Mentale Verursachung: Initiativer Beitrag von Thomas Buchheim. Jahrbuch-Konferenz 2012-2014 9783495486658, 9783495818695

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Mentale Verursachung: Initiativer Beitrag von Thomas Buchheim. Jahrbuch-Konferenz 2012-2014
 9783495486658, 9783495818695

Table of contents :
Inhalt
Vorwort des Herausgebers
Initiativer Beitrag
Thomas Buchheim: Neuronenfeuer und seelische Tat
1. Zwei Argumente für die ontologische Verschiedenheit von körperlicher und seelischer Realität
2. Das Somatische als Symptom des Psychischen
3. Ein Beispiel für die Kausalität des Psychischen als solchen
4. Ein allgemeiner Modellvorschlag: mentale Kausalität durch Begünstigung
LITERATURVERZEICHNIS
1. Siglen
2. Weitere Literatur
Diskussionsbeiträge
Michael Esfeld: Von Descartes lernen
1. Einleitung
2. Mentale Kausalität
3. Die Frage der Identität oder Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen
4. Schluss
LITERATURVERZEICHNIS
Erasmus Mayr: Neo-Aristotelismus, Identitätstheorie und mentale Verursachung
LITERATURVERZEICHNIS
Bettina Walde: Zur aristotelischen Perspektive auf die Frage nach der kausalen Relevanz von Bewusstseinsinhalten
I.
II.
III.
LITERATURVERZEICHNIS
Emmanuel Baierlé: Sollte das Standardmodell der mentalen Verursachung aufgegeben werden?
I.
II.
III.
IV.
LITERATURVERZEICHNIS
Tobias Müller: Zur Möglichkeit und Wirklichkeit mentaler Verursachung
1. Zur Ausgangslage der aktuellen Diskussion um mentale Verursachung
2. Das Prinzip der kausalen Geschlossenheit
Zur deduktiv-nomologischen Erklärung
Zum Energieerhaltungssatz
Zum physiologischen Argument
3. Zur Notwendigkeit der mentalen Verursachung
4. Mentale Verursachung in nicht-physikalistischer Perspektive
5. Zur Diskussion von Buchheims Ansatz
LITERATURVERZEICHNIS
Anne Sophie Spann: Dualität im Horizont des Physischen. Thomas Buchheims ‚horizontaler Dualismus‘ als Antwort auf das Problem mentaler Verursachung
Vollbringungen lebendiger Körper -- Der neoaristotelische Begriff des Mentalen
Operative Begünstigung -- Die Kausalität des Lebendigen
LITERATURVERZEICHNIS
Sven Walter: Mentale Verursachung und Willensfreiheit: Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist?
1. Der Epiphänomenalismus als Grundlage empirischer Freiheitsskepsis
2. Wegners Theorie der apparent mental causation
3. Kontrollillusionen
4. Empirische Evidenz für Kontrollillusionen?
5. Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist?
6. Müssen mentale Zustände kausal wirksam sein, damit wir frei sind?
LITERATURVERZEICHNIS
Thomas Buchheim: Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität. Eine Replik
I. Dualismus versus Identitätstheorie – ein philosophisches Patt?
II. Was leistet die Behauptung einer ‚Token-Token-Identität‘ des Geistigen mit Körperlichem?
III. Die dualistische These
IV. Starker (cartesianischer) versus schwacher (aristotelischer) Dualismus
V. Zur prinzipiellen Problematik einer kausalen Interaktion zwischen Mentalem und Somatischem
VI. Zur Abgrenzung zwischen ‚physikalischen‘ und mentalen Phänomenen
VII. Zum Unterschied von biologischen Prozessen und mental qualifizierten Vorkommnissen
VIII. Sperrigkeit des Mentalen gegenüber Reduktionsansprüchen der Identitätstheorie
IX. Zur Differenz der Kausalverbindung zwischen operativen Zuständen und Geschehensabfolgen
X. Sind mentale Qualifikationen von Lebensepisoden ‚emergente‘ Eigenschaften im Sinne der Emergenztheorie?
XI. Vertrete ich eine ‚Downward Causation‘ von mentalen auf somatische Vorkommnisse im Körper eines Lebewesens?
XII. Läuft die Implementierung mentaler Kausalität im innerphysischen und damit prinzipiell naturwissenschaftlich zugänglichen Kontext nicht auf eine Relativierung der ontologischen Verschiedenheit hinaus?
XIII. Nicht vertikal, sondern horizontal gerichtete mentale Kausalität
XIV. Ist mentale Kausalität im beschriebenen Sinn Akteurskausalität?
XV. Freiheit oder Epiphänomenalismus des Mentalen
LITERATURVERZEICHNIS
Bettina Walde: Beitrag zur Fortführung der Debatte um Buchheims neo-aristotelischen Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität
I. Zur Positionierung der Buchheim’schen Konzeption zwischen emergentistischen, funktionalistischen und supervenienzbasierten Aristoteles-Interpretationen: Erweiterung dessen, was zur Natur zählt, um Mentales
II. Übersetzungsfehler als Grundlage der Kritik an Dan Wegner?
III. Einige grundsätzliche Bemerkungen zum Zusammenhang zwischen dem subjektiven Eindruck, etwas bewusst gewollt zu haben, und der Freiheit von Handlungen
IV. Subjektive Urheberschaft als hinreichendes Kriterium der Freiheit und Weiteres zur kausalen Relevanz bewusster Willensentscheidungen
Literaturverzeichnis

Citation preview

A

Jahrbuch-Kontroversen 1 Wilhelm Vossenkuhl (Hg.)

Mentale Verursachung Initiativer Beitrag von Thomas Buchheim

Philosophisches Jahrbuch https://doi.org/10.5771/9783495818695 .

B

Philosophisches Jahrbuch

Jahrbuch-Kontroversen 1

https://doi.org/10.5771/9783495818695 .

Die seit Jahren anhaltende Diskussion der Willensfreiheit und die neurowissenschaftlichen Forschungen haben die Frage, wie wir Menschen das, was wir denken und tun, bewirken, zu einem der dringendsten Probleme des menschlichen Selbstverständnisses gemacht. Dieses Problem, bekannt unter der Bezeichnung „mentale Verursachung“, strahlt in alle Bereiche des Denkens und Handelns aus und ist deswegen von zentraler Bedeutung in der Philosophie und in den Human- und Sozialwissenschaften. Es wird in dem vorliegenden Band aus allen Perspektiven beleuchtet, die in der aktuellen Diskussion eine Rolle spielen. Nachdem Thomas Buchheim 2012 im Philosophischen Jahrbuch den Initialbeitrag „Neuronenfeuer und seelische Tat. Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität“ veröffentlicht hatte, haben 2013 Emmanuel Baierlé, Michael Esfeld, Erasmus Mayr, Tobias Müller, Anne Sophie Spann, Bettina Walde und Sven Walter seine Thesen und Argumente diskutiert und eigene Positionen skizziert. Auf die in diesen Beiträgen enthaltenen Kritikpunkte, Fragen und Anregungen hat im zweiten Halbband 2013 Thomas Buchheim eine Erwiderung geschrieben. Im ersten Halbband 2014 folgte dazu eine weitere Stellungnahme von Bettina Walde. Dieses Buch fasst die gesamte Diskussion aus vier Halbbänden des Philosophischen Jahrbuchs zusammen. Der Herausgeber Wilhelm Vossenkuhl hat ein neues Vorwort für diese Veröffentlichung geschrieben.

Der Herausgeber: Wilhelm Vossenkuhl, Jahrgang 1945, hatte bis 2011 einen Lehrstuhl für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. Bekannt ist er auch durch Philosophie-Fernsehsendungen im Bayerischen Rundfunk. Seit 1996 ist er Mitherausgeber des Philosophischen Jahrbuchs.

https://doi.org/10.5771/9783495818695 .

Jahrbuch-Kontroversen 1 Wilhelm Vossenkuhl (Hg.)

Mentale Verursachung Initiativer Beitrag von Thomas Buchheim

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495818695 .

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2014 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise GmbH, Trier Herstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN (Print) 978-3-495-48665-8 ISBN E-Book (pdf) 978-3-495-81869-5

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Inhalt

Wilhelm Vossenkuhl Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Initiativer Beitrag Thomas Buchheim Neuronenfeuer und seelische Tat. Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Diskussionsbeiträge Michael Esfeld Von Descartes lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

Erasmus Mayr Neo-Aristotelismus, Identitätstheorie und mentale Verursachung

. . . . . .

36

Bettina Walde Zur aristotelischen Perspektive auf die Frage nach der kausalen Relevanz von Bewusstseinsinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

Emmanuel Baierlé Sollte das Standardmodell der mentalen Verursachung aufgegeben werden? .

51

Tobias Müller Zur Möglichkeit und Wirklichkeit mentaler Verursachung . . . . . . . . . .

58

Anne Sophie Spann Dualität im Horizont des Physischen. Thomas Buchheims ‚horizontaler Dualismus‘ als Antwort auf das Problem mentaler Verursachung . . . . . . .

71

https://doi.org/10.5771/9783495818695 .

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Inhalt

Sven Walter Mentale Verursachung und Willensfreiheit: Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Thomas Buchheim Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität. Eine Replik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Bettina Walde Beitrag zur Fortführung der Debatte um Buchheims neo-aristotelischen Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . 123

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Vorwort des Herausgebers

‚Denken‘ ist nicht nur ein, sondern das Thema der Philosophie. Es ist seit einiger Zeit aber auch Thema der Neurowissenschaften. Deren stürmische Entwicklung hat viele Philosophinnen und Philosophen in jüngerer Zeit dazu ermuntert zu prüfen und sich zu vergewissern, wie zuständig die Philosophie für das Denken wirklich ist. Ein Problemfeld, auf dem diese Prüfung gute Chancen hat zu gelingen, ist die mentale Verursachung. Wie ist es zu verstehen, dass die menschliche Denktätigkeit ursächlich für lebensrelevante Ereignisse und Zustände in einem Menschen ist? Um was für eine Art Ursache handelt es sich dabei, und wie wird sie wirksam? Antworten auf diese und viele weitere Fragen entscheiden nicht nur über die Zuständigkeit der Philosophie für das Denken, sondern stehen in direkter Konkurrenz zu den Ergebnissen der Neurowissenschaften. Denn in diesen Wissenschaften werden analoge Fragen zur Ursächlichkeit des Denkens gestellt. Insofern teilen diese Wissenschaften mit der Philosophie ein gemeinsames Forschungsfeld. Es wäre wünschenswert, dass sich die Forschungsergebnisse ergänzen. Dies ist aber kaum zu erwarten, weil die Methoden und Fragestellungen doch zu verschieden sind. Selbst innerhalb der Philosophie gibt es eine große Vielfalt an Methoden, sich dem Thema der mentalen Verursachung zu nähern. Und jede dieser Methoden erhebt den Anspruch, die richtige und angemessene zu sein. Der vorliegende Band dient dieser Auseinandersetzung innerhalb der Philosophie. Er versammelt Beiträge beinahe aller philosophischen Ansätze zur mentalen Verursachung. Das Philosophische Jahrbuch lud zu den Beiträgen ein und veröffentlichte sie in mehreren Teilbänden. Hier sind sie nun alle in einem Band vereint.* Thomas Buchheim eröffnet mit seinem Beitrag „Neuronenfeuer und seelische Tat. Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität“ die Kontroverse. Die Beiträge von Emmanuel Baierlé, Michael Esfeld, Erasmus Mayr, Tobias Müller, Anne Sophie Spann, Bettina Walde und Sven Walter nehmen darauf Bezug, geben aber auch Auskunft über deren eigene methodischen Ansätze. Sie zeigen eine erstaunliche Vielfalt an Fragen und Antworten zur mentalen Verursachung, immer

* Den Seitenzahlen dieses Bandes gegenüber findet sich jeweils die Paginierung der entsprechenden Originalausgabe des Philosophischen Jahrbuchs.

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Vorwort des Herausgebers

bemüht um argumentative Sorgfalt und Plausibilität. Insoweit steht jeder einzelne Beitrag für sich. Thomas Buchheim nimmt in seiner Replik Stellung zur Vielfalt der Alternativen. Wilhelm Vossenkuhl

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Initiativer Beitrag

https://doi.org/10.5771/9783495818695 .

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Neuronenfeuer und seelische Tat Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität* Thomas BUCHHEIM (München)

1. Zwei Argumente für die ontologische Verschiedenheit von körperlicher und seelischer Realität Von Aristoteles stammen zwei gute, noch heute überall vorgebrachte Argumente dafür, warum man seelische bzw. mentale Verfassungen nicht mit Körperzuständen oder somatischen Prozessen (also z. B. Neuroaktivität im Gehirn) identifizieren kann. Das erste Argument besteht darin, dass die Dinge, die als Träger oder Zugrundeliegendes (‚Subjekte‘) von seelischen Verfassungen in Frage kommen, wesentlich verschieden sind von denen, die Träger von Körperzuständen oder somatischen Prozessen sein können. Das zweite Argument lautet, dass keine isomorphe Strukturgliederung und daher keine analytisch ergiebige Abbildung zwischen psychischem Phänomen und den gleichzeitig auftretenden körperlichen Vorgängen vorgenommen werden kann. Zunächst zum ersten Argument: Während, wie der Name schon sagt, alle Körper bloß als solche, d. h. sowohl in größerem wie beliebig klein portioniertem Umfang Träger von somatischen Prozessen und Körperzuständen sind, kommt nur eine sehr kleine Auswahl von ihnen dafür in Frage, jeweils im ganzen genommen und wenn sie außerdem bestimmte, äußerst restriktive Bedingungen in Bezug auf ihre innere Struktur und äußere Abgrenzung erfüllen, als Träger von psychischen Zuständen zu fungieren. Dabei weigert sich Aristoteles mit großem Bedacht, psychischen Phänomenen einen ihnen eigentümlichen psychischen Träger zu unterstellen – wie etwa ‚die Seele‘ selbst und für sich genommen – weil er vielmehr klar erkennt, dass solche Phänomene (alles, was man ‚psychisch‘ oder ‚mental‘ nennt) nur als eingebettet in den Lebenszusammenhang lebendiger Individuen auftreten, die, so weit wir sehen können, ihrerseits wiederum komplexe Körper sind. Zwar haben diese komplexen Körper nach Aristoteles’ Meinung eine Seele oder sind beseelt; aber die Seele ist nicht eine selbständige Entität zusätzlich zu dem komplexen Körper, sondern * Dieser Aufsatz ist die veränderte und ergänzte Fassung eines Vortrags, der in englischer Sprache zuerst 2011 auf den 48. Reuniones Filosóficas an der Universidad de Navarra in Pamplona gehalten wurde. Ich danke den Veranstaltern der Konferenz über ,Biología y subjetividad‘ für die Genehmigung, diese veränderte Fassung vorab auf Deutsch zu publizieren.

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Thomas Buchheim

vielmehr eine spezielle Art und Weise dieses Körpers selbst, nur in seiner Gesamtheit genommen als einer zu existieren: [1] Darum ist die Auffassung richtig, dass die Seele weder ohne Körper noch selbst eine Art Körper sei; denn obwohl nicht selbst Körper, ist sie doch etwas von einem Körper und findet im Körper statt, nämlich in einem solchen und nicht so, wie die Früheren sie in einen Körper ‚einfügten‘, ohne irgendetwas darüber hinzuzubestimmen, in welchen und einen wie beschaffenen […] Und nur so entspricht es dem wissenschaftlichen Begriff: Denn überall kommt von Natur aus die komplette Selbstvollbringung (¥ntelffceia) eines Dinges in dem dazu Fähigen und der einheimischen Materie zustande. Dass die Seele also eine bestimmte Art kompletter Selbstvollbringung und d. h. Gesamtausdruck (lgo@) eines solchen Vermögendseienden ist, ist klar. 1

Allein dieser Gesamtheit in ihrer Art und Weise zu existieren, können demnach auch die seelischen und mentalen Verfassungen zugeschrieben werden: Der ganze Mensch und nur der ganze denkt; das ganze Reh und nur dieses ganze wittert; die ganze Amsel und nur diese ganze singt. Alle mentalen und psychischen Verfassungen sind biographischer Natur. D. h., sie treten ausschließlich auf als eingebettet in Lebensepisoden von lebendigen Individuen in ihrer Gesamtheit. Solange diese Individuen körperlich sind, solange ist auch der Träger von psychischen und mentalen Verfassungen eben ein – wenn auch komplexer und hochintegrierter – Körper. Das jedenfalls ist die Position von Aristoteles. Nur sind es wesentlich verschiedenartige Körper, die einerseits Träger von somatischen oder physikalischen Zuständen und Prozessen und die andererseits Träger von psychischen oder mentalen Verfassungen sein können. Während für erstere alle Körper und Körperteile in beliebiger Portionierung herhalten und auch die körperliche Umgebung mit einbezogen ist (Körperzustände diffundieren, z. B. die Atemluft oder Temperatur oder Methanausstoß), kommen für letztere nur und präzis, d. h. ohne Diffusion, jene hochkomplexen Körper, sofern sie zugleich lebendig sind, in Frage. Deshalb können in ein und demselben komplexen Körper Zustände beiderlei Art auftreten: nämlich erstens physikalische Zustände und dies durch und durch in allen seinen Teilen; zweitens psychische Verfassungen, aber nur in ihm als ganzem und daher stets eingebettet in Lebensepisoden des gesamten Individuums. Seelische Verfassungen sind trägerintegrierend und exklusiv (sie beziehen sich nur auf ihn, gehen nicht über in die Umgebung); Körperzustände trägerinfiltrierend und diffusiv (ihre Eingrenzung auf den betreffenden Körper ist arbiträr und d. h. abhängig von intuitiven Vorentscheidungen). Ich möchte diese Ansicht des Aristoteles, die m. E. auch für die heutige Debatte noch beachtlich sein kann, kurz durch zwei Zitate aus De anima belegen, obwohl dafür auch viele andere Stellen im Werk des Philosophen in Frage kämen: [2] Sagen, dass es die Seele sei, die zürnt, ähnelt der Behauptung, dass die Seele webe oder ein Haus baue; besser ist es stattdessen, nicht zu sagen, die Seele erbarme sich oder lerne oder denke nach, sondern der Mensch dank seiner Seele. 2

1 2

de An. II 2, 414a 19–28. de An. I 4, 408b 11–18.

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Neuronenfeuer und seelische Tat

[3] Oft verbindet und setzt man die Seele in einen Körper, ohne irgendetwas darüber hinzuzubestimmen, aus welcher Ursache und wie sich der Körper verhalte. Und doch scheint dies ja notwendig zu sein: Denn aufgrund der Gemeinschaft wirkt das eine und leidet das andere, und wird das eine bewegt und bewegt das andere, wovon bei Dingen im Verhältnis zueinander nichts aufs Geratewohl stattfindet. Die anderen machen allein Anstalten zu erklären, ein wie beschaffenes Etwas die Seele ist, über den aufnehmenden Körper aber bestimmen sie nichts außerdem, wie etwa nach den Pythagoreischen Geschichten eine beliebige Seele in einen aufs Geratewohl anwesenden Körper hineintauchen kann. 3

Wir können dieses erste Argument des Aristoteles für die Verschiedenheit von psychischen Verfassungen und Körperprozessen kurz als das Argument unterschiedlicher Supposition ihres Trägers bezeichnen. Während die seelische Verfassung einen Körper holistisch supponiert, supponiert ihn der somatische Zustand jederzeit nur partial. Das Argument des Aristoteles wurde im Zuge der gegenwärtigen philosophischen Debatten mit den Neurowissenschaften neu formuliert von Bennett und Hacker in ihrem Buch The Philosophical Foundations of Neuroscience. Die genannten Autoren bezeichnen den aus der Ignorierung des Arguments datierenden Fehlschluss als mereologischen Trugschluss („mereological fallacy“) 4, der in einem umstandslosen Übergang von den Vollzügen eines ganzen Organismus auf die damit verbundenen Prozesse in einem irgendwie relevanten Teil (etwa Gehirnregionen) dieses Organismus besteht. Nach diesem Fehlschluss sieht es dann so aus, als ‚dächte‘ oder ‚sähe‘ oder ‚fühlte‘ unser Gehirn oder gewisse Teile von ihm. Wir beginnen dann, uns zu fragen, wie denn außer elektro-chemischer Neuroaktivität noch andere, nämlich seelische oder mentale Zustände im Gehirn oder sonst wo vorkommen könnten, oder ob man annehmen muss, dass die ‚mens‘, die ‚Seele‘, der ‚Geist‘ ein ganz anderes etwas in uns sei, das diese Leistungen (des Sehens, Denkens und Fühlens) erbringe. Das zweite Argument, das ebenfalls schon Aristoteles vorbrachte, bezieht sich auf die Binnenstruktur der Lebensepisoden und der darin eingebetteten seelischen Vorkommnisse und Verfassungen, die ganz anders zu sein scheint, als die der Körper. Während nämlich bei den Körperprozessen die einzelnen Momentzustände der betroffenen Teile den raumzeitlich akkumulierten Gesamtvorgang tatsächlich zusammensetzen, haben wir bei Lebensepisoden nicht die Möglichkeit, den Gesamtvorgang ebenso verlustfrei in eine Summierung raumzeitlich zugehöriger Detailund Momentzustände umzulegen. Vielmehr verschwindet die Episode oder seelische Verfassung (wie z. B. ein Juckreiz oder Sichteindruck) insgesamt, wenn wir eine gewisse Ausdehnung der raumzeitlichen Regionen seines Auftretens unterschreiten. Man kann dies auch so ausdrücken, dass Lebensepisoden zwar in Raum und Zeit auftreten, aber nicht mit ihren körperlichen Symptomen stetig raumzeitlich differenzierbar sind. Doch gehört diese Art der Differenzierbarkeit, wenn ich recht sehe, wesentlich zu allen körperlichen Zuständen und Prozessen. Aristoteles schloss daraus, dass Lebensepisoden oder psychische Verfassungen selbst nicht als somatische Komplexe aufgefasst und zur Darstellung gebracht werden können, 3 4

de An. I 3, 407b 12–24. Hacker/Bennett (2003), 68 ff.

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Thomas Buchheim

sondern einer eigenen wissenschaftlichen Zugangsweise und Behandlung bedürfen. Ich zitiere eine diesbezügliche Passage aus dem Werk ‚Über Werden und Vergehen‘: [4] Ungereimt aber ist es auch, wenn die Seele aus den Elementen besteht oder eines von ihnen ist. Denn wie sollen die Veränderungen der Seele stattfinden, z. B. das Gebildet- und wiederum Ungebildet-Sein, oder Erinnerung oder Vergessen? Denn offenbar gilt, wenn die Seele Feuer ist, dass an ihr Beschaffenheiten stattfinden müssen, die dem Feuer als Feuer zukommen, ist sie aber Gemischtes, dann wenigstens somatische Eigenschaften – aber es ist nichts davon körperlich; doch ist, darüber zu befinden, Aufgabe einer anderen Wissenschaft. 5

Was Aristoteles hier über den damals verdächtigten ‚Seelenstoff‘ – das Feuer – sagt, gilt mutatis mutandis heute noch für den vieldiskutierten ‚Seelenstoff‘ der Neuroaktivität in unseren Gehirnen. Auch sie kann in ihrem somatischen Profil nicht aufkommen für die Eigenschaften und Abfolgen, die wir an psychischen Phänomenen im Lebenszusammenhang entdecken, wie z. B. sich auf etwas zu richten (Intentionalität) und sich auf bestimmte Weise anzufühlen (Erlebnisqualität). Man weiß also gar nicht, wie man ansetzen soll, um das, was eingebettet in Lebensepisoden tatsächlich stattzufinden scheint (wie z. B. etwas zu erinnern), direkt als einen somatischen Prozess zu interpretieren. Vielmehr muss man nach Aristoteles dasselbe tun, was wir auch heute noch tun, nämlich von einer bloßen Korrelation dessen, was somatisch stattfindet, mit dem was lebensepisodisch stattfindet, zu reden; 6 eine Korrelation, in der sich die raumzeitliche Binnendifferenzierung beider Seiten offenbar nicht aufeinander abbilden lässt. Deshalb verhält sich die eine Seite als somatischer Komplex, die andere nicht so. [5] Nach unserer Rede unterliegen Unbeseeltes und Beseeltes gleichermaßen der Veränderung, und wiederum vom Beseelten die nicht wahrnehmungsrelevanten Körperteile genauso wie die Wahrnehmungen selbst. In gewisser Weise nämlich verändern sich auch die Wahrnehmungen; denn die aktuell tätige Wahrnehmung ist eine Bewegung vermittels des Körpers (diÞ to‰ sðmato@), wobei die Wahrnehmung einen Zustandswechsel erleidet. 7

Aristoteles scheint sich dabei, wie das zuletzt angeführte Zitat belegt, sehr bewusst zu sein, dass der Zustandswechsel in der Serie von Lebensepisoden nicht 5

GC II 6, 334a 1–15. Die Korrelation von psychischem Zustand und Gehirnzustand ist selbst wiederum ein Produkt von Theorien und kann nicht unmittelbar Gegenstand von Experimenten sein; unmittelbar vielmehr sind nur Korrelationen von kurzzeitigen Verhaltensereignissen und zerebraler Aktivität festzustellen; vgl. dazu Kurthen (2006), 28: „Das ist also die Struktur dieser Experimente: primär haben wir die Untersuchung einer Beziehung zwischen einer Instruktion und einer Verhaltensleistung; sekundär Beziehungen zwischen der Instruktion und den durch sie ausweislich des kognitionswissenschaftlichen Hintergrundwissens involvierten Mentationen einerseits sowie zwischen einem Verhaltensereignis und den dieses Ereignis begleitenden Hirnprozessen (oder auch nur ihren Indikatoren, wie bei einem fMRI-Experiment [functional Magnetic Resonance Imaging]) andererseits. Die Beziehung zwischen Mentationen (den ‚tatsächlichen‘ Wahrnehmungsphänomenen beim Affen, den ‚tatsächlichen‘ Gedächtnisepisoden beim Menschen) und Hirnprozessen stellt sich also allenfalls in tertiärer Hinsicht – und insofern auf einer hochtheoretischen Ebene, nicht etwa direkt auf der Ebene der ‚Daten‘ – ein als die Relation zwischen den gemutmaßten mentalen ‚Anteilen‘ eines Verhaltens und den direkt oder indirekt gemessenen Hirnprozessen.“ 7 Ph. VII 2, 244b 1–12. 6

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Neuronenfeuer und seelische Tat

ebenso raumzeitlich differenzierbar vonstatten geht wie der in der körperlichen Zustandsfolge. Deshalb stellt er fest, dass ersterer nur ‚mittels‘ oder gestützt auf letzteren vorkommt, obwohl er damit nicht zu identifizieren ist. Denn das, was definitiv verschiedene Eigenschaften besitzt (hier: verschiedene raumzeitliche Differenzierbarkeit), kann nach Leibniz’ Gesetz der Identität unmöglich identisch sein. Dennoch folgt nach Aristoteles nicht, dass seelische oder Lebensepisoden einer selbst nicht körperlichen Substanz zukommen. Vielmehr ist die Substanz, der sie zukommen, ein gewisser komplexer Körper, der allerdings gleichzeitig solch unterschiedliche Klassen von Zuständen exemplifiziert. Dies wurde von Peter F. Strawson als Argument für den ontologischen Sonderstatus von ihrer selbst bewussten Personen neuformuliert, trifft aber in abgeschwächter Form auf alle lebendigen Systeme ab einer gewissen Entwicklungsstufe zu: [6] „What I mean by the concept of a person is the concept of a type of entity such that both predicates ascribing states of consciousness and predicates ascribing corporeal characteristics, a physical situation etc. are equally applicable to a single individual of that single type.“ (Strawson (1959), 101 f.).

Strawson möchte aus bestimmten Gründen, dass das Person-Konzept primitiv ist und exklusiv nur anwendbar auf Individuen mit Selbstbewusstsein; insbesondere lehnt er es ab, es durch die Rede von „animated body“ oder „embodied anima“ zu analysieren, so als seien diese einfacher und die Person aus ihnen zusammengesetzt. Tatsächlich ist in der aristotelischen Sicht weder eine Person noch ein anderes Lebewesen zusammengesetzt aus Körper und Seele, wie ich oben klar gemacht habe. Gleichwohl scheint es geboten zu sein, eine solche, von Strawson nur für Personen beschriebene Doppelgesichtigkeit der Prädikate auch bei nichtpersonalen Lebewesen in Anschlag zu bringen, ohne dass der ‚beseelte Körper‘ deshalb als eine Zusammensetzung aus Körper und Seele anzusehen wäre. Wenn wir die beiden Argumente des Aristoteles zusammennehmen, dann können wir eine Formel für die Art und Weise finden, wie nach Aristoteles ein Lebewesen psychische Verfassungen als eingebettet in seine Lebensepisoden besitzt: Sie gehören dem Körper an, aber als ganzem, so dass sie ihn integrieren, nicht infiltrieren und zugleich charakterisieren, aber dabei nicht binnendifferenzieren. Die seelische Verfassung bildet vielmehr eine jeweils lebenstypische, charakteristische Art der Zusammenraffung oder Zuspitzung, d. i. eine Kulmination oder Aufgipfelung auf den somatischen Potentialen, die bereitgestellt werden von den Teilen des Gesamtkörpers, und zwar Kulmination in eine bestimmte, spürbare Verfassung oder Lebenslage, wie z. B. das gespannte Wittern eines Rehs oder konzentrierte Hören eines Musikstücks. Wir können uns das so veranschaulichen, wie beim Wellenschlag ein bestimmt geformter Kamm die übrige Gewässerdynamik unter sich befängt, ihr, die Konvergenzen vollendend, gewissermaßen aufgesetzt wird. So wird die Kulmination (= entelecheia) in einer seelischen Verfassung dem ganzen Körper und seinen Potentialen aufgesetzt als ein zeitweiliger Gipfel, der jedoch von einem anderen Gipfelzustand, einer andersartigen Kulmination der körperlichen Potentiale abgelöst werden kann. Jede psychische Verfassung (Mentationen, Wahrnehmungen, Gefühle) ist so nach Aristoteles eine durch das Gesamtsystem generierte Kulmination

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Thomas Buchheim

des Lebendigseins von ihm. 8 Schon zum bloßen Leben – etwa im Schlaf oder in einer Ohnmacht – verhilft die koordinierte Aktivität des gesamten Körpers und seiner Teile: Stoffwechsel, Kreislauf, Muskelspannung, nervöse Grundbereitschaften etc. Eine Wahrnehmung, ein Schmerz, ein Traum, eine Rechenleistung, das Fangen eines Balles oder Balancieren sind auf dieser Aktivitätsbasis aufgerichtete Höhepunkte oder eben Kulminationen des Lebendigseins. So wie das bloße AmLeben-Sein sich zu den darin integrierten Detailzuständen des gesamten Körpers und seiner Teile verhält, so verhält sich auch die Kulmination zu den integrierten Varianten jener Detailzustände des Gesamtsystems. Dies eben ist es, was Aristoteles als „Selbstvollbringung“ oder „Vollendung“ bezeichnet (energeia oder entelecheia). Jede Vollbringung einer Seelenfunktion ist eine solche Kulmination, Drive oder Élan des Gesamtsystems. Seelische Verfassungen sind somit aufgrund der beiden Argumente notwendig als Zustände eigenen Rechts zu begreifen; doch kommen sie als solche nicht einer eigentümlichen und unkörperlichen Substanz zu, sondern treten in Korrelation mit gewissen partialistisch-somatischen Zuständen derselben wiederum körperlich komplexen Substanz insgesamt auf. 9 Dieses Verhältnis, weil es nicht ein vertikales Verhältnis der Überlagerung zweier verschiedener Substanzen und deren unterschiedlicher Eigenschaftsklassen ist, sondern ein Verhältnis der Ineinanderführung oder Verschränkung zweier Ordnungen desselben Materials in nur einer einzigen Substanz (wie eine Fuge zweier Melodien mit verschiedenem Rhythmus in einem Musikstück), bezeichne ich als ‚horizontalen‘ Dualismus. 10 Denn beide finden im selben Horizont statt, nämlich im raumzeitlichen Horizont des Körperlichen überhaupt. Aber das eine sind interne Kulminationen oder, wie Aristoteles sagt, Selbstvollbringungen (entelecheiai, energeiai) des körperlichen Gesamtsystems; das andere sind raumzeitlich stetig differenzierbare Teilzustände, die sich wie die Tinte zur lesbaren Silbenschrift der Lebensepisoden verhalten. Die Kulmination wäre aber nicht möglich, ohne dass bereits die Basis für sie gelegt wäre, eben das ‚Lebendigsein‘ des gesamten Individuums. Bei allen psychischen Vorkommnissen oder Seelenzuständen ist deshalb nach Aristoteles immer der Unterschied von „primärer“ und kulminierender entelecheia, von basisgebender und gipfelbildender Vollbringung oder Tätigkeit zu beachten. Die erstgenannte, d. h. die primäre entelecheia des Gesamtsystems ist nach Aristoteles der definierende Begriff der Seele; die zweite, darauf erst zur Kulmination gebrachte entelecheia ist Gemeinausdruck für jede Art von seelischer Funktion, die Aristoteles manchmal auch als pr”xi@ oder cr»si@ bezeichnet. 11 Das Verhältnis von Seele zu seelischer Verfassung ist gar nicht das von zugrundeliegendem Träger und Eigenschaft, sondern vielmehr das von Grundbereitschaft und Vollendung oder Basisform und entwickelter Zuspitzung, wie der

8

Vgl. dazu genauer Buchheim (2006b), 45–55. Als aristotelisches Modell einer möglichen ‚Lösung‘ des Leib-Seele-Problems auch in heutiger Sicht habe ich dies ausführlicher beschrieben in Buchheim (2006a). 10 Vgl. zu diesem Begriff eines schwachen Dualismus im selben Horizont des Körperlichen überhaupt Buchheim (2006b), 34–49. 11 Siehe z. B. de An. II 4, 415a 19 und PA I 5, 645b 12–22; Metaph. IX 8, 1050a 23–b2. 9

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Neuronenfeuer und seelische Tat

Graph einer mathematischen Funktion, etwa einer Parabel, der ebenfalls Basis und Maximum der Funktion unterscheiden lässt.

2. Das Somatische als Symptom des Psychischen Ich denke, dass dieses aristotelische Theoriebild psychischer Phänomene sich ohne Verstoß gegen Prinzipien modernen naturwissenschaftlichen Denkens in die heutige Debatte übertragen ließe. Ich hatte vorher bereits den Ausdruck genannt, mit dem ich das Kopplungsverhältnis von seelisch-biographischem Befinden und damit einhergehendem körperlichem Korrelat (seien es Hirn- oder Kreislauf- oder Haut- und andere somatische Organzustände) bezeichnen möchte: Die körperlichen Zustände sind Symptome der psychisch charakterisierten Gesamtlage (‚Lebenslage‘) eines Lebewesens. Alle psychischen Verfassungen und Vorkommnisse sind (nach dem ersten Argument) Charakteristika einer Lebenslage, in der sich das gesamte lebendige Individuum befindet; alle somatischen Zustände (aufgrund des zweiten Arguments) sind nur gewisse Symptome davon, die auch zusammengenommen nicht mit der psychischen Verfassung identifiziert werden können. Wir wissen auch nicht genau, welche Symptomgruppen mit welchen psychischen Vorkommnissen einhergehen und es sind offenbar nicht immer genau gleiche mit den gleichen. 12 Auch neigen wir unvernünftiger Weise dazu, allein die neurophysiologischen Symptome schon als vollständiges Korrelat einer seelischen oder mentalen Verfassung anzusehen. Doch ist das wohl kaum zu rechtfertigen. Möglich ist freilich, dass ganz bestimmte Neuro-Erregungsmuster in höherem Maße charakteristisch für ganz bestimmte psychische Verfassungen oder mentale Leistungen sind, also essentiell damit gekoppelte Symptome, während andere somatische Symptome austauschbar und hochvariabel erscheinen. Auf der anderen Seite zeigen viele Forschungen über zerebrale Verletzungen auf, dass ganz unterschiedliche Areale und also auch unterschiedliche Neuro-Symptome für die gleichen seelischen Funktionen requiriert werden können. Auch die vielzitierte Plastizität des Gehirns deutet darauf, dass nicht das spezielle Ensemble von Neuro-Symptomen mit dem psychischen Vorkommnis exklusiv korreliert oder gar gleichgesetzt werden kann. Die Symptome sind und bleiben Begleiterscheinung und sind nicht selbst der ganze Tatbestand seelischen Lebens. Seelische Verfassungen können deshalb niemals identifiziert werden mit irgendwelchen somatischen Zuständen und Vorgängen, die an Körperteilen festzustellen sind und aus ihnen zu bestimmten regionalen Aktivitätsmustern aufsummiert werden. Sie sind vielmehr ohne Ausnahme eingebettet 12 Auch auf diese Merkwürdigkeit hat bereits Aristoteles hingewiesen: „Offenkundig finden auch die Leidenschaften der Seele (tÞ t»@ yuc»@ p€qh) alle in Verbindung mit Körper statt: Eifer, Milde, Furcht, Erbarmen, Zuversicht, ferner Freude und das Lieben und das Hassen. Denn gleichzeitig mit ihnen erleidet der Körper etwas. Illustrative Beispiele aber sind, dass manchmal, obwohl starke und klare Widerfahrnisse (paqffimata) eintreten, keine Aufgebrachtheit oder Furcht erregt wird, man hingegen manchmal von kleinen und schwachen bewegt wird, wenn der Körper in Wallung ist und sich so verhält, wie wenn er zornig ist. Noch mehr aber ist dies augenscheinlich: dass man nämlich, obwohl nichts Furchterregendes vorfällt, in die Zustände dessen gerät, der sich fürchtet.“ (de An. I 1, 403a 12–24).

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in Lebensepisoden, die biographische Relevanz haben, d. h. das lebenserhaltende und lebensgestaltende Verhalten des Gesamtorganismus charakterisieren. Innerhalb einer Lebensepisode sind einzelne psychische Phänomene am besten als ‚operative Zustände‘ des Gesamtsystems zu kennzeichnen, also welche, die bei Operationen des betreffenden Lebewesens anfallen (etwa motorische, ästhetische, linguistische, kognitive Operationen). Mit der Gleichheit und Variabilität der Operationen geht die Gleichheit und Variabilität der psychischen Verfassungen einher – so jedenfalls meine These. Ich spreche von ‚operativen‘ Zuständen, weil das, was wir eine Operation oder Tätigkeit nennen, wie z. B. das Singen eines Vogels oder Lesen eines Satzes stets eine bestimmte Abfolge von solchen oben beschriebenen Kulminationen oder Lebenslagen des betreffenden Gesamtorganismus ist. Der entscheidende Unterschied zu einer Geschehenssequenz besteht darin, dass die Stadien einer Geschehenssequenz unmittelbar kausal miteinander verknüpft sind, während die Kulminationen und operativen Zustände, die bestimmte Lebenslagen kennzeichnen, zwar in jedem einzelnen Stadium von den integrierten körperlichen Symptomen kausal abhängig sind, aber die Abfolge untereinander nicht in direkter Kausalverbindung steht, sondern von einem operativen Programm gesteuert wird. Den Ausdruck ‚Programm‘ gebrauche ich dabei ganz unspezifisch um auszudrücken, dass die Abfolge der operativen Zustände durch anderweitige Vorkehrungen, die nicht in der Sequenz selbst liegen, festgelegt ist. Es kann sich daher sowohl um instinktive wie genetische wie auch gelernte oder eigens zurechtgelegte ‚Programmierungen‘ oder Vorkehrungen handeln. Wie der Vogel singt, welche tonalen Kulminationen welchen anderen folgen oder nicht folgen, hängt jedenfalls ab von einem externen Gesangsprogramm in einem solchen Sinne, nicht von der unmittelbaren Kausalität der jeweils vorangehenden Kulmination des Vogellebens. Deshalb ist die Abfolge und mit ihr die Operation des Singens steuerbar, die Geschehenssequenzen hingegen sind nicht steuerbar. Die Charakteristik der psychischen Verfassungen zeigt an, in welche Art von Lebensepisoden sie gehören und welche Art von Operationen durch sie zu vollziehen sind. Wer nicht Balance halten kann, der kann nicht Fahrrad fahren; wer nicht sehen kann, der kann nicht malen; wer nicht summieren kann, der kann auch nicht malnehmen oder komplexere Rechnungen ausführen; wer den Takt nicht hören kann, der kann nicht tanzen usf. Stets ermöglichen bestimmte operative Gesamtzustände mit bestimmtem psychophysischem Profil die Eingliederung in bestimmte Tätigkeiten und operative Sequenzen und damit den Fortgang entsprechender Handlungen. Eine Handlung oder Operation scheitert, wenn die operativen Zustände nicht das passende psychophysische Profil aufweisen, das den Schlüssel zum Fortgang der Handlung darstellt. Durch bestimmte Handlungstore schreiten wir nie; durch andere erst nach langer Zeit und Übung; durch wiederum andere schon nach kurzer Zeit oder sogar von Geburt an. Entsprechend sind die Kulminationen unserer Lebensepisoden schlichter oder anspruchsvoller, aspirierter oder gewöhnlicher. Dieses Schlüsselprinzip in Beziehung auf den Fortgang von Operationen, von Kulmination zu Kulmination oder Lebenslage zu Lebenslage, scheint mir besonders wichtig zu sein, um das zu begreifen, was man häufig auch als mentale Kausalität

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bezeichnet und dingfest zu machen gesucht hat. Denn da die Abfolge der Kulminationen unter sich keine Kausalverbindung besitzt, kann in einer bestimmten Lebenslage so lange verharrt werden, bis der passende somatische Schlüssel bereitsteht, der den Organismus in die operativ anschließende Lebenslage eintreten lässt. Hierbei können nun die psychischen oder mentalen Merkmale der schon eingenommenen Lebenslage eine bestimmte kausale Relevanz für die Bereitstellung des richtigen somatischen Schlüssels zum Vorrücken ins nächste operative Stadium erhalten. Diese Art der kausalen Relevanz von psychischen oder mentalen Merkmalen einer Lebenslage nenne ich das Prinzip der Begünstigung. Für die Kombination beider genannten Prinzipien in Fällen mentaler Verursachung – dem Schlüsselprinzip und dem Prinzip der Begünstigung – möchte ich zunächst einen einigermaßen überraschenden Beleg aus einem mittlerweile berühmt gewordenen neurowissenschaftlichen Experiment anführen, bevor ich dann ein allgemeines Modell mentaler Verursachung daraus zu extrapolieren versuche.

3. Ein Beispiel für die Kausalität des Psychischen als solchen Die m. E. falsche Einschränkung der Symptomatik des Psychischen auf das sog. ‚neuronale Korrelat‘ hat dazu geführt zu meinen, die seelische Verfassung oder mentale Leistung sei ein bloßes Epiphänomen oder kausal irrelevantes Anhängsel eben der Neuroprozesse in unserem Gehirn, eine Art Überbau oder Schattenwurf dessen, was im Gehirn passiert und was macht, dass wir uns so fühlen oder so denken etc. Das ist aber nach meiner Überzeugung eine einseitige Verkehrung der tatsächlichen Abhängigkeiten. Vielmehr scheint es oft umgekehrt so zu sein, dass spezifische Symptome – auch die neuronalen – einer bestimmten Lebenssituation und deren psychischer Charakteristik erst nachfolgen. Wenn wir gar nicht merken, dass unser Blutdruck zu hoch ist oder diese und jene Hirnfunktion gestört, dann ändert sich nichts an dem auf seiner einmal etablierten Bahn laufenden Gesamtverhalten. Erst wenn wir bestimmte Signale wahrnehmen, dann können wir dafür sorgen, dass auch jene neuronalen Symptome sich ändern. Ein sehr interessantes Experiment, das Jose M. Carmena und Miguel A. L. Nicolelis vor einigen Jahren an der Duke University in Durham, North Carolina USA durchgeführt haben, belegt auf eindrucksvolle Weise das, was ich hier behaupten möchte: 13 Die Gruppe um Nicolelis und Carmena erforschte an dem Verhalten von Affen als Probanden die Steuerung von maschinellen Prothesen durch sogenannte BrainMachine Interfaces, d. h. widmete sich der Frage, mit welchen neuronalen Populationen in was für Erregungszuständen welche feinmotorischen Steuerungen etwa von Armen bzw. Armprothesen ausgelöst werden. Zu diesem Zweck ließen sie Affen ein Computerspiel spielen, das diese mithilfe eines Joysticks steuerten. Die Aufgabe war, einen leuchtenden Punkt, der auf dem Bildschirm auftauchte, möglichst rasch und effektiv zu treffen etc. Während des Spielens wurden den Affen die Gehirnströme in bestimmten Hirnarealen abgeleitet und zwar mit einer relativ feinen Auf13

Vgl. Carmena/Nicolelis et al (2003), 192–208.

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lösung derjenigen Neuronenpopulationen, die man in Verdacht hatte, jene Steuerungsbewegungen der Arme auszulösen. Die Affen lernten das Spiel ziemlich rasch gut zu spielen, und sie spielten es gerne. Unterdessen wurden die gemessenen Hirnströme, zusätzlich aufbereitet durch ein simples Lernprogramm, zur Steuerung eines Roboterarms eingesetzt, der nun wiederum ähnliche Bewegungen auszuführen begann wie der Affe. Um eine genauere Fokussierung der steuerungsrelevanten Neuro-Signale zu erzielen, wurden nach einer gewissen Zeit die Kontakte zwischen dem Joystick des Affen und ‚seinem‘ Computer mit dem Spiel am Bildschirm unterbrochen und stattdessen demselben Computer die aus dem Affengehirn stammenden Neurosignale eingegeben. D. h., in Wirklichkeit steuerten jetzt nicht mehr die Arme der Affen das Spiel, sondern die Gehirne direkt. Dies führte zunächst zu einem gravierenden Abfall der Trefferleistung jedes Affen, dem aber sogleich eine signifikante Verhaltensänderung und damit verbunden ein Umbau auch der neuroaktiven Symptomatik folgte, bis schließlich die Trefferleistung wieder anstieg und fast ihren alten Wert erreichte: Zunächst vollführte der Affe übergroße, viel zu ausladende Steuerungsbewegungen mit den Armen, um den Abfall der Leistung zu kompensieren. Dabei änderten sich natürlich auch die engagierten Neuronenpopulationen und ihre Erregungskurven an den Messpunkten, bis schließlich in einer reformierten und umgebauten Weise diese Neuroaktivität wieder zu ähnlichen Ergebnissen führte wie vorher. Die Affen merkten recht schnell, dass die Bewegungen ihrer Arme kausal irrelevant waren und steuerten fürderhin das Computerspiel ohne Armbewegung nur kraft ihrer Gehirnströme. Am Verlauf dieses Experiments sieht man deutlich, welche Art von Phänomengruppen welchen anderen kausal vorgeordnet zu sein scheint: Die Absenkung der Trefferleistung verändert die Lebenslage des Affen, die, sagen wir, durch Enttäuschung und Ärger über das plötzlich schlechtere Trefferergebnis gekennzeichnet ist. Der Ärger wiederum ruft die Anstrengung wach, die Lage wieder zu verbessern. Die Anstrengung führt nun zum signifikanten Umbau der körperlichen Symptomatik, also bspw. zu den ausladenden Armbewegungen mit dem Steuerknüppel. Das heißt, es wird nach dem passenden somatischen Schlüssel gesucht, um in der operativen Sequenz des Spiels wieder adäquat vorrücken zu können. Da das den Affen nicht weiterbringt, werden die inzwischen chaotischer flackernden Neuropopulationen im Affenhirn anders selektiert als zuvor: Es werden nämlich diejenigen begünstigt, die zu Signalen führen, welche die Trefferleistung wieder verbessern und so dem Affenleben einen nunmehr passenden Schlüssel für das Gelingen des Spiels an die Hand geben; andere werden unterdrückt und verebben aufgrund der Irrelevanz. So lernt der Affe das Computerspiel dank leicht umgebautem Neuronenfeuer direkt mit dem Gehirn zu kontrollieren. Wichtig für uns ist nur, dass der Umbau der Neurosymptome in der Operationsfolge des Spiels den biographisch geprägten Lebensumständen mit ihren eingebetteten psychischen Verfassungen nachfolgt und nicht umgekehrt. Weil der Affe sich ärgert und in den früheren Erfolgszustand zurückzukehren tendiert, wird das Neuronenfeuer anders selektiert und die für den Spielerfolg günstigsten Varianten gefördert. Allgemein formuliert: In das Tor des jeweils nächsten Schrittes einer biographisch relevanten Operation treten wir immer dadurch ein, dass die mit dem Vollzug der Tätigkeit einhergehende körperliche

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Schlüsselsymptomatik passend reorganisiert wird. Wenn wir ein Ei auf einem Löffel balancierend zum Ziel rennen oder einen vollen Teller Suppe zum Tisch tragen, so erreichen wir den jeweils nächsten Schritt und schließlich das Ziel nur, wenn die somatische Symptomatik permanent der Operationsfolge angemessen reorganisiert wird. Andernfalls verunglückt oder entgleist die Operation und unsere Biographie von Lebenslagen nähme einen etwas anderen Verlauf. Dies scheint nun, so lehrt das obige Experiment, nicht nur für Balanceakte und Armbewegungen zu gelten, die wir willentlich und bewusst zu kontrollieren gelernt haben, sondern auch für Neuropopulationen und Erregungsmuster in unserem Gehirn. Auch sie folgen der programmierten Folge der Operation, und wir variieren so lange chaotisch und auf gut Glück, bis wir dank einer passenden Population das jeweils nächste Tor der gewünschten Operation aufschließen. Unsere operativen gedanklichen Fertigkeiten, etwa beim Rechnen oder Lesen, könnten durchaus so gebaut sein. Und da das Gehirn stark plastische Eigenschaften hat, sind ein- oder mehrmals erfolgreich absolvierte Operationen ein guter Pfad für den ersprießlichen Fortgang unseres Lebens.

4. Ein allgemeiner Modellvorschlag: mentale Kausalität durch Begünstigung Auf diese Weise scheint es möglich zu sein, ein allgemeines Modell für die Kausalität von biographischen Episoden und den darin eingebetteten psychischen Verfassungen und mentalen Leistungen zu beschreiben: Der organische Körper eines Lebewesens ist nicht von Moment zu Moment einer einheitlichen kausalen Sukzession unterworfen, sondern bildet ein Gefüge relativ stark voneinander abgegrenzter, aber sich überschneidender und daher koordinationsfähiger Funktionssysteme, die wiederum in eine Vielzahl untergeordneter Kausalzusammenhänge zerfallen. Aus diesem Grund ist die körperliche Symptomatik unterschiedlicher biographischer Episoden und der darin eingebetteten psychischen und mentalen Verfassungen oft über den ganzen Körper zerstreut, bildet Muster und Beziehungen aus, die nicht unmittelbar miteinander in einem für das Gesamtverhalten kausalen Zusammenhang stehen, sondern vielmehr symptomatischer Ausdruck des Verhaltens oder operativen Zustandes des gesamten lebendigen Organismus sind, wie es vorher mithilfe der Argumente des Aristoteles beschrieben wurde. Das Ensemble somatischer einschließlich der neuronalen Symptome ist deshalb disponibel je nach den Lebenslagen und einschlägigen biographischen Verhaltensweisen, durch die ein solcher Organismus manövriert wird. Wenn wir bspw. etwas lernen, dann setzen wir unseren Körper einer Situation aus, die dazu geeignet ist, einen bestimmten Teil der somatischen Symptomatik unseres Operierens schlüsselfähig umzubauen. Wir wiederholen z. B. ein bestimmtes Fremdwort oder eine Lautfolge so lange, bis wir sie flüssig und richtig artikulieren. Oder wir versuchen, so lange auf dem Fahrradsitz auszuharren, bis wir durch die größere Geschwindigkeit eine leichtere Balance finden. Wir schaffen uns also gegenseitig und anschließend häufig auch für uns alleine Umstände, in denen eine ganz bestimmte Symptomatik, einschließlich der neuronalen, begünstigt wird, um so in das jeweils nächste Tor unserer Operationen vorrücken zu können. Und wenn wir etwas einüben, verharren wir suchend und

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chaotisch variierend vor diesem Tor, bis wir leichtgängig hineinkommen und die Operation voranschreitet. Nicht akzeptabel ist aber, wie schon anfangs gesagt, die Meinung, dass jene operativen Gesamtverfassungen (aristotelisch gesprochen: die ‚Kulminationen‘ oder entelecheiai unseres Lebendigseins) identisch mit dem jeweiligen somatischen Symptom oder dem neuronalen Muster etc. seien. Denn dann gäben wir die Wahrheit der Behauptung wieder auf, dass die psychischen und gedanklichen Verfassungen und Sequenzen als solche und in ihren nicht-somatischen Charakteristika kausal für den somatischen Fortgang unseres Daseins sein könnten. Wir pflegen das Denken deshalb, weil sein symptomatischer Ausdruck in unserem Verhalten, und damit im somatischen Verlaufsprofil unseres Lebens, enorme Vorteile und Verbesserungen einbringt. Diese Vorteile sind dann dem Denken zu verdanken, nicht dem Neuronenfeuer, das ohne die Einhaltung operativer Denkregeln in jedem von uns einen ganz anderen Fortgang nehmen könnte, indem es gewissermaßen ständig nur entgleist, aber niemals schließt. Das Denken als solches hat, wie jedem klar sein dürfte, gewisse Charakteristika, die kein somatischer Prozess oder Prozessgefüge aufweisen kann. Ich nenne einige von ihnen: – Intentionalität (etwas meinen, Bedeutsamkeit) – Subjektivität (Erlebnisqualität; Erste-Person-Perspektive) – Reflexivität (Selbstdurchsichtigkeit; Wahrnehmen, dass ich es bin, der denkt) – Integration von Fremdperspektiven (Einfühlung, Mitteilung, Sprachcharakter) – Verneinungsfähigkeit (Negation, Opposition und Verweigerung) – Wahrheitsorientierung (Gedanken zielen auf Wahrheit) – Normativität (wir kalkulieren in unserem Handeln einschlägige Normen ein) Diese und andere sicherlich nichtphysischen Merkmale müssen also ihre kausale Spur in unser körperliches Dasein setzen können. Deswegen reicht es nicht zu sagen, entweder dass geistige Verfassungen lediglich neuronale Zustände sind (Identitätstheorie) 14 oder auf neuronalen supervenieren (ohne eigene Kausalrelevanz) 15 oder ‚kraft‘ ihrer Identität mit gewissen neuronalen Zuständen kausal relevant sind (anomaler Monismus) 16. Denn in all diesen Modellen werden die genannten Charakteristika des Denkens kausal depotenziert. Nicht sie sind es, die das, was geschieht kausal erklärbar machen, sondern jene neuronalen Zustände. So war vielmehr im oben beschriebenen Experiment offensichtlich der Wunsch des Affen, die Trefferleistung wieder zu verbessern, ursächlich für die Umstrukturierung seiner Gehirnströme. Die besondere Lebenslage, in der sich der Affe insgesamt befindet, die nicht nur seinen Gehirnzustand betrifft, sondern seine Gesamtverfassung als Affe mit gewissen Interessen und Erfahrungen (die insofern durchaus intentionale Charakteristika aufweist), begünstigt, wie wir sagten, die Produktion bestimmter neuronaler Zustände, die ihm einen operativen Schlüssel für das Spiel an die Hand gäben, und vernachlässigt andere. Es sind stets größere Populationen verwandter Zustände, die ein Gehirn produziert, welche aber doch in gewissen Züge voneinan14 15 16

Vgl. z. B. Stich (1983); Pauen/Stephan (2002). Vgl. z. B. Jackson (1982); Kim (1993). Vgl. z. B. Davidson (1980).

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der abweichen. Solche Abweichungen könnten durch Begünstigung akzentuiert und durch Vernachlässigung weitgehend ausgemerzt werden. Die Begriffe der Begünstigung und des Schlüssels für charakteristische Änderungen einer Gesamtlage ist überall dort sinnvoll und wichtig, wo die Veränderung eines umfassenden Zusammenhangs systematisch verkoppelt ist mit der einzelner Glieder oder Symptome dieses Zusammenhangs. Wir finden dergleichen z. B. in der Wirtschaft und anderen konjunkturellen Phänomenen wie dem Wetter und Wachstum von Populationen. Hier kann eine bestimmte Veränderung des neuralgischen Details schlüsselartig eine Reorganisation des umfassenden Zusammenhangs auslösen. Und umgekehrt kann eine geringfügige Torsion des umfassenden Zusammenhangs eine neuralgische Veränderung von bestimmten Gliedern des Zusammenhangs begünstigen oder benachteiligen. In dieser Weise verhalten sich zueinander auch die umfassenden Lebenslagen, in denen ein komplexer Organismus sich befindet, und die Symptome in den einzelnen Körperteilen, die bei gewissen operativen Zuständen des Gesamtorganismus anfallen, aber nicht immer schon schließen. Ein Modell des psychophysischen Kausalzusammenhangs durch Begünstigung könnte daher m. E. etwa folgendermaßen aussehen: (1) Wir lernen dadurch, dass wir uns gegenseitig (und später auch jeder sich selbst) in geeignete Lebenslagen manövrieren und so Umstände schaffen für bestimmte statt andere somatische Produktionen, die unsere Lebenslagen schließfähiger für gewisse operationale Zielzustände machen. (2) Die Lebenslage (= operationales Stadium), in die wir uns manövrieren oder manövrieren lassen, begünstigt kraft bestimmter nicht-physikalischer Merkmale der in sie eingebetteten psychischen und mentalen Verfassungen die Produktion eines somatischen Schlüssels für das Vorrücken desselben Lebens in eine sich operational anschließende Lebenslage. (3) So wird ein Link geschaffen zwischen bestimmten Abfolgen operativer Zustände und auch zu operationalen Sequenzen insgesamt. Operationsversuche schaffen nämlich allmählich Passagen und Brückenköpfe von Vermögen oder besser: Fertigkeiten, das sind mehr oder weniger lange Strecken, in denen die Folge der Lebenslagen im Gleis der Operation bleibt, nicht entgleitet wie beim Anfänger im Suppetragen oder Eierlaufen. Die Begünstigungen sind hier schon gefasst auf die jeweils folgenden Lagen, die an sie anschließen werden. Deshalb gibt es Enttäuschungen, wo jemand Operationen nicht flexibel genug beherrscht. (4) Die Links zwischen operationalen Stadien oder Operationen als ganzen können wiederum zu Merkmalen bestimmter Lebenslagen erhoben werden, durch die weitere Schlüssel zu Operationen begünstigt oder Varianten der Operation leichter anschlussfähig werden. (5) So kann eine gute ‚Verlinkung‘ leicht zum ausschlaggebenden Motiv von Operationen werden: Wir rechnen oder tanzen, weil wir es so gut können, und begeben uns forciert in Lebenslagen, die immer wieder neu die entsprechenden Schlüssel perfektionieren. Auch das hat Aristoteles schon beschrieben: Der Tüchtige operiert im Sinne seiner Tüchtigkeit, weil es ihm Freude macht. So kommt es zu einer Begünstigungsspirale, die sich in ihrer operativen Weiterentwicklung selbst beschleunigt.

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(6) Die sechste Stufe besteht darin, dass man Enttäuschungen so gut wie immer vermeidet, d. h. seine Operationen zum Ziel bringt durch Anpassungen an die spezielle Situation, durch die hindurch man die Folge von Lebenslagen erfolgreich ‚steuern‘ muss. Es bleibt aber für alle menschlichen Operationen wichtig, bestimmte geeignete Räume zu schaffen, in denen die Operationen, wenn sie sehr komplex sind, überhaupt gelingen können. Auch hier leisten wir uns vieles gegenseitig, wie am Anfang des Lernens. So kann es insgesamt sein, dass wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten im kausalen Sinn wegen der spezifischen Charakteristika unserer geistigen Verfassungen wie Intentionalität, Subjektivität, Kontextualität, Reflexivität und Intersubjektivität von Gedanken oder Volitionen etc. Wenn das geschilderte Modell mentaler Kausalität akzeptabel erschiene, dann wäre freilich die Identitätstheorie des Mentalen mit dem rein physikalisch zu Beschreibenden falsch; das Konzept der Supervenienz, sowie der anomale Monismus ohne psychophysische Kausalität unzureichend. Vielmehr gäbe es eine echte Kausalität geistiger Leistungen, die zwar Verfassungen physisch-materieller Wesen, aber nicht somatische, sprich: physikalisch beschreib- und erklärbare Zustände solcher Wesen wären. Außerdem würde ein Spezifikum des Geistigen dadurch besonders herausgestrichen, nämlich dies, dass man sich gegenseitig dazu verhilft und verhelfen muss, solche Verfassungen zum wichtigen und immer wichtigeren Bestandteil seines Lebens machen zu können. Weil man aber in jedem Fall ursprünglich von anderen, die es schon können, in anfangsgeeignete Lebenslagen ‚manövriert werden‘ musste, ist dies m. E. auch eine Schlüsselperspektive für Social Neuroscience.

LITERATURVERZEICHNIS 1. Siglen Aristoteles de An. de Anima GC De Generatione et Corruptione Ph. Physica IA De Incessu Animalium Metaph. Metaphysica PA de Partibus Animalium

2. Weitere Literatur Hacker, P./Bennett, M. (2003), The Philosophical Foundations of Neuroscience, Oxford. Bennett, M./Dennett, D./Hacker, P./Searle, J. (2007), Neuroschience and Philosophy. Brain, Mind, and Language. With an Introduction and Conclusion by Daniel Robinson, New York. Buchheim, Th. (2006a), „Sômatikê energeia – ein aktualisierter Vorschlag des Aristoteles zur Lösung des Leib-Seele-Problems“, in: F. Hermanni/Th. Buchheim (Hgg.): Das Leib-Seele-Problem. Antwortversuche aus medizinisch-naturwissenschaftlicher, philosophischer und theologischer Sicht, München, 81–106. – (2006b): Unser Verlangen nach Freiheit, Hamburg, bes. 36–66. Cacioppo, J. T./Taylor, S. E. et al. (Hgg.) (2002), Foundations in Social Neuroscience, Cambridge, MA.

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Carmena, J. M./Miguel A. L./Nicolelis et al. (2003), „Learning to Control a Brain-Machine Interface for Reaching and Grasping by Primates“, in: PloS Biology I 2, 192–208 (http://biology.plosjournals.org). Davidson, D. (1980), „Mental Events“, in: D. Davidson, Actions and Events, Oxford, 202–227. Jackson, F. (1982), „Epiphenomenal Qualia“, in: The Philosophical Quarterly 32: 127–136. Kim, J. (1993), Supervenience and Mind: Selected Philosophical Essays, Cambridge, MA. Kurthen, M. (2006), „Der Augenblick des Bewusstweins und die lange Zeit des Gehirns. Über den möglichen Beitrag der Kognitiven Neurowissenschaft zur Lösung des Gehirn-Geist-Problems“, in: F. Hermanni/Th. Buchheim (Hgg.): Das Leib-Seele-Problem. Antwortversuche aus medizinisch-naturwissenschaftlicher, philosophischer und theologischer Sicht, München, 23–37. Pauen, M./Stephan, A. (Hgg.) (2002), Phänomenales Bewusstsein – Rückkehr zur Identitätstheorie?, Paderborn. Stich, S. (1983), From Folk Psychology to Cognitive Science, Cambridge, MA. Strawson, P. F. (1959), Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics, London/New York, repr. [email protected]

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Diskussionsbeiträge

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Von Descartes lernen Michael ESFELD (Lausanne)

1. Einleitung Descartes hat Standards gesetzt für die neuzeitliche Debatte über das Verhältnis von Körper und Geist, die bis heute maßgebend sind, welche Position auch immer man in dieser Debatte vertritt. Dieses möchte ich in diesem Kommentar anhand von zwei Themen aus Buchheims Text illustrieren, dem der mentalen Kausalität und dem der Identität oder Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen.

2. Mentale Kausalität Descartes vertritt bekanntlich, dass (a) geistige von körperlichen Zuständen verschieden sind und dass (b) geistige auf körperliche Zustände einwirken – in dem Sinne, dass sie Veränderungen im Bereich körperlicher Zustände bewirken, für die es keine hinreichenden, rein körperlichen Ursachen gibt (und umgekehrt). Die Konjunktion dieser beiden Aussagen ist als interaktionistischer Dualismus bekannt. Buchheim vertritt unter Bezugnahme auf Aristoteles ebenfalls einen interaktionistischen Dualismus: Geistige Zustände sind nicht mit körperlichen Zuständen identisch, und geistige Zustände bewirken Veränderungen im Bereich körperlicher Zustände, welche nicht eingetreten wären, wenn die entsprechenden geistigen Ursachen nicht vorhanden gewesen wären. Es ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, dass Descartes einen Substanz-Dualismus konzipiert, während Buchheim für einen Eigenschafts-Dualismus in Form eines ontologischen Dualismus geistiger und körperlicher Zustände eintritt. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht von Bedeutung, dass gemäß Descartes die Interaktion von Geist und Körper an einer bestimmten Stelle im Gehirn stattfindet, während es für Buchheim sinnlos ist, nach einem solchen Knotenpunkt zu suchen. Die entscheidende Gemeinsamkeit von Descartes’ und Buchheims Position besteht darin, eine ontologische Verschiedenheit geistiger und körperlicher Zustände zusammen mit kausaler Wechselwirkung zwischen beiden anzunehmen. Descartes ist sich dessen bewusst, dass wenn man diese Position vertritt, man darlegen muss, wie sie sich zur neuzeitlichen Naturwissenschaft verhält. Descartes

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Michael Esfeld

arbeitet eine detaillierte Theorie mentaler Verursachung aus, gemäß der, kurz gesagt, geistige Zustände dadurch Veränderungen im Bereich körperlicher Zustände bewirken, dass sie die Richtung der Bewegung kleinster körperlicher Teilchen ändern, ohne den Betrag von deren Geschwindigkeit zu ändern. Descartes ist der Meinung, auf diese Weise bewiesen zu haben, dass man einen interaktionistischen Dualismus vertreten und zugleich die universelle Gültigkeit physikalischer Gesetze akzeptieren kann: Gemäß Descartes’ Physik unterliegt nur der Betrag der Bewegung einem Erhaltungsgesetz, die Bewegungsrichtung körperlicher Teilchen ist hingegen durch kein physikalisches Gesetz festgelegt (Prinzipien der Philosophie, Buch 2, § 36 und 41; vgl. McLaughlin (1993)). Leibniz widerlegt diese Meinung von Descartes, indem er darauf hinweist, dass die Geschwindigkeit als vektorielle Größe einem Erhaltungsgesetz unterliegt, so dass auch die Bewegungsrichtung körperlicher Teilchen durch ein physikalisches Gesetz festgelegt ist, in dem nur physikalische Variablen vorkommen (dieses Gesetz war zu Descartes’ Zeit noch nicht bekannt). Leibniz ist der Auffassung, auf diese Weise den interaktionistischen Dualismus generell widerlegt zu haben; nur ein nicht-interaktionistischer Dualismus, gemäß dem es keine mentale Verursachung gibt – wie der von ihm ausgearbeitete psycho-physische Parallelismus –, ist haltbar (Theodizee, erster Teil, § 61; Monadologie, § 80). Dieser Schluss geht zu weit. Leibniz hat lediglich gezeigt, dass die Konjunktion folgender beider Thesen inkonsistent ist: (a) interaktionistischer Dualismus und (b) universelle Gültigkeit der physikalischen Gesetze im körperlichen Bereich. Dieses Resultat hat aber bis heute Bestand. Es trifft auch auf Buchheims Position zu. Buchheim vertritt, dass geistige Zustände wie Wünsche nicht identisch mit körperlichen Zuständen sind und dass sie Gehirnströme umstrukturieren bzw. allgemein die Produktion bestimmter neuronaler Zustände begünstigen und die Produktion anderer neuronaler Zustände vernachlässigen (vgl. S. 343 ff.). Für diese Behauptung gilt das, was Leibniz gegen Descartes sagt: Wenn man diese Behauptung für wahr hält, dann kann man nicht akzeptieren, dass die physikalischen Gesetze im körperlichen Bereich universell gültig sind. Diese Gesetze gelten dann nicht für die Gehirnströme, welche durch mentale Zustände umstrukturiert werden, bzw. allgemein nicht für den Bereich neuronaler Zustände. Was auch immer die physikalische Theorie ist, die man für gültig hält, sie hat folgende Form: Sie quantifiziert über alle materiellen Objekte, was auch immer diese sein mögen, und ihre Gesetze geben, sofern Anfangsbedingungen festgelegt werden, zumindest Wahrscheinlichkeiten für die zeitliche Entwicklung dieser Objekte an; diese Wahrscheinlichkeiten werden allein durch physikalische Variablen bestimmt. So ist zum Beispiel in der Newtonschen Mechanik die Entwicklung des Bewegungszustandes aller materiellen Objekte durch die Einwirkung physikalischer Kräfte (wie der Gravitation) festgelegt. Es ist in diesem Zusammenhang irrelevant, ob die betreffende physikalische Theorie deterministisch ist (wie nach gängiger Lesart die Newtonsche Mechanik) oder ob sie probabilistisch ist (wie die Versionen der Quantenmechanik, welche Zustandsreduktionen in die Dynamik aufnehmen). Selbst wenn die Gesetze der physikalischen Theorie irreduzible Wahrscheinlichkeiten enthalten, sind die Wahr-

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scheinlichkeiten für die Zeitentwicklung der Zustände der Objekte in ihrem Geltungsbereich allein durch physikalische Variablen festgelegt. Anders gesagt, Wahrscheinlichkeitsgesetze öffnen keinen Weg zurück von Leibniz’ Einwand zu einer Theorie mentaler Kausalität wie der von Descartes, gemäß welcher der interaktionistische Dualismus damit vereinbar ist, die universelle Gültigkeit der physikalischen Gesetze anzuerkennen (siehe Loewer (1996) und Esfeld (2000)). Wenn also geistige Zustände Gehirmströme umstrukturieren oder allgemein das Auftreten bestimmter neuronaler Zustände begünstigen und das Auftreten anderer neuronaler Zustände vernachlässigen, dann folgt, dass die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten dieser Zustände nicht vollständig durch physikalische Variablen bestimmt sind. Mentale Variablen beinflussen diese Wahrscheinlichkeiten: Wenn geistige Zustände das Auftreten bestimmter neuronaler Zustände begünstigen, dann folgt, dass die Präsenz bestimmter geistiger Zustände zu einer Zeit das Eintreten bestimmter neuronaler Zustände zu dieser Zeit wahrscheinlicher macht, als es allein durch die zu dieser Zeit vorhandenen physikalischen Variablen ist. Mit anderen Worten, die Präsenz bestimmter geistiger Zustände zu einer Zeit erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten bestimmter neuronaler Zustände zu dieser Zeit. Und wenn geistige Zustände das Auftreten bestimmter neuronaler Zustände vernachlässigen, dann folgt, dass die Präsenz bestimmter geistiger Zustände zu einer Zeit das Eintreten bestimmter neuronaler Zustände zu dieser Zeit weniger wahrscheinlich macht, als es allein durch die zu dieser Zeit vorhandenen physikalischen Variablen ist. Mit anderen Worten, die Präsenz bestimmter geistiger Zustände zu einer Zeit verringert die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten bestimmter neuronaler Zustände zu dieser Zeit. Das aber heißt: Die physikalischen Gesetze – und die physikalischen Variablen, die in sie einfließen – geben nicht die korrekten Wahrscheinlichkeiten für die zeitliche Entwicklung von Gehirnströmen und allgemein für das Eintreten neuronaler Zustände an. Mit anderen Worten: Die physikalischen Theorien verlieren ihre Gültigkeit, sobald man den Gegenstandsbereich von Lebewesen mit Gehirnen betritt. Buchheim belässt es bei den oben zitierten, eher vagen Behauptungen. Der Standard, den Descartes für die Körper-Geist-Debatte gesetzt hat, besteht aber darin, dass man sich den neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Theorien stellen muss. Wenn man einen interaktionistischen Dualismus vertritt, nimmt man die intellektuelle Verpflichtung auf sich, eine Theorie dessen zu entwickeln, wie geistige Zustände im Bereich körperlicher Zustände kausal wirksam sind. Seit Leibniz ist klar, dass, wie auch immer diese Theorie aussehen mag, man durch den Dualismus darauf festgelegt ist, die Gültigkeit der physikalischen Gesetze für den Bereich der körperlichen Zustände, auf die geistige Zustände einwirken, zu bestreiten – welches auch immer die betreffenden physikalischen Gesetze sein mögen und unabhängig davon, ob diese deterministisch oder probabilistisch sind. Im Unterschied zu dem, was Leibniz meint, folgt aus dieser Konsequenz nicht, dass der interaktionistische Dualismus widerlegt ist. Man kann durchaus vertreten, dass die physikalischen Gesetze in dem Moment, in dem man den Bereich von Lebewesen – oder eine Teilmenge dieses Bereichs (zum Beispiel Lebewesen mit Gehirn oder Lebewesen mit Bewusstsein) – betritt, die physikalischen Gesetze ihre

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Gültigkeit vertreten (vgl. z. B. Averill/Keating (1981) und Gillet (2006)). Dieses kann man auch angesichts dessen vertreten, dass es keine empirische Evidenz für eine solche Sachlage gibt: Die neurowissenschaftliche Forschung beruht darauf, physikalische Gesetze anzuwenden (insbesondere die Gesetze der klassischen Mechanik und der klassischen Elektrodynamik), statt deren Gültigkeit in ihrem Gegenstandsbereich in Frage zu stellen. Aber das Fehlen empirischer Evidenz könnte durch die überwältigende Evidenz für die Existenz mentaler Kausalität zusammen mit Argumenten für die Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen entkräftet werden. Ich möchte mich daher im folgenden Abschnitt der Frage nach Argumenten für die Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen zuwenden.

3. Die Frage der Identität oder Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen Descartes entwickelt ein ausgefeiltes Argument für die Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen. Dieses Argument, das Zweifelsargument in den Meditationen, behauptet eine bestimmte Denkmöglichkeit, die geistige von körperlichen Zuständen separiert, schließt von dieser auf eine reale Möglichkeit und aus dieser wiederum auf die faktische Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen bei uns Menschen (vgl. Beckermann (1986), Kap. 2). Die Form dieses Arguments ist unabhängig davon, ob man mit ihm einen Substanz- oder nur einen Eigenschafts- oder Zustands-Dualismus beweisen möchte. Die Form dieses Arguments stellt bis heute das Paradigma für eine Argumentation für den Körper-GeistDualismus dar. Sie tritt in der gegenwärtigen Diskussion insbesondere in der Debatte um Erlebniszustände, die so genannten Qualia, auf. Hier wird behauptet, dass es denkbar ist, dass Erlebniszustände unabhängig von physikalischen Zuständen variieren (Stichworte invertierte Qualia, Zombis etc.), dass aus dieser Denkmöglichkeit eine reale Möglichkeit folgt und aus letzterer wiederum die faktische Verschiedenheit von Erlebniszuständen und körperlichen Zuständen bei uns Menschen (vgl. z. B. Block/Fodor (1972) sowie Chalmers (1996), Kap. 3–5; vgl. allgemein zu Argumenten für den Dualismus ferner Yablo (1990) und Meixner (2004), vor allem Kap. 2). Jeder Schritt in einem solchen Argument kann bestritten werden: Man kann bestreiten, dass die genannten Fälle denkbar sind, dass aus Denkbarkeit reale Möglichkeit folgt und dass aus realer Möglichkeit etwas über das folgt, was bei uns Menschen faktisch der Fall ist (vgl. Beckermann (1986), Kap. 3, zu Descartes und zum Beispiel Balog (1999) und Walde (2002) zur gegenwärtigen Diskussion). Auf diesen Streit kommt es mir hier jedoch nicht an. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass ein Argument für den Körper-Geist-Dualismus erforderlich ist und dass Descartes Standards für die entsprechende Argumentation gesetzt hat, die bis heute wegweisend sind. Buchheims Text enthält kein Argument für den Dualismus, sondern lediglich Verweise auf das Verständnis geistiger Zustände in Begrifflichkeiten, die in naturwissenschaftlichen Theorien nicht vorkommen. Damit ist jedoch auf

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dem gegenwärtigen Stand der Diskussion nichts dafür getan, einen ontologischen Unterschied zwischen geistigen und körperlichen Zuständen aufzuweisen. Denn der Vertreter der Gegenposition, der Identitätstheorie von Geist und Körper, kann alle diese verschiedenen Verständnisweisen akzeptieren, ohne von seiner ontologischen These der Identität von Geist und Körper abzuweichen. Ich möchte diesen Sachverhalt durch kurze Hinweise auf ein paar Eckpfeiler der gegenwärtigen Diskussion illustrieren: – Der Vertreter der Identitätstheorie braucht nicht mehr zu behaupten, als dass in der realen Welt jedes einzelne Vorkommnis eines geistigen Zustands mit irgendeinem Vorkommnis eines körperlichen Zustands identisch ist (token identity im Englischen). – Wenn Identität im feinkörnigen Sinne der Identität von Vorkommnissen gedacht wird, dann sind mentale Eigenschaftsvorkommnisse genauso kausal wirksam wie physikalische Eigenschaftsvorkommnisse, einfach weil kein Unterschied zwischen beiden besteht. Buchheims Behauptung, dass die Identitätstheorie die Charakteristika des Denkens kausal depotenziert (vgl. 343), ist unsinnig. Gemäß Leibniz gilt, dass wenn zwei Entitäten identisch sind, diese ununterscheidbar sind. Ergo, wenn a und b identisch sind und kausal wirksam sind, dann ist das, was a bewirkt, auch das, was b bewirkt. Anders formuliert, mit Ereignissen als den Relata der Kausalrelation: Wenn ein Ereignis qua m (qua mental) und ein Ereignis qua p (qua physikalisch) identisch sind (token identity), dann ist das, was das Ereignis qua m bewirkt, identisch mit dem, was das Ereignis qua p bewirkt. – Wenn Identität zwischen geistigen und körperlichen Vorkommnissen (token) besteht, können dennoch die geistigen und körperlichen Typen verschieden sein. Mit anderen Worten, die Klassifikationen, Zugangsweisen, Begrifflichkeiten etc. aus mentaler Perspektive können von denen aus physikalischer Perspektive so verschieden sein, wie man sie verschieden haben möchte. Daraus folgt nichts in Bezug auf ontologische Identität oder Verschiedenheit der Vorkommnisse geistiger und körperlicher Zustände. – Buchheims Ausführungen unter Bezugnahme auf Aristoteles dazu, dass geistige Zustände jeweils Zustände des gesamten Organismus sind (vgl. 332–337), können wahr sein, ohne dass daraus etwas gegen die Identitätstheorie von geistigen und körperlichen Zuständen folgt. Der Funktionalismus in der Philosophie des Geistes stellt ein ausgefeiltes Modell dessen bereit, wie man geistige Zustände jeweils als Zustände des gesamten Organismus denken kann, wie man Buchheims Idee eines operativen Programms (vgl. 338 f.) präzise ausführen kann, wie geistige Zustandstypen multipel realisierbar sein können (vgl. 339) und wie daraus gerade folgt, dass jedes einzelne Vorkommnis eines geistigen Zustands mit einem – beliebig komplexen – Vorkommnis eines körperlichen Zustands identisch ist. – Buchheims Kennzeichnungen der Physik (vgl. 333–337) sind falsch. Sie treffen auf eine lokale Feldtheorie, wie sie Einstein vorschwebte, zu, aber nicht auf Newtons Mechanik und schon gar nicht auf die moderne Quantentheorie. Diese implementiert einen Holismus in dem Sinne, dass sie physikalische Zustände als nicht-separabel konzipiert. Kurz gesagt, welche Interpretation der Quantentheorie auch immer man vertritt, es ist (wie durch Bells Theorem und die entsprechen-

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den Experimente bewiesen) nicht möglich, punktförmigen, mikrophysikalischen Objekten je für sich genommen einen Zustand zuzusprechen. Diese sind so miteinander verbunden, dass jeweils nur ein physikalisches Gesamtsystem in einem wohldefinierten Zustand ist (siehe dazu zum Beispiel Esfeld (2008), Kap. 3 und 4). Ebenso wie der Dualismus, welche Form auch immer er annehmen soll, einer philosophischen Argumentation bedarf und nicht einfach aus der Beschreibung der intuitiven Kenntnis unserer mentalen Zustände folgt, so ist auch die Identitätstheorie nicht etwas, das einfach aus dem naturwissenschaftlichen – und heute insbesondere dem neurowissenschaftlichen – Fortschritt folgt, sondern eine genuin philosophische These, die entsprechend einer philosophischen Argumentation bedarf. Angesichts der überwältigenden Evidenz für mentale Kausalität und angesichts der oben erwähnten Konsequenz des interaktionistischen Dualismus in Bezug auf den Geltungsbedreich der physikalischen Gesetze ist die Identität von geistigen und körperlichen Zuständen leicht behauptet. Damit ist jedoch nicht viel gewonnen. Man muss zeigen, wie geistige mit körperlichen Zuständen identisch sein können. Das heißt, man muss darlegen, wie eine Identitätstheorie konservativ statt eliminativistisch sein kann, also den Charakteristika geistiger Zustände, die in Buchheims Text klar aufgelistet sind (vgl. 343), Rechnung tragen kann. Dazu bedarf es sicher mehr als der Interpretation wissenschaftlicher Theorien der Physik, Biologie, Neurowissenschaften oder Psychologie, nämlich einer Metaphysik mit einer Theorie von Eigenschaften, welche sowohl die physikalischen als auch die mentalen Eigenschaften umfasst und welche dem Stand der wissenschaftlichen Forschung Rechnung trägt (für einen Vorschlag dazu siehe Esfeld/Sachse (2010), Kap. 1 und 2).

4. Schluss In der Philosophie geht es um Wahrheit. Aber da nicht einfach offensichtlich ist, welche Gedanken und Aussagen wahr sind, führt der Weg zur Wahrheit über Argumentation, das heißt, über die präzise Ausformulierung von Kandidaten für wahre Theorien und die genaue Auslotung ihrer Konsequenzen. Welche Position auch immer man vertritt, Descartes hat Standards für diese Argumentation in der Metaphysik des Geistes gesetzt, die bis heute leitgebend sind: Wenn man eine Identitätstheorie vertritt, muss man zeigen, wie geistige mit körperlichen Zuständen trotz der offensichtlich verschiedenen Merkmale von beiden identisch sein können, ohne diese Merkmale zu eliminieren. Und wenn man einen Dualismus vertritt, muss man ebenfalls Argumente für die ontologische Verschiedenheit von geistigen und körperlichen Zuständen entwickeln, da die ontologische Verschiedenheit nicht einfach aus der Tatsache der verschiedenen Zugangs- oder Beschreibungsweisen dieser Zustände folgt. Wenn ein solcher Dualismus interaktionistisch sein soll, muss man sich den daraus folgenden, seit Leibniz bekannten Konsequenzen für den Geltungsbereich physikalischer Gesetze – gegebenenfalls auch gegen den Zeitgeist – stellen.

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LITERATURVERZEICHNIS Averill, E. W./Keating, B. F. (1981), „Does interactionism violate a law of classical physics?“, in: Mind 90, 102–107. Balog, K. (1999), „Conceivability, possibility and the mind-body problem“. In: Philosophical Review 108, 497–528. Beckermann, A. (1986), Descartes’ metaphysischer Beweis für den Dualismus: Analyse und Kritik, Freiburg. Block, N./Fodor, J. A. (1972), „What psychological states are not“, in: Philosophical Review 81, 159–181. Chalmers, D. J. (1996), The conscious mind. In search of a fundamental theory, New York. Esfeld, M. (2000), „Is quantum indeterminism relevant to free will?“, in: Philosophia Naturalis 37, 177– 187. – (2008), Naturphilosophie als Metaphysik der Natur, Frankfurt a. M. – /Sachse, Ch. (2010), Kausale Strukturen. Einheit und Vielfalt in der Natur und den Naturwissenschaften, Berlin. Gillet, C. (2006), „Samuel Alexander’s emergentism: or, higher causation for physicalists“, in: Synthese 153, 261–296. Loewer, B. (1996), „Freedom from physics: quantum mechanics and free will“, in: Philosophical Topics 24, 92–113. McLaughlin, P. (1993), „Descartes on mind–body interaction and the conservation of motion“, in: Philosophical Review 102, 155–182. Meixner, U. (2004), The two sides of being. A reassessment of psycho-physical dualism, Paderborn. Walde, B. (2002), Metaphysik des Bewußtseins, Paderborn. Yablo, S. (1990), „The real distinction between mind and body“, in: Canadian Journal of Philosophy. Supplementary Volume 16, 149–201. [email protected]

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Neo-Aristotelismus, Identitätstheorie und mentale Verursachung Erasmus MAYR (Oxford)

In seinem Aufsatz „Neuronenfeuer und seelische Tat“ entwickelt Thomas Buchheim ein nach seiner eigenen Charakterisierung ‚neo-aristotelisches‘ Modell von mentaler Verursachung. Auch wenn ich mit der Strategie im Allgemeinen sympathisiere, so bleiben doch m. E. erhebliche Bedenken gegen diesen Vorschlag bestehen, die auch Buchheims Aufsatz nicht auszuräumen vermag. Viele dieser Bedenken betreffen die genaue Positionierung des neo-aristotelischen Modells in gegenwärtigen Debatten in der Philosophie des Geistes. Hinsichtlich dieser Positionierung lässt Buchheim (wie viele andere Neo-Aristoteliker) zu viele Fragen unbeantwortet, als dass man die Erfolgsaussichten seines Modells bereits adäquat beurteilen könnte. Ich möchte mich im Folgenden im Wesentlichen auf drei Fragestellungen konzentrieren, bei denen dies besonders stark zutrifft: (1) Die Abgrenzung zwischen physikalischen und mentalen Phänomenen, (2) die Stellung von Buchheims NeoAristotelismus zur Identitätstheorie und (3) das Verhältnis zwischen Kausalzusammenhängen und zwei für Buchheim zentralen Prinzipien – dem Begünstigungsprinzip und dem Schlüsselprinzip. (1) Wie eine Position zum Verhältnis des Mentalen und des Physikalischen in der gegenwärtigen Debatte einzuordnen ist, hängt wesentlich davon ab, wie sie den Bereich des Physikalischen bestimmt. Theorien über die Identität von mentalen und physikalischen Phänomenen sind offensichtlich umso unplausibler – besonders wenn sie eine Typen-Typen-Identität solcher Phänomene postulieren –, je enger sie den Bereich des Physikalischen eingrenzen, insbesondere, wenn sie darunter nur Phänomene fassen wollen, die direkt Gegenstand der Physik (als Einzeldisziplin) sind. Donald Davidsons Ablehnung einer Typen-Typen-Identität zwischen mentalen und physikalischen Eigenschaften 1 beruhte bekanntlich gerade auf seiner sehr strikten Auffassung davon, was als ein physikalisches Gesetz zu verstehen sei – nämlich nur ein strikt und ausnahmslos geltendes Gesetz. Solche Gesetze treten de facto nicht einmal in der zeitgenössischen Physik auf; aber wenn hier aus histori-

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Vgl. Davidson (1980), Kap. 11–13.

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schen Gründen die Suche nach solchen Gesetzen nicht völlig sinnlos erscheinen mag, so erscheint sie jedenfalls im Bereich anderer Naturwissenschaften wie der Biologie ganz aussichtslos. Werden letztere Bereiche in den Bereich des Physikalischen hineingenommen – und in der traditionellen Debatte wurden sie das – dann sind die Aussichten für Identitätstheorien besser. Neo-aristotelische Positionen legen traditionell großen Wert auf die Bedeutung biologischer Prozesse und deren Unterscheidung von anderen physikalischen Prozessen. Aber wie ihre Position hinsichtlich der Fragen der Identität von mentalen und physikalischen Prozessen, die in der Philosophie des Geistes des 20. Jahrhunderts diskutiert wurden, einzuordnen ist, hängt entscheidend davon ab, wie sie die Beziehung zwischen biologischen und mentalen Vorgängen einerseits und mikrophysikalischen Prozessen andererseits verstehen. Halten sie mentale Vorgänge für zurückführbar auf (bzw. identisch mit) andere(n) biologische(n) Prozesse(n)? Und halten sie biologische Vorgänge für letztlich zurückführbar auf (bzw. identisch mit) mikrophysikalische(n) Prozesse(n)? Ich möchte mich hier besonders mit der ersten dieser zwei Fragen beschäftigen und untersuchen, was Buchheim zu diesem Verhältnis sagt: Denn wenn er die Frage bejaht, so vertritt er, vielleicht ungewollt, letztlich doch eine Form der Identitätstheorie zwischen mentalen und physikalischen Phänomenen. Im ersten Abschnitt seines Aufsatzes trägt Buchheim zwei Aristotelische Argumente für die ontologische Verschiedenheit von psychischen Prozessen und Körperprozessen vor: das Argument der unterschiedlichen Trägerschaft und das Argument der unterschiedlichen Binnenstruktur und internen Differenzierbarkeit. Seelische Verfassungen, so Buchheim, beträfen holistisch einen komplexen Körper als ganzen und beziehen sich gleichzeitig ‚präzise‘ nur auf diesen Körper; somatische Körperprozesse dagegen könnten auch lediglich Teile des Körpers betreffen und in die Umgebung des Körpers „diffundieren“ (333). Zudem seien somatische Prozesse stetig differenzierbar und vollständig als Akkumulation der einzelnen, raum-zeitlich beliebig fein aufteilbaren Momentzustände zu verstehen; mentale Vorgänge seien dagegen nicht unbeschränkt zerlegbar, sondern ‚verschwänden‘ insgesamt, wenn bei der Differenzierung eine bestimmte raumzeitliche Schwelle unterschritten wird. (Mentale Episoden können also z. B. nicht beliebig kurz sein, physische Geschehnisse hingegen schon.) Hinsichtlich der Charakterisierungen des Mentalen erscheinen mir die beiden Argumente plausibel – aber hinsichtlich der Charakterisierung von Körperprozessen nur in begrenztem Maße zutreffend. So gilt hinsichtlich der Differenzierbarkeitsfrage auch für viele makrophysikalische Prozesse, die komplexe Strukturen involvieren, dass sie als makrophysikalische Prozesse ‚verschwinden‘, wenn wir eine gewisse raumzeitliche Ausdehnung unterschreiten: nämlich jedenfalls dann, wenn wir nur noch Ausdehnungen betrachten, die zu klein sind, als dass die komplexeren Strukturen darin als solche auftreten könnten. Auch derartige makrophysikalische Prozesse sind nicht einfach ‚Akkumulierungen‘ ihrer kleineren Teilprozesse, da es ganz wesentlich auf die strukturierte Zusammensetzung dieser Teilprozesse ankommt, die sich auf einer gewissen Ebene u. U. nicht mehr als solche feststellen lässt.

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Besonders im Fall biologischer Prozesse zeigen beide Argumente keinen echten Unterschied zu mentalen Vorgängen auf: Auch biologische Prozesse, z. B. Verdauungsprozesse, Photosyntheseprozesse bei Pflanzen oder bestimmte Krankheiten betreffen oft holistisch den ganzen Organismus und sind nicht auf dessen Einzelbestandteile ‚aufteilbar‘. Und auch diese Prozesse sind oftmals nicht beliebig differenzierbar, sondern ‚verschwinden‘, sobald wir sie in mikrophysikalische Einzelprozesse zu zerlegen versuchen. (Das Aufrechterhalten eines Gleichgewichtszustandes in einer Zelle ist nicht mehr als biologischer Prozess wahrnehmbar, wenn wir nur die auf subatomarer Ebene stattfindenden Vorgänge betrachten.) Die beiden Aristotelischen Argumente können also nicht wirklich zeigen, dass mentale Prozesse von biologischen Prozessen unterschieden sind – auch wenn sie (vermutlich) Unterschiede zwischen mentalen Vorgängen und kleinteiligeren physikalischen Prozessen aufzeigen. Nun scheint es z. T., als würde dieses schwächere Ergebnis Buchheim auch genügen. So gesteht er explizit zu, dass „[s]chon zum bloßen Leben […] die koordinierte Aktivität des gesamten Körpers und seiner Teile: Stoffwechsel, Kreislauf, Muskelspannung, nervöse Grundbereitschaften“ erforderlich sind und dass das bloße „Am-Leben-Sein“ zu unterscheiden ist von „den darin integrierten Detailzuständen des gesamten Körpers“. (337) Aber gleichzeitig will er mentale Zustände nicht einfach mit dem bloßen „Am-Leben-Sein“ gleichsetzen. Mentale Zustände seien „Kulminationen“ des Lebendigseins, sie wiesen Eigenschaften wie Intentionalität und subjektive Erlebnisqualität auf (339), die biologischen Zuständen nicht (generell) zukämen. Ich werde im nächsten Abschnitt noch auf die Frage zu sprechen kommen, was diese Charakterisierungen für die Frage nach der Identität von mentalen und physischen Prozessen aussagen. Hier ist es mir nur wichtig festzustellen, dass Buchheim kein eigenes Argument dafür liefert, dass mentale und gerade biologische Prozesse verschieden sein müssen, und dass es ihm darauf, wie es scheint, auch nicht primär ankommt. Ein solches Argument würde beispielsweise, in der Nachfolge Davidsons, auf die Intentionalität und die notwendige (minimale) Rationalität intentionaler Zustände oder aber auf die phänomenale Qualität von Erlebniszuständen abstellen, und zu zeigen versuchen, dass diese Eigenschaften auch holistischen biologischen Prozessen nicht zukommen können. Aber auch wenn Buchheim erklärt, dass Eigenschaften des Denkens wie Intentionalität oder Subjektivität keinen „somatische[n] Prozesse[n] oder Prozessgefüge[n]“ zukommen können (343), so bleibt unklar, ob er damit auch biologische Prozesse meint, da seine früheren Charakterisierungen somatischer Prozesse schlecht auf diese passen. Damit könnte aber der von Buchheim kritisierte Reduktionist bzgl. mentaler Zustände, oder ein Identitätstheoretiker, den vorgebrachten Argumenten gegen die Identitätstheorie einfach zustimmen – und insistieren, dass ja auch biologische Prozesse körperliche Prozesse sind. (2) Buchheim betont die ontologische Verschiedenheit von mentalen und physischen Prozessen und räumt nur eine „Korrelation dessen, was somatisch stattfindet mit dem, was lebensepisodisch stattfindet“ (335) ein. Aber, wie ich im letzten Ab-

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schnitt schon erwähnt habe, für den Neo-Aristoteliker, der die Bedeutung von biologischen Prozessen betont, zerfällt die einheitliche Identitätsfrage bzgl. mentaler und physischer Prozesse regelmäßig in zwei Fragen: Sind mentale Zustände identisch mit biologischen Zuständen? Und sind letztere identisch mit (auch nicht-biologisch beschreibbaren) physischen Zuständen? Da Buchheim das „Am-LebenSein“ von den Detailzuständen des Körpers unterscheidet, verstehe ich ihn so, dass er die letztere Frage verneint. Aber was ist mit der ersten Frage? Mir ist nicht ganz klar, wie er diese Frage beantworten würde. Zwar scheint er mentale Zustände von bloßen „Lebensepisoden, die biographische Relevanz haben, d. h. das lebenserhaltende und lebensgestaltende Verhalten des Gesamtorganismus charakterisieren“ (339) – worunter auch nicht-mentale biologische Episoden fallen – unterscheiden zu wollen. Aber gleichzeitig legt seine Charakterisierung von mentalen Zuständen als ‚Kulminationen‘ des Gesamtsystems oder als ‚operativen Zuständen‘ nahe, dass es sich bei mentalen Zuständen einfach um eine besondere Untergruppe holistisch-biologischer Zustände handelt. Zwar sind diese Zustände als Typen vermutlich nicht rein biologisch charakterisierbar, und lassen gegenüber anderen biologischen Zuständen auch eine größere Variabilität der integrierten physischen Teilzustände zu. 2 Aber das spricht bestenfalls gegen eine Typen-TypenIdentität von mentalen Zuständen und rein biologisch charakterisierten Zuständen. Es schließt hingegen keine Token-Token-Identität zwischen mentalen Vorgängen und rein biologisch charakterisierbaren Prozessen aus, wie sie Davidsons anomaler Monismus oder funktionalistische Theorien für das Verhältnis zwischen physischen und mentalen Ereignissen annehmen. Eine solche Token-Token-Identität würde auch die Korrelation zwischen den motorischen, ästhetischen und kognitiven Operationen des Gesamtsystems und den psychischen Verfassungen erklären, die Buchheim postuliert (339). Sobald man aber Buchheims Neo-Aristotelischer Theorie die These einer TokenToken-Identität zwischen mentalen und biologischen Zuständen zuschreibt, so stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit er nicht auch eine Token-Token-Identität zwischen mentalen Zuständen und im engeren Sinne physikalischen Prozessen einräumen müsste. Buchheims Vergleiche zur Erläuterung des Verhältnisses zwischen mentalen Zuständen als Kulminationen und den zugrundeliegenden Potentialen legen eine solche Identitätsthese tatsächlich nahe. Z. B. vergleicht er dieses Verhältnis damit, dass „beim Wellenschlag ein bestimmt geformter Kamm die übrige Gewässerdynamik unter sich befängt, ihr, die Konvergenzen vollendend gleichermaßen aufgesetzt wird“ (336). In diesem Vergleichsfall ist es nun äußerst naheliegend zu argumentieren, dass der Kamm im konkreten Fall ‚nichts anderes‘ ist als die Summe der zugrundeliegenden Konvergenzen – auch wenn es, da der gleiche Kamm wohl auch bei anderen spezifischen Konvergenzen auftreten könnte, unplausibel wäre, den Kamm-Typus mit dem auftretenden Konvergenzentypus zu

2 „So wie das bloße Am-Leben-Sein sich zu den darin integrierten Detailzuständen des gesamten Körpers und seiner Teile verhält, so verhält sich auch die Kulmination zu den integrierten Varianten jener Detailzustände des Gesamtsystems.“ (337)

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identifizieren. Welches Argument hat Buchheim dann gegen eine funktionalistische Token-Token-Identitätstheorie? 3 Seine beiden zentralen Argumente sind die schon im ersten Abschnitt erwähnten Aristotelischen, die den holistischen und nicht ‚binnendifferenzierbaren‘ Charakter mentaler Ereignisse gegenüber physischen betonen. Eine Anwendung von Leibniz’ Gesetz ermögliche angesichts dieser Unterschiede den Schluss, dass mentale und physische Vorkommnissen voneinander unterschieden sein müssten (336). Aber dies ist gegenüber dem Token-Token-Identitätstheoretiker nicht unbedingt zwingend. Denn dieser kann erwidern, dass nicht jede Charakterisierung ein und desselben Ereignisses dieselben Differenzierungen zulassen muss. So ist z. B. auch eine Wolke, als Wolke, nicht beliebig in Einzelteile binnendifferenzierbar, ohne irgendwann aufzuhören, eine Wolke zu sein, während die Suspension von Flüssigkeit, die die Wolke konstituiert, zumindest in sehr viel höherem Maße binnendifferenzierbar ist. Dennoch haben wir gute Gründe dafür zu anzunehmen, dass die Wolke ‚nichts anderes ist‘ als die entsprechende Suspension von Flüssigkeit. Den holistischen und nichtdiffundierenden Charakter mentaler Prozesse bzgl. ihrer Träger kann der Token-Token-Identitätstheoretiker einräumen und argumentieren, mentale Vorkommnisse seien eben de facto mit das ganze Lebewesen präzise betreffenden physikalischen Zuständen identisch. Und warum sollte es nicht auch solche physikalischen Prozesse geben? Zwar gibt es m. E. durchaus gute Argumente gegen eine Token-Token-Identität, die z. B. darauf hinauslaufen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass mentale Prozesse, auch beim konkreten Auftreten, eindeutig mit rein physikalisch beschreibbaren Prozessen korreliert sind, so dass mangels eins-zu-eins Korrelation a fortiori auch keine Identität in Betracht kommt. 4 Aber dieses Argument bringt Buchheim gerade nicht vor; vielmehr lässt er somatische Korrelate zu psychischen Prozessen (mit gewissen Kautelen) zu. Was er dabei ausschließt, ist lediglich die parallele raumzeitliche Binnendifferenzierbarkeit beider Zustandstypen (335). 5 Auch wenn Buchheim insistiert, dass die korrelierten somatischen Zustände (Symptome) selbst zusammengenommen nicht mit den mentalen Zuständen identisch sind, betreffen seine Argumente daher m. E. nur den Typen-Typen-Identitätstheoretiker, während seine Stellung gegenüber dem funktionalistischen TokenToken-Identitätstheoretiker uneindeutig bleibt. Aber damit ist er – das muss man fairerweise sagen – nicht der einzige Neo-Aristoteliker. 3 Wie sie z. T. von Aristotelesinterpreten ja Aristoteles auch zugeschrieben worden ist (zu der Debatte um diese Interpretation vgl. z. B. Nussbaum/Rorty (1995) (Hgg.), insbes. Kap. 2 bis 4). 4 Ein Argument dieser Art, das auf einer Kritik an verbreiteten ‚mereologischen‘ Auffassungen zur Korrelation von mentalen und physischen Zuständen gründet, findet sich in z. B. Hornsby (1997), Kap. 3. (Mit der Besonderheit, dass für Hornsby mentale Ereignisse selbst physische Ereignisse sind, die jedoch nicht auf andere – bzw. anders beschreibbare – physische Ereignisse reduzierbar sind.) 5 Alternativ könnte man mit einer ‚feinkörnigen‘ Auffassung von Ereignissen argumentieren – wie sie z. B. Kim in Brand/Walton (Hgg.) (1976) vertreten hat –, dass angesichts der Nichtidentität von mentalen und physikalischen Eigenschaften auch die Instantiierungen dieser Eigenschaften nicht miteinander identisch sein können.

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(3) Mit dem Schlüsselprinzip und dem Begünstigungsprinzip führt Buchheim zwei Prinzipien ein, die einerseits die kausale Relevanz von mentalen Aspekten einer Lebenslage erklären (und damit einem Epiphänomenalismus des Mentalen vorbeugen) sollen, und die andererseits damit kompatibel sein sollen, dass es zwischen den ‚Kulminationen‘, die die mentalen Episoden darstellen, keine unmittelbaren Kausalverbindungen gibt (339). Die Ablehnung unmittelbarer Kausalverbindungen ist dabei primär dadurch motiviert, dass die Abfolge der Kulminationen durch ein bzgl. der Abfolge selbst ‚externes‘ Programm gesteuert sein soll; beispielsweise wird in der Abfolge der von einem singenden Vogel gesungenen Töne der jeweils nächste Ton nicht vom vorhergehenden verursacht, sondern welcher Ton auf welchen folgt, hängt von dem operativen ‚Gesangsprogramm‘, das den Gesang steuert, ab (ebd.). Erste Bedenken betreffen bereits diese Motivation für die Ablehnung direkter Kausalverbindungen zwischen den Kulminationen. Denn eine solche Kausalverbindung schließt ja eine Steuerung durch ‚Programme‘ dann nicht aus, wenn letztere – entsprechend der durch Fred Dretske populär gemachten Unterscheidung – ‚strukturierende‘ im Gegensatz zu ‚auslösenden‘ Ursachen sind. 6 Strukturierende Ursachen lösen nicht selbst direkt den nächsten Schritt in einer Abfolge aus, sondern etablieren ‚kausale Pfade‘, sind also dafür verantwortlich, dass ein vorhergehender Schritt gerade diesen Folgeschritt verursacht und keinen anderen. Tatsächlich entspricht das von Buchheim selbst vorgeschlagene Modell des Lernens von Fertigkeiten sehr stark einem Modell der Herstellung ‚kausaler Pfade‘, wenn er z. B. von der Herstellung von „Links“ zwischen Abfolgen spricht (344). Warum sollte es sich also bei diesen Abfolgen nur um Begünstigungen handeln, während Kausalverbindungen ausgeschlossen sind? Zudem ist nicht klar, wie weit der Ausschluss von Kausalität zwischen den Kulminationsschritten eigentlich reichen soll. Spricht Buchheim, wenn er z. B. von ‚Begünstigung‘ redet, nicht von einem Prozess, der am besten als kausaler zu verstehen ist? Buchheim nimmt nämlich durchaus an, dass die Kulminationen „von den integrierten körperlichen Symptomen kausal abhängig sind“ (339) und diese Kulminationen ihrerseits „kausal für den somatischen Fortgang unseres Daseins“ sind (343). In der Abfolge der Kulminationen wird also vermutlich – jedenfalls sehr oft – die vorhergehende Kulmination durch ihre kausale Relevanz für das körperliche Korrelat der folgenden Kulmination letztere kausal beeinflussen. Aber inwieweit verursacht sie diese dann nicht? Und was für einen Unterschied macht es für die Frage der Steuerbarkeit der Abfolge, ob keine unmittelbare, sondern nur die eben beschriebene mittelbare Verursachung vorliegt? Soll bloße kausale Relevanz gerade deterministische Verursachung ausschließen? Die eben angesprochenen Fragen betrafen die kausalen Beziehungen zwischen den aufeinanderfolgenden Kulminationen. Was ist mit dem kausalen Einfluss der Kulminationen auf die somatischen Prozesse? Buchheim insistiert zwar gegenüber einem Vertreter des Epiphänomenalismus des Mentalen darauf, dass Lebensepiso-

6

Vgl. Dretske (1988), Kap. 2.

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den gerade wegen ihrer spezifisch mentalen Charakteristika kausal relevant sind, was z. B. bei Davidsons anomalem Monismus nicht sichergestellt sei. Aber die Bedenken seines Gegners wird er dadurch nicht zerstreuen können, insbesondere wenn dieser einen Epiphänomenalismus bezüglich mentaler Eigenschaften (und nicht bezüglich mentaler Ereignisse) vertritt. Denn dieser wird gerade in Frage stellen, wie mentale Eigenschaften von biographischen Episoden für physische Prozesse kausal relevant sein können, ohne dass durch eine derartige Form der ‚downward-causation‘ das Prinzip der kausalen Geschlossenheit des physischen Bereichs verletzt würde. 7 Eine solche ‚downward-causation‘ postuliert zwar Buchheim nicht ausdrücklich; aber es ist schwer zu sehen, wie er sie vermeiden kann, ohne die kausale Relevanz mentaler Charakteristika für somatische Prozesse insgesamt aufzugeben. Ich halte zwar selbst diese Art von kausalem Einfluss für durchaus akzeptabel; aber ich kann den Epiphänomenalisten verstehen, wenn er seine Bedenken durch Buchheims Modell psycho-physischer Kausalzusammenhänge noch nicht beantwortet sieht. Auch das Experiment von Carmena und Nicolelis wird den überzeugten Epiphänomenalisten bezüglich mentaler Eigenschaften kaum überzeugen. 8 Zwar wird er eingestehen müssen, dass ohne bestimmte mentale (bzw. biographisch relevante) Vorgänge der Lern-und Adaptionsprozess bei den Affen nicht eintreten würde. Aber das könnte diese Version des Epiphänomenalisten ja sowieso schon zugestehen. Dies heißt jedoch nicht, dass er auch eingestehen müsste, dass es gerade die irreduzibel mentalen Eigenschaften dieser Vorgänge sind, die für den Fortgang des Lernprozesses bei den Affen relevant sind – und nicht somatische (oder biologische) Eigenschaften dieser Vorgänge. Letzteres wäre durchaus damit vereinbar, dass die geänderte Selektion neuronaler Muster und die daraus resultierende Änderung in der Neuroaktivität den mentalen Episoden nachfolgt und durch sie verursacht wird. An dieser Stelle werden jedoch die in den vorhergehenden zwei Sektionen angesprochenen Schwierigkeiten erneut relevant: Erst wenn klar ist, wie sich Buchheims Neo-Aristotelismus zur Token-Token-Identitätstheorie verhält und ob er biologische Prozesse und Eigenschaften als somatisch-physische deutet, wird sich auch entscheiden lassen, wie tragfähig seine Antwort auf den Epiphänomenalismus ist. (Das soll nicht heißen, dass ich den Epiphänomenalismus für plausibel hielte: Aber m. E. müsste als Antwort auf ihn entweder gezeigt werden, dass das von ihm aufgeworfene Problem der downward causation ein bloßes Scheinproblem ist, oder dass es gelöst werden kann.)

LITERATURVERZEICHNIS Davidson, D. (1980), Essays on Actions and Events, Oxford. Dretske, F. (1988), Explaining Behaviour, Bradford, MA. Hornsby, J. (1997), Simple-Mindedness, Cambridge, MA.

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Dieses Argument hat insbesondere Kim in einer Reihe von Artikeln vertreten, z. B. in Kim (1989). Gleiches gilt für den Supervenienztheoretiker à la Kim, der jedoch bereits Buchheims These ablehnen würde, dass die Lebensepisoden selbst kausal relevant sind. 8

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Neo-Aristotelismus, Identitätstheorie und mentale Verursachung

Kim, J. (1976), „Events as Property Exemplifications“, in: Brand, M./Walton, D. (Hgg.), Action Theory, Dordrecht, 159–177. – (1989), „The Myth of Nonreductive Materialism“, in: Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association, 63/3, 31–47. Nussbaum, M. C./Rorty, A. (1995), Essays on Aristotle’s De Anima, Oxford. [email protected]

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Zur aristotelischen Perspektive auf die Frage nach der kausalen Relevanz von Bewusstseinsinhalten Bettina WALDE (Berlin/München)

I. Thomas Buchheim formuliert in seinem Aufsatz „Neuronenfeuer und seelische Tat – Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität“ einerseits implizit eine eigene Interpretation zur aristotelischen Auffassung des LeibSeele-Verhältnisses, und andererseits wird, auf diese Interpretation aufbauend, ein Konzept der mentalen Verursachung präsentiert. Auch der Vorschlag zur mentalen Verursachung wird dabei Aristoteles zugeschrieben, er soll aber gleichermaßen auf das nach wie vor virulente Problem der mentalen Verursachung in der Gegenwartsdiskussion der Philosophie des Geistes Anwendung finden. Dieser Kommentar wird den von Buchheim nahegelegten neo-aristotelischen Ansatz zur Lösung des Problems der mentalen Kausalität näher in den Blick nehmen. Doch da jede Antwort auf die Frage danach, wie genau mentale Verursachung abläuft, natürlich davon abhängt, wie man das Leib-Seele-Verhältnis im ontologischen Sinne interpretiert, soll es zunächst um den Interpretationsvorschlag zur aristotelischen Auffassung des Leib-Seele-Verhältnisses gehen. In beiden Fällen soll für die These argumentiert werden, dass es sich bei dem Vorschlag Buchheims womöglich um einen emergentistischen Ansatz handelt, der mit einem Konzept der abwärts gerichteten Kausalität verbunden ist. Mit seinem Vorschlag zur Interpretation der aristotelischen Auffassung des LeibSeele-Verhältnisses setzt Buchheim eine schon seit Jahrzehnten andauernde Diskussion der Aristoteles-Exegeten darüber fort, wie sich die aristotelischen Äußerungen zur Seele und zum Körper (in erster Linie aus De Anima) zur eigentlich erst mit René Descartes aufgekommenen klassischen Version des Leib-Seele-Problems in Beziehung setzen lassen. Alles in allem folgt Buchheim der Auffassung, dass sich die aristotelischen Ausführungen über die Seele und den Körper, sowie der Gebrauch der entsprechenden Ausdrücke durchaus eng zur modernen und zeitgenössischen Diskussion über die Phänomene in Beziehung setzen lassen, und er scheint dabei einer emergentistischen Lesart zuzuneigen. Um später die Frage untersuchen zu können – ich hatte es bereits angedeutet, wie das Problem der mentalen Verursachung zu lösen ist, auch in einem neo-aristotelischen Sinne – ist deshalb zu klären, wie genau, d. h. mit welchen theoretischen Voraussetzungen und Implikationen,

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Buchheim Aristoteles’ Auffassung der Seele zum modernen und zeitgenössischen Leib-Seele-Problem in Beziehung setzt. Bzw. anders formuliert: Lässt sich der hier vorgelegte Vorschlag einer der bereits etablierten Interpretationsrichtungen zuordnen, und falls ja, welcher? Und was ergibt sich daraus mit Blick auf die Lösung des Problems der mentalen Verursachung?

II. Verfolgt man die seit vielen Jahren geführte Diskussion der Aristoteles-Exegeten 1, so stellt man einerseits schnell fest, dass sich die Interpretatoren keineswegs darüber einig sind, ob Aristoteles nun grundsätzlich als Dualist 2 oder Monist 3 zu lesen ist. Ebenso schnell stößt man auf eine Zeitspanne (Mitte der 1970er Jahre bis etwa zum Beginn der 1990er Jahre), in der viele der Interpretatoren Aristoteles als Leib-Seele-Funktionalisten gelesen haben. V. Castons exzellentem Überblicksartikel (2006) folgend, kann man zu dieser Richtung beispielsweise T. Irwin (1991) und C. Shields (1990) zählen. Und tatsächlich muten viele Passagen aus De Anima von einem systematischen Blickpunkt aus betrachtet wie aus der Feder eines zeitgenössischen Funktionalisten an, etwa wenn, ganz grundsätzlich, Materie und Form voneinander unterschieden werden und klar gestellt wird, dass die Form so etwas wie ein die Materie organisierendes Prinzip sei (ganz so wie im Funktionalismus eben die funktionale Organisation). Trotz vieler verblüffender Ähnlichkeiten, auf die ich hier im Einzelnen nicht weiter eingehen kann, stellen funktionalistische Interpretationen inzwischen nicht mehr die Mehrheit dar. Stattdessen wurden Konzepte der Supervenienz 4 und der Emergenz 5 als Lesarten der aristotelischen Auffassung des Seele-Körper-Verhältnisses vorgeschlagen. Man kann in einem knappen Kommentar wie diesem natürlich nicht intensiv der Frage nachgehen, welche dieser Lesarten zum Seele-Körper-Verhältnis den aristotelischen Quellen am nächsten kommt. Mit Blick auf die später zu diskutierende Frage nach der Tragfähigkeit des von Buchheim formulierten neo-aristotelischen 1 Ich bin selbst keine Aristoteles-Forscherin und -Exegetin, deshalb folge ich in der Frage nach den gängigen Interpretationsansätzen zur aristotelischen Auffassung des Seele-Körper-Verhältnisses der Darstellung aus einer wie ich meine zuverlässigen Quelle: Victor Castons Übersicht der Forschung zu dieser Frage aus seinem Artikel „Aristotle’s Psychology“, in: M. L. Gill/P. Pellegrin (Hgg.) (2006), The Blackwell Companion to Ancient Philosophy, Oxford, 316–346. Ausgehend von dieser Darstellung soll eine Zuordnung des Buchheim’schen Ansatzes erfolgen, sowie dann eine knappe Untersuchung zur Frage, was sich daraus für das Problem der mentalen Verursachung ergibt. 2 Der Überblicksarbeit Caston (2006) folgend zählen unter den Aristoteles-Exegeten hierzu Hamlyn (1978), Heinaman (1990), Robinson (1983) und Sisko (2000). 3 Bei den Vertretern monistischer Interpretationen zu Aristoteles finden sich weitaus mehr; sie lassen sich wiederum unterscheiden nach Vertretern einer funktionalistischen Lesart, Vertretern einer Variante der Supervenienz und allgemein nicht-reduktiven Formen des Monismus. Siehe hierzu Fn. 4 und 5. 4 Interpretationsvorschläge dieser Art werden Caston (2006) folgend beispielsweise in Caston (1993), Shields (1988) und Wedin (1993) formuliert. 5 Emergentistische Interpretationsvorschläge finden sich in Ackrill (1972), Heinaman (1990) sowie Robinson (1983).

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Vorschlags zur mentalen Kausalität ist aber auf jeden Fall eine Einschätzung dazu erforderlich, wo sich Buchheims Vorschlag innerhalb dieses Spektrums von Dualismus, Funktionalismus, Supervenienz bis hin zu Emergenz einordnen lässt. Buchheim selbst äußert sich nicht explizit dazu, einige seiner Bemerkungen legen jedoch nahe, seinen Vorschlag zu den emergentistischen Interpretationsansätzen zu rechnen, wie sie zum Beispiel in Ackrill (1972), Heinaman (1990) und Robinson (1983) skizziert werden. Ganz allgemein gesprochen und unabhängig von der Frage, inwieweit sich Aristoteles als Emergentist lesen lässt, haben emergentistische Ansätze insoweit eine hohe intuitive Plausibilität, als sie sich mit dem Konzept einer „Downward-Causation“ verbinden lassen. Überträgt man ein solches Konzept in die Philosophie des Geistes und auf die Frage nach dem kausalen Status mentaler Zustände und Vorgänge, so würde es besagen, dass mentale Zustände eine genuine kausale Wirksamkeit auf niedriger stufige, im weitesten Sinne physikalische Zustände und Vorgänge entfalten können. Natürlich wirft aber gerade das auch eine Frage auf, auf die später zurück zu kommen sein wird. Zunächst jedoch etwas anderes: Was spricht eigentlich für die Zuordnung des Buchheim’schen Vorschlages zu den emergentistischen Aristoteles-Interpretationen? Gleich zu Beginn des Aufsatzes plädiert Buchheim dafür, Aristoteles als Dualisten zu lesen und präsentiert zwei aus De Anima rekonstruierte Argumente für die „ontologische Verschiedenheit von körperlicher und seelischer Realität“ (332). Was zunächst nach einem klassischen ontologischen Dualismus klingt, muss aber relativiert werden. Dies wird deutlich, wenn es darum geht, zu klären, wie sich die aristotelische Seele genauer charakterisieren lässt und was sich daraus wiederum über ihren ontologischen Status ableiten lässt. Buchheim bringt die Dinge wie folgt auf den Punkt: Seelische Verfassungen sind somit aufgrund der beiden Argumente [für die ontologische Verschiedenheit von Seele und Körper; B. W.] notwendig als Zustände eigenen Rechts zu begreifen; doch kommen sie als solche nicht einer eigentümlichen und unkörperlichen Substanz zu, sondern treten in Korrelation mit gewissen partialistisch-somatischen Zuständen derselben wiederum körperlich komplexen Substanz insgesamt auf. [… das] Verhältnis der Ineinanderführung oder Verschränkung zweier Ordnungen desselben Materials in nur einer einzigen Substanz […] bezeichne ich als ‚horizontalen‘ Dualismus. (337)

Aus diesen und den weiteren Ausführungen des Aufsatzes geht leider nicht ganz klar hervor wie sich der Interpretationsvorschlag zu den Vorschlägen anderer Aristoteles-Exegeten sowie zur aktuellen Diskussion in der Philosophie des Geistes in Beziehung setzen lässt. Am Plausibelsten scheint mir jedoch eine Lesart, wonach eine „körperlich komplexe Substanz“ jeweils in irgendeinem Sinne die Grundlage für das Auftreten oder Emergieren seelischer Zustände ist, die insofern ontologisch eigenständig sind, als sie nicht auf physiologische und andere im weitesten Sinne physikalische Zustände zurück geführt werden können. Denkbar wäre jedoch auch, dass die oben zitierten Ausführungen Buchheims im Sinne eines klassischen Eigenschaftsdualismus gemeint sind, denn auch dann gibt es letztlich nur eine Art von (körperlicher) Substanz, die aber nicht aufeinander reduzierbare, kategorial verschiedene Eigenschaften aufweisen kann. Die jüngere Diskussion in der Philosophie

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des Geistes hat jedoch eine Reihe von Überlegungen und Argumenten hervorgebracht, die nahe legen, dass ein Eigenschaftsdualismus letztlich zu einem Eigenschaftsepiphänomenalismus 6 führt. Da Buchheim aber gerade daran interessiert ist, einen plausiblen Ansatz zur Erklärung mentaler Kausalität zu formulieren, und eine Variante des Dualismus aus den Quellen entnimmt, rechne ich seinen Vorschlag zur Interpretation des aristotelischen Seele-Körper-Verhältnisses hier den emergentistischen Ansätzen zu. Es ist wichtig, dies explizit festzuhalten, da es im Weiteren nun, sowohl in Buchheims Aufsatz als auch in diesem Kommentar, um eine Frage geht, die auf dieses erste interpretatorische Zwischenergebnis aufbaut: Um die Frage nämlich, wie sich mentale Verursachung aus aristotelischer Perspektive erklären lässt, und zwar in einem Sinne, der auch auf die entsprechende Problemstellung der gegenwärtigen Philosophie des Geistes anwendbar ist. Wie also konzipiert der in dem Aufsatz vorgelegte neo-aristotelische Ansatz die Kausalität mentaler Zustände und Vorgänge? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Buchheims Ausführungen unmissverständlich klarstellen, wie mentale Kausalität nicht zu konzipieren ist (hieraus wird auch unmittelbar ersichtlich, dass die emergentistische Lesart zu Buchheims Vorschlag die einzige ist, die tatsächlich zur Verfügung zu stehen scheint; alle anderen, einschließlich Supervenienz, werden ausgeschlossen): Diese [Intentionalität, Subjektivität, Reflexivität, Integration von Fremdperspektiven, Verneinungsfähigkeit, Wahrheitsorientierung, Normativität] und andere sicherlich nichtphysischen Merkmale müssen also ihre kausale Spur in unser körperliches Dasein setzen können. Deswegen reicht es nicht zu sagen, entweder dass geistige Verfassungen lediglich neuronale Zustände sind (Identitätstheorie), oder auf neuronalen supervenieren (ohne eigene Kausalrelevanz) oder ‚kraft‘ ihrer Identität mit gewissen neuronalen Zuständen kausal relevant sind (anomaler Monismus) [hier muss nun eine Token-Identität gemeint sein; B. W.]. Denn in all diesen Modellen werden die genannten Charakteristika des Denkens kausal depotenziert. (343)

Kurz vorher wird zudem deutlich, dass Buchheim den aristotelischen Ausführungen eine Form der nicht-physikalischen (oder jedenfalls nicht-somatischen, aber sonstigen physikalischen?) Kausalität entnimmt: „Denn dann gäben wir die Wahrheit der Behauptung wieder auf, dass die psychischen und gedanklichen Verfassungen und Sequenzen als solche und in ihren nicht-somatischen Charakteristika kausal für den somatischen Fortgang unseres Daseins sein könnten.“ (343) Gerade diese Stelle scheint von einer klar abwärts gerichteten Kausalität zwischen „psychischen und gedanklichen Verfassungen“ und dem durch sie verursachten „somatischen Fortgang unseres Daseins“ auszugehen. Interessant ist deshalb natürlich die Frage, wie die obige Bemerkung positiv, im Sinne eines Modells der psycho-physischen Kausalität formuliert werden kann. Entsprechende Ausführungen folgen kurz darauf – ich zitiere diese Passage hier, da sie Schlüsselcharakter hat, zugleich aber eine Menge Schwierigkeiten für den Rezipienten birgt. Buchheim bezeichnet seinen Vor-

6 Diese These wurde vor allem von Jaegwon Kim in zahlreichen Publikationen vorgeführt und vertreten. Vgl. hierzu etwa Kap. 2 aus J. Kim (2005), Physicalism – or Something Near Enough. Cambridge.

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schlag als „Modell des psychophysischen Kausalzusammenhangs durch Begünstigung“: (1) Wir lernen dadurch, dass wir uns gegenseitig und jeder sich selbst in geeignete Lebenslagen manövrieren und so Umstände schaffen für bestimmte statt andere somatische Produktionen, die unsere Lebenslagen schließfähiger für gewisse operationale Zielzustände machen. (2) Die Lebenslage (= operationales Stadium), in die wir uns manövrieren oder manövrieren lassen, begünstigt kraft bestimmter nicht-physikalischer Merkmale der in sie eingebetteten psychischen und mentalen Verfassungen die Produktion eines somatischen Schlüssels für das Vorrücken desselben Lebens in eine sich operational anschließende Lebenslage. (3) So wird ein Link geschaffen zwischen bestimmten Abfolgen operativer Zustände und auch zu operationalen Sequenzen insgesamt. […] (4) Die Links zwischen operationalen Stadien oder Operationen als ganzen können wiederum zu Merkmalen bestimmter Lebenslagen erhoben werden, durch die weitere Schlüssel zu Operationen begünstigt oder Varianten der Operation leichter anschlussfähig werden. (5) So kann eine gute ‚Verlinkung‘ leicht zum ausschlaggebenden Motiv von Operationen werden: Wir rechnen oder tanzen, weil wir es so gut können, und begeben uns forciert in Lebenslagen, die immer wieder neu die entsprechenden Schlüssel perfektionieren. […] (6) Die sechste Stufe besteht darin, dass man Enttäuschungen so gut wie immer vermeidet, d. h. seine Operationen zum Ziel bringt durch Anpassungen an die spezielle Situation, durch die hindurch man die Folge von Lebenslagen erfolgreich ‚steuern‘ muss. […] So kann es insgesamt sein, dass wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten im kausalen Sinne wegen der spezifischen Charakteristika unserer geistigen Verfassungen wie Intentionalität, Subjektivität, Kontextualität, Reflexivität und Intersubjektivität von Gedanken oder Volitionen etc. (344 f.).

Wie also konzipiert dieses Modell psycho-physische Kausalität, unter Voraussetzung der an früherer Stelle gemachten Annahmen zur Ontologie des Verhältnisses von Seele zu Körper? Eine Antwort auf diese Frage erscheint insofern schwierig, als die sechs Punkte, die das Modell charakterisieren sollen, in gewisser Hinsicht metaphorisch bleiben – so tauchen beispielsweise die Termini „kausal“ oder „psychophysische Kausalität“ in diesen Punkten nicht mehr auf. Erst der diesen sechs Punkten nachfolgende Satz stellt einen Zusammenhang her, indem er darauf verweist, dass „spezifische Charakteristika unserer geistigen Verfassungen“ kausal für unser Verhalten seien. Doch wie genau diese kausale Einflussnahme abläuft und welcher Art die Belege für eine solche Kausalität sind, verbleibt erst einmal im Vagen. Einen besonderen Stellenwert scheint aber der zweite Punkt zu haben – jedenfalls dann, wenn man ihn in expliziteres Vokabular übersetzt: Demnach hätten die psychischen und mentalen Verfassungen eines Individuums (Zustände, in denen sich jemand befindet) bestimmte nicht-physikalische Merkmale. Die zunächst etwas ad hoc erscheinende Annahme, dass es solche nicht-physikalischen Merkmale gebe, resultiert dabei aus den zuvor gemachten Annahmen zur dualistischen Ontologie von Seele und Körper. Obwohl Buchheim explizit von „nicht-physikalischen Merkmalen“ schreibt, können damit doch keine substantiellen nicht-physikalischen Merkmale gemeint sein, da es seinen Ausführungen zufolge nur eine Art von Substanz gibt. Dies legt eine in emergentistische Richtung verweisende Vermutung nahe, dass womöglich eigentlich gemeint ist, dass diese Merkmale auf irgendeine Weise aus den im weitesten Sinne physikalischen Merk-

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malen neu hervorgehen und insofern nicht schon in den physikalischen Merkmalen vorhanden sind. Gemäß Punkt (2) des oben zitierten Modells scheint es nun so zu sein, dass der Kontext („Lebenslage“), in dem sich ein Individuum befindet, zusammen mit den nicht-physikalischen Merkmalen der psychischen und mentalen Zustände, in denen es sich befindet, das Auftreten bestimmter im weitesten Sinne physikalischer Veränderungen verursacht („Produktion eines ‚somatischen Schlüssels‘“). Die kausale Kraft scheint dabei von der Verbindung aus Kontext und nicht-physikalischen Merkmalen psychischer und mentaler Zustände auszugehen. Wenngleich aus diesen Ausführungen kaum Details über den genauen Ablauf psycho-physischer Kausalität hervorgehen, so wird doch ein Punkt deutlich: Nämlich der, dass es dem Autor hier um ein Konzept der Downward-Causation zu gehen scheint, wie es von den klassischen Emergenztheoretikern der 1920er Jahre formuliert worden ist. 7 Buchheim scheint hier also möglicherweise eine Übertragung dieser Konzepte auf das Verhältnis von Seele und Körper anzustreben.

III. Emergentistische Konzepte der abwärts gerichteten Kausalität sind, ganz gleich für welchen Bereich sie formuliert worden sind, also etwa für chemische oder für biologische Zusammenhänge, in ihrer starken Lesart stets damit verbunden, dass wissenschaftlich wohl bekannte Zustände, Vorgänge und Strukturen niedrigerer Stufe genuin neue Zustände, Vorgänge und Strukturen hervorbringen, wobei von diesen neu entstandenen Bestandteilen echte kausale Kräfte ausgehen, die die Zusammenhänge der niedrigeren Stufe beeinflussen können, und die nicht auf Vorgänge niedrigerer Stufe zurückzuführen sind, also z. B. nicht reduktiv zu erklären sind. Man ahnt es vermutlich bereits: Solche Konzepte der abwärts gerichteten Kausalität sind, so verlockend sie zunächst als Lösung so manchen Problems in der Philosophie des Geistes erscheinen mögen, auch mit einem nicht ganz unerheblichen Problem verbunden: Dem Umstand, dass sie nicht mit dem Festhalten an der kausalen Geschlossenheit der physikalischen Welt vereinbar sind, sofern die neuen Bestandteile nicht physikalischer Natur sind. Und dies wirft natürlich Fragen auf, die sich auch für das von Buchheim vorgeschlagene Modell ergeben, und von denen ich hier nur eine kurz nennen möchte (es ist selbstredend, dass die Behandlung dieser Fragen nicht in einem Aufsatz und schon gar nicht in den dazugehörenden Kommentaren erfolgen kann): Wie soll, gegeben eine abwärts gerichtete Kausalität des Mentalen, mit all den akzeptierten physikalischen Gesetzmäßigkeiten und gesetzesartigen Zusammenhängen verfahren werden, die davon ausgehen, dass das Auftreten physikalischer Ereignisse im Sinne einer kausalen Geschlossenheit der 7 Viele der klassischen Emergentisten wie zum Beispiel Charles Broad und Conwy Lloyd Morgan (nicht aber Samuel Alexander, der natürlich dennoch als klassischer Vertreter des Emergentismus anzusehen ist) haben Konzepte der abwärtsgerichteten Kausalität vertreten, und zwar ganz unabhängig von einer expliziten Anwendung eines solchen Konzeptes auf das Leib-Seele-Problem.

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physischen Welt ausschließlich durch die Bezugnahme auf andere physikalische Ereignisse erklärt werden kann?

LITERATURVERZEICHNIS Ackrill, J. L. (1972), „Aristotle’s definitions of ‚psyche‘“, in: Proceedings of the Aristotelian Society, 73, 119–133. Caston, V. (1993), „Aristotle and supervenience“, in: J. Ellis (Hg.), Ancient Minds, The Southern Journal of Philosophy, suppl. Vol. 31, 107–135. – (1997), „Epiphenomenalism, ancient and modern“, in: The Philosophical Review, 106, 309–363. – (2006), „Aristotle’s psychology“, in: M. L. Gill/P. Pellegrin (Hgg.), Blackwell Companions to Philosophy: A companion to Ancient Philosophy, Oxford, 316–346. Hamlyn, D. W. (1978), „Aristotle’s cartesianism“, in: Paideia, special issue 2, 8–15. Heinaman, R. (1990), „Aristotle and the mind-body problem“, in: Phronesis 35, 83–102. Irwin, T. (1991), „Aristotle’s philosophy of mind“, in: S. Everson (Hg.), Companions to Ancient Thought: Psychology, Cambridge, 56–83. Kim, J. (2005), Physicalism – or Something Near Enough, Cambridge. Robinson, H. (1983), „Aristotelian dualism“, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 1, 123–144. Shields, C. (1988), „Soul and body in Aristotle“, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 6, 103–137. – (1990), „The first functionalist“, in: J. C. Smith (Hg.), Historical Foundations of Cognitive Science, Amsterdam, 19–33. Sisko, J. (2000), „Aristotle’s NOUS and the modern mind“, in: Proceedings of the Boston Area Colloquium in Ancient Philosophy, 16, 177–198. Wedin, M. V. (1993), „Content and Cause in the Aristotelian Mind“, in: J. Ellis (Hg.), Ancient Minds, The Southern Journal of Philosophy, suppl. Vol. 31, 49–105. [email protected]

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Sollte das Standardmodell der mentalen Verursachung aufgegeben werden?1 Emmanuel BAIERLÉ (Fribourg)

I. In seinem Artikel stellt Buchheim ein Experiment von Carmena u. a. (2003) dar, in welchem Affen gelernt haben, einen Roboterarm allein durch ihre Neuronenaktivität zu steuern. Den Affen gelingt es, erfolgreich ein Computerspiel mittels eines Joysticks zu spielen, den sie mittels dieses so gesteuerten Roboterarms bewegen. Dies wurde erreicht, indem die Affen zuerst das Spiel mit einem Joystick spielten, den sie von Hand bedienen konnten, wobei gleichzeitig ihre Neuronenaktivität gemessen wurde, um so die Steuerung des Roboterarmes über diese Neuronenaktivität zu programmieren. Anschließend wurde die Steuerung durch den von Hand kontrollierten Joystick abgestellt und es war für die Affen nun nur noch möglich das Spiel mittels des durch ihre eigene Neuronenaktivität gesteuerten Roboterarms zu spielen, was ihnen nach einiger Übung gelang. Buchheim ist der Ansicht, dass dieses Experiment ein Beleg dafür ist, dass ‚neuronale Symptome‘ den ‚psychischen Charakteristiken‘ nachfolgen. Nur weil die Affen in einer mentalen Verfassung waren, in der sie dieses Spiel spielen wollten, wurden die passenden Neuronenaktivitäten begünstigt bzw. nur so konnten die passenden ‚somatischen Schlüssel‘ gefunden werden, die es den Affen ermöglichten, das Spiel erfolgreich zu spielen. Man kann Buchheims Argumentation für die These, dass die physischen Ereignisse den mentalen Ereignissen nachfolgen, auf zwei Weisen verstehen. In der ersten Leseart finden die mentalen Ereignisse zeitlich vor den physischen Ereignissen statt. Wenn man die kausale Kette einer Handlung betrachtet, findet man am Schluss der kausalen Kette das Handlungsergebnis, welches durch eine Kette von physiologischen Ereignissen verursacht wurde. Das erste Glied dieser physiologischen kausalen Kette ist nicht durch ein weiteres physiologisches Ereignis verursacht, sondern durch ein mentales, nicht-physisches Ereignis (in unserem Fall ein Wollen des Affen). Diese Position erlaubt die kausale Wirksamkeit von mentalen 1 Dieser Artikel entstand im Rahmen des Projekts des Schweizerischen Nationalfonds PDFMP1_132455 zur Phänomenologie des Handelns. Ich möchte mich bei den Mitgliedern dieses Projekts, Franziska Müller, Jacob Naïto und Martine Nida-Rümelin, für die hilfreichen Diskussionen bedanken. Insbesondere möchte ich Martine Nida-Rümelin für die wertvolle Unterstützung danken.

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Ereignissen zu gewährleisten, allerdings stellt sich die Frage nach der Ontologie eines solchen mentalen Ereignisses, welches kein zeitgleiches physisches Korrelat hat. Aus folgender Passage zum „horizontalen Dualismus“ lässt sich aber schließen, dass Buchheim nicht diese Interpretation im Sinn hat: „Seelische Verfassungen sind […] als Zustände eigenen Rechts zu begreifen; doch kommen sie als solche nicht einer eigentümlichen und unkörperlichen Substanz zu, sondern treten in Korrelation mit gewissen partialistisch-somatischen Zuständen derselben wiederum körperlich komplexen Substanz insgesamt auf.“ (337) Dies führt uns zur zweiten Leseart von Buchheims Argumentation. Dass die „neuronalen Symptome“ den mentalen Ereignissen nachfolgen, bedeutet nicht, dass es keine Korrelation zwischen zeitgleichen mentalen und physischen Ereignissen gibt, sondern lediglich, dass es bei einem Lernprozess Zeit braucht, bis das richtige, beziehungsweise passende, physische Korrelat („der passende somatische Schlüssel“) selektioniert wird. In anderen Worten ist das mentale Ereignis während der Lernphase immer dasselbe, in unserem Fall, dass der Affe das Spiel erfolgreich spielen will. Doch dieses mentale Ereignis kann unterschiedliche, mit dem mentalen Ereignis zeitgleiche, physische Korrelate haben, die aber nicht denselben Erfolg beim Hervorbringen des gewünschten Ereignisses haben (in unserem Fall, das erfolgreiche Spielen des Computerspiels). Die physischen Korrelate des mentalen Ereignisses werden also solange variiert, bis ein physisches Korrelat das gewünschte Ergebnis verlässlich hervorbringen kann. In diesem Sinne folgt das passende physische Ereignis dem mentalen Ereignis nach. Bei diesem Vorschlag stellt sich allerdings die Frage, ob und wie sich diese Variation erklären lässt. Es ist nicht möglich eine kausale Erklärung zu liefern, die besagt, dass die mentalen Ereignisse ihre physischen Korrelate verursachen, da dies voraussetzen würde, dass die mentalen Ereignisse zeitlich vor den physischen Korrelaten stattfinden, und wir haben dies bei der ersten Interpretation verworfen. Aber auch wenn sich eine Erklärung finden lässt, besteht ein weiteres Problem. Es ist nicht klar, inwiefern es sich bei den Variationen um das gleiche mentale Ereignis handelt. Man kann davon ausgehen, dass der Affe nicht immer die gleiche mentale Aktivität betreibt, um zu versuchen sein Ziel zu erreichen. Natürlich lässt sich vereinfacht sagen, dass er immer versucht, das Spiel erfolgreich zu spielen. Wenn man aber die Frage nach der mentalen Aktivität des Affen genauer betrachtet, so lässt sich sicherlich sagen, dass er Verschiedenes ausprobiert, um zu seinem Ziel zu kommen. Es wäre höchst merkwürdig, wenn er immer die gleiche mentale Aktivität betriebe (bzw. im selben mentalen Zustand verharrte) und die physischen Korrelate dabei variierten. Also haben wir es mit verschiedenen mentalen Ereignissen zu tun, die mit verschiedenen physischen Ereignissen korrelieren und nicht mit einem einzigen mentalen Ereignis, das mit mehreren unterschiedlich erfolgreichen physischen Ereignissen einhergeht. Wenn dieses mentale Ereignis ein physisches Ereignis verursacht, z. B. die Bewegung des Roboterarms, stellt sich die Frage, inwiefern das mentale Ereignis qua mentales Ereignis die Steuerung verursacht hat. Das physische Korrelat, das heißt das neuronale Ereignis, welches mit dem mentalen Ereignis korreliert, scheint der bessere Kandidat zu sein, wenn man erklären möchte, was die Bewegung des Roboterarms verursacht. Wir befinden uns in dem Dilemma, das die Debatte zur mentalen Verursachung prägt. Entweder man bewahrt die kausale

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Wirksamkeit von mentalen Ereignissen, indem man von physischen Ereignissen unabhängige, mentale Ereignisse postuliert oder man akzeptiert eine so enge Beziehung zwischen dem mentalen Ereignis und seinem physischen Korrelat, dass sich die Frage stellt, ob mentale Ereignisse qua mentale Ereignisse verursachen können.

II. Im folgenden Teil dieses Artikels möchte ich das Standardmodell zur mentalen Verursachung in Frage stellen. Das Modell beschäftigt sich mit zwei miteinander verwobenen Fragen. Die erste Frage ist, inwiefern mentale Ereignisse 2 qua mentale Ereignisse physische Ereignisse verursachen können. Sobald eine Position verlangt, dass jedes mentales Ereignis ein physisches Ereignis als Korrelat hat, stellt sich die Frage, inwiefern das mentale Ereignis als Ursache gelten kann. Es muss erklärt werden, weshalb zwischen dem mentalen Ereignis und dem physischen Ereignis als potentielle Ursachen keine Konkurrenzsituation besteht und inwiefern nicht etwa allein das physische Ereignis als Ursache zu gelten hat. Zweitens stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen dem mentalen Ereignis und seinem physischen Korrelat. Ich möchte ein Modell vorschlagen, in welchem sich die erste Frage erübrigt. Wenn die erste Frage keiner Antwort bedarf, so kann man die zweite Frage angehen, ohne hierbei die Forderung erfüllen zu müssen, dass mentale Eigenschaften qua mentale Eigenschaften verursachen. Ich werde die zweite Frage in diesem Artikel nicht diskutieren. Ich setze allerdings hier voraus, dass mentale Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren. Dies bedeutet – grob gesagt –, dass ein Unterschied hinsichtlich mentaler Eigenschaften nur möglich ist, wenn auch ein Unterschied hinsichtlich physischer Eigenschaften besteht. 3 Ein Hauptziel der Debatte zur mentalen Verursachung ist es, eine überzeugende Theorie zu entwickeln, nach welcher wir als Subjekte mit mentalen Zuständen physische Ereignisse verursachen können. Wenn ich den Wunsch habe, ein Bier zu trinken und glaube, dass sich ein Bier im Kühlschrank befindet und nichts Relevantes dagegen spricht, dass ich jetzt ein Bier trinke, gehe ich zum Kühlschrank und nehme mir ein Bier. Es ist unumstritten, dass mein Wunsch und mein Glaube (möglicherweise zusammen mit anderen mentalen Zuständen) meine Handlung erklären können. Im Standardmodell 4 geht man davon aus, dass die Relation zwischen diesen erklärenden mentalen Ereignissen und dem physischen Ereignis (mein körperliches Verhalten) eine kausale Relation ist. Doch wenn wir die Phänomenologie 2 Mentale Ereignisse oder Zustände bestehen in der Realisierung mentaler Eigenschaften zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Subjekt. 3 Davidson hat diese These folgendermaßen ausgedrückt: „[M]ental characteristics are in some sense dependent, or supervenient, on physical characteristics. Such supervenience might be taken to mean that there cannot be two events alike in all physical respects but differing in some mental respect, or that an object cannot alter in some mental respect without altering in some physical respect.“ (Davidson (1970), 214) 4 Unter dem Standardmodell verstehe ich die These, dass mentale Ereignisse oder Zustände eines Subjekts bei Handlungen dessen Verhalten bzw. das Handlungsergebnis verursachen.

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solcher Fälle betrachten (d. h. die Art und Weise, wie wir in solchen einfachen Fällen das eigene Handeln erleben), so wird fraglich, ob dies eine korrekte Darstellung der Situation ist. Wir erleben uns als Subjekte, die ein gewisses Ereignis hervorbringen, aber wir erleben unsere Wünsche und Glaubenszustände nicht als kausale Ursachen unserer Handlungen. Horgan (2007) hat meiner Meinung nach korrekt argumentiert, dass wir eigene Handlungen, z. B. ein Heben der Hand, nicht etwa so erleben: Wir erfahren zuerst den Wunsch, die Hand zu heben und erleben dann, dass unsere Hand sich hebt. Auch wäre es nach Horgans überzeugender Darstellung offenkundig falsch, das Erleben des eigenen Hebens der Hand so zu beschreiben: Wir erleben zunächst den Wunsch nach dem Heben der Hand und wir erleben dann, wie dieser Wunsch das Heben der Hand verursacht. Horgan weist darauf hin, dass es durchaus Situationen gibt, in denen wir die eigenen mentalen Zustände als Ursache von Bewegungen des eigenen Körpers erleben, so etwa wenn wir vor Angst zittern. Solche Erlebnisse unterscheiden sich aber grundlegend vom Erleben eigenen Handelns. Diese Einsicht ist meines Erachtens ein wichtiges Motiv für die Entwicklung von Erklärungsmodellen, welche die Annahme verwerfen, dass mentale Ereignisse Ursachen physischer Ereignisse sind. 56 Nehmen wir einmal an, dass phänomenologische Betrachtungen das Standardmodell so ernstlich erschüttern, dass nach einer Alternative gesucht werden sollte. Wie könnte eine solche Alternative aussehen? Dies ist die Frage, der ich mich nun zuwenden möchte. 7 Der Kern dieses Vorschlags ist die These, dass das Subjekt und seine Handlungsfähigkeiten nicht auf seine physischen (und mentalen) Eigenschaften reduzierbar sind. Subjekte können Handlungsfähigkeiten ausüben, um Ereignisse hervorzubringen; diese Fähigkeiten sind nicht mit den physischen und mentalen Eigenschaften des Subjekts gleichzusetzen. Wenn ich, wie im Beispiel weiter oben, den Wunsch habe, ein Bier zu trinken und wenn ich glaube, dass ich mir ein Bier holen kann und nichts Relevantes dagegen spricht, so muss ich meine Fähigkeit, ein Bier zu holen erst noch ausüben, damit die fragliche Handlung ausgeführt wird. Diese Fähigkeit übe ich aus, indem ich das Bier hole. Meine mentalen Zustände erklären zwar meine Handlung, aber sie verursachen weder meine Handlung noch das Handlungsergebnis. Es ist in diesem Kontext wichtig zwischen der Handlung und dem Handlungsergebnis zu unterscheiden. 8 Das vom Subjekt hervorgebrachte Ereignis ist das Handlungsergebnis. Die Handlung dagegen ist das Her5 Horgan (2007) argumentiert in seinem Artikel dafür, dass die beschriebene Phänomenologie des Handelns letztendlich kein Grund dafür ist, das Standardmodell zu verwerfen. Aus Platzgründen kann ich in diesem Artikel auf seine Argumentation nicht eingehen. 6 Ein weiteres Argument gegen das Standardmodell findet man in Hornsby (2004). Sie argumentiert, dass das Standardmodell, unabhängig von phänomenologischen Beobachtungen, die Rolle des Subjekts nicht erfassen kann, wenn Handlungen als Ereignisse verstanden werden. Bei Fällen von Unterlassungen findet kein Ereignis statt und Unterlassungen sind Ereignisse. Weiter argumentiert sie, dass die interessantere Frage ist, weshalb ein Subjekt etwas tut und nicht, weshalb ein bestimmtes Ereignis (ein Handlungsergebnis) stattgefunden hat. Sie vertritt, dass das kausale Modell nur letzteres erklären kann. 7 Weitere Positionen, die in den letzten Jahren veröffentlich wurden, welche das Standardmodell verwerfen, findet man unter anderem bei Nida-Rümelin (2007), O’Connor (1995), O’Connor (2000), Clarke (2003), Lowe (2008) und Hornsby (2004). 8 Vgl. Hornsby (2004).

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vorbringen des Handlungsergebnisses durch das Subjekt. Wenn ich meine Hand hebe, so ist dies eine Handlung; das Handlungsergebnis ist in diesem Fall die Bewegung der Hand. Das Ereignis, welches darin besteht, dass meine Hand nach oben geht, ist keine Handlung; eine Handlung findet nur dann statt, wenn ich die Hand nach oben hebe und sie besteht darin, dass ich dies tue. Wie muss die Metaphysik des Subjekts und seiner Handlungsfähigkeiten aussehen, damit erklärt werden kann, wie ein Subjekt Handlungsergebnisse hervorbringt? Dieser Frage werde ich im nächsten Abschnitt nachgehen. Es ist möglich, zwischen reduktiven und nichtreduktiven Theorien vom Subjekt zu unterscheiden. Reduktive Theorien vertreten die These, dass das Subjekt nichts anderes als die Menge seiner physischen (und mentalen) Eigenschaften ist. Ich möchte eine nichtreduktive Theorie vorschlagen und verwerfe diese These. Das Subjekt ist eine fundamentale Entität, die sich nicht auf physische (und mentale) Eigenschaften reduzieren lässt. Es ist aber nicht eine von physischen Eigenschaften unabhängige Substanz. 9 Welche Handlungsfähigkeiten ein Subjekt besitzt, hängt allein von den physischen und mentalen Eigenschaften des Subjekts ab. Die Menge aller physischen (und mentalen) Eigenschaften eines Subjekts werde ich als Zustand eines Subjekts bezeichnen. Obwohl sich die Handlungsfähigkeiten eines Subjekts nicht auf seinen Zustand reduzieren lassen, werden sie alleine durch dessen Zustand bestimmt. Damit ist gemeint, dass das Subjekt in einem bestimmten Zustand sein muss, damit es eine bestimmte Handlungsfähigkeit hat. Um die Handlungsfähigkeit zu besitzen, ein Bier holen zu können, muss das Subjekt in einem Zustand mit gewissen Wünschen und Glaubenszuständen 10 sein. Der Zustand des Subjekts verursacht aber nicht das Handlungsergebnis, sondern das Subjekt bringt das Handlungsergebnis hervor, indem es seine Handlungsfähigkeit ausübt. Vereinfacht gesagt bestimmt der Zustand des Subjekts, was es machen oder unterlassen kann und das Subjekt macht es oder unterlässt es. Wenn das Subjekt in einem Zustand ist, welches das Hervorbringen von mehreren Handlungsergebnissen offen lässt, so ist es das Subjekt, welches eines dieser Handlungsergebnisse hervorbringt. Wie wahrscheinlich die einzelnen Handlungsergebnisse sind, hängt wiederum vom Zustand des Subjekts ab. Hätte sich das Subjekt in einem anderen Zustand befunden, hätte er also andere Wünsche oder Glaubenszustände gehabt, wären die möglichen Handlungsergebnisse andere gewesen oder die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Handlungsergebnisse wären anders gewesen. Die Handlungsfähigkeiten des Subjekts sind von den dispositionalen Fähigkeiten eines Subjekts zu unterscheiden. Unter dispositionalen Fähigkeiten eines Subjekts verstehe ich die Fähigkeiten, die ein Subjekt unter gewissen Umständen unabhängig davon hat, ob die Umstände im Moment realisiert sind. Bei den Handlungsfähigkeiten, die ich hier diskutiere, geht es nur darum, was das Subjekt unter den gegebenen Umständen im Moment machen kann. 9 Umfassendere Ausführungen dieser Thesen findet man unter anderem bei O’Connor (1995) und NidaRümelin (2007). 10 Sowie körperlichen Zuständen, aber da wir uns hier vor allem für die mentale Verursachung interessieren, werde ich mich auf die Rolle der mentalen Zustände beschränken.

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III. Abschließend seien einige Einwände gegen dieses Erklärungsmodell knapp diskutiert. Die wichtige Frage, ob das vorgeschlagene Modell mit der aktuellen naturwissenschaftlichen Forschung vereinbar ist, ist meines Erachtens positiv zu beantworten. Wenn die relevanten Naturgesetze deterministisch sind, so folgt, dass ein Subjekt immer dann, wenn es sich in einem gegebenen Zustand befindet, ein bestimmtes Handlungsergebnis herbeiführt. Wenn die Gesetze indeterministisch sind, so folgt, dass ein Subjekt immer dann, wenn es sich in einem gegebenen Zustand befindet, bestimmte Handlungsergebnisse mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit herbeiführt. Beide Möglichkeiten sind folglich mit dem vorgeschlagenen Modell vereinbar. Das vorgeschlagene Modell ist insbesondere mit den Neurowissenschaften vereinbar, die versuchen menschliches Verhalten und mentale Zustände auf Grund von neuronaler Aktivität zu erklären. Es ist sogar ein zentraler Aspekt des vorgeschlagenen Modells, dass die Handlungsfähigkeiten eines Subjekts durch den Zustand, in dem es sich befindet, bestimmt werden. Wie wir weiter oben gesehen haben, handelt es sich bei diesem Vorschlag um eine nichtreduktive Position. Es muss also eine in den Naturwissenschaften weit verbreitete These aufgegeben werden, dass sich alle Phänomene auf mikrophysikalische Eigenschaften reduzieren lassen. Meiner Meinung nach sind die explikativen Vorteile des vorgeschlagenen Modells diesen Preis wert, da sich das zuvor genannte Dilemma des Standardmodells aufbrechen lässt. Ferner ist das Modell im Einklang mit der Art und Weise, wie wir uns im Handeln erleben; es muss somit nicht – wie andere Modelle – als Illusion wegerklären, dass unsere eigenen mentalen Zustände im Erleben keine Ursachen des eigenen Verhaltens zu sein scheinen. Betrachten wir einen weiteren Einwand gegen alle Modelle, nach welchen Gründe keine Ursachen für Handlungsergebnisse sind: Modelle dieser Art können nicht erklären, wie es sein kann, dass eine Person aus nur einem von vielen Gründen handelt, die in einer gegebenen Situation für die gewählte Handlung sprechen. Nun kann man aber meines Erachtens überzeugend argumentieren, dass in dieser Hinsicht kein Unterschied besteht zwischen Modellen, in denen Gründe Ursachen sind und Modellen, für die das nicht der Fall ist. Bei der Metaphysik der Kausalität gibt es reduktive und nichtreduktive Positionen der Kausalitätsbeziehung. Damit ein Vertreter einer reduktiven Position behaupten kann, dass ein bestimmter Grund A das Handlungsergebnis verursacht und nicht ein anderer Grund B, muss es einen Unterschied zwischen A und B geben, der es wahr macht, dass A und nicht B als Ursache gilt. Gerade dieser Unterschied ist dann aber auch im Rahmen des vorgeschlagenen Modells angebbar. Wenn z. B. argumentiert wird, dass kontrafaktische Unterschiede zwischen A und B erklären, weshalb A und nicht B das Handlungsergebnis verursachen, so lässt sich ebenfalls sagen, dass die kontrafaktischen Unterschiede zwischen A und B erklären, weshalb das Subjekt aufgrund von A und nicht B gehandelt hat. Der Vertreter einer nichtreduktiven Position der Kausalität vertritt die These, dass der einzige relevante Unterschied zwischen A und B darin besteht, dass A und nicht B das Handlungsergebnis verursacht. Die Kausalitätsbeziehung wird also als primitiv und nicht weiter reduzierbar angenommen. Eine solche nicht weiter reduzierbare, primitive Bezie-

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hung lässt sich analog im vorgeschlagenen Modell einführen: Subjekte haben die Fähigkeit aus bestimmten Gründen zu handeln. 11 Es gibt keine reduktive Erklärung dafür, dass ein Subjekt eine gegebene Handlung aus dem Grund A und nicht aus dem Grund B ausführt.

IV. Zum Abschluss möchte ich ganz knapp darstellen, wie sich das vorgeschlagene Modell auf das Affenexperiment von Carmena u. a. anwenden lässt. Der Affe befindet sich in einem Zustand, der es ihm ermöglicht, gewisse mentale Aktivitäten auszuführen. Da der Affe seine Handlungsfähigkeit ausübt, verändert sich sein Zustand so, dass der Roboterarm gesteuert wird. Charakteristisch für den ersten Zustand ist, dass der Affe den Wunsch hat, zu spielen. Charakteristisch für den zweiten Zustand ist die Neuronenaktivität, welche die Steuerung des Roboterarmes verursacht. In diesem Sinne hat Buchheim recht, dass die Neuronenaktivität dem Wunsch des Affen nachfolgt. Es ist aber im Prinzip auch möglich, den ersten Zustand des Affen durch physische Eigenschaften zu beschreiben oder den zweiten Zustand durch mentale Eigenschaften. Weshalb der Affe das Handlungsergebnis hervorgebracht hat, lässt sich durch seinen Zustand erklären und doch ist es nicht der Zustand des Affen, der das Handlungsergebnis hervorbringt, sondern der Affe selbst.

LITERATURVERZEICHNIS Carmena J. M. u. a. (2003), „Learning to Control a Brain-Machine Interface for Reaching and Grasping by Primates“, in: PloS Biology I 2, 192–208 (http://biology.plosjournals.org). Clarke, R. (2003), Libertarian Accounts of Free Will, Oxford. Horgan, T. (2007), „Mental Causation and the Agent-Exclusion Problem“, in: Erkenntnis 67, 183–200. Davidson, D. (1970), „Mental Events“, in: Ders. (Hg.) (1980), Essays on Action and Events, 207–225. Hornsby, J. (2004), „Agency and Actions“, in: H. Steward/J. Hyman (Hgg.): Agency and Action, Cambridge, 1–23. Lowe, E. J. (2008), Personal Agency, Oxford. Nida-Rümelin, M. (2007), „Doings and Mental Causation“, in: Erkenntnis 67, 255–272. O’Connor, T. (1995), „Agent Causation“, in: Ders. (Hg.): Agents, Causes, and Events: Essays on Indeterminism and Free Will, Oxford, 173–200. – (2000), Persons and Causes: The Metaphysics of Free Will, Oxford. [email protected]

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Vgl. Lowe (2008), O’Connor (2000).

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Zu Möglichkeit und Wirklichkeit mentaler Verursachung Tobias MÜLLER (Mainz)

1. Zur Ausgangslage der aktuellen Diskussion um mentale Verursachung Die Debatte um mentale Verursachung scheint – zumindest in der analytischen Philosophie, die überwiegend physikalistisch geprägt ist – in einer Art Sackgasse zu stecken, die sich ihren Prämissen verdankt. Denn die Diskussion ist von einem Dreierschema geprägt, das gleichzeitig einen Rahmen für mögliche Lösungsversuche des Geist-Gehirn-Problems aufspannt: 1 (I) Der Bereich des Physischen ist kausal lückenlos geschlossen. (II) Mentale Entitäten können nicht vollständig auf physische Entitäten reduziert werden. (III) Mentale Entitäten sind kausal wirksam. Üblicherweise wird in der Debatte ein Kausalitätskonzept vorausgesetzt, nach dem eine Ursache als hinreichend produktive Kraft hinsichtlich der Wirkung angesehen wird, so dass nicht alle drei Thesen in einem starken Sinn wahr sein können. Wenn der Bereich des Physischen durch physische Ursachen hinreichend bestimmt ist, die physischen Ursachen als Supervenienzbasis für mentale Ereignisse dienen und keine systematische Überdetermination von physischen und mentalen Ursachen möglich ist, dann scheint genuine mentale Verursachung schwer gedacht werden zu können. Deswegen kann eine Behandlung der Thematik nur darin bestehen, mindestens eine der drei Annahmen zu negieren oder zumindest zu modifizieren. Da das Prinzip der kausalen Geschlossenheit (PkG) in der analytischen Debatte meist als die fundamentalste der drei Thesen angesehen wird, wird für das Problem der mentalen Verursachung gewöhnlich eine Lösung gesucht, in der die anderen beiden Annahmen modifiziert werden. Ein weit verbreiteter Lösungsansatz ist der Vorschlag, die mentalen Entitäten als identisch mit den physischen Entitäten aufzufassen, damit das Mentale durch seine physische Realisierung eine kausale Wirksamkeit haben kann. 2 Andere Ansätze sind sogar bereit, die Wirksamkeit der men1 Eine ähnliche Formulierung findet sich bei Bieri (1981), 5. Angemerkt sei hier, dass es sich hierbei strenggenommen nicht um ein Trilemma handelt. 2 Vgl. dazu z. B. Papineau (2002a).

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Möglichkeit und Wirklichkeit mentaler Verursachung

talen Entitäten gänzlich aufzugeben, da man gewillt ist, den anderen Thesen eine höhere Priorität einzuräumen. 3 Beide Strategien sehen sich aber wiederum mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Sven Walter konstatiert in einem Artikel über die Zukunft der Debatte um mentale Verursachung, dass sich die unangefochtene Herrschaft des klassischen Physikalismus, der sowohl an der physikalistischen Ontologie als auch an der Wirksamkeit des Mentalen als Mentalen festhalten will, aufgrund nicht überwindbarer Schwierigkeiten dem Ende zuneigt. Was angesichts dieser Schwierigkeiten zu tun ist, formuliert Walter wie folgt: Wenn die bisherigen, von Vorurteil und Ignoranz geprägten Grabenkämpfe in der Debatte um mentale Verursachung von einem fruchtbaren Dialog abgelöst würden, der Positionengrenzen überschreitet, wenn endlich wieder aktiv Philosophie getrieben würde, statt philosophischem Dogmatismus anzuhängen, dann wäre das mit Sicherheit die erfreulichste Entwicklung seit langem. 4

Thomas Buchheim hat mit seinem hier vorgestellten Ansatz diese Maxime beherzigt, indem er jenseits von Physikalismus und Substanzdualismus eine Vermittlungsposition anbietet, die aristotelisch inspiriert ist und ihren Ausgangspunkt vom Lebendigen nimmt. Dabei ist die psychische bzw. geistige Dimension weder auf physische Strukturen reduzierbar noch vom Organismus unabhängig, sondern bildet eben neben den somatischen Prozessen ein unaufhebbares Moment eines lebendigen Organismus, der als Einheit beider Momente fungiert. Da auf beiden Ebenen ständig Veränderungen eintreten, befinden sich Lebewesen immer in komplexen Lebenslagen, zu denen die beiden aufeinander bezogenen Momente samt deren jeweiligen Gehalten beitragen und die somit von der Biographie des Lebewesens abhängen. So lernen Lebewesen beispielsweise, sich bestimmten Wünschen oder Absichten gemäß bestimmte Fähigkeiten anzueignen, die sie in andere Lebenslagen versetzen und die durch Veränderungen bestimmter Konstellationen körperlicher Dispositionen erreicht werden können. Mentale Verursachung kann in diesem Ansatz so gedacht werden, dass die entsprechenden psychischen Zustände eines Lebewesens einen für die jeweiligen Fertigkeiten benötigten somatischen Schlüssel begünstigen und damit eine neue Verknüpfung von körperlichen Dispositionen bewirken. In den gegenwärtigen Debatten um das Leib-Seele-Problem tauchen derartige Lösungsvorschläge, die die Ganzheit von Lebewesen und die darin notwendig mitgedachten Momente thematisieren, eher selten auf, weil die Debatte der physikalistischen Maxime folgt, nach der die Welt sozusagen von unten nach oben aufgebaut ist, wobei die physikalische Ebene auch diejenige ontologische Ebene darstellt, der auch exklusive Kausalkräfte zugesprochen werden. Das von Walter geforderte Philosophieren ohne Rücksicht auf Positionsgrenzen verlangt neben der angemessenen und nicht theoretisch verkürzten Behandlung der Phänomene auch eine kritische Reflexion der erkenntnistheoretischen, wissen3 4

Vgl. dazu beispielsweise Walter (2004), Walter (2008). Walter (2008), 56. Walter selbst tendiert zu einem Epiphänomenalismus.

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schaftstheoretischen und metaphysischen Implikationen, die in der Debatte meist nur vorausgesetzt werden und so scheinbar einen nicht hintergehbaren Rahmen festsetzen. Wenn es aber gerade auch Aufgabe der Philosophie ist, diese Implikate kritisch zu bedenken, dann wäre beispielsweise zu prüfen, ob sich physikalistische Annahmen tatsächlich stringent aus der Physik herleiten lassen und ob deren Negation zugleich eine Negation der Physik als Wissenschaft darstellt. 5 Wenn sich aber durch fundamentale wissenschaftsphilosophische Analysen anstelle eines unreflektierten Methodendogmatismus ein methodischer Pluralismus der Wissenschaften rechtfertigen lässt, der nicht zu einem ontologischen Reduktionismus zwingt, eröffnet dies auch hinsichtlich des Problems der mentalen Verursachung neue Möglichkeiten. 6 Erst dann wird ersichtlich, dass bestimmte Alternativvorschläge nicht prinzipiell und von vornherein im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Ergebnissen stehen, sondern sich gegen Verabsolutierungen einzelner Wissenschaften, insbesondere der Physik wenden. 7 Ziel dieses Beitrages ist es, in aller Kürze einen philosophischen Rahmen zu skizzieren, der es ermöglicht, den Gedanken mentaler Verursachung und naturwissenschaftliche Analyse sachdienlich aufeinander zu beziehen. 8 Anschließend werde ich kurz auf Buchheims Vorschlag eingehen und zeigen, wie sich dieser innerhalb eines solchen Rahmens verorten lässt und wie die komplexe Kausalstruktur eines Lebewesens in diesem gedacht werden kann. Zunächst werden im Folgenden theoretische Eckpfeiler für nicht-reduktive Lösungen angegeben. 9 Dazu werde ich drei Argumente vortragen: 1. Das Prinzip der kausalen Geschlossenheit ist – entgegen der gegenwärtig vertretenen Standardauffassung – kein metaphysisches Prinzip und schränkt daher Modelle mentaler Verursachung nicht von vornherein ein, 2. Mentale Verursachung ist notwendig. 3. Die Wirksamkeit mentaler Gehalte kann als solche aus methodischen Gründen physikalistisch nicht gedacht werden. Alle drei Argumente zusammen eröffnen einen theoretischen Rahmen, der es erlaubt, Modelle mentaler Verursachung sinnvoll zu denken.

5 Vgl. z. B. Panineau (2001), der den Physikalismus auch deshalb legitimiert sieht, weil innerhalb der Physik Makrophänomene durch die Referenz auf mikrophysikalische Entitäten erklärt werden; eine darüber hinaus gehende Verallgemeinerung ist aber allein aufgrund der methodischen Bedingtheit der Physik begründungsbedürftig. 6 Zu denken wäre hier z. B. an Cartwright (1999), Bailer-Jones (2009), Dupré (1993), Hüttemann (2004), Janich (2009), die alle einen – wenn auch im Detail verschiedenen – Pluralismus in den empirischen Wissenschaften verfolgen. 7 In diese Richtung argumentiert auch Falkenburg (2012), welche die wissenschaftstheoretischen Implikationen der Hirnforschung herausarbeitet und die Reichweite der verwendeten Erklärungsmodelle bestimmt, ohne den Neurowissenschaften und der Physik ihre Berechtigung als Wissenschaften abzusprechen. 8 Es geht hierbei nicht darum, ein konkretes Modell der mentalen Verursachung bereitzustellen, sondern erst einmal um einen Rahmen, der die Thesen der Debatte angemessen integrieren kann und der auch von Buchheims Vorschlag vorausgesetzt werden muss. 9 Natürlich bedeutet eine kritische Auseinandersetzung mit physikalistischen Ansätzen nicht notwendig ein Plädoyer für einen Substanzdualismus.

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2. Das Prinzip der kausalen Geschlossenheit Formuliert man das PkG unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Ausschlusses von systematischer Überdeterminiertheit, also der Möglichkeit, dass es für jedes Ereignis mehrere hinreichende Ursachen gibt, dann gelangt man zu folgender Definition: 10 Jedes physische Ereignis mit einer hinreichenden Ursache hat ausschließlich eine hinreichende physische Ursache. In der Diskussion um die mentale Verursachung wird das PkG meist als metaphysisches Prinzip gefasst, das die möglichen Modelle mentaler Verursachung einschränkt. 11 Neben dieser starken metaphysischen Lesart des PkG existieren jedoch noch mindestens zwei weitere Lesarten: 1. Das PkG als heuristisches Prinzip im Sinne einer Forschungsanweisung für Naturwissenschaftler, nur nach physischen bzw. physikalischen Faktoren zu suchen, also solchen, die mit naturwissenschaftlichen bzw. physikalischen Methoden erfasst werden können. 2. Eine schwache metaphysische Lesart, die auf der heuristischen aufbaut, über sie aber hinausgeht, insofern behauptet wird, dass kausale Dispositionen als physische Faktoren unter isolierten Bedingungen ausreichend sind, um gewisse physische Zustände hervorzurufen. 12 Nur in der starken metaphysischen Lesart hat das PkG überhaupt eine Relevanz für das Konzept der mentalen Verursachung. Obwohl die starke metaphysische Lesart gegenwärtig weithin als nahezu unantastbar gilt, ist dies angesichts der verschiedenen Lesarten des PkG begründungsbedürftig. 13 Im Folgenden soll in knapper Form gezeigt werden, warum das PkG in der starken Lesart sich nicht begründen lässt und welche Konsequenzen das für das Verhältnis mentaler Verursachung und physikalischer Erklärung hat. Für die Begründung der starken der Lesart des PkG bezieht man sich in der Regel auf wissenschaftliche Forschungspraxen, insbesondere auf die der Physik. Hierfür werden verschiedene Gründe ins Feld geführt: 1. Die wahrheitswertlogische Stringenz der deduktiv-nomologischen Erklärung in der Physik, 2. der Bezug auf den Energieerhaltungssatz, nach dem mentale Ursachen zusätzlich Energie benötigen, 3. die Begründung durch das sogenannte „physiologische Argument“. Zur deduktiv-nomologischen Erklärung Nach dem Ansatz der deduktiv-nomologischen Erklärung verursachen Anfangszustände zusammen mit einem Gesetz notwendigerweise bestimmte Endzustände. Allerdings leistet der Bezug auf DN-Erklärungen weniger als erhofft: 1. Die DN-Er10

Vgl. Walter (2006), 226. Ob sich in den durch diese Einschränkung ergebenden Modellen mentale Verursachung noch als solche denken lässt, soll im Folgenden kurz erörtert werden. 12 Für eine ausführliche Diskussion des PkG siehe Müller (2013). 13 Vgl. zu der Unantastbarkeit des PkG Montero (2003), 177. 11

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klärungen in der Physik beziehen sich auf zeitlich reversible Prozesse, wodurch die für Kausalität erforderliche Zeitstruktur nicht gegeben ist. Daher kann im Rahmen von DN-Erklärungen gar nicht von Ursache und Wirkung gesprochen werden. 14 2. Zwar spielen in der Physik neben DN-Erklärungen auch probabilistische Erklärungen mit irreversiblem Zeitpfeil eine Rolle. Sie gelten aber nur statistisch und generieren folglich von sich aus keine Einzelereignisse. 15 3. Physikalische Gesetzmäßigkeiten gelten nur unter Ceteris-Paribus-Klauseln, so dass physikalischen Systemen nur unter der Voraussetzung des Fehlens anderer, potenziell störender Kausalfaktoren eine kausale Disposition zugeschrieben werden kann, die festlegt, wie sich ein System unter Abwesenheit eben der anderen Kausalfaktoren verhält. 16 In der Forschungspraxis werden diese Ceteris-Paribus-Bedingungen gewöhnlich durch großen experimentellen Aufwand im Labor künstlich erzeugt, indem bestimmte Dispositionen isoliert werden. 4. Modelltheoretische Überlegungen zeigen innerhalb der Wissenschaftsphilosophie, dass zur Beschreibung konkreter Phänomene Modelle notwendig sind, wobei die abstrakten Theorien, die für eine DN-Erklärung benötigt werden, nur eine Art abstrakte Idealisierung darstellen. Modelle sind demnach partielle Beschreibungen eines Phänomens, für die spezifische Forschungsinteressen und nicht theorieimmanente Faktoren darüber entscheiden, welche Aspekte eines Phänomens thematisiert werden. 17 Das reicht sogar so weit, dass in denselben Wissenschaftszweigen oft miteinander nicht konsistente Modelle verwendet werden, die aber ihren spezifischen Zweck erfüllen. 18 Dementsprechend sind also auch die in theoretischen Erklärungen herangezogenen Kausalfaktoren immer partieller Natur. Der Bezug auf die DN-Erklärung kann also die starke Lesart des PkG nicht rechtfertigen. Zum Energieerhaltungssatz Auch der Energieerhaltungssatz bietet keine Grundlage für eine starke Lesart des PkG. Das sich auf diesen stützende Argument hebt darauf ab, dass Kausalität mit Energieübertragung einhergeht und mentale Ursachen gegenüber den die Kausalprozesse bereits erklärenden physischen Ursachen zusätzliche Energie benötigen. Damit werde gegen den Energieerhaltungssatz verstoßen. Allerdings ergeben sich auch hier kritische Anfragen an die Voraussetzungen: Setzt man für die UrsacheWirkung-Relation die DN-Erklärung voraus, der zufolge Anfangsbedingungen mit Ursachen zu identifizierten sind, kann man auf eine Reihe von Beispielen verweisen, in denen die Anfangsbedingungen als Ursachen gar keine Energieübertragung leisten bzw. nicht mit Energiewerten in Korrelation gebracht werden können. 19 Zudem gibt es neben dem sogenannten Tunneleffekt, wonach ein Teilchen Effekte 14 15 16 17 18 19

Vgl. Falkenburg (2006), 47 f. Vgl. Falkenburg (2006), 48 f. Vgl. z. B. Hüttemann (1997), 142. Vgl. Bailer-Jones (2009), 193. Vgl. Bailer-Jones (2009), 189. Vgl. Mutschler (2011), 72 f.

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hervorrufen kann, für die es nach der klassischen Physik zu wenig Energie besitzt, weitere Bereiche in der Physik, etwa der Quantenfeldtheorie, in denen Teilchen im sogenannten „off-shell“-Zustand ohne zusätzliche Energie eine Wirkung (z. B. Ladungsübertragung) ausüben können. 20 Eine strikte Zuordnung von Energie und Ursächlichkeit ist also in der Physik nicht gegeben. Daher lässt sich das PkG auch nicht mit der in ihm formulierten Vollständigkeit der Physik begründen. Denn „Vollständigkeit der Physik“ kann in einem doppelten Sinn verstanden werden: (a) „Vollständigkeit“ kann so verstanden werden, dass die physikalische Ebene die exklusive Kausalebene der Wirklichkeit darstellt, wodurch sich andere Kausalfaktoren, sofern sie nicht reine summative Konstellationen von physikalischen Faktoren sind, als überflüssig erwiesen. (b) Unter „Vollständigkeit“ kann man zum anderen verstehen, die Physik habe alle mit ihrer Methode zugänglichen Aspekte unter Ceteris-Paribus-Bedingungen erfasst. 21 Ein solcher Begriff von „Vollständigkeit“ würde weder die Forschungspraxis der Physik noch deren Erfolge in Frage stellen: Es würden nämlich die Aspekte unter Ceteris-Paribus-Bedingungen thematisiert, die sich aus der Fragestellung der Physik ergeben und mit ihrer Methode erfassen lassen. 22 Zum physiologischen Argument Auch das sogenannte „physiologische Argument“ 23 greift aufgrund in ihm enthaltener methodischer Einschränkungen zu kurz. Diesem Argument zufolge sei die starke Lesart des PkG deshalb gut bestätigt, weil in der Geschichte der Wissenschaften, insbesondere derjenigen, die sich mit biologischen und physiologischen Eigenschaften befassen, noch nie auf nicht-physische Kausalfaktoren zurückgegriffen werden musste. Hierbei muss aber bedacht werden, dass Physik und Physiologie immer nur Aspekte thematisieren, die unter einer gewissen Fragestellung mit einer bestimmten Methodik beschrieben werden, und sie können aus methodischen Gründen immer nur die physischen Aspekte beschreiben: So isolieren beispielsweise Experimente in diesen Wissenschaften durch die Laborsituation künstlich die zu untersuchenden Faktoren aus ihrem Naturzusammenhang.

20 Diese Eigenschaften sind nicht zwangsläufig auf Quantenphänomene beschränkt, denn durch nichtlineare Systeme können diese Effekte auch Auswirkungen auf Ereignisse im Meso- und Makrokosmos haben. 21 Dies gilt – abgesehen von der prinzipiellen Einschränkung der Duhem-Quine-These, mit der die Unterbestimmtheit von Theorien gegenüber den von ihnen beschriebenen Phänomenen bezeichnet wird – unter der Berücksichtigung der Einschränkungen der Reichweite von physikalischen Erklärungen, die sich durch Modelltheorie und Abhängigkeit der Fragestellung der Physik ergeben. 22 Vgl. zu diesem pluralistischen Verständnis z. B. Cartwright (1994), die sich aus wissenschaftstheoretischen Gründen gegen einen Fundamentalismus der Physik wendet. 23 Vgl. Papineau (2002b), 253 f.

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3. Zur Notwendigkeit der mentalen Verursachung Bislang hat die Auseinandersetzung mit den Begründungen des PkG zu dem Ergebnis geführt, dass es sich in seiner starken Lesart nicht aus der naturwissenschaftlichen Praxis begründen lässt. Es lassen sich aber auch positive Gründe dafür anführen, dass die starke Lesart des PkG falsch und mentale Verursachung notwendig ist. Ausgangspunkt hierfür ist unsere Urteilspraxis in Lebenswelt und Wissenschaft. Wenden wir uns aber dazu zunächst einmal Jaegwon Kims Analyse des PkG im Kontext mentaler Verursachung zu. Dort taucht das PkG als die tragende Prämisse des Arguments der kausalen Exklusion auf, nach dem die Wirksamkeit mentaler Ereignisse aufgrund der Kausalkraft der physischen Ereignisse ausgeschlossen werden muss. Zusammen mit dem Konzept der Supervenienz entsteht dort folgende Situation, welche die mentale Verursachung in verschiedenen Hinsichten, sowohl mental-physisch als auch mental-mental, als problematisch erscheinen lässt: Wenn die physischen Ereignisse mentale Ereignisse realisieren und gleichzeitig kausal in der Weise hinreichend gedacht werden, dass sie sowohl das mentale als auch das zeitlich folgende physische Ereignis hervorrufen, dann bleibt für die kausale Wirksamkeit eines mentalen Ereignisses kein Platz mehr. Beispielweise realisiert das physische Ereignis P1 durch Supervenienz das mentale Ereignis M1 und gleichzeitig ist es (durch das PkG) die einzig notwendige und hinreichende Ursache für das nachfolgende physische Ereignis P2. M1 hat – wenn man systematische Überdetermination ausschließt – keinen Einfluss auf P2, was bedeutet, dass ein mentales Ereignis kein physisches verursachen könnte. Da P2 aber auch als hinreichende Realisierungsbasis für M2 gesehen wird, kann M1 noch nicht einmal M2 verursachen, womit auch eine Verursachung auf mentaler Ebene von mentalen Ereignissen ausgeschlossen wäre. Gemäß der starken Lesart des PkG zusammen mit dem kausalen Vorrang der physikalischen Mikroebene werden durch die kausale Disposition der physischen Ereignisse alle Ereignisse hinreichend verursacht. Wie bereits oben dargelegt, gibt es für diese starke Lesart von wissenschaftlicher Seite keine Unterstützung. Aber auch unabhängig davon ist diese Lesart inkompatibel mit Rationalitätsstandards wissenschaftlicher und lebensweltlicher Praxis. Um dies zu zeigen, soll hier für das Argument von der Geltung der starken Lesart des PkG ausgegangen werden. Wenn das PkG im starken Sinne gilt, dann gibt es für die Möglichkeit mentaler Verursachung lediglich zwei Grundoptionen: Entweder man vertritt eine Identitätstheorie und fasst somit die mentalen Eigenschaften als identisch mit den physikalischen auf, oder man vertritt eine Art Epiphänomenalismus, der den mentalen Ereignissen oder Eigenschaften eine kausale Wirksamkeit abspricht. Beide Positionen sind nun mit solch gravierenden Schwierigkeiten behaftet, dass sie keine befriedigende Lösung für das Problem der mentalen Verursachung darstellen. Was die Identitätstheorie betrifft, sieht sich diese ebenso wie jede andere physikalistische Position mit derselben Problematik der systematischen Überdetermination konfrontiert wie eine stark dualistische Lösung. Denn nach der physikalisti-

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schen Grundauffassung sind physische Entitäten oder Aspekte immer mit hinreichenden kausalen Dispositionen ausgestattet, die vollständig ausreichen, um von gegebenen Anfangs- bzw. Randbedingungen zu Endzuständen zu gelangen, ohne dass hier Bewusstsein eine Rolle spielt. Das würde bedeuten, dass die physische Ebene durch ihre Dispositionen so stark ist, dass der Ablauf auf dieser Ebene derselbe wäre ohne mentale Eigenschaften samt ihrem semantischen Gehalt, wie auch immer man sich diese dann vorstellt. Für den physischen Ablauf wären die physischen Faktoren bzw. Aspekte völlig hinreichend. 24 Damit müsste man aber anerkennen, dass unsere Urteile, die notwendigerweise einen Wahrheitsanspruch erheben, insofern wir mit ihnen ausdrücken wollen, wie etwas in Wirklichkeit ist – dass z. B. in Wirklichkeit nur physische Ereignisse kausale Wirksamkeit haben – ausschließlich durch die syntaktischen physischen Strukturen bestimmt sind, denn diese werden in dieser Auffassung von Naturgesetzen beherrscht, unabhängig von deren semantischen Gehalt. Damit verlören unsere Urteile jegliche Rationalität, denn der normative Bezug zur Wahrheitsebene durch logische und inhaltliche Kriterien könnte nicht mehr gegeben sein. Inhaltliches Schließen hätte sein Kriterium eingebüßt, denn es ginge nicht mehr um die inhaltliche Stringenz unserer Urteile, sondern um ihre de facto Bestimmtheit, die sie aus den zugrunde liegenden physischen Ereignissen bezögen. Wenn nun aber mentale Verursachung notwendig gedacht werden muss – zumindest dann, wenn man den Anspruch rationaler Argumentation hat – und somit dem semantischen Gehalt phänomenaler Qualitäten notwendig eine kausale Wirksamkeit oder zumindest eine Relevanz hinsichtlich der kausalen Wirksamkeit zugesprochen wird, dann ist fraglich, wie diese kausale Relevanz in einer physikalistischen Theorie gedacht werden kann, da die kausale Disposition der physischen Seite durch die Behauptung des Prinzips der kausalen Geschlossenheit als hinreichend behauptet wird und werden muss. Die Alternative dazu wäre, die mentalen Ereignisse als epiphänomenal einzustufen. Der Epiphänomenalismus ist aber nicht nur kontraintuitiv, weil wir in unserer Alltagswelt gewöhnlich mentale Inhalte zumindest teilweise als Gründe für unsere Handlungen ansehen; er ist darüber hinaus mit denselben Problemen wie die Identitätstheorie konfrontiert und bürdet zusätzlich der physischen Ebene eine enorme Erklärungslast auf. Schließlich ist er selbstwidersprüchlich, insofern er alle Erkenntnisse als kausale Produkte bzw. Realisierungen der physikalischen Ebene ansehen muss, die nicht durch rationale Überlegungen und inhaltliche Schlussfolgerungen zustande kommen, sondern letztlich ‚Supervenienzprodukte‘ der zugrunde liegenden Ebene sind. Damit kann der Epiphänomenalismus aber nicht mehr in Anspruch nehmen, selbst eine rationale Theorie zu sein, die durch rationale Gründe begründet werden kann. Denn um zu rationalen Überlegungen zu kommen, dürfte die inhaltliche Ebene nicht von den kausalen Faktoren auf der physischen Ebene bestimmt sein, da diese ja nicht garantieren können, dass die vermeintlichen ‚Su24 Diese Einsicht motivierte Kim zu einer Kritik am Anomalen Monismus von Davidson (vgl. Kim (1989), 34 f.).

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pervenienzprodukte‘ nach vernünftigen Gründen produziert werden, sondern nach naturgesetzlichen Bestimmungen. Zudem bürdet er der physikalischen Ebene einige Verantwortung auf, die sie selber nicht mehr leisten kann: Der so entstehende Schein auf der mentalen Ebene, dass Handlungen nach inhaltlichen Motiven vollzogen werden und Schlussfolgerungen logischen und inhaltlichen Kriterien genügen müssen, muss nicht nur in einem willkürlichen, sondern in einem kohärenten und konsistenten Sinn von der zugrundeliegenden Ebene produziert bzw. realisiert werden, wobei nur physikalische Gesetze in Anspruch genommen werden dürfen, weil es sonst keine kausal relevanten Instanzen gibt. Das bedeutet nichts Geringeres als zu behaupten, dass die physische Ebene, in der keine inhaltlich-semantischen Kriterien vorkommen können, die scheinbare Richtigkeit auf der inhaltlichen Ebene und die gefühlte Urheberschaft produzieren muss. 25 Beide Grundoptionen können also nicht hinsichtlich der geforderten Rationalität inhaltlicher Schlüsse und der damit involvierten mentalen Verursachung überzeugen, da in ihnen die logische Unabhängigkeit und Relevanz der mentalen Gehalte, die wir für unsere Urteilspraxis in Anspruch nehmen müssen, letztlich nicht gedacht werden können. Dies kann im Umkehrschluss nur heißen, dass unsere Urteilspraxis und die damit verbundene Handlungspraxis die kausale Wirksamkeit von mentalen Gehalten verlangt.

4. Mentale Verursachung in nicht-physikalistischer Perspektive Die grundlegende Problematik hinsichtlich mentaler Verursachung in der aktuellen Debatte bestand in der Unvereinbarkeit der drei Annahmen im Dreierschema. Die skizzierte Analyse hat aber deutlich gemacht, dass zum einen das PkG kein metaphysisches Prinzip, sondern eine These über kausale physikalische Dispositionen unter Ceteris-Paribus-Bedingungen ist. Zum anderen wurde ersichtlich, dass mentale Verursachung zwar notwendig ist, wenn man an der Rationalität der lebensweltlichen und wissenschaftlichen Urteilspraxis festhalten will, diese aber innerhalb aller physikalistischen Ansätze immer schon in einem asymmetrischen Konkurrenzverhältnis mit den kausalen Dispositionen der physikalischen Entitäten steht, so dass mentale Verursachung als solche nicht mehr gedacht werden kann. Diese Überlegungen führen zur Notwendigkeit, ein geeignetes Modell der mentalen Verursachung zu denken, das kompatibel mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften ist. Dass diese Kompatibilität ohne Weiteres gegeben ist, können die wissenschaftsphilosophischen Überlegungen deutlich machen, nach denen zu einem angemessenen Verständnis der jeweiligen wissenschaftlichen Praxen ein pluralisti25 Für den Epiphänomenalisten bestünde eine Alternative darin, einen strikten Parallelismus zu postulieren, der aber nicht weniger voraussetzungsreich ist, wie die Philosophiegeschichte zeigt: Leibniz brauchte nicht weniger als einen allmächtigen Gott, um die absolute Parallelität von geistiger und physischer Welt zu erklären.

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sches Wissenschaftsverständnis erforderlich ist, das ontologische Deutungen nicht präjudiziert. 26 Damit sind die jeweiligen naturwissenschaftlichen Forschungspraxen und ihre Ergebnisse gerade nicht auf einen physikalistischen Rahmen verpflichtet: Was es also überhaupt in der Wirklichkeit geben kann, wird nicht allein durch die Physik festgelegt. Dieser pluralistischen Auffassung entsprechend untersuchen die verschiedenen Wissenschaften ihren jeweiligen Fragestellungen und Methoden gemäß die verschiedenen Zusammenhänge von theoretischen Größen und Kausalfaktoren in ihrem Methodenhorizont. Wenn die Urteilspraxis der wissenschaftlichen Forschung, aber auch der Lebenswelt, mentale Verursachung notwendig erfordert, dann werden in den Neurowissenschaften diesbezüglich die physiologischen Grundlagen untersucht, die korrelativ zu den mentalen Phänomenen notwendig sind.

5. Zur Diskussion von Buchheims Ansatz Die wissenschaftsphilosophischen Überlegungen haben damit einen neuen Horizont für Modelle mentaler Verursachung eröffnet. Da vor dem oben dargelegten Hintergrund eine physikalistisch begründete Notwendigkeit, die Welt aus den Verhaltensweisen einer in Anspruch zu nehmenden physischen fundamentalen Ebene aufzubauen, sich methodisch nicht rechtfertigen lässt, vielmehr zu dem angeführten Widerspruch führt, ist es legitim, einen anderen als den physikalistischen Ansatzpunkt zur Lösung des Problems mentaler Verursachung zu suchen. Einen solchen bietet Buchheims Ansatz, ausgehend vom Lebendigsein, also ansetzend bei der Einheit von psychischen und physischen Prozessen in Lebewesen. Dabei ist die ontologische Minimalforderung zunächst nur, dass psychische Verfassungen nicht mit physiologischen Prozessen identisch sind, sondern die psychische Dimension ein Moment eines komplexen Organismus darstellt, dem eine organisierende Funktion für den Gesamtorganismus zukommt. 27 Um ein Lebewesen zu begreifen, muss man also von der Einheit dieses Lebewesens ausgehen. Dessen Aspekte bzw. Momente können dann Gegenstand verschiedener Wissenschaften sein. Wie auch immer das genaue ontologische Verhältnis von Psychischem, Geistigem und Physischem zu bestimmen ist: Grundlegend ist, die Aspekte bzw. Momente eines Lebewesens immer als konkrete Modi einer verkörperten Subjektivität, also als zu unterscheidende Momente eines Ganzen zu begreifen. Während das Psychische immer nur Moment eines hinreichend komplexen Organismus ist (und nicht etwa eine unabhängige Entität) und durch diesen mitbestimmt wird, ist umgekehrt der Organismus als eine besondere Art des Physischen, als Moment eines Lebewesens zu bestimmen, welches seinerseits durch die psychische Dimension mit26

Vgl. oben, Fn. 6. Wichtig ist es hier, daran zu erinnern, dass der Organismus eben nicht physikalistisch als reine Summe der körperlichen Prozesse verstanden werden darf. Tut man dies, so wird das Problem der mentalen Verursachung unlösbar. 27

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bestimmt ist. 28 Es geht also bei der Frage der mentalen Verursachung um das Verhältnis zweier unaufhebbarer Momente, die Bestimmungen der Einheit eines Gesamtkomplexes – eben des Lebewesens – sind. 29 In einer solchen Auffassung des Organismus als Einheit seiner Momente reicht aber eine mikrophysikalistische Kausalitätsauffassung, nach der die kleinsten Entitäten alle kausale Kraft besitzen, nicht mehr aus, um die komplexen Gesamtleistungen und die damit verbundene komplexe Kausalstruktur des Lebewesens zu verstehen. 30 Die Grundintention des von Buchheim vorgeschlagenen neo-aristotelischen Modells in der Leib-Seele-Frage aufnehmend, hat deshalb Thomas Fuchs von „zirkulärer Kausalität“ von Organismus und Umwelt gesprochen, wobei er mit vertikaler und horizontaler Kausalität zwei Kausalitätsformen unterscheidet. 31 Die vertikale Kausalität besteht in einer Hierarchie von Kausalebenen, -kreisen und -schleifen, die vom Organismus als Ganzem über Teilsysteme und Organe bis hin zu elementaren Bestandteilen wie Molekülen und Atomen geht. Dabei hat der Organismus als Ganzes formierende Wirkung auf die unteren Ebenen, und gleichzeitig genießen die verschiedenen Ebenen eine gewisse kausale Autonomie, so dass sowohl das Lebewesen als Ganzes als auch seine jeweiligen Teilprozesse eine kausale Relevanz besitzen, die einen Beitrag zur Erhaltung und Entfaltung des Organismus leisten. 32 Die horizontale Kausalität besteht in kausalen Interaktionen innerhalb des Organismus auf einer bestimmten Ebene, wie sie z. B. auf höherer Ebene zwischen psychischen Verfassungen oder auf basaler Ebene im Stoffwechsel zu finden sind. Erst in der Verknüpfung von vertikaler und horizontaler Kausalität entsteht eine integrale Kausalität des Organismus, die in bestimmten Vermögen des ganzen Lebewesens besteht. 33 Dabei können Vermögen angeboren sein, erlernt werden oder selbstgegeben sein. Mentale Verursachung ist somit zumindest beim Menschen in zwei Richtungen möglich: Zum einen als horizontale Kausalität, indem geistige Verknüpfungen bewusst hergestellt werden und zum anderen als vertikale Kausalität, wenn für besondere Fähigkeiten bestimmte psychische Verfassungen mit bestimmten somatischen Prozessen verknüpft werden bzw. deren kausale Dispositionen unter die formierende Kraft der psychisch-geistigen Verfassung gestellt werden 28 Dies im Gegensatz etwa zu rein physikalischen Prozessen, die nicht von einer übergeordneten Dimension wie etwa biologischen oder psychischen Qualitäten beeinflusst werden. 29 Für einen weiteren Ansatz, der in eine ähnliche Richtung geht, kann hier Wolfgang Cramers Theorie der Subjektivität genannt werden, in dem es ebenfalls diese notwendige Verschränkung dieser beiden Momente gibt (Vgl. Cramer (1999)). Erst innerhalb eines solchen Rahmens der Zuordnung von Bestimmungen lassen sich Extrempositionen wie Physikalismus und Substanzdualismus samt ihren theoretischen Schwierigkeiten umgehen. 30 Zur Kritik der mikrophysikalistischen Kausalitätsauffassung vgl. Hüttemann (2004). 31 Vgl. Fuchs (2008), 121–131. 32 Vgl. Fuchs (2008), 121 f. Eine kausale Beeinflussung ist also sowohl bottom-up (von Teilprozessen für den Gesamtorganismus) als auch top-down (vom Gesamtorganismus zum einzelnen Teilprozess) möglich. Nach Fuchs ist es Aufgabe des Gehirns, gewissermaßen als ‚Transformator‘ für vertikale zirkuläre Kausalität zu dienen, indem es höherstufige und niederstufige Einflüsse des Organismus umwandelt und auf die jeweilige Ebene ‚übersetzt‘. 33 Vgl. Fuchs (2008), 125.

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sollen. Die kausalen Dispositionen der Teilprozesse stehen also nicht – wie in physikalistischen Modellen mentaler Verursachung – in einem Konkurrenzverhältnis zu mentaler Wirksamkeit, sondern die kausalen Dispositionen ermöglichen erst die mentale Wirksamkeit, indem psychische Verfassungen oder geistige Gehalte mit den somatischen Kausalstrukturen verknüpft werden. Dabei wird lediglich vorausgesetzt, dass 1. die Mikroebene nicht die exklusiven Kausalkräfte besitzt, 2. die Verknüpfung von psychischen und somatischen Prozessen zumindest bei einem Teil der Verbindungen dynamisch variabel bzw. beeinflussbar ist und 3. die Abfolge der psychischen Prozesse nicht strikt kausal erfolgt, sondern vielmehr von der Lebenssituation des Lebewesens abhängig ist. Eine Konzeption, die seelische und körperliche Prozesse als Momente einer lebendigen Einheit auffasst, bietet also die Möglichkeit, mentalen Gehalten eine kausale Wirksamkeit zuzusprechen, lässt aber weiterführende Fragen, wie das Verhältnis beider Momente noch konkreter gedacht werden kann, offen. Eine Möglichkeit, diesen Ansatz ontologisch weiter zu konkretisieren, bestünde in Anlehnung an die Prozessphilosophie A. N. Whiteheads darin, eine monistische Ontologie zu konzipieren, in der die gesamte Wirklichkeit als dynamische Abfolge von einheitlich strukturierten Prozessen aufgefasst wird, die sich gegenseitig kausal beeinflussen können. Da in einem solchen Ansatz die naturwissenschaftliche Perspektive auf Wirklichkeit – ähnlich wie in denen der pluralistischen Wissenschaftstheorie – eine bestimmte Klasse von Eigenschaften und deren kausale Relationen thematisiert, sind die zugrundeliegenden Naturprozesse umfassender bestimmt. In dieser Perspektive stellt sich Bewusstsein als Serie von Prozessen dar, die organisch sowohl ‚horizontal‘ von vergangenen Bewusstseinsprozessen und mentalen Inhalten als auch ‚vertikal‘ von anderen Prozessen des Organismus beeinflusst werden und selber kausal wirksam sind. Eine solche prozesshafte Auffassung der Wirklichkeit als organische Verbindung natürlicher Prozesse böte ein umfassenderes Bild der Wirklichkeit, in der die aus der vorgestellten Analyse sich notwendig ergebenden Qualitäten ihren Platz fänden. Unabhängig davon, ob man diese ontologische Konkretisierung vollzieht, sind hinsichtlich mentaler Verursachung Positionen, die das Lebewesen als lebendige Einheit auffassen, in der Lage, den mentalen Gehalten als solchen eine kausale Wirksamkeit zuzugestehen und die Ergebnisse der verschiedenen Wissenschaften – wie Psychologie, Physiologie und Physik – sinnvoll zu integrieren.

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Dualität im Horizont des Physischen Thomas Buchheims ‚horizontaler Dualismus‘ als Antwort auf das Problem mentaler Verursachung Anne Sophie SPANN (Innsbruck)

Das Problem mentaler Verursachung ist ein Kernproblem der gegenwärtigen Debatten innerhalb der Handlungstheorie und der Philosophie des Geistes. Es geht darum, eine möglichst plausible metaphysische Erklärung für die vortheoretisch selbstverständliche Annahme zu finden, dass mentale Eigenschaften kausal wirksam sind. Meine Überzeugung, dass die Nudeln noch zu heiß sind, um sie meinem Sohn zu füttern, führt dazu, dass ich puste, bevor das Löffelchen in den kleinen Mund wandert. Das Empfinden der Artistin auf dem Schwebebalken, zu weit nach rechts zu geraten, veranlasst sie zu ausgleichenden Bewegungen mit dem linken Arm, so dass sie die Balance wiederfindet. Der Wunsch des Börsenspekulanten, mehr Gewinne zu machen, ist verantwortlich dafür, dass dieser Aktien eines vielversprechenden Start-up-Unternehmens erwirbt. In Alltagssituationen wie diesen scheint klar zu sein, dass ohne den Kausalbeitrag mentaler Verfassungen der Lauf der Welt ein anderer gewesen wäre. Und diese naheliegende Deutung der Verhältnisse hat weitreichende philosophische Konsequenzen: Nur wenn mentale Verfassungen tatsächlich den Gang des physischen Geschehens kausal beeinflussen können, lässt sich offenbar mit Recht an die Möglichkeit von Handlungen in einer physischen Welt glauben und eine echte, nicht bloß scheinhafte Realität des Geistes behaupten. Mit seinem neoaristotelischen Modell mentaler Kausalität hat Thomas Buchheim eine Theorie vorgelegt, die das ambitionierte Ziel verfolgt, den vortheoretischen Glauben an mentale Verursachung auf eine mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild kompatible Weise metaphysisch plausibel zu machen. Ambitioniert ist dieses Ziel deshalb, weil gängigen Erklärungsansätzen bekanntermaßen gemeinsam ist, dass sie gerade diese Vereinbarkeit zum Problem werden lassen: Sofern man nicht davon ausgehen will, dass bestimmte physische Ereignisse systematisch kausal überdeterminiert sind, konfligiert die Annahme mentaler Kausalität mit dem von den Naturwissenschaften vorausgesetzten Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt, demzufolge jedes physische Ereignis vollständig durch physische Ursachen erklärt werden kann. Auch die Identitätstheorie, derzufolge mentale Eigenschaften identisch mit physikalischen Eigenschaften sind, bietet keinen Ausweg. Obschon von Physikalisten gerne als wissenschaftlich vorbildliche

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Lösung des Problems angepriesen, 1 verstößt sie doch, wie Buchheim zu Recht betont, gegen die Forderung, dass mentale Verfassungen „als solche und in ihren nicht-somatischen Charakteristika kausal für den somatischen Fortgang unseres Daseins sein“ können (343), und ist daher letzten Endes gar keine Theorie mentaler Kausalität, die diesen Namen verdient. 2 Mentale Verursachung ernst zu nehmen bedeutet, auch die Eigengesetzlichkeit mentaler Verfassungen, ihre ontologische Verschiedenheit von physischen Verfassungen ernst zu nehmen. Wie aber ist dies möglich, ohne einem Substanzdualismus das Wort zu reden, der, ob nun als cartesianisches Schreckgespenst oder als moderner nichtcartesianisch emergentistischer Dualismus 3, mentale Verursachung offenbar zu einem naturwissenschaftlicher Erklärung prinzipiell entzogenen Mysterium macht? Das ist die Frage, auf die Buchheims neoaristotelisches Modell mentaler Kausalität eine Antwort geben will, und die lautet so: Ein glückliches Umschiffen sowohl der Scylla der Identitätstheorie als auch der Charybdis des Dualismus und d. h. eine erfolgreiche Navigation in den Fahrwassern des nichtreduktiven Physikalismus ist genau dann möglich, wenn wir uns mit Aristoteles darauf besinnen, dass die Dualität von Psychischem und Physischem eine Dualität im Horizont des Physischen ist. Die Annahme eines horizontalen Dualismus erweist sich als Schlüssel zu einer Lösung des Problems mentaler Verursachung, die mentalen Verfassungen als solchen eine kausale Wirksamkeit zuerkennt, ohne darum die Grenzen des naturwissenschaftlichen Erklärungen prinzipiell Zugänglichen zu überschreiten. Meine folgenden Bemerkungen zu Buchheims Modell mentaler Kausalität zentrieren sich um diese Kernidee, indem sie das Konzept des horizontalen Dualismus näher und in manchen Teilen auch kritisch beleuchten. Hierbei werde ich auch andere Schriften, die Buchheim zum Thema verfasst hat, hinzuziehen. Als systematischer Leitfaden dienen mir die im Kompositum ‚mentale Kausalität‘ miteinander verschränkten Aspekte des Mentalen und der Kausalität: Welches Bild zeichnet der horizontale Dualismus von Wesen und Ort des Mentalen, und welcher Art ist die Kausalität der so verstandenen mentalen Verfassungen?

Vollbringungen lebendiger Körper – Der neoaristotelische Begriff des Mentalen Buchheim beginnt seine Darlegungen mit einem kondensierten Porträt einer neoaristotelischen Auffassung des Mentalen, welches zweierlei deutlich machen soll: dass mentale Verfassungen stets die Verfassungen eines Körpers, gleichwohl aber ontologisch verschieden von körperlichen Verfassungen sind. Dieser Spagat 1 Sind mentale Zustände mit materiellen, etwa mit Zuständen des Gehirns, identisch, so scheint das den nichtreduktiven Physikalismus plagende Problem, wie mentale Zustände kausal wirksam sein können, wenn doch die nötige ‚kausale Arbeit‘ – gemäß dem Prinzip der kausalen Geschlossenheit des Physischen und dem Prinzip des Ausschlusses systematischer Überdetermination – bereits von den physikalischen Zuständen erledigt worden ist, zu entfallen; vgl. hierzu Crane (1995). 2 Salopp gesprochen: Ohne mentale Eigenschaften im eigentlichen Sinn auch keine mentale Verursachung im eigentlichen Sinn! 3 Vgl. etwa Lowe (2006).

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scheint genau dann möglich zu sein, wenn es nicht irgendein Körper ist, dem die mentalen Eigenschaften zukommen, sondern – im Sinne des aristotelischen Hylemorphismus – ein lebendiger Körper. Nur ein lebendiger Körper ist nämlich als einer und ganzer zu existieren in der Lage und genügt damit der holistischen Suppositionslogik mentaler Verfassungen: Der ganze Mensch denkt, nicht nur ein Teil von ihm, etwa das Gehirn; ist das Gehirn für das Denken relevant, dann insofern, als der Mensch dank seinem Gehirn denkt (vgl. 333 f.). Mentale Verfassungen sind eben diejenigen Verfassungen eines Körpers, die diesem als ganzem zukommen, ihn damit als ein lebendiges Individuum ausweisen. „Eingebettet in die Lebensepisoden von lebendigen Individuen in ihrer Gesamtheit“ (333), sind sie „biographischer Natur“ und als solche „trägerintegrierend und exklusiv“ statt wie die physischen Verfassungen, die stets bestimmten Teilen des Körpers zukommen, „trägerinfiltrierend und diffusiv“ (ebd.). 4 Wir sind also mit der Situation konfrontiert, dass an ein und demselben Körper, sofern dieser ein lebendiger ist, zweierlei Arten von Zuständen – physikalische und psychische – auftreten können, die einer radikal verschiedenen Suppositionslogik folgen und – so nun das zweite Argument für die „ontologische Verschiedenheit von körperlicher und seelischer Realität“ (332) – deren raumzeitliche Binnenstruktur nicht aufeinander abbildbar ist. Lebensepisoden und mit ihnen die mentalen Verfassungen von Lebewesen verschwinden bei Unterschreitung einer gewissen raumzeitlichen Dimension ihres Auftretens, während körperliche Prozesse in beliebige, ihrerseits körperliche Teilsegmente zerlegbar sind (vgl. 334 ff.). 5 Zwischen beiden besteht daher nicht mehr als eine Korrelation; die charakteristischen Qualitäten mentaler Verfassungen (etwa Intentionalität und Erlebnisqualität) lassen sich nicht somatisch rekonstruieren (vgl. bes. 335). 6 Trotz dieser grundlegenden Differenzen haben mentale und physische Verfassungen wie erwähnt eines gemeinsam: Sie kommen an ein und demselben lebendigen Organismus vor, und es ist die Beachtung dieser Tatsache, die auch den Blick freigibt auf einen spezifischen funktionalen Zusammenhang, der beide verbindet. Mentale Verfassungen ‚vollenden‘ oder ‚kulminieren‘ die von den Teilen des Gesamtsystems bereitgestellten somatischen Potentiale in eine bestimmte Lebenslage; sie sind Selbstvollbringungen des Lebendigseins eines lebendigen Körpers (vgl. 336 f.). Aus einer derartigen Perspektive, die das lebendige Individuum als ganzes

4 Dieser Gegensatz entspricht der an anderer Stelle ausgefalteten Differenz von durch eine ‚Brücke der Identität‘ miteinander verkoppelten ‚Lebensäußerungen‘ desselben Lebewesens einerseits und kein solches identisches Subjekt voraussetzenden ‚Prozessen‘ andererseits (vgl. Buchheim (2006b), 37 ff.); erstere sind als ‚Initiativen‘ ursachenkonservierende Veränderungen, letztere hingegen ursachendestruierende Veränderungen (vgl. Buchheim (2004), 58). 5 Buchheim zufolge ist „[d]ieser Unterschied […] leicht zu erklären: Da Tätigkeiten Abwandlungen des Lebens eines lebendigen Individuums sind, das Leben aber durch sämtliche relevanten Prozesse in den Körperteilen integriert wird, können bei Unterschreitung der Ausdehnung dieser Integrationsbasis keine Elemente der Tätigkeit, sondern allein gewisse Ereignisse übrig bleiben“ (Buchheim (2006a), 104 f.). 6 Dies hat mit der ‚Durativität‘ und ‚Konnexivität‘ psychischer Begebenheiten zu tun: „Sie dauern, aber schreiten nicht fort durch die Zeit; und sie verknüpfen räumlich auseinanderliegende Ereignisse in sich, aber breiten sich nicht kontinuierlich durch den Raum aus“ (Buchheim (2006a), 105).

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in den Mittelpunkt stellt und mentale Zustände als dessen aktive Leistung versteht, erscheint es von vornherein ungereimt, solche Zustände aus irgendwelchen Materieportionen und deren physiologischen Prozessen hervorgehen lassen zu wollen; 7 vielmehr sind umgekehrt die körperlichen Zustände des Lebewesens als ‚Symptome‘ oder ‚Begleiterscheinungen‘ seines jeweiligen ‚operativen Zustands‘ zu begreifen, der wesentlich mentale Verfassungen involviert (vgl. 338 f.). Neoaristotelisch gesehen ist die Dualität des Mentalen und Physischen also weitaus weniger mysteriös, als sie in traditionellen substanzdualistischen Konzeptionen vorgestellt wird, liegt doch ein „Verhältnis der Ineinanderführung oder Verschränkung zweier Ordnungen desselben Materials in nur einer einzigen Substanz“ vor (337). Statt mit einer vertikalen haben wir es mit einer horizontalen Relation zu tun, denn Mentales wie Physisches „finden im selben Horizont statt, nämlich im raumzeitlichen Horizont des Körperlichen überhaupt“ (ebd.). Diese Tatsache, dass es sich bei der Dualität von Mentalem und Physischem um eine Dualität innerhalb des Physischen handelt, ist dann auch der Grund für Buchheims an anderer Stelle ausdrücklich bekundeten Optimismus, die Wirklichkeit mentaler Kausalität verteidigen zu können, ohne das für ein wissenschaftliches Weltbild offenbar zentrale Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt aufgeben zu müssen. Weil ein mentaler Zustand kein „isoliert vorkommendes psychisches Ereignis“ ist, sondern eine „Lebensäußerung“ einer physischen Entität, nämlich eines lebendigen Individuums, kann ein solcher mentaler Zustand auch problemlos „eine kausale Rolle im natürlichen Gang der Ereignisse“ übernehmen. 8 Die Idee eines horizontalen Dualismus macht es möglich, „trotz einer im Prinzip dualistischen These über das Verhältnis von Physischem und Psychischem […] einen gemeinschaftlichen Kausalzusammenhang beider unter Bedingungen des Prinzips der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt anzunehmen“. 9 So attraktiv dieser Vorschlag ist, es stellt sich die Frage, ob die derart garantierte Vereinbarkeit mentaler Kausalität mit einem wissenschaftlichen Weltbild nicht durch eine Relativierung der ontologischen Verschiedenheit mentaler von physischen Verfassungen erkauft ist, die zugleich auch die behauptete Wirklichkeit mentaler Kausalität in Gefahr bringt. Wenn mentale Zustände um des Festhaltens am Prinzip der kausalen Geschlossenheit des Physischen willen selbst als eine Spielart des Physischen angesehen werden müssen, 10 trifft die von Buchheim an der Identitätstheorie geübte Kritik, die vermeintliche mentale Verursachung sei gar keine echte mentale Verursachung, dann nicht auch seine eigene Theorie? 7

Vgl. Buchheims Kritik an Emergenztheorien des Geistes in Buchheim (2006a), 101. Buchheim (2006a), 102. 9 Buchheim (2006a), 103. 10 Vgl. Buchheims Bemerkung, das Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt lasse offen, „was als physische Eigenschaft der Materie zu gelten hat und was nicht“, zusammen mit der These, „daß eben all das als physische Eigenschaft der Materie zählt, was als Eigenschaft körperlich existierender Wesen nachweislich kausale Kraft besitzt“ (Buchheim (2006b), 45). Nach dieser Definition des Physischen sind mentale Eigenschaften genau dann, wenn sie kausal wirksam sind, letztlich physische Eigenschaften (nämlich eine besondere Klasse derselben) und d. h. auch nur als solche physischen Eigenschaften kausal wirksam. 8

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Zu seiner Verteidigung kann Buchheim anführen, mentale Verfassungen seien lediglich insofern ‚physisch‘, als sie an Physischem vorkämen – eben als Verfassungen von Lebewesen. Gesteht man dies wohlwollend zu, so kann man freilich dennoch Zweifel haben, dass der horizontale Dualismus erlaubt, was Buchheim für echte mentale Kausalität fordert: dass mentale Verfassungen „als solche und in ihren nicht-somatischen Charakteristika kausal für den somatischen Fortgang unseres Daseins“ (343, vgl. oben) sind. Denn als Eigenschaften physischer Entitäten scheinen mentale Verfassungen allenfalls indirekt kausal wirken zu können, eben vermittelt durch die fraglichen physischen Entitäten, von denen sie als von ihren Trägern ontologisch abhängig sind. Was eigentlich kausal wirksam ist, sind genaugenommen nicht die mentalen Verfassungen, sondern das Lebewesen, das gewisse mentale Verfassungen als seine (Lebens-) Leistungen vollbringt. 11 Die vermeintliche mental causation – kausale Wirksamkeit mentaler Zustände – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine vital causation, als kausale Wirksamkeit eines – mentale Zustände besitzenden – Lebewesens. Gegen diesen Einwand lässt sich allerdings ein bedenkenswerter Gegeneinwand ins Feld führen: Ist es nicht gerade ein entscheidender oder sogar der entscheidende Vorzug des neoaristotelischen Modells mentaler Kausalität, den kausalen Fokus weg von isolierten mentalen Zuständen hin zum durch solche Zustände charakterisierten Individuum zu lenken? Mit Aristoteles’ Augen betrachtet, sind ‚mentale Zustände‘ ja nur eine Abstraktion, die begriffliche Isolierung eines bestimmten Aspekts der Lebenswirklichkeit höherentwickelter Organismen. Wer eine metaphysische Erklärung mentaler Kausalität im Sinne einer direkten kausalen Einwirkung mentaler Eigenschaften auf physische Gegebenheiten sucht, sucht strenggenommen nach etwas, das es eigentlich nicht gibt und nur zu geben scheint bei einer entsprechenden Verzerrung der wahren ontologischen Verhältnisse. 12 Insofern 11

Vgl. Buchheim (2006a), wo explizit herausgestellt wird, dass die gemäß dem horizontalen Dualismus ineinander verschränkten und „jeweils unterschiedliche Wirkungen in den Gesamtgang des Universums einbringen[den]“ Entitäten „das Lebewesen in einer Episode seines Lebens“ und „der relevante Körperteil in einem bestimmten Ereigniszustand“ sind (98). Dass dies eine Relativierung der kausalen Wirksamkeit mentaler Verfassungen impliziert, geht deutlich aus folgender Passage hervor: „[Z]war [unterliegen] die Lebensäußerungen sämtlich den Gesetzen und Prinzipien der Kausalität aller Begebenheiten im Universum, aber nicht ebenso unmittelbar unterliegen auch die mentalen Eigenschaften, durch die wir das psychische Leben und die geistigen Leistungen der Menschen zu beschreiben pflegen, solchen Gesetzen und Prinzipien. Denn sie – diese Eigenschaften – sind nur Aspekte an Lebensepisoden, aber nicht selbst solche Begebenheiten, geschweige denn selbständig auftretende ‚psychische‘ oder ‚geistige‘ Ereignisse. Wenn ein Gedanke ‚wirkt‘, dann nur deshalb, weil er mein Verhalten als Mensch prägt und beeinflußt, nicht weil er das Feuern der Neuronen in meinem Gehirn in bestimmte Richtungen lenkt“ (Buchheim (2006b), 122). 12 Vgl. Buchheim (2006a), 88: „Es gibt gar keine psychischen Bewegungen oder Ereignisse, außer in dem Sinn, daß ein Mensch insgesamt (oder ein anderer Organismus) seelische Regungen oder Tätigkeiten vollbringt, mit denen gewisse physische Bewegungen oder Ereignisse in seinen Körperteilen verknüpft sind. Wir haben also nicht zum einen physische Ereignisse im Körper und zum anderen psychische Ereignisse in der Seele eines Menschen, sondern wir haben einerseits seelische Vollbringungen eines Menschen, andererseits gewisse physische Ereignisse in bestimmten Körperteilen, die mit ersteren typischerweise einhergehen. Gegenüber der Rede von ‚mentalen Zuständen‘ oder ‚psychischen Ereignissen‘ statt Regungen und Tätigkeiten eines Menschen hat die aristotelische Ausdrucksweise den Vorteil, gar nicht erst eine andere, für sich isolierbare Existenz solcher Begebenheiten vorzuschlagen, wie wir sie in unserem Leben alle kennen, durchmachen und ausführen. Indem wir das Geistige oder Mentale oder Seelische zuerst vom

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bleibt gewissermaßen gar nichts anderes übrig als das Konzept mentaler Kausalität, die ontologische Verzerrung rückgängig machend, neu zu interpretieren.

Operative Begünstigung – Die Kausalität des Lebendigen Gemäß der neoaristotelischen Reinterpretation des Konzepts mentaler Kausalität ist klar, dass, wenn es einen zulässigen Sinn gibt, in dem mentale Zustände als solche auf physische Zustände wirken, dies in einer spezifischen Weise der Fall sein muss, die von der Weise, wie körperliche Zustände kausal wirksam sind, abweicht. Die ontologische Verschiedenheit mentaler von physischen Verfassungen, dokumentiert in raumzeitlicher Nichtabbildbarkeit und holistischer statt partialer Suppositionslogik, verbietet eine kausaltheoretische Gleichmacherei. Gerade letzteres, dass mentale Zustände immer die Zustände eines Individuums als ganzen sind, bedingt, wie Buchheim an anderer Stelle ausgeführt hat, eine gewisse ‚Entkoppelung‘ des Effekts von seinen Ursachen, insofern eine jede Lebensäußerung nicht durch unmittelbare ‚Einwirkung‘ der vorangegangenen Lebensäußerung, sondern ‚im Anschluss an‘ diese als durch sie ‚biographisch veranlasst‘ vom Lebewesen insgesamt generiert wird. 13 Diese Idee steht im Hintergrund der Bemerkung, statt wie die Stadien physischer Geschehenssequenzen unmittelbar kausal miteinander verknüpft zu sein, werde der Zusammenhang mentaler Zustände durch ein ‚operatives Programm‘ gesteuert, welches je nach Art des Individuums und Art der Lebenslage instinktiv, genetisch, gelernt oder ‚eigens zurechtgelegt‘ sein kann (vgl. 339). Es stellt sich nun die Frage, wie diese „zwei unterschiedliche[n] Schemata der Kausalität“ – „das kausale Schema der Einwirkung in der Abfolge von Ereignissen“ und das „Kausalschema des charakteristischen Anschlusses einer Lebensäußerung an andere, die ihr kausal voraufliegen“ 14 – miteinander interagieren, was sie ja tun müssen, wenn es unter den Bedingungen eines horizontalen Dualismus so etwas wie mentale Kausalität geben soll. Buchheims Antwort lautet, dass jeder Fall mentaler Verursachung einer Kombination zweier Prinzipien gehorcht, nämlich der Kombination des Schlüsselprinzips und des Prinzips der Begünstigung. Dem Schlüsselprinzip zufolge bedarf es für den Fortgang von Lebensäußerungen oder ‚Operationen‘ eines Lebewesens und d. h. für den Übergang von einem in den nächsten operativen Zustand eines passenden somatischen Schlüssels, der insofern passend ist, als er sich in das psychophysische Profil des gegebenen operativen Zustands des Lebewesens einfügt (vgl. 339). Eben für das Auffinden eines solchen somatischen Schlüssels sind nun aber die mentalen Merkmale der jeweils aktuellen Lebenslage selbst kausal relevant, indem sie nämlich eine entsprechende ‚Reorganisation‘ der mit dem Vollzug der Tätigkeit einhergehenden körperlichen Schlüsselganzen Menschen isoliert haben, bereiten wir uns selbst die Schwierigkeit, es mit dem Neuronenfeuer in unserem Gehirn wieder vereinigen zu müssen. Das geht aber nicht, weil isoliert betrachtet große Unterschiede bestehen zwischen z. B. Rechnen und solchem Neuronenfeuer, wie es beim Rechnen eines Menschen in seinem Gehirn vorkommt.“ 13 Vgl. Buchheim (2006b), 52 ff. u. 123. 14 Buchheim (2006b), 52.

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symptomatik begünstigen (vgl. 341 f. u. 344). Dies ist das Prinzip der Begünstigung, das Buchheim durch das Beispiel des Affen-Experiments – die Wut der Affen über den Misserfolg im Computerspiel führt zu einer anderen Auswahl der (zunächst chaotisch produzierten) Neuropopulationen – eindringlich illustriert (vgl. 340 ff.). Es ist kein Zufall, dass in diesem Zusammenhang das Stichwort ‚Vermögen‘ auftaucht (vgl. 344). Wie nämlich kommt die Begünstigung zustande? Offenbar so, dass man so lange herumprobiert, das jeweilige Handlungsziel zu erreichen, bis es funktioniert, und dann den Mechanismus so lange wiederholt, bis man ein entsprechendes Vermögen erworben hat, welches das chaotische Herumprobieren des Anfängers überflüssig macht. Vermögen sind nichts anderes als gespeicherte Cluster erlernter mentaler Begünstigungen bestimmter neuronaler Konstellationen, die den für bestimmte Operationen benötigten somatischen Schlüssel enthalten (vgl. ebd.). In diesem Sinne generieren wir ‚kraft unserer Vermögen‘ bestimmte Wirkungen in der physischen Welt, 15 wobei Vermögen als ‚strukturierende Ursachen‘ der Operationen eines Lebewesens zur Aktualisierung ihrer kausalen Kraft einer ‚veranlassenden Ursache‘ bedürfen, die durch die jeweils aktuelle Lebenslage gegeben ist. 16 Als Beschreibung der Kausalstruktur initiativen Verhaltens ist Buchheims Verweis auf das Kausalschema der biographischen Veranlassung von Lebensäußerungen, auf die Kombination von Schlüssel- und Begünstigungsprinzip in der Interaktion mit physischen Prozessen und den Kausalbeitrag bestimmter Vermögen des Lebewesens verdienstvoll. Wir erhalten so ein deutlich reichhaltigeres und vermutlich angemesseneres Bild dessen, was kausallogisch der Fall ist, wenn Lebewesen initiativ in den Lauf der Welt eingreifen als das von üblichen Darstellungen des Problems mentaler Kausalität gezeichnete, das mit der fragwürdigen Annahme isolierter psychischer Zustände arbeitet. Doch die Neuformulierung eines Problems bringt dieses nicht automatisch auch zum Verschwinden; die Kausalität mentaler Kausalität ist als Vermögenskausalität lebendiger Wesen – als ‚vital causation‘ – nicht zwangsläufig einsichtiger. Wie ist es möglich, dass bestimmte mentale Verfassungen eines Lebewesens – etwa die Wut der Affen – bestimmte neuronale Muster begünstigen, wie funktioniert das? Oder genauer: Wie kriegen die Affen das hin – denn sie sind es ja, die im fraglichen Experiment etwas tun 17 –, ihre Hirnströme, begünstigt durch bestimmte mentale Verfassungen, umzulenken? Was heißt es, als Akteur aus Anlass einer bestimmten biographischen Situation Hirnströme so und so zu modifizieren? Der metaphysisch heikle Punkt, wie Mentales auf Physisches wirken kann, bleibt auch in der von Buchheim vorgeschlagenen neoaristotelischen Reformulierung des Problems mentaler Kausalität dunkel. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass nun gleich zwei Kausalbeziehungen geklärt werden müssen: die Kausalbeziehung des Lebewesens zu den physischen Zuständen, auf die es wirkt, und die Kausalbezie15

Vgl. Buchheim (2006b), 60 u. 123. Diese an Dretske angelehnte Idee hat Buchheim in einem am 14. November 2012 am Institut für christliche Philosophie der Universität Innsbruck gehaltenen Gastvortrag näher ausgeführt; vgl. aber auch die Hinweise in Buchheim (2006b), 183. 17 Dieser Umstand wird von den passivischen oder unpersönlichen Formulierungen, die Buchheim in der Beschreibung des Geschehens wählt (vgl. 341), etwas verschleiert. 16

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hung der mentalen Verfassungen zum Wirken des Lebewesens, welches ja ‚kraft‘ seiner solche mentalen Verfassungen involvierenden Vermögen stattfindet. Ist die letztere Beziehung überhaupt eine Kausalbeziehung? Ist mentale Begünstigung ein Fall von Kausalität? Und wenn ja, wie verhält sich diese Kausalität zur Kausalität des Lebewesens? Buchheim hat an anderer Stelle, im Kontext seiner Auseinandersetzung mit dem Freiheitsbegriff, die Kausalität initiativen Verhaltens als eine komplexe, ‚in sich gestufte‘ Kausalität beschrieben, die zwei normalerweise als miteinander konkurrierend aufgefasste Formen der Kausalität in sich vereine, nämlich ein akteurskausales und ein ereigniskausales Verständnis von Kausalität. 18 Demnach ist die Kausalität initiativen Verhaltens intern gestuft, insofern erstens – übereinstimmend mit dem Konzept der Akteurskausalität – „ein Individuum insgesamt die hervorbringende Ursache eines verhaltenstypischen Geschehens an ihm genannt werden muss“ und zweitens – übereinstimmend mit dem Konzept der Ereigniskausalität – das Lebewesen „diese Ursache aufgrund eines vorangehenden inneren Zustands von ihm selbst als ganzem ist“. 19 Auf diese Weise will das Modell der ‚in sich gestuften‘ Kausalität die Stärken der vermeintlichen Kontrahenten kombinieren, ohne ihre Schwächen mit einzukaufen: Lebensäußerungen werden vom Lebewesen als ganzem verursacht statt von Ereignisketten innerhalb des Lebewesens; ihre Verursachung ist darum aber keineswegs irrational, gehen ihr doch bestimmte biographische Zustände ursächlich voraus. 20 Man darf freilich misstrauisch sein gegenüber dieser harmonisierenden Mixtur. Wacklig wird es auf der Seite der Ereigniskausalität, denn die für eine Operation kausal relevante Lebenslage eines Lebewesens löst diese Operation ja gerade nicht ereigniskausal-direkt aus, sondern veranlasst sie eben nur; bestimmte mentale Zustände begünstigen lediglich bestimmte Operationen, statt sie direkt zu verursachen. Wenn hier also überhaupt zwei Kausalitätsformen kombiniert werden, dann eine akteurskausale und eine ‚biographisch-veranlassende‘ bzw. ‚begünstigende‘ Verursachung. Dreierlei ist angesichts dessen festzuhalten. Erstens: In Buchheims Entwurf einer Kausalität des Lebendigen überwiegen die akteurskausalen Aspekte, mentale Kausalität präsentiert sich letztlich als eine Form von Akteurskausalität. Um so dringlicher schiene daher eine Aufklärung des Begriffs einer Kausalität durch Begünstigung, droht doch andernfalls die vermeintlich ereigniskausal abgesicherte biographische Situierung der Operationen von Lebewesen bloßes Programm zu bleiben und damit der von Buchheim gegen den akteurskausalen Ansatz erhobene Vorwurf der Opakheit auf ihn selbst zurückzufallen. Zweitens: Wenn es gemäß der neoaristotelischen Reinterpretation von Akteurskausalität eigentlich das Lebewesen ist, das auf seine eigenen physischen Zustände wirkt, inwiefern kann bzw. sollte dann überhaupt noch von einer eigenständigen kausalen Wirksamkeit mentaler Zustände gesprochen werden? Ontologisch betrachtet liegt der wahre Ort der Kau18 19 20

Vgl. Buchheim (2004), 59 f. Buchheim (2004), 59. Vgl. Buchheim (2004), 60 f.

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salität im Lebewesen als ganzem, nicht in dessen mentalen Zuständen. Drittens: Das für das Verständnis mentaler Kausalität zentrale Interaktionsproblem ist nach wie vor ungelöst, ja scheint sich unter neoaristotelischen Bedingungen sogar noch zu verschärfen, insofern den ereigniskausal ablaufenden physischen Prozessen de facto eine akteurskausal agierende Substanz gegenübersteht. Dass diese Substanz Buchheim zufolge keine immaterielle Substanz, sondern vielmehr ein Lebewesen und d. h. ein physisches Objekt ist, suggeriert zwar eine Überbrückbarkeit der Dualität, die nur eine horizontale – eine Dualität innerhalb des Physischen – sein soll. Der kausalitätstheoretische Abgrund, der die Relata der Dualität – das operierende Lebewesen und die (innerhalb und außerhalb desselben ablaufenden) physischen Prozesse – voneinander trennt, deutet jedoch in eine andere Richtung. Nimmt man die Ergebnisse beider Hinsichten unserer Betrachtung – die des mentalen Charakters und die der Kausalität mentaler Kausalität – zusammen, mag der Optimismus Buchheims, die Wirklichkeit mentaler Kausalität mittels des Konzepts eines horizontalen Dualismus zu verteidigen, zunächst übertrieben scheinen: Mentale Kausalität à la Buchheim kämpft mit der doppelten Schwierigkeit, einerseits möglicherweise nicht mental genug (Relativierung der ontologischen Verschiedenheit mentaler und physischer Zustände), andererseits nicht kausal genug zu sein (Relativierung der kausalen Eigenständigkeit mentaler Zustände). Wir haben freilich gesehen, dass Buchheim durchaus gute Gründe für seine neoaristotelische Neufassung mentaler Kausalität hat: Mentale Zustände sind ontologisch nicht isolierbar vom Lebewesen, das sie als seine Leistungen vollbringt, weshalb sie auch nur als solche Aspekte an etwas Physischem und vermittelt über dieses kausal wirksam sein können. Dass sich damit, wie ich zu zeigen versucht habe, das eigentliche Problem auf das Verhältnis des Lebewesens als einer agierenden Ursache zu den ereignishaft sukzedierenden Ursachen der physischen Welt verlagert, ist kein Einwand gegen den neoaristotelischen Ansatz (ganz im Gegenteil), wirft allerdings die Frage nach der Abgrenzung des horizontalen Dualismus gegenüber klassischen dualistischen Erklärungsansätzen auf: Lässt sich die Dualität von akteurskausaler Substanz und ereigniskausalen Prozessen tatsächlich horizontal – als eine Dualität innerhalb des Physischen – auffangen? Buchheim möchte dies um der Wahrung des Prinzips der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt und d. h. um der Anschlussfähigkeit des Konzepts mentaler Kausalität an ein naturwissenschaftliches Weltbild willen auf jeden Fall sicherstellen. Das ist verständlich, und doch wird man den Verdacht nicht los, die Idee einer Dualität im Horizont des Physischen trage einfach den klassischen Dualismus des Mentalen und des Physischen in den Begriff des Physischen hinein. Selbst wenn wir nicht davon ausgehen, dass Buchheim uns alten dualistischen Wein in neuen neoaristotelischen Schläuchen verkaufen will, bleibt die Schwierigkeit bestehen, dass das Prinzip der kausalen Geschlossenheit des Physischen seinen metaphysischen Stachel von vornherein einbüßt, wenn man mit einem äquivoken Begriff ‚des Physischen‘ operiert, unter den Wutempfindungen und Hirnströme gleichermaßen fallen. Will man die Annahme einer vollständigen physikalischen

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Erklärbarkeit physischer Ereignisse nicht zugunsten einer klaren – den Begriff des ‚Physischen‘ univok verwendenden – dualistischen Position aufgeben, wird sie im Rahmen eines horizontalen Dualismus so unscharf, dass mit ihr nicht mehr viel anzufangen ist. Insgesamt sieht es daher so aus, als belaste Buchheims berechtigtes philosophisches Anliegen sich unnötigerweise mit allzu großen Zugeständnissen an die Vision einer Welterklärung mit den Mitteln der Naturwissenschaft – und das, obwohl für diese die kausale Geschlossenheit der physischen Welt de facto ohnehin kaum mehr ist als ein heuristisches Prinzip.

LITERATURVERZEICHNIS Buchheim, Th. (2004), „Libertarischer Kompatibilismus. Drei alternative Thesen auf dem Weg zu einem qualitativen Verständnis der menschlichen Freiheit“, in: F. Hermanni/P. Koslowski (Hgg.), Der freie und der unfreie Wille. Philosophische und theologische Perspektiven, München, 33–78. – (2006a), „Sômatikê Energeia – Ein aktualisierter Vorschlag des Aristoteles zur Lösung des Leib-SeeleProblems“, in: F. Hermanni/Th. Buchheim (Hgg.), Das Leib-Seele-Problem. Antwortversuche aus medizinisch-naturwissenschaftlicher, philosophischer und theologischer Sicht, München, 81–106. – (2006b), Unser Verlangen nach Freiheit, Hamburg. Crane, T. (1995), „The Mental Causation Debate“, in: Proceedings of the Aristotelian Society, Suppl. Vol. 69, 211–236. Lowe, E. J. (2006), „Non-Cartesian Substance Dualism and the Problem of Mental Causation“, in: Erkenntnis 65, 5–23. [email protected]

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Mentale Verursachung und Willensfreiheit Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist? Sven WALTER (Osnabrück)

‚Willensfreiheit‘ ist ein Kamel von einem Begriff, der auch durch das Nadelöhr eines versierten Denkers nur mit Mühen, Abstrichen und zeitweiligem Unbehagen hindurchgeht. ‚Das‘ Problem der Willensfreiheit, das in den vergangenen Jahren vom Klassiker der akademischen Philosophie zum bildungsbürgerlichen Dauerbrenner in Feuilletons und populärwissenschaftlichen TV-Sendungen und Magazinen avanciert bzw. verkommen ist, besteht daher im fortwährenden Streit darüber, was Ausdrücke wie ‚(willens-)frei‘ oder ‚(Willens-)freiheit‘ bedeuten: Was sind die individuell notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen dafür, dass wir einen Akteur in seinem Entscheiden und Handeln zu Recht in einem philosophisch relevanten Sinne ‚frei‘ nennen dürfen? Eng damit verknüpft ist natürlich die Frage, was eigentlich überhaupt dafür bzw. dagegen spricht, dass wir frei sind. Rein quantitativ sind in dieser Hinsicht die Freiheitsskeptiker, die der Meinung sind, dass mindestens eine der für Freiheit notwendigen Bedingungen nicht erfüllt und Freiheit eine Illusion ist, zwar in der Minderzahl, sie dominieren aber die öffentliche Debatte: Gefühlt vergeht kaum ein Monat, in dem nicht irgendwer irgendwo ebenso vernehmlich wie unreflektiert unser Selbstverständnis als freie und verantwortliche Autoren unseres Tuns zur Selbsttäuschung erklärt. Inzwischen wird diese Freiheitsskepsis bevorzugt nicht mehr durch die altbekannten philosophischen Überlegungen, etwa zur Unvereinbarkeit von Freiheit mit dem Vorauswissen Gottes, zum Schicksal oder dem Determinismus, untermauert, sondern durch Verweis auf kognitions- und neurowissenschaftliche Studien, die angeblich zeigen, dass unsere bewusst erlebten Entscheidungen zu spät kommen, um noch aktiv an der Handlungssteuerung mitzuwirken, dass unserem Tun deterministische neuronale Prozesse zugrunde liegen, dass unser subjektives Erleben der Urheberschaft fallibel sein kann, dass vermeintlich selbst initiierte Handlungen durch externe, uns nicht bewusst zugängliche Faktoren ausgelöst werden können usw. 1 Eine andere, ebenso wichtige, wenngleich nicht ganz so publikumswirksame, Debatte betrifft das Für und Wider sog. mentaler Verursachung im Sinne des Vermögens mentaler Zustände, in den Kausalnexus der materiellen Welt einzugreifen

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Vgl. Walter (2009).

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und dabei insbesondere auch zur Genese unserer Handlungen beizutragen. Einerseits erscheint es offensichtlich, dass wir tun, was wir tun, weil wir uns in entsprechenden mentalen Zuständen befinden – die Erinnerung an eine peinliche Situation lässt uns Erröten, ein scharfer Schmerz lässt uns aufstöhnen und, wenn er anhält, einen Arzt konsultieren, Angst lässt unser Herz schneller schlagen und die Wahrnehmung einer guten Freundin auf der anderen Straßenseite lässt uns den Arm zum Gruß heben. Andererseits verstehen wir aber nicht wirklich, wie es in einer letztlich durch und durch materiellen Welt überhaupt so etwas wie mentale Verursachung geben kann. 2 Im Folgenden geht es um den Zusammenhang zwischen der Freiheitsproblematik und dem in der Debatte um mentale Verursachung drohenden Epiphänomenalismus, d. h. der Möglichkeit, dass mentale Zustände lediglich kausal wirkungslose Begleiterscheinungen physischer Vorgänge sein könnten, die zwar vollständige physische (konkret: neurophysiologische) Ursachen haben, selbst aber keine Ursachen oder auch nur Teilursachen sind. Dass es einen solchen Zusammenhang gibt, scheint auf der Hand zu liegen: Prima vista ist kaum einzusehen, wie wir als ‚frei‘ zu bezeichnen wären, täten wir nicht, was wir tun, weil wir einen entsprechenden Abwägungsprozess durchlaufen, Präferenzen gewichtet und eine Entscheidung getroffen haben (vgl. aber Abschnitt 6). Umso erstaunlicher ist, dass das Problem der mentalen Verursachung in der philosophischen Freiheitsdebatte kaum Beachtung findet. 3 In der empirischen Freiheitsskepsis hingegen spielt der Epiphänomenalismus in mehreren Argumentationslinien eine Rolle. Abschnitt 1 nennt die vier wichtigsten und erläutert, warum drei davon als Begründung einer empirischen Freiheitsskepsis kaum in Frage kommen. Die vierte – Daniel Wegners Theorie der apparent mental causation sowie die ihm oftmals zugeschriebene These, Freiheit sei eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen sei, ist Gegenstand der Abschnitte 2 bis 5. Abschnitt 2 skizziert Wegners Theorie. Abschnitt 3 stellt zwei empirische Studien vor, die sie belegen sollen, indem sie sog. Kontrollillusionen induzieren, also Probanden vermeintlich dazu bringen, fremde Handlungen als bewusst gewollt zu empfinden. Abschnitt 4 argumentiert, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, dass diese Studien die ihnen zugedachte Beweislast erfüllen können. Abschnitt 5 zeigt, dass sich weder aus ihnen noch aus Wegners Theorie der apparent mental causation freiheitsskeptische Konsequenzen ergeben. Abschnitt 6 geht abschließend der Frage nach, welche Konsequenzen es für unsere Freiheit hätte, wenn sich überzeugende philosophische Gründe für den Epiphänomenalismus finden ließen, und schlägt vor, die Annahme zu überdenken, dass Freiheit und Epiphänomenalismus miteinander unverträglich sind.

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Vgl. Walter (2006). Der Index des 646 Seiten starken Oxford Handbook of Philosophy of Free Will (Kane (2011)) z. B. enthält gerade einmal drei Einträge zu ‚causation, mental‘ (vgl. auch Stephan (2013)).

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1. Der Epiphänomenalismus als Grundlage empirischer Freiheitsskepsis Eine Unverträglichkeit von Freiheit und Epiphänomenalismus führt nur dann zur Freiheitsskepsis, wenn philosophisch bzw. empirisch gezeigt werden kann, dass mentale Zustände in der Tat epiphänomenal sind. Da es in diesem Beitrag vornehmlich um empirische Freiheitsskepsis geht, stellt sich daher zunächst die Frage, welche Art von Studien empirische Belege für den Epiphänomenalismus liefern könnten. Erstens sehen viele in der von Benjamin Libet Mitte der 1980er Jahre beobachteten zeitlichen Abfolge von Bereitschaftspotenzial und bewusster Entscheidung 4 einen Grund, bewusste Entscheidungen im Hinblick auf die entsprechenden Körperbewegungen zum Epiphänomen zu degradieren. Laut Gerhard Roth z. B. wird der Neurobiologe unserer erstpersonalen Freiheitsgewissheit entgegenhalten, „daß der bewußte Willensakt gar nicht der Verursacher der genannten Bewegung sein könne, weil diese Bewegung bereits vorher durch neuronale Prozesse festgelegt, d. h. kausal verursacht sei.“ 5 Auch Bettina Walde meint, Libets Experimente bedrohten unsere Freiheit, indem sie bewusste Entscheidungen aufgrund der ‚falschen‘ zeitlichen Abfolge als kausal irrelevant entlarven: „Bewusste Entscheidungen und Handlungsabsichten sind kausal irrelevant im Hinblick auf die späteren Handlungen, da sie zu spät auftreten (nämlich erst dann, wenn die Handlungen bereits durch das Bereitschaftspotenzial vorbereitet werden und die vermeintliche Entscheidung bereits unbewusst vorweg genommen wurde).“ 6 Als empirischer Beleg für den Epiphänomenalismus sind Libets Befunde allerdings schlicht ungeeignet, da spätere Ursachen frühere nicht ausschließen. Der Argumentation von Roth und Walde ist hier ein non sequitur zu attestieren: Daraus, dass das Bereitschaftspotenzial eine Ursache ist, folgt nicht, dass die später auftretende bewusste Entscheidung nicht auch eine ist; wäre dem so, käme auch das Bereitschaftspotenzial als Ursache der Handlung nicht in Frage, denn ihm geht seinerseits ja ebenfalls wieder eine Ursache voraus. Zweitens kann man auf Befunde der empirischen Sozialpsychologie verweisen, die zeigen, dass viele unserer Entscheidungen und Handlungen nicht auf bewusste Motive zurückzuführen sind, sondern maßgeblich durch unbewusste Faktoren beeinflusst werden, so dass wir bei dem Versuch, sie mithilfe bewusster mentaler Zustände zu erklären, oftmals konfabulieren. Befunde dieser Art sind für die Freiheitsdebatte durchaus aufschlussreich, ein zu einer umfassenden Freiheitsskepsis führender Epiphänomenalismus lässt sich aus ihnen aber ebenfalls nicht ableiten. 7 Natürlich dürfen freie Entscheidungen und Handlungen nicht vollständig durch anonyme Kausalprozesse bestimmt sein, sie müssen aber auch nicht ausschließlich von selbstgewählten, bewussten Motiven und Deliberationsprozessen abhängen. Die angesprochenen Studien zeigen bestenfalls, dass unbewusste Faktoren manch4 5 6 7

Vgl. Libet (1985), Libet u. a. (1983). Roth (2004), 73. Walde (2006), 95. Vgl. Walter (2012).

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mal eine Rolle spielen, sie belegen nicht, dass bewusste mentale Zustände immer epiphänomenal sind. Dasselbe gilt für die Überlegung, dass bewusste mentale Zustände epiphänomenal sind, weil sie nur in post hoc Konfabulationen Erwähnung finden – wir konfabulieren manchmal, aber nicht immer, und selbst wenn wir es tun, ist keinesfalls ausgemacht, dass wir nur konfabulieren. Drittens kann man einen empirischen Beleg für den Epiphänomenalismus darin sehen, dass die Naturwissenschaften die neuronalen Antezedenzien unseres Handelns in immer detaillierteren Theorien beschreiben und uns so als mechanistische Automaten entlarven, deren Tun vollständig durch Rekurs auf ihre physiologischen Bestandteile und deren Organisation zu erklären ist. Daraus kann man dann z. B. mit dem Biologen Read Montague schließen, dass die für die Hervorbringung einer Entscheidung oder Handlung erforderliche ‚kausale Arbeit‘ ausschließlich von den jeweiligen physiologischen bzw. neuronalen Mechanismen verrichtet wird, während bewusste mentale Zustände bloße Epiphänomene sind, so dass Freiheit zu einer wissenschaftlich nicht mehr intelligiblen Illusion verkommt: „Free will is the close cousin to the idea of the soul—the concept that ‘you’, your thoughts and feelings, derive from an entity that is separate and distinct from the physical mechanisms that make up your body […]. Consequently, the idea of free will is not even in principle within reach of scientific description.“ 8 Einmal abgesehen davon, dass ein mechanistisches Weltbild eher eine Frage der Weltanschauung als empirisch belegbar ist, impliziert der Mechanismus keinesfalls den Epiphänomenalismus: Dass wir letztlich nicht mehr als komplex organisierte Zellansammlungen sind, bedeutet nicht, dass unsere mentalen Zustände kausal unwirksam sind. Eine Reduktion – und nichts weniger wird durch die mechanistische Wendung des ‚nicht mehr als‘ angedeutet – ist weder eine Elimination noch impliziert sie die kausale Irrelevanz des Reduzierten. Ganz im Gegenteil: Gerade dadurch, dass wir jene neuronalen Mechanismen aufdecken, die unsere mentalen Zustände konstituieren, werden letztere als Teil des physischen Kausalnexus ausgewiesen. Viertens wird häufig auf eine Überlegung verwiesen, die Daniel Wegner in seinem 2002 erschienenen Buch The Illusion of Conscious Will anstellt. Wegner erklärt darin den bewussten Willen in dem Sinne zur Illusion, dass das Gefühl, eine Handlung bewusst gewollt zu haben, kein verlässlicher Indikator dafür ist, dass zwischen der Handlung und den ihr vorangegangenen bewussten Gedanken daran auch tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht: „[C]onscious will is an illusion […] in the sense that the experience of consciously willing an action is not a direct indication that the conscious thought has caused the action.“ 9 Unsere Überzeugung, unsere bewussten Motive verursachten unsere Handlungen, ist demnach illusorisch, weil die unmittelbare zeitliche Aufeinanderfolge des bewussten Gedankens, etwas tun zu wollen, einerseits und der entsprechenden Handlung andererseits in Wirklichkeit darauf zurückzuführen ist, dass beide durch unbewusste neuronale Faktoren verursacht werden:

8 9

Montague (2008), R584. Wegner (2002), 2.

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The unique human convenience of conscious thoughts that preview our actions gives us the privilege of feeling we willfully cause what we do. In fact, however, unconscious and inscrutable mechanisms create both conscious thought about action and the action, and also produce the sense of will we experience by perceiving the thought as cause of the action. 10

Schon auf den ersten Blick ist allerdings unklar, wie die These, der bewusste Wille sei ein Epiphänomen, mit der Freiheitsdebatte in Verbindung gebracht werden soll: Wer würde ernsthaft behaupten, eine Handlung sei nur dann frei, wenn sie durch das Gefühl, sie bewusst gewollt zu haben, verursacht wurde? Welchen Sinn macht überhaupt eine sprachliche Wendung wie „[w]e feel that we cause ourselves to behave“ 11? Wir mögen das Gefühl haben, der Handelnde zu sein, wir mögen uns sogar als Ursache unserer Handlungen empfinden, aber ist es nicht ausgemachter Unsinn zu sagen, wir fühlten, dass wir uns selbst in unserem Handeln verursachen? Ungeachtet dieser offenkundigen Ungereimtheiten hat Wegners Buch ihn in die erste Reihe empirischer Freiheitsskeptiker katapultiert. 12 Grund genug, sich seine Theorie der apparent mental causation, die ihr zugrunde liegenden empirischen Befunde sowie den mutmaßlichen Zusammenhang zwischen einem Epiphänomenalismus in Bezug auf den bewussten Willen und einer empirisch motivierten Freiheitsskepsis genauer anzuschauen.

2. Wegners Theorie der apparent mental causation Im Kern von Wegners Argument steht die Einsicht, dass wir Kausalzusammenhänge nicht unmittelbar wahrnehmen können, so dass Kausalurteile die Welt immer schon interpretieren und aus diesem Grund fehlbar sind. Wir mögen z. B. der Meinung sein, das Fieber von Maserpatienten würde von den charakteristischen roten Pusteln verursacht, weil üblicherweise jeder, der diese roten Pusteln hat, kurz darauf Fieber bekommt. In Wirklichkeit jedoch ist diese systematische Abfolge lediglich ein Epiphänomen eines physiologischen Kausalprozesses: Die roten Pusteln werden durch eine virale Infektion verursacht, die außerdem dazu führt, dass im körpereigenen thermoregulatorischen System bestimmte Prozesse ablaufen, die ihrerseits das Fieber verursachen. Wir schließen fälschlich, die roten Pusteln verursachten das Fieber, weil uns die tatsächliche Ursache unbekannt ist, wir zwischen den roten Pusteln und dem Fieber aber einen klaren zeitlichen Zusammenhang erkennen: Immer dann, wenn jemand die charakteristischen roten Pusteln hat, bekommt er kurz darauf Fieber – was sonst also sollte das Fieber verursacht haben, wenn nicht die roten Pusteln? Genauso ergeht es uns laut Wegner im Hinblick auf die Ursachen unserer Handlungen: Kurz bevor wir etwas tun, denken wir üblicherweise bewusst darüber nach, und eine alternative Ursache unserer Handlung ist uns in der Regel nicht ersichtlich 10

Wegner (2002), 98. Wegner (2002), 2. 12 Z. B. Balaguer (2009), Carruthers (2007), Double (2004), Green/Cohen (2004), Hallett (2007), Heisenberg (2009). 11

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– was sonst also sollte unsere Handlung verursacht haben, wenn nicht unser bewusster Gedanke daran? Indem wir unsere Motive auf diese Weise als Ursachen unserer Handlungen identifizieren, so Wegners Theorie der apparent mental causation, entsteht in uns ein Gefühl des bewussten Willens: „The theory of apparent mental causation […] is this: people experience conscious will when they interpret their own thought as the cause of their action.“ 13 Dieses Gefühl ist aber insofern eine Illusion als ihm ein falsches Kausalurteil zugrunde liegt: Unsere Handlungen werden nicht durch ihnen vorangehende bewusste Gedanken daran verursacht, sondern durch neurophysiologische Prozesse, die zugleich für das richtige Timing der entsprechenden bewussten Gedanken sorgen. Drei Faktoren begünstigen diesen Fehlschluss: Einer Handlung gehen in der Regel bewusste Gedanken voraus, die üblicherweise genau diese Handlung zum Gegenstand haben, und andere Ursachen sind im Allgemeinen nicht erkennbar: The experience of consciously willing our actions seems to arise primarily when we believe our thoughts have caused our actions. This happens when we have thoughts that occur just before the actions, when these thoughts are consistent with the actions, and when other potential causes of the actions are not present. A theory of apparent mental causation […] suggests that these principles of priority, consistency, and exclusivity govern the inferences people make about the causal influence of their thoughts on their actions, and thus underlie the experience of doing things on purpose. 14

Wegners Theorie der apparent mental causation erklärt, warum wir, wenn wir handeln, in der Regel das Gefühl haben, die Handlung bewusst gewollt zu haben. Umgekehrt ist klar, dass sich dann, wenn wir nichts tun, in der Regel auch kein Gefühl des bewussten Willens einstellen wird. Wenn dieses Gefühl jedoch tatsächlich dadurch entsteht, dass wir bewusste Gedanken, welche die Prioritäts-, Konsistenz- und Exklusivitätsbedingung erfüllen, fälschlich als Ursache der entsprechenden Handlung interpretieren, dann sollten Gefühl und Handlung grundsätzlich dissoziierbar sein: Ohne geeignete bewusste Gedanken sollten wir etwas, das wir getan haben, trotzdem nicht als bewusst gewollt empfinden, während wir umgekehrt eine Handlung, für die wir geeignete bewusste Gedanken haben, auch dann als bewusst gewollt empfinden sollten, wenn gar nicht wir es sind, die sie ausführen. Ein Großteil von Wegners Buch ist Fällen der ersten Art gewidmet, die er als „Automatismen“ bezeichnet; Fälle der zweiten Art – wir empfinden fremde Handlungen als bewusst gewollt, weil wir bewusste Gedanken hatten, die die Prioritäts-, Konsistenz- und Exklusivitätsbedingung erfüllen – bezeichnet er als „Kontrollillusionen“. 15 Automatismen und Kontrollillusionen zeigen, dass das Gefühl, eine Handlung bewusst gewollt zu haben, nicht unauflöslich mit der entsprechenden Handlung verbunden sein muss, und stützen insofern Wegners Theorie der apparent mental causation: Der bewusste Wille ist das Resultat einer falliblen Interpretation, nicht die direkte Wahrnehmung eines Kausalzusammenhangs, und kann 13 14 15

Wegner (2004), 654. Wegner (2005), 23. Wegner (2002), 2.

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daher, wie im Fall von Automatismen und Kontrollillusionen, von der Handlung abgekoppelt werden. Zu den Automatismen zählen Handlungen, die unter Hypnose ausgeführt werden, Handlungen von Patienten, die am alien hand syndrome leiden und deren Hand aufgrund einer Schädigung im Frontallappen ein ‚Eigenleben‘ entwickelt, sowie generell Handlungen, die der Handelnde selbst subjektiv nicht als gewollt empfindet, z. B. bei esoterischen Handlungen wie Tischrücken, Auspendeln oder dem Arbeiten mit Wünschelruten. Die zentrale Idee hinter Kontrollillusionen illustriert Wegner zunächst anekdotisch: Als er eines Tages im Supermarkt vor einer Spielekonsole stand, bei der ein Affe mittels Joystick durch einen Hindernisparcours gesteuert werden musste, begann er, mit dem Joystick herumzuspielen; dann passierte Folgendes: „I got quite involved in moving him [the monkey; S. W.] along and making him hop, until the phrase ‚Start Game‘ popped into view. I was under the distinct impression that I had started some time ago, but in fact I had been ‚playing‘ during a pre-game demo. […] I thought I was doing something that I really didn’t do at all [Hervorh. S. W.]“ 16 Damit, dass wir dazu gebracht werden können, eine Handlung als bewusst gewollt zu empfinden, die wir gar nicht ausgeführt haben, hat dies jedoch wenig zu tun. Wegner hat ja etwas getan: Er hat den Joystick bewegt. Illusorisch war lediglich sein Eindruck, er habe dadurch den Affen gesteuert. Das ist zwar richtig, belegt aber nicht das, worum es geht: Kontrollillusionen sollen darin bestehen, dass wir etwas, das wir überhaupt nicht getan haben, als bewusst gewollt empfinden, sofern wir bewusste Gedanken hatten, die die Prioritäts-, Konsistenz- und Exklusivitätsbedingung erfüllen. Dass wir etwas, das wir bewusst wollen, tun, dabei aber fälschlich glauben, wir erzielten damit eine bestimmte Wirkung, ist etwas ganz anderes. Ein Koch z. B., dem sein Gericht völlig misslingt, könnte wie Wegner sagen: „I thought I was doing something that I really didn’t do at all“ – er war der Meinung, er hätte etwas getan, das er in Wirklichkeit gar nicht getan hat: Er glaubte, eine schmackhafte Kürbissuppe zuzubereiten, tat es aber nicht, weil die Kürbissuppe gar nicht schmackhaft war. Das zeigt allerdings nicht, dass sein subjektiver Eindruck, er hätte aus einem bewussten Willensakt heraus gehandelt, ebenfalls illusorisch war. Mit Kontrollillusionen der Art, um die es Wegner geht, hat seine Anekdote nichts zu tun. Den wichtigsten Beleg für die Möglichkeit von Kontrollillusionen sieht Wegner aber ohnehin in empirischen Studien, in denen Probanden durch geschickte Manipulation der Prioritäts-, Konsistenz- und Exklusivitätsbedingungen vermeintlich dazu gebracht werden, fremde Handlungen als bewusst gewollt zu empfinden. Darum geht es in Abschnitt 3.

3. Kontrollillusionen Wenn der subjektive Eindruck, unsere Handlungen würden durch bewusste Motive verursacht, nicht auf der tatsächlichen Wahrnehmung eines Kausalzusammen16

Wegner (2002), 9 f.

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hangs beruht, sondern auf einer Fehlzuschreibung, die dadurch entsteht, dass die entsprechenden Gedanken die Prioritäts-, Konsistenz- und Exklusivitätsbedingung erfüllen, dann sollte es durch geschickte Manipulation dieser drei Faktoren möglich sein, Kontrollillusionen zu induzieren: Indem man dafür sorgt, dass wir bewusst an eine Handlung denken, die kurz darauf ausgeführt wird, und für die keine andere Ursache ins Auge sticht, sollten wir diese Handlung als bewusst gewollt empfinden – und zwar auch dann, wenn gar nicht wir es sind, die handeln. In der sog. I-Spy-Studie konnten je zwei Probanden mittels einer Vorrichtung gemeinsam einen Cursor auf einem Bildschirm bewegen, auf dem etwa fünfzig verschiedene Objekte zu sehen waren. Sie sollten den Cursor etwa 30 Sekunden lang willkürlich bewegen und ihn dann binnen 10 Sekunden auf einem der dargestellten Objekte platzieren. Beide trugen Kopfhörer, über die nach 30 Sekunden für 10 Sekunden Musik zu hören war; während dieser 10 Sekunden musste ein Objekt ausgewählt werden. Beiden Probanden wurde gesagt, sie würden während der 30 Sekunden vor Einsetzen der Musik zur Ablenkung verschiedene Wörter hören. Nachdem der Cursor auf einem Objekt platziert worden war, sollten sie unabhängig voneinander auf einer Skala von 0 („I allowed the stop to happen“) bis 100 („I intended to make the stop“) einschätzen, ob sie den Stopp eher beabsichtigt oder eher nur zugelassen hatten. 17 In Wirklichkeit war einer der beiden ein Mitarbeiter, der in einigen Durchläufen über Kopfhörer angewiesen wurde, den Cursor nach einem Countdown auf einem bestimmten Objekt zu platzieren (‚erzwungene Stopps‘), in den anderen Fällen aber ausschließlich den eigentlichen Probanden entscheiden lassen sollte (‚freie Stopps‘). Bei den erzwungenen Stopps hörte der Proband über Kopfhörer den Namen des Objekts, auf dem der Mitarbeiter den Cursor platzierte, entweder 30 Sekunden, 5 Sekunden oder 1 Sekunde vor oder 1 Sekunde nach dem Stopp. Die Prioritätsbedingung lässt erwarten, dass Probanden den Stopp eher als beabsichtigt empfinden, wenn sie den Namen des Objekts 5 Sekunden oder 1 Sekunde vor dem Stopp hören, als wenn sie ihn schon 30 Sekunden vorher oder erst 1 Sekunde danach hören. Diese Vorhersage bewahrheitete sich: Erzwungene Stopps, bei denen der Name des Objekts schon 30 Sekunden vor oder erst 1 Sekunde nach dem Stopp zu hören war, wurden eher als zugelassen und nicht beabsichtigt eingeschätzt, solche, bei denen er 5 Sekunden oder 1 Sekunde vor dem Stopp zu hören war, hingegen eher als beabsichtigt. Für erzwungene Stopps, bei denen der Name des Objekts 5 Sekunden oder 1 Sekunde vor dem Stopp zu hören war, wurde die Absichtlichkeit im Mittel sogar höher eingeschätzt als durchschnittlich bei freien Stopps, obwohl die Probanden an den erzwungenen Stopps scheinbar überhaupt keinen Anteil hatten, über die freien Stopps aber augenscheinlich selbst bestimmten! Wegner schloss daraus, man könne Probanden dazu bringen, fremde Handlungen als bewusst gewollt zu empfinden: „When participants were reminded of an item on the screen just 1 second or 5 seconds before they were forced to move the cursor to it, they reported having performed this movement intentionally [Hervorh. S. W.].“ 18 17 18

Wegner/Wheatley (1999), 488. Wegner (2002), 78.

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In der sog. Helping-Hands-Studie zeigte sich ein vergleichbarer Effekt sogar bei Handlungen, die ganz klar als fremde erkennbar waren. Ein Proband musste Handschuhe und einen weiten schwarzen Umhang anziehen, die Arme gerade am Körper herabhängen lassen und sich so vor einen zweiten Probanden gleichen Geschlechts stellen, der dieselben Handschuhe trug, dass dieser seine Arme durch die Ärmel des Umhangs des vorne stehenden Probanden stecken konnte. Der hinten stehende erhielt dann über Kopfhörer binnen dreieinhalb Minuten 26 Mal die Anweisung zu einfachen Handbewegungen („wave hello with your right hand“, „give the ok signal with both hands“ oder „hold up your left hand and spread the fingers apart“). Der vorne stehende hörte über Kopfhörer entweder dieselben Anweisungen zum selben Zeitpunkt (so dass die Konsistenz- und die Prioritätsbedingungen erfüllt waren) oder gar nichts. Anschließend sollte der vorne stehende auf einer Skala von 1 („not at all“) bis 7 („very much“) eine Reihe von Fragen beantworten, darunter unter anderem „How much control did you feel that you had over the arms’ movements?“ und „To what degree did you feel you were consciously willing the arms to move?“. 19 Obwohl die Handbewegungen offensichtlich nicht die eigenen waren, bekundeten Probanden, die über Kopfhörer die Anweisungen mithörten, ein signifikant höheres subjektives Kontrollgefühl als diejenigen, die sie nicht hörten. Wegner und Kollegen schlossen daraus, es gebe „conditions under which people experienced a feeling that they could control another person’s hands“ 20. Zeigen Studien wie diese, dass wir dazu gebracht werden können, fremde Handlungen als von uns bewusst gewollt zu empfinden, und stützen sie dadurch Wegners Theorie der apparent mental causation?

4. Empirische Evidenz für Kontrollillusionen? Es ist völlig richtig, dass in der I-Spy-Studie erzwungene Stopps, bei denen 5 Sekunden bzw. 1 Sekunde vor dem Stopp der Name des entsprechenden Objekts zu hören war, tendenziell eher als beabsichtigt eingeschätzt wurden, Stopps hingegen, bei denen er schon 30 Sekunden vorher oder erst 1 Sekunde danach zu hören war, tendenziell eher als zugelassen und nicht beabsichtigt: Während der Durchschnittswert (auf einer Skala von 0 bis 100) bei 30 Sekunden vor dem Stopp bei etwa 43, und bei 1 Sekunde nach dem Stopp bei etwa 47 lag, stieg er bei 5 Sekunden vor dem Stopp auf etwa 60 und bei 1 Sekunde vor dem Stopp auf etwa 62 an. Völlig richtig ist auch, dass die Werte in den beiden zuletzt genannten Fällen damit sogar über dem Durchschnittswert der freien Stopps von etwa 56 lagen. Was aber bedeutet das? Erstens kann keine Rede davon sein kann, die Probanden hätten erzwungene Stopps als bewusst gewollt empfunden. Selbst im günstigsten Fall lag ihre Einschätzung durchschnittlich gerade einmal bei etwa 62. Dies ist zwar zugegebenermaßen näher an „I intended to make the stop“ als an „I allowed the stop to happen“, zur 19 20

Wegner u. a. (2004), 840. Wegner u. a. (2004), 845.

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Behauptung, die Probanden hätten die Stopps als bewusst gewollt empfunden, ist es von da aus aber noch ein weiter Weg: Hätten sie sie als bewusst gewollt empfunden, hätten sie sie ja nahe 100 und nicht bei 62 eingeordnet. Zweitens relativieren diese Zahlen die zunächst überraschende Tatsache, dass die Einschätzung der erzwungen Stopps, bei denen der Name des Objekts 5 Sekunden oder 1 Sekunde vorher zu hören war, sogar noch über dem Durchschnittswert der freien Stopps lag: Dass fremdbestimmte Handlungen unter bestimmten Bedingungen als absichtlicher eingeschätzt werden als selbstbestimmte, ist weit weniger spektakulär, wenn man sich klar macht, dass die Absichtlichkeit der vermeintlich selbstbestimmten freien Stopps im Durchschnitt nur mit 56 bewertet wurde. Drittens ist fraglich, wie aussagekräftig die durchschnittlichen Einschätzungen überhaupt sind. Insgesamt gab es 51 Probanden. 21 Die ersten 17 davon durchliefen das ganze Szenario je 23 Mal, die verbleibenden 34 je 32 Mal. 22 Es gab also insgesamt 17  23 + 34  32 = 1479 Stopps. Davon waren aber pro Proband nur 4 erzwungen, in den restlichen 19 bzw. 28 Durchläufen bestimmte der Proband selbst, wo der Cursor platziert wurde. Von den 1479 Stopps waren also nur 4  51 = 204 (13,8 %) erzwungen. Da es darüber hinaus vier Arten von erzwungenen Stopps gab (abhängig davon, wann der Name des Objekts zu hören war), beruhen die erzielten Werte von 60 und 62 durchschnittlich selbst im Idealfall nur auf 51 Durchläufen, während der bei freien Stopps erzielte Wert von 56 der Durchschnittswert von 1479 – 204 = 1275 Durchläufen ist. 23 Da aber der Mitarbeiter den Cursor manchmal nicht mehr rechtzeitig auf dem vorgegebenen Objekt platzieren konnte, gingen noch nicht einmal alle 204 erzwungenen Stopps in die Auswertung ein: Für die vier Arten von erzwungen Stopps waren von den jeweils 51 Durchläufen nur zwischen 27 und 40 verwertbar (und nur bei 8 der 51 Probanden kamen alle 4 erzwungenen Stopps in die Wertung). 24 Wie viele erzwungene Stopps genau verwertbar waren, ist nicht bekannt, jedenfalls aber nicht mehr als 27 + 40 + 40 + 40 = 147, und vermutlich weniger. Die Werte für die vier Arten von erzwungenen Stopps ergaben sich im Schnitt also bestenfalls aus 36,75 Durchläufen, und diese Werte wurden verglichen mit dem Wert für die freien Stopps, der sich aus insgesamt 1275 Durchläufen ergab. Viertens wäre es falsch zu glauben, der korrekte zu erwartende Wert bei freien Stopps läge bei 100. Die Probanden scheinen mit ihrer Selbsteinschätzung von durchschnittlich 56 bei freien Stopps eklatant falsch zu liegen, weil der Mitarbeiter sie in diesen Fällen ja ganz alleine entscheiden lassen sollte. Allerdings berichtet Wegner selbst von einer ganzen Reihe von Fällen, in denen jemand die Entscheidungen anderer erkennen und sie in ihrer Umsetzung unterstützen soll, ohne Einfluss darauf zu nehmen, unbewusst dabei aber doch eigene Präferenzen ins Spiel

21

Wegner/Wheatley (1999), 487. Wegner/Wheatley (1999), 488, Fn. 4. 23 Da es vier Arten von erzwungenen Stopps gab und jede Versuchsperson vier erzwungene Stopps durchlief, liegt es nahe anzunehmen, dass es für jede Versuchsperson jede der vier Varianten genau einmal gab. Das bedeutet, dass der Wert für die vier Varianten von erzwungenen Stopps bestenfalls (s. o.) jeweils auf einem einzigen Durchlauf beruhte! 24 Wegner/Wheatley (1999), 489, Fn. 5. 22

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bringt. 25 Im Fall von ‚gestützter Kommunikation‘ (facilitated communication) z. B. soll eine Person Autisten dabei helfen, sich mittels Tastatur und Computerbildschirm mitzuteilen, indem sie beim Tippen ihre Hand stützt, selbst aber keinen Einfluss darauf nimmt, was geschrieben wird. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass in diesen Fällen die Helfenden die Autoren der Nachrichten sind, auch wenn sie selbst davon überzeugt sein mögen, keinerlei Einfluss ausgeübt zu haben. 26 In einer von Wegners eigenen Studien 27 sollten Probanden erkennen, ob ein anderer zum Zwecke einer Ja/Nein Antwort auf eine über Kopfhörer gestellte Frage die linke oder die rechte von zwei Tasten zu drücken beabsichtigte, indem sie ihre Hand auf seine legten. Fragen, die nur die Helfer gehört hatten, wurden korrekt beantwortet, obwohl sie darauf bestanden, die Entscheidungen des anderen ‚gelesen‘ und nicht gezielt Einfluss genommen zu haben. Der Mitarbeiter in der I-Spy-Studie ist in einer vergleichbaren Situation: Bei den freien Stopps muss er den Probanden den Cursor auf einem Objekt platzieren lassen, ohne seine Entscheidung zu beeinflussen. Wenn Wegner mit dem, was er an anderer Stelle zu gestützter Kommunikation sagt, Recht hat, dann sind erhebliche Zweifel daran angebracht, dass die Probanden die freien Stopps ausschließlich selbst bestimmten. Mit ihrer Selbsteinschätzung von durchschnittlich 56 dürften sie also gar nicht so falsch liegen. Fünftens erscheint eine Selbsteinschätzung von 62 für erzwungene Stopps, bei denen der Name des Objekts 1 Sekunde vorher zu hören war, viel, wenn man annimmt, dass der korrekte Wert 0 sein müsste, da ja alleine der Mitarbeiter entschieden hat. Unklar ist allerdings, ob diese Annahme berechtigt ist. Grundsätzlich spricht ja nichts dagegen, dass der Mitarbeiter die Anweisung hatte, den Cursor z. B. auf dem Schwan zu platzieren, der Proband aber unabhängig davon dieselbe Absicht fasste. Zwar gab es über fünfzig Objekte, die Zahl der tatsächlich relevanten Objekte dürfte aber wesentlich geringer gewesen sein. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Mitarbeiter versuchte, den Cursor auf das vorgegebene Objekt zu manövrieren, lief bereits die Musik, d. h. dem Probanden war klar, dass ein Stopp unmittelbar bevorsteht. Da das vorgegebene Objekt zu Beginn der 10 Sekunden Phase so nahe am Cursor liegen musste, dass es ohne auffällige Manöver erreichbar war, beschränkte sich die Auswahl auf Objekte, die innerhalb der nächsten maximal 10 Sekunden unter weitgehender Beibehaltung der bisherigen Geschwindigkeit auf Grundlage des bisherigen Bewegungsmusters auf natürlichem Wege erreichbar waren. Darüber hinaus wurden die Probanden angewiesen, nach dem Einsetzen der Musik noch einige Sekunden mit der Entscheidung für ein Objekt zu warten. 28 Unterstellt man, dass sie noch 2 bis 4 Sekunden warteten, reduziert sich die Zahl der relevanten Objekte auf solche, die innerhalb von 6 bis 8 Sekunden auf natürliche Weise erreichbar waren, und das dürften kaum mehr als eine Handvoll gewesen sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Probanden dasselbe Objekt ins Auge fassten 25

Wegner (2002), Kap. 6. Wegner (2002), 195–201. Unter anderem wurden, wenn dem Helfer und der Person, der geholfen werden sollte, über Kopfhörer unterschiedliche Fragen gestellt wurden, immer nur die Fragen des Helfers beantwortet, und Gegenstände, die der Helfer nicht gesehen hatte, konnten nicht beschrieben werden. 27 Wegner u. a. (2003). 28 Wegner/Wheatley (1999), 488. 26

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wie der Mitarbeiter, dürfte so gering also gar nicht gewesen sein, und wenn auch nur wenige der erzwungenen Stopps auf die Weise zufällig gewollt gewesen sind, fiele das gerade angesichts der geringen Zahl von erzwungen Stopps ganz erheblich ins Gewicht. Auf entsprechend wackligen Beinen steht die Behauptung, die I-Spy-Studie zeige, dass es möglich sei „to lead people to experience willful action when in fact they have done nothing“ 29. Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich für die Helping-HandsStudie. Bei Probanden, die die Anweisungen nicht mithörten, ergab sich für die beiden Fragen „How much control did you feel that you had over the arms’ movements?“ und „To what degree did you feel you were consciously willing the arms to move?“ ein Mittelwert von 2.05, bei denjenigen, die die Anweisungen mithörten, lag der Mittelwert bei 3.0. 30 Auf einer Skala von 1 bis 7 liegt ein Wert von 3.0 aber immer noch deutlich unter der Mitte von 4.0 und wesentlich näher an der Antwort „not at all“ als an der Antwort „very much“. Davon, die Helping-Hands-Studie zeige, dass die Probanden „experienced a feeling that they could control another person’s hands“ 31 kann also keine Rede sein. Die I-Spy- und die Helping-Hands-Studie sollten Kontrollillusionen induzieren und dadurch die Theorie der apparent mental causation stützen. Allerdings lassen die verfügbaren Daten eine Interpretation, wonach die Probanden fremde Handlungen als beabsichtigt oder bewusst gewollt empfinden, nicht zu. Das bedeutet wohlgemerkt nur, dass Wegners in der Freiheitsdebatte so oft zitierte Experimente nicht zeigen können, was sie zeigen sollen. An der Theorie der apparent mental causation ändert das nichts: Sie ist durch überzeugende empirische Belege für Automatismen sowie durch Untersuchungen zu Konfabulationen in alltäglichen Situationen (vgl. Abs. 1), die zeigen, dass unser subjektiver Eindruck, einen weitgehend zuverlässigen Zugang zu unseren bewussten Motiven als Ursachen unserer Handlungen zu haben, illusorisch ist, im Wesentlichen gut belegt. Ganz unabhängig von der Frage, ob Wegners Studien, wie er meint, seine Theorie der apparent mental causation stützen, bleibt daher immer noch die Frage, welche Konsequenzen sich aus diesen Studien und der Theorie der apparent mental causation für die Frage nach unserer Freiheit ergeben.

5. Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist? Einmal angenommen, der I-Spy- oder Helping-Hands-Studie gelänge es, Kontrollillusion für fremde Handlungen zu induzieren und damit empirische Belege für die Theorie der apparent mental causation beizubringen – ließen sie sich deshalb als „Experimente zur Illusion des freien Willens“ 32 bezeichnen? Um zu sehen, warum auch die Antwort auf diese Frage negativ ausfällt, ist es hilfreich, sich zu29 30 31 32

Wegner/Wheatley (1999), 487. Wegner u. a. (2004), 841. Wegner u. a. (2004), 845. Quitterer (2007), 55.

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nächst einer Bemerkung von Roth zuzuwenden, in der er Wegner als Gewährsmann für die Behauptung heranzieht, man könne „Versuchspersonen unterschwellig […] durch experimentelle Tricks, Hypnose oder Hirnstimulation zu Handlungen veranlassen, von denen sie später behaupten, sie hätten sie gewollt.“ 33 In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal zu fragen, was es für die Freiheitsdebatte eigentlich bedeutete, wenn es gelänge, Probanden in Laborsituationen mittels externer Stimuli verlässlich dazu zu bringen, Dinge zu tun, von denen sie hinterher behaupten, sie bereits im Vorfeld bewusst gewollt zu haben. Unsere Unfreiheit wäre damit noch lange nicht besiegelt: Man müsste dann z. B. immer noch fragen, inwieweit diese Ergebnisse über eng umgrenzte Laborsituationen hinaus verallgemeinerbar sind, denn aus der bloßen Tatsache, dass wir in Ausnahmefällen dazu gebracht werden können, etwas zu tun, das wir als bewusst gewollt empfinden, folgt nicht, dass wir in der Ausführung jener alltäglichen Handlungen, die wir unter Umständen tatsächlich schon im Vorfeld bewusst gewollt haben, nicht frei waren. Nichtsdestoweniger kämen sicherlich Zweifel an unserer Freiheit zumindest insofern auf, als unsere Zuversicht, introspektive Gewissheit darüber erlangen zu können, für welche Handlungen wir als Urheber in Frage kommen und für welche nicht, einen herben Dämpfer erlitte. Allerdings ist nicht zu sehen, wie jemand auf den Gedanken verfallen kann, Wegner habe in seinen Arbeiten gezeigt, man könne Versuchspersonen zu Handlungen veranlassen, von denen sie später behaupten, sie hätten sie gewollt. Erstens kann die I-Spy-Studie wie gesehen bestenfalls zeigen, dass man Probanden dazu bringen kann, den eigenen Anteil an einer vermeintlich gemeinschaftlich getroffenen Entscheidung zu hoch einzuschätzen. Davon, dass sie die entsprechende Handlung als ‚gewollt‘ beschreiben, kann schon alleine deshalb keine Rede sein, weil selbst der beste Durchschnittswert von 62 immer noch bedeutet, dass sie die Handlung in einem ganz beträchtlichen Maß auch als eine empfanden, die sie nur zugelassen und gerade nicht beabsichtigt hatten. Zweitens, und dieser Punkt ist viel wichtiger, lassen sich Wegners Studien schon alleine deshalb nicht als Beleg für die These anführen, man könne Versuchspersonen durch experimentelle Tricks zu Handlungen veranlassen, von denen sie hinterher behaupten, sie hätten sie gewollt, weil der Clou dieser Studien ja gerade darin bestehen soll, dass die Probanden nichts tun – tun soll ja eigentlich nur der Mitarbeiter etwas, die Probanden selbst bemessen lediglich ihren Anteil an einer aus ihrer Sicht gemeinsam getroffenen Entscheidung zu hoch (und keinesfalls glauben sie, diese Entscheidung alleine getroffen zu haben). Aus diesem Grund kann man Wegners Studien nicht sinnvoll als Versuch (schon gar nicht als gelungenen Versuch) einer empirischen Widerlegung unserer Freiheit deuten. Es gibt schlicht keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen den in ihnen untersuchten Phänomenen und der Frage, ob wir in dem, was wir tun, frei sind: Aus Studien, die untersuchen, was passiert, wenn jemand nichts tut, sondern nur glaubt, dass er etwas tut, lassen sich ganz offensichtlich keine Aufschlüsse darüber gewinnen, ob jemand, der etwas tut, darin frei ist oder nicht! 33

Roth (2006), 15. Vgl. auch Roth (2003), 514–515, Merkel/Roth (2008), 61.

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Wegners Theorie der apparent mental causation, wonach das Gefühl, eine Handlung bewusst gewollt zu haben, als Ursache der entsprechenden Handlung nicht in Frage kommt, weil es sich dabei lediglich um ein Epiphänomen der eigentlichen neuronalen Handlungsursachen handelt, ist, wie erwähnt, unabhängig von seinen empirischen Studien plausibel. Wenn sie also schon nicht durch Wegners Studien gestützt wird und sich aus diesen Studien auch keine Belege für unsere Unfreiheit ableiten lassen, ergibt sich dann zumindest aus der Theorie der apparent mental causation ein Argument gegen unsere Freiheit? Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist? Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass Wegners Theorie nicht mentale Zustände per se als Epiphänomene brandmarkt, sondern ausschließlich den bewussten Willen bzw. das Gefühl des bewussten Willens (the experience/feeling of conscious will). Wegner möchte zeigen, dass die Ursache einer Handlung nicht in dem Gefühl zu suchen sein kann, sie bewusst gewollt zu haben, er bezieht aber ganz ausdrücklich nicht Stellung zu der Frage, ob Handlungen von mentalen Zuständen verursacht werden: Questions of whether thought actually does cause action, for example, have been left in peace, and the issue of the role of consciousness in the causation of action has been ignored as well. This is because the focus […] is the experience of conscious will, not the operation of the will. 34

An Wegners These, das Gefühl, eine Handlung bewusst gewollt zu haben, komme als ihre Ursache nicht in Frage, ist aus Sicht der Freiheitsdebatte wenig auszusetzen, denn ein Nachweis unserer Unfreiheit lässt sich daraus nicht ableiten: Wie eingangs bereits angedeutet, sollte niemand ernsthaft behaupten, eine Handlung sei nur dann frei, wenn sie von dem Gefühl verursacht wurde, sie bewusst gewollt zu haben. Für eine derartige Freiheitskonzeption sprechen weder theoretische Gründe noch scheinen wir entsprechende vortheoretische Intuitionen zu haben: Natürlich glauben wir in der Regel, absichtliche Handlungen bewusst gewollt zu haben, und womöglich empfinden wir sie auch so, aber wir glauben nicht, sie seien durch das Gefühl, sie bewusst gewollt zu haben, verursacht worden. Wir mögen das Gefühl haben, der Handelnde zu sein, wir mögen uns (uns, nicht ein Gefühl des bewussten Willens!) sogar als Ursache unserer Handlungen empfinden, aber Wegners Phänomenologie der Handlungsurheberschaft – zusammengefasst in Wendungen wie „[w]e feel that we cause ourselves to behave [Hervorh. S. W.]“ 35 – fängt unser Freiheitserleben allem Dafürhalten nach nicht korrekt ein. Und selbst wenn Wegners phänomenologische Beschreibung zuträfe, wäre zwar unser subjektives Freiheitserleben irreführend, weil der bewusste Wille entgegen unserem Erleben nicht die Ursache unserer Handlung wäre, es folgte aber immer noch nicht, dass auch Freiheit eine Illusion ist, weil Freiheit eben nichts mit dem Gefühl des bewussten Willens zu tun hat, sondern darin zu bestehen scheint, dass unsere Absichten, Wünsche, Motive usw. auf die richtige Weise in unserem Ent34 35

Wegner (2005), 32. Wegner (2002), 2.

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scheiden und Handeln wirksam werden – und zur kausalen Rolle von mentalen Zuständen wie Absichten, Wünschen, Motiven usw. hat Wegner, wie er, wie oben gesehen, selbst eingesteht, nichts zu sagen. Fassen wir zusammen: Wegner wird in der Regel die Auffassung zugeschrieben, Freiheit sei eine Illusion, weil sich mittels empirisch induzierter Kontrollillusionen zeigen lasse, dass der bewusste Wille, d. h. das Gefühl, eine Handlung gewollt zu haben, als deren Ursache nicht in Frage kommt, sondern nur ein Epiphänomen der entsprechenden neuronalen Handlungsursachen ist, und mindestens ein namhafter deutscher Freiheitsskeptiker zitiert ihn als Gewährsmann für die These, Versuchspersonen könnten unterschwellig zu Handlungen veranlasst werden, die sie später als ‚gewollt‘ bezeichnen. Daran ist so ziemlich alles falsch: (1) In Wegners Studien werden keine Kontrollillusionen induziert, d. h. es wird nicht gezeigt, dass wir fremde Handlungen als bewusst gewollt empfinden können. (2) Wegners Studien haben damit, dass Versuchspersonen unterschwellig zu Handlungen veranlasst werden können, von denen sie später behaupten, sie hätten sie gewollt, nicht das Geringste zu tun, denn die Probanden sollen ja gerade nichts tun, sondern das Gefühl ausbilden, eine fremde Handlung gewollt zu haben. (3) Wegners Studien sind auch für die Freiheitsdebatte irrelevant, weil sich aus einer Untersuchung dessen, was passiert, wenn jemand nichts tut, sondern nur glaubt, dass er etwas tut, keine Aufschlüsse darüber gewinnen lassen, ob jemand, der etwas tut, darin frei ist oder nicht. (4) Wegners Theorie der apparent mental causation, wonach der bewusste Wille als Ursache der entsprechenden Handlung nicht in Rechnung zu stellen ist, mag zwar korrekt sein, ist für die Freiheitsdebatte aber ebenfalls irrelevant, weil die Forderung, eine Handlung müsse von dem Gefühl, sie gewollt zu haben, verursacht worden sein, als notwendige Bedingung für Freiheit unplausibel ist. (5) Wegner selbst erhebt gar nicht den Anspruch, etwas zur kausalen Rolle von mentalen Zuständen per se oder zur Freiheitsproblematik zu sagen. Die Frage, ob Wegners Studien als Experimente zur Illusion des freien Willens zu deuten sind, lässt sich also ebenso getrost verneinen wie die Frage, ob sie einen empirischen Beleg für die Möglichkeit von Kontrollillusionen darstellen, und die Frage, ob Freiheit durch die Theorie der apparent mental causation als Illusion erwiesen werden kann, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen der Freiheitsdebatte und einem drohenden Epiphänomenalismus in Bezug auf mentale Zustände bleibt damit bloß noch eines zu klären: Was bedeutete es für unsere Freiheit, wenn sich der Epiphänomenalismus auf anderem als empirischem Wege stützen ließe? Zweifellos entscheidet und handelt jemand, dessen mentale Zustände im Hinblick auf seine Entscheidungen und Handlungen kausal irrelevant sind, streng genommen nicht deshalb, weil er bestimmte Absichten, Präferenzen, Motive usw. hat. Aber folgt daraus, dass er nicht mehr aus Gründen entscheidet und handelt, dass er nicht mehr frei und mithin für sein Tun nicht mehr verantwortlich ist? Auch wenn diese Frage

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nicht umfassend zu beantworten sein wird, möchte ich mit ein paar, eingestandenermaßen skizzenhaften, Bemerkungen zu dem vermeintlich offensichtlichen Zusammenhang zwischen Freiheit einerseits und andererseits dem Vermögen unserer mentalen Zustände, kausalen Einfluss auf unser Tun auszuüben, schließen.

6. Müssen mentale Zustände kausal wirksam sein, damit wir frei sind? In der Philosophie des Geistes wird seit einiger Zeit intensiv darüber diskutiert, ob mentale Zustände, die zwar physisch realisiert, aber nicht auf ihr physisches Substrat reduzierbar sind, nicht zwangsläufig zu Epiphänomenen werden. 36 Dieser Überlegung liegt, grob gesprochen, folgende Argumentation zugrunde: Viele halten die physische Welt in dem Sinne für kausal geschlossen, dass physische Wirkungen ohne Rekurs auf nicht-physische Entitäten oder Kräfte restlos erklärbar sind. Insofern wir Teil dieser physischen Welt sind, sollten sich daher immer (zumindest prinzipiell) vollständige physische Ursachen unseres Verhaltens finden lassen. Wenn mentale Zustände also weder mit diesen physischen Ursachen identifiziert werden können noch bloß überdeterminierende Ursachen sind, dann können sie in der Genese unseres Verhaltens allem Anschein nach kausal nicht wirksam werden. Ein Anhänger einer solchen nicht-reduktiven Variante des Mechanismus könnte sich auf ein ‚Exklusionsargument‘ dieser Art berufen, um dafür zu argumentieren, dass Freiheit eine Illusion ist, weil aus dem Mechanismus der Epiphänomenalismus folgt und Epiphänomenalismus und Freiheit unverträglich sind. 37 Würde der Epiphänomenalismus unser Selbstverständnis als freie und verantwortliche Autoren unseres Tuns wirklich als Illusion entlarven? Muss unser Tun (ausschließlich?) durch entsprechende mentale Zustände verursacht sein, damit wir es zu Recht in einem philosophisch relevanten Sinne als ‚frei‘ bezeichnen dürfen? Der wichtigste Grund dafür, in der kausalen Wirksamkeit mentaler Zustände eine notwendige Bedingung unserer Freiheit zu sehen, basiert darauf, dass zwischen freien Entscheidungen und Handlungen und den mentalen Zuständen, die in ihre Genese eingehen, ein intelligibler Zusammenhang bestehen muss. Kompatibilisten z. B. haben gegenüber inkompatibilistischen Freiheitskonzeptionen bekanntlich eingewendet, dass Freiheit und Determinismus gar nicht unverträglich sein können, weil freie Entscheidungen und Handlungen nicht solche sind, die überhaupt nicht determiniert sind, sondern gerade solche, die auf die richtige Weise, nämlich durch unsere Absichten, Überzeugungen, Motive, Neigungen, Wertvorstellungen usw. determiniert sind. 38 Hinter diesem Einwand steht die Überlegung, dass Entscheidungen und Handlungen, die von vorangehenden mentalen Zuständen gänzlich unabhängig wären, kaum mehr von zufälligen Ereignissen zu unterscheiden und uns folglich weder zurechenbar noch frei wären: „[W]enn es […] bloßer Zufall wäre, 36

Vgl. Walter (2006). Für eine Konzeption des Mentalen und mentaler Verursachung, die für derartige ‚Exklusionsüberlegungen‘ keinen Raum lässt, vgl. Buchheim (2012), insb. Abs. 4 (vgl. auch Buchheim (2007)). 38 Z. B. Pauen/Roth (2008). 37

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wie wir uns entscheiden und was wir tun, dann würden wir sicher auch nicht von Freiheit und Verantwortlichkeit reden. Niemand ist für etwas verantwortlich, was rein zufällig passiert.“ 39 Eine solche „Leitung der Vernunft“, wie John Locke es nannte (Versuch über den menschlichen Verstand, I.II.21.50), erfordert aber scheinbar, dass mentale Zustände kausal wirksam sind: Wenn Entscheidungen und Handlungen nicht durch ihnen vorangehende mentale Zustände verursacht sind, dann sind sie nicht auf diese zurückführbar, mithin nicht mehr intelligibel, sondern ‚bloß zufällig‘, und unsere erstpersonale Gewissheit, frei und verantwortlich zu sein, wird zur Illusion. Allerdings kann zwischen unserem Tun einerseits und unseren diesem Tun vorangehenden mentalen Zuständen anderseits auch dann der für eine Leitung der Vernunft erforderliche intelligible Zusammenhang bestehen, wenn letztere in unserem Entscheiden und Handeln nicht kausal wirksam sind. Wer z. B. einem Straftäter die Verantwortung für seine Tat zuschreibt, der gründet sein Urteil wesentlich darauf, dass der Straftäter die Tat nicht begangen hätte, hätte er sich nicht dafür entschieden, oder dass er sie unterlassen hätte, hätte er sich klar gemacht, dass er damit sein Leben und das Leben seiner Familie ruiniert. Dass der Straftäter die Tat nicht begangen hätte, hätte er sich nicht dafür entschieden, erfordert jedoch nicht, dass er die Tat begangen hat, weil er sich dafür entschieden hat, und dass er sie unterlassen hätte, hätte er sich klar gemacht, dass er damit sein Leben ruiniert, erfordert nicht, dass er sie nicht unterlassen hat, weil er sich vorher nicht klar gemacht hat, dass er damit sein Leben ruiniert. Die Locke’sche Leitung der Vernunft erfordert stabile kontrafaktische Abhängigkeiten zwischen unseren mentalen Zuständen und unserem Tun, aber diese kontrafaktischen Abhängigkeiten müssen nicht notwendig auf Kausalbeziehungen beruhen. Wenn unsere Entscheidungen und Handlungen ausschließlich auf neurophysiologische Ursachen zurückzuführen sind und diese ihrerseits entsprechende mentale Zustände realisieren, dann ist es völlig korrekt zu sagen, der Straftäter hätte die Tat nicht begangen, hätte er sich nicht dafür entschieden, oder er hätte sie unterlassen, hätte er sich klar gemacht, dass er damit sein Leben ruiniert: Hätte er sich nämlich nicht entschieden, die Straftat zu begehen, oder hätte er sich klar gemacht, dass er dadurch sein Leben ruiniert, dann wäre sein neurophysiologischer Zustand anders gewesen, als er faktisch war, 40 und hätte, ceteris paribus, nicht zur Straftat geführt. An diesem Punkt wird oftmals eingewendet, die kausale Wirksamkeit ausschließlich neurophysiologischen Zuständen zuzuschreiben liefe in letzter Konsequenz darauf hinaus anzuerkennen, dass der Straftäter nicht ‚wirklich‘ verantwortlich und auch nicht ‚wirklich‘ frei war, weil schließlich nicht mehr er – nicht mehr sein bewusstes ‚Ich‘ oder ‚Selbst‘– entschieden habe, sondern sein Gehirn. Roth z. B. lässt

39

Beckermann (2008), 101. Die Realisierungsrelation zwischen mentalen und physischen Eigenschaften wird üblicherweise als asymmetrische Abhängigkeitsrelation zwischen Eigenschaften (oder ihren Instantiierungen) verstanden, die mit mindestens nomologischer Notwendigkeit gilt. Das nicht-Vorliegen einer realisierten Eigenschaft impliziert also (mit mindestens nomologischer Notwendigkeit) das nicht-Vorliegen der sie realisierenden Eigenschaft (vgl. Walter (2010)). 40

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seinen schon in Abschnitt 1 zitierten Neurobiologen, der unserer intuitiven Freiheitsgewissheit entgegenhält, der bewusste Willensakt sei ein Epiphänomen, unmittelbar im Anschluss dran erklären: „Entsprechend müsse in der Tat die korrekte Formulierung lauten: ‚Nicht mein bewußter Willensakt, sondern mein Gehirn hat entschieden!‘“ 41. Dieser Einwand greift jedoch nicht. Wer zwischen uns und unserem Gehirn eine derartige Opposition zu erblicken glaubt, der begeht nicht nur, wie Thomas Buchheim in seinem Beitrag zu diesem Jahrbuch kürzlich völlig zu Recht konstatiert hat, einen Fehlschluss, „der in einem umstandslosen Übergang von den Vollzügen eines ganzen Organismus auf die damit verbundenen Prozesse in einem relevanten Teil (etwa Gehirnregionen) dieses Organismus besteht“ 42, sondern hängt auch einem impliziten, aber nichtsdestoweniger veralteten dualistischen Weltbild an: In einem naturalistischen Weltbild nämlich gibt es „keine Konkurrenz zwischen mir und meinem Gehirn“, denn eine „Handlung kann sehr wohl meine Handlung sein, auch wenn sie auf Prozesse in meinem Hirn zurückgeht“ 43. Dies gilt unabhängig davon, ob mentale Zustände auf physische, z. B. neurophysiologische, Zustände reduziert werden können, bloß nicht-reduktiv durch sie realisiert sind oder, wie Buchheim im Anschluss an Aristoteles argumentiert, „notwendig als Zustände eigenen Rechts zu begreifen“ sind, die „in Korrelation mit gewissen partialistischsomatischen Zuständen derselben wiederum körperlich komplexen Substanz“ auftreten. 44 Entscheidend ist einzig, dass die entsprechenden physischen Prozesse im jeweiligen komplexen System Mensch für eine angemessene Leitung der Vernunft sorgen. Es wäre also unter Umständen gar nicht so tragisch, wenn sich herausstellte, dass mentale Zustände weder auf die kausal wirksamen physischen Zustände reduzierbar sind noch zusätzlich zu diesen ihre eigene kausale Wirksamkeit beanspruchen können, z. B. indem die geistigen Vermögen eines lebendigen Wesens wie bei Buchheim 45 immer schon im eigentlichen Sinne des Wortes ‚Ursachen‘ dessen operativer Zustände sind, auf die im Rahmen kausaler wissenschaftlicher Erklärungen seines Tuns nicht verzichtet werden kann. Solange mentale Zustände nur systematisch von den eigentlichen, physischen, Ursachen unserer Entscheidungen und Handlungen abhängen, können alle notwendigen Bedingungen für Freiheit auch dann erfüllt sein, wenn dem Mentalen selbst kein Ursachenstatus zukommt. Man denke etwa an Freiheitskonzeptionen wie Harry Frankfurts hierarchischen Kompatibilismus 46 oder John Martin Fischers Gründe-sensitiven Kompatibilismus 47: Selbst wenn mentale Zustände bloße Epiphänomene sind, können die Wünsche zweiter Ordnung einer Person mit ihren Wünschen erster Ordnung übereinstimmen und Handelnde in ihrem Tun in einem kontrafaktischen Sinne für Gründe empfänglich

41 42 43 44 45 46 47

Roth (2004), 73. Buchheim (2012), 334. Beckermann (2008), 91. Buchheim (2012), 337. Buchheim (2012), Abs. 4. Z. B. Frankfurt (1971). Z. B. Fischer (1994), Fischer/Ravizza (1998).

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sein. Der Epiphänomenalismus muss Freiheit und Verantwortung also nicht notwendig ausschließen. 48

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Vgl. Double (2004).

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–/Fuller, V./Sparrow, B. (2003), „Clever Hands“, in: Journal of Personality and Social Psychology 85, 5–19. –/Sparrow, B./Winerman, L. (2004), „Vicarious Agency“, in: Journal of Personality and Social Psychology 86, 838–848. –/Wheatley, T. (1999), „Apparent Mental Causation“, in: American Psychologist 54, 480–492. [email protected]

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Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität Eine Replik Thomas BUCHHEIM (München)

Von den zahlreichen kritischen Kommentaren zu meinem an Aristoteles anknüpfenden Vorschlag, ein von den handelsüblichen Standards abweichendes Modell für mentale Kausalität zu zeichnen, habe ich viel profitiert und mich zugleich herausgefordert gefühlt, manche Punkte zu präzisieren. Ich habe gelernt, dass mein Verständnis von physikalischen Begriffen und Vorgehensweisen laienhaft und daher in manchen Zügen korrekturbedürftig ist. Auch ist zuzugeben, dass die geschilderte Position an allen Ecken und Enden durch die Raster der offiziell diskutierten Alternativen zum Leib-Seele-Problem fällt. Deshalb bin ich dankbar, durch die Nachfragen Gelegenheit zu haben, mich zu einigen dieser Alternativen ins Verhältnis zu setzen. Auf diese Weise glaube ich, angeregt durch die Kommentare, jetzt deutlicher zu erkennen, dass das vorgeschlagene Modell sich verbessern und ausbauen lässt und zumindest in einigen Punkten der geäußerten Kritik womöglich standgehalten werden kann. Dies zu beurteilen überlasse ich den Lesern und insbesondere meinen Kritikern selbst, die natürlich eingeladen sind, auch auf die folgenden Erwiderungen wiederum kritisch oder zustimmend zu antworten. Insgesamt kann, wie es scheint, ein dialogisches ‚Zusammen-philosophieren‘ noch neue und vielversprechende Denkmöglichkeiten auskundschaften. Die nachfolgenden Antwortversuche auf die Hauptpunkte der Kritik sind so angeordnet, dass von allgemeineren und grundsätzlicheren Einwänden zu immer spezielleren Fragepunkten oder auch positiven Anknüpfungen fortgegangen wird. Einige Fraglichkeiten wurden natürlich in mehreren Kommentaren angesprochen, ohne dass dies immer kenntlich gemacht werden konnte. Aus den Überschriften ist aber leicht zu ersehen, auf welche Kommentare und welche neuralgischen Punkte der Kritik ich mich jeweils beziehe.

I. Dualismus versus Identitätstheorie – ein philosophisches Patt? Michael Esfelds Haupteinwand gegen meinen von Aristoteles inspirierten Versuch lautet, dass ich, anders als Descartes, kein Argument für die Annahme eines ontologischen Dualismus zwischen Körperlichem und Geistigem zu geben versuche, sondern lediglich Verweise auf ein Verständnis geistiger Zustände in Begriff-

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lichkeiten, die in naturwissenschaftlichen Theorien nicht benutzt werden. 1 Ohne Argument für die ontologische Verschiedenheit beider könne aber der dualistischen These einfach die Antithese einer Identität (zumindest im Sinne der sog. TokenIdentität) entgegengehalten werden, ohne dass soweit die eine vor der anderen Seite irgendetwas voraus habe. Doch können Argumente für ontologische Verschiedenheit genau so wenig wie nach Kant generell Argumente für die objektive Existenz eines Dinges a priori aus gewissen vorausgesetzten Begriffen gewonnen werden. In meinen Augen erscheint es eher als Manko auf Seiten Descartes’, dass er nicht nur in diesem Punkt die Meinung hegt, Existenzfragen durch apriorische Argumentation entscheiden zu können. Vielmehr kann ein erster Schritt auf diesem Weg nur in einer Bestandsaufnahme des Vorfindlichen und in diversen Verwicklungen und Kontexten sich Präsentierenden bestehen, durch dessen Analyse und Examinierung wir dahin geführt werden, die Existenz von irgendetwas, sowie seine ontologische Verschiedenheit oder Nichtverschiedenheit von anderem mit Gründen zu diagnostizieren oder zu verneinen. Dazu brauchen wir stets bestimmte Verfahren des Umgehens und Operierens und Re-Identifizierens sowie der versuchsweisen Theoriebildung mit und bezüglich derjenigen Termini, die im betreffenden Feld als Kandidaten für objektive Existenz in Frage kommen, um irgendwann zu einer mit guten Gründen behaupteten oder verneinten Existenz beziehungsweise ontologischen Verschiedenheit gegenüber anderem zu gelangen. Dies gilt sowohl für empirische wie auch für nicht-empirische Termini (z. B. ‚Erreger von BSE‘, ‚Higgs-Boson‘, ‚Heileffekte homöopathischer Arznei‘, ‚Propositionen‘, ‚imaginäre Zahlen‘) und es gibt strenggenommen niemals völlig unbestreitbare Gewissheit darüber, ob in der angezeigten Weise diskursiv unterfütterte Existenzbehauptungen tatsächlich wahr sind oder nicht. Insofern besteht ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Nachweis ontologischer Verschiedenheit zwischen bestimmten Termini darin zu zeigen, dass die anfallenden Prädikats- und Merkmalgruppen sich nicht ineinander oder in gemeinsame Elemente überführen lassen und die einen ihrer Bedeutung nach andersartig als die anderen sind, ohne dass man in der Beschreibung bestimmter manifester Sachverhalte auf eine der Gruppen Verzicht leisten kann. Genau dies ist es, was ich mit Aristoteles versuche, und was immerhin in geeigneter Weise unterwegs ist zur gestellten Frage ontologischer Verschiedenheit und nicht, wie Descartes, einen nach meiner Einschätzung ungeeigneten Weg einschlägt, die Frage a priori beantworten zu wollen. Ich gebe allerdings auch zu, dass meine an Aristoteles anknüpfenden generellen Charakterisierungen des Unterschieds zwischen somatischen und mentalen Termini höchst unvollkommen und, wie Esfeld (weniger entschieden auch andere Kritiker) feststellt, für die von der Physik betrachtete Seite „falsch“ sein könnten.2 Darüber möchte ich mir kein hinreichend bestimmtes Urteil zutrauen. Ist man aber in der Bestandserhebung und -beschreibung einmal weit genug gediehen, so sind auf die1 2

Vgl. Esfeld (2013), 105. Esfeld (2013), 106.

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ser Basis erst fundierte Begründungen für die eine oder die andere These zu formulieren. Auf der damit erklommenen Stufe ist Esfeld dann völlig im Recht, für beide Seiten – die dualistische wie auch eine Identitätsthese in Bezug auf Körperliches und Geistiges – Argumente einzufordern. Wie Esfeld schreibt: „Wenn man eine Identitätstheorie vertritt, muss man zeigen, wie geistige mit körperlichen Zuständen trotz der offensichtlich verschiedenen Merkmale von beiden identisch sein können, ohne diese Merkmale zu eliminieren. Und wenn man einen Dualismus vertritt, muss man ebenfalls Argumente für die ontologische Verschiedenheit von geistigen Zuständen entwickeln, da die ontologische Verschiedenheit nicht einfach aus der Tatsache der verschiedenen Zugangs- oder Beschreibungsweisen dieser Zustände folgt.“ 3 Argumente für ontologische Verschiedenheit können auf dieser Stufe aber nicht mehr prinzipieller Art sein, sondern müssen mit Rücksicht auf die schon geleisteten Schritte der Bestandserhebung und deskriptiven Vorarbeit formuliert werden. Hinzufügen möchte ich dem lediglich, dass die Beweislast dabei eher auf Seiten derer zu liegen kommt, die einen prima facie schwer zu ignorierenden Unterschied durch eine Identitätsthese zu unterlaufen suchen. Das bedeutet: Solange die Identitätstheorie die ihr angemutete Aufgabe nicht überzeugend erfüllt, solange ist es rational, an der gegenteiligen Hypothese festzuhalten und sich deren Implikationen und Argumentationspflichten genauer zuzuwenden.

II. Was leistet die Behauptung einer ‚Token-Token-Identität‘ des Geistigen mit Körperlichem? Abgesehen von der Beweislastfrage sehe ich für eine Identitätstheorie auch die begriffliche Schwierigkeit, klar zu machen, unter welchen Anforderungen das Konzept der ‚Identität‘ hier eigentlich steht. Denn wenn man verschiedene Beschreibungsprofile für einen bestimmten Komplex besitzt (z. B. ein musikalisches und ein theatralisches Beschreibungsprofil für den Komplex ‚Oper‘), dann stellt sich die Frage, was man eigentlich behauptet, wenn man sagt, das eine sei mit dem anderen ‚identisch‘. Hier ist, was die ‚Identität‘ von Körperlichem und Geistigem betrifft, von Davidson die Differenzierung zwischen Type-Identität und Token-Identität entwickelt worden, die auch Esfeld für das Verhältnis beider in Vorschlag bringt. 4 Während nämlich recht offensichtlich ist, dass Geistiges dem ‚Typ‘ nach von Körperlichem verschieden ist, so könnte doch die anscheinende Typverschiedenheit möglicherweise nur an der subjektiven Zugangs- und Beschreibungsweise für geistige Phänomene liegen, nicht unbedingt an der Sache selbst (so wie ja auch im Beispiel mit der Oper das theatralische Beschreibungsprofil sich daraus ergeben könnte, dass jemand ohne Ton der Aufführung eines Oratoriums beiwohnt und ihm dies ‚theatralisch‘ vorkommt, obwohl es sich der Sache nach um ein bloßes Musikstück handelt). Entsprechend könnte im Vergleichsfall alles Geistige zwar 3 4

Esfeld (2013), 107. Esfeld (2013), 106.

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nicht dem Beschreibungstyp, wohl aber dem beschriebenen Token nach etwas rein Körperliches sein, so dass also Geistiges stets token-identisch mit etwas rein Körperlichem wäre. Indessen ist nach meiner Auffassung das Konzept der Token-Identität aus begrifflichen Gründen höchst fragwürdig und wird von mir als Lösungsbegriff für das gestellte Problem mit zwei Argumenten zurückgewiesen: (1) Der Ausdruck ‚Token‘ ist immer relativ auf einen vorauszusetzenden Type, um dessen Token es zu tun ist. Wenn also behauptet wird, der Token eines mentalen Phänomens sei identisch mit dem Token eines rein somatischen Phänomens, dann kann das nicht mehr sein, als die bloße Versicherung, dass geistigen Phänomenen ontologisch etwas rein Somatisches zugrunde liege. Denn das, ‚womit‘ identifiziert wird, ist dann per Festsetzung (nicht etwa durch Entdeckung) ein rein körperliches Gebilde. (2) Da es sich laut der behaupteten Token-Identität nur um ‚irgendein‘ körperliches Gebilde handeln muss, ebnet diese Annahme von vornherein den wichtigen ontologischen Unterschied ein, in welcher Zusammensetzung 5 und kraft welcher Abgrenzungen 6 ein gewisser (rein somatischer) Token eben ein individueller Token der betreffenden Art von Körper ist. Hier liegt aber nach meiner These einer der entscheidenden formalen Unterschiede zwischen Mentalem und Somatischem beschlossen: dass die Token des ersteren immer und notwendig mit der Individuation einer lebendigen komplexen Substanz einhergehen, die des letzteren aber nicht unter dieser Anforderung stehen: Denn es soll ja völlig beliebig sein, was und wie viel ‚Somatisches‘ wir als token-identisches ontologisches Substrat des Mentalen zusammennehmen. Das Konzept der Token-Identität ignoriert also diesen wichtigen formalontologischen Unterschied und ist deswegen meiner Meinung nach ontologisch unfruchtbar.

III. Die dualistische These Auch auf Seiten der dualistischen These in Beziehung auf Körperliches und Geistiges muss zuerst einmal deutlich gemacht werden, was „ontologische Verschiedenheit“ überhaupt bedeuten soll. Damit sind hier offenbar nicht zwei Exemplare einer Sorte von Dingen (wie ein Kieselstein und ein anderer Kieselstein) und nicht zwei Sorten gattungsverwandter Dinge (wie Katze und Hund oder Primzahl und gerade Zahl) gemeint, sondern zwei kategorial unvereinbare Gattungen von Dingen (wie etwa Zahlen und Pflanzen). Von kategorialer Unvereinbarkeit spreche ich dann, 5 Nicht alle physikalisch fassbare Prozesse in der Region eines lebendigen Organismus tragen zu dessen individueller Integration bei; z. B. der Durchgang von Neutrinos und eventuell vorhandene Cäsiumatome. Die Zusammensetzung des Lebewesens ist also selektiv in Bezug auf den vorhandenen somatischen Bestand in rein physikalischer Beschreibung; der rein körperliche Token, mit dem identifiziert wird, hat diese Selektivität nur parasitär. 6 Auch die Abgrenzung eines lebendigen Organismus gegenüber seiner Umgebung ist dadurch, dass man neutral einen rein somatischen Token ansetzt, nicht impliziert. Denn ein Lebewesen scheint sich durch seine eigene integrierende Aktivität abzugrenzen.

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wenn ihre binnendifferenzierenden Prädikate nicht wechselseitig voneinander ausgesagt werden können. Ontologische Verschiedenheit im verlangten Sinn wird also nur da anzunehmen sein, wo es für die Instanzen des Verschiedenen keine Theorieprädikate gemeinsamer Gattung oder sachlich homogene Beschreibung gibt. Allerdings verliert ontologische Verschiedenheit in diesem Sinn ihre Signifikanz, wenn nicht zugleich Kontexte ontologischer Koexistenz oder gemeinsamen Vorkommens für sie ausgewiesen werden. Das angeführte Beispiel (Zahlen und Pflanzen) erfüllt diese Kontextbedingung nicht, so dass es müßig wäre zu streiten, ob beides ontologisch verschieden ist oder nicht. Nicht müßig ist ein solcher Streit, wo unterstellt werden muss, dass Kandidaten für ontologische Verschiedenheit (oder Identität) in einem gemeinsamen Zusammenhang vorkommen. Wird das konzediert, dann erhebt sich sogleich die Frage, was es denn sei, das den Zusammenhang zu einem ‚gemeinsamen‘ macht. Hier wäre etwa auf gemeinsame Ordnungen oder Relationen (Raum, Zeit, Kovarianz, Kausalrelation) zu verweisen oder auf gemeinsame Instanzen (wie z. B. eine Oper zugleich ein Musikstück und ein Theaterstück ist) oder auch beides. Die Relationen, die einen solchen Kontext begründen, dürften nicht von der Art sein, dass sie in ihren Fundamenten auch homogene Merkmale implizieren (denn dann bestünde nicht ontologische Verschiedenheit im verlangten Sinn). 7 Im Falle von gemeinsamen Instanzen ist sicherzustellen, dass sie in beiden Merkmalsgruppen auf nachvollziehbare Weise identifiziert werden können. Es ist nun bezeichnend, dass Descartes, in seinem apriorischen Argument für die Verschiedenheit von Geistigem und Körperlichem, 8 kaum Anstrengungen macht, die Gemeinsamkeit von deren ontologischer Koexistenz irgendwie auszuweisen. Denn wenn (nur beispielsweise angenommen) sowohl Geistiges wie Körperliches aus je inneren Gründen ‚irgendwo‘ und ‚zu einer gewissen Zeit‘ zu sein hätte, gäbe es bereits Anhaltspunkte dafür, sie nicht (wie Descartes meint) für völlig separate Substanzen, sondern nur für kategorial unvereinbare Merkmalsgattungen von Substanzen zu halten. Die betreffenden Instanzen als völlig und in jeder Hinsicht separate Substanzen zu deklarieren, scheint aber nicht die einzige Möglichkeit zu sein, eine ontologische Verschiedenheit zwischen ihnen zu behaupten (vgl. unten Punkt IV). Von Descartes sollte man also gerade das nicht lernen, was Esfeld als cartesianische Lehre vorstellig macht, nämlich dass wir, weil uns Geistiges und Körperliches in ihren Merkmalen als gattungsverschieden erscheinen, nach beobach7 Was die ebenfalls erwähnte Kausalrelation betrifft, so wird im Licht des vielzitierten Prinzips von der kausalen Geschlossenheit des Physischen oder Physikalischen oft ohne weitere Begründung angenommen, dass eine Kausalrelation eine solche Merkmalshomogenität der Kausalglieder impliziert. Ich teile diese Auffassung nicht und berufe mich dafür u. a. auf Kants Überlegungen zur Möglichkeit einer „Kausalität aus Freiheit“ (vgl. z. B. KrV B 558–560 und s. u. Fn. 9). Zum Prinzip der kausalen Geschlossenheit weiter unten noch mehr. 8 Wie Esfeld selbst vermerkt, ist das Argument von Descartes (was klar als voneinander getrennt zu denken möglich ist, das könne auch realiter getrennt existieren; dessen getrennte Existenz realiter möglich ist, das existiere auch in der Tat als getrennt) in seinen Prämissen und aufeinander aufbauenden Schritten höchst angreifbar und wenig überzeugend. Mir scheint ein solches Argument, wenn es zudem noch systematische Schwächen in Richtung seiner eigenen Zielsetzung aufweist, kaum brauchbar zu sein.

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tungsunabhängigen Argumenten dafür suchen, sie deshalb auch sogleich für komplett separate Substanzen zu halten. Worin Descartes allenfalls Recht hatte, das ist die Diagnose einer kategorialen Unvereinbarkeit von Prädikaten des Geistigen und des Körperlichen. Aber diese Lehre kann man eben schon (mit, wie mir scheint, ebenfalls guten Gründen) aus Aristoteles ziehen. Unrecht dagegen hatte Descartes mit dem seit Kant unter Paralogismusverdacht gestellten Schluss auf die Existenz einer Denksubstanz. Wir brauchen demnach vor allem eine klare Formulierung für die ontologische Verschiedenheit zwischen Mentalem und Körperlichem, die sowohl Gründe ihrer ontologischen Dualität als auch Gründe der ontologischen Koexistenz in gemeinsamen Kontexten geltend zu machen erlaubt. Und genau dies leistet der von mir vorgeschlagene horizontale Dualismus. Dieser lässt sich, ausgehend von einer Gattungsverschiedenheit der Merkmale folgendermaßen formulieren und gegen den cartesianischen Substanzdualismus in Stellung bringen:

IV. Starker (cartesianischer) versus schwacher (aristotelischer) Dualismus Ein ontologischer Dualismus im Allgemeinen liegt vor, wo tatsächliche Vorkommnisse kategorial unvereinbarer Gattungen regelmäßig in gemeinsamen Kontexten auftreten, deren Beispiele jeweils in sich einer homogenen begrifflichen Systematik folgen, die nicht in eine gemeinsame überführt oder in Termini der jeweils anderen ausgedrückt werden können. (Es ist darauf hinzuweisen, dass das Fehlen einer gemeinsamen begrifflichen Systematik für Vorkommnisse beider Gattungen per se noch nicht kausale Beziehungen zwischen beiden ausschließen muss 9). Schwach nenne ich einen solchen ontologischen Dualismus dann, wenn es kombinierte Phänomene gibt (wie z. B. willentliche Handlungen eines Menschen), die zusammen Zustände ein und desselben Dinges sind und deren kausale Erklärung ohne Rückgriff auf Prädikate von beiderlei Gattung definitiv unvollständig ist. Stark hingegen ist ein derartiger Dualismus dann, wenn alle kombinierten Phänomene der fraglichen Art als Komplexe aus Zuständen von beiderlei Gattung analysierbar sind, die niemals gemeinsam Zustände ein und desselben Dinges sind und deren kausale Eigenschaften dennoch nur zusammen eine Erklärung der kombinierten Phänomene ermöglichen. Ein schwacher Dualismus ist immer ein ‚horizontaler‘ Dualismus in dem von mir eingeführten Sinn, weil eine seiner formalen Bedingungen darin besteht, dass die nur dualistisch zu erklärenden Kombi-Zustände stets Zustände numerisch ein und desselben Dinges sind, d. h. die dualistische Konfiguration findet als solche in demselben ontologischen Horizont oder Rahmen statt. Wenn das betreffende Ding (z. B. 9 So argumentierte Kant, wenn er die Kausalität als eine „dynamische“ im Unterschied zu „mathematischen“ Kategorien beschrieb und eben deshalb „Kausalität aus Freiheit“ als kohärent denkbare Möglichkeit der Verursachung entwickelte (vgl. Fn. 7). Als ein auf den ersten Blick einleuchtendes Beispiel für Verursachung zwischen kategorial unvereinbaren Vorkommnissen könnten wir anführen, dass die Übermüdung eines Autofahrers Ursache für den Zusammenstoß war. Jede Versicherung würde das als korrekte Bezeichnung der Unfallursache akzeptieren.

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ein Mensch) eine physische Substanz ist, dann ist der ontologische Horizont insgesamt ein physischer und es handelt sich folglich um einen innerphysischen Dualismus. 10

V. Zur prinzipiellen Problematik einer kausalen Interaktion zwischen Mentalem und Somatischem Leibniz war es, der im Horizont neuzeitlicher Wissenschaft das cartesianische Modell einer Interaktion zwischen Körper und Geist als unannehmbar zurückwies und seinen metaphysisch wenig plausiblen prästabilierten Parallelismus ohne direkte Kausalbeziehung an die Stelle zu setzen suchte. Daran erinnert Esfeld, wenn er schreibt: „Leibniz hat […] gezeigt, dass die Konjunktion folgender beider Thesen inkonsistent ist: (a) interaktionistischer Dualismus und (b) universelle Gültigkeit der physikalischen Gesetze im körperlichen Bereich. Dieses Resultat hat aber bis heute Bestand. Es trifft auch auf Buchheims Position zu.“ „Mit anderen Worten: Die physikalischen Theorien verlieren ihre Gültigkeit, sobald man den Gegenstandsbereich von Lebewesen mit Gehirnen betritt.“ 11 Zunächst denke ich nicht, dass Leibniz das Behauptete gezeigt hat, auch wenn er es vielleicht hat zeigen wollen. Denn Leibniz operiert mit bestimmten (alles andere als aristotelischen) Vorbegriffen davon, was eine nichtkörperliche, nichtausgedehnte und daher nach seiner These durch keine naturwissenschaftliche Theorie zu beschreibende Realität ist. Wenn man einen solchen Vorbegriff zugrunde legt, dann folgt automatisch, dass alle ‚physikalischen Gesetze‘ nicht für Realitäten dieser anderen Art gelten können, so dass, wenn diese wiederum kausale Bedeutung in einem körperlichen Kontext hätten, die im Vorhinein darauf eingeschränkten physikalischen Gesetze auf deren Auswirkungen nicht zutreffen könnten. Doch wenn man diese Vorbegriffe nicht teilt, dann muss man auch die Konsequenzen nicht unterschreiben. Weiterhin gilt die von Esfeld geschilderte Konsequenz (physikalische Theorien verlören ihre Gültigkeit für Lebewesen mit Gehirnen) zweifellos für diejenigen physikalischen Theorien, die wir heute haben. Aber daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass für alle Zeit keine Theorien möglich sind, deren gefundene Gesetze den Gegenstandsbereich von Lebewesen mit Gehirnen einschließen und die es zugleich erlauben, die Naturgesetze der heutigen Physik als Spezialfälle darzustellen. Denn man kann wohl nicht davon ausgehen, dass der Ausdruck ‚physikalisch‘ eine bestimmte Art von sachbestimmendem Prädikat sei. ‚Physikalisch‘ bedeutet zunächst nur so viel wie: Gegenstand experimentell verfahrender, quantitativ messender, kausalerklärender und Zustandsänderungen mathematisch beschreibender Theoriebildung in unserer Physik. Was einem solchen Erkenntnisverfahren zugänglich ist und ob das so Zugängliche alles ist, was es überhaupt gibt oder zumindest kausal bedeutsam ist, scheint dadurch noch nicht ohne weiteres ausgesagt zu sein. Es gab 10 11

So mit Recht Spann (2013), 145 u. 152. Esfeld (2013), 103.

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immer wieder unvorhergesehene Erweiterungen der Physik. Wir wissen nicht, ob uns eine ‚Psychophysik‘ bevorsteht, in der man innerpsychische und psychosomatische Kausalität und Wechselwirkung naturgesetzlich beschreiben könnte. Auch liegt ja nicht von vornherein fest, was alles ein „Naturgesetz“, d. h. ein für alle gleichartigen Phänomene ausnahmslos gültiges Gesetz ist. Ein modernes pluralistisches Verständnis von objektiver Wissenschaft und ihren jeweils einschlägigen Gesetzen verlangt, wie auch der Kommentar von Tobias Müller unterstreicht, 12 keineswegs zwangsläufig ein Präjudiz über den ontologischen Reichtum der Wirklichkeit und ihre kausale Gesamtstatur. Wir müssen also nicht befürchten, uns mit Einräumung einer kausalen Beziehung zwischen Geistigem und Körperlichen gleich anfangs einer Einschränkung der Gültigkeit von heute bekannten Naturgesetzen in die Arme zu werfen. Und nicht muss, alternativ dazu, das Mentale ins Ghetto eines Epiphänomens ausweichen, um im Rahmen der Natur überhaupt noch etwas sein zu dürfen (vgl. dazu auch Punkt XV).

VI. Zur Abgrenzung zwischen ‚physikalischen‘ und mentalen Phänomenen Die „erheblichen Bedenken“ von Erasmus Mayr gegenüber meinem Vorschlag beruhen auf der von mir verabsäumten, genaueren Positionierung der tragenden Thesen im Rahmen der gegenwärtigen Debatte und betreffen insbesondere drei Fragen: (1) Die Abgrenzung zwischen physikalischen und mentalen Phänomenen; (2) die Stellung meines Neo-Aristotelismus zur Identitätstheorie; (3) das Verhältnis zwischen Kausalzusammenhängen und meinen beiden zentralen Prinzipien, dem Begünstigungsprinzip und dem Schlüsselprinzip. In meiner Antwort beschränke ich mich auf Klärungen in Bezug auf diese drei Fragen, wobei zur zweiten (Identitätstheorie) schon einiges gesagt wurde. Obwohl ich mich selbst nicht ausnahmslos daran gehalten habe, sollte man besser nicht von ‚physikalischen‘ Zuständen im Unterschied zu irgendwelchen anderen sprechen. Denn es scheint klar zu sein, dass ‚physikalisch‘ kein sachliches Merkmal oder Charakteristikum einer Art von Dingen oder Vorkommnissen ist (siehe auch Punkt V und XII) – sehr im Unterschied zu ‚mental‘ oder ‚geistig‘ einerseits und ‚körperlich‘ oder (wie von mir bevorzugt) ‚somatisch‘ andererseits. 13 Vielmehr bedeutet ‚physikalisch‘ zunächst nur so viel wie ‚Gegenstand der Theoriebildung in der Physik‘. Man kann aber heute so wenig wie vor 100 Jahren absehen, was alles jemals zum Gegenstand physikalischer Theoriebildung wird. Schon heute umfasst die physikalische Theoriebildung ganz unterschiedliche Gattungen von Gegenständen und Prädikaten, etwa Körper, Raum und Zeit, Welle, Feld und Teilchen, Energie und Entropie usw. Irgendetwas scheint quantitative Aspekte, zumindest unter be12

Vgl. Müller (2013), 139 f. Ich gebrauche den abstrakten Ausdruck ‚somatisch‘ in sehr weitem Sinn, d. h. anknüpfend an das griechische Wort sôma als Sammelwort für alles, was entweder selbst körperlich oder essentiell an die Statur des Körperlichen gebundener Umstand oder Eigenschaft ist. So ist z. B. ‚Bewegung‘ etwas Somatisches, nicht aber ‚Zeit‘, ‚Ordnung‘ oder ‚Gesetz‘. 13

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stimmten Bedingungen Messbarkeit und Auftrittsschärfe 14 sowie gesetzmäßiges Verhalten an den Tag legen zu müssen, um zum Gegenstand physikalischer oder wenigstens naturwissenschaftlicher Theoriebildung werden zu können. Ob dies für mentale Zustände – wenn sie denn ontologisch verschieden von somatischen Zuständen wären – jemals der Fall sein wird oder auch nur sein könnte, wissen wir heute schlechthin nicht. Die von Mayr geforderte Abgrenzung lässt sich deshalb nur für im sachlichen Sinn verschiedene Prädikate und Gegenstandstypen vornehmen wie etwa das Körperliche und essentiell Körpercharakterisierende (= ‚somatische‘ Zustände oder Phänomene) einerseits, und das Mentale oder Seelische – nach meiner These lebensepisodisch ‚operative‘ Zustände – andererseits. Hier meinte ich mit Aristoteles zwei allgemeine Kennzeichen der Verschiedenheit angeben zu können: Erstens die stets mit lebendiger Individualität einhergehende Eigenart der letzteren im Unterschied zu den ersteren; einen mentalen Zustand zu haben involviert immer, eine körperlich komplexe und insgesamt lebendige Substanz zu sein; nur solche Körper, die zugleich eine lebendige Einheit sind, haben mentale Zustände. Während somatische Zustände unterschiedslos allen Arten und Portionierungen von Körpern zukommen. Das zweite Unterscheidungskennzeichen besteht darin, dass somatische Zustände räumlich in somatische Zustände zerlegt und daraus strukturerhaltend (nicht wie ich fälschlich gemeint habe „akkumulierend“) zusammengesetzt werden, während mentale Zustände nicht räumlich in homogene (d. h. ebenfalls mentale) Zustände zerlegt und überhaupt nicht bestandteilartig oder stückweise zusammengesetzt sind. Dass auch die Zusammensetzung somatischer Zustände in Wirklichkeit nicht akkumulierend (d. h. bloß additiv aufhäufend) ist, wird mit Recht von mehreren Kommentaren kritisiert. Mayr bemerkt, 15 es komme wesentlich auf die „strukturierte Zusammensetzung“ der Teilprozesse an; Esfeld stellt fest, dass es auch keine stetig differenzierte Teilung von Körperzuständen in immer kleinere Portionierungen gibt. 16 Diesen Einwänden will ich nicht widersprechen, sondern nehme sie an. Dennoch bleibt m. E. ein signifikanter Unterschied in der Mereologie zwischen somatischen und mentalen Zuständen bestehen, indem erstere zumindest verknüpft mit räumlichen Teilen oder Stücken erscheint, auf denen sich höhere Strukturen aufbauen, während mentale Zustände, obwohl global lokalisierbar, keine zugleich räumlich koordinierte Mereologie haben. Die Mereologie körperlicher Zustände ist eine, die an die räumliche Extension und Lokalisierung geknüpft ist; die Mereologie mentaler Zustände ist es nicht.

14 Mit ‚Auftrittsschärfe‘ meine ich begriffliche Entscheidbarkeit im Sinne Freges, also scharfe Distinktion, ob ein Vorkommnis den fraglichen Begriff erfüllt oder nicht. 15 Mayr (2013), 110. 16 Vgl. Esfeld (2013), 106 f.

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VII. Zum Unterschied von biologischen Prozessen und mental qualifizierten Vorkommnissen Für biologische oder physiologische Prozesse (das sind solche, die in einem lebendigen Körper zu dessen Integration und Funktion beitragen) ist damit noch einmal betont, dass auch sie nach meiner These zu den rein somatischen Prozessen und Zuständen zu zählen sind. Damit gelangen wir zur Hauptfrage, die Mayr an aristotelische Konzeptionen wie die meinige richtet, nämlich zu der nach einem Unterscheidungsmerkmal zwischen biologischen Prozessen einerseits und mental qualifizierten Lebensepisoden andererseits. Dieser Unterschied ist deshalb intrikat, weil es offenbar Beispiele gibt (Mayr nennt Verdauung und Photosynthese), die holistisch den ganzen Organismus umfassen (= integrierte physiologische Prozesse), die aber dennoch nicht mental qualifizierte Vorkommnisse im Sinne unserer Dualität sind. Was wäre nun, allgemein ausgedrückt und abgesehen von den zur Erklärung stehenden mentalen Eigenschaften deren Abgrenzungsmerkmal im Unterschied zu biologischen Prozessen? Meine Antwort ist, dass Lebensepisoden immer biographische Bedeutung für das Leben eines individuellen Organismus haben. ‚Biographische Bedeutung‘ liegt vor, wenn ein vom Verhalten (Operieren) des Individuums gestalteter Verlauf seines Lebens die Folge ist. Der Verdauungsprozess und die Photosynthese, obwohl Bedingung des Weiterlebens der betreffenden Organismen, ist nicht ein individuell gelenkter, alternativer Verlauf des Lebens genau eines dieser Organismen. Ein alternativer Lebensverlauf liegt m. E. nur da vor, wo verschiedene Individuen gleicher Art, obwohl basal kraft der gleichen biologischen Prozesse fortexistierend, dank ihrer individuellen Verhaltensleistungen einen jeweils signifikant abgewandelten Verlauf eines solchen Lebens beschreiben. Die Verhaltensleistung bezieht sich dementsprechend auf die reaktiv gestalteten Verhältnisse zwischen dem Individuum als ganzem und seiner spezifischen Umwelt, während das bloße Fortleben durch die allgemein gleichartigen biologischen Prozesse integriert wird. 17 Dieser Unterschied von genereller biologischer Prozessualität im lebendigen Körper und individueller Verhaltensleistung spiegelt sich nach der These meines Aufsatzes auch in dem von Aristoteles angeregten Ausdruck der „Kulmination“, an den Mayr erinnert, wo er den Einwand formuliert, ich könne, wie andere Neo-Aristoteliker auch, kein Argument für den Unterschied zwischen biologischen und mentalen Vorkommnissen geben. 18 Dem ist, meine ich, nicht so. Denn die Statur einer Kulmination (‚Aufgipfelung‘ oder ‚Zuspitzung‘) ist allgemein so zu denken, dass eine gleiche Basis in unterschiedliche Gipfelzustände auslaufen kann. 19 Und dies bildet den oben genannten Unterschied zwischen biologischen Prozessen und biographischen Lebensepisoden auf der Ebene des Gesamtzustands eines einzelnen lebendigen Organismus ab: Der jeweils erreichte Gipfel ist der operative oder Leis17 Sehr viel ausführlicher und genauer habe ich diese Abgrenzung in meinem Buch Unser Verlangen nach Freiheit (Hamburg 2006) dargelegt und begründet (vgl. darin das 2. Kapitel). 18 Mayr (2013), 111. 19 Wie der Graph einer Funktion bei gleicher Basis verschiedene Maxima annehmen kann.

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tungszustand, in dem sich der Organismus individuell befindet, und welcher mentale Qualifikationen besitzt; während den über die Zeit verteilten unterschiedlichen Gipfelzuständen immer eine Integrationsbasis des Am-Leben-Seins gemeinsam ist, die durch holistisch-biologische Prozesse gewährleistet wird. Eine bestimmte Abfolge von Gipfelzuständen ergibt die konkrete Lebensepisode des Verhaltens oder der Operation eines Lebewesens, in deren Zusammenhang mentale Qualifikationen erst ihre Rolle zu spielen haben. Diejenigen lebendigen Organismen, die keine mentalen oder protomentalen Zustände haben, haben auch keine markant unterschiedlichen Kulminationen ihrer Lebendigkeit. Für diese Lebewesen zählt nur die interne und rein somatisch-biologische Prozessualität; während Lebewesen mit mentalen Zuständen immer durch den individuell geleisteten Austausch mit ihrer Umwelt etwas für den Verlauf ihres Lebens hinzugewinnen.

VIII. Sperrigkeit des Mentalen gegenüber Reduktionsansprüchen der Identitätstheorie Aufgrund der von ihm vermuteten Abgrenzungsunschärfe kommt Mayr zu dem Schluss: „Den holistischen und nichtdiffundierenden Charakter mentaler Prozesse bzgl. ihrer Träger kann der Token-Token-Identitätstheoretiker einräumen und argumentieren, mentale Vorkommnisse seien de facto mit das ganze Lebewesen präzise betreffenden physikalischen Zuständen identisch.“ 20 Zu gewissen allgemeinen Schwierigkeiten mit der Identitätstheorie, insbesondere wenn sie Zuflucht zum Konzept der Token-Identität nimmt, habe ich bereits unter Punkt II Stellung bezogen. Eine besondere Schwierigkeit seiner Anwendung auf Mentales besteht, wie jetzt deutlich wurde, darin, dass zwar der somatische Token biologischer Zustände immer binnenorganismisch, der Token mentaler Zustände aber genau besehen stets Organismus-übergreifend ist, d. h. seine ‚Ganzheit‘ schließt komplexe Relationen zwischen dem Lebewesen und seiner Umwelt ein. 21 In beiden Fällen muss für den damit koinzidenten, rein somatischen Token, wie gezeigt, die Abgrenzung dessen, was alles zu ihm gehört und was nicht, in selektiver und individuierender Hinsicht, und nunmehr (bei mentalen Phänomenen) auch unter makroskopisch-relationalen Aspekten schon vorausgesetzt werden. Woraus diese Abgrenzungserfordernisse gedeckt werden können, wenn es dergleichen nicht rein somatische Entitäten strenggenommen gar nicht gibt, ist mir unerfindlich. Der mit dem mental qualifizierten Lebewesen für identisch erklärte, rein somatische Token hat insofern etwas Parasitäres. Zwar kann ein Identitätstheoretiker immer sagen, es gebe eben auch solche hochkomplexen physikalischen Zustände, ohne dass daran etwas nicht rein Somatisches wäre. 22 Doch hat dies solange wenig Überzeugungskraft, solange nicht aufgezeigt wird, wie das mental oder lebendig Agierende aus rein somatischen Prämissen ableitbar ist. 20 21 22

Mayr (2013), 113. Vgl. dazu Fuchs (2008), z. B. 149–160. Vgl. Mayr (2013), 113.

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IX. Zur Differenz der Kausalverbindung zwischen operativen Zuständen und Geschehensabfolgen Mayr kritisiert weiterhin, 23 dass ich für das kausale Schema der Abfolge operativer Zustände innerhalb von Lebensepisoden eine losere kausale Verbindung vorschlage als für rein somatische Geschehensabfolgen. Bei einem unstrittig rein somatischen Geschehen (wie z. B. dem Abgang einer Lawine) 24 enthält nach meiner These das vorhergehende Stadium alle Kausalbedingungen für den Eintritt des nächsten; bei einer Operation nicht, sondern es kommen variable Umgebungsbedingungen hinzu, die einen gleichen operativen Leistungszustand in unterschiedliche Abfolgen einzugliedern erlauben (z. B. den gleichen von der Amsel gesungenen Ton in unterschiedliche Gesänge – je nach Steuerung durch ein Programm oder Lebenslagen). Ein Kennzeichen operativer Zustände muss immer, so scheint mir, die gleiche Wiederholbarkeit sein – sowohl durch ein einziges Individuum selbst, als auch die Wiederholbarkeit über verschiedene Individuen hinweg. Was demnach als ein bestimmter operativer Zustand zählt, kann nicht sämtliche einmaligen Umstände bis in alle Einzelheiten umfassen. Die Unterscheidung zwischen dem Zustand selbst und seiner gerade in diesem Fall stattfindenden programm- oder anlassgesteuerten kausalen Konkretisierung ist daher in der Sache wesentlich. Folgendes Beispiel kann den Unterschied illustrieren: Ein gewisser Ausschnitt aus dem gekonnten Abstieg eines erfahrenen Bergsteigers über eine Steilstufe werde verglichen mit einem entsprechenden Ausschnitt aus dem versehentlichen Abrutschen eines unerfahrenen Spaziergängers. Beide können durchaus eine sehr ähnliche Auftreffabfolge der involvierten Körperteile aufweisen, obwohl die eine in eine gesteuerte Operation, die andere in ein unkontrolliertes Fiasko eingebettet ist. Im zweiten Fall ist das vorangehende Körperauftreffereignis jeweils kausal hinreichend, um unter Einbeziehung der Geländebedingungen das je nachfolgende zu erklären, während die mentalen Zustände kausal irrelevant sind; im ersten Fall sind dagegen die mentalen Begleitprogramme, Erfahrung, Körpergefühl etc. mit zur Kausalerklärung heranzuziehen, soll sie Vollständigkeit erreichen. Wie kommt es nun, dass ein erfahrener Bergsteiger seinen Fuß genau so setzt, wie ihn der unerfahrene Spaziergänger nur zufällig und gerade in diesem einen Fall gesetzt hat? Meine These ist, dass es die mit seiner Gehirnaktivität korrelierten mentalen Qualifikationen sind, die für die Fußsetzung kausale Mitverantwortung tragen und dass die Korrelation mit gerade einer so geeigneten Gehirnaktivität ein somatischer Schlüssel für Bergsteigeroperationen ist, dessen Beschaffung nur durch eine bestimmte mental gespickte Biographie, nicht durch noch so häufige, rein somatische Abrutschvorgänge wiederum kausal erklärt werden kann. Ich behaupte nicht, dass die mentalen Zustände des Bergsteigers in diesem Moment auf seine Hirnaktivität einwirken; sondern ich sage nur, dass das Vorhandensein des passen23

Vgl. Mayr (2013), 114 f. Wie in Fn. 13 schon gesagt, gebrauche ich den Ausdruck ‚somatisch‘ nicht eingeschränkt auf Vorgänge im oder am lebendigen Körper, sondern im generellen Sinn für alles Körperliche und essentiell damit verbundene Umstände. 24

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den somatischen Schlüssels nicht ohne Heranziehung seiner lebensepisodisch verfassten und damit mental gespickten Biographie zu erklären ist. Nur unter dieser Voraussetzung einer kausalen Ergänzungsbedürftigkeit des operativen Fortgangs ist nach meiner These denkbar, dass die Besonderheit eintretender Lebenslagen kausal relevant für die Zubereitung eines passenden somatischen Schlüssels für einen bestimmten (erfolgreichen) Fortgang der begonnenen Operation ist. Wenn man alles das schon zusammen- und in die Beschreibung der Situation aufnimmt, in welcher ein Lebewesen von Operationsschritt zu Operationsschritt voranschreitet, dann ist hier selbstverständlich überall hinreichende Kausalität im Ablauf der Gesamtoperation zu unterstellen. 25

X. Sind mentale Qualifikationen von Lebensepisoden ‚emergente‘ Eigenschaften im Sinne der Emergenztheorie? Wie auch andere Kommentare erkennt Bettina Walde Defizite meines Vorschlages in der mangelhaften Standortbestimmung im Verhältnis zu den Positionen und Konzepten der anhängigen Debatte zum Leib-Seele-Problem. Diesem Vorwurf kann ich schwerlich entgehen, da der von Aristoteles inspirierte Ansatz, so wie ich ihn verstehe, keiner der heutigen Standardpositionen hinreichend entspricht, um ihn dort anzusiedeln, aber zugleich mit mehreren von ihnen jeweils unterschiedliche Gemeinsamkeiten aufweist. Man könnte es deshalb mit Tobias Müller auch als Vorzug ansehen, 26 dass die von mir bezogene Position nicht klar zuordenbar ist. Dies lässt sich gut an der nach Waldes Eindruck verwandtesten Konzeption aufzeigen, nämlich an der Emergenztheorie: „Am plausibelsten erscheint mir jedoch eine Lesart, wonach eine ‚körperlich komplexe Substanz‘ jeweils in irgendeinem Sinne die Grundlage für das Auftreten oder Emergieren seelischer Zustände ist, die insofern ontologisch eigenständig sind, als sie nicht auf physiologische und andere im weitesten Sinne physikalische Zustände zurück geführt werden können.“ 27 Gemeinsamkeiten mit einer Emergenzthese bezüglich mentaler Eigenschaften bestehen z. B. darin, dass mentale Qualifikationen von Lebewesen ontologisch neue Gegebenheiten sind, die erst mit bestimmten körperlichen Verhältnissen da und nicht der Fall waren, bevor solche anspruchsvollen körperlichen Verhältnisse auftraten. Dies ist aber noch keine These über eine generell anzunehmende kausale Abhängigkeit des Mentalen vom Körperlichen, sondern eine These über die ontologische Mannigfaltigkeit gewisser Strukturen des Wirklichen. Gemeinsam ist auch die Behauptung, dass dank der neu aufgekommenen Realität des Mentalen andersartige Kausalbeiträge in den weiteren Verlauf der Weltverhältnisse eingespeist werden – auch dem der körperlichen Verhältnisse – wie sie ohne sie nicht vorkämen. 25 Die für jeden einzelnen operativen Ablauf zu unterstellende hinreichende Kausalität wäre eine Kombination von vermögenskausalen und ereigniskausalen Elementen, wie z. B. das Gehen eines Menschen teils durch Schwerkrafteinflüsse auf die Gliedmaßen von Schritt zu Schritt, teils durch programmgesteuerte Ausübung seines Gehvermögens zustande kommt. 26 Vgl. Müller (2013), 132. 27 Walde (2013), 119.

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Doch gibt es wohl auch erhebliche Unterschiede zu den heute vertretenen emergenztheoretischen Standardauffassungen. 28 Beispielsweise sind nach meiner Meinung die ontologisch neuen Gegebenheiten nicht proportional angegliederte Zusatzeffekte oder ‚Hervorgänge‘ auf einer submergenten einfacher strukturierten Körperbasis: 29 Unter ‚emergieren‘ sei zu verstehen „auf irgendeine Weise aus den im weitesten Sinne physikalischen Merkmalen neu hervor gehen“). Vielmehr handelt es sich nach meiner These um Begleitumstände von Verhaltensleistungen oder, wie Aristoteles sagt, ‚Vollbringungen‘ individueller Substanzen im Umgang und Austausch miteinander und mit ihrer Umwelt. 30 Diese komplexen Substanzen tun etwas oder operieren als ganze und nur im Zuge solchen Operierens stellen sich nach meiner These die mentalen Qualifikationen ein. Wenn die Bedeutung von „Emergenz“ so festgelegt wird, wie Walde vorschlägt, ist also klar, dass mentale Zustände im Sinne meiner Konzeption nicht emergente Zustände jenes körperlichen Aggregats sind, das mit der lebendigen Substanz koinzidiert. Denn zwar ist der Träger ihres Vorkommens die individuelle lebendige Substanz (‚körperlich komplexe Substanz‘) – etwa der Hund hat eine Geruchswahrnehmung seines Herrn – aber der kausale Einzugsbereich für ein Auftreten mentaler Zustände ist nach meiner These gerade nicht die individuelle Körpersubstanz, sondern das lebensepisodische (biographische) Verhältnis zwischen dem Individuum und seiner spezifischen Umgebung (was ich in dem Aufsatz auch als ‚Lebenslage‘ bezeichne). An dem Vorkommen mentaler Zustände sind also bereits sehr viel mehr Konstellationen zwischen komplexen Körpern kausal beteiligt, als die betreffende Substanz, die den Zustand hat, in sich selbst überhaupt aufweist.

XI. Vertrete ich eine ‚Downward Causation‘ von mentalen auf somatische Vorkommnisse im Körper eines Lebewesens? Als Folge der Zuordnung meines Modellvorschlags zu einer Version der Emergenztheorie kommt Walde für die von mir geschilderte Weise, mentale Kausalität zu verstehen, zu dem Ergebnis, 31 es handle sich um einen Fall von Downward Causation, wie sie klassisch etwa von Charles Broad und in der heutigen Diskussion von Donald Campbell und anderen vertreten wird. 32 Denn einerseits sollen Vorgänge und Strukturen niedrigerer Stufe genuin neue Zustände, Vorgänge und Strukturen „hervorbringen“, wobei die neuen „echte kausale Kräfte“ haben, die die niedrigeren beeinflussen und nicht auf sie zurückführbar sind. Andererseits bestehe dann der Vorwurf, dass dergleichen Rückwirkungen nicht mit dem Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physikalischen Welt vereinbar seien (vgl. oben Punkt V). Ich möchte mich hier, bei der gebotenen Kürze, nicht übereilt zur Gültigkeit oder 28 29 30 31 32

Vgl. etwa Campbell (1990); O’Connor (2000), 110–125. Vgl. Walde (2013), 121 f. Vgl. dazu in meinem Sinne auch Spann (2013), 150 und Baierlé (2013), 128. Vgl. Walde (2013), 122. Vgl. z. B. die Beiträge in: Andersen/Emmeche/Finnemann/Christiansen (Hgg.) (2008).

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Nichtgültigkeit des Prinzips der kausalen Geschlossenheit des Physischen oder Physikalischen äußern. Denn zum einen ist klar, dass das Prinzip sehr verschiedene Interpretationen erhalten kann, die zu ganz unterschiedlich strikten Ausschlüssen bezüglich möglicher Kausalverhältnisse gelangen 33, zum anderen bestehen überhaupt erhebliche Einwände gegen das Prinzip als solches und seine im Grunde zirkuläre Struktur, die es nicht allzu schwer erscheinen lassen, ihm die Anerkennung zu versagen. 34 Zu beiden Fraglichkeiten verweise ich auch auf den überzeugenden Kommentar von Tobias Müller. 35 Vielmehr möchte ich, was Downward Causation betrifft, allein darauf insistieren, dass der Gedanke einer ‚Abwärtsrichtung‘ der Kausalität komplexer Emergenzresultate eben den anderen Gedanken einer zunächst stattfindenden ‚Aufwärtserzeugung‘ jener komplexen Strukturen ausgehend von den submergenten Elementen einfacherer und rein somatischer Bauart vorauszusetzen scheint. 36 Da ich aber, wie offensichtlich geworden sein dürfte, den zweiten Gedanken nicht vertrete, sehe ich mich auch auf den ersten nicht festgelegt. Ich behaupte also eine Kausalität des Mentalen, die nicht abwärts gerichtete Kausalität mit Bezug auf eine submergente Basis körperlicher Strukturen ist. Hier unterscheide ich mich wahrscheinlich auch von einer Position, wie sie Tobias Müller im weiteren Verlauf seines Kommentars als ein mir verwandtes „neo-aristotelisches Modell in der Leib-Seele-Frage“ skizziert. 37 Was ich einen ‚somatischen Schlüssel‘ für mögliches Vorrücken in lebensepisodischen Operationen lebendiger Individuen nenne und für zubereitet unter Inanspruchnahme genuin mentaler Kausalität halte, zählt jedenfalls nicht zur submergenten Basis derjenigen mentalen Zustände, die Operationen qualifizieren, welche der Schlüssel erst schließt. Vielmehr fallen jene somatischen Fragmente, die Schlüssel sein können, bei den vom fraglichen Individuum angestellten Versuchen an, in einer gewissen Lebenslage, die mit bestimmten mentalen Qualifikationen einhergeht, eine der Lebenslage entsprechende Operation zu vollziehen. Dass solche somatischen Fragmente umso wahrscheinlicher anfallen und selektiert werden, je länger und intensiver die Versuche fortgesetzt werden, würde ich nicht als Fall einer ‚Downward Causation‘ von Mentalem auf Körperliches gelten lassen, obwohl jene Versuche nach meiner These niemals kausal zu erklären sind, ohne die mentalen Qualifikationen der Lebenslage mit heranzuziehen (vgl. dazu Punkt XIII).

33

Vgl. dazu die instruktive Untersuchung von Matt (2004). Vgl. etwa Meixner (2008), 249–270. 35 Vgl. Müller (2013), 134–136. 36 Auf dieser gegenläufigen Richtung der unterstellten Kausalität gründen die Einwände von Kim gegen das Konzept der Downward Causation: „If an emergent, M, emerges from basal conditions C, why can’t C displace M as a cause of any putative effect of M? Why doesn’t C do all the work in bringing about the putative effect of M and suffice as an explanation of how the effect occurred?“ (Kim [2000], 318). 37 Müller verweist in diesem Zusammenhang (141) auf das schon zitierte Buch von Thomas Fuchs, der 122 f. ausdrücklich von „abwärts“ gerichteter Kausalität spricht. 34

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Eine Replik

XII. Läuft die Implementierung mentaler Kausalität im innerphysischen und damit prinzipiell naturwissenschaftlich zugänglichen Kontext nicht auf eine Relativierung der ontologischen Verschiedenheit hinaus? Die kritische Kommentierung durch Anne Sophie Spann stellt die von mir beabsichtigte Position zunächst so klar und präzise dar, dass die Lektüre für mich nicht nur lehrreich in Beziehung auf gewisse mit ihr verbundene Konturen und Verpflichtungen ist, denen ich zu wenig Beachtung geschenkt habe, sondern auch Schwachpunkte oder Gefahren ins Licht rückt, denen sie zuletzt erlegen sein könnte. Die wichtigste Gefahr, auf die Spann hinweist, ist die, dass man über die Einbettung mentaler Qualifikationen in den kausalen Kontext der Natur nicht deren behauptete ontologische Verschiedenheit vom rein-Somatischen am Ende wieder preisgibt: „So attraktiv dieser Vorschlag ist, es stellt sich die Frage, ob die derart garantierte Vereinbarkeit mentaler Kausalität mit einem wissenschaftlichen Weltbild nicht durch eine Relativierung der ontologischen Verschiedenheit mentaler von physischen Verfassungen erkauft ist, die zugleich auch die behauptete Wirklichkeit mentaler Kausalität in Gefahr bringt.“ „Wenn mentale Zustände […] selbst als eine Spielart des Physischen angesehen werden müssen, trifft die von Buchheim an der Identitätstheorie geübte Kritik, die vermeintliche mentale Verursachung sei gar keine echte mentale Verursachung, dann nicht auch seine eigene Theorie?“ 38 Ich denke, dass mein Vorschlag dieser immerhin drohenden Gefahr nicht erlegen ist, weil, wie schon öfter betont, keine vorgreifliche ontologische Einschränkung mit den Worten ‚physisch‘ oder ‚empirisch-objektiver‘ – um nicht zu sagen ‚physikalischer‘ – Wissenschaft zugänglich verbunden werden muss. Die Natur und das Natürliche oder Physische werden von alters her nicht dadurch definiert, dass sie bestimmte Sachbereiche a priori ausschließen würden, sondern dadurch, dass es sich um einen in sich kausal vernetzten und kraft dessen aus sich selbst heraus zur Entfaltung gelangenden Großzusammenhang von Dingen und Wesen handelt, in dem unter anderem auch Menschen vorkommen. Essentiell für das Physische ist nicht, nur einen bestimmten Typus von Beschaffenheit zuzulassen, sondern angebunden an alles sich aus sich selbst Entwickelnde zu sein. Deswegen kann man mit großer Überzeugungskraft vertreten, dass z. B. Gott oder die natürlichen Zahlen, wenn es sie gibt, nichts Physisches sind; aber prima facie überhaupt nicht einleuchtend ist dies für das ‚Seelische‘ oder ‚Mentale‘. Auf der anderen Seite wird niemand so ohne weiteres das Physische mit dem Materiellen oder gar Körperlichen identifizieren wollen, solange es vieles gibt, was unstrittig zur Natur gehört, aber nicht selbst ein materieller Gegenstand ist, wie z. B. Raum und Zeit oder auch ‚Richtung‘, ‚Spin‘ oder ‚Ordnung‘. Wenn also davon ausgegangen werden darf, dass das, was Natur ist, ontologisch reicher bestimmt ist, als durch das rein Somatische und seine inhärenten Strukturen, welche die heutige Physik erfasst und naturgesetzlich zu beschreiben erlaubt, bereits ausgeschöpft wird, dann ist die von mir in Anspruch genommene ontologische Verschiedenheit zwischen Mentalem und Somatischem konsistent aufrecht38

Vgl. Spann (2013), 147.

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zuerhalten, ohne prinzipiell wissenschaftlich erforschbare Wechselbeziehungen zwischen beidem in Abrede stellen zu müssen.

XIII. Nicht vertikal, sondern horizontal gerichtete mentale Kausalität Mit großem Scharfsinn wird von Spann herausgearbeitet, dass nach meinem Modellvorschlag diese Kausalität nicht direkt zwischen mentalen Vorkommnissen oder gar ‚Ereignissen‘ und körperlichen Prozessen stattfindet. Vielmehr sind die Relata der Kausalrelation auf der einen Seite das in Lebensepisoden mit mentalen Qualifikationen begriffene Individuum, auf der anderen Seite bestimmte rein somatische (biologische) Vorkommnisse in dessen Körper, für welche ich die Bezeichnung ‚somatische Schlüssel‘ zu Operationen oder Verhaltensleistungen vorschlage: „Was eigentlich kausal wirksam ist, sind genaugenommen nicht die mentale Verfassungen, sondern das Lebewesen, das gewisse mentale Verfassungen als seine (Lebens-) Leistungen vollbringt.“ 39 Dennoch stellt sich hier natürlich die schwer zu beantwortende Frage, wie das eigentlich vor sich gehen soll, dass das Lebewesen kraft operationaler Zustände auf die Bereitstellung somatischer Schlüssel kausalen Einfluss besitzt? Mit einer solchen Umformulierung ist das Problem selbst, wie mentale Qualifikationen kausale Relevanz innerhalb körperlicher Kontexte haben können, ja noch nicht verschwunden: „Wie ist es möglich, dass bestimme mentale Verfassungen eines Lebewesens – etwa die Wut der Affen – bestimmte neuronale Muster begünstigen, wie funktioniert das? Oder genauer: Wie kriegen die Affen das hin – denn sie sind es ja, die im fraglichen Experiment etwas tun –, ihre Hirnströme, begünstigt durch bestimmte mentale Verfassungen, umzulenken?“ 40 Die neuralgische Stelle meines Konzepts kommt durch diese Formulierung nur umso besser zum Vorschein, so dass Spann mit einem gewissen Recht befürchtet: „Der metaphysisch heikle Punkt, wie Mentales auf Physisches wirken kann, bleibt auch in der von Buchheim vorgeschlagenen neoaristotelischen Reformulierung des Problems mentaler Kausalität dunkel.“ 41 Tatsächlich lasse ich in dem kritisierten Aufsatz diesen Punkt weitgehend im Dunkeln. Und ich kann ihn auch nur insoweit mehr erhellen, als ich vorstellungshafte Erläuterungen dazu gebe, wie die Affen (und auch wir selbst im Fall des Falles) so etwas ‚hinkriegen‘, während ich nicht wissenschaftlich erklären kann, wie und warum das überhaupt geht. Letzteres müsste man nach meiner Überzeugung vielmehr (und könnte man womöglich) experimentell erst erforschen. An der von Spann herausgestrichenen kausalen Verbindungstelle zwischen der Existenz lebendiger Individuen und deren Lebenslagen einerseits und dem, was weiterhin – auch körperlich – in der Welt geschieht andererseits, kommen nach meiner Ansicht Kategorien ins Spiel, die in der unbelebten Natur keine Bedeutung 39 40 41

Spann (2013), 148. Spann (2013), 150. Spann (2013), 148.

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besitzen. Die mir wichtigste Kategorie in diesem Zusammenhang ist die Kategorie der vorteilhaften Chancen, d. h. überhaupt die Kategorie des Guten (daher die Rede von ‚Begünstigung‘). Mit dem Leben wird die Kategorie des Guten angezapft für den kausal gestrickten Fortgang des Weltlaufs. Wie findet nun ‚Begünstigung‘ bei der Findung eines somatischen Schlüssels statt? Antwort: Durch Wiederholungversuche (Vertiefungsversuche, Kontrollversuche) mit Beziehung auf einen möglich vorteilhaften Fortgang des durch die Lebenslage akzentuierten, d. h. als ‚positiv‘ ausgezeichneten operativen Elements. Ein Versuch, jeder Versuch nimmt sich auf gewisse wahrgenommene Chancen hin zusammen. Es handelt sich um ein komplexes synästhetisch-motorisches Modul, das überall einsetzbar ist, keine einfache Wahrnehmung. Denn das versuchende Individuum in der spezifischen Lebenslage ist einerseits empfänglich für den Wert oder die Bedeutung des ihm jetzt noch verschlossenen operativen Zustands und variiert andererseits zugleich gewisse motorisch bestimmte Einzelzüge der Lebenslage, in der es sich schon befindet. Über ein solches mental komplexes Modul werden die jeweils (je nach Lebenslage) bedeutsamen oder günstigen somatischen Schlüssel identifiziert, stabilisiert und man gewinnt zunehmend Kontrolle über sie. Beispielsweise schafft ein bestimmter Schlüssel in Affengehirnen eine viel höhere Konnektivität (Konjunktur, Leistungslust) in der entsprechenden Lebenslage, anders als etwa in Schneckengehirnen. Deshalb kommen Schnecken nie auf den somatischen Schlüssel bestimmter Operationen, d. h. Schnecken tun niemals, was Affen manchmal tun; Affen niemals, was Menschen manchmal tun. Hier ist m. E. die Gefahr gebannt, auf die Spann hinweist, nämlich dass es gar nicht mehr die mentalen Qualifikationen sind, welche kausal relevant sind, sondern nur verkappte somatische Aggregate. Denn das beschriebene Modul funktioniert nur in der Kombination seiner mentalen Angelpunkte. Letztlich ist das Beschriebene ein Konzentrationsphänomen! Hätten wir nicht Lebewesen, gäbe es keine biographische Konzentration. Nichts setzte seine Kraft und Zeit auf irgendetwas. Leben aber – im Unterschied zu Totem – setzt Ressourcen auf Chancen.

XIV. Ist mentale Kausalität im beschriebenen Sinn Akteurskausalität? Während Spann mit Blick auf den zuletzt gestreiften Aspekt meiner Konzeption eher vorsichtig gewisse Verwandtschaft mit einer „Form von Akteurskausalität“ attestiert, 42 erklärt Baierlé es vollends für geboten, die Rede von einer Kausalität „mentaler Ereignisse“ zu ersetzen durch die akteurskausale These, „Subjekte können Handlungsfähigkeiten ausüben, um Ereignisse hervorzubringen“ und eine Handlung sei generell „das Hervorbringen des Handlungsergebnisses durch das Subjekt“ 43. Auf der einen Seite ist richtig, dass ich eine ereigniskausale Rekonstruktion mentaler Verursachung nicht für sinnvoll halte: Mentale Zustände sind Qualifikationen von Lebensepisoden substantieller lebendiger Individuen, nicht aber iso42 43

Vgl. Spann (2013), 151. Vgl. Baierlé (2013), 127 f.

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liert eintretende ‚Ereignisse‘, die für sich genommen Ursachen für irgendwelche Effekte wären. Auf der anderen Seite möchte ich jedoch auch nicht ohne eine Reihe von fälligen Differenzierungen einer akteurskausalen Konzeption das Wort reden, wonach das ‚Subjekt selbst‘ oder die betreffende Substanz abseits bestimmter zeitlich vorausgehender Modifikationen ihres Zustands Ursache aller denkbar verschiedenen Aktionen und Handlungen wäre. Denn eine solche Auffassung von Akteurskausalität ermöglicht zum einen keine erkenntnisträchtigen kausalen Erklärungen, zum anderen wird sie ohne zeitlich geordnete Sukzessivität m. E. dem Gedanken der Verursachung als solcher nicht gerecht. Ich sehe es deshalb als unerlässlich an, den Gedanken ursächlicher Hervorbringung durch einen Akteur mit einer Theorie bestimmter Vermögen zu ergänzen, die deren ontologische Charakteristik, ihren Erwerb, Besitz, Ausbildung und Gebrauch, Schwächung und eventuell auch wieder Verlust in der Zeit und unter wechselnden Bedingungen differenziert beschreibbar macht. 44 Mentale Kausalität ist zwar immer Kausalität eines lebendigen Individuums, insofern freilich die Kausalität eines ‚Akteurs‘, wenn man so will, aber dies stets nur unter Voraussetzung einer bestimmten, vorübergehenden Lebenslage und kraft des Einsatzes konkreter Vermögen, deren Besitz als eine tatsächliche Eigenschaft von ihm ausweisbar sein muss. Deshalb würde ich für meinen Teil lieber von einer ‚vermögenskausalen‘ anstatt ‚akteurskausalen‘ Konzeption sprechen. Die These von der mentalen Kausalität, wie ich sie vertrete, soll je nach mentaler Qualifikation der konkreten Lebensepisoden und insgesamt eingebettet in die sukzessive Zeitlichkeit des organischen Lebens höchst unterschiedliche und signifikante Kausalbeiträge des Mentalen zu spezifizieren erlauben. Es sind jeweils bestimmte Aufzüge von makroskopischen Konstellationen in der auch physikalisch zu beschreibenden Wirklichkeit, welche einem Lebewesen kraft bestimmter – erworbener oder angeborener – Vermögen erlauben, in Verbindung mit bestimmten mentalen Qualifikationen seiner Lebensepisoden in ganz bestimmte operative Zustände einzutreten. Und dies alles ist zwar unterlegt mit einem Geflimmer aus mikrophysikalisch auflösbaren Feinstrukturen rein somatischer Zustände und Verbände, aber in seiner gesamtartigen Sukzession nicht vollständig zu erklären mit Rückgriff allein auf diese Feinstrukturen.

XV. Freiheit oder Epiphänomenalismus des Mentalen Aus Walters kundiger und umsichtiger Examinierung der eher begrenzten Reichweite von Daniel Wegners Studie zur Illusion des bewussten Willens 45 für die Frage, ob unser Tun und Wollen das Prädikat der Freiheit verdienen könnte oder nicht, habe ich einiges gelernt. Walter hat m. E. völlig Recht, dass aus den von Wegner beschriebenen Experimenten einer möglichen Freiheit unserer Handlungen noch kaum Schaden erwächst. 44 Schritte zu einer solchen Theorie unternehme ich in meinen Beitrag „Vermögen als Ursachen“, in: Runggaldier/Spann (Hgg.) (erscheint 2014). 45 Wegner (2002).

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Weniger Zustimmung hege ich in Beziehung auf diejenigen Aspekte von Walters Abhandlung, die sich auf das Thema der mentalen Kausalität beziehen. Wenn Walter schreibt: „Dass wir letztlich nicht mehr als komplex organisierte Zellsammlungen sind, bedeutet nicht, dass unsere mentalen Zustände kausal unwirksam sind. Eine Reduktion – und nichts weniger wird durch die Wendung des ‚nicht mehr als‘ angedeutet – ist weder eine Elimination noch impliziert sie die kausale Irrelevanz des Reduzierten“, 46 so möchte ich (wie auch Spann) gerade einwenden, dass in dem beschriebenen Fall eben nicht mentale Qualifikationen als solche zur kausalen Erklärung eines physischen Geschehens herangezogen werden, sondern stellvertretend immer nur die – in den Augen Walters wohl ‚token-identischen‘ – rein somatischen Komponenten in den Körpern von Lebewesen. Ein bloßer Epiphänomenalismus des Mentalen wie Walter ihn am Ende explizit vertritt, hat wie schon Aristoteles sah, die Misslichkeit, eben nur somatische Zustände als erklärungsrelevant für alle Phänomene der Wirklichkeit heranziehen zu können. 47 Nicht unser Denken und dessen Qualifikationen (wie z. B. Intentionalität und semantischer Gehalt, Wahrheit, Wertschätzung, Negativität und Emotivität) sind kausal irgendetwas wert, sondern nur die mit dem Denken verknüpften somatischen Ereignisse, die ihrerseits solche Qualifikationen gar nicht besitzen. Im Einklang mit dieser These will Walter auf den letzten Seiten zeigen, dass selbst die Qualifikation der Freiheit mit Verhältnissen vereinbar wäre, in denen unsere mentalen Zustände keinerlei kausale Kraft in Bezug auf den Fortgang unserer Handlungen hätten, sondern insgesamt rein „epiphänomenal“ zu verstehen wären – wenn es also gar keine mentale Kausalität gäbe. Sein Argument ist in diesem Punkt kaum ausgeführt, aber nach meiner Überzeugung schon im Ansatz viel zu schwach. Walter geht von der im weitesten Sinn Kantischen Annahme aus, dass Freiheit dann vorliegt, wenn insgesamt „eine Leitung der Vernunft“ für unser Handeln sichergestellt ist; 48 eine solche Leitung der Vernunft bestünde aber Walter zufolge schon dann, wenn nur irgendein – nicht unbedingt kausaler – „intelligibler Zusammenhang“ „zwischen unserem Tun einerseits und unseren diesem Tun vorangehenden mentalen Zuständen anderseits“ stattfinde. 49 Der betreffende intelligible Zusammenhang sei jedoch nicht von kausaler Art. Vielmehr erfordere er nur „stabile kontrafaktische Abhängigkeiten zwischen unseren mentalen Zuständen und unserem Tun, aber diese kontrafaktischen Abhängigkeiten müssen nicht notwendig auf Kausalbeziehungen beruhen.“ 50 Kontrafaktische Abhängigkeit bedeute lediglich, es müssten Sätze zutreffen wie: „der Straftäter hätte die Tat nicht begangen, hätte er sich nicht dafür entschieden, oder er hätte sie unterlassen, hätte er sich klar gemacht, dass er damit sein Leben ruiniert“ 51. So wichtig stabile kontrafaktische Abhängigkeiten zwischen mentalen Zuständen und dem realen Tun eines Menschen auch aus meiner Sicht für die Freiheit sind, 46 47 48 49 50 51

Walter (2013), 157. So kritisch gegen den Epiphänomenalismus auch Müller (2013), 138 f. Walter (2013), 170. Walter (2013), 170. Walter (2013), 170. Walter (2013), 170.

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so sind sie in dieser Form doch noch nicht hinreichend, um von Entscheidungen eines Menschen, geschweige denn von freien Entscheidungen sprechen zu können. Hinzukommen muss vielmehr die Möglichkeit oder besser ein zu Gebote stehender Weg, wie ein und derselbe Mensch es zu irgendeiner Zeit anstellen könnte, in einem anderen mentalen Zustand als bislang de facto und damit auch in einem anderen neurophysiologischen Zustand als bislang de facto zu sein. D. h., es stellt sich die Frage, wie bestimmte Kopplungen von mentalem Zustand einerseits und neurophysiologischen Prozessen andererseits überhaupt etabliert und de-etabliert werden können. Dies scheint doch nur durch eine kausale Brücke möglich zu sein und ist dann entweder von irgendwelchen mentalen Qualifikationen abhängig oder einzig und allein von neurophysiologischen Ursachen. Wenn letzteres, dann gibt es keine Entscheidungen des Menschen, sondern es sieht nur so aus. Auch Locke, auf dessen Konzeption sich Walter explizit beruft, fordert dies, wenn er sagt: „[…] we are endowed with a power to suspend any particular desire, and keep it from determining the will, and engaging us in action“ 52. Ein solches Vermögen (‚power‘) kann aber nur gegeben sein, wenn es einen kausal zu interpretierenden Zugang zum vermochten Sachverhalt gibt. So stellt sich immer das nur kausal zu bewältigende Problem, wie wir das, was wir zugegebenermaßen (kontrafaktisch) anders hätten entscheiden können, zu irgendeiner Zeit anders entscheiden würden, als wir es unter gegebenen Umständen tun; und wie wir dazu gebracht werden können, etwas, das wir anders entschieden hätten, de facto anders zu entscheiden, als wir es ohne diese Intervention getan hätten usw. Wenn wir hier einen strikten mentalen Epiphänomenalismus ohne jede kausale Relevanz des Mentalen unterstellen, dann könnte trotz des eingeräumten „intelligiblen“ Zusammenhangs niemals eine Änderung unseres Handelns aufgrund einer veränderten Qualifikationen unserer Mentalität (wie z. B. aufgrund einer neue Einsicht) eintreten. Da also die Freiheit schon ihrem Begriff nach den Sachverhalt geistig veranlasster Ursächlichkeit enthält, ist sie in meinen Augen mit einem Epiphänomenalismus des Mentalen inkompatibel.

LITERATURVERZEICHNIS Andersen, P. B./ Emmeche, C./ Finnemann, N. O./ Christiansen, P. V. (Hgg.) (2000), Downward Causation. Minds, Bodies and Matter, Århus. Baierlé, E. (2013), „Sollte das Standardmodell der mentalen Verursachung aufgegeben werden?“, in: Philosophisches Jahrbuch 1, 124–130. Buchheim, Th. (2006), Unser Verlangen nach Freiheit, Hamburg. Buchheim, Th. (2014), „Vermögen als Ursachen“, erscheint in: E. Runggaldier/A.-S. Spann (Hgg.), Vermögen und Handlung, Paderborn. Campbell, D. T. (1990), „Levels of Organization, Downward causation, and the Selection-Theory Approach to Evolutionary Epistemology“, in: G. Greenberg/E. Tobach (Hgg.), Theories of the Evolution of Knowing, Hillsdale, 1–17. Esfeld, M. (2013), „Von Descartes lernen“, in: Philosophisches Jahrbuch 1, 102–108.

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Locke (1975), 266.

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Fuchs, Th. (2008), Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption, Stuttgart. Kant, I (1998), Kritik der reinen Vernunft [1781], hg. v. J. Timmermann, Hamburg. Kim, J. (2000), „Making Sense of Downward Causation“, in: P. B. Andersen u. a. (Hgg.), Downward Causation. Minds, Bodies and Matter, Århus, 305–321. Locke, J. (1975), An Essay concerning Human Understanding [1690], hg. v. P. H. Nidditch, Oxford. Matt, G. (2004), Ein Vorschlag zur Auflösung des Trilemmas der psychophysischen Kausalität im Formalismus der Ereignisalgebra (Diss. München), Berlin. Mayr, E. (2013), „Neo-Aristotelismus, Identitätstheorie und mentale Verursachung“, in: Philosophisches Jahrbuch 1, 109–116. Meixner, U, (2008), „Physikalismus, Dualismus und intellektuelle Redlichkeit“, in: M. F. Peschl/A. Batthyany (Hgg.), Geist als Ursache? Mentale Verursachung im interdisziplinären Diskurs, Würzburg, 249–270. Müller, T. (2013), „Zur Möglichkeit und Wirklichkeit mentaler Verursachung“, in: Philosophisches Jahrbuch 1, 131–143. O’Connor, T. (2000), Persons and Causes. The Metaphysics of Free Will, Oxford. Spann, A. S. (2013), „Dualität im Horizont des Physischen. Thomas Buchheims ‚horizontaler Dualismus‘ als Antwort auf das Problem mentaler Verursachung“, in: Philosophisches Jahrbuch 1, 144–153. Walde, B. (2013), „Zur aristotelischen Perspektive auf die Frage nach der kausalen Relevanz von Bewusstseinsinhalten“, in: Philosophisches Jahrbuch 1, 117–123. Walter, S. (2013), „Mentale Verursachung und Willensfreiheit: Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist?“, in: Philosophisches Jahrbuch 1, 154–173. Wegner, D. (2002), The Illusion of Conscious Will, Cambridge, MA. [email protected]

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Beitrag zur Fortführung der Debatte um Buchheims neo-aristotelischen Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität Bettina WALDE (München)

Der folgende Beitrag, der an die im Band 2012/2 begonnene Jahrbuch-Konferenz zur mentalen Verursachung anknüpft, greift zunächst einige Punkte aus der Replik Buchheims 1 auf. Hierbei handelt es sich unter anderem um die Positionierung der Buchheim’schen Auffassung zur mentalen Verursachung innerhalb eines Spektrums an Positionen, wie sie in Anknüpfung an Aristoteles zum Leib-Seele-Problem vertreten wurden. Schließlich folgen einige Bemerkungen zu Sven Walters 2 Beitrag zur Jahrbuch-Konferenz. Sie umfassen die Korrektur einiger inhaltlicher und argumentativer Punkte, betreffend die Interpretation anderer Autoren. Inhaltlich verlagert sich dabei der Schwerpunkt der Diskussion auf Fragen der Willensfreiheit im Kontext der Problematik der mentalen Verursachung, da S. Walters Beitrag sich primär auf diesen Zusammenhang bezog und die klärenden Hinweise in diesem Bereich erforderlich sind. I. Zur Positionierung der Buchheim’schen Konzeption zwischen emergentistischen, funktionalistischen und supervenienzbasierten Aristoteles-Interpretationen: Erweiterung dessen, was zur Natur zählt, um Mentales Das Anliegen meines ersten Beitrages zur Jahrbuch-Konferenz 3 über mentale Verursachung bestand darin, den Versuch zu unternehmen, den Buchheim’schen neo-aristotelischen Ansatz einer der gängigen Aristoteles-Interpretationen zuzuordnen. Der Grund hierfür lag darin, dass Buchheim seine Konzeption in einer eigenen Terminologie formuliert, die nicht deckungsgleich mit derjenigen ist, die derzeit in der eher analytisch orientierten Philosophie des Geistes verwendet wird. Um abschätzen zu können, inwieweit es möglicher Weise dennoch inhaltliche Übereinstimmung gibt, wollte ich die genannte Zuordnung versuchen. Das Vorhaben erwies sich insofern als schwierig, als die von Buchheim vorgeschlagene Position 1 2 3

Buchheim (2013), 372–393. Walter (2013), 154–173. Walde (2013), 117–123.

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Elemente unterschiedlicher Aristoteles-Interpretationen bzw. unterschiedlicher Positionen zum Leib-Seele-Problem aufweist. Buchheims Replik 4 sind nun, insbesondere auch in der Antwort auf A. S. Spann, weitere Hinweise zur Klärung dieser Frage zu entnehmen. Buchheim greift in seiner Replik einen Punkt auf, der schon in der ursprünglichen Konzeption 5 eine wichtige Rolle spielte, dem ich dort aber zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte – es handelt sich dabei um die von Buchheim zugrunde gelegte Auffassung der Natur. Buchheim stellt in der Antwort auf Spann deutlich klar, dass er alles Mentale als Teil der Natur begreift: Die Natur und das Natürliche oder Physische werden von alters her nicht dadurch definiert, dass sie bestimmte Sachbereiche a priori ausschließen würden, sondern dadurch, dass es sich um einen kausal vernetzten und kraft dessen aus sich selbst heraus zur Entfaltung gelangenden Großzusammenhang von Dingen und Wesen handelt, in dem unter anderem auch Menschen vorkommen. […] Deswegen kann man mit großer Überzeugungskraft vertreten, dass z. B. Gott oder die natürlichen Zahlen, wenn es sie gibt, nichts Physisches sind; aber prima facie überhaupt nicht einleuchtend ist dies für das ‚Seelische‘ oder ‚Mentale‘. 6

Buchheim verweist dann weiter darauf, dass das Physische allerdings nicht mit dem Materiellen oder gar Körperlichen gleichgesetzt werden dürfe, was sicherlich kaum in Zweifel zu ziehen ist. Zudem sei die Natur, einschließlich des Mentalen, reicher bestimmt, als durch das rein Somatische. Diese Zeilen, zusammengelesen mit den Ausführungen in Buchheims ursprünglicher Konzeption mentaler Verursachung, scheinen nunmehr das folgende Bild des Zusammenhangs von Mentalem und Physischem nahe zu legen: Mentales ist weder mit einem Teilbereich des bislang als solches geltenden Physischen identisch, noch scheint es durch das Physische realisiert zu sein, vielmehr kann man Buchheims Ausführungen entnehmen, dass der Bereich dessen, was wir in einem naturwissenschaftlichen Weltbild bislang als zur Natur gehörend und als physisch betrachten, um Mentales zu erweitern wäre. Das, was wir bislang vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlichen Weltbildes als zur Natur gehörend und als physisch betrachten, wäre demnach aber auch unvollständig gewesen – jedenfalls wenn man psycho-physische Identitätstheorien einmal außer Acht lässt. Zudem, so stellt Buchheim in seiner Replik klar, ist Mentales nicht als etwas aufzufassen, was auf der Grundlage bereits vorhandener physischer Zusammenhänge und Gegebenheiten emergieren würde: „Beispielsweise sind nach meiner Meinung die ontologisch neuen Gegebenheiten nicht proportional angegliederte Zusatzeffekte oder ‚Hervorgänge‘ auf einer submergenten, einfacher strukturierten Körperbasis […]“ 7. Buchheims Auffassung weist in dieser Hinsicht vielmehr – mit den Unterschieden zu emergentistischen Konzeptionen des Mentalen bei gleichzeitiger Erweiterung des Bereichs des Physischen um Mentales – eine gewisse Nähe zu panpsychistischen Positionen auf (möglicherweise aber auch nur auf den ersten Blick). 4 5 6 7

Buchheim (2013), 372–393. Wie in Buchheim (2012), 332–346, dargestellt. Buchheim (2013), 387. Buchheim (2013), 385.

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Beitrag zur Fortführung der Debatte

Panpsychistische Konzeptionen des Mentalen gehen regelmäßig mit einem Eigenschaftsdualismus einher, wonach mentale Eigenschaften zugleich in einem Sinne als fundamental aufgefasst werden, der sie zur Basis des Physischen macht. Mentales geht dort dem, was wir als physisch charakterisieren voraus, oder aber es wird eine Vorstufe des Mentalen postuliert, die sowohl für das Mentale als auch das Physische konstituierend sein soll 8. Ähnliches scheint Buchheim anzudeuten, wenn er etwa darauf hinweist, dass die physischen Zustände eines Menschen als die „Begleiterscheinungen“ (oder in einigen Fällen auch als Folgen) seiner mental charakterisierten „operativen Zustände“ aufgefasst werden müssen. 9 Dennoch müssen mentale Eigenschaften als grundlegender als die physischen aufgefasst werden. Gegenüber einem klassischen interaktionistischen Dualismus hat Buchheims Position den Vorzug, nicht auf die Charakterisierung des Mentalen als nicht-physisch verpflichtet zu sein – dies macht die Erweiterung der Natur und des Physischen um Mentales möglich. Das Problem des klassischen Interaktionismus, die Interaktion zwischen Physischem und Nicht-Physischem, Mentalen nicht erklären zu können und auch noch – gegen die Prinzipien der kausalen Geschlossenheit – annehmen zu müssen, es könnte physikalische Ereignisse geben, die durch nicht-physikalische Ereignisse verursacht werden, wird so zunächst vermieden. Allerdings stellen sich nun andere explanatorische Herausforderungen: So muss man etwas dazu sagen, wie eine Erweiterung des Physischen um Mentales aussehen soll, wie genau also all die etablierten naturgesetzlichen und gesetzesartigen Zusammenhänge zu erweitern sind, die wir für das, was wir bislang in einem naturwissenschaftlichen Weltbild zur Natur und zum Physischen gerechnet haben, akzeptieren. Buchheim ist sich dessen bewusst, dass seine Position, gerade mit Blick auf die Frage, wie genau in seiner neo-aristotelischen Konzeption Mentales auf Physisches wirkt, mit einer Menge offener Fragen einhergeht – dies macht seine Replik in der Antwort auf Spann deutlich. 10 Er beruft sich darauf, dass es derartige explanatorische Zusatzaufgaben auch in Bezug auf andere Ansätze zur Erklärung des Zusammenhangs von Mentalem und Physischem gibt, und verweist darauf, dass beispielsweise eine Theorie der psycho-physischen Typenidentität ihre Aufgaben bislang auch nicht adäquat lösen könne. 11 Und denkt man an die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts immer deutlicher hervorgetretenen Schwierigkeiten bei der Erklärung phänomenalen Bewusstseins, von denen insbesondere reduktive Ansätze wie eine Typenidentität betroffen sind, so darf man Buchheim hier sicherlich recht geben. Sowohl dualistische, als auch monistische Konzeptionen des Mentalen sind mit nicht gerade unerheblichen Schwierigkeiten und explanatorischen Lasten behaftet, die es zu lösen gilt.

So zum Beispiel Chalmers (1996), 124–129. Siehe hierzu die Ausführungen in Buchheim (2012), 338. 10 Siehe Buchheim (2013), 388. 11 Siehe Buchheim (2013), 374. 8 9

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II. Übersetzungsfehler als Grundlage der Kritik an Dan Wegner? Im Kontext der im Philosophischen Jahrbuch geführten Debatte um eine adäquate Konzeption der mentalen Verursachung wurde auch die Frage aufgeworfen, welche Auswirkungen spezifische Thesen zur mentalen Verursachung auf unterschiedliche Auffassungen der Freiheit haben. Sven Walter greift im Zusammenhang mit dieser Frage in seinem Beitrag vor allem die Forschungsarbeiten Dan Wegners auf und unterzieht sie einer umfassenden Kritik, an deren Ausgangspunkt offensichtlich Schwierigkeiten bei der Lektüre des Buches Dan Wegners 12 stehen. Walter führt dies, sei es nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt, in seinem Kommentar wie folgt vor: Welchen Sinn macht überhaupt eine sprachliche Wendung wie „[w]e feel that we cause ourselves to behave“? Wir mögen das Gefühl haben, der Handelnde zu sein, wir mögen uns sogar als Ursache unserer Handlungen empfinden, aber ist es nicht ausgemachter Unsinn zu sagen, wir fühlten, dass wir uns selbst in unserem Handeln verursachen? Ungeachtet dieser offenkundigen Ungereimtheiten hat Wegners Buch ihn in die erste Reihe empirischer Freiheitsskeptiker katapultiert. 13

Das englische Zitat im Zitat entnimmt Walter dabei dem Buch Wegners und macht es, in der obigen falschen deutschen Übersetzung, die von Walter selbst stammt, mit zur Grundlage seiner Kritik an Wegner. Tatsächlich, d. h. korrekt übersetzt, besagt Wegners Satz: „Wir fühlen, dass wir uns selbst veranlassen, uns zu verhalten“. Knapp und mit weniger Nähe zum Originaltext: „Wir fühlen, dass wir selbst unser Verhalten verursachen“. Die Walter’sche Übersetzung „Wir fühlten, dass wir uns selbst verursachen“ dagegen wäre tatsächlich „ausgemachter Unsinn“ 14, wie Walter selbst bemerkt – allerdings liegt der „ausgemachte Unsinn“ in Walters eigener Übersetzung und nicht etwa im Wegner’schen Original-Text, wie Walter behauptet. Dieser Zusammenhang wird nochmals deutlicher, wenn man den Kontext des Wegner’schen Satzes mitbeachtet – Wegner schreibt im vorangehenden Satz: „[…] we appreciate the notion of conscious will because we experience it so very acutely. We do things, and when we do them, we experience the action in such a way that it seems to flow seamlessly from our consciousness. We feel that we cause ourselves to behave.“ 15 Leider ist es mit diesem einen Übersetzungsfehler nicht getan, ich greife deshalb noch einen weiteren heraus, der sich im selben obigen Satzfragment findet. Walter übersetzt den kurzen Halbsatz weiter mit: „Wir fühlten, dass wir uns selbst in unserem Handeln verursachen“ [meine Kursivierung]. Nun steht tatsächlich nirgendwo in Wegners Satz etwas von „in acting“ oder „in action“. Offenbar entnimmt Walter seine Übersetzung „in unserem Handeln“ der englischen Vokabel „to behave“. Diese Vokabel wird, in Abhängigkeit vom Kontext, üblicherweise mit „sich verhalten“

12 13 14 15

Gemeint ist Wegner (2002). Walter (2013), 158. Walter (2013), 158. Wegner (2002), 2.

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oder „sich benehmen“ übersetzt. 16 Bei der Walter’schen Übersetzung von „to behave“ mit „in unserem Handeln“ anstelle von „sich verhalten“ liegt also entweder ein Vokabelfehler vor oder sogar eine sachliche Verwechslung oder Gleichsetzung von Verhalten mit Handeln. Wegner spricht in seinem Buch an der fraglichen Textstelle über jenes menschliche Verhalten, von dem wir den Eindruck haben und die Erfahrung machen, dass wir es selbst verursachen oder veranlassen. Jenes Verhalten, das mit der Erfahrung verbunden ist, dass wir es selbst verursachen oder veranlassen, wird üblicherweise als ein Handeln aufgefasst. Die Ausdrücke „verhalten“ und „handeln“ oder „Verhalten“ und „Handeln“ in einer Übersetzung auszutauschen, verfälscht nicht nur den Sinn dessen, was im Originaltext gesagt wurde, es ist darüber hinaus sowohl aus philosophischer als auch aus psychologischer als auch aus strafrechtlicher Perspektive geradezu verheerend, insbesondere wenn es um Fragen der Willens- und Handlungsfreiheit sowie der Verantwortungszuschreibung geht. Insgesamt scheint es, dass Walter die moralische Maxime des „principle of charity“ 17 bei der Lektüre fremder Texte nicht nur missachtet, sondern es geradezu in sein Gegenteil verkehrt, ein „principle of maliciousness“: Von mehreren seiner eigenen Deutungen des Wegner’schen Satzes wählt er tatsächlich die allerabwegigste: „Wir mögen das Gefühl haben, der Handelnde zu sein, wir mögen uns sogar als Ursache unserer Handlungen empfinden, aber ist es nicht ausgemachter Unsinn zu sagen, wir fühlten, dass wir uns selbst in unserem Handeln verursachen?“ 18 Und schließlich möchte ich noch anfügen: Ich bin durchaus keine Anhängerin 19 sämtlicher philosophischen Schlussfolgerungen, die Dan Wegner in seinem Buch zieht, sehr wohl aber eine Freundin des wissenschaftlich korrekten Umgangs mit kritisierten Autoren. III. Einige grundsätzliche Bemerkungen zum Zusammenhang zwischen dem subjektiven Eindruck, etwas bewusst gewollt zu haben, und der Freiheit von Handlungen Nun aber zurück zu den mehr inhaltlichen Problemen. Ich hatte bereits erwähnt, dass spezifische Thesen zur mentalen Verursachung sich auch darauf auswirken, welche Auffassungen der Freiheit man überhaupt noch vertreten kann und welche nicht. Walter stellt in diesem Zusammenhang die folgende Frage in den Raum: „Wer würde ernsthaft behaupten, eine Handlung sei nur dann frei, wenn sie durch das Gefühl, sie bewusst gewollt zu haben, verursacht wurde?“ 20 Nun, man kann verDas ist einem englisch-deutschen Wörterbuch einfach zu entnehmen. Das Principle of Charity angewendet auf die Interpretation und Übersetzung fremdsprachlicher Texte besagt verkürzt, dass von mehreren Interpretationen oder Übersetzungen diejenige heranzuziehen ist, die am plausibelsten erscheint. Davidson nennt als Ursprung des Prinzips Wilson (1959), ähnliche Ideen finden sich aber auch schon früher. Unterschiedliche Anwendungen und entsprechende Ausformulierungen des Prinzips finden sich beispielsweise in Quine (1960) und im Zusammenhang mit Übersetzungen in Davidson (1974). 18 Walter (2013), 158. 19 Siehe hierzu ausführlich Walde (2006), 110–118. 20 Walter (2013), 158. 16 17

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mutlich sagen, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die sagen würden, dass eine Handlung nur dann frei sein könne, wenn sie zumindest auch durch das „Gefühl, sie bewusst gewollt zu haben“ mitverursacht wurde. Das „Gefühl, etwas bewusst gewollt zu haben“ entspricht dabei dem subjektiven Eindruck einer Person, das eigene Tun mental verursacht bzw. hervorgebracht zu haben. Und noch einmal anders formuliert, kann man sagen, dass der subjektive Eindruck, etwas bewusst gewollt zu haben, dem Akteur einen, wenn auch falliblen, epistemischen Zugang zur kausalen Relevanz seiner mentalen Zustände und Vorgänge verschafft, also zu einem wesentlichen Aspekt der Urheberschaft und der mentalen Verursachung. Selbstverständlich muss der subjektive Eindruck, etwas bewusst gewollt zu haben, dabei nicht zu den unmittelbaren kausalen Antezedenzien einer Willensentscheidung oder einer Handlung gehören. Mentale Verursachung kann auch mit Bezug auf langfristig angelegte Zeiträume erfolgen und sogar auch automatisierte Verhaltensweisen umfassen, die der Realisierung eines früher einmal gefassten Willensentschlusses dienen. Sieht man die Dinge so, ist offensichtlich, welche Rolle das bewusste Wollen bei der Frage nach der Freiheit von Handlungen spielt, nach der Walter ja gefragt hatte: Es gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen, die es erlauben, die Frage nach der Freiheit einer Handlung überhaupt erst stellen zu können: Denn es unterscheidet Handlungen, nach deren Freiheit wir fragen, überhaupt erst von bloßem Verhalten, nach dessen Freiheit wir nicht fragen. Erst zusammen mit einem bewussten Wollen, das zeitlich auch weiter zurückliegen kann und keineswegs zu den unmittelbaren kausalen Antezedenzien einer Handlung gehören muss, wird ein Verhalten überhaupt erst zu einer Handlung, mit Bezug auf die man dann fragen kann, ob sie frei war. Hier wird nun der zuvor schon angesprochene (und von Walter eingeebnete) Unterschied zwischen Verhalten und Handeln offensichtlich wichtig. Tatsächlich wird diesem Zusammenhang in vielen Freiheitskonzeptionen, egal, ob es nun um die Freiheit von Handlungen oder um die von Willensentscheidungen geht, in Form eines Kriteriums der Urheberschaft (also nicht des Gefühls der Urheberschaft) oder einer ähnlichen Bedingung Rechnung getragen. Ein solches Kriterium hat häufig den Status eines notwendigen Kriteriums, wenn auch keineswegs immer den eines hinreichenden. Eine der Funktionen des subjektiven Eindrucks der Urheberschaft besteht dabei darin, so etwas wie ein Indikator für das Vorliegen mentaler Verursachung zu sein, zu der wir keinen unmittelbaren Beobachtungszugang haben (es sei denn, man setzt eine geeignete Identitätsthese voraus, so dass mentale Verursachung vermittelt über die Beobachtung neuronaler Aktivitätsmuster festgestellt werden könnte). Der epistemische Zugriff auf das Gefühl einer anderen Person, etwas bewusst gewollt zu haben, erfolgt wiederum behavioral vermittelt, vermittelt über das Verhalten und Sprachverhalten des Akteurs. In solchen Freiheitskonzeptionen spricht man, wenn das Kriterium der Urheberschaft nicht erfüllt ist, dem betreffenden Akteur u. U. die mentale Steuerung ab, so dass dann natürlich auch nicht mehr davon die Rede sein kann, dass eine solche Person ihre nicht einmal mental gesteuerten Entscheidungen und Handlungen frei mental steuere. Dieser Umstand ist über die Charakterisierung einer Handlung als willensgesteuertem Verhalten sogar (straf-)rechtlich verankert:

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Auch ein umfassender, für alle Erscheinungsformen strafrechtlich erheblichen Verhaltens geltender Handlungsbegriff wäre zu weit, wenn er jede äußerlich wahrnehmbare Körperbewegung eines Menschen erfassen würde. Vielmehr gebietet es schon die Abgrenzung der Handlung vom außerhalb rechtlicher Beeinflussbarkeit stehenden Naturereignis, von einer menschlichen Handlung nur dann auszugehen, wenn das nach außen tretende Verhalten vom menschlichen Willen hervorgerufen oder wenigstens beeinflußt ist. Dies ergibt sich auch aus dem Begriff der Tat. Denn von einer Tat sprechen wir nicht bei unwillkürlichem, nicht vom Willen getragenen Verhalten. Die Handlung lässt sich also definieren als willensgetragenes menschliches Verhalten. 21

Um noch etwas mehr Licht in diese Angelegenheit zu bringen, ist es auch hilfreich, sich Beispiele von Handlungen anzusehen, bei denen der subjektive Eindruck (oder auch das Gefühl), etwas bewusst gewollt zu haben, tatsächlich fehlt, und die wir in Folge dessen nicht als frei (und verantwortungsfähig) auffassen. Ein klassisches Beispiel bilden in diesem Zusammenhang das Sprechen und Handeln von solchen an Schizophrenie erkrankten Personen, die sich selbst, infolge der spezifischen Ausprägung ihrer Erkrankung, nicht immer als die Urheber ihres eigenen Sprechens und Denkens auffassen. Sie schreiben das von ihnen selbst hervorgebrachte und wahrgenommene Sprechen und Denken zum Teil einer anderen (vermeintlichen) Quelle zu und postulieren u. U. sogar die Existenz einer solchen (vermeintlichen) Quelle. Entsprechende Handlungen eines Schizophrenen, die dieser nicht als von ihm selbst hervorgebracht erlebt, sondern die er als solche charakterisiert, deren Ausführung ihm von einer höheren ‚Macht‘ befohlen wurde oder deren Hervorbringung ihm gar in irgendeiner Weise ‚eingepflanzt‘ wurde, würde wohl niemand als ‚frei‘ bezeichnen. Fälle, in denen es zu einer wie oben beschriebenen Dissoziation zwischen dem Eindruck oder Gefühl, etwas bewusst gewollt zu haben, und der tatsächlichen Urheberschaft bzw. mentalen Verursachung kommt, fassen wir regelmäßig als pathologisch auf, und die resultierenden Entscheidungen und Handlungen nicht als frei. Der Handelnde kann hier nicht tun, was er kraft eigenem Willensentschluss tun will, sondern er erlebt sich als jemanden, der tun muss, was irgendeine fremde ‚Macht‘ will bzw. ihm vorgibt. Glücklicherweise orientiert sich auch die Rechtsprechung an dieser Auffassung (und nicht etwa an der S. Walters 22). Buchheim moniert demnach in seiner Replik auch ganz richtig die Unzulänglichkeit des von S. Walter unternommenen Versuches, zu zeigen, dass Freiheit auch mit einem Epiphänomenalismus des Mentalen vereinbar sei. Dass mentale Verursachung – umgekehrt – tatsächlich eine unabdingbare, und in diesem Sinne notwendige Voraussetzung unserer Zuschreibungspraxis des freien Entscheidens, des freien Handelns und der Verantwortung für dieses freie Entscheiden und Handeln ist, und dass wir zumindest in praktischer Hinsicht mentale Verursachung, Urheberschaft und Willensfreiheit sehr eng zusammen führen, illustriert auch der Fall eines Mannes, der im schlafwandlerischen Zustand seine Ehefrau umbrachte. 23 Der Crown ProBaumann/Weber/Mitsch (2003), 204. Leider geht aus Walters Kommentar nicht hervor, ob er irgendwelche konkreten Beispiele im Sinn hatte, als er die oben zitierte These vorbrachte. 23 Siehe den entsprechenden Bericht von Morris (2009). 21

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secution Service sowie das später zuständige Gericht sprachen den Mann frei bzw. nicht-schuldig, weil er sich in einem Zustand der automatisierten Handlungssteuerung befunden habe, der ihm keinerlei willentliche mentale Kontrolle über seinen Körper gelassen habe. Die Rede von und Forderung nach dieser Art von willentlicher mentaler Kontrolle setzt eine Einflussnahme des Mentalen auf das Verhalten voraus. Eine epiphänomenalistische Sichtweise des Mentalen räumt zwar einen Dualismus zwischen Mentalem und Physischem ein. Doch das Mentale wird dafür von jeglicher kausalen ‚Arbeit‘ entbunden – es hat schlicht keinen kausalen Einfluss, weder auf andere mentale Zustände und Vorgänge noch auf im weitesten Sinne physikalische Zustände und Vorgänge. Dies führt dazu, dass ein echter Epiphänomenalist die Einflussnahme des Mentalen oder die ‚Willensgetragenheit‘ (als eine Variante mentaler Kontrolle) nicht mehr als (kausales) Kriterium der Unterscheidung zwischen (bloßem) Verhalten und (willensgesteuertem) Handeln heranziehen kann. Der Schlafwandler wäre aus epiphänomenalistischer Sicht respektive der willentlichen Steuerungsfunktion des Mentalen auf kausaler Ebene nicht von einem wachen Täter zu unterscheiden. Folgt man aber (den Epiphänomenalismus ablehnend) der zuvor genannten Charakterisierung einer Handlung als willensgetragenes Verhalten, so kann das Verhalten des Mannes aus dem vorhin erwähnten Rechtsfall während seiner Phase des Schlafwandelns nicht einmal als ein Handeln verstanden werden, weil die willentliche mentale Steuerung fehlt. Wenn aber ein Verhalten nicht einmal mehr als ein Handeln aufgefasst werden kann, wie soll es dann ein freies Handeln sein können oder sogar noch aus einer freien Entscheidung resultieren (wo doch dem bloßen Verhalten gerade keine willensgesteuerten mentalen Vorgänge vorausgehen)? Schon in unsere Auffassung darüber, was eine Handlung sei, fließt also das Element der mentalen Verursachung bzw. der mentalen Steuerung mit ein – nicht erst bei der Frage nach der Freiheit. Ohne willentliche mentale Steuerung (dies entspricht in Ungefähr der in vielen philosophischen Kontexten üblichen Charakterisierung des Handelns als intentionalem Verhalten) kann von einem Handeln nicht mehr die Rede sein – nur von Verhalten. IV. Subjektive Urheberschaft als hinreichendes Kriterium der Freiheit und Weiteres zur kausalen Relevanz bewusster Willensentscheidungen Anders als in Abschnitt III skizziert, kann man das Gefühl oder den subjektiven Eindruck, etwas bewusst gewollt zu haben (und mit ihm auch die mentale Verursachung), zur Grundlage eines Begriffs der subjektiven Urheberschaft machen, und diese als ein hinreichendes Kriterium der Willensfreiheit auffassen. Geht man so vor, so erhält man eine sog. „subjektivistische Konzeption der Willensfreiheit“ (die ich selbst übrigens nach wie vor nicht vertrete, entgegen gelegentlicher anderslautender Gerüchte). „Subjektivistisch“ deshalb, weil schon die subjektive Urheberschaft und der subjektive Eindruck der Freiheit des eigenen Entscheidens und Tuns (Perspektive der 1. Person) zur legitimatorischen Grundlage dafür werden, einer Person

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tatsächlich Freiheit zuzuschreiben, und zwar nicht einfach nur Handlungsfreiheit, sondern Willensfreiheit. Aktuell wird eine solche Position etwa von B. Burkhardt vertreten, 24 der dazu den Begriff des „Freiheitsbewusstseins“ einführt. Merkel 25 zufolge wirft ein solches Vorgehen, das subjektive Freiheitserleben und das charakteristische Gefühl der Urheberschaft zur Grundlage der Zuschreibung „wirklicher praktischer Freiheit“ und zur Grundlage eines Schuldvorwurfs zu machen, jedoch erhebliche Schwierigkeiten auf: Es scheitert immer an solchen Fällen, in denen sich etwa ein tatsächlich, etwa wegen psychischer Krankheit, Schuldunfähiger als subjektiv frei erlebt, so dass man ihn im Sinne eines subjektivistischen Freiheitskonzeptes auch als praktisch frei behandeln müsste. Merkel führt den Fall eines epilepsiekranken Autofahrers als Beispiel an, der seiner eigenen Auskunft nach während eines epileptischen Anfalls seinen Wagen weiter steuerte und dabei dennoch einen Unfall mit tödlichen Folgen verursachte (Fall BGHSt 40, 341): Hätte das Tatgericht die Schilderung des epilepsiekranken Angeklagten von seiner vermeintlichen Aktivität während seines Anfalls am Steuer seines PKW für bare Münze genommen, so hätte es den Angeklagten wegen dieses Verhaltens aus § 222 und § 229 StGB verurteilen müssen. Aber das LG wusste besser als der Kranke, dass sein subjektives Freiheits- und Handlungserleben Täuschung war und dass er während seines Anfalls überhaupt nicht, geschweige denn frei gehandelt hatte. 26

Wenngleich es also offensichtlich eher unplausibel ist, den subjektiven Eindruck, etwas bewusst gewollt und herbeigeführt zu haben, bzw. ein damit verbundenes Freiheitserleben oder „Freiheitsbewusstsein“ als ein hinreichendes Kriterium der Freiheit aufzufassen, so kann man es dennoch als notwendiges Kriterium einbeziehen. Burkhardt stützt seine oben angeführte These eines hinreichenden Kriteriums unter anderem auf seine Deutung 27 einiger Kantischer Äußerungen zur Willensfreiheit, die jedoch üblicherweise anders, nämlich im Sinne eines notwendigen anstelle eines hinreichenden Kriteriums, gelesen werden. Dies ergibt sich u. a. aus der folgenden Textstelle aus Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: Nun behaupte ich: dass wir jedem vernünftigen Wesen, das einen Willen hat, nothwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen, unter der es allein handle. Denn in einem solchen Wesen denken wir uns eine Vernunft, die praktisch ist, d. i. Kausalität in Ansehung ihrer Objecte hat. Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung ihrer Urtheile anderwärts her eine Lenkung empfinge, denn alsdann würde das Subject nicht seiner Vernunft, sondern einem Antriebe die Bestimmung der Urtheilskraft zuschreiben. Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Principien ansehen unabhängig von fremden Einflüssen, folglich muß sie als praktische Vernunft, oder als Wille eines vernünftigen Wesens von ihr selbst als frei angesehen werden; d. i. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freiheit ein eigener Wille sein, und muß also in praktischer Absicht allen vernünftigen Wesen beigelegt werden. 28

24 25 26 27 28

Burkhardt (2003), 238–262. Merkel (2008), 118 ff. Merkel (2008), 121. Burkhardt (2003), 248 ff. Kant (1903/1785), 448.

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Wie Merkel (2008) deutlich macht, wird diese Kantische These, dass „ein vernünftiges Wesen nicht anders könne als unter der Idee der Freiheit handeln und dass es darum in praktischer Rücksicht wirklich frei sei“, zumindest den ersten Teil betreffend, auch von einem Argument gestützt, das von Donald McKay in seinem Aufsatz „On the logical indeterminacy of a free choice“ 29 formuliert wurde. McKay überträgt die Kantische These im Grunde auf Entscheidungen und argumentiert, dass aus der Perspektive eines Akteurs (Perspektive der 1. Person), der eine Entscheidung zu treffen habe, diese nicht determiniert sein könne – der Akteur „kann nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln“. Ich selbst habe dieses notwendige (aber anders als von Burkhardt angenommen nicht hinreichende) Kriterium in Form eines Kriteriums der epistemischen Offenheit der Zukunft explizit in einem Konzept der Willensfreiheit berücksichtigt. 30 Übrigens untermauern Wegners Studien genau diesen Punkt: dass das Gefühl oder der subjektive Eindruck, etwas bewusst gewollt zu haben, offensichtlich kein hinreichendes Kriterium des tatsächlich freien Entscheidens und Handelns im Sinne einer tatsächlichen Urheberschaft und einer tatsächlichen mentalen Verursachung und Kontrolle sein kann. Denn es ist täuschungsanfällig und daher in einem epistemischen Sinne unzuverlässig. Nicht in allem, worin wir uns als Urheber erleben (Perspektive der 1. Person), beobachten uns andere auch als Verursacher oder Urheber (Perspektive der dritten Person). Das aber schließt einerseits nicht aus, das Erleben der Urheberschaft bzw. den subjektiven Eindruck der mentalen Kontrolle zu einem notwendigen Kriterium der Freiheit zu machen (wie Walter zu meinen scheint), und andererseits erwächst aus diesem Zusammenhang tatsächlich kein Problem für die Willensfreiheit, wie Buchheim richtig bemerkt 31. Schließlich verbleibt mir, im Zusammenhang mit der Frage nach der mentalen Verursachung, noch die Richtigstellung meiner eigenen Auffassung zu diesen Dingen. Walter schreibt in seinem Kommentar zu Buchheims neo-aristotelischem Konzept der mentalen Verursachung: „Auch Bettina Walde meint, Libets Experimente bedrohten unsere Freiheit, indem sie bewusste Entscheidungen aufgrund der ‚falschen‘ zeitlichen Abfolge als kausal irrelevant entlarven“ 32. Dieser falschen Behauptung schließt Walter, quasi als Beleg, dann ein Zitat aus meinem Buch zur Willensfreiheit an, in dem eine in Walde (2006) kritisierte Position zunächst darstellend zusammengefasst wird, und behauptet weiter, es handle sich dabei um eine von mir selbst vertretene Auffassung: „Bewusste Entscheidungen und Handlungsabsichten sind kausal irrelevant im Hinblick auf die späteren Handlungen, da sie zu spät auftreten (nämlich erst dann, wenn die Handlungen bereits durch das Bereitschaftspotential vorbereitet werden und die vermeintliche Entscheidung bereits unbewusst vorweg genommen wurde).“ 33 Ganz unmittelbar vor diesem Textausschnitt stehen jedoch, wenig interpretationsbedürftig, die folgenden Zeilen: 29 30 31 32 33

McKay (1960). Walde (2006), 169–189. Buchheim (2013), 390. Walter (2013), 156. Aus Walde (2006), 95. Das Zitat fasst tatsächlich eine Interpretation diverser empirischer Studien zu

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Viele Wissenschaftler (beispielsweise Roth (2001), Wegner (2002), Pockett (2004) und viele andere) haben dieses Resultat [gemeint sind die Studien von Libet sowie Haggard & Eimer] als wichtigen Schritt bei der empirischen Widerlegung der Willensfreiheit interpretiert. Somit ergibt sich als erste Herausforderung der Freiheitsthese […]: 1. Herausforderung: Empirische Widerlegung der Willensfreiheit durch die unbewusste Initiierung von Handlungen?

Sodann folgt unmittelbar der von Walter gewählte Textausschnitt. D. h., der von Walter gewählte Textausschnitt stellt explizit eine Zusammenfassung der Interpretation Roths, Wegners und Pocketts dar, die von mir zusätzlich als eine gekennzeichnet wurde, die zu hinterfragen ist. Walter schreibt dann weiter: „Der Argumentation von Roth und Walde ist hier ein non sequitur zu attestieren: Daraus, dass das Bereitschaftspotenzial eine Ursache ist, folgt nicht, dass die später auftretende bewusste Entscheidung nicht auch eine ist; wäre dem so, käme auch das Bereitschaftspotenzial als Ursache der Handlung nicht in Frage, denn ihm geht seinerseits ja ebenfalls wieder eine Ursache voraus.“ 34 Außer der schon gemachten Korrektur, dass die von Walter skizzierte Position nicht die meine ist 35, sondern eine von mir kritisierte, ist auch das von Walter diagnostizierte „non sequitur“ grundsätzlich nicht haltbar bzw. nur dann, wenn man den Wortlaut des Textes sinnverfälschend umdeutet. So scheint Walter der von ihm zitierten Textstelle aus meinem Buch zu entnehmen, dass dort stünde, eine bewusste Entscheidung könne keine Ursache mehr sein, wenn das Bereitschaftspotential schon die Ursache einer Handlung sei. Nun steht aber tatsächlich im Text (ich zitiere nochmals): „[B]ewusste Entscheidungen und Handlungsabsichten sind kausal irrelevant“ 36. „Kausal irrelevant“ besagt nun aber offensichtlich etwas anderes als „keine Ursache sein“. „Keine Ursache sein“ geht sicherlich damit einher, dass etwas kausal irrelevant ist. Aber allein daraus, dass etwas (in einem spezifischen Kontext) kausal irrelevant ist, kann man selbstverständlich nicht schließen, dass es keine Ursache ist. So ist etwa der Urknall – vorausgesetzt ein bestimmtes Weltbild – eine Ursache dafür, dass Sven Walter vor einigen Monaten bei der Deutung fremder Texte das Principle of Charity verletzt hat. Wer aber eine Erklärung für Walters Tun und das Zustandekommen seiner Entscheidung geben möchte, insbesondere in einem psychologischen Kontext, wird sich dabei eher selten auf den Urknall als Ursache stützen, denn der ist, mit Bezug auf die fragliche Erklärung eine eher irrelevante Ursache – oder eben kausal irrelevant. Aus dem Umstand, dass der Urknall für viele, ja sehr viele Erklärungszwecke als kausal irrelevant aufgefasst wird, hat aber meines Wissens noch niemand gefolgert, dass der Urknall nicht den Status einer Ursache haben könnte – im Gegenteil, man kann ihm sogar den Status der wichtigsten Ursache überhaupt attestieren. Und nur wenn man „kausal irrelevant“ falsch als „keine Ursache sein“ interpretiert, kann man den dargestellten Freiheitsskeptikern ein „non sequitur“ tatsächlich unbewussten Mechanismen der Handlungssteuerung zusammen, die u. a. von G. Roth vertreten wurde, nicht aber von mir selbst. In Walde (2006) wird die Position ausführlich diskutiert und kritisiert. 34 Walter (2013), 156. 35 Eine ausführliche Darstellung meiner eigenen Auffassung findet sich in dem von Walter zitierten Buch in den Kapiteln 10–13, d. h. in Walde (2006), 137–206. 36 Walde (2006), 95.

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unterstellen, so wie Walter es tut. Spätestens seit P. van Inwagens 37 Argument gegen die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus dürfte auch deutlich geworden sein, dass Vertreter eines insgesamt deterministischen Weltbildes, zu denen viele der von mir zusammengefassten Freiheitsskeptiker gehören, zwischen relevanten und irrelevanten kausalen Faktoren oder Ursachen, wie Walter schreibt, unterscheiden müssen, um der van Inwagen’schen Argumentation, d. h. seinem Konsequenzargument, zu entgehen. Und genau so kann man auch zwischen kausal relevanten und kausal irrelevanten oder weniger relevanten Faktoren unterscheiden, wenn es um die Erklärung von Willensentscheidungen und daraus resultierenden Handlungen geht: Möchte man einen spezifischen Typ von Handlung erklären, und stellt fest, dass er motorisch bereits initiiert wird, wenn es noch gar keine bewusste Entscheidung zum Handeln gibt, so ist es nicht ganz abwegig zu sagen, die bewusste Entscheidung sei kausal irrelevant für die Erklärung speziell dieser Handlungen und in einem psychologischen oder neurowissenschaftlichen Erklärungsschema. Gleichwohl kann man die bewusste Entscheidung als Ursache auffassen, z. B. als eine, die in die Hervorbringung künftiger ähnlicher Handlungen in ähnlich strukturierten Entscheidungs- und Handlungs-Kontexten einfließt. Die von Walter nahegelegte Interpretation, dass bewusste Entscheidungen keine Ursachen mehr sein könnten, wenn das Bereitschaftspotential schon die Ursache einer Handlung sei, habe ich in dieser Form dagegen tatsächlich noch bei keinem der empirisch motivierten Freiheitsskeptiker gelesen (was natürlich daran liegen kann, dass ich deren Œuvre nicht immer vollständig kenne) und sie steht auch nicht in meinem Buch. Ebenso wenig wie die gewagte These, dass Entscheidungen keine Ursachen mehr sein könnten, wenn sie im Kontext einer bestimmten Erklärung als kausal irrelevant aufgefasst werden. LITERATURVERZEICHNIS Baumann, J./Weber, U./Mitsch, W. (2003), Strafrecht, Allgemeiner Teil – Lehrbuch, Bielefeld. Buchheim, Th. (2012), „Neuronenfeuer und seelische Tat. Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität“, in: Philosophisches Jahrbuch 119/2, 332–346. – (2013), „Ein neo-aristotelischer Vorschlag zum Verständnis mentaler Kausalität – Eine Replik“, in: Philosophisches Jahrbuch 120/2, 372–393. Burkhardt, B. (2003), „First-person understanding of action in criminal law“, in: S. Maasen/W. Prinz/ G. Roth (Hg.), Voluntary Actions – Brains, Minds, and Sociality, Oxford, 238–262. Chalmers, D. (1996), The Conscious Mind. In Search of a Fundamental Theory, New York/Oxford. Davidson, D. (1974), „On the very idea of a conceptual scheme“, in: Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association 47, 5–20. Kant, I. (1903/1785), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. McKay, D. (1960), „On the logical indeterminacy of a free choice“, in: Mind 69/273, 31–40. Merkel, R. (2008), Willensfreiheit und rechtliche Schuld – Eine strafrechtsphilosophische Untersuchung, Baden-Baden.

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Van Inwagen (1975).

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Morris, S. (2009), „Devoted husband who strangled wife in his sleep walks free from court. Prosecution drops case against chronic sleep disorder sufferer who killed wife during bad dream on holiday“, http:// www.theguardian.com/uk/2009/nov/20/brian-thomas-dream-strangler-tragedy, (20. 11. 2009). Quine, W. V. O. (1960), Word and Object, Cambridge, MA. Spann, A. S. (2013), „Dualität im Horizont des Physischen. Thomas Buchheims ‚horizontaler Dualismus‘ als Antwort auf das Problem der mentalen Verursachung“, in: Philosophisches Jahrbuch 120/1, 144– 153. Van Inwagen, P. (1975), „The incompatibility of free will and determinism“, in: Philosophical Studies 27, 185–199. Walde, B. (2006), Willensfreiheit und Hirnforschung – Das Freiheitsmodell des epistemischen Libertarismus, Paderborn. – (2013), „Zur aristotelischen Perspektive auf die Frage nach der kausalen Relevanz von Bewusstseinsinhalten“, in: Philosophisches Jahrbuch 120/1, 117–123. Walter, S. (2013), „Mentale Verursachung und Willensfreiheit – Ist Freiheit eine Illusion, weil der bewusste Wille ein Epiphänomen ist?“, in: Philosophisches Jahrbuch 120/1, 154–173. Wegner, D. (2002), The Illusion of Conscious Will, Cambridge, MA. Wilson, N. (1959), „Substances without substrata“, in: Review of Metaphysics 12, 521–539. [email protected]

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