Max Weber und das psychologische Verstehen: Werksgeschichtliche, biographische und methodologische Perspektiven [1 ed.] 9783737012645, 9783847112648

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Max Weber und das psychologische Verstehen: Werksgeschichtliche, biographische und methodologische Perspektiven [1 ed.]
 9783737012645, 9783847112648

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Jörg Frommer / Sabine Frommer

Max Weber und das psychologische Verstehen Werksgeschichtliche, biographische und methodologische Perspektiven

Mit einem Geleitwort von Johannes Weiß

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Heidelberger Universitätsplatz © Stadtarchiv Heidelberg; Psychiatrie an der Vossstrasse, Ansicht von Süden, Universität Heidelberg © Universitätsbibliothek Heidelberg, Graph. Slg. A_0775. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1264-5

für Charlotte

Inhalt

Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jörg Frommer / Sabine Frommer Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I: Die Psychologie seiner Zeit Sabine Frommer Kapitel 1: Bezüge zu experimenteller Psychologie, Psychiatrie und Psychopathologie in Max Webers methodologischen Schriften . . . . . .

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Sabine Frommer Kapitel 2: Naturalismus und Naturalismuskritik – Emil Kraepelins Arbeitspsychologie und ihre Rezeption durch Max Weber . . . . . . . . .

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Jörg Frommer / Sabine Frommer Kapitel 3: Von der Hysterie zur Nervosität. Anmerkungen zu Willy Hellpachs sozialpathologischen Prognosen für das 20. Jahrhundert . . . .

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Teil II: Das psychologische Verstehen Sabine Frommer / Jörg Frommer Kapitel 4: Der Begriff des psychologischen Verstehens bei Max Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jörg Frommer / Sabine Frommer Kapitel 5: Max Webers Bedeutung für den Verstehensbegriff in der Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8

Inhalt

Teil III: Max Webers Krankheit Jörg Frommer / Sabine Frommer Kapitel 6: Soziologische Aspekte der depressiven Struktur . . . . . . . . .

99

Jörg Frommer / Sabine Frommer Kapitel 7: Recherchen zur Krankheits- und Behandlungsgeschichte um die Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Teil IV: Erträge für Praxis und Forschung Jörg Frommer / Sabine Frommer Kapitel 8: Psychotherapie als Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Jörg Frommer Kapitel 9: Typisierung, Idealtypenbildung und qualitatives Urteil . . . . . 153 Jörg Frommer / Sabine Frommer Kapitel 10: Entstehung, Rezeption und Aktualität der Texte . . . . . . . . 167 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Zum Geleit

Max Weber erwartet von den in den Humanwissenschaften Forschenden, sich angesichts großer gesellschaftlicher Mächte und Wandlungsprozesse »letztlich … immer« zu fragen, wie der einzelne »vor seiner eigenen Selbstachtung und seinem Bedürfnis, ›Persönlichkeit‹ zu sein« bestehe, wie sich »die Aneignung solcher Einflüsse in den Zusammenhang des eigenen ›Ich‹« vollziehe (Weber 1910d, S. 278; vgl. Weiß 2021). So will Weber selbst auch in einer von ihm konzipierten großen Untersuchung den »kontinuierlich emotional gefärbten Einfluß« der zeitgenössischen Presse »auf die Gefühlslage und Denkgewohnheiten des modernen Menschen« erforschen (Weber 1910c, S. 226).1 Und von einer empirische Untersuchung der Arbeitsmotivation in der Belegschaft großer Industriebetriebe seien keine aussagekräftigen Ergebnisse zu erhoffen, wenn nicht »die individuelle Eigenart« und das »individuelle Lebensschicksal« der Menschen angemessen in die Kausalerklärungen einbezogen würden. Die Neigung der Soziologen, die »Determinanten der konkreten Qualität eines Individuums glatt unter ›Anlage‹ und ›Milieu‹ aufzuteilen« (Weber 1908/09, S. 365), erschien Weber ganz unzureichend für angemessene Kausalerklärungen. Das schreibt Max Weber einige Jahre, bevor er sich selbst auch als Soziologe verstand – nach langem Zögern und mit bleibenden Vorbehalten gegenüber dem »Namen« dieser Wissenschaft (nicht trotz, sondern gerade wegen der vielen »Dilettantenleistungen«, die sich mit ihm großtaten). Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er in der Zwischenzeit grundsätzlich von dem abgerückt sein müsse, was er als 23jähriger Student bildungs- und besitzbürgerlicher Herkunft (am 5. Juli 1887) seiner Cousine und engen Vertrauten Emmy Baumgarten schrieb: »Was Übrigens die Verhältnisse und ihren Einfluß auf den Menschen anlangt, so bin ich immer erstaunt gewesen, wie verhältnismäßig gering der1 Vgl. noch im selben Zusammenhang Weber (1910b, S. 205) (»… Faktoren, welche die persönliche Eigenart der Individuen wie die..«), (Weber 1910d, S. 283) (…Prägung »der einzelnen Individuen«) und ebd., S. 281 (Es gehe wesentlich um »die unbewusste Beeinflussung des Gesamthabitus durch den Inhalt der Vereinstätigkeit«).

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Zum Geleit

selbe ist.« Dem »ungeheuren Abstand« in den »äußeren Lebensverhältnissen« – manche Tiere führten »ein fast menschenwürdigeres Dasein« – entspreche »entfernt kein so großer Abstand des sittlichen Bewußtseins«. Das gelte jedenfalls für »die Urteilskraft selbst«, weniger für die ihm »widerstrebenden Einflüsse« (Weber 1887, S. 104f.). Es wären wohl noch viele Äußerungen und Urteile Webers zusammenzutragen, um das soweit gezeichnete Bild zu ergänzen und zu bekräftigen.2 Sie konvergieren und kommen am klarsten in dem von Weber wiederholt geäußerten Wunsch zum Ausdruck, den Menschen statt in soziologischen Untersuchungen oder im Zusammenhang politischer Parteien etc. viel lieber, in Erwartung tiefer reichender Erfahrungen, im Gespräch »von Mensch zu Mensch« zu begegnen. 1960 veröffentlichte Karl Jaspers in fünfter unveränderter Auflage die Zeitdiagnose »Die geistige Situation der Zeit«, die er schon 1930 geschrieben hatte. Der Vierte Teil handelt davon, »wie heute das Menschsein begriffen wird« – in den empirischen Wissenschaften Soziologie, Psychologie (als Psychoanalyse) und Anthropologie (als Rassentheorie) sowie in der Philosophie, diese ausdrücklich als Existenzphilosophie verstanden. Die Erfahrungswissenschaften werden daraufhin befragt, ob sie das Menschsein als »existentielles Dasein« im Blick haben, weil dies nach Jaspers philosophisch geboten und an der Zeit ist. Eben deshalb wird auch, was die Soziologie betrifft, ausschließlich auf die Verstehende Soziologie Max Webers verwiesen. Denn nur Weber habe »in unserer Zeit« – im prinzipiellen Gegensatz zum Marxismus, der »nur das bekannteste Beispiel soziologischer Analyse« sei,3 »den entscheidenden Schritt« getan, die »Möglichkeiten und Grenzen« des Menschen resp. die »Erkennbarkeiten seiner Situation im Dasein« so zu erfassen, dass sie »den Menschen als ihn selbst unangetastet lassen« (Jaspers 1960, S. 153), menschliches Dasein also nicht »in das Gewusste und Wissbare aufgehoben«, sondern seinem eigenen Handeln in der Welt überantwortet werde.4

2 Hierher gehört auch, in ganz anderer Wendung, dass Weber sich am Ende von »Wissenschaft als Beruf« mit seinem Appell zur selbstverantwortlichen Lebensführung sehr betont an die Studierenden als je einzelne wendet. 3 Zum Marxismus heißt es: »Der Mensch ist Resultat seiner Vergesellschaftung als der Weise des Produzierens der daseinsnotwendigen Dinge. In seinen Besonderheiten ist er Ergebnis des Ortes in der Gesellschaft, an dem er steht. … Seine Geistigkeit ist Überbau der materiellen Wirklichkeit« (Jaspers 1960, S. 150). Zur Psychoanalyse als bestimmender Form der Psychologie: »Der Mensch ist die Marionette des Unbewussten; wenn er diese erhellt, wird er seiner Herr.« (ebd., S. 154) 4 »Soziologie, Psychologie und Anthropologie lehren den Menschen als ein Objekt zu sehen. über das Erfahrungen zu machen sind. … So erkennt man etwas am Menschen, nicht den Menschen selbst.« … »Es ist nicht schlechthin zwingend für den Einzelnen, als was er soziologisch oder psychologisch oder anthropologisch konstruiert wird.« (Jaspers 1960, S. 160)

Zum Geleit

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»Die verstehende Soziologie ist … nicht Teil einer ›Psychologie‹«, so beginnt im Kategorienaufsatz das Kapitel, in dem Weber das Verhältnis seiner Soziologie zur »Psychologie« (sic) behandelt (vgl. Weber 1913a). Das ist sehr irreführend, da Weber an dieser Stelle nur zum Ausdruck bringen will, dass die Soziologie es bei Unterstellung eines »subjektiv streng rational orientierten Handelns« (das für die Verstehende Soziologie methodisch von besonderem Interesse ist) »mit der unmittelbar ›verständlichsten Art‹ der Struktur eines Handelns« zu tun habe. Die »üblicherweise so genannten ›psychologisch‹ verständlichen Zusammenhänge« nehmen für Weber eine Zwischenstellung ein, die sie einerseits abgegrenzt von diesem unmittelbar verständlichen Handeln, andererseits aber ebenso von den nur naturwissenschaftlich zugänglichen »absolut unverständlichen psychischen Gegebenheiten«, bei denen sich ein verstehender Zugang überhaupt erübrigt, also auch eine Verstehende Soziologie. Und sehr viel bestimmter ist deshalb auch seine Kritik der Vorstellung, soziologische Erklärungen seien nach Möglichkeit in psychologischen Theorien naturwissenschaftlicher (und nomothetischer) Art zu fundieren. So trat er dem Versuch des im Übrigen geschätzten Nationalökonomen Lujo Brentano, die ökonomische (subjektive) Wertlehre (Grenznutzlehre) in diesem Sinne durch das Weber-Fechnersche Gesetz zu unterbauen, dezidiert entgegen.5 Aus der Sicht Max Webers ergänzen sich die Verstehende Soziologie und die Verstehende Psychologie methodisch problemlos und in der Sache sehr produktiv, insbesondere in ihrem Bestreben, die Lebenswirklichkeit und die Eigenart der erforschten Menschen zu erfassen und in ihrer Fülle und Vielfalt zu erhalten und zu bekräftigen. Das beweist die langjährige, enge Zusammenarbeit von Sabine und Jörg Frommer besonders eindrucksvoll. Die hier versammelten Aufsätze entstammen der Anfangszeit ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, die über 70 Jahre nach dem Beginn des fruchtbaren Dialogs der an philosophischen und methodologischen Fragen interessierten jungen Assistenzärzte der Heidelberger Psychiatrischen Universitätskinik mit Max Weber die Suche nach einer Verstehenden Psychologie wieder aufnahm, Jörg Frommer seinerzeit als Assistenzarzt der Psychiatrischen Klinik in der Voßstrasse, und Sabine Frommer als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Max-Weber-Gesamtausgabe am Soziologischen Institut in der Heidelberger Altstadt am Universitätsplatz. Wie die hier jetzt wiederveröffentlichten Texte in ihrem thematischen Spannungsbogen überzeugend und immer noch aktuell darlegen, lohnt sich die Beschäftigung mit Webers Kritik an der Psychologie seiner Zeit auch heute noch. Die Verstehende Psychologie und Psychopathologie bleiben ein Desiderat und Max Webers Werk und Person stehen Pate bei ihrer Entwicklung. Das Berufsverständnis von Psy-

5 S. dazu Weber (1908b) mit dem Editorischen Bericht von Sabine Frommer (2018).

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Zum Geleit

chotherapeuten profitiert ebenso wie die Forschungsmethodologie in diesem Feld von der Weiterentwicklung seines Denkens. Das Bestreben der verstehenden Humanwissenschaften im Allgemeinen, der Verstehenden Soziologie und Psychologie im Besonderen muss sein, den Bereich sinnhaft-verständlichen Handelns nach Möglichkeit auszuweiten. Dieser Aufgabe dienen z. B. differenzierte Typologien verschiedener Motivarten (wie die Webersche), die Bildung spezifischer Motivkombinationen oder schließlich die Verfeinerung der Methodik des Verstehens. So kann die Verstehende Psychologie den Bereich der sinnhaft verstehbaren Motivationen so ausweiten , dass sie für therapeutische Bemühungen Anschlussmöglichkeiten findet, etwa im Zugang zu gemeinhin als pathologisch gedeuteter Eigenwelten, die den Betroffenen eine Erfahrung von Freiheit als »Bei-sich-selbst-Sein«, mit Hegel zu sprechen, ermöglicht. Johannes Weiß

Warburg, im Mai 2021

Jörg Frommer / Sabine Frommer

Einleitung

Die aus infektiologischen Gründen für den Großteil des interessierten Publikums nur virtuell zugänglichen Gedenkveranstaltungen zum 100. Todestag Max Webers in Heidelberg und in der Münchner Seidl-Villa vermittelten dem Anlass entsprechend den Gesamteindruck eines Vergangenen, auf das zurückgeblickt wird. Der ebenfalls 2020 bei Max Webers Verleger Siebeck in Tübingen erschienene letzte von 54 Bänden der historisch-kritischen Gesamtausgabe seiner Werke weist nur noch Wolfgang Schluchter und den später eingetretenen Wolfgang Mommsen-Schüler Gangolf Hübinger als lebende Gesamtherausgeber aus, während Horst Baier, Mario Rainer Lepsius, Wolfgang Mommsen und Johannes Winckelmann den Abschluss dieses Großprojekts, dessen Realisierung sich über Jahrzehnte hinzog, in ihrer persönlichen Lebensspanne nicht mehr miterleben konnten.1 Nimmt man die hinsichtlich Ausführlichkeit und Detailreichtum alles zuvor Erschienene überragende Biographie von Dirk Kaesler (2014) – erschienen anlässlich des 150. Geburtstags – und die von Jürgen Kaube (2014) sowie die Sammlung biografischer Aufsätze von Gangolf Hübinger (2019) hinzu, so erweitert sich der Eindruck des Gewesenen auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem im Juni 1920 in München verstorbenen Juristen, Nationalökonomen und Mitbegründer der modernen Soziologie. Die in den 1970er Jahren anhebende, durch den Niedergang der Attraktivität marxistischer Interpretationen gesellschaftlicher Verhältnisse beförderte Blütezeit der Weber-Forschung scheint an ihr Ende gekommen zu sein, die letzten Steine im Rundbogen eines Monuments, in dem eine schier unendliche Fülle von Gegenständen und Sichtweisen ihren rechten Platz in einem geschlossenen Ganzen gefunden hat, scheinen zumindest für den Außenstehenden gesetzt. Bereits die Schar der Kollegen und Schüler, die Max Weber durch seine Lehrtätigkeit in Freiburg, Heidelberg und München, durch seine Vereinstätig1 Die Bayerische Akademie der Wissenschaften und eine Reihe anderer Drittmittelgeber unterstützten dieses Großprojekt über die gesamte Zeitspanne; s. https://badw.de/forschungsein richtung/max-weber-jahr-2020.html.

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keiten, durch seine herausgeberischen Aktivitäten und durch persönliche Bekanntschaft wesentliche Impulse verdankten, und die ihn zum Teil – wie etwa Karl Jaspers – für die enorme Breite seines Wissens und die Unbestechlichkeit seines kritischen Denkens bewunderten und verehrten, ist immens. Nach seinem plötzlichen Tod ist es vor allem seiner Ehefrau Marianne (Marianne Weber 1926) und später Johannes Winckelmann zu verdanken, dass das in großen Teilen nur fragmentarisch hinterlassene Werk nicht verlorenging, sondern – wenn auch zum Teil nicht ohne Hagiographie (Kaesler 1989) – sortiert, geordnet und zugänglich gemacht wurde. Nach intellektueller Dunkelheit und Kahlschlag ab 1933 verbindet sich der Beginn der modernen Weber-Forschung u. a. mit der Dissertation des Philosophen Dieter Henrich (1952). Die nachfolgende Rezeption von Max Webers Werk in Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaften, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Philosophie griff ganz unterschiedliche Aspekte seines Werkes auf und diente dessen Verortung innerhalb der Fachdiskurse der jeweiligen Disziplinen. Es folgten erste Gesamtschauen auf Webers Werk und Person, z. B. von Johannes Winckelmann (1952), Wolfgang Mommsen (1959), Reinhart Bendix (1964), Eduard Baumgarten (1964), Arthur Mitzman (1970), Johannes Weiß (1975), Dirk Kaesler (1979) und Wolfgang Schluchter (1979), um nur einige zu nennen. Bereits im Blick war damals nicht nur Webers Bedeutung für die Fachdiskurse seiner Zeit, sondern auch im Hinblick auf aktuelle theoretische, methodologische und empirische Forschungsfragen. Ein neues Kapitel wurde durch die Initiative Horst Baiers 1973 mit der MaxWeber-Gesamtausgabe aufgeschlagen. In überaus detaillierter Edition sämtlicher vorfindlicher publizierter und unpublizierter Texte, Manuskripte, Manuskriptfragmente, Vorlesungsmitschriften und Briefe eröffnete dieses Projekt eine neue Sicht auf Werk, Werksentstehung, Person, Zeitgenossen und zeitgeschichtlichen Hintergrund. Den früheren fachdisziplinären Einordnungen unterschiedlichster Aspekte des Werkes folgte nun die feingranulare Erschließung und Rekonstruktion des Gesamtwerks in all seinen Verästelungen und seiner Entstehung, die manche zuvor unhinterfragt akzeptierte Interpretation als Fehlinterpretation oder zumindest als fragwürdige Interpretation erwies. Warum also der Fülle der Publikationen eine weitere hinzufügen? Die Antwort auf diese Frage liegt in unserer Kernthese einer herausragenden, aber bisher nicht ausreichend gewürdigten Bedeutung von Webers Werk für das Verstehen von nicht bewusst rational gesteuertem Handeln, also für die Welt von Leiden, Leidenschaft und Emotion. Die vielgestaltigen Varianten dieser zentralen Dimension menschlicher Existenz repräsentieren Individualität und Subjektivität und scheinen sich dem wissenschaftlich-objektivierenden Zugriff zu entziehen. Blickt man auf die Geschichte der Psychologie im 19. und 20. Jahrhundert, so verdichtet sich angesichts reduktionistischer Ansätze der Eindruck eines Neglects, einer Überforderung. Wird diese Dimension ins Blickfeld gerückt, wie

Einleitung

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beispielsweise innerhalb der Psychoanalyse, so droht der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit und damit die Eskamotierung und Exkommunikation aus dem Kanon akademischer Beschäftigung. Hier setzt unser Projekt an: Es rekonstruiert zumindest fragmentarisch Max Webers bisher nicht berücksichtigten Beitrag zu einer akademisch soliden Verstehenden Psychologie, ergänzt diese Analyse durch den Blick auf sein persönliches Ringen mit Irrationalität, Emotionalität und Leiden, und legt sowohl professionssoziologische als auch methodologische Erträge aus dieser Perspektive vor.

Wer war Max Weber? Wer aber war er? Max Weber (1864–1920) war von Anfang an eigenwillig. Er hat als Jugendlicher – wohl auch schon als Schulkind – sich hauptsächlich mit Lesen beschäftigt, im Unterricht unter der Schulbank gelesen, zuhause häufig nicht den Schulstoff gelernt, sondern mit Spaß verschiedenste geschichtliche Themen bearbeitet, die er mit Stammbäumen von Herrscherfamilien und historischen Karten veranschaulichte. So zeigte sich eine gewisse altkluge Haltung des ältesten Bruders von fünf jüngeren Geschwistern in seinen Jugendbriefen, die an die Familie und an eine große Verwandtschaft gingen. Dennoch nahm seine Entwicklung als junger Erwachsener zunächst einen konventionellen Verlauf. Er verbarg seine Gefühle, war pflichtbewusst als Sohn und folgte mit Jurastudium, Militärdienst, immer wiederkehrenden Offiziersübungen und Referendariat einem geordneten bürgerlichen Lebensentwurf, der ihn aber auch jahrelang in finanzieller Abhängigkeit von seinem gutsituierten Elternhaus hielt. Daher konnte er nicht selbständig planen und fühlte sich der Familienraison unterworfen. Offensichtlich dachte er, dass ihm Glück und spontane Lebenserfüllung in diesen Jahren nicht zustünden und empfand diese Zeit als öde, wie er es auch einmal selbst formulierte. Das Elternhaus war protestantisch. Die Mutter Helene Weber, Erbin eines großen Vermögens der Frankfurter Kaufmannsfamilie Souchay, war tief religiös und bestrebt, ihren Kindern immerwährendes religiöses Ringen um den rechten Glauben beizubringen, sie wird als »feinsinnig«, »durchgeistigt« und auf das Seelenwohl der Ihrigen bedacht beschrieben. Sie hatte ein ausgeprägtes Bedürfnis, Arme zu unterstützen und setzte dafür auch einen guten Teil ihrer finanziellen Mittel ein. Der Vater Max Weber senior stammte aus einer westfälischen Unternehmerfamilie. Er war Jurist, zuerst Stadtrat in Erfurt, dann in Berlin Abgeordneter im Preußischen Landtag und Baurat der Stadt. Er wird als der die Gepflogenheiten des Hauses beherrschende Familienvater beschrieben, dem es um bürgerliche Behaglichkeit ging. In seinem sozialen Kreis standen Fragen zur nationalliberalen Politik im Deutschen Reich im Mittelpunkt des

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Interesses; er gab sogenannte »Herrenmähler« nach bürgerlicher Konvention mit durchdachter Speisenfolge und gutem Wein. Die Ehepartner entfremdeten sich im Laufe der Jahre nicht unbeträchtlich; Helene verfolgte ihre eigenen Interessen: Sie beherbergte gerne junge Leute im Hause – diese waren meist aus der Verwandtschaft, im Übergang von Schulabschluss und Ausbildung und sollten Großstadterfahrung sammeln –, mit denen sie einen regen Austausch über religiöse, sozialpolitische und philosophische Fragen suchte und bei dieser Gelegenheit auch ihre eigenen Kinder miteinbezog, die inzwischen schon Jugendliche oder junge Erwachsene waren. Helene Weber stellte hohe Anforderungen an sich selbst: Selbstgenügsamkeit, Nächstenliebe, Pflichterfüllung; das, was sie sich auferlegte, verlangte sie auch von den ihr Nahestehenden. Max Weber senior ist ihr nach sicherlich glücklichen frühen Ehejahren später nicht in diesem ethischen Rigorismus gefolgt; es wird berichtet, dass er ihr untersagte, finanzielle Mittel, die eigentlich aus ihrer Familie stammten, für Sozialarbeit zu verwenden. Max Weber junior war seiner Herkunft entsprechend zweifellos ein Bildungsbürger, dem finanzielle Mittel für lange Zeit bis zur beruflichen Eigenständigkeit zur Verfügung standen, wenn auch unter offensichtlicher Beaufsichtigung seiner jeweiligen Ausbildungsziele durch die Eltern. So hat sein Vater das Jurastudium seines Sohnes durchaus sachkundig kommentiert und die Resultate nach aufgewandter Zeit beurteilt. Max Weber junior begann 1882 mit dem Studium in Heidelberg, hörte nebenbei auch Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie. 1886 folgte das Erste Juristische Staatsexamen in Göttingen; das Referendariat als Jurist absolvierte er in Berlin, besuchte weiterhin Seminare zur Rechtsgeschichte, promovierte 1889 mit einer Arbeit zur Handelsgeschichte im Mittelalter und hielt selbst Seminare in Vertretung für seinen Lehrer in Rechtsgeschichte. Zwischenzeitlich hatte er erwogen, in einer Kanzlei in Bremen als Syndikus mitzuarbeiten, um über eigenes Einkommen zu verfügen. Es zog ihn aber doch wieder an die Universität und das akademische Leben, so dass er weitere Jahre in Abhängigkeit vom Elternhaus zu verbringen hatte. Er habilitierte und wurde 1892 zum Privatdozenten für Handelsrecht und Römisches Staatsund Privatrecht an der Universität Berlin ernannt. Ebenfalls 1892 übernahm er einen Teil der Auswertung einer groß angelegten Fragebogenerhebung des Vereins für Sozialpolitik, einem Zusammenschluss von reformorientierten Nationalökonomen, Theoretikern und Praktikern aus Industrie und Wirtschaft. Mit dieser Arbeit Zur Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland machte er sich einen Namen in nationalökonomischen Kreisen. So wurde er zum Wintersemester 1894/95 auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg berufen. Innehaben einer anerkannten gesellschaftlichen Stellung und Ausübung eines akademischen Berufes in guter Position entsprachen den elterlichen Erwartungen an Max Weber und auch seine Geschwister, dazuhin wurde ihnen vonseiten

Einleitung

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der Mutter auferlegt, sich mit Glaubensfragen auseinander zu setzen und die eigenen Fähigkeiten in den Dienst der Nächstenliebe zu stellen. Sie lebte selbst dieses Ideal vor und ihr dringender Wunsch, auf diese Weise ihren Kindern Vorbild zu sein, teilte sich ihrer Umgebung unausweichlich mit. Vor diesem Hintergrund mütterlicherseits bezeichnete sich Max junior abgrenzend nicht als einen um seinen Glauben ringenden Menschen, sondern als Weltmensch. Trotz des sich darin andeutenden Gegensatzes im Lebensentwurf fühlte sich Weber seiner Mutter zweifellos sehr verbunden und erfüllte seine familiären Pflichten als »Großer«, wie er von ihr genannt wurde. Dank seiner Herkunft sah er sich – in seinen eigenen Worten – privilegiert: er müsse als Referendar noch nicht sein eigenes Brot verdienen, vielmehr könne er sich mit dem beschäftigen, was mit dem Begriff Beruf im emphatischen Sinne verbunden sei (vgl. Marianne Weber 1926, S. 155). Max Weber heiratete 1893 Marianne Schnitger (geb. 1870), eine Großnichte seines Vaters. Auch sie hatte längere Zeit als Haustochter im Charlottenburger Haus verbracht und stand in enger gefühlsmäßiger Bindung zu ihrer Tante Helene Weber, die für sie zuerst zu einer Art Wahlmutter, und später dann zur Schwiegermutter wurde. Mit der Berufung Max Webers nach Freiburg und seinem und Marianne Webers Umzug dorthin war die Voraussetzung für die Eigenständigkeit des Paares gegeben. Fachlich bedeutete dies für Weber den Wechsel von seinem ursprünglichen Fach Jurisprudenz zur Nationalökonomie und somit umfangreiches Einarbeiten in neuen Lehrstoff. Für Weber war dieses Pensum selbstverständlich, er bezeichnet sein Leben als »Bücherstubendasein« und als »automatische Fortsetzung meiner pflichtmäßigen Berufsarbeit« (ebd., S. 193). Rückblickend auf diese Zeit, sagte er: »Wenn ich nicht bis 1 Uhr arbeite, kann ich nicht Professor sein« (ebd., S. 214). Im Jahre 1897 erhält Weber einen Ruf auf den nationalökonomischen Lehrstuhl von Karl Knies in Heidelberg und zieht im Laufe dieses Jahres dorthin um. Im Sommer macht Helene Weber ihren üblichen mehrwöchigen Besuch bei Max und Marianne Weber. Max Weber senior, der diese auswärtigen Aufenthalte seiner Frau nicht gerne sah, fuhr nach Heidelberg, um sie nach Berlin mitzunehmen. Anlässlich dieses Zusammentreffens kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn. Max Weber junior besteht darauf, dass die Mutter selbst über sich und ihre Zeit entscheiden könne und bleibt dem Vater gegenüber kompromisslos. Obwohl Helene Weber einlenken will kommt es zu keiner Verständigung. Der Vater fährt alleine ab und stirbt wenige Wochen später auf einer Reise. Max Weber schien die Belastungen durch sein immenses Arbeitsprogramm und die nicht wiedergutzumachenden Folgen des Familienstreites – die Unversöhnlichkeit ging von ihm selbst aus – zunächst spurlos auszuhalten, doch erholte er sich bei der Urlaubsreise im Sommer 1897 nicht. Er war erschöpft, Lesen und Sprechen – somit seine Lehrtätigkeit – fielen ihm

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schwer. Im März 1898 suchte Weber ärztlichen Rat. Da der Heidelberger Internist Erb nicht erreichbar war, konsultierte er den Psychiater Emil Kraepelin. Dieser diagnostizierte eine Neurasthenie und empfahl Luftveränderung und ein ruhigeres Leben. Während Max Weber dies nicht befriedigte, wie seinem Kommentar »nichts, was man nicht selbst schon gewußt hätte« (Marianne Weber 1898) zu entnehmen ist, war Marianne Weber froh, dass nicht von einer körperlichen Erkrankung bei ihrem Mann ausgegangen werden musste. In den folgenden Jahren litt Max Weber unter Erschöpfungszuständen, Spannungsgefühlen, Schlaflosigkeit, er fühlte sich krank und arbeitsunfähig. Er stellte mehrere, auch stets genehmigte, Urlaubsgesuche und versuchte, durch Kuren oder lange Reisen seine Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen. Im Juli 1901 wurde der Heidelberger Haushalt aufgelöst und es folgten lange Aufenthalte an wechselnden Orten, meist in Italien. Im Sommer 1901 wurde ein Urlaubsgesuch – gestützt auf einem Gutachten von Prof. Vierordt – bis Ostern 1902 gewährt. Im Frühjahr 1902 reichte Weber sein Entlassungsgesuch ein, gegen den Willen seiner Frau, die Entpflichtung erfolgte ab Herbst 1903. Marianne Weber hätte ihn gerne weiterhin im Amt gesehen, doch für Weber war es nun endgültig nicht länger hinnehmbar, dass er sich unfähig fühlte, seinen Pflichten nachzukommen.

Krise und Ausstieg als Ausgangspunkt von Max Webers Zeitdiagnose Als Max Weber mit dem Abklingen seiner Erschöpfungssymptome wieder mit Lesen und Schreiben begann, setzte er neue Schwerpunkte in seiner Arbeit: Er beschäftigte sich mit den methodischen Grundlagen der historischen Nationalökonomie und allgemeiner mit dem Wesen historischer Erkenntnis und dem Handeln des Menschen als verursachendem Moment in ökonomischen, historischen, kulturellen oder sozialen Konstellationen, die ihrerseits wiederum das Handeln des Menschen und seine Lebensführung bestimmen. Für Weber ist historische Forschung nicht das Aufstellen allgemeingültiger Gesetze, wie etwa die Annahme einer gesetzmäßigen Abfolge historischer Epochen im Lebenskreislauf eines Volkes, sondern die Betrachtung eines Ausschnittes historischer oder sozialer Wirklichkeit im Hinblick auf die Bedeutung, die wir diesem Zeitausschnitt zumessen – entsprechend unserem expliziten Erkenntnisinteresse –, und hinsichtlich der Gründe seines geschichtlichen »So-und-nicht-anders-Gewordenseins«. Nicht das Quantifizieren einzelner, in gleicher Gestalt mannigfaltig vorkommender Objekte ist historischer, kultur- und sozialwissenschaftlicher Forschung eigen, es geht vielmehr um die qualitative »Färbung« sozialer und kultureller Vorgänge. Diese Färbung entsteht durch den Menschen, der einer

Einleitung

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Sache Bedeutung beimisst oder beigemessen hat, und dieses Bedeutsame, diese Idee wiederum können wir nacherlebend oder auch interpretativ verstehen. Die Wissenschaft vom Menschen – Nationalökonomie wird hiervon als ein Spezialfall verstanden – betrachtet Weber zufolge das menschliche Handeln als zweckvoll und an den durch die Natur und die geschichtliche Konstellation gegebenen Bedingungen ausgerichtet. Dieses Abwägen von Zweck und Mittel bedeutet für Weber Freiheit des Handelnden. Der Beobachter kann Sinn und Maß der Handlung nachvollziehen: sowohl die vom Handelnden intendierte Bedeutung als auch Zweck-Mittel-Relationen des Handlungsgeschehens. Ein nicht freies, irrationales Handeln ist unter körperlichem oder naturhaftem Zwang entstanden und ist nicht mit gleich hoher Evidenz deutbar wie eine zweckvoll bestimmte Mittelwahl eines Handelnden für ein vorgegebenes Ziel. Weber ist nun oft so verstanden worden, als würde er der Rationalität in seiner Soziologie einen Vorrang einräumen und vernachlässigen, dass es in der Wirklichkeit auch nicht zweckgerichtetes Tun gibt. Doch Weber schreibt bereits in seiner ersten methodologischen Schrift zum Wesen sozialwissenschaftlicher Erkenntnis: »Denn wir ›verstehen‹ nun einmal das irrationale Walten der maßlosesten ›Affekte‹ genau so gut wie den Ablauf rationaler ›Erwägungen‹, und das Handeln und Fühlen des Verbrechers und des Genius … vermögen wir im Prinzip wie das Tun des ›Normalmenschen‹ nachzuerleben, wenn es uns adäquat ›gedeutet‹ wird.« (1903–06, S. 320) Weber meint hier nicht die Erklärung von Psychischem mittels einer psychologischen Theorie und deren Gesetzeswissen über psychophysische Reaktionsweisen, sondern die Interpretation eines Verhaltens durch spezielles Erfahrungswissen z. B. im Rahmen einer verstehenden Psychopathologie (ebd., S. 323), über das ein klinisch Erfahrener verfügt. Ein weiterer Punkt, den er in dieser neuen Phase seines Werkes herausarbeitet, ist die Trennung von Tatsachenurteil und Werturteil. Für Weber haben empirisch feststellbare Fakten auf der einen Seite und bewertende Schlussfolgerungen, die nach bestimmten technischen Kriterien aus einer Tatsachenfeststellung zu ziehen sind, auf der anderen Seite, nichts miteinander zu tun: diese können nicht aus jenen abgeleitet werden. Ob bestimmte Ideale für uns Gültigkeit besitzen, kann nicht empirisch bewiesen werden. Der Wissenschaftler weist Tatsachen nach, der Politiker, der unter Handlungszwang steht, muss das politisch Gewollte umsetzen, dessen Geltung aus der Sphäre der politischen Willensbildung stammt. Nicht nur in methodologischer Hinsicht, sondern auch thematisch beschäftigte sich Weber in dieser ersten Zeit seiner Entpflichtung mit Neuem und zwar insbesondere dem Zusammenhang von Wirtschaft und Religion. Die Wirtschaft einer bestimmten sozialen Gemeinschaft oder Gesellschaft ist neben anderen Bedingungen wie rechtlicher und politischer Art abhängig vom jeweiligen Stand der Technik ihrer Epoche und von der Art der Lebensführung der in sie einge-

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bundenen Menschen. Deren Handlungsmotive wiederum waren über lange Zeit im Wesentlichen bestimmt durch religiöse Glaubens- und Pflichtvorstellungen. Weber interessiert nun ein solchermaßen formulierter Zusammenhang im Verhältnis von Kapitalismus und Protestantismus. Diesem Zusammenhang ging er nach in seiner Arbeit Die protestantische Ethik und der ›Geist‹ des Kapitalismus. Er geht davon aus, dass den technischen Errungenschaften, die den Kapitalismus hervorriefen, eine entsprechende innere Haltung der Menschen gegenüber der Arbeitswelt entsprach. Das traditionale Arbeitsethos, so viel zu arbeiten, dass der unmittelbare Bedarf gesichert ist, weicht unter kapitalistischen Bedingungen der Anforderung der »Tüchtigkeit im Beruf«, und diese Berufspflicht gilt Weber zufolge für jeden Einzelnen, sowohl für den, dessen Arbeitskraft gebraucht wird, als auch für den, der seinen »Sachgüterbesitz«, also sein Kapital, zur Verfügung stellt. Diese »innerweltliche«, nicht auf das Jenseits vertröstende Verpflichtung ist unabhängig vom Inhalt der beruflichen Tätigkeit, mit ihr fasst Weber ein wesentliches Element dessen, was für ihn den »Geist des Kapitalismus« ausmacht. Die calvinistische Prädestinationslehre ist ein weiteres Element: Der unergründliche Gott lässt weder erkennen, welcher Gläubige von ihm erwählt ist, noch lässt er sich in seiner Gnadenwahl durch Verdienste des Glaubenden beeinflussen. Der Puritaner ist in der Frage seines Seelenheils nicht von einem gütigen Gott oder von der Kirche begleitet. Nach Webers Analyse führte diese Lehre zu dem Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums. Trotzdem ist dem Einzelnen auferlegt, von der eigenen Erwähltheit auszugehen und sich nicht verloren zu geben, ein Mittel für Selbstvergewisserung liegt in der rastlosen Berufsarbeit und der ständigen Bewährung im Diesseits. Diese methodische, auf das Innerweltliche, also nicht auf außergewöhnliche religiöse Glücksmomente gerichtete Askese führt für Weber zur rationalen Berufsarbeit, die somit nicht nur einfache Güterversorgung, sondern auch so etwas wie Erfüllung ist. Diese Berufsarbeit stand an der »Wiege des Kapitalismus«. Die ökonomisch Tätigen, die ihre Lebensführung an diesem protestantischen Berufsbild orientierten, brachten den Kapitalismus voran und hoben ihn aus der Taufe, wie Weber den Beginn bildlich beschreibt. Hat der Kapitalismus seine Wirkungsmacht voll und dauerhaft entfaltet, ist er nicht mehr abhängig von religiösen Pflichtvorstellungen: ökonomische Rationalität und methodische Lebensführung sind zum Leitbild geworden. Mit dieser Ausarbeitung des Zusammenhanges von methodisch-rationaler Lebensführung, dem Geist christlicher Askese und im Kapitalismus erforderlicher rastloser Berufstätigkeit beschreibt Weber zugleich die Lage des Menschen im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die »faustische Allseitigkeit des Menschentums« (Weber 1920a, S. 485) ist zu Ende, der moderne Mensch ist Fachmensch, der im Beruf aufgehen muss. In Webers Worten: »Der Puritaner

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wollte Berufsmensch sein, – wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist.« (Weber 1920a, S. 486f.) Die von Weber so betonte und auch immer wieder von ihm zum Thema gemachte sog. Wertfreiheit, also Trennung von Empirie und Wertung, geht einher mit zwei prinzipiellen Anforderung an den Wissenschaftler: erstens muss er sich über sein Erkenntnisinteresse im Klaren sein und die Problemstellung explizieren können, zu der er seine Daten erhebt. Zweitens muss der Wissenschaftler diese Trennung auch durchhalten, wenn er mit seinen Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit geht, sei es, dass er sich an der Universität in der Lehre – auf dem Katheder – jeglicher Schlussfolgerungen enthält und keine Weltanschauung zum besten gibt, sondern einfach nur seine Fakten darstellt, auch wenn dadurch das Dargebotene nicht mehr spannend ist; oder sei es, dass er gefragt um seine Stellungnahme, diese Bewertung der Fakten nicht im Namen der Wissenschaft gibt, sondern als seine Meinung ausweist. Handeln muss der Politiker, der Wissenschaftler kann Erfahrungswissen für zu erwägende Maßnahmen beisteuern. Handlungsmaximen sind nicht wissenschaftlich zu fundieren, ihr ethischer Gehalt kann in Widerspruch treten mit anderen Wertsphären, insbesondere dem Guten, dem Schönen, dem Wahren. Der moderne Mensch ist in vielen, oder gar allen Bereichen des ökonomischen, sozialen und politischen Lebens dem Zwang rationalen Handeln unterworfen und gerät in Gegensatz zur religiösen Ethik der Brüderlichkeit: Das rationale Handeln »trägt aber eine tiefe Spannung auch in sich selbst. Denn es scheint kein Mittel zum Austrag schon der allerersten Frage zu geben: von woher im einzelnen Fall der ethische Wert eines Handelns bestimmt werden soll: ob vom Erfolg oder von einem – irgendwie ethisch zu bestimmenden – Eigenwert dieses Tuns an sich aus.« (Weber 1920b, S. 497) Zugespitzt bedeutet dies: Der rational Handelnde, auch der, der sich an Ideen orientiert, setzt die vorhandenen Mittel für sein Ziel ein. Ein Beobachter kann dieses planvolle Tun nachvollziehen und auch beurteilen, ob die subjektive Mittelwahl unter Berücksichtigung der objektiv vorhandenen Handlungschancen für das Erreichen des Zieles adäquat war. Für das ethische Urteil, ob die Handlung gut war, gibt es dagegen keinen objektiven Ort des Austragens der Werte. Die ökonomische Rationalität unterwirft auch das Schaffen von Kulturwerten dem Gewinn, die effektive Bürokratie

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macht aus ihren Beamten kleingeistige Verwalter und die Menschen zu Rädchen in ihrem Getriebe, Verwirklichung der eigenen Person gerät in Widerspruch zur Nächstenliebe. Die verschiedenen Wertordnungen der Welt stehen in unlöslichem Kampf untereinander (vgl. Weber 1919a, S. 99). Max Webers Zeitdiagnose, im Wesentlichen niedergelegt in seinen Analysen zur protestantischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus, zeigt den modernen Menschen hineingestellt in eine Welt, die einem Prozess der zunehmenden Rationalisierung unterworfen ist. Für die Suche des Menschen nach dem Sinn seines Lebens gibt es keine Orientierung mehr an einem unhinterfragten Glauben an Gott oder einer magischen Weltendeutung. Die ungeheure Zunahme an Wissen führt zu der Ansicht, dass man prinzipiell alles durch Berechnung beherrschen könne. Geheimnisvolles verschwindet, mit dem Prozess der Intellektualisierung geht die Entzauberung der Welt einher. So ist der Einzelne auf sich selbst gestellt, dem Zwang zur rastlosen Tätigkeit im Erwerbsleben ausgeliefert und auf der einsamen Suche nach individueller Verwirklichung seines Lebens. Der Wissenschaftler, der in dieser modernen Zeit lebt, steht in denselben Zusammenhängen von Rationalisierung und Intellektualisierung. In Webers Worten, die aus seiner späten vielzitierten Rede »Wissenschaft als Beruf« stammen: »Dass Wissenschaft heute ein fachlich betriebener ›Beruf‹ ist im Dienst der Selbstbesinnung und der Erkenntnis tatsächlicher Zusammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarung spendende Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Bestandteil des Nachdenkens von Weisen und Philosophen über den Sinn der Welt –, das freilich ist eine unentrinnbare Gegebenheit unserer historischen Situation, aus der wir, wenn wir uns selbst treu bleiben, nicht herauskommen können« (ebd., S. 105). Sich selbst verstand Weber als Forscher und Gelehrter, der sich immer wieder neuen Fragestellungen zuwandte, um historische oder zeitgeschichtliche soziale Bedingungsgefüge in ihrer Wirkung auf die Handlungs- und Motivlagen der Menschen zu verstehen. Er verfolgte dabei das Erkenntnisinteresse, sein Verständnis drängender Kulturfragen seiner Zeit zu vertiefen. Erkenntnisleitend für seine Studie zur protestantischen Ethik war die Frage, wie eine so gewaltige Umwälzung der Lebensverhältnisse im Kapitalismus entstehen konnte. Methodische Lebensführung und rastlose Berufsarbeit rationalisieren das Dasein in der Moderne: diese Erkenntnis musste in umfangreichem Literatur- und Quellenstudium erarbeitet werden. Sodann wandte er sich anderen historischen Epochen und anderen Kulturkreisen zu, um die da gefundenen Konstellationen mit dem europäischen Rationalismus zu vergleichen.

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Risiken persönlicher Identitätsfindung im »stahlharten Gehäuse« der Moderne Vieles spricht dafür, dass die psychische Krise einen Wendepunkt in der intellektuellen Persönlichkeitsentwicklung Max Webers zum Ausdruck brachte: In seiner Auseinandersetzung mit den Wissenschaften vom Menschen in seinen sozialen Interaktionsbezügen war er offensichtlich an einen Punkt gekommen, an dem sich sein Blick auf die Grundstrukturen menschlichen Handelns in einer Weise radikalisierte, die eine Distanzierung gegenüber den Konventionen einer »normalen« bürgerlichen Lebensführung im Verständnis seiner Zeit voraussetzte. In der Begrifflichkeit seiner Herrschaftssoziologie ausgedrückt erfolgte ein Bruch mit der Selbstverortung in traditional-autoritätsgebundenen Bezügen und die Suche nach einer eigenen Position. Getragen von hochreflexiven und strengsten intellektuellen Ansprüchen an sich selbst galt es einen erfüllten Lebensweg zu gestalten innerhalb des »stahlharte(n) Gehäuse(s)« (Weber 1920a, S. 487) der entzauberten, an sich sinnlos gewordenen Welt der okzidentalen kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die dem modernen Menschen unpersönliche Distanz, Sachlichkeit und Einordnung vorschreibt. Unter den Bedingungen eines jungen Männern gehobener Stände bereits in Webers Generation zugestandenen adoleszenten psychosozialen Moratoriums (vgl. Erikson 1966) mit freizügiger Lebensführung, Ungebundenheit und finanzieller Sorglosigkeit während Schulzeit und Studium war der Gegensatz zwischen verzauberter Wunscherfüllung und harschem Unterwerfungszwang unter die über Lebenserfolg entscheidenden sozialen Regelwerke noch nicht in seiner Schärfe hervorgetreten. Wie nachfolgendes Zitat aus einem Brief an den Vater illustrieren mag, wusste Weber, wie er sich weniger durch geistige Erbauung als durch leibliche Genüsse unter Zuhilfenahme der sozial legitimierten Drogen Alkohol und Nikotin den von ihm als »Stumpfsinn« (Weber 1883, S. 363) empfundenen autoritären Zwangsritualen der militärischen Pflicht des Wacheschiebens innerlich entziehen konnte: »Ich habe mir jetzt im Tornister stets meine Pfeife und ein halbes Pfund Kanaster außer den Zigarren mitgenommen und bisher auch jedesmal verbraucht. Außer dem Erwähnten enthält mein für die Wache ausgerüsteter Tornister noch: Waschzeug und Handtuch, ein reines Hemd, … ein paar Schnapsfläschchen von dem Format, dass man je eines in einen der großen am Seitengewehr hängenden Fausthandschuhe stecken kann, mit Rhum oder Cognak gefüllt, außerdem noch eine Quantität Rhum zu Grogk, eine Anzahl hartgekochter Eier, die beim Aufziehen auf Posten in der Patronentasche untergebracht werden, da ich sonst nach jedem zweistündigen Postenstehen einen allzu unangenehmen Appetit verspüre, – endlich Lektüre möglichst leichten Genres.« (Weber 1884, S. 396)

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Die Übernahme des Freiburger Lehrstuhls zwang Max Weber in eine andere Rolle: Nun war er selbst Autorität, und dies als ordentlicher Professor einer hochrenommierten Universität im wilhelminischen Deutschen Reich. Ein enormes Arbeitspensum, verbunden mit der Einarbeitung in Gebiete, mit denen er sich bis dato wenig beschäftigt hatte, die Übernahme umfangreicher Lehrverpflichtungen und der nur wenige Jahre später erfolgende Ruf nach Heidelberg, wo er nun zum Kollegen seiner Lehrer wurde, erzeugten einen immensen Druck (vgl. Borchardt 1996). Hinzu kamen die unter wenig günstigen Vorzeichen stehende Eheschließung mit Marianne, die seiner Mutter mindestens ebenso nahestand wie ihm, und die offene Schuldfrage nach dem Tod des Vaters. Ein ganzes Bündel epochentypischer Belastungen, die dem rationalen Aufbau der Kultur durch Triebverzicht (vgl. Freud 1930) geschuldet waren, bahnte sich so seinen Weg in Richtung eines »Erschöpfen Selbst« (Ehrenberg 2004), gekennzeichnet durch depressive Zusammenbrüche, wie sie inzwischen als Volkskrankheit der Moderne gelten. An anderer Stelle haben wir das wahlverwandtschaftliche Verhältnis zwischen einem unaufhaltsamen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, der durch die Auflösung traditionaler Verbindungen und zunehmende Individualisierung bei gleichzeitigem sich beschleunigenden und zuspitzenden Zwang zu funktionalem und rationalem Handeln in allen Lebensbereichen einerseits, und spezifischen Risiken der Persönlichkeitsentwicklung unter diesen Entwicklungsbedingungen andererseits ausbuchstabiert. Zusammengefasst zeichnen sich diese Risiken u. a. dadurch aus, dass sich der Erwerb einer persönlichen Identität, die eine gut integrierte Balance zwischen soziokultureller Anpassung und bedürfnisadäquater Selbstverwirklichung garantiert, im Verlaufe des 20. Jahrhunderts für intellektuell begabte Jugendliche und junge Erwachsene zunehmend schwieriger und komplexer zu gestalten begann. Für das Spektrum psychopathologischer Entgleisungen bedeutet dies, dass triebimpulsnahe extrovertierte Formen in den Hintergrund treten und introvertierte Formen, insbesondere depressive und psychosomatische Bilder, zunehmend die Führung übernommen haben (vgl. Frommer 2008).

Die Beiträge Die Beiträge dieses Buches sind dem Beleg der These verbunden, dass Max Weber einerseits als Wegbereiter der theoretischen Durchdringung dieses Prozesses verstanden werden kann, und dass zum anderen sein persönliches Lebensschicksal in paradigmatischer Weise Zeugnis ablegt von den Risiken des Scheiterns der Lebensführung in der Moderne. Das Besondere in diesem Zusammenhang liegt darin, dass das persönliche Scheitern in Form depressiver Ab-

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stürze, die sich daraus ergebende Konsequenz des Ausscheidens aus der Normalität bürgerlichen Berufslebens sowie sein späteres Ausbrechen aus der Verwandtenehe mit Marianne (vgl. Lepsius 2016) Weber nicht nur zum Zaungast seiner Epoche werden ließ, sondern dass er diese Position im Sinne der Perspektive des teilnehmenden Beobachters (vgl. Malinowski 1922) auf der Grenzlinie zwischen innen und außen in einer Weise nutzte, die, verbunden bspw. mit den Studien über Randseiter (marginal man), später von der Chicagoer Soziologie als wertvolle Erkenntnisquelle entdeckt wurde (vgl. Stonequist 1937). Um diese Konstellation zu verstehen, verbinden die hier erstmals gemeinsam publizierten Aufsätze werksgeschichtliche, biographische und methodologische Perspektiven auf Webers Werk. Das erste und zweite Kapitel sind dem werksgeschichtlichen Blick auf Webers Auseinandersetzung mit der Psychologie seiner Zeit gewidmet. Herausragende Gestalt der Psychologie im deutschsprachigen Raum in ihrer Entstehungsphase war Wilhelm Wundt. Wundt wird entsprechend seiner medizinischen Herkunft, der Tatsache, dass er in Leipzig 1879 das erste psychologische Labor einrichtete, und seiner immensen Ausstrahlung auf die experimentalpsychologische Forschung in der Folgezeit, häufig auf sein naturwissenschaftlich-experimentelles Werk reduziert. Dabei wird übersehen, dass er sich keineswegs als einseitiger Verfechter einer vollständigen Vernaturwissenschaftlichung der Psychologie verstand. Seine zehn Bände umfassende Völkerpsychologie blieb zwar einerseits »begrifflich vage unter Verwendung problemträchtiger, naturwissenschaftlicher Metaphern, die … manche augenscheinliche Widersprüchlichkeit aufweisen« (Aschenbach 1988, S. 239), bewahrte jedoch anderseits die Anschlussfähigkeit in Richtung der ihrerseits auch noch in den Kinderschuhen steckenden Sozial- und Kulturwissenschaften. Zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung Webers mit der Psychologie waren die Arbeiten des 1832 geborenen Wundt bereits hinter die seiner Schüler zurückgetreten. Entsprechend der Janusköpfigkeit seines Werks lässt sich auch in seiner Schülerschaft eine naturwissenschaftliche von einer sozial- und kulturwissenschaftlichen Richtung unterscheiden. Weber setze sich mit beiden Richtungen auseinander: Das erste Kapitel gibt einen Überblick über Webers kritische Auseinandersetzung mit der experimentalpsychologischen quantitativen Leistungsforschung des Wundt-Schülers und Mitbegründers der modernen auf empirische Forschung gegründeten psychiatrischen Nosologie Emil Kraepelins einerseits und der sozial- und kulturpsychologischen qualitativen Hysterieforschung des Wundt-Schülers Willy Hellpach auf der anderen Seite. In beide Richtungen kritisiert er die zumeist unhinterfragte Zugrundelegung theoretischer Begriffe und Grundannahmen, die außerhalb der Selbstvergewisserung der von ihm kritisierten Autoren bleibt und dadurch die Ergebnisse ihrer Forschung in ein Licht rückt, das zwar deutliche Spuren der subjektiven Forscherperspektive aufweist, sich dieser Färbung jedoch nicht in vollem Um-

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fang bewusst ist. Kapitel zwei vertieft Webers Kritik an dem von Kraepelin verkörperten Universalitätsanspruch naturalistisch-naturwissenschaftlicher Forschung für humanwissenschaftliche Fragestellungen und leitet über zur nachKraepelinschen Weiterentwicklung der Heidelberger Psychopathologie, die in Kapitel fünf weiterverfolgt wird. Das dritte Kapitel vertieft die Beschäftigung mit Hellpachs Sozialpathologie. Seine bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausformulierte Prognose eines dem gesellschaftlichen Rationalisierungsprozess des modernen Kapitalismus parallel laufenden Wandels des Spektrums psychopathologischer Krankheitsbilder erscheint trotz der von Weber kritisierten methodologischen Mängel außerordentlich aktuell: Das In-den-Hintergrund-Treten expressiver durch Affektkontrollverlust gekennzeichneter »hysterischer« Bilder zugunsten einer »Intimisierung« der Psychopathologie im Sinne »nervöser« und depressiver Hemmung erscheint so als paradoxe Konsequenz gesellschaftlicher Rationalisierung. Kapitel vier und fünf widmen sich den Ansätzen zu einer Theorie des psychologischen Verstehens in Webers Handlungstheorie und weist nach, dass es sich hierbei keineswegs um eine Leerstelle handelt. Zwar lagen psychologische Fragestellungen im engeren Sinne eher am Rande seiner Fragestellungen; zu ihrer grundsätzlichen Berücksichtigung war Weber jedoch durch den Anspruch einer allgemein für die Humanwissenschaften geltenden Handlungstheorie genötigt. Somit lässt sich ein methodologisch reflektierter verstehender Zugang zu affektiv motiviertem Handeln auch dort postulieren, wo die Bedeutung von Handlungen zunächst irrational und unverstehbar erscheint. Kapitel fünf geht auf die in diesem Zusammenhang zentralen Querverbindungen zu den Heidelberger Psychopathologen Hans W. Gruhle und Karl Jaspers ein und zeigt, dass Weber an ihrem unter Berufung auf seine Handlungstheorie begründeten Unverstehbarkeitstheorem als zentralem Differenzierungskriterium zwischen Neurose und Psychose durchaus methodologisch begründete Zweifel anmeldete zugunsten eines erweiterten Verstehensbegriff, der den Raum freigab für die noch in den Kinderschuhen steckende psychoanalytische Aufdeckung unbewusster Symptombedeutungen. Kapitel sechs und sieben widmen sich Webers Biographie und Krankheit. Seine Überzeugung, dass wissenschaftliche Erkenntnis »von unserm durch jene Wertideen bedingten Interesse gefärbt« (1904, S. 182) wird, rückt die Frage nach Webers eigenem Welt- und Selbstverständnis, nach seinen eigenen Wertüberzeugungen, ebenso in den Fokus des Interesses, wie die Frage, ob er selbst es verstand, diese Wertungen auch da, wo sie irrationale und emotionale Züge trugen, in Konflikt mit Moral und Sittenvorstellungen seiner Zeit lagen und begrifflich nur schwer fassbar waren, in sein auf die Trennung von wertendem und wertbeziehendem Urteil bedachtes Denken miteinzubeziehen. In diesem Sinne vertritt bspw. Schluchter die Überzeugung, dass man »in Webers geistiges

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Zentrum« (1988, Bd. 1, S. 16) nur gelangen kann, wenn man neben der Berücksichtigung der Problem- und Werksgeschichte und der für Weber spezifischen Verbindung konkretester historischer Forschung mit systematischem Denken als Drittes eine biographische Perspektive entwickelt, »die die Wurzeln des systematischen Denkens bis in die Lebensanschauung hinein zu verfolgen erlaubt« (ebd.). Die Entwicklung einer solchen Perspektive birgt jedoch auch Risiken im Sinne der Verzerrung durch die Verschränkung biographischer Analyse mit den bewussten oder weniger bewussten Interessen und Wertungen desjenigen, der diese Analyse durchführt: Bereits seit der »Weber-Renaissance« (Weiß 1989b, S. 11) in den 70er Jahren wurde innerhalb der Weber-Forschung deutlich, dass die Hauptquelle der Weber-Biographik, das posthum von Marianne Weber veröffentlichte »Lebensbild« (Marianne Weber 1926), neben dem großen Vorteil der Information aus erster Hand, auch problematische Züge im Sinne hagiographischer Verzerrungen trug. Die durch die Max-Weber-Gesamtausgabe insbesondere im Hinblick auf Briefkorrespondenzen verbesserte Quellenlage erlaubte einen nüchterneren Blick: Kapitel sechs zeichnet die Entwicklung seiner depressiven Einbrüche in ihren biographischen Bezügen nach und nimmt eine psychiatrisch-diagnostische Einordnung vor. Der Kategorisierung als persönlichkeitsfremde, letztlich unverstehbare Geistes- und/oder Gemütskrankheit wird eine Perspektive gegenübergestellt, die seine psychischen Alterationen auf der Grundlage von Webers eigener Zeitdiagnose zu verstehen sucht. Kapitel sieben diskutiert und präzisiert diese Einordnung durch einen detaillierten Blick auf die Initialphase seiner Krankengeschichte. Kapitel acht und neun beschäftigen sich mit den Erträgen von Webers Auseinandersetzung mit affektiv-irrationalem Handeln und psychologischem Verstehen für uns heute. Diese Erträge lassen sich in zwei Richtungen ausformulieren. Kapitel acht zeichnet die Grundlinien einer soziologischen Betrachtung der Profession, die dieser Form des Verstehens gewidmet ist. Dort wo Psychotherapie sich nicht auf Techniken zur Verhaltensmodifikation beschränkt, sondern konflikthafte biographische Konstellationen als Hintergrund psychischen und psychosomatischen Leidens ergründet, ist sie in ihrer Fallarbeit als akademische Profession auf eine Handlungstheorie angewiesen, die nicht nur einen Verstehenszugang auch zu scheinbar irrationalem Handeln erlaubt, sondern auch einen begrifflichen Rahmen bereitstellt zur Einordnung des therapeutischen Handelns im Spannungsfeld zwischen rationaler und charismatischer Herrschaftsausübung. Kapitel neun fragt schließlich nach den Konsequenzen der Beschäftigung mit Webers Methodologie für die moderne Psychotherapieforschung. Dem hier auch heute noch weit verbreiteten naturwissenschaftlich-naturalistischem Selbstverständnis wird eine Forschungslogik entgegengestellt, deren methodologisches Fundament in der qualitativen Sozialforschung wurzelt. Am Beispiel der Diagnostikforschung bewahrheitet sich Webers Skepsis gegen-

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über einem quasi-biologischen kategorisierendem Diagnostizieren zugunsten eines Verständnisses, das psychiatrische Diagnosen als idealtypische Konstrukte versteht, die das Selbstverständnis dieser Profession in einer spezifischen zeitlichen Epoche widerspiegeln. Damit schließt sich der Bogen insofern, als dem Blick auf Webers Krankheit durch die Augen der Psychiatrie auf diese Weise der Blick auf das professionelle Selbstverständnis der Gegenwartspsychiatrie durch die Augen von Webers methodologischer Grundlegung der Humanwissenschaften an die Seite gestellt wird. Die hier erstmalig im Zusammenhang publizierten Aufsätze sind verstreut und heutzutage zum Teil schwer zugänglich einzeln zwischen 1990 und 2001 erstveröffentlicht worden. In einer Zeit raschen Verfalls wissenschaftlicher Erkenntnis wirft dies die Frage ihrer Aktualität auf, der im zehnten Kapitel nachgegangen wird. Autobiographische Spuren der Entstehung der Texte finden hier ebenso Berücksichtigung wie die Rezeptionsgeschichte der Texte und neuere relevante Ergebnisse der Forschung zu den in den jeweiligen Kapiteln behandelten Themen. Insgesamt behauptet sich der Anspruch auf die Aufmerksamkeit einer breiteren Leserschicht für die Bezüge zwischen Max Weber und dem psychologischen Verstehen, die mehr als ein Randthema darstellen. Für die Möglichkeit zur Wiederveröffentlichung bedanken wir uns bei den Verlagen Suhrkamp, Franz Steiner, Georg Thieme, Asanger, Springer, Vandenhoeck & Ruprecht sowie Duncker & Humblot. Bei der Aufbereitung der Texte halfen Kathlen Scholz, Ines Schade, Anne Ringling und Benita Böttger, denen ebenfalls unser Dank gilt. Das Gesamtliteraturverzeichnis und die kritische Durchsicht der Beiträge oblag Paul Reiter; auch bei ihm bedanken wir uns herzlich. Unser besonderer Dank gilt Johannes Weiß für wertvolle Hinweise und sein Geleitwort.

Teil I: Die Psychologie seiner Zeit

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Kapitel 1: Bezüge zu experimenteller Psychologie, Psychiatrie und Psychopathologie in Max Webers methodologischen Schriften

Nicht nur die in der Blütezeit der Max-Weber-Forschung erschienenen groß angelegten Interpretationen seiner Handlungstheorie,1 sondern auch Spezialpublikationen (vgl. Gerhards 1989; Hahn 1988) räumen Max Webers Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlich-experimenteller Psychologie, Psychiatrie, Psychopathologie und den zu Beginn des Jahrhunderts aufkeimenden tiefenpsychologischen Ansätzen geringen Stellenwert ein. Dies mag mit dem herrschenden Bild der Person Webers zusammenhängen, das unter das Stereotyp eines im preußischen Protestantismus aufgewachsenen, religiös und pflichtbewusst erzogenen arbeitsamen Großbürgersohns gefasst wird, der konsequent den angestammten sozialen und beruflichen Werdegang verfolgt. Moralische Integrität, Fixierung auf das rational Zugängliche und Ablehnung leiblich-affektueller Motive und Bedürfnisse sind gleichermaßen Bestandteil dieses Bildes, das sich nicht nur auf biographische Daten, sondern auch auf wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Äußerungen stützen zu können glaubt, so etwa auf einen Brief vom September 1907, in dem Weber einen Aufsatz des Freudianers und Propagandisten der sexuellen Befreiung Otto Gross für die Veröffentlichung im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik ablehnt. Der Brief zeige Webers Fixierung auf die bürgerliche Lebensordnung mit ihren traditionellen Moralvorstellungen.2 1 Beispielsweise Prewo (1979), Schluchter (1979), Habermas (1981), Allerbeck (1982), Münch (1982); vgl. hierzu die Übersicht von Döbert (1989). In seiner Übersicht zu diesen Rekonstruktionsversuchen kritisiert Döbert, dass die genannten Autoren dem affektuellen Handeln keinen adäquaten Stellenwert einräumten. Sein eigener Rekonstruktionsversuch entfernt sich jedoch von Weber und lässt wesentliche Quellen außer Acht. 2 Vgl. den Brief von Max Weber an Else Jaffé vom 13. September 1907 (Weber 1907a). Diesen Brief hat zuerst Marianne Weber (1926, S. 378ff.) in gekürzter Fassung veröffentlicht, daher war er inhaltlich der Weber-Forschung bereits vor dem Wiederabdruck in der Brief-Abteilung der Max Weber-Gesamtausgabe bekannt. Eine differenziertere Darstellung von Webers diesbezüglicher Auseinandersetzung mit Otto Gross, ohne auf Stereotypen zu Webers Biographie zurückzugreifen, gibt Schwentker (1988). Vgl. allgemein zum Bild von der Person Weber die Übersicht über die biographische Literatur von Kaesler (1989).

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Dieser Sichtweise entsprechen die Rekonstruktionen von Webers Handlungstheorie insofern, als sie den durch irrationale, affektbeladene und nicht klar bewusste Motive gekennzeichneten Handlungstypus als bloße defizitäre Form des zweckrationalen Handelns fasst. Weber vertrete die These der »Primärverständlichkeit des Rationalen« (Hahn 1988, S. 123), ein »rationalistischer bias« (Gerhards 1989, S. 337) wird als Kritikpunkt angemahnt. In den »Soziologischen Grundbegriffen« von 1920 berücksichtige Weber zwar die affektuelle Handlungsorientierung – wie auch weite Strecken seiner materialen Soziologie von ihr handelten –, doch methodologisch habe er das Emotionale vernachlässigt und lediglich über seinen Mangel an Rationalität definiert (vgl. Hahn 1988, S. 117; Gerhards 1989, S. 342). So erscheint Webers Beschäftigung mit Fragen der Psychologie verkürzt auf seine kritische Auseinandersetzung mit den erkenntniskritischen Positionen der führenden zeitgenössischen Fachvertreter, wie er sie insbesondere in seiner ersten großen methodologischen Schrift, dem ab 1903 verfassten dreiteiligen Aufsatz »Roscher und Knies und die logischen Probleme der Nationalökonomie« (Weber 1903–06) führt. Im Rahmen der Vorbereitung seiner eigenen handlungstheoretischen Grundposition kritisiert er hier Wilhelm Wundt, weil dieser zwar erkenne, dass die Erzeugung individueller und kollektiver Werte nicht aus psychischen Elementen ableitbar sei, sich aber bei ihrer Erklärung mit Einführung von Prinzipien wie »schöpferische Synthese« und »Wachstum der psychischen Energie« der Annahme letztlich unwissenschaftlicher und deshalb unakzeptabler Deutungshilfen aus dem Bereich sozialphilosophischer Spekulation bediene (vgl. Weber 1903–06, S. 253ff.). Der Auffassung Hugo Münsterbergs, der den subjektivierenden Zugang zur Aktualität des Ichs und seiner Welt der Freiheit methodisch trennt von der objektivierenden Beschreibung der vom Ich losgelösten psychophysischen Gegenstände, hält Weber entgegen, dass auch das unmittelbare, aktuelle Wollen des Menschen objektivierend erfasst werden könne, sofern der Beobachter seine Fähigkeit des deutenden Verstehens unter Kontrolle eines geeigneten Instrumentariums nutze (Weber 1903–06, S. 283ff.) und Deutung weder verstehe als wertende Stellungnahme dem beobachteten Subjekt gegenüber noch als intuitionistisches Einfühlen, wie dies Theodor Lipps in seiner Deutungstheorie entwickele (Weber 1903–06, S. 328ff.). Weber weist hier das naturalistisch-romantische Ideal des seinen nur einfühlbaren, begrifflich nicht fassbaren Stimmungen unterworfenen Menschen zurück: Gerade die das menschliche Handeln von Lebensäußerungen anderer Lebewesen unterscheidende Eigenschaft, frei nach Zweck-Mittel-Kalkulationen zu handeln, mache sein Tun pragmatischer Deutung zugänglich (vgl. Weber 1903–06, S. 357ff., 363). Weniger bekannt als die grundsätzlichen methodologisch-kritischen Überlegungen ist Webers Auseinandersetzung mit konkreten Forschungsbereichen und methodischen Problemen psychologischer und psychiatrischer Provenienz. In

Bezüge zu experimenteller Psychologie, Psychiatrie und Psychopathologie

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diesem Sinne erstaunt es, dass auch die einschlägige »Weber und …-Forschung«, die inzwischen die meisten irgendwie in Verbindung zu Weber stehenden populären Zeitgenossen gewürdigt hat, gerade diejenigen Psychologen und Psychiater ausspart, zu denen tatsächlich enger persönlicher Kontakt und fachlicher Austausch bestand. So findet beispielsweise in dem umfangreichen Sammelband Max Weber und seine Zeitgenossen (Mommsen u. Schwentker 1988) als einziger Karl Jaspers Erwähnung in Form des Nachdrucks der Erinnerungsrede von Dieter Henrich zu Jaspers’ 100. Geburtstag, da sonst »hier in der Tat eine arge Lücke entstanden« (ebd., S. 9) wäre.3 Die Frage nach Webers Auseinandersetzung mit psychologischen Problemstellungen wird allgemein vorschnell mit den aufgeführten Textpassagen beantwortet, die seinen Ruf als »Psychologie-feindlich« begründen. Selten einbezogen werden »versteckte« Textstellen in den frühen methodologischen Arbeiten, vor allem in »Roscher und Knies«, sowie die in diesem Zusammenhang bisher unberücksichtigte Studie Webers »Zur Psychophysik der industriellen Arbeit« von 1908/09. Ihr an exakte Messverfahren und positivistische Methoden erinnernder Titel irritierte wohl, hatte Weber sich doch zu gleicher Zeit in dem Aufsatz »Die Grenznutzlehre und das ›psychophysische Grundgesetz‹« (Weber 1908b) kritisch vom Reiz-Reaktions-Modell der Experimentalpsychologie Gustav Theodor Fechners abgegrenzt. Außerdem siedelte man Weber in erster Annäherung, wenn überhaupt, im Umfeld einer »verstehenden Psychologie« an, und nicht in dem experimenteller Ansätze. Webers Psychophysik-Text, den er selbst zu seinen methodologischen Arbeiten zählte,4 wurde später nur im Rahmen wissenschaftsgeschichtlicher Studien zur Industriesoziologie und empirischen Soziologie aufgegriffen. Auf die in ihm enthaltenen Ansätze zu einer positiven Bestimmung des Erfassens nicht-rationalen Handelns wird in keinem der Rekonstruktionsversuche von Webers handlungstheoretischem Ansatz Bezug genommen. Die hierdurch entstandene Lücke kenntlich zu machen ist Absicht dieses Kapitels.

3 Der Aufsatz von Strong (1988) behandelt zwar das Verhältnis von Weber und Freud, jedoch ohne Webers konkrete Auseinandersetzung mit Freud über die Textlage des Weber-Briefes vom September 1907 (vgl. Weber 1907a) hinaus einzubeziehen. Vgl. weiterführend einige Aspekte zu Webers Auseinandersetzung mit Fragen der Verstehbarkeit pathologischen Seelenlebens bei J. Frommer u. S. Frommer (1990). 4 Anlässlich der Überlegung, ob nicht seine »methodologisch-logischen Aufsätze« in einem Sammelband veröffentlich werden sollten, gab Weber im November 1919 seinem Verleger eine Aufstellung der entsprechenden Texte, die auch den Psychophysik-Aufsatz enthielt; vgl. den Brief Webers an Paul Siebeck vom November 1919, zitiert von Tenbruck (1989, S. 99).

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Methodologische Probleme experimentalpsychologischer Leistungsforschung: Emil Kraepelin Im Kategorienaufsatz von 1913 (Weber 1913a, S. 389) wie auch in den »Grundbegriffen« von 1920 (Weber 1921, S. 147) verweist Weber auf die 1913 in erster Auflage erschienene Allgemeine Psychopathologie von Jaspers (1913/1973). Der hierdurch entstehende Eindruck, Weber habe sich bei seiner Auseinandersetzung mit Fragen der Psychopathologie und solchen des psychologischen Verstehens überhaupt vorrangig oder ausschließlich an Jaspers orientiert, täuscht über die tatsächlichen Gegebenheiten hinweg. Seit Anfang 1908 war Jaspers zunächst als Medizinalpraktikant, dann als Volontärassistent an der Psychiatrischen Klinik in Heidelberg tätig. Seine 1909 erschienene Dissertation Heimweh und Verbrechen geht noch nicht von der methodologischen Trennung in verstehbare, weil rational nachvollziehbare oder einfühlbare seelische Zusammenhänge einerseits und nur erklärbare, objektive psychopathologische Phänomene andererseits aus. Diese war vielmehr erst in den die Allgemeine Psychopathologie vorbereitenden, ab 1910 erscheinenden Arbeiten entwickelt (vgl. Schmitt 1983, S. 23ff.).5 Weber und Jaspers lernten sich im Laufe des Jahres 1909 durch Vermittlung Hans Gruhles kennen (Jaspers 1984, S. 34), während Gruhle bereits zuvor – Weber lernte ihn wahrscheinlich 1907 kennen – in der Entstehungsphase des Psychophysik-Textes für Weber wichtiger Gesprächspartner war. In der vierteiligen Aufsatzfolge Zur Psychophysik der industriellen Arbeit befasst sich Weber zum einen mit den »außerordentlichen Fortschritten der anthropologischen, physiologischen, experimentalpsychologischen, psychopathologischen Forschung« (Weber 1908/09, S. 163) auf ihren Beitrag hin für die nationalökonomische und sozialwissenschaftliche Analyse von Arbeit unter industriellen Bedingungen. Im Mittelpunkt dieses »Litteraturbericht(s)« (Weber 1908a) stehen die psychologischen Leistungsversuche von Emil Kraepelin.6 Den ausführlichen Nachweisen von Kraepelins meist unter Beteiligung von Schülern durchgeführten Untersuchungen sowie weiterer experimentalpsychologischer und physiologischer Literatur zur Arbeitsphysiologie schließt sich in der Eingangsfußnote die Anmerkung an, dass er den Herren Gruhle und Hellpach für wertvolle Hinweise danke (Weber 1908/09, S. 168). Zum anderen berichtet er über die Ergebnisse einer eigenen Beobachtungsstudie, die er in dem Webereibetrieb seiner westfälischen Verwandten durchführte. Äußerer Anlass für den empiri5 Vgl. den Wiederabdruck dieser Aufsätze in Jaspers (1963). 6 Weber und Kraepelin begegneten sich auch persönlich: Anlässlich einer Diskussion im Verein für Sozialpolitik über die Ergebnisse der Arbeiterenquête sagte Weber (1911, S. 417): »Der Schöpfer der psychologischen Methodik der Arbeitsuntersuchung, Professor Kraepelin – München, sagte mir gelegentlich einer Rücksprache einmal …«.

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schen Teil des Psychophysik-Textes war die eben vom Verein für Sozialpolitik beschlossene Erhebungsreihe Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie, für die Weber bereits eine methodologische Einführung (Weber 1908c) für die Mitarbeiter der Enquête geschrieben hatte. Entsprechend dieser Arbeitsanweisung führte er nun auch selbst die Untersuchung des Leistungsverlaufs ausgewählter Arbeiter und Arbeiterinnen auf der Grundlage einiger arbeitspsychologischer Kategorien von Kraepelin durch. Gruhle hatte sich im Rahmen seiner Dissertation ausführlich mit der experimentellen Leistungsforschung befasst. Er führte im Winter 1904/05 als Doktorand von Kraepelin an der Psychiatrischen Klinik in München selbst Versuche mit dem Ergographen durch, einem für die Ermüdungsforschung konstruierten Gerät, das die Registrierung der Muskelleistung eines Fingers der fixierten Hand des Probanden ermöglicht. Die Arbeit beinhaltete eine Zusammenfassung der Literatur über das Thema Ergographen- und Ermüdungsforschung (vgl. Gruhle 1912). Gruhle indessen bezweifelte, dass der Ergograph den Ablauf zwischen Impuls zur entsprechenden Muskeltätigkeit und Ausführung der tatsächlichen Bewegung zuverlässig messen könne. Als Argument führte er zum einen an, dass ein Muskel niemals isoliert innerviert werden könne, zum anderen beginne der Wille zur Bewegung bereits vor der aufzeichenbaren Muskelzuckung. Die 1907 abgeschlossene Dissertation erschien nach mehrfacher Überarbeitung erst 1912, und es ist anzunehmen, dass die späte Veröffentlichung mit in der Arbeit enthaltenen kritischen Anmerkungen zu Kraepelins Arbeits- und Ermüdungsforschung zusammenhängt.7 Gruhle, der seinen Doktorvater später als »Self-made man« (Gruhle 1929, S. 45) bezeichnete, der sein methodisches Vorgehen in keinster Weise reflektierte, stand also schon damals Kraepelins Ansatz, die physiologischen Grundeigenschaften als das Wesentliche einer Person anzusehen (vgl. Kraepelin 1896), kritisch gegenüber. In Gruhle, der 1905 nach Abschluss der Ergographenversuche als Assistent an die Heidelberger Psychiatrische Klinik kam, fand Weber einen Diskussionspartner, der sich in eben dem Fachgebiet, das Weber für die Untersuchung der Arbeit unter industriellen Bedingungen heranzog, auskannte. Gruhle gehörte schon bald zum Freundeskreis von Max und Marianne Weber (vgl. Marianne Weber 1926, S. 371f., 460). In einem Brief vom Herbst 1908 forderte Weber ihn zu einem Besuch auf, da er sich sehr für Gruhles »Urteil zu der ganzen Theorie [Kraepelins; S. F.]« interessiere (Weber 1908e, S. 684), und bedauerte, dass er ihn in der letzten Zeit nicht gesehen habe. Gruhle hatte sich zuvor schon bereit erklärt, den ersten Literaturteil des Psychophysik-Textes gegenzulesen (vgl. 7 Darauf lässt die dem Abdruck beigegebene Anmerkung von Gruhle schließen; vgl. Gruhle (1912, S. 339).

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Weber 1908d, S. 674f.; 1908e, S. 684f.), und bekam deswegen die Druckfahnen zugeschickt (vgl. Weber 1908a, S. 663). Die persönlichen Dokumente sprechen dafür, dass Gruhle Weber seine Vorbehalte hinsichtlich Kraepelins methodologisch unfundierter erfahrungswissenschaftlicher Herangehensweise bei der Erforschung der Arbeitskurve mitteilte, denn Weber entgegnete in einem Brief, in dem er sich für dessen Korrekturlesen bedankte: »Eine Kritik Kraepelin’s aus meinem Mund wäre ja doch eine glatte Lächerlichkeit« (Weber 1908e, S. 684). Weber beschäftigte sich indessen in seinem »Literaturbericht« selbst auch so ausführlich mit Kraepelins Leistungspsychologie, dass er nicht nur ein differenziertes Bild von dessen »Theorie« hatte, sondern auch eine eigenständige, über Gruhle hinausgehende Kraepelin-Kritik entwickelte, die er allerdings unter Rücksichtnahme auf seine eigene Fachfremdheit in der Schrift nur vorsichtig anklingen lassen konnte. Der Psychiater Kraepelin, der bei Wundt in dessen Leipziger Labor in experimenteller Psychologie ausgebildet worden war, interessierte sich für die Anwendung psychologischer Verfahren bei psychiatrischen Problemstellungen (vgl. Kraepelin 1896). Da sich die Symptome bestimmter Geisteskrankheiten und kurzzeitige Beeinträchtigungen durchaus ähnelten, müsse mit Hilfe des systematischen psychologischen Versuchs vorab umfassendes Wissen über die normale psychische Reaktionsfähigkeit erarbeitet werden. Die vorübergehende Schädigung der Leistungsfähigkeit von Probanden durch kontrollierte Gabe von Giftstoffen erlaube dann ein durch Vergleich mit der Norm gewonnenes Verständnis für diese leichten Störungen. Schließlich solle mittels dieser Ergebnisse Zugang zu echten psychiatrischen Erkrankungen gefunden werden (vgl. Kraepelin 1896, S. 27ff.). Er ging von der anthropologischen Annahme aus, dass die organisch-physiologischen Grundeigenschaften das Bestimmende des Menschen seien, »die ganze Art und Weise, in welcher er die Lebensreize in sich verarbeitet« (Kraepelin 1896, S. 46). Kraepelin versuchte nun, ein psychologisches Instrumentarium zur Erfassung der geistigen Leistungsfähigkeit zu entwickeln (vgl. Kraepelin 1902). Als Maß der Leistung dienten dabei die in regelmäßigen Zeitabständen festgehaltenen Ergebnisse von fortlaufendem Ziffernaddieren durch den Probanden. Die Anzahl der gelösten Aufgaben auf der Vertikalen und der zeitliche Verlauf auf der Horizontalen eines Koordinatenschemas eingetragen, ergibt sodann ein Schaubild, das den Verlauf der Leistung nachzeichnet. Diese sogenannte Arbeitskurve ist Kraepelin zufolge im Normalfall stets von Schwankungen gekennzeichnet; nach zackenartigem Anstieg wird das erreichte Niveau von einem Auf und Ab der Leistung überlagert, gegen Ende sinkt die Leistung, wobei dem ein kurzes Ansteigen der Kurve vorausgehen kann. Der Verlauf der Arbeitskurve sei bedingt durch gegeneinander wirkende Faktoren. Einerseits bewirke Ermüdung nach gewisser Zeit immer eine Abnahme der Leistung. Andererseits sinke das erreichte Niveau der Leistung infolge der sich

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durch die Arbeit einstellenden Übung nicht ab, sondern werde über einen bestimmten Zeitraum gehalten oder sogar zeitweise überschritten. Die psychologische Ermüdung bewirke ein Sinken der Leistung; sie ist Kraepelin zufolge jedoch abzugrenzen von der subjektiven Müdigkeit, die ein Gefühl darstelle, das sich beispielsweise als eine den Beginn der Arbeit beeinflussende »Organträgheit« (Kraepelin 1896, S. 54) oder als eine überwindbare Arbeitsunlust charakterisieren lasse (vgl. Kraepelin 1902, S. 465). Weitere »Komponenten« der Arbeitskurve seien physiologische Grundeigenschaften wie Übungsfähigkeit und Übungsfestigkeit, Ermüdbarkeit, Anregbarkeit, Erholungs- und Gewöhnungsfähigkeit. Kraepelin war überzeugt, über die Untersuchung der individuellen »Grundeigenschaften« zu generellen Aussagen über wesentliche Eigenschaften einer Person gelangen zu können, da psychische Prozesse festen Gesetzmäßigkeiten unterworfen seien (vgl. Kraepelin 1902, S. 490). In einem persönlichen Brief an Gruhle hat Weber unter Hinweis auf seine Fachfremdheit seine methodologischen Einwände zu Kraepelins Arbeitskurve mit folgenden Worten angedeutet: »… dass die Sache mit diesen gegeneinanderwirkenden Componenten und dem sorgsamen Anschluss an die physiologische Betrachtungsweise, wo die psychisch-affektiven Elemente stets eine ersichtliche Verlegenheit bilden, wohl Bedenken erregen kann u. noch nicht ›sturmfrei‹ dasteht, kann hie u. da wohl auch der Laie ahnen« (Weber 1908e, S. 684).8 Dezidierter analysiert Weber im Psychophysik-Text indessen nach ausgedehntem Referat der Leistungsforschung, insbesondere der Arbeitskurve, die prinzipiellen Probleme von Kraepelins »Konstruktion« (Weber 1908/09, S. 227). Er zeigt auf, wie sich aus Kraepelins materialistischer Grundauffassung methodische Schwierigkeiten ergeben (vgl. Weber 1908/09, S. 225f.): Eigentlich müsse Kraepelin konsequenterweise zeigen, wie man sich das Eingreifen beobachtbarer Faktoren, die jedoch psychischen Charakters sind, in den physiologischen Ablauf von Übung und Ermüdung vorzustellen habe. Dafür fehle ihm jedoch das begriffliche Instrumentarium. Kraepelin könne mit seinem methodischen Vorgehen nur erfassen, was der »Chemismus der Gewebe« (Weber 1908/ 09, S. 227) leiste. Außerdem sei Kraepelins Bild der Persönlichkeit, das den Menschen als Einheit seiner physiologischen Grundqualitäten sehe, als biologische Kategorie nicht von seinen physiologisch-chemischen Begrifflichkeiten herzuleiten (vgl. Weber 1908/09, S. 228). Mit diesen Einwänden sind für Weber die letztlich mit psychophysischen Problemstellungen immer einhergehenden offenen Fragen angesprochen: »gewisse Bestandteile der Kraepelinschen Theorie (Willensantrieb!) könnten – sehr gegen seine Absicht – letztlich doch auf den 8 Auch Kraepelin selbst sah die Schwierigkeit durchaus, die Bestandteile der Arbeitskurve in ihrer jeweilig getrennten Wirkung auf den Leistungsverlauf zu untersuchen; er hoffte jedoch, sie durch verfeinerte Experimente ausräumen zu können; vgl. Kraepelin (1902, S. 506f.).

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Gedanken ›unbewusster‹ und doch nicht ›physischer‹, sondern ›psychischer‹ Vorgänge führen« (Weber 1908/09, S. 228). Damit ergebe sich ein gewisser Gegensatz zu der in der Psychiatrie herrschenden somatischen Orientierung. Durch seinen rein materialistischen Begriffsapparat sei Kraepelin eigentlich gezwungen zu leugnen, dass es psychisch charakterisierbare Zustände gebe, die beispielsweise nicht nur gefühlsmäßig, sondern auch tatsächlich, im Sinne des Stoffwechsels, Erholung bedeuten. Weber schickt sich nicht an, selbst zu der Frage Stellung zu nehmen, ob Psychisches physiologisch nachweisbar auf den Organismus einwirken könne. Dies aufzuweisen sei Sache der Neuropathologie, die sich, wie ihm – Weber – Nervenärzte bestätigten, in dieser Frage im Widerstreit mit der herrschenden psychiatrischen Lehrmeinung befinde (vgl. Weber 1908/09, S. 226f.). Unabhängig von diesen methodenkritischen Überlegungen sei jedoch aus der Sicht der Nationalökonomie von Bedeutung, dass den Begriffen der Arbeitskurve umfangreiche, empirisch immer wieder überprüfte Beobachtungen zugrunde lägen, von deren Anwendung man auch im Bereich der industriellen Erwerbsarbeit erwarten könne, dass sie den »Kausalzusammenhang zwischen dem Niveau, auf dem sich ein Arbeiter bei einer Leistung bestimmter Art bewegt, und bestimmten empirisch feststellbaren Tatsachen, die bei ihm vorliegen oder fehlen, adäquat wiedergeben« (Weber 1908/09, S. 229). Für die Beobachtungsstudie des Psychophysik-Textes ermittelte Weber anhand von Lohnbuchauszügen die Leistungsmenge verschiedener Beschäftigter des familieneigenen Webereibetriebs, jeweils zusammengefasst für bestimmte Zeitabstände. Er interpretierte die nach dem Muster der Arbeitskurve aufgezeichneten monatlichen, wöchentlichen und täglichen Leistungskurven mittels der entsprechenden Begriffe von Kraepelin. Ein Brief belegt, dass Weber Gruhle gebeten hat, ihm bei der Interpretation der aufgezeichneten Leistungskurven behilflich zu sein (vgl. Weber 1908d).

Methodologische Probleme sozialpathologischer Hysterieforschung: Willy Hellpach Webers Dank an Gruhle in der Eingangsfußnote des Psychophysik-Textes steht offensichtlich in Zusammenhang mit dessen Kenntnis von Arbeitskurve und Leistungsforschung. Webers Dank an Willy Hellpach hat einen anderen Bezug. Diesem war als Wundt-Schüler und Psychopathologen zwar die experimentelle Arbeitsforschung Kraepelins ebenfalls bekannt,9 der Gedankenaustausch zwischen Weber und Hellpach dauerte zum Zeitpunkt der Niederschrift des Psy-

9 Vgl. z. B. Hellpach (1902c; 1908b).

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chophysik-Textes aber bereits mehrere Jahre und hatte nicht die konkrete Durchführung arbeitspsychologisch-experimenteller Untersuchungen zum Gegenstand, sondern methodologische Probleme, die besonders die Versuche Hellpachs betrafen, eine über den materialistisch-inkonsistenten Begriffsapparat Kraepelins hinausgehende, psychische und soziale Phänomene mit einbeziehende Psychopathologie und Sozialpathologie zu begründen. Damit erhellt sich, auf welche »nervenärztliche« Quelle Weber bei seiner verhaltenen KraepelinKritik anspielt. Webers Auseinandersetzung mit Hellpach begann während seiner Arbeit an dem »Roscher und Knies«-Aufsatz und an der »Protestantischen Ethik«. Der in der Philosophie und Medizin promovierte Hellpach ließ sich 1904 als Nervenarzt in Karlsruhe nieder, ohne dass er seine umfangreiche wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit aufgab. Er habilitierte sich 1906 mit einer methodenkritischen Schrift zur Psychopathologie an der Technischen Hochschule Karlsruhe; Wilhelm Windelband und Franz Nissl waren die beiden Gutachter. Weber hatte das Verfahren informell gefördert, indem er Windelband, der Bedenken wegen seiner Fachfremdheit geäußert hatte, die Arbeit Hellpachs erläuterte (vgl. Hellpach 1948, S. 494f.). Hellpachs wissenschaftliches Werk in dieser Zeit ist wesentlich geprägt durch sein Interesse an Fragen der Theoriebildung in Psychologie, Sozialpsychologie und Sozialpathologie sowie an dem Versuch, die logischen Voraussetzungen zur Erklärung und Deutung psychisch abnormer individueller wie kollektiver Verhaltensweisen aufzuarbeiten. In Abgrenzung zur physiologischen, anatomischen und neuropathologischen Behandlung psychisch abnormen Seelenlebens – und insbesondere des zeitgenössischen Modebegriffes »Neurasthenie« – vertritt er die »psychologische Betrachtungsweise«, die einen eigenständigen Zugang zu einzelnen Erscheinungen psychischer Alteration darstelle (vgl. Hellpach 1902a; 1902b). Die psychologische Analyse leitet für Hellpach, ausgehend von der Apperzeptionstheorie Wundts, die psychischen Vorgänge aus ihren letzten Elementen ab, ohne auf die Konstruktion eines »Unbewussten« und damit sich verbindender Spekulationen zurückgreifen zu müssen (vgl. Hellpach 1903; 1904, besonders S. 401ff.; 1908a).10 Vom Phänomenbereich her wandte sich Hellpach schwerpunktmäßig der Psychologie der Hysterie zu (vgl. Hellpach 1903), 1904 erschien seine umfangreiche Monographie Grundlinien einer Psychologie der Hysterie (Hellpach 1904). Für den psychologisch-psychiatrischen geschulten Beobachter sei hysterisches Verhalten durch eine Disproportionalität von Psychischem und begleitender Ausdrucksbewegung gekennzeichnet. Zugrunde liege eine letztlich konstitutionell bedingte psychische Disposition zur »Lenksamkeit«, eine starke Ein10 Dessen ungeachtet verweist er schon früh auf die Verdienste Freuds in der Hysterieforschung; vgl. Hellpach (1904, S. 38).

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drucksfähigkeit bei gesteigerter Ablenkbarkeit, begleitet von einer »phantasiemäßigen«, lediglich assoziativ gerichteten Denkweise (vgl. Hellpach 1903; 1904). Aufgrund einer konstitutionellen Mitbedingtheit sei der psychologischen Analyse das hysterische Erleben nicht voll zugänglich. Sie vertiefe jedoch zum einen das Verständnis dieser Erlebnisform, denn es zeige sich, dass der Hysterische spontan keine Kenntnis habe von den psychischen Ursachen seiner körperlichen Symptomatik, zum anderen zeige sie, welche hysterischen Erscheinungsformen nur von der Physiologie zu klären seien und ermögliche zum dritten die Analyse der Grundbefindlichkeit von Lenksamkeit, phantastischer Denkweise und der Suggestion zugänglicher psychischer Zustände. Bediene sich die Analyse der momentanen seelischen Verfassung der »genetischen Betrachtung« hysterischen Erlebens, so werde aufgedeckt, wie die lenksame Psyche, ist sie Suggestibilität induzierenden sozialen und zeitgeschichtlichen Bedingungen ausgesetzt, ihre Empfindungsweise zur hysterischen steigere (vgl. Hellpach 1904, S. 349ff.). Dies sei beispielsweise der Fall, wenn ein affektunterdrückender Erziehungsstil wiederholt die Ausdrucksmöglichkeiten des Kindes hemme. Ebenso fördere die Zugehörigkeit zur Unterschicht und zum Proletariat das Entstehen von Hysterie aus der lenksamen Psyche – das Bürgertum fördere hingegen die Nervosität als eine Krankheit der »Freiheit«. Gegenwärtig befinde sich der Seelenzustand Hysterie in der Epoche seiner Überwindung, während beispielsweise die kollektive Seelenverfassung des Mittelalters infolge des übermächtigen Einflusses der Kirche, die keinen Widerstand gegen ihre Verheißungen geduldet und die Fanatisierung des Religiösen hervorgerufen habe, von hysterischen Erlebnis- und Reaktionsweisen geprägt gewesen sei (vgl. ebd., S. 483ff.). Diesen sozialpathologischen Ansatz entwickelt Hellpach in zwei aufeinanderfolgenden Aufsätzen »Sozialpathologie als Wissenschaft« (Hellpach 1905) und »Über die Anwendung psychopathologischer Erkenntnisse auf gesellschaftliche und geschichtliche Erscheinungen« (Hellpach 1906b) sowie in seiner Habilitationsschrift Grundgedanken zur Wissenschaftslehre der Psychopathologie (Hellpach 1906a). Er geht von der Annahme aus, dass zwei Arten menschlicher Entwicklung grundsätzlich zu unterscheiden seien, zum einen die biologische Linie, die von den Gesetzen der Vererbung bestimmt sei, zum anderen die sozialpsychologische bzw. sozialpathologische Linie, in der das Gesetz der schöpferischen psychischen Synthese gelte. Ist eine psychische Abweichung nicht organisch hervorgerufen, so definiert sie Hellpach als reaktive Abnormität, die in den Zusammenhang der sozialpathologischen Entwicklung gehöre. Hier sei es angebracht, die »kausale Beteiligung seelischer Momente an der Entstehung seelischer Erkrankung« (Hellpach 1906b, S. 335) zu erforschen. Anlässlich der Einreichung des Aufsatzes »Sozialpathologie als Wissenschaft« (Hellpach 1905) im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik war Weber in seiner Funktion als Gutachter für einige Zeit in umfangreichen Briefwechsel mit

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ihm getreten (vgl. Hellpach 1948, S. 494). Hier kritisiert Weber nicht nur die Nähe von Hellpachs sozialpathologischem Forschungsansatz zu den psychologistischen Arbeiten des Historikers Karl Lamprecht (vgl. Mommsen 1982, S. 252f.), sondern auch die apperzeptionstheoretischen Grundannahmen des WundtSchülers, der die Kausalbeziehung in der sozialpsychologischen Entwicklungslinie der »Gemeinschaftsseele« nach dem Prinzip der schöpferischen Synthese gefasst sah. Ebenso kritisiert Weber dessen Annahme, die Norm von gesundem und krankem Seelenleben sei unter Absehung subjektiver Kriterien anhand von Beobachtung und Ermittlung von Durchschnittszahlen zu bestimmen. Neben dieser Kritik – Hellpach machte sich auch Anregungen Webers zunutze (vgl. Hellpach 1906b, S. 347) – äußert sich Weber anerkennend zu Hellpachs materialer Forschung über die kollektive Seelenverfassung sozialer Gruppierungen unter dem Blickpunkt ihrer geschichtlichen Bedingtheit. So anerkennt Weber, »dass die Eingliederung dieser Dinge, die Sie ›Nervenleben‹ nennen, in die kulturgeschichtliche Causalbetrachtung durchaus notwendig ist, überall da, wo wir irgend das Material dazu haben, also vor Allem in der Gegenwart« (Weber 1906a, S. 26). Bereits vor Beginn des Briefwechsels im Frühjahr 1905, als Weber zum einen mit dem zweiten Teil des »Roscher und Knies«-Aufsatzes und zum anderen mit dem zweiten Teil der »Protestantischen Ethik« befasst war, hatte Weber Hellpachs Hysteriebuch »mit großer Belehrung« gelesen.11 Die Rezeption findet ihren Niederschlag in entsprechenden Verweisen: In der »Protestantischen Ethik« erwähnt er im Zusammenhang mit hysterischen Formen religiösen Erlebens Hellpachs sozialpathologischen Ansatz der Deutung hysterischer Erscheinungen als Massenphänomene (vgl. Weber 1920a, S. 356).12 In anderem Zusammenhang verweist Weber im »Roscher und Knies«-Aufsatz auf Hellpach: Hier dient dessen Hysterieforschung als Modellfall für die methodologische Einordnung primär irrational erscheinenden, affektuell motivierten Handelns, das Webers Auffassung zufolge durchaus mit voller Evidenz deutend erfasst werden kann: »Denn wir ›verstehen‹ nun einmal das irrationale Walten der maßlosesten ›Affekte‹ genau so gut wie den Ablauf rationaler ›Erwägungen‹, und das Handeln und Fühlen des Verbrechers und des Genius – obwohl wir uns bewusst sind, es nie selbst haben erleben zu können – vermögen wir im Prinzip wie das Tun des ›Normalmenschen‹ nachzuerleben, wenn es uns adäquat ›gedeutet‹ wird« (Weber 1903–06, S. 320). Deutung erfolge dabei nicht auf der Basis »freier An11 Webers Exemplar aus seiner Bibliothek, das im Max Weber-Archiv in der Redaktion der Max Weber-Gesamtausgabe in München, Bayerische Akademie der Wissenschaften, stand, ist mit handschriftlichen Unterstreichungen und Randbemerkungen Webers versehen. 12 Nicht nur im zweiten Teil der »Protestantischen Ethik«, sondern auch später im »Psychophysik«-Text verweist Weber auf die entsprechenden Textpassagen von Hellpachs Hysteriebuch; vgl. Weber (1908/09, S. 238).

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schaulichkeit« (ebd., S. 323): »Nicht nur ist die deutende ›Erschließung‹ eines konkreten Gedankens gelegentlich geradezu auf die Unterstützung durch klinisch-pathologische Kenntnisse angewiesen, sondern sie bedient sich selbstredend überhaupt … fortwährend der ›Kontrolle‹ durch ›Erfahrung‹ in logisch gleichem Sinn wie die Hypothesen der ›Naturwissenschaften‹« (ebd.).13 Als Beispiel nennt er die Psychopathologie: »Denn auch die Psychopathologie verhält sich – z. B. auf dem Gebiet der Hysterie – nicht nur, aber doch auch: ›deutend‹« (ebd.). An anderer Stelle im »Roscher und Knies«-Aufsatz betont Weber, dass Deuten kein intuitiver Vorgang sei. Vielmehr erfordere es die Verwendung eindeutig bestimmter Begriffe auf der Basis generalisierender Erkenntnis (vgl. ebd., S. 335). Diese begriffliche Kontrolle könne auch anhand empirischen Erfahrungswissens aus der Psychopathologie vorgenommen werden. Als Referenz wird hier Hellpachs Habilitationsschrift genannt (ebd., S. 335).14 Mit ähnlicher Argumentation wie Hellpach (vgl. 1906a, S. 183) kritisiert Weber hingegen die Psychoanalyse, die mit lediglich einfühlend gewonnenem Wissen arbeite, das »inkommunikables Privateigentum des dafür spezifisch begabten Forschers« (Weber 1903–06, S. 335) sei und nicht mittels verallgemeinerbarer Begrifflichkeit erfasst werden könne. Auch teilt Weber Hellpachs Kritik der Annahme einer unbewussten psychischen Instanz, die unbemerkt auf die psychophysischen Vorgänge einwirke.15 Mit Hellpachs Arbeiten lag für Weber ein empirisch ausgerichteter psychologischer Forschungsansatz vor, der sich mit irrational-affektuellen individuellen und kollektiven Phänomenen beschäftigte. Wenn aus seiner Sicht auch gelegentliche Anklänge an psychologistisches Vorgehen zu kritisieren waren, so suche Hellpach in seinen sozialpathologischen Arbeiten doch konkrete Kausalketten (vgl. Weber 1906a, S. 26) in geschichtlichen und sozialen Zusammenhängen aufzudecken, die Webers Interesse berührten: »Wir werden uns vielleicht in unseren künftigen Arbeiten gelegentlich sehr nah berühren« (Weber 1906b, S. 29). Indem Hellpach den deutenden Zugang des speziell geschulten Beobachters zum seelischen Empfinden des Handelnden mit dem Rückgriff auf mittels Erfahrungswissen gewonnenen generalisierenden Erkenntnissen verbindet, ergeben sich methodologische Berührungspunkte zu Webers Deutungstheorie. 13 Hervorhebungen Webers in diesem und den zwei vorangehenden Zitaten sind hier nicht übernommen. 14 Die zum Zeitpunkt der Niederschrift des Textes noch nicht erschienene Habilitationsschrift von Hellpach ist nicht in den Wundtschen Studien, wie Weber angibt, publiziert worden, sondern im Archiv für die gesamte Psychologie. 15 Vgl. Hellpachs Kritik an Freud in Hellpach (1906a, S. 182; 1908a). Auf diese beiden Textstellen verweist Weber im »Roscher und Knie«-Aufsatz und im »Psychophysik-Text«, vgl. Weber (1903–06, S. 335 und 1908/09, S. 226f.). Zur Frage der Annahme unbewusster Handlungsmotive in Webers Deutungstheorie vgl. auch S. Frommer u. J. Frommer (1990).

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»Das komplizierte Hineinspielen des Psychischen« als Grundproblem psychologischer Forschung Der sich an den Vorgaben des Wirtschaftslebens hinsichtlich Bedarfs- und Güterdeckung orientierende homo oeconomicus handelt bewusst planvoll. Auf der Grundlage seiner »Alltagserfahrung« (Weber 1908b, S. 123) ist dem außenstehenden Beobachter sein Tun mit voller Evidenz verständlich. Neben dem bewusst planvollen Tun, das als Extrem nicht die ganze Breite der Handlungsvielfalt bestimme (vgl. Weber 1906c, S. 399f.), berücksichtigt Webers Handlungstheorie aber auch »irrationale« Bestimmungsgründe psychischer und psychophysischer Art. Um sich das Spektrum nicht-pragmatisch zugänglicher Handlungsgründe zu erschließen, hat sich Weber mit den Ergebnissen von experimenteller Psychologie, Psychopathologie und Psychiatrie, auch unter Einbeziehung zeitgenössischer biologistischer und psychologistischer Forschungsansätze befasst, obwohl er die Auffassung vertrat, dass sich der Nationalökonom und Sozialwissenschaftler, will er naturwissenschaftlichexperimentell ermittelte Forschungsergebnisse für seine Fragestellung verwenden, nicht notwendigerweise um deren logisches Zustandekommen kümmern muss (vgl. Weber 1908b, S. 124f.). Die methodologische Stringenz, mit der er die Thematik aufgriff, führte dazu, dass er trotz der betonten Fachfremdheit zu einem profunden Kritiker und Diskussionspartner wurde. Am Beispiel hysterischen Erlebens hatte Hellpachs Psychopathologie Weber aufgezeigt, dass es irrationale Phänomene gibt, denen sinnhafte Bedeutung zukommt. Wird der subjektiv verlorengegangene Zusammenhang von Affekt und Affektausdruck sowie von Affekt und ursprünglich zugehöriger Vorstellung rekonstruiert, so wird psychologisch verständlich, wie ein psychisch ableitbarer Vorgang handlungswirksam wird. Mit den nicht sinnhaft deutbaren, konstitutionellen verhaltenswirksamen Bedingungen befasste sich Weber über weite Strecken im »Psychophysik«-Text. Hier ging es um die Frage, wie der »psychophysische Apparat« des Arbeiters funktioniere und welchen Anforderungen er unter industriellen Produktionsbedingungen ausgesetzt sei (vgl. Weber 1908/09, S. 163f.). Da Kraepelins arbeitspsychologische Experimente ebenfalls die psychophysischen Voraussetzungen und Wirkungen von Leistung thematisierten, stellte Weber den Ansatz der Arbeitskurve in den Mittelpunkt seiner Literaturstudie zur Leistungspsychologie. Er gelangt zu dem Schluss, dass mit den Begriffen der Arbeitskurve tatsächliche Leistungsverläufe unter Einbezug des durch konstitutionelle und andere biologische Faktoren bedingten, beobachtbaren psychophysischen Verhaltens interpretiert werden können (vgl. Weber 1908/09, S. 229, 243ff.). Allerdings arbeitet Weber heraus, dass auch deutbare emotionale Faktoren in den

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Ablauf psychophysischer Leistungsprozesse eingreifen. In seiner Rezension von Wilhelm Ostwalds Buch »Energetische Kulturtheorien«, die parallel zum letzten Teil des Psychophysik-Textes entstand, resümierte er: »Wie unendlich kompliziert, ›energetisch‹ betrachtet, das Hineinspielen des ›Psychischen‹ in die Psychophysik der Arbeit sich gestaltet, habe ich anderwärts mir und den Lesern des Archivs für Sozialwissenschaft im Anschluss an Kraepelins und anderer Arbeiten zu vergegenwärtigen gesucht, soweit ein Laie das kann« (Weber 1909a, S. 166). Dem »komplizierten Hineinspielen des Psychischen« hat Weber im »Psychophysik«-Text methodologischen Stellenwert eingeräumt, wo er drei prinzipielle Möglichkeiten für die Erklärung menschlichen Sich-Äußerns unterscheidet: Auf der einen Seite könne der Arbeiter seine Leistung zu materiellen Zwecken beeinflussen. Die Maximen seines Tuns seien dann durch pragmatische Deutung zu erschließen (vgl. Weber 1908/09, S. 246). Auf der anderen Seite verändere sich die Leistung durch Veränderungen im Funktionieren des psychophysischen Apparates. Die Komponenten der Verursachung seien anhand von experimentell gewonnenem äußerem Erfahrungswissen und abgeleiteter Regeln für Spezialfälle zu erklären (vgl. ebd.). In der Mitte dieser beiden Extreme gibt es für Weber nun aber auch Fälle, in denen Veränderungen in der Arbeitsleistung durch Stimmungslagen verursacht seien. Diese würden als solche ins Bewusstsein treten, ohne dass der Arbeiter jedoch den Zusammenhang mit dem Verlauf der Leistung erleben würde. Ein solcher Zusammenhang sei »psychologisch verständlich« (ebd., 246f.). Verändere eine unbemerkte Stimmungslage die Leistung, so sei ihre Ursache »introspektiv nachbildbar« (ebd., S. 247). Der Unterschied zum psychophysischen Ablauf einer Arbeitsverrichtung bestehe darin, dass dieser dagegen in seiner Ursache nicht introspektiv nachbildbar sei, lediglich ein gewisser, die Tätigkeit begleitender, arbeitserleichternder oder erschwerender Effekt könne bewusst erlebt werden. Weber entwickelt hier folglich den Begriff eines affektiv motivierten Handelns, das psychologisch verständlich ist, dessen zugrundeliegendes Motiv in einem deutenden Verfahren zugänglich ist, in dem beobachtbare Verhaltensäußerung und motivational wirksame bewusstseinsfähige Stimmungslage in einen Zusammenhang gebracht werden, der in manchen Fällen – zum Beispiel dem der Hysterie – vom Handelnden selbst so nicht erlebt wurde. Mit der Rekonstruktion dieses Begriffs des psychologischen Verstehens wird eigentlich erst deutlich, inwiefern Webers Ansatz als »verstehende Soziologie« im Kontext sozialpsychologischer und mikrosoziologischer Forschungskonzepte Stellenwert gebührt.

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Kapitel 2: Naturalismus und Naturalismuskritik – Emil Kraepelins Arbeitspsychologie und ihre Rezeption durch Max Weber

Mit den experimentalpsychologischen Versuchen des Psychiaters Emil Kraepelin zur Arbeitskurve lag um die Jahrhundertwende ein streng erfahrungswissenschaftlicher Forschungsansatz vor, der die Bedingungen und Wirkungen geistiger Leistungsfähigkeit zu ermitteln suchte. Kraepelin, ehemals Student und Mitarbeiter Wilhelm Wundts in dessen Leipziger Psychologischen Laboratorium, ging davon aus, dass sich das Wesen einer Person in einzelnen konstitutionellen Determinanten ihrer Leistungsfähigkeit erschließe. Diese »physiologischen Grundeigenschaften« (Kraepelin 1896, S. 45f.) analysierte er mit seinen Mitarbeitern in aufwendigen Versuchsreihen, während denen tage- oder wochenlang die Leistungsfähigkeit von Probanden für die Dauer des meist mehrstündigen Experiments als Arbeitskurve aufgezeichnet wurde. Einzelne physiologische Abläufe mussten isoliert und in ihrer Wirkung auf das Zustandekommen der Leistung hin untersucht werden (vgl. ebd.; Kraepelin 1902). Seine Analyse des Arbeitsablaufes mit den Mitteln der modernen naturwissenschaftlichen Psychologie war zu dieser Zeit neu und erfolgversprechend (vgl. Gruhle 1929, S. 43). Er richtete damals in der Zeit seines Heidelberger Ordinariats von 1891 bis 1903 eigens hierfür ein psychologisches Labor an der Psychiatrischen Klinik ein und führte bald mit einem Mitarbeiter- und Schülerkreis die Experimente zur Arbeitskurve durch, die er auch in München weiterführte, als er 1903 die Direktion der dortigen Psychiatrischen Klinik übernahm, die er etwa zwei Jahrzehnte innehatte. Für die Veröffentlichung der Ergebnisse begründete er die Fachzeitschrift »Psychologische Arbeiten«. Kraepelins Arbeitspsychologie bildet den Ausgangspunkt von Max Webers 1908/09 entstandener Schrift Zur Psychophysik der industriellen Arbeit. Von nationalökonomischer Seite aus hatte der Verein für Sozialpolitik die Untersuchung der Leistungsfähigkeit von Industriearbeitern zum Thema der breit angelegten 1908 begonnenen Erhebungsreihe Zur Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie gemacht. Dem Verein für Sozialpolitik hatten sich seit seiner Gründung 1872 sozial engagierte Gelehrte, Publizisten und Vertreter aus Wirtschaft und staat-

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licher Verwaltung angeschlossen, die sich für die Lösung der Arbeiterfrage einsetzten im Sinne einer maßvollen sozialen Reform mittels sozialpolitischer Einflussnahme auf den Staat. Wesentlich bestimmt wurde der Verein von bekannten Wissenschaftlern der historischen Nationalökonomie, wie beispielsweise der langjährige Vorsitzende Gustav Schmoller. Angesichts ihrer Parteinahme zugunsten einer Verbesserung der Lebensverhältnisse der arbeitenden Klasse wurde ihre Richtung auch als ethische Nationalökonomie, von ihren Gegnern auch polemisch als »Kathedersozialismus« bezeichnet.1 Weber, Mitglied im Verein für Sozialpolitik und an der inhaltlichen Planung und Beschlussfassung der Enquête beteiligt, schrieb in diesem äußeren Diskussionszusammenhang die Psychophysikstudie: In ihr gibt er einen Überblick zum Stand der experimentalpsychologischen, anthropologischen und psychopathologischen Literatur zur Leistungsfähigkeit. Außerdem berichtet er auch in dem vierteiligen Aufsatz über eine eigene empirische Untersuchung. Er analysiert die Leistungskurven mehrerer Arbeiter und Arbeiterinnen – nicht experimentell oder durch direkte Beobachtung ermittelt, sondern indirekt berechnet anhand des Akkordverdienstes – unter Bezug auf die Begrifflichkeiten zur Arbeitskurve. Die dazu erforderlichen Daten aus der Lohnstatistik stellte ihm ein im Familienbesitz befindlicher Webereibetrieb in Westfalen zur Verfügung.2 Er konstatiert, dass die naturwissenschaftlichen Resultate bisher kaum für die Analyse wirtschaftlicher Arbeit unter industriellen Bedingungen aufgegriffen würden (vgl. Weber 1908/09, S. 163). Seiner Beschäftigung mit der naturwissenschaftlichen Arbeitsforschung stellte er die Frage voran, ob und wie die von ihm konstatierte »klaffende Lücke« (ebd., S. 164) zwischen den Naturwissenschaften einerseits und Kultur- und Sozialwissenschaften andererseits geschlossen werden könne. Webers Naturalismuskritik beinhaltete zwar auch die Ablehnung einer naturalistischen Begründung der Wissenschaften vom menschlichen Handeln (vgl. stellv. Weber 1904, bes. S. 199f.) sowie weltanschaulicher Deutungsangebote naturwissenschaftlicher Provenienz (ebd., S. 195f.), bedeutete aber nicht eine pauschale Ablehnung der nomologischen Wissenschaften und ihrer Erkenntnisfortschritte. Allerdings muss sich für eine »im ›Prinzip‹ mögliche Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen« (Weber 1908/09, S. 164) die Experimentalwissenschaft nach ihren forschungsleitenden Gesichtspunkten und dem methodischen Zustandekommen ihrer Resultate kritisch hinterfragen lassen, die Nationalökonomie wird mit den methodologischen Implikationen konfrontiert, die aus der biologistischen Wendung des Titels der Enquête folgen. 1 Vgl. allgemein die Chronik des Vereins von Franz Boese (1939) sowie Dieter Lindenlaub (1967) und Rüdiger vom Bruch (1985). 2 Teil 1 u. 2 des Aufsatzes enthält den Literaturüberblick, Teil 3 u. 4 im Wesentlichen die empirische Studie.

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Kraepelins Arbeitskurve als experimentalpsychologisches Paradigma Am Anfang von Emil Kraepelins experimentalpsychologischen Versuchen zur Arbeitskurve stand die Überlegung, dass gewisse Formen von Geistesstörung durchaus psychischen Schädigungen vergleichbar seien, die künstlich im Experiment oder auch durch spezifische Formen der Lebensführung im Alltag, beispielsweise durch Schlafentzug, induziert werden können (vgl. Kraepelin 1896, S. 27–40). So interessierten ihn psychophysische Reaktionszeiten unter normalen Bedingungen, um danach die Abweichungen verzeichnen zu können. Systematischer wie methodischer Ausgangspunkt für das Verständnis normaler psychischer Tätigkeit ist seiner anthropologischen Grundannahme zufolge die individuelle Anlage des Menschen, »in welcher er die Lebensreize in sich verarbeitet« (ebd., S. 46) und nicht der »Inhalt seiner Erfahrungen«, den er sich mehr oder weniger zufällig erwirbt. Es habe sich gezeigt, »dass für die Größe der Leistungsfähigkeit auf den verschiedenen Gebieten psychischer Arbeit ein Maß in der Geschwindigkeit gefunden werden kann, mit welcher sich die einzelnen Vorgänge in unserem Inneren vollziehen, die Auffassung äußerer Eindrücke, die Befestigung im Gedächtnis, die Verbindung von Vorstellungen in ihren mannigfaltigen Formen bis zur Urteils- und Schlussbildung, die Auslösung von Willensantrieben, die Ausführung von Bewegungen« (ebd., S. 43f.). Entsprechend diesen Annahmen entwickelte Kraepelin ein instrumentelles Verfahren zur Messung der Elemente geistiger Tätigkeit. Als Maß der Leistung dienten leichte – meist mathematische – Einzelaufgaben, die von den Probanden fortlaufend gelöst werden mussten. Die Anzahl der durchgeführten Aufgaben pro Zeiteinheit, aufgezeichnet für die Gesamtdauer des Versuches, bildet graphisch den Verlauf der Leistung ab; die Horizontale zeigt den zeitlichen Verlauf an, die Vertikale die Anzahl der gelösten Aufgaben. Das sich so ergebende Schaubild, die Arbeitskurve, zeigt im Regelfall keine Stetigkeit der Leistung, sondern ist nach anfänglich zackenartigem Anstieg im weiteren Verlauf durch Schwankungen gekennzeichnet; gegen Ende längerer Versuche zeigt sich immer ein Absinken des Leistungsverlaufes, dem durchaus ein kurzes Ansteigen der Kurve unmittelbar vor der Schlussphase vorausgehen kann (vgl. Kraepelin 1902). Nach Kraepelin ist der Verlauf der Arbeitskurve wesentlich bedingt durch folgende gegeneinander wirkende Faktoren: Einerseits bewirkt Ermüdung nach gewisser Zeit schließlich immer eine Abnahme der Leistung. Es zeigt sich andererseits, dass die Arbeitskurve sich nach ihrem anfänglichen Anstieg nicht schon bald senkt, sondern einige Zeit eine gewisse Höhe einhält, oder aber einen weiterhin steigenden Verlauf zeigt, infolge sich durch Arbeit einstellender Übung: Von der physiologischen Ermüdung sei die Müdigkeit abzugrenzen, die

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lediglich in einem Gefühl bestehe, das aus einer gewissen zu Beginn der Arbeit vorherrschenden »Organträgheit« (Kraepelin 1896) oder aus Arbeitsunlust resultiere, aber überwindbar sei. Als weitere »Bestandteile« der Arbeitskurve nennt Kraepelin beispielsweise die Übungsfähigkeit und Übungsfestigkeit, die Ermüdbarkeit, die Anregbarkeit für bestimmte Aufgaben, die Erholungs- und Gewöhnungsfähigkeit. Diese Komponenten seien als physiologische Grundeigenschaften der Person messbar und in ihrer jeweiligen Wirkung auf die Arbeitskurve durch Modifikation der Versuchsanordnung, wie beispielsweise Dauer des Experiments, zu isolieren. Prinzipielle Schwierigkeiten sah Kraepelin in einigen dem Untersuchungsobjekt inhärenten Eigenschaften. Es unterscheide sich von den Objekten der Naturforschung, »wir (haben) es hier mit überaus flüchtigen, den mannigfaltigsten Zufällen und der Willkür unterworfenen Vorgängen zu tun, die niemals in genau derselben Form wiederkehren, da sie selbst die Bahnen verändern, in denen sie sich abspielen« (Kraepelin 1902, S. 490). Dennoch seien psychische Prozesse festen Gesetzen unterworfen, so dass sich Aussagen genereller Art treffen lassen müssten. Kraepelin hoffte, durch sorgfältige Einzelarbeit ein individualpsychologisches Messverfahren entwickeln zu können, »das uns rasch mit den wesentlichsten Eigenschaften der Versuchsperson, ihrer Übungsfähigkeit und ihrer Ermüdbarkeit vertraut macht« (ebd., S. 507). Emil Kraepelin erhoffte sich von seinen Untersuchungen Aufschluss über die Beziehung zwischen Zeit und Arbeitsleistung, bzw. das Eintreten von Ermüdungserscheinungen, um daraus arbeitshygienische Maßnahmen ableiten zu können. Im Schulwesen sah er die Gefahr einer Überbürdung von Kindern und Jugendlichen gegeben.3 Es sei dringend dafür zu sorgen, dass die Schüler nicht mit Lernstoff derart überhäuft würden, sie verlören aus Erschöpfung ihre gesunde Leistungsfähigkeit (vgl. Kraepelin 1894, S. 16). Mittels Ermüdungsmessungen lassen sich die gesundheitlichen Auswirkungen des Lernens exakt erfassen, die Trennung der Schüler nach ihrer Arbeitsfähigkeit ermöglicht ihm zufolge eine Verbesserung des Unterrichts (vgl. ebd., S. 24; Kraepelin 1903). Zwei Jahrzehnte später weist Kraepelin in einem Rückblick auf seine Studien zur Arbeitskurve darauf hin, dass die Arbeitspsychologie in der Zwischenzeit auch im Wirtschaftsleben an Bedeutung gewonnen habe, trage die Arbeitshygiene doch auch zur Pflege der Gesundheit des ganzen Volkes bei (vgl. Kraepelin 1925, bes. S. 432, 450). Allerdings sei es methodisch schwierig, die gewerbliche Arbeit

3 Vgl. Kraepelin (1894) sowie (1897). Die Meinung, dass das bestehende Schulwesen die Schüler überfordere und infolgedessen gesundheitliche Beschwerden hervorrufe, wurde als sog. Überbürdungsfrage in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts diskutiert, zu der sich viele Pädagogen, Psychologen und Psychiater in der Öffentlichkeit äußerten, vgl. beispielsweise Benda (1900).

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und die Vielfältigkeit der sie bestimmenden Einflüsse mit dem Instrument der Arbeitskurve zu erforschen (vgl. ebd., S. 432ff.). Mit der Arbeitskurve zur Messung der Leistungsfähigkeit lagen nun bereits um die Jahrhundertwende Resultate exakter naturwissenschaftlicher Forschung zu dem Themenkomplex Zeit, Arbeitsleistung und Ermüdung vor, die über die Disziplinen der experimentellen und angewandten Psychologie4 hinaus auch in der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Arbeit bekannt geworden waren. Die ethische Nationalökonomie befasste sich in der gegen Ende des letzten Jahrhunderts geführten Diskussion um den »Normalarbeitstag« (vgl. Stieda 1900) mit dem Verhältnis von Arbeitszeit und Arbeitsleistung. Als sozialpolitischer Beitrag zur Regulierung der Arbeitsbeziehungen wurden die ökonomischen, technischen und sozialen Auswirkungen eines achtstündigen Normalarbeitstages systematisch erforscht. Lujo Brentano, ein Mitbegründer des Vereins für Sozialpolitik, befasste sich beispielsweise mit der Abhängigkeit der Arbeitsleistung von der Arbeitszeit und der Entlohnung (vgl. Brentano 1893). Ihm zufolge führten Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit zu intensiverer Arbeitsleistung, da die Arbeiter unter verbesserten Arbeitsbedingungen gesünder, besser ernährt und arbeitsfreudiger seien. Den Gesichtspunkt von Arbeitsfreude und somit auch Arbeitsbelastung thematisierte Heinrich Herkner zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Nationalökonomie erkenne an, dass Arbeit Mühe und Beschwerden bereite, bedeute sie doch für den Arbeiter psychologisch eine »Summe von Unlustempfindungen« (Herkner 1905, S. 10). Die Arbeitslast sei feststellbar zum einen aufgrund der im menschlichen Organismus durch die erbrachte Leistung hinterlassenen Spuren, zum anderen durch die aus den körperlichen Veränderungen resultierenden und auch unabhängig davon auftretenden subjektiven Unlustempfindungen. Unter Verweis auf die Arbeiten von Kraepelin zur Arbeitskurve ging Herkner davon aus, dass die Experimentalpsychologie nunmehr über Methoden verfüge, mittels derer Ermüdung und Ermüdungserscheinungen objektiv zu messen seien. Hierüber gebe es bereits reichhaltige Literatur, die im Interesse der Hygiene der wirtschaftlichen Arbeit noch nicht gebührend verwertet worden sei (vgl. ebd., S. 11). Karl Bücher – auch er und Herkner waren Mitglieder des Vereins für Sozialpolitik – schrieb in seinen Memoiren, dass ihn zu Beginn der 90er Jahre des vorletzten Jahrhunderts die Frage nach Schwankungen der Leistungsfähigkeit der Arbeiter über den Arbeitstag interessiert und er hierzu auch Material gesammelt habe. Leider sei er zu keiner richtigen Auswertung seiner Unterlagen 4 Vgl. zur Anwendung der Arbeitskurve in der experimentellen Pädagogik stellv. Wagner (1898). Zu ihrer Auswirkung auf die experimentelle Psychologie bspw. Pauli (1936).

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gekommen, da sie sich als widersprüchlich erwiesen hätten (vgl. Bücher 1919, S. 436f.). Zwar werden Kraepelins Versuche hier nicht explizit genannt, der Kontext und die Formulierung lassen jedoch vermuten, dass Bücher dessen leistungspsychologischen Ansatz kannte. Die arbeitspsychologische Forschungsrichtung fand auch Eingang in die Enquête Zur Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie. Auf einer Sitzung des Ausschusses, des etwa einmal jährlich tagenden beschlussfassenden Gremiums des Vereins, wurde im Herbst 1907 über ein neues Forschungsvorhaben beraten. Über verschiedene Vorschläge, die sich alle im weitesten Sinne mit der Lebenslage der »Arbeiterschichten« Deutschlands befassten, konnte keine Einigung erzielt werden, so dass der Vorsitzende Schmoller dem neuen Thema zunächst den Titel »Untersuchungen über die Lebensläufe aller in der Industrie Beschäftigten« gab und einen Unterausschuss für die nähere Planung einsetzen ließ.5 Dieser tagte im Juni 1908 unter Vorsitz von Bücher, der dem Forschungsvorhaben den Titel »Erhebungen über Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in den verschiedenen Zweigen der Großindustrie« gab (vgl. Bernays 1910, S. VII). Später wurde er von Herkner abgelöst, und auf der zweiten und letzten Sitzung des Unterausschusses im Herbst 1908 wurde beschlossen, die Titelbegriffe »Auslese und Anpassung« um die Begriffe »Berufswahl und Berufsschicksal« zu ergänzen.6 Innerhalb der komplexen Fragestellung wurde unter anderem der Zusammenhang von Lohnhöhe und Arbeitsleistung sowie von täglicher Arbeitszeit und Arbeitsleistung thematisiert, ebenso erhoffte man sich Angaben über die physische und psychische Leistungsfähigkeit der Arbeiterschaft einzelner Betriebe oder Industriezweige. Unterschiede der Arbeitsleistungen verschiedener Arbeiter oder von Arbeitergruppen verschiedener Regionen sollten erfasst und erklärt werden. Konkrete Fragen an die Probanden zu ihrem Arbeitsverhalten sah der vom Unterausschuss vorgelegte Fragebogen vor, beispielsweise sollten sie sich dazu äußern, wann im Verlaufe des Tages bei ihnen Ermüdung eintrete (vgl. Bernays 1910, S. VIII–XL). Max Weber, der sich auch schon im Vorfeld der Themenabsprache beteiligt hatte (vgl. 1907b), war ebenfalls in den Unterausschuss berufen worden. In diesem Zusammenhang schrieb er nach der Sitzung des Planungsausschusses eine Arbeitsanweisung7 die als interne Unterlage zu Gegenstand und Methode der Erhebungsreihe für die Vereinsmitglieder und die zukünftigen Mitarbeiter

5 Vgl. Verein für Sozialpolitik, Protokoll der Sitzungen des Ausschusses vom 29. Sept. bis 1. Okt. 1907 in Magdeburg. 6 Vgl. Verein für Sozialpolitik, Protokoll der Sitzung des Ausschusses am 12. Okt. 1908 in Berlin. 7 Als Manuskript 1908 erstmals gedruckt bei Pierersche Hofbuchdruckerei in Altenburg (Weber 1908c).

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verteilt wurde.8 Und er schrieb im Sommer 1908 – den sachlichen Zusammenhang der Enquête mit dem Thema der gesetzeswissenschaftlichen Erforschung von Arbeit, Leistung und Berufseignung zum äußeren Anlass nehmend – den Psychophysik-Text (vgl. Weber 1908/09). Mit beiden Texten führte er die Auseinandersetzung mit seinem Fach, der Nationalökonomie, fort, die er in literarisch anderer Form bereits ein paar Jahre zuvor geführt hatte.

Webers Kritik der »glaubensfrohen Stimmung des naturalistischen Monismus« In seinen beiden ersten, zeitlich parallel entstandenen methodologischen Aufsätzen Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie von 1903 bis 1906 und Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis von 1904, arbeitete Weber die Grundzüge seines Wissenschaftsverständnisses aus. Ersterer bezieht sich im Wesentlichen auf sachliche Probleme innerhalb der historischen Nationalökonomie. Weber kritisiert den Psychologismus und Emanatismus in den Grundannahmen der beiden »Altmeister«9 des Fachs. Die zweite Schrift, der sog. Objektivitäts-Aufsatz (Weber 1904), stellt seine Konzeption des Idealtypus als Konstruktion für das gedankliche Ordnen der Vielfalt empirischer Wirklichkeit dar und verfolgt über eigentlich methodologische Probleme hinausgehend auch die wissenschaftspolitische Absicht, seine Position der Werturteilsfreiheit im Fach durchzusetzen.10 Bereits in seiner Freiburger Antrittsrede von 1895 hatte er darauf hingewiesen, dass Fortschritte an sachlichem Wissen nicht notwendigerweise bessere, ethisch höherstehende Bewertungskriterien ermöglichten.11 Weber nahm nun 1904 den Übergang des »Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik« an den Nationalökonomen Edgar Jaffé, der es zusammen mit Weber und Werner Sombart als »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« weiterführte, zum Anlass, die 8 Diese Anweisung verfasste Weber aber nicht im Auftrag des Unterausschusses, sie wurde erst aufgrund eines Beschlusses im Hauptausschuss als Manuskript gedruckt und als Denkschrift, also den Standpunkt des Autors vertretend, bezeichnet. 9 Weber (1903–06, S. 41); Weber beschäftigt sich zwar auch mit erkenntnislogischen »fachfremden« Positionen, so beispielsweise mit Wundt, Münsterberg, Lipps und Simmel, uns kommt es hingegen hier auf Webers Ausgangspunkt, eben die historische Nationalökonomie an – wie es auch sein Titel besagt. 10 Vgl. zur Auseinandersetzung Webers mit der Nationalökonomie in seinen methodologischen Schriften Schluchter (1988 Bd. 1, bes. S. 40ff.). 11 Vgl. Weber (1895, S. 563f.). Diese Ausführungen finden sich auch nur in der Veröffentlichung der Antrittsrede, im Vortrag selbst hat Weber sie »mit Rücksicht auf Zeit und Hörerkreis« weggelassen; vgl. dazu Aldenhoff (1989, S. 47).

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früheren methodenkritischen Anklänge erneut in Erinnerung zu bringen und auszuformulieren. In dem als Einleitung in die Neue Folge abgedruckten Objektivitäts-Aufsatz stellt Weber den Konsens der Herausgeber für die gemeinsame Redaktionsarbeit vor: Während die älteren Vertreter der historischen Schule der Nationalökonomie ihr Fach als »ethische Wissenschaft« (Weber 1904, S. 145) auf empirischen Grundlagen verstünden und den Zweck im Produzieren »einer spezifischen wirtschaftlichen Weltanschauung« (ebd., S. 146) und Werturteilen über gewünschte soziale Zustände sähen, lehnten die neuen Herausgeber dieses Wissenschaftsverständnis ab, da es nicht Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein könne, Normen und Ideale aufzustellen. Weber bezieht sich hier nicht nur auf den Diskurs der akademischen Nationalökonomie, sondern auch auf die Gepflogenheiten des Vereins für Sozialpolitik, die Empfehlung bestimmter sozialpolitischer Maßnahmen konzeptionell in die Forschungsvorhaben einfließen zu lassen. Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts begann indessen allmählich der Konsens im Verein aufzubrechen, »Meinungsführungswissenschaft« ausüben zu können; insbesondere die jüngere Generation, der die neuen Herausgeber angehörten, lehnte die Vermischung von sozialpolitischen Idealen und Tatsachenforschung ab (Aldenhoff 1989, S. 46). Im Objektivitäts-Aufsatz wendet sich Weber gegen den Anspruch naturwissenschaftlicher Theorien, aufgrund ihres Wissenszuwachses und Erklärungserfolges in Biologie, Entwicklungslehre und Anthropologie sowohl theoretische Kompetenz für die Erklärung gesellschaftlicher Entwicklungen zu besitzen, wie auch Kriterien für wünschenswerte gesellschaftliche Entwicklungen bereitstellen zu können.12 Mochten auch die generalisierend verfahrenden Disziplinen, die ihr Gesetzeswissen für »technisch Nützliches« (Weber 1904, S. 195) bereitstellen, mit dem Fortschreiten ihrer Kenntnisse zugleich auch ihrer Zwecksetzung in immer verbessertem Maße nachkommen, so maße sich die »moderne Biologie« (ebd., S. 196) doch ungerechtfertigterweise an, den Gesichtspunkt der Evolution auf gesellschaftliche und historische Entwicklungen anwenden zu können, als ließe sich historische Wirklichkeit in ein Schema generell geltender Gesetze einordnen: »Denn da ja doch auch das sogenannte historische Geschehen ein Teil der gesamten Wirklichkeit war, und das Kausalprinzip … die Auflösung alles Geschehens in generell geltende ›Gesetze‹ zu fordern schien, da endlich der ungeheure Erfolg der Naturwissenschaften … zutage lag, so schien ein anderer Sinn des wissenschaftlichen Arbeitens als die Auffindung der Gesetze des Geschehens überhaupt nicht vorstellbar.« (ebd.) Diese »glaubensfrohe Stimmung des naturalistischen Monismus« (ebd.) hatte »mächtige Rückwirkungen« (ebd.) auf die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, insofern als diese nun ihre Axiome zum 12 Vgl. Weber (1904, S. 169ff.). Auch dieser Aspekt findet sich bereits in einer Fußnote der Veröffentlichung der Antrittsrede, vgl. (Weber 1895, S. 554f.).

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menschlichen Handeln mittels naturwissenschaftlich begründeter Lehrsätze zu formulieren suchten. Quer durch alle Wissenschaften ziehe sich der Glaube, »dass ›in letzter Linie‹ alles historische Geschehen Ausfluss des Spiels angeborener ›Rassequalitäten‹ gegeneinander sei« (ebd., S. 170). An die Gesellschaftsund Rassenbiologie richtet sich Webers Kritik, dass nicht eine wertfreie Beschreibung von »Volkscharakteren« geleistet werde, sondern »Gesellschaftstheorien auf naturwissenschaftlicher Grundlage« aufgestellt würden;13 dem eigenen Fach bescheinigt er, dass die kausale Rückführung von Kulturvorgängen auf Rasse lediglich Nichtwissen dokumentiere. Doch lässt sich nun anthropologisches Faktenwissen und das Nichtwissen des Nationalökonomen nützlich in Beziehung bringen? Diese Frage stellt sich auch im Zusammenhang mit der künftigen Arbeit des »Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik«, spezielle Entwicklungen der anthropologischen Forschung zu verfolgen (vgl. ebd., S. 170). Seine eigene Antwort beschränkt sich hier lediglich darauf, zu betonen, dass dieses Nichtwissen nur durch »methodisch geschulte Arbeit« allmählich verringert werden könne (ebd.).

Webers Kritik der Arbeitskurve Im Sommer 1908 befasste sich Weber nun im Rahmen seiner Mitarbeit an der Planung der Industriearbeiter-Enquête, insbesondere aber für sein eigenes wissenschaftliches Vorhaben, den Versuch, die Lücke zwischen Nationalökonomie und Naturwissenschaft zu schließen, ausführlich mit der für ihn fachfremden physiologischen und psychologischen Literatur über die Bedingungen menschlicher Arbeit (vgl. Weber 1908/09). Während die Arbeitsanweisung naturgemäß an das Thema der Enquête anschließt, hat der Psychophysik-Text seinen sachlichen Bezug zur Diskussion über die Erwerbsarbeit unter industriellen Bedingungen, die in der wissenschaftlichen Nationalökonomie auch unabhängig von der Vereinsenquête geführt wurde: »Jeder Vorgang der …›Arbeitszerlegung‹ innerhalb der modernen Großbetriebe, jede Änderung …der Arbeitszeit und der Arbeitspausen, jede Einführung oder Änderung des Lohnsystems, welche die Prämiierung bestimmter qualitativer und quantitativer Arbeitsleistungen bezweckt, – jeder dieser Vorgänge bedeutet ja in jedem einzelnen Fall eine Veränderung der an den psychophysischen Apparat des Arbeitenden gestellten Ansprüche.« (ebd., S. 163) Und er verfolgt zugleich mit dem Aufgreifen natur13 Vgl. Weber (1904, S. 170); seine dezidiert an die Adresse des hauptsächlichen Vertreters der Rassen- und Gesellschaftsbiologie Alfred Ploetz gerichtete Kritik findet sich einige Jahre später in Webers Diskussionsbeitrag zu dessen Rede auf dem ersten Deutschen Soziologentag im Oktober 1910, vgl. Weber (1910a).

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wissenschaftlicher, insbesondere experimentalpsychologischer Ergebnisse zur Arbeitsleistung sein bereits entwickeltes methodologisches Interesse, wie bei Handlungszusammenhängen Forschungsergebnisse einer generell verfahrenden Wissenschaft einbezogen werden können, ohne im vorschnellen Rückgriff auf anthropologische Konstanten das Bemühen um kausale Erklärung abzukürzen.14 Der sowohl mit Kraepelin als auch mit Weber persönlich bekannte Psychiater und Psychologe Hans Gruhle schreibt zwei Jahrzehnte später rückblickend, es sei »die Erkenntnis der allgemeinen Bedeutung der Kraepelinschen Arbeitspsychologie (gewesen), die Max Weber 1908/09 zu seinen trefflichen psychophysischen Arbeitsstudien veranlasste« (Gruhle 1929, S. 44). Gemeint ist damit insbesondere die Bedeutung, die Weber der Arbeitskurve als exaktes Instrument zur Messung von Leistungsfähigkeit und Ermüdungserscheinungen beigemessen hat. Dass Gruhle seine Bemerkung damit einleitet, »keine näheren Heidelberger persönlichen Beziehungen« (ebd.) hätten den Ausschlag hierfür gegeben, schließt nicht aus, dass sich Weber und Kraepelin während der gemeinsamen Heidelberger Zeit (Max Weber 1897–1919, Emil Kraepelin 1891–1903) kennengelernt haben. Weber traf auf jeden Fall den Psychiater später persönlich, dies geht u. a. aus einer Bemerkung während der Abschlussdiskussion im Verein für Sozialpolitik zur Industriearbeiter-Enquête im Oktober 1911 hervor.15 Weber befasste sich nun so ausführlich mit dem Ansatz der Arbeitskurve, dass er nicht nur sein und des Lesers »Nichtwissen« hinsichtlich der psychophysischen Bedingungen menschlicher Arbeit reduzierte, sondern auch eine dezi14 Inwieweit Webers diesbezügliches Interesse auch auf bestimmte im »Roscher und Knies-Aufsatz« entwickelte Problemstellungen zurückgeht, ist in Kapitel 1 dieses Buches (S. Frommer 1994) entwickelt. 15 Ein solches Zusammentreffen könnte beispielsweise auf dem 2. Deutschen Hochschullehrertag am 28. und 29. September 1908 in Jena stattgefunden haben. Sowohl Weber als auch Kraepelin nahmen daran teil und es gab inhaltliche Berührungspunkte für beide. Kraepelin hielt nämlich zum einen einen Vortrag mit dem Titel Die Auslese für den akademischen Beruf (Kraepelin 1908). Kraepelin stellt dar, dass die Institution der Universität, Lehre und Forschung in einer Person zu verbinden, es sehr schwierig mache, sowohl für die Lehre geeignete als auch zugleich schöpferisch begabte Persönlichkeiten zu finden. Auch für Weber war die Verbindung von Forschung und Lehre Gegenstand von Auseinandersetzung, so spricht er in seiner berühmten Rede Wissenschaft als Beruf vom November 1917 von dem »Doppelgesicht« der Aufgabe, die den Akademiker an der Universität erwarte: »Er soll qualifiziert sein als Gelehrter nicht nur, sondern auch: als Lehrer.« (Weber 1919a, S. 78) Und beides falle ganz und gar nicht zusammen (vgl. ebd.); vgl. zur persönlichen Bedeutung der Lehrtätigkeit für Weber die Einleitung von Wolfgang Schluchter für den Wiederabdruck dieser Rede in der MaxWeber-Gesamtausgabe (vgl. Schluchter 1992, S. 16ff.). Zum anderen hatte Weber zu dieser Zeit sich bereits ausführlich mit Arbeitseignung und Leistungsfähigkeit befasst, und er könnte sich mit Kraepelin über das Problem der Vererbung bestimmter Qualitäten unterhalten haben. Im Oktober 1911 sagte er nämlich: »…Professor Kraepelin-München, sagte mir gelegentlich einer Rücksprache einmal: Herr Kollege, die ersten wirklich exakten Untersuchungen auf diesem Gebiete … werden wir beide nicht mehr erleben…« (Weber 1911, S. 417).

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dierte Kritik an Kraepelins materialistischer Begrifflichkeit entwickelte. So schreibt er in einem privaten Brief an Gruhle: »…, dass die Sache mit diesen gegeneinanderwirkenden Componenten und dem sorgsamen Anschluss an die physiologische Betrachtungsweise, wo die psychisch-affektiven Elemente stets eine ersichtliche Verlegenheit bilden, wohl Bedenken erregen kann u. noch nicht ›sturmfrei‹ dasteht, kann hie u. da wohl auch der Laie ahnen.« (Weber 1908e, S. 684f.) Der Kraepelin-Doktorand Gruhle hatte selbst im Winter 1904/05 leistungspsychologische Versuche in München durchgeführt, seine darüber verfasste und erst Jahre später erschienene Dissertation enthält kritische Bemerkungen über Kraepelin (vgl. Gruhle 1912). Er war seit 1905 an der Heidelberger Psychiatrischen Klinik angestellt und gehörte bereits zum Freundeskreis des Ehepaars Weber. Als fachfremder Wissenschaftler ist Weber jedoch darauf bedacht, seine Kritik möglichst zurückhaltend zu formulieren und äußert sich in diesem Sinn Gruhle gegenüber: »Eine ›Kritik‹ Kraepelin’s aus meinem Munde wäre ja doch eine glatte Lächerlichkeit.« (Weber 1908e, S. 684) Im PsychophysikText selbst schreibt Weber Kraepelins Ansatz in vorsichtiger Formulierung die Tendenz zu, »die somatischen Vorgänge als das ›Reale‹, die psychischen als zufällige ›Erscheinungsweisen‹ anzusehen« (Weber 1908/09, S. 226). Vor diesem Hintergrund sei eine Interpretation Kraepelinscher Begriffe wie »psychomotorische Erregung« oder »Beseitigung einer gewissen Organträgheit«, die sich mit der Vertiefung in eine bestimmte Arbeit oder aus Interesse einstelle, schwierig. Es bleibe unklar, wie das Eingreifen nachzuweisender Faktoren, die jedoch psychischen Charakter trügen, in den physiologischen Ablauf von Übung und Ermüdung gezeigt werden könne: »Die Kraepelinsche Theorie führt für sich an, dass trotz starker ›Müdigkeit‹ gleiche Leistungen beobachtet wurden, – sie muss andererseits leugnen, dass es Zustände ›psychomotorischer Erregung‹ geben könne, die nicht nur ›scheinbar‹ (d. h. der Gefühlslage nach), sondern auch wirklich – d. h. im Sinne von Stoffersatzvorgängen – ›Erholung‹ bedeuten.« (Weber 1908/09, S. 226)16 Prinzipiell sei auch anzuzweifeln, ob die Komponenten der Leistungsfähigkeit konstante Eigenschaften einer Person darstellten, so dass ein einmal gewonnenes Ermüdungsmaß bei anderer Verrichtung tatsächlich auch in dieser Ausprägung eintrete (vgl. ebd., S. 217f.). Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse sei ebenfalls eingeschränkt durch den Umstand, dass die Kraepelinschen Arbeitsversuche an einer sehr begrenzten Zahl von Versuchspersonen durchgeführt worden seien, die sich für die Dauer der mehrtägigen Versuche Laborbedingungen unterworfen hätten, um zufällige Einflüsse einer unregelmäßigen Lebensweise wie Schlafentzug, abträgliches Ernähren und Trinken auf ihre Leistungsfähigkeit nach Möglichkeit auszuschalten. 16 Kraepelin formulierte später selbst, dass er bei seinen Versuchen den Einfluss des Willens auf das Zustandekommens der Arbeitskurve nicht beachtet habe, vgl. Kraepelin (1922).

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Daher schließe dieses experimentalpsychologische Verfahren eine Anwendung auf große Gruppen von Versuchspersonen aus, wie sie gerade bei Erforschung sozialökonomischer Problemstellungen erforderlich sei (ebd., S. 218). Weber gelangt indessen trotz seiner Einwände zu dem Schluss: »Zum Glück für uns ist aber die Frage nach der theoretischen Substruktion der Kraepelinschen Begriffe für deren Verwertbarkeit zu unseren Zwecken von untergeordneter Bedeutung.« (ebd., S. 229) Den Resultaten komme vielmehr heuristischer Wert zu. Die Arbeitskurve bietet Weber zufolge geeignete Begriffe, mit denen sich Leistungsbeobachtungen an Arbeitern beschreiben und analysieren lassen (vgl. ebd.), obwohl die »unsicher tastenden und groben Rechnungen« (ebd., S. 361), mittels derer der Nationalökonom den Verlauf der Leistungskurve nachzeichnen muss, nicht die Exaktheit des Laborversuches erreicht. Beispielsweise lasse sich am Material nachweisen, dass sich sowohl für konkrete Arbeitsaufgaben als auch für die Art der Aufgabe eine Zunahme der Übung finde, die sich in der Steigerung von Leistungsmenge und Qualität des Geleisteten äußere (vgl. ebd.). Mit der Arbeitsanweisung machte Weber die künftigen Mitarbeiter der einzelnen Betriebsuntersuchungen darauf aufmerksam, dass mit der Erhebungsreihe »wirklich wissenschaftliche Zwecke« und keine sozialpolitischen Absichten verfolgt würden (Weber 1908c, S. 81); er verpflichtete sie gewissermaßen auf das von ihm im Einklang mit der jüngeren Vereinsgeneration vertretene Wertfreiheitspostulat, noch bevor diese Problematik von und vor der Vereinsöffentlichkeit thematisiert wurde.17 Auch mit dem Psychophysik-Text beabsichtigte Weber, einen Einfluss auf das Wissenschaftsverständnis einiger seiner Fachkollegen wie auch Vereinsmitglieder auszuüben.18 In »methodisch geschulter Arbeit« zeigt er exemplarisch auf, dass erst nach genauer Kenntnis des methodischen und kategorialen Verfahrens eines bestimmten Bereiches naturwissenschaftlicher Forschung die Reichweite des damit gewonnenen nomologischen Gesetzeswissens für kulturwissenschaftliche Fragestellungen geklärt werden kann. Die Idee, die physiologische Ermüdungsforschung, insbesondere stellvertretend die überschaubarere Kraepelinsche Arbeitskurve auf Arbeit unter nationalökonomischem 17 Nachdem immer wieder punktuelle Debatten über das Verhältnis von wissenschaftlicher Nationalökonomie und sozialpolitischer Empfehlung im Verein für Sozialpolitik die Werturteilsproblematik aufzeigten, wurde für die Generalversammlung im Herbst 1909 eine dezidiert theoretische Diskussion über die Produktivität der Volkswirtschaft auf das Programm gesetzt (vgl. Weber 1909b). Auch die folgenden Vereinszusammenkünfte wurden von dem sich nun manifestierenden Werturteilsstreit tangiert, eine eigens dafür angesetzte Sitzung des Ausschusses am 5. Januar 1914 wurde von schriftlichen Stellungnahmen einzelner Vereinsmitglieder vorbereitet; hierfür schrieb Weber die erste Fassung seines später 1917 im Logos veröffentlichten und erweiterten Aufsatzes Der Sinn der »Wertfreiheit« der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften. 18 Da die Vertreter der ethischen Nationalökonomie auch oftmals akademische Positionen innehatten, waren Webers Kollegen zum überwiegenden Teil auch Vereinsmitglieder.

Naturalismus und Naturalismuskritik

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Blickwinkel anzuwenden, entspringt der von Weber diagnostizierten »glaubensfrohen Stimmung des naturalistischen Monismus«: Das gesetzeswissenschaftliche Forschen sollte auch der Erklärung von kulturellen und sozialen Institutionen die Dignität von Exaktheit und Kausalerklärung verleihen. Gerade der ethischen Nationalökonomie mit ihrer unreflektierten Haltung zum Verhältnis von Tatsachenforschung und Sozialpolitik kam es entgegen, die Nähe der Naturwissenschaften zu Technik und Praxisrelevanz als Legitimation für Urteile zum »Seinsollenden« zu benutzen. Eine solche Herangehensweise leistet einer naturalistischen Begründung von Handlungstheorien Vorschub, wie dies Weber beispielsweise bei Brentanos Grundlegung der nationalökonomischen Grenznutzlehre mit Fechners Reiz-Reaktions-Lehre kritisiert. Diese Kritik, eine Rezension zu Brentanos Abhandlung über die Entwicklung der Wertlehre, ist zeitlich parallel zu seiner Beschäftigung mit der Experimentalpsychologie im (Früh-)Sommer 1908 entstanden (vgl. Weber 1908b). Die Handlungsrelevanz psychischer Phänomene lässt sich Weber zufolge mit generellem Erkenntnisinteresse nicht erfassen. Gegen Abschluss seines Exkurses in die naturwissenschaftliche Psychologie schreibt er ein Jahr später rückblickend: »Wie unendlich kompliziert, … das Hineinspielen des ›Psychischen‹ in die Psychophysik der Arbeit sich gestaltet, habe ich anderwärts mir und den Lesern des Archivs für Sozialwissenschaft im Anschluss an Kraepelins und andrer Arbeiten zu vergegenwärtigen gesucht.« (Weber 1909a, S. 166) Dieses »komplizierte Hineinspielen des Psychischen« hat Weber im Psychophysik-Text systematisch berücksichtigt; er unterscheidet »drei Typen« (Weber 1908/09, S. 247) menschlichen Sich-Äußerns, die er an dem Beispiel von Veränderungen einer Leistungskurve aufzeigt. Beeinflusse der Arbeiter seine Arbeitsleistung, um seinen Verdienst zu regulieren, so seien seine Handlungsmaximen mittels pragmatischer Deutung zu erschließen (vgl. ebd., S. 246). Davon eindeutig abzugrenzen sei das andere Extrem, dass sich Leistungen aufgrund von psychophysischen Abläufen verändern. Die im letzteren Fall zur Wirkung gelangenden ursächlichen »Komponenten« seien anhand kontrolliert gewonnenem Experimentalwissens sowie daraus abgeleitetem Spezialwissen zu ermitteln (vgl. ebd.). In der Mitte zwischen planvollem Handeln auf der einen und psychophysischem Sich-Verhalten auf der anderen Seite sind Schwankungen der Arbeitsleistung zu beobachten, die auf Stimmungslagen zurückgehen. Diese träten als solche ins Bewusstsein, ohne dass jedoch der Arbeiter ihre Verbindung mit dem Leistungsverlauf bewusst erlebe. Sich so auswirkende psychische Vorgänge nennt Weber »psychologisch ›verständlich‹« (ebd., S. 247), die verursachende Gefühlslage sei »introspektiv ›nachbildbar‹« (ebd.; vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1990; S. Frommer u. J. Frommer 1990). Zwischen diesen drei Typen lassen sich Weber zufolge zahlreiche Verflechtungen beobachten, diese »kom-

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plizieren das Problem einer rein psychophysischen Behandlung der industriellen Arbeit nicht unerheblich« (ebd., S. 248). Sowohl am Schluss des Psychophysik-Textes als auch in der Arbeitsanweisung behandelt Weber die Frage der Vererbung beruflicher Qualitäten (Weber 1908/09, S. 365ff.; Weber 1908c, S. 111ff.). Er warnt mehrfach und ausdrücklich davor, beobachtete individuelle oder kollektive Fertigkeiten und Verhaltensweisen vorschnell als Folge ererbter Eigenschaften zu sehen und aus der Perspektive einer der biologischen Vererbungstheorien zu erklären. Er hatte sich noch vor der offiziellen Beschlussfassung zur Durchführung der Industriearbeiter-Enquête dagegen ausgesprochen, das Problem der Vererbung auszuklammern, da nur dessen Explikation die theoretischen und methodischen Schwierigkeiten bei der Rückführung von Eigenschaften auf Rassequalitäten deutlich machen könne. In dem Begleitschreiben, mit dem er seine Arbeitsanweisung an Herkner, den Vorsitzenden des die Enquête vorbereitenden Unterausschusses schickte, schrieb er deshalb, man müsse »die Warnungstafeln vor Voreiligkeit und Dilettantismus noch dicker unterstreichen, u. sich absolut skeptisch gegenüber den Chancen zeigen, dass jetzt etwas Wesentliches über diesen Punkt hinauszubekommen sei, – aber man dürfe doch nicht verschweigen, dass überhaupt irgendwo u. irgendwie diese Probleme mitspielen« (Weber 1908f, S. 661). Auch in der Abschlussdebatte im Verein für Sozialpolitik zu den Ergebnissen der Industriearbeiter-Enquête erinnerte Weber daran, »dass manche von uns hofften, auf dem Wege solcher Untersuchungen z. B. den Problemen der Vererbung der Berufsqualitäten näher zu kommen« (Weber 1911, S. 417).

Naturwissenschaften und Handlungswissenschaften Weber beschäftigte sich im Sommer 1908 und den folgenden Monaten bis etwa Mitte 1909 nicht zufällig mit dem Thema Die experimentalpsychologischen Untersuchungen über die Bedingungen der Arbeit.19 Mindestens seit seinen ersten methodologischen Schriften nach der Jahrhundertwende interessierte ihn die Möglichkeit eines Zusammenarbeitens von Naturwissenschaften einerseits und Handlungswissenschaften andererseits unter prinzipiellen Gesichtspunkten: Erstens wird der Deutungsanspruch monistischer Theorien zurückgewiesen, zweitens die Methode abgelehnt, Handlungsgeschehen ein Schema generell geltender Gesetze überzustülpen. Drittens sind psychische Eigenschaften und Verhaltensweisen zuerst anhand der Einflüsse von sozialen Lebensumständen, kulturellen Gewohnheiten und Traditionen zu erklären, ehe sie vorschnell auf 19 So der Arbeitstitel der Psychophysik-Studie (Weber 1908/09), mit dem sie im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik im Septemberheft 1908 angekündigt wurde.

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ererbte Dispositionen zurückgeführt werden. Eine weitere Voraussetzung konkreter Art ist die Gleichheit oder Ähnlichkeit der gewählten Problemstellung von nomologischer und idiographischer Forschungsperspektive. Sie lag für Webers eigenes Projekt vor mit der im Rahmen der Industriearbeiter-Enquête gestellten Frage nach der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit von Arbeitern auf der einen und mit der Arbeitskurve von Emil Kraepelin auf der anderen Seite, der in seinen experimentalpsychologischen Untersuchungen die elementaren Grundkomponenten der Arbeitsleistung zu ermitteln sucht. Es ist für Weber offensichtlich, »wie sehr diese Fragestellung dem Interesse unserer Disziplin entgegenkommt« (Weber 1908/09, S. 165). Er zieht indessen das Fazit, dass zwischen beiden Seiten dann immer noch eine Lücke klaffen würde, auch wenn sich die nationalökonomische Datenerfassung auf die Genauigkeit der im Laborversuch ermittelten Ergebnisse bringen ließe (vgl. ebd., S. 365). Insbesondere hinsichtlich der »letzten Frage« – Vererbung oder Lebensschicksal – bestehe eine kaum zu beseitigende Kluft (vgl. ebd.). Auch wenn für Weber dieses Ergebnis im Voraus feststand (vgl. ebd., S. 164f.), war er doch der festen Überzeugung, diese »Compilation« (Weber 1908e, S. 674f.) bis ins Detail von Methodik und Begriffskonstruktion der Wundtschen Experimentalpsychologie (Weber 1908/09, S. 225f.), die Grundlage von Kraepelins Arbeitsversuchen, ausarbeiten zu müssen. Nur in der Ausführlichkeit der Psychophysik-Studie ließen sich für ihn die Schwierigkeiten einer Verbindung von nomologischem Wissen mit am Einzelfall historisch-verstehend gewonnenem Wissen systematisch aufzeigen. Aus dieser methodologischen Arbeit resultierte ein bislang nicht beachteter Ansatz, wie sich Ergebnisse psychologischer Experimentalforschung für die Interpretation von Sinnzusammenhängen nutzen lassen. Nur konkretes Wissen um die naturgesetzlichen Abläufe bloßen psychophysischen Reagierens kann sinnfremde Verhaltensbestandteile von sinnhaftem – rationalen oder affektiven – Handlungsgeschehen trennen und somit sowohl den Erklärungsbereich experimentell gewonnenen Regelwissens als auch den verstehend zugänglichen Bereich pragmatischer Deutung oder psychologischen Verstehens positiv bestimmen. Die Naturalismuskritik Webers schließt naturwissenschaftliches Detailwissen zu Verhaltensabläufen nicht aus.

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Kapitel 3: Von der Hysterie zur Nervosität. Anmerkungen zu Willy Hellpachs sozialpathologischen Prognosen für das 20. Jahrhundert

Angesichts des außerordentlichen Umfangs seines Werkes mit über 800 Publikationen1 zu psychologischen, psychopathologischen, psychiatrischen, pädagogischen, arbeitswissenschaftlichen, politischen und kulturgeschichtlichen Themengebieten verwundert es nicht wenig, dass Willy Hellpach kaum noch gekannt, geschweige denn rezipiert und zitiert wird. Dies mag zum Teil an dem ausgreifenden, manchmal sogar weitschweifigen und am kulturellen und politischen Zeitgeschehen haftenden Stil liegen, in dem manche seiner Schriften verfasst sind, mehr aber noch könnte die mangelnde Betrachtung seines Werkes daher rühren, dass es Grundfragen und damit Grenzfragen waren, die ihn seit seiner Studienzeit beschäftigten, und dass es eben diese Fragen sind, die den heute zu überwiegend empirisch forschenden Spezialdisziplinen entwickelten Humanwissenschaften zunehmend aus dem Blick geraten. Zunächst erscheint eine abrissartige biographische Einführung erforderlich: 1877 in Oels (Schlesien) geboren, studierte Hellpach ab 1895 Medizin in Greifswald, denn nur die Medizin lerne den Menschen »lückenlos, bis in jedes kleinste Fältchen hinein« kennen (Hellpach 1948, S. 143). 1897 wechselte er nach Leipzig, wo er zusätzlich Psychologie bei Wilhelm Wundt (1832–1920) belegte und bei diesem auch promovierte. Weitere Lehrer waren der Geograph Friedrich Ratzel (1844–1904) und der Historiker Karl Lamprecht (1856–1916). Unter Emil Kraepelin (1856–1926) war er Volontärassistent an der Heidelberger Psychiatrischen Klinik, wo er auch zum Dr. med. promovierte. 1904 ließ sich Hellpach in Karlsruhe als Nervenarzt nieder und betrieb parallel seine Habilitation unter Förderung durch Wilhelm Windelband (1848–1915) und Max Weber (1864–1920). Die Venia Legendi für Psychologie erhielt er 1906 an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Im Jahre 1911 wurde er dort zum außerplanmäßigen, 1922 zum or1 Das Werkverzeichnis von Stallmeiser (1986) enthält 866 Titel. Außer den im Text zitierten Quellen zählen hierzu unter anderem: Nervenleben und Weltanschauung (1906c); Die geopsychischen Erscheinungen (1911), ab der 4. Aufl. unter dem Titel Geopsyche bei Enke, Stuttgart, die 6. Aufl. erschien 1950; Elementares Lehrbuch der Sozialpsychologie (1933); Einführung in die Völkerpsychologie (1938).

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dentlichen Professor ernannt. Begleitend zu seiner wissenschaftlichen Karriere verfolgte Hellpach politische Interessen, so war er ab 1922 Kultusminister und 1924/25 sogar Staatspräsident des Landes Baden. Ab 1926 war Hellpach ordentlicher Honorarprofessor für Psychologie in Heidelberg, wo er 1955 starb (vgl. Hellpach 1948; 1949; Witte 1957; Lück 1988). Im Mittelpunkt seines auf den ersten Blick heterogenen und disparat erscheinenden Werkes steht die Frage: Welchen – insbesondere pathogenen – Einflüssen und Determinanten ist der Mensch als animal rationale ausgesetzt, und inwiefern sind diese Bindungen einer wissenschaftlichen Erforschung zugänglich? Dabei wird in verschiedenen Diskussionszusammenhängen die Autonomie der Person im Schnittpunkt physikalischer, physiologischer, erbgenetischer und anderer experimentell erforschbarer biologischer Kautelen einerseits, und sozialpsychologischen, historischen, kulturellen und politischen Einflüssen andererseits verortet. Für den frühen, neben seinen wissenschaftlichen Ambitionen auch praktisch nervenärztlich tätigen Hellpach wird so der Übergangsbereich zwischen normalpsychischen und psychopathologischen Phänomenen zum Fokus. Seinen Antworten auf die Frage nach den sozialhistorischen und soziokulturellen Voraussetzungen von Hysterie, Neurasthenie und Nervosität – modern gesprochen von Neurosen, psychosomatischen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen – wollen wir im Folgenden nachgehen. Es wird zu zeigen sein, wie sich in seinem Ansatz in nuce eine dimensionale Neurosentheorie präformiert findet, die angesichts des in neuerer Zeit allseits beklagten Zerfalls der Nosologie der Neurosen (vgl. Hoffmann 1986) Beachtung beanspruchen darf.

Lenksamkeit und Hysterie Ausgehen wollen wir dabei vom Einleitungskapitel der 1902 erschienenen Monographie »Nervosität und Kultur«, das die Überschrift trägt: »Lenksamkeit und Reizsamkeit als Grundlagen hysterischer und nervöser Kulturphasen«. Hellpach nimmt an, dass nicht nur die Einzelpsyche, sondern in enger Verschränkung mit ihr ganze Kulturepochen geprägt sind durch eine von zwei einander entgegengesetzten charakterlichen Grundeigenschaften, die in ihren Steigerungsformen spezifischen psychopathologischen Symptomkomplexen entsprechen. Dabei gilt bezüglich des einen Poles: »Die hysterische Anlage … findet ihre Vorläuferin in der Suggestibilität, die sich vielleicht am zutreffendsten durch die Lenksamkeit verdeutschen ließe« (Hellpach 1902c, S. 4). An anderer Stelle, in den knapp 500 Seiten umfassenden, 1904 publizierten »Grundlinien einer Psychologie der Hysterie« erläutert Hellpach seine Auffassung detailliert: Neben anla-

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gebedingten Faktoren entstehe diese »reaktive«2 Abnormität vor allem infolge inadäquater Hemmung von Affektaustausch durch Erziehungseinflüsse im Kindesalter. Dies könne dazu führen, dass triebhafte Affektäußerungen aufgrund von Erinnerungen an Sanktionen unterbleiben, zum anderen werde die Wechselwirkung von Affekt und Ausdrucksbewegung unterbrochen. Werde die Möglichkeit zur erregten Ausdruckserscheinung einer kindlichen Laune verwehrt, »so wird der Affekt durch die psychophysische oder reflektorische Ausdruckswandlung einfach abgeschnitten« (Hellpach 1904, S. 356). Entweder der Affekt werde damit zum Verschwinden gebracht, »oder aber, und das ist mindestens ebenso häufig, der Affekt wird verdrängt«, tauche jedoch als Ursache »periodisierender Verstimmung … immer von neuem wieder auf und beharrt oft noch, wenn das Bewusstsein ihrer Ursache, eben jenes Affektes und des ihm ursächlich verknüpften perzeptiven oder assoziativen Erlebnisses, nicht mehr lebendig ist« (Hellpach 1904, S. 356). Im Unterschied zu Freud interpretiert Hellpach die Vorgänge der Verdrängung und Konversion nicht als Beweis dafür, dass eine als »Unbewusstes« zu bezeichnende ontologische Schicht oder Instanz im Übergang von psychophysischem zu psychischem Prozess existiere (vgl. Hellpach 1904, S. 401f.). Er kritisiert diese Annahme vielmehr unter Hinweis auf die Vieldeutigkeit des Begriffes und die Tatsache, dass Freud das empirisch prinzipiell nicht aufweisbare Konstrukt »Unbewusstes« reifizierend wie ein reales Ding behandele (vgl. Hellpach 1908a). Hellpachs Auffassung zufolge besteht Verdrängung hingegen in der Auflösung der Verknüpfung von Gefühlserlebnis und zugehöriger Vorstellung, später treten diese abgetrennten Affekte dann in Verknüpfung mit anderen Vorstellungen als »weder eine sinnvolle, noch eine maßvolle Folge der sie tragenden Vorstellungen«, als subjektiv »grundlose Verstimmung« (Hellpach 1904, S. 403) auf, oder aber sie kommen in den Erscheinungsformen der Hysterie, den Konversionssymptomen, zum Ausdruck. Erst die Rekonstruktion des subjektiv verlorengegangenen Zusammenhangs zwischen Affektausdruck und Affekt sowie zwischen Affekt und ursprünglich zugehöriger Vorstellung mache diese Phänomene verständlich (vgl. S. Frommer u. J. Frommer 1990).

2 Entwickelt sich ein labiler Gefühlszustand unter dem Einfluss von Umweltbedingungen und Lebensweise zu psychischer Alteration, so spricht Hellpach von reaktiver Abnormität. Deren Ausdrucksformen sind aus der sozialen und kulturellen Situation heraus psychologisch zugänglich, die produktive Abnormität dagegen führt zu einer anlagebedingten geistigen Erkrankung, die einen eigengesetzlichen Verlauf nimmt. Nun bestimmt zwar auch die genealogische Entwicklung die Erscheinungsform der Zeiterkrankung Hysterie, doch mit ihrer Einordnung in den zeitgeschichtlichen Kontext gewinnt der Psychologe für Hellpach ein größeres Verständnis für das Wesen der Hysterie, als es nur unter Berücksichtigung der genetischen Seite möglich wäre (vgl. Hellpach 1904, S. 71–86).

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Hellpach bemüht sich mit seiner apperzeptionstheoretischen Interpretation der Psychodynamik der Hysterie bereits kurz nach der Jahrhundertwende um die Integration von Kritikpunkten, die der Entwicklung und Verbreitung eines psychodynamischen Verständnisses psychopathologischer Syndrome lange im Wege standen. Freud selbst erachtete die Erörterung allgemeiner methodologischer und erkenntnistheoretischer Probleme zeitlebens als Frage nachgeordneten Ranges (vgl. Freud 1915). Erst unter seiner Tochter Anna und den als IchPsychologen bekanntgewordenen Psychoanalytikern zweiter und dritter Generation entwickelte sich ein stärkeres Interesse an der »Klärung von Begriffen« (Hartmann et al. 1946, S. 105). So wurden innerhalb des psychoanalytischen Diskurses die von Hellpach gezogenen Verbindungen zur neukantianischen Philosophie und Wissenschaftstheorie erst 20, 30 und 40 Jahre später geschaffen und damit der Grundstein gelegt für ein weniger verdinglichendes Verständnis psychischer Struktur. Es wurden nun erstens die psychische Struktur ebenso wie Umweltbeziehungen und somatische Phänomene als Äußerungsformen des an sich in der Erkenntnis nicht fassbaren Gesamtorganismus konzeptualisiert und zweitens die biologische Annahme einer sehr weitgehenden Triebdeterminiertheit des Menschen (vgl. Sullowy 1979) dadurch relativiert, dass dem apperzipierenden Ich eine »funktionelle Autonomie« zuerkannt wurde (vgl. Rapaport 1967)3.

Reizsamkeit und Nervosität Der hysterischen Lenksamkeit steht – hier kehren wir zu Hellpachs Polarisierung psychischer Alterationen zurück – die Reizsamkeit4 gegenüber, deren pathologische Steigerungsform die Nervosität darstellt (vgl. Hellpach 1902c, S. 12). Wie bei der konstitutionellen Neurasthenie fehlen bei der erworbenen Nervosität die folgenden beiden Kennzeichen gesunden Seelenlebens: »Einmal ist beim gesunden Menschen innerhalb der von ihm regelmäßig geübten Beschäftigung und der alltäglichen Umgebung die Gefühlslage eine schwach gefühlsbetonte und gleichmäßige. Und weiter zeigt die kontrastierende Färbung der Alltagsstimmung nach gefühlsstarken Unterbrechungen nur geringe Intensität und kurze 3 Heinz (1981) kritisiert, dass die psychoanalytischen Ich-Psychologen eine unzulässige anthropologische Umdeutung der Kantschen Erkenntnistheorie zugunsten einer positivistischen Gegenstandsbestimmung vornehmen. Einer solchen Vereinseitigung versuchte Hellpach durch die Betonung der gegenseitigen Durchdringung von Individuum und Gesellschaft zu entgehen. 4 Der Historiker Karl Lamprecht übernahm den Begriff der Reizsamkeit von Nietzsche und machte ihn mit seiner Geschichtsschreibung, die historische Erscheinungen auf der Grundlage von Seelenzuständen erklärt, bekannt (vgl. Hellpach 1902c, S. 1–23).

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Dauer, die Psyche kehrt auch aus starken Gefühlssteigerungen rasch wieder in die alltägliche Ruhelage zurück.« (Hellpach 1902c, S. 13f.)

Den Nervös-Reizsamen ist diese ausgeglichene Gefühlslage versagt. Bei diesen Menschen treten »auch die allergewöhnlichsten Eindrücke und Erinnerungen … mit starken Gefühlsbetonungen auf … unterm Bilde eines hochgeschraubten Gefühlskontrastes« (Hellpach 1902c, S. 14). Während der psychodynamische Mechanismus der hysterischen Phänomene für Hellpach also darin zu sehen ist, dass Affekte abgekoppelt von den zugehörigen kognitiven Inhalten zu diffusen Stimmungen und unbewussten Ausdruckshandlungen drängen, erscheint er bei der Nervosität umgekehrt als übersteigerte Aktualisierung an sich zugehöriger Affekte durch präsente Vorstellungen und Erinnerungen. Hellpach sieht Reizsamkeit und Nervosität in vielfachen Verschränkungen mit der Entwicklung der modernen Kultur, wobei der »Auflösung der alten religiösen Gewißheit« (Hellpach 1902c, S. 123), wie sie insbesondere in der ästhetischen Kultur zu verzeichnen sei, entscheidende Bedeutung zukomme. Vom Standpunkt einer historisch verstandenen Sozialpathologie interpretiert er die Lenksamkeit als kindheitstypisches Primitivphänomen, das sich besonders stark ausgeprägt findet in historisch frühen Epochen (Mittelalter), bei sozial benachteiligten Klassen (Proletariat) und – für unser heutiges Verständnis besonders problematisch – beim weiblichen Geschlecht. Auf der anderen Seite liegt die von Reizsamkeit geprägte bürgerliche Welt, bei der nicht, wie bei der Lenksamkeit, von einer »Erschlaffung der apperzeptiven Funktionen« (Hellpach 1902c, S. 318) auszugehen ist, sondern gerade das Gegenteil der Fall zu sein scheint: »Das Wachstum der Städte, die zunehmende Beweglichkeit des öffentlichen Lebens, eine stattliche Zahl von Rezeptionen fremder Einflüsse gestalteten das Bild der Welt bunter und unruhiger. Da aber eine organische Fortbildung des phantastischen Apperzipierens zu mehr begrifflicher Auffassungs- und Verarbeitungsweise vorerst noch mangelt, so gerät das psychische Reagieren in eine gewisse Hast und Überstürzung, in ein Bestürztwerden von Eindrücken, die noch alle in ihrer unmittelbaren Frische festgehalten sein möchten: Eine übermäßige apperzeptive Inanspruchnahme des Individuums setzt also ein, sprunghaftes Aufschießen von Ideen, ein Nachlassen der Stilsicherheit, wie man es nennen könnte, im ganzen Leben, ein Durchbrechen und Abbröckeln der Gebundenheit und Geschlossenheit an allen Ecken und Enden. Es sind die Geburtswehen des Individualismus, die sich ankündigen.« (Hellpach 1904, S. 484)

Lenksamkeit und Reizsamkeit stellen für Hellpach nicht einander ausschließende Eigenschaften dar: Eher entsprechen sie den beiden entgegengesetzten Polen eines Kontinuums, wobei der Einzelfall jeweils danach in die Übergangsreihe einzuordnen ist, wie ausgeprägt das Ansprechen des Merkmals – d. h. der Lenksamkeit im proletarischen und der Reizsamkeit im bürgerlichen Milieu –

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durch Umweltreize sein muss, um die entsprechenden hysterischen bzw. nervösen Symptome beim Betreffenden auszulösen (Hellpach 1904, S. 471ff.).

Der Begriff der »Nervosität« als Vorläufer moderner neurotisch-depressiver Erschöpfung Anfang der 1960er Jahre wurden Hellpachs sozialpathologische Thesen von Walter von Baeyer aufgegriffen, der festzustellen glaubte, »daß sich der Leidensstil der Epoche in gewisser Hinsicht gewandelt hat, … daß psychogene und soziogene Reaktionen seltener im Gewande hysterischer ›Darbietungsformen‹ und immer häufiger als blande ›Intimformen‹ eines neurasthenischen, dynamischen Versagens zutage treten« (v. Baeyer 1961, S. 193). Neben Hellpach bezieht sich von Baeyer auf Stertz, der eine Steigerung der Beanspruchung der nervösen Substanz bei Ausschaltung der Erholung mit konsekutiver psychophysischer Erschöpfung postuliert und von einer exogenen neurasthenischen Reaktion bzw. einer neurasthenischen Erschöpfungsreaktion spricht. Von Baeyer zufolge ist die banale Erschöpfungsreaktion des klinischen Alltags in ganzheitlich-anthropologischer Sicht durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Erstens durch das subjektive Erleben von »Ohnmacht«, im Sinne »leibseelische(r) Kraftlosigkeit, Nicht-mehr-bewältigenkönnen früher ›gekonnter‹ Leistungen« (v. Baeyer 1961, S. 195), zweitens durch »Spannungslosigkeit« sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht, drittens durch eine »lustlos, moros, resigniert« und »flach-nivellierte« emotionale Negativ-Tönung (v. Baeyer 1961, S. 196), viertens durch ein Rückzugsverhalten gegenüber der Mitwelt, und schließlich fünftens durch das Gefühl von Zukunftslosigkeit und Endzeitstimmung. Insgesamt erscheint diese Reaktionsweise getragen von einer »unwillentlich-willentliche(n) Kapitulation vor dem allzu Schweren, vor zum ›zu viel‹ ein Versagen und in eins damit ein Sich-versagen angesichts der zu schweren Daseinsforderung« (v. Baeyer 1961, S. 197). Patienten, die über eine derartige Symptomatik klagen, bestimmen auch in der Gegenwart nicht nur das Bild spezialisierter Nervenarzt- und Psychotherapie-Praxen, sondern gleichermaßen die Situation in weniger spezialisierten Institutionen des Gesundheitswesens. Ca. 30 Prozent einer repräsentativen Stichprobe aus der Normalbevölkerung klagte im Rahmen der Mannheimer Kohortenstudie über depressive Symptome in den vergangenen sieben Tagen, wobei 4 bzw. 4,5 Prozent bei einer Nachuntersuchung drei Jahre später die Symptomatik so ausgeprägt angaben, dass sie als neurotisch-depressiv eingestuft wurden (vgl. Reister u. Schepank 1989).

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In einer eigenen qualitativ-inhaltsanalytischen und komparativ-kasuistischen (vgl. Faller u. Frommer 1994) Untersuchung an den Transkripten von psychoanalytischen Erstinterviews gelang es zu zeigen, dass die Diagnose neurotische Depression bei aller Heterogenität der darin versammelten klinischen Bilder typologisch doch recht gut dem entspricht, was Hellpach als Nervosität und von Baeyer als Erschöpftsein beschreiben. In unserer induktiven Studie über die subjektiven Krankheitsvorstellungen, Biographieschilderungen und Charakterisierungen der eigenen Persönlichkeit ergab sich als eines der Kernmerkmale eben jenes auch in der Arbeit von v. Baeyer fokussierte Gefühl des Nicht-mehrweiter-Könnens. Die von uns untersuchten Patienten gaben überwiegend psychische und psychosoziale Ursachenvorstellungen an, wobei das konflikthaft erlebte Sich-nicht-distanzieren-Können sowohl von Wertorientierungen als auch von nahestehenden Personen, die in der Sicht der Patienten einen beschwerdeauslösenden Einfluss ausüben, im Mittelpunkt stand. Daneben wurden Selbstwertprobleme und Selbstwert-Verunsicherungen deutlich (vgl. Frommer et al. 1995). Die seit den 1990er Jahren durch die operationalen Diagnosesysteme zur Diskussion gestellte Ablösung des klassischen kontinentaleuropäischen Depressions-Verständnisses durch stärker in angelsächsischen Traditionen wurzelnde Modelle, die Depressivität lediglich in leichte, mittelschwere und schwere Formen differenzieren, fordert ein dimensionales Verständnis geradezu heraus. Den Ergebnissen unserer qualitativ-inhaltsanalytischen Studie zufolge scheint es so zu sein, dass reifere Persönlichkeiten sich ihres überstarken Gebundenseins an soziale Normen und Werte eher bewusst werden können. Neurotisch Depressive liegen im inneren Kampf mit dieser Fixierung und versuchen immer wieder, die Bindungen zu lockern und der eigenen Bedürfniswelt Raum und Befriedigung zu verschaffen. Anders bei den schweren depressiven Bildern, bei denen prämorbid oftmals eine Typus melancholicus-Persönlichkeit vorliegt, d. h. eine Persönlichkeit, die in ihrer Fixierung auf unerreichbar hohe soziale und moralische Ideale eingeschlossen ist, der der Überstieg, wie er beispielsweise in der Ironie stattfindet, nicht oder nur ganz ungenügend möglich ist (vgl. Tellenbach 1983). Bei diesen Patienten erscheint die Abhängigkeit von Vorgegebenem eher als präverbal verankertes archaisches Gesetz, das im sprachlichen Diskurs weitgehend unerreichbar bleibt.

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Der Begriff der »Hysterie« und seine Verwandtschaft mit modernen Angsterkrankungen Wie aber steht es mit dem entgegengesetzten Pol von Hellpachs dimensionaler Nosologie der psychischen Störungen im Übergang zur Normalität? Tatsächlich sind die klassischen hysterischen Symptome wie arc de cercle, hysterischer Anfall etc. in ihrer vollen Ausprägung und Dramatik selten geworden und spielten sowohl epidemiologisch (vgl. Schepank 1987) als auch im Krankengut psychotherapeutischer Einrichtungen (vgl. Hoffmann 1986) bereits im ausgehenden 20. Jahrhundert kaum noch eine Rolle.5 Anders steht es mit den Phobien und Angsterkrankungen, deren Nähe zur Hysterie bei gleichzeitiger Abgrenzung von der Neurasthenie bereits vom frühen Freud erkannt wurde. In seiner 1895 ersterschienenen Schrift »Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als Angstneurose abzutrennen« konzediert er zwar auch Gemeinsamkeiten mit der Neurasthenie, betont andererseits aber Gesichtspunkte, »welche die Angstneurose geradezu als das somatische Seitenstück zur Hysterie erscheinen lassen« (Freud 1895b, S. 342). Bei beiden gehe es um »eine psychische Unzulänglichkeit, der zufolge abnorme somatische Vorgänge zustande kommen« (ebd.). Hier wie dort trete an die Stelle nicht geleisteter psychischer Verarbeitung und Integration eine Ablenkung der Erregung in das Somatische.6 Auch Hellpach – der an dieser Stelle seine Nähe zur Freudschen Auffassungen betont (vgl. Hellpach 1904, S. 437) – erkennt, dass die Ähnlichkeit phobischer Störungen mit neurasthenischen Symptomen nur eine scheinbare ist, die dadurch nahegelegt wird, dass in beiden Fällen körperlich erlebte Symptome oft im Vordergrund stehen. In Wirklichkeit handele es sich bei der Phobiebildung um ein hysterisches Phänomen nachträglicher motivistischer Verhüllung von Autosuggestion (vgl. ebd.). Wie hysterischen Phänomenen liegt auch den Angstsymptomen eine mangelnde Fähigkeit zur Integration andrängender Impulse zugrunde, die auf ein Missverhältnis von Triebstärke und Ichstärke hinweist. Dabei lassen sich unterschiedliche Schweregrade dieses Missverhältnisses wie folgt unterscheiden: 5 Unberücksichtigt bleibt hier allerdings der nicht unbeträchtliche Anteil jener Patienten, die vor der Konsultation psychiatrischer und psychotherapeutischer Fachärzte aus Angst vor Stigmatisierung zurückschrecken und in organmedizinischen Disziplinen (z. B. Neurologie) oftmals, wenn nicht fehldiagnostiziert, so doch fehlbehandelt werden. 6 Wobei Freud zu diesem Zeitpunkt die Entstehung der Angstneurose in direkterer Verbindung zu nicht abreagierter sexueller Triebenergie sieht als die Hysterie, bei der verdrängte Konflikte als Ursache erscheinen (vgl. Freud 1895b, S. 342). Die Betrachtung der Angstentwicklung von der Seite des Ichs her, das nun als »Stätte der Angst« (vgl. Freud 1923) erscheint, setzt wesentlich später ein.

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»Je mehr Angstbewältigung sich im Symptom darstellt, desto besser ist die Ichstruktur. Gegenüber der präpsychotischen ›Angst, verrückt zu werden‹ sind isolierte Angstattacken eine deutlich bessere Organisationsform hinsichtlich der Angstbewältigung – mögen sie im Einzelfall auch noch so unangenehm sein, und gegenüber Angstattacken stellt eine isolierte Phobie, bei der sich der Betroffene durch Vermeidung des Gegenstandes seiner Ängste weitgehend angstfrei halten kann, natürlich eine noch bessere Form der Angstbewältigung dar.« (Hoffmann 1994, S. 28)

Als Hinweis auf einen höheren Grad der Identitätsintegration können hier also thematische und situative Bindung im Sinne phobischer Ausprägung gelten. Multiple und ungerichtete Ängste sowie Ängste, die den Verlust der Identität direkt betreffen, zeigen hingegen eine geringe Angstbewältigung im Symptom und weisen daher auf eine schwerere Identitätsstörung hin.

Zusammenfassung und Ausblick: Willy Hellpachs dimensionale Sozialpathologie als Beitrag zu einer allgemeinen Neurosenlehre Im Gegensatz zu den klassisch-hysterischen Phänomen sind Phobien und Angstsyndrome in unserer Zeit und unserem Kulturkreis keineswegs verschwunden. Im Gegenteil: Die oben zitierte epidemiologische Untersuchung weist nach, dass phobische und angstneurotische Symptome in der Allgemeinbevölkerung nahezu ebenso stark verbreitet sind wie depressive Beschwerden.7 Da auch Übergänge zwischen diesen beiden häufigen Typen psychischer Störung nicht selten sind,8 lässt sich der Vorschlag von Tyrer (1989) nachvollziehen, im Gegensatz zu den modernen operationalen Diagnose-Manualen9 am Neurosebegriff als einer nosologischen Kategorie (General Neurotic Syndrome) festzuhalten, innerhalb derer sich die einzelnen Fälle entlang eines Kontinuums zwischen den beiden Polen depressive Symptome und Angstsymptome einordnen lassen.

7 In der bereits zitierten Mannheimer Kohortenstudie wurden bei einer repräsentativen Stichprobe aus der Normalbevölkerung bei 3,1 Prozent der Probanden Angststörungen diagnostiziert, über 20 Prozent zeigten phobische Symptome (vgl. Reister u. Schepank 1989). In klinischen Populationen werden Angstneurosen mit über 10 Prozent, Phobien mit 5 Prozent angegeben (vgl. Hoffmann 1986). 8 Roth (1992) geht von einem 25–30prozentigem Überlappen aus. 9 Innerhalb der Operationalen Diagnostik, die sich die Zuordnung von Krankheitsbildern zu Kategorien anhand definierter beobachtbarer Verhaltensmerkmale zum Ziel gesetzt hat, ist der Neurosenbegriff kritisiert und schließlich abgeschafft worden (vgl. World Health Organization 1993). Stattdessen wird der Begriff der Störung verwendet, der allerdings nur scheinbar neutraler und »theoriefrei« ist. Tatsächlich verbergen sich hinter den hier zur Anwendung kommenden diagnostischen Kategorien Konzepte biologisch-psychiatrischer und verhaltenstherapeutischer Provenienz.

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Dieser Vorschlag lässt sich auch von einer tieferen psychodynamischen Verständnisebene her begründen, die insofern Hellpachs Grundanliegen aufgreift, als sie die rein apperzeptionstheoretische bzw. individuumsorientierte ichpsychologische Sichtweise durch die Einbeziehung der sozialen Dimension erweitert10 und dementsprechend davon ausgeht, dass sich persönliche Identität weder aus bedingungsfreiem Selbstbezug noch aus fremddeterminierten Bestimmungselementen allein befriedigend ableiten lässt. Vielmehr kann die exzentrische Position (vgl. Plessner 1975) des Menschen unter identitätstheoretischer Sicht verstanden werden aus dem im Sinne psychischer Strukturbildung stets neu zu bewältigenden Spannungsverhältnis zwischen einer spontanen, durch privilegierten Zugang zu den eigenen Bewusstseinszuständen und eine persönliche Geschichte gekennzeichneten Subjektperspektiven einerseits und der Existenz als Person, die formal (z. B. durch Sprache) und inhaltlich durch zwischenmenschliche Beziehungen und Orientierung an sozialen Normen und Werten bestimmt ist. Die Steigerung der Hellpachschen Reizsamkeit zur Nervosität, d. h. in moderner Nosologie-Sprache zum Erschöpftsein der neurotischen Depression, bedeutet vor diesem Hintergrund nichts anderes als das Resultat einer übersteigerten »apperzeptiven Tätigkeit« im Sinne einer verstärkten Auseinandersetzung mit Normen und Wertvorstellungen, die zwar nicht, wie bei der hypernomischen Fixierung des Melancholikers, fraglos Gültigkeit besitzen (vgl. Tellenbach 1983; Kraus 1987), die den Betreffenden aber dennoch in hohem Maße an der Befriedigung von Triebwünschen hindern. Das ständige Beschäftigtsein mit der Legitimation und Planung eigener Handlungen im Spannungsfeld heterogener Wertvorstellungen, Rollenerwartungen und rasch überholter Lebensentwürfe wird so zur »Krankheit« des postmodernen Menschen der westlichen Zivilisation im ausgehenden 20. und im 21. Jahrhundert. Doch die zweite Krankheit, von der Hellpach spricht, ist keinesfalls überwunden: Die Hysterie als pathologische Form der Lenksamkeit erscheint heute im Gewande phobischer und angstneurotischer Symptome. Ein zur Identitätstheorie erweitertes apperzeptionstheoretisches Verständnis versteht diese klinischen Bilder als Ausdruck einer verminderten apperzeptiven Tätigkeit im Sinne einer Dysbalance zugunsten dynamischer Faktoren bei gleichzeitigem (partiellen) Unvermögen, Normen und Werte tatsächlich einheitlich und durchgängig handlungssteuernd einzusetzen. Die heute so häufigen Phobien und Angstan10 Diese Entwicklung weg von einem monologisch konzipierten Subjektbegriff hin zu dialektischen Modellen des Selbst ist in ganz unterschiedlichen Theorietraditionen zu verzeichnen: So beispielsweise in den durch die sozialpsychologische Chicago School of Pragmatism (vgl. Mead 1934) stark beeinflussten interpersonellen Ansätzen der nordamerikanischen Psychiatrie (vgl. Sullivan 1983) ebenso wie in den verschiedenen Richtungen der britischen psychoanalytischen Objektbeziehungspsychologie (vgl. Frommer u. Tress 1993).

Von der Hysterie zur Nervosität

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fälle erscheinen so als Kehrseite und zugleich Ausdruck von Affekten und Triebansprüchen, deren Abwehr nicht ausreichend gelingt. In beiden Fällen, sowohl im Falle der Überstimulation von Eigenaktivität und Verantwortung beim depressiv Erschöpften, als auch im Falle der bedrohlichen Verselbständigung körperlich-dynamischer Funktionen beim Angstpatienten, ist die Verzahnung und Koordination von konstitutionellen und psychophysiologischen Faktoren einerseits und den immer komplexer werdenden sozialen, kulturellen und politischen Bezügen andererseits verlorengegangen. Es scheint so, als habe sich die westliche Zivilisation an der Schwelle zum zweiten Jahrtausend ihrer Zeitrechnung eine Welt geschaffen, die die Integrationskapazität personaler Identität zunehmend überfordert. Diese Einschätzung wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt zur These von der Antiquiertheit der Psyche, die davon ausgeht, »daß ein Mißverhältnis zwischen den Möglichkeiten der Psyche und den Anforderungen des Lebens in der modernen Zivilisation besteht« (Roelcke 1995, S. 227). Die Stationen dieser Entwicklung lassen sich – wie Roelcke gezeigt hat – beispielsweise im Werk Alexander Mitscherlichs verfolgen, wobei sich eine kulturkritische von einer kulturpessimistischen Variante der Argumentation unterscheiden lässt. Während die erstere die Lebensbedingungen der Moderne gekennzeichnet sieht durch Einschränkungen individueller Bedürfnisse und Anfälligkeit für die Freisetzung von individueller und kollektiver Aggressivität und dementsprechend politisches Engagement fordert, versteht die letztere unsere Zivilisation als die Endphase eines naturgesetzlich ablaufenden Prozesses, der begleitet ist von einer höheren Anfälligkeit für chronisch-degenerative Krankheiten. Welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, entscheidet die Geschichte.

Teil II: Das psychologische Verstehen

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Kapitel 4: Der Begriff des psychologischen Verstehens bei Max Weber

Dem Erklären von Verhalten wurde gegenüber dem Verstehen von Handeln innerhalb der akademischen Psychologie bisher weitaus größere Bedeutung zugemessen (vgl. Graumann 1980). Gegen die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert prädominierenden, naturwissenschaftlich-experimentalpsychologische und bewusstseinstheoretische Aspekte zumeist unsystematisch und unreflektiert kompilierenden Psychologien setzte sich zunächst im anglo-amerikanischen, nach 1945 auch im deutschsprachigen Raum John B. Watsons radikaler Vorschlag durch, Psychologie als vollkommen objektiven, experimentellen Zweig der Naturwissenschaft zu betrachten (vgl. Watson 1913). Verhalten als zentrale Kategorie dieses Ansatzes thematisiert menschliche Lebensäußerungen ohne Rücksicht auf mit ihnen einhergehende introspektive Prozesse als kausalanalytisch untersuchbare, auf bestimmte Reize als Ursache zu beziehende Reaktionen. Die als Gegenkonzepte auftretenden bewusstseinstheoretischen Ansätze, beispielsweise phänomenologischer oder gestaltpsychologischer Art, konnten sich gegen die behavioristische Orientierung ebenso wenig durchsetzen wie Ansätze, die mit der Verhaltenstheorie zwar die Annahme der Verwurzelung menschlicher Äußerungen im biologischen Lebensprozess teilen, jedoch statt des Reiz-Reaktions-Schemas komplexere Modelle der Verhaltenssteuerung des in dynamischer Umweltbeziehung gesehenen Organismus postulieren. Hier, im deutschsprachigen Raum etwa in der Gestaltkreislehre des Psychosomatikers Viktor von Weizsäckers, im angelsächsischen Sprachraum beispielsweise in der Sozialpsychologie George Herbert Meads, spielt der Begriff der Handlung zwar bereits eine Rolle, Handeln wird jedoch nicht als Privileg bewusst an Zweck-Mittel-Relationen orientierter menschlicher Individuen begriffen, sondern bereits als Äußerung des zum Subjekt hypostasierten biologischen Organismus (vgl. S. Frommer u. J. Frommer 1988).

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Die Komplementarität von Handeln und Verstehen Max Weber, dessen indirektem Beitrag zu einer sich als Gegenbewegung zum Behaviorismus verstehenden, mit hermeneutischen Verfahren operierenden »Historischen« Psychologie (vgl. Jüttemann 1988) im Folgenden nachgegangen wird, versteht Handeln hingegen als menschliches Verhalten, »wenn und insofern … der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden« (Weber 1921, S. 149). Er warnt davor, die funktionale Betrachtung der Teile eines Ganzen, die es erlaube, mittels »menschlicher Analogien« (ebd., S. 165) scheinbar mit subjektivem Sinn verbundenes zweckorientiertes Verhalten auch im Tierreich zu verorten, mit deutendem Verstehen sinnhaften menschlichen Handelns gleichzusetzen. In den »Soziologischen Grundbegriffen« unterscheidet der späte Weber bekanntlich die vier Handlungsorientierungen »zweckrational«, »wertrational«, »affektual« und »traditional«, wobei ein fließender Übergang zu reaktivem, nicht mit subjektivem Sinn verbundenem Sich-Verhalten bestehe (vgl. ebd.). Weber ist nun oft so verstanden worden, als erhebe er das bewusst zweckgerichtete Agieren des homo oeconomicus zum Maßstab der Verstehbarkeit, während alles nicht unter die Kategorie des bewusst Zweckrationalen subsumierbare Handeln als nur durch seinen Mangel an Rationalität charakterisierbare Restkategorie verbleibe (vgl. Hahn 1988; Gerhards 1989). Diese Interpretation kann sich nicht nur auf Textpassagen stützen, in denen Weber dem Verständnis des »durch klar bewußte und gewollte ›Zwecke‹ bei klarer Erkenntnis der ›Mittel‹« (Weber 1903–06, S. 355) bedingten Handelns »ein spezifisch hohes Maß von ›Evidenz‹« (ebd.; Weber 1913a, S. 391f.) zuspricht, sondern auch auf seine methodologisch begründete Skepsis gegenüber dem Wert psychologischer Erwägungen für die Verstehbarmachung der rationalen Gehalte menschlicher Handlungen (vgl. Weber 1921, S. 160). Die handlungstheoretischen Grundbegriffe der Weberschen Methodologie sind dieser Sichtweise zufolge ganz Derivat derjenigen Teile seiner materialen Soziologie, die die Entstehung der Moderne als durch Affektunterdrückung und Triebverzicht gekennzeichneten Prozess der Rationalisierung interpretieren (vgl. Weber 1920a; 1920b). Im Folgenden soll eine hierzu konträre Interpretationsmöglichkeit verfolgt werden, die davon ausgeht, dass den verschiedenen Handlungsorientierungen spezifische Arten des Deutens entsprechen, die die jeweilige Eigenart der Orientierung erfassend eine volle Evidenz der Deutung auch da garantieren, wo dem gedeuteten Handeln keine bewusste Zweckrationalität zugrunde liegt (vgl. S. Frommer 1986). In dem hier interessierenden Zusammenhang wird dies allein für den Fall der affektualen Handlungsorientierung versucht: »Denn wir ›verstehen‹ nun einmal das irrationale Walten der maßlosesten ›Affekte‹ genauso gut wie den Ablauf rationaler ›Erwägungen‹, und das Handeln und Fühlen des

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Verbrechers und des Genius – obwohl wir uns bewußt sind, es nie selbst haben erleben zu können – vermögen wir im Prinzip wie das Tun des ›Normalmenschen‹ nachzuerleben, wenn es uns adäquat ›gedeutet‹ wird« (Weber 1903–06, S. 320). In den Jahren ab 1903 entwickelt Weber die Grundlagen seiner verstehenden Soziologie in enger Auseinandersetzung nicht nur mit der erkenntniskritischen Position des Neukantianismus südwestdeutscher Prägung, sondern auch mit den Schriften führender zeitgenössischer Psychologen. In der zwischen 1903 und 1906 erschienenen Aufsatzfolge »Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie« akzeptiert Weber weder Diltheys Einteilung der Wissenschaften nach dem ontologischen Status ihres Objektbereichs, noch seine Prämisse, dass die gesellschaftliche und geschichtliche Wirklichkeit nur auf der Grundlage einer die volle Inhaltlichkeit des Seelenlebens erfassenden Psychologie zu begreifen sei. Genauso wenig kann Webers Auffassung zufolge die soziale Wirklichkeit aus psychologischen Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden, wie dies beispielsweise Wundt in seiner Völkerpsychologie versucht. Dieses naturalistische Vorgehen verkenne, dass sich aus psychologischen Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich kein Geltungsanspruch begründen lasse. Weiter kritisiert Weber, dass Wundts Aussagen über geistige und soziale Tatbestände unter Zuhilfenahme von »Deutungshilfen« aus dem Bereich metaphysischer Apriori und sozialphilosophischer Spekulation aufgestellt seien. Hierzu zählten beispielsweise die Prinzipien der »schöpferischen Synthese« und des »Wachstums der psychischen Energie«, die »Werturteile vom reinstem Wasser« (ebd., S. 270) enthielten. Gegen diese Positionen entwickelt Weber hier und in anderen Schriften, insbesondere in dem 1904 erschienen »Objektivitätsaufsatz«, seinen Begriff der Deutung, worunter er einen logischen, begrifflich kontrollierten Vorgang versteht, der kein wertendes, sondern ein wertbeziehendes Urteil des deutenden Beobachters darstelle. Die beobachteten Sinnphänomene werden hierbei hypothetisch auf Modellvorstellungen bezogen, auf eine »gedankliche Konstruktion zur Messung und systematischen Charakterisierung von individuellen, d. h. in ihrer Einzigartigkeit bedeutsamen Zusammenhängen« (Weber 1904, S. 217). Für Weber ist es hierbei »eine elementare Pflicht der wissenschaftlichen Selbstkontrolle und das einzige Mittel zur Verhütung von Erschleichungen, die logischvergleichende Beziehung der Wirklichkeit auf Idealtypen im logischen Sinne von der wertenden Beurteilung der Wirklichkeit aus Idealen heraus scharf zu scheiden« (ebd., S. 215). Bei der Erfassung der Kulturbedeutung konkreter historischer Zusammenhänge mit Hilfe idealtypischer Konstruktionen (vgl. ebd.) zeigt sich nun, wie Weber nicht nur in seinen methodologischen Schriften, sondern vor allem in seinen Studien über den Zusammenhang von protestantischer Ethik und kapitalistischer Wirtschaftsgesinnung (vgl. Weber 1920a; 1920b) entwickelt,

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dass die »Eigenart der kapitalistischen Epoche« darin besteht, dass in ihr die Annäherung an den »theoretisch konstruierten Ablauf des streng rationalen Handelns … eine stetig zunehmende, das Schicksal immer breiterer Schichten der Menschheit in sich verstrickende, gewesen ist und, soweit abzusehen, noch immer weiter sein wird« (Weber 1908b, S. 129). Hieraus ergibt sich für ihn die herausragende Rolle des Idealtypus zweckrationalen Handelns für die materiale Soziologie der modernen Gesellschaft. Dieser besondere Stellenwert schließt jedoch nicht zwangsläufig ein, dass den anderen Handlungsorientierungen eine volle Sinnorientierung und somit die Möglichkeit vollevidenter Verstehbarkeit aus methodologischen Gründen zu versagen ist. Für Weber ist der Begriff des Erklärens nicht, wie etwa für Jaspers (vgl. 1913/ 1973), eingeengt auf das kausalanalytische Ergründen von Ursache-WirkungsBeziehungen im Bereich von Naturvorgängen, denen kein subjektiver Sinn eignet. Vielmehr ist nach seiner Auffassung deutendes Verstehen in der Lage, sinnhaftes Handeln in seinem Ablauf und seinen Wirkungen zu erklären (vgl. Weber 1921, S. 149). In den »Grundbegriffen« unterscheidet der späte Weber aktuelles und erklärendes Verstehen. Aktuelles Verstehen sei das rational oder einfühlend unmittelbar evidente Erfassen seines Sinnganzen, während erklärendes Verstehen nach Motiven frage und so viel bedeute wie: »Erfassung des Sinnzusammenhangs, in den, seinem subjektiv gemeinten Sinn nach, ein aktuell verständliches Handeln hineingehört« (ebd., S. 155), unabhängig davon, ob dieser Zusammenhang rationale oder affektuelle, irrationale Motive enthält. Die Unterscheidung in rational-motivationsmäßiges erklärendes Verstehen und irrational-motivationsmäßiges erklärendes Verstehen zeigt, dass Weber dem Verstehen affektuell motivierten Handelns durchaus eigenständige methodologische Berechtigung zuspricht. Dies lässt sich besonders eindrucksvoll an einer bisher in diesem Zusammenhang wenig beachteten Studie Webers aus den Jahren 1908/09 belegen.

Das Verstehen affektuell motivierten Handelns Es handelt sich hierbei um die vierteilige Aufsatzfolge »Zur Psychophysik der industriellen Arbeit«, die Weber im Rahmen seiner Mitarbeit im Verein für Sozialpolitik verfasste. Es war geplant, unter dem übergreifenden Thema »Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie« von Mitarbeitern empirische Einzeluntersuchungen in Betrieben verschiedener Branchen durchführen zu lassen. Zur Vorbereitung des Projektes hatte Weber bereits eine methodische »Arbeitsanweisung« geschrieben. Nun berichtete er zum einen über die Ergebnisse einer eigenen empirischen Untersuchung, die er in dem Weberei-Betrieb westfälischer Verwandter

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durchgeführt hatte, zum anderen beschäftigte er sich in kritischer Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen arbeitspsychologischen, vererbungsbiologischen und psychiatrischen Literatur zur Klärung der Frage, wieweit sich die Erfordernisse bestimmter Industriezweige und die psychophysische Arbeitseignung der darin Beschäftigten wechselweise entsprechen und beeinflussen. Im Rahmen seines Versuches, ein Modell zur kausalen Ergründung des Schwankens der Arbeitsleistung zu entwickeln, behandelt Weber die hier interessierende Frage, wie affektuelle Handlungsmotive die Leistung beeinflussen. Grundsätzlich unterscheidet Weber dreierlei Erklärungsmöglichkeiten menschlichen Sich-Verhaltens, die sich in ihren Grenzbereichen überschneiden: Auf der einen Seite könne das Handeln des Arbeiters nach seinen rationalen Erwägungen gedeutet werden. Hier sei davon auszugehen, dass er seine Leistung planvoll nach Erwerbszwecken reguliere. Die Maximen seines ökonomischen Vorgehens könnten dann durch pragmatische Deutung erschlossen werden. Demgegenüber stehe im anderen Extrem die Erklärung von Veränderungen der Leistung durch Veränderungen im Funktionieren des psychophysischen Apparates des Arbeiters. In diesem Fall seien die ursächlich wirkenden Komponenten mittels durch äußere Erfahrung im Experiment gewonnener Regeln und daraus abgeleiteter Spezialfälle erforschbar. Neben diesen beiden Alternativmöglichkeiten nehme nun drittens die Ergründung von Stimmungslagen, die eine Leistungsänderung bewirkten, eine spezifische Mittelstellung ein. Die verursachende Gefühlslage sei in diesen Fällen »introspektiv ›nachbildbar‹« (Weber 1908/09, S. 247). Es geht Weber hier um die das Handeln motivierenden affektbeladenen psychischen Vorgänge, die bewusstseinsfähig sind, ohne dass zugleich – und hier liegt der Unterschied zum rationalen Handeln – der Hergang dieser Beeinflussung des Handelns bewusst erlebt werde. Vorgänge dieser Art nennt Weber »›psychologisch‹ verständlich« (ebd.). Die Gegenüberstellung von psychophysischem, nur aus seinen physiologischen Ursachen erklärbarem und psychologischem, motivationsmäßig verstehbarem Vorgang ergibt von Seiten des subjektiven Erlebens folgendes Bild: Die Ursache psychophysischer Prozesse bleibt außerhalb jeden Bewusstseins und ist deshalb auch introspektiv nicht nachbildbar, ebenso bleibt der Hergang des psychophysischen Wirkungsprozesses der Introspektion grundsätzlich entzogen. Lediglich der hervorgerufene psychische Effekt kann bewusst erlebt werden. Als Beispiel hierfür nennt Weber arbeitserleichternde Gefühle, die wir empfinden, wenn wir in einer Arbeit geübt sind (vgl. ebd., S 246; Weber 1903–06, S. 324f.). Im Gegensatz dazu können wir eine Stimmungslage, die als Motiv und d. h. als Ursache einer Handlung in Frage kommt, durchaus bewusst erleben, auch wenn uns der Hergang der Beeinflussung unseres Handelns durch diese Stimmungslage nicht zum Bewusstsein gelangt. Der Effekt wiederum kann, diesbezüglich besteht kein Unterschied zum psychophysischen Ablauf, bewusst

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erlebt werden. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Typen des SichVerhaltens liegt darin, dass die Ursache eines psychophysisch bewirkten Effekts als psychomotorische Bedingung grundsätzlich nicht bewusstseinsfähig ist, während beim affektuellen Handeln mit der introspektiv nachvollziehbaren Stimmungslage ein Motiv als Ursache vorliegt, das wir erdeutend zu verstehen wissen. Weber entwickelt hier also einen Verstehensbegriff affektiven Handelns, der weder im pragmatischen Deuten bewusst zweckrationalen Handelns noch im regelgeleiteten Erklären psychophysischer Vorgänge aufgeht. Webers in der »Psychophysik« entwickelter Begriff eines durch Gefühlslagen motivierten Handelns korrespondiert mit Aspekten seiner Deutungstheorie, wie er sie zuerst im »Roscher und Knies«-Aufsatz entwickelt hat. Hier hatte Weber bereits den Gegensatz von unmittelbarem Deuten rationalen Handelns und Konstatieren psychophysischer Bedingungen der Handlungsfähigkeit, die außerhalb des Deutbaren als letzte Erfahrungen wie Objekte hinzunehmen seien, herausgearbeitet, und auch die dritte Möglichkeit einer Deutung irrationalen affektiven Handelns vorgesehen. Wie bereits dargestellt, umfasst für Weber der Inhalt dessen, was auf dem Wege des psychologischen Verstehens zugänglich wird, affektive, emotional gefärbte Motive – und zwar insbesondere auch Gefühlslagen solcher Art, deren Zusammenhang mit ihrem Sich-Äußern nicht bewusst erlebt wird, die aber in der wertbeziehenden Interpretation aus der Sphäre des nur Gefühlten herausgehoben und eindeutig bestimmt werden können (vgl. Weber 1903–06, S. 351). Der Vorgang des psychologischen Verstehens besteht dabei nicht im Einfühlen in die einem Handeln zugrunde liegende Affektlage. Erklärendes Verstehen ist für Weber kausal erkennende Deutung von Motivzusammenhängen, die sich sowohl vom unmittelbaren Einfühlen des aktuellen Verstehens, wie auch vom wertenden Deuten zu normativen Zwecken eindeutig abgrenzt. Wodurch unterscheiden sich nun die vom psychologischen Verstehen intendierten Motivzusammenhänge und ihre Gegebenheitsweisen von denen des pragmatischen Verstehens? Wie gezeigt fasst die psychologische Deutung ein Motiv, das im Gegensatz zu psychophysischen Bedingungen zwar bewusstseinsfähig oder gar aktuell bewusst ist, dessen eine bestimmte Handlung beeinflussender Wirkungszusammenhang dem Handelnden selbst jedoch nicht bewusst ist. Dies ist beim rationalen Handeln anders. Wir verstehen es als »durch klar bewußte und gewollte ›Zwecke‹ bei klarer Erkenntnis der ›Mittel‹ bedingt« (ebd., S. 355). Der Hergang der Beeinflussung des Handelns durch das affektbesetzte Motiv ist im Falle des affektiven Handelns dem Handelnden nicht bewusst. Dem deutenden Beobachter muss er bewusst werden, will er das Handeln erfolgreich deuten. Entweder ihm gelingt unter Anwendung seiner Alltagserfahrung die Erfassung des Zusammenhangs zwischen Handeln und Motiv anders als dem Handelnden selbst in direktem Zugriff; in diesem Fall versteht er die

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Handlung mit derselben Evidenz wie rationales Handeln. Gelingt ihm dies nicht, so kann er sich zur Erhellung dieses Zusammenhangs der Hilfe spezieller erfahrungswissenschaftlicher Disziplinen bedienen. Gemeint ist eine »Psychopathologie«, die sich »z. B. auf dem Gebiet der Hysterie – nicht nur, aber doch auch: ›deutend‹« (ebd., S. 323) verhält.

Das Verstehen psychopathologischer Phänomene Webers Verweis im »Roscher und Knies«-Aufsatz auf das Gebiet der Hysterie geschieht nicht zufällig. Exemplarisch zeigt sich ihm hier, wie dem Handelnden selbst nicht bewusste affektive Motivationszusammenhänge wirksam werden, die vom behandelnden Arzt unter Anwendung psychopathologischen Erfahrungswissens zu erdeuten sind. Den Theorien Freuds stand Weber, der ihn »auch aus seinen größeren Schriften« (Weber 1907d, S. 394) kannte, nicht nur aus methodologischen Gründen skeptisch distanziert gegenüber, sondern auch, weil er das moralisierende Postulat der »›Pflicht zur Selbsterkenntnis mit psychiatrischer Hülfe‹« (ebd., S. 401) einzelner Anhänger Freuds ablehnte (vgl. Schwentker 1988). Er konzedierte, »daß Freud’s Gedankenreihen für ganze Serien von kultur-, speziell religions-historischen und sittengeschichtlichen Erscheinungen zu einer Interpretationsquelle von sehr großer Bedeutung werden können« (Weber 1907d, S. 395), glaubte sie jedoch andererseits irrtümlich bereits 1908 in »zunehmendem Verblassen« (Weber 1908/09, S. 373). Mit dem Karlsruher Nervenarzt, Psychologen, Kulturkritiker und späteren Politiker Willy Hellpach, dessen akademische Karriere Weber mit kritischem Wohlwollen unterstützte, verband ihn hingegen persönliche Bekanntschaft. Hellpachs 1904 erschienene »Grundlinien einer Psychologie der Hysterie« würdigte er in persönlichen Briefen an den Autor von 1905 eingehend, wobei er den Wundt-Schüler auf methodologische Schwächen des von ihm verfochtenen apperzeptionstheoretischen Ansatzes ebenso hinwies wie auf mangelnde Scheidung von normativ wertenden und wertbeziehenden Urteilen (vgl. Weber 1905a; 1905b). Hellpachs Theorie der Hysterie, die auf die Unterscheidung von »produktiver« und »reaktiver« Abnormität aufbaut und in Anlehnung an den von Weber wenig geschätzten Historiker Karl Lamprecht, Hysterie als Ausdruck pathologischer »Lenksamkeit« versteht, kann hier nicht eingehend referiert werden. Neben anlagebedingten Faktoren entstehe diese psychiatrische Erkrankung unter anderem infolge inadäquater Hemmung von Affektausdruck durch Erziehungseinflüsse im Kindesalter. Dies könne dazu führen, dass triebhafte Affektäußerung aufgrund von Erinnerung an Sanktionen unterbleibe, zum anderen werde die Wechselwirkung von Affekt und Ausdrucksbewegung unterbrochen. Werde die Möglichkeit zur erregten Ausdruckserscheinung einer kindlichen Laune

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verwehrt, »so wird der Affekt durch die psychophysische oder reflektorische Ausdruckswandlung einfach abgeschnitten« (Hellpach 1904, S. 356). Entweder der Affekt werde damit zum Verschwinden gebracht, »oder aber, und das ist mindestens ebenso häufig, der Affekt wird verdrängt«, tauche jedoch als Ursache »periodisierender Verstimmung … immer von neuem wieder auf und beharrt oft noch, wenn das Bewußtsein ihrer Ursache, eben jenes Affektes und des ihm ursächlich verknüpften perzeptiven oder assoziativen Erlebnisses, nicht mehr lebendig ist« (Hellpach 1904, S. 356). Die Vorgänge der Verdrängung und Konversion sind für Hellpach nicht, wie für Freud, Beweis für die Existenz einer als »Unbewusstes« zu bezeichnenden ontologischen Schicht oder Instanz im Übergang von psychophysischem zu psychischem Vorgang (vgl. ebd., S. 402). Er kritisiert diese Annahme unter Hinweis auf die Vieldeutigkeit des Begriffes und die Tatsache, dass Freud das empirisch prinzipiell nicht aufweisbare Konstrukt »Unbewusstes« reifizierend als reale Tatsache behandele (vgl. Hellpach 1908a). Hellpachs Auffassung zufolge, besteht Verdrängung hingegen in der Auflösung der Verknüpfung von Gefühlserlebnis und zugehöriger Vorstellung; später treten diese abgespaltenen Affekte in Verknüpfung mit anderen Vorstellungen als »weder eine sinnvolle, noch eine maßvolle Folge der sie tragenden Vorstellungen« als subjektiv »grundlose Verstimmung« (Hellpach 1904, S. 403) auf, oder aber sie kommen in den Erscheinungsformen der Hysterie, den Konversionssymptomen, zum Ausdruck. Erst die Rekonstruktion des subjektiv verlorengegangenen Zusammenhangs von Affektausdruck und Affekt sowie von Affekt und ursprünglich zugehöriger Vorstellung mache diese Phänomene verständlich. Auch Max Weber glaubte die Annahme eines »Unbewußten« im Freudschen Sinne nicht nur für die Nationalökonomie entbehrlich (vgl. Weber 1908b, S. 124f.), sondern zollte in einem persönlichen Brief aus dem Jahr 1912 auch Karl Jaspers Lob dafür, dass in dessen phänomenologischer Psychopathologie dieses Problem »glücklicherweise ganz ausgeschaltet« (Weber 1912, S. 730) sei. Die Ablehnung dieses Konstrukts stand für Weber jedoch keineswegs im Widerspruch zur Anerkennung subjektiv nicht klar bewusster und dennoch deutend verstehbarer psychischer Vorgänge, etwa solchen, »bei denen ›Stimmungslagen‹, die als solche ins Bewußtsein treten, die Arbeitsleistung beeinflussen, ohne daß damit zugleich der Hergang dieser Beeinflussung … als damit zusammenhängend bewußt erlebt würde« (Weber 1908/09, S. 246f.). Später greift er das Problem der Rekonstruktion subjektiv unbemerkter, zunächst irrational erscheinender affektbeladener Motivationszusammenhänge im Aufsatz »Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie« von 1913 auf, ausgehend von der Unterscheidung »objektiver Richtigkeitsrationalität« und »subjektiver Zweckrationalität«. Während erstere Handeln auf Erwartungen über das Verhalten der Handlungsobjekte beziehe, die »nach gültigen Erfahrungen gehegt werden

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durften« (Weber 1913a, S. 396), berücksichtige letztere lediglich die tatsächlich subjektiv über das Verhalten der Objekte gehegten Erwartungen. Faktisch objektive Richtigkeitsrationalität sei weit davon entfernt, notwendig mit subjektiv zweckrationalem Handeln zusammenzufallen: »Ganz wesentliche Teile der verstehend psychologischen Arbeit bestehen ja zur Zeit gerade in der Aufdeckung ungenügend oder gar nicht bemerkter und also in diesem Sinne nicht subjektiv rational orientierter Zusammenhänge, die aber dennoch tatsächlich in der Richtung eines weitgehend objektiv ›rational‹ verständlichen Zusammenhanges verlaufen« (ebd., S. 398). Mit Verweis auf Nietzsches Theorie des Ressentiments und »gewisse(n) Teile(n) der Arbeit der sog. Psychoanalyse« (ebd.) sieht Weber hier »eine unbemerkte (›uneingestandene‹) relativ weitgehende Rationalität des scheinbar gänzlich zweckirrationalen Verhaltens« (ebd., S. 399). Aufgrund der andersgelagerten Schwerpunkte seiner materialwissenschaftlichen Interessen hat Max Weber die hier rekonstruierte Theorie des psychologischen Verstehens nicht weiter ausgearbeitet. Schwierigkeiten mag auch ihre methodologische Inkompatibilität mit den von ihm kritisierten zeitgenössischen, zumeist noch an Wundt orientierten Psychologien bereitet haben. Gewinn scheint er sich hingegen erhofft zu haben von der Entwicklung der Phänomenologie, die er in Form von Husserls »Logischen Untersuchungen« rezipiert hatte. Mit Interesse verfolgte er die Aufnahme der eigenen methodologischen Überlegungen durch Hans W. Gruhle und Karl Jaspers, die, zunächst als Assistenzärzte der Heidelberger Psychiatrischen Klinik, versuchten, auf der Grundlage von Webers Handlungstheorie unter Zuhilfenahme phänomenologischen Gedankenguts eine psychopathologische Verstehenslehre zu entwickeln. Ähnlich wie Hellpach kritisiert auch Jaspers, »wenn dies Unbewußte, das durch die Phänomenologie und verstehende Psychologie aus Unbemerktem zu Gewußtem gemacht wird, mit dem echten Unbewußten, dem prinzipiell Außerbewußten, nie Bemerkbaren zusammengeworfen wird« (Jaspers 1913b, S. 166). Der Anschein, dass Webers Begriff des psychologischen Verstehens bei Jaspers seine adäquate Ausformung erfahren hat, täuscht jedoch über Differenzen hinweg: Zunehmend räumte Jaspers der Rekonstruktion nicht bemerkter, affektiver, irrational erscheinender Motivzusammenhänge bei der Erfassung pathologischer Seelenzustände geringeren Stellenwert ein und fasste in seiner »Allgemeinen Psychopathologie« psychologisches Verstehen – ganz Dilthey folgend – als Einfühlen (vgl. Jaspers 1913/1973), wobei das Nichteinfühlbare zur Verstehensgrenze hypostasiert wurde und in der Heidelberger Psychopathologenschule zunehmend die Funktion zu erfüllen hatte, als apodiktisches Differentialkriterium zur Unterscheidung von normalpsychologischer Entwicklung und nichtverstehbarem psychotischem Prozess zu dienen, ohne dass hierbei ausreichend berücksichtigt wurde, dass Verstehen stets relativ zu einem bestimmten Beob-

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achter und stets relativ zu dessen wertenden bzw. wertbeziehenden Urteilen stattfindet.

Die Verstehende Psychologie als bleibendes Desiderat Eine seinen Intentionen voll entsprechende verstehende Psychologie ist zu Lebzeiten Webers nicht entwickelt worden. Die nichtegologische Phänomenologie des frühen Husserl (1901) brachte zwar, soweit sich ihre Aussagen auf die Psychologie übertragen ließen, gegenüber der Assoziationspsychologie den Vorteil, dass psychische Akte anders als Assoziationen als Träger von Sinnphänomenen betrachtet werden konnten, sie ließ aber die Frage nach dem die psychischen Akte relationierenden und ordnenden Subjekt weitgehend außer Acht. Der spätere Husserl (1913) und in seiner Folge Alfred Schütz (1932) griffen die Idee einer die Je-Meinigkeit der Erlebnisse garantierenden Kraft innerhalb der Dimension Bewusstsein auf und schufen so die methodologische Grundlage für die Annahme »unbewusster«, jedoch gleichwohl psychischer Erlebnisse im Sinne von mentalen Akten und Relationen zwischen diesen Akten, die zwar innerhalb der Dimension Bewusstsein auftreten, jedoch nicht in den reflexiven Blick der lebendigen Gegenwart des jeweiligen Cogito einbezogen sind. Ähnlich wie Schütz haben später beispielsweise Henry Ey (1963) für die französische Phänomenologie und Dieter Henrich (1970) innerhalb der philosophischen Diskussion um die Bewusstseinstheorien versucht, den kantischen Gedanken eines Erkenntnis und Erleben konstituierenden Subjekts in die der angelsächsischen Tradition entspringenden phänomenologischen Bewusstseinsstrom-Theorien einzubringen, allerdings ohne dass von diesen Autoren in Anspruch genommen werden könnte, die Max Weber bewegenden methodologischen Fragen im Schnittpunkt von Bewusstseinstheorie und Handlungstheorie, von subjektivistischer und objektivistischer Selbst- und Weltsicht, gelöst zu haben. Die von Alois Hahn (1988) seinerzeit aufgeworfene Frage »Max Weber: ein historischer Psychologe wider Willen?« lässt sich sicherlich nicht bejahen. Der Schwerpunkt von Webers Forschungsinteresse lag niemals im Bereich individualpsychologischer Phänomene und er wehrte sich vehement dagegen, die von ihm untersuchten sozial- und kulturhistorischen Prozesse auf solche zu reduzieren. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Weber allgemein zugeschriebene »These von der Primärverständlichkeit des Rationalen« (ebd., S. 123) nicht im Sinne einer Minderwertigkeit der Evidenz psychologischen Verstehens überhaupt von ihm vertreten wurde, seine allgemeine Handlungstheorie vielmehr Raum lässt für ein psychologisches Verstehen primär irrational erscheinenden affektiv motivierten Handelns. Dies erscheint uns auch für moderne qualitative, mit hermeneutischen Methoden operierende psychologische

Der Begriff des psychologischen Verstehens bei Max Weber

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Forschungsstrategien von erheblicher Bedeutung, öffnet sich ihnen hier doch die Möglichkeit zur begrifflichen Fundierung ihrer Konzepte.

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Kapitel 5: Max Webers Bedeutung für den Verstehensbegriff in der Psychiatrie

Das Unverstehbarkeitstheorem und der Rekurs auf Max Weber Mit Beginn des 20. Jahrhunderts gewinnt die Orientierung an methodischen Fragen innerhalb der deutschsprachigen Psychiatrie erstmals größere Bedeutung. Unter dem Aufschwung der modernen Hirnpathologie waren die psychischen Bilder in den Hintergrund getreten und zunehmend nur noch als Symptome vermeintlich zugrundeliegender organischer Prozesse gesehen worden. Gegen diese »materialistische Verflachung der Psychiatrie« (Schneider 1925/26, S. 389) formierte sich nun Widerstand unter Verwendung erkenntniskritischer Argumente: 1901 moniert Weygandt, dass man mit dem Zustandekommen psychiatrischer Erfahrung umgehe, »als hätte Kant nie gelebt« (Weygandt 1901 zit. n. Schneider 1925/26, S. 389). 1903 betont Gaupp, die pathologische Histologie werde »niemals etwas Wesentliches leisten können« (Gaupp 1903, S. 4) für das Verständnis psychischer Erscheinungen, deren Zusammenhänge lediglich durch Veranschaulichung aufzuklären seien. 1910 schließlich versucht Karl Jaspers in seiner Arbeit über Eifersuchtswahn die Frage zu klären, ob es sich bei den untersuchten Wahnbildungen um verständliche Zusammenhänge im Rahmen der Entwicklung der betreffenden Persönlichkeiten handelt, in die sich der neutrale Beobachter innerlich hineinversetzen kann, oder aber um psychische Prozesse, die nur als Ausdruck objektiver zugrundliegender Gehirnvorgänge wie Kausalzusammenhänge der physischen Welt zu begreifen sind. Im Fall verständlicher Zusammenhänge unterscheidet Jaspers zwei Vorgehensweisen: Einmal das rationale Verstehen von Handlungen, die sich unter zweckmäßigem Einsatz geeigneter Mittel an nachvollziehbaren Zielen orientieren, zum anderen das Einfühlen in nicht durch Zweck-Mittel-Relationen bestimmte, jedoch durch unmittelbar verstehbare Emotionen, d. h. »psychologische Zusammenhänge« motivierte Handlungen. Bei den von ihm untersuchten Kranken mit Eifersuchtswahn lässt sich Jaspers zufolge nur der kleinere Teil der Krankheitsphänomene rational oder psychologisch verstehen. Überwiegend handele es sich um lediglich kausalanalytisch

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angehbare und somit unverstehbare Symptome des zugrundeliegenden psychotischen Prozesses (vgl. Jaspers 1910). In dem drei Jahre später erschienenen Aufsatz über »Kausale und verständliche Zusammenhänge zwischen Schicksal und Psychose bei der dementia praecox« wendet sich Jaspers bei der Analyse verstehbarer Zusammenhänge v. a. biographischen Ereignissen zu, die in den Inhalten der akuten Psychosen wiederkehren, deren Exazerbation an sich jedoch als Ausdruck des unabhängig von inhaltlichen Bestimmungen eigengesetzlich verlaufenden Krankheitsprozesses anzusehen sei. Bei der Untersuchung psychotischer Bilder sind diesem »genetischen« Verstehen rational oder psychologisch nachvollziehbarer Zusammenhänge nach seiner Auffassung enge Grenzen gesetzt. Stattdessen rückt das der verstehenden Psychologie entgegengesetzte »statische« Vergegenwärtigen und Beschreiben der Zustände kranken Seelenlebens (Phänomenologie) in den Vordergrund (vgl. Jaspers 1913b). Die von Jaspers im Zuge der Neuorientierung am methodischen Gesichtspunkt postulierte genetische Unverstehbarkeit als Kriterium für das Vorliegen eines psychotischen Prozesses ist für die Psychiatrie des 20. Jahrhunderts unabsehbar folgenreich geworden. Nicht nur er selbst hat diese Auffassung v. a. in den späteren Auflagen der Allgemeinen Psychopathologie (vgl. Jaspers 1913/ 1973) zunehmend apodiktisch vertreten, kanonisiert wurde sie besonders in Kurt Schneiders Diktum des Zerreißens der Sinngesetzlichkeit der Lebensentwicklung in der Psychose (vgl. Schneider 1959). Nicht nur das philosophische, sondern auch das psychologische und psychopathologische Denken Karl Jaspers’ ist mit Recht als »Denken im Blick auf Max Weber« (Henrich 1986) bezeichnet worden. In seiner kurz nach Webers plötzlichem Tod gehaltenen Gedenkrede von 1920 stellt er sein eigenes Denken ganz in die Gefolgschaft des von ihm als »philosophische Existenz« gefeierten Gelehrten (vgl. Jaspers 1926, S. 3). Später hat er diese Auffassung bekräftigt (vgl. Jaspers 1932), noch 1949 schreibt er in seinem Brief an Hellpach über Weber: »Ich verdanke (ihm) nicht nur meine ›Psychopathologie‹ in der Jugend, sondern die Möglichkeit meiner Philosophie« (Jaspers 1949). Erst im hohen Alter scheinen ihm Differenzen zwischen der eigenen geistigen Orientierung und der des Vorbildes aufgegangen zu sein (vgl. Henrich 1986; Saner 1987). Von psychiatrischer Seite ist Jaspers’ Beziehung zu Weber so verstanden worden, dass der Verstehensbegriff von Jaspers und somit auch das »Jaspers-Theorem« (vgl. v. Baeyer 1979) von Webers streng am zweckrationalen Handeln des homo oeconomicus orientierten handlungs- und verstehenstheoretischen Ansatz herzuleiten seien (vgl. Glatzel 1979; Schmitt 1979; v. d. Haak 1988). Dieser Ansatz wäre somit Grundlage des zentralen differentialdiagnostischen Kriteriums bei der Sicherung eines endogen-psychotischen Prozesses. Hieraus erhellt Webers Bedeutung für die psychopathologische Grundlagendiskussion.

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Die Anfänge der Heidelberger Psychopathologie in ihren Beziehungen zu Weber Max Webers intellektueller Auseinandersetzung mit der Psychiatrie seiner Zeit ging persönliche Erfahrung voraus. Im Winter 1897/98 – der Ruf auf den Heidelberger Lehrstuhl für Nationalökonomie und der Tod des Vaters wenige Monate nach einer heftigen Auseinandersetzung waren 1897 vorangegangen – gerät Weber in eine schwere, durch Schlaflosigkeit, Angst- und Erschöpfungszustände bis hin zur monatelangen völligen Arbeitsunfähigkeit gekennzeichneten Krise, die mit Unterbrechungen bis 1902 andauert und auf eigenes Betreiben zur schließlichen Entlassung aus dem Universitätsdienst führt (vgl. Marianne Weber 1926; Fügen 1985). In der Folgezeit wendet sich der durch empirisch-nationalökonomische und rechtshistorische Arbeiten ausgewiesene Forscher zunehmend in kritischer Auseinandersetzung mit Fachkollegen, aber auch zeitgenössischer philosophischer und psychologischer Literatur, den handlungstheoretischen Grundlagen seines Faches zu. Ende des Jahres 1904 kommt es anlässlich der Einreichung eines Aufsatzes (vgl. Hellpach 1905) in das von Weber mitherausgegebene »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« zur Begegnung mit dem Wundt-Schüler und Karlsruher Nervenarzt Willy Hellpach, dessen 1904 erschienenes Hysteriebuch Weber rezipiert hatte. Hellpachs Theorie der Hysterie versucht, psychische und biologische Aspekte der Krankheit zu trennen, wobei er eine letztlich genetisch bedingte gesteigerte Reaktionskraft sowie starke Eindrucksfähigkeit bei gesteigerter Ablenkbarkeit als Grundströmung annimmt. Die das Krankheitsbild charakterisierenden psychischen Auffälligkeiten werden in erbgenetisch und neuropathologisch zu untersuchende biologisch bedingte »produktive« und in sozialpsychologisch und -pathologisch zu erforschende »reaktive« Abnormität geschieden (vgl. Hellpach 1904). Während die somatisch orientierte psychiatrische Forschung die Inhalte krankhafter Erlebnisse als uncharakteristisch beiseitelasse, komme es in der Sozialpathologie »gerade auf den Inhalt der seelischen Abnormität an, indem der Inhalt als historisch bedeutungsvoll … oder als sozialpsychologisch typisch erscheint« (Hellpach 1906b, S. 337). Außer ererbten Faktoren ist für Hellpach bei der Entstehung von Hysterie auch die inadäquate Hemmung von Affektausdruck durch Erziehungseinflüsse im Kindesalter bedeutsam. Dies könne dazu führen, dass triebhafte Affektäußerungen aufgrund von Erinnerung an Sanktionen unterblieben, zum anderen werde die Wechselwirkung von Affekt und Affektausdruck unterbrochen. Der Affekt werde »verdrängt«, tauche jedoch als Ursache »periodischer Verstimmungen« immer von neuem wieder auf. Diese Verstimmungen beharrten oft auch noch dann, wenn der sie verursachende Affekt und das ihm assoziierte

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Erlebnis nicht mehr bewusst erinnert werden könnten (vgl. Hellpach 1904). Die Vorgänge der Verdrängung und Konversion beweisen für Hellpach nicht wie für Freud die Existenz einer als »Unbewusstes« zu bezeichnenden Schicht oder Instanz im Übergang von Psychischem zu Physischem (vgl. ebd.). Der Begriff sei vieldeutig und Freuds empirisch nicht aufweisbares Konstrukt »Unbewusstes« sei schon allein deshalb abzulehnen, weil hier ein abstrakter Begriff reifizierend als Tatsache behandelt werde (vgl. Hellpach 1908a). Hellpachs Auffassung zufolge besteht Verdrängung hingegen in der Auflösung der Verknüpfung von Gefühlserlebnis und zugehöriger Vorstellung; später treten diese abgespaltenen Affekte in Verknüpfung mit anderen Vorstellungen als »weder eine sinnvolle, noch eine maßvolle Folge der sie tragenden Vorstellung«, als subjektiv »grundlose Verstimmung« (Hellpach 1904, S. 403) auf, oder aber sie kommen in den Konversionssymptomen der Hysteriker zum Ausdruck. Erst die Rekonstruktion des subjektiv verlorengegangenen Zusammenhangs von Affekt und Affektausdruck sowie von Affekt und ursprünglich zugehöriger Vorstellung mache diese Phänomene verständlich. Neben der Auseinandersetzung mit Hellpach war für Webers Verständnis psychiatrischer Probleme die Begegnung mit Gruhle und Jaspers ausschlaggebend, wobei diejenige mit Hans Gruhle, von Weber als »kritischer Kopf« (vgl. Weber 1913c, S. 286) geschätzt, persönlicheren Charakter trug und früher datiert werden kann. 1907 lernt Weber den Assistenten der Heidelberger Psychiatrischen Klinik kennen, der seit 1904 bei Kraepelin über »ergographische Studien« promoviert. Dass die Arbeit erst 1911 nach »nochmalige(r) Durchsicht formaler Art« (Gruhle 1912, S. 339) publiziert werden kann, zeugt von Differenzen mit dem von Gruhle später bezüglich seiner psychologischen Forschung als »Self made man« (Gruhle 1929, S. 45) kritisierten Doktorvater. Max Weber plant im Rahmen seiner Tätigkeit im »Verein für Sozialpolitik« zur Zeit der Begegnung mit Gruhle eine empirische Studie über die »Psychophysik der industriellen Arbeit« zur Klärung der Frage, wieweit sich die Arbeitsanforderungen bestimmter Industriezweige und die psychophysische Arbeitseignung der darin Beschäftigten wechselweise entsprechen und beeinflussen. Weber erkennt die Bedeutung der zeitgenössischen arbeitspsychologischen, vererbungsbiologischen und psychiatrischen Literatur für diese Fragestellung. Neben eigenen ausgedehnten Experimenten hatte Gruhle gegen den Willen des gänzlich naturwissenschaftlichempirisch ausgerichteten Kraepelin »die schon vorliegende Literatur meines Spezialgebietes« (ebd.) studiert und wurde so zum interessanten Diskussionspartner. Mindestens ebenso weitgehend wie Jaspers stellte er seine späteren psychologischen und psychopathologischen Arbeiten in die Gefolgschaft Webers, wovon die Widmung seines 1948 erschienen Hauptwerkes (vgl. Gruhle 1948) zeugt.

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Karl Jaspers, den »systematisierenden Kopf« (Weber 1913c, S. 286), lernte Weber durch Vermittlung Gruhles 1909 kennen, kurz nach Jaspers Eintritt in die Klinik als Volontärassistent (vgl. Jaspers 1984; Saner 1987). Angeregt durch Wilmanns und Gruhle wandte er sich bald psychopathologischen Fragestellungen zu. Nissl als hirnpathologisch orientierter Chef der Klinik stand dieser Beschäftigung zunächst äußerst skeptisch gegenüber, unterstützte jedoch zusammen mit Külpe und Max Weber Jaspers’ Habilitation, die 1913 an der Philosophischen Fakultät für das Fach »Psychologie« erfolgte (vgl. Leonhard 1983).

Webers Auseinandersetzung mit dem psychiatrischen Verstehensbegriff Am Ende der Eingangsfußnote seiner 1908/09 publizierten Studie »Zur Psychophysik der industriellen Arbeit« dankt Weber Gruhle und Hellpach für »wertvolle Hinweise« (Weber 1908/09, S. 168). In dieser vierteiligen Aufsatzfolge berichtet Max Weber zum einen über die Ergebnisse einer eigenen empirischen Untersuchung zum Enquêtethema des Vereins für Sozialpolitik »Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie«, die er in dem Webereibetrieb westfälischer Verwandter durchgeführt hatte, zum anderen setzt er sich kritisch mit »den außerordentlichen Fortschritten der anthropologischen, physiologischen, experimentalpsychologischen, psychopathologischen Forschung« (ebd., S. 163) auseinander, wobei die arbeitspsychologischen Untersuchungen Kraepelins und seiner Schüler (vgl. Kraepelin 1896) im Mittelpunkt stehen. Weber nimmt diese an jeweils einzelnen Versuchspersonen durchgeführten Experimente zum Verlauf der Arbeitskurve unter diversen Einflussvariablen in Schutz gegen die von Kritikern vorgebrachte Forderung nach aussagekräftigeren Massenuntersuchungen. Er betont ihren »heuristischen Wert« (Weber 1908/09, S. 224) bei der Schaffung von Begriffen wie etwa denen der »Ermüdbarkeit«, »Übungsfähigkeit« und »Erholungsfähigkeit«, mit denen sich auf dem Gebiet der Untersuchung allgemeiner psychophysischer Bedingungen der Arbeit operieren lasse. Hierbei wendet er jedoch kritisch ein, dass Kraepelin durchgängig versuche, seine Begriffe möglichst physiologisch zu fassen, wobei psychologische Faktoren wie beispielsweise das »Arbeitsinteresse« oder etwaige »Gefühlslagen« außer Acht blieben: »Die Psychiatrie, und gerade diejenige Kraepelins, wird immer mehr oder minder dazu neigen, die somatischen Vorgänge als das ›Reale‹, die psychischen als zufällige ›Erscheinungsweisen anzusehen‹« (ebd., S. 226). Kraepelins Versuch der Konstruktion einheitlicher, die Arbeitsleistung zeitüberdauernd determinierender Grundqualitäten der psychophysischen Persönlichkeit, wie z. B. »Er-

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müdbarkeit«, widerspreche letztlich seiner »rein chemischen« (ebd., S. 228) materialistischen Orientierung und führe » – sehr gegen seine Absicht – letztlich doch auf den Gedanken ›unbewußster‹ und dennoch nicht ›physischer‹ sondern ›psychischer‹ Vorgänge« (ebd.). Weber selbst glaubte die Annahme eines »Unbewussten« in Freuds Sinne nicht nur für die Nationalökonomie entbehrlich (vgl. Weber 1908b, S. 124f.), sondern zollt in einem Brief von 1912 Karl Jaspers Lob dafür, dass in dessen phänomenologischer Psychopathologie dieses Problem »glücklicherweise ganz ausgeschaltet« (Weber 1912, S. 730) sei. Die Ablehnung dieses Konstrukts stand für ihn jedoch keineswegs im Widerspruch zur Anerkennung handlungswirksamer subjektiv nicht klar bewusster psychologischer Vorgänge, die deutend zu verstehen sind. Grundsätzlich unterscheidet Weber im Psychophysikaufsatz dreierlei Erklärungsmöglichkeiten menschlichen Sich-Verhaltens, die sich in ihren Grenzbereichen überschneiden: Auf der einen Seite könne das Handeln des Arbeiters nach seinen bewussten rationalen Erwägungen pragmatisch gedeutet werden. Dem gegenüber stehe im anderen Extrem die Erklärung von Veränderung der Leistung durch Veränderungen im Funktionieren des psychophysischen Apparates des Arbeiters, die mittels durch äußere Erfahrung im Experiment gewonnener Regeln erforschbar seien. Neben diesen beiden Alternativmöglichkeiten nehme nun drittens die Ergründung von Gefühlslagen, die eine Leistungsänderung bewirkten, eine spezifische Mittelstellung ein. Die verursachende Gefühlslage sei in diesem Fall, anders als im Fall der psychophysischen Ursache, »introspektiv nachbildbar« (Weber 1908/09, S. 247). Es geht Weber hier um die das Handeln motivierenden affektbeladenen psychischen Vorgänge, die bewusstseinsfähig sind, ohne dass zugleich – und hier liegt der Unterschied zum rationalen Handeln – der Hergang dieser Beeinflussung des Handelns jederzeit bewusst erlebt werde. Vorgänge dieser Art nennt Weber »psychologisch verständlich« (ebd.). Psychologisches Verstehen besteht dabei für ihn – anders als für Jaspers – nicht im Einfühlen in die einem Handeln zugrundeliegende Affektlage. Als erklärendes Verstehen ist es vielmehr kausal erkennende Deutung von Motivzusammenhängen, deren eine bestimmte Handlung beeinflussender Wirkungszusammenhang dem Handelnden selbst nicht unmittelbar bewusst ist. Dem deutenden Beobachter muss er bewusst werden, will er das Handeln erfolgreich deuten. Entweder ihm gelingt unter Anwendung seiner Alltagserfahrung die Erfassung des Zusammenhangs zwischen Handlung und Motiv anders als dem Handelnden selbst in direktem Zugriff; in diesem Fall versteht er die Handlung mit derselben Evidenz wie rationales Handeln. Gelingt ihm das nicht, so kann er sich zur Erhellung dieses Zusammenhangs der Hilfe spezieller erfahrungswissenschaftlicher Disziplinen bedienen. Hier denkt Weber auch an eine »Psychopathologie«, die sich »z. B. auf dem Gebiet der Hysterie – nicht nur, aber doch auch: deutend« (Weber 1903–06, S. 323) verhält (vgl. S. Frommer 1986).

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Die Unterscheidung von einerseits nur psychophysisch erklärbarem und andererseits psychologisch oder rational verständlichem Sich-Verhalten rückt die Frage nach der Grenzziehung zwischen erbbiologisch determinierten und milieubedingten psychischen Vorgängen in den Horizont von Webers Erörterungen. Dieses Problem habe sich ernstlich im Wesentlichen nur die Psychiatrie gestellt, die davon ausgehe, dass die »Form« psychischer Hergänge vererbbar sei, während ihr »Inhalt« erworben würde (Weber 1908/09, S. 367). Anhand einer von Ziehen (1905) publizierten Kasuistik zeigt Weber die Fragwürdigkeit und Relativität der Unterscheidung zwischen dem Inhalt und der die Krankheitstypik biologisch determinierenden Form. Da brauchbare transkulturelle Untersuchungen fehlten, hirnanatomische Veränderungen bei den endogenen Psychosen nicht fassbar seien und sich die Ergebnisse der vorliegenden Mehrgenerationenuntersuchungen extrem widersprächen, könne »in der Mehrheit der Fälle nur eine in Bezug auf das Krankheitsbild, welches schließlich realisiert wird, undeutliche und unbestimmte Disposition wirklich als ›vererbt‹ gelten« (Weber 1908/09, S. 370). Lediglich »bei den eigentlich sog. ›organischen‹ Psychosen, insbesondere den Verblödungspsychosen (Paralyse, dementia praecox) schließt die spezifisch feste Umrissenheit des Krankheitsbildes und die Irrationalität aller psychischen Begleiterscheinungen eigentliche Übergangsstufen zum ›normalen‹ Zustand … aus. Anders freilich auf dem großen Gebiet der nicht ›organischen‹ degenerativen Erkrankungen: zunächst also der Hysterie und den verwandten Neuropathien« (ebd., 372). Hier ist nach Webers Auffassung eine Disposition zwar regelmäßige, aber »nach Freud: nicht ausnahmslose ›Bedingung‹, konkrete Erlebnisse aber ›Ursache‹ der betreffenden Krankheitserscheinungen« (ebd., S. 373). Da die insbesondere von Freud herausgearbeiteten neuroseverursachenden Erlebnisse nicht zwangsläufig eine Erkrankung zeitigten, bestehe zwischen dem betreffenden Lebensschicksal und dem entstehenden Abnormitätstypus lediglich ein »›Adäquanz‹-Verhältnis« (ebd.), jedoch sei auch der Anteil der Vererbung »vorerst ein gänzlich vieldeutiger« (ebd.). Selbst auf dem Gebiet der endogenen degenerativen Psychosen sei Gleichartigkeit der Vererbung nicht sicher nachzuweisen. Besonders bei den einfachen und zirkulären manischen und melancholischen Zuständen liege der »Weg zu zahlreichen innerhalb der (konventionellen) Breite des ›Gesunden‹ liegenden alltagspathologischen Unterschieden der persönlichen ›Eigentümlichkeiten‹ völlig offen« (ebd., S. 374). Weber schließt seine Erörterung der Frage der Erblichkeit psychischer Erkrankungen mit der Mahnung, »nicht allzu voreilig komplizierte und spezifische Qualitäten als im biologischen Sinne ›ererbt‹ abzustempeln« (ebd., S. 375).

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Webers indirekte Kritik des Unverstehbarkeitstheorems Max Webers Begriff des »Psychologischen Verstehens« – dieses Resümee mag überraschen – ist ebenso wenig von der Psychiatrie aufgenommen worden wie seine Überlegungen zur Verschränkung biologischer und erlebnisreaktiver Momente bei der Entstehung psychischer Erkrankungen. Jaspers kennt zwar auch den Begriff des psychologischen Verstehens, er fasst ihn jedoch, ganz Dilthey folgend, als Einfühlen in fremdseelische Zusammenhänge. Was weder rational noch einfühlend nachvollzogen werden kann, liegt aus seiner Sicht jenseits der Grenze des genetisch verstehbaren. Anders setzt für Weber mit dem psychologischen Verstehen die Rekonstruktion von affektbeladenen Handlungsmotiven ein, die dem Handelnden selbst nicht klar bewusst sind. Gruhle hat nicht nur diesen Verstehensbegriff abgelehnt (vgl. Guhle 1913), sondern er hat auch an der starren Scheidung von ererbter Form oder »Funktion« und zufälligem nichtpathognomonischem Inhalt festgehalten (vgl. Gruhle 1949). Weber widersprach Gruhle in einem persönlichen Brief zu dessen Antrittsvorlesung. Gruhles assoziationspsychologisch argumentierende Kritik an der symbolischen Ausdeutung psychiatrischer Symptome verkenne den Sinn der Freudschen Thesen, der gerade in der Behauptung liege, »daß diese Spielart der ›Symptome‹ einen (verborgenen) ›Sinn‹ habe« (Weber 1913b, S. 113): »Das Spezifische der ›verstehenden‹ Psychologie und Psychopathologie aller Art (incl. Freud) und auch die spezifische Wandlung des ›Symptom‹-Begriffs liegt doch darin, daß da eine ›sinnhafte Bezogenheit‹ des (psychischen) Geschehens vorliegt, das ›Symptom‹ etwas Inhaltliches ›bedeutet‹: ein Grundgegensatz gegen alle eigentlich ›naturwissenschaftliche‹ Begriffsbildung« (ebd.). Vor dem Hintergrund seines gegenüber der Heidelberger Psychopathologenschule weiteren Begriffs des psychologischen Verstehens hat Max Weber das »Jaspers-Theorem« (vgl. v. Baeyer 1979) in Frage gestellt, noch ehe es formuliert wurde. Die zitierten Äußerungen postulieren nicht nur die Vergleichbarkeit endogen-psychotischen und normalen Erlebens, sondern auch ein »Adäquanzverhältnis« zwischen – somit pathognomonischen – inhaltlichen Bestimmungen psychischer Vorgänge und Krankheitsbild. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Webers Äußerungen sich an dem Kraepelinschen und d. h. weiten Begriff des manisch-depressiven Irreseins orientierten, der viele insbesondere akute Psychoseformen einschließt, die heute unter die Schizophrenien subsumiert werden. Seine Zuschreibung der Dementia praecox zu den nicht verstehbaren organischen Psychosen bezieht sich somit nicht auf den weiteren Schizophreniebegriff Bleulers (1911), sondern auf den wesentlich engeren, nur ungünstige Verläufe umfassenden Begriff der Dementia praecox (vgl. Janzarik 1978), wobei es einer allgemein vertretenen Auffassung der Zeit entsprach, dass der Nachweis hirnorganischer Korrelate bei diesen Kranken alsbald möglich sein würde.

Max Webers Bedeutung für den Verstehensbegriff in der Psychiatrie

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Zusammenfassend vertritt Weber also die Auffassung, dass pathognomonische, dem Kern des Krankheitsgeschehens zuzurechnende inhaltliche Bestimmungen nicht nur bei den neurotischen Entwicklungen, sondern auch bei zahlreichen der als endogen bezeichneten Psychosen, insbesondere im Bereich des manisch-depressiven Formenkreises, existieren, die einem psychologischen Verstehen zugänglich sind, das sich nicht als bloßes unmittelbares Einfühlen begreift, sondern als Rekonstruktion verborgener affektbeladener Motivzusammenhänge. Trotz der Fachfremdheit Webers kann man seine Auffassung nicht unmodern nennen. Sie fand zwar paradoxerweise gerade bei den Psychiatern keinen Anklang, die ihm persönlich am nächsten standen. Sie stimmt aber zusammen mit Entwicklungen, wie sie zunächst in Zürich durch Jung (1907) und Bleuler (1911), später in Tübingen durch Gaupp (1910) und Kretschmer (1918) stattfanden. Ob bei der Erhellung psychodynamischer Aspekte von Wahnerkrankungen oder der Inbeziehungsetzung von Persönlichkeitstypen und Psychoseformen (vgl. Kretschmer 1940) – die Zuhilfenahme der konzisen und gegenüber den Kulturwissenschaften anschlussfähigen handlungs- und verstehenstheoretischen Begrifflichkeiten Max Webers hätte manches Missverständnis zwischen der Heidelberger Schule und den »Anderen« (vgl. W. Kretschmer 1979) zu beseitigen vermocht. Darüber hinaus kann Webers Ansatz auch heute noch Interesse beanspruchen.

Teil III: Max Webers Krankheit

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Kapitel 6: Soziologische Aspekte der depressiven Struktur

Sich heute mit Max Webers Krankheit unter dem Gesichtspunkt ihrer Verbindungslinien zu Leben und Werk zu beschäftigen, mag auf den ersten Blick als Unternehmen zur falschen Zeit erscheinen. Die letzten unmittelbaren Zeugen, wie Webers Bruder Alfred (1868–1958), seine Ehefrau Marianne (1870–1954), Karl Jaspers (1883–1969), Else Jaffé (1874–1973) u. a. – die z. T. bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein lebten – stehen nicht mehr als Quelle zur Verfügung, und auch das wichtigste Dokument, eine ausführliche Selbstdarstellung seiner Krankheit, die Weber 1907 für einen konsultierten Psychiater verfasste, existiert nicht mehr. Dieser Bericht, »einzigartig durch die Distanz zu sich selbst, die Objektivität und konkrete Deutlichkeit der Schilderung« (Baumgarten 1964, S. 64), zeitweilig im Besitz Jaspers’, wurde später von Marianne Weber vernichtet. Paradoxerweise gibt es neben diesen Aspekten der Materiallage, die den Eindruck vermitteln, dass es für eine biographische und psychopathographische Aufarbeitung definitiv zu spät ist, andere, die den Eindruck genau des Gegenteils erwecken: Einer Entzauberung der Person stellen sich auch heute noch Kräfte entgegen, die sich der pathetischen Verklärung verpflichtet fühlen, die unmittelbar nach Webers Tod einsetzte. Der sonst so trockene Jaspers feiert Weber im Nekrolog als »philosophische Existenz« (Jaspers 1926, S. 3) und Marianne Weber zeichnet in ihrem 1926 erschienenen Lebensbild einen naiv bewunderten, aber auch retuschierten Klassiker (vgl. Kaesler 1989; Roth 1989) gemäß ihrem selbstbekundeten Ziel: »Ich lebe für seine Verewigung« (Baumgarten 1964, S. 605). Erscheint bei distanzierter Betrachtung daher diese biographische Hauptquelle aus einer spezifischen Perspektive gezeichnet, die es gerade in dem hier relevanten Kontext zu hinterfragen gilt, so ist der Zugang zu anderen Quellen, die Mariannes Sicht relativieren können, erschwert oder verunmöglicht. Die meisten persönlichen Dokumente, die uns Einsicht in Webers Selbsterleben, seine Krankheitserfahrung und die Beziehungen zu seinen nächsten Angehörigen geben können, sind durch die filternde Hand Mariannes gegangen. Andere

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lagen lange bei den Nachlassverwaltern, bevor sie in den Briefbänden der kritisch-historischen Max Weber-Gesamtausgabe veröffentlicht werden konnten. Worin aber bestehen Sinn und Stellenwert eines solchen Unternehmens? Soll etwa durch den Aufweis einer Geistes- oder Gemütskrankheit das epochale Werk, dessen Rezeption ab den 1980er Jahren eine wahre Renaissance erfuhr (vgl. Weiß 1989a), in seinem Wert relativiert werden, wie dies am krassesten den späten Gedichten Hölderlins in ihrer Deutung als sinnloses schizophasisches Wortgeklingel widerfahren ist (vgl. Lange 1909), oder soll die zum Idealtypus des integren, ganz der Sache hingegebenen, sich jeder wertenden Beurteilung enthaltenden Wissenschaftlers hypostasierte Person, die Max Weber für Generationen verkörperte, zur Disposition gestellt werden? Soll schließlich die moralische Integrität Webers, dessen Werk ja gerade auch die Frage der sittlichen Orientierung in einer postreligiös entzauberten, versachlichten, rationalisierten Welt angestoßen hat, durch eine Art voyeuristischer Schlüssellochschau beschädigt werden? Dies alles ist nicht Absicht unserer Untersuchungen. Beschäftigen soll uns vielmehr eine eigentümliche Konvergenz und Parallelität von Strukturen aus Webers Biographie, Krankheit und Werk. Die Rekonstruktion dieser Verbindungslinien geht von der These aus, dass Max Weber an einer Depression litt. Weber verwendet selbst diesen Begriff in einer Art unbewusster antizipatorischer Vorausschau in einem Brautbrief, in dem er auch im Folgenden noch zu beleuchtende krankheitstypische Persönlichkeitsmerkmale beschreibt: »Nachdem ich nach jahrelangen Qualen widerwärtiger Art endlich von Innen heraus zum Gleichmaß gekommen war, fürchtete ich eine schwere Depression. Sie ist nicht eingetreten, wie ich glaube, weil ich das Nervensystem und das Gehirn durch anhaltendes Arbeiten nicht zur Ruhe kommen ließ. Deshalb u. a. auch – ganz abgesehen von dem Naturbedürfnis nach Arbeit – lasse ich so sehr ungern eine wirklich fühlbare Pause in der Arbeit eintreten, ich glaube, daß ich nicht riskieren dürfte, die eintretende Nervenruhe – denn die genieße ich mit dem Gefühl eines wirklich neuen Glücks – in Erschlaffung sich verwandeln zu lassen, solange ich nicht unzweideutig erkenne, daß das Rekonvaleszentenstadium definitiv überwunden ist.« (Weber zit. n. Marianne Weber 1926, S. 208)

Die Verbindung zu wesentlichen Teilen seines Werkes besteht nun unserer Hypothese zufolge darin, dass in diesem indirekt die kulturellen Hintergrundbedingungen der phänomenologisch-anthropologischen Grundstruktur depressiven Erlebens an zentraler Stelle thematisiert werden. Diese Hintergrundbedingungen scheinen in Webers eigener Biographie auf. Im Erleben der eigenen Krise hat er ihre Bedeutung erkannt. Die Bewältigung der Krise wirkt sich nicht nur in seiner weiteren Biographie aus, sondern nahm auch Einfluss auf Themenwahl und Charakter der späteren wissenschaftlichen Arbeit.

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Zum Beleg unserer These sind Webers nach der Krise entstandene Arbeiten zum Prozess der Entwicklung des okzidentalen Rationalismus heranzuziehen, in denen er die zunehmende Verselbstständigung der modernen Berufsidee im kapitalistischen Wirtschaftssystem gegenüber ihren Wurzeln im Geist der christlichen Askese entwickelt: »Nur wie ›ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte‹, sollte … die Sorge um die äußeren Güter um die Schulter … liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über die Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte.« (Weber 1920a, S. 487) Für die moderne, sich als wissenschaftlich verstehende pathographische Tradition sind die im Kontext der Degenerationslehre stehenden Arbeiten Cesare Lombrosos (1890) über den Zusammenhang von Genie und Irrsinn inaugurierend. In der Nachfolge von Möbius definiert Stern 1909 Pathographie als »diejenige Art der Biographie …, welche körperliche Konstitution, somatische und psychische Krankheiten, erbliche Belastung, Degenerationszeichen, hysterische und epileptische Zustände, Alkoholneigung und andere pathologische Merkmale in ihrer ursächlichen Bedeutung für Wesen und Werk des Helden aufzudecken bestrebt« (Lange-Eichbaum u. Kurth 1985, Bd. 1, S. 234) ist. Dieser Ansatz interpretiert das Werk unter dem Gesichtspunkt in ihm zum Vorschein kommender psychopathologischer Merkmale, beispielsweise letztlich unverständlicher Sprachauffälligkeiten bei schizophrenen Dichtern. Der Blick auf das Pathologische im Werk ändert sich auch mit der Entwicklung psychoanalytischer Ansätze zunächst nicht grundsätzlich. Wie etwa in Freuds Leonardo-Studie (1910) wurden die Auswirkungen sexueller Triebhemmung und primärprozesshafter psychischer Vorgänge auf das Werk thematisiert. Allerdings scheint im Begriff der Sublimierung bereits auf, dass die Auswirkungen der Krankheit im Werk nicht unbedingt selbst pathologischen Charakter tragen. Unser eigener Ansatz radikalisiert den letztgenannten Gesichtspunkt insofern, als davon ausgegangen wird, dass Faszination und überindividuelle Bedeutung des Werkes gerade darauf beruhen, dass es nicht durch den Einbruch pathologischer Prozesse gekennzeichnet ist, sondern sich in ihm der Niederschlag zeigt von tiefgreifender Einsicht, Auseinandersetzung und Bewältigungsbemühung gegenüber den sozialen, kulturellen und anthropologischen Grundkonflikten, die das Leben des Betreffenden existentiell bedrohten. So ergeben sich Konvergenz und Parallelität zwischen Werksdiskurs (Auseinandersetzung mit der Konfliktkonstellation in ihrer allgemeinen psychologischen, soziokulturellen und philosophischen Dimension), biographischem (Aufscheinen der Konfliktkonstellation im konkreten Leben) und psychopathologischem Diskurs (Wirksamwerden der Konfliktkonstellation in der Pathogenese psychischer Alterationen).

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Vor dem Hintergrund dieser methodischen Überlegungen sind für unsere Untersuchungen besonders diejenigen Arbeiten zur Psychopathologie depressiver Erkrankungen relevant, die in der Tradition phänomenologisch-anthropologischer und soziologischer Forschungsrichtungen stehend den Kern depressiven Erlebens vor dem Hintergrund biographischen Gewordenseins und kultureller Eingebundenheit verstehen. Die Zusammenführung der drei genannten Diskurse lässt die Person Webers erkennen als idealtypische Gestalt des modernen Menschen im Widerstreit von hypernomischer (vgl. Kraus 1977) Unterwerfung unter die Anforderungen einer sich mehr und mehr verselbständigenden rational strukturierten gesellschaftlichen Leistungsdynamik einerseits und einer inneren, nur schwer Ausdruck findenden Welt von Affekten, Autonomiewünschen und Strebungen irrationaler Art andererseits.

Der biographische Hintergrund Im Januar 1897 erhält Max Weber, 33-jährig, einen Ruf auf den Heidelberger Lehrstuhl für Nationalökonomie, dem er zum Sommer desselben Jahres folgt. Im steifen akademischen Milieu der alten Universität wird er nun Kollege seiner früheren Lehrer (vgl. Marianne Weber 1926, S. 239). Der Weggang aus dem weniger prätentiösen Freiburger Kollegenkreis fällt ihm schwer und er protestiert (vgl. ebd., S. 340) bald gegen die steifen Umgangsformen. Im Frühsommer sagt sich Webers Mutter Helene aus Berlin zu einem Besuch an. Sie möchte ihren ältesten Sohn Max und dessen Ehefrau Marianne, die ihr eine intime Vertraute geworden ist, alleine – ohne Begleitung ihres Mannes – besuchen, hat jedoch, wie Marianne später schreibt, nicht die Kraft, einfach zu tun, was sie möchte (vgl. ebd., S. 243), sodass Max Weber senior sie schließlich begleitet. Dies führt zum Ausbruch eines lange schwelenden Konfliktes, in dem der Sohn die Partei der Mutter vertritt. Er wirft dem Vater seelische Vergewaltigung (vgl. ebd., S. 243) vor, es kommt zum Streit, aus dem beide unversöhnt auseinandergehen. Kurz darauf unternimmt Max Weber senior eine Reise nach Riga. Dort stirbt er, 61jährig, plötzlich an einer Magenblutung. Wenig später begeben sich Max und Marianne auf eine Reise nach Spanien. Weber ist reizbar, rastlos, deutet dies selbst als Zeichen nervöser Erschöpfung (vgl. ebd., S. 246). Interessant ist, dass die doch naheliegende Schuldthematik (vgl. Janzarik 1957) zu diesem Zeitpunkt von Weber abgewehrt und offensichtlich verdrängt wird. Erst Jahre später gesteht er sich ein, dass die Auseinandersetzung mit dem Vater kurz vor dessen Tod als nicht wiedergutzumachende Schuld auf ihm lastete (vgl. Marianne Weber 1926, S. 393, S. 245). Auf der Rückreise von Spanien befallen ihn Unwohlsein und Fieber (vgl. ebd., S. 247). Das darauffolgende Wintersemester ist angefüllt mit Arbeit, wobei die

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Betreuung des entstehenden Schülerkreises und Prüfungsverpflichtungen breiten Raum einnehmen. Gegen Ende des Semesters, nach einer Prüfung, überfällt ihn völlige Erschöpfung mit Kopfhitze und starken Spannungsgefühlen (vgl. ebd.). Der Zustand bessert sich in den Semesterferien, um im Sommersemester erneut aufzutreten. Weber leidet unter Schlaflosigkeit, Krankheitsgefühl, Erschöpfung, häufig weint er, der Frühling ist für ihn verhüllt »mit einem dunklen Schleier« (ebd., S. 248). Es folgen Arztkonsultationen und in den Sommerferien ein erster Sanatoriumsaufenthalt am Bodensee. Erstmals tauchen Wünsche nach einer Entpflichtung auf. Das Wintersemester 1898/99 wird zur Qual, in einem Brief an Marianne deutet Weber nun Distanz an gegenüber dem Bedürfnis früherer Jahre, unter der Arbeitslast sich erliegen zu fühlen (vgl. ebd., S. 249), äußert Wünsche nach Entlastung und Bescheidung in ein einfacheres Leben. Marianne Weber erlebt die Krise als »besonderen Segen« (ebd., S. 249) für die eheliche Gemeinschaft. Der sechs Jahre jüngeren, Webers Intellekt naiv idealisierenden Partnerin erblüht, wie sie im Lebensbild schreibt, »ein hohes Glück: Der starke Mann ist ihrer ständigen Fürsorge und Gegenwart bedürftig« (ebd., S. 249f.). Von Webers Mutter Helene kommen Vorschläge, die Willensschwäche zu überwinden, über sich hinauszuwachsen (vgl. ebd., S. 253). Marianne wehrt diese Ratschläge zwar ab, doch auch sie glaubt »an ihres Mannes unzerstörte Schöpferkraft« (ebd., S. 256), steht Webers zunehmende Konkretheit gewinnendem Wunsch nach Entlassung aus dem Ordinariat mehr als skeptisch gegenüber. Erschreckt vermerkt sie in den biographischen Aufzeichnungen, Webers Aufregung habe sich zum ersten Mal auch gegen sie selbst gerichtet, als sie ihm, der im Sommer 1900 zu einem erneuten Sanatoriumsaufenthalt in Urach auf der Schwäbischen Alb weilt, bittet, in der Habilitationsangelegenheit eines Schülers aktiv zu werden. Weber wirft ihr vor, »ich sorgte ja doch nicht dafür, daß er Ruhe bekäme, und jetzt wäre er wieder für Wochen zurückgeworfen, und er müsse Ruhe haben, auch wenn die Leute darüber ›krepierten‹, bei ihm stände auch was auf dem Spiel« (ebd., S. 256). Zeigen sich in der Heftigkeit der Abgrenzung gegenüber den sonst so ernstgenommenen Pflichten bereits erste Zeichen der Gesundung, so ist ein Jahr vor diesem Ereignis davon noch nichts zu spüren. Weber quält sich mühsam durch das Wintersemester 1898/99, und Weihnachten ist die Erschöpfung so tief, dass Rücken und Arme selbst beim Schmücken des Christbaumes versagen (vgl. ebd., S. 250). Da an wissenschaftliches Arbeiten nicht zu denken ist, schickt Webers Mutter Modellierwachs, seine Frau bringt einen Steinbaukasten und beobachtet: »Der Kranke baut ihr zuliebe auch ganz brav, aber dann: die Hände zittern, wenn er Steine aufeinanderlegt, der Rücken schmerzt. Es hilft nichts, man muß völlig darauf verzichten, ihn auf diese Weise zu unterhalten. Er sitzt also einfach am Fenster seiner Wohnung in der ›Anlage‹ und schaut auf die knospenden Kastanienwipfel.« (ebd., S. 251) Neben Rücken- und Kopfschmerzen litt Weber während der gesamten Krankheitspe-

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riode unter einer Vielzahl anderer Beschwerden, insbesondere körperlichem Schwächegefühl, Zittern, »Anspannungen ganz bestimmter Kopfnerven« (ebd., S. 248), »Kongestionen« (ebd.), Pulsaussetzungen (vgl. Weber 1908g), Angstzuständen (vgl. ebd.) und Schlaflosigkeit (vgl. Weber 1907c; 1908h) sowie Verdauungsstörungen, welche der Heidelberger Psychiater Karl Wilmanns bereits 1906 als typisch für depressive Verstimmungen ansah (vgl. Wilmanns 1906). Für das Sommersemester 1899 lässt sich Weber von der Lehrtätigkeit entpflichten, im Herbst bringt die Wiederaufnahme der Verpflichtungen einen schweren Rückfall, auf den hin Weber ein Entlassungsgesuch einreicht. Es wird abgelehnt, stattdessen wird ein unbefristeter Urlaub bewilligt unter Weitergewährung der Bezüge. Im Sommer darauf lösen Weber und seine Frau den Heidelberger Haushalt auf, es folgt eine fast zweijährige Italienreise. Während dieser Zeit stabilisiert sich Webers Zustand allmählich, seine Leistungsfähigkeit kehrt zurück. Er stellt schließlich erneut ein Entlassungsgesuch, wogegen Marianne erst später ihren Widerstand aufgibt, sieht sie doch ihren Mann »auf der Höhe der Mannesjahre aus seinem Königreich verstoßen« (Marianne Weber 1926, S. 276). Nach der Restitution bleibt der Zustand jedoch labil, in den folgenden Jahren kehren die Verstimmungszustände immer wieder zurück. Auslösend sind stets Arbeitsüberlastungen. Die Behandlung erfolgt medikamentös mit Bromund Barbitursäurepräparaten, gegen Erschöpfung erhält Weber zeitweilig Kodein (vgl. Weber 1908h; 1908i). Um einer Abhängigkeitsentwicklung vorzubeugen, unterbrach Weber die Einnahme der Beruhigungsmittel immer wieder systematisch für längere Zeiträume (vgl. Marianne Weber 1926, S. 259, 281, 487; Weber 1908j). Dennoch ist nicht auszuschließen, dass zumindest ein Teil der Beschwerden in späteren Jahren, insbesondere Unruhezustände, Konzentrationsstörungen, rascher Stimmungswechsel, Schlafstörungen und vegetative Symptome als medikamentös bedingt anzusehen sind. Bei der Erörterung des familiären und biographischen Hintergrundes von Webers Erkrankung darf eine auffallende Häufung psychiatrischer Erkrankungen nicht unerwähnt bleiben. An nächsten Verwandten sind neben anderen zu nennen ein Vetter Webers mütterlicherseits, Otto Benecke (1879–1903), zu dem Weber während seines Sanatoriumsaufenthaltes in Urach und der anschließenden Italienreise näheren Kontakt hatte. Dieser litt an einer Prozesspsychose und hat sich 1903 suizidiert. Auch Webers Jugendliebe, seine Cousine – ebenfalls mütterlicherseits – Emmy Baumgarten (1856–1946) erkrankte psychiatrisch und wurde langjährig in einem Stuttgarter Sanatorium betreut. Webers jüngste Schwester Lili (1880–1920), verh. Schäfer, gilt in der Familie als zart, sensibel und belastet vom häuslichen Alltag; fehlende Vitalität und Illusionslosigkeit seien ihr Schicksal (vgl. Marianne Weber 1926, S. 700); sie scheidet 1920 freiwillig aus dem Leben. Als weitere Fälle psychischer Erkrankung in der näheren Verwandtschaft sind bekannt: eine Schwester von Emmy Baumgarten, die drei Jahre jüngere

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Anna (1868–1943); Dora Benecke (1867–1951), eine Schwester von Otto Benecke; aus der Familie von Helenes Schwester Henriette, verh. Hausrath, sind zu nennen Laura Hausrath (1867–1928), Emilie (Mila) (1870–1934), verh. Jolly und Paula (1872–1958), verh. Schmidt. Im vierten Lebensjahr erkrankte Max Weber, ältester von sieben Kindern, an einer Meningitis. Die Genesung tritt nur langsam ein und noch Jahre danach leidet das Kind unter Nervosität und Ängstlichkeit. Die Krankheit intensiviert eine starke Mutterbindung, die lebenslang anhält. Webers Mutter Helene erscheint in den Schilderungen Mariannes als leise, sanfte, harmoniebedürftige Frau, geprägt durch eine strenge protestantisch-asketische Moral. Durch frühen Vaterverlust Halbwaisin geworden, als junges Mädchen von ihrem Nennonkel Gervinus sexuell bedrängt, blieb eine Ablehnung gegenüber dem sinnlichen Leben (vgl. Baumgarten 1964, S. 629) für ihr Leben bestimmend. In der Strenge ihrer Religiosität, ihrem versteckten Durchsetzungswillen und dem Gefühl, den religiösen Pflichtvorstellungen nicht voll entsprechen zu können, ähnelte sie sehr ihrer älteren Schwester Ida (1837–1899), verh. Baumgarten, der sie sich eng anschloss (vgl. Fügen 1985, S. 36), während ihre Ehe mit Max Weber senior durch eine zunehmende Entfremdung gekennzeichnet war. Max Weber wuchs so als gebundener Delegierter im Spannungsfeld zweier Eltern, die weder zusammen noch getrennt voneinander leben können (vgl. Stierlin et al. 1986, S. 275), auf. Stierlin und Mitarbeiter haben aus familientherapeutischer Perspektive auf die pathogenetische Bedeutung dieser Funktion im Entstehungszusammenhang depressiver Erkrankungen hingewiesen (vgl. Weber et al. 1987). Seinen Vater zu charakterisieren fällt schwer, weil gerade in Bezug auf ihn die zur Verfügung stehenden Quellen ein verzerrtes Bild zeichnen. Mariannes Portrait eines nach bürgerlichem Komfort, Lebensgenuss und Repräsentation strebenden Lebemanns (vgl. Marianne Weber 1926, S. 40) kontrastiert nicht nur zu einem Feinsinnigkeit zeigenden Brief aus der Verlobungszeit (vgl. ebd., S. 24), sondern auch zu seinem Engagement als erfolgreicher Beamter, Publizist, Stadtrat und späterer langjähriger liberaler Reichstagsabgeordneter. Max Weber junior ist ein ernstes, intelligentes, bildungshungriges Kind. Den Geschwistern tritt er fast wie ein Erwachsener gegenüber, insbesondere der nächstälteste Bruder Alfred fühlt sich lebenslang durch seine Umgangsart missachtet und abgewertet (vgl. Fügen 1985, S. 23f.). Alfred Weber – ebenfalls sehr begabt, indessen auch künstlerisch-poetisch veranlagt (vgl. Marianne Weber 1926, S. 104) – und Max Weber standen sicherlich bereits als junge Geschwister in einem lebenslang anhaltenden Rivalitätsverhältnis. Anfänglich billigte Alfred dem älteren Bruder zwar Überlegenheit zu, wehrte sich dann aber als junger Erwachsener oftmals gegen dessen Besserwisserei. Er studierte zunächst Kunstgeschichte und Archäologie, wählte dann jedoch Jura und Nationalökonomie.

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Er kehrte nach einem Zwischensemester in Tübingen nach Berlin zurück und stand somit im selben fachlichen, sozialen und später beruflichen Kontext wie Max. Beide waren sie auch Mitglied im Verein für Sozialpolitik, dem sich hauptsächlich Vertreter der ethischen Nationalökonomie anschlossen. Alfred erhielt 36-jährig eine Professur für Nationalökonomie in Prag und wurde 1907 an die Universität Heidelberg gerufen, wo er der Sache nach der Nachfolger seines älteren Bruders wurde (vgl. Fügen 1985, S. 94). Dem jüngeren war zu dieser Zeit klar, dass ihm »ein stilles Leben im Schatten des Titanen unmöglich sei« (Salin zit. n. Fügen 1985, S. 95). In einer der gelegentlichen Auseinandersetzungen – die Brüder sahen sich privat in der gemeinsamen Heidelberger Zeit nicht oft – sah Alfred sich veranlasst, heftig seine geistige Selbständigkeit zu betonen (vgl. Jaffé 1985, S. 192). Vom 15. Lebensjahr an werden Versuche erkennbar, sich von der Allgegenwart der Mutter abzugrenzen. Dies war sicher nicht einfach, denn Helene Weber war bemüht, die geistig-seelische Entwicklung ihrer Kinder in ständigen Kontakt und Austausch zu verfolgen, wenn nicht gar – vor allem im Bereich ihrer Stärke, der Religiosität und Moralität – zu kontrollieren (vgl. Fügen 1985, S. 26f.). Während Max und Alfred als Jugendliche sie an ihrem religiösen Empfinden nicht in dem Maß teilnehmen ließen, wie sie es sich wünschte, befreite sich indessen nur Alfred in der Adoleszenz von ihrer moralischen Rigorosität. Noch im Elternhaus wohnend hatte er offensichtlich eine Liebesbeziehung, ebenso als Student mehrere Beziehungen (vgl. Demm 1983, S. 2). Für die sichtbaren Folgen der Teilnahme an den Männlichkeitsritualen des studentischen Couleurwesens erntete sein Bruder Max hingegen von seiner Mutter eine Ohrfeige (vgl. Marianne Weber 1926, S. 74). Gegen Ende des Jahres 1890 – Weber lebt zu dieser Zeit als frisch promovierter und vor der Habilitation stehender Rechtsassessor im Berliner Elternhaus – kommt die Großcousine Marianne Schnitger aus Oerlinghausen für einige Wochen zu Besuch. Sie, der das wohlbehütete Landleben im Kreis ihrer großväterlichen Familie nicht die gewünschte Anregung bietet, findet im Haus der Berliner Verwandten das gesuchte geistige Klima, das ihr Gedankenaustausch, Interessenfindung und auch die Abwechslung der Großstadt bietet. Sie muss zwar zurückkehren, es wird ihr indessen ein Jahr später ein weiterer Aufenthalt in Charlottenburg ermöglicht. Helene schließt die 20jährige, wie sie selbst in ihrer Kindheit und Jugend herumgestoßene Halbwaisin, schnell in ihr Herz. Marianne fühlt sich ihr alsbald sehr verbunden und verehrt ihre »unerreichbare Güte und Reinheit« (ebd., S. 186). Marianne war sich inzwischen ihrer bereits während ihres ersten Besuches entstandenen Neigung zu dem ältesten Sohn der Gastfamilie klargeworden, hielt sie jedoch noch geheim. Sie wird von einem im Haus verkehrenden Freund von Max umworben und diesem von Helene versprochen, ohne hierzu befragt zu werden. Max indessen gilt der Cousine Emmy, die wegen

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einer psychischen Erkrankung in einem Stuttgarter Sanatorium betreut wurde, versprochen. Während er sich selbst zu dieser Zeit bereits Klarheit verschafft hatte über das Ende seiner jugendlich-zarten Beziehung zu Emmy, waren die Mütter Helene und Ida noch immer auf die Idee einer Verbindung zwischen Max und Emmy fixiert, die sie erst später nach einem langwierigen Briefwechsel aufgaben. In dieser Situation entstand heillose Verwirrung (vgl. ebd., S. 187) mit Selbstvorwürfen und Schuldzuweisungen an die eigene Person bei den Betroffenen; nur das Sich-Versagen der eigenen Wünsche schien die Situation bereinigen zu können. Die entstehende Verbindung zwischen Marianne und Max steht so in für Depressive typischer Weise (vgl. Kraus 1989) unter problematischen Vorzeichen, der Brief an die abgereiste Marianne, der sie zurückholen soll, ist in düsteren Tönen gehalten. Nicht nur verweist Weber auf »den stillen und kühlen Hafen der Resignation …, in welchem ich selbst seit Jahren vor Anker gelegen habe« (Weber zit. n. Marianne Weber 1926, S. 187), sondern stellt die Beziehung von vorneherein auf den kargen Boden sinnenfremder Entsagung: »Keine phantasievolle Hingabe an unklare und mystische Seelenstimmungen dürfen wir in uns dulden. Denn wenn die Empfindung dir hoch geht, mußt du sie bändigen, um mit nüchternem Sinn Dich steuern zu können.« (ebd., S. 190) Mariannes Verhältnis zu Max Weber blieb bis über den Tod hinaus das der Bewunderung der intellektuellen Fähigkeiten ihres Mannes. Ihre von ihm geforderte und geförderte Selbständigkeit sucht sie in der kinderlosen Ehe ebenfalls im intellektuellen Bereich, so beispielsweise durch ihr politisches und publizistisches Engagement in der Frauenbewegung. Doch blieb sie stets die Unterlegene: Weber überarbeitete ihre Vorträge und Publikationen, war ihr akademischer Lehrer (vgl. Roth 1989). Die erotisch-sinnliche Seite der Ehe bleibt bestimmt durch den moralischen Rigorismus Helenes, über die Marianne als Vertraute zu berichten weiß, dass »die körperliche Seite der ehelichen Gemeinschaft … ihr keine Quelle der Freude, sondern ein schweres Opfer, und zugleich Sünde« (Marianne Weber 1926, S. 32) gewesen sei. Weber selbst bekennt in einem Jugendbrief an Fritz Baumgarten, es liege etwas in seiner Natur, »daß ich meine Gefühle selten andern mittheile, es kostet mir oft Überwindung, es zu thun« (Weber 1879, S. 148), und Marianne deutet retrospektiv die Scheu des jungen Weber gegenüber gesellschaftlichem Umgang mit dem anderen Geschlecht während seiner Studienzeit: »Diese Form jugendlichen Beisammenseins vermittelt ihm offenbar niemals ein gesteigertes Lebensgefühl… Er ist eben unempfänglich für das, was die Jugend… bei solchem Vergnügen sucht: das erotische Spiel« (Marianne Weber 1926, S. 114). An anderer Stelle beschreibt Marianne eindrucksvoll den Einfluss Helenes auf Webers Einstellung zur Erotik: »… er hatte in Straßburg Kumpane gehabt, die auch ihre sonstige Sinnlichkeit in groben, verantwortungs- und gemütlosen Formen befriedigten. Aber die Mutter

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durfte dankbar sein: Ohne Worte – denn man ließ damals die dunklen Untergründe des Daseins und ihre drohende Problematik tief verhüllt – nur durch die heilige Reinheit ihres Wesens hatte sie ihm unzerstörbare Hemmungen gegen die Hingabe an das Triebhafte eingepflanzt. Er widerstand dem Beispiel der anderen: lieber sich zunehmend quälen mit den dämonischen Anfechtungen des Geistes durch deine robuste Leiblichkeit, als der Notdurft ihren Zoll zahlen.« (ebd., S. 98)

Rationalität und Weltentzauberung in Webers Protestantischer Ethik Vor Ausbruch seiner Krise hatten Max Webers sozialhistorische und nationalökonomische Arbeiten bereits Interesse geweckt. 1888 tritt er dem bürgerlichsozialreformerischen Verein für Sozialpolitik bei und beteiligt sich zu Beginn der 90er Jahre an einer vom Verein durchgeführten Untersuchung über die Lage der ostdeutschen Landarbeiter. Die Krise erzwingt eine über vierjährige Unterbrechung von Webers wissenschaftlich-literarischen Produktivität. Die neue Schaffensperiode, beginnend mit der von den nächsten Angehörigen als »Seufzeraufsatz« bezeichneten Arbeit über Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie (1903–06), ist völlig anderen Charakters als die frühere (vgl. Marianne Weber 1926, S. 272). Ellenberger (1964) hat im Anschluss an Novalis und Viktor von Weizsäcker die kreative Funktion kritischer Lebensperioden bei einigen bedeutenden Gelehrten, insbesondere Freud, C. G. Jung, Fechner und Nietzsche, nachgewiesen. Sie alle entwickelten den Kern ihres spezifischen Schaffens während einer schöpferischen Krankheit. Diesem Autor zufolge beginnt der Krankheitszustand nach einer langen Periode rastloser intellektueller Arbeit und Sorge. Die Hauptsymptome sind Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen, kurzum, sie bietet das Bild einer schweren Neurose, manchmal einer Psychose. Die Intensität der Symptome kann Schwankungen unterworfen sein, aber während seiner Erkrankung bleibt der Patient immer von einer beherrschenden Idee oder der Verfolgung eines schwierigen Zieles besessen. Er lebt in äußerster geistiger Isolierung und hat das Gefühl, dass ihm niemand helfen kann, daher auch seine Versuche der Selbstheilung (vgl. Ellenberger 1973, Bd. 2, S. 1177f.). Ellenbergers idealtypische Charakterisierung trifft in vielen Hinsichten auch auf Weber zu, insbesondere auch, was die Entdeckung neuer geistiger Horizonte betrifft, allerdings trat bei ihm die als charakteristisch beschriebene rasche und vollständige Genesung nach mehrjähriger Krankheitsdauer so nicht ein. Gegenüber materialer rechtshistorischer und nationalökonomischer Forschung tritt für Weber nun die methodologische Besinnung auf die Grundlagen sozialwissenschaftlicher Handlungstheorie und die Beschäftigung mit den Zu-

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sammenhängen zwischen ökonomischer und Wertsphäre im modernen Kapitalismus in den Vordergrund (vgl. Schluchter 1988, Bd. 1, S. 40ff.). Seine ökonomischen, politischen und kulturellen Analysen des modernen okzidentalen Rationalismus (vgl. Weber 1920a; 1920b) fasst Weber in den ab 1904 erschienenen Schriften über Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus zur Diagnose zusammen, »von der über Jahrtausende währenden, heute ›vollendeten‹ Entzauberung der ›Welt‹, von der Rationalisierung ihrer Ordnungen und von der Intellektualisierung der menschlichen Stellungnahme zu ihnen, aber auch von der Paradoxie des Vorgangs, der gerade der modernen Gesellschaft nicht nur ein Steuerungs-, sondern vor allem ein ›Sinn‹problem stellt« (Schluchter 1980, S. 10). Weber geht davon aus, dass zwar Interessen das menschliche Handeln unmittelbar beherrschen, dass aber durch Ideen geschaffene Weltbilder als Weichensteller oft die Bahnen bestimmen, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte (vgl. Weber 1920a; 1920b; Lepsius 1986). Webers Religionssoziologie erfasst den Prozess der Entwicklung dieser Weltbilder in einer Stufentheorie, die sie nach dem Grad ihrer systematischen Einheitlichkeit und nach dem Grad ihres magischen Gehaltes ordnet (vgl. Schluchter 1980, S. 14f.; 1988, Bd. 2). Dabei ist für die Abkehr vom magischen Götterkult in der abendländischen jüdisch-christlichen Tradition die Ausarbeitung eines religiös-dualistischen Weltbildes entscheidend, das der Welt eine von ihr abgegrenzte göttliche Hinterwelt überordnet. Erst so werden statt des primitiven Gotteszwangs im Ritual Vorstellungen von Verehrung, aber auch von Sünde, Gewissen und Erlösung denkbar. Zugleich wird nun aber auch erklärungsbedürftig, wie und weshalb der übermächtige Gott eine unvollkommene Welt geschaffen hat. Auf diese Frage reagieren die Religionsformen mit der Konstruktion von Theodizeen. Als die beidem am konsequentesten durchdachten, gegenläufige Tendenzen verkörpernden Theodizeen sieht Weber die indische Karmalehre, die die Hinterwelt zur Übergöttlichkeit der ewigen Ordnung der Welt steigert, und die jüdisch-christliche Prädestinationslehre in ihrer Steigerung der Hinterwelt zur Überweltlichkeit des ewigen Gottes (vgl. Schluchter 1980, S. 21). Lebenspraktisch haben sie zwei Formen des Rationalismus zur Folge: Weltablehnung als Weltflucht einerseits, Weltablehnung als Weltbeherrschung andererseits (vgl. ebd., S. 24). Die indische Tradition entschärft die in der Theodizee-Problematik angelegte Spannung durch das Festhalten an magischen Elementen. Sie versteht den Heilsweg ontologisch als Überwindung der irdischen Vergänglichkeit. Hingegen kommt es in der jüdisch-christlichen ethischen Interpretation des Dualismus zu einer zunehmenden Verschärfung: Da nicht die Vergänglichkeit, sondern die Sündhaftigkeit des Menschen das Problem darstellt, ist der empirischen Welt letztlich ihr Eigenwert entzogen. Vermittlungsversuche durch die Vorstellung vom Gnadenuniversalismus der Kirche in Verbindung mit der

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Vorstellung vom Ausgleich der Sünden durch gute Taten bringen im mittelalterlichen Katholizismus zumindest für den Laienstand zunächst noch eine Abschwächung der im Dualismus angelegten Spannung, ehe die Reformation – am konsequentesten bei Calvin – den Weg der Vereinseitigung des dualistischen Theozentrismus kompromisslos zu Ende geht. Der von einem alttestamentarisch verstandenen Gott durch eine unüberbrückbare Kluft getrennte Mensch ist ausschließlich zum Werkzeug seines Schöpfers degradiert, der nicht um seiner selbst, sondern allein um Gottes Majestät willen sich selbst und die »kreatürliche Welt« in asketischer Berufstätigkeit zu beherrschen hat (vgl. ebd., S. 27). Alle magischen Mittel der Heilsuche sind nun als Aberglaube und Frevel verworfen, der religionsgeschichtliche Prozess der Entzauberung der Welt findet zumindest theoretisch seinen Abschluss. Der dadurch bedingten religiösen Vereinsamung entspricht insofern auch eine weltliche, als – um der Gefahr der Kreaturvergötterung zu entgehen – die zwischenmenschlichen Beziehungen dem Primat von Sachlichkeit und Distanz untergeordnet werden.

Psychodynamische, psychopathologische und soziologische Merkmale depressiver Persönlichkeitsstruktur Die Beziehungen zwischen den hier nur holzschnittartig nachgezeichneten Grundgedanken von Webers Kultur- und Religionssoziologie und seinem persönlichen Lebensweg haben innerhalb der Weber-Forschung zuerst in der Monographie von Arthur Mitzman (1984) eingehende Berücksichtigung erfahren. Mitzmans historisch-sozialpsychologische Analyse des unter Intellektuellen im Ausgang des 19. Jahrhunderts entstehenden postheroischen Bewusstseins setzt bei Webers enger Mutterbindung an und interpretiert das Werk vor der Krise als Ausdruck des damit verbundenen Protests gegen die bürgerlich-patriarchalische Gesellschaftsordnung aus der Perspektive der protestantisch-asketischen mütterlichen Werthaltung. Der Tod des Vaters kurz nach der heftigen Auseinandersetzung um das Recht der Mutter, dem Sohn auch ohne seine Begleitung Besuche abzustatten, wird als Auslöser der depressiven Krise im Sinne der von Freud in Trauer und Melancholie entwickelten Psychodynamik verstanden. Melancholie unterscheidet sich von Trauer für Freud dadurch, dass einem realen, die Krise auslösenden Enttäuschungs- oder Verlusterlebnis eine ambivalente, starke negative Affekte beinhaltende Liebesbeziehung vorausgeht. Nach dem Verlusterlebnis findet unter dem Einfluss eines starken Über-Ichs eine unbewusste Identifizierung mit dem aufgegebenen Objekt statt. Die durch den als Abkehr des Liebesobjektes empfundenen Verlust mobilisierten negativen Affekte kommen nun, nach erfolgter regressiver narzisstischer Identifizierung mit

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dem verlorenen Objekt, als Selbstvorwürfe zum Vorschein (vgl. Freud 1917). Die weitere Lebensentwicklung Webers wird von Mitzman ganz unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung mit dem eigenen, durch die religiös-asketische Einstellung der Mutter geprägten Über-Ich gesehen. Dass auch Webers die Wertfreiheit der Wissenschaft so in den Vordergrund stellendes Werk in dieser Weise »infused with his values« (Mitzman 1984, S. 300) sei, sich somit als Projektion seiner ungelösten psychischen Probleme (vgl. Kaesler 1989, S. 34) darstelle, hat Mitzman später relativiert, indem er das Werk nun versteht als Produkt der kritischen Selbstreflektion auf die eigene Konfliktlage in einer konsequenten Analyse der Wertvorstellungen, die er von seiner puritanischen Mutter übernommen hatte (vgl. Mitzman 1988, S. 141). Unter psychoanalytischem Gesichtspunkt bleibt Mitzmans die ödipale Konfliktsituation in den Mittelpunkt stellende Analyse deshalb unbefriedigend, weil sie – ganz im Sinne der Marianne-Perspektive – problematische Aspekte der Mutterbeziehung vernachlässigt. Aus einer anderen Sicht zeigen die Briefe Helene Weber auch als nicht nur in der Ehebeziehung kühle, sinnenfeindliche, die eigene Konsequenz und Durchsetzungsfähigkeit eher verbergende, ihre Kinder und besonders den ältesten Sohn dabei bindende und kontrollierende Mutter, von der zu fragen ist, ob sie ihrer holding function (vgl. Winnicott 1974) als primärem, sinnlich-symbiotischem Liebesobjekt in den frühen Stufen der Entwicklung ihrer Kinder gerecht werden konnte. Nur durch Störungsanteile auf diesen frühen Stufen der Entwicklung, die die eigene Identität, insbesondere die Beziehung zwischen Ideal-Selbst und Selbst, in ihrer Genese stören, ist nach neuerer psychoanalytischer Auffassung eine schwere depressive Dekompensation erklärbar (vgl. Loch 1972). Dies leitet über zur Frage der Primärpersönlichkeit. Weber wird von seinen Zeitgenossen geschildert als vitaler, leidenschaftlicher Genussmensch (vgl. Meinecke zit. n. Baumgarten 1964, S. 636). Als junger Mann »schrieb, redete und wirkte er schier eruptiv und in raschem Wechsel mit übermütiger Geselligkeit« (ebd.). Die Jahre der Krise »drängten seinen Geist in sich zusammen, vertieften seinen Charakter und seinen Willen, befreiten ihn von zersplitternder Vielgeschäftigkeit« (ebd.). Neben einem schier unerschöpflich scheinenden Arbeitseifer und den hier geschilderten zyklothymen Charaktereigenschaften (vgl. Kretschmer 1940) findet sich eine starke Wertbindung im Sinne der von Tellenbach als typisch für die melancholische Persönlichkeit beschriebenen Remanenz. Tellenbach meint mit diesem Begriff den subjektiven Eindruck eines Zurückbleibens hinter den selbst gesetzten Ansprüchen trotz maximaler Anstrengung, ihnen gerecht zu werden. Er schildert die pflichtbezogene Haltung der melancholischen Persönlichkeit folgendermaßen: Ein »Ständig-beschäftigt-Sein, Nie-Schluß-machen-Können. … Auf diesem Hinter-sich-Bringen, diesem Zurücklegen lag der besondere Nachdruck … aber in eins damit zeigt sich auch die

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kontradiktorische Tendenz, in einer Akkuratesse zu verweilen, die zurückhält« (Tellenbach 1983, S. 136). Viele Briefe Webers und auch die Beschreibungen seiner Persönlichkeit lassen diese Eigenschaft erkennen. Tellenbachs zweite melancholie-typische Konstellation der Inkludenz bezeichnet die Charakteristik eines Eingeschlossen-Seins in der gewohnten Umgebung. Der Betreffende kann dem Zwang seiner Ordnung nicht entfliehen, ohne sich in neue Ordnungen zu zwängen (vgl. ebd., S. 133). Vor allem diesen letztgenannten Aspekt hat Alfred Kraus – interessanterweise unter Heranziehung der durch Max Weber beeinflussten Arbeiten von Talcott Parsons (1964) und Robert Merton (1964) – unter Einbeziehung soziologischer Aspekte weiterverfolgt. Hier schließt sich der über viele Zwischenglieder vermittelte Kreis einer verstehend-rekonstruktiven Betrachtung von Webers Krankheit vor dem Hintergrund seiner eigenen theoretischen Analysen insofern, als Parsons’ Sozialisations- und Persönlichkeitstheorie zwar wesentlich durch Freud und Durkheim beeinflusst ist (vgl. Parsons 1964), er aber auch betont, dass dem Konzept der sozialen Kontrolle durch moralische Autorität zumindest implizit Webers Auffassung von der Rolle der religiösen Werte bei der Verhaltensentscheidung (vgl. Parsons 1975, S. 17) zugrunde lag. Noch kurz vor seinem Tod hat Parsons eindrücklich auf die Bedeutung Max Webers für die Entwicklung seiner Handlungstheorie hingewiesen (vgl. Parsons 1980). In Mertons Typologie des Rollenverhaltens taucht der Begriff der Melancholie explizit auf (vgl. Merton 1964, S. 189). Er dient zur Illustrierung des als eines von fünf möglichen Arten des Anpassungsverhaltens konzipierten Rückzugsverhaltens (retreatism). Damit dient es zur soziologischen Kategorisierung des anomischen Verhaltens des klinisch manifest depressiv Erkrankten, der die ihm gestellten Rollenerwartungen nicht mehr erfüllen kann, nicht jedoch der Charakterisierung der prämorbiden Persönlichkeitsstruktur Depressiver, die sich, in Mertons Kategorien gesprochen, eher durch ein Übermaß an Konformität auszeichnet. Mertons Analyse abweichenden Sozialverhaltens liegt die Annahme allgemein als selbstverständlich akzeptierter gesellschaftlicher Ziele zugrunde. Damit steht sein Entwurf, wie Scott und Turner (1965) zu Recht behaupten, Max Webers Arbeiten zur Protestantischen Ethik näher als Durkheims Autonomiekonzept. Lepenies (1969) weist auf die Ähnlichkeit von Mertons Sicht mit derjenigen des frühen Melancholietheoretikers Robert Burton (1621) hin. Kraus weist darauf hin, dass das durch Interaktionismus (vgl. Mead 1934) und Sozialpsychologie (vgl. Erikson 1966) um den Begriff der Ich-Identität erweiterte Rollenkonzept (vgl. Dreitzel 1968; Krappmann 1973) die Beschreibung von IchLeistungen ermöglicht, deren Pathologie in der Psycho- und Soziogenese der Depression entscheidende Bedeutung zukommt. Aus dieser Perspektive ist die Persönlichkeit Depressiver zu beschreiben als gekennzeichnet durch eine Überidentifikation mit sozialen Rollen, insbesondere der Berufsrolle; der daraus

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resultierende Verlust an Rollendistanz schlägt sich in einem hypernomischen Leistungsverhalten nieder. Die von Tellenbach als Charakteristika des Typus melancholicus herausgestellten Verhaltenseigenschaften Ordentlichkeit, Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit bei einem hohen Leistungsanspruch lassen sich so aus soziokultureller Perspektive als distanzlose, peinlich-genaue Erfüllung gesellschaftlicher Rollenerwartungen beschreiben. Eine weitere zentrale Eigenschaft der prämorbiden Persönlichkeit Depressiver erfasst Kraus mit dem von Frenkel-Brunswik (1948) im Rahmen ihrer Vorurteilsforschung eingeführten Begriff Ambiguitätsintoleranz, worunter er die mangelnde Fähigkeit Depressiver versteht, emotionale und kognitive Ambivalenzen zu ertragen. Besonders in soziologisch ambivalenten Situationen, deren Bewältigung eine gewisse Rollendistanzierung erfordert, wie etwa konfligierenden Rollenerwartungen in typischen beruflichen Situationen, sind Depressive überfordert. Kontradiktorische Rollenerwartungen, Rollenveränderungen und Rollenverluste stellen somit die Wetterwinkel dieses Persönlichkeitstypus dar, in denen eine Dekompensation mit Symptommanifestation droht (vgl. Kraus 1977; 1987). Sozialstrukturell kommen diesen Persönlichkeitszügen nicht nur bestimmte Berufsmerkmale und institutionelle Gegebenheiten entgegen, sondern allgemein Gesellschaften mit einem besonders starken Normendruck (vgl. Kraus 1987, S. 413). Im außerberuflichen Leben beschreibt Kröber komplementäre Persönlichkeitsmerkmale, insbesondere das wortlose Ertragen und Verleugnen chronischer Enttäuschungen im Privatbereich (vgl. Kröber 1988, S. 327). Weber selbst hat in seinen Analysen des Zusammenhangs von kapitalistischer Wirtschaftsordnung und dem Idealtypus des modernen, hypernomisch auf die Erfüllung seiner Pflicht festgelegten Berufsmenschen auch das eigene berufliche Dasein untersucht. Das wissenschaftliche Weltbild stellt aus seiner Sicht den Kulminationspunkt des seit Jahrtausenden währenden gesellschaftlichen Intellektualisierungs- und Rationalisierungsprozesses dar; es löst die religiösen Weltbilder ab und perfektioniert den auf Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit der an sich sinnlosen Welt gerichteten Entzauberungsprozess der Moderne. Es stellt den Wissenschaftler unter die Forderung höchster intellektueller Rechtschaffenheit. Nur so kann eine wertfreie Erkenntnis auch da gelingen, wo ihr Gegenstand Wertorientierungen sind. Die Tätigkeit des Wissenschaftlers hat, wie Weber in seinem 1917 gehaltenen Vortrag Wissenschaft als Beruf weiter ausführt, ein Doppelgesicht: »Er soll qualifiziert sein als Gelehrter nicht nur, sondern auch: als Lehrer. Und beides fällt ganz und gar nicht zusammen.« (Weber 1919a, S. 78) Belege für das Ausmaß zu erbringen, in dem Weber selbst während seiner Zeit als Universitätslehrer dieser Rollenkonflikt zu schaffen machte, ist müßig. Unzählige Zeugnisse stellen sein Engagement als Hochschullehrer, insbesondere auch für die akademische Entwicklung seiner Schüler, als herausragend dar.

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Probleme der Diagnostik Vor dem Hintergrund dieser Erörterungen zu psychodynamischen, anthropologischen und sozialpsychologischen Merkmalen der depressiven Struktur eine Diagnose der Krankheit Max Webers zu stellen, ist nicht nur durch die problematische und unvollständige Materiallage erschwert, sondern auch durch grundsätzliche Probleme psychiatrisch-nosologischer Kategorienbildung für den Bereich depressiver Erkrankungen. So wird die im Vordergrund stehende differentialdiagnostische Frage, ob Weber an einer psychogenen, psychodynamisch verstehbaren neurotischen Depression litt oder aber an einer den Psychosen zuzurechnenden endogenen Depression, nicht leicht zu beantworten sein. Zunächst einmal finden sich in dem zugänglichen Material keine beweisenden Symptome einer Psychose. Webers Rede von den ihn in den Verstimmungen befallenden »Dämonen« (vgl. Marianne Weber 1926, S. 263) sind einer metaphorischen Ausdrucksweise zuzuschreiben, benutzt er doch auch in anderem Zusammenhang, hier eindeutig metaphorisch, diesen Begriff (vgl. Weber 1908i; 1919a, S. 111). Bezogen auf seine eigene Person dürften mit dieser Umschreibung ungewollte Manifestationen sexueller Erregung gemeint sein, wie aus der oben zitierten Stelle aus dem Lebensbild (vgl. Marianne Weber 1926, S. 98) unschwer zu schließen ist. Auch Äußerungen Mariannes, Weber fühle sich bedroht (vgl. ebd., S. 247), er habe das Gefühl, er könne in den Wirbel eines den Geist verdunkelnden Erregungszustandes geraten (vgl. ebd., S. 255), sprechen angesichts des schwülstig-pathetischen Stiles, in dem das Lebensbild geschrieben ist, nicht unbedingt für die Zeichen einer psychotischen Entgleisung; erscheint es Marianne doch an anderer Stelle bereits als Katastrophe und gravierende Zustandsverschlechterung, als Weber sich vehement gegen Arbeitspflichten zur Wehr setzt, die sie ihm bei einem Besuch ins Sanatorium mitgebracht hat (vgl. ebd., S. 256). Wahnvorstellungen lassen sich somit nicht beweisen. Auch fehlen Auslenkungen zum eindeutig Manischen hin,1 ebenso wie ein klar abgrenzbarer phasenhafter Verlauf. Andererseits sind familiäre Belastung, tiefe depressive Verstimmung mit Freudlosigkeit, psychomotorischer Hemmung, Antriebsverlust, Schlafstörungen und eine Vitalisierung der Symptomatik mit multiplen körperlichen Beschwerden als (letztlich jedoch nicht beweisende) Hinweise für ein endogen-psychotisches Krankheitsgeschehen zu werten. 1 In der sich an unseren Vortrag am 26. Juni 1991 in der Heidelberger Psychiatrischen Klinik anschließenden Diskussion hat allerdings Prof. A. Kraus auf eine positive Beziehung zwischen Hypomanie und Kreativität hingewiesen. Häufiger als bei monopolar Depressiven fände sich bei bipolar Erkrankten mit manischen und depressiven Phasen ein Persönlichkeitstypus, der durch Perioden erhöhter schöpferischer Kreativität, begleitet von gehobenem Selbstbewusstsein, Größengefühl und vermindertem Schlafbedürfnis, gekennzeichnet sei (vgl. Kraus, unveröffentlichtes Manuskript).

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Für eine neurotisch-depressive Erkrankung sprechen indessen eine klar erkennbare psychodynamische Konfliktsituation im Sinne einer unbewusst schuldhaft verarbeiteten ödipalen Konstellation und doch wohl auch ein latenter Ehekonflikt, in dem neben einer Problematik im sexuellen Bereich die berufliche und gesellschaftliche Situierung eine zentrale Rolle spielte, sowie eine klare Situationsabhängigkeit der Ausprägung des Beschwerdebildes. Kompliziert wird die Differentialdiagnose aber dadurch, dass die klassische, an Kraepelins Vorstellung von einer Krankheitseinheit manisch-depressives Irresein (vgl. Kraepelin 1909–15; Schmidt-Degenhard 1983) orientierte dichotomisierende Unterscheidung in endogene und reaktiv-psychogene Depressionen innerhalb des psychopathologischen Diskurses mehr und mehr an Überzeugungskraft verliert. Kompromissformeln wie die Annahme sekundärer Vitalisierung bei zunächst reaktiver Erkrankungsform (vgl. Schneider 1932), der Einmündung einer endogenen Depression in eine neurotische Entwicklung (vgl. Völkel 1959) oder die Einführung von Mischkategorien wie endoreaktive Dysthymie (vgl. Weitbrecht 1952) können über das klinisch-diagnostische Problem, dass bei vielen Krankheitsbildern die eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Gruppen unmöglich ist, nicht hinwegtäuschen. Hinzu tritt, dass die frühen, dem psychologischen Verstehen psychodynamischer Aspekte der Erkrankung gewidmeten Arbeiten (vgl. Freud 1917; Abraham 1912; Kant 1928) nicht etwa einer eigenen Krankheitseinheit galten, sondern den von Kraepelin beschriebenen manisch-depressiven Psychosen, während die davon abgegrenzte Kategorie neurotische Depression erst später entstand. Daraus erhellt, dass gerade in der neueren Diskussion dichotome Klassifizierungsversuche zunehmend skeptisch beurteilt werden zugunsten von Typologien, die von einem Kontinuum ausgehen (vgl. Angst 1987). Folgt man dieser neueren Sichtweise, so muss sich unsere psychopathographische Diagnostik damit begnügen, bei Weber ein depressives Syndrom zu konstatieren mit wellenförmigem Verlauf zwischen Herbst 1897 und dem Verlauf des Jahres 1902, mit Rückfällen in den Jahren danach. Anstatt einer nicht nur aufgrund der Materiallage, sondern auch aus grundsätzlichen Überlegungen unbefriedigend erscheinenden Einordnung der Erkrankung nach der Dichotomie psychogene verstehbare neurotische Depression versus biologisch bedingte unverstehbare endogene Depression, stellt sich uns die Frage nach dem krankheitstypischen biographischen und soziokulturellen Kontext. Weber selbst hat seine Erkrankung – wohl auch als Reaktion auf die ihn zur Überwindung der Krise durch Willensanstrengung auffordernden Angehörigen – zunächst als eine unverstehbare, auf physischen Ursachen basierende Nervenalteration interpretiert: So bittet er in einem während der Krise verfassten Brief an die Mutter, »daß Ihr nun glaubt, daß es nicht psychische Apathie ist, wenn ich in gewissen Übermüdungsstadien alle sog. ›Anregungen‹ ablehne, und wenn ich jetzt Urlaub genommen habe – die Sprechunfähigkeit ist rein physisch,

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die Nerven versagen, und mir vergehen dann beim Blick auf mein Kollegheft einfach die Sinne« (Weber zit. n. Marianne Weber 1926, S. 252). Später, nach Überwindung der Krise und Studium der Schriften Hellpachs und Freuds, in Diskussion mit den frühen Heidelberger Psychopathologen, beschäftigt sich Weber im Rahmen der Entwicklung seiner handlungstheoretischen Grundkategorien bezeichnenderweise auch mit den Typen menschlichen Verhaltens, die, eine spezifische Mittelstellung einnehmend, weder bewusst rationalen Motiven entspringende Handlungen darstellen, noch mit letztlich unverstehbaren, nur aus physiologischen Ursachen erklärbaren Vorgängen des psychophysischen Apparates gleichzusetzen sind. Am Beispiel der Erklärung von Änderungen in der Leistungskurve von Webereiarbeitern beschäftigt er sich in der vierteiligen Aufsatzfolge Zur Psychophysik der industriellen Arbeit mit Fällen, in denen Stimmungslagen eine Leistungsänderung bewirken. Die verursachende Gefühlslage sei in diesen Fällen introspektiv nachbildbar (vgl. Weber 1908/09, S. 247). Gemeint sind hier das Handeln motivierende affektbeladene psychische Vorgänge, die bewusstseinsfähig sind, ohne dass zugleich – und hier liegt der Unterschied zum rationalen Handeln – der Hergang dieser Beeinflussung des Handelns bewusst erlebt werde. Vorgänge dieser Art nennt Weber »psychologisch verständlich« (ebd.). Im Kontext seiner Auseinandersetzung mit Hellpach (1904) hatte Weber bereits zuvor erkannt, dass diesem Typus des affektuell motivierten, psychologisch verständlichen Handelns in psychischen Erkrankungen eine besondere Rolle zukommt, wobei für ihn der geeignete Verstehensmodus nicht, wie etwa für Jaspers (1913/1973), im Einfühlen in die Affektlage besteht, sondern in einer kritisch-diskursiven Motivrekonstruktion: »Denn wir ›verstehen‹ nun einmal das irrationale Walten der maßlosesten ›Affekte‹ genausogut wie den Ablauf rationaler ›Erwägungen‹, und das Handeln und Fühlen des Verbrechers und des Genius – obwohl wir uns bewußt sind, es nie selbst haben erleben zu können – vermögen wir im Prinzip wie das Tun des ›Normalmenschen‹ nachzuerleben, wenn es uns adäquat ›gedeutet‹ wird.« (Weber 1903–06, S. 320) Berücksichtig man diese Ansätze zu einer nicht nur privativen Bestimmung der in Webers Handlungstheorie systematischen Stellenwert innehabenden Begriffe affektuelles Handeln und (korrespondierend) psychologisches Verstehen, so ist der Weber oft gemachte Vorwurf eines rationalistischen Bias der Grundbegriffe, wie er u. a. von Gerhards (1989) vertreten wurde, so nicht haltbar. Weber behauptet eben nicht die von Gerhards unterstellte Gleichung rational = gefühllos und affektiv = irrational (im Sinne eines hemmungslosen psychophysischen Reagierens), sondern er plädiert für eine differenzierte Zwischenkategorie, die dem verstehbaren Handeln zugeordnet ist (vgl. S. Frommer u. J. Frommer 1990).

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In der bereits erwähnten Psychophysik-Schrift setzt sich Weber an anderer Stelle kritisch mit zeitgenössischen psychiatrischen Vererbungstheorien auseinander und betont, dass auf dem Gebiet der nicht organisch bedingten Erkrankungen dieses Fachgebietes, »zunächst also der Hysterie und den verwandten Neuropathien« (Weber 1908/1909, S. 372), eine Disposition zwar regelmäßige, aber »nach Freud: nicht ausnahmslose Bedingung, konkrete Erlebnisse aber Ursache der betreffenden Krankheitserscheinungen« (ebd., S. 373) darstellen. Da die insbesondere von Freud herausgearbeiteten neuroseverursachenden Erlebnisse nicht zwangsläufig eine Erkrankung zeitigten, bestehe zwischen dem betreffenden Lebensschicksal und dem entstehenden Abnormitätstypus lediglich ein Adäquanzverhältnis (vgl. ebd.), jedoch sei auch der Anteil der Vererbung »vorerst ein gänzlich vieldeutiger« (ebd.). Selbst auf dem Gebiet der endogenen degenerativen Psychosen sei eine Gesetzmäßigkeit des Erbgangs nicht sicher nachzuweisen. Besonders bei den manischen und melancholischen Zuständen liege der »Weg zu zahlreichen innerhalb der (konventionellen) Breite des ›Gesunden‹ liegenden alltagspathologischen Unterschieden der persönlichen ›Eigentümlichkeiten‹ völlig offen« (ebd., S. 374). Aus diesen Äußerungen lässt sich schließen, dass Weber die eigene Krise im Nachhinein nicht mehr als rein physiologisch zu erklärende Nervenalteration verstehen konnte, sondern erlebnisreaktiven, biographischen und kulturellen Faktoren auch im eigenen Fall größere Bedeutung zumessen musste. Weber vertritt hier einen Standpunkt, der für die psychopathologische Diskussion über die Nosologie endogener Psychosen in verschiedener Hinsicht Aktualität beanspruchen darf: zum einen wird hier das von Jaspers (1913/1973) aufgestellte Postulat einer grundsätzlichen Unverstehbarkeit krankheitstypischer Erlebnisphänomene bei den endogenen Psychosen (Schizophrenie und manisch-depressive Erkrankung) im Sinne modernerer Auffassungen kritisiert, noch ehe es von Jaspers formuliert wurde (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1990); zum anderen wendet sich Weber gegen eine polarisierende kategoriale Abtrennung schwerer (unverstehbarer) depressiver Syndrome von leichteren, als neurotisch klassifizierten (verstehbaren), zugunsten einer Kontinuitätsannahme, wie sie in der neueren Literatur (vgl. Angst 1987) präferiert wird.

Okzidentaler Rationalismus und depressive Persönlichkeitsstruktur Max Weber hat den soziokulturellen Hintergrund des von ihm selbst verkörperten Persönlichkeitstypus beschrieben als das »stahlharte Gehäuse« der entzauberten, an sich sinnlos gewordenen Welt der okzidentalen kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die dem modernen Berufsmenschen unpersönliche Dis-

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tanz, Sachlichkeit und Einordnung vorschreibt und so den »Fachmenschen ohne Geist hervorbringt« (Weber 1920a, S. 488). Parallel zu Webers gesundheitlicher Restitution sind Versuche zu erkennen, diesem Gehäuse zu entfliehen. 1903 wird seinem Wunsch nach Entpflichtung stattgegeben, es folgen wissenschaftlich äußerst produktive Jahre als Privatgelehrter. Die protestantisch-asketische Gesinnung der mütterlichen Seite seiner Herkunftsfamilie wird nicht nur theoretisch hinterfragt. Ab 1907 beschäftigt sich Weber mit der erotischen Befreiungsbewegung um Otto Gross. Zum einen beschäftigt sich Weber anlässlich der Vorlage eines für das Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik avisierten Manuskripts von Otto Gross wissenschaftskritisch mit dessen psychoanalytisch orientierter Psychopathologie (vgl. Weber 1907b). Größere persönliche Bedeutung dürfte zum anderen indessen die durch Gross angestoßene Auseinandersetzung mit Prinzipienfragen zur Sexualität und Erotik im sich um das Ehepaar Weber zu dieser Zeit bildenden Freundeskreis gehabt haben, da Weber die ambivalenten Gefühle ausgelebter sexueller Befreiungsideen von ihm geschätzter Personen nicht einfach als Folge nachgegebener Triebimpulse werten mochte (vgl. Gilcher-Holtey 1992; Schwentker 1988). Später entstehen Kontakte zur Münchner Bohème, Gräfin Reventlow und zur Monte-Veritá-Bewegung (vgl. Fügen 1985, S. 102ff.; Green 1976; Schwentker 1988; Marianne Weber 1926, S. 494–502). Die letztlich unerfüllte Ehe mit Marianne wird relativiert durch die Beziehungen zu Mina Tobler und Else Jaffé (vgl. Kaesler 1989, S. 35). Nach Ende des Ersten Weltkrieges ist Weber aus ökonomischen Gründen gezwungen, erneut in den Universitätsdienst einzutreten. 1919 entscheidet er sich für den Münchner Lehrstuhl als Nachfolger Lujo Brentanos. Im August 1919 stirbt seine Mutter Helene, im April des Jahres darauf seine jüngste Schwester Lili durch Suizid. Marianne und Max planen die Adoption ihrer Kinder. Der Umzug nach München, die Lehr- und Prüfungsverpflichtungen erschöpfen Weber (vgl. Marianne Weber 1926, S. 703). Anfang Juni erkrankt er an einer schweren Lungenentzündung, kann sich aber von der Arbeit nicht lösen. Noch am Krankenbett will er ein Doktorexamen abhalten. Die Krankheit verschlimmert sich, Weber deliriert. Am 14. Juni tritt der Tod ein. Max Webers Kulturdiagnose als Projektion ungelöster seelischer Konflikte? Dieser Einschätzung ist nicht nur die innere Plausibilität und Wirkungsgeschichte seines Werkes entgegenzuhalten, sondern auch ihre Konvergenz mit der Diagnose eines Zeitgenossen, dessen Werk ebenso wie das Webers das Selbstverständnis des Menschen im 20. Jahrhundert nicht nur erfasst, sondern auch geprägt hat. Gemeint ist Sigmund Freuds Kulturdiagnose, die die phylogenetische Menschheitsentwicklung als Geschichte der Zähmung und Unterdrückung erotischer und destruktiver Triebimpulse beschreibt. Auch Freud betont, dass

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diese Zivilisierung erkauft ist um den Preis der Entwicklung einer strafenden, Triebbefriedigung versagenden, die gesellschaftlichen Gebote repräsentierenden innerpsychischen Instanz (vgl. Freud 1930), und er erkennt die Bedeutung der durch dieses Über-Ich bedingten psychischen Konflikte für die Genese der Melancholie (vgl. Freud 1921). Es sind allerdings unterschiedliche Aspekte des Zivilisationsprozesses, die Freud und Weber interessierten. Während Freud die Entstehung der Bindung an gesellschaftliche Norm- und Wertvorstellungen im Prozess der familialen Primärsozialisation (vgl. Parsons 1964) aufgearbeitet hat, ging es Weber um die innere Logik und Entwicklungsdynamik der handlungsleitenden Normen- und Wertsysteme. Gegen den Vorwurf, seine Kulturkritik lasse allzu sehr seine subjektive Sicht erkennen, ist Freud allerdings von seinem Schüler Theodor Reik in Schutz genommen worden: »Freuds Subjektivität hat freilich ihren besonderen Charakter: noch im Persönlichen tritt das Überpersönliche hervor… Anders ausgedrückt: der Eindruck persönlicher Anteilnahme an den Problemen schließt den anderen nicht aus, daß diese Probleme dennoch schon aus einer großen Distanz gesehen sind.« (Reik 1930, S. 67) Andere Kulturkritiker wie die Frankfurter Schule (vgl. Adorno 1973) und Norbert Elias (1976) haben die Diagnosen von Weber und Freud zueinander in Beziehung gesetzt und detaillierte Untersuchungen über den gesellschaftlichen Prozess einer zunehmenden Affektkontrolle und seiner Auswirkungen angestrengt. Dieser Rationalisierungsprozess ist inzwischen weit fortgeschritten. Trotz seiner Perfektionierung im Einzelnen erschließt er die Welt doch niemals als vernünftiges Ganzes.

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Kapitel 7: Recherchen zur Krankheits- und Behandlungsgeschichte um die Jahrhundertwende

Im vorangegangenen Kapitel unternahmen wir den Versuch, einige Zusammenhänge zwischen Krankheit, Leben und Werk des Nationalökonomen und Soziologen Max Weber (1864–1920) aufzuspüren und nachzuzeichnen. Dabei gingen wir nicht von der auf Lombroso und Möbius zurückgehenden Definition aus, die Pathographie versteht als »diejenige Art der Biographie, welche körperliche Konstitution, somatische und psychische Krankheiten, erbliche Belastung, Degenerationszeichen, hysterische und epileptische Zustände, Alkoholneigung und andere pathologische Merkmale in ihrer ursächlichen Bedeutung für Wesen und Werk des Helden aufzudecken bestrebt ist« (Lange-Eichbaum u. Kurth, Bd. 1, 1985, S. 234). Vielmehr verstanden wir umgekehrt das Werk als Auseinandersetzung und – zumindest in der Sphäre des Abstrakten und Allgemeinen – gelungene Bewältigung der Grundproblematik, die im Sinne eines psychodynamischen, soziokulturellen und anthropologischen Verständnisses die Thematik der Erkrankung der betreffenden Person bestimmt. Im Falle Max Webers geht es in diesem Zusammenhang um die schwere depressive Krise, die Weber zwischen 1897 und 1902/03 erlitt. Der Blick auf Webers Werk, insbesondere die Heranziehung seiner Studien über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus, konnte vor dem Hintergrund dieses modifizierten Pathographieverständnisses deutlich machen, dass er sich hier indirekt mit den kulturhistorischen und sozialen Hintergrundbedingungen depressiven Erlebens und Verhaltens eingehend auseinandergesetzt hat. Webers Bestimmung der durch den okzidentalen Rationalismus geprägten modernen Gesellschaft als stahlhartes Gehäuse, das dem einzelnen ein hohes Maß rollenkonformer Orientierung abverlangt, konvergiert in wesentlichen Punkten mit zeitgenössischen Theorien über charakteristische Strukturmerkmale depressiver Persönlichkeiten und kann so als fruchtbarer Beitrag in den aktuellen psychopathologischen Diskurs einfließen (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1993). Einige Facetten der Frage nach der differentialdiagnostischen Einordnung, die in unserer damaligen Erörterung noch keine endgültige Antwort finden konnten, sollen uns nachfolgend beschäftigen. Das Fehlen eindeutig psychotischer Zei-

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chen und die insbesondere von Mitzman (vgl. 1984; 1988) beschriebenen psychodynamischen Gesichtspunkte sprachen eher für eine neurotische Depression, während der abrupte Beginn, die Schwere der Symptome sowie Hinweise auf eine Typus melancholicus-Persönlichkeit eher eine endogene Erkrankung vermuten ließen. Wir zogen uns daher auf eine dimensionale Betrachtungsweise zurück und sprachen von einem depressiven Syndrom im Übergangsbereich von Neurose und Psychose. Diese Position blieb nicht ohne Widerspruch. Werner Janzarik vermutet hagiographische Verwischungen in der Quellenlage durch »die Unterdrückung der von der Familie als kompromittierend empfundenen Quellen« (Janzarik 1993) und postuliert: »Die Charakterologie Webers ist eigentlich nicht die des depressiven, sondern des genialen bipolaren Menschen. … Die Andeutungen über gehäufte psychische Erkrankungen in der Familie der Mutter sprechen jedenfalls eher für schizophrene als für phasisch-melancholische Erkrankungen. Dem zwischen den Eltern erlebten Spannungsfeld dürfte ein intrapsychisches Spannungsfeld gegensätzlicher charakterologischer Anlagen des Kindes entsprochen haben, was der psychodynamischen Interpretation nichts von ihrem Wert nimmt. Das Gesamtbild lässt trotz der Retuschen immer noch am ehesten an Bipolarität im schizoaffektiven Zwischenbereich denken, wobei man nicht vergessen darf, dass zur Bipolarität auch unter diesen Sonderbedingungen häufig der Typus melancholicus Tellenbachs gehört, auf den Sie sich ausdrücklich beziehen, nur dass eben der Bipolare in psychotischen Manifestationen aus seiner strukturellen Gebundenheit ausbricht.« (ebd.) Auch D. Frießem (1993) drängt sich – wie er ebenfalls in einem Brief an die Verfasser schreibt – »der Gedanke an das Vorliegen einer Psychose geradezu auf«. Er erwägt, ob die zahlreichen Aufenthalte Max Webers in mediterranen Gefilden vielleicht im Sinne einer Lichttherapie gewirkt haben könnten und fordert eine differenziertere nosologische Klassifizierung. Dabei könne die Aufarbeitung weiterer Archivalien, insbesondere der in den Badischen Staatsakten befindlichen Personalakten, sich möglicherweise als hilfreich erweisen. Schließlich schlägt Frießem vor, das von Weber im Jahr 1900 zu einem längeren Aufenthalt konsultierte Sanatorium auf der Schwäbischen Alb näher zu recherchieren.

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Der Beginn der Krise im Sommer 1898 und die Zuspitzung um die Jahreswende 1899/1900 Entsprechend diesen Desiderata ergänzen wir unsere frühere auf die subjektive Krankheitsgeschichte und Interpretation zentrierte Darstellung durch neuere Erkenntnisse, die Licht auf die Diagnose und Behandlungsgeschichte werfen. Diesbezüglich erwies sich die im Generallandesarchiv Karlsruhe einsehbare Dienerakte Webers tatsächlich als hilfreich. Aus ihr geht hervor, dass Weber mit Schreiben vom 16. Juli 1898 unter Hinweis darauf, dass ihm das Sprechen in der Vorlesung zunehmend schwer werde, die Beurlaubung für die letzten beiden Wochen des Sommersemesters 1898 beantragt, »um im nächsten Semester wieder voll arbeitsfähig zu sein« (S. 516). Als Begründung für sein Gesuch gibt er an: »Ich leide seit Semesterbeginn derart an chronischer nervöser Schlaflosigkeit, veranlaßt nach ärztlicher Meinung durch frühere Überarbeitung, eine dazu getretene (vermutliche) Malaria-Infektion und andere schädliche Einwirkungen, daß meine Lesetätigkeit darunter empfindlich gelitten hat und nur schwer bis jetzt – von einer zweitägigen Unterbrechung abgesehen – aufrecht zu erhalten war.« (Weber 1898, S. 515) Dem beigefügten ärztlichen Zeugnis zufolge leidet er »an einer Überreizung und functionellen Schwäche des Nervensystems, die es dringend wünschenswerth erscheinen lassen, daß er sich auf weiteres jeder beruflichen Thätigkeit enthält« (Mülberger 1898a). Dieses Zeugnis vom 15. Juli 1898 trägt den Briefkopf »Konstanzer Hof Heilanstalt für Nervenkranke. Aerztlicher Vorstand: Dr. Gg. Fischer. Zweiter Oberarzt: Dr. F. Mülberger« und ist unterzeichnet mit »Dr. Mülberger«. Weber verbringt daraufhin »einige Monate in einer überfüllten unruhigen Anstalt am Bodensee«, wo er behandelt wird »mit den damals üblichen Verfahren und ungewohnten Leibesübungen aller Art«; dennoch »scheint der Zustand doch erheblich gebessert, körperlich scheinbar strotzend von Kraft, geistig unverändert, kehrt er zur Arbeit zurück« (Marianne Weber 1926, S. 248). Diese Darstellung Marianne Webers wird gestützt durch ein erneutes Zeugnis Dr. Mülbergers vom 5. Oktober 1898, in dem dieser die eingeschränkte Wiederherstellung der Arbeitskraft attestiert: »Herr Professor Weber aus Heidelberg, der sich zur Zeit als Patient in hiesiger Anstalt befindet, leidet an einer functionellen Erkrankung des Nervensystems, die sich namentlich in rascher Erschöpfung bei geistiger Arbeit äußert. Der Zustand hat sich bereits wesentlich gebessert; zur Wiederherstellung seiner absoluten Arbeitskraft, resp. seiner früheren Leistungsfähigkeit bedarf der Herr Professor jedoch noch langer fortgesetzter Schonung, insbesondere muß vorerst noch jede Arbeit am Nachmittag und Abend unterbleiben. Die Abhaltung von Vorlesungen zu diesen Tageszeiten ist ihm für das kommende Semester deshalb von ärztlicher Seite zu untersagen. Dr. Mülberger« (Mülberger 1898b)

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Unterlagen über das von Dr. Fischer geleitete Konstanzer Sanatorium, in dem Weber diesen Dokumenten zufolge aller Wahrscheinlichkeit nach von Ende Juli bis Mitte Oktober behandelt wurde, liegen uns nur in Form einer kleinen Werbeannonce vor, die 1909 in der »Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde« erschienen ist und aus der hervorgeht, dass es sich um ein Sanatorium »für Nerven- und innere Krankheiten speziell Herzkrankheiten« handelt. Leitender Arzt und Besitzer ist zu diesem Zeitpunkt Dr. Büdingen, annonciert werden folgende Therapiemethoden: »Hydro- und Elektrotherapie, Wechselstrom-, Kohlensäure-, Sauerstoff- etc. Bäder. Medikomechanisches Institut (u. a. Dr. Bogheansche Atmungsmaschine). Freiluft-Liegekuren. Klinische Einrichtungen für Krankenpflege. Röntgen-Kabinett etc.« (Werbeannonce Dr. Büdingen 1909) Einer Mitteilung von Horst Baier (1996) entnehmen wir, dass dieses Sanatorium heute nicht mehr existiert und auch keine Krankenunterlagen mehr erhalten sind. Offensichtlich versagt die Arbeitskraft Max Webers im Verlaufe des Wintersemesters 1898/99 erneut. Im Sommersemester 1899 bietet er nur ein eingeschränktes Lehrangebot an. In den Sommerferien folgen Reisen an den Eibsee und nach Venedig. Im Wintersemester nimmt Weber wiederum zunächst einen Teil seiner Lehrverpflichtungen auf. Noch vor der Jahreswende erfolgt »ein erneuter Zusammenbruch, schwerer als alle zuvor. Der Kranke zweifelt nun nicht mehr, daß für lange Zeit jedes, auch das bescheidenste, Maß von Amtspflichten sein Leiden tiefer eingräbt und seinen Geist gefährdet« (Marianne Weber 1926, S. 254). Marianne Weber zufolge reicht Weber im Dezember 1899 ein Entlassungsgesuch ein, dem allerdings nicht stattgegeben wird. Stattdessen erfolgt eine Beurlaubung, die zunächst ab Wintersemester 1900/01 gewährt wird, weil erst für dieses Semester die auf Initiative Webers hin geplante Besetzung des zweiten Lehrstuhls für Nationalökonomie mit Karl Rathgen vorgesehen ist. Im Laufe des Sommersemesters 1900 nehmen die Beschwerden zu und Weber fühlt sich bedroht – so die Schilderung seiner Ehefrau Marianne – durch das Gefühl, »als könne er in den Wirbel eines den Geist verdunkelnden Erregungszustandes geraten« (ebd., S. 255). Weniger dramatisch liest sich die Beschreibung von Webers Zustand zu dieser Zeit in dem ärztlichen Attest, das der Heidelberger Internist, Pädiater und Direktor der Universitäts-Poliklinik Prof. Dr. Oswald Vierordt, am 21. Mai 1900 ausstellt und aus dem hervorgeht: »Der ord. Professor der Nationalökonomie, Herr Dr. Weber, leidet an schwerer und hartnäckiger Neurasthenie und bedarf zur Wiederherstellung seiner Gesundheit eines langdauernden Fernbleibens von allen Geschäften. Ich habe ihm den Rath erteilt, vorläufig um einen Urlaub für das Wintersemester 1900/01 einzukommen. Prof. Vierordt« (Vierordt 1900a)

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Die Diskrepanz zwischen der Darstellung Marianne Webers, die eine Geisteskrankheit zu diesem Zeitpunkt, wenn nicht vermuten lässt, so doch in den Raum stellt, und der nüchternen Formulierung des behandelnden Arztes bedarf näherer Betrachtung. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass Marianne Weber ihrem Mann genau genommen nicht einen »den Geist verdunkelnden Erregungszustand« attestiert, sondern von einer hypochondrischen Befürchtung Max Webers spricht, dahingehend, dass er in einen solchen Zustand geraten könne. Außerdem deutet auch ein Brief, den Marianne Weber am 8. Juni 1900 an Max Webers Mutter Helene schreibt, von einer Sichtweise, die sich mit derjenigen Vierordts deckt. Hier plant Marianne Weber Reisen nach Ajaccio und Capri für ihren Mann, »da ihr Klima u. die landschaftliche Schönheit als gerade für Neurastheniker günstig bezeichnet wird« (Max Weber-Schäfer zit. nach Ruopp o. J.). Die Dienerakte Max Webers enthält noch zwei weitere Atteste Prof. Vierordts. Das erste dieser beiden Gutachten wirft Licht auf die Entwicklung des Gesundheitszustandes im Laufe des Jahres 1900: »Nach dem mir vorliegenden, das Befinden des Herrn Prof. Max Weber dahier betreffenden Krankheitsbericht des z. Z. behandelnden Arztes Dr. Klüpfel in Urach, sowie nach meiner persönlich genommenen Anschauung des Leidens, bescheinige ich hiermit: daß eine Wiederaufnahme der Vorlesungen seitens des Patienten, angesichts des bisherigen Verlaufs der Krankheit, zu Ostern kommenden Jahres voraussichtlich noch nicht möglich sein wird. Heidelberg, 14. 11. 1900 Prof. Dr. O. Vierordt« (Vierordt 1900b)

Der Sanatoriumsaufenthalt in Urach im Sommer und Herbst 1900 Vierordt erwähnt in seinem Attest Webers zweiten Sanatoriumsaufenthalt, der vom 2. Juli bis zum 17. November 1900 in Urach – heute Bad Urach – auf der Schwäbischen Alb stattfand. Marianne Weber, die die Dinge regelt, entscheidet sich gegen das von Vierordt empfohlene St. Blasien und folgt stattdessen dem Rat einer Bekannten (vgl. Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 8. Juni 1900 zit. nach Ruopp o. J.). Vor Beginn dieses Aufenthaltes wird beschlossen, »für lange Zeit den Ort der Qual zu verlassen und den Haushalt aufzulösen« (Marianne Weber 1926, S. 278). Die Haushaltsauflösung betrifft allerdings nicht, wie Ruopp (o. J.) annimmt, die erst später bezogene Wohnung im Fallensteinschen Haus, sondern Webers damalige Wohnung in der heutigen Friedrich-EbertAnlage (vgl. Marianne Weber 1926, S. 251). Vom 2. bis 12. Juli, 1. bis 3. August und ca. 10. Oktober bis 17. November hält sich auch Marianne Weber in Urach auf (vgl. Weber-Schäfer 1985).

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Die Heilanstalt, in die sich Weber diesmal begibt, wurde 1883 von Sanitätsrat Dr. Richard Klüpfel als »Sanatorium für Nervenleidende und Erholungsbedürftige« (R. Klüpfel 1901, S. 3) begründet. Bis 1939/40 wurde dieses Sanatorium vom Sohn des Gründers, Dr. Otto Klüpfel, zusammen mit seiner Schwester Gertrud, geführt (U. Klüpfel 1993). Während Webers Aufenthalt wurde der 1901 eröffnete Neubau Hochberg errichtet, der heute noch – anderweitig genutzt – steht, während das Stammhaus nicht mehr existiert. Die Einrichtung verstand sich als »eine Heil- und Pflegestätte für Leidende und Erholungsbedürftige der gebildeten Stände« (ebd., S. 3). Während St. Blasien in den Augen Marianne Webers als eleganter Modekurort erscheint, in dem für außerhalb des Kurhauses logierende Gäste kaum die Möglichkeit ausreichender ärztlicher Fürsorge existiert, wurde ihr der Leiter der Uracher Anstalt »als sehr sympathische, energische kluge Persönlichkeit geschildert, der sich eingehend um seine Kranken kümmert« und dabei fordert, »daß man sich ganz in seine Hände begibt« (Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 8. Juni 1900 zit. nach Ruopp o. J.). Vorsorglich weist Klüpfel in der Werbebroschüre seiner Anstalt darauf hin, dass der Gast in dem »Waldstädtchen« Urach »außerhalb des Sanatoriums entblößt sein werde von den Hilfsmitteln des modernen Kulturmenschen« (R. Klüpfel 1901, S. 23f.). Krankenakten über die fünf Monate dauernde Behandlung in Urach sind laut Auskunft des Enkels des Sanatoriumsleiters nicht mehr vorhanden (U. Klüpfel 1993). Allerdings existiert die bereits erwähnte Werbebroschüre, die eine eingehende Beschreibung des von dem »Psychopraktiker« (ebd.) Dr. Richard Klüpfel bevorzugt behandelten Klientels beinhaltet: »Unter den Nervenkrankheiten im allgemeinen ist es eine spezielle Gruppe, die von jeher das größte Kontingent zur Füllung der Sanatorien und speziell unseres Hauses gestellt hat; das sind die Neurastheniker. Ihnen haben wir von jeher die meiste Mühe und Aufmerksamkeit zugewandt und an ihnen haben wir auch die meisten Erfolge erleben dürfen. … Freilich der Begriff Neurasthenie ist ein etwas vager, und man kann nicht sagen, dass alle Neurastheniker dieselbe Aussicht zum Gesundwerden haben. Wir denken bei unserer Einladung vor allem an diejenigen, die im Kampfe des Lebens durch übermässige anhaltende Arbeit, durch Sorgen, durch Kollisionen, durch Gemütserschütterungen, durch unzweckmäßige Lebensweise, schlechte Gewohnheiten notgelitten haben, aber auch an solche, die infolge erblicher Veranlagung gesundheitlich ungünstig gestellt, vielleicht schon durch relativ geringfügige Schädlichkeiten in ihrer Leistungsfähigkeit eingebüsst haben.« (R. Klüpfel 1901, S. 8) Als weitere Hauptindikationsgebiete werden »Hysterie« und »Neuropsychosen« genannt, wobei unter der zuletzt genannten Kategorie »Übergangsformen von nervöser zu seelischer Erkrankung« (ebd., S. 9) verstanden werden. Zur Erläuterung fügt Klüpfel hinzu: »So vollständige Klarheit darüber herrscht, dass

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wir die eigentlichen Psychosen, die ausgesprochenen Geisteskrankheiten, aus unseren Sanatorien strengstens fern zu halten haben, so sehr bedarf unsere Auffassung, die wir bezüglich der Aufnahmefähigkeit bei den Übergangsformen haben, einer näheren Darlegung.« (ebd., S. 9) Es folgt ein engagiertes Plädoyer für die Sanatoriumsbehandlung gerade der schweren nervösen Störungen im Übergangsbereich zu den körperlich begründeten eigentlichen Psychosen, wobei Klüpfel die Mitwirkung von einweisenden Ärzten und Angehörigen bei der richtigen Indikationsstellung hervorhebt und beklagt, »besonders die Angehörigen haben hie und da die verhängnisvolle Tendenz zum Vertuschen, um so mehr sind wir auf eine genaue und objektive Berichterstattung der Ärzte angewiesen« (ebd., S. 10). Bei den angewandten Kurmitteln stehen »Bäder und andere Wasseranwendungen« an erster Stelle. Es folgen »Anwendung örtlicher Elektrizität«, »Heilgymnastik« und »Massage«, wobei sich Klüpfel von einer Überbewertung technischer Therapiemethoden distanziert: »Diejenigen Heilfaktoren, die nicht an den Gebrauch von Apparaten gebunden sind, sind für viele Nervenkranke die wichtigsten« (ebd., S. 12f.). Klimatische Verhältnisse und bauliche Einrichtungen sind hier ebenso von Bedeutung wie reine Luft und frisches Wasser. Das ärztliche Regime zielt auf ein ausgewogenes Verhältnis von Ruhe und Bewegung (vgl. ebd., S. 14ff.). Zu Beginn der Uracher Behandlung ist in Webers Gesundheitszustand der »Tiefstand … erreicht« (Marianne Weber 1926, S. 256). Marianne Weber schreibt ihrem Mann Kärtchen zur Mitteilung seines Zustandes vor, »die er nur mit zwei Worten auszufüllen braucht« (ebd., S. 256). Zur Illustrierung des Zustands berichtet Marianne im »Lebensbild« über folgende Begebenheit: Während des Uracher Aufenthaltes trägt sie Weber das Habilitationsanliegen eines Schülers vor, der als Jude mit großen Schwierigkeiten bezüglich seines Vorhabens zu kämpfen hatte. Weber diktiert ihr in dieser Angelegenheit einen vierseitigen Brief, wozu er trotz seines Zustands lediglich eine Viertelstunde benötigt. Dann aber kehrt sich seine Aufregung »zum erstenmal gegen mich: ich sorgte ja doch nicht dafür, daß er Ruhe bekäme, und jetzt wäre er wieder für Wochen zurückgeworfen, und er müsse Ruhe haben, auch wenn die Leute darüber ›krepierten‹, bei ihm stünde auch was auf dem Spiel – kurz, er war einfach außersich, und ich mußte ihm himmelhoch versprechen, daß ich ihm in den nächsten Wochen keinen einzigen Brief, der ihn an seinen Beruf erinnert, einhändige. Ich solle alles allein abmachen und den Leuten ihre Briefe zurückschicken. ›Und wenn sie mich für verrückt halten‹.« (ebd., S. 256) Wie bereits in unserer vorangegangenen Arbeit (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1993) ausgeführt, meinen wir, dass die geschilderte Szene eher auf eine erste Besserung in Webers Zustand hindeutet als dass sie – wie Marianne meint – Webers »Tiefstand« dokumentiert. Erstmals erscheint hier die von Marianne in

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süßlichen Worten beschriebene Harmonie gestört und es wird – wie wir meinen – der oder zumindest ein zentraler Grundkonflikt von Webers Krise deutlich. Diesen Konflikt beschreibt er 17 Jahre später in seiner Rede über »Wissenschaft als Beruf« mit folgenden Worten: »Jeder junge Mann, der sich zum Gelehrten berufen fühlt, muß sich vielmehr klar machen, daß die Aufgabe, die ihn erwartet, ein Doppelgesicht hat. Er soll qualifiziert sein als Gelehrter nicht nur, sondern auch: als Lehrer« (Weber 1919a, S. 78). Offensichtlich wird ihm in seiner Krise zunehmend bewusst, dass seine forscherischen Ambitionen und seine umfangreichen Lehrverpflichtungen nicht miteinander zu vereinbaren sind. Auf beiden Gebieten unterstellt er sich höchsten Ansprüchen und er erkennt allmählich, dass diese Ansprüche nicht realisierbar sind. Die Krise kann daher erst enden, nachdem eine Entscheidung für einen der beiden gefallen ist und gegen den anderen. Von dieser Entscheidung ist Weber zum Zeitpunkt des Uracher Aufenthaltes noch ein Stück weit entfernt. Insgeheim zeichnet sich seine Wahl aber bereits ab. Ihn scheint der al pari-Dialog unter gleichgestellten Fachkollegen doch deutlich mehr zu interessieren als die pädagogische Attitude des großzügig fördernden Lehrers, der sich von begabten und weniger begabten Schülern idealisieren lässt. Anders war die Prioritätensetzung möglicherweise bei Marianne gelagert, für die bezüglich des kollegialen Fachdialogs keine Funktion blieb, während sie in der Vermittlungsrolle zwischen Schüler und Lehrer doch eine für sie befriedigende Funktion zu finden können glaubte. Im Uracher Sanatorium bessert sich sein Zustand allmählich – unter der von Marianne in dem bereits erwähnten Brief an Helene Weber vom 8. Juni 1900 beklagten ärztlich verordneten Trennung zwischen ihr und ihrem Gatten. Er »übt sich in Spaziergängen auf der Hochebene der Rauen Alb« (Marianne Weber 1926, S. 257). Gerne nützt er die Gelegenheit zu Fahrten mit dem Wagen, wobei er den Anblick der Landschaft genießt. Allerdings: »jede Problematik muß ihm fern bleiben, selbst lieber Besuch bedeutet Anstrengung« (ebd.). Im Gespräch mit dem Arzt werden die »Zukunftschancen« besprochen, wobei Weber erkennt: »Daß ich in irgend absehbarer Zeit regelmäßige, an feste Stunden gebundene Arbeit ohne die Gefahr alsbaldiger Wiederkehr des Höllenzustandes vom Frühjahr tun könnte, ist wohl fast ausgeschlossen. Deshalb müssen wir unser Herz nicht an die Heidelberger Stelle hängen – ich betrachte es als ein Geschenk des Himmels, daß ich nicht mit Ehrgeiz belastet und ziemlich ›wurschtig‹ bin, und für die ›Welt‹ ist niemand leichter zu ersetzen als ein Dozent. Psychisch wäre es vielleicht sogar besser, wenn die Verhältnisse gestattet hätten, gleich voll zu verzichten.« (Weber zit. n. Marianne Weber 1926, S. 258)

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Webers Auslandsreisen ab Herbst 1900 und seine Entlassung im Herbst 1903 Nach Gewährung einer erneuten Verlängerung der Beurlaubung bei erhaltener Besoldung folgen im Anschluss an die Uracher Therapie Auslandsreisen, zunächst nach Korsika, dann nach Rom. Trotz teilweise widrigen Wetters und der Begleitung durch einen nervenkranken Vetter (Otto Benecke, 1879–1903), den Marianne und Max Weber vorübergehend zur Teilnahme an ihrer Reise einladen, bessert sich Webers Zustand kontinuierlich. Nach einem langen Aufenthalt in Rom und anderen historischen Stätten Mittelitaliens begeben sie sich im Sommer 1901 in die Schweiz, wo sich Webers Zustand noch einmal für kurze Zeit verschlechtert. Anschließend folgt ein erneuter Aufenthalt in Rom von Oktober 1901 bis März 1902. Danach beziehen Max und Marianne Weber ihre neue Wohnung in der Heidelberger Hauptstraße. Im Juni 1901 reicht Weber ein abermaliges Urlaubsgesuch ein unter Beilegung des dritten Attestes des Heidelberger Internisten Vierordt: »Aus den Mitteilungen, welche mir Herr Prof. Dr. M. Weber aus Rom über seinen Zustand hat zugehen lassen, ist zu entnehmen, daß die Erscheinungen der schweren und hartnäckigen Neurasthenie zwar zurückgegangen, aber durchaus noch nicht völlig verschwunden sind. Ich kann es unter diesen Umständen nicht verantworten, dem Patienten die Rückkehr zur Thätigkeit im Wintersemester 1901/02 anzurathen, glaube vielmehr sein Urlaubsgesuch bis Ostern 1902 von meinem Standpunkt aus befürworten zu sollen. Ich halte für möglich, daß nach Ablauf dieses neuen Urlaubs Herr Prof. Weber seine Thätigkeit an der Universität wieder wird aufnehmen können. Heidelberg 8. Juni 1901 Prof. Vierordt« (Vierordt 1901) Nach Ablauf der gewährten Frist reicht Weber während seiner Rückreise aus Italien sein Entlassungsgesuch ein: »Das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts bitte ich ehrerbietigst Allerhöchsten Ortes meine Entlassung aus meinem derzeitigen Amte und meine Überführung unter die nicht etatsmäßig verwendeten Mitglieder des Lehrkörpers der Heidelberger Hochschule erwirken zu wollen« (Weber 1902, S. 814). Zur Begründung führt Weber an: »Trotz sehr wesentlicher Besserung meiner Gesundheit muß ich vorerst noch mit so häufigen Unterbrechungen meiner Arbeitsfähigkeit rechnen, daß ich für das bevorstehende Semester noch gar nicht und auch für das dann folgende nur in beschränkter Weise den Lehrerverpflichtungen werde nachkommen können, die mein Amt mit sich bringt, – und daß ferner eine Vereinigung von wissenschaftlicher Produktion und Lehrtätigkeit derart, wie sie von dem Inhaber einer ordentlichen Professur erwartet werden muß, für mich noch für längere Zeit nicht möglich erscheint.« (ebd.) Weber wünscht sich in seiner Korrespondenz mit dem Ministerium stattdessen eine Titularprofessur, die ihn

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lediglich zu Seminarveranstaltungen verpflichtet. Dieser Wunsch geht allerdings aufgrund des Widerstands der Fakultät nicht in Erfüllung. Auf Webers erneutes Entlassungsgesuch vom April 1903 hin wird er zum Oktober 1903 entlassen, oder, wie es in Mariannes pathetischer Verklärung heißt, »auf der Höhe der Mannesjahre aus seinem Königreich verstoßen« (Marianne Weber 1926, S. 276).

Differentialdiagnostische und nosologische Überlegungen zu Max Webers »Neurasthenie« Fasst man die Krankengeschichte aus der Perspektive der hier ausgewerteten Dokumente zusammen, so erlitt Weber nach dem Tod seines Vaters – vorangegangen war ein heftiger Vater-Sohn-Konflikt (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1993) – und der Übernahme des Heidelberger Lehrstuhls eine depressive Krise mit Insomnie und multiplen somatoformen Beschwerden, die im Frühjahr 1898 beginnt. Zunächst wird eine Malariainfektion differentialdiagnostisch diskutiert, die sich Weber auf einer Spanienreise im Sommer 1897 zugezogen haben könnte, die weiteren ärztlichen Gutachten von Dr. Mülberger, Konstanz, und Prof. Vierordt, Heidelberg, lassen aber an der Diagnose einer nervösen Affektion im Sinne einer »Neurasthenie« keinen Zweifel. Während des Konstanzer Sanatoriumsaufenthaltes im Sommer 1898 bessert sich Webers Beschwerdebild, nach seiner Rückkehr in seine berufliche Tätigkeit kommt es zum Rückfall. Der Sanatoriumsaufenthalt in der Klinik Dr. Klüpfel, Urach, der von Juli bis November 1900 erfolgte, brachte eine durchgreifende Besserung seines Zustands, zeitgleich mit dem immer deutlicher werdenden Entschluss, sich auch gegen die Vorstellungen seiner Frau Marianne in der Konfliktfrage Lehrer-Forscher für eine Existenz als Gelehrter zu entscheiden. Zieht man die eingangs zitierten Stellungnahmen von Frießem und Janzarik hinzu, so mag die Diagnose »Neurasthenie« dann nicht befriedigen, wenn sie – etwa im Sinne der Degenerationslehre – mit der »asthenischen Psychopathie« (vgl. Schneider 1959) in eins gesetzt wird. Das hohe energetische und kreative Potential Webers vor und ebenso nach der Krise spricht tatsächlich eindeutig gegen die Annahme einer konstitutionellen Minderbelastbarkeit. Zu Beginn des Jahrhunderts wurde der Begriff aber in Abweichung von dieser Bedeutungskomponente auch für Syndrome verwandt, bei denen psycho- und soziogene Einflüsse bei primär leistungsfähiger Persönlichkeit zu krisenhaften Einbrüchen führen, die bei unzureichender Behandlung zur Chronifizierung tendieren. Enge Beziehungen der »reizbaren Schwäche« bestehen zum Begriff der »Nervosität« und zum sich erst allmählich herausschälenden Begriff der »Neurose«.

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So verzeichnet beispielsweise Kraepelin 1916 die »Nervöse Erschöpfung« unter den »psychogenen Erkrankungen« und gibt folgende Definition: »Immerhin kann eine mit Anspannung aller Kräfte längere Zeit fortgesetzte Tätigkeit einerseits eine gewisse nervöse Überreizung, andererseits eine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit durch Dauerermüdung herbeiführen. Schädigend wirkt hier vor allem die begleitende gemütliche Erregung, die durch Störung des Schlafes und der Eßlust einen rechtzeitigen und vollständigen Ausgleich des Kräfteverbrauches verhindert. Die Erscheinungen sind Sinken der Leistungsfähigkeit, Steigerung der Ermüdbarkeit, mißmutige, gedrückte Stimmung mit hypochondrischen Anwandlungen, Reizbarkeit, Arbeitsunlust, dazu Kopfdruck, Schwindelgefühl, Zittern, Mißempfindungen, Herzklopfen. Lassen sich diese Krankheitszeichen, wie sie das Bild der ›Neurasthenie‹ zusammensetzen, auf bestimmte, greifbare Anlässe zurückführen, während andere Leiden (Paralyse, Hirnlues, Melancholie, Arteriosklerose, Dementia paraecox) ausgeschlossen werden können, so darf man mit Sicherheit auf baldige, völlige Wiederherstellung durch körperliches und seelisches Ausspannen, Regelung des Schlafes (Bäder, kleine Bromgaben, gelegentliche Schlafmittel) und reichliche Nahrungsaufnahme rechnen.« (Kraepelin 1916, S. 352) Ähnlich wie Freud es für die hysterischen Neurosen versucht hat, beleuchtet Kraepelins Zeitgenosse Willy Hellpach – bei Wundt und Kraepelin doppelt promovierter Psychologe und Psychiater – eingehend die psycho- und soziogenetischen Hintergründe der nervösen Neurasthenie, die für ihn eine pathologische Steigerungsform der Reizsamkeit darstellt (vgl. Hellpach 1902c, S. 12). Wie bei der konstitutionellen Neurasthenie treten bei der erworbenen Nervosität pathologische Affektreaktionen auf. Bei diesen Menschen treten »auch die allergewöhnlichsten Eindrücke und Erinnerungen mit starken Gefühlsbetonungen auf … unterm Bilde eines hochgeschraubten Gefühlskontrastes« (ebd., S. 14). Während der psychodynamische Mechanismus der hysterischen Phänomene für Hellpach also darin zu sehen ist, dass Affekte abgekoppelt von den zugehörigen kognitiven Inhalten zu diffusen Stimmungen und unbewussten Ausdruckshandlungen drängen, erscheint er bei der Nervosität umgekehrt als übersteigerte Aktualisierung an sich zugehöriger Affekte durch präsente Vorstellungen und Erinnerungen. Hellpach sieht Reizsamkeit und Nervosität in vielfachen Verschränkungen mit der Entwicklung der modernen Kultur, wobei der »Auflösung der alten religiösen Gewissheit« (ebd., S. 123) mit konsekutiver »Reflexion über sich selber« (ebd., 133), wie sie insbesondere in der ästhetischen Kultur zu verzeichnen sei, entscheidende Bedeutung zukomme. Vom Standpunkt einer historisch verstandenen Sozialpathologie interpretiert er die der Hysterie zugrunde liegende Lenksamkeit als kindheitstypisches Primitivphänomen, das sich besonders stark ausgeprägt findet in historisch frühen Epochen (Mittelalter), bei sozial benachteiligten Klassen (Proletariat) und – für

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unser heutiges Verständnis besonders problematisch – beim weiblichen Geschlecht. Auf der anderen Seit liegt die von Reizsamkeit geprägte bürgerliche Welt, bei der nicht, wie bei der Lenksamkeit, von einer »Erschlaffung der apperzeptiven Funktionen« (Hellpach 1902b, S. 318) auszugehen ist, sondern gerade das Gegenteil der Fall zu sein scheint: »Das Wachstum der Städte, die zunehmende Beweglichkeit des öffentlichen Lebens, eine stattliche Zahl von Rezeptionen fremder Einflüsse gestalteten das Bild der Welt bunter und unruhiger. Da aber eine organische Fortbildung des phantastischen Apperzipierens zu mehr begrifflicher Auffassungs- und Verarbeitungsweise vorerst noch mangelt, so gerät das psychische Reagieren in eine gewisse Hast und Überstürzung, in ein Bestürmtwerden von Eindrücken, die noch alle in ihrer unmittelbaren Frische festgehalten sein möchten: eine übermäßige apperzeptive Inanspruchnahme des Individuums setzt also ein; sprunghaftes Aufschießen von Ideen, ein Nachlassen der Stilsicherheit, wie man es nennen könnte, im ganzen Leben, ein Durchbrechen und Abbröckeln der Gebundenheit und Geschlossenheit an allen Ecken und Enden. Es sind die Geburtswehen des Individualismus, die sich ankündigen.« (Hellpach 1904, S. 484)

Anfang der 1960er Jahre wurden Hellpachs sozialpathologische Thesen von Walter von Baeyer aufgegriffen, der festzustellen glaubte, »daß sich der Leidensstil der Epoche in gewisser Hinsicht gewandelt hat, … daß psychogene und soziogene Reaktionen seltener im Gewande hysterischer ›Darbietungsformen‹ und immer häufiger als blande ›Intimformen‹ eines neurasthenischen, adynamischen Versagens zutage treten« (v. Baeyer 1961, S. 193). Neben Hellpach bezieht sich von Baeyer auf Stertz, der eine Steigerung der Beanspruchung der nervösen Substanz bei Ausschaltung der Erholung mit konsekutiver psychophysischer Erschöpfung postuliert und von einer exogenen neurasthenischen Reaktion bzw. einer neurasthenischen Erschöpfungsreaktion spricht. Von Baeyer zufolge ist die banale Erschöpfungsreaktion des klinischen Alltags in ganzheitlich-anthropologischer Sicht durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Erstens durch das subjektive Erleben von »Ohnmacht«, im Sinne »leibseelische(r) Kraftlosigkeit, Nicht-mehr-bewältigen-Können früher ›gekonnter‹ Leistungen« (ebd., S. 195); zweitens durch »Spannungslosigkeit« sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht; drittens durch eine »lustlos, moros, resigniert« und »flach-nivellierte« emotionale Negativ-Tönung (vgl. ebd., S. 196); viertens durch ein Rückzugsverhalten gegenüber der Mitwelt; und schließlich fünftens durch das Gefühl von Zukunftslosigkeit und Endzeitstimmung. Insgesamt erscheint diese Reaktionsweise getragen von einer »unwillentlich-willentliche(n) Kapitulation vor dem allzu Schweren, vor dem ›zu viel‹, ein Versagen und in eins damit ein Sich-versagen angesichts der zu schweren Daseinsforderung« (ebd., S. 197). Patienten, die über eine derartige Symptomatik klagen, bestimmen auch in der Gegenwart nicht nur das Bild spezialisierter Nervenarzt- und Psychothera-

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pie-Praxen, sondern gleichermaßen die Situation in weniger spezialisierten Institutionen des Gesundheitswesens. Ca. 30 Prozent einer repräsentativen Stichprobe aus der Normalbevölkerung klagte im Rahmen der Mannheimer Kohortenstudie über depressive Symptome in den vergangenen sieben Tagen, wobei vier bzw. viereinhalb Prozent bei einer Nachuntersuchung drei Jahre später die Symptomatik so ausgeprägt angaben, dass sie als neurotisch-depressiv eingestuft wurden (vgl. Reister u. Schepank 1989).

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Kehren wir abschließend zu den zitierten Kommentaren zu unserer ersten pathographischen Arbeit über Max Webers Krankheit zurück, so bleibt das Desiderat einer Präzisierung der differentialdiagnostischen Einordnung. In Bezug auf Janzariks Vermutung hagiographischer Verwischungen bezüglich einer manifesten manischen oder schizophrenen Symptomatik ist festzuhalten, dass auch unsere neuerlichen Recherchen keinen derartigen Beweis erbrachten. Vielmehr scheint es eher so, dass vonseiten der Ehefrau und Biographin Marianne Weber Andeutungen in Richtung auf eine »Verdunkelung des Geistes« zu verzeichnen sind, während die ärztlichen Gutachter diese These nicht stützen. Zuzustimmen ist Janzarik allerdings bezüglich seiner Diagnose bipolarer Anteile in der Persönlichkeit Webers, die anders als die reine Typus melancholicus-Struktur geprägt ist durch »Temperament, Extraversion und Aktivität« (Kröber 1988, S. 326). Das Hauptdilemma der nosologischen Einordnung besteht darin, dass die in Betracht gezogenen Diagnosen kontext- und theorieabhängig unterschiedliche Bedeutungsvarianten implizieren und die am angelsächsischen operationalen Denken orientierte Kontinuumsannahme lediglich die gemeinsame pathologische Endstrecke depressiver Syndrome fokussiert, ohne persönlichkeits- und biographiespezifischen Hintergründen gerecht zu werden. Den Weg aus dieser Schwierigkeit weist möglicherweise der von Mundt (1996) publizierte Vorschlag, die operationale Diagnose einer (leichten, mittelgradigen oder schweren) Depression stets zu verbinden mit einer Persönlichkeitsdiagnose. Dabei stehen nach seiner Auffassung drei charakteristische Persönlichkeitstypen zur Auswahl: der durch hypernome-heteronome Überanpassung gekennzeichnete Typus melancholicus, die durch prekäre Selbstwertregulation und abnorme Kränkbarkeit charakterisierte narzisstische Struktur sowie schließlich die vermeidend-asthenische, rückzugsorientierte und dependente depressive Struktur. In unserer ersten pathographischen Arbeit hatten wir die Typus melancholicus-Züge in Webers Persönlichkeit und die indirekte Bearbeitung der damit verbundenen kulturhistorischen Hintergründe in seinem Werk herausgearbeitet. Wie Mundt es bei einem depressiven Patienten mit narzisstischen Zügen be-

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schreibt, trifft aber darüber hinaus für Max Weber zu: »Der Unterschied zur Normorientiertheit der Typus melancholicus-Strukturen lag in der Ausstrahlung von Ansprüchlichkeit, dem Anspruch, besser zu sein als andere, daraus rivalisierendem Verhalten, außerordentlicher Kränkungsbereitschaft, eher Bipolaren vergleichbar, aber auch vom Typus manicus durch fehlende Syntonie und fehlende Fähigkeit, in Kontakt und Gemeinschaft aufzugehen, unterschieden.« (ebd., S. 189) Vor dem Hintergrund dieser neuen Befunde präzisieren wir unsere differentialdiagnostische Einschätzung dahingehend, dass Weber unter einer von Rezidivierung und möglicherweise auch einer gewissen Chronifizierung bedrohten – zeitweise schweren – depressiven Neurose litt vor dem Hintergrund einer Persönlichkeit mit Typus melancholicus-Zügen und Zügen, die wir je nach theoretischem Kontext als bipolar oder narzisstisch bezeichnen möchten. So wird auch Mariannes Metaphorik des von seinem Thron verstoßenen Königs verständlich und darüber hinaus die Überschrift des Kapitels im »Lebensbild«, welches Webers Krankheit zum Inhalt hat. Wie sollte sie anders lauten als »Absturz« (Marianne Weber 1926, S. 239). Bestätigt wird unsere Diagnose denn auch durch die 28 Jahre nach dem Tod Max Webers publizierte Autobiographie Marianne Webers, in der sie mit Bezug auf Webers Krankheit von einer »vieljährigen schweren Neurose« (Marianne Weber 1948, S. 56) spricht.

Teil IV: Erträge für Praxis und Forschung

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Kapitel 8: Psychotherapie als Beruf

Der 1992 gefasste Beschluss des Deutschen Ärztetages zur Schaffung eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin – später umbenannt in Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie – signalisierte einen Umbruch des Berufsbildes »Psychotherapeut« mit weitreichenden Veränderungen. Waren Ärzte bis zu diesem Zeitpunkt auch Psychotherapeuten, so wurden sie es nun der Identität nach ausschließlich oder doch zumindest hauptsächlich. Ein ähnlicher Professionalisierungsschritt erfolgte bei den psychologischen Psychotherapeuten mit der Implementierung des Psychotherapeutengesetzes ab 1999. In Österreich war die Entwicklung insofern noch einen Schritt weiter gediehen, als hier seit Anfang der 1990er Jahre mit Gesetzeskraft Psychotherapie im Rahmen eines Psychotherapeutischen Propädeutikums als grundständiges Universitätsstudium angeboten wird. Auch diese Entwicklung hat mit der Einführung grundständiger B.Sc.- und M.Sc.-Studiengänge für das Fach Psychotherapie inzwischen die BRD erreicht. Waren zumindest die Psychotherapeuten mit medizinischer Ausbildung in der Zeit davor auf die in langer Tradition stehenden Regeln ärztlicher Ethik verpflichtet und in die entsprechenden Kontrollorgane ihres Standes eingebunden, so erhob sich mit der Professionalisierung der Psychotherapie zum eigenständigen Beruf zunehmend die Frage einer psychotherapeutischen Ethik oder, allgemeiner ausgedrückt, einer allgemeinen psychotherapeutischen Handlungslehre. Über einige Grundlinien, die von dieser auch heute in weiten Teilen noch ausstehenden Lehre zu berücksichtigten sind, handelt dieser Beitrag. Dabei stützen wir uns, wie der Titel unschwer erkennen lässt, auf zwei Reden, die der Nationalökonom und Soziologe Max Weber 1917 und 1919 auf Einladung der Münchner Studentenschaft gehalten hat. In dieser Zeit gesellschaftlicher Umbrüche nach Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches reflektiert Weber in »Wissenschaft als Beruf« und »Politik als Beruf« Profil und Wesenszüge zweier im Zentrum des Zeitgeschehens stehender Berufsgruppen. Analogien zu unserem Thema mögen, auch wenn sie sich rasch

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aufdrängen, als weit hergeholt und aufgezwungen erscheinen. Auch der Psychotherapeut strebt nach Erkenntnis, und selbstverständlich ist er – wenn man die Analogie weit genug treibt – auch »politisch« Handelnder im Spannungsfeld unterschiedlichster Interessen. Zieht man gar aktuelle berufspolitische Fragen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Einrichtung universitärer und außeruniversitärer Abteilungen und Kliniken heran, oder richtet den Blick auf die ökonomischen und organisatorischen Bedingungen im ambulanten Feld, so wäre es sicherlich interessant und hilfreich, Webers Ausführungen als – allerdings manchmal ernüchternden – Leitfaden für die in diesem Feld Aktiven zu empfehlen. Derartiges soll jedoch nicht Gegenstand unserer Überlegungen sein. Wir folgen hier indessen Weber in dem Versuch einer idealtypischen Bestimmung formaler, also schulenübergreifend-gemeinsamer Wesensmerkmale einer als soziale und gesellschaftliche Kategorie verstandenen Berufsgruppe. Handlungsmaximen werden dabei allenfalls indirekt und sehr allgemein angesprochen werden. Allerdings soll unmissverständlich deutlich werden, bei welchen Optionen auf der Ebene basaler Handlungsregeln und Wertorientierungen welche konsekutiven Entwicklungen in der konkreten beruflichen Alltagsrealität zu gewärtigen sind.

Ethische Probleme des psychotherapeutischen Prozesses In der Psychotherapieforschung ist innerhalb des vergangenen Jahrzehnts ein Paradigmenwechsel erfolgt, der in der Einsicht gründet, dass Erfolg und Wirkungsweise von Psychotherapien nur dann verstanden werden können, wenn die Interaktion von Patient und Therapeut in der konkreten Psychotherapiestunde in das Blickfeld der Forschung einbezogen wird. Waren es bis dahin vor und/oder nach der Stunde erhobene Daten – überwiegend Fragebogenratings –, die zur Untersuchung zur Verfügung standen, so steht nun die tonband- oder videoaufgezeichnete Behandlung selbst im Mittelpunkt des Interesses. Der Blickrichtungswechsel, der mit der Psychotherapieprozess-Forschung einhergeht, impliziert, dass die innere Prozess- und Handlungslogik psychotherapeutischer Prozesse nun unter Gesichtspunkten betrachtet wird, die die schulenimmanenten Lehrmeinungen darüber, was in der Therapie geschehen soll, transzendieren und erweitern. Dabei zeichnen sich drei Kernbereiche wissenschaftlichen Interesses ab: erstens der kognitive Aspekt, zweitens der Aspekt von Emotion, Affektausdruck und Affektverarbeitung, und schließlich drittens der interaktionelle oder interpersonelle Aspekt. Für alle drei eng miteinander verflochtenen Bereiche gilt, dass sie und damit auch ihre Erforschung in wesentlichen Hinsichten sprachlich vermittelt werden.

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Auf den ersten der drei genannten Aspekte stützt sich die lange Zeit im Vordergrund stehende Annahme, dass Psychotherapie überwiegend durch Einsicht wirkt. In diesem Sinne lässt sich die psychoanalytische Therapeutik mit Rangell definieren als »eine therapeutische Methode, durch die günstige Bedingungen für das Zustandekommen einer Übertragungsneurose geschaffen werden, in der die Vergangenheit in der Gegenwart wieder hergestellt wird, damit es über einen mit systematischen Deutungen arbeitenden Angriff auf die vorhandenen Widerstände zu einer Auflösung der Neurose (der Übertragungs- wie der infantilen Neurose) kommt, mit dem Ziel, strukturelle Veränderungen im psychischen Apparat des Patienten hervorzubringen, die diesen zu einer optimalen Anpassung an seine Lebensumstände befähigen« (Rangell 1968 zit. n. Cremerius 1979, S. 581). In diesem durch den »Glaube(n) an die verändernde Kraft der Vernunft« (Cremerius 1979, S. 581) geprägten Verständnis von Psychotherapie erscheint der Therapeut im Sinne der Spiegelmetapher als außenstehender Aufklärer, der durch die Vermittlung wahrer Einsicht die Selbsterkenntnis des Patienten fördert. Als solcher setzt er sich kritisch mit der subjektiven Leidensgeschichte und Biographie sowie mit den individuellen Deutungsmustern des Selbst- und Welterlebens psychisch und psychosomatisch Kranker auseinander. Diese subjektive Seite des Leidens wird durch das verstehende psychotherapeutische Gespräch aus der Sphäre des impressiven Bewegtseins in diejenige des repräsentativ und reflexiv Gestalteten gehoben und verliert somit allmählich ihre »blind« agierende und determinierende Kraft. Die Entwicklung der Kinderanalyse und die Ausweitung des Indikationsspektrums auf Störungsbilder, bei denen anzunehmen ist, dass wesentliche Traumatisierungen vor dem Erwerb sprachlicher Verständigungsmöglichkeiten stattfinden, rückte diesen Einsichtsaspekt in den Hintergrund zugunsten der Annahme, dass die korrigierende emotionale Erfahrung als entscheidender Wirkfaktor psychoanalytischer Behandlungen anzunehmen ist. Diese Erweiterung hatte nicht nur die Entwicklung veränderter therapeutischer Techniken zur Folge, sondern implizierte darüber hinaus ein verändertes Verständnis der Funktion des Psychotherapeuten überhaupt. Er ist von dieser veränderten Warte aus nicht länger zu begreifen als außenstehender Informationslieferant oder innerlich kalter Seelenchirurg, der die Übertragungsneurose als eine Form der Als-ob-Beziehung begreift. Vielmehr wird nun deutlich, dass er durch seine zuverlässige, unaufdringliche, verständnisvolle und gegen beziehungsdestruktives Agieren immune Präsenz dem präverbal und präreflexiv traumatisierten Patienten eine neue heilsame Erfahrung vermittelt. Im deutschsprachigen Raum waren es vor allem Annelise Heigl-Evers, Franz Heigl und ihre Mitarbeiter, die früh erkannt haben, dass hier nicht (nur) die intrapsychische Welt der Objektrepräsentanzen im Mittelpunkt steht, und auch nicht die virtuelle Scheinbeziehung der Übertragungsneurose, in der der Ana-

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lytiker die Rollenzuweisungen des Patienten instrumentell in seine therapeutischen Strategien miteinbezieht. Es geht vielmehr um das reale aufeinander bezogene soziale Handeln der am Therapieprozess Beteiligten (vgl. Heigl-Evers et al. 1993). Der damit angesprochene interaktionelle Aspekt impliziert insofern das Eingeständnis partieller Insouveränität, als die Annahme, der Therapeut steuere den Therapieprozess durch seine bewusst zweckorientierten Handlungen, vor diesem Hintergrund zu kurz gegriffen erscheint. Wer diesen Prozess aktuell steuert und wie die Abstimmung und Führung des Patienten aktuell vollzogen werden, offenbart sich dem Tonband- oder Videoaufzeichnungen studierenden Dritten in ganz anderer Weise als den Beteiligten selbst. Nur durch eingehende Weiterbildung, die nicht einseitig den Erkenntnisaspekt favorisiert, sondern die Entwicklung von Handlungskompetenz in den Mittelpunkt stellt, wird das eigene Handeln – oft erst ex post – für den Therapeuten selbst besser durchschaubar. Die hier aufgezeigten Dimensionen psychotherapeutischer Interaktion gelten indes nicht nur für tiefenpsychologische und analytische Behandlungen. Da es sich um basale Merkmale jeder zwischenmenschlichen Interaktion handelt, ist davon auszugehen, dass sie in therapeutischen Prozessen differenter Schulenorientierung gleichfalls zentrale Relevanz besitzen. Zu fragen ist allerdings, ob sie in den entsprechenden Kontexten ebenso eingehend diskutiert und berücksichtigt werden wie im psychoanalytischen Diskurs. Dies trifft vor allem für die Verhaltenstherapie zu, bei der – zumindest im klassisch-behavioristischen Selbstverständnis – die Beeinflussung der kognitiven Orientierungen und handlungsrelevanten Überzeugungen im Mittelpunkt steht, mit dem Ziel einer instrumentellen Regulierung affektiver Zustände durch in der Therapie habitualisierte Verhaltensweisen. Der Therapeut erscheint hier im Wesentlichen als rational handelnder »Techniker«, während die Berücksichtigung der interpersonellen Dimension bisher nur ungenügend stattfand. Welche ethischen Probleme werfen die genannten allgemeinen und schulenunabhängigen Wesensmerkmale psychotherapeutischer Prozesse auf ? Unter Berücksichtigung der angekündigten Interpretationsfolie sind zwei Problemfelder zu unterscheiden: Zum einen handelt es sich dabei um Fragen, die mit dem Einsichtsaspekt und daher mit der Aufklärungsfunktion des Therapeuten einhergehen; zum anderen um Fragen, die sich aus dem interaktionellen Aspekt und damit aus der Frage der Handlungsbeteiligung des Therapeuten ergeben.

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Der Psychotherapeut als Aufklärer Im Streit um die weltanschaulichen Hintergründe der Psychoanalyse ließ Sigmund Freud in keiner Phase seines Schaffens Zweifel daran, dass er seine Lehre als Wissenschaft verstand und den Analytiker im Junktim von Heilen und Forschen als gewissenhaften Wissenschaftler. Wenn er in diesem Zusammenhang die Psychoanalyse einerseits als »Naturwissenschaft wie jede andere« (Freud 1940, S. 80) bezeichnet, als »Forschungsmethode, ein parteiloses Instrument wie etwa die Infinitesimalrechnung« (Freud 1927, S. 360), andererseits aber auch unverblümt eingesteht, »daß die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind« (Freud 1895a, S. 227), so zeugt dies unserer Auffassung zufolge weniger von einer inneren Inkonsistenz, sondern eher davon, dass es ihm bei diesen Äußerungen nicht um Fragen einer bestimmten wissenschaftlichen Methode oder Methodologie ging, sondern um die berufliche Grundhaltung des Psychoanalytikers, die er mit derjenigen des Wissenschaftlers in eins setzt. Um eben dieses berufliche Selbstverständnis geht es Freuds Zeitgenossen Max Weber in der ersten seiner beiden Münchner Reden, in der er emphatisch postuliert: »›Persönlichkeit‹ auf wissenschaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient. … Das ist das Schicksal, ja: das ist der Sinn der Arbeit der Wissenschaft, dem sie, in ganz spezifischem Sinne gegenüber allen anderen Kulturelementen, für die es sonst noch gilt, unterworfen und hingegeben ist: jede wissenschaftliche ›Erfüllung‹ bedeutet neue ›Fragen‹ und will ›überboten‹ werden und veralten. Damit hat sich jeder abzufinden, der der Wissenschaft dienen will.« (Weber 1919a, S. 84f.) Weber versteht den Fortschritt, dem sich der einzelne Wissenschaftler selbstlos unterstellt, als Moment einer das Gegenwartsleben unaufhaltsam durchdringenden historischen Kraft, als »Bruchteil jenes Intellektualisierungsprozesses, dem wir seit Jahrtausenden unterliegen« (ebd., S. 86). Die zunehmende Rationalisierung mit ihrer Hinwendung zum rein Praktischen und Technischen bedeute dabei nicht zwangsläufig »eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt« (ebd., S. 87). Dabei macht der mit den Regeln der Logik und Methodik voranschreitende Prozess auch nicht halt vor den Sinnfragen menschlicher Existenz, indem »eben jene Sphären des Irrationalen jetzt ins Bewußtsein erhoben und unter seine Lupe genommen werden« (ebd., S. 92). Gerade auf diesem von den eigenen Wertorientierungen des Wissenschaftlers besonders tangierten Gebiet gilt, »daß etwas wahr sein kann, obwohl und indem es nicht schön und nicht heilig und nicht gut

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ist« (ebd., S. 100). Es erweist sich hier als Mangel, wenn der Wissenschaftler »unbequeme Tatsachen« (ebd., S. 98) verleugnet und seine Persönlichkeit zu schwach ist, »dem Schicksal der Zeit … in sein ernstes Antlitz blicken zu können« (ebd., S. 101). Vor allem in seinen religionssoziologischen Arbeiten hat Weber dieses Antlitz der okzidentalen kapitalistischen Gesellschaftsordnung als »stahlhartes Gehäuse« beschrieben, als eine durch das wissenschaftliche Paradigma entzauberte, an sich sinnlos gewordene Welt, die dem modernen Berufsmenschen unpersönliche Distanz, Sachlichkeit und Einordnung vorschreibt und so den »Fachmenschen ohne Geist« (Weber 1920a, S. 487) hervorbringt. Sinnfragen des Lebens werden hier als unwissenschaftlich zurückgedrängt in die »unangreifbare Inkommunikabilität des mystischen Erlebnisses« (Weber 1920b, S. 515), was zugleich bedeutet, dass die den Menschen innewohnende Sehnsucht nach akosmischer Brüderlichkeit »sich nur gegen das, nicht mit dem denkenden Erkennen behaupten kann« (Schluchter 1980, S. 33). An dieser Stelle ergänzt Webers kulturkritische – oder mehr noch – kulturpessimistische Diagnose unserer Zeit in mancher Hinsicht das Spätwerk Sigmund Freuds, in dem dieser die phylogenetische Menschheitsentwicklung als Geschichte der Zähmung und Unterdrückung erotischer und destruktiver Triebimpulse beschreibt. Auch Freud betont, dass die Entwicklung einer strafenden, Triebbefriedigung versagenden, die gesellschaftlichen Gebote repräsentierenden innerpsychischen Instanz an der Entstehung unserer Kultur maßgeblich beteiligt war und ist (vgl. Freud 1930). Ergänzt wird Freuds Sichtweise durch Webers Position insofern, als für letzteren der Rationalisierungsprozess nicht bei der Unterwerfung biologisch (mit)determinierter sexueller und aggressiver Triebäußerungen stehenbleibt, sondern schließlich auch die Ebene persönlicher Sehnsüchte und Werte mitergreift. Psychotherapie als Aufklärung in therapeutischer Absicht bedeutet damit zunächst im klassisch-psychoanalytischen Verständnis Zerschlagung des ÜberIchs im Sinne der Aufdeckung dysfunktioneller und pathogener Triebunterdrückung, die den Zwecken der Anpassung an gesellschaftliche Normen dient. Wie aber ist mit der ebenfalls durch den Rationalisierungsprozess erfassten Ebene der »letzten und sublimsten Werte« (Weber 1919a, S. 109), der irrationalen Werte, heimlichen Sehnsüchte nach Brüderlichkeit und »Aufgehoben-Sein in einem Ganzen« umzugehen? Psychotherapie, verstanden als Aufklärung und Fortschritt durch die Beseitigung irrationaler Hemmungen und dysfunktionaler Verhaltensweisen, steht vor dem Hintergrund dieses Selbstverständnisses in einer besonderen Verantwortung. Ihr stetiges Bemühen um Wertfreiheit – psychoanalytisch ausgedrückt: um Abstinenz – enthebt sie nicht der Frage, welche Wertorientierungen der ihr zugrundeliegende Fortschrittsgedanke selbst impliziert. Mit Weber ist hier zu

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fragen: »Hat der ›Fortschritt‹ als solcher einen erkennbaren, über das Technische hinausreichenden Sinn, so daß dadurch der Dienst an ihm ein sinnvoller Beruf würde?« (ebd., S. 88) Diese Frage erhält besondere Brisanz, wenn man bedenkt, dass in einer Zeit weitgehender Säkularisierung und raschen Wertewandels sowie des Verlustes haltgebender traditionaler familiärer und gesellschaftlicher Strukturen der Psychotherapeut zunehmend zum Adressaten für Fragen der Sinnorientierung wird. Dies trifft nicht nur zu für Patienten in Lebenskrisen, sondern auch für die wachsende Zahl persönlichkeitsgestörter Patienten, bei denen Problemen des Selbstgefühls und der Kohärenz des Selbst zentrale Bedeutung zukommt. Auch bei depressiven, suizidalen und psychosomatisch erkrankten Patienten, die sich an das »stahlharte Gehäuse« der modernen Gesellschaft in pathogener Weise überadaptieren (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1993), stellt sich diese Frage. In der Psychotherapie lassen sich die von wissenschaftlicher Welterkenntnis ausgeklammerten Fragen nach dem Sinn von Leben und Tod nicht vermeiden, weil die Psychopathogenese der Krankheitsbilder sie impliziert. Der vom Fortschrittsgedanken zur Sinnlosigkeit gestempelte Tod tritt uns beispielsweise auch in der rational unbegründeten Angst des Panikanfalls entgegen. Psychotherapie steht hier vor der Entscheidung, entweder, im Sinne einer manchmal notwendigen Stützung der Abwehr, die Ausgrenzung des Irrationalen gemeinsam mit dem Patienten zu zementieren, oder aber an der Integration des Irrationalen in die Werteordnung des Patienten mitzuwirken und damit die rationale Aufklärung selbst durch das Zulassen irrationaler Momente zu brechen und zu relativieren. Die Entscheidung für die eine oder die andere der beiden Möglichkeiten hat Konsequenzen für das berufliche Selbstverständnis des Psychotherapeuten. Im ersten Fall versteht er sich als Anwender kommunikativer Techniken mit dem Ziel der Elimination des Subjektiven und Irrationalen. Die Wertsphäre des Patienten ist nur von partiellem Interesse, und zwar insofern, als dysfunktionale Elemente dieser Sphäre aufgespürt und bearbeitet werden mit dem Ziel ihrer Destruktion. Anders im zweiten Fall, in dem die Beschäftigung mit der Wertsphäre nicht nur funktionalen Charakter besitzt. Vielmehr ist sie in diesem Kontext als ganzhafte Gestalt zu begreifen, als Reflexion auf die irrationale Grundtatsache der Begrenztheit, Endlichkeit und Vergänglichkeit menschlicher Existenz. Für die gedankliche Konstruktion dieser Wertsphäre stehen kulturelle Deutungsmuster ebenso zur Verfügung wie lebensgeschichtlich geprägte Bilder und Phantasien. Gerade die letzteren werden oft schamhaft verborgen, meistens befürchten die Patienten, sie und damit sich selbst in der zwischenmenschlichen Kommunikation der Lächerlichkeit, Verachtung und intrusiven Beraubung preiszugeben.

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Die »Technik« des Umgangs im letztgenannten Fall impliziert paradoxerweise den Verzicht auf technisch-funktionale Machbarkeitsteleologie und besteht zum großen Teil in Achtung, Zurückhaltung und Respekt vor dem biographischen Gewordensein und Sosein des Anderen. Der Abstinenz kommt hier weniger die Funktion des Vermeidens von Mitagieren zu. Vielmehr erhält das Handeln durch Nicht-Handeln insofern eine konstitutiv-therapeutische Funktion, als es dem Patienten ermöglicht, seine über das rationale Weltbild hinausgehende Beschäftigung mit den Grundfragen seiner Existenz zuzulassen und allmählich in den therapeutischen Diskurs einzubeziehen. Das Bonmot des Psychoanalytikers Wolfgang Loch, auf der Rückseite des Delphischen Orakels stehe geschrieben: »aber nicht zuviel!« deutet an, wo Aufklärung umschlägt in die Produktion abgespaltener Irrationalität oder – um es mit Francesco Goya auszudrücken – wo der träumende Schlaf der Vernunft beginnt, Monstren zu produzieren.

Der Psychotherapeut als Autorität In der bereits zitierten Arbeit bezeichnet Johannes Cremerius die an Freud orientierte »klassische Einsichtstherapie« synonym auch als »paternistische Vernunftstechnik« (1979, S. 577). Der metaphorisch mit dem Chirurgen (Freud) oder – weniger martialisch – mit dem Linienrichter beim Tennismatch (Rangell 1954) verglichene Analytiker erscheint hier als ein durch Selbstzucht emotional neutralisierter Techniker, der die im vor ihm liegenden psychischen Apparat des Patienten blind wirkenden Energien günstig zu beeinflussen sucht. Die analytische Situation erscheint »als eine asymmetrische« (Cremerius 1979, S. 583), der Analytiker führt das schwache Ich des Patienten im Kampf gegen die Mächte des Unbewussten. Geht man von dieser Bestimmung der Wesensmerkmale der analytischen Situation aus, so drängt sich die Analogie zum Politiker, mit dessen beruflichem Selbstverständnis sich Max Weber in der zweiten seiner Münchner Reden auseinandersetzt, geradezu auf. Denn für ihn ist der Begriff Politik »außerordentlich weit und umfaßt jede Art selbständig leitender Tätigkeit« (Weber 1919b, S. 157). Nun ist zwar Psychotherapie nur für wenige mit der Leitung einer Institution und damit politischen Aufgabe im engeren Sinne verbunden. Geht man von dem soeben skizzierten Selbstverständnis aus, so besteht zwischen Therapeut und Patient aber zweifelsohne ein legitimes »Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen« (ebd., 160), auf das sich der Patient zum Zweck der Wiedererlangung seiner psychischen Gesundheit einlässt. Weber geht in seiner Herrschaftssoziologie von der Frage aus, wann und warum sich »die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils

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Herrschenden fügen« (ebd.) und unterscheidet bezüglich der Legimitätsgründe einer Herrschaft drei Möglichkeiten: »Einmal die Autorität des ›ewig Gestrigen‹: der durch unvordenkliche Geltung und gewohnheitsmäßige Einstellung auf ihre Innehaltung geheiligten Sitte: ›traditionale‹ Herrschaft, wie sie der Patriarch und der Patrimonialfürst alten Schlages übten. Dann: die Autorität der außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe (Charisma), die ganz persönliche Hingabe und das persönliche Vertrauen zu Offenbarungen, Heldentum oder anderen Führereigenschaften eines einzelnen: ›charismatische‹ Herrschaft, wie sie der Prophet oder – auf dem Gebiet des Politischen – der gekorene Kriegsfürst oder der plebiszitäre Herrscher, der große Demagoge und politische Parteiführer ausüben. Endlich: Herrschaft kraft ›Legalität‹, kraft des Glaubens an die Geltung legaler Satzung und der durch rational geschaffene Regeln begründeten sachlichen ›Kompetenz‹, also: der Einstellung auf Gehorsam in der Erfüllung satzungsmäßiger Pflichten: eine Herrschaft, wie sie der moderne ›Staatsdiener‹ und alle jene Träger von Macht ausüben, die ihm in dieser Hinsicht ähneln.« (ebd.)

Nun mag es mancher als wenig schmeichelhaft empfinden, mit dem grau in grau verstaubter Amtsstuben, langweiligen Aktenbergen und Mottenpulver ausströmenden Ärmelschonern verglichen zu werden. Dennoch: bleiben wir bei Freuds Anspruch, die Psychoanalyse als eine wissenschaftliche und damit rational fundierte Heilmethode begründet zu haben, so kommen wir nicht umhin, zumindest das der paternistischen Einsichtstechnik entspringende Selbstverständnis von Psychoanalyse als rational legitimierte Herrschaft über den Patienten zu begreifen. In dieser Hinsicht prätendiert die analytische Psychotherapie historisch und institutionengeschichtlich durchaus die Merkmale eines rationalen Herrschaftssystems. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang nicht nur Freuds bereits erwähntes strenges Postulat, die eigene Person als Analytiker in den Hintergrund zu stellen, sondern ebenso die von ihm in den technischen Schriften zwischen 1912 und 1915 erfolgte Festlegung der Regeln, nach denen dieses Gebot zu erfüllen sei. Zu ihrer praktischen Umsetzung wurden später die analytischen Weiterbildungsinstitute ins Leben gerufen, deren Aufgabe bis heute darin gesehen wird, die von Weber als Grundbedingung rationaler Herrschaft geforderte sachliche Kompetenz zu vermitteln. Der Herrschaftsanspruch der Psychoanalyse ist dabei insofern zum großen Teil gegen das »ewig Gestrige« gerichtet, als es ihr primär um Brechung der Autorität überkommener Gewohnheiten geht, die der frühen Kindheit des Patienten entstammen und in den damaligen Beziehungskonstellationen möglicherweise durchaus sinnvoll waren, die aber im Erwachsenenleben dysfunktional und pathogen geworden sind, ohne, dass dies vom Betreffenden selbst subjektiv so wahrgenommen wird. Psychotherapie versteht sich also in diesem Sinn als anti-traditionale rationale Aufklärung.

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Diesem Definitionsversuch scheint nun aber entgegenzustehen, dass es gerade nicht der rationale »Überbau« der Persönlichkeit ist, der im Zentrum psychotherapeutischer Aufmerksamkeit steht. Sie richtet sich vielmehr in erster Linie auf irrationale Verhaltensweisen und die in ihnen zum Vorschein kommenden dumpfen Empfindungen des Persönlichkeitsuntergrundes. Ihr geht es um die Aufdeckung verdrängter Traumata und um die damit verbundenen Affekte. Mit den Worten des rational-aufklärerischen Paradigmas heißt dies gleichwohl, dass Psychotherapie ein Verstehen intendiert, das über das intuitive Einfühlen hinausgehend Deutung beinhaltet, verstanden als logisch begrifflich kontrollierbaren Vorgang der Motivrekonstruktion durch Beziehung des klinisch-empirisch Gegebenen auf idealtypisch-modellhafte Wertordnungen. Dabei räumt die Webersche Handlungstheorie entgegen weitverbreiteten Missverständnissen (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1990) auch irrationalen und affektuellen Zusammenhängen weiten Raum ein, indem sie das methodische Rüstzeug liefert für eine schrittweise vorgehende, rational kontrollierte Rekonstruktion subjektiver Sinnzusammenhänge bis hinein in subjektiv nicht Bewusstes, in welchem sich der Motivrekonstruktion gleichwohl »eine unbemerkte (›uneingestandene‹) relativ weitgehende Rationalität des scheinbar gänzlich zweckirrationalen Verhaltens« (Weber 1913a, S. 399; vgl. S. Frommer u. J. Frommer 1990) offenbaren kann. Nicht erfasst wird innerhalb dieser Sichtweise allerdings das empathische Einfühlen, das innerhalb des psychoanalytischen Diskurses von den Vertretern des Paradigmas der korrigierenden emotionalen Erfahrung vertreten wird (vgl. Frommer u. Tress 1993). Dieses Verständnis von Psychotherapie rückt die irrationalen und affektiven Anteile des therapeutischen Prozesses in den Vordergrund und erfreut sich auch über die Psychoanalyse hinaus eines wachsenden Interesses. Vor allem in den zahlreichen durch die humanistische Tradition geprägten »Therapien für Normale« (vgl. Castel et al. 1982) wird, wie beispielsweise die Soziologin Doris Schaeffer anhand der von ihr geführten biographischen Interviews mit Psychotherapeuten gezeigt hat, »Intimität als Beruf« (Schaeffer 1988) aufgefasst. Der Psychotherapeut ist hier nicht in erster Linie rational begründet handelnder Fachmann, sondern bietet sich an als inniger Vertrauter, der sich in der Privatsphäre des Klienten Platz schafft. Für den Vertreter der »Neuen Therapiebewegung« steht geradezu, so fasst Schaeffer die Äußerungen ihrer Interviewpartner zusammen, »die Suche nach der Erfahrung und dem Erleben von Intimität im Mittelpunkt ihres Interesses. Es sind sozusagen die Kernpunkte intimer Situationen, die den Erzähler interessieren: Geburt, Tod und Sexualität. Die Erfahrung dieser Situation wird von ihm gesucht, dieses allerdings in einer Situation, die den Anforderungen der Lebenspraxis entbunden ist. Es ist sozu-

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sagen eine synthetische Intimität, die als Raum für identitätstransformierende Erfahrung gesucht und genutzt wird« (Schaeffer 1988, S. 174). Die Erfahrung von Intimität soll nun zugleich als Basis für die Erfahrung und Erprobung der eigenen professionellen Kompetenz genutzt werden. Im psychoanalytischen Paradigma bedeutet dies, dass die erzeugte emotionale Vertrautheit innerhalb eines durch den Analytiker vorgegebenen und geschützten Rahmens stattfindet, der dem Gebot der Abstinenz unterliegt. Gibt der Therapeut diesen situationsdefinierenden »Herrschaftsanspruch« auf oder glaubt, auch die Definition des zeitlichen, finanziellen und organisatorischen Rahmens und schließlich auch die Bedürfnisbefriedigung mit dem Patienten teilen zu sollen, so hat er deshalb die Grenze zum Missbrauch des Patienten überschritten, weil er das tatsächlich bestehende Machtgefälle zugleich benutzt und verleugnet. Verleugnet er dieses Machtgefälle nicht und beharrt auf seiner Autorität als Therapeut, so bedient er sich dessen, was Max Weber als »charismatische Herrschaft« definiert. Wie der politische Führer genießt auch der charismatische Psychotherapeut die persönliche Hingabe und das Vertrauen seines Patienten. Interessant erscheint es, den Blick auf einige Implikationen dieses Selbstverständnisses zu richten: Charisma konstituiert Weber zufolge einen Beruf im emphatischen Sinne des Wortes als Sendung oder innere Aufgabe. Es sprengt traditionale Regeln und Traditionen durch seinen besonderen schöpferischen Charakter. Eine charismatische Struktur bedarf keiner Schulung oder Prüfung, sie kann nicht gelernt, sondern allenfalls geweckt und erprobt werden. Über die Anerkennung charismatischer Herrschaft befinden nicht Behörden, Gremien oder Prüfungsausschüsse. Vielmehr sind es die Adressaten der spezifischen Fähigkeit der charismatischen Autorität und der durch sie garantierte Erfolg, die über ihre Anerkennung entscheiden (vgl. Weber 1922, S. 492). Wir haben es hier also mit einer Art »gekorenem« Psychotherapeuten zu tun, der die formalisierte berufliche Sozialisation eher geringschätzt und stattdessen den ihm innewohnenden »Kräften« vertraut. Die rational-wissenschaftliche Durchdringung seiner Tätigkeit hält er für ebenso verzichtbar wie rationale Legitimitätsgründe für sein therapeutisches Handeln. Er tut, was er »dem Gefühl nach« für richtig hält, und glaubt, auf diese Weise dem »Unbewussten«, »Wesen« oder schlicht seinem Patienten am nächsten zu sein, und er fördert es, wenn sich »sein« Patient dieser Meinung anschließt.

Wege und Irrwege der Psychotherapie als Beruf Fassen wir an dieser Stelle zusammen: Ausgangspunkt unserer Überlegungen war die Einsicht der modernen schulenübergreifenden psychotherapeutischen Prozessforschung, dass Psychotherapie offensichtlich nicht oder zumindest nicht

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nur entsprechend den schulenabhängigen normativen Vorstellungen darüber, wie sie funktionieren soll, abläuft und wirkt. Der tatsächliche psychotherapeutische Prozess lässt sich unter kognitiven und affektiven Gesichtspunkten sowie unter dem Gesichtspunkt der interpersonellen Beziehungsgestaltung betrachten. Geht man von den beiden bedeutendsten Psychotherapierichtungen – der klassischen Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie – aus, so dominiert in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen ein Selbstverständnis, das den Psychotherapeuten als Aufklärer versteht, der unter besonderer Berücksichtigung des kognitiven Aspekts in der Therapie wissenschaftliche Einsichten zur Anwendung bringt. Dabei geht es nicht um ein – wie im Logischen Empirismus – eingeengtes Verständnis, sondern um eine spezifische ethische Grundhaltung, die die eigene Person in den Hintergrund stellt, sich die Konfrontation mit unbequemen Tatsachen nicht erspart und irrationale Erscheinungen, Handlungen und Motive zunehmend einem rationalen Verständnis und einer rationalen Kontrolle unterwirft. Problematisch erweist sich dieses Selbstverständnis insofern, als das in der modernen und postmodernen okzidentalen Kultur ubiquitäre Phänomen der Paradoxie der Rationalisierung die Psychotherapie in besonderer Weise betrifft. Gemeint ist damit die zunehmende Ausgrenzung und Abspaltung affektiver und irrationaler Affekte und Strebungen, die durch die zunehmende rationale Kontrolle der Subjektivität des Einzelnen geradezu provoziert wird. Die Ausklammerung der Begrenztheit, Endlichkeit und Wertgebundenheit menschlicher Existenz im wissenschaftlichen Fortschrittsgedanken führt somit zur Nichtberücksichtigung wesentlicher Aspekte psychotherapeutischen Handelns. Ein zweiter, damit verwandter Problembereich erwächst aus dem interpersonellen Aspekt psychotherapeutischen Handelns, welches im klassischen Verständnis der Psychoanalyse als rational begründete Autorität verstanden wird, die der Psychotherapeut als abstinenter und zu persönlicher Neutralität verpflichteter Fachmann gegenüber dem Patienten ausübt. Die in diesem Selbstverständnis erfolgte Vernachlässigung der Tatsache, dass jeder psychotherapeutische Prozess auch als – empathische Einfühlung durch den Therapeuten implizierende – korrigierende emotionale Erfahrung zu verstehen ist, diente vor allem in der psychoanalytischen Psychologie der Objektbeziehungen und in den humanistischen Psychotherapieschulen als Einlasspforte für ein Selbstverständnis, das den Psychotherapeuten als charismatische Autorität begreift und sein Handeln damit der rationalen intersubjektiven Überprüfung entzieht. Nun sind die Paradoxie der Rationalisierung und die korrigierende emotionale Erfahrung starke Argumente dafür, dass sich ein modernes prozessorientiertes Verständnis von Psychoanalyse und Psychotherapie nicht mehr ungebrochen auf das Paradigma wissenschaftlicher Erkenntnis und rationaler Handlungskontrolle berufen kann, ohne sich dem berechtigten Vorwurf aus-

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zusetzen, wesentliche Aspekte des Gegenstandsbereichs zu vernachlässigen und damit dem Wildwuchs zu überlassen. Dies würde konkret bedeuten, dass sich neben den rationalen Therapieformen andere Richtungen zunehmend entfalten, die unter Vernachlässigung von Weiterbildung, Schulung und Prüfung gerade die Bereiche an sich ziehen, die den Kern der Individualität psychisch Kranker ausmachen. Eine solche – gewiss nicht wünschenswerte – Entwicklung lässt sich nur vermeiden, wenn die etablierten Psychotherapieformen ihr Selbstverständnis in einer integrativen Weise erweitern, wie dies innerhalb der Psychoanalyse in Ansätzen bereits erfolgt ist. Hier, beispielsweise bei Fischer (1989), wird die interpersonelle Dynamik der Therapeut-Patient-Beziehung als dialektischer Prozess verstanden, der einer immanenten Veränderungslogik folgt, »die rekonstruierbar und in ihrer psycho-logischen Notwendigkeit auch begreifbar ist. Erst mit dieser Erlebnisfigur haben wir einen psychotherapeutischen oder psychoanalytischen Prozeßverlauf wirklich ›verstanden‹. Unterstellt ist hierbei, daß solche Prozesse, auch dann, wenn sie einer ›Zwei-Personen-Psychologie‹ (i. S. v. Balint) oder einer ›Handlungslogik-zu-zweit‹ folgend, bestimmt sind durch Strukturen der Notwendigkeit« (Fischer 1994, S. 330). Inhaltlich handelt es sich in der Regel daher nicht um eine mehr oder weniger lose Folge von Themen, die die einzelnen Phasen der Therapie beherrschen, vielmehr bestimmen in der Regel einige Grundthemen in immer neuen Variationen das Gespräch und die Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Bei der Wahl dieser Themen kommt »traumatischen Ereignissen und ihrer Verarbeitung in der Lebensgeschichte des Patienten eine Schlüsselstellung zu« (ebd.). Fischers Untersuchungen deuten ebenso wie eine eigene qualitative Psychotherapieprozessstudie (vgl. Langenberg et al. 1995) darauf hin, dass der Rahmen des Behandlungsprozesses maßgeblich bestimmt wird durch das Gegensatzpaar Bindung, Verschmelzung und Nähe einerseits und Isolation, Trennung sowie Autonomie andererseits. Die beschriebenen Zustände werden im Laufe der Therapie nicht nur besprochen, sondern intensiv durchlebt und dadurch erst begriffen, mit dem Ziel der Minderung pathologischer Abhängigkeiten ebenso wie der Aufgabe von Rückzug und Vereinzelung. Für die Identität des verantwortungsbewussten Psychotherapeuten bedeutet dies eine nicht ausräumbare Doppelung seines Selbstverständnisses: als unabhängiger spiegelgleicher Beobachter erhält er Einblick in den innerpsychischen Erlebnisbereich seines Untersuchungsobjektes, das er rational durchdringt, und versucht, dem Patienten Einsicht über evident erscheinende subjektiv unbewusste Sinnzusammenhänge zu vermitteln. Als Interaktionspartner ist er zugleich Teil eines gemeinsam durchlaufenen Prozesses, in dem intellektuelle Einsicht und affektive Erfahrung ein beide umfassendes wechselvolles Ganzes bilden. Dadurch ist der Therapeut mehr als fachliche Autorität: durch die

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Asymmetrie der Beziehung wird er unabweisbar auch zur charismatischen Autorität für den Patienten. Die Aufgabe des Analytikers, im neurotischen System des Patienten durch gezielte und wechselnde Unterstützung der jeweils progressiven Tendenzen Veränderung herbeizuführen, setzt einerseits voraus, dass er – wie die frühen Bezugspersonen – Teil eines hinsichtlich der Machtverteilung asymmetrischen interpersonellen Prozesses wird; andererseits ist es für seine Aufgabe aber genauso unverzichtbar, in kritisch-rationale Distanz zur Situation zu treten: Seine als aktuelle intentionale Auslegungen kommunikativer Szenen im Hier und Jetzt verhafteten dynamischen Deutungen fasst er in rationaler Analyse zusammen, um so ihren biographisch-genetischen Sinn zu entschlüsseln (vgl. Tress 1987a; 1987b) und entsprechend dieser Einsicht zu handeln. Die distanzierte Position des Analytikers sichert hierbei den Rahmen und verhindert, dass er die ihm vom Patienten manipulativ angesonnenen Rollenzuweisungen kritiklos annimmt oder den Patienten zur eigenen Bedürfnisbefriedigung missbraucht. Allein die gleichzeitig zu leistende Identifikation mit dem Patienten und das Sich-Einlassen auf dessen Subjektivität im Hier und Jetzt garantieren Validität und Wirksamkeit seiner Deutungen. In diesem erweiterten Selbstverständnis stehen kritisch-rationale und empathisch-einfühlende Aspekte in einem sich gegenseitig relativierenden Spannungsverhältnis. Bei Vereinseitigung in eine der beiden Richtungen wird die Therapie zwangsläufig zum Missbrauch, der je nach Richtung zwei Gesichter aufweisen kann: Wird das rationale Paradigma zu einseitig vertreten, droht der Missbrauch rationaler Autorität dergestalt, dass die persönlichen Affekte und subjektiven Wertungen des Patienten als idiosynkratische Kuriosa verkannt und entwertet werden. Diese Entwertung kann mehr oder weniger subtile Formen annehmen und reicht von der hartnäckigen Ausblendung und Nicht-Zurkenntnisnahme über gutgemeinte Versuche der Überzeugung des Patienten von der mangelnden Realitätsadäquanz seiner Vorstellungen bis hin zum als Durcharbeiten fehletikettierten kommunikativen Breittreten in und außerhalb der Stunde. Dabei spielt die taktlose Missachtung von Schamgrenzen bei der Versprachlichung und Versachlichung innerer Befindlichkeiten eine entscheidende Rolle. Wird andererseits das Paradigma der affektiven Beziehung einseitig präferiert, droht der Missbrauch charismatischer Autorität. Hier signalisiert der Therapeut in besonderem Maß Interesse für die Intimität des Patienten. Sie wird für den Therapeuten zu einer Steigerungsform medienvermittelter Intimität und dient insofern seiner Bedürfnisbefriedigung, als sie seinen Erlebnishunger stillt, indem das Leben des Patienten empathisch »mitgelebt« wird. Auf diese Weise wird das persönliche Wert- und Affekterleben des Patienten transformiert in eine allgemeine und gemeinsame Als-ob-Intimität, in die sich andere mühelos einschalten können.

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In beiden Fällen des Missbrauchs therapeutischer Autorität wird der Patient dessen beraubt, um das es in der Psychotherapie eigentlich geht: die affektbeladene Welt persönlicher und privater Erfahrungen, Sehnsüchte, Werte und Hoffnungen, die die Kontinuität und Sinnerfüllung seiner Biographie sichern. Ob es dem Patienten gelingt, diese abgeschiedene Welt zu öffnen, zu begreifen und in sein Funktionieren als öffentliche Person zu integrieren, hängt ab von der beruflichen Haltung des Psychotherapeuten, von seiner unaufdringlichen und zugleich authentischen Präsenz.

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Kapitel 9: Typisierung, Idealtypenbildung und qualitatives Urteil

Die nachfolgende Darstellung einer Forschungsmethodologie und Methodik, die unsere Arbeitsgruppe in den 1990er Jahren zunächst in Düsseldorf und später in Magdeburg entwickelt hat, geht im Kontext von Fragen des Theorie-PraxisBruches in der juristischen Methodenlehre und Soziologie von der Überlegung aus, dass diese Methodologie im gegenwärtigen Diskurs fachübergreifendes Interesse beanspruchen könnte. Nun sind die Verbindungen zwischen Psychiatrie, Psychosomatik, Psychoanalyse und Psychotherapie einerseits und den Rechtswissenschaften auf der anderen Seite unter soziologischer Perspektive vielfach beleuchtet worden. Ich werde im Nachfolgenden auf die meisten Felder, in denen eine Verbindung existiert, nicht eingehen. Dies betrifft nicht nur die klassischen Themen der Forensischen Psychiatrie und Kriminologie, sondern auch das Gebiet der rechtspsychologischen Täterforschung, in welches die Methoden der qualitativen Sozialforschung und der biographischen Psychologie inzwischen auch bereits vorgedrungen sind (vgl. Kühne 1998). Vielmehr könnte ich mir eher vorstellen, dass unsere Projekte als methodische Folie da von Nutzen sein könnten, wo sich Rechtswissenschaftler und Soziologen mit den unausgesprochenen, nichtkodifizierten und unbewussten Regeln auseinandersetzen, die den Rechtsalltag ebenso bestimmen wie das kodifizierte Recht. Man könnte die Parallelen zwischen den von uns durchgeführten Untersuchungen an diagnostischen Beurteilungsprozessen erfahrener psychotherapeutischer Kliniker und den Aushandlungsprozeduren im Alltag der Rechtssprechung somit in den Kontext der soziologischen Verwendungsforschung stellen, die seit den sechziger Jahren antrat, um in ganz unterschiedlichen Berufsfeldern die konkrete Praxis jenseits normativer und wissenschaftlich kodifizierter Lehrbuchwahrheiten zu untersuchen. Sie ging dabei von der Annahme aus, dass »sich die Produktion wissenschaftlicher Argumentationen nach anderen Regeln vollzieht als ihre Verwendung« (Beck u. Bonß 1991, S. 417; vgl. Beck u. Bonß 1989). Zusammengefasst konnte diese Forschungsrichtung nachweisen, dass die traditionelle wissenschaftszentrische Wahrnehmung der Verwendung von Wissen im beruflichen Alltag zu Verzerrungen führt und letztlich nicht in der Lage

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ist, die von diesen Regeln abgekoppelten Aspekte der Handlungspraxis zu erfassen. Hier, im beruflichen Alltag einer Profession, entscheidet oft das »tacit knowledge« (vgl. Polanyi 1976) des Praktikers mehr über den Ablauf des Geschehens als Normen, Lehrbücher, Vorschriften und Gesetze. Medizin und Jurisprudenz haben in diesem Zusammenhang als Handlungswissenschaften und Praxisfelder gemeinsam, dass die Anwendung des Paradigmas der Verwendungsforschung in besonderem Maße Ethik und professionelles Selbstverständnis herausfordert. Beides sind Berufe, die einen Großteil ihrer Legitimation und ihres Prestiges aus der Wissenschaftlichkeit, Neutralität und Transparenz ihrer Handlungsmaximen und Anwendungsprozeduren ziehen. Die Unwissenschaftlichkeit einer medizinischen Diagnose stellt ebenso ein Skandalon dar wie die Parteilichkeit eines Richters. Beides sind Faktizitäten, die die Legitimation der jeweiligen Profession im Kern erschüttern. Der letztgenannte Topos wurde als das Problem der Rechtssicherheit bereits im ausgehenden deutschen Kaiserreich diskutiert. Der Jurist Ludwig Bendix, dessen Sohn Reinhard als Soziologe und Sozialhistoriker den Intellektuellen in der bürgerlichen Gesellschaft als marginal man (vgl. Bendix 1985) interpretiert, sieht in seinen rechtssoziologischen Schriften vor dem Hintergrund seiner biographischen Erfahrungen als jüdischer Bildungsbürger eine erhebliche Einflussmacht irrationaler Kräfte im Alltag deutscher Rechtspraxis seiner Zeit. In einer Arbeit über Das Problem der Rechtssicherheit schreibt Ludwig Bendix 1914: »Diese in der Irrationalität des Menschen gelegene Vieldeutigkeit seines Tuns, diese mit dem Interesse und der Machtverschiebung eintretende Umdeutung und Wirkungslosigkeit gesetzlicher und vertraglicher Bestimmungen bringt es mit sich, daß der Ausgang jedes echten Rechtsstreites im Zivil- oder Strafprozess – und nur von diesem ist hier überhaupt die Rede! – grundsätzlich ungewiß ist, und daß die letztgetroffene Entscheidung grundsätzlich keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben kann.« (L. Bendix 1914, S. 168) Ludwig Bendix vertritt in dem zitierten Aufsatz die Auffassung, dass die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Rechtsstreit immer Ausdruck der Gesamtpersönlichkeit des Richters ist, in ganz ähnlicher Weise, wie ein Kunstwerk den Ausdruck der Gesamtpersönlichkeit des Künstlers darstellt. Am Beispiel der psychiatrischen und psychotherapeutischen Diagnostik werde ich im Folgenden allgemeine Modelle diskutieren, die den hier angesprochenen komplexen Prozess der praxeologischen Urteilsbildung prägen und beeinflussen.

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Vorbegriffliche Aspekte im Prozess psychiatrischer und psychotherapeutischer Diagnostik Michael Schwartz und Osborne Wiggins (vgl. 1987a; 1987b; 1994) haben bereits in den 1980er Jahren darauf hingewiesen, dass klinisch-psychiatrische Diagnosen zwei im Lichte wissenschaftlicher Betrachtung verwunderlich erscheinende Eigenschaften aufweisen: Erstens kommen sie meistens sehr schnell zustande, und zweitens kann der Diagnostiker in vielen Fällen nicht genau angeben, aus welchen Gründen er die Diagnose gestellt hat. Die erste der genannten Besonderheiten ist durch zahlreiche empirische Studien belegt. Sandifer, Hordern und Green (1970) zeigten Gruppen von 14–18 Psychiatern aus North Carolina und England Filme diagnostischer Interviews mit 30 nicht selektierten erstmals aufgenommenen Patienten aus einer staatlichen Nervenklinik in North Carolina. Die Filme hatten eine durchschnittliche Länge von 25 Minuten, wurden aber bei der Vorführung mehrmals unterbrochen, damit die Psychiater ihre Eindrücke protokollieren konnten. Ergebnis der Untersuchung war, dass die Hälfte der insgesamt erkannten Symptome bereits in den ersten drei Minuten angegeben wurde und dass die nach drei Minuten vermuteten Diagnosen in dreiviertel der Fälle mit den Enddiagnosen übereinstimmten. Gauron und Dickinson (1969) vertreten aufgrund ihrer Untersuchungen die Überzeugung, dass der diagnostische Eindruck bereits in den ersten 30 bis 60 Sekunden entsteht. Kendell verglich die nach zwei und fünf Minuten abgegebenen Verdachtsdiagnosen bei 28 Interviews mit den Entlassungsdiagnosen der Patienten. Immerhin fand er eine Übereinstimmung von 48 Prozent zwischen den beiden Gruppen nach zwei Minuten und von 60 Prozent nach fünf Minuten. Zieht man in Betracht, dass die Interrater-Übereinstimmung bei psychiatrischen Diagnosen auch bei Vorliegen der vollständigen Information nicht sehr viel höher ist, so muss man sich Kendells zusammenfassender Beurteilung anschließen, »daß der größte Teil der diagnostisch wichtigsten Information eines klinischen Interviews in den ersten Minuten gesammelt wird, und daß ein hoher Anteil der Diagnosen in diesem Stadium richtig gestellt wird oder jedenfalls gestellt werden könnte« (Kendell 1978, S. 58). Bezüglich der zweiten oben erwähnten Besonderheit psychiatrischer Diagnosen ist besonders Rümke (1958) zu erwähnen, der es zu seinem zentralen Anliegen machte, darauf hinzuweisen, dass es nicht die Symptome des Patienten sind, die eine reliable Diagnosezuschreibung erlauben, sondern etwas schwer in Worte zu fassendes Anderes, das zu tun hat mit der Art und Weise, in der der Patient zu anderen Menschen in Beziehung tritt. Für die Schizophrenen nannte er diese spezifische Anmutung Praecoxgefühl und charakterisierte sie als eine

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durch den Kranken induzierte Unfähigkeit des Diagnostikers, mit der Person des Patienten als einheitlichem Ganzen in Beziehung zu treten. Damit ist die zentrale Bedeutung der Individualität des Kranken im psychiatrisch-diagnostischen Prozess angesprochen. Bereits kurz nach der Jahrhundertwende erkannten Weygandt, Gaupp und schließlich Jaspers (vgl. Gaupp 1903; Weygandt 1901; Jaspers 1913/1973; J. Frommer u. S. Frommer 1990), dass es für die nosologische Zuordnung entscheidend ist, ob es sich bei den beobachteten Symptomen um verständliche Zusammenhänge im Rahmen der individuellen Entwicklung der betreffenden Persönlichkeit handelt, in die sich der neutrale Beobachter innerlich hineinversetzen kann, oder aber um psychische Prozesse, die nur als Ausdruck objektiv zugrundeliegender Gehirnvorgänge wie Kausalzusammenhänge der physischen Welt zu begreifen sind. Die Erfassung dieses zentralen differentialdiagnostischen Kriteriums zu verstehen, schließt aber, wie Gruhle (vgl. 1953) betont, zwangsläufig intuitive Momente und das Hineinverlegen selbsterlebter Innenereignisse in den anderen ein, wodurch der Horizont einer distanzierend-klassifizierenden Diagnostik überschritten wird. In diesem Sinne fand Langen (vgl. 1954 zit. n. Avenarius 1968) bei 100 psychiatrischen Patienten, dass sich in 83 Fällen aufgrund des ersten Eindrucks zwischen organischer, neurotischer, psychopathischer und endogener Störung differenzieren ließ, und Göppert schreibt: »Gerade als Psychotherapeut erfährt man es immer wieder, wie ein erster flüchtiger Blick auf einen Menschen, der zur Tür hereinkommt, uns etwas vermittelt, was sich dann in der folgenden Unterhaltung verwischt. Erst später zeigt sich oft, dass man in jenem ersten Augenblick das Wesentliche an diesem Menschen erfaßt hatte, daß aber gerade dieses Wesentliche in der bewußten Auseinandersetzung mit ihm einem wieder entglitten ist.« (Göppert 1950 zit. n. Avenarius 1968, S. 55) Zusammenfassend kommt Avenarius zu dem Schluss, dass in der diagnostischen Anfangssituation gegenüber dem späteren, vorwiegend objektivierend-naturwissenschaftlichen Vorgehen, »der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik nahestehende, intuitiv-subjektive Methoden« (Avenarius 1968, S. 56) vorherrschen. Schwartz und Wiggins werten die genannten beiden Charakteristika des diagnostischen Prozesses als Argumente dafür, dass die Anwendung von Kategorien und Kriterien eine basalere Fähigkeit zur unmittelbaren kommunikativen Objektwahrnehmung voraussetzt, die die Autoren Typifikation nennen. Sie schließen sich damit an Husserl an, der postulierte: »Die faktische Welt der Erfahrung ist typisiert erfahren.« (Husserl 1948, S. 398) Begriffliches Erfassen erfordert nach seiner phänomenologischen Auffassung eine passive Vorkonstruktion des zu Erfassenden auf dem Boden einer zunächst unreflektierten Matrix, auf der Menschen – und somit auch Diagnostiker – ihre alltägliche Erfahrung einordnen. Typisierungen sind einerseits gerichtet auf die »individuellen Merkmale« des aufgefassten konkreten realen Dings, andererseits leiten

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sie »uns auf den allgemeinen Begriff des Typus, in dem wir es auffassen« (ebd., S. 399). In dieser Zwitterstellung »erwächst, über den wirklichen und durch wirkliche Erfahrung gewonnenen jeweiligen Begriff hinausgehend, eine präsumptive Idee, die Idee eines Allgemeinen, zu welchem neben den schon gewonnenen Merkmalen noch ein unbestimmt offener Horizont unbekannter Merkmale (begrifflicher Bestimmungen) gehört …« (ebd., S. 401). In seinen phänomenologisch-soziologischen Analysen zur Struktur des Alltagswissens greift Alfred Schütz später Husserls Typusbegriff auf unter Betonung sozialer und handlungstheoretischer Aspekte. Typisierungen sind seiner Sicht zufolge keineswegs allein durch innerpsychische Faktoren bedingt, vielmehr sind sie abhängig von situativen Momenten. Im Gegensatz zu Wahrnehmungsstereotypen geht es bei ihnen nicht um kognitive Akte, sondern um eine auf das jeweilige Objekt zentrierte vorbegriffliche soziale Beziehungsaufnahme: »Typifications operate below the level of explicit conceptualization, and they prestructure the experiential field within which such conceptualization can occur.« (Schwartz u. Wiggins 1987a, S. 71; vgl. Schütz 1953; 1959; Schwartz u. Wiggins 1987b) Klinische Diagnosen – so Schwartz und Wiggins – schließen sich an derartige Typisierungen an.

Max Webers Idealtypenkonzept Bereits Jaspers und Gruhle hatten erkannt, dass klinische Diagnosen, die stets das individuelle Ganze des konkreten Patienten berücksichtigen, als Typen aufzufassen sind. Beide stützen sich dabei auf den Idealtypusbegriff Max Webers, der damit Modellvorstellungen meint, die gewonnen werden, »durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde« (Weber 1904, S. 203f.; vgl. Jaspers 1913/1973; Gruhle 1948). Idealtypen sind also erstens hypothesenähnliche Leitvorstellungen empirischer Forschung. Dabei ist oft missverstanden worden, dass Weber keineswegs die Auffassung vertritt, die Wirklichkeit solle nun einseitig – quasi durch die Brille eines bestimmten Vorurteils – wertend beurteilt werden. Für sein Konzept empirischer Sozialforschung gilt vielmehr: »Ob der empirisch-historische Verlauf der Entwicklung tatsächlich der konstruierte gewesen ist, wäre nun erst mit Hilfe dieser Konstruktion als heuristischem Mittel zu untersuchen im Wege der Vergleichung zwischen Idealtypus und ›Tatsachen‹« (Weber 1904, S. 220). Ideal konstruierte Typen können folglich ihren Wert als forschungsleitende Ideen vor allem dadurch erweisen, dass die Tatsachen ihnen nicht entsprechen. Sie haben zwar subjektive Sach-

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verhalte zum Gegenstand und sind selbst abhängig von Fragestellungen und Perspektiven des Forschers, doch gleichwohl betrachtet es Weber als »eine elementare Pflicht der wissenschaftlichen Selbstkontrolle und das einzige Mittel zur Verhütung von Erschleichungen, die logisch vergleichende Beziehung der Wirklichkeit auf Idealtypen im logischen Sinne von der wertenden Beurteilung der Wirklichkeit aus Idealen heraus scharf zu scheiden« (ebd., S. 215). Ein zweiter wesentlicher Aspekt des Idealtypenmodells ergibt sich aus seinem Bezug zu Subjektivität und Individualität. Weber zufolge ist der Idealtypus eine »gedankliche Konstruktion zur Messung und systematischen Charakterisierung von individuellen, d. h. in ihrer Einzigartigkeit bedeutsamen Zusammenhängen« (ebd., S. 217). Mit diesen Zusammenhängen sind soziale Ordnungen gemeint, die durch sinnhaftes menschliches Handeln konstituiert werden. Damit wird die implikative Verknüpfung des Idealtypenkonzeptes mit Webers Handlungstheorie deutlich. Im Gegensatz zum Konzept des Verhaltens, das menschliche Lebensäußerungen ohne Rücksicht auf mit ihnen einhergehende introspektive Prozesse als kausal-analytisch untersuchbare, auf bestimmte Reize als Ursache zu beziehende Reaktionen thematisiert (vgl. Graumann 1980), ist Weber zufolge von Handeln nur dann zu sprechen, »wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden« (Weber 1921, S. 149). Ein anderes weitverbreitetes chronisches Missverständnis der Weberschen Handlungstheorie erklärt diese deshalb als ungeeignet für psychologische und psychodynamische Forschung, weil sie irrationalen und affektuellen Sinneszusammenhängen keinen adäquaten Platz einräume. Die herausragende Bedeutung, die Weber dem Idealtypus zweckrationalen Handelns des homo oeconomicus für die Entwicklung der modernen okzidentalen Gesellschaft und Kultur zuschrieb, führte bei zahlreichen Autoren (vgl. Hahn 1988; Gerhards 1985) zu der Annahme, Weber erhebe diesen Typus zum alleinigen Maßstab des genetisch Verstehbaren. Übersehen wird dabei, dass Weber, gestützt auf das Studium der Schriften Hellpachs und Freuds, sich im Rahmen der Entwicklung seiner handlungstheoretischen Grundkategorien auch mit den Typen menschlicher Lebensäußerungen auseinandersetzte, die – eine spezifische Mittelstellung einnehmend – weder bewusst rationalen Motiven entspringende Handlungen darstellen, noch mit letztlich unverstehbaren Vorgängen des psychophysischen Apparates gleichzusetzen sind. Am Beispiel der Erklärung der Änderungen in der Leistungskurve von Arbeitern beschäftigte er sich in der Aufsatzfolge Zur Psychophysik der industriellen Arbeit mit Fällen, in denen Affekte und Stimmungen eine Änderung der Leistungskurve bewirken. Die verursachende Gefühlslage – so Weber – ist in diesen Fällen »introspektiv nachbildbar« (Weber 1908/09, S. 247). Gemeint sind hier das Handeln motivierende affektbeladene psychische Vorgänge, die bewusstseinsfähig sind, ohne dass zugleich – insofern erscheinen sie

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irrational – der Hergang dieser Beeinflussung immer auch bewusst erlebt wird. Vorgänge dieser Art nennt Weber »psychologisch verständlich« (ebd.). Psychologisches Verstehen, das konnte an anderer Stelle (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1990; S. Frommer 1994) eingehender gezeigt werden, ist dabei für Weber im Unterschied zu Dilthey und Jaspers nicht mit Einfühlen gleichzusetzen, orientiert sich vielmehr an seinem Begriff von Soziologie als einer Wissenschaft, »welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will« (Weber 1921, S. 149). Das heißt aber, dass Weber hier die begrifflichen Möglichkeiten eröffnet für eine in der Subjektivität des Individuums verankerte psychologische, psychopathologische und psychodynamische Verstehenslehre, die den Forschungsprozess versteht als schrittweise vorgehende rational kontrollierte Rekonstruktion subjektiver Sinnzusammenhänge bis hinein in nur partiell subjektiv Bewusstes, in dem gleichwohl »eine unbemerkte (›uneingestandene‹) relativ weitgehende Rationalität des scheinbar gänzlich zweckirrationalen Verhaltens« (Weber 1913a, S. 399) waltet. Der dritte wesentliche Aspekt des Idealtypenkonzeptes besteht darin, die zu untersuchenden Sinnzusammenhänge in ihren sozialen, historischen und kulturellen Bezügen zu thematisieren. Der Mensch wird als »historisches Individuum« verstanden, eingebettet in den »Strom des unermeßlichen Geschehens«, in dem sich die Kulturprobleme, die die Menschen bewegen, »immer neu und anders gefärbt bilden« (Weber 1904, S. 193f.). Die Erforschung historischer Wirklichkeit unterscheidet sich aber grundlegend von naturwissenschaftlicher Forschung: »Die Beziehung der Wirklichkeit auf Wertideen, die ihr Bedeutung verleihen, und die Heraushebung und Ordnung der dadurch gefärbten Bestandteile des Wirklichen unter dem Gesichtspunkt ihrer Kulturbedeutung ist ein gänzlich heterogener und disparater Gesichtspunkt gegenüber der Analyse der Wirklichkeit auf Gesetze und ihrer Ordnung in generellen Begriffen. Beide Arten der denkenden Ordnung des Wirklichen haben keinerlei notwendige logische Beziehungen zueinander.« (ebd., S. 182f.) Dieser letztgenannte Aspekt des Idealtypenkonzeptes hat auch in der medizingeschichtlichen Forschung Bedeutung erlangt. Hier stellt Labisch beispielsweise die Frage, »wie der Leib des Menschen in modernen Gesellschaften zu einem besonderen Bereich des Denkens und Handelns wurde« (Labisch 1992a, S. 39; vgl. Labisch 1992b). Als Orientierung bei der Untersuchung dieser Entwicklung dienen die historisch entstandenen Idealtypen theoretisch-rationaler Deutung von Gesundheit als Leitlinie, um so die wechselseitige Abhängigkeit von Medizin und Gesellschaft zu erhellen. Auch für die Psychotherapieforschung ist dieser Aspekt des Idealtypenkonzeptes erkannt worden (vgl. Frommer et al., 1995; Frommer 1996; Frommer u. Langenbach 2001; Stuhr u. Wachholz 2001).

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Idealtypenkonzept und Prototypentheorie als empirische Forschungsstrategien Von medizinsoziologischer Seite hat sich vor allem Uta Gerhardt mit der empirischen Anwendung des Idealtypenkonzeptes beschäftigt. Ihrer Auffassung zufolge ist dieser Ansatz anderen qualitativen Untersuchungsverfahren, etwa der Objektiven Hermeneutik (vgl. Oevermann et al. 1979; Frommer u. Tress 1994), der Lebensweltanalyse (vgl. Schütz u. Luckmann 1979/84) und der Grounded Theory (vgl. Strauss 1991) insofern überlegen, als Weber »nicht der Ansicht war, durch einen erkenntnistheoretischen Kunstgriff am Problem der Perspektivität und Relativität der Hypothesenkonstruktion und der Hypothesenprüfung vorbeisegeln zu können« (Gerhardt 1985, S. 249f.; vgl. Gerhardt 1991). In ihrer idealtypischen Analyse von Patientenkarrieren chronisch Nierenkranker geht diese Autorin von einem zweistufigen Forschungsprozess aus, der ein wertbeziehendes – im Gegensatz zum wertenden – Urteilen des Forschers ermöglicht: Der erste Schritt besteht in der Bildung des Idealtypus durch kontrastierende Benutzung von Fallwissen (Alltags- und/oder Wissenschaftseinsichten, Datenmaterial, das vorliegt oder erhoben wird); im zweiten Schritt wird dann der Idealtypus zur Fallerklärung verwandt, d. h. zum vergleichenden Verstehen der zu untersuchenden Sinnphänomene. Versuchsweise werden so Idealtypen an der Realität geprüft, gegebenenfalls ausgeschieden und ersetzt oder modifiziert, bis eine hinsichtlich Reichhaltigkeit und Schlüssigkeit befriedigende Modellvorstellung gefunden ist. Subjektive Momente aufseiten des Forschers gehen zwar unvermeidlich in die Idealtypenkonstruktion ein, zu fordern und zu realisieren ist aber, dass die Phase der Verifikation von Idealtypen an Einzelfällen in kontrollierten methodischen Schritten abläuft, die einer subjektiven Verzerrung korrigierend entgegenwirken. Dies kann vor allem dadurch erreicht werden, dass das komplexe Wechselspiel von in die Idealtypenbildung eingehenden Deutungen auf verschiedenen Ebenen (Deutungen im Narrativ des Interviewten, von diesem sich selbst oder anderen zugeschrieben; Deutungen des Interviewers; Deutungen des Auswerterteams) hinsichtlich seiner Einzelkomponenten beleuchtet und ausdifferenziert wird. Neben dem Weberschen Idealtypenkonzept beschäftigen sich in der empirischen Diagnostikforschung einige Forscher mit einem verwandten Theorieansatz, der von Ludwig Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeiten ausgeht. Wittgensteins Auffassung, dass die Grenzziehung zwischen Begriffen nicht primär formallogischen Gesichtspunkten folgt, sondern eher den je nach Situation variierenden Zwecken von Sprachhandlungen, impliziert, dass sich für Kategorien typische und weniger typische Fälle unterscheiden lassen: »Nur in normalen Fällen ist der Gebrauch der Worte uns klar vorgezeichnet; … Je abnormaler der

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Fall, desto zweifelhafter wird es, was wir nun hier sagen sollen.« (Wittgenstein 1980, S. 92) Innerhalb des empirischen Kognitivismus wurde diese Auffassung Ausgangspunkt der Prototypentheorie, deren zentrale These lautet, »daß Kategorisierung auf allen Strukturebenen natürlicher Sprachen bei prototypischen Fällen beginnt, die den Kern der Kategorien bilden, und daß Kategorien vom Prototyp ausgehend gemäß verschiedener, überwiegend metaphorischer Prinzipien erweitert werden« (Streeck 1991; vgl. Mervis u. Rosch 1981). Anders als Merkmale garantieren Prototypen in der Perspektive einer kognitiven Ökonomie maximale Kontraste und sind zugleich Modelle, nach denen empirische Erscheinungen konzeptualisiert werden. Die Prototypentheorie erweist sich damit als eine auf qualitative Unterschiede zielende empirische Geisteswissenschaft, die sich in ihren Wurzeln grundsätzlich von formallogischen Theorieansätzen abgrenzt. Dieser letztgenannte Aspekt scheint in der aktuellen Rezeption der Prototypentheorie in Psychiatrie und Psychotherapieforschung tendenziell verlorenzugehen. Hier wird Prototyp verstanden als »abstraction across judges« (Horrowitz u. Malle 1993, S. 140; vgl. Frances 1982; Horowitz et al. 1981a; Horowitz et al. 1981b; Livesley 1986; Mezzich 1989). Horowitz und Malle schlagen als Definition vor, »first to describe a prototypical ideal, composed of the most frequent characteristics of members of the category, and then to specify the degree to which a particular instance approximates the ideal« (Horrwitz u. Malle 1993, S. 131). Mit dieser quantitativen Operationalisierungsstrategie, die den Autoren zufolge vor allem den Ausschluss nicht eindeutig zuzuordnender Fälle und damit die Erhöhung der Interrater-Reliabilität zum Ziel hat, werden Prototypen von Horowitz und Malle in eins gesetzt mit mathematischen »fuzzy concepts«. Zu der gegenwärtigen Ambiguität des Prototypenkonzeptes zwischen metaphernanalytisch geschulter qualitativ-empirischer Geisteswissenschaft einerseits und modernen mathematischen Zuordnungsprozeduren andererseits tritt ein grundsätzliches Problem: Letzter Bezugspunkt für Wittgensteins philosophische Untersuchungen war in endgültiger Weise die Normalsprache: »Die Bedeutung des Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt« (Wittgenstein 1980, S. 236). Damit ist gemeint, dass sprachliche Ausdrücke nicht im Rekurs auf innersubjektive Vorstellungen erklärt werden, sondern in der Erläuterung der Verwendungsregel, nach der der sprachliche Ausdruck in der intersubjektiven Verständigung funktioniert (vgl. Tugendhat 1976, S. 188f.). Sowohl der innersubjektive Erfahrungszusammenhang, als auch der intersubjektive gesellschaftliche und kulturelle Hintergrund menschlicher Existenz sind in dieser Gegenstandsbestimmung zwar angesprochen, jedoch in einer auf die Klärung der Verwendungsregeln von Begriffen reduzierten Form. Diese Verkürzung ist von verschiedenen Seiten kritisiert worden. So unterschiedliche Richtungen wie die moderne soziologische Systemtheorie auf der einen und phänomenologisch-

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philosophische Ansätze auf der anderen Seite gehen davon aus, dass nicht zu sehen ist, wie die »Sprachtheorie den Sinnbegriff ausreichend klären könnte, da sie ihn in all ihren Grundbegriffen … immer schon voraussetzt« (Luhmann 1971, S. 71), d. h. dass Sprache nicht nur auf kognitiven Grundlagen fußt, sondern auch die klassischen Topoi bewusstseins- und selbstbewusstseinstheoretischer Ansätze zu gewärtigen hat (vgl. Tugendhat 1979; Henrich 1982). Es wundert daher nicht, wenn etwa der Phänomenologe und Sprachforscher Elmar Holenstein die Auffassung vertritt, dass es bei der Aufklärung der prototypischen Struktur menschlicher Erfahrung sinnvoller wäre, an die phänomenologischen Wahrnehmungsanalysen von Carl Stumpf, Edmund Husserl und Maurice MerleauPonty anzuschließen als an Wittgensteins Familienähnlichkeits-Idee (vgl. Holenstein 1980).

Idealtypenkonzept und qualitative Urteilsforschung Die genannten Argumente lassen m. E. den Schluss zu, dass sich die Handlungstheorie und das Idealtypenkonzept Max Webers besser als allgemeine Rahmentheorie praxeologischer Urteilsforschung eignen als das gemeine Prototypenkonzept. Für die Erforschung von Prozessen der Urteilsbildung kommt – hier kehren wir zum Ausgangspunkt unserer methodologischen Überlegungen zurück – der Bildung von Idealtypen in zweierlei Hinsicht besondere Bedeutung bei: Erstens lassen sich die vom Praktiker im Anschluss an inhaltlich vage und inexplizite Typisierungen zur Anwendung gebrachten bewussten Ordnungsschemata als Idealtypen verstehen: »On the basis of their preconceptual seeing, physicians are then able to conceptualize these different sorts of disorder. The ideal types that provide the explicit categories of nosology thus presuppose these more fundamental psychiatric skills for identifying mental distress.« (Schwartz u. Wiggins 1987b, S. 282) Zweitens bedient sich auch der diesen Prozess untersuchende Forscher idealtypischer Konstrukte. Der zweite der beiden genannten Aspekte hat uns in den 1990er Jahren in der Absicht der Begründung eines Forschungsprogramms für die psychotherapeutische Diagnostikforschung beschäftigt. Resümierend war Anfang der neunziger Jahre festzustellen, dass sich die Diagnostikforschung in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ganz überwiegend mit Problemen der Implementation der neuen Klassifikationsschemata beschäftigte. Da eine Validierung, etwa durch biologische Korrelate oder Verlaufsparameter, bei Persönlichkeitsstörungen und Neurosen noch unsicherer erscheint als bei den psychiatrischen Kernsyndromen, konzentrierte sich das Interesse auf die Reliabilität, d. h. auf die Überprüfung der Ergebnisse verschiedener Diagnostiker bei der Beurteilung ein und desselben Materials. In den meisten Studien wurde überprüft, ob der

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Praktiker die Operationalisierungskriterien »richtig«, d. h. übereinstimmend mit der Mehrzahl anderer Praktiker zur Anwendung bringt. Die eingangs diskutierte Frage, ob diese Rollenzuweisung des Praktikers als bloßem »Anwender« wissenschaftlicher Erkenntnis nicht zu kurz greife hinsichtlich seiner durch Ausbildung und Erfahrung gewonnenen klinisch-diagnostischen Kompetenz, blieb unberücksichtigt. Sie einzubeziehen, und somit einen Beitrag zu leisten, zur »Transformierung eines in Generationen angesammelten Erfahrungswissens in ein empirisch belegbares und nachprüfbares Faktenwissen« (Janzarik 1986, S. 681) war Aufgabe einer auf den Diagnoseprozess selbst bezogenen Diagnostikforschung. Da sie, wie gezeigt wurde, nicht nur die Klassenzuordnung von Objekten anhand von operational definierter Merkmalskonstellationen zum Gegenstand hat, sondern vor allem den Prozess der Typisierung und idealtypischen Erfassung individueller Personen, handelt es sich in erster Linie um qualitative Diagnostikforschung (vgl. Frommer 1996). Diese These impliziert, dass das Webersche Idealtypenkonzept nicht nur als begriffliches Modell zur Beschreibung der vom Kliniker verwandten Typologien herangezogen werden kann, sondern auch als Methode der Erforschung der impliziten Determinanten dieses Prozesses aus der neutralen Warte des teilnehmend-beobachtenden Forschers. Der Unterschied beider Perspektiven liegt vor allem darin, dass der Praktiker Typisierungen und idealtypische Zuordnungen unter dem Gesichtspunkt seiner erlernten schulenabhängigen »Wertorientierungen« vornimmt, ohne seine erkenntnisleitenden Überzeugungen zugleich kritisch zu hinterfragen, während sich der Forscher kritisch für das fundamentum in re interessiert und so zugleich prüft, ob dem diagnostischen Urteil nicht auch andere als die vom Praktiker angenommenen Determinanten zugrunde liegen. Eine am Idealtypenkonzept orientierte qualitative Urteilsforschung kommt dieser Aufgabe auf dreierlei Weise nach: Erstens durch empirische Forschung; zweitens durch die Beschäftigung mit der Subjekthaftigkeit der zu beforschenden Individuen und drittens durch die Einbeziehung des sozialen und kulturhistorischen Kontextes. Alle drei Aspekte sind eng miteinander verflochten. Ad (1): Im Anschluss an die neukantianische Position Windelbands geht Weber von einem weiten Empiriebegriff aus. Sowohl nomothetische als auch idiographische Ansätze sind im Sinne eines methodologischen Dualismus zu berücksichtigen (vgl. Weber 1913a). In ihrer Forschungslogik folgen beide Bereiche unterschiedlichen Regeln, zu prüfen ist aber auch, an welchen Punkten zwischen beiden Erkenntniswegen Adäquanzverhältnisse (vgl. Weber 1908/09, S. 373) auftauchen. Für die Anwendung des Idealtypenkonzeptes in der Urteilsforschung ergeben sich Schwartz und Wiggins (vgl. 1987b) zufolge aus diesen Prämissen folgende Fragen: (1) Erscheint eine idealtypische Beschreibung auf deskriptiver (a) oder theoretischer (b) Ebene angezeigt? (2) Lassen sich

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hier invariante (a) Konstituenten des Gegenstandsbereichs von mehr variablen (b) Eigenschaften unterscheiden? (3) Welche Eigenschaften lassen sich nur qualitativ (a) beschreiben und welche sind einer quantitativen (b) Beschreibung zugänglich? (4) Welche sind die zentralen Eigenschaften, worin besteht ihr innerer Sinnzusammenhang? Ad (2): Webers Idealtypenkonzept bezieht sich zum einen auf subjektiv gemeinten Sinn, zum anderen auf sozial eingebundenes Handeln menschlicher Individuen. Damit ist der Kern der Persönlichkeit im Sinne des Zentralbereiches psychischer Steuerung zum Forschungsgegenstand erklärt. Zugleich wird dieser Gegenstand nicht monadologisch als abgekapseltes Einzelwesen verstanden, sondern in enger intersubjektiver Verflechtung und in seinen Bezügen einerseits zum basalen Affektleben, andererseits zu überindividuellen Norm- und Werthaltungen (vgl. Weber 1921). Ad (3): Der dritte Aspekt, die Historizität und kulturelle Einbindung idealtypischer Konzepte, bedeutet für die Urteilsforschung, dass weder das reine Interesse an der Implementierung von Normen und ihrer Operationalisierung am Anfang des Forschungsprozesses steht noch ein rein induktives, empirischqualitatives Vorgehen. Vielmehr hat dieser Prozess mit einer kritischen Sichtung der praxisrelevanten Konzepte, deren sich der Praktiker bei seiner Urteilsbildung bedient, zu beginnen. Im Bereich meines Forschungsinteresses hat sich dabei gezeigt, dass es sich hierbei nicht um einheitliche theoretische Konstrukte handelt, sondern um historisch gewachsene Konglomerate zum Teil einander widersprechender Annahmen, die – verschiedenen Epochen der Problemgeschichte entstammend – jeweils nur Teilaspekte des Gegenstandsbereichs erfassen, oder mit denen theorieabhängig unter einem Begriff sogar völlig unterschiedliche Typologien bezeichnet werden. Aufgabe einer auf das Idealtypenkonzept gestützten Urteilsforschung ist es, diese drei Ebenen zueinander in Beziehung zu setzen. Die historisch gewachsenen, vom Praktiker zur Anwendung gebrachten normativen Konzepte, d. h. im juristischen Kontext bspw. die vorliegenden Gesetze, Verordnungen und Vorschriften, sind auf eine sie validierende empirische Basis zu beziehen und hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen den von ihnen zu regelnden sozialen Sachverhalten zu beleuchten. Aufgrund der Unstimmigkeiten und Heterogenitäten dieser Konzepte darf sich die empirische Prüfung dabei nicht auf erkenntnissichernde hypothesentestende Untersuchungsschritte beschränken, sondern muss auch durch erkenntniserweiternde qualitativ-induktive Schritte klären, welche – auch impliziten und von der Praktikererfahrung vernachlässigten – Determinanten die tatsächlich ablaufenden Entscheidungsprozesse prägen. Ziel dieses Unternehmens könnte es dann sein, durch Vergleich zwischen normativer Setzung und faktischem Ablauf zu theoretisch homogeneren, hinsichtlich Reichhaltigkeit und Schlüssigkeit befriedigenderen idealtypischen

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Modellbildungen in Bezug auf die zu regelnden sozialen Sachverhalte zu gelangen.

Jörg Frommer / Sabine Frommer

Kapitel 10: Entstehung, Rezeption und Aktualität der Texte

Die hier versammelten Aufsätze stehen für eine Perspektive auf Werk und Person, die innerhalb der Weber-Forschung einen eigenen Akzent gesetzt hat. Geradezu idealtypisch ist dieser Blick hervorgegangen aus einer spezifischen Konstellation, die zwar nicht das auf dem Frontispiz abgebildete idyllische südwestdeutsche Universitätsstädtchen widerspiegelt, aber dennoch tief in Heidelberg wurzelt. Sabine Frommer war nach Abschluss ihres Studiums der Soziologie in Tübingen und Bielefeld als Assistentin des Weizsäcker-Schülers Wolfgang Jacob ab Sommer 1981 für die Lehre der Medizin-Studierenden im Fach Medizinische Soziologie mitzuständig, als sie, vermittelt durch den am Soziologischen Institut beschäftigten Psychologen und Soziologen Ottmar Ohlhausen von der Möglichkeit erfuhr, ihr medizinsoziologisches Interesse in die 1979 ins Leben gerufene Max-Weber-Gesamtausgabe einzubringen. Wolfgang Schluchter hatte innerhalb des Projekts die Herausgabe von Webers Schriften zur Psychophysik übernommen und suchte einen Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin mit Vorkenntnissen in der für Geisteswissenschaftler doch recht fernen biologie- und medizinaffinen Thematik, die es zu bearbeiten galt. Der Wechsel vom Neuenheimer Feld an den Universitätsplatz konnte zum Oktober 1983 realisiert werden und in Bürogemeinschaft mit Birgit Rudhard, die als Mitarbeiterin von M. Rainer Lepsius an den Briefbänden arbeitete, folgten fruchtbare Jahre der Auseinandersetzung mit Max Webers Verbindungen zu Biologie, Psychologie und Psychiatrie seiner Zeit. Rasch offenbarte sich, dass die Bedeutung dieser Bezüge insbesondere im Hinblick auf Webers methodologisches Schaffen bisher unterschätzt worden waren.

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Bezüge zu experimenteller Psychologie, Psychiatrie und Psychopathologie in Max Webers methodologischen Schriften Die theoretische und damit auch die methodologische Perspektive Webers stand ganz im Mittelpunkt der Aktivitäten des Lehrstuhls von Wolfgang Schluchter. Im Kontext der historisch-kritischen Editionsarbeit fand eine hochdifferenzierte Fokussierung auf die vorhandenen und zum Teil auch zu rekonstruierenden Textquellen des hermetischen und vielfach nur fragmentarisch überlieferten Werks statt, die Neugewichtungen und Neuinterpretationen herausforderte. Dort waren u. a. Gerhard Wagner und Heinz Zipprian als Lehrstuhlmitarbeiter in diesen Diskurs der Neuentdeckung Webers involviert. Sie traten Anfang 1988 an Sabine Frommer mit der Bitte heran, erste Erträge ihrer Beschäftigung mit Webers Psychophysik für einen Sammelband bereitzustellen. Für diesen hier als erstes Kapitel wiederabgedruckten Text konnte sie nicht nur auf die von ihr verfassten Entwürfe für die Editorischen Berichte zu den in Band I/11 abgedruckten Schriften Webers zurückgreifen, sondern auch auf ein im Entstehen befindliches schließlich ca. 60 Seiten umfassendes unveröffentlichtes Manuskript, mit dem sie später die von Wolfgang Schluchter verfasste Bandeinleitung vorbereitete. Der 1994 ersterschienene Aufsatz (vgl. S. Frommer 1994) fand innerhalb der nachfolgenden Weberforschung zwar eine aufmerksame Rezeption und Würdigung bis in die aktuelle Diskussion, so bspw. bei Kaesler (2014, S. 981), die in ihm aufgezeigte Forschungsrichtung wurde jedoch wenig weiterverfolgt. Auch Joachim Radkau verweist in seiner geradezu enzyklopädischen Biographie auf diese Arbeit (Radkau 2005, S. 304), unterliegt in der Rezeption jedoch dem offensichtlichen Irrtum, die Arbeit unterstütze seine Interpretation, Weber habe in »aus heutiger Sicht geradezu übertriebenen Vorstellungen von Natur-Determiniertheit« (ebd., S. 434) gelebt. Damit verkehrt er die Kernaussage dieses Textes geradezu in ihr Gegenteil, indem er Webers fundamentale Kritik naturwissenschaftlicher Begriffsbildung und Forschungsmethodologie bei der Erfassung psychischer und psychophysischer Phänomene ausblendet. Mit den Auswirkungen dieser Kritik auf die Entwicklung der deutschsprachigen Psychiatrie hat sich Roelcke (1999) unter Berücksichtigung von Sabine Frommers Aufsatz beschäftigt. Eine internationale Rezeption hat die durch Jean-Pierre Grossein initiierte 2005 erschienene Publikation der französischen Übersetzung des Textes unter dem Titel »Psychologie expérimentale, psychiarie et psychopathologie chez Max Weber« in der Revue française de sociologie (S. Frommer 2005) erfahren.

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Naturalismus und Naturalismuskritik. Emil Kraepelins Arbeitspsychologie und ihre Rezeption durch Max Weber Im Kontext der Mitarbeit an Band I/11 der Max-Weber-Gesamtausgabe erhielt Sabine Frommer die Einladung zu dem von Gangolf Hübinger, Rüdiger vom Bruch und Friedrich Wilhelm Graf in der Werner-Reimers-Stiftung in Bad Homburg vom 20. bis 23. Januar 1993 veranstalteten Kolloquium »Idealismus und Positivismus. Die Grundspannung in Kultur und Kulturwissenschaften um 1900«. 1997 erschien der Tagungsband, der neben ihrem Aufsatz (vgl. S. Frommer 1997) auch interessante thematisch verwandte Beiträge von Eric Engstrom (1997) und Wolfgang Eckart (1997) enthält. Angestoßen durch die 1992 fertiggestellte Habilitationsschrift von Paul Hoff (vgl. Hoff 1994) wurde der bis dahin eher unhinterfragt als einer der Väter oder sogar der Vater der modernen wissenschaftlichen Psychiatrie rezipierte Emil Kraepelin einer wissenschaftstheoretischen kritischen Revision unterzogen, die ihm einen »Mangel an philosophischer Reflexion« und eine »Überbewertung des Praktischen zum Nachteil des Theoretischen« (Engstrom, 1997, S. 188) attestierte. Auch wurde erkannt, dass die besondere Tragweite dieses Defizits für die weitere Entwicklung der einem neurowissenschaftlichen Selbstverständnis verpflichteten Psychiatrie darin lag, dass Kraepelin einerseits das psychologische Experiment zum Garanten der Psychiatrie als objektiver Wissenschaft erhob, es ihm andererseits aber nicht gelang, »die Ergebnisse der experimentellen Methode für den psychiatrischen Alltag fruchtbar zu machen« (ebd.). Der Beitrag von Sabine Frommer ergänzte diese Einsichten durch den Beleg, dass Weber in den Psychophysik-Schriften, die er zu seinen wissenschaftstheoretischen Arbeiten zählte, nicht, wie vielfach zuvor angenommen, die naturwissenschaftliche Psychologie apologetisch und unkritisch rezipierte, um sie für nationalökonomisch und arbeitssoziologisch relevante Fragestellungen zu adaptierten; vielmehr handelt es sich bei genauer Lektüre um eine Fundamentalkritik überzogener Geltungsansprüche einer nomologisch-positivistischen Psychologie, die in ihrer »glaubensfrohe(n) Stimmung des naturalistischen Monismus« (Weber 1904, S. 196) am eigentlichen Gegenstand ihres Fachs vorbeisegelt.

Von der Hysterie zur Nervosität. Anmerkungen zu Willy Hellpachs sozialpathologischen Prognosen für das 20. Jahrhundert Engstrom ist zuzustimmen, wenn er Emil Kraepelin und Willy Hellpach »in vielerlei Hinsicht als Erben« (Engstrom 1997, S. 165) bezeichnet, denen insofern innerhalb des großen Schülerkreises des ab 1875 in Leipzig wirkenden Psycho-

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logen Wilhelm Wundt besondere Bedeutung zukommt, als sie ambivalent verankerte gegenläufige Unterströmungen des Wundtschen Verständnisses von Psychologie vereinseitigt zu einem rein naturwissenschaftlichen und einem überwiegend kulturwissenschaftlichen Ansatz weiterentwickelten. Dies bedeutete für Max Weber, dass seine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Psychologie auch die Arbeiten Willy Hellpachs zu berücksichtigen hatte. Seine Auseinandersetzung mit Hellpachs Schriften war wie diejenige mit den Arbeiten Kraepelins zunächst eher auf methodologische und methodische Schwächen gerichtet im Sinne des Aufweises unreflektierter Grundannahmen, die dem apperzeptionstheoretischen Psychologieverständnis Hellpachs geschuldet waren (vgl. S. Frommer 1994). Im Hintergrund blieb die aus seiner Perspektive implizierte inhaltliche Frage, inwiefern der von ihm zum zentralen Charakteristikum der Entwicklung moderner Gesellschaften erhobene okzidentale Rationalisierungsprozess auch mit spezifischen individuellen und kollektiven psychologischen Phänomenen einherging. Die Gelegenheit, sich mit dem letztgenannten Aspekt zu beschäftigen, ergab sich aus einer Einladung von Gunter Wahl und Wolfram Schmitt zur fünften Gesprächsrunde der Internationalen Arbeitsrunde zur Geschichte der Seelenheilkunde zum Thema »Selbstbestimmtheit/Fremdbestimmtheit in der Geschichte der Seelenheilkunde« am 6. und 7. Oktober 1995 im Kloster Haina. Unser 1997 erstveröffentlichter Vortrag (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1997) widmet sich der Krankheitslehre der Neurosen unter Berücksichtigung des historischen Wandels und der Abhängigkeit der Ausgestaltung der Krankheitsbilder von sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren. Aufbauend auf Hellpachs Annahme einer im Prozess der Zivilisation stattfindenden Ablösung hysterischer durch nervöse Symptomatologien, wird das nosologische Verhältnis depressiver und phobisch-angstneurotischer Syndrome als heutige Ausgestaltungsform der Grundspannung zwischen Hemmungs- und KontrollverlustPsychopathologie diskutiert. Der Begriff Nervosität als »Modekrankheit« (Eckart 1997, S. 207) der Zeit »zwischen Bismarck und Hitler« (Radkau 1998) löste sich damit von einem primär neurobiologischen Verständnis ab, das ein biologisch geschädigtes Zentralnervensystem als Ursache annahm, und entwickelte sich zu einem zunächst noch diffus umschriebenen Sammelbegriff für Symptome psychosozialen Ursprungs im Kontext zunehmender Komplexität sozialer Rollenerwartungen. Unsere Arbeit versucht im Vorgriff auf die aktuelle Diskussion zu zeigen, dass Depressivität, heute als »leading cause of disability worldwide and … major contributor to the overall global burden of disease« (WHO https:// www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/depression, Zugriff am 4. 6. 2021) betrachtet, sozialpathologisch und psychodynamisch als »Nachfolgerin« von Nervosität verstanden werden kann, wenn man Webers Theorie der Rationali-

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sierung auf die Entwicklung psychologischer und psychopathologischer Phänomene ausdehnt.

Der Begriff des psychologischen Verstehens bei Max Weber Die Anwendung von Denkfiguren aus der Religionssoziologie Max Webers auf psychologische Fragestellungen setzt voraus, dass seine handlungstheoretischen Grundbegriffe diesen Phänomenbereich überhaupt erfassen, wurde und wird auch heute noch vielfach davon ausgegangen, dass die Handlungstheorie Max Webers sich ausschließlich am zweckrationalen Handeln des homo oeconomicus orientiert. Insbesondere durch die detaillierte Beschäftigung mit seiner Psychophysik-Studie ließ sich bei ihm jedoch ein Begriff des psychologischen Verstehens nachweisen, der die Rekonstruktion affektueller, irrational erscheinender Motivzusammenhänge erlaubt. Angestoßen wurde diese Rekonstruktion durch einen Telefonanruf, der Sabine Frommer Mitte der 1980er Jahre an ihrem Arbeitsplatz an der Heidelberger Hauptstraße erreichte. Der Anrufer stellte sich als Gerd Jüttemann vor, Professor für Psychologie an der Technischen Universität Berlin. Er hatte erfahren, dass sie sich mit Max Webers Psychologie-Rezeption beschäftigte und initiierte und vermittelte zunächst eine erste kleine Publikation für die Historische Seite in der Psychologischen Rundschau (vgl. S. Frommer 1986). Sein eigentliches Anliegen stand jedoch im Kontext einer größeren Aufsatzsammlung zu Wegbereitern einer »Historischen Psychologie« (vgl. Jüttemann 1988), für die er einen Beitrag über Max Weber suchte. Das Projekt war schon fortgeschritten und der Beitrag, den Sabine zusammen mit Jörg Frommer auf seine Anregung hin verfasste, war ihm zu spezifisch auf den Begriff des psychologischen Verstehens ausgerichtet. Mit seiner Hilfe ließ sich der Aufsatz (vgl. S. Frommer u. J. Frommer 1990) jedoch an die von ihm mitherausgegebene in Gründung befindliche Zeitschrift »Psychologie und Geschichte« vermitteln, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Der Kontakt zu Gerd Jüttemann erwies sich auch in den Folgejahren als fruchtbar, weil sein Interesse an einer sozial- und geisteswissenschaftlich verankerten Psychologie nicht im Elfenbeinturm theoretischer Reflexion stehen blieb, sondern darüber hinaus die Entwicklung adäquater empirischer Forschungsstrategien vorantrieb, die methodisch kontrolliert in der Lage waren, erkenntnissicherndes hypothesengeleitetes quantitatives Testen durch erkenntniserweiterndes hypothesengenerierendes qualitatives Beschreiben und Interpretieren zu ergänzen. Während die qualitative Forschung in der Nachbardisziplin Soziologie durch phänomenologische und hermeneutische Ansätze, besonders jedoch durch die Rezeption und Weiterentwicklung der Grounded

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Theory (vgl. Glaser u. Strauss 1967) im deutschsprachigen Raum bereits Fuß gefasst hatte (z. B. Schütze 1973), stand ihre Entwicklung innerhalb der Psychologie als argwöhnisch betrachtete Außenseitermethode noch ganz am Anfang. Mit der Entwicklung einer »Komparativen Kasuistik« (vgl. Jüttemann 1981) schuf er eine Methodik zum systematischen Fallvergleich, die durch eine Reihe von Schülern auf unterschiedliche Phänomene (z. B. Klotter u. Stein 1990) Anwendung fand. Auch bei der Habilitationsforschung Jörg Frommers, die sich ab 1991 in Düsseldorf mit der Interviewdiagnostik von Neurosen und Persönlichkeitsstörungen befasste, kam diese Methode in Verbindung mit inhaltsanalytischen Techniken und Webers Idealtypenkonzept zum Einsatz (vgl. Frommer 1996).

Max Webers Bedeutung für den Verstehensbegriff in der Psychiatrie Jörg Frommer hatte ab 1977 in Heidelberg sein Medizinstudium aufgenommen und war Massenstudium und Betonöde des Neuenheimer Feldes in den freien Stunden in Richtung Altstadt entflohen, wo er, wie nicht wenige vor ihm, Lehrveranstaltungen in Psychologie, Philosophie und Soziologie besuchte. Dort begegnete er auch Wolfgang Tress, der ihn für ein Projekt zur Erforschung der Sprache Schizophrener gewann. Seine 1987 abgeschlossene Dissertation (vgl. Frommer 1993) hatte gezeigt, dass rein quantitativ erfassbare Sprachmerkmale wenig zur differentialdiagnostischen Unterscheidung beitrugen. Als notwendig erwies sich vielmehr ein verstehender Zugang, der gleichwohl die Wissenschaftskriterien methodische Kontrolle und intersubjektive Nachvollziehbarkeit erfüllt. Unter Rückgriff auf methodisch ähnlich gelagerte Probleme der damals im Entstehen befindlichen Text- und Computerlinguistik gelang es, eine empirische Methode zu entwickeln, die ein methodisch kontrolliertes hermeneutisches Verfahren zur Bestimmung der Textkohärenz darstellte (vgl. Frommer 2015). Nach klinischen Anfängen im Landeskrankenhaus Wiesloch folgte Jörg Frommer der Aufforderung Werner Janzariks, dem Zweitgutachter der Dissertation, zum Wechsel an die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg. Der Kurt Schneider-Schüler Janzarik war mit seinem Strukturdynamischen Ansatz (vgl. Janzarik 1988) einer der wenigen Lehrstuhlinhaber, die einer geisteswissenschaftlichen Orientierung aufgeschlossen gegenüberstanden, die allerdings eher in der Forensik als in der psychotherapeutischen Begegnung ihre Nutzanwendung fand. Das »Psychotische« galt in der Heidelberger Klinik auch unter seiner Leitung als das zwar phänomenologisch und hinsichtlich Struktur und Dynamik beschreibbare, aber nahezu kanonisch zugleich als das Nicht-Verstehbare. In der Klinik fand unser Interesse an einer Verstehenden Psychopa-

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thologie Resonanz bei Ingo Kittel, der sich vor allem für Arthur Kronfeld interessierte und historisch beschlagen war, aber auch bei einigen anderen Kollegen, wie bspw. dem Tellenbach Schüler Alfred Kraus oder später bei HansLudwig Kröber und Michael Schmidt-Degenhardt. Anlässlich eines Vortrags, den er 1985 über Verstehende Psychologie unter Berücksichtigung von Karl Jaspers und Hans W. Gruhle in der Heidelberger Klinik hielt, lernten wir Franz van der Haak kennen. Es entspann sich ein Austausch und wir erfuhren, dass Wolfgang Gruhle, der noch lebende Sohn Hans Gruhles, ihm Autographen für seine Forschung überlassen hatte, darunter auch ein sehr unleserlich geschriebener Brief Max Webers, der sich auf Gruhles Antrittsvorlesung bezog (vgl. Weber 1913b). Sabine bot sich an, den Brief zu transkribieren und unter unseren Augen entpuppte sich die Tatsache, dass die durch das Unverstehbarkeitstheorem gegenüber dem Psychotischen quasi kastrierte Verstehende Psychologie, die Gruhle und Jaspers unter enger Bezugnahme auf Max Weber entwickelt hatten, bei ihrem Mentor trotz seiner Fachfremdheit doch auf kritische Skepsis stieß. Damit war die Idee verbunden, unsere Überlegungen zum Beitrag Max Webers zu einer Verstehenden Psychologie auszuweiten zu einer Verstehenden Psychopathologie, die dem Verstehen des affektiven und irrationalen weit offener gegenüber stand als die in seinem Namen entwickelten Ansätze der Heidelberger Psychopathologen, die sich zwar vom materialistisch-biologistischen Reduktionismus Kraepelinscher Prägung entfernt hatten, auf ihrem Weg zum phänomenologischen Verstehen ihrer Patienten jedoch auf halbem Wege stehen geblieben waren. Aufgrund seines frühen Todes wurde aus dem geplanten Dank an Franz van der Haak in der Eingangsfußnote unseres Aufsatzes (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1990) ein Gedenken. Gemeinsam mit Michael Langenbach konnte eine englischsprachige Fassung des Manuskripts einige Jahre später in History of Psychiatry (Frommer et al. 2000) veröffentlicht werden. Von Seiten der JaspersForschung hat Matthias Bormuth (2002) unsere Überlegungen aufgegriffen, während der verstehende Ansatz innerhalb der akademischen Psychologie insgesamt weitgehend unberücksichtigt blieb. Eine Ausnahme stellen die Forensische Psychologie und Kriminologie dar, wo die Verstehende Psychopathologie von Gruhle und Jaspers im Werk Hans Göppingers ihren Niederschlag gefunden hat. In diesem Kontext hat Alexander Vollbach auch unsere Überlegungen zum problematischen Rekurs auf Weber aufmerksam rezipiert (vgl. Vollbach 2006).

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Max Webers Krankheit – Soziologische Aspekte der depressiven Struktur Das »Faszinosum Max Weber« (vgl. Ay u. Borchardt 2006) entstand nicht nur durch die langanhaltende Wirkungsmacht seines Werkes, sondern auch durch die charismatische Persönlichkeit, mit der Weber das absolute Ringen um die Wahrheit ohne Rücksicht auf persönliches Wohlergehen für Generationen verkörperte. Sein Verständnis der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft impliziert, dass seine eigene Biographie geradezu Prüfstein seines Werkes wird. Webers Überzeugung, dass wissenschaftliche Erkenntnis durch eigene Wertideen und Interessen gefärbt wird, rückt die Frage nach Webers eigenem Welt- und Selbstverständnis, nach seinen eigenen Wertüberzeugungen, ebenso in den Fokus des Interesses, wie die Frage, ob er selbst es verstand, diese Wertungen auch da, wo sie irrationale und emotionale Züge trugen, in Konflikt mit Moral und Sittenvorstellungen seiner Zeit lagen und begrifflich nur schwer fassbar waren, in sein auf die Trennung von wertendem und wertbeziehendem Urteil bedachtes Denken miteinzubeziehen. Bereits in der »Weber-Renaissance« (Weiß 1989b, S. 11) der 1970er Jahre wurde deutlich, dass die Hauptquelle der Weber-Biographik, das posthum von Marianne Weber verfasste »Lebensbild« (vgl. Marianne Weber 1926) neben dem großen Vorteil der Information aus erster Hand auch problematische Züge trug. Für Generationen von Studenten und Wissenschaftlern entstand das Bild des düsteren hermetisch-unzugänglichen und letztlich über den menschlichen Dingen stehenden Denkers, der gequält durch die titanische Last der selbst gewählten intellektuellen Aufgabe persönlich in ein apokalyptisches Ende steuert. In dieser hagiographischen Perspektive dominieren Haltsuche und Abhängigkeit, während Ambivalenz und der aggressive Wunsch, den Quasi-Heiligen zu stürzen, überwiegend unbewusst und schuldgefühlsbelastet erscheinen. Hingegen wird das Motiv der Widerlegung in der Entlarvungsperspektive bewusst. Die Denkfigur des »Schlagens mit den eigenen Waffen« wird methodisch führend. Der Biographieforscher geht von den wesentlichen Grundüberzeugungen, propagierten Werten, Postulaten oder wissenschaftlichen Ergebnissen seines Objekts aus und versucht, anhand von Zeugnissen aus dem Alltagsleben nachzuweisen, dass dieses sein Leben an anderen – und auch gegensätzlichen – Wertungen ausrichtete. Diese Form von Biographik ist weitverbreiteten Formen des Enthüllungsjournalismus nahe. Die 2005 erschienene umfangreiche Biographie Max Webers von Joachim Radkau trägt zum Teil Züge einer solchen Entlarvungsbiographie. Ausgangspunkt für Radkau ist dabei die Gegnerschaft Max Webers gegen den im Laufe des 19. Jahrhunderts vordringenden Naturalismus, der eine reale Analogie zwischen natürlichen und sozial-kulturellen Prozessen

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annahm. Radkaus innerhalb der Biographie gebetsmühlenartig wiederholtes Credo (vgl. Gerhardt 2006) ist es nun, zu zeigen, dass Weber, in einem begrifflich bei Radkau unklar bleibenden Sinn, im Laufe seines Lebens in Widerspruch zu seiner ursprünglichen Naturalismusablehnung gekommen sei und die bestimmende Kraft der Natur habe einsehen müssen. Weniger klar ausgedrückt, aber impliziert wird, dass diese »Einsicht« keinen adäquaten Niederschlag im Werk gefunden habe. Unser eigener Ansatz verfolgte andere Ziele: Aus dem Blick auf Phänomenologie und biographischen Hintergrund von Webers Erkrankung lässt sich sein indirekter Beitrag zu einer Verstehenden Psychopathologie rekonstruieren, die psychisches Leiden im zeitgeschichtlichen Kontext idealtypisch charakterisiert: Webers Bestimmung der durch den okzidentalen Rationalismus geprägten modernen Gesellschaft als stahlhartes Gehäuse, das dem einzelnen ein hohes Maß rollenkonformer Orientierung abverlangt, kann in der aktuellen Diskussion um charakteristische Strukturmerkmale der Persönlichkeit Depressiver auch heute noch Interesse beanspruchen. Mit dieser Analyse vertreten wir gewissermaßen insofern eine Gegenthese zu Radkau, als für uns nicht die natürlichen Triebkräfte letztlich pathogene Kraft entfalten, sondern ihre überzogene Repression durch verinnerlichte Rollenanforderungen. Kapitel sechs dieses Buches geht zurück auf einen Vortrag am 26. Juni 1991 in der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. Die Danksagung der Erstpublikation (J. Frommer u. S. Frommer 1993) erwähnt wertvolle Hinweise der Weberforscher Birgit Rudhard, M. Rainer Lepsius und Günther Roth, und dankt Uwe Hendrik Peters, Mitherausgeber der Fortschritte der Neurologie Psychiatrie, für seinen Hinweis auf Henry Ellenberger. Sabine und Jörg Frommer waren nun nicht mehr Heidelberger. Zum Jahresbeginn war Jörg an die Universität Düsseldorf gewechselt und vollzog damit eine Abkehr, deren individuell- und kollektiv-biographische Hintergründe ihm erst viele Jahre später klar bewusstwurden (vgl. Frommer 2007b): aus dem klinischen Psychiater wurde ein psychoanalytischer Psychosomatiker und aus dem Psychopathologen ein qualitativer Forscher. Die durch Michael Schmidt-Degenhard herzlich initiierte Einladung führte zu einer ambivalenten Wiederbegegnung mit der einerseits vertrauten, anderseits aber auch fremd gewordenen Klinik im alten Klinikum an der Bergheimer Straße. Christoph Mundt, frisch berufener Direktor der altehrwürdigen Klinik empfing Sabine und Jörg vor dem Vortrag im Direktorenzimmer, um sich ein Bild über ihre berufliche Entwicklung zu machen für die Einführung der Referenten in der darauf stattfindenden Veranstaltung. Überaus höflich, taktvoll und zuvorkommend konnte er es sich am Ende des Gesprächs aber doch nicht verkneifen, ganz »unvoreingenommen« die Frage in den Raum zu stellen, ob denn die junge Disziplin der Soziologie auch schon eine Wissenschaft sei. Der Vortrag war gut

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besucht und im Publikum hatte auch M. R. Lepsius Platz genommen und hörte aufmerksam zu. In der anschließenden Diskussion meldete er sich zu Wort: er würdigte unsere Bemühungen, lies in der für ihn typischen glänzenden Rhetorik aber auch Einblicke zu in damals noch unveröffentliches Briefmaterial, das Webers erotische Entfaltungsproblematik und seine späteren Affairen mit Else Jaffé und Mina Tobler als wichtige noch zu wenig berücksichtigte Quellen anmahnte. Gemeinsam mit ihm verließen wir die Klinik, und auf dem Weg zurück zur Bergheimer Straße erkundigte er sich interessiert über unsere gegenwärtige Lebenssituation und unsere weiteren Forschungsinteressen. Wir blieben noch ein wenig an der Mündung der Thibautstraße in die Bergheimer Straße stehen, bevor er uns mit der jovialen Frage an Jörg entließ, ob er denn sicher sei, dass die junge Disziplin der Psychiatrie denn wirklich auch schon eine Wissenschaft sei.

Recherchen zur Krankheits- und Behandlungsgeschichte um die Jahrhundertwende Der von dem Psychiater Wolfram Schmitt, dem Literaturwissenschaftler HorstJürgen Gerigk und dem Philosophen und Medizinhistoriker Dietrich von Engelhardt 1983 gegründete Arbeitskreis »Psychopathologie, Kunst und Literatur« war in seiner geisteswissenschaftlichen Interdisziplinarität eine typische Institution des alten akademischen Heidelberg. Dieser Kreis bot anlässlich seiner jährlich stattfindenden Tagung am 27. April 1996 in Saarbrücken die Gelegenheit, unsere inzwischen vor allem in Karlsruhe und Bad Urach angestrengte historischer Quellenforschung zu Webers Krankheit vorzustellen. Anhand von Selbstzeugnissen, Eintragungen in der Personalakte und ärztlichen Gutachten konnte die Diagnose Webers nun präziser als schwere neurotisch-depressive Krise bei einer hypernomisch strukturierten narzisstischen Persönlichkeit bestimmt werden. Wie bereits bei unserer ersten Arbeit zu Webers Krankheit ermöglichte der Düsseldorfer Psychiatrie-Ordinarius Kurt Heinrich die Veröffentlichung in Fortschritte der Neurologie Psychiatrie (J. Frommer u. S. Frommer 1998). Sie schließt mit Danksagungen für wertvolle Hinweise an Horst Baier, Paul Bresser, D. Frießem, Kurt Heinrich, Werner Janzarik, Ulrich Klüpfel, Hans-Ludwig Kröber, W. Böhm, Birgit Rudhard, W. A. Ruopp und an das Generallandesarchiv Karlsruhe. Unsere diagnostische Einordnung, die Webers Krankheit vollständig im Bereich des biographisch Verstehbaren verortet und damit auch entzaubert, hat bis heute Bestand. Auch Werner Janzarik, der anlässlich unserer ersten Arbeit zu Webers Krankheit noch eine bipolare Psychose in den Raum gestellt hatte, schloss sich unserer Beurteilung an, indem er schrieb: »Was Sie hier über die

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kritischen Jahre um die Jahrhundertwende herausgefunden haben spricht in der Tat für Ihre Ausgangshypothese und gegen meinen Einwand.« (Janzarik 1996) In einem späteren Gespräch mit M. R. Lepsius kristallisierten sich jedoch drei Themenbereiche heraus, deren eingehendere Berücksichtigung noch neue Facetten der pathographischen Perspektive auf Max Weber sichtbar werden lassen konnte. Hierbei ging es zunächst um die Bedeutung der sexuellen Problematik, über die Lepsius an uns schrieb: »Ohne ein Freudianer zu sein, würde ich der sexuellen Komponente eine größere Rolle zuschreiben als eine alltägliche Erfahrung der psychophysischen Versagung« (Lepsius 1998). Er deutet damit zu Recht die Rolle des pathogenen Einflusses der verinnerlichten restriktiven Sexualmoral seiner Zeit auf die Entwicklung von Webers Krankheit an. Wie Radkau zu dieser Thematik zu berichten weiß, lässt der Heidelberger Philosoph Hermann Glockner, der Weber persönlich nie begegnete, in seinen illustren Lebenserinnerungen Heinrich Rickert über Max und Marianne Weber in ihrer Freiburger Zeit berichten: »Sie wohnten in einem Mietshaus über einer Spießerfamilie. … Da kaufte er ein Lederkissen und eine Hundepeitsche und begann oft mitten in der Nacht, auf dieses Kissen loszuschlagen; Marianne schrie dazu. Selbstverständlich erzählte man sich bald überall, dass der Professor Weber seine Frau im Rausch verprügele; das machte den beiden Spaß. Sie wollten auffallen und in dem stockkatholischen Freiburg war das nicht schwer« (Glockner 1969, S. 101). Radkau interpretiert diese Zeilen nun als Hinweis auf sadomasochistische Sexualpraktiken und unterstellt Weber, »dass er in angeheitertem Zustand mit solchen Lüsten einen Jux trieb, aus einem vermutlich richtigen Instinkt heraus, dass er zu seiner sexuellen Abnormität am besten ein spielerisches Verhältnis gewann« (Radkau 2005, S. 90). Liest man die zitierten und die nachfolgenden Zeilen in Glockners Erinnerungen jedoch genau, so geht es nicht um die Durchführung perverser Sexualpraktiken, sondern um die Vortäuschung sexueller Pathologie zum Zwecke der Kompromittierung von Nachbarn in einem kontrollierenden engstirnigen kleinbürgerlichen Wohnumfeld. Darüber hinaus würden die angedeuteten Sexualpraktiken heute wohl kaum noch die Kriterien einer psychiatrischen Diagnose erfüllen, sondern eher einer der vielen Varianten normaler Sexualität zugeordnet. Die Andeutung von Lepsius war jedoch eher als Hinweis auf eine sexuelle Funktionsstörung denn als Hinweis auf eine Perversion zu verstehen. Das von Radkau akribisch zu dieser Frage recherchierte Archivmaterial, insbesondere auch unter Heranziehung des Briefwechsels zwischen Marianne und ihrer Schwiegermutter Helene, weist über Jahre hinweg als zentrale sexuelle »Pathologie« das regelmäßige Auftreten unwillkürlicher Samenergüsse im Schlaf, sog. Pullutionen aus (vgl. Radkau 2005, S. 253ff.), in seiner Monografie leider begrifflich unscharf mit Impotenz (z. B. Radkau 2005, S. 262) in Verbindung gebracht. Aus heutiger sexualmedizinischer Perspektive handelt es sich hierbei um

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Ejakulationen, in der Regel begleitet durch Erektionen, die durch Träume sexuellen Inhalts ausgelöst werden. Sie treten bei Pubertierenden regelmäßig als erste Zeichen der Geschlechtsreife auf und verschwinden nach der Aufnahme bewusster sexueller Aktivitäten in Form von Masturbation und/oder Geschlechtsverkehr. Eine Krankheitswertigkeit besteht nicht. Die Erklärung für den Fortbestand dieser Manifestation von Sexualität bei Weber in das Erwachsenenalter hinein, erschließt sich durch die Psychodynamik seiner neurotischen Entwicklung: Deren Kern besteht in der bereits von Mitzman (1984) beschriebenen ungelösten ödipalen Konfliktkonstellation, die ihn als loyalen Verbündeten seiner sexualfeindlichen Mutter im Ehekonflikt mit dem autoritären Vater versteht. Hierdurch wurde eine positive Besetzung männlicher Libido und Sexualität beeinträchtigt, einhergehend mit einer massiven Verdrängung sexueller Wünsche ganz im Sinne protestantischer Askese, und einer asexuell konzipierten Partnerschaft zu Marianne, in der zudem das Inzesttabu aufgrund der verwandtschaftlichen Nähe jede Sexualität zum Verbotenen erklärte. Ein weiterer pathogener Faktor ergab sich möglicherweise aus einer kindlichen sexuellen Erregung während einer Prügelstrafe durch ein Dienstmädchen, wie Weber Radkau zu Folge, Karl Jaspers anvertraut haben soll (vgl. Radkau 2005, S. 299). Damit wurde das eigene sexuelle Begehren zur schuldhaft erlebten Männlichkeit und seine Manifestationen, bei denen es sich Kaeslers Vermutung zufolge möglicherweise gar nicht um Pollutionen, sondern um schamhaft verborgene Masturbation handelte (vgl. Kaesler 2014, S. 690), zu schamvoll erlebten Entwürdigungen. Hinsichtlich der intrapsychischen Konfliktsituation ging es dabei aus psychoanalytischer Sicht nicht primär um das Hereinbrechen von Naturgewalt, sondern um gesunde und keineswegs außergewöhnliche (unbewusste) Phantasien und Triebwünsche, die durch von der Mutter übernommene rigide und überstrenge innere Wertvorstellungen verboten wurden. Webers im psychischen Sinne (und nicht im Sinne des Sexualverhaltens) masochistische Über-Ich-Pathologie steht somit in enger Wahlverwandtschaft zu seiner späteren religionssoziologischen Forschungsthematik und der Gedanke erscheint nicht weit hergeholt, dass ihm die Beschäftigung mit der historischen Entstehung, den Formen und den gesellschaftlichen Funktionen asketischer Lebensformen dabei geholfen hat, diese Formen der Selbstschädigung zu überwinden. Lepsius zufolge fand Webers kritische Auseinandersetzung mit der lebensfeindlichen Sexualmoral, die ihn geprägt hatte, in seiner Lebensführung vor allem ihren Niederschlag in der im Sommer 1912 eigegangen außerehelichen Liebesbeziehung zu Mina Tobler (vgl. Lepsius 2004). Einen weiteren Aspekt stellt der doch erhebliche Alkoholkonsum dar, den u. a. Webers Selbstzeugnisse (z. B. Weber 1884) über die gesamte Biographie hinweg sichtbar werden lassen. Hierzu berichtet beispielsweise Helmuth Plessner als

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Zeitzeuge 1970 in einem Interview: »Man sagt auch, dass Rickert ihm sehr geholfen hat in der Zeit, in der Weber – aber das kann ich nicht verbürgen – Trinker gewesen ist« (Ando 2003, S. 605). Eine Monografie zu dieser Thematik wird derzeit von Siegfried Tasseit verfasst. Unter dem Blickwinkel der Krankheitswertigkeit ist allerdings anzuführen, dass der als »normal« bezeichnete sozial legitimierte Konsum alkoholischer Getränke in der mitteleuropäischen Kultur heute wie vor 100 Jahren einen erheblichen Umfang toleriert, und dass Alkoholismus als Hauptdiagnose wohl dadurch ausgeschlossen werden kann, dass Hinweise auf alkoholtoxische Psychosen (insbes. Delirien) ebenso fehlen wie Hinweise auf einen zerebralen Abbau oder eine Leberzirrhose. Schließlich ist noch der pathogene Wert iatrogener Schädigungen zu diskutieren: Wie Radkau ebenfalls detailreich recherchiert (vgl. Radkau 2005, S. 263ff.), spielen hierbei die zur Behandlung seiner Schlafstörung eingesetzten Brom- und Barbitursäurepräparate die entscheidende Rolle, wobei auch Sulfone und sogar Heroin zum Einsatz kamen. Mit Sicherheit ist anzunehmen, dass diese Sedativa weniger zum Wohlbefinden als zur Akzentuierung und Chronifizierung von Webers Beschwerden, bspw. Schwächegefühle, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen, beitrugen. Für Bromismus-typische Symptome wie Bewusstseinsverluste, psychotische Phasen, Krampfanfälle, Koordinationsstörungen und spezifische Hautveränderungen fehlen allerdings Hinweise, so dass nicht von einer den gesamten Krankheitsverlauf richtungsweisend mitbestimmenden medikamentenbedingten Komorbidität auszugehen ist. Weitaus schlimmere iatrogene Schädigungen, wie bspw. eine 1909 von Ludolf Krehl in Abwesenheit Max Webers, jedoch mit Wissen von Marianne, ins Gespräch gebrachte operative Kastration, blieben ihm aufgrund der Skepsis Franz Nissls gegenüber einem solchen Eingriff glücklicherweise erspart (vgl. Radkau 2005, S. 289f.).

Psychotherapie als Beruf Das achte und neunte Kapitel dieses Buches sind der Frage gewidmet, welchen Nutzen wir aus Webers Beitrag zu einer Verstehenden Psychologie und Psychopathologie heute ziehen können. Sie kann in zwei Richtungen entfaltet werden: zum einen im erkenntnistheoretischen und zum anderen im handlungstheoretischen Kontext. Kapitel acht ist dem letzteren dieser beiden Aspekte gewidmet. Die Anwendung Verstehender Psychopathologie in der Behandlung psychogener Erkrankungen und in der Unterstützung bei der Verarbeitung körperlicher Erkrankungen hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts professionalisiert. Diese Professionalisierung nahm schließlich Gestalt an in der Schaffung des Psychotherapeuten als eigener Profession.

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Jörg Frommers Weiterbildung zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, später umbenannt in Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und zum Psychoanalytiker hatte die beiden 1991 nach Düsseldorf geführt. Anlässlich des 75. Geburtstags der emeritierten Vorgängerin des dortigen Lehrstuhlinhabers Wolfgang Tress veranstaltete dieser am 16. und 17. Mai 1996 ein Symposium für Annelise Heigl-Evers über »Ethik in der Psychotherapie«. Die Vortragseinladung war ein willkommener Anlass, Webers Vorträge vor der Münchner Studentenschaft von 1917 und 1919 (vgl. Weber 1919a; 1919b) zum Anlass zu nehmen, Grundprobleme einer Theorie psychotherapeutischen Handelns im Spannungsfeld zwischen rationaler Aufklärung und charismatischer Führung zu erörtern. In einem von Wolfgang Tress gemeinsam mit Michael Langenbach herausgegeben Sammelband wurde der überarbeitete Vortrag (vgl. J. Frommer u. S. Frommer 1999) erstpubliziert. Der Vortrag war zugleich ein Abschiedsvortrag. Im Juni 1996 folgte Jörg Frommer dem Ruf, an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg einen psychosomatischen Lehrstuhl einzurichten und am dortigen Universitätsklinikum eine Klinik zu gründen. Ergänzt wurde dies durch die von ihm mitinitiierte Gründung des Instituts für Psychoanalyse und Psychotherapie Magdeburg. Damit begleitete ihn die Frage nach der Etablierung von Psychotherapie als Beruf auch weiter. Die in diesem Vortrag skizzierten Überlegungen konnten u. a. während seiner Fellowship am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld ab 2008 weiterentwickelt werden. Dort war er gemeinsam mit Jörg Bergmann, Ulrich Dausendschön-Gay, Elisabeth Gülich, Reinhold Hickl, Ludger Hoffmann, Kent Lerch, Frank Oberzaucher, Thomas Scheffer, Ulrike Schröder, Thomas-Michael Seibert, Ulrich Streeck und Susanne Uhmann Mitglied einer Arbeitsgruppe, die der professionssoziologischen Frage nachging, wie ein »Fall« im professionellen Handeln, bspw. im Handeln von Ärzten oder Juristen, konstituiert wird, und welche epistemischen, interaktiven und institutionellen Aktivitäten in die Bearbeitung dieses Falles typischerweise involviert sind. Innerhalb der mehrjährigen Arbeit gelang es in dieser interdisziplinären Kooperation von Juristen, Medizinern, Psychoanalytikern, Sprachwissenschaftlern und Soziologen an konkreten Beispielen aus Strafgerichtsbarkeit, Zivilprozess, Chirurgie und Psychotherapie die Grundlinien einer allgemeinen Theorie professioneller Fallarbeit zu skizzieren, die den begrifflichen Rahmen stiftet für die epistemischen Praktiken der Fallarbeit in unterschiedlichen Professionen von der Fallannahme und Falleröffnung über die unterschiedlichen Stadien der eigentlichen Arbeit am Fall bis hin zum Fallabschluss und seiner Dokumentation und Absicherung (zum letztgenannten Aspekt vgl. Frommer u. Seibert 2014). Der eigene Beitrag in dem von dieser Arbeitsgruppe veröffentlichten Sammelband beschäftigte sich mit den Spezifika der Fallarbeit im medizinischen und psy-

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chotherapeutischen Handeln (vgl. Frommer 2014) und wurde später ergänzt durch eine Arbeit über den unklaren Methodenbegriff in der Medizin in seiner Ambivalenz zwischen Erkenntnisbezug und Handlungsbezug (vgl. Frommer 2018).

Typisierung, Idealtypenbildung und qualitatives Urteil Der 1991 erfolgte Wechsel nach Düsseldorf ermöglichte Jörg Frommer die Etablierung einer eigenen Forschergruppe und die Ausformulierung und Anwendung eines eigenen Forschungsprogramms. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Suche nach einer der Verstehenden Psychologie und Psychopathologie angemessenen Forschungsmethodologie, die sich nicht mit quantitativer Hypothesentestung zufriedengab, sondern methodisch kontrolliertes Fremdverstehen ermöglichte. Konkret stand seine Forschungsthematik im Kontext diagnostischer Fragen in einem Feld, in dem nicht biologische Marker als Einund Ausschlusskriterien bei der Zuordnung von Einzelfällen zu kategorialen Krankheitseinheiten herangezogen werden können, sondern allein interaktiv in diagnostischen Gesprächen generierte Krankheitsnarrative als Material für die Falldefinition dienen. Über die beim Aufbau des Magdeburger psychoanalytischen Instituts unterstützend engagierte Kollegin Jutta Baur-Morlok kam bereits während der Düsseldorfer Zeit die Verbindung zu dem Rechtstheoretiker und Rechtssoziologen Martin Morlok zustande, den Jörg Frommers Beschäftigung mit der Konzeptualisierung diagnostischer Beurteilungen aufgrund analoger Probleme in den Rechtswissenschaften interessierte. Hieraus resultierte die Vortragseinladung auf seiner vom 27. bis 29. Oktober 2000 in Hagen veranstalteten Tagung »Vom Scheitern und der Wiederbelebung (?) juristischer Methodik im rechtlichen Alltag. Der Theorie-Praxis-Bruch in juristischer Methodenlehre und Soziologie«. In überarbeiteter Form konnte dieser Vortrag später zusammen mit den anderen Tagungsbeiträgen in der Zeitschrift »Rechtstheorie« (vgl. Frommer 2001) erscheinen. Die wissenschaftlich fruchtbaren Jahre von 1996 bis 2021, in denen Jörg Frommer den psychosomatischen Lehrstuhl an der Universität Magdeburg aufbaute und leitete, waren ganz dem klinischen Verstehen der subjektiven Sichtweise von Patienten auf ihre Krankheit und der therapeutischen Interaktionsprozesse gewidmet (vgl. Frommer u. Vogel 2016). Diesem verstehenden Zugang entsprach wissenschaftlich die Entwicklung und Anwendung qualitativer Forschungsmethoden, die ganz wesentlich mitgeprägt wurden durch die persönlichen Begegnungen und Kooperationen mit Hermann Faller, David Rennie, Fritz Schütze und Uta Gerhardt.

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Ein weiteres zentrales Anliegen bestand in einer Verbindung der Erträge von erstens Verstehender Psychologie und Psychopathologie, zweitens Psychoanalyse und drittens qualitativer Forschung (vgl. Müller-Herwig u. Vogel 2016). Ein erster Beitrag hierzu, der u. a. einem langjährigen persönlichen Austausch mit Léon Wurmser einiges verdankt, monierte, dass die Beziehung zwischen Psychoanalyse und Sozialwissenschaft zwar theoretisch viel diskutiert wurde, eine Auseinandersetzung mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden auf der Ebene konkreter Forschungsmethodik jedoch noch nicht zufriedenstellend erfolgt sei. Jörg Frommer postulierte, »dass die der Hermeneutik verbundenen Methoden der qualitativen Sozialforschung zahlreiche Gemeinsamkeiten mit der psychoanalytischen Methode aufweisen. Ihre Rezeption in der psychoanalytischen Klinik und Forschung kann zu einer klareren Konzeptualisierung unbewusster Prozesse beitragen. Umgekehrt hält die psychoanalytische Methode Antworten für bisher ungelöste Probleme der qualitativen Sozialforschung bereit, indem sie deren Kategorienbildung gründet in einem Verständnis von biographischer Arbeit, dessen Grundfiguren und Prozessstrukturen durch biologische und soziale Einflussfaktoren geprägt sind« (Frommer 2007a, S. 781). Die Wiedergabe der Erstpublikationen in diesem Buch folgt weitgehend den Originalpublikationen. Abweichend hiervon wurden lediglich eine Anpassung der Rechtschreibung und eine Einfügung von Zwischenüberschriften zur besseren Orientierung im Textverlauf vorgenommen, wo dies in der Erstpublikation noch nicht erfolgt war. Zeitbezüge wurden aktualisiert und die Zitierweise vereinheitlicht. Statt einzelner Literaturverzeichnisse am Ende der Kapitel wurde ein Gesamtliteraturverzeichnis erstellt. Die erneute Publikation erfolgt in der Überzeugung, dass unsere Beiträge nicht überholt sind. Max Webers Diagnose der modernen rationalen Welt als das die lebendige Entfaltung des Individuums restringierende stahlharte Gehäuse und die Diagnose Depression, die sein Krankheitsbild in der aktuellen Sprache der Psychiatrie bezeichnet, stehen sich spiegelbildlich gegenüber. Beide werfen die kulturkritische Frage nach den paradoxen pathogenen Mächten des Zivilisationsprozesses auf, der unserer Gegenwart seinen Stempel aufdrückt. Methodologisch und methodisch können in diesem Kontext sowohl die qualitative Sozialforschung im Gefolge der Verstehenden Soziologie als auch die moderne Psychoanalyse, konzeptualisiert als Verstehende Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie, immer noch von Webers Gedanken lernen. Psychoanalytische Stunde und narratives Interview eröffnen gleichermaßen die Chancen für tiefe Einsichten und das Fremdverstehen von subjektivem Fühlen, Erleben und Denken. Abstinenzgebot und Wertfreiheitspostulat fokussieren in einander ergänzender Weise, wie dieses Fremdverstehen durch unbemerkte Projektionen und Vorurteile verzerrt werden und damit fehlgehen kann. Ohne Zugänge, die sich an derartigen Prinzipien orientieren und ihre Einsichten nicht in absoluten

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Gesetzen, sondern in perspektivisch gedachten idealtypischen Konstrukten verallgemeinern, bleibt Humanwissenschaft von Reduktion und damit von Dehumanisierung bedroht. Sabine Frommer ist der Max-Weber-Forschung treu geblieben. 2010 erhielt sie die Anfrage, ob sie noch einmal bereit wäre, an einem Band der MWG mitzuarbeiten. Wieder handelte es sich um den Kontext der methodologischen Schriften und es blieb keine innere Alternative als zuzusagen. Ab Juni 2011 folgten erneut Jahre, angefüllt mit unzähligen Bibliotheksrecherchen, Erarbeitung von Anmerkungsapparaten und Verzeichnissen, Textredaktion und Verfassen Editorischer Berichte, bevor sie 2018 Band I/12 in Halbleder, mit handschriftlicher persönlicher Widmung von Georg Siebeck, in ihre Hände nehmen konnte, ihn aufschlug und in der Titelei las: Verstehende Soziologie und Werturteilsfreiheit Schriften und Reden 1908–1917, herausgegeben von Johannes Weiß in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer.

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