Materials in Progress: Innovationen für Designer und Architekten 9783035613681, 9783035613575

Materialien für unsere Zukunft Neue Werkstoffe und Technologien nehmen in der Architektur und im Design eine bedeuten

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Materials in Progress: Innovationen für Designer und Architekten
 9783035613681, 9783035613575

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Die Neue Achtsamkeit Und Der Bewusste Konsum
2. Nachhaltigkeit Und Kreislaufwirtschaft
3. Bioökonomie Und Biobasierte Materialien
4. Neue Mobilität Und Leichtbaulösungen
5. Digitalisierung Und Internetkultur
6. Additive Produktion Und 3D-Drucken
7. Intelligente Systeme Und Bioinspirierte Oberflächen
8. Regenerative Energien Und Energiegewinnung
Anhang

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MATERIALS IN PROGRESS Innovationen für Designer und Architekten

MATERIALS

IN PROGRESS Innovationen für Designer und Architekten Sascha Peters

Birkhäuser Basel

Diana Drewes

Grafischer Entwurf und Umschlaggestaltung  Tom Unverzagt, Leipzig

Bildnachweis für den Umschlag – von links nach rechts, von oben nach unten

Layout und Satz  Heike Strempel, Berlin

Foto: Haute Innovation Quelle: Adidas Quelle: Dahea Sun Quelle: Out of Space Foto: Haute Innovation Quelle: Melanie Glöckler Quelle: Diana Scherer, Amsterdam; Foto: Seed Soil Photography Quelle: Carolin Schulze Foto: Haute Innovation

Lektorat und Projektkoordination  Henriette Mueller-Stahl, Berlin Produktion  Heike Strempel, Berlin Lithografie  bildpunkt Druckvorstufen GmbH, Berlin Papier  120 g / m² Tauro Offset Druck und Bindung  Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH

Library of Congress Control Number: 2019937339

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN 978-3-0356-1357-5 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-1368-1 Englisch Print-ISBN 978-3-0356-1358-2

© 2019 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin / Boston

9 8 7 6 5 4 3 2 1 www.birkhauser.com

VORWORT  8 DIE NEUE ACHTSAMKEIT UND DER BEWUSSTE KONSUM   10

1

Alternative Ernährungskonzepte  12 Konzepte gegen Lebensmittelverschwendung 18 Mehrweg statt Einweg   21 Bioabbaubare Verpackungen  23 Essbare Verpackungen  26 Lebensmittelechte Beschichtungen  29 Schluss mit Mikroplastik  31 Kunststofffressende Organismen  34 Temporäres Wohnen  37

NACHHALTIGKEIT UND KREISLAUFWIRTSCHAFT   38

2

Ocean Plastics  40 Polyamide aus Fischernetzen  42 Biobasierte Hochleistungsfasern   45 Kreislauffähige Textilien  47 Natürliche Zuschlagstoffe  51 Chemisches Recycling  53 Zellulosebasierte Materialien  54 Tierische Wertstoffe  57 Recycelte Baumaterialien  59 Bauwerkstoffe aus Verpackungen  61 Urbane Reststoffe  65

BIOÖKONOMIE UND BIOBASIERTE MATERIALIEN  70

3

Biobasierte Harze  72 Biobasierte Elastomere  74 Biobasierte Schaumstoffe  76 Kaseinkunststoffe 78 Pilzbasierte Materialien  80 Rindenwerkstoffe 82 Pflanzlicher Lederersatz  85 Papier und Textilien aus Gras  89 Algen und Algenkomposite  92 Werkstoffe mit organischen Reststoffen  96 Biofabrikation 100 Biobasierte Baumaterialien  102

NEUE MOBILITÄT UND LEICHTBAULÖSUNGEN  104

4

Papier-Verbundmaterialien 106 Biologisch abbaubare Flaschen  110

INTELLIGENTE SYSTEME UND BIOINSPIRIERTE OBERFLÄCHEN  194

7

Multistabile Faserverbundstrukturen  196 3D-Auxetik 198

Textilbasierter Leichtbau  112

Thermische Memory Materials  200

Stabile Kohlenstoffmodifikationen  114

Atmende Systeme  203 Formveränderung durch Hygroskopie  205

Kohlenstofffasern aus Lignin oder Kohlendioxid  116

Dauernasse flüssigkeitsimprägnierte

Holzleichtbau 118

Oberfläche 206

Bambusleichtbau 121

Antieisoberflächen 207

Hohlkugelstrukturen 125

Salvinia-Effekt 208

Biobasierte Schaumstrukturen  127

Graphen-Materialien 209

Seidenwerkstoffe 129

Wassersäubernde Filtermaterialien   210

Bionische Strukturen aus dem Meer  132

Magnetische und magnetorheologische Werkstoffe 212

DIGITALISIERUNG UND INTERNETKULTUR   134

5

Phono-lumineszierendes Papier und flüssiges Licht  215

Materialien für das Smart Home  136

Leuchtende Pflanzen  217

Induktive Systeme  138

Selbstheilende Werkstoffe  218

Magnetisierbare Straßenbeläge  140 MicroLED 141 Elektrolumineszenz-Lichtbeschichtung   142 Gedruckte Elektronik  143 Leitfähige Papiere und gedruckte Papierelektronik 146

REGENERATIVE ENERGIEN UND ENERGIEGEWINNUNG  220

8

Transparente und organische Photovoltaik 222 Mini-Solarzellen 225

Dehnbare Schaltungen für Wearables  149

Flüssiglinsen 227

Gedruckte Elektronik auf

Biochemische Energiegewinnung  229

menschlicher Haut  151 Gewebter Textilmuskel mit elektroaktiven Materialien  153

Energie von tierischen Organismen  232 Schwungenergiewandler 234 Piezoelektrische Energiesysteme  236

Greifersystem durch Elektroadhäsion  155

Kleinwindanlagen für urbane Räume  239

Smart Dust  156

Energierückgewinnung an Rohrleitungen  242 Schwermetallfreie Energiespeicher  244

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN  158

6

Biobasierte Druckmaterialien  160 3D-Glasdrucken   164

Lageenergiespeicher 246 Multiferroische Materialien für Endlos-Akkus 247 Treibstoffe aus Sonnenlicht  248

Silikon-Druck 167 Druckmaterialien für die Medizin  168 Additive Fertigung im dreidimensionalen Raum   170 Druckmaterialien mit smarten Eigenschaften 173 Hybride additive Fertigungsprozesse  176 4D-Printing 178 4D-Textilien 182 3D-gedruckte Metamaterialien  184 Food-Printer 186 3D-Drucker in der Architektur  190

ANHANG  251 Über die Autoren  251 Register 252 Ausgewählte Publikationen der Autoren  259 Ausgewählte Vorträge der Autoren  263 Danksagung 271

VORWORT Materialinnovativen beeinflussen die Entwicklung der Menschheit seit jeher. Immer wieder lösen neue Materialien große Veränderungen in Gesellschaft, Umwelt und Technik aus. Heute werden 70 % aller Produktinnovationen auf neue werkstoffwissenschaftliche Erkenntnisse zurückgeführt. Die Materialforschung macht Funktionen möglich, die eine neue Generation von Produkten nach sich ziehen wird. Gleichzeitig verschieben Forscher die Grenzen des Machbaren stetig und kreieren Materialien, die unseren Alltag entscheidend verändern werden. Aktuell stehen wir in vielen Bereichen vor dem nächsten großen prägnanten Wechsel von Technologien mit disruptivem Charakter, ob Mobilität, Konsum oder Energieversorgung. Materialentwicklungen weisen uns in vielerlei Hinsicht den Weg in die Zukunft. In der Industrie werden Werkstoffe benötigt, die mit sehr viel weniger Ressourceneinsatz als das etwa noch vor 20 Jahren der Fall war, Funktionen realisieren können und leichter, dünner, dichter sowie mechanisch fester ausgestaltet sind und zudem die Potenziale einer digitalisierten Welt befördern. Designer und Architekten wiederum setzen sich häufig mit Fragestellungen zur Nachhaltigkeit und der drohenden Ressourcenknappheit auseinander und entwickeln eigene Werkstofflösungen, die auf biobasierten Wertstoffen oder Abfällen aus anderen Industrien basieren und sich nach Beendigung des Lebenszyklus eines Produkts den Materialkreisläufen zuführen lassen. Dabei werden immer wieder Ansätze wiederentdeckt, die für die industrielle Massenproduktion nicht interessant waren und durch neue Verarbeitungstechniken wie die additive Produktion zurück in das Bewusstsein treten. Dies trifft auf verloren gegangenes Know-how bezüglich alter Handwerkstechniken ebenso zu wie auf lokal verfügbare Pflanzen oder Reststoffe, die früher von Generation zu Generation weitergegeben wurden.

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In den letzten Jahren ist die Anzahl von Materialinnovationen enorm gestiegen, die von Designern entwickelt wurden, weil sich ihre Vorstellungen von Produkt, Produktion und Entsorgung mit den auf dem Markt erhältlichen Angeboten nicht realisieren ließen. Die Auseinandersetzung mit Materialien hat zu einem neuen Betätigungsfeld für Designer geführt, im dem sehr viele neue Entwicklungen zu finden sind. Dabei sind die Arbeiten vielfach den Anwendungsszenarien in der Industrie um einige Jahre voraus, so dass man davon ausgehen kann, dass das ein oder andere mit den Jahren auch durch die Industrie aufgegriffen wird: Mehr Funktionalität mit weniger Aufwand, geringere CO₂-Emissionen in Produktion und Entsorgung, weniger Abfallaufkommen und deponierte Kunststoffe und eine bessere Ausgestaltung von Materialkreisläufen sind Aspekte, die die großen gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends, die Energie- und Mobilitätswende, die Digitalisierung der verschiedenen Lebenswelten und die zunehmende Urbanisierung der Gesellschaft, befördern und positiv beeinflussen können. Wir wünschen allen Lesern bei der Lektüre des Buchs viel Freude und anregende neue Ideen! Diana Drewes und Sascha Peters

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1 DIE NEUE ACHTSAMKEIT UND DER BEWUSSTE KONSUM Shopping gehört für zahlreiche Menschen der westlichen Welt heute wohl zu einer der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Im Schnitt besitzt jeder Europäer etwa 10.000 Dinge, und die Tendenz ist steigend. Ökonomen sehen dem wachsenden Konsum positiv entgegen; schließlich wird die Wirtschaft gestärkt, und es werden Arbeitsplätze geschaffen und Sozialbeiträge an die Staatskassen ausgeschüttet. Ökologen hingegen stehen dieser Entwicklung mit Blick auf die steigende Weltbevölkerung kritisch gegenüber. Schließlich wächst unser Planet nicht mit. Natürliche Ressourcen wie Wasser, Boden, Luft und Wälder sind endlich. Diese Ressourcen stecken in jedem einzelnen, konsumierten Produkt. Hinzu kommt die Energie, die für die Herstellung, die Nutzung und schlussendlich auch bei der Entsorgung benötigt wird. Veranschaulichende Konzepte wie der ökologische Rucksack, der den Verbrauch von Ressourcen im Verhältnis zum Endprodukt in Kilogramm benennt, oder der ökologische Fußabdruck zeigen uns auf, was seit über 40 Jahren eine Tatsache ist: Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als die Erde uns zur Verfügung stellt, bzw. emittieren mehr CO₂, als die Natur in der Lage ist abzubauen. Der ökologische Fußabdruck, also die biologisch produktive Fläche, die notwendig ist, um unseren Lebensstil zu ermöglichen, wächst mit dem Bevölkerungswachstum exponentiell an. Die biologische Kapazität hingegen konnte trotz technischer Weiterentwicklung nur geringfügig verbessert werden. Die bekannten Folgen wie Verschmutzung der Böden und  Gewässer,

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Dürren, Wasserknappheit und Reduktion der Artenvielfalt sind allgegenwärtig. Allein in Deutschland verbraucht jeder Bürger im Durchschnitt doppelt so viele Ressourcen, wie ihm zustehen würden. Das ist ein gewaltiges Problem, für das unbedingt Lösungen gefunden werden müssen. In Europa zeichnet sich vor allem bei den jüngeren Bürgern mit Familie ein Trend in Richtung „Sinnkonsum“ ab. Statussymbole wie ein eigenes und vor allem stets neues Festivalgelände mit recycelbaren Pappzelten in England

Auto oder ein prall gefüllter Kleiderschrank werden infrage gestellt. Es geht um das richtige Maß, die Balance, die zur Entwicklung neuer Lebenskonzepte führt.

Quelle: Papertent

Wie bei allen Neuerungen und innovativen Ansätzen, die zu einem nachhaltigen und bewussten Lebensstil führen, gilt es nicht nur, eigene Bequemlichkeiten zu überwinden, sondern ebenso die Hürden der Bürokratie, die europaweit nicht unerheblich sind. Sämtliche neue Ansätze, ob bioabbaubare Verpackungen, Burgerpatties aus Insekten, ein Verbot von Plastiktüten und Einwegplastikartikeln, die Zunahme von Carsharing-Unternehmen oder die Nutzung individueller Mehrwegbecher sind auch ein Resultat veränderter Lebensmittel- und Hygienebestimmungen sowie von NeueIn vitro gezüchtetes Hackbällchen Quelle: Memphis Meats

rungen in den Parkraumbewirtschaftungsregulierungen, die entweder durch Kommunen oder sogar durch das europäische Parlament den Weg zu einem nachhaltigeren Lebensstil in Europa ebnen.

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ALTERNATIVE ERNÄHRUNGSKONZEPTE

Tierische Proteine – Mehlwurmzucht binnen 18 Tagen Quelle: LivinFarms

In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich die weltweite Fleischproduktion vervierfacht. In Europa liegt der derzeitige durchschnittliche Fleischkonsum im Jahr bei 64 kg pro Person. Forscher erwarten, dass der steigende Wohlstand in den bevölkerungsdichten Schwellenländern und der Ernährungstrend in Richtung „western diet“ zu einem weiteren Anstieg des Pro-Kopf-Fleischkonsums führen wird. Bereits seit einigen Jahren entwickeln Lebensmitteltechnologen zukunftsfähige Fleischersatzprodukte auf Basis pflanzlicher Proteinquellen wie Süßlupinen oder Algen. Zudem werden eher ungewöhnliche tierische Proteinquellen wie zum Beispiel Insekten oder Quallen genutzt. Ziel der Entwicklungen ist es, eine einseitige und nährstoffarme Ernährung zu vermeiden. Mit dem zunehmenden technischen Fortschritt und dem damit einhergehenden Streetfoodmarkt in New York City Quelle: Haute Innovation

Verständnis von komplexen Zusammenhängen unterschiedlichster Materien bieten auch disruptive Verfahren wie in vitro (lat. im Glas) gezüchtetes Fleisch ernstzunehmende Lösungsansätze für das Bedürfnis nach tierischen Proteinen. Die Fleischproduktion im Labor schont Ressourcen wie Agrarflächen und Wasser und verringert vor allem bei gezüchtetem Rindfleisch die klimaschädlichen Methanemissionen um ein Hundertfaches.

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In vitro gezüchtetes Hackbällchen Quelle: Memphis Meats

IN VITRO-FLEISCH Anfang 2016 präsentierte das US-amerikanische Start-up-Unternehmen Memphis Meats ein knapp 985 Euro teures Hackfleischbällchen der Weltpresse. Die Besonderheit lag darin, dass das Bällchen nicht aus Fleisch eines geschlachteten Tieres bestand, sondern im Labor gezüchtet wurde. Grundlage bildeten Muskelzellen, die einem lebenden Rind entnommen und anschließend auf einem mit Nährstoffen wie Zucker, Aminosäuren, Mineralien und Vitaminen angereicherten Kollagen-Kulturboden unter der Zugabe eines Wachstumsserums aus dem Blut von lebenden Rinderembryos vermehrt wurden. Dieses biotechnologische Verfahren nennt sich Tissue Engineering, das sich bereits beim Züchten von Hauttransplantaten für Verbrennungsopfer in der Medizin bewährt hat. Anders als Pflanzenzellen sind tierische Zellen jedoch weitaus schwieriger zu kultivieren. Neben einer ausgeklügelten Zusammensetzung von Nährstoffen und Mineralien benötigen Muskelzellen zudem schwache, aber regelmäßige Stromstimulationen, um zu wachsen und eine dünne Schicht auszubilden. Im Anschluss können die Membranen zerkleinert, mit Rote-Beete-Saft oder Safran eingefärbt und mit Fett angereichert werden. Kritische Stimmen bemängeln die hohen Produktionskosten und weisen auf die ethische Fragwürdigkeit der technischen Fleischproduktion hin: Häufig sterben die Tiere bei der Entnahme des Wachstumsserums aus dem schlagenden Herzen des Embryos. Eine kostengünstige und ethisch vertretbare Alternative sollen nun Wachstumsseren aus Algen bieten.

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Insektenburger von Bugfoundation Quelle: Bugfoundation GmbH

BUXBURGER Für über zwei Milliarden Menschen sind Insekten bereits fester Bestandteil ihres Speiseplans. Vor allem in Asien und Afrika erfreuen sich Heuschrecken, Würmer und Grillen aufgrund ihres hohen Eiweißanteils und kostengünstiger Herstellung großer Beliebtheit. In Deutschland verschwand mit der Maikäfersuppe das letzte bekannte entomophagische Rezept, das bis Mitte des 20. Jahrhunderts sehr beliebt war. Als Proteinquelle der Zukunft finden sich Insekten zunehmend auch wieder in den europäischen Küchen. Im Gegensatz zu anderen Kulturkreisen setzen zahlreiche Start-ups wie Bugfoundation oder SWARM Protein aus Deutschland und Fazer aus Finnland bei ihren Lebensmittelentwicklungen nicht auf erkennbare Insekten, sondern präferieren die pulverisierte Form. Ob in Backwaren, im Nudelteig, in Energieriegeln oder bei Burgerpatties, das Insektenmehl kann vielseitig verwendet werden. Bereits 2013 wies die Welternährungsorganisation FAO auf die Vorteile insektenbasierter Ernährung hin. Im Gegensatz zu Nutztieren wie Kühen, Schweinen oder Hühnern verbraucht die Insektenproduktion nur einen Bruchteil an Wasser, Fläche und Futter. Das schnelle Wachstum und die unkomplizierte Haltung der Kaltblüter spiegeln sich in der geringen Freisetzung von Treibhausgasen wider. Kaltblüter benötigen im Gegensatz zu wechselwarmen Tieren durch das aufgenommene Futter weniger Energie. Als weiterer Vorteil gilt der prozentual höhere Anteil genießbarer Masse der Insekten, der bei 80 % liegt. Bei Kühen liegt der Anteil lediglich bei etwa 40 %. Auch aus ernährungsphysiologischer Sicht sind Insekten eine gesündere Alternative zu herkömmlichem Fleisch. So gelten zum Beispiel Grillen als besonders eiweißhaltig sowie reich an gesunden Fettsäuren und Mineralien. Ernährungswissenschaftler weisen jedoch darauf hin, dass Menschen mit Krustentierallergien bei Insekten ebenfalls achtsam sein sollten.

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Krabbelnde Proteinbombe – Insekten gelten als das Superfood der Zukunft. Quelle: LivinFarms

Mehlwurmzuchtkasten für die heimische Küche Quelle: LivinFarms

MEHLWURMFARM Die österreichische Industriedesignerin Katharina Unger bietet die erste Miniaturzuchtfarm für Speiseinsekten an. Ihr Produkt „The Hive“ bietet optimale Bedingungen, um Mehlwürmer binnen 18 Tagen und ohne großen Platz- und Energiebedarf in der heimischen Küche zu züchten. Das neueste Zuchtfarmmodell überzeugt nicht nur optisch und durch seine platzsparende Gestaltung, sondern vor allem durch das begleitende Infomaterial für den neuen Mehlwurmzüchter. Schrittweise wird erklärt, worin die Vorteile dieses Ernährungskonzeptes bestehen und wie einfach man die Tiere mit anfallendem Biomüll wie zum Beispiel Gemüseschalen füttern kann. Vor allem die jüngsten Konsumenten werden auf spielerische Art mit dem Superfood der Zukunft vertraut gemacht.

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Quallenchips – fischiger Snack aus dem Meer Quelle: Mie Thorborg Pedersen /  University of Southern Denmark

QUALLENCHIPS Die dänische Gastrophysikerin Mie Thorborg Pedersen sieht in den lokal verfügbaren Ohrenquallen vor der dänischen Küste eine potenzielle Nahrungsquelle der Zukunft. Sie sind nicht giftig und sehr einfach zu fangen. Im Gegensatz zur chinesischen Zubereitungsmethode landen nicht die glitschigen Quallen auf dem Teller, sondern sie werden zu knackigen Chips verarbeitet. Um den ungewöhnlichen Meeresbewohnern das Wasser zu entziehen, hat die Wissenschaftlerin eigens ein Dehydrierungsverfahren entwickelt. Um die stützende und wasserspeichernde Kollagenstruktur der Qualle zu zerstören, werden diese für ca. 48 Stunden in Alkohol eingelegt. Nach dem hochprozentigen Bad hat sich die Konsistenz der Qualle verfestigt und erinnert an ein Gummigewebe. Auch die sonst übliche transparente Erscheinung hat sich ins Milchige getrübt. Für den nötigen Crunch wird im Anschluss der Alkohol in einem handelsüblichen Dörrofen verdampft. Nach Angaben der jungen Wissenschaftlerin zerschmelzen die Quallenchips in einem flüchtigen Moment auf der Zunge. Übrig bleibt ein leicht salziger Geschmack.

SÜSSLUPINEN Am Fraunhofer-Institut in Freising arbeiten Wissenschaftler bereits seit mehreren Jahren an zukunftsweisenden Lebensmittelalternativen für Tiermilchprodukte aus Pflanzen. Bereits 2014 konnten sie erfolgreich Joghurt aus den eiweißreichen Samen der heimischen Süßlupine herstellen, nachdem es ihnen gelungen war, mittels eigens entwickelter Verfahren den unangenehmen bitteren und grasigen Geschmack aus der Pflanzenmasse zu ziehen. Lupinen gelten als anspruchslose Pflanzen, die sogar auf nährstoffarmen Böden wachsen und als heimische Konkurrenz zur Sojapflanze im europäischen Raum bekannt sind. Aus dem gewonnenen Proteinkonzentrat der heimischen Proteinbombe konnten die Wissenschaftler nicht nur Joghurt, sondern auch Speiseeis herstellen. Wissenschaftlerin Andrea Hickisch geht in der Laborküche in Freising bereits einen Schritt weiter und wagt sich an die Entwicklung gereifter Lupinenprodukte wie zum Beispiel Käse, was kein einfaches Unterfangen ist: Im Gegensatz zu Frischprodukten wie Joghurt oder Frischkäse braucht es bei der Käseherstellung die richtigen Mikroorganismen für einen erfolgreichen Fermentationsprozess und die richtige Struktur.

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Nudeln aus Zellulose und Konjakwurzel Quelle: Haute Innovation

CAMEMBERT AUS NÜSSEN Andrea Hickisch vom Fraunhofer-Institut in Freising nutzt nicht nur die Proteine der Süßlupine für ihre Lebensmittelentwicklungen, sondern sieht auch in Nüssen wie Mandeln, Pistazien oder Cashewkernen großes Potenzial, um tierische Milchprodukte aus pflanzlichen Rohstoffen nachzuahmen. Erste Versuche, einen Camembert aus Mandeln herzustellen, scheinen vielversprechend. Dafür wurden zermahlene Mandeln Camembert aus Mandelmilch Quelle: Haute Innovation

zunächst mit Wasser bei 90 °C aufgekocht. Nach dem Abkühlen der Nuss-WasserMischung wurde die milchige Flüssigkeit mit Edelschimmelpilzen und Säuerungskulturen beimpft, um dem Geschmack des würzigen Camemberts so nah wie möglich zu kommen. Zwar überzeugte die erste Geschmacksprobe nicht alle Tester, doch ein Einstieg ist damit gefunden.

ZELLULOSENUDELN Die japanische Textilfirma Omikenshi Co. aus Osaka überraschte vor wenigen Jahren mit der Entscheidung, in die Lebensmittelbranche zu expandieren. Sie bieten nun nicht mehr ausschließlich Textilien an, sondern verkaufen extrem fettarme Nudeln auf Basis von Zellulose, das gleiche Ausgangsmaterial, welches sie auch für ihre Textilien verwenden. Um das Zellulosematerial jedoch in ein essbares Nudelmehl zu verwandeln, hat die Firma eigens ein Herstellungsverfahren entwickelt, das auf die Kombination mit der süßkartoffelähnlichen Konjakwurzel setzt. Die kohlenhydratarme Pasta überzeugt nicht nur die gesundheitsbewussten Japaner, sondern auch beispielsweise Chinesen, die aufgrund des steigenden Wohlstands mit dem zunehmenden Problem der Fettleibigkeit zu kämpfen haben.

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KONZEPTE GEGEN LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG

Baker’s Butchery – von industriellen Brotresten zu Mehlwurmprotein Quelle: Lukas Keller

Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat jeder Deutsche 2017 im Durchschnitt etwa 55 kg Lebensmittel weggeworfen. Mit gut 34 % landen Obst und Gemüse am häufigsten im Müll, gefolgt von bereits zubereitetem Essen mit einem Anteil von 16 % sowie Brot und Backwaren mit einem Anteil von 14 %. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Entwickler kreativ mit dem Thema auseinandergesetzt und ihre ganz eigenen Strategien zur Vermeidung zunehmender Lebensmittelverschwendung erarbeitet.

MEHLWURMCHIPS An der Burg Giebichenstein in Halle hat der Designer Lukas Keller im Rahmen des re-use-Semesterprojekts ein spannendes Konzept entwickelt, um Altbrot von Großbäckereien weiterzuverarbeiten. Sein Konzept „Baker’s Butcher“ kombiniert das Trendthema Insekten als Proteinquelle der Zukunft mit Altbrot von Großbäckereien, das oft aufgrund von Überproduktion weggeworfen wird. Obwohl die Insektenzucht aufgrund des überschaubaren Platzbedarfs und der vergleichsweise extrem geringen Futterzugabe als weitaus anspruchsloser gilt als vergleichsweise die Rinderzucht, muss für eine effiziente Aufzucht auf eine Temperatur von ca. 30 °C geachtet werden. Da liegt Baker’s Butchery – Chips aus altem Brot und Mehlwürmern Quelle: Lukas Keller

es nahe, die nicht genutzte Abwärme einer Bäckerei in ein nahgelegenes Insektenzuchthaus zu leiten und somit für optimale Wachstumsbedingungen zu sorgen. Auch die Kombination von zermahlenem Altbrot mit Mehlwürmern ist eine sinnvolle Idee. Schließlich hat das im Exoskelett enthaltene Chitin der Mehlwürmer eine gelierende und somit bindende Wirkung und gibt der neuen Erscheinung den nötigen Halt. Als erstes Produkt hat sich der Designer für Brotmehlwurmchips entschieden, die er mit Rote-Beete-Saft einfärbt.

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Die Obstretter aus Berlin – gesunder Snack aus unverkäuflichem Obst Quelle: Dörrwerk

DÖRRWERK BERLIN Der Berliner Zubin Farahani stellt sich mit seiner Manufaktur „Dörrwerk“ der zunehmenden Wegwerfmentalität vieler Super- und Großmärkte in Deutschland entgegen. Dort gelangen nämlich jeden Tag Unmengen von Äpfeln, Ananas, Mangos und anderen Obstsorten in den Müll, da sie entweder kleine Makel haben oder schon überreif sind. Vor allem Südfrüchte, die schneller reifen, landen nach Angaben des Berliner Jungunternehmers häufig im Müll. Für ihn ist jedoch klar, dass braune Flecken oder kleine Dellen keinen Einfluss auf den Geschmack der süßen Vitaminlieferanten haben und man das Obst immer noch verarbeiten kann. Mittels der tradierten Konservierungstechnik des Dörrens hat Farahani nicht nur einen nachhaltigen und gesunden Snack kreiert, sondern enorme Mengen an Obst vor der Entsorgung im Müll oder der Biogasanlage gerettet. Unter dem Namen „Fruchtpapier“ werden online und in ausgewählten Supermärkten getrocknete und hauchdünne Fruchtmusplatten angeboten. Als Basis für jede Fruchtpapiersorte dient Apfelmus, das das Fruchtpapier zart und schmackhaft werden lässt und das je nach Geschmack mit einigen Tropfen Zitronensaft und verschiedenen Obstsorten fein püriert und vor dem Trocknungsprozess zu dünnen Platten ausgestrichen wird.

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App gegen Lebensmittelverschwendung

APP „TOO GOOD TO GO“

Quelle: Haute Innovation

Die App „Too Good To Go“ bietet Restaurants und Cafés eine digitale Plattform, ihre bereits zubereiteten Lebensmittel noch kurz vor Ladenschluss an den Kunden zu bringen. Das Prinzip erinnert an die Verkaufstaktik vieler Händler auf den Wochenmärkten, die kurz vor Abbau ihre Waren zu Dumpingpreisen anbieten, um die Logistikkosten der Entsorgung zu vermeiden. Händler wie Verbraucher profitieren somit davon. Da in der Regel eine konkrete Angabe von zu erwartenden Resten unmöglich ist, werden die Mengen in sogenannten Verzehrboxen bzw. Portionen angegeben und zu einem stark reduzierten festen Preis online angeboten. Mittels der App können sich die Kunden umliegende Restaurants und Angebote bequem anzeigen lassen und ihre Portionen bereits vor Eintreffen in der Filiale online kaufen und in einem festgelegten Zeitfenster vor Ladenschluss abholen. Einziges Manko an diesem Service ist die Ungewissheit: Wird die Ware wider Erwarten doch noch verkauft, war der Weg vergeblich, und das Geld wird online zurückerstattet. Wer sich jedoch gerne mal überraschen lässt und flexibel bleibt, kann übrig gebliebene Sushi, belegte Brote oder frische Salate und Smoothies für einen sehr günstigen Preis erwerben und die zubereiteten Lebensmittel vor dem Müll retten.

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MEHRWEG STATT EINWEG

Einweggeschirr auf dem Nachtmarkt in Peking Quelle: Haute Innovation

Nachdem kostenfreie Plastiktüten in zahlreichen Ländern erfolgreich aus den Supermärkten verbannt wurden, ist nun der Kaffee-to-go-Becher zum Sinnbild der Wegwerfkultur in der westlichen Welt geworden, der im Straßenbild allgegenwärtig ist. Ein Umdenken hat bei vielen Endverbrauchern mittlerweile aber eingesetzt: Immer mehr Menschen entscheiden sich für einen Mehrwegbecher, der die Umwelt schont und zudem immer häufiger den Preis für das To-go-Heißgetränk senkt.

WEDUCER Für Überraschung sorgen noch immer die Kreationen des Berliner Designers Julian Lechner. Aus getrocknetem Kaffeesatz und einem ligninbasierten Bindemittel stellt er nicht nur Espresso- sowie Capuccinotassen her, sondern auch einen Mehrwegbecher samt Schraubverschluss: ein positives Beispiel dafür, wie man aus einem urban leicht verfügbaren Abfallstoff ein Produkt entwickeln kann, das auch noch den Müll in der Stadt reduziert. Alle Produkte sind in seinem Onlineshop erhältlich.

Weducer Cup – Coffee-to-goBecher aus Kaffeesatz Quelle: Kaffeeform / Julian Lechner

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TAVOLINA – DIE PORZELLANTRINKFLASCHE Beim Thema Wasserflasche ist ebenfalls ein Trend in Richtung Mehrweg erkennbar. Die Designs der Mehrwegflaschen sind ebenso verschieden wie die Materialien, etwa Glas, Edelstahl oder Kunststoff. Vor allem im asiatischen Raum fällt die Wahl oft auf Melaminflaschen, da sie bruchsicher, leicht und günstig sind. Doch schon bei Temperaturen ab 70 °C werden Melamin und Formaldehyd freigesetzt und gehen in das Getränk über. Produktdesignerin Claudia Bischoff, Designerin bei Eschenbach Porzellan, präsentiert mit ihrer Trinkflasche TAVOLINA Aqua eine schadstofffreie, lebensTavolina – die Porzellantrinkflasche Quelle: Peter Eichler / Saale-Land

mittelechte und vor allem robuste Mehrwegflasche aus Hartporzellan. Sie ist spülmaschinen- sowie mikrowellengeeignet. Der Deckel besteht aus einem Gemisch aus thermoplastischen Elastomeren (TPE) und Polypropylen (PP) und ist frei von gesundheitsschädlichem Bisphenol A (BPA).

WASSERAUFFÜLLSTATIONEN Wer seine Wasserflasche kostenlos wieder auffüllen lassen möchte, sollte sich die App der Non-Profit-Organisation Refill Deutschland aufs Handy laden. Auf einer virtuellen Karte werden alle teilnehmenden Refill-Wasserstationen wie Restaurants, Cafés und Trinkwasserbrunnen in unmittelbarer Umgebung angezeigt.

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BIOABBAUBARE VERPACKUNGEN

Kompostierbare Wasserflasche aus Algengelatine Quelle: Ari Jónsson

Geht man davon aus, dass zukünftig tierische Lebensmittel außerhalb und pflanzliche Nahrungsmittel innerhalb urbaner Ballungsräume auf Dächern oder vertikalen Gärten produziert werden, rücken vor allem Produktgruppen wie Verpackungen als wichtiges Bindeglied in den Fokus, um den biologischen Materialkreislauf in der Stadt zu schließen. Wichtig ist hierbei, den Begriff der biologischen Abbaubarkeit genau zu präzisieren. Oftmals wird fälschlicherweise eine industrielle Aufbereitung von Biomüll mit der Verrottung auf dem herkömmlichen Kompost gleichgesetzt.

FLASCHEN AUS ASPIK Der isländische Produktdesigner Ari Jónsson hat eine Wasserflasche entwickelt, die nach dem Gebrauch binnen weniger Tage verrottet. Hierfür mischt er Agar-Agar mit Wasser und bringt das Gemisch zum Kochen. Der Geliervorgang startet. Sobald sich die Viskosität der eines Wackelpuddings annähert, kann das zähflüssige Material in Form gegossen werden. Nach dem Abkühlen ist ein transparent-glänzender Film auf der Oberfläche zu erkennen. In der Physik wird dieses Phänomen als Synärese beschrieben. Wasser löst sich oberflächlich aus der gelierten Struktur, ohne diese direkt zu schwächen. Wiederum mit Wasser befüllt, bleibt der Film im Inneren der Flasche erhalten und sorgt somit für die gewünschte Stabilität. Die Außenseite trocknet hingegen nach einer bestimmten Zeit aus und macht das Material brüchig.

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Einwegverpackungen aus Pflanzenresten Quelle: BIO-LUTIONS International AG

Kompostierbare Verpackung aus lokal verfügbaren Reststoffen der Agrarindustrie Quelle: Screenshot aus dem YouTube-Video / BIO-LUTIONS Agricultural Waste to Biodegradable Cartons & Tableware

KOMPOSTIERBARE VERPACKUNG AUS BANANEN- UND ZUCKERROHRBLÄTTERN Das Hamburger Start-up Bio-Lutions zeigt, wie nachhaltig Verpackungen sein können. Es produziert zu 100 % kompostierbare Verpackungen aus Bananen- bzw. Zuckerrohrblättern, einem Abfallprodukt der lebensmittelproduzierenden Industrie direkt am Produktionsort, und zwar in Indien. Dort werden die ungenutzten und vertrockneten Blätter des Zuckerrohrgrases sowie abgeernteter Bananenpalmen bislang verbrannt. Das deutsche Unternehmen kauft den Bauern das vermeintliche Abfallprodukt zu fairen Preisen ab und stellt daraus in einer lokalen Fabrik bioabbaubare Kartonverpackungen für Obst und Gemüse her. Da der benötigte Binder bereits in den Pflanzenresten vorhanden ist, braucht es lediglich die Zugabe von Wasser, um einen stabilen Verpackungskarton herzustellen.

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Bioabbaubare und schadstofffreie Verpackung aus Holz und natürlichem Bindemittel aus Finnland Quelle: Sulapac

IN HOLZ VERPACKT Das finnische Unternehmen Sulapac präsentierte eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Plastikverpackungen für Kosmetika und andere Hygieneartikel auf Basis von Holz. Es wird ausschließlich Material aus nachhaltig bewirtschafteten nordischen Wäldern verwendet, da es als schadstofffrei und leicht verfügbar gilt. Das Rohmaterial wird zunächst zu Holzschnipseln zerkleinert und mit einem Bindemittel erhitzt. Welches Bindemittel verwendet wird, bleibt Firmengeheimnis. Bekannt ist jedoch, dass es das Holz vor dem Verbrennen schützt. Nach dem Erhitzen kann die Masse mit herkömmlichen Verfahren wie dem Spritzguss in Form gebracht werden. Der deutlich geringere CO₂-Fußabdruck sowie der niedrige Preis lassen die Verpackungen in ernstzunehmende Konkurrenz zu ihren petrochemischen Vorgängern treten. Einziger Nachteil ist die begrenzte Standfestigkeit von rund zwölf Monaten.

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ESSBARE VERPACKUNGEN

Essbares Take-awayGeschirr auf einem Markt in Samarkand / Usbekistan Quelle: Haute Innovation

Laut neuester Statistiken produziert der Europäer im Durchschnitt ca. 31 kg Müll aus Plastikverpackungen pro Jahr, eine Zahl, die auch das Europäische Parlament besorgte und für ein neu verabschiedetes Gesetz zum Verbot von Einweggeschirr aus Kunststoff ab 2020 verantwortlich ist. Im Zeitalter des Anthropozäns, in dem der Mensch seine Umwelt gestaltet, ist dies ein ernstzunehmender Versuch, der großen Verantwortung gegenüber den folgenden Generationen gerecht zu werden. Je nach Verwendungszweck variierten die Ideen bislang von der guten alten Waffeleistüte bis hin zu essbaren Strohhalmen aus Zucker. Die neuesten Entwicklungen gehen jedoch noch einen Schritt weiter und verwenden ausschließlich Rohstoffe, die nicht mit der herkömmlichen lebensmittelproduzierenden Industrie in direkte Konkurrenz treten.

VERPACKUNGEN AUS ALGEN Folgt man der Meinung der Firma EVOWARE, schwimmt die Verpackung der Zukunft im Meer. Auf Basis von Algen hat die Firma aus Indonesien kompostierbare bzw. essWasserlösliches Verpackungsmaterial für Lebensmittel auf Basis von Algen Quelle: EVOWARE

bare Verpackungen für Trockenprodukte wie Nudeln, Gewürze und sogar Burger entwickelt. Die Verpackungen sind bis zu zwei Jahre bei konstant kühler und trockener Umgebung haltbar, frei von Konservierungsmitteln und geschmacksneutral. Sie lassen sich problemlos in warmem Wasser auflösen oder können sogar mitgegessen werden.

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Essbarer Schluck Wasser zur Müllvermeidung auf Großveranstaltungen Quelle: Ohoo

OHOO Unter großer medialer Aufmerksamkeit wurde Ende 2015 die wohl ungewöhnlichste Wasserflasche der Welt präsentiert. Sie sieht aus wie eine mit Wasser gefüllte Seifenblase, ist weich und vollständig verzehrbar. Von den Medien wurde diese Entwicklung bereits als die Flasche der Zukunft gehypt. Denn obwohl Länder wie Deutschland mit der Einführung des Flaschenpfands den alltäglichen Plastikmüll minimieren wollten, sind immer noch 46 % aller Getränkeflaschen Einwegflaschen. Ob nun zu 100 % alltagstauglich oder nicht, die essbare Verpackung aus Wasser, Alginat und Kalzium könnte auf Großveranstaltungen wie Konzerten, Festivals und Sportveranstaltungen das Müllproblem massiv eindämmen. Alginat ähnelt in seiner chemischen Struktur der Pflanzenstärke und findet in der Lebensmittelindustrie ebenfalls als Verdickungsmittel Anwendung. Es gilt als langkettiges Molekül bzw. Polymer, das sich in Verbindung mit Kalziumionen zu einem dreidimensionalen Schwammgeflecht vernetzt und in der Folge Wasser aufnehmen kann. Die natürliche Reaktion beider Komponenten ist in der Molekularküche bereits seit Jahren als „Spherifikation“ bekannt und wird zur Verkapselung von Flüssigkeiten genutzt. Mit Natriumalginat angereicherte Flüssigkeiten werden in eine Salzlösung getropft und bilden aufgrund der enthaltenen Kalziumionen binnen weniger Minuten eine essbare Gelhülle, ähnlich der Haut einer Traube, aus. Man kann die essbaren Wassertropfen bis zum Verzehr in klarem Wasser lagern.

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Spoon & Sustainable – Spoontainable – essbarer Eislöffel Quelle: Spoontainable

VEGANE EISLÖFFEL OHNE ZUCKER Eine Gruppe junger Studenten aus dem Raum Stuttgart ist in den Abfalltonnen lebensmittelverarbeitender Industrien fündig geworden. Aus übrig gebliebenen Fruchtschalen entwickelten sie einen essbaren Eislöffel, den sie unter dem Namen „Spoontainable“ bereits vertreiben. Es gibt ihn in verschiedenen Geschmacksrichtungen wie Schokolade, Vanille oder Erdbeere. Hauptbestandteil des essbaren Löffels sind getrocknete Pflanzenfasern aus Fruchtschalen, die zu einem Mehl gemahlen werden. Die weitere Produktion erinnert ein wenig ans Plätzchenbacken. Das Interesse an dem Produkt ist groß, und Anfang 2019 sollen bereits die ersten Verträge mit örtlichen Eisdielen abgeschlossen werden.

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LEBENSMITTELECHTE BESCHICHTUNGEN

Essbare Verpackungsfolie aus Milchproteinen Quelle: Jonas Emil Arndt

Essbare Beschichtungen und Verpackungsfolien bilden mittlerweile einen vollkommen neuen Markt: Sie sollen nicht nur den Kunststoffverbrauch für Verpackungen senken, sondern auch verderbliche Produkte wie Obst länger frisch halten und somit die Gewinnspanne beim Verkauf erhöhen. Die neuesten Entwicklungen haben längst nichts mehr mit der ersten Generation stärkebasierter Folien gemein, die aufgrund ungenügender Schutzfunktion die Lebensmittelhaltbarkeit negativ beeinflusst haben. Sie bestehen nicht nur aus natürlichen Komponenten, mit der die Natur arbeiten kann, sondern erhöhen die Haltbarkeit der verderblichen Lebensmittel um ein Vielfaches. Die Innovationen erinnern ein wenig an die Entstehungsgeschichte der Cellophanfolie, also der ersten transparenten Verpackungsfolie, die für Lebensmittel verwendet wurde. Ab 1930 wurde der zu 100 % aus nachwachsenden Rohstoffen bestehende Kunststoff für Lebensmittelverpackungsfolien genutzt. Zu diesem Zeitpunkt ähnelte die Zusammensetzung einer Viskosefaser und konnte kompostiert oder mit Altpapier entsorgt werden. Im Lauf der Zeit änderten sich jedoch die Ansprüche an das transparente Verpackungsmaterial. Die Folie wurde mit erdölbasierten Kunststoffen kombiniert und ihre Umweltverträglichkeit damit nachhaltig zerstört. Damit sich diese Entwicklung nicht wiederholt, sind heute nicht allein die Chemiker, sondern allen voran die Biologen gefragt.

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Essbare Schutzschicht zum Sprühen für empfindliche Lebensmittel Quelle: Haute Innovation

Dünner Film aus dem Milchprotein Kasein

ESSBARE KASEINFOLIE

Quelle: Jonas Emil Arndt

Forscher des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) haben eine neue Generation von essbaren Folien für Lebensmittel entwickelt, die das Interesse der Branche geweckt hat. Aus Milchproteinen stellen sie eine Kaseinfolie her, die schnell verderbliche Lebensmittel bis zu 500-mal besser vor Sauerstoff abschirmen kann als der erdölbasierte Vorläufer und die Lebensmittel länger frisch hält. Da die ersten Versuche zeigten, dass sich die Folie viel zu schnell in Wasser auflöst, suchten die Forscher nach natürlichen Zusatzstoffen, die einen positiven Effekt auf die Festigkeit der dünnen Membran sowie die Standfestigkeit gegenüber Feuchtigkeit aufweisen. Den gewünschten Erfolg brachte schließlich die Zugabe von Pektin, einem pflanzlichen Polysaccharid, das in Pflanzenteilen wie zum Beispiel Fruchtschalen für die nötige Festigkeit und Wasserregulierung sorgt.

ESSBARES SCHUTZSPRAY AUS PFLANZENRESTEN Apeel Sciences, ein Start-up aus Kalifornien, hat ein essbares Schutzspray für empfindliche Früchte und Gemüse entwickelt. Es ist geschmacksneutral, kalorienarm und wird aus Resten von Lebensmittelprodukten wie Birnenstiele, Fruchtschalen, Kernen und vielem mehr gewonnen. Hauptbestandteil der essbaren Beschichtung sind Glycerinphosphatide, die am Aufbau von Biomembranen höherer Pflanzen beteiligt sind. Diese pflanzlichen Lipide können in flüssiger oder fester Gestalt in Form von Fetten vorkommen. Aufgrund der Molekülstruktur sind die geruchs- und geschmacksneutralen Lipide wasserunlöslich und bieten einen dauerhaften Schutz vor Feuchtigkeit und Gasen, die den Reifungsprozess der empfindlichen Ware massiv beschleunigen. Im Umkehrschluss bedeutet die Innovation für die Verbraucher eine enorme Qualitätssteigerung der Ware. So könnten Bananen oder Tomaten zukünftig erst vollreif geerntet und trotzdem kostengünstig zum Endverbraucher transportiert werden. Die frische Ware müsste während des Transportes weniger gekühlt werden, was einen positiven Einfluss auf den CO₂-Fußabdruck hätte.

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SCHLUSS MIT MIKROPLASTIK Mikroplastik wird mittlerweile überall auf der Welt nachgewiesen, in den Weltmeeren sowie in deren Bewohnern, in der Antarktis, in nahezu allen größeren Flüssen, in den Gebirgen und sogar im Boden. Selbst in uns Menschen sind bereits die bis zu 5 mm kleinen Kunststoffpartikel im Verdauungssystem und sogar im Blut nachgewiesen worden. Die Herkunft der flächendeckenden Verteilung von Mikroplastik ist dabei auf unterschiedlichste Branchen zurückzuführen. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen hat in einer neuen Studie 51 Quellen ausgemacht. Nach Aussagen der Wissenschaftler kann man ein Drittel der

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Zellulosepartikeln aus Buchenholz, die in verschiedene Pflegeprodukte eingearbeitet wurden

den Abrieb von Autoreifen zurückführen. Als weitere Quelle konnte mit Plastikpartikeln

Quelle: CFF GmbH & Co. KG & Skinomics GmbH & Fraunhofer IMWS

kleiner Plastikfasern von synthetischer Kleidung wie Polyester, Viskose oder Acryl in

330.000 t Mikroplastik pro Jahr in Deutschland (ca. 4 kg pro Bundesbürger im Jahr) auf kontaminierter Schlamm aus den Klärwerken ausgemacht werden, der als Biodüngemittel in der Landwirtschaft genutzt wird. Mit jedem Waschgang gelangen Tausende das Abwasser und somit in den Klärschlamm. Zudem kommt der Abrieb von Sportund Spielplatzoberflächen, Schuhsohlen und Fahrbahnmarkierungen hinzu. Auch der bereits vorhandene Kunststoffmüll im Meer und an Land zerfällt in immer kleinere Partikel und verteilt sich als Sekundärkunststoff durch Strömungen und Wind überall auf unserem Planeten. In den USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und seit Juli 2018 auch in Schweden ist eine andere Mikroplastikquelle ausgemacht und von den jeweiligen Gesetzgebern verboten worden. So dürfen keine Kosmetik- und Pflegeprodukte wie Hautcremes, Zahnpasten oder Duschgele mehr angeboten werden, die Mikroplastik enthalten. Als eigens produzierter Primärkunststoff findet Mikroplastik als Schleif- und Peelingmittel sowie als Zuschlag- und Auffüllstoff bereits seit Jahrzehnten Anwendung in der Kosmetik- sowie in der Reinigungsmittelindustrie.

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Zellulosepartikel aus Buchenholz könnten zukünftig Mikroplastik als Schleifmittel in Zahnpasten ersetzen. Quelle: Haute Innovation

BIOABBAUBARE SCHLEIFMITTEL FÜR ZAHNPASTEN In zahlreichen Kosmetik- und Körperpflegeprodukten wurden natürliche Schleif-, Binde- und Füllmittel wie zum Beispiel zermahlene Muschel- und Eierschalen, Salze, Stein- und Kohlepulver durch günstiges und in Massen verfügbares Mikroplastik ersetzt. Das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) in Halle an der Saale entwickelt im Rahmen eines Forschungsprojekts einen Muschelschalen als natürliche Alternative für Schleifmittel aus Mikroplastik Quelle: Haute Innovation

umweltverträglichen und biologisch abbaubaren Ersatzstoff. Mit Blick auf eine möglichst kostengünstige Herstellung präsentierten die Wissenschaftler Zellulosepartikel aus Buchenholz, Hafer, Weizen und Mais. Im Fokus der Entwicklungsarbeit standen vornehmlich Zahnpasten und Körperpeelings. Um Größe, Form, Härte und Oberflächenstruktur des bisher verwendeten Mikroplastiks nachzuahmen, wurden die unterschiedlichen Zellulosepartikel in über 24 Monaten Forschungsarbeit immer wieder optimiert. Für Zahnpasten konnten besonders vielversprechende Ergebnisse mit optimierten Buchenholzpartikeln erzielt werden. Sie überzeugen durch eine gute Reinigungsleistung auf der recht empfindlichen Zahnoberfläche. Zukünftig sollen weitere Tests mit Schalen von Walnüssen, Aprikosen- und Olivenkernen folgen.

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Weniger Feinstaubabrieb von Autoreifen durch Beimischung von Eier- und Tomatenschalen Quelle: Haute Innovation

ZUSATZSTOFFE AUS TOMATEN- UND EIERSCHALEN Forscherkollegen aus Ohio gelang es bei der nachhaltigen Produktion von Autoreifen, die meist erdölbasierten Zusatzstoffe auf ein Minimum zu reduzieren. Bislang bestehen handelsübliche Reifen aus bis zu 30 % dieser Zusatzstoffe. Vor allem industriell hergestellter Ruß findet als Farbgeber und zur Festigung des Gummimaterials Verwendung. Lange Haltbarkeit und verbesserte Laufeigenschaften stehen jedoch auch der Tatsache gegenüber, dass der Reifen beim Fahren auf der Straße Feinstaub freisetzt. Eierschalen eignen sich aufgrund ihrer mikroporösen Oberfläche ebenfalls als Zusatzstoff. Auch Tomatenschalen wurden erfolgreich getestet. Vor allem die Kombinationsmöglichkeiten der leicht erhältlichen sowie reichhaltig vorhandenen Abfallstoffe der Lebensmittelproduktion sorgen in Ohio für Erstaunen. Bei optimaler Zusammensetzung von Ruß, Eier- und Tomatenschalen wird das Gummi zwar fester, behält jedoch gleichzeitig die nötige Flexibilität.

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KUNSTSTOFFFRESSENDE ORGANISMEN

Können Mottenlarven unser Plastikmüllproblem einfach aufessen? Quelle: Haute Innovation

Immer wieder sind es zufällige Beobachtungen, die zu unerwarteten Durchbrüchen in der Wissenschaft führen und Antworten auf schwierige Fragen geben, die die Menschheit schon seit Jahrzehnten beschäftigen: so wie die Frage der Entsorgung von Plastikmüll. Viele industriell erzeugte Kunststoffe sind nicht abbaubar und verschmutzen zunehmend unseren Planeten, eine Entwicklung, die maßgeblich das gesteigerte Interesse an der Erforschung umweltverträglicher Kunststoffzersetzung in den letzten Jahren geprägt hat. Die Bandbreite der Forschungsansätze führt zu unterschiedlichsten Ausgangsquellen, von Insekten über Pilze bis hin zu Bakterien.

KUNSTSTOFFZERSETZENDE WACHSMOTTEN Warum eine gute Motte nicht gleich eine tote Motte sein muss, hat im spanischen Santander Federica Bertocchini durch Zufall beim Pflegen ihrer Bienenstöcke beobachtet. Nachdem ein Bienenstock mit Wachsmaden befallen war, hat sie die Parasiten eingesammelt und in eine Plastiktüte gepackt. Zu ihrem Erstaunen musste sie jedoch feststellen, dass diese sich binnen weniger Minuten den Weg in die Freiheit gefressen hatten. Schnell kam die Vermutung auf, dass die kleinen weißen Maden (lat. Galleria

mellonella) Plastikfolien aus Polyethylen (PE) fressen könnten. Die Forscher vermuteten hinter dieser sensationellen Entdeckung ein im Darm der Tiere enthaltenes Enzym, das für die vermeintliche Zersetzung des Kunststoffes verantwortlich sei. Leider konnten die veröffentlichten Angaben von weiteren Forschergruppen, die die Versuche nachahmten, nicht bestätigt werden. Kontrollversuche zeigten, dass die Würmer den Kunststoff chemisch unverändert als Mikroplastik wieder ausgeschieden haben.

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Insekten mit Heißhunger auf Kunststoff Quelle: Haute Innovation

MEHLWÜRMER In Oberhausen untersuchen Wissenschaftler einen anderen kleinen Vielfraß. Hier liegt die Hoffnung auf Mehlwürmern, die nach Aussagen der Forscher einen Heißhunger auf Styropor haben. Aufgrund unterschiedlicher Bakterien im Darm der Tiere können sie das Styropor nicht nur fressen, ohne zu verenden, sondern auch verdauen bzw. zersetzen. Im Anschluss könne man die Würmer als Fischfutter weiter im biologischen Kreislauf halten.

PLASTIKFRESSENDES BAKTERIUM Japanische Forscher haben 2016 in einer Recyclinganlage für PET-Flaschen ein kunststofffressendes Bakterium entdeckt. Verantwortlich dafür ist nach Vermutungen der Wissenschaftler eine Mutation, die zur Bildung des Enzyms PETease geführt hatte und eine Verdauung des Kunststoffs möglich machte. An der Universität in Portsmouth wagten Forscherkollegen einen detaillierten Blick auf die Struktur des Bakteriums. Mittels Röntgenstrahlen sollten die Aminosäuren des Bakteriums verändert und der Zersetzungsprozess des Kunststoffs verlangsamt werden. Zum Erstaunen der Beteiligten trat das Gegenteil ein, und das Bakterium wurde durch Zufall sogar optimiert. Obwohl der Weg für eine konkrete Anwendung noch lang ist, geben sich die Wissenschaftler für eine zukünftige Anwendung optimistisch.

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Kunststofffressender Pilz Quelle: Haute Innovation

PILZE Studenten der Universität von Yale haben im Regenwald von Ecuador einen außergewöhnlichen Pilz namens Pestalotiopsis microspora entdeckt, der Polyurethane zersetzen kann, ein häufig verwendeter Kunststoff, der häufig zu Bauschäumen, Matratzen, Schuhsohlen und Klebstoffen verarbeitet wird. Dass Pilze vornehmlich organisches Material zersetzen können, ist weitreichend bekannt und macht sie zu einem wichtigen Bindeglied im biologischen Materialkreislauf. Dass es jedoch auch Arten gibt, Konzept „Fungi Mutarium“ – Pilz zersetzt Kunststoff in unbedenkliche Bestandteile, die man sogar essen könnte. Quelle: Katharina Unger & Julia Kaisinger / LIVIN Studio

die sogar Kunststoffe oder Erdöl in ungiftige Bestandteile zersetzen und im Anschluss absorbieren können, ist neu. Mit der Entdeckung des weiß-gelben, feinfaserigen Schwamms an der Baumrinde eines Guavenbaums rückt die Intention, das Kunststoffmüllproblem zu lösen, in greifbare Nähe. Leider verhinderten Rechtsstreitigkeiten über die Besitzverhältnisse des Wunderpilzes zwischen dem Land Ecuador und der Universität von Yale bislang weitere konsequente Forschung. Mit dem jüngsten Sieg der Südamerikaner laufen nun endlich die ersten Forschungsprojekte an und lassen auf neue Erkenntnisse hoffen.

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Ein Zelt zum Verrotten

TEMPORÄRES WOHNEN

Quelle: James Molkenthin /  Comp-a-tent

Sommerzeit ist für viele auch Festivalzeit. Bis zu 15 kg Müll hinterlässt ein Festivalbesucher im Durchschnitt, darunter zunehmend auch Zelte, die aufgrund alkoholbedingter Amnesie, Dumpingpreisen oder irreparabler Schäden liegen gelassen werden. Dies ist ein kostspieliges Ärgernis für die Festivalbetreiber, da die Plastikzelte schlussendlich in der Müllverbrennung landen.

PAPPZELTE FÜR FESTIVALS Abhilfe sollen nun die Pappzelte der niederländischen Firma KarTent schaffen. Nach Angaben der Hersteller halten sie sogar drei Tage Dauerregen stand, emittieren bei der Herstellung nur die Hälfte CO₂ gegenüber herkömmlichen Zelten und sind im Anschluss zu 100 % recycelbar. KarTent beliefert hauptsächlich Festivals, die ihren Besuchern gegen eine Gebühr vor Ort eine nachhaltige Schlafalternative für den kurzen AufentFestivalgelände mit recycelbaren Pappzelten in England Quelle: Papertent

halt anbieten möchten.

DAS KOMPOSTIERBARE ZELT Das Start-up Comp-a-tent aus London verkauft seit 2016 kompostierbare Zelte für den Festivalgebrauch. Nach Angaben der Firmengründerin Amanda Campbell hält ihr Zelt aus Biokunststofffolie ohne Probleme über ein Festivalwochenende hinweg Wind und Wetter stand und kann im Anschluss in einer herkömmlichen Kompostieranlage entsorgt werden. Binnen 120 Tagen ist das Zelt komplett abgebaut. Das Besondere an diesem Zelt ist, dass alle Komponenten bzw. die verwendeten Materialien kompostierbar sind. So bestehen die Zeltstangen aus Papier und der verwendete Kleber aus dem Milchprotein Kasein. Die Idee zu einem bioabbaubaren Zelt kam der jungen Britin während einer Aufräumaktion nach dem Glastonbury Festival in England. Dort werden jährlich rund 20.000 Zelte zurückgelassen und müssen in mühseliger Arbeit und zu Kosten des Veranstalters entsorgt werden.

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2 NACHHALTIGKEIT UND KREISLAUFWIRTSCHAFT Mit jeder Meldung über neue Temperaturrekorde, über Kunststoffabfälle in den Ozeanen oder Problemen bei der Beschaffung einzelner Ressourcen wird deutlich, dass wir unser Konsumverhalten radikal ändern müssen. Die steigende Weltbevölkerung erfordert eine Abkehr von der Wegwerfmentalität hin zur Mehrfachnutzung, Rezyklierbarkeit und Kreislauffähigkeit eingesetzter Materialien und Ressourcen. Im Bericht „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome aus dem Jahr 1972 wurde erstmals vor der Endlichkeit natürlicher Ressourcen gewarnt. Die damals veröffentlichten ZukunftsSneaker aus recycelten Abfällen Quelle: Ruby Odilia Photo Lab

szenarien beruhten auf einer Computersimulation von Spezialisten des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Man nahm an, dass bei unverändertem Konsumverhalten die wichtigsten Ressourcen innerhalb von hundert Jahren aufgebraucht sein würden, was in der Folge zu einem drastischen Rückgang der Weltbevölkerung hätte führen sollen. Gleich im Folgejahr der Veröffentlichung schienen sich die Annahmen mit dem Beginn der ersten großen Ölkrise zu bewahrheiten. Auslöser für Fahrverbote und menschenleere Autobahnen waren der israelisch-arabische Jom-Kippur-Krieg und die Idee, Erdölexporte als Druckmittel für politische Interessen einzusetzen. Ressourcenknappheit und Auseinandersetzungen um die Verteilung der Ressourcen gelten seitdem als zweithäufigste Konfliktursache im politischen Weltgeschehen.

Shards-Wandfliesen aus recyceltem Bauschutt

Die natürlichen Ressourcen der Erde sind endlich. Zudem steigt die Weltbevölkerung,

Quelle: Lea Schücking

und wenn sich das westliche Konsumverhalten und der westliche Lebensstil weiter in

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den anderen Regionen der Erde ausbreitet, wird dieses Ende noch schneller erreicht sein. Das wissen auch Unternehmen wie Deep Space Industries aus Luxemburg oder Planetary Ressource aus den USA. Sie planen, in naher Zukunft Edelmetalle und Seltene Erden auf Asteroiden abzubauen. Ähnliche Unternehmen auf dem Gebiet des Asteroidenbergbaus konnten bereits prominente Milliardäre wie Google-Erfinder Larry Page oder James Cameron als Investoren für sich gewinnen. Ob sich diese Entwicklung wirtschaftlich rentieren wird, bleibt offen. Schließlich warnen selbst beide UnterZellulose aus Denim-Abfall wird zu Aerogel regeneriert. Quelle: Donna Squire / deakin

nehmen ihre Investoren vor finanziellen Verlusten. Diese Entwicklungen reagieren jedoch nicht auf die Tatsache, dass nicht der absolute Mangel an Ressourcen auf der Erde unsere Existenz bedroht, sondern ihre ineffiziente Nutzung. Der Umgang mit den vorhandenen Ressourcen und die Umstellung industrieller Produktion auf geschlossene Werkstoffkreisläufe wird für die industriellen Gesellschaften im nächsten Jahrzehnt eine große Herausforderung darstellen. Die Orientierung weg vom „Verbrauch“ einer Ressource hin zu ihrem „Gebrauch“ ist vor allem für materialintensive Branchen von besonders großer Bedeutung, gerade im Hinblick auf die steigende Weltbevölkerung. So werden aus alten Jeans Knorpelimplantate, aus Bauschutt von der Deponie hochwertige Wandfliesen und aus Kaugummiabfällen Laufsohlen für Sneaker. Aus Recycling wird Upcycling, aus Abfällen werden Wertstoffe mit ihren ganz spezi-

Informationstafel zum Thema Recycling in einer Teefabrik auf Sri Lanka Quelle: Haute Innovation

fischen Qualitäten für innovative Produkte. Am Ende der Lebenszyklen liegen hochwertige Wertstoffe vor, die den Ausgangspunkt für den Beginn eines nächsten Produktlebens bilden. Unsere Ressourcen zirkulieren in biologischen und technischen Kreisläufen so lange, wie es wirtschaftlich sinnvoll erscheint und qualitativ möglich ist.

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Plastic Whale-Boot aus recyceltem Kunststoff Quelle: Plastic Whale

Bürostuhl und Leuchten mit Filzen aus Ocean Plastic Quelle: Plastic Whale

OCEAN PLASTICS Obwohl seit 1997 bekannt ist, dass Unmengen von Kunststoffabfällen in den Ozeanen schwimmen, gelangen nach Angaben wissenschaftlicher Berechnungen jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen in die Meere. Im Jahr 2010 sollen es über 8 Mio. Tonnen gewesen sein. Das entspricht fünf Einkaufstüten pro 30 cm Küstenlinien weltweit.

PLASTIC WHALE 1.000 Plastikflaschen für einen Tisch, 60 bis 70 für einen Stuhl Quelle: Plastic Whale

Plastic Whale ist die erste professionelle Plastic Fishing Company der Welt. Als soziales Unternehmen verfolgt es das Ziel, die Gewässer der Welt von Kunststoffen zu befreien und die Materialressource für neue Produkte zu nutzen. Den Anfang machte das Unternehmen in Amsterdam, wo seit 2011 Abfälle wie Beutel und PET-Flaschen aus den Grachten gefischt werden. Aus den ersten 9.000 PET-Flaschen hat sich der Firmengründer Marius Smit ein Boot gebaut, mit dem er Touren durch die Grachten Amsterdams an Touristen anbietet. Mittlerweile haben 21.080 Plastikfischer 195.000 PET-Flaschen und 3.500 Säcke Kunststoffabfälle aus den Kanälen geborgen. In Zusammenarbeit mit Lama Concepts und dem Büromöbelhersteller Vepa hat Plastic Whale eine nachhaltige Büromöbelkollektion mit Filzen entworfen, die ausschließlich aus Kunststoff von PET-Flaschen besteht.

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Hawaii-Hemd aus Ocean Plastic Quelle: Wieden+Kennedy Amsterdam / Corona

CORONA PARADISE? SHIRT Im Auftrag des Getränkeherstellers Corona und der Umweltorganisation Parley for the Oceans hat die Kreativagentur Wieden+Kennedy aus Amsterdam zusammen mit dem spanischen Designer A. Correa ein Hemd gestaltet, das auf die Vermüllung der Weltmeere und Strände aufmerksam machen soll. Dabei orientiert sich die farbenfrohe Gestaltung des sogenannten Paradise? Shirt am klassischen Hawaii-Hemd. Erst beim näheren Betrachten des Musters erkennt man Einweggeschirr, Sixpack-Ringe und andere Kunststoffgegenstände des täglichen Gebrauchs, die neben Fischen und Krebsen im Wasser umhertreiben. Für die limitierte Kollektion wurden ausschließlich Kunststoffabfälle verwendet, die Parley for the Oceans auf dem offenen Meer, auf Inseln und an Stränden eingesammelt hat.

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Fischernetze aus Polyamiden

POLYAMIDE AUS FISCHERNETZEN

Quelle: Haute Innovation

Nylon gilt als erste Synthetikfaser der Welt und findet aufgrund seiner Widerstandsfähigkeit in unterschiedlichen Branchen Verwendung. Die Modeindustrie schätzt beispielsweise die hervorragenden Farbentwicklungseigenschaften der Faser für Badebekleidung und Feinstrumpfhosen. Innenarchitekten sehen vornehmlich in der Abriebfestigkeit der Faseroberfläche und der chemischen Beständigkeit der Polyamidfaser ein Alleinstellungsmerkmal für textile Bodenbeläge wie Teppiche. Doch vor allem die traditionsreiche Fischerei profitiert von der US-amerikanischen Entwicklung: In den 1960er Jahren wurden leicht vergängliche Fasermaterialien wie Hanf, Sisal oder Leinen für Fischnetze durch das synthetische und extrem reißfeste Material ersetzt. Nach über 50 Jahren ist jedoch klar, dass Nylonnetze einen Teil der maritimen Plastikverschmutzung ausmachen. Meeresbewohner fressen Reste von Fischernetzen oder verfangen sich darin. EU-geförderte Projekte wie MARELITT Baltic nehmen sich der Problematik bereits seit Jahren an und bergen die sogenannten Geisternetze aus der Ostsee.

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Sonnenbrillen des Unternehmens Costa Sunglasses aus gesammelten Geisternetzen Quelle: Bureo

VOM FISCHFANG ZUM BLICKFANG Das US-amerikanische Unternehmen Costa Sunglasses ist nicht nur Weltmarktführer für Performance-Sonnenbrillen, sondern auch Initiator der „Kick Plastic“-Kampagne. Mit dieser Initiative klärt es über die zunehmende Plastikverschmutzung und deren Folgen in den Weltmeeren auf. Vor allem die „Geisternetze“ haben das Interesse des Unternehmens geweckt. Aufgrund der Größe, ihrer Langlebigkeit und hohen Reißfestigkeit gelten Fischernetze für die Meeresbewohner als besonders gefährlich. Nach Angaben des Unternehmens machen sie 10 % des schwimmenden Kunststoffmülls in den Weltmeeren aus. Im Gegensatz zu anderen Müllpartikeln lassen sich Fischernetze aus Polyamid als sortenreines Material problemlos recyceln. Die Herausforderung liegt in der Bergung des Materials. Oft sind die Netze um Felsen, Wrackteile und andere Fremdkörper verschlungen, oder sie schwimmen zerrissen in Einzelteilen umher. In Zusammenarbeit mit den Recyclingspezialisten für Netzprodukte Bureo verwendet Costa Sunglasses gesammeltes Material aus dem Meer. Nach der Reinigung werden diese in einem mechanischen Recyclingprozess zu kleinen Pellets verarbeitet und im Anschluss mit Stahlformen in die gewünschte Produktform gebracht. Im Rahmen der „Untangled Collection“ verkauft der Brillenhersteller Rahmen und Gestelle, die zu 100 % aus recycelten Nylonnetzen bestehen.

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Teppich aus recycelten Fischernetzen der Initiative ROPE HOPE Quelle: Sep Verboom / LIVABLE®

Skateboard aus Fischernetzen Quelle: Bureo Skateboards

ROPE RUG Neben der Materialauswahl sind vor allem auch die Verarbeitungsmethoden für den belgischen Teppichhersteller Papilio bestimmend für nachhaltiges Design. Alte Nylonnetze und Taue von philippinischen Fischern überführt das Unternehmen in sorgsamer Handarbeit in hochwertig gestaltete Teppiche. In enger Zusammenarbeit mit Recyclinginitiativen vor Ort werden die lokalen Handwerkstechniken gefördert. Ausführlich vorgestellt wird das Projekt auf der Plattform des Unternehmens LIVABLE®.

SKATEBOARD AUS DEM MEER Aus 2,8 m² ausgemusterter Fischernetze entsteht in Chile ein Skateboard. Die Amerikaner Ben Kneppers, Kevin Ahearn und David Stover des Netzproduktverwerters Bureo sammeln dazu verlorene Netze an den Stränden Chiles ein oder kaufen beschädigte und somit unbrauchbare Netze direkt bei den Fischern. In der Hauptstadt Santiago werden diese dann für die Weiterverarbeitung aufbereitet und in neue Formen geschmolzen. „The Minnow“ ist das erste Erfolgsprodukt des jungen Unternehmens, ein trendiges Skateboard, das wie ein Fisch in schuppiger Oberfläche daherkommt und für den nötigen Halt beim Fahren sorgt.

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BIOBASIERTE HOCHLEISTUNGSFASERN

Ob Strumpf oder Flasche – Wissenschaftler der Universität Hohenheim (links: Dominik Wüst, rechts Markus Gölz) ebnen den Weg für Qualitätsprodukte aus Chicorée-Abfällen. Quelle: Universität Hohenheim

Vor allem bei High-Performance-Produkten überzeugen synthetische Fasern aufgrund ihrer mechanischen Eigenschaften und der geringen Schadenstoleranz. Sie weisen zudem gegenüber biobasierten Lösungen in aller Regel wirtschaftliche Vorteile auf. Mit dem Wissen um die Endlichkeit der Ressource Erdöl haben Wissenschaftler in den letzten Jahren innovative Ansätze und neue Impulse für eine nachhaltige Alternative zu synthetischen Hochleistungsfasern entwickelt.

NYLON AUS DER CHICORÉE-WURZEL Wissenschaftler der Hochschule Hohenheim nutzen Ernteabfälle des Chicorée-Anbaus, um sogenanntes Hydroxymethylfurfural (HMF) zu gewinnen. HMF ist eine wichtige Basischemikalie, die sich zu Polyamiden, Polyester und auch PET weiterverarbeiten lässt. Sie könnte somit einen Teil der heute auf Erdöl basierenden Rohstoffe in der kunststofferzeugenden Industrie ersetzen. Mit der Chicorée-Wurzel haben die Forscher einen nahezu idealen Reststoff gefunden. Schließlich werden die Wurzelknollen, die gut 30 % der gesamten Pflanze ausmachen, nach dem Abernten der schmackhaften Knospen in Biogasanlagen entsorgt oder zum Verrotten unter die Felder gehoben. In Europa fallen jährlich etwa 800.000 t dieser bislang ungenutzten Ressource an.

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Ultrafeste Nanofasern aus Zellulose Quelle: Nitesh Mittal, KTH Stockholm

ULTRAFESTE NANOFASERN AUS ZELLULOSE Am Hamburger Forschungszentrum Desy hat ein Forscherteam um Daniel Söderberg von der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) aus Stockholm an der Röntgenlichtquelle PETRA III Nanofasern aus Zellulose mit außergewöhnlicher mechanischer Festigkeit herstellen können. Das biologisch abbaubare Material übertrifft mit einer Biegesteifigkeit von 86 GPa und einer Zugfestigkeit von 1,57 GPa sogar Stahl und Spinnenseide. In einem Verfahren namens hydrodynamische Fokussierung werden handelsübliche Zellulose-Nanofasern ohne Zugabe von Klebstoffen zu einem ultrafesten, makroskopischen Faden zusammengefügt. Dabei werden die etwa 2 bis 5 nm dünnen und bis zu 700 nm langen Fasern in einer Trägerflüssigkeit durch einen 1 mm schmalen Kanal gepresst. Durch seitliches Zuführen von entionisiertem Wasser und solchem mit einem niedrigen pH-Wert werden die Nanofasern in dem Kanal nicht nur in eine bestimmte Richtung ausgerichtet, sondern so stark verdichtet, dass sie sich zusammenlagern und eine Faser formen. Die dadurch entstehenden supramolekularen Kräfte ersparen den zusätzlichen Einsatz von Klebstoffen, um die Zellulose-Nanofasern zusammenzuhalten. Im hellen Röntgenstrahl von PETRA III ließ sich der Prozess im Detail verfolgen und schließlich optimieren.

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KREISLAUFFÄHIGE TEXTILIEN

Knöpfe und Reißverschlüsse können mit einem Heißluftföhn von der Kleidung getrennt werden. Quelle: Resortecs®

Fast jedes Bekleidungsunternehmen hat sich in den letzten Jahren zwangsläufig mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. Ob Jacken aus PET-Flaschen, Bademode aus recyceltem Nylon oder T-Shirts aus Biobaumwolle, der Markt bietet bereits zahlreiche nachhaltige Produkte. Obwohl einige davon tatsächlich den Materialkreislauf fast vollkommen schließen, sollte das Recycling von Ressourcen nicht zu noch mehr Konsum führen. Vor allem in der „Fast Fashion“ bedeutet nachhaltiges Design, auch soziale Verantwortung während der gesamten Produktionskette zu übernehmen. Das reduziert sich nicht auf eine Herstellung unter fairen Bedingungen, es impliziert ebenso die Entsorgung der Altkleider sowie die Vermeidung von Reststoffen in der Produktion. Denn was in Europa als gemeinnützige Kleiderspende verstanden wird, entpuppt sich zunehmend für die Abnehmerländer in Afrika als ökologisches und ökonomisches Problem. So führte die Einfuhr von Second-Hand-Waren in Tansania zum Erliegen der lokalen Textilindustrie und zum Überquellen der Mülldeponien. Mittlerweile nimmt das ostafrikanische Land keine textilen Waren mehr an.

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re:newcell-Fasern Quelle: re:newcell

Yellow dress aus recycelten Textilien Quelle: re:newcell

RE:NEWCELL – LOKAL AUFBEREITET Im Jahr 2014 sorgte ein gelbes Kleid für Aufruhr in der Textilbranche. Das schwedische Unternehmen re:newcell präsentierte mit dem „yellow dress“ das erste Kleidungsstück, das vollständig aus recyceltem Stoff hergestellt wurde. Hinter dieser Meldung steckte eine besondere Recyclingmethode für Altkleider, die es erlaubt, Stoffreste mit hohem Zelluloseanteil wie Baumwolle, Viskose oder Lyocell in watteähnliche Fasern zu verwandeln. Im Gegensatz zur Recyclingkampagne eines großen schwedischen Modehauses aus dem Jahr 2013 lag der Anteil an recycelten Altkleidern bei re:newcell bei 100 %. Der Modekonzern hingegen nutzte eine anderes Verfahren: Hier wurden Alttextilien in so kleine Stücke zerkleinert, dass sie nicht ohne Neufasern zu Garnen verarbeitet werden konnten. Die Modekette kam lediglich auf einen Recyclinganteil von 20 % Baumwolle. Seit Ende 2017 kooperiert nun der Modekonzern als Investor mit dem schwedischen Start-up re:newcell.

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Schale aus Garnabschnitten Quelle: krupka–stieghan Studio für Produktdesign

Inneneinrichtungsobjekt aus Vlies Garnabschnitte aus der Produktion

Quelle: krupka–stieghan Studio für Produktdesign

Quelle: krupka–stieghan Studio für Produktdesign

RECREATE TEXTILES Um Fasern der anderen Art drehen sich die Arbeiten des Berliner Designstudios krupka– stieghan. Zusammen mit dem Handtuchhersteller MÖVE entwickelt das Studio unter dem Namen „Recreate Textiles“ Inneneinrichtungsobjekte aus Vlies sowie Naturfaserkunststoffe unter der Verwendung von Flusen, Garnen und Webkanten der Handtuchproduktion. Damit nehmen sich die Designer einem bislang ungenutzten Reststoff der Textilindustrie an. Sie verwenden die Materialabfälle des Handtuchherstellers aus lokaler Produktion in der Nähe Berlins. Die in verschiedenen Verfahren entstandenen Vlies- und Naturfaserkunststoffmaterialien sind durch die Kombination mit unterschiedlichen Biokunststoffen nicht nur biobasiert, sondern auch biologisch abbaubar. Aufgrund der material- und prozessspezifischen mehrfarbigen Oberflächen mit ihren marmorierten Strukturen weisen die Recyclingmaterialien besonders attraktive Oberflächen für sichtbare Anwendungen im Interior- und Möbeldesign auf.

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Global Change Award Winner 2018: Smart Stitch – Nähte, die sich bei hohen Temperaturen auflösen Quelle: Resortecs®

SMART STITCH Das belgische Projekt „Smart Stitch“ sagt dem steigenden Rohststoffbedarf für neue Stoffe mit einem ganz anderen Ansatz den Kampf an. Cédric Vanhoeck, Gründer von Regeneration aus Gent, entwickelt unter der Marke Resortecs® Kleidungsstücke, die sich mittels eigens hergestelltem Spezialfaden problemlos recyceln lassen. Dieser löst sich bei Temperaturen um 120 bis 130 °C auf und kann somit das Recycling von Altkleidern entscheidend vereinfachen. Angenähte Einzelteile wie Knöpfe, Perlen oder Reißverschlüsse können schnell und kostengünstig entfernt werden. Wird der Faden für das komplette Kleidungsstück verwendet, können große Textilflächen für neue Smart Stitch vereinfacht die Reparatur von Kleidung und Recycling von angenähten Einzelteilen.

Kleidung benutzt oder bei Abnutzung unkompliziert ausgetauscht werden.

Quelle: Cédric Vanhoeck und Vanessa Counaert /Resortecs®

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Betonzylinder aus Biobeton Quelle: Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung

Akaziengummi Quelle: Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung

Zuckerrohrasche Quelle: Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung

NATÜRLICHE ZUSCHLAGSTOFFE Einige neue Entwicklungen im Bereich des Betons zeigen, dass sich auch natürliche Reststoffe aus der Agrarwirtschaft für die Herstellung von Baustoffen nutzen lassen, mit denen sich neben dem Einsatz von Primärmaterial vor allem die CO₂-Emissionen reduzieren lassen. Die Bauindustrie ist seit Jahren einer der Hauptverursacher des kli-

Cassavaknollen Quelle: Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung

maschädlichen Kohlendioxids. Vor allem die Betonproduktion benötigt große Mengen an Energie, da die Herstellung des Zementklinkers hohe Temperaturen bedarf und der Aushärtungsprozess mit großen Kohlendioxid-Emissionen verbunden ist. Experten schätzen, dass die Zementindustrie für rund 8 % der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich ist.

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Deton – pflanzliche Fasern ersetzen zu einem großen Teil die adhäsive Funktion des Zements. Quelle: Deton 3D Berlin

BIOBETON MIT LANDWIRTSCHAFTLICHEN RESTSTOFFEN Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung hat einen Beton unter Verwendung biobasierter Reststoffe entwickelt, der einen deutlich reduzierten Zementklinkeranteil aufweist. Dabei griff das Forscherteam um Dr. Wolfram Schmidt auf Erfahrungen von Wissenschaftlern der University of Nigeria zurück. Beispielsweise wurde die besonders anhaftende Stärke der Schalen der Cassavaknolle als Zusatzstoff verwendet. In Nigeria gehört das stärkehaltige Wurzelgewächs zu einem der wichtigsten Nahrungsmittel. Werden die Schalen verbrannt, kann die Asche aufgrund ihres hohen Anteils an reaktivem Siliziumdioxid als nachhaltiger Zementersatz verwendet werden und die Ökobilanz im Vergleich zu herkömmlichem Beton verbessern. Weitere Zutaten der Betonrezeptur sind Kokosfasern, Akaziengummi, Reisschalen und die Asche von Zuckerrohr.

DETON Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Nail Förderer mit seinem Betonwerkstoff Deton 3D. Für die Herstellung verwendet er pflanzliche Fasern, die zu einem großen Teil die adhäsive Funktion des Zements ersetzen. Auf diese Weise kann der Zementanteil im Vergleich zu Normalbeton erheblich reduziert werden. Die Betonrezeptur ist darüber hinaus so zusammengestellt, dass auf eine zusätzliche Bauwerksabdichtung sowie Brandschutzmittel oder Fungizide verzichtet werden kann. Die Festigkeitssteigerung durch den Einsatz der pflanzlichen Fasern macht sogar den Einsatz einer Stahlarmierung gänzlich überflüssig. Durch Beimischung von Blähglas erhält der Beton zudem eine sehr gute wärmedämmende Qualität.

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Sich selbst zerstörendes Schaummaterial aus flüssigem Lignin Quelle: Center for Sustainable Polymers, University of Minnesota

CHEMISCHES RECYCLING Marc Hillmyer, Leiter des Fachbereichs für nachhaltige Polymere an der Universität von Minnesota, und sein Team haben einen umweltfreundlichen Kunststoff entwickelt, der nach dem Gebrauch wieder in seine Ausgangsstoffe zerfällt. Unter normalen Bedingungen bleiben die Polymere stabil. Werden sie jedoch erhitzt oder einer bestimmten Lichtquelle ausgesetzt, zerfallen die Molekülketten wieder in ihre Einzelteile. Die chemisch recycelten Ausgangsstoffe lassen sich dann wieder zu neuen, hochwertigen Polymeren zusammenfügen. Recycelbare Elastomere Quelle: Marc Hillmyer, Valerian Materials

Die Wissenschaftler vergleichen das Prinzip des chemischen Recyclings mit einem Reißverschluss: Bei der Herstellung von klassischen erdölbasierten Kunststoffen werden die Einzelmoleküle so angeregt, dass sie sich zu langen Molekülketten verhaken. Diese Verbindung bleibt dauerhaft stabil und kann nicht mehr gelöst werden. Die Kunststoffe aus dem Labor von Hillmyer hingegen bestehen zum Beispiel aus Lignin, einem Stoff, der von Natur aus aus einzelnen Molekülen besteht und keine Polymere bildet. Erst in Kombination mit bestimmten Mischstoffen bilden sich Molekülketten und bleiben unter normalen Bedingungen stabil. Um die Verbindung wie einen Reißverschluss wieder zu lösen, muss ein bestimmter Bestandteil durch einen individuellen Impuls wie Hitze oder Licht angeregt werden. Die Chemiker haben zum Beispiel einen Schaumstoff entwickelt, der bei Temperaturen um 200 °C zerfällt. Die Einzelmoleküle werden mithilfe von Bakterien aus Maispflanzen oder Rüben gewonnen. Der Bioschaumstoff überzeugt mit seinen technischen Eigenschaften genauso wie die petrochemischen Schaumstoffe und könnte als Verpackungs- und Polstermaterial Anwendung finden. Würden sich Hersteller zukünftig verpflichten, ihre Produkte wie Couchgarnituren oder Autositze wieder entgegenzunehmen, könnte sich ein chemisches Recycling trotz bislang hoher Kosten lohnen. Hillmyer und sein Team haben mittlerweile ein Unternehmen namens Valerian Materials gegründet, das neben Schaumstoffen auch Elastomere anbietet, die sich chemisch recyceln lassen.

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Zellulose ist das am häufigsten vorkommende Strukturmolekül der Welt. Mikroskopaufnahme von Haferzellulosefasern Quelle: Fraunhofer IMWS

ZELLULOSEBASIERTE MATERIALIEN Zellulose kommt in den Zellwänden von nahezu allen Pflanzen vor. Sie ist eine der wichtigsten organischen Verbindungen der Welt, findet Verwendung in unterschiedlichen Branchen und gilt unter Wissenschaftlern als ernstzunehmende Alternative zu erdölbasierten Ausgangsstoffen. Industriell wird Zellulose zusammen mit Lignin und Zucker aus Holz herausgelöst und für die Produktion von Dämmstoffen, zur Papierund Textilherstellung sowie in der Lebensmittelindustrie zur besseren Mischung von Fruchtmark und Wasser in Orangensaft verwendet. Wird der nachwachsende Rohstoff aus Abfällen von zellulosereichem Holz gewonnen, gilt das Material als besonders Holzschnittabfälle aus der Forstwirtschaft Quelle: Grünkunft

nachhaltig. Äste, Baumteile mit Wuchsfehlern, Sträucher oder Recyclingholz, das nicht von der Bau- oder Möbelbranche verwendet werden kann, können zur Zellulosegewinnung genutzt werden.

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Paperbricks aus recycelten Zeitungen Quelle: studio woojai

KOMPOSTIERBARE VERPACKUNG AUS HOLZZELLULOSE Edna und Christoph Kleber sind die Betreiber des ersten Supermarktes weltweit, der ohne Plastikverpackung auskommt. In ihrem Laden „Grünkunft“ in Wasserburg am Inn bieten sie Getreide, Müsli und andere Trockenwaren in sogenannten Nachhältern an. Die Verpackungsfolie besteht dabei nicht aus Kunststoff, sondern zu 100 % aus regenerierter Zellulose und kann somit im heimischen Kompost oder im AltpapierconKompostierbarer Verpackungsbeutel aus 100 % regenerierter Zellulose Quelle: Grünkunft

tainer entsorgt werden. Der Beutelverschluss wird aus einer Siegelnaht mit Papiergarn hergestellt. In Viskose-Verfahren wird aus Schnittabfällen aus der Forstwirtschaft eine reißfeste und geschmacksneutrale Verpackungsfolie produziert. Ihre Transparenz erhält die Folie durch mechanische Behandlung ohne chemische Zusätze. Obwohl die Folie wasserlöslich ist, bleibt sie für einige Minuten stabil genug, um die gekauften Lebensmittel bei starkem Regen sicher nach Hause zu transportieren.

PAPERBRICKS Papier kann zwar recycelt werden, jedoch nicht ohne Qualitätsverlust. Mit jedem Zyklus verliert die Faser an Länge und somit an Stabilität. Fünf bis sieben Mal lässt sich die Faser wiederverwenden, bis sie nicht mehr für die Herstellung von Papier brauchbar ist. Der koreanische Designer Woojai Lee verwendet nicht mehr recyclingfähiges Altpapier, um modulare Steckelemente für Möbel und andere Innenarchitektur-Objekte herzustellen. Hierfür zerfasert er alte Zeitungen, mischt die Papierflocken mit Holzleim und lässt das Gemisch in Formen aushärten. Nach dem Trocknen kann das Material mit herkömmlichen Holzbearbeitungsverfahren wie Sägen, Schleifen und Fräsen weiterverarbeitet werden. Die sogenannten Paperbricks überzeugen als robustes Upcycling-Produkt, da sie nicht nur sehr stabil sind, sondern auch die Qualität des Ausgangsmaterials in einer samtigen Oberflächenqualität einfangen.

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Knorpelmaterial aus Zellulose von alten Jeans

KÜNSTLICHER KNORPEL AUS RECYCELTEM JEANSSTOFF

Quelle: Donna Squire / deakin

Wissenschaftler der Deakin Universität in Melbourne haben ein körperverträgliches Material aus recycelten Zellulosefasern entwickelt, das zukünftig für Knorpelimplantate verwendet und im 3D-Drucker individuell für den Patienten angefertigt werden kann. Dabei gewinnen sie das pflanzliche Strukturmolekül aus alten Jeans, die in flüssigen Lösemitteln aufgelöst werden. Aus dem gewonnenen Material lässt sich im Anschluss ein zellulosebasiertes Aerogel herstellen, das ähnliche Qualitäten aufweist wie tierischer Knorpel. Obwohl Aerogele aus Zellulose bereits auf dem Markt existieren, überzeugt das Material durch Upcycling branchenfremder Reststoffe wie Alttextilien hin zu hochwertigen Komponenten in der Gelenkrekonstruktion.

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Schminktischhocker aus menschlichem Haar Quelle: Oksana Bondar

TIERISCHE WERTSTOFFE Ob in der Biotonne oder beim Friseur, junge Designer haben auf der Suche nach bislang ungenutzten Rohstoffquellen in ihrer Umgebung wertvolle tierische Reststoffe ausfindig gemacht und mittels traditioneller Handwerkstechniken wie Filzen in nachhaltige und ästhetische Alltagsgegenstände überführt.

HOCKER AUS MENSCHLICHEM HAAR Die Designerin Oksana Bondar zeigt mit ihrem „Wiggy-Stool“ das Potenzial bislang ungenutzter Reststoffe. Bei der Recherche lokaler Abfallströme identifizierte die in Menschliches Haar – ungewöhnliches Fasermaterial vom Friseur Quelle: Haute Innovation

London lebende Designerin menschliches Haar als reichlich vorhandene und wertvolle Faser. In zahlreichen Experimenten entdeckte sie, dass die Fasern nass gefilzt und durch Laminieren mit Polylactid-Acid-Kunststoff (PLA) in eine stabile Form überführt werden können. Entstanden ist ein Hocker, der aufgrund seiner reduzierten Gestaltung nicht nur die Stabilität, sondern vor allem die Ästhetik des Materials veranschaulicht.

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Geschirr aus verkohlten Gemüseabfällen

GESCHIRR UNTER VERWENDUNG VON KNOCHENLEIM

Quelle: Kosuke Araki

Kosuke Araki, Designer aus Tokio, hat aus recyceltem Biomüll eine ungewöhnliche Geschirrserie bestehend aus Tassen, Tellern und Schüsseln entworfen. Für seine „Anima-Kollektion“ hat er den eigenen Biomüll gesammelt und in tierische und pflanzliche Bestandteile sortiert. Nach zwei Jahren kamen gut 315 kg Essensreste, Knochen, Eier- und Gemüseschalen zusammen. Um den organischen Müll in ein neues Material zu transformieren, hat Araki zunächst die pflanzlichen Reststoffe zu Kohle verbrannt und im Anschluss pulverisiert. Den Klebstoff gewann der Designer aus den tierischen Reststoffen wie Knochen und Haut durch Auskochen. Nach dem Formen und Austrocknen der Objekte wurde die Oberfläche mit Urushi, einem natürlichen und in Japan seit Jahrhunderten sehr beliebten Lack, versiegelt. Pigmente aus menschlichem Haar Quelle: Leopold Seiler

TINTE AUS HAAREN An der Burg Giebichenstein in Halle an der Saale drehte sich im Rahmen des „re-use“-Projekts für Leopold Seiler ebenfalls alles um Haare. Im Fokus der Arbeit „Your hair – Your ink“ stand die Einzigartigkeit des Materials im Fokus. In Zusammenarbeit mit dem biochemischen Labor der Martin-Luther-Universität wurden verschiedene Haarproben schonend enzymatisch aufgelöst, daraus Pigmente gewonnen und diese anschließend in eine Tinte überführt.

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Mischverhältnis bestimmt die Farbe der Fliesen Quelle: Lea Schücking

RECYCELTE BAUMATERIALIEN

Fliesen aus recycelten Ziegeln und Altglas Quelle: Lea Schücking

Bauabfälle wie Kacheln, Beton oder Glasscherben zählen mengenmäßig zu den größten Abfallgruppen. Im Jahr 2014 fielen allein in Deutschland gut 54,6 Mio. Tonnen Bauschutt an. Obwohl etwa vier Fünftel davon recycelt werden und ein weiterer Teil als Schüttgut im Straßenbau Verwendung findet, belastet die Menge, die jährlich auf den Deponien landet, die vorhandenen Kapazitäten. Grund genug für Entwickler, Architekten und Designer, sich des Themas anzunehmen und nach Lösungen für neue Materialien zu suchen, in denen auf den Kreislaufgedanken besonders fokussiert wird.

FLIESEN AUS BAUSCHUTT Die junge Designerin Lea Schücking aus Kassel beispielsweise zeigt mit ihrer Arbeit „Shards“, wie sich unter Verwendung von Reststoffen auf Bauschutthöfen Fliesen als Unikate mit außergewöhnlicher Oberflächenstruktur und Haptik erzeugen lassen. Dazu zerkleinert sie Ziegel und Altglas, mischt die Bestandteile und brennt das Materialgemisch zu neuen Fliesen. Je nach Mischungsverhältnis und Brenntemperatur kann die Farbigkeit von strahlendem Grün bis hin zu Brauntönen eingestellt werden, ohne zusätzlich Pigmente beizumischen. Auf diese Weise hat die Designerin ein zirkuläres System geschaffen, in dem ohne Qualitätsverlust und mit geringem Energieverbrauch Altmaterial aus Bauschutt in ein hochwertiges Qualitätsprodukt überführt wird.

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Tom van Soest und Ward Massa von StoneCycling Quelle: StoneCycling

STONECYCLING Wird ein Haus abgerissen, bleibt eine beachtliche Menge unterschiedlichster Materialien zurück. Für Designer Tom van Soest sind diese Abfallstoffe die Grundlage für neue Baumaterialien und waren Ausgangspunkt für eine Geschäftsidee. Zusammen mit Ward Massa hat er 2013 das Unternehmen StoneCycling gegründet, das Baumaterial aus recyceltem Bauschutt anbietet. Bereits während seines Studiums in Eindhoven hat der junge Niederländer mit unterschiedlichen Abfallstoffen experimentiert, die er zu Bis zu 25 % Energiersparnis gegenüber der klassischen Herstellungsweise Quelle: StoneCycling

neuen Baumaterialien umwandeln wollte. Nach einer langen Experimentierphase hat er schließlich aus alten Glasfenstern, Ziegelsteinen, Fliesen, Betonresten und sogar aus ausgedienten Toilettenschüsseln neue Bauwerkstoffe schaffen können. Hierfür werden die gesammelten und in Materialgruppen vorsortierten Abfälle zerkleinert und zu feinem Pulver gemahlen. Je nach gewünschter Festigkeit und Optik mischen die Designer die verschiedenen Komponenten und schmelzen sie zu einem festen Ziegelstein oder kleinformatigem Plattenmaterial zusammen. Welche Komponenten genau verwendet werden, bleibt bislang Betriebsgeheimnis. Nach Aussagen der Entwickler wird bei der Produktion auf jegliche Chemikalien zur Bindung verzichtet und sogar ein Viertel der Energie gegenüber der traditionellen Herstellung eingespart. Erste Bauprojekte mit den Ziegelsteinen wurden bereits in den Niederlanden, Luxemburg, England und Belgien erfolgreich umgesetzt.

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34 % der Getränkekartons wurden 2014 in Europa recycelt. Quelle: Ruby Odilia Photo Lab

BAUWERKSTOFFE AUS VERPACKUNGEN Mit dem Einfuhrverbot von 24 verschiedenen Recyclingmaterialien seit dem 1. Januar 2018 reagiert China auf die riesigen Mengen Kunststoff-, Textil- und Altpapiermülls aus Europa. Somit wurde auch der Import und die Aufbereitung bzw. Entsorgung von unsortiertem Plastikmüll aus den USA und Japan gestoppt. Bislang wurden die Kunststoffabfälle entweder zeitaufwendig per Hand sortiert oder in teils veralteten Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Damit soll nun Schluss sein, da China eine eigene Kreislaufwirtschaft aufbauen will. Umweltschützer sehen diese Entscheidung mit Wohlwollen, denn so sind auch die anderen Industrieländer indirekt aufgefordert, effiziente Recyclingstrategien für die verschiedenen Kunststoffsorten umzusetzen und die Rohstoffe wiederzuverwerten. Über neun Milliarden Getränkekartons werden allein in Deutschland pro Jahr verkauft. Sie sind leicht, pfandfrei und häufig dank eines Drehverschlusses sogar wiederverschließbar. Ein Getränkekarton besteht in der Regel aus drei verschiedenen Materialien, die zu einem Verbund kombiniert werden. Um die abgefüllten Flüssigkeiten optimal vor Licht und Sauerstoff zu schützen, werden neben dem stabilisierenden Karton auch eine Aluminium- und Kunststofffolie aus Polyethylen (PE) verwendet. Hersteller der Getränkekartons werben mit einer Recyclingquote von 70 %. Die begehrten Zellulosefasern des Pappkartons werden von Papierfabriken wieder zu Kartonpapier oder Wellpappen verarbeitet. Das restliche Kunststoff-Aluminium-Gemisch, das nahezu untrennbar miteinander verschmolzen ist, landet in den Öfen der Zementwerke, wo es als Substitut für das Aluminiumerz Bauxit Verwendung findet. Alternativen zur Verbrennung bestünden darin, entweder die Verpackungswertstoffe sortenrein zu trennen und dem Kreislauf wieder zuzuführen oder die Packsysteme direkt in Produkte und Baustoffe zu überführen. Hier sind in den letzten Jahren einige neue Entwicklungen bekannt geworden.

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Waste Vault Pavilion in New York Quelle: ETH Zürich / Prof. Dirk Hebel

Möbel aus recycelten Getränkekartons Quelle: ETH Zürich / Prof. Dirk Hebel

WASTE VAULT PAVILION Für das IDEAS City Festival in New York im Mai 2015 baute das Team um Dirk Hebel von der ETH Zürich und die Forschungsgruppe von Philippe Block einen 90 m² großen Pavillon aus recycelten Getränkekartons. Um die Verpackungen in einen nutzbaren Bauwerkstoff zu transformieren, wurden sie zunächst zerkleinert und im Anschluss unter Temperatureinwirkung zu Platten verpresst. Dabei wirkt die Kunststoffbeschichtung von der Außen- sowie der Innenseite des Kartons als klebende Komponente. Mit einer gebogenen Dachkonstruktion ist es dem Team gelungen, zukunftsfähige Baumaterialien auf Basis von Verpackungsabfällen für temporäre Bauprojekte zu entwickeln. Mit Blick auf die angestrebte Dekarbonisierung der Bauindustrie ist das recycelte Verbundmaterial eine nachhaltige Alternative zum klassischen Beton, da neben der Wiederverwertung von Materialabfällen auf die Reduzierung der zur Produktion benötigten Energie geachtet wurde.

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Ein Stein enthält 20 PETFlaschen. Quelle: Leonard Te Laak / Studio Köster

BRÜCKE AUS RECYCELTEM KUNSTSTOFF Im Jahr 2011 wurde über dem Fluss Tweed in Easter Dawyck, knapp 50 km südlich von Edinburgh, die erste Brücke aus recyceltem Kunststoff in Europa installiert. Mit fast 30 m Spannweite und einer Tragfähigkeit von 44 t ist sie das längste, befahrbare Bauwerk aus wiederverwertetem Plastik der Welt. Die einzelnen Brückenteile wurden in den USA aus gut 50 t recyceltem Polyethylen gefertigt und schließlich in Schottland montiert. Im Gegensatz zu Brücken aus Holz oder Stahl beschränken sich die Wartungsarbeiten auf ein Minimum, da das Material nicht rostet und resistent gegen Schädlinge ist. Zudem benötigen Bauelemente aus Kunststoff keine aufwendige und kostenintensive Oberflächenveredelung bzw. keinen Witterungsschutz. Dämmendes Baumaterial aus PET-Flaschen Quelle: Fundación Ecoinclusión Alta Gracia, Córdoba

ZIEGEL AUS PLASTIKFLASCHEN In Argentinien landen täglich 12 Mio. PET-Flaschen auf dem Müll. Aber nur 1,8 Mio. von ihnen werden tatsächlich recycelt. Das entspricht einer Recyclingquote von 15 %. Die Non-Profit-Organisation Fundación Ecoinclusión verwendet PET-Flaschen und stellt damit Ziegel und andere Baumaterialien her. Für einen 1.500 g leichten Ziegelstein benötigen die drei Gründer Fabian Saieg, Leandro Lima und Leandro Miguez etwa 20 Kunststoffflaschen, die zu PET-Schnipseln verarbeitet und schließlich mit Zement vermengt werden. Unter hohem Druck werden die Komponenten zu einem Stein gepresst. Das tragfähige und gut dämmende Recyclingmaterial wird vom Unternehmen für den Bau von öffentlich geförderten Sozialunterkünften gespendet.

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Langlebiger Straßenbelag mit 100 % recyceltem Kunststoff Quelle: Leonard Te Laak / Studio Köster

STRASSENBELAG AUS SCHWER RECYCELBAREM KUNSTSTOFF Das schottische Unternehmen MacRebur hat einen neuartigen Straßenbelag entwickelt. Dabei wird Kunststoffabfall in einem eigens entwickelten Verfahren zunächst in Pellets verwandelt, die ähnlich des erdölbasierten Bitumens dem Asphalt beigemengt werden und ihn zusammenhalten. Der Kunststoffanteil kann bis zu 20 % der Masse des Straßenbelags betragen. Verwendet werden nicht etwa PET oder andere leicht zu recycelnde Kunststoffe, sondern ausschließlich Sorten, die meist andernfalls in der Verbrennung landen würden. Je nach Mischverhältnis können sogar Straßen aus sogenanntem Flüsterbelag umgesetzt werden, ideal für geräuschempfindliche Regionen wie Wohnsiedlungen. Der Straßenbelag ist zudem härter und langlebiger als klassischer Asphalt und reduziert die Reparaturarbeiten um ein Vielfaches. Nach Angaben von MacRebur hat das Unternehmen bereits Straßen in über 50 Ländern und auf allen Kontinenten gebaut.

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Unzählige benutzte Kaugummis werden jedes Jahr von den Straßen gekratzt. Quelle: Haute Innovation

110.000 m³ Herbstlaub pro Jahr fallen allein in Berlin an. Quelle: Ruby Odilia Photo Lab

37 % aller gerauchten Zigaretten landen auf dem Boden. Quelle: Haute Innovation

URBANE RESTSTOFFE Der Begriff Urban Mining hat sich in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Recyceln wertvoller Metalle und anderer Sekundärrohstoffe aus der Stadt verbreitet. Der Stadtbewohner wird nicht mehr nur als Konsument, sondern auch als Produzent kostbarer Ressourcen betrachtet. Obwohl Europa nicht reich an Ressourcen ist, gibt es genug Wertstoffe, die man im Materialkreislauf zirkulieren lassen kann. Fernab von den klassischen Recyclingmaterialien wie Glas, Papier oder Kunststoff werden zunehmend auch ungewöhnliche Abfallstoffe wie Laub und Kaffeesatz verwendet, um neue Produkte herzustellen. Selbst benutzte Kaugummis, die auf den Gehwegen kleben, oder Zigarettenstummel werden wiederverwertet.

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Britisches Start-up bio-bean produziert Biodiesel aus Kaffeesatz. Quelle: bio-bean

Beleaf Chair Quelle: Šimon Kern

BELEAF CHAIR Im Herbst müssen Gehwege und Straßen vom Herbstlaub befreit werden, da die Laubschicht in Kombination mit Regen aufweicht und es somit andernfalls für Fußgänger und Autofahrer gefährlich werden könnte. Allein in Berlin werden in den Herbstmonaten gut 110.000 m³ Laub eingesammelt. In Großkompostieranlagen wird das organische Material schließlich zu nährstoffreichem Kompost verarbeitet. Der slowakische Designer Šimon Kern nutzt die Ressource Laub für seine Entwürfe und verarbeitet es Beleaf Chair Quelle: Šimon Kern

zu Stühlen und Leuchten. Dazu mischt er getrocknetes Laub mit einem Bioharz aus Frittierölen und kreiert aus dem Gemisch die kompostierbaren Sitzflächen für seinen Beleaf Chair.

BIODIESEL AUS KAFFEESATZ Einige der 9.500 Busse auf Londons Straßen fahren bereits mit Kraftstoffen, die aus Abfallprodukten wie Speiseöl und Talg aus der Fleischverarbeitung hergestellt werden. In Zusammenarbeit mit Shell hat das Start-up BioBean mit Kaffeesatz ein weiteres Abfallprodukt der Stadt identifiziert, das sich für die Herstellung von Kraftstoff eignet. Hierfür wird aus Kaffeesatz das enthaltene Öl extrahiert und einem Dieselkraftstoff beigemengt. Bis zu 20 % des Biodiesels bestehen aus Kaffeeöl. Um stets genug Kaffeesatz für die Produktion zu erhalten, arbeitet das britische Unternehmen mit Kaffeegroßkonsumenten wie Kantinen, Cafés und Restaurants zusammen, die die wertvolle Ressource sammeln. Bislang wurden lediglich die Aromen aus dem Kaffee verwertet. Die restlichen 99 % des Produktes landeten ungenutzt im Abfall.

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99 % der Kaffeebohnen landen im Abfall. Quelle: Ruby Odilia Photo Lab

Zerfaserte Zigarettenfilter aus Zelluloseacetat Quelle: Haute Innovation

PARKBÄNKE AUS BENUTZTEN ZIGARETTENFILTERN Laut einer Studie in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ aus dem Jahr 2017 gibt es derzeit 933 Mio. Raucher auf der Welt. Obwohl der prozentuale Anteil von Rauchern aufgrund flächendeckender Aufklärungsarbeit über die gesundheitlichen Risiken innerhalb der einzelnen Länder zurückgegangen ist, führte der Anstieg der Weltbevölkerung jedoch zu mehr Rauchern als noch im Jahr 1990. Nach Aussagen des in New Jersey ansässigen Unternehmens TerraCycle werden im Schnitt 37 % aller gerauchten Zigaretten achtlos auf den Boden geworfen. Das ist nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern vor allem ein ökologisches, denn der Filter aus Zelluloseacetat-Fasern ist biologisch nicht kompostierbar. TerraCycle trennt die Filter von den organischen Bestandteilen wie Asche, Tabak und Papier und wandelt sie in einem thermischen Prozess zu neuen Produkten wie Parkbänken oder Transportpaletten um. In vielen Städten der Vereinigten Staaten und Kanadas hat das Unternehmen bereits seine Aschenbecher an Straßenlaternen installiert und leert diese als Service für die Städte gebührenfrei. Außerdem können auf der Internetseite des Recyclingunternehmens kostenfreie Versandetiketten heruntergeladen werden, um die gesammelten Zigarettenstummel per Post zu schicken. Seit der Einführung des Programms im Jahr 2012 wurden an über 12.000 Standorten in Nordamerika und Australien mehr als 90 Mio. Zigarettenstummel gesammelt.

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Bis zu 80 Kaugummis kleben pro Quadratmeter auf deutschen Straßen. Quelle: Ruby Odilia Photo Lab

Erster Sneaker der Welt aus recyceltem Kaugummi Quelle: Ruby Odilia Photo Lab

GUMSHOE Kaugummis sind für viele Städte ein ebenso großes Ärgernis wie Zigarettenstummel. In den Niederlanden ist es sogar über 1,5 Millionen kg Kaugummimasse, die pro Jahr vom Boden entfernt werden muss. Gemeinsam mit dem Recyclingunternehmen Gumdrop Ltd aus London hat die Marketingabteilung der Stadt Amsterdam einen Sneaker präsentiert, dessen Laufsohle aus benutztem Kaugummi besteht. Für die ersten 500 Paar Gumshoes wurden bereits 250 kg der Masse zu Laufsohlen eingeschmolzen und in Form gepresst.

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Stadtmobiliar aus Kunststoffabfall Quelle: Print Your City

Über 30 kg Kunststoffmüll produziert jeder Europäer pro Jahr. Quelle: Print Your City

PRINT YOUR CITY Das Designstudio „The New Raw“ aus Rotterdam nutzt Kunststoffabfälle zur Herstellung von Möbeln für den öffentlichen Raum. Die Architekten Foteini Setaki und Panos Sakkas nutzen dazu einen 3D-Drucker mit einem Roboterarm, um Objekte für den öffentlichen Raum aus recyceltem Kunststoff herzustellen. Mit dem Projekt wollen die Designer die Gesellschaft für das Problem zunehmender Kunststoffabfälle sensibilisieren. Der erste Prototyp des Projekts ist die „XXX bench“, eine 1,5 m lange Bank, die aus 50 kg recyceltem Kunststoff gedruckt wurde. Produziert wurde das Möbelstück von Aectual, einem Unternehmen aus der Nähe von Amsterdam, das große Formate mit einem riesigen Granulatdrucker bzw. Roboterarm umsetzen kann.

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3 BIOÖKONOMIE UND BIOBASIERTE MATERIALIEN Als Resultat des Klimawandels war der Sommer 2018 in Mittel- und Nordeuropa von einer in diesen Breitengraden ungewöhnlichen Wasserknappheit geprägt. Der extrem heiße Sommer und der regenarme Herbst führten zu einem gesamtwirtschaftlichen Schaden im zweistelligen Milliardenbereich. Ernteausfälle, vertrocknete Grünflächen in den Städten, Waldbrände, eine brachliegende Schifffahrt und somit Versorgungsengpässe für einige Industrien verursachten kostenintensive Langzeitschäden für Wirtschaft und Gesellschaft. Experten des Zentrums für den Umgang mit NaturkataPilze - das Material der Zukunft Source: Haute Innovation

strophen (CEDIM) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) prognostizieren, dass die Auswirkungen der historischen Dürre auch in den nächsten Jahren noch spürbar sein werden. Zudem erwarten die Wissenschaftler zukünftig weiterhin solch extreme Wetterlagen. Zwar gilt es bei Meteorologen als unauffällig, wenn in unregelmäßigen Abständen extreme Wetterschwankungen und Naturkatastrophen wie Dürren und Überflutungen auftreten. Es wird jedoch kritisch, wenn sich die Abstände zwischen diesen Extremen verkürzen und regelmäßiger werden. Wissenschaftler und Forscher weltweit begründen diese beunruhigende Entwicklung mit dem Klimawandel und mahnen eindringlich, die drohende Erderwärmung zu stoppen. Mit dem erfolgreichen Abschluss des völkerrechtlich bindenden Klimavertrags vom 12. Dezember 2015 in Paris haben sich alle 196 Staaten für eine Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau ausgesprochen. Um die Risiken und Auswirkungen des Klima-

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Algen als Rohstoffalternative Quelle: Haute Innovation

wandels zu begrenzen, sollte der Anstieg nach Möglichkeit lediglich bei 1,5 °C liegen. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, sollen Energie eingespart und CO₂-Emissionen vermieden werden. In diesem Zusammenhang sind Materialinnovationen auf Basis nachwachsender Rohstoffe in den letzten Jahren in den Fokus gerückt. Denn hier fällt die CO₂-Bilanz für Herstellung und Entsorgung im Vergleich zu anderen energieintensiven Werkstoffen deutlich geringer aus. Es ist eine politische Intention zahlreicher Staaten, dass die Wirtschaft zukünftig weniger auf fossile Rohstoffe setzt und sich mehr hin zu lokal verfügbaren Alternativen orientiert.

Textilien aus Pilzmaterial Quelle: Diana Drewes

Auf der Suche nach natürlichen und nachhaltigen Rohstoffalternativen konnten vor allem junge Designer in den letzten Jahren ungewöhnliche und teils nahezu vergessene Quellen ausfindig machen und durch ein intelligentes Design traditionelle Handwerkstechniken in innovative Produkte überführen. Die bewusste Nutzung von Biomasse und bislang wenig genutzten Reststoffen steht im Fokus zahlreicher Projekte. So entstehen aus Ananasfasern, Kaffeesatz oder Algen widerstandsfähige Textilien, Löwenzahnkautschuk wird als Ressource für Autoreifen entdeckt, und Mikroorganismen werden in den Herstellungsprozess für Baumaterialien integriert. Durch den

Tuesa-Aufbewahrungsbehälter schützen Lebensmittel vor dem Verderben. Quelle: Anastasiya Koshcheeva

Aufbau neuer Wertschöpfungsketten für lokal verfügbare Biomasse wird dem Aspekt der Ressourceneffizienz, wie es uns die Natur seit jeher vormacht, nachhaltig entsprochen und der Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft geebnet.

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Inneneinrichtungsobjekt aus Propolis Quelle: Marlène Huissoud

BIOBASIERTE HARZE Mit dem zunehmenden Bewusstsein vieler junger Designer, zukünftiges Konsumverhalten durch eine ökologisch verträgliche Materialauswahl positiv zu beeinflussen, sind in den letzten Jahren vermehrt bislang in Vergessenheit geratene Naturmaterialien und deren spezifische Handwerkstechniken wieder in den Fokus gerückt. Losgelöst von der Verwendung von Naturfasern spielen nun vor allem natürliche Klebstoffe wie Naturharze in den neuen Entwürfen und Konzepten der aufstrebenden Jungdesigner eine wichtige Rolle.

PROPOLIS Propolis ist ein natürliches Harz mit bräunlicher bis schwarzer Farbigkeit, das von Bienen hergestellt wird, um Löcher im Bienenstock zu versiegeln. Es besteht aus eingedickten Pflanzensäften, Feststoffen wie Pollen und unterschiedlichen ätherischen Ölen, die es resistent gegen Bakterien und Pilze werden lassen. Die französische Designerin Marlène Huissoud nutzt Bearbeitungstechniken aus der Glasherstellung, um das thermoplastische Naturmaterial in Form zu bringen. Im Rahmen ihres Projekts „From Insects“ sind Gefäße und kleinere Inneneinrichtungsobjekte entstanden.

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Wooden Leather unter Verwendung des Seidenproteins Sericin Quelle: Marlène Huissoud

Birkenpech Quelle: Paul Kozowyk

WOODEN LEATHER Inspiriert von den smarten Eigenschaften tierisch erzeugter Materialien entdeckte Marlène Huissoud in den Sekreten der Seidenraupe das Seidenprotein Sericin sowie dessen bindende Wirkung unter Einfluss von Wasser und Wärme. In Kombination mit erhitztem und somit flüssigem Propolis lässt sich das feine Seidenfasergelege zu einem harten und widerstandsfähigen Kompositmaterial verpressen.

BIRKENPECH Birkenpech ist eine tiefschwarze und teerartige Substanz und wird aus Birkenrinde gewonnen. Sie gilt als ältester Klebstoff der Welt und wurde bereits in prähistorischer Zeit im Werkzeug- und Waffenbau verwendet. Der wasserfeste Klebstoff entsteht durch Verbrennen von Birkenrinde, der sogenannten trockenen Destillation. Birkenpech verhält sich in den Eigenschaften wie andere Naturharze und ist folglich den Schmelzklebstoffen zuzuordnen. Auch hier lassen sich Verklebungen durch Erhitzen wieder lösen.

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Züchtung von ertragreichen Löwenzahnpflanzen Quelle: Continental

BIOBASIERTE ELASTOMERE

Autoreifen unter Verwendung von Löwenzahnkautschuk mit Markennamen Taraxagum Quelle: Continental

Alltagsprodukte wie Autoreifen, Luftballons oder Kondome bestehen aus Naturkautschuk, der aus Latex, dem Milchsaft des Kautschukbaumes, gewonnen wird. Die Massenproduktion dieses besonderen Rohstoffs begann Anfang des 19. Jahrhunderts und verhalf Brasilien zu enormem Reichtum. Obwohl der Kautschukbaum mittlerweile auch im tropischen Klima Südostasiens, Indiens und Westafrikas gedeiht, kann der steigende, weltweite Bedarf nicht gedeckt werden. Forscher aus aller Welt entdecken nun vermehrt bislang in Vergessenheit geratene Kautschukersatzstoffe wieder und können sogar neue konkurrenzfähige Alternativen erschließen.

LÖWENZAHNKAUTSCHUK Der Reifenhersteller Continental hat in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) einen Herstellungsprozess zur Produktion von Naturkautschuk aus dem Saft von Löwenzahn entwickelt. Als besonders kautschukhaltig hat sich dabei eine russische Löwenzahngattung erwiesen. Nachdem die Löwenzahnmilch zentrifugiert wurde, kann der reine Kautschuk an der Oberfläche abgeschöpft werden. In den letzten Jahren optimierte Continental die Züchtung und entwickelte die Produktionstechnologie. Derzeit arbeitet das Unternehmen an der Serienproduktion des Materials. Dazu wurde Ende 2018 ein 30.000 m² großes Forschungs- und Versuchslabor im deutschen Anklam im Bundesland MecklenburgVorpommern eröffnet.

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Gras als Additive in Latex Quelle: Haute Innovation

KONDOME AUS GRAS Forscher der Queensland University in Australien nutzen Gras aus dem Outback, um Latexprodukte wie Kondome oder Handschuhe dünner und zugleich belastbarer werden zu lassen. Sie gewinnen in einer Kombination aus mechanischen und chemischen Verfahren Nanozellulose aus Spinifex, einem Süßgras aus den Trockenregionen Australiens, und geben dieses als Additiv herkömmlichem Latex hinzu. Die kleinen Fibrillen und Kristalle aus Zellulose weisen hervorragende Eigenschaften auf. Sie finden bereits Verwendung als Implantate in der Medizintechnik und als Verstärkungskomponente im Verbund mit Latex.

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Schaumstoff unter Einsatz von Sojaöl Quelle: F. Anwarowna Chamitowa

BIOBASIERTE SCHAUMSTOFFE Biobasierte Schaumstoffe finden Anwendung in der Automobilindustrie, im Möbelbau und der Baubranche. Manche schätzen sie als Verpackungsmaterial für fragiles Frachtgut. Schaumstoffe überzeugen aufgrund ihres geringen Gewichts, ihrer dämmenden Wirkung sowie ihrer elastischen Eigenschaften. Jedoch entstammen industriell erzeugte Schaumstoffe heute petrochemischen Prozessketten. Der erste Schritt hin zu biobasierten Alternativen gelang durch partiellen Austausch erdölbasierter Komponenten durch natürliche Polymere. Für vollständig biobasierte Schaumstoffe muss jedoch der gesamte Prozess umgestellt werden.

SOJASCHAUMSTOFF Bereits vor einigen Jahren präsentierte Ford einen Sojaschaumstoff, der seitdem Verwendung in den Autositzen des Automobilherstellers findet. Zwar besteht das Polstermaterial nicht vollständig aus dem nachwachsenden Rohstoff, aber immerhin konnte der Erdölanteil durch Zugabe von Sojaöl auf 60 % reduziert werden.

ALGENBASIERTER ETHYLEN-VINYLACETATCOPOLYMERE ( EVA ) -SCHAUM Das US-amerikanische Unternehmen Bloom hat einen EVA-Schaumstoff entwickelt, der bis zu 60 % aus Algen besteht. Dieser Anteil gilt bei der Firma als sicherer Wert, um den offenzellig geblähten Mix aus Synthese- und Naturkautschuk zuverlässig herzustellen. Wie bei allen Integralschäumen bildet das Innere eine schwammähnliche Struktur, während die Außenhaut dicht und somit wasserfest ist. Einsatz findet der Schaumstoff bereits in Outdoor-Schuhen der Firma Vivobarefoot.

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Verpackung aus Holzschaumstoff Quelle: Fraunhofer WKI

Holzschaumstoff aus Lignozellulose Quelle: Fraunhofer WKI

HOLZSCHAUM Am Fraunhofer-Institut für Holzforschung Wilhelm-Klauditz-Institut (WKI) wurde ein Verfahren zur Herstellung druckfester Schaumstoffe aus Lignozellulose entwickelt. Als Ausgangsmaterial werden sowohl Laub- als auch Nadelholz verwendet. Die Festigkeit des Holzschaums ist Resultat der holzeigenen Bindungskräfte. Daher bestehen die Schäume zu 100 % aus nachwachsenden Rohstoffen. In dem Prozess können auch nichtholzhaltige Lignocellulosen aus Hanf oder Stroh genutzt werden. Die Forscher haben nicht nur ein kompostierbares Leichtbaumaterial entwickelt, sondern können eine Bandbreite verschiedener Hartschaumplatten bis hin zu elastischen Schaumstoffen für Verpackungs- und Dämmanwendungen anbieten.

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Milch mit Essig

KASEINKUNSTSTOFFE

Quelle: Haute Innovation

Die strengen Lebensmittelgesetze zahlreicher Länder und Überproduktionen geben Forschern und Designern den Anstoß, den ältesten Kunststoff der Welt mit seinen ungewöhnlichen Eigenschaften wiederzuentdecken. Bereits 1530 wurde in Bayern eine Formel für die Herstellung von Kaseinkunststoff entwickelt. Schon damals war klar, dass beim Säuerungsprozess von Milch Molke entsteht und sich bei dem Vorgang weiße Flocken an der Oberfläche absetzen. Das sogenannte Kasein kann abgeschöpft werden und lässt sich im noch warmen und nassen Zustand verformen. Während des Gefäße aus Kaseinkunststoff Quelle: Tessa Silva Dawson

Trocknens fügt sich das natürliche Polymer zu einem festen Material zusammen. In der industriellen Fertigung wird aus der Molke getrocknetes Kaseinpulver hergestellt, das je nach angestrebten Produkteigenschaften mit Wasser oder anderen Flüssigkeiten vermischt wird.

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Essbares Kunststoffgranulat aus Kasein Quelle: Lactips

PROTEIN Die junge Designerin Tessa Silva Dawson besinnt sich in ihrem Projekt „Protein“ auf die ursprüngliche Rezeptur und zeigt, dass sich hinter der Herstellung von Kaseinkunststoff nicht zwangsläufig ein aufwendiger chemischer Synthese-Prozess verbirgt. Ihren Rohstoff bezieht die Designerin nicht etwa aus dem Supermarkt, sondern aus Molkereien, die aufgrund strenger Lebensmittelauflagen unbrauchbare Milch zum Beispiel von kranken oder gerade kalbenden Kühen nicht verwenden dürfen. Auch zentrifugierte Milch aus der Käseherstellung ist bislang ungenutzt und kann von ihr zur Herstellung von Kaseinkunststoff verwendet werden.

VERZEHRBARE VERPACKUNG AUS MILCH Das französische Unternehmen Lactips hat eine essbare Verpackungsfolie aus Kasein Nicht verkäufliche Milch kann für die Herstellung von Kunststoff verwendet werden. Quelle: Tessa Silva Dawson

für Lebensmittel entwickelt. Nach Angaben der Wissenschaftler soll die Kaseinfolie die Haltbarkeit der verpackten Lebensmittel um ein Vielfaches erhöhen und kann im Anschluss sogar verzehrt werden. Erste Anwendungen findet die wasserlösliche Folie für Reisbeutel und portionierte Trockenware wie Cornflakes oder Weingummi. Ausgangsstoff ist ein Gemisch aus handelsüblichem Kaseinpulver und Wasser, das zunächst zu thermoplastischem Granulat und anschließend zu einer extrem dünnen Folie ausgegossen wird.

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PILZBASIERTE MATERIALIEN

Gezüchtetes Textil aus Pilzmyzel Quelle: Haute Innovation

Die Bedeutung von Pilzen für Designer und Materialentwickler hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Vor allem das Unternehmen Ecovative Design aus New York hat mit pilzgebundenem Verpackungsmaterial den Anstoß gegeben, den ungewöhnlichen Organismus nicht mehr als Zersetzer, sondern vielmehr als Vernetzer zu verstehen. Die Amerikaner entwickelten ein Verpackungsmaterial aus Resten der Agrarindustrie und feinen Pilzfasern, die normalerweise unter der Erde ihr Netzwerk spannen. Die Kombination aus Pilzmyzel und pflanzlicher Abfallstoffe ergibt ein vollständig Myzelium als Bindemittel Quelle: Haute Innovation

kompostierbares Material, das in Haptik, Gewicht und Erscheinung an Styropor erinnert. Inspiriert durch und beeindruckt von dem schnellen Wachstum und den vielseitigen Anwendungsgebieten von Pilzen sind zahlreiche neue Produkte entstanden, die bereits den Weg zum Endverbraucher gefunden haben.

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Textilien aus Pilzmaterial Quelle: MycoWorks

Handplane mit Schaumkern aus Pilzmyzelbindung Quelle: Ecovative Design

MYCO SURFBOARD In Zusammenarbeit mit Ecovative Design produziert ein kalifornischer Sportgerätehersteller die ersten Surfbretter mit Pilzschaumkern. Durch diese Verwendung anstelle erdölbasierter Schaummaterialien haben sie ein wichtiges Zeichen gegen die zunehmende Vermüllung der Weltmeere gesetzt. Obwohl die Außenhülle immer noch mit widerstandsfähigen Kunstharzen stabilisiert wird, überzeugt das Ergebnis. Nach Angaben der Hersteller werden jährlich zahlreiche zerbrochene oder am Strand vergessene Surfbretter auf das offene Meer hinausgezogen.

PILZBASIERTE TEXTILIEN Der Reishi-Pilz gilt nicht nur bei Experten als elastischer und anspruchsloser Pilz. Die ausgebildeten Myzelfäden weisen auch nach dem Austrocknungsprozess eine hohe Elastizität auf und heben sich positiv von anderen, oft spröden Pilzarten ab. Diese Eigenschaft nutzen auch die Gründer des Unternehmens MycoWorks für ihre pilzbasierten Textilien. Um mehr Flexibilität in größere Flächen zu bringen und Farbe sowie Haptik zu verändern, werden unterschiedliche zellulosenahe Pflanzenfasern mit dem Pilz kombiniert. Da die Myzelfäden mikroskopisch klein sind, ist es möglich, unterschiedliche Materialstärken wachsen zu lassen.

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RINDENWERKSTOFFE

Antibakterielle Griffe aus Birkenrinde Quelle: Betula Manus

Rinde ist die „Haut“ der Bäume. Sie schützt den Baum vor äußeren Witterungseinflüssen und dem Befall von Mikroorganismen. Jede Baumart lagert dazu in der Rinde unterschiedliche Sekundärpflanzenstoffe wie Betulin, ätherische Öle oder Gerbstoffe ein Unter der Außenrinde befindet sich eine Schicht luftgefüllter, abgestorbener Zellen, auch Kork genannt. Je nach Baumart kann diese Hartschaumschicht mehrere Zentimeter dick sein. In der holzverarbeitenden Industrie fallen jährlich etwa 4 Millionen m³ Baumrinde allein in Deutschland an. Sie wird zu Klebstoffen oder Gerbextrakten weiterverarbeitet. In anderen Teilen der Erde wird Baumrinde bis zu zweimal jährlich direkt vom Baum geschält und zu Flaschenkorken, Textilersatzstoffen, Bodenbelägen oder Dämmplatten weiterverarbeitet.

BIRKENRINDE Birkenrinde besteht bis zu 30 % aus Betulin. Der sekundäre Pflanzenstoff ist für die weiße Färbung verantwortlich und schützt den Baum vor UV-Strahlung. Zudem verleiht er der Rinde antimykotische und antiseptische Eigenschaften. Birkenrinde war aufgrund ihrer hohen Langlebigkeit, ihrer mechanischen Reißfestigkeit, der guten Atmungsaktivität, der wasserabweisenden Qualität und der besonderen Haptik lange Zeit – vor allem im russischen, skandinavischen und kanadischen Handwerk – ein häufig genutztes Material. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der industriellen Verarbeitung wurde es durch moderne Kunststoffe ersetzt und nahezu vollständig vom Markt verdrängt. Unter der Marke Betula Manus erfährt das Material derzeit eine

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Sessel-Ottomane-Kombination mit Sitz- und Rückenfläche aus Birkenrinde Quelle: Anastasiya Koshcheeva

„Taburet“-Hocker aus antibakteriellen Birkenrindestreifen Quelle: Anastasiya Koshcheeva

Renaissance. Durch eine Reihe technischer Lösungen kann es nun verklebt und industriell verarbeitet werden. Die Kombination aus hydrophoben und antiseptischen Eigenschaften eröffnet zahlreiche Anwendungsoptionen: Ob als Bodenbelag in Feuchträumen, als Türgriff in der Kindertagesstätte oder als Druckknopf im Fahrstuhl oder in der Bahn, die antibakteriellen Eigenschaften der Birkenrinde können in vielen stark frequentierten Orten vorteilhaft genutzt werden.

MÖBELDESIGN MIT BIRKENRINDE Die russische Designerin Anastasiya Koshcheeva hat ein Konzept zur neuartigen Nutzung und Verarbeitung von Birkenrinde zum Einsatz im Möbeldesign entwickelt. Unter dem Namen „Sibirjak“ hat sie eine Sessel-Ottomane-Kombination entworfen, bei der die maximal verfügbare Größe der Birkenrinde verwendet wird und die lederartigen Eigenschaften des Naturmaterials zur Geltung kommen. So wird eine komfortable und einladende Sitzfläche geboten, die durch ihre horizontale Ausrichtung die Zugkräfte betont. Die Sitzfläche des Hockers „Taburet“ wird als dreidimensionales stabiles Geflecht aus streifenförmigem Birkenrinde-Verschnitt erzeugt.

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Tuesa-Aufbewahrungsbehälter schützen Lebensmittel vor dem Verderben. Quelle: Anastasiya Koshcheeva

Tuesa-Aufbewahrungsbehälter aus antiseptischer Birkenrinde Quelle: Anastasiya Koshcheeva

TUESA-AUFBEWAHRUNGSBEHÄLTER Birkenrinde ist durch ihre antiseptische Wirkung hervorragend für die Aufbewahrung von Lebensmitteln geeignet. Das Material der Aufbewahrungsbehälter „Tuesa“ schützt den Inhalt vor Schimmelpilzen und verlängert die Haltbarkeit um ein Vielfaches. So bleiben zum Beispiel Haferkekse in den Dosen bis zu zwei Wochen kross und frisch.

TANNIN Man findet Tannin in Weintrauben oder in den Rinden von Akazien, Eichen, Kastanien und anderen gerbstoffhaltigen Baumarten. Forscher und Wissenschaftler nutzen es, um Klebstoffe für Baumaterialien wie Span- oder MDF-Platten herzustellen. Eine neue Anwendung sehen Mediziner des südkoreanischen Forschungszentrums Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) in der Chirurgie. Sie forschen an einem feuchten Spezialpflaster, um innere Blutungen zu verschließen. Unter Zugabe von Tannin verdoppelt sich nach Angaben der Wissenschaftler die Haftkraft herkömmlicher Fibrinpflaster aus körperverträglichem Polyethylenglykol.

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PFLANZLICHER LEDERERSATZ

Tasche und Schuhe aus Pinatex Quelle: Ananas Anam

Tierliebhabern und überzeugten Veganern stellen sich beim Schuhkauf ob der wenigen Alternativen zum Tierleder besondere Herausforderungen. Auch synthetisch hergestellte Obermaterialien sind aufgrund petrochemischer Ausgangsstoffe ökologisch problematisch. Das ist auch den Designern und Liebhabern alter Handwerkstechniken nicht entgangen. Sie entwickelten in den letzten Jahren innovative Textilien, die die Robustheit von Leder aufweisen, aber pflanzlichen Ursprungs sind. Fasern von Ananasblättern Quelle: Ananas Anam

PINATEX Das in London ansässige Unternehmen Ananas Anam vertreibt einen Lederersatz aus den Fasern von Ananasblättern. Der Ursprung dieser Idee findet sich auf den Philippinen. Dort werden die widerstandsfähigen und langlebigen Pflanzenfasern schon seit Generationen zu einem lederähnlichen Stoff namens „Barong Talong“ verarbeitet. Die Unternehmensgründerin Carmen Hijosa hat das Traditionshandwerk bereits in den 1990er Jahren entdeckt und seitdem so optimiert, dass es als ernstzunehmende Alternative zu üblichem Tierleder in der Modeindustrie eingesetzt werden kann. Die Ergebnisse erster Kooperationen mit Taschendesignern und Schuhherstellern sind bereits auf dem Markt.

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FRUITLEATHER In den Niederlanden sind die Designer Koen Meerkerk und Hugo de Boon ebenfalls in den Überresten der Lebensmittelindustrie fündig geworden. Sie nutzen nicht nur die Fasern von Apfel-, Birnen oder Mangoschalen, sondern machen sich das in den Schalen enthaltene Pektin zunutze. Pektin ist ein kalt abbindendes natürliches Geliermittel. Obwohl im Internet zahlreiche Rezepte zur Herstellung von Fruchtleder zu finden sind, halten sich die zwei Designer mit ihrer Rezeptur bedeckt. Ob sie Wachse oder Öle zugefügt haben, um das Leder langlebig zu erhalten, ist nicht öffentlich bekannt. Eine nachhaltige Alternative für Fast-Fashion-Produkte wie Taschen ist das Material allemal.

ORANGE LEATHER Auch im Studiengang „Innovatives Produktdesign“ an der Hochschule Niederrhein arbeitet die Designerin Elise Esser an biologisch abbaubaren Textilien auf Basis von Fruchtresten. Für ihr neu entwickeltes Material vermengt sie kleine Mengen des Polysaccharids Alginat, das aus Rotalgen gewonnen wird, mit zerfaserten Orangenschalen. Durch diese schonende und wenig chemielastige Weiterverarbeitung des organischen Lederersatz aus Orangenschalen

Reststoffs erhält sie nicht nur die leuchtenden Farbpigmente der Fruchtschalen, sondern auch die angenehm duftenden ätherischen Öle.

Quelle: Elise Esser

AMADOU Amadou sieht aus wie Wildleder und fühlt sich auch so an. Es ist ein weiches, dickes Textil, welches in der Haptik an Filz erinnert. Das Material wird aus Zunderschwamm hergestellt, ein Baumpilz, der vornehmlich an Birken wächst. Unter der harten Oberfläche befindet sich ein weicher Fruchtfleischkern, auch Trama genannt. Dieser wird vorsichtig aus der Außenhülle gelöst und weichgekocht. Im Anschluss kann man das hartschaumähnliche Material zu einer großen flexiblen Fläche ausklopfen. Als Parasit Hut aus Amadou Quelle: Haute Innovation

nimmt der Zunderschwamm auch das Betulin aus der Baumrinde auf. Dadurch ist auch das Zunderschwammtextil antiseptisch und wirkt antimykotisch. Die luftige Struktur des toten Gewebes ist außerdem wasserunempfindlich. Amadou ist bereits seit vielen Jahrhunderten als Material in Sibirien bekannt und erfreut sich zur Herstellung von Hüten, Taschen und Westen immer noch großer Beliebtheit.

NOANI „Noani“ steht für „No Animal“ und ist ein Start-up, das sich faire Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben hat. Der Unternehmensleiter Fabian Stadler sieht seine Verantwortung in der Wahl seiner Rohstoffe und besteht darauf, seinen Lederersatz – eine Mischung aus 80 % Eukalyptusfasern und 20 % recyceltem PET – in Deutschland produzieren zu lassen.

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Lederersatz aus Fruchtresten Quelle: Fruitleather

Tasche und Schuh aus Orangenleder Quelle: Elise Esser

Gürtel aus Noani-Material Quelle: noanifashion

Amadou ist weich wie Samt. Quelle: Nina Fabert

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Sneaker unter Verwendung von Kaffeesatz Quelle: Sebastian Thies

SNEAKER AUS KAFFEESATZ Sebastian Thies, ein junger Schuhmacher aus München, macht mit seinem Label Nat-2 den großen Sportschuhherstellern durch innovative Materialien und attraktive, zeitgemäße Designs von Sneakern ernsthafte Konkurrenz. Ob Schuhe aus Holz, Schieferstein oder antiseptischem Pilzleder des Zunderschwamms, für den Schuhmacher ist kein Material zu ausgefallen. Besonders außergewöhnlich ist ein Schuh aus Kaffeesatz: ein reichlich verfügbares Abfallprodukt, das vor allem in urbanen Räumen, wo es eine große Dichte von Cafés gibt, gut eingesammelt werden kann. Für die Nat-2 Coffee Line verwendet der junge Schuhmacher nicht nur den Kaffeesatz, sondern auch die Fasern der Kaffeepflanze. Das Ergebnis besteht in einer hochwertig schimmernden, braunen Oberfläche, die sogar nach Kaffee riecht.

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Graspapier

PAPIER UND TEXTILIEN AUS GRAS

Quelle: Creapapier

Die Herstellung von Papier folgt seit vielen Jahrzehnten nach dem gleichen Prinzip. Den Hauptbestandteil bilden Fasern aus Holz, die in einem mechanischen sowie chemischen Prozess in Zellstoff umgewandelt werden. Es entsteht ein zäher Brei, der je nach gewünschter Papierart mit Zusatzstoffen wie Leim und Bleichmittel versehen wird. Heute wird Papier in der Regel nur noch zu einem Bruchteil aus frischem Zellstoff hergestellt. Eine wichtige Rohstoffquelle in der Papierindustrie ist Altpapier. RecycelGras statt Holz für die Papierherstellung Quelle: Haute Innovation

tes Papier kann jedoch nur begrenzt wiedergenutzt werden. Mit jedem neuen Zyklus verkürzen sich die Fasern und können nicht mehr zu einem stabilen Fasergelege verfilzen. Unternehmer sind bei der Suche nach Alternativen für die Papierindustrie bei ungewöhnlichen Ressourcen fündig geworden. Diese lassen sich auch für Textilien nutzen.

GRASPAPIER „Creapapier“ aus Hennef in Deutschland setzt Gras als alternatives Fasermaterial und ergänzenden Rohstoff für Zellstoff oder Holzschliff ein. Die Besonderheit besteht darin, dass es schnell wächst und nicht mehr chemisch aufbereitet werden muss. Vor allem hochwertigen Papiersorten muss im Zeitalter des Papierrecyclings ein bestimmter Anteil frischen Zellstoffs zugeführt werden. Am besten eignen sich für die Herstellung des Zellstoffs Nadelhölzer wie Fichte, Tanne oder Kiefer, da ihre Fasern bedeutsam länger sind und im Verbund mit den meist sehr kurzen und brüchigen Recyclingfasern aus Altpapier für die nötige Festigkeit sorgen. Da Grasfasern nur einen geringen Anteil an verholzendem Lignin enthalten, müssen sie nicht mehr chemisch herausgearbeitet werden. Nach Angaben der Hersteller kann der Grasanteil bei Verpackungskarton bis zu 51 % betragen.

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Papier aus Elefantendung Quelle: Haute Innovation

Elefantendung Quelle: Haute Innovation

Elefanten auf Sri Lanka Quelle: Haute Innovation

PAPIER AUS ELEFANTENDUNG Ein ähnlicher Ansatz wird auch auf Sri Lanka verfolgt. Das Unternehmen Maximus sammelt den Dung von Elefanten und stellt daraus Papier her. Auf Sri Lanka leben über 4.000 Elefanten in freier Wildbahn. Jedes Tier frisst im Durchschnitt 180 kg Gras pro Tag. Die langen Fasern sind für die Tiere jedoch schwer verdaulich und werden wieder ausgeschieden. Während des Verdauungsvorgangs werden die Fasern von den Magensäften teilweise zersetzt. Dies macht sie somit weich genug, um sie im Anschluss für die Papierherstellung zu verwenden. Der Anteil dieser alternativen Fasern liegt bei 75 %.

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Mode aus Kuhmist Quelle: Jalila Essaïdi / Mike Roelofs

Jalila Essaïdi spaltet Kuhdung in seine einzelnen Bestandteile auf. Quelle: Jalila Essaïdi / Mike Roelofs

MODE AUS KUHMIST Die niederländische Künstlerin Jalila Essaïdi hat im BioArtLab in Eindhoven ein Verfahren entwickelt, bei dem aus Kuhdung Biopapier und Biokunststoff hergestellt werden kann. Zunächst teilt sie dazu den Dung in seine festen und flüssigen Komponenten auf. Der feste Bestandteil ist das gefressene und getrocknete Gras. Aus der flüssigen Komponente, einer Mischung aus tierischem Magensaft und Harnstoff, entnimmt sie bestimmte Chemikalien, um aus dem Gras Zellulose herzustellen. Diese kann zum Beispiel zu Pappe oder Papier weiterverarbeitet werden. Fügt man weitere saure Chemikalien aus dem Kuhdung hinzu, entsteht Zelluloseacetat, aus dem Flüssigkunststoff hergestellt werden kann. Das schwedische Modehaus H&M hat Interesse bekundet, solch ungewöhnliche Textilressourcen in Zukunft in der Textilproduktion einzusetzen.

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ALGEN UND ALGENKOMPOSITE

Möbel und Leuchten aus einem Algen-PapierVerbundmaterial Quelle: Jonas Edvard, Nikolaj Steenfatt

Das Erscheinungsbild von Algen ist ebenso vielfältig wie ihr Vorkommen. Man findet sie in nahezu allen Gewässern. Obwohl sie in Asien fester Bestandteil des Nahrungsplans sind, gelten Algen in unserem Kulturkreis eher als Unkraut oder gar Plage. Jedoch bieten Algen in vielerlei Hinsicht Potenziale, die sie als Biomassequelle und Rohstoffalternative zu petrochemischen Erzeugnissen qualifizieren. Die Vorteile sind, dass Algen schnell wachsen, einen wichtigen Einfluss auf die Bindung des Kohlendioxids aus der Atmosphäre haben und dabei keine landwirtschaftliche Fläche in Anspruch nehmen. Im Kontext zunehmender Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit sind derzeit viele Designer damit beschäftigt, Algen als Ressource in ihre Entwürfe zu integrieren.

THE TERROIR PROJECT Die Produktdesigner Jonas Edvard und Nikolaj Steenfatt aus Kopenhagen zeigen mit „The Terroir Project“ die Neuentwicklung eines Biokomposits aus Algen von den dänischen Küsten und Papier. Nach dem Trocknen werden die Algen zerkleinert und zu einem zähen Brei eingekocht. Dabei werden Natriumalginate extrahiert, die eine Gelierwirkung haben. In Kombination mit Papier entsteht ein biologisch abbaubares Verbundmaterial, das von der Haptik an Kork erinnert und zu Lampenschirmen und Stuhlschalen verarbeitet werden kann. Unterschiedliche Farben entstehen durch die jeweilige Algenart. Der hohe Salzgehalt der Meerespflanzen reduziert die Entflammbarkeit der Produkte.

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Umweltfreundliches Verpackungsmaterial auf Basis von Meeresalgen Quelle: Kosuke Araki, Noriaki Maetani & Akira Muraoka / AMAM

AGAR PLASTICITY Das Designstudio AMAM aus Japan nutzt unterschiedliche Algen, um Folien und leichtes Verpackungsmaterial herzustellen. In den Zellwänden von Rot- und Blaualgen befindet sich sogenanntes Agar-Agar, ein Galactose-Polymer, das vor allem in der veganen Küche als pflanzliches Geliermittel Verwendung findet. Um das Agar-Agar aus den Zellwänden zu extrahieren, werden die sonnengetrockneten Algen zunächst gekocht, die Masse im Anschluss getrocknet und zu feinem Pulver gemahlen. WiedeAlgen als alternative Rohstoffquelle Quelle: Haute Innovation

rum in Wasser oder anderen Flüssigkeiten aufgelöst, kann es als Verdickungsmittel verwendet werden. In umfangreichen Materialtests hat das Designstudio eine Vielzahl von Materialmischungen mit Agar-Agar und Wasser erprobt, die in Zukunft nicht kompostierbaren Kunststoff für Verpackungen ersetzen sollen. Je nachdem welches Endprodukt entstehen soll, variieren nicht nur die Anteile der einzelnen Komponenten, sondern auch die weiteren Bearbeitungsschritte: Für ein leichtes und schaumartiges Verpackungsmaterial wird das Material zum Beispiel stark herunter gekühlt oder sogar eingefroren. Für folienartige Strukturen muss das Material zusammengepresst werden.

Für jedes Packgut das passende Material Quelle: Kosuke Araki, Noriaki Maetani & Akira Muraoka / AMAM

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Algentextilien aus feinfaseriger Algenspezies

MARINE COTTON

Quelle: Melanie Glöckler

An der Burg Giebichenstein in Halle arbeiten Designer seit einigen Jahren an ungewöhnlichen Nutzungsszenarien rund um die schnellwachsende Biomasse der Algen. Melanie Glöckler beispielsweise sieht eine mögliche Verwendung in der Textilindustrie und zeigt in ihrem Projekt „Marine Cotton“ unterschiedliche Techniken auf, feinfaserige Algenspezies für Garne und filzähnliche Fadengelege zu nutzen. Die unterschiedlichen Ergebnisse liegen der Beobachtung zugrunde, dass die Fasern im Wasser lose und leicht zu ordnen sind, sobald diese jedoch an die Luft kommen und anfangen zu trocknen, einen klebrigen sowie stabilen Verbund ergeben.

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AL G. Textil aus algenbasierten Garnen Quelle: Juni Sun Neyenhuys

AL G. – TRANSFORMATION DER BRAUNALGE Auch an der Kunsthochschule Berlin Weißensee (KHB) dreht sich für die Textildesignerin Juni Sun Neyenhuys alles um das Thema Algen. In ihrem Projekt „AL G. – Transformation der Braunalge“ wird mit attraktiven Textildesigns vor allem auf die ästhetische Farbenvielfalt des grünen Ausgangsmaterials eingegangen. Zwar ist dank E.S. Stevens und seinem Werk „Green Plastics“ bereits bekannt, wie man aus Algen bzw. Alginat, Essig und Glycerin Biokunststoffe herstellt. Jedoch hat noch kein Designer vorher dieses Gemisch erfolgreich in ein Garn transformiert. Das Ergebnis sind einzigartige Gewebe, die nicht nur schön aussehen, sondern auch dem Thema Fast Fashion mögliche Alternativen aufzeigen.

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WERKSTOFFE MIT ORGANISCHEN RESTSTOFFEN

Schadstofffreies Plattenmaterial aus Reststoffen der Lebensmittelindustrie Quelle: ChipsBoard

Mit dem Bestreben, geschlossene Materialkreisläufe in der Produktion zu ermöglichen, ist seit einigen Jahren ein klarer Trend bei vielen kleinen Unternehmen und Designern erkennbar. Eine Quelle findet sich in den Überresten der Lebensmittelindustrie und den abgeernteten Feldern der Bauern. Im Vergleich zu herkömmlichen Werkstoffen bieten Agrarabfälle entscheidende Vorteile: Sie sind in großen Mengen vorhanden, frei verfügbar und lassen sich auf nachhaltige Weise verwerten.

KARTOFFELKORK Die Kartoffelknolle besteht aus verschiedenen Schichten. Im Inneren befindet sich die Markschicht, in der die Stärke eingelagert ist, gefolgt von der Rindenschicht sowie der Schale. Die Schale, auch Korkschicht genannt, schützt die Knolle vor dem Eindringen von Schädlingen sowie vor der Austrocknung. Das Material Kartoffelkork setzt sich aus den Bestandteilen Lignin, Zellulose, Hemizellulosen und Protein zusammen und macht ca. 75 % der Trockenmasse in getrockneten Kartoffelkorken aus. Die Londoner Designer Rowan Minkley und Robert Nicoll nutzen Abfallstoffe wie Kartoffelschalen und Stärke aus der Chips- und Pommesproduktion großer Lebensmittelkonzerne, um ihre schadstofffreien Plattenmaterialien namens „Chip [s] Board“ herzustellen, die nach dem Gebrauch sogar in herkömmlichen Kompostieranlagen entsorgt werden können.

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Sitzmöbel aus Kartoffelschalen als Biomasse Quelle: Jarrell Goh

Surfbrett aus Agave Quelle: Gary Linden Surfboards

POTATO CHAIR Jarrell Goh aus Singapur verwendet für seine Designobjekte Kartoffelschalen. Wenn die Schalen püriert werden, setzt sich in der trüben Flüssigkeit nach einiger Zeit die weiße Stärke ab. Diese kann im Anschluss problemlos abgeschöpft werden. In Kombination mit getrockneten und zerkleinerten Schalen kocht er eine teigige Masse, um die bindende Wirkung der Stärke zu aktivieren. In Form gepresst und nochmals getrocknet entsteht so ein festes Material, welches nach dem Gebrauch problemlos kompostiert werden kann.

AGAVEN-RESTSTOFFE DER TEQUILAPRODUKTION In Kooperation mit dem Tequila-Produzenten José Cuervo hat der US-Amerikaner Gary Linden in einem Entwicklungsprojekt unter dem Titel „100 % Agave“ ein Herstellungsmodell für ein Surfbrett entwickelt, das vollständig aus Reststoffen besteht, die bei der Destillation von Tequila anfallen. Im Kern besteht das Agave-Surfbrett aus Holzplanken, die vom Agavenbaum stammen. Zum Schutz des Holzes verwendet Linden eine textile Schicht, die er aus der bei der Destillation von Tequila anfallenden Agaven-Pulpe gewinnt. Diese wird auf ein Sieb extrahiert, um die Holzplanken geformt und zu einem Holzlaminat getrocknet. Der Sirup der Agavenpflanze wird anschließend genutzt, um das Surfbrett ohne die Verwendung toxischer Stoffe wasserdicht zu veredeln.

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Leuchten, Getränkekühler und Fliesen aus Tresta Quelle: Katharina Hölz

Verpackungskarton aus Tomatenfasern Quelle: Jonas Emil Arndt

TOMATENFASERN Das Unternehmen Solidus Solutions aus den Niederlanden produziert Pappschalen und Verpackungsboxen aus Fasern der Tomatenpflanze. Diese fallen in Form von abgeernteten Pflanzen zu großen Mengen einmal jährlich bei den Gewächshauszüchtern in den Niederlanden an und wurden bis dato kompostiert. Auch andere Fasern von Paprika oder Gurkenpflanzen sind geeignet. In einem Prozess ähnlich der Papierherstellung werden die Fasern extrahiert und mit Altpapier vermengt.

TRESTA Rheinland-Pfalz ist vor allem für Qualitätsweine bekannt. Jährlich werden mehr als 65 % des deutschen Weins in den rheinland-pfälzischen Weingebieten produziert. Wo Trauben für die Weinherstellung wachsen, fallen auch Abfallstoffe wie Stiele, Schalen und Kerne, auch bekannt als Trester, an. Dieser landet zum Großteil als ungenutzte Biomasse auf dem Kompost oder wird unter die Felder gehoben. Katharina Hölz aus Trier widmete ihre Masterarbeit im Fachbereich Gestaltung der lokal verfügbaren Biomasse. Ganz im Sinne des Cradle-to-Cradle-Prinzips entstanden unter Verwendung natürlicher Bindemittel Lampen, Weinkühler und andere Inneneinrichtungsobjekte aus getrocknetem und zerkleinertem Trester. Je nach Traubensorte und Kelterung können die Objekte in der Farbigkeit variieren. Eines jedoch bleibt bei allen Objekten gleich: der angenehme Mostduft.

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Textil auf Basis von Orangenschalen Quelle: Orange Fiber

Textile Holzstrukturen unter Einsatz eines ligninbasierten Bindemittels Quelle: Esther Kaya Stögerer, Tilman Holz, Nicole Dietz

ORANGE FIBER Das Unternehmen Orange Fiber aus Catania auf Sizilien hat ein patentrechtlich geschütztes Verfahren entwickelt, um aus Orangenschalen Garne und textile Stoffe herzustellen. Die beiden Gründerinnen Adriana Santanocito und Enrica Arena bauten ihr Herstellungsverfahren auf der bereits bekannten Beobachtung auf, dass man Zellulose aus den Schalen diverser Zitrusfrüchte extrahieren kann. Die Überführung in ein Garn gelang schließlich mit der Zusammenführung von weiteren chemischen Reagenzien, die es ermöglichten, das Garn mit anderen Fasern wie Baumwolle, Seide oder Polyester zu verbinden.

REWOODABLE In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Holzforschung Wilhelm-Klauditz-Institut (WKI) haben Esther Kaya Stögerer, Tilman Holz und Nicole Dietz Holzkompositmaterialen entwickelt, die frei von gesundheitsbedenklichen Bindemitteln sind, keine giftigen Gase ausdunsten und sich verträglich in den Materialfluss rückführen lassen. Das Projekt zeigt in vielfältiger Weise, wie man die vom FraunhoferInstitut entwickelten, ligninbasierten Bindemittel mit Holzstaub oder Sägespänen in neue Produkte wie Plattenmaterialien, Filamente für den 3D-Druck wandeln oder im Gemisch mit Naturkautschuk als flexiblen Strang für Textilien verwenden kann.

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Lampenschirme und Stühle vom Feld Quelle: Full Grown, Gavin Munro

BIOFABRIKATION

Gavin Munro mit einem seiner gewachsenen Stühle Quelle: Full Grown, Gavin Munro

Während man mit dem Begriff der Biofabrikation heute vor allem das Züchten organischen Gewebes in der Petrischale in Verbindung bringt, muss man die Ursprünge dieser Technologie wohl eher in der Architektur vermuten, wo bereits vor einigen Jahrhunderten sogenannte lebende Brücken aus Wurzeln, Ranken oder Lianen entstanden sind. Heute untersuchen Architekten und Designer Methoden, wie sie unter Einsatz lebender Pflanzen textile Stoffe, Designelemente und sogar tragende Bauteile für Möbel oder architektonische Strukturen umsetzen können.

FULLGROWN Einer der Protagonisten ist der Engländer Gavin Munro, der auf einem Feld in der britischen Grafschaft Derbyshire schnellwachsende Weiden zu einzigartigen Möbeln wachsen lässt. Ohne Bretter zu sägen oder Holz zu leimen, erntet er seine gewachsenen Möbel frisch von der Möbelplantage. Das Geheimnis seiner Produktion ist, die Zweige der Weide mit Drähten oder Kabelbindern um vordefinierte Formen zu fixieren und somit die Wachstumsrichtung vorzugeben. Je nachdem wie groß und stabil das Objekt am Ende sein soll, beträgt die Wartezeit zwischen drei und sechs Jahren. Zur Erntezeit werden die Objekte von ihrer Form befreit, an der Wurzel abgesägt und für etwa ein Jahr in der Tischlerei getrocknet. Im Anschluss wird die einzigartige Holzoptik durch Schleifen herausgearbeitet. Über 400 selbstwachsende Möbel sind zur Zeit gepflanzt.

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Baubotanik – gewachsener Knotenpunkt ohne Gerüst Quelle: Prof. Ferdinand Ludwig, TU München

Baubotanik – Edelstahlkonstruktion, vom Holz umwachsen Quelle: Prof. Ferdinand Ludwig, TU München

Interwoven – textilähnliche Flächen aus manipulierten Wurzeln Quelle: Diana Scherer, Amsterdam; Foto: Seed Soil Photography

Interwoven – Textilien durch gesteuertes Wurzelwachstum Quelle: Diana Scherer, Amsterdam; Foto: Seed Soil Photography

BAUBOTANIK Ferdinand Ludwig von der TU München lässt architektonische Strukturen wachsen und wurde 2017 für seine Arbeiten mit dem deutschen Bundespreis Ecodesign ausgezeichnet. Er verknüpft dabei biologische und konstruktive Prinzipien zu einem architektonischen Konzept. Inspiriert von den visionären Ideen Arthur Wiechulas – einem deutschen Landschaftsarchitekten, der sich bereits vor fast 100 Jahren mit den gewachsenen Baumstrukturen in der Natur auseinandergesetzt hat – geht er seit einigen Jahren ihrer Machbarkeit nach. Unter dem Titel „Wachsende Häuser aus lebenden Bäumen entstehend“ publizierte Wiechula bereits 1926 seine erarbeiteten Erfolge und Skizzen. Unter anderem wird erklärt, wie man mit V-förmigen Schnitten einen Ast so biegen kann, dass er nach der Fixierung wieder zusammenwächst.

INTERWOVEN Die deutsche Künstlerin Diana Scherer sieht eine Möglichkeit, auf die knapper werdenden Ressourcen zu reagieren, ebenfalls in der abfallfreien Herstellung textiler Strukturen unter Ausnutzung biologischer Wachstumsprozesse. In ihrem Gewächshaus in Amsterdam lässt sie Grasflächen in vordefinierte Formen wachsen. Dabei hat sie in Zusammenarbeit mit niederländischen Wissenschaftlern durch Variation bestimmter Parameter herausgefunden, wie das Wurzelwachstum exakt beeinflusst werden kann. Binnen weniger Wochen entstehen feinteilige Wurzeltextilien, die an aufwendig geknüpfte Makramee-Arbeiten erinnern.

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BioBrick unter Einsatz kalzitbildender Bakterien Quelle: Haute Innovation

BIOBASIERTE BAUMATERIALIEN

MycoTree – selbsttragende Leichtbaukonstruktion aus Pilzmaterial Quelle: Prof. Dirk Hebel, Philippe Block

Die Baubranche gilt als eine besonders ressourcenintensive Industrie. Das liegt vor allem am Beton, das uns als universelles Baumaterial heute quasi überall begegnet. Die Herstellung des notwendigen Bindemittels Zement ist extrem energieintensiv. Zusammengenommen emittieren konventionelle Zementwerke jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid. Mit dem Wunsch nach Reduzierung dieser enormen Mengen arbeiten Wissenschaftler an Alternativen. Vor allem Biochemiker und BioSteinkoralle

logen sind einigen interessanten Ansätzen für biobasierte Bindemittel auf der Spur.

Quelle: Haute Innovation

MYCOTREE Forscher der ETH Zürich, des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des Singapore ETH-Centres haben unter Verwendung pilzbasierter Baustoffe eine räumliche Verzweigungsstruktur aus tragenden Myzelkomponenten anlässlich der Seoul Biennale 2017 umgesetzt. Mit dem „MycoTree“ wurde eine 3 m hohe Leichtbaukonstruktion aus Bambus und Pilzmyzel präsentiert, die sogar ein 16 m² großes Dach aus dem biegefesten Gras tragen kann. Nach Angaben der Forscher sind alle einwirkenden Kräfte nicht nur durch die Materialwahl, sondern auch durch die Konstruktionsgeometrie optimal verteilt. Zudem zeigt die Kombination aus den schnellwachsenden Materialien wie Pilzmyzel und Bambus mit getrockneten Pflanzenresten als Zuschlagstoff, dass auch die Baubranche zukünftig vermeidlichen Abfall als wichtige Ressource erkennen wird und ressourcenintensive Verbundstoffe wie Beton obsolet werden. Vielmehr rückt die Intention nach einem geschlossenen Materialkreislauf mit solchen Ansätzen in greif-

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Zementfreier Baustein aus Bakterien und Urin Quelle: UCT / Robyn Walker

Forscherteam aus Kapstadt Quelle: UCT / Robyn Walker

bare Nähe. Als erste mögliche Anwendungsszenarien sehen die Forscher vornehmlich temporäre Bauten, die in urbanen Strukturen Baulücken oder Brachen nutzbar machen könnten.

BIOBRICK Die amerikanische Architektin Ginger Krieg Dossier nutzt kalzitbildende Bakterien, um einen nachhaltigen Stein für die Baubranche herzustellen. Die ungewöhnliche Entwicklung besteht zum Großteil aus der klassischen Zutat Sand, wird jedoch nicht mit Wasser und Zement, sondern mit Urin und einem Bakterium gebunden, das für das Wachstum von Steinkorallen verantwortlich ist. Dabei trennen die Bakterien in einem biochemischen Prozess, der als „mikrobische Kohlenstoff-Ausfällung“ bezeichnet wird, den Harnstoff vom Urin und bilden Kalziumkarbonat aus. So entstehen in fünf Tagen und bei Zimmertemperatur feste Brücken, die den Sand zu einem stabilen hellgrauen Verbund zusammenhalten. Unter dem Namen „bioMason“ ist die Großproduktion der BioBricks in North Carolina in den USA erfolgreich angelaufen.

URIN-ZIEGELSTEIN An der Universität in Kapstadt arbeiten Wissenschaftler an einem ähnlichen Ansatz zur Herstellung von zementfreien Biosteinen. Nach Angaben der südafrikanischen Forscher liegt die Innovation ihrer Entwicklung in der Nutzung des Urins in seiner natürlichen Form. Es wird nicht synthetisiert und bedarf folglich wenig Energie. Im Gegensatz zu den Produzenten des BioBrick, die bereits erfolgreich eine professionelle Produktion umsetzen konnten, steht den Wissenschaftlern aus Kapstadt noch eine lange Entwicklungs- und Optimierungsphase bevor. Hauptziel ist es, den Anteil von Urin so weit wie möglich zu senken. Bislang benötigen die Forscher ca. 25 bis 30 l für einen Stein. Bei einer durchschnittlichen Ausscheidungsmenge von 200 bis 300 ml pro Toilettengang ist dies ein erheblicher Sammelaufwand. Zudem soll auch an der Stabilität des Steins gearbeitet werden. Nach dem jetzigen Stand der Forschung liegt der im Vergleich zu einem herkömmlichen Kalkziegelstein bei gut 40 %.

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4 NEUE MOBILITÄT UND LEICHTBAULÖSUNGEN Die Art und Weise, wie wir uns in urbanen Strukturen fortbewegen, steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Mobilität soll smarter und vor allem ökologischer werden. Basierten Mobilitätslösungen im 20. Jahrhundert nahezu vollständig auf der Ausnutzung fossiler Energieressourcen, so werden wir in den nächsten Jahren eine Umorientierung der Mobilitätskonzepte erleben. Von der zunehmenden Nutzung von Elektrofahrzeugen verspricht man sich, die Schadstoffbelastung in den Ballungsräumen zu reduzieren. Der Erfolg der Elektromobilität wird dabei entscheidend davon abhängen, inwieweit es den Entwicklern gelingt, das Gewicht der Bauteile und somit den Ressourceneinsatz entscheidend zu verringern. Unter Verwendung von Materialien auf Basis nachwachsender Rohstoffe soll darüber hinaus die CO₂-Bilanz für die Produktion von Fahrzeugen und Karosserien gesenkt werden. Dass neben der Automobilindustrie das Transportgewerbe und die Luftfahrtindustrie die großen Innovationstreiber im Leichtbau sind, ist naheliegend. Bei Flugzeugen macht das eingesetzte Kerosin auf den Lebenszyklus bezogen einen erheblichen wirtschaftlichen Faktor aus. Die Bestrebungen nach einer Gewichtsreduzierung eines Bauteils zum Beispiel durch Einsatz von Bionik, durch Ausnutzung der Optionen der additiven Produktion oder durch einen Materialwechsel sind hier am deutlichsten. Eine Minderung des Eigengewichts eines Passagierflugzeugs wie etwa dem A320 um 100 kg bedeutet beispielsweise jährlich eine Reduzierung des Kerosinverbrauchs um rund 10.000 l.

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Leichtbaulösungen müssen folglich immer über den gesamten Lebenszyklus betrachtet werden. Dies schließt neben der Phase der Produktnutzung vorab die Produktion und nach der Nutzung auch die Fragestellungen rund um die Entsorgung oder das Recycling mit ein. Bei faserverstärkten Werkstoffen liegen die Vorzüge in der Reduzierung des Gewichts bei gleicher oder sogar gesteigerter Stabilität. In Bezug auf ihre Recyclingfähigkeit gewinnen Monomaterialien derzeit an Bedeutung. Bei den neuen und sich in der Entwicklung befindlichen Leichtbauwerkstoffen fallen zwei Themen besonders auf. Zum einen werden in Werkstoffbereichen Innovationen hervorgebracht, in denen man keine Neuerungen mit Leichtbaupotenzial erwartet hätte. Dazu zählen vor allem eine Vielzahl von Neuentwicklungen unter Verwendung von Holz für technische Halbzeuge oder Papier zur Nutzung in Verbundmaterialien. Bei dem zweiten Themenkomplex geht es darum, Leichtbaulösungen unter Einsatz

Leichtbauteile aus Hightech-Hölzern

natürlicher, nachwachsender bzw. biotechnologisch erzeugter Materialien umzusetzen oder Vorbilder für strukturellen Leichtbau aus der Natur in Werkstoffinnovationen zu überführen.

Quelle: Lignoa Leichtbau

So ist es einem deutschen Unternehmen erstmals gelungen, die außergewöhnliche Verbindung aus Materialqualitäten wie Flexibilität, Reißfestigkeit und Gewicht von Spinnenseide biotechnologisch zu reproduzieren und in das Obermaterial eines Sportschuhs zu übertragen. Aus Schweden wird die Produktion von transparenten Hohlkugeln aus Holzzellulose als Zuschlagsstoff für Verbundwerkstoffe vermeldet, mit denen der Ressourceneinsatz für Verpackungen, für Bauteile in der Medizintechnik oder im Automobilbau deutlich gesenkt werden kann. Wissenschaftlern aus Sachsen ist die Entwicklung eines Produktionsprozesses geglückt, mit dem Röhren aus Hölzern im Fahrzeugbau hergestellt werden können, die bei einem Gewicht vergleichbar mit Karbon eine höhere Stabilität aufweisen als Aluminium.

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PAPIER-VERBUNDMATERIALIEN Durch den Rückgang von Printprodukten in den letzten Jahren ist die Papierindustrie gefordert, neue Anwendungsgebiete für ihre Technologien zu finden. Ein neuer Markt könnte sich durch die Verwendung von Papierfasern und papierbasierter Verbundwerkstoffe für Leichtbaukonstruktionen ergeben.

PAPIERKOMPOSITE Wissenschaftler des Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) aus Darmstadt konnten in Tests nachweisen, dass Papierkomposite auf Basis einer duroplastischen Matrix ähnliche mechanische Festigkeiten aufweisen können wie solche mit Naturfasern. Um die Machbarkeit der Substitution von Naturfaserkompositen durch solche aus Papier zu prüfen, verglichen die LBF-Wissenschaftler Proben aus Laborpapier und kommerziell verfügbaren Papieren miteinander. Die Zugprüfungen ergaben vielversprechende Ergebnisse. Die Resultate der Versuche zur statischen Belastbarkeit lagen deutlich oberhalb der Proben aus Teepapier, Flachs oder Viskose. Sollten für die entwickelten Materialien noch Eigenschaften wie Flammbeständigkeit, Isolationsvermögen und Feuchteaufnahme optimiert werden, würden sich zahlreiche industrielle Anwendungen im Sportbereich, beim Möbelbau und in der Automobilindustrie ergeben.

PAPPWABENKONSTRUKTIONEN Papp- bzw. Papierwabenstrukturen bieten als Kernmaterial für Leichtbaukonstruktionen ähnliche Belastungseigenschaften wie vergleichbare Lösungen aus Aluminium, Karbon oder Holzfurnieren. Diese chemisch behandelten und getrockneten Papierbienenwaben weisen ein sehr geringes Gewicht auf und sind ausgesprochen druckstabil. Durch spezielle Beschichtungs- und Trocknungsverfahren können Pappwabenverbunde wasser- und feuerbeständig ausgerüstet werden, was sie für den Einsatz in Fahrzeugen, Flugzeugen, Schiffscontainern und mobilen, modularen Häusern geeignet macht.

VERBUNDBAUSTOFF AUS MINERALISCH GEFÜLLTEM PAPIER Das LFS Board ist eine nicht brennbare Leichtbau-Verbundplatte (Brandschutzklasse A), die aus mineralisch gefüllten Papieren im Kernbereich und faserarmierten Deckschichten besteht. Mit einer Dichte von lediglich 300 kg / m³ liegt das Gewicht bei etwa einem Viertel vergleichbarer Angebote von Brandschutzplatten auf dem Markt. Das niedrige Gewicht bei gleichzeitig hoher mechanischer Festigkeit führt zu Anwendungspotenzialen des Verbundaufbaus im Messe-, Schiffs- und Flugzeugbau für Türfüllungen, abgehängte Decken oder Abdeckpaneele.

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Papierkomposit für Sportanwendung Quelle: Fraunhofer LBF

Verbundwerkstoff aus Papierlage und dünnwandigem Blech Quelle: PTS Group

Papierwabenplatten mit verschiedenen Decklagen und Füllungen Quelle: BeeComp

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Herstellungsprozess eines Wikkelhauses

PAPIER-BLECH

Quelle: Wikkelhouse Amsterdam

Papier-Blech ist ein multifunktionaler Verbundwerkstoff, der aus dünnwandigem und hochfestem Blech, einer Papierlage und einem imprägnierten Fasergusskörper auf Zellulosefaser-Basis besteht. Das Verbundmaterial zeichnet sich durch geringes Gewicht bei gutem Schwingungs- und Dämpfungsverhalten, guter Drapierbarkeit und Drainagefähigkeit, Widerstandsfähigkeit gegen Umwelteinflüsse und Crashadsorption aus. Durch Einsatz eines Harzes im Verbund mit Papier als Fasermaterial konnte gegenüber reinem Blech das Gewicht des Gesamtverbunds deutlich gesenkt werden. Unter Verwendung nassfester-, flammhemmender- oder flammfester Ausrüstungen sowie Verringerung der Wärmeleitung und des viskoelastischen Verhaltens können gezielt zusätzliche Funktionalitäten in die Papierkomponente eingebracht werden. Denkbar ist auch funktionales Bedrucken zum Beispiel mit Leiterbahnen oder durch Aufbringen von RFID-Chips.

PAPIERWICKEL-ARCHITEKTUR Das Wikkelhaus wurde von niederländischen Architekten und Designern entwickelt, um das für Gebäude eher ungewöhnliche Leichtbaumaterial Pappe für modulare Architektur nutzbar werden zu lassen. Die 1,2 m langen Module entstehen durch 24-maliges Umwickeln einer Stahlkonstruktion mit dem Recyclingprodukt. Äußerlich unterscheidet sich ein Wikkelhaus nicht von konventionellen Fertighäusern, denn es wird zum Schutz vor Witterung mit einer atmungsaktiven Beschichtung versehen und mit Holz vertäfelt. Im Vergleich werden lediglich ein Drittel der Material- und Energieressourcen benötigt, bei einer Lebensdauer von immerhin 100 Jahren. Ein Haus besteht am Ende aus maximal acht Modulen und hat ein Gewicht von nur 6.000 kg.

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Wikkelhaus Quelle: Wikkelhouse Amsterdam

Wandquerschnitt mit Pappwabenkonstruktion Quelle: Wikkelhouse Amsterdam

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BIOLOGISCH ABBAUBARE FLASCHEN

Rückstandsfrei abbaubare Sportflasche aus Kunststoff Quelle: Bayonix

In den Weltmeeren schwimmen große Mengen Plastikabfall umher. Durch die Bewegungen der großen Meeresströmungen haben sich fünf große Müllstrudel gebildet. Der größte von ihnen ist der nordamerikanische, sogenannte Great Pacific Garbage Patch. 2018 haben Forscher die bisher angenommenen Abfallmengen in den Ozeanen nach oben korrigiert. Alleine die Müllinsel im Pazifik soll 80.000 t Kunststoff beinhalten. In Eisbohrkernen in der Nähe des Nordpols haben Helmholtz-Forscher 2015 je Liter Meereseis 12.000 Mikroplastikteilchen nachgewiesen. Um die weitere Verunreinigung der Weltmeere einzudämmen, haben die ersten Länder mit dem Verbot von Kunststofftüten, Einweggeschirr, Kunststoffstrohhalmen und Mikroplastik in Reinigungsprodukten und Zahnpasta begonnen. Neben der Optimierung der Logistiksysteme in der Abfallwirtschaft arbeiten Materialproduzenten an gewichtsreduzierten und bioabbaubaren Verpackungen für den Massenkonsum.

BAYONIX BOTTLE Mit der Bayonix-Flasche bietet ein Start-up aus Bayern nun die erste Sportflasche aus Kunststoff an, die sich rückstandsfrei und vollkommen unbedenklich für das Grundwasser und die Natur auf biologische Weise zersetzt. Das verwendete Material für Flasche, Deckel, Verschluss und alle Inhaltsstoffe wie Polymere, Additive, Katalysatoren und Farbmasterbatches ist sicher für biologische Kreisläufe und umweltverträglich. Die Flasche kann aber auch recycelt werden, denn die Materialien sind vollständig als Rezyclat einsetzbar und haben keinen negativen Einfluss auf die üblichen Prozesse. Die Bayonix-Flasche ist ein Monomaterialprodukt und besteht ausschließlich aus einem einzigen Polymerwerkstoff.

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GREEN FIBER BOTTLE Die „Green Fiber Bottle“ stammt von dänischen Entwicklern und ist eine papierbasierte Alternative zu PET-Flaschen. Die Flasche besteht zu 98 % aus recyceltem Papier und Frischfasern pflanzlichen Ursprungs. Die Sauerstoffbarriere wird mit einer Beschichtung aus Casein, Stärke und PLA erzeugt. Ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Feuchtigkeit erlangt die Flasche durch eine Nanobeschichtung mit Silikon-Oxid oder Kohlenstoff. Für die Herstellung ist eine besondere Presse entwickelt worden, die die Papiermasse in Form bringt und die Feuchtigkeit in 0,3 Sekunden aus der Materialverbindung entfernt. Die Green Fiber Bottle ist nur halb so schwer wie eine PET-Flasche vergleichbarer Größe. Green Fiber Bottle – Flasche aus Papier und einer Innenbeschichtung Quelle: ecoXpac

CH₂OOSE Water – Alternative zur PET-Flasche aus Papier mit Schraubverschluss Quelle: CH₂OOSE Water

CH₂OOSE WATER Einen ähnlichen Ansatz hat auch der britische Entwickler James Longcroft gewählt. Seine CH₂OOSE Water Flasche kommt ohne die Verwendung von Kunststoffen aus und besteht in der Außenhülle vollständig aus Recyclingpapier, das entfärbt und gereinigt wurde. Zur Erzeugung der Feuchtebarriere verwendet Longcroft ausschließlich natürlich Materialien, die gut für Meeres- und Bodenumgebungen geeignet sind. Der metallische Schraubverschluss stellt keine Gefahr für das Ökosystem dar.

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Fahrradgepäckträger aus einem Naturfaserkomposit Quelle: TU Dresden

Organoblech aus Naturfasern Quelle: TU Dresden

TEXTILBASIERTER LEICHTBAU Die Reichweite von Elektrofahrzeugen hängt vor allem vom Gewicht des Fahrzeugs ab. Deshalb wurden in den letzten Jahren schwere metallische Strukturelemente durch faserverstärkte Kunststoffteile ersetzt. So kommen immer häufiger sogenannte Organobleche als plattenförmige und thermoverformbare Halbzeuge zur Anwendung.

ORGANOBLECHE AUS NATURFASERN Üblicherweise bestehen die Werkstoffverbunde aus Glas-, Kohle- oder Aramidfasern und einem Matrixsystem aus einem thermoplastischen Kunststoff der Petrochemie. Mit Blick auf die zu erwartende Ressourcenverknappung bei fossilen Rohstoffen wurden an der TU Dresden Werkstoffalternativen bei Organoblechen entwickelt, die aus einer Biopolymermatrix bestehen, in die eine Naturfaserstruktur eingebracht wurde. Durch die naturgemäß gute Haftung zwischen Naturfaser und Biopolymer konnte dabei ohne Haftvermittler gearbeitet werden. Die entstehenden Verbundwerkstoffe haben ein geringes Gewicht, splittern im Crashfall nicht und bilden keine scharfen Bruchkanten aus. Zudem dämpfen sie Vibrationen sehr viel besser, wirken schallabsorbierend und weisen eine wesentlich günstigere Energiebilanz auf.

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Abstandstextilien mit zweifach gekrümmten Gewebestrukturen Quelle: ITV Denkendorf

ABSTANDSTEXTILIEN MIT ZWEIFACH GEKRÜMMTEN GEWEBESTRUKTUREN Faserverstärkte Gewebestrukturen erfüllen nicht nur die notwendigen Werkstoffeigenschaften bezüglich Festigkeit und Steifigkeit für industrielle Anwendungen, sondern ermöglichen zunehmend auch eine freie Formgestaltung für gekrümmte Bauteilgeometrien. Für besonders leichtgewichtige Sandwich- oder Hohlstrukturen wurden am Institut für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf neue Verfahrensansätze entwickelt, um neben planparallelen Abstandsgewirken bis zu zweifach gekrümmte Gewebestrukturen zu realisieren. Die Wissenschaftler nutzten für die Entwicklung eine Analogie zum Schalenskelett des Sanddollars und übertrugen den Aufbau auf gekrümmte Abstandsgewebe. Denn die Seeigelgattung verfügt über eine gewölbte Außenschale mit dünnen Innenverstrebungen, was sie sehr leicht und gleichzeitig druckstabil macht. Fertigungsseitig wurde dies durch verfahrenstechnische Anpassungen an einer Doppelgreifer-Webmaschine mit abstandshaltenden Polfäden realisiert.

BIOBASIERTE, SELBSTVERSTÄRKENDE POLYMERVERBUNDWERKSTOFFE Um am Ende der Produktlebensdauer keine Probleme mit dem Recycling zu bekommen, haben Textilexperten an der RWTH Aachen biobasierte, selbstverstärkende Verbundwerkstoffe entwickelt, die aus nur einer Polymerfamilie bestehen. Sogenannte selbstverstärkende Polymerverbundwerkstoffe (SRPC) entstanden, mit denen die sonst übliche Sprödigkeit und Stoßfestigkeit von PLA-Platten bei weitem übertroffen werden. Zurückzuführen ist dies auf die Beibehaltung der Molekularstruktur teilkristalliner Bereiche in der Endstruktur des Werkstoffs. Die Matrix entsteht zum Beispiel durch eine gezielte Anschmelzung der Verstärkungsfasern. Großer Vorteil gegenüber konventionellen Faserverbundmaterialien ist, dass für SRPC nur eine Polymerfamilie verwendet wird und sich das Recyceln somit vereinfacht.

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CNT-verstärkte Keramik

STABILE KOHLENSTOFFMODIFIKATIONEN

Quelle: Fraunhofer IKTS

Eine Vielzahl kohlenstoffbasierter Werkstoffe hat in den letzten Jahren mit ihren außergewöhnlichen Qualitäten in industrielle Anwendungen Einzug gefunden. Fullerene, Kohlenstoffnanoröhren (CNT) und Graphen sind stabile Modifikationen von elementarem Kohlenstoff, die im Verbund mit anderen Materialien ungewöhnliche Ergebnisse liefern.

CNT-VERSTÄRKTE KERAMIKEN Kohlenstoffnanoröhren können aufgrund ihrer außergewöhnlichen Festigkeit als Verstärkungskomponente die mechanischen Eigenschaften für Leichtbaulösungen erheblich verbessern. Vor allem im Kunststoffbereich sind Anwendungen bereits seit einigen Jahren bekannt. Für Keramiken und Metalle konnten die Potenziale bislang nur selten genutzt werden, was mit der unzureichenden Anbindung der Kohlenstoffnanoröhren an die Matrixmaterialien im Sinterprozess begründet wurde. Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) ist es gelungen, den Herstellungsprozess so zu optimieren, dass sich CNT-Matrix-Komposite für industrielle Leichtbauanwendungen umsetzen lassen. Nach katalytischer Aktivierung wachsen die CNT auf dem Matrixpulver an und weisen eine starke Haftung an der Oberfläche der Pulver auf.

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GRAPHEN-AKKUS FÜR ELEKTROFAHRZEUGE Graphen besteht aus lediglich einer Schicht hexagonal angeordneter Kohlenstoffatome. Neben der extremen Festigkeit weist es eine hohe elektrische Leitfähigkeit auf. Wissenschaftler haben einen Akku als Kondensator aus zwei Graphenschichten konzipiert, der eine 50 bis 100 Mal höhere Leistungsdichte und eine 5 bis 10 Mal größere Energiedichte im Vergleich zu konventionellen Akkumulatoren aufweisen soll. Zudem wäre die Batterie in der Lage, in kürzester Zeit eine große Menge Energie freizusetzen. Mit diesen Qualitäten würde ein Graphen-Akku der Elektromobilität einen enormen Schub verleihen. Doch die Herstellung von Graphen als Batteriewerkstoff zu vertretbaren Kosten ist wegen der hohen Reaktivität und der Neigung zu verklumpen bislang nur in Ansätzen geglückt. Samsung vermeldete im Herbst 2017 einen ersten Durchbruch. Die Firma verwendete mit Graphen beschichtete Kugeln in Nanodimension aus Siliziumdioxid und umging damit die Probleme bei der Herstellung einer einzelnen Graphenschicht. Der Lithium-Akku mit Graphen-Nanokugeln als Anodenmaterial und Kathodenbeschichtung konnte in zwölf Minuten geladen werden und wies eine um 28 % gesteigerte Energiedichte auf.

GRAPHEN-LEICHTBAU Bis Graphen den Durchbruch in eine Vielzahl von Anwendungen schaffen wird, gehen Experten von einer Nutzung in Verbundstrukturen mit anderen Werkstoffen aus. Erste Entwicklungen kommen aus dem Sportbereich. So hat der britische Fahrradproduzent Dassi Mitte 2016 einen Karbon-Fahrradrahmen unter Integration von 1 % Graphen mit einem Gewicht von 750 g vorgestellt. Nach Aussage des Herstellers soll das Graphen zu einer besseren Kohlenstoff-Harz-Bindung führen und der Rahmen eine 70 % höhere interlaminare Scherfestigkeit sowie eine um 50 % größere Bruchresistenz aufweisen.

CARBIN Nach Kohlenstoffnanoröhren und Graphen befindet sich unter dem Namen „Carbin“ ein weiteres Material in der Entwicklung, das stärker und härter sein soll als jeder andere bekannte Werkstoff. Die Grundlage bilden Kohlenstoffatome, die anders als bei Graphen nicht in einem Wabenmuster, sondern entlang einer Kette angeordnet sind. Aufgrund seiner hohen Reaktivität war es Wissenschaftlern lediglich an der Rice University in den USA und am Max-Planck-Institut in Hamburg gelungen, Carbine nachzuweisen. Dabei haben die Wissenschaftler einiges über den neuen Werkstoff herausgefunden. So sollen Carbine eine doppelt so hohe Reißfestigkeit und Zähigkeit im Vergleich zu Graphen aufweisen. Die außergewöhnliche elektrische Leitfähigkeit soll es für Einsatzzwecke für elektronische Bauteile in Nanodimension oder Solarzellen geeignet machen.

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Ligninbasierte Karbonfaser

KOHLENSTOFFFASERN AUS LIGNIN ODER KOHLENDIOXID

Quelle: Fraunhofer IAP

Mit ihren besonders guten mechanischen Eigenschaften sind Karbonfasern als Verstärkungsmaterial in Kompositwerkstoffen für den Leichtbau von hohem Interesse. Fasern aus Kohlenstoff sind zwar hochstabil und besonders leicht, jedoch für viele Massenanwendungen zu kostenintensiv in der Herstellung. Derzeit werden die Karbonfasern überwiegend aus fossilbasiertem Polyacrylnitril (PAN) oder Pech gewonnen. An alternativen Quellen wird derzeit geforscht.

LIGNINBASIERTE KARBONFASERN Eine kostengünstigere Alternative wäre das biobasierte Herstellungsverfahren mit Lignin. Die in Holz enthaltene erhärtende Komponente im Zellgerüst hat einen Kohlenstoffanteil von 55 bis 65 % und fällt als Abfallmaterial zum Beispiel in der Papierindustrie in großen Mengen an. Experten schätzen, dass eine ligninbasierte Karbonfaser nur halb so teuer sein würde als die derzeitigen Angebote. Bei diesem Kostenniveau würden sich Karbonfasern aus der Nische der Spezialanwendungen in Sport, Luftfahrt und Bootsbau hin zu den Massenmärkten für den Automobilsektor bewegen. Am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) arbeiten Wissenschaftler an einer ligninbasierten Karbonfaser, die eine Zugfestigkeit von 1,5 GPa sowie ein Zugmodul von 150 GPa aufweist und somit für die Luftfahrt geeignet wäre.

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Karbonfasern auf der Basis von Kohlendioxid Quelle: George Washington University

KARBONFASERN AUS KOHLENDIOXID An einer alternativen Rohstoffquelle zur Herstellung von Karbonfasern aus dem Klimagas Kohlendioxid arbeiten Wissenschaftler an der George Washington University in den USA. Als Grundlage dient ein Behältnis mit geschmolzenem Lithiumkarbonat. Unter Beimischung einiger zusätzlicher Metalle tauchen die Forscher eine Stahl- und eine Nickel-Elektrode in einen Elektrolyten. Nach Zugabe von Lithiumdioxid wird Kohlendioxid zugelassen und an der Schmelze eine elektrische Spannung angelegt. Dabei reagiert das Lithiumdioxid mit dem einströmenden Kohlendioxid zu Lithiumkarbonat, was sich in der weiteren Elektrolyse in Lithiumoxid, Sauerstoff und Kohlenstoff zersetzt. Als Ergebnis setzen sich an der Stahlelektrode dünne Kohlenstofffasern mit einer Länge von bis zu 200 μm ab. Am Algentechnikum der TU München wird an einem Verfahren gearbeitet, um mithilfe von Algen Kohlendioxid in Karbonfasern zu überführen. Dazu wandeln Algen CO₂ zunächst in Algenöl um, aus dem die Wissenschaftler Polyacrylnitrilfasern (PAN) herstellen können. Anschließend werden diese mit Hilfe von Parabol-Sonnenspiegeln CO₂-neutral zu Kohlefasern verkohlt. Diese weisen die gleichen mechanischen und chemischen Eigenschaften auf wie herkömmliche auf dem Markt erhältliche Karbonfasern.

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HOLZLEICHTBAU

Holzfurnierröhren in unterschiedlichen Durchmessern und Wandstärken Foto: Haute Innovation

Mit einem Waldbestand von 11,4 Millionen ha zählt Deutschland zu einem der waldreichsten Länder der Europäischen Union. Im Bauwesen erfährt Holz derzeit eine Renaissance. Die technischen Qualitäten machen es aber auch für technische Anwendungen interessant. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Holzwerkstoffe entwickelt, die sich für den mobilen Leichtbau einsetzen lassen.

HOLZFURNIERRÖHREN Holzfurnierröhren weisen eine ungewöhnlich hohe mechanische Festigkeit auf, die sie selbst als Rahmenmaterial für Fahrräder geeignet macht. Sie bestehen im Aufbau aus mehreren Lagen Echtholzfurnier, die kreuzweise verleimt und fest miteinander verbunden werden. Deshalb ähnelt das Material strukturell einem feinen Sperrholz. Durch Wahl der Anzahl und Dicke der Einzellagen wird eine definierte Wandstärke zwischen 1 und 10 mm bestimmt und der Werkstoff individuell auf die Anforderungen des Einsatzfalls angepasst. Zusätzlich kann die Faserausrichtung, wie bei anderen Verbundwerkstoffen, im Winkel eingestellt werden. Die Innendurchmesser sind in 5-mm-Schritten von 20 bis 100 mm wählbar. Holzfurnierröhren lassen sich mit fast allen Werkzeugen traditioneller Holzverarbeitung behandeln.

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Sitzschale aus Weide Quelle: BAU KUNST ERFINDEN, Forschungsplattform der Universität Kassel

WOODEN 3D TUBING An der TU Dresden wurde unter dem Namen „Wooden 3D Tubing“ ein Verfahren entwickelt, mit dem Hightech-Hölzer für die Automobilindustrie einsetzbar werden, die eine höhere mechanische Stabilität aufweisen als Aluminium und so leicht sind wie Karbon. Zur Herstellung von Röhren und dreidimensional gebogenen Bauteilen aus Holz werden dünne Furnierstreifen über ein Formteil gelegt, gebogen und miteinander verklebt. Unter Ausnutzung der natürlichen Orientierung der Holzfasern in Längsrichtung entsteht ein Bauteil mit einer besonderen Zug- und Bruchfestigkeit in die

Leichtbauteile aus HightechHölzern Quelle: Lignoa Leichtbau

Wachstumsrichtung der Faser. In einem zweiten Prozessschritt wird das Bauteil quer zur Faserrichtung in Streifen geschnitten. Die bereits gekrümmten Stücke werden in eine neue Musterform geschichtet und erneut miteinander verklebt. Auf diese Weise entstehen Holzbauteile, die in Längs- wie Querrichtung ungewöhnlich hohe Kräfte aushalten. Anschließend werden die Formteile in der Mitte durchschnitten und auf der Innenseite ausgefräst, um das gewünschte Verhältnis zwischen Gewicht, Steife und Festigkeit zu erreichen. Eine ähnliche Vorgehensweise ist von der Herstellung von Karbonstrukturen aus der Luftfahrt bereits bekannt.

ULTRALEICHTE FORMHOLZTEILE AUS WEIDE Die Weide kommt in fast allen Kulturräumen Europas vor und ist als nachwachsender Hightech-Werkstoff bekannt. Das an der Universität Kassel entwickelte SALIX 3D ist ein neuartiges Leichtbaumaterial zur Herstellung von formstabilen und elastischen Formholzteilen aus Flechtweiden. Mit eigens für das Verfahren entwickelten Maschinen werden Flechtweidenruten flächig zu belastungsdifferenzierten Geweben, Gelegen oder Geflechten arrangiert und unter Temperatur sowie mit Druck in Pressen umgeformt. Die Formteile sind bei gleicher Belastbarkeit bis zu 40 % leichter als übliche Formholzelemente. Anwendungsbereiche liegen in der Architektur, im Design und beim Fahrzeugleichtbau.

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karuun Rattankomposit für den Möbelbau Quelle: out for space

karuun Rattankomposit mit lichtdurchlässigen Eigenschaften Quelle: out for space

RATTANLEICHTBAU Rattan ist traditionell ein sehr beliebter Werkstoff bei der Herstellung von Korbwaren und Flechtsitzmöbeln. Das Material wird aus dem Stamm der schnell wachsenden Rotangpalme gewonnen, ist sehr leicht und kann auf einfache Weise unter Einfluss von Feuchtigkeit und Wärme gebogen werden. Dies ist auf die hohe Porosität und die Vielzahl der Kapillare im Triebinnern zurückzuführen, mit der die Pflanze Wasser über eine Länge von bis zu 200 m transportieren kann. Unter dem Namen „karuun“ haben Designer aus Süddeutschland ein Verfahren entwickelt, mit dem durch Injizieren von Füllstoffen Härte, Steifigkeit und Widerstandsfähigkeit des Materials verbessert werden. Als Flächenmaterial ist Rattan durchlässig für Licht.

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Fahrrad mit Bambusrahmen Quelle: myBoo

BAMBUSLEICHTBAU

Mit herausragenden mechanischen Qualitäten zählen Bambuswerkstoffe als zukunftsweisende Materialien. Bambus ist extrem stark und eine der am schnellsten wachsenden Pflanzen der Welt. Einige Spezies des Grases wachsen bis zu einen Meter am Tag. Dabei lagert es mehr CO₂ ein als jede andere Pflanze. Da Bambus zunehmend in Konkurrenz zu Metallkonstruktionen Verwendung findet, wird das Naturprodukt als Green Steel bezeichnet. Die Fasern sind flexibel und sehr widerstandsfähig gegenüber Zugbeanspruchung. Als nachhaltiges und kostengünstiges Baumaterial wird es bereits seit Jahrhunderten in Asien verwendet und wird mittlerweile auch in Europa wiederentdeckt.

Bambustransportpalette aus Platten mit einer Mittellage aus Bambusringabschnitten Quelle: Conbou

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Bambussandwich Quelle: Fabian Schütz, Denkfabrik Bambus

BAMBUSSANDWICH Aufgrund des organischen Wachstums und der unregelmäßigen Ausbildung wurde Bambus bislang selten in industriellen Anwendungen berücksichtigt. Bambuswerkstoffe müssen so entwickelt werden, dass sie regulatorischen Standardanforderungen entsprechen. In Kombinationen mit natürlichen Kernmaterialien wie Kork, Balsa, Holzfasern oder PLA-Waben können Sandwichkonstruktionen entstehen, die leichtgewichtige Alternativen für Leichtbaulösungen bieten.

BOOGLUE Mit BooGlue ist ein neuer patentierter Industrieklebstoff basierend auf natürlichen Ausgangsstoffen auf dem Markt erschienen, der das Potenzial besitzt, herkömmliche Isocyanate- (MDI, TDI, HDI), Harnstoff-Formaldehyd- (UF) und Polyurethan-Klebstoffe (PU, PUR) zu ersetzen. Die Entwicklung stammt aus Costa Rica und wurde

Sprungfederprothese aus Bambussandwich

insbesondere für die Herstellung von Holzersatzwerkstoffen mit Bambusfasern

Quelle: Fabian Schütz, Denkfabrik Bambus

durchgeführt. BooGlue ist ein duroplastischer Zweikomponentenkleber, der während und nach der Verarbeitung keine toxischen Auswirkungen hat. Nach Aussagen des Herstellers sind die Eigenschaften in Bezug auf Festigkeit, Haltbarkeit und Benutzerfreundlichkeit mit konventionellen Klebstoffen vergleichbar.

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Sechskant-Bambusrohre JOBAM Quelle: Robert Klanten

Bambushybridgewebe Quelle: Fabian Schütz, Denkfabrik Bambus

Bambusspanplatte Quelle: Möbelfabrik Bard

SECHSKANT-BAMBUSROHR Da natürlich gewachsene Bambusrohre in verschiedenen Größen, Durchmessern und Dicken vorkommen, war die industrielle Verwendung bislang schwierig. Mithilfe eines patentierten Produktionsprozesses können nun sowohl der Durchmesser als auch die Dicke und Länge der Bambuselemente mit industrieller Präzision eingestellt werden. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel Sechskant-Bambusrohre umsetzen, die vergleichbare mechanische Qualitäten wie Aluminiumrohre aufweisen. Somit sind sie als nachhaltige Alternative in vielen Anwendungen in der Architektur, im Bauwesen, in Tragwerkskonstruktionen oder im Fahrzeugbau denkbar, in denen Metallkonstruktionen immer noch Stand der Technik sind.

BAMBUSSPANPLATTE Nach langjähriger Entwicklung hat die Möbelfabrik Bard aus der Schweiz eine bambusarmierte Spanplatte präsentiert, die dreimal tragfähiger ist als vergleichbare Plattenwerkstoffe. Unter Einsatz ganzer Bambusrohre, längs gespaltener Rohrsegmente oder Spreisseln kann mit der Bambusspanplatte der Materialeinsatz im Möbel- und Schiffsbau erheblich gesenkt werden. Der Aufbau des Plattenmaterials kann auf den Einsatzfall angepasst werden. Mehrere Bambusschichten lassen sich gesperrt miteinander verleimen.

BAMBUSHYBRIDGEWEBE Bambusfasern haben einzigartige Dämpfungseigenschaften und sind sowohl steif als auch flexibel. In Hybridgeweben sind zweiachsige dünne Schichten aus Bambusfasern gepaart mit Kork-, Balsa- oder Wabenkernen möglich, die zu torsions- und biegesteifen Sandwichmaterialien kombiniert werden können. Gewebe aus Bambusund Kohlefasern haben ein geringeres Gewicht bei sehr hoher Festigkeit und ermöglichen Anwendungen in Organoblechen für Karosserien, Prepregs für Windschaufeln oder in der Außenhaut von Zügen.

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Beton mit Bewehrung aus Bambus Quelle: KIT, Prof. Dirk Hebel; Foto: Carlina Teteris

BAMBUSBETON Am Future Cities Laboratory (FCL) in Singapur und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeiten Forscher daran, das Potenzial von Bambus durch die Erforschung neuer Arten von Bambusverbundstoffen für das Baugewerbe und Mobilitätslösungen zu erschließen. Die Zugfestigkeit des Materials inspirierte die Wissenschaftler um Dirk Hebel dazu, Fasern aus dem natürlichen Bambus zu extrahieren und als Bewehrungssysteme in Konstruktionsbeton zu verwenden.

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Glashohlkugeln Quelle: 3M

HOHLKUGELSTRUKTUREN Mit der kompakten Kugelgeometrie weisen Hohlkugelstrukturen besonders druckfeste und biegesteife Qualitäten auf und können in erheblichem Maße zur Reduzierung des Gewichts beitragen. Denn im Vergleich zu Kugeln aus massivem Material sind hohle Kugeln um 40 bis 70 % leichter. Haben metallische und keramische Hohlkugeln in den letzten Jahren ihren Weg in Anwendungen für Wärmetauscher, Katalysatoren oder als Crashabsorber und Schalldämpfer gefunden, wird derzeit an Lösungen für den Leichtbau gearbeitet.

GLASHOHLKUGELN Mit einer Dichte von gerade einmal 0,46 g / cm³ eignen sich Glashohlkugeln von 3M für Einsatzzwecke, die den Megatrend Leichtbau bedienen. Je nach Füllgrad und Formulierung kann das Gewicht von Kunststoffsystemen um bis zu 30 % reduziert werden. Weitere besondere technische Qualitäten des neuartigen Füllstoffs sind eine gute thermische Isolierung und die schnelle Abkühlgeschwindigkeit. In einer gemeinsam durchgeführten Studie konnte der Entwicklungsdienstleister EDAG Anwendungen im Interieur, Exterieur und im Motorraum von Fahrzeugen darlegen, in denen der Einsatz der Glashohlkugeln in thermoplastischen Werkstoffen Vorteile bietet. Beim Spritzgießen hat sich der Füllstoff im Vergleich zu alternativen Verbundlösungen positiv auf den Verarbeitungsprozess, die Zykluszeit und damit auf die Wirtschaftlichkeit ausgewirkt.

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Zellulosehohlkugeln mit poröser Schale Quelle: Cellutech

ZELLULOSEHOHLKUGELN Cellutech aus Schweden hat eine Vielzahl von Hohlkugeln aus reiner Zellulose entwickelt. Die Kugeln können je nach Herstellungsmethode eine Größe von wenigen Hundert Mikrometern bis zu einigen Millimetern haben und unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Die Kugeln haben eine sehr geringe Dichte und können im Materialverbund zur Reduzierung des Gewichts beitragen. Mögliche Anwendungen sind Verpackungen, die Medizintechnik, Life-Science und Kosmetikartikel. Zellulosekugeln mit festen Schalen sind schwimmfähig. Die Außenwand kann aber auch porös eingestellt werden.

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BIOBASIERTE SCHAUMSTRUKTUREN

Hybridpanel mit Zelluloseschaumstoff Quelle: Fraunhofer IFAM

Eine Vielzahl von leichtgewichtigen und gleichzeitig hochfesten Materialien in der Natur gehen auf die mechanischen Qualitäten von Schaum- und Schwammstrukturen zurück. Mit Blick auf die Themen Nachhaltigkeit und Leichtbau erkennt man klar den Trend hin zu biobasierten Schaumstoffen auf Basis nachwachsender Rohstoffe.

HYBRIDPANEL MIT ZELLULOSESCHAUMSTOFF Die Sandwichplatte basiert auf Holzteilchen und geschäumten Biokunststoffen aus Zellulose. Das Hybridpanel besteht aus einer leichten, geschäumten Kernstruktur und hochdichten Deckschichten. Durch die Substitution von Biokunststoffen anstelle von bekanntem Polystyrol zur Herstellung eines Schaumkerns wurde ein umweltfreundliches, ressourcenschonendes und leichtes Material etabliert. Die Sandwichplatte initiiert neue Ansätze für die Verwendung von Holz sowie neue Einsatzmöglichkeiten für Nebenprodukte der Holzindustrie.

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Cellufoam aus Nanozellulose Quelle: Cellutech

Fahrradhelm mit Cellufoam Quelle: Cellutech

NANOZELLULOSESCHAUMSTOFF Unter dem Namen „Cellufoam“ haben schwedische Wissenschaftler einen Schaumstoff aus Nanozellulose vorgestellt und in einem Sturzhelm verwendet. Der Schaumstoff wird aus Zellstoff hergestellt, ist biologisch abbaubar und hat enorme stoßabsorbierende Eigenschaften. Er eignet sich daher für vielfältige Anwendungen im Leichtbau, als Verpackungsmaterial und für Sicherheitsanwendungen. Die Idee des Schaums stammt von einer Forschungsgruppe im Wallenberg Wood Science Center (WWSC) und wurde von Cellutech weiterentwickelt.

SCHAUMSTRUKTUREN AUS MEERESSCHWÄMMEN In der Natur haben sich über Millionen von Jahren Aufbauprinzipien bei Pflanzen und Lebewesen ausgebildet, die für Forschung und Industrie große Potenziale für die Entwicklung ressourcenschonender Leichtbaulösungen bieten. Zum Beispiel bietet der Aufbau von Muschelschalen, Korallen und Meeresschwämmen vielseitige Möglichkeiten zur Übertragung auf industrielle Anwendungen, da es sich um extreme Leichtgewichte handelt, die zudem sehr widerstandsfähig und trotzdem beweglich sind. Glasschwämme in Tiefen von 5.000 m können sogar Licht leiten und bestehen aus nadelförmigen Skelettelementen, die sich nur unter ganz besonderen Umweltbedingungen ausbilden. Durch Biomineralisation versuchen einige Wissenschaftler aktuell, den natürlichen Aufbauprozess im Meer zu kopieren und für den Automobilbau, die Architektur und die Medizin nutzbar zu machen.

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Laufschuh mit Obermaterial aus biotechnologisch erzeugter Spinnenseide Quelle: ADIDAS

SEIDENWERKSTOFFE Die Seide von Spinnen gilt als Paradebeispiel der Bionik. Sie ist ein Hightech-Material der Natur, ist belastbarer als Stahl und kann dabei wie Gummi um ein Vielfaches gedehnt werden. Nachdem es dem Unternehmen AMSilk und Thomas Scheible gelungen war, Spinnseidenproteine im Rahmen eines Fermentationsprozesses von gentechnisch veränderten Bakterien biotechnologisch zu produzieren, hat Adidas Ende 2016 unter dem Namen „Biofabric“ den ersten Laufschuh mit einem Obermaterial aus Spinnenseide vorgestellt. Er ist damit eines der ersten Konsumgüter, der auf perfekte Weise einen geschlossenen biologischen Kreislauf repräsentiert: Bleibt das textile Material unter Wassereinfluss stabil, kann es in einem Konzentrat aus dem Verdauungsenzym Proteinase gelöst werden und zersetzt sich binnen 36 Stunden auf natürlichem Weg. Zudem zeichnet sich der Schuh durch eine Gewichtsreduzierung von bis zu 15 % aus. Im Zusammenhang mit der Biologisierung industrieller Wertschöpfung gewinnen Seidenwerkstoffe zunehmend an Bedeutung und werden weltweit erforscht. Seitdem die Wissenschaftler in der Lage sind, Seidenproteine in hoher Qualität und Menge zu erzeugen, sieht man neue Einsatzmöglichkeiten in Schwämmen, transparenten Folien und für Nanofasern in Leichtbaulösungen.

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Silk Pavilion aus Seidenfäden Quelle: MIT Media Lab

ARCHITEKTUR MIT SEIDENRAUPEN Die Fasern der Seidenraupe gelten als klassische Quelle für textile Seide, wie wir sie aus Textilien kennen. Diese für die Architektur nutzbar zu machen, war Ziel des „Silk Pavilion“ Forschungsvorhabens am MIT Media Lab in den USA. Das Konzept biologisch inspirierter Fabrikation basierte auf der Art und Weise, wie Seidenraupen einen Kokon aus einem einzigen Seidenstrang erstellen. Für die wissenschaftliche Untersuchung wurde zunächst eine Stahlrahmenstruktur eines Pavillons aus 26 polygonalen Platten errichtet und durch einen Roboter mit einem etwa 1 km langen Seidenfaden umwickelt. Anschließend wurden 6.500 Seidenraupen auf die gewebte Struktur gesetzt, und man ließ die Raupen ihre natürlichen Instinkte ausleben. Die Raupen begannen Zwischenräume mit Seide zu verschließen. Dabei erkannten die Forscher Zusammenhänge zwischen der Aktivität der Seidenraupen in Bezug auf den Stand der Sonne sowie die Größe der Zwischenräume. In einem Sonne-Weg-Diagramm wurden die Bewegungsvorlieben der Seidenraupen festgehalten und die Dichteunterschiede der Seidenfasern erfasst.

SEIDE VON ZITTERSPINNEN Einer Forschergruppe aus dem italienischen Trient ist es gelungen, Zitterspinnenseide mit einer um mehr als das Dreifache erhöhten Reißfestigkeit erzeugen zu lassen. Damit wäre diese neue Form von Spinnenseide in ihren Eigenschaften Aramidfasern überlegen und hätte riesiges Potenzial für den Leichtbau und die Luftfahrt. Die Spinnen wurden mit Wasser besprüht, dem Karbonnanoröhren und Graphen beigemischt war. Man konnte nachweisen, dass sich Nanopartikel in der Seide angeordnet hatten.

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Seide von Honigbienen Quelle: CSIRO; Foto: David McClenaghan

SEIDE VON HONIGBIENEN Neben Spinnen und Seidenraupen produzieren auch andere Insekten das hochwertige Fasermaterial, das bei der Verpuppung eine wichtige Schutzfunktion übernimmt. Bienen zum Beispiel erzeugen die Seidenstränge an den Drüsen ihrer Lippen. Australischen Wissenschaftlern um Dr. Tara Sutherland ist es an der Commonwealth Scientific Industrial Research Organisation (CSIRO) gelungen, die Gene der Seidenproteine zu identifizieren, sie biotechnologisch zu reproduzieren und für hochwertige Leichtbaufasern abzuleiten. Weitergehende Arbeiten beschäftigen sich mit der Untersuchung der wesentlichen Designelemente von Seidengenen bei Hummeln und Ameisen.

FLORFLIEGENSEIDE Florfliegen lagern ihre Eier zum Schutz vor Fressfeinden mit hochfesten seidenen Fäden in einem gewissen Abstand von der Blattunterseite. Die als Eierstiele bezeichneten Fasern sind lediglich 15 μm dick und werden von den Insekten mit einem Proteinsekret erzeugt, das auf den Blättern abgesondert wird. Das Ei wird in den Tropfen gelegt und senkrecht zur Oberfläche herausgezogen. Am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) wird derzeit an einem Prozess zur biotechnologischen Reproduktion der Florfliegen-Seidenproteine gearbeitet. Die Experimente basieren auf molekularbiologischen Vorarbeiten, die Thomas Scheibel am Lehrstuhl für Biomaterialien der Universität Bayreuth in den letzten Jahren durchgeführt hat. Ergebnis ist eine spezielle Gensequenz, die E.-coli-Bakterien in die Lage versetzt, das Spinnseidenprotein in Fermentern zu reproduzieren. Als hochgradig biegesteife Faser soll das Material zukünftig in Leichtbaukompositen für Mobilitätslösungen Verwendung finden.

Seide der Florfliege Quelle: Fraunhofer IAP

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BIONISCHE STRUKTUREN AUS DEM MEER Vor allem im Meer finden Wissenschaftler immer häufiger Analogien, die sich für die Übertragung auf Leichtbaulösungen eignen würden. Seit einigen Jahren wird daran gearbeitet, die Geheimnisse der natürlichen Vorbilder zu entschlüsseln und sie zur Steigerung der Ressourceneffizienz einzusetzen.

HOCHLEISTUNGSZÄHNE DER NAPFSCHNECKE Bislang zählte die Spinnenseide zum Naturmaterial mit der höchsten Zugfestigkeit. Mit der Napfschnecke haben britische Forscher von der University of Portsmouth im Jahr 2015 einen neuen Rekordhalter entdeckt und den Zahn der Napfschnecke zum Napfschnecke Foto: Stefan Thiesen

festesten Biomaterial unter allen Naturstoffen deklariert. Die Zähne erreichen eine Zugfestigkeit von 4.900 MPa, das Biomaterial hält damit zehnmal höheren Kräften stand als menschliche Zähne und ist vergleichbar mit Kevlarfasern. Das Phänomen liegt in der Aufbaustruktur der Zähne begründet. Das Material besteht aus winzigen Nanofasern, die in eine Eiweißmatrix eingebettet sind. Die Übertragung auf industrielle Werkstoffe würde zahlreiche Leichtbaulösungen möglich machen.

FANGSCHRECKENKREBSE ALS VORBILD FÜR LEICHTBAUKOMPOSITE Der Fangschreckenkrebs gilt unter Bionikern als Lebewesen mit einem besonderen Potenzial für die Luftfahrt. Denn die Gattung des Krebses der sogenannten Schmetterer erlegt ihre Beute mithilfe eines Schlagbeins, dessen Aufprallwucht ähnliche Werte

Fangschreckenkrebse Foto: University of California

wie die einer Pistolenkugel erreicht. Die enorme Beschleunigungskraft resultiert aus einem speziellen Aufbau des Exoskeletts, der die Fangarme explosionsartig vorschnellen lässt. Die Panzer und Schalen von Meerestieren werden durch den Aufprall zertrümmert. Forscher an der University of California fanden heraus, dass die hochgradig kompakte Fischgrätenstruktur mehrschichtig aufgebaut ist und in manchen Bereichen eine sinusförmige Anordnung von Chitinfasern aufweist, die mit hochtexturiertem Calciumphosphat mineralisiert sind. Die Übertragung der Aufbaulogik würde hochfeste Kompositstrukturen für die Luftfahrt und das Militär ermöglichen.

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Struktur eines Seeigelstachels Quelle: Universität Konstanz

Biege-Experiment von elastischem Zement Quelle: Universität Konstanz

SEEIGELSTACHEL FÜR HOCHFESTE BAUMATERIALIEN Forscher der Universität Konstanz haben einen Zement entwickelt, der sich an der Struktur eines Seeigelstachels orientiert. Diese bestehen in der Hauptsache aus Kalk, einem brüchigen und spröden Material. Die hohe Stabilität des Stachels geht auf eine mikroskopische Struktur zurück, in der geordnete kristalline Schichten aus Kalk in weichere, amorphe Schichten von Kalziumkarbonat eingebettet sind. Wird der Stachel belastet, überträgt sich die Druckenergie von den spröden Bereichen in die weicheren Schichten. Erreicht herkömmlicher Beton eine Bruchfestigkeit von Werten zwischen 2 und 5 MpA, so hat der nanostrukturierte Zement eine Bruchfestigkeit von 200 MPa. Ähnliche Prinzipien findet man auch bei Muschelschalen und in Knochen.

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5 DIGITALISIERUNG UND INTERNETKULTUR Die Effekte der Digitalisierung haben für die Wirtschaft in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Nachdem zunächst Industriezweige vom disruptiven Wandel der Geschäftsmodelle betroffen waren, deren Produkte selbst Teil der digitalen Wertschöpfung waren (zum Beispiel digitale Datenträger oder Wiedergabegeräte), oder solche, die sich auf einfache Weise digitalisieren ließen (zum Beispiel Musik), befinden sich zunehmend auch klassische Branchen mit traditionellen Produktions- und Formteil mit integriertem Sensor Quelle: Fraunhofer IWU

Vertriebsstrukturen in einem Wandel. Dies hat vor allem Einfluss auf den klassisch stationären Handel, der um digitale Instrumente erweitert und in seiner bisherigen Ausprägung hinterfragt wird. Kunden nutzen zunehmend die Einkaufsmöglichkeiten im Internet und sorgen dafür, dass sich Handel und Logistik digitalisieren. Es ist abzusehen, dass die Produktion einer Ware in Zukunft erst dann ausgelöst werden wird, wenn der Auftrag erfolgt ist. Dünnschichtsensorik und in Materialoberflächen integrierte Mikrochips sorgen dafür, dass Produkte, Maschinen und Logistiksysteme mit dem Web verbunden sind. Im Internet der Dinge werden wir die Selbstorganisation intelligenter Produktionsabläufe beobachten können, in der Produkte,

Informationsträger aus einem Formgedächtnismaterial Quelle: Fraunhofer IAP

Werkstoffe, logistische Netzwerke und Entsorger miteinander kommunizieren. In diesem Zusammenhang finden immer häufiger digitalisierbare Materialien und Oberflächen Verwendung, die elektrisch leitfähige Eigenschaften aufweisen oder in die sich auf einfache Weise elektronische Systeme integrieren lassen. So haben sich die Materialproduzenten in den letzten Jahren darangemacht, Werkstoffe mit elek-

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trisch leitfähigen Qualitäten auszustatten, die bis dato für diese Eigenschaft wenig geeignet waren. Ob Kunststoffe, Papiere, Textilien oder menschliche Haut: In vielen Fällen ist es durch Kombination verschiedener Substanzen gelungen, elektrische Schaltungen an ungewöhnlichen Orten zu positionieren. Wie man diese besonderen digitalen Materialien in Zukunft nutzen kann, haben Entwickler und Designer im Kontext der Digitalisierung unseres privaten Umfeldes immer wieder gezeigt. Unter einem Smart Home wird dabei die Nutzung digitaler Optionen zur Ansteuerung der Haus- oder Lichttechnik, der Küchengeräte oder von Verschattungssystemen verstanden. Wenn Sichtbeton zu einer Touchoberfläche werden soll oder sich Holzflächen im Dunkeln in bläulichgrüne Leuchtkörper verwandeln sollen, ist die Integration von Datenströmen und elektrischen Impulsen in den Werkstoff durchaus eine materialtechnische Herausforderung. Mit großer Akribie arbeiten Wissenschaftler im Verbund mit Designern seit einiger Zeit sogar daran, den Traum von flexiblen und dehnbaren elektronischen Produkten durch einfaches Bedrucken der Schaltkreise kostengünstig auf einer Vielzahl unterschiedlicher Werkstoffe realisierbar zu machen. In diesem Zusammenhang hat sich unter dem Begriff Wearables in den letzten Jahren ein Technologiebereich etabliert, mit dem die Digitalisierung von Kleidung und Mode bzw. das Tragen elektronischer Systeme am Körper gemeint ist. In Zukunft wird das auch die Nutzung der Robotertechnik einschließen. Wissenschaftler haben bereits erfolgreich die Integration künstlicher MusElektronische Schaltung als Tattoo auf der Haut Quelle: Jimmy Day, MIT, USA

keln in textile Gewebe gezeigt. Das Ziel zur Entwicklung flexibler Exoskelette aus textilen Werkstoffen wird insbesondere durch materialtechnische Fortschritte in greifbare Nähe rücken.

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MATERIALIEN FÜR DAS SMART HOME

Berührungssensitive Betonoberfläche Touchcrete Quelle: BAU KUNST ERFINDEN Forschungsplattform der Universität Kassel

In den letzten Jahren sind unter dem Begriff „Smart Home“ eine ganze Reihe von Systemen auf den Markt gekommen, die die Lebensqualität, Sicherheit und Energieeffizienz durch digitale Lösungen im privaten Umfeld erhöhen sollen. Beleuchtung, Elektrogeräte, Heizung, Jalousien und die Alarmanlage sind im Idealfall mit der Haustechnik vernetzt und können über das Internet angesteuert werden bzw. kommunizieren mit dem Nutzer. Neben dem IT-System, mit dem die Vernetzung progammtechnisch abgebildet wird, wurden Materialien und Beschichtungen für spezifische Aufgaben entwickelt, die die Sensorik, Daten- und Lichtübertragung in einen Werkstoffverbund integrieren.

TOUCHCRETE Unter dem Namen „Touchcrete“ ist an der Universität Kassel eine Technologie für berührungssensitive Betonoberflächen entstanden, die die Implementierung von Schaltungen in den Beton und die Nutzung einer Wandfläche als Touchscreen ermöglicht. Frei kombinierbare Aktor-Sensor-Komponenten sowie die Steuereinheit sind in eine textilbewehrte Betonfläche integriert und können per WLAN angesprochen und funktionsbezogen programmiert werden. Durch Berühren der Betonoberfläche oder eine Wischbewegung kann zum Beispiel das Licht an- und ausgeschaltet oder die Lautstärke der HiFi-Anlage gesteuert werden.

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Glasflächen mit SensGlass-Beschichtung Quelle: Future-Shape

SENSGLASS Mit der Beschichtung SensGlass lassen sich Glasflächen zu Sensorzwecken nutzen. Die Glasfläche besteht aus Verbundsicherheitsglas mit einer leitfähigen und hochtransparenten Beschichtung. Das Funkmodul beinhaltet einen kapazitiven Näherungssensor, der mit der leitfähigen Glasfläche verbunden ist. Nähert sich ein Körper oder Gegenstand der Glasfläche, wird ein Sensorsignal erzeugt, das per Funk weitergeleitet werden kann. In der Folge können ein Alarmsignal ausgelöst, Türen geöffnet oder Licht geschaltet werden.

LICHTFASERBETON Durch Integration lichtleitender Fasern in Betonsteine und mithilfe eines neuen Führungssystems hat das Berliner Start-up siut einen Betonwerkstoff geschaffen, bei dem die Lichtleiterfasern an jeder Seite austreten können. Die Ansteuerung von Lichtpunkten ist frei gestaltbar und an allen sichtbaren Oberflächen möglich. Durch Ansteuerung von handelsüblichen LED kann der Lichtfaserbeton für die digitale Wegeleitung genutzt werden.

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zlinn kabellose Büroleuchte dank drahtloser WiTech-Technologie Design: Dietmar Lorenz

INDUKTIVE SYSTEME Im Zusammenhang mit smarten Lösungen in Büroumgebungen oder im privaten Haushalt erhalten kabellose Systeme zur Energieübertragung immer mehr an Bedeutung. Die Ausbildung eines elektrischen Feldes nach Veränderung der magnetischen Flussdichte wird dabei als elektromagnetische Induktion verstanden.

CORIAN CHARGING SURFACE Um das drahtlose Aufladen von Smartphones oder Tablets auch in Büro-, Küchen- und Badoberflächen mit mineralischen Werkstoffen zu realisieren, hat der Chemiekonzern DuPont eine Lösung auf den Markt gebracht, die den monolithischen Charakter nicht stört: Der Transmitter für die Energieübertragung wird an einer verjüngten Stelle unter den Plattenwerkstoff geklebt. Mithilfe eines Adapterrings können dann unterschiedliche Mobilgeräte in einem bestimmten Bereich aufgeladen werden.

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FLYTE-Leuchte in Funktion Quelle: FLYTE

Mobilgerät mit Adapterring zum Aufladen mit Energie Quelle: DuPont

WITECH WIRELESS Am Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme (ENAS) wurde eine Technologie zur Energieübertragung per elektromagnetischer Induktion entwickelt, die komplette Tischflächen abdeckt und verschiedene Geräte mit Energie versorgen kann. Anders als bei sonstigen Systemen spielt die Position des mobilen Systems – etwa die Schreibtischleuchte oder der Laptop – auf der Tischfläche keine Rolle für die Energieübertragung. Die Tischflächen werden mit einer Sendereinheit ausgestattet, die aus einer Matrix verschiedener Spulen besteht. Auf der Tischplatte wird die Energieübertragung mithilfe eines aufliegenden Energieempfängers realisiert.

FLYTE Bei einer bruchsicheren LED-Leuchte eines schwedischen Start-ups aus Stockholm führen die abstoßenden Kräfte zwischen Magnetfeldern dazu, die Leuchte mit einer leichten Drehung in der Luft schweben zu lassen. Durch einfaches Berühren der Holzoberfläche kann das Licht ein- und auch wieder ausgeschaltet werden. Dabei benötigt die Leuchte keine eigene Batterie. Nach Anschluss des Holzsockels an eine konventionelle Steckdose wird die Energie per Induktion durch die Luft an das Leuchtmittel übertragen. Der Hersteller verspricht eine Lebensdauer von rund 50.000 Stunden.

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Asphaltstraße

MAGNETISIERBARE STRASSENBELÄGE

Foto: Haute Innovation

Die Anzeichen für eine Abkehr vom Verbrennungsmotor mehren sich. Wie die Zukunft der Mobilität aussehen wird, bildet sich langsam heraus. Vor allem für den innerstädtischen Verkehr und die Logistik in Ballungsgebieten wird die Elektromobilität in einigen Jahren die vorherrschende Lösung sein. Das Fehlen einer Infrastruktur zur Aufladung der Fahrzeuge stellt bislang das größte Hindernis dar. Systeme zur Integration einer drahtlosen Energieübertragung in den Straßenbelag können Abhilfe schaffen.

MAGNETISIERBARE ZEMENTBETONE Das Unternehmen Magment hat Werkstoffrezepturen für magnetisierbare Zementbetone entwickelt, die die Integration induktiver Energieübertragung ermöglichen. Zur Realisierung der magnetischen Qualitäten haben die Entwickler der Zementmatrix Ferritpartikel aus Recyclingmaterialien und Elektronikschrott beigemischt. Dabei können Anfangspermeabilitäten bis zu 60 erreicht werden, womit ein sehr breites Spektrum von elektromagnetischen Anwendungen abgedeckt werden kann. Zement als Bindemittel kommt überall dort zum Einsatz, wo eine hohe mechanische Widerstandfähigkeit mit hoher Stabilität gegenüber Umwelteinflüssen gefragt ist.

MAGNETISIERBARE ASPHALTBETONE Während Zement als Bindemittel vor allem dort verwendet wird, wo eine sehr gute Robustheit gefragt ist, wird Asphalt insbesondere aus Kostengründen in kalten Klimazonen gewählt oder zur Reduzierung von Fahrgeräuschen genutzt. Magnetisierbare Asphaltbetone auf Basis einer speziellen Bitumenmatrix können Anfangspermeabilitäten von bis zu 40 erreichen. Magnetisierbare Betone ermöglichen die drahtlose Energieübertragung sowohl für Asphaltstraßen als auch für Zufahrten und Parkplätze. Bei Leistungen bis zu 500 kW sind bereits Wirkungsgrade von über 90 % realisiert worden.

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Leuchtflächen aus einer Vielzahl von Lichtpunkten Foto: Haute Innovation

MICROLED MicroLED gelten als energieeffiziente Nachfolgetechnologie organischer Leuchtdioden OLED mit einem deutlich geringeren Energieverbrauch. Die Displaytechnologie basiert nicht auf einer einzelnen Leuchtschicht, sondern auf einer Vielzahl mikroskopisch kleiner LED, die mit den Grundfarben Rot, Grün und Blau die einzelnen Pixelelemente darstellen. Vergleichen lässt sich der Effekt mit der Farberzeugung bei alten Röhrenfernsehern, bei dem sich die eigentliche Farbinformation eines Pixels aus drei Subpixeln zusammensetzte. Im Vergleich zu konventionellen LCD-Displays bieten MicroLED-Bildschirme deutlich gesteigerte Leuchtdichten, höhere Kontrastverhältnisse und schnellere Schaltzeiten. Sie werden mit konventionellem Galliumnitrid hergestellt, was in einer 30 Mal stärkeren Helligkeit resultiert. Die Displays benötigen damit weder Farbfilter noch eine zusätzliche Hinterleuchtung, was sie flacher und leichtgewichtiger werden lässt, mit einer deutlich gesteigerten Effizienz bei der Licht- bzw. Bilderzeugung. Zudem weisen MicroLED-Displays eine größere Robustheit auf und sollen langlebiger sein. Da die einzelnen LED mikroskopisch klein sein müssen, um millionenfach auf den Trägermaterialien der Displays Platz zu finden, ist ein Durchbruch für die Technologie bislang nur in Ansätzen gelungen. Einige der großen Tech-Konzerne forschen mit großem Personaleinsatz seit einigen Jahren bereits an einer wirtschaftlichen Herstellungsmethode. Denn unter Verwendung der MicroLED-Technologie ließen sich sowohl die Akkulaufzeit verlängern als auch biegsame Displays für Faltphones realisieren.

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ELEKTROLUMINESZENZLICHTBESCHICHTUNG

Elektrolumineszierende Leuchtbeschichtung für Fassaden Quelle: Inoviscoat

Lichtemittierende Werkstoffe und Substanzen haben für Designer und Architekten seit jeher einen ganz besonderen Reiz. In Fassaden können aktiv leuchtende Oberflächen eine besondere Atmosphäre schaffen. Aufgetragen auf textile Fläche oder Holzoberflächen lassen sich leuchtende Möbel, Vorhänge oder Leuchttapeten umsetzen. Es existieren Mehrfachbeschichtungssysteme, um verschiedene Trägerstoffe mit leuchtenden Schichten auszustatten. Eine beschichtete flexible Kunststofffolie dient dabei in aller Regel als eigentliche Lichtquelle. Elektrischer Strom bringt die gesamte Folienoberfläche zum gleichmäßigen Leuchten. Auch andere Trägerstoffe wie Textilien, Papier oder sogar Metallfilme können mit den leuchtenden Schichten versehen werden. Die Beschichtung erfolgt großtechnisch im Rolle-zu-Rolle-Verfahren. Alle notwendigen funktionellen Schichten werden einzeln chemisch formuliert und im Wasser verteilt. Anschließend werden sie in einem Paket an ein Substrat herangeführt. Physikalisch gesehen handelt es sich bei dem System um einen Plattenkondensator. Strom fließt zwischen den zwei Elektroden und erzeugt ein elektrisches Feld, so dass die Pigmente in der Leuchtschicht angeregt werden. Das Licht strahlt durch das Trägersubstrat hindurch. Es sind verschiedene Farben möglich, das Licht ist dabei dimmbar. Das nur ca. 0,175 mm dünne System kann in fast jede Form zugeschnitten und auf Oberflächen appliziert werden. Wegen der großen Flexibilität können die Elektrolumineszenz-Beschichtungen auch für die Ausrüstung von Sportbekleidung, Rucksäcken und Zelten genutzt werden. Übertragen auf andere Technologiebereiche sind Lösungen im Bereich der Optik, der Sicherheitstechnik, der Pharmazie und bei Energiesystemen denkbar.

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GEDRUCKTE ELEKTRONIK

EAS-Tag zur Produktsicherung Quelle: ThinFilm

Im Internet der Dinge sollen Produkte, Systeme und Waren miteinander kommunizieren. Logistische Prozesse, Bestellungen und Lieferungen werden teilautomatisiert und innerhalb des digitalen Systems kontrolliert. In diesem Zusammenhang werden gedruckte elektronische Lösungen in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen. Vor allem wird es darum gehen, Oberflächen ohne großen Aufwand mit elektronischen Funktionen zu versehen und die Datenübertragung sicherzustellen. Zu diesem Zweck wurden in den letzten Jahren elektrisch leitfähige Druckmedien und smarte Label entwickelt, die verschiedene Funktionen übernehmen können.

ELEKTRONISCHE PRODUKTSICHERUNG Zur elektronischen Produktsicherung hat ThinFilm aus Oslo ein smartes Label auf den Markt gebracht, um die traditionelle Technologie der Electronic Article Surveillance (EAS) zu verbessern. Das Ergebnis ist eine neue Kategorie von Anti-Ladendieb-Etiketten, die leicht in Handelswaren integriert werden können und mit der weltweit verbreiteten 8,2-MHz-RF-EAS-Infrastruktur kompatibel sind.

NFC-BARCODE Um die Kommunikation von Smartphones mit Alltagsgegenständen samt gedruckter Elektronik zu gewährleisten, hat ThinFilm einen Near Field Communication-Barcode (NFC) entwickelt. Mit seiner Hilfe sind zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten im Kontakt zwischen Kunden und Unternehmen möglich, die neben der Optimierung der logistischen Prozesse auch den Service und die Kundenbindung verbessern können.

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RFID-Verpackungslabel für sensible Lebensmittel Quelle: Schreiner Prin-Tronics

RFID-SENSOREN IN DER KÜHLKETTE SENSIBLER LEBENSMITTEL Im Jahr 2017 hat das Competence Center Schreiner Prin-Tronics erstmals eine gedruckte RFID-Sensorplattform präsentiert, in der die elektronischen Funktionen eines gedruckten Verpackungslabels mit einem Temperatur- und einem Erstöffnungssensor samt NFC-Chip ausgestattet wurde. Ziel ist die Sicherung der Liefer- und Kühlketten sensibler Produkte wie zum Beispiel Lebensmittel oder Medikamente. Die aufgedruckte NFC-Antenne kann mit entsprechend ausgerüsteten Smartphones kontaktlos ausgelesen werden.

GEDRUCKTE BATTERIEN Am Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme (ENAS) wurde eine Lösung für eine gedruckte Batterie auf Basis eines Zink-Mangandioxid-Systems entwickelt, die sich mit hoher Flexibilität im Hinblick auf ihre geometrische Form, die Spannung, die Kapazität und das Gewicht auf eine Folie als Trägermaterial aufbringen lässt. Bei

Gedruckte Batterie für eine LED als Anzeigeelement Quelle: Fraunhofer ENAS

einer Dicke von weniger als 1 mm und einer Leistung von 2 mAh / cm² kann das Layout an den Anwendungsfall angepasst werden. Daher ist sie besonders für dünne und flexible Produkte geeignet. Die seriellen Verschaltungen der Batterien lassen sich in einem Arbeitsgang umsetzen, so dass Spannungen im Bereich von 1,5 bis 6 V möglich werden. Anwendungsbeispiele sind intelligente Chips, Sensor-Karten und medizinische Pflaster zur Überwachung von Körperfunktionen.

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3D-Schaltungsträger mit gedruckten Leiterbahnen Quelle: Neotech AMT GmbH

3D-gedruckter Würfel mit integrierten Schaltungen Quelle: Neotech AMT GmbH

GEDRUCKTE SENSOREN UND ANTENNEN Unter Verwendung einer patentgeschützten Technologie zur Beschichtung von Oberflächen mit leitfähigen bzw. isolierenden Pasten und Flüssigkeiten hat sich die Neotech GmbH aus Nürnberg auf die Entwicklung von Produktionsmethoden für gedruckte elektronische Anwendungen spezialisiert. Da auch additive Produktionsanlagen und 3D-Drucker zum Einsatz kommen, können elektronische Komponenten und Systeme sowohl auf ebene Flächen als auch auf komplex geformte Materialien aufgebracht werden. Zu den Anwendungsbereichen der Technologie zählen gedruckte Antennen für Mobilfunkanwendungen, integrierte Sensoren und Materialien zum Schutz und zur Verbindung sensibler Elektronik sowie auch spritzgegossene Schaltungsträger (Moulded Interconnect Devices, 3D-MID).

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LEITFÄHIGE PAPIERE UND GEDRUCKTE PAPIERELEKTRONIK Die Herstellung flexibler elektronischer Produkte ist nach wie vor sehr kostspielig. Wissenschaftler versuchen in einer ganzen Reihe von Entwicklungen entweder kostengünstige Materialien für die Elektronik zu qualifizieren oder Schaltkreise dehnbar zu machen bzw. flexibel auszulegen. Die Vision ist es, in Zukunft elektronische Schaltkreise auf unterschiedliche Substrate aufzudrucken.

LEITFÄHIGE TINTEN UND PASTEN Für gedruckte Elektronik wurden in den letzten Jahren leitfähige Polymere und Tinten entwickelt, die sich auf einfache Weise großflächig aufbringen bzw. auf Papier, Kunststofffolien, Textilien oder Glasoberflächen drucken lassen. Damit werden elektronische Komponenten wie Sensoren, Displays, RFID-Chips und Smart Labels kostengünstig herstellbar. Es gibt sogar leitfähige metallische Tinten für Füllfederhalter, die so viel Energie transportieren, dass Leuchtdioden mit Strom versorgt werden können. Die Tinte beinhaltet winzig kleine versilberte Kupferblättchen, die sich beim Trocknen in Schichten übereinanderlegen.

CIRQUIDS – LOWTECH-LED-DISPLAY AUS PAPIER Unter dem Namen „Cirquids“ hat die Designerin Dorothee Clasen einen Prozess für die Herstellung von Low-Tech-Displays auf Papier entwickelt, bei dem sie auf die Verwendung spezieller Chemikalien zum Ätzen verzichtet. Stattdessen kommen Wachs, Salz und Wasser zum Einsatz. Mit diesen einfachen Elementen ist es der Designerin gelungen, mit geringem Aufwand Papier leitbar zu machen. Es werden Negativformen der Leiterbahnen im Papier definiert, die erst beim Kontakt mit dem Salzwasser leitfähig werden. Der Schaltkreis des Printed Circuit Board (PCB) wird erst durch das Anfeuchten des Papiers geschlossen und seine Leitfähigkeit nimmt mit der Zeit ab. Zwei Schichten von Papier-Schaltungen werden übereinandergedruckt und unerLowtech-LED-Display aus Papier Quelle: Dorothee Clasen

wünschte Berührungspunkte mit Wachs voneinander isoliert. Um das Papier vor Schäden zu schützen, wird es zusätzlich laminiert. Im Anschluss können LED-Pins direkt in das Papier gesteckt werden.

Touch-sensitives Papier Quelle: Dorothee Clasen

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Kohpa-Karbonfaserpapier Quelle: RESO Oberflächentechnik

Lampe „le pli“ aus gefaltetem Kohpa-Karbonfaserpapier Quelle: RESO Oberflächentechnik; Design: Sascha dos Santos, Tilmann Studinsky

Kohpa-Karbonfaserpapier Quelle: RESO Oberflächentechnik

KOHPA-KARBONFASERPAPIER Neben der Beschichtung eines Substrats mit einer leitfähigen Paste oder Tinte lassen sich Papiere auch durch Integration von Karbonfasern bei der Vliesherstellung elektrisch leitfähig ausstatten. Dazu wurde das sogenannte Wet-Laid-Verfahren so weit optimiert, dass sich ein Papier aus einer homogenen Verteilung von Karbon- und Zellulosefasern erzeugen lässt. Die Karbonfasern werden aus harzgebundenen CFK-Strukturen durch thermo-chemische Spaltung (Pyrolyse) recycelt. Die Papierfasern stammen aus der Abfallwirtschaft. Kohpa-Karbonfaserpapier ist elektrisch leitfähig. Auch der Einsatz als Flächenheizung ist möglich, da bei Anlegen einer Niederstromspannung Temperaturen von mehr als 100 °C erreicht werden können. Karbonfaserpapier lässt sich zur Abschirmung elektromagnetischer Strahlung auf andere Materialien kaschieren und kann wie ein textiler Stoff verarbeitet werden.

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Leuchteeffekt der ionischen Gelbeschichtung Quelle: South China University of Technology

IONISCHE GELBESCHICHTUNG Im Jahr 2017 haben Forscher der South China University of Technology erstmals von einem kostengünstig herstellbaren, leitfähigen Papier unter dem Einsatz einer Beschichtung aus einem ionischen Gel berichtet. Bei einem Preis von gut einem Euro pro Quadratmeter würde die flexible Elektronik eine industrielle Herstellung, zum Beispiel für aufrollbare Screens oder leuchtende Tapeten, in großem Stil möglich machen. Die Leitfähigkeit des Papiers geht auf frei bewegliche, geladene Ionen zurück, die sich in dem ionischen Gel bewegen können. Nach Anlegen einer Spannung leuchtet das Papier in einem schimmernden Blauton. Bislang hat das mit dem Gel bedruckte Papier Beanspruchungen von über 5.000 Biegezyklen standgehalten. Die Haltbarkeit ist mit zwei Monaten ausbaufähig.

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DEHNBARE SCHALTUNGEN FÜR WEARABLES

Strumpf mit dehnbaren dielektrischem Sensor als Wundschutz für Diabetiker Quelle: Fraunhofer ISC

Unter dem Begriff „Wearables“ hat sich in den letzten Jahren ein Technologiebereich etabliert, mit dem elektronische Systeme vom Nutzer ohne großen Aufwand am Körper getragen bzw. in die Kleidung integriert werden können. Um den Tragekomfort zu erhöhen, ist es für die Realisierung von TechFashion notwendig, dass die elektronischen Komponenten flexibel und dehnbar ausgelegt sind.

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DEHNBARE ELEKTRONIK MIT FLÜSSIGEM METALL An der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) haben Forscher 2016 Leiterbahnen vorgestellt, die sich bis auf das Vierfache ihrer Länge dehnen und in alle Richtungen biegen lassen. Die Leiterbahnen bestehen aus einem elastischen Polymer, in das eine Legierung aus Gold und Gallium eingebettet wird. Gallium wurde aufgrund seines sehr niedrigen Schmelzpunkts von etwa 30 °C gewählt. Durch das Phänomen der Unterkühlung bleibt die Legierungskomponente auch bei niedrigeren Temperaturen flüssig. Das Gold bewirkt, dass sich Gallium beim Kontakt mit dem Kunststoff nicht zu Tropfen zusammenzieht und die Leiterbahn nicht unterbrochen wird. Von der Technologie versprechen sich die Wissenschaftler, Schaltungen in smarte Kleidung zu integrieren bzw. direkt auf die Haut aufzubringen. Die Leiterbahnen können eine Breite von wenigen Hundert Nanometer klein sein.

DEHNBARER SENSOR Eine interessante Entwicklung zu einem dehnbaren Sensor kommt von Danfoss aus den Niederlanden. Hier wurde ein dielektrisches Elastomer entwickelt, das aus einem Silikonfilm und einer Silberbeschichtung besteht. Wird der Film gedehnt, verändert sich die Ladungskapazität und physikalische Veränderungen wie Druck oder Dehnung lassen sich erfassen. An ähnlichen Systemen wird auch am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC) in Würzburg geforscht.

HYBRID-3D-DRUCK FÜR DEHNBARE SCHALTUNGEN Wissenschaftler des Wyss Institute der Harvard University haben einen 3D-Druckprozess entwickelt, mit dem sich dehnbare Schaltungen auf textilen Stoffen aufdrucken lassen. Das Druckmaterial besteht aus einem thermoplastischen Polyurethan, in das Silberpartikel integriert sind. Im Rahmen des additiven Produktionsprozesses werden nach dem Aufbringen der Polyurethan-Leiterbahnen mithilfe eines Vakuum-Druckkopfes die elektronischen Schaltungen aufgebracht, die dann eine Dehnung um mehr als 30 % bei voller Funktion erlauben. Zur Demonstration der Funktionsfähigkeit wurden dehnbare Sensoren erfolgreich in Schuhe sowie in die Ärmel von Oberbekleidung integriert.

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Elektrisch leitfähige Farbe trocknet bei Raumtemperatur und ist ungiftig. Quelle: Bare Conductive

GEDRUCKTE ELEKTRONIK AUF MENSCHLICHER HAUT Die Möglichkeiten der Umsetzung elektrischer Schaltkreise und für den Einsatz elektrischer Komponenten sind enorm und machen auch vor der menschlichen Haut keinen Halt. So wurden leitfähige, pastöse Massen entwickelt, die ein Arbeiten mit einfachen elektrischen Systemen auf dem menschlichen Körper möglich machen.

BARE CONDUCTIVE – ELECTRIC PAINT Der am Royal College of Art in London entwickelte Bare Pen enthält die weltweit erste nicht giftige, elektrisch leitfähige Farbe, die wie ein Glitzerkleber aufgebracht werden kann. Mit der Farbe lassen sich elektrische Schaltkreise auf fast jede Oberfläche aufbringen und zum Beispiel Papier, Holz oder Textilien mit elektronischen Systemen bestücken. Neben der Stiftform wird die leitfähige Farbe auch in Tuben, Dosen und Schraubgläsern vertrieben. Da die Farbe ungiftig ist, kann sie auch auf die Haut aufgetragen werden. Der Hersteller weist aber ausdrücklich darauf hin, dass es sich um kein kosmetisch zugelassenes Produkt handelt. Die Farbe trocknet bei Raumtemperatur und kann mit Seife und Wasser entfernt werden. Neben dem Zubehör zur Erzeugung von Leuchtsystemen hat der Hersteller seit 2018 auch druckbare Sensoren im Programm.

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DuoSkin als Interface-Tattoo auf der Haut Quelle: MIT Media Lab; Foto: Jimmy Day

INTERFACE-TATTOO Wissenschaftler am MIT haben ein abziehbares Tattoo entwickelt, mit dem Mobilgeräte wie Smartphones oder Ipads angesteuert werden können. Unter dem Namen „DuoSkin“ haben die Forscher ein Herstellungsverfahren kreiert, das die Umsetzung individueller und funktionaler Tattoos möglich macht. Anders als herkömmliche Wearables werden die Flächen ähnlich wie bei Abzieh-Tattoos direkt auf die Haut geklebt. Es gibt sie in Silber- oder Goldoptik. Auch eine Kombination mit integriertem LED ist Digitale Haut als Schmuck mit Beleuchtung Quelle: MIT Media Lab; Foto: Jimmy Day

möglich und sorgt für ungewöhnliche Gestaltungen. Als Basismaterial werden hauchdünne Blattgoldfolien verwendet. Sie sind günstig, hautverträglich und robust genug, dem täglichen Gebrauch standzuhalten. Für die Übertragung der Steuersignale nutzen die Forscher eine Arduino-Platine, die mit der Tätowierung über dünne Drähte verbunden ist.

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Gestrickter textiler Aktuator enthält elektrische und mechanische Kontakte aus Kupferband. Quelle: Thor Balkhed / Linköping University

GEWEBTER TEXTILMUSKEL MIT ELEKTROAKTIVEN MATERIALIEN Forscher der Universitäten Linköping und Borås in Schweden haben Kleidung entwickelt, die den Bewegungsapparat des Trägers positiv unterstützen kann. Der Effekt geht auf ein Textil zurück, das auf minimale elektrische Impulse reagiert und sich wie ein Muskel zusammenzieht und entspannt. Vision der Wissenschaftler ist es, in Zukunft die Alltagsbewältigung gehandikapter Personen mit den gewebten Muskeln zu erleichtern.

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Gewebtes textiles Exoskelett unterstützt Muskelbewegungen. Quelle: Thor Balkhed / Linköping University

Infolge des technischen Fortschritts in der Robotertechnik kam es in den letzten Jahren vor allem in der Medizin zu einer Vielzahl hochinnovativer Anwendungsentwicklungen. So gelang es Medizinern bereits, Patienten mit partiellen Lähmungen unterhalb der Hüfte durch Einsatz von Exoskeletten wieder zum Laufen zu verhelfen. In Schweden sehen die Forscher jedoch die Nachteile dieser dem Insektenpanzer nachempfundenen Technik in den unnatürlichen und starren Bewegungsabläufen, der massiven Erscheinung sowie den enormen Produktionskosten. Ihr Ansatz ist es, ein flexibles Exoskelett aus textilen Materialien zu entwickeln, das Patienten zukünftig unter ihrer normalen Kleidung tragen können. Die Basis der Innovation bildet ein Zellulosegarn, das mit Polypyrrol ummantelt wird. Dabei handelt es sich um einen flexiblen und gleichzeitig elektroaktiven Kunststoff. Wird das Garn mit niedriger elektrischer Spannung stimuliert, nimmt die Länge sowie das Volumen zu. Durch unterschiedliche Webtechniken können die Eigenschaften gesteuert und verschiedene Muskelpartien nachempfunden werden. Werden die Fasern parallel zueinander angeordnet, ist es sogar möglich, kleinere Gewichte anzuheben. Einen weiteren Vorteil der Faserveredlung sehen die Wissenschaftler in den niedrigen Produktionskosten. Durch die Nutzung bereits vorhandener Fertigungsanlagen können die textilen Muskeln in Masse hergestellt werden. Es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Sportbekleidungshersteller die Technologie aufgreifen werden. Vielleicht gibt es bei sportlichen Wettkämpfen dann in Zukunft eine Dopingregel, die das Tragen der „Supertextilien“ untersagt.

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Greiftechnologie für Roboter mit elektrostatischen Fingerspitzen Foto: EPFL / Alain Herzog

GREIFERSYSTEM DURCH ELEKTROADHÄSION Unter Elektroadhäsion wird ein elektrostatischer Effekt zwischen zwei Oberflächen verstanden, der eine temporäre Haftung unter Anlegen einer elektrischen Spannung bewirkt. Er wird im Kontext der Robotik in letzter Zeit für eine Vielzahl von Entwicklungen genutzt. An der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) haben Wissenschaftler im Jahr 2016 ein Greifsystem aus dehnbarem Silikon entwickelt, das sich an die Konturen unterschiedlicher Objekte anpasst und durch Elektroadhäsion in der Lage ist, selbst fragile Dinge sicher anzuheben und zu bewegen. Vergleichbar der Präzision von Zeigefinger und Daumen umfassen die beiden flügelartigen Enden des Systems flexibel jegliche Kontur eines Objekts. Die Flügel bestehen aus fünf unterschiedlichen Materiallagen, einer vorgespannten Elastomerschicht zwischen zwei Elektroden und Deckschichten aus Silikon. Im Ruhezustand sind die beiden Enden leicht nach oben gerollt. Wird eine Spannung angelegt, bilden sich in den Elektroden Kräfte aus, die die Flügelenden in der Form eines künstlichen Muskels zum Objekt hin entrollen. An den Spitzen entstehen elektrostatische Felder, die das Objekt per Elektroadhäsion erfassen. Das Greifersystem kann auf diese Weise bis zum 100-Fachen seines Eigengewichts transportieren und sich an unterschiedliche Objektformen anpassen. Es können Folien und auch Papier transportiert werden ebenso wie Lebensmittel, etwa ein rohes Ei. Nach Ausschalten der elektrischen Spannung lassen sich die transportierten Objekte vom Greifersystem rückstandslos entfernen.

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SMART DUST

RFID-Chip neben einem menschlichen Haar Quelle: Hitachi

Das Thema „Smart Dust“ gilt als ein zukunftsweisendes Technologiefeld, in dem für die nächsten Jahre große Innovationssprünge und Anwendungspotenziale erwartet werden. Unter dem Begriff werden Systeme winzig kleiner Partikel mit intelligenten Materialien, Sensoren und Mikroprozessoren verstanden, die in der Umgebung kaum auffallen und wertvolle Funktionen übernehmen können. Die „intelligenten Staubkörner“ würden die Errungenschaften der künstlichen Intelligenz, der Robotik und der Nanotechnologie mit den Ideen des Internet der Dinge verknüpfen. Ausgestattet mit steuerbaren Spiegeln und einer autarken Stromversorgung könnten Smart-Dust-Partikel optische Signale und somit Daten übertragen. Erweitert um Mikrosensoren, ließen sich Sensornetzwerke für gefährliche Umgebungen aufbauen, um zum Beispiel Daten wie Temperatur- oder Druckunterschiede in Produktionssituationen, bei Katastrophenszenarien wie Waldbränden oder für medizinische Zwecke zu ermitteln und per Funk zu übermitteln.

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Michigan Micro Mote MiniComputer Quelle: University of Michigan; Foto: Martin Vloet

Einige Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten in den letzten Jahren intensiv an den ersten Smart-Dust-Lösungen. Kleinstsensorsysteme befinden sich zum Beispiel bereits bei der Aufnahme der Druckunterschiede im Gehirn nach Kopfverletzungen oder der Überwachung des Augeninnendrucks bei Glaukom-Patienten im Teststadium. Hitachi hat einen mit Komponenten der Mikrosystemtechnik (MEMS) ausgestatteten Chip mit Kantenlängen von 0,3 mm vorgestellt, der versehen mit passiven RFID-Tags für die Kennzeichnung und Verfolgung von Waren, Systemen und Lebewesen Verwendung finden kann. Die University of Michigan arbeitet unter dem Namen „Michigan Micro Mote“ an Mini-Computern, die weniger als 0,5 cm lang sind. Eine Lösung mit den Maßen 2 × 4 × 4 mm ist als kleinster Computer der Welt im Computer History Museum in Kalifornien zu sehen.

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6 ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN Bereits seit einigen Jahren verzeichnet der Markt rund um die additive Produktion ein enormes Wachstum und ist jährlich im Schnitt zwischen 25 und 30 % gestiegen. Die Gründe liegen zum einen im Auslaufen einiger patentrechtlicher Schutzrechte für wichtige Verfahrensprinzipien wie den Filamentdruck im Jahr 2009 oder das Lasersintern im Jahr 2014. Zum anderen können die Vorteile additiver Fertigungsverfahren in immer mehr Industrien vorteilhaft genutzt werden: Die aufbauenden Produktions3D-Druck mit biobasiertem Druckmaterial Quelle: BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

prinzipien bieten in Kombination mit der Digitalisierung von Entwurf, Einkauf und Logistik enorme Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Produktion bis hin zur Ausrichtung der Fertigung auf die Losgröße 1. So treten additive Fertigungsverfahren immer häufiger in Konkurrenz zu konventionellen Produktionstechniken wie Feingießen, Drehen oder Fräsen. Sie ersetzen in einigen Produktfeldern sogar die bislang etablierten Verfahren und haben einen disruptiven Charakter. Vor allem für selbstproduzierende Designer und Start-ups mit innovativen Geschäftsideen, in denen das System von Handel, Produktion und Logistik neu gedacht wird, bieten sich durch Kombination additiver Produktion und digitaler Vernetzung andere Wertschöpfungspotenziale, die der Produktidee, dem Design und der Konstruktion eine größere Bedeutung verleihen: Mit 3D-Druckern lassen sich Produktgeometrien

3D-gedruckter Leuchtenschirm IDA aus einem Holzfilament Design: rutan GmbH

auch mit komplexen Geometrien, Hinterschneidungen und Hohlräumen bis hin zu beweglichen Komponenten realisieren, die auf konventionellem Weg nicht umsetzbar wären.

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Durch Erweiterung der Einsatzfelder der additiven Produktion und der zahlreichen auf dem Markt verfügbaren 3D-Drucker werden aktuell auch die umsetzbaren Materialien und Werkstoffkombinationen enorm erweitert. Mittlerweile sind 3D-DruckfilaWeltweit erster 3Dgedruckter Freischwinger Cellular Loop Design: Anke Bernotat

mente auf Basis von Naturstoffen wie Algen, Lignin oder Holzfasern ebenso auf dem Markt erhältlich wie solche mit smarten Qualitäten wie zum Beispiel nachleuchtende Eigenschaften oder die Fähigkeit zur Retroreflektion. Die additive Herstellung von Glas ist ebenso möglich wie die additive Umsetzung von Bauteilen und Dichtungen aus Silikon, was bis vor einigen Jahren noch unmöglich zu sein schien. Der erfolgreiche 3D-Druck elektrischer Schaltungen und von Dauermagneten wird das Einsatzpotenzial insbesondere im Elektronikbereich erweitern. Mit neuen Materialentwicklungen erfahren additive Produktionsverfahren derzeit ihren Einzug in die Architektur, in den Modebereich und den Möbelbau. Der weltweit erste 3D-gedruckte Freischwinger „Cellular Loop“ wurde von der Designerin Anke Bernotat gestaltet. Entwicklungen von Anlagen durch Designer haben die Möglichkeiten für die

3D Housing 05 – Badezimmer im ersten 3D-gedruckten Gebäude Europas Foto: Haute Innovation

Möbelfertigung enorm erweitert. Dies trifft vor allem auch auf den Bereich der Architektur zu, wo derzeit die ersten Entwicklungserfolge auch in Europa sichtbar werden, nachdem erste 3D-gedruckte Gebäude aus China und dem Nahen Osten bekannt wurden. Die erste 3D-gedruckte Betonbrücke wurde in Spanien umgesetzt, auf der Piazza Cesare Beccaria in Mailand war im April 2018 das erste gedruckte Gebäude Europas zu bewundern. Die erfolgreiche additive Umsetzung einer Metallbrücke in Amsterdam ist für 2019 angekündigt. Und die Entwicklungen zum 4D-Printing für formveränderliche Produktgeometrien stammen in der Hauptsache von Architekten und Designern des MIT Media Labs in den USA. Wissenschaftler aus Stuttgart erweitern derzeit das Anwendungspotenzial für das 4D-Drucken um Einsatzmöglichkeiten im Fassadenbau. Im Lebensmittelbereich haben Ansätze zur Verwendung von Food-Printern Einzug in die Erlebnisgastronomie

4D-gedrucktes Modell für eine formveränderliche Fassadenstruktur Quelle: ICD / Universität Stuttgart

erhalten. Die Möglichkeit, 3D-Drucker für die Umsetzung von Lebensmitteln mit einer personalisierten Zusammensetzung des Nährstoffgehalts zu nutzen, wird derzeit im medizinischen Bereich diskutiert.

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3D-Druck mit BioFila Silk Quelle: twoBEars

BIOBASIERTE DRUCKMATERIALIEN Lange Jahre waren die für den Extrusionsdruck zur Verfügung stehenden Materialien auf wenige thermoplastische Kunststoffe begrenzt. Die zunehmende Orientierung der Industrie an natürlichen und biobasierten Materialien macht auch vor der additiven Fertigung keinen Halt. Diese Entwicklung ist sowohl beim Druckmaterial als auch bei den Verstärkungsfasern bzw. -partikeln zu erkennen. So hat sich der Biokunststoff Polylactid (PLA) in den letzten Jahren als neues Standardmaterial entwickelt. Andere Entwicklungen betreffen die Verwendung biobasierter Fasermaterialien wie Holz und Hanf oder haben die biologische Abbaubarkeit zum Ziel.

LIGNINFILAMENT So hat das deutsche Start-up-Unternehmen twoBEars als eines der ersten Unternehmen das Filament BioFila für den 3D-Druck auf den Markt gebracht, das biologisch abbaubar ist. Bei der Herstellung vermeidet das Unternehmen den Einsatz von Polymeren, die aus der Nahrungsmittelkette stammen. Die Filamente werden auf Basis des thermoplastischen Lignins hergestellt und sind seit April 2014 erhältlich. Durch Variieren der Drucktemperatur kann die Oberflächenstruktur verändert werden.

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LayWood-Holzfilament Foto: Haute Innovation

Gedruckte GrowLayStrukturen mit Bepflanzung Quelle: Kai Parthy

HOLZFILAMENT Eine der ersten Entwicklungen zur Verwendung natürlicher Fasermaterialien kommt von Kai Parthy aus Köln. Er hat unter dem Namen „LayWood“ ein Holzfilament auf den Markt gebracht, das zu 40 % aus Holzfasern sowie aus einem thermoplastischen Kunststoff als Bindemittel besteht. Nach dem Druck entströmt den Bauteilen ein holzähnlicher Geruch, sie weisen eine grobe Haptik auf. Unter Beeinflussung der Temperatur am Extrusionskopf können sogar unterschiedliche Farben erzielt werden (hell bei 175 °C, dunkel bei 250 °C), um die Reproduktion von Jahresringen zu ermöglichen. Im Herbst 2018 hat Parthy unter dem Namen „GrowLay“ ein biobasiertes Druckmaterial veröffentlicht, das Wasser einlagern kann, sich zur Bepflanzung eignet und biologisch abbaubar ist.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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Macadamia-Nüsse Quelle: University of Sydney

ALGENFILAMENT Als einer der ersten Hersteller hat Algix aus den USA ein Filament auf den Markt gebracht, das zu rund 20 % aus Algenbiomasse zur Verstärkung und PLA als Matrixmaterial besteht. Das 3D-Algenfilament hat eine Dicke von 2,895 mm und wird bei Temperaturen zwischen 175 und 190 °C verdruckt. Unter der Marke Solaplast bietet das Unternehmen außerdem thermoformbare Hybridmaterialien auf Basis von Polyethylen (PE), Ethyl-Vinyl-Acetat (EVA) und den Biokunststoffen Polyhydroxyalkanoate (PHA) und Thermoplastischer Stärke (TPS) an.

DRUCKMATERIAL MIT MACADAMIA-PARTIKELN Fruchtschalen haben sich in der Natur entwickelt, um dem wertvollen Kern einen schützenden Rahmen zu geben. Vor allem die Schalen von Nüssen weisen sehr gute mechanische Eigenschaften auf, was sie für eine Nutzung als Zusatz für Kunststoffe prädestiniert. Forscher der University of Sydney arbeiten seit 2016 daran, Partikel der Macadamia-Nuss in ein Druckfilament zu integrieren und für die additive Möbelfertigung mit holzähnlicher Anmutung zu nutzen.

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Großdruck einer Turbinenschaufel aus einem Zellulosematerial Quelle: Singapore University of Technology and Design; Foto: Stylianos Dritsas, J. G. Fermart

3D-gedruckte Turbinenschaufel im Detail Quelle: Singapore University of Technology and Design; Foto: Stylianos Dritsas, J. G. Fermart

PNEUMATIC BIOMATERIALS DEPOSITION Um besonders große naturnahe Strukturen nachahmen zu können, wurde am MIT 2015 ein Druckkopf für flüssige Medien vorgestellt, der mit einem Roboterarm bewegt werden kann. Mit sechs verschiedenen Extruderköpfen kann gleichzeitig Material aufgetragen werden. Die Mischung aus Wasser, Zellulose, Hydrogel und dem Biopolymer Chitosan verleiht dem Druck nach dem Trocknen bzw. Aushärten eine hinreichende Stabilität.

ZELLULOSEDRUCK MIT PILZKLEBSTOFF Wissenschaftlern der Singapore University of Technology and Design ist es Mitte 2018 gelungen, eine Turbinenschaufel für Wasserkraftwerke aus einem eigens entwickelten Zellulosematerial zu drucken. Dabei kam weder ein metallisches Material noch ein Kunststoff zur Anwendung. Um die Stabilität zu gewährleisten, griffen die Forscher auf einen Mikroorganismus zurück, der die losen Zellulosefasern miteinander verbindet. Inspiration fanden die Entwickler bei den pilzähnlichen Oomyzeten, auch Eipilze genannt: winzige Mikroorganismen, die im Erscheinungsbild an echte Pilze bzw. Myzelfäden erinnern. Angeregt wird das Wachstum durch Zugabe geringer Mengen einer sauren Lösung. Da weder erdölbasierte noch andere umweltunverträgliche Klebstoffe verwendet werden, kann das Material in den biologischen Materialkreislauf zurückgeführt werden.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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3D-GLASDRUCKEN Der Designer Markus Kayser zeigte mit seiner Solar-Sinteranlage bereits im Jahr 2011 auf eindrucksvolle Weise, wie sich Sandkörner unter Einfluss gebündelter Sonnenstrahlen Schicht für Schicht in Objekte aus Glas verwandeln. Da die einzelnen Körner aufgeschmolzen und miteinander versintert wurden, war die Oberfläche der Formteile jedoch rau und matt. Seitdem arbeiten Forscher an generativen Produktionsprozessen zur Schaffung glasartiger Objekte mit der typischen kristallartigen Brillanz und Lichtdurchlässigkeit.

3D GLASS PRINTING Eine herausragende Forschungsarbeit zur additiven Verarbeitung von Glasmassen gelang Ende 2015 der Mediated Matter Group des MIT. Das 3D Glass Printing (3DGP) funktioniert im Ansatz ähnlich wie der Filament-3D-Druck. Dabei wird jedoch keine Kunststoffmasse aufgeschmolzen, sondern Glas auf eine Temperatur über 1.000 °C erhitzt, dass eine zähflüssige Schmelze entsteht. Das Entwicklerteam hat einen Extruder in einen Ofen integriert, der die Aufnahme und Verarbeitung der Glasmasse ermöglicht. Ergebnis war eine Kollektion ausdrucksstarker Schalen und Vasen mit beeindruckender Lichtreflexion.

MICRON3DP Den ersten 3D-Drucker zur additiven Erzeugung hochkomplexer Bauteile aus Glas brachte Anfang 2017 das israelische Unternehmen MICRON3DP auf den Markt. Die Anlage ist in der Lage, das temperatur- und chemikalienbeständige Borosilikatglas des Glasspezialisten Schott in Temperaturen zwischen 850 °C (zähflüssiges Glas) und 1.640 °C (flüssiges Glas) additiv zu verarbeiten. Die Ergebnisse beeindrucken durch ihre hohe Detailtreue und die geringe Schichtstärke.

KUNSTHARZ MIT NANOPARTIKELN AUS QUARZGLAS Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurde ein Stereolithographie-Prozess unter Verwendung eines flüssigen Kunstharzes vorgestellt, das Nanopartikel von hochreinem Quarzglas enthält. Das Harz wird durch Licht schichtweise ausgehärtet. Unbelichtetes Material kann mit einem Lösungsmittel vom Bauteil entfernt, der im Bauraum verbliebene Rest des flüssigen Druckmaterials noch erneut verwendet werden. Im Anschluss an den Druckvorgang wird das Harz in einer sich anschließenden Wärmebehandlung ausgetrieben, das Bauteil entsteht durch Sintern der Glaspartikel.

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3D-gedruckte Glasbauteile Quelle: Karlsruher Institut für Technologie KIT

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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Additives Glasdruckverfahren Okkasion Quelle: UdK Berlin

DRUCKPASTEN MIT SILIKA-PARTIKELN Um Glasbauteile auch bei niedriger Temperatur additiv erzeugen zu können, wurde am Lawrence Livermore National Laboratory in den USA ein neues Verfahren entwickelt: Für den 3D-Druck von sogenannter kompositorischer Glasoptik haben die beiden Wissenschaftler breiartige Druckpasten mit Silika-Partikeln konzipiert, die sich als konzentrierte Suspensionen mit steuerbaren Fließeigenschaften bei Raumtemperatur im Direct Ink Writing verarbeiten lassen. Die Druckteile waren zwar zunächst undurchsichtig, jedoch sorgte die Verarbeitung bei Raumtemperatur für die notwendige Detailgenauigkeit. Die Transparenz wurde in einer sich anschließenden Wärmebehandlung erreicht.

OKKASION An der Universität der Künste (UdK) in Berlin wurde eine Prozesskette basierend auf einer Materialmischung aus Altglas und einem Trägermaterial entwickelt, um Glas in einem additiven 3D-Druckverfahren zu erzeugen. Das Trägermaterial wird nach dem Druck in einem Ofenprozess bei 900 °C ausgebrannt. Die Altglaspartikel versintern miteinander und bilden ein Glasbauteil.

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3D-gedruckte Silikonteile

SILIKON-DRUCK

Quelle: ACEO, Wacker Chemie

Bislang auf dem Markt erhältliche Kunststoffe für Extrusionstechniken und das Lasersintern schmelzen unter Zuführung von Wärme. Dies war wegen der hohen Viskosität von Silikon bislang für dieses Material nicht realisierbar. Im Jahr 2016 hat der Chemiekonzern Wacker erstmals eine Technologie für den schichtweisen Aufbau von Bauteilen aus Silikonelastomeren vorgestellt. Dabei wird das Material mit einem Druckerkopf auf eine Bauplattform tröpfchenweise aufgetraAdditiv erzeugtes Schlauchelement aus einem Silikonelastomer Quelle: ACEO, Wacker Chemie

gen und anschließend unter UV-Strahlung vulkanisiert. Die Rezepturen sind dabei so weit entwickelt, dass die Silikontröpfchen erst zusammenfließen und dann der Vernetzungsprozess beginnt. Schicht für Schicht entstehen homogene Bauteilgeometrien mit glatten Oberflächen, die vergleichbare technische Eigenschaften zeigen wie Standardsilikonteile aus dem Spritzguss. Die Festigkeiten erreichen 90 bis 100 % der Werte konventioneller Verfahren, je nach X-, Y-, Z-Richtung. Zur Umsetzung von Hohlräumen und Überhängen können wasserlösliche Stützmaterialien genutzt werden. Zur Verarbeitung des Materials haben die Wacker-Entwickler eine Anlage mit einem 3D-geführten Druckkopf samt Steuerungssoftware entwickelt, um das feine Portionieren und den schichtweisen Auftrag zu realisieren. Der Drucker ermöglicht hochpräzise Strukturen und arbeitet mit einer Voxelgröße von 0,4 mm. Das 3D-Drucken mit Silikon wird für Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt, in der Automobilindustrie und für elektro-optische Produkte ermöglicht und ist auch für individualisierte Produktanwendungen im Sport- und Medizinbereich gedacht. Konkrete Anwendungsbeispiele sind Ersatzteile für optische Geräte, Kleinteile in der Prothetik oder auf persönliche Eigenheiten abgestimmte Laufschuhe und Einlegesohlen. Wacker Chemie hat im Herbst 2018 ein elektrisch leitfähiges Elastomersilikon für die additive Fertigung vorgestellt. Unter dem Namen „Spectroplast“ ist im Sommer 2018 ein weiterer Anbieter für druckfähige, elastomere Silikone hinzugekommen. Die Ausgründung der ETH Zürich hat einen Prozess entwickelt, um auf Basis handelsüblicher Silikone Werkstoffe für die additive Herstellung von Bauteilen für medizintechnische Anwendungen umzusetzen.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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DRUCKMATERIALIEN FÜR DIE MEDIZIN

PEEK-Hochleistungspolymer für Implantate Quelle: Apium Additive Technologies

Additive Produktionsprozesse ersetzen in der Medizin immer häufiger konventionelle Fertigungsverfahren für individuelle Bauteilgeometrien wie etwa Hörgeräte, Prothesen oder Zahnersatz. Als Bioprinting hat sich ein neues Anwendungsgebiet für die generativen Fertigungsverfahren entwickelt, die mit Techniken des Tissue Engineering menschliches bzw. tierisches Gewebe von zuvor gezüchteten Zellen in einer Biotinte herstellen können. Mediziner setzen in das Bioprinting große Hoffnung: Auf lange Sicht scheint der 3D-Druck menschlichen Gewebes, etwa von Hautpartien zur Behandlung von Brandverletzungen, ebenso möglich wie die additive Erzeugung ganzer Organe und die generative Produktion von Blutgefäßen.

BIOKERAMIKEN FÜR 3D-GEDRUCKTE KNOCHEN An der Philipps-Universität Marburg erforscht die Zahnmedizinerin Christine KnabeDucheyne seit 2011 neue Biokeramiken für die additive Fertigung, die sie für den Aufbau kollabierter Kieferknochen einsetzt, um den Aufbau der körpereigenen Knochenstruktur zum Wachstum zu animieren. Der sogenannte Scaffold kann dabei mit Knochenzellen und Wachstumshormonen angereichert werden und auch MikroBlutgefäße enthalten.

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POLYETHERETHERKETON-FILAMENT Apium Additive Technologies aus Karlsruhe hat einen 3D-Filamentdrucker vorgestellt, mit dem Hochleistungspolymere wie Polyetheretherketon (PEEK) für medizinische und industrielle Anwendungen additiv verarbeitet werden können. Aufgrund der besonderen Materialqualitäten war dies bislang lediglich in Ansätzen möglich. Neben dem Drucker und dem PEEK-Filament hat Apium Additive Technologies auch eine Filamentlösung mit Kohlenstofffasern auf den Markt gebracht. Damit ist der Filamentdruck auch in Gleitanwendungen im Maschinenbau nutzbar.

3D-DRUCK VON ZELLULOSE-NANOFIBRILLEN Reine Zellulose ist besonders wichtig für medizinische Anwendungen, da sie biokompatibel ist und in aller Regel keine allergischen Reaktionen im menschlichen Körper 3D-gedruckter Scaffold Quelle: Prof. Christine KnabeDucheyne

hervorruft. Forschern der Chalmers University of Technology aus Göteborg ist es mit einem Bioprinter Ende 2015 erstmals gelungen, ein Objekt aus reiner Zellulose additiv zu erzeugen. Dies war bislang nicht möglich, da sich Zellulose unter Wärmeeinfluss nicht verflüssigen lässt. Um dennoch eine druckfähige Masse zu erzeugen, mischte das Forscherteam Zellulose-Nanofibrillen mit Hydrogel, das zu 95 bis 99 % aus Wasser besteht. Dieses konnte in einem Bioprinter verdruckt werden. Das Wasser wurde im Anschluss an den Druckprozess in einem besonderen Vorgang des Gefriertrocknens in mehreren Prozessschritten wieder entzogen.

3D-DRUCK MIT SEIDENPROTEINEN In Südkorea haben Wissenschaftler erfolgreich ein 3D-Druckverfahren für Seidenproteine zur Herstellung medizinischer Implantate entwickelt. Als Naturprodukt weist Seide eine außerordentliche Reißfestigkeit bei gleichzeitig hoher Elastizität auf. Die Wissenschaft ist mittlerweile so weit, Seidenproteine biotechnologisch zu erzeugen. Der additive Herstellungsprozess würde den Einsatz individualisierbarer und biokompatibler Strukturen aus Seide enorm vereinfachen.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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ADDITIVE FERTIGUNG IM DREIDIMENSIONALEN RAUM

3D-Druck auf aufblasbaren Strukturen Quelle: Fergal Coulter

Herzstück additiver Produktionsmethoden wie des 3D-Druckens, des Lasersinterns oder des Fused-Deposition-Modeling-(FDM)-Verfahrens ist das schichtweise Auftragsprinzip. Produktgeometrien werden datentechnisch in einzelne Scheiben geschnitten, der Materialauftrag erfolgt dann Schicht für Schicht in der Regel auf einer Bauplattform. Derzeit wird versucht, die Verfahren auch für den Materialauftrag auf gekrümmten Flächen bzw. im dreidimensionalen Raum zu qualifizieren.

3D-DRUCK AUFBLASBARER STRUKTUREN Eine sehr anschauliche Entwicklung in diesem Zusammenhang kommt von Fergal Coulter von der Nottingham Trent University aus Großbritannien. Er hat eine Prozesskette entwickelt, um aufblasbare rotationssymmetrische Strukturen auf ein sich drehendes Rad zu drucken. Dazu wird zunächst weiches Silikon auf einen luftdurchlässigen Dorn gesprüht. Dieses wird aufgeblasen und 3D-gescannt, um die Flächeninformation für den weiteren Materialauftrag zu berechnen. Anschließend wird hartes Silikon im 3D-Druckverfahren auf die aufgeblasene Struktur aufgetragen. Dabei entstehen formveränderliche Wabenstrukturen mit auxetischen Eigenschaften für medizinische Anwendungen, künstliche Muskeln oder den Bereich der Soft-Robotik.

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InFoam Printing eines Schaumstoffs für einen Sitz Design: Adam Pajonk, Dorothee Clasen, Sascha Praet; Quelle: Covestro

InFoam-Printing-Prozess Design: Adam Pajonk, Dorothee Clasen, Sascha Praet; Quelle: Covestro

INFOAM PRINTING Im Rahmen eines Open-Innovation-Entwicklungsprojekts des Chemiekonzerns Covestro haben die Designer Sascha Praet, Dorothee Clasen und Adam Pajonk eine 3D-Drucktechnologie zur Einbringung von Strukturen aus einem Zweikomponenten-Polyurethankunstharz in Weichschaumstoffe entwickelt. Beim InFoam Printing wird Kunstharz mit einem nadelförmigen Druckkopf in den Schaumstoff eingebracht, wo er zu Festkörpern aushärtet. Je nach Geometrie der eingebrachten Strukturen entstehen Bereiche mit partieller Versteifung. Auf diese Weise kann das Sitz- bzw. Liegeverhalten von Polstermöbeln und Matratzen gezielt verbessert werden. Anwendungsmöglichkeiten werden auch für Autositze erwartet.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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Rapid Liquid Printing Quelle: MIT Self-Assembly Lab, Christophe Guberan

RAPID LIQUID PRINTING Ein ähnlicher Prozess liegt auch dem Rapid Liquid Printing zugrunde. Wissenschaftler am MIT Self-Assembly Lab in den USA haben ein Gel als stützende Materialgrundlage für einen 3D-Druck in den Raum genutzt. Das Druckmaterial wird mit einem nadelförmigen Druckkopf in das Gel eingebracht und härtet dort unter Einfluss von UV-Licht aus. In einem Projekt für einen Möbelhersteller entstanden Gitterstrukturen als Tischplatten für den Möbelbau. In einem weitergehenden Projekt wurde mit dem Verfahren eine Handtasche produziert.

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DRUCKMATERIALIEN MIT SMARTEN EIGENSCHAFTEN

3D-Filament Reflect-o-Lay mit retroreflektierenden Eigenschaften Quelle: Kai Parthy

Waren vor einigen Jahren lediglich Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere (ABS) und Polyactide (PLA) als typische Druckfilamente für 3D-Consumer-Drucker auf dem Markt erhältlich, hat sich die Bandbreite nutzbarer Druckmaterialien deutlich erweitert. Neben Materialien mit veränderlichen optischen Qualitäten wie Fluoreszenz, Photochromie oder Thermochromie sind weitere spannende Druckmaterialien mit smarten Eigenschaften hinzugekommen.

REFLECT-O-LAY In das patentrechtlich geschützte Druckfilament sind Millionen kleinster reflektierender Pigmente integriert. Diese bilden die Grundlage für den optischen Effekt der Retroreflexion, den man zum Beispiel von Fahrbahnmarkierungen aus dem Straßenverkehr kennt. Ohne Lichteinfluss erscheint das Material in einer typischen grauen Farbigkeit. Wird das Material hingegen angestrahlt, werden die Lichtstrahlen immer genau in die Richtung reflektiert, aus der sie kommen, und man erkennt einen deutlichen Leuchteffekt.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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Voltera V-One – Leiterplattendrucker für 3Dgedruckte elektronische Anwendungen Quelle: Voltera

VOLTERA V-ONE Die schnelle Bereitstellung von Leiterplatten ist für die Produktentwicklung digitaler Geräte und medizinischer Apparaturen von hoher Relevanz. Voltera V-One ist ein Drucker für leitfähige Pasten und isolierende Tinten eines Entwicklerteams der kanadischen Waterloo University. Diese werden in zwei Schichten gedruckt, so dass sich funktionstüchtige elektronische Schaltungen in kurzer Zeit umsetzen lassen. Der Druckkopf kann auch für Lötpasten genutzt werden. Auf diese Weise lassen sich später weitere Komponenten auf einfache Weise ergänzen.

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3D-Druckfilament mit magnetischen Qualitäten Quelle: TU Wien

MAGNETFILAMENT Die Produktionstechnologie zur Herstellung von Dauermagneten mit starker magnetischer Wirkung zählt heute zum Stand der Technik. Bei der Umsetzung komplexer Geometrien mit bestimmter Magnetfeldwirkung tun sich die Produzenten jedoch immer noch schwer. Ende 2016 stellten Wissenschaftler der TU Wien ein 3D-Druckfilament mit magnetischen Eigenschaften vor. Mit diesem sind die Entwickler in der Lage, Dauermagneten mit maßgeschneiderten Magnetfeldern erstmals additiv herzustellen. Das Filament besteht aus einer Polymermatrix, in die ein magnetisches Mikrogranulat integriert wurde. Im Anschluss an den Druckprozess wird der zunächst noch nicht magnetische Werkstoff einem starken äußeren Magnetfeld ausgesetzt und der Dauermagnet erzeugt. Seine Wirkung kann dabei exakt eingestellt werden. Die gedruckten Formteile bestehen zu rund 90 % aus dem magnetischen Material.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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HYBRIDE ADDITIVE FERTIGUNGSPROZESSE

3D-gedruckter Teppich Open Rugs mit Flockbeschichtung Quelle: Studio Plott

Additive Produktionsverfahren haben das Potenzial, in vielen Bereichen die Herstellung von Produkten und Objekten maßgeblich zu verändern. Ihr sinnvoller Einsatz ist aktuell jedoch meist nur in Kombination mit traditionellen Fertigungsmethoden gewährleistet. Nachdem Designer in den letzten Jahren die Grenzen des 3D-Druckens ausgereizt haben, kombinieren sie aktuell die Potenziale mit anderen Techniken und erschaffen auf diese Weise neue hybride Produktionsweisen.

OPEN RUGS Die niederländischen Designer vom Studio Plott haben im Frühjahr 2017 erstmals einen 3D-gedruckten Teppich vorgestellt, dessen Geometrie und Form individuell am Computer gestaltet wurde. Zur Realisierung der für Teppichböden üblichen Haptik werden die additiv in Kunststoff erzeugten Strukturen abschließend mit einer Flockbeschichtung versehen, wie man sie zum Beispiel auch bei Oberbekleidung verwendet.

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Metsidian Table Quelle: Janne Kyttanen

FORGEBRID Durch die Kombination der beiden Produktionsprozesse des Schmiedens und des Laserschmelzens können trotz hoher Komplexität neue Produkte effizient gefertigt werden. Die Kombination führt zu einer fortschrittlichen Prozesskette, in der die Vorteile der Umformtechnik komplementär zu den Möglichkeiten der additiven Produktion stehen. Somit wird ein ressourcen- und kosteneffizienter Herstellungsprozess von massiven Bauteilen mit komplexen Hohlraumstrukturen ermöglicht.

METSIDIAN TABLE Massives Bauteil durch Schmieden und Laserschmelzen Quelle: Rosswag

Zur Herstellung des Metsidian Table aus Kupfer und dem Vulkangestein Obsidian hat der finnische Designer Janne Kyttanen einen neuen Produktionsprozess aus der Kombination eines additiven Fertigungsverfahrens mit dem Explosionsschweißen entwickelt. Üblicherweise kommt das Explosionsschweißen immer dann zum Einsatz, wenn sich verschiedene Werkstoffe nur unter hohen Temperaturen verschweißen lassen. Während der Schmelzpunkt von Kupfer bei knapp unter 1.100 °C liegt, schmelzen Vulkangesteine erst bei Temperaturen von weit über 1.400 °C.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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4D-PRINTING

4D-Printing mit hydrophilem Acrylatmonomer Quelle: MIT Self Assembly Lab, Skylar Tibbits

Seinen Ursprung hat das 4D-Printing am MIT in Cambridge in den USA, wo im Jahr 2013 am Self-Assembly Lab erstmals die Ergebnisse dieser Technologieentwicklung vorgestellt wurden. Unter 4D-Printing wird ein dreidimensionaler Druckprozess mit Werkstoffen verstanden, bei dem sich diese nach der additiven Verarbeitung unter Einwirkung eines äußeren Impulses selbsttätig verformen und Funktionen auslösen können. Der äußere Einfluss kann beispielsweise durch Licht, Magnetfelder, Temperaturschwankungen oder durch Einwirken von Feuchtigkeit ausgelöst werden. Mittlerweile sind Forscherteams an unterschiedlichen Einrichtungen rund um den Globus damit beschäftigt, die möglichen Einsatzfelder der Technologie zu untersuchen und Anwendungsszenarien abzuleiten. Neben Applikationen in der Medizin, der Luftfahrt und der Architektur wurden die Möglichkeiten bereits für die Fahrzeugindustrie sowie die Mode- und Bekleidungsindustrie untersucht.

FEUCHTE- UND LICHTSENSITIVE DRUCKMATERIALIEN Die ersten Forschungsarbeiten am MIT gehen auf ein hydrophiles Acrylatmonomer zurück, das Skylar Tibbits in Zusammenarbeit mit Autodesk für das 4D-Printing entwickelt hat. Das Material härtet unter UV-Licht aus und bildet im Wasserbad ein Hydrogel mit einer Volumenvergrößerung von bis zu 50 % aus. In einem anderen Entwicklungsprojekt wurden lichtsensitive Druckmaterialien bereits erfolgreich für veränderliche Karbonfaserstrukturen getestet. Im Fahrzeugbau könnte das 4D-Drucken für die Umsetzung formveränderlicher Karosserieelemente genutzt werden.

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Nachahmen natürlicher Pflanzenbewegung durch 4D-Drucken einer Drucktinte aus einem Hydrogel und Zellulosefibrillen Quelle: Wyss Institute, Harvard University

HYDROGEL UND ZELLULOSEFIBRILLEN An der Harvard University in den USA haben Wissenschaftler unter Nutzung einer Drucktinte aus einem Hydrogel und Zellulosefibrillen erfolgreich die natürliche Bewegung von Pflanzenblüten unter Einfluss von Feuchtigkeit nachgestellt. Die besonders starke Hygroskopie der Zellulosefasern diente als Grundlage für den Formveränderungsprozess: In Feuchtigkeit dehnt sich die Faser in Wachstumsrichtung sehr viel stärker als quer dazu. Nachdem die Drucktinte in zwei Richtungen aufgedruckt und in einem Wasserbad gelagert wurde, begann der Materialverbund nach wenigen Augenblicken zu tellern, die Formteilgeometrie bog sich auf. Zur Berechnung des Formveränderungsprozesses diente den Wissenschaftlern ein Algorithmus, den sie für die spezifische Zusammensetzung der Drucktinte entwickelt hatten.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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Modell einer formveränderlichen Fassadenstruktur durch 3D-Druck eines feuchtempfindlichen Holzfilaments Quelle: ICD, Universität Stuttgart

HYGROSKOPISCHES HOLZDRUCKFILAMENT Einem Forscherteam der Universität Stuttgart ist es mit einem ähnlichen Ansatz gelungen, eine formveränderliche architektonische Struktur durch 3D-Drucken eines Holzfilaments umzusetzen. David Correa verwendete für seine Arbeiten das LayWood-Filament von cc-products aus Köln. Die Drucktechnologie wurde für das hygroskopische Druckmaterial so weit entwickelt, dass die additiv erzeugten Strukturen auf Schwankungen der Luftfeuchtigkeit reagierten. Vision des Forscherteams ist es, in Zukunft Fassadenelemente aus Holz drucken zu können, die bei Sonnenschein geöffnet sind und sich bei Regen selbsttätig verschließen.

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Laser-additiv gefertigter Mikroaktor für CochleaImplantate Quelle: Laser Zentrum Hannover LZH

FORMGEDÄCHTNISPOLYMER An der Singapore University of Technology and Design untersuchen Wissenschaftler die Potenziale des 4D-Drucks durch Integration von Fasern aus einem Formgedächtnispolymer in einen Multimaterial-Aufbau für sich selbst aufbauende Systeme. Es wurden verschiedene Werkstoffkombinationen getestet und die mechanischen Eigenschaften im Verhältnis zur Aktivierungstemperatur untersucht.

FORMGEDÄCHTNISLEGIERUNG Am Laser Zentrum Hannover (LZH) finden Formgedächtnismaterialien aus einer Nickel-Titan-Legierung Verwendung, um Cochlea-Implantat für Gehörlose durch Lasersintern eines pulverförmigen Ausgangsmaterials additiv herzustellen. Durch die Körperwärme wird der Formveränderungsprozess aktiviert und das Implantat passt sich an die individuelle Form der Gehörschnecke an. Die Wissenschaftler arbeiten auch daran, den Effekt für Implantate im Kontext der Gesichtschirurgie zu erzeugen.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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4D-TEXTILIEN

Active Shoe – formveränderlicher Schuh durch 4DDrucken Quelle: Christophe Guberan, Carlo Clopath, MIT Self Assembly Lab

Unter 4D-Textilien werden zweidimensionale Textilien verstanden, die in vorgespanntem Zustand mit einem Kunststoff bedruckt werden und im Anschluss selbsttätig eine Geometrieveränderung in eine dreidimensionale Geometrie vornehmen. Die Verformung ist dabei ohne externe Energiezufuhr möglich, da die benötigte Energie im Textil bereits gespeichert wurde. Der Faktor Zeit wird im Prozess als vierte Dimension verstanden.

PROGRAMMIERBARE TEXTILIEN Bereits Ende 2014 wurden am Self-Assembly Lab des MIT in den USA unter dem Begriff „Programmable Textiles“ verschiedene formveränderliche textile Strukturen präsentiert, die durch Bedrucken eines vorgespannten Textils erzeugt wurden. Die Potenziale der Technologie wurden für eine Reihe von Einsatzfeldern untersucht, unter anderem für die Schuh- und Modeindustrie. In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Designer Christophe Guberan entstanden zum Beispiel Objekte für die Life-On-Foot-Ausstellung der Schuhmarke Camper am London Design Museum. So entstand als Applikationsbeispiel für den 4D-Druck der sich selbst in Form bringende „Active Shoe“.

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4D-Drucken für einen Exoskelett, das die menschliche Greifkraft unterstützt Quelle: ITA Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen

Sonogrid – Druckprozess für akustisch wirksames 4D-Textil Quelle: Sascha Praet, Dorothee Clasen, Oliver Köneke, Moritz Wallasch

AKUSTISCH WIRKSAME 4D-TEXTILIEN Konzepte zur Nutzung des Verfahrensprinzips zur Umsetzung akustisch wirksamer 4D-Textilien kommen von Designern aus Köln. Das „sonogrid“-Materialsystem bietet Möglichkeiten zur Minderung akustischer Belastung an stark frequentierten öffentlichen Räumen. Der gedehnte, grobmaschige Stoff verformt sich nach dem Druckprozess in eine dreidimensionale Struktur und bildet dabei Pyramiden aus. Diese lassen sich in Größe und Ausrichtungen optimal an die unterschiedlichen Raumbegebenheiten anpassen.

4D-TEXTILIEN FÜR EXOSKELETTE An der RWTH Aachen arbeitet ein Forscherteam an Anwendungen von 4D-Textilien für die Medizintechnik. Beispielsweise entstand ein Exoskelett durch Bedrucken eines vorgespannten Textils mit einem Polymer, das dem Träger durch die im Textil gespeicherte Energie den Ablauf verschiedener Bewegungen erleichtern soll.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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3D-GEDRUCKTE METAMATERIALIEN

3D-gedruckte Scheibenstruktur des MetamaterialMultilautsprechers mit einem Radius von 0,2 m samt eines fächerartigen Wellenleiters Quelle: Duke University

Unter der Werkstoffklasse der Metamaterialien versteht man Stoffe mit außergewöhnlichen Eigenschaften, die in dieser Form nicht in der Natur existieren. Der bekannteste Effekt, der damit einhergeht, ist der der negativen Lichtbrechung, die ein Objekt unsichtbar erscheinen lässt, da das Material Lichtwellen um ein Objekt herumführt. Von additiven Fertigungstechniken versprechen sich die Wissenschaftler in der Zukunft, Metamaterialien mit ihren herausragenden Qualitäten nicht nur entwickeln, sondern diese bei der Herstellung von Produkten auch direkt einsetzen zu können.

AKUSTISCHES METAMATERIAL ZUR LOKALISIERUNG VON GERÄUSCHQUELLEN Im amerikanischen Durham in North Carolina wurde eine 3D-gedruckte Scheibengeometrie mit komplexer Innenstruktur entwickelt, mit der Töne und Stimmen von bis zu 36 Geräuschquellen kanalisiert und zur Aufnahme mit einem Rechner auseinandergehalten werden können. Die den Klang beeinflussende Struktur der Scheibe ist dabei kleiner als die Wellenlänge der akustischen Wellen.

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3D-gedruckte Zellen für Türschloss mit MetamaterialMechanismen Quelle: Hasso-Plattner-Institut /  Alexandra Ion

MODULARES, AKUSTISCHES METAMATERIAL ZUR TUMORBEHANDLUNG Dass sich akustische Metamaterialien auch im medizinischen Bereich einsetzen lassen, zeigen Wissenschaftler aus Sussex, Großbritannien, durch den 3D-Druck quadratischer Strukturen, um durch starke Fokussierung von Ultraschallwellen Tumorgewebe zu behandeln. Es entstanden 16 verschiedene Bauelemente mit einer Höhe von 8,66 mm, einer Kantenlänge von 4,33 mm und einer wellenförmigen Innenstruktur, die eine Phasenverschiebung der Ultraschallwellen im Bereich von 0 und 2 π beeinflussen können, um jedes für die Behandlung notwendige akustische Feld zu erzeugen.

METAMATERIAL-MECHANISMEN Durch Herstellung einer Geometrie mit einer besonderen Anordnung sogenannter Scherzellen ist es Wissenschaftlern am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam gelungen, eine Türklinke ohne Schrauben, Federn oder Bolzen zu erzeugen. Die 3D-gedruckten Zellen leiten eine mechanische Beanspruchung durch Knicken, Biegen und Falten weiter und überführen somit eine rotatorische Dreh- in eine Linearbewegung. Der Riegel bewegt sich aus dem Rahmen. Nach der Beanspruchung gehen die Zellen in ihre Ausgangsform zurück.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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Gedruckte Zuckerskulpturen

FOOD-PRINTER

Quelle: 3D-Systems

Einer der ungewöhnlichsten Anwendungsbereiche für 3D-Drucker ist zweifelsohne der Nahrungsmittelbereich. Mit sogenannten Food-Printern wird an spektakulären Erlebnissen für den Gastronomiebereich und an Methoden zur Bereitstellung von Lebensmitteln mit personalisiertem Nährstoffgehalt im medizinischen Bereich gearbeitet. Dem Essen können in Zukunft besondere Zusatzstoffe, wie Omega-3-Fettsäuren, hinzugefügt werden, und auch der Verzehr von Lebensmitteln mit nachhaltigen kalorischen Quellen wird ermöglicht. In der Zwischenzeit sind Food-Printer zur Herstellung von Nudeln, individuell gestaltbaren Backwaren, Torten oder Pralinen ebenso auf dem Markt erschienen wie Food-Printer für Fruchtgummi, Marzipan, Schokolade und Skulpturen aus Zucker.

CHEFJET Mit 3D-Systems ist einer der ersten großen Anlagenhersteller von 3D-Druckern bereits im Jahr 2013 in den neuen Markt für Food-Printer eingestiegen. Der 3D-Drucker-Pionier hatte das sogenannte Sugar Lab in Los Angeles übernommen, nachdem dieses mit einer großen Ausstellung mit 3D-gedruckten Zuckerskulpturen für Furore gesorgt hatte. Mittels eines Color Jet Printers hatten ein Designer und eine Architektin essbare Formen aus natürlichen Bindemitteln und pulverförmigem Zucker erzeugt. Unter dem Namen „ChefJet“ hat 3D-Systems in der Zwischenzeit einen Food-Printer für den Einsatz in Erlebnis-Gastronomien und Konditoreien erfolgreich auf dem Markt platziert.

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Foodini-Pizza-Drucker Quelle: Natural Machines

3D-gedruckte Schokolade Quelle: Choc Edge, UK

FOODINI PIZZA-DRUCKER Vom Start-up Natural Machines aus Barcelona wurde unter dem Namen „Foodini“ der erste Pizza-Drucker auf den Markt gebracht. Dieser wird aber nicht nur als Pizzabäcker genutzt, sondern kann grundsätzlich auch all die Speisen drucken, bei denen entweder eine pastöse Masse benötigt wird oder bei denen die benötigten Zutaten unter Wärmeeinfluss aufgeschmolzen werden müssen. Neben Pizza kann der Foodini also auch Gerichte mit Hackfleisch, Backwaren wie Torte oder Kekse und Speisen aus Schokolade fertigen. Sämtliche Zutaten werden in einem beheizbaren Metallzylinder für den 3D-Druck vorbereitet und mit einer Spritze aufgebracht.

CHOC EDGE SCHOKOLADEN-DRUCKER Der Choc Edge Creator ist ein 3D-Drucker für Schokolade. Das Gerät soll für Chocolatiers, Konditoreien und Restaurants von Interesse sein. Das Unternehmen geht davon aus, dass sich in Zukunft spezielle Schokoladengeschäfte in den Städten entwickeln werden, in denen sich Kunden Schokoladenskulpturen nach ihrem persönlichen Design ausdrucken können.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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3D Candy-Drucker Quelle: Katjes Magic Candy Factory

3D-gedruckte Leckereien Quelle: TNO, Delft

PASTA-DRUCKER In einer Entwicklungskooperation mit dem niederländischen Forschungsinstitut TNO aus Delft hat der italienische Lebensmittelhersteller Barilla einen 3D-Drucker für Pastagerichte entwickelt. In Analogie zu Kaffeeautomaten arbeitet dieser mit Patronen, die Teigmischungen aus Hartweizenmehl und Wasser enthalten. Mit dem Drucker lassen sich Nudeln mit individuellen Formen und Zusammensetzungen herstellen. Das Unternehmen strebt eine Druckdauer von zwei Minuten für einen Teller Nudeln an. Vor allem die Entwicklung von bedruckbaren, glutenfreien Nudeln aus Vollkorn und Gemüse wurde in letzter Zeit intensiviert.

FRUCHTGUMMI-DRUCKER In der Katjes Magic Candy Factory in Berlin wurde Ende 2015 der weltweit erste Fruchtgummi-Drucker vorgestellt. Der Kunde konnte zwischen acht Geschmackssorten und den entsprechenden Farben wählen und das Design aus zehn unterschiedlichen Grundformen und deren Kombinationen zusammensetzen. Das bis zu 20 g schwere Fruchtgummi wurde wahlweise aus veganen, laktose- und glutenfreien Zutaten erzeugt. Je nach Form und Zutat betrug die Prozessdauer ein bis fünf Minuten.

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Print a Drink Quelle: Benjamin Greimel, Philipp Hornung, Johannes Braumann; Foto: Philipp Moosbrugger

PRINT A DRINK Im Rahmen der Pioneers Challenge 2017 wurde die weltweit erste 3D-Drucktechnologie für flüssige Lebensmittel und Getränke mit einem der 3D-Pioneers-ChallengePreise ausgezeichnet. Mithilfe eines Roboterarms platziert der Druckkopf Öltropfen in ein zähflüssiges Getränk. Im Kontext einer zukunftsweisenden Molekulargastronomie entstehen 3D-Cocktails als individuelle Kreationen.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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3D-gedrucktes Bürogebäude in Dubai Foto: Haute Innovation

3D Housing 05 – das erste 3D-gedruckte Gebäude Europas Foto: Haute Innovation

3D-DRUCKER IN DER ARCHITEKTUR Schon 2002 wurde unter dem Begriff „Contour Crafting“ der Einsatz generativer Fertigungsverfahren für die Architektur angekündigt. Nach gut zehnjähriger Diskussion und Forschungstätigkeit werden seit 2012 immer mehr Modellprojekte vorgestellt. Die größer werdenden Bauräume der Anlagen, die Entwicklung neuer Werkstoffe und der Einsatz robotergeführter Systeme im Kontext der Baubranche haben einen Innovationsschub ausgelöst, der die Verwendung von additiven Produktionssystemen im Bauwesen immer weiter Realität werden lässt. Im Mai 2016 wurde das erste 3Dgedruckte Bürogebäude in Dubai eröffnet, in Spanien wurde die erste 3D-gedruckte Brücke realisiert. Anlässlich der Milan Design Week 2018 hatte ein Unternehmenskonsortium auf der Piazza Cesare Beccaria in der Nähe des Mailänder Doms das erste 3D-gedruckte Gebäude Europas aufgebaut.

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3D-gedrucktes Betonbauteil aus Zement Quelle: Asko Fromm

BIG 3D-BETONDRUCK MIT PASTÖSEN MASSEN

3D-gedruckte Betonstruktur mit Stahlbewehrung

Die Imprimere AG aus der Schweiz hat das erste funktionstüchtige System Europas im

Quelle: Imprimere

April 2015 auf der Hannover Messe vorgestellt. Der Großformat-Drucker in Portalbauweise hat eine maximale Abmessung von 5,75 × 6,00 × 6,25 m und kann Betonbauteile mit einer Genauigkeit nach dem Fräsen von 0,5 mm auf additive Weise erzeugen. In definierten Abständen wird zwischen den Schichten mit dem Roboter die benötigte Bewehrung eingelegt, um die geforderten statischen Anforderungen für tragende Bauteile im Haus zu erreichen. Mit dem Portal-Drucker können geschwungene Teile wie Wendeltreppen, großdimensionierte Gesteinsmöbel oder Fassadenelemente ebenso gefertigt werden wie Freiformteile, Skulpturen oder ein ganzes Gebäude aus Beton aus mehreren Stockwerken.

3D-DRUCK ZEMENTGEBUNDENER FORMTEILE Die meisten Verfahren zur additiven Herstellung von Gebäudeteilen setzen die gleichmäßige Vermischung von Flüssigkeit und Zementpulver vor dem eigentlichen Druckprozess voraus. Prof. Asko Fromm hat zur Umsetzung von hochpräzisen Betonformteilen an der Universität Kassel einen 3D-Druckprozess entwickelt, bei dem ein Zementwerkstoff mit Zuschlägen versetzt und schichtweise auf einer Anlage der Firma voxeljet eingebracht wird. Die Verfestigung des Gemisches erfolgt dabei ebenfalls schichtweise selektiv mit einer wässrigen Lösung.

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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3D-gedruckte Metallbrücke Quelle: MX3D

MINIBUILDERS Ein Forschungsteam am Institute for Advanced Architecture (IAAC) in Barcelona um Saša Jokić und Petr Novikov hat im Jahr 2014 eine Familie von kleinen Konstruktionsrobotern vorgestellt, mit deren Hilfe sich hydraulisch erhärtende Bauwerkstoffe verdrucken lassen. Ziel war es, unterschiedlich große Robotersysteme auszulegen, die unabhängig voneinander vielfältige Aufgaben in den verschiedenen Bauphasen übernehmen können. Jeder Roboter ist mit Sensoren und einem Positionierungssystem ausgestattet, um Live-Daten zu erfassen und die Koordinierung der Systeme durch eine zentrale Steuerungssoftware zu ermöglichen. Die Roboter werden über Rohre und Schläuche von einem Versorgungsroboter mit Material versorgt. Minibuilders

ROBOTERGEFÜHRTES METALLAUFTRAGSSCHWEISSVERFAHREN

Quelle: IAAC Barcelona, Saša Jokić

Seit 2015 arbeitet Joris Laarman mit seinem Unternehmen MX3D an einer robotergeführten Auftragsschweißtechnik zur additiven Umsetzung einer Metallbrücke. Im Prozess wird ein handelsüblicher Schweißdraht aufgeschmolzen und schichtweise aufgebracht. Die Prozessgeschwindigkeit musste für eine hinreichend schnelle Aushärtung so eingestellt werden, dass für Hinterschnitte und Überhänge keine Stützstrukturen notwendig werden. Die 3D-gedruckte Metallbrücke wurde im Jahr 2018 realisiert und soll 2019 in Amsterdam installiert werden.

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10 SMART KVADRAT Auf Basis der Fused-Granular-Fabrication-Technologie (FGF) hat das schwedische Start-up BLB Industries einen Großdrucker für Kunststoffbauteile präsentiert, der derzeit zu den größten 3D-Kunststoffdruckern der Welt zählt. Unter dem Namen „10 Smarta Kvadrat“ wurde in Kooperation mit einem schwedischen Bauunternehmen eine Wandstruktur mit eingelassenem Fenster aus dem Biokunststoff PLA mit 20-prozentigem Holzfaseranteil additiv erzeugt, um die Potenziale der Anlage für den Bau günstigen Wohnraums zu illustrieren. Bei einem Düsendurchmesser von 2 mm 10 Smart Kvadrat – 3D-Druck der Wandstruktur in BLB-Großdrucker

benötigte die Anlage für die insgesamt zehn Bauteile rund eine Woche.

Quelle: BLB Industries

ADDITIVE PRODUKTION UND 3D-DRUCKEN

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7 INTELLIGENTE SYSTEME UND BIOINSPIRIERTE OBERFLÄCHEN Glaubt man den Aussagen vieler Werkstoffexperten, werden wir in den nächsten 20 Jahren einen Wandel von Produkten mit hoher konstruktiver Komplexität hin zu solchen beobachten können, die mit einer materiellen Intelligenz ausgestattet sind. Ließen sich bislang vielfältige Funktionen in einem Produkt meist nur durch eine Vielzahl von Bauteilen mit hohem Aufwand realisieren, macht die zunehmende Integration von Funktionalitäten in das Material bzw. auf die Oberfläche Lösungen von struktureller Einfachheit möglich. UPANDDOWN kombiniert mit Wolle und Nickel-TitanLegierungen zwei scheinbar gegensätzliche Low- und Hightech-Materialien zu einem Lifestyle-Produkt. Quelle: Laura Risch, Forschungsinitiative smart³

Sie verändern die Form unter Einfluss von Wärme, reagieren auf Feuchteunterschiede in der Luft oder wechseln von einer stabilen Formgeometrie in eine andere. Schon seit einigen Jahren wird der Gruppe der „Smart Materials“ ein großes Potenzial nachgesagt. Vor allem in der Architektur, aber auch im Fahrzeugbau würde die Integration von Funktionen in ein Material den Ressourcenaufwand für die Realisierung komplexer Mechanismen auf ein Minimum reduzieren, so die großen Versprechen der Forscher. Nachdem in der letzten Dekade die grundlegenden Mechanismen als Basis für Smart Materials entwickelt wurden, hat nun eine Phase begonnen, in der Unternehmen versuchen, erfolgversprechende Produkte für neue Anwendungen in den Märkten zu platzieren und somit die Gestaltungsfreiheiten für Designer enorm zu vergrößern. Darüber hinaus findet die Wissenschaft immer häufiger intelligente Lösungen in der Natur, deren Übertragung in die Technik einen nicht unerheblichen Mehrwert erbringen würde. Ein Beispiel ist der sogenannte Salvinia-Effekt, der sich bei einigen Tieren

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und Pflanzen wie Schwimmfarnen finden lässt. An einer hochwasserabweisenden, superhydrophoben Oberfläche bildet sich nach Eintauchen in Wasser eine stabile Luftschicht mit reibungsreduzierender Wirkung aus. Übertragen auf den Schiffsbau, könnte der Effekt zur Reduzierung des Energieeinsatzes genutzt werden. Zu den spektakulärsten Entwicklungen der letzten Zeit zählen natürliche Materialien und gewachsene Strukturen, denen magnetische, elektrisch leitfähige oder sogar leuchtende Eigenschaften verliehen wurden. Wissenschaftler am MIT in den USA berichteten zum Beispiel Mitte 2017 von der erfolgreichen Durchführung eines Experiments, in dem lebender Brunnenkresse leuchtende Nanopartikel impliziert wurden, um diese für einige Stunden in einem leicht gelbgrünen Farbton leuchten zu lassen. Das, was vor einigen Jahren noch wie Science-Fiction klang, scheint mit dem Einsatz smarter Materialtechnologien langsam Realität zu werden. So träumen die US-Wissenschaftler bereits von Alleen, in denen leuchtende Bäume die Funktion der Straßenbeleuchtung übernehmen. Auf einem ähnlichen Niveau befinden sich derzeit auch Arbeiten zur Entwicklung von Werkstoffen mit selbstheilenden Eigenschaften. Ihr erfolgreicher Einsatz wird bereits HygroSkin-Pavillon mit feuchtigkeitsempfindlichen Klappen Quelle: Prof. Achim Menges, ICD / Universität Stuttgart

seit Jahren von vielen Produktentwicklern, Architekten und Designern ersehnt. Wissenschaftler haben in letzter Zeit Lösungen vorgestellt, bei denen sich der selbstheilende Prozess auch bei Materialien einstellt, die vollständig mechanisch durchtrennt und dann wieder zusammengesetzt wurden.

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Rolatube – Rohr von der Rolle

MULTISTABILE FASERVERBUNDSTRUKTUREN

Foto: Haute Innovation

Materialverbunde mit stabilen Struktureigenschaften in mehreren geometrischen Zuständen erfreuen sich in unterschiedlichen Industriefeldern steigender Beliebtheit. Vor allem im Flugzeugbau, für militärische Nutzungen, bei speziellen Energiesystemen und im Kontext temporärer Gebäudestrukturen bietet die Möglichkeit eines schnellen Wechsels zwischen unterschiedlichen stabilen Formgeometrien zahlreiche Anwendungspotenziale.

ROLATUBE Unter dem Namen „RolaTube“ ist in Großbritannien eine faserverstärkte Verbundstruktur als aufgerolltes Band auf dem Markt erhältlich, das im ausgerollten Zustand eine stabile Rohrstruktur einnimmt. Die bistabilen Qualitäten gehen auf eine besondere Anordnung der Faserstrukturen in der thermoplastischen Matrix zurück. Das Aufrollen der Rohrelemente ist mit geringem Krafteinsatz möglich. Das System kann im Temperaturbereich von -150 bis +250 °C eingesetzt werden, hat ein besonders geringes Gewicht und weist ein ausgezeichnetes Verhältnis von Materialeinsatz zu erreichbarer Festigkeit auf. Mastsysteme mit einer Höhe von 8 m und einem Gewicht von 16 kg können in weniger als fünf Minuten aufgebaut werden. Außerdem sind Tripod-Lösungen für temporäre Baukonstruktionen und Angebote für die Installation einer Solaranlage auf dem Markt erhältlich.

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Dieses Objekt wird flach gedruckt (links) und kann später in zwei weitere stabile und tragfähige Formen gebracht werden (Mitte und rechts). Quelle: ETH Zürich, Tian Chen

3D-GEDRUCKTES HUBELEMENT An der ETH Zürich untersucht eine Forschergruppe, wie sich bei einer 3D-gedruckten Struktur in einem Multimaterial-Aufbau unter Einsatz eines Formgedächtnispolymers flache Bausätze unter Wärmeeinfluss in verschiedene stabile tragfähige Objektgeometrien überführen lassen. Im Zentrum der Untersuchungen steht ein Hubelement, das Veränderungen zwischen zwei möglichen Zuständen vollzieht und entweder eingezogen oder ausgefahren werden kann. Denkbar sind auch Strukturen mit mehreren stabilen Positionen. Mithilfe einer Software wollen die Wissenschaftler die Formveränderung exakt vorhersagen.

I N T E L L I G E N T E S YS T E M E U N D B I O I N S P I R I E RT E O B E R F L Ä C H E N

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Auxetische Zig-Zag-Struktur aus dem 3D-Drucker

3D-AUXETIK

Quelle: Oluwaseyi Sosanya; Foto: Guillaume Couche

Wird ein Material bei Dehnung dicker und bei Druck schmaler, handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine auxetische Struktur. Hinter diesen ungewöhnlichen Eigenschaften verbirgt sich im Inneren eine simple Geometrie. Nachdem in der Forschung bislang vor allem zweidimensionale auxetische Strukturen untersucht wurden, befinden sich aktuell einige erste Anwendungen für die 3D-Auxetik in der Entwicklung.

Webstuhl zur Herstellung auxetischer Strukturen Quelle: Oluwaseyi Sosanya; Foto: Guillaume Couche

Auxetische Strukturen und Materialien weisen ein atypisches Verformungsverhalten auf. Werden sie auseinandergezogen, entstehen Hohlräume, die das Materialvolumen vergrößern, die Dichte jedoch senken. Physiker beschreiben dieses Phänomen mit der Poissonzahl, einer Größe aus der Festigkeitslehre. Ist die Zahl positiv, verhalten sich Materialien so, wie die meisten es erwarten würden. Bei Kork liegt die Poissonzahl zum Beispiel bei annähernd 0,0, hingegen bei Gummi schon bei 0,5. Aufgrund der inneren Struktur auxetischer Materialien erreichen die Werte eine Poissonzahl von bis zu -1. Mit den besonderen mechanischen Eigenschaften, einer guten Bruchfestigkeit und einer hohen Energieaufnahme sind auxetische Materialien als Fasern oder Schäume vor allem für sicherheitstechnische Anwendungen oder in Stoß- und Schalldämpfern geeignet.

3D-GEDRUCKTE AUXETISCHE STRUKTUREN Der Designer Oluwaseyi Sosanya hat im Rahmen seiner Abschlussarbeit am Royal College of Art in London einen Webstuhl präsentiert, der dreidimensionale auxetische Strukturen erstellen kann. Ähnlich dem 3D-Druck werden die Objekte schichtweise aufgebaut. Jedoch ist das Ausgangsmaterial kein Kunststofffilament, das sich selbst verklebt, sondern ein Garn. Ein von einem Maschinencode gesteuerter Webkopf bewegt das Garn um senkrecht auf dem Aufnahmetisch fixierte Metallstäbchen und erzeugt ein hexagonales Fadengelege mit auxetischen Eigenschaften. Diese lassen die textile Struktur Stöße von mehr als 300 g standhalten und eignen sich insbesondere zur Dämpfung von wiederkehrenden äußeren Belastungen. Das Zig-Zag-Gewebe ist leicht sowie extrem flexibel und für Anwendungen in der Medizintechnik, der Fahrzeug- und Sportbekleidungsindustrie geeignet.

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Active Auxetic – Auxetikmaterial, das sich wie die Poren menschlicher Haut verhält Quelle: MIT Self Assembly Lab

Plattenmaterial mit auxetischen Eigenschaften Quelle: Pietsch & Partner

PLATTEN MIT AUXETISCHER STRUKTUR Für Anwendungen in der Luftfahrt, im Fahrzeugbau sowie in der Architektur und im Design wurde ein Prozess zur Herstellung dreidimensionaler auxetischer Strukturen in Wismar patentiert. Durch Prägen und Falten werden aus einem flächigen Halbzeug Geometrien mit auxetischen Eigenschaften, Kanalnetz und Wabenkammern erzeugt. Mit ihrer speziellen Zellstruktur lassen sich die Leichtbaustrukturen ohne Bindemittel miteinander verhaken und funktionsübergreifend zu großen Flächen aneinanderfügen. Mit entsprechenden Beschichtungen reicht die Funktionsintegration von Daten-, Strom-, Energie- und Wärmeleitung und deren Speicherung bis zur Sensorik.

ACTIVE AUXETIC Wissenschaftler des renommierten MIT haben im Jahr 2017 ein aktives Auxetikmaterial präsentiert, das sich wie die Poren menschlicher Haut verhält. Dieses reagiert auf äußere Reize wie Temperaturschwankungen und die Entwicklung von UV-Strahlung. Bei Kälte zieht es sich zusammen, um die Wärme im Körperinneren zu halten, bei Anstieg der Temperatur entspannt sich das Material wieder. Die Art und Dimension der Verformung lässt sich dabei individuell programmieren. Idee ist es, ein smartes All-in-one-Kleidungsstück zu entwickeln, das wie die Haut auf Umgebungseinflüsse reagieren kann.

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THERMISCHE MEMORY MATERIALS Unter thermischen Memory Materials werden vor allem metallische und polymere Formgedächtniswerkstoffe verstanden, die bei Erreichen einer Aktivierungstemperatur ihre Formgeometrie verändern. Der Effekt geht im Metallbereich auf unterschiedliche Kristallstrukturen zurück, in denen eine Formgedächtnislegierung stabil vorliegen kann. Temperaturabhängig geht die Formveränderung auf eine Gitterumwandlung innerhalb der Kristallstruktur zurück. Diese kann nicht beliebig eingestellt werden, sondern findet in bestimmten engen Temperaturbereichen statt. Es existieren sowohl Lösungen mit einem Einweg-Memory-Effekt als auch solche, die sich immer wieder in ihre Ausgangsform zurückführen lassen (Zweiweg-Memory-Effekt). Anwendungen sind vor allem in der Medizintechnik, zum Beispiel bei Stents, oder aus der Automobilindustrie bekannt. Auf Initiative des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) aus Dresden werden seit 2013 im Rahmen der Forschungsinitiative „smart³“ neue Produktszenarien für Formgedächtniswerkstoffe erschlossen. Dazu zählen Entwicklungen zu selbstregulierenden Sonnenschutzsystemen für die Architektur ebenso wie Ansätze zur Verbesserung des Wirkungsgrads von Elektroantrieben für Kraftfahrzeuge. Auch im Kunststoffbereich existieren Lösungen mit Formgedächtniseffekt. Hier hat es einige interessante Entwicklungen bei Formgedächtnisschaumstoffen gegeben, die in Zukunft im Verpackungsbereich und in der Raumfahrt Einsatz finden sollen.

SMARTES KISSEN ZUR VERMEIDUNG VON SCHÄDELDEFORMATIONEN Knapp 20 % aller Neugeborenen weltweit sind von Schädeldeformationen betroffen, weil sie in der Nacht grundsätzlich auf dem Rücken liegend schlafen. Mit Cumulino hat der Designer Lukas Boxberger an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ein aktives Lagerungskissen entwickelt, das Schädelasymmetrien im Säuglingsalter präventiv verhindert und auf die Funktionsweise thermischer Formgedächtnislegierungen zurückgeht. Der Kindskopf wird durch langsame und geräuschlose Formveränderung auf dem Kissen von links nach rechts und umgekehrt bewegt, ohne den Schlaf dabei zu stören. Formgedächtnisaktoren sind in eine flexible Kunststoffmatrix im Innern des Kissens integriert und verhindern die einseitige Belastung des Schädels.

Das Cumulino-Kissen bewegt den Kinderkopf lautlos und sanft in verschiedene Positionen. Quelle: Fraunhofer IWU

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Erwärmen sich die integrierten Formgedächtnisaktoren des Solar Curtains, öffnen diese die blütenartige Verschattung und schirmen den Innenraum so von der Sonneneinstrahlung ab. Solar Curtain nutzt die Energie der Sonne zur Verschattung von Glasfassaden.

Quelle: Forschungsinitiative smart³

Quelle: Fraunhofer IWU & Weißensee Kunsthochschule Berlin

Die in die Wollstruktur eingearbeiteten Formgedächtnisaktoren des Demonstrators UPANDDOWN reagieren auf Sonnenhitze und ermöglichen so eine autarke Fensterverschattung. Quelle: Laura Risch, Forschungsinitiative smart³

SOLAR CURTAIN In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern am Fraunhofer IWU hat die Textildesignerin Bára Finnsdottir an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ein Verdunkelungssystem entwickelt, das aus 72 Blütenstrukturen besteht. In die einzelnen Elemente des Solar Curtains hat die Designerin 80 mm lange Formgedächtnisaktoren integriert, die den Öffnungs- und Schließmechanismus gewährleisten. Erwärmt sich die Fassade durch Sonneneinstrahlung, verformen sich die Drähte aus einer Nickel-Titan-Legierung bei Erreichen einer bestimmten Aktivierungstemperatur und ziehen sich zusammen. Die Fassade verschattet sich und der Raum ist vor Sonneneinstrahlung geschützt. Sinkt die Temperatur am Abend, ist der Prozess reversibel und die Fassade wird wieder durchlässig für das natürliche Licht. In einem anderen Verschattungssystem hat die Designerin Laura Risch die Materialien Wolle und Nickel-Titan-Formgedächtnislegierungen miteinander kombiniert.

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Selbstentfaltender Satellit Thumbsat Quelle: Noumenon

SELBSTENTFALTENDER SATELLIT Unter dem Namen „Thumbsat“ wird derzeit eine satellitenartige Raumstation für Experimente im Weltall umgesetzt, deren Entwicklung ohne die sonst üblichen hohen Kosten auskommt. Die Idee des Projekts ist es, sowohl kleinen Forscherteams den Zugang zu universitärer Forschung im Weltall zu ermöglichen als auch große Projekte durchführen zu können. Der Satellit wird sich nach einer Lebensdauer von acht bis zwölf Wochen unter den extremen Bedingungen des Raums selbstständig auflösen und keinen Abfall hinterlassen. Damit die Entwicklungsplattform auf einem komprimierten Raum ins Weltall transportiert werden kann, soll ein Formgedächtnisschaumstoff auf Polyurethan-Basis Verwendung finden, der derzeit bei Noumenon in Belgrad entwickelt wird. Das Material kann zum Transport gestaucht und im Volumen verkleinert werden. Am Einsatzort gewinnt der Schaumstoff seine ursprüngliche Geometrie durch Erwärmen auf die Aktivierungstemperatur zurück und der Thumbsat entfaltet sich selbsttätig in eine vorab definierte Position.

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ATMENDE SYSTEME

Bloom aus Tausenden lasergeschnittenen Bimetallstreifen Quelle: Doris Kim Sung

Immer wieder wird versucht, die menschliche Atembewegung auf Gebäude und Fahrzeuge zu übertragen, um ihnen neben einem funktionalen Mehrwert auch eine visuelle Integration in die Umgebung zu verschaffen. Einige Beispiele zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie ein innovativer Materialgebrauch in Kombination mit smarter Steuerungstechnik und Automation die Entwickler näher an ihre Ziele kommen lassen.

ATMENDE FASSADE Eine Entwicklung aus der Architektur ist die Breathing Metal Wall von Doris Kim Sung. Sie besteht aus Tausenden lasergeschnittenen Bimetallstreifen, die sich unter Wärmeeinfluss bzw. Sonneneinstrahlung aufgrund der unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten der beiden Metalle in eine Richtung biegen. Es entstehen Öffnungen im Gebäude, die sich für die Klimatisierung nutzen lassen.

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Breathing Skins Quelle: Tobias Becker

BREATHING SKINS Ein ähnliches Ziel verfolgte Tobias Becker an der Universität Stuttgart mit seinen Breathing Skins, die er in Kooperation mit Festo entwickelte. Kern des Systems sind pneumatische Muskeln, die durch Luftdruckänderungen angesteuert werden und sich entweder öffnen oder schließen lassen. Die Breathing Skins reagieren auf äußere Einflüsse der Umgebung wie Luftdruck, Schall, Temperatur und Lichteinfall, passen sich entsprechend an, so dass der Energiebedarf von Gebäuden deutlich reduziert werden kann.

CONCEPT BREATHE Mit der Studie „Concept Breathe“ zeigt der Automobilkonzern AUDI, wie er sich einen Autositz als atmenden Organismus vorstellt. Unter der Leitung von Manuel Kretzer hat ein Entwicklungsteam an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig einen Autositz als innovative Vision einer dynamischen Struktur für die Zukunft des autonomen Fahrens entwickelt. Um die visuellen und haptischen Eigenschaften des Autositzes dynamisch anpassen zu können, wurden 38 maßgeschneiderte, aktive Komponenten entwickelt und in die Sitzfläche integriert. Diese machen die formverAutositzstudie „Concept Breathe“ Quelle: HBK Braunschweig

änderlichen Bereiche des Sitzes aus, der auf wechselnde Fahrbedingungen reagieren kann und die Identifikation des Benutzers mit dem Automobil durch Atmungsbewegungen verbessert.

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FORMVERÄNDERUNG DURCH HYGROSKOPIE

HygroSkin-Pavillon mit 1.100 feuchtigkeitsempfindlichen Klappen Quelle: Prof. Achim Menges, ICD / Universität Stuttgart

Dass Materialien auch auf Feuchtigkeit reagieren und ihre Form verändern können, haben Achim Menges von der Universität Stuttgart mit dem HygroSkin-Pavillon und der Produktdesigner Chao Chen vom Royal College of Art in London mit auf Wasser reagierenden Fassadenelementen auf eindrucksvolle Weise gezeigt. Beiden Entwicklungen dient der Tannenzapfen als natürliches Vorbild. Dieser ist in der Lage, sich bei feuchtem Klima eng zu verschließen, um seine Struktur bei Trockenheit wieder zu öffnen. Ziel der Entwicklungen war die Schaffung klima-adaptiver Architektur. In beiden Entwicklungen wurde dünnes und ursprünglich glattes Sperrholz verwenAuf Feuchtigkeit reagierende Fassade Quelle: Chao Chen

det, das sich bei Änderung der Luftfeuchtigkeit selbsttätig verformt und dabei Öffnungen in der architektonischen Haut eines Baukörpers preisgibt. Der Effekt geht auf die hygroskopischen Eigenschaften von Holz zurück. Zellulosefasern binden bei Anstieg der relativen Luftfeuchtigkeit in der Umgebung Wassermoleküle in der Faserstruktur. Dabei kommt es zu einer Volumenänderung, die bei vielen Holzarten in der Wachstumsrichtung der Faser größer ausfällt als quer dazu. Werden in dünnen Holzlagen die Fasern bewusst orientiert und die Schichten fest miteinander verbunden, entstehen bei unterschiedlichen Ausdehnungsrichtungen der Fasern Spannungen, die den Effekt des Tellerns hervorrufen können, wodurch sich ein Aufbiegen einstellt. Der HygroSkin-Pavillon besteht aus insgesamt 28 einzelnen Bauelementen, in die insgesamt 1.100 feuchtigkeitsempfindliche Klappen eingelassen sind. Bei Änderung der Luftfeuchtigkeit zwischen 30 % (sonniger Tag) und 90 % (verregneter Tag) öffnen und schließen sich die Klappen selbsttätig, ohne dass ein Energieeinsatz oder aufwendige Elektronik notwendig geworden wäre.

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DAUERNASSE FLÜSSIGKEITSIMPRÄGNIERTE OBERFLÄCHE

LiquiGlide-Technologie für dauerhaft feucht-rutschige Oberflächen Quelle: LiquiGlide Inc.

LiquiGlide ist das einzige Unternehmen weltweit, das eine dauerhaft nasse und rutschige Oberfläche im Angebot hat. Diese wird eingesetzt, um zum Beispiel das Auspressen von pastösen Massen aus einer Tube zu unterstützen und wasserabweisende Oberflächen zu erzeugen. Die Innovation geht auf Entwicklungen am MIT aus den USA zurück. Sie wurde patentrechtlich geschützt und ist Grundlage des Start-ups LiquiGlide mit Sitz in Cambridge. Die Technologie ermöglicht die Entwicklung einer Vielzahl von kundenspezifischen, imprägnierten Beschichtungen. Dabei schafft LiquiGlide keine herkömmliche superhydrophobe Oberfläche, wie man es von Lotusblättern kennt, denn diese sind stark strukturierte Oberflächen mit einer Art Luftkissen, auf denen Flüssigkeiten abrutschen können. Bei LiquiGlide handelt es sich vielmehr um eine dauernasse flüssigkeitsimprägnierte Fläche, die direkt auf einer Flüssigkeitsschicht sitzt. Sie besteht aus einem Mehrschicht-System, das aus einer festen Textur und einer Flüssigkeitsschicht besteht. Die Flüssigkeit wird an Ort und Stelle innerhalb der Textur gehalten, wodurch eine dauerhaft nasse Flüssigkeitsoberfläche entsteht. Mögliche Anwendungen sind die Verbesserung des Auslaufens von flüssigen und pastösen Lebensmitteln aus Flaschen und Tuben zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen, die Verhinderung von Verstopfungen in Gas- und Ölleitungen und die Verbesserung von Arbeitsprozessen in Industrie und Handwerk. Die Technologie ist mittlerweile so weit ausgereift, dass die Geschwindigkeit an einer Oberfläche abfließender Flüssigkeiten exakt eingestellt werden kann.

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ANTIEISOBERFLÄCHEN Im Energiebereich, bei Mobilitätslösungen und in der Luftfahrt können sich Vereisungen sehr negativ auswirken und führen oftmals zu Ausfällen ganzer Systeme. So müssen vereiste Windkraftanlagen im Winter ausgeschaltet werden, oder vor dem Start eines Flugzeugs werden Vereisungen auf den Tragflächen mit erheblichem Chemikalienaufwand entfernt. Aus diesem Grund ist eine Vielzahl von Forschergruppen mit der Entwicklung von Beschichtungssystemen und Mikrostrukturen beschäftigt, die ein Anhaften von Wasser und die Ausbildung von Eiskristallen behindern und großflächige Vereisungen verhindern können.

MIKROSTRUKTURIERTE POLYURETHANBESCHICHTUNG Mit Plasmatechnologien können beispielsweise eisabweisende mikro- und nanostrukturierte Schichten aus Polyurethan und anderen Oberflächen abgeschieden werden. Diese wirken superhydrophob, so dass sich auftreffendes Wasser zu kugelförmigen Tröpfchen zusammenzieht und abperlt. Auf diese Weise wird die Eisbildung behindert und die Eishaftung um bis zu 90 % herabgesetzt. Die an der Hochschule Bremen entwickelte Antieisausrüstung wurde bereits erfolgreich auf einer selbstklebenden, schlag- und stoßfesten Polyurethan-Folie erprobt. Sie lässt sich auf das zu schützende Objekt kleben und sorgt für den gewünschten Effekt. Typische Anwendungsgebiete wären Flugzeugtragflächen, Rotorblätter, Solarpaneele, Strom-Freileitungen, Gebäudefassaden, Sportgeräte und Kühlaggregate.

PYROELEKTRISCHES BESCHICHTUNGSSYSTEM An der TU Dresden entwickeln Forscher aktive pyroelektrische Beschichtungen zur Verzögerung von Eisbildung und Minimierung der Eisadhäsion auf Oberflächen aus Aluminium, Stahl, glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) und Glas. Unter Pyroelektrika versteht man Materialien, die auf Temperaturschwankungen mit einer Änderung der Ladung reagieren und die Bindungsverhältnisse von Wasser und Eis in der Grenzschicht beeinflussen. Je nach Polarisierung der Beschichtung kann der Effekt genutzt werden, um eine verminderte oder verstärkte Eiskeimbildung auszulösen.

Aktive pyroelektrische Beschichtungen zur Minimierung der Eisadhäsion an Rotorblättern von Windkraftanlagen Quelle: TU Dresden

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SALVINIA-EFFEKT

Lichtreflexion an der Grenzfläche von Riesen-Schwimmfarn beim Eintauchen in Wasser Quelle: wikipedia

Einige Tiere und Pflanzen wie zum Beispiel Schwimmfarne und Rückenschwimmer haben eine stark wasserabweisende, superhydrophobe weil strukturierte Oberfläche. Unter Wasser getaucht, bildet sich an dieser eine dauerhaft stabile Luftschicht aus. Es gelangt kein Wasser zwischen die feinen Härchen, eine Luftschicht wird eingeschlossen und wirkt reibungsreduzierend. Dieses Phänomen wird als Salvinia-Effekt beschrieben. In grundlegenden Untersuchungen des Phänomens haben die Wissenschaftler um Wilhelm Barthlott an der Universität Bonn fünf Kriterien definiert, die die stabilen Luftschichten unter Wasser ermöglichen. Demnach bilden den Salvinia-Effekt hydrophobe Oberflächen aus, die in Kombination mit Nanostrukturen eine besondere Superhydrophobie erzeugen, haarartige mikroskopische, einige Mikro- bis mehrere Millimeter hohe Strukturen aufweisen, Hinterschneidungen haben und elastisch sind. Elastizität scheint für die Kompression der Luftschicht unter wechselnden hydrostatischen Bedingungen wichtig zu sein. Da die Luftschicht zwischen Materialoberfläche und vorbeiströmender Flüssigkeit als Gleitfilm fungiert, sind zahlreiche technische Anwendungen für den SalviniaEffekt denkbar. Vor allem für den Schiffsbau könnte die Übertragung der technischen Prinzipien des Salvinia-Effekts auf den Rumpf zu einer deutlichen Verringerung des Energieeinsatzes führen. Man geht von einer möglichen Reibungsreduktion von bis zu 30 % aus. Anwendungen für den Transport und die Leitung von Wasser sind bislang noch nicht bekannt. Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben unter dem Namen „NanoFur“ eine Kunststofffolie mit einer speziellen Nanostrukturierung vorgestellt, die eine effektive Trennung von Öl und Wasser nach Tankerunglücken hervorrufen kann. Für die Herstellung wird eine Polymerfolie in eine Stahlform mit Poren im Mikro- und Nanobereich gelegt. Die Form wird auf eine Temperatur über der Erweichungstemperatur des Kunststoffs erhitzt und die Folie im erwärmten Zustand aus der Form gezogen. Auf diese Weise entsteht eine Oberflächenstruktur mit Nanofasern, die den Salvinia-Effekt simuliert.

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GRAPHEN-MATERIALIEN

Orange leuchtende OLED auf einer Graphen-Elektrode Quelle: Fraunhofer FEP

Graphen ist eine stabile Modifikation des Kohlenstoffs in zweidimensionaler Struktur, bei dem sich die Kohlenstoffatome ähnlich einer Bienenwabenstruktur anordnen. Neben herausragenden mechanischen Qualitäten wie hoher Härte und extremer Zugfestigkeit fällt Graphen vor allem als Leiter für Wärme und elektrischen Strom auf, was einige neue Produkte im Elektronikbereich, im Bereich von Funktionsbekleidung und für gedruckte Batteriesysteme ermöglichen würde. Darüber hinaus wird die Möglichkeit zur Ausnutzung der Transparenzeigenschaften von Graphen immer wieder diskutiert.

GRAPHEN-TEXTILIEN FÜR SMARTEN WÄRMETRANSPORT Um die besondere Qualität von Graphen zur Wärmeleitung für Funktionsbekleidung nutzbar zu machen, hat der italienische Hersteller Colmar einen textilen Stoff für Winterbekleidung entwickelt. Dieser transportiert vom Sportler erzeugte Wärme zu kälteren Bereichen des Körpers und fördert so eine optimale Blutzirkulation. Außerdem sorgt das Textil dafür, dass sich elektrostatische Aufladung abbauen kann.

TRANSPARENTE ELEKTRONIK Da Graphen lediglich aus einer Atomschicht hexagonal angeordneter Kohlenstoffatome besteht und dünner als 0,3 nm ist, wirkt es optisch transparent. Forschergruppen arbeiten weltweit daher an der Integration von Graphen-Displays und Touchscreens. Im Jahr 2017 ist es am Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) in Dresden erstmals gelungen, organische Leuchtdioden (OLED) aus Graphen herzustellen.

GRAPHENBASIERTER FILAMENT–DRUCK Experten erwarten für den 3D-Druck, dass sich die Potenziale der additiven Fertigung in den nächsten Jahren vor allem für den Elektronikbereich erschließen lassen. Werkstoffhersteller haben dazu in den letzten Jahren elektrisch leitfähige Druckfilamente mit Graphen auf den Markt gebracht.

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WASSERSÄUBERNDE FILTERMATERIALIEN

Schaumstoff infiltriert mit ölanziehenden Silanen Quelle: Mark Lopez, Argonne National Laboratory

Sauberes Trinkwasser gilt weltweit als wertvolle Ressource. Viele Regionen und etwa eine Milliarde Menschen weltweit haben derzeit keinen ausreichenden Zugang dazu. Oft ist es stark verunreinigt und durch Krankheitserreger und Chemikalien verseucht. Durch die Folgen der Klimaerwärmung und die steigende Weltbevölkerung wird sich die Situation in den nächsten Jahren verschärfen. Daher sind zahlreiche neue Materiallösungen für Filtersysteme in der Entwicklung, um Wasser von Schadstoffen zu befreien bzw. Meerwasser zu entsalzen.

OLEO SPONGE Am Argonne National Lab in Illinois hat ein Forscherteam um den Chemiker Jeffrey Elam einen Schwamm auf Basis eines herkömmlichen Polyurethan-Schaumstoffs entwickelt, der besser Öl aus dem Meerwasser filtern soll als die üblicherweise zur Anwendung kommenden Lösungen mit geflochtenen Matten aus Wolle und Menschenhaar. Der Schaumstoff wurde durch Infiltration von ölanziehenden Silanen so modifiziert, dass sich der Schwamm bevorzugt mit Ölen und Kerosin verbindet.

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Wasserfilter aus antibakteriellen Zellulosefasern Quelle: KTH Royal Institute of Technology

Funktionsweise eines Graphen-Filters Quelle: University of Manchester

POLYELEKTROLYT-MODIFIZIERTE ZELLULOSEFASERN Am KTH Royal Institute of Technology in Stockholm arbeiten Wissenschaftler an einem Wasserfilter aus antibakteriellen Zellulosefasern verschiedener Baumarten. Zur Reinigung des Wassers wird der Filter in ein positiv geladenes Polymer getränkt. Bakterien und Viren mit negativer Ladung werden angezogen und aus dem Wasser entfernt. Im Gegensatz zu bisher genutzten Sandfilteranlagen und textilen Filtersystemen lösen sich bei der neuen Methode keinerlei Gifte oder Toxine im Wasser. Nach dem Gebrauch kann der Zellulosefilter sogar verbrannt werden. Der Filter soll in infrastrukturschwachen Regionen Einsatz finden, da er keine Elektrizität benötigt. Weitere Anwendungsfelder sehen die Forscher in der Medizintechnik für Binden und Bandagen oder in der Verpackungsindustrie.

GRAPHEN-FILTER FÜR TRINKWASSER AUS DEM MEER Die vorhandenen Technologien zur Entsalzung und Aufbereitung von Meerwasser sind kostspielig und energieintensiv. Wissenschaftler aus Manchester haben im Jahr 2017 ein Sieb aus Graphen entwickelt, das die Entsalzung von Meerwasser erheblich erleichtern würde. Graphen ist eine wabenartig orientierte Kohlenstoffstruktur, die nur eine Atomlage dick ist. Bei der Filterentwicklung machen sich die britischen Forscher das chemische Derivat Graphenoxid zunutze. Gelöst in einer Tinte wird Graphenoxid auf eine poröse Fläche aufgetragen, es entstehen Membrane mit Öffnungen kleiner als einem Nanometer. Die Öffnungen lassen Wasser passieren, filtern aber Salze zuverlässig heraus.

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MAGNETISCHE UND MAGNETORHEOLOGISCHE WERKSTOFFE

Textil mit magnetisch wirksamen Fasern Quelle: Prof. Dr. Markus Hozbach, Institut für Materialdesign (IMD), HfG Offenbach / Main, in Kooperation mit BMW AG

Magnetische Qualitäten spielen im Zusammenhang mit der Ansteuerung von Oberflächen und der Realisierung formveränderlicher Qualitäten eine wichtige Rolle. In einer ganzen Reihe von Entwicklungsprojekten wird versucht, Materialien magnetische bzw. magnetorheologische Eigenschaften hinzuzufügen, von denen man diese nicht erwarten würde. Magnetorheolgische Substanzen reagieren in diesem Zusammenhang auf das Anlegen eines elektrischen oder magnetischen Feldes durch stufenlose Steuerung der Viskosität zwischen flüssig und fest.

MAGNETIC FABRICS Am Institut für Materialdesign (IMD) der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach wurden verschiedene Projekte durchgeführt, um neue Funktionsoberflächen für die Interaktion in Mobilitätslösungen zu entwickeln. Neben experimentellen Materialmustern entstanden physische und digitale Modelle sowie Mock-ups für unterschiedliche Anwendungsszenarien. Im Projekt „Magnetic Fabrics“ zeigt Lilian Dedio, wie unter Integration magnetisch wirksamer Fasern in ein Textil ein steuerbares Arrangement einer Oberfläche erzeugt werden kann.

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Magnetischer Holzblock Quelle: ETH Zürich, Vivian Merk

MAGNETIC WOOD Die ETH-Wissenschaftlerin Vivian Merk hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Holz magnetisieren lässt. Dabei werden Eisenoxidpartikel tief in die Zellstruktur integriert. Das Holz wird zunächst in einer Eisenchloridsalze enthaltenden, sauren Lösung aufgeweicht. Anschließend wird das Holzstück entnommen und eine Fällungsreaktion Magnetische Zellulose Quelle: Cellutech

in einer starken Lauge ausgelöst. Schwarze Nanopartikel aus Eisenoxid flocken aus und setzen sich in den Zellinnenwänden der Holzstruktur fest. Anwendungen werden zum Beispiel in der Automobilindustrie gesehen.

MAGNETISCHE ZELLULOSE Das Kompositmaterial besteht aus Nanozellulose und magnetischen Nanopartikeln. In einem besonderen Verfahren werden die magnetischen Nanopartikel gleichmäßig auf den Zellulose-Nanofibrillen verteilt und dem Material neben einer besonderen mechanischen Qualität magnetische Eigenschaften hinzugefügt. Anwendungsgebiete liegen bei elektrischen Geräten, bildgebenden Systemen und in der medizinischen Diagnostik. Wissenschaftler haben bereits ultradünne Lautsprecher mithilfe magnetischer Nanozellulose in einer Dicke von lediglich 50 μm erzeugt.

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Magnetorheologisches Elastomer verändert die Dichte unter Einwirkung eines magnetischen Felds. Quelle: Fraunhofer ISC

MAGNETORHEOLOGISCHE ELASTOMERE Elastomere sind weiche Polymere mit hoher Ausdehnung, die in zahlreichen technischen Anwendungen zum Beispiel in Form von Dichtungen oder als schwingungsdämpfende Lager weit verbreitet sind. Eine der Schlüsseleigenschaften von Elastomeren ist ihre Härte, die an die spezifische Verwendung angepasst werden kann. Das selektive Verändern der Härte einer Elastomeroberfläche ermöglicht es, das Gefühl der Oberfläche zu verändern. Ein solches Verhalten kann mit magnetorheologischen Elastomeren erreicht werden.

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Elektrolumineszenz-Display mit abfließendem Wasser Quelle: Luke Franzke, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK

PHONO-LUMINESZIERENDES PAPIER UND FLÜSSIGES LICHT Bei sanftem Berühren der Oberfläche sendet phono-lumineszierendes Papier Lichtsignale aus. Gleichzeitig wird das Material in Schwingung versetzt, es entstehen Geräusche. Das Material wurde als Teil einer Reihe von experimentellen Forschungsprojekten von Luke Franzke an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) mit einem Fokus auf den Nutzwert kurzlebiger Werkstoffe entwickelt. Im Gegensatz zu jedem anderen audiovisuellen Touch-Display ist phono-lumineszierendes Papier eine vollkommen analoge Technologie. Die einzigartige Kombination verschiedener Komponenten ermöglicht es, dass das Papier sowohl als Sensor als auch als Anzeigegerät bzw. Klangerzeuger wirkt. Die interaktiven Fähigkeiten werden während der Herstellung programmiert, die Berechnung erfolgt innerhalb des Materials.

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Lichtausbildung auf phonolumineszierendem Papier Quelle: Luke Franzke, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK

Das phono-lumineszierende Material entsteht durch Siebdruck verschiedener elektrisch aktiver Schichten auf die Papieroberfläche, die mit einer Polyesterschutzfolie versehen werden. Das Herstellungsverfahren ermöglicht eine kostengünstige Massenproduktion und Skalierbarkeit. Für den Effekt wird nur sehr wenig elektrische Energie benötigt, was das Umsetzen in großen Dimensionen auf ganzen Wänden möglich macht. Die Phänomene Licht und Schall werden durch die Kombination von Elektrolumineszenz und elektroakustischer Transduktion erzeugt, die beide durch eine Wechselstromversorgung angetrieben werden. Das Material bildet zusammen mit den Induktionsspulen in der Wechselstromversorgung einen Resonanzkreis als Reaktion auf die Ausbildung von Druck auf das Material. Im Material können Töne mit Frequenzen zwischen 340 und 810 Hz erzeugt werden. Das Licht reicht von kaltgrünen bis zu blauen Farbtemperaturen. Zusätzliche Farben sind unter Beimischung von Zusatzstoffen im Herstellungsprozess möglich. In einem anderen Projekt hat Luke Franzke unter dem Namen „Liquid Light“ ein Elektrolumineszenz-Display entwickelt, bei dem Wasser für die Funktion des Displays genutzt wurde. Ein besonderes Licht entsteht dabei beim Abgleiten der Wassertropfen auf der Oberfläche.

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Lichtemittierende Pflanzen

LEUCHTENDE PFLANZEN

Quelle: MIT; Foto: Seon-Yeong Kwak

Lichtemittierende Pflanzen wie in dem Erfolgsfilm „Avatar“ sind nach den jüngsten Veröffentlichungen einer Forschergruppe des MIT aus den USA keine Zukunftsvorstellung mehr. Den Wissenschaftlern um den Chemieprofessor Michael Strano ist es gelungen, lebender Brunnenkresse leuchtende Nanopartikel zu implizieren und diese für einige Stunden leuchten zu lassen. Das Lichtspektrum der Partikel liegt ähnlich dem von Glühwürmchen im gelb-grünen Bereich. Die Leuchtkraft ging zwar nicht über ein schwaches Glimmen von maximal vier Stunden hinaus, jedoch erwarten die Forscher für die Zukunft die Möglichkeit, Pflanzen mittels Nanotechnologie besondere Fähigkeiten zu verleihen. So ist geplant, auch größere Pflanzen wie Ficus oder eine Yucca-Palme zum Leuchten zu bringen. Dazu werden den Pflanzen leuchtende Nanopartikel in die Biomasse eingebracht, die als Luciferine bekannt sind. Dies ist der gleiche Stoff, der auch bei Glühwürmchen die Grundlage für den Leuchteffekt bildet. Um ihn in die Pflanze einzuführen, wird er an Nanoglobuli aus Siliziumpartikeln in Kombination mit speziellen Polymeren geheftet und unter Druck in mikroskopisch kleine Spaltöffnungen in der Blattoberfläche eingebracht. Die Öffnungen dienen der Pflanze zur Regulierung des Wasserhaushalts. Droht zu viel lebenswichtiges Wasser zu verdunsten, schließen sie sich. Die Wissenschaftler am MIT haben bereits die Vorstellung ganzer Straßenzüge mit leuchtenden Bäumen: Nach Berechnungen von Strano wäre es möglich, mit dem Prinzip die für eine Straßenbeleuchtung erforderliche Leuchtintensität zu erreichen.

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SELBSTHEILENDE WERKSTOFFE

Selbstheilendes Polymermaterial für flexible elektronische Anwendungen Quelle: Pennsylvania State University

Materialien mit selbstheilenden Eigenschaften sind der Traum vieler Architekten und Produktentwickler. Denn unter ihrer Verwendung ließe sich die Lebensdauer eines Produkts, einer Beschichtung oder eines Straßenbelags enorm verlängern. Haben sich die Forscher bis vor einigen Jahren auf selbstheilende Lösungen konzentriert, bei denen sich Kratzer im Lack oder Risse im Asphalt von alleine beseitigen, konzentrieren sie sich nun auf Konzepte, bei denen Materialien durchtrennt werden können und sich anschließend wieder zusammenfügen lassen.

SELBSTHEILENDES POLYUREA-URETHAN ( PUU ) Ein selbstheilendes Elastomer auf Basis von Harnstoff und Carbamaten wurde am Cidetec-Institut in San Sebastian entwickelt. Wird das Material durchschnitten und die Schnittflächen wieder zusammengeführt, benötigt der Werkstoff rund zwei Stunden, um sich selbsttätig wieder miteinander zu verbinden. Der Prozess geht auf eine Metathese-Reaktion von aromatischen Disulfiden zurück, weist eine Effizienz von 97 % auf und findet bei Zimmertemperatur statt. Die zerschnittenen Materialteile sind nach dem Vorgang wieder fest miteinander verbunden und halten auch größte Kräfte aus.

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SELBSTHEILENDE MATERIALIEN FÜR ELEKTRONISCHE ANWENDUNGEN Eine andere spektakuläre Entwicklung wurde an der Penn State University für flexible elektronische Systeme in Kleidungsstücken entwickelt. Sogenannte Wearables sind mitunter starken mechanischen Belastungen ausgesetzt, werden gebogen oder gestaucht, was neue Lösungen bei den zur Anwendung kommenden Materialien erforderlich macht. US-Wissenschaftler um Qing Wang haben für einen solchen Einsatzzweck ein selbstheilendes Material entwickelt, bei dem nach dem Heilungsprozess alle für elektronische Anwendungen erforderlichen Eigenschaften wiederhergestellt sind. Dazu zählen neben der mechanischen Festigkeit die Wärmeleitfähigkeit und elektrische Leitfähigkeit ebenso wie die Durchschlagfestigkeit zum Schutz vor Überspannungen sowie die dielektrischen oder isolierenden Qualitäten. Der Heilungsvorgang geht auf Bornitrid-Nanoplättchen zurück, die in ein Polymer integriert wurden und auf ihrer Oberfläche über funktionalisierte Wasserstoffbrücken-Gruppen miteinander verbunden wurden.

SELBSTHEILENDES THERMOPLASTISCHES POLYURETHAN ( TPU ) Unter dem Namen „Estane VSN 9000“ hat Lubrizol ein TPU für die besonderen Anforderungen hochbelasteter Designteile entwickelt. Das Material ist leichtgewichtig und weist ein starkes elastisches Rückbesinnungsvermögen auf. Daher ist es vor allem für Brillengestelle geeignet. Herausragende Eigenschaft ist die selbstheilende Qualität, die Kratzer nach einem Bad in rund 90 °C heißem Wasser verschwinden lässt.

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8 REGENERATIVE ENERGIEN UND ENERGIEGEWINNUNG In vielen Großstädten sieht man kleine blinkende Kästchen an Straßen, Ampeln, öffentlichen Verkehrsmitteln, Laternen oder Fassaden. Es sind Sensoren, die enorme Datenmengen aus ihrer Umgebung sammeln und den Grundstein für die zukünftige Smart City bilden. Sie können Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Lärmpegel, Signale von Kommunikationsgeräten und Licht erfassen und relevante Änderungen an ein smartes System senden. Der Einsatz intelligenter Sensortechnologie zur Unterstützung smarter Projekte in den Bereichen Verkehr, intelligentes Parken, adaptive Signalsteuerung von Lichtsystemen und Abfallmanagement wird in Europa in den nächsten Jahren Mooszelle zur Energiegewinnung Quelle: Fabienne Felder

stark zunehmen. Schließlich ging der größte Teil europäischer Investitionen in den letzten Jahren an Smart-City-Konzepte und Forschungsprojekte rund um das Technologiethema künstliche Intelligenz. Nach Schätzungen von Branchenbeobachtern sollen neue Geschäftsfelder mit einem Marktvolumen von rund 1,6 Billionen Euro in den nächsten sieben Jahren in Europa entstehen. Mit der zunehmenden Digitalisierung und der damit einhergehenden flächendeckenden Nutzung von Internet-of-Things-Geräten steigen die Erwartungen an die zuverlässige Verwendung der vielen kleinen Datensammler. Sie sollen selbstständig Daten übertragen können, wartungsfrei sein und zudem energieautark arbeiten, da die Geräte oft schwer zugänglich sind und nicht immer an das bestehende Stromnetz angeschlossen werden können. So gestaltete sich beispielsweise die Überwachung landwirtschaftlich genutzter Flächen zur effizienten Wassernutzung oder das lückenlose Tracken von Waren bislang als schwierig.

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Erfolgreiche Entwicklungen in der Halbleitertechnologie haben integrierte Schaltungen mit extrem geringem Stromverbrauch ermöglicht, deren Energieversorgung durch sogenannte Energy Harvester gewährleistet werden können, die Energie aus der unmittelbaren Umgebung „ernten“ können. Dabei sind die Energiequellen ebenso vielseitig wie verfügbar und verdeutlichen den bislang ungenutzten Reichtum an Energie auf unserer Erde. Mittlerweile werden nicht mehr nur Sonnenlicht, Wärme und Wind zur Stromerzeugung genutzt, sondern auch Vibrationen von Maschinen, Temperaturunterschiede bei Pipelinerohren und sogar biochemische Prozesse von lebenden Organismen wie Pflanzen, Tieren und Bakterien. Auch der Mensch wird mit seinen alltäglichen Bewegungen zunehmend als Energiebündel verstanden. Energiewandler, die in Textilien oder Schuhsohlen integriert werden, stehen kurz vor der Markteinführung und werden Wearables wie Fitnessarmbänder, digitale Brillen oder Smartwatches mit Strom versorgen. Energy Harvester werden folglich als wichtige technologische Grundbausteine zum Aufbau zukünftiger Smart Cities angesehen. Bis 2050 soll in Europa die Stromversorgung zu 100 % auf erneuerbaren Energiequellen wie beispielsweise Solarenergie, Windkraft und Biomasse beruhen. Laut Experten der LUT University of Technology in Finnland und der Energy Watch Group ist dieses Ziel realistisch und sogar wirtschaftlich konkurrenzfähig mit dem heutigen, konventionellen fossil-nuklearen System. Die Stromerzeugung durch Sonne, Wind und Wasser unterliegt jedoch natürlichen Schwankungen, die für Industrieländer wie Deutschland zum Problem werden können. Um eine Versorgungssicherheit für alle europäischen Länder zu gewährleisten, arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure an neuen Speicherund Batteriesystemen. Zudem kann Strom in Pumpspeicherwerken und durch die Umwandlung in Wasserstoff gespeichert und in einem intelligent vernetzten System nach Bedarf verteilt werden. Ein weiterer Faktor für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende liegt in der Verbesserung der Schlüsselkomponenten. So erregen Meldungen über einen stetig verbesserten Wirkungsgrad von Solarzellen, kostengünstige Thermogeneratoren oder schwermetallfreie Batterien Aufmerksamkeit und lassen die verantwortlichen Politiker Current Window Quelle: Marjan van Aubel

mit Nachdruck an der Energiewende arbeiten. Im Januar 2019 wurde von einer Kommission der Ausstieg aus der deutschen Kohleverstromung empfohlen.

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TRANSPARENTE UND ORGANISCHE PHOTOVOLTAIK Die organische Photovoltaik (OPV) gilt als unmittelbar nächster Entwicklungsschritt zur Nutzung solarer Energie. Der große Vorteil ist, dass sich die solaraktiven Farben auf Folien drucken lassen und sich Systeme ergeben, die flexibel und transparent sein können. Vor allem für die Architektur würden sich zahlreiche neue Gestaltungsmöglichkeiten ergeben. Bislang galt der niedrige Energieertrag im Vergleich zu den siliziumbasierten PV-Modulen als Hindernis für einen breiten Markterfolg der OPV-Technologie. Jüngste Fortschritte lassen hoffen, dass sich dies bald ändern wird.

SOLARBETONWAND Mit Europas erster Solarbetonwand in Herne zeigt der Technologiepionier Heliatek, dass sich gebäudeintegrierte, organische PV-Systeme rentieren. Mit einer Süd-West-Ausrichtung liefert die Betonwand bei einer installierten Leistung von 1 kWp im Jahr etwa 500 kWh Energie. Weltweit werden jährlich rund 130 Mio. m² Betonfassade verbaut, ein enormes Potenzial für die organische Photovoltaik. Integriert in Gebäude kann sie einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung liefern und die CO₂-Bilanz von Bürogebäuden und Lagerhallen vor allem in Großstädten deutlich verbessern. Sie erlaubt einen breiten gestalterischen Spielraum für Planer und Architekten hinsichtlich der Farbgestaltung und des Layouts der Folien.

CURRENT TABLE Um das Potenzial von Sonnenenergie auch im Innenraum zu nutzen, beginnen die Designer von Caventou aus London Photovoltaik auch in die Dinge des alltäglichen Lebens zu integrieren. Eine erste Entwicklung ist der Current Table, ein Schreibtisch mit einer Glasplatte, auf deren Unterseite eine Farbstoffsolarzelle aufgebracht wurde. Auch ein Fenster haben die Designer um Marjan van Aubel bereits mit Mustern aus Farbstoffsolarzellen ausgestattet. Wer Energie für sein Smartphone oder seine Kamera benötigt, der findet im Fensterbrett einen USB-Anschluss zum Aufladen. Großer Vorteil der OPV-Technologie ist, dass die Energierückführung auch bei künstlichem Licht funktioniert.

SOLARGLASBAUSTEINE In Palermo auf Sizilien haben Wissenschaftler um Rossella Corrao 3D-Glaskomponenten mit integrierten OPV-Farbstoffsolarzellen entwickelt. Die Solarglasbausteine werden unter dem Namen „Smart Building Skin“ vermarktet. Sie können zu multifunktionalen Paneelen montiert werden und den Energieverbrauch von Gebäuden reduzieren. Die Solarbausteine sind umweltfreundlich und vollständig recycelbar. Sie können in Bezug auf Farbe, Form und Transparenz je nach Wunsch des Planers angepasst werden. Für die einfache Installation wurde ein Montagesystem entwickelt, das die Solarbausteine auch mit tragenden Strukturen verbinden kann.

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Current Table Quelle: Marjan van Aubel; Foto: Mitch Payne

Europas erste Solarbetonwand Quelle: Heliatek, Reckli

Solarglasbausteine mit integrierter Farbstoffsolarzelle Quelle: sbskin

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Transparente Solarzelle Quelle: Michigan State University; Foto: Yimu Zhao

TRANSPARENTE SOLARZELLE Forscher der Michigan State University (MSU) haben einen sogenannten Solarkonzentrator entwickelt, der auf einer Fensterscheibe platziert werden kann, Strom erzeugt und für das menschliche Auge unsichtbar ist. Mit einem Wirkungsgrad von 1 % sehen die amerikanischen Wissenschaftler eine mögliche Anwendung vornehmlich im Konsumbereich für Tablets und Mobiltelefon-Displays. Das Ziel für die nächste Entwicklungsphase ist die Verbesserung des Wirkungsgrads auf 5 %. Schließlich soll die Erfindung mit bereits existierenden, semitransparenten Zellen mithalten können, die einen Wirkungsgrad um 7 % aufweisen.

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Solarbruch

MINI-SOLARZELLEN

Quelle: Ryszard Dzikowski

Bei etwa 90 % der weltweiten Solarmodulproduktion werden kristalline Solarzellen verwendet. Solarzellenbruch und defekte Ware machen 10 % der Produktion aus. Nur größere Stücke werden mithilfe von Lasern zu kleinen Solarzellen verarbeitet und in kleine Module verbaut, der Rest wird als Abfallprodukt eingeschmolzen und zu Polysilikon verarbeitet.

MINI-SOLARZELLEN AUS SOLARZELLENBRUCH In Berlin wurde von Ryszard Dzikowski eine Technologie entwickelt, um aus kleinen Solarbruchstücken unter Einsatz einfacher Werkzeuge sogenannte Mini-Solarzellen herzustellen. Der Erfinder kalkuliert, dass sich aus 1 kg Solarbruch etwa 1.600 bis 1.800 Mini-Solarzellen mit einer Größe von 20 mal 20 mm fertigen lassen. Diese Menge würde beispielsweise den Bau von 130 bis 150 Solarlampen zu einem Preis von unter zehn US-Dollar pro Stück möglich machen. Auf diese Weise ließen sich teure Kerosinlampen in Entwicklungsländern ersetzen. Die einfache Handhabung der Solarzellen erlaubt es auch fachfremden Personen, die Montage selber vorzunehmen. Die Einsatzmöglichkeiten für Mini-Solarzellen sind vielseitig, sie reichen von solaren Batterieladegeräten, Ortungssystemen und Solarleuchten bis hin zu aktiven RFID-Systemen und Funketiketten zum Beispiel für die Tieridentifikation oder Transpondersysteme.

R E G E N E R AT I V E E N E R G I E N U N D E N E R G I E G E W I N N U N G

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Mini-Solarzellen Quelle: Ryszard Dzikowski

MINI-SOLARZELLEN FÜR KLEIDUNGSSTÜCKE Auch für Wearables werden Mini-Solarzellen in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Wissenschaftler der Nottingham Trent University in Großbritannien haben 3 mm lange und 1,5 mm breite Solarzellen entwickelt, die in Textilien integriert werden können und Energie auf nachhaltige Weise generieren. So ließe sich zum Beispiel ein Fitness-Tracker mit Strom versorgen. Um ein Smartphone aufzuladen, müssten nach Aussage der Wissenschaftler etwa 2.000 Solarzellen in ein Kleidungsstück eingearbeitet werden. Für das menschliche Auge sind die Mini-Solarzellen nahezu unsichtbar. Aufgrund ihrer geringen Größe haben sie keinen negativen Einfluss auf den Tragekomfort des Kleidungsstücks. Die Forscher haben bereits erfolgreich einen Demonstrator mit einer Fläche von 5 × 5 cm entwickelt, der 200 Miniatur-Solarzellen enthält.

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FLÜSSIGLINSEN

Zylinderflüssiglinse für die konzentrierte Photovoltaik Quelle: Ryszard Dzikowski

Flüssiglinsen dienen dazu, Licht- und Sonnenstrahlen zu bündeln und den Wirkungsgrad von Photovoltaik-Modulen deutlich zu steigern. Aufgrund des sehr hohen Konzentrationsfaktors der Lichtbündelung könnten beim Arbeiten mit Flüssiglinsen die Flächen der Anlagen auf einen Bruchteil der Gesamtfläche von Photovoltaik-Anlagen und solarthermischer Kraftwerke reduziert werden. In den letzten Jahren wurde eine Reihe interessanter Ansätze für die Umsetzung von Flüssiglinsen vorgestellt.

ZYLINDERFLÜSSIGLINSE Eine innovative Form von Zylinderlinsen mit den Eigenschaften mehrerer sphärischer Linsen wurde in Berlin von Lumicell entwickelt. Die mit Wasser gefüllte Flüssiglinse besteht aus einem transparenten, an einer Seite konvex oder bikonvex geformten Hohlkörper aus Kunststoff oder Glas. Mit dem Aufbau kann ein Lichtkonzentrationsfaktor um das 2.000-fache erzielt werden. Aufgrund der Verwendung sehr preiswerter Materialien ließe sich die Zylinderlinse in jeder denkbaren Größe und Form fertigen. Aufbau und Funktionsweise haben geholfen, neuartige Optiken zu entwickeln, die sowohl für die konzentrierte Photovoltaik (CPV) als auch in konzentrierten solarthermischen Kraftwerken (CSP) Anwendung finden können.

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Kugelkonzentrator Quelle: André Brössel, Rawlemon

KUGELKONZENTRATOR Der Architekt André Brössel hat eine mit Flüssigkeit gefüllte Glaskugel als Sonnenkollektor vorgestellt, der Lichtstrahlen in einem Brennpunkt sammelt und auf Photovoltaik-Zellen und wärmebetriebene Mini-Generatoren fokussieren kann. Tests in Barcelona haben ergeben, dass kugelförmige Linsen die Lichtausbeute stark erhöhen. Im Vergleich zu konventionellen, konzentrierenden Systemen sollen sich durch Kugellinsen die Erträge verdoppeln lassen. Der Solarkollektor funktioniert dabei nicht nur an sonnigen, sondern auch an bewölkten Tagen wie auch in der Nacht. Die Glaskugel kann selbst Mondstrahlen bündeln und auf diese Weise in elektrische Energie umwandeln. Bei diffusem Licht sind Kugellinsen gegenüber Fresnel-Linsen deutlich im Vorteil. Zur Kommerzialisierung des Konzepts hat Rawlemon unter dem Namen „beta.ray“ einen Sonnenkollektor aus einer Vielzahl massiver Kunststoffkugeln entwickelt. Er soll im Vergleich zu einem konventionellen Solarpanel die doppelte Menge an Energie bereitstellen und zum Beispiel in Gebäudefassaden angebracht werden können. Mit einem zweiachsigen Tracking- und Schwenksystem werden die Kugeln optimal zu den eintreffenden Sonnenstrahlen bewegt. Ein erstes System zum Aufladen von Mobiltelefonen wurde bereits auf dem Markt präsentiert. Eine Lösung für Glasfassaden von Bürogebäuden wird derzeit entwickelt.

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Plant-e im Funktionstest

BIOCHEMISCHE ENERGIEGEWINNUNG

Quelle: Plant-e

Pflanzlich-mikrobielle Brennstoffzellen, die Strom aus lebenden Pflanzen produzieren, könnten in Kombination mit einer effizienten städtischen Landwirtschaft eine ernstzunehmende Technologie zur Gewinnung von nachhaltigem und erneuerbarem Strom sein. Bakterien im Boden lösen organische Rückstände auf, die die Pflanze nach der Photosynthese über die Wurzeln absondert. Dabei entstehen Elektronen, die mit einer Elektrode eingefangen und in Elektrizität umgewandelt werden.

PLANT-E Das niederländische Spin-off der Universität von Wageningen Plant-e hat eine Technik entwickelt, mit der mittels lebender Pflanzen elektrische Energie erzeugt werden Funktionsprinzip der Energiegewinnung Quelle: Plant-e

kann. In Zukunft sollen Dachbegrünungen zur Energieversorgung beitragen. Bisherige Hochrechnungen der Entwickler gehen davon aus, mit dem System eine mögliche Leistung von 0,5 MW / km² zu realisieren. Durch Photosynthese erzeugt jede Pflanze Sauerstoff und organische Stoffe wie Glukose (C₆H₁₂O₆). Die Glukose wird in die Wurzeln transportiert, in denen sie durch Bakterien gespalten wird. Bei diesem Prozess entstehen als Abfallprodukte freie Elektronen und Protonen. Der für den Stromfluss notwendige Potenzialunterschied elektrischer Ladungen entsteht in einem System aus einer Anode, einer Kathode und einer das Erdreich von Wasser trennenden Membran. Dabei sind die Kohlenstoff-Elektroden inert und reagieren nicht mit der Umgebung. Nach Angaben des Unternehmens könnte ein 15 m² großes, mit Reispflanzen bepflanztes Feld einen Laptop mit Strom versorgen. Mit einer Prototypenanlage in der Heimatstadt Wageningen wird bereits eine LED-Straßenbeleuchtung betrieben.

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Moos-Radio Quelle: Fabienne Felder

MOOS-RADIO In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Cambridge in Großbritannien hat Fabienne Felder das erste Moos-Radio der Welt entwickelt, das mit Photo Microbial Fuel Cells (Photo-MFCs) betrieben wird. Zur konstanten Stromgenerierung nutzt Fabienne Felder den Output der Photosynthese bei Sonneneinstrahlung sowie die natürlich vorkommenden bakteriellen Prozesse der Pflanzenatmung bei Nacht. Durch zusätzliche, natürlich vorkommende bakterielle Prozesse in den Photo-MFCs produzieren die Zellen auch bei Dunkelheit Strom. Als Stromgeneratoren dienen zehn mit Moos bestückte Zellen, die mit einem Verbund aus wasserspeichernden, leitenden und pflanzlichen Materialien bestückt sind. Um dem Radio konstant Strom zu liefern, wird das System durch eine Batterie stabilisiert, die von den Moos-Zellen aufgeladen Alternativ können die zehn Mooszellen auch Energie für eine Digitaluhr generieren. Quelle: Fabienne Felder

wird. Für einen dauerhaften Betrieb müssen alle Moos-Zellen stets feucht gehalten und an einem sonnigen Standort platziert werden. Mit diesem Projekt ist zum ersten Mal ein elektrisches Gerät einzig und allein durch den Einsatz von Pflanzen versorgt worden.

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Mikroskopaufnahme der Algen Chlorella vulgaris. Die Alge weist großes Potenzial in den Bereichen Bio-Energie und Gesundheit auf. Quelle: Fabienne Felder

Algenthermometer Quelle: Fabienne Felder

ALGENBETRIEBENES THERMOMETER An der Rhode Island School of Design hat Fabienne Felder ihre Erkenntnisse in der Arbeit mit foto-mikrobischen Brennstoffzellen erweitert und das weltweit erste von Photo-MFCs angetriebene Elektrogerät für den Haushalt in der Form eines Thermometers entwickelt. Mikroalgen werden genutzt, um einen handelsüblichen Temperatursensor und ein LCD mit Strom zu versorgen. Es lief einige Monate ununterbrochen im Rahmen der Ausstellung „Biodesign: from Inspiration to Integration“ in den USA und war das einzige lebende Exponat. R E G E N E R AT I V E E N E R G I E N U N D E N E R G I E G E W I N N U N G

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ENERGIE VON TIERISCHEN ORGANISMEN

Versuchsaufbau zur Gewinnung von Energie an einem Taschenkrebs Foto: Haute Innovation

Neben Pflanzen können auch tierische Organismen zur Gewinnung von Energie in kleinsten Mengen genutzt werden. Forschungsprojekte an den drei Universitäten Clarkson in New York, Case Western Reserve in Cleveland und der Université Joseph Fourier in Grenoble haben Möglichkeiten erschlossen, mit Enzymen in biologischen Brennstoffzellen Glukose und andere Verbindungen von tierischen Organismen in elektrische Energie umzuwandeln. Die Funktionsweise ist dabei auf die Lebenszeit des Organismus begrenzt. Eine Anwendungsmöglichkeit könnte zum Beispiel ein muskelbetriebener Herzschrittmacher sein. An den verschiedenen Hochschulen wurden folgende Experimente durchgeführt:

HUMMER ( AUSGANGSLEISTUNG: 12 MIKROWATT ) Die Wissenschaftler haben dem Krustentier mit Enzymen beschichtete Folien aus Kohlenstoff-Nanoröhren als Elektroden am Rücken implantiert. Diese Biobrennstoffzellen erzeugten eine Spannung, die in etwa ein Drittel des Wertes einer AAA-Batterie erreichte.

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KAKERLAKE ( AUSGANGSLEISTUNG: NICHT GENANNT ) Die Forscher verwendeten Kondensatoren zur Speicherung der elektrischen Leistung einer Kakerlake und nutzten die Energie zur Übertragung von Funksignalen. Vision der Forscher war die Entwicklung eines Cyborg-Insektes, das mit dem Joystick gesteuert werden kann.

SCHNECKE ( AUSGANGSLEISTUNG: 7,45 MIKROWATT ) Bei Versorgung einer Schnecke mit Karotten produziert diese eine hinreichend große Menge Körpersäfte, um einen Herzschrittmacher betreiben zu können. Der organische Mechanismus könnte auf implantierbare Vorrichtungen übertragen werden, die durch den Körper eines Patienten versorgt werden würden.

VENUSMUSCHEL ( AUSGANGSLEISTUNG: 37 MIKROWATT ) Bei der Untersuchung der energetischen Potenziale von Venusmuscheln haben Wissenschaftler drei Exemplare aus einem Lebensmittelgeschäft miteinander verschaltet und waren in der Lage, genug Energie für den Betrieb eines winzigen Elektromotors zu erzeugen. Eine Voraussetzung war allerdings, dass zwischen den Versuchsreihen eine ausreichend lange Pause eingelegt wurde, damit sich der Blutzuckerspiegel der Muscheln regenerieren konnte.

RATTE ( AUSGANGSLEISTUNG: 6,5 MIKROWATT ) Die Forscher implantierten Elektroden in den Bauch einer 500 g schweren Ratte. Anschließend konnte dem Blut der Ratte über drei Monate ein elektrischer Strom entnommen werden. Ein Anwendungsszenario sehen die Wissenschaftler in künstlichen Organen, die sich selbst antreiben.

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SCHWUNGENERGIEWANDLER

Swing Harvester für elektrische Energie aus Schwungbewegung beim Laufen Quelle: Klevis Ylli, Hahn-Schickard-Gesellschaft

Mittlerweile lässt sich die eigene Fitness und der Bewegungsradius durch die Zählung der Schritte mittels Smartphone oder Smartwatch registrieren. Die Gesellschaft möchte den Wohlstandskrankheiten wie Diabetes oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen entgegenwirken, die auf falsche Ernährung und zu wenig Bewegung zurückzuführen sind. Weitere technische Entwicklungen sind im Entstehen: So werden Fitnessgeräte und Sportschuhe die Energiegewinnung aus der Bewegung des Menschen ermöglichen und somit einen Beitrag zu alternativer Energieversorgung gewährleisten.

SPANNUNGSWANDLER FÜR ENERGETISCHE FITNESS René Eick war einer der Ersten, der die Möglichkeiten zur Energieerzeugung im Fitnessbereich erkannte. In seinem Fitnessclub GreenGym im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg stattete er insgesamt 18 Fahrräder und Stepper mit Spannungswandlern aus, die die Bewegungsenergie der Sportler für die Energieversorgung des Studios nutzen. Am Fahrrad-Ergometer treten die Fitnesssportler im Schnitt mit 80 W in die Pedale. Damit kann ein Smartphone gleich mehrfach aufgeladen werden. An den Trainingsgeräten sind Steckdosen angebracht, die zum Aufladen der Akkus genutzt werden können.

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Shock Harvester integriert in einen Laufschuh Quelle: Klevis Ylli, Hahn-Schickard-Gesellschaft

SHOCK UND SWING HARVESTER Ein ähnliches Konzept verfolgen die Entwickler der Hahn-Schickard-Gesellschaft in Freiburg. Dort wurde in einen Laufschuh Elektronik integriert, die die beim Auftreten der Ferse anfallende Druckenergie (Shock Harvester) und die beim Laufen entstehende Schwungenergie des Beins (Swing Harvester) in elektrische Energie transformiert und in einer Batterie speichert. Beide Entwicklungen gehen auf das physikalische Prinzip der Induktion zurück. Dabei entsteht elektrische Energie durch die Bewegung eines Magnetfelds entlang einer Spule. Auf diese Weise sollen Geräte, die den Puls oder die Schrittfrequenz messen, in Zukunft ohne Aufladen eines Akkus auskommen.

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PIEZOELEKTRISCHE ENERGIESYSTEME Im Bereich textiler Energielieferanten überzeugen kostengünstige Kunststoffe mit piezoelektrischen Eigenschaften. Als Garnmaterial in den Stoff gewebt, kann der Träger durch seine Bewegungen das Material dehnen bzw. Druck ausüben und auf diese Weise elektrische Impulse erzeugen. Jacken mit integrierten Piezofasern können allein durch die Bewegung des Trägers oder mit der Aufprallenergie von Regentropfen eine ausreichende Energiemenge erzeugen, um mitgeführte Geräte wie Mobiltelefone aufzuladen oder gar in Dunkelheit zu leuchten.

PIEZOFASERN FÜR KLEIDUNGSSTÜCKE Wissenschaftler an der Technischen Universität Chalmers in Göteborg haben erfolgreich stromgenerierende Textilien auf Basis der Piezotechnologie entwickelt. Die Schweden nutzen für ihre Technologie einen piezoelektrischen Faden, den sie mit elektrisch leitenden Garnen zu einem stretchfähigen Textil verweben. Die einzelnen Piezofasern bestehen aus 24 elektrisch leitenden Fasern, die mit einer piezoelektrischen Hülle ummantelt sind. Wird nun das Gewebe auseinandergezogen, entsteht genug Energie, um eine LED zum Leuchten zu bringen oder kleine Geräte wie einen Taschenrechner oder eine Digitaluhr mit Strom zu versorgen. Der Effekt lässt sich zudem durch Feuchtigkeit positiv manipulieren: Werden die Fasern nass, werden sie von Wasser umhüllt und steigern somit die Leitfähigkeit aller Komponenten.

TWISTRON Forscher der Universität Dallas haben unter dem Namen „Twistron“ ein Garn entwickelt, das bei Dehnung eine elektrische Spannung erzeugt. Ausgangspunkt für das verdrillte Garn sind gewobene Karbon-Nanoröhrchen, die im Verbund mit Elektrolyten piezoelektrische Eigenschaften aufweisen und Strom generieren können. Das Besondere an der Kombination ist, dass im menschlichen Schweiß unter anderem Verdrilltes Garn mit piezoelektrischen Eigenschaften Quelle: University of Dallas

Inhaltsstoffe wie Elektrolyte vorhanden sind. Zu einem Stoff verwoben, kann das Garn die Rückgewinnung elektrischer Energie aus menschlichen Bewegungen fördern und Batterien für mobile Geräte überflüssig machen. Der Stoff ist dabei so empfindlich, dass selbst Atembewegungen eines Menschen ausreichen, um Sensoren mit Energie zu versorgen. In diesem Zusammenhang wäre auch eine Anwendung zur Patientenüberwachung denkbar. Die Forscher nutzen salzhaltiges Feststoffpolymer, um die Fäden zu ummanteln. Das verdrillte Garn kann zudem verwendet werden, um Energie aus Wellenbewegungen im Ozean zu gewinnen: Erste Tests belegen, dass die Bewegung des Garns, angebracht an einem Gewicht sowie einem Schwimmkörper, durch Torsion oder Dehnung ebenfalls Energie erzeugte.

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Detailansicht des stromproduzierenden Reifens BH03 Konzept Quelle: GoodYear

PIEZOELEKTRISCHE MATERIALIEN FÜR ENERGIEPRODUZIERENDEN REIFEN Der Reifenspezialist GoodYear hat auf dem Internationalen Automobil-Salon in Genf im Jahr 2015 die Konzeptstudie eines stromproduzierenden Reifens vorgestellt, der aus Wärme und Deformationen elektrische Energie gewinnen kann. Bei dem Reifen wurden sowohl thermoelektrische als auch piezoelektrische Materialien verwendet, um so viel Energie wie möglich aus der Bewegung eines Fahrzeugs zurückzuführen. Der thermoelektrische Werkstoff wandelt die am Reifen entstehende Wärme in elektrische Energie um, die von der schwarzen Textur innerhalb des Reifens im Stand durch Licht- / Hitze-Absorption und während der Fahrt durch Rollreibung anfällt. An sogenannten Piezoaktoren können zudem die durch mechanischen Druck entstehenden Strukturdeformationen in elektrische Energie umgewandelt werden. Die verschiedenen Werkstoffe sind in ein 3D-Netz integriert und bilden die innere und gleichzeitig stützende Struktur des Reifens. Auf der 3D-Struktur liegt ein umlaufender Kanal, der die Aquaplaning-Widerstandsfähigkeit erhöht. Eine schallabsorbierende Lauffläche schließt den Aufbau des Reifens ab.

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Anwendungsszenario für eine U-Bahn-Station

MOYAPOWER

Quelle: Charlotte Slingsby

Unter dem Namen „Moya Power“ hat die Südafrikanerin Charlotte Slingsby am Royal College of Art in London eine Technologie entwickelt, die es erlaubt, mittels eines transparenten Textils und langer Kunststofffransen Bewegungsenergie von Luftbewegungen in elektrische Energie zu überführen. Das Kleinkraftwerk besteht aus dem Fluorkunststoff PVDF, der nach entsprechender Polarisierung im Vergleich zu anderen Polymeren einen starken piezoelektrischen Effekt aufweist. Wird der Stoff bewegt, nimmt er mechanische Energie auf und wandelt die Bewegung in elektrische Impulse um, die in den Stromkreislauf eingespeist werden können. Die Designerin schätzt, dass mit einem Quadratmeter ihres stromerzeugenden Fransentextils rund 10 % der EnergieMoya Power im Detail Quelle: Charlotte Slingsby

menge erzeugt werden könnte, die man von konventionellen Photovoltaik-Paneelen kennt. Die Entwicklung versteht sich als Ergänzung zu vorhandenen Technologien wie Solar- oder Windkraftanlagen und soll in Tunnelanlagen, unter Autobahnbrücken, in U-Bahn-Schächten oder an anderen Luftschneisen wie etwa Flüssen Anwendung finden. Ein erster Testeinsatz soll in der Elisabeth Line des Londoner U-Bahn-Netzes installiert werden.

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KLEINWINDANLAGEN FÜR URBANE RÄUME

Windkraftwerk mit Inversionskinematik Quelle: Ferdinand Drechselz

Die Windenergie hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Ihr Anteil an der Bruttostromerzeugung in Deutschland lag im Jahr 2017 bei 16,1 %. Neben dem Ausbau von Großanlagen und Off-Shore-Windparks arbeiten Entwickler auch an kleinen Windkraftanlagen für die Energieversorgung von Gewerben und privatem Wohnraum in urbanen Gebieten. Die Ideen reichen von Mikrowindturbinen für Fassaden über modulare Systeme bis hin zu kugelförmigen und windrichtungsunabhängigen Systemen.

WINDKRAFTWERK MIT INVERSIONSKINEMATIK Auf dem Markt erhältlich sind sogenannte Windkonzentratoren mit horizontaler Drehachse und Kleinwindanlagen mit vertikalem Rotor (zum Beispiel Savonius- oder Darrieus-Rotor). Unter dem Namen „Invento“ wurde an der Hochschule Darmstadt am Lehrstuhl von Tom Philipps ein alternatives Windkraftwerk entwickelt, das auf dem Prinzip der Inversionskinematik basiert. Es wandelt Windenergie in elektrische Energie um, indem es in eine Drehbewegung versetzt wird, die einer Umstülp-Bewegung gleichkommt. Hierbei ist die Stellung der Rotorblätter zur Windrichtung essentiell für die Effizienz. Es handelt sich um einen Langsamläufer, der im Gegensatz zu den Schnellläufern schon bei geringen Windgeschwindigkeiten in Rotation versetzt wird. Daher eignet sich das System besonders für Kleinwindkraftwerke. Langsamläufer werden durch die reine Schubkraft des Windes angetrieben. Ihre Rotationsgeschwindigkeit ist stets kleiner oder bestenfalls gleich der Windgeschwindigkeit. Die Systeme springen schon auf geringere Windgeschwindigkeiten an, da der Kraftvektor beim Aufprall der Luftmasse im günstigsten Fall exakt in Richtung der Rotation zeigt. Die mechanische Belastung ist beim inversionskinematischen Rotor bei höheren Windgeschwindigkeiten deutlich größer als bei Schnellläufern, daher ist eine kleine Konstruktion optimal für das Antriebsprinzip geeignet.

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Modulare Windkraftanlage Quelle: MOWEA, Berlin

MODULARE WINDKRAFTANLAGE Das Berliner Start-up MOWEA bietet die weltweit erste modulare Windkraftanlage an, die eine praktikable und wirtschaftliche Versorgung mit privater Windenergie ermöglicht. Die Anlage besteht aus einer Vielzahl kleiner, hocheffizienter Windgeneratoren, die je nach Einsatzfall zu einem System zusammengeschaltet werden können. Der entscheidende Vorteil besteht in der Skalierbarkeit unter Verwendung kostengünstiger, standardisierter Bauteile. Dabei lässt sich mit der Windanlage ein Leistungsbedarf ab 400 W bis in den mittleren kW-Bereich abdecken. Die modularen Systeme sind damit auch in dicht bebauten Gebieten einsetzbar, zum Beispiel bei Einfamilienhäusern, für Mobiltelefon-Funkmasten oder auch auf industriellen Flachbauten.

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O-Wind-Turbine für häufig wechselnde Windrichtungen Quelle: Nicolas Orellana, Yaseen Noorani

O-WIND-TURBINE Studenten der University of Lancaster haben eine kugelförmige Turbine für Standorte mit häufigem Windrichtungswechsel entwickelt. Vor allem in urbanen Gebieten wird der Wind oft durch verschieden hohe Gebäude verwirbelt. Dabei können kleine Veränderungen der Windgeschwindigkeit zu spontanen Richtungswechseln führen. Nicolas Orellana und Yaseen Noorani haben für ihre Entwicklung das Bernoulli-Prinzip genutzt: Der Schweizer Mathematiker hat im 18. Jahrhundert strömende Flüssigkeiten untersucht und fand heraus, dass der Druck immer da kleiner wird, wo eine Strömung an Geschwindigkeit gewinnt. Dieser Erkenntnis folgend, haben die jungen Ingenieure sich für eine kugelförmige Gestaltung der nur 25 cm kleinen O-Wind-Turbine entschieden. Sie ordneten kiemenähnliche Öffnungen vertikal sowie horizontal um eine einzelne Drehachse an, die sich nach innen verkleinern. Aufgrund der runden Form muss der Wind über die Außenseite einen längeren Weg zurücklegen als im Inneren der Turbine. Die entstehende Druckdifferenz führt zu einer mechanischen Drehbewegung, die in Strom umgewandelt wird.

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ENERGIERÜCKGEWINNUNG AN ROHRLEITUNGEN

Mikroturbine zur Energierückgewinnung an Abflussrohren Quelle: Blue Freedom

Die Technologie des Energy Harvesting ermöglicht es, kleine Mengen an elektrischer Energie aus der Umwelt zu gewinnen, um so elektronische Systeme wie Sensoren, Funksender oder Displays energieautark zu versorgen. Die Bewegung von Flüssigkeiten in Rohrleitungssystemen ist für einige Wissenschaftler und Unternehmen eine vielversprechende Quelle zur Rückführung von Energie.

OVALRADZÄHLER

Energieautarkes Durchfluss-Messsystem mit Fernauslesung

Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) ist es mit

Quelle: Fraunhofer IIS, Heiko Wörrlein

Regenrinnen, Abwassersystemen und Pipelines zu gewinnen. Mit der Technologie lässt

der Entwicklung eines Ovalradzählers gelungen, Energie aus Volumenströmen an sich eine Fernauslesung von Daten an Rohrleitungen und Zapfsäulen zur Bestimmung der getankten Benzinmenge wartungsfrei durchführen. Bislang musste die Energie zur Messdaten-Erfassung und -Übertragung aus Batterien oder konventionell mit einem Kabel bereitgestellt werden. Die damit verbundenen Kosten machen einen wirtschaftlichen Einsatz der Durchfluss-Messsysteme zur Fernauslesung in vielen Fällen nicht möglich. Durch entsprechende Anordnung von Magneten und fest installierter Spulen ist es alleine aus der Drehbewegung des Ovalradzählers möglich, bei einem Durchfluss von 50 l / min rund 20 mW zu erzeugen. Diese Energiemenge reicht aus, um ohne weitere Batterien ein Funkmodul mit Strom zu versorgen und die Messdaten drahtlos zu übertragen. Die Fernauslesung ist zur Kontrolle und Überwachung des gemessenen Volumenstroms in vielen Anwendungen, wie bei Pipelines und Zapfsäulen, in verschiedenen Ländern zwingend erforderlich.

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Kleinstwasserkraftwerk für fließende Gewässer Quelle: Blue Freedom

MIKROTURBINE AN ABFLUSSROHREN Einen Schritt weiter gehen die Entwickler bei Blue Freedom in Bayern. Das Unternehmen bietet eine Mikroturbine für Abflussrohre an. Insgesamt sollen weltweit jährlich 4 Billionen Liter Wasser in Leitungssystemen bewegt werden. Mit dem System können selbst leichte Wasserbewegungen der Stromerzeugung dienen. Infrage kommen Trink- und Abwasserrohre ebenso wie Rohre in Kläranlagen.

KLEINST-WASSERKRAFTWERK FÜR FLIESSENDE GEWÄSSER Die Mikroturbine baut auf den Erfahrungen auf, die das Unternehmen mit einem Wasserkraftwerk gemacht hat, das als weltweit kleinstes und leichtestes gilt. Es hat einen Durchmesser von 20 cm und wiegt lediglich 400 g. Die Mikroturbine ermöglicht es, an fließenden Gewässern ab einer Strömungsgeschwindigkeit von 0,5 m / s Strom zur Versorgung von elektrischen Kleingeräten wie Smartphones, Digicams und Lampen zu gewinnen. Die Kapazität der Blue Freedom beträgt mehr als 5.000 mAh bei einer Leistung von mindestens 5 W. Um die verfügbare Kapazität zu erhöhen, können weitere Speichergeräte an zwei USB-Ports angeschlossen werden.

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SCHWERMETALLFREIE ENERGIESPEICHER

Papierbatterie mit einer Leistung von 0,1 bis 100 mW Quelle: Fuelium

Durch die Verwendung von Einwegbatterien entstehen alleine in Deutschland jährlich rund 40.000 t Sondermüll. Da Batterien Schwermetalle enthalten, ist eine fachgerechte Müllentsorgung essentiell. Für den Hausgebrauch wären Batteriesysteme interessant, die ohne toxische Stoffe auskommen und dem normalen Hausmüll zugeführt werden können.

PAPIERBATTERIE Das Unternehmen Fuelium aus Spanien hat eine Batterie aus Papier entwickelt, die im Gegensatz zu herkömmlichen Lithium-Batterien keine toxischen Stoffe oder Schwermetalle enthält. Der Energiespeicher basiert vielmehr auf einer elektrochemischen Reaktion. Dabei wird das flüssige Testmedium durch die Kapillarwirkung des Papiers zum Sensor transportiert. Nach Angaben der Wissenschaftler kann die Spannung zwischen einem und sechs Volt bei einer Leistung von 0,1 bis 100 mW eingestellt werden. Mögliche Anwendungen sehen die Entwickler bei elektrischen Geräten mit geringem Strombedarf vor allem im medizinischen Bereich wie zum Beispiel In vitro-Diagnosegeräte zur Überprüfung von Blutzucker oder des Hormonhaushalts von Patienten. Heute werden solche Einwegmessgeräte mit Lithium-Knopfbatterien betrieben. Diese landen häufig im Hausmüll, obwohl nur etwa 1 % der Batterieladung verbraucht wurde. Die Batterien von Fuelium können exakt auf den Anwendungsfall eingestellt werden. Durch die geringen Produktionskosten können vor allem Krankenhäuser in Entwicklungsländern davon profitieren.

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Funktionsweise und Aufbau der Zuckerbatterie Quelle: Dennis Rittel, Ana Maria Garcia und Soichiro Katayama

ZUCKERBATTERIE Eine Forschergruppe rund um Y. H. Percival Zhang hat das System einer Zuckerbatterie vorgestellt, das 15 Mal mehr Energie speichern könnte als vergleichbare Technologien mit Lithiumionen. Die Entwicklung basiert of biologischen Ressourcen. Sie wurde von den Industriedesignstudenten Dennis Rittel, Ana Maria Garcia und Soichiro Katayama der Hochschule Darmstadt aufgegriffen und in ein handelsübliches Format übertragen. Die Intention der Gestalter war es, dass zuckerbasierte Brennstoffzellen in Zukunft MP3-Player, Fernbedienungen und andere elektronische Geräte mit Strom versorgen werden. Bei dem vorgestellten System wird der aus dem Sportbereich bekannte Zucker Maltrodextrin in Wasser gelöst. In einem biochemischen Prozess unter Zugabe von Enzymen baut sich dieser in Wasser und Kohlendioxid ab und setzt dabei eine große Menge an Energie frei. Was Sportler direkt in Körperbewegungen umwandeln können, muss für die Verwendung in elektrischen Produktszenarien zwischengespeichert werden. Dazu haben die Designer ein Batteriegehäuse aus Polylactide (PLA) entwickelt. Nachgeladen wird die Batterie in einer speziellen Ladestation. Ist der Zucker abgebaut, wird die verbliebene Flüssigkeit mit Unterdruck aus dem Gehäuse gesaugt und durch eine neue Zuckerlösung ersetzt. Spezielle Gummimembrane am Batteriekopf und -fuß sorgen dabei für die nötige Durchlässigkeit.

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LAGEENERGIESPEICHER

Funktionsweise des Lageenergiespeichers Quelle: Prof. Eduard Heindl

Die größte Herausforderung bei der Nutzung von Wind- und Sonnenenergie ist es, die Schwankungen über den Tag und die jahreszeitlichen Unterschiede auszugleichen, da Photovoltaik-Anlagen in der Nacht keinen Strom erzeugen. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, müssen in einem von erneuerbaren Energien dominierten Energiesystem für den Fall länger anhaltender Perioden mit Schwachwind oder geringer Sonnenscheindauer wesentlich größere Speicher eingesetzt werden, als bislang vorhanden sind. Ein Konzept für einen Zwischenspeicher, der einen ganzen Ort über einen längeren Zeitraum mit Energie versorgen kann, kommt von Eduard Heindl aus Stuttgart. Sein Lageenergiespeicher basiert auf der Idee, eine aus ihrer natürlichen Umgebung herausgelöste, bewegliche Gesteinsmasse mit Wasserdruck anzuheben und bei Strombedarf die gespeicherte Energie wieder zurückzugewinnen. Besteht Energiemangel, wird das unter hohem Druck stehende Wasser vergleichbar eines konventionellen Wasserkraftwerks durch eine Turbine geleitet und an einem Generator die potenzielle in elektrische Energie rückgeführt. Die Speichermenge hängt bei dem beschriebenen System von der Größe des Gesteinskolbens ab. Die Entwickler gehen davon aus, dass sich ab einem Durchmesser von 100 m der Betrieb eines Lageenergiespeichers lohnen würde. Die Entwickler kalkulieren – beim Durchmesser eines Kolbens von 250 m – Kosten in Höhe von 200 US-Dollar / kWh Kapazität. Die für den Bau benötigten Techniken sind aus dem Berg- und Tunnelbau bekannt und dort bereits erprobt. Der Speicher benötigt im Wesentlichen zwei zentrale Dichtungen, zum einen die Abdichtung des Kolbens zu den Außenwänden, zum anderen einen Dichtungsring um den Kolben. Der Kolben und seine Umgebung werden mit Geomembranen so abgedichtet, dass kein Wasser aus dem Hubvolumen entweichen kann. Zum Abdichten des Felskolbens gegen seine Umgebung wird ein Dichtungsring eingesetzt, der gegen eine Metallfläche läuft. Der Eingriff erfolgt über das langsame Heben und Senken eines riesigen Felskolbens. Allerdings handelt es sich bislang um einen Prototypen.

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MULTIFERROISCHE MATERIALIEN FÜR ENDLOSAKKUS

Die purpurne Doppellinie stellt die zusätzliche Eisenoxidschicht dar, die das Material bei Raumtemperatur nahe an ein Multiferroikum heranführt. Quelle: Emily Ryan, Megan Holtz, Cornell University / USA

Smartphones sind heute weltweit allgegenwärtig. Leider wird der Energiespeicher durch die ständige Bereitschaft extrem beansprucht, was ein häufiges Aufladen des Akkus erforderlich macht. Nach den Vorstellungen von Wissenschaftlern der University of Michigan und der Cornell University soll durch Verwendung multiferroischer Materialien das stark energieverbrauchende Aufladen der Vergangenheit angehören. Die Wissenschaftler stellen Prozessoren für elektronische Geräte in Aussicht, die 100 Mal weniger Energie benötigen. Multiferroisch nennt man einen Stoff, der gleichzeitig ferromagnetisch und ferroelektrisch ist. In einem Magnetfeld magnetisiert er und in einem elektrischen Feld ändert er seine Polarisation. Ein Auftreten beider Effekte in einer Substanz wurde bis dato nur bei sehr niedrigen Temperaturen beobachtet. Die amerikanischen Forscher können den dauermagnetischen sowie dauerhaft elektrisch geladenen Zustand des Materials kontrolliert simulieren, was zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für Elektrogeräte hätte. Das neue Material könnte die herkömmlichen Halbleitersysteme in den Prozessoren ersetzen. Der Energieverbrauch ließe sich durch Stromimpulse auf einen Bruchteil reduzieren. Ausgangspunkt dieser innovativen Technologie sind Elektrokeramiken wie zum Beispiel Bariumtitanate, die mit verschiedenen Beschichtungen ummantelt werden. Als Ergebnis würden diese Materialkombinationen die multiferroischen Eigenschaften hervorrufen. Die Forscher sind zuversichtlich, dass die ersten Kleinelektrogeräte wie Smartphones und Tablet-Computer mit dem Material bald den Weg auf den Markt finden werden. Das wäre nicht nur für den Endverbraucher sehr praktikabel, sondern vor allem sehr umweltfreundlich.

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TREIBSTOFFE AUS SONNENLICHT

Projektoren in einer Großtestanlage erzeugen Strahlung mit einer Leistung von 380 kW. Quelle: DLR Jülich

Die Zukunft der individuellen Mobilität wird von den meisten Experten in Elektroantrieben auf Basis regenerativer Energiequellen gesehen. Für den Betrieb eines Passagierflugzeugs werden jedoch Treibstoffe mit hoher Energiedichte benötigt. Vor allem für Langstreckenflüge würde ein Elektroantrieb nicht ausreichen. Abhilfe soll nun eine Art künstliche Sonne liefern, mit der Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt (DLR) in Jülich versuchen, umweltfreundliche, solare Treibstoffe zu erzeugen. Unter dem Namen „Synlight“ wurde im März 2017 ein Versuchsaufbau mit 150 Hochleistungsleuchten installiert, der mithilfe eines Metallkatalysators in der Lage ist, Flugzeugtreibstoffe aus Kohlendioxid und Wasser zu gewinnen. Die Lampen, die man normalerweise in Großkino-Projektoren verwendet, erzeugen dabei eine Strahlung, die 10.000 Mal so intensiv ist wie die auf der Erdoberfläche ankommende Sonnenstrahlung. Das Licht wird in der Großtestanlage in einer Weise fokussiert, dass Temperaturen von bis zu 3.500 °C und eine Leistung von maximal 380 kW erreicht werden. Wasserstoff, der in der Natur lediglich chemisch gebunden vorkommt, wird in Jülich in

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Jeder Strahler hat einen Durchmesser von 105 cm. Quelle: DLR Jülich

einem direkten chemischen Prozess abgespalten. Die Xenon-Kurzbogen-Lampen sind auf einen Punkt ausgerichtet und bilden eine große künstliche Sonne. Unter Einwirkung der erzeugten Energie wird Metall auf eine Temperatur von etwa 800 °C erhitzt und Wasserdampf hinzugeführt. Das Metall oxidiert mit dem im Wasserdampf enthaltenen Sauerstoff. Dabei wird Wasserstoff freigesetzt. Bislang ist das Verfahren lediglich in Grundlagenuntersuchungen erfolgreich getestet worden. An der Entwicklung eines Wasserstoffflugzeugs wird derzeit auch gearbeitet. Unter dem Namen „HY4“ ist es im Sommer 2016 das erste Mal erfolgreich in die Höhe gestiegen.

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ÜBER DIE AUTOREN DR. SASCHA PETERS Dr. Sascha Peters ist Gründer und Inhaber der Zukunftsagentur HAUTE INNOVATION mit Sitz in Berlin. Mit seiner Expertise als Innovationsberater, Produktentwickler und Autor zählt er zu einem der renommiertesten Material- und Technologieexperten in Europa. Seit 1997 leitete Peters Forschungsprojekte und Produktentwicklungen am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT (Aachen), war von 2003 bis 2009 stellvertretender Leiter des Design Zentrum Bremen und Leiter des Materialkompetenzzentrums der Modulor GmbH in Berlin. 2004 promovierte er an der Universität Duisburg-Essen mit einer Arbeit zur Kommunikationsförderung zwischen Designern und Ingenieuren. Peters ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und hält weltweit Vorträge. Seit 2014 ist er Mitglied des Beirats der Förderinitiative „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“ im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF. Von 2015 bis 2019 wurde Dr. Peters in die Jury des Red Dot Award Product Design berufen.

DIANA DREWES Die gelernte Tischlerin Diana Drewes hat Produktdesign an der Kunsthochschule BerlinWeißensee studiert. Bereits während ihres Studiums legte sie ihren Schwerpunkt auf Materialentwicklungen unter Ausnutzung natürlicher Wachstumsprozesse und verfolgte diesen bis zum Masterabschluss. Seit 2017 arbeitet Drewes als Materialforscherin und Werkstoffentwicklerin bei der Zukunftsagentur HAUTE INNOVATION. Ihr Themenschwerpunkt liegt in der Verknüpfung von Technologie und Biologie. Diana Drewes hat bereits mehrere einzigartige Materialien entwickelt, die frei von Chemikalien sind, ausschließlich aus Abfallstoffen der Forst- und Lebensmittelindustrie bestehen und zu 100 % kreislauffähig sind. In ihren Vorträgen stellt sie die jüngsten Materialinnovationen auf Basis natürlicher Ressourcen vor und skizziert Produktionsprozesse unter Ausnutzung organischer Vorgänge. Seit 2016 ist sie Mitglied der international besetzten Jury der 3D Pioneers Challenge.

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REGISTER # 3D-Algenfilament 162 3D-Auxetik 198 3D-Consumer-Drucker 173 3D-Drucker 56, 69, 145, 158, 159, 164, 186, 187, 188, 190, 198 3D-Filamentdrucker 169 3D-gedruckte Betonbrücke 159 3D-gedruckte Bürogebäude 190 3D-gedruckte Freischwinger 159 3D-gedruckte Gebäude 159, 190 3D-gedruckte Metallbrücke 192 3D-gedruckter Teppich 176 3D Glass Printing 164 4D-Drucken 159, 178, 179, 182, 183 4D-Printing 159, 178 4D-Textilien 182, 183

aa

Abfallwirtschaft 110, 147 Abstandsgewirke 113 Adaptive Signalsteuerung 220 Additive 75, 110 Additive Produktion 8, 145, 158, 159, 168, 176 Aerogel 39, 56 Agar-Agar 23, 93 Agaven 97 Akaziengummi 51, 52 Akkumulatoren 115 Aktives Auxetikmaterial 199 Aktivierungstemperatur 181, 200, 201, 202 Akustische Belastung 183 Akustische Metamaterialien 185 Algen 12, 13, 23, 26, 71, 76, 86, 92, 93, 94, 95, 117, 159, 162, 231

Algengelatine 23 Algentextilien 94 Alginat 27, 86, 95 Altglas 59, 166 Altkleider 47, 48 Altpapier 55, 61, 89, 98 Alttextilien 48 Aluminiumerz 61 Aluminiumrohre 123 Amadou 86, 87 Aminosäuren 13, 35 Ananasblätter 85 Ananasfasern 71 Anode 229 Anthropozän 26 Antieisausrüstung 207 Antimykotisch 82, 86 Antiseptisch 82, 83, 84, 86, 88 Apfelmus 19 Aprikosenkerne 32 Asphalt 64, 140, 218 Asteroiden 39 Atypisches Verformungsverhalten 198 Autonomes Fahren 204 Autoreifen 31, 33, 71, 74 Auxetische Materialien 198 Auxetische Strukturen 198, 199

b Backwaren 14, 18, 186, 187 Bakterien 34, 35, 53, 72, 102, 103, 129, 131, 211, 221, 229, 230 Balsa 122, 123 Bambus 102, 121, 122, 123, 124 Bambusarmierte Spanplatten 123 Bambusfasern 122, 123 Bambusverbundstoffe 124 Bananen 24, 30 Bariumtitanate 247 Batteriesysteme 209, 221, 244 Batteriewerkstoff 115

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Bauabfälle 59 Baumaterialien 60, 62, 63, 71, 77, 84, 102, 108, 119, 121, 133 Baumpilz 86 Baumrinde 36, 82, 86 Baumwolle 47, 48, 99 Bauschutt 38, 39, 59, 60 Bauxit 61 Bernoulli-Prinzip 241 Beton 51, 52, 59, 60, 62, 102, 124, 133, 135, 136, 137, 140, 159, 191, 22, 223 Betulin 82, 86 Bewegungsenergie 234 Bewehrung 124, 191 Bienenstöcke 34, 72 Bienenwabenstruktur 209 Bimetall 203 Bindemittel 21, 25, 80, 98, 99, 102, 140, 161, 186, 199 Bioabbaubar, biologisch abbaubar 11, 23, 24, 25, 32, 37, 46, 49, 86, 92, 110, 128, 160, 161 Bioabbaubare Verpackung 11, 23-25 Biobasierte Bindemittel 102 Biobasierte Schaumstoffe 76, 127 Biobaumwolle 47 Biobrennstoffzellen 232 Biodüngemittel 31 Biofabrikation 100 Biogasanlage 19, 45 Bioharz 66 Biokeramiken 168 Biokomposit 92 Biokunststoff 91, 127, 160, 193 Biologische Abbaubarkeit 23, 160 Biologische Kapazität 10 Biologischer Kreislauf 23, 35, 36, 129, 163 Biologischer Materialkreislauf 23, 36, 163

Biologisierung 129 Biomasse 71, 92, 94, 97, 98, 162, 217, 221 Biomaterial 132 Biomineralisation 128 Biomüll 15, 23, 58 Bionik 104, 129, 132 Biopapier 91 Biopolymer 112, 163 Bioprinting 168 Bioschaumstoff 53 Biotinte 168 Biotonne 57 Birken 86 Birkenpech 73 Birkenrinde 73, 82, 83, 84 Bisphenol A 22 Bistabil 196 Bitumen 64, 140 Blähglas 52 Blaualgen 93 Bleichmittel 89 Blutgefäße 168 Blutzirkulation 209 Blutzuckerspiegel 233 Bornitrid-Nanoplättchen 219 Borosilikatglas 164 Brandschutz 52, 106 Brandschutzmittel 52 Braunalgen 95 Breathing Metal Wall 203 Brennpunkt 228 Brennstoffzellen 245 Bruchresistenz 115 Brunnenkresse 195, 217 Buchenholz 32 Burgerpatties 11, 14

c Camembert 17 Carbamaten 218 Carbin 115 Cassava 51, 52 Cellufoam 128 Chemisches Recycling 53 Chicorée 45 Chitin 18, 132

Chitosan 163 Club of Rome 38 CO₂-Bilanz 71, 104, 222 CO₂-Emissionen 9, 51, 71 CO₂-Fußabdruck 25, 30 Cochlea-Implantat 181 Crashabsorber 125

d Dachbegrünungen 229 Dehnbare Schaltungen 149, 150 Dehnbare Sensoren 150 Dehydrierung 16 Denim 39 Dielektrisch 149, 150, 219 Dielektrische Elastomere 150 Digitale Brillen 221 Digitalisierung 9, 134, 135, 158, 220 Direct Ink Writing 166 Drahtlose Energieübertragung 140 Drehen 158 Druckdifferenz 241 Druckenergie 235 Druckkopf 163, 167, 171, 172, 174, 189 Drucktinte 179 Dünnschichtsensorik 134 Durchfluss-Messsysteme 242

e E.-coli-Bakterien 131 Echtholzfurnier 118 Edelschimmelpilze 17 Eierschalen 32, 33 Einweg-Memory-Effekt 200 Einweggeschirr 21, 26, 41, 110 Einwegplastikartikel 11 Einwegverpackungen 24 Eipilze 163 Eisadhäsion 207 Eisbildung 207 Eisenchloridsalze 213 Eisenoxid 213, 247 Eishaftung 207 Eiskeimbildung 207 Eiskristalle 207 Electronic Article

Surveillance 143 Elektroadhäsion 155 Elektroakustische Transduktion 216 Elektrolyte 117, 236 Elektrolumineszenz 142, 216 Elektrolyse 117 Elektromagnetische Induktion 138, 139 Elektromobilität 104, 115, 140 Elektrode 117, 142, 155, 209, 229, 232, 233 Elektronen 229 Elektronikschrott 140 Elektrostatische Aufladung 209 Elektrostatische Effekte 155 Energiedichte 115, 248 Energieressourcen 104 Energieübertragung 138, 139, 140 Energieversorgung 234 Energiewandler 221 Energy Harvester 221 Entflammbarkeit 92 Entsalzung 211 Enzyme 34, 35, 58, 129, 232, 235, 242 Essbare Beschichtungen 29 Essbare Eislöffel 28 Essbare Schutzsprays 30 Essbare Verpackungsfolie 29, 30, 79 Essig 78, 95 Eukalyptusfasern 86 EVA-Schaumstoff 76 Exoskelett 18, 132, 135, 154, 183 Explosionsschweißen 177 Extruder 163 Extrusionskopf 161

f Faltphones 141 Fangschreckenkrebs 132 Farbmasterbatch 110 Farbstoffsolarzelle 222, 223 Faserarmierte Deckschichten 106 Faserausrichtung 118 Faserrichtung 119 Faserverstärkte

Verbundstruktur 196 Fassadenelemente 180, 191, 205 Feingießen 158 Feinstaub 33 Fermentation 16, 129 Fernauslesung 242 Ferritpartikel 140 Ferroelektrisch 247 Ferromagnetisch 247 Feuchteunterschiede 194 Fibrillen 75, 169, 179, 213 Fibrinpflaster 84 Filamente 99, 160 Filz 40, 57, 86, 94 Filzen 57 Fischernetze 42, 43, 44 Fitnessarmbänder 221 Flächenheizung 147 Flachs 106 Flechtweidenruten 119 Fleischersatz 12 Fleischkonsum 12 Fliesen 38, 39, 59, 60 Florfliegen 131 Flugzeugtragflächen 207 Fluoreszenz 173 Fluorkunststoff 238 Flüssigkeitsimprägniert 206 Flüssigkunststoff 91 Flüssiglinsen 227 Flüsterbelag 64 Food-Printer 159, 186 Formaldehyd 22, 122 Formgedächtnisaktoren 200, 201 Formgedächtnislegierung 200 Formgedächtnismaterial 181 Formgedächtnispolymer 180, 181, 197 Formgedächtnisschaumstoffe 200, 202 Formgedächtniswerkstoffe 200 Formveränderung 181, 197, 205, Fossilbasiertes Polyacrylnitril 116, 117 Fossile Rohstoffe 71 Fräsen 55, 158, 191 Fresnel-Linsen 228 Frittieröl 66 Fruchtgummi 186, 188

Fruchtleder 86 Fruchtpapier 19 Fruchtreste 86 Fruchtschalen 28, 30, 86, 162 Fullerene 114 Fungizide 52 Funketiketten 225 Funksignale 233 Funktionalisierte Wasserstoffbrücken-Gruppen 219 Funktionsbekleidung 209 Furnierstreifen 119 Fused-Granular-Fabrication-Technologie 193

g Galactose 93 Gallium 150 Galliumnitrid 141 Garne 48, 49, 94, 95, 99, 236 Gedruckte Batterien 144, 209 Gedruckte Batteriesysteme 209 Gedruckte Elektronik 143, 146, 151 Gedruckte Sensoren 145 Gehörschnecke 181 Geisternetze 43 Gel 172 Geliermittel 86, 93 Gelierwirkung 92 Geomembran 246 Geräuschquellen 184 Gerbstoffe 82 Gesteinskolben 246 Gesteinsmöbel 191 Getränkekartons 61, 62 Gewachsene Baumstrukturen 101 Gezüchtetes Fleisch 12 Gitterumwandlung 200 Glas 22, 59, 60, 65, 72, 112, 125, 137, 146, 159, 164, 165, 166, 201, 207, 222, 223, 227, 228 Glashohlkugeln 125, 126 Glaskugel 228 Glaspartikel 164, 166 Glasschwämme 128 Gleitfilm 208

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Glühwürmchen 217 Glukose 229, 232 Glycerin 95 Glycerinphosphatide 30 Gold 150 Granulatdrucker 69 Graphen 114, 115, 130, 209, 211 Graphen-Display 209 Graphenoxid 211 Gras 24, 75, 89, 90, 91, 101, 102, 121 Grasfasern 89 Grasflächen 101 Great Pacific Garbage Patch 110 Green Steel 121 Grillen 14 Großkino-Projektoren 248 Guavenbäume 36 Gumshoes 68

Hybridgewebe 123 Hybridpanel 127 Hydrogel 163, 169, 178, 179 Hydrophiles Acrylatmonomer 178 Hydroxymethylfurfural 45 Hygieneartikel 25 HygroSkin 205 Hygroskopische Eigenschaften 205 Hygroskopie 179, 205

i

h Haarproben 58 Hanf 42, 77, 160 Harnstoff 91, 103, 122, 213, 218 Harnstoff-Formaldehyd-Klebstoffe 122 Hartschaum 77, 82, 86 Haustechnik 136 Hauttransplantate 13 Hemizellulose 96 Herzschrittmacher 233 Heuschrecken 14 Hexagonales Fadengelege 198 Hohlkugeln 105, 126 Hohlkugelstrukturen 125 Holz 25, 54, 63, 88, 89, 100, 101, 105, 108, 116, 118, 119, 127, 139, 142, 151, 160, 180, 205, 213 Holzfasern 119, 122, 159, 161, 193 Holzfilament 158, 161, 180 Holzfurnierröhren 118 Holzlaminat 97 Holzleim 55 Holzschaum 77 Holzschnipsel 25 Holzstaub 99 Holzzellulose 105

In vitro 11, 12, 13, 244 Induktion 138, 139, 235 Induktionsspulen 216 InFoam Printing 171 Insekt 11, 34, 35, 131, 233 Insektenburger 14 Insektenmehl 14 Insektenzucht 18 Integralschäume 76 Intelligentes Parken 220 Interlaminare Scherfestigkeit 115 Internet der Dinge 134, 143, 156, 220 Inversionskinematik 239 Ionisches Gel 148 Isolierende Pasten 145 Isolierende Tinten 174

j Jeans 39, 56

k Kaffeeöl 66 Kaffeesatz 21, 65, 66, 71, 88 Kaffee-to-go-Becher 21 Kakerlake 233 Kalk 133 Kalkziegelsteine 103 Kalzitbildende Bakterien 103 Kalzium 27 Kalziumkarbonat 103, 133 Kalziumphosphat 132 Kapazitiver Näherungssensor 137

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Karbon 105, 106, 115, 119 Karbon-Nanoröhrchen 236 Karbonfasern 116, 147 Karbonfaserpapier 147 Kartoffelknolle 96 Kartoffelkork 96 Kartoffelschalen 96, 97 Kasein 30, 37, 78, 79, 111 Kaseinfolie 30, 79 Kaseinkunststoff 78, 79 Kaseinpulver 78, 79 Katalysatoren 110, 125 Kathode 229 Kaugummi 38, 39, 65, 68 Kautschukbäume 74 Kerosin 104, 210 Kerosinlampen 225 Kevlarfasern 132 Kick Plastic 43 Kieferknochen 168 Klärschlamm 31 Kleinwindanlagen 239 Klima-adaptive Architektur 205 Klimavertrag 70 Klimawandel 70 Knochen 58, 133, 168 Knorpelimplantate 39, 56 Kohlefasern 117, 123 Kohlenstoff 103, 111, 114, 115, 116, 117, 209, 211, 229, 232 Kohlenstoffatome 115, 209 Kohlenstoffnanoröhren 114, 115 Kohleverstromung 221 Kokon 130 Kokosfasern 52 Kollagen 13, 16 Kompost 23, 55, 66, 96, 97, 98 Kompostieranlage 37, 66, 96 Kompostierbar 23, 24, 26, 37, 55, 66, 67, 77, 80, 93 Kompostierbare Kunststoffe 93 Kompostierbare Verpackung 24, 55 Kompostierbare Zelte 37 Kondome 74, 75 Konjakwurzel 17 Konzentrierte Photo-

voltaik 227 Korallen 128 Kork 82, 92, 96, 122, 123, 198 Korkschicht 96 Körperpeelings 32 Kraftstoffe 66 Krankheitserreger 210 Kreislauffähigkeit 38 Kreislaufgedanke 59 Kreislaufwirtschaft 61 Kristalline Solarzellen 225 Kristallstrukturen 200 Krustentier 232 Krustentierallergie 14 Kugelgeometrie 125 Kuhdung 91 Kunstharz 81, 164, 171 Künstliche Muskeln 135, 170 Künstliches Licht 222 Kunststoffabfälle 38, 40, 41, 61, 64, 69 Kunststoffzersetzung 34 Kupfer 146, 153, 177

l Lageenergiespeicher 246 Laminieren 57 Langsamläufer 239 Laserschmelzen 177 Latex 74, 75 Laub 65, 66 LayWood 161, 180 LCD 141, 231 LCD-Displays 141 Lebensmittel 11, 12, 14, 16, 17, 18, 20, 23, 24, 26, 27, 29, 30, 54, 55, 71, 78, 79, 84, 86, 96, 144, 155, 159, 186, 188, 189, 206, 251 LED 137, 139, 141, 144, 146, 152, 229, 236 LED-Straßenbeleuchtung 229 Leder 85, 86 Lederersatz 85, 86, 87 Leichtbau 77, 102, 104, 105, 106, 108, 114, 116, 118, 119, 122, 125, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 199

Leim 89 Leiterbahnen 108, 146, 150 Leitfähige Druckfilamente 209 Leitfähige Druckmedien 143 Leitfähige Pasten 147, 174 Leitfähige Polymere 146 Leitfähige Tinten 146, 147 Leuchtende Bäume 195 Leuchttapeten 142 Licht 53, 61, 120, 128, 136, 137, 139, 141, 142, 164, 178, 201, 216, 220, 222, 227, 228, 237, 248 Lichtemittierende Pflanzen 217 Lichtemittierende Werkstoffe 142 Lichtfaserbeton 137 Lichtkonzentrationsfaktor 227 Lichtleiterfasern 137 Lichtpunkte 137, 141 Lichtwellen 184 Lignin 21, 53, 54, 89, 96, 99, 116, 159, 160 Ligninbasierte Bindemittel 21, 99 Ligninbasierte Karbonfasern 116 Lignozellulose 77 Lipide 30 Lithium-Batterien 244 Lithiumdioxid 117 Lithiumkarbonat 117 Lötpasten 174 Lotusblätter 206 Löwenzahn 74 Löwenzahnkautschuk 71, 74 Luciferine 217 Luftfeuchtigkeit 180, 205, 220 Luftschicht 195, 208 Lupinen 16 Lyocell 48

m Macadamia 162 Magnetfelder, magnetische Felder 139, 175, 178, 212, 235 Magnetische Flussdichte 138 Magnetische Nano-

partikel 213 Magnetisches Mikrogranulat 175 Magnetisierbare Asphaltbetone 140 Magnetisierbare Zementbetone 140 Magnetorheologische Elastomere 214 Mais 32, 53 Makramee 101 Maltrodextrin 245 Mandeln 17 Marzipan 186 Materialforschung 8 Materialkreislauf 8, 9, 23, 36, 65, 96, 102, 163 Matrix 106, 112, 113, 114, 132, 139, 140, 162, 175, 196, 200 Meeresschwämme 128 Mehlwürmer 15, 18, 35 Mehlwurmzucht 12, 15 Mehrwegbecher 11, 21 Melamin 22 Menschliche Atembewegung 203 Menschliches Haar, Menschenhaar 57, 210 Metamaterialien 184, 185 Metathese-Reaktion 218 Methanemissionen 12 MicroLED 141 Mikroalgen 231 Mikrochips 134 Mikroorganismen 16, 71, 82, 163 Mikroplastik 31, 32, 34, 110 Mikroprozessoren 156 Mikrostrukturen 207 Mikrosystemtechnik 157 Mikroturbine 242, 243 Mikrowindturbinen 239 Milch 78, 79 Milchproteine 29, 30, 37 Mini-Solarzellen 225, 226 Möbelplantagen 100 Mobilität 8, 9, 104, 124, 131, 140, 207, 212, 248 Mobilitätswende 9 Modulare Windkraftanlage 240 Molekulargastronomie 189 Molekülketten 53

REGISTER

Molke 78 Monomaterialien 105, 110 Moos-Radio 230 Motten 34 Moulded Interconnect Devices 145 Müllstrudel 110 Multiferroische Materialien 247 Multimaterial 181, 197 Muschelschalen 31, 32, 128, 133 Muskelbetriebener Herzschrittmacher 232 Muskelzellen 13 Myzelfäden 81

n Nachwachsende Rohstoffe 29, 71, 77, 104, 127 Nanofasern 46, 129, 132, 208 Nanopartikel 130, 164, 195, 213, 217 Nanostrukturierung 208 Nanozellulose 75, 128, 213 Napfschnecke 132 Natriumalginat 27, 92 Naturfaserkomposite 106, 112 Naturfaserkunststoffe 49 Naturfasern 72, 106, 112 Naturharze 72, 73 Naturkatastrophen 70 Naturkautschuk 74, 76, 99, 127 Natürliche Ressourcen 10, 38 Near Field Communication Barcode 143, 144 Negative Lichtbrechung 184 NFC-Antenne 144 NFC-Chip 144 Nickel-Titan-Legierung 181, 194, 201 Niederstromspannung 147 Normalbeton 52 Nudelmehl 17 Nylon 42, 43, 44, 45, 47

o Obsidian 177 Obst 18, 19, 24, 29

Ohrenquallen 16 Ökologischer Fußabdruck 10 Olivenkerne 32 Oomyzeten 163 OPV-Technologie 222 Orangenschalen 86, 99 Organische Leuchtdioden 141, 209 Organische Photovoltaik 222 Organismen 34, 80, 204, 221, 232 Organobleche 112, 123 Ovalradzähler 242 Ozeane 38, 40, 110, 236

p Paperbricks 55 Papier 37, 54, 55, 61, 65, 67, 89, 90, 91, 92, 98, 105, 106, 107, 108, 111, 116, 135, 142, 146, 147, 148, 151, 155, 215, 216, 244 Papierbienenwaben 106 Papier-Blech 108 Papiergarn 55 Papierherstellung 90, 98 Papierkomposite 106 Papierrecycling 89 Papierwaben 106, 107 Pappe 91, 108 Pappwaben 106 Pappzelte 11, 37 Parasiten 86 Partikel 156, 160, 162, 166, 213, 217 Patientenüberwachung 236 Pech 116 Pektin 30, 86 PET-Flaschen 35, 40, 47, 63, 111 Petrischale 100 Petrochemie 112 Pflanzenfasern 28, 81, 85 Pflanzenstärke 27 Pflanzlich-mikrobielle Brennstoffzellen 229 Phasenverschiebung 185 Phono-lumineszierendes Papier 215 Photo Microbial Fuel Cells 230, 231 Photochromie 173

255

Photosynthese 229, 230 Photovoltaik 222, 227, 238, 246 Photovoltaik-Module 227 Piezoaktoren 237 Piezoelektrische Eigenschaften 236 Piezoelektrische Materialien 237 Piezoelektrischer Effekt 238 Piezofasern 236 Piezotechnologie 236 Pigmente 58, 59, 86, 142, 173 Pilzbasierte Baustoffe 102 Pilze 34, 36, 70, 71, 72, 80, 81, 86, 88, 102, 163 Pilzleder 88 Pilzmyzel 80, 81, 102 Pilzschaum 81 Pizza-Drucker 187 PLA 111, 113, 162, 193 Plasmatechnologien 207 Plastic Fishing 40 Plastic Whale 40 Plastikabfall 110 Plastikpartikel 31 Pneumatische Muskeln 204 Poissonzahl 198 Polarisation 247 Polfäden 113 Polyacrylnitrilfasern 117 Polylactide 57, 160, 245 Polyamid 42, 43, 45 Polyetheretherketon 169 Polyethylen 34, 61, 63 Polyethylenglykol 84 Polypyrrol 154 Polysaccharid 30, 86 Polysilikon 225 Polystyrol 127 Polyurethan 36, 122, 150, 171, 202, 207, 210, 219 Polyurethan-Klebstoffe 122 Porzellan 22 Potenzialunterschied 229 Prepregs 123 Primärkunststoff 31 Printed Circuit Board 146 Propolis 72, 73 Protein 12, 14, 15, 16, 17, 18, 29, 30, 37, 73, 79, 96, 129, 131, 169 Proteinase 129

Protonen 229 Pumpspeicherwerke 221 PV-Module 222 Pyroelektrika 207 Pyroelektrische Beschichtungen 207 Pyrolyse 147

q Quallen 12, 16 Quallenchips 16

r Ranken 100 Rapid Liquid Printing 172 Rattan 120 Reaktivität 115 Recycelte Kunststoffe 63, 64, 65, 69 Recycling 39, 43, 44, 47, 48, 50, 53, 55, 61, 63, 65, 67, 68, 89, 105, 108, 113, 140 Recyclinganlagen 35 Recyclingfähigkeit 105 Recyclingholz 54 Recyclingmethoden 48 Recyclingquote 61, 63 Recyclingstrategien 61 Reflektierende Pigmente 173 Reibungsreduktion 208 Reishi-Pilz 81 Reispflanzen 229 Reisschalen 52 Ressourceneffizienz 71, 132 Ressourceneinsatz 8, 104, 105 Ressourcenknappheit 8, 38 Retroreflexion 173 Rezyklat 110 Rezyklierbarkeit 38 RFID 108, 144, 156, 157, 225 RFID-Chips 108, 146, 156 RFID-Tag 157 Rinde 36, 82, 86 Rinderembryos 13 Roboter 130, 155, 191, 192 Roboterarm 69, 163, 189 Robotergeführte Auftragsschweißtechnik 192 Röntgenlichtquelle 46

256

Rollreibung 237 Röntgenstrahlen 35, 46 Rotalgen 86, 93 Rotangpalme 120 Rote-Beete-Saft 13, 18 Rotorblätter 207 Rückbesinnungsvermögen 219 Rückenschwimmer 208 Ruß 33

s Safran 13 Salvinia-Effekt 194, 208 Salz 32, 146, 211, 236 Salzgehalt 92 Salzhaltiges Feststoffpolymer 236 Salzlösung 27 Sand 103, 164 Sanddollar 113 Sandwichplatten 127 Sauerstoff 30, 61, 117, 229, 249 Scaffold 168, 169 Schädelasymmetrien 200 Schädeldeformationen 200 Schadstoffbelastung 104 Schadstoffe 210 Schalenskelett 113 Schall 204, 216 Schallabsorbierend 237 Schalldämpfer 125 Schaumstoff 53, 76, 77, 127, 128, 171, 202, 210 Scherzellen 185 Schieferstein 88 Schimmelpilze 17, 84 Schlagbein 132 Schmelzklebstoffe 73 Schmelzpunkt 150, 177 Schmetterer 132 Schmieden 177 Schnecken 233 Schnellläufer 239 Schokolade 28, 186, 187 Schokoladenskulpturen 187 Schüttgut 59 Schweißdraht 192 Schwermetalle 244 Schwimmfarne 195, 208 Schwungenergie 236 Sechskant-Bambusrohre 123

Seeigel 113, 133 Seeigelstachel 133 Seide 99, 129, 130, 131, 169 Seidenfasern 73, 130 Seidenproteine 73, 129, 131, 169 Seidenraupen 73, 130, 131 Sekundärkunststoffe 31 Sekundärpflanzenstoffe 82 Sekundärrohstoffe 65 Selbstheilende Eigenschaften 195, 218 Selbstheilende Elastomere 218 Selbstheilende Materialien 218 Selbstorganisation 134 Selbstregulierende Sonnenschutzsysteme 200 Selbstverstärkende Polymerverbundwerkstoffe 113 Seltene Erden 39 Sensoren 134, 136, 137, 144, 145, 146, 149, 150, 151, 156, 192, 215, 220, 236, 242, 244 Sericin 73 Sichtbeton 135 Silane 210 Silberbeschichtung 150 Silberpartikel 150 Silika-Partikel 166 Silikon 150, 155, 159, 167, 170 Silikonelastomere 167 Silikontröpfchen 167 Siliziumdioxid 52, 115 Sinnkonsum 11 Sisal 42 Skateboards 44 Smart City 220 Smart Dust 156 Smart Home 135, 136 Smart Materials 194 Smarte Label 143 Smartphone 138, 143, 144, 152, 222, 226, 234, 243, 247 Sneaker 38, 39, 68, 88 Soft-Robotik 170 Sojaöl 76 Sojaschaumstoff 76 Solaraktive Farben 222 Solarbetonwand 222

Solarenergie 221 Solarglasbausteine 222, 223 Solarkonzentrator 224 Solarthermische Kraftwerke 227 Solarzellenbruch 225 Sonnenkollektoren 28 Spannungswandler 234 Speiseöl 66 Sperrholz 118, 205 Sphärische Linsen 227 Spherifikation 27 Spinifex 75 Spinnenseide 46, 105, 129, 130, 132 Spinnseidenproteine 129 Spreißeln 123 Spritzguss 25, 167 Stahl 22, 43, 46, 63, 101, 108, 117, 129, 130, 191, 207, 208 Stahlarmierung 52 Stärke 27, 29, 52, 96, 97, 111 Steinkorallen 103 Stereolithographie 164 Straßenbelag 64, 140, 218 Stretchfähige Textilien 236 Stroh 77 Strohhalm 26, 110 Stromfluss 229 Strukturdeformation 237 Styropor 35, 80 Superfood 15 Superhydrophob 208 Superhydrophobe Oberfläche 195, 206 Süßgräser 75 Süßlupinen 12, 16, 17 Synärese 23 Synthetikfaser 42

t Talg 66 Tannin 84 Tattoos 135, 152 Teepapier 106 Tellern 179, 205 Temperaturunterschiede 221 Textilbewehrte Betonfläche 136 Textile Muskeln 154 Thermische Memory

Materials 200 Thermochromie 173 Thermoelektrische Materialien 237 Thermogeneratoren 221 Thermoplastisches Naturmaterial 72 Tierische Proteine 12 Tissue Engineering 13, 168 Tomatenpflanzen 98 Tomatenschalen 33 Touch-Display 215 Touchoberfläche 135 Touchscreen 136, 209 Transmitter 138 Treibstoffe 248 Trester 98

u Ultraschallwellen 185 Upcycling 39, 55, 56 Urban Mining 65 Urbanisierung 9 Urin 103 UV-Strahlung 82, 167, 199

v Venusmuscheln 233 Verdunkelungssystem 201 Vereisungen 207 Verpackungsabfälle 62 Viskose 29, 31, 48, 55, 106 Viskosefaser 29 Viskosität 23, 167, 212 Vlies 49, 147 Volumenströme 242 Vulkangestein 177

w Wabenkerne 123 Wachse 86, 146 Wachsmaden 34 Wachstumsseren 13 Walnussschalen 32 Wandfliesen 38, 39 Wärmeleitung 108, 199, 209 Wärmetauscher 125 Wasserflasche 22, 23, 27 Wasserknappheit 11, 70 Wasserlösliches Verpackungsmaterial 26, 79

REGISTER

Wasserstoff 221, 248, 249 Wasserstoffflugzeug 249 Wassertropfen 27, 216 Wearables 135, 149, 218, 221, 226 Webkopf 198 Weducer Cup 21 Weiden 100, 119 Wellenlänge 184 Weltmeere 41, 43, 81, 110 Wikkelhaus 108 Windkraft 221 Windkraftanlagen 207, 238, 239 Wirkungsgrad 140, 200, 221, 224, 227 Wolle 47, 194, 201, 210 Würmer 14, 34, 35 Wurzeln 17, 45, 52, 100, 101, 229 Wurzeltextilien 101 Wurzelwachstum 101

65, 67, 68 Zirkuläre Systeme 59 Zitterspinnenseide 130 Zuchtfarm 15 Zucker 13, 26, 28, 54, 186, 245 Zuckerbatterie 245 Zuckerrohr 24, 51, 52 Zuckerskulpturen 186 Zunderschwamm 86, 88 Zweikomponentenkleber 122 Zweiweg-Memory-Effekt 200

z Zahnpasten 32, 110 Zellstoff 89, 128 Zellulose 17, 32, 39, 46, 48, 54, 55, 56, 67, 75, 81, 91, 96, 99, 126, 127, 154, 163, 169, 179, 205, 211, 213 Zellulose-Nanofibrillen 169, 213 Zelluloseacetat 67, 91 Zellulosefasern 54, 56, 61, 147, 163, 179, 205, 211 Zellulosefibrillen 179 Zellulosefilter 211 Zellulosegarn 152 Zellulosepartikel 32 Zellwände 54, 93 Zement 51, 52, 63, 102, 103, 133, 140, 191 Zementanteil 52 Zementersatz 52 Zementfreie Bausteine, Biosteine 103 Zementklinker 51, 52 Zementmatrix 140 Zementpulver 191 Ziegel 59, 60, 63, 103 Zig-Zag-Gewebe 198 Zigarettenstummel

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AUSGEWÄHLTE PUBLIKATIONEN DER AUTOREN 03 | 2019 „Mit Kreislaufdenken zu neuen Baumaterialien“, Green Critic, md Magazin 3-2019, Verlag Konradin Medien, Stuttgart.

02 | 2019 „Neuen Stoff braucht die Welt“, Design Report 1-2019, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

09 | 2018 „Additive Fertigung – Der Weg zur individuellen Produktion“, Technologieland Hessen, Herausgeber: Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, Wiesbaden.

08 | 2018 „Stadt als Mine - Wohnmodul im Forschungsgebäude NEST zeigt Wege für die Kreislaufwirtschaft der Zukunft auf“, Design Report 4-2018, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

06 | 2017 „Fahrt frei für abfallfrei – Materialinnovationen für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft“, Design Report 3-2017, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

04 | 2017 „Textile Exoskelette“, Design Report 2-2017, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

03 | 2017 „Mit der Natur in die Zukunft. Postindustrielle Produktion mit natürlichen Wachstumsprozessen“, context Magazin 1 / 2017, Herausgeber: HeidelbergerCement, Heidelberg.

02 | 2017 „Wiese wird Papier – Gras als alternatives Fasermaterial“, Design Report 1-2017, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

12 | 2016 „Pilztextil aus Zunderschwamm – Parasiten produzieren Gesundheitsförderliches“, Design Report 6-2017, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

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12 | 2016 „Current Table – Strom von der Scheibe“, dds Magazin 12-2016, Verlag Konradin Medien, Stuttgart.

10 | 2016 „Happaratus – Power-Handschuh für den Modellbau“, Design Report 5-2016, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

8 | 2016 „Fleisch aus der Petrischale – Gezüchtetes In-vitro Fleisch wird kommerzialisiert“, Design Report 4-2016, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

6 | 2016 „Wasser in Aspik – Biologisch kreislauffähige Alternative zu Plastikflaschen“, Design Report 3-2016, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

4 | 2016 „ShiftWear Wechselschuhe – Schuhe als Display dank ePaper“, Design Report 2-2016, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

3 | 2016 „Das Material denkt mit – Smarte Materialien für die Architektur“, domus 018 „Die Stadt und der Mensch“, ahead media GmbH, Berlin.

2 | 2016 „Moya Power – Flatterndes Minikraftwerk“, Design Report 1-2016, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

12 | 2015 „Aero Bike – Leichtbau mit Birkenholzlamellen“, Design Report 6-2015, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

10 | 2015 „Silk Leaf – Eine neue Brise Design“, Design Report 5-2015, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

9 | 2015 „Die Demokratisierung der Energie – Neuer Markt für Energy Harvesting Produkte und smarte Energiesysteme“, Euroscope 3-2015, Herausgeber: BASF, Ludwigshafen.

8 | 2015 „Der Traum vom gedruckten Möbel – Potenziale additiver Technologien für die Möbelindustrie“, Design Report 4-2015, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

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6 | 2015 „Wundermaterialien mit auxetischer Struktur“, Design Report 3-2015, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

4 | 2015 „Additive Fertigung – Der Weg zur individuellen Produktion“ (dt. / eng.), Schriftenreihe Nanotech, Herausgeber: Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, Wiesbaden.

2 | 2015 „Algen-Biokomposite für Interior- und Möbeldesign“, Design Report 1-2015, Rat für Formgebung Medien GmbH, Frankfurt am Main.

10 | 2014 „Organic Waste Design – Materialien für Zero Waste Architektur“ (dt. / eng.), Beitrag im Titel Building from Waste, Birkhäuser Verlag, Basel.

6 | 2014 „Technologie mit Köpfchen – Smart Materials für intelligentes Design“, Design Report 3-2014, Verlag Konradin Medien, Stuttgart.

5 | 2014 „Materialien für alle Sinne – Intelligente Werkstoffe für Interior und Design“, md Magazin 4-2014, Verlag Konradin Medien, Stuttgart.

2 | 2014 „Holzersatz – Innovative Materialien schonen die Ressourcen“, Werkspuren 1-2014, SWV Design und Technik, Schweizerischer Werklehrerinnen- und Werklehrerverein SWV, Zürich.

1 | 2014 Material Revolution II – Neue nachhaltige und multifunktionale Materialien für Design und Architektur (dt. / eng.), Birkhäuser Verlag, Basel.

A U S G E WÄ H LT E P U B L I K AT I O N E N D E R A U TO R E N

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AUSGEWÄHLTE VORTRÄGE DER AUTOREN 21. MAI 2019 „Disruptive Materials“, Interzum 2019, Köln.

26. MÄRZ 2019 „Zukunftslösungen für intelligente Verpackungen“, ISI-Zentrum für Gründung, Business & Innovation, Wirtschaftsförderung im Landkreis Harburg GmbH, Buchholz in der Nordheide.

16. JANUAR 2019 „Design Materials 2019“, imm Cologne, Köln.

14. JANUAR 2019 „3D-Food-Printing und die Nahrungszubereitung der Zukunft“, LivingKitchen, Future Foodstyles, Köln.

29. NOVEMBER 2018 „Werkstofftechnologien für die Zukunft des Bauens“, Messe Schulbau, Frankfurt am Main.

16. NOVEMBER 2018 „Graphene-based Innovation“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

15. NOVEMBER 2018 „3D-Printing of Spare Parts“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

13. NOVEMBER 2018 „Green Steel: Bamboo, Flax Fiber Composites & Wood Hybrids for the Industry“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

25. OKTOBER 2018 „Materials Culture – Innovationen einer neuen Werkstoffkultur“, Orgatec 2018, Köln.

12. SEPTEMBER 2018 „Nachhaltige Verpackungsmaterialien von morgen“, 1. Kölner Verpackungstag, Köln.

28. JUNI 2018 „Future Design Materials“, HAWK Hildesheim.

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26. JUNI 2018 „3D-Drucken im Sanitärbereich: Verfahren, Materialien, Innovationen“, GMS Forum 2018, Mainz.

21. JUNI 2018 „Nachhaltige Materialien für eine neue Produktkultur“, Institut für Technik, Ressourcenschonung und Energieeffizienz TREE, Hochschule Bonn Rhein-Sieg, Sankt Augustin.

13. JUNI 2018 „Materials Matter – Materialinnovationen für Textil- und Modedesigner“, Universität der Künste Berlin.

8. MÄRZ 2018 „Building Materials from Waste“, Ecobuild 2018, WasteZone, ExCel London / UK.

6. MÄRZ 2018 „4D-Printing und Memory Materials“, Eisenwarenmesse 2018, Köln.

17. FEBRUAR 2018 „3D-Druck im Gesundheitshandwerk“, 3D-Druck Anwendertag 2018, Handwerkskammer Berlin.

17. JANUAR 2018 „Materialien für eine dekarbonisierte Produktkultur“, imm cologne, Köln.

16. JANUAR 2018 „Designmaterialien der Zukunft: kreislauffähig, vegan und irgendwie smart“, FH Aachen.

15. JANUAR 2018 „Smart Home Materials“, imm Cologne, Köln.

29. NOVEMBER 2017 „Materialien in neuer Dimension – Innovationen für eine dekarbonisierte Gesellschaft“, Hochschule Wismar.

28. NOVEMBER 2017 „Smart Materials for Future Construction“, The StadiumBusiness Design & Development Summit 2017, Barcelona / Spanien.

27. NOVEMBER 2017 „Multimaterialmix im 3D-Druck“, Fachforum „Faszination Kleben“, 3M Deutschland, Neuss.

23. NOVEMBER 2017 „Plastics in Progress – Neue Materialien für die Kunststoffindustrie“, INNONET Innovationstag 2017, Horb am Neckar.

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17. NOVEMBER 2017 „Sustainable Materials für Eco Design“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

15. NOVEMBER 2017 „4D-Printing und die Potentiale für die Automobilindustrie und die Luftfahrt“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

2. NOVEMBER 2017 „4D-Printing: Anwendungspotenziale für die Zukunft der Mobilität“, Event: Additive Fertigung für die Mobilität, Tatcraft, Frankfurt am Main.

26. OKTOBER 2017 „Building from Waste – Bauwerkstoffe aus Abfallmaterialien“, KIT Karlsruher Institut für Technologie – Fachgebiet Nachhaltiges Bauen, Karlsruhe.

19. OKTOBER 2017 „Smart Stones“, Marble Show, Antalya Expo Center, Antalya / Türkei.

17. OKTOBER 2017 „Bautechnologien und Materialinnovationen für die smarte Serie“, 17. Fassadentag, FORUM Haus der Architekten, Stuttgart.

12. OKTOBER 2017 „Future Fibers for a Circular Economy“, 2nd Circular Economy Conference, Aarhus University, Campus Herning / Denmark.

29. SEPTEMBER 2017 „Future of Metal Printing“, XERION Innovation Day 2017, Berlin.

20. JUNI 2017 „Potenziale des 4D-Printings“, 3D Printing Conference, FabCon 3.D, Messe Erfurt.

18. MAI 2017 „Infungitum – Endlos Reproduktion“, Circular Thinking-Konferenz, Interzum, Köln.

15. MAI 2017 „Werkstoffe der Zukunft“, 6. Innovationsworkshop Holzwerkstoffe, Interzum, Köln.

6. APRIL 2017 „Materialtrends für die Automobilindustrie 2017“, Donne e Mobile, Internationales Netzwerkevent der Fahrzeugdesignerinnen, Mailand / Italien.

4. APRIL 2017 „Materialinnovationen wandeln die Gesellschaft“, Swiss eLearning Conference 2017, Messe Zürich / Schweiz.

A U S G E WÄ H LT E VO RT R Ä G E D E R A U TO R E N

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28. MÄRZ 2017 „Generatives Design: Potenziale des 3D-Drucks und der additiven Fertigung für Designer“, Deutsches Fachkolloquium Textil, RWTH Aachen.

14. MÄRZ 2017 „3D-Druck fürs Bad“, ISH, Messe Frankfurt, Frankfurt am Main.

6. FEBRUAR 2017 „Material Innovation for Responsible Growth“, 12th HSBC Conference, Frankfurt am Main.

18. JANUAR 2017 „Material Trends 2017“, imm Cologne, Köln.

24. NOVEMBER 2016 „Materialinnovationen für Zukunftstechnologien“, HSBC Investorenfrühstück, Amsterdam / Niederlande.

11. NOVEMBER 2016 „Smart Materials für effiziente Lösungen in Konstruktion und Design“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

10. NOVEMBER 2016 „Materialinnovationen für die additive Produktion und den 3D-Druck“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

25. OKTOBER 2016 „Smart Office Materials“, Orgatec Speakers' Corner, Köln.

22. JUNI 2016 „Kunststoffinnovationen mit alternativen Rohstoffquellen“, Pro-K Tagung, dbb forum Berlin.

15. JUNI 2016 „Additive Produktion für die Möbelindustrie – Potenziale für Designer und Unternehmen“, FabCon 3.D Conference, Messe Erfurt.

5. MAI 2016 „Smart Materials for Smart Design“, 5th Int. Interior Architecture Symposium, Mimar Sinan University, Istanbul / Türkei.

31. MÄRZ 2016 „AUDI Designtalk: Von der Vision zur Serie“, AUDI City Berlin.

10. MÄRZ 2016 „The Next Big Thing – Additive Manufacturing and 3D Printing for the Design and Furniture Industry“, Interior Designer Day, Singapore Design Week, Singapur.

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14. JANUAR 2016 „Kunststoffinnovationen für eine dekarbonisierte Gesellschaft“, Pro-K Innovationspreis, Frankfurt am Main.

20. NOVEMBER 2015 „Smarte Energiesysteme der Zukunft“, Designathon „Energy2Go“, Creator Space Tour 2015, BASF Ludwigshafen.

19. NOVEMBER 2015 „Materialinnovationen für generatives Design“, formnext design dialog, Messe Frankfurt.

18. NOVEMBER 2015 „Biobasierte und nachhaltige Materiallösungen für smartes Design“, Konferenz „Smart Materials for Future Design“, Red Dot Design Museum, Zeche Zollverein, Essen.

13. NOVEMBER 2015 „Smart Energy Materials – Energy Harvesting für eine regenerative Energieversorgung“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

10. NOVEMBER 2015 „Biobasierte Materialien und Leichtbau-Lösungen für die industrielle Zulieferindustrie“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

17. SEPTEMBER 2015 „Materials Revolution – Neue Werkstoffe für zukünftiges Bauen“, Erbe Medizintechnik, Tübingen.

3. JULI 2015 „Designing Materials – Technologie-Innovationen durch Kreative“, designxport, Hamburg.

29. JUNI 2015 „Future Thinking Materials“, School of Form, Posen / Polen.

15. MAI 2015 „Textile Innovationen – Nachhaltige und smarte Materialtechnologien für die Textilindustrie“, Veredlertag 2015, Friedrichshafen.

8. MAI 2015 „Weben, Drucken, Züchten: Textilinnovationen für das nächste Jahrzehnt“, Polster & Bedding Workshop, Interzum, Köln.

25. APRIL 2015 „Smart Materials und intelligente Oberflächen“, Fraunhofer Smart Materials Day, Dresden.

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23. APRIL 2015 „Innovationen und Impulse für eine nachhaltige Stadtentwicklung“, KANN Dialog 2015, Köln.

7. APRIL 2015 „Zukunftslabor für nachhaltige Produktentwicklung“, Haus der Industrie, Wien /  Österreich.

24. FEBRUAR 2015 „Neue Werkstofflösungen und Materialinnovationen für das Zeitalter der Bioökonomie“, Audi-Innovationsnetzwerk der Produktion, Ingolstadt.

5. FEBRUAR 2015 „Materielle Revolution – Nachhaltige und smarte Werkstoffe für Architektur und Design“, Architekturforum Zürich / Schweiz.

10. DEZEMBER 2014 „Materials Revolution – Innovative materials and their implementation as a progressing tool in the architectural work“, „The international Convention for innovation in Design and Architecture", Tel Aviv / Israel.

27. NOVEMBER 2014 „Generative Produktion im 21. Jahrhundert“, EuroMold, Frankfurt am Main.

20. NOVEMBER 2014 „Innovationen für die gedruckte Gesellschaft – Vom Beginn einer neuen Produktionskultur“, IHK Industrieausschuss, Laser Zentrum Nord, Hamburg.

19. NOVEMBER 2014 „Neue Materialien für die additive Fertigung“, Anwenderforum „Rapid Product Development“, Fraunhofer IPA, Stuttgart.

13. NOVEMBER 2014 „Smart Engineering Materials – Smart solutions for advanced products“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

11. NOVEMBER 2014 „Materials Revolution – Sustainable and lightweight materials for engineering and design“, ELMIA Subcontractor, Jönköping / Schweden.

25. OKTOBER 2014 „Biologisches Design für Möbelbau und Interior“, Orgatec Speakers' Corner, Köln.

30. SEPTEMBER 2014 „Die generative Revolution – Innovationen für die gedruckte Gesellschaft“, ISI–Zentrum für Gründung, Business & Innovation, Buchholz in der Nordheide.

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19. JULI 2014 „Nachhaltigkeit als Trend in der Textilproduktion“, Mercedes-Benz Fashion Studio, Bikini Berlin.

26. JUNI 2014 „Smart and Sustainable Materials for Automotive Interiors“, Automotive Interiors Expo 2014, Messe Stuttgart.

23. MAI 2014 „Smart Textiles Revolution: Nachhaltige und intelligente Materialien für innovatives Textil- und Modedesign“, 5. Symposium „GREEN CYCLES – Corporate Social Responsibility im Textilen Kreislauf“, HAW Hamburg.

19. MAI 2014 „Smart Office Materials“, INDEX design talks, INDEX International Design Exhibition, Dubai World Trade Center, Vereinigte Arabische Emirate.

16. MAI 2014 „Textile Revolution – Nachhaltige Materialien für die Faser- und Bekleidungsindustrie“, MG OPEN SPACES – Nachhaltigkeit in der Textil- und Bekleidungsindustrie, Hochschule Niederrhein, Krefeld.

29. APRIL 2014 „Bio-basierte Materialien für eine nachhaltige Industrie des 21. Jahrhunderts“, STERN-Forum „Innovation and Biomaterials“, Haus der Wirtschaft, Stuttgart.

14. APRIL 2014 „Ungewöhnliche Materialien für nachhaltiges Produktdesign“, Kulturstiftung des Bundes, Halle an der Saale.

4. APRIL 2014 „Smart Office Materials – Werkstoffinnovationen für die Büromöbelindustrie“, Spanischer Hof, Gröditz.

16. JANUAR 2014 „Gutes Morgen – Materialien für eine nachhaltige Zukunft“, Salon D, Passagen-Programm der imm Cologne, Köln.

10. JANUAR 2014 „Materials World – Innovationen für die Produktkultur des 21. Jahrhunderts“, staged Konferenz, room & style Messe Dresden.

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DANKSAGUNG Wir bedanken uns bei all den Entwicklern und Innovatoren, den Wissenschaftlern und Produzenten, den Architekten und Designern, die uns mit ihrem fundierten Fachwissen und den zahlreichen Hinweisen auf bislang unveröffentlichte Arbeiten zu neuen Werkstoffen unterstützt und inspiriert haben. Ohne ihr Mitwirken hätten wir eine solche Fülle an unterschiedlichen Materialentwicklungen nicht zusammentragen können. Wir bedanken uns vor allem beim Birkhäuser Verlag, der uns immer wieder die Möglichkeit gibt, über Fortschritte in der Materialentwicklung zu publizieren. Ein besonderer Dank gilt Henriette Mueller-Stahl und ihrem Team für die kompetente Unterstützung bei der Umsetzung dieses Werks. Diana Drewes und Sascha Peters

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