für einen Vertrieb von Produkten an die richtigen Zielkunden Sorge zu tragen. Bislang lag diesbezüglich zumindest im Rahmen der Anlageberatung die aufsichtsrechtliche Verantwortung bei dem die Geeignetheitsprüfung durchführenden Vertriebsunternehmen. Im Ergebnis sind wirksame Product-Governance-Prozesse inklusive des Einsatzes sachkundiger Mitarbeiter für Vertriebsunternehmen ein geeignetes Mittel zur Verhinderung eines Fehlvertriebes von Produkten gegenüber den Endkunden. Sie setzen sinnvollerweise bereits beim Konzepteur an und regulieren somit den gesamten Vertriebsprozess von der Herstellung eines Finanzinstrumentes über den Vertrieb durch Vertriebsunternehmen bis hin zum Endkunden.

Quellen Bafin, Allgemeinverfügung gemäß § 4b Abs. 1 WpHG bezüglich Contracts for Difference (CFDs), 08.05.2017. Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 der Kommission vom 7. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den Schutz der Finanzinstrumente und Gelder von Kunden, Produktüberwachungspflichten und Vorschriften für die Entrichtung beziehungsweise Gewährung oder Entgegennahme von Gebühren, Provisionen oder anderen monetären oder nicht-monetären Vorteilen. Delegierte Verordnung (EU) der Kommission vom 25. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie. ESMA, Call for evidence, Potential product intervention measures on contracts for differences and binary options to retail clients, 18 January 2018. ESMA, Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018.

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MiFID-II.book Seite 444 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

Anika Feger

Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, veröffentlicht am 12. Juni 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union. Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte. Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten Henning Bergmann

1 Einleitung 2 Europäische und nationale Grundlagen der Product-Governance-Regulierung 3 Anwendungsbereich 3.1 Begriff des Konzepteurs 3.2 Gemeinsame Herstellung 3.3 Finanzinstrumente 3.4 Professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien 3.5 Zeitlicher Anwendungsbereich 4 Bestimmung des Zielmarkts 4.1 Überblick 4.2 Zielmarktkonzept (DK/DDV/BVI-Verbändekonzept) 4.2.1 Charakter 4.2.2 Einzelproduktbetrachtung 4.2.3 Positiver und negativer Zielmarkt/Graubereich 4.3 Kategorien des Zielmarktkonzepts 4.3.1 Angabe der Produktkategorie 4.3.2 Kundenkategorie 4.3.3 Kenntnisse und Erfahrungen 4.3.4 Finanzielle Verlusttragfähigkeit 4.3.5 Risikobewertung des Finanzinstruments 4.3.6 Risiko- und Renditeprofil nach PRIIPs 4.3.7 Anlageziele des Kunden 4.3.8 Anlagehorizont des Kunden 4.3.9 Ggf. spezielle Anforderungen im Einzelfall (optional) 4.3.10 Vertriebsstrategie/Vertriebsweg 4.4 Information über den Zielmarkt

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MiFID-II.book Seite 446 Mittwoch, 23. Mai 2018 3:21 15

5 Product-Governance-Prozess bei Emittenten 5.1 Produktfreigabeverfahren 5.1.1 Gegenstand des Produktfreigabeverfahrens 5.1.2 Zweistufiges Verfahren 5.1.3 Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit 5.1.4 Verhinderung negativer Auswirkungen auf Endkunden 5.1.5 Analyse konkreter Interessenkonfliktlagen 5.1.6 Marktintegrität; Ausschluss von Gefahren für Finanzmärkte 5.1.7 Bestimmung eines Zielmarkts 5.1.8 Bestimmung der Vertriebsstrategie 5.1.9 Szenarioanalyse (Product Testing) 5.1.10 Prüfung der Kostenstruktur 5.1.11 Bestimmung zentraler Ereignisse 5.1.12 Informationsweitergabe an Vertriebsunternehmen 5.2 Regelmäßige Überprüfung 5.2.1 Fortlaufende Überprüfung/Rückmelderegime 5.2.2 Ergreifung von Maßnahmen 5.3 Allgemeine organisatorische Maßnahmen 5.3.1 Verfahren und Maßnahmen betreffend Interessenkonflikte 5.3.2 Sachkenntnis der Mitarbeiter 5.3.3 Einbindung der Compliance-Funktion 5.3.4 Einbindung der Geschäftsführung und der Aufsicht 5.3.5 Informationsweitergabe an die Aufsicht 5.3.6 Zusammenarbeit mit Dritten

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1 Einleitung Mit der Product Governance nach der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II),1 konkretisiert in der MiFID-Durchführungsrichtlinie (MiFID-DRL)2 hat der europäische Gesetzgeber ein umfangreiches neues System eingeführt, das erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Wertpapiergeschäft hat. Ziel der neuen Pflichten zur Product Governance ist es, durch organisatorische Regelungen frühzeitig den Anlegerschutz bei neu aufgelegten Finanzinstrumenten sicherzustellen3 und der Gefahr entgegenzuwirken, dass der Kunde ein Produkt erhält, das nicht seinen Interessen entspricht.4 Die neuen Vorgaben haben erhebliche Bedeutung für den Vertrieb von Finanzinstrumenten sowie für das Zusammenspiel von Produktentwicklern und vertreibenden Stellen.5 Dabei bestehen unterschiedliche Pflichten für die herstellende als auch für die vertreibende Seite von Finanzinstrumenten. Gemäß § 80 Abs. 9 S. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)6 müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Finanzinstrumente zum Verkauf konzipieren (Emittenten und sonstige Produkthersteller bzw. Konzepteure), ein Produktfreigabeverfahren etablieren. Dieses Verfahren hat grundsätzlich jedes neu aufgelegte Finanzinstrument zu durchlaufen, bevor das Finanzinstrument an Endkunden vermarktet oder vertrieben werden darf. Gleiches gilt bei jeder wesentlichen Anpassung bestehender Finanzinstrumente. Die Abgrenzung, wann genau von einem „bestehenden“ Finanzinstrument die Rede sein kann, ist nicht ganz einfach.7 Das Produktfreigabeverfahren kann grundsätzlich mehrstufig aufgebaut sein, sodass einzelne Schritte auf Einzelproduktebene auch automatisiert werden können.

1

2 3 4 5 6

7

Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU, ABl. vom 12.06.2014, L 173/349. Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 vom 07.04.2016, ABl. L 87/500 vom 31.03.2017. Erwägungsgrund 15 S. 1 MiFID-DRL. Buck-Heeb, Der Product-Governance-Prozess, ZHR 179 (2015), 782, 789. Bergmann, Anlegerschutz im Kleinanlegerschutzgesetz, in: Bankrechtstag 2015, S. 47, 69. Gesetz über den Wertpapierhandel – Wertpapierhandelsgesetz in der Fassung vom 03.01.2018. Vgl. Bley, Anwendungsbereich der Product Governance gemäß § 80 Abs. 9-11 WpHG, WM 2018, 162, 167.

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Henning Bergmann

Ein wichtiges Element dieses Verfahrens ist die Zielmarktbestimmung nach § 80 Abs. 9 S. 2 und 3 WpHG. Ein Produkthersteller muss damit sicherstellen, dass sein Finanzinstrument so ausgestaltet ist, dass es den Bedürfnissen einer bestimmten Gruppe von Kunden entsprechen wird. Anschließend muss er die Product-Governance-Maßnahmen im Rahmen der Produktüberwachung regelmäßig überprüfen.8 Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit unmittelbarem Kundenkontakt (Distributoren) müssen ein eigenes Produktfreigabeverfahren für die von ihnen vertriebenen Produkte etablieren.9 Dabei haben sie durch angemessene Vorkehrungen u.a. dafür Sorge zu tragen, dass sie die Merkmale des von einem Produkthersteller bestimmten Zielmarkts verstehen.10 Hierzu muss der Konzepteur dem Distributor die relevanten Informationen bereitstellen.11 Auf dieser Basis muss ein Distributor beurteilen, ob das Produkt den Bedürfnissen einer seiner Kundengruppen entspricht.12 Wurde vom Produkthersteller kein Zielmarkt definiert, muss die vertreibende Stelle den Zielmarkt für das Produkt selbst definieren. Demgegenüber muss ein Distributor regelmäßig keine eigene Zielmarktbestimmung vornehmen, wenn bereits ein vom Konzepteur definierter Zielmarkt vorliegt. Durch die dargestellten Neuerungen ist das Spektrum von Pflichten, das die Konzepteure von Finanzinstrumenten seit 2018 zu beachten haben, deutlich erweitert worden. Insbesondere sind sie über die Produktfreigabe- und Produktüberwachungsverfahren verpflichtet, den gesamten Prozess bzw. Lebenszyklus des Produkts zu beobachten, d.h. von der Entstehung des Produkts über dessen Freigabe und auch darüber hinaus, solange das Produkt vermarktet wird. Ein Unternehmen muss also regelmäßig prüfen, welche Produkte es „den Märkten anbietet“.13 Der Begriff „Produktüberwachung“ wird für die Gesamtheit aller Vorschriften im Kontext von Product Governance verwendet.

8 9 10 11 12 13

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§ 80 Abs. 10 WpHG. Vgl. dazu im Detail den Beitrag von Feger. § 63 Abs. 5 S. 1 WpHG. § 80 Abs. 11 S. 1 WpHG. § 63 Abs. 5 S. 2 WpHG. Vgl. auch Busch, Product Governance und Produktintervention unter MiFID II/MiFIR, WM 2017, 409, 414.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

Abbildung 1 stellt (stark vereinfacht) die Schritte dar, welche die Produktüberwachungspflichten umfassen. Abbildung 1: Organisatorische Vorgaben zur Produktüberwachung

Product-

Target

Stress

Design & Develop-

Market

Testing &

Product

&

Post Sales

nation

Distribution

Review

ment

Modelling

Approval

Determi-

Marketing

2 Europäische und nationale Grundlagen der ProductGovernance-Regulierung Art. 16 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 2 MiFID II stellen – auf der Level-I-Regulierungsebene – grundlegende Anforderungen an die Product Governance auf. Diese Vorgaben wurden mit dem Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz (2. FiMaNoG) durch § 63 Abs. 4 und § 80 Abs. 9 WpHG in nationales Recht umgesetzt. Auf Level II wurden in Art. 9 und 10 MiFID-DRL die Anforderungen an die Product Governance sehr detailliert konkretisiert und erweitert. Diese wurden wiederum in §§ 11 und 12 Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und -Organisationsverordnung (WpDVerOV)14 in nationales Recht implementiert. Die European Securities and Markets Authority (ESMA) hatte am 02.06.2017 mit ihrem „Final Report“ dazu ebenfalls sehr detailreiche Leitlinien veröffentlicht.15 Die „Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II“ (ESMA-Leitlinien) wurden am 05.02.2018 auch auf Deutsch veröffentlicht.16

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15

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Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen vom 17.10.2017 (BGBl I S. 3566). ESMA, Final Report – Guidelines on MiFID II product governance requirements, 02.06.2017, ESMA35-43-620, abrufbar unter www.esma.europa.eu. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, ESMA35-43-620 DE, abrufbar unter www.esma.europa.eu.

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Henning Bergmann

Zu erwarten ist im 2. Quartal 2018 noch eine Änderung des „Rundschreibens 4/2010 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zu den Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen vom 7. Juni 2010, geändert am 8. März 2017 (MaComp)“,17 das die ESMA-Leitlinien in die deutsche Aufsichtspraxis umsetzen wird.

3 Anwendungsbereich 3.1 Begriff des Konzepteurs Erfasst von den Vorgaben für Konzepteure werden Wertpapierfirmen,18 die Finanzinstrumente schaffen, entwickeln, begeben und/oder gestalten. Gemäß Erwägungsgrund 15 MiFID-DRL und den ESMA-Leitlinien sind v.a. Emittenten von Wertpapieren erfasst, sofern sie selbst Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder Kreditinstitute sind. Der Anwendungsbereich ist nach dem Verständnis der ESMA dabei bewusst weit gefasst.19 Nicht direkt im Anwendungsbereich sind daher Kapitalverwaltungsgesellschaften, da sie nicht unter den Begriff der „Wertpapierfirma“ nach MiFID II fallen. In der Praxis stellen aber die Fondsgesellschaften oftmals Zielmärkte für ihre Produkte bereit.20 Eine solche freiwillige Identifizierung lassen die ESMA-Leitlinien in Nr. 65 explizit zu.21 Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass Wertpapierfirmen auch dann als Produkthersteller anzusehen sind, wenn sie Emittenten aus dem Unternehmenssektor bei der

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Abrufbar unter www.bafin.de. „Firma“ bedeutet gemäß den ESMA-Leitlinien in diesem Zusammenhang eine Wertpapierfirma i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 MiFID II, einschließlich von Kreditinstituten im Falle von Wertpapierdienstleistungen und Aktivitäten i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 MiFID II, Wertpapierfirmen und Kreditinstitute, wenn sie strukturierte Einlagen verkaufen oder Kunden dazu beraten sowie Kapitalverwaltungsgesellschaften und externe Verwaltungsgesellschaften für AIF (wie in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a AIFM-Richtlinie definiert), wenn sie individuelle Verwaltung einzelner Portfolios oder Nebendienstleistungen gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. a und b der OGAW-Richtlinie und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a und b der AIFM-Richtlinie erbringen. ESMA, Final Report Guidelines on MiFID II product governance requirements, 02.06.2017, ESMA35-43-620, S. 28, Nr. 60. Busch, Product Governance und Produktintervention unter MiFID II/MiFIR,WM 2017, 409. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, 05.02.2018, ESMA35-43-620 DE, abrufbar unter www.esma.europa.eu.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

Auflage neuer Finanzinstrumente beraten.22 Dies bedeutet, dass grundsätzlich auch Arranger in den Anwendungsbereich fallen und mithin den Product-GovernanceAnforderungen unterliegen. Werden mehrere Unternehmen im Rahmen eines Konsortiums tätig, sollten sie vertraglich festhalten, wer welche Pflichten erfüllt.23 Dies dürfte aber zumindest dann nicht gelten, wenn sich die Tätigkeit auf die bloße Abwicklung der Emission beschränkt. Es spricht viel für die Auffassung, dass Product-Governance-Pflichten aber nur so lange bestehen, wie den Arranger noch Pflichten aus dem zugrundeliegenden Vertrag mit dem Emittenten treffen.

3.2 Gemeinsame Herstellung Wenn mehrere Unternehmen (Co-Manufacturing) bei der Produktentwicklung und -herstellung eines Finanzinstruments zusammenarbeiten, müssen sie ihre gegenseitigen Pflichten nach § 11 Abs. 6 WpDVerOV in einer schriftlichen Vereinbarung festlegen. Fraglich kann sein, welche(s) Unternehmen für aufsichtsrechtliche Zwecke Konzepteur ist. Die ESMA geht grundsätzlich von einem weiten Anwendungsbereich aus.24 Dies gilt auch, wenn das Institut mit Unternehmen zusammen arbeitet, die nicht der MiFID II unterliegen. Denkbar sind z.B. Fälle, in denen von einem Kreditinstitut ein Emissionsvehikel – z.B. eine Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle (SPV)) – verwendet wird, welches Finanzinstrumente emittiert. Hier scheidet die Zweckgesellschaft grundsätzlich als Konzepteur aus, da es selbst kein Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder Kreditinstitut ist. Als Konzepteur ist in dieser Konstellation vielmehr das Unternehmen anzusehen, welches bei der Entwicklung und/oder Gestaltung des Finanzproduktes involviert ist bzw. diese maßgeblich durchführt, sofern es selbst Kreditinstitut oder Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist. Maßgeblich bleibt aber immer eine Einzelfallbetrachtung. Verwendet ein Kreditinstitut oder Wertpapierdienstleistungsunternehmen Plattformen oder Tools (Anbieter), z.B. im Internet, welche es einem Kunden (Nutzer) ermöglichen, bestimmte Merkmale eines Finanzinstruments vor dessen Emission mitzubestimmen, ist der Anbieter als Konzepteur zu qualifizieren. Die Nutzer sind grundsätzlich nicht

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Erwägungsgrund 15 S. 2 MiFID-DRL. Für die Zusammenarbeit mehrerer Wertpapierdienstleister bei Eigenemissionen vgl. auch die Vorgabe in § 11 Abs. 6 WpDVerOV. ESMA, Final Report Guidelines on MiFID II product governance requirements, 02.06.2017, ESMA35-43-620, S. 28, Nr. 60.

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zusätzlich als Konzepteur anzusehen, da sie nicht in die Entwicklung, Begebung und/ oder Gestaltung von Finanzinstrumenten eingebunden sind. Handelt es sich bei den Nutzern um Personen, welche nicht als Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu qualifizieren sind, können diese aufsichtsrechtlich auch keine Konzepteure sein. Aber auch in den Fällen, in denen ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen Nutzer ist, wird regelmäßig nur der Anbieter als Konzepteur zu qualifizieren sein. Denn nur der Anbieter entscheidet letztendlich über den Rahmen der festlegbaren Parameter, innerhalb dessen Finanzinstrumente emittiert werden können. Darüber hinaus bestimmt der Anbieter die Preisgestaltung. Der Nutzer kann lediglich ein entsprechendes Angebot annehmen und hat weder auf die zur Verfügung stehenden Auswahlmöglichkeiten noch auf die Preisbildung einen Einfluss. Die Situation ist letztlich vergleichbar mit der Situation, bei der ein Kunde ein Produkt per Telefon bestellt und bestimmte Wünsche im Hinblick auf die Ausgestaltung des Produkts äußert. Allein die Berücksichtigung bestimmter Kundenwünsche macht den Kunden nicht bereits zum Konzepteur. Um die jeweiligen Verpflichtungen in jedem Fall klar zu regeln, können Betreiber von Plattformen mit den Nutzern unabhängig von deren Qualifikation Verträge abschließen, in denen die jeweiligen Pflichten geregelt werden.

3.3 Finanzinstrumente Grundsätzlich ist zu beachten, dass die MiFID-DRL einen sehr weiten sachlichen Anwendungsbereich der Product-Governance-Pflichten vorsieht: So sollen die Vorgaben im Interesse des Anlegerschutzes für alle auf den Primär- und Sekundärmärkten verkauften Produkte gelten. Dabei ist unerheblich, welche Art von Produkt oder Dienstleistung verkauft wird und welche Anforderungen an der Verkaufsstelle gelten.25 Der Umfang der jeweiligen Pflichten unterliegt aber dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.26 Dies bedeutet, dass grundsätzlich alle Finanzinstrumente der Product Governance unterfallen, d.h. auch Aktien und einfache Anleihen. Darüber hinaus fallen strukturierte Einlagen in den Anwendungsbereich. Daneben gelten die Vorgaben grundsätzlich bei allen relevanten Wertpapierdienstleistungen, also auch im beratungsfreien Geschäft bzw. im reinen Ausführungsgeschäft (Execution Only).

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Erwägungsgrund 18 S. 1 MiFID-DRL. Erwägungsgrund 18 S. 1 MiFID-DRL.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

3.4 Professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien Die Regelungen zur Product Governance sehen keine spezifischen Regelungen zu Erleichterungen bei Geschäften mit professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien vor. Im Hinblick auf Geschäfte mit geeigneten Gegenparteien ist daher die allgemeine Regelung des § 68 Abs. 1 WpHG anwendbar, wonach bestimmte Vorgaben des § 63 WpHG bei Geschäften mit geeigneten Gegenparteien nicht beachtet werden müssen. In ihren Leitlinien hat die ESMA die Besonderheiten beim Vertrieb an professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien weiter präzisiert. Dabei wird unterschieden zwischen dem Vertrieb an professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien, die Instrumente zur Weiterveräußerung erwerben, und der Konstellation, dass sie die Instrumente als Endkunden erwerben. In der erstgenannten Variante kann der Emittent den Vertrieb an den professionellen Kunden bzw. die geeignete Gegenpartei unbeachtet lassen, da dieser nur als Zwischenschritt für den Vertrieb an die Endkunden anzusehen ist. Für den Zielmarkt ist alleine auf die Endkunden abzustellen.27 Erwirbt allerdings der professionelle Kunde/die geeignete Gegenpartei das Instrument als Endkunde, so ist bei der Zielmarktbestimmung auf die Person des professionellen Kunden/der geeigneten Gegenpartei abzustellen. Beim Vertrieb an professionelle Kunden, die die Instrumente als Endkunden erwerben, weist die ESMA in den Leitlinien nur auf die allgemeinen Erleichterungen hin, wonach bei geborenen professionellen Kunden entsprechende Kenntnisse und Erfahrungen unterstellt werden können.28 Weitere Erleichterungen sieht die ESMA hier nicht. Dies dürfte nicht im Einklang mit den Vorgaben aus Art. 54 Abs. 3 Unterabs. 1 (Geeignetheitsprüfung) bzw. Art. 56 Abs. 1 Unterabs. 2 (Angemessenheitsprüfung) MiFIDDurchführungsverordnung (MiFID-DVO)29 stehen, die eine Vermutung der erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen bei sämtlichen professionellen Kunden aufstellen. Auch die in Art. 54 Abs. 3 Unterabs. 2 MiFID-DVO enthaltene Annahme, dass bei geborenen professionellen Kunden das Vorhandensein der finanziellen Mittel unterstellt werden kann, wird von der ESMA nicht erwähnt. Auch im Hinblick darauf, dass bei der

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ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinien 76 bis 78. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinien 81, 82. Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25. April 2016, ABl. L 87/1 vom 31.03.2017.

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Kostentransparenz Erleichterungen für professionelle Kunden vorgesehen sind, erscheinen die ESMA-Leitlinien nicht konsistent. Bei geeigneten Gegenparteien weist die ESMA in den Leitlinien darauf hin, dass aufgrund der Regelung in Art. 30 Abs. 1 MiFID II, die u.a. die Distributorenpflichten nach Art. 24 Abs. 2 MiFID II ausnimmt, der Zielmarkt beim Vertrieb nicht berücksichtigt werden muss. Nach den Leitlinien der ESMA soll dies aber nicht zur Folge haben, dass der Zielmarkt gar nicht erst definiert werden soll. Hier soll indes eine weniger detaillierte Bestimmung der fünf Zielmarktkriterien erforderlich sein.30

3.5 Zeitlicher Anwendungsbereich Eine Übergangsregelung im Hinblick auf den Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Product-Governance-Vorschriften ist weder in der MiFID II noch im WpHG n.F. vorgesehen. Relevant ist dies insbesondere für Produkte, die vor dem 03.01.2018 hergestellt wurden – Alt-Produkte – und die nach dem 03.01.2018 noch am Markt handelbar sind und ggf. angeboten werden. Die ESMA gibt in den Leitlinien Folgendes vor: • Vertrieb: Die neuen Regeln sind in Bezug auf den Vertrieb ab dem 03.01.2018 für alle Produkte einzuhalten. • Konzeption: Die Anforderungen an die Konzeption gelten für ab dem 03.01.2018 konzipierte Produkte. Für Alt-Produkte müssen die neuen Vorgaben nicht eingehalten werden. Dies bedeutet insbesondere, dass es nicht erforderlich ist, nachträglich ein Produktfreigabeverfahren durchzuführen. Allerdings ist ein Zielmarkt durch den Konzepteur spätestens im nächsten Produktüberprüfungsprozess festzulegen. Der Überprüfungsprozess hat in regelmäßigen Intervallen zu erfolgen. Vertriebsunternehmen müssen in diesem Fall die Festlegung in ihrem eigenen Zielmarktprozess berücksichtigen. Konzepteure werden für die Alt-Produkte im Rahmen der regelmäßigen Überprüfungsprozesse, und somit spätestens nach einem Jahr, einen Zielmarkt (erstmalig) festlegen. Vertriebsunternehmen werden Alt-Produkte so behandeln wie Produkte, die von Firmen konzipiert wurden, die nicht unter das MiFID-II-Regime fallen. D. h., sie

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ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II, ESMA/ 35-43-620, Leitlinien 84 u. 85; zur Begründung vgl. ESMA, Final Report, ESMA35-43-620, 02.06.2017, S. 18.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

werden insbesondere selbst einen Zielmarkt festlegen müssen, wenn dies noch nicht durch den Konzepteur im Rahmen der Überprüfung erfolgt ist, oder sie müssen das Produkt aus ihrer Produktpalette entfernen. Unter diesem Gesichtspunkt und vor dem Hintergrund, dass im Falle einer Zielmarktfestlegung durch die Vertriebsunternehmen die Gefahr einer Festlegung von unterschiedlichen Zielmärkten für dasselbe Produkt besteht, haben viele Konzepteure (überobligatorisch) in der Praxis bereits zum 03.01.2018 für alle Produkte, welche weiterhin angeboten werden, einen Zielmarkt festgelegt.

4 Bestimmung des Zielmarkts 4.1 Überblick Kernstück der neuen Product-Governance-Regelungen ist die Vorgabe für Konzepteure, einen Zielmarkt zu definieren. Im Rahmen des Produktfreigabeverfahrens ist nach § 63 Abs. 4, § 80 Abs. 9 S. 2 und 3 WpHG für jedes Finanzinstrument für Endkunden innerhalb der jeweiligen Kundengattung ein bestimmter Zielmarkt festzulegen, bevor das Finanzinstrument an Kunden vertrieben wird. Folgende Aspekte sind zu berücksichtigen: • Der Konzepteur soll den Kreis der Kunden bestimmen, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen das Finanzinstrument im Einklang stehen muss.31 • Erfolgt der Vertrieb durch Dritte, sind die Bedürfnisse und Merkmale der Kunden, mit denen das Produkt vereinbar sein muss, auf der Grundlage von theoretischen Kenntnissen von und bisherigen Erfahrungen des Konzepteurs mit dem Finanzinstrument oder vergleichbaren Finanzinstrumenten, den Finanzmärkten und den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen potenzieller Endkunden zu bestimmen.32 • Die Identifizierung des potenziellen Zielmarktes sollte in einer angemessenen und verhältnismäßigen Art und Weise erfolgen, bei der die Natur des Anlageproduktes berücksichtigt wird.33

31 32 33

§ 11 Abs. 7 WpDVerOV. § 11 Abs. 8 WpDVerOV. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 21.

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• Der Konzepteur muss prüfen, ob das Produkt mit bestimmten Zielkunden inkompatibel wäre (negativer Zielmarkt).34 Dies bedeutet, dass auch ein negativer Zielmarkt – soweit vorhanden – festzulegen ist. • Der Konzepteur hat eine Bewertung „aller einschlägigen Risiken für den Zielmarkt“ vorzunehmen und so die Übereinstimmung des Finanzinstruments mit den ermittelten Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen des Zielmarkts festzustellen.35 Eine doppelte Bestimmung des Zielmarkts bei Zusammenarbeit oder Personenidentität von Konzepteur und Vertriebsunternehmen ist nicht erforderlich.36 • Die Zielmarktbestimmung ist unabhängig von der Geeignetheitsprüfung und der Angemessenheitsprüfung.37 • Der Begriff des „Zielmarktes“ ist weder auf Level I und Level II des EU-Rechts noch im WpHG bzw. der WpDVerOV abschließend geregelt. Es wird vertreten, dass für die Konkretisierung der Bedürfnisse des Zielmarkts eine Parallele zur Explorationspflicht von Anlageberatern zu ziehen ist und grundsätzlich bei der Zielmarktbestimmung die gleichen Kriterien zu analysieren seien, die eine Wertpapierfirma nach Art. 25 Abs. 2 MiFID II beim individuellen Kunden einholen muss.38 Fraglich ist, wie sich dies in Einklang bringen lässt mit der genannten Unabhängigkeit zur Geeignetheitsprüfung. Die ESMA-Leitlinien konkretisieren die Vorgabe in Nr. 13 bis 24: Nach Nr. 18 der ESMA-Leitlinien haben Konzepteure die folgende Liste mit fünf Kategorien zur Bestimmung des Zielmarkts zu verwenden (Tabelle 1).

34

35 36

37 38

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Art. 9 Abs. 9 MiFID-DRL und ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinien 67 ff. § 63 Abs. 4, § 80 Abs. 9 S. 3 WpHG. Erwägungsgrund 17 MiFID-DRL und ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 39. Erwägungsgrund 71 a.E. MiFID II. Brenncke, Der Zielmarkt eines Finanzinstruments nach der MiFID II, WM 2015, 1173, 1174.

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Tabelle 1: Fünf Kategorien der Zielmarktbestimmung Kategorie

Zielmarktkategorie

Mögliche Ausprägungen

1

Kundentyp

Privatkunde; Professioneller Kunde; Geeignete Gegenpartei

2

Kenntnisse und Erfahrungen

Kenntnisse hinsichtlich Produkttyp, Produkteigenschaften und/oder Kenntnisse auf thematisch verwandten Gebieten Erfahrungen hinsichtlich Produkttyp, relevante Produkteigenschaften und/oder Erfahrung auf thematisch verwandten Gebieten; z.B. Festlegung von Zeitraum, in dem der Kunde am Finanzmarkt bereits aktiv war Berücksichtigung von Interdependenzen

3

Finanzielle Situation mit Fokus auf die Fähigkeit Verluste zu tragen

Festlegung des Verlustbetrags, welcher der Kunde fähig und willens ist aufzubringen und etwaige zusätzlich zu leistenden Zahlungen Ggf. als maximaler Anteil des Anlagevermögens auszudrücken, der investiert werden sollte

4

5

Risikotoleranz und Vereinbarkeit des Risiko-/ Renditeprofils des Produkts mit dem Zielmarkt

Beschreibung und Kategorisierung der Risikoneigungen und entsprechende Information des Kunden

Ziele und Bedürfnisse des Kunden

Anlagezweck und Anlagestrategie

Soweit anwendbar – Nutzung des von der PRIIPsVerordnung festgelegten Risikoindikators (von 1 bis 7)

Anlagehorizont Besondere Anforderungen, z.B.: grünes Investment, ethisches Investment, Währungsabsicherung, Steuereffizienz, Alter

Die Liste mit den Kategorien ist laut der ESMA kumulativ zu verstehen, d.h. jeder Konzepteur sollte bei der Beurteilung des Zielmarktes jede der Kategorien heranziehen. Es können von dem Produkthersteller je nach Einzelfall weitere Kategorien festgelegt werden. Dabei können allerdings die Besonderheiten des jeweiligen Informationskanals zwischen dem Konzepteur und dem Vertriebsunternehmen berücksichtigt werden. Dazu gehören auch Bestrebungen, eine offene Vertriebsarchitektur zu fördern.39 Zudem ist das

39

ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 15.

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Verhältnis der Kategorien untereinander zu berücksichtigen.40 Ferner sollen zur Vermeidung von Fehlinterpretationen und Missverständnissen Konzepte und deren Terminologie klar definiert werden.41 Bei der Zielmarktbestimmung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anzuwenden. Dies bedeutet, dass die Vorgaben zur Zielmarktbestimmung für bestimmte einfache Produkte, wie bspw. Anleihen oder Aktien, die als reines Ausführungsgeschäft vertrieben werden, relativ schlicht sein können, sofern diese Produkte mit den Bedürfnissen und Merkmalen des Massenmarkts vereinbar wären.42 Bei komplexeren Produkten wie bail-in-fähigen Instrumenten oder weniger gebräuchlichen Produkten sollte der Zielmarkt hingegen detaillierter bestimmt werden.43 Neben der Anforderung der MiFID II, einen Zielmarkt zu bestimmen, besteht auch nach der PRIIPs-Verordnung44 (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) eine ähnliche Anforderung in Bezug auf Produkte, die als PRIIPs zu qualifizieren sind. Ein Hersteller von PRIIPs ist verpflichtet, ein Key Information Document (KID)/Basisinformationsblatt (BIB) zu erstellen. Der Zielmarkt eines Produkts muss in dem entsprechenden KID offengelegt werden, so dass sich hinsichtlich der Zielmarktfestlegung gemäß der PRIIPs-Verordnung und MiFID II Überschneidungen ergeben.

4.2 Zielmarktkonzept (DK/DDV/BVI-Verbändekonzept) 4.2.1

Charakter

Zur Umsetzung der Vorgaben an die klare und eindeutige Festlegung eines Zielmarkts haben federführende finanzwirtschaftliche Verbände in Deutschland – die Verbände der Deutschen Kreditwirtschaft (DK), der Deutsche Derivate Verband (DDV) und der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) – einen gemeinsamen Mindeststandard zur Zielmarktbestimmung für Wertpapiere entwickelt, der den Aufsichts-

40

41

42

43 44

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ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 16. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 20. Erwägungsgrund 18 MiFID-DRL und ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 22. Erwägungsgrund 19 MiFID-DRL. Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.11.2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP), ABl. L 352/1.

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behörden Bafin und ESMA vorgestellt und mit diesen erörtert wurde. Dieses Zielmarktkonzept soll generell von Emittenten verwendet werden – unabhängig von der Art des Wertpapiers. Das Verbändekonzept für den deutschen Markt wurde auch zu dem Zweck entwickelt, dass für Hersteller und Distributoren einheitliche und standardisierte Kriterien und Ausprägungen vorliegen und die vom Emittenten übermittelten Daten in den Prozessen der Distributoren verarbeitet werden können. Die ESMA-Leitlinien erlauben in Nr. 39 auch explizit einen gemeinsamen Zielmarktstandard von Konzepteuren und Distributoren, der dann eine „doppelte“ Zielmarktbestimmung entbehrlich macht. Dies ist für die Praxis sehr hilfreich und vermeidet unnötigen Aufwand. Das Konzept gilt grundsätzlich für Wertpapiere. Gemäß ESMA-Leitlinie Nr. 24 ist bei individuellen oder maßgeschneiderten Produkten der Zielmarkt des Produktes i.d.R. jener Kunde, der das Produkt geordert hat, es sei denn, der Vertrieb des Produktes an andere Kunden ist ebenfalls vorgesehen. Eine abstrakte Zielmarktbestimmung ist in diesen Fällen entbehrlich. Dies dürfte z.B. bei Privatplatzierungen gelten: Hier entspricht die Zielmarktdefinition i.d.R. den Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des Kunden, der das Produkt kaufen möchte, es sei denn, der Vertrieb des Produkts an andere Kunden ist ebenfalls vorgesehen. Es kann daher argumentiert werden, dass für diese Art von Produkten keine abstrakte Zielmarktdefinition erforderlich ist, außer wenn ein Weitervertrieb des maßgeschneiderten Produktes geplant ist.45 Es spricht ferner viel dafür, dass für OTC-Derivate (Over the Counter) auch keine abstrakte Zielmarktbestimmung erfolgen muss, da diese durch einen individuellen Vertrag begründet werden.

4.2.2

Einzelproduktbetrachtung

Das Verbändekonzept zielt auf die Einzelproduktbetrachtung, nicht hingegen auf eine Portfolio-Situation. Hier werden die Zielmärkte bei der Portfolio-Zusammenstellung berücksichtigt. Dies entspricht den ESMA-Leitlinien in den Nr. 52 ff.

45

ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 24.

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4.2.3

Positiver und negativer Zielmarkt/Graubereich

Nach Auffassung der ESMA kommt dem negativen Zielmarkt eine eigenständige Bedeutung zu; er soll sich nach den gleichen Kriterien bestimmen wie der positive Zielmarkt. Die ESMA erkennt auch an, dass sich der negative Zielmarkt bei bestimmten Kriterien unmittelbar aus dem positiven Zielmarkt ableitet. So ist ein spekulatives Instrument per se ungeeignet für sicherheitsorientierte Kunden, was nicht explizit hervorgehoben werden muss.46 Zugleich soll es nach der ESMA aber Zielmarktkriterien geben, bei denen eine besondere Feststellung des negativen Zielmarkts erforderlich sein soll. Hier soll ein Vertrieb nur in seltenen Ausnahmefällen zulässig sein.47 Dabei benennt die ESMA nicht, welche Kriterien dies im Einzelnen sein sollen. Die Konzeption der ESMA läuft faktisch auf eine Dreiteilung hinaus: 1. Positiver Zielmarkt: Der Vertrieb ist – bei Beachtung der weiteren Vorgaben – zulässig. 2. Negativer Zielmarkt: Der Vertrieb ist nur in Ausnahmefällen zulässig und bedarf einer besonders sorgfältigen Rechtfertigung und Begründung. 3. Graubereich: Ein Vertrieb außerhalb des Zielmarkts ist – sofern nicht zugleich ein Fall des negativen Zielmarkts vorliegt – an sich zulässig.48 Es bedarf aber einer besonderen Prüfung und Begründung. In den ESMA-Leitlinien heißt es zudem, dass ein Vertrieb außerhalb des Zielmarkts im Geeignetheitsbericht vermerkt werden sollte.49 Das Verbändekonzept berücksichtigt dies, sieht aber vor, dass der negative Zielmarkt nur in spezifischen Fällen standardmäßig seitens der Konzepteure geprüft werden muss. Regelmäßig werden die Kundenkategorie und der Anlagehorizont als relevant angesehen. Technisch kann der Konzepteur aber für alle positiven Zielmarktkategorien einen negativen Zielmarkt angeben.

46

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ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 68. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 71. ESMA, Final Report on MiFID II and MiFIR, ESMA 2014/1569, S. 55. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 70.

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4.3 Kategorien des Zielmarktkonzepts Das Konzept setzt sich aus acht Kategorien zusammen, welche wiederum Unterkategorien beinhalten. Diese sind für jedes zu konzipierende Wertpapier festzulegen. Wie zuvor dargestellt, ist auch der negative Zielmarkt vom Konzepteur festzulegen. Die positiven Zielmarktkategorien und die entsprechenden Ausprägungen sind im Folgenden beschrieben.

4.3.1

Angabe der Produktkategorie

Die Konzepteure haben festzulegen, zu welcher Produktgruppe das jeweilige Wertpapier gehört. Angesichts nicht immer eindeutiger Zuordnungen einzelner Produkte, die zwischen Konzepteur und Vertrieb unterschiedlich vorgenommen werden können, wird mit der Angabe der Produktkategorie erreicht, dass der Vertrieb die Einordnung des Konzepteurs kennt. Die Angabe der Produktgruppe bildet auch die Grundlage für die Zuordnung der Produkte zu den Ausprägungen bei Kenntnissen und/oder Erfahrungen. Über die dort genannten Beispiele sowie die Kategorisierung bei den Datenanbietern dürfte sich faktisch eine gewisse Standardisierung einstellen.

4.3.2

Kundenkategorie

Im Rahmen der Zielmarktkategorie „Kundenkategorie“ wird festgelegt, an welche Kunden sich das Produkt richtet (eine Mehrfachnennung ist möglich). Es sind folgende Ausprägungen vorgesehen: • Privatkunde, • professioneller Kunde, • geeignete Gegenpartei. Für die Kundenkategorie ist grundsätzlich die Angabe eines negativen Zielmarkts vorgesehen, der dadurch definiert werden kann, für welche Kunden das Produkt nicht geeignet ist. Beispiel: Negativer Zielmarkt: nicht geeignet für Privatkunden.

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4.3.3

Kenntnisse und Erfahrungen

Im Rahmen der Zielmarktkategorie „Kenntnisse und Erfahrungen“ wird festgelegt, welche Kenntnisse und Erfahrungen der Konzepteur bei Kunden des Zielmarkts voraussetzt. Der Konzepteur nimmt auf Basis von einheitlichen Branchenstandards unter Bezeichnung der betreffenden Wertpapierart eine Produktzuordnung vor. Die Prüfung, welche Kenntnisse und/oder Erfahrungen der Anleger hat, kann anhand der Daten erfolgen, die der Distributor mit seinem jeweiligen WpHG-Bogen erhoben hat. Folgende Ausprägungen sind für diese Zielmarktkategorie vorgesehen: • Kunde mit Basiskenntnissen und/oder Erfahrungen mit Finanzprodukten (Beispiele: Index-Zertifikate auf Standardindizes, Aktienfonds, Geldmarktfonds, Rentenfonds, Mischfonds); • Kunde mit erweiterten Kenntnissen und/oder Erfahrungen mit Finanzprodukten (Beispiele: Kapitalschutz-Zertifikate, strukturierte Anleihen, bonitätsabhängige Schuldverschreibungen, Aktienanleihen, Discount-Zertifikate, Express-Zertifikate, BonusZertifikate, Outperformance-Zertifikate, Sprint-Zertifikate, Total-Return-Fonds, Absolute-Return-Fonds, strukturierte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)); • Kunde mit umfangreichen Kenntnissen und/oder Erfahrungen mit Finanzprodukten (Beispiele: Optionsscheine, Faktor-Zertifikate, Knock-Out-Produkte, European Venture Capital Funds (EuVECAs) und European Social Entrepreneurship Funds (EuSEFs), rohstoffmarkt nahe Investmentfonds (sonstige Sondervermögen mit Direktinvestitionen in Rohstoffe)); • Kunde mit speziellen Kenntnissen und/oder Erfahrungen mit hochspeziellen Finanzprodukten (Beispiel: Contracts for Difference (CFDs)); • die Angabe des negativen Zielmarkts erfolgt nur optional: nicht geeignet für Kunden nur mit Basiskenntnissen und/oder Erfahrungen mit Finanzprodukten. Das Verbändekonzept sieht vor, dass die Prüfung der Kenntnisse und/oder Erfahrungen auf Basis der Daten erfolgen kann, die das jeweilige Institut individuell bei seinen Kunden erhoben hat.50 Für den Abgleich bedeutet dies, dass die Bezeichnung der Produktart des Konzepteurs nicht immer deckungsgleich mit den Kundendaten der vertreibenden Stelle sein muss.

50

462

In diese Richtung auch: ESMA, Final Report Guidelines on MiFID II product governance requirements, 02.06.2017, ESMA35-43-620, S. 16, Nr. 11.

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4.3.4

Finanzielle Verlusttragfähigkeit

Im Rahmen der Zielmarktkategorie „Finanzielle Verlusttragfähigkeit“ wird festgehalten, welche Fähigkeit, Verluste zu tragen, ein Kunde des Zielmarkts besitzen sollte (Eigenschaften des Kunden). Folgende Ausprägungen sind vorgesehen: • Der Anleger kann keine bzw. nur geringe Verluste des eingesetzten Kapitals tragen → Produkte mit Kapitalschutz/mit Rückzahlung zum Nennwert. • Der Anleger kann Verluste tragen (bis zum vollständigen Verlust des eingesetzten Kapitals) → Produkte ohne Kapitalschutz/Rückzahlung nicht gesichert. • Der Anleger kann Verluste auch über das eingesetzte Kapital hinaus tragen. • Die Angabe des negativen Zielmarkts erfolgt nur optional: nicht für Anleger, die keine oder nur geringe Verluste des eingesetzten Kapitals erleiden können.

4.3.5

Risikobewertung des Finanzinstruments

In der Zielmarktkategorie „Risikobewertung des Finanzinstruments“ wird auf Basis der Bewertung der Risiken des Produkts und der daraus resultierenden Risikokennziffer eine Toleranz des Kunden des Zielmarkts in Bezug auf die Risiken ermittelt. Im Einzelnen wird wie folgt verfahren: • Der Konzepteur bewertet alle relevanten Risiken aus dem Finanzinstrument und stellt diese in Form einer PRIIPs-Risikokennziffer (1 bis 7) dar (Risiko des Produktes). • Aus der Risikokennziffer leitet der Konzepteur eine Empfehlung für die erforderliche Toleranz des Endkunden ab, Risiken, die sich aus der Anlage ergeben, tragen zu wollen (empfohlene Risikotoleranz).

4.3.6

Risiko- und Renditeprofil nach PRIIPs

In der Zielmarktkategorie „Risiko- und Renditeprofil nach PRIIPs“ wird für den Zielmarkt die Risikoklasse gemäß PRIIPs-Verordnung wie folgt angegeben: • Risikoklasse 1 (sicherheitsorientiert/sehr geringe Risikobereitschaft; sehr geringe bis geringe Rendite/sehr geringe bis geringe Kursschwankungen) bis Risikoklasse 7 (sehr hohe Risikobereitschaft; höchste Rendite/höchste Kursschwankungen). • Die niedrigste und die höchste Risikoklasse werden beschrieben. • Diese Beschreibung ermöglicht die Einordnung der übrigen Risikoklassen.

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• Die Angabe des negativen Zielmarkts erfolgt nur optional: nicht für Anleger mit der niedrigsten Risikobereitschaft. Während die ESMA-Leitlinien in Nr. 18d auch die Angabe des Risikoindikators nach der OGAW-Richtlinie erlauben, sieht das Verbändekonzept dezidiert die Angabe des Risikoindikators nach der PRIIPs-Verordnung vor, damit die Angaben produktübergreifend vergleichbar sind und der Kunde nicht mit anderen Risikoklassen aufgrund methodischer Unterschiede konfrontiert wird.

4.3.7

Anlageziele des Kunden

In der Zielmarktkategorie „Anlageziele des Kunden“ werden die Ziele des Kunden des Zielmarkts festgelegt, welche für das betreffende Produkt einschlägig sind. Die möglichen Ausprägungen sind: • spezifische Altersvorsorge; • allgemeine Vermögensbildung/Vermögensoptimierung; • überproportionale Teilnahme an Kursveränderungen; • Absicherung (Hedging); • die Angabe des negativen Zielmarkts erfolgt nur optional: nicht geeignet zur Altersvorsorge. Die Kategorie Absicherung (Hedging) ist dabei bei Wertpapieren grundsätzlich nicht anwendbar, sondern nur optional relevant bei speziellen Produkten, wie z.B. börsengehandelten Derivaten.

4.3.8

Anlagehorizont des Kunden

In der Zielmarktkategorie „Anlagehorizont des Kunden“ wird der Anlagehorizont für einen Kunden festgelegt (ggf. Ausprägung nach PRIIPs; kumulative Angaben möglich (z. B. „mittel- bis langfristig“); Kosten werden berücksichtigt (z. B. produktbedingte Erwerbskosten)). Folgende Ausprägungen sind vorgesehen: • kurzfristig (z.B. kürzer als 3 Jahre); • mittelfristig (z.B. 3 bis 5 Jahre); • langfristig (z.B. länger als 5 Jahre).

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Für die Kategorie ist grundsätzlich die Angabe eines negativen Zielmarkts vorgesehen, der dadurch definiert werden kann, für welche Kunden das Produkt nicht geeignet ist: • negativer Zielmarkt: nicht geeignet für Anleger mit kurzfristigem Anlagehorizont; • negativer Zielmarkt: nicht geeignet für Anleger mit langfristigem Anlagehorizont.

4.3.9

Ggf. spezielle Anforderungen im Einzelfall (optional)

In der Zielmarktkategorie „Spezielle Anforderungen im Einzelfall“ können weitere Merkmale des Zielmarkts festgelegt werden.51 Die Kennzeichnung bildet kein Ausschlusskriterium, sondern vielmehr ein Merkmal für den Fall einer besonderen Eignung des Produkts für Kunden, die von sich aus im Rahmen der konkreten Anlageberatung entsprechende Anforderungen an das Produkt stellen. Spezielle Anforderungen im Einzelfall sind dabei grundsätzlich unabhängig von dem Risiko des Produktes oder dem Anlagehorizont, sondern in der sonstigen Produktarchitektur begründet (z.B. Investition ausschließlich in nachhaltige Anlagen). Die standardmäßig vorgesehenen Ausprägungen sind: • Green Investment, • Ethical Investment, • Islamic Banking.

4.3.10 Vertriebsstrategie/Vertriebsweg Zusätzlich zur Zielmarktbestimmung sind im Konzept der Verbände auch Angaben zur Vertriebsstrategie enthalten. Die Aufnahme der Angabe erfolgte, da nach den rechtlichen Vorgaben sicherzustellen ist, dass die beabsichtigte Vertriebsstrategie dem Zielmarkt entspricht (§ 80 Abs. 9 Satz 4 WpHG). Die Formulierung verdeutlicht aber auch, dass die Vertriebsstrategie selbst nicht Bestandteil des Zielmarktes ist. Daher wird im Konzept bereits durch die Gliederung deutlich, dass Zielmarkt und Vertriebsstrategie separat zu betrachten sind.

51

ESMA, Final Report – Guidelines on MiFID II product governance requirements, ESMA 35-43-620, 02.06.2017, S. 17, Nr. 15.

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Es sind folgende Ausprägungen vorgesehen (eine Mehrfachnennung ist möglich): • Execution Only, • beratungsfreies Geschäft, • Anlageberatung.

4.4 Information über den Zielmarkt Nach Art. 8 Abs. 3c Nr. iii PRIIPs-Verordnung muss der Emittent auch in dem BIB den Kleinanlegertyp beschreiben, an den das PRIIP vermarktet werden soll. Diese Vorgabe kann durch Übernahme des nach MiFID II bestimmten Zielmarkts erfolgen, was sich bereits daran zeigt, dass die Kriterien, die in Art. 2 Abs. 3 der Delegierten Verordnung zur PRIIPs-Verordnung zur Beschreibung des Kleinanlegertyps aufgeführt werden, den Kriterien der Zielmarktbestimmung nach MiFID II entsprechen.52 Aus Sicht der ESMA muss die Beschreibung des Kleinanlegertyps in den BIBs aber nicht die gleiche Detailtiefe haben wie die Zielmarktbestimmung unter MiFID II.53 Die ursprünglich noch in § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpDVerOV-Entwurf54 vorgesehene Angabe des Zielmarkts im Produktinformationsblatt (PIB) nach § 64 Abs. 2 WpHG ist hingegen in der Endfassung der Verordnung entfallen.

5 Product-Governance-Prozess bei Emittenten 5.1 Produktfreigabeverfahren 5.1.1

Gegenstand des Produktfreigabeverfahrens

Das Produktfreigabeverfahren beim Emittenten wird in Art. 16 Abs. 3 MiFID II, Art. 9 Abs. 2 S. 1 MiFID-DRL, § 80 Abs. 9 S. 1 WpHG und § 11 WpDVerOV geregelt.

52 53

54

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Delegierte Verordnung zur PRIIPs-Verordnung vom 08.03.2017, ABl. L 100/1. ESMA, Final Report – Guidelines on MiFID II product governance requirements, ESMA 35-43-620, 02.06.2017, S. 28. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vom 09.05.2017.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

Die neuen Regeln sehen vor, dass Konzepteure ein Verfahren für die Freigabe jedes einzelnen Finanzinstruments und jeder wesentlichen Anpassung bestehender Finanzinstrumente unterhalten, betreiben und überprüfen, bevor das Finanzinstrument an Kunden vermarktet oder vertrieben wird (Produktfreigabeverfahren). Wesentlicher Bestandteil dieses Verfahrens ist die Festlegung eines Zielmarkts und einer Vertriebsstrategie, die dem definierten Zielmarkt entspricht.

5.1.2

Zweistufiges Verfahren

Die Produktfreigabe kann auch vollautomatisiert in einem zweistufigen Verfahren erfolgen: Dabei wird in einem ersten Schritt die Produktfreigabe auf Basis eines definierten Produkttyps vorgenommen.55 Dieser Produkttyp erfasst mehrere Produkte mit gleicher Ausprägung. In einem zweiten Schritt werden in einem Mapping-Prozess die Parameter der jeweiligen Einzelemission mit denen, welche für einen bestimmten Produkttyp festgelegt wurden, abgeglichen und es werden die Parameter geprüft, welche noch nicht im Rahmen der Freigabe des Produkttyps geprüft wurden.

5.1.3

Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit

Im Rahmen der Produktfreigabe und -überwachungsanforderungen sind nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2, Erwägungsgrund 18 ff. MiFID-DRL, § 11 Abs. 1 S. 2 WpDVerOV und den ESMA-Leitlinien 11, 14, 21, 57 und 69 die Grundsätze der Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dies bedeutet nach allgemeinen Grundsätzen, dass der Regulierungszweck nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen darf. Dem wird bei der Konzeption eines Finanzinstruments Rechnung getragen, indem in Fachkonzepten und Organisationsanweisungen eine angemessene und verhältnismäßige Anwendung der jeweiligen Vorgabe unter Berücksichtigung der Art des Finanzinstruments, der Wertpapierdienstleistung und des Zielmarkts des Produkts festgelegt wird. Im Rahmen der fachlichen Konzeption wird abgewogen, ob die Umsetzung einer Pflicht zur Produktüberwachung im konkreten Fall (Intensität des Eingriffs) nicht außer Verhältnis zum Regulierungszweck steht. Im Rahmen der Abwägung wird Folgendes berücksichtigt: • Art des Finanzinstruments: Bei der Zielmarktbestimmung werden insbesondere die Komplexität einschließlich der Kosten- und Gebührenstruktur, das Risiko-/Renditeprofil, die Liquidität und die Gebräuchlichkeit des Finanzinstruments (innovativ – etabliert/marktüblich) berücksichtigt.

55

Vgl. auch Bley, Anwendungsbereich der Product Governance gemäß § 80 Abs. 9-11 WpHG, WM 2018, 162, 165, der insoweit von Fallgruppenbildung spricht.

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• Art der Wertpapierdienstleistung: Je nachdem, für welche Art von Wertpapierdienstleistung ein Produkt im Rahmen der Festlegung der Vertriebsstrategie freigegeben wird, werden unterschiedliche Anforderungen an den Zielmarkt gestellt. Im Gegensatz zum Vertriebsunternehmen kann der Konzepteur die Festlegungen und Differenzierungen auf theoretischer Basis vornehmen. • Zielmarkt des Produkts: Der Zielmarkt wird in Abhängigkeit von der Art eines Produkts bestimmt. Dabei spielt es eine Rolle, ob ein Produkt für das Massengeschäft oder als Individuallösung konzipiert wird. Bei bestimmten einfachen Produkten, die im reinen Ausführungsgeschäft vertrieben werden, können die konkreten Anforderungen nach den Grundsätzen der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit zudem relativ einfach sein, sofern diese Produkte mit den Bedürfnissen und Merkmalen des Massenmarkts vereinbar sind.

5.1.4

Verhinderung negativer Auswirkungen auf Endkunden

Ein Konzepteur hat nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 MiFID II, Art. 9 Abs. 2 S. 1 und 2 MiFID-DRL, § 80 Abs. 9 WpHG und § 11 Abs. 1 S. 1 bis 3 WpDVerOV sicherzustellen, dass das Konzipieren eines Finanzprodukts den Anforderungen an einen geeigneten Umgang mit Interessenkonflikten, einschließlich der jeweils geltenden Anforderungen an die vereinnahmte Vergütung entspricht. Insbesondere hat der Konzepteur sicherzustellen, dass die Gestaltung des Finanzinstruments, einschließlich seiner Merkmale, sich nicht nachteilig auf den Endkunden auswirkt. Das Kreditinstitut bzw. Wertpapierdienstleistungsunternehmen darf seine eigenen Risiken oder Ausfallwahrscheinlichkeiten in Bezug auf den Basiswert des Produkts durch entsprechende Konzeption des Finanzinstruments nicht mindern oder verlagern, wenn es den entsprechenden Basiswert bereits für eigene Rechnung hält.

5.1.5

Analyse konkreter Interessenkonfliktlagen

Mögliche Interessenkonflikte sind nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 MiFID II, Art. 9 Abs. 3 MiFID-DRL, § 11 Abs. 3 WpDVerOV und den ESMA-Leitlinien 46 und 72 bei jeder Konzeption eines Finanzinstruments zu analysieren. Insbesondere ist in Bezug auf den Endkunden zu beurteilen, ob das Finanzinstrument den Endkunden benachteiligt. Eine solche Benachteiligung kann insbesondere durch folgende Konstellationen hervorgerufen werden: • Gegenposition des (End-)Kunden zu vorheriger eigener Position des Konzepteurs; • Gegenposition des (End-)Kunden zu künftiger eigener Position des Konzepteurs.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass von der ESMA der Fall des Vertriebs von selbst emittierten Produkten als Quelle von erheblichen Interessenkonflikten eingeordnet wird.56 Besondere Interessenkonflikte, die aus dem Vertrieb selbst konzipierter Produkte durch den Konzepteur resultieren, sind daher bei der Zielmarktfestlegung und bei dem sich anschließenden Vertrieb zu berücksichtigen. Der Umstand, dass ein Konzepteur seine aus der Emission des Produkts entstehende Position durch Absicherungsgeschäfte mit Dritten (Hedging) absichert, begründet dabei jedenfalls keinen Interessenkonflikt zwischen Konzepteur und Kunden. Dieses Vorgehen belegt vielmehr, dass der Konzepteur keine Produkte konzipiert, um vorhandene Eigenpositionen abzusichern oder deren Eingehung zu ermöglichen, sondern dass der Konzepteur die Gegenposition zu der von dem Kunden eingenommenen Position absichert, um selbst eine neutrale Position im Verhältnis zu dem Kunden zu erreichen.

5.1.6

Marktintegrität; Ausschluss von Gefahren für Finanzmärkte

Vor der Entscheidung darüber, mit der Auflage eines Finanzinstruments zu beginnen oder damit fortzufahren, hat eine Prüfung nach Art. 40 bis 42 MiFIR, Art. 9 Abs. 4 MiFID-DRL und § 11 Abs. 4 WpDVerOV dahingehend zu erfolgen, ob das Finanzinstrument eine Gefahr für das geordnete Funktionieren oder die Stabilität der Finanzmärkte darstellt. Zu prüfen sind insofern die beiden Fragen: • Ist die Produktkategorie aufgrund einer Gefahr für das geordnete Funktionieren oder die Stabilität der Finanzmärkte im Inland von einem Produktverbot betroffen oder ist der Vertrieb aus diesen Gründen im Inland in irgendeiner Weise behördlich eingeschränkt (Art. 40 bis 42 MiFIR)? • Liegen Kriterien nach Art. 19 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/567 der Kommission vom 18.05.201657 vor, die aufgrund einer zu befürchtenden Gefahr für das geordnete Funktionieren oder die Stabilität der Finanzmärkte zu Produktinterventionsmaßnahmen seitens der Aufsicht im Inland führen könnten? Das Vorliegen von (potenziellen) Produktverboten oder Vertriebsbeschränkungen aufgrund von Gefahren für das geordnete Funktionieren oder die Stabilität der Finanzmärkte in anderen Mitgliedstaaten stellt nicht notwendigerweise ein Präjudiz für die Bewertung

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ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Leitlinie 72. ABl. L87/90 vom 31.03.2017, S. 90-116.

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dar. Da die Produktverbote grundsätzlich (d.h. abgesehen von temporären Maßnahmen) von den nationalen Behörden festgelegt werden, sind nationale Unterschiede bei Verboten durchaus denkbar. Darüber hinaus hat eine Prüfung einer Gefahr für das geordnete Funktionieren oder die Stabilität der Finanzmärkte zu erfolgen. Derartige Gefahren können entstehen, wenn aufgrund der Volumina und etwaiger Hebeleffekte ein Finanzinstrument geeignet ist, Marktverhältnisse bezogen auf einen für den Gesamtmarkt relevanten Wert überproportional in eine Richtung zu beeinflussen (denkbar wäre dies z.B. im Falle von unverhältnismäßig vielen und großvolumigen Short-Positionen auf einen Titel eines Finanzunternehmens, das bezogen auf den Markt eine Systemrelevanz besitzt).

5.1.7

Bestimmung eines Zielmarkts

Es erfolgt für jedes Finanzinstrument eine Zielmarktdefinition durch den Konzepteur entsprechend den Zielmarktkategorien und möglichen Ausprägungen nach dem Verbändekonzept (vgl. Abschnitt 4.2). Im Rahmen der Freigabe werden in einem ersten Schritt die Kriterien aus den Kategorien des Zielmarkts definiert, welche für alle Produkte des zu genehmigenden Produkttyps identisch sind. Im Rahmen der Produktfreigabe für Einzelemissionen erfolgt in einem zweiten Schritt eine Zuordnung des jeweiligen Finanzinstruments zu einem der genehmigten Produkttypen in einem Mapping-Prozess auf Basis der International Securities Identification Number (ISIN). Ist die Zuordnung erfolgt, werden die verbleibenden noch nicht über den Produkttyp definierten Kriterien aus den Kategorien des Zielmarkts festgelegt. Dabei werden alle verbindlichen Merkmale, welche nach dem Zielmarktkonzept (vgl. Abschnitt 4.2) zu berücksichtigen sind, unter Anwendung der Grundsätze von Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit entweder in Schritt 1 oder in Schritt 2 berücksichtigt.

5.1.8

Bestimmung der Vertriebsstrategie

Konzepteure sollen nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4, Art. 9 Abs. 6 S. 2 MiFID-DRL und §§ 11 Abs. 7 und 10 WpDVerOV festlegen, welche Informationen über den Kunden für den Vertrieb der Produkte benötigt werden, und dann die Vertriebsstrategie für das jeweilige Finanzinstrument vorschlagen. Es soll insbesondere vorgeschlagen werden, im Rahmen welcher Finanzdienstleistung das Produkt vertrieben werden soll. Ferner kann angegeben werden, welches der bevorzugte Absatzkanal für das Finanzinstrument sein soll, wenn bei dem Produkt ein Vertrieb ohne Beratung als angemessen erachtet wird.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

Die beabsichtigte Vertriebsstrategie muss im Einklang mit dem jeweiligen Zielmarkt stehen. Der Konzepteur muss angemessene Maßnahmen ergreifen, damit das Produkt an Kunden aus dem jeweiligen Zielmarkt vertrieben wird und der Absatz des Produkts auf dem festgelegten Zielmarkt gefördert wird. Der Konzepteur unterbreitet einen Vorschlag für die konkrete Wertpapierdienstleistung, in deren Rahmen das Produkt vertrieben werden soll. Dabei werden die möglichen Ausprägungen des Punktes „Vertriebsweg“ nach dem Verbändekonzept berücksichtigt (vgl. Abschnitt 4.3.10). Eine Angabe besonderer Merkmale für die Ausgestaltung des Absatzkanals erfolgt nicht. Bei der Festlegung der Vertriebsstrategie wird der festgelegte Zielmarkt berücksichtigt, so dass die Vertriebsstrategie dem festgelegten Zielmarkt entspricht und ein Absatz auf diesem Zielmarkt gefördert wird.

5.1.9

Szenarioanalyse (Product Testing)

Der Konzepteur muss nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 3 MiFID II, Art. 9 Abs. 10 MiFIDDRL und § 11 Abs. 9 WpDVerOV eine Szenarioanalyse seiner Finanzinstrumente durchführen, die die Risiken des Produkts im Hinblick auf ein schlechtes Ergebnis bei dem Endkunden und die Umstände, unter denen dieses Ergebnis eintreten kann, beurteilt (Testing). Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat das Finanzinstrument unter negativen Bedingungen zu beurteilen, insbesondere nach den Vorgaben, dass: 1. sich die Marktbedingungen verschlechtern, 2. der Konzepteur oder ein an der Konzeption oder dem Funktionieren des Finanzinstruments beteiligter Dritter in finanzielle Schwierigkeiten gerät oder ein anderweitiges Gegenparteirisiko eintritt, 3. sich das Finanzinstrument als wirtschaftlich nicht lebensfähig erweist oder 4. die Nachfrage nach dem Finanzinstrument erheblich höher als erwartet ausfällt, so dass die Ressourcen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder der Markt des Basiswerts unter Druck geraten. Im Ergebnis muss der Konzepteur beurteilen, ob das Produkt für den Kunden sinnvoll sein kann. Der Konzepteur wird hier in der Praxis verschiedene Szenarien beleuchten, wobei er ggf. auch auf die für das PIB bzw. BIB/KID benötigten Berechnungen zurückgreifen kann.

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5.1.10 Prüfung der Kostenstruktur Die Gebührenstruktur des Finanzinstruments ist nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 3 MiFID II, Art. 9 Abs. 12 MiFID-DRL und § 11 Abs. 11 WpDVerOV anhand der folgenden Kriterien zu überprüfen: • Vereinbarkeit der Kosten und Gebühren des Finanzinstruments mit den Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des Zielmarkts. • Die Gebühren zehren nicht die erwartete Rendite des Finanzinstruments auf. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Kosten oder Gebühren sämtliche Vorteile des Finanzinstruments, einschließlich steuerlicher Vorteile, aufwiegen, übersteigen oder aufheben. • Die Gebührenstruktur des Finanzinstruments ist für den Zielmarkt hinreichend transparent (Gebühren sind nicht verschleiert oder zu komplex, um verstanden zu werden). Die in Produkte eingepreisten Kosten sind regelmäßig auf einen Maximalbetrag für ein Laufzeitjahr begrenzt. Dementsprechend ist eine gewisse Deckelung der Kosten bereits produktimmanent. Bei bestimmten Produkten kann konstruktionsbedingt eine Aussage zu einem bestimmten Maximalbetrag der Kosten nur bedingt möglich sein. Die Kostenbestandteile werden in dem für das Produkt zu erstellenden Text für Kleinanleger ausgewiesen, so dass die Gebührenstruktur verständlich wird. Auch professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien können ein etwaiges PRIIPs-KID erhalten. Sollte kein PRIIPs-KID für das Produkt erstellt werden, so können die Produktkosten i.d.R. den Verkaufsunterlagen entnommen werden.

5.1.11 Bestimmung zentraler Ereignisse Der Konzepteur hat nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 4 MiFID II, Art. 9 Abs. 15 Unterabs. 1 MiFID-DRL und § 11 Abs. 15 und 16 WpDVerOV zentrale Ereignisse zu bestimmen, welche die potenziellen Risiko- und Ertragserwartungen des Finanzinstruments beeinflussen können. Dies können bspw. folgende Ereignisse sein: • das Überschreiten einer Schwelle, durch das das Ertragsprofil des Finanzinstruments beeinflusst wird; • die Insolvenz bestimmter Emittenten, deren Wertpapiere oder Garantien die Wertentwicklung des Finanzinstruments beeinflussen können.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

Zu berücksichtigen sind Ereignisse, die sich wesentlich auf das potenzielle Risiko für den festgelegten Zielmarkt auswirken können. Zentrale Ereignisse, die das potenzielle Risiko oder die Renditeerwartungen des Finanzinstruments beeinflussen können, können z.B. Änderungen des Summary Risk Indicator (SRI) nach der PRIIPs-Verordnung sein. Es dürfte sich hier anbieten, eine signifikante Änderung der Risikoklassen zu definieren.

5.1.12 Informationsweitergabe an Vertriebsunternehmen Es besteht nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 5 MiFID II, Art. 9 Abs. 13 MiFID-DRL und § 11 Abs. 12 WpDVerOV die Pflicht der Konzepteure zur Weitergabe von sämtlichen erforderlichen und sachdienlichen Informationen über ein Finanzinstrument an die Vertriebsunternehmen, insbesondere über: • geeignete Vertriebskanäle, • zum Produktfreigabeverfahren und • zur Zielmarktbeurteilung. Die Information hat in einer Form zu erfolgen, so dass das Vertriebsunternehmen in der Lage ist, das Finanzinstrument zu verstehen, zu empfehlen und/oder zu verkaufen. In der Praxis werden diese Informationen über Dienstleister von den Konzepteuren zu den Vertriebsunternehmen transportiert. Teilweise erfolgen auch Informationen über die Webseiten.

5.2 Regelmäßige Überprüfung 5.2.1

Fortlaufende Überprüfung/Rückmelderegime

Der Konzepteur hat gemäß Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 4 MiFID II, 9 Abs. 14 und Abs. 15 MiFID-DRL, § 80 Abs. 10 WpHG, §§ 11 Abs. 13, 12 Abs. 11 WpDVerOV und den ESMA-Leitlinien Nr. 56 bis 59 eine regelmäßige Überprüfung selbst konzipierter Finanzinstrumente vorzunehmen und den Abstand der Prüfungsintervalle in Abhängigkeit von relevanten Faktoren, insbesondere der Komplexität und dem innovativen Charakter der Anlagestrategie, festzulegen. Der Konzepteur hat ferner vor jeder weiteren Begebung oder Wiederauflage eine anlassbezogene Überprüfung vorzunehmen, wenn er von Ereignissen, die das potenzielle Risiko für den bestimmten Zielmarkt wesentlich beeinflussen können, Kenntnis erlangt. Die Prüfung hat sich zumindest darauf zu beziehen, ob:

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• das Finanzinstrument weiterhin mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen des Zielmarkts vereinbar ist, • auf dem Zielmarkt vertrieben wird oder ob es Kunden erreicht, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen das Finanzinstrument nicht vereinbar ist. Vertriebsunternehmen müssen auf Anfrage Informationen über ihre Überprüfungen und den Vertrieb übermitteln.58 Unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit dürfen Vertriebsunternehmen die Informationen grundsätzlich in aggregierter Form zur Verfügung stellen, wobei die Information nicht grundsätzlich auf Basis einzelner Instrumente bzw. Verkäufe erfolgen muss. Bei besonderer Bedeutung des Einzelfalls sind jedoch von Vertriebsunternehmen auch Informationen in Bezug auf einzelne Finanzinstrumente zur Verfügung zu stellen.59 Die regulatorischen Vorgaben sehen damit ein Rückmelderegime des Distributors zum Konzepteur vor, ohne dies genau auszuformen. Im Hinblick auf eine praxisgerechte und effiziente Umsetzung könnte es sich anbieten, hier Meldungen nach Überschreitung von bestimmten Schwellenwerten und ggf. bei besonderen Anlässen Relevanz und Bedeutung vorzunehmen, z.B. sehr hohe Anzahl von Kundenbeschwerden.

5.2.2

Ergreifung von Maßnahmen

Bei Eintritt eines zentralen Ereignisses sind gemäß Art. 9 Abs. 15 MiFID-DRL/§ 11 Abs. 16 WpDVerOV ggf. Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere • Information an Kunden oder (bei Drittvertrieb) an Vertriebsunternehmen, • Veränderung des Produktfreigabeverfahrens, • Einstellung der weiteren Begebung des Finanzinstruments, • Veränderung des Finanzinstruments zur Vermeidung unfairer Vertragsklauseln, • Prüfung, ob die für den Verkauf der Finanzinstrumente genutzten Kanäle angemessen sind, wenn das Finanzinstrument nicht wie geplant verkauft wird, • Kontaktaufnahme mit dem Vertriebsunternehmen bezüglich Veränderung des Vertriebsprozesses,

58 59

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§ 12 Abs. 12 WpDVerOV. ESMA-Leitlinien zu den Produktüberwachungsanforderungen der MiFID II vom 05.02.2018, ESMA/35-43-620, Nr. 58.

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Product Governance und Zielmarkt – Umsetzung in der Praxis bei Emittenten

• Beendigung der Beziehung mit dem Vertriebsunternehmen oder • Unterrichtung der jeweils zuständigen Behörde.

5.3 Allgemeine organisatorische Maßnahmen Nachfolgende Angaben und Ausführungen sind lediglich beispielhaft zu verstehen und müssen von dem jeweiligen Emittenten im Hinblick auf sein spezifisches Geschäftsmodell angepasst werden.

5.3.1

Verfahren und Maßnahmen betreffend Interessenkonflikte

Gemäß Art. 16 Abs. 3 MiFID II, Art. 9 Abs. 2 MiFID-DRL, § 80 Abs. 9 WpHG und § 11 Abs. 2 WpDVerOV ist die Einführung, die Umsetzung und die Aufrechterhaltung von Verfahren und Maßnahmen zum Umgang mit Interessenkonflikten, einschließlich der Anforderungen an die Vergütung vorzunehmen. Konzepteure dürften bereits regelmäßig über Mechanismen verfügen, die sicherstellen, dass mit Interessenkonflikten ordnungsgemäß umgegangen wird; bestehende Prozessabläufe sowie Organisationsanweisungen werden ggf. entsprechend den in den Abschnitten 5.1.4 und 5.1.5 dargelegten Anforderungen eine Anpassung erfahren.

5.3.2

Sachkenntnis der Mitarbeiter

Nach Art. 9 Abs. 5 MiFID-DRL und § 11 Abs. 5 WpDVerOV sollen die maßgeblichen Mitarbeiter über die erforderliche Sachkenntnis verfügen, damit sie die Merkmale und Risiken der Finanzinstrumente, die sie konzipieren, verstehen können. Der Konzepteur sollte daher die für Produktüberwachungsverfahren maßgeblichen Positionen mit Personen, welche über die erforderliche Sachkenntnis verfügen, besetzen bzw. dies durch Einarbeitung und/oder Schulungen sicherstellen.

5.3.3

Einbindung der Compliance-Funktion

Gemäß Art. 9 Abs. 7 MiFID-DRL und § 80 Abs. 13 WpHG ist sicherzustellen, dass die Compliance-Funktion über die Entwicklung und regelmäßige Überprüfung der Produktfreigabevorkehrungen wacht und Risiken, dass Anforderungen an den Produktüberwachungsprozess nicht erfüllt werden, frühzeitig erkannt werden.

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Henning Bergmann

5.3.4

Einbindung der Geschäftsführung und der Aufsicht

Die Bedeutung, die die MiFID II dem Product-Governance-Prozess zuweist, wird auch dadurch deutlich, dass gemäß Art. 9 Abs. 6 MiFID-DRL und § 81 Abs. 4 S. 1 WpHG eine wirksame Überwachung des Produktfreigabeverfahrens durch die Geschäftsleiter erfolgen muss. Die Geschäftsleiter haben sicherzustellen, dass Compliance-Berichte Informationen über die konzipierten Finanzinstrumente inklusive der jeweiligen Vertriebsstrategie enthalten.

5.3.5

Informationsweitergabe an die Aufsicht

Auf Anforderung sind gemäß Art. 9 Abs. 6 S. 3 MiFID-DRL und § 81 Abs. 4 S. 3 WpDVerOV der Bafin Compliance-Berichte zur Verfügung zu stellen.

5.3.6

Zusammenarbeit mit Dritten

Sofern bei der Erschaffung, Entwicklung, Begebung oder Gestaltung von Produkten eine Zusammenarbeit mit Dritten (nicht MiFID-II-reguliert bzw. Drittstaatenfirmen) erfolgt, bedarf es gemäß Art. 9 Abs. 8 MiFID-DRL/§ 11 Abs. 6 WpDVerOV einer schriftlichen Vereinbarung über die gemeinsamen Verantwortlichkeiten.

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MiFID II als Last oder Chance – welche Potenziale bieten digitale Technologien? Nicholas Ziegert/Ralf Rubin Heim

1 „Software eats the World“ 2 Beziehung von Technologie und Regulation 3 Potenziale von Technologie in der Regulation 4 Lücke zwischen Potenzial und Standard am Beispiel der Anlageberatung 4.1 Analoger Anlageberatungsprozess 4.2 Digital unterstützter Anlageberatungsprozess 4.3 Bedeutung digitaler Anlageberatungsprozesse für die Umsätze der Banken 5 Zeit, Potenziale zu heben 6 Fazit

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1 „Software eats the World“ Software ist heute ein selbstverständlicher Teil in unserem Privatleben, in Unternehmen und im Finanzmarkt. Software automatisiert operative Prozesse, die früher manuell durchgeführt wurden. Der Silicon-Valley-Unternehmer und Venture-Capital-FondsGründer Marc Andresen wird so auch regelmäßig mit seinem Satz „Software eats the world“ zitiert. Umso notwendiger ist es, dass sich Banken und andere Firmen aus dem Finanzsektor aufmachen, um regulatorische Anforderungen mit kluger Software zu erfüllen oder hieraus gar Wettbewerbsvorteile zu entwickeln.

2 Beziehung von Technologie und Regulation Technologie und Regulation führen eine interessante Beziehung. So ziehen typischerweise neue Technologien neue Gesetze nach sich. Im Banking gilt heute eher: Neue Regulationen sind nur noch mit Technologie kaufmännisch akzeptabel umsetzbar. Personalkosten, entgangene Geschäfte sowie möglicherweise Bußgelder bei Nichterfüllung von Pflichten machen Compliance zu einem größer werdenden Kostenblock. In einer Industrie, in der der Margenverfall alle Umsatzströme erfasst, ermöglicht jedoch erst der Einsatz von Software die Skalierbarkeit von Geschäften, mit denen Compliance Schritt halten muss. Früher galt, dass Aufgaben, vor denen jedes Kreditinstitut steht, keine Wettbewerbsvorteile bieten. Und so wurde Compliance eher als lästiges Pflichtprogramm, denn als zukunftsweisende Managementaufgabe betrachtet. Im Fall der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II) sind diese Aufgaben so umfangreich, dass große Teile der Fach- und IT-Ressourcen von Banken über Jahre ausgelastet sind. Wer hier versucht, manuell den neuen Regeln zu entsprechen, spart zwar anfängliche Investitionen, baut jedoch langfristig massive Kostenblöcke auf – Kostenblöcke, die mit zunehmender Zeit die Wettbewerbsfähigkeit des Instituts gefährden werden. Somit ist es notwendig, in den Instituten Prozessautomatisierungen über Software zu implementieren. Hierbei bietet die Technologie heute große Potenziale.

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Nicholas Ziegert/Ralf Rubin Heim

3 Potenziale von Technologie in der Regulation Welche Potenziale durch softwarebasierte Compliance bestehen, sollen diese Beispiele verdeutlichen, in denen junge Unternehmen oft Vorreiter sind: • Celonis – Compliance der Prozesse: Gab es Auffälligkeiten in den Prozessen, wurden Interne Kontrollsysteme (IKS) eingehalten oder bestehen überflüssige Schleifen in den Prozessen? In den operativen Systemen (Kernbanken-/Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP)) hinterlässt jeder Prozess Zeitstempel (Logfiles). Diese Logfiles analysiert automatisiert das Startup Celonis. • Lexcube – Geeignetheit der Beratung: Über die Depotschnittstellen (z.B. des FinTechs figo) einer Bank lassen sich automatisiert die „echten“ Risikoprofile der Kunden aus deren Ist-Depots ermitteln. Dies ist z.B. auf der Technologie von Lexcube möglich. • Qumram – Überwachung der Kundeninteraktion: Wie hat der Kunde den Beratungsprozess online durchgeklickt, auf welchen Kanälen hat er mit der Bank interagiert und welche Fragen hat er gestellt. Mit Qumram kann eine Bank den Kundendialog nachvollziehen. Regulation bietet auch das Potenzial, neue Mehrwerte und damit neue Umsätze entstehen zu lassen: • Fino – Konto-/Depotwechsel: Die Anforderung an Banken, ihren Kunden den Kontowechsel zu erleichtern, förderte digitale Kontowechselservices wie fino und finreach. • Fincite – automatisierte Beratung auf Basis der „echten“ finanziellen Situation: Durch den Zugriff auf Kontodaten unterschiedlicher Banken können anspruchsvolle Beratungsprozesse in der Geldanlage automatisiert werden. Dies geschieht z.B. auf der Software Fincite.Core. Durch Customer Profiling können Banken auch aus der MiFID II Potentiale ziehen. MiFID II fordert von ihnen das, was e-Commerce-Start-ups seit Jahren ohne regulatorische Legitimation durchführen: Sie wollen mehr über die finanzielle Situation ihrer Kunden erfahren. Über die Einbindung von Kontoschnittstellen, wie es die Payment Service Directive II (PSD II) ermöglicht, könnten diese Analysen sogar automatisiert die entsprechenden Fragebogen der Berater ergänzen. Dass hierbei der geltende Datenschutz und eine gewisse Sensibilität gegenüber dem Kunden gewahrt bleiben, setzten wir an dieser Stelle als selbstverständlich voraus.

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MiFID II als Last oder Chance – welche Potenziale bieten digitale Technologien?

4 Lücke zwischen Potenzial und Standard am Beispiel der Anlageberatung Um das Potenzial digitaler Technologien mit der heute noch verbreiteten Bankpraxis zu vergleichen, blicken wir auf den Prozess der Anlageberatung. Bei der Beratung von Privatkunden sehen MiFID II bzw. die die deutschen Umsetzungsgesetze (Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und -Organisationsverordnung (WpDVerOV)) vor, dass das Wertpapierhandelsunternehmen vom Kunden • alle Informationen über Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf Geschäfte mit bestimmten Arten von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen, • über die finanziellen Verhältnisse des Kunden, einschließlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen, und • über seine Anlageziele, einschließlich seiner Risikotoleranz einholen muss, um eine angemessene Beratung oder ein angemessenes Produktangebot machen zu können (§ 64 Abs. 3 WpHG).

4.1 Analoger Anlageberatungsprozess Dabei sieht der Standardprozess in der Anlageberatung zwischen Kunde und Berater i.d.R. folgendermaßen aus: In einem ausführlichen Dialog stellt der Berater dem Kunden ausführliche Fragen zu seiner finanziellen Situation. Dies sind natürlich sensible Informationen, die viele Kunden nicht vollständig teilen wollen. Dann erfragt der Berater die Kenntnisse, Erfahrungen, Präferenzen und Risikoneigungen. Dies ist ein aufwändiger Prozess, der – Smalltalk inklusive – gerne mal über eine Stunde dauert. Vollständig ist der Kunde mit seiner Vermögenssituation und seinen Wünschen damit meist aber immer noch nicht erfasst bzw. verstanden. Nunmehr erfolgt der Abgleich mit dem Zielmarkt der Finanzprodukte, die angeboten werden sollen. Der Weg ist dann frei für Vorschläge, die in diesem Prozess ausgewählten Produkte zu erwerben. Nach einem Jahr sprechen beide Parteien erneut und wiederholen den Prozess. Der hohe Aufwand führt dazu, dass diese Art der analogen Anlageberatung nur bei höheren Vermögen kaufmännisch attraktiv ist.

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Nicholas Ziegert/Ralf Rubin Heim

4.2 Digital unterstützter Anlageberatungsprozess Somit stellt sich die Frage, wie der Prozess der Anlageberatung nun mit digitaler Unterstützung aussehen könnte? Dem Bankkunden würde bspw. eine App zur Verfügung gestellt, mit der er seine Vermögensübersichten selbst pflegt. Die Eingaben werden unterstützt durch Schnittstellen zu den Datenlieferanten seiner wesentlichen Vermögenswerte, die er besitzt, wie bei Banken, Versicherungen, Immobilien, geschlossene Fonds usw. Für den Fall der Beratung muss bzw. kann der Kunde den Berater in seine Vermögensverhältnisse Einblick nehmen lassen – in Sekundenschnelle und ggf. auch per Schnittstelle in die Systeme der Bank. Das folgende Gespräch über Ziele und Risikoneigung wäre dann entlastet von den unangenehmen Fragen nach den Vermögensverhältnissen, Fragen nach größeren Verpflichtungen aus Unterhaltsansprüchen o.ä. Denn diese Informationen hat die Software längst aus Bankdaten und Vermögensangaben herausgelesen. Auch das Matching zwischen der Kategorisierung des Kunden und des Zielmarktes von Finanzprodukten würde ein Algorithmus übernehmen, der dann eine Liste möglicher Paarungen zwischen potenziellem Anleger und Produkt auswirft. Viele dieser Technologien sind bereits vorhanden, wie z.B. VermögensverwaltungsTools, die Anlegern eine Übersicht über ihr Gesamtvermögen verschaffen. Datenbanken mit den Zielmärkten der neuen Finanzprodukte sind im Entstehen und die Software zum Abgleich der Informationen ist dann nur noch ein kleiner Schritt, zumal die endgültige Entscheidung über die Geeignetheit eines Produktes für einen Kunden beim Berater verbleiben sollte. In diese Richtung gehen z. B. das digitale Family Office Ownly der Warburg Bank oder Prospery von ABN AMRO.

4.3 Bedeutung digitaler Anlageberatungsprozesse für die Umsätze der Banken Warum ist dieses Potenzial nicht nur für zukünftige Umsätze, sondern auch für die Sicherung bestehender Umsätze wichtig? Dies sei an folgendem Beispiel erläutert: Die MiFID II belässt den Beratern geringwertige Vorteile, wenn diese dadurch die Qualität der Dienstleistungen des Wertpapierhandelsunternehmens zugunsten des Kunden erhöhen. Aus FinTech-Sicht ist es zumindest diskutabel, ob hier das Privileg für Filialbanken, dass alleine das Vorhandensein von Filialen schon eine Rechtfertigung für Zuwendungen sein soll, ein gutes Beispiel ist.

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MiFID II als Last oder Chance – welche Potenziale bieten digitale Technologien?

Eindeutig zeigt MiFID II jedoch den Weg in digitale Mehrwerte für Kunden. In den Kommentierungen zu MiFID II werden Informationszugänge, Analyse-Tools und Zugänge zu Produktplattformen als Beispiele genannt. Hier ist es den Kunden zu wünschen, dass die klassische Bankindustrie bald viele Ideen der FinTechs übernimmt, die solche Mehrwerte möglich machen.

5 Zeit, Potenziale zu heben Warum setzen viele Banken heute die rechtlichen Vorgaben noch offline bzw. analog um, ohne die Potenziale zu nutzen, die sich aus neuen Software-Tools ergeben? Banken suchen heute nach erprobten Lösungen und Partnern, die möglichst schon langfristig am Markt sind und entsprechenden Support garantieren können. FinTechs dagegen sind schnell mit neuen, kreativen Lösungen am Markt, benötigen jedoch geraume Zeit, um sich im Markt zu etablieren. Banken gehen oft so vor, dass sie in regulatorisch vorgegebenen Bereichen bis zum rechtlich möglichen Zeitpunkt abwarten, bis sich Standards herausgebildet haben. Als in Deutschland für die Beratung privater Kunden der WpHG-Bogen, also die Aufnahme der Vermögenssituation, Risikoneigung und Ziele des Kunden, eingeführt wurde, war das Jammern über diese Last in der Finanzindustrie groß. Seither wurden hunderttausende solcher Dokumente erfasst und zur Überprüfung durch Interne Revisoren und externe Bankenprüfer ordnungsgemäß aufbewahrt. Das Wissen um die wichtigen Aspekte des Kunden wanderte zum einen in CustomerRelationship-Management-Systeme (CRM) sowie in die WpHG-Bögen und zum anderen in die Köpfe der Berater, deren Marktwert das Detailwissen über ihre Kunden bestimmt(e). Während in anderen Industrien Start-ups schon lange daran arbeiten, schärfere Profile und Einschätzungen zu ihren Kunden zu gewinnen, tut sich die Finanzbrache hiermit noch immer schwer. Hier ist zu hoffen, dass die Finanzindustrie einen anderen Blickwinkel einnimmt: Wenn regulierte Unternehmen sowieso verpflichtet sind, Aufgaben zu erfüllen, warum kann man hieraus nicht gleich weitere Mehrwerte – entweder für den Kunden oder das Unternehmen erzeugen? Mit MiFID II steht die Branche wieder vor einem Berg an neuen Aufgaben, die nicht nur Last, sondern vielfältige Chancen bieten.

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6 Fazit MiFID II birgt Geschäftschancen für Technologieanbieter und Banken. Wichtig für die Banken ist, dass sich die Sichtweise von „Jammern“ auf „chancenorientiert“ ändert. Bei der Einführung des Beratungsprotokolls vor ein paar Jahren hat es die FinTechs und Technologieunternehmen gewundert, dass Banken so wenig aus diesem doch zeitlich hohen Aufwand der Vermögens- und Zielaufnahme des Kunden gemacht haben. Statt als WpHG-Bogen in der Schublade oder im CRM-System zu verschwinden, hätte man aus dieser Grundaufnahme von Daten bereits erste kostenpflichtige Zusatzanalysen und Reports für den Kunden entwickeln können. Solche Chancen, Umsätze aus Mehrwerten zu generieren und gleichzeitig Compliance-Kosten zu senken, sollten mit MiFID II nicht vertan werden. Die Pflicht, die Kommunikation mit dem Kunden umfangreich zu dokumentieren, lässt die Herzen von Datenanalysten höher schlagen, liegen hier doch viele Informationen, die für zukünftige Geschäfte und Ideen genutzt werden können. Und gerade die technologiegetriebene Analyse dieser Daten – Stichwort Big Data – bietet die Chance, diese Mehrwerte zu heben – sei es durch Eigenentwicklungen, sei es durch Kooperationen mit Start-ups.

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