Architekten in der DDR: Realität und Selbstverständnis einer Profession 9783839433904

Architects in the GDR: marionettes of an overly powerful development policy or driving forces of the history of East-Ger

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Architekten in der DDR: Realität und Selbstverständnis einer Profession
 9783839433904

Table of contents :
INHALT
Dank
EINLEITUNG
I. AUFBAU UND INTERVENTION: DER ARCHITEKTENBERUF IN DEN 50ER UND 60ER JAHREN
I.1 Vergesellschaftung und Verantwortungszuweisung: Die Spannungspole des Berufsbildes am Beispiel der frühen DDR
I.1.1 Einführung
I.1.2 Abschaffung eines Berufsbildes? Die freien Architekten und die Vergesellschaftung
I.1.3 Architekten als verantwortliche Einzelakteure (I): Das Beispiel Liebknechts und der Meisterarchitekten
I.2 Politische Krisen und das Handeln der Fachleute
I.2.1 Einführung
I.2.2 Die Architekten und der Neue Kurs: Interventionsversuche im Umfeld des 17. Juni
I.2.3 Architekten als verantwortliche Einzelakteure (II): Die Beispiele Gerhard Kosel und Benny Heumann
I.2.4 Die Architekten und die Entstalinisierung: Interventionsversuche im Umfeld der Allunionstagung der Bauschaffenden und des XX. Parteitags der KPdSU
I.3 Zwischen Arrangement und Intervention: Das Architektenhandeln in den 60er Jahren
I.3.1 Architektenarbeit in den frühen 60er Jahren: Ein Überblick
I.3.2 Formen des Arrangements: Das DBA-Plenum 1963 und das Sprechen über Architektur und Architektenarbeit
I.3.3 Die Architekten und die weitere Ökonomisierung des Bauwesens
II. KONSOLIDIERUNG UND STRATEGISCHE ANPASSUNG: DER ARCHITEKTENBERUF DER 70ER JAHRE
II.1 Macht- und Politikwechsel: Ein Berufsbild im Wandel
II.1.1 „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, WBS 70 und Architektenberuf: Die weitere Unterordnung unter Ökonomie und Technologie
II.1.2 Die gleichzeitige Betonung des Ökonomischen und des Schöpferischen: Berufsbildentwürfe der Architekten
II.2 Politische Konsolidierung und konsolidiertes Architektenhandeln
II.2.1 Das politische Umfeld
II.2.2 „Architekt und Auftraggeber bilden eine dialektische Einheit“: Die Zusammenarbeit mit Staat und Partei
II.2.3 „Ich drehe den Spieß nämlich um“: Das Paradigma der Wirtschaftlichkeit im Dienste der Architekten
II.2.4 „Wir sind Erben der Gotik, der Renaissance, des Klassizismus ebenso wie der progressiven Ideen des Bauhauses“: Architekten in der Denkmalpflege
II.3 Am Bedarf vorbei? Die Architektenausbildung in den 70er und 80er Jahren
II.3.1 Das Auseinanderklaffen von Ausbildung und beruflicher Praxis: Ein erneuter Blick auf die Hochschulen
II.3.2 Papierarchitektur statt bauliche Realität: Die Leistungsvergleiche als Manifeste einer ganzheitlichen Ausbildung
III. ERSTARRUNG UND ENTFREMDUNG
III.1 Resignation macht sich breit: Der Architektenberuf Anfang der 80er Jahre
III.1.1 Zwischen Hoffnung und Enttäuschung: Das Berufsbild des Komplexarchitekten
III.1.2 Das Scheitern strategischer Anpassungsversuche (I): Zunehmende Unvereinbarkeit von gestalterischem Anspruch und Diktat der Ökonomie
III.1.3 Das Scheitern strategischer Anpassungsversuche (II): Bemühungen um eine technologische Erneuerung
III.1.4 Die Entfremdung von Fachleuten und Politik
III.2 Baupolitik und Fachdiskurs: Auseinanderdriften statt Ineinandergreifen
III.2.1 Einführung
III.2.2 Abschottung versus Internationalisierung
III.2.3 Thematische Erstarrung versus thematische Öffnung
III.3 Reaktionen der Architekten
III.3.1 Kritik an der Marginalisierung des Architektenberufs
III.3.2 Neue (und zugleich alte) Berufsbildentwürfe
III.3.3 Nachwuchsprobleme
SCHLUSSEXKURS: GAB ES EIN DDR-TYPISCHES ESTALTERISCHES ARBEITEN DER ARCHITEKTEN?
ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSS
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
Abbildungen
Abbildungsnachweise
Abkürzungsverzeichnis

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Tobias Zervosen Architekten in der DDR

Architekturen | Band 35

2016-07-26 15-02-23 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0363435929630210|(S.

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4) TIT3390.p 435929630218

Tobias Zervosen (Dr. sc. ETH Zürich) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design der Technischen Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Architektur und Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts sowie die Geschichte des Architektenberufs.

2016-07-26 15-02-23 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0363435929630210|(S.

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Tobias Zervosen

Architekten in der DDR Realität und Selbstverständnis einer Profession

2016-07-26 15-02-23 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0363435929630210|(S.

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4) TIT3390.p 435929630218

Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

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2016-07-26 15-02-23 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0363435929630210|(S.

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4) TIT3390.p 435929630218

I NHALT Dank | 9

E INLEITUNG | 11 I. AUFBAU UND INTERVENTION: DER ARCHITEKTENBERUF IN DEN 50ER UND 60ER J AHREN | I.1 Vergesellschaftung und Verantwortungszuweisung: Die Spannungspole des Berufsbildes am Beispiel der frühen DDR | 41

I.1.1 Einführung | 41 I.1.2 Abschaffung eines Berufsbildes? Die freien Architekten und die Vergesellschaftung | 43 I.1.3 Architekten als verantwortliche Einzelakteure (I): Das Beispiel Liebknechts und der Meisterarchitekten | 65 I.2 Politische Krisen und das Handeln der Fachleute | 86

I.2.1 Einführung | 86 I.2.2 Die Architekten und der Neue Kurs: Interventionsversuche im Umfeld des 17. Juni | 87 I.2.3 Architekten als verantwortliche Einzelakteure (II): Die Beispiele Gerhard Kosel und Benny Heumann | 102 I.2.4 Die Architekten und die Entstalinisierung: Interventionsversuche im Umfeld der Allunionstagung der Bauschaffenden und des XX. Parteitags der KPdSU | 112 I.3

Zwischen Arrangement und Intervention: Das Architektenhandeln in den 60er Jahren | 149

I.3.1 Architektenarbeit in den frühen 60er Jahren: Ein Überblick | 149 I.3.2 Formen des Arrangements: Das DBA-Plenum 1963 und das Sprechen über Architektur und Architektenarbeit | 153 I.3.3 Die Architekten und die weitere Ökonomisierung des Bauwesens | 174

41

II. KONSOLIDIERUNG UND STRATEGISCHE ANPASSUNG: DER ARCHITEKTENBERUF DER 70 ER J AHRE | 213 II.1

Macht- und Politikwechsel: Ein Berufsbild im Wandel | 213

II.1.1 „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, WBS 70 und Architektenberuf: Die weitere Unterordnung unter Ökonomie und Technologie | 213 II.1.2 Die gleichzeitige Betonung des Ökonomischen und des Schöpferischen: Berufsbildentwürfe der Architekten | 225 II.2

Politische Konsolidierung und konsolidiertes Architektenhandeln | 232

II.2.1 Das politische Umfeld | 232 II.2.2 „Architekt und Auftraggeber bilden eine dialektische Einheit“: Die Zusammenarbeit mit Staat und Partei | 237 II.2.3 „Ich drehe den Spieß nämlich um“: Das Paradigma der Wirtschaftlichkeit im Dienste der Architekten | 257 II.2.4 „Wir sind Erben der Gotik, der Renaissance, des Klassizismus ebenso wie der progressiven Ideen des Bauhauses“: Architekten in der Denkmalpflege | 269 II.3

Am Bedarf vorbei? Die Architektenausbildung in den 70er und 80er Jahren | 278

II.3.1 Das Auseinanderklaffen von Ausbildung und beruflicher Praxis: Ein erneuter Blick auf die Hochschulen | 278 II.3.2 Papierarchitektur statt bauliche Realität: Die Leistungsvergleiche als Manifeste einer ganzheitlichen Ausbildung | 296

III. E RSTARRUNG UND E NTFREMDUNG | 305 III.1

Resignation macht sich breit: Der Architektenberuf Anfang der 80er Jahre | 305

III.1.1 Zwischen Hoffnung und Enttäuschung: Das Berufsbild des Komplexarchitekten | 305 III.1.2 Das Scheitern strategischer Anpassungsversuche (I): Zunehmende Unvereinbarkeit von gestalterischem Anspruch und Diktat der Ökonomie | 314 III.1.3 Das Scheitern strategischer Anpassungsversuche (II): Bemühungen um eine technologische Erneuerung | 321 III.1.4 Die Entfremdung von Fachleuten und Politik | 324

III.2

Baupolitik und Fachdiskurs: Auseinanderdriften statt Ineinandergreifen | 336

III.2.1 Einführung | 336 III.2.2 Abschottung versus Internationalisierung | 338 III.2.3 Thematische Erstarrung versus thematische Öffnung | 346 III.3

Reaktionen der Architekten | 359 III.3.1 Kritik an der Marginalisierung des Architektenberufs | 359 III.3.2 Neue (und zugleich alte) Berufsbildentwürfe | 366 III.3.3 Nachwuchsprobleme | 380

S CHLUSSEXKURS: G AB ES EIN DDR-TYPISCHES GESTALTERISCHES ARBEITEN DER ARCHITEKTEN? | 397 ZUSAMMENFASSUNG UND S CHLUSS | 423 Literaturverzeichnis | 437 Quellenverzeichnis | 449 Abbildungen | 455 Abbildungsnachweise | 469 Abkürzungsverzeichnis | 471

Dank

Das vorliegende Buch beruht auf meiner 2013 am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich eingereichten und verteidigten Dissertationsschrift, die mit Blick auf die Veröffentlichung geringfügig überarbeitet wurde. Zu den schönsten Aufgaben gehört es in diesem Zusammenhang, Dank zu sagen an alle diejenigen, die die Erarbeitung der Doktorarbeit auf unterschiedlichste Art und Weise begleitet haben. Allen voran möchte ich mich zunächst ganz herzlich bei meinem Doktorvater Andreas Tönnesmann bedanken, der die Arbeit von Anfang an mit großer Begeisterung begleitet hat. Immer wieder gab er entscheidende Impulse und stand mir mit Rat und Tat zur Seite – auch dann, wenn es mal nicht so lief und ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen habe. Sein früher Tod im Mai 2014 ist sehr schmerzlich. Ebenso herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner Korreferentin Christiane Salge, die mit großem Einsatz jederzeit zur Verfügung gestanden und mich fachlich wie ideell auf großartige Weise unterstützt hat. Ein großes Dankeschön geht in diesem Zusammenhang auch an die beiden Doktorandenkolloquien: Zum einen an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Retraiten im schweizerischen Castasegna und zum anderen an alle diejenigen, mit denen ich mich an der Freien Universität Berlin über meine Arbeit austauschen konnte. Ganz besonders danken möchte ich an dieser Stelle zudem Lothar Schmitt, der mir immer wieder ausführliche Rückmeldung zu meiner Arbeit gegeben und mich auch darüber hinaus in umfassender Weise unterstützt hat. Eine hervorragende Ansprechpartnerin für alle organisatorischen Fragen und Probleme rund um die Arbeit war Doris WirzGasperetti. Auch bei ihr und bei Nadia Göntem-Wachtel möchte ich mich deswegen besonders herzlich bedanken. Dank sagen möchte ich darüber hinaus Dietrich Erben und dem gesamten Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design der Technischen Universität München, an dem ich seit Oktober 2012 tätig sein darf. Die hervorragende Arbeitsatmosphäre und der großartige Kollegenkreis dort haben die letzten Monate der Fertigstellung meiner Dissertation zu

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einer sehr schönen Zeit werden lassen. Einen speziellen Dank möchte ich hier auch unserer Fotografin Isabel Mühlhaus aussprechen, die mir bei der Erstellung der Abbildungen kompetent unter die Arme gegriffen hat. Sehr herzlich bedanken möchte ich mich darüber hinaus bei allen, die das Entstehen dieser Arbeit finanziell möglich gemacht haben: bei der Stiftung Bildung und Wissenschaft im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, bei der GerdaHenkel-Stiftung sowie bei der ETH Zürich und den Lehrstühlen von Vittorio Magnago Lampugnani und Andreas Tönnesmann. Der Gerda-Henkel-Stiftung sei zudem für die Gewährung einer umfangreichen Druckkostenbeihilfe gedankt. Dank aussprechen möchte ich weiterhin allen Archivmitarbeitern, die mir bei der Recherche und Bereitstellung von Quellenmaterial behilflich waren: im Bundesarchiv Berlin und in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen, im Baukunstarchiv der Berliner Akademie der Künste und in den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS Erkner. Besonders bedanken möchte ich mich zudem bei den IRS-Mitarbeitern Harald Engler, Alexander Obeth und Anja Pienkny. Die von ihnen organisierten Tagungen, Workshops und Ausstellungen haben mich immer wieder mit anderen Forscherinnen und Forschern sowie mit Zeitzeugen in Kontakt gebracht. Für ausführlichere Gespräche, konstruktive Kritik und hilfreiche Rückmeldung danke ich hier u.a. Frank Betker, Mark Escherich, Bruno und Thomas Flierl, Ulrich Hartung, Wolfgang Kil sowie Anke Kuhrmann, an der ETH Zürich außerdem Andreas Kriege-Steffen. Gedankt sei darüber hinaus meinen vielen anderen Gesprächspartnern, die mir bereitwillig über ihre Arbeit als Architektinnen und Architekten in der DDR Auskunft gegeben haben. Ein ganz besonderes Dankeschön geht hier an Dieter Bankert, Dietmar Kuntzsch, Wilfried Stallknecht und Dorothea Tscheschner. Diese Arbeit hätte kaum entstehen können ohne gute Freunde, die jederzeit da waren, mit denen ich über mein Thema diskutieren konnte, die mich aber auch mal auf andere Gedanken gebracht haben. Philip Bajon, André Bischoff, Katrin Charpentier, Michael Eichinger, Otto Jungblut und Sara Tazbir sei hier neben vielen anderen ganz besonders herzlich gedankt, ebenso wie Brigitte Polhaus und dem gesamten ,gehen-und-sehen-Team. Nicht zuletzt aber waren es auch meine Eltern und mein Bruder Benedikt, die meine Arbeit an der Dissertation über Jahre mit viel Interesse und Verständnis begleitet, mir Mut zugesprochen und mich unterstützt haben. Kaum in Worte zu fassen ist mein Dank an Anja Berninger, die mir tagein, tagaus zur Seite gestanden und sich selbst dann in Geduld geübt hat, wenn wir während unserer gemeinsamen Urlaube auch die Rostocker Plattenbauviertel anschauen ,mussten. Ihr möchte ich dieses Buch widmen.

Einleitung

Im April 1990 beschäftigte sich die Architekturzeitschrift archplus in einer Ausgabe ausführlich mit Architektur und Städtebau der DDR.1 Die Titelseite war provokant und zugespitzt zugleich mit der Überschrift „Architektur ohne Architekten“ versehen, während eine Collage die gängigen Vorurteile über das Planen und Bauen in der DDR einzufangen versuchte (Abb. 1). Der Teppichornamentik mittelalterlicher Glasfenster gleich bildete der mehrfach aneinandergesetzte Ausschnitt einer Plattenbaufassade den Hintergrund. Durch die endlose Reihung immer gleicher Fenster und die Sepiafarbigkeit entstand ein Eindruck der Monotonie, Gleichförmigkeit und Austauschbarkeit  in Anlehnung an jene weit verbreitete Vorstellung, nach der es in der DDR architektonisch nicht viel mehr als graue, sich ins Endlose ausdehnende Plattenbausiedlungen ohne jede gestalterische Differenzierung gab. Im Bildvordergrund trat ein weiteres Element hinzu: den Bühnenhintergründen zahlreicher Parteiveranstaltungen ähnlich, waren hier Stalin, Ulbricht und Honecker in Profilansichten hintereinander gestaffelt zu sehen. Zusammen mit dem Titel des Heftes ergab sich so für den Betrachter eine ganz klare Lesart. Demnach ließ sich das Bauen in der DDR gleich in doppelter Hinsicht als eine „Architektur ohne Architekten“ beschreiben. Zum einen nämlich schien der immer wieder angewandte Typenbau nahezulegen, dass es eine individuelle Architektenarbeit gar nicht gab. Und zum anderen standen der 1953 verstorbene Generalsekretär der KPdSU und die beiden Parteichefs der SED dafür, dass Architektur und Städtebau nach dem Vorbild Moskaus in umfassender Weise politisch dominiert und gelenkt waren. So galt das Bauen der DDR landläufig vielfach als reine Staatsarchitektur, in der Architekten entweder gar nicht oder allenfalls als bloße ausführende Organe politischer Vorgaben vorkamen. Doch in der Titelcollage der archplus verdichteten sich nicht nur jene Vorstellungen, die man im Allgemeinen und sicherlich beiderseits der Mauer von Architektur und Architektenarbeit in der DDR hatte. Gleichzeitig nämlich gab sie

1

Arch+. Zeitschrift für Architektur und Städtebau, 4/1990.

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auch die parteioffiziellen Wunschvorstellungen selbst wider. So war es tatsächlich eines der wesentlichen baupolitischen Ziele gewesen, die Architektentätigkeit völlig den Mechanismen einer ,von oben gesteuerten, an die Planwirtschaft angepassten Baupolitik unterzuordnen und damit einer umfassenden Kontrolle durch Staat und Partei zu unterwerfen.2 Gerade mit Hilfe des seit Mitte der 50er Jahre forcierten industriellen und typisierten Bauens setzte man alles daran, Architektenarbeit weitgehend zu entindividualisieren und sie nur noch als eine die Bauproduktion steuernde und organisierende Tätigkeit zu verstehen. Die übergreifende Leit- und Richtlinienkompetenz sollte damit letztlich nicht mehr bei den Fachleuten, sondern bei Baupolitik und Bauwirtschaft liegen. Im Gegensatz zu diesem gängigen und zugleich auch parteioffiziellen Bild möchte die vorliegende Untersuchung die Fachleute als aktiv handelnde Akteure in den Mittelpunkt des Interesses stellen. Der DDR-Architektenberuf soll also nicht primär durch eine Betrachtung seiner institutionellen Rahmenbedingungen charakterisiert werden, sondern durch den Blick auf das Handeln und das Selbstverständnis derjenigen, die ihn ausgeübt haben. Von den zahlreichen Facetten, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind, sollen schwerpunktmäßig zwei besonders zentrale herausgegriffen werden. Eine grundlegende Rolle spielte zunächst die Tatsache, dass der Architektenberuf unter den Bedingungen des DDR-Staatssozialismus stets als eine auf verschiedenste Art und Weise auf Politik bezogene Tätigkeit verstanden werden muss. Dies ist alleine deswegen der Fall, weil DDR-Architekten in aller Regel zugleich Angestellte wie Auftragnehmer des Staates waren. Ein Privatsektor fehlte hingegen abgesehen von einigen kaum ins Gewicht fallenden Ausnahmen völlig. Auch dies betraf sowohl die Auftraggeber- wie auch die Architektenseite. Von zentralem Interesse wird es deswegen sein, die Architekten und das Architektenhandeln ins Verhältnis zur politischen Ebene zu setzen. Grundsätzlich zur Disposition gestellt werden soll dabei das immer wieder kolportierte Bild, nach dem Architekten ausschließlich ausführende Organe einer ,von oben vorgegebenen Baupolitik und damit einer nahezu vollständigen Anleitung und Kontrolle oder aber sogar Maßregelung und Gängelung unterworfen waren. Nicht in Abrede gestellt werden soll zwar, dass diese Momente eine wichtige Rolle spielten. Nicht zuletzt die vorliegende Arbeit wird dies in umfassender Weise bestätigen. Es soll jedoch auch die Frage gestellt werden, inwiefern die Architekten selbst aktiv am politischen Diskurs teilgenommen und auf ihn eingewirkt haben. Betrachtet werden sollen dabei zum einen die vielen verschiedenen Fälle, in denen Fachleute zugleich auch Architektur- und damit Parteifunktionäre waren. Dabei interessiert vor allem die Frage, inwiefern 2

Bezogen auf die DDR-Gesellschaft insgesamt (Meuschel, S. 10) und Architektur und Städtebau (Betker, S. 36ff.) ist dieser Vorgang vielfach auch als Entdifferenzierungsprozess bezeichnet worden.

E INLEITUNG | 13

diese Architekten die für alle Fachleute gültigen baupolitischen Leitlinien mitentwickelt und mitbestimmt haben. Beleuchtet werden sollen aber auch andere Strategien fachlicher Einflussnahme. Dabei wird ein breites Spektrum unterschiedlichster Handlungsmodi in den Blick genommen werden: von auf eine unmittelbare Veränderung der Baupolitik abzielenden fach- und berufspolitischen Interventionsversuchen bis hin zu verschiedensten Formen der strategischen Anpassung an die politischen Rahmenbedingungen, die der politischen Erwartungshaltung und eigenen fachlichen Interessen gleichermaßen gerecht zu werden versuchten. Eng mit der Frage nach dem Verhältnis von Politischem und Fachlichem ist somit auch der zweite Aspekt verknüpft, auf den hin das Architektenhandeln untersucht werden soll und der die Fachdebatten der Architekten zum Gegenstand hat. Beleuchtet werden sollen dabei Charakter und Inhalte solcher Debatten, aber auch die Zusammenhänge, in denen sie geführt wurden. Auch damit verbunden wird vor allem die Frage im Vordergrund stehen, in welchem Verhältnis diese Fachdebatten zu den jeweiligen politischen Leitlinien standen. Zu untersuchen ist so beispielsweise, ob sie alleine als politisch loyal, angepasst oder gar opportunistisch bezeichnet werden können oder ob und in welchem Grad sie zugleich durch eigene fachliche Interessen geprägt und motiviert waren. Auf differenzierte Art und Weise soll in diesem Zusammenhang also herausgearbeitet werden, in welchem Maße Fachdebatten politisch bestimmt waren, inwieweit sie aber auch eigene fachliche Anschauungen und Überzeugungen der Akteure widerspiegelten. Davon ausgehend lassen sich schließlich fachliches Handeln und politische Einflussnahme ein weiteres Mal in ein genaueres Verhältnis zueinander setzen. Ausgehend von einer intensiven Betrachtung dieser beiden das Architektenhandeln bestimmenden Dimensionen sollen schließlich Rückschlüsse auf das Berufsbild des Architekten in der DDR gezogen werden. Untersucht werden soll hier zum einen, an welche Elemente historisch gewachsener Berufsbilder unter DDRBedingungen angeknüpft werden konnte, welche Aspekte aber auch angesichts einer auf die umfassende Vergesellschaftung des Berufsstandes abzielenden sowie die Diskurshoheit selbst beanspruchenden Baupolitik neu hinzutraten. Genauer in den Blick genommen werden sollen dabei u.a. die zahlreichen Berufsbildentwürfe, die von den Architekten selbst erarbeitet und eingebracht wurden. Dabei wird es wieder um die Frage gehen, inwiefern sich im beruflichen Selbstverständnis ein bewusstes Eingehen auf politische Leitlinien einerseits, aber auch eigene fachliche Interessen andererseits niederschlugen. Herausgearbeitet werden soll damit verbunden zudem, ob es Unterschiede im Selbstverständnis der Architekten gab. Dabei werden ebenso die dahinterstehenden Gründe und Motivationen wie die daraus resultierenden Folgen für die Architektentätigkeit und das Architektenhandeln interessieren. Indem vor allem Handeln und Tätigkeit der Architekten selbst betrachtet und davon ausgehend das Berufsbild charakterisiert wird, wird ein dezidiert architektur-

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historisches Erkenntnisinteresse verfolgt. So soll auch die Frage gestellt werden, inwiefern nicht nur die Politik, sondern auch die Fachleute selbst den Verlauf der DDR-Architekturgeschichte im Allgemeinen und ihrer eigenen Berufsgeschichte im Besonderen mitbeeinflusst haben. Von Interesse wird dabei nicht zuletzt sein, ob die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung vielfältigere und differenziertere Erklärungsmuster für die spezifische Entwicklung von DDR-Architektur und -Städtebau bereitstellen. Prüfen lässt sich dabei zum einen, inwiefern sich fachliches Handeln in der DDR-Architekturgeschichte niedergeschlagen hat. Darüber hinausgehend soll jedoch auch untersucht werden, ob der Blick auf die Fachleute unsere Einschätzung der Architekturgeschichte selbst reicher und differenzierter macht. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise, ob es theoretischfachliche Debatten gab, die sich nicht oder kaum im konkret Gebauten abgebildet haben. Geprüft werden soll darüber hinaus, ob der Blick auf das Architektenhandeln auch dazu beitragen kann, die Einschätzung des Gebauten selbst zu verändern – etwa, indem es dezidiert als Produkt politischer und fachlicher Interessen sowie intensiver, von unterschiedlichsten Akteuren bestimmter Aushandlungsprozesse verstanden wird. Methodik und Quellen Das methodische Vorgehen ist ein in klassischer Weise quellenkritisches. Im Vordergrund steht die Interpretation schriftlicher Primärquellen zur DDR-Politik- und Baugeschichte. Da die Arbeit primär an allgemeinen Aussagen über den Charakter des Architektenhandelns, der geführten Fachdebatten und des Tätigkeitsprofils interessiert ist, fand hier wiederum von Ausnahmen abgesehen schon vor der Sichtung der Quellen eine genaue Vorauswahl statt. Um zudem zu verallgemeinerbaren Ergebnissen zu gelangen, wurden in erster Linie vor allem solche Archivkonvolute berücksichtigt, die DDR-weit etablierten institutionellen Plattformen fachlichen Handelns und fachlichen Austauschs zugeordnet werden können. Dies betrifft zum einen Aktenmaterial zur Architektenausbildung und hier vor allem Quellen, die Rückschlüsse auf die inhaltlichen Schwerpunkte der Ausbildung und den Austausch zwischen älterer Lehrer- und jüngerer Studierendengeneration zulassen.3 Zum anderen ist an zentraler Stelle die Überlieferung der in eine sozialistische Massenorganisation umgewandelten berufsständischen Vertretung BdA (Bund deutscher Architekten der DDR; bis März 1971: Bund Deutscher Architekten [BDA]4) zu nennen.5 3

Zu nennen sind hier insbesondere Aktenkonvolute der im Bundesarchiv Berlin archivierten Überlieferung des SfHuF bzw. des MfHuF.

4

Zur Unterscheidung vom BDA der Bundesrepublik wird im Folgenden außer bei Zitaten oder Titeln von Archivdokumenten durchgängig die Schreibweise ,BdA verwendet.

5

In der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen (SAPMO) sowie teilweise in den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS Erkner. Die in dieser Untersuchung an-

E INLEITUNG | 15

Im Verlauf der Untersuchung wird sich dabei zeigen, dass der BdA zwar durchaus als ,Transmissionsriemen der Parteipolitik gedacht war und als solcher auch funktionierte, dass zum anderen aber gerade innerhalb des BdA die Möglichkeiten zu weitergehendem fachlichen Austausch, kritischer Diskussion untereinander und auch zur Entwicklung von in den meisten Fällen politikkonformen, zugleich aber auch fachlich bestimmten Handlungs- und Lösungsansätzen mit am größten war. In diesem Zusammenhang wird hier erstmals die bislang kaum berücksichtigte Aktenüberlieferung des Architektenbundes umfassend ausgewertet und für die DDRArchitektur- und Architektengeschichte fruchtbar gemacht. Insbesondere die Bundesvorstands- und Parteigruppensitzungen, aber auch die Mitgliederkartei des Architektenbundes6, die anhand der im Rahmen des Aufnahmeverfahrens zu benennenden Bürgen beispielsweise Einblick in fachliche Netzwerke zu geben vermag, lassen hier entsprechend aussagekräftige und auf das DDR-weite Tätigkeitsprofil zu beziehende Rückschlüsse zu. Für die Auswahl des Quellenmaterials gilt deswegen sowohl für die Überlieferung des BdA wie auch für andere Archivkonvolute, dass der Blick bewusst auf die die Fachleute aus der gesamten DDR zusammenführenden, überregionalen Gremienzusammenkünfte konzentriert wird. Auch für diese Entscheidung war die Überlegung leitend, dass es der Untersuchung um eine übergreifende Gesamtdarstellung und nicht so sehr um eine Schilderung und Aneinanderreihung von Einzelbeispielen geht. So bleiben für den BdA beispielsweise die Kreis- sowie die Parteigruppensitzungen auf örtlicher Ebene weitgehend unberücksichtigt. Ähnliches gilt für die betriebliche Ebene in der Planungs- und Bauwirtschaft. Betont sei in diesem Zusammenhang, dass sich natürlich auch in diesen fernab von zentralstaatlichen Institutionen angesiedelten Bereichen wichtige Möglichkeiten zu fachlicher Kommunikation und zum Aushandeln von Handlungsspielräumen ergeben konnten. Sofern sie aber zu über den Einzelfall hinausweisenden, allgemein anerkannten und angewandten Handlungsstrategien wurden, bestimmten sie letztlich auch die Debatte in den Leitungsgremien und lassen sich damit auch dort nachvollziehen. Da es der vorliegenden Arbeit um eine grundlegende Darstellung zentraler Charakteristika der Architektentätigkeit und des Architektenhandelns in der DDR geht, erübrigt sich damit der Blick auf rein lokale Entwicklungen und Zusammenhänge. Auf diese Weise wurde es vor allem möglich, die große Masse des einzusehenden Archivmaterials auf ein handhabbares Format zurechtzustutzen.

gegebenen IRS-Signaturen spiegeln den Stand des Recherchezeitpunktes wider. Seitdem sind im IRS Erkner umfangreiche Systematisierungen und Neuordnungen der Bestände vorgenommen worden, so dass die aktuellen Bestandssignaturen möglicherweise abweichen können. 6

Im IRS Erkner. Zu den in dieser Untersuchung angegebenen Signaturen Fußnote 5.

16 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Zusätzlich zu den als grundlegend zu nennenden Konvoluten des BdA, die auch Rückschlüsse auf die die berufliche Tätigkeit der Architektenschaft bestimmenden Themen von der Ausbildung bis hin zur Entlohnung zulassen, wurden punktuell Quellen aus anderen Institutionen des DDR-Bauwesens sowie Architektennachlässe hinzugezogen. Als eine wesentliche Orientierungshilfe bei der Recherche dienten dabei jene in der Chronik Bauwesen7 verzeichneten Einträge, die sich mit berufspolitischen Entwicklungen beschäftigen und durch den Verweis auf die entsprechenden beteiligten Institutionen ein zielgenaues Recherchieren innerhalb der Archivbestände möglich machten. Dabei wurde u.a. die vor allem den ersten Teil der Untersuchung bestimmende Erkenntnis gewonnen, dass es neben den über Jahre geführten Fachdebatten und langfristig angewandten Handlungsstrategien mitunter auch punktuelle Interventionsversuche von fachlicher Seite waren, die die Entwicklung von Architektur und Städtebau im Verbund mit der offiziellen Baupolitik, aber auch über diese hinausgehend, bestimmten. Dies spiegelt sich auch in Gliederung und Aufbau des Textes wider, wie weiter unten noch genauer dargelegt werden soll. Eingesehen wurden Archivkonvolute des Ministerrats, der SPK (Staatliche Plankommission), des MfA/MfB (Ministerium für Aufbau/Ministerium für Bauwesen), der DBA/BA, des MfK (Ministerium für Kultur) sowie der Abteilung Bauwesen des ZK (Zentralkomitee) der SED.8 Was die Nachlässe einzelner Architekten angeht, wurden hier mit ähnlichem Interesse vor allem jene Fachleute in den Blick genommen, die eine zentrale Rolle hinsichtlich bestimmter Debatten oder aber auch Berufsprofile spielten, allen voran Gerhard Kosel 9 , Kurt Liebknecht, Kurt Junghanns, Hermann Henselmann und Heinz Graffunder.10 In den nächsten Jahren werden hier noch sehr viel detailliertere Forschungen möglich sein, da die Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS Erkner derzeit ihr umfangreiches Archiv gerade im Bereich der Nachlässe weiter ausbauen und systematisieren. Für die vorliegende Untersuchung konnten hier jedoch nur punktuelle Sondierungen vorgenommen werden. Eine weniger wichtige Rolle spielten letztlich Zeitzeugeninterviews. Hier zeigte sich sehr schnell, dass die über solche Gespräche gewonnenen Ergebnisse nicht nur für eine äußerst subjektive Sicht der Dinge stehen, deren Wahrheitsgehalt kaum oder nur unter großem Aufwand zu überprüfen ist. Deutlich wurde vielmehr auch, dass Interviews oftmals vor allem Aussagen über das Architektenhandeln im Rahmen spezifischer örtlicher, projektbezogener oder akteursabhängiger Strukturen zulassen. Damit aber stellte sich das Problem der Repräsentativität der Ergebnisse. 7

MfB/BA (Hg.), Chronik Bauwesen Deutsche Demokratische Republik, 3 Bde., 1945-71 (Berlin 1974), 1971-76 (Berlin 1979), 1976-81 (Berlin 1985).

8

Alle im Bundesarchiv Berlin.

9

Im Bundesarchiv Berlin.

10 Jeweils in der Akademie der Künste Berlin.

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Um der Gefahr vorzubeugen, dass die Arbeit in eine Schilderung von Einzelbeispielen fachlichen Handelns zerfallen würde, wurde von einer umfangreicheren Materialsammlung über Interviews Abstand genommen. Dies mag dazu führen, dass eine Reihe von Architekten ihre eigene berufliche Lebenswirklichkeit an dieser Stelle nur zum Teil wiederfinden. Letztlich war jedoch auch hier die Überlegung leitend, dass es der vorliegenden Untersuchung um eine grundlegende, durchaus eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchende Charakterisierung der Architektentätigkeit in der DDR geht. Trotzdem aber wurde ihr Entstehen von einem teilweise sehr engen und herzlichen Kontakt zu beteiligten Fachleuten begleitet, sei es im Rahmen persönlicher Treffen und Gespräche oder aber im Umfeld zahlreicher Tagungen und Workshops.11 Verwiesen sei schließlich noch darauf, dass auf eine nähere Beschäftigung mit den Themen ,Kirchenbau und ,Frauen im DDR-Architektenberuf bewusst verzichtet wurde, da hier parallel zu dieser Untersuchung umfangreiche Arbeiten entstanden oder aber in Vorbereitung sind. Im Bereich des Kirchenbaus sind dies vor allem die Dissertationen von Verena Schädler12 und Henriette von Preuschen13, während sich Christiane Droste im Rahmen ihrer Forschungen intensiv mit Architektinnen in der DDR beschäftigt.14 Betont sei in diesem Zusammenhang noch, dass aus Gründen der Vereinfachung zwar nahezu ausschließlich von Architekten, Stadtplanern und Städtebauern gesprochen wird, die männliche Berufsbezeichnung aber stets auch Planerinnen mitberücksichtigt wissen will. Quellenkritischer Ansatz und sozialhistorische DDR-Forschung Die quellenkritische Auswertung des eingesehenen Archivmaterials soll vor allem vor dem Hintergrund von Konzepten der Perspektivierung, Beschreibung und Analyse von DDR-Geschichte erfolgen, wie sie von der Sozial- und Alltagsgeschichte entwickelt worden sind. Sie sollen dabei jedoch eher die Hintergrundfolie für die Beschäftigung mit dem Architektenberuf und der Architektentätigkeit bilden, die 11 Zu nennen sind hier u.a. die alle zwei Jahre stattfindenden, Forscher und Zeitzeugen zusammenführenden und damit äußerst instruktiven Werkstattgespräche des IRS Erkner sowie die an der Bauhaus-Universität Weimar abgehaltenen Tagungen „Denkmal OstModerne. Aneignung und Erhaltung des baulichen Erbes der Nachkriegsmoderne“ (28./29.01.2011) sowie „Stadt(planungs)geschichte als Gesellschaftsgeschichte. Der verborgene Reformdiskurs in der Städtebaudebatte der DDR“ (08.04.2011). 12 Verena Schädler, Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR, Regensburg 2013. 13 Henriette von Preuschen, Der Griff nach den Kirchen. Ideologischer und denkmalpflegerischer Umgang mit kriegszerstörten Kirchenbauten in der DDR, Worms 2011. 14 Hierzu etwa Christiane Droste, „Werke und Biografien von Architektinnen in Ost- und West-Berlin 1945-1969“, in: Holger Barth (Hg.), Grammatik sozialistischer Architekturen. Lesarten historischer Städtebauforschung zur DDR, Berlin 2001, S. 305-319.

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Auseinandersetzung mit den Quellen also vor allem indirekt lenken und leiten. Um eine möglichst differenzierte Auswertung des Materials zuzulassen, aber auch aus Gründen des Erzählflusses, soll eine fortwährende explizite Bezugnahme auf die DDR-bezogene sozialhistorische Forschung selbst sowie ein dauerhafter ,starrer Abgleich mit den von ihr bereitgestellten Beschreibungs- und Analyseelementen somit vermieden werden. Diese sollen im Folgenden deswegen ausführlich vorgestellt und als konzeptuelle Grundlagen der quellenkritischen Betrachtung eingeführt werden. Den Ausgangspunkt für eine nähere Beschäftigung mit der alltags- und sozialhistorischen DDR-Forschung bildete zunächst Wolfgang Englers „Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land“15. Essayistisch erzählt Engler darin – oftmals pointiert und zugespitzt – die Politik-, genauso aber auch die Gesellschafts-, Alltags- und Mentalitätsgeschichte der DDR von den Anfängen in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) bis zur Wendezeit. Dabei gelingt ihm ein bemerkenswerter Spagat. Auch wenn der Titel des Buches den Verdacht nahelegt, dass es sich um ein von Ostalgie geprägtes Projekt handeln könnte, ist Englers Darstellung letztlich äußerst differenziert. So arbeitet sie zum einen die Herrschaftsstrukturen und mechanismen des Staatssozialismus heraus, versucht auf der anderen Seite aber auch, die spezifische Lebenswirklichkeit der DDR-Bevölkerung in all ihren Facetten zu beschreiben und zu erfassen. Ein wesentliches Verdienst von Englers Buch stellt dabei die Tatsache dar, dass es die DDR auch nach Wende und Wiedervereinigung – also nach ihrem ,Untergang – von innen heraus und vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Charakteristika, Eigendynamiken und Eigenlogiken zu verstehen versucht. So liegt es Engler insbesondere fern, DDR-Geschichte nur auf ihr Ende – also auf die revolutionären Umwälzungen der Wendezeit – hin zu schreiben. Vielmehr bemüht er sich, die lange währende Stabilität des Staates durch den Blick auf das vielfältige Beziehungsgefüge zwischen Bevölkerung, Partei und Staat sowie die daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnisse und Bindekräfte zu erklären. 16 15 Engler. 16 Sehr intensiv ist darüber auch im Bereich der Geschichtspolitik und der DDRVergangenheitsbewältigung diskutiert worden. Hierzu im Allgemeinen u.a. der vor allem Herrschaftsstrukturen, Herrschaftsmechanismen und den Apparat der Staatssicherheit in den Mittelpunkt stellende Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Bd. I: Die EnqueteKommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ im Deutschen Bundestag, Baden-Baden 1995) sowie die Ergebnisse der auch für eine Einbeziehung der Alltags- und Gesellschaftsgeschichte plädierenden, ebenfalls vom Deutschen Bundestag eingesetzten „Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes ,Aufarbeitung der SED-Diktatur “ (hierzu auch Martin Sabrow/Rainer

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Damit verbunden stellt Engler differenzierte Modelle der Beschreibung bereit, die die historisch-politische Entwicklung der DDR unter Einschluss ihrer zahlreichen Brüche, Diskontinuitäten und spezifischen Eigenheiten zu erfassen in der Lage sind. Ausgehend von Engler entwickelte sich denn auch die Versuchsanordnung der vorliegenden Arbeit. Geprüft werden soll so u.a., ob sich die vielfältigen Verästelungen der Architekturgeschichte im Allgemeinen, aber auch die spezifischen Eigenheiten der Architektentätigkeit im Besonderen in ähnlich umfassender Weise erklären und beschreiben lassen, indem man den Blick bewusst auch auf das Handeln der Akteure selbst – also der Architekten und Stadtplaner – richtet. Dabei zeigte sich schon bald, dass gerade die Sozial- und Alltagsgeschichte Fragestellungen verfolgt und Beschreibungskategorien entwickelt hat, die auch für die Untersuchung des Architektenhandelns innerhalb eines staatlich dominierten Bauwesens fruchtbar gemacht werden können. Zu nennen ist hier zunächst die Tatsache, dass es vor allem die Sozial- und Alltagsgeschichte war, die nach Rolle und Bedeutung der Gesellschaft, aber auch von Einzelakteuren in der DDR gefragt hat. Die Grundlage für eine nähere Beschäftigung mit diesen Themen wurde dabei letztlich schon durch die sich vor allem seit den 70er Jahren 17 mehr und mehr etablierende, so genannte ,systemimmanente Eckert, Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer Debatte, Göttingen 2007). Eine detailliertere Aufarbeitung dieser geschichtspolitischen Debatte findet sich u.a. bei Andrew H. Beattie, Playing Politics with History. The Bundestag Inquiries into East Germany, New York 2008 sowie Thomas Großbölting, „Die DDR im vereinten Deutschland“, in: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, 25-26/2010, S. 35-41. Zu den Auswirkungen geschichtspolitischer Diskurse auf den Umgang mit DDRBausubstanz: Tobias Zervosen, „Denkmalpflege und geschichtspolitischer Diskurs“, in: Mark Escherich (Hg.), Denkmal Ost-Moderne. Aneignung und Erhaltung des baulichen Erbes der Nachkriegsmoderne, = Schriftenreihe Stadtentwicklung und Denkmalpflege 16, Berlin 2012, S. 42-49. 17 Mit Blick auf den unverkennbaren konjunkturellen Aufschwung dieses Forschungsansatzes im Zuge der Ostpolitik Willy Brandts gelangt Jens Hüttmann in diesem Zusammenhang zu einem auch um kritische Komponenten angereicherten Gesamturteil: „Insgesamt sind die Befunde widersprüchlich, bei ,kritisch-immanenten Ansätzen handelt es sich nicht um ein homogenes Wissenschaftskonzept. Um eine eigenständige und anerkannte sozialwissenschaftliche Disziplin werden zu können, mussten sich die DDR-Forscher verwissenschaftlichen. Distanz, Sachlichkeit, Nüchternheit und Wertfreiheit sollten die Leitlinien der neuen Forschung sein, die sich von Forschungen und Urteilen absetzen sollte, die allein die Repression des totalitären ,Unrechtsstaats sehen wollten. Dies bedeutete aber nicht, dass die neuen Forschungsansätze tatsächlich allein distanziert, sachlich, nüchtern oder gar wertfrei durchgeführt wurden: Es gehört zu den Paradoxien

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bzw. ,kritisch-immanente Forschung gelegt. Dabei ging es vor allem darum, das in den ersten Jahren nach Beginn des Kalten Krieges vorherrschende Erklärungsmodell auszudifferenzieren, nach dem die DDR als ein ausschließlich über totalitaristisch-stalinistische Elemente funktionierendes politisches System beschrieben worden war. Schon die systemimmanenten Forschung interessierte sich stattdessen für eine umfassende Betrachtung politischer, genauso aber auch gesellschaftlicher Strukturen.18 Eine der letzten, aus dieser Forschungstradition erwachsenen und bis heute rezipierten Arbeiten ist dabei von Sigrid Meuschel unter dem Titel „Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945-1989“19 vorgelegt worden. Von Ausnahmen abgesehen, die später noch Gegenstand der Betrachtung sein sollen20, ging Meuschel darin allerdings noch von weitreichenden gesellschaftlichen Entdifferenzierungsprozessen und einem „Absterben der Gesellschaft“ aus: „Die Durchsetzung des Totalitätsanspruchs der Partei, den gesamtgesellschaftlichen Umwälzungsprozeß zu steuern, veränderte den Charakter der Gesellschaft grundlegend. Denn diese Durchsetzung verlangte, die ökonomischen, politischen und sonstigen gesellschaftlichen Ressourcen zu zentralisieren, Klassen und Interessengruppen, Parteien und Assoziationen in ihrer relativen Unabhängigkeit zu zerschlagen und überdies eigenständige Institutionen und Regelungsmechanismen wie Markt und Recht, Öffentlichkeit und Demokratie abzubauen. Es fand ein machtpolitisch durchgesetzter sozialer Entdifferenzierungsprozeß statt, der die ökonomischen, wissenschaftlichen, rechtlichen oder kulturellen Subsysteme ihrer Eigenständigkeit beraubte, ihre spezifischen Rationalitätskriterien außer Kraft setzte oder politisch-ideologisch überlagerte. Nicht der Staat starb ab im Verlauf der jahrzehntelangen Herrschaft der Partei, es handelte sich vielmehr um einen Prozeß des Absterbens der Gesellschaft.“21

Dennoch richtete sich die Aufmerksamkeit der Forschung in den späten 80er und in den 90er Jahren immer wieder auf die Frage, wie sich diese Gesellschaft weniger als etwas Abgestorbenes denn als etwas auf spezifische Art und Weise zu Charakte-

,kritisch-immanenter Ansätze, dass die Funktion der Wertfreiheit gerade darin lag, bessere Politikberatung anbieten zu können“ (Hüttmann, S. 243). 18 Stellvertretend für viele andere sei hier auf entsprechende Arbeiten von Otto Stammer, Ernst Richert, Arcadius R.L. Gurlitt, Hartmut Zimmermann und vor allem Peter-Christian Ludz verwiesen. Zu diesem Thema ausführlich Hüttmann. 19 Meuschel. 20 Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Positionen Meuschels findet sich auch bei Betker, S. 36-40. 21 Meuschel, S. 10.

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risierendes beschreiben lässt.22 Beispielhaft verwiesen sei hier auf den Band „Die volkseigene Erfahrung“ von Lutz Niethammer, Alexander von Plato und Dorothee Wierling, der den Alltag und das Handeln der so genannten ,kleinen Leute über Interviews einzufangen versuchte.23 Erwähnt seien darüber hinaus auch die zunächst von Hartmut Kaelble24 und einige Jahre später von Arnd Bauerkämper25 vorgelegten Sammelbände mit dem Titel „Sozialgeschichte der DDR“ sowie Stefan Wolles umfassende Monographie „Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989“26. In Abgrenzung zu Meuschel ging es diesen Publikationen in erster Linie um einen umfassenden Blick auf Gesellschaft und Gesellschaftsdynamiken in der DDR, verbunden mit der Frage nach Belohnungs- und Privilegierungsmechanismen, nach der Bedeutung der Gewerkschaften und Massenorganisationen für das Gesellschafts- und Staatsgefüge, aber auch nach Randbereichen und Nischen wie etwa der Kirche. In großer Breite und Vielfalt wurde damit verbunden das Verhältnis von Politik, Partei und Staat sowie verschiedensten Akteurskonstellationen innerhalb der Gesellschaft beleuchtet. Schon dabei wurde deutlich, dass die Beschreibung und Analyse von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen, die sich innerhalb der DDR-Geschichte ausmachen lassen, durch den ganzheitlichen Blick auf Staat, Politik und Gesellschaft gewinnen. Letztlich sind es eine Reihe der durch die Sozialgeschichte in den Mittelpunkt des Interesses gerückten Beschreibungskategorien gesellschaftlichen Handelns, die auch als Hintergrundfolie für die in der vorliegenden Arbeit vorgenommene Analyse von Architektenhandeln und Architektentätigkeit dienen sollen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zum einen der im Ursprung durch Alf Lüdtke eingeführte Begriff des ,Eigensinns.27 Mit ihm versuchte Lüdtke, spezifische Eigenheiten des 22 Im Bereich von Architektur und Städtebau hierzu auch die mit Blick auf Meuschels Entdifferenzierungsthese formulierte „Gegenthese“ Betkers (Betker, S. 38ff.). 23 Lutz Niethammer/Alexander von Plato/Dorothee Wierling (Hgg.), Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. 30 biographische Eröffnungen, Berlin 1991. 24 Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hgg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994. 25 Arnd Bauerkämper, Die Sozialgeschichte der DDR, München 2005. 26 Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989, Berlin 1998. 27 Alf Lüdtke, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993. Im Kontext von Forschungen zu DDRArchitektur und Städtebau hat sich bereits Frank Betker ausführlich mit ,Eigensinn als Beschreibungskategorie und Analyseinstrument auseinandergesetzt. Bei ihm finden sich zudem ausführlichere Erläuterungen des Begriffs, die sich u.a. ebenfalls auf Lüdtke und Thomas Lindenberger beziehen (hierzu vor allem Betker, S. 51-60).

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Handelns Einzelner innerhalb verschiedenster politischer Systeme zu fassen. ,Eigensinn verstand er dabei als eine Art und Weise des Arrangements mit bestehenden Verhältnissen, die durch geschicktes Austarieren zugleich die Befriedigung eigener Bedürfnisse und Interessen möglich machte, damit aber auch zur Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse und deren Teillegitimation beitrug. ,Eigensinn war für Lüdtke also nicht alleine störrisches, von den vorgegebenen Leitlinien bewusst abweichendes Verhalten, sondern Ausdruck des Bestrebens, dass jemand den gegebenen Verhältnissen eigenen Sinn abzugewinnen versuchte und so zu einem Arrangement zwischen offizieller Erwartungshaltung und persönlichen Interessen fand. Aufgegriffen wurde Lüdtkes Konzept des Eigensinns in der DDR-Forschung zunächst im Rahmen von Einzelstudien, die entweder das Verhältnis zwischen kollektiven institutionellen und gesellschaftlichen Strukturen auf der einen und Einzelakteuren auf der anderen Seite zu ergründen versuchten28 oder aber generationelle Zusammenhänge in den Blick nahmen.29 In allgemeinerer und umfassenderer Form diskutiert wurde der Begriff schließlich in dem von Thomas Lindenberger herausgegebenen Band „Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR“30. Unter Bezugnahme auf Lüdtke findet sich hier eine Charakterisierung des Begriffs ,Eigensinn, die – wie in der vorliegenden Untersuchung immer wieder deutlich werden wird – vielfach auch das Architektenhandeln zu beschreiben geeignet ist. Aus diesem Grund sei Lindenberger an dieser Stelle etwas ausführlicher zitiert: „Anders als bei einem Begriff wie ,Widerstand oder ,Opposition ist das Kriterium für die Verwendung des Begriffs ,Eigen-Sinn nicht der explizit negative Bezug auf das jeweilige Herrschaftsverhältnis [...] Vor die nur in wenigen Fällen [...] eindeutig zu beantwortende Frage, ob Individuen aktiv und unmittelbar zur Aufrechterhaltung oder Überwindung diktatorischer Herrschaft beitrugen, schiebt sich die nach der Aneignung und Deutung von Herrschaftsstrukturen durch die Mehrheit der Individuen im Alltag. Hier setzt der Begriff des ,Eigen-Sinns an. Er ist notwendig, um folgender Unterscheidung gerecht zu werden: Der herrschaftlich intendierte und meist ideologisch definierte Sinn von Ordnungen, erzwungenen Verhaltensweisen und Verboten ist eine Sache. Die je eigene Bedeutung, die Individuen in ihre Beteiligungen an diesen Ordnungen und Handlungen hineinlegen, ist eine andere. Auch bei äußerlicher Übereinstimmung sind sie nicht identisch. Diese Nicht-Identität kann sehr unterschiedliche Formen und Konsequenzen haben: ,Eigen-Sinn 28 Johannes Huinink/Karl-Ulrich Mayer/Martin Diewald u.a. (Hgg.), Kollektiv und Eigensinn. Lebensverläufe in der DDR und danach, Berlin 1995. 29 Marc-Dietrich Ohse, Jugend nach dem Mauerbau. Anpassung, Protest und Eigensinn (DDR 1961-1974), Berlin 2003. 30 Thomas Lindenberger (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln 1999.

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kann in Widerstand gegen Vereinnahmungen und Aktivierungsversuche ,von oben in den alltäglichen Beziehungen wie auch in der großen Politik münden, ist jedoch auch in der gezielten Nutzung und damit Reproduktion herrschaftskonformer Handlungsweisen zu beobachten, indem diese für ,eigen-sinnige Individuen einen anderen – und sei es nur zusätzlichen – ,Sinn beinhalten als den der offiziellen Ideologie [...] Es geht nicht um eine simplifizierende Gegenüberstellung von ,der SED-Herrschaft und ,dem Eigen-Sinn, etwa in dem Sinne, daß bei ,viel Herrschaft ,wenig Eigen-Sinn anzutreffen sei und umgekehrt. In der hier vorgeschlagenen Verwendungsweise darf der Begriff des Eigen-Sinns eben nicht als das handgreifliche Gegenstück zum SED-Herrschaftsanspruch, gewissermaßen als Sammelbegriff für das Gegenhalten der ,kleinen Leute mißverstanden werden. Ein bestimmter Typus von Interaktionen (,Herrschaft als soziale Praxis ) und die für die Akteure damit verbundenen Möglichkeiten der Sinn-Gebung und Sinn-Verteilung sollen ins Verhältnis zueinander gesetzt werden.“31

Enthalten ist darin bereits ein Phänomen, das von der britischen Historikerin Mary Fulbrook pointiert als „partizipatorische Diktatur“32 bezeichnet worden ist und das dennoch weit über das im Vergleich dazu sehr viel enger gefasste Konzept eigensinnigen Handelns hinausweist. Eine überblicksartige Beschreibung dessen, was mit dem Begriff „partizipatorische Diktatur“ gemeint ist, fand sich schon in Fulbrooks Mitte der 90er Jahre erschienener Darstellung „Anatomy of a Dictatorship. Inside the GDR 1949-1989“33. Dort schrieb Fulbrook: „The East German dictatorship cannot be adequately conceived in terms of a thin layer of evil SED and Stasi officials at the top constantly repressing a cowering population which lived in a state of terror. The GDR was not in a perpetual state of implicit civil war; it cannot be simply written off as a repressive regime pitted against a heroically oppositional people. The edifice of the dictatorship was constructed with und through the vast majority of the population, who participated in its workings in a multiplicity of organizations and activities.“34

In „Ein ganz normales Leben“ führte sie diesen Gedanken weiter aus: „Wirklich erstaunlich an der DDR ist die Art und Weise, in der außerordentlich viele Menschen an ihrem Funktionieren beteiligt waren; in allen Lebensbereichen waren sie in ein komplexes Geflecht von Mikrobeziehungen der Macht verwickelt, das dazu diente, das System zu reproduzieren und zu transformieren. Sehr viele Menschen wirkten als ehrenamtliche Funktionäre in einem großen Spektrum von Organisationen, auf eine Weise, die in den sieb31 Lindenberger, S. 23f. 32 Fulbrook (2008), Überschrift Kapitel III. 33 Fulbrook (1995). 34 Ebd., S. 61.

24 | A RCHITEKTEN IN DER DDR ziger und achtziger Jahren von einem ganz erheblichen Teil der Bevölkerung als selbstverständlich hingenommen wurde. Sie beteiligten sich an dem System und stützten es; sie übernahmen, verkörperten und spielten Rollen und hielten sich an die Regeln und Parameter des Systems.“35

Dies passierte – so wird die vorliegende Untersuchung zeigen – auch im Bereich des Architektenberufs. Zu verweisen ist so etwa auf die Tatsache, dass Fachleute, die zugleich als hochrangige Funktionäre tätig waren, die Leitlinien der Baupolitik mit bestimmten und deren Umsetzung in die Praxis bewusst forcierten. Eine ebenso wichtige Rolle wird jedoch auch die aus der Sozialgeschichte inspirierte Überlegung spielen, dass nicht zuletzt ein so zentralistisch gesteuertes, auf Anleitung ,von oben nach unten ausgerichtetes System wie der DDR-Staatssozialismus zu keiner Zeit ohne Rückkopplungen mit der breiten gesellschaftlichen – sowie im Falle der Architekten fachlichen – Basis auskam. Auf dieses Phänomen hat schon Anfang der 90er Jahre Sigrid Meuschel aufmerksam gemacht, die ansonsten – wie bereits dargestellt – eher von Entdifferenzierungsprozessen im gesellschaftlichen Bereich sprach: „Aber obwohl der Parteistaat Ökonomie und Gesellschaft als einen auf das Telos hin planbaren Gesamtzusammenhang dachte und behandelte, waren doch intermediäre Institutionen und ihre sachverständige Leitung notwendig; die Parteibürokratie mußte sich daher auf eine Kooperation mit Fachleuten und auf das Risiko der partiellen Freisetzung teilsystemischer Eigenlogiken einlassen. Sie verzahnte zwar Fach- und ideologische Bürokratien derart miteinander, daß das materiale Moment das formal-rationale stets dominierte, doch der grundsätzliche Widerspruch blieb bestehen [...]“36

Ähnlich wie später auch Mary Fulbrook37 verwies Meuschel in diesem Zusammenhang etwa auf die Bedeutung gesellschaftlicher Massenorganisationen für die Ermöglichung solcher Rückkopplungsprozesse. Sie werden gemeinhin beinahe ausschließlich als so genannte ,Transmissionsriemen der Parteipolitik verstanden, deren Aufgabe es war, die ,oben entwickelten politisch-ideologischen Leitlinien ,nach unten durchzustellen und ihnen auf diese Weise zur Umsetzung zu verhelfen. Schon Meuschel plädierte hier für ein sehr viel differenzierteres Bild. So leugnete sie zwar nicht, dass die Massenorganisationen und das dortige Handeln wesentlicher Bestandteil des DDR-Herrschaftssystems waren. Trotzdem aber unterstrich sie zugleich, dass gerade diese Institutionen Orte sein konnten, wo die Interessen des 35 Fulbrook (2008), S. 252. 36 Meuschel, S. 13. 37 Der Auftrag an „bloc parties and mass organisations“ lautete nach Fulbrook denn auch: „Reaching the parts the party cannot reach“ (Fulbrook [1995], S. 58).

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Einzelnen noch am ehesten mit denen der politischen Ebene vermittelt werden konnten: „Weil die klassenlose Gesellschaft in jeder Hinsicht abhängig war, hing auch der Interessenverfolg von der jeweiligen bargaining-Position der offiziellen Organisationen – der Gewerkschaften, Verbände oder Betriebe – ab. Diese wiederum verfügten [...] allenfalls über informellen Einfluß auf die Allokation der Mittel. Da sie Interessen im Rahmen des parteistaatlich Vorgegebenen ausbalancieren und so zur sozialen Befriedung beitragen mußten, standen sie zwischen den Fronten von Partikular- und ,Allgemeininteressen . Obwohl sie sich letztlich immer am übergeordneten Interesse orientierten, war doch [...] nicht ausgeschlossen, daß die Fachbürokratien einen größeren Spielraum für den Sachverstand als notwendig erkannten und forderten. Dies um so [sic!] mehr, als das informelle bargaining und seine Resultate die Entscheidungsspielräume der Partei immer weiter einengten.“38

Die vorliegende Untersuchung wird deswegen an zentraler Stelle auch die Rolle des BdA als ,berufsständische Massenorganisation der Architektenschaft in den Blick nehmen und danach fragen, welche Interessen auf welche Weise und von wem dort vertreten wurden, inwiefern sich dies aber möglicherweise auch in Architektur, Städtebau und Baupolitik niederschlug. Im Hinterkopf zu behalten ist dabei stets, dass das Agieren der Fachleute innerhalb solcher Organisationen, die die Gesellschaft und den Einzelnen auf Weisung ,von oben in institutionelle Strukturen zwangen, immer auch Ausdruck jener Entdifferenzierungsprozesse war, die Meuschel und andere als konstitutiv für die DDR-Gesellschaft beschrieben haben. Die Vertretung eigener Interessen konnte deswegen – auch das wird sich im Bereich des Architektenberufs bestätigen – stets nur unter grundsätzlicher Beachtung und Anerkennung der übergreifenden politisch-ideologischen Rahmenbedingungen erfolgen und erhielt gerade dadurch ein systemstabilisierendes Moment. Sichtbar wurde innerhalb der Massenorganisationen zudem, dass Rückkopplungsprozesse in vielen Fällen über die Parteistrukturen selbst ermöglicht wurden und auch dabei eine systemstabilisierende Wirkung entfalteten. So waren in den Massenorganisationen wie in anderen Bereichen des Gesellschafts- und Berufslebens – also etwa in Betrieben oder innerhalb der staatlichen Verwaltung – vielfach auch Funktionäre der SED oder der Blockparteien tätig. Vor allem Repräsentanten der unteren und mittleren Parteiebene vertraten dabei immer wieder Interessen, die zum einen politischen Leitlinien und Überzeugungen verpflichtet waren, die sich zum anderen aber auch an der gesellschaftlichen bzw. fachlichen Basis abzeichneten. In vielen Fällen waren sie selbst Angehörige und Teil dieser Basis und handelten alleine deswegen im politischen wie auch im fachlichen Sinne. Auch dieses Phänomen ist von der sozialhistorischen Forschung genauer in den Blick genommen worden. Mary Fulbrook hat in diesem Zusammenhang nicht nur von der „par38 Meuschel, S. 13.

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tizipatorischen Diktatur“, sondern auch von einer „penetration of society“ 39, von „funtionaries at the grass roots“40 sowie von „co-option of the intelligentsia“41 gesprochen. Damit vergleichbar arbeitete auch Sigrid Meuschel heraus, dass sich „Gegentendenzen“ zu übergreifenden politischen Vorgaben vor allem im parteinahen Bereich ausmachen ließen: „Das [die Gegentendenzen, T.Z.] waren in der DDR – im Gegensatz zu anderen sozialistischen Ländern – in der Regel nicht Bewegungen der politischen Opposition oder des sozialen Protests, sondern typischerweise Reformbestrebungen der Parteispitze selbst, die sich darauf richteten, den Zustand der Entdifferenzierung und des Immobilismus aufzubrechen.“42

Untersuchungen wie etwa die von Mary Fulbrook haben jedoch inzwischen gezeigt, dass es – von Ausnahmen abgesehen – nicht so sehr die Spitze der Partei, sondern vielmehr deren Basis und Mittelbau waren, die solche Reformbestrebungen zu artikulieren und durchzusetzen versuchten. Dementsprechend soll im Kontext des Architektenberufs geprüft werden, welche Rolle die verschiedensten Formen von Verbindungen zur Politik für die Architektenarbeit und die Artikulation fachlicher Interessen durch die Architektenschaft spielten. Auf den Prüfstand gestellt werden soll so auch das weit verbreitete Bild, nach dem die Architekten und Städtebauer der DDR der Baupolitik lediglich ausgeliefert waren, sie jedoch in keiner Weise mit beeinflussen und bestimmen konnten. Beleuchtet werden sollen dabei die verschiedenen Grade, Schattierungen und Facetten solcher Einflussnahme – von der schon erwähnten Tätigkeit von Fachleuten als hochrangige Funktionäre bis hin zu ihrer ehrenamtlichen Mitarbeit in politischen Gremien, die eine politische Einflussnahme ebenso (wenn auch nicht im selben Maße) ermöglichen konnte. Der Begriff des „Eigensinns“, der Blick auf Rückkopplungsprozesse, vor allem aber auch die Beschreibungskategorie der „partizipatorischen Diktatur“ verweisen auf eine Erscheinung innerhalb des Staatssozialismus der DDR, die der Sozialhistoriker Thomas Lindenberger unter erneuter Bezugnahme auf Alf Lüdtke folgendermaßen beschrieben hat: Demnach seien sogar „die formal ,politikfernen Lebensbereiche im Fall der DDR nie ohne den unmittelbar auf sie bezogenen Herrschaftsanspruch der SED zu denken [...] ,Alltage in der DDR zeigten sich relativ stärker auf Herrschaft bezogen als in westlichen Industriegesellschaften. Dabei sei für

39 Fulbrook (1995), S. 61. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 77. 42 Meuschel, S. 11f.

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die DDR ,nicht der Erfolg der Herrschaftsstrategien auffällig, sondern das Ausmaß, in dem auf sie Bezug genommen wurde. “43

Lüdtke selbst spreche denn auch von „Herrschaft als soziale Praxis“44, wobei in diesem Begriff „eine [...] Betrachtungsweise enthalten [sei], die die wechselseitige Abhängigkeit der Herrschenden und Beherrschten betont, und so der Tatsache, daß Herrschaft immer auch Interaktion ist und dauerhaft nur als solche existieren kann, Rechnung trägt [...] ,Macht wird hier [...] als ein soziales Kräftefeld begriffen, an dem alle, auch die Herrschaftsunterworfenen, nicht nur als Objekte, sondern auch als Akteure teilhaben, und das in allen Funktionsbereichen und -ebenen wirksam ist.“45

Wenn jedoch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung danach gefragt wird, welchen Einfluss ein auch die politische Sphäre auf unterschiedliche Art und Weise berührendes Architektenhandeln auf die Entwicklungen der Baupolitik sowie auf Architektur und Städtebau der DDR gehabt hat, so soll schon an dieser Stelle möglichen Missverständnissen vorgebeugt werden. Hingewiesen sei so zunächst auf die Tatsache, dass die Bereiche, in denen Architekten in politische Entscheidungs- und Aushandlungsprozesse eingebunden waren, in den seltensten Fällen jene berührten, die unmittelbar mit den für die DDR konstitutiven Herrschaftspraktiken verknüpft waren. Zwar wird sich immer wieder zeigen, dass sich Architekten auch hier vereinnahmen ließen und damit grundlegende Herrschaftsmechanismen durchzusetzen und zu reproduzieren halfen.46 In vielen Fällen aber wird im Rahmen der Untersuchung deutlich werden, dass das Konzept von ,Herrschaft als sozialer Praxis im Bereich des Architektenberufs in erster Linie eine differenziertere Beantwortung der Frage zulässt, wie fachliches Handeln und die Aufrechterhaltung eines zumindest teilautonomen Fachdiskurses unter staatssozialistischen Vorzeichen überhaupt möglich war. Der vorliegenden Untersuchung geht es also nicht um Schuldzuweisungen oder den mit erhobenem Zeigefinger geführten Nachweis, dass Architekten 43 Lindenberger, S. 20. Lindenberger bezieht sich hier teilweise auf Alf Lüdtke, „Die DDR als Geschichte. Zur Geschichtsschreibung über die DDR“, in: APuZ. Aus Politik und Zeitgeschichte 36/1998, S. 3-16, hier S. 12. 44 Lindenberger verweist hier auf Alf Lüdtke, „Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis“, in: Ders. (Hg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 9-63 (Lindenberger, S. 22). 45 Lindenberger, S. 22f. 46 Exemplarisch verwiesen sei hier etwa auf die zahlreichen politisch-ideologisch aufgeladenen Diskurse innerhalb der Architektenschaft (beispielsweise im Rahmen der Durchsetzung des NÖSPL im Bauwesen; hierzu Kapitel I.3.3).

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das System der Baupolitik und die Entwicklung von Architektur und Städtebau mitbestimmten, sondern um eine nüchtern-sachliche Darstellung jener Umstände, die die Architektenarbeit in der DDR gekennzeichnet haben. Zweifellos müssen dazu zwar auch Verweise auf politisch-affirmatives Handeln gehören. Vor allem aber wird der durch die oben genannten Forschungsergebnisse der Sozialgeschichte inspirierte Blick auf das Architektenhandeln und die die Architektentätigkeit bestimmenden Rahmenbedingungen dazu dienen, ein differenzierteres Bild des DDRArchitektenberufs zu zeichnen. So wird sich zeigen, dass erst der Verweis auf partizipatorische Elemente, Rückkopplungsprozesse und eigensinnige Verhaltensweisen essentielle Facetten des Architektenhandelns herauszuarbeiten vermag. Einfangen lässt sich damit verbunden zugleich auch, wann und in welchen Fällen solche partizipatorischen Elemente an ihre Grenzen stießen und Rückkopplungsprozesse sowie eigensinniges Verhalten scheiterten. Deutlich werden wird das etwa anhand von punktuellen, in ihrer Wirksamkeit jedoch begrenzten Interventionsversuchen der Fachleute oder aber mit Blick auf die in den 80er Jahren geführten, sich in der Praxis kaum auswirkenden, vielgestaltigen und differenzierten Fachdebatten. Grundsätzlich fühlt sich die Arbeit also auch mit ihrer Untersuchung verschiedenster partizipatorischer Elemente dem einleitend bereits genannten, dezidiert kunst- und architekturhistorischen Interesse verpflichtet. Ausgehend vom Architekten und einer breiten Untersuchung der von ihm angewandten, mitunter eben auch weniger politikfernen Handlungsstrategien soll der Verlauf der DDR-Architekturgeschichte in ihren Kontinuitäten und spezifischen Besonderheiten, aber auch mit ihren Veränderungen und Brüchen in umfassenderer Weise erklärt werden, als dies über eine letztlich simplifizierende Gegenüberstellung von politisch-institutioneller sowie fachlicher Ebene möglich wäre. Forschungsstand Vor allem die bislang erschienenen Gesamtdarstellungen der DDR-Architekturgeschichte konzentrierten sich sehr stark auf die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen sowie die institutionellen Strukturen des Planens und Bauens. Zu nennen sind hier zum einen Thomas Hoscislawskis bereits Ende der 80er Jahre begonnene und 1990 erschienene Arbeit „Bauen zwischen Macht und Ohnmacht. Architektur und Städtebau in der DDR“47 und zum anderen Joachim Palutzkis im Jahr 2000 vorgelegte Publikation „Architektur in der DDR“48. Dank der Fülle des zusammengetragenen Materials, aber auch der grundlegenden und umfassenden Darstellung von Baupolitik und Bauwesen, stellten diese Arbeiten einen Wissensfundus bereit, von dem alle späteren, in der Regel eher detailorientierten Untersuchungen 47 Thomas Hoscislawski, Bauen zwischen Macht und Ohnmacht. Architektur und Städtebau in der DDR, Berlin 1991. 48 Palutzki.

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und auch die vorliegende Arbeit profitieren konnten. Weitgehend unberücksichtigt blieben hier jedoch die fachliche Ebene und das Handeln der dort tätigen Akteure. Von Ausnahmen abgesehen wurden sie alleine als dem politischen Willen untergeordnet und jeglicher (Rest)autonomie beraubt dargestellt. In eine ähnliche Richtung war zuvor auch die schon 1981 erschienene und von der Forschung nach 1990 kaum noch beachtete Publikation von Frank Werner, „Stadt, Städtebau, Architektur in der DDR. Aspekte der Stadtgeographie, Stadtplanung und Forschungspolitik“49 gegangen. Ohne auf die seit der Wiedervereinigung zugänglichen und aufgearbeiteten Archivquellen zurückgreifen zu können, hat Werner schon damals erstaunlich detailliert und kenntnisreich die institutionellen Strukturen des Planens und Bauens in der DDR sowie die Organisation des Ausbildungswesens und Planungsalltags rekonstruiert. Darüber hinaus gelangte er aber auch zu ersten, über eine bloß politikzentrierte Perspektive hinausgehenden Einsichten, was das fachliche Handeln und den Einfluss der Architekten und Stadtplaner selbst angeht. So wies er u.a. darauf hin, dass die DDR-Forschungslandschaft zwar an politischen Vorgaben ausgerichtet war, dass zugleich aber auch nach fachlichen Rückkopplungsprozessen zu fragen ist.50 Werner kam denn auch zu dem Schluss, dass „selbst wesentliche baupolitische Entscheidungen im Rahmen einer historischen Betrachtung auch auf Vorgaben aus der Fachwelt und nicht allein auf Ziele der Partei zurückzuführen [waren], wobei natürlich diese Vorgaben aufgrund der Übernahme der Denkmuster bereits in der Ausbildungszeit vorgeprägt [wurden].“51

Seit den frühen 90er Jahren ist dann eine ganze Reihe von Publikationen erschienen, die ihr Hauptaugenmerk eher auf einzelne Architekten und die Architektur selbst richten. Zu nennen sind hier vor allem eine Vielzahl groß angelegter Veröffentlichungen zu einzelnen Architektenpersönlichkeiten der DDR. Erwähnt sei die bereits in den 90er Jahren am gta der ETH Zürich erschienene, um einen umfangreichen Werkkatalog ergänzte Publikation zu Hans Schmidt.52 Verwiesen sei darüber hinaus auf Gabriele Wiesemanns Arbeit zu Hanns Hopp, die sowohl sein Königsberger Schaffen als auch seine Zeit in der DDR beleuchtet.53 In jüngerer Zeit

49 Werner. 50 Ebd., S. 210ff. 51 Ebd. S. 211. 52 Ursula Suter (Hg.), Hans Schmidt 1893-1972. Architekt in Basel, Moskau, Berlin-Ost. Werkkatalog mit Beiträgen von Bruno Flierl, Simone Hain, Kurt Junghanns, Werner Oechslin und Ursula Suter, Zürich 1993. 53 Gabriele Wiesemann, Hanns Hopp 1890-1971. Königsberg, Dresden, Halle, Ost-Berlin. Eine biographische Studie zu moderner Architektur, Schwerin 2000.

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sind darüber hinaus Veröffentlichungen zu Richard Paulick 54 und Bruno Flierl 55 sowie die die Tätigkeit Hermann Henselmanns in den 50er und frühen 60er Jahren beleuchtende Arbeit Elmar Kossels hinzugekommen.56 Zu erwähnen sind darüber hinaus neuere Forschungen zu Ulrich Müther57 und Rudolf Hamburger.58 All diese Veröffentlichungen59 verbindet dabei der Anspruch, die in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückten Architekten in ihrer Rolle als Fachleute ernst zu nehmen und damit verbunden nach ihrer Bedeutung für Architektur und Städtebau der DDR sowie die dort geführten Fachdebatten zu fragen. Anhand einer einzelnen Architektenpersönlichkeit wird damit ein Forschungsinteresse verfolgt, das die vorliegende Untersuchung an den gesamten Berufsstand und die fachliche Tätigkeit der DDRArchitekten im Allgemeinen herantragen möchte. Aus diesem Grund sind nicht nur die die einzelnen Akteure betreffenden Forschungsergebnisse von Interesse, sondern auch die diesen Arbeiten zugrundeliegenden methodischen Ansätze. Vor allem die Monographie gesteht dabei der Einzelperson und ihrem fachlichen Handeln einen Bedeutungsumfang zu, der das Bild einer zentral gesteuerten Baupolitik und Kulturideologie um eine weitere, dem Einzelakteur eine gewissen Handlungsmacht zugestehende Dimension ergänzt. Auch die in den vergangenen zwanzig Jahren erschienenen Arbeiten zu einzelnen Bauprojekten gehen mehr oder weniger stark von einer ähnlichen Grundannahme aus. Zu nennen sind hier zuallererst die in die frühen 90er Jahre datierenden Forschungen zum ersten Bauabschnitt der Stalinallee sowie zum Bauen der Nationalen Traditionen. So widmeten sich insbesondere die beiden ausführlichen Bände von Werner Durth, Jörn Düwel und Niels Gutschow 60 gleichermaßen der politischen wie der fachlichen Ebene. Anhand eines eher kurzen und in sich weitgehend abgeschlossenen Abschnitts der DDR-Baugeschichte wurde dabei auch auf die Verflechtungen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Politik und Fachleuten hingewiesen. Eine einen ganzen Abschnitt der DDR-Architekturgeschichte, nämlich die 70er und 80er Jahre in den Blick nehmende Untersuchung hat darüber hinaus 54 Thöner. 55 Wolf. 56 Kossel. 57 Tanja Seeböck, Schwünge in Beton. Die Schalenbauten von Ulrich Müther, = Beiträge zur Architekturgeschichte und Denkmalpflege in Mecklenburg und Vorpommern 13, Schwerin 2016. 58 Eduard Kögel, Zwei Poelzig-Schüler in der Emigration. Rudolf Hamburger und Richard Paulick zwischen Shanghai und Ost-Berlin (1930-1955), Dissertation BauhausUniversität Weimar 2007. 59 Verwiesen sei hier zudem noch auf Wolfgang Kil (Hg.), Wolfgang Hänsch – Architekt der Dresdner Moderne, Berlin 2009. 60 Durth/Düwel/Gutschow, 2 Bde.. Außerdem: Düwel.

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Florian Urban mit seiner Arbeit zu Neo-Historismus und Postmoderne im Architekturschaffen der DDR vorgelegt. 61 Auch Urbans Herangehensweise bietet dabei zahlreiche Anknüpfungspunkte für die vorliegende Studie. So geht es ihm beispielsweise um die Frage, was zu den verschiedenen Facetten eines seit Anfang der 70er Jahre zunehmend auch auf Historisches rekurrierenden Bauens geführt hat. Dabei wird erneut deutlich, dass es zum einen dezidiert politische Interessen und Vorgaben waren, die hier eine wichtige Rolle spielten, dass dabei zum anderen aber auch die Rückkopplung an Fachdebatten und das Zusammenspiel von Politakteuren und Fachleuten entscheidend waren. Auf der Ebene des Einzelprojekts sei darüber hinaus auf die von Anke Kuhrmann erarbeitete, detailreiche Studie über die Planungs- und Baugeschichte des Palastes der Republik verwiesen.62 Kuhrmann beschreibt das Bauvorhaben zwar als ein von Staat und Politik bestimmtes und protegiertes Projekt, macht zugleich aber auch deutlich, wie sehr eine ganze Gruppe von Architekten die endgültige Form- und Gestaltfindung geprägt und auf diese Weise ihre eigenen fachlichen und ästhetischen Vorstellungen mit eingebracht hat. Die Palette reicht dabei von den intensiven Diskussionen zur Fassadengestaltung über die Erarbeitung des Farbkonzeptes und die Entwicklung eines gestalterisch einheitlichen Informationssystems für die Besucher bis hin zur technisch raffinierten Lösung eines wandelbaren Mehrzwecksaales. Erwähnt sei darüber hinaus ein Sammelband über den Bau von Hermann Henselmanns Jenaer Universitätshochhaus, der u.a. die spezifischen Planungsstrategien Henselmanns herausarbeitet 63, sowie Peter Müllers Studie zu Planung und Bau des Ostberliner Fernsehturms.64 Neben der Planungsgeschichte selbst wird hier u.a. nachgezeichnet, welche Akteure an den Entwürfen beteiligt waren und wie die Verteilung der Verantwortlichkeiten innerhalb kollektiv ablaufender Entwurfsprozesse konkret aussah. Auch diese Arbeiten beleuchten damit projektbezogen die Frage nach Rolle und Bedeutung des einzelnen Fachmannes. Über solche Einzelprojekte hinausgehend sind darüber hinaus auch ganze Planungsgebiete Gegenstand intensiver Forschung gewesen. Zu nennen ist hier etwa die ebenfalls von Peter Müller vorgelegte umfassende Untersuchung zur Ostberliner Zentrumsplanung65 sowie die im Jahr 2010 von Susann Buttolo an der TU Dresden eingereichte Dissertation über die „Planungen und Bauten in der

61 Urban. 62 Kuhrmann. 63 Michael Diers/Stefan Grohé/Cornelia Meurer (Hgg.), Der Turm von Jena. Architektur und Zeichen, Jena 1999. 64 Peter Müller, Symbol mit Aussicht. Die Geschichte des Berliner Fernsehturms, Berlin 1999. 65 Müller (2005).

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Dresdner Innenstadt zwischen 1958 und 1971“66. Jüngst erschienen ist darüber hinaus eine eher allgemein gehaltene Fallstudie zu Weimar.67 Erschienen oder aber in Arbeit sind darüber hinaus zunehmend Untersuchungen zu einzelnen Baugattungen, die in ähnlicher Weise nicht nur die politischen Rahmenbedingungen, sondern auch die fachliche Ebene und die dort angewandten Handlungsstrategien beleuchten. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf Tobias Michael Wolfs Arbeit zur DDR-Kaufhausarchitektur.68 Monographisch bearbeitet wurde im Rahmen einer Doktorarbeit darüber hinaus jüngst das Thema Kirchenbau in der DDR69 und damit ein Bereich, der teilweise wirklich als eine der oft zitierten, jedoch kaum vorhandenen beruflichen Nischen für Architekten gelten konnte.70 Mit Henriette von Preuschens Untersuchung „Der Griff nach den Kirchen. Ideologischer und denkmalpflegerischer Umgang mit kriegszerstörten Kirchenbauten in der DDR“ 71 sowie Sandra Keltschs Arbeit „Stadterneuerung und städtebauliche Denkmalpflege in der DDR zwischen 1970 und 1990. Dargestellt an der Entwicklung von Denkmalstädten aus Sachsen-Anhalt“72 ist inzwischen auch das Arbeitsfeld der Denkmalpflege intensiver beleuchtet worden. Die Charakteristika des DDR-Architektenberufs im Allgemeinen sind bislang hingegen kaum Gegenstand architekturhistorischer Untersuchungen gewesen. Eine mit der vorliegenden Arbeit teilweise vergleichbare Fragestellung verfolgte bis zu

66 Susann Buttolo, Planungen und Bauten in der Dresdner Innenstadt zwischen 1958 und 1971, Dissertation TU Dresden 2010. 67 Eva von Engelberg-Dokal/Kerstin Vogel (Hgg.), Sonderfall Weimar? DDR-Architektur in der Klassikerstadt, = Forschungen zum baukulturellen Erbe der DDR 1, Weimar 2013. 68 Tobias Michael Wolf, Das sozialistische Warenhaus als Bautypus?, 2 Bde., Dissertation TU Dresden 2010. 69 Verena Schädler, Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR, Regensburg 2013. 70 So schließt sich auch die vorliegende Untersuchung mit Blick auf die bereits erwähnte umfassende politische Einbettung des DDR-Architektenberufs einer bereits von Frank Betker unter etwas anderen Vorzeichen in die Diskussion eingebrachten Sichtweise an: „Für Stadtplaner und Architekten [in der DDR, T.Z.] gab es keine Nischen, in die sie sich zurückziehen konnten [...] Es gab nur die Möglichkeit, auf die Berufsausübung zu verzichten [...] Die anderen fügten sich oder sahen Möglichkeiten, der Realität in produktiver beruflicher Hinsicht Zugeständnisse abzutrotzen“ (Betker, S. 59). 71 Henriette von Preuschen, Der Griff nach den Kirchen. Ideologischer und denkmalpflegerischer Umgang mit kriegszerstörten Kirchenbauten in der DDR, Worms 2011. 72 Sandra Keltsch, Stadterneuerung und städtebauliche Denkmalpflege in der DDR zwischen 1970 und 1990. Dargestellt an der Entwicklung von Denkmalstädten aus SachsenAnhalt, Dissertation Universität Leipzig 2012.

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diesem Zeitpunkt ausschließlich Frank Betker.73 Betker war dabei bislang zudem der einzige, der sozialhistorische Begriffe und Konzepte im Rahmen einer Beschäftigung mit Architektur und Städtebau der DDR fruchtbar gemacht hat. Auch ihm ging es in diesem Zusammenhang darum, nach Handlungsmodi der Architektenschaft und Kennzeichen des Berufsbildes zu DDR-Zeiten zu fragen, die dabei gewonnenen Ergebnisse aber zugleich für die Nachwendezeit und vor dem Hintergrund der damit einhergehenden beruflich-fachlichen Transformationsprozesse fruchtbar zu machen. Schon darin und in dem primär sozialwissenschaftlichen Interesse von Betkers Arbeit zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur vorliegenden Untersuchung. So spielt die Bedeutung des Architektenhandelns für die Entwicklung der DDR-Architekturgeschichte bei ihm allenfalls am Rande eine Rolle. Sehr intensiv beschäftigte sich Betker aber bereits mit Dimensionen eigensinnigen Handelns. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse stellen deswegen auch für diese Arbeit immer wieder einen wichtigen Ausgangs- und Anknüpfungspunkt dar. Wesentliche Unterschiede zeigen sich jedoch auch hier. So konzentriert sich Betker in seiner Untersuchung eigensinnigen Handelns ausschließlich auf die 70er und 80er Jahre sowie auf den Bereich der kommunalen Stadtplanung und der Stadtbauämter. Weitgehend ausgespart bleiben deswegen die 50er und 60er Jahre sowie weitere Felder, in denen Architekten tätig waren. Indem sich die Untersuchung Betkers darüber hinaus in erster Linie auf nachträglich anonymisierte Interviews stützt74, greift sie auf einen völlig anders gelagerten Quellenkorpus als die vorliegende Arbeit zurück. Auch hierin äußern sich der sozialwissenschaftliche Blickwinkel von Betkers Studie und die Tatsache, dass er sich vor allem für die unterschiedlichen Dimensionen informellen Handelns innerhalb eines zentralistisch gesteuerten, auf fachliche Entdifferenzierung angelegten baupolitischen Systems interessiert. Mit dem Architektenberuf hat sich darüber hinaus Thomas Topfstedt im Rahmen einer eher knappen und überblicksartigen Darstellung beschäftigt, die der vom IRS Erkner herausgegebenen Sammlung biographischer Daten zu DDR-Architekten vorangestellt ist.75 Zu nennen ist schließlich Bruno Flierls Aufsatz „Stadtplaner und 73 Betker. Verwiesen sei an dieser Stelle zudem auf einen von Holger Barth herausgegebenen Band, der 2001 erstmals einen umfassenderen Überblick über die wichtigsten der in der DDR tätigen Architekten und Städtebauer gab (Barth [2001]; die alphabetisch sortierten Beiträge zu den einzelnen Architekten sind von unterschiedlichen Autoren verfasst, auf Grund des primär lexikalischen Charakters der Einträge und aus Gründen der Übersichtlichkeit wird in den Fußnoten jedoch immer nur auf Barth 2001 verwiesen). Barth forderte hier darüber hinaus eine stärkere Berücksichtigung der Akteure sowie biografischer Aspekte ein (ebd., S. 21). 74 Hinzu kommen schriftliche Quellen aus den Stadtarchiven Halle und Rostock (Betker, S. 68). 75 Topfstedt (2000).

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Architekten im Staatssozialismus der DDR“76, in dem der Autor nicht zuletzt darauf hinweist, dass eine genauere Untersuchung des DDR-Architektenberufs ein Forschungsdesiderat77 darstellt. Mit einer detaillierten Untersuchung der spezifischen Charakteristika von Architektenhandeln und Architektentätigkeit in der DDR möchte die vorliegende Arbeit diese Lücke zu einem wesentlichen Teil füllen. Aufbau des Buches Die Arbeit besteht aus drei großen Teilen. Der eine trägt den Titel „Aufbau und Intervention“, der zweite ist mit „Konsolidierung und strategische Anpassung“, der dritte mit „Erstarrung und Entfremdung“ überschrieben. Jeder dieser Teile ist dabei wiederum in mehrere Unterabschnitte untergliedert. Der erste Teil „Aufbau und Intervention“ umfasst die ersten beiden Jahrzehnte der DDR und damit die Zeit zwischen der Staatsgründung 1949 und dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker im Jahr 1971. Entgegen der inzwischen gängigen, vor allem an Stilfragen orientierten Unterteilung dieser Zeitspanne in eine kürzere Periode des Bauens der Nationalen Traditionen (1949-ca. 1955) und eine längere der Nachgeholten Moderne78 (ca. 1955-1971) ist es für eine Beschäftigung mit dem Architektenberuf sinnvoll, diese beiden Jahrzehnte im Zusammenhang zu betrachten. Letztlich nämlich war diese gesamte Zeitspanne vom Aufbau jener institutionellen Strukturen und Rahmenbedingungen des Architektenberufs bestimmt, die auch für die 70er und 80er Jahre prägend blieben. Da es in diesem Buch nicht um eine Institutionengeschichte des Architektenberufs gehen soll, sondern um die Rolle des Architekten und sein Handeln in der DDR, soll auch der Aufbau institutioneller Strukturen entsprechend perspektiviert werden. Von Interesse sind dabei vor allem jene Schnittstellen, wo politisch-institutionelle sowie strukturelle Vorgaben auf dezidiert fachliche Initiativen treffen. In einem ersten Unterabschnitt soll dabei zunächst dargestellt werden, dass zwei extreme Spannungspole, zwischen denen sich die DDR-Architektentätigkeit über mehr als vierzig Jahre hinweg verorten lässt, bereits für die späten 40er und frühen 50er Jahre bestimmend sind. Betrachtet werden soll hier zuallererst die ab Ende der 40er Jahre mit großer Intensität vorangetriebene Vergesellschaftung, Entindividualisierung und Deprofessionalisierung des Archi76 Flierl (1998a). 77 So schreibt Flierl einleitend: „Dabei [bei Flierls Ausführungen, T.Z.] kann es sich angesichts der zu diesem Thema weitgehend noch nicht geleisteten, wissenschaftlichen Vorarbeit nur um einen ersten Versuch handeln, der zu weiterführenden Untersuchungen anstoßen soll“ (ebd., S. 52). 78 Der Begriff der ,nachgeholten Moderne geht auf Thomas Topfstedt zurück (hierzu Thomas Topfstedt, „Die nachgeholte Moderne. Architektur und Städtebau in der DDR während der 50er und 60er Jahre“, in: Gabi Dolff-Bonekämper/Hiltrud Kier [Hgg.], Städtebau und Staatsbau im 20. Jahrhundert, München 1996, S. 39-54).

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tektenberufs. Intensiv beleuchtet werden damit verbunden das Berufsbild des in erster Linie unter Beschuss genommenen freischaffenden und das Gegenkonzept des vergesellschafteten Architekten. Dies soll vor allem durch einen Blick auf Fachvertreter beider Seiten, deren berufliches Selbstverständnis sowie die von ihnen geführten Auseinandersetzungen geschehen. Dabei soll schon an dieser Stelle kurz die Frage gestellt werden, inwiefern Bestandteile klassischer Berufsbilder sowie ein durch Vielfalt gekennzeichnetes Architekturverständnis möglicherweise auch im Umfeld des vergesellschafteten Entwurfs überleben konnten.79 Der gegensätzliche Pol lässt sich dann mit Blick auf das Bauen der Nationalen Traditionen und damit die die erste Hälfte der 50er Jahre bestimmende gestalterische Leitlinie herausarbeiten. Hier soll gezeigt werden, dass die konkrete Ausgestaltung einer auf politischer Seite abstrakt bleibenden Gestaltungsvorstellung in wesentlichem Maße auf die Architektenschaft selbst zurückzuführen und mit einer der Vergesellschaftung konträr gegenüberstehenden Verantwortungszuweisung an einzelne Architekten verknüpft war. In besonders markanter Weise wird dabei deutlich werden, dass politisches Handeln und Architektentätigkeit eng miteinander verknüpft sein und mitunter sogar in eins fallen konnten. Im zweiten Unterabschnitt des ersten Kapitels soll daraufhin ausführlich eine Art und Weise fachlichen Handelns beleuchtet werden, die ebenfalls für die 50er, teilweise aber auch noch für die 60er Jahre charakteristisch war und mit dem Begriff der „Intervention“ bezeichnet werden kann. Damit verbunden machten sich Architekten die zahlreichen politischen Krisen der Anfangsjahre auf fachlicher Ebene zunutze und versuchten in diesem Zusammenhang, eigene gestalterische und berufspolitische Interessen zu vertreten. Ein in dieser Hinsicht erster, jedoch eher zurückhaltender Testlauf wurde von einigen Fachleuten im Rahmen des 17. Juni 1953 unternommen. Sehr viel umfassender und in ihrer Stoßrichtung differenzierter war dann eine Reihe von Interventionsversuchen, die im Umfeld der von Chruschtschow angeordneten Industrialisierung des Bauens, aber auch der durch ihn angestoßenen Entstalinisierung stattfanden. Intensiver betrachtet werden soll in diesem Zusammenhang eine auf die Erneuerung der berufspolitischen Rahmenbedingungen ausgerichtete, innerhalb des BdA geführte Debatte, die sich letztlich in einer offiziellen, der Baupolitik übermittelten Denkschrift niederschlug. Genauso wird es jedoch auch um die Thematisierung gestalterischer Fragen gehen. In den Blick genommen werden sollen hier zum einen eine Pressekampagne sowie zum anderen eine entsprechende Fachdebatte an den Hochschulen. Ein Blick auf jene Fachleute, die ab Mitte der 50er Jahre als Architekturfunktionäre ein DDR-weites industrielles Bauen etablieren sollten, wird letztlich jedoch zeigen, dass es erneut auch Architekten waren, die für das einstweilige Scheitern weitergehender Reformanstrengungen mitverantwortlich zeichneten. Exemplarisch wird dabei deutlich 79 Dieser Aspekt ist darüber hinaus Gegenstand der gesamten Arbeit.

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werden, dass der genaue Blick auf das Handeln der Architekten auch zu Neueinschätzungen der DDR-Architekturgeschichte im Allgemeinen führen kann. Ein vielfältiges berufliches und fachliches Selbstverständnis überlebte letztlich schon in den 50er Jahren vor allem im Bereich der Hochschulen und unter der Ägide der dort tätigen Architekten. Dies wird ein letztes konzentriertes Schlaglicht innerhalb dieses zweiten Unterabschnitts zeigen. Der dritte Unterabschnitt des ersten Kapitels nimmt dann das Architektenhandeln in den 60er Jahren in den Blick. Dabei wird es vor allem darum gehen, herauszuarbeiten, wie sich die endgültige Abschottung des Landes nach Westen auf die Architektenarbeit ausgewirkt hat. Überblicksartig geschildert werden wird zunächst die gestalterische Liberalisierung zu Beginn der 60er Jahre, im Anschluss daran aber vor allem die Maßregelung der ein zu individuelles berufliches Selbstverständnis an den Tag legenden Architekten nach dem so genannten Müggelturmgespräch und im Rahmen des daraufhin abgehaltenen DBA-Plenums. Schwerpunktmäßig hervorgehoben werden soll dabei, dass die Architekten angesichts der geschlossenen Grenze nunmehr von offen-kritischen Interventionsversuchen abzurücken und Formen eines strategisch angepassten, trotzdem aber durch fachliche Interessen bestimmten Handelns zu entwickeln begannen. Am Beispiel der fachlichen Rektionen auf dem DBA-Plenum wird so deutlich werden, dass man etwa spezifische Arten des Sprechens über Architektur entwickelte, die einerseits politikkonform waren, andererseits aber auch eine eigene fachliche Agenda durchscheinen ließen. Im Anschluss daran soll im Rahmen eines weiteren Abschnitts beleuchtet werden, wie sehr eine Reihe führender Architekten die ab 1963 und im Zuge des NÖSPL (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung) verstärkt vorangetriebene Ökonomisierung von Bauwesen und Berufsbild mitgetragen haben. Gegenübergestellt werden soll dieser Entwicklung jedoch zugleich auch die schon bald vorgebrachte Kritik, die sich vor allem an der immer stärkeren Hintanstellung gestalterischen Arbeitens und damit an der Infragestellung eines nach wie vor bestimmenden Bestandteils des beruflichen Selbstverständnisses entzündete. Damit verbunden soll am Ende des ersten Kapitels ein weiteres, nochmals interventionistische Züge annehmendes Moment strategischer Anpassung beleuchtet werden. Dargestellt werden soll dabei, dass es ganz wesentlich auch die Fachleute selbst waren, die sich nunmehr das Repräsentationsbedürfnis des Staates zum 20. Jahrestag der DDR zunutze machten und das Konzept einer Architektur der Bildzeichen entwickelten. Erneut wird in diesem Abschnitt deutlich werden, dass nach dem Mauerbau die politikkonforme ideologische Unterfütterung von Architekturkonzepten zu einer zentralen und unverzichtbaren Dimension fachlichen Handelns wurde.80

80 Im Gegensatz zu einer stark „interventionistisch“ geprägten Phase in der zweiten Hälfte der 50er Jahre hatte dies im Vorfeld natürlich auch schon für die Zeitspanne des durch

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Schon die Überschrift des zweiten Kapitels – „Konsolidierung und strategische Anpassung“ – deutet fundamentale Veränderungen im Arbeitsumfeld der Architekten an, die sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit letztlich auch in Form einer anderen erzählerischen Darstellung niederschlagen. War die Baupolitik als das die Architektentätigkeit bestimmende Politikfeld in den 50er und 60er Jahren durch fortwährende Kurskorrekturen und damit verbundene konzeptuelle wie institutionelle Neuausrichtungen bestimmt gewesen, so änderte sich dies ab Anfang der 70er Jahre grundlegend. Mit der WBS (Wohnungsbauserie) 70 wurde nach Honeckers Machtantritt beispielsweise nicht nur ein einheitliches Bausystem entwickelt. Auch das institutionelle Handlungsumfeld der Architektenschaft und die politischen Leitlinien konsolidierten sich nunmehr. War also für die 50er und 60er Jahre eine schlaglichtartige, an den jeweiligen baupolitischen Wendepunkten orientierte Betrachtung des Architektenhandelns sinnvoll, so bot sich für die 70er und 80er Jahre auf Grund der Konsolidierungsprozesse ein eher systematisches Vorgehen an. Zu Beginn des Kapitels sollen jedoch zunächst die verschiedenen Facetten der Konsolidierung selbst in den Blick genommen werden. Der systematische Aspekt wird jedoch schon damit verbunden eine wichtige Rolle spielen. So soll auch geschildert werden, dass Teile der Architektenschaft Berufsbildentwürfe entwickelten, die auf die Konsolidierung selbst, aber auch auf das eigene fachliche Selbstverständnis zugeschnitten waren. Damit ist denn auch zugleich ein erstes Themenfeld genannt, dass die Architektentätigkeit über die gesamten 70er und 80er Jahre hinweg sehr intensiv bestimmte. Mit auf die Konsolidierungsprozesse ausgerichteten, langfristig verfolgten Modi strategischer Anpassung sollen in den folgenden Abschnitten daraufhin weitere solcher Themenfelder in den Blick genommen werden. Genauer beleuchtet werden soll so, dass man feste Formen der Zusammenarbeit mit Staat und Partei zu etablieren, sich aber auch zentrale politische Paradigmen für die eigenen Interessen zunutze zu machen versuchte. Ausführlicher betrachtet werden sollen hier Formen des Architektenhandelns, die einerseits auf die politischen Leitbilder der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und einer spezifischen DDR-Nationalität ausgerichtet waren, andererseits aber genauso mit professionell-fachlichen Interessen verknüpft wurden. Ein erneuter Blick auf die Hochschulen soll am Ende des zweiten Kapitels zeigen, dass solche beruflich-fachlichen Standpunkte auch in die von Architekten mitbestimmte Ausbildungspolitik einflossen und auf diese Weise an die nachfolgenden Architektengenerationen weitergegeben wurden. Das letzte Kapitel der Arbeit – „Erstarrung und Entfremdung“ – beleuchtet schließlich, dass die Konsolidierungsprozesse der 70er Jahre schon bald in Formen einer politischen Erstarrung mündeten, die sich nicht nur auf das Handlungsumfeld der Architekten, sondern auch auf deren Handlungsmöglichkeiten auswirkten. Herdas Vorbild der stalinistischen Sowjetunion bestimmten Bauens der Nationalen Traditionen gegolten.

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ausgearbeitet werden soll darüber hinaus, dass damit eine zunehmende Distanzierung der Fachleute von der Baupolitik einherging und sich damit verbunden bereits früh vielfältige Formen der Entfremdung beobachten ließen. Dies betraf, wie einleitend geschildert werden soll, etwa die innerfachlichen Debatten über das neu etablierte Berufsprofil des Komplexarchitekten. Dargestellt werden wird hier, dass die Architekten anfangs vor allem auf eine Aufwertung ihres Berufes hofften, jedoch schon in diesem Zusammenhang relativ bald enttäuscht wurden. Ähnliches lässt sich zudem beobachten, wenn man die in den 80er Jahren unternommenen Versuche betrachtet, sich an politische Rahmenbedingungen anzupassen, damit verbunden aber auch dezidiert fachlich Einfluss zu nehmen. Blieb man hier schon seit Anfang der 80er Jahre weitgehend erfolglos, so galt dies erst recht – wie in einem weiteren Abschnitt gezeigt werden soll – für die vielfältigen Bemühungen, eng mit der Politik zusammenzuarbeiten und auf diese Weise berufliche sowie fachliche Interessen durchzusetzen. In einem zweiten Unterabschnitt des Kapitels soll vor diesem Hintergrund denn auch zunächst sehr ausführlich herausgearbeitet werden, wie stark Baupolitik und Fachdiskurs ab Anfang der 80er Jahre auseinanderzudriften begannen. Genauer beleuchtet werden sollen dabei die umfangreichen Bemühungen der Architektenschaft, den Architektur- und Städtebaudiskurs zu internationalisieren sowie Konzepte für ein nachhaltigeres Bauen und eine auf die individuellen Bedürfnisse der Nutzer zugeschnittene Architektur zu entwickeln. Sichtbar werden sollen dabei Dimensionen fachlichen Handelns und damit auch des Berufsprofils, die bei einem bloßen Blick auf die gebaute Architektur der 80er Jahre weitgehend außen vor bleiben. Abschließend sollen diese Fachdiskurse auf ihre DDR-Spezifik hin untersucht werden, die vor allem in einer nach wie vor sehr stark auf die politische Erwartungshaltung bezogenen Arbeit der Fachleute bestand. Der letzte Unterabschnitt des dritten Kapitels soll im Anschluss die konkreten Reaktionen der Architektenschaft auf die zuvor dargestellten Entwicklungen in den Blick nehmen. Dabei wird es zum einen um die immer umfassendere Kritik der Fachleute an der Marginalisierung ihres Berufsstandes gehen. In den Vordergrund gerückt werden sollen jedoch vor allem zwei letztlich sehr gegensätzliche Pole des Handelns. So soll auf der einen Seite gezeigt werden, wie gerade Architekten, die zugleich Verantwortung als Funktionäre trugen, erneut Berufsbildentwürfe zu entwickeln versuchten, die politisch loyal, trotzdem aber auch auf ein ganzheitliches Verständnis des Architektenberufs ausgerichtet waren. Auf der anderen Seite soll schließlich nachvollzogen werden, dass sich vor allem die vierte und letzte Architektengeneration mehr und mehr von der DDR und ihrer immer unbeweglicher werdenden Baupolitik abwandte. Damit verbunden wird sich ein Handlungsspektrum eröffnen, das vom beruflichen Rückzug bis hin zu oppositionellem Geist und bürgerschaftlichem Engagement reichte. Dieser Abschnitt, der unmittelbar in die Wendezeit überleitet, soll sowohl das dritte Kapitel als auch die gesamte Untersu-

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chung beschließen. Nicht mehr berücksichtigt werden wird also die Frage, wie sich der Architektenberuf während der Wendemonate entwickelt hat. Letztlich nämlich änderten sich die politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schon bald nach dem Mauerfall so durchgreifend, dass von einem DDR-spezifischen und damit von den staatssozialistischen Verhältnissen bestimmten Berufsbild kaum mehr gesprochen werden konnte. Stattdessen sollen am Ende der Untersuchung abschließend noch Überlegungen zu gestalterischen Spezifika der DDR-Architektenarbeit angestellt werden.

I. Aufbau und Intervention: Der Architektenberuf in den 50er und 60er Jahren

I.1 V ERGESELLSCHAFTUNG UND V ERANTWORTUNGSZUWEISUNG : D IE S PANNUNGSPOLE DES B ERUFSBILDES DER FRÜHEN DDR

AM

B EISPIEL

I.1.1 Einführung Zur DDR-Architektur und -Stadtplanung der frühen 50er Jahre liegt inzwischen bereits ein äußerst umfangreiches Konvolut an Publikationen vor. Aus diesem Grund soll jener Zeitraum, der vor allem mit dem Bauen der Nationalen Traditionen verknüpft ist, lediglich schlaglichtartig beleuchtet werden. In der für das erste Unterkapitel gewählten Überschrift „Vergesellschaftung und Verantwortungszuweisung“ sind denn auch zwei Begriffe enthalten, die das Feld der Architektentätigkeit in der DDR sehr nachhaltig und über vier Jahrzehnte hinweg geprägt haben. Die Schlaglichter orientieren sich deswegen an diesen Begriffen und nehmen sie gleich zu Anfang sehr ausführlich in den Blick. Dargestellt werden wird dabei in einem ersten Unterabschnitt, wie stark mit der Vergesellschaftung und der Abschaffung des freien Architekten ein Architektenverständnis in Frage gestellt wurde, das mehr oder weniger große Spielräume für fachliche und auch künstlerische Autonomie bot. Angestrebtes Ziel war es stattdessen, ein zwingendermaßen eng mit der Bauwirtschaft verflochtenes Berufsbild in umfassender Weise in die Strukturen einer zentral gesteuerten Planwirtschaft einzubinden, damit verbunden aber auch einer weitreichenden politisch-staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Dieser politische Anspruch konnte jedoch  so wird deutlich werden  von Anfang an nur teilweise eingelöst werden. Wesentliche Elemente jenes Berufsprofils, das sich den freien Architekten zuordnen lässt, überlebten so auch trotz aller auf

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Vereinnahmung und Kontrolle ausgerichteten Vergesellschaftungsbemühungen. Dies betraf auch den Bereich des vergesellschafteten Entwurfs selbst, in den zahlreiche der ehemals freischaffenden Architekten überwechselten. Der zweite Unterabschnitt nimmt dann eine gegenüber der Vergesellschaftung gegenteilige Entwicklung in den Blick. Herausgearbeitet wird dabei, dass Partei und Staat trotz des auch auf Entpersonalisierung und Entindividualisierung der Architektenarbeit angelegten Vergesellschaftungsprozesses nach wie vor auf die Arbeit der Fachleute angewiesen blieben. Damit verbunden kam es zu einer erneuten Form der Personalisierung und Verantwortungsübertragung, die der parallel dazu weiter forcierten Vergesellschaftung konträr entgegenstand. Exemplarisch illustriert werden soll dieser Aspekt am Beispiel von DBA-Präsident Kurt Liebknecht und den Meisterarchitekten Hermann Henselmann, Hanns Hopp und Richard Paulick. Gerade in diesem Bereich kann inzwischen auf eine äußerst umfangreiche und umfassene Sekundärliteratur zurückgegriffen werden.1 So gilt für den Abschnitt über Liebknecht und die Meisterarchitekten auch, dass durch eine intensive Auseinandersetzung mit der vorhandenen Literatur, aber ebenso unter Einbeziehung einiger zusätzlicher Archivquellen, eine weitere, bislang kaum beachtete Dimension jener Rolle herausgearbeitet wird, die diese Architekten für das Planen und Bauen der frühen DDR spielten. Deutlich werden wird dabei, dass die spezifische Ausgestaltung der eher abstrakten Leitlinie eines Bauens der Nationalen Traditionen zu wesentlichen Teilen auf die Arbeit dieser Gruppe von Architekten zurückzuführen war. Fassbar wird dabei zum einen, wie sehr Fachleute mitunter in die Erarbeitung und Ausgestaltung baupolitischer Leitlinien eingebunden waren. Zum anderen standen Liebknecht, Henselmann, Hopp und Paulick damit aber auch für einen Einfluss des einzelnen Fachmannes, der mit einem vergesellschafteten Berufsbild, wie es von staatlicher Seite gewünscht wurde, kaum noch etwas zu tun hatte. Im Verlauf der Arbeit wird sich zeigen, dass es immer wieder die beiden konträren Pole der „Vergesellschaftung“ und „Verantwortungszuweisung“ waren, zwischen denen sich die vierzigjährige Berufsgeschichte des DDR-Architekten und –Städtebauers abgespielt hat.

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Zu nennen sind hier neben anderen Arbeiten vor allem das in der Einleitung bereits erwähnte zweibändige Werk von Werner Durth, Jörn Düwel und Niels Gutschow (Durth/Düwel/Gutschow) sowie Jörg Kirchner, Architektur nationaler Tradition in der frühen DDR (1950-1955). Zwischen ideologischen Vorgaben und künstlerischer Eigenständigkeit, Diss. Universität Hamburg, 2010 (Kirchner) und jüngst Alexander Karrasch, Die ,Nationale Bautradition denken. Architekturideologie und Sozialistischer Realismus in der DDR der Fünfziger Jahre, = ZOOM. Perspektiven der Moderne Bd. 2 (hg. von Christoph Wagner), Berlin 2015.

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I.1.2 Abschaffung eines Berufsbildes? Die freien Architekten und die Vergesellschaftung Das institutionelle Umfeld der Architektenschaft in der SBZ2 Nach Kriegsende kam das Leben im Sommer 1945 auf dem Gebiet der damaligen SBZ langsam wieder in Gang. Vielerorts war das Bild dabei zunächst von den notdürftigsten Enttrümmerungs-, Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten geprägt. Von einem geordneten Bauwesen konnte in dieser Zeit kaum gesprochen werden. Schon bald fing man aber an, sich an den Strukturen der Vorjahre zu orientieren und baute damit verbunden sowie auf Weisung der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) die kommunale Verwaltung mit ihren Planungs- und Bauabteilungen neu auf.3 Zahlreiche Architekten fanden hier nach dem Krieg ihr altes oder aber auch neues Betätigungsfeld. Wie in den Vorjahren spielten darüber hinaus schon bald die privaten Planungsbüros eine wichtige Rolle. Viele von ihnen hatten schon zuvor existiert und wurden nun weitergeführt, andere neu gegründet. Auch sie entwickelten sich neben den öffentlichen Institutionen zu wichtigen Arbeitgebern der Architektenschaft. 4 Vor diesem Hintergrund konnten schließlich vor allem auf kommunaler Ebene enge Netzwerke zwischen privaten und öffentlichen Auftraggebern, Baubetrieben und Architektenschaft aufrechterhalten oder aber auch neu etabliert werden. In den ersten Jahren nach Kriegsende setzte deswegen vor allem innerhalb der Städte und Gemeinden eine vielfältige, von den klassischen Institutionen und Strukturen getragene Planungstätigkeit ein.5 Bekannt geworden sind unter 2

Auf die Zeit zwischen 1945 und 1949 soll im Rahmen dieser Arbeit nur in Form der nachfolgenden, allgemein gehaltenen Kurzübersicht eingegangen werden. Ausführliche Angaben zu den institutionellen Rahmenbedingungen des Planungs- und Bauwesens sowie zu Architektur und Städtebau jener Jahre finden sich u.a. bei Betker; Butter; Durth/Düwel/Gutschow, 2 Bde.; Palutzki. Die hier gemachten Angaben beruhen im Wesentlichen auf diesen Publikationen.

3

„Sie [die kommunale Stadtplanung, T.Z.] wurde 1945 nach traditionellem Muster wieder eingeführt“ (Betker, S. 152).

4

So verweist auch Betker auf die damals „meist im örtlichen oder regionalen Rahmen tätigen freien Architekten in den privaten Architekturbüros“ (ebd., S. 158).

5

Die Grundlage dafür bildeten nach Betker die Demokratische Gemeindeordnung (DGO) vom 14.9.1946 sowie die ab 1946/47 erlassenen Verfassungen der Länder: „Demnach lagen die Haushalts- und Finanzhoheit, alle öffentlichen Aufgaben auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet sowie das Recht, die örtliche Bauwirtschaft nach eigenem Ermessen wieder in Gang zu setzen, bei den Kommunen. Und die Stadtplanung, in diesen ersten Jahren der Trümmerbeseitigung und notdürftigen Instandsetzung des Wohnraums noch ohne konkreten Bezug zur Umsetzung, war Teil der hoheitlichen Aufgabe der Städte und Gemeinden und in Stadtplanungsämtern institutionalisiert“ (ebd., S. 155).

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anderem die ambitionierten Entwürfe für den Neuaufbau von Berlin6 und Dresden.7 Daneben gab es aber auch in einer großen Zahl anderer Städte, Gemeinden und Dörfer eine Vielzahl an Planungen, die die verschiedensten Architekturströmungen der Zeit widerspiegelten. In ihnen bildete sich die gerade auch auf kommunaler Ebene zu beobachtende personelle und institutionelle Vielfalt dieser ersten Jahre ab.8 Für den Architektenberuf selbst stellte der historische Einschnitt im Mai 1945 somit zunächst nur sehr bedingt einen Wendepunkt dar. Als wirklich umfassender Eingriff konnte so im Sommer 1945 vor allem die Auflösung des BdA als Berufsvertretung und Standesorganisation der freien Architektenschaft gelten. Unter Ägide der SMAD zeichnete sich dabei schon damals ab, dass eine Neugründung auf längere Sicht unwahrscheinlich sein und eine Berufsvertretung zunächst lediglich im Rahmen des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) möglich sein würde. So hatte die SMAD bereits am 10. Juni 1945 im Rahmen ihres Befehls Nr. 2 die Bildung von Gewerkschaften zugelassen9, in deren Rahmen sich nun auch die freie Architektenschaft organisieren sollte. Auf dem Gründungskongress des FDGB, der schließlich vom 09. bis 11. Februar 1946 stattfand, wurde denn auch die „Sektion Architekten des Schutzverbandes bildender Künstler in der Gewerkschaft 17, Kunst und Schrifttum, FDGB“ gegründet.10 Sehr deutlich wurde damit schon damals zum Ausdruck gebracht, dass die beruflichen Rahmenbedingungen der freien Architektenschaft trotz aller nach wie vor bestimmenden Kontinuitäten von nun an grundsätzlich zur Disposition gestellt werden würden. Letztlich nämlich stellte es bereits ein Paradox dar, dass die Interessen eines freien Berufsstandes und selbstständig tätiger Planer durch eine Gewerkschaft und nicht mehr durch einen unabhängigen Berufsverband vertreten werden sollten. Schaut man sich jedoch die erste Geschäftsordnung der Gewerkschaftssektion an, so kann man zunächst eher von einer Fortführung des BdA unter anderem Namen sprechen. Trotz ihrer Bezeichnung war die ,Gewerkschaft in diesen ersten Jahren nämlich in keiner Weise auf ein vergesellschaftetes Berufsbild und damit das Berufsprofil eines innerhalb öffentlicher Institutionen angestellten Architekten zugeschnitten. Vielmehr verstand sich auch die neu gegründete Gewerkschaftssektion als Interessenvertretung der freischaffenden 6

Hierzu ausführlich u.a. Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 90-110.

7

Hierzu ausführlich ebd., S. 210-215; Palutzki, S. 36-42.

8

Hierzu u.a. die hervorragende Übersicht über die Planungs- und Bauvorhaben jener Jahre bei Butter sowie die von Joachim Palutzki beispielhaft in den Blick genommenen Planungen Otto Haeslers für Rathenow (Palutzki, S. 33-36). Eine weitere wichtige Bauaufgabe stellte in dieser Zeit zudem die Errichtung von Neubauernhöfen dar (vgl. ebd., S. 30-33).

9

Ebd., S. 12.

10 Zu Geschichte und Entwicklung des FDGB u.a. Gill.

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Architekten und orientierte sich dabei an den Aufgaben und Zielen des früheren BdA. So hieß es in der Geschäftsordnung etwa: „Die Sektion Architekten als Organisation der baukünstlerisch tätigen, freischaffenden Architekten hat die hohe kulturelle Aufgabe der Förderung der Baukunst als des umfassenden und bleibenden Ausdrucks einer Zeit und eines Volkes.“11

Und weiter: „Sie will diesem grossen Ziele dienen, indem sie für die freischaffenden Architekten als Träger der Entwicklung der Baukunst die notwendigen beruflichen Grundlagen für freie, schöpferische Arbeit schafft durch: 1.) Fernhaltung fachlich und charakterlich ungeeigneter Kräfte aus diesem Beruf, 2.) Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen für diesen Beruf, insbesondere Sicherung angemessener Gebühren nach einer amtlich anerkannten Gebührenordnung, 3.) Beantragung der erforderlichen gesetzlichen und verwaltungsmässigen Massnahmen zur Sicherstellung freier Berufsausübung, 4.) Beratung ihrer Mitglieder in allen beruflichen Fragen wirtschaftlicher und fachlicher Art, 5.) Massnahmen zur Erziehung und Förderung des Nachwuchses, 6.) Zusammenarbeit mit anderen im Bauwesen tätigen Berufen, 7.) Aufklärung der Öffentlichkeit über Ziele, Aufgaben und Leistungen des Berufes durch Ausstellungen, Vorträge, Veröffentlichungen in der Presse und in Zeitschriften.“12

Indem sich die Gewerkschaftssektion für eine berufliche Zugangsbeschränkung und -kontrolle, für die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder, für die Vergütung von Architektenleistungen nach einer Gebührenordnung sowie den gesetzlichen Schutz des Berufsstandes und die berufliche Autonomie ihrer Mitglieder einsetzte, war somit auch weiterhin alles auf das Berufsprofil des freien Architekten zugeschnitten. Immer wieder unterstrichen wurde so auch der Dienstleistungsaspekt des Berufes und seine institutionelle Unabhängigkeit vom Auftraggeber. Diese Geschäftsordnung war es, die bis ins Jahr 1949 die Arbeitsgrundlage der Sektion bildete und damit zugleich das grundsätzliche berufliche Selbstverständnis der freischaffenden Architekten in der SBZ widerspiegelte. Das Beispiel der Gewerkschaftssektion machte darüber hinaus deutlich, dass von einem von Beginn an alleine auf die sozialistische Umgestaltung des Architektenberufs abzielenden berufspolitischen Umfeld nur sehr eingeschränkt gesprochen werden konnte. Vorteilhaft 11 BArch, DH 1/38883 (MfA), Geschäftsordnung für die Sektion Architekten des Schutzverbandes bildender Künstler für das Land Sachsen-Anhalt in der Gewerkschaft 17 Kunst und Schrifttum, FDGB, S. 1f. 12 Ebd.

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wirkte sich dabei auch im Bereich der Gewerkschaften und damit der beruflichen Interessenvertretungen aus, dass die SMAD die an der Sowjetunion orientierte Gesamtentwicklung der SBZ in den ersten Jahren nicht zu deutlich zu Tage treten lassen und stattdessen den Aufbau eines demokratischen Systems vortäuschen wollte.13 Auch dieser Umstand trug dazu bei, dass sich in der Zeit nach 1945 eine freischaffende Architektenschaft etablieren und institutionell organisieren konnte, die auf Architektur und Städtebau jener frühen Jahre wesentlichen Einfluss hatte. 14 Dass sich die SMAD alle Möglichkeiten offen hielt und der Status quo keinesfalls gefestigt war, deutete sich jedoch ebenfalls an. Das zeigte etwa die Tatsache, dass die Gewerkschaftssektion noch im November 1948 den Entwurf zu einem Architektengesetz vorlegte, in dem einleitend festgehalten wurde, der Beruf des Architekten 13 So heißt es bei Durth, Düwel und Gutschow, dass sich die jeweiligen Besatzungsmächte zwar von den Ordnungsvorstellungen ihrer jeweiligen Länder leiten ließen, dies allerdings nicht bedeutete, „daß Stalin von Anbeginn eine durchgreifende Sowjetisierung der Sowjetischen Besatzungszone anstrebte. Um sich mehrere außenpolitische Optionen offenzuhalten und eine Verschärfung der Konflikte mit den westlichen Alliierten zu vermeiden, wurde zunächst das in Moskau von Mitgliedern der Exil-KPD in enger Verbindung mit der sowjetischen Regierungsspitze entwickelte Konzept einer ,antifaschistischen Demokratie in gesamtdeutscher Perspektive verfolgt [...] Dementsprechend zielte das Programm der Partei nicht von vornherein auf eine sozialistische Umwälzung, sondern versprach, die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848 zu vollenden und dazu nach sowjetischen Vorgaben ein breites Bündnis aller ,antifaschistischen Kräfte sowie eine ,Einheitsfront aller Parteien anzustreben, die sich in gemeinsamer Verantwortung die Beseitigung der Wurzeln des Nationalsozialismus und den Aufbau der Demokratie in Deutschland zur Aufgabe machten. Entsprechende Weisungen waren den künftigen KPD-Funktionären wörtlich schon vor ihrer Abreise aus Moskau gegeben worden“ (Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 76f.). Allgemein hierzu u.a. auch Weber, S. 64 u. 88. Ausführlich schildert Weber allerdings auch, dass diese Rhetorik spätestens seit der Vereinigung von KPD und SPD durch eine an stalinistischen Prinzipien orientierte politische Praxis konterkariert wurde. 14 In diesen Zusammenhang lässt sich denn auch der eingangs geschilderte Neuaufbau kommunaler Planungsstrukturen einordnen: „[U]m zu zeigen, wie ernst man den Aufbau demokratischer Strukturen in Deutschland nahm, erließ Marschall Shukow, der Oberste Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), schon am 9. Juli 1945 [...] den SMAD-Befehl Nr. 5 zur sofortigen ,Organisierung eines normalen Lebens in den Provinzen der SBZ. Dieser Befehl erklärte den Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung für verbindlich [...] [W]ichtig war der KPD zu diesem Zeitpunkt, ein demokratisches Gegenbild zum entdifferenzierten, zentralistischen, kommunale Demokratie und Selbstverwaltung unterminierenden, untergegangenen NS-Staat aufzubauen“ (Betker, S. 153f.).

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sei „noch so ungeschützt wie seine Berufsbezeichnung.“15 Zum Ausdruck kam hier, dass der berufliche Status der freien Architekten trotz der wichtigen Rolle, die sie für den Wiederaufbau spielten, in keiner Weise gesetzlich abgesichert war. Vor allem aber deutete sich an, dass es schon bald zu durchgreifenden, an der allgemeinen politischen Entwicklung orientierten Veränderungen der beruflichen Rahmenbedingungen kommen würde. Die Anfänge der Vergesellschaftung: Zentralisierung und erste volkseigene Entwurfsbüros Die SMAD nämlich verfolgte ganz andere Ziele, als einem solchen Architektengesetz zuzustimmen. Mit der Gründung der DWK (Deutsche Wirtschaftskommission) hatte sie schon am 14. Juni 194716 begonnen, jenen politischen, verwaltungsmäßigen und wirtschaftlichen Zentralisierungsprozess einzuleiten, der nach der Staatsgründung und Anfang der 50er Jahre seinen ersten Höhepunkt erreichen sollte. Für den Bereich des Planungs- und Entwurfswesens bedeutete das, die Architekten möglichst rasch in den Dienst einer zentral geleiteten Baupolitik, ihrer Vorstellungen von Architektur und Städtebau und der sich langsam etablierenden planwirtschaftlichen Strukturen zu stellen. Die dezentral in Eigenverantwortung arbeitenden und institutionell unabhängigen freien Architekten stellten dabei bereits per se einen Störfaktor dar. Stattdessen strebte man eine möglichst rasche Vergesellschaftung des Architektenberufs und damit auch einen umfassenden Umbau des Berufsbildes an. Nachdem ab April 1948 begonnen worden war, die ersten volkseigenen Betriebe aufzubauen17, wurde denn auch zum 01. Dezember desselben Jahres das erste, noch relativ kleine volkseigene Entwurfsbüro gegründet.18 15 BArch, DH 1/38883 (MfA), Begründung zum Architektengesetz, 24.11.1948. 16 Palutzki, S. 19f. 17 „Aufbau und Organisation der volkseigenen Betriebe – Bildung der Vereinigungen volkseigener Betriebe (VVB). Durch Befehl Nr. 76 bestätigt die SMAD die hierfür von der DWK ausgearbeiteten Grundlagen für die Betriebe von zentraler Bedeutung und für die übrigen Betriebe. Als wirtschaftsleitende Organe werden auf betriebsfachlicher Grundlage VVB gebildet, die als VVB (Z) den Hauptverwaltungen der DWK und als VVB (L) den fachlichen Verwaltungen bei den Landesregierungen unterstehen. Die anderen volkseigenen Betriebe werden in Kommunalwirtschaftsunternehmen (KWU) zusammengefaßt und den Verwaltungsorganen der Kreise, Städte und Gemeinden unterstellt. Bis Juli 1948 nehmen 75 VVB (Z) mit 1764 Betrieben und 505 754 Beschäftigten die Arbeit auf. Für die volkseigene Bauindustrie gibt es zunächst nur je eine VVB (L) Bau in den fünf Ländern“ (Chronik Bauwesen, Eintrag 23.04.1948). 18 „Erstes volkseigenes Projektierungsbüro. Das Büro, das auf Veranlassung der Hauptabteilung Bauwesen (Ministerium für Wirtschaft des Landes Mecklenburg) gebildet wird, hat die Aufgabe, Planungen, Entwürfe, statische Berechnungen und Vorkalkulationen

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Weiter forciert wurde diese Entwicklung, als am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde. Von nun an war auch der breiten Öffentlichkeit klar, dass von einer zukünftigen Teilung Deutschlands auszugehen war und dass sich beide Teile in politisch gegensätzliche Richtungen entwickeln würden.19 Beide Seiten, Sowjetunion und Westmächte, wollten damit verbunden nicht zuletzt den Beweis erbringen, dass ihre Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der jeweils anderen überlegen sei. Dementsprechend wurde der Aufbau des Sozialismus auf dem Gebiet der SBZ von jetzt an auch offiziell zur zentralen Aufgabe erklärt.20 Eng damit verbunden war auch die sozialistische Umgestaltung des Bauwesens und des Architektenberufs. Einen wichtigen Baustein bildete dabei der bereits angesprochene Zentralisierungsprozess. So war schon zum 11. Mai 1949 bei der DWK21 die HV

von Hoch-, Tief-, Brücken- und Wasserbauten für den volkseigenen Sektor Mecklenburgs durchzuführen. Es erhält den Namen Architekten- und Ingenieurbüro, volkseigener Betrieb Mecklenburg, Stralsund. Das Büro, das der VVB Hoch- und Tiefbau Land Mecklenburg unterstellt ist, zählt bei seiner Gründung 4, Ende 1948 17 und Ende 1949 41 Mitarbeiter. Direktor ist Dipl.-Ing. W. Mäder“ (ebd., Eintrag 01.12.1948). 19 Diese Teilung hatte sich natürlich bereits im Vorfeld durch den sich weiter verschärfenden Kalten Krieg zwischen den westlichen Besatzungsmächten und der Sowjetunion angekündigt. So hatte die Sowjetunion beispielsweise schon am 20.03.1948 den Alliierten Kontrollrat aus Protest gegen die Londoner Sechsmächtekonferenz verlassen und mit der Berlin-Blockade die offene Konfrontation mit den Westmächten gesucht. Hierzu einführend u.a. Gerhard Keiderling, „Das Ende des Alliierten Kontrollrates. Stenographisches Protokoll der 82. Kontrollratssitzung“, in: Berlin. Quellen und Dokumente 1945-1951, 2. Halbband, hg. im Auftrage des Senats von Berlin, Berlin (West) 1964, S. 1431-1433; Volker Koop, Kein Kampf um Berlin? Deutsche Politik zur Zeit der Berlin-Blockade 1948/1949, Bonn 1998; Uwe Prell/Lothar Wilker (Hgg.), Berlin-Blockade und Luftbrücke 1948-49. Analyse und Dokumentation, Berlin 1987; Gerd Wehner, Die Westalliierten und das Grundgesetz 1948-1949. Die Londoner Sechsmächtekonferenz, Freiburg 1994. 20 Obsolet wurde damit die frühere Haltung, nach der man „die Wiedervereinigungsoption glaubhaft offen gehalten und vieles vermieden [hatte], was die Spaltung Deutschlands hätte befördern können“ (Betker, S. 155). In der offiziellen Rhetorik wurde allerdings auch jetzt noch am Einheitsgedanken festgehalten. Die Entwicklungen in den beiden Landesteilen dürfen dabei natürlich nie losgelöst voneinander betrachtet werden. Der Blick auf die jeweils andere Seite bot oftmals Orientierungspunkte, an denen die eigene Politik ausgerichtet wurde. Das galt natürlich vor allem für die 1950er Jahre, aber auch nach dem Mauerbau und der Schließung der innerdeutschen Grenze spielte dieser Aspekt eine nicht zu vernachlässigende Rolle. 21 Zur Bildung der DWK u.a. Betker, S. 155ff.

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(Hauptverwaltung) Bauwesen22 gegründet worden, die im Prinzip die Struktur des späteren MfA vorwegnahm23 und bei der zukünftig alle Fäden im Bereich des Bauwesens zusammenlaufen sollten. Daran angelehnt wurden schließlich Ende Juni auch bei den Landesregierungen HA (Hauptabteilung) Bauwesen 24 gebildet, die „die erfolgreiche Durchführung der von der DWK bestätigten Investitionspläne des Landes zu gewährleisten“ 25 hatten. Mit Hilfe dieser grundlegenden Strukturen konnte die Baupolitik schließlich auch Einfluss auf die beruflichen Rahmenbedingungen der Architekten und Städtebauer nehmen. Einer der ersten und wichtigsten Schritte war dabei der Aufbau eines volkseigenen Entwurfsinstituts, das der HV Bauwesen unmittelbar unterstellt war. Zu seinen Aufgaben gehörte „die Ausarbeitung zonal [d.h., für den Bereich der gesamten Ostzone, T.Z.] bedeutender Entwürfe auf allen Gebieten des Bauwesens, insbesondere aber die Ausarbeitung von Entwürfen auf dem Gebiete des Städtebaues und des Wohnungs-, Kultur- und Sozialbauwesens.“26

22 „Hauptverwaltung Bauwesen bei der DWK gebildet. Leiter wird E. Scholz. Sie hat insbesondere die Durchführung des Investitionsplanes zu sichern, zentrale volkseigene Baubetriebe für Bauaufgaben von zonaler Bedeutung (Bau-Unionen) zu bilden, die Ausarbeitung einheitlicher Herstellungs-, Preis- und Kalkulationsnormen für alle Bau- und Montagearbeiten zu leiten sowie technische Arbeitsnormen und Arbeitsrichtlinien für nachgeordnete Bauverwaltungen und volkseigene Baubetriebe auszuarbeiten und verbindlich herauszugeben. Die zentralen Betriebe sind bis zum 1.10.1949 zu gründen. Sie sollen ab 1. Januar 1950 voll arbeitsfähig an den Schwerpunkten der Investitionen eingesetzt werden“ (Chronik Bauwesen, Eintrag 11.05.1949). 23 Palutzki, S. 22. 24 „Das Bauwesen bei den Landesregierungen wird reorganisiert. Auf Beschluss der DWK werden die Hauptabteilungen Bauwesen in den Bereich der Wirtschaftsministerien der Länder überführt. Die volkseigenen Baubetriebe bzw. die VVB (L) werden den Hauptabteilungen Bauwesen unterstellt. Diese sichern die Lösung der Investitionsaufgaben, sorgen für Qualifizierung, Anwendung des Leistungslohnes, Rentabilität und Finanzdisziplin. Das Wohnungswesen (ohne Wohnungsbau) wird von der Hauptabteilung Arbeit und Sozialfürsorge, das Grundstücks-, Vermessungs- und Katasterwesen sowie die Landesaufnahme von der Hauptabteilung Land- und Forstwirtschaft übernommen“ (Chronik Bauwesen, Eintrag 29.06.1949). 25 BArch, DH 1/40044, Teil 2 (MfA), Deutsche Wirtschaftskommission, Sekretariat, Betr.: Reorganisation der Hauptabteilungen Bauwesen in den Landesregierungen, Berlin, 30.06.1949. 26 Ebd., Beschluss des Sekretariats der Deutschen Wirtschaftskommission über die Errichtung des Entwurfsinstituts (VEB), 2. Entwurf, o. D..

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Schon hier kam sehr deutlich zum Ausdruck, dass alle bedeutenden Entwürfe nur noch von Architekten erarbeitet werden sollten, die Angestellte staatlicher Institutionen waren27 und damit der unmittelbaren Kontrolle der politischen Entscheidungsträger unterlagen. Zeitgleich mit dem volkseigenen Entwurfsinstitut der HV Bauwesen wurden darüber hinaus weitere volkseigene Entwurfsbüros bei den zentralen HV und bei den HA Bauwesen der Länder errichtet, so dass es schon Anfang September 1949 flächendeckend volkseigene Entwurfsbetriebe28 gab.29 Doch insgesamt trieben SMAD und DWK den Vergesellschaftungsprozess noch sehr vorsichtig voran. Suggeriert wurde so vor allem, dass man auch von baupolitischer Seite für einen Interessenausgleich und ein (beinahe) gleichberechtigtes Nebeneinander zwischen den freien Architekten und den volkseigenen Entwurfsbüros sorgen wollte. So wurde den freien Architekten beispielsweise in Aussicht gestellt, dass sie einen Status erhalten würden, der in etwa dem von Subunternehmern ver27 Aus diesem Grund verfügten einzelne Länder der SBZ schon im August 1949, dass Privatarchitekten nicht mehr mit Investitionsbauten beauftragt werden sollten (hierzu u.a. BArch, DH 1/44488 [MfA], Stellungnahme M. Uganke zur Kreiskonferenz der NDPD in Cottbus, o.D.: „Die Vergabe solcher Aufträge [Planung von Investitionsbauten, T.Z.] an die freisch. Architekten ist jedoch im Lande Brdbg. durch eine Verfügung vom 20.8.49 kurzer Hand verboten worden“). 28 BArch, DH 1/40044, Teil 2 (MfA), Beschluss des Sekretariats der Deutschen Wirtschaftskommission ... [sic!] über die Errichtung von volkseigenen Entwurfsbüros, 2. Entwurf, o. D.. 29 Dieses Netz von Entwurfs- und Baubetrieben wurde darüber hinaus durch die Bildung von Vereinigungen volkseigener Entwurfsbüros bzw. Baubetriebe (VVB) organisatorisch zusammengefasst. Auch dadurch sollte eine möglichst reibungslose Anleitung durch die zentralen Entscheidungsträger gewährleistet werden. S. hierzu u.a. ebd. („Mehrere fachlich spezialisierte Entwurfsbüros einer Hauptverwaltung oder eines Landes sind in eine Vereinigung volkseigener Entwurfsbüros zusammenzufassen“) sowie Chronik Bauwesen, Eintrag 30.09.1949 („Bildung zentralgeleiteter Vereinigungen volkseigener Baubetriebe – VVB (Z). Zur Durchführung wichtiger Investitionsvorhaben von zentraler Bedeutung werden auf Beschluss der DWK mit Wirkung vom 1.1.1950 leistungsfähige, bisher den Ländern unterstellte Betriebe der Bauindustrie in vier zentral geleiteten Bau-Unionen zusammengefasst: Bau-Union Nord, Schwerin; Bau-Union Mitte, Magdeburg; Bau-Union Ost, Potsdam (Sitz der Verwaltung: Berlin); Bau-Union Süd, Dresden. Zu jeder VVB (Z) Bau-Union gehören mehrere Baubetriebe (insgesamt 26) und weitere baunahe Betriebe. Das übergeordnete Organ der vier zentralgeleiteten Bau-Unionen wird nach Gründung der DDR die Hauptverwaltung Bauindustrie im Ministerium für Industrie. Für die landesgeleiteten volkseigenen Betriebe, die nicht zentral unterstellt werden, besteht in jedem der fünf Länder eine VVB (L) Hoch- und Tiefbau“). Ausführliche Angaben zu den damals etablierten betrieblichen Strukturen auch bei Betker, S. 157.

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gleichbar gewesen wäre. 30 Ähnliche Signale sandte man auch auf der als große Aussprache zwischen den freischaffenden Architekten, den volkseigenen Entwurfsbüros, den Hauptverwaltungen und dem Institut für Bauwesen inszenierten Tagung der Architekten in Schierke Mitte Oktober 1949 aus. Ausführlich ließ man hier nicht nur Vertreter der freischaffenden Architekten zu Wort kommen und gab vor, ihre Anregungen und Wünsche aufzugreifen. Ernst Scholz, der Leiter der HV Bauwesen, versicherte darüber hinaus erneut, dass „das Verhältnis der frei schaffenden [sic!] Architekten zu den volkseigenen Entwurfsbüros [...] auf vertraglicher Basis stehen“31 werde. Im Dezember wurde das auch von Aufbauminister Lothar Bolz bestätigt, der in einem Interview mit der Nationalzeitung gefragt wurde, ob die freien Architekten weiterhin Aufträge erhalten würden. Bolz antwortete: „Selbstverständlich!“

und fügte einschränkend lediglich hinzu: „[D]er freie Architekt erhält seinen Auftrag nicht mehr unmittelbar vom Investitionsträger, sondern von Entwurfsbüros. Aber das wesentliche für ihn ist: er bekommt den Auftrag. Denn die Zahl der Aufträge wird auch hier so groß sein, dass die privaten Architekten ein weites Betätigungsfeld haben.“32

In ähnlicher Weise äußerte er sich auch noch auf einer Kreiskonferenz der NDPD (National-Demokratische Partei Deutschlands) Ende Januar 1950. Dort sagte er: „Die Organisierung der volkseigenen Entwurfs- und Projektierungsbüros schliesst es selbstverständlich ein, daß von diesen Aufträge an freischaffende Architekten vergeben werden. Gerade die besten freischaffenden Architekten und Künstler sollten von diesen volkseigenen Entwurfs- und Projektierungsbüros zur Bewältigung unserer Aufgaben herangezogen werden. Dem Architekten und Künstler wird damit ein stets wachsendes Schaffensfeld eingeräumt

30 So hieß es etwa in den Beschlüssen der DWK über den Aufbau des volkseigenen Entwurfssektors: „Das [...] Entwurfsbüro kann für die Bearbeitung von nicht in sein [sic!] Arbeitsbereich fallende Projektaufgaben [...] freischaffende Architekten und Ingenieure auf vertraglicher Grundlage heranziehen“ (BArch, DH 1/40044, Teil 2 (MfA), Beschluss des Sekretariats der Deutschen Wirtschaftskommission ... [sic!] über die Errichtung von volkseigenen Entwurfsbüros, 2. Entwurf, o. D.). 31 BArch, DH 1/38971 (MfA), Bericht über die Tagung der Architekten und Ingenieure in Schierke am 15. und 16. Oktober 1949, Schierke im Harz, Heinrich-Heine-Haus, Diskussionsbeitrag Scholz. 32 BArch, DH 1/44477 (MfA), Interview Lothar Bolz in der Nationalzeitung, 30.12.1949.

52 | A RCHITEKTEN IN DER DDR und die Gewissheit gegeben, daß er seinem Volke beim Aufbau einer glücklicheren Zukunft dient.“33

Darüber hinaus gab es innerhalb der SED auch unterhalb der baupolitischen Führungsriege eine ganze Reihe von Architekten und Stadtplanern, die für ein geordnetes Nebeneinander von volkseigenen und privaten Büros plädierten und die freien Architekten nach wie vor als wichtige Säule im Bauwesen der DDR betrachteten. Zu ihnen gehörte mit Hanns Hopp u.a. auch einer der späteren Meisterarchitekten der DBA.34 Hopp, der in den 1920er und 30er Jahren äußerst erfolgreich als Privatarchitekt im damaligen Königsberg gearbeitet hatte35, legte am 28. Oktober 1950 beispielsweise einen Entwurf vor, nach dem freien Architekten, die als Nachauftragnehmer für volkseigene Entwurfsbüros arbeiteten, angemessene und attraktive Honorare garantiert werden sollten.36 Auch Hans Gericke, der sich in den 1930er Jahren ebenfalls als Privatarchitekt etabliert hatte, inzwischen persönlicher Referent von Aufbauminister Lothar Bolz war und später zum Stadtarchitekten von Berlin aufsteigen sollte, drängte immer wieder darauf, den Status der freien Architekten zu klären und ihnen dadurch berufliche Sicherheit zu bieten. 37 Neben beruflichen 33 BArch, DH 1/44488 (MfA), Bolz an Uganke, Betrifft: Ihren Entwurf einer Stellungnahme auf der 1. Kreiskonferenz der NDPD am 21. Januar 1950 in Cottbus zum Thema: Probleme des freischaffenden Architekten, Berlin, 21.02.1950. 34 Hierzu ausführlich Kapitel I.1.3. 35 Zu Hopp ausführlich: Wiesemann (2000). 36 Hopp, der später als BdA-Präsident Vorsitzender einer der so genannten ,Transmissionsriemen der Partei werden sollte, verhielt sich allerdings dennoch erwartungsgemäß linientreu, indem er Einzelverträge mit freischaffenden Architekten ablehnte, da diese „die Existenz ‚freischaffender Architekten‘ wieder zu einer dauernden werden lassen“ würden (BArch, DH 1/38883 [MfA], Hopp an MfA, HA II, z. Hd. Pisternik, Betrifft: Stellungnahme des VEB-Industrieentwurf zum Entwurf „Honorarregelung für qualifizierte Architekten“, 30.11.1959). Auch nach dem 17. Juni 1953 wurde allerdings deutlich, dass Hopp nach wie vor Sympathien für die freien Architekten hegte (hierzu ausführlicher Kapitel I.2.2). 37 „Die bisherigen Anfragen [der freischaffenden Architekten, T.Z.] wurden von mir mit einem vorläufigen Bescheid beantwortet, daß nach Rücksprache mit Herrn Dr. Bolz eine grundsätzliche Klärung [zu Fragen der Berufstätigkeit der freischaffenden Architekten, T.Z.] notwendig und in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Zunächst wird man die Architekten darauf verweisen müssen, daß sie nach dem Volkswirtschaftsplan im Subvertrag [...] tätig sind. - Wir werden bei der zu treffenden Regelung beachten, daß die Kulturverordnung und daß Walter Ulbricht wiederholt in Reden darauf hingewiesen hat, daß die Verbesserung der materiellen Lage der schaffenden Intelligenz eine Voraussetzung für die Erfüllung unserer Volkswirtschaftspläne ist [...] Es muß unsere Aufgabe sein, baldmög-

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Überzeugungen spielte in all diesen Fällen jedoch sicher auch klares Kalkül eine wichtige Rolle. Dass sich der Architektenberuf nicht auf Knopfdruck, sondern nur im Rahmen eines längerfristigen Prozesses vergesellschaften ließ, stellte dabei sicherlich einen der entscheidenden Gründe dar, nicht zu deutlich mit den freien Architekten zu brechen. Eine wichtige Rolle mochte so die Angst von Partei und Regierung spielen, den durch den Zweiten Weltkrieg ohnehin vorhandenen Fachkräftemangel weiter zu befördern.38 Angesichts der offenen Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten hätte eine gesetzliche Regelung, die den Privatarchitekten unmittelbar ihre Arbeitsgrundlage entzogen hätte, mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem weiteren Exodus qualifizierter Fachleute geführt. Die Mitgliedskartei des später neu gegründeten BdA dokumentiert ohnehin, dass bis zum Mauerbau eine große Zahl von Architekten und Städtebauern die DDR verließ, da sie in der Bundesrepublik auf bessere Arbeitsbedingungen und eine angesehenere, attraktiver bezahlte Stellung hofften.39 Es kann angenommen werden, dass noch weitaus mehr Fachleute das Land verlassen hätten, wenn sie nicht Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lage sowie eine erfolgreiche Tätigkeit als freie Architekten gehabt hätten. Wie aktuell gerade dieses Thema war, zeigte auch ein Brief des Eisenacher Architekten Jochen Wilk an Hanns Hopp vom November 1950. Wilk bezog sich hier u.a. auf die von der Zeitschrift „Planen und Bauen“ aufgeworfene Frage „Lohnt die Flucht nach dem Westen?“ und meinte, dass sie gar nicht gestellt werden müsste, „wenn statt den ‚möglichen Gründen für eine Flucht in jedem Einzelfall mit allem Eifer – hinterher – nachzuspüren‘, diese Sorgfalt dafür verwendet würde, voraus-

lichst ganz klare Verhältnisse zu schaffen, welche Architekten als freischaffende Baukünstler eine Anerkennung erwarten können.“ (BArch, DH 1/44488 [MfA], Hans Gericke, Vermerk „Berufstätigkeit für freischaffende Architekten“, Berlin, 26.05.1951). 38 So sprach Lothar Bolz in einem Schreiben an Otto Grotewohl vom 30.11.1949 „unter Hinweis auf ,die verhältnismäßig geringe Zahl der zur Verfügung stehenden Kräfte bereits ein Dilemma an, das sich in den nächsten Jahren dramatisch zuspitzen wird: Den aus politischen Gründen immer weiter sich steigernden Ansprüchen an die Qualität der Planung und deren gebauten [sic!] Ergebnisse stehen extrem geringe wirtschaftliche Kapazitäten und nur wenige kompetente Fachleute gegenüber. Insbesondere durch die Abwanderung in den Westen wird der Kreis beruflich erfahrener Architekten in leitenden Funktionen derart verengt, daß sich schließlich immer mehr Aufgaben auf immer weniger Personen konzentrieren, ohne daß durch nachrückende Jüngere diese Lücke geschlossen werden kann“ (Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 138). 39 Hierzu IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge. Vor allem gegen Ende der 50er Jahre und um 1960 herum findet sich in den Karteien immer wieder der handschriftliche Vermerk „Republikflucht“.

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schauend alle vorhandenen Kräfte nach ihrem Können zum Nutzen aller in den Aufbau einzugliedern.“40 „Schöpfer und Träger des Werkes ist immer der einzelne freischöpferische Meister“: Das berufliche Selbstbild der freischaffenden Architekten41 Bereits hier deutete sich an, dass von einem Interessenausgleich zwischen freien Architekten und volkseigenem Entwurf letztlich nicht die Rede sein konnte. Ein Grund dafür war auch, dass das berufliche Selbstverständnis der freischaffenden Architekten kaum kompatibel mit den Vorstellungen der Baupolitik war. Während erstere ihre künstlerische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit in den Vordergrund stellten, ging es letzterer in erster Linie um die Einbindung des Architektenberufs in ein ,von oben gesteuertes politisches System und eine zentral gelenkte Planwirtschaft. In einer ganzen Reihe von Wortmeldungen der freien Architekten wurde so Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre immer wieder deutlich, dass sich viele von ihnen als alleinige Garanten einer qualitativ hochwertigen Baukunst ansahen und dabei nicht selten einen gewissen Standesdünkel an den Tag legten. Vor allem aber begegneten sie der Vergesellschaftung des Entwurfs mit großer Skepsis. Bezweifelt wurden von den freien Architekten so immer wieder die fachlichen Fähigkeiten der in den volkseigenen Entwurfsbüros angestellten Architekten. In einer „Denkschrift zur Förderung der Einschaltung der freischaffenden Architekten im Lande Sachsen“ hieß es etwa, der volkseigene Entwurf bedrohe „nicht nur in künstlerischer und technischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht unsere Baukunst mit der Gefahr des Niederganges.“42 Aus Sicht der freien Architekten konnte hier nur Abhilfe geschaffen werden, indem die Autonomie und unabhängige Stellung des Berufsstandes sichergestellt und damit das eigene Berufsbild aufgewertet und gestärkt worden wäre. Als besonders zentral erachtete man dabei die Lohnunabhängigkeit. So setzte man sich dafür ein, auch weiterhin Honorare für die erbrachten Leistungen in Rechnung stellen zu können und grenzte sich damit dezidiert von den staatlich alimentierten Architekten des volkseigenen Entwurfs ab. Rhetorisch geschickt begründeten die freien Architekten des Landes Sachsen diese Forderung sogar mit dem Gründervater des Marxismus:

40 BArch, DH 1/38883 (MfA), Jochen Wilk an Hanns Hopp, 25.11.1950. 41 Zu diesem Thema auch Betker, S. 163-168. 42 BArch, DH 1/38883 (MfA), Gewerkschaft Kunst und Schrifttum im FDGB, Sektion Architekten, Bezirksleitung Chemnitz (Fachleiter A. Marquardt) und KdT (geschäftsführender Vorsitzender H. Kurzeder/Vorsitzender der Abt. Bauwesen W. Behrens) an Sekretariat der DWK, Denkschrift zur Förderung der Einschaltung der freischaffenden Architekten im Lande Sachsen, Chemnitz, 28.08.1949.

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„Karl Marx sagte einmal, ‚Der Kapitalismus habe den Künstler zum Lohnempfänger herabgewürdigt.‘ Tun wir daher alles, um den freischaffenden Architekten davor zu bewahren, ein Subalterner der heute wieder blühenden Büromaschinerie zu werden.“43

Auf der Tagung der Architekten in Schierke stellten die freien Architekten darüber hinaus erneut die Wichtigkeit der individuellen Entwurfsleistung in den Mittelpunkt. Als einer ihrer Vertreter betonte etwa der Architekt Göner: „Erhaltung der besonderen Bedingungen des Architektenberufs, insbesondere der Individualität des Einzelnen [...] sind Voraussetzung für künftige große Leistungen.“44

Auch aus Sicht Hans Scharouns stellten die „freischöpferischen Kräfte“ die wesentlichen Impulsgeber in Architektur und Städtebau dar. Die volkseigenen Entwurfsbüros sollten nach seiner Vorstellung zwar bestehen bleiben, jedoch eher für die praktisch-technische Umsetzung der Entwürfe verantwortlich zeichnen. 45 Erneut klang hier durch, dass man nur den freischaffenden Architekten die gestalterischen Fähigkeiten für eine qualitativ hochwertige Baukunst zusprach. Sogar bis in die Reihen der SED hinein erhielt Scharoun von zahlreichen Kollegen Unterstützung. Besonders aussagekräftig ist hier der Protestbrief eines SED-Architekten-Aktivs aus Leipzig an die Regierung der DDR.46 Energisch wurde darin gegen die Ausschaltung der Privatarchitekten bei öffentlichen Bauvorhaben protestiert. Deutlich aber wurde vor allem, wie sehr mitunter geradezu pathetisch das Bild des Künstlerarchitekten beschworen wurde. So hieß es: „Als die Krone des modernen Menschen in seiner glücklichen Vereinigung von Idealismus und Realismus wurde der Architekt gepriesen. Leider empfindet nur er selbst, während die Mitwelt, wenig teilnehmend, abseits steht, das Wahre dieses Ausspruchs, und man muß auf die Gefahr hin, des Größenwahnsinns geziehen zu werden, in das Preislied einstimmen. Die bis ans Lebensende reichende Ausbildung des Architekten, die mit seinem Schaffen verbundene Verantwortlichkeit, die der Realisierung seiner Werke sich entgegenstellenden Schwierigkeiten, die Indolenz und die verschrobenen Ansichten der Mitmenschen in bezug auf Architektur bedecken seinen Lebenspfad beinahe immer mit Dornen und nur zu oft blickt er 43 Ebd. 44 BArch, DH 1/38971 (MfA), Bericht über die Tagung der Architekten und Ingenieure in Schierke am 15. und 16. Oktober 1949, Schierke im Harz, Heinrich-Heine-Haus, Diskussionsbeitrag Göner. 45 Ebd., Diskussionsbeitrag Scharoun. 46 BArch, DH 1/38883 (MfA), SED-Architekten-Aktiv an die Deutsche Demokratische Republik, Einschaltung freischaffender Architekten für die Investitionsaufträge, Leipzig, 24.10.1949.

56 | A RCHITEKTEN IN DER DDR wehmütig auf die Jünger der Schwesterkünste, welche in der Regel den mit Rosen bestreuten Lebensweg, von der Menschheit getragen, zurücklegen. Auf einen momentanen Erfolg, auf sofortige ideale Entlohnung kann der Architekt nie rechnen. Die erhoffte Anerkennung wird ihm vielleicht nach Jahren, wenn er unter einer Last von Unbilden ein Bauwerk vollendet hat, zu teil. Der Höhepunkt seiner künstlerischen Ekstase und Schaffensfreudigkeit liegt aber in jenem Zeitpunkt, wo er einen seiner Ansicht nach glücklichen Grundgedanken, allerdings für jedermann unsichtbar und unverständlich, skizziert. Der Architekt hat daher in der inneren Befriedigung den größten Teil seines Lohnes zu suchen. Nichtsdestoweniger muß er mit gleicher Liebe und Ausdauer sein Werk stets im Auge behalten und nicht irre und müde werden, wenn selbst seine pekuniäre Entlohnung, wie leider so oft, einem Almosen gleichkommt.“47

Als besonders zentral erachtete auch das Leipziger Architekten-Aktiv den Wettbewerb zwischen individuellen Künstlerpersönlichkeiten und betonte, dass eine Ausschaltung dieses Wettbewerbs „für die Bauaufgaben der Zukunft zwangsweise zu schweren kulturellen Schädigungen führen“48 würde. Stattdessen wurden Individualität und berufliche Unabhängigkeit erneut zu den entscheidenden Grundvoraussetzungen künstlerisch anspruchsvoller Architektur erklärt, wenn es abschließend hieß: „Nur das Volk ist gesund, das auch Selbständigkeiten Gelegenheit zum Schaffen gibt. Schwach ist aber das Volk, das für schwache Mittelmäßigkeit, für subalterne Veranlagungen mehr Sorge trägt als für das Talent [...] Schöpfer und Träger des Werkes ist immer der einzelne frei schöpferische Meister gewesen.“49

Der Gegenentwurf: Die Vergesellschaftung des Berufsbildes Es verwundert kaum, dass gerade ein solches, stellenweise durchaus als überhöht zu bezeichnendes und von einer gewissen Selbstbeweihräucherung bestimmtes Selbstbild auf baupolitischer Seite kaum Zustimmung fand. Doch auch generell und damit entgegen aller offiziellen Sprachregelungen begegnete man den freien Architekten hier von Anfang an mehr als kritisch. Bereits vor der Tagung in Schierke hatte etwa Ernst Scholz, der Leiter der HV Bauwesen, mit einem Artikel in der Bauzeitung den „Entwurfsspekulanten“ den Kampf angesagt. Damit meinte er die „privaten Projektanten“, also die freien Architekten, „die der Vergesellschaftung der Entwurfsarbeiten aus Gründen eigener Bereicherung entgegenwirken“ 50 würden. Ge47 Ebd., S. 2. 48 Ebd., S. 3. 49 Ebd., S. 3f. 50 Chronik Bauwesen, Eintrag September 1949, sowie Betker, S. 164f.

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genübergestellt wurde dieser Negativeinschätzung die idealistische Rede von volkseigenen Entwurfsbetrieben, die eine „volkswirtschaftliche wie künstlerische [...] Lenkung und Leitung“ 51 gewährleisten und auf diese Weise verhindern sollten, „daß öffentliche Mittel, die jetzt im Rahmen der Planaufgaben vergeben werden, als Spielball Einzelner [...] benutzt werden.“52 Herrsche durch die freien Architekten „der unrationelle Einsatz, die Verzettelung von Arbeitskräften und Mitteln und dadurch die Verteuerung“ 53 vor, so beweise etwa das Entwurfsbüro in DresdenCossebaude, „daß hier mit sparsamsten Mitteln und gesamtwirtschaftlich rentabler gearbeitet wird.“54 Gewährleistet sei so, dass man „mit konzentriertem und organisierten [sic!] Einsatz plan- und sinnvoll auf die gesellschaftliche Neuordnung eingehend“ 55 arbeite. Zudem entspreche nur der vergesellschaftete volkseigene Entwurf der offiziell als demokratisch dargestellten Entwicklung der DDR. Er sei Teil der „demokratischen Verwaltung“ 56 und damit der demokratischen Erneuerung, während den freien Architekten „einmal der Geist [...] des demokratischen Wiederaufbaues [...] zum Verständnis gebracht werden“57 müsse. Wurde der freie Architektenberuf also dem überwundenen kapitalistischen System zugerechnet, so stellte man die volkseigenen Entwurfsbetriebe als wesentliche Bausteine einer sozialistisch-demokratischen Erneuerung dar. Vor dem Hintergrund dieser auf beiden Seiten sehr stark ideologisch aufgeladenen Debatte trieb die Baupolitik die Vergesellschaftung des Berufsbildes seit den frühen 50er Jahren immer offensichtlicher voran, während die Arbeitsmöglichkeiten der freien Architekten nach und nach weiter eingeschränkt wurden und bald völlig wegbrachen. Unterschieden werden konnte dabei zwischen einer offensiven Haltung gegenüber den freischaffenden Architekten und einer subtileren, weniger auffälligen Demontage des Berufsprofils. Zu den rabiatesten Methoden, mit denen sich die freien Architekten konfrontiert sahen, gehörte u.a. der schlichte Entzug aller Aufträge. Von einem solchen Fall berichtete im Herbst 1951 der Dresdener Architekt Kurt Bärbig. In einem Protestbrief an Lothar Bolz58 schilderte er, dass er schon 1949 mit den Entwürfen für die TBC-Heilstätte in Königsbrück-Stenz beauftragt 51 DH 1/38883 (MfA), VVB Land Sachsen Bau an Landesregierung Sachsen, HA Bauwesen, z.Hd. Oberregierungsbaurat Faulian, Stellungnahme zur Denkschrift der frei schaffenden Architekten in Chemnitz, 04.10.1949, S. 2. 52 Ebd. 53 Ebd., S. 3. 54 Ebd. 55 Ebd., S. 4. 56 Ebd. 57 Ebd., S. 5. 58 BArch, DH 1/44488 (MfA), Bärbig an Bolz, Betr.: Projekt Tbc.-Heilstätte KönigsbrückStenz, Dresden, 17.09.1951.

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worden war und diese Arbeiten – wie allgemein üblich – auch weiterführen konnte, nachdem man beschlossen hatte59, dass Investitionsbauten nur noch von volkseigenen Entwurfsbüros geplant werden durften. Im Februar 1951 seien ihm dann aber alle Verträge durch die Sozialversicherungsanstalt Sachsen gekündigt worden. Nur durch die persönliche Fürsprache von Hanns Hopp sei er im April erneut vom Landesprojektierungsbüro Sachsen beauftragt worden. Nun aber hätten in eben diesem Büro „Gegenströmungen“60 eingesetzt „mit dem Ziel, die Projektierung in die eigenen Hände zu bekommen.“61 Besonders interessant ist dieser Fall deswegen, weil der Auftragsentzug ganz offensichtlich nichts mit der fachlichen Qualifikation Bärbigs zu tun hatte, sondern in seiner Tätigkeit als freischaffender Architekt begründet lag. Offiziell hatte man seine Arbeiten zwar als unzureichend abqualifiziert. Trotzdem aber wurde ihm vom Landesprojektierungsbüro zugesichert, dass einer „weiteren Bearbeitung der Aufgabe nichts im Wege gestanden“ hätte, „wenn ich mich bereit gefunden hätte, als Mitarbeiter in dasselbe einzutreten.“62 Noch dazu habe man ihm sogar die „Leitung des Landesprojektierungsbüro [sic!] Sachsen“63 angeboten. Denn als schon seit dem Ersten Weltkrieg aktiver Sozialist und anerkannter Verfolgter des Naziregimes, der zudem mit Richard Paulick Preisrichter beim Wettbewerb um den Dresdener Wiederaufbau gewesen war64, konnte Bärbig als politisch zuverlässig gelten. Deutlich wurde also schon hier, dass es vor allem darum ging, gerade qualifizierte Architekten zur Aufgabe ihrer selbstständigen Tätigkeit und zum Wechsel in volkseigene Entwurfsbüros zu zwingen, um so auch die fachliche Qualität des vergesellschafteten Entwurfs zu heben. Solchermaßen deutliche Drangsalierungsmaßnahmen lösten in vielen Fällen jedoch erst recht Trotzreaktionen bei den Betroffenen aus. So schrieb der Leipziger Architekt Max Schnabel in einem ähnlichen, darüber hinaus aber sehr viel stärker das individuelle Künstlertum in den Mittelpunkt stellenden Protestbrief an Bolz: „Unterm 20.10.1950 habe ich mich an Herrn Prof. Hopp gewandt, der mir am 7.11.1950 in einem sehr netten Briefe antwortete, mir aber nahelegte, in einem staatlichen Entwurfsbüro mitzuarbeiten. Das war sehr gut gemeint, aber nicht der Weg für mich. Meine berufliche 59 Im August 1949. 60 Bärbig machte hier insbesondere das „Teilbüro [...] Dresden I des LPB.-Sachsen“ verantwortlich (BArch, DH 1/44488 [MfA], Bärbig an Bolz, Betr.: Projekt Tbc.-Heilstätte Königsbrück-Stenz, Dresden, 17.09.1951). 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Ebd. 64 Zur Biographie Bärbigs: Eigene Angaben in BArch, DH 1/44488 (MfA), Bärbig an Bolz, Betr.: Projekt Tbc.-Heilstätte Königsbrück-Stenz, Dresden, 17.09.1951; Durth/Düwel/ Gutschow, Bd. 1, S. 209.

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Freiheit aufgeben? Nein! Meine Selbständigkeit als freischaffender Architekt nach 20 makellosen Berufsjahren zu liquidieren? Nein! Ich kann mich binden, selbstverständlich. Aber nur an meine Aufgaben. Und ich verstehe es Tag und Nacht ohne Unterbrechung zu arbeiten, aber an Stunden halten und dergl., das geht nicht! Sie werden meine Psyche noch besser verstehen, wenn ich erwähne, dass ich nebenher noch als bildender Künstler tätig bin. Meine Ölbilder hängen in den Museen, meine Radierungen u. sonstigen Graphiken finden Sie unter der Rubrik ‚Meister des 20. Jahrhunderts‘ in den graphischen Sammlungen. Solche Menschen kann man nicht in ein Arbeits-‚Verhältnis‘ bringen.“65

Als weiteres, ab 1949 immer wieder angewandtes Mittel stand den staatlichen Stellen schließlich der Entzug der Arbeitserlaubnis zur Verfügung. Dabei wurde, wie im Falle des Architekten Adolf Flohr aus Wernigerode, die „Anerkennung als freischaffender Architekt mit der Begründung gestalterisch unzureichend abgelehnt.“66 In einem an die Regierung gerichteten Protestbrief beschrieb Flohr, wie ihm „mit einem Federzug“ die „Berufsehre abgeschnitten wird“ und zog das Fazit: „Das ist zu viel, das kann nicht sein!“67 Schon früh gingen Partei und Regierung angesichts solcher Proteste denn auch dazu über, die freien Architekten nicht durch gesetzliche Regelungen und damit in aller Öffentlichkeit zur Aufgabe ihres Berufs und zum Eintritt in die volkseigenen Entwurfsbüros zu zwingen. Für erfolgsversprechender hielt man es stattdessen, ihnen im Rahmen der alltäglichen Planungs- und Vergabepraxis die Existenzgrundlage streitig zu machen und hoffte, dass die Arbeit als Privatarchitekten für sie so auf Dauer keine Option mehr darstellen würde. Auch diese Versuche führten allerdings zu scharfem Protest und teilweise erheblichem Widerstand der freien Architekten. Als man etwa daranging, die Auftragsvergabe einzuschränken, monierten die freien Architekten des Landes Sachsen in ihrer bereits genannten Denkschrift sofort, dass ihnen die laut Landesverfassung sowie gemäß Kulturverordnung von DWK und SMAD zugesicherte Förderung als freischaffende Künstler nicht gewährt würde. Stattdessen würden sie „bei der Gestaltung aller Bauvorhaben, insbesondere der Vereinigungen Volkseigener Betriebe, sowie anderer öffentlicher Körperschaften, der Landesregierung, der Kreise und der Städte“68, also bei allen Investitions65 BArch, DH 1/44488 (MfA), Schnabel an Bolz, 15.03.1951. 66 Ebd., Flohr an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Abteilung Ministerium für Kunst und Schrifttum, 17.01.1950, Blatt 1. 67 Ebd., Blatt 4. 68 BArch, DH 1/38883 (MfA), Gewerkschaft Kunst und Schrifttum im FDGB, Sektion Architekten, Bezirksleitung Chemnitz (Fachleiter A. Marquardt) und KdT (geschäftsführender Vorsitzender H. Kurzeder/Vorsitzender der Abt. Bauwesen W. Behrens) an Sekretariat der DWK, Denkschrift zur Förderung der Einschaltung der freischaffenden Architekten im Lande Sachsen, Chemnitz, 28.08.1949.

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bauten, ausgeschaltet. Mit einer ähnlichen Beschwerde wandte sich einige Monate später auch die Gewerkschaftssektion innerhalb des FDGB an das MfA. Darin hieß es: „Der frühere Standpunkt, dass neben diesen volkseigenen Projektierungsbüros noch die anerkannten freischaffenden Architekten tätig sein würden, wurde verlassen und gefordert, dass sämtliche Projektierungsarbeiten allein den volkseigenen Projektierungsbüros zufallen müssen [...] Mit besonderem Nachdruck ist den neuerdings ebenfalls zutage tretenden Bestrebungen entgegen zu treten, wonach nicht nur die Arbeiten für den Investitionsplan, sondern auch alle anderen Bauvorhaben der Kontrolle der volkseigenen Projektierungsbüros unterliegen sollen.“69

Die Proteste blieben jedoch weitgehend erfolglos, so dass den freien Architekten nach und nach beinahe alle Arbeitsmöglichkeiten verloren zu gehen drohten. Tatsächlich lebten viele von ihnen bald nur noch von Aufträgen, die sie als Überhang aus den Vorjahren weiter- bzw. zu Ende führen konnten.70 Gegenüber den Fachleuten in den volkseigenen Entwurfsbüros wurden sie zudem finanziell benachteiligt.71 Auch der Entwurf von Lizenzbauten72 stellte bald keine Alternative mehr da, da „für private Aufgaben keine Baustoffe oder solche nur in verschwindend geringem

69 BArch, DH 1/44488 (MfA), Gewerkschaft 17 Kunst und Schrifttum, Sektion Architekten im Schutzverband bildender Künstler, an MfA, HA Bauwesen, Betr.: Tätigkeit der freischaffenden Architekten, Halle, 11.01.1950. 70 „Die im Aufbau-Gesetz verankerten Bestimmungen, wonach für Projektierung und Leitung von Bauvorhaben volkseigener industrieller Betriebe und staatlicher Bauten nur die volkseigenen Planungsbüros in Frage kommen, haben uns freisch. Architekten mehr als schwer betroffen [sic!] [...] Wir sind infolgedessen zur Zeit nur mit der Abrechnung und Fertigstellung weniger alter Bauobjekte beschäftigt“ (ebd., Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Arbeitsgemeinschaft Freischaffender Architekten, an Bolz, Betrifft: Berufstätigkeit der freischaffenden Architekten, Plauen, 21.05.1951, S.1). 71 „Einen Abzug von sogenannten Verwaltungskosten von der Architektengebühr erkennen wir nicht an, da ein Abzug nur erfolgen kann für Leistungen, die das Projektierungsbüro selbst übernimmt“ (ebd., Gewerkschaft 17 Kunst und Schrifttum, Sektion Architekten im Schutzverband bildender Künstler, an MfA, HA Bauwesen, Betr.: Tätigkeit der freischaffenden Architekten, Halle, 11.01.1950). 72 Unter Lizenzbauten sind im Gegensatz zu den öffentlich finanzierten Investitionsbauten kleinere private Bauvorhaben zu verstehen, die vom MfA lizensiert wurden (beispielsweise der private Eigenheimbau, Garagen, kleinere Nebengebäude u.ä.).

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Umfange zur Verfügung“ 73 standen. Benachteiligt wurden die freien Architekten schließlich auch durch die Wettbewerbsordnung. Offiziell forderte man sie im Zuge ihrer Neuordnung vom April 1951 zwar weiterhin zur Teilnahme an Wettbewerben auf.74 Inoffiziell aber wurde beschlossen, dass von nun an keine „allgemeinen, sondern nur begrenzte Wettbewerbe“ ausgeschrieben würden. Zur Begründung hieß es: „Beim Ausschreiben allgemeiner Wettbewerbe würden wir nämlich a) die Architekten in den Volkseigenen Entwurfs- und Projektierungsbüros ausschalten und nur sogenannten ‚freien‘ Architekten die Möglichkeit der Wettbewerbsarbeit geben, weil die in den Projektierungsbüros arbeitenden Kräfte durch die Terminarbeiten gebunden sind, b) [...] die in den Volkseigenen Entwurfs- und Projektierungsbüros tätigen wirklich guten Spezialkräfte nicht kennenlernen, weil sie sich wegen ihrer termingebundenen Arbeit nicht beteiligen können, c) [...] durch die vielen auszuschreibenden allgemeinen Wettbewerbe zu viele Arbeitskräfte an Wettbewerbe binden und keine baureifen Projektunterlagen erhalten.“75

Die berufliche Situation der freischaffenden Architekten verschlechterte sich dementsprechend rapide und mit dramatischen Konsequenzen. Deutlich wurde das u.a. in einem Brief des freien Architekten Max Schnabel an Lothar Bolz, der dem Aufbauminister die existentielle Bedrohlichkeit der Lage ohne jede Beschönigung vor Augen zu führen versuchte. „Wenn man“, so Schnabel, „[...] wiederholt bewiesen hat, dass man als Architekt u. Städtebauer etwas zu sagen hat und nun [wegen fehlender Arbeitsmöglichkeiten, T.Z.] zusehen muss, das richtet, abgesehen, dass man 6 Menschen zu ernähren hat, seelisch zu Grunde.“76 „[D]ass durch die Massnahmen der Planungsbüros bald Matthäi am letzten“ sei und die „Sorge um das tägliche Brot immer grösser und grösser“ werde, galt somit nicht nur für den Leipziger Architekten Erich Lippmann, der sich mit eben diesen Sorgen und Nöten an Hans Gericke wandte. Von ihm erhoffte er sich dabei „einige Zeilen [...], die mir neuen Mut 73 BArch, DH 1/44488 (MfA), Gewerkschaft 17 Kunst und Schrifttum, Sektion Architekten im Schutzverband bildender Künstler, an MfA, HA Bauwesen, Betr.: Tätigkeit der freischaffenden Architekten, Halle, 11.01.1950. 74 „Zur Meldung [zu den Wettbewerben, T.Z.] aufgerufen werden alle im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor von Berlin wohnenden Architekten und Entwurfsingenieure, die in den Volkseigenen Entwurfs- und Projektierungsbetrieben und in Verwaltungen tätig sind oder die eine selbständige Tätigkeit ausüben“ (ebd., MfA, Konzeption: Architekten. Spezielle Leistungen – Wettbewerbe, Berlin, 23.04.1951). 75 Ebd., MfA, Konzeption: Architekten. Spezielle Leistungen – Wettbewerbe, Berlin, 23.04.1951. 76 Ebd., Schnabel an Bolz, 15.03.1951.

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und neue Schaffensfreude bringen könnten.“77 Lippmann, Mitglied der NDPD, unterrichtete seine Partei allerdings bereits ein knappes halbes Jahr später, dass er und seine Leipziger Kollegen inzwischen ihr „Leben als freischaffende Architekten nicht fristen“78 können. Es stellte also durchaus eine Tatsachenbeschreibung dar, wenn die Gewerkschaftssektion der freien Architekten im FDGB schon Anfang 1950 von einer „wirtschaftlichen Notlage“79 der freien Architekten sprach. Beschlossen wurde jedoch bald auch die Auflösung genau jener Gewerkschaftssektion, die bislang mehr oder weniger erfolgreich versucht hatte, eine weitgehend unabhängige Interessenvertretung der Privatarchitekten zu bleiben.80 Auf Beschluss des FDGB-Bundesvorstandes vom 29.12.1949 wurde sie in der ersten Jahreshälfte 1950 in die innerhalb des FDGB organisierte IG (Industriegewerkschaft) Bau/Holz eingegliedert.81 Das damit verfolgte Ziel lag auf der Hand, wenn auf einer Tagung der Architekten, die nach dem Zusammenschluss im Berliner Haus des FDGB stattfand, der Vorsitzende der IG Bau/Holz davon sprach, „dass die Architekten in der Gewerkschaft Kunst und Schrifttum [...] als Sektion Architekten immer ein Schmerzenskind der Gewerkschaft gewesen sind, weil sie stets eigene Interessen verfolgten und sich der Organisationsdisziplin nicht unterwerfen wollten.“82

77 Ebd., Lippmann an Gericke, 31.05.1951. 78 Ebd., Lippmann an NDPD, HA Personalpolitik, z.Hd. Meier, 29.01.1952. 79 Ebd., Gewerkschaft 17 Kunst und Schrifttum, Sektion Architekten im Schutzverband bildender Künstler, an MfA, HA Bauwesen, Betr.: Tätigkeit der freischaffenden Architekten, Halle, 11.01.1950. 80 So hatte die Sektion Architekten beispielsweise noch am 30. März 1950 in einem Schreiben an Lothar Bolz gefordert: „‚Die volkseigenen Projektbüros und die freischaffenden Architekten sollten sich nicht verständnislos gegenüberstehen, sondern gemeinsam dazu beitragen, dass es zu einem neuen Aufschwung im Bauwesen und damit auch in der Baukunst kommt.‘ [Zitat aus dem Diskussionsbeitrag von Göner, gewählter Vertreter der freischaffenden Architekten auf der Tagung in Schierke, T.Z.] Die Architekten halten es für erforderlich, dass es in aller Kürze zu einer klaren Regelung hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den volkseigenen Projektierungsbüros für das Bauwesen kommt“ (ebd., Gewerkschaft 17 Kunst und Schrifttum, Sektion Architekten im Schutzverband bildender Künstler, an Bolz, Betr.: Entschliessung vom 11.1.1950, Halle, 30.03.1950). 81 Das galt für Architekten ohne „Unternehmereigenschaften“. Unternehmerarchitekten sollten sich dagegen der KdT anschließen. Zum Umbau des FDGB 1949/50 ausführlich Gill, S. 155-158. 82 BArch, DH 1/38883 (MfA), FDGB, IG Bau/Holz, Zentralvorstand, Vorstandssekretariat, Protokoll über die Tagung der Architekten im Hause des FDGB, Berlin, 17.05.1950, S. 5.

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Die IG Bau/Holz hingegen sollte nun nicht mehr dem „Standesanspruch“ der freien Architekten dienen, sondern als Industriegewerkschaft „die Zusammenarbeit der Arbeiterschaft mit der Intelligenz“83 sicherstellen. Vor allem aber scheint es naheliegend, dass mit diesem Schritt das berufspolitische Engagement der freischaffenden Architekten unter Kontrolle gebracht und möglichst rasch unterbunden werden sollte. Dieser sehr offensichtliche Eingriff in ihr Recht auf berufliche Selbstvertretung führte jedoch dazu, dass aus dem bislang eher individuellen Protest stellenweise organisierter Widerstand der freien Architekten wurde. Gerade weil man sich nämlich nach wie vor als eigenständigen Berufsstand begriff, mit der Sektion der Gewerkschaft 17 aber die letzte Interessenvertretung aufgelöst worden war, versuchte man verschiedenste Gruppierungen zu bilden, die eben dieses Vakuum füllen sollten. Beispielhaft sollen hier vor allem die freischaffenden Architekten aus Sachsen in den Blick genommen werden. In Plauen bildete sich etwa eine unter dem Dach des Kulturbundes organisierte Arbeitsgemeinschaft Freischaffender Architekten, die sich im Mai 1951 an Lothar Bolz wandte. Aufmerksam machte man den Aufbauminister auch jetzt insbesondere auf den Widerspruch zwischen offiziellen Verlautbarungen und tatsächlicher Lage der freischaffenden Architekten. Aus Zeitungen sei immer wieder zu erfahren, dass volkseigene Entwurfsbüros berechtigt seien, „20-25% ihrer Aufträge an freisch. [sic!] Architekten zu vergeben oder diese als Subunternehmer zur Mitarbeit heranzuziehen.“ Jedoch habe eine Anfrage bei den Planungsbüros im Raum Plauen ergeben, dass man dort „noch keine Anweisungen in dieser Hinsicht in der Hand“84 habe. Als schließlich Anfang November 1951 auch in Leipzig ein Arbeitskreis Freischaffender Architekten im Kulturbund gegründet wurde, hatte offensichtlich ein Strategiewechsel innerhalb der freien Architektenschaft stattgefunden. 85 Bislang war – in den Briefen von Privatarchitekten sowie den Schriftstücken der Gewerkschaftssektion und des Plauener Arbeitskreises – meist in eher allgemeiner Form darauf hingewiesen worden, dass auch die freien Architekten am Aufbau des neuen Staates und an der Erfüllung des Fünfjahrplanes teilhaben wollten. Nun aber hieß

83 Ebd., S. 1. 84 BArch, DH 1/44488 (MfA), Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Arbeitsgemeinschaft Freischaffender Architekten, an Bolz, Betrifft: Berufstätigkeit der freischaffenden Architekten, Plauen, 21.05.1951, S. 2. 85 Darin schlossen sich etwa 50 Leipziger Architekten zusammen, die von einem zwölfköpfigen Ausschuss und einer dreiköpfigen Leitung vertreten wurden (vgl. hierzu BArch, DH 1/44488 [MfA], Arbeitskreis Freischaffender Architekten im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Riedel [1. Vorsitzender] an Bolz [Abschrift], Leipzig, 01.11.1951).

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es, dem Arbeitskreis würden „die fortschrittlichsten qualifizierten freischaffenden Architekten angehören.“ Und weiter betonte man: „Die Grundsätze der demokratischen Ordnung, die Regierungsbeschlüsse, die Errungenschaften und Ziele unseres Volkes sind richtunggebend für alle Arbeit [...] Dankbar würden wir es begrüßen, wenn unser ernsthafter Wille zu einer engen Zusammenarbeit mit den einschlägigen Behörden, insbesondere dem Ministerium für Aufbau und der Bauakademie, von Ihnen mit gefördert würde. Wir sind jederzeit bereit, uns an allen Problemen und Fragen, die unsere Deutsche Demokratische Republik zu lösen hat, zu beteiligen und uns tatkräftig mit einzusetzen und bitten das Ministerium für Aufbau über uns zu verfügen.“86

Doch auch ein geradezu demonstrativ bekundeter Wille zu loyaler politischer Zusammenarbeit sollte auf Dauer nicht verhindern, dass das Berufsbild des freischaffenden Architekten im Bauwesen der DDR schon bald kaum noch eine Rolle spielen würde.87 Der Blick auf die freischaffenden Architekten Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre hat vor allem dreierlei verdeutlicht. Zum einen hat er gezeigt, auf welche Weise und mit welchen Mitteln die Vergesellschaftung des Architektenberufs durchgesetzt worden ist und welche weitreichenden, existentielle Fragen einschließenden Konsequenzen daraus resultierten. Zum anderen ist aber auch deutlich geworden, dass sich die freien Architekten bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre hinein als ernstzunehmende und durchaus unbequeme Gruppierung im Bauwesen der DDR behaupten konnten. Schließlich haben die Vorgänge rund um den eher langwierigen Prozess ihrer weitgehenden Ausschaltung gezeigt, dass die Vergesellschaftung und parteipolitische Vereinnahmung des Architektenberufs keineswegs so einfach ,von oben nach unten durchzusetzen war, wie es bei einem bloßen Blick auf politische Strukturen und Leitlinien zunächst vielfach den Anschein hatte. Die politische Führung sah sich vielmehr immer wieder mit dem Berufsethos und professionellen Anspruch selbstbewusster Fachleute konfrontiert, die es in einem langen und mühsamen Prozess sowie mehr oder weniger erfolgreich in die neu geschaffenen Strukturen eines vergesellschafteten Entwurfswesens zu integrieren galt. 86 Ebd. 87 Nach Topftstedt zählte der BdA Ende 1989 noch 85 freischaffende Mitglieder (Topfstedt 2000, S. 19). Während sich die Gesamtzahl der beim BdA registrierten Architekten zwischen 7000 und 8000 bewegte, stellten die freischaffenden Architekten damals also nicht mehr als rund ein Prozent der Architektenschaft. Da Neuzulassungen als freie Architekten darüber hinaus seit den frühen 50er Jahren nicht mehr möglich waren, muss es sich dabei zu großen Teilen um Fachleute der ersten Generation gehandelt haben. Zu diesem Thema außerdem Barth (2001), S. 30.

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Das aber hatte auch zur Folge, dass der volkseigene Entwurf oftmals mehr war als der verlängerte Arm der Baupolitik im Bereich des Entwurfswesens und der Baupraxis, obwohl der Einfluss des Staates und das Korsett politischer Leitlinien hier sicherlich in besonderer Weise spürbar waren. Dieser Aspekt wird im weiteren Verlauf denn auch immer wieder und in unterschiedlichsten Zusammenhängen eine Rolle spielen. I.1.3 Architekten als verantwortliche Einzelakteure (I): Das Beispiel Liebknechts und der Meisterarchitekten Den Gegenpol zur Vergesellschaftung bildete ebenfalls schon in den frühen 50er Jahren ein Prozess der neuerlichen Personalisierung und Verantwortungsübertragung an Einzelakteure. Darin kam zum Ausdruck, dass die Baupolitik auf fachliche ,Rückkopplungsprozesse angewiesen blieb und in Ermangelung professioneller Kenntnisse nur in begrenztem Maße ,von oben nach unten anleiten konnte. Exemplarisch beleuchtet werden soll dies mit einem Blick auf das Bauen der Nationalen Traditionen und damit die die frühen 50er Jahre prägende Architekturdoktrin. Dabei wird sich zeigen, dass die damit verknüpften gestalterischen Ansätze nur in sehr eingeschränktem Maße auf die Baupolitik zurückzuführen waren. Auf sie ging zwar die übergreifende Leitlinie des Sozialistischen Realismus zurück. Deren konkrete gestalterische Ausarbeitung aber wurde erneut zur Aufgabe entsprechend qualifizierter und professionell ausgebildeter Fachleute. Ihnen wurde dabei – wie am Beispiel von Kurt Liebknecht, Hermann Henselmann, Hanns Hopp und Richard Paulick gezeigt werden soll – ein Maß an Verantwortung übertragen, das sie nicht nur zu äußerst einflussreichen Einzelakteuren machte, sondern sie damit verbunden zumindest teilweise von dem eben beschriebenen Prozess einer auf Entindividualisierung, Deprofessionalisierung und Kontrollierbarkeit ausgerichteten Vergesellschaftung abkoppelte.88 Damit stehen sie zu einem frühen Zeitpunkt beispielhaft für ein Phänomen, das die Geschichte des DDR-Architektenberufs ebenfalls in unterschiedlichsten Facetten begleitet hat. Sichtbar wird hier nämlich, wie wichtig die Dimension fachlichen Handelns auch im staatssozialistisch organisierten Bauwesen 88 In der ersten Hälfte der 50er Jahre sollte die Architektenschaft auf diese Weise zudem ideologisch möglichst reibungslos intrumentalisiert werden können. So verweist Alexander Karrasch darauf, dass die parteioffizielle ideologische Erwartungshaltung an die Architekten auch darin bestand, gesellschaftliche Gegebenheiten künstlerisch zu übersetzen (,Widerspiegelungstheorie ) und sich zu Parteilichkeit und zur sozialistischen Erziehung des Volkes zu bekennen (vgl. hierzu Alexander Karrasch, Die ,Nationale Bautradition denken. Architekturideologie und Sozialistischer Realismus in der DDR der Fünfziger Jahre, = ZOOM. Perspektiven der Moderne Bd. 2 (hg. von Christoph Wagner), Berlin 2015, S. 81-87 u. S. 87-89).

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der DDR blieb und welch große Rolle dabei auch die enge Zusammenarbeit von Baupolitik und Fachleuten spielte. Liebknechts Aufstieg zum zentralen Baufunktionär und ,stilistischen Lehrmeister in der SBZ und frühen DDR Kaum ein anderer Architekt war nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich prädestiniert, eine zentrale Funktionärsrolle zu übernehmen, wie der 1905 geborene Kurt Liebknecht.89 So war Liebknecht bereits 1931 in die Sowjetunion gegangen und hatte dort bis zum Kriegsende als Architekt gearbeitet. Auf umfassende Weise war er deswegen durch das dortige Bauen und die dahinterstehenden politischen Vorstellungen geprägt.90 1945 wurde Liebknecht denn auch von höchster Stelle beauftragt, den Wiederaufbau des Bauwesens auf dem Gebiet der SBZ vorzubereiten und schon damals die Grundlagen für eine an der Sowjetunion orientierte Architektursprache zu legen.91 Nach und nach entwickelte sich Liebknecht dabei zur zentralen, zwischen politischer und fachlicher Ebene angesiedelten Autorität in Fragen von Architektur und Städtebau – und erhielt damit eine Verantwortung, aber auch eine Leitbildfunktion, die der auf eine Kollektivierung und vor allem Entindividualisierung des Architektenberufs ausgerichteten Gesamtpolitik radikal widersprach. Denn gemäß der offiziellen Ideologie sollten sich Architektur und Städtebau zukünftig aus Arbeitsgemeinschaften gleichberechtigter Architekten heraus entwickeln, die keine Leitfiguren mehr benötigten, wobei das eigentliche Ziel dabei letztlich in erster Linie die politische Disziplinierung und Kontrolle der Architektenschaft darstellte. Das Problem war jedoch, dass man auf politischer Seite nur wenig konkrete Vorstellungen davon hatte, wie eine neue ,sozialistische Baukunst überhaupt aussehen konnte. 89 Kirchner schreibt Liebknecht eine weniger wichtige Rolle zu (Kirchner, S. 101) und stellt Hermann Henselmann als den zentralen, zwischen politischer und fachlicher Ebene vermittelnden Akteur vor (ebd., S. 104-111). Dass Henselmann eine äußerst wichtige Rolle gespielt hat, ist nicht zu bezweifeln und wird auch im Folgenden dargelegt. Liebknecht als Funktionär sowie Hopp und Paulick als Meisterarchitekten können Henselmann aber – in unterschiedlicher Hinsicht – gleichberechtigt an die Seite gestellt werden. 90 Zu Leben und Arbeit Kurt Liebknechts in den 30er und frühen 40er Jahren ausführlich Durth/Düwel/Gutschow. Dort wird auch geschildert, wie sich Liebknecht in der stalinistischen Sowjetunion und mit dem Ziel einer klaren Distanzierung vom Hitler-Regime zum loyalen „Sowjetmenschen“ (AdK Berlin, 120-01-560 [Nachlass Henselmann], Das Institut für Bauwesen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin von 1947-1950. Eine Betrachtung im Rückspiegel, 1992, S. 19) entwickelte, vor allem aber auch durch seine Mitarbeit im NKFD (Nationalkomitee Freies Deutschland) eine mehr und mehr an nationalen Stilelementen interessierte Baugesinnung entwickelte. 91 Vgl. hierzu Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 62f.

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Genau hier sollte Liebknecht aushelfen und sein in der Sowjetunion erlangtes Wissen seinen Kollegen in der SBZ bzw. DDR vermitteln. Der erste Auftrag erreichte ihn bereits Ende 1946. Damals sollte er „zunächst für 2 Monate nach Berlin“ fahren, „um die Situation kennenzulernen und Schritte für die endgültige Heimkehr vorzubereiten.“92 Dabei konnte er Kontakte zur Führungsspitze der SED auffrischen: „Die kurze Zeit in Berlin war ausgefüllt mit vielen Begegnungen insbesondere mit den Genossen Pieck, Ulbricht und Stoph, wo über die damalige Lage und aktuelle Fragen des Bauwesens gesprochen wurde.“93 Vor allem mit Stoph sollte Liebknecht „Fragen des Bauwesens in der SBZ [...] klären.“94 Er war es schließlich auch, der Liebknecht bat, „Ende Januar vor den Berliner Architekten und Bauingenieuren einen Vortrag über ‚Das Bauen in der SowjetUnion‘ zu halten.“95 Dabei gehörte u.a. auch Hermann Henselmann zu seinen Zuhörern. 96 Dies war gleichzeitig der Beginn einer intensiven Vortragstätigkeit Liebknechts, mit der er ebenfalls umfassenden Einfluss auf das Bauen in der DDR nehmen sollte. Zunächst aber kehrte Liebknecht im Februar 1947 in die Sowjetunion zurück. Ein möglicher Grund mag gewesen sein, dass die Zeit damals noch nicht reif für ein durch und durch nach sowjetischen Prinzipien organisiertes Bauwesen war. Im Vordergrund stand zunächst vielmehr, ein zu offensichtliches Anknüpfen an Vorbilder aus der Sowjetunion zu vermeiden.97 Hermann Henselmann berichtete später allerdings, dass es schon bei diesem frühen Treffen zwischen Liebknecht und Stoph um „die Gründung einer Bauakademie nach Moskauer Muster“98 gegangen sei. Bis es dazu kam, sollte es allerdings noch fast vier Jahre dauern. Ins Leben gerufen wurde im Dezember 1947 stattdessen zunächst das Institut für Bauwesen bei der Akademie der Wissenschaften. Unter der Leitung von Hans Scharoun wurde hier damit begonnen, Konzepte für den Wiederaufbau zu erarbeiten. Zu den Mitarbeitern gehörten u.a. Martin Mächler, Max Taut, Wils Ebert, Hugo Häring und Wilhelm Wagenfeld, womit das Institut eindeutig unter dem Einfluss moderner gestal92 AdK Berlin, AcLbk 33/1 (Nachlass Liebknecht), Maschinengeschriebene Lebenserinnerungen, S. 9. 93 Ebd. 94 AdK Berlin, AcLbk 18 (Nachlass Liebknecht), Deutsche Zentralverwaltung der Industrie in der SBZ, Stoph an Liebknecht, 24.12.1946. 95 Ebd. 96 Hierzu AdK Berlin, AcLbk 33/1 (Nachlass Liebknecht), Maschinengeschriebene Lebenserinnerungen, S. 9. 97 Hierzu ausführlicher Kapitel I.1.2. 98 AdK Berlin, 120-01-560 (Nachlass Henselmann), Das Institut für Bauwesen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin von 1947-1950. Eine Betrachtung im Rückspiegel, 1992, S. 6.

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terischer Vorstellungen stand.99 Sobald sich jedoch die politische Großwetterlage änderte, begann man auch, das Institut für Bauwesen, seine Arbeit und seine Mitarbeiter in Frage zu stellen. Damit verbunden rückte auch Liebknecht, der inzwischen aus der Sowjetunion zurückgekehrt war und am Institut für Bauwesen zunächst einen relativ unscheinbaren Posten als Sekretär erhalten hatte, stärker in den Mittelpunkt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass er von Anfang an die Aufgabe hatte, die zunächst noch offen geführte Diskussion um das zukünftige Erscheinungsbild von Architektur und Städtebau in die von der Sowjetunion sowie von der Parteiführung gewünschte Richtung zu lenken. Deutlich wurde das bereits auf einer Sitzung der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Wissenschaften, die im April 1949 stattfand. Offensichtlich stand schon damals die Forderung im Raum, das Bauwesen stärker am sowjetischen Vorbild auszurichten, denn Landschaftsarchitekt Reinhold Lingner mahnte zunächst: „Wir wollen uns erstmal mit den Dingen auseinandersetzen, da wir ganz andere Gesetzmässigkeiten haben. Wir können nicht die Dinge übernehmen, wie sie in Russland gemacht werden. Darin liegt die Gefahr.“100 In einem anderen Diskussionsbeitrag hieß es auf die Sowjetunion bezogen: „Wir verstehen immer noch nicht, was dort vor sich geht. Wenn man länger dort lebt, kann man diese grundsätzlichen Dinge bildlich darstellen und dann kann man konkrete Vorschläge weitergeben.“101 Damit war das Stichwort für Liebknecht gefallen, der im Folgenden die Aufgabe übernahm, das, „was dort vor sich geht“, vor dem Hintergrund seiner langjährigen Arbeit in der Sowjetunion zu schildern. Hier zeigte sich erstmals, wie zentral Liebknecht sowohl für die Architekten als auch für die Parteiführung war. Denn seinen deutschen Kollegen war er im Wissen um die sowjetische Ausgestaltung des Sozialistischen Realismus voraus, während die Parteikader nur eine allgemeine, aus der Anschauung abgeleitete Vorstellung vom gewünschten stilistischen Leitbild hatten. Sie benötigten also den ausgebildeten Architekten und Fachmann Liebknecht, um ihre Wünsche möglichst bald in tatsächlich gebaute Architektur umsetzen zu können. Niemand anderes als Liebknecht war es, der schon auf dieser Sitzung definierte, was den Architekten erst ein gutes Jahr später als Grundsatz des Bauens der Nationalen Traditionen eingeschärft wurde. Die fortschrittlichsten Architekten in der Sowjetunion seien die, die „durch geistige Verarbeitung der besten vergangenen Stilepochen zu neuem Ausdruck kommen.“102 Dabei sei es „‚Aufgabe der Architekten, alles, was uns rückläufig beeinflussen kann, auszuschalten und nur das Fortschrittliche auszunutzen. Der sozialistische 99

Hierzu u.a. Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 90-110; zur Rezeption der Architekturmoderne in den Planungen der SBZ-Zeit ausführlich Butter.

100 AdK Berlin, AcLbk 33/2 (Nachlass Liebknecht), Protokoll: Sitzung der Sektion Bildende Kunst, 25.04.1949, S. 5. 101 Ebd. 102 Ebd., S. 6.

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Realismus ist kein Stil, sondern eine schöpferische Methode. Er macht das Nebeneinanderbestehen einer ganzen Reihe schöpferischer Strömungen möglich.‘“ 103 Liebknecht signalisierte hier also, dass er sich als Architekt zur Verfügung stellen und auch das notwendige Wissen mitbringen würde, um eine am Vorbild der Sowjetunion orientierte Ästhetik zunächst zu entwickeln und im Anschluss auch durchzusetzen. Damit wurde der Einzelakteur Liebknecht für die Parteiführung und für Moskau zum wesentlich vielversprechenderen Partner als das Institut für Bauwesen unter der Leitung Scharouns, das seine Arbeit nach wie vor fortsetzte und Planungen für einen am Ideal der Stadtlandschaft orientierten Wiederaufbau im Bereich der Frankfurter Allee vorlegte. Unmittelbar nach der Staatsgründung am 07. Oktober 1949 schuf man deswegen auch gleich drei neue staatliche Institutionen, die der Einrichtung Scharouns Konkurrenz machen sollten: Das MfA, das Institut für Städtebau und Wohnungsbau und das Entwurfsinstitut. Kein Zufall war es dabei, dass Liebknecht Direktor zweier dieser Einrichtungen, nämlich des Instituts für Städtebau und Wohnungsbau und des Entwurfsinstituts wurde. Damit wurde er beinahe über Nacht zur fachlich einflussreichsten Figur in Architektur und Städtebau (Abb. 2).104 Mit dem Institut für Städtebau und Wohnungsbau leitete Liebknecht nämlich die Vorgängerinstitution der späteren DBA und hatte somit wesentlichen Anteil an der Ausarbeitung aller Leitlinien und Rahmenbedingungen des Bauwesens. Gleichzeitig leitete er mit dem Entwurfsinstitut darüber hinaus jenes Büro, das für die Umsetzung dieser Leitlinien 103 Ebd., S. 7. Liebknecht zitiert hier einen namentlich nicht näher bezeichneten Architekturprofessor aus der Sowjetunion. 104 Dennoch war er natürlich abhängig von den Vorgaben der Staats- und Parteiführung sowie des MfA. Doch auch auf dieser Ebene war Liebknecht, dank seiner inzwischen intensiven Kontakte zu führenden Köpfen des Parteiapparats, nicht ohne Einfluss. Seine leitenden Funktionen brachten es zudem mit sich, dass diese Kontakte immer enger wurden. Viele von ihnen bestanden aber schon seit Liebknechts Tätigkeit für das NKFD. Zentrale Ansprechpartner, offensichtlich aber auch Freunde, waren für Liebknecht u.a. Staatspräsident Wilhelm Pieck, der sich auch für Liebknechts Eltern einsetzte (s. hierzu AdK Berlin, AcLbk 17 [Nachlass Liebknecht], Pieck an Liebknecht, 15.10.1951), Lothar Bolz, zu dem er auch nach dessen Ernennung zum Minister für Auswärtige Angelegenheiten Kontakt hielt (s. hierzu etwa AdK Berlin, AcLbk 33/2 [Nachlass Liebknecht], Bolz an Liebknecht, 09.07.1954), Gerhard Trölitzsch, der ihm noch 1985 ein Gutachten zu seiner Autobiographie erstellte und regelmäßige Urlaubsgrüße schickte (s. AdK Berlin, AcLbk 37 [Nachlass Liebknecht], Gutachten und Urlaubsgrüße Trölitzsch, 12.08.1985, sowie 1985 und 1988) und Lotte Ulbricht, die ihm 1953 ein Foto schickte, das sie und Liebknecht bei einem gemeinsamen Winterausflug zeigt (s. hierzu AdK Berlin, AcLbk 14 [Nachlass Liebknecht], Lotte Ulbricht an Liebknecht, 06.05.1953).

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in die Praxis zuständig war. Nahezu alle zentralen, finanziell und gestalterisch aufwändigen Bauvorhaben wurden so Liebknechts Aufsicht unterstellt. Andere Planungseinrichtungen – wie etwa die neu gegründeten volkseigenen Entwurfsbüros oder aber auch der Planungsrat Groß-Berlin, in dem einige der später einflussreichen Architekten arbeiteten 105 – wurden von Liebknechts Abteilungen angeleitet und in vielen Fällen auch kontrolliert. 1949/50 übte Liebknecht also eine Macht aus, wie sie kein anderer Architekt in der DDR zu diesem Zeitpunkt hatte. Im Gegenteil: Alle Bemühungen des Staates waren ja darauf ausgerichtet gewesen, die Architektenschaft durch die Vergesellschaftung des Berufsbildes einer systematischen politischen Kontrolle zu unterwerfen. Spätestens jetzt wurde also sichtbar, was sich in den nächsten drei Jahren noch verstärken sollte: Auf der einen Seite sollte der individuelle Architekt durch Kollektivierung in der breiten Masse aufgehen und als einzelner Planer obsolet werden. Auf der anderen Seite aber musste auch diese Masse durch fachlich versierte Einzelpersonen angeleitet und zu einem an den Vorstellungen der politischen Führung orientierten Handeln befähigt werden. Zu den Aufgaben Liebknechts gehörte es im Folgenden denn auch, die Wünsche, die Bolz auf einer Besprechung mit Otto Grotewohl im November 1949 äußerte, nach und nach in die Tat umzusetzen. So sprach sich der Minister für Aufbau schon damals „für eine Architektur aus, die sich am Vorbild Moskaus orientiert und damit verbunden für eine Reise nach Moskau sowie für eine Einladung sowjetischer … Architekten nach Berlin. Darüber hinaus schlägt er, auf der Basis dieser Erfahrungen, die Erarbeitung von Grundsätzen des Städtebaus und der Architektur vor und wendet sich gegen die Planungen Scharouns für die Wohnzelle Friedrichshain.“106

Liebknecht organisierte daraufhin im Frühjahr 1950 die berühmt gewordene Moskau-Reise, die zur Grundlage für die am 27. Juli vom Ministerrat verabschiedeten 16 Grundsätze des Städtebaus und das Anfang September beschlossene Aufbaugesetz wurde.107 105 Hierzu genauer BArch, DH 1/44476 (MfA), Wiederaufbauplanung Berlin 1949-1951, Arbeitsfolge für die Planung, o.D. (vermutlich November 1949). Dem Planungsrat gehörten u.a. Hermann Henselmann und Hanns Hopp an. Auch Hans Scharoun, der OstBerlin bald verlassen sollte, war Mitglied des Planungsrates und unterstand somit nunmehr Liebknechts Kontrolle. 106 Ebd., Wiederaufbauplanung Berlin 1949-1951, Aktennotiz Bolz: Besprechung beim Ministerpräsidenten, 18.11.1949. 107 Hierzu ausführlich vor allem Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Hg.), „Reise nach Moskau“. Dokumente zur Erklärung von Motiven, Entscheidungs-

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Neben der Tatsache, dass diese Reise deutlich machte, wie zentral für Architektur und Städtebau der DDR das Moskauer Vorbild sein würde, ist vor allem eines besonders interessant. Mit Ausnahme von Kurt W. Leucht war unter den sechs Reiseteilnehmern niemand, der als Architekt konkrete Pläne für ein Bauen der Nationalen Traditionen ausarbeiten würde. Waldemar Alder war zwar ausgebildeter Architekt und hatte Anfang der 1930er Jahre sein Bauhausdiplom gemacht.108 Zum Zeitpunkt der Moskau-Reise war er aber Abteilungsleiter bzw. Technischer Leiter im Ministerium für Industrie und wurde später Direktor verschiedener Entwurfsbüros für Industriebau.109 Damit war er also in einem Bereich tätig, der sich nur sehr eingeschränkt am Bauen der Nationalen Traditionen zu orientieren hatte, war diese Leitlinie doch vor allem für den Repräsentations- und Wohnungsbau vorgesehen. Ähnliches galt für Edmund Collein110, der im Hauptamt für Stadtplanung des Berliner Magistrats ausschließlich für städtebauliche Fragen zuständig war. 111 Lothar Bolz und Walter Pisternik reisten ohnehin als reine Regierungsvertreter mit, Bolz in seiner Funktion als Minister für Aufbau, Pisternik als Leiter der HA Städtebau und Architektur des MfA. Bolz war zudem ausgebildeter Jurist und Kunsthistoriker, Pisternik hatte lediglich eine abgebrochene Lehre als Maurer vorzuweisen und in verschiedenen Bauunternehmen gearbeitet.112 Planerisch waren die beiden also in keiner Weise qualifiziert. Problematisch an der Moskau-Reise war also, dass außer Leucht niemand die in der Sowjetunion gewonnenen Eindrücke aus erster Hand in gebaute Architektur umsetzen konnte. Diese Schwierigkeiten erkannte man aber strukturen und Umsetzungskonflikten für den ersten städtebaulichen Paradigmenwechsel in der DDR und zum Umfeld des „Aufbaugesetzes“ von 1950, = REGIOdoc. Dokumentenreihe des IRS Nr. 1, Berlin 1995; außerdem u.a. Düwel; Durth/Düwel/ Gutschow, Bd. 1, S. 162-173 u. S. 244; Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 84-89. 108 Hierzu IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 39/5046 (Waldemar Alder). 109 Zunächst war er Direktor des Entwurfsbüros für Industriebau Berlin II und danach des Entwurfsbüros für Industriebau Halle (vgl. hierzu ebd.). 110 Auch Edmund Collein war an der TH Darmstadt und am Bauhaus ausgebildet worden, wo er 1930 auch diplomierte (hierzu IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 01/0090 [Edmund Collein]). 111 Geklärt werden musste jedoch vor allem, was das Bauen der Nationalen Traditionen für die Gebäudegestaltung bedeuten sollte. 112 Seine Ausbildung hatte Pisternik an der Baugewerkschule Berlin begonnen und sich später, parallel zu seinem Beruf, vor allem gewerkschaftlich bzw. politisch engagiert. So war er von 1925-33 Mitglied im Deutschen Baugewerksbund, wo er Jugendleiter und Redakteur für fachliches Fortbildungsmaterial war. Nach dem Krieg arbeitete er von 1947-48 für die Bauzeitung des Verlag freie Wirtschaft und war 1948/49 2. Vorsitzender der IG Bau/Holz (hierzu IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 06/0513 [Walter Pisternik]).

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erst einige Monate später. Bis dahin hoffte man offenbar zunächst, dass die ,Regierungsdelegation, wie man die Moskau-Reisenden auch nannte, der gesamten Architektenschaft das Leitbild des Sozialistischen Realismus vermitteln würde. Das aber stärkte vor allem die Position und den Einfluss von Kurt Liebknecht, der als Organisator ebenfalls an der Moskau-Reise teilgenommen hatte. Neben Lothar Bolz fokussierte sich im Sommer 1950 zunächst die gesamte Aufmerksamkeit auf ihn. Dadurch konnte er die herausgehobene Stellung, die er spätestens seit 1949 genoss, weiter ausbauen. Möglich war das vor allem, weil Praktiker wie Leucht und Collein wesentlich mehr Zeit brauchten, um konkrete, am Sozialistischen Realismus orientierte Projekte zu erarbeiten, während Baupolitiker wie Bolz und Pisternik ohnehin auf die Vorschläge der Fachleute warteten. Der gewünschten Entindividualisierung des Architektenberufs auf der einen Seite stand also in Liebknechts Fall auch weiterhin der stetig zunehmende Einfluss eines Einzelakteurs gegenüber. Dementsprechend selbstbewusst trat Liebknecht gegenüber Fachkollegen auf, beispielsweise im Rahmen eines Vortrags über „Fragen der Architektur“ am 19. Juni 1950.113 Als „Staatsmann“, der „von den Ideen unserer demokratischen Ordnung erfüllt sein“ müsse, „wenn er in seinen Bauten diesen Ideen zum Ausdruck verhelfen will“, könne der Architekt „nicht unpolitisch sein.“ Vielmehr helfe er „dem, für den er plant und baut, das heisst er identifiziert sich mit der Politik seines Bauherrn.“ Damit skizzierte Liebknecht nicht nur das von nun an immer wichtiger werdende Verständnis einer auf der loyalen Zusammenarbeit mit Staat und Partei beruhenden Architektentätigkeit. Vielmehr nutzte er seine Position auch, um festzulegen, was genau die Politik des Bauherrn für die Gestalt von Architektur und Städtebau bedeuten sollte. Demnach müsse der Architekt „in erster Linie [...] die Tradition in der Kunst und der Architektur des eigenen [Hervorhebung im Original, T.Z.] Volkes kennen.“ Denn „nur bei sorgfältiger Aneignung dieses kulturellen Erbes wird die Sprache des Architekten für sein Volk verständlich sein.“ Liebknechts Anspruch, die Deutungshoheit zu besitzen, ging aber noch weiter. So legte er gleich fest, welchen Teil des kulturellen Erbes sich die Architekten zum Vorbild nehmen sollten: „Die letzte Architektur-Epoche, deren Bauwerke eine starke künstlerische Idee trugen, die aber ebenso ihre Nutzfunktion erfüllten, war der Klassizismus. Er erreichte in allen Ländern Europas, darunter auch in Deutschland, eine hohe künstlerische Stufe.“

Damit machte Liebknecht nichts anderes, als die gestalterischen Möglichkeiten und Grenzen der DDR-Architektur in der ersten Hälfte der 50er Jahre zu benennen. In113 BArch, DH 1/44477, Vortrag Liebknecht: Fragen der Architektur, gehalten auf der Arbeitstagung mit freien Architekten, 19.06.1950. Alle nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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dem er den Klassizismus zur letzten gültigen Architekturepoche erhob, schuf er die theoretische Voraussetzung für eine durchaus DDR-eigene Form des Sozialistischen Realismus, die sich nicht sklavisch am Moskauer Vorbild orientierte, sondern dieses Vorbild mit dem Bauen der Nationalen Traditionen in eigenständiger Weise weiterentwickelte. Alles, was nach dem Klassizismus kam, war für Liebknecht tabu. Alles, was vorher gewesen war, stellte aber einen möglichen Anknüpfungspunkt dar. Es war also auch Liebknecht, der die Voraussetzungen dafür schuf, dass in Rostock nach gotischem und in Dresden nach barockem Vorbild gebaut werden sollte. Dieser regionale Stilpluralismus war es auch, den Liebknecht gegenüber seinen Architektenkollegen als gestalterischen Handlungsspielraum kommunizierte: „Ich sagte, die sowjetischen Architekten gehen ihren Weg, das heisst, sie gehen den Weg, der ihren Gegebenheiten, ihren [Hervorhebungen im Original, T.Z.] Traditionen entspricht. Es wäre geradezu ein Unsinn, und darauf haben uns unsere sowjetischen Kollegen immer wieder hingewiesen, alles das, was wir in der Sowjetunion gesehen und gehört haben, mechanisch auf unsere Verhältnisse übertragen zu wollen.“

Schon in den Wochen zuvor hatte sich aber angedeutet, dass gerade diese DDRspezifische Interpretation eines sozialistisch-realistischen Bauens eine große Herausforderung darstellen würde. Nach stalinistischer Manier ließ Liebknecht denn auch verlauten: „Wir müssen viel diskutieren, denn wir sind der Meinung, dass nur durch solche Diskussionen mit einer wirklich kritisch[en, T.Z.] und sachlichen Stellungnahme viele unserer Kollegen erst zum Nachdenken veranlasst werden und ihre Meinungen revidieren können.“

Liebknechts Vorstellung war also offenbar, dass seine Auffassung von Architektur und Städtebau mittels einer Diskussion, in der es nicht um den Austausch von Argumenten, sondern um die Durchsetzung seiner Ansichten ,von oben nach unten ging, von der gesamten Architektenschaft übernommen würde. Diese Rechnung hatte er allerdings ohne seine Kollegen, ihre beruflichen Überzeugungen und ihre fachlichen Interessen gemacht. Das war bereits auf einer ,Aussprache der MoskauReisenden mit der Architektenschaft Anfang Juni 1950114 deutlich geworden und sollte die Arbeit von nun an beinahe ein ganzes Jahr bestimmen. Liebknecht ging allerdings auch aus diesen Debatten gestärkt hervor und wurde als offiziell legitimierte Leitfigur immer wichtiger.

114 Hierzu ausführlich Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 164-168.

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Die „Erläuterung der 16 Grundsätze“: Beginn der Berufung weiterer Leitkader Nachdem die so genannte ,Regierungsdelegation aus Moskau zurückgekehrt war, fand am 03. Juni 1950 in Berlin zunächst die bereits kurz erwähnte Aussprache mit den Architekten statt. Erst jetzt begann man also damit, die Architekten und damit diejenigen, die die eigentliche Planungskompetenz besaßen, an den Diskussionen um die DDR-spezifische Ausprägung einer sozialistisch-realistischen Architektursprache zu beteiligen. Schon oft ist herausgearbeitet worden, wie sehr man damals aneinander vorbeiredete.115 Letztlich war Hermann Henselmann der einzige Architekt, der unmissverständlich unterstrich, dass er sich an der Entwicklung eines Bauens der Nationalen Traditionen beteiligen wollte. Sein mehr als konfuser Redebeitrag spiegelte dabei vor allem zwei Dinge wider: Auf der einen Seite zeigte er, wie unkonkret die Vorstellungen von einem Bauen der Nationalen Traditionen nach wie vor waren. Denn minutenlang stellte Henselmann wenig konzise Überlegungen dazu an, was denn nun „national in der Form“ bzw. „demokratisch dem Inhalt nach“116 in architektonischer Hinsicht bedeuten könnte. Auf der anderen Seite war hier zum ersten Mal der Taktiker Henselmann zu erleben, der bis zu seiner Pensionierung Anfang der 70er Jahre immer wieder von früheren gestalterischen Überzeugungen abrücken sollte, wenn er dafür die Garantie erhielt, in vorderster Reihe als Architekt arbeiten zu können. Alle anderen Architekten, die an der „Diskussion“ teilnahmen, waren aber wesentlich weniger konziliant. Hanns Hopp kritisierte beispielsweise „die allzu starke Betonung des nationalen Gesichts“ 117 . Noch weiter 115 Vgl. ebd. 116 Einige beispielhafte Auszüge: „National in der Form. Das ist nun ein Kapitel. Ich leugne es nicht, wenn jetzt gesprochen wird von Typisierung und Normierung in der Form, das heißt: Was ist eigentlich unsere Tradition? Die Ausführungen des Herrn Minister Dr. Bolz gaben einige Anregungen, nämlich diese Tradition nochmals zu analysieren. Wir haben uns unsere Wunden aufgerissen. Aber wir haben auch Traditionen, auf die wir stolz sein können [...] Nun weiter. Jetzt aber Tradition. Zweifellos gehören zu unserer Tradition Kollwitz, Franz Mark [sic!], Grobius [sic!] usw. Es ist ganz klar, dass hier fortschrittliche und rückschrittliche Elemente miteinander in Widerspruch liegen. Es ist klar, dass wir nicht so arbeiten wie Kolbe [...] Nun kommt hinzu das neue Material. Wir haben Beton, Stahl und haben infolgedessen neue Mittel und Möglichkeiten. Das war gerade der Impuls für unsere fortschrittliche Architektur. Aber jetzt fehlte dieser sachliche Inhalt dieser Idee. Jetzt scheint es notwendig, diesen Wandel in der Architekturauffassung deutlich zu erarbeiten. Die neue Methodik, die neuen Materialien, die neuen Produktionsverhältnisse und die sittliche Idee [...]“ (BArch, DH 1/44475 [MfA], Tagungsprotokoll 02./03.06.1950, Erläuterung der 16 Grundsätze, Diskussionsbeitrag Henselmann, S. 3f.). 117 Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 165.

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ging Richard Paulick. Das Türmchen eines Moskauer Hotelneubaus bezeichnete er als „feudalistische Narrenkappe“ und als „Kitsch“ 118. Sehr deutlich machten die Architekten auch, dass sie die grundsätzliche Ablehnung des Bauhauses nicht akzeptierten. Paulick etwa mahnte, „dass man die Architektur in ihrer historischen Rolle verstehen soll. Ebenso die Stellung [...] von Gropius, Mai [sic!], Meier, die damals eine Rolle spielten.“119 Hanns Hopp meinte sogar, „dass Herr Dr. Bolz [...] vom Bauhaus zu viel verlangt hat.“ Denn das Bauhaus habe „die historische Aufgabe gehabt, die Last abzuräumen.“120 Deutlich wurde also auch, dass auf dieser Tagung zwei völlig unterschiedliche Auffassungen vom Architektenberuf aufeinander prallten. Auf der einen Seite standen Lothar Bolz als Regierungsvertreter und Kurt Liebknecht als Architekt für die Vorstellung, dass in einem nach dem Prinzip des ,demokratischen Zentralismus organisierten Staat auch die Baupolitik ,von oben nach unten durchgesetzt werden kann. Liebknecht sollte dabei Leitfigur und gewissermaßen auch Chef des gesamten Architektenkollektivs sein, das in den unter seiner Kontrolle arbeitenden Entwurfsbüros tätig war. Teile der Architektenschaft aber wollten sich damit auf der anderen Seite zunächst nicht abfinden und versuchten, sich eine gewisse professionelle und fachliche Eigenständigkeit zu bewahren. Entsprechend harsch waren denn auch die Zurechtweisungen von Lothar Bolz und Kurt Liebknecht. Mit Ausnahme von Hermann Henselmann wurden alle Architekten mit rüden Worten abgemahnt und teilweise regelrecht beschimpft. 121 Die Folge war, dass einige von ihnen – wie etwa Richard Paulick, aber auch Hanns Hopp – Bereitschaft zum Einlenken signalisierten. So sprach Paulick im Anschluss an Bolz Tirade beispielsweise von einem „bedauerliche[n] Irrtum“, und auch Hopp glaubte, dass man ihn „missverstanden“122 habe. Beide machten aber trotzdem deutlich, dass sie (noch) nicht bereit waren, von ihren grundsätzlichen Positionen abzurücken. Dennoch hatte sich für Bolz und Liebknecht nach der Aussprache ein Kreis von Architekten herauskristallisiert, mit dem eine engere und Erfolg versprechende Zusammenarbeit möglich sein könnte. So setzte in den kommenden rund zwölf Monaten eine Entwicklung ein, die der angestrebten umfassenden Vergesellschaftung des Architektenberufs und der offiziell gewünschten Entpersonalisierung des Entwurfs erneut völlig zuwiderlief. Als Leitfigur und Organisator begann Liebknecht damit, an einen kleinen Kreis von Architekten Leitfunktionen und Führungsaufgaben zu delegieren. Als so genannte Meisterarchitekten wurden sie dabei 118 Ebd., S. 167. 119 BArch, DH 1/44475 (MfA), Tagungsprotokoll 02./03.06.1950, Erläuterung der 16 Grundsätze. 120 Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 166. 121 Vgl. hierzu ebd., S. 167ff. 122 BArch, DH 1/44475 (MfA), Tagungsprotokoll 02./03.06.1950, Erläuterung der 16 Grundsätze.

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aus der breiten Masse der Architektenschaft herausgehoben und – was noch wichtiger und entscheidender war – von der parallel weiterlaufenden Vergesellschaftung des Berufsbildes in Form der volkseigenen Entwurfsbüros abgekoppelt. Bis zum Sommer 1953, aber auch, wie sich zeigen wird, bis zum Ende der DDR, blieb die Entwurfsarbeit entgegen der auf Entpersonalisierung ausgerichteten politischen Vorstellungen also personalisiert  auf unterschiedliche Art und Weise sowie in verschiedener Intensität, aber dennoch dauerhaft. Doch der Reihe nach. Bereits seit der „Erläuterung der 16 Grundsätze“ waren Hermann Henselmann, Hanns Hopp und Richard Paulick aus der DDR-Architektur der frühen Ulbricht-Jahre nicht mehr wegzudenken. Schon als das MfA im Oktober 1950 erste interne Überlegungen zur personellen Zusammensetzung der DBA anstellte, waren Henselmann und Hopp als Mitglieder vorgesehen.123 Daneben gehörten sie inzwischen bereits dem so genannten Architektenkollektiv an, in dem Liebknecht ebenfalls vertreten war. Hier sollten mit „Vorträgen [...] entsprechend den Forderungen unserer Partei bestimmte grundsätzliche Fragen geklärt werden; u.a. müssen die 16 Grundsätze des Städtebaues vertieft und ergänzt“ sowie „auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus [...] Kernfragen der Architektur“124 geklärt werden. Vorgesehen war dabei u.a., dass Hermann Henselmann und Hanns Hopp ihre ersten, dem Bauen der Nationalen Traditionen verpflichteten Entwürfe mit dem gesamten Kollektiv diskutieren sollten. 125 Dennoch wurde Bolz und Liebknecht immer wieder deutlich, dass es noch einiger Anstrengungen bedurfte, um Henselmann, Hopp und Paulick auf einen nach außen hin linientreuen Kurs zu verpflichten und ihnen auf längere Sicht eine zentrale Rolle in Architektur und Städtebau der DDR zuweisen zu können. Auch dabei sollte erneut Kurt Liebknecht die Fäden ziehen. Einer der ersten Schritte, die Liebknecht Anfang 1951 einleitete, war eine groß angelegte Pressekampagne in der von der SED herausgegebenen Tageszeitung ND (Neues Deutschland). Liebknecht nahm dabei einen Ball auf, der ihm von sowjetischer Seite zugespielt worden war. Nur wenige Tage zuvor war in der Täglichen Rundschau, einer von der Roten Armee herausgegebenen deutschsprachigen Zeitung, ein inzwischen berühmt gewordener Artikel unter der Überschrift „Wege und Irrwege in der mo-

123 Am 10.10.1950 hatte Bolz Personalakten angefordert, um festzulegen, wer zu Ordentlichen bzw. Korrespondierenden Mitgliedern der Bauakademie ernannt werden sollte. U.a. waren damals auch noch die Akten von Heinrich Tessenow und Hans Scharoun dabei (hierzu BArch, DH 1/44497 [MfA], Aktennotiz Bolz, 10.10.1950). 124 BArch, DH 1/44488 (MfA), Protokoll: Sitzung des Architektenkollektivs, 16.11.1950. 125 Diese „Diskussionen am Modell“ mit Hopps Entwurf für die Leipziger Oper und Henselmanns Planungen für die Hochhäuser am Strausberger Platz sollten am 30.11.1950 stattfinden (hierzu ebd.).

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dernen Kunst“ 126 erschienen. Verfasst worden war er unter dem Pseudonym N. Orlow von Wladimir Semjonow, einem Mitglied der Sowjetischen Kontrollkommission. Den Grundgedanken des Artikels, der sich gegen eine nicht-realistische moderne Kunst richtete, übertrug Liebknecht am 13. Februar 1951 auf den Bereich der Architektur. Unter dem Titel „Im Kampf um eine neue deutsche Architektur“127 behauptete Liebknecht, dass „anglo-amerikanische[…] Luftpiraten“128 für die Zerstörung deutscher Kulturgüter verantwortlich gewesen seien und nun mit dem „Formalismus“ eine zweite Welle der Amerikanisierung über Deutschland hereinbreche, die die endgültige Auslöschung der nationalen Kultur zur Folge habe. 129 Abschließend machte Liebknecht erneut deutlich, dass es für die DDR nur den einen „anderen Weg in der Architektur“ gebe, nämlich den, den „die sowjetischen Architekten beschritten“130 hätten. Damit hatte Liebknecht ein Szenario gemalt, das einerseits an die Emotionen der Menschen appellierte, andererseits aber auch geeignet war, um wirkungsvoll die „formalistischen Tendenzen“ unter den Architekten anzuprangern. Namentlich nannte er neben Hanns Hopp und Hermann Henselmann auch Franz Ehrlich131, Mart Stam132 und Selman Selmanagic.133 Ein herber Rückschlag muss für Liebknecht deswegen der 1. Diskussionsabend im Haus des Kulturbundes134 am 19. April 1951 gewesen sein. Hermann Henselmann hielt hier einen Vortrag über das Bauhaus. Anpassungswillig entsprach er dabei offensichtlich ganz den Erwartungen Liebknechts. Denn der einzig positive As126 Wiederabgedruckt in Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 138f. 127 Wiederabgedruckt in ebd., S. 140f. 128 Ebd., S. 141. 129 „,Diese ,Kunstauffassung wird besonders von den westlichen Ländern und in erster Linie von den USA genährt. Diese Kunstauffassung verspottet die aus dem Volke gewachsene nationale Kultur und Kunst, die nationalen Traditionen, versucht eine ,Weltkunst zu schaffen, um die Völker ihres nationalen Bewußtseins zu berauben und sie so den Weltherrschaftsplänen des amerikanischen Imperialismus gefügig zu machen “ (ebd., S. 140). 130 Ebd., S. 141. 131 Zu Franz Ehrlich u.a. ausführlicher Knigge/Fleischmann. Ehrlich war in der ersten Hälfte der 50er Jahre u.a. mit den Planungen zum Rundfunkzentrum Nalepastraße in Berlin beschäftigt. 132 Zu Mart Stam u.a. Simone Hain, „,…spezifisch reformistisch bauhausartig… . Mart Stam in der DDR“, in: Form und Zweck 4-5/1992, S. 67-73; Simone Rümmele, Mart Stam, Zürich/München 1991. 133 Zu Selmanagic ausführlicher Kapitel I.2.4. 134 BArch, DH 1/44488, Protokoll: 1. Diskussionsabend im Haus des Kulturbundes mit Vortrag Henselmann zum Thema: Das Bauhaus, 21.04.1951. Alle nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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pekt am Bauhaus sei aus seiner Sicht gewesen, dass es „subjektiv fortschrittlich, objektiv aber reaktionär gewesen“ sei. Bereits diese Randbemerkung löste bei Aufbauminister Lothar Bolz jedoch völliges Unverständnis aus. Noch viel interessanter aber waren die Reaktionen der anderen anwesenden Architekten auf Henselmanns politisch ansonsten völlig linientreuen Vortrag. Augenscheinlich ungewollt hatte dieser mit seinen Äußerungen so eine der letzten, öffentlich ausgetragenen und offensichtlich nicht gelenkten Diskussionen der frühen 50er Jahre um die Zukunft von Architektur und Städtebau ausgelöst. Im Laufe des Abends wurde dabei mehr als deutlich, dass sich die versammelten Architekten nach wie vor als eigenständige Fachleute begriffen, die sich nicht ohne weiteres durch ,von oben legitimierte Leitfiguren wie Kurt Liebknecht sagen ließen, was sie zu tun und zu lassen oder wie sie das Bauhaus zu bewerten hatten. Den Anfang machte Reinhold Lingner, der vorsichtig nachfragte, „ob denn nicht auch die positiven Seiten des Bauhauses eine Würdigung verdienten“. Hanns Hopp war danach der erste, der Henselmanns Vortrag scharf angriff und als „undialektisch“ bezeichnete. Selbstbewusst stellte er seine Sichtweise entgegen. So wurde im Protokoll vermerkt: „Herr Prof. Hopp zeigt in einem geschichtlichen Rückblick die Entwicklung der Baukunst auf und erklärt abschließend, wie die Architekten des Bauhauses diesen ‚Reinigungsprozeß‘ [der Architektur, T.Z.] vollzogen haben.“ Selman Selmanagic plädierte für eine liberalere Grundhaltung, indem er forderte, „man müsse 1951 erst einmal jeden in seinem Stil bauen lassen und dann feststellen, welcher Architekt den Forderungen gerecht geworden sei.“ Mit völligem Unverständnis reagierte Mart Stam. Fassungslos fragte er, „warum wir uns heute mit Fragen des Bauhauses auseinandersetzen“ und mahnte an, „es sei unsere vordringliche Aufgabe, uns mit dem ‚Heute‘ zu befassen.“ Schließlich drosch er auf Liebknechts Konzept eines Bauens der Nationalen Traditionen ein, indem er bissig anmerkte: „Über Leere und Charakterlosigkeit kommen wir nicht hinweg durch Verkleidung, sondern durch Menschlichkeit.“ Der Kunsthistoriker Gerhard Strauß versuchte schließlich zu beschwichtigen, indem er die einzig positive Äußerung Henselmanns zum Bauhaus aufgriff und, unter sozialistischen Vorzeichen, umdeutete: „Die Bauhaus-Architekten konnten nicht an die Traditionen anknüpfen, sonst hätten sie imperialistisch-feudalistisch-patriarchalische Bindungen erhalten. Es sei richtig, daß sie subjektiv fortschrittlich gewesen sind. Die Richtung des Bauhauses sei ein Reflex des utopischen Sozialismus.“

Schließlich sah sich auch Henselmann genötigt, seinen Berufskollegen den plötzlichen Wandel seiner Architekturauffassung verständlich zu machen. Denn da alle wussten, dass Henselmann mit dem Konzept der ab 1945 von ihm geleiteten Weimarer Hochschule selbst an das Bauhaus angeknüpft hatte, muss das Erstaunen um-

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so größer gewesen sein. Bolz und Liebknecht dürften keinesfalls zufrieden gewesen sein, als Henselmann nun erklärte, „daß die Auseinandersetzung Formalismus Realismus keine Fachdiskussion, sondern eine politische Diskussion“ und „im Kampf um den Frieden [...] der Überbau von entscheidender Bedeutung“ sei. Schon damit legte Henselmann offen, dass hier keine Fachdebatte, sondern eine ausschließlich ideologische Auseinandersetzung geführt wurde. Spätestens, als er im Anschluss auch noch beteuerte, „gegen das Epigonentum“ zu sein, „welchem Herr Dr. Liebknecht [...] eine Möglichkeit einräumte“, muss Bolz und Liebknecht klar geworden sein, dass sie sich auf längere Sicht nicht durchweg gegen die fachlichen Ansprüche und Überzeugungen gerade der engagiertesten Architekten durchsetzen würden. Vieles spricht deswegen dafür, dass sie vor diesem Hintergrund alles daran setzten, eine Gruppe von Architekten, die bereits jetzt zum engeren Kreis um das MfA gehörten, so rasch wie möglich mit Aufträgen zu versorgen und ihnen gleichzeitig eine herausgehobene berufliche Stellung zu garantieren. Tatsächlich kam es in den folgenden Wochen und Monaten denn auch zu einem weiteren umfassenden und institutionell verankerten Personalisierungsprozess. Die öffentliche Kür der Meisterarchitekten Hermann Henselmann, Hanns Hopp und Richard Paulick blieben hier auch weiterhin die zentralen Kandidaten. Angesichts der Diskussion nach Henselmanns Bauhaus-Vortrag war vorher jedoch eine öffentliche Läuterung der drei unumgänglich. Medienwirksam sollten sie Abbitte von ihren bisher vertretenen Positionen leisten. Das passierte schließlich im Rahmen eines von Rudolf Herrnstadt für das ND verfassten Artikels unter der Überschrift „Über den Baustil, den politischen Stil und den Genossen Henselmann“ 135 . Ganz nach stalinistischem Vorbild inszenierte Herrnstadt ein fingiertes Interview. 136 Auf die drängenden und moralisierenden Nachfragen des ND hin schworen die Architekten ihrem bisherigen Ideal ab und versprachen, keinerlei „Eierkistenarchitektur“ mehr zu entwerfen. Dass sich Henselmann, vor allem aber auch Hopp und Paulick, bereits lange vorher dazu bereit erklärt hatten, entlarvte das Veröffentlichungsdatum. Denn jener 31. Juli, an dem der Artikel erschien, war gleichzeitig auch Abgabetermin für den Wettbewerb Stalinallee.137 In der Rückschau scheint die Dramaturgie perfekt zu sein. Nachdem die Diskussion nach Henselmanns Bauhaus-Vortrag eskaliert war, schrieb man relativ bald (am 25. April 1951) den Wettbewerb Stalinallee aus. Da Liebknecht seine ideologische Arbeit mit Pressekampagnen und Arbeitstagungen weiter fortsetzte, Henselmann, Hopp und Paulick aber auf der anderen Seite immer wieder wichtige Positionen in zentralen Institutionen und Gremien in Aussicht stellte, wurde für die 135 Hierzu Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 266f. 136 Vgl. ebd., S. 267. 137 Vgl. ebd., S. 266.

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drei eines immer offensichtlicher: ein Einlenken in gestalterischen Fragen würde für sie große Vorteile haben. Zum einen würden sie an einem äußerst prestigeträchtigen Bauprojekt beteiligt sein. Zum anderen wäre ihnen eine privilegierte berufliche Stellung sicher. Und als Konsequenz aus beidem würden sie sich schließlich von der breiten Masse der Architekten abheben und der drohenden Anonymisierung durch die Vergesellschaftung des Architektenberufs entgehen können. Vor diesem Hintergrund war es kaum verwunderlich, dass man Henselmann, Hopp und Paulick bereits am 02. August die Mitwirkung bei der Architekturkontrolle in Aussicht stellte. Verantwortlich sein sollte dafür „das Ministerium für Aufbau in Verbindung mit der Deutschen Bauakademie“ – also Liebknecht –, der sich dabei aber „auf die befähigsten und besten Architekten“138 stützen wollte, die zeitgleich mit dem Wettbewerb Stalinallee auserwählt wurden. Wenig überraschend war unter diesem Blickwinkel auch, mit welch beeindruckender Geschwindigkeit nach dem Herrnstadt-Artikel alle bislang so kontrovers diskutierten Fragen in Architektur und Städtebau geklärt schienen. Nur einen Monat später, Ende August 1951, gelang Hermann Henselmann mit seinem Entwurf für das Hochhaus an der Weberwiese der ,Durchbruch zu einer gestalterischen Antwort auf die Leitlinie des Bauens der Nationalen Traditionen, die schlussendlich auch von politischer Seite goutiert wurde (Abb. 3).139 Beinahe gleichzeitig140 wurden die Sieger des Wettbewerbs Stalinallee gekürt. Mit dem zweiten und dritten Preis wurden dabei Richard Paulick und Hanns Hopp ausgezeichnet, den vierten Preis erhielt eine Arbeitsgruppe um den Leipziger Architekten Karl Souradny und der fünfte Preis ging an Kurt W. Leucht, der als ehemaliger Moskau-Reisender bereits einschlägige Erfahrungen mit dem sowjetischen Vorbild gemacht hatte. Auf den ersten Blick überraschend erhielt der Erfurter Architekt Egon Hartmann den ersten Preis.141 Es kann jedoch angenommen werden, dass Hartmann – und vielleicht sogar Souradny – eine gewisse Alibifunktion übernehmen und den Verdacht entkräften sollten, dass die Sieger des Wettbewerbs mög-

138 BArch, DH 1/44488, Bestimmungen über Architektur-Kontrolle gemäss Regierungsbe schluss vom 02. August 1951 zur Verbesserung der Planung von Investitionsvorhaben, 02.10.1951, Abschrift vom 04.10.1951. 139 Hierzu u.a. Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 267f. 140 Am 29.08.1951 (ebd., S. 272). 141 Auch Hartmann war jedoch Schüler bei Henselmann in Weimar gewesen. So schrieb er zum Jahresende 1993 an Henselmann: „Lieber Hermann, dieses Jahr, das uns nach so langer Zeit ein Wiedersehen brachte, möchte ich nicht vergehen lassen, um Dir ganz herzlich zu danken für all Dein Wohlwollen, das Du mir während meines Studiums in Weimar und auch später bei verschiedenen Anlässen entgegengebracht hast. Als Lehrer hast Du uns kurz nach dem Krieg eine neue Welt eröffnet und ich habe Dein Wirken in Berlin stets bewundert“ (AdK Berlin, Nachlass Henselmann, 120-01-293).

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licherweise ohnehin von Anfang an feststanden.142 Hermann Henselmann schließlich, der von Beginn an anpassungswilligste Architekt, hatte durch den Auftrag für das Hochhaus an der Weberwiese bereits eine besondere Auszeichnung erhalten. Darüber hinaus wurde ihm im Zusammenhang mit der Stalinallee aber noch eine weitere Ehre zuteil: Nachdem die fünf Preisträger ihre Entwürfe nochmals überarbeitet und im Politbüro vorgestellt hatten, präsentierte er (ohne das seine Kollegen etwas davon wussten) Entwürfe für den die Stalinallee nach Westen abschließenden Strausberger Platz.143 Umgehend wurde er daraufhin von Partei und Regierung mit den Planungen für diesen Platz beauftragt. Damit waren nun endgültig alle zukünftigen Meisterarchitekten in das Bauprojekt Stalinallee eingebunden.144 142 1951 wäre es denn auch mehr als unwahrscheinlich gewesen, wenn es sich tatsächlich um einen völlig ergebnisoffenen Wettbewerb gehandelt hätte. Unmittelbar nach dem Wettbewerb wurde Hartmann darüber hinaus in den Hintergrund gedrängt, indem der zweite Preisträger Richard Paulick zum leitenden Architekten für den Aufbau der Stalinallee ernannt wurde. In späteren Jahren wurde im Zusammenhang mit der Stalinallee zudem kaum noch von Hartmann gesprochen, da dieser Ende der 50er Jahre in die Bundesrepublik übersiedelte und deswegen aus politischen Gründen zur persona non grata wurde. Das beweist u.a. eine entsprechende Feststellung von Hermann Henselmann, als er Hartmann im Sommer 1993 zu einer Tagung über den Aufbau der Stalinallee nach Frankfurt/M. einlud: „Lieber Egon Hartmann, in Vorbereitung meines 90. Geburtstages (Februar 95) findet in Frankfurt/Main am 31.10.93 ein Kolloquium statt [...] Da unter anderem die Stalin-Allee auf dem Programm steht und eine ideologisch durchaus nicht negative Betrachtung gedacht ist, würde ich mich sehr freuen Dich dort begrüßen zu dürfen. Schließlich bist Du der erste Presträger des städtebaulichen Wettbewerbes, das [sic!] wurde nach Deiner notwendigen Umsiedlung in den Westen immer verschwiegen [...]“ (ebd.). 143 Hierzu Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 280f. 144 Gleichzeitig sorgte der ,Alleingang Henselmanns dafür, dass das Verhältnis der Meisterarchitekten untereinander von Anfang an getrübt war. Vor allem zwischen Henselmann und Paulick muss es eine regelrechte Feindschaft gegeben haben, da sich Paulick als leitender Architekt übergangen fühlte. So schrieb Paulick beispielsweise u.a. an das MfA: „Meinen Bemühungen, das Kollektiv Henselmann in den sonst gut verlaufenden Gang der Projektierung [...] einzugliedern, hat Kollege Henselmann vom Beginn der Projektierung bewusst entgegengearbeitet. Leider wurde er bis heute in dieser Haltung durch gewisse Parteistellen (Bruno Baum, Girnus, Herrnstadt u.a.) sowie durch die schwächliche und nachgiebige Haltung des Präsidiums der Deutschen Bauakademie bestärkt [...] Wie weit das durch die Partei wie das Präsidium der DBA gestärkte Selbstbewusstsein des Koll. Henselmann reicht, geht am besten aus der Tatsache hervor, dass er gestern Pläne auf die Baustelle gebracht hat, die er unter meinem Stempel i.V. gezeichnet hat, ohne dazu berechtigt zu sein“ (AdK Berlin, 120-01-211 [Nachlass Hen-

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Der Meisterarchitekt: Ein neues und zugleich klassisches Berufsbild Nachdem Henselmann, Paulick und Hopp zu zentralen Architekten des großen Pilotprojektes Stalinallee gekürt worden waren, ließ der privilegierte berufliche Status nicht mehr lange auf sich warten. Als am 08. Dezember 1951 nach langem Planungsvorlauf die DBA eröffnet wurde, wurden die drei auch öffentlich als Meisterarchitekten vorgestellt.145 Als solche standen sie jeweils einer Meisterwerkstatt der DBA vor. Indem Partei und Regierung der DDR für Henselmann, Hopp und Paulick jedoch die Institution des Meisterarchitekten geschaffen hatten, hatten sie gewissermaßen einen Schritt vor und zwei zurück unternommen  vor, weil sie sich von nun an der loyalen Zusammenarbeit dreier Architekten sicher sein und so bald auf erste Erfolge in Architektur und Städtebau verweisen konnten. Zurück zum einen, weil sie (und vor allem Liebknecht) die Arbeit der Meisterarchitekten zwar bis zu einem gewissen Grad kontrollieren konnten. Gleichzeitig hatte man ihnen aber auch so viel Macht und Entscheidungsbefugnisse übertragen, dass sich Staat und Partei, die das gesamte Bauwesen ursprünglich zentralistisch steuern wollten, erneut in die Abhängigkeit von Fachleuten begaben. Und zum anderen, weil das Konzept des Meisterarchitekten der ansonsten eingeleiteten Vergesellschaftung des Architektenberufs zuwiderlief und somit nicht DDR-weit verallgemeinern ließ. Indem man drei Architekten als besonders vorbildlich und fähig herausstellte, konterkarierte man nämlich letztlich das eigene Ziel, den Architektenberuf durch Kollektivierung zu entpersonalisieren, der Kontrolle von Staat und Partei zu unterwerfen und damit auch zu deprofessionalisieren. Schaut man sich die Privilegien und Befugnisse der Meisterarchitekten etwas genauer an, so fällt sofort auf, in welch starkem Maße sich Henselmann, Hopp und Paulick vom allgemein propagierten Berufsbild des vergesellschafteten Architekten unterschieden (Abb. 4). So wurde ihnen beispielsweise die „vollständige Selbständigkeit in der Festlegung der architektonischen Lösung der Projekte“146 gewährt. Einzig und allein das selmann], Paulick an Mayer, Staatssekretär MfA, 10.05.1952). Henselmann hatte im Fall seiner Entwürfe für den Strausberger Platz jedoch keineswegs autonom gehandelt, sondern war vom Politbüro mit den Planungen beauftragt worden (hierzu AdK Berlin, AcLbk 18 [Nachlass Liebknecht], Herrnstadt an Liebknecht, 10.11.1951: „[...] eine Arbeit [Skizzen für den Strausberger Platz, T.Z.], die ihm [Henselmann, T.Z.] im Einverständnis mit den Genossen des Politbüros angetragen wurde und zu der er sich gern und ohne ein Honorar zu beanspruchen, bereit fand [sic!]“). Die Animositäten unter den Meistern entstanden somit nicht zuletzt dadurch, dass jeder einzelne von ihnen auf unterschiedliche Art und Weise von politischer Seite instrumentalisiert wurde. 145 Hierzu u.a. Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 244-252. 146 BArch, DH 1/42596 (MfA), MfA, HV Entwurf, Niederschrift über die Festlegung des Strukturplanes des Entwurfsbüro für Hochbau Berlin – Meisterwerkstätten – am

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MfA sowie vor allem das Politbüro hatten das Recht, sie in dieser Selbstständigkeit einzuschränken oder ihnen Gestaltungsvorschriften zu machen. Bis ins Jahr 1953 hinein arbeiteten sie darüber hinaus ausschließlich haushaltsgebunden.147 Das bedeutete, dass die Meisterwerkstätten nicht auf die Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung verpflichtet wurden, wie das in den volkseigenen Betrieben und Entwurfsbüros der Fall war. So lange sich die Projektkosten also im Rahmen der durch den Staat bereitgestellten Mittel bewegten (und die waren bei den in der Regel prestigeträchtigen Bauvorhaben beinahe durchweg umfangreich), hatten sie also auch wesentlich mehr finanziellen Spielraum. Damit unterschied sich die Situation der Meisterarchitekten völlig von der ihrer Kolleginnen und Kollegen in den volkseigenen Entwurfsbüros. Letztere unterstanden mit ihrem Kollektiv immer einem Betriebsdirektor, der sich sowohl in gestalterische als auch in finanzielle Belange einmischen durfte. Zusätzlich erhielten sie Aufträge häufig nicht direkt – wie das bei den Meisterarchitekten der Fall war –, sondern erst nach betriebsinternen oder öffentlichen Wettbewerben. Sie standen also in ständiger Konkurrenz zu anderen Kollektiven in ihrem Entwurfsbüro bzw. anderen volkseigenen Entwurfsbetrieben. Auch bei diesen Wettbewerben spielte der Kostenfaktor von Anfang an eine wichtige Rolle. Doch die Meisterarchitekten genossen noch weitere Privilegien, von denen ihre Kollegen im volkseigenen Entwurf nur träumen konnten. So hatten sie auch die „vollständige Selbständigkeit in [...] der Autorenkontrolle auf dem Bau.“ Weil die Meisterarchitekten ohnehin von Anfang an Mitglieder der Autorenkontrolle waren, gab man ihnen nun also auch die Möglichkeit, ihre Projekte selbst zu kontrollieren. Sobald die Architekten in den Entwurfsbüros hingegen die erste Kontrollhürde in Gestalt ihres Betriebsdirektors genommen hatten, waren sie nach wie vor noch von der wohlwollenden Beurteilung durch die staatliche Architekturkontrolle (und damit pikanterweise auch der Meisterarchitekten148) abhängig. Zusätzlich hatten die Meisterarchitekten „Zustimmungsrecht für alle in den Meisterwerkstätten aufzunehmenden Mitglieder“. Das bedeutete zwar auch, dass sie „für die fachliche und gesellschaftliche Qualität“ ihrer Mitarbeiter verantwortlich waren. Im Gegensatz zu volkseigenen Büros konnten sie jedoch ihre Mitarbeiter nach ihren Bedürfnissen und Sympathien frei aussuchen, was positive Auswirkungen auf die Qualität der Meisterwerkstätten gehabt haben dürfte.149 Und schließlich zählte zu den Pflichten der Meisterarchitekten, dass sie „bei der Qualifizierung baukünstlerischer Kader für 03.03.1953, unterzeichnet von Alder (HV-Leiter). Alle nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen. 147 Hierzu ebd. 148 Hierzu die oben Stehenden Erläuterungen zur Architekturkontrolle. 149 1953 waren in den Meisterwerkstätten 359 Mitarbeiter beschäftigt (vgl. Durth/Düwel/ Gutschow, Bd. 1, S. 252).

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alle Entwurfsbüros“ mithalfen. Damit fiel ihnen die Aufgabe zu, ihre Berufskollegen vor allem gestalterisch anzuleiten. Unterstrichen wurde auf diese Weise ein weiteres Mal der Sonderstatus, den sie gegenüber den volkseigenen Entwurfsbüros genossen. Denn anleiten konnte nur, wer als besser qualifiziert galt und den den Architekten und Städtebauern gestellten Anforderungen bereits gerecht geworden war. Im Rahmen der äußerst eingeschränkten Möglichkeiten, die die zentralistischen Strukturen der frühen DDR boten, genossen die Meisterarchitekten also ein ungewöhnlich großes Maß an Einfluss. Damit verbunden hatten sie, auch über ihre Aufgaben in der Kaderarbeit hinaus, in sehr viel stärkerem Maße fachliche Einwirkungsmöglichkeiten und konnten Architektur und Städtebau so einen bis zu einem gewissen Grade individuellen Stempel aufdrücken. Das machte sich gerade bei den von den Meisterarchitekten vorgelegten Entwürfen selbst bemerkbar. Denn die Meisterarchitekten wussten sehr wohl die Selbstständigkeit und die Handlungsspielräume zu nutzen, die man ihnen zugestand. Auch wenn die Rahmenbedingungen staatlicherseits vorgegeben waren und die Möglichkeiten insgesamt sehr stark einschränkten, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Bauen der Nationalen Traditionen der frühen DDR ohne diese drei Architekten undenkbar gewesen wäre. Auf der Grundlage der Überlegungen von Kurt Liebknecht war es z.B. Hermann Henselmann, der mit seinem Hochhaus an der Weberwiese (Abb. 5) die Idee entwickelte, auf Stilelemente des preußischen Klassizismus zurückzugreifen, daraus aber letztlich etwas sehr eigenes und durchaus auch neues zu schaffen. So finden sich in seinem Hochhaus neben den allgegenwärtigen historisierenden Anleihen150 auch Anklänge an die Eleganz der Nachkriegsmoderne, wie sie viele Bauprojekte in den Jahren der SBZ ausgezeichnet hatte. Der großflächig durchfensterte Mittelrisalit, die Keramikfliesen an der Fassade151 und der an leichte Pavillonbauten erinnernde völlig verglaste Dachaufsatz wären Beispiele dafür. Mit dem Hochhaus an der Weberwiese steckte Henselmann zudem die gestalterischen Möglichkeiten des Bauens der Nationalen Traditionen ab. Vor allem in Berlin und weiteren Städten entstanden in der ersten Hälfte der 50er Jahre eine Reihe von Bauten, die mehr oder weniger auffällig Tradition und Moderne miteinander verschmolzen (Abb. 6-8). Dabei war auch zu bemerken, dass sich Architekten wie Henselmann und Hopp in den 1920er und – in eingeschränkterem Maße – 30er Jahren selbst an Strömungen der Architekturmoderne orientiert hatten oder aber wie Richard Paulick am Bauhaus ausgebildet worden waren. Die Grundrisse der Wohnungen an der Stalinallee leiten sich beispielsweise klar aus dem Reformwohnungsbau der 1920er Jahre her. Statt zu einer zur historisierenden Fassade passenden Enfilade gruppieren sich die Räume in der Regel um einen zentralen Flur, so dass Durchgangszimmer vermieden werden. Die Wohnräume sind darüber hinaus 150 Hierzu u.a. Kirchner, S. 131. 151 Zur differenzierten Bedeutung der Keramik ausführlich ebd., S. 132ff.

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annähernd gleich groß, was eine an die individuellen Bedürfnisse der Bewohner angepasste Nutzung ermöglichte. Schließlich waren die Flachdächer an der Stalinallee, aber auch an der Rostocker Langen Straße, nicht nur eine optische Reminiszenz an das Bauen der Zwanziger Jahre. Vielmehr sollten auch sie zudem zum Wäschetrocknen, Sonnenbaden sowie für gemeinsame Feiern der Hausgemeinschaft genutzt werden. Die Meisterarchitekten waren also auf der einen Seite von den gestalterischen Rahmenbedingungen abhängig, die ihnen Partei und Staat mit Begriffen wie Sozialistischer Realismus oder Bauen der Nationalen Traditionen vorgaben. Dadurch und durch ihre institutionelle Einbindung in das MfA und die DBA sowie durch die ständige Kontrolle Liebknechts waren sie in ihren beruflichen Freiheiten und Möglichkeiten eklatant eingeschränkt. Ihre Entwurfsarbeit hatte aber dennoch durchaus eigenständige und individuelle Elemente. Zusammen mit ihrem beruflichen Sonderstatus als Meisterarchitekten genossen sie deshalb wesentlich größere berufliche Freiheiten als ihre Kollegen, die entweder in den volkseigenen Entwurfsbüros beschäftigt waren oder aber mit Mühe ein eigenes Büro aufrechtzuerhalten versuchten. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass man mit dem Begriff des ,Meisterarchitekten von politischer Seite eher an das Berufsbild des Baumeisters früherer Jahrhunderte und damit eines nach festen gestalterischen Regeln arbeitenden Planers anknüpfen wollte. Mit dem Bauen der Nationalen Traditionen sollte dabei nicht zuletzt auf gestalterischer Ebene ein Abrücken von der ,Entwerferarchitektur und eine neuerliche Hinwendung zu nach festen Regeln ablaufenden Entwurfsprozessen erreicht werden, die ebenfalls einem entindividualisierten Verständnis von Architektentätigkeit gerecht werden sollten. Im Gegensatz zu diesem Vorhaben aber war das Bauen der frühen 50er Jahre – im Unterschied zu dem der späteren Jahrzehnte – auch in der öffentlichen Wahrnehmung hochgradig personalisiert. Deutlich wurde das schon an einem sehr wesentlichen Punkt: Im Gegensatz zu vielen großen Bauvorhaben der späteren Jahrzehnte verband beispielsweise auch die Öffentlichkeit die Berliner Stalinallee mit den Namen ihrer Architekten Henselmann, Hopp und Paulick. Wegen seines wegweisenden Entwurfs für das Hochhaus an der Weberwiese galt Henselmann sogar vielfach als der eigentliche Schöpfer des Bauens der Nationalen Traditionen. In vielfacher Hinsicht wurde damit also schon in den frühen 50er Jahren deutlich, dass auch ein auf Entdifferenzierung, Entindividualisierung und Entpersonalisierung ausgerichtetes staatssozialistisches System auf das Wissen und Können von Fachleuten angewiesen blieb. Damit gingen von Anfang an Personalisierungs- und Privilegierungsmechanismen einher, die einzelne Fachleute erneut zu zentralen Akteuren machten und den Vergesellschaftungsprozess selbst konterkarierten.

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I.2 P OLITISCHE K RISEN UND DAS H ANDELN DER F ACHLEUTE I.2.1 Einführung Gerade die 50er, teilweise aber auch noch die 60er Jahre, waren bestimmt von politischen Krisen und mit ihnen einhergehenden häufigen Kurswechseln. Das damit verbundene politische Auf und Ab schlug sich auch im Architektenberuf und im Architektenhandeln nieder. Im Rahmen dieses Abschnitts wird zum einen herausgearbeitet werden, dass sich Fachleute politisch instabile Lagen immer wieder zunutze machten, um fachliche und berufspolitische Interventionsversuche zu unternehmen und damit verbunden ihre eigenen Interessen sowie oftmals auch politischen Überzeugungen zu vertreten. Beleuchtet werden wird dabei in einem ersten Unterabschnitt das Handeln der Architektenschaft im Umfeld von Neuem Kurs und Juni-Aufstand des Jahres 1953. Ein zweiter, sehr umfassender Interventionsversuch wird dann im dritten Unterabschnitt in den Blick genommen werden. In den Mittelpunkt des Interesses gerückt werden dabei eine Reihe von Initiativen, die von fachlicher Seite angesichts der durch Chruschtschow angeordneten Neuausrichtung des Bauwesens, aber auch im Umfeld des XX. Parteitags der KPdSU angestoßen wurden. Geschildert werden wird im Zusammenhang mit diesen Interventionsversuchen der Fachleute zudem, dass sich die mit den Kurswechseln verbundenen Veränderungen im institutionellstrukturellen Bereich vielfach auch auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsumfeld der Architektenschaft auswirkten. Diese Umstrukturierungen gingen zwar eher von baupolitischer Seite aus, reagierten dabei jedoch möglicherweise auch auf die sich auf fachlicher Ebene artikulierenden Belange. Auf der anderen Seite soll im zweiten Unterabschnitt aber auch dargestellt werden, dass es genauso Architekten waren, die für das Scheitern ganzheitlicher Reformansätze mitverantwortlich zeichneten. Akteure wie Gerhard Kosel und Benny Heumann hatten so sehr weitreichenden Einfluss auf die Frage, welche Handlungsmöglichkeiten sich den Fachleuten im Zuge der Industrialisierung des Bauwesens eröffneten. Eine genauere Betrachtung jener Architekturfunktionäre, die nunmehr in hochrangige Positionen aufrückten, wird so etwa zeigen, dass es Mitte der 50er Jahre zwar zu einer technologischen, keineswegs jedoch zu einer ideologischen und gestalterischen Neuausrichtung kam. Erst vor diesem Hintergrund wird denn auch die Sprengkraft der von Fachkollegen unternommenen Interventionsversuche verständlich. Nachzeichnen lassen sich so unterschiedliche politische und fachliche Auffassungen innerhalb der Architektenschaft. Der letzte Unterabschnitt wird schließlich nochmals eine etwas andere Perspektive einnehmen und das Architektenhandeln an den Hochschulen beleuchten. Dabei

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wird sich zeigen, dass ein vielfältiges und facettenreiches Architektur- und Architektenverständnis in der zweiten Hälfte der 50er Jahre vor allem im Bereich der Architektenausbildung überlebte. Dort aber wurde es an eine nachwachsende Architektengeneration weitergegeben, die mit einem entsprechenden beruflichen Selbstverständnis und einer Vielfalt an fachlichen Positionen in die 60er Jahre hineinging. I.2.2 Die Architekten und der Neue Kurs: Interventionsversuche im Umfeld des 17. Juni Einführung Ein erster berufspolitischer und fachlicher Interventionsversuch wurde von den Architekten nach dem Tod Stalins am 05. März 1953 unternommen. Dieses Ereignis versetzte nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die von ihr abhängigen Satellitenstaaten wie die DDR in einen regelrechten Schockzustand. Mit dem Ableben Stalins hatte man die zentrale Identifikations- und Leitfigur verloren, die, unterstützt durch einen quasireligiösen Personenkult, den politischen Kurs vorgegeben hatte. Im Bereich des Architektenberufs gehörte dazu die forcierte Durchsetzung einer Vergesellschaftung des Berufsbildes, die auf reibungslose Anleitung und Kontrolle ,von oben ausgerichtet war. Aber auch die Zentralisierung institutioneller Strukturen und die mit ihr einhergehende erneute Personalisierung des Entwurfswesens wären hier zu nennen. Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, dass sich Teile der Architektenschaft die durch Stalins Tod ausgelösten politischen Erschütterungen der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks zunutze zu machen versuchten. Das galt u.a. für die freischaffenden Architekten, die Hoffnung in den im Frühjahr 1953 aus der Taufe gehobenen, u.a. eine Stärkung der Privatwirtschaft vorsehenden Neuen Kurs setzten. Aber auch der an sich als parteipolitischer Transmissionsriemen gedachte BdA versuchte, wie sich zeigen wird, die Gunst der Stunde zu nutzen und machte sich vor allem für Reformen im Bereich der berufspolitischen Rahmenbedingungen stark. Profitieren konnte die Architektenschaft letztlich jedoch nur von einer ,von oben angeordneten Dezentralisierung der institutionellen Strukturen des Architektenberufs, die vor allem zu einer größeren Streuung von Verantwortung und damit zu einer sehr viel breiteren Stärkung der Akteursebene führte. Die Anfänge In der Sowjetunion selbst war nach Stalins Tod nicht nur ein Machtvakuum entstanden, das zu erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb des engsten Machtzirkels der KPdSU rund um Chruschtschow, Berija, Molotow und Malenkow führte. Gemäß kommunistischer Tradition machten die potentiellen Nachfolger darüber hinaus von Anfang an deutlich, dass sie mit der Politik ihres Vorgängers zumindest offiziell brechen würden und dieser bald zur ,persona non grata erklärt werden

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würde. Gerade Chruschtschow, der vormals einer der treuesten Vasallen Stalins gewesen war, drang nun auf eine Abkehr vom Stalinismus und damit verbunden vor allem von den nur auf die Person Stalins ausgerichteten zentralistischen Machtstrukturen.152 Spätestens seit April 1953 drangen diese Debatten zunehmend an die Öffentlichkeit – in der DDR vor allem, als die Sowjetunion dem Land den so genannten Neuen Kurs verordnete. Demnach verlangte die Führung der KPdSU nach einer Liberalisierung der politischen Rahmenbedingungen, die auch das Wirtschaftssystem einschließen sollte.153 In der DDR wurden diese Vorgaben jedoch nur halbherzig umgesetzt. Einerseits fand man sich zwar zu Reformen bereit.154 Andererseits forcierte man jedoch auch den Personenkult um Walter Ulbricht, dessen sechzigster Geburtstag im Juni zentrales Thema blieb.155 Vieles deutete jedoch darauf hin, dass es im Unter- und Mittelbau von Staat und Partei, sicherlich aber auch innerhalb der Bevölkerung, bereits im Mai 1953 gärte. Entsprechende Symptome zeigten sich auch innerhalb des an sich von Anfang an gleichgeschalteten BdA. Hier fand am 05. Mai, also fast einen 152 Hierzu ausführlich u.a.: Filtzer. 153 „Die neue Moskauer Führung hatte sich vor allem im Mai mit der Deutschlandpolitik befaßt und auch die innere Lage der DDR kritisch beobachtet. Am 2. Juni 1953 beschloß der sowjetische Ministerrat ,Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der DDR . Er verlangte eine Liberalisierung in der DDR. Die Sowjetführer kritisierten nun die seit der 2. Parteikonferenz praktizierte Politik: ,Infolge der Durchführung einer fehlerhaften politischen Linie ist in der Deutschen Demokratischen Republik eine äußerst unbefriedigende politische und wirtschaftliche Lage entstanden. Unter den breiten Massen der Bevölkerung, darunter auch unter den Arbeitern, Bauern und der Intelligenz, ist eine ernste Unzufriedenheit zu verzeichnen in bezug auf die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die in der DDR durchgeführt werden. … Die Führer der KPdSU wie Molotow, Berija, Chruschtschow u.a. forderten einen Kurswechsel“ (Weber, S. 214f.). 154 „Nach ihrer [Ulbrichts, Grotewohls und Oelßners, T.Z.] Rückkehr [aus Moskau, T.Z.] hat das Politbüro der SED in Berlin am 9. Juni der Änderung zugestimmt. Das Politbüro beschloß auch: ,Es soll ein umfassendes Dokument über die Selbstkritik an der Arbeit des Politbüros und des Sekretariats ausgearbeitet und dem Präsidium des ZK der KPdSU überreicht werden. Die Regierung mußte daraufhin am 11. Juni offiziell den ,Neuen Kurs in der DDR verkünden und die harten Maßnahmen seit 1952 revidieren“ (ebd., S. 215). 155 „Doch typisch für die SED-Spitze unter Ulbricht war, daß am 9. Juni nicht nur der ,Neue Kurs festgelegt, sondern in ein und derselben Sitzung des Politbüros sowohl über die Verleihung von Karl-Marx-Orden als auch über die Vorbereitungen zum 60. Geburtstag Ulbrichts beraten wurde. Selbst auf der nächsten Sitzung dieses Gremiums am 16. Juni stand wieder … Ulbrichts Geburtstagsfeier auf der Tagesordnung“ (ebd.).

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Monat, bevor Ulbricht, Grotewohl und Oelßner nach Moskau zitiert wurden156, eine Bundesvorstandssitzung statt, auf der Gedankengänge geäußert wurden, die sicher nicht der offiziellen Parteilinie entsprachen. Bundessekretär Walter Mickin, der in der Nachkriegszeit als stellvertretender Abteilungsleiter der SED-Landesleitung Brandenburg und mit dem Besuch der Berliner Parteihochschule einen Karriereweg innerhalb der Partei eingeschlagen hatte157, mahnte gleich zu Beginn seines Redebeitrags, „man sollte keine Politik mit Vorbehalt machen, sondern klar Stellung nehmen zu der Frage, freischaffende Architekten oder nicht.“158 Damit griff er ein drängendes berufspolitisches Thema auf, wobei er vor allem darauf hinwies, dass die Sowjetunion und die DDR in ihrer Entwicklung nicht miteinander vergleichbar seien. Entgegen den offiziellen Verlautbarungen, nachdem der Aufbau des Sozialismus bereits im vollen Gange war, gestand Mickin ein, man sei „erst dabei [...], die Grundlagen zur Schaffung des Sozialismus zu erarbeiten.“ Schon diese Analyse muss unter den damaligen Bedingungen ein Affront gewesen sein. Noch mehr Zündstoff enthielt allerdings Mickins nachfolgender Hinweis auf die Gesetzeslage, nach der freischaffende Architekten im Subvertrag beschäftigt werden dürften.159 Auch wenn „die führende Rolle [...] bei den Projektierungsbüros“ liege und man die Absicht habe, „die freischaffenden Architekten enger heranzuführen an die Kollegen des Entwurfsbüros“, glaube er, dass es darauf ankomme, „jede Entwurfskapazität auch voll zu beschäftigen.“ Das sei die einstimmige Haltung des BdA. Mickins Worte waren letztlich nichts anderes als das Eingeständnis, dass es einen Widerspruch zwischen offiziellem Gesetzestext und beruflicher Realität der freischaffenden Architekten gab – dass also die schon seit langem geltenden gesetzlichen Ansprüche der Architekten keineswegs umgesetzt worden waren. Die allgemeine politische Lage spitzte sich schließlich endgültig zu, nachdem die Parteiführung Anfang Juni von Moskau einbestellt worden war. Dort wurde ihr der von der sowjetischen Führung erarbeitete Neue Kurs diktiert, der der drohenden Krise in der DDR entgegenwirken sollte. Nachdem er vom Politbüro nur noch abgesegnet werden konnte und nach einem wie immer zustimmenden Ministerratsbeschluss machte man am 11. Juni die Bevölkerung über die Parteizeitung ND mit den Beschlüssen bekannt. Demnach wurde ausgerechnet die Normerhöhung und damit jene Maßnahme, unter der die Arbeiter am meisten zu leiden hatten, nicht zurückgenommen.160 Davon abgesehen stellten Partei und Regierung aber eine bis in 156 „Ulbricht, Grotewohl und Oelßner mußten zwischen dem 2. und 4. Juni in Moskau den Befehl zum Kurswechsel entgegennehmen“ (ebd.). 157 Vgl. hierzu IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 05/0450 (Walter Mickin). 158 SAPMO, DY 15/1 (BdA), Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 05.05.1953, Diskussionsbeitrag Mickin. Alle nachfolgenden Zitate dieses Absatzes sind dieser Quelle entnommen. 159 Mickin bezog sich hier nach eigenen Angaben auf das Gesetzblatt 2/1953. 160 Hierzu u.a. Weber, S. 218.

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den Bereich der Wirtschaft reichende Liberalisierung in Aussicht. Die Hoffnung, damit auf breite Zustimmung in der Bevölkerung zu stoßen, wurde allerdings nur zum Teil eingelöst. Der unerhörte und bisher nie da gewesene Vorgang einer Selbstkritik von Partei und Regierung hatte vielmehr vor allem deren endgültigen Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust zur Folge. Weite Teile der Bevölkerung ergriffen nun die Chance, Kritik zu üben und versuchten, im sich abzeichnenden Umbruch das Beste für sich herauszuholen.161 Hermann Henselmann war wie immer einer der ersten, der unter den Architekten das Wort ergriff und auf ein zentrales Problem aufmerksam zu machen versuchte. In einem ausführlichen Brief, den er an das Politbüro der SED und damit auch an Walter Ulbricht richtete, prangerte er die „Produktionsschwäche der Deutschen Bauakademie“162 und die Verhältnisse in der Akademieleitung an. Dabei kritisierte er vor allem, dass bislang kaum Ergebnisse aus der Arbeit der Akademie vorliegen würden und sie deswegen mitverantwortlich für eine „allgemeine Stagnation der Architektur“ sei. Den grundsätzlichen kulturpolitischen Kurs der „Überwindung des Formalismus“ und der „Entwicklung einer realistischen Architektur“ stellte er dabei jedoch keineswegs in Frage. Schonungslose Kritik übte Henselmann allerdings an den stalinistischen Strukturen innerhalb der DBA. Dort dekretiere und reglementiere man „mit jenem ‚kommunistischem Hochmut‘, den Lenin bereits einmal geisselte.“ „Jede freie Meinungsäusserung“ werde unterdrückt, Gespräche mit Wissenschaftlern und Künstlern außerhalb der Akademie gar nicht erst geführt. So entstehe „eine Atmosphäre der Angst, der Vorsicht, des gegenseitigen Misstrauens, des Befehlens.“ Mit Ausnahme von Kurt Liebknecht und Edmund Collein habe zudem kein Mitglied des Präsidiums nennenswerte fachliche Referenzen vorzuweisen.163 Dem Verwaltungsdirektor warf Henselmann vor, „manchen Fehler der alten KPPolitik vor 1933 in Bezug auf die Bündnispolitik“ mit sich herumzuschleppen. Die161 „Den ,Neuen Kurs der Partei- und Staatsführung verstanden weite Kreise der Bevölkerung als Bankrotterklärung, ihre Bereitschaft zum Kampf gegen das System wuchs“ (Weber, S. 215). 162 BArch, NY 4182/1031 (Nachlass Ulbricht), Abschrift Brief Henselmann, 13.06.1953. Alle nachfolgenden Zitate sind, so weit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen. 163 Liebknecht komme wegen Überlastung allerdings nicht dazu, praktisch zu arbeiten, „weil er mit organisatorischem Kleinkram von früh bis spät überhäuft ist.“ Zudem sei er führungsschwach: „Wenn die Öffentlichkeit Entwürfe kritisiert, die vom Genossen Liebknecht selbst genehmigt wurden, schliesst sich der Genosse Präsident dieser Kritik an, ohne auch nur zu erwähnen, dass er seine Unterschrift unter diese Pläne selbst gesetzt hat. Das gilt für die hässlichen Wohnungsbauten der Jahre 1950/51, wie für die Studentenheime in Dresden.“ Collein hingegen zeichne sich „durch eine bemerkenswerte Art von Schweigsamkeit“ aus (ebd.).

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jenigen, die wie Gerhard Strauß oder Hanns Hopp versucht hätten, konkrete Arbeit zu leisten, würden von der Akademieleitung ständig gemaßregelt. Immer wieder wären sie in der Vergangenheit zum Beispiel dem Vorwurf der „‚Fraktionsbildung‘“ und des „‚Opportunismus‘“ ausgesetzt worden – und zwar immer dann, wenn sie Kritik an Parteimitgliedern der DBA oder Parteibeschlüssen geübt hätten. Bemerkenswert war auch, dass Henselmann die fehlenden demokratischen Strukturen und die Intransparenz innerhalb der Institutionen beschrieb. Die hier vorherrschende Methode der Entscheidungsfindung beschrieb er folgendermaßen: „Es findet angeblich eine Besprechung im ZK statt über wichtige fachliche Fragen. Geführt wird diese Besprechung von einigen der erwähnten Genossen [aus der Parteileitung der DBA, T.Z.]; dann findet eine Parteileitungssitzung statt. Dort wird ein Beschluss gefasst. Wenn dann die Präsidiumssitzung [der DBA, T.Z.] stattfindet, sind die Genossen an einen Parteibeschluss gebunden.“

Dieser Mechanismus griff nach Henselmann in nahezu allen Bereichen – etwa bei Fragen der Beförderung und der Ernennung neuer Mitglieder der DBA, aber auch bei der Verleihung der Nationalpreise oder bei Berufung des BdA-Vorstandes. Peinlich genau und in weiser Voraussicht vermied es Henselmann allerdings, auch zentrale Personen der Staats- und Parteiführung zu kritisieren. So habe sich beispielsweise der Vorsitzende der SED-Bezirksleitung Berlin, Hans Jendretzky, schon früher „nach der Unterdrückung der Kritik“ durch die Parteileitung der DBA erkundigt. „Das Allerschlimmste“ aber sei aus Henselmanns Sicht, „dass unser Generalsekretär [Walter Ubricht, T.Z.] mit diesen Dingen immer irgendwie in Verbindung gebracht wird.“ Denn er „kenne keinen Genossen, der solch einen klaren Blick für grosse architektonische Zusammenhänge hat wie Walter Ulbricht.“ Es sei also geradezu selbstverständlich, „dass man sich seines Rates gern bedient und versucht davon zu lernen.“ Schließlich berief sich Henselmann auch auf eine Reihe weiterer Genossen und Fachleute, die „Auskünfte über meine Feststellungen zum Zwecke ihrer Nachprüfung“ geben könnten.164 Parallel zu Henselmanns Brief eskalierte die allgemeine politische Lage weiter. In Berlin, aber auch in anderen größeren und kleineren Städten der DDR, kam es zu Massenprotesten gegen das SED-Regime sowie seine Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Nur deren blutige Niederschlagung durch die Sowjetunion sowie eine anschließende Verhaftungs- und Verurteilungswelle konnten die bestehenden

164 Genannt wurden von Henselmann Dr. Strauß, Dr. Schulze-Wollgast, Architekt Flierl, Genossin Lüdemann, Dipl. Ing. Junghanns, Gartenarchitekt Lingner, Dipl. Ing. Beuster, Architekt Dalchau und Mady Grotewohl (vgl. ebd.).

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Machtverhältnisse kurzfristig absichern.165 Obwohl man entgegen der angekündigten Liberalisierung und Entspannung mit Waffen gegen das eigene Volk vorgegangen war, hielten Staat und Partei jedoch auch nach dem 17. Juni am Neuen Kurs fest.166 Deswegen, aber auch weil der Unmut in der Bevölkerung noch weiter gestiegen war, wurden die politischen Diskussionen in der Öffentlichkeit trotz allem fortgesetzt. Interventionen der freischaffenden Architekten In der Architektenschaft meldeten sich zunächst vor allem diejenigen, die am wenigsten zu verlieren hatten, energisch und in großer Zahl zu Wort: die freischaffenden Architekten, denen seit dem 05. März 1953 jede Möglichkeit genommen worden war, als Nachauftragnehmer an den großen Investitionsbauvorhaben beteiligt zu werden.167 Einer der ersten war der Meininger Architekt Wilhelm Böttner, der sich am 22. Juni an niemand geringeren als Ministerpräsident Otto Grotewohl wandte. Als „Vertrauensmann der freischaffenden Architekten des Bezirkes Suhl im BDA“ 168 konnte auch er dabei nach eigenen Angaben für eine ganze Reihe von Kollegen sprechen. Nachdem Böttner nochmals auf die existentielle Notlage der freischaffenden Architekten hingewiesen hatte, begann er seinen Brief gleich mit einem eindringlichen Appell an die durch den Neuen Kurs und die Massenproteste geschwächte DDR-Regierung:

165 Zum 17. Juni 1953 ausführlich u.a.: Volker Koop, Der 17. Juni 1953. Legende und Wirklichkeit, Berlin 2003; Kowalczuk. 166 Parallel dazu kam es jedoch auch zu einem forcierten Ausbau des Staatssicherheits- und Repressionsapparates: „Die wichtigste Phase nach dem Juni-Aufstand, die die gesamte weitere Geschichte der DDR prägte, setzte mit dem 15. Plenum des ZK der SED, vom 24. bis 26. Juli 1953, ein. Es kam zu einer umfassenden Disziplinierung der Parteibasis und zum intensiven Ausbau des Disziplinierungs- und Unterdrückungsapparates in der DDR“ (Kowalczuk, S. 263). 167 Die Regelungen zur Nachauftragnehmerschaft waren 1949 durch die „Richtlinien für die Durchführung von Entwurfsarbeiten in Entwurfsbüros der volkseigenen Industrie“ getroffen worden (hierzu BArch, DH 1/44176 [MfA]). 168 BArch, DH 1/38761 (MfA), Böttner an Grotewohl, Freie Architekten und amtliche Baupolitik, 23.06.1953. Alle nachfolgenden Zitate sind, so weit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen. Bei diesem Dokument handelt es sich um die Abschrift einer Kopie. Da Böttner diesen Brief nach eigenen Angaben bereits einem Brief an Mickin vom 22. Juni beigelegt hatte, kann angenommen werden, dass auch das Schreiben an Grotewohl auf den 22. Juni datiert werden muss (ebd., Böttner an Mickin, Amtliche Baupolitik, 22.06.1953).

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„Wenn die Regierung heute auf anderen Gebieten bemüht ist, gemachte Fehler zu verbessern, dann liegt Veranlassung vor, auf das Gebiet der Baukunst hinzuweisen, dessen eminente politische gesellschaftliche Bedeutung eine besondere Sorgfalt bei der Überprüfung der bisherigen Maßnahmen erheischt. Es sind gerade auf diesem Gebiet Fehler gemacht worden, die in ihrem Gefolge qualifizierte Kräfte lahmlegten oder zur Abwanderung veranlaßt haben, Kräfte, die ihre Bereitschaft zur Mitarbeit nach dem Kriege unter Beweis gestellt haben. Daher ist es das Gebot der Stunde, die ganze Regelung des Baugeschehens ernsthaft zu überprüfen, erkannte Fehler zu beseitigen und damit auch den freiberuflich tätigen Architekten Gelegenheit zur Mitarbeit an maßgeblichen öffentlichen oder volkseigenen Bauaufgaben zu sichern.“

Böttner forderte vor allem, das Berufsbild des freischaffenden Architekten anzuerkennen und auch bewusst zu fördern. Denn der „Anspruch“ des Architekten „auf freiberufliche Tätigkeit“ entspreche nur „dem Wesen jeder künstlerischen Berufsausübung.“ Dazu sollte nicht nur gehören, dass „neben den staatlichen und volkseigenen Entwurfsbüros [...] auch die freien Architekten zur selbständigen Durchführung öffentlicher Aufträge berechtigt“ sind, sondern auch „den Auftraggebern aller Art [...] die Wahl zwischen Entwurfsbüros und freischaffenden Architekten grundsätzlich freigestellt“ ist. Außerdem sollten die Bezirke dazu verpflichtet werden, „bisher in den Entwurfsbüros nicht untergebrachte Vorhaben zur Gewährleistung ihrer Durchführung im laufenden Planjahr sofort an geeignete freie Architekten zu vergeben.“ Böttner versuchte also, seinen Forderungen zusätzlich Nachdruck zu verleihen, indem er auf ihre Bedeutung für die Planerfüllung und damit auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen verwies. Wie schon die Gewerkschaft 17 in den späten 1940er Jahren setzte sich Böttner außerdem für eine „gewerkschaftliche Zusammenfassung“ der freien Architekten ein und schlug eine Unterorganisation des BdA vor, „welche zur gewerkschaftlichen Berufsorganisation etwa entsprechend dem Verband bildender Künstler ausgebaut wird.“ Dabei ging es ihm wie vielen anderen seiner Kollegen vor allem darum, die Berufsbezeichnung ,Architekt zu schützen. Dadurch sollte, orientiert am Berufsbild des freischaffenden Architekten, „neben der künstlerischen und technischen Befähigung auch das wirtschaftliche Verantwortungsbewußtsein sowie die charakterliche Eignung gewährleistet sein.“ Neben Böttners Brief ging im Bundessekretariat des BdA am 23. Juni auch ein Schreiben des Dresdener Architekten Ragnar Hedlund ein. Hedlund nahm darin den BdA in die Pflicht, der bislang statt einer Berufs- und Interessenvertretung der Architekten in erster Linie Transmissionsriemen der Parteipolitik gewesen war. Auch er bezog sich dabei auf das Versprechen, dass mit dem Neuen Kurs „auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und kulturellen Sektors die Privatinitiative aktiviert und gefördert werden“ 169 soll. Hedlund bat den BdA um Mitteilung, ob die Bestimmung, dass „‚Planträger [...] zum Abschluß von Verträgen nur mit volkseigenen 169 Ebd., Hedlund an BdA, Bundessekretariat, Aufträge für Privatarchitekten, 23.06.1953.

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Projektierungsbetrieben [Hervorhebung im Original, T.Z.] berechtigt‘“ sind, „einer Prüfung oder Revision“170 unterzogen würde. Reaktionen des BdA Der Druck der freien Architekten auf den BdA wurde bald so groß, dass sich Bundespräsident Hanns Hopp und Bundessekretär Walter Mickin mit einem Brief an Staatssekretär Hafrang im MfA wandten, den sie vorher bereits telefonisch kontaktiert hatten.171 Dieses Schreiben machte vor allem zwei Dinge deutlich. Zum einen ließ sich aus ihm herauslesen, wie verfahren die Situation in Architektur und Städtebau auch wegen einer weitgehend ideologisch bestimmten Berufspolitik inzwischen war. Zum anderen kam aber auch sehr klar zum Ausdruck, dass sich selbst der BdA die politische Lage zunutze zu machen und damit verbunden Verbesserungen für die Architektenschaft durchzusetzen versuchte. Inbegriffen waren dabei auch die freischaffenden Architekten. So wiesen Hopp und Mickin darauf hin, dass im Rahmen des Neuen Kurses, der u.a. eine Stärkung der Privatwirtschaft vorsah, „die [...] Lösung des Problems der Einschaltung freischaffender Architekten von größter Bedeutung“ sei. Damit verbunden gaben sie aber auch zu bedenken, dass nach einer Besserstellung der freien Architekten „eine Abwanderung aus den Staatlichen Entwurfsbüros“ erfolgen könnte. Deswegen könne man „das Problem der freischaffenden Architekten [...] nur im Zusammenhang mit der Verbesserung der Verhältnisse in den Staatlichen Entwurfsbüros betrachten und behandeln.“ Was den Bereich der freischaffenden Architekten anging, schlugen Hopp und Mickin u.a. Zugeständnisse im Bereich der so genannten Lizenz- und Genossenschaftsbauten vor. Die Abteilungen Aufbau bei den Bezirken sollten demnach die Anweisung erhalten, „bei der Vergabe von Lizenzen den Lizenzträgern die Beauftragung von freischaffenden Architekten mit der Entwurfsbearbeitung zu empfehlen.“ Das Gleiche sollte für die Produktionsgenossenschaften gelten. Diese Regelung hatte jedoch von vornherein zwei Haken: Auf der einen Seite waren die Privatwirtschaft sowie private Investitionen durch die rigorose Verstaatlichungspolitik der vergangenen Jahre fast völlig zum Erliegen gekommen. Baulizenzen wurden im privaten Bereich also so gut wie gar nicht mehr vergeben. Den freien Architekten würde also nichts anderes übrig bleiben, als darauf zu hoffen, dass die angekündigte Politik einer Stärkung der Privatwirtschaft tatsächlich in die Tat umgesetzt werden würde.172 Auf der anderen Seite handelte es sich nur um eine ,Empfehlung an die 170 Ebd. 171 Ebd., Hopp und Mickin an Hafrang, Einschaltung der freischaffenden Architekten in die Entwurfsbearbeitung, 02.07.1953. Alle nachfolgenden Zitate sind, so weit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen. 172 So schreibt Weber bereits für das Jahr 1955: „In der Industrie der DDR nahm der Anteil der ,Volkseigenen Betriebe , also des Staatssektors, ständig zu. 1955 gab es 5700

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Lizenzträger und Genossenschaften. Ob sie sich daran halten würden, stand auf einem anderen Blatt. Auch weiterhin hatten die Privatarchitekten also keinerlei Garantie, dass sie diese Aufträge tatsächlich erhielten. Was die finanziell und gestalterisch in der Regel wesentlich attraktiveren Investitionsbauten anging, machten sich Hopp und Mickin allerdings sehr deutlich für die staatlichen Entwurfsbüros stark. Sollten die freien Architekten nach der Vergabe von Lizenz- und Genossenschaftsbauten noch weitere freie Kapazitäten haben, sei es aus ihrer Sicht entscheidend, „trotzdem die Einflußnahme auf die Investobjekte lenken zu können.“173 Das sollte über Wettbewerbe geschehen, an denen sich die Privatarchitekten zwar beteiligen, die aber „eine sehr straffe Steuerung in dieser Frage möglich“ machen sollten. Vorgeschlagen wurde dem MfA jedoch auch, zu prüfen, ob man die freien Architekten nicht nur mit der „künstlerischen Oberleitung“, sondern auch der „örtlichen BauleiStaatsbetriebe mit 2,2 Millionen Beschäftigten, die mehr als 87 Prozent der industriellen Bruttoproduktion herstellten. Zwar existierten 1955 noch über 13000 Privatbetriebe, doch diese hatten weniger als eine halbe Million Beschäftigte und erarbeiteten knapp 15 Prozent der Bruttoproduktion. 1955 befanden sich die Energiequellen ganz in der Hand des Staates. In der ,volkseigenen Grundstoff- und metallverarbeitenden Industrie arbeiteten 90 Prozent der Beschäftigten, die 90 Prozent des Bruttoprodukts erzeugten. In der Leicht- und Lebensmittelindustrie war dagegen nur ein Viertel der Betriebe staatseigen, doch in diesen waren zwei Drittel der Beschäftigten und 70 Prozent der Produktion konzentriert. 1955 umfaßte der staatliche Sektor alle wichtigen Produktionszweige und die entscheidenden Großbetriebe. Damit waren die ,Kommandohöhen der Wirtschaft in die Hände des von der SED befehligten Staates übergegangen. Ebenso wie in der Industrie errichtete die Führung systematisch auch in allen anderen Wirtschaftszweigen eine neue Eigentumsordnung. So ging der Großhandel fast völlig auf den Staat über, und auch im Einzelhandel änderte sich die Struktur: Während 1950 der private Einzelhandel noch 55 Prozent des Umsatzes erzielte (Staatshandel 25 Prozent und Genossenschaften 20 Prozent), sank dieser Anteil bis 1955 auf weniger als ein Drittel). Das Handwerk arbeitete bis 1955 im wesentlichen noch auf privater Grundlage. In der Landwirtschaft dagegen hatte 1952 ebenfalls eine Strukturveränderung begonnen, da die SED die Schaffung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften begünstigte. Ihre Zahl stieg von 1900 LPGs mit 37000 Mitgliedern und 200000 ha Land im Jahre 1952 auf 6000 LPGs mit 200000 Mitgliedern und 1,2 Millionen ha Land (d.h. 18 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche) bis zum Jahre 1955. Seit 1945 gab es staatliche Güter, die 1955 fast 5 Prozent des Bodens besaßen; so wurde auch in der Landwirtschaft das Privateigentum zurückgedrängt, 27 Prozent der Produktion wurden bereits vom ,sozialistischen Sektor erzeugt“ (Weber, S. 238f.). 173 BArch, DH 1/38761 (MfA), Hopp und Mickin an Hafrang, Einschaltung der freischaffenden Architekten in die Entwurfsbearbeitung, 02.07.1953. Alle nachfolgenden Zitate sind, so weit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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tung“ beauftragen könnte. Entwurf und Bauausführung wären so – entsprechend den Wünschen vieler, nicht nur freier Architekten – wieder enger miteinander verknüpft worden. Reformvorschläge des BdA für den vergesellschafteten Entwurf Noch sehr viel konkreter und weitreichender waren schließlich die Vorschläge, die Hopp und Mickin zur „Verbesserung der Verhältnisse in den Entwurfsbüros“ machten. Unter anderem sollten eine Prämienverordnung eingeführt, die Haushaltsbindung gelockert, die Dienstreiseverordnung liberalisiert und flexibilisiert sowie die materielle Ausstattung der Büros verbessert werden.174 Über den Briefwechsel mit Hafrang hinaus zogen Hopp und Mickins Vorschläge letztlich sogar weitere Kreise. So wurden sie in ein Telegramm des Ministers für Aufbau an den BdA-Bundesvorstand übernommen. Dieser sollte sich für die von Hopp und Mickin vorgeschlagenen Verbesserungen im Bereich der freischaffenden Architekten einsetzen. Darüber hinaus wurden hier nochmals weitere Überlegungen zu Reformen innerhalb des volkseigenen Entwurfs angestellt.175 Demnach sollten der BdA und das MfA enger mit den Entwurfsbüros verbunden werden. Dabei sollten „die Kollegen des Ministeriums wie auch die Bundesvorstandsmitglieder regelmässig Rechenschaft über ihre Tätigkeit und über vorbereitete Massnahmen in den Entwurfsbüros“176 ablegen. Darüber hinaus wollte man mit den angestellten Architekten über „alle Mängel und über die Methoden ihrer Beseitigung offen sprechen.“ Versäumnisse und Fehler in Architektur und Städtebau sollten von nun an nicht mehr ausschließlich den Entwurfsbüros angelastet werden. Stattdessen sollten auch die staatlichen Stellen stärker in die Pflicht genommen werden. Darüber hinaus versprach der BdA, „sich stärker als bisher für die sozialen 174 „Zur Vermeidung einer Abwanderung aus den Entwurfsbüros müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden, dazu gehört 1. die schnelle Klärung der Frage der Prämienverordnung, 2. die Lockerung der Haushaltsbindung, sodaß [sic!] den Entwurfsbüros wieder Operationsmöglichkeiten gegeben werden [...], 4. Die Dienstreiseverordnung so zu gestalten, daß sich die Kollegen wieder vom Reißbrett lösen, 5. Bessere Arbeitsräume, besseres Arbeitsmaterial und bessere Wohnungen für die technische Intelligenz zu sichern“ (Ebd.; Interpunktion zwecks besserer Lesbarkeit teilweise T.Z.). 175 Mit uneingeschränkter Loyalität übernahm Bundessekretär Mickin in seinem Redebeitrag zur Bundesvorstandssitzung jedoch die von Partei und Regierung offiziell kolportierte Interpretation des 17. Juni. Demnach habe der Neue Kurs den politischen Gegner in die Enge getrieben, der daraufhin zum Mittel der „faschistischen Provokation“ gegriffen habe (vgl. hierzu SAPMO, DY 15/1 [BdA], Protokoll 4. BdA-BuV-Sitzung, 06./07.07.1953, Redebeitrag Mickin). 176 Ebd. Alle nachfolgenden Zitate sind, so weit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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Belange der Architekten einzusetzen.“ Konkret sollte das bedeuten, dass die bislang „ständig benachteiligt[e] [...] bautechnische[...] Intelligenz“ den Mitarbeitern im Bereich anderer Ministerien wie Schwerindustrie und Maschinenbau gleichgestellt würde. Darüber hinaus sollte entweder die Haushaltsbindung der Entwurfsbüros aufgehoben und durch die „Basis der Eigenwirtschaftlichkeit“ ersetzt werden, was größere finanzielle Spielräume und damit mehr Handlungsmöglichkeiten bedeutet hätte; oder aber die Haushaltsbindung sollte für den Fall, dass man an ihr festhalten wollte, durch eine „Prämienordnung“ ergänzt werden, die den Wettbewerb innerhalb der Büros ankurbeln sollte. Umgesetzt wurde davon jedoch kaum etwas. Letztlich nämlich ließ der Reformeifer nicht nur der DDR, sondern auch der Sowjetunion sehr bald nach.177 Bis ins Jahr 1954 hinein ließen sich einzelne Veränderungen aber trotzdem auf die JuniEreignisse zurückführen. ,Reformen von oben: Dezentralisierung und das Berufsbild des Chefarchitekten Dazu gehörte eine grundlegende Neuorganisation der Machtstrukturen in der DDR. Im Sommer 1953 war deutlich geworden, dass der seit der Auflösung der Länder noch weiter forcierte Zentralismus178 und die damit verbundene Machtkonzentration bei nur wenigen Personen und Institutionen den Staat nachhaltig geschwächt hatte.

177 Hierzu ausführlich Hubertus Knabe, 17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand, München 2003, S. 420. Nach Knabe wurden vor allem geplante institutionelle Veränderungen im Bereich von Partei und Regierung als „nicht mehr ‚zeitgemäß‘“ aufgegeben oder aber erneut zur Disposition gestellt. Die wirtschaftlichen Maßnahmen hätten sich auf Hilfslieferungen Moskaus, die Rücknahme der Reparationen, weitere Kredite sowie die Rückgabe der SAGs (mit Ausnahme der Wismut) beschränkt. Begleitet worden sei die bald einsetzende erneute Machtkonsolidierung von Partei und Regierung zudem durch einen massiven Ausbau des Staatssicherheitsapparates sowie durch eine Stärkung von Polizei und Militär. 178 Mit der Gründung der Bezirke im Sommer 1952 hatten die Länder jede Eigenständigkeit verloren. Der institutionelle Aufbau der Bezirke spiegelte die Strukturen des Zentralstaates wider. Dadurch war man bis in Einzelheiten hinein von den Weisungen der zentralen Partei- und Regierungsstellen abhängig („Die neue Linie des ,Aufbaus des Sozialismus von 1952 erforderte in der DDR auch Veränderungen im Staatsapparat. Die DDR-Regierung löste Ende Juli 1952 die bisherigen fünf Länder auf und schuf statt dessen [sic!] 14 Bezirke. Damit wurden die letzten Reste von Föderalismus, Selbstverwaltung und Landestradition beseitigt … Die Verwaltungsreform brachte nicht nur eine Zentralisierung, sie vereinfachte darüber hinaus auch die Anleitung und Kontrolle des Staatsapparates durch die SED“ [Weber, S. 206]).

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In Anlehnung an den Staatsapparat im Allgemeinen begann man deswegen ab September 1953, auch das Bauwesen zu dezentralisieren. Bislang war vorgesehen, dass der gesamte Entwurf im Wesentlichen durch die DBA und die drei Meisterarchitekten gelenkt werden sollte. Mit dieser Aufgabe aber war man hier völlig überlastet. Abgesehen von einigen zentralen Projekten wie der Berliner Stalinallee oder der Rostocker Langen Straße waren die dringend notwendigen Bauvorhaben überall im Rückstand. Vor allem der angesichts des akuten Wohnraummangels besonders wichtige Wohnungsbau war landesweit ins Hintertreffen geraten.179 Im Herbst 1953 setzten deswegen Überlegungen ein, den für Entwurf und Gestaltung zuständigen Institutionen des Zentralstaates weitere, mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattete Entscheidungsträger in den großen Bezirksstädten zur Seite zu stellen. Ähnlich wie in Berlin, wo Hermann Henselmann bereits Chefarchitekt war180, sollten auch in Magdeburg, Rostock, Dresden und Leipzig Stadt- bzw. Chefarchitekten eingesetzt werden. Als Vorbild diente dabei erneut die Sowjetunion. Am 04. September erhielt Walter Pisternik, Hauptabteilungsleiter für Architektur im MfA, eine durch das Sekretariat von Kurt Liebknecht erstellte Übersicht über Aufgaben und Funktionen des Chefarchitekten in der Sowjetunion.181 Demnach hatte der Chefarchitekt, der „dem entsprechenden Exekutiv-Komitee des Gebietes der Republik oder der Stadt“ und „der Architekturverwaltung der RSSR“ unterstand, vor allem zwei zentrale Aufgaben. Zum einen war er für „die richtige Verteilung der Bebauung“, also für die städtebaulichen Rahmenpläne, zuständig, zum anderen sollte er „die Qualität und Ausführung der Bauten“ kontrollieren. Dieses Konzept diente Pisternik, der mit seiner Abteilung einen „Entwurf Chefarchitekten bei den Räten der Städte“182 erarbeiten sollte, als Arbeitsgrundlage. Ergänzt wurde es aber um einen weiteren, ganz zentralen Aspekt, der verdeutlichte, welche Tragweite die neue Institution für den Architektenberuf im Allgemeinen sowie für die Architekten in den volkseigenen Entwurfsbüros haben würde. So hieß es unter Punkt 3, „Aufgaben der Chefarchitekten [...] sind“:

179 So umfasste der Neue Kurs auch „ein am 29. Juni 1953 beschlossenes, zusätzliches Wohnungsbauprogramm in Höhe von 600 Millionen Mark“ (Palutzki, S. 71). 180 „Von 1953 (zuerst kommissarisch, ab 1955 hauptamtlich) bis 1959 war er [Henselmann, T.Z.] Chefarchitekt von Ostberlin“ (Flierl [1998b], S. 189). 181 BArch, DH 1/38533 (MfA), Sekretariat Liebknecht an MfA, Wlassow über Chefarchitekt in der SU, 04.09.1953. Die nachfolgenden Zitate sind, so weit nicht anders vermerkt, ebenfalls dieser Quelle entnommen. 182 Ebd., HA Architektur, Entwurf „Chefarchitekten bei den Räten der Städte Magdeburg, Rostock, Dresden und Leipzig“, 03.11.1953. Die nachfolgenden Zitate sind, so weit nicht anders vermerkt, ebenfalls dieser Quelle entnommen.

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„Das kulturelle Erbe des betreffenden Gebietes zu studieren, die Ergebnisse zusammenzustellen und als Grundlage für die eigene Arbeit zu nehmen sowie die Weitergabe des kulturellen Erbes an die mit der Projektierung und Gestaltung beauftragten Entwurfsbüros.“

Und unter Punkt 2: „Die Bauaufgaben im Bereich der Stadt städtebautechnisch und künstlerisch vorzubereiten, so daß für die Entwurfsbearbeitung in den Entwurfsbüros alle wesentlichen Fragen geklärt sind.“

Etwas verkürzt könnte man also sagen: Die Chefarchitekten sollten ähnliche Funktionen erhalten wie die drei Meisterarchitekten der DBA. An der generellen Leitlinie des Sozialistischen Realismus orientiert sollten sie Ideen für ein regional geprägtes Bauen der Nationalen Traditionen entwickeln. Darüber hinaus sollten auch sie für die ,Kaderentwicklung, also für die Anleitung der gesamten Architektenschaft ihres Bezirkes und für die Nachwuchsentwicklung verantwortlich sein. Den Chefarchitekten wurde damit also eine Aufgabe übertragen, an der die Meisterarchitekten weitgehend gescheitert waren: Sie sollten die engere Verbindung des Staates zu den volkseigenen Entwurfsbüros garantieren und zum zentralen Verknüpfungspunkt eines Netzwerks werden, dem neben den Entwurfs- und Baubetrieben auch Partei- und Regierungsstellen angehörten: „Voraussetzung für die Tätigkeit des Chefarchitekten ist engste Zusammenarbeit mit der Abteilung Aufbau und Architektur der Stadt, des Bezirkes und des Ministeriums für Aufbau sowie mit allen Entwurfsbüros und Körperschaften, die für den Aufbau der Stadt von Bedeutung ist [sic!].“

Das Amt des Chefarchitekten zielte also auch darauf ab, die volkseigenen Entwurfsbüros zu stärken, um sie in Zukunft sehr viel umfangreicher als bisher mit der Erarbeitung von Entwürfen beauftragen zu können. Über die Chefarchitekten sollte dabei gleichzeitig sichergestellt werden, dass sich die volkseigenen Büros nicht allzu stark verselbstständigen würden. Die gestalterische Verantwortung lag von nun an also nicht mehr alleine bei den Meisterarchitekten, sondern bei einer ganzen Reihe von Fachleuten, die als Chefarchitekten DDR-weit die Funktion von ,Leitkadern übernehmen sollten.183 183 Hermann Henselmann sollte als Chefarchitekt von Berlin bis Januar 1954 beispielsweise „eine Reihe von Kolloquien“ durchführen, „die das Ziel haben, besonders befähigte Architekten auf ihre weitere Tätigkeit als führende Kräfte unseres Entwurfsschaffens vorzubereiten.“ Vorgesehen waren dabei „Vorlesungen über Fragen der Ästhetik, der Rolle der Kunst in unserer Gesellschaft in Verbindung mit wissenschaftlichen Kolloquien über Fragen der Architekturtheorie, des Städtebaues und der Planung sowie prak-

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Umso besser das System der Chefarchitekten funktionierte, umso stärker wurden bald auch die Meisterwerkstätten selbst in Frage gestellt. Schon im Frühjahr 1953 hatten Partei und Regierung versucht, den Einfluss der Meisterarchitekten zurückzudrängen, indem sie auch die Meisterwerkstätten zu einem volkseigenen Entwurfsbüro umgestalteten.184 Den Meistern wurden nun ein Direktor sowie eine Reihe von Produktionsleitern an die Seite gestellt, die Kontrollfunktionen ausüben und eine weitere Verselbstständigung von Henselmann, Paulick und Hopp unterbinden sollten. Diese wurden, indem man sie aus den Werkstätten ausgliederte und der DBA unterstellte185, auf die Rolle von künstlerischen Beratern reduziert, während die Leitung der Entwurfsbüros über die Einhaltung der planwirtschaftlichen Vorgaben zu wachen hatte. Nach dem 17. Juni, an dem Henselmann als Demonstrant offenbar aktiv teilgenommen hatte 186 , ergriffen er und Paulick denn auch die vermeintliche Chance und forderten erbittert die Wiederherstellung ihrer früher sehr weitreichenden Eigenständigkeit.187 Doch Partei und Regierung setzten auch weiterhin alles daran, dem durch ihre beruflichen Privilegien unterstützten Selbstbewusstsein der Meister Einhalt zu gebieten. Als dann im ersten Halbjahr 1954 noch finanzielle Schwierigkeiten innerhalb der Meisterwerkstätten hinzukamen, waren deren Tage so gut wie gezählt. So hatte die Werkstatt von Hopp inzwischen einen Verlust von 307.000,- DM eingefahren188, und auch für den Verantwortungsbereich von Paulick wurde ein Maßnahmenplan „zur Aufholung bzw. künftigen Ausschaltung von Verlusten“189 beschlossen. Kritisiert wurde zudem, dass „die Meisterwerktische Übungen und Exkursionen.“ Die Vorlesungen und Kolloquien sollten dazu beitragen, „unsere baukünstlerische Qualität zu verbessern und den Weg für eine realistische Architektur zu bereiten“ (BArch, DH 1/38761 [MfA], Mickin an MfA, HA Entwurf, Haubart, 12.10.1953). 184 Vgl. hierzu BArch, DH 1/42596 (MfA), MfA, HA Entwurf, Niederschrift über die Festlegung des Strukturplanes des Entwurfsbüros für Hochbau Berlin – Meisterwerkstätten – am 03.03.1953. 185 Dies geht aus ebd., Stellungnahme von Betriebsdirektor Wolter zu den Schreiben der Professoren Paulick und Henselmann an den Stellvertreter des Ministerpräsidenten Herrn Dr. L. Bolz, 05.08.1953, hervor. 186 „Herr Prof. Henselmann betont in seinem Schreiben, dass der Kollege Kleß [der eine Reise in die Bundesrepublik beantragt hatte, T.Z.] sich während der Juni-Ereignisse besonders bewährt habe [...] Diese Hinweis [sic!] machte uns jedoch stutzig, da Herr Prof. Henselmann mit den Provokateuren am 17.6. marschierte“ (ebd.). 187 Vgl. hierzu ebd., Paulick an Bolz, 17.07.1953, und Henselmann an Bolz, 20.07.1953. Henselmann und Paulick beriefen sich dabei explizit auf den Neuen Kurs. 188 BArch, DH 1/39264 (MfA), MfA, Plan der Maßnahmen zur Aufholung bzw. künftigen Ausschaltung von Verlusten, 16.06.1954. 189 Ebd., Paulick an Wolter, MfA, Architektur-Werkstätten, 30.06.1954.

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stätten [...] die ihnen gestellten Aufgaben nur zum Teil gelöst“ hätten. So könne man „von einer Kaderentwicklung … nicht sprechen.“190 Zum 01.06.1954 wurden die Meisterwerkstätten deswegen in Architekturwerkstätten umgewandelt.191 Damit verbunden reduzierte man die Anzahl der Mitarbeiter, die im Gegenzug für die volkseigenen Entwurfsbüros tätig werden und diese durch ihr Know-How unterstützen sollten. Darüber hinaus sollten zahlreiche Projekte der Meisterwerkstätten an die volkseigenen Büros abgegeben werden.192 Zusammenfassend kann man also sagen, dass in der ersten Hälfte der 50er Jahre kaum ein anderes Ereignis nachhaltigere Auswirkungen auf den Architektenberuf hatte als der Neue Kurs und der 17. Juni 1953. Staat und Partei schränkten berufliche Privilegien, die Meisterarchitekten wie Hermann Henselmann, Richard Paulick und Hanns Hopp vorher gewährt worden waren, nach den Protesten zwar erneut ein. Allgemeines Ziel war es nun jedoch, analog zu den staatlichen Strukturen auch das Bauwesen und damit zugleich den architektonischen Entwurf zu dezentralisieren. Trotz der Schwierigkeiten, in die man aus politischer Sicht mit den Meisterwerkstätten hineingeraten war, kam man auch weiterhin nicht umhin, einzelnen Architekten eine beruflich herausgehobene Stellung zuzusichern. Indem man DDRweit in allen größeren Bezirksstädten die Institution des Chefarchitekten ins Leben rief, setzte man letztlich den Personalisierungsprozess, der mit den Meisterarchitekten begonnen hatte, in sehr viel größerem Maßstab und sehr viel flächendeckender fort. Denn auch die Chefarchitekten konnten, so lange sie sich an die allgemeinen kulturpolitischen Leitlinien hielten, sehr viel stärker auf die Gestaltung von Archi-

190 Ebd., Protokoll über die am 22.6.1954 stattgefundene Betriebsversammlung in den Architektur-Werkstätten, 30.06.1954. 191 Vgl. hierzu ebd. sowie BArch, DH 1/38672 (MfA), MfA, HV Entwurf, HV-Leiter Koll. Engemann an HA Architektur, Pisternick, Betreff: Architektur-Werkstätten des MfA, 18.09.1954/Statut des Betriebes „Architektur-Werkstätten/Anordnung über die Umbildung des Entwurfsbüros für Hochbau – Meisterwerkstätten vom 31.03.1954. 192 Ebd., Architektur-Werkstätten, – Betriebsleitung –, Niederschrift über Reduzierung der Meisterwerkstatt Professor Hopp lt. Statut, § 5, Pos. 3, 01.07.1954. Mit Wirkung vom 01.08.1954 sollte das Objekt Hörsaalflügel der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig an ein Leipziger Entwurfsbüro abgegeben werden. Nach einer Niederschrift zur Reduzierung der Werkstatt Paulick sollte das Seminar- und das Internatsgebäude der Hochschule für Verkehrswesen Dresden von einem Dresdener Entwurfsbüro übernommen werden. Die Vorschläge für die Reduzierung der Meisterwerkstätten wurden teilweise von den Architekturwerkstätten selbst – und damit unter Beteiligung von Hopp und Paulick – ausgearbeitet (vgl. hierzu ebd., MfA, komm. HV-Leiter Latus an Abt. Planung, Koll. Kühnert, Reduzierung der Meisterwerkstatt Prof. Hopp und Prof. Paulick, 08.07.1954).

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tektur und Städtebau Einfluss nehmen als ihre Kollegen, die als Privatarchitekten arbeiteten oder aber in den volkseigenen Entwurfsbüros angestellt waren. Doch auch für die angestellten Architekten änderte sich einiges. Zwar hatten sie sich weitgehend dem gestalterischen Diktat der DBA und der Chefarchitekten zu fügen. Trotzdem aber konnten sie von den beschriebenen Dezentralisierungsprozessen profitieren. War die Mehrzahl der Entwurfsleistungen bislang nämlich von der DBA und den Meisterwerkstätten erbracht worden, so wurde der Entwurf von nun an nach und nach auf eine DDR-weite Basis gestellt und dabei von den Chefarchitekten kontrolliert. Den zentralstaatlichen Institutionen des Bauwesens traten auf diese Weise vermehrt fachliche Entscheidungsträger in Bezirken und Kommunen an die Seite. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich eine ganze Reihe von Entwicklungen verstehen, die ab Mitte der 50er Jahre das berufliche Umfeld der Architekten nach und nach veränderten. So machte es die Stärkung der volkseigenen Entwurfsbetriebe möglich, dass einzelne Büros auf Dauer ein eigenes Profil oder aber auch spezielle Fachkompetenzen in bestimmten Bereichen ausbilden konnten. Indem man die Bezirke und Kommunen mit den Chefarchitekten erneut zu ernst zu nehmenden Akteuren in Architektur und Städtebau machte, schuf man darüber hinaus die Grundlage für die – trotz aller Vereinheitlichungstendenzen – durchweg vorhandenen eigenständigen Entwicklungen in einzelnen Städten und Regionen. Unmittelbar oder aber auch nur indirekt hatte der 17. Juni also dazu geführt, dass wieder eine Vielzahl von Akteuren an Entwurf und Planung beteiligt wurden. Das aber stellte letztlich eine nicht zu unterschätzende Grundlage für die vielfältigen Debatten und Diskussionen dar, die nach Chruschtschows Neuausrichtung der Baupolitik auch über die gestalterische Doktrin des Sozialistischen Realismus einsetzten. I.2.3 Architekten als verantwortliche Einzelakteure (II): Die Beispiele Gerhard Kosel und Benny Heumann Einführung Zur turbulentesten Zeit für Architektur und Städtebau der DDR wie auch für die Architektenschaft sollte die Zeit ab etwa 1954 bis zum Ende der 50er Jahre werden. Schon der Tod Stalins hatte 1953 zu einem kurzen Tauwetter geführt, das auch an Teilen der Architektenschaft nicht spurlos vorübergegangen war und u.a. zu den eben geschilderten fachlichen Interventionsversuchen geführt hatte. Niemand konnte jedoch damals vorausahnen, zu welch fundamentalen und weitreichenden Umbrüchen es durch die weiteren Entwicklungen in der Sowjetunion noch kommen sollte. Ein erstes einschneidendes Datum stellte dabei der 07. Dezember 1954 dar. Nach heftigen internen Machtkämpfen hatte sich Nikita Chruschtschow inzwischen als der führende Kopf der KPdSU durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund hielt er an

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jenem 07. Dezember eine Rede auf der Moskauer Allunionstagung der Bauschaffenden, die in die Architektur- und Städtebaugeschichte des gesamten Ostblocks eingegangen ist. Mit der Losung „Besser, billiger, schneller bauen“ 193 brach Chruschtschow damals – zumindest auf den ersten Blick – mit dem Bauen der Stalin-Zeit. Kritik übte er vor allem daran, dass bislang alles der Repräsentation untergeordnet worden war. Das hatte die Kosten enorm in die Höhe schnellen lassen, das Bauwesen insgesamt aber weit zurückgeworfen. Chruschtschow versuchte dem ein (zumindest teilweise) neues Konzept entgegenzusetzen. Demnach sollte in den folgenden Jahren vor allem die Industrialisierung des Bauens vorangetrieben werden, um in möglichst kurzer Zeit und zu geringeren Kosten diese enormen Rückstände aufholen zu können. Gerade im Wohnungsbau, teilweise aber auch im Gesellschaftsbau, sollte darüber hinaus bald auf eine begrenzte Anzahl von Typen zurückgegriffen werden können. Auf diese Weise sollten Bauprozesse optimiert, vor allem aber auch die Kosten für den Entwurf drastisch gesenkt werden. Statt individuelle Entwürfe zu erarbeiten, sollten Architekten eine Standortanpassung der Typen vornehmen. Der Einfluss der Rede Chruschtschows auf Architektur und Städtebau, aber auch auf den Architektenberuf in der DDR war von größter Tragweite. Sie erschütterte die gesamte bisherige Baupolitik und führte zu einer weitreichenden Kursänderung. Die Jahre nach 1955 wurden so zu Schlüsseljahren für den Architektenberuf. Doch nicht nur die Baupolitik, sondern auch die Architekten selbst waren durch Chruschtschow wachgerüttelt worden. Immer wieder flackerten ab Mitte der 50er Jahre erneut hitzige Debatten um ihren fachlichen Einfluss und ihre berufliche Stellung, aber auch über gestalterische Fragestellungen auf. Weiter forciert wurden sie, als in Moskau schließlich vom 14. bis zum 26. Februar 1956 der XX. Parteitag der KPdSU tagte, auf dem Chruschtschow seine so genannte ,Geheimrede hielt. Auch wenn er es dabei vermied, an den Grundfesten des sowjetischen Systems – beispielsweise am Machtmonopol der KPdSU und damit an den undemokratischen Macht- und Entscheidungsstrukturen – zu rütteln, weckte seine Rede im gesamten Ostblock doch die Hoffnung auf eine gewisse Liberalisierung. Nicht unterschätzt werden darf dabei, welche Auswirkungen die Abrechnung mit dem Stalinschen Personenkult und Teilen der bislang als unfehlbar apostrophierten Politik hatte. Nicht nur politische Konzepte standen plötzlich zur Debatte und zur Disposition. Auch die Glaubwürdigkeit von Personen, die die Politik der letzten Jahre mitgetragen oder mit vorangetrieben hatten, war vielfach erschüttert.194 Es verwundert also 193 So der Titel, unter dem Chruschtschows Rede Anfang 1955 in der DDR publiziert wurde (hierzu und zu den im Folgenden kurz wiedergegebenen, damit einhergehenden Änderungen in der Baupolitik u.a. Palutzki, S. 115ff.; Richter, S. 28-32). 194 Zu diesen Entwicklungen ausführlich u.a.: Filtzer, vor allem S. 28-40; William J. Tompson, Khrushchev. A political life, Basingstoke 1995.

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kaum, dass sich ausgelöst durch den XX. Parteitag und die von ihm ausgehenden Reformbewegungen in Polen und Ungarn die von Teilen der Architektenschaft bereits seit 1953 unternommenen Interventionsversuche weiter verstärkten. Im Folgenden soll in diesem Zusammenhang jedoch zunächst dargestellt werden, dass die mit der Allunionstagung der Bauschaffenden verbundenen Reformen zwar zu einer umfassenden Neuausrichtung der Baupolitik führten, dass diese bei genauerer Betrachtung aber nur technisch-konstruktiv, nicht aber gestalterisch ausgerichtet war.195 Erneut waren es Architekten, die daran wesentlichen Anteil hatten  in diesem Fall vor allem Gerhard Kosel und Benny Heumann. Erst der genauere Blick auf ihr berufliches Handeln als Leitkader lässt deswegen Erklärungen darüber zu, warum sich die im Anschluss zu schildernden Interventionen nicht zuletzt an gestalterischen Fragen abarbeiteten, obwohl die von der Forschung vielfach auch mit einer ästhetischen Modernisierung gleichgesetzte Industrialisierung des Bauens inzwischen längst in vollem Gange war. Der Blick auf das Handeln der als Architekturfunktionäre tätigen Fachleute lässt dementsprechend also auch die DDRArchitekturgeschichte der späten 50er Jahre in anderem Licht erscheinen. So wird sich zeigen, dass der oftmals mit der Allunionstagung der Bauschaffenden angesetzte Umbruch hin zu einer ,Nachgeholten Moderne196 eher als ein langsamer und langwieriger Aufbruch beschrieben werden muss, der sich über die gesamte zweite Hälfte der 50er Jahre hinzog.197 195 So heißt es u.a. schon bei Andreas Tönnesmann: „Gebärdete man sich beim Nachvollzug der neuen Leitlinie [der Industrialisierung des Bauwesens, T.Z.] in der DDR ohnehin nicht übereifrig, so dauerte es besonders lange, bis sich moderne, bis dahin als westlich gebrandmarkte Bauformen in das Machtzentrum Berlin und dort in die Gattung des staatlichen Repräsentationsbaus Eingang verschaffen konnten“ (Tönnesmann, S. 130). Schon Anfang der 60er Jahre schrieb denn auch Martin Wimmer: „So wurde zum Beispiel die durchaus richtige Methode der Typenprojektierung, als Voraussetzung und Organisationsmittel des industriellen Bauens, in der Vergangenheit nur nach der technisch-ökonomischen Seite hin begründet und ausgebaut. Die baukünstlerische Seite aber wurde als nebensächlich betrachtet und dem Selbstlauf überlassen. Eine andere Ursache lag darin, daß sich der Übergang zum industriellen Bauen vollzog, ohne daß zugleich eine neue Konzeption für die weitere Entwicklung des Städtebaus und der Architektur ausgearbeitet wurde“ (Wimmer). Die folgenden, sehr stark auf die fachliche Haltung von Einzelpersonen ausgerichteten Untersuchungen werden diese Einschätzungen durchweg bestätigen. 196 Hierzu auch Thomas Topfstedt, „Die nachgeholte Moderne. Architektur und Städtebau in der DDR während der 50er und 60er Jahre“, in: Gabi Dolff-Bonekämper/Hiltrud Kier (Hgg.), Städtebau und Staatsbau im 20. Jahrhundert, München 1996, S. 39-54. 197 Hierzu auch Werner, S. 38 und zu den damit verknüpften ideologischen Unsicherheiten zudem Palutzki, S. 117.

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Gerhard Kosel und Benny Heumann: Zwischen institutionell-struktureller Erneuerung und gestalterischem Konservativismus An sich waren Industrialisierung und Typisierung schon lange Bestandteil der offiziellen Baupolitik der DDR gewesen. So war schon zum 01. Januar 1953 ein eigenes Entwurfsbüro für Typung beim MfA gegründet worden.198 In den Anfangstagen wurde das Büro zunächst jedoch eher vernachlässigt. Erst mit dem Neuen Kurs und dem sich anbahnenden sowjetischen Politikwechsel wurde ihm seitens der Baupolitik plötzlich ein lebhafteres Interesse entgegengebracht. Kritisiert wurden nun jedoch sogleich seine ungenügenden Leistungen. Eine Besprechung zwischen einem Vertreter des MfA und den Leitern des Entwurfsbüros, die Mitte August 1954 stattfand und durch einen Aktenvermerk überliefert ist, deckte jedoch die wahren Hintergründe auf. Demnach litt das Büro auch anderthalb Jahre nach seiner Gründung immer noch unter katastrophalen Arbeitsbedingungen, die es keineswegs selbst zu verschulden hatte. So gab es weder eine klar formulierte Aufgabenstellung noch wurde das Büro, wie vorgesehen, in irgendeiner Weise durch die entsprechenden Abteilungen im Ministerium angeleitet oder unterstützt.199 Dieser Zustand sollte sich nun ändern. Schon Ende August wurde ein neues Statut erarbeitet, das dem Direktor des Büros das Recht einräumte, eigenständig Ar198 „Mit sofortiger Wirkung ist ein Zentralinstitut für Entwurf zu bilden, dem eine umfassende Beurteilung der fertiggestellten Projektierungsleistungen obliegt. Es hat die Senkung der Baukosten zu fördern, die Typisierung von Bauwerken zu beschleunigen und den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt zu pflegen sowie alle mit diesen Aufgaben zusammenhängenden Grundsatzfragen zu klären“ (BArch, DH 1/42599 [MfA], Beschluss über die Reorganisation der baulichen Projektierung, offenbar durchgeführt zum 01.01.1953, S. 2f.). 199 „Von Seiten des Entwurfsbüros für Typung sind fortlaufende Bemühungen nachweisbar, diese Aufgabenstellung weiter zu präzisieren [die im Vorfeld erläutert worden ist, T.Z.]. Es ist von Seiten der anleitenden und kontrollierenden Dienststellen jedoch keine klare Entscheidung getroffen worden. Statt dessen [sic!] ist das Entwurfsbüro für Typung wiederholt auf Unverständnis und völlig abwegige Auslegungen gestoßen [...] Tatsächlich warten wir auf von uns geforderte schriftliche Bestätigungen zu Einzelaufträgen des Arbeiterwohnungsbaues noch heute [...] Dagegen bestanden bei der auftraggebenden Hauptabteilung Architektur keinerlei Vorstellungen über Umfang und Ziel der durchzuführenden Arbeiten. Es fehlte demzufolge jede Disposition. Von uns vorgeschlagene Arbeitspläne wurden weder abgeändert noch ersetzt – sie wurden unbeachtet gelassen“ (BArch, DH 1/38610 (MfA), Entwurfsbüro für Typung (MfA), Aktenvermerk Besprechung HV-Leiter Engemann mit dem Entwurfsbüro für Typung (Direktor Fischer; technischer Direktor Linneke), den Vertretern der Parteileitung Damerow und Seyfarth sowie dem BGL-Vorsitzenden Hecking, 13.08.1954).

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beitspläne aufzustellen.200 Trotz allem ging es jedoch damals – ein gutes Vierteljahr vor der Chruschtschow-Rede – nicht um mehr als einige halbherzige Verbesserungen der Typenprojektierung. Von einem Politikwechsel konnte noch lange keine Rede sein, zumal die DBA immer noch von Liebknecht und den Leitlinien der vorangegangenen Jahre bestimmt war. Dem aufmerksamen, mit den Winkelzügen kommunistischer Personalpolitik vertrauten Beobachter musste jedoch schon damals auffallen, dass sich der Wind von Moskau her zu drehen begann. So erlaubte die sowjetische Führung dem Architekten Gerhard Kosel nach langem Widerstand und Vorlauf ebenfalls 1954 die Ausreise in die DDR. Kosel201, der von 1927 bis 1932 u.a. bei Bruno Taut und Hans Poelzig Architektur studiert hatte und Anfang der 1930er Jahre der KPD beigetreten war, hatte seit 1932 in der Sowjetunion gelebt. Hier war er bis 1936 zunächst am Aufbau der Stadt Nowokusnezk beteiligt, beschäftigte sich als Gruppenleiter im Projektierungstrust Gostroiprojekt mit „der Entwicklung von Typenbaukonstruktionen und Typenprojekten für den Wohnungsund Gesellschaftsbau“ und wurde schließlich, „als die Industrialisierung des Bauens in den dreißiger Jahren forciert wurde, [...] Leiter der Arbeitsgruppe Typung“ 202 an der Moskauer Architekturakademie. Kosel hatte also umfangreiche Erfahrungen und Kenntnisse im Bereich des industriellen Bauens vorzuweisen. Es gab kaum einen Zweifel, dass die Sowjetunion ihn nun in Position brachte, damit er diesem auch in der DDR lange brachliegenden Bereich unter die Arme greifen konnte. Nach der Chruschtschow-Rede vom Dezember 1954 sprach darüber hinaus noch ein weiterer großer Vorzug für Kosel. Als Neuankömmling war er unverbraucht und konnte den baupolitischen Umbruch glaubwürdig verkörpern. Führende Architekten wie Hanns Hopp, Hermann Henselmann, Richard Paulick oder Kurt W. Leucht, aber auch baupolitische Kader wie Kurt Liebknecht oder Architekturtheoretiker wie Kurt Magritz personifizierten zunächst regelrecht das bisherige, mit großem finanziellem und gestalterischem Aufwand betriebene Planen und Bauen. Von Anfang an deutete also vieles darauf hin, dass Kosel zur neuen Leitfigur des Bauwesens werden und Kurt Liebknecht diese Rolle auf Dauer streitig machen sollte. Wie dieser sollte auch Kosel die neuen Leitlinien ,von oben nach unten durchsetzen und damit eine Rolle übernehmen, die Christine Hannemann als die eines „system builders“ 203 beschrieben hat. Zugute kam Kosel dabei auch, dass er mit 200 Dabei musste er sich vorher jedoch mit den verschiedenen HVen des MfA, der DBA, der SPK und des Zentralamts für Technik abstimmen, so dass der übergeordnete Einfluss zentraler Regierungsstellen sichergestellt war. In Kraft treten sollte das Statut zum 01.01.1955 (ebd., Entwurf Statut Entwurfsbüro für Typung, 30.08.1954). 201 Zur Biographie Kosels s. u.a.: Kosel (1989); Schätzke; Barth (2000), S. 128f.; IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 04/0348 (Gerhard Kosel). 202 Hannemann, S. 72. 203 Hierzu ausführlich ebd., S. 75-82.

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„einer spezifischen Führungsqualität“ ausgestattet war, die „fachliche und politischideologische Kompetenz zu einer genuin ‚staatssozialistischen‘ Managementleistung“204 zu verschmelzen in der Lage war. So war es Kosel, bei dem bald alle Fäden der neuen Baupolitik zusammenlaufen sollten (Abb. 9). Auch der Politikwechsel Mitte der 50er Jahre war damit weiterhin eng an eine Form fachlicher Personalisierung gebunden, wie sie bereits für die Durchsetzung des Bauens der Nationalen Traditionen entscheidend gewesen war. Schon am 20. Dezember, also nur wenige Tage nach der Chruschtschow-Rede, fand im MfA denn auch eine Besprechung „Über die Methode der Typenprojektierung“ statt, auf der Kosel einen Grundsatzvortrag hielt.205 Am Ende beschloss man einstimmig, dass „die in der Sowjet-Union entwickelte Methode der Aufstellung von Typenentwürfen [...] der weiteren Ausarbeitung von Typenprojekten im Büro für Typung [...] zugrundezulegen“ ist. Vor allem aber wuchs der Einfluss Kosels. Das Entwurfsbüro für Typung sollte nunmehr in „Absprache mit Koll. Kosel“ arbeiten, der außerdem „für die Popularisierung der sowjetischen Entwurfsmethode in weiterem Kreise Sorge zu tragen“206 hatte. Parallel dazu ermöglichten ihm Staat und Partei eine beispiellos schnelle Karriere und garantierten ihm so den nötigen institutionellen Rückhalt. Bereits im Frühjahr 1955 stieg Kosel zum Stellvertreter des Ministers für Aufbau auf und übernahm als Staatssekretär innerhalb des Ministeriums den Bereich Technik und Projektierung. 207 Seinen ersten großen Auftritt hatte er dann auf der Ersten Baukonferenz vom April 1955, auf der er die Aufgabe hatte, in umfassender Weise die Weichen für die zukünftige Baupolitik des Landes zu stellen. Kosel genoss nun also jene privilegierte berufliche Stellung, die man Kurt Liebknecht und den Meisterarchitekten zu entziehen begann oder bereits entzogen hatte.208 Neben Gerhard Kosel spielte bei der Vorbereitung der Ersten Baukonferenz darüber hinaus der Architekt Benny Heumann eine zentrale Rolle. 1907 geboren, hatte er wie Kosel an der TH Charlottenburg Architektur studiert und war als Sohn der Kommunistin Bluma Heumann bereits früh politisch aktiv gewesen. Ab 1933 lebte auch er in der Sowjetunion und arbeitete dort zunächst in der Moskauer Bauverwaltung sowie zwischen 1936 und 1954 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Architekturakademie. 1948 bis 1950 studierte er außerdem an der Universität für Mar204 Ebd., S. 69. 205 Publiziert als Kosel (1955). 206 BArch, N 2504/235 (Nachlass Kosel), MfA, Protokoll der Besprechung am 20.12.1954, Tagesordnung: „Über die Methode der Typenprojektierung“, Berlin, 22.12.1954, Bl. 75. 207 Vgl. hierzu Schätzke, S. 142. 208 Hier zeigte sich also auch, wie kurzlebig berufliche Privilegien in einem staatssozialistischen System sein konnten. Ein ähnliches Schicksal sollte einige Jahre später auch Kosel selbst ereilen (hierzu ausführlicher Kapitel I.3.3).

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xismus-Leninismus.209 Heumann war im Juni 1954 in die DDR zurückgekehrt. Dort wurde er zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der DBA. Schon im November 1954 wurde er aber in die Abteilung Bauwesen des ZK der SED befördert. Während Kosel also auf Regierungsseite installiert wurde, besetzte Heumann eine entscheidende Stelle innerhalb des Parteiapparates. Die Einseitigkeit des Paradigmenwechsels: Kosel als Verfechter eines traditionellen Konzepts von Sozialistischem Realismus Ab 1955 waren Heumann, Kosel und eine Reihe von Mitarbeitern210 zunächst damit beschäftigt, einen „Beschlußentwurf ‚Über die wichtigsten Aufgaben im Bauwesen‘“211 auszuarbeiten. Er wiederum wurde zur Grundlage der Ersten Baukonferenz, die vom 03. bis 06. April 1955 in der Sporthalle an der Berliner Stalinallee stattfand212 und den entscheidenden Ministerratsbeschluss vom 21. April 1955 vorbereitete.213 Sehr systematisch und konsistent hatte Kosel auf der Baukonferenz sein Konzept der „konsequenten Industrialisierung des Bauens“ als „Einführung der Produktionsweise der Industrie in das Bauwesen“214 beschrieben. „Massenproduktion von Typenbauelementen“, „Mechanisierung der Bauarbeiten und ihre [...] Durchführung im Takt- und Fließverfahren“ sowie „Umwandlung der Baustellen in Montageplätze“215 hießen die zentralen Schlagworte. Entstehen sollten auf diese Weise Typenprojekte, die nach Kosel die „beste bautechnische, bauwirtschaftliche und baukünstlerische Lösung einer [...] Aufgabe“216 darstellen würden. Außerdem sollten sie zum 209 Zur Biographie Heumanns: IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 03/0247 (Benny Heumann); Benny Heumann, Benny Heumann. Jahrgang 1907. Ein politischer Architekt, Berlin 1997; Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 12, S. 24f. u. 468. 210 Dazu gehörten laut Kosel „viele Architekten, Ingenieure, Ökonomen, Neuerer der Produktion und Wissenschaftler aus dem Bauwesen und aus anderen Zweigen der Volkswirtschaft“ (BArch, N 2504/423 [Nachlass Kosel], Kosel, Manuskript zum Buch „Unternehmen Wissenschaft“, S. 179). 211 Ebd. 212 Ebd., S. 180. Laut Kosel kamen auf dieser Baukonferenz „1200 Delegierte aus allen Teilen der Republik“ zusammen: „Bauarbeiter, Architekten und Ingenieure, Vertreter der Betriebe und der gesellschaftlichen Organisationen, Bürgermeister von Städten und Gemeinden sowie Vertreter anderer Wirtschaftszweige, der Bauauftraggeber und Kooperationspartner des Bauwesens“ (ebd.). 213 Ebd., S. 186. 214 Ebd., S. 181. 215 Ebd. 216 Ebd.

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„Bindeglied“ werden, „über das die Erkenntnisse der Bauwissenschaft in stärkstem Maße planmäßig in die Praxis einfließen.“217 So wollte Kosel schließlich das „allgemeine Ziel“ erreichen, die Produktivität der Arbeit „durch Anwendung der fortschrittlichen Technik und Wissenschaft“218 zu erhöhen. Vor allem aber sollte  so machte später auch der Titel seiner Autobiographie deutlich219  die Architektenarbeit umfassend verwissenschaftlicht und in erster Linie als Produktivkraft begriffen werden. Im Kontrast dazu standen jedoch Kosels Ausführungen über Entwurf und Gestaltung. Hier wandte er sich gegen eine „Fetischisierung der technischen Form“ und die „primitive Lehre des Konstruktivismus, die letzten Endes darauf hinausläuft, alles das in den Himmel zu heben, was gut oder angeblich gut konstruiert ist und funktioniert.“220 Unmissverständlich stellte er fest, dass „die Forderung an unsere Architekten, im Rahmen des industriellen Bauens schöpferisch zu wirken, [...] keinesfalls eine Rückkehr zum Konstruktivismus“221 bedeute. Stattdessen stellte er eine durchaus gewagte These auf. Er behauptete nämlich, dass „industrielle Bautechnik und Architektur des sozialistischen Realismus [...] in ihren Forderungen durchaus in eine Richtung“222 streben würden. Darüber hinaus behauptete er: „Die Methode der Typenprojektierung und die des sozialistischen Realismus durchdringen einander, wie sich moderne Technik und Kunst in der sozialistischen Architektur durchdringen.“223 Wenn man als Zuhörer oder Leser allerdings auf nähere Ausführungen zu diesen sich nicht unbedingt von selbst erklärenden Gedanken hoffte, wurde man im Folgenden enttäuscht. Aus Kosels Sicht sollte nämlich bis auf einige kleinere Korrekturen alles beim Alten bleiben. So schlug er vor: „Auch die sogenannten ‚architektonischen Details‘, also Gesimse, Fenstergewände, Türeinrahmungen, Balkongeländer usw., welche ja auch industriell gefertigt werden sollen, sind für die Serie einheitlich zu entwerfen, wobei hier selbstverständlich auf kulturelle Traditionen, klimatische und andere Gegebenheiten des Landes, des Bezirkes, in dem das Typenprojekt angewendet werden soll, ebenso wie auf die Möglichkeit ausreichender Varianten der Gestal-

217 Ebd. 218 Ebd., S. 182. 219 Kosel (1989). 220 BArch, N 2504/528 (Nachlass Kosel), Kosel, „Über Industrialisierung und Typisierung“, in: Die Baukonferenz der DDR vom 3. bis 6. April 1955, = Schriftenreihe „Die Bauwirtschaft“, Heft 2, hg. von der Regierung der DDR, MfA. 221 Ebd. 222 Kosel (1955), S. 198. 223 Ebd., S. 200.

110 | A RCHITEKTEN IN DER DDR tung Rücksicht zu nehmen ist [...] Die Gestaltung eines Typenbaues muß von der Untersuchung der architektonischen Tradition der Gegend ausgehen, für die er bestimmt ist.“224

Eindeutig schwebte Kosel also ein industrialisiertes Bauen der Nationalen Traditionen vor (Abb. 10). Auch wenn er später versuchte, sich als Vorkämpfer der architektonischen Moderne zu stilisieren, hatte er als solcher weder damals noch später eine besonders bedeutende Rolle gespielt. Zwar zitierte er seit den 80er Jahren immer wieder gerne seine Kritik, die er 1955 am ersten, zwei Jahre zuvor in BerlinJohannisthal errichteten Versuchsplattenbau geübt hatte: „Der konstruktive Kern des Hauses ist hier mit einer Hülle von Formelementen, von Pilastern und Gesimsen bekleidet worden, die mit dem Kern in keinem rechten Zusammenhang steht. Das Verschmelzen von konstruktiver und künstlerischer Form, das Überführen des konstruktiven Systems in ein tektonisches ist aber gerade ein Merkmal der bedeutendsten Werke der Vergangenheit. Die Lehre von der kritischen Aneignung des architektonischen Erbes auf den Lippen hat man hier gegen die Lehren der alten Meister gesündigt.“225

Kosel wurde später nicht müde zu behaupten, dass dies „eine klare Abkehr von der Architektur der Stalinallee, der antikisierenden Form des sozialistischen Realismus in der Baukunst“226 gewesen sei. Er verschwieg dabei jedoch, dass er seine Kritik an Johannisthal zugleich mit einer unmissverständlichen Klarstellung verbunden hatte: „Die Forderung nach einem Zusammengehen von konstruktiver und architektonischer Form bedeutet aber nicht, daß die architektonische Form sich – der Lösung eines Rechenexempels gleich – aus der Anwendung eines gewissen Baustoffes, einer gewissen Konstruktions- und Fertigungsweise automatisch ableiten läßt.“227

Kosels Rolle als „system builder“ beschränkte sich also sowohl jetzt als auch in den folgenden Jahren auf die Durchsetzung von Industrialisierung und Typisierung. Er war der festen Überzeugung, dass sie wissenschaftlich exakt vorbereitet und gesteuert der Schlüssel zu den Problemen des DDR-Bauwesens sein würde. Dazu ge224 Ebd., S. 199. 225 BArch, N 2504/528 (Nachlass Kosel), Kosel, „Über Industrialisierung und Typisierung“, in: Die Baukonferenz der DDR vom 3. bis 6. April 1955, = Schriftenreihe „Die Bauwirtschaft“, Heft 2, hg. von der Regierung der DDR, MfA. 226 Kosel (1989), S. 176. 227 BArch, N 2504/528 (Nachlass Kosel), Kosel, „Über Industrialisierung und Typisierung“, in: Die Baukonferenz der DDR vom 3. bis 6. April 1955, = Schriftenreihe „Die Bauwirtschaft“, Heft 2, hg. von der Regierung der DDR, MfA.

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hörten für ihn die Beseitigung des Wohnraummangels, der Aufbau einer leistungsfähigen Industrie und der rasche Ausbau gesellschaftlicher Einrichtungen wie etwa Kaufhallen, Kinderkrippen, Theater und Kulturhäuser. Immer wieder war es Kosel, der als Staatssekretär im MfA und später als Präsident der DBA Architekten und politische Entscheidungsträger auf das industrielle Bauen einschwor. Mit der Wiederentdeckung und der Rehabilitierung verschiedenster Strömungen der architektonischen Moderne hatte er jedoch kaum etwas zu tun. Im Gegenteil: Kosel war über mehr als zwei Jahrzehnte in der Sowjetunion sozialisiert worden. Von hier hatte er die Vorstellung einer ,von oben nach unten durchgesetzten Parteipolitik ebenso übernommen wie seine kulturpolitischen Überzeugungen. Hatte sich schon Chruschtschows Forderung nach einer einfacheren Gestaltung schwerpunktmäßig auf den Wohnungsbau bezogen228, so hielt auch Kosel in den nächsten zehn Jahren vor allem im Bereich des repräsentativen Bauens weitgehend an einem konservativ interpretierten Sozialistischen Realismus fest. In gestalterischer Hinsicht war Kosel also weit davon entfernt, „zu den ersten namhaften Befürwortern einer Rückbesinnung der DDR auf Traditionen des Bauhauses“229 zu gehören. Seine konservative Haltung hatte stattdessen ähnlich weitreichende Auswirkungen auf die Handlungsspielräume und die fachlichen Möglichkeiten seiner Kollegen wie die in der ersten Hälfte der 50er Jahre durch Kurt Liebknecht und die Meisterarchitekten mit entwickelte Leitlinie des Bauens der Nationalen Traditionen. Jene stilistischen Unsicherheiten und der aus ihnen resultierende gestalterische Stillstand, wie er besonders augenfällig im Umfeld des Ostberliner Zentrumswettbewerbs230 zum Ausdruck kommen sollte, war so auch ganz wesentlich auf die Arbeit des Architekturfunktionärs Kosel und der unter seinem Einfluss stehenden Baupolitik zurückzuführen (Abb. 11-12). Aber auch die Tatsache, dass die Industrialisierung des Bauens auf eine einseitige Betonung des Technisch-Konstruktiven hinauslief, hatte ihre Ursache in dieser an überkommenen gestalterischen Vorstellungen orientierten Haltung der Architekturfunktionäre. Da sich Kostensenkung und industrielles Bauen auf der einen sowie ein klassisch-repräsentativer Gestaltungsansatz auf der anderen Seite mehr oder weniger ausschlossen, konzentrierte man sich bald beinahe ausschließlich auf einen ingenieurmäßig betriebenen Wohnungsbau. Gestalterische Aspekte hingegen blieben auf Grund ideologischer Unsicherheiten weitgehen ausgeklammert.231 Gerade an dieser Problematik, die auch eine weitere Hintanstellung 228 Hierzu u.a. Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 462ff. 229 Schätzke, S. 142f. 230 Hierzu ausführlich Müller (2005), S. 155-226. 231 So verdeutlichen etwa auch Notizen von Kurt Junghanns, der im Juli 1958 durch eine Parteiaktivtagung des MfB, der Abteilung Bauwesen der SPK und der DBA abgemahnt worden war, sehr deutlich, dass man nicht bereit war, von den gestalterischen Konzeptionen der frühen 50er Jahre abzurücken (hierzu AdK Berlin, Nachlass Junghanns,

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von Architektenberuf und Architektenarbeit zur Folge hatte, entzündete sich denn auch die Kritik zahlreicher Fachleute. Die Mitte der 50er Jahre unternommenen Interventionsversuche waren somit also unmittelbar auf die von den Leitkadern und damit auch Berufskollegen forcierten widersprüchlichen Entwicklungen zurückzuführen. I.2.4 Die Architekten und die Entstalinisierung: Interventionsversuche im Umfeld der Allunionstagung der Bauschaffenden und des XX. Parteitags der KPdSU Gestalterische Interventionsversuche: Die Pressedebatte Auch in der ersten Hälfte der 50er Jahre war die Debatte um die Moderne auf fachlicher Ebene niemals abgerissen. Immer wieder zitiert wird u.a. ein Artikel, den Ludwig Renn im März 1951 unter dem Titel „Im Kampf um eine neue deutsche Architektur. Ludwig Renn antwortet Dr. Kurt Liebknecht“232 im ND veröffentlichte. Durth, Düwel und Gutschow betonen zwar, es habe sich dabei um eine fingierte Diskussion gehandelt, die nur der Neutralisierung von Kritikern des Bauens der Nationalen Traditionen dienen sollte233, was fraglos zutrifft. Ein Brief Renns an das Konvolut 113, Handschriftliche Notizen im Zusammenhang mit der Abmahnung von Junghanns, 01.07.1958). Zusammen mit Junghanns waren u.a. auch Hermann Henselmann und Edmund Collein abgemahnt worden. In diesem Zusammenhang zudem von Interesse: Kurt Junghanns, Bemerkungen zum bisherigen Verlauf der Diskussion über Architektur und Städtebau anläßlich der Vorbereitung des V. Parteitages in der DBA, ca. 1957 (AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 15/4) sowie eine Sammlung von Briefwechseln und Artikeln im Nachlass Junghanns (AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 15/5). 232 Abgedruckt in Durt/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 264. 233 „Die plumpe Agitation [zur Durchsetzung eines sozialistisch-realistischen Bauens auch mit Hilfe einer Pressekampagne, T.Z.] blieb nicht unwidersprochen. Nach einer im Politbüro der SED beschlossenen Regie treten in den folgenden Wochen Autoren auf, die einen öffentlichen Disput inszenieren, in dem sich der aus dem Westen in die DDR übergesiedelte Schriftsteller Ludwig Renn mit einer Gegenstimme meldet. Nach einführender Kritik an ,dem rechthaberischen Ton, der keine erfreuliche Basis für eine Diskussion ist , wendet sich Renn am 14. März gegen Liebknechts Forderungen, da er darin den Aufruf zur bloßen ,Nachahmung bedeutender Werke sieht … Offenbar sachkundig widmete sich der Autor den Widersprüchen und Fehlern in Liebknechts Artikel, doch stellt sich beim Lesen dieser Zeitungsseite der Eindruck ein, als dürfe Renn seine Argumentation nur zu dem Zweck ausbreiten, daß an ihm auf der gleichen Seite der Parteizeitung Neues Deutschland ein Exempel der Zurechtweisung vorgeführt werden

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ND unterstreicht jedoch trotzdem, dass der Artikel seinerseits ernst und als durchaus selbstbestimmter Beitrag zur Architektur- und Städtebaudiskussion gemeint war: „Als ich den Artikel von Dr. Kurt Liebknecht ‚Im Kampf um eine deutsche Architektur‘ las, konnte ich eine Nacht nicht schlafen vor Entsetzen über so einen Mangel an Qualität, einen solchen Mangel an historischen Kenntnissen und marxistischer Durchdringung der Probleme. Das hat mich bewogen, diesen Artikel für Euch zu schreiben.“234

Überraschend waren seine Standpunkte, zumal er mit dem ND im offiziellen Parteiorgan der SED veröffentlichte. So schlug er Liebknecht, der Epigonentum selbst als Formalismus gebrandmarkt hatte, mit seinen eigenen Waffen, indem er festhielt: „Eine der typischsten epigonenhaften Nachahmungen ist nun der Klassizismus, den Dr. Kurt Liebknecht [...] mit nahezu autoritärer Entschiedenheit empfiehlt, wobei aber alle seine Begründungen entweder schief oder historisch direkt falsch sind.“235

Vor allem aber wollte Renn das Bauhaus aus der Defensive herausholen. Scharf kritisierte er an Liebknecht, dass er „die große, fruchtbare Diskussion zu Beginn dieses Jahrhunderts über die Beziehung der Fassade zur Funktion des Gebäudes“236 missachte. „Seine schroffe Ablehnung des Bauhaus-Stils und im besonderen des Funktionalismus deutet [...] auf eine [...] undialektische Auffassung, die der Sachlichkeit eine viel zu geringe Bedeutung beimißt, obwohl die Sachlichkeit ein Grundelement jeder Kunst ist, wenn sie nicht in Schwulst und Formalismus verkommen will.“237

Rhetorisch raffiniert reihte Renn schließlich das Bauhaus in „unsre nationalen Traditionen“ ein und hob auch in dieser Hinsicht seine Bedeutung hervor: „Wir können doch nicht diese vielleicht wichtigste Periode unserer deutschen Architekturkann“ (Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 263). Durth, Düwel und Gutschow beziehen sich dabei auf eine Vorlage für das Sekretariat des ZK, Betrifft: Plan zur Organisierung eines Meinungsaustausches über Fragen der Architektur, am 29. März 1951 unterzeichnet von Willi Stoph und Ernst Scholz, BArch, SAPMO, ZPA 2/906/181 sowie 173, Bl. 32f. 234 AdK Berlin, Konvolut 15/1 (Nachlass Junghanns), Renn an die Redaktion des ND, 19.02.1951. 235 Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 264. 236 Ebd. 237 Ebd.

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Geschichte, die einzige Periode, in der Deutschland seinen eigenen Stil schuf, einfach totschweigen.“238 Mit dieser Sichtweise stand Renn keineswegs alleine da. Hingewiesen sei an dieser Stelle nochmals auf die kontroverse Debatte nach dem Bauhaus-Vortrag Hermann Henselmanns, die im April 1951 für erhebliche Irritationen gesorgt hatte.239 Doch auch insgesamt diskutierte man das Bauen der Nationalen Traditionen innerhalb der DBA durchaus kontrovers. Einer der zentralen Protagonisten, der die Debatte um verschiedenste Strömungen der Moderne bis zum Ende der 60er Jahre zentral mitbestimmen sollte, war der Architekt Kurt Junghanns. Junghanns war im März 1951 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Städtebau und Landesplanung der DBA. Am 16. März 1951 antwortete er auf eine Umfrage, bei der u.a. nach den Fehlern in „der bisherigen Führung der Architektur-Diskussion“240 gefragt wurde. Junghanns Stellungnahme war eindeutig: „Die Gegenüberstellung von Neuer Sachlichkeit, Funktionalismus, Konstruktivismus, Bauhaus einerseits und Klassizismus als letzte grosse Stilepoche andererseits lässt die ausserordentliche [...] und vielfältige Architekturentwicklung seit 1900, deren extremster Zweig das Bauhaus darstellte, völlig unter den Tisch fallen. Anstatt im Sinne der Pflege unseres nationalen Kulturerbes Vorbilder und vertraute Anknüpfungspunkte gerade nach 1900 zu suchen, ist bisher die Sowjet-Architektur als beispielgebend genannt worden und der Eindruck entstanden, als hätten die deutschen Architekten seit 1900 nur Schlechtes und Unbrauchbares geschaffen. Das ist politisch vor allem deswegen schlecht, weil jedem bekannt ist, dass das deutsche Bauen in den zwanziger Jahren beispielgebend für die Welt gewesen ist.“241

Junghanns gehörte zu einer Reihe von Architekten der älteren, vor 1918 geborenen Generation, die als überzeugte Sozialisten gegen die ideologischen Kurzschlüssigkeiten der Führungsspitze von Staat und Partei anzugehen versuchten. Von Anfang an wollte er dabei der DDR auch ideologisch ein Anknüpfen an die ,fortschrittlichen Traditionen der klassischen Moderne ermöglichen. Mit diesem Ziel betonte er schon Anfang der 50er Jahre, was er in seiner architekturhistorischen und architekturtheoretischen Arbeit in den nächsten Jahren noch weiter ausformulieren sollte. Demnach sei die „starke Betonung der Funktion und des Zweckes [...] besonders im Wohnungsbau von den sozialen Bewegungen unter dem Kapitalismus“ angeregt worden. Darin liege „die Kraft dieser Gedanken, die gerade 238 Ebd. 239 Hierzu Kapitel I.1.3. 240 AdK Berlin, Konvolut 15/1 (Nachlass Junghanns), Antwort von Junghanns (handschriftlich) auf eine Umfrage an die Mitglieder des Architektenkollektivs vom 16.03.1951, 30.03.1951. 241 Ebd., S. 5.

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die Architekten in ihren Bann gezogen hat, die sich am gründlichsten mit der ideellen Fundierung ihrer Aufgaben beschäftigt haben.“242 Junghanns' Analyse ging jedoch noch weiter und versuchte, auch den „Antisowjetismus in der Architektur“ zu erklären: „Solange die Diskussion darauf [auf die fortschrittlichen Aspekte des Wohnungsbaus der 20er Jahre, T.Z.] nicht eingeht, wird sie als rückschrittlich, unverständlich oder oberflächlich abgelehnt werden und eine Kluft zwischen der Partei und der Intelligenz aufreissen.“ 243 Klar und ohne jeden Opportunismus wies Junghanns hier auf Probleme hin, wie sie die Architektenschaft noch bis weit in die 60er Jahre hinein beschäftigen sollte. Eben jene Diskussion war es, die nach der Chruschtschow-Rede vom Dezember 1954 erneut aufbrach und vor allem ab Mitte 1955 breitere Teile der führenden Architektenschaft erfassen sollte. Einer der ersten, der sich schon im Februar 1955 in der Zeitung Wochenpost zu Wort meldete, war dabei erneut Kurt Junghanns. Äußerst vorsichtig bemängelte er damals jedoch nur, dass Wohnhausarchitektur und gesellschaftliche Dominanten inzwischen nicht mehr voneinander zu unterscheiden seien. Als Grund dafür führte er an, dass ein klar strukturierter Städtebau, der aus seiner Sicht auf einer gestalterischen Abstufung der einzelnen Gebäudekategorien beruhen musste, unmöglich geworden sei.244 Damit plädierte Junghanns für einen zurückhaltenden Wohnungsbau, ohne jedoch zunächst das Paradigma des Bauens der Nationalen Traditionen selbst in Frage zu stellen oder ein Anknüpfen an die Moderne einzufordern.245 Die stalinistische Kulturpolitik der frühen 50er Jahre hatte also offenbar auch bei ihm ihre Spuren hinterlassen. 242 Ebd. 243 Ebd. 244 AdK Berlin, Konvolut 15/2 (Nachlass Junghanns), Kurt Junghanns, „Bequem, wirtschaftlich und schön bauen. Probleme der architektonischen Gestaltung unserer Wohnhäuser und Städte“, in: Wochenpost, 26.02.1955. Junghanns griff damit eine Position auf, die er schon im Oktober 1954 sowie im Januar 1955 im Rahmen einer Vorlesungsreihe unter dem Titel „Wesen und Aufgabe der sozialistischen Stadtbaukunst“ vertreten hatte (hierzu AdK Berlin, Konvolut 101/2 [Nachlass Junghanns], Vorlesung Wesen und Aufgabe der sozialistischen Stadtbaukunst). 245 So schrieb Junghanns weiter: „Diese [von Chruschtschow bemängelten, T.Z.] Überspitzungen sind aber die Hauptursache dafür, daß der Kampf gegen die zweckorientierte und konstruktivistische Architektur des Westens nicht überzeugend genug geführt werden konnte. Sie riefen Bedenken hervor, die sich vielfach gegen die Idee der sozialistischen Architektur überhaupt richteten und das Herauslösen aus der Gedankenwelt der westlichen Architektur-Theorien erschwerten“ (AdK Berlin, Konvolut 15/2 [Nachlass Junghanns], Kurt Junghanns, „Bequem, wirtschaftlich und schön bauen. Probleme der architektonischen Gestaltung unserer Wohnhäuser und Städte“, in: Wochenpost, 26.02.1955).

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In den folgenden Monaten wurde jedoch klar, dass im Zuge der Neuausrichtung der Baupolitik die Architekten zu großen Teilen außen vor246 und wesentliche Fragen unbeantwortet bleiben würden. So schien man sich beinahe ausschließlich um die technische und materielle Seite des Bauens zu kümmern. Gestalterische Fragen wurden entweder gar nicht erst thematisiert oder standen nicht ernsthaft zur Debatte.247 Auf fachlicher Ebene sah dies allerdings anders aus. Bemerkenswert war dabei vor allem der Weg, den die beteiligten Architekten einschlugen. Trotz des kurzen Tauwetters des Jahres 1953 war es nämlich aussichtslos, die inzwischen wieder mehr oder weniger gleichgeschalteten Institutionen des Bauwesens oder die von ihnen an der Leine geführte DA (Deutsche Architektur)248 als Sprachrohr zu nutzen. Ihr Forum fanden einige Architekten stattdessen in der Presse und hier wiederum vor allem in der Zeitung Sonntag. Ab dem Frühjahr 1955 wurde dort mit einer Offenheit und einer Kritikfreudigkeit diskutiert, die in den DDR-Medien ihresgleichen suchte. Auch in der Presse, die der Architektenschaft in der Regel bestenfalls mit Desinteresse, schlimmstenfalls aber auch mit böswilliger Kritik begegnete, gab es also mitunter Grauzonen publizistischer Kontrolle. Der Sonntag wurde als Wochenzeitung vom Kulturbund herausgegeben. Ebenso wie der Kulturbund von Anfang an eine derjenigen Massenorganisationen war, in denen sich noch am ehesten liberalere und pluralistischere Strömungen Raum verschaffen konnten249, kann auch der Sonntag als eine Zeitung gelten, die in ihrer Berichterstattung etwas freier war. Staatliche Stellen reduzierten deswegen die Auflage von 200.000 Exemplaren Anfang der 50er Jahre auf nur noch 20.000 Ausgaben Ende der 80er Jahre.250 Im Sonntag erschien Anfang März 1955 denn auch ein erster, sicherlich vor dem Hintergrund der Chruschtschow-Rede auf der Allunionstagung der Bauschaffenden verfasster und veröffentlichter Leserbrief, der mit der 246 Das betraf fast alle Beratungen, die Gerhard Kosel als verantwortlicher Koordinator einberief. Exemplarisch sei hier auf eine Besprechung vom 21.04.1955 verwiesen, bei der es um die Struktur und die personelle Besetzung des Instituts für Typung ging (BArch, DH 1/38683 [MfA], MfA, HA Städtebau und Entwurf, Protokoll über die Besprechung bei Staatssekretär Kosel am 21.04.1955, 21.04.1955). 247 Hierzu ausführlich Kapitel I.2.3. 248 Die DA wurde nach wie vor von dem konservativ-linientreuen Chefredakteur Kurt Magritz geleitet. 249 So schreibt beispielsweise Gerd Dietrich über den Kulturbund, dass er sich schon in der SBZ „als interzonale, plurale und überparteiliche Sammlungsbewegung“ präsentierte und „einen breiten Dialog“ anstrebte (Gerd Dietrich, „Kulturbund“, in: Gerd-Rüdiger Stephan/Andreas Herbst u.a. [Hgg.], Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, Berlin 2002, S. 532f.). 250 Eine wissenschaftliche Untersuchung der DDR-Presselandschaft im Allgemeinen sowie des Phänomens ,Sonntag im Besonderen steht nach wie vor noch aus.

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Leitung der DBA und vor allem mit Kurt Liebknecht abrechnete. Kritisiert wurde zum einen, dass Liebknecht nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen wollte. Zum anderen störte sich der Leser daran, dass man sich in der DDR nicht ernsthaft mit den von Chruschtschow zumindest angeblich aufgeworfenen Fragen auseinandersetzte: „Von einem wirklich freien Meinungskampf, von schöpferischen Diskussionen auf dem Gebiet der Architektur merkt man bei uns so gut wie nichts, was meiner Meinung nach sehr wesentlich auf die Haltung der Deutschen Bauakademie in diesen Fragen zurückzuführen ist.“ 251 Im Sommer erklärte sich der Sonntag schließlich selbst zum Forum der Architekturdiskussion: „Der Sonntag war immer der Ansicht, daß nur der freimütige Meinungsaustausch die Entwicklung der Architektur fördern kann und unsere hauptsächliche Kritik an der Arbeit der Deutschen Bauakademie bestand eben darin, daß von dort oftmals das Gespräch eher gehemmt als angeregt wurde.“252

Der erste, sogleich äußerst provokant formulierte Diskussionsbeitrag unter dem Titel „Neue Wege in der Architektur. Selbstkritik in der Bauakademie“ stammte dabei erneut aus der Feder Hermann Henselmanns. Wie schon 1953 ergriff Henselmann auch jetzt mit dem ihm eigenen Spürsinn die Chance, sich erneut zu einem der zentralen Protagonisten eines Veränderungsprozesses in Architektur und Städtebau zu machen.253 Dabei warb er für eine gestalterische Auffassung, von der er sich in den Vorjahren aus beruflichen Gründen bewusst distanziert hatte. Zuallererst ging es ihm jedoch wie bereits zwei Jahre zuvor um eine Reform und Demokratisierung der Arbeitsabläufe an der DBA. An die Stelle von „Reglements“ sollte „Überzeugung“ treten, „Dekrete“ sollten durch „Argumente“ abgelöst und „Sitzungen“ durch „Gespräche“254 ersetzt werden. Sodann mahnte Henselmann an, Architektur als Einheit materieller und ideeller Faktoren zu verstehen. Die von „Prof. Hopp geäußerte [...] Auffassung, die von einer größeren Anzahl der Mitglieder des Präsidiums geteilt wird, daß zunächst die Klassik wieder erreicht werden sollte und dann neue Formen zu entwickeln seien“, sei „eine falsche These.“ Deutlich wurde hier bereits, dass es 251 AdK Berlin, Konvolut 15 B/3 (Nachlass Junghanns), Leserbrief Dr. Fritz Klein, „Architekten ohne Selbstkritik?“, in: Sonntag, 06.03.1955. 252 Ebd., Anmerkung der Redaktion zu Hermann Henselmann, „Neue Wege in der Architektur. Selbstkritik in der Bauakademie“, in: Sonntag, 26.06.1955. 253 Mit keinem Wort wies Henselmann dabei jedoch auf Kollegen wie Kurt Junghanns hin, die sich schon vorher in ähnlicher Weise geäußert hatten, wie er dies jetzt tat. 254 AdK Berlin, Konvolut 15 B/3 (Nachlass Junghanns), Hermann Henselmann, „Neue Wege in der Architektur. Selbstkritik in der Bauakademie“, in: Sonntag, 26.06.1955. Die nachfolgenden Zitate sind dieser Quelle entnommen. Näher beleuchtet worden ist dieser Artikel auch bei Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 470 ff.

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sich bei den nun geführten Debatten mitunter auch um Auseinandersetzungen der Architekten untereinander und in diesem Falle zwischen den ehemaligen Meisterarchitekten handelte. Als einer der ersten wies Henselmann aber darauf hin, dass das Bauen der Nationalen Traditionen und eine erfolgreiche Industrialisierung des Bauens in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen würden: „Die architektonische Praxis beweist, daß ein starres Festhalten an einem ästhetischen Kanon die Anwendung neuer Baustoffe und Baumethoden behindert.“ Eine solche „Herauslösung der ideellen Seite auf Kosten der Konstruktion und der Funktion“ belegte Henselmann nun seinerseits mit dem alten Kampfbegriff gegen die Moderne und bezeichnete sie als „Formalismus“. Schließlich nahm er sich sogar heraus zu behaupten, dass solcher Formalismus „uns [...] hart in die Nähe der Nazi-Architektur bringt.“ Unterstützung kam bald auch aus der Leserschaft des Sonntag. Vor allem ein Interview mit Kurt Liebknecht provozierte eine erboste Stellungnahme.255 Liebknecht hatte den Gegnern des Bauens der nationalen Traditionen vorgeworfen, ihnen fehle „die Parteinahme für den Kampf um eine realistische deutsche Architektur und die Verteidigung unserer Errungenschaften auf diesem Gebiet.“ Fassungslos stellte der Leser nun die Frage: „Warum in aller Welt sollen sie [die Kritiker, T.Z.] nun etwas verteidigen, was sie doch angreifen wollen, da es ihnen mehr oder weniger mangelhaft erscheint?“ Für Unmut sorgte vor allem die Ignoranz, die Liebknecht ein weiteres Mal seinen sich kritisch zu Wort meldenden Kollegen entgegenbrachte. Das Kriterium für die Schönheit der Architektur sei – so Liebknecht – „die Beurteilung unserer Werktätigen, unserer Arbeiter und Bauern.“ Im Leserbrief hieß es dazu: „Basta! Es ermuntert die Angehörigen der technischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz natürlich ungemein zur Diskussion, wenn sie aus berufenem Munde erfahren, daß ihre Meinung gänzlich belanglos ist.“ Deutlich zu spüren war im Sonntag also inzwischen, dass die Kritik von Teilen der Architektenschaft und der Intelligenz an den Führungskadern und Institutionen des Bauwesens stetig zunahm. Hanns Hopp schließlich zeigte wiederum, dass er nach wie vor stärker der Parteilinie verhaftet war, wenn er im Oktober ebenfalls im Sonntag schrieb: „Nach meiner Überzeugung ist in der Baukunst kein Raum für subjektive Erfindung neuer Formen durch den einzelnen Architekten, kein Platz für eine rein persönliche Handschrift des Baukünstlers, wie sie durch den Konkurrenzkampf der Architekten in der kapitalistischen Gesellschaft entwickelt und gefördert wurde und doch nur zu dem Ergebnis führte, das wir als Verfall der Baukunst bezeichnen müssen.“

255 AdK Berlin, 15 B/3 (Nachlass Junghanns), Ernst Kahler, „Diskussion mit Tiefschlag“, in: Sonntag, 10.07.1955. Die nachfolgenden Zitate sind dieser Quelle entnommen.

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Zugleich deutete aber auch er mit aller Vorsicht eine mögliche Öffnung des gestalterischen Diskurses an, wenn er weiter schrieb: „So wünschte ich auch den von Shdanow zitierten Ausspruch verstanden: ‚Die Klassiker einholen‘ bedeutet nicht, sie zu kopieren, sondern will sagen, daß es nach dem Verfall der Baukunst bis in den Konstruktivismus hinab nötig ist, erst die Qualität ihrer Werke zu erreichen, bevor wir zu noch höherer Leistung gelangen können.“256

Mehr als deutlich wurde also schon in der Presse, wie kontrovers Mitte der 50er auf fachlicher Ebene über die zukünftige Entwicklung von Architektur und Städtebau diskutiert wurde. Dabei hatte jeder einzelne Teilnehmer die Hoffnung, die sich im Fluss befindende politische Lage für sich nutzen und mit den eigenen fachlichen Vorstellungen durchdringen zu können. Gestalterische und berufspolitische Interventionsversuche: Debatten an den Hochschulen Doch die Diskussion über die Zukunft des Architektenberufs und die Auswirkungen der neuen Baupolitik auf die Gestalt von Architektur und Städtebau wurde nicht nur in der Presse geführt, sondern griff bald auch auf die Hochschulen über. Nach Chruschtschows Rede auf der Allunionstagung der Bauschaffenden war beschlossen worden, Gastvorlesungen von Mitarbeitern der DBA und des MfA an den Hochschulen zu organisieren. Ziel dieser Vorlesungen sollte „der Kampf um die Durchsetzung der neuen Richtlinien im Bauwesen zur Entwicklung der Kader für die Industrialisierung sein.“257 Neben Gerhard Kosel sollten u.a. Richard Paulick über Typenprojektierung, Kurt Liebknecht über das Bauschaffen der Sowjetunion und gestalterische Fragen sowie Edmund Collein über das Bauschaffen in der DDR sprechen.258 Ein zentrales Ziel dieser Vorträge war es dabei auch, an den Hochschu256 AdK Berlin, Konvolut 15 B/3 (Nachlass Junghanns), Hanns Hopp, „Gesetzmäßigkeiten sind keine Fesseln“, in: Sonntag, 16.10.1955. Auch andere Architekten äußerten sich Ende 1955 noch ähnlich unsicher zu gestalterischen Fragen. Selbst Hermann Henselmann wollte sich zunächst nicht auf eine konkrete Position festlegen und verwickelte sich in Widersprüche: „Drittens muß der neue Abschnitt der Stalinallee eine kühnere und zugleich vertrautere Architektur schenken. Entschlossener müssen die Möglichkeiten der modernen Technik ausgenutzt werden. Die Architektur muß nationaler, berlinischer werden. Entschlossene Modernität und Zauber der Intimität zugleich sollte das neue Berlin ausstrahlen“ (ebd., „Die ersten Schritte eines Riesen. Gespräch mit Chefarchitekt Prof. Henselmann“, in: Sonntag, 20.11.1955). 257 BArch, DH 1/45001 (MfA), DBA, Protokoll „Besprechung über Gastvorlesungen von Mitarbeitern der DBA und des MfA an Hochschulen“, 27.01.1956. 258 Ebd.

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len zu bekräftigen, dass eine Neuausrichtung auf das industrielle Bauen das gestalterische Paradigma des Bauens der Nationalen Traditionen keinesfalls in Frage stellen würde. Doch bereits Kurt Junghanns, der über Fragen des Städtebaus sprach, nutzte die Gelegenheit, um einige kritische Akzente zu setzen. So sprach er vom „falschen Zungenschlag“ und von der „Gigantomanie“259 im Städtebau der letzten Jahre. Vor allem aber an den Architekturfakultäten selbst verstärkte sich im Laufe des Jahres 1956 die kritische Grundhaltung. Eine besondere Rolle spielte dabei die nachwachsende Studierendengeneration. Schon im April veranstaltete die Weimarer Hochschulgruppe der FDJ (Freie Deutsche Jugend) unter dem Titel „Verbesserung der Ausbildung an den Hochschulen und Gegenwartsprobleme des Bauwesens“260 eine Tagung sämtlicher Fakultäten des Bauwesens. Selbst im Rahmen einer FDJVeranstaltung diskutierte man dabei unter dem Eindruck der Entwicklungen nach dem XX. Parteitag vergleichsweise offen und kritisch. Joachim Bach erinnerte sich Anfang 1957 im Sonntag: „Besonders heftige Diskussionen entwickelten sich unter den Architekturstudenten, die mit der Entwicklung des Bauens nach der Moskauer Konferenz nicht zufrieden waren und vor allem die Haltung einiger verantwortlicher Architekten und Theoretiker des Bauwesens zu der Entwicklung in den Jahren 1950 bis 1955 mißbilligten.“261

Ergebnis war zunächst ein offener Brief der Studierenden an das Präsidium der DBA.262 Auch dort war das politische Tauwetter inzwischen offenbar nicht mehr ohne jede Wirkung geblieben, denn für Herbst 1956 lud die DBA die Studenten tatsächlich zu einer ersten gemeinsamen Aussprache ein. Im Mittelpunkt standen dabei so zentrale Fragen wie die nach dem Verhältnis von Kunst und Technik in der Architektur, nach dem Berufsbild des Architekten oder nach den in der ersten Hälfte der 50er Jahre gemachten Fehlern.263 Ihren Höhepunkt erreichten die Debatten, als ein Organisationsbüro Weimarer Studenten für Dezember 1956 ein erneutes Treffen mit Vertretern der DBA organisierte. Zwei Tage lang wurde damals nur diskutiert, ohne dass Referate (etwa von 259 AdK Berlin, Konvolut 14 (Nachlass Junghanns), Junghanns an Liebknecht über seine Vorlesung zum Thema „Romantik im Städtebau“ im Städtebauseminar von Prof. Funk, 11.04.1956. 260 Hierzu AdK Berlin, Konvolut 15 B/3 (Nachlass Junghanns), Joachim Bach, „Ein Novum in der Architektenausbildung“, in: Sonntag, 20.01.1957. 261 Ebd. 262 Ebd. Der Brief ist nach Bachs Angaben zudem in der ersten Juli-Ausgabe der FDJZeitschrift Forum veröffentlicht worden. 263 Ebd.

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DBA-Vertretern) eine bestimmte Leitlinie vorgegeben hätten.264 Für die Studenten, die im Vorfeld einen Forderungskatalog aufgestellt hatten, standen auch nun vor allem berufspolitische und gestalterische Fragen im Vordergrund. 265 So verlangten sie, dass der Architekt die Anforderungen, die an seine Arbeit gestellt werden, „in einem Entwurf schöpferisch [Hervorhebung im Original, T.Z.] [...] verarbeiten“ können müsse. Die Studenten betonten dabei, dass er „seine große Verantwortung nur tragen kann, wenn seine Rolle nicht eingeschränkt wird durch künstlerische und politische Bevormundung, durch Beschränkung seiner Einflussnahme auf Planung und Bauausführung.“

Kritisiert wurde vor allem, dass die Architekten sich bei der Planung völlig der öffentlichen Verwaltung unterordnen mussten. Die Weimarer Studenten forderten deswegen: „Unter der Voraussetzung, daß der vorgelegte Entwurf den ökonomischen und funktionellen Anforderungen des Auftraggebers entspricht, muß dem Architekten über eine begründete künstlerische Aussage letzte Entscheidung vorbehalten werden.“

Es waren also sehr weitgehende Forderungen, die die Studierenden stellten. Denn letztlich verlangten sie nichts anderes als eine völlige Abkehr von der Berufspolitik der vorangegangenen Jahre, die den Architekten jede Autonomie zu nehmen und sie völlig in ein ,von oben nach unten gesteuertes politisch-ideologisches und planwirtschaftliches System zu integrieren versucht hatte. Die Vorgänge in Weimar zeigten dabei einmal mehr, dass sogar angehende Architekten der Aufbruchsgeneration noch das Idealbild eines durch eine gewisse fachliche Selbstständigkeit gekennzeichneten Architektenberufs vor Augen hatten. Das galt auch für Fragen der architektonischen Gestaltung, die die Studierenden als zweiten großen Themenkomplex des Treffens ansprachen. In diesem Zusammenhang betonten sie: „Wir halten es nicht für richtig, daß in der architektonischen Formensprache der nationale Charakter dominieren soll. Ein sozialistischer Inhalt kann sich nicht in traditionellen Formen, sondern nur in einer sozialistischen Form (mit nationalen Abweichungen) widerspiegeln.“

264 Ebd. 265 AdK Berlin, Konvolut 15 A/3 (Nachlass Junghanns), Organisationsbüro der Studenten des Bauwesens Weimar, Disposition der Aussprache der Konferenz der Architekturstudenten mit der Bauakademie, 13.12.1956. Alle nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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Damit distanzierten sie sich einerseits vom Bauen der Nationalen Traditionen der Vorjahre und forderten andererseits eine „gründliche Auseinandersetzung“ mit den „Theorien“ und der „Existenz bedeutender Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, wobei Gropius, van de Velde, Le Corbusier, Mies van der Rohe, Bonatz, Poelzig, Tessenow, Behrens und Fritz Schumacher genannt wurden. Eingefordert wurde schließlich eine schnellstmögliche Klärung der Begriffe „Formalismus“ und „Sozialistischer Realismus“. Erstaunlicherweise mündeten die Diskussionen letztendlich sogar in ein gemeinsames Kommuniqué von Studierenden und DBA266, das durchaus bemerkenswert war. 267 In Anlehnung an die neue Leitlinie der Baupolitik wurde darin zunächst festgestellt, dass die Architektur materielle und ideelle Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen habe, wobei „die Architektur [...] eine dialektische Einheit von Funktion, Konstruktion, Wirtschaftlichkeit und Gestaltung [ist]. Diese Elemente als Gestaltungsfaktoren haben nicht gleiches Gewicht, sondern besitzen bei verschiedenen Bauaufgaben unterschiedliche Wertigkeit.“268

Dabei deutete sich vor allem in gestalterischen Fragen eine vorsichtige Öffnung in Richtung der Architekten an. So hielt die Formulierung, die sozialistische Architektur achte „das Kulturerbe der Menschheit unter besonderer Beachtung des Kulturerbes der Nation“ deutlich am Konzept des Bauens der Nationalen Traditionen fest, und auch Joachim Bach merkte an, dass schon „über die Bedeutung des nationalen Kulturerbes im engeren Sinne [...] Meinungsverschiedenheiten bestehen“ blieben – vor allem „darüber, welche seiner Formen erhaltenswert und welche überholt sind, sowie über die Art seiner Aneignung.“ Trotzdem aber konnte den Bauakademievertretern auch das Versprechen abgerungen werden, „daß die architektonischen und technischen Erfahrungen des Auslandes, der sozialistischen wie der kapitalistischen Länder, unserem Bauschaffen vorbehaltlos nutzbar gemacht werden müssen“ und „in Zukunft mehr als bisher die Arbeiten der bekanntesten deutschen Baumeister

266 Hierzu AdK Berlin, Konvolut 15 B/3 (Nachlass Junghanns), Joachim Bach, „Ein Novum in der Architektenausbildung“, in: Sonntag, 20.01.1957. 267 In den Akten findet sich allerdings auch eine äußerst kritische Einschätzung der Studierendenschaft, ihrer Positionen und Forderungen, die ihrerseits auf die bald einsetzende erneute ideologische Verhärtung der Baupolitik verweist (AdK Berlin, Konvolut 15 A/3, Studentenkonferenz an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, 1956, Aussprache mit Studenten). 268 AdK Berlin, Konvolut 15 B/3 (Nachlass Junghanns), Joachim Bach, „Ein Novum in der Architektenausbildung“, in: Sonntag, 20.01.1957. Die nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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der jüngsten Vergangenheit wie Behrens, Taut, Fischer, Gropius, Schmitthenner u.a. auszuwerten und dem Architektennachwuchs nahezubringen“269 seien. Ein berufspolitischer Interventionsversuch: Die Denkschrift des BdA Zu einem weiteren zentralen Forum kontroverser Debatten wurde zudem erneut der offiziell als parteipolitischer ,Transmissionsriemen gedachte BdA. Dieser hatte für den 22. Juni 1956, also nach dem XX. Parteitag der KPdSU, zu einer Bundesvorstandssitzung nach Dresden eingeladen, um über „Die gesellschaftliche Stellung des Architekten“ zu diskutieren und schlussendlich eine an die Baupolitik gerichtete „Denkschrift“ zu verfassen. Angesichts der allgemeinen Aufbruchsstimmung, die inzwischen weite Teile der so genannten Intelligenz und auch der Architektenschaft erfasst hatte, schöpfte die Leitungsebene des BdA nunmehr Mut zum Widerspruch. Gerade jene Architekten, die Funktionärsaufgaben übernommen hatten, wollten die Gelegenheit nutzen, sich von dem allzu einengenden Korsett der Baupolitik ein wenig zu befreien. Mehr als bemerkenswert war denn auch, was an jenem 22. Juni in Dresden passierte. Gleich zu Beginn ging so beispielsweise kein geringerer als BdA-Präsident Hopp selbst auf Konfrontationskurs und forderte energisch: „Es kann in Zukunft nicht mehr so sein, gerade wo wir ständig von einer weiteren Demokratisierung unseres Lebens sprechen, dass Gesetze und Verfügungen über die Tätigkeit und die Möglichkeiten des Architekten erlassen werden, ohne dass der BdA oder die Architekten selbst auch nur ein einziges Mal gefragt werden.“270

Dabei war es vor allem die „ständig abnehmende gesellschaftliche Stellung des Architekten“271, die Hopp genauso störte wie viele seiner Kollegen. Ausführlich äußerte sich zu dieser Frage jedoch vor allem der Dresdener Architekt Hellmuth Bräuer. Bräuer272, 1919 geboren und damit einer der ältesten Vertreter der nachrückenden Aufbruchsgeneration 273 , war zunächst zum Maurer und danach an der Staatsbauschule Dresden zum Hochbauingenieur ausgebildet worden. Hier machte er 1937 seinen Abschluss. Nach der Entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft arbeitete er 1947 zunächst im Referat für Wiederaufbau der Stadt Dresden, wo auch

269 Auffällig ist hier die Nennung von Schmitthenner, dessen Biographie und Werk nicht so recht zu den anderen Architekten passte. 270 SAPMO, DY 15/3 (BdA), Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 22.06.1956, Diskussionsbeitrag Hanns Hopp, S. 83. 271 Ebd., S. 91. 272 Zur Biographie Bräuers Barth (2000), S. 51f. 273 Hierzu ausführlicher Kapitel I.2.4.

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der zwölf Jahre ältere Franz Ehrlich beschäftigt war.274 Zwischen beiden Architekten sollte sich in den folgenden Jahren eine enge Zusammenarbeit entwickeln. Als Ehrlich 1948 eine Architektengruppe zusammenstellte 275, lud er auch Bräuer zur Mitarbeit ein. So wurde es möglich, dass Bräuer trotz relativ geringer Berufserfahrung schon früh an renommierten Großaufträgen beteiligt war – etwa als künstlerischer und technischer Leiter für den von Ehrlich geplanten Umbau der Deutschen Bank zum DDR-Innenministerium.276 Allerdings wurde das Kollektiv schon nach zwei Jahren aufgelöst und Ehrlich 1950 zum Direktor der VVB Industrieentwurf ernannt. Bräuer wechselte jedoch sogleich in diesen Betrieb und war hier an der Errichtung zahlreicher Industriebauten beteiligt.277 Parallel dazu begleitete er die städtebauliche Entwicklung Dresdens mit. Dabei nahm er einerseits aktiv an Wettbewerben teil278, engagierte sich als Stadtverordneter andererseits aber auch auf politischer Ebene. In seiner praktischen, theoretischen und politischen Arbeit ließ Bräuer dabei keinen Zweifel daran, dass er einerseits fest in der neuen Gesellschaftsordnung verwurzelt, andererseits aber auch ein kritischer Kopf und Querdenker war – ähnlich wie und sicherlich nicht unbeeinflusst durch Franz Ehrlich. Das prädestinierte ihn geradezu für die Rolle, die er nun übernehmen sollte. In seinem Redebeitrag gab Bräuer dabei zum einen Einblick in die nach dem kurzen Tauwetter des Jahres 1953 wieder schwieiriger gewordene Lage der Architekten in den volkseigenen Entwurfsbüros, formulierte zum anderen aber auch einen klaren Forderungskatalog an die Politik und den Fachverband, um eben diese Situation zu ändern bzw. zu verbessern. In diesem Zusammenhang schilderte er zunächst, dass aus den Entwurfsbüros bis etwa 1952 „außerordentliche Impulse“ gekommen seien, da sie damals „noch volkseigener Betrieb waren und [...] auch die Arbeitsweise, die Art des Verwaltens und der gewisse materielle Anreiz [...] für das

274 Zu Franz Ehrlich ausführlicher Barth (2000), S. 68f. sowie Knigge/Fleischmann. 275 In diesem Zusammenhang ist von Ehrlich als „Architekt mit eigener Gruppe“ die Rede (Barth [2000], S. 68). Ehrlich selbst wiederum gibt in seinem BdA-Aufnahmeantrag für den Zeitraum 1948 bis 1950 „freiberuflich“ an (IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 39/5108 [Franz Ehrlich]). 276 Dabei handelte es sich um einen gründerzeitlichen Gebäudekomplex an der Berliner Mauerstraße, der heute vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz genutzt wird. 277 Dazu gehörten u.a. „das Chemische Institut für die Bergakademie in Freiberg, eine Gießerei in Coswig, ein[...] Großküchenbau für die SAG Sachsenwerk in DresdenNiedersedlitz und de[r] Kultursaal für den VEB Bleierz in Halsbrücke“ (Barth [2000], S. 52). 278 Etwa am „Wettbewerb für die Planung der Kernstadt“ sowie am Wettbewerb „Entwürfe für den Aufbau von Dresden-Neustadt“ (ebd.).

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Schaffen des Architekten positiver aussah als das heute der Fall ist.“279 Zunichte gemacht worden seien diese Impulse aber durch die Entscheidung, die Entwurfsbüros dem Haushalt des MfA zu unterstellen. Von nun an seien die Büros nur noch „verwaltet“ und die „Menschen [...] als Kader nach Ziffern bewertet“ worden. Damit sei schließlich auch „die Wertung der Leistungen des Architekten [...] eine Wertung der Erfüllung des Büros“ geworden. Danach beschrieb Bräuer, wie sich das konkret auf die Stellung der Architekten in den Entwurfsbetrieben ausgewirkt hat: „Es ist [...] so, dass die technischen und künstlerischen Kräfte des Büros an der Gesamtleitung praktisch nicht beteiligt sind. Das macht ein Direktor, das macht eine Finanzleitung. Das macht eine Kaderleitung. Bei einer solchen Leitung des Büros ist es niemals möglich, die wissenschaftlich-künstlerischen und technischen Probleme, die das Büro eigentlich zu bewältigen hat, [...] zu behandeln.“

Bräuer war deswegen der Ansicht: „Es kann nicht die Aufgabe der Büros sein, eine finanzielle Erfüllung zu garantieren, sondern es muss die Aufgabe der Büros sein, mit den Mitteln, die der Staat für die Projektierung zur Verfügung stellt, das höchstmögliche technisch-wissenschaftlich-künstlerische Ergebnis zu erzielen.“

Die erste Forderung, die Bräuer formulierte, war deswegen, „dass die technisch-schöpferischen Kräfte die leitenden Kräfte in den Betrieben sind, dass die Probleme der technisch-schöpferischen Entwicklung die Hauptprobleme darstellen und nicht die Erfüllungsprobleme.“

Festzustellen ist an dieser Stelle also zunächst, dass sich Bräuer nicht grundsätzlich gegen die Vergesellschaftung des Architektenberufs wandte, sondern gegen die konkrete Umsetzung und Durchführung dieser Vergesellschaftung in den vorangegangenen Jahren. Wie dargestellt worden ist, waren dabei fachliche Belange und berufliche Interessen kaum berücksichtigt worden. Stattdessen war die Vergesellschaftung vor allem benutzt worden, um eine Steuerung des Bauwesens ,von oben nach unten zu ermöglichen und die berufliche wie fachliche Autonomie der Architekten so weit wie möglich einzuschränken. Gleich im Anschluss kritisierte Bräuer dementsprechend, dieser Autonomieverlust habe auch dazu geführt, dass „von einer ganzen Reihe gesellschaftlicher Organisationen“, aber auch von der Presse „das 279 SAPMO, DY 15/3 (BdA), Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 22.06.1956. Alle nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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Wirken des Architekten negiert wird.“ Während ihnen fachliche Anerkennung und Wertschätzung vorenthalten blieb, würden die Architekten stattdessen „oft so behandelt werden, als wären sie Kinder, als wären sie unselbständig, als wären sie Menschen, denen man vorschreiben muß, wie sie den Tagesablauf zu vollenden haben.“ Aufmerksam machte Bräuer außerdem darauf, dass die Architekten inzwischen kaum noch Einfluss auf die Bauleitung und die so genannte ,Architekturkontrolle, also die Überprüfung der Bauausführung, hatten. Beides war immer weiter „beschnitten“ worden, so dass die Architekten nur noch „Gäste auf der Baustelle“ waren. Die Forderung lautete hier: „Es ist also notwendig, dass wir nach wie vor [...] nicht nur die Autorenkontrolle, sondern die Bauleitung [...] anstreben, die uns erweiterte Rechte auf der Baustelle verschafft.“280

Dieser Anspruch war umso wichtiger, als es aktuell vor allem um die Industrialisierung des Bauens ging und damit die Bauingenieure an Einfluss gewannen. Bräuer hielt es deswegen darüber hinaus für notwendig, „die Beziehungen des Architekten zum Ingenieur [zu] untersuchen“, so dass der Architekt „souverän in der Lage ist, dieses Problem schöpferisch zu lösen und damit nach wie vor der Dirigent bei der Entwicklung der Bauten und der Durchführung der Bauten“ zu sein. Auch die Entlohnung der Architektenschaft war ein wichtiges Thema. So hielt Bräuer fest, dass „im Tarifkatalog die Gruppe Bauindustrie und damit natürlich eingeschlossen der Entwurf an 14. Stelle rangiert. Dies entspricht ganz offenbar nicht der volkswirtschaftlichen Bedeutung, welche das Bauwesen für die Entwicklung in unserem Staat hat.“

Auf ein konkretes Beispiel für die schlechte Bezahlung der Architekten machte Kurt W. Leucht in der anschließenden Diskussion aufmerksam. Demnach erhielt der Dresdner Architekt Johannes Rascher, der zwischen 1953 und 1958 u.a. die Westseite des Dresdener Altmarktes bebaut hatte, nur ein monatliches Nettoverdienst von 1080 DM. Für diese geringen Löhne gab es vor allem zwei Gründe. Zum einen kam darin die mangelnde Wertschätzung zum Ausdruck, die man dem Architektenberuf von offizieller Seite entgegenbrachte. Zum anderen aber litt das MfA generell unter finanziellen Schwierigkeiten, da das Bauvolumen und die damit verbunden Kosten besonders groß waren, sich die Gesamtsituation der Wirtschaft aber nach wie vor prekär gestaltete und der Wiederaufbau der Industrie zunächst im Mit280 Auch hier betonte Bräuer seine grundsätzliche politische Loyalität: „Nach wie vor fühlen wir uns als Treuhänder gegenüber dem Auftraggeber, und das ist unser sozialistischer Staat.“

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telpunkt des politischen Interesses stand. Die dafür zuständigen Fachministerien, die in vielen Fällen ebenfalls eigene Bauabteilungen unterhielten281, waren finanziell dementsprechend oftmals sehr viel besser aufgestellt. Im August sollte die Kommission für Industrie und Verkehr darüber hinaus noch eine weitere Anordnung veröffentlichen, nach der ab Januar 1957 die „Werkleiter [im industriellen Bereich, T.Z.] zur selbständigen Projektierung von Investitionsvorhaben ermächtigt“282 wurden. Bräuer stellte deswegen fest, „daß die Möglichkeit der Abwanderung aus den Büros [gemeint waren die Entwurfsbüros, T.Z.] des Ministeriums für Aufbau durchaus gegeben ist.“ Aber auch generell führten die geringen Löhne dazu, dass nach wie vor eine ganze Reihe qualifizierter Architekten die DDR verließ – so auch Johannes Rascher, der im August 1961 in die Bundesrepublik ging.283 Im Bereich des BdA selbst forderte Bräuer ebenfalls Reformen ein und verlangte „die endliche und unbedingt notwendige Anerkennung des Fachverbandes der Architekten als eine gesellschaftliche Organisation der DDR und nicht als ein eingetragener Verein.“

Unverblümt beschrieb er dessen Rolle als ,Transmissionsriemen der Partei- und Regierungspolitik: „Es ist doch so, dass dort, wo der BDA gebraucht wird für den Staatsapparat, ist er da. Dort aber, wo der Staatsapparat meint, eine Entscheidung treffen zu können, die die Architekten angeht, dort ist der BDA nicht da.“ Dass in Anwesenheit von BdA-Präsident Hanns Hopp derart offen über die parteipolitische Instrumentalisierung des BdA gesprochen wurde, brachte in besonderer Weise jene Aufbruchsstimmung zum Ausdruck, die den gesamten Architektenbund nach dem XX. Parteitag der KPdSU erfasst hatte. Ein letztes großes Thema, das Bräuer anschnitt, war schließlich der Status der freischaffenden Architekten. Auch Bräuer zweifelte keineswegs daran, „dass die Entwicklung in unserer sozialistischen Wirtschaft den Schwerpunkt bei den in den Entwurfsbüros tätigen [...] Architekten findet.“ Trotzdem aber plädierte er letztlich für eine pragmatische Haltung. So war sich Bräuer sicher, dass 281 Nach einer von der SPK am 31.12.1955 durchgeführten Erhebung waren in den technologischen Büros der Industrieministerien 2810 Kader beschäftigt, darunter 1200 Bauingenieure und Architekten (vgl. hierzu BArch, DH 1/38754 [MfA], MfA, HV Städtebau und Entwurf, Maßnahmen zur Verbesserung der Projektierungsarbeit, Bezug: Thesen zur Verbesserung der Projektierung vom 22.08.1956 und Bericht des Zentralvorstandes IG Bau-Holz „Lage in den Entwurfsbüros für Industriebau und Hochbau und Maßnahmen zur Verbesserung vom 22.10.1956“, 12.11.1956). 282 In der „Anordnung zur Vorbereitung und Durchführung des Investitionsplanes und des Generalreparaturplanes sowie der Lizenzen“ vom 17.08.1956 (vgl. hierzu ebd.). 283 S. hierzu den entsprechenden Vermerk in Raschers BdA-Kartei (IRS Erkner, BdAAufnahmeanträge, 41/5282 [Johannes Rascher]) sowie Barth [2000], S. 181.

128 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „wir eine Fülle von Aufgaben haben, die wahrscheinlich in einer anderen Form der Zusammenarbeit der freischaffenden Architekten mit den Entwurfsbüros, mit den Planträgern zu erfüllen sind, weil die Büros im allgemeinen nicht immer in der Lage sind [...] Aufgaben, die an sie herangetragen werden, zu übernehmen, ganz einfach deshalb, weil sie kapitalsmässig dazu nicht in der Lage sind, oder weil sie bei der Kompliziertheit unserer Entwurfsbüros eine Belastung darstellen würden.“

Einmalig in der bisherigen Geschichte des BdA war auch die sich anschließende lebhafte und offene Diskussion. Bräuer erntete dabei großen Beifall und schaffte es darüber hinaus, eine ganze Reihe seiner Kollegen aus der Reserve zu locken – allen voran (wenig überraschend) Hermann Henselmann, der sich energisch dafür aussprach, „daß wir [...] mit rabiater Gewalt die Diskussion eröffnen müssen.“ Er schlug damit einen aggressiven Tonfall an, den selbst (und sicherlich zur Überraschung aller) der ansonsten auf Etikette bedachte Hanns Hopp übernahm. Umso erstaunlicher war zudem, dass Hopp damit seine politische Loyalität aufkündigte. So habe auch er „selbstverständlich [...] daran gedacht, daß wir die notwendigen Kampfmaßnahmen durchführen.“ Im Zuge der Beratungen über das weitere Vorgehen sprach sich Architekt Remmler sodann dagegen aus, „den Gegner“, mit dem er niemand anderen als die Baupolitik sowie die Presse meinte, zu früh in die gemeinsamen Überlegungen einzubeziehen. Sein Kollege Raschke wiederum forderte, dass endlich Schluss sein müsse mit der „Inzucht“, die innerhalb des BdA mit den Problemen der Architektenschaft getrieben würde – ein klarer Aufruf zu öffentlichem und lautem Protest. Bereits absehbar war im Rahmen der Diskussion allerdings auch das weitgehende Scheitern der gesamten Debatte. Nach langem hin und her über das weitere Vorgehen einigte man sich nämlich letztlich auf einen von den Baufunktionären Hans Karthaus und Walter Mickin vorgeschlagenen Weg.284 Er sollte zwar, fast ein halbes Jahr später, zum avisierten Ziel einer Denkschrift führen  einer Denkschrift allerdings, die vom Bundesvorstand und der so genannten Denkschrift-Kommission 284 Nach den diesbezüglichen Angaben Bräuers erarbeitete die Denkschrift-Kommission „bis Ende Oktober [1956, T.Z.] [...] in einer Vielzahl von Sitzungen in Auswertung eines sehr umfangreichen Materials, welches zum großen Teil aus den Berliner Gruppen der Kommission zur Verfügung stand“, einen Entwurf der Denkschrift und legte sie dem Präsidium vor. „Dieser Entwurf der Denkschrift“, so Bräuer weiter, „ist in mehreren Beratungen nicht nur innerhalb des Präsidiums, sondern auch mit dem Gremium für Aufbau, mit dem Zentralsekretariat der IG Bau/Holz und auch in der Abteilung Bauwesen des ZK der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands behandelt worden. Dieser Entwurf [...] liegt außerdem [...] dem Büro des Präsidiums des Ministerrats vor [...]“ (SAPMO, DY 15/4 [BdA], Protokoll 11. BdA-BuV-Sitzung, 21./22.02.1957, Diskussionsbeitrag Bräuer, S. 36).

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hinter verschlossenen Türen erarbeitet worden war und die darauf verzichtete, das Gewicht des gesamten BdA in die Waagschale zu werfen sowie die Basis des Fachverbandes mit einzubeziehen. Als im Dezember 1956 schließlich ein erster Entwurf vorlag, hatte sich darüber hinaus die politische Entwicklung des gesamten Ostblocks zuungunsten der Architekten verschoben. Die endgültige Abkehr von allen weitreichenderen Reformansätzen hatte inzwischen dazu geführt, dass man sich nun wieder fest und unverbrüchlich zum einmal etablierten staatssozialistischen Modell der DDR bekennen und die seit langem gebräuchlichen Floskeln wiederholen musste.285 Nicht umhin kam man außerdem, den einstigen Hoffnungsträger Ungarn an den politischen Pranger zu stellen. So musste das Budapester Blutbad auch im Entwurf zur Denkschrift als Beweis für „die Stärke des Sozialismus und die Kraft der Völker im Kampf um die Erhaltung des Friedens“ 286 herhalten. Nur einige Wochen später war es schließlich niemand anderes als Helmuth Bräuer, der einen regelrechten Kotau vor der politischen Führung machte: „[Z]u den internationalen politischen Ereignissen wissen wir, dass der Gegner unserer Entwicklung in einem Arbeiter- und Bauernstaat alle Versuche unternimmt, um sowohl im frontalen Angriff als auch durch die so genannte innere Aufweichung die Menschen, vor allen Dingen aber den Teil der technischen Intelligenz vom Ziel – der Festigung des Arbeiter- und Bauernstaates – abzudrängen. Wir hatten uns als Kommission und im Auftrage des Bundes zur Pflicht gemacht, die Untersuchungen dahingehend durchzuführen, dass der Sektor des staatlichen Entwurfswesens, d.h. also der Sektor der Entwurfsbüros und auch der Sektor der staatlichen Bauverwaltung, in einem Arbeiter- und Bauernstaat so zu festigen ist, dass alle Versuche der Aufweichung, alle

285 „Der Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Deutschen Demokratischen Republik stellt auch das Bauwesen vor große und schöne Aufgaben. Das Volk wurde zum Bauherren. Die Tätigkeit der Architekten und Ingenieure dient nicht mehr den Interessen kapitalistischer Monopole, sondern den Interessen der Werktätigen. Die Tätigkeit der Architekten wird nicht mehr eingeschränkt durch die Gewinnsucht von Monopolen und kapitalistischen Grundstücksspekulanten. Die sozialistische Planwirtschaft hat die Stellung des Architekten selbst verändert. Im komplexen Zusammenhang mit der Entwicklung der Volkswirtschaft löst er die von ihm geforderten Entwurfsaufgaben. Dabei gibt ihm die Gesellschaft die Möglichkeit, seine künstlerische und technische Meisterschaft ständig zu vervollkommnen, die ihn befähigt, die großen schöpferischen Aufgaben zu lösen“ (BArch, DH 1/45020 [MfA], Mickin an Kosel, Entwurf „Verbesserung des Entwurfswesens“, Berlin, 13.12.1956. Der Entwurf selbst ist auf den 05.12.1956 datiert und entstand nach „einer Aussprache in der Abteilung Bauwesen des Zentralkomitees“). 286 Ebd.

130 | A RCHITEKTEN IN DER DDR Versuche der Liberalisierung des Entwurfswesens und alle Formen der Liberalisierung der Bauverwaltung nicht durchgesetzt werden können.“287

Ganz eindeutig sprach aus dieser hundertprozentigen Kehrtwende die berechtigte Angst, dass das beharrlich verfolgte Projekt einer „Verbesserung des Entwurfswesens“ in jene Abgründe gerissen werden könnte, die die neuerlichen Entwicklungen der Tagespolitik erneut aufgetan hatten. Der demonstrative Schulterschluss mit der Politik schien in dieser Lage die einzige Rettung zu sein, sollte dem Projekt der Denkschrift-Kommission letztlich jedoch jede Schlagkraft nehmen. Was aber dennoch nicht übersehen werden darf und ausdrücklich gewürdigt werden muss war der Mut, der vor allem aus dem ersten, dem MfA vorgelegten Denkschrift-Entwurf sprach. Eingereicht worden war er nämlich bereits nach dem Einmarsch der Sowjets in Budapest. Gleich zu Beginn hieß es, „es würde den Rahmen dieser Denkschrift überschreiten, wenn wir versuchen würden, alle Mängel auf dem Gebiete des Bauwesens zu analysieren.“288 Was folgte, war eine nach wie vor schonungslose Abrechnung mit der Ersten Baukonferenz, deren Beschlüsse man für Makulatur hielt, mit der „Aufspaltung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten“ anstelle „der notwendigen straffen Lenkung“ sowie mit dem „verwaltungsmäßigen und künstlerischen Reglementieren“289 und seinen fatalen Auswirkungen auf die Arbeit der Architekten. Zum Dreh- und Angelpunkt der Argumentationskette machte man nun aber vor allem die das Bauwesen immer wieder beeinträchtigende Planungsunsicherheit und die mit ihr einhergehenden Probleme. Im DenkschriftEntwurf wurde etwa dargestellt, dass es weder eine richtige Planung noch zuverlässige Übersichten über die vorhandenen Kapazitäten gab. Die Folge war eine unkontrollierte Verschwendung von Ressourcen für Projekte, die niemals in Angriff genommen wurden.290 Nicht nehmen ließ man es sich auch, genüsslich die abstruses287 SAPMO, DY 15/4 (BdA), Protokoll 11. BdA-BuV-Sitzung, 21./22.02.1957, Diskussionsbeitrag Bräuer, S. 37. 288 BArch, DH 1/45020 (MfA), Mickin an Kosel, Entwurf „Verbesserung des Entwurfswesens“, Berlin, 13.12.1956. 289 Ebd. 290 „Über die notwendige räumliche Verteilung der Produktionsstätten in unserer Republik und über die proportionale Entwicklung der Wirtschaftszweige in den einzelnen Gebieten und Bezirken besteht keine genügende Klarheit. Infolgedessen ist es weder möglich, städtebauliche Programme für den Aufbau unserer Gebiete, Städte und Dörfer zu ermitteln, noch ausreichende ökonomische und räumliche Perspektiven unserer Planträger auf den Gebieten der Verteilung der Arbeitsstätten, der Wohnungen, der Kultur, der Erholung, der Volksbildung und des Gesundheitswesens zu entwickeln. Daraus folgt notwendigerweise, dass auf dem Sektor der bautechnischen Projektierung Jahr für Jahr eine grosse Zahl von Vorprojekten und Projekten für einzelne bauliche Objekte bearbeitet

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ten Auswüchse dieser planerischen Unvernunft zu schildern. So erfolge „bei der Einsparung von Baukosten statt einer Anerkennung im Gegenteil durch die Nichterfüllung des Finanzplanes ‚eine Bestrafung‘“291. Um an die Ehre der politisch Verantwortlichen zu rühren, wurde sogar schwerstes rhetorisches Geschütz aufgefahren, wenn es hieß: „Dies führt [...] zu einer Fortsetzung und Steigerung der baulichen Disproportionen, wie sie im Kapitalismus vorhanden waren.“292 Um hier Abhilfe zu schaffen, sollte zukünftig ein „Perspektivplan“ aufgestellt und die Zusammenarbeit zwischen SPK, MfA und den einzelnen Planträgern eindeutig geregelt werden. Ein Staatliches Komitee für Bauwesen sollte darüber hinaus zwischen allen Beteiligten vermitteln und die Planung koordinieren.293 Vor allem aber  und das war der zentrale Punkt der Denkschrift  sollte die Rolle der Architekten aufgewertet werden. So sollten sie insgesamt mehr Einfluss auf die Leitung der Entwurfsbüros und im „künstlerisch-technischen“ Bereich sogar die „Oberleitung“294 erhalten. Schließlich setzte man sich dafür ein, die Kaderpolitik transparenter zu gestalten und die Bezahlung der Architektenschaft zu verbessern. Eingeführt werden sollte dazu ein Verfahren, bei dem die Entwurfsbüros über eingesparte Projektkosten Rücklagen bilden konnten, die sie anschließend als Prämienzahlungen an die Architekten weiterreichen sollten. Für besseres und billigeres Bauen, wie es Chruschtschow eingefordert hatte, sollte so tatsächlich ein Anreiz geschaffen werden. Schon die Anmerkungen, die Gerhard Kosel im Dezember 1956 an den Rand des Denkschrift-Entwurfs schrieb, ließen jedoch nichts Gutes ahnen. Sie reichten von „das kann man den Leuten nicht durchgehen lassen“ über die rhetorische Frage „wer ist das, der sich hier abreagiert“ bis hin zur gehässig-herablassenden und vor allem unkollegialen Bemerkung „die armen Architekten scheinen nur von Feinden oder Idioten umgeben zu sein.“295 Die zu großen Teilen konstruktiven und fachlich fundierten Verbesserungsvorschläge wiegelte Kosel durchweg als „primitiv“ ab, um ihnen ebenso primitiv entgegenzusetzen: „Die wollen nur das, was angenehm ist, nur den überholten Vorstellungen des Architekten als ‚Treuhänder‘ entspricht!“296 werden, deren Notwendigkeit ökonomisch nicht hinreichend klargestellt ist und oftmals dem unkontrollierbaren Ehrgeiz einzelner Planträger entspringen [...] Nach Ermittlung der HV Städtebau wurden 42 % der projektierten Objekte im Jahre 1955 nicht ausgeführt“ (ebd.). 291 Ebd. 292 Ebd. 293 Vgl. hierzu ebd. 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. Den Architekten ging es allerdings nicht um das alleine „Angenehme“, sondern um konstruktive Verbesserungsvorschläge für den volkseigenen Entwurf.

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Erneut kam hier also zum Ausdruck, wie kontrovers und disparat die berufspolitischen und fachlichen Positionen auch in der Architektenschaft selbst waren. Die Architekten wurden schließlich erfolgreich ausgebremst. Gute zwei Monate später, im Februar 1957, war die Denkschrift immer noch nicht verabschiedet, sondern wurde stattdessen im Rahmen einer BdA-BuV(Bundesvorstand)-Sitzung erneut zur Debatte gestellt. Zu berücksichtigen war nun vor allem, dass es inzwischen zu vorsichtigen, wenn auch halbherzigen ,Reformen von oben gekommen war. Sie verfolgten jedoch eindeutig das Ziel, den Architekten weniger Angriffsfläche zu bieten, stellten für die Denkschrift-Kommission damit aber zumindest einen Teilerfolg dar. Bräuer hob denn auch hervor, dass Partei und Regierung Änderungen im Bereich der Perspektivplanung auf den Weg gebracht hatten.297 Bereits im letzten Herbst war darüber hinaus die Obergrenze für Projektierungen von Privatarchitekten abgeschafft worden.298 Nach wie vor virulent aber war die Diskussion über die gesellschaftliche Stellung des Architekten. Hier hielt es Bräuer „für notwendig und richtig“, die Formulierungen aus früheren Denkschrift-Entwürfen „in vollem Wortlaut zu behalten“ 299. Zusätzlich zu den schon bekannten Forderungen entschloss man sich nun sogar, nach mehr Einfluss für den BdA zu verlangen. Vor allem bei

297 „Selbst wenn wir in den einzelnen Punkten nicht nachweisen können, dass sie entsprechend der von uns vorgeschlagenen Formulierung erfolgt sind, so wissen wir, dass in den Ausführungen des Leiters der Staatlichen Plankommission, Herrn Bruno Leuschner, über die Veränderung der großen Fragen der Perspektivplanung eine Reihe von Überlegungen und Gesichtspunkten, die wir nach dieser Seite bekanntgegeben haben, heute so weit durch ministerielle Verordnungen in Vorbereitung sind, dass dieser Teil der Denkschrift unbedingt überarbeitet werden muss, um dem neuesten Stand dieser Entwicklung gerecht zu werden. Man würde es uns mit Recht als einen großen Fehler anrechnen, wenn wir diesen Teil nicht auf den neuesten Stand brächten, sondern hier Forderungen erheben, die inzwischen in der Entwicklung beinahe zur Wirklichkeit werden“ (SAPMO, DY 15/4 [BdA], Protokoll 11. BdA-BuV-Sitzung, 21./22.02.1957, Diskussionsbeitrag Bräuer). Gerade das relativierende „beinahe“ ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass es sich vielfach auch nur um Absichtserklärungen handelte. 298 „Außerdem ist die Begrenzung der Projektierungsleistungen der Privatarchitekten sowohl in sachlicher als in wertumfangmäßiger Beziehung nicht mehr enthalten“ (BArch, DH 1/38905 [MfA], MfA, HV Städtebau und Entwurf, Maßnahmen zur Verbesserung der Projektierungsarbeit, Berlin, 12.11.1956, Abschrift vom 03.12.1956). Auch Bauminister Winkler informierte die BdA-Bezirksgruppe Aue über „die teilweise Beseitigung der nicht statthaft gewesenen Bausummenbeschränkung“ (BArch, DH 1/44604 [MfA], Winkler an Behr, 1. Vorsitzender der BdA-Bezirksgruppe Aue, 22.12.1956). 299 SAPMO, DY 15/4 (BdA), Protokoll 11. BdA-BuV-Sitzung, 21./22.02.1957, Diskussionsbeitrag Bräuer.

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der Stellenbesetzung, also in einem klassischen Metier der Kaderpolitik, setzte man sich dabei für ein größeres Mitspracherecht der Fachleute ein.300 In vielerlei Hinsicht liefen die Denkschrift und die Reformbestrebungen der Architekten letztlich jedoch ins Leere. Voraussetzung dafür war – wie bereits erwähnt – auch die brutale Machtdemonstration Moskaus in den Straßen von Budapest, die den ideologischen Hardlinern erneut Oberwasser verschaffte. Deutlich wurde das etwa im Rahmen einer Arbeitstagung, die das MfA am 03. April 1957 mit den bezirksgeleiteten Entwurfsbüros veranstaltete. Als regelrechter Scharfmacher trat hier der Architekturfunktionär Werner Schneidratus auf, der seit 1955 Leiter der HV Städtebau und Entwurf des MfA war. Schneidratus, 1908 in Berlin geboren, bereits in der Weimarer Republik im Kommunistischen Jugendverband aktiv und seit 1924 in der Sowjetunion, war 1955 auf Anforderung des ZK der SED in die DDR zurückgekehrt. 301 Fest in den Denkmustern des Kalten Krieges verhaftet, ordnete Schneidratus die Reformdebatten der Architekten gleich zu Tagungsbeginn in die weltpolitischen Entwicklungen der Zeit ein. Aus seiner Sicht mussten sie zwingend vor dem Hintergrund von NATO-Gründung und Warschauer Pakt-Bildung verstanden und bewertet werden. „Verschärfter Klassenkampf“ und die „verschärfte Gegenüberstellung zweier politischer Systeme“ konnten aus seiner Sicht nur in eine schonungslose Abrechnung mit den Reformversuchen münden. Sie seien nichts anderes als „Schwankungen“ und „falsche [...] Auffassungen“ von einer „Toleranz [...], die nicht vertretbar ist.“302 Auch die „Gespräche [...] und Tuscheleien in den Entwurfsbüros – erst leiser und dann lauter“ waren für ihn Teil einer „Konterrevolution“, die von Ungarn aus ihren Lauf genommen habe. Im Verbund mit anderen Architekturfunktionären wie Gerhard Kosel stellte Schneidratus damit einem inhaltsreichen und differenzierten Reformdiskurs die eindimensionale Rhetorik der Ost-West-Konfrontation gegenüber. Wie er selbst es aus der Sowjetunion gewohnt war, hielt er es für „die Pflicht unserer Staatsfunktionäre [und damit auch für seine eigene Pflicht, T.Z.] [...], das entscheidende Wort zu sagen und hier die Offensive gegen die ideologischen Unklarheiten und gegen die Tuschelpropaganda aufzu-

300 „Zu Punkt 3. möchten wir auch hinzusetzen, dass es bei der Veränderung, bei der Besetzung der dafür notwendigen staatlichen Stellen in den Kreisen von uns begrüßt wird, wenn der Bund Deutscher Architekten bei der Einsetzung der entsprechenden Fachkräfte auf jeden Fall gehört wird. Wir halten uns für verpflichtet, darauf einen besonderen Einfluss zu nehmen“ (ebd.). 301 Zur Biographie von Schneidratus IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 07/0641 (Werner Schneidratus). Dem Aufnahmeantrag liegt zudem eine handschriftliche Kurzbiographie vom 01.03.1984 bei. 302 BArch, DH 1/38754 (MfA), Arbeitstagung mit den bezirksgeleiteten Entwurfsbüros, 03.04.1957, Referat Schneidratus, S. 3.

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nehmen und keine Koexistenz der Ideologien zuzulassen.“303 Dabei dürfe man niemals „von seiner prinzipiellen Haltung abweichen.“304 Für die Architekten bedeutete das, dass ihre in einem monatelangen Abstimmungs- und Aushandlungsprozess erarbeitete Denkschrift von Schneidratus als „ein Schreiben des Bundesvorstandes“ abgekanzelt wurde, das lediglich „unklare Vorschläge“305 enthalte. Ansonsten beließ er es bei Hinweisen auf die seit dem Jahreswechsel 1956/57 teilweise geänderte Gesetzeslage.306 Rückblickend machen Schneidratus Ausführungen schlaglichtartig deutlich, wie schnell selbst politisch loyale Erneuerungsbestrebungen nach wie vor zu konterrevolutionären Umtrieben erklärt werden konnten und wie sehr die Berufsbilddebatte auch in der zweiten Hälfte der 50er Jahre ideologisch aufgeladen war. Angesichts solcher Äußerungen machten sich nun jedoch sehr viel stärker als früher Widerspruch und Widerstand bis hinein in die Führungsebene des BdA bemerkbar. So war es niemand anderes als Walter Mickin, der den derselben Generation angehörenden Schneidratus offen und unverblümt angriff. Dabei stellte er dessen Bereitschaft in Frage, sich überhaupt mit den Anliegen der DenkschriftKommission auseinanderzusetzen: „Es wird bezweifelt, dass Herr Schneidratus die Denkschrift des Präsidiums des BdA überhaupt gelesen hat.“307 Doch schon bald bewegte sich auch die BdA-Spitze wieder ganz auf Linie, wie im Rahmen einer BdA-Bundesvorstandssitzung vom 01. Oktober 1957 deutlich wurde. So kehrte hier etwa Hermann Henselmann zu einem BdA-Verständnis zurück, das er ein Jahr zuvor noch klar und deutlich verurteilt hätte: „Die Aufgabe des Bundes besteht doch – wenn ich es richtig auffasse – darin, mitzuhelfen, die Kollegen, die sich in diesem Bund vereinigt haben, zu sozialistischen Architekten zu entwickeln, die im sozialistischen Aufbau eine mit ihrem Beruf verbundene sehr verantwortliche Leistung zu vollbringen haben.“308

Endgültig auf Linie bewegten sich BdA-Präsidium und -Bundesvorstand wieder auf dem im Dezember 1957 stattfindenden III. Bundeskongress. Hier wurde ein klarer Schlussstrich unter alle Reformbestrebungen des vergangenen Jahres gezogen und 303 Ebd., S. 4. 304 Ebd., Schlusswort Schneidratus, S. 23. 305 Ebd., S. 8. 306 Schneidratus bezog sich hierbei vor allem auf neue gesetzliche Bestimmungen vom Dezember 1956 sowie auf die Umstrukturierung des Bauwesens vom Januar 1957 (s.o.). 307 BArch, DH 1/38754 (MfA), Arbeitstagung mit den bezirksgeleiteten Entwurfsbüros, 03.04.1957, Diskussionsbeitrag Mickin, S. 8. 308 SAPMO, DY 15/5 (BdA), BdA-BuV-Sitzung, 01.10.1957, Diskussionsbeitrag Hermann Henselmann, S. 5f.

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das Engagement derer aufs Schärfste verurteilt, die sich für eine Erneuerung der Strukturen eingesetzt hatten. Schon die einleitenden Sätze des Protokolls machten dies unmissverständlich klar, wenn es hieß: „Der Kongress rechnete entschieden mit solchen Auffassungen ab, die eine ideologische KoExistenz [sic!] zwischen sozialistischem und kapitalistischem Städtebau und der Architektur beinhalten und verurteilte alle Bestrebungen, die besonders im vergangenen Jahr unter unseren Architekten auftraten. Er verurteilte ebenso alle prinzipienlosen Bestrebungen, die auf Schaffung von Kontakten ‚um jeden Preis‘ hinausliefen [...]“309

Es war nicht nur ein neuerlicher Kniefall vor Partei und Regierung, der hier vollzogen wurde, sondern auch ein Schlag ins Gesicht Hellmuth Bräuers und aller Architekten, die sich an der Arbeit der Denkschrift-Kommission beteiligt hatten. Sie wurden nun ebenso fallengelassen wie die freischaffenden Architekten, deren Berufsbild auf dem Bundeskongress – wiederum durch Hanns Hopp und nach alter Manier mit klassenkämpferischem Vokabular – kurzerhand zum Auslaufmodell erklärt wurde. 310 Am eindringlichsten aber führte ein Redebeitrag von BdAVizepräsident Hans Gericke vor Augen, dass die Aufbruchsstimmung des Jahres 1956 endgültig verflogen war. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich knüpften Gerickes Worte unmittelbar an das Erbe der frühen 50er Jahre an. Endgültig wurde nun allen Reformansätzen, damit aber auch der Denkschrift, das Etikett der Rechtsab309 BArch, DH 1/8071 (MfA), Protokoll zum III. Bundeskongress des Bundes Deutscher Architekten, Leipzig, 12.-14.12.1957, S. 1. 310 In seinem Rechenschaftsbericht sagte Hopp u.a.: „Der Weg unserer sozialistischen Entwicklung zielt eindeutig auf die Organisation der Projektierung in unseren volkseigenen Entwurfsbüros. Daneben können – in der Periode des Übergangs zum Sozialismus – auch die Privatarchitekten am Aufbau unserer Volkswirtschaft mitwirken [...] Die Aufgaben, die von Privatarchitekten übernommen werden, müssen jedoch auf einen Umfang beschränkt bleiben, den sie mit den für sie gesetzlich zugelassenen Kräften selbst erfüllen können. Der BDA kann die Ausbeutung anderer Kollegen durch sogenannte Architekten-Unternehmer nicht billigen und noch weniger unterstützen. Es ist ein ernsthafter Verstoß gegen jede Moral und besonders gegen die sozialistische, wenn Privatarchitekten Aufträge in einem Umfang erhalten, den sie nicht selbst bewältigen können und dann Kollegen, die in volkseigenen Projektierungsbüros beschäftigt und verpflichtet sind, ihre ganze Arbeitskraft dem Staat zur Verfügung stellen, außerhalb der Arbeitszeit beschäftigen und sie dadurch korrumpieren. Der BDA wird solchen Erscheinungen immer entgegentreten und in schwerwiegenden Fällen auch vor einem Ausschluss derjenigen Kollegen, die sich in dieser Beziehung unmoralisch verhalten, nicht zurückschrecken“ (ebd., Hanns Hopp, Rechenschaftsbericht zum III. Bundeskongress des BDA, Leipzig, 12.-14.12.1957, S. 10).

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weichung angeheftet und jegliche politische Legitimität entzogen. Sie seien hier  in ihrer kaum zu überbietenden Härte ein Stimmungsbild der Zeit  ausführlich wiedergegeben. „Ich glaube aber“, so Gericke, „dass auch wir Architekten in der DDR es uns zur hohen Ehre anrechnen können, zu den Geistesschaffenden zu zählen, die sich unter der Führung der Arbeiterklasse im Bündnis mit allen Werktätigen zur Überlegenheit dieser neuen Moral [des Sozialismus, T.Z.] bekannt haben, und daß wir heute und durch unser Statut [gemeint ist das auf dem III. Bundeskongress verabschiedete neue Statut des BdA, T.Z.], alle Kollegen aufrufen können Partei zu ergreifen für den Fortschritt, für Sozialismus und Frieden, dass auch das letzte unserer Mitglieder den Schritt der Geschichte hört und ihn begreift. Alle die aber, die wider besseres Wissen und trotz der Sturmzeichen aus dem Westen sich dieser von tiefem Humanismus getragenen sozialistischen Moral verschließen oder auch nur passiv neben der Entwicklung zum Fortschritt stehen, die nicht Mitzuführen und Mitzudenken bereit sind, nur von den Erfolgen profitieren möchten, sie werden an den großen Leistungen nicht teilhaben können, und werden auch selbst nicht reicher und wertvoller. Jeder Versuch, unpolitisch zu bleiben, oder den 3. Weg zu suchen, wird ihre Arbeit und sie selbst zunächst isolieren und profillos werden lassen, sie früher oder später ihrer eigenen freien Entscheidung berauben und sie endlich zum Werkzeug der Verderber unseres Volkes machen.Die Erfahrungen lehren, dass solche Kollegen zunächst als Revisionisten auftreten, zu Interpreten des die Lebensformen aller Menschen mechanisch nivellierenden Kosmopolitismus werden und endlich zu unserem politischen Feinden [sic!] werden.“311

Eine solche Sicht der Dinge bedeutete Erstarrung und Bewegungsunfähigkeit, während Selbstkritik, Weiterentwicklung und Reform ausgeschlossen blieben. Vor allem aber war sie der endgültige Todesstoß für die Denkschrift. Ihre Anliegen verschwanden mit dem neuen Statut des BdA und dem III. Bundeskongress endgültig von der politischen Agenda. Hellmuth Bräuer selbst verstarb schon 1958 – gerade einmal achtunddreißigjährig. Nicht mehr erleben konnte er deswegen, dass Gericke nicht das letzte Wort behalten sollte, sondern Debatten über das Berufsbild und auch über fachliche Fragen bis zum Ende der DDR immer wieder und in unterschiedlicher Intensität geführt werden würden  auch in den späten 50er Jahren und hier u.a. an den Hochschulen. Vielfältige Architektenarbeit trotz einseitiger politischer Leitlinien: Das Beispiel der Hochschulen Im Gegensatz zu den sehr einseitig auf das konstruktiv-technische ausgerichteten und das gestalterisch-ideelle vernachlässigenden bau-, kultur- und ausbildungspoli311 Ebd., Redebeitrag Hans Gericke auf dem III. Bundeskongress des BdA, 12.-14.12.1957, S. 14.

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tischen Leitlinien versuchten die im Hochschulbereich tätigen Fachleute in der zweiten Hälfte der 50er Jahre nämlich einen wesentlich differenzierteren und pluralistischeren Fachdiskurs aufrechtzuerhalten. Mit Blick auf die Hochschulen war dabei auch von besonderer Bedeutung, dass hier verschiedene Generationen 312 zusammenkamen. Auf diese Weise konnten sie sich zu einem der wichtigsten Scharniere zwischen den fachlich aufgeschlosseneren Vertretern der Aufbaugeneration313 und den vielfach ohnehin reformorientierteren Kräften der nachfolgenden Aufbruchsgeneration entwickeln. Als Aufbruchsgeneration soll hier jener Generationszusammenhang bezeichnet werden, der zwischen dem Ende des Ersten und dem des Zweiten Weltkriegs geboren wurde. Dabei handelte es sich zum einen um die erste Generation, die – von der Schulzeit und vielleicht auch einer ersten Berufsausbildung während der NS-Zeit abgesehen – in der Regel komplett in der DDR ausgebildet worden war und dabei nicht selten auch von einem deutlichen Bildungsaufstieg profitieren konnte. Grundsätzliche politische Loyalität war deswegen durchaus ein wesentliches Charakteristikum dieser Generation. Zum anderen aber waren es zugleich auch die Jüngeren, die – teilweise unterstützt durch ihre liberaleren älteren Ziehväter – für Reformen und eine grundsätzlich offenere Kulturpolitik eintraten. Gerade deswegen sollen sie auch als Aufbruchsgeneration bezeichnet werden, da

312 Auf die Bedeutung generationeller Dynamiken hat bereits Holger Barth aufmerksam gemacht (Barth 2001, S. 22). Die in dieser Untersuchung verwendeten Bezeichnungen der unterschiedlichen Generationen weichen allerdings von Barth ab. 313 Mit dem Begriff der „Aufbaugeneration“ sollen hier in Anlehnung an Engler die Jahrgänge der vor 1918 geborenen Fachleute bezeichnet werden. Auf die Aufspaltung dieses Generationszusammenhangs hat u.a. Engler hingewiesen, der innerhalb dieser Generation grundsätzlich zwischen „Funktionären“ und „Partisanen“ unterscheidet. Die Gegensätze zwischen beiden charakterisiert er folgendermaßen: „Den alten Einzelkämpfern [den Partisanen, T.Z.] mißfiel die Art gründlich, in der die Führung die Macht gebrauchte, den Machtgebrauch zelebrierte; ihr Mangel an Feuer und Überzeugungskraft, ihre leeren Formeln und abgestandenen Rituale. Daß die Macht überhaupt in ihren Händen war, beanstandeten sie jedoch kaum oder nur insgeheim. Sie in die Hände von Arbeitersöhnen, ausgewiesenen Antifaschisten und Widerstandskämpfern zu legen, dafür hatten sie schließlich selbst gekämpft. Sie dort zu belassen war allemal das geringere Übel im Vergleich zu der Gefahr, die eine offene Kritik an den Machthabern heraufbeschwören konnte. Ich habe Partisanen gekannt, die den Nachwuchs zu den kühnsten Manövern überredeten und in quälendes Schweigen verfielen, wenn die Kühnheit ruchbar wurde, und ich glaube, den Grund dafür zu kennen: Die stets mitlaufende, alle verkapselten Sehnsüchte begleitende Angst, wieder zu verlieren, was man so opferreich erobert hatte, gab im Zweifelsfall den Ausschlag, dirigierte den Verstand klammheimlich auf die Seite des kollektiven Gedächtnisses der ,Alten “ (Engler, S. 124).

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auf sie ganz wesentlich die vielfältigen Formen einer kulturell-künstlerischen Erneuerung zurückzuführen waren, wie sie die frühen 60er Jahre bestimmte.314 Für die Hochschullehrer selbst machte sich dabei auch in der zweiten Hälfte der 50er Jahre bemerkbar, dass die aus der Frühzeit der DDR bekannten stalinistischen Strukturen durchaus weiter fortlebten. So überprüfte das SfHuF (Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen) im Herbst 1957 beispielsweise die Architekturprofessoren der TH Dresden. Über die bekanntesten Professoren der Architekturfakultät hieß es dabei: „Prof. Dipl.-Ing. Göpfert: [...] kaderpolitische Bedenken – Berufung nur nach Zuteilung eines guten Genossen Assistenten [...] sehr zurückhaltend – müsste aktiviert werden, indem ihn die Partei direkt anspricht [...]; Prof. Dipl.-Ing. Funk: labile Haltung – nach Gen. Prof. Englberger: ‚Seiltänzer‘; Prof. Dipl.-Ing. Rettig: [...] Kirchenvorstand, Junge Gemeinde [...] kirchlich beeinflusst – lässt aber mit sich reden [...] Zusammenarbeit möglich, muss nur richtig angesprochen werden [...]; Prof. Dr.-Ing. Rauda: [...] kirchlich orientiert (Kirchenvorstand) – negativer Einfluss – schwierige Zusammenarbeit – erhielt 1954 vom Staatssekretär einen Verweis wegen unerlaubter Westreise.“315

Ein gutes halbes Jahr später, im April 1958, schickte das Staatssekretariat darüber hinaus eigens eingerichtete Brigaden an die Hochschulstandorte Dresden und Weimar. Weitere strikt parteiliche Lageberichte entstanden.316 314 Hierzu Engler: „Die energisch zupackenden Jungen fanden sich vielerorts, auf vielen Ebenen, und sie fanden auch zusammen. Betriebs- und Fachdirektoren, die die Dreißig kaum überschritten hatten, waren zu Beginn der sechziger Jahre keine Seltenheit. Sie unterhielten rege Kontakte zu gleichaltrigen Ingenieuren, Städteplanern, Architekten, Kulturhausleitern, leitenden Redakteuren und Journalisten. Letzteren war es vornehmlich zu danken, daß der neue, unprätentiöse, sach- und erfolgsorientierte Stil dieser informellen Kreise Eingang in die umfassende Öffentlichkeit fand. Der sogenannte Forum-Stil galt dabei als vorbildlich; neben der Studentenzeitung [gemeint ist die Zeitung Forum, T.Z.] verschrieben sich auch andere Blätter wie der Sonntag oder die Wochenpost der neuen Sachlichkeit. Eine Zeitlang stand sogar die Gründung eines reinen Reportage- und Nachrichtenmagazins zur Debatte; es sollte unter dem Titel Profil erscheinen, überlebte jedoch die Nullnummer nicht“ (ebd., S. 121). 315 BArch, DR 3/1. Schicht/6225 (MfHuF), Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, Abt. Technik, streng vertraulich!, an das ZK der SED, Abt. Bauwesen, z.Hd. Pisternik, Kurze Einschätzung der Professoren an der Abteilung Architektur der Fakultät Bauwesen der Technischen Hochschule Dresden, 22.10.1957, unterzeichnet durch Endler (komm. Abteilungsleiter), Fiedler (Hauptreferent). 316 DR 3/1. Schicht/4783 (SfHuF), Arbeitsplan der Brigade des Staatssekretariates für das Hoch- und Fachschulwesen für den Einsatz an der HAB Weimar in der Woche vom 21.

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Unerfreulich waren dabei auch die Mittel und Methoden, mit denen die Brigaden der Regierung arbeiteten. Die einzelnen Abteilungen der Architekturfakultäten wurden genauestens unter die Lupe genommen. 317 Konfisziert wurden dabei beispielsweise Vorlesungsprotokolle der Studierenden, um mit ihrer Hilfe Rückschlüsse auf die tatsächlichen Lehrinhalte ziehen zu können.318 Vor allem aber die Menschen selbst gerieten in die Schusslinie  allen voran die Professoren, die man persönlich wie fachlich überprüfte. Sie wurden verantwortlich gemacht für alles, was aus Sicht der Staats- und Parteiführung schief lief: für die stetig wachsende Zahl so genannter ,Republikflüchtiger, die in den Reihen der Architekten und Städtebauer tatsächlich hoch war319, aber auch für angeblich „idealistische Lehrmeinungen“320.

bis 26. April 1958, Berlin, 18.04.1958, unterzeichnet von Fiedler, Hauptreferent der Abt. Technik; Ebd., Bericht über die Sitzung des Rates der Fakultät für Bauwesen der TH Dresden am 23.04.58, DBA, Berlin, 07.05.1958. Dazu hieß es in einem Schreiben von Fiedler an Girnus: „Am 23.4.1958 fand eine außerordentliche Sitzung des Rates der Fakultät für Bauwesen der Technischen Hochschule Dresden statt, an der eine Reihe Vertreter bzw. Leitende Funktionäre zentraler Organe teilnahmen. Als Anlage übergeben wir einen Bericht über diese Sitzung, der vom Präsidenten der Deutschen Bauakademie angefertigt wurde“ (ebd., Fiedler an Girnus, Ideologische Situation an der Fakultät für Bauwesen der TH Dresden, 20.05.1958). Neben diesen beiden groß angelegten Überprüfungen fand außerdem eine Reihe kleinerer Aussprachen statt: „In der letzten Zeit werden durch uns und andere zentrale Organe an der Fakultät für Bauwesen der Technischen Hochschule Dresden verstärkt Diskussionen über ideologische und allgemeine politische Fragen geführt. U.a. sind hier zu erwähnen die Auseinandersetzung mit Herrn Prof. Lewicki über die Ausbildung in der Fachrichtung Technologie der Bauproduktion (Bericht liegt der Leitung vor), die Diskussion mit Herrn Prof. Rettig über sein Verhältnis zu westdeutschen Wissenschaftlern, die Diskussionen mit Herrn Prof. Grüning und Herrn Prof. Bürgermeister über ihre Beteiligung an westdeutschen Tagungen usw.“ (ebd.). 317 Ebd. 318 Das betraf vor allem die Abteilung Gesellschaftswissenschaften (ebd.). 319 Eine deutliche Sprache sprechen hier etwa die im IRS Erkner aufbewahrten BdAAufnahmeanträge, die in der zweiten Hälfte der 50er Jahre und um 1960 herum vielfach mit dem handschriftlichen Vermerk „Republikflucht“ versehen sind. 320 Hierzu vor allem DR 3/1. Schicht/4783 (SfHuF), Bericht über die Sitzung des Rates der Fakultät für Bauwesen der TH Dresden am 23.04.58, DBA, Berlin, 07.05.1958. Liebknecht forderte hier „die öffentliche Auseinandersetzung mit idealistischen Lehrmeinungen“.

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Foren, Kolloquien und Sondervorlesungen321, durchgeführt von linientreuem Fachpersonal aus Regierung, Bauakademie und Architektenbund322, sollten hier ein weiteres Mal Abhilfe schaffen. In die Pflicht nahm man aber auch ganz bewusst jene Kollegen, die ein Parteibuch hatten und dementsprechend leicht unter Druck zu setzen waren. An sie ergingen Aufträge zur „individuellen Auseinandersetzung mit bürgerlichen Professoren“323. Zurückgreifen wollte man dabei auch auf die Ultima Ratio. Demnach waren „solche Kräfte, die nicht gewillt sind, sich am Prozess der sozialistischen Umgestaltung der Fakultät zu beteiligen, [...] zu isolieren und aus der Lehrtätigkeit herauszunehmen.“324 Doch es waren nicht nur die Professoren, die Ziel der wiederholten Überprüfungen wurden. Der Argwohn richtete sich inzwischen auch gegen die nachwachsende Studierenden- und Assistentengeneration. Auch sie wurde für jenen zivilen Ungehorsam verantwortlich gemacht, der Mitte der 50er Jahre an den Hochschulen aufgeflackert war. 325 Geplant war deswegen eine frühzeitige Auslese durch striktere Kontrollen der Zulassungsarbeiten 326 sowie eine verstärkte parteipolitische Einflussnahme auf die Lehrinhalte. Sollten diese Maßnahmen nicht greifen, war der Auftrag auch hier unmissverständlich: „Ausarbeitung von Vorschlägen über fristlose Entlassung solcher Assistenten, die im Hinblick auf die ideologische Situation an der Hochschule nicht tragbar sind.“327 Der Grund für diese Überprüfungs- und Disziplinierungsmaßnahmen lag dabei auf der Hand. Die tatsächliche fachliche Haltung an den Hochschulen war nämlich 321 „An der Fakultät sind Foren, Colloquien und Sondervorlesungen zu organisieren, in denen die Anwendung des dialektischen und historischen Materialismus im Fach demonstriert [...] wird“ (ebd.). 322 „Leitende Funktionäre aus dem Staatsapparat, der Deutschen Bauakademie und der volkseigenen Wirtschaft sind als Lehrbeauftragte einzusetzen“ (ebd.). 323 Ebd. So war geplant, „den Genossen Assistenten, Oberassistenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern [...] Parteiaufträge zur Führung der Auseinandersetzung mit den Professoren ihres Lehrstuhles zu erteilen.“ 324 Ebd. 325 Hierzu Kapitel I.2.4. 326 „Die Durchführung der Zulassungsarbeiten an der Hochschule für das Studienjahr 1958/59 sind zu kontrollieren und an der Hochschule auszuwerten“ (BArch, DR 3/1. Schicht/173 [SfHuF], Protokoll der Dienstbesprechung im SfHuF vom 29.07.1958, Gen. Endler berichtet über die vorgeschlagenen Maßnahmen an der HAB Weimar, Bl. 7). 327 BArch, DR 3/1. Schicht/4783 (SfHuF), Arbeitsplan der Brigade des Staatssekretariates für das Hoch- und Fachschulwesen für den Einsatz an der HAB Weimar in der Woche vom 21. bis 26. April 1958, Berlin, 18.04.1958, unterzeichnet von Fiedler, Hauptreferent der Abt. Technik.

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bei genauerer Betrachtung weitaus differenzierter, als der Blick auf die Leitlinien der Ausbildungspolitik nahelegen könnte. So störte man sich auf politischer Ebene etwa an der fachlich-thematischen Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, mit der viele Hochschullehrer ihren Beruf auszuüben versuchten. Vielfach galt, dass Lehrpläne das eine und tatsächlich vermittelte Inhalte etwas anderes waren. Stattdessen wurde immer wieder versucht, die junge Studierendengeneration in umfassender Weise auf den beruflichen Alltag vorzubereiten. Eine pragmatische Grundhaltung schien dabei eher das Bild zu bestimmen als eine ideologische Einengung des Blickwinkels. So sahen es die meisten nicht ein, sich bedingungslos und umfassend in ein von der Kultur-, Bau- und Hochschulpolitik vorbestimmtes Korsett von Leitlinien zwängen zu lassen. Einige – am eindeutigsten der am Bauhaus ausgebildete Hochschullehrer Selman Selmanagic – hielten sogar dezidiert an Bauhausidealen fest. 328 Vielseitigkeit und prinzipielle Offenheit, Kreativität und Innovationsfreudigkeit bestimmten – in der Regel und soweit die Umstände das zuließen – die Ausbildung.329 Für die Staats- und Parteiführung war all das jedoch „idealistisch“, d.h. ideologisch fehlgeleitet und deswegen gerade im Hochschulbereich äußerst gefährlich – ging es hier doch um die Ausbildung fachlich angepasster, ideologisch standfester und politisch loyaler Kräfte. So setzte man von politischer Seite alles daran, die Hochschulen personell neu aufzustellen und bemühte sich dabei vor allem um politisch vermeintlich loyale Fachleute, während fachliche Fragen nur eine äußerst untergeordnete Rolle spielten. Die TH Dresden verfügte dementsprechend beispielsweise unter maßgeblicher Einflussnahme von Baufunktionären der DBA, dass „vakante Hochschullehrerstellen [...] mit staatsbewußten und von der Richtigkeit und Notwendigkeit der sozialistischen Entwicklung überzeugten Wissenschaftlern zu besetzen“ 330 seien. Nach Dresden sollte so der junge Kunsthistoriker und Architekt Peter Goralczyk delegiert werden. Gerade er aber wurde später  vermutlich anders als erwartet – für seinen eigenen Kopf bekannt und zu einem der profiliertesten und verdientesten Denkmalpfleger der DDR.331 Installiert werden sollte dort mit Hans Gericke zudem ein De328 Vgl. hierzu etwa Selmanagics Entwürfe für das Stadion der Weltjugend und die Kunsthochschule Weißensee in Berlin. 329 Einen Kontrapunkt setzte dabei sicherlich der Fachbereich ,Gesellschaftswissenschaften . Hierzu auch die konkreteren Ausführungen zum Ausbildungscurriculum und zur Arbeit an den Hochschulen in den 80er Jahren (Kapitel II.3). 330 BArch, DR 3/1. Schicht/4783 (SfHuF), Bericht über die Sitzung des Rates der Fakultät für Bauwesen der TH Dresden am 23.04.58, DBA, Berlin, 07.05.1958. 331 „Wie von uns vorgeschlagen, wird der Absolvent der Humboldt-Universität, Peter Goralczyk (Kunstgeschichte), im September das Architekturstudium aufnehmen. Da für ihn die Perspektive Denkmalpflege bzw. Hochschullehrer für Kunstgeschichte für Architekten besteht, kann ihn die Abt. zusätzlich zum Immatrikulationskontingent auf-

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legierter aus der Führungsetage der DBA.332 Für Weißensee war sogar die Schließung des gesamten Fachbereichs vorgesehen, obwohl – oder vielleicht sogar gerade weil  hier mit Selmanagic einer der profiliertesten Hochschullehrer tätig war.333 Nicht verhindern ließ sich jedoch, dass die hochschul-, ausbildungs- und fachpolitischen Debatten auch bis weit in die zweite Hälfte der 50er Jahre hinein weiter andauerten. Besonders kritisch zeigte sich dabei der Hochschullehrer und Architekt Heinrich Rettig.334 Schon im Vorfeld hatte Rettig keinen Hehl daraus gemacht, dass nehmen. Besondere Förderungsmaßnahmen für einen jungen Genossen; wissenschaftlicher Nachwuchs [...]“ (BArch, DR 3/1. Schicht/4919 [SfHuF], Sektor Technik III [Fiedler], Dienstreisebericht TH Dresden 26./27.02.1959, 05.03.1959). 332 BArch, DH 1/45008 (MfA), Brief Kant (Abteilungsleiter Zentralabteilung Hoch- und Fachschulen beim MfA) an Kosel, 18.10.1956. 333 „Prof. Steiger bittet die Leitung des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen, daraufhin einzuwirken, daß die Ausbildung der Architekten an der Hochschule in Weißensee umgewandelt wird in die Ausbildung von ‚Industriegestaltern‘. [...] Koll. Fiedler: Einstellung der Ausbildung für Architekten in Berlin-Weißensee“ (BArch, DR 3/1. Schicht/4813 [SfHuF], Protokoll über die Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates für das Bauwesen im Ministerium für Volksbildung, 30.01.1959, S. 8). 334 Rettig gehörte dabei zu jenen Hochschullehrern, die bereits in der NS-Zeit durchaus erfolgreich tätig gewesen waren. So heißt es bei Barth: „Als [Adolf, T.Z.] Abel die Nachfolge von Theodor Fischer an der TH München antrat, wurde er [Rettig, T.Z.] 1930-34 bei ihm Assistent und mit Aufgaben vom Städtebau über Wohnhaus-, Verwaltungs- und Schulbauten bis hin zur Möbelgestaltung betraut. Das folgende, achtjährige, sehr erfolgreiche Wirken von Rettig als freischaffender Architekt in München wurde 1933 mit dem 1. Preis im Wettbewerb für eine Volksschule in München-Neuharlaching eingeleitet, zu der er 1934 den Bauauftrag erhielt. Des Weiteren [sic!] entstanden in dieser Zeit viele bedeutende Bauten, wie das Rathaus und die Markthalle in München-Pasing (1936-38), eine Volksschule in Feldmoching bei München (1937/38), eine Wohnsiedlung in Linz [...] (1939-43) sowie weitere Wohnhäuser, Schulen und öffentliche Bauten um München und im Donauraum. Rettig wurde bereits 1942 als Ordentlicher Professor an den Lehrstuhl für Werklehre und Entwerfen der TH Dresden berufen“ (Barth [2000], S. 183). Zur Biograhie Rettigs außerdem IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 41/5290 (Heinrich Rettig). Dass man generell auf die Mitarbeit von Fachkräften angewiesen war, die schon in der NS-Zeit tätig gewesen waren, beweisen auch die ab etwa Mitte der 50er Jahre unternommenen Versuche, entsprechende Akteure nunmehr sukzessive auszuschalten („Es ist zu prüfen, wieweit die durch den Genossen Matern im Bericht der Zentralen Kontrollkommission aufgezeigten Konzentrationen ehemaliger Faschisten und leitender Anegestellten [sic!] der Konzerne in den Entwurfsbüros vorhanden ist. Erforderlichenfalls ist unverzüglich ein Austausch mit Ingenieuren, die aus der Arbeiterklasse kommen, vorzunehmen“ [BArch, DH 1/38685 [MfA], MfA, HV Entwurf, Ar-

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er bei Baufunktionären und Kollegen wie Gerhard Kosel und Benny Heumann die „‚menschliche Wärme‘“ vermisse. Rettig hingegen wünschte sich stattdessen „‚menschliches Vertrauen‘“ und einen „‚menschlichen Sozialismus‘“335. Allerdings fand die Fakultätsratssitzung, auf der Rettig solchermaßen offen seinem persönlichen Empfinden Ausdruck verlieh, unter unmittelbarer Anleitung der DBA statt. Deren Präsident, Kurt Liebknecht, verfasste im Anschluss auch das Protokoll und wischte Rettigs Äußerung mit einer Bemerkung beiseite, die abermals zeigte, wie tief das holzschnittartige stalinistische Weltbild nach wie vor auch das fachliche Miteinander bestimmte: „Diesen diffamierenden Äußerungen wurde mit aller Schärfe und Eindeutigkeit entgegengetreten, wobei darauf hingewiesen wurde, daß es Vertrauen schlechthin nicht gibt, sondern daß man zwischen Freunden und Feinden unterscheiden muß.“336 Nachdem Rettig im Frühherbst desselben Jahres die ersten Entwürfe für eine Neugliederung der Hochschulausbildung zu Gesicht bekommen hatte, beließ er es nicht mehr bei einer bloß mündlichen Stellungnahme. Mit einem etwas ausführlicheren und grundsätzlichen Brief wandte er sich an die Abteilung Architektur der TH Dresden, ein anderes, persönlicher gehaltenes Schreiben ging der Parteileitung der Fakultät zu. In beiden nahm Rettig kein Blatt vor den Mund. Schon die einleitenden, an die Architekturabteilung adressierten Sätze machten das deutlich: „Der Entwurf [für eine Neugliederung der Hochschulausbildung, T.Z.]“, hieß es dort „[...] enthält zahlreiche Irrtümer. Er ist im Ton derart überheblich, um nicht zu sagen frech, und im übrigen sichtlich von jungen unerfahrenen Kräften verfaßt, die – wenn sie überhaupt an einer Hochschule studiert haben – allenfalls nur Bauingenieure sein können, denn sichtlich haben die Verfasser von einem Architekturstudium keine Vorstellungen.“337

Den Entwurf selbst lehnte Rettig „rundweg“ ab. Es lohne nicht, so seine Überzeugung, „im einzelnen auf die Vorschläge einzugehen.“ Dafür seien sie genauso wie ihre Verfasser zu unqualifiziert:

beitsplan der HV Entwurf zur Auswertung der Ergebnisse des IV. Parteitages der SED und zur Konkretisierung des hierzu ergangenen Beschlusses des Kollegiums des MfA in bezug auf die bautechnische Projektierung, 15.05.1954]). 335 BArch, DR 3/1. Schicht/4783 (SfHuF), Bericht über die Sitzung des Rates der Fakultät für Bauwesen der TH Dresden am 23.04.58, DBA, Berlin, 07.05.1958. 336 Ebd. 337 BArch, DR 3/1. Schicht/4813 (SfHuF), Rettig an die Abteilung für Architektur der TH Dresden, 22.10.1958, Abschrift und Durchschlag für die Parteileitung der Fakultät für Bauwesen, Koll. Alter. Die nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

144 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „Wenn es möglich ist, daß die drei höchsten Stellen, die staatlicherseits mit der Leitung des Bauwesens und der Ausbildung beauftragt sind, ein solches Schriftstück verfassen, das man nicht anders bezeichnen kann als ein im Ton völlig danebengehendes Geschreibsel, in dem persönliche Verunglimpfungen enthalten sind, dessen sachlicher Gehalt so gut wie Null ist, wenn also das Niveau dieser Stellen so minderwertig ist, wie es in diesem Entwurf zum Ausdruck kommt, dann müßte es höchste Zeit sein, daß hier einmal energisch durchgegriffen wird.“

Auch den direkten Affront mit der Partei scheute Rettig nicht. Schon sein Schreiben an die Fakultät endete mit dem Vorschlag, sich als Hochschule „nach der Zusammensetzung der Zentralen Abteilung für Hoch- und Fachschulen“ zu erkundigen „und die Qualifikation der dort tätigen Mitarbeiter“ zu überprüfen. Vor allem aber sein Brief an die Parteileitung schreckte vor unbequemen Wahrheiten nicht zurück. Gegenüber seinem Ansprechpartner Alter stellte Rettig beispielsweise einen direkten Zusammenhang zwischen der Unfähigkeit der Baupolitik und der ständig wachsenden Zahl ,Republikflüchtiger unter den Architekten und Städtebauern her: „Sie haben mich einmal vertrauensvoll gefragt, was nach meiner Meinung die Ursache dafür sei, daß so viel Angehörige der Intelligenz die Deutsche Demokratische Republik verlassen. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich beim Durchlesen dieses Entwurfes über die Neugliederung der Hochschulausbildung eine Stimmung in mir habe aufkommen fühlen, in der ich volles Verständnis dafür habe, daß jemand unserer Republik den Rücken kehrt.“

Spätestens mit dieser Kritik hatte Rettig aus Sicht der Parteileitung alle Grenzen des Zumutbaren überschritten – legitimierte er mit der ,Republikflucht doch ein Verhalten, das aus offizieller Sicht als Verbrechen und als Verrat an der Gesellschaft galt. Dass er hier ein Tabu gebrochen hatte, muss Rettig klar gewesen sein. So beschloss auch er seinen Brief mit der allgegenwärtigen Beteuerung, lediglich zum Wohle des Sozialismus seine Stimme zu erheben. Das gelang ihm in diesem Fall allerdings, ohne sich selbst zu verleugnen oder einen nachholenden Kotau zu vollziehen. Umso deutlicher wurde hier nochmals spürbar, wie sehr Rettig zumindest jetzt professionelle Kritik über parteiliche Loyalität und eigenes Karrierestreben stellte. „Ich weiß“, schrieb er abschließend an die Parteileitung der Fakultät, „aus zahlreichen vertraulichen Unterhaltungen, daß die führenden Stellen der Partei sich große Sorgen darüber machen, daß ihre Absichten und ihre Bemühungen bei der gebildeten Intelligenz keinen Widerhall finden. Ich hoffe, daß Sie von meiner ehrlichen Sorge überzeugt sind, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich nicht wundere, daß der weitaus größte Teil der schaffenden Intelligenz wie der gesamten gebildeten Schicht sich von einem derartigen Ton und einem derart unaufrichtigen Verhalten, wie es in diesem Entwurf zum Ausdruck kommt, nur abgestoßen fühlen kann.“

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Deutlich wurde, dass sich Rettigs Unmut vor allem an der fachlichen Unzulänglichkeit des Entwurfs festmachte. Damit verbunden ließ er auch durchblicken, dass es ihm selbst um ein ganzheitliches, nicht alleine auf technisch-ökonomische Fragestellungen eingeengtes Verständnis von Architektenarbeit ging: „Die Einteilung in Fachrichtungen ist gar nicht zutreffend für den jetzigen Zustand und völlig unbrauchbar für die zukünftige Entwicklung. Eine künstlerische Ausbildung soll offenbar völlig unter den Tisch fallen, und ebenso ist von einer konstruktiven Ausbildung der Architekten überhaupt nicht die Rede.“

Vor allem ging es Rettig also darum, statt der inhaltlich verkürzten Leitlinien der Baupolitik ein sehr viel umfassenderes Konzept von Architektur und Städtebau einzufordern. Auch wenn nicht klar ist, ob Rettigs Briefe tatsächlich zu jenem Umdenken beigetragen haben, so sprach sich die Architekturfakultät der TH Dresden Anfang 1959 doch einhellig gegen alle Überlegungen zur Neugliederung der Architektenausbildung aus. Ein „telegrafisches Schreiben [...] worin sich die Fakultät sowohl gegen die in dem Entwurf [...] entwickelten Gedanken der gemeinsamen Grundausbildung, gegen die vorgeschlagenen Fachrichtungen sowie gegen die Methode der Erarbeitung dieser wichtigen Grundsatzfragen wendet“338 und das an das SfHuF gerichtet war, brachte das unmissverständlich zum Ausdruck. Vom SfHuF nach Berlin eingeladen, pflichteten Rettig Ende Januar 1959 darüber hinaus Georg Münter339 und Otto Englberger340 bei – stellvertretend für die Architekturfakultäten in Dresden 338 BArch, DR 3/1. Schicht/4813 (SfHuF), Protokoll der 2. Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates für das Bauwesen beim SfHuF, 30.01.1959, S. 3. 339 „Herr Prof. Dr. Münter, der [...] darauf hinweist, daß er mit seinen Ausführungen die Meinung seiner Kollegen in Dresden vertrete, stellt fest, daß [...] in dem zweiten zur Diskussion gestellten Entwurf [...] einige unsachliche Darlegungen weggelassen wurden. [Er] wendet sich gegen den Vorschlag einer gemeinsamen Grundausbildung für Architekten und Bauingenieure. Er bemerkt, daß eine solche Lösung zu einer Schematisierung der Ausbildung führen und dies auch den bisher gesammelten Lehrerfahrungen widersprechen würde [...] Er äüßert sich dahingehend, daß es vor allem darauf ankommt, Architektur- und Bauingenieurstudenten während der oberen Semester durch die Lösung komplexer Aufgaben zusammenzuführen und somit eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen ihnen bewußt zu entwickeln“ (ebd., S. 4f.). 340 „Herr Prof. Englberger legt mit seinen Ausführungen die Auffassung der Fakultät Architektur der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar dar. Er äußert, daß er mit dem von Herrn Prof. Dr. Münter Gesagten grundsätzlich übereinstimme. Auch die Fakultät für Bauwesen lehnt eine gemeinsame Grundausbildung aus geistigökonomischen Gründen ab. Eine gemeinsame Grundausbildung ist nach seiner Auffas-

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und Weimar. Unterstützung kam damit nicht zuletzt von jenen Hochschullehrern, die als Parteimitglieder am ehesten zur Zurückhaltung verpflichtet gewesen wären. Gerade sie entwickelten sich nun zu wichtigen Fürsprechern ihrer Fachkollegen bei Politik und Verwaltung. Unmissverständlich wurde dabei auch deutlich gemacht, dass man sich vom SfHuF zukünftig nicht mehr in die Erarbeitung von Lehr- und Ausbildungsplänen hineinreden lassen wollte.341 In Angriff nehmen wollte man in Dresden und Weimar stattdessen eine fachlich sinnvolle Reform der Studienpläne. Sehr viel mehr als die DBA oder das SfHuF erwiesen sich die Hochschulen dabei als einer der zentralen Orte, an denen man sich um eine zeitgemäße, umfassende und so dem industriellen Bauen wirklich gerecht werdende Architektenausbildung bemühte. Während man in den Führungsetagen von Staat, Partei, Staatssekretariat und Bauakademie nach wie vor uneins über die ideologisch-gestalterischen Auswirkungen des industriellen Bauens war, stellte man sich hier etwa den mit seiner Einführung verbundenen gestalterischen Herausforderungen. Beschäftigte man sich in Partei und Massenorganisationen vorzugsweise noch mit Stilfragen, so diskutierte man an den Hochschulen schon bald über Probleme der Raumbildung und des Städtebaus. Verstand die offizielle Politik das Kollektiv vor allem als Disziplinarmaßnahme, die aus einem bürgerlichen ein zentralistisch kontrolliertes sozialistisches Berufsbild machen sollte, so entwickelte man im Hochschulbereich die Idealvorstellung einer gleichberechtigten, alleine am sung ökonomisch falsch, weil sie nicht darauf abzielen kann, den größtmöglichen Nutzeffekt der Ausbildung in der jeweiligen Fachrichtung zu erreichen. Zum anderen würden durch eine solche Konzeption die spezifischen Eigenarten sowohl der Ausbildung von Architekten als auch der Bauingenieure verwischt werden. Die Architektenausbildung müsse sich von Studienbeginn an bereits auf ihr spezielles Ausbildungsziel orientieren“ (ebd., S. 5). 341 „Entsprechend den Vorschlägen von Herrn Dipl.-Ing. Schüttauf und von Herrn Prof. Dr. Münter legt der Beirat zur Weiterführung der Diskussion folgendes fest: 1. Von den einzelnen Hochschulen und Fakultäten für Bauwesen werden die grundsätzlichen Anforderungen, die die industrielle Umgestaltung des Bauwesens an die technischwissenschaftlichen Fachkräfte [...] stellt, formuliert. 2. Die Fakultät für Architektur an der Hochschule in Weimar und die Abteilung Architektur der Fakultät Bauwesen der TH Dresden erarbeiten die grundsätzliche Aufgabenstellung für die Architekten und entwickeln daraus die entsprechenden Prinzipien für die Ausbildung [...] 3. Von allen Hochschulen und Fakultäten für Bauwesen und für Architektur sind Vorschläge über den Inhalt und die Gliederung der Ausbildung nach Fachrichtungen zu machen [...] Um diese Vorschläge auszuwerten und daraus [...] eine Diskussionsgrundlage für die nächste Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates zu erarbeiten, beschließt der Beirat die Bildung einer Kommission“ (ebd., S. 7f.). Der Kommission gehörte u.a. Otto Englberger an.

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Ergebnis interessierten Zusammenarbeit unterschiedlichster Gewerke. Ausführung und Entwurf, Technisches und Gestalterisches wurden dabei sehr viel stärker als eine Einheit verstanden. Vor allem das Jahr 1959 war von bewegten Debatten und Auseinandersetzungen an den Hochschulen geprägt. So wurde an der HAB Weimar ein Studienplan erarbeitet, in dem gestalterische Überlegungen die Hauptrolle spielten. Betont wurde dabei, dass sich industrielles Bauen und ambitionierter Städtebau gegenseitig bedingten und dass die Architekten bei der Lösung dieser Aufgabe – entgegen mancher Überlegungen auf politischer Ebene – eine entscheidende Rolle spielen mussten: „Unter diesen Bedingungen [des industriellen Bauens, T.Z.] raumkörperliche Ordnungen und raumkörperliche Erlebnisse zu schaffen, die der sozialistischen Lebensweise Raum und Ausdruck geben, ist und bleibt die besondere Berufung des Architekten. Daran zu erinnern ist notwendig, weil es Meinungen gibt, den ‚Architekten‘ durch den ‚Hochbauingenieur‘ abzulösen.“342

An anderer Stelle wurde darüber hinaus betont, dass der Architekt genauso für die Gestaltung des Einzelhauses verantwortlich bleiben und sich dieser Anspruch auch in der Ausbildung widerspiegeln sollte: „Hochbau und Architektur bilden ein Ganzes. Es ist nicht möglich, einen Architekten heranzubilden, der nicht eine ausreichende technische Ausbildung erhalten hat. Genauso wenig ist es möglich, einen Hochbauer heranzubilden, der in Gestaltungsfragen nicht ausreichend geschult wurde.“343 Das industrielle Gestalten selbst wurde dabei als Herausforderung und Chance begriffen: „Jeder ehemals handwerklich gefertigte Gegenstand wird, der industriellen Serienfertigung unterworfen, uns zunächst mehr oder weniger roh, von alten Formvorstellungen belastet, begegnen. Der Prozess des Ausreifens, d.h. die materiellen und ideellen Forderungen, technisch-ökonomische Bedingungen der Fertigung, neue Möglichkeiten des Materials zu einer neuen Qualität des Gegenstandes zu fügen, kann bewusst beschleunigt werden. Vor einem solchen Prozess stehen wir im Bauwesen. Der Architekt als Dekorateur wird diesen Prozess

342 BArch, DR 3/1. Schicht/4813 (SfHuF), Entwurf zu einem Vorwort für den neuen Studienplan der Fakultät Architektur, Weimar, 15.01.1959, S. 2. 343 BArch, DR 3/1. Schicht/4783 (SfHuF), Entwurf „Maßnahmen des SfHuF zum ‚Plan der sozialistischen Umwälzung des Bauwesens‘“, TH Dresden, Abtlg. Architektur, Der Vorstand, 16.11.1959.

148 | A RCHITEKTEN IN DER DDR behindern [...] Der Architekt und Städtebauer mit ausreichendem Verständnis für Einzelforderungen der Spezialisten wird diesen Prozess beschleunigen können.“344

Auch wenn man der gemeinsamen Ausbildung von Architekten und Bauingenieuren eine klare Absage erteilt hatte345, hielt man die partnerschaftliche Zusammenarbeit beider Berufe doch für unerlässlich.346 Die Grundlage dafür sollte durch Gemeinschaftsvorlesungen und eine Reihe von Gemeinschaftsarbeiten schon während des Studiums gelegt werden.347 Politisch aber hatten solche Ansätze noch einen schweren Stand. Immer wieder waren die Akteure an den Hochschulen damit konfrontiert, dass das eigene ausbildungspolitische Engagement ins Leere lief. Tatsächlich nämlich geriet die Architekten- gegenüber der Bauingenieursausbildung bald ins Hintertreffen, und auch Entwurf und Gestaltung wurden mehr und mehr in Frage gestellt – u.a. auch vor dem Hintergrund des in Kapitel I.2.3 geschilderten ideologischen Beharrungsvermögens der leitenden Architekturfunktionäre. Trotzdem aber konnten zumindest die radikalsten Einschnitte abgewendet werden  vermutlich auch deswegen, weil sich die Staats- und Parteiführung angesichts der noch offenen Grenze zu Zugeständnissen gezwungen sah. In Dresden und Weimar, aber auch in Berlin-Weißensee ließ sich so ein völliger hochschulpolitischer Kahlschlag verhindern. Die Architektur- und Städtebaustudiengänge selbst blieben vielmehr ebenso erhalten wie ihr klassischer fachlicher Kern. Eine zeitgemäße, kreative, auch das internationale Niveau wider-

344 BArch, DR 3/1. Schicht/4813 (SfHuF), Entwurf zu einem Vorwort für den neuen Studienplan der Fakultät Architektur, Weimar, 15.01.1959, S. 3. 345 „Die Arbeitsgebiete des Architekten und des Bauingenieurs sind heute so vielfältig und in den einzelnen Fachrichtungen so spezialisiert, daß ihre Verschmelzung die Ausbildung zwar verbreitern, aber ebenso verflachen würde [...]“ (BArch, DR 3/1. Schicht/6224 [SfHuF], Entwurf: Zur Neugliederung der Hochschulausbildung „Bauwesen“, Vorschlag der Fakultät für Bauwesen, TH Dresden, 27.04.1959). 346 „Die gemeinschaftliche Arbeit von Architekt und Bauingenieur, die schon heute in der Praxis üblich ist, entwickelt sich immer mehr zum Prinzip“ (ebd.). 347 „a) Die Gemeinschaftsarbeit von Architekten und Bauingenieuren ist planmäßig in die Ausbildung zu übernehmen, sei es, daß bestimmte Belegaufgaben an Studierende der Architektur- und Bauingenieurabteilung gemeinsam ausgegeben und von ihnen bearbeitet werden, sei es, daß Lehrkräfte beider Abteilungen gemeinsam von den Studenten konsultiert werden [...] b) Darüberhinaus [sic!] ist es notwendig, bei Bauingenieuren und Architekten dort Gemeinschaftsvorlesungen zu veranstalten, wo Fachgebiete sich besonders stark berühren. Diese Gemeinschaftsvorlesungen haben sich gerade in letzter Zeit immer stärker durchzusetzen begonnen“ (ebd.).

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spiegelnde Entwurfsausbildung konnte so die baupolitisch unentschiedenen späten 50er Jahre überdauern.348 Damit aber spielten die Hochschullehrer auch für die gestalterische Erneuerung von Architektur und Städtebau eine ganz entscheidende Rolle  waren sie es doch, die die vielerorts geführte Reform- und Modernedebatte in die Hochschulen hineintrugen und trotz aller politischen Widrigkeiten der nachwachsenden Architektengeneration vermittelten. Ihre größere berufliche Unabhängigkeit erlaubte ihnen, ein politisch-ideologisch unabhängigeres Architekturverständnis lebendig zu halten. Das hatte im Übrigen bereits für die Zeit des Bauens der Nationalen Traditionen gegolten, vor allem jedoch für die Zeit einer irrlichternden Baupolitik nach 1955. Durch alle politischen Wirren hindurch wurde hier ein Faden gesponnen, an den die nachfolgende Aufbruchsgeneration schon bald anknüpfen können sollte: der eines generationsübergreifenden Reform- und Moderneprojektes, für das sich die Staatsund Parteiführung Anfang der 60er Jahre zumindest zeitweilig zu öffnen begann.

I.3 Z WISCHEN ARRANGEMENT UND I NTERVENTION : D AS ARCHITEKTENHANDELN IN DEN 60 ER J AHREN I.3.1 Architektenarbeit in den frühen 60er Jahren: Ein Überblick Anfang der 60er Jahre setzten auf politischer Ebene gegenläufige Tendenzen ein. So kam es für die Architekten zum einen zu einer Liberalisierung gestalterischen Arbeitens. Eine zentrale Rolle spielte dabei einerseits die Theoretische Konferenz des Jahres 1960. Sie nämlich nahm unmittelbar auf die vorausgehende Erneuerung

348 Dass die Architektenausbildung auch weiterhin und bis in die 60er Jahre hinein durch vielfältige, nicht zuletzt ästhetisch-gestalterische Komponenten geprägt war, verdeutlichen u.a. folgende Dokumente: SAPMO, DY 15/17 (BdA), BdA, Bundessekretariat, Stellungnahme zum Entwurf Grundsätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems; BArch, DR 3/1. Schicht/5504 (SfHuF), Studienpläne Bauwesen 1961-66; BArch, DR 3/1. Schicht/2452 (MfHuF), TH Dresden, Hauptfachrichtung Architektur, Das Berufsbild des Architekten, 14.05.1964. Auch Anfang der 60er Jahre hatte sich nach wie vor nichts daran verändert, dass die Architekturfakultäten vielfach als politisch unzuverlässig eingeschätzt wurden (hierzu BArch, DR 3/1. Schicht/5125 [MfHuF], Vorschlag Perspektivplan Kommission Technische Hochschule Dresden, Abschnitt 2.12: Lage unter den Studenten nach den Gesetzen der sozialistischen Moral, 26.04.1960). Hierzu außerdem auch BArch, DR 3/1. Schicht/5501 [MfHuF], Gesamteinschätzung der politisch-ideologischen Situation, HAB Weimar, 15.04.1964).

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im Bauen der Sowjetunion Bezug.349 Dabei konnte der künstlerische Charakter von Architektur und Städtebau auch auf Grund entsprechender Vorarbeiten durch die DBA und hier vor allem Bruno Flierls350 völlig neu bestimmt werden. So hieß es in der im Oktoberheft der DA zu findenden Sonderbeilage zur Theoretischen Konferenz: „Die sozialistische Architektur wendet die Schönheit der sozialistischen Industrie, die die Zweckmäßigkeit, Leichtigkeit, Präzision und Klarheit der industriell gefertigten Produkte zur Grundlage hat, in vollem Maße an. Durch klare tektonische Gliederung der Gebäude, durch die harmonische Proportionierung der architektonischen Details und durch eine geschmackvolle Bearbeitung neuer Materialien und Baustoffe sowie durch eine optimistische Farbgebung bringt sie die Schönheit der Industrie zur vollen Geltung.“351

Bereits hier deutete sich an, dass es von nun an vor allem eine rationalistische, auf die Industrialisierung und Typisierung des Bauens zugeschnittene Variante des Funktionalismus sein würde, die Architektur und Städtebau der DDR gestalterisch prägen352 und die endgültige Abkehr von der Idee eines Bauens der Nationalen Traditionen einleiten sollte.353 Darüber hinaus setzte es sich die Theoretische Konfe349 „Im Januar 1960 wurden vom Institut für Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung der DBA neue Grundsätze zur Planung und Gestaltung sozialistischer Stadtzentren verfaßt, die in Vorbereitung auf die ,Erste Theoretische Konferenz der DBA als Ergänzung zu den 16 Grundsätzen des Städtebaus von 1950 gedacht waren. Diese Ergänzungen bildeten zusammen mit der Auswertung der im Juni 1960 in Moskau tagenden AllunionsStädtebaukonferenz die Grundlage für die Thesen zur 1. Theoretischen Konferenz, die bei der Bauakademie erstellt wurden“ (Palutzki, S. 187). 350 Hierzu AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 24/Teil II, Bruno Flierl, Ideologische Probleme der sozialistischen Architektur der DDR in der gegenwärtigen Etappe unserer Entwicklung, erarbeitet zur Beratung beim Präsidenten der DBA am 14.06.1960, 13.06.1960. 351 Sonderbeilage DA 10/1960, S. 4, zitiert nach: Palutzki, S. 188f. 352 Als einer ihrer herausragenden Vertreter kann vor allem im theoretischen Bereich Hans Schmidt gelten, der 1956 aus der Schweiz in die DDR eingewandert war. Zusammen mit seinem Kollektiv, aber auch Theoretikern wie Kurt Junghanns, versuchte Schmidt dabei schon in der zweiten Hälfte der 50er Jahre eine ideologisch-theoretische Grundlage zu entwickeln, die DDR-Architektur und –Städtebau einen völligen Verzicht auf die Leitlinie des Bauens der Nationalen Traditionen ermöglichen sollte. Hierzu ausführlich der Schlussexkurs. 353 So weist Palutzki darauf hin, dass „mit dem Bekenntnis zum standardisierten Funktionalismus die Frage nach einer ,Weiterentwicklung des nationalen Kulturerbes endgültig einer als abgeschlossen betrachteten Etappe zugewiesen worden war“ und „Kurt

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renz auch zum Ziel, „einer möglichen ,Aneignung von Erkenntnissen der kapitalistischen Länder“354 näherzukommen. Hier sollte „eine Einzelfallprüfung“355 vorgenommen werden: „Es gibt einzelne Erscheinungen im Städtebau und in der Architektur der kapitalistischen Länder, sowohl in technischer als auch in funktioneller und gestalterischer Hinsicht, von denen wir etwas lernen können, um auf unserem Gebiet die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus möglichst schnell und umfassend zu erreichen.“356

Konnte diese Formulierung von den Architekten bereits als ein sehr weitreichender Freibrief für eine auch westliche Strömungen aufgreifende, gestalterische Vielfalt und Individualität ermöglichende Entwurfspraxis gelesen werden, so tat der Mauerbau des Jahres 1961 paradoxer- wie zynischerweise sein Übriges. Jene Liberalisierungen im gesellschaftlichen und kulturellen Bereich, die die frühen 60er Jahre u.a. im Bereich des Filmschaffens kennzeichneten, ließ die politische Führung erst zu, nachdem der Fortbestand des Staates durch die Abriegelung nach Westen gesichert worden war. So heißt es bei Wolfgang Engler: „Diesmal setzte sie [die Führung der SED, T.Z.] sich zur allgemeinen Überraschung selbst an die Spitze der Bewegung; zwar erst, nachdem sie die Mauer errichtet und in den Wochen danach mit harter Hand regiert hatte, dann aber um so entschiedener. Die Weisheit der Macht gebot, ein seiner äußeren Bewegungsfreiheit beraubtes Volk durch innere Bewegungsfreiheiten loyal und leistungsbereit zu stimmen.“357

Auf Architektur und Städtebau bezogen schreibt Andreas Tönnesmann wiederum: „Erst nach der offiziellen Verabschiedung gesamtdeutscher Zukunftserwartungen konnte die bauliche Repräsentanz des sozialistischen Staates wirklich zum Thema werden, wobei sich jetzt, nach der klaren Separation vom Westen und der Beseitigung peinlicher Verwechslungsgefahren, auch für die Staatsarchitektur der DDR ein Freiraum zur selbständigen Aneignung moderner Traditionslinien ergab.“358 Liebknecht selbst, entschiedenster Fürsprecher klassizistischer Tendenzen in den 50er Jahren, … auf der Theoretischen Konferenz erstmals von ,Erscheinungen des Eklektizismus im Zusammenhang mit den Ensembles des ,Nationalen Aufbauprogramms “ sprach (Palutzki, S. 189). 354 Ebd. 355 Ebd. 356 Sonderbeilage DA 10/1960, zitiert nach ebd. 357 Engler, S. 126f. 358 Tönnesmann, S. 130.

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Vor diesem Hintergrund wurde es möglich, dass der rationalistischen Entwurfshaltung ab etwa 1960 noch eine weitere an die Seite treten konnte, die von größerer künstlerischer Individualität, einem freien Umgang mit internationalen Strömungen sowie einer teilweise beinahe skulpturalen Auffassung vom Baukörper gekennzeichnet war. Hermann Henselmanns Haus des Lehrers stellte hier sicherlich einen Meilenstein dar. Verwiesen sei jedoch darüber hinaus auch auf Entwürfe, wie sie etwa von Heinz Graffunder für den Tierpark Friedrichsfelde oder das Freibad Pankow vorgelegt wurden.359 Zum anderen aber stand allerspätestens der Mauerbau auch für die weiter zunehmenden Zwänge, mit denen sich nicht nur die Gesamtbevölkerung, sondern auch die Architektenschaft konfrontiert sah. Die Option, außer Landes zu gehen und sich jenseits der DDR-Grenzen eine berufliche Existenz aufzubauen, war nun so gut wie obsolet geworden. So standen die frühen 60er Jahre auch für einen Umbruch im Architektenhandeln, der im Folgenden näher in den Blick genommen werden soll. Im Gegensatz zu den mitunter weitreichenden Interventionsversuchen der 50er Jahre stand von jetzt an das Moment der Anpassung und des Arrangements mit den politisch-institutionellen Strukturen und Leitlinien im Vordergrund. Dies konnte mitunter ähnlich affirmative Züge annehmen wie die der offiziellen Politik, aber auch eigenen Interessen verpflichtete Arbeit von Architekturfunktionären wie Kurt Liebknecht oder Gerhard Kosel. Ein Beispiel dafür ist die zunächst sehr bereitwillige Umsetzung des NÖSPL durch hochrangige Architekten, die im zweiten Unterabschnitt beleuchtet werden soll. Deutlich werden wird dabei, dass es auch Teile der Architektenschaft selbst waren, die die umfassende Ökonomisierung der Architektenarbeit nicht nur unterstützten, sondern auch mit vorantrieben. Anpassungsleistungen konnte jedoch auch schon in den 60er Jahren ein durchaus kritisches oder aber zumindest über die baupolitischen Forderungen des Alltags hinausweisendes Moment innewohnen. Genauer betrachtet werden sollen hier zwei Beispiele. Das eine von beiden beschäftigt sich mit dem DBA-Plenum des Jahres 1963. Diese ,von oben angeordnete Zusammenkunft von Architekten und Architekturfunktionären sollte der weitreichenden Maßregelung und Gängelung des Berufsstandes dienen. Sie stand damit für eine der vielen, in ihrer Schärfe aber nahezu unübertroffenen Interventionen der Baupolitik, die sich  wie ebenfalls deutlich werden wird  vor allem an den vielfach sehr viel freieren und ungezwungeneren, sich damit aber auch der politischen Kontrolle stärker entziehenden Arbeiten von Teilen der Architektenschaft störte. In erster Linie aber soll in diesem Abschnitt schwerpunktmäßig eine ganz spezifische Form des Architektenhandelns beleuchtet werden, die zwar bereits in den Vorjahren immer wieder zu beobachten gewesen war und auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen sollte, nunmehr aber besonders 359 Zu diesen gestalterischen Aspekten der Architektenarbeit ausführlich auch der Schlussexkurs.

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deutlich zu Tage trat. Zu kaum einem anderen Zeitpunkt der Geschichte des DDRArchitektenberufes kam nämlich in solch pointierter und augenfälliger Weise zum Ausdruck, wie sehr sich unter den Fachleuten und mit Blick auf das inzwischen notwendig gewordene Arrangement mit den Verhältnissen eine bestimmte Art des ideologisierten Sprechens über fach- und berufspolitische Themen etablierte, das einerseits als geschickte Anpassungsleistung an die Erwartungshaltung der Politik zu verstehen war, zum anderen aber zwischen den Zeilen genauso den Eigensinn der Akteure, fachliche Interessen und eine durchaus kritische Grundhaltung erkennen ließ.360 Im letzten Unterabschnitt wird dann deutlich werden, dass fachliche Positionen, von denen man sich diskursiv distanzierte, dennoch subkutan weiterlebten und sich – so bald dies möglich war – erneut Raum verschafften. Gezeigt werden wird dabei, dass das in der zweiten Hälfte der 60er Jahre entwickelte Konzept einer ,Architektur der Bildzeichen eine ähnlich geschickte sprachliche und diskursive Anpassungsleistung darstellte. Den Wunsch der Partei nach repräsentativen Zentrumsgestaltungen zum 20. Jahrestag der DDR aufgreifend, wurde hier eine der internationalen Moderne verpflichtete Architektenarbeit ausschließlich über sprachlich-diskursive Mittel sozialistisch umgedeutet und an die ideologischen Leitlinien angepasst. I.3.2 Formen des Arrangements: Das DBA-Plenum 1963 und das Sprechen über Architektur und Architektenarbeit Das Müggelturmgespräch als Höhe- und schicksalhafter Wendepunkt der Aufbruchsstimmung Wurde die Liberalisierung der Kulturpolitik im Allgemeinen erst mit dem so genannten ,Kulturplenum des Jahres 1965 zurückgenommen, so erfolgte die Zurechtweisung der Architektenschaft schon rund zwei Jahre früher nach dem so genannten Müggelturmgespräch. Bis dahin und auch im Rahmen des Gespräches selbst waren die Signale, die an die Architekten ausgesandt wurden, jedoch noch ganz andere gewesen. So fand passend zur allgemeinen Aufbruchsstimmung in Architektur und Städtebau der frühen 60er Jahre 1963 auch ein Generationswechsel an der Führungsspitze des MfB (vormals: MfA) statt. Hatte mit Ernst Scholz bislang noch ein Vertreter der älteren Aufbaugeneration den Minister gestellt, so wurde das Amt nun von dem gerade einmal vierunddreißigjährigen Wolfgang Junker übernommen. 360 Vgl. hierzu auch die von Architekten in den 70er und 80er Jahren erarbeiteten Berufsbildentwürfe oder die Argumentationsmuster, derer man sich gegen Ende der 60er Jahre zur Etablierung einer ,Architektur der Bildzeichen bedienen sollte (Kapitel II.1.2, III.3.2 und I.3.3).

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Nicht wenige Fachleute hegten damit verbunden die Hoffnung, dass der vor allem bei der jüngeren Generation recht verbreitete Wille zu Reform und Modernisierung nun auch in den Ministeriumsetagen Einzug halten würde. Vieles sprach tatsächlich dafür. So war die Laufbahn Wolfgang Junkers vergleichbar mit der vieler seiner Altersgenossen, die sich als so genannte ,junge Wilde eine gesellschaftliche und kulturelle Erneuerung der DDR auf die Fahnen geschrieben hatten, sich zugleich aber dezidiert als Sozialisten verstanden. Als Sohn eines Kraftfahrers wurde auch ihm nach dem Krieg ein bis dahin beispielloser Bildungsaufstieg ermöglicht. Nach einer Maurerlehre und Arbeit als Maurer in Quedlinburg trat Junker 1949 der SED bei. Bis 1952 studierte er dann Bauingenieurwesen an der Ingenieurhochschule in Osterwieck. Nachdem er 1952-53 als Bauleiter an der Stalinallee tätig gewesen war, kam er schon früh – mit gerade einmal Mitte zwanzig – in verantwortungsvolle Positionen. Ab 1955 war er als Direktor verschiedener volkseigener Betriebe tätig361 und wurde schließlich 1961 zum Stellvertreter des Ministers für Aufbau ernannt. Gerade als ausgebildeter Bauingenieur362 schien Junker die ebenfalls nur langsam voranschreitende, trotzdem aber durchaus spürbare Entideologisierung der Baupolitik auch auf politischer Ebene zu verkörpern. Dass zeitgleich weitere Ministerämter mit jungen und vielfach auch reformorientierten Funktionären besetzt wurden, verstärkte den Eindruck einer sich endlich durchsetzenden politischen Erneuerung. Ein unter reformorientierten Kräften weithin mit großer Sympathie aufgenommenes Signal stellte so etwa die Ernennung Hans Bentziens zum Kulturminister dar. 363 Auch er gehörte der Aufbruchsgeneration an und hatte maßgeblichen Anteil an der kulturpolitischen Öffnung der frühen 60er Jahre.364 Ein weiteres Mal bestätigt zu werden schien diese Erwartungshaltung, als Wolfgang Junker die Architekten und Städtebauer zu einem Gespräch in den 1961 neu eröffneten Berliner Müggelturm einlud. Schon der Ort der Zusammenkunft war in vielerlei Hinsicht von großer symbolischer Ausstrahlungskraft. Der Müggelturm 361 Nachdem er bereits 1953/54 Bauleiter in der Bau-Union Nord in Glowe auf Rügen gewesen war, wurde Junker 1955 Betriebsdirektor des VEB Bagger- und Förderarbeiten in Berlin. Ebenfalls als Betriebsdirektor wechselte er schließlich 1958 zum VEB Industriebau in Brandenburg (Zur Biographie Junkers: Eintrag in den „Biographischen Datenbanken“ der Stiftung Aufarbeitung unter Verwendung des Handbuchs „Wer war wer in der DDR“ [www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3B1424.html, zuletzt abgerufen am 24.05.2016]). 362 Ebd. 363 Zur Biographie Bentziens u.a. Eintrag in den „Biographischen Datenbanken“ der Stiftung Aufarbeitung unter Verwendung des Handbuchs „Wer war wer in der DDR“ (www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3B-1424.html, zuletzt abgerufen am 24.05.2016). 364 Hierzu u.a. Hans Bentzien, Meine Sekretäre und ich, Berlin 1995.

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selbst, traditionelles Ausflugsziel und -lokal der Berliner, symbolisierte Volksverbundenheit und ungezwungenes Miteinander. Statt die Architekten in den Räumen des Ministeriums zu empfangen, begegnete der Minister ihnen auf Augenhöhe. Das Treffen in den Müggelbergen war so auch Ausdruck eines Demokratieverständnisses, das sich zumindest laut offizieller Propaganda aus der aktiven Kommunikation mit der Bevölkerung speisen sollte und im Konzept des Bitterfelder Weges365 zeitgleich seinen ideologischen Höhepunkt erreichte. Vor allem aber war der Müggelturm das gebaute Abbild dessen, was Teile der jungen Architektengeneration gestalterisch anstrebten und durchzusetzen erhofften – nicht zuletzt als ein von ihnen selbst geplantes und gebautes Pilotprojekt. 1958 bis 1961 entstand dabei unter der Leitung des Kollektivs Jörg Streitparth366 ein Ensemble, das nur wenige Jahre zuvor völlig undenkbar gewesen wäre und so auch beispielhaft für den sich nach und nach abzeichnenden gestalterischen Aufbruch der Zeit stand. Statt eines repräsentativen und symmetrischen, etwa auf die Achse zum Langen See bezogenen Gebäudekomplexes entwarfen die Archi365 Hierzu u.a. Zweite Bitterfelder Konferenz 1964. Protokoll der von der ideologischen Kommission beim Politbüro des ZK der SED und des Ministeriums für Kultur am 24. und 25. April im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld abgehaltenen Konferenz, Berlin 21964. 366 Jörg Streitparth, 1931 als Sohn eines Architekten geboren, machte von 1945-48 zunächst eine Facharbeiterausbildung zum Tischler. Von 1950-53 studierte er dann an der Fachschule für Angewandte Kunst in Erfurt und wechselte anschließend an die Kunsthochschule Berlin, wo er 1958 sein Architektur-Diplom ablegte. Streitparth war von 1958-62 im Stadtbauamt des Berliner Magistrats, von 1962-65 im Kollektiv Hermann Henselmanns und ab 1965 an der DBA beschäftigt. Sein BdA-Aufnahmeantrag wurde 1961 von Hermann Henselmann und Bernhard Geyer als Bürgen unterstützt (IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, Jörg Streitparth [07/0701], zwei Karteibögen, Berlin, 26.05.1961 und 27.11.1972). Dem Kollektiv gehörte außerdem u.a. Klaus Weißhaupt an. 1931 als Sohn eines Arbeiters geboren, schloss er ebenfalls eine Facharbeiterausbildung als Bau- und Möbeltischler ab und studierte im Anschluss von 1953-58 Architektur an der Kunsthochschule Berlin. Nach zweijähriger Tätigkeit beim Berliner Stadtbauamt war er von 1960-61 kurzzeitig in der Abteilung Sonderbauten der DBA beschäftigt, um anschließend in den VEB Berlin-Projekt und von dort ins WBK Berlin zu wechseln. Als Bürgen fungierten 1961 ebenfalls Henselmann und Geyer (IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, Klaus Weißhaupt [08/0765], zwei Karteibögen, Berlin, 25.05.1961 und 15.12.1971.) Streitparth und Weißhaupt waren zudem an der Planung zum Haus des Lehrers beteiligt. Hermann Henselmann war es denn auch, der sich nach eigenen Angaben intensiv für die Beauftragung des Kollektivs Streitparth einsetzte (vgl. hierzu Henselmann [1978], S. 33). Dem Kollektiv gehörte darüber hinaus der Architekt Siegfried Wagner an.

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tekten eine locker gruppierte Baugruppe aus Hoch- und Flachbau. Über rechteckigem Grundriss erhob sich auf der einen Seite der an seinen Schmalseiten abwechselnd durch Fensterbänder und weiß getünchte Brüstungsfelder gegliederte, luftigleicht wirkende Aussichtsturm mit abschließendem, von einer dünnen Betonplatte überfangenem Panoramageschoss. Nach Osten griffen zweistöckige, flach gedeckte Bauteile L-förmig in die umgebende Landschaft aus und rahmten eine nach Süden ausgerichtete Terrasse ein. In diesem Bereich war auch die mit einer modernzurückhaltenden, aber gediegenen Inneneinrichtung ausgestattete Gaststätte untergebracht, in der im Februar 1963 die als Müggelturmgespräch in die Architekturgeschichte der DDR eingegangene Unterredung der Architekten mit dem Bauminister stattfand.367 Mit dem Müggelturm als einem der ersten Bauprojekte, das in einer individuelleren, zugleich aber auch betont rationalistischen Architektursprache realisiert worden war, schien der Bauminister also auch dem Entwurf des jungen Architektenkollektivs Respekt und Anerkennung zu zollen. Dazu passend wollte er sich mit dem Gespräch selbst nach eigenem Bekunden ein Bild von der ganz individuellen Sicht junger Architekten auf Architektur und Städtebau der DDR machen. Tatsächlich war das Müggelturmgespräch 368 denn auch durch Offenheit, Ehrlichkeit und eine ungewohnt entspannte Atmosphäre gekennzeichnet. Dementsprechend freimütig äußerten die teilnehmenden Architekten und Städtebauer Lob und Kritik am Zustand von DDR-Architektur und -Baupolitik sowie ihren eigenen Arbeitsbedingungen. Und auch Wolfgang Junker schien zunächst ein uneingeschränkt offenes Ohr für sie zu haben. Gespräch, Nachfragen und Stellungnahmen ließen deutlich werden, dass beide Seiten, Fachleute wie Baupolitik, an einem wirklich konstruktiven Austausch interessiert waren. Für die kurze Zeit eines einzigen Abends wurde in der Köpenicker Müggelturmgaststätte wirklich etwas von jener Diskussionskultur und jenem Meinungsstreit spürbar, der schon seit Jahren – in der Regel jedoch halbherzig und als ideologisch aufgeladene leere Phrase – immer wieder eingefordert worden war. Für einige wenige Stunden deutete sich hier an, wie eine fruchtbare Zusammenarbeit von Baupolitik, Architekten und Städtebauern aussehen könnte. Dass Wolfgang Junker sein Gesprächsangebot ernst meinte, kann dabei rückblickend als durchaus wahrscheinlich gelten. Alles deutet darauf hin, dass auch er  ähnlich wie Hans Bentzien  zunächst weitgehendere Reformen anstrebte, die Ulbrichts ,Aufbau des Sozialismus zu einem wirklichen, wenn auch immer 367 Vgl. hierzu Palutzki, S. 202. 368 Auszüge des Müggelturmgesprächs sind auf Initiative von Chefredakteur Bruno Flierl 1963 in der Märzausgabe der DA abgedruckt worden (o. Verf., „Junge Architekten diskutieren mit dem Minister für Bauwesen“, in: DA 3/1963, S. 132). Nachdem seitens von Partei und Regierung Kritik vor allem an diesem Beitrag einsetzte, sind Teile der DA offenbar ohne diese Gesprächsauszüge ausgeliefert worden. Wahrscheinlich deswegen ist der Beitrag nicht in allen Heften zu finden.

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noch durch die SED und deren Machtanspruch eingegrenzten und bestimmten Aufbruch machen sollten. Durchaus wahrscheinlich ist, dass ihm und vielen seiner Ministerkollegen die jüngsten Entwicklungen von Kunst, Architektur und Städtebau in der Sowjetunion, vor allem aber in Ostblockstaaten wie Rumänien und Bulgarien369, Mut machten. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang natürlich auch die gleichzeitig stattfindende kulturpolitische Liberalisierung in der DDR selbst. Sie setzte nicht nur bei Künstlern und Architekten ein kreatives Potential frei, das durch die Enge der politisch-ideologischen Leitlinien bislang mehr oder weniger unterdrückt worden war. In ihrer Haltung bestätigt fühlten sich durch die Liberalisierung vielmehr auch die reformorientierten Kräfte innerhalb der politischen Führung auf Parteiund Regierungsebene. Das DBA-Plenum und die Zurechtweisung der Architekten Schon unmittelbar nach dem Müggelturmgespräch und Junkers Amtsantritt zeichnete sich jedoch eine neuerliche Disziplinierung der Architektenschaft und damit auch des Bauens selbst ab. So hatte die Unzufriedenheit der politischen Führung mit dem Bausektor vor allem im Laufe der Herbst- und Wintermonate 1962/63 immer weiter zugenommen. Mit dem Wohnungsbau etwa – der immer noch wichtigsten Wiederaufbauaufgabe  war man nach wie vor erheblich im Rückstand.370 Eher

369 Hierzu u.a. auch die zahlreichen Berichte in der DA, die unter Bruno Flierl als Chefredakteur veröffentlicht worden sind und im Rahmen des DBA-Plenums einen weiteren Stein des Anstoßes darstellen sollten. 370 „Orientiert an den Vorgaben zum Siebenjahresplan, die bereits im Rahmen des V. Parteitages der SED 1958 getroffen worden waren, bildeten die ,sozialistische Lösung der Wohnungsfrage und der Neuaufbau der zerstörten Stadtzentren die Hauptpunkte der Thesen [auf der 1. Theoretischen Konferenz 1960, T.Z.]. Das Zurückbleiben in der Planerfüllung und der Entwicklung der industriellen Architektur im Laufe der ersten Etappe der Industrialisierung des Bauwesens wurde nicht mit den vorhandenen wirtschaftlichen Problemen, sondern mit ,Hemmnissen ideologischer Natur begründet … Gleichzeitig wurde die ,Lösung der Wohnungsfrage und der Aufbau der Stadtzentren bis 1965 angekündigt: ,Die Erfüllung des Wohnungsbauprogrammes des Siebenjahrplanes bis 1965 ist ein Grundproblem im friedlichen Kampf für die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber dem kapitalistischen System in Westdeutschland. Im Gegensatz zu Westdeutschland sind in der Deutschen Demokratischen Republik alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen worden, um die schweren Kriegszerstörungen auch in den Wohnungsverhältnissen zu überwinden, den Wohnraummangel in naher Zukunft völlig zu beseitigen und das Wohnungsproblem entsprechend den gesellschaftlichen Interessen der werktätigen Massen und

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ausgeblendet wurde dabei, dass mit dem ersten Versuchsbau P 2 am Berliner Fennpfuhl und einer Reihe weiterer Entwürfe371 die Weichen bereits wunschgemäß in Richtung eines industrialisierten, aber dennoch qualitativ hochwertigen Massenwohnungsbaus gestellt worden waren. Sehr viel stärker nahmen Partei und Regierung sowie eine ganze Reihe auch fachlich geschulter Baufunktionäre jedoch offensichtlich wahr, dass vielerorts repräsentative und gestalterisch äußerst individuelle öffentliche Gebäude entstanden. Sie entsprachen allerdings kaum den auf Wirtschaftlichkeit und Massenproduktion zugeschnittenen baupolitischen Leitlinien, sondern konnten in den meisten Fällen nur mit Hilfe kommunaler Strukturen und Netzwerke verwirklicht werden. Eine entsprechende Kritik an der Architektenarbeit und eine damit einhergehende politische Intervention ließen deswegen nicht lange auf sich warten. Während andere Künste noch gut zwei Jahre vom Kurs der Liberalisierung und Öffnung profitieren sollten, wurde eine gestalterisch individuellere Architektenarbeit schon im Frühjahr und Sommer 1963 weitmöglichst eingeschränkt. Die Kritik bezog sich dabei vor allem auf jene Architekten, die sich in ästhetischer, aber auch theoretischer Hinsicht freigeschwommen hatten und über die Vorgaben und Vorstellungen der Baupolitik hinausgingen. Bei vielen Baufunktionären und einer ganzen Reihe älterer Fachleute verstärkte sich dabei das Gefühl, die Entwicklungen in Architektur und Städtebau nicht mehr in ausreichendem Maße kontrollieren zu können. Gerade die Alleingänge der DA und Bruno Flierls372, der u.a. das Müggelturmgespräch ohne entsprechende Autorisierung durch die Partei veröffentlich hatte373, dürften diese Befürchtungen weiter genährt haben. Tatsäch-

den ständig wachsenden Bedürfnissen zu lösen “ (Palutzki, S. 188f. unter teilweiser Bezugnahme auf DA 10/1960, S. 2). 371 Hierzu ausführlich auch der Schlussexkurs. 372 Flierl war 1961 zum Chefredakteur der DA ernannt worden und löste damit den wesentlich konservativeren Kurt Magritz ab (hierzu u.a. SAPMO DY 15/11 [BdA], BdA, Bundessekretariat, Vorlage Nr. 7, 18.05.1961). 373 Vgl. hierzu u.a. Simone Hain, „Vom Kollektivplan zum Hauptstadtwettbewerb. Ein Jahrzehnt Stadtplanung“, in: Dies./Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Hgg.), Archäologie und Aneignung. Ideen, Pläne und Stadtfigurationen. Aufsätze zur Ostberliner Stadtentwicklung nach 1945, Erkner 1996, S. 73-96, hier S. 92. Auch über die Publikation des Müggelturmgesprächs hinaus hatte Flierl immer wieder zwar politisch loyale, den aktuellen Entwicklungen aber durchaus mit Kritik begegnende Artikel in die DA aufgenommen (etwa Bernhard Geyer, „Wettbewerb und Wirklichkeit“, in: DA 2/1962, S. 121f.; dort hieß es u.a.: „Die vorhandenen Unzulänglichkeiten unseres heutigen Entwicklungsstandes im Bauwesen dürfen jedenfalls nicht als Maßstab für Wettbewerbsentwürfe genommen werden, die gerade von der Forderung her konzipiert wurden, diese Unzulänglichkeiten zu überwinden“ [ebd., S. 122]).

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lich nämlich wurden hier das Machtmonopol der Partei und die klassischen Hierarchien mehr und mehr in Frage gestellt. Das Müggelturmgespräch und seine Veröffentlichung in der DA374 nahm man denn auch als willkommenen Anlass, politisch durchzugreifen. Den Rahmen dafür bildete ein Plenum der DBA, das schließlich ebenfalls in der DA publiziert und so für die gesamte Architektenschaft als Gegenentwurf zum Müggelturmgespräch inszeniert wurde.375 Ziel des Plenums war dabei die Zurechtweisung all jener Architekten, die sich bei der Zusammenkunft mit dem Bauminister kritisch geäußert hatten, im Vorfeld aber auch durch ihre künstlerisch-eigenständige Entwurfshaltung aufgefallen waren. Vorgeworfen wurde ihnen dabei, nicht mehr dem sozialistischen Ideengehalt376, sondern nur noch den eigenen Interessen gegenüber verpflichtet zu sein.377 Deutlich wurde damit zugleich ein weiteres Mal, wie wenig die gestalterisch aufwändigeren und individuelleren Entwürfe einzelner Architekten offiziell konzes374 Laut einer Notiz von Kurt Junghanns waren damals „nur kritische Anmerkungen der Anwesenden gedruckt“ worden. Welche Gründe dies hatte, bleibt allerdings auch bei Junghanns offen (hierzu AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 13/3). 375 DBA (Hg.), 7. Plenartagung (Geschlossenes Plenum), Ideologische Fragen des Städtebaues und der Architektur, Berlin, 12. Juli 1963, Diskussionsbeiträge I, Beilage zur Zeitschrift DA, Berlin 1963; DBA (Hg.), 7. Plenartagung (Geschlossenes Plenum), Ideologische Fragen des Städtebaues und der Architektur, Berlin, 12. Juli 1963, Diskussionsbeiträge II und Schlusswort, Beilage zur Zeitschrift DA, Berlin 1963. Beide Beilagen im Folgenden als „DA-Beilage“ zitiert. Auch diese Beilage ist nicht komplett in alle DA-Ausgaben eingeheftet worden. So fehlt oftmals beispielsweise das Hauptreferat von Collein. 376 Im Rahmen seines Hauptreferats unterstrich Collein denn auch „die große Rolle [...], die der Architektur bei der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins der Menschen und bei der Herausbildung einer sozialistischen Nationalkultur zukommt.“ (DABeilage, Hauptreferat Collein, S. 5). 377 Hinzu kam ein anderes Argument, das vor allem aus der Architektenschaft selbst immer wieder vorgebracht wurde. So vertrat etwa Hans Schmidt die Auffassung, dass Architekten wie Henselmann und Kaiser durch ihre Konzentration auf Sonderbauvorhaben das weite Feld der Industrialisierung des Bauens zunehmend den Bauingenieuren überließen und damit Gefahr liefen, „,ihr Handwerk den Ingenieuren preiszugeben “ (Simone Hain, „Der lange Ritt zur dritten Million. Kleine Skizze über Städtebau als industrieller Wohnungsbau“, in: Dies./Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung [Hgg.], Archäologie und Aneignung. Ideen, Pläne und Stadtfigurationen. Aufsätze zur Ostberliner Stadtentwicklung nach 1945, Erkner 1996, S. 106-109, hier S. 107; hierzu außerdem: Dies., „Hans Schmidt in der DDR. Annäherungen aus historischer Sicht“, in: Ursula Suter, Hans Schmidt 1893-1972. Architekt in Basel, Moskau, Berlin-Ost, Zürich 1993, S. 83-108, vor allem S. 93f.).

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sioniert oder ideologisch unterfüttert waren. Im Hauptreferat von Edmund Collein hieß es denn auch: „Doch gibt es Erscheinungen, die darauf schließen lassen, daß einige Architekten Sonderrechte in bezug auf die Einhaltung der Beschlüsse und die Parteidisziplin für sich in Anspruch nehmen möchten; Architekten, die glauben, den von den Werktätigen der Republik unter Führung der Partei erfolgreich beschrittenen Weg subjektiv auslegen oder gar korrigieren zu müssen. Das zeigt sich beispielsweise im Verhalten einiger Kollegen zur Standardisierung und Typisierung. Die großen Aufgaben, deren Lösung hilft, das Bauwesen zu einem modernen Industriezweig zu entwickeln, werden von einigen Architekten diskreditiert, indem unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Dogmatismus von einer Einengung der schöpferischen Möglichkeiten gesprochen und zudem von der Meinung ausgegangen wird, in der Sphäre der individuellen Projektierung könnten sich schöpferische Fähigkeiten eines Architekten besser entfalten.“378

Und weiter: „Offensichtlich kommen also einige Kollegen, die mit Worten wohl die Beschlüsse unserer Partei und Regierung zur Typenprojektierung, zur radikalen Standardisierung der Bauelemente, der Fertigungsverfahren und der Montagetechnologien anerkennen mögen, in Konflikt mit den bei ihnen noch vorhandenen Resten von subjektiven Auffassungen zur sozialistischen Architektur sowie zur individuellen und zur Typenprojektierung.“379

Stellvertretend für viele andere zielte die Kritik nach dem Müggelturmgespräch dabei vor allem auf Hermann Henselmann, Selman Selmanagic 380 und Heinz Graffunder.381 Henselmann hatte sich kurz zuvor mit seinem Berliner Haus des Lehrers exponiert und einen an Ludwig Mies van der Rohe und Pier Luigi Nervi geschulten, trotzdem aber unverwechselbar eigenständigen und durch Walter Womackas so genannte ,Bauchbinde sozialistisch ,bekunsteten Entwurf vorgelegt. Selman Selmanagic fiel mit angeblich formalistischen städtebaulichen Planungen für Schwedt in Ungnade, während Heinz Graffunders einer modernen ,architecture parlante verpflichtete Bauten im Berliner Tierpark für Unmut gesorgt hatten. Endgültig inakzeptabel erschienen der Baupolitik wohl Graffunders Äußerungen während des Müggelturmgesprächs. So hatte er dort in umfassender Weise Kritik an den Strukturen des DDR-Bauwesens geübt:

378 DA-Beilage, Hauptreferat Collein, S. 7. 379 Ebd., S. 8. 380 Zur Kritik an Henselmann und Selmanagic ebd., S. 7f. 381 Zur Kritik an Graffunder ebd., S. 9.

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„Mein Optimismus als Architekt erwächst nur aus den Aufgaben, an denen ich arbeite, nicht aus dem Betrieb, dem ich angehöre. Die Hälfte der Zeit überlege ich, wie ich die ,oberen Stellen überliste. Die andere Zeit brauche ich, um das wenige, was möglich ist, durchzusetzen, indem ich mich wie mit einem Buschmesser durch den Wust der Verordnungen hindurchschlage … Das muß aufhören, daß in einem Projektierungsbetrieb die Produktion der Verwaltung untertan ist. Die Verwaltung muß der Produktion dienen! Das bedeutet letztlich: die Struktur im Bauwesen muß verändert werden.“382

Damit schien für die Baufunktionäre endgültig klar zu sein, dass es den Architekten alleine um bloße Selbstdarstellung ging. Angesprochen ist damit bereits der eigentliche Kritikpunkt. So warf Edmund Collein, der als BdA-Präsident das einleitende Referat zu halten und die Grundlinien des Plenums vorzugeben hatte, seinen Kollegen gleich zu Beginn vor, „Sonderrechte in bezug auf die Einhaltung der Beschlüsse [von Partei und Regierung, T.Z.] und die Parteidisziplin für sich in Anspruch“ zu nehmen sowie – wie bereits erwähnt – „subjektive[...] Auffassungen zur sozialistischen Architektur sowie zur individuellen und zur Typenprojektierung“383 zu vertreten. Vorgehalten wurde den Architekten damit vor allem, aus dem System der Planwirtschaft auszuscheren und zu ignorieren, dass es sich bei Architektur und Städtebau um einen – wie immer wieder betont wurde – zentralen Zweig der Volkswirtschaft handelte. Eine individuellere Gestaltung, wie sie sich nach der Theoretischen Konferenz sehr viel umfassender durchzusetzen begann, wurde dabei als ein die Industrialisierung und Typisierung des Bauens torpedierendes Moment begriffen. Schlussendlich sagte man den Architekten also nach, aus Eigennutz wirtschaftliche Notwendigkeiten aus dem Blick zu verlieren und damit auch ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung sowie ihrer Verpflichtung im Systemwettbewerb auszuweichen. Schon hier wurde deutlich, dass die Kritik am Müggelturmgespräch letztlich vor allem auch als grundsätzliche Infragestellung eines Berufsverständnisses zu verstehen war, das den individuellen Planer und dessen gestalterische Arbeit wieder sehr viel stärker in den Mittelpunkt zu rücken versuchte. Die Einlassungen vieler älterer Architekten und Baufunktionäre auf dem DBA-Plenum ließen dabei zugleich erkennen, wie sehr gerade von ihnen eine nach wie vor ideologisch durchtränkte Bauund Berufspolitik vertreten wurde. So war es erneut Edmund Collein, der gleich zu Beginn der Tagung betonte, es gehe darum „zu erkennen, daß die Lösung der großen ökonomischen Aufgaben auch im Bauwesen aufs engste mit der politisch-ideologischen Erziehung der Menschen verbunden ist, da wir nur mit 382 O. Verf., „Junge Architekten diskutieren mit dem Minister für Bauwesen“, Diskussionsbeitrag Graffunder, in: DA 3/1963, S. 132. 383 DA-Beilage, Hauptreferat Collein, S. 7.

162 | A RCHITEKTEN IN DER DDR klarem Kopf unsere Kräfte auf die entscheidenden Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung und auf die Verwirklichung der ökonomischen Aufgaben lenken und konzentrieren können.“384

Und darüber hinaus: „Eine Vernachlässigung besonders der ideologischen Probleme in Städtebau und Architektur [...] hat erheblich zu den aufgezeigten Fehlern und Mängeln in der Architektur des industriellen Bauens, im Städtebau, in der Baugeschichte und in der Zeitschrift ,Deutsche Architektur beigetragen. Wir sind in eine gewisse Sorglosigkeit verfallen und haben es an der notwendigen Wachsamkeit auf ideologischem Gebiet fehlen lassen.“385

Nicht ins Bild passte dabei eben jene Individualisierung der Architektenarbeit, wie sie gerade von Teilnehmern des Müggelturmgesprächs angestrebt worden war. Stattdessen wurde nun erneut betont, dass sich der einzelne Architekt zurückzunehmen und eigene fachliche Vorstellungen hintanzustellen habe. Auf diese Weise sollte er sich ganz der Parteidisziplin und -kontrolle sowie den von Partei und Regierung erlassenen baupolitisch-ideologischen Leitlinien unterordnen. So konstatierte Benny Heumann: „Es ist tatsächlich so, daß Aufgaben, die die Partei stellt, nicht nur Aufgaben sind, die im Interesse der Mitglieder der Partei gestellt werden, sondern im Interesse des ganzen Volkes. Daraus ergibt sich auch die moralische Berechtigung zu sagen, daß die Beschlüsse der Partei für alle Bürger unserer Republik bindend sind; denn sie garantieren die Sicherheit, das Glück und die Zukunft des ganzen Volkes, und zwar nicht nur in der Deutschen Demokratischen Republik, sondern in ganz Deutschland.“386

Alleine was die fachliche Ausrichtung der Baupolitik anging, stellte das DBAPlenum damit einen Rückfall in die erste Hälfte der 50er Jahre dar. Hatte man den Architekten vor allem nach der Theoretischen Konferenz zugestanden, eigene fachliche Antworten auf die recht allgemein formulierten baupolitischen Vorgaben zu finden, so stellte sich die Partei nun erneut als die eigentlich kompetente Instanz dar. Dies klang bereits durch, wenn die Baufunktionäre Alfred Schwandt, Werner Schneidratus und Gerhard Kosel von den „falsche[n] Ansichten“387 bzw. „Auffas-

384 Ebd., S. 5. 385 Ebd., S. 19. 386 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Heumann, S. 50. 387 DA-Beilage, Schlusswort Kosel, S. 53.

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sungen“388 ihrer Kollegen sprachen. Denn schon damit war implizit klar, dass nur die von Partei- und Regierungsinstitutionen ausgearbeiteten Leitlinien die ,richtige Sicht der Dinge repräsentierten. Sehr deutlich zum Ausdruck brachte das Benny Heumann: „Wenn man den richtigen Weg sehen und gehen will“, so belehrte er die nun erneut auf der Anklagebank sitzenden Architektenkollegen, „dann gibt es nur einen Standpunkt, den Standpunkt der Arbeiterklasse, die durch die geschichtliche Entwicklung berufen ist, die führende Rolle einzunehmen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung liefert hierfür den Beweis. Wer richtig gehen will, wer im Interesse der Zukunft handeln will, der kann nur vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus die Dinge betrachten.“389

Statt eines an professionellen und fachlichen Kriterien orientierten Handelns forderte Heumann deswegen auch eine alleine am Marxismus-Leninismus ausgerichtete Architektenarbeit ein. Ziel war dabei die Disziplinierung der Architektenschaft, da er den Marxismus-Leninismus in der von der Partei definierten Form als etwas geradezu Naturgesetzliches und damit für alle gleichermaßen Gültiges definierte. So hielt es Heumann auch für die Pflicht eines jeden Architekten, „den Standpunkt der Objektivität vom Gesichtspunkt der Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus einzunehmen.“ 390 Ebenfalls an die 50er Jahre erinnerten darüber hinaus die klassenkämpferischen Schablonen, die im Rahmen des DBA-Plenums erneut bemüht wurden. So hatten sich die nunmehr kritisierten Architekten aus der Sicht Colleins zu willigen Werkzeugen des Klassenfeindes gemacht. Demnach standen ihre individuellen gestalterischen und theoretischen Ansätze für nichts anderes als für „die verstärkten Versuche des Gegners mit Hilfe ideologischer Diversion die Einheit und Geschlossenheit der Erbauer des Sozialismus-Kommunismus aufzuweichen.“ 391 Sie würden der „Propagierung einer ideologischen Koexistenz zwischen dem Kapitalismus und Sozialismus“ 392 Vorschub leisten, die „ein besonders heimtückisches Mittel in dem Klassenkampf auf ideologischem Gebiet“393 darstelle. Ähnlich sah das auch Benny Heumann, wenn er mit gleicher Stoßrichtung feststellte:

388 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Schwandt, S. 36, und Diskussionsbeitrag Schneidratus, S. 40. 389 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Heumann, S. 51. 390 Ebd. 391 DA-Beilage, Hauptreferat Collein, S. 18. 392 Ebd., S. 19. 393 Ebd.

164 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „Der Gegner hat erkannt, daß er die sozialistischen Länder auf ökonomischem Gebiet nicht schlagen kann. Er versucht deshalb, auf ideologischem Gebiet Verwirrung in die Köpfe unserer Menschen zu tragen.“394

Vor allem bei Gerhard Kosel sahen sich die auf Grund ihrer beruflichen Haltung regelrecht zu Staatsfeinden erklärten Architektenkollegen schließlich einer auf die Spitze getriebenen Kalten-Kriegs-Rhetorik ausgeliefert. So erklärte Kosel im Rahmen seines Schlusswortes mit militaristischem Tonfall: „Wir leben in der Periode eines heftigen Kampfes an der ideologischen Front. In dieser Auseinandersetzung des Sozialismus mit dem Kapitalismus darf es keinen Waffenstillstand, keine Konzessionen und keine Kompromisse geben. Wir führen hier keine Kampagne, sondern einen konsequenten Kampf um die Durchsetzung der Prinzipien des Marxismus-Leninismus in Städtebau und Architektur.“395

Personelle Konsequenzen durften dabei aus Kosels Sicht nicht ausbleiben: „Es ist notwendig, Redaktion und Redaktionsbeirat [der DA, T.Z.] durch MarxistenLeninisten mit hoher fachlicher Qualität zu verstärken. Für die Ausrichtung unserer Kräfte auf das Neue in Städtebau und Architektur trägt die Zeitschrift ‚Deutsche Architektur‘ als kollektiver Organisator und Agitator eine hohe Verantwortung. Wir müssen diese wichtige Waffe im Klassenkampf scharf erhalten.“396

Richard Paulick schließlich brachte unmissverständlich jenes Berufsbild auf den Punkt, zu dem man mit der DBA-Plenartagung endgültig zurückkehren wollte. Er, der Anfang der 50er Jahre selbst Opfer einer von Rudolf Herrnstadt lancierten Pressekampagne geworden war397, forderte nun von seinen Kollegen in der Manier des strammen Parteisoldaten strikte Parteilichkeit ein: „Ich glaube, zu diesem Bekenntnis [zum Kommunismus, T.Z.] müssen sich alle Architekten unserer Republik entschließen und erkennen, daß wir zuerst Sozialisten sind, und zuzweit [sic!] Architekten, die die Beschlüsse von Partei und Regierung durchführen.“398

394 Ebd., S. 50. 395 DA-Beilage, Schlusswort Kosel, S. 53. 396 Ebd., S. 55. 397 Hierzu ausführlich Kapitel I.1.3. 398 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Paulick, S. 35.

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Bis in ihre alltägliche Berufspraxis hinein sollten die Architekten also nicht mehr als bloße Erfüllungsgehilfen von Partei und Regierung sein und eigene fachliche Interessen hintanstellen.399 Ganz wesentlich ging es beim DBA-Plenum also um die Frage, wem zukünftig die Deutungshoheit über Architektur und Städtebau zufallen sollte  den stärker reformorientierten, meist jüngeren Fachleuten oder aber den mit den politischen Strukturen der 50er Jahre großgewordenen Architekten und Architekturfunktionären. Gerade ihnen ging es damit also vielfach auch um die Verteidigung eigener Positionen innerhalb des Bauwesens, wenn sie den auf strukturelle Veränderungen abzielenden Reformversuchen der eigenen Fachkollegen vehement entgegentraten. So scheint es plausibel, dass Anfang der 60er Jahre gerade die ältere Generation eine zunehmende Angst vor Macht- und Kontrollverlust zu verspüren begann. Ihre politische Loyalität, aber auch ihr politischer Opportunismus, war sicherlich entscheidend durch ein solches Gefühl der Bedrohung motiviert. Gerade hinsichtlich solcher generationeller Fragen spielte schließlich wohl noch ein anderer Aspekt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Viele der oben genannten, ihre Kollegen zur Rede stellenden Plenumsteilnehmer hatten  wie etwa Edmund Collein  in der frühen DDR eine konservative, am Vorbild der Sowjetunion ausgerichtete politische Haltung eingenommen und waren mit entsprechendem beruflichem Erfolg belohnt worden. Im Falle Colleins spricht zudem vieles dafür, dass die damit einhergehenden Positionen tatsächlich internalisiert und zu eigenen politischen Überzeugungen geworden waren. Vor einem solchen Hintergrund mussten die Um- und Aufbrüche Anfang der 60er Jahre tatsächlich als eine nicht nur persönliche, sondern gesamtpolitische Bedrohung empfunden werden. Infrage gestellt schien der Fortbestand der DDR und der mit ihr einhergehende Versuch, eine sozialistische Gesellschaftsordnung mit Hilfe eines staatssozialistischen Systems zu verwirklichen.400 Auch wenn 399 Dass sich Richard Paulick, etwa im Gegensatz zu Hermann Henselmann, dermaßen unkollegial verhielt, mag auch damit zusammenhängen, dass er nach der Theoretischen Konferenz mehr und mehr ins Hintertreffen geraten war. Während etwa Hermann Henselmann, protegiert durch Paul Verner, mit den Entwürfen für das Haus des Lehrers beauftragt worden war und Hanns Hopp als BdA-Präsident weiterhin eine zentrale Rolle als Baufunktionär spielte, war Paulick mit den Planungen für Schwedt und (später) Halle-Neustadt ,in die Provinz abgeschoben worden. Grund zur Missgunst, gerade gegenüber einer inzwischen auch mit prestigeträchtigen Projekten beauftragten jüngeren Architektengeneration, gab es für ihn also genug. 400 Darauf, dass solche generationellen Fragen die politischen Interventionen der ersten Hälfte der 60er Jahre mit bestimmten, hat Peter Christian Ludz bereits in den 70er Jahren aufmerksam gemacht. Dabei weist er auf entsprechende Flügelkämpfe innerhalb der SED hin, an denen Ulbrichts eher reformorientierter Kurs nach und nach scheiterte: „Ulbricht selbst war es gewesen, der seit 1962/63 und noch bis in das Jahr 1964 hinein

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die oben zitierten Äußerungen während des DBA-Plenums ideologisch aufgeladen und parteikonform waren, so kann doch davon ausgegangen werden, dass sie teilweise auch wirkliche Überzeugungen, Befürchtungen und Ängste widerspiegelten. So war es auch jener Generationskonflikt, der während des Plenums immer wieder thematisiert wurde. Edmund Collein etwa vertrat die erschreckende Überzeugung, die „Sicherung der Staatsgrenze“ habe „die Ideologen des Imperialismus, alle Feinde des Sozialismus-Kommunismus veranlaßt, in verstärktem Maße zu versuchen, unseren Vormarsch aufzuhalten, indem sie, wie Genosse Chruschtschow ausführte, Herz und Hirn der Menschen vergiften.“ 401 Collein nannte dabei eine ganze Reihe ,feindlich-ideologischer Angriffe, u.a. auch, dass sie „die junge Generation in Gegensatz bringen zu der erfahrenen, kampferprobten älteren Generation.“402

Doch auch innerhalb der eigenen Aufbaugeneration wurde ein tiefgehender Riss diagnostiziert, der ebenfalls entfernt an frühere innerparteiliche Auseinandersetzungen zwischen den die Parteilinie vertretenden Kadern und so genannten Revisionisten erinnerte. So vertrat Alfred Schwandt die These, dass sich „Vertreter falscher Auffassungen [...] sowohl unter den jüngeren als auch unter den älteren Kollegen“ fänden und „einige ältere Architekten, die offensichtlich mit der Politik im Bauwesen nicht ganz einverstanden sind, [sic!] und sich in ihren ‚schöpferischen Freiheiten‘ eingeengt sehen, sich in der

die damals jüngere, eher pragmatisch orientierte und fachlich (meist wirtschaftswissenschaftlich) besser ausgebildete Generation der Parteikader gefördert hatte. Bedingt durch Pressionen aus der SED hatte er diese Linie allerdings nicht durchhalten können. So war bereits Ende 1964 eine Rückkehr der SED-Führung zum dogmatischen Kurs in der Kaderpolitik zu beobachten“ (Peter Christian Ludz, Die DDR zwischen Ost und West. Politische Analysen 1961 bis 1976, München 31977, S. 141). 401 DA-Beilage, Hauptreferat Collein, S. 18. 402 Ebd., S. 19. Daneben bezichtigte Collein die Imperialisten und Feinde des SozialismusKommunismus folgender Störversuche: „Sie wollen einen Keil zwischen die Werktätigen und die Partei- und Staatsführung treiben, sie wollen das Vertrauen des Volkes in die eigene Kraft und damit seine Gewißheit des Sieges des Sozialismus zerstören, sie versuchen die gesetzmäßigen Widersprüche beim Aufbau des Sozialismus als schädliche Folgen der sozialistischen Gesellschaftsordnung hinzustellen und damit Unzufriedenheit und Mißtrauen in den Köpfen zu erzeugen, sie versuchen die großen Erfolge beim sozialistischen Aufbau zu leugnen, sie zu verfälschen und die Menschen im Kampf um weitere Erfolge zu lähmen“ (ebd., S. 18f.).

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letzten Zeit anscheinend hinter einigen Jugendlichen verstecken und über sie versuchen, ihre Auffassung an den Mann zu bringen.“403

Weiterhin bezichtigte er Vertreter der älteren Generation – und hier vor allem einige Hochschullehrer  die Studenten würden von ihnen „in einen tiefen Widerspruch zu unserer Praxis hineinmanövriert, der zu ernsten Konflikten bei Aufnahme ihrer Tätigkeit in der Praxis führen muß.“404 Ein jede Gesellschaft kennzeichnender und für ihre Weiterentwicklung auch essentiell wichtiger Generationenkonflikt, der für die erfolgreichen Reformansätze der frühen 60er Jahre mitentscheidend war, wurde so letztlich geleugnet und alleine zum finsteren Konstrukt des Westens oder aber mit dem von kommunistischen Kaderparteien vertrauten Freund-Feind-Schema erklärt. Auf diese Weise hoffte man auch, den ungewöhnlich geschlossenen Generationszusammenhang der Jüngeren aufspalten und atomisieren zu können. Die jüngere Aufbruchsgeneration, die sich nicht zuletzt als eine eng vernetzte und relativ homogene Interessengemeinschaft etabliert hatte, sollte damit entscheidend geschwächt werden. Abgesehen hatten es die Älteren dabei vor allem auf das zentrale kollektive Projekt der Jüngeren, nämlich die stärkere Individualisierung und Professionalisierung der Architektenarbeit. Indem jede eigenständige, von politisch-ideologischen Vorgaben abweichende Position als abweichlerisches, partei- und staatsschädigendes Verhalten gebrandmarkt wurde, wurden letztlich alle in diese Richtung gehenden Versuche der Vorjahre kriminalisiert. Rückblickend wie zukünftig wurde ihnen auf diese Weise jede Daseinsberechtigung abgesprochen. Die Reaktion der kritisierten Architekten: Eine diskursive Analyse Da sich inzwischen die konservativen Kräfte der Aufbaugeneration erneut der Rückendeckung der Staats- und Parteispitze sicher sein konnten, blieb den reformorientierten Architekten und Städtebauern letztlich kaum etwas anderes übrig, als zumindest nach außen hin zum Rückzugsgefecht überzugehen. Deutlich wurde allerdings auch, dass die Bereitschaft dazu Grenzen hatte und dass sich das eigene berufliche Selbstbild sowie die lange gereiften fachlichen Überzeugungen keineswegs so einfach aus der Welt schaffen ließen. Ein untrügliches Indiz dafür waren die Reaktionen der im Rahmen der Plenartagung kritisierten Architekten. Die durch die DBA vorgegebene Dramaturgie sah zwar vor, dass sie reumütig Stellung nehmen und ihre Bereitschaft zur Umkehr signalisieren sollten. Die Realität jedoch sah – zumindest bei einer genaueren Betrachtung der sprachlichen Ebene – ein wenig an403 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Schwandt, S. 36. Schwandt nannte hier als „typisches Beispiel“ Hermann Henselmann (ebd.). 404 Ebd.

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ders aus. Bruno Flierl, der als Chefredakteur der DA auf besondere Weise in die Schusslinie geraten war, ist rückblickend zwar der Auffassung, er habe sich damals der Erwartungshaltung angepasst und dem Druck gebeugt.405 Was den grundsätzlichen Tenor seiner Ausführungen angeht, stimmt diese Einschätzung auch.406 Schaut man jedoch genauer hin, so finden sich immer wieder Versuche, das eigene Handeln und die in der Vergangenheit vertretenen Standpunkte zu verteidigen. So versuchte Flierl beispielsweise zu erklären, warum er den durch die Partei kritisierten „negativ-kritischen Auffassungen“ 407 Raum gegeben habe. Diese Erklärung, die seine Beweggründe offen und ehrlich, vor allem aber auch jetzt in keiner Weise zurechtgebogen wiedergab, soll an dieser Stelle ausführlich zitiert werden. „Ich glaubte“, so Flierl, „auch auf dem Weg über solche Äußerungen ein sich nur sehr langsam entwickelndes Gespräch über die Entwicklung der Architektur und des Architektenberufs in der Deutschen Demokratischen Republik in Gang bringen zu können. Ich glaubte, besser ist, als gar nichts zu diesen Problemen zu veröffentlichen, Widerspruch hervorzurufen und auf diese Weise dann die Klärung offener Probleme herbeizuführen, nicht zuletzt durch Antworten auf die veröffentlichten Äußerungen in der Zeitschrift. Ich glaubte, das tun zu können, da es sich nach meiner Auffassung nicht um feindliche Ansichten handelte. Ich wollte, ehrlich überzeugt von dem Nutzen meiner Handlungsweise, zur Erörterung von Problemen drängen, an deren Lösung heranzugehen nicht bei allen Bereitschaft zu spüren war. Ich war überzeugt, daß in den abgedruckten Äußerungen Elemente einer berechtigten Kritik lagen, auch wenn ich nicht die Äußerungen insgesamt billigte [Hervorhebungen T.Z.].“408

Zu erwarten gewesen wäre nun, dass sich Flierl im Anschluss von der hier geschilderten Sichtweise distanzieren würde. Stattdessen aber beteuerte er nur, dass er den falschen Weg eingeschlagen habe, um eine solche Architekturdiskussion zu begin405 Hierzu Wolf. 406 So sagte Flierl im Rahmen seiner Stellungnahme auf dem DBA-Plenum beispielsweise einleitend: „Die an der Zeitschrift ‚Deutsche Architektur‘ und an der Tätigkeit des Redaktionsbeirats, insbesondere an meiner Tätigkeit, von den Herausgebern der Zeitschrift geübte Kritik ist notwendig und prinzipiell richtig. Ich erkenne sie an. Sie deckt ideologische Mängel und Fehler auf und ist somit eine Hilfe, damit sich die Zeitschrift künftig voll und ganz zu dem entwickelt, was sie sein soll“ (DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Flierl, S. 22). 407 Ebd., S. 23. Flierl gab dabei nochmals Teile der Kritik wider und sprach von „Auffassungen [...], in denen von einer Misere der DDR-Architektur, von unterdrückten begabten jungen Architekten und von einem Unverständnis des Auftraggebers und des Staatsapparates für die Architekten und die Architektur gesprochen wird“ (ebd.). 408 Ebd., S. 23f.

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nen409 und versicherte, dass er inzwischen die Spielregeln einer gelenkten und politisch instrumentalisierten Presse verstanden habe.410 Damit aber rückte er keineswegs von der prinzipiellen Notwendigkeit einer Diskussion oder von der oben wiedergegebenen Einschätzung ab. An anderer Stelle – nämlich gegen Ende seines Redebeitrags und damit etwas unauffälliger platziert  erlaubte sich Flierl sogar, dezidiert Kritik an DBA und BdA zu üben. Damit griff er nicht nur die die DA herausgebenden Institutionen an, sondern sprengte auch bei weitem den Rahmen dessen, was im Kontext einer solchen Plenartagung zulässig war. Flierl führte dabei zu seiner Verteidigung an, dass er als Chefredakteur nur jene Aufgaben zu übernehmen versucht habe, die eigentlich von DBA und BdA hätten bearbeitet werden sollen. Dabei wies er auch auf die Tatsache hin, dass man ihn zunächst gewähren ließ und seiner Arbeit abwartend oder mit Desinteresse begegnet war: „Manchmal habe ich sogar resigniert, weil uns die Deutsche Bauakademie und der Bund Deutscher Architekten sowenig [sic!] geholfen haben, weil von der Deutschen Bauakademie keine ausgearbeiteten theoretischen Konzeptionen zur Architektur vorlagen, auf die wir uns in der Redaktion hätten stützen können, und weil der Bund Deutscher Architekten nicht lebendig genug arbeitet, so daß es uns leichter gewesen wäre, die Arbeit und die Meinung der Architekten produktiv widerzuspiegeln [...] Ich hatte jedoch nicht die Kraft, politisch stark genug aufzutreten, um die stets beabsichtigte und oft auch als Wunsch vorgetragene Zusammenarbeit mit der Deutschen Bauakademie und dem Bund Deutscher Architekten zu verwirklichen und gegen Gleichgültigkeit und abwartende Zurückhaltung durchzusetzen. Ich hatte auch nicht die Kraft, in dieser isolierten Situation dann wenigstens in dem kleinen Kreis der Redaktion und des Redaktionsbeirates stets die politisch richtige Linie durchzusetzen.“411 409 „Ich erkenne jedoch heute, daß das ein falscher Weg ist, eine Architekturdiskussion zu entwickeln“ (ebd., S. 24). 410 „Aufgabe der sozialistischen Presse, auch der Fachpresse, ist es, das sozialistische Bewußtsein zu entwickeln, als entscheidende Voraussetzung beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Das bedeutet, daß die Presse, also auch die Zeitschrift ‚Deutsche Architektur‘, auf die Lösung der Aufgaben orientieren muß, negativ-kritische Äußerungen, ideologische Unklarheiten und Zweideutigkeiten nicht unwidersprochen verbreiten darf, sondern im Kampf gegen falsche ideologische Tendenzen, desorientierende Stimmungen und fehlerhafte Erscheinungen in Praxis und Theorie eine konstruktive Kritik entwickeln muß, deren Ziel darin besteht, Hemmnisse auf dem Weg zum Sozialismus beiseite zu räumen und die erreichten Leistungen als Vorbild für die weitere Arbeit herauszustellen und zu verallgemeinern. Letztlich muß alles, was die Zeitschrift veröffentlicht, dem Sozialismus dienen und der sozialistischen Entwicklung des Bauwesens, der Architektur und des Städtebaus nützlich sein“ (ebd.). 411 Ebd., S. 25.

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Klug eingebettet in ein augenscheinlich allumfassendes mea culpa saßen hier plötzlich die Präsidien von DBA und BdA selber auf der Anklagebank, während Flierl zumindest teilweise sein Gesicht wahren konnte. Der anschließend sprechende Hermann Henselmann hielt sich zwar sehr viel mehr zurück und äußerte keine unmittelbare Kritik. Aber auch er hielt fest, dass er gegenüber Colleins Anschuldigungen „eine ganze Reihe von Einwänden vorzubringen gehabt“412 habe, es darauf aber jetzt nicht ankomme. Anstatt die direkte Konfrontation zu suchen, bedienten sich die kritisierten Fachleute schließlich einer oftmals geschickten Rhetorik.413 Dabei griffen sie den gängigen Parteijargon auf und schafften es auf diese Weise, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Unterschieden wurde so beispielsweise immer wieder zwischen der subjektiven Zielsetzung und der objektiven Wirkung des eigenen Handelns. Schon Bruno Flierl hatte eingeräumt, dass das Problematische an seiner Arbeit deren objektive Wirkung war, damit aber bewusst eine klare Distanzierung vom subjektiv Gewollten vermieden.414 Auf dieselbe Weise, jedoch noch sehr viel raffinierter formuliert, verteidigte sich auch der Architekt Lothar Kwasnitza. „Es ist mir klargeworden“, so bekannte er so politisch korrekt wie fachlich uneinsichtig, „daß nicht die Absicht entscheidend ist, mit der man etwas sagt, sondern entscheidend ist die Wirkung, die von einer Äußerung ausgelöst wird. Im Falle meiner mündlichen Äußerung [beim Müggelturmgespräch, T.Z.] trat das Gegenteil von dem ein, was ich beabsichtigte.“415

412 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Henselmann, S. 25. 413 Bereits 1982 hat auch Hermann Henselmann darauf hingewiesen, dass Selbstkritik stets auch als Verpackung für Kritik dienen konnte (vgl. hierzu Hermann Henselmann/Marie-Josée Seipelt [Hgg.], Vom Himmel an das Reißbrett ziehen. Baukünstler im Sozialismus. Ausgewählte Aufsätze 1936-1981, Berlin 1982, S. 70). 414 Zum Bericht über das Müggelturmgespräch erklärte Flierl im Rahmen seiner Stellungnahme etwa (wobei hier seine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft sehr deutlich wurde): „So wie der Bericht abgefaßt wurde, entsteht der Eindruck, als gäbe es einen Gegensatz zwischen der Architektenschaft und den leitenden Organen des Bauwesens. In der objektiven Wirkung läuft dieser Bericht daher darauf hinaus, die führende Rolle von Partei und Regierung bei der Entwicklung des Bauwesens zu entstellen [...] Ich bedaure, daß ich durch den Bericht über das Gespräch am Müggelturm den Minister für Bauwesen, Genossen Junker, in seiner verantwortungsvollen und eben erst übernommenen neuen Aufgabe – wenn auch ungewollt – in eine Situation gebracht habe, die so ist jedenfalls die objektive Wirkung des Berichtes – seine Autorität als Mitglied der Regierung und als Repräsentant unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates herabsetzt“ (DABeilage, Diskussionsbeitrag Flierl, S. 24). 415 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Kwasnitza, S. 29.

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An den Absichten selbst hielt also auch Kwasnitza weiterhin fest. Noch deutlicher wurde das bei Werner Straßenmeier. Er unterstrich gleich zu Beginn seiner Ausführungen, dass es ihm in seinem „ganzen Bestreben ausschließlich darum gegangen ist und geht, wie unser Bauwesen und unsere Architektur noch besser als bisher zum Aufbau unserer sozialistischen Gesellschaft beitragen können. Das war die subjektive Absicht, wobei zweifellos eine Reihe, zum Teil schwerer Fehler von mir gemacht wurden. Es kann aber hier nicht um die subjektive Absicht gehen, sondern um die objektiven Auswirkungen. Es ist daher notwendig, die an mir geübte Kritik anzuerkennen [Hervorhebung T.Z.].“416

Bei genauerem Hinschauen war jedoch auch diese Formulierung völlig ungeeignet, um das von den Funktionären gewünschte eindeutige Abrücken von den „subjektiven Absichten“ zum Ausdruck zu bringen. Mit demselben rhetorischen Schachzug nahm Straßenmeier auch zu dem von ihm in Heft 1 der DA veröffentlichten Artikel417 Stellung. In diesem Zusammenhang gab er zu, den dort genannten Mängeln nicht in ausreichendem Maße Erfolge gegenübergestellt zu haben, stellte damit aber in keiner Weise die ihm vom DBA-Plenum zur Last gelegte Nennung der Mängel selbst infrage.418 Bei Dorothea Tscheschner stand schließlich ganz die gestalterische Komponente im Vordergrund. Vor allem mit Blick auf das Berliner Stadtzentrum sprach sie sich dafür aus, der sozialistischen Gesellschaftsordnung verstärkt architektonischen Ausdruck zu verleihen: „Es ist doch so, daß im Stadtzentrum von Berlin nicht nur die letzten technischen Erkenntnisse der industriellen Bauweise zur Anwendung gelangen sollen, sondern es muß Ausdruck unserer gesellschaftlichen Entwicklung sein.“419 416 DA-Bailage, Diskussionsbeitrag Straßenmeier, S. 37. 417 Werner Straßenmeier, „Worüber wir diskutieren sollten. Bericht und Gedanken über einen Vortrag von Georgii Schemjakin, Vizepräsident des Sowjetischen Architektenverbandes, im VEB Berlin-Projekt am 1.11.1962“, in: DA 1/1963, S. 43. 418 „Das stimmt [bezieht sich auf die Kritik am angeblichen Pessimismus seines Beitrags, T.Z.], weil dieser Beitrag in der Tat im wesentlichen [sic!] aus einer Aneinanderreihung kritischer Feststellungen besteht, ohne daß auch nur in einem annähernden Verhältnis auf unsere Erfolge eingegangen wurde. Wir haben Erfolge, weitaus mehr als Mängel. Aber gerade weil die kritischen Bemerkungen ohne eine Verbindung mit unseren Erfolgen festgehalten wurden, waren sie aus dem Zusammenhang herausgerissen, mußten sie halbwahr bleiben und in ihrer Ausschließlichkeit sogar falsch – unmarxistisch – sein“ (DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Straßenmeier, S. 38). 419 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Tscheschner, S. 52.

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Was sie sich darunter genau vorstellte, blieb offen. Ihre Forderung ließ aber scheinbar bewusst Raum für unterschiedliche Interpretationen. Verstehen konnte man sie auch als indirekte Kritik an der von Edmund Collein, aber auch einigen jüngeren Kollegen wie Joachim Näther und Achim Felz vertretenen Position, zu einer gestalterisch alleine dem industriellen Bauen und dem Baukastensystem verpflichteten, weitgehend entindividualisiert-rationalistischen Architektursprache überzugehen. Es scheint jedenfalls naheliegend, dass Tscheschner hier vorsichtige Sympathie für die individualistischeren Konzepte eines Josef Kaiser oder Hermann Henselmann äußerte, gegenüber rigideren gestalterischen Programmen, wie sie etwa Hans Schmidt vertrat, jedoch eher auf Distanz ging. 420 Darüber hinaus machte sich Tscheschner, die in den Vorjahren Mitarbeiterin des so genannten ,Wettbewerbslehrstuhls von Georg Funk gewesen war, für eine verstärkte Ideenfindung über Architekturwettbewerbe stark421 und unterstrich in diesem Zusammenhang, wie wichtig aus ihrer Sicht gerade auch entsprechende Diskussionen in der Presse seien422 – eine Forderung, die mit Blick auf die Kritik des DBA-Plenums an einem individuelleren beruflichen Selbstverständnis und an den Alleingängen der DA durchaus delikat war. Insgesamt bewies Dorothea Tscheschner mit ihrem Redebeitrag denn auch ein fachliches Selbstbewusstsein, das unter den Bedingungen eines auf ideologische Disziplinierung angelegten Tribunals der Baufunktionäre und politisch absolut loyaler oder aber konservativer Fachvertreter keinesfalls selbstverständlich war. Deren Gespür für die nach wie vor immer wieder durchschimmernde fachliche wie politische Renitenz der Kritisierten schien jedoch nicht besonders ausgeprägt zu sein. Lediglich bei Alfred Schwandt und Werner Schneidratus spürte man ein gewisses Misstrauen gegenüber einigen Redebeiträgen sowie eine daraus resultierende, offensichtliche Unzufriedenheit mit dem Verlauf des Plenums. Schwandt etwa merkte kritisch an: „Wir haben natürlich noch nicht die ganze Vielfalt der Probleme bis zu Ende diskutieren und bei weitem noch nicht alle Fragen klären können. Das hat sich auch in den Diskussionsbeiträ-

420 Zu diesen unterschiedlichen gestalterischen Ansätzen ausführlich der Schlussexkurs. 421 „Ich begrüße daher den Vorschlag vom Kollegen Dr. Doehler, einen sozialistischen Wettbewerb zwischen den Stadtarchitekten durchzuführen, um einen besseren, beschleunigten Aufbau der Stadtzentren zu erreichen“ (DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Tscheschner, S. 52). 422 „Beispielsweise müßte die Diskussion in den Organen der Presse oder in der Zeitschrift ‚Deutsche Architektur‘ zu diesen Fragen [die Wettbewerbe betreffend, T.Z.] in einem weit stärkeren Umfang in den Vordergrund gestellt werden, als das in der vergangenen Zeit erfolgt ist“ (ebd.).

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gen der Genossen Prof. Junghanns und Kwasnitza auf dieser Tagung gezeigt, mit deren Stellungnahmen wir noch nicht in allen Punkten einverstanden sein können.“423

Bei Schneidratus war die Skepsis noch sehr viel größer. Sein Redebeitrag konnte aber ebenfalls nicht verbergen, dass er die so zahlreichen, auf Uneinsichtigkeit hindeutenden Zwischentöne entweder überhört hatte oder aber zumindest nicht wahrnehmen wollte: „Ich muß [...] meiner Beunruhigung darüber Ausdruck geben, daß die Diskussionen nicht ganz so gelaufen sind, wie man sich das nach der Vorbereitung der Tagung und nach dem sehr guten Referat von Prof. Collein vorgestellt hatte. Dieses ‚Bestreuen des Hauptes mit Asche‘, diese ‚Selbstkritik‘ der einzelnen Genossen ist hier doch etwas zu weit getrieben worden. Ihre ‚ritterliche Haltung‘ des Alles-auf-sich-selbst-Nehmens und die Abgrenzung der eigenen Fehler von den allgemeinen ideologischen Unklarheiten haben nicht zu der Klärung geführt, die wir eigentlich angestrebt haben [...] Wir leben nicht im luftleeren Raum, sondern auf einem Planeten, in einem Land nebeneinander. Es gibt Meinungsaustausche und sehr starke Diskussionen und es wäre richtig gewesen, wenn die Genossen dargelegt hätten, wodurch und wie sie in diese falschen Auffassungen hineingedrängt worden sind und wie sie heute die inneren Zusammenhänge sehen.“424

Niemand schien also wirklich zu bemerken, dass viele der jüngeren Teilnehmer ihre grundsätzlichen Positionen und Überzeugungen nicht zur Disposition stellten, sondern lediglich hinter einer Fassade aus ausgefeilter Rhetorik und oberflächlicher Selbstkritik zu verbergen und über das Plenum hinwegzuretten versuchten. Wie in den folgenden Abschnitten deutlich werden wird, sollten eine stärker individualisierte Auffassung von Architektenberuf und Architektenarbeit nach 1963 jedoch für längere Zeit ins Hintertreffen geraten. Verbunden mit dem etwa gleichzeitig eingeführten NÖSPL setzte sich hingegen noch stärker als zuvor ein Verständnis von Architektenarbeit durch, das auf Wirtschaftlichkeitsaspekte und eine über die Industrialisierung und Typisierung ermöglichte massenhafte, gestalterisch aber wenig individuelle Bauproduktion ausgerichtet war. Trotzdem aber wird im Folgenden auch deutlich werden, wie sehr sich Teile der Architektenschaft vor allem ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre erneut um Formen einer individuelleren theoretischen und gestalterischen Arbeit bemühten. Die mit dem DBA-Plenum ein weiteres Mal angestrebte Entindividualisierung des Architektenberufs zeitigte damit also einen nur kurzzeitigen und oberflächlichen Erfolg. Subkutan nämlich lebte das Verlangen nach größerer professioneller Eigenständigkeit bei zahlreichen Architekten auch

423 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Schwandt, S. 36. 424 DA-Beilage, Diskussionsbeitrag Schneidratus, S. 40.

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über das Jahr 1963 hinaus fort und blieb damit Teil des Diskurses um das berufliche Selbstverständnis der Architektenschaft. I.3.3 Die Architekten und die weitere Ökonomisierung des Bauwesens Die Architekten und das NÖSPL Das DBA-Plenum des Jahres 1963 fand unmittelbar nach der Einführung des NÖSPL im Bauwesen statt.425 Das Aufzeigen von Grenzen und die Kappung von Reformen im Bereich von Architektur und Städtebau ging also paradoxerweise einher mit einer wirtschaftspolitischen Öffnung. In anderen Bereichen des kulturellen Lebens dauerte jene liberalere Phase, die in den frühen 60er Jahren eingesetzt hatte426, ohnehin weiter an – bis zum so genannten Kulturplenum des Jahres 1965, das weite Teile der kulturell-künstlerischen Elite maßregelte und ihres in den Vorjahren zugestandenen größeren Bewegungsspielraums beraubte. Für die Architekten aber hatte die Entwicklung schon früher – nämlich mit den Ereignissen des Jahres 1963 – einen anderen Weg genommen. So lässt sich nämlich vom DBA-Plenum durchaus als verfrühtem ,Kulturplenum der Architekten sprechen. Wie im vorangehenden Abschnitt ausführlich nachgezeichnet worden ist, wurde den Fachleuten damals schlagartig bewusst gemacht, dass man ihnen ein individuelleres gestalterisches Arbeiten, aber auch größere berufliche Freiheiten auf Dauer kaum zugestehen würde. So wurden gerade individuell gestaltete Projekte zum Ziel der Kritik und als bauliche Manifestationen eines antisozialistischen, egozentrischen Individualismus gebrandmarkt. Vorgeworfen wurde den entsprechenden Architekten dabei, sie würden die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten aus dem Blick verlieren und sich alleine den Eigeninteressen und der Selbststilisierung verpflichtet fühlen. Die Folgen lassen sich an den ab 1963 und bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre entstandenen Projekten ablesen. Gestalterisch individuellere Entwürfe wurden von nun an kaum noch umgesetzt. Vielmehr setzte man erneut vor allem auf architektonisch mitunter durchaus soliden Typenbau. Neben der mit dem DBA-Plenum verbundenen ideologisch-gestalterischen Kurskor425 Am 14. Juni 1963 veröffentlichte der Ministerrat seinen „Beschluß über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen“ (hierzu u.a. Erwin Bendrat/Herbert Ricken, „Der umfassende Aufbau des Sozialismus erfordert die Ausbildung hochqualifizierter Architekten“, in: DA 11/1963, S. 705 sowie BArch, DC 20/ I/ 4 738 [Ministerrat], Dokumente der 131. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 14.06.1963, Bd. 2: Beschluß über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14.06.1963). 426 Hierzu Kapitel I.3.1.

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rektur hatte daran jedoch auch das NÖSPL wesentlichen Anteil. Nicht zuletzt deswegen soll der Einfluss des NÖSPL auf die Tätigkeit und das Berufsbild des Architekten im Folgenden ausführlich in den Blick genommen werden. Grundsätzlich stand die Einführung des NÖSPL für eine durchaus positive Entwicklung.427 In seinen wesentlichen Zügen von Erich Apel, dem damaligen Vorsitzenden der SPK entwickelt, war mit dem NÖSPL ein wirtschaftlicher Aufschwung verbunden. Vielfach und unter Anspielung auf die Bundesrepublik der 50er Jahre ist in diesem Zusammenhang auch von der ,Wunderwirtschaft DDR gesprochen worden – als griffige Umschreibung für das damals konstant wachsende Bruttoinlandsprodukt, das steigende Lohnniveau und die immer umfassendere Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern jeglicher Art.428 Bei grundsätzlicher Beibehaltung der Planwirtschaft war deren Flexibilisierung das Herzstück des NÖSPL: Die wichtigsten Instrumente waren dabei die so genannte „materielle[...] Interessiertheit“ sowie die „ökonomische[n] Hebel.“429 Dazu gehörte etwa, dass Betriebe Gewinne und Verluste machen konnten.430 Das wichtigste aber war, dass sie über die Gewinne im Rahmen klar abgesteckter Vorgaben verfügen konnten und diese nicht an übergeordnete staatliche Stellen abführen mussten. Stattdessen konnten sie etwa innerhalb des Betriebes reinvestiert werden und so dessen ,Wettbewerbsposition

427 Zu NÖSPL und ÖSS ausführlich u.a. Jörg Roesler, Zwischen Plan und Markt. Die Wirtschaftsreformen in der DDR zwischen 1963 und 1970, Freiburg 1990; Roesler (1994); André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikt zwischen Effizienz- und Machtkalkül, Berlin 1999. 428 Vgl. hierzu Palutzki, S. 184. Palutzki bezieht sich dabei auf den Titel einer „Ausstellung zu Konsumkultur und Produktdesign der DDR in den 60er Jahren, die in Zusammenarbeit der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin, mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität und der Sammlung industrielle Gestaltung, Stadtmuseum Berlin 1996/97 in Berlin durchgeführt wurde“ (ebd.). Zusätzlich verweist er in diesem Zusammenhang auf den anlässlich dieser Ausstellung erschienenen Ausstellungskatalog (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. Berlin [Hg.], Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den 60er Jahren. Buch zur Ausstellung der NGBK und des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin, im Stadtmuseum Berlin, Sammlung industrielle Gestaltung vom 17.8.1996 bis 12.1.1997, Köln/Weimar/Wien 1996). 429 Hierzu u.a. Weber, S. 322. 430 „Stufenweise wurden die Planvorgaben reduziert. Die Betriebe erhielten die Verfügungsgewalt über ihr Amortisationseinkommen und einen Teil des Nettogewinnes [...] Der erwirtschaftete Gewinn erhielt zunehmende Bedeutung für die Leistungseinschätzung der Betriebe“ (Roesler [1994], S. 9f.).

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stärken.431 Sie konnten aber auch als Prämien an die Mitarbeiter ausgezahlt werden und diese so motivieren, ihre Leistung zu steigern. Auf diese Weise konnte auch ein grundsätzliches Interesse der Belegschaft am Produktionsergebnis ihres Betriebes geweckt werden.432 Von allen künstlerischen Berufen war der Architektenberuf der einzige, auf den das NÖSPL unmittelbaren Einfluss hatte. So waren Architekten als Mitarbeiter von Entwurfsbetrieben fest in die wirtschaftlichen Strukturen der DDR eingebunden und hatten als Angestellte dieser Betriebe, der Verwaltung und der Hochschulen die (wirtschafts-)politischen Interessen des Staates umzusetzen bzw. zu berücksichtigen. Bildende Künstler oder Literaten waren hingegen nur innerhalb der gesellschaftlichen Organisationen institutionell verankert, genossen ansonsten aber einen sehr viel unabhängigeren Status.433 Bis 1965 der liberalere kulturpolitische Kurs zu431 „Der Haushaltsanteil an den Investitionen in der Wirtschaft sank zwischen 1963 und 1965 von 70,0 % auf 45,0 %. Der Anteil der Eigenmittel der Betriebe (Amortisationen und Gewinne) an der Investitionsmittelfinanzierung stieg von 10,2 % auf 20,6 % [...] Nimmt man die Industrie für sich, so war der Wechsel von der staatlichen Versorgung zur Eigenerwirtschaftung der Investitionen und Durchführung von Innovationen noch frappierender. Die Verringerung der Rolle des Staatshaushaltes spiegelte sich im Sinken der Staatsquote wider. Sie sank von 32 % 1960 auf 27 % 1967“ (ebd.). Zur so genannten ,Eigenerwirtschaftung der Mittel auch André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikt zwischen Effizienz- und Machtkalkül, Berlin 1999, S. 411-425. 432 „Während sich am Lohnsystem kaum etwas änderte, erhielten Prämien als Einkommen der Werktätigen größere Bedeutung. Im Jahre 1967 wurden in den Betrieben erstmals Jahresendprämien in Abhängigkeit vom 1967 erzielten Betriebsergebnis gezahlt. Während der Reformperiode war die Jahresendprämie von Betrieb zu Betrieb und auch zwischen den Belegschaftsmitgliedern differenziert und durchaus die propagierte ,wirksame Hilfe zur Entwicklung des kostenbezogenen Denkens . Wenn sich auch die probeweise eingeführten ,leistungsbezogenen Gehälter für Wirtschaftsfunktionäre nicht durchsetzten, so begannen auch die betrieblichen Leistungskennziffern bei der Bewertung der Leistungskader die wesentliche Rolle zu spielen“ (Roesler [1994], S. 10). 433 Allerdings kann auch in diesen Bereichen von einer sehr weitgehenden Kontrollfunktion des Staates gesprochen werden. So waren weite Teile des Ausstellungs- und Verlagswesens staatlich organisiert, so dass die Abhängigkeit von politischen Entscheidungsträgern entsprechend groß war. Während bildende Kunst oder Literatur aber auch im privaten Bereich entstehen konnte, war dies im Falle von Architektur und Städtebau nur als so genannte Papierarchitektur möglich. Gerade ab den 80er Jahren spielte für Kunst und Literatur zudem der Bereich des Informellen eine immer wichtigere Rolle. Verwiesen sei hier nur auf die SAMISDAT-Schriften oder informell organisierte Ausstellungen und Performances.

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rückgenommen wurde, blieben ihnen zudem die in den frühen 60er Jahren etablierten, vergleichsweise großen Freiräume erhalten. Schließlich kam ihnen auch die durch das NÖSPL ausgelöste wirtschaftliche Erholung der DDR zugute. Anders sah die Lage hingegen bei den Architekten und Städtebauern aus. 1963 wurden sie mit dem DBA-Plenum zunächst berufspolitisch und gestalterisch in die Schranken gewiesen. Zur Jahresmitte hin gelangte bei ihnen zudem das NÖSPL – wie es hieß  ,zur Anwendung. Nachdem zu große gestalterische Freiräume mit gesellschaftsschädigendem Individualismus und ökonomischer Verschwendung gleichgesetzt worden waren, wurden Architektur und Städtebau von nun an beinahe ausnahmslos unter volkswirtschaftlichem Blickwinkel betrachtet. Die Folge war eine sich verstärkt Geltung verschaffende und im Wesentlichen bis in die späten 80er Jahre erhalten bleibende Unterordnung des Architektenberufs sowie von Architektur und Städtebau unter das Diktat der Ökonomie. Die Steigerung der Bauproduktion sollte denn auch im Wesentlichen durch eine Verkürzung der Bauzeiten und eine Senkung der Baukosten erreicht werden. Auf Architektur und Städtebau bezogen hieß es in diesem Zusammenhang: „Der Projektierung sind solche Kennziffern zugrunde zu legen, die auf die sparsamste Verwendung der Investitionsmittel, die Senkung der Baugewichte, den ökonomischen Einsatz der Baustoffe und die höchste Wirtschaftlichkeit bei der Nutzung der Anlagen und Bauwerke gerichtet sind.“434

Neben der „Durchsetzung eines strengen Sparsamkeitsregimes“ ging es darüber hinaus um die Etablierung „des Produktionsprinzips im Bauwesen.“ 435 Anstatt Bauwerke auch als etwas kreatives, individuell Gestaltetes zu begreifen, wurden sie von jetzt an in erster Linie als massenhaft herzustellende Konsumgüter betrachtet. Das war angesichts der nach wie vor prekären Wohnungssituation, der hohen Baukosten und langen Bauzeiten zwar verständlich, sollte sich in seiner Rigorosität auf Dauer aber als fatal erweisen. Ziel war mit der „komplexen Fließfertigung“436 ein regelrechtes Bauen am Fließband. Alles sollte auf „die bedarfsgerechte Massenproduktion standardisierter Erzeugnisse und großformatiger vorgefertigter komplettierter Bauelemente“ 437 ausgerichtet werden. Wo immer es möglich war, sollte der

434 BArch, DC 20/ I/ 4 738 (Ministerrat), Dokumente der 131. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 14.06.1963, Bd. 2: Beschluß über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14.06.1963, S. 5. 435 Ebd. 436 Ebd. 437 Ebd., S. 6.

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Neubau bald auf Typenbauten und Wiederverwendungsprojekte zurückgreifen. 438 Nach dem nur kurzen gestalterischen Aufbruch vor dem DBA-Plenum kehrte man damit zum schon aus der zweiten Hälfte der 50er Jahre bekannten Ziel einer fordistisch organisierten Bauproduktion zurück, versuchte diese nunmehr aber noch konsequenter und unerbittlicher durchzusetzen. Jene Grundzüge des NÖSPL, die in anderen Bereichen so erfolgreich waren, wurden somit anpassungslos auf das Bauwesen übertragen. Damit verbunden verlor man vollends den künstlerischen Charakter des Bauens aus dem Auge. Deutlich wurde das, als der Ministerrat 1964 die Projektierungsverordnung verabschiedete und damit die Regeln festlegte, nach denen die Architekten zukünftig arbeiten sollten. Dort hieß es gleich zu Beginn, dass ihre Tätigkeit nunmehr alleine von ökonomischen Prinzipien bestimmt sein sollte: „Die Projektierungsleistungen haben den Charakter einer Ware, die verkauft und gekauft wird. In den Wirtschaftsverträgen über Projektierungsleistungen sind daher insbesondere [...] der Preis und die Zahlungsbedingungen, die Bedingungen für die Anwendung von Preiszuund -abschlägen und andere ökonomische Hebel festzulegen. Alle Grundsätze, die sich auf den Verkauf bzw. Kauf von Waren und sonstigen Leistungen beziehen, sind auch beim Verkauf von Projektierungsleistungen anzuwenden.“439

Vor dem Hintergrund des NÖSPL wurde also nicht so sehr der Qualität440 des Projektes, sondern mehr und mehr dem erzielten Gewinn zentrale Bedeutung beigemessen.441 Wie die anderen Mitarbeiter der Betriebe wurden damit auch die Archi-

438 „Die Projektierungseinrichtungen haben bei der Projektierung zur Senkung des materiellen und finanziellen Aufwandes [...] die größtmögliche Anwendung von typisierten Elementen, Baugruppen, Sektionen und Bauwerken, von wiederzuverwendenden Projektierungsunterlagen und Katalogen [...] durchzusetzen“ (BArch, DC 20/I/ 4 1042 [Ministerrat], 31. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 20.11.1964, Bd. 1: Verordnung über das Projektierungswesen – Projektierungsverordnung, S. 3f.). 439 Ebd., S. 2. 440 Dies betraf sowohl die bauliche und funktionale als auch die gestalterische Qualität. 441 „Maßstab für die [...] Projektierungsleistungen der volkseigenen Projektierungs- und Produktionsbetriebe ist der Gewinn. Verbesserungen der vertraglich vereinbarten Bedingungen müssen sich gewinnerhöhend und Verschlechterungen gewinnmindernd auswirken“ (BArch, DC 20/ I/ 4 1042 [Ministerrat], 31. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 20.11.1964, Bd. 1: Verordnung über das Projektierungswesen – Projektierungsverordnung, S. 7).

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tekten in erster Linie für die Höhe der ausgezahlten Prämien442 und die dem Betrieb selbst gutgeschriebenen Beträge443 verantwortlich gemacht. Von allen Seiten sah sich die Architektenschaft deswegen ökonomischem Druck ausgesetzt. So wachten das MfB444 und die Staatliche Bauaufsicht445 generell über die Einhaltung der Kennziffern, was den Bewegungsspielraum der Planer von vornherein stark einschränkte. Ausdrücklich hatte letztere dabei gerade auf die „ständige Reduzierung der individuellen Projektierung“ 446 zu achten und war im Zweifelsfall auch berechtigt, finanzielle Sanktionen sowie Bestrafungen anzudrohen. 447 Die Betriebe selbst hatten ab November 1964 die wirtschaftliche Rech442 „Als Hauptformen der materiellen Interessiertheit der Mitarbeiter der Projektierungseinrichtungen sind insbesondere anzuwenden a) leistungsgebundene Entlohnung in Abhängigkeit von den in den Wirtschaftsverträgen vereinbarten technischen und ökonomischen Kennziffern sowie vom vorgegebenen Projektierungsaufwand b) gewinnabhängige Prämienvereinbarungen“ (ebd., S. 9). 443 So konnte der Überplangewinn auch verwendet werden für „Maßnahmen zur Verbesserung der Projektierungstechnik und der Arbeitsbedingungen, Maßnahmen zur Erhöhung des wissenschaftlich-technischen Niveaus, zusätzliche Zuführung zum Risikofonds“ (ebd., S. 8). 444 „Das Projekt ist auf der Grundlage der vom Minister für Bauwesen bestätigten Projektierungsrichtlinien zum Hauptmittel der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes zu entwickeln. Der Auftraggeber ist verpflichtet, dem Projektanten in der Aufgabenstellung die Hauptparameter, Leistungskennziffern, Fristen und andere [sic!] wichtigen technisch-ökonomischen Kennziffern vorzugeben [...] Die bautechnischen Projektierungsbetriebe sind nach einheitlichen Grundsätzen vom Ministerium für Bauwesen zu leiten“ (BArch, DC 20/ I/ 4 738 [Ministerrat], Dokumente der 131. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 14.06.1963, Bd. 2: Beschluß über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14.06.1963, S. 23). 445 Zur Staatlichen Bauaufsicht hieß es: „Kontrollorgan des Bauwesens bei Vorbereitung und Durchführung aller Baumaßnahmen, kontrolliert Einhaltung aller baurechtlichen, bautechnischen und Sicherheitsbestimmungen, Qualität der Bauproduktion, trägt zur Erreichung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität bei. Gegen Verantwortungslosigkeit und Vergeudung bei Projektierung und Baudurchführung“ (BArch, DC 20/ I /4 945 [Ministerrat], 15. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 14.05.1964, Bd. 2: Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Staatlichen Bauaufsicht). 446 Ebd. 447 Zur Verhütung von Verstößen konnte die Staatliche Bauaufsicht den Verursachern demnach ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- DM androhen. Geldbußen beliefen sich

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nungsführung anzuwenden.448 Deswegen sah hier einerseits die Verwaltungsebene, andererseits aber auch ein großer Teil der Mitarbeiterschaft den Architekten auf die Finger. Den meisten von ihnen ging es angesichts der in Aussicht gestellten Gewinnbeteiligung in Form von Prämien vor allem um eine Erhöhung des Bauvolumens und eine gleichzeitige Kostensenkung. Die für verwaltungstechnische und ökonomische Belange zuständigen Direktoren sahen sich zudem mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert. Die finanziellen Mittel für das Bauwesen mussten nämlich zu einem immer größeren Teil von den Betrieben selbst aufgebracht werden, während sich der Zentralstaat aus diesem Bereich mehr und mehr zurückzog. So hieß es in einer Anweisung des „Beschlusses über die Anwendung des NÖSPL im Bauwesen“: „Die erforderlichen Investitionsmittel des Bauwesens sind in stärkerem Maße aus den Gewinnen der unterstellten Betriebe zu erwirtschaften.“449

Sowohl im eigenen als auch im Interesse einer ihre berechtigten Ansprüche an das Bauwesen formulierenden Bevölkerung galt es also, die erforderlichen Finanzmittel tatsächlich bereitstellen zu können. Naheliegend war es dabei, vor allem im gestalterischen Bereich zu sparen und stattdessen eine in erster Linie technisch orientierte Typisierung und Serienfertigung voranzutreiben. Das Nachsehen hatte somit ein weiteres Mal die Architektenschaft. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre verschärfte sich diese Situation weiter. Inzwischen hatte das so genannte Kulturplenum des ZK der SED jeder kulturpolitischen Öffnung auch im Bereich von Bildender Kunst, Literatur, Film und Musik eine Absage erteilt.450 Von den Reformen der Vorjahre blieb damit einzig und allein das NÖSPL übrig, dessen zweite Etappe nun als ÖSS (Ökonomisches System des

in der Regel auf 10 bis 500,- DM, in schwerwiegenden Fällen auf bis zu 1000,- DM (vgl. hierzu ebd.). 448 BArch, DC 20/ I/ 4 1042 (Ministerrat), 31. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 20.11.1964, Bd. 1: Präsidium des Ministerrates, Vertrauliche Dienstsache Nr. 1028/64, Beschluss zur Anordnung über das Projektierungswesen – Projektierungsordnung – vom 20.11.1964. 449 BArch, DC 20/ I/ 4 738 (Ministerrat), Dokumente der 131. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 14.06.1963, Bd. 2: Beschluß über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14.06.1963, S. 15. 450 Hierzu u.a. Günter Agde, Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente, Berlin 1991.

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Sozialismus) umgesetzt werden sollte.451 Obwohl die Architekten davon nicht unmittelbar betroffen waren, bekamen sie die Folgen doch indirekt zu spüren. Fast ohne jedes Gegengewicht und einem Tanz um das goldene Kalb gleich wurde die ökonomische Dimension von nun an durch die politische Führung noch stärker in den Vordergrund gerückt. Vermittelt über den BdA versuchte man, die bisherige, an ökonomischen Kriterien orientierte Baupolitik weiter zu intensivieren. So hieß es in einer Vorlage für die 31. BuV-Sitzung im September 1966: „Unter den Bedingungen der technischen Revolution in der 2. Etappe des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung müssen die sozialistischen Projektierungsbetriebe durch eine komplexe Rationalisierung aller Arbeitsprozesse und durch die konsequente Durchsetzung der wirtschaftlichen Rechnungsführung eine qualitativ neue Stufe erreichen.“452

Eine der Folgen war unter anderem die Überführung der bis dahin noch eigenständigen Projektierungsbetriebe in die Baukombinate, die weiter unten noch ausführlich in den Blick genommen werden soll und in einer zunehmenden Konzentration auf den ,Produktionsaspekt sowie in einer weiter fortschreitenden Marginalisierung der Architektenschaft resultierte. Die Architekten als Multiplikatoren der Ökonomisierung von Architektur und Städtebau Bereits hier wird allerdings auch deutlich, dass die Architekten und Städtebauer an der soeben geschilderten Entwicklung nicht durchweg unbeteiligt waren. Auf breiter Front unterstützten vor allem der BdA und die DBA sowie die Hochschulen453 die mit dem NÖSPL einhergehende Berufspolitik – immer wieder auch über die Köpfe der eigenen Kolleginnen und Kollegen sowie deren fachliche Interessen hinweg. Berücksichtigt werden muss dabei, dass sich die entsprechenden Akteure in einem Dilemma befanden. Möglichkeiten, konkret Einfluss zu nehmen, hatten sie alleine, indem sie sich in den genannten Einrichtungen engagierten. Damit waren aber nichtsdestotrotz sehr weitgehende politische Zugeständnisse verbunden. Das 451 Allerdings gilt das ÖSS auch bereits als ein um wesentliche Komponenten der Liberalisierung beschnittenes NÖSPL (hierzu vor allem Roesler [1994]). 452 SAPMO, DY 15/20 (BdA), BdA/Bundesvorstand, Vorlage für die 31. Sitzung des Bundesvorstandes am 07./08.09.1966. 453 Zur hier nur am Rande berücksichtigten Rolle der Hochschulen in diesem Zusammenhang u.a. BArch, DR 3/1. Schicht/2452 (MfHuF), Berufsbildentwürfe der Architekturfakultät Dresden, Mai bis Dezember 1964. Hier schrieb Heinrich Rettig u.a.: „Künstlerische Gedanken können nur gedeihen auf dem Boden der technologischen Wirklichkeit“ (ebd.).

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Bild, das die als Funktionäre tätigen Architekten in den Jahren von NÖSPL und ÖSS ablieferten, war denn auch ein recht zwiespältiges. Nach der Einführung der Wirtschaftsreformen war es von (teilweise sogar vorauseilendem) Gehorsam geprägt454, in der zweiten Hälfte der 60er Jahre mischten sich jedoch auch zunehmend kritische Töne unter die Stellungnahmen und Vorschläge. Als paradigmatisch für die erste Phase kann die Arbeit der beim BdA angesiedelten Kommission Ausbildung und Nachwuchs gelten.455 Federführend waren hier u.a. die der Aufbruchsgeneration angehörenden Architekten Joachim Bach456 und 454 Eine Ursache war sicherlich auch, dass viele unter dem Eindruck der weitreichenden Disziplinarmaßnahmen des DBA-Plenums und des so genannten Kulturplenums standen. 455 Verwiesen sei darüber hinaus an dieser Stelle auf ein recht breites publizistisches Engagement der Fachleute (hierzu u.a. Eberhard Just, „Projektierungstechnologie und Architekt“, in: DA 7/1966, S. 390; Hermann Henselmann, „Der Architekt und die Rationalisierung“, in: DA 3/1967, S. 136f.; Achim Felz/Wilfried Stallknecht, „Rationeller bauen – aber wie?“, Berlin 1967). Darüber hinaus sprach sogar der von der DDRArchitekturtheorie breit rezipierte Philosoph Lothar Kühne vom „Vorrang des Praktischen gegenüber dem Ästhetischen“. Weiter hieß es bei ihm zudem: „Die Architektur ist im Unterschied zur Malerei oder zur Musik kein Gegenstand für die menschliche Sinnlichkeit, sondern ein sinnlich erlebbarer Gegenstand für das praktische Leben der Menschen. Sie ist die bewußt geschaffene, sinnlich erlebbare räumliche Organisationsform der gesellschaftlichen Praxis. Und damit ist sie auch von den Werken der angewandten Kunst bei aller Gleichwertigkeit ihres Entstehungsprozesses grundsätzlich unterschieden [...] Wenn es zutrifft, daß die Architektur ihrem Wesen nach eine Seite des materiellen Milieus ist, so ergibt sich, daß sie im eigentlichen Sinne nicht zur Kunst gehört. Diese Feststellung schließt nicht aus, daß in der Architektur ästhetischen Faktoren eine außerordentlich große Bedeutung zukommt und daß Bereiche der Architektur künstlerischen Charakter besitzen können“ (Lothar Kühne, „Zur Charakteristik der Architektur“, in: DA 2/1964, S. 126f., hier S. 127). Auch der BdA-Bundesvorstand unterstützte weitgehend vorbehaltlos die umfassende Ökonomisierung des Planungs- und Bauwesens (hierzu u.a. SAPMO, DY 15/19 [BdA], Vorlage für die 18. BuV-Sitzung, Konzeption für die weitere Vorbereitung des V. Bundeskongresses des BdA, 13.01.1966). 456 Joachim Bach wurde 1928 als Sohn eines Gießereiarbeiters und einer kaufmännischen Angestellten geboren. Nach einer Ausbildung zum Betonfacharbeiter studierte er von 1947-52 Architektur an der HAB Weimar. Anschließend war er dort bis 1958 Aspirant und Oberassistent, unterbrochen von einer kurzen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der DBA. 1964 war Bach Stadtbaudirektor in Weimar und seit Mitte der 60er Jahre Professor für Gebietsplanung und Städtebau an der HAB Weimar (IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 14/1290 [Joachim Bach]).

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Christian Schädlich 457 tätig. Beide hatten die Entwicklung von Architektur und Städtebau der DDR seit Mitte der 50er Jahre vielfach kritisch begleitet und sollten dies auch bis Ende der 80er Jahre in der Hoffnung auf eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Reform und Weiterentwicklung des politischen Systems immer wieder tun. Vieles spricht deswegen dafür, dass sie zunächst von der Notwendigkeit einer durchgreifenden Industrialisierung und Typisierung des Bauens überzeugt waren und das NÖSPL dabei als ein wesentliches Hilfsmittel ansahen, ohne jedoch bereits die Konsequenzen der bedingungslosen Verabsolutierung des Technisch-Ökonomischen abschätzen zu können. Die von Bach und Schädlich erarbeitete Vorlage für die 12. BdA-BuV-Sitzung orientierte sich denn auch ausnahmslos an den wirtschaftspolitischen Vorgaben. Gleich zu Beginn hieß es etwa: „Ausgangspunkt für die Arbeit des Architekten sind [...] der Stand von Produktion, Ökonomie und Technik im Bauwesen, insbesondere das industrielle Bauen als die fortgeschrittenste Form der Bauproduktion. Ziel seiner Tätigkeit ist die den ökonomischen Möglichkeiten der Gesellschaft entsprechende optimale architektonische Lösung.“458

Davon ausgehend entwickelten beide ein genau darauf abgestimmtes Berufsprofil des Architekten: „Der Architekt muß befähigt sein, [...] unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten Grundlagen für die Formulierung der Bauprogramme zu gewinnen [...] Der Architekt muß fähig sein, zur typischen Lösung einer Aufgabe vorzudringen. Er muß die Methoden der Typenentwicklung praktisch beherrschen und alle damit zusammenhängenden

457 Christian Schädlich wurde am 15. Juni 1922 als Sohn eines Graveurs und einer Briefträgerin geboren. Nach einer Ausbildung zum Maurer studierte er von 1947-52 Architektur an der HAB Weimar. Ab 1952 war er dort schließlich als Assistent, Oberassistent und Dozent tätig, um 1967 den Lehrstuhl für Theorie und Geschichte der Architektur zu übernehmen. Schädlich machte sein Diplom bei Otto Englberger mit einem Entwurf für den Neubau der Kreisverwaltung Bad Salzungen, der Mitte der 50er Jahre auch umgesetzt wurde. Wie aus einem dem BdA-Aufnahmeantrag beiliegenden Gutachten Englbergers vom 24.02.1955 hervorgeht, setzte sich Schädlich in seiner Dissertation mit dem Thema „Leonhard Christoph Sturm als Vertreter der deutschen Architekturtheorie um 1700. Auswertung seiner Schriften für die Weiterentwicklung der Entwurfslehre“ auseinander (IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 70/7156 [Adolf Christian Schädlich]). 458 SAPMO, DY 15/14 (BdA), Joachim Bach/Christian Schädlich, Vorlage Nr. 2 für die 12. Bundesvorstandssitzung des BdA, 29.04.1964.

184 | A RCHITEKTEN IN DER DDR ökonomischen, technologischen und konstruktiven Probleme [...] beeinflussen und steuern können.“459

Ähnlich ausgerichtete Berufsbildentwürfe erarbeiten zeitgleich auch eine Reihe anderer Architekten. Fragen der ästhetisch-gestalterischen Ausbildung spielten hier zwar noch eine Rolle, die Verpflichtung auf die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie das industrielle und typisierte Bauen stand allerdings zunehmend im Vordergrund. In kondensierter Form galt dies auch für den von Hanns Hopp, Hans Gericke, Georg Funk und anderen im Auftrag der DBA erarbeiteten Berufsbildentwurf vom März 1965460 – ein Vorgang, der angesichts der Tatsache, dass alle drei in früheren Jahren als Privatarchitekten tätig gewesen waren, besonders delikat war. Ergänzt wurde das Anforderungsprofil hier darüber hinaus ganz explizit durch eine ausführliche und dezidierte Verpflichtung der Architekten und Städtebauer auf das NÖSPL. Als „Anforderungen an die Persönlichkeit [des Architekten, T.Z.]“ führte man so u.a. an, „das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen unter Berücksichtigung der perspektivischen Entwicklung mit dem Mut, Risiken zu tragen, durchzusetzen und seine eigene Arbeit und die seiner Mitarbeiter am höchsten Nutzen für die Volkswirtschaft zu messen seine Mitarbeiter zur Sicherung optimaler Produktionsergebnisse und für eine ständige Steigerung der Arbeitsproduktivität, insbesondere durch Organisierung des sozialistischen Wettbewerbs, zu begeistern und das geschlossene System ökonomischer Hebel allseitig anzuwenden.“461 459 Ebd. 460 „Durch territoriale und zeitliche Koordinierung und insbesondere durch Konzentration und Kombination der Investitionen sowie durch die Planung und den Bau von in sich geschlossenen städtebaulichen Komplexen für Industrie, Wohngebiete und Stadtzentren muß der Bauaufwand maximal vermindert werden [...] Die Projektierung der Investitionsvorhaben, insbesondere für den Massenbau, fußt in zunehmendem Maße auf wissenschaftlich erarbeiteten und in Muster- und Experimentalbauten erprobten Typenprojekten, Segmenten usw. auf der Basis des einheitliche Baukastens [...] Alle Entwürfe, insbesondere alle Typenunterlagen, sind auf die Erreichung des Höchststandes hinsichtlich Funktion, Konstruktion und Gestaltung sowie Wirtschaftlichkeit in Bau und Nutzung zu richten [...] Die Weiterentwicklung des industriellen Bauens ist ein neues Tätigkeitsfeld für den Architekten in der gesamten Vorfertigung, insbesondere in den Betonwerken und in der Weiterentwicklung des Baukastens“ (SAPMO, DY 15/18 [BdA], Berufsbild des Diplomingenieurs für Architektur, erarbeitet von der DBA, März 1965, S. 4). 461 Ebd.

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Bereits ein gutes Jahr zuvor hatte Hopp außerdem gefordert, Architekten sollten ihre Projekte zukünftig vor der Bevölkerung in volkswirtschaftlicher Hinsicht verteidigen.462 Spürbar wurde hier ein weiteres Mal, wie sehr die im BdA und auch in der DBA als Funktionäre tätigen Architekten zwischen den Stühlen saßen. Einerseits waren sie der Baupolitik und der Rolle ihrer Organisationen als politische ,Transmissionsriemen verpflichtet. Deutlich machte das auch die Tatsache, dass das Präsidium des Ministerrates parallel zum „Beschluß über die Anwendung der Grundsätze des NÖSPL“ einen weiteren „Beschluß über die Durchsetzung“ jener Grundsätze verabschiedete.463 Demnach zeichneten der Minister für Bauwesen und der Präsident der DBA für die „Klärung ideologischer Probleme auf dem Gebiet der Architektur“464 verantwortlich. Das bedeutete u.a., „in Zusammenarbeit mit dem Bund Deutscher Architekten Aussprachen in den bautechnischen Projektierungsbetrieben und Instituten der Deutschen Bauakademie zu führen.“465 Betont wurde damit also erneut, dass BdA und DBA in ihrer Funktion als Transmissionsriemen auch in umfassender Weise für die Durchsetzung des NÖSPL in Anspruch genommen wurden. Andererseits aber versuchten gerade die im BdA tätigen Fachleute schon bald, den Architektenbund auch für die Artikulation eigener fachlicher Interessen zu nutzen und damit verbunden auf jene problematischen Entwicklungen hinzuweisen, die mit der umfassenden Durchsetzung des NÖSPL im Bauwesen einhergingen. Erste Kritik Die Stimmung kippte vor allem, als auf dem 10. Plenum des ZK der SED466 Kritik geübt wurde an Monotonie und fehlender künstlerischer Gestaltung in Architektur und Städtebau. Inzwischen konnten auch die Fachleute in der DBA und im BdA nicht mehr die Augen davor verschließen, dass ihre teilweise bedingungslose und unkritische Unterstützung des NÖSPL zu einem gestalterischen Stillstand in Architektur und Städtebau der DDR geführt hatte und sich vor allem gegen den eigenen Berufsstand zu wenden begann. Vor diesem Hintergrund versuchte man, gerade ge-

462 Vgl. hierzu SAPMO, DY 15/15 (BdA), Diskussionsbeitrag Hopp auf dem 13. Plenum der DBA, 27.10.1964. 463 BArch, DC 20/ I/ 4 738 (Ministerrat), Präsidium des Ministerrates, Vertrauliche Dienstsache Nr. 609/63: Beschluß über die Durchsetzung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14.06.1963. 464 Ebd., S. 5. 465 Ebd., S. 6. 466 BArch, N 2504/129 (Nachlass Kosel), Aus der Diskussion „Architektur und Städtebau“ auf dem 10. Plenum des ZK der SED, ND, 25.06.1965, S. 4f.

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stalterische Fragestellungen erneut zu thematisieren. 467 Dies passierte sicherlich auch unter dem Eindruck der bitteren Erfahrung, dass den führenden fachlichen Kadern ihre loyale Haltung in keiner Weise gedankt wurde und sie nunmehr erneut für Fehler verantwortlich gemacht wurden, die ganz wesentlich auf die allgemeinen baupolitischen Rahmenbedingungen zurückzuführen waren. Entsprechend aufgebracht waren deswegen bald auch die Diskussionen, die intern geführt wurden – so im Rahmen eines Gesprächs zwischen Gerhard Kosel, Ule Lammert und Edmund Collein am 02. Juli 1965.468 Gerade diejenigen, die zuvor aufs energischste die Parteilinie unterstützt hatten, analysierten nun schonungslos die bedrückende Situation der Architekten. In unterschiedlichsten Facetten führte man sich den in Verbindung mit dem NÖSPL eingetretenen umfassenden Ansehens- und Kompetenzverlust der eigenen Kolleginnen und Kollegen vor Augen. Die Rede war von „Anonymität“, davon, „daß die Architekten keinen Ruf mehr haben“ und „daß die Autorität und die Verantwortung des Architekten soweit abgewertet wurden.“ Beklagt wurde, dass „jeder Stadtarchitekt ein subalterner Mann“ sei und es inzwischen keinen Architekten mehr gebe, „der einen Namen hat.“ Vor allem aber – und das war das eigentlich besondere – übte man unverhohlen Selbstkritik. Das von Kosel wiedergegebene Gespräch las sich wie ein großes Schuldeingeständnis, in dem sich drei hochrangige Baufunktionäre und Parteimitglieder ihrer Verantwortung für die Lage der Architekten bewusst wurden. Die Feststellung „wir haben zugelassen“ wurde dabei zur ständig wiederkehrenden Kernformulierung: 467 Auch dies schlug sich erneut im publizistischen Bereich nieder. So schrieben Bernhard Geyer und Arno Schmid in einem DA-Artikel: „Auch die Anforderungen der Gebäudefunktionen und die Gesichtspunkte der Gestaltung waren ungenügend in die Entwicklungsüberlegungen mit eingeflossen. Das wirkte sich empfindlich auf die architektonische Qualität der fertigen Investitionsbauten aus [...] In einer weiteren Untersuchung werden die ökonomischen Grenzen der Unifizierung untersucht, wobei die Einflüsse der Bautechnologie, des Materialaufwandes, der Materialwahl und der Konstruktionslösungen mit den Einwirkungen und Forderungen des Städtebaus sowie der Funktion und der Gestaltung abzustimmen sind“ (Bernhard Geyer/Arno Schmid, „Der gegenwärtige Stand und die Perspektive des Baukastensystems“, in: DA 6/1965, S. 326-331, hier S. 326 u. 328). In vergleichbarer Weise forderte auch Kurt Magritz, „daß zwischen der Architektur und der Bauproduktion differenziert werden muß“ (Kurt Magritz, „Der Gegenstand der Architekturtheorie. Aufbau eines Modells“, in: DA 9/1967, S. 568f., hier S. 568). 468 BArch, N 2504/129 (Nachlass Kosel), Gespräch zwischen Gerhard Kosel, Ule Lammert und Edmund Collein am 02.07.1965, handschriftliche Notizen von Gerhard Kosel, datiert 02.07.1965. Die nachfolgenden Zitate sind, soweit nicht anders vermerkt, dieser Quelle entnommen.

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„Warum haben wir es zugelassen, daß die Autorität und die Verantwortung des Architekten soweit abgewertet wurden [...] Wir haben z.B. zugelassen, daß die Architekten keinen Ruf mehr haben [...] Was haben wir gemacht. Wir haben den Architekten auch nicht gesetzlich geschützt. Wir haben uns nicht geweigert, bestimmte Dinge zu machen [...] Wir haben die Architekten nicht ins Gespräch gebracht. Auch die Kollektive nicht. Z.B. der Architekt Korn, Er [sic!] hat das Staatsratsgebäude gebaut und andere Bauten, was machen wir daraus, von der Akademie haben wir ihn nicht unterstützt [...] Die meisten Architekten sind von der DBA schlecht mit Argumenten ausgerüstet.“

Spürbar wurde sogar eine vorsichtige Distanzierung von der Partei. So hieß es etwa: „Wir haben unsere Mitarbeiter, unsere Architekten allein gelassen mit ihren schöpferischen Sorgen, jeder hat ihnen in ihr Konzept reingereder [sic!], oft auch die Partei, und wir haben nicht darum gekämpft, sondern haben es oft ohne weiteres so übernommen.“

Noch deutlicher wurde man, als das Gespräch auf den trotz aller Schwierigkeiten immer wieder erfolgreichen Architekten Josef Kaiser kam: „Kaiser ist z.B. ein Architekt der [sic!] in den meisten Fällen seinen Willen durchgesetzt hat. Warum ist das so? Er ist geschickt in seiner Argumentation und hat auch kluge Argumente und macht gute Arbeit. Er ist aber auch nicht Genosse, braucht sich an keine Parteidisziplin zu halten, braucht sich um keine Kritik zu kümmern und wird auch nicht als Parteiloser kritisiert.“469

Die zu große Abhängigkeit von der Partei und die daraus resultierende Bereitschaft, deren Politik kritiklos umzusetzen, machte man nun also als eine wesentliche Ursache der Probleme in Architektur, Städtebau und Architektenberuf aus. Es verwundert kaum, dass solch eindeutige Kritik auch weiterhin nur hinter verschlossenen Türen geübt wurde, während man in der Öffentlichkeit sehr viel zurückhaltender auftrat. Trotzdem aber war diese zweite Phase von Stellungnahmen und Vorschlägen der Fachleute von einem gewissen kritischen Impetus geprägt. Recht vorsichtig nahm er sich noch bei Gerhard Kosel aus, der wenige Monate später einen sich ansonsten ganz auf Parteilinie bewegenden Diskussionsbeitrag mit einem nur vorsichtigen Seitenhieb auf die Versäumnisse der letzten Jahre würzte:

469 Kosel, Lammert und Collein bezogen sich hier in erster Linie auf eine Übersicht Kaisers, die Mängel am 2. Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee auflistete und in Kosels Nachlass überliefert ist (BArch, N 2504/423 [Nachlass Kosel], Josef Kaiser: Berlin's Aushängeschild unter der kritischen Lupe, Berlin, 19.07.1964, Bl. 222-238).

188 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „Anstelle einer Erhöhung der Verantwortlichkeit des Architekten ist in vielen Entwurfsbüros eine gewisse Bürokratisierung der Projektierung zugelassen worden, die zu einer Nivellierung in der Verantwortung der Autoren und zu einer Anonymität führte.“470

Auch Joachim Bach, der nur wenige Jahre zuvor für ein ganz am Paradigma der Ökonomie ausgerichtetes Berufsbild plädiert hatte, übte nun wieder sehr viel deutlichere Kritik. Der Vorstellung, der Architektenberuf habe ausgedient und könne durch den alleine technisch orientierten Ingenieursberuf ersetzt werden, erteilte er so beispielsweise eine klare Absage: „In letzter Zeit verstärkt sich wieder die Diskussion um den Beruf des Architekten. Es gibt sehr exponierte Kollegen und ganze Gruppen, die der Meinung sind, der Beruf des Architekten sei ein Anachronismus. Man müsse sogar die Berufsbezeichnung abschaffen und statt dessen einen Planer, einen Funktionsingenieur, einen Formgestalter usw. spezialisiert ausbilden [...] Der Beruf des Architekten hat sich in der Form seiner Ausübung gewandelt, in den Methoden und im Gegenstand seiner Arbeit sowie in seiner Spezialisierung. Das berechtigt uns aber nicht, den Beruf des Architekten in Frage zu stellen.“471

„Hauptaufgabe“ des Architekten sei es nämlich, „die Integration der vielen Einzelleistungen zu einem Werk der Baukunst herbeizuführen.“472 Die Architekten und die Kombinate: Zwischen Befürwortung und Kritik Für Unmut sorgte auch, dass mit dem ÖSS die Ökonomisierung des Bauwesens noch weiter und schneller vorangetrieben werden sollte. Die „effektivste[...] Leitung des einheitlichen Reproduktionsprozesses einschließlich der Wissenschaftsorganisation, der Gestaltung des Erzeugnissystems und der Erhöhung der Effektivität“ sollte nun mit „einer effektiven Konzentration, Zentralisation, Kooperation und

470 BArch, N 2504/124 (Nachlass Kosel), Diskussionsbeitrag, Berlin, 18.12.1965. Die Akte gibt keinen Aufschluss über den Anlass, zu dem Kosel diesen Diskussionsbeitrag gehalten hat. 471 BArch, N 2504/169 (Nachlass Kosel), Joachim Bach: Einige Fragen des Architektenberufes, der Ausbildung und Weiterbildung, Vortrag auf der 22. Plenartagung der DBA zum Thema „Neue Anforderungen an Städtebau und Architektur. Städtebau und Architektur bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR“, Berlin, 16./17.10.1968, Bl. 182. 472 Ebd.

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Kombination volkseigener Betriebe“ 473 erreicht werden. Damit verbunden sollten die bis dahin noch eigenständigen Projektierungsbetriebe aufgelöst und die Architekten in den Baukombinaten angegliederten Entwurfsabteilungen untergebracht werden.474 Das aber bedeutete einen weiteren schwerwiegenden Eingriff in das Berufsbild des Architekten und Städtebauers; wurde der Architekt doch nun buchstäblich zu einem Rädchen im Getriebe eines riesigen, in der Regel mehrere hundert Mitarbeiter umfassenden Baubetriebes. Dort machte der Entwurf neben der im Mittelpunkt stehenden Bauausführung nur einen relativ kleinen Anteil aus und wurde in immer geringerem Maße als eine wirklich eigenständige Leistung im Bauprozess wahrgenommen. Jemand, der die damit verbundenen Probleme von Anfang an kommen sah, war BdA-Bundessekretär Werner Wachtel. Wachtel sah die Architekten und Städtebauer zwar auch in der Pflicht, wenn es um die „Erhöhung des Nationaleinkommens“ und die „Durchsetzung der komplexen sozialistischen Rationalisierung in den Projektierungsbüros“475 ging, bewegte sich damit also ganz auf der Linie des NÖSPL bzw. ÖSS. Auch begrüßte er die Tatsache, dass die Entwicklung inzwischen hin zum Generalprojektanten gegangen war476 und machte damit deutlich, dass er die Einbindung der Architekten in die Kombinatsstrukturen nicht grundsätzlich ablehnte. Trotzdem aber mahnte er zur Vorsicht. Dabei erhielt seine Stimme umso mehr Gewicht, als er als Vertreter einer beim BdA angesiedelten so genannten Projektierungskommission sprach. Sie sollte Vorschläge für jene Rahmenbedingungen erarbeiten, unter denen die Architekten künftig im Rahmen des ÖSS tätig sein sollten. Wachtel und der Kommission ging es vor allem darum, sicherzustellen, dass Architekten dabei überhaupt noch eine spürbare Rolle im Bauwesen spielten. So wurde gefordert, bei den Experimentierbetrieben darauf zu drängen, „daß alle architektonisch-künstlerischen Prozesse, die im Städtebau und in der Architektur begründet 473 BArch, DC 20/ I/ 4 1973 (Ministerrat), 78. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 21.05.1969, Bd. 2: Beschluss über die Verwirklichung des ökonomischen Systems des Sozialismus bei der Bildung von volkseigenen Kombinaten in Industrie und Bauwesen und die Gestaltung der Beziehungen zwischen den volkseigenen Kombinaten und ihren Betrieben für 1969/1970. 474 Eine wesentliche Grundlage hierfür stellte schon die „Verordnung über die Bildung und Rechtsstellung von volkseigenen Kombinaten vom 16.10.1968“ dar (BArch, DC 20/ I/ 3 700 [Ministerrat], 27. Sitzung des Ministerrates, 16.10.1968, Bd. 1). 475 SAPMO, DY 15/21 (BdA), Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 11./12.01.1967, Referat Wachtel. 476 „In den Hochbauprojektierungsbüros hat sich die Entwicklung vom bautechnischen Projektanten zum Generalprojektanten im wesentlichen vollzogen. Mit dieser Entwicklung wurden in den Hochbauprojektierungsbüros gute Erfahrungen gemacht, die Aufgaben des Architekten wurden komplexer und verantwortungsvoller“ (ebd., S. 8).

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liegen, nur im Projektierungsbüro entschieden werden können.“477 An den BdA in seiner Gesamtheit richteten Wachtel und die Projektierungskommission denn auch den dringenden Appell, selbstbewusst aufzutreten, sollten die Interessen der Architekten zum wiederholten Male übergangen werden. Dahingehende Vorsicht schien vor allem mit Blick auf die Situation in den Experimentierbetrieben geboten. So war nach Wachtel nämlich zu prüfen „ob es richtig ist, daß im Bezirk Frankfurt/O. ganze komplexe Abteilungen an das Wohnungsbaukombinat abgegeben wurden, und es ist gewissenhaft zu beobachten, daß das Konstruktionsbüro beim WBK Rostock eigene Vorschläge entwickelt [...] Sonst sollten wir ernsthaft als BDA überlegen, ob wir auch so einer Variante, wie sie in Rostock abgeschlossen wurde, generell zustimmen sollten.“478

Daneben forderten er und die Projektierungskommission zudem eine nachhaltige Stärkung der Autorenrechte ein.479 Wachtel und seine Mitarbeiter in der Kommission sprachen dabei als gebrannte Kinder. Schon oft hatten sie als Architekten das Nachsehen gehabt, und häufig hatte man sie auf eine spätere Stärkung und Anerkennung ihrer Rechte vertröstet – etwa, als es um den immer wieder geforderten und nach wie vor noch nicht eingelösten gesetzlichen Schutz des Berufsstandes ging. 480 Auch die Diskussion, die auf Wachtels Referat folgte, war in der Sache zwar nicht völlig ablehnend, im Ton aber dennoch recht kritisch.481 477 Ebd., S. 11. 478 Ebd., S. 12. 479 „Die Gesamtmethodik, die hier vorgetragen wurde und deren vorgeschlagene Veränderung erfordert allerdings, daß das Autorenrecht des Architekten erhöht werden muß auf der Baustelle. Es ist notwendig, daß der Architekt bei nicht richtiger Ausführung seines Entwurfs bzw. seiner gestalterischen Prinzipien durch den Generalauftragnehmer oder den Baubetrieb die Möglichkeit erhalten muß, gegenüber dem Generalauftragnehmer materielle Sanktionen über die Deutsche Investitionsbank aussprechen zu können, d.h. das Recht des Architekten auf der Baustelle muß in jedem Fall entsprechend der gemachten Vorschläge erhöht werden“ (ebd., S. 16). 480 Auch in den 70er und 80er Jahren sollten die Architekten noch einen erneuten Versuch unternehmen, im Bereich von Architektur und Städtebau urheberrechtliche Regelungen durchzusetzen (hierzu ausführlich Kapitel III.3.1). 481 Einige Beispiele dazu: „Koll. Pfrogner: Wie stehen unsere Kollegen zu der Loslösung aus den Projektierungsbüros in die Baubetriebe. Das wird einen harten Kampf mit den Betrieben erforderlich machen [...] Koll. Franck: [...] Die Stellung des Architekten, die Verantwortung des Architekten, wir haben wohl darüber viel diskutiert, aber es ist nichts dabei herausgekommen. Koll. Schmutzler: Wir bekommen vom Betrieb keine

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Staatlicherseits sah man sich deswegen bald gezwungen, die Propagandamaschinerie zu bemühen. Auch dabei wirkten erneut Architekten mit – ein Vorgang, der nochmals illustrierte, wie schwierig die Lage einer Architektenschaft war, die immer auch Teil des Staatsapparates und deren Arbeit ganz wesentlich von staatlicher Unterstützung abhängig war. Ende der 60er Jahre entstand eines der aufsehenerregendsten Projekte im Bereich des Wohnungsbaus, die Neubebauung der Rathausstraße in unmittelbarer Nähe des damals ebenfalls im Bau befindlichen Berliner Fernsehturms.482 Nach einem Entwurf der Architekten Joachim Näther, Wolfgang Radke, Heinz Graffunder und Dietmar Kuntzsch war hier auf gestalterisch und technisch anspruchsvolle Weise eine industriell vorgefertigte Wohnscheibe über einer als Stahlskelettkonstruktion errichteten zweigeschossigen Erdgeschosszone aufgeständert worden. Der Übergangsbereich zwischen der Ladenzone und den Wohngeschossen war zudem als durchgehende Terrasse angelegt, so dass die Fußgängerzone ,nach oben erweitert wurde – ein Raum, der vor allem für gastronomische Zwecke und zum Flanieren genutzt werden konnte. Noch während der Bauzeit des Komplexes gingen Wolfgang Radke und Heinz Graffunder auf eine regelrechte Vortragstournee, auf der sie ihr Projekt als Resultat einer erfolgreichen Zusammenlegung von Entwurf und Bauausführung vorstellten.483 Immer wieder betont wurde dabei, dass die Einordnung der Architekten in die Baukombinate eine wirkliche „schöpferische Gemeinschaft“ 484 und damit ein wahrhaft sozialistisches Arbeiten etabliert habe – so in einer Rede Heinz Graffunders auf der 11. Tagung der Berliner Stadtverordnetenversammlung im November 1969. 485 Im Rahmen eines Referats Gelegenheit, die Autorenkontrolle durchzuführen. Diese schreiben, daß sie in der Lage sind, das Projekt so auszuführen, wie es projektiert wurde. Der Projektant soll aber Sachwalter des Volksvermögens sein! Koll. Kluge: [...] Die Stellung des Architekten ist eindeutig herauszustellen [...] Koll. Guder: Der Projektierungsumfang wird immer größer, aber die Projektierungskräfte steigen nicht in dem Maße. Er ist nicht der Meinung, daß mit der Ausgliederung [der Projektierungsbetriebe in die Baukombinate, T.Z.] eine höhere Effektivität erreicht wird“ (SAPMO, DY 15/21 [BdA], Protokoll 3. BdA-BuVSitzung, 11./12.01.1967, S. 15ff.). 482 Simone Hain beschreibt dieses Projekt sogar als „an die Grenze metabolistischer Phantasien“ heranreichend (Hain [2000], S. 337-347). 483 Ausgeblendet wurde dabei allerdings, dass Berlin dabei sicherlich auch von seiner besonderen Rolle als ,Hauptstadt der DDR profitierte. Immer wieder galt es hier nicht nur, Vorzeigeprojekte zu realisieren, sondern auch neue Wege der institutionellen Zusammenarbeit zu erproben. 484 AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil II/Kasten 12/1, Nicht korrigierte Originalfassung der Rede Graffunders vor der 5. Baukonferenz, April 1969, S. 3. 485 „Wir wollen in diesem Zusammenhang aber dick unterstreichen, daß eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung dieser Ziele die Zusammenlegung der Projektierung mit

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vor der Berliner Bezirksdelegiertenkonferenz des BdA behauptete Graffunder zudem selbstbewusst, sein Kollektiv habe „Schrittmacherarbeit geleistet“486, gab darüber hinaus aber auch vor, für alle Architekten des Bezirks zu sprechen: „Wir Berliner Architekten sind überzeugt, daß die Zuordnung der Projektierung zu den Kombinaten eine grundsätzlich richtige Entscheidung war. Erst nach dieser Eingliederung konnte eine stärkere Verschmelzung mit dem gesamten Produktionsprozeß der Kombinate erfolgen. In diesem Prozeß sind alle gewachsen.“487

Wie sehr hier auf die gesamte DDR bezogen allerdings der Wunsch Vater des Gedankens war, lässt sich zwischen den Zeilen ebenfalls immer wieder herauslesen. So stellte Graffunder auch die Frage, „warum es nicht schneller gelingt, alle [Hervorhebung im Original, T.Z.] Kollektive an diese höhere Stufe heranzuführen“488 und deutete schon damit an, dass längst nicht die gesamte Architektenschaft von den in die Kombinate integrierten Projektierungsabteilungen überzeugt war. Viele sahen nämlich ihren fachlichen Einfluss endgültig schwinden und fürchteten den weiteren Ausverkauf einer ohnehin nur noch rudimentär vorhandenen professionellen und fachlichen Eigenständigkeit. Sehr deutlich klang das beispielsweise durch, als Graffunder das berufliche Selbstbild mancher seiner Kollegen zu charakterisieren und aus seiner Sicht als überholt zu schildern versuchte: „Das Verharren bei der Vorstellung, daß seine Tätigkeit empirisch bestimmt sei, daß vorgefaßte Lösungskonzeptionen ausreichen und daß seine Intuition sich einer wissenschaftlichen Forschung verschließe, hemmt die Leistungsfähigkeit des Architekten. Die Verwissenschaftlichunh [sic!] des Planungs- und Projektierungsprozesses heißt, Empirismus und Spontanität den Baukombinaten vor 2½ Jahren war. Erst auf dieser Grundlage war es möglich, so rasch eine echte sozial. Gemeinschaftsarbeit zu entwickeln und gemeinsam mit unseren Brigaden, Bauleitern, Technologen + [sic!] Meistern sowie den vielen zuarbeitenden Kombinaten und Betrieben einen Komplex wie die R/L [Rathaus-/Liebknechtstraße, T.Z.] bereits 6 Monate nach dem ersten Strich der Städtebauer + [sic!] Arch. zu bauen zu beginnen [sic!] und nach weiteren 3 Jahren gänzlich zu beenden“ (AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I/Kasten 7/Mappe 1f., Rede Graffunders vor der 11. Tagung der Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin, 14.11.1969, S. 1f.). 486 AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I/Kasten 8/Mappe 8, Referat und Rechenschaftsbericht Heinz Graffunder zur Bezirksdelegiertenkonferenz Berlin des BdA am 30.01.1970: „Die Entwicklung der Architektur und des Städtebaus im entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus und die Aufgaben des BDA im Perspektivplanzeitraum“, S. 19. 487 Ebd. 488 Ebd.

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zu überwinden, seine Arbeit bewußt und wissenschaftlich fundiert zu machen und ihn von zeitraubender mechanischer Arbeit zu befreien, damit er seine schöpferischen Potenzen voll entfalten kann.“489

Ähnliches klang auch in einem Vortrag Wolfgang Radkes auf der 12. Präsidiumssitzung des BdA vom 19.09.1969 in Karl-Marx-Stadt an.490 Es kann angenommen werden, dass das Projekt an der Rathausstraße tatsächlich von der Eingliederung der Architekten in das Berliner Wohnungsbaukombinat profitiert hat. Denn richtig gehandhabt und vor allem fernab von einer Verabsolutierung des Ökonomischen lagen in dieser Zusammenlegung – insbesondere unter den Vorzeichen eines alleine öffentlich organisierten Bauwesens – durchaus Chancen. Insofern war die Zustimmung Graffunders und Radkes sicherlich nicht aus der Luft gegriffen oder alleine schöngefärbt. Natürlich ließen sich beide auch für politische Zwecke instrumentalisieren und stellten vieles in äußerst positivem Licht dar. Nicht behauptet werden kann allerdings, dass sie dies zum damaligen Zeitpunkt vollständig wider besseres Wissen oder ihre eigene Überzeugung taten. Letztlich nämlich zeigte sich die ganze Tragweite der mit dem NÖSPL und dem ÖSS verbundenen Eingriffe in die Architektenarbeit erst einige Jahre später. Unter Erich Honecker wurden die Wirtschaftsreformen zwar abgebrochen – eine auch für die gesamte Volkswirtschaft der DDR folgenreiche Entscheidung. Die vom neuen Generalsekretär der SED ausgerufene Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik stellte allerdings den Konsum so stark in den Vordergrund, dass an der Fixierung auf das Ökonomische festgehalten werden musste491  auch im Bereich von Architektur und Städtebau. Obwohl der Baupolitik regelmäßig neue Etiketten aufgeklebt wurden, zeichneten sich die Arbeitsbedingungen der Architekten allerspätestens ab 489 Ebd., S. 22. 490 „Auch dort, wo sozialistische Gemeinschaftsarbeit in bester Form praktiziert wird, sehen einzelne [...] eine Verletzung der künstlerischen und fachlichen Kompetenz des Architekten [...] Hier wird die große Freiheit, die uns Architekten in der DDR gegeben ist und das Vertrauen, daß uns erwiesen wurde durch die Übertragung der großen bedeutenden Bauaufgaben (mit den bedeutenden Aufwendungen der Gesellschaft) nicht richtig gewürdigt. Sie ist auch nur zu erklären mit der Überheblichkeit des NurFachmannes, der die gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht beachtet“ (AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I/Kasten 7/Mappe 1f., Wolfgang Radke, Sozialistische Gemeinschaftsarbeit zwischen gesellschaftlichem Auftraggeber, Architekten und Baubetrieb am Beispiel des Wohnungsbaukombinates Berlin, Vortrag 12. Präsidiumssitzung des BdA, 19.09.1969, S. 9). 491 Als weitere Ursache dafür muss zudem die wegen der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber auch aus einer Reihe anderer Gründe stetig zunehmende Staatsverschuldung genannt werden.

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Mitte der 50er Jahre denn auch durch eine bemerkenswerte Kontinuität aus. Mit Ausnahme der frühen 60er Jahre hatte man sich laufend gegenüber einer eine mehr als vorherrschende Rolle spielenden Wirtschafts- und Finanzpolitik zu rechtfertigen. An dem Zwang, sich mit ihr zu arrangieren und zu einem gemeinsamen modus vivendi zu gelangen, führte von wenigen Ausnahmen abgesehen 492 nahezu kein Weg vorbei. Es mutet rückblickend geradezu grotesk an, wie sehr die Architektenschaft in einem sich als sozialistisch bezeichnenden Staat immer wieder zum bloßen Befehlsempfänger eines mehr und mehr die Vorherrschaft beanspruchenden Wirtschaftsregimes wurde. Die Grundlagen dafür wurden in den späten 50er Jahren gelegt und durch NÖSPL und ÖSS im Bauwesen zementiert. Ihre ganze Durchschlagskraft aber sollten jene Strukturen erst im Laufe der 70er und 80er Jahre entfalten – eine Tatsache, die von Graffunder und Radke Ende der 60er Jahre in letzter Konsequenz noch nicht abzusehen war. Die Architektur der Bildzeichen als Ausweg aus dem NÖSPL Zuvor aber gab die bereits kurz erwähnte Kritik des 10. ZK-Plenums493 und des Politbüros494 an Monotonie sowie mangelnder künstlerischer Gestaltung von Architektur und Städtebau den Architekten eine weitere Möglichkeit zu einer zumindest kurzzeitig äußerst wirksamen Intervention. Dass nämlich die politische Ebene gerade jetzt verstärkt auf das Bauwesen aufmerksam wurde, hatte seinen Grund. Mit dem Jahr 1969 rückte der 20. Jahrestag der DDR zunehmend näher – ein Datum, zu dem sich Staat und Partei auch baulich in angemessener Weise repräsentieren wollten. Nachdem seit geraumer Zeit alles auf Serienfertigung, Typisierung, Wiederverwendungsprojekte und ein möglichst ökonomisches Bauen ausgerichtet worden war, konnte sich die Staats- und Parteiführung den damit verbundenen Problemen inzwischen kaum mehr verschließen. Das Erscheinungsbild der Neubauten wurde immer einheitlicher, ihr Wiedererkennungswert damit aber umso geringer. Von einer einprägsamen und öffentlichkeitswirksamen architektonischen Gestalt war man in der Regel weit entfernt. Im internationalen Kontext – auch im Vergleich mit an492 Hierzu u.a. der nachfolgende Abschnitt über die Zentrumsbebauungen der späten 60er Jahre. 493 BArch, N 2504/129 (Nachlass Kosel), Aus der Diskussion „Architektur und Städtebau“ auf dem 10. Plenum des ZK der SED, ND, 25.06.1965, S. 4f. 494 So notierte Kurt Junghanns in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen über eine Parteiaktivtagung der zentralen Parteigruppe der DBA vom 19.10.1965: „Kosel: Vor einigen Tagen Beratung im Politbüro. Neue Kritik an Bauwesen + [sic!] DBA wegen [...] techn. Politik u. Schematisierung = Überspitzung in d. Industrialisierung; keine richtige Ausnutzung d. Reserven und d. Mittel. Keine richtige Mobilisierung aller Kräfte“ (AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 13/10, Parteiaktivtagung der zentralen Parteigruppe [der DBA], 19.10.1965, handschriftliche Aufzeichnungen).

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deren Ostblockstaaten 495  nahm sich die DDR-Architektur inzwischen vielfach spröde und unattraktiv aus. An sich hatte die politische Führung damit die Entwicklung von Architektur und Städtebau nach dem Müggelturmgespräch und der Einführung des NÖSPL zwar zutreffend analysiert. Ähnlich wie schon in den vorangegangenen Jahren suchte man die Ursachen statt bei der eigenen Baupolitik jedoch ausschließlich bei den Architekten. Erneut mussten die Fachleute damit als Sündenböcke für politisches Versagen herhalten. Die Anschuldigungen, denen sie sich ausgeliefert sahen, nahmen dabei teilweise paradoxe Züge an. Zum einen wurde mit dem Verweis auf Monotonie und kaum gegebene Unterscheidbarkeit der Mangel an gestalterischem Anspruch beklagt. Zum anderen wurde festgestellt, dass sich die Architekten noch nicht in ausreichendem Maße für das NÖSPL und ein vor allem am Produktionsaspekt orientiertes Bauen geöffnet hätten – ohne zu reflektieren, dass eben diese Verquickung von Architektentätigkeit und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen zu wesentlichen Teilen mitverantwortlich für die gegenwärtige Lage in Architektur und Städtebau war. So hieß es in einer Einschätzung der Abteilung Bauwesen des ZK der SED: „Wenngleich in Durchführung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung mit der Einführung der wirtschaftlichen Rechnungsführung in die Projektierungsbetriebe Fortschritte im ökonomischen Denken der Projektanten [Hervorhebung im Original, T.Z.] zu verzeichnen sind, so herrscht doch bei der Mehrzahl der Architekten gerade im Zusammenhang mit den berechtigten Forderungen zur Erhöhung der künstlerischen Qualität der Bauwerke die Meinung vor: Baukünstlerisch gut gestaltete Bauwerke und Gebäude sind mit hohen materiellen Aufwendungen verbunden oder einfach gesagt gute Architektur kostet viel Geld [...] Noch gibt es solche Meinungen, daß die Ökonomie eine Angelegenheit der Ökonomen oder Ingenieure sei, während sich die Architekten nur um künstlerische und funktionelle Fragen zu kümmern hätten.“496

Auf politischer Seite hielt man jedoch nicht nur unbeirrt an der Fixierung auf das Finanziell-Ökonomische fest. Auch jene ideologisch aufgeladenen kulturpolitischen Leitlinien, die bereits in der zweiten Hälfte der 50er Jahre ihre lähmende Wirkung entfaltet hatten und dies nach dem im Sommer 1963 durchgeführten DBA-Plenum erneut verstärkt taten, wurden weiter zementiert. So wurde beklagt, in den letzten Jahren habe „das Kopieren des kapitalistischen Städtebaus und der Architektur durch unsere Städtebauer und Architekten zugenommen.“ Abverlangt wurde den 495 Hierzu u.a. Kultermann. 496 BArch, N 2504/124 (Nachlass Kosel), Einige politisch-ideologische Probleme auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR, Abt. Bauwesen des ZK der SED, 07.04.1966, S. 3.

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Fachleuten stattdessen ein klares Bekenntnis zum „Sozialistischen Realismus“ 497 sowie eine „kämpferische Auseinandersetzung mit der Konvergenztheorie und allen ihren Erscheinungsformen“498  in der zweiten Hälfte der 60er Jahre und in Anbetracht der Fokussierung auf das industrielle Bauen ein Anachronismus, der von der Forschung bislang kaum beachtet worden ist, das Dilemma, in dem sich die Architekten befanden, aber erst wirklich deutlich werden ließ. So wurden die „Einführung der offenen Bebauung“, „die Entmischung der Stadtfunktionen“ oder der „Schematismus im Aufbau und in der Struktur der Wohnkomplexe“ zu Erscheinungen erklärt, „die nichts mit unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung gemein haben.“499 Dass viele der angeführten Kritikpunkte in den damals verabsolutierten technologisch-konstruktiven Rahmenbedingungen des industriellen und typisierten Bauens sowie der Serienfertigung begründet lagen, wurde allerdings in keiner Weise reflektiert. Wie schon so oft sahen sich die Architekten also erneut mit vernichtender Kritik konfrontiert. Ihr von fachlicher Seite zu begegnen wurde jedoch ein weiteres Mal durch eine unentschiedene und zutiefst widersprüchliche Baupolitik nahezu unmöglich gemacht. Trotz aller Kritik deutete also nichts darauf hin, dass in absehbarer Zeit die baupolitischen Rahmenbedingungen zur Disposition gestellt würden.500 Umso erstaunlicher erscheint es deswegen, dass nach 1965 doch Bewegung in Architektur und Städtebau kam. Insbesondere für die Stadtzentren nahezu aller Bezirksstädte wurden damals Bebauungskonzepte entwickelt, die gestalterisch äußerst individuell waren und in einigen Fällen erfolgreich realisiert werden konnten. Um zu erklären, wie es dazu kam, reicht erneut nicht der alleinige Blick auf die zweifel497 Das ZK beklagte denn auch, dass es an der „Anerkennung von festen schöpferischen Prinzipien, wie z.B. des sozialistischen [sic!] Realismus“, mangele und kritisierte den „unter manchen Architekten noch vorhandenen Individualismus“ (ebd., S. 7). 498 BArch, N 2504/169 (Nachlass Kosel), Edmund Collein: Die Entwicklung des gesellschaftlich-kollektiven Prozesses der sozialistischen Umgestaltung und die Anforderungen an den Architekten, Referat auf der 22. Plenartagung der DBA (Neue Anforderungen an Städtebau und Architektur. Städtebau und Architektur bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR), Berlin, 16./17.10.1968, Bl. 180. 499 BArch, N 2504/124 (Nachlass Kosel), Einige politisch-ideologische Probleme auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR, Abt. Bauwesen des ZK der SED, 07.04.1966, S. 6. 500 Als politisches Bauernopfer musste einzig und alleine DBA-Präsident Gerhard Kosel herhalten, obwohl dieser pflichtgemäß die Verantwortung für die ihm zuvor durchaus abverlangten „Überspitzungen im Montagebau“ übernahm (vgl. hierzu BArch, N 2504/529 [Nachlass Kosel], Gerhard Kosel: Gegen Überspitzungen im Montagebau – für einen wissenschaftlichen Vorlauf, Rede auf der 4. Baukonferenz).

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los ebenfalls wichtige Rolle politischer Akteure und Rahmenbedingungen aus. Ebenso notwendig ist auch hier eine Untersuchung der Frage, inwiefern die Fachleute selbst zu diesem wenn auch nicht flächendeckenden so doch neuerlichen gestalterischen Aufbruch beigetragen haben. Einer der federführenden Akteure war hier ein weiteres Mal der nur zwei Jahre zuvor in die politische Schusslinie geratene Architekt Bruno Flierl.501 Flierl hatte nach seiner Absetzung als Chefredakteur der DA schon bald Kontakte zum VBK (Verband Bildender Künstler der DDR) geknüpft. Der VBK aber war es, der Flierl zunächst ermöglichte, was innerhalb der DBA502 immer noch (bzw. zum wiederholten Male) abgewürgt wurde: ein einigermaßen freies Nachdenken über die gestalterischen Parameter eines als sozialistisch zu bezeichnenden Bauens. Zwar unterlag der VBK den allgemeinen kulturpolitischen Leitlinien, musste sich alleridngs in weitaus geringerem Umfang mit jenen ökonomischen Rahmenbedingungen auseinandersetzen, die die Institutionen des Bauwesens so stark dominierten und einengten. Kunst war weder Erzeugnis noch Ware. Damit aber konnte innerhalb des VBK auch Baukunst sehr viel stärker jenseits ökonomischer Kategorien diskutiert werden. Zwischen ISA (Institut für Städtebau und Architektur) und VBK initiierte Bruno Flierl zunächst einen Dialog über das Verhältnis zwischen Architektur und bildender Kunst. Geführt wurde er nicht nur in Hinterzimmern oder abseitigen Gremiensitzungen, sondern auch vor der breiteren Fachöffentlichkeit – so im Rahmen einer Tagung des VBK, die am 18. und 19. November 1965 in Berlin stattfand. Schon damals wurde deutlich, dass Flierls Überlegungen weit über die Idee einer bloßen ,Bekunstung von Architektur, also einer nachträglich applizierten Kunst am Bau, hinausgingen. So lautete etwa der Titel des von Flierl auf der Tagung gehaltenen Vortrags: „Wege zur Synthese [Hervorhebung T.Z.] von Städtebau und bildender Kunst. Konzeption für das Stadtzentrum von Berlin.“ 503 Synthese meinte dabei schon damals, dass Architektur und Kunst verschmelzen und eine untrennbare Einheit bilden sollten, architektonisches Entwerfen damit aber auch wieder zu einem

501 S. zu Flierl auch den Abschnitt über das Müggelturmgespräch und das anschließende DBA-Plenum (Kapitel I.3.2). 502 Seit 1965 war Flierl – nach einer kurzen Bewährungszeit (so der Eintrag „Flierl“ in den „Biographischen Datenbanken“ der Stiftung Aufarbeitung unter Verwendung des Handbuch „Wer war wer in der DDR“ [www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-warwer-in-der-ddr-%2363%3B-1424.html, zuletzt abgerufen am 24.05.2016]) beim Berliner Chefarchitekten – beim ISA der DBA angestellt. 503 AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I, Kasten 7/Mappe 3, Bruno Flierl: Wege zur Synthese von Städtebau und bildender Kunst. Konzeption für das Stadtzentrum von Berlin, Vortrag auf der Tagung des VBK, Berlin, 18./19.11.1965.

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künstlerischen Akt werden sollte. Von Anfang an lag dabei der Fokus zudem auf den Stadtzentren. Neben Bruno Flierl interessierte sich bald auch Hermann Henselmann504 für die Frage, in welchem Verhältnis Architektur und bildende Kunst zueinander stehen könnten. Grundlegende Überlegungen dazu stellte er in einem Artikel an, der im Juli 1967 in der kulturpolitischen Wochenzeitung Sonntag als Teil der Reihe „Denken für die Welt von morgen“ publiziert wurde und dessen etwas feierlicher Titel „Menschenbild und Stadtgestalt“ lautete. Wie schon so oft vollzog Henselmann in diesem Beitrag einen klugen Schachzug, der nicht nur nachhaltig zur weiteren Entwicklung von Architektur und Städtebau beitragen, sondern auch ihn selbst erneut zu einem der zentralen Akteure im Bauen der späten 60er Jahre machen sollte. Im Zentrum seiner Überlegungen stand auch nun, der ideologisch aufgeladenen, aber wenig spezifischen Forderung nach einer sozialistisch-realistischen Architektur architektonischen Ausdruck zu verleihen. Dabei gelang es ihm nunmehr erneut, in keiner Weise in den traditionellen Gestaltungsansatz der frühen 50er Jahre zurückzuverfallen und mit ästhetischen Vorstellungen zu liebäugeln, wie sie etwa Gerhard Kosel oder Hanns Hopp zu propagieren versucht hatten.505 Im Gegenteil: Ganz bewusst setzte sich Henselmann nochmals nachdrücklich von der die frühen 50er Jahre bestimmenden und offenbar immer noch diskutierten These Shdanows ab, „daß die Kunst dort kontinuierlich fortgesetzt werden müsse, wo ihre Zerstörung durch den Imperialismus begonnen habe, nämlich beim Klassizismus“506 und brandmarkte sie ohne Umschweife als fehlerhaft.507 Stattdessen sprach er sich nunmehr für eine Architektur aus, die auf „ikonographischen baukünstlerischen Zeichen“508 beruhen sollte und entwickelte damit bereits damals die Grundzüge des die Zentrumsentwürfe der späten 60er Jahre letztlich auch politisch legitimierenden Argumentationsmusters. Noch blieb jedoch einigermaßen unscharf, worauf Henselmann mit der Rede vom „ikonographischen baukünstlerischen Zeichen“ hinaus wollte. Die Stichworte, die er nachfolgend lieferte, ließen aber erahnen, worum es ihm ging. So sprach er 504 Henselmann war ab 1966 stellvertretender Direktor des ISA der DBA und leitete dort bis 1970 die so genannte Experimentalwerkstatt (vgl. hierzu Barth [2000], S. 108f. sowie Henselmann [1978], S. 37). 505 Verwiesen sei hier u.a. auf die Entwürfe von Kosel und Hopp für das Berliner Stadtzentrum Ende der 50er Jahre (hierzu u.a. Müller [2005], S. 199-202). 506 AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil II, Kasten 13/2, „Hermann Henselmann: Menschenbild und Stadtgestalt“, in: Sonntag, 09.07.1967, S. 3-7, hier S. 5. 507 „Diese revolutionären Wandlungen [freie Verfügbarkeit über Grund und Boden, Hebung des Lebensstandards für die arbeitende Bevölkerung im Sozialismus, T.Z.] vollzogen sich allerdings unter der fehlerhaften Shdanowschen These [...]“ (ebd.). 508 Ebd.

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von den „revolutionären Wandlungen“ der Gesellschaft, von der „revolutionäre[n] Veränderung des Bestehenden“ oder vom „Wege unserer Nation zu höheren Daseinsformen.“509 Etwas spekulativ und ins Blaue fabulierend schrieb er weiter: „Die gesellschaftlichen Bauten werden räumliche Tragwerke von komplizierten, aber mathematisch klug durchdachten geometrischen Gebilden sein. Die Städtebilder sind genötigt – gerade weil sie auf die ständige Bewegung der Gesellschaft eingehen müssen – ihre klassizistische Starre und ihren Reißschienenschematismus aufzugeben.“510

Auch die Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit wusste Henselmann geschickt zu bedienen, noch dazu mit einem Verweis auf ,Vordenker in Architektur und Städtebau der Sowjetunion: „Professor Borisowski, ein hervorragender Architekturtheoretiker der Sowjetunion vom Institut für Industrieästhetik in Moskau [...] weist darauf hin, daß die moderne Wissenschaft der Bionik großen Einfluß auf die Gestaltung architektonischer Räume und Bauwerke ausüben wird, und ich glaube, daß er recht hat.“511

Ohne, dass es klar ausgesprochen wurde, entstand vor dem geistigen Auge des Lesers eine Stadt, deren Bauten von skulpturaler Qualität waren und sich dazu fortschrittlicher Bautechnologien bedienten. Damit deutete sich an, dass der von Flierl ins Spiel gebrachte Gedanke einer „Synthese von Städtebau und bildender Kunst“ letztlich vor allem zu einem Vehikel für ein sehr viel individuelleres und freieres gestalterisches Arbeiten weiterentwickelt werden würde. Mit Flierl und Henselmann sind die beiden zentralen Akteure benannt, die die Konzepte für eine Bebauung der Stadtzentren in der zweiten Hälfte der 60er Jahre wesentlich mitgeprägt haben. Ausgehend von ihren Vorarbeiten entwickelte sich in den späten 60er Jahren schließlich eine weitreichende Debatte über den (bild)künstlerischen Charakter von Architektur, die in Form von Zeitschriftenbeiträgen und Tagungen ihren sichtbaren öffentlichkeitswirksamen Ausdruck fand.512 509 Ebd. 510 Ebd., S. 6. 511 Ebd. Mit der Idee vom „ikonographischen baukünstlerischen Zeichen“ versuchte Henselmann zudem, die damals auch in sozialistischen Ländern intensiv rezipierten Theorien der Semiotik für Architektur und Städtebau fruchtbar zu machen. 512 Exemplarisch verwiesen sei hier auf Lothar Kühne, „Über das Verhältnis von Architektur und Kunst. Kritische Reflexionen“, in: DA 2/1968, S. 112f.; Ders., „Bedingungen des Monumentalen in der sozialistischen Architektur“, in: DA 4/1969, S. 196f.; Wolfgang Schuster, „Gesellschaftlicher Auftraggeber und bildkünstlerische Konzeption“, in: DA 6/1969, S. 324ff.; Horst Rath, „Architektur als schöpferischer Prozeß“, in: DA

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Die Grundlagen für eine Architektur, die sich trotz der nach wie vor starren kulturund wirtschaftspolitischen Leitlinien Bewegungsspielraum verschaffte, wurden so innerhalb des ISA der DBA gelegt. Waren nach dem Müggelturmgespräch nahezu alle gestalterischen Debatten abgebrochen worden, so wurde das ISA – gerade auch dank Flierl und Henselmann – zu dem Ort, wo sie langsam wieder in Gang kamen. Vielfach ist im Zusammenhang mit den in den Bezirksstädten bald darauf errichteten Dominanten von einer Architektur der Bildzeichen gesprochen worden. Auch dieser Begriff wurde durch Bruno Flierl geprägt und von Hermann Henselmann schon 1967 als „ikonographisches Zeichen“ 513 aufgenommen. Henselmann schob seiner Architektur also nicht nachträglich das Konzept der Zeichenhaftigkeit unter, sondern hob den Zeichencharakter wiederholt und noch vor Fertigstellung der ersten Dominante hervor, um damit seinen Gestaltungsansatz zu charakterisieren. Dabei diente die Idee des baulichen Zeichens dazu, architektonischstädtebauliches Gestalten generell und noch dazu in einer individuell-modernen Formensprache erneut zu ermöglichen. Entscheidend war dabei, dass eine ikonographisch aufgeladene Architektur den Vorstellungen und Ansprüchen der Staats- und Parteiführung gleich in mehrfacher Hinsicht gerecht zu werden vermochte. So erlaubte sie es, an Lenins „Widerspiegelungstheorie“ anzuknüpfen. Immer wieder hieß es denn auch, dass die zu bauenden Zeichen zum Abbild typischer Wesenszüge einer sozialistischen Gesellschaft werden sollten.514 Auch mit dem Bestreben, an der Leitlinie des Sozialistischen Realismus festzuhalten, waren ikonographisch begründete Entwürfe damit kompatibel. Gleiches galt für die nach wie vor gültigen 16 Grundsätze des Städtebaus. So passte die Idee einer Dominante und Stadtkrone hervorragend zu den seit den 50er Jahren unternommenen Versuchen einer Hierarchisierung des Stadtraums durch die Bildung gesamtstädtischer, aber auch den einzelnen Wohnkomplexen zugeordneter Zentren. Die zentralen Gebäude versprachen jene Bezugs- und Orientierungspunkte zu werden, die im Stadtbild inzwischen so schmerzlich vermisst wurden. Denn die 10/1969, S. 581; Alfred Hoffmann, „Aktuelle Probleme der Synthese von Architektur und bildender Kunst“, in: DA 4/1970, S. 196f.; Carl-Otto Winkler, „Gedanken zur Verwirklichung der Synthese von Architektur und bildender Kunst“, in: DA 6/1970, S. 326; Bernhard Geyer, „Synthese von Architektur und bildender Kunst. Erfahrungen und Schlußfolgerungen“, in: DA 8/1970, S. 483ff.; Peter Gerlach/Kurt Milde, „Zur Zeichenfunktion der architektonischen Form“, in: DA 3/1971, S. 149. Darüber hinaus fanden u.a. 1968 eine Tagung „Architektur und bildende Kunst“ (hierzu DA 6/1968, S. 378) sowie ein Seminar unter demselben Titel in Gera statt (hierzu DA 1/1969). 513 AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil II, Kasten 13/2, „Hermann Henselmann: Menschenbild und Stadtgestalt“, in: Sonntag, 09.07.1967, S. 3-7, hier S. 5. 514 So weist Bruno Flierl auf die „große Geste einer durch Bildzeichen geadelten Architektur als Bedeutungsträger neuer gesellschaftlicher Ideen“ hin (Flierl 1998b, S. 186).

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Lücken, die der Zweite Weltkrieg und teilweise auch spätere Abrissmaßnahmen hinterlassen hatten, waren in der Regel gerade in den Zentren der Städte immer noch Leerstellen geblieben. Ursache dafür war u.a. die bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre kaum kompatible Kultur- und Wirtschaftspolitik gewesen, in deren Folge Architektur und Städtebau immer wieder handlungsunfähig geworden waren.515 Eine zeichenhaft über sich selbst hinausweisende, individuelle und auch moderne Architektur vermochte dieses Dilemma zu lösen – entsprach sie doch genauso den konservativen kulturpolitischen Leitlinien wie den mit dem industriellen und typisierten Bauen verbundenen konstruktiv-technologischen Erfordernissen. Die Architektur der Bildzeichen wurde so zur Mittlerin zwischen den an der Industriemoderne einerseits und am Sozialistischen Realismus andererseits orientierten politischen Leitlinien. Dabei war sie dazu geeignet, ideologischen Überbau und technologische Grundlagen miteinander in Einklang zu bringen sowie dem Gestaltungsanspruch von Architekten gerecht zu werden. Die Vorschläge der Fachleute mussten deswegen auch auf politischer Ebene wie ein Befreiungsschlag wirken – gerade mit Blick auf die Tatsache, dass der 20. Jahrestag der DDR zunehmend näher rückte, repräsentative architektonischstädtebauliche Lösungen aber nach wie vor nicht in Sicht waren. Dankbar griff man deswegen staatlicherseits die theoretisch-gestalterischen Angebote auf, die im ISA entwickelt worden waren und die auf so hervorragende Weise mit den politischen Leitlinien zu harmonieren schienen.516 Bereits am 08. Dezember 1967 fand denn auch die entscheidende Beratung zwischen dem Präsidium der DBA und Walter Ulbricht statt. Hier wurde von politischer Seite aufgenommen, was Flierl und Henselmann im Vorfeld erarbeitet hatten. Das belegen entsprechende handschriftliche Notizen von Kurt Junghanns, der selbst an der Sitzung teilnahm.517 Zum anderen verständigte man sich darüber hinaus gleich auf die institutionellen Strukturen und organisatorischen Schritte, die eine rasche Bebauung der Stadtzentren mit zeichenhaften Dominanten ermöglichen sollten. Innerhalb der DBA sollte unter Vorsitz von Collein, Lammert, Henselmann und Gericke eine Leitgruppe gebildet werden, die drei ständigen Arbeitsgruppen vorstehen sollte. Sie alle sollten vom Arbeitsplan 515 Hierzu ausführlich die vorangehenden Kapitel. 516 Im Interesse einer nunmehr wieder repräsentativen Architektur wurden ökonomische Überlegungen trotz der nach wie vor gültigen Leitlinie des ÖSS zumindest kurzzeitig zurückgestellt. 517 „8.12.67 Beratung bei WU [Kürzel für Walter Ulbricht, T.Z.]: [...] Konzentration auf Kernpunkte; hohe künstl. Qualität d. Ensembles; indiv. Note jeder Stadtkrone; Kunst + Plastik; bestimmte Plätze verschönern“ (AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 13/12, Sitzung beim Präsidium der DBA mit Till und Ule Lammert, Herhold, Henselmann, Dezember 1967, handschriftliche Aufzeichnungen von Kurt Junghanns, Interpunktion zwecks besserer Lesbarkeit teilweise T.Z.).

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1968 entbunden werden und sich so ganz auf ihre Tätigkeit in den Stadtzentren konzentrieren können. Einbezogen werden sollten zudem Mitarbeiter aus den Bereichen Landwirtschaft und Industriebau sowie bildende Künstler aus der Akademie der Künste. Aufgabe der Leitgruppe und der Arbeitsgruppen war es, in den Bezirken Konsultationen durchzuführen und bis Februar 1968 50 Bauprojekte vorzuschlagen, über die nach Vorlage bei Walter Ulbricht im Politbüro entschieden werden sollte.518 „Gezielte Vorträge“ und „Aussprachen“519 sollten zudem helfen, die neuen Leitlinien vor Ort zu vermitteln und durchzusetzen. Aufgabe der DBA war es darüber hinaus, verstärkt den „Gleitbau [zu] entwickeln“520  eine Technologie, die für die Errichtung hoher Dominanten besonders geeignet und vor allem durch den neuen DBA-Präsidenten Werner Heynisch, einen ausgebildeten Bauingenieur, ins Gespräch gebracht und favorisiert worden war.521 Weitere handfeste Schritte folgten. Beim ISA der DBA wurde eine Experimentalwerkstatt gegründet, die sich „vor allem auf die Mithilfe bei der Entwicklung von Plänen für den Aufbau der Stadtzentren [...] im Blick auf den 20. Jahrestag der Gründung der DDR“522 konzentrieren und sich eine entsprechende Einrichtung in der Sowjetunion zum Vorbild nehmen sollte.523 Deren Leitung wiederum übernahm 518 „Bildung einer Leitgruppe: Coll[ein]., Lam[mert]., Hensel[mann], Gericke Vorsitz; 3 ständ. Arbeitsgruppen: alle v. Arb.plan 1968 entbunden, dazu Mitarbeiter von landwirtschaft [sic!] u. Industriebau; Abstimmung mit DAK [Deutsche Akademie der Künste, T.Z.]: bildende Künstler; Leitgruppe macht Konsultationen in den Bezirken über die Probleme einschl. einer Arbeitsgruppe, die einige Tage in dem Bezirk arbeitet. 1968 sollen 50 Objekte im Politbüro entschieden werden, bis Ende Febr. Vorlage bei WU“ (ebd., Interpunktion zwecks besserer Lesbarkeit teilweise T.Z.). 519 Ebd. 520 Ebd. 521 „Die Entwürfe für die Zentren u.a. Jena, Frankfurt/O., Neubrandenburg, Leipzig tragen unverkennbare Züge seiner [Henselmanns, T.Z.] Architekturauffassung, die besonders in diesem Falle auf die von Prof. Heynisch angeregte Anwendung der Gleitbauweise für plastisch-unverwechselbare Gebäude anstrebt [sic!] bei gleichzeitig energisch verringerten Bauzeiten“ (AdK Berlin, Nachlass Henselmann, 120-01-634, Lebenslauf Henselmann vom 14.04.1971). Der Verweis auf die Anwendung der Gleitbauweise diente dabei gleichzeitig dazu, die Zentrumsbebauungen als Projekte zu charakterisieren, die mit den ökonomisch-technologischen Leitlinien kompatibel waren. 522 Ebd. 523 Vgl. hierzu AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil II, Kasten 13/2, „Georgi Borissowski, Modell des neuen Atlantis“, in: Sonntag, 07.01.1968, S. 4-7 (S. 7: „Das wissenschaftliche Experiment wird zur Arbeitsmethode des sowjetischen Baumeisters. Nach dem Bau des Experimentalviertels in Moskau werden ähnliche Vorhaben auch in Kiew, Tscheljabinsk und anderen Städten in Angriff genommen. In der UdSSR ist ein

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niemand anderes als der Direktor des ISA, Hermann Henselmann. Zugute kam ihm dabei nicht nur, dass er sich als führender Kopf einer neuen zeichenhaftikonographischen Architektur etabliert hatte und weiter profilieren sollte. Anknüpfen konnte er nun auch an jene Erfahrungen, die er ab Ende der 50er Jahre gesammelt hatte  vom Beitrag zum Zentrumswettbewerb des Jahres 1958524 bis hin zur Tätigkeit als Verantwortlicher für Sonderbauten bei der DBA Anfang der 60er Jahre.525 Als die DBA-Leitung schließlich im August 1968 beschloss, alle zentralen Projekte innerhalb der nächsten Monate der Obhut des Politbüros zu unterstellen, einigte man sich außerdem auf eine Arbeitsgruppe, die die weitere Planung und Errichtung der Bauten fachlich begleiten sollte.526 Geklärt werden musste nun allerdings noch die entscheidende Frage, was genau unter einer Architektur der Bildzeichen zu verstehen war und wie sie aussehen sollte. Über einige eher unscharfe Andeutungen oder utopische Visionen hinaus war bisher wenig Konkretes erarbeitet und vorgeschlagen worden. So zielte es nicht nur auf ein bloßes in Gang setzen der Propagandamaschinerie, wenn Karl Schmiechen schon auf der ersten Unterredung mit Walter Ulbricht forderte, die Architekturdiskussion und Architekturkritik zu aktivieren und „prinzipielle Artikel“527 in der DA und im ND zu veröffentlichen. Zwar wird hier deutlich, dass es sich nicht um eine ergebnisoffene, sondern durchaus um eine von politischen Interessen geleitete PresInstitut für experimentelle Projektierung geschaffen worden. Das breite wissenschaftliche Experiment ist das prinzipiell Neue, das uns die Architektur von heute beschert“ [ebd.]). 524 Bereits damals hatte Henselmann mit dem so genannten Turm der Signale eine zeichenhafte Dominante für das Stadtzentrum vorgeschlagen. Die Kugelform des Turmkopfes wurde von ihm dabei mit ihrer auf den Sputnik verweisenden Symbolfunktion begründet (hierzu Müller [2005], S. 189-193). 525 „1960 arbeitete er [Hermann Henselmann, T.Z.] wieder hauptamtlich in der Akademie und wurde mit der Entwicklung und dem Entwurf von Sonderbauten beauftragt, u.a. mit dem Entwurf für das Haus des Lehrers. Mit Prof. Sarger entwickelte er Konstruktionen für Seilnetzbauten und mit Prof. Baade Kuppelbauten für Sporthallen aus Sandwichkonstruktionen“ (AdK Berlin, Nachlass Henselmann, 120-01-634, Lebenslauf Henselmann vom 14.04.1971). 526 „‚alle prom. Sachen bis 69 ins Politbüro‘[...] Inst.leitung plant: Anf. Jan: Festlegung d. Arbgr.mitglieder; die besten da eine Ehre; 4 Leiter: Dutschke, Kirsch, Iso[lde]. Andrä, Dr. Gibbels“ (AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 13/13, Leitungssitzung [der DBA, T.Z.] August 1968, handschriftliche Aufzeichnungen von Kurt Junghanns, Interpunktion zwecks besserer Lesbarkeit teilweise T.Z.). 527 AdK Berlin, Nachlass Junghanns, Konvolut 13/12, Sitzung beim Präsidium der DBA mit Till und Ule Lammert, Herhold, Henselmann, Dezember 1967, handschriftliche Aufzeichnungen von Kurt Junghanns.

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sedebatte handeln sollte. 528 Trotzdem aber galt zumindest der Sonntag, der auch jetzt eine wichtige Rolle spielte, nach wie vor als eine Zeitung, die die Grauzonen politischer Herrschaftsansprüche des Öfteren geschickt zu nutzen verstand. Eines jedenfalls lässt sich mit Sicherheit sagen und macht die Artikel der Fachleute trotz aller ohne Zweifel vorhandenen politischen Einflussnahme interessant. Wie bereits im Falles des Bauens der Nationalen Traditionen erwartete die politische Führung auch jetzt von den Fachleuten, gestalterische Antworten auf die neue Leitlinie eines ikonographischen Bauens zu finden. Was die politische Ebene mangels entsprechender Kenntnisse nicht leisten konnte, galt es also wie schon in den frühen 50er Jahren an die Architekten und Städtebauer zu delegieren. Die Veröffentlichungen in der Presse spiegeln demnach durchaus wider, wie einem wenig konkreten Grundgedanken nach und nach zur Praxistauglichkeit verholfen wurde. Die konkrete Umsetzung lag dann zunächst in den Händen der Experimentalwerkstatt und der dort beschäftigten Fachleute, gefolgt von den Planungsbüros, Projektierungsbetrieben und Baukombinaten vor Ort.529 528 Da eine wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR-Presselandschaft nach wie vor fehlt, kann nicht genau nachvollzogen werden, wie die Entscheidungsstrukturen in diesem Bereich aussahen und welche (auch politisch beeinflussten) Mechanismen zur Veröffentlichung der einzelnen Artikel und der dort vorgetragenen Gedanken beigetragen haben mögen. 529 Die Ausführungsplanung und Bauleitung wurde beispielsweise im Falle der von Hermann Henselmann entworfenen Dominanten nicht von Henselmann selbst, sondern von Kollegen übernommen. Henselmann wollte so offensichtlich nicht unmittelbar verantwortlich sein für die von politischer Seite auch bei den Zentrumsprojekten verlangten Kürzungen des Bauprogramms (vgl. hierzu Ulf Häder, „,Ich habe Türme gebaut – Hermann Henselmann als Architekt des Forschungshochhauses“, in: Michael Diers/ Stefan Grohé/Cornelia Meurer [Hgg.], Der Turm von Jena. Architektur und Zeichen, Jena 1999, S. 43-56). Henselmann selbst erklärte in diesem Zusammenhang, dass er den Auftraggeber mit Hilfe seiner so genannten ,Ideenentwürfe von Anfang an in den Planungsprozess einbeziehen wollte. Architektur sollte ihm damit nicht ,beigebracht , sondern mit ihm entwickelt werden (vgl. hierzu Henselmann [1978], S. 40f.). Flierl wiederum vermutet hinter diesem Phänomen eher institutionelle Ursachen: „Alle später entstandenen Bauten [Henselmanns nach dem Haus des Lehrers, T.Z.] sind auf der Grundlage seiner Ideenentwürfe von anderen Architektenkollektiven – oft stark korrigiert und verändert – projektiert und realisiert worden: der Fernsehturm in Berlin, ebenso die Turmhochhäuser in Leipzig und Jena. Das erklärt sich … strukturell aus seiner Stellung als Architekt im Bauwesen der DDR. In den frühen Jahren war er trotz aller seiner vielen Funktionen noch institutionalisierter Leiter von Projektierungskollektiven, später bei fortschreitender Arbeitsteilung und Spezifizierung im Bauwesen nicht mehr“ (Flierl 1998b, S. 189).

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Zu den ersten, die in der Presse veröffentlichten, gehörte erneut Hermann Henselmann. Hatte er bisher nur von gebauten Zeichen und neuartigen Konstruktionen gesprochen, so wurde er nun bereits ein wenig konkreter. Anfang Januar 1968 konstatierte Henselmann so beispielsweise im Sonntag, es gehe zukünftig um eine „verstärkte [...] Plastik der Baukörper“530 und knüpfte damit an seine frühere Forderung nach einem skulpturalen Bauen an. Nun aber stellte er seinen Gedanken konkrete Beispiele an die Seite, die aus seiner Sicht Vorbilder für eine entsprechende Architektursprache sein konnten: „Ich denke an Nervi in Italien, an Gandela [sic!] in Mexiko, an Sarger in Frankreich und an Niemeier [sic!] in Brasilia.“531

Gleichzeitig dienten ihm die genannten Architekten auch als Kronzeugen dafür, dass sich fortschrittliche (d.h. sozialistische) Weltanschauung und ein aus den neuesten Technologien entwickelter, individueller und moderner Gestaltungsansatz geradezu bedingten.532 Zwei Monate später, in einem Artikel für die Zeitschrift Weltbühne, ging Henselmann noch weiter. Statt nur von einer verstärkten Plastik der Baukörper zu sprechen, setzte er „das Gebäude selbst“ nun mit einer „Großplastik“ bzw. „Architekturskulptur“533 gleich. Damit stellte er eine unmittelbare Verbindung zwischen der Architektur und einem die Abbildfunktion von Kunst betonenden Sozialistischem Realismus her. Ein Gebäude, das nach Henselmanns Vorstellung zugleich als Bildwerk begriffen wurde, würde den damit verbundenen Vorstellungen sehr viel müheloser gerecht werden können, gleichzeitig aber  und das war der entscheidende Kniff der Argumentation aus der Sicht der Architektenschaft  zwangsläufig wieder Ergebnis eines gestalterischen Prozesses werden müssen. Bruno Flierl wiederum griff diesen Gedanken später unter Bezugnahme auf Henselmann auf und sprach nicht nur von der Abbildhaftigkeit von Architektur, sondern schrieb ihr ähnlich wie der bildenden Kunst auch das Vermögen zu, Affekte und 530 AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil II, Kasten 13/2, „Hermann Henselmann, Was uns zu tun aufgegeben ist“, in: Sonntag, 07.01.1968, S. 3 u. 7, hier S. 3. 531 Ebd. 532 „Und es ist kein Zufall, daß diese bedeutenden Persönlichkeiten [Nervi, Candela, Sager, Niemeyer T.Z.] auch in ihrer gesamten Weltanschauung progressiv sind“ (ebd.). 533 Hermann Henselmann, „Unsere Stadtzentren“, in: Die Weltbühne 10, 05.03.1968, S. 306, zitiert nach AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I, Kasten 8/Mappe 1, DBA, ISA, Abt. Theorie und Geschichte, Problemdiskussion über die sozialistische Architekturentwicklung in der DDR am 16.09.1970, Bruno Flierl, Probleme des Strukturund Gestaltwandels der Stadt, Einführung in die Problemdiskussion (Internes Diskussionsmaterial für die Mitglieder der Konsultationsgruppe „Architekturtheorie“ beim ISA der DBA, nicht zur Verbreitung über diesen Kreis hinaus bestimmt).

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Emotionen auszudrücken. 534 In einem weiteren Artikel wurde im ND schließlich daran erinnert, dass die Architektur immer schon als Mutter der Künste angesehen worden sei.535 Das aber bedeutete letztlich auch, dass sie qualitativ den bildenden Künsten gleichzustellen war. Noch spezifischer wurde Ernst Ullmann, der später für die Ausführungsplanungen von Hermann Henselmanns Leipziger Universitätshochhaus verantwortlich zeichnete. Auch Ullmann forderte ein, „daß Architektur Baukunst sein muß.“536 Damit wurde nochmals deutlich, wie rasch sich der über lange Jahre vor allem utilitaristisch argumentierende Architektur- und Städtebaudiskurs inzwischen erneut um kulturell-künstlerische Dimensionen anzureichern begann. Vor allem aber wollte Ullmann das Bauwerk als „Informationsquelle“ verstanden wissen, die Auskunft gebe „über die zur Zeit seiner Errichtung herrschenden Produktionsverhältnisse, über den Stand der Produktivkräfte und über die die Zeit bewegenden Ideen und Vorstellungen.“537 Auch Ullmann argumentierte also im Sinne einer an Gestaltung interessierten Architektenschaft dafür, dass eine als Baukunst verstandene Architektur stets Rückschlüsse auf ihre gesellschaftlichen Entstehungsvoraussetzungen zulassen musste. Um dies unter sozialistischen Verhältnissen leisten zu können, musste Architektur im Umkehrschluss also auch dort Baukunst und – so Ullmann – „Zeichen“ sein, das „der Wissende ‚Lesen‘ [sic!] kann.“538 Bei näherer Betrachtung wird sehr schnell klar, dass hier keine wirkliche theoretische Debatte geführt wurde. Das lag nicht nur daran, dass die Architekten den Auftrag hatten, offizielle Partei- und Regierungspolitik fachlich auszugestalten und mit konkreten Inhalten zu füllen. Dies galt vielmehr auch für die Art und Weise, mit der die Fachleute ihre Grundidee eines ikonographischen Bauens nun fortspannen. Keiner ihrer Beiträge steuerte beispielsweise wirklich neue Aufschlüsse über die spezifischen Eigenschaften von Architektur und Städtebau bei. Dass Bauen vor dem Hintergrund ideengeschichtlicher, politischer, ökonomischer und allgemeingesellschaftlicher Rahmenbedingungen zu verstehen war und diese auch widerspiegelte, war nicht nur intuitiv einsichtig, sondern begann sich auch innerhalb der architek534 Ebd., unter Bezugnahme auf Henselmanns Weltbühne-Beitrag. 535 AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil II, Kasten 13/2, Manfred Teufel, „Mutter der Künste?, Beitrag VI der Reihe Baukunst – Kunst am Bau – Monumentalität“, in: ND, 21.07.1968, S. 4. 536 Ebd., Ernst Ullmann, „Dominante und (oder) Zweckbau? Die neue Karl-MarxUniversität in Leipzig und die Baukunst“, Beitrag VIII der Reihe Baukunst – Kunst am Bau – Monumentalität, in: ND, 16.08.1968, S. 4. Architektur sollte nach Ullmann vor allem dort Baukunst sein, „wo es sich um die Errichtung großer gesellschaftlicher Anlagen handelt“ (ebd.), also u.a. in den Zentrumsbereichen der großen Städte. 537 Ebd. 538 Ebd.

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turhistorischen Forschung zunehmend durchzusetzen.539 Ähnliches ließ sich für jene Aussagen feststellen, die die Texte in ästhetischer Hinsicht machten. Architektonisches Entwerfen als eine mit Kunst und Skulptur verwandte Disziplin aufzufassen war allgemeiner Konsens und ein bloßer Allgemeinplatz. So waren es statt handfester inhaltlicher eine ganze Reihe anderer Aspekte, die die vom ISA initiierte und im Anschluss von politischer Seite forcierte Beschäftigung mit dem ikonographisch-zeichenhaften Charakter von Architektur und Städtebau gerade für die vorliegende Untersuchung zum Architektenberuf so interessant machten. Nach einer langen Durststrecke und zahlreichen, letztlich erfolglosen Versuchen ihrer Überwindung hatten es die Fachleute nunmehr auf einfachste Art und Weise geschafft, die Frage individuellen Gestaltens durch deren geschickte politisch-ideologisch kompatible Begründung erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Nötig war dafür paradoxerweise nicht ein ausgefeiltes, vom historischen Materialismus ausgehendes Theoriekonzept, um das sich beispielsweise Kurt Junghanns, Hans Schmidt und andere schon seit Jahren mit gleichbleibender Erfolglosigkeit bemühten.540 Erfolg hatte nun vielmehr ein ,theoretisches Angebot, das auf simpelste, letztlich aber äußerst kluge Art und Weise mit Schlüsselwörtern operierte, die passgenau auf den Sozialistischen Realismus und damit das grundlegende kulturpolitische Mantra der Staats- und Parteiführung zugeschnitten waren. Ob es ,ikonographisches Bauen, ,Zeichencharakter, ,Abbildfunktion oder ,Informationsquelle war – jeder dieser Begriffe war letztlich auf die geforderte Widerspiegelungsfunktion von Architektur zugeschnitten. Dass die dabei hergestellten Zusammenhänge eher oberflächlicher Natur waren, fiel letztendlich kaum ins Gewicht. Vielmehr dienten sie vor allem dazu, auch den staatlichen Auftraggeber von einem Planen und Bauen zu überzeugen, das weit über die Leitlinien des NÖSPL bzw. ÖSS hinausging und erneut von dezidiert künstlerisch-repräsentativem sowie individuellem gestalterischem Anspruch war. Mit dem Diskurs um ein ikonographisches Bauen kehrten damit Ansätze jener Aufbruchsstimmung zurück, die für Architektur und Städtebau der frühen 60er Jahre charakteristisch gewesen waren. Nach Jahren der Lähmung und Erstarrung wurde es für Architekten nun wieder attraktiv, über gestalterische Fragen nachzudenken. Möglich wurde es darüber hinaus, sich für eine moderne, individuelle Gestaltung zu interessieren, ohne automatisch von politischer Seite zurechtgewiesen zu werden. Die alten, am Leitbild des Sozialistischen Realismus orientierten Glaubenssätze, die, wie oben ausgeführt, noch 539 Das galt vor allem für eine in zunehmendem Maße an kulturhistorischen Zusammenhängen interessierte Architekturgeschichtsschreibung. 540 Auch Bruno Flierl gehörte dem Kreis um Schmidt an, hatte aber durch seine Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Architektur und bildender Kunst einen weiteren Interessenschwerpunkt ausgebildet, der von der Architektur- und Städtebautheorie bislang weitgehend unberücksichtigt gelassen worden war.

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1968 etwa von der DBA wiederholt worden waren, behielten zwar weiterhin ihre Gültigkeit. Im Alltag half die Theorie des gebauten Zeichens letztlich aber, ideologische und teilweise auch ökonomische Barrieren auf pragmatische Weise zu überwinden. Damit hatten die von fachlicher Seite lancierten und von der Politik dankbar aufgegriffenen Überlegungen auch zur Folge, dass der architektonische Entwurf selbst einen neuen Stellenwert erhielt und vermehrt wieder zu einem wesentlich wichtigeren Bestandteil der Architektenarbeit werden konnte. Was ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre in zahlreichen Stadtzentren gebaut wurde, konnte sich qualitativ durchaus wieder mit den Projekten, die zu Beginn des Jahrzehnts realisiert worden waren, vergleichen lassen. Zu nennen sind hier an erster Stelle die nach Ideenentwürfen 541 von Hermann Henselmann errichteten Dominanten. In Berlin etwa wurde sein beinahe zehn Jahre früher angefertigter Zentrumsentwurf mit dem damals von ihm vorgeschlagenen Turm der Signale aufgegriffen, um nunmehr in Form des Fernsehturms als weithin und vor allem bis nach West-Berlin sichtbare Stadtkrone realisiert zu werden. Sie stand für den aufstrebenden und sich durch NÖSPL und ÖSS tatsächlich konsolidierenden Staat, wurde aber auch mit der Raumfahrt und dem im Kräftemessen des Kalten Krieges so entscheidenden Sputnik-Start in Verbindung gebracht. In Leipzig und Jena wurden nach Henselmanns Vorstellungen Hochhäuser realisiert. Vor allem der Leipziger Entwurf war mit seiner in Grund- wie Aufriss organisch-geschwungenen Form von großer gestalterischer Prägnanz. Er griff zwar unterschiedlichste Vorbilder auf542, stellte letztlich aber eine durchaus eigenständige Entwurfsleistung dar. In Jena war das Grundkonzept – ein rundes Punkthochhaus – konventioneller, aber ebenfalls auf der Höhe der Zeit. So drängen sich etwa Assoziationen zu Bertrand Goldbergs Chicagoer Marina City auf. Hinsichtlich ihres Zeichencharakters ließen die Entwürfe ausreichend Raum für Interpretationen. In Leipzig wurde später von einem aufgeschlagenen Buch oder einer entrollten Fahne gesprochen, während Jena als geplantes Forschungsgebäude des VEB Carl Zeiss mit einem Fernrohr assoziiert wurde. Die ursprünglich vorgesehenen bullaugenartigen und gewölbten Fenster brachte man zudem mit optischen Linsen in Verbindung. Anderenorts gerieten die Planungen um einiges plakativer. In diese Kategorie gehören vor allem die nicht mehr realisierten Planungen für Rostock, Magdeburg und Halle. Sollte an der Ostseeküste ein segelbzw. schiffsbugförmiges Hochhaus die maritim-hanseatische Prägung der Stadt unterstreichen, so wurde in der Salinenstadt Halle die Form eines Salzkristalls gewählt. Beinahe parodistisch muteten schließlich Henselmanns Entwürfe für Plauen 541 Letztlich gingen nur die gestalterischen Ideen auf Hermann Henselmann zurück, während die Ausführungsplanung andere Architekten übernahmen (hierzu ausführlicher Fußnote 529). 542 Exemplarisch verwiesen werden soll hier auf Gestaltungsansätze von Jørn Utzon, Oscar Niemeyer und Alvar Alto. Weitere Beispiele ließen sich anführen.

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an, wo eine amöbenhaft anmutende Bebauungsstruktur Erinnerungen an die berühmten ,Plauener Spitzen wecken sollte.543 Dass der Zeichencharakter – egal, ob von Anfang an vorgesehen oder nachträglich zugeschrieben – eher oberflächlicher Natur war, lag gerade bei solchen Beispielen auf der Hand.544 Auf vermeintliche oder tatsächliche Eigenheiten des Sozialismus nahmen die ,Bildzeichen kaum Bezug. Sie hatten denn auch eher die Anmutung von Markenzeichen, die für die historischen, touristischen oder wirtschaftlichen Besonderheiten des jeweiligen Ortes standen. Die Tatsache, dass die Architekten damit ihre eigene Theorie ad absurdum führten, offenbarte jedoch nicht nur eine ihrer wesentlichen Schwächen. Denn wie sich Sozialismus zeichenhaft widerspiegeln sollte, wurde hier zwar erneut nur unzureichend geklärt, lag aber – wie bereits erläutert – auch nicht im primären Interesse der Fachleute. Insofern war es letztlich auch nur konsequent, dass die Architektur bei genauerer Betrachtung erkennen ließ, dass sie in erster Linie gar nicht die gebaute Umsetzung einer wirklich tragfähigen Idee sozialistisch-realistischen Entwerfens war. Die baulichen Resultate sprachen vielmehr ebenfalls dafür, dass es in erster Linie um neue Möglichkeiten individueller gestalterischer Arbeit ging. Genau in dieser Hinsicht waren die während der zweiten Hälfte der 60er Jahre geplanten und gebauten Projekte letztlich auch wirklich bedeutsam. Sie setzten einem politisch bedingten gestalterischen Stillstand ein – zumindest vorläufiges  Ende und drangen zu einer völlig neuen Qualität von Architektur und Städtebau vor. Die Frage, ob die als ikonographisch apostrophierte Architektur auf einer wirklich neuen und eigenständigen Theorie fußte, ist damit 543 Zur Symbolik der Bauten Flierl, 1998b, vor allem S. 183-186. An der Oberflächlichkeit des bildhaften Charakters wurde schon damals Kritik geübt, etwa durch Edmund Collein: „Aus dem Bestreben heraus, nun von einer bestimmten Monotonie wegzukommen, von einem bestimmten Schematismus, gibt es vielleicht Wege hier, die zumindest Anlaß zu Zweifel auch geben. Ich persönlich habe keine großen Beziehungen zu den symbolischen Dingen, die nun aus irgendwelchen sehr kurzgeschlossenen Überlegungen entstehen, Rostock liegt am Meer, also ein Segel. Das ist für mich zunächst einmal noch keine gültige Aussage“ (SAPMO, DY 15/25 [BdA], Protokoll Diskussion über die Zentrale Ausstellung „Architektur und bildende Kunst“ im Rahmen der BdABuV-Sitzung, 31.10.1969). 544 So schreibt denn auch Bruno Flierl, der der Bildzeichenarchitektur auch nach 1990 einen tiefgehenderen theoretischen Gehalt zu attestieren bemüht war, unter Bezugnahme auf die beiden letztgenannten Entwürfe: „Sie machen anschaulich, wie die anfangs sicher ernstzunehmende große Geste einer durch Bildzeichen geadelten Architektur als Bedeutungsträger neuer gesellschaftlicher Ideen – nämlich Hochhaustürme als Zeichen geistig-kultureller Aktivität und Dominanz über der Stadt in den Himmel zu bauen wie einst die Kathedralen des Mittelalters – zum bloßen Dekorativismus verkam“ (Flierl [1998b], S. 186).

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letzten Endes ebenfalls zweitrangig. Entscheidend war vielmehr, dass Architekten mit Hilfe dieser ,Theorie wieder internationale Strömungen aus Ost und West aufgreifen, auf eigene Weise weiterverarbeiten und so auch zu neuen Lösungen finden konnten. In den Zentren einiger Städte entstand nunmehr eine qualitativ äußerst hochwertige Architektur, die die Architekturgeschichte der Nachkriegszeit nachhaltig bereichert hat. Das ikonographische Bauen hat auf diese Weise Architektur und Städtebau, aber auch die Architekten selbst zumindest teilweise über die ökonomisch dominierte Baupolitik des ÖSS hinweggerettet. Die Begrenztheit des Konzeptes Dennoch haftete der beschriebenen Entwicklung auch etwas Problematisches an. Von Anfang an verengte sich nämlich der Fokus, unter dem unter ideologischen Prämissen über das Zusammenspiel von Architektur und bildender Kunst nachgedacht wurde, auf das Bauen in den Stadtzentren. Diese Entwicklung war durchaus verständlich. So interessierte sich die Staats- und Parteiführung angesichts des stetig näher rückenden 20. Jahrestages der DDR vor allem für Konzepte, die ein Bauen in diesem Bereich ermöglichten. Die Auswirkungen auf Architektur und Städtebau insgesamt blieben jedoch eher gering. Die Folge war, dass Planen, Bauen und Architektenarbeit unter einem zunehmenden Gegensatz zwischen städtischem Zentrum einerseits sowie urbaner bzw. ländlicher Peripherie andererseits zu leiden begannen. Dieser Gegensatz machte sich vor allem in zweifacher Hinsicht bemerkbar. Zum einen wurde architektonisches Gestalten mit Hilfe eines von den Architekten als ikonographisch beschriebenen Bauens zwar wieder sehr viel eher möglich, konzentrierte sich aber auf Dominanten und herausgehobene städtebauliche Zusammenhänge in den Stadtzentren. Hier stand im Vorfeld des Staatsjubiläums ein Finanzvolumen zur Verfügung, das abseits solch zentraler Projekte fehlte. Diese nämlich blieben weiterhin dem Diktat strikter ökonomischer Vorgaben und knapper finanzieller Ressourcen unterworfen. Architektur als Baukunst blieb die Ausnahme, Architektur als Produkt und Erzeugnis hingegen die Regel  mit allen Folgen für die Architektentätigkeit. Zum anderen war die Architektenarbeit im Falle einiger weniger repräsentativer Bauvorhaben hochgradig personalisiert und individualisiert, während die große Masse der Neubauten weiterhin unter den Vorzeichen einer zunehmend anonymisierten Typisierung und Serienfertigung entstand. So kristallisierte sich gegen Ende der 60er Jahre bald eine ähnliche Struktur heraus, wie es sie bereits gut anderthalb Jahrzehnte zuvor mit den drei Meisterarchitekten gegeben hatte: Architektur verband man gerade auch in der öffentlichen Wahrnehmung mit einigen wenigen Leitsternen – allen voran Hermann Henselmann. Die Mehrzahl der Architekten blieb einer größeren Öffentlichkeit aber weiterhin unbekannt und wurde kaum wahrgenommen. Von einer umfassenden Aufwertung der Architektenarbeit und des Architektenberufs konnte also keine Rede sein.

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Reichweite und Wirkung des ikonographischen Bauens war also äußerst begrenzt. Es stellte – trotz der unbestreitbaren Qualität vieler mit ihm verbundener Entwürfe  weder für das Planen und Bauen im Allgemeinen noch für den Architektenberuf im Besonderen eine nachhaltige Perspektive dar. Das fachliche Engagement einiger Architekten und Städtebauer hatte damit zwar örtlich und zeitlich begrenzt einiges bewirkt, blieb aber, indem es das große Ganze und die alltägliche Realität vieler Kolleginnen und Kollegen aus den Augen verlor, ein bloßer Tropfen auf den heißen Stein. Das machte sich vor allem bemerkbar, als die Zentrumsplanungen Anfang der 70er Jahre endgültig aufgegeben wurden. Damit stellte sich nicht nur zum wiederholten Male die Frage, wie es mit Architektur und Städtebau der DDR weitergehen sollte. Für die bislang mit den städtebaulichen Dominanten und zentralen Stadträumen betrauten Architekten brach zugleich eine der wesentlichen Perspektiven der letzten Jahre weg. Auch für sie ging es nun wieder um jene Frage, die für viele andere Architekten in der zweiten Hälfte der 60er Jahre immer aktuell geblieben war: wie nämlich ein zukunftsfähiges Berufsbild des Architekten im DDR-Staatssozialismus und eine nicht alleine an Produktivitäts- und Sparsamkeitskriterien ausgerichtete Architektenarbeit aussehen könnten. Wie in den folgenden beiden Kapiteln nachgezeichnet werden soll, sollte es im Laufe der 70er und 80er Jahre viele verschiedene Ansätze geben, diese Frage zu beantworten.

II. Konsolidierung und strategische Anpassung: Der Architektenberuf der 70er Jahre

II.1 M ACHT - UND P OLITIKWECHSEL : E IN B ERUFSBILD IM W ANDEL II.1.1 „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, WBS 70 und Architektenberuf: Die weitere Unterordnung unter Ökonomie und Technologie Der Macht- und Politikwechsel Im Mai 1971 wurde Erich Honecker zum Ersten Sekretär der SED ernannt und löste damit Walter Ulbricht ab, der diese Funktion seit Gründung der Partei innegehabt hatte.1 Mit dem Wechsel war einerseits eine bemerkenswerte Kontinuität verbunden. 2 Andererseits aber markierte er auch einen klaren Bruch mit der UlbrichtPolitik der späten 60er Jahre. Nicht in Frage gestellt wurden nach wie vor der Führungsanspruch der Partei und die damit verbundenen ideologischen Grundfesten.3 Darüber hinaus blieben die meisten der hauptamtlichen Funktionäre in Amt und Würden. Im Bereich des Bauwesens waren dies an zentraler Stelle der für Wirt-

1 2

Hierzu u.a. Weber, S. 372. So auch, wie weiter unten dargestellt werden soll, im Bereich von Architektur und Städtebau sowie des Architektenberufs.

3

„Nach dem VIII. Parteitag der SED 1971 versuchte die Honecker-Führung, die wirksamsten Herrschaftsmechanismen zur Erhaltung des Systems und der ,führenden Rolle der Partei zu finden. Voraussetzung blieb eine geschlossene und schlagkräftige Parteiorganisation, entscheidend war der innere Zustand der Partei. Straffe Parteidisziplin (,eiserne Disziplin ) und hierarchischer Zentralismus engten den ,demokratischen Zentralismus auch nach 1971 ein“ (Weber, S. 375).

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schaftsfragen zuständige ZK-Sekretär Günter Mittag, Gerhard Trölitzsch als Leiter der Abteilung Bauwesen im ZK und Bauminister Wolfgang Junker. Abstand nahm Honecker aber von Anfang an von den seit den 60er Jahren immer wieder unternommenen Versuchen, die äußerst enge Bindung an die Sowjetunion zu lockern und die Eigenständigkeit der DDR stärker zu betonen.4 Auch die von Ulbricht unternommenen wirtschaftspolitischen Reformen wurden nach und nach zurückgenommen. Sie hatten als NÖSPL bzw. später als ÖSS das Konzept der ,materiellen Interessiertheit und der ,Eigenerwirtschaftung der Mittel zur tragenden Säule in den Betrieben gemacht und damit auch einer Dezentralisierung der Wirtschaftsstrukturen Vorschub geleistet. Die stetige ökonomische Konsolidierung während der 60er Jahre sprach zwar für diesen Ansatz. Er barg aus Sicht der Parteiführung aber auch eine Reihe von Gefahren, die von konservativen Funktionären schon seit langem als problematisch erachtet wurden. So fürchtete man, dass sich das Wirtschaftssystem zu sehr verselbständigen und vom Einfluss der Partei abkoppeln könnte.5 Auftrieb hatte der reformkritische Kurs zuvor bereits bekommen, als die wirtschaftliche Entwicklung während der letzten Ulbricht-Jahre an Fahrt verlor. Während mit Blick auf die Systemkonkurrenz und unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Konsolidierung der frühen 60er Jahre die Losung ,Überholen ohne einzuholen ausgerufen worden war, war nun alleine das bloße Einholen erneut in immer weitere Ferne gerückt: „Es war ihr [der DDR, T.Z.] in den sechziger Jahren nicht gelungen, den Anschluß an den Lebensstandard in der Bundesrepublik zu erreichen, vielmehr hatte sich der Abstand zwischen beiden deutschen Staaten weiter zu Ungunsten der DDR vergrößert. Im Dezember 1970 zog die 14. Tagung des ZK der SED die Bilanz dieser Entwicklung und des Fünfjahresplanes 4

„Bewußt wurde die Ulbricht-Periode verdrängt, alle Veränderungen nach dessen Abgang stark betont und dadurch die Politik der Honecker-Führung überpointiert und demonstrativ als etwas Neues herausgestellt [...] Das galt [neben anderem, T.Z.] für die Distanzierung vom sowjetischen Modell Ende der sechziger Jahre“ (ebd., S. 373f.).

5

„In der SED-Spitze selbst setzte sich nunmehr die Vorstellung vom Primat der Politik gegenüber technokratischen Tendenzen durch. Das spiegelte sich in der Parteiführung selbst wider. Während in den sechziger Jahren die neu aufrückenden Kandidaten des Politbüros und die neuen ZK-Mitglieder zunehmend Fachleute (vor allem Wirtschaftler) waren, zeichnete sich unter Honecker ein neuer Trend ab: Die Technokraten wurden zurückgedrängt, ins Politbüro kam eine Reihe junger Parteiführer, die eine typische Apparatkarriere durchlaufen hatten und vor allem politische Aufgaben lösen sollten“ (ebd., S. 375). „Zugleich erprobte die Führung neue Formen der Anleitung des ökonomischen Systems, die faktisch ,in entscheidenden Fragen der Planung und Leitung der Wirtschaft eine Rückkehr zur zentralen administrativen Wirtschaftssteuerung bedeuteten“ (ebd., S. 390).

K ONSOLIDIERUNG

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von 1966 bis 1970. Die Industrieproduktion war jährlich um über sechs Prozent gewachsen [...], doch wesentliche Ziele des Fünfjahresplanes konnten nicht erreicht werden [...] Gerade die Prognosen für 1969 und 1970 wurden nicht realisiert; die Arbeitsproduktivität blieb um die Hälfte unter dem Soll, und die Parteiführung mußte Mangelerscheinungen bei der Versorgung der Bevölkerung eingestehen.“6

Gerade letzteres ließ bei der Staats- und Parteiführung die Alarmglocken schrillen und verschärfte die Kritik an Ulbrichts Kurs. Vorgeworfen wurde ihm bald das zunehmende Aufweichen planwirtschaftlicher Prinzipien. Erich Honeckers gleich nach Amtsübernahme geäußerte Verlautbarung, die DDR-Wirtschaft könne auf Dauer „‚allzuviele außerplanmäßige Wunder‘ nicht verkraften“7, spielte zwar auf die baldige Rückkehr zu sehr viel rigideren planwirtschaftlichen Strukturen an, passte jedoch auch – obwohl sicherlich eher unbeabsichtigt – zur Baupolitik der späten 60er Jahre. Während damals das Wohnungsbauprogramm weit hinter dem Plansoll zurückgeblieben war8, hatte man sich vor allem auf die mit viel Aufwand errichteten Zentrumsbebauungen konzentriert. Honecker hingegen erklärte nun dezidiert die verbesserte Versorgung mit Konsumgütern und die Ausweitung sozialpolitischer Programme9 zu zentralen Zielen seiner Politik. Das Programm der ab 1971 ausgerufenen und vom IX. Parteitag 1976 bestätigten so genannten ,Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik setzte sich dabei klar von der unter Ulbricht verfolgten politischen Linie ab. So schreibt Hermann Weber mit Blick auf das ebenfalls 1976 verabschiedete neue Parteiprogramm der SED: „Während im alten Programm noch der ,gesellschaftliche Nutzen vor das ,persönliche Interesse gestellt war, stand nun an der Spitze der ,Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik die ,Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus , sollte das ,Leistungsprinzip mit der Minderung sozialer Unterschiede verbunden werden.“10 6

Ebd., S. 369.

7

Ebd., S. 373.

8

„Erschwerend kam gerade in den sechziger Jahren das Wohnungsproblem hinzu, denn die Planziele für Renovierung und Neubau von Wohnungen wurden nicht erfüllt, die Wohnqualität war auch durch die zu kleinen Räumlichkeiten beeinträchtigt“ (ebd., S. 352).

9

„Im April 1972 beschlossen die Führungen von SED und FDGB gemeinsam mit dem Ministerrat grundlegende sozialpolitische Maßnahmen. Renten und Leistungen der Sozialfürsorge für über drei Millionen Menschen wurden erhöht, Vergünstigungen für berufstätige Mütter eingeführt, für zahlreiche Arbeitnehmer stiegen die Löhne. Im September 1973 wurde das ‚sozialpolitische Programm‘ durch Verfügungen im Gesundheitswesen ergänzt“ (ebd., S. 390).

10 Ebd., S. 403.

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Die Bezeichnung ,Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sollte dabei auch illustrieren, dass die Teilhabe der Bevölkerung am wirtschaftlichen Fortschritt von einer entsprechenden Steigerung der Produktivität abhängig gemacht werden sollte.11 Vor dem Hintergrund eines solchen konsumorientierten Anreizsystems glaubte die Staats- und Parteiführung, auf die dezentralen und sich der Steuerbarkeit angeblich mehr und mehr entziehenden Strukturen des ÖSS verzichten und zu einem umfassend gelenkten planwirtschaftlichen System zurückkehren zu können. Wachstum sollte nunmehr vor allem durch Rationalisierung und Intensivierung erzielt werden.12 Der Erfolg blieb zunächst nicht aus. Vor allem während der ersten Hälfte der 70er Jahre und unter den Bedingungen eines auch international günstigen ökonomischen Klimas stieg das Lebensniveau zunächst kontinuierlich.13 Damit verabschiedete sich die Staats- und Parteiführung zwar einerseits von der Utopie des ,Überholens ohne Einzuholen. Auf der anderen Seite aber konnte nun jeder Einzelne auf eine stetige Verbesserung seiner persönlichen Lebensumstände hoffen. Statt für das Projekt eines den Kapitalismus auf die Plätze verweisenden Sozialismus arbeitete man nun vor allem für ein mit dem Westen möglichst rasch gleichziehendes Konsumniveau. An die Stelle einer ohne Zweifel vielfach deformierten gesamtgesellschaftlichen Vision trat so das Ziel, das materielle Glück jedes Einzelnen zu maximieren und damit das politisch-gesellschaftliche System als Ganzes zu stabilisieren. Ideologisch wurde zwar an der Kollektivierung festgehalten, im Alltag wurde ihr jedoch eine zunehmende Individualisierung der Interessen an die Seite gestellt.14 Von dieser wirtschafts- und sozialpolitischen Neuausrichtung waren letztlich auch Architektur, Städtebau und der Architektenberuf betroffen. Die Veränderungen in der Baupolitik und die WBS 70 Das deutete sich bereits an, als die DA ihren Bericht über den VIII. Parteitag des Jahres 1971 mit zwei rhetorischen Fragen eröffnete: 11 „Der Parteitag unterstrich die ‚Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik‘, was im Klartext hieß, die Bevölkerung sollte teilhaben an den Fortschritten der Wirtschaft, aber die sozialen Verbesserungen waren abhängig von der Steigerung der Produktivität“ (ebd., S. 400). 12 „Dabei sollte Wachstum vor allem durch Intensivierung und Rationalisierung erreicht und durch eine Erweiterung der Konsumgüterindustrie die Lage der Bevölkerung verbessert werden“ (ebd., S. 390). 13 Palutzki spricht in diesem Zusammenhang von einer „wirtschaftlichen Konsolidierung, die sich in der Phase zwischen 1971 und 1976 ergeben hatte und dazu führte, daß die DDR den höchsten Lebensstandard der RGW-Staaten aufwies“ (Palutzki, S. 291). 14 Zu diesem u.a. auf entsprechende Überlegungen Wolfgang Englers zurückgehenden Gedanken ausführlicher Kapitel III.3.3.

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„Haben wir uns nicht in den letzten Jahren manchmal von unrealistischen oder formalästhetischen Höhenflügen berauschen lassen und dabei einfache Notwendigkeiten des Lebens übersehen? War nicht die Gefahr vorhanden, vor lauter ‚Systemen‘ den Menschen und seine dringenden Bedürfnisse aus dem Blickfeld zu verlieren?“15

Wie in einem Brennglas bündelte sich in diesen beiden Fragen gewissermaßen das baupolitische Programm der kommenden Jahre. Von den angeblichen architektonischen Extravaganzen, mit denen man vor allem die in den Vorjahren entstandenen Bebauungen der Stadtzentren meinte, sollte Abstand genommen und stattdessen das drängende Problem des nach wie vor umfassenden Wohnraummangels angegangen werden. Auf fachlicher Ebene waren entsprechende Überlegungen schon ein gutes Jahr zuvor und damit noch unter Walter Ulbricht diskutiert worden. So hatte Edmund Collein auf einer BdA-BuV-Parteigruppensitzung im Dezember 1970 angemerkt: „Eine Frage, die natürlich bei den nächsten Bezirkskonferenzen eine größere Rolle spielen muß, und um die wir ebenfalls keinen Bogen machen können, ist die des Wohnungsbaus. Es wurde zu sehr nur von den Zentren gesprochen. Selbstverständlich spielt das eine große Rolle, aber wir wissen, wie brennend augenblicklich das Problem [...] ist, und ich bitte, daß die Bezirksvorsitzenden dafür sorgen, daß in ihrem Bericht bezw. in der Diskussion die konkrete Situation des Wohnungsbaus angesprochen wird, damit wir uns nicht den Vorwurf einhandeln, wir machten hier einen Bogen um ein solch brennendes Problem.“16

Noch konkreter wurden die Forderungen während einer BdA-BuV-Sitzung vom Dezember des gleichen Jahres: „Die Führungsgrößen 1971 mit der konsequenten Konzentration der Investitionen auf die strukturbestimmenden Zweige, den Wohnungsbau unter Einbeziehung der Schulen und Kindereinrichtungen sowie die Fortführung und kurzfristige Fertigstellung der laufenden Bauten in den wichtigsten Stadtzentren müssen einhergehen mit der Konzentration der Vorbereitung auf diese Maßnahmen.“17

Deutlich wurde hier, dass eine grundsätzliche Neuausrichtung der Baupolitik schon unter Walter Ulbricht eingeleitet werden sollte. Intensiviert und stärker in den Vordergrund gerückt wurden diese Pläne jedoch vor allem auf dem VIII. Parteitag des 15 Gerhard Krenz, „VIII. Parteitag der SED: Alles für das Wohl der Menschen“, in: DA 8/1971, S. 453, zitiert nach Palutzki, S. 296. 16 SAPMO, DY 15/26 (BdA), Protokoll BdA-BuV-Parteigruppensitzung, 19.02.1970, S. 63. 17 SAPMO, DY 15/27 (BdA), Protokoll 11. BdA-BuV-Sitzung, 04.12.1970, Diskussionsbeitrag Dorn, S. 20.

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Jahres 1971. Hier wurde ein Wohnungsbauprogramm initiiert, nach dem „von 1971 bis 1975 500˙000 und bis 1980 700˙000 bis 800˙000 Wohnungen errichtet oder modernisiert werden“18 sollten und das zugleich den Systemvorsprung unter Beweis stellen sollte.19 Die Projekte für die Stadtzentren wurden hingegen, sofern sie schon begonnen worden waren, zu Ende geführt oder aber ad acta gelegt, wenn sie noch nicht über das Planungsstadium hinausgekommen waren. Die Architektur der Bildzeichen geriet damit zu nicht mehr als einem bloßen Zwischenspiel, während sich die Architekten nun schwerpunktmäßig dem Wohnungsbau zuwenden sollten. Eine Ausnahme sollten in den folgenden Jahren nur die vor allem hochangebundenen staatlichen Repräsentationsprojekte darstellen. Was das Wohnungsbauprogramm für Architektur und Städtebau bedeutete, lässt sich anhand des so genannten Einheitssystems Bau und der daraus hervorgehenden Wohnungsbauserie 70 (WBS 70) illustrieren. Als Wilfried Stallknecht und Achim Felz noch unter Walter Ulbricht den Auftrag bekamen, als federführende Architekten das Einheitssystem Bau zu entwickeln20, war noch nicht abzusehen, wie sehr sich das Projekt bald verändern würde, wie schicksalhaft damit aber auch der gesamte Architektenberuf verknüpft sein sollte  einerseits in durchaus fruchtbarer, andererseits aber auch auf zutiefst problematische Weise. Stallknecht und Felz waren damals noch am ISA der DBA tätig. Schon bald jedoch sollten sie zu den ersten Mitarbeitern des neu gegründeten Instituts für Wohn- und Gesellschaftsbauten der DBA gehören.21 Direktor dieses Instituts war Gerhard Herholdt, der sich als ausgebildeter Bauingenieur schon seit Jahren mit Typisierung und Serienfertigung im Wohnungsbau beschäftigt hatte.22 Der Name verriet bereits, dass das Einheitssystem Bau auf eine DDR-weite Vereinheitlichung der nach wie vor vielfältigen und auch lokal unterschiedlichen Plattenbauweisen angelegt war. Aus diesem Grund 18 Weber, S. 390. Palutzki nennt abweichend von Weber die Zahl von 400.000 Wohnungen für den Zeitraum bis 1975 (Palutzki, S. 296). Zum Wohnungsbauprogramm im Allgemeinen Rita Gudermann, „Wohnungsbaupolitik und -finanzierung in Ost-Berlin 19491989“, in: Lothar Juckel (Hg.), Wohnen in Berlin. 100 Jahre Wohnungsbau in Berlin, Berlin 1999, S. 150-183. 19 „Der Wohnungsbau wurde rhetorisch zum grundlegenden Beweis des Systemvorsprungs aufgewertet“ (Hannemann, S. 96). 20 Hierzu u.a. Wilfried Stallknecht/Achim Felz, „Die Wohnungsbauserie 70“, in: DA 1/1974, S. 4-14; Harald Engler, Wilfried Stallknecht und das industrielle Bauen. Ein Architektenleben in der DDR, Berlin 2014, S. 46-49. 21 Vgl. hierzu u.a. Lehrstuhl Denkmalpflege. 22 Herholdt hatte bereits 1963 als Band 2 der Reihe Industrieller Wohnungsbau eine Schrift mit dem Titel „Plattenbauweise“ veröffentlicht. Neben Herholdt setzten sich nach Christine Hannemann auch die Ingenieure Karl-Heinz Schultz und Rudolf Schüttauf für das ,Einheitssystem Bau ein (hierzu Hannemann, S. 76).

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wurde zum einen eine große Zahl verschiedener Bauelemente hergestellt. Zum anderen war ein Austausch von Elementen zwischen den einzelnen Plattenwerken nur sehr eingeschränkt möglich. Kam es also zu Kapazitätsengpässen in einem Bezirk, so konnte ein anderer Bezirk nur in beschränktem Maße aushelfen.23 Immer wieder auftretende Engpässe und vergleichsweise hohe Kosten waren die Folge. Hier sollte das Einheitssystem Bau Abhilfe schaffen. Die Anzahl der Elemente sollte reduziert und ein in der gesamten DDR verbindlicher Elementkatalog eingeführt, das Bauen selbst damit flexibilisiert und rationalisiert werden. Flexibilisierung meinte zunächst jedoch auch eine hohe Kombinationsfähigkeit der verschiedenen Teile.24 Für viele Architekten – sowohl in der DBA als auch in den Wohnungsbaukombinaten – war das Einheitssystem Bau deswegen zunächst keineswegs gleichbedeutend mit einer Reduzierung gestalterischer Möglichkeiten. Auch Stallknecht und Felz begriffen es als Herausforderung, die Elementzahl zwar auf ein Minimum zu reduzieren, gleichzeitig aber ein Maximum an gestalterischen Möglichkeiten zuzulassen. Im Vordergrund stand so zunächst der Anspruch, einen nach klaren, dennoch aber flexiblen Regelungssystemen funktionierenden Gestaltungsansatz für den Wohnungsbau zu entwickeln. So sollte ein den Ansprüchen der Bauwirtschaft entsprechendes, trotzdem aber auch gestalterisch anspruchsvolles und reichhaltiges Bauen möglich werden. Noch bevor das Einheitssystem Bau konkretere Züge annehmen oder gar praktisch ausprobiert werden konnte, kam es mit der nach Honeckers Machtantritt ausgerufenen Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik jedoch zu einer zwar nicht grundsätzlichen, trotzdem aber tiefgreifenden Zäsur. Von nun an firmierte das Projekt unter der Bezeichnung Wohnungsbauserie 70 (WBS 70). Schon der Name ver23 „Aus Sicht der Ökonomen arbeitete der industrielle Wohnungsbau in der DDR mit einem zu umfangreichen Sortiment an Bauelementen, was die Fertigungskosten in eine Höhe schnellen ließ, die nicht mehr finanzierbar erschien. So unterschieden sich beispielsweise die Typen P 1 und P 2 deutlich voneinander und selbst innerhalb der Serie P 2 gab es teilweise große Konstruktionsunterschiede, obgleich die Wohnungen in etwa gleich geschnitten waren. Denn in den Bezirken wurden die Ausgangstypen abgewandelt verwendet und zumeist wurde dort auch nur ein einziger Plattenbautyp erzeugt. Die Änderung eines Gebäudetyps erforderte also immer die vollständige Umrüstung der Vorfertigungsstätte im Plattenwerk des Bezirks“ (Lehrstuhl Denkmalpflege, S. 17). 24 „Die Studie ,Plattenbau 69 [= Einheitssystem Bau, T.Z.] wurde von den beiden Architekten Wilfried Stallknecht und Achim Felz 1969 im Auftrag der ,Erzeugnisgruppe Mehrund vielgeschossige Wohnbauten verfasst [...] Die Studie sollte Grundlage für eine rationeller gestaltete industrielle Massenfertigung der Plattenbauten und einen deutlich reduzierten Typenkatalog sein. Gleichzeitig sollten die künftig verwendeten Bauteile in allen Bezirken der DDR miteinander kombiniert werden können und dadurch eine größtmögliche Variabilität der Gebäude und Wohnungen erreicht werden“ (ebd.).

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riet, dass die an das Einheitssystem Bau herangetragenen Ansprüche infrage gestellt zu werden drohten. Indem das vormalige ,System durch den Begriff der ,Serie ersetzt wurde, deutete sich bereits an, dass man dem flexibel Zusammensetzbarem erneut das festgelegte Massenprodukt vorziehen würde. Dabei spielte möglicherweise auch das neuerliche Misstrauen der Staats- und Parteiführung gegenüber Systemen jeglicher Art eine entscheidende Rolle.25 Das Ziel einer rascheren und kostengünstigeren Lösung der Wohnungsfrage wurde zwar beibehalten. Auf Kosten von Gestaltung und Flexibilität sollte nun jedoch das Tempo erhöht und das Bauvolumen gesteigert werden.26 Das galt zunächst für den so genannten Experimentalbau, also die Erstanwendung der WBS 70, in Neubrandenburg, blieb im Grundsatz aber auch anschließend die allgemeine baupolitische Leitlinie. Entsprechende Sparmaßnahmen wurden so auch von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des MfB und der Abteilung Bauwesen beim ZK der SED, also hochangebunden, beschlossen.27 Schon die 6. Baukonferenz des Jahres 1975 fand darüber hinaus unter dem Eindruck der die wirtschaftliche Entwicklung zunehmend belastenden Devisen- und Rohstoffkrise statt. Weitere Einsparungen und Qualitätseinbußen waren die Folge. 28 Wirt25 „Diese ‚Verpönung‘ des Systembegriffs fiel mit der Entmachtung Ulbrichts und der Machtergreifung durch Honecker zusammen. Eine historische Aufarbeitung dieser wissenschaftspolitischen Weichenstellung, der etwa auch der im Westen bekannte Kybernetiker Georg Klaus zum Opfer fiel, steht noch aus. Es ist zu vermuten, daß diese Interpretation gesellschaftlicher Vorgänge als subjektlose, systemische Rückkopplungsprozesse auf lange Sicht zur Aushöhlung des ideologischen Führungsanspruchs der SED beigetragen hätte“ (Hannemann, S. 100). 26 So schreibt Joachim Palutzki, dass nach 1971 auch die Bauforschung „zunächst vorrangig auf eine Steigerung der industriellen Produktion ausgerichtet [wurde]; die Folge war eine Einschränkung der gestalterischen Mittel. Das Angebot an 5 bis 14-geschossigen Gebäudelösungen wurde vereinheitlicht und die Anzahl der Bauelemente für die ,Erstanwendung der WBS 70 verringert“ (Palutzki, S. 297). 27 „Anfang Oktober 1971 legte eine gemeinsam vom Ministerium für Bauwesen und von der Abteilung Bauwesen beim ZK gebildete Arbeitsgruppe die Konzeption zur Durchführung des Wohnungsbauprogramms beim Politbüro vor. Aufgrund der geforderten Steigerung der Bauleistungen wurde das Programm von Sparmaßnahmen geprägt, welche die städtebauliche Gestaltung und den Innenausbau betrafen“ (ebd., S. 296). 28 „In dem Entwurf eines Diskussionsbeitrages von Werner Heynisch für die 6. Baukonferenz, der der Abteilung Bauwesen beim ZK am 27. März 1975 vorgelegt wurde, wurden angesichts des Mangels an Devisen und Rohstoffen Einsparungen und die zukünftig verstärkte Verwendung von Ersatzstoffen angekündigt. Aufgrund des chronischen Zementmangels mußte eine Qualitätsminderung durch die Verwendung von Zuschlagstoffen wie Gips, Feinsanden und Flugasche in Kauf genommen werden, um die jährlich geforderten Steigerungsraten im Bauwesen einzuhalten. Ende Mai 1975 erfolgte die Weisung des

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schaftlichkeitserwägungen und eine möglichst hohe Losgröße wurden somit bald zum alles bestimmenden Moment. Nüchtern-sachlich beschrieb schon Joachim Palutzki in seiner „Architekturgeschichte der DDR“, was das für den Wohnungsbau bedeutete: „Zur bestimmenden Grundlage der Gestaltung wurde die stunden- und materialmäßige Begrenzung des Arbeitsaufwandes pro Wohneinheit. Um die im Wirtschaftsplan festgelegten Werte zu erreichen, wurde die Entwicklung möglichst großflächiger Elemente vorangetrieben, die zu einer Reduzierung der benötigten Anzahl von Bauelementen führte und die WBS 70 auf Standorte außerhalb geschlossener Bebauung festlegte. Wie der Vorgängertyp P 2 wurde die WBS 70 bei der Ersteinführung im Oktober 1972 in Neubrandenburg in ihrer Gestaltung auf den inneren Wohnungsgrundriß bezogen, die flächigen Außenwandplatten, zumeist Silikat beschichtet [sic!], je nach Blocklänge und Geschoßzahl aneinandergereiht und aufeinander gestapelt. Standardmaße waren eine Frontlänge von 13,20 m und eine Gebäudetiefe von 12 m, gegenüber den alten Typenprojekten eine Vergrößerung, die neben wirtschaftlichen Vorteilen eine größere Grundrißvariabilität schuf.“29

Eher essayistisch, aber sehr viel eindrücklicher, pointierter und zugespitzter arbeitete schließlich der Soziologe Wolfgang Engler heraus, dass die WBS 70 gestalterisch damit zumindest in den ersten Jahren hinter den Wohnungsbau der 60er Jahre zurückfiel, den er zuvor sehr dezidiert als einen Aufbruch in die Moderne charakterisiert hatte30: „Mit dem Abbruch der Wirtschaftsreformen zu Beginn der siebziger Jahre verknöcherte sie [die ästhetische Moderne, T.Z.] ganz. Aus den flexiblen Baukastenmöbeln wurde die Schrankwand, der derselben Idee verpflichtete Typenbau verarmte zusehends; Wohnzimmer und Fensterfronten schrumpften, die verglaste Vitrinendurchreiche wurde zubetoniert, und die Einbauschränke verschwanden. Auch das Äußere der Häuser wurde immer unansehnlicher, liebloser. Durchdachte Hausensembles fanden sich kaum mehr. Die neuen Siedlungen waren rationell nur noch im Sinne schneller Verkehrsanbindung. Fließende Übergänge von Gemeinschaft und Gesellschaft strukturierten sie nicht mehr. An die Stelle begehbarer Höfe und offener Plätze traten ortlose Zwischenräume, unbrauchbare Lücken. Aus Häusern waren Gehäuse

Ministeriums für Bauwesen, ‚[...] den wissenschaftlich-technischen Fortschritt auf die Senkung des spezifischen Material- und Energieverbrauchs, die Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse, die Verbesserung der Auslastung vorhandener Grundfonds sowie die Steigerung der Arbeitsproduktivität zu konzentrieren‘“ (ebd., S. 309). 29 Ebd., S. 298. 30 Engler, S. 35f.

222 | A RCHITEKTEN IN DER DDR geworden, in denen die Menschen festsaßen [...] Die Standardisierung hatte sich selbst überholt und in der Einförmigkeit schachmatt gesetzt.“31

Trotz dieses gerade zu Anfang unbestreitbaren gestalterischen Rückschritts stand die WBS 70 jedoch auch von Anfang an für eine Reihe von Erfolgen. So ließ sich während der 70er und 80er Jahre ein durchaus beträchtlicher Zuwachs an Wohnungen verzeichnen, der ohne die Intensivierungen und Rationalisierungen der Wohnungsbauserie kaum möglich gewesen wäre.32 Trotz aller auf die oben genannten Sparmaßnahmen zurückzuführenden gestalterischen Mängel galt darüber hinaus grundsätzlich, dass hier „erstmals eine Plattenbautechnologie entwickelt [worden war], die ausbaufähig und für eine größere gestalterische Variationsbreite ausgelegt war. Nach den Vorgaben der 31. Plenartagung der Bauakademie, die im November 1974 tagte, sollte das Standardangebot von vornherein differenzierte Gebäudehöhen und eine wechselseitige oder zweiseitige Erschließung der Wohnblöcke beinhalten, um mittels eingeordneten Durchgängen und Durchfahrten Hofbildungen in den Wohngebieten zu ermöglichen. Eckausbildungen, Gebäudestaffelungen und eine variable Fassadengestaltung sollten die Monotonie des Zeilenbaus der 60er Jahre überwinden und die Schaffung differenzierter Stadträume begünstigen.“33

Gerade solche Vorzüge wurden aus Kostengründen jedoch zunächst kaum genutzt.34

31 Ebd., S. 69f. 32 „Während vor 1971 der in der Wirtschaftsplanung geforderte Zuwachs an Neubauwohnungen nicht erfüllt worden war, hatte seitdem die Anzahl der gebauten Wohnungen die jeweiligen Planziffern übertroffen. Die auf die Bevölkerungszahl bezogene Wohnungsbauziffer der DDR übertraf erstmals 1975 die der Bundesrepublik, im darauffolgenden Jahr waren erstmals mehr als 100.000 Wohnungen in der DDR gebaut worden“ (Palutzki, S. 320f.). 33 Ebd., S. 298. 34 So schreibt auch Peter Richter: „Die Wohnungsbauserie (WBS 70) war der tragisch in sein Gegenteil umgeschlagene Versuch, der Monotonie zu entgehen … Unter diesem [zuvor geschilderten, T.Z.] wirtschaftlichen und quantitativen Druck mußte die Variabilität des Baukastensystems WBS 70 beinahe automatisch erstarren und verarmen. Das Elementesortiment war zwar theoretisch groß, in der Praxis der Plattenwerke aus Gründen der Effizienz so klein wie möglich; entsprechend verhielten sich die daraus zusammengesetzten Baulösungen“ (Richter, S. 50f.).

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Die neue Baupolitik und der Architektenberuf Die mit der Einführung der WBS 70 erneut virulent werdende Debatte um das Berufsbild des Architekten war denn auch von Beginn an durch ein entsprechendes Spannungsverhältnis gekennzeichnet. Zum einen ordnete sie sich dem ab Anfang der 70er Jahre vorherrschenden Produktionsaspekt und den Anforderungen eines Bauwirtschaftsfunktionalismus unter, der die Geringschätzung künstlerisch-gestalterischer Momente des Bauens weiter beförderte. Eine Entwicklung, die sich im Laufe der 60er Jahre mit dem auch auf Architektur und Städtebau angewandten NÖSPL bzw. ÖSS angekündigt hatte, fand damit nun ihren vorläufigen Abschluss. Zum anderen aber wiesen gerade die Fachleute immer wieder auf den mit der Einführung der WBS 70 zunächst verbundenen Anspruch einer gestalterischen Flexibilisierung des industriellen Bauens hin und versuchten, ihn für die eigenen Überlegungen zum Berufsbild des Architekten und letztlich auch für die Entwurfsarbeit fruchtbar zu machen. Was das genau für das professionelle Selbstbild und Selbstverständnis der Architektenschaft und ihrer offiziellen Vertreter bedeutete, soll im Folgenden ebenso genauer in den Blick genommen werden wie die Tatsache, dass die gestalterische Aufwertung der WBS 70 und schlussendlich auch ihre technologische Flexibilisierung eng mit einem entsprechenden Engagement der Fachleute verknüpft war. Grundsätzlich hatten die Neuausrichtung der Baupolitik, die WBS 70 und die weitere Rationalisierung des Bauwesens nachhaltigen Einfluss auf das Berufsbild des Architekten. Fortgeführt und intensiviert wurde zum einen eine vertikale Arbeitsteilung innerhalb des Planungsprozesses, die im Bauwesen der DDR schon seit den 50er Jahren im Zusammenhang mit dem industriellen Bauen etabliert worden war. Mit dem Entwurf eines Elementkatalogs durch Mitarbeiter der Bauakademie verlagerte sich die so genannte Entwicklungsarbeit zu wesentlichen Teilen in die entsprechenden Fachabteilungen der DBA. Fernab konkreter Baustellen und Bauaufträge wurden hier die grundlegenden Parameter festgelegt, die vor allem im Wohnungsbau als verbindlich galten. Obwohl ihre Namen schon zu DDR-Zeiten weithin unbekannt waren und es einer breiteren Öffentlichkeit auch heute noch sind, spielten Architekten wie Wilfried Stallknecht, Achim Felz und Herbert Kuschy, aber auch Bauingenieure wie Gerhard Herholdt, Karl-Heinz Schultz oder Rudolf Schüttauf deswegen eine äußerst zentrale Rolle für Architektur und Städtebau der DDR. So prägten die von ihnen entwickelten Bausysteme allerorts das bauliche Erscheinungsbild.35 Die Architekten in den bezirklichen Wohnungsbaukombi-

35 Dementsprechend appellierte Gerhard Krenz schon 1971 an die auf dem 6. Bundeskongress des BdA versammelten Architekten: „Als Architekten sollten wir deshalb bei der Entwicklung des Einheitssystems Bau selbst aktiv mitwirken, denn in dieser Entwicklungsarbeit wird bereits auch über künftige Gestaltungsmöglichkeiten entschieden“

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naten hatten in den meisten Fällen nicht mehr als eine so genannte örtliche Standortanpassung vorzunehmen. Damit war unter den Bedingungen eines möglichst sparsamen Bauens nicht so sehr eine gestalterische Angleichung an das lokale Umfeld der Bauten gemeint. Vielmehr ging es darum, die Typenbauten städtebaulich einzuordnen, infrastrukturell anzubinden und je nach Geländeprofil oder Baugrund konstruktiv abzuwandeln. Gestalterische Eingriffe waren hingegen nur noch mit viel Geschick oder Aufwand möglich. Gearbeitet werden musste stattdessen in aller Regel mit dem, was die Elementkataloge anboten oder die nächstgelegenen Plattenwerke lieferten. Grundsätzlich waren für die Mitarbeiter der staatlichen Wohnungsbaukombinate die Möglichkeiten einer weitgehenderen gestalterischen Einflussnahme also äußert gering. Auch sie hatten vielmehr in erster Linie dazu beizutragen, Wohnraum rasch und zu möglichst geringen Kosten zur Verfügung zu stellen. So behielten auch die Thesen, die das Politbüro und der Ministerrat zur 4. Baukonferenz Anfang 1966 formuliert hatten36, ihre Gültigkeit und wurden sogar ein weiteres Mal bekräftigt. Eine BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1970 hielt denn auch fest, der Architekt sei „nicht Objekt, sondern Subjekt, das heißt der aktive Teil, der mit der Kraft seiner Betriebsgruppe BdA überspitzte Forderungen durch Vorschläge auf Grund seiner fachlichen Kenntnisse in den Rahmen bringen muß, der die volkswirtschaftlich effektivste Lösung garantiert.“37 Anfang der 70er Jahre sollte vor diesem Hintergrund eine entsprechende Anpassung des Berufsbildes vorgenommen werden. Auch das deutete sich bereits gegen Ende der 60er Jahre an. Damals war in der DA die Frage formuliert worden, ob das Leitbild des Architektenberufs traditioneller Art nicht grundsätzlich auf den Prüfstand gehöre.38 Ein eindeutiges Indiz, dass man Versuche in diese Richtung unternahm, stellte die Umbenennung des Architektenbundes in „Bund der Architekten der DDR“ (BdA) dar, die auf dem 6. BdA-Kongress beschlossen wurde. Diese Namensänderung war nicht nur – wie Joachim Palutzki völlig zutreffend herausarbei(Gerhard Krenz, „6. bda-bundeskongress: Der Architekt und die Ökonomie“, in: DA 3/1971, S. 134). 36 „Im Sozialismus entscheidet der Projektant über Gedeih und Verderb wertvollen Volksvermögens. Hohes volkswirtschaftliches Verantwortungsbewußtsein, sparsames Wirtschaften und das unentwegte Streben nach kühnen optimalen Lösungen müssen einen sozialistischen Projektanten auszeichnen“ (Aus den „Thesen des Politbüros des ZK der SED und des Ministerrates zur 4. Baukonferenz“, zitiert nach: Manfred Böhme, „Die Stellung und Verantwortung des Architekten im volkseigenen Projektierungswesen“, in: DA 1/1966, S. 35). 37 SAPMO, DY 15/27 (BdA), Protokoll 11. BDA-BuV-Sitzung, 04.12.1970, Diskussionsbeitrag Dorn, S. 23. 38 Vgl. hierzu Kurt Wilde, „Die Formierung der baulich-räumlichen Umwelt und der Beruf des Architekten“, in: DA 6/1969, S. 374ff.

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tet  „ein erstes äußeres Zeichen“ einer „Politik der Abgrenzung“, also der „Absage an die ‚deutsche Nation‘“ und der „Deklaration der eigenen ‚sozialistischen Nation.‘“39 Das machte ein Redebeitrag von Bundessekretär Werner Wachtel auf der BdA-BuV-Parteigruppensitzung vom Februar 1971 deutlich: „Wir haben natürlich bei der Namensänderung von der Taktik und Strategie her auch die Frage gestellt: Gibt es denn im Bund Deutscher Architekten seit seiner Gründung auch Traditionen, die wir verfechten könnten. So eine Frage muß man einmal stellen. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß es für uns überhaupt keine Traditionen gibt. Die sind wo ganz anders. Das war eigentlich der Sinn.“40

Die neue Bezeichnung der Architektenvereinigung sollte also auch für den endgültigen Bruch mit dem 1903 gegründeten BDA stehen, den man von Anbeginn an als Standesorganisation der freien Architekten und damit als kapitalistische Institution gebrandmarkt hatte. Die Umbenennung war so auch äußeres Zeichen dafür, dass man spätestens jetzt jegliche Reminiszenz an den freien, als individualistisch verrufenen Architektenberuf tilgen wollte. Die Namensänderung sollte gleichzeitig also auch für die endgültige Ankunft eines neuen sozialistischen Architekten in Architektur und Städtebau der DDR stehen. II.1.2 Die gleichzeitige Betonung des Ökonomischen und des Schöpferischen: Berufsbildentwürfe der Architekten Eng damit verknüpft waren denn auch die Ende der 60er Jahre einsetzenden neuerlichen Überlegungen zum Berufsbild des Architekten. Einer der einflussreichsten Akteure war in diesem Zusammenhang der 1924 geborene Herbert Ricken. Ricken hatte von 1953 bis 1960 an der HAB Weimar Architektur studiert und war dort auch als Assistent bzw. Oberassistent tätig gewesen. Ab 1960 arbeitete er jedoch als Referent, Sektoren- und Abteilungsleiter im SfHuF, bevor er schließlich 1965 an die DBA wechselte.41 Von Anfang an beschäftigte er sich dort mit Fragen der Ausbildung und des Berufsbildes und veröffentlichte auch immer wieder zu diesem Thema – von Artikeln in der DA über einige größere Veröffentlichungen an der Bauakademie bis hin zu seinem 1977 erschienenen, umfassenden Kompendium

39 Palutzki, S. 294f. 40 SAPMO, DY 15/28 (BdA), BDA-Parteigruppensitzung, 18.02.1971, Diskussionsbeitrag Werner Wachtel, S. 27. 41 Zur Biographie Rickens IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 06/0556 (Herbert Ricken).

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„Der Architekt“.42 Eine Grundüberzeugung Rickens war dabei, dass „[d]er Architekt im engeren Sinne ein Ergebnis des Kapitalismus der freien Konkurrenz“43 gewesen sei. Das daraus angeblich erwachsende Berufsbild des Künstlerarchitekten beschrieb auch Ricken dabei vor allem mit dem Streben nach Individuellem, Einzigartigem sowie nach unikaler Architektur. Das Gegenmodell dazu sollte der DDR-Architekt darstellen. Dessen Aufgabe, so Ricken, „besteht nicht in der Errichtung eines Bauwerks, sondern in der optimalen Gestaltung gesellschaftlicher und individueller Lebensprozesse, in der Herstellung positiver Beziehungen zwischen Mensch und architektonischem Raum.“44

In „Der Architekt“ führte er diesen Gedanken mit Blick auf die DDR-Architektur der 60er Jahre weiter aus: „Der Schwerpunkt der schöpferischen Arbeit des Architekten verlagerte sich in zunehmendem Maße auf das Erfassen der Veränderungen in der Verhaltensweise der Menschen aus der gesellschaftlichen Entwicklung heraus, auf das Erkennen der Entwicklungsprozesse der Stadt und auf das Aufdecken der Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung und des Erlebens der Bauwerke und städtebaulichen Räume.“45

Vor diesem Hintergrund galt es nach Ricken, die „Vorstellung vom individuellen Schöpfertum zu überwinden.“46 Auf dem 7. BdA-Bundeskongress 1975 unterstrich denn auch Wolfgang Urbanski, der Architektenberuf sei nicht mehr „Reservat der Spontaneität, des Empirismus oder geheimnisvoller irrationaler Kräfte“, sondern vor allem durch „Wissenschaftlichkeit“47 geprägt48 – von der Arbeit an den Hoch42 U.a. Herbert Ricken, „Neue Probleme der architekturtheoretischen Forschung. Der architektonische Schaffensprozeß und der Architekt“, in: DA 1/1968, S. 45ff.; Ricken (1973); Ders., Entwicklungsprobleme des Architektenberufes in der DDR, Berlin 1974; Ricken (1977). 43 Ders., „Zur Diskussion über die Entwicklung unseres Berufes“, in: DA 11/1968, S. 712f. 44 Ricken (1973), S. 583. 45 Ricken (1977), S. 159. 46 Ebd., S. 163. 47 IRS, BdA 16/4, Protokoll 7. BdA-Bundeskongress, Referat Urbanski, Die Aufgaben der Architekten und ihres sozialistischen Fachverbandes, 13./14.11.1975. Zwei Jahre später wurde diese Formulierung auch von Herbert Ricken aufgegriffen, der in „Der Architekt“ schrieb: „Ebenso wie alle anderen die Produktion vorbereitenden Prozesse bleibt auch das architektonische Entwerfen keine ‚Insel‘ der Spontaneität und des Empirismus.“ An gleicher Stelle machte Ricken zudem nähere Ausführungen über die Zusammenhänge zwischen Architektenberuf und Wissenschaftlichkeit: „Die Anwendung der Wissenschaft im

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schulen bis hinein in die Baukombinate.49 Stark in den Vordergrund gerückt wurde mit der weiter vereinheitlichten Bauweise darüber hinaus die Vorstellung vom Architekten als „Prozeßorganisator“50 und als „koordinierende“51 Instanz innerhalb eines „komplizierten gesellschaftlich-kollektiven Schaffensprozesses“52. Es war also durchaus ein perfekt auf die Bedürfnisse der Bauwirtschaft und Bautechnologie zugeschnittenes Berufsbild, das hier von Teilen der Architektenschaft selbst  noch dazu in einer ideologisch aufgeladenen und am Parteijargon orientierten Sprache  präsentiert wurde. Demnach sollte der Architekt als Organisierender in erster Linie nur noch jene Prozesse lenken und leiten, die für die Errichtung eines aus vorbestimmten Typenserien bestehenden Wohnkomplexes notwendig waren. Doch auch wenn Ricken und seine Kollegen ihre Berufsbildentwürfe damit sehr stark an ökonomischen und technologischen Parametern ausrichteten und den Leitlinien der Politik zu entsprechen versuchten, so weigerten sie sich dennoch erneut, die Architekten alleine zu deren Erfüllungsgehilfen zu erklären. Dies deutete bereits eine Bemerkung Rickens im „Architekt“ an, die noch dazu prominent am Ende der Abhandlung platziert war. Dort hieß es: „Die gegenwärtig noch unzureichende Beherrschung eines Prozesses sollte nicht als objektive Gesetzmäßigkeit, sondern als zu überwindendes Anfangsstadium gesehen werden. Wenn bis in die kapitalistische Gesellschaft hinein das Schaffen des Architekten als künstlerischschöpferische Tätigkeit gekennzeichnet werden kann, gibt es keinen Grund, dies von irgend-

Entwurfsprozeß erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine architektonische Lösung zu finden. Sie wird vom gesellschaftlichen Zweck, von der Zielfunktion des gesamten Umgestaltungsprozesses bestimmt. Sie wird objektiv notwendig durch den erreichten Grad der Komplexität des Umgestaltungsprozesses und seine politischen wie ökonomischen Dimensionen; sie wird objektiv möglich unter den Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft und der in ihr verwirklichten Arbeitsteilung auf der Grundlage einer marxistischleninistischen Theorie der Architektur“ (Ricken [1977], S. 163). 48 Auch in diesem Punkt gab es zahlreiche in die 60er Jahre zurückreichende Verbindungen. So hatte sich Gerhard Kosel anlässlich der 4. Baukonferenz des Jahres 1966 als „Bauwissenschaftler“ bezeichnet (Gerhard Kosel, „Die Verantwortung der Wissenschaftler“, in: DA 2/1966, S. 72). 49 „Bisher im Bauwesen vornehmlich Sache der Bauhochschulen und Akademien, dringt heute die Wissenschaft in die Baukombinate ein und wird zum Handwerkzeug der wissenschaftlichen Planung und Leitung“ (Jänike). 50 Ihlenfeldt. 51 Ebd. 52 Ricken (1977), S. 163. Teilhaben sollten an diesem Schaffensprozess nicht nur eine ganze Reihe von Fachleuten, sondern zugleich auch die gesamte Bevölkerung.

228 | A RCHITEKTEN IN DER DDR einem Punkt der Geschichte an nicht mehr zu tun – es sei denn, man unterstellt von da an auch das Aufhören der Architektur.“53

Schon dies war ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass das Berufsbild auch weiterhin durch eine ebenso wichtige zweite Komponente geprägt sein sollte. Dabei machte sich bemerkbar, dass auch die offiziellen Berufsbildentwürfe zu wesentlichen Teilen von Fachleuten mitentwickelt wurden und deswegen auch deren fachliche Interessen widerspiegelten.54 So stellte etwa der Architekt Burkhardt Ihlenfeldt in einem Artikel über den Komplexarchitekten der „Funktion des Prozeßorganisators“ die „des verantwortlichen Gestalters“55 an die Seite. Vor allem aber Herbert Ricken brachte durchweg das Konzept des Schöpfertums ins Spiel. So prognostizierte er im „Architekt“: „Eine Verminderung des Anteils schöpferischer Prozesse wird jedoch nicht eintreten. Durch die weitergehende Mathematisierung werden weder der künstlerische Charakter des architektonischen Entwerfens aufgehoben, noch der notwendige Entscheidungsaufwand reduziert. Entscheidungen über zukünftige architektonische Gestalt vor, während und nach dem Entwurfsprozeß tragen immer ein relativ hohes Maß an Unsicherheit hinsichtlich des Erreichens des gesetzten Zieles und an subjektiver Auffassung in sich.“56

Auch stellte er fest, dass sich zwar die Arbeitsweise von Architekten- und Ingenieurberuf einander angleichen würde, daraus jedoch nicht der Schluss gezogen werden dürfe, „daß beide Berufe ineinander aufgehen“57. Ricken und Ihlenfeldt hielten hier an einem Standpunkt fest, auf den sich die Architektenschaft schon in den frühen 70er Jahren und damit gleich zu Beginn der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie des Wohnungsbauprogramms geeinigt hatte. Joachim Bach etwa hatte auf dem 6. BdA-Bundeskongress des Jahres 1971 einen Vortrag über das „Berufsbild des Architekten“ gehalten. Bereits damals hatte er die für die gesamte Debatte programmatische Frage gestellt: 53 Ebd., S. 166. 54 So erklärt sich letztlich auch jener „bis zum Ende der DDR nicht aufgelöste […] Widerspruch [zwischen einem zugleich das Technische wie auch das Schöpferische einbeziehenden offiziellen Verständnis von Architektenarbeit, T.Z.], der in vielen Publikationen zutage tritt und in den letzten ,Grundsätzen des Städtebaus von 1982 verankert ist“ (Betker, S. 359f.), den Betker vor dem Hintergrund einer in der arbeitsteiligen Industriegesellschaft nur bedingt funktionierenden Entbürgerlichung des Berufsstandes erklärt (ebd. S. 358f.). 55 Ihlenfeldt. 56 Ricken (1977), S. 164. 57 Ebd., S. 165.

K ONSOLIDIERUNG

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„Wird er [der Architekt, T.Z.] zum Formgestalter, wird er zum Systemingenieur, oder brauchen wir doch einen Architekten und wenn ja, was für einen?“58

Das wesentliche Ergebnis von Bachs Überlegungen lautete ebenfalls, „daß die in erster Linie stark bildhafte, emotionale, das heißt künstlerisch geprägte Art des Architekten, Leitbilder schöpferisch zu entwickeln, durch eine wissenschaftliche Methodik erweitert werden muß, ohne daß dabei das künstlerisch-schöpferische Moment in seiner Bedeutung geschmälert werden darf; denn gerade darin liegt die Stärke und Besonderheit des Architektenberufes, die Zukunft bildhaft räumlich formulieren zu können [...]“59

Mit klaren Worten verurteilte Bach dementsprechend die bloße Ökonomisierung des Planens und Bauens, die sich auch in einer umfassenden Aufwertung des Bauingenieurberufs und in der gleichzeitigen Abwertung des Architektenberufs ausdrückte: „Wir brauchen das gegenseitige Akzeptieren und die Anerkennung übergeordneter Prinzipien, und dazu gehört [...] nicht nur, daß Architekten ökonomisch denken, sondern auch, daß Ingenieure und Ökonomen ästhetisch empfinden und urteilen lernen.“60

Und weiter: „Auf jeden Fall halte ich es für unzulässig, die Berufsspezifik der Architekten derart zu vulgarisieren. Der Architekt bedient sich bei der Lösung seiner Aufgaben sowohl wissenschaftlicher als [sic!] künstlerischer Methoden. Den künstlerischen Erkenntnisprozeß als eine Art unterentwickelten wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zu qualifizieren, ist unzulässig [...]“61

Auch der Chefredakteur der DA, Gerhard Krenz, der sich von Beginn seiner Tätigkeit an gegen jede Form von Individualismus sowie für eine Vereinheitlichung des Bauens und eine größere Sparsamkeit ausgesprochen hatte62, fand ebenso deutliche 58 IRS BdA 16/4, Joachim Bach, Das Berufsbild des Architekten, Vortrag auf dem 6. Kongress des BDA der DDR, 25.-26.03.1971, S. 128f. 59 Ebd., S. 129. 60 Ebd., S. 130. 61 Ebd., S. 131. Bach bezog sich hier vor allem auf den oben genannten Artikel von Johannes Jänike (Jänike). 62 Hierzu etwa das ins Jahr 1959 datierende Dokument: Gerhard Krenz, 1. Entwurf: Zu einigen Problemen der Architektur und des Städtebaus. Die Aufgaben auf dem Gebiete des Städtebaus und der Architektur, abgedruckt in: Simone Hain/Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Hgg.), Archäologie und Aneignung. Ideen, Pläne und

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Worte. Auf der 6. BdA-Bundesvorstandssitzung mahnte er 1973, der Berufsverband habe die Aufgabe, die Autorität des Architekten zu stärken.63 Dazu gehöre es auch, immer wieder das schöpferisch-kreative Moment des Berufsbildes zu thematisieren: „Haben wir uns vielleicht nicht zu wenig mit Auffassungen auseinandergesetzt, die der Architektur den Charakter künstlerischer Gestaltung absprachen? Natürlich haben wir unter uns Architekten oft über solche Fragen diskutiert. Aber jetzt gilt es, die Rolle der Architektur stärker im Bewußtsein der Öffentlichkeit zu verankern. Überall wird anerkannt, daß es in der Technologie, in der Konstruktion und in der Ökonomie Gesetzmäßigkeiten gibt, und wehe dem, der sie verletzt, und das mit Recht. Aber gibt es denn nicht auch Gesetzmäßigkeiten in der architektonischen Gestaltung? Natürlich stehen diese Gesetzmäßigkeiten nicht auf TGLBlättern. Aber deshalb verdienen sie nicht einen Deut weniger Beachtung. Ja, zum Kuckuck, kann denn jeder diese Gesetzmäßigkeiten verletzen wie er will? Ich denke, es ist an der Zeit, diese Gesetzmäßigkeiten verständlich zu formulieren, sie konsequent zu verteidigen und ihnen die gleiche Wertigkeit zu geben wie anderen Regeln des Bauens auch.“64

Vor allem, dass es bei der WBS 70 inzwischen entgegen der ursprünglichen Überlegungen sehr viel mehr um Quantität als um bauliche Qualität und Flexibilität ging, war auch aus Krenz' Sicht nicht hinzunehmen.65 Stattdessen forderte er schon jetzt, was in den 80er Jahren zu einem der zentralen Punkte auf der Agenda der Architekten werden sollte:

Stadtfigurationen. Aufsätze zur Ostberliner Stadtentwicklung nach 1945, = Regio Nr. 10, Erkner 1996, S. 161-166. 63 „Ich bin der Meinung, so wie es grundsätzlich in der sozialistischen Gesellschaft nicht ohne Autorität geht – darauf hat ja bekanntlich schon Engels hingewiesen –, werden auch die Probleme der Architektur nicht ohne die Autorität der Architekten gelöst werden können. Ja, ich glaube, es gehört zu den ideologischen Aufgaben unseres Verbandes, die Autorität der Architekten zu stärken“ (SAPMO, DY 15/33 [BdA], Protokoll 6. BdABuV-Sitzung, 07.12.1973, Diskussionsbeitrag Krenz, S. 20). 64 Ebd. TGL: Technisch-gestalterische Leitlinien. 65 „Ganz gleich, auf welcher Ebene Architekten an der Erfüllung des Wohnungsbauprogramms schöpferisch tätig sein werden, immer werden sie jedoch mit einem grundlegenden Problem konfrontiert, mit dem Problem nämlich, daß wir gleichzeitig die Quantität, die Qualität und die Effektivität im Wohnungsbau erhöhen müssen. Die Theorie, die manchmal zu hören ist, jetzt machen wir erst die Quantität und nach 1980 beschäftigen wir uns mit der Qualität, geht prinzipiell nicht auf. Sie steht einfach im Widerspruch zu der Hauptaufgabe, wie sie der VIII. Parteitag gestellt hat“ (ebd., S. 21).

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„Die Technologie muß sich nach den Bedürfnissen richten und nicht umgekehrt. Es geht, wie Lichtenberg einmal in einer seiner Aphorismen sagte, um das Mehl, nicht um die Mühle.“66

Jener Prozess der beruflichen Selbstvergewisserung fand seinen Höhepunkt schließlich auf dem 7. BdA-Bundeskongress des Jahres 1975. Dort distanzierte sich der gerade ernannte BdA-Präsident Wolfgang Urbanski zwar von empirisch-spontanen, allzu individuellen Elementen der Architektentätigkeit und unterstrich stattdessen die wissenschaftlichen Grundlagen des Berufes. Genauso aber griff er auch die soeben dargestellten Positionen seiner Kolleginnen und Kollegen auf. Urbanski fiel dabei eine sehr zentrale Rolle zu. In kondensierter Form und in offiziellem Rahmen machte er das Selbstbild der Architektenschaft nunmehr auch zum Leitbild des BdA. So hieß es in seiner Rede: „Wissenschaft potenziert die schöpferische Kraft des Architekten, aber sie ersetzt diese nicht. In der sozialistischen Arbeit ist das Schöpfertum ein entscheidendes Wesensmerkmal [...] Schöpfertum in der Architektur bringt Neues zur Vervollkommnung der materiellen und geistigen Werte, die dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen, hervor. Umsetzung einer Gestaltungsidee heißt, daß auch objektive Gesetzmäßigkeiten, allgemeingültige Erkenntnisse und Gestaltungsprinzipien stets eine persönliche Interpretation und Anwendung durch den Architekten als Autor erfahren müssen, um mehr zu sein als schlechthin Häuserbau [...] Ohne die Bedeutung und die Kraft des Kollektivs zu schmälern, ist es unter den gegenwärtigen Bedingungen erforderlich, auch öffentlich die Architektenpersönlichkeit als verantwortlicher Autor stärker zu betonen.“67

In unterschiedlichsten Zusammenhängen wurde damit immer wieder deutlich, dass die von Architekten erarbeiteten und vertretenen Berufsbildentwürfe stets zwei Komponenten in den Mittelpunkt rückten. Zum einen passten sie sich klar an die Erwartungen und Erfordernisse von Bauwirtschaft und Bautechnologie an. Zum Ausdruck kam darin ein gewisser Pragmatismus, genauso aber auch eine in den Vorjahren nach und nach gewachsene berufliche Überzeugung. Demnach hatte Architektenarbeit stets das dienende Moment von Architektur und Städtebau, aber auch die materielle und finanzielle Leistungsfähigkeit der Gesellschaft zu berücksichtigen. Zum anderen betonte man nach wie vor aber auch das schöpferische Element der Architektentätigkeit.68 Unter Schöpfertum verstand man dabei jedoch nicht die 66 Ebd., S. 30. 67 IRS BdA 16/4, Protokoll 7. BdA-Bundeskongress, 13./14.11.1975, Referat Wolfgang Urbanski, S. 16. 68 Auf dieses inhaltlich differenzierte, in öffentlichen Stellungnahmen aber meist von einer gewissen Unsicherheit gekennzeichnete Selbstbild der Architekten hat auch Werner in

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Zurschaustellung individuellen Künstlertums. Angestrebt werden sollte vielmehr ein individueller schöpferischer Umgang mit dem Gegebenen, also etwa einem Bausystem wie der WBS 70, sowie dessen behutsame Weiterentwicklung. Schöpfertum wurde also nicht als freie und individuelle Kreativität verstanden, sondern sollte sich ebenfalls im Einklang mit dem materiell und ökonomisch Machbaren sowie nach festen Regeln und Gesetzmäßigkeiten entfalten. Gerade in den 70er Jahren gelang den Architekten dabei immer wieder ein Arbeiten, in dem beide Komponenten erkennbar wurden. Immer deutlicher wurde zugleich aber auch, wie sehr Architektur und Architektenarbeit inzwischen von bauwirtschaftlichen Erwägungen und Möglichkeiten bestimmt waren.

II.2 P OLITISCHE K ONSOLIDIERUNG UND KONSOLIDIERTES ARCHITEKTENHANDELN II.2.1 Das politische Umfeld Neben dem Machtwechsel im Allgemeinen, der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik und der Einführung des Einheitssystems Bau bzw. der WBS 70 wirkte sich noch eine weitere Entwicklung der 70er Jahre sehr nachhaltig auf den Architektenberuf und das Architektenhandeln aus. Diese kann nach den ständigen Politikwechseln und institutionell-strukturellen Umbildungen der Ulbricht-Jahre als Konsolidierung staatlicher und politischer Strukturen bezeichnet werden. Damit verbunden distanzierte sich die Honecker-Führung bewusst von jenen ,Reformen von oben, die Walter Ulbricht  manchmal sogar in der Abkehr vom sowjetischen Vorbild69  im Laufe der 60er Jahre teilweise und mitunter zeitlich begrenzt umsetzen konnte. Weiterreichende Auswirkungen auf die Rahmenbedin-

allgemeiner Form aufmerksam gemacht („Die Architekten verbindet ein zwar nur selten umrissenes, aber wohl weithin geteiltes künstlerisches Selbstverständnis, das sich z.B. in der langjährigen Forderung nach klarer Festlegung der architektonischen Autorenschaft, im Berufsbild und der Ausbildung erweist, aber auch in der Unsicherheit über die eigene Stellung und Bedeutung“ (Werner, S. 133). 69 „Bewußt wurde [am Anfang der Honecker-Ära, T.Z.] die Ulbricht-Periode verdrängt, alle Veränderungen nach dessen Abgang stark betont und dadurch die Politik der HoneckerFührung überpointiert und demonstrativ als etwas Neues herausgestellt. Das Zurückdrängen der Ulbricht-Ära im Geschichtsbewußtsein sollte unangenehme Seiten der eigenen Geschichte in Vergessenheit geraten lassen. Das galt für den Terror in den fünfziger Jahren ebenso wie für die Distanzierung vom sowjetischen Modell Ende der sechziger Jahre“ (Weber, S. 373f.).

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gungen des Architektenberufs hatte so gerade die Dezentralisierung institutioneller Strukturen gehabt, wie sie mit dem NÖSPL und dem ÖSS verbunden gewesen war und in dieser Untersuchung nur am Rande beleuchtet worden ist. Sie hatte u.a. zu einer stärkeren regionalen Ausdifferenzierung der institutionellen Strukturen beigetragen, die auch dazu führte, dass Entscheidungen verstärkt auf lokaler Ebene oder innerhalb einzelner Betriebe getroffen werden konnten.70 Im Gegensatz dazu setzte Honecker jedoch erneut in erster Linie auf den Parteiapparat der SED.71 Hermann Weber bilanziert denn auch insgesamt: „Ansätze einer Partizipation von unten [deren Bedeutung jedoch weit über bloße Ansätze hinausreichte und nachfolgend für den Architektenberuf beleuchtet werden soll, T.Z.] … brachten keine Einschränkung der ,führenden Rolle der SED, ganz im Gegenteil: Die Partei baute ihre dominierende Stellung in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft weiter aus. Alle Bereiche des öffentlichen Lebens waren von ihr straffer zu reglementieren und genauer zu kontrollieren, freilich mit flexibleren Methoden.“72

Vor diesem Hintergrund arbeitet Weber im Folgenden heraus, wie die zentral angeleiteten Parteiinstitutionen und –organisationen seit den 70er Jahren einer Krake gleich in alle Bereiche der Gesellschaft ausgriffen. Nach dem „Prinzip des zentralistischen Parteiaufbaus“73 sei Macht dabei dezidiert „hierarchisch“74 organisiert gewesen: „Er [der hauptamtliche Apparat, T.Z.] wählte die Kader aus, setzte sie ein und bereitete ,Wahlen vor. Neben der Personalpolitik dirigierte der Parteiapparat mit seinen Beschlüssen, Direktiven und Anweisungen das gesamte Parteileben und die Aktivität der Partei. Auch die zahlreichen Instrukteure und Parteiorganisatoren, die einzeln oder in Brigaden die Organisation im Auftrag der Führung anleiteten, sicherten die strikte Durchführung der einheitlichen Politik. Typisch für den Parteiapparat war sein Zentralismus. Die Führung (Politbüro, Sekretariat, zentraler Parteiapparat) legte fest, welche Probleme sie selbst behandelte oder entschied und welche Fragen an untere Organe (Bezirke, Kreise, Grundeinheiten) delegiert wur-

70 Im Bereich der Architektenarbeit stellen etwa die noch genauer in den Blick zunehmenden Strukturen in Rostock ein Beispiel dafür dar (hierzu ausführlicher Kapitel II.2.2). 71 „Die in der Verfassung der DDR verankerte Führungsrolle der SED wurde von den Nachfolgern Ulbrichts verstärkt hervorgehoben; sie betonten sogar, diese führende Rolle müsse kontinuierlich ausgebaut werden“ (Weber, S. 374). 72 Ebd., S. 371. 73 Ebd., S. 376. 74 Ebd.

234 | A RCHITEKTEN IN DER DDR den. Nach wie vor galt, daß der Parteiaufbau ,ohne Zentralismus, ohne disziplinierte Unterordnung der örtlichen Leitung und Organe unter das Zentralkomitee unmöglich ist.“75

Herrschaftsstabilisierend sollten dabei auch die gesellschaftlichen Massenorganisationen sowie die Parteigruppen auf den unterschiedlichen Ebenen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wirken – von den Bezirks- bis hin zu den Betriebsparteigruppen im unmittelbaren Arbeitsumfeld der Menschen.76 Die Folgen dieser Entwicklung waren letztlich durchaus zweischneidig. Zum einen versuchte die Partei in noch stärkerem Maße in alle Lebensbereiche einzudringen sowie eine umfassende Anleitung und Kontrolle ihrerseits durchzusetzen. Zum anderen aber etablierten sich nun erstmals seit Mitte der 50er Jahre feste, von der Partei dominierte institutionelle Strukturen auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Gesellschaft. Allerspätestens der XX. Parteitag der KPdSU hatte zuvor nämlich dazu geführt, dass die in den frühen 50er Jahren errichteten zentralistischen Strukturen verstärkt in Frage gestellt wurden. Für die DDR lässt sich dabei feststellen, dass auch im Anschluss – also in den späten 50er sowie im Laufe der 60er Jahre – eine nachhaltige politische und strukturelle Konsolidierung ausblieb. So ist weiter oben zumindest am Rande deutlich geworden, dass die späten 50er Jahre zunächst durch große Unsicherheit und Unentschiedenheit vor allem im ideologischen Bereich gekennzeichnet waren. Die frühen 60er Jahre brachten daraufhin – an Moskau orientiert, zynischerweise aber auch durch den Mauerbau begünstigt – eine Liberalisierung in Politik und Gesellschaft, die jedoch ab 1963 sukzessive und mit dem so genannten Kulturplenum von 1965 endgültig aufgehoben wurde. Die zweite Hälfte der 60er Jahre stand dann ganz im Zeichen von NÖSPL und ÖSS, das vor allem die Betriebe selbst stärkte und ein dezentral organisiertes Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsregime durchzusetzen versuchte. Erst, nachdem Walter Ulbricht durch Erich Honecker abgelöst worden war, kristallisierte sich also endgültig jenes institutionelle Gefüge heraus, das Staat und Gesellschaft der DDR zukünftig dauerhaft bestimmen sollte. Zum Ausdruck kamen darin einerseits die Organisationsformen der Parteidiktatur in der Spätphase der DDR. Andererseits aber wird sich auch in den Bereichen von Architektenberuf und Architektenhandeln zeigen, dass mit dem Aufbau und der Durchsetzung dieser institutionellen Strukturen eine mitunter durchaus hilfreiche Verfestigung und Konsolidierung des beruflichen Handlungsumfeldes einherging. Wer in welchem Bereich und auf welcher Ebene für was zuständig war, war nun schon bald sehr viel klarer definiert als in den Jahren und Jahrzehnten zuvor. Die Folge war u.a., dass sich 75 Ebd., S. 376f. 76 „Um ihre Herrschaft zu stabilisieren, griff die SED nach 1971 auch verstärkt auf das Parteiensystem, d.h. die vier ,nichtkommunistischen Parteien – wie sie nun genannt wurden – und die Massenorganisationen zurück“ (ebd. S. 381).

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Reibungsverluste, die beispielsweise auf Grund von institutionellen Kompetenzstreitigkeiten immer wieder aufgetreten waren, wenn nicht abbauten so doch zumindest stark reduzierten. Auch die von den Fachleuten vielfach forcierte oder aber zumindest als hilfreich erachtete Nähe zur Politik ließ sich so sehr viel leichter herstellen. Darüber hinaus unterschieden sich die Strukturen der Parteiorganisation in den 70er und 80er Jahren durchaus auch von denen der frühen 50er Jahre, als mit den Prinzipien des so genannten ,demokratischen Zentralismus eine strikte Anleitung ,von oben nach unten stattfinden sollte. Nun, in den 70er und 80er Jahren, waren Rückkopplungsprozesse ,von unten – also aus den Parteiinstitutionen der unteren und mittleren Ebene heraus – bewusst, wenn auch in wohldosiertem Maße erwünscht. So konstatiert Weber, dass „[u]ntere Organe … nicht über Beschlüsse, Direktiven und Anweisungen der Führung zu befinden [hatten]“, um dann aber sogleich hinzuzufügen: „Freilich bedarf auch der straffste Zentralismus einer gewissen ,Rückkopplung            Möglichkeiten und Arbeitsweise der Basis berücksichtigen“77. Wie das aussehen konnte, zeigt Weber u.a. am Beispiel der Massenorganisationen FDGB und FDJ. Zwar waren beide auch aus seiner Sicht zweifellos „ein Instrument der SED“ 78. Deutlich wurde – so Weber weiter – jedoch auch ein „Spannungsverhältnis“ 79 . Demnach hatte der FDGB „zwischen der Funktion als Interessenvertretung der Arbeiter und den Verpflichtungen einer ,Massenorganisation“80 zu vermitteln, während die FDJ, „die die Jugendpolitik der SED als ,Helfer und Reserve der Partei verwirklichen sollte, … sich in ihrer Arbeit stets um jugendgemäße Formen bemühen“81 musste. Gerade vor diesem Hintergrund ist es für den Architektenberuf und das Architektenhandeln der 70er und 80er Jahre besonders hilfreich, den Blick immer wieder auf die Massenorganisation der Architektenschaft, also den BdA, zu lenken. Letztlich nämlich, so wird im Rahmen der folgenden Abschnitte deutlich werden, spiegelten sich in dessen Leitungsgremien, d.h. innerhalb der Präsidiums- und Bundesvorstandssitzungen, all jene Diskussionen und Debatten wider, die an der fachlichen 77 Ebd., S. 377. Mit Blick auf die Baupolitik hierzu auch Betker („Ein mindestens dreifaches Interesse hatte die SED an formalisierten Austauschprozessen in der Honecker-Ära. Es ging ihr erstens um die Vermittlung ihrer Baupolitik an die ausführende Ebene, zweitens um die Beschaffung von Informationen von der unteren Ebene und drittens um den Informations- und Erfahrungsaustauch zwischen den Akteuren auf der örtlichen Ebene“ [Betker, S. 342]). 78 Weber, S. 382. 79 Ebd. S. 381. 80 Ebd. 81 Ebd., S. 382.

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Basis geführt wurden und die es nun mit den politischen Leitlinien und Vorgaben abzustimmen galt. Damit verbunden soll an dieser Stelle auch eine Neubewertung des BdA vorgenommen werden. Da er bislang nahezu ausschließlich als ,Transmissionsriemen der Parteipolitik galt82, ist er genauso wie die von ihm geleistete Arbeit von der Forschung kaum berücksichtigt worden. Im Gegensatz dazu wird es im Folgenden ein zentrales Anliegen sein, die Protokolle der Gremienzusammenkünfte vor allem seit Anfang der 70er Jahre lückenlos auszuwerten und auf die Frage nach den dort kommunizierten Handlungsstrategien der Architektenschaft hin zu untersuchen. Dabei wird sich zeigen, dass es zumindest für die letzten beiden Jahrzehnte der DDR sinnvoller ist, dem BdA die Funktion eines zwischen fachlichen und politischen Interessen vermittelnden Katalysators als die eines alleine ,von oben gesteuerten ,Transmissionsriemens der Baupolitik zuzuweisen. Über die Auseinandersetzung mit den Diskursen im BdA lassen sich so eine Reihe von Handlungsmodi ableiten, die die Architektenarbeit in den 70er und 80er Jahren sehr wesentlich geprägt haben. Dazu gehörten vor allem unterschiedliche Formen strategischer Anpassung an die Rahmenbedingungen der Baupolitik. Sie sollen in den folgenden Abschnitten genauer beleuchtet werden. Dabei wird der Blick auf den BdA verdeutlichen, dass sich die mit dem Mittel der strategischen Anpassung verknüpften Handlungsmodi vor dem Hintergrund der sich konsolidierenden politisch-institutionellen Strukturen ebenfalls sehr viel stärker verstetigen konnten. Strategische Anpassung hatte zwar  so hat auch die vorliegende Untersuchung gezeigt  bereits in den 50er und 60er Jahren eine wesentliche Rolle gespielt. Langfristige und fest etablierte sowie DDRweit verfolgte Strategien konnten sich hingegen erst jetzt  angesichts der sich ab Anfang der 70er Jahre verfestigenden politisch-institutionellen Rahmenbedingungen  durchsetzen. Auch aus diesem Grund wird die Darstellung im Folgenden sehr viel stärker durch systematische Überlegungen gekennzeichnet sein als dies im ersten Teil der Untersuchung der Fall war.

82 Differenzierter ist hier Betker („Die SED hat zu Beginn der 50er Jahre [...] den Bund Deutscher Architekten [BDA] mit seinen Bezirksgruppen, etabliert. Dort geschah fast nichts ohne ihren Willen und Einfluß. Die Institutionen [Betker verweist hier auf die Bauakademie, T.Z.] handelten nicht autonom, ihre Aufgabe war es vor allem, die SEDBaupolitik zu vermitteln und durchzusetzen. Aber sie repräsentierten einen Berufsstand, dessen wissenschaftlichen und fachlichen Anspruch sowie dessen berufsethische Orientierungen. Diese Institutionen bildeten ein Fundament für die Organisation des fachlichen Austauschs, der in einer industriellen Fortschrittsgesellschaft wie der DDR zu den unverzichtbaren Bedingungen für Leistungssteigerungen gehörte. Sie stellten aber auch einen Kommunikationsraum dar, der informellen Netzwerken als Basis diente“ [Betker, S. 373]. Außerdem Betker, S. 357.

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II.2.2 „Architekt und Auftraggeber bilden eine dialektische Einheit“: Die Zusammenarbeit mit Staat und Partei Angesichts der sich stetig konsolidierenden staatlichen Strukturen war die Architektenarbeit in den 70er Jahren jedoch zunächst durch feste Modi der Zusammenarbeit mit Partei und Staat gekennzeichnet. Auf die generelle Bedeutung dieser Zusammenarbeit hat bereits Hermann Henselmann im Rahmen eines Interviews aufmerksam gemacht, das er 1980 der westdeutschen Architekturzeitschrift „Der Architekt“ gab: „Architekt und Auftraggeber bilden eine dialektische Einheit. Ein solcher tiefreichender revolutionärer Prozeß, wie er in unserer Republik vor sich geht, verlangt eine qualitativ veränderte Identität mit den Zielen der Partei- und Staatsführung, mit ihren Beschlüssen, die terminisiert und limitiert sind als Bestandteil der Planperioden. Zu ihr gehört eine bestimmte Art von Disziplin [...] Diese Solidarisierung mit dem Auftraggeber ist ja gleichzeitig die Solidarisierung mit den breiten Schichten der Bevölkerung [...]“83

Dass eine solche Zusammenarbeit grundsätzlich hilfreich sein konnte, lag auf der Hand und war seit den Anfängen der DDR immer wieder deutlich geworden. Gerade dort, wo Fachleute in Personalunion zugleich Baufunktionäre waren, brachten sie nicht selten auch fachliche mit politischen Interessen ins Gleichgewicht. Auch die erfolgreiche Arbeit Hermann Henselmanns und vieler seiner Kollegen wäre ohne ein Zusammenwirken mit der politischen Ebene und ein Eingehen auf deren Bedürfnisse schon in den 50er und 60er Jahren undenkbar gewesen. Letztlich aber hatte die Zusammenarbeit mit der Politik in den ersten beiden Jahrzehnten nie jene vergleichsweise festen Formen und Strukturen angenommen wie in den 70er und 80er Jahren  auch deswegen, weil das institutionelle Umfeld bis weit in die 60er Jahre hinein nicht konsolidiert, sondern in ständiger Veränderung begriffen war und beträchtliche regionale Unterschiede aufwies. Erst mit der Bildung der Kombinate und der fortschreitenden Vereinheitlichung des industriellen Bauens begannen sich ab Mitte der 60er Jahre grundsätzliche Modi des Zusammenwirkens von Fachleuten, Baupolitik und Bauwirtschaft herauszukristallisieren, die auf genau jene institutionellen Strukturen zugeschnitten waren, wie sie seit Anfang der 70er Jahre nach und nach DDR-weit etabliert wurden. Als Vorbild galt dabei vor allem der Bezirk Rostock. Hier war es seit 1965 zu einer engen Zusammenarbeit von SED83 AdK Berlin, Nachlass Henselmann, 120-01-539, Interview mit Hermann Henselmann, in: Der Architekt 3/1980, S. 127. Neben diesem staatstragenden Duktus sind Henselmanns Antworten jedoch auch von einer ganzen Reihe eher kritischer Stellungnahmen durchsetzt.

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Bezirksparteileitung und Teilen der Architektenschaft gekommen, die zuletzt u.a. in regelmäßigen Werkstattgesprächen ihren Ausdruck fand. An ihnen nahmen sowohl die leitenden Architekten des Bezirks wie auch die wichtigsten Parteifunktionäre bis hinauf zum 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Harry Tisch, teil.84 Beide Seiten waren dabei von Anfang an zum einen an der Erfüllung der politischen Leitlinien, also an einem möglichst effizienten und rasch vonstattengehenden industriellen Bauen, genauso aber auch an ihrer möglichst qualitätsvollen und ästhetisch hochwertigen Umsetzung interessiert. Die Ergebnisse konnten sich vor allem im DDRVergleich sehen lassen. Während Typisierung und Vereinheitlichung anderenorts immer wieder Monotonie und Gleichförmigkeit zur Folge hatten, hatten die Rostocker Wohngebiete optisch mehr zu bieten. Individuelle Elemente bereicherten hier die grundsätzlich getypten Wohnungsbauserien 85 , und auch der städtebaulichen 84 „Diese Dinge [die Erfolge des Rostocker Wohnungsbaus, T.Z.] [...] stehen natürlich in engem Zusammenhang mit der an sich jetzt schon seit acht Jahren geübten Praxis bei uns in Rostock in der Zusammenarbeit mit dem Sekretariat der Bezirksleitung. Das ist Ihnen bekannt. Diese Architekturkommission oder diese Arbeitsgruppe wird vom Genossen Tisch, Kandidat des Politbüros und 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Rostock, geleitet, und ich kann Ihnen sagen, es wird alles ernsthaft ausgesprochen. Es gibt also keine Voreingenommenheit in keiner Hinsicht. Die letzte Beratung war am 29.11., also vor einer Woche, und da sind alle diese Dinge hochgekommen, zum Beispiel auch, daß wir [sic!], so gut wir den Wohnungsbau beherrschen, der Gesellschaftsbau praktisch das Nadelöhr ist, um die Gesamtaufgabe zu steigern. Wenn die Zahlen im Wohnungsbau immer höher klettern [...], dann müssen wir das auch im Gesellschaftsbau machen und von den monolithischen Teilen in Zukunft abkommen“ (SAPMO, DY 15/33 [BdA], Protokoll 6. BdA-BuV-Sitzung, 07.12.1973, Diskussionsbeitrag Kaufmann, S. 72). Hierzu auch Betker: „Auch dem bis 1975 als Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung in Rostock tätigen Harry Tisch wurde nachgesagt, er habe ,dieses Verständnis für Städtebau und Architektur gehabt, sogar einen ,Sinn für anspruchsvolle Architektur , mit dem Loyalität, hin und wieder öffentliches Lob und eine Wertschätzung der Arbeit der Stadtplaner und Architekten einhergingen und gewisse Spielräume verbunden waren. Auch seine regelmäßigen Architektengespräche fanden Anklang und wurden […] auch unter dem Nachfolger Ernst Timm fortgesetzt“ (Betker, S. 306). Betker bezieht sich hier auf Äußerungen von Architekten im Rahmen der von ihm geführten Interviews. 85 Im Rahmen eines Vortrages auf der 7. BdA-BuV-Sitzung vom 26.04.1974 gab so etwa der 1. Vizepräsident des Bundes, Hans Gericke, einen Redebeitrag von Peter Baumbach wider: „Kollege Baumbach in Rostock wies darauf hin, daß neben den Grundelementen, die die Basis der Fließfertigung bilden, Sonderelemente in einem speziell dafür konstruierten alten Plattenwerk geschaffen werden, so daß sich kaum Schwierigkeiten für die gestalterischen Lösungen zeigen. Das geht soweit, daß ganze Giebelwände mit individuellen künstlerischen Lösungen im Rahmen der normalen Plattenproduktion gestaltet wer-

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Qualität der Stadträume wurde eine vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit zuteil. Wurde anderenorts oftmals komplett auf den Bau von Wohngebietszentren und Gesellschaftsbauten verzichtet, so entstand in Rostock teilweise ambitionierte Architektur  beispielsweise die durch ein Kollektiv86 um Erich Kaufmann entworfene und von Ulrich Müther realisierte Mehrzweckhalle des Wohngebiets RostockLütten Klein. In Rostock wurde also schon in den 60er und frühen 70er Jahren deutlich, wie der intensivierte Typenbau gestalterisch anspruchsvoller umgesetzt werden und wie zentral dabei eine institutionalisierte Verständigung der Architektenschaft mit Parteistellen sein konnte. Mit der weiteren Intensivierung des Wohnungsbauprogramms und des Typenbaus ab Anfang der 70er Jahre versuchten sich die Fachleute bald auch DDR-weit am Vorbild Rostocks zu orientieren. So hob schon Edmund Collein im Rahmen einer BdA-Parteigruppensitzung des Jahres 1970 die vorbildliche Zusammenarbeit von BdA und Bezirksparteileitung in Rostock hervor. 87 Spätestens auf der BdABuV-Sitzung vom Dezember des gleichen Jahres wurde dann unterstrichen, dass das Vorbild Rostocks zukünftig auf andere Bezirke übertragen werden sollte.88 Ge-

den konnten“ (SAPMO, DY 15/34 [BdA], Protokoll 7. BdA-BuV-Sitzung, 26.04.1974, Hans Gericke zum Thema „Die Aufgaben der Organe des Bundes der Architekten der DDR in Vorbereitung des 7. Bundeskongresses 1974“). 86 Am Entwurf beteiligt waren u.a. Carl-Heinz Pastor und Hans Fleischhauer. 87 „Wir haben Bezirke, wo zum Beispiel, wie in Rostock direkt beim 1. Sekretär der Bezirksleitung ein Beirat gebildet worden ist, in dem der BDA offiziell aufgenommen ist, also unmittelbar wirksam werden kann bei der Beratung wichtiger Beschlüsse der Partei für den Bezirk.“ Neben Rostock verwies Collein zudem auf weitere ähnlich gelagerte Beispiele: „Wir haben in anderen Bezirken, in Cottbus, aber auch in Magdeburg usw., direkte Beziehungen auch zu den örtlichen Organen, wo es ebenfalls entsprechende Gremien gibt, in die der Bund Deutscher Architekten einbezogen ist“ (SAPMO, DY 15/26 [BdA], Protokoll BdA-Parteigruppensitzung, 19.02.1970, S. 4). 88 „Es wird deutlich, daß die Ausarbeitung eines [...] einheitlichen Führungsdokumentes keine Ressortangelegenheit sein kann [...] Es hat sich bereits in einer Reihe von Bezirken, wie zum Beispiel in Rostock, als richtig erwiesen, daß solche Dokumente von Arbeitsgruppen auch unter Einbeziehung von Architekten vorbereitet werden. Der 1. Sekretär der Bezirksleitung Rostock der SED, Genosse Harry Tisch, diskutiert monatlich städtebauliche Probleme in einer Arbeitsgruppe, in der auch neun Architekten des Bundes mitarbeiten. Die Bildung von Arbeitsgruppen der leitenden Funktionäre der Partei und der staatlichen Leitungen mit Vertretern des BdA in den Bezirken und Kreisen – zur Diskussion der politisch-ideologischen Zielstellungen, die sich dann in Vorgaben für die städtebaulichen und architektonischen Aufträge niederschlägt – wird als Empfehlung an das Ministerium für Bauwesen weitergegeben“ (SAPMO, DY 15/27 [BdA], Kollege Dorn,

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meint waren dabei weniger konkrete gestalterische Ziele und Vorstellungen. Zur Sicherstellung architektonisch-städtebaulicher Qualität sollten vielmehr die Verzahnung und das Ineinandergreifen von Partei- und BdA-Arbeit, Politfunktionären und Fachleuten auch anderenorts übernommen werden. Ganz allgemein forderte so etwa Joachim Näther im Rahmen der 4. BdA-BuVSitzung vom 01. Dezember 1972, „[...] daß wir ein stärkeres Zusammenwirken mit dem gesellschaftlichen Auftraggeber unbedingt herbeiführen müssen. Der BdA und überhaupt jeder an seinem Arbeitsplatz als Architekt muß aus seiner Isolierung als Fachmann heraustreten und Verbindung mit diesem gesellschaftlichen Auftraggeber aufnehmen.“89

Hoffnung des BdA war es dabei auch, auf diese Weise zugleich als parteipolitischer ,Transmissionsriemen, genauso aber auch sehr viel stärker im fachlichen Interesse wirken zu können. Zum Ausdruck kam das etwa im Rahmen eines Referates, das Bruno Flierl 1976 auf der 3. BdA-BuV-Sitzung hielt. Nachdrücklich unterstrich er damals: „Wie die Erfahrung zeigt, kann die Initiative des BdA bei der sozialistischen Umgestaltung unserer Städte immer nur so gut sein und sich auch immer nur in dem Maße in der Praxis auswirken, wie sich die Arbeit des BdA mit der Arbeit des Chefarchitekten der Stadt und seinem Büro für Städtebau unter der Führung der Partei und der örtlichen Organe schöpferisch vereint und entwickelt.“90

Das engere Zusammenrücken von Politik und Architektenschaft wurde also auch deswegen als eines der wichtigsten anzustrebenden Ziele ausgegeben und jede neue Verbindung zwischen Politik und Fachleuten als Erfolg verbucht. Wichtigstes Ziel der Architekten war es dabei vor allem, fachlich wieder sehr viel stärker wahrgenommen zu werden. Statt lediglich ein Rädchen im Getriebe des Projektierungs- und Produktionsmechanismus zu sein, konnte aus engeren und fruchtbaren Kontakten zur Partei erneut das Gefühl einer gewissen fachlichen Autorität und Autonomie erwachsen.91 Geradezu euphorisch wurde denn auch Anfang der 80er Jahre hervorgehoben, dass die BdA-Bezirksdelegiertenkonferenzen diese Bericht über einige Probleme der bautechnischen Projektierung in den Baukombinaten, Protokoll 11. BdA-BuV-Sitzung, 04.12.1970, S. 26f.). 89 SAPMO, DY 15/31 (BdA), Protokoll 4. BdA-BuV-Sitzung, Diskussionsbeitrag Näther, 01.12.1972, S. 76. 90 SAPMO, DY 15/36 (BdA), Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 03.12.1976, Diskussionsbeitrag Flierl, S. 15. 91 Eine ähnlich wichtige Rolle konnte zudem der enge Kontakt zur Bauwirtschaft spielen.

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zunehmende Autorität des Bundes und der Fachleute wiederspiegeln würden. Betont wurde dort, dass in verstärktem Maße die Sekretäre für Wirtschaftspolitik und die Abteilungs- und Sektorenleiter für Bauwesen der Bezirksleitungen der SED, Bezirksbaudirektoren, Bezirksvorsitzende des FDGB und der IG Bau-Holz, des VBK und des Fachverbandes Bauwesen der KdT (Kammer der Technik), des Kulturbundes sowie Kombinatsdirektoren an diesen Sitzungen teilnahmen. 92 Die Zusammenarbeit bewegte sich also zum einen im institutionellen Rahmen. Regierungs- und Parteistellen aller Ebenen arbeiteten dabei mit den ihnen spiegelbildlich zugeordneten BdA-Gruppen und Institutionen des Bauwesens zusammen. Zum anderen aber betraf sie damit auch die konkrete Akteursebene. Den politischen Funktionären, BdA-Funktionären, aber auch einzelnen Fachleuten kam als Einzelakteuren erneut eine besondere Bedeutung zu. Dabei übernahmen sie eine zwischen der politischen und der fachlichen Ebene vermittelnde Scharnierfunktion. Sie führte letztlich auch in den 70er und 80er Jahren zu einer Form der Personalisierung, die gemäß der offiziellen ideologischen Leitlinien nach wie vor als nicht opportun galt. Aus mechanisch ablaufenden, lediglich in Gang zu setzenden und zu haltenden Prozessen wurde damit erneut ein vom Einzelakteur, also auch dem Architekten und Fachmann mitbestimmtes Planen und Bauen. So verwundert es kaum, dass der BdA die Erfolge, die in Rostock und anderenorts auf die Zusammenarbeit von Partei und Fachleuten zurückzuführen waren, nicht nur mündlich zu propagieren, sondern auch schriftlich zu kodifizieren und damit für allgemeinverbindlich zu erklären versuchte. Auf diese Weise erfüllte man zum einen politische Vorgaben und Erwartungshaltungen, zum anderen wurde man aber eben auch eigenen fachlichen Interessen gerecht. Besonders deutlich zum Ausdruck kam das im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung, die im September 1984 stattfand. Horst Siegel, Chefarchitekt der Stadt Leipzig, stellte hier eine Blaupause vor, die für die Arbeit aller Architekten Orientierungshilfe sein und Mustergültigkeit erlangen sollte. In drei Punkten beschrieb er dabei, auf welchen verschiedenen staatlichen und institutionellen Ebenen die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten und Politik verwirklicht werden sollte. Die fast schon programmatischen Ausführungen Siegels stellten dabei einerseits eine Handlungsanweisung dar, beschrieben

92 „Der 2. Sekretär schätzt im Zusammenhang mit den Bezirksdelegiertenkonferenzen ein, daß diese die gewachsene Autorität des Bundes in den Territorien widerspiegelten. An den Konferenzen nahmen in 11 Bezirken die Sekretäre für Wirtschaftspolitik und in allen Bezirken die Abteilungs- bzw. Sektorenleiter für Bauwesen der Bezirksleitungen der SED, die Bezirksbaudirektoren und an einer Reihe von Bezirkskonferenzen die Bezirksvorsitzenden des FDGB bzw. der IG Bau-Holz, des BVK VBK [etwas unleserlich, T.Z.], des Fachverbandes Bauwesen der KDT, des Kulturbundes sowie Kombinatsdirektoren teil“ (SAPMO, DY 15/40 [BdA], Protokoll 13. BdA-BuV-Sitzung, 08.12.1981, S. 3).

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andererseits aber auch wesentliche Grundlagen und Ziele der BdA-Arbeit selbst. Sie sollen an dieser Stelle deswegen ausführlich wiedergegeben werden: „1. Entscheidend für unsere Arbeit ist das übereinstimmende Handeln mit der Partei der Arbeiterklasse. Städtebau und Architektur sind durch ihre Spezifik stets besonders eng mit der herrschenden Klasse verbunden. Deshalb sind die persönlichen Gespräche, vor allem mit den 1. Sekretären der SED-Bezirksleitungen, mit den Genossen der Stadtleitungen besonders wichtig. Diese Gespräche sind durch den jeweiligen Bezirksvorstand unseres Fachverbandes zu aktivieren. 2. Bewährt haben sich auch die Arbeitsvereinbarungen mit den Vorsitzenden der Räte der Bezirke, wie aber auch die darauf aufbauenden Vereinbarungen auf der Ebene der Kreise und Gemeinden sowie der Betriebe. Über derartige Vereinbarungen wird die Zusammenarbeit meßbarer und abrechenbarer gestaltet. Diese erfolgreiche Verfahrensweise ist konsequent fortzuführen. Drittens [sic!] lehrt die Erfahrung, daß unserer Mitglieder stärker als bisher in den Volksvertretungen, einschließlich der ständigen Kommissionen, wirksam werden müssen, um mit dem Einfluß und mit der Kraft der Abgeordneten der Bedeutung von Städtebau und Architektur als Ausdruck und Bestandteil unserer Nationalkultur noch besser gerecht zu werden und den Gesamtprozeß noch effektiver gestalten zu können.“93

Deutlich wurde bereits hier, dass die Zusammenarbeit zwischen Partei und Fachleuten ganz unterschiedliche Formen annehmen und auf verschiedenen institutionellen Ebenen angesiedelt sein konnte. Sie war deswegen auch eine wichtige Grundlage für die regional sehr unterschiedlichen und vergleichsweise pluralistischen Erscheinungsformen von Architektur und Städtebau in den 70er und 80er Jahren  trotz baupolitischer Leitlinien und Rahmenbedingungen, die weiterhin und verstärkt auf Zentralisierung, Vereinheitlichung und Aufwandsbegrenzung ausgerichtet waren. Für diese Zeit lohnt es deswegen, den Blick immer wieder auch auf die Mikroebene institutioneller Zusammenarbeit und einzelner Projekte zu richten  neben und in Ergänzung zur allgemeinen Baupolitik. Einige Beispiele sollen an dieser Stelle illustrierend und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit herausgegriffen werden.94

93 IRS BdA 4.3, Protokoll 6. BdA-Präsidiumssitzung, 28.09.1984, Diskussionsbeitrag Siegel, S. 23f. 94 Zu diesem Thema grundlegend auch Betker.

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Die Zusammenarbeit zwischen Architektenschaft, Partei und Regierung auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen: Einige Beispiele Das lokale Einzelprojekt Zuallererst konnte eine enge Zusammenarbeit zwischen politischen und fachlichen Akteuren auf der Ebene des Einzelprojektes angesiedelt sein. Ähnliches hatte es zwar bereits in den 60er Jahren gegeben, so etwa im Falle von Hermann Henselmanns Haus des Lehrers, wurde nun aber sehr viel stärker als eine fest zu institutionalisierende Strategie im Rahmen des Architektenhandelns propagiert. Ein recht frühes Beispiel dafür stellt nach dem Amtsantritt Erich Honeckers die Weiterund Neubebauung des Wohngebiets Fennpfuhl am Nordostrand der Berliner Innenstadt dar. Im Rahmen einer längeren Planungs- und Bauphase entstand hier ein Wohnkomplex, für den der schon seit den 60er Jahren tätige Architekt Heinz Graffunder als Komplexarchitekt verantwortlich zeichnete. Graffunder konnte bereits auf einige Erfahrung mit diesem Aufgabenprofil eines Architekten zurückblicken. So hatte er zuvor erfolgreich den durchaus als Pilotprojekt zu verstehenden Wohnkomplex Rathausstraße im Ostberliner Stadtzentrum betreut.95 Am Fennpfuhl ging Graffunder nun dazu über, den Auftraggeber ganz dezidiert in seine Arbeit und damit im übertragenen Sinne auch in das Planungskollektiv einzubeziehen. Dafür gab es sogar einen festen Ort, nämlich eine leer stehende Schule an der Leipziger Straße  ein Umstand, den Graffunder mit der amüsierten Bemerkung kommentierte, dass dort letztlich alle Beteiligten, also Fachleute, aber auch Politfunktionäre, in die Lehre gingen.96 Die zentrale Idee Graffunders war dabei, dass durch ihre Zusammenarbeit alle voneinander lernen und sich von Beginn an sowie von gegenseitigem Respekt getragen untereinander abstimmen sollten, um so ein für alle Seiten zufriedenstellendes und im Rahmen des Möglichen optimales Projektergebnis zu garantieren. Der gesamte planerische Vorlauf sollte vor diesem Hintergrund optimiert werden. Am Fennpfuhl konnte auf diese Weise tatsächlich eher Außergewöhnliches realisiert werden. Dazu gehörte etwa die bautechnisch recht aufwändige Dominantenbildung im Zentrum des Wohnkomplexes mit Hilfe zweier Wohnhochhäuser der Bauserie 95 Hierzu ausführlicher Kapitel I.3.3. 96 „Bei der Vorbereitung unseres gegenwärtig größten Wohngebietes – dem Fennpfuhl



[...] blieb uns also keine andere Wahl, als alle beteiligten Partner des Auftraggebers und des ausführenden Betriebes in einem großen Kollektiv zu vereinen und in ein Ausweichquartier, einer neuen noch nicht voll genutzten Schule in der Leipziger Straße, sozusagen als ,Oberschüler auf Zeit , einziehen zu lassen“ (ADK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I/Kasten 11, Diskussionsbeitrag Graffunders zur Bauarbeiter-Aktivtagung, Kongresshalle Berlin, 10.05.1972, S. 2).

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SKBS 75, die für den städtebaulichen Anspruch des Entwurfs stand.97 Euphorisch berichtete Graffunder denn auch im Rahmen einer Bauarbeiter-Aktivtagung in der Kongresshalle über ,sein Projekt und erreichte hier sogar den der Veranstaltung ebenfalls beiwohnenden Erich Honecker. Ähnlich wie schon im Falle der Rathausstraße regte Graffunder auch bei dieser Gelegenheit an, es gelte  ausgehend von den Erfahrungen kollektiver Zusammenarbeit am Fennpfuhl  „die zweite Runde unserer Gemeinschaftsarbeit [zwischen Politik und Fachleuten, T.Z.] einzuläuten“98, also die am Fennpfuhl gemachten Erfahrungen auf andere Projekte zu übertragen. Als ein weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit von Fachleuten und Partei auf der Ebene des Einzelprojektes können die Planungen der so genannten Aufbauleitung Sondervorhaben und späteren Baudirektion Berlin gelten. Sie sollen hier noch gesondert und etwas ausführlicher betrachtet werden, weil die von ihr verwirklichten Projekte zentral für die Architekturgeschichte der 70er und 80er Jahre sowie für die Architektenarbeit im Bereich des repräsentativen Gesellschaftsbaus waren. Aus dem Zusammenwirken von Fachleuten und Partei sind hier Bauten von besonderer Ausstrahlungskraft und Öffentlichkeitswirksamkeit hervorgegangen, die nicht zuletzt die Staats- und Parteiführung selbst zufriedenstellten  ging es ihr doch nach wie vor auch um eine angemessene bauliche Repräsentation des Staates nach innen und außen. Für die Planung und Errichtung des Palastes der Republik wurde zunächst eine eigenständige Institution  die Aufbauleitung Sondervorhaben  geschaffen, die sowohl den planerischen Vorlauf als auch die Bauausführung kontrollierte und eine enge zeitliche Abstimmung beider Prozesse, genauso aber auch zwischen Politik und Fachleuten sicherstellen sollte.99 Ziel war dabei die Fertigstellung des Palastes bis zum IX. Parteitag der SED 1976. Leiter der Aufbauleitung wurde Ehrhardt Gißke. Gißke war in den späten 50er Jahren Stellvertreter des Chefarchitekten von Berlin, Hermann Henselmann, und später Stadtbaudirektor gewesen.100 Schon damals hatte er sich  so wurde jedenfalls immer wieder behauptet  als Prozessorganisator und Organisationstalent einen Namen gemacht. Der ausgebildete Bauingenieur repräsentierte damit schon früh ein Ideal, das der Staats- und Partei97

Die Verwendung der Stahlskelettbauweise bedurfte im Wohnungsbau gewöhnlich einer besonderen Begründung, war hier also mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine frühzeitige Abstimmung mit den zuständigen Parteistellen zurückzuführen.

98

ADK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I/Kasten 11, Diskussionsbeitrag Graffunders zur Bauarbeiter-Aktivtagung, Kongresshalle Berlin, 10.05.1972, S. 3.

99

Zur Aufbauleitung Sondervorhaben, zur Baudirektion Berlin und zum Bauvorhaben Palast der Republik u.a. ausführlich Ehrhardt Gißke, Bauen  mein Leben, Berlin 1987; Kuhrmann.

100 Zur Biographie Gißkes u.a. IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 02/0177 (Ehrhardt Gißke).

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führung auch für das Berufsbild des Architekten vorschwebte. Zur Aufbauleitung Sondervorhaben bzw. zur späteren Baudirektion Berlin stießen dann je nach Projekt weitere Architekten, die einzelne Gesamt- oder Teilplanungen betreuten. Ebenso wie Gißke kamen dabei viele aus dem Umfeld Hermann Henselmanns  ein sehr eindrücklicher Hinweis auf jene Bedeutung, die das von Henselmann aufgebaute Netzwerk von Fachleuten bis in die 70er und 80er Jahre hinein hatte. Zu nennen sind dabei neben Heinz Graffunder101 selbst u.a. Dieter Bankert, Manfred Prasser oder Wolf-Rüdiger Eisentraut. Deutlich wurde hier also auch, wie sich die persönlichen Netzwerke der 60er Jahre in vielen Fällen im Laufe der 70er institutionell verfestigten. Das besondere und für diesen Abschnitt der Untersuchung eigentlich bedeutsame an der Baudirektion Berlin war jedoch, dass sie unmittelbar dem MfB unterstellt und diesem gegenüber weisungsgebunden, also der BA vergleichbar war. Die Abstimmung mit den Parteistellen war deswegen besonders eng und fand in diesem Fall wegen der hochangebundenen Projekte und durch die Veortung beim MfB vor allem mit der Parteispitze in ZK und Politbüro der SED statt. Natürlich spielten auch andere Faktoren eine Rolle, wenn es um die Durchsetzung der qualitativ vergleichsweise hochwertigen Entwürfe ging  etwa das größere Finanzvolumen, das auf Grund des Schaufenstercharakters Ostberlins zur Verfügung stand.102 Der stän101 Karriereförderlich war für Heinz Graffunder sicherlich auch die Tatsache, dass er Erhardt Gißke bereits seit den 50er Jahren kannte: „Als 1953 das Nationale Aufbauwerk in Berlin seinen ersten Höhepunkt erreicht hatte, lernte ich ihn auf ,meinem Bau – dem Neubau eines Junggesellenhauses in der Friedrichsberger Str. hinter der damaligen Sporthalle in der Stalinallee – kennen. Er wirkte auf mich da schon wie heute, abgesehen von den Fältchen mehr im Gesicht und der leichten Vorwärtskrümmung der stets hageren, turmartigen Erscheinung: Er war kurz und kritisch – eben wie ein Auftraggeber, der weiß, was er will und was er kann – fordernd, fördernd und festlegend in einem Atemzuge. Da blieb nie Spielraum für Palaver oder Philosophieren, aber es gab Dampf und immer ging ,die Post ab . Unser Zwischenraum war stets motorisch, aktiv und ...positiv! ,Hör auf mit dem Gemecker! bekam mancher gleich bremsend in die Hörner. Das Arbeiten mit ihm war (und ist) nie bequem, man mußte sich schließlich vorbereitet haben, etwas in der Tasche haben. Aber es war ansteckend, diese Arbeitsweise – wenn auch nicht erreichbar – denn immer gab es Fortschritt. Es gab auch Spielraum für Einsichten, wenn bessere und logische Vorschläge kamen. Das klappte aber nur bei denen, die das Ja-Sagen überwinden konnten [...] In der Friedrichsberger Strasse 25 wurde er als Neu-Berliner vorübergehend Mieter, so wie ich als Noch-Junggeselle“ (AdK Berlin, Nachlass Graffunder, Nachlassteil I/Kasten 11, Heinz Graffunder: Gedanken zu Ehrhardt Gißkes 65. Geburtstag, 03.02.1989, S. 1). 102 Hierzu auch Werner, S. 23. Diese Bevorzugung Berlins sorgte vor allem im Laufe der 80er Jahre immer wieder für Unmut, als im Rahmen der zahlreichen, zur 750-Jahrfeier

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dige Dialog zwischen politischer und fachlicher Ebene, oftmals über Gißke vermittelt, leistete aber in jedem Fall entscheidende Beiträge. Gißke, der rückblickend häufig als schwierig beschrieben und deswegen kritisch beurteilt wurde, verstand sich dabei offenbar vielfach auch als Sprachrohr und Interessenvertreter der Architekten  mit durchaus eigenem Kopf, eigenen Vorstellungen und Zielen. Um ihn herum etablierte sich mit der Arbeit am Palast der Republik ein eingespieltes Team aus Politfunktionären, Fachleuten und Bauausführenden. Der Arbeitsprozess verlief beim Palast der Republik so reibungslos und zeitigte so überzeugende Ergebnisse, dass die Aufbauleitung Sondervorhaben bestehen blieb und in den nachfolgenden Jahren als Baudirektion Berlin vor allem für den weiteren Ausbau des Berliner Stadtzentrums im Vorfeld der 750-Jahrfeier verantwortlich zeichnete. Die zunächst nur für den Palast verpflichteten Architekten konnten dabei ebenfalls immer wieder von der dort geleisteten Arbeit profitieren. Auch weiterhin wurden sie nämlich regelmäßig einbezogen und entwickelten sich im Laufe der späten 70er und der 80er Jahre zu gefragten Spezialisten für jene Entwurfsaufgaben, für die sie schon beim Bau des Palasts verantwortlich gewesen waren. 103 Manfred Prasser etwa entwarf für den Friedrichstadtpalast und das Konzerthaus am Platz der Akademie erneut die Veranstaltungssäle, Dieter Bankert die Fassaden des Friedrichstadtpalastes. Zu ihnen stieß zudem bald der etwas jüngere Günter Stahn, der sich auf der Grundlage

der Stadt errichteten Bauprojekte zunehmend Baukapazitäten aus den Bezirken abgezogen wurden (hierzu ausführlich Betker, S. 289-292). 103 Verwiesen sei hier erneut auf Heinz Graffunders Rede zu Gißkes 65. Geburtstag (vgl. hierzu Fußnote 101). Florian Urban schreibt zu dieser Thematik zudem: „Seit 1973 gab es in der DDR eine Institution, die sämtliche prestigeträchtigen Bauprojekte übersah: die Abteilung Sondervorhaben, später umbenannt in Generalbaudirektion des Ministeriums für Bauwesen. Sie wurde für den Bau des Palastes der Republik eingerichtet, unterstand direkt dem Ministerium für Bauwesen und wurde bis zum Ende der DDR von Ehrhardt Gißke geleitet. Praktisch hatte Gißke in vielen Bereichen konkreteren Einfluss als sein Vorgesetzter Wolfgang Junker. In den 16 Jahren seiner Tätigkeit leitete er weit über hundert Bauprojekte [...] Hier bestimmte Gißke sowohl die Auswahl der Designer – Manfred Prasser, der Architekt zahlreicher Gebäude am Platz der Akademie, kam durch Gißke zu seinem Posten – als auch einzelne Entwurfsentscheidungen. Mit Gerhard Trölitzsch war er freundschaftlich verbunden, sein Draht zum Politbüro war gut. Als talentierter Stratege konnte sich Gißke oft auch in solchen Fällen durchsetzen, in denen er nicht auf die Unterstützung seines Vorgesetzten Wolfgang Junker hoffen konnte“ (Urban, S. 229). Die Prozesse rund um die Baudirektion Berlin im einzelnen zu rekonstruieren und nachzuvollziehen ist heute jedoch sehr schwierig, da der Verbleib des Archivs der Baudirektion Berlin nach wie vor nicht geklärt ist und auch Erhardt Gißke nach seinem frühen Tod 1993 für Auskünfte nicht mehr zur Verfügung steht.

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einer Dissertation über Fußgänger- und Einkaufsbereiche104 als Fachmann für Freizeitarchitekturen einen Namen machte. Der Pionierpalast Ernst Thälmann in der Berliner Wuhlheide, vor allem aber die Neubebauung des Nikolaiviertels in unmittelbarer Nähe des Roten Rathauses gingen auf die Arbeit seines Kollektivs in Zusammenarbeit mit der Baudirektion und damit auch der Partei zurück.105 Die Großprojekte der 70er und 80er Jahre, die heute immer als die eigentliche Architektur dieser Jahre verstanden werden, erwuchsen also ganz dezidiert aus dem Miteinander von politischer und fachlicher Ebene und den daraus hervorgehenden persönlichen Netzwerken. Die Bezirksebene Eine Ebene, auf der die Zusammenarbeit zwischen Partei und Regierung in sehr viel allgemeinerer Weise eine besonders wichtige Rolle spielte, war die des Bezirkes. Dazu trug sicherlich das Vorbild Rostocks bei. Die entsprechenden Strukturen waren dort schon ab Mitte der 60er Jahre ausgebildet und seit den frühen 70ern insbesondere von den leitenden Funktionären des BdA als vorbildlich propagiert worden. Letztlich versuchte man also vielerorts nachzuahmen, was in Rostock bereits mehr oder weniger erfolgreich etabliert worden war und nun ,nur mit anderem Personal, sei es auf politischer oder aber fachlicher Seite, umgesetzt werden musste. Genau in diesem Bereich entschied sich allerdings auch, ob sich ähnliche Strukturen der Zusammenarbeit anderenorts etablieren, wirksam werden und Erfolge zeitigen konnten. Beide Seiten  sowohl die politische wie auch die fachliche, die noch dazu in vielen Fällen nicht eindeutig voneinander zu trennen waren  mussten Interesse an einer solchen Zusammenarbeit und darüber hinaus an einer Architektur und einem Städtebau haben, der über die üblichen Standards der Typenserien, Elementkataloge und Wiederverwendungsprojekte hinausging. Denn auch für viele Fachleute ging es bald nur noch darum, die vorgegebenen Pläne zu erfüllen.106 Quantität rangierte dabei nicht selten weiter vor Qualität, auch wenn man zusammenarbeitete oder gleichermaßen als Fachmann und Funktionär tätig war. Über die konkrete Gestalt der Ergebnisse, die aus der politisch-fachlichen Zusammenarbeit resultierten, wurde damit also ebenfalls gerade auch auf Akteursebene entschieden. Im Laufe der 70er Jahre entstanden dabei jedoch mancherorts fruchtbare Allianzen zwischen Parteistellen und Fachleuten. Einige Beispiele  jedes etwas anders gelagert und erneut ohne Anspruch auf Vollständigkeit  sollen im Folgenden in den Blick genommen werden. 104 Günter Stahn, Probleme der räumlichen Umgestaltung großstädtischer Zentrumsbereiche im Prozeß der Herausbildung der sozialistischen Lebensweise, dargestellt am Beispiel der Friedrichstraße in Berlin, Dissertation A, Berlin 1972. 105 Hierzu ausführlicher Urban. 106 Darauf wies 1987 etwa Wolf-Rüdiger Eisentraut hin (vgl. hierzu Kapitel III.2.3).

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Sehr früh konnte so etwa der Bezirk Erfurt vom Vorbild Rostocks profitieren. Während einer BdA-Parteigruppensitzung des Jahres 1972 107 hob BdAParteisekretär Alfred Hoffmann denn auch die Verdienste der Erfurter Akteure hervor. Eine zentrale Rolle spielte dabei  so Hoffmann  der Chefarchitekt des örtlichen Wohnungsbaukombinates Joachim Stahr. Stahr hatte sich in den frühen 60er Jahren im Bereich des Wohnungsbaus zunächst wissenschaftlich qualifiziert und war dann in die Praxis gewechselt. Er konnte also auf einen entsprechend großen theoretischen wie praktischen Erfahrungsschatz zurückgreifen und hatte frühzeitig mit gestalterisch ansprechenden und über das Normalmaß hinausgehenden Wohnungsbauentwürfen auf sich aufmerksam gemacht. 108 Dabei konnte er sicherlich zunächst noch von der Tauwetterperiode der frühen 60er Jahre, aber auch von der sich bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre hinein auf den Wohnungsbau konzentrierenden Baupolitik profitieren. Was Hoffmann nun auf der BdA-Parteigruppensitzung hervorhob war das große Interesse Stahrs an einer zwischen dem Fachlichen und dem Politischen vermittelnden Rolle und Tätigkeit. So betonte Hoffmann, Stahr betreibe keine bloße Fachressort- oder Professionspolitik, sondern versuche darüber hinaus, den Interessen aller Beteiligten und insbesondere auch der politischen Ebene gerecht zu werden.109 Die Ergebnisse konnten sich im DDR-Maßstab sehen lassen und waren denen in Rostock durchaus vergleichbar. Auch der Erfurter Wohnungsbau hob sich schon bald von den anderenorts entstehenden Wohnsiedlungen und Wohnkomplexen ab. Von seiner erfolgreichen Arbeit profitierte Stahr auch in anderer Hinsicht. So hatte er schon 1969 eine Professur für Wohn- und Gesellschaftsbau an der HAB Weimar erhalten.110 Hier konnte er sein über lange Jahre gesammeltes Fachwissen einbringen und Einfluss nehmen auf die weitere theoretische und praktische Unterfütterung sowie qualitative Weiterentwicklung des Wohnungsbauprogramms der 70er und 80er Jahre. Damit wird am Beispiel Stahrs noch ein 107 SAPMO, DY 15/31 (BdA), Protokoll BdA-Parteigruppensitzung, Diskussionsbeitrag Tagungsleiter Gen. Alfred Hoffmann, 30.12.1972. 108 Zur Biographie Stahrs IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 17/1742 (Joachim Stahr). 109 „Eine ähnliche Aktivität können wir dem Genossen Professor Stahr in Erfurt bescheinigen, der leider heute nicht da ist. Die Genossen in Erfurt sind auch so herangegangen, daß sie zunächst zu den Organen der Bezirksleitung und auch des Staatsapparats funktionierende Kontakte hergestellt haben und nicht anfangen, jetzt in engerer Weise so Fachressortpolitik zu machen und so Professionspolitik hier zu betreiben, sondern eben Politik der Partei auf einem konkreten Gebiet zu entwickeln. Was bei den Erfurtern hervorsticht, das sind die seit Jahren beliebten und erfolgreichen Qualifizierungsmaßnahmen im Bezirk, das ist auch das Engagement dieser Genossen in der Fachgruppenarbeit“ (SAPMO, DY 15/31 [BdA], Protokoll BdA-Parteigruppensitzung, Diskussionsbeitrag Tagungsleiter Gen. Alfred Hoffmann, 30.12.1972, S. 20f.). 110 IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 17/1742 (Joachim Stahr).

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weiterer Aspekt der Zusammenarbeit zwischen fachlicher und politischer Ebene sichtbar, der schon die vorangegangenen Jahrzehnte geprägt hatte und auch unter Honecker weiter seine Gültigkeit behalten sollte. So konnten sich aus der Zusammenarbeit heraus fachliche Aufstiegsmöglichkeiten ergeben.111 Im Falle von Stahr kam mit dem Renommee der Professur zudem noch ein weiterer Aspekt hinzu. In Weimar konnte er in einem Bereich tätig sein, der mehr geistige und gestalterische Flexibilität erlaubte und Raum bot für zumindest auf dem Papier über das gegenwärtig Machbare hinausgehende Ansätze. Stahr sollte dabei auch großen Einfluss auf Haltungen und fachliche Vorstellungen der jüngsten Architektengeneration und damit auf die Entwicklungen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre haben.112 Vergleichbar war die Situation in Berlin  ebenfalls eines der Beispiele, das Alfred Hoffmann auf der Parteigruppensitzung des Jahres 1972 lobend hervorhob. Hier war es vor allem seit den 80er Jahren eine Personalunion, die entscheidend war. Chefarchitekt des Wohnungsbaukombinates wurde 1985 der 1928 geborene Helmut Stingl. 113 In den Vorjahren war Stingl zudem Vorsitzender der BdABezirksgruppe Berlin gewesen und hatte u.a. darüber bereits den Kontakt zur Berliner Bezirksparteileitung herstellen können. Die Handlungsmöglichkeiten waren auf dieser Ebene schwierig und gut zugleich. Schwierig, weil seit 1971 Konrad Naumann Erster Sekretär der Bezirksparteileitung war und eine konservativ-restriktive Politik fuhr, die vor allem im Zuge der zunehmenden politischen Erstarrung problematische Züge annehmen sollte. 114 Gut jedoch, weil Stingl und der BdA an 111 Auf die DDR im Allgemeinen bezogen weist denn auch Weber für die 70er Jahre darauf hin: „Die Leistungsgesellschaft der DDR war auch zu einer ,Laufbahngesellschaft geworden, mit ,ausgeprägtem Streben nach Aufstiegspositionen

und einem in

,bestimmten Berufsbildern institutionalisierten Sozialprestige “ (Weber, S. 389). 112 Hierzu ausführlich Kapitel III.3.3. 113 Zur Biographie Stingls IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 07/0698 (Helmut Stingl) sowie Barth (2000), S. 227. 114 Hierzu Manfred Jäger: „Der militante und ehrgeizige Konrad Naumann (Jahrgang 1928, also 16 Jahre jünger als Honecker) hielt sogar begrenzte Zugeständnisse an Künstler und Schriftsteller für selbstmörderisch und inopportun. Bis zu seinem Sturz im Jahre 1985 war er ein mächtiger Mann, Mitglied des Politbüros und von 1984 an zugleich Sekretär des Zentralkomitees der SED und Mitglied des Staatsrats. Von 1971 bis zu seiner Entmachtung 1985 war Naumann auch 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin und beanspruchte die Zuständigkeit für das hauptstädtische Kulturleben, was bei der zentralistischen Struktur der DDR eine erhebliche Machtfülle einschloß. Seine dauernden Interventionen belästigten enorm die Ost-Berliner Kabarettisten und Theaterleute, deren Kollegen in Dresden oder Leipzig zum Beispiel größere Freiräume in Anspruch nehmen konnten [...] Solche ideologische Desorientierung entschieden zu bekämpfen, sah Naumann als seine besondere Aufgabe an. Von ihm wurden im kleinen Kreis gehal-

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fruchtbare Traditionen der 60er Jahre anknüpfen konnten. Damals war Paul Verner Bezirksparteisekretär gewesen. Verner hatte sich immer für das architektonischstädtebauliche Erscheinungsbild Berlins interessiert und u.a. die für die DDR bahnbrechenden und aufsehenerregenden Projekte Hermann Henselmanns mit ermöglicht. Der Kosename ,PVC (=Paul Verner Chefarchitekt), der unter Berliner Architekten ein Begriff war, brachte dies sehr deutlich zum Ausdruck.115 Die Strukturen, aber auch die politisch-fachlichen Leitlinien, die unter Paul Verner ausgeprägt worden waren, verschwanden letztlich naturgemäß nicht mit dessen Ablösung. Auch unter Konrad Naumann konnten die Architekten sicherlich weiter auf Mitarbeiter und Funktionäre in der Bezirksparteileitung setzen, die schon unter Paul Verner tätig gewesen waren und dessen Handlungsmaximen und Interessen weiterverfolgten. Darüber hinaus hatte Berlin, was die Zusammenarbeit von fachlicher und politischer Ebene anging, noch einen weiteren Vorteil. Sehr viel stärker als anderenorts brachte sich hier nicht nur die Bezirksebene, sondern auch die Führungsspitze der SED in die Debatten ein und wollte ihre Vorstellungen umgesetzt wissen. Was unter Konrad Naumann somit auf bezirklicher Ebene nicht mehr oder sehr viel schwerer funktionierte, konnte deswegen etwa mit dem ZK, dem Politbüro oder aber obersten Regierungsstellen wie dem MfB ausgehandelt und umgesetzt werden. tene Reden kolportiert, in denen er unflätig über Künstler und Schriftsteller hergezogen war“ (Jäger, S. 192). 115 „Wie häufig in totalitären Regimes [sic!] hatten auch Walter Ulbricht und Paul Werner [sic!], der 1. Sekretär der Berliner SED-Bezirksleitung ein starkes persönliches Interesse an der neuen städtebaulichen und architektonischen Entwicklung des Stadtzentrums. Hier sollte ,die Architektur den siegreichen Ideen des Sozialismus entsprechen, wobei natürlich ihre subjektiven Auffassungen über Städtebau und Baukunst von ausschlaggebender Gewichtigkeit waren“ (Dorothea Tscheschner, „Der Wiederaufbau des historischen Zentrums in Ost-Berlin“, in: Berlinische Galerie (Hg.), Hauptstadt Berlin. Internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb 1957/58, Berlin 1990, S. 217-247, hier S. 225). „Zu ergänzen ist, daß bereits 1961-64, als Teil der Fertigstellung des 2. Bauabschnittes Stalinallee, am Alexanderplatz ein 12geschossiges Hochhaus (H. Henselmann), das ,Haus der Lehrer errichtet wurde und neben dem Alexanderhaus und Berolinahaus einen Festpunkt darstellte. Eine Entscheidung über die Vorzugsvariante wurde im Politbüro der SED getroffen (zu dem auch P. Verner gehörte)“ (ebd., S. 241). Auch in Hermann Henselmanns Nachlass finden sich Verweise auf hilfreiche Kontakte zur politischen Ebene. So schreibt er in einem Brief an Bauminister Scholz: „Da mein Büro sich mit der Übernahme der Aufgabe ,Haus der Lehrer erweiterte, mußte ich mir auch hier wiederum selbst Büroräume besorgen. Mein Kollektiv ist nur durch die freundliche Hilfe des Kreissekretärs der Kreisleitung Mitte unserer Partei bis September im Berolina-Haus untergekommen“ (AdK Berlin, Nachlass Henselmann, 120-01-212, Henselmann an Scholz, 15.03.1961).

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Für Berlin trat denn auch eine weitere Besonderheit hinzu. Im Allgemeinen hatten die Institutionalisierung und Verfestigung der Strukturen die Tendenz zur Regionalisierung des Planens und Bauens im Laufe der 70er Jahre verstärkt. Sowohl auf politischer als auch auf fachlicher Ebene beschränkte sich der Aktionsradius der Akteure in der Regel nur noch auf einen Bezirk und gründete sich vielfach auf dort vorhandene Netzwerke.116 In Berlin ließ sich hingegen immer wieder eine stärkere Durchlässigkeit zwischen staatlicher und bezirklicher Ebene beobachten. Vieles spricht dafür, dass Berlin für die Architekten und Städtebauer auch deswegen besonders attraktiv sein konnte, weil sich die beruflichen Möglichkeiten damit vervielfachten, die Aufstiegschancen umfangreicher sowie die Anzahl und Qualität der zu betreuenden Bauprojekte größer waren.117 Der exemplarische Blick auf den 1930 geborenen Architekten Roland Korn soll an dieser Stelle genügen, um diesen As116 Wie stark sich wiederum von Region zu Region diese Netzwerke voneinander unterschieden, hat Frank Betker am Beispiel der Bezirke Rostock und Halle herausgearbeitet: „Harry Tisch, der langjährige Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock (1961-1975), blieb dem Bezirk und der Stadt Rostock auch noch nach seinem Aufstieg zum mächtigen Vorsitzenden des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und zum Mitglied des Staatsrates eng verbunden. Auch galt Rostock und die politischadministrative Führung in Stadt und Bezirk immer als eher pragmatisch und technokratisch, ja sogar lokalpatriotisch, anstatt politisch-ideologisch und zentralistisch. Peter Christian Ludz hatte für die 60er Jahre festgestellt, daß im Zuge des ,Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung seit 1963 in der SED-Bezirksleitung Rostock ,ein hoher Anteil fachlich vorgebildeter oder aus der Wirtschaftspraxis kommender jüngerer Funktionäre aufgenommen wurde, also technokratisch orientierte Pragmatiker, wie Ludz glaubte, und die er damals als ,institutionalisierte Gegenelite bezeichnete. In Halle hingegen, so Ludz, blieb die ,politische Besetzung der SED-Führung dominant. In erster Linie seien hier die politisch-ideologisch geschulten und auf eine Tradition als antifaschistische Kämpfer zurückblickenden Parteifunktionäre an der Macht. Als Beispiel nannte Ludz hier explizit den ,Altfunktionär Horst Sindermann, der aus dem Zentralkomitee der SED kam, von 1963 bis 1971 Erster Sekretär der SEDBezirksleitung Halle war, während dieser Zeit und danach Mitglied des Politbüros der SED, Abgeordneter der Volkskammer sowie Mitglied der Regierung und des Staatsrates der DDR wurde. Sindermann hat in den herausgehobenen zentralstaatlichen Stellungen nach seiner Zeit als Erster Sekretär vielleicht mehr für den Bezirk und die Stadt Halle erreicht, als in den 60er Jahren“ (Betker, S. 79). Betker bezieht sich hier auf Peter Christian Ludz, Parteielite im Wandel, Köln/Opladen 1968, S. 87f. 117 Andererseits konnte die Nähe zur Macht aber auch Nachteile mit sich bringen. So arbeitet Betker heraus, dass das in seiner Gestaltung außergewöhnliche, vom Kollektiv Peter und Ute Baumbach entworfene Rostocker Fünfgiebelhaus gerade auf Grund der Ferne zu zentralstaatlichen Institutionen entstehen konnte (hierzu Betker, S. 336).

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pekt zu illustrieren und zugleich nochmals deutlich zu machen, wie sehr die persönlichen Netzwerke der 60er Jahre in den 70ern kontinuierlich weiter bestanden. Korn hatte Anfang der 60er Jahre den Auftrag erhalten, als Chefarchitekt eines Jugendkollektivs das Staatsratsgebäude zu planen und zu bauen. Anfang der 70er Jahre konnte Korn nun an diesen ersten Erfolg, nunmehr allerdings auf kommunaler Ebene, anknüpfen.118 So wurde Korn, der seine politischen Überzeugungen immer wieder durch besonderes Engagement unter Beweis gestellt hatte119, 1973 Chefarchitekt von Berlin und damit Nachfolger Joachim Näthers. Als solcher sollte er die architektonisch-städtebauliche Entwicklung Ost-Berlins bis zum Ende der 80er Jahre begleiten. Korn war dabei, ähnlich wie Stingl, ein wichtiger Mediator zwischen den Fachleuten und den verschiedenen Ebenen der Politik. Er war deswegen eine äußerst wichtige Figur, wenn es um einen fruchtbaren und für Architektur und Städtebau zielführenden Interessenausgleich zwischen den diese Ebenen repräsentierenden unterschiedlichen Akteuren ging. Deutlich machte das etwa ein Redebeitrag Alfred Hoffmanns im Rahmen einer BdA-Parteigruppensitzung vom 25. April 1974, aus dem hervorging, das die Ausrichtung des durchaus aufsehenerregenden Wettbewerbs für Berlin-Marzahn ganz wesentlich über Roland Korn möglich wurde.120 Er schuf damit die Voraussetzungen dafür, dass sich die Architekten im Falle von Berlin-Marzahn zumindest innerbetrieblich miteinander messen und in Konkurrenz zueinander treten, sich so aber auch um profilierte und über den üblichen 118 Im Vorfeld hatte der ausgebildete Bauingenieur Korn zwischen 1968 und 1973 zudem an der HAB Weimar Architektur studiert (vgl. hierzu und zur Biographie Korns Barth [2000], S. 127 sowie IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 04/0347 [Roland Korn]). 119 So hatte er 1970 „unter der Ltg. von Prof. Pellegrin“ und „auf Wunsch von Salvador Allende“ an einem „Wohnungsbauprogr. für Obdachlose in Chile“ mitgearbeitet (Eintrag in den „Biographischen Datenbanken“ der Stiftung Aufarbeitung unter Verwendung des Handbuch „Wer war wer in der DDR“ [www.stiftung-aufarbeitung.de, zuletzt abgerufen am 14.05.2013]). 120 „Und schließlich, Genossen [...] kultivieren wir mit Wettbewerben auch die schöpferische Atmosphäre und Auseinandersetzung. Wir haben das alle auf der 6. Bundesvorstandssitzung in Berlin miterlebt, wo selbst Roland Korn noch der Meinung war: Im Grunde genommen sind die Züge abgefahren, und es ist kein Raum mehr, um andere teilhaben zu lassen an der Ideenfindung für diesen bedeutenden Stadtteil [es geht wohl um Berlin-Marzahn, T.Z.] in Berlin. Eigentlich erst die Reaktion des Bundesvorstandes, die einmütige Reaktion vieler Kollegen und Genossen hier auch aus unserem Kreis hat dazu geführt, daß sich Roland die Sache noch einmal überlegt hat. Und das hat auch dazu geführt, daß das Ministerium, die Akademie und vor allen Dingen auch die Kollegen aus den Bezirken, die dadurch aufgefordert wurden, ohne viele bürokratische Umstände dann doch eingestiegen sind [...]“ (SAPMO, DY 15/34 [BdA], Protokoll BdAParteigruppensitzung, Diskussionsbeitrag Alfred Hoffmann, 25.04.1974, S. 9).

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Rahmen hinausgehende Projekte bemühen konnten.121 Die Wettbewerbsergebnisse, die zu den eindrucksvollsten der 70er und 80er Jahre gehörten, sprachen denn auch für sich. Insbesondere Dieter Bankerts so genannte ,Variante Stern versuchte, die Bauaufgabe des Wohnkomplexzentrums völlig neu zu denken.122 Ein weiteres, wiederum etwas anders gelagertes und sehr bedeutendes Beispiel einer engen Zusammenarbeit zwischen Fachleuten und Politik stellte der Bezirk Halle dar.123 Auch hier reichten entsprechende Traditionen bis in die 60er Jahre zurück  vor allem, weil es mit der Stadtneugründung von Halle-West als künftiger Chemiearbeiterstadt ein Vorzeigeprojekt zu realisieren galt. 124 Gerade der erste Chefarchitekt von Halle-Neustadt, Richard Paulick, baute wiederum gute Kontakte zur Bezirksparteileitung auf, deren erster Sekretär damals Horst Sindermann war. Durchaus mit Berlin und Paul Verner vergleichbar, war denn auch im Hallenser Planungswesen das Bonmot ,Sindermann macht‘s möglich bald in aller Munde.125 Dabei spielte man einerseits auf das große Interesse der Bezirksparteileitung an Architektur und Städtebau an. Ähnlich wie in Berlin wurde andererseits aber auch deren Macht reflektiert, nur ihr genehme Planungen zu bestätigen. Fortgeführt werden konnten diese Traditionen auch durch das Stadtbauamt und den damaligen Stadtarchitekten von Halle, Wulf Brandstädter.126 Brandstädter ge121 Hierzu ausführlich Hubacher. 122 Hierzu ausführlich ebd. 123 Hierzu ausführlich die entsprechende Fallstudie von Betker. 124 Zu diesen Planungen u.a.: Karl-Heinz Schlesier, Halle-Neustadt. Plan und Bau der Chemiearbeiterstadt, Berlin 1972; Thöner. 125 „Sindermann ging nicht nur in das Büro Paulicks und in das größere Bezirksbüro, sondern er kam auch regelmäßig monatlich zu der kleinen kommunalen Entwurfsgruppe der Stadt Halle, dem Vorläufer des späteren Büros für Stadtplanung, um sich zu informieren. Positiv in Erinnerung blieben auch die sogenannten ,Gästehausgespräche . Sie fanden regelmäßig zu wechselnden Themen statt. ,Sindermann ließ seine Gäste frei diskutieren . Es ging ihm darum, vermutete ein Beteiligter, eine kreative Atmosphäre zu schaffen, in der ,Ideen produziert werden. Und tatsächlich war Sindermann bereit, die Resultate, überzeugende Ideen, auch ,gegen die offizielle Programmatik der Partei durchzusetzen . In dem weit verbreiteten geflügelten Wort ,Sindermann macht’s möglich spiegelte sich die Bewunderung der Stadtplaner und Architekten für die aus ihrer Sicht vorbildliche Fähigkeit und Bereitschaft des ,progressiven und ,weltgewandten Sindermann, taktisch und listig zu handeln und flexibel mit politischen und Planvorgaben umzugehen“ (Betker, S. 304). 126 Laut Betker war Brandstädter dabei ,von oben eingesetzt worden („Dabei hatte die Partei gerade in Halle schon seit den frühen 80er Jahren versucht, durch eine entsprechende Kaderpolitik die Loyalität in der örtlichen Stadtplanung zu erhöhen [...] Die Zeit der parteilosen Stadtarchitekten war in Halle [...] vorbei, als Hans-Joachim Böhme Erster

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hörte damals zu den besonders umtriebigen und  was die Qualität der von ihm betreuten Planungen und Entwürfe anging  erfolgreichsten Stadtarchitekten.127 Die unter ihm entstandenen Projekte fehlen aus diesem Grund bis heute in keiner Architekturgeschichte der DDR. Auch Frank Betker hat Halle ausführlich in den Blick genommen, da die dortigen Strukturen für seine Frage nach Handlungsspielräumen und eigensinnigem Handeln von Architekten auf kommunaler Ebene von besonderem Interesse sind.128 Die Strukturen selbst waren letztlich sehr eng vergleichbar mit denen Rostocks und sicherlich  vermittelt über den BdA und Brandstädters dortige engagierte Mitarbeit  nach deren Vorbild entwickelt. Entscheidend für den Erfolg von Brandstädters Arbeit war deswegen auch in Halle der enge Kontakt zur Bezirksparteileitung. So berichtete Brandstädter im Rahmen des VIII. BdA-Kongresses 1982: „Das vertrauensvolle und kameradschaftliche Verhältnis zwischen führenden Genossen der Partei und der Bezirksgruppe Halle des BdA hat sichtbare Erfolge für Städtebau und Architektur gebracht. Von großer Wichtigkeit hat sich auch der kontinuierliche direkte Kontakt zwischen dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED und Architekten unseres Bundes herausgestellt [sic!]. Hier werden offene Meinungen ausgetauscht und wichtige Ziele abgesteckt. Diese Aussprachen geben uns Sicherheit, Orientierung und immer wieder Auftrieb, bestes zu leisten.“129

Sekretär der SED-Bezirksleitung wurde. Das Amt des Stadtarchitekten war bis dahin traditionell eher mit einem Fachmann unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit besetzt worden [...] Dies sollte sich nun ändern. Die Parteibindung des Stadtarchitekten [...] sollte[...] [...] erhöht werden. Und so wurden in Halle 1983 innerhalb kürzester Zeit und zur Überraschung aller Beteiligten die beiden Vorgänger im Amt in die vorzeitige Pensionierung entlassen und gleichzeitig ein neuer Stadtarchitekt [= Wulf Brandstädter, T.Z.], von der Partei installiert . Daß der neue Stadtarchitekt erst noch Parteimitglied werden mußte, war vor allem ein formaler Akt. Für ihn war das aber die Bedingung, den Posten überhaupt antreten zu können, die er nur ,schweren Herzens akzeptierte, wie eine Mitarbeiterin erfahren hatte. Der SED war offensichtlich sehr daran gelegen, einen ,unmittelbaren Zugriff auf die Person des Stadtarchitekten zu haben“ (ebd., S. 298f.). Betker bezieht sich hier auf Interviews, die er im Rahmen seiner Forschungen mit Zeitzeugen geführt hat. 127 Das Amt des Stadtarchitekten trat Brandstädter 1983 an (vgl. zur Biographie Brandstädters ausführlicher Barth [2000], S. 53f. sowie IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 21/2204 [Wulf Brandstädter]). 128 S. hierzu die entsprechende Fallstudie Betkers. 129 IRS BdA 16/4, Dokumentation VIII. BdA-Kongress, Diskussionsbeitrag Wulf Brandstädter, 06./07.05.1982, S. 103.

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Ähnlich wie schon in Berlin war jedoch auch im Falle Brandstädters zentral, dass er neben der Zusammenarbeit mit der Bezirksebene130 auch den Kontakt zu örtlichen Gremien und Funktionären suchte. Gerade sie dienten der Staats- und Parteiführung letztlich nämlich immer wieder als Seismographen für das, was die Bevölkerung bewegte und umtrieb. Brandstädter gehörte denn auch zur Reihe derjenigen BdA-Mitglieder, die sich im Rahmen der BdA-Gremien131 immer wieder für eine Nachahmung dieses Modells  also des engen Miteinanders von Partei und Fachleuten auf allen Ebenen  einsetzten und stark machten.132 Als Brandstädter 1988 schließlich von der Funktion als Vorsitzender der BdA-Bezirksgruppe Halle entbunden wurde, hieß es in einem Grußschreiben von BdA-Präsident Ewald Henn und BdA-Sekretär Ernst Scholz denn auch: „Über einen Zeitraum von nahezu 10 Jahren haben Sie als Vorsitzender der Bezirksgruppe Halle des Bundes der Architekten der DDR eine verantwortungsvolle und engagierte gesellschaftliche Arbeit zur Entwicklung unseres sozialistischen Fachverbandes geleistet. Sie haben es verstanden, durch eine konstruktive kollektive Arbeit des Vorstandes und durch die Entwicklung einer schöpferischen Atmosphäre die Wirksamkeit der Bezirksgruppe zu stärken. Besonders Ihre von Parteilichkeit getragenen Kontakte zur Bezirksleitung der SED und anderen gesellschaftlichen und staatlichen Kräften im Territorium trugen wesentlich dazu bei, das Ansehen des Bundes und der Architekten im Bezirk Halle insgesamt zu erhöhen. Stets haben Sie es verstanden, Ihre Aufgaben als Stadtarchitekt der Stadt Halle mit der Arbeit des Bundes der Architekten der DDR zu verbinden. Dank dieser beispielgebenden Arbeits130 Dass Brandstädters Verhältnis zur SED offenbar durchaus gespalten war, wird anhand der in Fußnote 126 wiedergegebenen Ausführungen Betkers deutlich. 131 Brandstädter war Vorsitzender der Bezirksgruppe Halle des BdA (IRS Erkner, BdAAufnahmeanträge, 21/2204 [Wulf Brandstädter]). 132 Dabei bemühte Brandstädter u.a. das Beispiel Karl-Friedrich Schinkels, der in der DDR bereits seit den 50er Jahren hohes Ansehen genoss: „Karl Friedrich Schinkel, der Architekt, der das Glück hatte, sehr viele seiner Entwürfe in der Realität zu sehen, war sich andererseits auch nicht zu schade, um sich in verantwortlichen Positionen auf baupolitischem Gebiet zu betätigen“ (IRS BdA 16/4, Dokumentation VIII. BdA-Kongress, Diskussionsbeitrag Wulf Brandstädter, 06./07.05.1982, S. 101). Ein gutes halbes Jahr später griff Brandstädter das Thema nochmals auf und unterstrich erneut, dass er „den Herrn Schinkel [...] sehr verehre, aus mehreren Gründen, er war ein Künstler, er war ein großer Architekt, und er war sich nicht zu schade, auch Baupolitiker zu sein. Es gibt eine Reihe von Architekten, die sind manchmal etwas zu vornehm, sich in dieser Richtung zu engagieren. Ich halte das nicht gut für die Sache [sic!]“ (SAPMO, DY 15/41 [BdA], Protokoll 2. BdA-BuV-Sitzung, Diskussionsbeitrag Brandstädter, 03.12.1982, S. 65).

256 | A RCHITEKTEN IN DER DDR weise wurden in den zurückliegenden Jahren zunehmend bessere Ergebnisse in Städtebau und Architektur erzielt, die weit über den Bezirk hinaus Anerkennung finden.“133

Dies waren denn auch wesentliche Grundlage für die besondere architektonischstädtebauliche Entwicklung der Stadt. Schon vor Brandstädters Berufung zum Stadtarchitekten war Halle einer der zentralen Orte für ein Bauen, das den offenen Stadtstrukturen der 60er und frühen 70er Jahre Alternativen entgegenzusetzen suchte. Dies passierte zunächst ebenfalls auf der grünen Wiese, etwa im Bereich der in die 70er Jahre datierenden Neubauwohngebiete wie Halle-Silberhöhe. Dieser Wohnkomplex gehörte zu jenen Beispielen, bei denen statt auf eine solitärartige Zeilen- und Punkthochhausbebauung erneut auf die Schaffung klar konturierter Stadt-, Straßen- und Platzräume gesetzt wurde.134 Damit griff man in Halle Tendenzen auf, die vor allem im internationalen Bereich schon seit den 60er Jahren zu beobachten waren. Ausgehend von soziologischen Studien erkannte man das Bedürfnis der Bewohnerschaft nach intimeren Strukturen und räumlich stärker geschlossenen Wohnanlagen. Zu nennen sind hier etwa die ersten Ergebnisse der vom Architektursoziologielehrstuhl der HAB Weimar durchgeführten Kommunalen Praktika.135 Die Folge war, dass in den seit den frühen 70er Jahren im Großraum Halle entstandenen Wohngebieten erneut mit Verbindungen zwischen den Wohnblöcken, mit Ecklösungen sowie sich verkammernden und mäandernden Strukturen experimentiert wurde. Ähnliches passierte etwa zur gleichen Zeit in Rostock und sollte später auf die gesamte DDR ausstrahlen. So ließen sich entsprechende städtebauliche Ansätze schon bald ebenso in Marzahn beobachten wie in Berlin-Hohenschönhausen, -Hellersdorf oder Leipzig-Grünau.136 Eine große Rolle spielte in Halle jedoch noch ein zweites Thema: das Planen und Bauen im Innenstadtbereich und innerhalb bestehender Stadtviertel. Diese Arbeiten waren mit der eben erläuterten Verdichtung der Neubauquartiere eng verknüpft. Denn bereits sie sensibilisierten die Architekten auch für den Wert gewachsener historischer Stadtstrukturen.137 Halle und dort in erster Linie das Stadtbauamt unter Brandstädter leisteten, in enger Zusammenarbeit mit dem örtlichen Woh133 Grußschreiben Henn und Scholz an Brandstädter, 27.01.1988, beiliegend in Brandstädters BdA-Aufnahmeantrag (IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 21/2204 [Wulf Brandstädter]). 134 Angesichts der nach wie vor nur eingeschränkt flexiblen Plattenbautechnologien konnte dieser Anspruch letztlich nur sehr eingeschränkt, stadträumlich aber durchaus nachvollziehbar umgesetzt werden. 135 Zu den Kommunalen Praktika und deren Bedeutung für das Architektenhandeln der 70er und 80er Jahre ausführlich vor allem Kapitel II.2.4. 136 Hierzu auch Hubacher. 137 Hinzu kamen auch hier wieder entsprechende Ergebnisse der Kommunalen Praktika.

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nungsbaukombinat138, dabei regelrechte Pionierarbeit.139 Was später in Berlin in der Spandauer Vorstadt und im Scheunenviertel oder auch im Nikolaiviertel aufgegriffen wurde, wurde hier intensiv vorbereitet und erprobt. Eines der bedeutendsten Projekte, das weit über Halle hinaus rezipiert wurde und bis heute als ein wesentlicher Meilenstein des DDR-Städtebaus der 80er Jahre gilt, ist etwa die Neubebauung des Wohnviertels ,Brunos Warte. Mit nur wenigen Mitteln  etwa verglasten, erkerartigen Loggien oder attikaartigen Dachgeschossaufbauten und unter grundsätzlicher Beibehaltung des industriellen Bauens  wurde hier eine sich an die gründerzeitliche Nachbarbebauung anpassende Architektur realisiert. Entscheidend für die Realisierung war dabei, dass, nicht zuletzt mit Unterstützung der Partei, die dafür notwendigen Stahlelemente verwendet werden durften. 140 Die professionelle und auf gegenseitiger Achtung beruhende Zusammenarbeit zwischen Fachleuten, Staats- und Parteistellen leistete auch im Falle von ,Brunos Warte ein weiteres Mal wichtige Dienste. II.2.3 „Ich drehe den Spieß nämlich um“: Das Paradigma der Wirtschaftlichkeit im Dienste der Architekten Teil der strategischen Anpassung von Architekten konnte gerade in den 70er und 80er Jahren auch die bewusste Ausnutzung ökonomischer Leitlinien und deren Fruchtbarmachung für ein umfangreicheres gestalterisches Arbeiten sein. Den dahinterstehenden Grundgedanken brachte der Rostocker Architekt Erich Kaufmann im Mai 1984 im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung auf den Punkt: „[...] mit der neuen Struktur, die wir [im Kombinat, T.Z.] eingeführt haben, nutzen wir als Architekten auch die Möglichkeiten – ich drehe den Spieß nämlich um [Hervorhebung T.Z.] 138 „Wir haben ein großes Glück in Halle, daß nämlich unser Kombinatsdirektor, der Genosse Büchner, nicht nur Hirn für die ganze Geschichte aufbringt, sondern auch Herz“ (SAPMO, DY 15/41 [BdA], Protokoll 2. BdA-BuV-Sitzung, Diskussionsbeitrag Brandstädter, 03.12.1982, S. 66). 139 Bezogen auf Brandstädters Arbeit heißt es so beispielsweise: „Im Vordergrund stand dabei, Lösungen für das Problem zu finden, mit der am Stadtrand erprobten Platte auch innerstädtisch zu bauen, dabei abwechslungsreich zu gestalten und historische Vorgaben zu respektieren. Wulf Brandstädter wandte nicht nur einen neuen, speziell für die Altstadt entwickelten Plattentyp (Achsmaß 3,60m/2,40 m) an, sondern setzte sich auch für den Erhalt städtebaulich wichtiger Ensembles und Einzelgebäude ein. Die Innenstadterneuerung gelang in Halle besser als in manch anderer Großstadt der DDR und fand weithin Anerkennung“ (Frank Betker in Barth [2000], S. 54). 140 Hierzu Betker, S. 326.

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die notwendige Aufwandssenkung, die unsere Wirtschaft logischerweise verlangt, dazu zu

benutzen, um neue Lösungen zu finden, die vielleicht den Aufgaben gerechter werden als die bisherige Serienproduktion [...]“141

Hatte der Architekt Gerhard Guder die Wiederverwendungsprojekte (Abb. 25-26) zehn Jahre zuvor noch aus bloßen gestalterischen Gründen infrage gestellt 142, so kam nun zum gestalterischen ein dezidiert ökonomisches Argument hinzu. Inzwischen war nämlich immer deutlicher geworden, dass die Vorfestlegung auf Angebots- und Wiederverwendungsprojekte und die damit verbundene Abkehr vom individuellen Entwurf in vielen Fällen wenig effektiv war. Dies aber stand gerade auch dem allgemeinen baupolitischen Ziel entgegen, Bau- und Investitionskosten so weit wie möglich zu senken. Der Ausgangspunkt: Die ökonomisch begründete Anpassung des Plattenbaus an innerstädtische Standorte Um die genauen Hintergründe dieser Debatte zu verstehen, ist zunächst ein Blick auf das innerstädtische Bauen hilfreich. Seit Anfang der 70er Jahre waren vor allem innerhalb der BA Überlegungen angestellt worden, welche Alternativen es zu einem bloßen Neubau am Stadtrand geben könnte und wie mit der maroden Bausubstanz in den Stadtzentren sowie mit den dort vielerorts nach wie vor klaffenden kriegs- oder aber auch abrissbedingten Baulücken zu verfahren sei. Parallel zu einer Wiederentdeckung alter Stadtstrukturen und Baudenkmäler 143 kam man dabei zu dem Schluss, dass man um eine Neubebauung innerstädtischer Standorte, damit verbunden aber auch um Lückenschließungen, zukünftig nicht umhinkommen würde. Silvio Macetti, der wesentlichen Anteil an dieser Debatte hatte, stellte in der Kommunikation mit der Staats- und Parteiführung dabei ebenfalls ökonomische Überlegungen in den Vordergrund. Demnach war die alleinige Konzentration auf Neubaugebiete an den Stadträndern auf Dauer zu kostenintensiv. Macetti gab so z.B. zu bedenken, dass dort jene Infrastruktur erst geschaffen werden musste, die in den Innenstädten bereits zur Verfügung stand. Das betraf Verkehrsnetze und Ver141 SAPMO, DY 15/43 (BdA), Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 18.05.1984, Diskussionsbeitrag Kaufmann, S. 35f. 142 „Ich würde also sagen, das sollten wir uns noch überlegen, ob der Weg der richtige ist, daß wir sagen, Angebotsprojektierung, Erzeugnisangebot um jeden Preis! Ich warne davor, denn 1990 bauen wir dann noch nicht viel anders als heute, und wir sollten uns das doch meiner Meinung nach sehr überlegen, aber nicht nur überlegen“ (SAPMO, DY 15/36 [BdA], Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 03.12.1976, Diskussionsbeitrag Guder, S. 80f.). 143 Hierzu auch Kapitel II.2.4.

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kehrsanbindung ebenso wie die Verlegung von Versorgungsleitungen oder die Schaffung von Einkaufsmöglichkeiten. Gerade in diesem Bereich gab es  so Macetti  enormes Einsparpotential, wenn man Möglichkeiten entwickeln würde, auch die Innenstädte industriell zu bebauen. Darüber hinaus argumentierte Macetti, dass dabei der Abriss vorhandener Bausubstanz und die Neubebauung mit vorhandenen Typenprojekten keine durchgängig praktikable Lösung darstellen könnte, da jeder Abriss kostenintensiv war, vor allem aber, weil sich der Typenwohnungsbau nicht für die älteren Stadtgrundrisse eignete. Der mit einer Bebauung dieser Standorte verknüpfte Nutzen wäre damit also erneut hinfällig gewesen. Macetti plädierte deswegen dafür, industrielle Bauweisen zu entwickeln, die flexibel an vorhandene Lücken angepasst werden konnten, parallel dazu aber auch Techniken bereitzustellen, mit denen die vorhandene Altbausubstanz erneuert werden konnte.144 Mit diesen Überlegungen, die bald auch von in der Praxis tätigen Architekten145 aufgegriffen und weiterentwickelt wurden, traf Macetti bei Staat und Partei nach und nach tatsächlich auf offene Ohren. Auch hier war, wie im Abschnitt über die Denkmalpflege als strategische Anpassungsmöglichkeit der Architektenschaft noch dargestellt werden wird146, die Unzufriedenheit mit dem schlechten baulichen Zustand der Innenstadtbereiche inzwischen sehr groß  nicht zuletzt auch, weil dieser ein nicht zu verachtender Grund für Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung war.147 Damit verbunden musste auch der Baupolitik klarwerden, dass eine alleinige 144 Vgl. hierzu Silvio Macetti, „Ökonomie der Stadt und komplexe Ökonomie des Städtebaus“, in: DA 10/1971, S. 586-592 sowie Tobias Zervosen, Der Wiederaufbau des Ostberliner Nikolaiviertels, Magisterarbeit FU Berlin 2006, S. 41f. 145 Macettis Arbeit war ausschließlich theoretisch ausgerichtet. Sehr viel praxisbezogener war hingegen beispielsweise die 1978 eingereichte Dissertation von Wilfried Stallknecht (Wilfried Stallknecht, Gebäudekonzeptionen der Plattenbauweise für die Umgestaltung innerstädtischer Wohnbereiche, Dissertation A Berlin 1978), aus deren Ergebnissen u.a. die im Rahmen einer Beispielplanung erfolgte Neubebauung der Altstadt von Bernau bei Berlin hervorging. 146 Hierzu Kapitel II.2.4. 147 Dies zeigten beispielsweise die empirischen Forschungen des Lehrstuhls für Architektursoziologie der HAB Weimar, u.a. im Rahmen der so genannten Kommunalen Praktika. Joachim Palutzki schreibt in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf einen Beitrag Peter Baumbachs in der AdDDR 3/1979, S. 136: „Städtebausoziologische Untersuchungen in Alt- und Neubauwohngebieten hatten zu der Auffassung von der ,architektonischen Erscheinung als Erlebniswert geführt und mündeten in einem offenen Planungskonzept, ,[...] offen für soziale und ökonomische sowie gestalterische Korrekturwünsche [...] , das schließlich sozialistisches Bauen postmodern überlagerte [...]“ (Palutzki, S. 354, teilweise unter Bezugnahme auf Peter Baumbach, „Architektur und bildende Kunst bei der Gestaltung der Wohnumwelt“, in AdDDR 3/1979, S. 134-136).

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Konzentration auf Neubauprojekte aus Gründen der Stadtbildpflege, aber auch der Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohnumfeld auf Dauer nicht wünschenswert war.148 So erhielten die Architekten  wie Joachim Näther bemerkte149  beinahe über Nacht vom Ministerrat den Auftrag, neue bauliche Lösungen für die Innenstadtbereiche zu entwickeln. Angesichts einer solchermaßen überraschenden und plötzlichen Entscheidung der politischen Führung war es dabei durchaus beeindruckend, wie rasch durch die Architekten erste Planungsergebnisse vorgelegt wurden.150 Beispiele für eine flexiblere Anwendung der Plattenbautechnologien u.a. in Erfurt, Halle und Rostock sind bereits genannt worden.151 Mit ihnen wurde teilweise auch ein abgewandeltes industrielles Bauen in den Innenstadtbereichen möglich.152 Dabei wurden auch lokale Anpassungen vorgenommen. So griff die Neubebauung der Potsdamer Gutenbergstraße etwa auf den an dieser Stelle ehemals vorhandenen, lediglich zweigeschossigen barocken Blockrand zurück, während man sich im Berliner Scheunenviertel sowie in der dortigen Spandauer Vorstadt eher an gründerzeitlichen Vorbildern orientierte. Erstmals wurde damit im Ansatz bereitgestellt, was auch die WBS 70 im Ursprung leisten sollte: ein einigermaßen offenes Bausystem von größerer Variabilität und Flexibilität auf der Basis von Vorfertigung und Plattenbautechnologie. Zwar wurden auch in diesem Bereich Typenreihen wie etwa die

148 Zu dieser Thematik ausführlich auch Urbans Ausführungen zum Projekt ,Arnimplatz (Urban, S. 41-69). 149 „Ich kann im Namen aller Kollegen hier sprechen, wenn ich sage, daß uns diese Aufgabe [Modernisierung, Um- und Ausbau von zehntausend bestehenden Wohnungen in Berlin im Fünfjahrplan, T.Z.] verhältnismäßig unerwartet getroffen hat, und wir geistig durchaus nicht darauf vorbereitet waren, diese Fragen der Modernisierung in unserer Konzeption mit einzuarbeiten“ (SAPMO, DY 15/31 [BdA], Protokoll 4. BdA-BuVSitzung, 01.12.1972, Diskussionsbeitrag Näther, S. 72). 150 Dieser Umstand sprach dafür, dass sich die Fachleute schon seit längerer Zeit mit den Themenkomplexen der Stadterneuerung und des innerstädtischen Bauens beschäftigt hatten. 151 Hierzu Kapitel II.2.2. 152 Im vorhergehenden Abschnitt ist in diesem Zusammenhang exemplarisch auf die Arbeit Wulf Brandstädters in Halle verwiesen worden. Zusätzlich erwähnt sei an dieser Stelle darüber hinaus die von Joachim Stahr in Erfurt entwickelte WBR 85 („Neben Lehre und Forschung [...] zeichnete er [Stahr, T.Z.] 1983-85 für die Entwicklung der WBR 85 im innerstädtischen Bereich von Erfurt, Gotha und Arnstadt [...] verantwortlich“ [Barth [2000], S. 221]), neben den in Fußnote 24 geschilderten grundlegenden Arbeiten des Kollektivs Stallknecht an der BA (vgl. hierzu auch Lehrstuhl Denkmalpflege, S. 33-36). Zum industriellen ,Bauen in der Innenstadt außerdem Urban, S. 91-96.

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WBR 85 entwickelt. Sie waren dabei aber ebenfalls zugleich auf eine größtmögliche Veränderbarkeit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ausgelegt. So entstand nach und nach eine paradoxe Situation. Auf der einen Seite äußerte der Ministerrat im Rahmen seiner 64. Sitzung vom 02. März 1978 seine Zufriedenheit darüber, dass sich der Anteil von wiederverwendeten Projektierungsunterlagen im Laufe der 70er Jahre beständig erhöht hatte und im Wohnungsneubau inzwischen angeblich zu 85% mit Angebotsprojekten gearbeitet wurde.153 Auf der anderen Seite aber arbeitete man mit flexibleren Baumethoden für die Innenstädte154, die auf viele Architekten denn auch schon bald eine sehr viel größere Anziehungskraft ausübten.155 Während sich die WBS 70 im Planungs- und Baustellenalltag zu einem eher starren und aus ökonomischen Gründen um ihre gestalterischen Potentiale beraubten Bausystem entwickelt hatte, wurde hier deutlich, dass mit Hilfe des Plattenbaus auch andere, gestalterisch wesentlich ansprechendere Lösungen erzielt werden konnten. Vor allem aber zeigten die Beispiele eines an die Altbaustrukturen der Innenstädte angepassten industriellen Bauens, dass sich Plattenbau und eine durchaus auf das Einzelprojekt bezogene Entwurfsarbeit der Architekten keines153 „Dabei hat sich insbesondere bewährt, [...] die Verwendung von Bestlösungen auf der Grundlage von verbindlichen Standards, der Katalogprojektierung und der verstärkten Anwendung von Angebots- und Wiederverwendungsprojekten voranzutreiben. Das betrifft insbesondere die Entwicklung und Anwendung von getypten Elementen und Baugruppen, wie z.B. im Wohnungsbau die ,Wohnungsbauserie 70 oder im Metalleichtbau der ,Großbaukasten , um Produktionsgebäude für die Industrie mit vielseitiger Nutzungsmöglichkeit zu gestalten“ (BArch, DC 20/I/4 4018 [Ministerrat], 64. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates, Anlage VD MR 222/78, Maßnahmen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Projektierung im Bauwesen, insbesondere durch Senkung des Projektierungsaufwandes und Rationalisierung der Projektierungsprozesse, S. 7f.). 154 „Im kreisgeleiteten Bauwesen sind die Projektierungskräfte verstärkt für die rechtzeitige Vorbereitung der Aufgaben zur Rekonstruktion und Modernisierung von innerstädtischen Altbaugebieten bei harmonischer Verbindung von Altem und Neuem einzusetzen. In Verantwortung der Bezirks- und Kreisbaudirektoren sind die dafür erforderlichen Projektierungskapazitäten zielgerichtet zu entwickeln und kadermäßig zu verstärken“ (ebd., S. 12). 155 So erklärte beispielsweise Heinz Willumat im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1984: „Mit Freude kann festgestellt werden, daß der Schematismus im Denken der Architekten sowie in Städtebau und Architektur als Grundübel unseres Schaffens – ich möchte das aus meiner Person heraus hier einmal so bezeichnen – beim innerstädtischen Bauen überwunden wurde. Daß Handschriften und kreatives Leistungsvermögen von Kollektiven, von Kollegen, wieder sichtbar sind, das ist meiner Meinung nach gut so und muß unbedingt gefördert werden“ (IRS BdA 5IIa, Protokoll 6. BdA-BuVSitzung, 14.12.1984, Diskussionsbeitrag Willumat, S. 65).

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wegs ausschließen mussten.156 Deutlich wurde zudem, dass auch die Technologie der Plattenwerke an lokale Erfordernisse und gestalterische Ansprüche angeglichen, das nötige Bauvolumen aber trotzdem erbracht und innerhalb des vorgegebenen Kostenrahmens gehalten werden konnte. Vielerorts begann sich so auch in der Praxis zu bestätigen, was Silvio Macetti lediglich theoretisch durchgespielt hatte: Der auf den Standort bezogene, individuelle, trotzdem aber von der Plattenbautechnologie ausgehende Entwurf war nicht selten genauso ökonomisch oder sogar billiger als der Flächenabriss und eine nachfolgende Bebauung mit den eher starren Typenserien und Angebotsprojekten, wie sie in den 60er und frühen 70er Jahren entwickelt worden waren. Innerstädtisches Bauen und Plattenbau ,auf der grünen Wiese Es waren diese Erfahrungen mit dem Plattenbau im Innenstadtbereich, die die Fachleute bald auch auf jene Neubauprojekte zu übertragen versuchten, die sich nicht an historische Stadtgrundrisse zu halten oder an schon vorhandene Bebauung anzupassen hatten. Dies konnte in Stadtrandlagen der Fall sein, betraf aber auch bauliche Solitäre in den Stadtzentren und älteren, sehr stark verdichteten Wohnvierteln. Dass hier immer noch in erster Linie Angebotsprojekte errichtet wurden, wollte aus Sicht vieler Fachleute nicht mehr zu dem gerade dargestellten und inzwischen vielfach sehr viel differenzierteren Bauen im Innenstadtbereich passen. 157 Zum Kernargu156 „Die ersten Ergebenisse [sic!] beim innerstädtischen Bauen, die in den letzten Jahren in Gera, Rostock, Erfurt, Halle, Berlin, Neubrandenburg u.a. Städten erreicht werden konnten, haben gezeigt, - daß sich – entgegen vielfach ursprünglich geäußerten Auffassungen – das industrielle Bauen in der Form der Montagebauweise als ein durchaus brauchbarer Weg des Bauens in der Innenstadt erweist; - daß sich schon mit der gegenwärtigen Technik, den Technologien und Methoden die Individualität des Gebauten deutlich erhöht hat und das architektonische Erscheinungsbild reichhaltiger, emotionaler und ästhetisch ansprechender geworden ist; - daß die gestalterische Desintegration zwischen dem Neuen und dem historisch gewachsenen Alten zunehmend besser überwunden und zu einem harmonischen Miteinander wird“ (IRS BdA 85III, Werner Strassenmeier, Architekturentwicklung und Technologie. Einige Überlegungen, nur für den Dienstgebrauch, in: HAB Weimar. Informationen des Weiterbildungsinstituts für Städtebau und Architektur 2/86, S. 9). 157 Deutlich zum Ausdruck brachte das etwa Wolf-Rüdiger Eisentraut: „Während jetzt zunehmend innerstädtisch gebaut wird, wird es wie selbstverständlich akzeptiert, daß zur gleichen Zeit die gleichen Baukombinate und die gleichen Architekten für die Gebiete außerhalb der Stadt bauen und projektieren wie eh und je und daß Architekturfortschritte, die in der Innenstadt exerziert werden, in der gleichen Stadt im Wohngebiet am Stadtrand überhaupt nicht zur Wirkung kommen. Und dort haben wir doch das gleiche

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ment machten die Fachleute deswegen auch hier die Überlegung, dass eine Anpassung des Entwurfs an den konkreten Standort zu sehr viel größeren Einsparungen und damit zu einer stärkeren Berücksichtigung der durch ökonomische Überlegungen bestimmten baupolitischen Leitlinien führen würde. Infrage gestellt wurden damit vor allem die so genannten Wiederverwendungsund Angebotsprojekte, die Architektur und Städtebau der DDR bereits seit Mitte der 50er Jahre und verstärkt seit den 70er Jahren prägten. Im Rahmen eines Referates, das Wolf-Rüdiger Eisentraut 1987 auf einer Tagung im märkischen Garzau hielt und aus dem im Folgenden ausführlich zitiert werden soll, wurden zumindest für Berlin konkrete Zahlen genannt.158 Demnach waren zwischen 1972 und 1980 an 20 Standorten der Hauptstadt Wohnkomplexzentren gebaut worden, bei denen für den Bau von Kaufhallen, Kinderkrippen und Schwimmhallen auf stets gleiche Typenprojekte zurückgegriffen wurde. Ein mehr oder weniger austauschbares Erscheinungsbild war die Folge. Nicht zuletzt der Berliner Magistrat forderte deswegen laut Eisentraut, die so genannten gesellschaftlichen Zentren der Wohngebiete qualitativ aufzuwerten und zu differenzierteren Lösungen zu gelangen. 159 Hinzu Qualitätsniveau zu erreichen, wie es von der sozialen Zielstellung her erforderlich ist. Es gibt da keine Unterschiede. Jeder Bürger hat das Recht auf gleich gute Wohnbedingungen. Die Differenzierungen liegen in der standortspezifischen Besonderheit, aber nicht in der Qualität“ (IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, Zur Projektierung von Wohnbauten und gesellschaftlichen Einrichtungen in Berlin, in: BdA – Zentrale Fachgruppe Wohn- und gesellschaftliche Bauten/HAB Weimar – Sektion Architektur/BA – Institut für Wohnungs- und Gesellschaftsbau [Hg.], Beiträge zum komplexen Wohnungsbau. Zur Gestaltung des komplexen Wohnungsbaus nach 1990, Seminar Gera, 22./23.10.1987, S. 60). 158 Der Arbeit Eisentrauts wurde damals DDR-weit große Aufmerksamkeit geschenkt. So erschien 1987 etwa ein Interview mit Eisentraut und seinem Mitarbeiter Michael Kny in der Zeitschrift form + zweck (o. Verf., „Prinzip wiederholt. Gespräch mit Wolf-Rüdiger Eisentraut/Michael Kny“, in: form + zweck 5/1987, S. 20). Neben Eisentraut beschäftigten sich aber auch andere Akteure mit dem Thema einer gestalterischen Flexibilisierung des industriellen Bauens, u.a. etwa Werner Straßenmeier (hierzu ausführlicher Kapitel III.1.2) und Klaus Sorger (Sorger, S. 7). 159 „Also, es gab hier [in den schon errichteten gesellschaftlichen Zentren der Wohngebiete, T.Z.] Probleme, die sich steigerten mit zunehmendem quantitativen Zuwachs und die natürlich auch deutlicher wurden mit zunehmenden gesellschaftlichen Anforderungen. Der Magistrat hat dann Forderungen gestellt, daß mit der Rationalisierung dieser Projekte Qualitätserhöhungen eintreten sollten und daß differenzierte Gestaltungen stattfinden mußten“ (IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des

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kam, dass sich die bedingungslose Anwendung von Angebots- und Wiederverwendungsprojekten oftmals als wesentlich teurer entpuppte, der erhoffte Einspareffekt also ebenfalls ausblieb. Konkret nachgewiesen wurde das für Berlin etwa Anfang der 80er Jahre. In einer umfangreichen Untersuchung nahm eine Studie160 dabei die Wirtschaftlichkeit vor allem jener Wiederverwendungsprojekte unter die Lupe, die nach der für den Gesellschaftsbau entwickelten Baureihe SKBS errichtet wurden161 und auf die sich u.a. auch Eisentrauts Kritik bezog. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass sich die Typenbauten unter ökonomischen Gesichtspunkten als in verschiedenster Hinsicht problematisch erwiesen. Herausgearbeitet wurde etwa, dass die monofunktionale Auslegung der Wiederverwendungsprojekte und deren vor allem daraus resultierende Eingeschossigkeit einen stark erhöhten Baulandbedarf zur Folge hatte, aber auch zu steigenden Gründungs- und Fundamentierungskosten, zu größeren und damit teureren Dachflächen sowie zu einem erhöhten Erschließungsaufwand sowohl hinsichtlich der notwendigen Versorgungsleitungen als auch der Verkehrsanbindung führte. Die Studie empfahl deswegen, verstärkt auf mehrgeschossige Gebäude zu setzen, bei denen verschiedene Funktionen kompakt unter einem Dach zusammengefasst wurden. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Planungen Eisentrauts für Marzahn genau parallel stattfanden und auch von der Studie als alternative Lösungsmöglichkeit berücksichtigt wurden. Damit untersützte die Studie nicht zuletzt die unkonventionelle Lösung aus dem Berliner VEB BMK Ingenieurhochbau und stärkte sie gegenüber dem Magistrat der Stadt, der letztlich politisch zuzustimmen hatte.162 Die logische Schlussfolgerung aus diesen Analysen bestand letztlich darin, dem so genannten Projektierungsvorlauf, vor allem aber auch dem individuellen architektonischen Entwurf erneut wieder sehr viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auf diese Weise wollten die Architekten den ökonomischen Leitlinien, zugleich aber auch dem eigenen Interesse an einer anspruchsvoller gestalteten Architektur VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 18). 160 In IRS BdA 14IV. 161 Untersuchungsgegenstand war dabei ein neu errichtetes Wohnkomplexzentrum an der Greifswalder Straße in Berlin. Hierzu ausführlicher Wolfgang Urbanski, „Wettbewerb ,Jugendinitiative Berlin , Wettbewerb Greifswalder Straße“, in: AdDDR 12/1979, S. 743f. 162 So sprach Eisentraut davon, dass die „Rationalisierungskonzeption des Kombinats im Magistrat zum Beschluß gebracht“ wurde (IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 19).

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besser gerecht werden. Wie bereits dargestellt hatte die Festlegung auf die Typenprojektierung nämlich dazu geführt, den Architekten vor allem eine so genannte Anpassungsprojektierung abzuverlangen. Dabei waren die vorhandenen Typenserien an den vorgesehenen Standort anzugleichen, wobei nicht so sehr das Typenprojekt selbst abgewandelt wurde, sondern vielmehr der Standort durch entsprechende Baumaßnahmen auf den Typ zugeschnitten wurde. Was die stärkere Gewichtung des Projektierungsvorlaufs anging, gab es nun vor allem zwei Ansätze bzw. Methoden, die Eisentraut in seinem Referat ausführlich erläuterte und die sich auch in einer letztlich sehr verschiedenartigen architektonischen Gestaltung niederschlugen. Die eine der beiden war vom Kollektiv Eisentraut, der im VEB BMK Ingenieurhochbau als Komplexarchitekt tätig war, bislang vor allem für kleine Wohngebietszentren angewendet worden. Dabei wurde die „stabile Produktion auf der Grundlage von [...] Wiederverwendungsprojekten beibehalten, [...] aber die Vorbereitung wesentlich intensiviert [...] Praktisch stellt sich das so dar, daß wir für diese kleinen Zentren die Wiederverwendungsprojekte in ihrem technischen Bereich nur noch als Wiederverwendung betrachten



also die Küchen in den Gaststätten sind immer

gleich, die Lager- und Personalräume , daß wir aber in dem Bereich, der für die Gäste spürbar ist, maximal differenzieren und eine standortbezogene Lösung, die mit großen Eingriffen in diese Projekte verbunden ist, anbieten.“163

Betont wurde von Eisentraut vor allem, dass der gewünschte Rationalisierungseffekt trotzdem eintrat, indem etwa technische Einrichtungen zentral zusammengefasst wurden. Auf diese Weise konnte nach Eisentraut „eine Aufwandssenkung herbeigeführt [werden, T.Z.], die höher war als die geforderten 15 Prozent.“164 Gemäß seinen weiteren Ausführungen ergab sich darüber die Möglichkeit, „daß ein Teil der gewonnenen Mittel für verbesserte Ausstattung eingesetzt wird.“165 Die Erfolge waren schon bei solchen eher geringen Eingriffen in die Wiederverwendungs- und Angebotsprojektierung enorm  sowohl in ökonomischer als auch in gestalterischer Hinsicht. In seinem Referat beschrieb Eisentraut denn auch, wie statt der Eintönigkeit bloßer Wiederverwendungsprojekte auf diese Weise erneut gestalterische

163 Ebd. Zu diesem Thema außerdem: o. Verf., „Prinzip wiederholt. Gespräch mit WolfRüdiger Eisentraut/Michael Kny“, in: form + zweck, 5/1987, S. 20. 164 IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 19. 165 Ebd., S. 19f.

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Unterscheidbarkeit zu einem zentralen Kennzeichen der Arbeit seines Kollektivs werden konnte: „Wir gehen so heran, daß es für jeden dieser Standorte [an denen nach dieser Methode gearbeitet wurde, T.Z] eine Gestaltdefinition gibt. Abhängig von der örtlichen Situation oder von Namen, die bereits beschlossen sind, gibt es also typische Dinge, die wir in die Gestaltung einbeziehen und die wir nur an diesem Ort verwenden und an einem anderen Ort nicht mehr.“166

Eisentraut ließ jedoch gleichzeitig keinen Zweifel daran, dass aus seiner Sicht letztlich die sehr viel breitere Anwendung einer zweiten Methode erstrebenswert war, um auf der einen Seite ein möglichst ökonomisches, auf der anderen Seite aber auch ein gestalterisch hochwertiges Bauen sicherzustellen. Das oben geschilderte partielle Festhalten an den Wiederverwendungsprojekten bezeichnete er deswegen auch als „Übergangslösung“ und unterstrich gleichzeitig, dass „die höchsten Effekte sowohl ökonomisch als auch gestalterisch [...] doch bei dem unikalen, bei dem individuellen Entwerfen zu finden sind.“167 Eisentraut betonte in diesem Zusammenhang jedoch dezidiert, dass dabei die materiellen und die technologischen Rahmenbedingungen des DDR-Bauwesens nicht grundsätzlich infrage gestellt werden sollten: „Die Individualität basiert auf der Nutzung der industriellen Bauweise. Wir haben natürlich Montagebauweise, weil wir gar nicht anders können und auch gar nicht anders wollen.“168 Letztlich ging es also darum, die Montagebauweise sehr viel flexibler als bislang anzuwenden. Konkret verdeutlichen lässt sich das an dem von Eisentrauts Kollektiv geplantem Handelshaus Berlin-Hohenschönhausen 169 (Abb. 13). In seinem Referat schilderte Eisentraut ausführlicher, wie hier ein unikaler Entwurf zum einen die Bereitstellung neuer technischer Lösungen im Rahmen des Montagebaus erforderte, zum anderen aber trotzdem die von politscher Seite verordnete Aufwandssenkung möglich machte. Die größere gestalterische Individualität auf der einen und die geringeren Kosten auf der anderen Seite stellten dabei letztlich beide Seiten  Auftraggeber und Architekten  zufrieden und ließen das Handelshaus zu einem Positivbeispiel gestalterisch individuellerer DDRArchitektur der 80er Jahre werden. Ursprünglich vorgesehen waren dabei auch hier laut Eisentraut zunächst zwei Kaufhallen in Form von Wiederverwendungsprojekten (Abb. 25-26) auf der Grund166 Ebd., S. 20. 167 Ebd., S. 21. 168 Ebd. 169 Hierzu Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Handelshaus Berlin-Hohenschönhausen“, in: AdDDR 2/1986, S. 85-91. Das Handelshaus ist inzwischen abgerissen und durch eine Shopping Mall ersetzt worden.

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lage der bereits erwähnten SKBS-Bauweise. Der entscheidende Schachzug von Eisentrauts Kollektiv war nun, dass man  ganz im Sinne der BA-Studie  statt eines eingeschossigen ein zweigeschossiges Gebäude vorsah.170 Diese Tatsache befreite die Architekten zum einen von der Pflicht, ein schon vorliegendes Wiederverwendungsprojekt lediglich an den vorgesehenen Standort anpassen zu müssen, hatte zum anderen aber auch klare ökonomische Vorteile, die vor allem Politik und Kombinatsleitung überzeugten und auf diese Weise die für das Vorhaben notwendige Unterstützung garantierten. Letztlich nämlich entstand „ein kleines Kaufhaus“ mit „[l]ogischerweise halb soviel [sic!] Bau-, Gründungs- und Dachaufwand“171 auf der einen, aber auch höherer Qualität für die Nutzer auf der anderen Seite.172 Die beim Bau eingesparten Kosten konnten in eine intensivere planerische Vorbereitung und eine aufwändigere architektonisch-künstlerische Gestaltung des Gebäudes fließen, wobei eine weitere planerische Finte hier noch größeren Bewegungsspielraum verschaffte. Eigentlich nämlich war Eisentrauts Kollektiv alleine für die Planung und den Bau von Gesellschaftsbauten zuständig. Für Hohenschönhausen gelang den beteiligten Architekten aber darüber hinaus die Eingliederung von 110 Wohneinheiten, so dass das individuell entworfene Gebäude gleichzeitig auch Teil des Wohnungsbauprogramms wurde und zu dessen Erfüllung beitrug.173 Unter dem Strich wurden  so Eisentraut  trotz aller Änderungen und Neuerungen „fast 2 Millionen Mark weniger benötigt.“174

170 „Dort [in Berlin-Hohenschönhausen, T.Z.] waren zwei Typenkaufhallen geplant, die zusammen eine bestimmte Menge Geldes gekostet hätten. Wir haben statt dessen [sic!] den Vorschlag unterbreitet, ein kleines Kaufhaus mit zwei Geschossen, eines für Lebensmittel, eines für Industriewaren, zu errichten mit einer Gestaltung, die nur an diesem Standort stattfindet“ (IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 21). 171 IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, Zur Projektierung von Wohnbauten und gesellschaftlichen Einrichtungen in Berlin, in: BdA – Zentrale Fachgruppe Wohn- und gesellschaftliche Bauten/HAB Weimar – Sektion Architektur/BA – Institut für Wohnungsund Gesellschaftsbau (Hg.), Beiträge zum komplexen Wohnungsbau. Zur Gestaltung des komplexen Wohnungsbaus nach 1990, Seminar Gera, 22./23.10.1987, S. 63. 172 Eisentraut sprach hier von „bessere[r] Nutzungsqualität für die Händler und für die Bürger“ (ebd.). 173 „Es konnten zusätzlich 110 WE [= Wohneinheiten, T.Z.] bei vorhandener Erschließung eingeordnet werden“ (ebd.). 174 Ebd.

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Auch im Zusammenhang mit anderen Projekten beschrieb Eisentraut ähnliche Strategien, etwa im Falle der sich zum Fennpfuhl öffnenden „Seegaststätte“ im gleichnamigen Berliner Wohngebiet175 oder der Planungen für das umfassende Gesellschaftszentrum von Berlin-Marzahn mit Kaufhalle, Post und so genanntem Haus der Dienste sowie einem unikal entworfenen Rathaus, das anstelle einer ursprünglich vorgesehenen, an die Verwaltungsfunktionen anzupassenden Wohnscheibe errichtet wurde.176 Ein Mehr an Architektur und ein Abrücken von den immer gleichen Typenprojekten wurde bei all diesen Projekten durch das von den Architekten entwickelte Argument einer durch unikales Entwerfen zu erreichenden Aufwandssenkung möglich, wobei sogar die Anpassung von Bautechnologien und die Fertigung von Montageelementen nur für den jeweiligen Standort oder alleine für eine gestalterische Aufwertung durchgesetzt werden konnte. Die Strategie des Kollektivs Eisentraut wurde bald auch an anderen Orten angewandt und führte im Laufe der 80er Jahre zu einer DDR-weiten Pluralisierung im Bereich des Gesellschaftsbaus. Ausgehend von den Erfahrungen des innerstädtischen Bauens und der dortigen Anpassung von Bautechnologien an die planerischen Herausforderungen gewachsener Stadtstrukturen gelang es Teilen der Architektenschaft also zumindest punktuell, statt der üblichen Wiederverwendungsprojekte unikale, trotzdem aber aus dem industriellen Bauen entwickelte Entwürfe umzusetzen. Dies wurde vor allem möglich, indem sie den ökonomischen Nutzen projektspezifischen Entwerfens in den Vordergrund stellten und gestalterisches Arbeiten so in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der von Baupolitik und Bauwirtschaft geforderten Aufwandssenkung stellten. In natürlich nach wie vor begrenztem Umfang und immer noch durch die Möglichkeiten und auch die Kooperationsbereitschaft der Plattenwerke und Baukombinate bestimmt konnte so die gestalterische Komponente des Architektenberufs erneut gestärkt werden und das Berufsbild selbst an Ansehen gewinnen. Erfolgreiche Projekte dieser Art machten den Fachleuten deswegen nicht zuletzt Hoffnung, dass sich gestalterisches Arbeiten zukünftig noch stärker flexibilisieren und damit in ihrer Tätigkeit noch mehr Raum einnehmen würde. 175 Vgl. hierzu Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Gaststätte Seeterrassen in Berlin (AntonSaefkow-Platz)“, in: AdDDR 10/1987, S. 22-27. 176 Hierzu IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, Zur Projektierung von Wohnbauten und gesellschaftlichen Einrichtungen in Berlin, in: BdA – Zentrale Fachgruppe Wohn- und gesellschaftliche Bauten/HAB Weimar – Sektion Architektur/BA – Institut für Wohnungs- und Gesellschaftsbau (Hg.), Beiträge zum komplexen Wohnungsbau. Zur Gestaltung des komplexen Wohnungsbaus nach 1990, Seminar Gera, 22./23.10.1987, S. 64. Außerdem u.a. Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Der gesellschaftliche Hauptbereich in Berlin-Marzahn. Ein neuer Stadtbezirk erhält seinen Mittelpunkt“, in: AdDDR 12/1988, S. 9-19.

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II.2.4 „Wir sind Erben der Gotik, der Renaissance, des Klassizismus ebenso wie der progressiven Ideen des Bauhauses“: Architekten in der Denkmalpflege Eine weitere Form der strategischen Anpassung konnte der Weg in die Denkmalpflege darstellen. Sie stand dabei allgemein für einen Bereich des Bauwesens, der bislang stark vernachlässigt worden und in dem der Handlungsbedarf entsprechend groß war. Der Grund dafür waren einerseits ideologische Vorbehalte gegenüber dem baulichen Erbe gewesen.177 Andererseits hatte sich über die Jahre gezeigt, dass die umfassende Industrialisierung und Typisierung des Bauwesens die Erhaltung historischer Bausubstanz immer schwieriger machte. Für historische Baudenkmäler und Ensembles fehlten bald sowohl die notwendigen Bautechnologien als auch die für den Erhalt nötigen Baumaterialien. Die für das industrielle Bauen entwickelten Produkte waren im Bereich der Denkmalpflege nur begrenzt einsetzbar. Aus diesem Grund wurde die Renovierung alter Gebäude zumindest teuer, wenn nicht sogar undurchführbar.178 Die Folge war ein immer deutlicher zutage tretender Verfall der Altstädte, aber auch einzelner Baudenkmale. Zu Beginn der 70er Jahre wurde diese Entwicklung so unübersehbar, dass sich die verfallenden Stadtbereiche und Kulturdenkmäler zu einem Politikum und damit zu einem ernsthaften Problem der Staatsund Parteiführung zu entwickeln drohten. Sehr deutlich wurde das u.a. im Rahmen der bereits mehrfach erwähnten, von der HAB Weimar durchgeführten so genann-

177 So schreibt Florian Urban über die „Konnotationen jener Elemente“ [Stuckfassaden, Korridorstraßen, Hinterhof, T.Z.] in den 50er und 60er Jahren: „Bis in die 1960er Jahr [sic!] verband man die Gründerzeitbauten mit Gesundheitsschädlichkeit wegen ihrer Mischung von Wohn-, Arbeits- und Verkehrsflächen, mit sozialer Ungerechtigkeit wegen ihrer Unterscheidung zwischen luxuriösen mittelständischen Vorderhauswohnungen und einfachen Arbeiterbehausungen in den Hinterhäusern, mit Unterdrückung aufgrund der in der Kaiserzeit staatlich sanktionierten Bodenspekulation und Überbelegung und mit Entfremdung aufgrund der Anonymität der industriellen Großstadt“ (Urban, S. 25). 178 „Die Sanierung von Altbauten war deutlich komplexer als die industrielle Errichtung von Neubauten. Die Bauten der Gründerzeit waren Massenprodukte, aber nicht standardisiert. Auch wenn Holztüren und Kastenfenster zumeist nach dem gleichen Muster konstruiert waren, waren sie doch sehr unterschiedlich in Form und Größe. Sie auszutauschen erforderte daher einerseits handwerkliches Können und andererseits eine in Bezug auf Größen und Mengen flexible Produktion – beides hatte die ostdeutsche Führungsriege lange als veraltet und ineffizient abgelehnt, und beides war daher in großem Maße der ,Industrialisierung des Bauwesens zum Opfer gefallen“ (ebd., S. 58).

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ten Kommunalen Praktika.179 Die Interviews, die Studierende in deren Rahmen mit der Bevölkerung vor Ort führten, zeigten sehr deutlich, dass man mit dem Zustand der Innenstädte, Altbauquartiere und Denkmalensembles mehr als unzufrieden war. Auch wenn man die eigene Wohnsituation etwa in den Neubaugebieten positiv bewertete, störte man sich doch zunehmend an den tristen und bröckelnden Fassaden der Stadtkerne und bemängelte auch den damit einhergehenden Verlust wichtiger identitätsstiftender Elemente. Darüber hinaus wurde deutlich, wie sehr die gewachsene soziale Struktur dieser Stadtbereiche und die Mischung aus Arbeiten, Wohnen, Versorgung und Erholung wertgeschätzt wurde.180 Wie immer, wenn eine solchermaßen grundsätzliche Kritik spürbar wurde, zeigte sich die Staats- und Parteiführung alarmiert. Verhindern wollte man, dass aus dem Thema wirklicher politischer Sprengstoff werden könnte und versuchte auch deswegen, die baupolitischen Leitlinien relativ bald anzupassen. Als 1979 beispielsweise Karl Schmiechen im Rahmen der 9. erweiterten BdA-BuV-Sitzung sein Schlusswort hielt, betonte er u.a., dass auch gemäß der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED zukünftig sehr viel mehr Wert auf die Erhaltung vorhandener Bausubstanz gelegt werden sollte.181 Architekten, die in die Denkmalpflege und Altbausanierung wechselten, reagierten damit also auf ein Bedürfnis der Bevölkerung, zunehmend aber auch des Staates und der Partei. Dabei verstanden es Teile der Architektenschaft erneut, die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen der 70er Jahre geschickt zu nutzen und für die eigene Tätigkeit im Bereich der Denkmalpflege fruchtbar zu machen. In diesem Fall bezog man sich damit verbunden u.a. auf die sich unter Erich Honecker sehr tiefgreifend verändernden geschichtspolitischen Leitlinien. Im Zuge der breiteren internationalen Anerkennung des Landes setzte die Staats- und Parteiführung in diesem Zusammenhang alles daran, die DDR als eigenständige Nation zu begreifen

179 Ausführlicher hierzu Bernhardt/Flierl/Welch Guerra. 180 Deutlich wurde dies bereits im Rahmen des ersten Altbausanierungsprojektes der DDR am Berliner Arnimplatz: „Die Sanierung traf den Nerv der Zeit. Das Projekt zog Journalisten und Stadtplaner aus Ost und West an, die begeistert applaudierten [...] Die Renovierung war unerwartet populär“ (Urban, S. 54f.). 181 „In diesem Bemühen ist die Nutzung und Einbeziehung der vorhandenen Altbausubstanz von großer Bedeutung und stellt der gestalterischen Meisterung neue Aufgaben. Je mehr die Gesellschaft über bauliche Substanz verfügt, desto mehr muß sie nun einmal tun für ihre Erhaltung und im begründeten Fall für den Ersatz des nicht mehr Erhaltenswürdigen, und es waren nicht die schlechtesten Architekten vergangener Epochen, die sich mit diesem Einfühlungsvermögen der Erhaltung der historisch überlieferten Substanz widmeten und mit positiven Ideen das Neue mit dem Alten zu einer harmonischen Einheit gestalteten“ (SAPMO, DY 15/37 [BdA], Protokoll 9. erweiterte BdABuV-Sitzung, 07.12.1979, Schlusswort Schmiechen, S. 89).

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und zu legitimieren.182 Ein wesentlicher Baustein war dabei das Bemühen, sie mit prägnanten und vor allem auch weiter zurückliegenden Ereignissen im deutschen Sprachraum historisch zu verknüpfen.183 Hatte man sich in den ersten Jahren der DDR in erster Linie auf ein eklektisches Anknüpfen an die Geschichte der Arbeiterbewegung konzentriert, so sollte nun eine sehr viel größere Zahl historischer Ereignisse integriert und im Rahmen eines sozialismustypischen teleologischen Geschichtskonzepts auf die DDR als Ziel- und Endpunkt hin interpretiert werden. Zu den bekanntesten und immer wieder zitierten Beispielen gehörten etwa die Reformation und Martin Luther, Teile der Geschichte Preußens und die 1848erRevolution, die nun durchweg zu historischen Wurzeln des DDR-Staates erklärt wurden. Sogar bis dato als problematisch und reaktionär verstandene historische Gestalten wie Friedrich II. oder Bismarck wurde bald etwas Progressives abgewonnen.184 Die DDR wurde damit verbunden als ein Staat dargestellt, der die entsprechenden, positiv hervorgehobenen Traditionslinien in sich aufnahm, bündelte und als sozialistisches Staats- und Gesellschaftsgebilde zur Vollendung führte. Es liegt auf der Hand, dass sich Architektur und Denkmalpflege diesen geschichtspolitischen Paradigmenwechsel zunutze machen konnten.185 Denkmalpfle182 „Gemäß der sowjetischen Doktrin der friedlichen Koexistenz der Blöcke vertrat Honecker im Gegensatz zu seinem Vorgänger Ulbricht die Idee einer Zweistaatlichkeit von DDR und BRD und verzichtete damit endgültig auf die Wiedervereinigung als langfristiges Ziel sozialistischer Politik“ (Urban, S. 19). Davon ausgehend wurde das „Verständnis einer ostdeutschen Nation“ (ebd.) entwickelt. 183 Damit verbunden „betonten sie [die sozialistischen Machthaber, T.Z.] den historischen Fortschritt in seiner Kontinuität und interessierten sich für die Keime der neuen Gesellschaftsordnung in der alten. Sie begannen damit, sich Aspekte der deutschen Vergangenheit anzueignen, die zuvor als der sozialistischen Sache fremd gegolten hatten“ (ebd.). 184 Hierzu ausführlich Jan-Herman Brinks, Die DDR-Geschichtswissenschaft auf dem Weg zur deutschen Einheit. Luther, Friedrich II. und Bismarck als Paradigmen politischen Wandels, Frankfurt/M. 1992 sowie Urban, S. 19ff. Die Neuausrichtung der Geschichtspolitik gründete dabei auch auf entsprechenden Vorarbeiten der Geschichtswissenschaft. Obwohl politisch instrumentalisiert, waren deren Ergebnisse in der Regel allerdings wesentlich differenzierter als das offiziell propagierte Geschichtsbild. Hierzu u.a. Ingrid Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg. Auseinandersetzungen zwischen Bürgertum und Staat um die Wirtschaftspolitik, Berlin 1979; Dies., Friedrich II. von Preußen. Eine Biographie, Berlin 1979; Dies./Erika Herzfeld, BrandenburgPreußen 1648-1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Text und Bild, Berlin 1987. 185 Vorarbeiten sind zu diesem Thema vor allem von Urban geleistet worden. Ausführlicher hierzu auch Tobias Zervosen, Der Wiederaufbau des Nikolaiviertels in Ost-Berlin, Magisterarbeit FU Berlin 2006.

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ge, die Beschäftigung mit und der Erhalt von historischen Baudenkmalen und Denkmalensembles spielten in diesem Zusammenhang eine ganz zentrale Rolle. Für die Erhaltung historischer Bausubstanz konnte so auch plädiert werden, indem die Fachleute deren Wert für den geschichtspolitischen Diskurs herausstrichen. Denkmale wurden dabei als gebaute Illustration jenes Geschichtsbildes kommuniziert, das die Geschichtspolitik diskursiv durchzusetzen versuchte. Der im Bereich der Denkmalpflege tätige Architekt Ludwig Deiters hob denn auch im Rahmen einer bereits 1972 abgehaltenen BdA-BuV-Sitzung hervor, dass mit der undialektischen Ablehnung alles Alten Schluss gemacht werden müsse: „Das will sagen, daß man von der allgemeinen Ablehnung der bisherigen politischen Zustände das auszunehmen hat, was vom bisher Erreichten von bleibendem Wert, vom Nutzen für die Arbeiterklasse, für die zukünftige Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft überhaupt ist.“186

Die Arbeiterklasse, so Deiters weiter, habe einen berechtigten Anspruch auf das Erbe und darauf, dass es durch die Befreiung von allen Klassengegensätzen seinen wirklichen humanistischen Gehalt entfalten könne.187 Dezidiert betonte Deiters zudem, dass dies alle Epochen betreffe und machte damit deutlich, wie umfassend das von ihm vertretene Denkmalpflegeverständnis war.188 Durch die Verknüpfung von Denkmalpflege und einer ideologisch instrumentalisierten Erbepolitik wurde so etwa die Grundlage gelegt für die endgültige Anerkennung und Rehabilitierung von Bauhaus und Neuem Bauen. Auf letztlich sehr einfache Weise konnte so erreicht werden, worum sich u.a. Kurt Junghanns seit Jahrzehnten vergeblich bemüht hatte.189 Während er allerdings durch historisch-theoretische Arbeiten aktiv auf ideologische Konzepte Einfluss zu nehmen versuchte190, reagierte man nun eher auf im 186 SAPMO, DY 15/31 (BdA), Protokoll 4. BdA-BuV-Sitzung, 01.12.1972, Referat Deiters, S. 20. 187 „Die Arbeiterklasse fühlt sich mit Recht als berechtigt, sich dieses Gut anzueignen und es, befreit von den antagonistischen Klassengegensätzen, erst in seinem humanistischen Gehalt wirklich zum Tragen zu bringen“ (ebd.). 188 „Diese Aneignung bezieht sich auf sämtliche Epochen, das heißt richtig interpretiert, sind auch die letzten Jahrzehnte der kapitalistischen Entwicklung für die Arbeiterklasse von Interesse“ (ebd.). 189 Verwiesen sei hier auf die langjährigen, von zahlreichen, vor allem auch ideologisch motivierten Rückschlägen begleiteten Arbeiten von Kurt Junghanns zu Bruno Taut. Deren Ergebnisse konnten erst 1970 im Rahmen einer umfangreichen Monographie publiziert werden (Kurt Junghanns, Bruno Taut 1880-1938, Berlin 1970). 190 Hierzu ausführlich entsprechende Konvolute in dem im Baukunstarchiv der AdK Berlin befindlichen Nachlass Junghanns.

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Vorfeld veränderte Ideologien und machte sie sich zunutze für eine (damit auch ideologisch gefärbte) Öffnung und Weitung des historisch-denkmalpflegerischen, aber auch gestalterischen Diskurses. Gerhard Krenz, der Chefredakteur der AdDDR (Architektur der DDR), hob denn auch im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1983 hervor: „Wir sind die Erben der griechischen Klassik ebenso wie der phantastischen Leistungen der Baumeister der Gotik und der Renaissance, des Klassizismus ebenso wie der progressiven Ideen des Bauhauses.“191

Auf diese Weise konnte ab etwa Mitte der 70er Jahre eine regelrechte BauhausRenaissance in der DDR eingeläutet werden.192 1976 begannen so die Restaurierungsarbeiten an den Dessauer Bauhaus-Gebäuden.193 Gleichzeitig setzte auch eine vergleichsweise rege publizistische Auseinandersetzung mit dem Neuen Bauen im Allgemeinen und dem Bauhaus im Besonderen ein. Im Sommer etwa machte Bernd Grönwald mit einem Beitrag über Georg Muche den Anfang.194 Ein knappes halbes Jahr später wurde dann bereits eine Rede von Bauminister Wolfgang Junker veröffentlicht, die dieser im Rahmen einer Festveranstaltung des Ministerrates gehalten hatte und mit dem Titel „Das Erbe des Bauhauses ist in der DDR in guten Händen“ 195 wie kaum eine andere offizielle Publikation für die hundertprozentige Kehrtwende in der ideologischen Bewertung des Bauens der 20er Jahre stand. Vor allem 1979 folgten dann eine ganze Reihe weiterer Veröffentlichungen. So wurde in der AdDDR erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges ein Wiederabdruck der Charta von Athen publiziert.196 Einige Monate später gratulierte Adalbert Behr Mart Stam zum 80. Geburtstag 197 und rehabilitierte damit einen Architekten, der die 191 IRS BdA 5IIb, Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 05.05.1983, Diskussionsbeitrag Krenz, S. 31. 192 Eine knappe Darstellung hierzu auch bei Werner, S. 135. 193 Vgl. hierzu Konrad Püschel, Wege eines Bauhäuslers. Erinnerungen und Ansichten, = Bauhausminiaturen 2, Dessau 1997, S. 102. Püschel weist darüber hinaus darauf hin, dass ein Aufmaß des teilzerstörten Gebäudes bereits 1964 vorgenommen worden war. 194 Bernd Grönwald, „Georg Muche und sein Werk in der DDR“, in: Form und Zweck 6/1976, S. 25ff. 195 Wolfgang Junker, „Das Erbe des Bauhauses ist in der DDR in guten Händen. Ansprache auf der Festveranstaltung des Ministerrates der DDR“, in: AdDDR 1/1977, S. 4ff. 196 Wiederabdruck der Charta von Athen, in: AdDDR 2/1979, S. 124f. 197 Adalbert Behr, „Mart Stam 80 Jahre“, in: AdDDR 8/1979, S. 500-503. Bereits 1976 hatte Behr einen allgemein gehaltenen Beitrag zum Bauhaus veröffentlicht (Adalbert Behr, „Das progressive Architekturerbe des Bauhauses Dessau“, in: AdDDR 12/1976, S. 710-715).

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DDR 1952 wegen seiner mit den damaligen bau- und kulturpolitischen Leitlinien nicht kompatiblen Kunstauffassung verlassen hatte. Ähnliches galt für Selman Selmanagic, der zwar in der DDR geblieben war, bis in die 60er Jahre hinein aber mehr oder weniger als persona non grata galt. So fand sich in der auf Design und Kunstgewerbe spezialisierten DDR-Zeitschrift Form und Zweck 1979 ein von Heinz Hirdina geführtes Interview198 mit Selmanagic, der 1930 das 100. BauhausDiplom erhalten hatte.199 Aber auch auf ausbildungs- und berufspraktischer Ebene machte sich die durch die geschickte Vereinnahmung der Erbepolitik möglich gewordene Rehabilitierung des Neuen Bauens bald bemerkbar. Im Hochschulbereich etwa wurden an der HAB Weimar regelmäßige Bauhauskolloqien200 eingerichtet, und auch ein vom MfHuF (Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen) 1978 herausgegebener Lehrplan machte die Beschäftigung mit Expressionismus, Bauhaus und anderen Strömungen der klassischen Moderne zum festen Bestandteil des Curriculums. 201 Ideologisch wurde dabei nur noch zwischen den Zielen der verschiedenen gestalterischen Erneuerungsbewegungen einerseits und ihrem angeblichen Scheitern an den Realitäten einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung andererseits unterschieden.202 Schließlich erweiterten sich über den von den Architekten sehr wesentlich mit initiierten und mitgetragenen geschichtspolitisch-denkmalpflegerischen Diskurs auch die gestalterischen Möglichkeiten der Architektenschaft im Allgemeinen. Eine unmittelbare Bezugnahme auf Vorbilder der 20er Jahre war nun nicht nur möglich, sondern oftmals sogar gewünscht. Es war kein Zufall, dass mit dem Palast der Republik eines der prominentesten Gebäude der 70er Jahre zweifelsohne Elemente des Dessauer Bauhausgebäudes zitierte. Weitere Beispiele ließen sich anführen, etwa Wolf-Rüdiger Eisentrauts Körperbehindertenschule oder das gestalterisch an Alfred Grenander orientierte Verwaltungsgebäude des VEB Kohle und Energie von Jochen Jentsch in der Berliner Dircksenstraße. Geschichtspolitik und Denkmalpflege tru198 Heinz Hirdina, „Selman Selmanagic über das Bauhaus. Aufzeichnung eines Gesprächs“, in: form + zweck 3/1979, S. 67f. 199 Hier beziehe ich mich auf entsprechende schriftliche Quellen, die mir dankenswerterweise der Selmanagic-Schüler Dietmar Kuntzsch zur Verfügung gestellt hat. 200 S. hierzu u.a. die Publikation der Bauhauskolloquien in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der HAB Weimar. 201 Hierzu ausführlicher Kapitel II.3. 202 Vgl. hierzu BArch, DR 3/2. Schicht/715 (MfHuF), MfHuF, Lehrprogramm für das Lehrgebiet Städtebau und Landschaftsarchitektur zur Ausbildung in der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an Universitäten und Hochschulen der DDR, April 1978. So war das Thema „Bauhaus“ mit dem Zusatz „Ziele und Realität“ (ebd.) versehen.

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gen so ganz wesentlich dazu bei, auch den mit der Planung von Neubauprojekten beauftragten Architekten ein wesentlich breiter aufgestelltes gestalterisches Arbeiten zu ermöglichen und damit den Schlusspunkt unter eine Debatte zu setzen, die zwischen Fachleuten und Baupolitik seit den frühen 50er Jahren sehr kontrovers geführt worden und für die Architekten mit zahlreichen Rückschlägen verbunden gewesen war. Doch noch in weiterer Hinsicht stellte die Tätigkeit in der Denkmalpflege eine durchaus geschickte Anpassungsleistung der Architektenschaft an die Erwartungshaltung von Staat und Partei dar. Das planerische Engagement der Fachleute für historische Bausubstanz stand nämlich letztlich in keiner Weise unter dem Verdacht, individuellem Künstlertum oder künstlerischer Selbstverwirklichung verpflichtet zu sein. Arbeit in der Denkmalpflege bedeutete vielmehr, dienend im Hintergrund zu wirken. Wichtig waren dabei die Gebäude und Gebäudeensembles selbst, ihr historischer Geist, aber auch ihre Erhaltung im Dienste der oben geschilderten Geschichtspolitik. Die dafür zuständigen Fachleuchte hingegen traten  zumindest was das Endergebnis anging  letztlich in den Hintergrund. Sie waren im besten Sinne des Wortes Prozessorganisatoren und sicherten bauliche Abläufe, in dem Falle den der Erhaltung. Die Architektentätigkeit war hier also eine weitgehend entindividualisierte und entsprach damit genau den von politischer Seite propagierten Idealen. Genau dies ist vielleicht auch der Grund dafür, warum bis auf wenige Ausnahmen 203 jene Architekten, die in der Denkmalpflege tätig waren, kaum bekannt sind. Sie wirkten im Hintergrund und traten über die Projekte letztlich kaum in Erscheinung. Gleichzeitig aber war es eine erfüllte Tätigkeit, zumindest dann, wenn die notwendigen Mittel für den Erhalt und die Restaurierung historischer Bausubstanz vorhanden waren. 204 Erfolgreiche Architektenarbeit kam in diesem Bereich also in Form erneuerter Bauten und Stadtstrukturen zum Ausdruck, die nicht zuletzt von identifikationsstiftendem Wert waren und sich auch darin von vielen Neubauprojekten unterschieden. Was auf der grünen Wiese nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich war, stand hier im Mittelpunkt des Interesses: eine gestalterisch individuelle Architektur, um deren Erhalt man sich als Fachmann bemühen durfte, ohne von politisch-ideologischer Seite in seine Schranken gewiesen oder des Individualismus bezichtigt zu werden. Die Tatsache, dass sich gerade viele 203 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang insbesondere auf Ludwig Deiters (zu Deiters u.a.: Barth [2000], S. 62f. sowie IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 01/0102 [Ludwig Deiters]). 204 Dass dies durchaus passierte, betont etwa Bruno Flierl: „Das Institut für Denkmalpflege wie auch das Institut für Kulturbauten unterstanden dem Ministerium für Kultur. Zum Glück, denn hätten sie dem Ministerium für Bauwesen unterstanden, wären nicht so viele denkmalgeschützte Bauwerke in der DDR erhalten, gepflegt und sinnvoll genutzt worden [...]“ (Flierl [1998a], S. 57).

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jüngere Architekten zur Denkmalpflege hingezogen fühlten, liegt möglicherweise genau darin begründet. Ein Generationszusammenhang, der durch zunehmende Individualiserungstendenzen geprägt war205, fand hier ein einigermaßen adäquates und zufriedenstellendes Arbeitsfeld vor. Insofern sollte sehr viel weniger von einem Ausweichen der Fachleute in die Denkmalpflege gesprochen werden. Denkmalpflege übte vielmehr einen spezifischen beruflichen Reiz aus, der in anderen Tätigkeitsfeldern immer seltener zu finden war. Hinzu kam schlussendlich, was für das Neue Bauen bereits angesprochen worden ist. Durch ihre Arbeit in der Denkmalpflege konnten Architekten zu einer Ausdifferenzierung des Architektur- und Städtebaudiskurses, aber auch ihres eigenen beruflichen Selbstverständnisses beitragen. Insofern kam der Denkmalpflege angesichts politischer Leitlinien, die Planen und Bauen vor allem unter dem Aspekt der Produktion und Produktivität betrachteten, auch die Funktion eines Katalysators zu. So stellte sie zunächst den einzigen Bereich dar, in dem man sich als Architekt mit allen Epochen sowie mit der gesamten stilistischen Vielfalt der Architekturgeschichte beschäftigen konnte, waren ihr Gegenstand doch Bauten und städtebauliche Ensembles vom Mittelalter bis zur klassischen Moderne. Indirekt, so ist mit Blick auf den Palast der Republik, die Körperbehindertenschule und das Bürogebäude des VEB Kohle und Energie bereits deutlich geworden, wirkte sich die denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit allen Epochen der Architekturgeschichte dabei letztlich auch auf die Möglichkeiten der Neubauprojektierung aus. So führte etwa Gerhard Krenz im Rahmen der schon erwähnten BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1983 und seiner Übertragung des Erbegedankens auf Architektur und Städtebau weiter aus: „Es ist deshalb ebenso legitim, dort, wo Ort und Funktion dies erlauben, an ältere oder neuere Traditionen anzuknüpfen und auch etwas Neues, in unserer Zeit Ungewöhnliches zu entwerfen.“206

Dezidiert sprach er sich vor diesem Hintergrund zudem für örtliche Differenzierungen auch bei der Planung von Neubaukomplexen aus: „Ich würde mich persönlich zum Beispiel aus dieser Sicht auch für das Projekt des Friedrichstadtpalastes aussprechen, nicht, weil es die einzig denkbare und beste Lösung wäre, sondern deshalb, weil wir es entschieden ablehnen sollten, Architekten, die nach neuen Wegen suchen, gleich mit ideologisch verbrämten Etiketten ins Abseits zu drängen. Wir sollten froh und glücklich sein, wenn ein Architekt etwas anderes als das, was wir überall sehen, entwirft. 205 Hierzu ausführlicher Kapitel III.3.3. 206 IRS BdA 5IIb, Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 05.05.1983, Diskussionsbeitrag Krenz, S. 31.

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Es gibt doch, zum Glück, möchte ich sagen, bei uns keine Pflicht, die Phantasie anderen zu überlassen.“207

Wie sehr sich ein verändertes Geschichtsbild und der damit einhergehende Stellenwert der Denkmalpflege auf alle Bereiche der Architektentätigkeit auswirkte, unterstrich einige Jahre später auch Bernd Grönwald. Als Teilnehmer einer BdAPräsidiumssitzung hielt er im Juni 1985 fest, dass die künstlerische Entwurfsfähigkeit zukünftig auch aus der Geschichtsbildung heraus zu entwickeln sei.208 Ganz in diesem Sinne rief denn auch die BdA-Kreisgruppe Schwedt eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Architektur in Vergangenheit und Gegenwart“209 ins Leben, mit der die eigene Tätigkeit historisch verortet und verwurzelt werden sollte. Aus der Entdeckung der Denkmalpflege und der intensiveren Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte ergab sich für die Architekten so auch ein neuer Blick auf ihr Berufsbild und ihre eigene Tätigkeit. Herbert Ricken etwa, der  wie bereits dargestellt  für die BA die offiziellen Berufsbildentwürfe erarbeitete, bezog dies in seine Überlegungen ein und fügte dem Berufsprofil der 70er und 80er Jahre damit eine ganz wesentliche Facette hinzu. So stellte aus seiner Sicht die „Beziehung zur Geschichte, sich manifestierend in historischen Bauten und städtebaulichen Räumen und Strukturen, als Aufforderung und Möglichkeit zur Gestaltung kultureller Kontinuität“210

einen ganz wesentlichen Ansatzpunkt dar, die Architektentätigkeit auch weiterhin als eine dezidiert künstlerische zu bestimmen. Betont wurde damit erneut, dass es auch in der DDR und im Rahmen ihrer Baupolitik eine Architektur- und Architektentradition fortzusetzen galt, die die Architekturgeschichte durchgängig geprägt hatte und im Zuge einer sich historisch neu verortenden DDR ganz neue Bedeutung bekam. Denkmalpflegerische Arbeit lässt sich also immer auch als Auseinandersetzung mit der architektonisch-städtebaulichen und beruflichen Realität der DDR in

207 Ebd. 208 „Die nächste Schlußfolgerung und die dritte, an der wir eigentlich schon lange arbeiten, ist die Entwicklung der künstlerischen Entwurfsfähigkeit in Verbindung mit der Geschichtsbildung, dem einen neuen Stellenwert einzuräumen“ (SAPMO, DY 15/44 [BdA], Protokoll 7. BdA-BuV-Sitzung, 8.06.1985, Diskussionsbeitrag Grönwald, S. 41). 209 SAPMO, DY 15/38 (BdA), Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 29./30.05.1980, Diskussionsbeitrag Dielitzsch, S. 69. 210 SAPMO, DY 15/42 (BdA), Protokoll 4. BdA-BuV-Sitzung, 02.12.1983, Diskussionsbeitrag Ricken, S. 89.

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den 70er und 80er Jahren und als Versuch ihrer vorsichtigen Überformung und Veränderung begreifen.

II.3 AM B EDARF VORBEI ? D IE ARCHITEKTENAUSBILDUNG IN DEN 70 ER UND 80 ER J AHREN II.3.1 Das Auseinanderklaffen von Ausbildung und beruflicher Praxis: Ein erneuter Blick auf die Hochschulen211 Einführung Neben einer Betrachtung solcher Anpassungsstrategien lohnt auch für die 70er und 80er Jahre ein erneuter Blick auf die Architektenausbildung an den Hochschulen, um weitere Rückschlüsse auf das berufliche Selbstverständnis ziehen zu können. Auch damals blieb die Ausbildung dabei grundsätzlich durch thematische Vielfalt gekennzeichnet. Zwar entfiel eine nicht geringe Anzahl von Stunden auf fachfremde Anteile  etwa den Unterricht im Fachbereich Marxismus-Leninismus bzw. Gesellschaftswissenschaften. Die fachliche Komponente der Architektenausbildung spielte jedoch auch weiterhin die dominierende Rolle.212 Im Folgenden soll mit der

211 Ein differenzierter Blick auf die Architektenausbildung findet sich auch bei Betker, S. 198-205 u. S. 211-213. Betker schreibt u.a.: „Zu vermuten ist […], daß Ökonomie und Technologie an den Hochschulsektionen für Architektur und Städtebau nicht den Stellenwert hatten, der offiziell gefordert war, und daß Parteilichkeit nicht im engeren Sinne als Gehorsam den Parteibeschlüssen gegenüber verstanden wurden [sic!], sondern eher als Parteilichkeit den Nutzerinteressen und vermuteten Bedürfnissen gegenüber. Auch wenn vieles zunächst Vermutung bleiben muß und näher zu untersuchen ist, so kann doch davon ausgegangen werden, daß Eigenlogiken, die wohl weniger etwa mit der Institution Hochschule als vielmehr mit fachlichen Spezifika zu tun hatten, ein wenig Raum zur Entfaltung hatten. Die Entwicklung einer Berufsethik wurde von den übergeordneten Institutionen zwar nicht gefördert, aber auch nicht unterbunden. So hing es letztlich von den Sektionen und vom Engagement des Lehrpersonals ab, inwieweit jenseits sozialistischer auch traditionell berufliche Identitäten vermittelt wurden“ (ebd., S. 213). 212 „Das Lehrgebiet Marxismus-Leninismus war einheitlich mit einem Anteil von etwa 10 % am gesamten Stundenvolumen beteiligt. Dazu kamen Sport und Fremdsprachen mit zusammen knapp 15 % sowie ein kleines Stundenkontingent für die Vermittlung von Grundlagen der ,Ökonomie und Leitung . Für die im engeren Sinne fachbezogene Aus-

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gestalterischen Ausbildung ein Teil dieser Fachausbildung genauer in den Blick genommen werden. Dabei soll vor allem herausgearbeitet werden, dass die Architektenausbildung trotz eines immer stärker ökonomisierten Bauwesens ganzheitlich orientiert blieb und den angehenden Architekten damit ein weit über die Anforderungen des Planungsalltags hinausgehendes fachliches sowie berufliches Selbstverständnis vermittelt wurde. Von besonderem Interesse ist dabei zunächst die Frage, wer über Lehrpläne und Lehrinhalte entschied. Auch hier konnte nämlich nicht nur von einer bloßen Anleitung ,von oben gesprochen werden. Natürlich wurden allgemeine Vorgaben und Festlegungen zunächst auf zentraler politischer Ebene getroffen. Eine entscheidende Rolle spielte hier vor allem der Wissenschaftliche Beirat für Bauingenieurwesen und Architektur beim MfHuF. 213 Gestützt auf entsprechende Vorgaben, u.a. aus dem ZK der SED, wurde hier etwa festgelegt, wie Studiengänge grundsätzlich aufgebaut wurden oder in welchem Verhältnis Fachspezifisches und Gesellschaftspolitisches zueinander standen. Auch über den Grad des Praxisbezugs, der u.a. in Berufspraktika und betrieblichen Kooperationen seinen Ausdruck fand, wurde hier entschieden. Die Umsetzung und Ausführung dieser zentralen politischen Leitlinien und allgemeinen Rahmenbedingungen lag letztlich in den Händen des MfHuF, das etwa die Lehrpläne verbindlich bestätigen musste. Sie mussten dann von den Hochschulen als „Rahmenstudienplan Städtebau und Architektur“ umgesetzt werden, der deswegen auch als „grundlegendes Ausbildungsdokument“214 bezeichnet wurde. Darüber hinaus erfolgte jedoch zusätzlich eine intensive, vor allem die fachlichen Inhalte betreffende Beratung durch spezialisierte staatliche Institutionen und gesellschaftliche Organisationen. Dabei griff das MfHuF u.a. auf entsprechende Vorarbeiten aus den Reihen des BdA zurück, der umfangreiche Vorschläge zur Ausgestaltung der fachbezogenen Architektenausbildung erarbeitete.215 Zusätzliche Unterstützung und Beratung leisteten die Hochschulen und die Hochschullehrer der verschiedenen Fachbereiche. Schon vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es erneut auch die Fachleute selbst waren, die wesentlichen Einfluss auf die Ausbildungspolitik nahmen. Davon ausgehend soll im Folgenden einer Reihe von Fragen nachgegangen werden. Zum einen soll untersucht werden, wie genau jene Architekten, die beratend für das MfHuF tätig waren, die damit verbundenen Aufgaben ausgefüllt haben. Dabei wird deutlich werden, dass es zum Berufsprofil des DDR-Architekten und bildung standen also jeweils fast drei Viertel der Stunden eines insgesamt sehr dichten und relativ stark verschulten Studiums zur Verfügung“ (ebd., S. 198f.). 213 Hierzu Geyer (1980), S. 540. 214 IRS Erkner, BdA 15I, BdA: Arbeitsmaterial des BdA/DDR zum Berufsbild und zur Aus- und Weiterbildung der Architekten in der DDR, Berlin, Oktober 1978, S. 5. 215 Vgl. hierzu Geyer (1980), S. 540.

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Städtebauers gehören konnte, in nicht unerheblicher Weise Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Fachausbildung an den Hochschulen zu nehmen. Architekten prägten also nicht nur durch die unmittelbare Tätigkeit als Hochschullehrer den beruflichen Nachwuchs, sondern hatten im Vorfeld auch entscheidenden Anteil an der Ausgestaltung der Studiengänge. Deutlich werden wird darüber hinaus, dass die beteiligten Architekten das Architekturstudium so auf ganz eigene Weise prägten und dabei um die Vermittlung eines spezifischen, vor allem aber auch differenzierten Architektur- und Städtebauverständnisses sowie Berufsbildes bemüht waren. Schließlich wird sich zeigen, dass die Hochschulen und die Arbeit der dort beschäftigten Architekten ganz entscheidend den Diskurs um das Berufsbild des DDRArchitekten beeinflussten. Zwar wurden auch an anderer Stelle  etwa durch die BA  Berufsbildentwürfe erarbeitet. Die Eindrücke, die man als junger Absolvent aus dem Studium mitnahm, waren aber sicher von besonders nachdrücklicher Wirkung. Insofern wird auch dieser Abschnitt weitere Aufschlüsse über die verschiedenen Facetten des Architektur- und Architektenverständnisses einer Zeit geben, deren bauliche Resultate selbst hier seit den 70er Jahren oftmals nur noch sehr begrenzt Auskunft geben können, weil sie nicht selten vor allem durch die Einschränkungen einer defizitären Baupolitik und Bauwirtschaft gekennzeichnet waren. Die allgemeinen Leitlinien der Ausbildung und der BdA Zu Beginn der 80er Jahre sollte die Architektenausbildung an den Hochschulen der DDR neu geregelt werden. Der Grund dafür war u.a., dass zu diesem Zeitpunkt die neuen „Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur“ 216 fertiggestellt wurden, die das Aufbaugesetz und die architektonischstädtebaulichen Direktiven der 60er und 70er Jahre ergänzen bzw. teilweise auch ersetzen sollten.217 Diese Grundsätze, so war schon in der zweiten Hälfte der 70er 216 Hierzu BArch, DR 3/2. Schicht/832 (MfHuF), Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der DDR, Mai 1982. Flierl schreibt dazu: „Diese Grundsätze waren  verglichen mit den ,Grundsätzen des Städtebaus von 1950 

völlig unter dem Niveau, das die eingetretene Lage erfordert hätte: alle realen Ent-

wicklungswidersprüche zwischen Leben und Bauen, Wohnungsbau und Städtebau wie auch mögliche Varianten zu ihrer Lösung waren durch Wunschvorstellungen wegretuschiert“ (Flierl [1998a], S. 60). 217 Bruno Flierl nennt hier die „Grundsätze der Planung und Gestaltung sozialistischer Stadtzentren“ (1960), die „Grundsätze der Planung und Umgestaltung der Städte in der DDR in der Periode des umfassenden Aufbaus des Sozialismus“ (1965), „Städtebau und Architektur bei der Gestaltung des entwickelten Systems des Sozialismus in der DDR. Thesen, Arbeitsmaterial“ (1968) sowie „Entwicklung des sozialistischen Städtebaus und der sozialistischen Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik. Arbeitsmaterial“ (1971) (ebd., S. 59 u. S. 73f.).

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Jahre klar, würden eine Überarbeitung und Anpassung der Lehre an den Architekturfakultäten notwendig machen. Erste Überlegungen der zuständigen Fachleute zu diesem Thema datierten deswegen bereits in das erste Jahrzehnt der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Im Oktober 1978 stellte beispielsweise der BdA umfangreiches Arbeitsmaterial zur Verfügung, in dem die aus seiner Sicht grundlegenden Charakteristika des Architektenberufs und die daraus abgeleiteten Ansprüche an die Ausbildung des Architektennachwuchses zusammengetragen wurden. Erarbeitet worden war es „von einer Arbeitsgruppe der Zentralen Kommission für Ausund Weiterbildung unter Leitung von Dr.-Ing. Werner Rietdorf“218, die Bestätigung war durch das BdA-Präsidium bereits am 07. September 1978 erfolgt.219 Unterstrichen wurde dort zuallererst, dass man die Architektenausbildung als breit angelegte Grundlagenausbildung verstanden wissen wollte. 220 Im Folgenden wurde deutlich, worum es der BdA-Kommission dabei ging. Zum einen betonte man nämlich, dass es nicht um einen Gegenentwurf zu jenem Berufsverständnis gehen sollte, das durch die Baupolitik propagiert wurde.221 Zum anderen bestand man aber auch auf einem differenzierten Berufsbildentwurf, der sich damit deutlich von dem in den Reihen von Baupolitik und Bauwirtschaft oftmals eher eindimensionalen Architektenverständnis unterschied. Während dort mit dem Architekten als Pro218 Werner Rietdorf, geb. 1939, war Sohn eines Angestellten und einer Stenotypistin. Rietdorf studierte zwischen 1958 und 1964 Architektur an der TU Dresden, wo er 1970 auch zum Dr.-Ing. promoviert wurde. Ab 1964 war er für drei Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISA der DBA, anschließend arbeitete er für drei Jahre im Kombinat Kraftwerksanlagenbau, ab 1970 schließlich wieder im ISA. Vor Studienbeginn hatte Rietdorf zudem eine Maurerlehre (nach eigenen Angaben als „Praktisches Jahr mit praktischer Prüfung“) absolviert (IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 06/0561 [Werner Rietdorf]). 219 „Ausgehend von der Beratung des Bundesvorstandes des BdA/DDR am 21.4.1978 in Halle/S., wurde das nachstehende Arbeitsmaterial von einer Arbeitsgruppe der Zentralen Kommission für Aus- und Weiterbildung unter Leitung von Dr.-Ing. Werner Rietdorf zusammengestellt und vom Büro des Präsidiums des BdA/DDR am 7.9.1978 bestätigt“ (IRS Erkner, BdA 15I, Arbeitsmaterial des BdA zum Berufsbild und zur Aus- und Weiterbildung der Architekten in der DDR, Berlin, Oktober 1978, S. 1). 220 „Im Unterschied zu Bestrebungen, bereits in der Ausbildung eine weit gefächerte Spezialisierung durchzusetzen, vertreten wir den Standpunkt, daß der Architekt über ein möglichst universelles Berufsbild verfügen muß, dem später entsprechende Spezialisierungen zugeordnet werden“ (ebd., S. 2). 221 So hieß es u.a.: „Architekt in unserer sozialistischen Gesellschaft zu sein setzt [...] gute wissenschaftlich-technische Befähigung [...], die Fähigkeit, in der Gemeinschaft zu arbeiten, Kollektive zu leiten und eine wachsende Anzahl von Spezialisten mit dem Blick auf das Ganze sinnvoll und wirksam zu koordinieren, voraus“ (ebd.).

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zessorganisator die organisierende und technische Komponente des Berufs mehr und mehr in den Mittelpunkt rückte, verwies der BdA dezidiert auch auf Elemente eines Berufsprofils mit individuell-gestalterischen Anteilen. Dies begann damit, dass „große künstlerische Begabung“ 222 zum zentralen Maßstab für die Auswahl der Studierenden erhoben wurde. Geeignete Kandidaten sollten schon im Rahmen der schulischen Kunsterziehung verstärkt gefördert223, die in Klasse 9 durchgeführten „Voreignungsprüfungen für künstlerische Berufe“ besser „für die Vorauswahl der Bewerber zum Architekturstudium [...] genutzt werden.“224 Wie sehr man künstlerisches Talent als eine für das Architekturstudium wesentliche Qualifikation begriff, machte auch die Tatsache deutlich, dass sich der BdA hier selbst in der Pflicht sah. Zu den Aufgaben, die sich der Architektenbund im Zusammenhang mit der Ausbildung selbst auferlegte, hieß es gleich an erster Stelle: „Der BdA/DDR unterstützt darüber hinaus grundsätzlich alle Bemühungen um eine Förderung der musischen Ausbildung und Erziehung an den allgemeinbildenden Schulen.“225 Das daraus abgeleitete Ausbildungsverständnis beschrieb letztlich, was Forschung und Lehre an den Hochschulen auch während der 70er und 80er Jahre prägte. So hieß es: „Wir sind, was die Ausbildung des Architektennachwuchses angeht, für einen disponibel einsetzbaren Architekten, der ein guter Entwerfer ist. Der Förderung der entwurfsschöpferischen Fähigkeiten des künftigen Architekten kommt deshalb in allen Etappen des Studiums eine überragende Bedeutung zu. Alle an den Ausbildungsstätten sich bietenden Möglichkeiten sind zu nutzen, um die Kreativität der Studenten zielgerichtet zu fördern.“226 222 Ebd. 223 „Die Pädagogen an den erweiterten Oberschulen, den Betriebsberufsschulen der Baubetriebe und den Volkshochschulen, insbesondere die Lehrer im Fach Kunsterziehung, haben für die Herausbildung klarer Vorstellungen vom Berufsziel und -profil des Architekten bei dem potentiellen Nachwuchs unseres Berufes und bei der Förderung künstlerisch begabter und für den Architektenberuf geeigneter Schüler eine hohe Verantwortung“ (ebd., S. 3). 224 Ebd. 225 Ebd. Darüber hinaus hieß es auch: „Der BdA/DDR sollte sie [die Pädagogen, T.Z.] dabei durch Mitarbeit in den Fachbeiräten und durch Herausgabe geeigneter Publikationen unterstützen und möglichst einmal jährlich in jedem Bezirk in Zusammenarbeit mit der Abteilung Volksbildung ein Forum mit Interessenten bzw. Bewerbern für das Architekturstudium durchführen“ (ebd.). 226 Ebd., S. 6. Zur Förderung der Kreativität verlangte man zudem „den Ausbau des Entwurfstrainings im unmittelbaren Studienablauf als auch [...] die Herausbildung eines engeren, persönlichen Zusammenwirkens von Studenten und Lehrkörper vornehmlich im Rahmen der Entwurfstätigkeit an den Lehrstühlen, jedoch weiterhin auch [...] [die]

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Nicht nur im Vergleich mit dem immer stärker auf Rationalisierung, Industrialisierung und Entindividualisierung ausgerichteten Entwurfsalltag überraschte die herausgehobene Stellung, die dem Künstlerisch-Kreativen eingeräumt wurde. Ebenso ungewohnt war, wie der Begriff des ,Schöpferischen konkretisiert wurde  war er doch anderenorts227 vielfach eher unscharf und allgemein verwendet worden. Hier hingegen war mit dem ,Schöpferischen unmittelbar das Gestalterische gemeint. Das Arbeitsmaterial des BdA war damit auch der Versuch, einen Diskurs, der das Regelnde und Steuernde der Architektenarbeit zu verabsolutieren drohte, erneut um eine gestalterisch-künstlerische Dimension zu bereichern. Dabei spielte auch eine Rolle, dass man als BdA offenbar keineswegs zufrieden war mit der damaligen Entwicklung von Architektur und Städtebau. Immer wieder wurde  teilweise verklausuliert und zwischen den Zeilen  auf den Status quo als einen Zustand verwiesen, den es unter Mithilfe der Architektenschaft zu verbessern galt. Der Architekt als kreativ Handelnder sollte dabei auch Motor von Innovationen sein: „Architekt in unserer sozialistischen Gesellschaft zu sein bedeutet, ständig nach neuen Wegen zu suchen, [...] sich ständig darum zu bemühen, das eigene Wissen und Können zu erweitern und zu vertiefen, sich ständig weiterzubilden und sich täglich dem Kampf um höhere Leistungen und höhere künstlerische Meisterschaft in der Bewältigung der Bauaufgaben zu stellen.“228

Aus genau diesem Grund hielt der BdA auch einen frühen und engen Praxisbezug für wichtig. Erneut unterlief man dabei die offizielle Sichtweise, nach der die Studierenden möglichst frühzeitig an die technologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Baustellenalltags herangeführt werden sollten, um sie damit verbunden gleichzeitig als Leitplanken ihrer zukünftigen Tätigkeit zu institutionalisieren. Im völligen Gegensatz dazu vermerkte der BdA, die „Praxisbezogenheit [...] sollte [...] stets unter Berücksichtigung der Tatsache verfolgt werden, daß sich in der Praxis ständig neue Aufgaben stellen, die gelöst werden müssen.“ Deswegen gehe es vor allem darum, „in der Hochschulausbildung die künftigen Fachkader [...] mit solidem Wissen und Können auszurüsten, ihnen Maßstäbe für ihre Arbeit zu vermitteln und sie zu schöpferischem Denken und selbständigem Handeln zu befähigen.“229 Einrichtung von Entwurfsateliers und studentischen Entwurfsbüros an den Hochschulen“ (ebd.). 227 Hierzu etwa die Ausführungen Rickens zum Berufsbild des Architekten (Kapitel II.1.2). 228 IRS Erkner, BdA 15I, Arbeitsmaterial des BdA zum Berufsbild und zur Aus- und Weiterbildung der Architekten in der DDR, Berlin, Oktober 1978, S. 3. 229 Ebd., S. 5.

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Mithilfe der gesamten Ausbildung und der Praktika230 sollte schließlich gezielt ein spezifisches Arbeits- und Berufsethos aufgebaut und gefördert werden. Gefordert wurde vom BdA so die „Entwicklung einer gesunden berufsethischen Einstellung“231. Mit Blick auf die Erwartungen, die die offizielle Baupolitik an den Architektenberuf hatte, nahm das hier vertretene berufliche Selbstverständnis fast schon subversive Züge an. Denn mit der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sollte der Architekt an sich noch sehr viel stärker in die Systeme von Planwirtschaft und industriellem Bauen eingebunden und mehr oder minder zum alleine an Ökonomie und Quantität interessierten Bauproduzenten herabgestuft werden. Ein Berufsethos, zu dem auch ein gewisses professionelles Selbstbewusstsein und fachliche Selbstständigkeit gehörten, konnte hier letztlich nur stören. Wenn es um die reibungslose Durchsetzung politischer Leitlinien ,von oben nach unten ging, musste es sich fast zwangsläufig als kontraproduktiv erweisen. Mehr als deutlich wurde hier erneut, dass auch viele der im BdA federführenden Fachleute zwar bereit waren, sich politischen und wirtschaftlichen Vorgaben anzupassen, dennoch aber weiterhin eigene berufsethische sowie fachliche Überzeugungen in ihre Arbeit einbrachten. Beides konnte und wollte man nicht aufgeben und hielt damit am Ideal einer auch durch fachliche Autonomie gekennzeichneten Architektentätigkeit fest. Dezidiert sollte der Architekt zwischen dem Politischen und dem Fachlichen vermitteln, um so „nicht nur einen Beruf auszufüllen, sondern eine Berufung zu erfüllen, die uns die Gesellschaft gegeben hat.“232 Gerade im Begriff der ,Berufung‘ kam dabei ein Selbstbild zum Ausdruck, das gekennzeichnet war vom Vertrauen in das eigene Können und die eigenen Fähigkeiten, aber auch durch ein gewisses (durchaus positiv zu verstehendes) Sendungsbewusstsein. Daraus resultierte schließlich ein fachliches Selbstbewusstsein, das auf die Vorstellung vom Architekten als einen für Architektur und Städtebau letztlich unverzichtbaren Fachmann gründete, der als solcher auch von Baupolitik und Bauwirtschaft gebraucht werden würde. Dieses Selbstbild sowie die damit verbundenen Haltungen und Überzeugungen an die nachwachsende Architektengeneration weiterzugeben wurde letztlich also zu einem festen Bestandteil des Ausbildungscurriculums. Es prägte nicht nur die Studierenden, sondern führte bei einigen auch zu einer die Baupolitik kritisch reflektierenden Grundhaltung. Diese ist  wie auch im Falle der Hochschullehrer  keineswegs automatisch als oppositionelle Haltung zu verstehen. Im Gegenteil: Gerade in den Reihen der älteren Fachleute und mit Sicherheit in den Reihen vieler Hoch230 „Der Wert der Praktika für die Entwicklung einer präzisierten Berufsmotivation und für die Herausbildung eines entsprechenden Arbeitsethos unserer künftigen Fachkader kann [...] nicht hoch genug eingeschätzt werden“ (ebd., S. 3). 231 Ebd., S. 7. 232 Ebd., S. 2.

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schullehrer überwog eine Einstellung, die von grundsätzlicher politischer Loyalität gekennzeichnet war. Gerade aus dieser Loyalität heraus konnte jedoch konstruktive Kritik erwachsen, wenn es darum ging, offensichtlichen fachlichen Defiziten zu begegnen und Architektur und Städtebau weiterzuentwickeln. In grundlegende Gegnerschaft sollte dieser kritisch-reflexive Impuls teilweise erst im Laufe der 80er Jahre und dort vor allem im Umfeld der jüngsten Architektengeneration umschlagen. Eine Entwicklung, die im Schlusskapitel der vorliegenden Untersuchung beleuchtet werden soll, lässt sich damit auch auf ein Ausbildungssystem zurückführen, dass eben nicht nur politisch durchtränkt war, sondern ebenso sehr auch fachliche Standards aufrechterhielt. Die Hochschulen und die Lehrpläne Das Arbeitsmaterial des BdA gab letztlich nur Einblick in die grundlegenden Vorstellungen, die man dort vom Ausbildungssystem hatte. Für die Lehrpläne selbst hatte es jedoch keine unmittelbare Bedeutung. Hier hatten die Hochschulen einerseits den so genannten Rahmenstudienplan Architektur und Städtebau zu berücksichtigen. Andererseits wies schon das BdA-Arbeitsmaterial darauf hin, der Rahmenstudienplan gebe „allen drei Hochschulen für eine differenzierte Ausbildung entsprechend dem speziellen Profil [...] ausreichend Raum.“233 Darüber hinaus hieß es: „Dieser Stundenfonds [der Fachausbildung, T.Z.] sollte vorrangig dazu genutzt werden, einerseits die Ausbildung entsprechend den sich verändernden Anforderungen ständig zu aktualisieren und andererseits möglichst zielgerichtet auf die Erfüllung künftiger Bedürfnisse und Forderungen zu orientieren. Zu einer dynamischen und flexiblen Handhabung des verbindlichen Rahmenstudienplanes gehört es dabei auch, das jeweils bestehende Angebot an Lehrfächern kritisch zu überprüfen [...]“234

Der BdA sah es also als eine wichtige Aufgabe der Hochschulen an, gerade die Fachausbildung immer wieder kritisch zu evaluieren und davon ausgehend Veränderungen anzustoßen. Mit den Hochschullehrern sollten dabei ganz bewusst diejenigen, die die entsprechende fachliche Kompetenz vorzuweisen hatten, umfassenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Lehre erhalten. Welche Auswirkungen das hatte, soll im Folgenden näher untersucht werden. Kurz nach Verabschiedung der „Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur“ traten 1983 auch neue Lehrprogramme für die Architektenausbildung in Weimar und Dresden in Kraft. Erstellt worden waren sie von Arbeitsgruppen, die seit Ende der 70er Jahre immer wieder zusammengekommen 233 Ebd., S. 5. 234 Ebd.

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und mit Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen besetzt waren.235 Bevor die einzelnen Lehrprogramme offiziell bestätigt wurden, wurden sie im Wissenschaftlichen Beirat für Bauingenieurwesen und Architektur beim MfHuF sowie teilweise mit Praxispartnern diskutiert und anschließend weiter angepasst.236 Die Ergebnisse boten schließlich über die allgemeinen Überlegungen des BdA-Arbeitsmaterials hinausgehende Einblicke in die Lehrinhalte und -schwerpunkte, die die Architektenausbildung an den Hochschulen noch in den 80er Jahren prägten. Sehr eindeutig lässt sich daran belegen, wie sehr die Lehre an den Hochschulen auch noch im zweiten Jahrzehnt der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik durch Traditionen einer auch das Künstlerische einbeziehenden Berufsausbildung geprägt war, die ihrerseits wiederum großen Einfluss auf das fachliche Selbstverständnis der angehenden Architekten hatte. Breiten Raum nahm so beispielsweise 235 Hierzu BArch, DR 3/2. Schicht/715 (MfHuF), Ministerrat/MfHuF: Lehrprogramme zur Ausbildung in der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an Universitäten und Hochschulen der DDR, 1982/83. Den einzelnen Arbeitsgruppen gehörten an: Lehrprogramm Städtebau und Landschaftsarchitektur: Prof. Schwarzbach (TU Dresden), Prof. Glißmeyer (HAB Weimar), Prof. Linke (TU Dresden); Lehrprogramm Theorie und Geschichte der Architektur (Bau- und Kunstgeschichte, Architekturtheorie, Geschichte und Theorie des Städtebaus, Marxistisch-leninistische Ästhetik, Soziologie, Denkmalpflege): Prof. Milde (TU Dresden), Prof. Schädlich (HAB Weimar); Lehrprogramm Künstlerische Grundlagen (Gestaltungslehre, Darstellungslehre, Bildkünstlerische Lehre): Dozent Dr. Just (TU Dresden), Prof. Schiefelbein (HAB Weimar), Dr. Riemer (HAB Weimar), Dipl.-Ing. Kraft (HAB Weimar), Dr. Georgi (TU Dresden); Lehrprogramm Wohn- und Gesellschaftsbauten: Prof. Stahl [Stahr (?), T.Z.] (HAB Weimar), Prof. Trauzettel (TU Dresden), Dozent Dr. Hecht (HAB Weimar), Dozent Dr. Dielitzsch (TU Dresden), Dr. Haase (TU Dresden), zu Beginn (1978): Prof. Stahr (HAB Weimar), Prof. Trauzettel (TU Dresden), Prof. Wiel (TU Dresden), Dozent Dr. Hecht (HAB Weimar); Lehrprogramm Entwurfs- und Projektierungs-Grundlagen (Grundlagen des Entwerfens, Grundlagen der Projektierung, Grundlagen der Rekonstruktion): Prof. Lembcke (HAB Weimar), Prof. Künzel, Dozent Dr. Holle, Dr. Salzmann (alle HAB Weimar); Lehrprogramm Projektierungsgrundlagen und Entwerfen (Entwerfen/Methodik der Projektierung, Methodik der Rekonstruktion): Dozent Dr. Papke (TU Dresden), Dozent Dr. Hupfer (HAB Weimar), Prof. Klemm (TU Dresden), Dr. Salzmann (HAB Weimar); Praktikumsprogramm der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur (mit Landschaftsarchitektur und Gebiets- und Stadtplanung): Prof. Schädlich (HAB Weimar), Dr. Künzel (HAB Weimar), Dr. Schmidt (TU Dresden), Dr. Sieber (HAB Weimar); Rahmenlehrprogramm für die berufsspezifische Zivilverteidigungsausbildung in der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur (Nomenklatur-Nr. 160): Prof. Bach (HAB Weimar). 236 Vgl. hierzu ebd.

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der Unterricht in Theorie und Geschichte der Architektur ein. Hier wurden den Studierenden vor allem Kenntnisse „über die Zusammenhänge der gestaltbestimmenden Faktoren sowie über jene Grundprinzipien, Regeln und Gesetze des architektonischen Schaffensprozesses“ vermittelt, „die die allgemeine Basis der eigentlichen Entwurfslehre darstellen.“237 Neben der Bau- und Kunstgeschichte238 standen dabei vor allem Grundbegriffe und Grundkonzepte im Mittelpunkt, über die sich auf letztlich sehr normative Weise die künstlerische Qualität eines Gebäudes oder städtebaulichen Ensembles beurteilen lassen sollte. An die Hand gegeben werden sollten damit verbunden so beispielsweise „Wertmaßstäbe [...] künstlerischer Meisterschaft“239. Genannt wurden in diesem Zusammenhang „Funktion, Gestalt, Raum, Körper, Fläche, Komposition, Gliederung, Maßstab“240. Ziel war es, den angehenden Architekten letztlich zwei basale Fähigkeiten zu vermitteln. Zum einen sollten „[d]ie in den Lehrveranstaltungen gewonnenen Erkenntnisse [...] auf die eigentliche Tätigkeit des Architekten, das Entwerfen, ausgerichtet und [...] so entsprechend abschnittsweise in den Entwurfsübungen und den Entwürfen mit eingearbeitet“ 241 werden. Zum anderen galt es, die Studierenden „zur Entwicklung der Empfindungsfähigkeit für die künstlerische Qualität der architektonischen Form“242 zu erziehen. Beides aber war nicht darauf angelegt, die zukünftigen Architekten alleine zu Prozessorganisatoren zu machen. Denn ersteres unterstrich, dass Gestaltung und Entwurf nach wie vor die zentrale Aufgabe des Architekten war. Das aber war kaum mit den Ansprüchen einer Baupolitik und Bauwirtschaft vereinbar, die Architektur und Städtebau primär unter materialistischem Blickwinkel und als zu konsumierendes Produkt verstanden wissen wollte. Reibungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Fachleuten und Baupolitik waren hier vorprogrammiert. Die Schulung der „Empfindungsfähigkeit für die künstlerische Qualität der architektonischen Form“ war schließlich zum anderen darauf angelegt, den Fachleuten Beurteilungsmaßstäbe für DDR-Architektur und Städtebau zur Verfügung zu stellen. Das aber musste die Unzufriedenheit mit den gestalterischen Unzulänglichkeiten eines unter dem Spardiktat leidenden industriellen Wohnungsbaus nur weiter steigern und das Bemühen um alternative Gestaltungsansätze fördern. Eine auf die Ökonomie fixierte Baupolitik, der es in erster Linie um Quantität und erst an nachgeordneter Stelle um Qualität ging, konnte auch daran nur ein sehr eingeschränktes Interesse haben. Insofern 237 Ebd., Lehrprogramm Theorie und Geschichte der Architektur, 1983, S. 4. 238 Zu den Ausbildungsinhalten in Bau- und Kunstgeschichte gehörten auch „Nachkriegsarchitektur in den kapitalistischen Ländern Europas; Nachkriegsfunktionalismus und Konjunktur [sic!], die Wende zum Formenpluralismus“ (ebd., S. 11). 239 Ebd., S. 12. 240 Ebd., S. 8. 241 Ebd., S. 13. 242 Ebd., S. 4.

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war schon das theoretisch-historische Curriculum darauf angelegt, eine zwar politisch loyale243, fachlich aber ebenso selbstständige wie selbstbewusste Architektenschaft auszubilden. Das „Lehrprogramm Künstlerische Grundlagen“ Ähnliches galt für das „Lehrprogramm Künstlerische Grundlagen“. Dort hieß, zwischen politisch-ideologischem und fachlichem vermittelnd: „Wesentliche Aspekte der Erziehung und Ausbildung sind, den Studenten die baukünstlerische Bedeutung und Rolle des Städtebaus und der Architektur bewußt zu machen, die Studenten vom progressiven und klassenbewußten Herangehen an die Probleme der sozialistischen Architektur zu überzeugen und sie bei aller Eigenständigkeit und -verantwortlichkeit zum kollektiven und kameradschaftlichen Arbeiten zu erziehen.“244

In ähnlicher Weise beschrieb man auch das Ziel der Ausbildung in „Künstlerischen Grundlagen“. Demnach habe „[...] der Lehrkomplex die baukünstlerische Meisterung des industriellen Bauens mit seinen technologischen und ökonomischen Bedingungen zu berücksichtigen und der Ausdrucksstärke städtebaulich-architektonischer Lösungen sowie des Strukturbildes, der Komposition, der Plastizität, der Farbgestaltung, des Baudesigns und der Einordnung von baubezogener bildender Kunst im Rahmen einer komplexen Stadtgestaltung große Aufmerksamkeit zu schenken.“245 243 Ebenso deutlich machte man so beispielsweise auch, dass im Studium die Grundlinien der Kulturpolitik vermittelt wurden. So hieß es etwa: „In den Lehrveranstaltungen werden die Studenten [...] zur Wachsamkeit gegenüber allen Formen der ideologischen Diversion auf dem Gebiete der Architektur und der Kultur erzogen“ (ebd.). Und an anderer Stelle wurde verdeutlicht, dass Ästhetik nach wie vor als ein ideologisch aufgeladener Gegenstand gelehrt wurde: „Die Lehrveranstaltungen zur Ästhetik haben das Ziel, den Studenten ausgewählte Grundfragen der marxistisch-leninistischen Ästhetik und Kunsttheorie in Verbindung mit den kulturpolitischen Zielsetzungen der SED darzulegen. Den Studenten werden Grundkenntnisse über die Wissenschaftlichkeit und Kontinuität sozialistischer Kultur- und Kunstpolitik von Partei und Regierung, das ästhetische Ideal der Arbeiterklasse, die Ideologierelevanz und die bewußtseinsbildende Funktion des Ästhetischen, die Bedeutung des Ästhetischen bei der sozialistischen Persönlichkeitsentwicklung, die Stellung des architektonischen Schaffens in der Gesamtheit der ästhetischen Aneignung und über die Spezifik des Ästhetischen und Künstlerischen vermittelt“ (ebd., S. 5). 244 Ebd., Lehrprogramm Künstlerische Grundlagen, S. 3. 245 Ebd.

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Deutlich wurde also zum Ausdruck gebracht, dass man der grundsätzlichen Leitlinie der Baupolitik  dem durch technologische und ökonomische Kriterien bestimmten industriellen Bauen  gerecht werden wollte. Ebenso klar konnte man zwischen den Zeilen jedoch erneut jene Kritik herauslesen, die aus dem theoretischhistorischen Lehrprogramm schon vertraut war. Gerade im Bereich des Wohnungsbaus mangelte es nämlich immer wieder und nach wie vor an jener „Ausdrucksstärke städtebaulich-architektonischer Lösungen sowie des Strukturbildes“, wie sie hier angesprochen wurde. Eine ausgewogene architektonische Komposition, Plastizität der Baukörper oder eine künstlerisch überzeugende Farbgestaltung suchte man oft vergebens  weniger, weil die entwerfenden Architekten daran kein Interesse gehabt hätten, sondern vielmehr, weil den unter dem Diktat der Ökonomie stehenden Wohnungsbaukombinaten die entsprechenden Möglichkeiten fehlten. Genau hier setzte das Lehrprogramm an und unterstrich die fachliche Verantwortung des Architekten, auf Veränderungen des gegenwärtigen Zustandes und eine Aufwertung des gestalterischen Aspektes hinzuwirken. Damit hatte das „Lehrprogramm Künstlerische Grundlagen“ einen nicht unerheblichen Anteil an der Ausbildung eines Berufsethos, wie es auch vom BdA gepflegt wurde. Als unabdingbare Qualifikationen erwartete man von den Studierenden dementsprechend auch im Bereich der „Künstlerischen Grundlagen“ „künstlerisches Talent“, „gute Beobachtungsgabe, Sensibilität, plastisch-räumliches Vorstellungsvermögen, gutes Form- und Farbgedächtnis, Phantasie und Experimentierfreudigkeit.“246 Erneut wurden damit Eigenschaften angesprochen und verlangt, die die Architekten nicht so sehr als „Prozessorganisatoren“, sondern sehr viel mehr in ihrer Rolle als Gestalter benötigten. Ein nicht unerheblicher Teil des Studiums war dabei ganz bewusst darauf angelegt, den angehenden Architekten entsprechende künstlerische Fertigkeiten beizubringen. Der Gegensatz zwischen einer Planungskultur, die jenseits von so genannten Sonderbauvorhaben weitgehend auf die Verwendung vorgefertigter Standardelemente setzte, und einer Ausbildung, die auf den Erwerb gestalterischer Kompetenzen angelegt war, war hier besonders augenfällig. Um nachvollziehbar zu machen, dass die Absolventen die Hochschulen nicht als Katalogprojektierer, sondern als zu kreativer Gestaltung Befähigte verließen, soll die künstlerische Grundlagenausbildung an dieser Stelle noch etwas ausführlicher in den Blick genommen werden. Detaillierte Angaben machten die Entwürfe der Lehrprogramme damit verbunden über die genaue Ausgestaltung der Lehrgebiete „Gestaltungslehre“, „Darstellungslehre“ und „Bildkünstlerische Lehre“ sowie deren „inhaltliche Schwerpunkte.“247 Im Rahmen der „Gestaltungslehre“ beschäftigten sich die Studierenden zunächst mit den der gestalterischen Arbeit zugrunde liegenden Grundprinzipien. Eine 246 Ebd. 247 Ebd., Lehrprogramm Gestaltungslehre, Entwurf Inhaltliche Schwerpunkte, S. 5.

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erste Themengruppe bildete dabei das „Elementare[...] Gestalten“. Dabei ging es im wesentlichen darum, die zukünftigen Architekten für die Unterschiede zwischen verschiedenen Gestaltungselementen und deren Besonderheiten zu sensibilisieren.248 Aber auch die unterschiedlichen Möglichkeiten, mit diesen Grundelementen als Architekt umzugehen, wurden hier gelehrt. Die Bezeichnung „Gestaltung als gesetzmäßiges Ordnen von Teilen (Elementen)“ 249 legte auf den ersten Blick nahe, dass hier eine festgelegte  eben gesetzmäßige  Methode des Zueinanderordnens von Gestaltungselementen vermittelt werden sollte, ähnlich etwa derjenigen, wie sie Hans Schmidt in den späten 50er und 60er Jahren entwickelt hatte.250 Die nachfolgende Auflistung ganz verschiedener Gestaltungskonzepte zeigte aber, dass man durchaus an eine Vielfalt gestalterischer Möglichkeiten dachte. So war genauso vom Prinzip der „Regelmäßigkeit“ wie dem der „Unregelmäßigkeit“ die Rede, vom „Zufall“ ebenso wie von der „kompositorische[n] Gliederung.“ 251 Die Beschäftigung mit „Proportionierung, Ponderation, Überschaubarkeit und Abgeschlossenheit“ sowie mit „elementare[n] Zuordnungsprinzipien“ wie „Gleichheit – Ähnlichkeit – Gegensatz (Kontrast)“ 252 rundete die Auseinandersetzung mit elementaren Bausteinen gestalterischen Arbeitens ab. Sehr breiten Raum nahm innerhalb der „Gestaltungslehre“ darüber hinaus der Themenbereich „Farbgestaltung“ ein. Hier sollten sich die Studierenden allgemein mit „Farbwahrnehmungen, -ordnungen und -beziehungen“ sowie dem „Farbkreis“ vertraut machen. Auf dem Programm standen darüber hinaus: „Verhältnis von Farbquantitäten und -qualitäten. Wirkungen verschiedener Farbkontraste, Relationen von Farbton, Helligkeit und Sättigung. Farbharmonien und -disharmonien, Farbkomposition. Psychologische und räumliche Wirkungen der Farben, Licht und Schatten, Farbperspektiven. Farbbeziehungen zu gegebenen Formen, Gestaltungen und Materialien. Farbe als informatives System unserer Umwelt.“253

248 „Gestalterische Elemente und ihre Zustandseigenschaften. Formale und dimensionale Klassifizierung als Linien-, Flächen-, Körper- und Raumelemente. Erscheinungsweise von Elementen, ihre Stofflichkeit und ästhetisch-psychischen Materialwirkungen. Unterscheidung und Charakterisierung der Elemente nach ihrer Form, Proportion, Größe, Maße [sic!], Richtung und Lage im Raum“ (ebd., S. 5f.). 249 Ebd., S. 6. 250 Hierzu ausführlicher der Schlussexkurs. 251 BArch, DR 3/2. Schicht/715 (MfHuF), Lehrprogramm Gestaltungslehre, Entwurf Inhaltliche Schwerpunkte, S. 6. 252 Ebd. 253 Ebd.

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Schließlich gehörte zur „Gestaltungslehre“ noch eine Themengruppe „Plastik“, in der es um grundlegende tektonische Formprinzipien, die Grenzen zwischen Tektonischem und Plastischem254, um „architektonisches und bildhauerisches Relief“ und sogar um „unikate Architekturwerke im plastischen Formprinzip“255 ging. Zusammengeführt wurden die hier erworbenen grundlegenden Kenntnisse über gestalterische Prinzipien schließlich in der Themengruppe „Architekturgebundenes Gestalten/Formgestaltung“, wo die Anwendung auf Architektur und Städtebau auf grundsätzliche Weise durchgespielt wurde.256 Im Rahmen der Gestaltungslehre passierte also bereits etwas sehr wichtiges. Durch sie wurde nämlich das grundsätzliche Gespür der Architekturstudierenden für die gestalterische Dimension von Architektur und Städtebau, gleichzeitig aber auch für die dabei zur Verfügung stehenden Mittel und die zu beachtenden Gestaltungsgesetze geweckt. Von Anfang an ging es dabei nicht um einen dogmatischen, ein für allemal feststehenden Gestaltungsbegriff, sondern um einen durchaus vielfältigen und damit auch persönlich-individuellen Zugang. Von einem entindividualisierten Planer konnte also schon an dieser Stelle keine Rede sein. In ähnlicher Weise war auch die konkrete künstlerische Ausbildung darauf angelegt, grundlegende künstlerisch-handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln oder zu verfeinern, ohne jedoch vorzuschreiben, wie diese im Entwurfsprozess anzuwenden waren. Die Ausbildung untergliederte sich dabei nochmals in „Darstellungslehre“ auf der einen und „Bildkünstlerische Lehre“ auf der anderen Seite. Im Rahmen der „Darstellungslehre“ erhielten die angehenden Architekten zunächst intensiven Unterricht im Architekturzeichnen und im figürlichen Zeichnen. Auch dabei ging es nicht darum, schematisierte Mittel der Darstellung zu erlernen. Anspruch war es vielmehr, ein möglichst breites Repertoire an Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um Architektur und architektonisch-städtebauliche Räume mit den Mitteln der Zeichnung anschaulich machen zu können. Die eingeübten Techniken reichten dabei von basalen Methoden der Darstellung bis hin zu anspruchsvollen zeichnerischen Lösungen.257 Genauso umfassend und differenziert war auch die Ausbildung 254 „Tektonisches Formprinzip und seine eigenschaftlichen [sic!] ästhetischen Wirkungserscheinungen [...] Plastisches Moment als Grenzfall zwischen dem tektonischen und plastischem [sic!] Formprinzip und seine vielseitige Anwendung in Architektur und Plastik“ (ebd.). 255 Ebd., S. 7. 256 Ebd., S. 6. 257 Das „Architekturzeichnen“ umfasste so „Grundlagen des Freihandzeichnens – Linien, Flächen, Strukturen, Tonwerte, Hell-Dunkel-Kontraste. Wahrnehmung und zeichnerische Wiedergabe von flächigen, körperlichen und räumlichen Objekten – geometrische und natürliche Objekte, Einzelobjekt und mehrere Objekte als strukturelles bzw. kompositionelles Ganzes. Perspektivisches Freihandzeichnen. Wiedergabe von Architek-

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in perspektivischer Darstellung.258 Teil der „Darstellungslehre“ war schlussendlich auch eine Themengruppe, die das zuvor Gelernte zusammenfasste und zu verschiedenen „Darstellungsverfahren“ bündelte. Dabei wurde den Studierenden beigebracht, wie architektonisch-städtebauliche Entwürfe z.B. im Rahmen von Wettbewerben oder für den Auftraggeber möglichst anschaulich aufbereitet werden konnten. Auch hier überwog wieder die Vielfalt der Mittel: von „verschiedene[n] grafische[n] Techniken“ über „Architekturfotografie“ und „Fotomontage“ bis hin zum „Modellbau.“259 Eine Einführung in Fragen der „Schriftgestaltung“260 zeugte ebenfalls von der hohen Professionalität, an die die Studierenden schon an den Hochschulen herangeführt wurden. Erwähnt werden muss schließlich noch das „Lehrgebiet Bildkünstlerische Lehre“. Dabei ging es zum einen um die „Erarbeitung einer bildkünstlerischen Konzeption für einen Architekturkomplex“261. Fester Bestandteil war hier aber auch ein turwerken – dreidimensionale Sicht des Baukörpers in verschiedenen Augenhöhen, zweidimensionale Ansichten von Einzelflächen, Fassaden. Architekturdetails. Wiedergabe von Architekturräumen – einfacher Innenraum, komplizierte Innenräume mit Raumdurchdringungen und Architekturelementen. Außenraum, Straßen- und Platzraum. Architekturensemble und Landschaftsarchitektur.“ Unter „Figürliches Zeichnen“ fielen „Proportionen und statische und dynamische Grundlagen für die Haltung und Bewegung des Menschen in verschiedenen Stellungen und ihre Beziehungen zur Architektur getrennt nach Innen- und Außenraum“ (ebd., S. 7). Das Freihandzeichnen wurde zudem im Rahmen von Exkursionen und Praktika vertieft (ebd., S. 10). 258 Bestandteile waren hier „Projektionslehre: Isometrische, dimetrische und trimetrische Axonometrie. Körpergruppierungen und -durchdringungen. Perspektive: Fluchtpunktperspektive – Zentralperspektive und Konstruktionen mit verschiedenen Fluchtpunkten. Netzhautbildperspektive. Perspektive auf geneigter und angehobener Ebene. Ermittlung perspektivischer Größen und verschiedener Objekte. Kreis- und Kugeldarstellung, Wasserspiegelung, Schattenkonstruktion. Perspektivische Darstellung von Architekturwerken, -ensembles, Straßen- und Platzräumen, Innenräumen“ (ebd., S. 7f.). 259 Ebd., S. 8. 260 Dabei beschäftigte man sich mit „Antiqua und Blockschrift in Typen- und Schreibformen. Groß- und Kleinbuchstaben in verschiedenen Ausführungen. Proportionsübungen, Gestalten von Schriftzeilen, Beschriften von Zeichnungen. Informations- und Gestaltungsbeziehungen zwischen Architektur und Schrift, Einordnen von Schrift am Architekturwerk“ (ebd., S. 8). 261 Ebd. In diesem Zusammenhang mussten die Studierenden Aussagen machen über „Kommunikations-, Blickpunkt- und Architektur- und Bildwerkbeziehungen, Standortverteilung, Inhalt-Form-Beziehungen einschließlich Dimensionierung und Form-, Farbund Materialdispositionen. Perspektiven des Gestalt- und Erscheinungsbildes von den wichtigsten bildkünstlerischen Objekten im architektonischen Zusammenhang“ (ebd.).

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„Bildkünstlerischer Entwurf“. Zu verstehen war darunter die Gestaltung „eines ausgewählten bildkünstlerischen Objektes auf der Grundlage der bildkünstlerischen Konzeption  Relief, durchbruchplastische Wand, Brunnen, Plastik  farbige Fassadengestaltung unter Einbeziehung eines Wandbildes.“262 In diesem Zusammenhang wurde vielleicht besonders deutlich, welche Bedeutung dem Erlangen künstlerischer Fertigkeiten beigemessen wurde. Hinzu kam ein weiteres Angebot auf freiwilliger Basis, wenn es abschließend hieß: „Eine Reihe fakultativer Lehrveranstaltungen bietet den Studenten zusätzlich die Möglichkeit individueller Ausprägung künstlerischer Neigungen und Fähigkeiten und zwar in der Malerei, Grafik, Plastik, Formgestaltung, Fotografie und Schrift.“263

Damit an dieser Stelle kein falsches Bild entsteht, muss jedoch auch unterstrichen werden, dass gesellschaftspolitische, technische und ökonomische Lehrinhalte in der Ausbildung der Architekten und Städtebauer stets eine genauso große oder sogar umfassendere Rolle spielten wie künstlerisch-gestalterische Anteile. Exemplarisch verwiesen sei hier nur auf die „Grundlagen der Projektierung“, die für die Studierenden im 3. bis 5. Studienjahr auf dem Lehrplan standen und damit alleine zeitlich breiten Raum einnahmen. Hier sollten beispielsweise „[...] durch Lehrveranstaltungen mit Überblickscharakter Kenntnisse über aktuelle Tätigkeitsformen der Praxis und Tendenzen zu ihrer Rationalisierung vermittelt werden. Die Verantwortung des Architekten als Projektant und damit als Sachwalter von Volksvermögen ist herauszuarbeiten und es sind Praxiserfordernisse wie die rasche Überleitung wissenschaftlichtechnischer Ergebnisse über das Projekt, die Material- und Energieökonomie, die Aufwandssenkung und die Qualitätssicherung einzubeziehen.“264

Insofern versuchten auch die durch die Hochschullehrer erarbeiteten Lehrprogramme  ähnlich wie etwa der Berufsbildentwurf, den Herbert Ricken im Auftrag der BA nur wenige Jahre zuvor erarbeitet hatte  zwischen den Interessen der Baupolitik und Planwirtschaft auf der einen sowie darüber hinausgehenden fachlichen Interessen auf der anderen Seite zu vermitteln. Damit stellten sie zugleich eindeutig heraus, dass man nicht in Opposition zu Baupolitik und Bauwirtschaft ging, sondern sie konstruktiv aufgreifen, ergänzen und gegebenenfalls weiterentwickeln wollte.

262 Ebd., S. 8f. 263 Ebd., S. 10. 264 Ebd., Entwurf Lehrprogramm: Zielstellung und Inhalt der Ausbildung und Erziehung, S. 5.

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Die Lehrpläne und das an den Hochschulen vermittelte Berufsbild Wichtig aber war, dass sich die Lehrprogramme mit ihren gestalterischen Anteilen von einem Planen und Bauen unterschieden, das über weite Strecken in erster Linie durch ökonomische Gesichtspunkte, sehr viel weniger aber von künstlerischen Überlegungen geprägt war. Gerade deswegen war es umso wichtiger, welches Architektenverständnis man auch durch das Studium weiterreichte. Die in Kapitel II.1.2 erläuterten Berufsbildentwürfe blieben hier (bewusst) nebulös und unspezifisch, und auch der Architekturbegriff selbst verlor sich mehr und mehr im unbestimmten: hier war  auch dies nicht ohne Grund  meist nur noch von gebauter Umwelt die Rede. Ein ganz wesentliches Verdienst der Lehrprogramme war es also, den Architektenberuf sehr viel konkreter zu definieren und zu fassen. An den Hochschulen und im Rahmen der Ausbildung wurde die Architektentätigkeit so immer noch als „ganzheitsbezogene Integrationsleistung“265 verstanden. Das bedeutete, dass man in den Entwurf der Lehrpläne, aber auch in die eigene Tätigkeit als Hochschullehrer Überzeugungen einfließen ließ, die oberflächlich betrachtet wie ein Zugeständnis an die Politik aussahen, letztlich aber durchaus eigene politische und fachliche Positionen widerspiegelten: „Im Sozialismus wird die vom Kapitalismus erzeugte wechselseitige Entfremdung von künstlerischer Form und technischer Konstruktion bzw. Produktion, der auf den Profit und der technisch reduzierten Zweckmäßigkeit einerseits und der zum Formalismus tendierenden „Schönheit“ andererseits, überwunden.“266

Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen der Architektenarbeit akzeptierte man dabei als Übergangsstadium, ließ jedoch zugleich keinen Zweifel daran, dass sie auf Dauer überwunden werden mussten: „Dieser Prozeß ist langwierig und kompliziert und erfordert die Vereinigung der Bemühungen aller [Hervorhebung im Original, T.Z.] an der Gestaltung der Umwelt beteiligten Kräfte.“267

Vonseiten der Hochschule sah man also die politisch-gesellschaftlichen Entscheidungsträger genauso in der Pflicht wie die Fachleute. Bei den Fachleuten konnte man jedoch bereits selbst, vor allem schon in der Ausbildung und damit von Grund 265 IRS BdA 15I, Stellungnahme des BdA zur „Konzeption für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“: Konzeption zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR, verfasst von Joachim Bach, 20.02.1984, S. 16. 266 Ebd., S. 20. 267 Ebd.

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auf ansetzen. Durch die Lehrprogramme wurden dabei fachbezogene Kompetenzen, ein professionelles Selbstverständnis und berufsethische Standpunkte vermittelt, die auf die Vorstellung einer ganzheitlich ausgerichteten Architektenarbeit zugeschnitten waren. Dabei zog man sich letztlich auch nicht auf einen unscharf konturierten Begriff „schöpferischer Arbeit“ zurück, sondern hielt daran fest, dass den Architektenberuf „wesentliche Merkmale künstlerischer Tätigkeit“268 kennzeichnen würden. Gefordert und gefördert wurde seitens der Hochschulen, dass Architektur und Städtebau nach wie vor auch von subjektiv-individuellen Komponenten, also vom Entwerfer, mitbestimmt zu sein hatten und dass der künstlerisch-kreative Entwurf wesentliches Merkmal des Berufsprofils blieb.269 Keinen Zweifel ließ man auch daran, dass „der hohe Anteil von Koordinierungsarbeit und Routineprozessen, wie er gegenwärtig leider noch typisch ist für die Tätigkeit der Architekten in der Projektierung, [...] zielgerichtet abgebaut werden“270 müsse. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass den Studierenden auch im Rahmen der Architektenausbildung der 70er und 80er Jahre Inhalte und Fähigkeiten vermittelt wurden, die weit über die Anforderungen der inzwischen vorherrschenden so genannten Katalogprojektierung oder die Vorstellung vom Architekten als Prozessorganisator hinausgingen. Die Absolventen verließen die Hochschulen hingegen nach wie vor als umfassend und breit ausgebildete Fachleute. Das bedeutete, dass sie sowohl auf die Anforderungen und Erwartungen der Praxis vorbereitet wurden, genauso aber auch darüber hinausgehende Kompetenzen erlangten. Dazu gehörte nicht zuletzt eine umfassende künstlerisch-gestalterische Ausbildung, die als wesentlicher Bestandteil des Berufsprofils begriffen wurde und dementsprechend umfangreiches Gewicht erhielt. Den angehenden Architekten wurde damit zudem nahegebracht, dass es letztlich auch eine berufsethische Verpflichtung darstellte, sich immer wieder für ein solchermaßen ganzheitliches Verständnis von Architektenarbeit einzusetzen und Veränderungsprozesse in Architektur und Städtebau anzustoßen. Die Hochschulausbildung versetzte die Architekten also in die Lage, eigene schöpferische Ideen und Gestaltungsansätze zu entwickeln. Darüber hinaus vermittelte sie alle notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten, um ihnen – wenn auch nur als Papierarchitektur  Gestalt zu verleihen. So konnte das Machbare auch anschau268 Ebd. 269 So war die Rede von der „fundamentalen Bedeutung des ,Entwerfens als Antizipation und Synthese der konkreten baulich-räumlichen Gestalt in Einheit mit der Funktionstüchtigkeit des jeweiligen Objektes als Hauptmerkmal der beruflichen Tätigkeit“ (ebd.). 270 IRS 14IV, Stellungnahme des BdA/DDR zur „Konzeption für die Gestaltung der Ausund Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“, 09.12.1983, unterzeichnet von Rietdorf (Vorsitzender der Kommission Aus- und Weiterbildung beim BdA).

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lich werden, wenn es letztlich niemals oder nur sehr eingeschränkt verwirklicht wurde. Daraus ergab sich noch eine weitere Entwicklung. Letztlich nämlich drifteten das eigene berufliche Selbstverständnis und die fachlichen Fähigkeiten vieler Architekten auf der einen und die Realität von Architektur und Städtebau auf der anderen Seite im Laufe der 70er und 80er Jahre immer weiter auseinander. Die breite und differenzierte Hochschulausbildung trug dabei ganz wesentlich dazu bei, dass Architekten ihre berufliche Realität mehr und mehr als unbefriedigend und frustrierend empfanden. Wenn es beinahe zum Regelfall wurde, dass man sich als Architekt nur auf dem Papier, nicht jedoch im Planungsalltag beruflich ausleben konnte, mussten Verbitterung, Enttäuschung und auch Verweigerung zunehmen. Ein von der Ausbildung her breit aufgestelltes Berufsbild und umfassend ausgebildetes Berufsethos hatte zunächst jedoch großen Anteil daran, dass Architekten bald auch zeitgemäße Alternativen zum vorherrschenden Architektur- und Planungsdiskurs zu formulieren begannen und so Architektur und Städtebau zumindest konzeptuell weiterentwickelten. II.3.2 Papierarchitektur statt bauliche Realität: Die Leistungsvergleiche als Manifeste einer ganzheitlichen Ausbildung Das Architektur- und Städtebauverständnis, das den Studierenden an den Hochschulen vermittelt wurde, spiegelte sich denn auch besonders eindrücklich in den so genannten Leistungsvergleichen271 wider. Ins Leben gerufen wurden sie im Oktober 1973 vom MfHuF sowie vom BdA. Ihre genaue Bezeichnung lautete „Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR“272. Zur Teilnahme an dem alljährlich zum 271 Zum niemals völlig zum Erliegen gekommenen Wettbewerbswesen im Allgemeinen ausführlich Fürst sowie Barth 2001 (S. 31). Bei einer Reihe von Projekten gingen der Planungsphase Wettbewerbe voraus, die vor allem in den 70er und 80er Jahren sehr viel deutlicher die gestalterischen und konzeptuellen Vorstellungen der Planer illustrierten als die letztendlich realisierten Bauten und städtebaulichen Räume. 272 In erster Linie wird hier aus der Ausschreibung des Jahres 1976 zitiert, die in den Beständen des Bundesarchivs überliefert ist (BArch, DR 3/2. Schicht/831 [MfHuF], MfHuF/BdA: Abschrift Gemeinsame Ausschreibung zum Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR, unterzeichnet von Minister Böhme und Urbanski, Berlin, 06.04.1976, S. 1). Schon der Name „Leistungsvergleich“ wollte nicht so recht in ein sozialistisches Gesellschaftsmodell passen und stand auch für die seit den 70er Jahren zu beobachtende fortschreitende Individualisierung der DDR-Gesellschaft (hierzu ausführlicher Kapitel III.3.3).

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Ende des Sommersemesters stattfindenden Wettbewerb waren all jene Studierenden aufgerufen, die ihr Studium unmittelbar zuvor mit dem Diplom abgeschlossen hatten. 273 Zugelassen waren aber nur Hochschulabsolventen, also Diplomanden von der HAB Weimar, der TU Dresden und der Kunsthochschule Berlin. Wer alleine ein Fachschulstudium vorzuweisen hatte, blieb ausgenommen. Obwohl unter anderem das MfHuF als Ausrichter firmierte, waren die Leistungsvergleiche mehr als eine nur politische Inszenierung. Im Gegenteil: allen Prinzipien des ,demokratischen Zentralismus zum Trotz regierte hier eine eher flache Hierarchie, bei der die Hochschulen durchaus gleichberechtigte Akteure waren. So konnten sich die Diplomandinnen und Diplomanden selbst um die Teilnahme bewerben. Der Weg führte allerdings dennoch über die einzelnen Sektionsdirektoren der Hochschulen.274 Bei ihnen lag dann auch die letztendliche Entscheidung, welche Arbeiten eingereicht wurden. Was ihre Anzahl anging, hatten sie sich nach einem „Verteilerschlüssel“ zu richten, der sich an den Studierendenzahlen orientierte. An ihm lässt sich auch ablesen, welche Fachbereiche Vorschläge machen durften: „a. Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Fachstudienrichtung Architektur maximal 2 Arbeiten. b. Hochschule f. Architektur u. Bauwesen Weimar, Fachrichtung Architektur maximal 6 Arbeiten. c. Hochschule f. Architektur u. Bauwesen Weimar, Fachrichtung Städtebau und Gebietsplanung maximal 2 Arbeiten. d. TU Dresden, Fachstudienrichtung Architektur maximal 6 Arbeiten. e. TU Dresden, Fachstudienrichtung Landschaftsarchitektur maximal 1. Arbeit.“275

Hatte man es als Studierender oder Studierendenkollektiv durch diese ,Vorprüfung geschafft, mussten die Arbeiten als Zeichnungen, in Form „anderer bildhafter Dar-

273 Das Diplom wurde jeweils in den Sommermonaten abgelegt. 274 „Teilnahmeberechtigt sind alle Diplomanden der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur. Die Einschreibung zum Wettbewerb erfolgt mit Übernahme der Aufgabe. Von einzelnen Studenten und von Studentenkollektiven können Diplomarbeiten den betreffenden Sektionsdirektoren zur Teilnahme am Leistungsvergleich vorgeschlagen werden“ (BArch, DR 3/2. Schicht/831 [MfHuF], MfHuF/BdA: Abschrift Gemeinsame Ausschreibung zum Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR, unterzeichnet von Minister Böhme und Urbanski, Berlin, 06.04.1976, S. 2f.). 275 Ebd., Durchführungsbestimmung zur ,Gemeinsamen Ausschreibung vom 06.04.1976 entsprechend Brief des stellv. Ministers Groschupf vom 19.12.78 und des Präsidenten Gen. Prof. Urbanski vom 05.09.78, unterzeichnet von Lander, S. 2.

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stellungen“276  also etwa als Modell oder Foto  oder in schriftlicher Fassung eingereicht werden. Der Phantasie waren hier  auch dies durchaus ungewöhnlich  so gut wie keine Grenzen gesetzt.277 Breit und differenziert war auch die Jury besetzt. Neben Vertretern aus der Politik278 gehörten ihr unterschiedliche Fachleute aus dem BdA, den Hochschulen, kommunalen Planungsbehörden und Baubetrieben 279 an. Für die Studierenden selbst nahmen FDJ-Vertreter der drei Hochschulen teil.280 Eine Beteiligung an den Leistungsvergleichen war schon alleine wegen der in Aussicht gestellten Auszeichnungen attraktiv. Interessanterweise wurde den angehenden Architekten hier eine Anerkennung zuteil, die im Arbeitsalltag sonst eher selten war. Der parallel zu den ersten Leistungsvergleichen unternommene, aber erneut erfolglos bleibende Versuch der Architekten, ein umfassendes Urheberrecht auch für Architektur und Städtebau zu erstreiten, führt dies exemplarisch vor Augen.281 Im Falle der Leistungsvergleiche hingegen erwartete alle, die einen von drei 276 Ebd., MfHuF/BdA: Abschrift Gemeinsame Ausschreibung zum Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR, unterzeichnet von Minister Böhme und Urbanski, Berlin, 06.04.1976, S. 3. 277 So betonte die oben genannte Durchführungsbestimmung nochmals: „Die Darstellungsart wird freigestellt, d.h. sie ist abhängig von den in der Aufgabenstellung getroffenen Festlegungen“ (ebd., Durchführungsbestimmung zur ,Gemeinsamen Ausschreibung vom 06.04.1976 entsprechend Brief des stellv. Ministers Groschupf vom 19.12.78 und des Präsidenten Gen. Prof. Urbanski vom 05.09.78, unterzeichnet von Lander, S. 2). 278 Genannt wurden hier je ein „Vertreter des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen, [...] des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend, [...] des Ministeriums für Bauwesen, [...] des Ministeriums für Kultur“ (ebd., MfHuF/BdA: Abschrift Gemeinsame Ausschreibung zum Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR, unterzeichnet von Minister Böhme und Urbanski, Berlin, 06.04.1976, S. 4). 279 Genannt wurden hier je ein „Vertreter des Bundes der Architekten der DDR, [...] aus der Praxis des Städtebaus, [...] aus der Projektierungspraxis, [...] des Lehrkörpers der drei Hochschulen“ (ebd.). 280 Genannt wurde hier ein „Vertreter der FDJ-Organisation der drei Hochschulen“ (ebd.). 281 So lautete ein Diskussionsbeitrag von Werner Wachtel auf der Parteigruppensitzung vom 18.02.1971: „Ich verstehe Lothar Hahn [einen der vorrangegangenen Redner, T.Z.] schon, wenn ich an das Problem denke, das die Bezirksgruppe Karl-Marx-Stadt auf dem Kongreß darlegen will, und zwar das Problem Urheberrecht. Darüber wollen sie sprechen. Das ist natürlich in unserer Republik eine völlig ungelöste Frage, und ich habe das sehr begrüßt, daß wir das mit in dem Prozeß der Klärung zwischen Urheber, Projektant und Autor behandeln, also dieses Problem darlegen“ (SAPMO, DY 15/28 [BdA], Protokoll BdA-BuV-Parteigruppensitzung, Berlin, 18.02.1971, Diskussionsbeitrag

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ausgeschriebenen Preisen erhielten, ein Preisgeld in Höhe von 300 Mark oder  bei Kollektivarbeiten  von mindestens 200 Mark je Teilnehmer. Als Gesamtsumme standen 2000 Mark zur Verfügung. 282 Sehr viel wichtiger als diese eher geringe Summe aber war die Aufmerksamkeit, derer sich die Preisträger, aber auch die mit Anerkennung ausgezeichneten Arbeiten sicher sein konnten. So wurden die Arbeiten zum einen für etwa drei Monate in den Räumen der den Leistungsvergleich organisierenden Hochschule ausgestellt. 283 Gezeigt wurden sie darüber hinaus auch im Rahmen der „Messe der Meister von morgen“ sowie „auf der Zentralen Leistungsschau der Studenten und jungen Wissenschaftler.“284 Schließlich wurden alle Arbeiten mit Bild, Angaben zu den Verfassern und Kurzbeschreibung in der AdDDR veröffentlicht.285 Die Aussicht, sich an den Leistungsvergleichen beteiligen zu können, konnte die sehr anspruchsvolle und arbeitsintensive Phase des Diploms also durchaus erträglicher gestalten und motivierend wirken. Das hohe Niveau, das Wachtel, S. 22). Vom BdA wurde schließlich auch eine „Kommission Urheberrecht“ eingesetzt, die eine Ausarbeitung zum Thema erarbeitete und sowohl dem BdAPräsidium als auch dem MfB vorlegte (vgl. hierzu SAPMO, DY 15/32 [BdA], 5. BdABuV-Sitzung, 27.04.1973, Diskussionsbeitrag Mickin, S. 5 sowie Kapitel III.3.1). 282 „Es werden in der Regel drei Preise vergeben; hierfür steht eine Summe von maximal 2.000,- M zur Verfügung. Bei Einzelarbeiten wird ein Höchstbetrag von 300,- M und bei Kollektivarbeiten ein Mindestbetrag von 200,- M je Preisträger festgelegt“ (BArch, DR 3/2. Schicht/831 [MfHuF], MfHuF/BdA: Abschrift Gemeinsame Ausschreibung zum Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR, unterzeichnet von Minister Böhme und Urbanski, Berlin, 06.04.1976, S. 4). 283 Die ersten Ausschreibungen hatten noch vorgesehen, dass „die zum Leistungsvergleich eingesandten und ausgezeichneten Arbeiten [...] als Wanderausstellungen in den drei Hochschulen gezeigt“ werden (ebd., S. 5). Später hieß es dann: „Die Vorstellung der Arbeiten erfolgt zukünftig an der jeweiligen verantwortlichen Sektion als Standausstellung, die von den anderen Sektionen besucht wird (Begründung: Senkung des Vorbereitungsaufwandes, Erhöhung der Kontaktaufnahmen zwischen den Sektionen, geringere Beschädigung der Originale, Erhöhung des Ausstellungsniveaus usw.)“ (ebd., Durchführungsbestimmung zur ,Gemeinsamen Ausschreibung vom 06.04.1976 entsprechend Brief des stellv. Ministers Groschupf vom 19.12.78 und des Präsidenten Gen. Prof. Urbanski vom 05.09.78, unterzeichnet von Lander, S. 2). 284 Ebd., MfHuF/BdA: Abschrift Gemeinsame Ausschreibung zum Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR, unterzeichnet von Minister Böhme und Urbanski, Berlin, 06.04.1976, S. 4. 285 „Die ausgezeichneten Arbeiten werden in der Zeitschrift 'Architektur der DDR' veröffentlicht“ (ebd.).

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viele Diplomarbeiten bis zum Ende der 80er Jahre an den Tag legten, lag möglicherweise auch hierin begründet. Doch darüber hinaus waren es eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die die Leistungsvergleiche bald zu einem äußerst geschätzten alljährlichen Ritual machten  nicht nur bei den Studierenden, sondern gleichermaßen auch in den Reihen der Hochschullehrer, Praktiker und sogar vieler Baufunktionäre. Von Anfang an boten sie nämlich die Möglichkeit, Alternativen zum Status quo in Architektenberuf, Architektur und Städtebau öffentlich zu formulieren und vorzustellen. Schon in der Ausschreibung wurde immer wieder betont, dass hier eben nicht solche Arbeiten im Mittelpunkt stehen sollten, die sich alleine an den aktuellen ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen orientierten. Diese Rahmenbedingungen galt es zwar zu berücksichtigen, da sich die Diplome generell am Maßstab des Machbaren ausrichten und mitunter der Baupraxis zuarbeiten sollten.286 Im Gegensatz zur alltäglichen Architektenarbeit nahmen aber bereits das „Gestalterische“ und das „Schöpferische“ breiten Raum ein. So fanden sich unter den „Bewertungskriterien“ auch die „Lösung [...] gestalterischer Forderungen“, die „Qualität der schöpferischen Gesamtleistung“ und die „Synthese von Architektur und bildender Kunst.“287 Doch auch darüber hinaus las sich die Ausschreibung immer wieder wie ein vorsichtiger kritischer Kommentar auf ein Architekten- und Architekturverständnis, wie es den beruflichen Alltag inzwischen über weite Strecken prägte. Nicht zufrieden gab man sich nämlich mit der Forderung, dass sich die Architektenausbildung und -tätigkeit alleine an den gegebenen Möglichkeiten orientieren und darin bereits ihre Erfüllung finden sollte. Wenn es etwa hieß, dass die Leistungsvergleiche „zur Analyse des erreichten Standes und der Ausarbeitung von Schlußfolgerungen für die weitere Hebung des Niveaus der Ausbildung und Erziehung“288 beitragen sollten, bedeutete das auch, dass man die Ausbildung für verbesserungswürdig hielt. Gleiches galt für das aktuelle Planen und Bauen. Wenn man sich Wettbewerbsbeiträge wünschte, „die zur Herausbildung perspektivischer bzw. prognostischer und modellhafter Vorstellungen für die langfristige Planung und Gestaltung der sozialistischen Umwelt beitragen“289 sollten, wurde durchaus nach Weiterentwicklung und Alternativen verlangt. Auch an anderer Stelle ließ sich dieser Wunsch immer wie286 So hieß es zur Zielstellung u.a.: „Leistung eines aktiven Beitrages der Ausbildungsstätten zur Entwicklung der sozialistischen Architektur und der komplexen Gestaltung der baulich-räumlichen Umweltbedingungen durch Studienarbeiten, die durch ihre Aufgabenstellung und ihre Ergebnisse eng mit der Praxis verbunden sind.“ Unter den Bewertungskriterien wurde darüber hinaus die „Praxisbezogenheit“ als ein wichtiger Punkt genannt (ebd., S. 2f.). 287 Ebd., S. 3. 288 Ebd., S. 2. 289 Ebd.

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der zwischen den Zeilen herauslesen, wenn es um die Leistungsvergleiche ging. Die bereits mehrfach zitierte Durchführungsbestimmung stellte beispielsweise gleich zu Anfang klar: „- Zur Auswahl an den einzelnen Ausbildungsstätten sollen nur solche Arbeiten kommen, die a. sich durch eine vorwärtsweisende komplexe Qualität in Städtebau und Architektur entsprechend unseren gesellschaftlichen und bautechnischen Prinzipien auszeichnen. b. einen hohen Neuigkeitsgehalt differenzierter Art besitzen und somit auf die Entwicklung der Baupraxis fördernd Einfluß nehmen. - Die Aufgabenstellungen können sowohl auf gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten und Erfordernissen basieren [Hervorhebungen im Original, T.Z.].“290

Über ihren eigentlichen Wettbewerbscharakter hinaus fiel den Leistungsvergleichen damit letztlich eine ganze Reihe verschiedenster Aufgaben zu. Zuallererst wäre hier die Rolle zu nennen, die sie für die Hochschulen selbst und damit für die Ausbildung der Architekten, Städtebauer und Landschaftsplaner spielten. Jeder Leistungsvergleich trug hier letztlich zur Selbstvergewisserung bei. Er stellte zum einen eine Bestandsaufnahme dar, die Einblicke zuließ in das Ausbildungsniveau an den Architekturfakultäten der DDR. Möglich wurden hier internationale Vergleiche, etwa mit anderen sozialistischen Staaten, aber auch mit dem westlichen Ausland. Genauso ließen sich aber auch Rückschlüsse über die Architektenausbildung an den einzelnen Hochschulen der DDR ziehen. Mit ihrer Hilfe konnte man versuchen, Defiziten zu begegnen oder von fachlicher Seite steuernd in die Hochschulpolitik einzugreifen. Die Ergebnisse der Leistungsvergleiche illustrierten darüber hinaus auch die Profile der drei Ausbildungsorte. Sie trugen in ganz erheblichem Maße dazu bei, dass die HAB Weimar auch in einer breiteren Öffentlichkeit als eine stark an städtebaulich-gebietsplanerischen Zusammenhängen interessierte Hochschule wahrgenommen wurde, die TU Dresden aber sehr viel mehr als eine die technischkonstruktiven Aspekte in den Mittelpunkt rückende Universität galt. 291 Berlin290 Ebd., Durchführungsbestimmung zur ,Gemeinsamen Ausschreibung vom 06.04.1976 entsprechend Brief des stellv. Ministers Groschupf vom 19.12.78 und des Präsidenten Gen. Prof. Urbanski vom 05.09.78, unterzeichnet von Lander, S. 1. Ähnlich wie bereits zuvor unterstrich allerdings auch diese Durchführungsbestimmung nochmals: „Die Objektlösungen müssen immer eine reale, unseren gesellschaftlichen und bautechnischen Entwicklungen entsprechende komplexe Aussage [...] beinhalten“ (ebd.). 291 Wie auch die vorliegende Untersuchung immer wieder zeigt, ist diese Einordnung natürlich ein wenig holzschnittartig. So galt etwa der an der TU Dresden für den Fachbereich Wohn- und Gesellschaftsbauten zuständige Helmut Trauzettel als ein auch an gestalterischen Fragen äußerst interessierter Architekt (hierzu u.a. auch Helmut Trauzettel, „Das Poetische in der Entwurfsarbeit des Architekten“, in: AdDDR 12/1989, S. 34-37).

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Weißensee präsentierte sich hingegen in seinen Wettbewerbsbeiträgen mit einem eher gestalterischen Schwerpunkt und trug so der eigenen Tradition als Kunsthochschule Rechnung. Die Leistungsvergleiche machten also auch deutlich, dass trotz einer vorgeblich zentralistisch organisierten Hochschulpolitik keineswegs von einer wirklich einheitlichen Architektenausbildung gesprochen werden konnte. Je nach Hochschule konnten durchaus unterschiedliche Interessen entwickelt und Schwerpunkte ausgebildet werden. Schließlich illustrierten die Leistungsvergleiche, dass die Hochschulen trotz aller politischen Einflussnahme auf die Ausbildung auch ihrem traditionellen Auftrag gerecht wurden. Damit verweisen sie auch heute noch auf die Qualität einer Architektenausbildung, die durchweg weit über das hinausreichte, was in der alltäglichen Baupraxis seinen sichtbaren Ausdruck fand. Anhand konkreter Entwürfe und Planungen wurde im Rahmen der Leistungsvergleiche deutlich, was auch für weite Teile der Forschung galt. Die universitäre Ausbildung musste sich zwar stets an baupolitischen und ideologischen Rahmenbedingungen orientieren und hatte diese zu berücksichtigen. Einem Architektur- und Städtebauverständnis, das nicht auf die Erfordernisse der Planwirtschaft zugeschnitten war oder sich nicht an der Leitlinie des industriellen Bauens orientierte, wurde so beispielsweise von vornherein jede Daseinsberechtigung abgesprochen. Ähnlich war dies auch in der praktischen Entwurfsausbildung und so auch im Rahmen der Leistungsvergleiche. Ein grundsätzliches Hinterfragen der baupolitischen Leitlinien war auch hier kaum möglich. Trotzdem konnten es sich die Hochschulen jedoch zunutze machen, dass die alltägliche Planungspraxis meist hinter der allgemeinen politischen Rhetorik zurückblieb. Erlaubt war es deswegen durchaus, den Auftrag der Politik im Hochschulbereich ernst zu nehmen und über die Grenzen und Beschränkungen der Praxis hinauszudenken. Im Rahmen der Leistungsvergleiche wurde es so möglich, die ständig wiederholte und auch in der Ausschreibung bemühte Formel mit Leben zu füllen, nach der „das materielle und kulturelle Lebensniveau der Arbeiterklasse und aller Werktätigen“ auch durch Architektur und Städtebau „ständig zu steigern“292 war. Sehr viel unabhängiger von ökonomischen und teilweise sogar ideologischen Restriktionen konnten sich so auch die Wettbewerbsbeiträge der Studierenden mit Problemen auseinandersetzen, die die Architektenarbeit tagtäglich begleiteten. Vielfach wurde dabei deutlich, dass sogar unter den gegebenen Rahmenbedingungen eine vielgestaltigere und anspruchsvollere Architektur und Stadtplanung möglich war. Über die Leistungsvergleiche konnten der Politik damit auch die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten bewusst gemacht werden, die diese allzu oft ausblendete, um die Verantwortung letztlich bei den Architekten und Städ292 BArch, DR 3/2. Schicht/831 (MfHuF), MfHuF/BdA: Abschrift Gemeinsame Ausschreibung zum Wettbewerb und Leistungsvergleich der Studenten der Grundstudienrichtung Städtebau und Architektur an den Hochschulen der DDR, unterzeichnet von Minister Böhme und Urbanski, Berlin, 06.04.1976, S. 1.

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tebauern suchen zu können. Als Vorschläge, wie die aktuelle Planungs- und Baupraxis auf pragmatische Weise zu verbessern war, wurden viele der eingereichten Vorschläge damit auch zum Stachel im Fleisch der die Leitlinien bestimmenden baupolitischen Führung. Obwohl in den wenigsten Fällen realisiert, stellten sie letztlich weder Visionen noch Utopien, sondern bloße Handlungsalternativen dar. Die Ausstellungen und Publikationen machten damit öffentlich sichtbar, dass sich die Hochschulen ihrem Auftrag gemäß um eben diese Alternativen bemühten (Abb. 14). Wie ernst man dort auch eine möglichst enge Verzahnung von Ausbildung und Forschung nahm, machte die Tatsache deutlich, dass die Leistungsvergleiche schon bald an eine so genannte „Studentenkonferenz“293 gekoppelt wurden. Deren Thema wurde zwar durch die Jury festgelegt, von dieser jedoch unmittelbar aus den eingereichten Arbeiten abgeleitet. Die Leistungsvergleiche dienten den Jurymitgliedern  d.h. Politikern, Fachleute und Studierenden  also auch als Seismographen, welche Themen Architektennachwuchs und Planungspraxis gerade beschäftigten. In der Hochschularbeit konnte man ihnen dann verstärkte Aufmerksamkeit schenken. Die über die Hochschul- und Ausbildungspolitik hinausweisende Bedeutung der Leistungsvergleiche bestand letztendlich jedoch vor allem darin, dass sie eines der wirksamsten Instrumente darstellten, das berufliche Selbstverständnis der Architekten einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Mit ihnen bot sich eine der wenigen Möglichkeiten, den beschränkten Rahmen fachinterner Debatten hinter sich zu lassen. Gewiss waren die Ausstellungen, auf denen die Arbeiten gezeigt wurden, keine Besuchermagneten, und auch die AdDDR wurde wenn überhaupt nur von einem interessierten Publikum wahrgenommen. Trotzdem aber war der Grad öffentlicher Wahrnehmung im Falle der Leistungsvergleiche ein anderer als gewöhnlich. Wenn die Arbeiten etwa in den jeweiligen Hochschulen gezeigt wurden, wurden sie auch von Studierenden und Lehrenden anderer Fachrichtungen sowie von Besuchern gesehen. Damit leisteten sie einen zwar bescheidenen, unter den Bedingungen des DDR-Bauwesens aber keinesfalls selbstverständlichen Beitrag zu einem pluralistischeren Architektenbild  zeigte sich hier doch nicht nur ein entindividualisierter Architekt, der alleine ausführendes Organ entpersonalisierter Planungsprozesse war. In den Leistungsvergleichen begegnete der Öffentlichkeit vielmehr ein Planer, der nach wie vor schöpferisch-kreativ tätig war. Dabei ging es nicht nur um Lösungsansätze, die ästhetisch-gestalterische Fragen betrafen, sondern sich mit einer Vielfalt von Planungsproblemen und -aufgaben auseinandersetzten. Die vielleicht größte Wirkung der Leistungsvergleiche bestand denn auch darin, dass sie das kreativ-schöpferische Potential einer Architektenschaft anschaulich und 293 Ebd., Durchführungsbestimmung zur ,Gemeinsamen Ausschreibung vom 06.04.1976 entsprechend Brief des stellv. Ministers Groschupf vom 19.12.78 und des Präsidenten Gen. Prof. Urbanski vom 05.09.78, unterzeichnet von Lander, S. 3.

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nachvollziehbar machten, das anderenorts immer wieder an den Grenzen des baulichen Alltags scheiterte. Dabei kam ihnen zugute, dass es auch ihnen nicht um ein grundsätzliches Hinterfragen der Baupolitik oder eines an den realsozialistischen Verhältnissen der DDR orientierten Berufsprofils ging. Vielmehr fand hier plastischen Ausdruck, was auch die fachlichen Diskussionen über weite Strecken prägte: eine produktive und von tagespolitischen Restriktionen weitgehend unbelastete Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen des DDR-Bauwesens. Ziel war es dabei in aller Regel, die politischen Ansprüche und Erwartungen mit den fachlichen Interessen einer Architektenschaft zu vermitteln, der an den Hochschulen durchaus berufliches Selbst- und Verantwortungsbewusstsein mit auf den Weg gegeben wurde. Insofern waren die Wettbewerbsbeiträge stets auch aussagekräftige Indikatoren, wie es um den DDR-Architektenberuf im Allgemeinen bestellt war.

III. Erstarrung und Entfremdung

III.1 R ESIGNATION MACHT SICH BREIT : D ER ARCHITEKTENBERUF ANFANG

DER

80 ER J AHRE

III.1.1 Zwischen Hoffnung und Enttäuschung: Das Berufsbild des Komplexarchitekten Näher beleuchtet werden soll zu Beginn dieses Kapitels zunächst das Berufsprofil des Komplexarchitekten. Letztlich nämlich stand es paradigmatisch für eine Grundstimmung, die weite Teile der Architektenschaft seit den 80er Jahren erfasste. Die Hoffnung, die auch aus den Konsolidierungsprozessen erwuchs, wie sie im vorangegangenen Kapitel beschrieben worden sind, schlug nun mehr und mehr um in Enttäuschung, Resignation und Entfremdung. Eine wesentliche Ursache dafür lag in einer zunehmend erstarrenden und fachliche Impulse kaum noch aufgreifenden Baupolitik. Sie soll weiter unten genauer beleuchtet werden. Zuvor soll jedoch mit dem Blick auf die Komplexarchitekten geschildert werden, dass es zunächst vor allem Fragen des Berufsbildes und der beruflichen Verantwortung waren, die zu einer zunehmend kritischen Haltung der Architektenschaft führten. Bei seiner Einführung in den 70er Jahren wurde das Berufsbild des Komplexarchitekten von den Fachleuten zunächst vielfach durchaus positiv eingeschätzt. Vieles sprach auf den ersten Blick dafür, dass mit Hilfe einflussreicher Komplexarchitekten der Architektenberuf insgesamt aufgewertet und stärker öffentlich wahrgenommen werden könnte. Vor allem die von ,Komplexarchitekt Heinz Graffunder betreuten, auch in gestalterischer Hinsicht überzeugenden Pilotprojekte Berliner Fennpfuhl und Palast der Republik schienen hier entsprechend vielversprechend. Nicht zuletzt der Ministerratsbeschluss des Jahres 1978 setzte auf den Komplexarchitekten als einen gestalterische Gesamtverantwortung, aber auch zentrale Leitungsfunktionen übernehmenden Fachmann. 1 Bereits gegen Ende der 70er Jahre

1

Hierzu u.a. Chronik Bauwesen, Eintrag 31. Mai 1978.

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wurde jedoch deutlich, dass die Entwicklung einen ganz anderen Verlauf nahm und sich das Tätigkeitsprofil der Komplexarchitekten völlig anders entwickelte. Eine zentrale Rolle spielte dabei eine Erscheinung, die Wolf-Rüdiger Eisentraut im Rahmen seines schon in in den Blick genommenen Vortrages in Garzau als „Briefträgerprinzip“ oder „additives“ bzw. „iteratives Prinzip“2 bezeichnete. Statt von wirklicher Kollektivität oder komplexer Verantwortung war die Arbeit der Architekten aus Eisentrauts Sicht inzwischen von der Vorstellung geprägt, „daß jeder so ein wenig beiträgt, und dann wird schon etwas Gutes draus.“3 Was genau er damit meinte, führte er im selben Vortrag konkreter aus. Weil Eisentraut dabei einen sehr detaillierten Einblick in die damaligen Planungsprozesse gab, ein genaues Verständnis des ,Briefträgerprinzips aber auch entscheidend ist, um die problematischen Entwicklungen im Bereich des Berufsprofils ,Komplexarchitekt zu verstehen, seien seine Ausführungen an dieser Stelle ausführlich wiedergegeben. „Wir haben eine Situation“, so Eisentraut, „daß die Häuser, die gebaut werden, normalerweise nicht für den Standort entworfen werden, sondern daß es Erzeugnisse sind, die Architekten irgendwann in ihrem Büro erarbeiten, ohne zu wissen, wo sie konkret stehen werden. Und mit diesen Erzeugnissen, die beschlossen werden, die beim gegenwärtigen Stand der Industrialisierung Voraussetzung für eine hocheffektive Produktion sind, wird im Büro für Städtebau ein Bebauungsplan gemacht. Das sind nun andere Menschen, die die städtebaulichen Räume konzipieren mit diesen Erzeugnissen als raumbegrenzende Elemente oder auch in den Räumen stehend. Sie haben im Regelfall keine Möglichkeit zu sagen, das muß jetzt breiter oder höher oder länger sein, sondern, das ist gegeben und man arbeitet also mit diesen Bausteinen. Und dann kommt wieder ein anderes Kollektiv an die Reihe. Das macht im Baukombinat die Anpassungsprojektierung. Das sind größtenteils technische Dinge und erfreulicherweise zunehmend auch Überlegungen zu Fassaden. Und auch innerhalb der Projektierungskollektive ist die Arbeit im Regelfall weit aufgesplittert. Da gibt es Leute, die den Hochbau machen, da gibt es Spezialisten für die Farbe und andere für den Innenraum. Möglicherweise sitzen sie noch bei einem anderen Betrieb, bei Innenprojekt, und werden dann beauftragt von einem Komplexarchitekten.“4

Mit dem Briefträgerprinzip oder dem additiven Prinzip beschrieb Eisentraut also eine Form der Arbeitsteilung, wie sie sich im Planungs- und Bauwesen inzwischen 2

IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt“, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 24.

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Ebd., S. 24.

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fast durchweg etabliert hatte. Von der Erarbeitung des Angebotsprojekts über die örtliche Anpassung bis hin zu planerischen Einzelentscheidungen  etwa im Bereich des Innenausbaus  waren an nur einem Projekt eine ganze Reihe verschiedener Architekten aus unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen beteiligt. Ursprünglich war nun vorgesehen gewesen oder aber zumindest von den Architekten erhofft worden, dass der Komplexarchitekt in diesem Zusammenhang eine zusammenfassende, leitende und koordinierende Funktion erhalten sollte. Dies nämlich wäre angesichts eines sich immer weiter ausdifferenzierenden Bauwesens hochgradig sinnvoll gewesen. Die verschiedenen Einzelarchitekten wären Teil eines wirklichen ,Teams oder ,Kollektivs geworden und die Arbeit jedes Einzelnen dabei durch die Integrationsfigur des Komplexarchitekten koordiniert und auf ein gemeinsames, je nach Projekt immer wieder anderes, auch gestalterisches Ziel verpflichtet worden. Genau dieser Schritt aber unterblieb, da das Interesse an einem wirklich mit Verantwortung und Einfluss ausgestatteten Komplexarchitekten von baupolitischer Seite äußerst gering war. Deutlich wurde das bereits kurze Zeit, nachdem das Berufsprofil des Komplexarchitekten die Debatte verstärkt zu bestimmen begann. Im Rahmen der 9. BdAPräsidiumssitzung vom 22. September 1978 berichtete etwa einer der anwesenden und mit einem Diskussionsbeitrag betrauten Architekten: „Es fehlt an Klärungen zum Berufsbild des Architekten als Konzeptor einer komplexen Gestaltung und als Organisator aller dafür notwendigen Gestaltungsprozesse. Ich habe kürzlich in der CSSR erlebt, daß man bei der Übertragung von Gesamtaufgaben dem Architekten ein hohes Maß von Vertrauen entgegenbringt und auch an Verantwortung für das Ganze überträgt. Das spiegelt sich letztlich auch in den Ergebnissen wider, ist aber begründet in einer gefestigten Position, die alle Möglichkeiten der Durchsetzung gestalterischer Ideen enthält, einschließt bzw. voraussetzt.“5

Schon früh zeigte sich also, dass den Komplexarchitekten weder die angekündigte Verantwortung übertragen noch die Möglichkeit zu umfassenderer gestalterischer Arbeit gegeben wurde. Bereits 1979 merkte niemand anderes als der Mitte der 70er Jahre noch so optimistische BdA-Präsident Wolfgang Urbanski an, dass der Komplexarchitekt nach wie vor nicht die Stellung habe, die er eigentlich  auch laut Gesetz des Ministerrates  haben müsse.6 Kritik kam darüber hinaus schon damals aus 5

IRS BdA 4I, Protokoll 9. BdA-Präsidiumssitzung, Karl-Marx-Stadt, 22.09.1978, Diskussionsbeitrag Decker, S. 37f.

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„Wir sehen aber auch, wie in vielen Fällen die mit diesem Amt ausgestatteten Kollegen es sehr schwer haben, um die hohen Erwartungen an architektonischer Meisterschaft zu erfüllen. Über drei Jahre sind vergangen, seitdem diese Weisung des Ministers in Kraft gesetzt wurde. Es ist von Nutzen für die Qualität von Städtebau und Architektur, wenn

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den Kombinaten. Helmut Stingl, Chefarchitekt des Berliner Wohnungsbaukombinates, sprach unter Bezugnahme auf die Verantwortung der Komplexarchitekten etwa von „einem ständigen Substanzverlust“7, verbunden mit der Bitte, dass der BdA in dieser Frage frühzeitig aktiv werden müsse.8 Tatsächlich wurde der BdA auch aktiv und nahm sich immer wieder das Thema der Komplexarchitekten vor. Sehr deutlich lässt sich dabei aber auch verfolgen, dass dies ohne jeden Erfolg geschah. Bereits auf der 10. BdA-BuV-Sitzung vom Mai 1980 wurde erneut betont, dass die Stadt-, Chef- und Komplexarchitekten nach wie vor eine lediglich nachgeordnete Rolle spielten.9 Einer der anwesenden Architekten bezweifelte sogar, dass man überhaupt vom Vorhandensein von Komplexarwir uns in den Bezirks- und Fachgruppen unseres Bundes mit der praktischen Verwirklichung der Aufgaben der Komplexarchitekten kritisch beschäftigen. Wir schlagen deshalb vor, daß wir im kommenden Jahr unter Leitung der Zentralen Fachgruppe ‚Wohn- und gesellschaftliche Bauten‘ eine Beratung mit Komplexarchitekten über die Möglichkeit der Verbesserung ihrer Arbeits- und Wirkungsweise durchgeführt wird [sic!] Wir wissen doch alle, daß eine Weisung, und sei sie noch so gut, die Probleme nicht aus der Welt schafft. Wir sollten nicht glauben, daß sich die diffizile Verantwortung von Komplexarchitekten ohne Kampf, ohne Geduld und Beharrlichkeit und ohne ständige und nachhaltige kameradschaftliche Hilfe, vor allem auch unseres Verbandes und seiner Organe realisieren läßt“ (SAPMO, DY 15/37 [BdA], Protokoll 9. erweiterte BdA-BuV-Sitzung, Halle, 07.12.1979, Referat Urbanski, S. 25). 7 8

Ebd., Diskussionsbeitrag Stingl, S. 45. „Ich glaube, daß wir in diesem Kreis darüber sprechen müssen, und daß wir, wie das im Referat [des BdA-Präsidenten, T.Z.] zum Ausdruck kam, auch von Seiten des Bundes aktiv werden müssen, um hier Veränderungen herbeizuführen; denn wenn auf der 6. Baukonferenz davon gesprochen wurde, und zwar sehr kritisch davon gesprochen wurde, daß die Zersplitterung unserer Projektierungskräfte zunimmt, so müssen wir heute feststellen, daß, obwohl seit dem [sic!] ja fünf Jahre vergangen sind, diese Tendenz munter weiterverfolgt wird“ (ebd.).

9

„Wie sieht es aus mit der Arbeit der Komplexarchitekten fünf Jahre nach dem Maßnahmeplan [sic!] des Ministers, in dem die Einsetzung von Komplexarchitekten beschlossen wurde und zwei Jahre nach Verabschiedung erster regelnder Grundsätze dazu? Abgesehen davon, daß es in einigen Bezirken bzw. Institutionen noch nicht soweit ist, daß überhaupt ihr Einsatz für erforderlich gehalten wird, hapert es mit der wichtigsten Voraussetzung, die zur Arbeitsfähigkeit von Komplexarchitekten gehört, nämlich daß sie Leiter von Kollektiven sind. Immerhin ein Drittel aller Befragten gaben an, daß sie Einzelkämpfer auf diesem weiten Felde wären, wobei jedoch 37 das Kollektiv als wichtigste Voraussetzung betrachteten. Die Betriebe begründen in der Regel diesen Mangel damit, daß keine Bearbeiter zur Verfügung stünden“ (SAPMO, DY 15/38 [BdA], Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 29./30.04.1980, Diskussionsbeitrag Schroth, S. 36).

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chitekten nach den Vorstellungen des Ministerrates sprechen konnte.10 Ein halbes Jahr später waren die Komplexarchitekten dann Thema einer ganzen BdA-BuVSitzung. Zwei in Kombinaten tätige Komplexarchitekten berichteten dabei über ihre Erfahrungen und ihren Arbeitsalltag, aber auch über einen vom WBI (Weiterbildungsinstitut) ausgerichteten Weiterbildungslehrgang für Komplexarchitekten, der im Herbst stattgefunden und ein weiteres Mal die sehr unbefriedigende Situation vor Augen geführt hatte. Wolfgang Urbanski zeigte sich nun regelrecht erschüttert über das zusammengetragene Material.11 Auch Komplexarchitekt Schroth hatte den Eindruck im Vorfeld nicht abmildern können, sondern verstärkte ihn durch detaillierte und ernüchternde Einblicke in seine Tätigkeit noch weiter.12 Mitte der 80er Jahre war die Situation jedoch nach wie vor die gleiche. Auch Horst Siegel, der, wie bereits erwähnt, auf der 6. BdA-Präsidiumssitzung die Zusammenarbeit zwischen Partei und Fachleuten zu kodifizieren versucht hatte, äußerte sich über die Lage der Komplexarchitekten kritisch und zurückhaltend. Nach wie vor waren aus seiner Sicht die vom Ministerium Ende der 70er Jahre erlassenen Leitlinien nämlich nur ungenügend umgesetzt worden: „Die Arbeit der Architekten könnte auch dadurch befruchtet werden, wenn das Ministerium für Bauwesen noch stärkeren Einfluß auf die Durchsetzung der Verfügung über die Tätigkeit von Komplexarchitekten im komplexen Wohnungsbau – die ist von 1982 – nehmen würde. Diese Verfüfung [sic!] ist eine gute Grundlage. Sie wurde jedoch in den einzelnen Bezirken bisher nur ungenügend durchgesetzt.“13

Siegel deutete hier an, was ein knappes halbes Jahr später der erste Sekretär des BdA, Hubert Scholz, sehr viel offener aussprach:

10 „Ich bin eigentlich hier im Bundesvorstand als ein Vertreter der sogenannten Komplexarchitekten, die wir seit Jahren auf Empfehlung des Ministers gern haben wollen“ (ebd., Diskussionsbeitrag Dielitzsch, S. 66). 11 „Ich meine, daß diese Ausarbeitung von Kurt Lembcke in Zusammenarbeit mit Peter Döhler eine ausgezeichnete Sache ist, die Ausarbeitung, wie sieht es eigentlich gegenwärtig mit unseren Komplexarchitekten aus, nachdem vor fünf Jahren der Minister für Bauwesen eine Weisung herausgeschickt hat? Da muß man sich wirklich fragen, wer hält sich an solche Weisung und wer nicht? Wer nimmt sie ernst und wer nicht? Ich muß sagen, ich war, als ich das Material gelesen habe, das nach meiner Auffassung sehr sorgfältig und sehr gut zusammengetragen ist, einigermaßen erschüttert [...]“ (ebd., Protokoll 11. BdA-BuV-Sitzung, 05.12.1980, Schlusswort Urbanski, S. 88). 12 Ebd., Diskussionsbeitrag Schroth, S. 35-39. 13 IRS BdA 4.3, Protokoll 6. BdA-Präsidiumssitzung, Potsdam, 28.09.1984, Diskussionsbeitrag Siegel, S. 25.

310 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „Trotz bestehender Regelungen ist die Wirksamkeit und Einflußnahme der Komplex- und Chefarchitekten in vielen Fällen noch unzureichend. Ihre spezielle Verantwortung für die Fragen der Architektur ist ungenügend ausgeprägt. Oft sind sie mit Koordinierungsaufgaben und Administration überlastet, und für die schöpferische Arbeit fehlt in vielen Fällen ein geeigneter Arbeitsstab [...] Es gibt Anzeichen, wo Komplexarchitekten, aber auch Bezirks-, Kreis- und Stadtarchitekten in der Leitungshierarchie so eingeordnet sind, daß ein effektiver Einfluß auf Entwicklungsfragen in Städtebau und Architektur erschwert ist.“14

Schließlich war es in der zweiten Hälfte der 80er Jahre Werner Strassenmeier, der im Rahmen seiner Überlegungen über „Architekturentwicklung und Technologie“15 bedauerte, dass nach wie vor partikulares noch nicht komplexem Denken Platz gemacht habe und damit auch auf das Fehlen wirklicher Komplexarchitekten anspielte.16 Damit aber hatte Strassenmeier auch die eigentlichen Probleme angerissen, vor denen die Komplexarchitekten fast zehn Jahre nach Einführung eines an sich sehr viel weiter gefassten Berufsprofils standen. Zum einen nämlich hatte sich nach wie vor nichts an der untergeordneten Rolle geändert, die die Komplexarchitekten in den Baukombinaten spielten. So waren sie dort in erster Linie den Direktoren unterstellt, denen es vor allem um die Durchsetzung technischer und ökonomischer Leitlinien ging. Sehr plastisch hatte das 1981 Heinz Willumat zum Ausdruck gebracht, der sich im Rahmen einer neuerlichen BdA-BuV-Sitzung erneut für eine Stärkung der Komplexarchitekten aussprach, in diesem Zusammenhang aber auch schilderte, dass im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen und zum Wortlaut der Ministerratsbeschlüsse die Technischen Direktoren bestimmenden Einfluss hatten.17 Ähnlich klar beschrieb auch Herbert Ri14 Ebd., Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, Berlin, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Scholz, S. 13. 15 Hierzu ausführlicher auch Kapitel III.1.2. 16 „Das Entscheidende hierbei [bei der Erfüllung der von der 8. Baukonferenz ausgegebenen Losung „Für höhere Wirtschaftlichkeit und Qualität des Bauens“, T.Z.] erscheint mir [sic!] darin zu liegen, daß partikulares Denken noch nicht notwendigem komplexen Denken gewichen ist. Auf beiden Seiten derer, die entscheidend im Prozeß der Umweltgestaltung agieren – auf Seiten derer, die vorwiegend geistig konzipieren und auf Seiten derer, die vorwiegend materiell realisieren“ (IRS BdA 85III, Werner Strassenmeier, „Architekturentwicklung und Technologie. Einige Überlegungen“, nur für den Dienstgebrauch, in: HAB Weimar. Informationen des Weiterbildungsinstituts für Städtebau und Architektur 2/86, S. 5). 17 „Wir setzen uns weiterhin konsequent dafür ein, daß die Stellung der Komplexarchitekten, vor allem im Wohnungsbau, qualifiziert wird, daß sie als Leiter von Projektierungskollektiven vom Bebauungsplan bis hin zur Gestaltung der Gebäude die volle Verantwortung haben, wie das übrigens in Berlin bis Anfang der siebziger Jahre üblich war. Nicht

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cken die Stellung des Architekten in der tatsächlichen Planungspraxis, wenn er im März 1984 schilderte, dass für das Ministerium die Kombinatsdirektoren, nicht aber die Architekten die zentralen Ansprechpartner seien.18 Gegen Ende der 80er Jahre wurden die Worte der Architekten schließlich immer deutlicher und die Vorwürfe heftiger. Denn letztlich konnte inzwischen kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sich an der Situation der Komplexarchitekten auf längere Sicht nichts ändern würde. Zu festgefahren waren die Planungsabläufe, in denen sie nur eine Randrolle spielten und sich ständig darum bemühen mussten, überhaupt wahrgenommen zu werden. So hieß es auf einer BdA-BuV-Sitzung vom April 1988, das Verhalten der „Vorfertigungskombinate“ entspreche „eher einer Diktatur als einem Dienstleistungsprozeß“ 19 und die Architekten seien Opfer eines regelrechten „Kesseltreiben[s]“20. Auch Ende der 80er Jahre waren die Komplexarchitekten also weit davon entfernt, eine Rolle zu spielen, wie sie sich Wolf-Rüdiger Eisentraut im Rahmen seines Garzauer Vortrags wünschte. Zum einen ging es ihm dabei um organisatorische Gesamtverantwortung, bei der der Komplexarchitekt „höchste Komplexität [...] im Arbeitsprozeß“ und „über die Grenzen [der] Institutionen hinweg inhaltliche Kontinuität [zu] organisieren“21 habe. Zum anderen sollte der Komplexarchitekt aus seiner Sicht aber auch die gestalterischen Ansätze bündeln und in eine endgültige Form gießen:

der Technische Direktor zum Beispiel im Wohnungsbaukombinat Berlin, sondern der Komplexarchitekt muß die Gestaltung von Wohngebieten bzw. Gebäuden wieder bestimmen können. Das ist gegenwärtig bei uns leider nicht der Fall“ (SAPMO, DY 15/40 [BdA], Protokoll 13. BdA-BuV-Sitzung, Erfurt, 04.12.1981, Diskussionsbeitrag Willumat, S. 42). 18 „[...] weil offensichtlich, wenn von dem Abfragen der Praxiserfahrungen die Rede ist seitens des Ministeriums für Bauwesen, in erster Linie ja die Kombinatsdirektoren gefragt werden und wir nicht unbedingt sicher sein können, daß auf diese Weise spezifische Interessen des Architektenberufs in hinreichender Präzision vertreten werden“ (IRS BdA 4IIa, Protokoll 5. BdA-Präsidiumssitzung, 30.03.1984, Diskussionsbeitrag Ricken, S. 69). 19 SAPMO, DY 15/47 (BdA), Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, Berlin, 28.04.1988, Diskussionsbeitrag Dubke, S. 57. 20 Ebd. 21 IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt“, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 23.

312 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „Es muß einer da sein, der den Dingen eine Idee gibt, eine Form verleiht, erst einmal geistiger Art. Und die wird dann im Kollektiv natürlich in vielfältiger Weise qualifiziert und bereichert, modifiziert, ergänzt und überhaupt erst zu der Qualität gebracht, die sie braucht. Aber eine geistige Führung ist hier  denke ich  notwendig.“22

Auf diese Weise sollte der Komplexarchitekt dazu beitragen, die verschiedenen, nebeneinanderher arbeitenden Akteure in einen gemeinsamen, auf ein architektonisch-städtebauliches Ziel orientierten Arbeitsprozess einzubinden. Stattdessen aber hatten die Komplexarchitekten nach wie vor dieselben, äußerst eingeschränkten Aufgaben wahrzunehmen, die Wolfgang Urbanski schon Ende der 70er Jahre als zu einseitig kritisiert hatte. Damals hatte er im Rahmen zweier BdA-BuV-Sitzungen der Jahre 1979 und 1980 davon gesprochen, dass die Komplexarchitekten in den Kombinaten lediglich als „Produktionsvorbereiter“ betrachtet würden. 23 Damit spielte er bereits auf ein Phänomen an, das Eisentraut zehn Jahre später als ein von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen nach wie vor ungelöstes Problem schilderte. Demnach waren die Komplexarchitekten nach wie vor nicht mehr als bloße „Hersteller von Ausführungsunterlagen“24, bei denen sie auf die bereits zur Verfügung stehenden Elementkataloge und Typenserien zurückgreifen mussten. Gestalterische Arbeit spielte also gar keine oder eine nur geringe Rolle, was einige Jahre zuvor auch Hubert Scholz klar und deutlich auf den Punkt gebracht hatte:

22 Ebd. 23 „Nicht ohne Sorge betrachten wir indessen die Tendenz, die Architekten und alle Projektanten in den Baukombinaten ausschließlich als ‚Produktionsvorbereiter‘ zu betrachten. Natürlich ist es eine achtenswerte und notwendige Aufgabe, die Produktion der Baukombinate vorzubereiten. Davon spricht uns auch niemand frei. Aber eine solche Reduzierung des architektonischen Schaffensprozesses bedeutet eine völlige Verkennung des Wesens einer Tätigkeit, die Schöpferkraft und Phantasie erfordert, Phantasie, die bei Albert Einstein noch vor dem Wissen rangiert, und die von Ziolkowsky so eingeordnet wird: ‚Zuerst Phantasie, dann wissenschaftliche Berechnung und Ausführung‘. Mit der Ignorierung dieser bestimmenden Seite unseres Schaffens wird auch das notwendige Wechselverhältnis zwischen Auftraggeber, Architekt und Baubetrieb in vielen Fällen auf den Kopf gestellt und hat auch solche Erscheinungen zur Folge, daß einzelne Architekten zur bildenden Kunst überwechseln“ (SAPMO, DY 15/37 [BdA], Protokoll 9. erweiterte BdA-BuVSitzung, Halle, 07.12.1979, Referat Urbanski, S. 29). 24 IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt“, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 25.

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„Oft sind sie [die Komplex- und Chefarchitekten, T.Z.] mit Koordinierungsaufgaben und Administration überlastet, und für die schöpferische Arbeit fehlt in vielen Fällen ein geeigneter Arbeitsstab.“25

Immer deutlicher und unübersehbarer wurde so im Laufe der Jahre, dass das Konzept des Komplexarchitekten, wie es von der Baupolitik ausgearbeitet, vom Ministerrat bestätigt und offiziell verabschiedet sowie von den Architekten in den Leitungsebenen von BdA und BA durchaus wohlwollend aufgegriffen und unterstützt worden war, letztlich ein hohles Versprechen war. Verdeutlichen lässt sich dies sehr gut am Begriff und Konzept des ,Komplexen, mit dem gerade die Architekten große Hoffnungen verbanden  Hoffnungen, die auch von der Baupolitik geschürt und bewusst bedient wurden. Demnach steckte im ,Komplexen eigentlich die Aufwertung eines Berufsstandes, der über Jahre hinweg immer stärker eingeengt und in seinen Kompetenzen beschnitten worden war. Suggeriert wurde, dass mit dem Komplexarchitekten ein Berufsprofil etabliert würde, dessen Aufgabe es war, ein ganzes Bauprojekt zu leiten und zu koordinieren, ebenso aber auch gestalterisch zu bewältigen. Dahinter stand die Vorstellung des Architekten als ,primus inter pares und damit als Koordinierender eines großen, aus prinzipiell gleichberechtigten Fachleuten bestehenden Kollektivs, aber auch als gestalterisch Leitender. Diese Vorstellung schien nach über einem halben Jahrzehnt konsequenter Typisierung in Form der WBS 70 und anderer Angebotsprojekte eine Lösung für eine erneut individuellere und personalisiertere Architektenarbeit darzustellen. Im Laufe der 80er Jahre wurde jedoch immer offensichtlicher, dass das genaue Gegenteil der Fall war. Mehr und mehr wurde klar, dass auch das Berufsbild des Komplexarchitekten politisch eindeutig instrumentalisiert war: statt auf eine erneute Stärkung des Berufsstandes war es auf dessen weitere Marginalisierung und eine noch sehr viel weitreichendere Kompetenzbeschneidung ausgerichtet. Der Komplexarchitekt, so zeigte sich immer deutlicher, war in beruflicher Hinsicht letztlich eher als Pendant zur Angebotsprojektierung gedacht. Die Entindividualisierung und Entpersonalisierung wurde hier auf die Spitze getrieben. Der Architekt sollte ganz bewusst, politisch gewollt und endgültig zum bloßen Organisator vorbestimmter Prozesse und zum Ausführenden vorgefertigter Angebotsprojekte werden. Individuelle fachliche Einflussnahme sollte mehr oder weniger ganz ausgeschaltet, der Bauprozess durch den Architekten also gewissermaßen nicht weiter gestört, sondern alleine in seinem Ablauf gesichert werden. Das Berufsprofil des Komplexarchitekten entwickelte sich so zum regelrechten Sinnbild der fortschreitenden Entwertung eines ganzen Berufsstandes, damit aber letztlich ebenso von Architektur und Städtebau auch und gerade hinsichtlich ihrer künstlerischen Dimension. Das Konzept 25 IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, Berlin, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Scholz, S. 13.

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des Komplexarchitekten stand somit für eine von politischer Seite erwünschte und geförderte Deprofessionalisierung der Architektenarbeit. In vielfacher Hinsicht bündelte sich somit im Berufsprofil des Komplexarchitekten die sukzessive Entmachtung, aber auch die zunehmende Machtlosigkeit der Architektenschaft, wenn es um Fragen der Einflussnahme auf architektonischstädtebauliche Entwicklungen und die Möglichkeiten individueller fachlicher Arbeit ging. Dieser Prozess soll in den folgenden Abschnitten ausführlich beleuchtet werden. III.1.2 Das Scheitern strategischer Anpassungsversuche (I): Zunehmende Unvereinbarkeit von gestalterischem Anspruch und Diktat der Ökonomie Seit den späten 70er und frühen 80er Jahren war das Arbeitsumfeld der Architekten sukzessive durch ein Phänomen gekennzeichnet, das im Rahmen dieser Untersuchung mit dem Begriff der ,Erstarrung umschrieben werden soll. Verschiedenste Bereiche und Ebenen des Architektenberufs und des Architektenhandelns waren davon betroffen. Einige von ihnen sollen in den folgenden Abschnitten genauer in den Blick genommen werden. Erste Anzeichen für Momente der Erstarrung zeigten sich zunächst, als das bislang durchaus erfolgreich angewendete Mittel der strategischen bzw. pragmatischen Anpassung an baupolitische Rahmenbedingungen zunehmend scheiterte oder aber sichtbar an seine Grenzen stieß. Dies betraf zum einen Strategien, die man schon seit einigen Jahren mehr oder weniger erfolgreich angewandt hatte und an denen man nun festzuhalten versuchte. Erstarrung im Bereich der pragmatischen Anpassung machte sich zum anderen aber auch dadurch bemerkbar, dass es immer schwieriger wurde, neue Strategien durchzusetzen, die auf die immer drängenderen Probleme in Architektur und Städtebau zugeschnitten waren und in diesen Bereichen Lösungen anzubieten versuchten. Dazu gehörte u.a. der schon in den 70er und dann vor allem in den 80er Jahren unternommene Versuch, die materiellen und technologischen Grundlagen des industriellen Bauens weiterzuentwickeln. Damit war im Wesentlichen eine Flexibilisierung der Plattenbautechnologie und deren Anpassung an eine Planungspraxis gemeint, die über die vorhandenen Mittel  etwa in Form der WBS 70 oder der Wiederverwendungsprojekte  hinauszugehen versuchte, ohne dabei das industrielle Bauen selbst in Frage zu stellen. Dieser Gedanke war  wie bereits in Kapitel II.2.3 deutlich geworden ist  keineswegs neu. So hatten Architekten schon im Jahr 1972 moniert, dass sich statt des ursprünglich vorgesehenen, offenen und flexiblen Einheitssystems Bau schon bald erneut mehr oder weniger starre Typenserien durchzusetzen begannen.26 An dieser grund26 Vgl. hierzu auch Kapitel II.1.2.

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legenden Tatsache hatte sich auch in den 80er Jahren nur wenig geändert. Drastisch, anklagend und resigniert brachte das 1985 etwa BdA-Parteisekretär Alfred Hoffmann zum Ausdruck. „Wir wollen [sic!]“, so Hoffmann damals, „mit der Standardisierung den Austausch von Bauelementen, der zwischen den Plattenwerken möglich sein sollte. Das ist uns nicht gelungen. Dafür sehen aber nun alle Häuser gleich aus. Das wiederum haben wir nicht gewollt. (Heiterkeit)“27

Auch die Folgen, die sich aus den starren materiell-technischen Grundlagen des Bauwesens ergaben, schilderte Hoffmann sehr plastisch und eindrücklich: „Kollegen, jahrelang schien es, als würde sich die Technologie im Wohnungsbau verselbständigen. Jahrelang wurden sich die Gebäude immer ähnlicher. Jahrelang schienen sie mehr den Gesetzen der Produktgestaltung, des Designs zu folgen; ästhetisch gestaltete Gegenstände, bar jedem Bezug zum Standort, introvertiert im Sinne des Wortes, nach innen gekehrt, verschlossen, kontaktarm, diese Eigenschaften sind der Architektur zutiefst feindlich. Es ist vielleicht ein bißchen überzogen hier, aber um das deutlich zu machen.“28

Die Kritik Hoffmanns illustrierte dabei eine Entwicklung, die im Laufe der 80er Jahre immer wichtiger und im Gegensatz zu den 70ern auch deutlicher wurde. Nach Honeckers Amtsantritt und nach der Initiierung des Wohnungsbauprogramms hatten sich gerade leitende Architekten zunächst bereitwillig auf eine in materieller und technologischer Hinsicht eher auf Masse denn auf Qualität setzende Baupolitik eingelassen. Es war jene von Frank Betker eingehend untersuchte „Einsicht in die Notwendigkeit“ 29 , die dabei eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Die Wohnungsfrage bis 1990 zu lösen und die sozialpolitische Dimension des Programms zu unterstützen, hielt man für ein ehrenwertes und auch fachpolitisch wichtiges Ziel, das eine zeitweise gestalterische Einschränkung des industriellen Bauens zugunsten seiner Massentauglichkeit und ökonomischen Vorteile opportun und sinnvoll erscheinen ließ. Im Laufe der Jahre wurde jedoch immer deutlicher, dass die Bauweisen und Bausysteme auf gestalterisch niedrigem Niveau verharren würden und die politische Führung kaum Interesse an Veränderungen und Weiterentwicklungen im ästhetischen Bereich hatte. Ihr ging es auch weiterhin in erster Linie um die Erfüllung von Kennziffern und die stetige Erhöhung des Bauvolumens. Dass sich auch Funktionäre wie Alfred Hoffmann die Forderung ihrer Kollegen zu eigen machten, die Technologie auf ein individuelleres industrielles Bauen auszurichten, zeigte, 27 IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, Berlin, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 34. 28 Ebd. 29 Betker.

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wie sehr bis in die Reihen hochrangiger Baufunktionäre hinein Berufsvorstellungen eine wesentliche Rolle spielten, von denen sich die Baupolitik längst verabschiedet hatte. Auch an der Spitze des BdA wurde dabei im Laufe der 80er Jahre immer sichtbarer, dass die Fachleute der gestalterisch-ästhetischen Dimension ihres Berufes gerecht zu werden und entsprechend auf die Baupolitik einzuwirken versuchten. Punktuelle Erfolge, die mit der Anpassung der Bautechnologie an gestalterische Vorstellungen erzielt worden waren, nahm man dabei zum Anlass, Weiterentwicklungen in diesem Bereich immer wieder und vor allem für das gesamte DDRBauwesen einzufordern.30 Deutlich wurde dabei auch, dass sich zahlreiche Architekten und sogar die Führungsebene der Massenorganisation BdA mit dem alleine auf Vereinheitlichung und Serienfertigung setzenden Architektur- und Städtebauideal der Baupolitik keineswegs einverstanden erklärten. Die Kritik nahm denn auch zu, als im Laufe der 80er Jahre immer offensichtlicher wurde, in welchem hohem Maße die Entwurfsarbeit gestalterisch eingeschränkt blieb. Sogar Wulf Brandstädter, der mit den institutionellen Strukturen in Halle mehr oder weniger zufrieden war und eine für DDR-Verhältnisse hohe Qualität des Planens und Bauens sicherstellen konnte, machte seinem Unmut und Unverständnis bereits im Rahmen einer BdA-Präsidiumssitzung des Jahres 1981 Luft. Brandstädter beschwerte sich dort, dass er in die Gestaltung von Hauseingängen mit „lächerlichen Betonelementen“ unverhältnismäßig viele Arbeitsstunden gesteckt hatte und damit verbunden auf nahezu allen Ebenen des Bezirksbauwesens vorstellig werden musste.31 Immer deutlicher wurde zudem, dass Beispiele, wie sie etwa mit den Namen Eisentraut, Baumbach oder eben auch Brandstädter verbunden waren, sehr stark von örtlichen Strukturen und lokalen Akteuren abhängig waren.32 Wolf-Rüdiger 30 Hierzu ausführlicher Kapitel II.2.3. 31 „Wir haben uns also unter anderem verpflichtet zu einem flexiblen Hauseingang, und wenn ich da einmal Aufwand und Effektivität vergleiche, das sind letztlich drei oder vier lächerliche Betonelemente, die dort zu fertigen sind, und die im Baukastensystem auf verschiedenartige Weise zusammengesetzt werden. Wenn ich aber jetzt einmal rekapituliere, wieviel Stunden allein ich als BdA-Vorsitzender des Bezirks Halle mit diesen vier Elementen zugebracht habe, was ich bei Kombinatsdirektoren, beim Bezirksbaudirektor, bei der Partei, überall vorstellig geworden bin, [...] dann muß ich sagen, der Aufwand zu diesen vier Elementen [...] ist derartig hoch, daß man sich fragen muß, kann man sich das eigentlich öfter leisten [...]?“ (IRS BdA 4I, Protokoll 15. BdA-Präsidiumssitzung, 02.04.1981, Diskussionsbeitrag Brandstädter, S. 31f.). 32 Diese Abhängigkeit von lokalen Strukturen war gerade in den 80er Jahren in weiten Teilen des Kulturlebens zu beobachten. So schreibt etwa Manfred Jäger: „Die [...] lokale Zersplitterung relativierte die ideologischen Weisungen und Anleitungen. Einesteils nahm die Verunsicherung zu, auf der anderen Seite wurden die jeweiligen Chancen ver-

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Eisentrauts Vortrag in Garzau machte noch 1987 deutlich, dass knapp zwei Jahre vor Öffnung der Grenzen ein DDR-weit gültiges und anwendbares offenes Bausystem in weiter Ferne lag, präsentierte er doch die in Berlin-Marzahn und -Hohenschönhausen angewandten Strategien nach wie vor als Pilotprojekte, die Grundlage sein sollten für einen erst zukünftig verstärkt einzuschlagenden Weg. Nicht umsonst wurden etwa auch Überlegungen von dem an der BA tätigen Werner Strassenmeier zur Weiterentwicklung der materiell-technischen Seite des Bauwesens unter Verschluss gehalten und als vertrauliche Dienstsache nur einem engen Zirkel von Fachleuten und Funktionären zugänglich gemacht. Für die Architekturentwicklung nach 1990 gab Strassenmeier darin u.a. zu bedenken, dass auch darüber nachzudenken sei, wie man die „engen Realitäten des Tages“ 33 weiterentwickeln könne. Denn nach wie vor, so Strassenmeier, klaffe zwischen den gesellschaftlichen Entwicklungserfordernissen und dem gegenwärtigen Stand der Realisierungsbedingungen [also der Bautechnik, T.Z.] eine Lücke34  auch dies ebenfalls ein klarer Hinweis darauf, dass Architektur, Städtebau und die Entwurfsarbeit der Architekten immer noch unter denselben Einschränkungen zu leiden hatten wie schon in den frühen 70er Jahren.35

glichen, und in dem kleinen Ländchen gab es mit den Mitteln des ,Buschfunks rasch eine informelle Verständigung darüber, welche Unternehmung mit welchen Leuten besser durchsetzbar war als anderswo“ (Jäger, S. 192). 33 SAPMO, DY 15/46 (BdA), Protokoll 2. BdA-BuV-Sitzung, Magdeburg, 09.10.1987, Diskussionsbeitrag Strassenmeier, S. 90. 34 Strassenmeier hatte im Vorfeld zunächst die Pole der um das Bauen nach 1990 geführten Diskussion definiert. Den einen beschrieb er dabei mit den Worten „Es wird alles ganz anders“, den anderen mit „Es wird sich kaum etwas ändern.“ Daran anknüpfend beschrieb er die Realitäten des DDR-Bauwesens folgendermaßen: „Die erste Position [der erste Pol, T.Z.] geht vom gesellschaftlichen Entwicklungserfordernis aus, die zweite vom gegenwärtigen Stand der Realisierungsbedingungen und -möglichkeiten, indem eben gesagt wird: Gebaut wird das, was die Kombinate bauen können und wofür das Geld reicht“ (ebd., S. 90f.). 35 Ähnliches zeigte auch noch ein Diskussionsbeitrag des Architekten Dubke auf der 3. BdA-BuV-Sitzung vom 28.04.1988: „Was wir brauchen – das ist heute auch gesagt worden –, ist ein offenes Bausystem. Das brauchen wir hier nicht zu erläutern. Fakt ist, bereits im Dezember 1986 hat die Fachgruppe Industriebau in Karl-Marx-Stadt klare Arbeitsstandpunkte mit dem MfB entwickelt. Diese Standpunkte sind über den Bund, über den Präsidenten ins MfB gegangen. Der Genosse Junker hat nach meinem Diskussionsbeitrag auf dem Bundeskongreß spontan gesagt: Jawohl, das kannst du mit nach Hause nehmen, wir werden darüber sprechen, wir machen eine Arbeitsgruppe. – Die Antwort steht bis heute für mich aus. Ich kann keine Zeit vorschreiben, aber ich meine, aus der Si-

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Punktuelle Erfolge bei der Weiterentwicklung der entsprechenden Bautechnologien  etwa in Rostock, Erfurt und Berlin sowie im Bereich des innerstädtischen Bauens  weckten bei den Architekten jedoch nach wie vor Hoffnungen, mit Hilfe einer technologischen Flexibilisierung auf Dauer DDR-weit ein individuelleres Bauen durchsetzen zu können. 36 So versuchten Teile der Architektenschaft nach und nach, weitere Ansätze strategischer Anpassung zu etablieren. Zunutze machen wollte man sich dabei in allen Fällen erneut die ökonomische Determiniertheit der baupolitischen Rahmenbedingungen. Zum einen wurde dafür plädiert, auch Entwurf und Gestaltung zu abrechenbaren Größen im Rahmen der Planwirtschaft zu machen und damit verbunden in das Kennziffernsystem zu integrieren. Ausführlich beschäftigte sich mit diesem Thema vor allem Bernhard Geyer. Geyer, der seine gestalterischen Fähigkeiten bereits seit den 60er Jahren immer wieder unter Beweis gestellt und wie viele andere der mit Erfolg in der Entwurfsarbeit tätigen Architekten seine ersten Erfahrungen im Kollektiv Hermann Henselmanns 37 gesammelt hatte, war 1968 an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee gekommen.38 Dort konnte er sich in einer Zeit der immer stärkeren Ökonomisierung und gestalterischen Einschränkung des Bauens trotzdem auch weiterhin mit den künstlerischen Komponenten von Architektur und Städtebau beschäftigen. Dabei betreute Geyer auch einen nicht unerheblichen Teil jener gestalterisch ambitionierten Diplomarbeiten, die bei den Leistungsvergleichen ausgezeichnet wurden.39 Das Thema der gestalterischen Beherrschung eines sich an Wirtschaftlichkeitskriterien orientierenden industriellen Bauens interessierte ihn dabei besonders. Vor diesem Hintergrund meldete er sich auch nun, im Rahmen der 8. BdA-BuV-Sitzung vom 12.12.1985, zu Wort  ein halbes Jahr nach Alfred Hoffmanns oben ausführlich wiedergegebener resignativer Bestandsaufnahme. Mit Nachdruck stellte Geyer dort ein von ihm bis ins Detail ausgearbeitetes Konzept vor, das die Abrechenbarkeit von Entwurfsleistungen und ihre Erfassung in Form ökonomischer Kennziffern ermöglichen sollte. Baukünstlerische Gestaltung müsse  so der Grundgedanke  als Bauleistung abgerechnet werden, wozu es objektiver Bewertungskriterien bedürfe.40 Geyer verwies in diesem Zusammenhang tuation unserer stürmischen Entwicklung haben wir keine Zeit“ (SAPMO, DY 15/47 [BdA], Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 28.04.1988, Diskussionsbeitrag Dubke, S. 58). 36 Nicht infrage gestellt wurden hingegen die grundlegenden baupolitischen Rahmenbedingungen, also etwa das Paradigma des industriellen Bauens selbst. 37 So hatte Geyer u.a. an den Planungen zum Haus des Lehrers mitgewirkt. 38 Zur Biographie Geyers IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 02/0173 (Bernhard Geyer). 39 Vgl. hierzu auch ausführlicher Kapitel II.3.2. 40 „Auf der letzten Präsidiumssitzung wurde unter anderem beschlossen, daß wir in besonderem Maße die Fragen zur Erhöhung der baukünstlerischen Meisterschaft verfolgen [...] Mein Standpunkt wäre, diese richtigen und unterstützungswerten Forderungen, die ja auf

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auch darauf, dass ähnliche Überlegungen schon vor Jahren in der BA angestellt worden waren und von ihm selbst damit aufgegriffen, weiterentwickelt und genauer ausgearbeitet wurden, unterstrich also auch, dass er Teil einer umfassenderen fachlichen Initiative war.41 Optimistisch wies Geyer zudem darauf hin, dass das von ihm vorgetragene Anliegen auch Gehör in den obersten Führungsetagen der SED fand. So habe der Bericht des Politbüros an die 11. Tagung des ZK der SED den Architekten Unterstützung signalisiert.42 Die Realität sah jedoch  wie sich bald herausstellen sollte  anders aus. Die Quellen der späten 80er Jahre, insbesondere aus den Reihen des BdA und der BA, sprechen dabei eine klare Sprache  mitunter zwischen den Zeilen, aber auch offen und deutlich. Die schon erwähnte, von Werner Strassenmeier für die BA erstellte Untersuchung zur Veränderung der materiellen und technologischen Voraussetzungen des Bauens aus dem Jahr 1988 schloss etwa mit dem Hinweis, dass zur Erreichung einer höheren Qualität von Architektur und Städtebau eine „Rationalisierung, Modernisierung und partielle Erneuerung der technologischen Ausrüstungen“ sowie „einmalige ökonomische Aufwendungen“43 erforderlich seien. Dabei gehe es  so Strassenmeier weiter  nicht in erster Linie um ein ökonomisches oder technisches Problem, sondern um „ein Problem der Ansprüchen unserer sozialistischen Gesellschaft beruhen, gut und bald erfüllen zu helfen. Das heißt aber [...] auch, diese Forderungen als Kriterien für die Bauleitung anzusehen und sie auch abzurechnen. Dazu bedarf es eines Systems zur objektiven Bewertung dieser sogenannten landläufig als nichtquantifizierbar bezeichneten Kriterien [...] [Ich] bin [...] der Auffassung, daß es unseren gewachsenen gesellschaftlichen Ansprüchen und unseren ebenso gewachsenen Ansprüchen als Architekten entspricht, wenn Bewertungskriterien der genannten Kategorie zum Nachweis und zur Abrechnung komplexer und auch einzelner Bauvorhaben eingeführt werden. Das entspräche auch mehr unserer wissenschaftlichen Arbeitsmethodik“ (SAPMO, DY 15/44 [BdA], Protokoll 8. BdA-BuV-Sitzung, Gera, 12.12.1985, Diskussionsbeitrag Geyer, S. 95). 41 „Solche Überlegungen – und auch gleichgerichtete Bemühungen – wurden schon vor Jahren an der Bauakademie angestellt. Mit den Begriffen damals ,emotionelle Einflußfaktoren bzw. ,psychologische Integrale versuchte man damals [sic!] graduierte Bewertungsstufen aufzustellen. In jüngster Zeit sind diese Fäden dankenswerter Weise durch den Bereich Gesellschaftliche Bauten wieder aufgenommen worden“ (ebd., S. 95f.). Darüber hinaus wies Geyer darauf hin, „in anderen Industriezweigen [sei] die Bewertung nach emotionellen Kriterien schon lange eine Selbstverständlichkeit. Das können uns vor allem unsere Kollegen von der Industriellen Formgestaltung, die Designer, bestätigen“ (ebd.). 42 „Dieses Anliegen findet auch im Bericht des Politbüros an die 11. Tagung des ZK der SED seine Unterstützung“ (ebd., S. 97). 43 IRS BdA 85III, Werner Strassenmeier, „Architekturentwicklung und Technologie. Einige Überlegungen“, nur für den Dienstgebrauch, in: HAB Weimar. Informationen des Weiterbildungsinstituts für Städtebau und Architektur 2/86, S. 25.

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Denkrichtung“44. Sie gelte es zu verändern und an die Erfordernisse von Architektur und Städtebau anzupassen, was auch bedeutete: einer gestalterischen Weiterentwicklung wurde nach wie vor kein Interesse entgegengebracht, sie wurde vielmehr auch weiterhin mit dem immer gleichen Verweis auf die damit verbundenen Kosten hintangestellt. Gestaltung war somit also immer noch nicht in das dem Planen und Bauen zu Grunde liegende System ökonomischer Kennziffern eingebunden. Bereits einige Monate zuvor war das auch im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung deutlich geworden, die sich schwerpunktmäßig mit Industriearchitektur beschäftigt hatte. Dieser Bereich des Planens und Bauens konnte zwar schon seit den frühen 50er Jahren von etwas größeren Frei- sowie finanziellen Spielräumen profitieren, da die Projekte nicht unter Leitung des MfA bzw. MfB, sondern der verschiedenen Industrieministerien entstanden. Je nach Branche waren hier die finanziellen Möglichkeiten oftmals besser als etwa in dem unter besonders restriktiven ökonomischen Leitlinien leidenden Bereich des Wohnungsbaus. Gegen Mitte der 80er Jahre hatte dies u.a. noch der Neubau eines Verwaltungskomplexes für den VEB Kohle und Energie an der Berliner Dircksenstraße durch das im selben Betrieb tätige Kollektiv um Jochen Jentsch gezeigt, das hier exemplarisch für eine Reihe ähnlicher Bauvorhaben stehen soll. Jentsch und seine Mitarbeiter hatten das industrielle Bauen dahingehend abgewandelt, dass sie die Fassadenelemente an ein benachbartes, in den 20er Jahren nach Entwürfen des Architekten Alfred Grenander errichtetes Verwaltungsgebäude anpassten. Dennoch und trotz dieser Positivbeispiele äußerten sich 1987 auch viele der auf der BuV-Sitzung anwesenden Industriearchitekten durchaus kritisch. So verliehen auch sie ihrer Unzufriedenheit über die Abhängigkeit von immer knapper werdenden finanziellen Ressourcen Ausdruck. Kurt Eberlein etwa mahnte: „Es müssen also aus diesem Grunde [wegen des fehlenden ökonomischen Nachweises der produktivitätsstimulierenden Wirkung von Gestaltung, T.Z.] unbedingt neue Wege gefunden werden, um gestalterische Leistungen im Begutachtungsverfahren in gleicher Weise wie alle meßbaren Kennziffern abzusichern und mit einem hohen Gestaltungsanspruch durchzusetzen.“45

44 Ebd., S. 26. 45 SAPMO, DY 15/47 (BdA), Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, Berlin, 28.04.1988, Referat Eberlein, S. 33.

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Das Scheitern strategischer Anpassungsversuche (II): Bemühungen um eine technologische Erneuerung

Daran anknüpfend orientierte sich ein weiterer zentraler und von den Architekten ab etwa Mitte der 80er Jahre immer wieder propagierter Ansatz strategischer Anpassung eng an der damaligen Entwicklung der Wirtschaftspolitik. Im Zuge einer Fokussierung auf so genannte ,Schlüsseltechnologien strebte Erich Honecker an, die DDR-Wirtschaft und -produktion im Laufe der 80er Jahre zunehmend zu computerisieren, damit verbunden aber vor allem auch DDR-eigene Computertechnologien zu entwickeln.46 Auf Grundlage der EDV sollte die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und das Produktsortiment weiter ausdifferenziert werden. Automatisierte und möglichst flexible Fertigungsprozesse sollten eine Vielzahl von Endprodukten und deren Anpassung an die konkreten Kundenwünsche und -bedürfnisse ermöglichen. Genau diesen Gedanken griffen Teile der Architektenschaft auf und versuchten ihn auf ihr eigenes Arbeitsfeld zu übertragen. Auch in Architektur und Städtebau sollte demnach die flexible Automatisierung zu einer wesentlichen Arbeitsgrundlage werden. Weitgehend der Vergangenheit angehören sollte damit der frühere Ansatz der hohen Losgröße47, der zu den mehr oder weniger starren Angebotsprojekten und damit zu gestalterischer Monotonie geführt hatte. Wolf-Rüdiger Eisentraut schilderte im Rahmen seines Garzauer Referates, wie von den in der industriellen Produktion vorgesehenen und teilweise auch vor sich gehenden Veränderungsprozessen das Bauwesen profitieren könnte:

46 „Das letzte Jahrzehnt [...] stand im Zeichen der sogenannten Schlüsseltechnologien, einer Lieblingsvokabel von Erich Honecker und Günter Mittag. Gemeint war damit vor allem die Mikroelektronik“ (Franz Loll, „Der Untergang der DDR aus der Sicht ihrer EDVBerichterstattung. Bastelzwang und Softwareklau“, in: DIE ZEIT 39/1995, online unter http://www.zeit.de/1995/39/Der_Untergang_der_DDR_aus_der_Sicht_ihrer, zuletzt abgerufen am 31.05.2016). Hierzu ausführlich Peter Salomon, Die Geschichte der Mikroelektronik-Halbleiterindustrie in der DDR, Dessau 2003; Olaf Klenke, Ist die DDR an der Globalisierung gescheitert? Autarke Wirtschaftspolitik versus internationale Weltwirtschaft. Das Beispiel Mikroelektronik, Frankfurt/M. 2001; Gerhard Barkleit, Mikroelektronik in der DDR. SED, Staatsapparat und Staatssicherheit im Wettstreit der Systeme, Dresden 2000. 47 „Hohe Losgröße war das Stichwort in der Industrie und auch im Bauwesen“ (IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt“, in: Architektur und bildende Kunst [10], Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 27).

322 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „Der Werkzeugmaschinenbau unserer Republik tritt international durch bestellgerechte Fertigung auf. Das heißt, Auftraggeber bestellen eine Maschine für eine bestimmte Art der Tätigkeit mit bestimmten Kriterien an die Konstruktion. Die Produktion ist so organisiert, daß die Betriebe im Werkzeugmaschinenbau darauf reagieren können und mit Hilfe von flexibel automatisierten Linien ihre Produktion bei hoher Produktivität umstellen können auf die jeweiligen Anforderungen des Bestellers. Das scheint mir der Schlüssel zu sein für die Zukunft, daß wir im Bauwesen irgendwann in diese Richtung kommen, sicher schrittweise. Und ich meine, wenn man die technischen Möglichkeiten und die Bereitschaft der Menschen, die in der Produktion tätig sind, in den Plattenwerken, in den Montagekollektiven, bei den Bauleitungen und Technologen alle nutzt im Sinne der Sache, dann hat man heute schon Möglichkeiten, so etwas zu tun.“48

Auf diese Weise hoffte man, eine Fehlentwicklung in den Griff zu bekommen, die bereits in den frühen 70er Jahren begonnen und die gestalterische Qualität von Architektur und Städtebau seitdem nachhaltig geschwächt hatte. Damals war  wie im vorangehenden Kapitel dargestellt  aus dem ursprünglich vorgesehenen, flexibel und offen gedachten Einheitssystem Bau u.a. die aufgrund von Sparmaßnahmen zunächst eher starre und die Architekten in ihren Handlungsmöglichkeiten stark einschränkende WBS 70 geworden. Eisentraut sprach in diesem Zusammenhang auch von der „Elementemisere“49: „Es wurden nicht Bausysteme als Gegenstand der Entwicklung in den Kombinaten und der Bauakademie betrachtet, sondern es waren die Erzeugnisse [Hervorhebungen T.Z.].“50

Statt vom Kleinen zum Großen, also von der Typung des Einzelelements, aber seiner flexiblen Anwendbarkeit und Kombinierbarkeit zur Erstellung eines Ganzen, hatte man also das Projekt in seiner Gesamtheit getypt und den Einzelbaustein zu dessen starrem Bestandteil gemacht. Die von Eisentraut, aber auch von Werner Strassenmeier und anderen angedachte Bereitstellung eines flexibel automatisierten Bausystems sollte also ebenfalls dazu beitragen, den ursprünglichen Grundgedanken des Einheitssystems Bau wiederzubeleben und den Typenbau so erneut dem gestalterischen Zugriff der Architekten verfügbar zu machen. Ziel war es also, „einen Baukasten zu haben  nicht einen mit Bausteinen fertiger Projekte, sondern ei48 Ebd. 49 IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Zur Projektierung von Wohnbauten und gesellschaftlichen Einrichtungen in Berlin“, in: BdA – Zentrale Fachgruppe Wohn- und gesellschaftliche Bauten/HAB Weimar – Sektion Architektur/BA – Institut für Wohnungs- und Gesellschaftsbau (Hg.), Beiträge zum komplexen Wohnungsbau. Zur Gestaltung des komplexen Wohnungsbaus nach 1990, Seminar Gera, 22./23.10.1987, S. 61. 50 Ebd.

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nen Baukasten von Elementen, die vielfältig einsetzbar sind.“51 Auch hier zeigten Hohenschönhausen, Marzahn, Rostock und andere Projekte wieder, welche planerischen Ansätze die Architekten dabei genau vor Augen hatten und wie sich Architektur und Städtebau vor diesem Hintergrund zukünftig weiterentwickeln sollten.52 Letztlich war es natürlich kein Zufall, dass Eisentraut immer wieder den Montagebau als bedingungslose Grundlage und Voraussetzung allen Planens und Bauens hervorhob und mit seinen Entwurfskonzepten dezidiert vom industriellen Bauen ausging. Bewusst machte er vielmehr deutlich, dass er auf die allgemeinen baupolitischen Leitlinien einging und diese ernstnahm. Die Zustimmung zu individuelleren, unikalen Entwürfen sollte Baupolitik und Bauwirtschaft auf diese Weise leichter gemacht werden. Indem die Architekten betonten, ihre Entwürfe nach wie vor ausgehend von den jeweils zur Verfügung stehenden materiell-technischen Voraussetzungen zu entwickeln, konnte man so gleichzeitig den möglichen Vorwurf entkräften, aus bloßem individualistischem Interesse heraus und damit entgegen der für den Architektenberuf gültigen ideologischen Leitlinien zu handeln. Im Rahmen seines Geraer Vortrags verlieh Eisentraut dem sehr viel Nachdruck. So betonte er dort: „Uns [den Architekten, T.Z.] wird immer vorgeworfen, daß wir uns Denkmale bauen wollen. Weit davon entfernt! Wir wollen Denkmale bauen für die historische Leistung der Gesellschaft, die das Wohnungsbauprogramm erfüllt. Da muß Individualität sein, die nur über individuelle Wege der Projektierung zu schaffen ist.“53

Betont wurde also, dass die Voraussetzungen für individuelles Entwerfen durch die sozialistische Gesellschaft und das von ihr erreichte materiell-technische Niveau geschaffen worden waren. Vor diesem Hintergrund, so argumentierte man weiter,

51 Ebd. 52 Auch im Rahmen der 3. BdA-BuV-Sitzung vom 28.04.1988 sprach sich einer der anwesenden Architekten für das „offene Bausystem“ aus (SAPMO, DY 15/47 [BdA], Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 28.04.1988, Diskussionsbeitrag Dubke). Ähnliches galt für Werner Strassenmeier und seine 1988 erstellte Studie (vgl. hierzu IRS BdA 85III, Werner Strassenmeier, „Architekturentwicklung und Technologie. Einige Überlegungen“, nur für den Dienstgebrauch, in: HAB Weimar. Informationen des Weiterbildungsinstituts für Städtebau und Architektur 2/86). 53 IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Zur Projektierung von Wohnbauten und gesellschaftlichen Einrichtungen in Berlin“, in: BdA – Zentrale Fachgruppe Wohn- und gesellschaftliche Bauten/HAB Weimar – Sektion Architektur/BA – Institut für Wohnungs- und Gesellschaftsbau (Hg.), Beiträge zum komplexen Wohnungsbau. Zur Gestaltung des komplexen Wohnungsbaus nach 1990, Seminar Gera, 22./23.10.1987, S. 60.

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würden sie letztlich eher die gesellschaftlichen Verhältnisse als die angeblichen individualistischen Bestrebungen einzelner Architekten widerspiegeln. Zu einer entsprechenden technologischen Erneuerung sollte es jedoch letztlich ebenfalls nicht kommen. Gerade, wenn es um neue Versuche ging, sich strategisch bzw. pragmatisch an die Rahmenbedingungen der Baupolitik anzupassen, wurde für die Architektenschaft die Erstarrung der Strukturen im Laufe der 80er Jahre somit immer spürbarer. Über jene Ansätze hinaus, die in den 70er und frühen 80er Jahren mühsam erarbeitet worden waren und in lokalen Zusammenhängen etabliert werden konnten, gelang es kaum noch, neue Wege einzuschlagen. Gerade die ständigen Bemühungen, gestalterisches Arbeiten innerhalb des planwirtschaftlichen Systems abrechnungsfähig zu machen oder eine Weiterentwicklung der Bautechnologien anzustoßen, führten dies sehr deutlich vor Augen. Die Baupolitik, aber auch die Baukombinate selbst, hatten kaum Interesse an einer solchen Nachjustierung des wirtschaftlich-finanziellen und technologischen Koordinatensystems. Dieses war vielmehr zu Beginn der 70er Jahre endgültig festgelegt worden und sollte in gleicher Form auch weiterhin Maßstab allen Handelns sein. Trotz aller Bemühungen und Versuche gelang es den Fachleuten also nicht, Gestaltung und Entwurf im System des DDR-Bauwesens wirklich zu institutionalisieren und einen wesentlichen Aspekt der eigenen Arbeit an das alles beherrschende Paradigma der Ökonomie anzubinden, damit verbunden aber auch aufzuwerten und auf diese Weise den eigenen Bewegungs- und Handlungsspielraum zu erhöhen. Dass sich ab Mitte der 80er Jahre in gestalterischer Hinsicht nur noch wenig veränderte und weiterentwickelte, hing auf engste damit zusammen. III.1.4 Die Entfremdung von Fachleuten und Politik Die Fachleute und die gerontokratische Führung Ein weiterer Grund wäre in diesem Zusammenhang schließlich auch noch zu nennen. Denn neben neuen Ansätzen versuchten die Architekten in den 80er Jahren nach wie vor mit den alten, schon seit Jahren verfolgten Strategien, Einfluss auf die Entwicklung von Architektur und Städtebau sowie deren individuell-gestalterische Aufwertung zu nehmen. Ganz zentral war dabei schon seit den 50er Jahren und  wie oben gezeigt worden ist  in intensivierter Form nochmals seit den 70er Jahren die enge Zusammenarbeit mit der Partei sowie mit politisch-gesellschaftlichen Institutionen auf allen staatlichen Ebenen. Die Erwartungen, hier in noch größerem Umfang zu institutionalisierten und etablierten Formen des Miteinanders zu kommen, waren gerade in den frühen 80er Jahren und bedingt durch die in Kapitel II.2.2 geschilderten örtlichen Erfolge sehr hoch. Schaut man sich die Quellen dieser Zeit und hier vor allem erneut die Sitzungsprotokolle des BdA näher an, bekommt man sogar fast den Eindruck, dass sich die Strategie der Zusammenarbeit von politisch-

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staatlicher und fachlicher Ebene mehr und mehr zu einem Allgemeinplatz zu entwickeln begann  vielleicht schon dies ein erster Hinweis darauf, dass sich auch dieser Ansatz langsam, aber stetig auszehrte und ebenfalls zu erstarren begann. So betonte etwa Hubert Scholz, der damalige 1. Sekretär des BdA, zum Ende der 10. BdABuV-Sitzung vom 29./30.05.1980, dass die Zusammenarbeit des BdA mit den Bezirksleitungen der SED und den Parteileitungen in den Betrieben gestärkt werden müsse, um die Arbeit des Architektenbundes letztlich erfolgreicher und wirksamer zu gestalten.54 Und auch ein Jahr später, Ende Mai 1981, wurde erneut unterstrichen, dass sich die Integration des Architektenbundes in die Arbeit von Partei- und Regierungsstellen verbessern müsse. BdA-Präsident Wolfgang Urbanski wurde in diesem Zusammenhang sogar noch ein wenig konkreter und betonte nochmals, wie wichtig gerade der Kontakt zu den obersten Führungsetagen sei. Mit den verantwortlichen Genossen der Hauptstadt sollte es aus seiner Sicht eine sehr viel intensivere Aussprache geben  insbesondere, wenn es um die Mitverantwortung des BdA für Architektur und Städtebau Ostberlins, den Verfahrensweg bei der Auswahl und Berufung von Architekten und Architektenkollektiven sowie eine genauere Definition des Wertes der Planungs- und Vorbereitungsarbeit ging.55 Zwischen den Zeilen 54 „Grundlage für die erfolgreiche Arbeit des Bundes ist die Weiterentwicklung der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Bezirksleitungen der SED und mit den staatlichen Organen in den Territorien sowie mit den Partei- und Betriebsleitungen in den Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen“ (SAPMO, DY 15/38 [BdA], Protokoll 10. BdA-BuVSitzung, Referat Hubert Scholz „Erhöhung der Wirksamkeit der gesellschaftlichen Arbeit des Bundes der Architekten der DDR, in Auswertung des Erfahrungsaustauschs 1980“, S. 2). 55 „Wir sind [...] der Auffassung, daß es für die neuen vor uns stehenden Aufgaben notwendig wird, verstärkt bewährte Formen zu nutzen bzw. weiterzuentwickeln. Deshalb möchten wir in einer Aussprache mit verantwortlichen Genossen unserer Hauptstadt folgende Fragenkomplexe beraten, um die Effektivität unserer Zusammenarbeit zu erhöhen: 1. Zum Auftrag und der Mitverantwortung unseres Fachverbandes bei der Vorbereitung und Durchführung städtebaulich-architektonischer Maßnahmen, die für die Funktion und Gestaltung der Hauptstadt von besonderer Bedeutung sind. 2. Zum Verfahrensweg bei der Auswahl und Berufung von Architekten und -kollektiven speziell für städtische Bereiche und Einzelobjekte von hohem gesellschaftlichem Rang sowohl für den Wohnungsbau, den Gesellschaftsbau, den Verkehr und die Freiräume. [...] 6. Zum Einfluß einer ausreichenden Vorbereitungszeit und die Einbeziehung von Experten auf die Senkung der Baukosten, Verringerung der Bauzeit und einer wesentlichen Erhöhung der Qualität von Ensembles oder Einzelobjekten in ihrer Funktion und Aussagekraft“ (SAPMO, DY 15/39 [BdA], Protokoll 12. BdA-BuV-Sitzung, 28./29.05.1981, Referat Urbanski „Die Aufgaben des Bundes der Architekten der DDR nach dem X. Parteitag der SED“, S. 46f.).

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ließ sich in vielen Fällen jedoch auch herauslesen, dass die in offiziellen Verlautbarungen immer wieder beschworene Zusammenarbeit zwischen Partei und Architektenschaft keineswegs so flächendeckend umgesetzt war, wie man sich dies an der BdA-Spitze wünschte. Deutlich machte das gegen Ende derselben BuV-Sitzung etwa der Architekt Siegfried Wagner, wenn er sagte: „Es kommt nunmehr darauf an, diese Zusammenarbeit [mit dem Bezirksbaudirektor, dem Chefarchitekten und den Genossen der Bezirksleitung, T.Z.] zur Kontinuität werden zu lassen. Wir werden dabei recht ungeduldsam [sic!] bleiben“56. Immer offensichtlicher wurde damit schon bald, dass sich jene Formen der Zusammenarbeit, wie sie mancherorts erfolgreich etabliert werden konnten, nicht DDR-weit aufbauen und flächendeckend durchsetzen ließen. Mancherorts lösten sich im Laufe der 80er Jahre sogar über Jahre und Jahrzehnte gewachsene Netzwerke auf oder büßten an Zusammenhalt ein. Für diese Entwicklung gab es unterschiedlichste Gründe. Manche davon waren auch auf Seiten fachlicher Akteure zu suchen, wie weiter unten noch genauer dargestellt werden soll.57 Eine ganz wesentliche Rolle spielten jedoch auch die politischen Akteure und Kader. Denn wie in anderen Bereichen machte sich gerade in Fragen der Zusammenarbeit zwischen politischer und fachlicher Ebene jene Entwicklung besonders bemerkbar, die in den 80er Jahren insgesamt das Kadersystem der DDR bestimmte. Auch dabei kann ganz allgemein mit dem Begriff der ,Erstarrung operiert werden. Auf nahezu allen Ebenen waren so etwa gegen Ende der 80er Jahre noch dieselben Personen in denselben Ämtern tätig wie bereits zu Beginn der 70er Jahre.58 Auch in der politischen Führungsebene des Bauwesens war das besonders gut zu beobachten 59: Bauminister war nach wie vor der 1963 ernannte Wolfgang Junker, damals jung und im Rahmen seiner Möglichkeiten reformorientiert, inzwischen aber in den ideologischen Leitlinien und baupolitischen Rahmenbedingungen der Honecker-Jahre gefangen. So spielte auch das Ministerium selbst in den 80er Jahren eine nicht mehr wirklich proaktive Rolle. Ausgeführt wurde durch Junker und die unter seiner Führung tätigen Kader lediglich, was durch das Politbüro und das ZK der SED vorbereitet und beschlossen worden war. Aber auch an anderen Stellen der Leitungsebene war ähnliches zu beobachten. Leiter der Abteilung Bauwesen im ZK der SED war beispielsweise nach wie vor der etwa zeitgleich mit Wolfgang Junker ins Amt gekom56 Ebd., Diskussionsbeitrag Wagner, S. 70. 57 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel III.3.3. 58 Dass dies ein allgemeines Phänomen der 80er Jahre darstellte, betont u.a. Weber: „In das vom XI. Parteitag ,gewählte ZK … kamen größtenteils wieder die Personen, die ihm schon 1981 angehörten … Die Spitze der SED, ihr Politbüro, war eine überalterte Herrenriege (Vollmitglieder waren wieder nur Männer, der Älteste zählte knapp 80 Jahre, der Jüngste auch schon fast 50 Jahre)“ (Weber, S. 452f.). 59 Hierzu auch Betker, S. 114f.

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mene Gerhard Trölitzsch. In den Quellen ist ein sehr aussagekräftiges Ereignis überliefert, das plastisch deutlich machte, wofür auch Trölitzsch seit den 70er und vor allem 80er Jahren stand. Ende Mai 1986, also bereits in einer Zeit, als in der Sowjetunion die Begriffe ,Glasnost und ,Perestroika in aller Munde waren, berichtete der Erfurter Architekt Walter Nitsch über eine Fachreise nach Moskau. Dabei betonte er vor allem, wie sehr man sich auch dort  ähnlich wie in Ungarn und anderen Staaten des Ostblocks  für gestalterische Reformen zu öffnen begann. Darüber hinaus unterstrich Nitsch, dass man in der Sowjetunion  je nach Bauaufgabe  inzwischen auch wieder monolithisch baute und damit von der über Jahre als unumstößlich geltenden Leitlinie des industriellen und typisierten Bauens abzurücken begann.60 Vor diesem Hintergrund konnte in anderen Ostblockstaaten oftmals wieder sehr viel individueller geplant und gebaut werden. Resigniert fragte Nitsch denn auch, warum man sich in der DDR immer noch „mit Typenlösungen herumquält.“61 Die Antwort von Trölitzsch lautete lapidar, aber auch besserwisserisch, überheblich und unter Verkennung der im Planen und Bauen inzwischen unumgänglich gewordenen Weiterentwicklungen und Reformen: „Bloß, lieber Walter, wenn Du jetzt das Beispiel Sowjetunion anführst, Postmodernes usw.; ich muß hier einmal ganz offen sagen, wir dürfen manche Dinge, die wir in der Sowjetunion sehen, nicht übereilt, ich will einmal sagen, schon als Generallinie machen.“62

Es war beinahe wie eine Vorwegnahme des berühmten Ausspruches von Kurt Hager, der 1987 mit den Worten: „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“63 allen Bestrebungen eine Absage erteilte, an Moskau orientierte 60 „Ich beginne vielleicht einmal mit einem anderen Gedanken noch einmal, und zwar mit einem unlängst durchgeführten Besuch in der Sowjetunion. Ich bin mit 30 Mann unserer Bezirksgruppe in Moskau, Wilnjus [sic!] und in Leningrad gewesen, und zwar auf Grund unserer guten, schon jahrzehntelangen Beziehungen, freundschaftlichen Beziehungen zu dem Architektenverband Sowjetlitauens [...] Da ist es so, daß sich in der sowjetischen Architektur ganz deutlich die Öffnung zum Postmodernismus nicht nur in den Planungsprozessen zeigt, sondern auch in der gebauten Realität [...] Ich meine nicht, daß es erforderlich ist, alles in diese Richtung zu drängen, aber auf alle Fälle wird bei einem Besuch in der Sowjetunion deutlich, daß die Wohngebäude montiert sind, aber die gesellschaftlichen Zentren sind als große, komplexe, zusammenfassende Einheiten gemauert, und sie haben auf mich einen großartigen Eindruck gemacht“ (IRS BdA 5IIa, Protokoll 9. BdABuV-Sitzung, Berlin, 23.05.1986, Diskussionsbeitrag Nitsch, S. 50f.). 61 Ebd., S. 51. 62 Ebd., Diskussionsbeitrag Trölitzsch, S. 73. 63 Hierzu u.a. Weber, S. 455.

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Reformen auch in der DDR durchzuführen und damit die Halsstarrigkeit, Unbeweglichkeit und Reformunfähigkeit des Systems offenlegte. Doch nicht nur Junker und Trölitzsch sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Auch Günter Mittag saß Ende der 80er Jahre immer noch an den für das Bauwesen entscheidenden Hebeln der Macht. Gerade auf ihn, der nach wie vor Leiter der Abteilung Wirtschaft im ZK der SED war, war zurückzuführen, dass sich Architektur und Städtebau in den 80er Jahren nicht wesentlich über die in den späten 60er und frühen 70er Jahren etablierten Leitlinien hinausbewegten. Dass es trotz aller Versuche, die Entwurfstätigkeit in die planwirtschaftlichen Strukturen einzupassen oder die Technologien an die Bedürfnisse einer über die Katalogprojektierung hinausgehenden Planung anzugleichen, beim ,Diktat der Ökonomie blieb, war ganz wesentlich auf Mittag zurückzuführen. Er bestimmte die ökonomischen Leitlinien mit ihren starren Kennziffern, nach denen die Baukombinate vor Ort zu arbeiten hatten. Wie auch Junker und Trölitzsch war der ohnehin als halsstarrig geltende Mittag nicht zu Neuerungen und Reformen bereit64, die flexibel und einigermaßen offen auf sich wandelnde Anforderungen an Architektur und Städtebau reagierten.65

64 So verhinderte Mittag Ende der 80er Jahre, dass von der SPK erarbeitete wirtschaftspolitische Reformvorschläge von der Staats- und Parteiführung aufgegriffen wurden und Eingang in die politischen Leitlinien fanden: „In der Staatlichen Plankommission setzte sich die Erkenntnis durch, daß die Devisenausfälle ohne Konsumbeschränkungen nicht mehr auszugleichen waren. Im November 1987 war die Verschuldung gegenüber dem Westen auf 38,5 Milliarden Valutamark gestiegen. Trotzdem hoffte Honecker, sich weiter durchwursteln zu können. Im Mai 1988, als die DDR schon im Sturzflug war, machte Planungschef Schürer in einem 13-Seiten-Papier gegenüber Honecker Vorschläge, ,was wir ändern können : Rüstungsausgaben kürzen, Bauarbeiter aus Berlin zurück in die Republik beordern, Investitionen aus der Mikroelektronik umlenken. Das Schriftstück ließ Schürer dem Generalsekretär mit der Bitte um ein vertrauliches Gespräch zustellen. Doch zu der Aussprache kam es nicht, und fraglich ist, ob Honecker das Papier überhaupt gelesen hat. Der Parteichef reichte es an Mittag weiter, der seinerseits in einer 30seitigen Stellungnahme ,die Überlegungen des Genossen Schürer als unvereinbar mit den Beschlüssen des VIII. Parteitags von 1971 zurückwies. Mittags Elaborat brachte Honecker als Vorlage ins Politbüro ein, wo es ohne Umschweife bestätigt wurde“ (Norbert F. Pötzl, Erich Honecker. Eine deutsche Biographie, Stuttgart/München 2002, S. 248). 65 So heißt es etwa bei Bruno Flierl: „Unter ihrer [Junkers, Trölitzschs und Mittags, T.Z.] Leitung standen Stadtplaner und Architekten für die Dauer quasi einer Generation. In dieser Zeit entwickelte sich das Bauwesen als Zweig der Volkswirtschaft … zu einer der Totalität gesellschaftlicher Lebensprozesse weitgehend entfremdeten und nach zentralen Planvorgaben immer mehr sich selbstgenügenden Maschine heraus, in der Städtebau und Architektur zunehmend an eigenständiger Wesenheit verloren“ (Flierl [1998a], S. 54).

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Junker, Trölitzsch und Mittag standen somit im Bereich des Bauwesens für jene personelle Erstarrung, die in der gesamten Staats- und Parteiführung der 80er Jahre zu beobachten gewesen war. Der Satz, dass die DDR damals von einer Riege grauer alter Männer geführt wurde, fand in ihnen gewissermaßen ihren symbolischen Ausdruck. Wie in anderen Politikbereichen hatte man es auch im Bauwesen verabsäumt, rechtzeitig für eine personelle Erneuerung und eine Weitergabe der Entscheidungsgewalt an eine nachfolgende Kadergeneration zu sorgen. 66 Stattdessen war die Personalpolitik geleitet von der Verteidigung angestammter Pfründe und einmal eingenommener Positionen sowie der Angst davor, Macht und Entscheidungsgewalt an eine jüngere, die alten Ideen vielleicht hinterfragende Generation abzugeben. Eine programmatische Erneuerung wurde dadurch ebenso wenig möglich wie auch nur vorsichtige Reformen politisch-ideologischer Konzepte oder ihre Anpassung an sich verändernde individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse. Gerade in den Führungsetagen von Staat und Partei mangelte es im Laufe der 80er Jahre zunehmend an Problembewusstsein, geistiger Beweglichkeit und Offenheit oder einem weitergehenden Willen zur Erneuerung. Stattdessen war das Kadersystem geprägt von Überalterung und dem störrischen Festhalten am Alten, schon Bekannten und lange Erprobten. Ideologische Engstirnigkeit und Dogmatismus stellten denn bald auch die größten Hindernisse für eine problemorientierte und an Lösungsansätzen interessierte Architektenarbeit dar. Natürlich gab es auch anders gelagerte Fälle. Auf die zunehmend kritischen Positionen von BdA-Parteisekretär Alfred Hoffmann ist bereits mehrfach hingewiesen worden. Zu nennen wäre darüber hinaus auch ein eng in die Partei eingebundener, grundsätzlich loyaler Fachmann wie Bernd Grönwald. Grönwald zeigte mit seinem Engagement für die Architektursoziologie 67 oder eine Internationalisierung des DDR-Architekturdiskurses 68 auch über Systemgrenzen hinweg starkes Interesse an einer Erneuerung und Neuaufstellung der DDR-Baupolitik. Weitere Akteure wären in diesem Zusammenhang zu nennen und sind auch im Rahmen dieser Untersuchung immer wieder Gegenstand der Betrachtung. Trotzdem aber machten sich im Laufe der 80er Jahre die Differenzen zwischen den Fachleuten und Architekturfunktionären an der Basis und den baupolitischen Führungskadern auf umfassende Weise bemerkbar. Die Zusammenarbeit wurde 66 Hierzu Flierl weiter: „Fast drei Jahrzehnte – vom Beginn des ,umfassenden Aufbaus des Sozialismus in den frühen 60er Jahren bis zum Ende der Staatspartei 1989 – war diese Hierarchie [der Institutionen, T.Z.] sogar personell kontinuierlich abgesichert: durch Günter Mittag als Mitglied des Politbüros und Sekretär für Wirtschaft, durch Gerhard Trölitzsch als Leiter der Abteilung Bauwesen des ZK und durch Wolfgang Junker als Mitglied des ZK und Minister für Bauwesen“ (ebd.). 67 Hierzu Kapitel III.2.3. 68 Hierzu Kapitel III.2.2.

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immer schwerer, ganauso wie das Interesse aneinander immer weiter abnahm. So hatte bereits Werner Wachtel auf einer BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1984 angemerkt, dass der BdA zwar eine Weiterbildungsveranstaltung zum Thema „Innerstädtische Rekonstruktion“ organisiert hatte, dafür aber alleine eine große Zahl von Architekten, nicht aber die ebenfalls eingeladenen „Hörer aus den Bereichen des Auftraggebers, der Kombinatsleitungen, des Bezirksbauamts, der Bauausführung sowie der Vorfertigung“ gewonnen werden konnten. 69 Klar zum Ausdruck kam hier, dass engere Vernetzungen  obwohl von den Architekten in vielen Fällen gewünscht und angestrebt  immer schwieriger wurden. Auch deswegen wurde es für diejenigen Fachleute, die an Veränderungen interessiert waren, bald zu einem großen Problem, Ansprechpartner vor Ort oder innerhalb der Parteistrukturen zu finden. Damit verbunden erstarrten die so wichtigen persönlichen Netzwerke genauso wie die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen oder die thematische Ausrichtung von Architektur und Städtebau. Darüber hinaus lösten sich bestehende Netzwerke mitunter sogar auf. Die von Werner Wachtel geschilderten Schwierigkeiten in Halle, wo es über Jahre hinweg eine relativ enge und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Parteikadern und Fachleuten gegeben hatte, machten das exemplarisch deutlich.70 Mehr und mehr wurden jene Architekten, die Architektur und Städtebau verändern wollten, deswegen auf sich selbst zurückgeworfen, wurde aber auch der innere Zusammenhalt der Fachleute untereinander, etwa in den sich langsam bildenden Reformzirkeln des BdA, sowie deren Wille zur Erneuerung gestärkt. Die zunehmende politische Ausgrenzung der Architekten Ein weiterer Grund, der eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen politischer und fachlicher Ebene immer häufiger erschwerte, wäre schließlich auch noch zu nennen. Für Architekten und Städtebauer wurde es nämlich zunehmend schwieriger, überhaupt in die Partei einzutreten  ein Schritt, der durchweg hilfreich, in vielen Fällen aber auch essentiell war. In den ersten Jahren der DDR und bis weit in die 60er Jahre hinein war der Parteieintritt für Architekten noch sehr viel leichter gewesen, wie 69 „Im Berichtszeitraum haben 1100 Mitglieder unseres Bundes an Weiterbildungsseminaren der Bezirksgruppen des BdA der DDR teilgenommen. Mit der Organisation und Durchführung der Weiterbildung der Architekten führt die Bezirksgruppe Halle seit Jahren eine kontinuierliche, gute Arbeit durch. Der Zyklus war dem Komplexthema ‚Innerstädtische Rekonstruktion‘ gewidmet. Wie immer sind die Veranstaltungen mit Teilnehmerzahlen zwischen 72 und 94 sehr gut besucht [...] Es ist jedoch nicht gelungen, Hörer aus den Bereichen des Auftraggebers, der Kombinatsleitungen, des Bezirksbauamts, der Bauausführung sowie der Vorfertigung zu gewinnen“ (SAPMO, DY 15/43 [BdA], Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, Berlin, 18.05.1984, Bericht Wachtel, S. 8). 70 Vgl. hierzu ebd.

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Alfred Hoffmann im Rahmen einer BdA-Parteigruppensitzung vom 25. April 1974 deutlich machte: „Ich will so sagen: Uns hat man es nicht schwer gemacht, Mitglied der Partei zu werden.“71 Nun, im Laufe der 70er Jahre, änderte sich dies jedoch sukzessive. Dahinter standen letztlich ideologische Gründe. Architekten waren keine Arbeiter, sondern gehörten der so genannten Intelligenz an. Schon immer hatte man sie deswegen ideologisch beargwöhnt, nun aber verstärkte sich diese Sicht der Dinge nochmals. Denn Honeckers Machtantritt führte gleichzeitig auch zu einer Re-Ideologisierung, wie bereits in Kapitel II.1.1 dargestellt worden ist. Es war eine ganze Reihe von auf den ersten Blick weniger auffälligen Entwicklungen, die dies deutlich machten und die im Rahmen der oben genannten Parteigruppensitzung auch Erwähnung fanden. So war, wie Alfred Hoffmann beklagte, schon seit einiger Zeit zu beobachten, dass die SED-Kreisleitungen dem Wunsch zahlreicher Architekten, in die Partei aufgenommen zu werden, kaum Beachtung schenkten.72 Aber auch das Ausbildungssystem war entsprechend verändert worden. So erinnerte Genosse Frank im Rahmen der Parteigruppensitzung daran, dass früher über den Weg, „Abitur mit Berufsausbildung [...] noch eine ganze Reihe [von Architekten, T.Z.] in die Partei gekommen [sind], bevor sie zur Hochschule kamen.“73 Genau dieser Weg aber sei durch die neue Ausbildung nun verbaut.74 Auch deswegen wuchsen also die Schwierigkeiten der Architekten, innerhalb der Parteistrukturen Fuß zu fassen. Für dieses Problem Lösungsansätze zu finden, hatte sich die Parteigruppe mit ihrer Leipziger Sitzung zur Aufgabe gemacht. Das entsprechende Protokoll ließ jedoch erkennen, dass man in dieser Frage nicht wesentlich weiterkam. Am Ende stand einzig und allein der Vorschlag, sich in dieser Sache an den 1. Sekretär des BdA, Hubert Scholz, zu wenden. Was die Akteure, also die Architekten und Städtebauer selbst angeht, hätte das Problem damals eine noch nicht so wichtige Rolle spielen müssen. So gab es – wie auch Alfred Hoffmann betonte – nach wie vor noch genug Anwärter auf eine Parteimitgliedschaft: „Wir haben durchaus einen guten Kern junger Kollegen, die alle Voraussetzungen  auch ideologisch  mitbringen, Mitglied der Partei zu werden, und die das auch tun würden.“ 75 Und auch ein fachlicher Vertreter der Kombinatsebene unterstrich, dass Anträge durchaus vorlägen, schilderte damit aber auch, wie paradox die Situation inzwischen war: „Uns ist es beispielsweise in den 71 SAPMO, DY 15/34 (BdA), Protokoll BdA-Parteigruppensitzung 25.04.1974, Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 19. 72 „[W]ir bekommen keine Fragebogen von der Kreisleitung“ (ebd., S. 18). 73 Ebd., Diskussionsbeitrag Frank, S. 21. 74 „Dieser Weg ist durch die neue Ausbildung nicht mehr möglich, so daß nur noch einige wenige mit Abitur-Abschluß bereits in der Partei sind, wenn sie zur Hochschule kommen“ (Ebd.). 75 Ebd., Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 18.

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letzten vier Jahren nicht gelungen, einen einzigen [Antragsteller, T.Z.] durchzubringen, obgleich die Anträge vorlagen, auch die ursprünglichen Abstimmungen gelaufen waren.“ 76 Und in einem anderen Redebeitrag hieß es: „Ich komme von der TU [Dresden, T.Z.]. Obwohl wir jährlich rund 25 Architekten und 20 Landwirtschaftsarchitekten [sic!] entlassen, ist es kaum möglich, während der Studienjahre mehr als einen oder zwei in die Partei aufzunehmen. Wer nicht schon als Parteimitglied von der Schule zu uns kommt, kann kaum noch aufgenommen werden. Auf diese Weise können wir nur sehr wenige Genossen als Absolventen, Diplomingenieure usw. herauslassen.“77

Sehr deutlich wurde hier also, wie sehr sich die Partei aus ideologischen Gründen selbst im Weg stand und Verantwortung trug für eine aus Hoffmanns Sicht immer schwieriger werdende Situation. So konstatierte auch er: „Wenn man es jetzt guten jungen Kollegen schwer macht, dann kann es sein, daß sich die positive Situation, was den Parteianteil unter den Architekten angeht, in einigen Jahren verändert.“78 Der Verlauf der Parteigruppensitzung war dabei Abbild der verfahrenen Situation. So kam sehr deutlich zum Ausdruck, dass das laut BdA angeblich so gut funktionierende Miteinander von Fachleuten und Parteifunktionären letztlich eben auch sehr stark von lokalen Gegebenheiten, örtlichen Strukturen und den Akteuren selbst abhängig war. Denn die Steine, die Architekten in den Weg gelegt wurden, wenn sie in die Partei eintreten wollten, waren letztendlich Ausdruck eines nach wie vor gespannten Verhältnisses zwischen Politik und Architektenschaft. Die Architekten fanden sich dementsprechend schon bald erneut in jenem Rückzugsgefecht wieder, das man schon seit Jahrzehnten führte und das im Laufe der 70er Jahre eine noch stärkere Anpassung an die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen zur Folge gehabt hatte  wenn auch mitunter mit dem Ziel, die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern und so Aufgaben, denen man sich als Architekten verpflichtet fühlte, weiterhin gerecht werden zu können. So wies Hubert Scholz auf einen inzwischen immer wieder praktizierten Ansatz hin, der einen Parteieintritt ermöglichen sollte, zugleich aber auch gleichbedeutend mit einer weitreichenden beruflichen Selbstverleugnung war: „Es sind uns Fälle bekannt geworden, wo in einigen Bezirken speziell für die Architekten in den Kombinaten Möglichkeiten geschaffen worden sind, sie den Produktionsarbeitern gleichzustellen, die produktiv tätigen Architekten als Produktionsarbeiter mit aufzunehmen und sie genauso mit Aufnahmeanträgen zu versorgen.“79 76 Ebd., Diskussionsbeitrag Frank, S. 21. 77 Ebd., Diskussionsbeitrag Emmerich, S. 21. 78 Ebd., Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 19. 79 Ebd., Diskussionsbeitrag Scholz, S. 20.

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Scholz gab hier vielleicht eines der besten Beispiele, wie sehr das von vielen Architekten schon seit den frühen 50er Jahren bewusst kolportierte Bild des ,arbeiterlichen Architekten80 die DDR prägte (Abb. 15-16). In dem Maße, wie sich die DDR institutionell und ideologisch konsolidierte, verfestigten sich letzltlich auch entsprechende fachliche Selbstbilder sowie die damit einhergehenden Strukturen und Verhaltensweisen. Noch stärker inszenierte man sich seit den 70er Jahren denn auch als Teil der Arbeiterschaft. Restbestände des individuellen Künstlerarchitekten, wie es sie in den ersten Jahren vielleicht noch gegeben hatte, gehörten nun fast ausnahmslos der Vergangenheit an. Die Strategie, Parteimitglied zu werden, indem man sich als Produktionsarbeiter einstufen ließ, illustrierte das sehr deutlich und wirkte gleichzeitig sehr intensiv auf das eigene berufliche Selbstverständnis zurück. Doch immer deutlicher zeigte sich seit den 70er Jahren auch, dass viele Architekten einen Parteieintritt bewusst ablehnten. Diese Entwicklung war DDR-weit und in allen Teilen der Gesellschaft zu beobachten. So ließ zunächst langsam, später und vor allem ab den 80er Jahren dann sogar rapide, die Bereitschaft nach, sich innerhalb der Institutionen von Partei und Staat  also etwa auch innerhalb der Massenorganisationen  zu engagieren.81 Die Beobachtungen, die Alfred Hoffmann im Rahmen der Parteigruppensitzung anstellte, waren erste Anzeichen dafür: „Wir brauchen unbedingt mehr junge Kräfte [...] Was die Jugend angeht: Wir können hier und da beobachten, daß viele junge, gut ausgebildete, talentierte Architekten, die von den Hochschulen kommen, es sich mit der gesellschaftlichen Arbeit sehr schwer machen. Sie finden schwer einen Platz in der FDJ, sie finden schwer einen Weg zur Partei, und mit der Kampfgruppe steht es noch kritischer, obwohl sie alle Voraussetzungen dazu hätten – von der Herkunft, vom Intellekt, von der Ausbildung her ist alles da.“82

Grundsätzlich aber konnte oder wollte damals noch nicht gesehen werden, dass und aus welchen Gründen die Unterstützung für Staat und Partei nachließ. Unter Intellektuellen und auch unter Architekten83 spielte dabei der zunehmende Verlust von Utopien und Visionen eine wesentliche Rolle, der eine unmittelbare Folge und Begleiterscheinung der Konsolidierung und Verfestigung politischer Konzepte war. Vieles spricht dafür, dass die immer schon ersichtlichen Mängel und 80 Hierzu u.a. Barth (2001), S. 23f., Betker, S. 358 sowie zur „Verarbeiterlichung“ der Intelligenz Engler, S. 173-208. 81 Hierzu ausführlich zudem Kapitel III.3.3. 82 SAPMO, DY 15/34 (BdA), Protokoll BdA-Parteigruppensitzung 25.04.1974, Diskussionsbeitrag Scholz, S. 14. 83 Hier spielte auch die in Kapitel III.2 noch ausführlich in den Blick zu nehmende Abkopplung des Fachdiskurses vom Bauen selbst eine wichtige Rolle.

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Fehler innerhalb des politischen Systems in den 50er und 60er Jahren noch durch die Hoffnung auf Wandel und Reform hin zu einem neuartigen Gesellschaftsmodell ausgeglichen werden konnten. Eine wichtige Motivation zum Mitmachen dürfte deswegen für viele die angesichts der politisch-gesellschaftlichen Realitäten mitunter sicher auch naive Überzeugung gewesen sein, dass sich die DDR tatsächlich zu einer lebenswerten Alternative zu kapitalistischen Gesellschaften entwickeln könnte. Spätestens mit der Verfestigung strukturkonservativer Leitlinien seit den 70er Jahren musste diese Hoffnung allerdings verblassen. Politik und insbesondere leitende Politfunktionäre wirkten nun vielfach selbstgenügsam, während die Reformund Innovationsfähigkeit des Systems verstärkt in Frage zu stellen war. Der auch von politischer Seite als solcher vorgesehene Ausgleich dazu stellte die bereits erwähnte zunehmende Individualisierung dar. Das persönliche Glück des Einzelnen schob sich so mit staatlichem Plazet immer stärker vor politische Projekte von gesamtgesellschaftlichem Zuschnitt. Dieser Rückzug ins Private hatte jedoch genauso einen verstärkten Rückzug aus dem politischen Leben zur Folge.84 Weitere Aspekte kamen hinzu. Mehr und mehr begann sich bei vielen der Eindruck zu verfestigen, das die beginnende politische Erstarrung mit einer personellen Erstarrung korrespondierte. Die entscheidenden, mit Handlungsvollmacht ausgestatteten Akteure bewegten sich auch in Architektur und Städtebau mehr und mehr innerhalb nach außen abgeschotteter Netzwerke  egal, ob es sich um Angehörige der Aufbruchsgeneration oder aber bald auch um Vertreter der 45er-Generation handelte.85 Diese Netzwerke  so wurde auch nach außen sichtbar  wurden zur 84 Zum letztgenannten Aspekt ausführlicher auch Kapitel III.3.3. 85 Verwiesen sei hier insbesondere auf die Baudirektion Berlin und die in ihrem Umfeld tätigen Architekten. Dazu Urban: „Seit 1973 gab es in der DDR eine Institution, die sämtliche prestigereichen Bauprojekte übersah: die Abteilung Sondervorhaben, später umbenannt in Generalbaudirektion des Ministeriums für Bauwesen. Sie wurde für den Bau des Palastes der Republik eingerichtet, unterstand direkt dem Ministerium für Bauwesen und wurde bis zum Ende der DDR von Ehrhardt Gißke geleitet. Praktisch hatte Gißke in vielen Bereichen konkreteren Einfluss als sein Vorgesetzter Wolfgang Junker. In den 16 Jahren seiner Tätigkeit leitete er weit über hundert Bauprojekte, einschließlich der Friedrichstraße, dem Platz der Akademie und dem Nikolaiviertel. Hier bestimmte Gißke sowohl die Auswahl der Designer – Manfred Prasser, der Architekt zahlreicher Gebäude am Platz der Akademie, kam durch Gißke zu seinem Posten – als auch einzelne Entwurfsentscheidungen. Mit Gerhard Trölitzsch war er freundschaftlich verbunden, sein Draht zum Politbüro war gut. Als talentierter Stratege konnte sich Gißke oft auch in solchen Fällen durchsetzen, in denen er nicht auf die Unterstützung seines Vorgesetzten Wolfgang Junker hoffen konnte. Obwohl sein Büro beinahe ebenso viele moderne wie neo-historische Bauprojekte leitete, war Gißke dennoch eine entscheidende Kraft in der Ausgestaltung des Ost-Berliner Stadtzentrums mit historisierenden Prestigeprojekten“ (Urban, S. 229).

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Grundlage für Karrierewege, dienten der gegenseitigen Förderung, machten es nachrückenden Fachleute jedoch zugleich umso schwerer, Eingang zu finden und sich innerhalb dieser Mikrosysteme zu etablieren. Es war diese Entwicklung, die sich bald auch im konkreten Bauen der 70er und 80er Jahre widerspiegelte: Keines der öffentlichkeitswirksamen Bauprojekte, das über lokale Grenzen oder auch die DDR hinaus wahrgenommen wurde, wurde noch von einem bis dahin unbekannten, außerhalb der genannten Netzwerke stehenden Architekten geplant. Dies war umso erstaunlicher, als in personeller Hinsicht  wie bereits beschrieben  eine verstärkte Regionalisierung festzustellen war und der institutionelle Kontext von Stadtbauämtern oder einzelnen Kombinaten wichtiger wurde. Paradoxerweise und u.a. wegen der sich zunehmend abschottenden Akteursnetzwerke hatte dies aber nicht zur Folge, dass  gerade bei prestigeträchtigeren Bauprojekten  neue Architekten zum Zuge gekommen wären. Es war diese auch personelle Erstarrung, die seit den frühen 70er Jahren nach und nach zu spüren war und gerade auf jüngere Nachwuchskräfte ihre desillusionierende und demotivierende Wirkung zu entfalten begann. Gezweifelt wurde denn auch bald an der Flexibilität und Innovationsbereitschaft der Akteure selbst  parallel und vergleichbar zum langsam wachsenden Misstrauen, das viele den institutionellen Strukturen entgegenbrachten. Dieser Aspekt soll innerhalb des letzten Kapitels nochmals genauer und detaillierter beleuchtet werden, da er für den Architektenberuf der 80er Jahre und die jüngste Architektengeneration eine sehr wichtige und zentrale Rolle spielte. An dieser Stelle soll der Hinweis darauf genügen, dass er sich letztlich bereits seit den 70er Jahren bemerkbar machte. Die Parteigruppensitzung des Jahres 1974 war denn auch nicht nur ein Signal dafür, dass die so beworbenen und als Ideal dargestellten Strukturen einer engen Zusammenarbeit zwischen Partei und Fachleuten nicht selten an der Partei und ihren ideologischen Grundfesten selbst scheiterten. Seismographisch begannen damals die Parteifunktionäre des BdA zudem eine Entwicklung wahrzunehmen, die einige Jahre später zu einem zentralen Thema werden sollte: die wachsende Entfremdung gerade der letzten Architektengeneration, die Mitte der 70er Jahre als solche vielleicht nicht wahrgenommen, durch die Funktionäre aber möglicherweise auch bewusst ausgeblendet wurde.

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III.2 B AUPOLITIK UND F ACHDISKURS : AUSEINANDERDRIFTEN STATT I NEINANDERGREIFEN III.2.1 Einführung Wie bereits kurz angedeutet, führte die allgemeine Erstarrung der Baupolitik im Laufe der 80er Jahre auch zu immer größeren Schwierigkeiten, sich in der Architektenarbeit mit neuen Themenfeldern auseinanderzusetzen. Fachliche Inhalte, die den Architektur- und Städtebaudiskurs vorangebracht und erneuert hätten, wurden von den Fachleuten zwar auf die Tagesordnung gesetzt, bildeten sich im konkreten Bauen jedoch kaum noch ab. Ein Blick auf diese Diskurse gehört deswegen essentiell dazu, wenn es darum geht, das Handeln der Architektenschaft zu charakterisieren, sich zugleich aber auch ein genaueres Bild von Architektur und Städtebau der DDR in den 80er Jahren zu machen. Die Gründe dafür, dass thematische Erneuerung ausblieb, waren dabei erneut vor allem in der Baupolitik zu suchen. Sehr deutlich vor Augen führten das etwa die 1982 vom Ministerrat und vom Politbüro beschlossenen „Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der DDR“86. Sie waren gedacht als Ergänzung und Erweiterung der nach wie vor gültigen, für den Bereich des Planens und Bauens immer noch grundlegenden Dokumente, die Partei und Regierung in den vorangegangenen Jahrzehnten verabschiedet hatten. Dazu gehörten etwa die 16 Grundsätze des Städtebaus oder die 1960 beschlossenen Grundsätze der Planung und Gestaltung sozialistischer Stadtzentren.87 Die nun erlassenen und für allgemein verbindlich erklärten Leitlinien machten dabei vor allem deutlich, dass diese frühen Dokumente nur marginal verändert und erweitert werden würden. Rückblickend kam Bruno Flierl denn auch zu dem Schluss:

86 Hierzu u.a. Flierl (1998a), S. 59f. Flierl bezieht sich dabei auf die „Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der DDR“, Beschluss des Politbüros des ZK der SED und des Ministerrats der DDR, in: ND, 29./30.05.1982, S. 9f. 87 Diese und „drei weitere [1965, 1968 und 1971 veröffentlichte, T.Z.] Dokumente mit Grundsätzen zur Gestaltung und Umgestaltung der Stadt beim ,umfassenden Aufbau des Sozialismus “ nennt Flierl (ebd., hier S. 59). Dabei bezieht er sich auf die „Grundsätze der Planung und Umgestaltung der Städte in der DDR in der Periode des umfassenden Aufbaus des Sozialismus“, hg. von der DBA, in: DA 1/1965, S. 7ff.; das Dokument „Städtebau und Architektur bei der Gestaltung des entwickelten Systems des Sozialismus in der DDR. Thesen, Arbeitsmaterial“, hg. von der DBA, Berlin 1968, sowie das Dokument „Entwicklung des sozialistischen Städtebaus und der sozialistischen Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik. Arbeitsmaterial“, hg. von der DBA und dem BdA, Berlin 1971 (ebd., hier S. 73f.).

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„Diese Grundsätze [von 1982, T.Z.] waren  verglichen mit den ,Grundsätzen des Städtebaus von 1950



völlig unter dem Niveau, das die eingetretene Lage erfordert hätte: alle realen

Entwicklungswidersprüche zwischen Leben und Bauen, Wohnungsbau und Städtebau wie auch mögliche Varianten zu ihrer Lösung waren durch Wunschvorstellungen wegretuschiert.“88

Als etwa nach dem Erlass der neuen Grundsätze die Hochschulen dazu Stellung nehmen sollten, inwiefern diese in der Ausbildung Berücksichtigung finden würden, zeigte schon die sofortige Antwort sehr deutlich, dass inhaltlich kaum etwas zu erarbeiten war.89 Noch Mitte der 80er Jahre und inmitten eines ostblockweit immer stärker werdenden, sich auch im Bereich von Architektur und Städtebau niederschlagenden Reformdiskurses 90 wurde das im Rahmen einer Ausschreibung des MfHuF nochmals deutlich. Eine Studentenkonferenz zum so wichtigen Thema der Stadterneuerung und Stadtrekonstruktion sollte beispielsweise unter dem Titel „Industrialisierung der Rekonstruktion und Erneuerung der Bausubstanz“91 abgehalten werden. Im Ausschreibungstext hieß es dabei klar und deutlich, vor allem aber völlig unverändert zu den Vorjahren, dass die Probleme der Rekonstruktion und Erneuerung alter Bausubstanz ausschließlich auf industrielle Weise gelöst werden sollten. Schon hier zeigte sich, dass es der Baupolitik sowohl an Bereitschaft wie auch an Phantasie mangelte, bestehenden und nach wie vor ungelösten Problemen mit anderen als den inzwischen vertrauten und etablierten Mitteln zu begegnen. Richtet man den Blick jedoch erneut stärker auf die Akteure, also die Architekten selbst, so wird sehr bald deutlich, dass der baupolitisch bedingten thematischen Erstarrung der Praxis von Anfang an ein durchaus differenzierter und im Laufe der Jahre kontinuierlich vielfältiger werdender theoretischer Fachdiskurs gegenüber-

88 Ebd., S. 60. 89 Hatte es in den vorangegangenen Jahrzehnten in der Regel lange gedauert, neue Leitlinien intensiv in die Lehrpläne einzuarbeiten, so meldete etwa der Rektor der HAB Weimar bereits im November 1982 an das MfHuF, dass die ,Grundsätze schon in allen Ausbildungsbereichen Berücksichtigung gefunden hätten (vgl. hierzu BArch, DR 3/2.Schicht/832 [MfHuF], HAB Weimar, Rektor Fuchs, an Ministerrat der DDR/MfHuF, Stellvertreter des Ministers Groschupf, 11.11.1982). 90 Hierzu u.a. Kultermann. 91 BArch, DR 3/2. Schicht/828 (MfHuF), Ausschreibung zur Zentralen wissenschaftlichen Studentenkonferenz „Industrialisierung der Rekonstruktion und Erneuerung der Bausubstanz“, 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ, Minister für Bauwesen, Minister für Hochund Fachschulwesen, o.D., auf Grund anderer im Aktenkonvolut befindlicher Dokumente vermutlich 1985.

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stand.92 Ihn genauer zu betrachten ist gerade im Rahmen der vorliegenden Arbeit und vor dem Hintergrund ihrer Frage nach der Rolle und dem Handeln der Fachleute besonders wichtig. Schaut man nämlich nur auf die in den 80er Jahren tatsächlich ausgeführten Bauprojekte, so liegt der Schluss nahe, dass jene Ausdifferenzierungen und Weiterentwicklungen des Architektur- und Städtebaudiskurses, wie sie damals in anderen Ostblockstaaten und im Westen zu beobachten waren, relativ spurlos an der DDR vorübergegangen sind. Ausgehend von einer Beschäftigung mit den Akteuren entsteht jedoch ein sehr viel differenzierteres Bild. Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass von Architektenseite eine ganze Reihe neuer Themen auf die Tagesordnung gesetzt und inhaltlich fundiert diskutiert worden sind. Das Berufsbild des Architekten in der DDR bekommt dadurch eine bislang kaum beachtete, gänzlich neue Facette. Demnach versuchte man, der Verpflichtung dem eigenen Gegenstand, also Architektur und Städtebau, aber auch der Gesellschaft als Nutzer der Bauwerke und städtebaulichen Ensembles gegenüber zumindest auf diskursiver Ebene immer wieder nachzukommen. Im Folgenden soll deswegen genauer nachvollzogen und dargestellt werden, welche Themen von Teilen der Architektenschaft aufgegriffen wurden und auf welche Weise und in welchen Zusammenhängen dies geschah. Dabei wird sich zeigen, dass sich die Fachleute mit einem wesentlich breiteren Themenspektrum beschäftigten, als man auf den ersten Blick meinen könnte. III.2.2 Abschottung versus Internationalisierung Eine ganz wesentliche und auch für die thematischen Interessen der DDRArchitekten zentrale Rolle spielten die Bemühungen der Fachleute, ihr eigenes Um-

92 Das zunehmende Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis ließ sich in den 80er Jahren in unterschiedlichsten Zusammenhängen beobachten. So zitiert Wolfgang Engler eine mit der Situation im Bereich der Architektenarbeit vergleichbare Äußerung der Germanistin Ursula Heukenkamp: „Bis dahin [bis in die 80er Jahre, T.Z.] herrschte in meiner Perspektive das bekannte einlinige marxistische Denken vor. Mit großem Vergnügen habe ich erlebt, daß die Germanistik inzwischen zur Kontroverse übergegangen war. Es war ein richtiger Aufbruch: Ich wurde mit neuen Methoden und Theorien bekannt, mit neuen Bildern und Vorstellungen vom Menschen, mit der Erkenntnispsychologie, mit dem neuen Materialismus von Humberto Maturana, mit der westlichen Rezeptionsästhetik – es war ein regelrechter Weltbildwandel auf der wissenschaftlichen Ebene. Die Spielräume waren in den 80er Jahren auf geistig-theoretischem Gebiet sehr weit geworden – solange es nicht praktisch-politisch werden sollte, solange keine Verbindungen zu oppositionellen Kreisen vorhanden waren“ (Engler, S. 164, unter Bezugnahme auf Guntolf Herzberg/Klaus Meiser, Karrieremuster. Wissenschaftlerporträts, Berlin 1992).

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feld und den Horizont ihrer Arbeit sukzessive zu internationalisieren.93 Dabei führte man auf der einen Seite die schon seit Jahrzehnten gebräuchlichen Formen fort, sich mit internationalen Diskursen auseinanderzusetzen und diese auf oftmals durchaus eigenständige Weise aufzugreifen. Wie gerade die DDR-Architektur selbst immer wieder deutlich macht, hatte der Blick in andere Staaten des Ostblocks, aber auch darüber hinaus stets eine große Rolle gespielt und nicht unerheblichen Einfluss auf die Arbeit der Architekten in der DDR genommen. Schon seit Staatsgründung hatten sich die Fachleute für Architektur und Städtebau anderer Länder interessiert  sei es gestalterisch oder mit Blick auf die Entwicklung neuer architektur- oder städtebautheoretischer Überlegungen. Es war dieses Interesse am internationalen Architekturdiskurs, mit dem die Fachleute auch in die 70er Jahre und damit in die Phase von Honeckers Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik hineingingen. Deutlich wurde das etwa im Rahmen einer BdA-Parteigruppensitzung vom Februar 1971. Schon damals betonte Hermann Henselmann in einem Redebeitrag, dass er die Architekten der Bundesrepublik nicht durchweg als Feinde betrachten würde.94 Gerade in den späten 70er und vor allem im Laufe der 80er Jahre nahmen die Bemühungen und Strategien, den DDR-internen Fachdiskurs zu internationalisieren, jedoch ganz andere und sehr viel weitgehendere Formen an. Hintergrund dafür wird letztlich auch eine politische Entwicklung gewesen sein. Infolge der Ostpolitik Willy Brandts und der zunehmenden internationalen Anerkennung der DDR nach dem Grundlagenvertrag und der Teilnahme am KSZE-Prozess wurden die Modalitäten des grenzüberschreitenden Personenverkehrs nach und nach zumindest ansatzweise gelockert.95 Niemals seit dem Mauerbau des Jahres 1961 war der Eiserne 93 Nach Betker spielte „der grenzüberschreitende fachliche Austausch und die Information über den internationalen Stand der Diskussion jenseits der Grenzen der DDR“ eine zentrale Rolle für „berufliche Bindungen und Identifikationen sowie die Herausbildung von informellen Strukturen und Netzwerken“ (Betker, S. 373f.). 94 „Es sind immerhin unter diesen Architekten [Westdeutschlands, T.Z.] eine ganze Menge einmal präsumtiver Bündnispartner. Es ist also nicht so, da sitzen die Feinde in Westdeutschland“ (SAPMO, DY 15/28 [BdA], Protokoll BdA-Parteigruppensitzung, Diskussionsbeitrag Hermann Henselmann, Berlin, 18.02.1971, S. 26). 95 „Die Vereinbarungen [im Zusammenhang mit der durch den Grundlagenvertrag möglich gewordenen Teilnahme der DDR an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa [KSZE], T.Z.] … erwiesen sich … für die DDR als besonderer Sprengsatz: der ,freie Austausch von Menschen, Informationen und Meinungen wurde darin vereinbart, Arbeitsmöglichkeiten für westliche Journalisten gestattet, sowie kulturelle Begegnungen versprochen. Das Ausmaß der Gefährdung, die davon für kommunistische Regime ausging, war nicht nur Breschnew kaum bewußt, sondern wohl auch Honecker nicht. Die mit der KSZE-Schlußakte beginnenden innenpolitischen Auswirkungen auf die DDR waren beträchtlich. Mehr und mehr Bürger forderten nun unter ausdrücklicher Berufung auf das

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Vorhang so durchlässig gewesen wie in den 70er und 80er Jahren, und niemals war es für die Fachleute der DDR so vergleichsweise leicht, mit Kollegen aus aller Welt zusammenzukommen96  auch und gerade auf dem Gebiet der DDR und trotz der ohne jeden Zweifel für viele immer noch unerträglichen Gesamtsituation.97 Doch auch der Ostblock selbst spielte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. So verwies etwa Werner Rietdorf im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1980 auf die „internationalen Erfahrungsaustausche der Fachverbände der sozialistischen Länder“98. Gerade dem BdA kam in diesem Zusammenhang erneut eine besonders zentrale Funktion zu. Hier gab es nicht nur einen regelmäßigen Kontakt zu den Gremien anderer Architektenverbände des Ostblocks, sondern auch eine ständig zunehmende Zahl grenzüberschreitender Erfahrungsaustausche und Weiterbildungsveranstaltungen. Der bereits erwähnte Besuch des Erfurter Stadtarchitekten Walter Nitsch in der Sowjetunion und seine dortige, von großem Interesse geprägte Auseinandersetzung mit einem stellenweise an der westlichen Postmoderne orientierten Planen und Bauen fand etwa 1986 im Rahmen eines solchen Austauschs statt.99 Die Beschäftigung mit der Architektur anderer Ostblockstaaten, aber auch der Kontakt mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen übte dabei letztlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Architektur- und Städtebauverständnis der DDR-Architekten aus. Denn vielerorts entstanden jenseits der DDR-Grenzen

Helsinki-Dokument die Einhaltung der Zusagen, und eine stetig wachsende Zahl stellte Anträge für die Ausreise in die Bundesrepublik. Letztlich haben die Beschlüsse von Helsinki auch die rigorose Abgrenzungspolitik der DDR-Führung ausgehöhlt, es mißlang, die Bürger gegenüber dem Westen zu immunisieren. Auch die Bundesrepublik kam durch die Verträge in ihrer Zielsetzung voran. Der Reiseverkehr aus der Bundesrepublik in die DDR verdreifachte sich von 1969 bis 1975; während 1969 nur wenige Westberliner in die DDR oder Ost-Berlin einreisen durften, waren es 1975 über 3,5 Millionen. Ebenso konnten 1975 außer den Rentnern 40 000 Bürger der DDR in dringenden Familienangelegenheiten in die Bundesrepublik fahren, die Familienzusammenführung stieg von 541 Personen im Jahr 1970 auf 5499 Personen im Jahr 1975“ (Weber, S. 396f.). 96 Anzumerken ist hier noch, dass dies auch zuvor bereits möglich sein konnte, sofern man als politisch zuverlässiger Kader galt. Auch in den 70er und 80er Jahren war es sehr viel leichter und wahrscheinlicher, in diesen Fällen eine Reiseerlaubnis zu erhalten. 97 Darüber hinaus änderten diese Erleichterungen natürlich nichts an der Tatsache, dass die Mauer und die mit ihr verbundenen Restriktionen, sich frei zu bewegen, eine nach wie vor bestehenbleibende Menschenrechtsverletzung darstellten und auf bedrückende Weise den Alltag bestimmten. 98 SAPMO, DY 15/38 (BdA), Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 29./30.05.1980, Diskussionsbeitrag Rietdorf, S. 49. 99 Vgl. hierzu Kapitel III.1.4.

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inzwischen Bauprojekte, die gestalterisch wesentlich ambitionierter waren als etwa das in vielen Fällen eher spröde neo-historistische Bauen in der DDR. So hatten die in anderen Ostblockstaaten gesammelten Erfahrungen schon bald wesentlichen Einfluss auf die Ausbildung an den Hochschulen.100 Die Beiträge Studierender zu den Leistungsvergleichen der 80er Jahre führten das sehr deutlich vor Augen, nicht zuletzt, weil hier auch Austauschstudenten aus anderen Ostblockländern teilnahmen. Ein Beispiel stellte in diesem Zusammenhang der 14. Leistungsvergleich dar. Eingereicht wurde hier u.a. die Arbeit eines ungarischen Architekturstudenten, die nicht nur gestalterisch, sondern auch in thematischer Hinsicht ungewöhnlich war. So beschäftigte sie sich etwa mit Fragen des energiefreundlichen und ökologischen Bauens, aber auch mit zeitgemäßen Varianten einer ortsgebundenen, trotzdem aber modernen Architektursprache (Abb. 14).101 Der Kontakt zu Kollegen innerhalb des Ostblocks und die Auseinandersetzung mit den dortigen Fachdiskursen trug so ganz erheblich dazu bei, auch die internen Fachdebatten der DDRArchitekten um neue Themen und eine zeitgemäße Sicht auf die Aufgaben von Architektur und Städtebau zu bereichern. Bald jedoch wurde es auch möglich, schon bestehende Kontakte in westliche Länder stärker zu pflegen oder aber den Austausch dorthin zu intensivieren. Auch hier spielten die Hochschulen eine wichtige Rolle. Die von Joachim Bach im Auftrag des BdA 1984 erarbeitete „Konzeption für die Gestaltung der Hochschulausbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur“ betonte beispielsweise sehr deutlich, dass die Weiterbildung der Architekten zukünftig stärker internationalisiert und dabei dezidiert auch das ,nicht-

100 Auch darauf wies Walter Nitsch im Rahmen seines Diskussionsbeitrags hin: „Ich muß also sagen, wenn ich an der Hochschule bin und sehe, was dort auf den Brettern ist, dann zeichnen sie postmodernistische Sachen bis in das Diplom und bekommen dafür gute Noten“ (IRS BdA 5IIa, Protokoll 9. BdA-BuV-Sitzung, Diskussionsbeitrag Nitsch, Berlin, 23.05.1986, S. 50f.). 101 Dipl.-Ing. Laszlo Novotny, Planen mit dem Ort – Pecsvárad (Ungarn), Mentoren: Prof. Dr. Kurt Lembcke, Dozent Dr. Dieter Salzmann, Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, Sektion Architektur, veröffentlicht in: Kuntzsch, S. 37. Zu diesem Entwurf hieß es in der AdDDR u.a.: „Das Ortsgestaltungskonzept … richtet sich gegen die unsachgemäße Bautätigkeit auch in diesen Gebieten [in ungarischen Dörfern, T.Z.] … der Autor … läßt Spielräume des Mitgestaltens für Familie und Individuum“ (ebd.). Verwiesen sei darüber hinaus auf eine weitere Arbeit von Dipl.-Ing. Dirk Müller und Dipl.-Ing. Ines Senftleben, Rekonstruktion der Altstadt von Homs/Syrien, Mentoren: Dr. Dipl.-Ing. Klaus Rasche und Dipl.-Arch. Bahjat Al Jandali, Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, Sektion Gebietsplanung und Städtebau (ebd.).

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sozialistische Ausland einbezogen werden sollte.102 Im selben Text wies Bach in diesem Zusammenhang zudem auf die Bedeutung der so genannten ,BauhausKolloquien hin.103 Sie waren 1976 an der HAB Weimar unter Federführung von Joachim Bach und Bernd Grönwald initiiert worden und hatten  verstärkt vor allem seit den 80er Jahren  immer wieder tagesaktuelle, in der DDR bislang kaum reflektierte Themen zur Sprache gebracht. Gerade deswegen werden sie auch in den nachfolgenden Abschnitten immer wieder Erwähnung finden, stellten sie doch einen zentralen und besonders wichtigen Kristallisationspunkt eines von der Baupolitik unabhängigeren Fachdiskurses dar. Geöffnet wurden die Bauhaus-Kolloquien zudem auch für Teilnehmer aus der Bundesrepublik und anderen nichtsozialistischen Staaten.104 Regelmäßig kamen auf diese Weise in Weimar Architekten der DDR mit internationalen Fachleuten zusammen und tauschten sich über aktuelle Strömungen in Architektur, Städtebau und Architekturtheorie, aber auch über die Entwicklung des Bauwesens in der DDR aus. Die Bauhaus-Kolloquien stellten für die DDR-Architekten dabei in vielerlei Hinsicht eine große Bereicherung dar. Sie kamen hier mit neuen Themen und Sichtweisen in Berührung und konnten die sich in der DDR und im Rahmen der eigenen Arbeit stellenden Probleme und Fragen in ganz neuen Zusammenhängen und unter ganz anderen Blickwinkeln diskutieren. Das, was durch das Vorhandensein westlicher Architekturzeitschriften und Bücher zumindest an einigen Institutionen des Bauwesens als theoretisches Wissen und Anschauungsmaterial vorhanden war105, wurde hier umso plastischer greifbar. In den Bauhaus-Kolloquien konnte man nachfragen und das Für und Wider unterschiedlicher Konzepte diskutieren. Hier entstanden grenzüberschreitende Kontakte, die die eigene Arbeit, aber auch das eigene berufliche Selbstverständnis sehr tiefgehend beeinflussten. Die themati102 „5.0 Weiterbildung Vor allem sind die Bemühungen auf den Ausbau von Kursen, Seminaren und Kolloquien zu richten. Von besonderer Bedeutung sind dabei gebührenpflichtige Seminare mit internationaler Beteiligung auch aus nichtsozialistischen Ländern“ (IRS BdA 15I, Joachim Bach, Konzeption zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR. Stellungnahme des BdA/DDR zur „Konzeption für die Gestaltung der Ausund Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“, Weimar 1984, S. 34). 103 „Veranstaltungen von internationalem Rang wie das Bauhauskolloquium gewinnen zunehmend an Bedeutung und sind auf höchstem Niveau weiterzuführen“ (ebd.). 104 So nahmen am 3. Internationalen Bauhaus-Kolloquium, das vom 05.-07. Juli 1983 stattfand, u.a. Jean-Louis Cohen, Chup Friemert, Johann-Friedrich Geist, Winfried Nerdinger, Elke Pistorius, Claude Schnaidt und Franco Stella teil (vgl. hierzu Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar [Hg.], 3. Internationales BauhausKolloquium. 5.-7. Juli 1983, = Wissenschaftliche Zeitschrift Weimar, 5/6 1983). 105 Hierzu Werner, S. 185 und Betker, S. 344.

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sche Vielfalt, mit der sich DDR-Architekten in den 80er Jahren auseinandersetzten und die Gegenstand der folgenden Abschnitte ist, wurde durch diesen Austausch ebenso stark beeinflusst wie der zunehmend kritischere Blick auf das Bauwesen der DDR oder das eigene Berufsprofil. So sensibilisierten die Bauhaus-Kolloquien die Architekten sicherlich auch für Fragen nach der eigenen professionellen Verantwortung und Verpflichtung sowie nach dem eigenen Selbstverständnis  Fragen, die bald auch in anderen Zusammenhängen und Konstellationen immer wieder zur Sprache gebracht, artikuliert und erörtert wurden.106 Das Bauhaus Dessau hatte in diesem Zusammenhang als „Zentrum für Gestaltung durch experimentelle Forschung, Lehre und Kommunikation“ 107 eine besonders wichtige Funktion und wurde zum Kristallisationspunkt einer sich nach und nach ausdifferenzierenden und immer pluralistischer werdenden Architektur- und Städtebaudebatte. Das kreative und geistig-offene Klima dieser Einrichtung und der dort durchgeführten Veranstaltungen konnte mir in einem langen und ausführlichen Gespräch Dieter Bankert 108 nahebringen, der ebenfalls am Bauhaus Dessau tätig war. Wiederbelebt wurde hier ein von Diskursschranken weitgehend freier und ähnlich liberaler Kunstdiskurs wie bereits in den 20er Jahren  unter DDR-Vorzeichen eine Besonderheit und ein in dieser Form selten dagewesener Vorgang. Ein wichtiges Veranstaltungsformat stellten dabei vor allem die so genannten Hannes-MeyerSeminare dar, die ebenfalls offen waren für Teilnehmer und Fachleute aus allen Teilen der Welt. Am III. Hannes-Meyer-Seminar, das vom 10. bis zum 15. Mai 1982 unter dem Titel „Industrieller Wohnungsbau in der Innenstadt und innerstädtische Rekonstruktion“ stattfand und von Bernd Grönwald geleitet wurde, nahmen so etwa u.a. Architekten aus Finnland und Ungarn teil.109 Sie trafen in Dessau auf ältere reformorientierte Kräfte, aber auch auf vielversprechende Nachwuchsarchitekten. So waren es Veranstaltungen wie diese, wo das so wichtige Thema des innerstädtischen Bauens in viel größerer Offenheit diskutiert wurde, als dies im Rahmen des Bauwesens selbst möglich war. Geschärft wurde dadurch das Gespür der Architekten für das überhaupt Machbare, aber auch für die Begrenztheit des eigenen Handelns. 106 Natürlich nahm auch die ,Gegenseite wichtige Eindrücke und Erfahrungen von den Bauhaus-Kolloquien mit nach Hause. Geschärft wurde der Blick dabei sicherlich ebenso für die Probleme und Schwierigkeiten des Bauwesens und der Architektenschaft in der DDR wie auch für die Paradigmen des eigenen Architektur- und Architektenverständnisses. 107 Hierzu u.a. Rolf Kuhn, „Bauhaus Dessau – Zentrum für Gestaltung durch experimentelle Forschung, Lehre und Kommunikation“, in: AdDDR 8/1988, S. 41f. 108 Am 29. Mai 2009. 109 So übersandte die „safa Suomen Arkkitehtiliitto The Finish Association of Architects” Erläuterungen zu den damals entstandenen Beiträgen an den BdA (IRS BdA 20III).

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Im Zusammenhang einer sehr viel stärkeren Internationalisierung von Kongressen und Kolloquien sind darüber hinaus die UIA (Union Internationale des Architectes)-Veranstaltungen zu nennen, die sich ab Mitte der 80er Jahre und im Zuge der Politik von Glasnost und Perestroika ebenfalls zu wichtigen Orten für eine Pluralisierung der Diskurse entwickelten. Eine wesentliche Rolle spielte dabei beispielsweise die Debatte um die Postmoderne. So berichtete Karl-Heinz Schlesier im Rahmen der 7. BdA-Präsidiumssitzung vom 12. April 1985 über seine Teilnahme an einem UIA-Kongress, auf dem u.a. Leon Krier und Richard Meier Referate gehalten und die Veranstaltung dadurch um einen auch westliche Fachdebatten einbeziehenden Blickwinkel bereichert hatten.110 Mit Blick auf das Thema der Internationalisierung spielte schließlich die Möglichkeit eine wichtige Rolle, dass Architekten im Rahmen der UIA und anderer internationaler Fachorganisationen gerade in den 80er Jahren verstärkt an internationalen Wettbewerben teilnehmen durften. Einige wenige Beispiele sollen an dieser Stelle, stellvertretend für eine Reihe anderer, genügen. So reichten DDRArchitekten im Jahr 1987 etwa einen Beitrag zu dem von der UIA ausgeschriebenen Wettbewerb zum Thema „International Competition for Solutions. A Housing Proposal for the Lower Income People in Ethiopia/Addis Abeba“ ein.111 Stellte hier noch der freundschaftliche Kontakt zu sozialistischen Bruderländern einen wichtigen Baustein dar, so galt dies bereits nicht mehr für eine Reihe weiterer Wettbewerbe. Im gleichen Jahr veranstaltete die UIA etwa einen Wettbewerb im britischen Brighton112 und der IVWSR113 im spanischen Sevilla.114 An beiden nahmen gerade 110 IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, Berlin, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Schlesier, S. 55-64. 111 IRS BdA 60II, UIA, „A Contribution for the United Nations - International Year of Shelter for the Homeless (IYSH) 1987, International Competition for Solutions. A Housing Proposal or the Lower Income People in Ethiopia/Addis Abeba“. An dem Wettbewerb beteiligten sich u.a. HAB Weimar, M. Gabriel; HAB Weimar, Prof. Dr. Griebel; TU Dresden, Dipl. Ing. H. Lobze; IWG Dr. Hantzsche; TU Dresden, Dr. Gruner; VEB Denkmalpflege; WBK Erfurt, Koll. Weingart; IWG Dr. Lehmann; IHS Cottbus, Dr. Herrmann; IHS Wismar, Dr. Guericke. Deutlich wurde hier zudem, dass die Hochschulen auch in den 80er Jahren nach wie vor semigeschützte Räume darstellten, innerhalb derer man sich sehr viel leichter mit über die baupolitischen Rahmenbedingungen hinausgehenden sowie oftmals auch kontroverseren Themen auseinandersetzen konnte. 112 Ebd., UIA Competition Brighton 1987. An diesem Wettbewerb nahmen ausschließlich Studierende der DDR-Architekturfakultäten teil. 113 Internationaler Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. 114 Ebd., Integration von Alt und Neu in historischen Stadtgebieten, Internationaler IVWSR-Kongress Sevilla 1987. Die hier bearbeiteten Themen lauteten u.a.: „Weimar,

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jüngere Fachleute aus der DDR teil und kamen so ebenfalls mit internationalen Debatten sowie mit Kolleginnen und Kollegen aus Ost und West in Kontakt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf die Themen, die bearbeitet wurden und für die man sich interessierte. Wie in Addis Abeba standen dabei beispielsweise immer wieder soziale Fragestellungen im Vordergrund. Gerade im Rahmen von Wettbewerben setzten sich die Teilnehmer aber auch theoretisch mit jenen Problemen auseinander, die in der alltäglichen Baupraxis keine oder eine nur sehr eingeschränkte Rolle spielen durften. Das Themenspektrum reichte so auch in Brighton von der Rekonstruktion von Altstadtbereichen („inner municipal reconstruction in Gotha, quarter Schwabhäuser Straße“)115 über eine Auseinandersetzung mit der Qualität gesellschaftlicher Zentren („A Cultural Centre for Senftenberg“)116 bis hin zur Aufwertung des industriellen Bauens („Improvements of Housing Areas – Panel System Buildings“)117. In Sevilla wurde darüber hinaus sogar das Verhältnis von Politik und Bevölkerung thematisiert („Der Bürger und sein Staat. Beispiele für eine fruchtbare Zusammenarbeit beider“).118 Deutlich wird hier, welch enorme Bedeutung die Wettbewerbe119 auch hatten, wenn es darum ging, das Gespür und Bewusstsein der Architektenschaft für entsprechende Themen zu wecken und zu schärfen. Hier war eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht nur erlaubt, sondern regelrecht verlangt. Wie schon so oft im Rahmen der DDR-Architekturgeschichte waren Wettbewerbe hier also erneut ein Ort, wo ganz praktisch an Lösungsvorschlägen und -versuchen gearbeitet werden konnte, ohne von den wirtschafts-, finanz- und planungspolitischen Restriktionen abhängig zu sein, die in der Praxis nach wie vor bestimmend waren. Aus dem internationalen Austausch in Weimar, Dessau oder im Rahmen der UIA-Kongresse erwuchsen also gleichermaßen neue Visionen wie bittere Enttäuschungen  letztere vor allem angesichts der Tatsache, dass die Umsetzung sich international etablierender

Integration Alt – Neu, Schlossgasse, Magdeburg, Domplatz, Herzberg – Der Bürger und sein Staat, Beispiele für eine fruchtbare Zusammenarbeit beider, Berlin, Weißenseer Spitze, Alt – Neu, Stadtzentrum Jena (Ausstellungsgebäude, Wohnhof mit Läden), Projekt Malchin, Chance einer Mecklenburger Stadt, Ars Omnis als Stadt, Integration kultureller Einrichtungen in die Innenstadt von Weimar, Rostock, Historischer Stadtkern/Alter Markt, Bautzen, Revitalisierung Altstadt, Leipzig, Deutrichshof“. 115 HAB Weimar, Autoren: Kirsch, Zimmermann (ebd., UIA Competition Brighton 1987). 116 Dresden, University of Technology, GDR, Professorship for Social Buildings, Prof. Dr.-Ing. Helmut Trauzettel, Autoren: Wirth, Kny (ebd.). 117 Dresden University of Technology, Professorship for Dwelling, Prof. Dr.-Ing. Dielitzsch, Autoren: Meerheim, Richter (ebd.) 118 S. hierzu Fußnote 114. 119 Hierzu ausführlich auch Fürst.

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Standards in der DDR im Laufe der 80er Jahre immer schwieriger und in der Breite nahezu unmöglich wurde. III.2.3 Thematische Erstarrung versus thematische Öffnung Das Themenfeld ,Nachhaltiges und ökologisches Bauen Vor dem Hintergrund eines immer engeren internationalen Fachaustauschs entwickelten DDR-Architekten und -Städtebauer jedoch zunehmendes Interesse für eine ganze Reihe aktueller und nach Lösungen verlangender Themen und Fragestellungen. Recht intensiv beschäftigten sich Teile der Architektenschaft beispielsweise bald mit Fragen des energiefreundlichen, nachhaltigen und ökologischen Bauens. Auch diese Entwicklung hat sich dabei selten in konkreten Bauprojekten niedergeschlagen, sondern ist in der Mehrzahl der Fälle theoretische Überlegung oder aber auch Papierarchitektur geblieben. Nichtsdestotrotz gehört sie aber wesentlich zur Beschreibung des Architektenberufs der 80er Jahre dazu. Denn auch hier könnte der bloße Blick auf die ausgeführten Bauten und politischen Leitlinien den Schluss nahelegen, dass ein so wichtiger Themenbereich wie der eines nachhaltigeren Bauens von DDR-Architekten überhaupt nicht wahrgenommen oder als wichtig erachtet worden wäre. Letztlich aber zeigen die Quellen sehr deutlich, dass dies keineswegs der Fall war. Umweltaspekte begannen in den Überlegungen der Architektenschaft dabei vor allem seit den 80er Jahren wichtiger zu werden. Ausgangspunkt waren zunächst jene Theorien der gebauten Stadtumwelt, wie sie u.a. durch Lothar Kühne erarbeitet und in der Folge insbesondere durch Bruno Flierl rezipiert worden waren.120 Dementsprechend ging es zunächst auch nur am Rande um Fragen der Ökologie oder Nachhaltigkeit. Der Begriff ,Umwelt wurde vielmehr im Sinne der ,gebauten Umwelt des Menschen, also stadträumlich, verstanden. Dennoch hieß es bereits im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung vom Dezember 1973, dass der Wohnungsbau auch „gesunde[n] Umweltbedingungen [...] ohne Lärm, Luftverschmutzungen“ 121 und ähnlichen Beeinträchtigungen verpflichtet sein sollte. Angeknüpft wurde dabei allerdings noch sehr viel eher an eine in der Charta von Athen kulminierende Theo120 Hierzu u.a. Lothar Kühne, Gegenstand und Raum. Über die Historizität des Ästhetischen, = Fundus-Bücher 77/78, Dresden 1981; Ders., Haus und Landschaft, = FundusBücher 97/98, Dresden 1985; Bruno Flierl, „Rezension zu: Lothar Kühne, Gegenstand und Raum. Über die Historizität des Ästhetischen“, in: Bildende Kunst 1981, S. 464f.; Ders., „Bildende Kunst im Stadtraum. Möglichkeiten und Grenzen“, in: Bildende Kunst 1981, S. 424-429; Ders., „Bürgerbilder in der Stadtumwelt“, in: Bildende Kunst 1983, S. 408-411. 121 SAPMO, DY 15/33 [BdA], Protokoll 6. BdA-BuV-Sitzung, 07.12.1973, Berlin, Diskussionsbeitrag Krenz, S. 22.

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rietradition des modernen Städtebaus, die von der räumlich gegliederten Stadt ausging und die Funktionstrennung von Arbeiten, Produzieren und Verkehr auf der einen sowie Freizeit, Wohnen und Erholung auf der anderen Seite propagierte, um so eine möglichst hohe Wohnqualität bieten zu können. Bis in die 80er Jahre hinein blieb dieses städtebauliche Leitbild denn auch in den an den Stadträndern errichteten Großwohnsiedlungen der DDR bestimmend, wo an entsprechenden gestalterischen Paradigmen der Moderne festgehalten wurde, obwohl im innerstädtischen Bereich zeitgleich eine Rückbesinnung auf traditionelle Stilmittel und städtebauliche Strukturen stattfand.122 In anderer Form neu diskutiert wurden Umweltaspekte in der Architektenarbeit dann ab Ende der 70er Jahre. Wichtigen Einfluss hatte dabei die auch in der DDR deutlich spürbare Energie- und Ölkrise. Das auf steigenden Konsum und einen ungebrochen raschen sowie ressourcenintensiven Modernisierungskurs ausgerichtete sozialpolitische Programm123 der Regierung Honecker erlitt angesichts stark ansteigender Rohstoffpreise ab etwa 1977 einen herben Rückschlag.124 Diese Erkenntnis 122 Auf dieses sehr spezifische Charakteristikum von DDR-Architektur und –Städtebau der 70er und 80er Jahre hat bereits Florian Urban aufmerksam gemacht („Die neohistorische Stadt in der DDR wurde von ihren Protagonisten und Architekten nicht als Bruch mit der städtebaulichen Moderne wahrgenommen … Moderne und neohistoristische Architekturansätze bestanden in der späten DDR-Zeit scheinbar konfliktfrei nebeneinander. Die Großsiedlungen in Hellersdorf und Hohenschönhausen, bereits Mitte der 1970er Jahre geplant, befanden sich auch 1990 noch im Bau; ebenso wurden während der gesamten 1980er Jahre einzelne öffentliche Bauten im modernen Stil errichtet. Stuck und Waschbeton, Erker und Fensterbänder oder Einzelgebäude und Blockrandbebauung wurden nicht als Gegensätze angesehen. Manfred Prasser oder Günter Stahn, die hauptverantwortlichen Architekten von Platz der Akademie und Nikolaiviertel, entwarfen teilweise mit nur wenigen Jahren Abstand Giebel und Laubengänge einerseits und Stahl-und-Glas-Fassaden andererseits“ (Urban, S. 219). 123 Dieses Programm versuchte, nahezu ausschließlich über die staatlich gesteuerte Planwirtschaft Wohlstand zu generieren. Unter marktwirtschaftlich-kapitalistischen Vorzeichen sollte dies hingegen durch ein vorzugsweise auf privatwirtschaftlichem Engagement basierendes Wachstum der Volkswirtschaft erreicht werden. Die Ziele beider Ansätze – stetig steigender Konsum und eine ständig fortschreitende Modernisierung – unterschieden sich bis in die 70er Jahre aber kaum. Zum Zusammenhang zwischen Industriegesellschaft und Architektenberuf u.a. Betker, S. 356ff. 124 „Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und die noch immer nicht behobene Funktionsschwäche des eigenen ökonomischen Systems hemmten das Bestreben der SEDFührung, nach dem X. Parteitag 1981 eine Stabilisierung der DDR zu erreichen. Vor allem 1982 zeigten sich wieder Krisensymptome“ (Weber, S. 442). Bezogen auf Architektur und Städtebau heißt es bei Palutzki darüber hinaus: „Angesichts der sich ab-

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führte jedoch nur zu äußerst eingeschränkten Kurskorrekturen  auch dies Anzeichen einer sich langsam breit machenden und jede Weiterentwicklung hemmenden Erstarrung.125 So war es letztlich an anderen Akteuren als denen der Staats- und Parteiführung, zukunftsfähige Konzepte und Alternativen zu entwickeln. Dazu gehörten vor allem eine Reihe von Fachleuten in den unterschiedlichsten Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft.126 Im Falle von Architektur und Städtebau waren es vor allem die Architekten selbst, die sich um angemessene Reaktionen auf die Krisenerscheinungen der späten 70er und frühen 80er Jahre bemühten. Was  anders als jenseits des Eisernen Vorhangs  nicht durch zivilgesellschaftliches Engagement und parteipolitischen Pluralismus vorangetrieben werden konnte, wurde in der DDR also vorzugsweise zur Sache der Fachleute und damit in erster Linie professionalisiert127 – einer der zahlreichen Hinweise darauf, dass das in der Einleitung beschriebene politische Ziel der Deprofessionalisierung nur in begrenztem Maße erreicht worden war. Im Bereich des Bauens wurde so schließlich relativ schnell deutlich, dass die in den Vorjahren entwickelten Typenbauten den neuen Herausforderungen nicht in ausreichender Weise gewachsen waren. Die Herstellung der einzelnen Typenelemente war material- und energieintensiv, konnte jedoch vor allem nicht flexibel ge-

zeichnenden Weltwirtschaftskrise und des Ansteigens der Rohstoffpreise wurde gleichzeitig klar, daß dieser Erfolg [des ersten Fünfjahrplanes der 70er Jahre, T.Z.] nicht wiederholt werden konnte. Die Partei bekräftigte dennoch das ,unbeirrte Festhalten an dem vom VIII. Parteitag beschlossenen Kurs , trotz der ,komplizierten Probleme der Volkswirtschaft der DDR und den außerordentlich schwierigen außenwirtschaftlichen Bedingungen , und fällte den Bechluß zur Durchführung einer Baukonferenz im April 1975. Nach dem ,Ölpreisschock wuchs der Druck zu verstärktem Wettbewerb in den Betrieben und zur Intensivierung der Produktion, ,… weil die Grenzen der extensiven Entwicklung der Volkswirtschaft, die sich aus dem Arbeitskräftepotential und der Rohsoffsituation der DDR ergeben, klar erkannt wurden “ (Palutzki, S. 306). 125 So schreibt Weber denn auch: „Mit der sich [in den 80er Jahren, T.Z.] ausbreitenden Umweltkatastrophe … verschlechterte sich die Situation rapide. Aus der spürbaren Ausweglosigkeit entstand überall Resignation“ (Weber, S. 453). 126 Auch für die 70er und 80er Jahre galt dabei natürlich nach wie vor, dass Politkader oftmals zugleich auch Fachleute waren. 127 Ändern sollte sich dies erst ab Mitte der 80er Jahre und unter dem Eindruck von Glasnost und Perestroika. Die Umweltbewegung, die etwa in der Umweltbibliothek der Ostberliner Zionskirche, in zahlreichen Graswurzelgruppen und SAMISDAT-Schriften Gestalt annehmen sollte, wurde erst damals



einige Jahre später als im Westen



Teil

breiterer, von Staat und Partei unabhängiger gesellschaftlicher Strömungen (hierzu ausführlich u.a. Geisel).

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nug auf die Herausforderungen der Krise reagieren.128 Hinzu kam, dass die Bauten auch in der Nutzung inzwischen alles andere als optimal funktionierten. Die vergleichsweise dünnen und schlecht gedämmten Außenwandplatten führten etwa zu hohen Energieverlusten und damit verbunden zu stetig steigenden Kosten.129 So betonte einer der Diskussionsredner der 10. BdA-BuV-Sitzung vom Mai 1980, dass zukünftig verstärkt auf energiefreundliche Bauweisen gesetzt werden müsste.130 Die Konsequenz aber wäre die radikale Umstellung des Bauwesens in technologischer und damit letztlich auch entwerferischer Hinsicht gewesen  beides Schritte, die Politik und Bauwirtschaft nur in eingeschränktem Maße zu gehen bereit waren.131 Teile der Architektenschaft blieben jedoch am Ball und setzten das Thema immer wieder und in unterschiedlichsten Zusammenhängen auf die Tagesordnung. Gegen Mitte der 80er Jahre wurde es auf Initiative der Fachleute sogar zum festen Bestandteil der Architektenausbildung und prägte auf diese Weise ganz erheblich auch die jüngste Architektengeneration der DDR, deren nicht ganz unwichtige Rolle in Kapitel III.3.3 genauer beleuchtet werden soll. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang u.a. erneut Joachim Bach. Bach legte Anfang 1984 im Auftrag des BdA eine Stellungnahme zur „Konzeption zur Entwicklung der Hochschulbildung 128 „Der wirtschaftliche Einbruch führte im Mai 1980 zu der Feststellung, daß 70% des Energiebedarfes für den planmäßigen Produktionszuwachs durch Energieeinsparungen gedeckt werden mußten … Auf der 7. Baukonferenz im Juni 1980 erging an die Bauakademie der Auftrag zur Erstellung einer ,Wissenschaftskonzeption zur Sicherung der Bauaufgaben für die Jahre 1981-85. Die Wissenschaftskonzeption, die der Minister für Bauwesen im Oktober 1980 beim Politbüro vorlegen mußte, ließ zwangsläufig im Unklaren, wie die geforderte jährliche Senkung des Bauaufwands um 15%, Materialeinsparungen sowie Bauzeitverkürzungen unter Gewährleistung einer ,hohen städtebaulich-architektonischen Qualität und der Beibehaltung der Ziele des Wohnungsbauprogramms sowie der Planung zur weiteren Ausgestaltung Ostberlins erzielt werden konnten“ (Palutzki, S. 323). 129 Insbesondere ab Mitte der 80er Jahre war dies beispielsweise immer wieder Thema in der AdDDR (hierzu u.a. Wolfgang Lange, „Ressourcenpotenz von Wohngebäuden und Wohngebieten“, in: AdDDR 9/1987, S. 49; Erich Kaufmann, „Gedanken zur Erzeugnisentwicklung im Wohnungsbaukombinat Rostock“, in: AdDDR 12/1987, S. 40-45; Sorger). 130 „[...] und ich glaube, daß unsere derzeitige energiepolitische Grundkonzeption in der DDR ja geradezu dazu zwingt, auch energiefreundliche Bauweisen zu installieren und zu Gunsten dieser Bauweisen auch Entscheidungen mit herbeizuführen“ (SAPMO, DY 15/38 [BdA], Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 29./30.05.1980, Diskussionsbeitrag Dielitzsch, S. 68). 131 Gleichwohl wurden die Energiebilanzen der Typenserien in den 70er und 80er Jahren teilweise verbessert.

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und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR“132 vor, in der er auf die zukünftig sehr wichtige Rolle des Ökologiethemas in der Ausbildung der Architekten und Städtebauer aufmerksam machte. Drei Jahre später schließlich verfasste Horst Siegel den „Jahresbericht der naturwissenschaftlich-technischen Forschung“ in der Sektion Architektur der HAB Weimar.133 Auch hier wurde deutlich, wie sehr Ökologie und Nachhaltigkeit als Forschungsthemen an den Hochschulen sowie an der DBA inzwischen präsent waren.134 Doch schon in diesem Themenbereich blieb es lediglich bei bloßen Überlegungen und der theoretischen Befähigung angehender Architekten auf diesem Gebiet. Ein wirklicher und umfassender Umbau des Planungs- und Bauwesens selbst fand jedoch nicht statt, weil er von baupolitischer und bauwirtschaftlicher Seite nicht zugelassen wurde. Hier verweigerte man sich auch weiterhin standhaft einer Neuausrichtung, die Überlegungen zu Ökologie und Nachhaltigkeit einbezogen hätte. Es war denn auch dieser Aspekt, den Werner Strassenmeier im Oktober 1987 ins Zentrum seiner auf einer BdA-BuV-Sitzung vorgetragenen Überlegungen stellte. Strassenmeier hielt dabei zunächst fest, dass zwischen gesellschaftlichen Entwicklungserfordernissen und dem gegenwärtigen Stand der Realisierungsbedingungen ein Missverhältnis bestehe.135 In diesem Zusammenhang unterstrich er auch, dass zukünftig ein sehr viel geringerer Anteil des Nationaleinkommens für Bauen zur Verfügung stehen würde, da „Fragen der Energie, der Infrstruktur [sic!], des Umwelt132 „Die mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der allgemeinen Intensivierung untrennbar verbundenen Umweltprobleme erfordern einen wesentlich stärkeren Einsatz wissenschaftlicher Kader im ökologischen Bereich, in der Landschaftsplanung und Landschaftsgestaltung. Durch das Bauen werden die umfassendsten Veränderungen natürlicher, naturähnlicher und antropogener [sic!] Ökosysteme realisiert, derzeit noch mit überwiegend zerstörenden Folgen. In Zukunft wird, weit stärker als bisher, eine vorausschauende und vorbereitende Phase zur Wandlung der Ökosysteme der Bauplanung vorausgehen müssen, für die speziell gebildete Fachleute einzusetzen sind“ (IRS BdA 15I, Joachim Bach, Konzeption zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR. Stellungnahme des BdA/DDR zur „Konzeption für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“, Weimar 1984, S. 18). 133 BArch, DR 3/2. Schicht/829 (MfHuF), Horst Siegel, HAB Weimar, Sektion Architektur, Jahresbericht 1987 der naturwissenschaftlich-technischen Forschung. 134 „Innerhalb der Wohnungsbauforschung wurde weiterhin gearbeitet an: [...] der energieökonomischen Aufwertung von Gebäudehüllen der Altbauwohnsubstanz, [...] der passiven Nutzung der Sonnenenergie“ (ebd.). 135 SAPMO, DY 15/46 (BdA), Protokoll 2. BdA-BuV-Sitzung, Diskussionsbeitrag Strassenmeier, Magdeburg, 09.10.1987, S. 92.

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schutzes“136 gelöst werden müssten. Dies aber sollte auch zukünftig ausbleiben  entgegen aller Mahnungen und Bemühungen auch aus den Reihen der Architektenschaft. Das Thema einer auf Ökologie und Nachhaltigkeit angelegten Erneuerung des Bauwesens war zwar Gegenstand von Fachdebatten der DDR-Architekten, wurde aber über diesen engen Zirkel hinaus von der Politik kaum aufgegriffen. Trotzdem aber war der Architektenberuf der 80er Jahre auch durch die Beschäftigung mit diesem Themenbereich gekennzeichnet. Das Themenfeld ,Nutzerbezogene Architektur Ein anderes Thema, das von Architekten und Städtebauern immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde, jedoch ebenfalls kaum in Form konkreter Bauprojekte Gestalt annahm, war das der Anpassung des Bauens an sich verändernde gesellschaftliche Bedürfnisse sowie individuelle Lebensverhältnisse. Schon der dabei zu Grunde liegende Ansatz war aus Sicht der politischen Führung verdächtig. Denn ein individuell ausdifferenziertes Selbstverständnis des Einzelnen entsprach nicht der politisch-ideologischen Weltsicht. Das Ideal stellte vielmehr die Unterordnung des Individuums unter die gesellschaftlichen Verhältnisse des Staatssozialismus dar. Bekannt sind so etwa die Probleme, die kirchliches Engagement mit sich brachte. Aber auch andere Formen individueller Lebensführung, die nicht den engstirnigen Vorstellungen von Staat und Partei entsprachen, wurden entweder totgeschwiegen und geleugnet oder aber sogar kriminalisiert. Jene etwa, die nicht bereit waren, sich in die ,arbeiterliche Gesellschaft zu integrieren, wurden gerne als ,asozial abgestempelt: kritische Künstler, Punks und Anarchisten, Aussteiger und solche, die sich außerhalb staatlicher Institutionen sozial engagierten. Auch mit der wachsenden Zahl von Singles, geschieden lebenden Ehepartnern und unverheirateten Paaren hatte die politische Führung ihre Probleme. Der ideologisch aufgeladene Vorwurf lautete dabei stets, dass man das individuelle Interesse über das gesellschaftliche stelle, sich auf Kosten und unter Loslösung von der Gesellschaft selbst zu verwirklichen versuche und gesellschaftliche Werte missachte. Die Tatsache, dass der Ostberliner Fotograf Harald Hauswald die Buntheit und Differenziertheit des DDRAlltags und des dortigen Lebens schilderte, aus diesem Grund aber immer wieder Probleme mit Staat, Politik und Staatssicherheit bekam, spricht Bände und vermag das hier nur kurz angedeutete vielleicht besonders eindringlich zu illustrieren.137 136 Ebd. 137 Hierzu u.a. der in Westdeutschland erschienene Band Lutz Rathenow/Harald Hauswald, Ostberlin. Die andere Seite einer Stadt in Texten und Bildern, München 1987. Rathenow schreibt hier auch über Architektur und die Architektentätigkeit: „Wer jahrelang hier [in Berlin, T.Z.] lebt, wird aber an Verluste erinnert, die neue Gebäude nicht wettmachen. Den Fischerkiez, das mittelalterliche Viertel, riß man zwischen 1967 und 1971 ab. Kahlschlagsanierung übelster Art. Sechs Wohnkästen mit einundzwanzig Geschos-

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Auch wenn die Ansprüche, die im Rahmen der sich seit den 70er Jahren verstärkenden Individualisierungstendenzen an Architektur und Städtebau gestellt wurden, sehr viel weniger Sprengstoff bargen, stießen sie bei den politisch Verantwortlichen nichtsdestotrotz entweder auf taube Ohren oder aber sogar auf Ablehnung. Ein entsprechendes Interesse und Bewusstsein war jedoch in der Architektenschaft vielfach zu finden und wurde in Fachdiskussionen, aber auch in der Architektenausbildung immer wieder thematisiert. Wie breit das Spektrum der dabei in den Blick genommenen Themen war, wurde bereits im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung vom Dezember 1973 deutlich. Hier wurden wesentliche Fragen gestellt, die letztlich auch den Entwurf betrafen und den Blick auf sich verändernde gesellschaftliche Verhältnisse sowie die individuellen Bedürfnisse der künftigen Nutzer richteten: „Wie hilft der Wohnungsbau, soziale Unterschiede abzubauen? Ermöglicht der Wohnungsbau ein familiengerechtes, altersspezifisches Wohnen? Wie trägt der komplexe Wohnungsbau dazu bei, Freizeit zu gewinnen und sinnvoll und vielseitig zu nutzen? Wie fördert der komplexe Wohnungsbau durch Vielseitigkeit, Variabilität und Flexibilität in der Gestaltung die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten und harmonischer Gemeinschaftsbeziehungen? [...] Wie wird das Wohnen in die Gesamtfunktion der Stadt eingeordnet, so daß die Vorteile des städtischen Lebens voll entwickelt werden?“138

Damit war die Grundlage gelegt für eine Diskussion, die über die gesamten 70er und 80er Jahre hinweg nicht mehr abbrechen sollte und die, das machte das prominent bekundete Interesse an der „Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten“ deutlich, ebenfalls keineswegs oppositionell gedacht war. Das Engagement der Architekten für ein auf die zukünftigen Nutzer und nicht alleine staatliche oder bauwirtschaftliche Interessen zugeschnittenes Bauen ging allerdings trotzdem immer wieder über das politisch Opportune hinaus. Bemerkbar machte sich das beispielsweise erneut im Bereich der Ausbildung. Insbesondere an der HAB Weimar war im sen setzte man dafür hin. Anfang der siebziger Jahre ergötzten sich noch Architekten an der Vision eines von Altbauten befreiten Prenzlauer Bergs. Alles abreißen, dann planmäßig bebauen, sonst sei das Flickschusterei. Dieses rabiate Zerstören gewachsener sozialer Strukturen war Teil des Konzepts vom Ausbau der Stadt zur ,sozialistischen Großstadt . Architekten setzen gleich Kindern unbekümmert Fertigteil auf Fertigteil. Schön ordentlich oder sinnlos hoch. Kinder reißen freilich am Schluß ihres Spiels alles ein. Die erwachsenen Planer lassen andere darin wohnen. An die statistisch erfaßbare Menschheit ist gedacht, der einzelne gerät zur vernachlässigten Restgröße“ (ebd., S. 85). 138 SAPMO, DY 15/33 (BdA), Protokoll 6. BdA-BuV-Sitzung, 07.12.1973, Berlin, Diskussionsbeitrag Krenz, S. 22.

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Laufe der 70er Jahre und durchaus mit staatlichem Segen der Fachbereich Stadtund Siedlungssoziologie mehr und mehr ausgebaut worden.139 Besonders wichtige Akteure waren in diesem Zusammenhang der Soziologe Fred Staufenbiel, aber auch Bernd Grönwald und Rolf Kuhn. In Forschung und Lehre nahm der Fachbereich Architektur und Städtebau immer wieder in ihrer gesellschaftlichen Dimension in den Blick. Zunehmend wurden dabei auch solche Entwicklungen und Bedürfnisse berücksichtigt, die die Baupolitik mehr oder weniger auszublenden versuchte. Zahlreiche der Forschungsergebnisse, die die Wünsche und Bedürfnisse künftiger Nutzer, dabei aber auch deren Unzufriedenheit mit dem Status quo thematisierten, durften deswegen nur intern und für das Fachpublikum, nicht aber für eine größere Leserschaft veröffentlicht werden.140 Auch in der Presse wurde dementsprechend über die aufgeworfenen Fragen und Probleme nicht berichtet. Im Ausbildungsbereich waren es schließlich die so genannten Kommunalen Praktika, die den Höhepunkt des zwar nicht oppositionell gedachten, unter den damaligen Bedingungen aber beinahe subversiven Engagements an den Hochschulen markierten.141 In Fallstudien vor Ort setzten sich die Studierenden unmittelbar mit den Anregungen und Problemen der Bewohner, also der Nutzer von Architektur und Städtebau, auseinander und entwickelten so Ideen und Konzepte für zukünftige Veränderungen.142 139 So machte vor allem das 1978 ausgearbeitete Lehrprogramm deutlich, wie sehr das Lehrgebiet Soziologie von parteipolitischen Interessen vereinnahmt werden sollte: „Im Lehrgebiet Soziologie werden den Studenten Kenntnisse über die marxistischleninistische Soziologie, die für die spätere Tätigkeit als Planer und Gestalter der baulich-räumlichen Umwelt der sozialistischen Gesellschaft von Bedeutung sind, vermittelt. Die Studenten lernen die Bestandteile der langfristigen sozialen Planung im Sozialismus mit den damit zusammenhängenden höheren Maßstäben an die Wissenschaftlichkeit auch in bezug auf die sozialen Bestimmungsfunktionen des architektonischen Schaffens verstehen. Dem langfristigen prognostischen Inhalt der Tätigkeit der Architekten entsprechend, wird die Bedeutung der theoretisch-soziologischen Tätigkeit besonders hervorgehoben. Die Studenten erwerben sich einen parteilichen Standpunkt zu den Prinzipien und Ergebnissen der bürgerlichen Stadt- und Siedlungssoziologie“ (BArch, DR 3/2. Schicht/715 [MfHuF], Ministerrat/MfHuF, Lehrprogramm Theorie und Geschichte der Architektur mit dem Lehrgebiet Soziologie, 1978). 140 Exemplarisch verwiesen sei hier auf Fred Staufenbiel, Stadtentwicklung und Wohnmilieu von Halle/S. und Halle-Neustadt. Soziologische Studie. Nur für den Dienstgebrauch, Weimar 1985. Zu diesem Thema darüber hinaus: Bernhardt/Flierl/Welch Guerra. 141 Hierzu auch Betker, S. 352. 142 Einen wesentlichen Anstoß zu diesen Überlegungen hat insbesondere die von der Hermann-Henselmann-Stiftung und der Bauhaus-Universität Weimar organisierte Tagung

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Gerade auch vor diesem Hintergrund differenzierte sich das Themenspektrum weiter aus, für das sich eine wachsende Zahl vor allem jüngerer Architekten interessierte. Eine BdA-BuV-Sitzung vom Dezember 1985 vermag hier einen besonders guten Einblick zu geben. So hieß es dort u.a., dass zukünftig über neue Hausformen und über eine verstärkte Einbeziehung der Nutzer und Bürger, also letztlich über eine Demokratisierung der Planungsprozesse, nachgedacht werden sollte.143 Zur Disposition gestellt wurden von den Architekten in diesem Zusammenhang immer wieder die vorhandenen Typenserien. Unzufrieden zeigte man sich etwa mit der mangelnden Flexibilität und Starrheit der Grundrisse, die ebenfalls an unterschiedliche Nutzerwünsche angepasst werden sollten  auch dies ein Bemühen, das nur in seltenen Fällen und dann vielfach eher bei hochangebundenen Projekten (etwa mit den Künstlerateliers im Berliner Ernst-Thälmann-Park) umgesetzt werden konnte. Ging es zunächst, wie in einem Redebeitrag Erich Kaufmanns auf der schon genannten BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1973, noch um bloße Verbesserungen im Grundriss144, also um eine Optimierung des Vorhandenen, so wurden zwölf Jahre später auf der soeben genannten Zusammenkunft des BdA bereits ganz andere Töne angeschlagen und die vorhandenen Typengrundrisse grundsätzlich zur Disposition gestellt: „Bei der Wohnung geht es selbstverständlich in erster Linie um ihre Fläche. Aber es geht auch um die Raumqualität einer Wohnung. Wo gibt es in der DDR eine Wohnung mit zweigeschossigem Wohnraum und Galerie? Wo gibt es eine Wohnung mit an einen Hang angepaßte Terrassierung [sic!]? Wo gibt es eine Wohnung mit zentralem Wohnraum und Durchblicken zum Eßplatz und zum Wintergarten? Wo gibt es Wohnungen, die nur annähernd an „Stadt(planungs)geschichte als Gesellschaftsgeschichte“ am 08.04.2011 in Weimar gegeben. Ausführlich zu diesem Thema außerdem Bernhardt/Flierl/Welch Guerra. 143 So betonte Joachim Stahr: „Architektur steht stets für den Bürger. Wir freuen uns hier in Gera, daß es also auch mit den Bürgern teilweise geschieht. Die Einbeziehung der Nutzer, die Einbeziehung der Bürger, steht aber auch bei uns erst am Anfang“ (SAPMO, DY 15/44 [BdA], Protokoll 8. BdA-BuV-Sitzung, 12.12.1985, Diskussionsbeitrag Stahr, S. 108). Ein frühes Beispiel für Bürgerbeteiligung nennt Betker: „Um nicht gänzlich vor dem Verfall [der östlichen Altstadt, T.Z.] zu kapitulieren, versuchten die Rostocker [Planer, T.Z.], ihre Möglichkeiten zu erweitern, [...] vor allem indem sie die Bewohner mobilisierten und die Selbsthilfepotentiale erkundeten“ (Betker, S. 334). 144 „Zum Problem Wohnungsbau glaube ich, hat Professor Stahr sehr eindeutig die Grundhaltung, die wir alle einnehmen müßten, gesagt, daß auch WBS 70 [sic!] ein System ist und nicht ein Grundriß sein kann und sein wird. Wir wären ja schlechte Dialektiker, wenn wir glauben, daß der Grundriß von heute noch 1978 genauso aussieht“ (SAPMO, DY 15/33 [BdA], Protokoll 6. BdA-BuV-Sitzung, Berlin, 07.12.1973, Diskussionsbeitrag Kaufmann, S. 70).

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Qualitäten einer Renaissanceraumfolge oder dergleichen herankommen? Müssen wir über die Raumqualität der Wohnung nicht neu diskutieren? Ich meine nicht im historischen Sinne, sondern ich meine im Sinne von Architektur, Wohnraumqualität? [...] Aber haben wir wirklich schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft [...] neue Raumqualitäten zu erreichen? Ich glaube nicht. Das ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Wir stehen dort eigentlich erst am Anfang.“145

Auch diese Überlegungen und Bemühungen blieben jedoch in den meisten Fällen bloße Theorie, beschreiben aber erneut eine wichtige Dimension der Architektenarbeit jener Jahre. Diese wurde bis in die späten 80er Jahre hinein vielfach unter Verschluss gehalten. So durfte noch 1987 eine von Gerhard Kasperi erarbeitete Studie „Zur Qualität sowie zur Mängel- und Schadenshäufigkeit beim Wohnungsbau in Montagebauweisen“146 nur intern innerhalb des Auftrag gebenden Weiterbildungsinstituts für Städtebau und Architektur der HAB Weimar veröffentlicht werden. Ein Grund war, dass hier nach wie vor „die schrittweise Anpassung [des] Wohnungsfonds an veränderte Bedürfnisse und Anforderungen der Gesellschaft“147 gefordert wurde, ein Ansinnen, auf das die Baupolitik schon längst nicht mehr einzugehen bereit war. Die Auseinandersetzung der Architekten mit den Erwartungen der Nutzer an Architektur und Städtebau verlagerte sich somit auch hier mehr und mehr in die Bereiche der Theoriebildung, von Erhebungen und Studien sowie der Papierarchitektur. Entwürfe Studierender für die Leistungsvergleiche der Hochschulen148 wären hier ebenso zu nennen wie der ambitionierte Wettbewerb „Wohnen 2000 in Berlin/DDR“149. Alte Hoffnungen: Die DDR-Spezifik der Fachdiskurse Betont und hervorgehoben werden muss schließlich, dass jeder dieser Versuche, den Fachdiskurs um neue Themen zu erweitern, von durchaus DDR-spezifischem Charakter war und sich dementsprechend stark von ähnlichen, in anderen Ländern und auch innerhalb des Ostblocks geführten Debatten unterschied. Dies hatte ver145 SAPMO, DY 15/44 (BdA), Protokoll 8. BdA-BuV-Sitzung, Gera, 12.12.1985, Diskussionsbeitrag Stahr, S. 108f. Einige der hier zitierten Sätze oder Satzteile sind im Protokoll nachträglich per Hand gestrichen worden, so etwa die letzten drei Sätze. 146 IRS BdA 85III, HAB Weimar, Weiterbildungsinstitut für Städtebau und Architektur (Direktor: Prof. Dr. Ing. W. Straßenmeier): Gerhard Kasperi, Zur Qualität sowie zur Mängel- und Schadenshäufigkeit beim Wohnungsbau in Montagebauweisen, nur für den Dienstgebrauch, Weimar, 08.01.1988. 147 Ebd., S. 3. 148 S. hierzu u.a. Kuntzsch. 149 IRS BdA 60V, Wohnen 2000 in Berlin/DDR (Wettbewerb).

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schiedene Ursachen. Zum einen muss in diesem Zusammenhang natürlich der ganz eigene Verlauf der DDR-Architekturgeschichte selbst genannt werden. Viele der Themen, die in den 70er und 80er Jahren von Architekten und Städtebauern auf die Tagesordnung gesetzt oder mit Interesse verfolgt wurden, stellten so letztlich auch eine Art Gegenentwurf zum Status quo des Bauwesens und den baupolitischen Leitlinien dar. Fragen wie die der Stadterneuerung, des nachhaltigen oder des auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittenen Bauens prägten zwar auch anderenorts die Fachdiskurse der Zeit. In der DDR aber kam diesen Themen eine besondere Brisanz zu, weil sie von politischer Seite entweder nicht wahrgenommen oder aber bewusst ausgeblendet und tabuisiert wurden. Dementsprechend war es sehr viel schwieriger, sich als Architekt und Städtebauer mit diesen Fragen zu beschäftigen. Gerade deswegen verdient die immer intensivere Auseinandersetzung mit den oben angeführten Fragen jedoch besondere Beachtung. Sie verweist auf eine Facette des Architektenberufs, eine Art des fachlichen und professionellen Interesses und eine berufsethische Dimension, die beim bloßen Blick auf die baupolitischen Leitlinien und ausgeführten Projekte kaum wahrgenommen werden würde. Gleichzeitig muss aber berücksichtigt werden, dass die politisch-ideologischen Leitlinien auch solche, auf Weiterentwicklung und Erneuerung drängenden Fachdiskurse prägten. Nicht zuletzt deswegen waren die Debatten in den meisten Fällen politisch aufgeladen und ideologisiert. Man darf ihnen also nicht mit denselben Maßstäben und der gleichen Erwartungshaltung begegnen wie den gleichzeitig auf internationaler Ebene angestellten Überlegungen. Jeder Vorstoß von fachlicher Seite barg in der DDR auch und gerade in den 80er Jahren die Gefahr, innerhalb eines staatlich organisierten Bauwesens als aufrührerisch empfunden und diskreditiert zu werden. Den Fachleuten drohte deswegen immer auch eine weitere Beschneidung ihrer ohnehin schon äußerst eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten. Wenn also vieles nur vorsichtig und wenig pointiert zur Sprache gebracht wurde, sehr viel konservativer und weniger innovativ wirkte, war dies oftmals auch der so notwendigen Vorsicht gegenüber Staat, Politik und Bauwirtschaft, damit aber auch dem eigenen Auftrag- und Arbeitgeber geschuldet. Statt auf die sicherlich immer wieder zu beobachtende Eindimensionalität und Verkürztheit der Debatten zu verweisen, muss deswegen auch hervorgehoben werden, dass es sie überhaupt gab. Hinzu kam ein weiterer Grund, der für die ganz eigene Spezifik der von den Fachleuten angestoßenen und geführten Diskussionen verantwortlich war, nämlich das damalige berufliche Selbstverständnis der DDR-Architekten und -Städtebauer. Eine nicht unerhebliche Zahl von Fachleuten sah sich inzwischen tatsächlich eher als ausführende Organe eines nach übergeordneten Prinzipien und Mechanismen ablaufenden Bauwesens. Immer wieder war seit Beginn der 70er Jahre auch im BdA von der weit verbreiteten Resignation in weiten Teilen der Architektenschaft

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die Rede.150 Unter den äußerst schwierigen, in den letzten beiden Kapiteln ausführlich in den Blick genommenen Bedingungen des DDR-Bauwesens der 70er und 80er Jahre war es deswegen durchaus verständlich, dass sich viele an die Erwartungshaltungen der Baupolitik anpassten und kaum noch mit darüber hinausgehenden Ansprüchen an Architektur und Städtebau herangingen. Wolf-Rüdiger Eisentraut sprach in diesem Zusammenhang in seinem Garzauer Vortrag151 von der Routine der Typenanpassung und damit verbunden auch vom weit verbreiteten Verlust fachlicher Eigeninteressen: „Es sind drei Problemkreise, auf die ich hier hinweisen möchte. Einmal sind es die Auffassungen und das Selbstverständnis der Architekten. Ich habe eine interessante Erfahrung gemacht. Als wir dazu übergegangen sind, die kleineren Zentren [der Wohngebiete, T.Z.] in der Arbeit zu individualisieren, habe ich ein Kollektiv in meinem Bereich übernehmen müssen, das vorher zehn Jahre lang nur Typenanpassung gemacht hat. Ihr braucht nicht mehr eins wie das andere bauen, jetzt dürft ihr wieder entwerfen, sagte ich den Kollegen. Und ich erwartete Beifall und Lob. Das Gegenteil trat ein. Einige waren einfach nicht mehr darauf eingestellt und nicht darauf vorbereitet.“152

Eisentraut wies deswegen auch darauf hin, dass es oftmals sogar notwendig war, sich professionelle Kompetenzen erst wieder neu anzueignen: „Und das zweite sind, daraus resultierend, sicher die Fähigkeiten und Fertigkeiten in unserem Beruf. Es ist manches wieder bewußter zu erschließen, der Umgang mit Proportionen zum Beispiel. Wir sehen das heute mitunter überraschend deutlich in innerstädtischen Gebieten. Ich habe da einige Bilder im Sinn, wo echte alte Häuser und neue alte Häuser nebeneinander stehen und aneinander grenzen. Da sieht man, daß die alten bestimmte Regeln hatten, wie hoch der Sockel ist, wie die Kolossalordnung ist, das Mezzaningeschoß und das Gesims usw., und das hat alles irgendwie gepaßt. Ich glaube, hier muß wieder gearbeitet werden.“153

150 „Wir verkennen nicht, daß sich in dem letzten halben Jahr unter einem großen Teil unserer Architekten eine gewisse Resignation breit gemacht hat“ (SAPMO, DY 15/28 [BdA], Protokoll 12. BdA-BuV-Sitzung, Berlin, 19.02.1971, Diskussionsbeitrag Pfrogner, S. 40). 151 Hierzu ausführlich auch Kapitel II.2.3. 152 IRS BdA 86I, Wolf-Rüdiger Eisentraut, „Erfahrungen aus der Tätigkeit als Komplexarchitekt“, in: Architektur und bildende Kunst (10), Bearbeitete Protokolle der Zentralen Arbeitsgruppe „Architektur und bildende Kunst“ des BdA/DDR und des VBK/DDR, Tagung „Die konzeptionelle Zusammenarbeit bei Aufgaben der Stadtgestaltung“, Garzau, 14./15.04.1987, S. 16-37, hier S. 24f. 153 Ebd., S. 25f.

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Vor diesem Hintergrund muss auch unterstrichen werden, dass die oben geschilderten, von der Agenda der Baupolitik abweichenden Fachdiskurse keineswegs von der gesamten Architektenschaft getragen wurden. Vielmehr meldeten sich hier besonders ambitionierte Fachleute, solche, die noch nicht resigniert hatten oder jene, die sich als Funktionäre trotzdem fachlich verantwortlich fühlten, zu Wort. Statt einer eher geschlossen auftretenden Architektenschaft sahen sich die Entscheidungsträger in Partei, Staat und Wirtschaft deswegen auch stärker mit Einzelinitiativen konfrontiert, die somit letztlich sehr viel leichter übergangen und marginalisiert werden konnten. Aber auch die, die weitergehende fachliche Interessen zu artikulieren versuchten, hatten die zugrunde liegenden ideologischen Leitlinien nicht selten regelrecht internalisiert und reproduzierten dabei – gerade wenn sie der älteren 45erGeneration angehörten154 – die über Jahre erlernten ideologischen Grundmuster. So wurde immer wieder betont, dass Planung und Entwurf als etwas entindividualisiertes verstanden wurden. Das wurde etwa deutlich, wenn Fachleute von vornherein jeden ,Formalismusverdacht von sich zu weisen versuchten. Damit zeigten sie letztlich, wie tief sie in ihrem Selbstverständnis von den ständigen ideologischen Zurechtweisungen der DDR-Baupolitik geprägt waren. Politik und Auftraggeber versuchten sie deswegen immer wieder von der auf das große Ganze und gesamtgesellschaftliche Erfordernisse ausgerichteten Stoßrichtung ihrer Vorschläge zu überzeugen, während sie jegliches individuelle Interesse und jede persönliche Motivation in Abrede stellten. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang erneut auf die von Werner Strassenmeier 1987 erarbeitete Studie. Gleich zu Anfang wies Strassenmeier hier darauf hin, dass er bei einem Nachdenken über die Qualität von Gestaltung „die Gefahr einer rein formalen Architekturentwicklung“155 sehe, die sich von der Produktivkraftentwicklung loslösen und einem zu stark von den gestalterischen Interessen der Architekten bestimmten Entwurfsverständnis Auftrieb geben könnte. Dieses Beispiel macht vielleicht besonders deutlich, wie sehr auch die Fachleute selbst von vornherein Grenzen der von ihnen neu auf die Tagesordnung gesetzten Themen formulierten und damit in vorauseilendem Gehorsam sowie an den offiziellen politisch-ideologischen Leitlinien orientiert handelten. Gerade die in den 70er und 80er Jahren neu geführten Debatten waren so immer wieder von der diffusen Angst grundiert, bei ungenügender Anpassung an die politische Erwartungshaltung erneut zu scheitern und mit den für die Entwicklung von Architektur und Städtebau so wichtigen fachlichen Argumenten weiterhin nicht durchzudringen. Stattdessen hatte man die punktuellen Erfolge einer engen Kooperation mit der Auf154 Hierzu ausführlich Kapitel III.3.3. 155 IRS BdA 85III, Werner Strassenmeier, „Architekturentwicklung und Technologie. Einige Überlegungen“, nur für den Dienstgebrauch, in: HAB Weimar. Informationen des Weiterbildungsinstituts für Städtebau und Architektur 2/86, S. 2.

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traggeberseite vor Augen156 und suchte deswegen auch jetzt den engen Schulterschluss mit Baupolitik und Bauwirtschaft. Auch aus diesem Grund waren die thematisch durchaus innovativen Debatten der 80er Jahre immer Auseinandersetzungen, die mit angezogener Handbremse und ideologischer Schlagseite geführt wurden.

III.3 R EAKTIONEN DER ARCHITEKTEN III.3.1 Kritik an der Marginalisierung des Architektenberufs Es war vor allem die im vorangehenden Abschnitt geschilderte, vielfältigste Formen annehmende Erstarrung, die schon im Laufe der 70er, vor allem aber während der 80er Jahre die Unzufriedenheit der Architektenschaft mit der Baupolitik, der Entwicklung von Architektur und Städtebau, aber auch mit dem eigenen Berufsprofil und den beruflichen Möglichkeiten weiter schürte. Denn die nahezu alle Bereiche erfassende Erstarrung machte den Fachleuten vor allem eines deutlich: Am Status quo des Bauwesens, damit aber auch ihren eigenen Arbeitsbedingungen, würde sich auf lange Sicht nur wenig ändern. Die Hoffnung auf auch nur vorsichtige Reformen oder minimale Veränderungen musste deswegen schon damals im Wesentlichen aufgegeben werden. Mit der Hoffnung allerdings gaben die Architekten auch ein wichtiges Lebenselixier auf, dass sie und ihren Berufsstand über die vergangenen Jahrzehnte hinweggerettet hatte. Denn die Hoffnung auf weitergehenden fachlichen Einfluss und zumindest sukzessive umfangreicher werdende Handlungsmöglichkeiten und -spielräume hatte seit Gründung der DDR für die Architekten eine durchweg zentrale Rolle gespielt. Mit jedem Schritt, der in Richtung einer solchen umfassenderen fachlichen Einflussnahme ging, hatten sich Architektur und Städtebau der Vorjahre dabei weiterentwickelt  eingeschränkt immer noch durch die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen und die Anforderungen der Bauwirtschaft, zumindest aber durchaus spürbar. Gerade dies ist im Verlauf der vorliegenden Untersuchung deutlich geworden. Den damit einhergehenden Veränderungen kam dabei eine für den Architektenberuf und das Selbstbild der Architektenschaft entscheidende Funktion zu. Sie trugen dazu bei, dass man auch unter nicht selten äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen und angesichts eines in seinen Grundfesten immer wieder infrage gestellten Berufsbildes stolz sein konnte auf die Früchte der eigenen Tätigkeit sowie auf geschickte und kreative Lösungen, mochten sie auf den ersten Blick auch noch so unerheblich und unbedeutend sein. Es war genau dieser Möglichkeitsraum, die eigene fachliche Arbeit sowie Architektur und Städtebau insgesamt weiterzuentwickeln, der im Laufe der 70er und 156 Vgl. hierzu Kapitel II.2.2.

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80er Jahre mehr und mehr schrumpfte. Damit verbunden übertrug sich die Erstarrung, die die politische Führung sukzessive ergriffen hatte, nach und nach auch auf die Handlungsmöglichkeiten und das Berufsprofil der Architekten. Die mangelnde Innovations- und Reformfähigkeit legte sich wie ein Tau nicht nur über das Land, sondern auch über das berufliche Umfeld der Architektenschaft. Viele Fachleute fühlten sich deswegen bald wie gelähmt  eine Lähmung, die sich natürlich auch auf die Ergebnisse der eigenen Arbeit auswirkte und so bei einem Teil der Architekten die Unzufriedenheit mit dem Bauen der 70er und 80er Jahre, vor allem aber auch die Hoffnungslosigkeit angesichts der allgemeinen Situation des Bauwesens weiter anwachsen ließ. Hoffnungslosigkeit, Resignation und Enttäuschung machten sich dabei in ganz verschiedener Hinsicht breit. In allen Fällen ging es aber auch um das Berufsbild des Architekten und die Arbeitsbedingungen der Architektenschaft. Mit an erster Stelle zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Fachleute im Laufe der Jahre jede Hoffnung aufgaben, dass sich hinsichtlich ihrer beruflichen Stellung noch etwas zum positiven ändern würde. Vor allem zwei Aspekte wurden von ihnen dabei immer wieder angesprochen: zum einen die Unterordnung des Architektenberufs unter den des Bauingenieurs und Ökonomen. Und zum anderen die mangelnde Anerkennung und Sichtbarkeit der Architektenarbeit in der breiteren Öffentlichkeit. Was die Unterordnung des Architekten- unter den Bauingenieursberuf sowie unter ökonomische Entscheidungsträger auf den verschiedensten Ebenen von Staat, Politik und Bauwesen anging, hatte sich inzwischen eine Lage als Dauerzustand verfestigt, die in ihren Anfängen bereits auf die zweite Hälfte der 50er Jahre zurückging. 157 Deutlich machte das etwa Bernd Grönwald, der im Rahmen der 5. BdA-Präsidiumssitzung vom 30. März 1984 das Wort ergriff. Im Rahmen seines Diskussionsbeitrags erläuterte Grönwald, dass die Zahl der ausgebildeten Architekten aktuell nur bei einem Zehntel der ausgebildeten Bauingenieure158 lag und führte so vor Augen, wie wenig Beachtung man dem Architektenberuf inzwischen beimaß und wie sehr sich dies schon im Bereich der Ausbildung und an den Hochschulen bemerkbar machte. Alle Interventionen und Bemühungen der Architektenschaft, auf 157 Hierzu u.a. Kapitel I.2.3. 158 „Wir bilden in Weimar und Dresden 70, laut Gesetz zugelassen auf 80, Architekturstudenten aus im Studienjahr, kommen Gebietsplan und Städtebau jetzt noch hinzu, die inzwischen, was die Gebietsplaner betrifft, in der Grundstudienrichtung Architektur marschiert [sic!], kommen also noch einmal 60 hinzu und kommen die zwanzig von Berlin hinzu. Also wenn man das addiert, kommt man auf eine Zahl, die nicht einmal ein Zehntel von dem ist, was wir an Bauingenieuren im Hochschulprofil ausbilden“ (IRS BdA 4IIa, Protokoll 5. BdA-Präsidiumssitzung, 30.03.1984, Diskussionsbeitrag Grönwald, S. 58).

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die Bedeutung und Wichtigkeit des eigenen Berufsstandes zu verweisen sowie durch die eigenen Arbeiten zu überzeugen, hatten demnach nach wie vor kaum Erfolge gezeitigt. Wie bereits unmittelbar nach Chruschtschows Rede auf der Allunionstagung der Bauschaffenden des Jahres 1954 glaubte die Baupolitik weiterhin und angesichts eines seit den 60er und 70er Jahren noch sehr viel stärker auf Typenund Wiederverwendungsprojektierung setzenden Bauens, auf den Architekten weitgehend verzichten zu können. Vielfach war man damit verbunden auch noch Mitte der 80er Jahre der Meinung, dass die klassischerweise von ihm übernommenen Aufgaben letztlich besser von Ingenieuren und Wirtschaftsfunktionären gelöst werden könnten  eine Einschätzung, die u.a. der oben geschilderten Hintanstellung der Architekten im Hochschulbereich zugrunde lag.159 Die Auswirkungen auf den Architektenberuf, vor allem aber auf das Bauen selbst, waren fatal und bestimmten vielerorts das Bild der Städte. So ist in den vorhergehenden Abschnitten dargestellt worden, wie schwierig es inzwischen war, eine auch gestalterisch anspruchsvolle Architektur durch- und umzusetzen  eine Entwicklung, die u.a. ganz wesentlich aus der zentralen Stellung der Ingenieure und Ökonomen sowie der gleichzeitigen weitgehenden Marginalisierung der Architekten resultierte. Auch Alfred Hoffmann, Parteisekretär des BdA, waren diese Schieflage und die aus ihr erwachsenden Probleme bewusst. So unterstrich er im Rahmen eines Diskussionsbeitrags auf der 7. BdA-Präsidiumssitzung des Jahres 1985, wie wichtig der Architekt im Bau- und Planungsprozess aus seiner Sicht nach wie vor war.160 An der Lage der Architekten159 So schreibt Betker, „daß die Industrialisierung des Bauwesens auch in der DDR Strukturen der Arbeitsteilung hervorgebracht oder konserviert hat, dabei aber die Machtressourcen ungleich verteilte. Die neuen Kräfte der Bautechnologen genossen schon bald auch politisch mehr Wertschätzung und beherrschten das Bauwesen von seiner technischen Seite her. Ihre Vorschläge, Ideen und Innovationen sorgten für eine steigende Effektivität des Bauens, für Einsparungen an Zeit, Material und Arbeitskräften usw., während die Gestalter, die Stadtplaner und Architekten, das Bauen verteuerten. Im wahrsten Sinne des Wortes ,verloren sie an Boden . Sie mußten ihre Hauptverantwortung für den städtebaulichen Entwurf, die Gestaltung von Fassaden und Grundrissen mehr und mehr mit anderen teilen. Es entstanden regelrechte ,Spartenanymositäten . Ab den 60er Jahren hätten ,die Ingenieure immer auf die Architekten hinabgeschaut und haben sie teilweise auch in ihren eigenen Berufsfeldern verdrängt, denn es wurden wesentlich mehr Hoch- und Fachschulingenieure ausgebildet als Architekten und Stadtplaner“ (Betker, S. 318). 160 „Kollegen, ich behaupte – Ihr könnt es ja bestreiten –, wenn in der Projektierung heute irgendwo Kostenplaner oder Technologen oder ein Konstrukteur ausfällt, es findet sich immer noch ein Architekt, der die Lücke schließt. Der muß ja das Projekt fertig kriegen. Wenn aber der Architekt ausfällt, aus welchem Grund auch immer, entweder er macht keine Architektur mehr, oder er kann sie nicht, oder er ist krank geworden, ein Ökonom

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schaft änderte freilich auch die Tatsache nichts, dass selbst die BdA-Spitze die mit der Marginalisierung des Architektenberufs einhergehenden Probleme inzwischen regelmäßig deutlich benannte. Der zweite Aspekt, der von den Architekten im Zusammenhang mit ihrer nur zweitrangigen Rolle im Bauwesen immer wieder genannt wurde, war der der mangelnden öffentlichen Wahrnehmung und Anerkennung. Auch er reichte bereits in die ersten Jahre der DDR zurück, wurde aber gerade ab Beginn der 70er Jahre immer wieder zur Sprache gebracht. Eine wichtige Rolle spielte dabei sicherlich auch, dass mit der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik vor allem der Typenwohnungsbau forciert wurde, während große und auf Repräsentativität angelegte Bauprojekte zunächst zurückgestellt wurden. Letztlich nämlich waren es gegen Ende der 60er Jahre gerade die großen Zentrumsprojekte gewesen, die den Architekten noch eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit und Reputation zuteilwerden ließen. Mit Beginn der 70er Jahre war nun allerdings klar, dass mit dem zumindest anfänglichen Wegbrechen dieses Aufgabenfeldes auch der eigene Berufsstand immer weniger in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden würde. Die damit verbundene Problematik wurde deswegen auch schon im Rahmen der 6. BdA-BuV-Sitzung vom 07. Dezember 1973 zur Sprache gebracht. Damals meldete sich niemand anderes als der Chefredakteur der so konservativen und in der Regel ganz der Parteilinie verpflichteten AdDDR, Gerhard Krenz, kritisch zu Wort. Dabei betonte er, wie sehr der Architekt die Anerkennung der Öffentlichkeit brauche, wie sehr ihm eine solche Anerkennung aber immer wieder verweigert werde: „Eines scheint mir jedoch in jedem Falle notwendig zu sein, die Architektur zu der Anerkennung in der Öffentlichkeit zu bringen, die ihr im Interesse einer kulturvollen Lebenssphäre der Menschen im Sozialismus zukommt. Wenn sie das bis heute nicht immer in dem Maße hat, wie wir das erhoffen, dann sollten wir auch nach den Ursachen fragen.“161

Zwei Jahre später pflichtete ihm auch BdA-Präsident Wolfgang Urbanski bei. Auf dem 7. BdA-Bundeskongress vom 13. und 14. November 1975 betonte er im Rahmen eines Vortrages über „Die Aufgaben der Architekten und ihres sozialistischen Fachverbandes“, die Architektenpersönlichkeit müsse öffentlich einen sehr viel höheren Stellenwert erhalten.162 Gerade die beiden letztgenannten Beispiele machen findet sich nicht, der Architektur macht. (Zuruf: Immer!) (Große Heiterkeit)“ (IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 36f.). 161 SAPMO, DY 15/33 (BdA), Protokoll 6. BdA-BuV-Sitzung, 07.12.1973, Referat Krenz, S. 20. 162 „Ohne die Bedeutung und die Kraft des Kollektivs zu schmälern, ist es unter den gegenwärtigen Bedingungen erforderlich, auch öffentlich die Architektenpersönlichkeit

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dabei deutlich, wie sehr das Thema die Architektenschaft beschäftigte. Denn bis in die Reihen hoher Architekturfunktionäre hinein wurde das öffentliche Ansehen des eigenen Berufsstandes immer wieder thematisiert. Dabei spielte es keine Rolle, dass man sich sonst vielfach loyal verhielt und den Auftrag, als ,parteipolitischer Transmissionsriemen zu wirken, ernstnahm. Ermutigt wurden so auch die Fachleute an der Basis, es den leitenden Funktionären gleichzutun und jene kritischen Standpunkte ihrerseits aufzugreifen. Stellvertretend für andere sei in diesem Zusammenhang nur auf eine Diskussion im Rahmen der 13. BdA-Präsidiumssitzung vom 21. März 1980 verwiesen, auf der einer der anwesenden Komplexarchitekten ebenfalls kritisierte, dass für die Architekten keine Öffentlichkeitsarbeit betrieben werde. Zudem müsse auch in der breiteren Öffentlichkeit ein bislang fehlendes stärkeres Bedürfnis nach guter Architektenarbeit geweckt werden.163 Doch wie schon im Zusammenhang mit früheren fachinternen Debatten beließen es die Architekten erneut nicht bei bloßer Kritik am Status quo, sondern sprachen auch die neuralgischen Punkte an, die es zukünftig stärker in den Blick zu nehmen galt, wenn es um eine Aufwertung der öffentlichen Wahrnehmung des Architektenberufs ging. Eines der ganz großen, bis zum Ende der DDR letztlich aber erfolglos verfolgten Projekte war dabei ihr Eintreten für die eigenen Urheberrechte. Die damit verbundenen Bemühungen gingen ebenfalls bereits auf die frühen 70er Jahre zurück. So begrüßte Bundessekretär Werner Wachtel im Rahmen einer BdABuV-Parteigruppensitzung vom Februar 1971 sehr deutlich eine entsprechende Initiative der BdA-Bezirksgruppe Karl-Marx-Stadt und stellte sie damit auch als vorbildlich für die Arbeit des gesamten BdA dar.164 Von diesen ersten Anfängen auf als verantwortlicher Autor stärker zu betonen, so wie das zum Beispiel bei der Stadthalle Cottbus erfolgte“ (IRS BdA 16/4, 7. BdA-Bundeskongress, Referat Urbanski, S. 16). 163 „Also es ist auch nicht so weit her mit dem Prestige oder mit der Öffentlichkeitsarbeit, und es gibt da noch einiges nachzuholen [...] Die verbale Bestätigung, daß wir gebraucht werden, können wir überall einholen. Aber dieses Schulterklopfen nützt uns nichts. Wir müssen wirklich gebraucht werden. Zwei Situationen sind denkbar, um gebraucht zu werden, einmal daß wirklich das Bedürfnis in der Gesellschaft so groß ist, daß Gestaltung gebraucht wird, daß Umweltgestaltung gebraucht wird, daß man also nach den Fachleuten schreit. Dieses Bedürfnis ist nicht vorhanden. Das möchte ich einmal ganz eindeutig sagen“ (IRS BdA 4I, Protokoll 13. BdA-Präsidiumssitzung, 21.03.1980, Diskussionsbeitrag Schroth, S. 63f.). Darüber hinaus sprach sich Schroth dafür aus, das Bewusstsein auf Parteiseite zu steigern. 164 „[...] wenn ich an das Problem denke, das die Bezirksgruppe Karl-Marx-Stadt auf dem Kongreß darlegen will, und zwar das Problem Urheberrecht. Darüber wollen sie sprechen. Das ist natürlich in unserer Republik eine völlig ungelöste Frage, und ich habe das sehr begrüßt, daß wir das mit in dem Prozeß der Klärung zwischen Urheber, Projektant und Autor behandeln, also dieses Problem darlegen“ (SAPMO, DY 15/28 [BdA],

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Bezirksebene ging denn auch bald eine sehr viel umfangreichere Beschäftigung mit dem Thema aus. So wurde nur wenig später eine eigene Kommission innerhalb des Architektenbundes eingesetzt, die sich intensiv und detailliert mit Fragen des Urheberrechtes, seiner Durchsetzung und damit auch einer Aufwertung des eigenen Berufsstandes auseinandersetzen sollte. Die Ergebnisse der Kommissionsarbeit wurden schließlich  so ein entsprechender Bericht von Walter Mickin auf der 5. BdABuV-Sitzung vom April 1973165  dem MfB übermittelt und waren als Vorschläge für eine entsprechende Anpassung der Baupolitik zu verstehen.166 Umgesetzt wurde davon allerdings letztlich nur wenig. Spürbar wurde dabei nicht zuletzt auch ein Manko, unter dem der gesamte Architektenberuf litt. Aus ideologischen Gründen und vor dem Hintergrund seiner weiteren Anpassung an das planwirtschaftliche System wurde ihm nämlich nach wie vor jeder künstlerische Charakter abgesprochen  ein Ergebnis nicht zuletzt jener Bau- und Berufspolitik, die Architektur, Städtebau und Architektenarbeit vor allem unter einem materiell-produktiven Blickwinkel betrachtete und nach ökonomischen Kriterien beurteilte. Erneut wurde den Architekten so nochmals deutlich vor Augen geführt, dass ihre Stellung im Bauwesen der DDR als absolut nachrangig verstanden wurde und von Wertschätzung für eine ästhetisch anspruchsvolle Architektenarbeit keine Rede sein konnte. Dies schlug sich letztlich in einem weiteren, von der Architektenschaft immer wieder kritisierten Punkt nieder. Auch in den 70er und 80er Jahren waren Architekten in der Presse kaum präsent. Sehr plastisch zum Ausdruck kam das im Rahmen eines Diskussionsbeitrags, den Hans Bogatzki anlässlich der 5. BdA-Präsidiumssitzung am 30. März 1984 hielt. Darin beschwerte sich Bogatzki darüber, dass ein zur Eröffnung des Friedrichstadtpalastes ausgestrahlter Fernsehbericht zwar den Chef der Baudirektion Berlin, Ehrhardt Gißke, erwähnte, nicht aber die am Entwurf des Gebäudes beteiligten Architekten.167 Ähnlich wie bei der Frage des UrheberProtokoll BdA-BuV-Parteigruppensitzung, 18.02.1971, Diskussionsbeitrag Wachtel, S. 22). 165 SAPMO, DY 15/32 (BdA), Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 27.04.1973, Bericht Mickin, S. 5. 166 Auch die AdDDR griff das Thema damals auf (vgl. hierzu etwa Winfried Müller, „Über das Urheberrecht an Werken der Baukunst in der DDR“, in: AdDDR 3/1975, S. 186f.; Ders., „Über Urheber von Werken der Baukunst in der DDR“, in: AdDDR 8/1975, S. 507f.). 167 „Aber während Adlershof [Sitz des DDR-Rundfunks und -fernsehens, T.Z.] selbst beim mißlungensten Fernsehspiel eine lange Latte Namen erwähnt, haben sie es in einem dreiviertelstündigen Bericht, der wenige Tage nach der glanzvollen Eröffnung [des Friedrichstadtpalastes, T.Z.] gesendet wurde über das Haus, über seine Entstehung nicht fertig gebracht, außer einmaliger kurzer Erwähnung von Professor Gißke mit seinen Mannen, auch nur einen einzigen der anderen Architekten oder auch nur den Namen

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rechts war es also auch die mangelnde Aufmerksamkeit, die Architekten in den Medien zuteilwurde, die ihre untergeordnete Stellung sehr deutlich illustrierte. Von Architektenseite wurde deswegen alles unternommen, um eine Verbesserung der Lage herbeizuführen und gerade über die Presse mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. 1985 mahnte etwa Joachim Stahr im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung an, wie wichtig es sei, Architektur und Städtebau über die Presse verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken: „Viele von uns verfolgen sicher auch mit Interesse das ,Neue Deutschland . Wir haben immer eine ganz herrliche Seite, wo Schriftsteller, Künstler und Theaterschaffende offen und mit vielen guten Bildern über ihre Kulturwerte diskutieren, und wir haben dann manchmal die letzte Seite des ,ND , wo irgendein Reporter ein kleines Bildchen eines Neubaus anbringt – sicher von keinem Architekten beeinflußt oder bewertet, sicher auch die Unterschrift nicht. Wir müssen mehr darum kämpfen, daß in unserer öffentlichen Presse die Frage von Städtebau und Architektur als Kulturbegriff, als Kulturwert, als geistige schöpferische Leistung mehr zum Tragen kommt.“168

Doch auch, indem sie die Presse immer wieder in die Pflicht nahmen, vermochten die Architekten ihrer nachgeordneten Stellung im Bauwesen auf Dauer nichts entgegenzusetzen. Dazu war die Presse selbst viel zu sehr staatlich gelenkt und die Marginalisierung der Architektenschaft zum festen Bestandteil der offiziellen, letztlich auch über die Presse vermittelten Baupolitik geworden. So verwundert es kaum, dass noch Heinz Willumat während der noch offenere Kritik übenden BdABuV-Sitzung vom April 1989 erneut forderte, dass Architektur gerade auch in der Presse präsent sein müsse.169 Bis zum Ende der DDR sollten also auch in diesem Bereich keine Fortschritte erzielt werden. des Baubetriebes, Ingenieurhochbau Berlin, überhaupt zu nennen. Das ist nicht nur mir, sondern einer ganzen Reihe anderer Kollegen, die diese Sendung dort mit Interesse verfolgt haben, aufgefallen. Wenn das Schule macht, dann sollten wir im BdA in Zukunft nicht mehr über Autorenrecht und dergleichen diskutieren (Beifall)“ (SAPMO, DY 15/43 [BdA], Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 18.05.1984, Diskussionsbeitrag Bogatzky, S. 41). 168 SAPMO, DY 15/44 (BdA), Protokoll 8. BdA-BuV-Sitzung, 12.12.1985, Diskussionsbeitrag Stahr, S. 108. Stahr verband diesen Gedanken zudem mit der Idee, den einzelnen Bürger mit Hilfe der Presse in die Lage zu versetzen, über Architektur geschmacklich urteilen zu können. Dabei schwang sicherlich auch die Hoffnung mit, die Bevölkerung als Fürsprecherin der Architektenschaft zu gewinnen. 169 „Ich meine, daß auch die öffentliche Diskussion in den Medien dazugehört [zur Architekturdiskussion, T.Z.]. Jeden Tag kann man Kulturseiten sehen, in jeder Presse, aber nur selten Architekturpropaganda [sic!], und ich meine auch, daß eben die Auseinander-

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III.3.2 Neue (und zugleich alte) Berufsbildentwürfe Einführung Vor diesem Hintergrund intensivierten die Architekten denn auch jene Berufsbilddebatte, die sie schon in den 70er Jahren und parallel zur weiter zunehmenden Produktionsorientierung von Architektur und Städtebau zu führen begonnen hatten.170 Insbesondere ab 1980 und damit zu einer Zeit, als sich selbst das ab 1978 gesetzlich fixierte Berufsprofil des Komplexarchitekten als alleine auf die Bedürfnisse von Baupolitik und Bauwirtschaft zugeschnitten herauszukristallisieren begann, nahmen die kritischen Töne aus den Reihen der Architekten zu. Den Anfang machte im Mai 1980 im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung der in der BA tätige Architekt Werner Rietdorf. Rietdorf fasste eine Befragung der in den Architekturstudiengängen der Hochschulen eingeschriebenen Studierenden zusammen und zog dabei das Fazit: „Sehr problematisch ist eine Aussage aus dieser Analyse, [...] daß etwa 70 Prozent der Absolventen einschätzen, daß ihre schöpferische Tätigkeit zu gering sei, und sie begründen das mit einer Einengung des Spielraumes durch [...] technische, technologische und sogenannte organisatorische Zwänge.“171

Rietdorf brachte damit auf den Punkt, was viele Architekten inzwischen am Berufsbild des Architekten störte. Zu nennen ist dabei zunächst die Tatsache, dass gerade mit dem Berufsprofil des Komplexarchitekten nochmals sehr viel stärker betont wurde, dass es sich bei der Architektenarbeit um eine vor allem koordinierende und organisierende Tätigkeit handelte. Behauptete Rietdorf 1980 noch ganz im Sinne der Parteilinie, dass die Kritik der Nachwuchskräfte an den Realitäten des beruflichen Alltags vorbeiginge, so sah er dies drei Jahre später schon anders. Zwar konnte man bei ihm nach wie vor von grundsätzlicher politischer Loyalität ausgehen. Trotzdem aber formulierte er im Rahmen einer Stellungnahme des BdA zur „Konzeption für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“ nunmehr einen klaren und auf die Überwindung des damaligen Zustandes angelegten Auftrag: setzung um diesen Teil unserer Kultur auch dazu beitragen muß, daß die Gesellschaft sich interessiert, sich qualifiziert, daß man erreichen kann über solche Blätter [sic!], aber es begegnen uns äußerst naive Vorstellungen, die abgebaut werden könnten, wenn wir da offensiv wären“ (SAPMO, DY 15/48 [BdA], Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 27.04.1989, Diskussionsbeitrag Willumat, S. 69). 170 Vgl. hierzu Kapitel II.1.2. 171 SAPMO, DY 15/38 (BdA), Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 30.05.1980, Diskussionsbeitrag Rietdorf, S. 47.

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„Der hohe Anteil von Koordinierungsarbeit und Routineprozessen, wie er gegenwärtig leider noch typisch ist für die Tätigkeit der Architekten in der Projektierung, muß [...] zielgerichtet abgebaut werden.“172

Ähnlich kritisch äußerte sich zwei Jahre später zudem der Parteisekretär des BdA, Alfred Hoffmann, wenn er formulierte, der Architekt müsse „aufhören, ein Projektierer zu sein.“173 Wie wenig allerdings auch diese Appelle nützten, wurde anlässlich der bereits erwähnten BdA-BuV-Sitzung vom April 1989 deutlich. Im Rahmen seines Diskussionsbeitrags formulierte Heinz Willumat nämlich letztlich dieselbe Kritik wie vier Jahre zuvor bereits Alfred Hoffmann, wenn auch er forderte, der Architekt dürfe nicht mehr bloßer Verkäufer von Erzeugnissen sein.174 Beinahe unaufhaltsam vorangeschritten war im Zuge der fast schon verabsolutierten Typen- und Wiederverwendungsprojektierung inzwischen vor allem die weitreichende Ökonomisierung des Architektenberufes. Schon die Studierenden hatten im Rahmen der von Werner Rietdorf angesprochenen Befragung die vielfältigen Zwänge bemängelt, unter denen ihre Arbeit zu leiden hatte. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre schlossen sich schließlich auch etablierte Architekten dieser Sichtweise und Kritik an. Besonders pointiert meldete sich im Rahmen einer BdABuV-Sitzung vom Oktober 1987 etwa Kurt Lembcke zu Wort. Lembcke konstatierte zum einen klar und deutlich, dass die Ökonomie nicht das eigentliche Ziel des Architekten, sondern nur eine wesentliche Grundlage seiner Arbeit sei.175 Darüber hinaus bemerkte er zudem:

172 IRS BdA 14IV, Werner Rietdorf, Stellungnahme des BdA zur „Konzeption für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“, Berlin, 09.12.1983, S. 43f. 173 IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 37. 174 „Mir scheint, daß die Funktion des Architekten als Vertreter zum Verkauf von Erzeugnissen in dieser Form anders werden soll, daß das in Zukunft nicht mehr aufrechtzuerhalten ist [...]“ (SAPMO, DY 15/48 [BdA], Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 27.04.1989, Diskussionsbeitrag Willumat, S. 69). Willumat verband diesen Gedanken dabei mit der Überlegung, Planungsprozesse zu demokratisieren und dabei Bürger sowie Nutzer stärker einzubeziehen. 175 „Zunächst eine Klarstellung: Die Ökonomie ist nicht das Ziel des Architekten bzw. seines kreativen Schaffens, sondern vielmehr der bewußten Gestaltung der baulichräumlichen Umwelt der Menschen zum Vollzug und zur Stimulierung seiner Lebenstätigkeit [sic!]. Damit muß natürlich Architektur auch ökonomisch sein, in ihrer Herstellung und ihrer Nutzung. Ökonomie ist damit nicht nur eine Bedingung, sondern sogar eine Conditio sine qua non, eine Bedingung, ohne die nichts geht. Aber sie ist nicht das

368 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „Noch zu viele Kollegen sind von den Forderungen der Ökonomie so in Anspruch genommen – ich habe das positiv formuliert und nicht negativ, indem ich nicht gesagt habe: frustriert , daß bei ihnen die Mittel und Bedingungen über die eigentlichen Ziele ihres Schaffens herrschen und daß sie dann eher der Gefahr erliegen, lediglich als Erfüllungsgehilfe der Bauproduktion zu fungieren, als der Gefahr, eien [sic!] Überschuß an Innovationen für die sozialistische Architekturentwicklung einzubringen.“176

Deutlicher konnte man unter DDR-Verhältnissen die Unzufriedenheit mit der ökonomischen Vereinnahmung des Architektenberufs sicherlich kaum zum Ausdruck bringen. Für Unmut sorgte vor allem die nahezu ausnahmslose Verpflichtung der Architekten auf festgelegte Vorgaben, Vorlagen und Normen, die jede individuelle Kreativität zu ersticken drohten. Gerade dieses Problem sprach etwa Joachim Stahr im Zuge eines Diskussionsbeitrags auf der 8. BdA-BuV-Sitzung vom Dezember 1985 an. „Neue Architektur“, so konstatierte er gegenüber seinen Kollegen im Architektenbund, „ist innovationsgeladen, ist gewissermaßen auch abhängig vom Schöpfertum von uns allen, und schöpferische Tätigkeit ist meist etwas im Gegensatz zu Richtlinien, Standards, TGL. Ich glaube, es ist erforderlich, daß wir insbesondere auch vor dem Bundeskongreß über jene Flut von [...] großen und kleinen Vorschriften, Reglementierungen, Standards, TGL uns noch einmal Gedanken machen [...] Ist nicht unser ganzes TGL- und Gesetzeswerk hinderlich für Schöpfertum und Kreativität in der Architektur?“177

Ähnlich wie bei Stahr wurde die Kritik an der Ökonomisierung und Bürokratisierung der Architektentätigkeit seit den 80er Jahren zunehmend mit der nachdrücklichen Feststellung verbunden, dass Architektenarbeit immer auch eine gestalterische Tätigkeit sein sollte. Zu nennen ist hier etwa eine BdA-Präsidiumssitzung vom 21. März 1980. Sie ist auch deswegen von besonderem Interesse, weil ihr Verlauf deutlich werden ließ, wie kontrovers schon damals sogar die Leitungsebene des BdA über die nach und nach erstarrenden sowie äußerst eingeschränkten und einseitigen Rahmenbedingungen der Architektenarbeit diskutierte. Auslöser der Debatte war dabei vor allem das seit zwei Jahren gesetzlich verankerte, die Fachleute jedoch in

eigentliche Ziel des Architekten“ (SAPMO, DY 15/46 [BdA], Protokoll 2. BdA-BuVSitzung, 09.10.1987, Diskussionsbeitrag Lembcke, S. 59). 176 Ebd. 177 SAPMO, DY 15/44 (BdA), Protokoll 8. BdA-BuV-Sitzung, 12.12.1985, Diskussionsbeitrag Stahr, S. 109f.

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keiner Weise zufriedenstellende Berufsprofil des Komplexarchitekten.178 Christian Zeil, einer der anwesenden Architekten, verwies so etwa auf den Umstand, dass der Entwurf als ursprünglich durchaus zentrales Element der Architektentätigkeit bereits zum damaligen Zeitpunkt nur noch 20% der gesamten Arbeit ausmachte.179 Rhetorisch bemühte Zeil dabei sogar Karl Marx und sprach von der „Entfremdung vom Entwurf“180, ein Begriff, der vielleicht besonders treffend charakterisierte, was Wolf-Rüdiger Eisentraut sieben Jahre später in Garzau als großes Problem darstellte: den Verlust zentraler Kompetenzen und die Notwendigkeit für viele Architekten, überhaupt erst wieder architektonisch-städtebaulich denken und arbeiten zu lernen.181 Wie sehr dieses Thema die Architekten letztlich auch emotional beschäftigte, zeigte schließlich eine Stellungnahme von BdA-Parteisekretär Alfred Hoffmann  auch und gerade sie ebenfalls ein wichtiges Indiz für die wachsende Kritik an Baupolitik, Bauwirtschaft und ideologischen Leitlinien bis in die Reihen der Partei hinein. So forderte Hoffmann im Rahmen der 7. BdA-Präsidiumssitzung vom 12. April 1985 seine Kollegen zur Interaktion und zum Mitmachen auf  schon dies eine eher ungewöhnliche Vorgehensweise innerhalb einer Massenorganisation, deren Arbeit sich offiziell an einer genauestens festgelegten Dramaturgie zu orientieren hatte. „Und nun“, so versuchte Hoffmann im wahrsten Sinne des Wortes Bewegung in die Debatte zu bringen, „[...] soll doch einmal jeder von uns hier den Finger erheben – wir sind ja alles Architekten , wer denn noch entwirft. Also ich kann meinen nicht heben. Wer entwirft denn noch? Es entwerfen immer weniger von den 6000. Das soll jetzt keine Diskriminierung sein hier. Ich werde mich doch nicht selbst diskriminieren. Es soll nur auf einen Tatbestand zeigen, daß bei zunehmender Bautätigkeit bei uns immer weniger Menschen sich mit der eigentlichen Sache beschäftigen, um die es geht, nämlich die Suche nach einer gemäßen künstlerischen Form, und davon dürfen wir auch als BdA nicht loslassen.“182

178 In diesem Zusammenhang sei zudem nochmals darauf verwiesen, dass zahlreiche Architekten zunächst große Hoffnungen in dieses Berufsprofil gesetzt hatten (hierzu ausführlich Kapitel III.1.1.). 179 Zeil bezog sich dabei auf eine entsprechende Äußerung zweier Kollegen, die auf der BdA-Präsidiumssitzung bemängelten, „ihre gestalterische Potenz, also ihr eigentliches Metier macht zwanzig Prozent ihrer Tätigkeit aus“ (IRS BdA 4I, Protokoll 13. BdAPräsidiumssitzung, 21.03.1980, Diskussionsbeitrag Zeil, S. 67). 180 Zugleich unterstrich Zeil damit natürlich auch seine politische Loyalität. 181 Hierzu ausführlich Kapitel III.2.3. 182 IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 37.

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Besonders eindrucksvoll wurde hier deutlich, welchen Sprengstoff die Erstarrung der Baupolitik und die aus ihr resultierende Unzufriedenheit der Architektenschaft barg. Denn zum Ausdruck gebracht wurde von Hoffmann letztlich etwas bislang in dieser Form selten Dagewesenes. Der BdA begann hier, seine Arbeit als berufliche Interessenvertretung der Architektenschaft wirklich ernst zu nehmen  ein Auftrag, dem angesichts der offiziellen Erwartungshaltung, als parteipolitischer Transmissionsriemen zu wirken, vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten zwar auch, letztlich aber immer nur rudimentär nachgekommen worden war.183 Die Entwicklung  oder besser gesagt  die Stagnation von Architektur und Städtebau, damit aber auch der offiziell konzessionierten Berufsprofile des Architekten und Städtebauers, führten hier seit den 70er und 80er Jahren jedoch zu einem zunehmenden Umdenken auch der leitenden Kader. Es war jener von Erich Kaufmann angeschlagene Ton, der mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen Partei und Fachleuten im Juni 1985 formulierte, manchmal müsse man sich auch hauen184, der langsam, aber stetig auf das gesamte institutionelle Gefüge des Bauwesens übergriff. Mehr und mehr setzten sich dabei kritische Haltungen durch. Hier zeigte sich auch im Bereich von Architektur und Städtebau, wie sehr sich der Staat von innen her aufzulösen und tragende Säulen des Systems wegzubrechen begannen. Kulminieren sollte diese Entwicklung in den Jahren 1988 und 1989. Ihre Wurzeln hatte sie allerdings, wie bereits punktuell deutlich geworden ist, schon sehr viel früher  ein Aspekt, der im Folgenden nochmals anhand des beruflichen Selbstbildes der Architektenschaft während der 80er Jahre verdeutlicht werden soll. Berufsbildentwürfe und berufliches Selbstverständnis in den 80er Jahren Anknüpfend an entsprechende Konzepte der 70er Jahre 185 verwies der BdA seit 1980 regelmäßig und noch sehr viel dezidierter auf die künstlerische Dimension der Architektentätigkeit. Angesichts der Vielzahl an Quellen, in denen sich solche Hinweise finden, soll an dieser Stelle eine Auswahl von Beispielen genügen. Ewald Henn etwa, der 1982 zum BdA-Präsident ernannt werden sollte, steuerte im Rahmen der bereits mehrfach erwähnten 13. BdA-Präsidiumssitzung vom März 1980 183 Damit ist nicht die Rolle als vermittelnde Instanz zwischen baupolitischen und fachlichen Interessen gemeint, die in den vorangehenden Abschnitten herausgearbeitet worden ist. 184 „Ich glaube, wir sind aber jetzt an der Stelle, wo wir den neuen Schritt gehen müssen, nicht Antwort geben, wenn die Partei etwas fragt, sondern schon mit den Vorschlägen kommen [...] Manchmal muß man sich hauen, aber im Nachgang stellt man fest, daß man doch einen Schritt weitergekommen ist“ (SAPMO, DY 15/44 [BdA], Protokoll 7. BdA-BuV-Sitzung, 28.06.1985, Referat Kaufmann, S. 23f.). 185 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel II.1.2.

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einen Diskussionsbeitrag bei, in dem er explizit aussprach, was inzwischen mehr und mehr als unverkennbares Manko von Architektur und Städtebau wahrgenommen wurde. Der kulturelle Anspruch an das Bauen werde, so Henn, den Aufgaben, die sich stellen würden, nicht gerecht.186 Im selben Jahr und nur zwei Monate später pflichtete ihm auch BdA-Präsident Wolfgang Urbanski weniger deutlich, letztlich aber doch für alle Anwesenden unmissverständlich, bei. In seinem Referat auf der 10. BdA-BuV-Sitzung betonte Urbanski nämlich, dass „unsere Zeit engagierte Architekten braucht, die die neuen Aufgaben mit schöpferischem Geist [...] meistern“187  auch dies ein klarer Hinweis darauf, dass selbst führende Kader die Architektentätigkeit nicht alleine organisatorisch-verwaltend verstanden wissen wollten, sondern nach wie vor auch die kreative Komponente des Berufsbildes betonten. Gerade im Laufe der 80er Jahre und parallel zu einem auch thematisch immer stärker erstarrenden Architektur- und Städtebaudiskurs188 beschäftigte sich der BdA denn auch verstärkt mit dem Entwurf eines Berufsbildes, das die kulturelle und gestalterisch-ästhetische Seite des Bauens noch sehr viel stärker einbeziehen sollte als in den entsprechenden Entwürfen der 70er Jahre. Besonders interessant ist, dass Architekten in diesem Zusammenhang auch historische Anleihen machten, die etwas mehr als ein Jahrzehnt zuvor noch weitgehend undenkbar gewesen wären, nun aber im Zuge einer thematisch wesentlich breiter aufgestellten Geschichtspolitik opportun waren. Ein Beispiel dafür ist der Redebeitrag Herbert Rickens im Rahmen der 4. BdA-BuV-Sitzung vom 02. Dezember 1983. Ricken, der sich in den vergangenen Jahren im Auftrag der BA intensiv mit der historischen Herleitung und Anbindung eines spezifisch sozialistischen Architektenverständnisses beschäftigt hatte189, nutzte die von ihm, aber auch von Kurt Junghanns, Bernd Grönwald und anderen geleistete Arbeit nun, um das Berufsprofil des Architekten aus der Geschichte heraus anzureichern und um eine dezidiert gestalterische Dimension zu erweitern. Dabei versuchte er auch, dem in erster Linie rationalistischen Architektur- und Städtebauver186 „Es klang an, wie sieht es mit der Tatsache aus, wie wir den kulturellen Anspruch an das Bauen geltend machen im Prozeß der Industrialisierung, in dem Kampf um die Erhöhung der Effektivität? Ich meine, wir sind hier auf einem Stand, der der Größe der Aufgaben unserer Zeit nicht gerecht wird. Der kulturelle Anspruch an das Bauen ist nicht determiniert, so daß unsere gesellschaftliche Führung diesen determinierten kulturellen Anspruch an das Bauen auch nicht als gesellschaftliche Notwendigkeit in diesem Sinne erkennt, sondern nur allgemein formuliert, wir müssen so bauen, daß sich die Menschen wirklich wohl fühlen können“ (IRS Erkner, BdA 4I, Protokoll 13. BdAPräsidiumssitzung, 21.03.1980, Diskussionsbeitrag Henn, S. 70f.). 187 SAPMO, DY 15/38 (BdA), Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 29./30.05.1980, Referat Urbanski, S. 14. 188 Hierzu ausführlich Kapitel III.2. 189 Vgl. hierzu Kapitel II.1.2 sowie Ricken (1977).

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ständnis Alternativen zur Seite zu stellen. So brachte Herbert Ricken, indem er Hugo Häring zitierte, sicherlich bewusst einen Vertreter der Organischen Architektur ins Spiel: „,[...] den Forderungen einer Aufgabe nicht nur in einem materiellen und technischen Sinne zu genügen, sondern den Dingen, die wir machen, auch Gestalt und Gesicht zu geben, das heißt auch Ansprüche eines geistigen Lebens zu erfüllen. “190

Von Häring ausgehend sprach Ricken denn auch einen Aspekt der Architektentätigkeit an, der das Berufsbild über Jahrhunderte auf verschiedenste Art und Weise geprägt hatte, in der DDR aber zunehmend diskreditiert und durch das Ideal eines vor allem den Planungs- und Bauprozess absichernden und begleitenden Koordinators ersetzt worden war. In Ergänzung zu allen bislang getätigten, durchaus kritischen Äußerungen seiner Kolleginnen und Kollegen verwies Ricken nämlich auch darauf, dass der Architekt klassischerweise zwischen zwei Komponenten des Entwurfs zu vermitteln hatte: zwischen Rationalität auf der einen und Emotionalität auf der anderen Seite.191 In der Vergangenheit, so Ricken weiter, sei dabei immer das Sowohl-Als auch bestimmend gewesen. In der DDR aber müsse der Architekt und Städtebauer aufpassen, dass daraus nicht ein Weder-Noch werde.192 Bei näherer Betrachtung hatte es diese Formulierung in sich und zeigte mehr als deutlich, wie kritisch die Haltung weiter Teile der Architektenschaft zum baupolitisch verordneten Berufsprofil inzwischen war. Auf der einen Seite nämlich forderte Ricken mit dem Emotionalen genau jene kulturell-ästhetische Dimension ein, derer man sich baupolitisch schon seit Mitte der 50er Jahre zu entledigen suchte. Gleichzeitig machte er aber auch deutlich, dass aus seiner Sicht selbst der Gegenpol, also das Rationale, nicht mehr gesicherter Bestandteil der Architektenarbeit war. Über die Gründe, die zu dieser Einschätzung führten, kann nur spekuliert werden. Ricken jedenfalls legte sie im Rahmen seines Diskussionsbeitrags nicht offen. Anzunehmen ist aber, dass er die politisch verordnete Konzentration der Architektenarbeit auf Anfang der 70er Jahre entwickelte und dann kaum noch abgewandelte Typen- und Wiederverwendungsprojekte als falsch verstandene Rationalität auffasste, die kaum noch etwas mit den noch zu schildernden, um 1960 etablierten Entwurfs- und Gestaltungsan190 SAPMO, DY 15/42 (BdA), Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 05.05.1983, Diskussionsbeitrag Ricken, S. 87. 191 „Die Entgegensetzung von Ratio und Humanitas wird gern personifiziert – etwa in der Art, daß Wissenschaftler und Ingenieure als zuständig für Rationalität und Effektivität erklärt werden, Künstler dagegen für Humanität und Emotionalität“ (ebd., S. 88). 192 „Der Architekt steht hier [was Ratio und Humanitas angeht, T.Z.] [...] ein wenig dazwischen und sollte sorgsam darauf achten, daß aus dem ,Sowohl - als auch nicht ein ,Weder - Noch wird“ (ebd.).

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sätzen gemein hatte.193 Die Weigerung der Baupolitik, auch in diesem Bereich Veränderung und Weiterentwicklung zuzulassen, könnte von ihm als etwas zutiefst irrationales aufgefasst worden sein, da sich dadurch nicht nur gestalterische Probleme ergaben, sondern sich das Bauen, wie Wolf-Rüdiger Eisentraut 1987 darstellen sollte, in vielen Fällen sogar verteuerte. Doch ganz gleich, wie Rickens Mahnung gemeint war: Insgesamt stand sein Redebeitrag in jedem Fall für eine ganz wesentliche Weiterentwicklung der Debatte um das Berufsbild im Allgemeinen, aber auch das architektonische Gestalten und die Entwurfsarbeit im Besonderen. Hatte sie die Einbeziehung eben jener kulturell-gestalterischen Aspekte in den 70er Jahren noch auf eine mehr oder weniger abstrakte Weise gefordert, so entwickelten die Architekten nun zunehmend konkretere Positionen und Konzepte. Eine ganze Reihe weiterer Stellungnahmen machten das zeitgleich und in den darauffolgenden Jahren immer wieder deutlich. Was genau sie unter einem ganzheitlichen, alle Dimensionen des Planens und Bauens einbeziehenden Architektenbild verstanden wissen wollten, wurde damit verbunden sehr viel anschaulicher. Maßstäbe setzte dabei erneut Joachim Bach. Bach war Anfang 1984 vom BdA beauftragt worden, eine Stellungnahme zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur auszuarbeiten. Dezidiert betonte Bach darin, dass Architektenarbeit eine „ganzheitsbezogene Integrationsleistung“ 194 sei, also auch durch künstlerische und subjektive Komponenten gekennzeichnet sein müsse. Damit unterstrich er, wie sehr ein gestalterisch hochwertiges Bauen, das er als unerlässlich für ein allseitig entwickeltes Staatswesen ansah, von in ihrem Handeln nicht einseitig eingeschränkten, sondern vielseitig wirkenden Architekten und Städtebauern abhing. Ähnlich sah das im gleichen Jahr auch Bachs ebenfalls an der HAB Weimar tätiger Kollege Bernd Grönwald. Im Zuge der 5. BdA-Präsidiumssitzung vom 30. 193 S. hierzu den Schlussdiskurs. 194 „Hauptmerkmal der beruflichen Ethik von Architekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplanern ist die Einheit von sozial-funktioneller, technisch-ökonomischer und gestalterischer Verantwortung. Angesichts der mit der wissenschaftlich-technischen Entwicklung verbundenen fortschreitenden Vertiefung der Erkenntnisse und Spezialisierung der Tätigkeiten ist für eine der sozialistischen Gesellschaft angemessene Ordnung und Gestaltung der Umwelt künftig mehr denn je die ganzheitsbezogene Integrationsleistung, die berufliche Fähigkeit in übergreifenden Zusammenhängen zu denken, Zielkonflikte zu erkennen und widersprüchliche Teillösungen zur Synthese zu bringen, von großer gesellschaftlicher Bedeutung“ (IRS BdA 15I, Joachim Bach, Konzeption zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR. Stellungnahme des BdA/DDR zur „Konzeption für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“, Februar 1984, S. 16).

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März 1984 plädierte er für eine Berufsspezifik des Architekten und Städtebauers, die er inzwischen von anderen, mit dem Bauwesen verknüpften Berufsbildern eindeutig unterschieden wissen wollte. So unterstrich Grönwald gleich zu Beginn seiner Ausführungen, der Architekt sei kein Auslaufmodell, obwohl dies von baupolitischer und bauwirtschaftlicher Seite  etwa mit Blick auf die inzwischen äußerst geringe Zahl an Ausbildungsplätzen  ständig suggeriert werde.195 Das Besondere und das Alleinstellungsmerkmal des Architektenberufs  beispielsweise im Vergleich zu den Bauingenieuren  sah hingegen auch Grönwald in seinen künstlerisch-gestalterischen Aufgaben.196 Abweichend von zahlreichen früheren Positionen der Architektenschaft sprach er sich darüber hinaus für eine klare Arbeitsteilung aus: „Es geht um das Gesamtverständnis des Bauens und dann um eine klare Definierung der Arbeitsteiligkeit, und ich muß auch sagen, damit vor allen dingen [sic!] [...] unsere Kollegen Architekten in vielen Bereichen der Praxis endlich das machen können, wofür sie eigentlich ausgebildet worden sind.“197

Es war ein ganz neues, in dieser strikten Abgrenzung von baupolitischen Leitlinien, den Anforderungen der Bauwirtschaft, aber auch technisch-konstruktiv orientierten Berufsbildentwürfen durchaus bemerkenswertes Selbstbewusstsein, das hier spürbar wurde. Immer deutlicher wurde damit ab etwa Mitte der 80er Jahre, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Fachleute die offizielle Anerkennung eines beruflichen Selbstbildes einfordern würden, das auch und mitunter sogar in erster Linie den gestalterischen Auftrag der Architekten und Städtebauer stark zu machen versuchte  ganz anders als eben die Baupolitik und Bauwirtschaft der Zeit und deren sehr weitgehende Fokussierung auf den Produktions- und Konsumaspekt des Bauens. Sehr eindrucksvoll wurde das nochmals durch Alfred Hoffmann unterstrichen. Hoffmann, der seit seinem Amtsantritt Anfang der 70er Jahre immer wieder kritische Töne angeschlagen hatte und sich dabei durchaus auch als Interessenvertreter 195 „Es gibt ja hier schon Leute, die meinen und sagen, nun ist der Architekt vorbei“ (IRS BdA 4IIa, Protokoll 5. BdA-Präsidiumssitzung, 30.03.1984, Diskussionsbeitrag Grönwald, S. 58). 196 „Ich sehe die Angelegenheit so, daß wir den Anspruch, die baulich-räumliche Umwelt unserer Gesellschaft zu gestalten in verschiedenen Bereichen, im Sinne auch des Beherrschens des künstlerischen Anspruchs stärker nicht nur zum Ausdruck, sondern in der Ausbildung praktizieren müssen, im Ausbildungsprofil und viel stärker dann bei diesen Profilen, die da entwickelt werden, die Kooperationsfragen mit den Bauingenieuren definieren müssen“ (ebd., S. 59). 197 Ebd.

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der ihm und dem BdA anvertrauten Fachleute begriff, pflichtete im Anschluss an seine bereits wiedergegebene rhetorische Frage, wer von den Anwesenden denn überhaupt noch entwerfe, Herbert Ricken bei, indem er ebenfalls die mit der rationalen Ausrichtung des Bauens verbundenen Gefahren in den Mittelpunkt seiner weiteren Überlegungen stellte: „Und wenn Ihr mich frage [sic!], hierin sehe ich das grundlegende, also ideologische Problem unserer Zeit. Bei uns trägt man nicht gern Gefühl, bei uns trägt man Verstand zur Schau und Wissenschaftlichkeit und Klugheit in jeder Beziehung. Die ganze emotionale Seite des Lebens hat bei uns komischer Weise [sic!] einen dermaßen geringen Wert, daß es zum Himmel schreit.“198

Auch aus seiner Sicht galt es zukünftig also, dem Emotionalen und damit dem Künstlerisch-Gestalterischen in Architektur, Städtebau und Architektenarbeit wieder sehr viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. In ihrer offiziellen Rhetorik sekundierte die Baupolitik interessanterweise von Anfang an die hier geschilderten Bemühungen der Architektenschaft. Dem Schöpferischen, der gestalteten Lebensumwelt des Menschen und einer kulturvollen, gestalterisch hochwertigen Architektur wurde auch von dieser Seite durchweg das Wort geredet. Dies galt auch für die späten 80er Jahre, als der Zustand der Städte keinen Zweifel mehr an der Berechtigung der von der Architektenschaft immer wieder geäußerten Kritik ließ. Ob es sich um die zunehmend verfallenden Altstadtbereiche und Altbauviertel oder aber um die in aller Regel an den vorhandenen Typenserien und Wiederverwendungsprojekten orientierten Neubauten handelte: immer wieder war offensichtlich, dass der kulturell-künstlerische Aspekt der Architektenarbeit in aller Regel sträflich vernachlässigt wurde. Trotzdem aber wurde von leitenden Politkadern noch bis in die letzten Jahre des Bestehens der DDR hinein immer wieder die schöpferische Dimension des Bauens betont, so etwa, als im Oktober 1987 der Stellvertreter des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen, Groschupf, eine Rede anlässlich des 14. Leistungsvergleichs der Grundstudienrichtung Städtebau-Architektur in den Räumen der Kunsthochschule Weißensee hielt. Auch er wünschte sich dabei von den angehenden Architekten „phantasiereiche [...] gestalterische [...] Lösungen, die der Qualität und Dynamik unserer gesellschaftlichen Entwicklung gerecht werden, die das Kulturniveau der sozialistischen Gesellschaft vorwärtsweisend visualisieren!“199 198 IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Hoffmann, S. 37. 199 DR 3/2. Schicht/831 (MfHuF), Kunsthochschule Berlin an Dr. Wachs, MfHuF, Zuarbeit für das Referat des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen, Genosse Dr. Groschupf, für die Studentenkonferenz zum Abschluss des 14. Leistungsvergleichs der Grundstudi-

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Auch wenn es sich dabei letztlich um Sonntagsreden handelte, so spielten sie für die Fachleute doch eine ganz wesentliche Rolle, indem sie entscheidende argumentative Anknüpfungspunkte für die von ihnen geführten Debatten boten.200 Ähnlich wie schon in den 70er Jahren machten es so die offiziellen Verlautbarungen der Baupolitik wesentlich leichter, die gestalterische Dimension des Planens und Bauens verstärkt zu betonen und immer wieder einzufordern. Letztlich nämlich nahm man die politische Seite damit nur beim Wort. Indem man sie ernstnahm, ließ sich der Vorwurf kritisch-oppositionellen Handelns sehr viel leichter zerstreuen, konnte die Politik selbst aber auch sehr viel besser in die Pflicht genommen werden. Darin kam eine weitere Spielart jener Form strategischer Anpassung zum Ausdruck, die schon seit dem Bestehen der DDR auf eine enge Abstimmung mit der Partei und deren Erwartungen setzte. Dies war denn auch der Grund dafür, warum die durchaus selbstbewusste und eigensinnige Forderung nach einer Aufwertung und Ausdifferenzierung des künstlerischen und gestalterischen Arbeitens beinahe durchweg um einen ideologisch aufgeladenen Grundtenor ergänzt wurde. In vielen Fällen kam darin auch weiterhin der Versuch zum Ausdruck, Zugeständnisse auf der einen Seite durch klare politische Bekenntnisse auf der anderen Seite zu erreichen. Auf die Problematik einer solchen Haltung ist schon mehrfach hingewiesen worden. Berücksichtigt werden muss jedoch stets auch die doppelte Stoßrichtung einer solchen Strategie, zielte sie doch vielfach auf ein qualitativ hochwertigeres Planen und Bauen sowie ein lebenswerteres Wohnumfeld ab. So war es u.a. Bruno Flierl, der seine Überlegungen enrichtung Städtebau-Architektur, 22.10.1987, S. 3 (ohne Angabe eines Verfassers). Da es sich hier um eine von der Kunsthochschule geleistete Zuarbeit handelte, ist nicht auszuschließen, dass dem Stellvertreter des Ministers die auf die Bedürfnisse der Architektenschaft zugeschnittenen Worte in diesem Fall regelrecht in den Mund gelegt wurden. 200 Ähnliches hat Betker mit Blick auf die 1982 erlassenen „Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik“ festgestellt: „Auf den ersten Blick wirken diese Grundsätze wie ein nur vage abgestecktes Konsensfeld, auf dem sich Partei, Staat, Stadtplaner und Architekten treffen konnten … Solche Grundsätze boten den Stadtplanern und Architekten also immer die Möglichkeit, sich fachlich auf einzelne Punkte zu beziehen, Prioritäten und eigene Schwerpunkte bei der Abwägung von Rationalitätskriterien zu setzen“ (Betker, S. 125). Ein kurzer Hinweis darauf findet sich darüber hinaus in einer Aussage eines von ihm geführten Interviews. Demnach war es hilfreich, wenn Architekten „ihre ,eigenen Beiträge immer aus den Parteitagsreden sowie den städtebaulichen Vorgaben und Grundlinien der Partei ableiten [konnten]. Das war auch wichtig, ,wenn man Kritik äußern wollte, denn man mußte sich des gängigen Begriffsapparates bedienen, sonst kam man gar nicht zum Zuge “ (ebd., S. 296).

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zum Berufsbild des Architekten erneut und bewusst mit gesellschaftlichen Fragestellungen verknüpfte, wenn er festhielt: „[E]ine Gesellschaft, die keine fähigen, schöpferischen [Hervorhebung, T.Z.], produktiven und geachteten Architekten hat, hat keine sinnvolle baulich-räumliche Gestaltung ihres Lebensraumes und damit mangelnde Identifikation der Individuen mit dem gesamten Prozeß der Gesellschaft.“201

Bereits hier deutete sich ein Argumentationsmuster der Architektenschaft an, das im Laufe der nächsten Jahre immer wichtiger werden sollte. Demnach stand ein um seine ästhetisch-künstlerische Dimension beraubter Architektenberuf nicht nur qualitativ hochwertiger Architektur entgegen, sondern drohte auf Dauer auch die gesellschaftliche Stabilität und die Akzeptanz der Gesellschaftsordnung insgesamt zu gefährden, da sich die Menschen immer weniger mit ihrer Lebensumwelt identifizieren und sie als defizitär begreifen würden. Nicht ganz so pointiert, aber mit ähnlicher Stoßrichtung, mahnte im gleichen Jahr denn auch Ewald Henn an, dass gerade eine sozialistische Gesellschaft gestalterische Fragen nicht vernachlässigen, sondern ganz bewusst einbeziehen und deswegen auch den Architektenberuf aufwerten müsse. So sprach er, ebenfalls im Zuge der 13. BdA-Präsidiumssitzung vom 21. März 1980, davon, „[...] daß unsere Gesellschaft zur Verwirklichung ihrer historischen Mission auch verpflichtet ist, alle [Hervorhebung, T.Z.] Elemente der Gesellschaft auszuprägen. Das ist eine Gesetzmäßigkeit, und wir können nicht nur schneller bauen lernen und mehr bauen lernen, sondern wir müssen auch besser [Hervorhebung T.Z.] bauen lernen. Wenn das keine Einheit bildet, dann werden wir unsere Aufgabe nicht bewältigen.“202

Sehr viel vorsichtiger schloss sich schließlich zwei Monate später auch Wolfgang Urbanski im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung den Positionen seiner Vorredner an. Auch er zog dabei eine enge Verbindung zwischen den schöpferischen Aspekten der Architektenarbeit und dem hohen gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein seines Berufsstandes.203 Mit der den Architektur- und Städtebaudiskurs schon seit den frühen 50er Jahren begleitenden Abbildtheorie wurde schließlich eine weitere ideologische Grundkonstante aufgegriffen und aktualisiert. Auch mit ihrer Hilfe versuchte man nun, 201 IRS BdA 4I, Protokoll 13. BdA-Präsidiumssitzung, 21.03.1980, Diskussionsbeitrag Flierl, S. 25. 202 Ebd., Diskussionsbeitrag Henn, S. 72. 203 SAPMO, DY 15/38 (BdA), Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, 29./30.05.1980, Referat Urbanski, S. 14.

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Zustimmung zu einem vielfältigeren Berufsbildentwurf zu erlangen. So lag etwa nach Herbert Ricken ein wesentlicher Ansatzpunkt „für die Bestimmung der Berufstätigkeit des Architekten als künstlerische[r] Tätigkeit [...] in der [...] Beziehung zur Gesellschaft als bedeutsam zu machender, in Gestalt auszudrückender Inhalt von Architektur.“204

Die entscheidende Überlegung war dabei, dass der Sozialismus nicht nur in materiell-technologischen sowie ökonomischen, sondern ebenso sehr in ideellen Entwicklungen zum Ausdruck käme. Es war dieser Gedanke, der auch von Kollegen Rickens aufgegriffen wurde. Ähnliche Überlegungen stellte etwa Joachim Bach an, als er 1984 seine im Namen des BdA verfasste Stellungnahme zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR veröffentlichte. Bach betonte dort, dass Architektur, indem sie als Kunst begriffen würde, zugleich Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse sei: „Architektur ist somit in dem Maße eine künstlerische Erscheinung, wie sie in der Ordnung und Qualität ihrer Formen die Qualität sozialer Ordnung und das ästhetische Anspruchsniveau der Gesellschaft sinnfällig werden [sic!]. Daraus resultiert die Notwendigkeit, die künstlerische Komponente im Ensemble der Elemente, welche die Architekturgestalt konstituieren, stärker zu beachten und besonders zu fördern.“205

Bei Bach kam dabei in vielleicht besonders deutlicher Weise zum Ausdruck, wie geschickt man eigene berufspolitische Interessen mit einem überindividuellen gesellschaftlichen Anspruch und Bekenntnis zu verbinden suchte und so auf Offenheit und Unterstützung innerhalb der Baupolitik hoffte. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Architekten der offiziellen Baupolitik ein klares Berufsethos sowie ein dezidiertes berufliches Pflichtbewusstsein entgegenzusetzen versuchten. Herbert Ricken sprach in seinem bereits mehrfach erwähnten Redebeitrag somit auch nicht zufällig von „der sittlichen Verantwortung des Architekten“ als einer wesentlichen „Errungenschaft des Modernen

204 SAPMO, DY 15/42 (BdA), Protokoll 4. BdA-BuV-Sitzung, 02.12.1983, Diskussionsbeitrag Ricken, S. 89. 205 IRS BdA 15I, Joachim Bach, Konzeption zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR. Stellungnahme des BdA/DDR zur „Konzeption für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“, Februar 1984, S. 21.

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Bauens.“206 Und auch Joachim Bach bemühte sich im Verlauf seiner Stellungnahme um eine Definition der berufsethischen Grundlagen, auf denen der Architektenberuf beruhen würde.207 Die damit verbundenen Pflichten wahrnehmen zu können, aber auch das Recht einzufordern, ihnen überhaupt nachgehen zu dürfen, wurde deswegen zu einem ganz zentralen Anliegen der Architekten und Städtebauer in den 70er und vor allem 80er Jahren. Allerspätestens 1989 prägte beides schließlich auch endgültig das Selbstverständnis des BdA und war damit im Mainstream einer Massenorganisation angekommen, deren volle Wirksamkeit als parteipolitischer Transmissionsriemen bereits in den Vorjahren immer wieder in Frage zu stellen war. So hielt etwa Ewald Henn im Rahmen der BdA-BuV-Sitzung vom April 1989 fest, dass der Fachverband nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte habe.208 Ein ganz wesentliches Element stellte in diesem Zusammenhang die immer wieder erhobene Forderung dar, als Architekten wieder stärker künstlerisch und gestalterisch auf die Entwicklung von Architektur und Städtebau Einfluss nehmen zu dürfen. Zum Ausdruck kam darin auch, dass sich über die gesamte Zeit des Bestehens der DDR hinweg ein klassisches berufliches Selbstverständnis erhalten hatte, das zwar um andere und auch neue Komponenten ergänzt worden war, letztlich aber immer noch um den Fixpunkt gestalterischen Arbeitens kreiste. Die Unzufriedenheit und die Forderung, künftig wieder verstärkt künstlerisch und gestalterisch arbeiten zu können auf der einen, sowie die gegenüber der realsozialistischen Gesellschaftsordnung dezidiert loyalen Positionen auf der anderen Seite wiesen darüber hinaus noch auf einen weiteren zentralen Baustein des Selbstverständnisses vieler Architekten hin. Nicht wenigen von ihnen und gerade jenen, die Funktionärspositionen innerhalb des BdA, der BA oder aber auch der örtlichen Strukturen des Bauwesens innehatten, war eine innersystemische politische und gesellschaftliche Erneuerung, die nicht zuletzt Architektur, Städtebau und den Architektenberuf umfasste, nicht nur in politischer, sondern auch in geradezu existentieller Hinsicht wichtig. Denn letztlich waren die eigenen Biographien und das eigene Fortkommen, aber auch die Möglichkeit, eigenen beruflichen und fachlichen Interessen auch in Zukunft nachgehen zu können, eng mit dem Weiterbestand der DDR 206 SAPMO, DY 15/42 (BdA), Protokoll 4. BdA-BuV-Sitzung, 02.12.1983, Diskussionsbeitrag Ricken, S. 87. 207 IRS BdA 15I, Joachim Bach, Konzeption zur Entwicklung der Hochschulbildung und zur Wissenschaftsentwicklung auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur in der DDR. Stellungnahme des BdA/DDR zur „Konzeption für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Ökonomen in der DDR“, Februar 1984, S. 16. 208 „Entsprechend unserer gesellschaftspolitischen Verantwortung haben wir als sozialistischer Fachverband nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte, die wir mit konstruktiver Sachlichkeit besser nutzen sollten“ (SAPMO, DY 15/48 [BdA], Protokoll 5. BdA-BuVSitzung, 27.04.1989, Referat Henn, S. 35).

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und ihres staatssozialistischen Systems verknüpft. Diese Tatsache hatte sehr weitgehende Auswirkungen auf das Verhältnis der älteren Fachleute zur nachfolgenden jüngeren Architektengeneration, das im Folgenden als ein für die 80er Jahre ebenfalls sehr zentraler Aspekt abschließend in den Blick genommen werden soll. III.3.3 Nachwuchsprobleme Generationenkonflikte Gerade auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen, die in den vorangehenden Abschnitten geschildert worden sind, hatte der Architektenberuf der 80er Jahre bald ein regelrechtes Nachwuchsproblem. Die Ursachen dafür waren vielfältiger Natur, genauso wie die Folgen durchaus unterschiedliche waren. Die Tatsache, dass sich die Jüngeren zunehmend vom Architektenberuf und vom Planen und Bauen der DDR abwandten, war sicherlich u.a. der eingehend dargestellten Erstarrung der Baupolitik und der daraus resultierenden weit verbreiteten Unzufriedenheit innerhalb der Architektenschaft geschuldet. Sie übertrug sich nicht nur auf die Nachwuchsarchitekten, sondern machte sich in ihren Reihen umso stärker bemerkbar. Rudolf Skoda sprach 1986 im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung zwar davon, dass die Nachwuchsprobleme aus seiner Sicht nicht mit dem „gegenwärtige[n] Mangel an attraktiven Aufgaben“209 zusammenhängen könnten. Letztlich aber sollte er sich dabei täuschen. Dietrich Kabisch210, Vertreter der jüngeren Architektengeneration, brachte es nämlich noch drei Jahre später im Rahmen der von umfassender Kritik und oppositionellem Geist geprägten BdA-BuV-Sitzung vom April 1989 auf den Punkt:

209 IRS BdA 5IIa, Protokoll 10. BdA-BuV-Sitzung, Rostock-Warnemünde, 13.12.1986, Diskussionsbeitrag Skoda, S. 71. 210 Dietrich Kabisch, 1952 geboren, hatte nach einer Facharbeiterausbildung zum Maurer von 1972-77 Architektur an der Kunsthochschule Berlin studiert. Später war Kabisch u.a. Mitglied der Jugendkommission des BdA, wie aus einem seinem BdAAufnahmeantrag beiliegenden Brief Ewald Henns hervorgeht. Damit fiel das hier besprochene Thema unmittelbar in seine Zuständigkeit („Auf der 6. Bundesvorstandssitzung wurde der Beschluß gefaßt, durch die Bildung einer zentralen Jugenkommission die Arbeit unter den jungen Architekten im Bund der Architekten zu verbessern. Entsprechend dem Beschluß des Bundesvorstandes des BdA der DDR und auf Vorschlag Ihres Bezirksvorstandes werden Sie als Mitglied der Zentralen Jugendkommission des BdA/DDR berufen. Damit wird Ihnen eine große Verantwortung übertragen zur aktiven Einbeziehung der jungen Architekten in die Erfüllung der generellen Aufgaben des Bundes der Architekten der DDR auf dem Gebiet von Städtebau und Architektur“ [IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 04/0284, [Dietrich Kabisch]).

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„Die Unbeweglichkeit, die Starrheit der Kombinate, die zunehmend auch unter den jungen Kollegen Unmut hervorruft, die Widersprüchlichkeit unserer zentralistischen Planung und Bilanzierung



das alles sind solche Fragen, für deren Beantwortung Ventile gesucht werden,

weil es da keine Bewegung gibt, sich zu bewegen [sic!].“211

Doch darüber hinaus gab es noch weitere Gründe für die Nachwuchsschwierigkeiten. Dafür sprach schon die Tatsache, dass sich das Nachwuchsproblem bereits recht früh  allerspätestens gegen Ende der 70er Jahre  bemerkbar zu machen begann. Ein Beispiel, an dem dies deutlich wird, war das Referat Wolfgang Urbanskis im Rahmen der 9. erweiterten BdA-BuV-Sitzung vom Dezember 1979. Urbanski beschrieb darin, dass es dem BdA nunmehr um die verstärkte Einbeziehung junger Architekten in die Planungsprozesse, aber auch die Institutionen des Bauwesens gehe. Nach dem Vorbild der Leistungsvergleiche sollten so beispielsweise Jugendwettbewerbe durchgeführt werden.212 Doch auch damit waren die sich immer weiter verschärfenden Nachwuchsprobleme des BdA keinesfalls gelöst. Zwei Jahre später regte so etwa Hubert Scholz an, den BdA für jüngere Mitglieder attraktiver zu machen, indem diese über die Bezirksvorstände in die Angebote der Jugend-TouristReise einbezogen werden sollten. 213 Auch dadurch ließ sich die problematische 211 SAPMO, DY 15/48 (BdA), Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 27.04.1989, Diskussionsbeitrag Kabisch, S. 87. 212 „Als wichtige Maßnahme zur verstärkten Einbeziehung von jungen Architekten hat der Bund bisher im Zusammenwirken mit dem Zentralrat der FDJ, dem Ministerium für Bauwesen und mit dem Magistrat der Hauptstadt drei interessante Ideenwettbewerbe im Rahmen der ‚Jugendinitiative Berlin‘ vorbereitet und auch erfolgreich durchgeführt“ (SAPMO, DY 15/37 [BdA], Protokoll 9. erweiterte BdA-BuV-Sitzung, 07.12.1979, Referat Urbanski, S. 14). Zu den Leistungsvergleichen ausführlich Kapitel II.3.2. 213 „Um die Attraktivität unseres Bundes insbesondere für unsere jüngeren Kolleginnen und Kollegen zu erhöhen, wurden durch den 1. Sekretär Verhandlungen mit der Generaldirektion des FDJ-Reisebüros Jugendtourist geführt. Im Ergebnis wurde erreicht, daß ab 1982 junge Architekten bis 30 Jahren, in Ausnahmefällen bis 35 Jahren (das sind knapp 25 % der Mitglieder unseres Bundes) über die Bezirksvorstände in die Jugendtourist-Reisen einbezogen werden können. Jährlich erhält der Bund je Bezirk zwei Reisen nach Kuba und zwei Reisen nach Jugoslawien [...] Darüber hinaus erhält der Bund zentrale fünf Reisen in das nichtsozialistische Ausland. Diese Reisen werden auf Beschluß des Büros des Präsidiums auf Vorschlag der Bezirksvorstände vergeben. So haben wir für 1982 zum Beispiel Reisen nach Mexiko, Algerien, Frankreich, Italien und Griechenland erhalten. Natürlich kann dabei nicht jeder Bezirk jährlich berücksichtigt werden, und ich möchte hier, an die Vorsitzenden gewandt, noch einmal erwähnen in Ergänzung zu den am 16.11.1981 herausgegangenen Schreiben, daß wir 1982 vorerst je ein Mitglied der Bezirksgruppen Berlin, Erfurt und Rostock für diese Reisen vorsehen

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Entwicklung allerdings keineswegs aufhalten.214 Denn der Aufhänger von Rudolf Skodas bereits kurz erwähntem Beitrag war noch Jahre später der besorgniserregende Alterungsprozess innerhalb der Leipziger Bezirksgruppe, mit dem man sich nach wie vor konfrontiert sah.215 Immer deutlicher hatte sich dabei im Laufe der Jahre gezeigt, dass die Nachwuchsprobleme auch Ausdruck eines Generationskonflikts waren, der  wie im Folgenden gezeigt werden soll216  weit über das normale Maß üblicher Auseinandersetzungen zwischen Älteren und Jüngeren hinausging. Auf der einen Seite dieses Konflikts befand sich die ältere Architekten- und dabei vor allem die sogenannte 45er-Generation. 217 Die Angehörigen dieses Generationszusammenhangs stellten möchten und weitere zwei Plätze frei halten als Anerkennung junger Kollegen im Rahmen von Architekturwettbewerben, um auch auf diese Art und Weise unsere Architekturwettbewerbe künftig attraktiver zu machen“ (SAPMO, DY 15/40 [BdA], Protokoll 13. BdA-BuV-Sitzung, 04.12.1981, Diskussionsbeitrag Scholz, S. 17). Indem Mitglieder der Bezirksgruppen Berlin, Erfurt und Rostock als erste in den Genuss der erweiterten Reisekontingente kamen, wurde erneut deutlich, wie sehr die dort etablierten Formen der Zusammenarbeit von Fachleuten und Partei als Vorbilder auch für die anderen Bezirke der DDR propagiert wurden. So schien den anderenorts tätigen Fachleuten beinahe in Aussicht gestellt zu werden, bei einer Übernahme entsprechender Modelle ebenfalls verstärkt auf die über den BdA vermittelten Reisemöglichkeiten zurückgreifen zu können. 214 Hinzu kam dabei auch, dass das zur Verfügung stehende Reisekontigent nach wie vor äußerst schmal bemessen und so kaum dazu geeignet war, die Attraktivität des BdA nachhaltig zu steigern. 215 „Die Vorbereitung unserer Delegiertenkonferenz machte deutlich, daß dem Alterungsprozeß in unserer Bezirksgruppe schnellstens Einhalt geboten werden muß. Von insgesamt 473 Mitgliedern sind über die Hälfte, 247, über fünfzig Jahre alt, aber nur 31 jünger als 30 Jahre. In der Betriebsgruppe des Baukombinats Leipzig sind 36 Mitglieder älter als 51 Jahre und nur zehn jünger als vierzig“ (IRS BdA 5IIa, Protokoll 10. BdABuV-Sitzung, 13.12.1986, Diskussionsbeitrag Skoda, S. 71). Der Diskussionsbeitrag Skodas ist dabei zugleich nochmals Beleg für das generelle Nachwuchsproblem im Bereich des Architektenberufs. 216 Dabei versteht es sich von selbst, dass jede Generationeneinteilung, vor allem aber deren allgemeine Charakterisierung, verkürzt und auch ein wenig holzschnittartig ist. Trotzdem aber kann die Beschäftigung mit einer sich auf empirische Untersuchungen stützenden Charakterisierung der Generationenfolgen für den übergreifenden Blick auf Akteurskonstellationen hilfreich sein. 217 Als 45er-Generation werden hier jene Architekten bezeichnet, die den Jahrgängen 1945 bis 1960 angehörten. Die Bezeichnung ist dabei durch den von Jürgen Böttcher 1966 gedrehten Film „Jahrgang 45“ inspiriert, der diese Generation zu charakterisieren ver-

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inzwischen neben den nach wie vor zentrale Funktionen ausübenden Mitgliedern der Aufbruchsgeneration einen Großteil der im Bereich von Architektur und Städtebau einflussreichen Fachleute. Obwohl die 45er-Generation bereits durch das so genannte Kulturplenum des Jahres 1965 und den Prager Frühling frühzeitig desillusioniert worden war, war sie inzwischen in vielen Fällen eng in die institutionellen und politischen Strukturen eingebunden.218 Nur in der Loyalität und in der Bereitschaft zur Mitarbeit hatte diese Generation Wege und Möglichkeiten gefunden, der Entwicklung von Architektur und Städtebau der DDR eine auch eigene Prägung zu geben und dem eigenen beruflichen Selbstbild bzw. Selbstverständnis219 gerecht zu werden.220 Es war diese Kooperationsbereitschaft, die unter Vertretern der jüngeren sucht, als so genannter ,Kellerfilm jedoch erst Anfang der 90er Jahre uraufgeführt werden konnte. 218 Engler schreibt dazu: „Es waren die damals Zwanzigjährigen, die um 1950 herum Geborenen, die sich verstanden, ja verstehen mußten, wollten sie nicht vorzeitig in Depression verfallen. Denn in diesem Alter schon mit den Verhältnissen, den eigenen Hoffnungen abzuschließen ist kaum möglich. Um sie aufrechterhalten zu können, interpretierten [sie] die frühen Honecker-Jahre unter Aufbruchs- statt, wie die Älteren, unter Verfallsgesichtspunkten, hoben sie das an ihnen hervor, was auch nur irgendwie ermutigen konnte … So konnte man in den siebziger Jahren leben, ohne zu verzweifeln, und sein Engagement behaupten“ (Engler, S. 151f.). An späterer Stelle arbeitet Engler heraus, wie sehr die von ihm konstatierte, die Generation Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre kennzeichnende depressive Grundstimmung durch das Miterleben des so genannten Kulturplenums und die Niederschlagung des Prager Frühlings ausgelöst worden war (vgl. hierzu ebd., S. 306-319). 219 Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang allerdings auch die große Zahl derjenigen Architekten, die bereits damals nur noch ihre Pflicht erfüllten, darüber hinaus aber keine weitergehenden beruflichen Ambitionen an den Tag legten (vgl. hierzu u.a. die entsprechenden Ausführungen Wolf-Rüdiger Eisentrauts, die in Kapitel II.2.3 genauer in den Blick genommen worden sind). 220 Zu diesem von ihnen „integrierte Generation“ genannten Generationszusammenhang schreiben denn auch Thomas Ahbe und Rainer Gries: „Als die Integrierten Ende der sechziger und in der ersten Hälfte der siebziger Jahre die jugendtypische Formierung moralischer und politischer Grundüberzeugungen durchliefen, befand sich die DDR auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen, politischen und moralischen Reputation. Dies führte zur Annahme einiger Grundelemente der sozialistischen Ideologie durch größere Teile dieses Generationszusammenhangs und zu einem hohen Maß an politischer Loyalität in dieser Altersgruppe [...] Die politische Rolle der integrierten Generation war [...] eine stabilisierende. Daß die Macht der SED durch innenpolitische Konflikte zu erschüttern war, gehörte nicht zu ihrem Erfahrungsschatz; der größte Teil verfolgte auch nicht eine solche Ambition. Der politisierte und sich mit der Idee des Sozialismus und

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Generation ganz allgemein für Unmut sorgte. Mit zunehmendem Unverständnis nahm man dabei zur Kenntnis, dass sich die Vätergeneration auch in den 80er Jahren um eine enge Zusammenarbeit mit Staat und Partei bemühte und sich so zum Handlanger einer immer unzeitgemäßeren Politik zu machen schien.221 Diese offensichtliche Kooperationsbereitschaft wurde als mangelnde Kritikfähigkeit und als opportunistisches Anbiedern wahrgenommen 222  sicherlich auch im Bereich von Architektur und Städtebau. Auch wenn dabei natürlich eine ganze Reihe von Missverständnissen im Spiel waren223, so gab es letztlich durchaus problematische Züge, die die 45er-Generation, aber auch die ältere Aufbruchsgeneration, vor allem ab Anfang der 80er Jahre mal mehr, mal weniger stark prägten. So waren Vorurteile gegenüber den jüngeren Nachwuchsarchitekten unter den Älteren recht weit verbreitet. Mehrfach wurde das beispielsweise im Falle von Hubert Scholz deutlich. Scholz äußerte schon 1981 gegenüber dem Bundesvorstand des BdA seinen Unmut darüber, dass von den beim jüngsten Leistungsvergleich eingereichten Arbeiten nur eine dem industriellen Bauen gewidmet war.224 Damit

der DDR identifizierende Teil war, so weit er in Konfliktlagen geriet, auf politische Kompromisse und langfristige soziale Reformen orientiert [...] Die achtziger Jahre und vor allem die in der Zeit von Glasnost und Perestroika seit 1985 in der Sowjetunion exekutierte Reform des Sozialismus von oben, schien den Integrierten die Annahme jener Entwicklungskurve zu bestätigen, dergemäß langfristiges und strategisches Handeln zu einem sanften Zeitenwechsel führen würde“ (Ahbe/Gries, S. 532f. u. S. 543). 221 „Und für die politisch Sensibilisierten [der „entgrenzten Generation“ als Bezeichnung von Ahbe und Gries für die jüngere Wendegeneration, T.Z.] war die offizielle DDR in ihrem Anachronismus einfach kein satisfikationsfähiger Gegner mehr“ (ebd., S. 553). Zur Entfremdung der „entgrenzten Generation“ von ihrer Elterngeneration der 45er ausführlicher auch ebd., S. 552. 222 Auch diese Gedanken sind durch Wolfgang Englers Darstellung des zentralen Generationskonfliktes der 70er und 80er Jahre inspiriert. So beschreibt er, dass die institutionell eingebundenen Vertreter der 45er-Generation als „klug, aber fast immer herrschsüchtig und opportunistisch und daher … ernsthaftes Hindernis für die moralische Erneuerung des Gemeinwesens“ wahrgenommen wurden (Engler, S. 334). Weiter heißt es bei ihm u.a.: „Die oppositionellen Aussteiger hielten die SED-Reformer der dritten [= 45er-, T.Z.] Generation für moralisch anrüchig und galten in deren Augen als politisch inkompetent“ (ebd., S. 335). 223 So betont auch Engler, dass die gegenseitige Wahrnehmung der Generationen durch „Feindbilder und Vorurteile“ geprägt war (ebd., S. 331). 224 „Obwohl der Leistungsvergleich, der alljährlich durch das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen und den Bund der Architekten durchgeführt wird, insgesamt als gut eingeschätzt wurde, machte die Auswertung auch einige Mängel sichtbar. Von 17 Ar-

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brachte er bereits einen der häufigsten Vorwürfe gegenüber den Hochschulabsolventinnen und -absolventen zur Sprache. Vorgehalten wurde ihnen, sich in nur ungenügender Weise mit den Gegebenheiten und den Realitäten des Bauwesens auseinanderzusetzen und sich stattdessen vorzugsweise mit Themen zu beschäftigen, die die auf verschiedene Mittel der strategischen Anpassung fokussierten Älteren vielfach ins Reich der Utopie verwiesen und ohnehin nicht für realisier- und durchsetzbar hielten. Vier Jahre später war das Urteil von Scholz sogar noch drastischer. Nun attestierte er der jüngeren Architektengeneration unumwunden, aber ohne nähere Begründung oder jegliche Belege, sie sei nicht engagiert genug.225 Auch dieses gespaltene Verhältnis zu den jüngeren Kolleginnen und Kollegen hatte letztlich eine Reihe von Ursachen, die hier in keiner Weise erschöpfend und nur im Rahmen einiger allgemeiner Überlegungen in den Blick genommen werden können. Ein wichtiger Aspekt war so sicherlich, dass die älteren Generationen die nachfolgende Architektengeneration nicht selten als Bedrohung empfanden. Denn immer wieder wurde  etwa im Rahmen der Leistungsvergleiche  deutlich, dass der Architektennachwuchs  durchaus einer ganzen Reihe älterer Kollegen vergleichbar  Veränderungen in Architektur und Städtebau sowie innerhalb der von Erstarrung gekennzeichneten Baupolitik forderte. Es ist gut möglich, dass dies als Geringschätzung der eigenen Bemühungen, vor allem aber auch als Angriff auf die persönliche Lebensleistung begriffen wurde. Sie wurde  so lässt sich ein möglicher Eindruck der Älteren angesichts der an ihnen geübten Kritik umschreiben  immer wieder in Frage gestellt und als etwas zu Überwindendes dargestellt. Möglich ist darüber hinaus, dass die Älteren zudem Angst davor hatten, die eigene Position und der eigene Einfluss innerhalb des DDR-Bauwesens könne zur Disposition gestellt werden  beides Dinge, die man sich in den Vorjahren mühsam erarbeitet hatte. Damit könnte man also sogar davon sprechen, dass die 45er-Generation durchaus Züge der politischen Führung der Zeit trug. Letztlich nämlich klammerte auch sie sich an berufliche Positionen und war kaum bereit, Verantwortung mit den Jüngeren zu teilen oder sogar an sie abzugeben226  obwohl die ihr angehörenden Architekten teilweise sogar ähnbeiten widmete sich nur eine dem industriellen Wohnungsbau“ (SAPMO, DY 15/40 [BdA], Protokoll 13. BdA-BuV-Sitzung, 04.12.1981, Bericht Scholz, S. 14). 225 „Als ideologisches Problem ist die oft unbefriedigende aktive Mitarbeit junger Architekten in den Bezirksgruppen zu verzeichnen, die auch der Übernahme von Verantwortung ausweichen“ (IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Scholz, S. 13). 226 Hierzu Ahbe und Gries: „Zu begründen ist diese Entfremdung [der Wendegeneration von den älteren Generationen, T.Z.] ebenso dadurch, daß die mißtrauischen Patriarchen [als eine Generationseinheit innerhalb des Generationszusammenhangs der Aufbaugeneration, T.Z.] und die Aufbaugeneration [=Aufbruchsgeneration, T.Z.] ihren Kindern und Enkeln auch preiswertere Gaben nicht mehr zukommen lassen konnten: Man

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liche Ziele verfolgten und vergleichbare Vorstellungen vom zukünftigen Planen und Bauen der DDR hatten. Vor dem Hintergrund eines solchermaßen gespannten Verhältnisses identifizierten viele der Jüngeren die ältere Architektengeneration jedoch regelrecht mit der in Architektur und Städtebau um sich greifenden Erstarrung, wie ein Redebeitrag der Architektin Isolde Andrä auf der 3. BdA-BuVSitzung vom Mai 1983 deutlich machte. Die Atmosphäre in den Gremien und im institutionellen Gefüge des Bauwesens beschrieb sie dabei nämlich folgendermaßen: „Langweilige, unerfreuliche Veranstaltungen nach durchschautem Ritus, in ewig bekannter Reihenfolge bestimmter Rednerleitkräfte als Selbstbeklatschung starker Männer, fertige Antworten, Belächelung ob der Geringfügkeit [der Vorschläge der Jüngeren, T.Z.], [deren, T.Z.] Beiseiteschieben als schlecht Informierte. Es gehört schon viel Kraft dazu, in einem solchen Klima seine Meinung zu vertreten.“227

Doch auch der genauere Blick auf die jüngere Architektengeneration bringt weitere Facetten des angesprochenen Generationenkonflikts zum Vorschein. Eine zentrale Rolle spielte dabei vor allem die oben bereits in den Blick genommene Loslösung

schenkte den jungen Menschen aus der entgrenzten Generation kein Vertrauen, man hatte kein Zutrauen zu ihnen, man wollte ihre Meinung nicht hören, und man übertrug ihnen noch weniger Verantwortung als früheren DDR-Jugendgenerationen. In einer repräsentativen Studie aus dem Frühjahr 1989 konstatierten etwa drei Viertel der befragten Jugendlichen, daß ,ihr Beitrag zur weiteren Entwicklung der DDR nicht gebraucht würde und sie auch keinen Einfluß auf gesellschaftliche Entscheidungen hätten. Zwei Drittel von ihnen stellten fest, daß ,meine ehrliche Meinung in unserer Gesellschaft nicht gefragt sei. Die Zukunftsprobleme der DDR zeigten sich darin, wie die herrschenden Patriarchen mit der unmittelbar anwesenden Zukunft – also den Heranwachsenden der entgrenzten Generation – umging: Die Patriarchen verharrten in einer Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Reformblockade. Die Generation der mißtrauischen Patriarchen und die Aufbau-Generation waren darin gescheitert, ihr Lebenswerk und ihre Lebensvision plausibel an die Jugend zu vermitteln und von der nun jüngsten Generation in die Zukunft tragen zu lassen“ (Ahbe/Gries, S. 553). Ahbe und Gries greifen mit ihren Zitaten auf Peter Förster, „Die Entwicklung des politischen Bewußtseins der DDR-Jugend zwischen 1966-1989“, in: Walter Friedrich/Peter Förster/Kurt Starke (Hgg.), Das Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig 1966-1990. Geschichte, Methoden, Erkenntnisse, Berlin 1999, S. 70-165, hier S. 161, zurück. 227 SAPMO, DY 15/42 (BdA), Protokoll 3. BdA-BuV-Sitzung, 05.05.1983, Diskussionsbeitrag Andrä, S. 85.

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der Jüngeren von den Parteien und Massenorganisationen.228 Sie war einerseits sicherlich ebenfalls Ausdruck jener Desillusionierung und Enttäuschung, deren Ursachen in der Erstarrung und Reformunfähigkeit des politischen Systems sowie einer daraus resultierenden, stetig wachsenden Unzufriedenheit zu suchen waren. Andererseits aber hatte auch Honeckers Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zu dieser Entfremdung von politischen und staatlichen Institutionen geführt. Dabei war es vor allem die schon kurz angesprochene Tendenz zur Individualisierung, die sich gerade unter jungen Leuten in noch viel stärkerem Maße bemerkbar machte als dies gesamtgesellschaftlich ohnehin zu beobachten war. In dem Maße, wie die Staatsund Parteiführung selbst die zumindest mit der politischen Gesamtlinie zu vereinbarenden Bedürfnisse des Einzelnen in den Mittelpunkt rückte und so für politische Stabilität sorgen wollte, wurde auch das Private aufgewertet, während parteiliche und staatliche Institutionen mehr und mehr an Bindungskraft verloren.229 Individualismus war dabei allerdings nicht grundsätzlich gleichbedeutend mit einer alleine hedonistischen Haltung.230 Vielmehr versuchte man immer wieder, dem Alleinvertretungsanspruch von Staat und Partei eigene Ideen, Konzepte und fachliche Überzeugungen gegenüberzustellen und genau damit gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. So äußerte sich im Individualismus immer wieder auch das Verlangen nach gesellschaftlicher Partizipation  eine Partizipation allerdings, die vielfach jenseits der bestehenden, durch die Staats- und Parteiführung vorgegebenen Struk228 Darauf bezugnehmend heißt es bei Engler: „Zur selben Zeit hatten sich viele Jüngere schon weitgehend aus dem staatlichen Kreislauf verabschiedet und in Subkulturen angesiedelt. Dort fanden Lesungen, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionen und Events aller Art ohne jede Dazwischenkunft offizieller Instanzen statt“ (Engler, S. 166). 229 „Auf Distanz gingen diese Jahrgänge zur politischen DDR – einer Welt, die für die Angehörigen der entgrenzten [jüngeren, T.Z.] Generation jedoch nurmehr eine marginale Rolle spielte und die kaum noch anschlußfähig an die eigenen Lebens- und Sinnvorstellungen war. Ansonsten verstand und empfand sich die entgrenzte Generation selbst wohl nicht als ,distanziert , sondern als eigentlich unpolitisch, konsumfreudig und modern … Eine neue Balance zwischen alltagskulturellen Konventionen und individuellen Lebensentwürfen entstandardisierte die Lebensverläufe dieser Generation in stärkerer Weise als diejenigen früherer Generationen. All dies führte … zu entgrenzten Konsumbedürfnissen und zu dem gesteigerten Anspruch, das eigene Leben nach ureigensten Entwürfen zu gestalten“ (Ahbe/Gries, S. 546f.). 230 So betont etwa auch Engler: „Die Gesellschaft zerfiel nicht in Nischen, die wie Monaden in sich kreisten; sie erzeugte vielmehr neue Bezirke, die ihre Autonomie, neue soziale Spielarten, die ihren Eigensinn verteidigten und doch ans große Ganze angeschlossen blieben. Nicht die einzelnen emanzipierten sich von der Gesellschaft, sondern die zur Gesellschaft zusammengeschlossenen einzelnen emanzipierten sich in Grenzen vom Staat“ (Engler, S. 168f.).

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turen etabliert werden sollte und auf diese Weise zugleich auch zu Veränderungen des institutionellen und politischen Gefüges geführt hätte.231 Den kompletten Rückzug des Einzelnen aus dem gesellschaftlichen Kontext gab es zwar auch. Er war jedoch  wie etwa der erst nach dem Mauerfall uraufgeführte Film „Die Architekten“ von Peter Kahane deutlich macht  eher dem Erleben der eigenen Ohnmacht und einer kaum noch zu ertragenden Frustration geschuldet. In den meisten Fällen aber wurde dem Bruch mit vorgezeichneten institutionellen Strukturen das Bemühen gegenübergestellt, alternative Partizipationsmöglichkeiten zu etablieren oder das institutionelle Gefüge zu verändern.232 Doch über den Generationenkonflikt hinaus hatte das Nachwuchsproblem noch eine ganze Reihe weiterer Ursachen, die in einigen Fällen im Laufe der Untersuchung bereits kurz angeklungen sind und ihrerseits oftmals eng mit dem Generationenkonflikt verknüpft waren. Eine ganz wesentliche Rolle spielte dabei eine sich immer weiter ausbreitende Enttäuschung sowie ein immer stärker werdendes Gefühl der Resignation unter den jüngeren Architekten. Erste Anzeichen dafür ließen sich schon um das Jahr 1980 finden. Damals wies ein Teilnehmer der 11. BdABuV-Sitzung darauf hin, dass junge Menschen von der Arbeit in den Kombinaten 231 Zu diesem an Partizipation interessierten Charakteristikum des sich für Reformen einsetzenden Generationszusammenhangs der Jüngeren ausführlich auch Geisel. 232 Dafür mögen etwa die sich seit Anfang der 80er Jahren nach und nach ausbildenden zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und deren Projekte stehen. Beispiele dafür sind etwa die von Ostdeutschen verfassten Beiträge in einem von Peter Wensierski und Wolfgang Büscher in der Bundesrepublik herausgegebenen Bändchen: „Kein Sonnenschein ohn' Unterlaß. Naturzerstörung in der DDR und ein Handlungskatalog (Arbeitskreis Wittenberg), Es geht um mehr als Bäumepflanzen. Interview mit einer Schweriner Umweltinitiative, Das wenige, was Du tun kannst, ist viel! Forderungen einer Rostocker Baumpflanzaktion, Auf der Suche nach neuen Werten. Fragen an eine Wohngemeinschaft in Sachsen, Jahrzehnte zu spät...? Echos auf eine Umweltausstellung (Peter Gensichen, Wittenberg), Plädoyer für einen neuen Lebensstil. Alternativen zur Herrschaft des ökonomischen Kalküls (Ausschuß ,Kirche und Gesellschaft , Ost-Berlin), Schranken instrumenteller Vernunft. Überlegungen zur Lebensweise und Bedürfnisentwicklung (Götz Planer-Friedrich, Ost-Berlin), Bedürfnisbefriedigung als Basis der Macht. Kritik der Bedürfnisse als Beitrag zu einer gerechten und zukunftsgerechten Gesellschaft (Arbeitskreis Greifswald), Kritik der Leistung. Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Ursachen und Auswege (Theologische Studienabteilung beim DDRKirchenbund, Ost-Berlin), Kritische Partizipation im realen Sozialismus. Probleme von Wissenschaft und Technik aus christlicher Sicht (Heino Falcke, Erfurt), Gerechtigkeit, Ökologische Lebensfähigkeit und Partizipation. Kriterien für das Handeln (Heino Falcke, Erfurt)“ (Peter Wensierski/Wolfgang Büscher [Hgg.], Beton ist Beton. Zivilisationskritik aus der DDR, Hattingen 1981).

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zunehmend enttäuscht seien.233 Verantwortlich dafür war ein Paradox, das gerade die Jüngeren immer stärker zu spüren begannen. Auf der einen Seite erhielt man an den Hochschulen eine durchaus breite und auch die gestalterische Seite der Architektenarbeit einbeziehende Ausbildung.234 Auf der anderen Seite aber war man angesichts einer sich noch stärker auf den materiell-produktiven Aspekt von Architektur und Städtebau konzentrierenden und dabei die Typen- und Wiederverwendungsprojektierung zum allein gültigen Maßstab erklärenden Baupolitik in der Regel mit einer rigide eingeschränkten Berufspraxis konfrontiert. Der Erfurter Architekt Walter Nitsch sprach denn auch im Rahmen einer BdA-BuV-Sitzung des Jahres 1986 davon, dass an den Hochschulen ein vielfältiger und pluralistischer Architektur- und Städtebaudiskurs gepflegt wurde, sich im beruflichen Alltag jedoch zunehmend eben jene für die jüngere Architektengenration so zentrale Erfahrung der Resignation breitmachen würde.235 Diese Resignation wurde zudem durch die oben geschilderte, immer weiter um sich greifende Erstarrung verstärkt, die die Baupolitik mehr und mehr zu bestimmen begann. Der für die Unzufriedenheit mitverantwortliche Status quo des Bauwesens wurde damit verbunden auch für die kommenden Jahre regelrecht in Stein gemeißelt. Erträglicher machen konnten diese Diagnose letztlich auch nicht die nach wie vor beharrlichen Versuche der Vätergeneration, durch veränderte Formen loyaler Zusammenarbeit mit Staat und Partei Weiterentwicklung zu ermöglichen und in Gang zu setzen. Zu offensichtlich war, dass sie immer wieder fehlschlugen und über einzelne lokale Erfolge hinaus kaum zu allgemein akzeptierten Modi fachlichen Handelns wurden. Resignation und Enttäuschung speisten sich also zum einen vor allem aus dem klaren, u.a. über die Ausbildung vermittelten Bewusstsein, was möglich und nötig war, und der gleichzeitigen Erkenntnis, dass dieser Schatz an Fähigkeiten und Erfahrungen in keiner Weise wertgeschätzt, genutzt und abgerufen wurde. Wie sehr letzteres zur prägenden Erfahrung wurde, wurde auch deutlich, wenn Ewald Henn 233 „Attraktivität des Berufs ist ja weitgehend abhängig von den Erwartungen, die ein junger Mensch von seiner Arbeit hat und der Erfüllung dieser Vorstellungen [...] Die Enttäuschung und Überraschung der Architekten nach Aufnahme ihrer Arbeit in den Kombinaten ist eine ernste Kritik an alle, die sie bis zu diesem Punkte führen“ (SAPMO, DY 15/38 [BdA], Protokoll 1. BdA-BuV-Sitzung, 29./30.05.1980, Diskussionsbeitrag Schroth, S. 37). 234 Vgl. hierzu Kapitel II.3. 235 „Ich muß also sagen, wenn ich an der Hochschule bin und sehe, was dort auf den Brettern ist, dann zeichnen sie postmodernistische Sachen bis in das Diplom und bekommen dafür gute Noten, und wenn sie dann als nächsten Schritt in die Praxis kommen, dann wissen sie erst einmal nicht, was sie machen sollen, und dann beginnt die Resignation“ (IRS BdA 5IIa, Protokoll 9. BdA-BuV-Sitzung, 23.05.1986, Diskussionsbeitrag Nitsch, S. 51).

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und Heinz Willumat  wie bereits erwähnt  noch 1989 betonten, dass die jüngere Architektengeneration zukünftig verstärkt einbezogen werden und damit ihrem immer wieder artikulierten Bedürfnis nach angemessener fachlicher Partizipation Rechnung getragen werden müsse.236 Darüber hinaus und eng damit verbunden war es auch der geringe Entwurfsanteil im Bereich der Architektenarbeit, der die Jüngeren in ähnlicher Weise, wenn nicht sogar noch mehr frustrierte wie die Älteren. So machte sich unter den Nachwuchsarchitekten in besonderer Weise ein Unbehagen breit, das die Architektenarbeit unter staatssozialistischen Bedingungen von Anfang an mehr oder weniger stark begleitet hatte  zumindest abseits von politisch-ideologisch aufgeladenen Fachdiskursen und von den sich diesen Diskursen verpflichtet fühlenden Fachleuten. Dieses Unbehagen richtete sich auf die Entindividualisierung und eine einseitig von der Parteipolitik instrumentalisierte Form der Kollektivierung, die auf die Marginalisierung des einzelnen Planers und seiner Arbeit ausgerichtet war. Die Vernachlässigung und Geringschätzung des Entwurfs und sein immer flächendeckenderer Ersatz durch Typen- und Wiederverwendungsprojekte war dafür beredtes Beispiel und Abbild zugleich. In der oben schon zitierten Einschätzung Werner Rietdorfs vom Mai 1980 kam so deutlich zum Ausdruck, wie sehr die Beschneidung des eigenen fachlichen Einflusses und die eigene Unterordnung unter eine nach mechanistischen Prinzipien ablaufende Bauproduktion gerade unter den Jüngeren kritisiert wurde. Mitte der 80er Jahre brachte das auch nochmal Bernhard Geyer zum Ausdruck, der besorgt die Kritik junger Architekten an der Tatsache zur Kenntnis nahm, dass Qualitätskriterien bei Projektvorstellungen kaum eine Rolle spielten.237 Architekten zwischen beruflichem Rückzug, bürgerschaftlichem Engagement und oppositionellem Geist Wirklich oppositionelles Engagement stellte auch unter den jüngeren Architekten eine Randerscheinung dar und nahm erst im Laufe der 80er Jahre merklich zu. Eines der prominentesten und frühesten, vor allem aber auch radikalsten Beispiele stellte in diesem Zusammenhang der Wettbewerbsentwurf von Christian Enzmann 236 SAPMO, DY 15/48 (BdA), Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 27.04.1989, Referat Henn, S. 33, und Diskussionsbeitrag Willumat, S. 70. Genauere Zitate s.o. 237 „Vor wenigen Wochen fand eine Absolventenkonferenz im Bundessekretariat des BdA statt. Es berichteten dort einige junge Kollegen, daß Qualitätskriterien, von denen hier die Rede ist, bei Projektvorstellungen im Betrieb und auch bei Projektvorstellungen vor dem Planträger, wie sie selbst erlebt haben, überhaupt nicht zur Debatte standen, nicht interessierten. Und immer wieder kommt es vor, daß Planträger der Auffassung sind, ihre knappen Investitionsmittel seien für das Gestalterische nicht da  sozusagen: für Architektur kein Geld“ (SAPMO, DY 15/44 [BdA], Protokoll 8. BdA-BuV-Sitzung, 12.12.1985, Diskussionsbeitrag Geyer, S. 96).

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und Bernd Ettel zur Umgestaltung des Ostberliner Bersarinplatzes dar (Abb. 17). Die berufliche Laufbahn von Enzmann und Ettel hatte zunächst vielversprechend begonnen. So hatten sie, nach einem Studium in Weimar238, 1980 u.a. den 2. Preis im Rahmen des städtebaulich-architektonischen Ideenwettbewerbs Friedrichstraße und damit für eines der zentralen und repräsentativen Bauprojekte der Staats- und Parteiführung gewonnen.239 Letztlich aber bekamen auch Enzmann und Ettel in den Folgejahren die Reibereien zwischen den einzelnen Architektengenerationen zu spüren. Die Aufträge für die Neubebauung von Friedrichstraße und Platz der Akademie wurden so beispielsweise erneut an die Angehörigen des ,Systems Gißke vergeben.240 Vermutlich war es auch der sich damit verbunden aufstauende Unmut, der schließlich zum ironischen, aber auch zynisch-sarkastischen Wettbewerbsbeitrag Bersarinplatz führte. Für den mit seinen sternförmig ausstrahlenden Straßenzügen charakteristischen Platz ,entwarfen die beiden Architekten dabei eine Randbebauung, die zwar wie gewünscht auf den Katalog des industriellen Wohnungsbaus zurückgriff. Das Karikaturhafte kam aber schon darin zum Ausdruck, dass die Fassadenplatten fehlten und so der Blick freigegeben wurde auf das konstruktive Skelett der Wohnbauten. Der Betrachter und fiktive Passant sah so auch ins Leere, in die Wohnung als dunkle Höhle und Abgrund  eine Symbolik, die als Verweis auf die inhaltliche Leere der Baupolitik und von DDR-Architektur und -Städtebau insgesamt, aber auch die mit dem Wohnungsbauprogramm verknüpften Probleme und Schwierigkeiten gedeutet werden kann. Zentral aber war im wahrsten Sinne des Wortes ein anderer Gedanke. Für die Mitte des Platzes sahen Enzmann und Ettel eine große, bewegliche Skulptur  den Flug des Ikarus  vor. Immer wieder von neuem sollte Ikarus zu seinem Höhenflug aufbrechen und mit seinem anschließenden Absturz brutal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Auch hier ist eine ganze Reihe von Deutungsmöglichkeiten denkbar. Letztlich aber stellte die ,bildkünstlerische Ausgestaltung auch einen ,sozialistisch-realistischen Kommentar auf den Realsozialismus der DDR in den 80er Jahren dar. Die ursprünglichen Utopien und Visionen, die mit der Idee von Sozialismus und Kommunismus verknüpft waren, glichen jenem Ikarusflug auf dem Bersarinplatz. Der Absturz stellte ein von Beginn an bestimmendes Element dar, und inzwischen gab es auch mit 238 Zur Biographie von Enzmann und Ettel IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 54/6243 (Christian Anton Enzmann)/ 55/6251 (Bernd Ettel). 239 Hierzu Hain (2000), S. 344 sowie Urban, S. 170f. 240 „Nicht die geschlossenen Blöcke  denn die hatten ortsbezogen alle Teilnehmer an den 1980 (offener und international geladener Ideenwettbewerb ,Friedrichstraße Süd ) und 1983 (,Friedrichstraße Nord ) ausgeschriebenen Konkurrenzen vorgeschlagen , sondern die schockierende Liaison von rigoroser Machtausübung und regressiver ästhetischer Kodifizierung im ,System Gißke wurde in der Fachöffentlichkeit schließlich als Skandalon empfunden“ (Hain [2000], S. 342ff.).

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Blick auf die Verweigerung jedweder Reform kaum noch Anzeichen dafür, dass er auf irgendeine Weise aufzuhalten war. Es war die Bankrotterklärung des Staates, die bei Enzmann und Ettel  neben vielem anderen  ihren sinnfälligen Ausdruck fand. Der Staat selbst wiederum reagierte mit Repression auf eine solchermaßen direkte und offene Kritik. Für Enzmann und Ettel waren Haftstrafen die Folge.241 Als allerdings nur vier Jahre später, am 17. Januar 1988, die alljährliche LuxemburgLiebknecht-Demonstration in Sichtweite des Bersarinplatzes vorbeizog, wurde die von Staat und Partei vorgeschriebene Dramaturgie erstmals durch sich für innerparteiliche und gesamtgesellschaftliche Reformen stark machende Gruppen gestört. In die Geschichte eingegangen ist dabei ein Plakat, auf dem das Rosa-LuxemburgZitat ,Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden zu lesen war.242 Die damit zum Ausdruck gebrachte Kritik passte ungewollt auch zum Schicksal der zwischenzeitlich inhaftierten Architekten Enzmann und Ettel, die wegen der bildkünstlerischen Ausformulierung einer unbequemen Sichtweise ihrer Freiheit beraubt worden waren. Gleichzeitig machte das Zitat jedoch vor allem deutlich, dass sich kritisches Denken und Handeln, wie es im Wettbewerbsentwurf für den Bersarinplatz auf besonders eindrückliche Weise zum Ausdruck gekommen war, nach und nach durchzusetzen und auszubreiten begann. Das galt auch für die Architektenschaft. Christian Enzmann und Bernd Ettel waren so letztlich Vorboten eines nicht selten konstruktiv-kritischen, mitunter aber auch oppositionellen Engagements, das ihre Generation bald sehr stark, wenn auch nicht auf solch drastische Weise prägen sollte. Zu nennen ist dabei vor allem in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ein immer stärkeres bürgerschaftliches Engagement junger Architekten bis hin zur Mitarbeit in 241 Hierzu auch ebd., S. 346f. Hier wurde noch Mitte der 80er Jahre und damit bereits zur Zeit von Glasnost und Perestroika deutlich, dass stalinistische Prinzipien nach wie vor immer wieder ihre Wirkungsmacht entfalteten. 242 Hierzu Weber: „Zeichen des Vorhandenseins einer Opposition in Teilen der Bevölkerung – gerade auch unter Jugendlichen – gab es immer wieder. An den Demonstrationen zum Gedenken des Jahrestages der Ermorderung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 17. Januar 1988 wollten sich junge oppositionelle Bürger der DDR beteiligen und auf Transparenten u.a. Rosa Luxemburgs Grundsatz ,Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden als eigene Losung mitführen. Diese Antidemonstration am Rande der offiziellen Kundgebung verhinderten die MfS-Organe mit der größten Massenverhaftung der letzten Jahre. Mehr als hundert Bürger wurden festgenommen, Schüler relegiert, einige Dutzend Ausreisewilliger durften die DDR verlassen. Aber andere Oppositionelle, die bleiben wollten, wurden zwangsweise abgeschoben. Die Staatssicherheit, völlig überrascht von dieser Form des Protests und dem selbstbewußten Auftreten junger Oppositioneller, ging brutal gegen kritische Bürger vor“ (Weber, S. 466).

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oppositionellen Kreisen und Gruppen. Von dieser Entwicklung war auch der BdA betroffen. Waren schon in den Vorjahren immer stärkere Ablösungserscheinungen von dem als Massenorganisation und Transmissionsriemen der Parteipolitik gedachten Architektenbund sichtbar geworden, so erklärten gegen Ende der 80er Jahre mehr und mehr Architekten ihren Austritt. Insbesondere ab Mitte des Jahres 1989 erfasste diese Welle alle damals noch berufstätigen Architektengenerationen. In besonders starkem Maße und seit längerem waren es jedoch vor allem junge Architekten, die dem BdA den Rücken kehrten.243 Stattdessen  und das war das entscheidende  begannen sich viele anderweitig, etwa in den Reihen des nach wie vor ein wenig unabhängiger agierenden Kulturbundes, nicht selten aber auch in Graswurzelbewegungen zu engagieren. 244 Ewald Henn schilderte diese Entwicklung im Rahmen der BdA-BuV-Sitzung vom April 1989 als ein großes und immer weiter zunehmendes Problem. Dabei wurde auch deutlich, wie sehr sich der BdA und die seine Politik bestimmenden Fachvertreter der 45er-, aber auch der Aufbruchsgeneration, einem Dialog mit den Jüngeren verweigert und so selbst zur Verschärfung der Situation beigetragen hatten: „[...] inhaltlich zu diskutieren, einbezogen die jungen Architekten mit all ihrem Elan und ihren Ideen, ist unsere Verantwortung. Wir können und dürfen nicht aus Zurückhaltung und Trägheit die Aktivsten unter uns den anderen Verbänden zulaufen lassen, wie es ja Tendenzen gibt in der Arbeit einiger Bezirke. Wenn unser Verband [nicht, T.Z.] den Spielraum bietet, um den Interessen unserer Kollegen nachzukommen, so orientieren sie sich auf andere Verbände, Kulturbund usw. bis gesellschaftlich sich formierenden [sic!] Interessen- oder Bürgergemeinschaften.“245

Ein ganz ähnliches Bild der Lage zeichnete auf derselben BuV-Sitzung auch Heinz Willumat. Spürbar wurde in seinem Diskussionsbeitrag dabei zudem, dass sich die Einschätzung der Jüngeren durch die Älteren zu verschieben begann. Statt wie vorher das Bild einer verlorenen Generation zu zeichnen, wurde nun deren prinzipielle Bereitschaft und auch ihr Bedürfnis zur Mitarbeit unterstrichen: „Geholfen hat uns auch in der Architekturdiskussion eine Zusammenkunft junger Architekten Anfang des Jahres mit Mitgliedern des Verbandes bildender Künstler Berlin, wo die junge Generation ihren Anspruch auf Gestaltung der Umwelt deutlich aufzeigte. In diesem Zusam243 Zu den in der zweiten Hälfte der 80er Jahre und vor allem im Laufe des Jahres 1989 zunehmenden Austritten aus dem BdA die entsprechenden Vermerke in den im IRS Erkner befindlichen BdA-Aufnahmeanträgen. 244 Hierzu auch Fußnote 127. 245 SAPMO, DY 15/48 (BdA), Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 27.04.1989, Referat Henn, S. 33.

394 | A RCHITEKTEN IN DER DDR menhang möchte ich auf zwei Schwierigkeiten hinweisen: Die junge Architektengeneration steht außerhalb des BdA, fühlt sich zu solchen Gruppen stärker hingezogen als zu unserer Gruppe. Das wurde mehrfach betont, wir haben mehrfach Diskussionen geführt. Ich halte das für ein ernstes Problem. Wir müssen Interessenvertreter aller [Hervorhebung im Original, T.Z.] Architekten sein!“246

Zwar zogen sich einige der jüngeren Architekten beruflich vollständig zurück und entschieden sich beispielsweise für ein Leben als bildende Künstler oder Literaten, was einen der Gründe dafür darstellte, warum sich viele von ihnen bald in den Reihen des Kulturbundes wiederfanden. Andere aber suchten ganz bewusst Alternativen zu einer Form der Berufstätigkeit, die ihnen nicht mehr oder kaum noch zukunftsfähig erschien. Schon seit Anfang der 80er Jahre wurde beispielsweise Berufsfeldern innerhalb der Denkmalpflege oder der so genannten ,Rekonstruktion, also der Altbausanierung und -restaurierung, wachsendes Interesse entgegengebracht.247 Auch im Bereich der Denkmalpflege zeigte sich dabei nochmals, dass sich die jüngere Generation zunehmend über die parteipolitische Erwartungshaltung hinwegzusetzen begann. Eines der wichtigsten, architekturhistorisch aber eher am Rande gewürdigten Beispiele stellte dabei der 1988 vom Leipziger Stadtarchitekten Dietmar Fischer organisierte Wettbewerb Innenstadt Leipzig dar (Abb. 18). Fischer, 1950 geboren und an der TU Dresden ausgebildet, hatte dort auch als Wissenschaftlicher Assistent gearbeitet und wurde schließlich bei Kurt Milde mit einer Dissertation „Zum Bewahren des Charakters baulichen Erbes. Ein Problem der sozialistischen Aneignung baulichen Erbes. Architekturtheoretische Untersuchung des Charakterbegriffes und der Möglichkeiten der Charaktererkenntnis“ promoviert.248 Bemerkenswert am Leipziger Wettbewerb war vor allem, dass er im Gegensatz zu den Wünschen und Vorstellungen der Bezirksparteileitung auch über den gegenwärtigen Stand des Bauwesens hinausgehende Lösungsansätze zuließ. Entscheidend war dabei sicherlich vor allem die Erkenntnis gewesen, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die immer stärker verfallenden Altstadtbereiche Leipzigs zum Abriss freigegeben werden mussten und so wesentliche identifikationsstiftende Elemente des Stadtbildes verloren gehen würden. Die Ergebnisse des Wettbewerbs, an dem 246 SAPMO, DY 15/48 (BdA), Protokoll 5. BdA-BuV-Sitzung, 27.04.1989, Diskussionsbeitrag Willumat, S. 70. 247 „Ich darf aber sagen, daß gerade das letzte Seminar in Halle hier [in der Frage der Mitarbeit junger Architekten, T.Z.] eine recht gute Wende zeigte und daß wahrscheinlich auf dem Gebiet der Rekonstruktion und Erhaltung ein höherer Anteil jüngerer Kollegen eingesetzt sind, die dort auch mit gutem Engagement aufgetreten sind“ (IRS BdA 4.3, Protokoll 7. BdA-Präsidiumssitzung, 12.04.1985, Diskussionsbeitrag Scholz, S. 13). 248 IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 24/2616 (Dietmar Fischer).

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sich vor allem jüngere Architektinnen und Architekten beteiligten, geben bis heute einen beeindruckenden Einblick in den damaligen Architektur- und Städtebaudiskurs. Es war ein buntes, ideenreiches und pluralistisches Bild, das für die Leipziger Innenstadt entworfen wurde und sich deutlich absetzte von den inzwischen ebenfalls kaum noch weiterentwickelten Lösungen für das innerstädtische Bauen. Neue denkmalpflegerische Ansätze standen gleichberechtigt neben Entwürfen für Neubauten, die dem sich seit einigen Jahren und insbesondere im Zusammenhang mit der Westberliner IBA durchsetzenden Paradigma der ,Europäischen Stadt verpflichtet waren. Vorgeschlagen wurde eine historisch verortete und den historischen Ort einbeziehende, trotzdem aber selbstbewusst zeitgenössische Architektur, die ein attraktives Gegenbild zu einer vom Verfall gezeichneten Stadt entwarf. Indem sie neue Wege aufzeigten, bemühten sich hier also gerade jüngere Architekten, die verkrusteten Strukturen einer in sich selbst gefangenen Baupolitik aufzubrechen. Wie aus vielen anderen ähnlich gelagerten Projekten und Planungsvorschlägen sprach daraus erneut das Verlangen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Verwiesen sei hier nur auf Debatten um die Altstadtbereiche in Brandenburg249 und Senftenberg.250 Viele andere Beispiele ließen sich anführen und bedürfen sicherlich einer intensiveren architekturhistorischen Forschung, stehen doch gerade sie für eine ganz wesentliche Entwicklung im Bereich der DDR249 IRS BdA 14II, BA/ISA, Direktor Grönwald, Städtebauliche Reproduktionsstrategien nach 1990. Materialien des 2. Prognoseseminars des Instituts für Städtebau und Architektur, Berlin, August 1988, Seminar im Bauhaus Dessau, 14.-18.3.1988, Bericht der Arbeitsgruppe Brandenburg (S. 78-92). Dort hieß es u.a.: „,Was passiert, wenn nichts passiert ? Setzt man keine wesentlichen Veränderungen in der Städtebaupolitik voraus, wird es in den nächsten Jahren zu einer weiteren Zuspitzung der gegenwärtigen Situation kommen. Ein Verlust an Identität des zentralen Bereiches der Stadt wird mit einer progressiven Abnahme der Nutzbarkeit einhergehen. Dies wird letztlich die Migration erhöhen und zwar überproportional bei jenen sozialen und demographischen Gruppen, die für die Reproduktion der Stadt von besonderer Bedeutung sind. Volkswirtschaftliche Verluste scheinen deshalb unvermeidbar. Die Auflösung der städtebaulichen Strukturen beginnt an den Randbereichen der Altstadtkerne und führt zur Aufgabe wichtiger Straßen- und Platzräume, zu einem Verlust der Abgrenzbarkeit und Erlebbarkeit vieler Bereiche. Dann werden nur noch die Steinund Hauptstraße Historisches in einer neuen baulichen Umgebung vermitteln können. Die Identität des Kernbereiches und die lokale Spezifik der Lebensweise gingen unweigerlich verloren“ (ebd., S. 90). 250 IRS Erkner, BdA 60II, UIA competition Brighton 1987, Building Dreams are going to be Reality in the Town of Senftenberg, Techn. Universität Dresden, Sekt. Architektur, Department Städtebau, Stud. Katrin Pfeil, Rainer Briese, Prof. Dr. sc. Schwarzbach, Dr. B. Gräfe.

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Architektenarbeit der späten 80er Jahre. Letztlich verliefen die Leipziger Bemühungen, aber auch viele andere Initiativen, erneut im Sande. Der Baupolitik war es wichtiger, jede Debatte über aus ihrer Sicht nicht erfüllbare Planungen zu verhindern und untersagte die Veröffentlichung der Wettbewerbsergebnisse. 251 Vermutlich waren sich auch die politisch Verantwortlichen inzwischen darüber klar, dass einer Umsetzung der Vorschläge in jedem Fall wirtschaftliche Gründe entgegenstehen würden. So klammerten sie sich stattdessen an die altbewährte Mangelverwaltung und versuchten damit, ihre Pfünde zu sichern. Letztlich aber war es auch diese Ignoranz und Selbstbezogenheit der Politik, die zu einem wichtigen Baustein auf dem Weg zur so genannten Friedlichen Revolution wurde. Der Zustand der Städte war nicht umsonst ein wichtiges Thema der Bürgerbewegungen, und eine ihrer Zentren war nicht ohne Grund die Stadt Leipzig. So war es denn auch nur konsequent, dass die Ergebnisse des Wettbewerbs Innenstadt Leipzig im Frühjahr 1990 erstmals veröffentlicht wurden und in einer Ausstellung vor Ort, aber auch in der AdDDR zu einem weiteren positiven Gegenbild zur Politik der Vorjahre wurden.252 Zahlreiche Architekten und gerade die jüngeren unter ihnen hatten so, in Leipzig, aber auch anderenorts, durchaus einen Beitrag zu den Umbrüchen der Jahre 1989 und 1990 geleistet.

251 Dietmar Fischer/Ambros G. Gross, „Ideen für Leipzig. Wettbewerb für die Gestaltung des Zentrums“, in: AdDDR 3/1990, S. 9-13, hier S. 9. 252 Hierzu ebd., S. 9-13 sowie o. Verf., „Die preisgekrönten Entwürfe“, in: AdDDR 3/1990, S. 14-41. Interessant ist im Zusammenhang mit den Internationalisierungsbemühungen (vgl. hierzu Kapitel III.2.2) zudem, dass Fischer auch Architektenkollektive aus den Leipziger Partnerstädten (Krakow, Kiew, Plovdiv) zur Teilnahme aufgefordert hatte.

Schlussexkurs: Gab es ein DDR-typisches gestalterisches Arbeiten der Architekten?

Abschließend sollen einige vorläufige Überlegungen über mögliche gestalterische Charakteristika der Architektentätigkeit in der DDR angestellt werden, die sich auch aus den Ergebnissen dieser Untersuchung speisen.1 Vieles spricht demnach dafür, dass das gestalterische Arbeiten der Architekten und Städtebauer ab Mitte der 50er Jahre trotz seiner Vielfältigkeit in den meisten Fällen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden kann. In den Vordergrund gerückt wurden nämlich in nahezu allen Bereichen und bis auf wenige Ausnahmen rationalistische Entwurfsprinzipien2, die sich spätestens seit Beginn der 60er Jahre klar an der Ästhetik der Mo-

1

Einen weiteren Versuch in diese Richtung hat Ulrich Hartung unternommen, an dessen Gedanken die hier angestellten Überlegungen teilweise anknüpfen (Hartung). Dass ein Nachdenken über solche gestalterischen Spezifika sinnvoll ist, betont auch Hartung: „Die moderne Architektur der DDR ist nur zu begreifen, indem sie als der weltweiten Gestaltungsbewegung der 1950er bis 1970er Jahre zugehörig und zugleich als spezifisches Produkt der Entwicklung von Staat und Gesellschaft in Ostdeutschland verstanden wird. Sie geht nicht einfach in einem ,internationalen Stil auf, sondern bildet innerhalb der Architekturmoderne eine eigene Variante, gekennzeichnet durch gesellschaftspolitisch induzierte, in Gestaltung umgesetzte Besonderheiten“ (ebd., S. 31f.).

2

So schreibt auch Hartung: „Mit der Freigabe des Entwerfens für eine ökonomisch bestimmte Rationalität schloss sich auch in der DDR das Bauen der internationalen Moderne an“ (ebd., S. 31). Solchermaßen rationalistische Entwurfsprinzipien stellten an sich kein Alleinstellungsmerkmal in Architektur und Städtebau der DDR dar, da auch in anderen Ländern parallel ähnliche stilistische Tendenzen zu beobachten waren. Der Umfang, mit dem sich seit den späten 50er Jahren ein rationalistischer Gestaltungsansatz durchzusetzen begann und bis 1989 seine Gültigkeit behielt, kann jedoch als etwas durchaus DDR-spezifisches betrachtet werden.

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derne orientierten, dabei aber bewusst individualisierende Tendenzen aussparten.3 Der gestalterische Zugriff des Architekten blieb zwar vielfach sichtbar 4, ordnete sich aber in den meisten Fällen den materiellen und konstruktiv-technologischen Voraussetzungen des industriellen und typisierten Bauens unter. Die Ursachen dafür liegen zum einen  wie in der Untersuchung gezeigt  in den Bedingungen eines auf die Planwirtschaft zugeschnittenen und damit von ökonomischen Aspekten dominierten, die genormte Typenarchitektur in den Mittelpunkt rückenden Bauwesens, das aus politischer Sicht auch der ideologisch gewünschten Entindividualisierung der Architektenarbeit dienen sollte. Doch erneut waren es auch Architekten, die dieses technologisch-ideologische Korsett durch eine darauf zugeschnittene, gleichzeitig aber auch gestalterische Interessen verfolgende Entwurfshaltung zu erweitern versuchten. Dabei konnte es vielfach hilfreich sein, selbst ideologisch zu argumentieren, um davon ausgehend gestalterisch arbeiten zu können. Unverkennbar war, wie sehr man auch in den frühen 60er Jahren an gestalterische und theoretische Traditionen anknüpfte, die schon in den 50er Jahren bestimmend und prägend gewesen waren. Zu nennen sind damit verbunden zum einen stadtbaukünstlerische Überlegungen, die schon die 16 Grundsätze des Städtebaus prägten. Obwohl sich die nun durchsetzende Architektursprache klar von den in der ersten Hälfte der 50er Jahre realisierten Bauprojekten und dem Leitbild des Bauens der Nationalen Traditionen unterschied, kann auch festgestellt werden, dass man seit den 60er Jahren in vielfacher Hinsicht an gestalterische Mittel dieser frühen Jahre anknüpfte, insbesondere im Bereich des Städtebaus. Ausgehend vom sozialistischen Bodenrecht und den Bedingungen der Planwirtschaft, aber durchaus auch den 16 Grundsätzen vergleichbar, setzten sich Planer und Theoretiker wie Kurt Junghanns oder Hans Schmidt für das Ideal einer Stadt ein, deren städtebauliche Ordnung und gestalterische Homogenität die planmäßige Entwicklung unter sozialistischen Verhältnissen widerspiegeln sollte. Zu den wesentlichen Forderungen hatte dabei die nach gestalterisch weitgehend homogenen Stadtgefügen und einer stadtbaukünstlerischen Hierarchisierung der Stadtstruktur gehört. Schon nach den 16 Grundsätzen des Städtebaus sollten sich dabei die Haupt- und Unterzentren vor 3

Hartung spricht in diesem Zusammenhang davon, dass „eine kollektivistische Interpretation von Modernität der individualistischen Lesart des Westens gegenübergestellt werden“ (Hartung, S. 32) kann. Gerade in den frühen 60er Jahren, aber auch in späteren Jahrzehnten, kam zudem noch eine sehr viel individuellere Entwurfshaltung hinzu, die im zweiten Teil dieses Abschnitts genauer beleuchtet werden soll.

4

Völlig zu Recht weist denn auch Anke Kuhrmann darauf hin, dass es sich bei der Feststellung, „die Industrialisierung des Bauwesens und das Fehlen eines freiberuflich tätigen Architektenstandes habe nur eine utilitäre Einheitsarchitektur von geringem gestalterischen Anspruch hervorgebracht“, im Allgemeinen um ein bloßes „Vorurteil“ handelt (Kuhrmann, S. 123).

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allem in Gestaltung und Maßstab von den umgebenden Wohnvierteln unterscheiden. Insbesondere Hans Schmidt versuchte diesen Ansatz in der zweiten Hälfte der 50er Jahre für das industrielle Bauen fruchtbar zu machen und legte damit wesentliche Grundlagen für den Städtebau der späteren Jahre und Jahrzehnte. 5 Auf den Wohnungsbau bezogen plädierte er für eine rationalistische, an den Erfordernissen von Funktion, Technologie und Konstruktion orientierte Architektursprache. Dieser Dreiklang sollte gleichermaßen auch dem Gesellschaftsbau und den Zentrumsplanungen zu Grunde liegen, wobei alleine Maßstab, Raumwirkung und materieller Aufwand zu einer Differenzierung beitragen sollten. Die Städtebautheorie der frühen 60er Jahre griff diese Überlegungen auf. Vor allem die bei Hans Schmidt am ITG (Institut für Theorie und Geschichte) bzw. (ab 1962) am ISA erarbeiteten Publikationen „Funktion und Komposition der Stadtzentren“6 sowie „Straßen und Plätze“ 7 lassen die angesprochenen städtebautheoretischen Kontinuitäten deutlich erkennen und stehen gleichzeitig für deren Weiterentwicklung. So spielte sogar die Beschäftigung mit der historischen Stadt auch jetzt eine gleichbleibend wichtige Rolle. Für die Publikation „Straßen und Plätze“ hatte das von Schmidt geleitete Autorenkollektiv so etwa Beispiele der Stadtbaukunst vom römischen Forum Romanum über Stadtgestaltungen des Mittelalters, der Renaissance und des Barock bis ins 19. Jahrhundert in minutiöser Kleinarbeit zusammengetragen und analysiert. Dabei interessierte man sich vor allem für die Analyse von Straßen- und Platzräumen, deren Maßverhältnisse und Proportionen sowie die Gestaltung der die Straßen- und Platzwände bildenden Bauwerke.8 „Strassen und Plätze“ verstand sich da-

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Schmidts gestalterische Grundhaltung wurde denn auch vor allem in der ersten Hälfte der 60er Jahre publizistisch popularisiert (vgl. hierzu u.a. P. Volodin, „Schlichtheit, Wahrhaftigkeit und harmonische Schönheit in der Architektur“, in: DA 4/1961, S. 227ff.; Bruno Flierl, „Baukastensystem und Ordnung“, in: DA 2/1963, S. 110).

6

Hans Schmidt, Funktion und Komposition der Stadtzentren. Untersuchungen am Beispiel der Stadtzentren Berlin, Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt, Berlin 1967.

7

Konrad Lässig/Rolf Linke/Werner Rietdorf/Gerd Wessel, Straßen und Plätze. Beispiele zur Gestaltung städtebaulicher Räume. Mit einer Einführung von Prof. Dr. e.h. Hans Schmidt, Berlin (Ost) 1968. Auch wenn die Veröffentlichung der Arbeit mit dem Jahr 1968 erst relativ spät datiert, so war sie doch Ergebnis „einer langfristigen Arbeit an Problemen der Komposition der Stadt am Institut für Städtebau und Architektur der Deutschen Bauakademie“ und berücksichtigte deswegen auch noch nicht die „neue[n] Planungen und Projekte für großstädtische Ensembles, Straßen und Plätze in den Stadtzentren“ der DDR, die erst in der zweiten Auflage (1970) Berücksichtigung fanden. Gemeint waren damit die großen Zentrumsbebauungen der späten 60er Jahre.

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Methodisch griff man in diesem Zusammenhang auf „die zeichnerische Darstellung der Beispiele in einheitlicher Zeichentechnik und einheitlichem Maßstab“ (ebd., S. 5) zurück,

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bei jedoch weniger als historische Abhandlung, sondern in erster Linie als gegenwarts- und praxisbezogenes Buch sowie als Entwurfshilfe. Geklärt werden sollte vor allem, wie angesichts moderner Bautechnologien ein daraus abgeleiteter rationaler, ästhetisch eher auf Einheitlichkeit abzielender Gestaltungsansatz durch den Rückgriff auf stadtbaukünstlerische Mittel ästhetisch aufgewertet, ideologisch aber auch an die sozialistischen Rahmenbedingungen angepasst werden konnte. So hieß es gleich zu Beginn des Vorwortes: „Die Vielseitigkeit und die ständige Veränderung der Formen des gesellschaftlichen Lebens stellen hohe Ansprüche an die städtebaulich-räumliche Komposition einer Stadt und ihrer einzelnen Elemente, der Stadtzentren und Wohngebiete, der jeweiligen Straßen und Plätze. Einige der wichtigsten Voraussetzungen zur Lösung dieser Aufgaben sind für den schöpferischen Städtebauer und Architekten eine fundierte Kenntnis der reichen Erfahrungen aus der Geschichte der Stadtbaukunst und eine bewußte Anwendung von grundlegenden Prinzipien der räumlichen Gestaltung.“9

Der rationalistische Entwurfsansatz Im Interesse eines umfassenden industriellen und typisierten Bauens sowie einer kostengünstigen und möglichst umfangreichen Architekturproduktion propagierte Schmidt zudem frühzeitig den aus wenigen Elementen und einem klaren Ordnungssystem abgeleiteten architektonischen Entwurf. „Modulsystem“ und „Systemliniengitter“ 10 sollten demnach zu einer wesentlichen Grundlage architektonischen Gestaltens werden. Abgemildert werden sollte die daraus resultierende rationalistische Strenge gleichzeitig durch ein „System der Toleranzen“. Architekturhistorisch berief sich Schmidt dabei zwar auf „das Modulsystem von Vitruv, die Triangulierung der mittelalterlichen Baumeister, das Mattensystem des japanischen Holzbaues“11 um ihre unmittelbare Vergleichbarkeit zu gewährleisten und dem Leser ein leichtes Erfassen zu ermöglichen. 9

Ebd. Im Vordergrund stand so vor allem die Frage, ob Straße und Platz „unter den heutigen Bedingungen [gemeint waren die offene Bebauung und der zunehmende Verkehr, T.Z.] noch [ihre] frühere Bedeutung und architektonische Gestalt behalten“ (ebd., S. 29) könnten. Abschließend äußerten die Verfasser zudem den Wunsch, „daß das vorliegende Buch zu einer Hilfe für die Arbeit des Städtebauers und Architekten wird und darüber hinaus allen, die sich für Städtebau und Architektur als eine öffentliche Angelegenheit (,res publica ) interessieren, Gelegenheit gibt, ihre Kenntnisse und ihr Verständnis zu vertiefen“ (ebd., S. 6). So sollten nicht zuletzt „maßstäbliche Fehler, wie sie leider häufig bei Neuanlagen auftreten, vermieden werden“ (ebd.).

10 Vgl. hierzu Hans Schmidt, „Baukastensystem und Architektur“, in: DA 3/1962, S. 170175, hier S. 170. 11 Ebd.

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und bezog – im Bauwesen der DDR damals noch ein Novum – darüber hinaus dezidiert Traditionen der klassischen Moderne wie die Fassadengestaltungen Berlages und Le Corbusiers oder die Grundrisslösungen Frank Lloyd Wrights ein. 12 Politisch-ideologisch aufgeladen betonte er gleichzeitig aber auch, dass es diesen Architekten lediglich um „[r]ein formal-künstlerische Absichten“ und die „baukünstlerische[...] Wirkung“13 gegangen sei. In der DDR hingegen sah er das Baukastensystem vor allem als Voraussetzung „der industriellen Massenproduktion“ von Bauwerken, also als wichtigen Baustein innerhalb eines planwirtschaftlich grundierten Konzepts von Industriemoderne und der vor diesem Hintergrund angestrebten Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse: „Wir aber stellen unserer sozialistischen Bauindustrie die Aufgabe, Bauelemente herzustellen, die für beliebig viele Gebäude der verschiedensten Zweckbestimmung zu dienen haben und, um die ökonomischen Vorteile der Massenproduktion auszunutzen, möglichst vielseitig verwendbar und austauschbar sein müssen. Damit, daß wir das Baukastensystem mit den Bedingungen der Massenproduktion und der radikalen Standardisierung verbinden, stellen wir eine entscheidende Forderung auf: das Baukastensystem muß universal sein.“14

Dieses Verständnis von Architektenarbeit ist mitunter auch als Linksfunktionalismus bezeichnet worden15, weil Schmidt und andere unter realsozialistischen Verhältnissen damit zugleich auch bewusst auf jene Traditionen der Klassischen Moderne zurückgriffen, die sich dezidiert von einer individuellen Entwerferarchitektur abzusetzen und Aspekte des Sozialen sowie die Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Grundbedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen versuchten. Zu einem der wichtigsten Gewährsmänner wurde in diesem Zusammenhang der Bauhaus-Architekt Hannes Meyer. Dessen viel zitierter Satz „Bauen ist nur Organisation, soziale, technische, ökonomische, psychische Organisation“16

umriss relativ genau das von der DDR-Baupolitik gewünschte und von Schmidt sowie den an ihn anknüpfenden Architekten zumindest rhetorisch verfochtene Architektur- und Städtebaukonzept. Zum Vorbild der an der DBA entwickelten Planungsansätze avancierte darüber hinaus der einstmals durchaus umstrittene Otto Haesler. Denn auch ihm sei es um

12 Vgl. ebd. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 So in der zu Beginn der Einleitung bereits erwähnten Ausgabe der arch+ vom April 1990. 16 Kurt Junghanns, „Hannes Meyer und das Bauhaus“, in: DA 1/1964, S. 44f.

402 | A RCHITEKTEN IN DER DDR „die Art und Weise der Bewohnung, die Hauswirtschaft, die ökonomischsten Konstruktionen, die günstigste Besonnung, die Fragen der Aufschließung, der rationellen Bauausführung“17

gegangen. Vor allem aber orientierte man sich an Haeslers beruflichem Selbstverständnis. „Otto Haesler“, so hieß es, „bezeichnete selbst die ‚strengste Sparsamkeit und Diszipliniertheit in Planung und Ausführung‘ als Richtschnur seines Arbeitens [...] Er hatte nicht den Ehrgeiz, zu den großen Künstlern der Form zu gehören. Sein Streben galt der sozialen und ökonomischen Aufgabe der Architektur, und es ist kein Zufall, daß ihn dieses Streben auf die Seite des Sozialismus geführt hat.“18

Im Hintergrund stand hier sicherlich, dass man politisch-ideologischen Leitlinien gerecht zu werden und der Architektenschaft ein bestimmtes, mit den Restriktionen des Realsozialismus kompatibles Konzept von Architekturmoderne schmackhaft zu machen versuchte. Darüber hinaus identifizierten sich viele Architekten aber sicherlich auch mit einem entsprechenden Modernekonzept. Im Vordergrund stand dabei in der offiziellen Ideologie, aber auch innerhalb von Teilen des Fachdiskurses die Idee, das Fortschrittsparadigma der Moderne mit einer dezidiert politischgesellschaftlichen sowie sozialen Dimension zu verknüpfen. Die Gesellschaft sollte demnach von den durch die Moderne in Gang gesetzten wissenschaftlichen und technischen Neuerungen profitieren, indem wirtschaftliches Wachstum generiert werden und zu immer geringeren Kosten führen sollte. Um diesem Ziel näherzukommen, schienen alle Bereiche des Lebens und die gesamte berufliche Arbeit – also auch Architektur, Städtebau und die Architektentätigkeit – alleine materielltechnisch sowie ökonomisch determinierten Mechanismen und Organisationsprinzipien unterworfen werden zu müssen. Unter staatssozialistischen Vorzeichen – also etwa mit Blick auf die Methoden der Planwirtschaft und einer zentralen Steuerung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen – versprach sich dieser Prozess noch schneller und umfassender zu vollziehen. Das forcierte industrielle und auf Elementkatalogen beruhende Bauen wie auch das Bestreben, eine möglichst geringe Anzahl verbindlicher Typenserien bereitzustellen, gehört genau in diesen kulturhistorischen Zusammenhang.19 Durchaus aus Überzeugung ging es also vielen sicherlich darum, Entwurfsprozesse so weit wie möglich zu rationalisieren und an mechanistisch ablaufende Bauprozesse anzupassen. Normierte Maß- und festgelegte Montagesysteme waren darauf ausgelegt, Planung und Bauausführung in eine durchgetaktete Bauproduktion zu integrieren. Der Architektenberuf passte sich da17 O.Verf., „Zum Tode von Otto Haesler“, in: DA 6/1962, S. 350f., hier S. 351. 18 Ebd. 19 Dieser wurde von vielen Architekten sicherlich nicht bewusst reflektiert.

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bei einem auf die Produktion bezogenen Konzept von Architektenarbeit an: entweder als Projektant, der sich als eine Art Prozessmanager verstand, oder aber als Entwickler, der für die Grundlagenarbeit zuständig war. Abgelehnt wurden hingegen von der offiziellen Politik, aber auch von solchermaßen argumentierenden Fachleuten jene Traditionslinien der Moderne, die darüber hinaus sowohl die individuellen Bedürfnisse und die freie Entfaltung des Einzelnen auf der Entwerfer-, aber auch auf der Nutzerseite in den Mittelpunkt stellten. Den vielfältigen, letztlich bereits auf so unterschiedliche Akteure wie Louis Sullivan, Frank Lloyd Wright und Hugo Häring zurückgehenden Strömungen eines an organischen Formen orientierten, sehr viel freieren Gestaltens begegnete deswegen auch ein Teil der Architektenschaft mit nur wenig Gegenliebe. Der Baupolitik loyal verpflichtet, zugleich aber sicher auch auf Grund entsprechender fachlicher Überzeugungen, ging man hier auf Distanz zu Entwürfen, wie sie etwa Heinz Graffunder für den Berliner Tierpark vorgelegt hatte. Das DBA-Plenum des Jahres 1963 machte dabei ebenfalls deutlich, dass damals unterschiedliche gestalterische Ansätze miteinander konkurrierten, sich die ,Rationalisten letztendlich jedoch weitgehend durchsetzen konnten.20 Stellvertretend für diesen rationalistischen Ansatz21, der auch die 70er und 80er Jahre etwa in Form des umfassenden Typenbaus prägte, sollen hier die frühen 60er Jahre und damit die Zeit in den Blick genommen werden, als sich die entsprechende gestalterische Grundhaltung endgültig etablierte und durchsetzte  sowohl im Wohnungs-, genauso aber auch im Gesellschaftsbau. Deutlich werden wird damit verbunden, dass das rationalistische Entwurfsideal nahezu alle Bauprojekte prägte und bestimmte. An erster Stelle soll hier zunächst der alleine quantitativ besonders zentrale Bereich des Wohnungsbaus beleuchtet werden. Die für diesen Bausektor entwickelten ästhetischen Leitlinien wurden jedoch genauso auch auf den Gesellschaftsbau sowie auf städtebauliche Entwürfe übertragen, die im Anschluss untersucht werden sollen. Verdeutlichen lässt sich so, wie sehr ein spezifischer Gestaltungsansatz das Architektenhandeln in weiten Bereichen von Architektur und Städtebau der DDR von Beginn der 60er Jahre an bestimmte und deswegen essentiell zu einer Untersuchung des Berufsbildes dazugehört. Das Beispiel Wohnungsbau Im Bereich des Wohnungsbaus war die vertikale Ausdifferenzierung des Entwurfsprozesses schon seit den 50er Jahren bestimmend.22 Im Zuge der verstärkten Typisierung und Standardisierung wurde die Grundlagenarbeit, die die DBA leistete, jedoch nochmals wichtiger. Geschildert worden ist so etwa die Aufwertung des Ent20 Letzteres galt darüber hinaus auch für weite Abschnitte der DDR-Architekturgeschichte. 21 Hierzu auch Hartung, S. 38. 22 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel III.1.1 und Wolf-Rüdiger Eisentrauts Erläuterungen zum ,Briefträgerprinzip , das sich seit den 50er Jahren immer weiter ausdifferenziert hatte.

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wurfsbüros für Typung, wo seit Ende des Jahres 1954 die Ausarbeitung von Typenelementen, aber auch ganzer Typen- und Angebotsprojekte stattfinden sollte. Die Überführung der Entwurfsbüros in Projektierungsbetriebe Ende der 50er Jahre und die daraus resultierende weitere Ökonomisierung des Entwurfswesens hatte auch in diesem Bereich eine nochmalige institutionelle Neuordnung zur Folge: „Hervorgehend aus dem Institut für Typung der Bauakademie und dem VEB Hochbauprojektierung Berlin wurde am 30. Dezember 1959 der ,VEB Typenprojektierung beim Ministerium für Bauwesen gebildet, der als zentrale Institution für die landesweite Unifizierung der Plattenbauweise und eine Reduktion des Elementesortiments verantwortlich wurde.“23

Die dort beschäftigten Architekten hatten vor allem die Aufgabe, radikal standardisierte Typenvorentwürfe zu entwickeln, die den einzelnen Projektierungsbüros vor Ort als verbindliche Arbeitsgrundlage dienen sollten. Für diese so genannte Grundlagen- und Angebotsprojektierung soll im Folgenden exemplarisch die Entwicklung der Wohnungsbauserie P 2 durch das im VEB Typenprojektierung tätige Kollektiv Achim Felz, Herbert Kuschy und Wilfried Stallknecht in den Blick genommen werden. Denn letztlich gelang mit dem P 2 Anfang der 60er Jahre der Durchbruch hin zu einer DDR-weit eingesetzten und bis Ende der 80er Jahre in umfangreicher Stückzahl gebauten Wohnungsbauserie, die die Architektenarbeit selbst nachhaltig prägen und verändern sollte.24 Diese beruhte auch beim P 2 auf einem durchgängig rationalistischen Entwurfsprinzip. Sowohl dem Grundriss als auch den einzelnen Bauelementen lag ein einheitliches Maßsystem zu Grunde. Dieses wiederum war vor dem Hintergrund eines genau definierten Kriterienkataloges entwickelt worden. Im Vordergrund standen dabei die Materialeinsparung und damit verbunden die Kostenreduzierung. So verlegten die Architekten alle Räume, die nicht primär dem Wohnen dienten, in das Innere des Gebäudes. Den Kern des Hauses bildete ein querliegendes, auf das unbedingt notwendige Maß reduziertes Treppenhaus. Von dort wurden die Wohnungen erschlossen, die sich ihrerseits wiederum um ein innenliegendes Bad und eine daneben befindliche Küche gruppierten. Durch Außenfenster belichtet wurden also lediglich die Wohn- und Schlafräume, was letztlich eine erhebliche Reduzierung der Frontlänge sowohl der vorder- als auch rückseitigen Fassaden erlaubte. Verknüpft wurde diese betont technisch-konstruktive sowie ökonomische Herange23 Palutzki, S. 187. 24 Nach eigenen Angaben machte sich auch Hermann Henselmann für dieses Typenprojekt stark. Sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, wäre das ein weiterer Hinweis auf die entscheidende Rolle fachlicher Netzwerke, da Felz und Stallknecht im VEB Typenprojektierung unmittelbar mit Henselmann zusammengearbeitet hatten (vgl. hierzu Henselmann [1978], S. 36).

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hensweise an den Entwurf jedoch auch mit einigen, der Lebens- und Wohnreform verpflichteten Ideen. So ermöglichte beispielsweise die Verwendung von Spannbetondecken mit einer Spannweite von 6000 mm einen weitgehend variablen Wohnungsgrundriss, da keine zusätzlichen tragenden Zwischenwände erforderlich waren.25 Auf diese Weise ließ sich das Wohnzimmer mit der offenen Küche verbinden, wodurch die geplante „enge Verbindung der Funktionen ‚Kochen – Essen – Wohnen‘“26 gewährleistet werden konnte. Gleichzeitig konnte die Küche auf ein Minimum reduziert und so der für die Zukunft erwarteten weitgehend kollektiven Erledigung hauswirtschaftlicher Aufgaben Rechnung getragen werden. Dabei war es auch die Ausstellung „neues leben – neues wohnen“, die im ersten, im Berliner Wohngebiet Fennpfuhl errichteten Experimentalbau des P 2 einen Eindruck von den mit diesem Bautyp zunächst verknüpften wohnreformerischen Ideen vermittelte.27 Einbaumöbel, leichtes, modern gestaltetes und gestalterisch reduziertes Mobiliar sowie transparente Raumteiler waren in allen Musterwohnungen zu finden. Wohnen sollte nicht mehr der Repräsentation, sondern der Erfüllung eines Alltagsbedürfnisses dienen28 und durch industrielle Massenfertigung für alle gleichermaßen komfortabel und erschwinglich werden. Die Einrichtung hatte funktional und zweckdienlich, bei aller Reduzierung aber trotzdem ästhetisch ansprechend zu sein. Vor allem die Innenräume des Experimentalbaus kennzeichneten den P 2 deswegen genauso als baulichen Aufbruch in die Moderne29 wie etwa die gleichzeitig entstehenden repräsentativen Bauvorhaben.30 Demgegenüber fiel die Fassadengestaltung sehr stark ab. Zwar wurde auch hier das rationalistische Entwurfsprinzip konsequent durchgehalten, indem z.B. die Fu25 Vgl. zu den vorstehenden Erläuterungen zum P 2 Wilfried Stallknecht/Herbert Kuschy/Achim Felz, „Funktionelle und bautechnische Probleme des Versuchsbaus“, in: DA 9/1962, S. 500-509. 26 Ebd., S. 503. 27 Hierzu Ernst Könitzer/Jakob Jordan u.a., „Die Ausstellung ,neues leben – neues wohnen im Muster- und Experimentalbau P 2 in Berlin“, in: DA 9/1962, S. 523-531. Außerdem Harald Engler, Wilfried Stallknecht und das industrielle Bauen. Ein Architektenleben in der DDR, Berlin 2014, S. 35. 28 Dabei hatten die Architekten nicht nur die Überwindung einer großbürgerlichen Wohnkultur, sondern auch weit verbreiteter traditioneller Muster der Wohnorganisation im Blick. So sollte der klassischen Aufteilung der Wohnung in eine im Alltag genutzte Wohnküche und eine alleine hohen Feiertagen vorbehaltene so genannte ,gute Stube durch die auf ein Minimum reduzierte Küchengröße entgegengewirkt werden. 29 Wie sehr der P 2 nach dem Bauen der Nationalen Traditionen der 50er Jahre für ein neues Lebensgefühl stehen konnte, ist auch bei Wolfgang Engler sehr anschaulich beschrieben (Engler, S. 53-74). 30 Hierzu auch Kapitel I.3.1.

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gen zwischen den einzelnen Plattenelementen sichtbar belassen wurden und das zu Grunde liegende Raster- und Konstruktionsprinzip an den Außenwänden ablesbar machten. Trotzdem aber stellte insbesondere die Eingangsseite nicht viel mehr als eine einfache Lochfassade dar. Lediglich die Eingangsachsen wurden durch die mit durchbrochenen Betonelementen gestalteten Eingangsbereiche und eine geringfügige risalitartige Hervorhebung des darüber befindlichen Treppenhauses hervorgehoben. Auf der Rückseite korrespondierten damit die paarweise angeordneten, über die Fassadenflucht auskragenden Balkone mit ihren Trennwänden sowie seitlichen Begrenzungen aus hell gefasstem Beton. Dennoch traf es durchaus zu, wenn die Jury des 1963 durchgeführten Wohnungsbauwettbewerbes urteilte, dass „die vorgelegten Vorschläge für die äußere Gestaltung [...] noch nicht voll befriedigen“ 31 können. Diese nachgeordnete Behandlung gestalterischer Fragen spiegelte teilweise jedoch sicher auch das berufliche Selbstverständnis der beteiligten Architekten wider. So schrieben diese in einem Beitrag für die DA selber: „Die Grundkonzeption P 2 [...] versucht, eine weitgehende Einheit zwischen wohnungsbaupolitischen, funktionell-architektonischen, städtebaulichen, konstruktiv-technologischen und ökonomischen Forderungen herzustellen.“32

Das Gestalterische stand also keineswegs im Zentrum der Entwurfsarbeit von Felz, Kuschy und Stallknecht. Technisch-konstruktive, ökonomische und funktionale Aspekte spielten stattdessen eine ebenso wichtige – wenn nicht noch größere  Rolle wie ästhetische Fragen. Der letztlich ausgeführte Experimentalbau machte das deutlich. Am Fennpfuhl entstand ein solider, von den Baukosten her sparsamer und vor allem funktional überzeugender Prototyp, der eben diese Aspekte auch gestalterisch zur Schau stellte und keineswegs zu kaschieren suchte. Zeitgleich beschäftigte man sich an der DBA jedoch auch intensiv mit dem Thema der Fassade. So hieß es in einem Beitrag des beim VEB Typenprojektierung angestellten33 Architekten Martin Wimmer für die DA rückblickend: „[...] [E]ine funktionell und architektonisch gute Qualität, wichtigste Forderung der 1. Baukonferenz 1955 [...] wurde noch nicht erreicht [...] Auf eine Periode der Überbetonung der Fassade [in den frühen 50er Jahren, T.Z.] folgte eine Periode der Vernachlässigung der baukünstlerischen Gestaltung überhaupt [in der zweiten Hälfte der 50er Jahre, T.Z.] [...] So sind

31 O. Verf., „Die preisgekrönten Entwürfe des Wohnungsbauwettbewerbes 1963“, in: DA 10/1963, S. 593-608, hier S. 593. 32 Wilfried Stallknecht/Herbert Kuschy/Achim Felz, „Funktionelle und bautechnische Probleme des Versuchsbaus“, in: DA 9/1962, S. 500-509, hier S. 505. 33 IRS Erkner, BdA-Aufnahmeanträge, 08/0788 (Martin Lothar Wimmer).

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die Erfolge des industriellen Wohnungsbaus wohl eine große Ingenieurleistung, leider aber nicht auch eine große Architekturleistung.“34

Wimmer sprach sich nunmehr auch im Bereich der Fassadengestaltung für eine rationalistische Entwurfshaltung aus, die den technologischen und funktionellen Grundlagen des Bauens in ästhetischer Hinsicht entsprechen sollte. Zum Ausdruck kam darin zugleich jene programmatische Grundhaltung, die das gestalterische Arbeiten der Architekten von nun an sehr stark zu prägen begann: „Die [...] geforderte Verbesserung der architektonischen Gestaltung unserer Wohnbauten und die Ausarbeitung von Gestaltungsvarianten bedeuten keinen Rückfall zur überholten Fassadenarchitektur der fünfziger Jahre. Die Fassade soll keineswegs etwa wieder bevorzugt werden. Sie soll vielmehr den ihr gebührenden Platz erhalten und darüber hinaus zu einer aus dem industriellen Bauen abgeleiteten und ihm entsprechenden Aussage gebracht werden, die nicht mit einer nachträglichen ‚Fassadenkosmetik‘ zu verwechseln ist.“35

Dieser Aufgabe widmeten sich Architekten in unterschiedlichsten institutionellen Zusammenhängen und auf vielfältige Art und Weise. So experimentierte man bald vielerorts mit verschiedensten Möglichkeiten einer in engen Grenzen individuellen Ausgestaltung des Typenwohnungsbaus, wie sie zuvor bereits durch Hans Schmidt propagiert worden war. 36 Pionierarbeit leisteten hier neben vielen anderen 37 u.a. Manfred Zumpe38 und Hans-Peter Schmiedel.39 Zu einem Leitmotiv dieses Kollek34 Wimmer. 35 Ebd. 36 Interessanterweise weist auch Winfried Nerdinger unter Bezugnahme auf die bundesrepublikanische Architektur der 50er Jahre darauf hin, dass „sich in der Schweizer Architektur der 30er und 40er Jahre jene dann für die 50er Jahre exemplarisch Rasterbauweise“ entwickelte (Winfried Nerdinger, „Zum Charakter der Architektur der 50er Jahre. Materialästhetik und Rasterbauweise“, in: Peter M. Bode (Hg.), München in den 50er Jahren. Architektur des Wiederaufbaus am Beispiel von Hans Fries, München 1992, S. 49-54, hier S. 50). 37 Zu nennen ist hier nicht zuletzt auch Joachim Stahr. Stahr promovierte bereits 1962 zur industriellen Fertigung im Wohnungsbau und habilitierte sich vier Jahre später zum Thema „Wohnungen, Sektionen, Wohnhausformen“. Auch die Entwicklung der Wohnungsbaureihe Erfurt ab Mitte der 60er Jahre wurde im Wesentlichen durch Stahr geleistet (vgl. hierzu Barth [2000], S. 220f.). 38 Manfred Zumpe wurde 1930 in Dresden geboren und studierte von 1949 bis 1955 an der TH Dresden. Nach seiner Assistenzzeit bei Wolfgang Rauda und Rolf Göpfert wurde er mit einer Dissertation zum Thema „Wohnen in verschiedenen Ebenen – ein Beitrag zur Entwicklung neuer Wohnformen“ promoviert (1961). 1967 folgte schließlich die Habili-

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tivs wurde vor allem die gestalterische Aufwertung der Fassaden durch Balkons und Loggien. Vorgesetzt und aus leichten Betonelementen gefertigt wurden sie als risalitartige Untergliederungen der Fassaden eingesetzt, zurückspringend und mit filigranen Brüstungen versehen lösten sie die Außenhaut auf und ließen sie durch das Spiel von Licht und Schatten leichter wirken.40 Teilweise konnte dabei die hinter den Balkonen liegende eigentliche Fassade völlig durchfenstert werden und verlieh so auch großen Wohnhäusern eine sehr viel transparentere und leichtere Wirkung. Darüber hinaus spielte die Verwendung von grafischen Elementen und Oberflächenreliefs in der Arbeit des Kollektivs Zumpe und Schmiedel eine große Rolle. So schlugen sie von den übrigen Fassadenelementen farblich abgesetzte Brüstungsfelder oder sich abwechselnde reliefierte bzw. glatte Oberflächen vor. Darüber hinaus arbeiteten Manfred Zumpe und Hans-Peter Schmiedel fortwährend an neuen Grundrisslösungen für das typisierte Bauen und gingen dabei ebenfalls von den Voraussetzungen des Elementkatalogs aus. So interessierten sie sich in den frühen 60er Jahren beispielsweise vor allem für die Entwicklung von Maisonettewohnungen.41 Hans-Peter Schmiedel beschäftigte sich darüber hinaus intensiv mit der Bauaufgabe

tation („Entwicklungsprobleme großstädtischer Wohnformen in der modernen Architektur“). Nach anfänglicher Tätigkeit an der DBA war Zumpe in den 60er Jahren im WBK Berlin tätig (vgl. hierzu Barth [2000], S. 258f.). 39 Hans-Peter Schmiedel wurde 1929 in Dresden geboren und studierte von 1949-55 an der TH Dresden, u.a. bei Georg Funk. Daraufhin war er als Assistent bei Leopold Wiel (Lehrstuhl für Wohnungsbau und Entwerfen) tätig und reichte im Anschluss daran eine Dissertation zum Thema „Die Formen des Verkehrskerns bei punkterschlosenen Turmhäusern“ (1961) ein. In Berlin war er im Anschluss in der DBA, im VEB Berlin-Projekt und im VEB WBK tätig (u.a. Beteiligung an der Bebauung der Fischerinsel mit 21geschossigen Wohnhochhäusern [1967-70] und am Punkthochhaus Rochstraße [196870]). Schmiedel verstarb schon 1971 in Dresden (vgl. hierzu Barth [2000], S. 199). 40 Gerade diese Lösungen erinnerten auch an die mehrschichtigen Fassaden Egon Eiermanns. 41 Vgl. hierzu u.a. o. Verf., „Die preisgekrönten Entwürfe des Wohnungsbauwettbewerbes 1963, Entwurf aus der Gruppe 1 der Anerkennungsprämien (Kollektiv Heiner Kulpe, Peter Schmiedel, Manfred Zumpe, VEB Typenprojektierung der Deutschen Bauakademie)“, in: DA 10/1963, S. 608; Manfred Zumpe, „Das Ganghaus mit Wohnungen in verschiedenen Ebenen“, in: DA 5/1964, S. 266-275. Der letzte Beitrag enthält zudem einen Überblick über die historische Entwicklung der Maisonettewohnung und zeigt, dass die Architekten auch hier auf Le Corbusier und seine Immeubles villas, auf Überlegungen Frank Lloyd Wrights, auf Entwürfe von van den Broek und Bakema u.a. Bezug nahmen.

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Hochhaus und versuchte hier, besonders vorteilhafte Grundrisse und Kubaturen zu entwickeln.42 Im Bereich des Wohnungsbaus wurde so in den frühen 60er Jahren eine Traditionslinie begründet, die die gestalterische Arbeit der Architekten bis zum Ende der DDR begleiten sollte. Zur Grundlage wurde dabei ein rationalistischer, durch die Bautechnologie und –konstruktion bestimmter gestalterischer und entwerferischer Ansatz, der nur sehr punktuell um individuelle Elemente bereichert wurde. Das Beispiel Gesellschaftsbau43 Eine ähnliche gestalterische Haltung bestimmte die Arbeit der Architekten auch im Bereich des Gesellschafts- und Städtebaus, etwa in den Innenstadtbereichen. Entscheidend war dabei u.a., dass von politischer Seite „zum Aufbau der Stadtzentren [...] die Vorgabe getroffen [wurde], das industrielle Bauen und die damit verbundene Typenprojektierung von der Peripherie in das Zentrum der Stadt zu rücken.“44 Vor diesem Hintergrund, aber auch aus den bereits geschilderten ideologischen Gründen, prägte die rationalistische Ästhetik des Typenbaus bald auch das Bauen in den Zentrumsbereichen. Viele Gesellschaftsbauten wurden zudem von Beginn an als Teile größerer städtebaulicher Ensembles geplant. Städtebaulich ging damit oftmals auch eine Mischung der Funktionen einher, wenn etwa in zentralen Lagen neben Gesellschaftsbauten bewusst Wohnbauten errichtet wurden. Unterstrichen wurde damit auch das ideologische Credo der Baupolitik, dass es sozialistischer Stadtplanung im Gegensatz zur kapitalistischen um lebendige, vielfältig genutzte Stadtkerne ging. Wohnen sollte dabei ganz bewusst inbegriffen sein und auch der Verödung der Innenstädte in den Abendstunden entgegenwirken. Letztlich aber resultierte aus der Vorgabe, Typenwohnungsbauten verstärkt in den Stadtzentren zu errichten, auch eine gestalterische Verpflichtung. Um jenen städtebaulichen Zusammenhang der Ensembles zu gewährleisten, der schon von Schmidt angestrebt und zu einer wesentlichen ideologischen Grundlage sozialistischen Städtebaus erhoben worden war, mussten sich auch die individueller gestalteten Gesellschafts42 Schmiedels Dissertation, die am Lehrstuhl von Leopold Wiel entstanden war, wurde damals viel beachtet. Darauf deuten etwa die Erläuterungstexte zu Wettbewerbsbeiträgen und hochschulinternen Wettbewerben hin, die Schmiedels Ergebnisse immer wieder als Grundlage der vorgeschlagenen Grundrisslösungen nennen. Schlussendlich plädierte Schmiedel vor allem für das so genannte Pfeilhaus, weil hier bei gleichbleibender Wohnfläche alle Wohnungen mit zur Sonne ausgerichteten Loggien ausgestattet werden konnten. Die sich diagonal zurückstaffelnden Loggien gaben den Pfeilhäusern zudem eine besondere skulpturale Qualität. 43 Hierunter fielen alle öffentlichen Bauten, also z.B. Verwaltungsgebäude, Kinos, Hotels oder Kaufhäuser. 44 Palutzki, S. 189.

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bauten an der Architektursprache der Wohnbauten orientieren. Die am Beispiel des Wohnungsbaus aufgezeigten Besonderheiten gestalterischen Arbeitens wurden von vielen Architekten deswegen auch auf andere Bauaufgaben übertragen und so zu einem entscheidenden Merkmal architektonischen Gestaltens in der DDR. Als Initialzündung kann in diesem Zusammenhang der zweite Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee gelten. Er soll an dieser Stelle deswegen als erstes in den Blick genommen werden, da er auch den frühesten Versuch markierte, mithilfe eines rationalistischen, allzu freies individuelles Gestalten bewusst aussparenden Entwurfsansatzes Formen einer repräsentativen Zentrumsgestaltung zu entwickeln. Zu spüren war dabei durchaus noch der Einfluss des ersten Bauabschnitts. Denn obwohl die Plattenbauten nur als freistehende Einzelhäuser realisiert werden konnten, ging es den Architekten nach wie vor um eine dem ersten Bauabschnitt vergleichbare städtebauliche Raumbildung an einer der wichtigsten Ausfallstraßen Ostberlins. Straßenparallele Bebauung und eine einheitliche, an den Bauten der frühen 50er Jahre orientierte Bauhöhe schufen klare und harmonische Raumkanten. Im Gegensatz zum ersten dehnte sich der zweite Bauabschnitt jedoch zugleich ins Hinterland aus. Auch hier sollten durch die rechtwinklige Gruppierung der Häuser zu Wohnhöfen städtebauliche Raumbildungen erzielt werden45, die durch Verwendung nur eines einzigen Wohnungsbautyps auf eine Schmidts Ansätze aufgreifende Einheitlichkeit des gesamten Erscheinungsbildes angelegt waren (Abb. 19).46 Dieser Anspruch setzte sich auch in der Fassadengestaltung fort, die einerseits das am rechten Winkel orientierte städtebauliche Ordnungssystem, andererseits die konstruktiv-technologischen Grundlagen des industriellen Bauens widerspiegelte. So blieb das Fugenraster der einzelnen Großtafeln deutlich sichtbar, wobei jedes einzelne Element zusätzlich durch die Fugen der Keramikverkleidung eine weitere Untergliederung erfuhr. Die Balkone waren als Stahlkonstruktionen vorgesetzt und gliederten die Fassade in ihrer Gesamtheit, indem sie zu zwei risalitartigen Bändern zusammengefasst wurden. Auch sie machten somit das zu Grunde liegende modulare Entwurfsprinzip deutlich. Lediglich die zurückhaltende Ornamentik der Fliesen unterhalb der Dachkante scherte gestalterisch ein wenig aus, bildete jedoch gleichzeitig einen attikaartigen oberen Gebäudeabschluss. In der Bezugnahme auf ihr städtebauliches Umfeld, das industrielle Bauen sowie auf die ideologischen Leitlinien der Baupolitik stellten die Wohnbauten Josef Kaisers denn auch eine beinahe modellhafte Illustration jener Architektur- und Städtebautheorie dar, wie sie seit Mitte der 50er Jahre vor allem durch Hans Schmidt erarbeitet worden war. 45 Auf den rechten Winkel als ein den DDR-Städtebau bestimmendes Gestaltungselement weist auch Ulrich Hartung hin: „Auf der Grundlage der rektangulären Ordnung entstanden elementare, deutlich abgegrenzte Raumgebilde“ (Hartung, S. 33). 46 Darüber hinaus richtete sich der Städtebau auch weiterhin an den Erfordernissen der Kranbahnen aus.

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Im Bereich des durch die Gesellschaftsbauten gebildeten Wohnkomplexzentrums wurde das Kollektiv Kaisers ebenfalls den genannten Theoriemodellen, damit aber auch der Erwartungshaltung der Baupolitik und deren ideologischer Infragestellung individuell-künstlerischen Entwerfens gerecht. Paradigmatisch demonstrierten die Gesellschaftsbauten des zweiten Bauabschnitts der Karl-MarxAllee nämlich, wie individuelles Entwerfen und individuelle Architektenarbeit unter den Bedingungen des DDR-Bauwesens mit seinen wirtschaftspolitischen und eben auch ideologischen Rahmenbedingungen idealerweise aussehen konnte. Durch seine gegenüber der Wohnbebauung herausgehobene Gestaltung war der Stadtraum an der Kreuzung Karl-Marx-Allee/Schillingstraße zwar deutlich als zentraler Bereich erkennbar. Die Bauten stellten jedoch in keiner Weise Solitäre dar, sondern nahmen ebenfalls unmittelbar auf ihr städtebauliches Umfeld Bezug (Abb. 20). Die von den benachbarten Wohnbauten bereits bekannten Motive fanden sich auch an Gesellschaftsbauten wie dem Kino International, dem Café Moskau oder den verschiedenen Ladenpavillons wieder: in der Offenlegung und Zurschaustellung des konstruktiven Gerüsts, im erneuten Aufgreifen gestalterischer Elemente (etwa im Bereich der Fenster- und Türgestaltungen oder in der Betonung des Seriellen, letzteres auch bei der künstlerischen Ausgestaltung der Fassaden47). Die architektonischen Mittel, die die Solitärbauten von den Typenbauten unterschieden, waren dabei zwar durch eine herausgehobene Materialität, dennoch aber auch durch Zurückhaltung geprägt. So trug die durchweg großzügige Verglasung zu einer weiträumigen Wirkung bei, während Materialien wie Marmor, Klinker oder Holz, die im industriellen Bauen kaum anzutreffen waren, den eigenständigen Charakter betonten. Trotz ihrer geringen Höhe erschienen die Gesellschaftsbauten so als etwas Besonderes, verzichteten jedoch gleichzeitig bewusst auf jedes gestalterische Extrem. Das von Schmidt und anderen Fachleuten ebenso wie von der politischen Führung vertretene, auch ideologisch motivierte Ideal einer individuellen, nicht aber individualistisch-,subjektivistischen48, allzu sehr auf einen künstlerisch motivierten Entwer-

47 So lag beispielsweise auch den von Waldemar Grzimek, Hubert Schiefelbein und KarlHeinz Schamal entworfenen Reliefs an den Seitenfassaden des Kino International ein ordnendes Raster zu Grunde. 48 Hierzu auch Hartung, S. 34. Hartung zitiert an dieser Stelle Kurt Milde (Kurt Milde, „Gesellschaftliche Bedingungen der Raumaneignung und Qualitäten der Raumordnung“, in: TU Dresden (Hg.), Raumordnung und Bildwerk [= Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 2/1969, 18. Jg., S. 373-378, hier S. 377]: „,Wenn es [das Haus, T.Z.] dort steht, wo es hingehört, die Form besitzt, um das Ganze ausdrucksstark und einprägsam zu machen, wird es einmalig sein, einmalig durch seine Stellung im Kollektiv. Diese Einmaligkeit gilt es zu erfassen und sie einmalig, d.h. individuell – nicht individualistisch – zu lösen. “

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fer verweisenden Architektur49 war im zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee gewissermaßen mustergültig umgesetzt. Damit stand das Projekt für die Übersetzung politisch-ideologischer Leitlinien in eine zugleich anspruchsvolle und künstlerisch äußerst hochwertige Architektur. Die Architekten hatten hier Anfang der 60er Jahre einen modus vivendi gefunden, wie sich eine der Moderne verpflichtete, durchaus individuelle Gestaltung mit den Rahmenbedingungen des DDRBauwesens und den politisch-ideologischen Leitlinien vereinbaren ließ. Dieselbe gestalterische Grundhaltung, die die Entwürfe Kaisers für die Karl-Marx-Allee bestimmte, war denn auch bald an einer großen Zahl anderer, zur gleichen Zeit oder wenig später geplanter Bauten zu finden. Herausgegriffen werden soll hier noch die Neubebauung der Straße Unter den Linden zwischen Friedrichstraße im Osten und Otto-Grotewohl-Straße (heute: Wilhelmstraße) im Westen, die schwerpunktmäßig ebenfalls im Laufe der 60er Jahre erfolgte. Dort waren es neben dem zu Grunde liegenden Modulsystem vor allem zwei weitere Aspekte, die die Grundlage für die einheitliche und geschlossene Wirkung der hier realisierten Entwürfe darstellten. Zum einen hatten die Planungen nach wie vor die seit der Kaiserzeit vorgeschriebene Bauhöhe von 22 Metern einzuhalten50, und auch die Gebäudekanten sollten die überlieferten Blockstrukturen der Friedrich- bzw. Dorotheenstadt aufgreifen. Zum anderen wurden nahezu alle Entwürfe von einem einzigen Projektierungsbetrieb – dem VEB Berlin Projekt – erstellt. Zwar zeichneten jeweils andere Kollektive für die verschiedenen Gebäude verantwortlich. Dennoch konnte innerhalb des Betriebes eine enge Abstimmung der einzelnen Architekten untereinander erfolgen und so dem klar abgesteckten städtebaulichen ein ebenso eindeutig konturierter gestalterischer Rahmen an die Seite gestellt werden. Auf diese Weise entstand eine Reihe von Gebäuden, die sowohl hinsichtlich ihrer Kubatur wie auch ihrer Ästhetik aufeinander Bezug nahmen. Trotzdem aber – und an dieser Stelle zeigte sich erneut der durchaus individuelle gestalterische Zugriff  unterschieden sie sich auch in subtiler Weise voneinander. So gab es auf der einen Seite Entwürfe, die das durch das Modulsystem bedingte Raster plastisch in den Vordergrund rückten. Ein Beispiel hierfür ist das vom Kollektiv Peter Senf entworfene Bürogebäude WIRATEX, dessen Fassade über einem zurückspringenden verglasten Erdgeschoss durch das Wechselspiel von Fugenraster, Rahmungen und dahinter zurückspringende Fenster bzw. Brüstungen belebt wurde. 49 Ganz in diesem Sinne hieß es bei Hans Schmidt etwa: „Der Gegensatz zwischen Rationalismus und Irrationalismus in der Architektur, wie er sich im Kapitalismus entwickelt hat, wird im Sozialismus in einer höheren Einheit aufgehoben“ (Hans Schmidt, „Das Problem der Form in der Architekturtheorie“, in: DA 12/1967, S. 752-756, hier S. 753). 50 Hierzu u.a. Benedikt Göbel, Der Umbau Alt-Berlins zum modernen Stadtzentrum. Planungs-, Bau- und Besitzgeschichte des historischen Berliner Stadtkerns im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 46.

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Beim von Emil Leibold, Hanno Walther und Herbert Boos geplanten Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel (Abb. 21) waren es hingegen die die Horizontale betonenden, leicht hervortretenden Brüstungsbänder, die der Fassade Struktur und Plastitzität verliehen. Andere Gebäude wiederum arbeiteten – immer unter Beibehaltung des Strukturprinzips Raster – mit einer stärkeren Auflösung der Fassade. Zu nennen wären hier etwa das von einem Kollektiv um Manfred Hörner entworfene Ministerium für Volksbildung, aber auch das Lindencorso von Werner Straßenmeier. Dieses mit einer gerasterten Vorhangfassade versehene Gebäude füllte zugleich nur die Hälfte des Blocks aus. Auf diese Weise konnte es um eine mit Brunnenanlage und Caféterrasse ausgestattete Platzanlage ergänzt werden, die städtebaulich geschickt den Kreuzungspunkt der Linden mit der Friedrichstraße markierte und einen Ruhepol im lang gestreckten Straßenverlauf bildete.51 Von einer monotonen Fassadenabwicklung konnte insgesamt also keinesfalls gesprochen werden. Gleichzeitig versuchte aber auch keines der erwähnten Gebäude, sich über Gebühr von den anderen abzusetzen oder ein allzu großes gestalterisches Eigenleben zu entfalten. Dieses Prinzip setzte sich über die Linden hinaus in die angrenzenden Stadträume hinein fort. So griff etwa auch das vom Jugendkollektiv um Roland Korn entworfene Staatsratsgebäude52 (Abb. 22) zum einen auf das modulare Entwurfsprinzip und zum anderen auf die Gebäudekubaturen der Vorkriegszeit zurück. Weitere Beispiele dieser Art lassen sich auch außerhalb von Berlin finden und zeigen damit, wie sehr dieser gestalterische Ansatz zu einem DDR-weiten Kennzeichen der Architektenarbeit wurde. Für das Neubrandenburger Stadtzentrum entwarf etwa die zunächst bei Hermann Henselmann tätige Architektin Iris Grund 53 das Haus der Bildung und Kultur.54 Was seine Nutzung anging, stand es in der Tradition des Kulturhauses, hatte jedoch kaum noch etwas mit der in den frühen 50er Jahren für diese Bauaufgabe verbindlichen klassisch-traditionellen Architektursprache 51 Diese Rückverlagerung des Gebäudes war darüber hinaus der Tatsache geschuldet, dass damals eine Verbreiterung der Friedrichstraße geplant war (vgl. hierzu Urban, S. 164f.). 52 Hierzu ausführlich Philipp Meuser, Schlossplatz Eins. European School of Management and Technology. Mit einem Vorwort von Jörg Haspel, Berlin 2006. 53 Iris Grund wurde 1933 in Berlin als Tochter eines Maurermeisters geboren. Nach einem Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, u.a. bei Selman Selmanagic, arbeitete Grund ab 1957 zunächst im Büro des Berliner Chefarchitekten Hermann Henselmann. Ab 1961 war sie dann in verschiedenen Funktionen in Neubrandenburg tätig – zunächst im VEB Hochbauprojektierung Neubrandenburg, dann als Chefarchitektin im dortigen WBK und schließlich als Stadtarchitektin (1970-1990) (vgl. hierzu Barth [2000], S. 92f.). 54 Hierzu ausführlich Wiesemann, Der Aufbau von Neubrandenburg 1945-1970, Neubrandenburg 1995 sowie o. Verf., „Die Gestaltung des Zentralen Platzes in Neubrandenburg“, in: DA 1/1961, S. 16ff.

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gemein. An die Stelle klassizistischer Pathos- und Würdeformeln war nun eine asymmetrisch in den Platzraum ausgreifende, in Glas aufgelöste Pavillonstruktur getreten, die zugleich eine wichtige städtebauliche Funktion übernahm. Der in seiner Weite ursprünglich als Leerstelle empfundene Platz in der Stadtmitte wurde in zwei den Maßstab der barocken Baublöcke aufgreifende Kompartimente geteilt. In seiner Bauhöhe orientierte sich der Neubau wiederum an den umliegenden, ab 1952 errichteten und dem Bauen der Nationalen Traditionen verpflichteten Wohnbauten. Zentrumsbildend und als städtebauliche Dominante wirkte hingegen der als Stahlkonstruktion mit gerasterter Vorhangfassade und seriellen Betonstrukturen verkleidete Turm. Obwohl von durchaus einprägsamer Gestalt, war der Entwurf doch ganz der Material- und Konstruktionstreue verpflichtet und zelebrierte regelrecht die auch politisch-theoretisch aufgeladenen Begriffe der ,Ordnung und ,Typisierung.55 Die hier beschriebene, sich ab Anfang der 60er Jahre an einem rationalistischen Gestaltungsideal orientierende Neuausrichtung des Entwurfs lässt schließlich wichtige Rückschlüsse auf die künstlerische Dimension des DDR-Architektenberufs insgesamt zu. Deutlich wird hier nämlich, dass man trotz der verschiedensten, in der vorliegenden Untersuchung geschilderten, auf individuellere Gestaltungmittel abzielenden Strategien auch der von ideologischer Seite verlangten Entindividualisierung der Architektentätigkeit zu entsprechen versuchte. 56 Ein wesentliches 55 Was seine grundlegende Anlage anging, war der Entwurf mit dem vom Kollektiv Jörg Streitparth, Klaus Weißhaupt und Siegfried Wagner errichteten Berliner Müggelturm vergleichbar (hierzu ausführlich Kapitel I.3.2). 56 Mit der Unterscheidung zwischen individuellem und individualistischem Gestalten soll ein erstes Analyseinstrument an die Hand gegeben werden, das jene gestalterischen Spezifika einfangen soll, die sich aus der theoretisch-ideologischen Unterfütterung von Architektur und Städtebau der DDR ergaben. Auch in den Quellen findet sich immer wieder die betonte Distanzierung von einem „sehr stark individuellen ,Entwerfen[…] “, so etwa 1960 durch Hanns Hopp, der rückblicken den Zentrumswettbewerb der späten 50er Jahre beurteilt (hierzu SAPMO, DY 15/10 [BdA], Bundessekretariat, Beschlussvorlage zum Referat Hopp auf dem IV. Bundeskongress). Bei Hartung finden sich zudem zwei weitere aussagekräftige Verweise auf Kurt Milde („,Das Haus erhält seine gestalterische Potenz durch seine Stellung im Ensemble. Wenn es dort steht, wo es hingehört, die Form besitzt, um das Ganze ausdrucksstark und einprägsam zu machen, wird es einmalig sein, einmalig durch seine Stellung im Kollektiv. Diese Einmaligkeit gilt es zu erfassen und sie einmalig, d.h. individuell – nicht individualistisch – zu lösen “) und Bruno Flierl („,Im Sozialismus dagegen entwickelt sich das Individuum im Kollektiv und durch das Kollektiv. Es entspricht daher dem auf diese Weise organisierten gesellschaftlichen Verhältnis der Menschen untereinander und zum Ganzen der Gesellschaft, wenn für die sozialistische Kunst das Programm erwächst, die Teile untereinander und zum Ganzen der Form in eine harmonische Übereinstimmung zu bringen und das Ganze als die übergeordnete Einheit

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Element war dabei, dass sich die Architekten auch im gestalterischen Bereich an den Möglichkeiten, unter DDR-Bedingungen damit aber auch immer an den Grenzen des Bauwesens und der Bauwirtschaft orientierten. Dieses Moment wurde gerade in den 70er und 80er Jahren noch bestimmender und führte schließlich auch zu einem weitgehenden gestalterischen Stillstand in Architektur und Städtebau. Wichtig war jedoch in allen Fällen, dass sich der Entwurf deutlich (und das hieß vor allem auch auf Anhieb erkennbar) dem seitens der Baubetriebe Machbaren und dem finanziell Möglichen anpasste. Niemand anderes als Hermann Henselmann, der noch 1958 mit dem wegen seiner Extravaganzen kritisierten Entwurf für das OstBerliner Stadtzentrum in Ungnade gefallen war, formulierte das in der DA denn auch wie folgt: „Das Projekt eines Architekten oder Ingenieurs im Sozialismus ist Teil des Wirtschaftsplanes, gibt über die Verwendung der bereitgestellten Mittel und Materialien Auskunft und verpflichtet der Verfasser [sic], im Blick auf die Anstrengungen der gesamten Gesellschaft, von der gegebenen materiell-technischen Basis auszugehen [...] Der Widerspruch zwischen dem individuellen schöpferischen Einfall und der notwendigen Disziplin bei der Anwendung der verfügbaren Mittel schafft nicht selten in der Brust des einzelnen Architekten und Ingenieurs Konflikte, deren Überwindung nicht einfach ist. Die Fähigkeit, diesen Konflikt nicht zu einer Kapitulation werden zu lassen, sondern ihn durch einen besonderen Aufschwung an schöpferischer Energie zu überwinden, hängt von der Reife der gesamten Persönlichkeit ab. Zu dieser Reife gehört auch und vor allem die Einsicht in die wirkenden Gesetze des geschichtlichen Entwicklungsprozesses einer Nation, den unsere Bauten aktiv begleiten.“57

Im Wohnungs- wie auch im Gesellschaftsbau galt es für die Architekten dementsprechend, dem Verdacht entgegenzuwirken, die eigene Selbstdarstellung und Profilierung über die baupolitisch-ideologischen Leitlinien und das von ihnen propagandistisch in den Vordergrund gerückte Ziel nach bestmöglicher Zweckerfüllung und ökonomischer Verwendung des Volksvermögens zu stellen, das für Architekfür die Teile anzuerkennen sowie bewusst auf die Ganzheit hinzuzielen und von ihr auszugehen. Das Ganze ergibt sich dann weder mechanisch additiv als Summe aus den Teilen, noch erlangt es eine hierarchische und die Teile in ihrer Individualität herabwürdigende Bedeutung “) (Hartung, S. 34 u. S. 37). Hartung zitiert dabei zum einen Kurt Milde, „Gesellschaftliche Bedingungen und Qualitäten der Raumordnung“, in: TU Dresden (Hg.), Raumordnung und Bildwerk. Kunstwissenschaftliches Kolloquium TU Dresden, 10./11.10.1968, = Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 2/1969, S. 373-378, hier S. 377, zum anderen Bruno Flierl, „Gegen den Idealismus in der Proportionstheorie. Kritische Bemerkungen zu Zielkes Artikel ,Die einheitliche Proportion “, in: DA 6/1959, S. 337-340, hier S. 340. 57 Hermann Henselmann, „Über die Seilnetzbauweise“, in: DA 7/1962, S. 389.

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tenarbeit, die zugleich einen offensichtlich künstlerischen Anspruch verfolgte, keinen Raum ließ. Im Vordergrund stand also ein an den konstruktiven, technologischen und ökonomischen Voraussetzungen orientiertes Entwerfen, das zwar ein gestalterisch vereinheitlichendes Moment darstellte, vielfach aber durchaus um individuelle Züge bereichert wurde. Individueller architektonischer Ausdruck sollte so möglich werden, ohne einem von politischer Seite verteufelten Individualismus im Sinne umfassender künstlerischer Freiheit Raum zu geben. Gerade Entwürfe der frühen 60er Jahre standen bei oftmals höchster gestalterischer Qualität so auch stets für die eindeutige Distanzierung von einem dem Allgemeininteresse angeblich entgegenstehenden ,Subjektivismus des Einzelnen. So gelang zunächst in gewisser Weise die ,Quadratur des Kreises. Die Architekten konnten individuell entwerfen, während die Baupolitik die Entwürfe als ausreichend entindividualisiert gutheißen konnte. Sowohl der Wohnungs- als auch der Gesellschaftsbau trugen damit also jener ideologischen Leitlinie Rechnung, die von Edmund Collein im Rahmen seines Hauptreferates auf dem DBA-Plenum vorgegeben worden war: „Natürlich sind individuelle Projekte auch bei uns noch notwendig. Aber diese individuellen Projekte unterliegen mit der Durchsetzung des Baukastensystems im Prinzip den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie sie für die industrielle Massenproduktion gelten und bilden keinesfalls sozusagen ein letztes Reservat des Individualismus oder gar des Formalismus, sind nicht dazu da, um vorgefaßten, individuellen ästhetischen Vorstellungen freien Lauf zu lassen.“58

Dies galt sogar für die meisten der unter dem Etikett des Neohistorismus59 errichteten Bauprojekte, etwa die Randbebauung am Platz der Akademie, bei denen ein individuellerer gestalterischer Zugriff zwar auch in den 70er und 80er Jahren möglich war, die aber weiterhin industriell gefertigt waren und die Entwurfsarbeit einer  wenn auch finanziell aufwändigeren  industriellen Produktion unterordneten. Angesichts der seit dem NÖSPL und allerspätestens mit der Einheit von Wirtschaftsund Sozialpolitik immer weiter um sich greifenden Ökonomisierung von Architektur und Städtebau machten sich die damit einhergehenden Restriktionen jedoch gerade in den letzten beiden Jahrzehnten gestalterisch immer stärker bemerkbar. Selbst sich auf solch geschickte Art und Weise mit ihnen auseinandersetzende Projekte wie diejenigen von Wolf-Rüdiger Eisentraut60 kamen ästhetisch letztlich sehr viel spröder daher als die in der Regel um ein Vielfaches eleganteren Planungen der 60er Jahre  auch wenn sie unter DDR-Verhältnissen zugleich Leuchttürme gestal58 DA-Beilage, Hauptreferat Collein, S. 8 (hierzu ausführliche Informationen auch in Kapitel I.3.2). 59 Hierzu Bruno Flierl, „Postmoderne und Neo-Historismus“, in: form und zweck 5/1986, S. 4-9. 60 Hierzu ausführlich u.a. Kapitel II.2.3.

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terischer Arbeit in der Zeit der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik darstellten. Freiere Entwürfe Neben dieser Strömung eines gestalterisch zwar individuellen, aber keineswegs individualistischen Bauens gab es seit Mitte der 50er Jahre zudem eher vereinzelt Beispiele einer sehr viel freieren und ungezwungeneren Entwurfshaltung. Dabei waren es jedoch gerade solche Projekte, die 1963 den Unmut der Baupolitik, aber auch von Teilen der Architektenschaft heraufbeschworen.61 Exemplarisch verwiesen sei hier nur nochmals auf die schon kurz erwähnten Bauten für den Ostberliner Tierpark von Heinz Graffunder. Mit Blick auf Graffunders gestalterische Grundhaltung konnte hier beinahe von einer ,architecture parlante gesprochen werden, so im Falle des in der Südostecke des Tierparks errichteten Alfred-Brehm-Hauses. Der Funktion einer weitläufigen begehbaren Volière entsprechend erinnerte der Grundriss des Gebäudes entfernt an einen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen. Hier können sicherlich auch Verbindungslinien zu den in der DDR auf den ersten Blick kaum rezipierten Strömungen des Organischen Bauens gezogen werden. Das Vorbild Hugo Härings oder aber auch Hans Scharouns ist im Falle des Brehm-Hauses unverkennbar. Zu nennen ist damit verbunden zum einen die Gesamtdisposition des Gebäudes mit seinen zwischen kubische Kopfbauten eingespannten, konkav zurückschwingenden Außenwänden. In ähnlicher Weise wie Scharoun griff Graffunder darüber hinaus zum anderen aber auch auf eine große Materialvielfalt zurück und fachte etwa das sichtbar belassene Stahlskelett des Gebäudes mit Ziegelsteinen aus, die in ihrer Farbigkeit und haptischen Qualität einen deutlich kontrastierenden Akzent setzten. Besonders eindrücklich von der die DDR-Architektur bestimmenden rationalistischen Entwurfshaltung unterschieden sich darüber hinaus die auch international rezipierten Schalenbauten Ulrich Müthers. Vielfach in den 70er Jahren errichtet, gingen die ersten Projekte ebenfalls auf die frühen 60er Jahre zurück. Als Wohngebietszentren, Cafés, Restaurants oder Schwimmbäder entstanden dabei Gesellschaftsbauten, die sich deutlich von ihrer städtebaulichen oder aber auch landschaftsräumlichen Umgebung unterschieden und auffällige gestalterische Akzente setzten. Aufgegriffen wurden dabei Strömungen der internationalen Moderne, die in ihrem freien und skulpturalen Architekturverständnis ebenfalls klar zu der oben ausführlich geschilderten rationalistischen Entwurfshaltung kontrastierten. Verwiesen sei hier nur auf entsprechende Schalenkonstruktionen Felix Candelas und Pierluigi Nervis oder aber die plastischen Entwürfe Oscar Niemeyers. Gerade im Falle Müthers lässt sich jedoch herausarbeiten, was auch für nahezu alle anderen gestalterisch freieren Arbeiten galt und ebenfalls etwas durchaus DDR-spezifisches 61 Hierzu ausführlich Kapitel I.3.2.

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darstellte. Müther nämlich war lediglich ausgebildeter Bauingenieur und als Leiter seines zunächst noch privat betriebenen, später zum VEB Spezialbau Rügen umgewandelten Baubetriebes für die konstruktiv-technische Lösung der unterschiedlichen Bauvorhaben verantwortlich. Die Entwürfe selbst gingen hingegen auf unterschiedlichste Architekten zurück, die meist in den Projektierungsbetrieben bzw. Baukombinaten der einzelnen Bezirke tätig waren. In Rostock etwa arbeitete Müther mit Erich Kaufmann sowie in den 60er Jahren mit Hans Fleischhauer zusammen. Andere Architekten, die Entwürfe für Müthers Schalenkonstruktionen lieferten, waren u.a. Gottfried Hein, Rüdiger Plaethe oder Ingo Schönrock.62 Eine persönliche Handschrift der einzelnen Architekten ließ sich an den verschiedenen Bauten jedoch kaum erkennen. Es war vielmehr das die geschwungenen Schalenkonstruktionen ermöglichende Spritzbetonverfahren Müthers, das die Gebäude als ,Müther-Bauten, jedoch nicht als Entwürfe Kaufmanns, Fleischhauers oder anderer Architekten kenntlich machte. Diese Abwesenheit eines entwerferischen Personalstils prägte letztlich auch die meisten anderen der gestalterisch sehr viel individuelleren Architektenarbeiten. Exemplarisch deutlich machen sollen das einige wenige abschließende Vergleiche unterschiedlicher Gebäude, die von denselben Architekten bzw. Architektenkollektiven geplant worden sind. Hier sind zukünftig jedoch sehr viel genauere und detailliertere Untersuchungen notwendig. So könnte etwa der Kontrast zwischen Heinz Graffunders Alfred-Brehm-Haus und der von seinem Kollektiv nur wenige Jahre später entworfenen Randbebauung der Rathausstraße 63 kaum größer sein. Stand beim einen Projekt eine eher organisch zu nennende gestalterische Haltung im Vordergrund, so drängen sich beim anderen Bauvorhaben zum einen Vergleiche zu den auf Pilotis aufgeständerten Wohnscheiben Le Corbusiers, aber auch zu den technizistischen Projekten der Metabolisten auf. Dem freieren gestalterischen Zugriff im Falle des Brehm-Hauses stand zudem eine dezidiert auf die technologischen Rahmenbedingungen des industriellen Bauens zugeschnittene Gestaltung im Falle der Rathausstraßenbebauung gegenüber. Hier nämlich war es vor allem die Kombination einer Stahlskelettkonstruktion in den untersten beiden Stockwerken mit dem getypten Plattenwohnungsbau in den eigentlichen Wohngeschossen, der gestalterische Spannung erzeugte. Organische Schwünge und plastische Strukturen spielten hingegen so gut wie gar keine Rolle. Diese Gegensätze hatten auf der einen Seite mit den Reaktionen der Architekten auf sich verändernde politische Rahmenbedingungen zu tun. Graffunders Tierparkbauten machen sich so z.B. die Liberalisierungstendenzen innerhalb der DDR-Kulturpolitik am Anfang der 60er Jahre zunutze, während die Rathausstraßenbebauung auf die Anforderungen eines seit der Einführung des NÖSPL in erster Linie ökonomisch determinierten Bauwesens rea62 Zur Urheberschaft der Pläne u.a. die BdA-Aufnahmeanträge im IRS Erkner. 63 Hierzu ausführlicher Kapitel I.3.3.

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giert. Doch solche Kontraste im Schaffen einzelner Architekten bzw. Kollektive waren möglicherweise auch ideologisch begründet, wie weiter unten noch gezeigt werden soll. Ähnlich konträre Gestaltungsansätze wie bei Heinz Graffunder finden sich auch bei vielen anderen Architekten, die mit zentralen und über das Alltägliche hinausweisenden, vor allem den Repräsentationsbedürfnissen des Staates dienenden Bauprojekten beauftragt wurden. Einige weitere Beispiele sollen an dieser Stelle herausgegriffen werden. So entwarf beispielsweise Dieter Bankert für den Palast der Republik eine Fassade, die in erster Linie die kubische Strenge des Baus betont. Als Großform kaum gegliedert – eine Ausnahme stellte hier lediglich der mit Hilfe von Natursteinlisenen betonte Eingangsbereich dar , wurde sie alleine durch die über die gesamte Fassadenbreite regelmäßig angeordneten Sprossenteilungen belebt. Völlig anderes ließ sich hingegen im Falle des Friedrichstadtpalastes beobachten. Für das am Nordende der Friedrichstraße errichtete Varietétheater entwarf Bankert eine aus Betonelementen bestehende Vorhangfassade, die eindeutig das Dekorative und Verspielte in den Vordergrund rückte. Im Gegensatz zum Palast der Republik griff er dabei zunächst auf einen klassisch dreiteiligen Fassadenaufbau zurück. Deutlich voneinander unterschieden werden können so ein umfassend durchfensterter Sockel, eine durch reiche Gestaltungsmittel geprägte mittlere sowie eine attikaartige, den oberen Gebäudeabschluss bildenden Zone. Vertikal strukturiert wird der breit lagernde Baukörper zudem durch erkerartig ausgestellte Fensterbereiche, die ihrerseits durch die sie umgebenden Betonprofile und in die Fassade eingesetzte schmückende Buntglaselemente betont sind. Im Vergleich zu der die kubische Großform betonenden Fassade des Palastes der Republik ist beim Friedrichstadtpalast zudem die Arbeit mit Symmetriebildungen auffällig. So sind nicht nur die erkerartigen Strukturen, sondern auch der Gesamtaufbau des Gebäudes mit dem plastisch sehr stark hervortretenden, reich verglasten Mittelrisalit achsensymmetrisch angelegt. Ein aus einfachen geometrischen Grundformen bestehendes Gebäude bezieht seine repräsentative Gesamtwirkung so vor allem aus der klar als solche erkennbaren Fassadenarchitektur, während Gebäudekubatur und Außenhaut beim Palast der Republik eine sehr viel stärkere Symbiose eingehen. Als ein weiterer Architekt, der vor allem im sehr viel individueller gestalteten Repräsentationsbau tätig war, sei schließlich der wie Graffunder ebenfalls im VEB BMK Ingenieurhochbau Berlin tätige Günter Stahn herausgegriffen. Auch die von seinem Kollektiv erarbeiteten Entwürfe könnten kaum gegensätzlicher sein. Verwiesen sei hier zum einen auf den in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in der Köpenicker Wuhlheide errichteten Pionierpalast Ernst Thälmann (Abb. 23). Hier ist es erneut wieder ein eher organischer Gestaltungsansatz, der dem Gebäude zu Grunde liegt. Ohne jedes Bestreben, die verschiedenen Gebäudeteile durch entsprechende gestalterische Mittel wie Symmetrie- oder Risalitbildungen hierarchisch voneinander zu differenzieren, haben Stahn und seine Mitarbeiter polygonale Gebäudestruk-

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turen frei in die Parklandschaft komponiert und über eine entsprechende Außengestaltung mit Terrassen und Wasserflächen eng mit dieser verbunden. Der Eingangsbereich wird zwar durch eine sehr viel großzügigere Verglasung betont, diese findet sich jedoch genauso an dem sich nach Süden anschließenden, die Schwimmhalle aufnehmendem Trakt. Ansonsten ist der Pionierpalast durch seine gleichmäßige, dunkel gehaltene Außenhaut geprägt, die die Plastizität der verschiedenen Gebäudeteile betont und klar konturiert. Schon an anderer Stelle ist festgestellt worden, dass sich darin entfernte Anklänge an vergleichbare Entwürfe Alvar Aaltos finden lassen.64 Von ganz anderem Charakter ist hingegen das im Jahr 1987 vom selben Kollektiv fertiggestellte Nikolaiviertel im Ostberliner Stadtzentrum. Im Gegensatz zum Pionierpalast lassen sich innerhalb des Nikolaiviertels unterschiedlichste Gestaltungsmittel nebeneinander finden. Die nördliche Kante zum Marx-Engels-Forum ist beispielsweise durch Plattenbauten geprägt, die nur dank der integrierten Arkadengänge historisierend wirken. Darüber hinaus aber sind die Gebäude mit ihren Flachdächern und den aus dem Typenwohnungsbau bekannten Fassadenaufrissen klar dem städtebaulichen Umfeld rund um den Fernsehturm verpflichtet. So passen sie sich gestalterisch ohne Weiteres den Bauten Heinz Graffunders an der Rathausstraße oder aber auch dem auf der anderen Spreeseite befindlichen Palast der Republik an. Innerhalb des Viertels selber sind hingegen auch die vom Kollektiv Stahn entworfenen Neubauten ganz auf die historische Umbauung der Nikolaikirche bezogen. Giebelständige, an mit hohen Dachspeichern versehene Bürgerhäuser der Hansestädte erinnernde Plattenbauten sind hier zu engen, teilweise winklig verlaufenden Straßenzügen gefügt und erzeugen so die an dieser Stelle gewünschte städtebauliche Wirkung eines gewachsenen, von mittelalterlichen Strukturen geprägten Altstadtbereiches. Vor dem Hintergrund dieser Beispiele soll abschließend zumindest eine These in den Raum gestellt werden, die genauer zu überprüfen weiteren Arbeiten und umfassenderen Analysen vorbehalten bleiben muss. Demnach spricht vieles dafür, dass auch das gestalterisch sehr viel freiere und individuellere Entwerfen von DDRArchitekten als in gewisser Weise entindividualisiert bezeichnet werden kann. Die genauer in den Blick genommenen Beispiele zeichnen sich so zwar durch durchaus individuelle Gestaltungsmittel aus. Trotzdem aber lässt keines von ihnen Rückschlüsse auf die entwerfenden Architekten zu. Die kurze und auf die wesentlichen Gestaltungselemente beschränkte Formanalyse hat so u.a. gezeigt, dass spezifische Handschriften in keinem Fall erkennbar sind. Das mag zum einen an den grundlegenden Rahmenbedingungen der Architektenarbeit im Realsozialismus liegen. So 64 Hierzu Josef Paul Kleihues/Jan Gerd Becker-Schwering/Paul Kahlfeldt (Hgg.), Stadt der Architektur – Architektur der Stadt. Bauen in Berlin 1900-2000, Ausst.kat. Berlin 2000, S. 340.

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waren die vom Staat beauftragten und zugleich beim Staat angestellten Fachleute bei ihrer gestalterischen Arbeit in keiner Weise auf Wiedererkennbarkeit und das Entwickeln künstlerischer Alleinstellungsmerkmale angewiesen. Beides erübrigte sich durch das Fehlen jeden Wettbewerbsmomentes65 und durch die ohnehin ausschließlich politisch gesteuerte Auftragsvergabe. Gestalterisches Arbeiten hatte deswegen kaum etwas mit der Erlangung von Aufträgen oder mit beruflichem Überleben zu tun. Natürlich bestätigten auch hier Ausnahmen die Regel: So wurden Architekten wie Josef Kaiser, Hermann Henselmann, Heinz Graffunder oder Günter Stahn sicherlich auch deswegen immer wieder mit zentralen Bauaufgaben betraut, weil sie den mit den jeweiligen Bauprojekten verknüpften Forderungen nach einer in ästhetischer Hinsicht repräsentativen Wirkung auf hervorragende Art und Weise zu entsprechen vermochten. Hinzu kam aber möglicherweise noch ein weiteres  hier nur als Vermutung zu äußerndes  Moment. Die im Laufe der Untersuchung, aber auch innerhalb dieses Abschnittes immer wieder angesprochene ideologische Vereinnahmung architektonischen Gestaltens machte das Entwickeln von Handschriften aus Sicht der Architekten vielleicht auch gar nicht erst erstrebenswert. Allzu rasch hätte man ihnen in diesem Fall nämlich den Vorwurf des künstlerischen ,Subjektivismus machen können, dessen Ausmerzung von Anfang an eines der zentralen baupolitischen Ziele im Bereich des Architektenberufs darstellte. Indem man sich der Wiedererkennbarkeit und stilistischen Kategorisierung verweigerte, versuchten Architekten also möglicherweise auch, den gestalterisch sehr viel freieren individuellen Entwürfen etwas entindividualisiertes zu geben. Das Schaffen der mit repräsentativeren und gestalterisch aufwändigeren Projekten betrauten Architekten kennzeichnete damit möglicherweise auch ein Paradox: Gerade durch die Abwesenheit eines identifizierbaren Oeuvres konnte dieses pluralistischer, vielfältiger und facettenreicher werden. Auch diese Beobachtung mag damit ein weiterer Hinweis darauf sein, dass es der Baupolitik über vierzig Jahre hinweg nicht gelang, die Architektentätigkeit tatsächlich zu entindividualisieren und zu deprofessionalisieren.

65 Gemeint ist hiermit ausschließlich ein ökonomisches Wettbewerbsmoment.

Zusammenfassung und Schluss

Anspruch der vorliegenden Untersuchung war es, zu einer umfassenden Charakterisierung des DDR-Architektenberufs zu gelangen, indem über die politischinsitutionellen Rahmenbedingungen hinaus vor allem nach den Modi fachlichen Handelns, deren Rahmenbedingungen und hier insbesondere nach dem Verhältnis von politischer und fachlicher Ebene gefragt wird. Darüber hinaus sollte das professionelle Selbstverständnis der Fachleute im Verlauf von 40 Jahren DDR-Architekturgeschichte beleuchtet werden. Im Folgenden sollen die wesentlichen Ergebnisse nochmals überblicksartig zusammengefasst werden. Zu nennen sind zunächst zwei sehr grundlegende Erkenntnisse: Zum einen hat die Untersuchung deutlich gemacht, dass nur in den seltensten Fällen von wirklich oppositionellem und widerständigem Verhalten der Architektenschaft gesprochen werden kann. Eine Ausnahme bildeten hier vielleicht nur der Widerstand der Privatarchitekten im Zuge der Vergesellschaftung des Architektenberufs in den späten 40er und frühen 50er Jahren sowie der ab Mitte der 80er Jahre verstärkt aufflackernde oppositionelle Geist, etwa im Falle des Wettbewerbsbeitrags Bersarinplatz von Christian Enzmann und Bernd Ettel. Der Grund für diese untergeordnete Rolle oppositionellen Verhaltens war dabei sicherlich in der engen Abhängigkeit der Architektenschaft von einem durch die SED dominierten Staat zu suchen, der in der Regel sowohl Arbeit- als auch Auftraggeber war. Zum anderen aber ist durchweg deutlich geworden, dass in nahezu allen weiteren Fällen von verschiedenen Formen der Zusammenarbeit zwischen Politik und Fachleuten gesprochen werden kann. Dies konnte sich etwa als enges Zusammenwirken beider Gruppen in von ähnlichen Interessen bestimmten Netzwerken wie etwa im Bauwesen des Bezirks Rostock niederschlagen. Herausgearbeitet worden sind darüber hinaus aber auch andere Formen eines bewussten Arrangements der Fachleute mit der politischen Ebene. Sie können ganz allgemein als Akzeptanz der politischen Leitlinien und Rahmenbedingungen beschrieben werden, die mit Formen eigensinnigen Verhaltens, das zugleich politischen sowie eigenen fachlichen Interessen gerecht zu werden versuchte, kombiniert wurde. Alle hier untersuchten Fälle von solcherma-

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ßen eigensinnigem Verhalten stehen dabei zugleich für Rückkopplungsprozesse, die eine ,von oben vorgegebene Baupolitik von der fachlichen Basis her, also ,von unten, veränderte. Gezeigt werden konnte so, dass sich die DDR-Architekturgeschichte und ihre spezifische Entwicklung nicht nur von staatlicher und politischer Seite her erklären lässt, sondern ebenso sehr den mal mehr, mal weniger großen Einfluss der Fachleute selbst berücksichtigen und in das Gesamtbild integrieren muss. Über dieses Ergebnis hinaus konnten auf einer detaillierteren Ebene zunächst Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede zwischen dem Architektenhandeln der 50er und 60er Jahre sowie dem der 70er und 80er Jahre herausgearbeitet werden. Sie spiegeln sich auch in der etwas anderen Erzählstruktur der entsprechenden Abschnitte wider. Beide Zeiträume sind dabei gleichermaßen durch das ständige Bemühen der Architektenschaft geprägt, innerhalb eines durch Staat und Partei sehr stark gesteuerten und kontrollierten Bauwesens ein mehr oder weniger eingeschränktes eigenes fachliches Handeln möglich zu machen. In den 50er und 60er Jahren und damit in einer Phase ständiger politischer Paradigmenwechsel, politisch-ideologischer Neuausrichtung und institutionell-struktureller Umbildungen erfolgte dies in erster Linie durch (in der Regel politisch loyale), die Gunst der Stunde nutzende Interventionsversuche. Sie waren in ihrer unmittelbaren Wirkung oftmals sehr begrenzt, wirkten sich jedoch in vielen Fällen verspätet und damit eher indirekt auf Architektur und Städtebau sowie das berufliche Umfeld der Architektenschaft aus. Langfristige, aber oftmals nur lokal wirksame Formen strategischer Anpassung, wie sie im Gegensatz dazu die 70er und 80er Jahre bestimmten, fanden sich innerhalb der ersten beiden Jahrzehnte jedoch eher selten. Einer sehr stark schlaglichtartigen Betrachtungsweise innerhalb des ersten Abschnitts stand deswegen auch eine eher systematische Darstellung im zweiten und dritten Teil gegenüber. Betont sei jedoch nochmals, dass sich Charakter und Stoßrichtung der Handlungsstrategien oftmals gar nicht so sehr voneinander unterschieden. Vielmehr konnten sie sich ab Anfang der 70er Jahre sowie angesichts der damals erfolgenden Konsolidierung staatlicher Strukturen und politischer Leitlinien sehr viel eher verstetigen, also zu dauerhaft angewandten und wirksamen Handlungsweisen der Architekten werden. Im Folgenden soll abschließend eine Übersicht über jene Handlungsmodi gegeben werden, die im Rahmen dieser Untersuchung im Bereich der Architektenarbeit identifiziert werden konnten und die Architektentätigkeit sowohl der 50er und 60er als auch der 70er und 80er Jahre auf verschiedenste Art und Weise bestimmt haben. Die Bedeutung von Netzwerken Zu nennen sind hier sicherlich an erster Stelle und als oftmals grundlegende Voraussetzung für eine Reihe weiterer Handlungsstrategien die vielfältigen Formen von Netzwerkbildungen. Im Laufe der Untersuchung konnte dabei mehrfach ge-

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zeigt werden, dass es gerade auch eine breite Palette fachinterner Netzwerke waren, die den Austausch untereinander förderten, aber auch zur gegenseitigen Unterstützung beitrugen. Sehr intensiv ist so gerade für die letzten beiden Jahrzehnte herausgearbeitet worden, welch große Bedeutung der Architektenbund BdA in diesem Zusammenhang hatte. Ausgehend von der Position Mary Fulbrooks, aber auch Sigrid Meuschels, dass die Massenorganisationen der DDR nicht nur als ,Transmissionsriemen der Parteipolitik, also ,von oben nach unten, funktionierten, sondern genauso wichtig für verschiedenste Arten von Rückkopplungsprozessen zwischen gesellschaftlicher bzw. fachlicher Basis und politischer Führung waren, konnte dabei auch ein neues Licht auf Rolle und Bedeutung des BdA geworfen werden. Immer wieder ist so etwa deutlich geworden, dass der BdA nicht nur der Indoktrinierung und Kontrolle der Fachleute diente, sondern auch die Funktion eines Katalysators übernahm, in dem politische und fachliche Interessen miteinander vermittelt und nicht selten zu etwas über die politischen Vorstellungen hinausreichendem amalgamiert wurden. Gerade in den 80er Jahren stellte der BdA darüber hinaus ein wichtiges Ventil für die immer stärker um sich greifende Unzufriedenheit der Architektenschaft dar. So ist in den letzten Abschnitten deutlich geworden, dass das Funktionieren eines auch auf der weitgehend loyalen Zusammenarbeit von Baupolitik, Bauwirtschaft und Architekten beruhenden Bauwesens zumindest kurzzeitig weiter gewährleistet werden konnte, indem es innerhalb der eigenen Reihen die Möglichkeit gab, sich ,Luft zu machen oder aber auch suggeriert zu bekommen, dass zumindest hier die eigenen fachlichen Interessen und Vorschläge Gehör fanden. Über solche Großstrukturen hinausgehend sind zudem eine Reihe kleinerer, auf persönlicher Basis angesiedelte Netzwerke zu nennen, die lediglich exemplarisch in den Blick genommen werden konnten und zukünftig vor allem im Rahmen biographisch fokussierter Forschungen sehr viel detaillierter zu beleuchten sind. Deutlich geworden ist beispielsweise für das Umfeld Hermann Henselmanns und seine weite Schülerschaft, aber auch im Zusammenhang mit dem von Erhardt Gißke protegierten Kreis von Architekten, wie wichtig die gegenseitige Förderung und Unterstützung für Karrierewege und Arbeitsmöglichkeiten sein konnte. Dieser Bereich geht darüber hinaus bereits fließend in eine andere Gruppe von Netzwerken über, die ebenfalls Gegenstand intensiver Betrachtung gewesen sind, nämlich jene zwischen Politik und Fachleuten. Die Vielfalt und Fülle war hier nahezu unbegrenzt. Verwiesen sei hier nur nochmals auf die fest institutionalisierten Formen eines solchen Zusammenwirkens, wie sie etwa durch Ämterdoppelung, also durch die Verknüpfung eines politischen mit einem wichtigen fachlichen Amt, entstehen konnten. Darüber hinaus seien erneut die auch in diesem Bereich wichtigen, auf einem guten persönlichen Miteinander, aber auch auf gemeinsamen Interessen beruhenden Netzwerke zwischen einzelnen Akteuren in Politik und Architektur erwähnt. Die enge Abstimmung von Politik und Bauwesen in Rostock, Berlin und Halle gehört hier sicherlich zu den prominentesten Beispielen. Exemplarisch hin-

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gewiesen sei aber auch nochmals auf die Zusammenarbeit von Hermann Henselmann mit der Berliner Bezirksparteileitung Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre oder aber auf den ausgesuchten Kreis an Fachleuten, der von der Politik mit Entwürfen für eine ,Architektur der Bildzeichen beauftragt wurde. Die Bedeutung fachlicher Interventionen Gerade in den 50er Jahren war das Architektenhandeln zudem sehr häufig durch verschiedenste fachliche Interventionen geprägt, die sich politische Veränderungsprozesse oder eine kurzzeitige Schwäche von Partei und Regierung zunutze zu machen versuchten. Schon in diesem Zusammenhang bemühte man sich, ganz verschiedene fachliche Interessen und Themen auf die baupolitische Tagesordnung zu setzen. Deutlich geworden ist etwa, dass die Interventionen immer wieder um verschiedenste Überlegungen zu gestalterischen Fragen kreisten. Als Staat und Politik Mitte der 50er Jahre durch die Entstalinisierungsbemühungen Chruschtschows erschüttert wurden, machten sich Teile der Architektenschaft so für einen sich vom Bauen der Nationalen Traditionen wegbewegenden und gegenüber unterschiedlichsten Strömungen der Moderne öffnenden Gestaltungsansatz stark. Dieser Interventionsversuch war dabei auch darauf angelegt, der Architektenarbeit und dem Architekturdiskurs eine öffentliche Plattform zu geben, die es angesichts eines staatlich gelenkten Pressewesens bis dahin nicht gab. Nachgezeichnet worden ist so die bemerkenswert offene und kritische Debatte in der Kulturzeitung ,Sonntag. Ähnlich wichtig für das berufliche Selbstverständnis gerade jüngerer Architekten waren aber auch die von der FDJ unterstützten Diskussionen an den Hochschulen, in deren Verlauf man es schaffte, sogar die DBA-Leitung aus der Reserve zu locken und zu einem Dialog zu bewegen. Immer wieder ging es bei den Interventionen der Architekten aber auch um berufspolitische Fragen und hier in erster Linie um die Arbeitsbedingungen im Bereich des volkseigenen Entwurfs. So ist in den Abschnitten I.2.2 und I.2.4 deutlich geworden, dass entsprechende Themen bereits nach 1953 und verstärkt infolge von Chruschtschows Rede auf der Allunionstagung der Bauschaffenden vom BdA aufgegriffen wurden. Einen Höhepunkt erreichte diese frühe, über die Aufgabe des bloßen parteipolitischen Transmissionsriemens hinausreichende BdA-Initiative schließlich mit der Mitte der 50er Jahre ins Leben gerufenen Denkschrift-Kommission, die sich, wie in Abschnitt I.2.4 herausgearbeitet worden ist, für ein eigenständigeres, an professionellen Kriterien orientiertes Handeln der Architekten im volkseigenen Entwurf stark machte, ohne die grundlegende Leitlinie eines vergesellschafteten Berufsbildes selbst in Frage zu stellen. Aufgrund der sich konsolidierenden politischen Strukturen lassen sich solche Formen des Intervenierens in den 70er und 80er Jahren kaum noch finden. Im dritten Kapitel der Arbeit konnte jedoch gezeigt werden, dass die Erstarrung des (bau-)politischen Systems in den 80er Jahren erneut zu ähnlich gelagerten Interventionsbemühungen

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führte. Vor allem die in Abschnitt III.3.3 beleuchteten, als kritisch oder aber sogar oppositionell zu bezeichnenden Projekte unterstreichen dies sehr deutlich. Die Bedeutung strategisch angepassten Handelns Gezeigt werden konnte darüber hinaus, dass vielfältigste Formen strategischer Anpassung an bestehende Strukturen und Leitlinien eine noch sehr viel wichtigere Rolle spielten als eher punktuelle und in ihrer Wirksamkeit begrenzte Interventionsversuche. Ein als strategische Anpassung zu charakterisierendes Handeln lässt sich dabei schon in den 50er und 60er Jahren beobachten, konnte sich aber noch nicht im gleichen Umfang verstetigen wie in den letzten beiden Jahrzehnten der DDR. So stellte beispielsweise bereits die im zweiten Abschnitt geschilderte Suche nach gestalterischen Antworten auf die Leitlinie des Bauens der Nationalen Traditionen eine eminente, aber auch durchaus eigensinnige Anpassungsleistung dar. Architekten wie Hermann Henselmann und Richard Paulick gelangten hier zu völlig neuen Formen gestalterischen Arbeitens, die nur noch am Rande deren Prägung durch unterschiedliche Strömungen der Architekturmoderne erkennen ließen. Hanns Hopp und Kurt W. Leucht hingegen konnten das gestalterische Paradigma sehr viel stärker als Chance begreifen, frühere, am Kontext der NS-Zeit ausgerichtete Gestaltungsvorstellungen erneut zu reaktivieren und sich auf diese Weise an die neuen Bedingungen der DDR anzupassen. Waren schon diese Handlungsstrategien von kurzer Dauer gewesen, weil Nikita Chruschtschow Ende 1954 mit dem Bauen der Stalinzeit zu brechen begann, so galt dies auch für eine Reihe anderer Formen strategisch angepassten Verhaltens in den 60er Jahren. Herausgearbeitet wurde so etwa, dass das nur oberflächliche Eingehen der Architekten auf die Maßregelungen des 1963 abgehaltenen DBA-Plenums schon damals auf ein Festhalten an gestalterischen Überzeugungen schließen ließ, die sich schon wenige Jahre später mit der ,Architektur der Bildzeichen, aber auch mit den großen Gesellschaftsbauten der 70er und 80er Jahre und kombiniert mit einer Reihe anderer Strategien erneut Bahn brachen. Gerade auch das Konzept einer die internationale Architekturmoderne zum Vorbild nehmenden ,Architektur der Bildzeichen stellte dabei ein weiteres Beispiel für eine eher kurzzeitig wirksame Anpassungsleistung dar. In diesem Fall war es, wie in Abschnitt I.3.3. dargestellt worden ist, das Repräsentationsbedürfnis der Politik anlässlich des 20. Jahrestages der DDR, das sich Teile der Architektenschaft zu nutze machten, um einen Ausweg aus dem seit der Durchsetzung des NÖSPL bzw. ÖSS noch stärker ökonomisch determinierten Planen und Bauen zu finden. Verstetigte Formen strategischer Anpassung konnten schließlich vor allem für die 70er und teilweise für die 80er Jahre nachgewiesen werden. Den Hintergrund dafür bildete der schon in der Überschrift des zweiten Teils angesprochene Konsolidierungsprozess. Der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker hatte zu einer Festigung der politischen Leitlinien und institutionellen Strukturen geführt, wie es sie in den ersten beiden Jahrzehnten der DDR nicht gegeben hatte. Damals nämlich

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hatten außenpolitische Einflüsse insbesondere aus der Sowjetunion (Neuer Kurs, Tod Stalins, Entstalinisierung unter Chruschtschow), aber auch innenpolitische Ereignisse wie der Mauerbau und die daraufhin durchgeführten, als Kompensation gedachten ,Reformen von oben oder die mit dem Systemwettstreit zusammenhängende Fokussierung auf Wirtschaftsfragen zu ständigen politischen Paradigmenwechseln geführt. Die Ära Honecker hingegen stand von Anfang an im Zeichen der so genannten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, die zwar zunächst stabilisierend und konsolidierend wirkte, deren Kostspieligkeit aber auch nicht in Frage gestellt wurde, als die ökonomischen Probleme in den späten 70er und vor allem 80er Jahren stetig zunahmen. Die verhältnismäßige Dauerhaftigkeit in den politischen Strukturen und Leitlinien wurde jedoch zu einer wichtigen Voraussetzung der sich verfestigenden Handlungsmodi strategischer Anpassung innerhalb der Architektenschaft. Ähnliches lässt sich auch mit Blick auf die Tatsache festellen, dass für kaum einen anderen Zeitraum der DDR-Architekturgeschichte von ähnlich konsolidierten und langfristigen Netzwerken der Fachleute untereinander, aber auch zwischen Architekten und Politik gesprochen werden kann. Die institutionelle wie auch die mit den gerontokratischen Strukturen immer wieder angesprochene personelle Kontinuität wirkte sich zumindest in dieser Hinsicht begünstigend aus. Exemplarisch ist u.a. dargestellt worden, dass Erscheinungen wie die Baudirektion Berlin und der von ihr beauftragte, vergleichsweise feste Stab von Architekten oder aber auch die engen Verflechtungen von Politik und Fachleuten auf Bezirksebene und im kommunalen Bereich wie in Rostock, Berlin und Halle kennzeichnend für das Bauwesen unter Honecker waren. Gerade in dieser Hinsicht ist im Gegenzug aber auch darauf hingewiesen worden, wie sehr solche engen und auf Dauerhaftigkeit angelegten Netzwerke die im personellen Bereich zu beobachtende Erstarrung der 80er Jahre mit beförderten. Trotzdem aber wurden wirksame strategische Anpassungsleistungen vielfach erst vor diesem Hintergrund möglich. Herausgearbeitet werden konnte dabei, dass sie alle durch das bewusste Aufgreifen und Bedienen baupolitischer sowie ideologischer Leitlinien gekennzeichnet waren. Insofern stehen die unterschiedlichen, in der Arbeit herausgearbeiteten Formen strategischer Anpassung immer auch für Kontrolle und Einschränkung der Architektenarbeit durch die politische Seite. Auf der anderen Seite aber dienten die auf politisch-ideologische Rahmenbedingungen reagierenden Anpassungsstrategien auch dazu, eigenen fachlichen Interessen und dem Streben vieler Architekten nach größerem fachlichem Einfluss gerecht zu werden. Eine immer wieder zu beobachtende und zunächst auch sehr wirksame Strategie stellte dabei die Entwicklung weitergehender fachlicher Lösungen für ein in erster Linie an ökonomischen Kriterien orientiertes Bauen dar. So konnte u.a. gezeigt werden, wie sehr die Projekte des beim VEB Ingenieurhochbau Berlin tätigen Kollektivs Eisentraut, aber auch andere Planungen vor allem für eine Reihe von Wohngebietszentren, ein Mehr an Gestaltung über den Nachweis einer entsprechenden Kostensenkung durchzusetzen ver-

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mochten. Ähnliches ließ sich, wie in Abschnitt II.2.4 dargestellt worden ist, auch in der Reaktion von Architekten auf die Geschichtspolitik der 70er und 80er Jahre beobachten. Dabei wurde das von der Staats- und Parteiführung seit den 70er Jahren verfolgte Projekt einer historischen Verankerung der DDR in der gesamten deutschen Geschichte auf geschickte Art und Weise für Architektur und Städtebau fruchtbar gemacht. Das betraf zum einen den Bereich der Denkmalpflege, die ab Mitte der 70er Jahre an Bedeutung gewann. Die genauere Betrachtung einer Reihe von BdA-Sitzungen hat dabei ergeben, dass es auch die Architekten selbst waren, die die Baupolitik auf den Zeugniswert historischer Bauten und Stadtstrukturen aufmerksam machten und diese als bauliche Abbilder einer von den DDRHistorikern erarbeiteten Geschichtskonstruktion inszenierten. Als ein Nebenaspekt wurde in diesem Zusammenhang darüber hinaus deutlich, dass die fachliche Betreuung von Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten auch dazu führte, dass sich Fachleute mit der gesamten stilistischen Breite von Architektur und Städtebau beschäftigen konnten. Dies wirkte sich schließlich ebenso auf die gestalterischen Möglichkeiten bei Neubauvorhaben aus und verwies damit auf einen weiteren Rückkopplungsprozess. Ausführlich geschildert worden ist so im betreffenden Abschnitt der Arbeit, dass die denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Baubestand des Bauhauses eine Voraussetzung für die an entsprechende gestalterische Traditionen anknüpfenden Neubauprojekte der 70er und 80er Jahre war. Genannt wurden hier die Fassadengestaltung des Palastes der Republik, darüber hinaus aber auch weniger prominente Entwürfe wie der für die Lichtenberger Körperbehindertenschule des Kollektivs Eisentraut. In einem weiteren Abschnitt ist daran anschließend deutlich geworden, wie sehr das Argumentieren im Sinne geschichtspolitischer Leitlinien und ökonomischer Grundsätze auch das industrielle Bauen in den Innenstädten mit ermöglicht und hoffähig gemacht hat. Die in dieser Untersuchung rekonstruierten Argumente der Architekten reichten dabei vom Geschichts- und Erlebniswert von Altstadtbereichen bis hin zum detaillierten Nachweis der durch Erhaltung möglichen Einspareffekte bzw. entsprechender Kostensteigerungen im Falle bloßer Neubauprojekte. Bis in die 80er Jahre hinein kann schließlich auch von fortwährenden strategischen Anpassungsleistungen der Architektenschaft im Bereich der Ausbildung gesprochen werden. Auch dabei griff man, wie in Abschnitt II.3 dargestellt worden ist, offizielle kultur- und baupolitische Verlautbarungen auf, die von Architektur und Städtebau stets auch als einer kulturell-künstlerischen Leistung sprachen. Gezeigt werden konnte, dass es den Architekten, aber auch hochrangigen baupolitischen Kadern davon ausgehend gelang, an umfangreichen gestalterischen, aber auch umfassenden historisch-theoretischen Anteilen innerhalb des Ausbildungscurriculums festzuhalten. Für die 80er Jahre konnte in diesem Zusammenhang nachgezeichnet werden, wie sehr Ausbildung und Arbeitsalltag auf Grund der Breite und Vielfalt des Studiums bald auseinanderklafften und auf der einen Seite zu einem

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engagierten Fachdiskurs, auf der anderen Seite aber auch zu Enttäuschung über den kaum noch veränderbaren Status quo des Bauwesens führten. Die differenzierte und weit über die Forderungen und Möglichkeiten des DDR-Bauwesens hinausweisende Ausbildung war damit gleichzeitig Garant dafür, dass die Architektenschaft bis in die 80er Jahre hinein hervorragend qualifiziert blieb und weiterhin zu einem professionellen fachlichen Urteil in der Lage war. Die Bedeutung eines DDR-spezifischen Sprechens über Architektenarbeit, Architektur und Städtebau Im Verlauf der gesamten Untersuchung und im Zusammenhang mit den unterschiedlichsten Formen fachlicher Interventionen und strategischer Anpassung ist zudem immer wieder deutlich geworden, wie wichtig es ist, das Sprechen der Fachleute über Architektur und ihr berufliches Handeln differenziert einzuschätzen. So hat sich in unterschiedlichsten Kontexten gezeigt, dass ein ideologisch aufgeladener Fachdiskurs keineswegs nur Kennzeichen einer Haltung war, die sich als absolute politische Loyalität beschreiben lässt, oder aber alleine für die reibungslos funktionierende Durchherrschung ,von oben nach unten stand. Natürlich spielen beide Aspekte durchweg, in unterschiedlicher Intensität und verschiedensten Schattierungen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus aber lassen sich DDR-spezifische Sprachregelungen innerhalb des Berufs- und Fachdiskurses immer auch daraufhin befragen, welche Ziele und eigenen Interessen mit der Verwendung politisch opportuner Formulierungen verfolgt wurden. An dieser Stelle kann dabei nicht mehr umfassend auf die in der Untersuchung sehr zahlreich zu findenden Beispiele dieser Art eingegangen werden. Einige wenige, vielleicht besonders eindrucksvolle seien aber nochmals herausgegriffen. So zeigte sich beispielsweise bereits im Rahmen der frühen gestalterischen und berufspolitischen Interventionsversuche im Umfeld des 17. Juni 1953 bzw. um die Mitte der 50er Jahre, dass die Architekten zwar Forderungen aufstellten, die weit über die damaligen Rahmenbedingungen des Bauwesens hinausgingen. Zugleich aber wurde gegenüber der Staats- und Parteiführung dezidiert betont, dass diese Interventionen keinesfalls das politische System als solches infrage stellten. Zugeständnisse auf der einen Seite erhoffte man also schon damals durch eine bewusst betonte sowie nicht selten auch tatsächliche Überzeugungen widerspiegelnde politische Loyalität auf der anderen Seite zu erreichen. Intensiv in den Blick genommen wurden die sprachlichen Charakteristika fachlicher Äußerungen der Architektenschaft darüber hinaus in den Abschnitten zu den 60er Jahren. So konnte in Bezug auf die Stellungnahmen einzelner Architekten nach dem DBA-Plenum des Jahres 1963 herausgearbeitet werden, dass eine oberflächliche ideologiekompatible Selbstkritik auch jetzt nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe jener fachlichen Standpunkte war, die Anlass politischer Zurechtweisung gewesen waren. Auch die ,theoretische Unterfütterung der ,Architektur der Bildzeichen konnte schließlich

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eher als geschicktes Überzeugungsargument gegenüber den politischen Entscheidungsträgern denn als ernstgemeinter Versuch identifiziert werden, tragfähige Konzepte einer genuin sozialistischen Architektur zu entwickeln. In den 70er Jahren waren es dann zunächst vor allem die an der BA erarbeiteten Entwürfe eines auf das DDR-Planungs- und Bauwesen zugeschnittenen Berufsprofils, anhand derer neben anderen Aspekten die Bedeutung spezifischer Sprachregelungen und Begriffe herausgearbeitet werden konnte. Die von Werner Rietdorf, Joachim Bach und insbesondere Herbert Ricken erarbeiteten Texte, die einen wichtigen Ausgangspunkt für die Formulierung ausbildungs- und baupolitischer Programme darstellten, lassen das bewusste Aufgreifen politisch-ideologischer Leitlinien auf der einen, aber auch die wohldosierte Integration fachlicher Interessen auf der anderen Seite erkennen. So konnte gezeigt werden, dass die in erster Linie an ökonomischen Fragen interessierte Baupolitik in den von Architekten erarbeiteten Berufsbildentwürfen stets in ein weit darüber hinausgehendes fachliches Selbstverständnis eingebettet blieb. Künstlerisch-gestalterische Fragen und die Verantwortung der Fachleute für eine ästhetisch ansprechende Wohn- und Stadtumwelt waren hier immer inbegriffen. Wie in den letzten Abschnitten der Untersuchung deutlich geworden ist, stellten diese Berufs- und Ausbildungsprofile zudem eine wichtige Grundlage für die Entwicklungen der 80er Jahre dar. Angesichts der erstarrenden und kaum noch veränderbaren Strukturen von Baupolitik und Bauwesen stellte ein solchermaßen ganzheitlich ausgerichtetes Berufsprofil einen wichtigen argumentativen Anknüpfungspunkt für jene Architekten dar, die sich damals für ein sich an neue Bedürfnisse und Herausforderungen heranwagendes Planen und Bauen einsetzten. Auch dann, wenn sich Architekten im Laufe der 80er Jahre immer wieder um die Platzierung neuer architektonisch-städtebaulicher Themenkomplexe bemühten, ließ sich aus diesem Grund weiterhin die für die gesamte DDR-Zeit typische Mischung aus politisch-ideologisch gefärbtem und das eigene berufliche Selbstverständnis widerspiegelndem Sprechen über Architektur beobachten. Ausgegangen wurde damit verbunden jedoch auch von der Annahme, dass es sich hier nicht nur um eine strategische Art des Sprechens handelte. Plausibel scheint vielmehr auch, dass sich vielfach wirkliche politische Überzeugungen und ein an die staatssozialistischen Verhältnisse angepasstes Verhalten überlagerten. Demnach konnte (und wollte?) man sich ein Planen und Bauen außerhalb eines sozialistisch organisierten Staats- und Gesellschaftssystems grundsätzlich gar nicht vorstellen. Die Bedeutung generationeller Dynamiken für eine allgemeine Charakterisierung fachlichen Handelns Als ein den Blick auf die Akteure und ihr Handeln strukturierendes Moment konnten schließlich Überlegungen der Sozialgeschichte zur Generationenfolge in der DDR fruchtbar gemacht werden. So hat sich gezeigt, dass jedes Jahrzehnt der DDRArchitekturgeschichte durch einen spezifischen Generationszusammenhang geprägt

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war. Für die 50er Jahre spielte hierbei vor allem die sogenannte Aufbaugeneration eine wichtige Rolle, die vor Ende des Ersten Weltkriegs geboren worden war und teilweise noch in der Kaiserzeit, aber auch während der Weimarer Republik und der NS-Zeit erste Berufserfahrung gesammelt hatte. Die Vogelschauperspektive, die die Arbeit auf diese Generation eingenommen hat, hat dabei gezeigt, dass keine andere Generationskohorte durch solch unterschiedliche biographische Vorprägungen gekennzeichnet war wie diese. Eine Vielfalt gestalterischer und fachlicher Überzeugungen vermischte sich dabei mit ebenso facettenreichen politischen Haltungen. Letztere reichten auch bei Architekten, die in der frühen DDR bis in höchste Positionen hinein tätig waren, von politischer Indifferenz über sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Überzeugungen bis hin zu konservativen Haltungen oder aber sogar einer ehemals mehr oder weniger großen Nähe zum NS-Regime. Die späten 50er und die 60er Jahre konnten dann als ein von der nachfolgenden Aufbruchsgeneration geprägter Abschnitt der Architekturgeschichte charakterisiert werden. Dabei ist dargestellt worden, wie sehr diese zu wesentlichen Teilen in der DDR ausgebildete und durchaus erfolgreich in deren Karrierewege eingebundene Generation zum einen durch politische Loyalität und den Willen zu beruflichem Aufstieg gekennzeichnet war. Zum anderen aber wurde auch deutlich, dass der gestalterische Aufbruch von Architektur und Städtebau der 60er Jahre ganz wesentlich mit dem fachlichen Handeln dieses Generationszusammenhangs verknüpft war. Letztlich nämlich war diese Generation die erste, die in großer Breite die Spielregeln des staatssozialistischen Systems gelernt und internalisiert hatte. Dies zeigten etwa der geschickte Umgang mit den Maßregelungen des 1963 abgehaltenen DBAPlenums und die daraufhin bis in die 70er und 80er Jahre unternommenen Versuche, sich durch strategische Anpassungsbemühungen umfangreichere fachlichgestalterische Möglichkeiten zu erarbeiten. Vor diesem Hintergrund zeigen sich dann auch die Interventionsversuche der 50er Jahre und damit der älteren Generation in einem nochmals etwas anderen Licht. Sie waren in der Regel getragen von einer kleineren, bestimmte Interessen verfolgenden Gruppe innerhalb eines sehr stark ausdifferenzierten Generationszusammenhangs, während die Interventionen der 60er Jahre sehr viel breiter in einer nunmehr wesentlich homogeneren Architektenschaft verankert waren. Für die 70er Jahre konnte zudem gezeigt werden, dass es enge Netzwerke zwischen der unterdessen das Planungs- und Bauwesen bestimmenden Aufbruchs- und der nachfolgenden 45er-Generation vor allem im Ausbildungsbereich und in den Kollektiven waren, die wesentlichen Einfluss auf die berufliche Stellung von Architekten hatten. Herausgearbeitet wurde darüber hinaus, wie sehr diese nunmehr berufliche Verantwortung übernehmende 45er-Generation unter dem Eindruck der sich Ende der 60er und vor allem im Laufe der 70er Jahre konsolidierenden staatlichen sowie politischen Strukturen stand. Angesichts dieser Entwicklung, die eine Dauerhaftigkeit des Systems, aber auch der institutionellen und politischen Rah-

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menbedingungen, in die man selbst eingebettet war, zu verheißen schien, versuchte man sich anzupassen und zu arrangieren, ohne dabei den Anspruch auf ein eingeschränkt eigenständiges fachliches Handeln aufzugeben. Vor diesem Hintergrund arbeitete die 45er-Generation mit einem Bündel konsolidierter und immer wieder angewandter Handlungsmodi, die ihrerseits auch zu einer Verfestigung der das Planen und Bauen bestimmenden Akteurskonstellationen und zu langfristigen Netzwerkbildungen führten. Sie behielten ihre Bedeutung bis in die 80er Jahre hinein, die schließlich von verschiedenen Versuchen geprägt waren, mit Hilfe der inzwischen bewährten Handlungsstrategien Weiterentwicklungen und Reformen innerhalb von Architektur und Städtebau anzustoßen. Sie allerdings verliefen angesichts der Erstarrung des politischen Systems und der Kaderstrukturen mehrheitlich im Sande. Unter anderem damit war schließlich die vierte und letzte, in dieser Untersuchung identifizierte Generation von DDR-Architekten  nämlich die zwischen Ende der 50er und Ende der 60er Jahre geborene, so genannte Wende-Generation  konfrontiert. Wie gezeigt worden ist, verband deren Mitglieder dabei die größtenteils mit Ernüchterung und Enttäuschung aufgenommene Erkenntnis, dass sich der Architekturdiskurs zwar weiterentwickelte, das Bauen selbst aber auf dem Stand der frühen 80er Jahre verharrte und selbst die nicht selten gleichermaßen an Erneuerung interessierte 45er-Generation nichts mehr auszurichten vermochte. Hinzu kam aber noch ein weiterer Aspekt, der der Wende-Generation die Integration in die DDR und die Arbeit als Architekten schwer machte. So ist dargestellt worden, dass auch das Planen und Bauen der 80er Jahre von einer ähnlichen personellen Erstarrung betroffen war wie der gesamte politische Bereich. Insbesondere die durch das Moment der Verstetigung und Konsolidierung geprägte 45er-Generation war so beispielsweise kaum noch bereit, Verantwortung an die Jüngeren ab- und damit fachliche Kontrolle aus der Hand zu geben. Beide Aspekte  die thematische wie die personelle Erstarrung  hatten zur Folge, dass sich die Wende-Generation entweder resigniert in Bereiche zurückzog, die nunmehr tatsächlich als Nischen bezeichnet werden können. Genannt sei hier nur nochmals das Feld der bildenden Kunst oder aber das Engagement innerhalb verschiedener Bürgerrechtsbewegungen. Auf der anderen Seite aber setzten sich einige trotz aller Schwierigkeiten für eine Erneuerung von Architektur und Städtebau, aber auch des Berufsbildes ein. Ein Gesamtergebnis Ein all diese Aspekte verbindendes Gesamtergebnis stellt schließlich die Erkenntnis dar, dass das auf den ersten Blick vor allem politisch gesteuerte Bauwesen der DDR ganz wesentlich auch durch auf verschiedenste Art und Weise Einfluss nehmende fachliche Akteure mit bestimmt war. So kann die DDR mit Mary Fulbrook auch im Bereich von Architektur und Städtebau als „participatory dictatorship“ bezeichnet werden, war doch die (mehr oder weniger eingeschränkte und kontrollierte) Teilha-

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be von Fachleuten am Architektur- und Städtebaudiskurs eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren, aber auch die partielle Weiterentwicklung eines grundsätzlich an parteipolitischen Interessen ausgerichteten Planens und Bauens. Besonders wichtig war dabei, dass es über die auch von politscher Seite erwünschten Rückkopplungsprozesse gelang, jene Defizite, die ein zentralistisch gesteuertes Planungs- und Bauwesen beinahe automatisch mit sich brachte, zumindest teilweise auszugleichen. Das galt beispielsweise für die fachlich-gestalterische Unterfütterung unscharf definierter Leitlinien wie des Bauens der Nationalen Traditionen in den frühen 50er Jahren oder für die Auseinandersetzung mit dem NÖSPL in der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Beobachten lässt sich dieser Mechanismus darüber hinaus aber auch in den politisch und institutionell konsolidierten 70er und frühen 80er Jahren. So waren es damals eine ganze Reihe von auf fachlicher Ebene entwickelten Konzepten, die das Planen und Bauen der DDR vor dem frühzeitigen Erstickungstod durch eine allumfassende Ökonomisierung und Entindividualisierung der Architektenarbeit retteten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang aber auch die die ersten beiden Jahrzehnte prägenden, zunächst eher punktuellen, sich vielfach aber langfristig bemerkbar machenden Interventionsversuche der Architekten. Sie bereicherten und verschoben den vorherrschenden Architekturdiskurs, was sich auf Dauer nicht selten auch in der offiziellen Baupolitik und deren Leitlinien bemerkbar zu machen begann. Das Vorhandensein und die teilweise Wirksamkeit von Rückkopplungsprozessen stellten vor diesem Hintergrund ein wichtiges Lebenselixier der Architektenschaft insgesamt dar. Das Gefühl, eigene fachliche Vorstellungen artikulieren und innerhalb des offiziellen baupolitischen Diskurses platzieren zu können, trug so ganz wesentlich dazu bei, dass sich Architekten und Städtebauer auch nach einem vierzig Jahre lang ,von oben gesteuerten Planen und Bauen noch als professionelle Akteure begreifen konnten und ein entsprechendes berufliches Selbstverständnis aufrechtzuerhalten vermochten. Hatte es die offizielle Baupolitik spätestens seit Mitte der 50er Jahre darauf angelegt, den Architektenberuf dem radikalen industriegesellschaftlichen Konzept einer nach fordistischen Prinzipien ablaufenden Bauproduktion unterzuordnen (Abb. 24), so waren die Rückkopplungsprozesse einerseits Kennzeichen dafür, dass dies nur ansatzweise gelang. Andererseits aber waren sie auch die notwendigen Ventile für eine in ihrem Handeln immer stärker eingeschränkte Architektenschaft. Wichtig ist denn nicht zuletzt auch die Beobachtung, dass die Architekten die weitreichende Richtlinienkompetenz der Baupolitik so lange akzeptierten und sich ihr gegenüber loyal verhielten, wie sie sich in ausreichendem Maße solche Rückkopplungsprozesse zunutze machen und damit auch eigenen professionellfachlichen Interessen gerecht werden konnten. Die Kritik und auch die Renitenz nahm hingegen zu, als die erstarrenden Strukturen der 80er Jahre die Einwirkungsmöglichkeiten der Fachleute noch weiter einzuschränken und bald auch völlig zu

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kappen begannen – obwohl sich fachliche Diskurse parallel weiterentwickelten und Erneuerungsbestrebungen artikuliert wurden. So ist es auch ein zentrales Ergebnis dieser Arbeit, dass es den Architekten eher nachrangig um Befürwortung oder Ablehnung übergreifender institutioneller Rahmenbedingungen des DDR-Architektenberufs ging. Lediglich der zu Beginn der Untersuchung geschilderte Widerstand der freien Architekten gegenüber der mit aller Gewalt vorangetriebenen Vergesellschaftung des Berufsbildes brachte klar zum Ausdruck, dass man sich als unabhängige Künstlerarchitekten, nicht aber als Angestellte des Staates verstanden wissen wollte. Spätestens ab Mitte der 50er Jahre spielten Debatten über die Vergesellschaftung des Berufsbildes jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle und bezogen sich allenfalls  etwa im Falle der Denkschrift des BdA  auf eine Verbesserung der institutionellen sowie strukturellen Bedingungen im volkseigenen Entwurf selbst. Dies mag teilweise der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass die Alternative einer freischaffenden Tätigkeit durch die Politik endgültig diskreditiert worden war und keine berufliche Option mehr darstellte, die Fachleute aber auch spätestens durch den Mauerbau auf ein sehr viel stärker innersystemisches Agieren festgelegt wurden. Festgestellt werden kann aber sicherlich auch, dass die umfassende Vergesellschaftung und das Angestelltenverhältnis, in dem man sich beinahe zwingend einrichten musste, so lange als akzeptabel und weitgehend unproblematisch galt, wie ein eigensinniger Umgang mit politischen Vorgaben, Interventionen, unterschiedliche Modi der strategischen Anpassung und damit auch von fachlich-professionellen Interessen bestimmte Rückkopplungsprozesse möglich waren. Sofern man sich also noch auf irgendeine Art und Weise als handelnder Akteur begreifen konnte, waren Architekten in vielen Fällen durchaus bereit, der erwarteten Unterordnung unter staatliche Strukturen zu entsprechen. In vielerlei Hinsicht hat die Untersuchung somit zeigen können, dass Architekten auf verschiedenste Art und Weise und in unterschiedlichster Intensität aktiv auf Architektur und Städtebau der DDR Einfluss genommen haben. Damit trugen sie wesentlich zum spezifischen Verlauf der DDR-Architekturgechichte bei  auch wenn von der in der Regel sehr viel weitreichenderen und vor allem restriktiveren Wirkungsmacht politischer Leitlinien weder abstrahiert werden kann noch soll. Gerade der Blick auf die Architekten hat jedoch besonders eindringlich deutlich gemacht, dass es in der DDR zum einen keine ,Architektur ohne Politik gab, zum anderen aber auch ebensowenig eine ,Architektur ohne Architekten.

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L ITERATURVERZEICHNIS | 443

Elmar Kossel, Hermann Henselmann und die Moderne. Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR, 2 Bde., Diss. Freie Universität Berlin 2008 (= Kossel) Ilko Sascha Kowalczuk (unter Mitarbeit von Gudrun Weber), 17. Juni 1953 – Volksaufstand in der DDR. Ursachen – Abläufe – Folgen. Mit einem Vorwort von Marianne Birthler und 130 Duo Ton Abbildungen, Bremen 2003 (= Kowalczuk) Gerhard Krenz, „6. bda-bundeskongress: Der Architekt und die Ökonomie“, in: DA 3/1971, S. 134 Ders., 1. Entwurf: Zu einigen Problemen der Architektur und des Städtebaus. Die Aufgaben auf dem Gebiete des Städtebaus und der Architektur, abgedruckt in: Simone Hain, Archäologie und Aneignung, =Regio Nr. 10, Erkner 1996, S. 161-166 Lothar Kühne, „Zur Charakteristik der Architektur“, in: DA 2/1964, S. 126f. Ders., „Über das Verhältnis von Architektur und Kunst. Kritische Reflexionen“, in: DA 2/1968, S. 112f. Ders., „Bedingungen des Monumentalen in der sozialistischen Architektur“, in: DA 4/1969, S. 196f. Ders., Gegenstand und Raum. Über die Historizität des Ästhetischen, = FundusBücher 77/78, Dresden 1981 Ders., Haus und Landschaft, = Fundus-Bücher 97/98, Dresden 1985 Rolf Kuhn, „Bauhaus Dessau – Zentrum für Gestaltung durch experimentelle Forschung, lehre und Kommunikation“, in: AdDDR 8/1988, S. 41f. Anke Kuhrmann, Der Palast der Republik. Geschichte und Bedeutung des OstBerliner Parlaments- und Kulturhauses, Petersberg 2006 (= Kuhrmann) Udo Kultermann, Zeitgenössische Architektur in Osteuropa, Köln 1985 (= Kultermann) Dietmar Kuntzsch, „14. Leistungsvergleich von Diplomarbeiten der Architekturstudenten der DDR“, in: AdDDR 2/1988, S. 34-39 (= Kuntzsch) Konrad Lässig/Rolf Linke/Werner Rietdorf/Gerd Wessel, Straßen und Plätze. Beispiele zur Gestaltung städtebaulicher Räume. Mit einer Einführung von Prof. Dr. e.h. Hans Schmidt, Berlin (Ost) 21970 Wolfgang Lange, „Ressourcenpotenz von Wohngebäuden und Wohngebieten“, in: AdDDR 9/1987, S. 49 Lehrstuhl Denkmalpflege/Lehrstuhl Entwerfen und Bauen im Bestand der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus/Wissenschaftliche Sammlungen des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner (Hgg.), Entwerfen im System - Der Architekt Wilfried Stallknecht, Ausst. Kat. Cottbus/Erkner 2009 (= Lehrstuhl Denkmalpflege) Thomas Lindenberger, Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln 1999

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Lutz Niethammer/Alexander von Plato/Dorothee Wierling (Hgg.), Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. 30 biographische Eröffnungen, Berlin 1991 Marc-Dietrich Ohse, Jugend nach dem Mauerbau. Anpassung, Protest und Eigensinn (DDR 1961-1974), Berlin 2003 o. Verf., „Die Gestaltung des Zentralen Platzes in Neubrandenburg“, in: DA 1/1961, S. 16ff. o.Verf., „Zum Tode von Otto Haesler“, in: DA 6/1962, S. 350f. o. Verf., „Junge Architekten diskutieren mit dem Minister für Bauwesen“, in: DA 3/1963, S. 132 o. Verf., „Die preisgekrönten Entwürfe des Wohnungsbauwettbewerbes 1963“, in: DA 10/1963, S. 593-608 o. Verf., Zweite Bitterfelder Konferenz 1964. Protokoll der von der ideologischen Kommission beim Politbüro des ZK der SED und des Ministeriums für Kultur am 24. und 25. April im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld abgehaltenen Konferenz, Berlin 21964 o. Verf., Wiederabdruck der Charta von Athen, in: AdDDR 2/1979, S. 124f. o. Verf., „Prinzip wiederholt. Gespräch mit Wolf-Rüdiger Eisentraut/Michael Kny“, in: Form und Zweck 5/1987, S. 20 o. Verf., „Die preisgekrönten Entwürfe“, in: AdDDR 3/1990, S. 14-41 Joachim Palutzki, Architektur in der DDR, Berlin 2000 (= Palutzki) Norbert F. Pötzl, Erich Honecker. Eine deutsche Biographie, Stuttgart/München 2002 Uwe Prell/Lothar Wilker (Hgg.), Berlin-Blockade und Luftbrücke 1948-49. Analyse und Dokumentation, Berlin 1987 Henriette von Preuschen, Der Griff nach den Kirchen. Ideologischer und denkmalpflegerischer Umgang mit kriegszerstörten Kirchenbauten in der DDR, Worms 2011 Konrad Püschel, Wege eines Bauhäuslers. Erinnerungen und Ansichten, = Bauhausminiaturen 2, Dessau 1997 Horst Rath, „Architektur als schöpferischer Prozeß“, in: DA 10/1969, S. 581 Lutz Rathenow/Harald Hauswald, Ostberlin. Die andere Seite einer Stadt in Texten und Bildern, München 1987 Peter Richter, Der Plattenbau als Krisengebiet. Die architektonische und politische Transformation industriell errichteter Wohngebäude aus der DDR am Beispiel der Stadt Leinefelde, Dissertation Hamburg 2006 (= Richter) Herbert Ricken, „Neue Probleme der architekturtheoretischen Forschung. Der architektonische Schaffensprozeß und der Architekt“, in: DA 1/1968, S. 45ff. Ders., „Zur Diskussion über die Entwicklung unseres Berufes“, in: DA 11/1968, S. 712f. Ders., „Gedanken zur Geschichte des Architektenberufs“, in: DA 10/1973, S. 580583 u. 11/1973, S. 630-635 (= Ricken 1973)

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Ders., Entwicklungsprobleme des Architektenberufes in der DDR, Berlin 1974 Ders., Der Architekt, Berlin 1977 (= Ricken 1977) Jörg Roesler, Zwischen Plan und Markt. Die Wirtschaftsreformen in der DDR zwischen 1963 und 1970, Freiburg 1990 Ders., Das Neue Ökonomische System (NÖS). Dekorations- oder Paradigmenwechsel?, = Hefte zur DDR-Geschichte 3, Berlin 21994 (= Roesler 1994) Simone Rümmele, Mart Stam, Zürich/München 1991 Martin Sabrow/Rainer Eckert, Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer Debatte, Göttingen 2007 Peter Salomon, Die Geschichte der Mikroelektronik-Halbleiterindustrie in der DDR, Dessau 2003 Verena Schädler, Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR, Regensburg 2013 Andreas Schätzke, Rückkehr aus dem Exil. Bildende Künstler und Architekten in der SBZ und frühen DDR, Berlin 1999 (= Schätzke) Karl-Heinz Schlesier, Halle-Neustadt. Plan und Bau der Chemiearbeiterstadt, Berlin 1972 Hans Schmidt, „Baukastensystem und Architektur“, in: DA 3/1962, S. 170-175 Ders., „Das Problem der Form in der Architekturtheorie“, in: DA 12/1967, S. 752756 Ders., Funktion und Komposition der Stadtzentren. Untersuchungen am Beispiel der Stadtzentren Berlin, Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt, Berlin 1967 Wolfgang Schuster, „Gesellschaftlicher Auftraggeber und bildkünstlerische Konzeption“, in: DA 6/1969, S. 324ff. Tanja Seeböck, Schwünge in Beton. Die Schalenbauten von Ulrich Müther, = Beiträge zur Architekturgeschichte und Denkmalpflege in Mecklenburg und Vorpommern 13, Schwerin 2016 Klaus Sorger, „Gestalterische Qualität und Aufwandssenkung. Beispiele und Gedanken aus der Sicht eines Architekten“, in: AdDDR 1/1988, S. 7 (= Sorger) Günter Stahn, Probleme der räumlichen Umgestaltung großstädtischer Zentrumsbereiche im Prozeß der Herausbildung der sozialistischen Lebensweise, dargestellt am Beispiel der Friedrichstraße in Berlin, Dissertation A, Berlin 1972 Wilfried Stallknecht/Herbert Kuschy/Achim Felz, „Funktionelle und bautechnische Probleme des Versuchsbaus“, in: DA 9/1962, S. 500-509 Ders./Achim Felz, „Die Wohnungsbauserie 70“, in: DA 1/1974, S. 4-14 Wilfried Stallknecht, Gebäudekonzeptionen der Plattenbauweise für die Umgestaltung innerstädtischer Wohnbereiche, Dissertation A Berlin 1978 Fred Staufenbiel, Stadtentwicklung und Wohnmilieu von Halle/S. und HalleNeustadt. Soziologische Studie. Nur für den Dienstgebrauch, Weimar 1985 André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikt zwischen Effizienz- und Machtkalkül, Berlin 1999

L ITERATURVERZEICHNIS | 447

Werner Straßenmeier, „Worüber wir diskutieren sollten. Bericht und Gedanken über einen Vortrag von Georgii Schemjakin, Vizepräsident des Sowjetischen Architektenverbandes, im VEB Berlin-Projekt am 1.11.1962“, in: DA 1/1963, S. 43 Ursula Suter (Hg.), Hans Schmidt 1893-1972. Architekt in Basel, Moskau, BerlinOst. Werkkatalog mit Beiträgen von Bruno Flierl, Simone Hain, Kurt Junghanns, Werner Oechslin und Ursula Suter, Zürich 1993 Wolfgang Thöner (Hg.), Bauhaus-Tradition und DDR-Moderne. Der Architekt Richard Paulick, Ausst. Kat. München/Berlin 2006 (= Thöner) Andreas Tönnesmann, „Politische Architektur“, in: Landesdenkmalamt Berlin/Marlene Kotzur (Hgg.), Denkmalpflege nach dem Mauerfall. Eine Zwischenbilanz. Jahrbuch 1995, =Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin Heft 10, Berlin 1997, S. 129-131 (= Tönnesmann) William J. Tompson, Khrushchev. A political life, Basingstoke 1995 Thomas Topfstedt, „Die nachgeholte Moderne. Architektur und Städtebau in der DDR während der 50er und 60er Jahre“, in: Gabi Dolff-Bonekämper/Hiltrud Kier (Hgg.), Städtebau und Staatsbau im 20. Jahrhundert, München 1996, S. 3954 Ders., „Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten. Architekten in der DDR“, in: Barth (2000), S. 7-23 (= Topfstedt 2000) Helmut Trauzettel, „Das Poetische in der Entwurfsarbeit des Architekten“, in: AdDDR 12/1989, S. 34-37 Dorothea Tscheschner, „Der Wiederaufbau des historischen Zentrums in OstBerlin“, in: Berlinische Galerie (Hg.), Hauptstadt Berlin. Internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb 1957/58, Berlin 1990, S. 217-247 Florian Urban, Berlin/DDR - neo-historisch. Geschichte aus Fertigteilen, Berlin 2007 (= Urban) Wolfgang Urbanski, „Wettbewerb ,Jugendinitiative Berlin, Wettbewerb Greifswalder Straße“, in: AdDDR 12/1979, S. 743f. P. Volodin, „Schlichtheit, Wahrhaftigkeit und harmonische Schönheit in der Architektur“, in: DA 4/1961, S. 227ff. Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1999 (= Weber) Gerd Wehner, Die Westalliierten und das Grundgesetz 1948-1949. Die Londoner Sechsmächtekonferenz, Freiburg 1994 Peter Wensierski/Wolfgang Büscher (Hgg.), Beton ist Beton. Zivilisationskritik aus der DDR, Hattingen 1981 Frank Werner, Stadt, Städtebau, Architektur in der DDR. Aspekte der Stadtgeographie, Stadtplanung und Forschungspolitik, Erlangen 1981 (= Werner) Gabriele Wiesemann, Der Aufbau von Neubrandenburg 1945-1970, Neubrandenburg 1995

448 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Dies., Hanns Hopp 1890-1971. Königsberg, Dresden, Halle, Ost-Berlin. Eine biographische Studie zu moderner Architektur, Schwerin 2000 (= Wiesemann 2000) Kurt Wilde, „Die Formierung der baulich-räumlichen Umwelt und der Beruf des Architekten“, in: DA 6/1969, S. 374ff. Martin Wimmer, „Neue Vorschläge für die architektonische Gestaltung von Wohnungsbauten“, in: DA 4/1963, S. 204 (= Wimmer) Carl-Otto Winkler, „Gedanken zur Verwirklichung der Synthese von Architektur und bildender Kunst“, in: DA 6/1970, S. 326 Christiane Wolf (Hg.), Bruno Flierl. Würdigung eines unabhängigen Denkers in Architektur und Gesellschaft, = Schriftenreihe des Archivs der Moderne der Bauhaus-Universität Weimar 1, Weimar 2007 (= Wolf) Tobias Michael Wolf, Das sozialistische Warenhaus als Bautypus?, 2 Bde., Dissertation TU Dresden 2010 Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 19711989, Berlin 1998 Tobias Zervosen, Der Wiederaufbau des Nikolaiviertels in Ost-Berlin, Magisterarbeit FU Berlin 2006 Ders., „Denkmalpflege und geschichtspolitischer Diskurs“, in: Mark Escherich (Hg.), Denkmal Ost-Moderne. Aneignung und Erhaltung des baulichen Erbes der Nachkriegsmoderne, = Schriftenreihe Stadtentwicklung und Denkmalpflege 16, Berlin 2012, S. 42-49 Manfred Zumpe, „Das Ganghaus mit Wohnungen in verschiedenen Ebenen“, in: DA 5/1964, S. 266-275

Quellenverzeichnis

Akademie der Künste Berlin (AdK Berlin) Nachlass Graffunder Nachlassteil I, Kasten 7/Mappe 1f. Nachlassteil I, Kasten 7/Mappe 3 Nachlassteil I, Kasten 8/Mappe 1 Nachlassteil I, Kasten 8/Mappe8 Nachlassteil I, Kasten 11 Nachlassteil II, Kasten 12/1 Nachlassteil II, Kasten 13/2 Nachlass Henselmann 120-01-211 120-01-212 120-01-293 120-01-539 120-01-560 120-01-634 Nachlass Junghanns Konvolut 13/3 Konvolut 13/10 Konvolut 13/12 Konvolut 13/13 Konvolut 14 Konvolut 15/1 Konvolut 15/2 Konvolut 15/4 Konvolut 15/5 Konvolut 15 A/3 Konvolut 15 B/3

450 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Konvolut 24/Teil II Konvolut 101/2 Konvolut 113 Nachlass Liebknecht AcLbk 14 AcLbk 17 AcLbk 18 AcLbk 33/1 AcLbk 33/2 AcLbk 37 Bundesarchiv Berlin (BArch) Ministerium für Aufbau/Bauwesen DH 1/8071 DH 1/38533 DH 1/38610 DH 1/38672 DH 1/38683 DH 1/38685 DH 1/38754 DH 1/38761 DH 1/38883 DH 1/38905 DH 1/38971 DH 1/39264 DH 1/40044, Teil 2 DH 1/42596 DH 1/42599 DH 1/44176 DH 1/44475 DH 1/44476 DH 1/44477 DH 1/44488 DH 1/44497 DH 1/44604 DH 1/45001 DH 1/45008 DH 1/45020

Q UELLENVERZEICHNIS | 451

Ministerrat der DDR DC 20/I/3 700 DC 20/I/4 738 DC 20/I/4 945 DC 20/I/4 1042 DC 20/I/4 1973 DC 20/I/4 4018 Nachlass Kosel N 2504/124 N 2504/129 N 2504/169 N 2504/235 N 2504/423 N 2504/528 N 2504/529 Nachlass Ulbricht NY 4182/1031 Staatssekretariat/Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen DR 3/1. Schicht/173 DR 3/1. Schicht/2452 DR 3/1. Schicht/4783 DR 3/1. Schicht/4813 DR 3/1. Schicht/4919 DR 3/1. Schicht/5125 DR 3/1. Schicht/5501 DR 3/1. Schicht/5504 DR 3/1. Schicht/6224 DR 3/1. Schicht/6225 DR 3/2. Schicht/715 DR 3/2. Schicht/828 DR 3/2. Schicht/829 DR 3/2. Schicht/831 DR 3/2. Schicht/832

452 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

IRS Erkner, Wissenschaftliche Sammlungen (IRS) Bestände Bund Deutscher Architekten/Bund der Architekten der DDR BdA 4I BdA 4IIa BdA 4.3 BdA 5IIa BdA 5IIb BdA 14II BdA 14IV BdA 15I BdA 16/4 BdA 20III BdA 60II BdA 60V BdA 85III BdA 86I BdA-Aufnahmeanträge 39/5046 (Waldemar Alder) 14/1290 (Joachim Bach) 21/2204 (Wulf Brandstädter) 01/0090 (Edmund Collein) 01/0102 (Ludwig Deiters) 39/5108 (Franz Ehrlich) 54/6243 (Christian Anton Enzmann) 55/6251 (Bernd Ettel) 24/2616 (Dietmar Fischer) 02/0173 (Bernhard Geyer) 02/0177 (Ehrhardt Gißke) 03/0247 (Benny Heumann) 04/0284 (Dietrich Kabisch) 04/0347 (Roland Korn) 04/0348 (Gerhard Kosel) 05/0450 (Walter Mickin) 06/0513 (Walter Pisternik) 41/5282 (Johannes Rascher) 41/5290 (Heinrich Rettig) 06/0556 (Herbert Ricken) 06/0561 (Werner Rietdorf) 70/7156 (Adolf Christian Schädlich) 07/0641 (Werner Schneidratus)

Q UELLENVERZEICHNIS | 453

17/1742 (Joachim Stahr) 07/0698 (Helmut Stingl) 07/0701 (Jörg Streitparth) 08/0765 (Klaus Weißhaupt) 08/0788 (Martin Lothar Wimmer) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen (SAPMO) Bund Deutscher Architekten/Bund der Architekten der DDR DY 15/1 DY 15/3 DY 15/4 DY 15/5 DY 15/10 DY 15/11 DY 15/14 DY 15/15 DY 15/17 DY 15/18 DY 15/19 DY 15/20 DY 15/21 DY 15/25 DY 15/26 DY 15/27 DY 15/28 DY 15/31 DY 15/32 DY 15/33 DY 15/34 DY 15/36 DY 15/37 DY 15/38 DY 15/39 DY 15/40 DY 15/41 DY 15/42 DY 15/43 DY 15/44 DY 15/46 DY 15/47 DY15/48

Abbildungen

456 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Abbildung 1: Titelbild der Zeitschrift archplus, April 1990

Abbildung 2: Wilhelm Pieck beruft Kurt Liebknecht zum DBA-Präsidenten, Dezember 1951

A BBILDUNGEN | 457

Abbildung 3: Walter Ulbricht bei der Erläuterung des Modells Weberwiese, 10.12.1951

Abbildung 4: Hermann Henselmann mit dem Modell eines Kapitells für die Bauten am Strausberger Platz (Sommer 1953)

458 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Abbildung 5: Entwurfszeichnung Hermann Henselmanns für das Hochhaus an der Weberwiese

Abbildung 6: Hermann Henselmann, Zeichnung des Strausberger Platzes, 1952

A BBILDUNGEN | 459

Abbildung 7: Hermann Henselmann, Nordöstliche Bebauung am Frankfurter Tor

Abbildung 8: Stalinstadt, Durchgänge an Bauten von Rudolf Nitzschke (unter Chefarchitekt Josef Kaiser), 1953-54 (links), 1954 (rechts)

460 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Abbildung 9: Hans Gericke, Gerhard Kosel und Walter Ulbricht (Dezember 1963)

Abbildung 10: Anbringung vorgefertigten Fassadenschmucks in Moskau, Gemälde

A BBILDUNGEN | 461

Abbildung 11: Wohnbauten in Hoyerswerda, 1956/57 (Entwurfsbüro für Hochbau Cottbus)

Abbildung 12: Entwurf für ein Hochhaus im Wohnkomplex Friedrichshain, Josef Kaiser, 1956

462 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Abbildung 13: Kollektiv Wolf-Rüdiger Eisentraut, Handelshaus in BerlinHohenschönhausen, Modell

Abbildung 14: 14. Leistungsvergleich von Diplomarbeiten der Architekturfakultäten der DDR, Preis für Laszlo Novotny, Thema: Planen mit dem Ort – Pecsvárad (Ungarn), Mentoren: Prof. Dr. Kurt Lembcke, Dr. Dieter Salzmann (HAB Weimar)

A BBILDUNGEN | 463

Abbildung 15: Hermann Henselmann bei Aufräumarbeiten in Berlin, Anfang 50er Jahre

Abbildung 16: Der Architekt Karl Souradny

464 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Abbildung 17: Christian Enzmann/Bern ernd Ettel, Entwurf für den Berliner Bersarinplatz tz (1984)

Abbildung 18: Entwürfe für de den Ideenwettbewerb Innenstadt Le Leipzig

A BBILDUNGEN | 465

Abbildung 19: Der zweite Bauabschnitt der Stalin- bzw. Karl-Marx-Allee, Luftbild

Abbildung 20: Zentraler Bereich des zweiten Bauabschnitts der Stalin- bzw. Karl-Marx-Allee

466 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Abbildung 21: Kollektiv Emil Leibold/Hanno Walther/Herbert Boos, Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, Berlin

Abbildung 22: Kollektiv Roland Korn, Staatsratsgebäude, Berlin, 1961-64

A BBILDUNGEN | 467

Abbildung 23: Günter Stahn, Pionierpalast Ernst Thälmann, Berlin, 1976-79

Abbildung 24: Industrieller Wohnungsbau, Einbau einer vorgefertigten Zelle mit Bad und Küche

468 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

Abbildung 25: Gaststättenkomplex im Wohngebiet Greifswalder Straße, Berlin, Wiederverwendungsprojekt

Abbildung 26: Schwimmhalle Wein-/Ecke Höchste Straße, Berlin, Wiederverwendungsprojekt

Abbildungsnachweise

Abb. 1: archplus, 4/1990, Titelbild Abb. 2: Herbert Nicolaus/Alexander Obeth, Die Stalinallee. Geschichte einer deutschen Straße, Berlin 1997, S. 79 Abb. 3: Jörn Düwel, Baukunst voran! Architektur und Städtebau in der SBZ/DDR. Mit einem Essay von Werner Durth, S. 139 Abb. 4: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 118 Abb. 5: Thorsten Scheer/Josef Paul Kleihues/Paul Kahlfeldt (Hgg.), Stadt der Architektur Architektur der Stadt. Berlin 1900-2000, Berlin 2000, S. 261 Abb. 6: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 11 Abb. 7: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 390 Abb. 8: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 518 Abb. 9: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 487 Abb. 10: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 463 Abb. 11: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 546 Abb. 12: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 1, S. 513 Abb. 13: Architektur der DDR, 2/1986, S. 85 Abb. 14: Architektur der DDR, 2/1988, S. 37 Abb. 15: Wolfgang Schäche (Hg.), Hermann Henselmann. „Ich habe Vorschläge gemacht“, Berlin 1995, S. 112 Abb. 16: Herbert Nicolaus/Alexander Obeth, Die Stalinallee. Geschichte einer deutschen Straße, Berlin 1997, S. 219 Abb. 17: Thorsten Scheer/Josef Paul Kleihues/Paul Kahlfeldt (Hgg.), Stadt der Architektur Architektur der Stadt. Berlin 1900-2000, Berlin 2000, S. 347 Abb. 18: Architektur der DDR, 3/1990, S. 17

470 | A RCHITEKTEN IN DER DDR Abb. 19: Durth/Düwel/Gutschow, Bd. 2, S. 409 Abb. 20: Herbert Nicolaus/Alexander Obeth, Die Stalinallee. Geschichte einer deutschen Straße, Berlin 1997, S. 280 Abb. 21: Gerhard Krenz, Architektur zwischen gestern und morgen. Ein Vierteljahrhundert Architekturentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik, Stuttgart 1975, S. 47 Abb. 22: Roland Korn/Klaus Weise, Berlin. Bauten unserer Tage, Berlin 1985, S. 76 Abb. 23: Adalbert Behr, Bauen in Berlin 1973 bis 1987, Leipzig 1987, S. 117 Abb. 24: Gerhard Krenz, Architektur zwischen gestern und morgen. Ein Vierteljahrhundert Architekturentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik, Stuttgart 1975, S. 113 Abb. 25: Roland Korn/Klaus Weise, Berlin. Bauten unserer Tage, Berlin 1985, S. 131 Abb. 26: Roland Korn/Klaus Weise, Berlin. Bauten unserer Tage, Berlin 1985, S. 22

Abkürzungsverzeichnis

BDA/BdA: Bund Deutscher Architekten/Bund der Architekten der DDR BuV: Bundesvorstandssitzung DA/AdDDR: Deutsche Architektur/Architektur der DDR (Zeitschrift) DBA/BA: Deutsche Bauakademie/Bauakademie der DDR DWK: Deutsche Wirtschaftskommission FDGB: Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ: Freie Deutsche Jugend HA: Hauptabteilung HV: Hauptverwaltung IG: Industriegewerkschaft ISA: Institut für Städtebau und Architektur ITG: Institut für Theorie und Geschichte IVWSR: Internationaler Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung KdT: Kammer der Technik MfA/MfB: Ministerium für Aufbau/Ministerium für Bauwesen MfHuF: Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen MfK: Ministerium für Kultur ND: Neues Deutschland (Zeitung) NKFD: Nationalkomitee Freies Deutschland NÖSPL: Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung ÖSS: Ökonomisches System des Sozialismus SBZ: Sowjetische Besatzungszone SfHuF: Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen SMAD: Sowjetische Militäradministration SPK: Staatliche Plankommission TGL: Technisch-gestalterische Leitlinien UIA: Union Internationale des Architectes VBK: Verband Bildender Künstler der DDR

472 | A RCHITEKTEN IN DER DDR

WBI: Weiterbildungsinstitut WBS: Wohnungsbauserie ZK: Zentralkomitee

Architekturen Eduard Heinrich Führ DIE MAUER Mythen, Propaganda und Alltag in der DDR und in der Bundesrepublik August 2017, ca. 352 Seiten, Hardcover, durchgehend vierfarbig bebildert, 24,99 €, ISBN 978-3-8376-1909-6

Gianenrico Bernasconi, Thomas Hengartner, Andreas Kellerhals, Stefan Nellen (Hg.) Das Büro Zur Rationalisierung des Interieurs, 1880-1960 März 2017, ca. 330 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2906-4

Karl R. Kegler, Anna Minta, Niklas Naehrig (Hg.) RaumKleider Verbindungen zwischen Architekturraum, Körper und Kleid Dezember 2016, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3625-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

2016-07-19 14-53-44 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0176435324318058|(S.

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3) ANZ3390.p 435324318066

Architekturen Susanne Hauser, Julia Weber (Hg.) Architektur in transdisziplinärer Perspektive Von Philosophie bis Tanz. Aktuelle Zugänge und Positionen 2015, 402 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2675-9

Alexander Gutzmer Architektur und Kommunikation Zur Medialität gebauter Wirklichkeit 2015, 138 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3269-9

Susanne Hauser, Christa Kamleithner, Roland Meyer (Hg.) Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften Bd. 2: Zur Logistik des sozialen Raumes 2013, 448 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1568-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

2016-07-19 14-53-44 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0176435324318058|(S.

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3) ANZ3390.p 435324318066