Material Design: Materialität in der Architektur 9783034611817, 9783034600347

An approach at the world of materials The approach of "Informing Architecture by Materiality" opens the way

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Material Design: Materialität in der Architektur
 9783034611817, 9783034600347

Table of contents :
Warum Material Design? Vorwort von Erwin Viray
Der alternative Ansatz: Beobachten, Spekulieren, Experimentieren
Der Zusammenhang von Entwurf und Material
Materialstudien in der Praxis
Neue Materialien: Die Rolle der Architekten
Kultur und handwerkliche Qualität
Technologie, Repräsentation, Kommunikation
Inhärenter Ausdruck: Ein umfassenderes Verständnis der Potenziale von Materialien
Maßstabslose Entwurfs-und Materialprozesse
Anmerkungen
Eine schwierige Synthese
Einführung: Sprache und Überschuss
Ein Fachgebiet auf der Suche nach einem Medium
Jenseits des Papiers: Rückgewinnung materialbezogener Handlungsfähigkeit
Vorgaben, Beschränkungen und Intentionen
Digitale Forschung
Die Kunst des Verdeckens
Performance und ihre Dilemmas
Eine schwierige Synthese
Anmerkungen
Zusammenfügung
Tektonik
Das architektonische Gebilde: Konstellationen von Teil und Ganzem
Musterfindung und das Problem der Ecke
Zwei- und dreidimensionale Muster
Fazit
Verbindungen und Anschlüsse
Die Rolle der Detaillierung im Entwurfsprozess
Struktur und Form architektonischer Verbindungen
Komplexitätsgrade von Verbindungstechniken in den USA und Japan
Grenzen der Darstellung: Utzon und Gehry
Anmerkungen
Weben: Die Tektonik von Textilien
Die Webtechnik
Eine neue Auffassung der Oberfläche
Innovationen und Anwendungen technischer Textilien
Technologietransfer: Vom Bootskörper zur Architektur
Anmerkungen
Modulation: Transformation durch Formgebung und Strukturierung
Modulation modulieren
Modulation des Geformten
Modulation des Gestaltlosen
Von der Technik zur Architektur
Anmerkungen
Das Einfangen des Ephemeren
Volumetrisches Licht
Latenz
Das Erweitern der Grenze zwischen innen und außen
Transparenz, Reflexion, Refraktion
Reaktive Flächen
Anbindung an natürliche Vorgänge
Reaktive Materialien
Neue Materialien, neue Modelle der Praxis
Hybridmaterialien
Entwerfen mit der vierten Dimension
Die Macht der Vielen
Reaktive Systeme: Potenziale für neue Praktiken des Umweltbezugs
Grenzen erweitern
Interaktive Medien: Innovative Entwurfsstrategien für die Umwelt
Anmerkungen
Materialisierungen der Nanotechnologie in der Architektur
Vier innovative Ansätze für Nanotechnologie in der Architektur
Nachahmung natürlicher Prozesse
Anwendungen in der Praxis
Experimentelle Studien
Visionäre Projekte
Anmerkungen
Kodierung: Digitale und analoge Taxonavigation
Neusein
Gattung: Unklassifizierbar
Materialsammlungen
Analog
Digital
1 : 1
Anmerkungen
Die Zukunft von Material Design
Materialtechnologien
Entwurfsmethoden
Problemlösung als Konzept: Risiken und Chancen
Anmerkungen
Anhang
Über den Autor und die Beiträger
Namenregister
Sachregister
Bildnachweis

Citation preview

Material Design Materialität in der Architektur

Thomas Schröpfer

Material Design Materialität in der Architektur

Mit einem Vorwort von Erwin Viray

und Beiträgen von James Carpenter Justin Fowler Sheila Kennedy Elizabeth Lovett Liat Margolis Toshiko Mori Nader Tehrani Peter Yeadon

Birkhäuser Basel

Layout, Covergestaltung und Satz: Yoshiki Waterhouse, Cambridge / New York Übersetzung der Beiträgertexte: Thomas Schröpfer unter Mitwirkung von Johannes Kohnle, Cambridge Redaktion: Andreas Müller, Berlin Wir danken der Harvard University Graduate School of Design für die großzügige Unterstützung dieser Publikation. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen (ISBN 978-3-0346-0035-4). © 2011 Birkhäuser GmbH Basel Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Ein Unternehmen von ActarBirkhäuser Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Spain ISBN 978-3-0346-0034-7 987654321 www.birkhauser.com

Inhalt

Warum Material Design? Vorwort von Erwin Viray

8

Der alternative Ansatz: Beobachten, Spekulieren, Experimentieren Thomas Schröpfer

10

Der Zusammenhang von Entwurf und Material Materialstudien in der Praxis Neue Materialien: Die Rolle der Architekten Kultur und handwerkliche Qualität Technologie, Repräsentation, Kommunikation Inhärenter Ausdruck: Ein umfassenderes Verständnis der Potenziale von Materialien Maßstabslose Entwurfsund Materialprozesse Anmerkungen

12 14 19 22 24

Eine schwierige Synthese Nader Tehrani

34

Einführung: Sprache und Überschuss Ein Fachgebiet auf der Suche nach einem Medium Jenseits des Papiers: Rückgewinnung materialbezogener Handlungsfähigkeit Vorgaben, Beschränkungen und Intentionen Digitale Forschung Die Kunst des Verdeckens Performance und ihre Dilemmas Eine schwierige Synthese Anmerkungen

34 34 36 39 40 41 43 44 47

25

Zusammenfügung Nader Tehrani und Justin Fowler

48

32

Tektonik Das architektonische Gebilde: Konstellationen von Teil und Ganzem Musterfindung und das Problem der Ecke Zwei- und dreidimensionale Muster Fazit

48 48

33

51 52 61

Verbindungen und Anschlüsse Thomas Schröpfer und Elizabeth Lovett

62

Modulation: Transformation durch 88 Formgebung und Strukturierung Thomas Schröpfer

Die Rolle der Detaillierung im Entwurfsprozess Struktur und Form architektonischer Verbindungen Komplexitätsgrade von Verbindungstechniken in den USA und Japan Grenzen der Darstellung: Utzon und Gehry Anmerkungen

62

68

Modulation modulieren Modulation des Geformten Modulation des Gestaltlosen Von der Technik zur Architektur Anmerkungen

88 94 97 102 105 106

68

Das Einfangen des Ephemeren James Carpenter Volumetrisches Licht Latenz Das Erweitern der Grenze zwischen innen und außen Transparenz, Reflexion, Refraktion Reaktive Flächen Anbindung an natürliche Vorgänge

106 108 111

65

75

Weben: Die Tektonik von Textilien 76 Toshiko Mori Die Webtechnik Eine neue Auffassung der Oberfläche Innovationen und Anwendungen technischer Textilien Technologietransfer: Vom Bootskörper zur Architektur Anmerkungen

76 79 80 83 87

112 112 117

Reaktive Materialien Sheila Kennedy

118

Neue Materialien, neue Modelle der Praxis Hybridmaterialien Entwerfen mit der vierten Dimension Die Macht der Vielen Reaktive Systeme: Potenziale für neue Praktiken des Umweltbezugs Grenzen erweitern Interaktive Medien: Innovative Entwurfsstrategien für die Umwelt Anmerkungen

118 118 118 120 120 121 121 131

Materialisierungen der Nanotechnologie in der Architektur Peter Yeadon

132

Vier innovative Ansätze für Nanotechnologie in der Architektur Nachahmung natürlicher Prozesse Anwendungen in der Praxis Experimentelle Studien Visionäre Projekte Anmerkungen

132 132 136 139 142 147

Kodierung: Digitale und analoge Taxonavigation Liat Margolis

148

Neusein Gattung: Unklassifizierbar Materialsammlungen Analog Digital 1:1 Anmerkungen

148 154 155 158 160 161 163

Die Zukunft von Material Design Thomas Schröpfer

164

Materialtechnologien Entwurfsmethoden Problemlösung als Konzept: Risiken und Chancen Anmerkungen

164 171 181 185

Anhang Über den Autor und die Beiträger Namenregister Sachregister Bildnachweis

186 188 190 192

Warum Material Design? Vorwort von Erwin Viray

Phänomene existieren in der materiellen Welt. Materialien machen Gedanken greifbar. Architektur wird durch physische Komponenten, durch Materialien bestimmt. Materialien sind die Substanz der Dinge. Und es gibt keine Möglichkeit, sich ohne Sprache mitzuteilen – Sprache, die in einem bestimmten Medium geschaffen wird. Ausdruck ist nur mit jeweils bestimmten Materialien möglich. Realität nehmen wir durch Materialität wahr, durch die Realität von Materialien. In seinen Ausführungen zur Kraft des Geistes schrieb der französische Dichter und Philosoph Paul Valéry in seiner „Einführung zur Methode des Leonardo da Vinci“: „Konstruieren spielt sich zwischen einem Vorsatz oder einer eindeutig bestimmten Schau und den zu ihrer Verwirklichung gewählten Materialien ab. Man setzt eine Ordnung an die Stelle einer anderen ursprünglichen, was für Gegenstände man auch ordnen mag. Es sind Steine, Farben, Worte, Begriffe, Menschen usw.; ihre Eigenbeschaffenheit verändert nicht die allgemeinen Bedingungen jener Art von Musik, in der sie vorerst – um im Bilde zu bleiben – nur die Rolle der Klangfarbe spielt. Erstaunlich ist oft der Eindruck von Richtigkeit und Zweckdienlichkeit bei menschlichen Konstruktionen, die aus anscheinend unvereinbaren Gegenständen zusammengefügt sind, als hätte der Meister, der die Anordnung vornahm, geheime Wahlverwandschaften in ihnen entdeckt.“1 „Das Bauwerk (Kompositionselement der Civitas, auf der nahezu die gesamte Zivilisation beruht) ist ein derart vielseitiges Gebilde, dass unser Erkennen nacheinander eine Reihe von Bestimmungen von ihm abschält: zunächst ist es ein Zierstück, das sich auf wechselnde Art mit dem Himmel verbindet, dann ein überaus dichtes Motivgewebe nach Höhe, Breite und Tiefe, das sich durch die Perspektive bis ins Unendliche abwandelt; dann ein festes, widerständiges, kühnes Ganzes mit den Merkmalen eines Lebewesens: eine gliedhafte Unterteilung, ein Knochengerüst und schließlich ein Mechanismus, dessen Agens die Schwere ist und bei dem geometrische Erwägungen in die Dynamik übergeführt werden, bis hin zu den subtilsten Spekulationen der Molekularphysik, für deren Theorien und darstellende Strukturmodelle es das Vorbild abgibt. Im Medium des Bauwerks, oder vielmehr in jenen imaginären Bauelementen, die in der Phantasie geschaffen und deren

verschiedene Bedingungen aufeinander abgestimmt werden: die Zweckmäßigkeit des Baus auf seine Standfestigkeit, seine Verhältnisse auf den Standort, seine Form auf den Stoff, wobei jede dieser Bedingungen mit sich selber in Einklang gebracht wird: seine Millionen wechselnder Ansichten, seine Gewichtsverteilung, das Verhältnis seiner drei Dimensionen, - in all dem lässt sich die Klarheit einer Geistestätigkeit wie derjenigen Leonardos am ehesten nachschaffen. Dieser Geist kann sich in die Sinneseindrücke des Menschen versetzen, der um das Bauwerk herumgeht, darauf zutritt, an einem Fenster erscheint, sowie in das, was er von dort aus wahrnimmt …“2 Materialität ist eng mit architektonischem Raum assoziiert: „Das Wesen aus Stein hat sein Dasein im Raum: was wir Raum nennen, steht in Zusammenhang mit jeder Art von Baugedanken; der architektonische Bau interpretiert den Raum und gibt Anlaß zu Hypothesen über seine Wesensart, Hypothesen, die insofern besonderen Charakters sind, als das Gebäude sowohl und gleichzeitig ein Gleichgewicht aus Baustoffen im Sinne der Schwerkraft darstellt, ein sichtbares statisches Gefüge, als auch im Innern jedes einzelnen dieser Stoffe ein anderes Gleichgewicht, das molekular und nur wenig bekannt ist. Wer einen Bau entwirf, stellt sich zunächst die Schwere vor und betritt unmittelbar danach das dunkle Reich der Atome.“3 Und daher kann ein Architekt als jemand beschrieben werden, der Materialien nicht loslassen kann4 – Materialien verstanden als eine Erweiterung von Körper und Gewebe. Einfach gesagt, ein Architekt kann Materialien nicht aufgeben. Würde er das tun, wäre er kein Architekt. Die Aufgabe eines Architekten ist es daher, wie Rafael Moneo es formuliert, ein Bewusstsein von Materialien zu haben, „Techniken aufzugreifen und Baumethoden zu benutzen, um einen Prozess zu beginnen, der mit einer formalen Idee anfängt und bei Architektur endet; Architekt sein bedeutete daher traditionell ein Bauender sein; das heißt anderen zu erklären, wie man baut. Das Wissen (wenn nicht die meisterliche Beherrschung) der Bautechniken war immer Bestandteil des Gedankens, Architektur zu schaffen… Die Erfindung von Form ist immer auch die Erfindung ihrer Konstruktion.“5 Architekt zu sein bedeutet Vermittler zu sein, Bindeglied zwischen Ideen und Materialien. Diese Rolle eines Mittelsmannes erfordert mehr als einfaches Fragen, es erfordert gründliches Erkunden und Forschen: ein Erkunden, was aus Materialien herauszuholen ist, was hinzugefügt werden kann, 8

was Materialien aushalten können, was sie verbergen, abgeben, behalten, simulieren und zu guter Letzt, was sie schaffen und was sie zerstören können. Die Gegenüberstellung der unendlichen Vielfalt der Vorstellungen mit einer Vielzahl an Substanzen und Materialien kann eine Verschiebung von Akzenten bewirken, etwas aus der Balance bringen, die immer gleiche Sicht auf Dinge verändern, um Möglichkeiten zu finden, die in Materialien liegen und erlauben, eine Materialität der Möglichkeiten zum Vorschein zu bringen.

Anmerkungen 1. Valéry, Paul. „Einführung in die Methode des Leonardo da Vinci.“ In Valéry, Paul, Leonardo. Drei Essays. Übertragen von Karl August Horst, Frankfurt am Main: Insel-Verlag, 1960. S. 59-60. 2. Ibid. S. 71-72. 3. Ibid. S. 75. 4. Tøjner, Poul Erik. “Struggle Against Style.” In Sigmar Polke – Alchimist. Humlebæk: Louisiana Museum of Modern Art, 2001. S. 38. 5. Moneo, Rafael. “The Solitude of Buildings”, Kenzo Tange Lecture, Gedenkvorlesung gehalten an der Graduate School of Design der Harvard University anlässlich der Übernahme der Leitung des Department of Architecture am 9. März 1985. In: Casamonti, Marco. Rafael Moneo (Minimum Series). Mailand: Motta, 2009. S. 90. 6. Serres, Michel. Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998. S. 20.

Material Design, Entwerfen materiell denken, ist eine Methode, die einen bestimmten Weg verfolgt; das Einfangen von flüchtigen Phänomenen, von Zuständen des Übergangs, von konstantem Wechsel durch Materialien, das Stellen von Fragen, die gestellt werden müssen, wenn wir Theorie wissen und Praxis leben wollen, im Bösen und im Guten, im Entwurfsdenken und in der Architekturproduktion. Die Haut ist die Materialschicht, in der sich Seele und Welt mischen, die „in steter Veränderung begriffene, die wogende, die flüchtige Seele, gerieft und changierend, getigert, gestreift, buntscheckig, chiniert, unruhig, fleckig, farbenprächtig, buntschillernd, wild wirbelnd und strudelnd …“6 Die Haut, Wunsch reiner Berührung, ermöglicht den Zugang zu Information; sie ist ein weiches Korrelat dessen, was einst als Intellekt bezeichnet wurde. Material und Entwurfsdenken manifestieren sich in der Berührung der Haut. Material Design ist eine innere Haltung. Ein tieferes Lernen, bei dem man sein erstes verlernt. Eine Einstellung. Fragen. Inspirieren: denken, tun und schaffen. Dieses Buch möchte dieser Haltung dienen. Erwin Viray Singapur, Juli 2010

9

Der alternative Ansatz Beobachten, Spekulieren, Experimentieren

Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit FXFOWLE Architects, New York Times Building, New York, New York, USA, 2007, Detail Ansicht.

Thomas Schröpfer

Architekten haben nur selten die Möglichkeit, unmittelbar mit den Objekten ihrer Entwürfe umzugehen. Während andere Künstler direkt mit Materialien arbeiten, tun Architekten das abstrakt. Sie stellen sie dar und entscheiden über die Art und Weise ihrer Verwendung, aber sie mauern normalerweise keine Wände. Doch alle wahrnehmbaren Qualitäten, welche Architekten in ihren Entwürfen zu vermitteln versuchen, hängen letzlich von deren Manifestation in gebauter Form ab. Der Entwurf kann diese Materialeigenschaften unterstreichen, er setzt ihnen aber auch Grenzen. Wie sehr Architekten auch versuchen, in ihren Entwürfen zu abstrahieren und sich von konkreten Fragen nach Materialien zu distanzieren, sind es letztlich doch diese, durch die sich die architektonische Idee darstellt. Ein sensibles Materialverständnis vermittelt deshalb immer mehr als nur die Umsetzung von Entwurfsideen durch die Mittel des Bauenden. Es ermöglicht sowohl neue Interpretationen der Verhältnisse der Teile zum Ganzen als auch das Herstellen neuer Gesamtbeziehungen, organisatorischer Zusammenhänge und phänomenologischer Effekte. Ein sensibler Umgang mit Materialien in verschiedenen Maßstäben, vom Architekturdetail bis zum Städtebau, vermag deshalb auch immer ein zeitgemäßes Verständnis unserer gebauten Umwelt in Bezug auf ihre Komponenten und deren Verbindung zu vermitteln.

Materialentwicklung basieren. Beobachtung, Spekulation und Experiment als Vorgehensweise können Entwerfern ihre Intentionen im Umgang mit Materialien bewusst machen und auf diese Weise die Entwürfe befördern. Eine solche Herangehensweise vermag die Grenzen zu erweitern, wie eine Idee gebaut werden kann, und sie kann der Auseinandersetzung mit Materialfragen eine ganz neue Wendung geben. Eine Unterscheidung in Theorie und Praxis der Materialien ist damit nicht mehr sinnvoll, wenn sie es denn je war.

Im Diskurs der Architektur waren Fragen nach der Rolle von Materialien oftmals mit solchen nach dem Verhältnis der Gesamtform zur Tektonik verbunden. Soll die Materialverwendung einer übergeordneten formalen Idee unterworfen werden oder einer den Materialien innewohnenden „Natur“ folgen? Besonders in Zeiten großer technologischer Fortschritte und rasanter Materialentwicklungen wird diese Rolle hinterfragt. In einer solchen Zeit befinden wir uns heute. Doch anstatt sich auf unfruchtbare Auseinandersetzungen einzulassen und sich auf eines der Lager festzulegen, verfolgt das vorliegende Buch einen alternativen Ansatz des Verhältnisses von Architektur und Material. Durch die unmittelbare Erfahrung und den direkten Blick auf Materialien und ihre Eigenschaften können Entwerfer neue Einsichten in Bezug auf deren formale, konzeptionelle und expressive Potenziale gewinnen. Die direkte Auseinandersetzung mit Materialien weist den Weg zu ihrer gezielten Verwendung. Der Leitgedanke ist die je einzigartige Kombination aus dem Potenzial des Materials und der Intention des Entwurfs. Damit kann der architektonische Diskurs über die veraltete Opposition zwischen Form und tektonischem Aufbau ebenso hinausgeführt werden wie über modische Trends, welche auf der jeweils aktuellen 10

11

Pei Cobb Freed & Partners, John Hancock Tower, Boston, Massachusetts, USA, 1976, Ansicht.

Der Zusammenhang von Entwurf und Material Weder Stein noch Glas besitzen irgendeine Essenz oder „Wahrheit“, noch ist das ein oder andere Material besonders zeitgemäß. Alles beruht auf der Art und Weise, wie Materialien geformt und transformiert werden, wie sie werden, was sie zuvor nicht waren, wie sie über sich hinaus gehen. – David Leatherbarrow1 Die Positionen von Architekten zum Material sind immer auch eine Reflexion ihrer Wahrnehmung der Welt und ihres Platzes darin. Ihre Positionen sollten mit Bedacht entwickelt werden. Oftmals ändern sie sich im Lauf der Zeit, indem sich die Beziehung des Entwerfers zu einem bestimmten Material weiterentwickelt. Dies geht nicht notwendigerweise auf das Material selbst zurück, sondern kann andere gesellschaftliche Wahrnehmungen betreffen und in einem Material ein abstraktes Konzept widerspiegeln, welches in gebaute Form übersetzt wird. Material hat die Fähigkeit, konzeptionelle Bedeutung sowohl zu vermitteln als auch in sich aufzunehmen. Ein bloßes Katalogisieren von Materialprodukten und ihren Anwendungen kann daher der Rolle von Material in der Umsetzung entwerferischer Ideen nicht gerecht werden. In seinem Essay „Material Matters“ beschreibt David Leatherbarrow, wie das Studium von Material im urbanen Maßstab eine Schlüsselstellung für unser Stadtverständnis jenseits der Kategorien von Geschichte und Zukunft einnimmt.2 Mit der Wahl eines Materials bezieht der Entwerfer Position, und ebenso mit der Art und Weise, wie es verarbeitet wird, um einer bestimmten gestalterischen Absicht zu genügen. Jean Nouvel nennt in einem Vortrag von 1998, den Leatherbarrow anführt, die Materialwahl des Architekten als Beispiel für sein umfassenderes Verständnis der Gesellschaft. Nouvel spricht sich darin für ein „non-image“ aus, für den Verzicht auf Bildhaftigkeit zugunsten einer Kontinuität zwischen gebauter und natürlicher Umwelt. Für ihn ist das Material Glas immateriell und dazu geeignet, zuvor unüberwindliche Grenzen aufzulösen. Neue Herstellungstechniken ermöglichen größere Spannweiten und den Einsatz großer Glasflächen. Für Nouvel sind sie ein Beleg dafür, dass eine Auflösung von Grenzen auch auf gesellschaftlicher Ebene gewünscht ist. Glas ist ein gutes Beispiel für diese Art von Materialverständnis, da seine Verwendung umfassende phänomenologische Effekte ermöglicht. Die Transparenz des Materials basiert dabei sowohl auf der Art, wie es dem Licht ausgesetzt ist, in welchem Winkel es verbaut wird, als auch auf der Methode seiner Herstellung. 12

Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit FXFOWLE Architects, New York Times Building, Detail Schnitt.

Die Materialität oder Immaterialität von Glas hängt von vielen Faktoren ab, beginnend mit der ihm zugrunde liegenden chemischen Zusammensetzung, der Art und Weise seiner Installation, und letztlich der Umweltsituation zu dem Zeitpunkt, an dem es wahrgenommen wird. Obwohl Glas bereits seit der Bronzezeit bekannt ist, haben die Probleme bei Produktion, Transport und in puncto Zerbrechlichkeit dazu geführt, dass es für die Architektur bis zum 19. Jahrhundert nicht großflächig zum Einsatz kam. Das änderte sich erst durch den umfassenden Einsatz von Eisen als Baumaterial. Joseph Paxtons berühmte Ausstellungshalle wurde zu einem wegweisenden Projekt für die flüchtigen Qualitäten von Glas. Die Entwicklung von Floatglas im Jahr 1959 führte zu einer großen Produktionssteigerung. Parallel zum immer großflächigeren Einsatz des Materials in der Architektur wurden auch seine Eigenschaften verbessert. Es gelang unter anderem, Glas weniger zerbrechlich und mehr oder weniger reflektierend herzustellen. Die Transparenz von Glas ist vielleicht die Qualität, welche Architekten am meisten fasziniert: Sie sehen in ihr Klarheit, Offenheit und Wahrheit verkörpert. Transparenz hat heute einen fast polemischen Charakter und verleiht dem Material seine als modern, demokratisch und fortschrittlich wahrgenommenen Qualitäten. Der konzeptionelle Wunsch nach einer transparenten Stadt wird nirgends deutlicher als in Mies van der Rohes Entwürfen für ein Glashochhaus in Berlin. Sie wurden vielfach publiziert und zum Leitbild für viele folgende Bauten, obwohl sich die Realisierung als sehr problematisch erwies.3 Mies argumentierte, dass Mauerwerk, welches typischerweise bei Hochhäusern seiner Zeit zum Einsatz kam, eine unpassende Materialwahl sei, da es Schwere und Lastabtragung suggeriere. Wenn man dagegen Glas für die nicht tragenden Wände verwende, werde dadurch das Tragverhalten dieser Gebäude klar. Die Verwendung von Glas erzwinge daher neue Lösungen.4 Das Glashochhaus stellte sich auch als alles andere als transparent heraus. Glas als Material für Vorhangfassaden reflektiert sehr stark. Kein Architekt hat das besser verstanden als Harry Cobb, der Architekt des John Hancock Tower in Boston. Cobb verstärkte die Reflexion des Gebäudes durch seine Form so, dass es verschwindet – nicht durch Transparenz, sondern durch starke Reflexion. Die blaue Färbung des Glases ermöglicht einen direkten Übergang zum umgebenden Himmel, während das klare Profil des Gebäudes zugleich sein Volumen betont (Abb. S. 12).

13

Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit FXFOWLE Architects, New York Times Building, Grundriss Erdgeschoss.

Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit FXFOWLE Architects, New York Times Building, Details Fassade.

Materialstudien in der Praxis Mit seinem Entwurf für das neue New York Times Building stellte sich auch Renzo Piano der Herausforderung eines transparenten Hochhauses (Abb. S. 11, 13-16). Der Projektarchitekt Erik Volz beschreibt die Intentionen des Entwurfs wie folgt: „Hochhäuser sind oftmals Symbole von Arroganz und Macht. Mit dem Gebäude für die New York Times wollten wir dem mit einem leichten, zurückhaltenden und gut zugänglichen Gebäude entgegentreten.”5 Dem Bauherrn war wichtig, dass das Gebäude Eigenschaften verkörpern würde, für die das Unternehmen steht. Die ethischen Implikationen eines transparenten Raumes, der zugleich die Bedingungen des Umfeldes widerspiegelt, stimmen mit den Zielen des Medienunternehmens überein. Der metaphorische Zusammenhang von Transparenz mit Aufrichtigkeit und Offenheit und einer unmittelbaren Widerspiegelung der Stadt macht das New York Times Building zu einem gebauten Symbol für die Zeitung. Dies hing natürlich voll und ganz von der baulichen Umsetzung der phänomenologischen Effekte von Transparenz und Reflexion ab. Das Architektenteam des Renzo Piano Building Workshop (RPBW) schlug für das Gebäude eine bislang ungetestete Kombination aus Klarglas und vorgehängten Lamellenschirmen als Fassade vor. Die Lamellen bestehen aus weißen keramischen Röhren, sogenannten „Baguettes“, welche von Aluminiumrahmen gehalten werden. Das Team entschied sich aufgrund der besonderen Materialeigenschaften für diese Kombination. Renzo Piano selbst hat über die Jahre eine besondere Vorliebe für das Material entwickelt. Volz kommentiert: „… die Verwendung von Keramik hat eine besondere Tradition in unserem Büro. Renzo mag die Vorstellung von der im Himmel hängenden gebrannten Erde.“6 Sowohl die ungleichmäßige Form und Textur als auch die besonderen Qualitäten bezüglich Reflexion seien entscheidend für die Materialwahl gewesen. Obwohl das Büro über ausreichende Erfahrung im Umgang mit Keramik verfügte, wurden verschiedene kleinere Testmodelle gebaut, gefolgt von einem Teil der Fassade in Originalgröße, um die gewünschte Balance von Reflexion und Transparenz sicherzustellen. Trotz des Erfahrungshintergrunds mit dem Material bedingten die Anforderungen an die Fassade weitere Tests. Die Röhren mussten sowohl die statischen Anforderungen erfüllen als auch solche bezüglich Wasseraufnahme und Frostwiderstand.7 Während einer Reise nach Deutschland fielen dem Bauherrn Keramikrollen auf, die für Abwasserrohre in Brennöfen verwendet werden. Die Fähigkeit dieses Materials, einer Hitze zu widerstehen, die andere Materialien explodieren oder 14

Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit FXFOWLE Architects, New York Times Building, Ansicht von Südwest.

15

Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit FXFOWLE Architects, New York Times Building, Teilisometrie Dach.

Shigeru Ban Architects, Carta Möbel aus Papierrollen, 1999.

schmelzen lässt, führte zu weiteren Untersuchungen. Die letztlich zum Einsatz gekommenen Röhren sind eine Adaption der ursprünglichen Rollen. Das Architektenteam arbeitete dafür eng mit einem Hersteller zusammen, welcher letztlich 196.000 Keramikröhren aus einem hochwertigen Aluminiumsilikat für das New York Times Building produzierte.8 Diese direkte Zusammenarbeit ermöglichte es den Architekten auch, das Material mit allen geforderten Eigenschaften zu einem finanzierbaren Preis zu produzieren. Nachdem RPBW das Konzept einer Glasund-Keramik-„Baguette“-Fassade entwickelt hatte, bedurfte es gemeinsamer Anstrengungen mit FXFOWLE Architects, dem Entwurfspartner von RPBW, und dem Team des Bauherrn (der New York Times und dem Projektentwickler Forest City Ratner), um das bislang kaum für Bauten verwendete und im Maßstab eines solchen Hochhauses ungetestete Material zum Einsatz zu bringen. Das Team aus Bauherren und Entwerfern sah sich mit einem Problem konfrontiert, welches oftmals auftritt, wenn ein Material auf neue Art verwendet wird: Nur wenige Baufirmen sind bereit, das Risiko einzugehen, mit ungewöhnlichen Materialien zu arbeiten, ohne die Kosten deutlich zu erhöhen. Die Kostenschätzung lag aufgrund der unbekannten Gebäudekomponenten jenseits dessen, was für den Bauherrn akzeptabel war. Die Lösung des Problems bestand darin, das typische Bieterverfahren für den Fassadenhersteller zu umgehen. Die New York Times und Forest City Ratner beauftragten vier Fassadenhersteller, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach am Bieterverfahren für das Projekt beteiligt hätten, mit der Entwicklung einer Außenwandkomponente. Die 152,40 x 411,48 cm große Komponente hatte die gewünschten Anforderungen für die Keramikröhren und die Fenster zu erfüllen. Allen vier Firmen war es letztlich möglich, die Komponente zu einem erschwinglichen Preis herzustellen. Nachdem viele der den Kostenschätzungen zugrunde liegenden Unbekannten geklärt worden waren, fielen die Gebote auf ein finanziell realisierbares Niveau.9 Obwohl der innovative Einsatz von Material in der Architektur häufig auf individuellen Studien beruht, basierte die Umsetzung im Fall des New York Times Building auf der Fähigkeit des Teams, Entwurf und Entwicklung außerhalb der etablierten Projektverantwortlichkeiten voranzubringen. In der Praxis müssen Architekten und Projektentwickler mit den erhältlichen Baukomponenten unzufrieden sein, damit der Wille entsteht, in die Entwicklung neuer Komponenten zu investieren. Besonders wichtig wird die aktive Beteiligung von Architekten dann, wenn Neuentwicklungen aus den Materialwissenschaften auf mögliche Anwendungen in der Architektur hin zu prüfen sind. 16

Shigeru Ban Architects, Japanischer Pavillon. Explosionsaxonometrie.

Shigeru Ban Architects, Japanischer Pavillon, Expo 2000, Hannover, Deutschland, 2000, Ansicht und Innenraum.

Ein anderer Architekt mit einer lebenslangen Passion für Materialstudien ist Shigeru Ban. Während Renzo Piano versucht, traditionelle Baumaterialien auf neue Art einzusetzen, entdeckte Ban ein normalerweise nicht in der Architektur eingesetztes Material fast zufällig und war fasziniert von dessen Potenzial. Seine Studien zu Papierrollen begannen früh und folgten aus seiner Abneigung gegen das Entsorgen von Restmaterial (Abb. S. 16). Daraus entstand eine Reihe erfolgreicher Projekte, wie der japanische Pavillon für die Expo 2000 in Hannover (Abb.). Ban begann seine Experimente mit Papierrollen, nachdem er sie während einer Ausstellungsinstallation entdeckt hatte. Sein Ziel war es, so ökonomisch wie möglich mit Material umzugehen. Statt die Papierrollen zu entsorgen, nahm er sie mit zurück in sein Büro. 1986 war es ihm möglich, das Material erfolgreich in einer Ausstellung zu Ehren von Alvar Aaltos Einrichtungsarbeiten einzusetzen. Ban versuchte mit der Ausstellung, die Essenz von Aaltos Techniken und Ästhetik einzufangen, konnte aber mit dem begrenzten Budget nicht jene Hölzer einsetzen, welche Aalto für seine Arbeiten verwendete. Außerdem wollte Ban kein so haltbares Material für eine temporäre Ausstellung einsetzen. Statt der Hölzer verwendete er Papierrollen aus recyceltem Material, die nach Ende der Ausstellung wiederum recycelt werden konnten. Studien des Potenzials von Papierrollen und seine Suche nach immer neuen Möglichkeiten, das Material ökonomisch einzusetzen, begleiteten fortan seine Arbeit.10 Bans Faszination geht dabei über das reine Experimentieren mit einem bestimmten Material hinaus. Sie beruht auf einem umfassenderen Interesse an nachhaltigen Baumethoden und an dem Beitrag von Architekten zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Seine Experimente blieben nicht vereinzelt, bauherren- oder projektspezifisch, sondern sie wurden Ausdruck eines Bestrebens, Papierrollen in den Katalog der Baumaterialien einzuführen. Nach bescheidenen Anfängen in Ausstellungsarchitektur und Möbeldesign gelang es Ban zu zeigen, dass Papierrollen für den Bau von Ausstellungshallen und Notunterkünften eingesetzt werden können. Bans erste Experimente für die Aalto-Ausstellung im Museum of Modern Art in New York führten ihn in eine Fabrik für Papierrollen. Dort konnte er sehen, wie diese aus recyceltem Material hergestellt werden, dass sie in jeder gewünschten Länge und Stärke, jedem gewünschten Durchmesser produziert werden können und dass sie darüber hinaus preisgünstig sind. Nachdem sie nicht-tragend eingesetzt worden waren, kam das Interesse an ihrem potenziellen tragenden Einsatz. Drei Jahre später reichte Ban einen Entwurf für eine Ausstellung in Hiroshima ein, der 17

Le Corbusier, Unité d’Habitation, Marseille, Frankreich, 1952, Modulor.

aufgrund des ungetesteten Materials abgelehnt wurde, aber zu einem kleineren Auftrag, einem Pflanzenhaus für die Nagoya Design Exhibition 1989, führte. Dieses Gebäude von geringer Größe wurde zu einem Meilenstein, da hier Papierrollen zum ersten Mal tragend eingesetzt wurden. Nach dem Abbau des temporären Projekts führte Ban Tests an den Rollen durch und stellte fest, dass sie, nachdem sie den Elementen ausgesetzt worden waren, ein besseres Tragverhalten gewonnen hatten. Weitere Experimente führten nun zu immer größeren Projekten, die wiederum als Studienobjekte für potenzielle Bauherren und Materialprüfer dienen konnten.11 1990 erhielt Ban die Möglichkeit, sein erstes dauerhaftes Gebäude, die Bibliothek für einen Dichter, aus Papierrollen zu errichten. Es war nach japanischen Bauvorschriften jedoch noch nicht erlaubt, sie als primäres Tragwerk einzusetzen. Stattdessen kamen vorgefertigte Buchregale für das Aufnehmen von Querkräften und die Isolierung der Außenwände zum Einsatz. Diese Innovation entwickelte Ban in seiner Serie „Möbelhaus“ weiter. Der Erfolg seiner Projekte führte letztlich zur Anerkennung von Papierrollen als Baumaterial durch das japanische Bauministerium im Jahre 1993. Bans darauf folgendes Gebäude eines Papierhauses brachte den ersten dauerhaften tragenden Einsatz von Papierrollen.12 Danach erforschte Ban die Grenzen des Baubaren mit Projekten wie dem Papierdom und dem japanischen Pavillon für die Expo 2000. Für jedes dieser Projekte mussten neue Verbindungsdetails entwickelt werden, mit zusätzlichen Materialtests bis zur Bestätigung der statischen Unbedenklichkeit durch die Baubehörden. Durch seine enge Zusammenarbeit mit Frei Otto und dem Bauingenieur Gengo Matsui entwickelte Ban ein immer besseres Verständnis für die Umsetzung der Entwürfe mit minimalem Materialaufwand. Parallel dazu erforschte er das Potenzial des leichten und preiswerten Materials im kleinen Maßstab. Aus seiner Arbeit mit der Hohen Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen (UNHCR) entstanden temporäre Unterkünfte für Flüchtlinge in Ruanda. Ihr geringer materieller Wert war eine der Qualitäten, welche die Organisation von den Papierrollen überzeugte, da Material, das als wertvoller betrachtet wurde, oftmals von Flüchtlingen abgebaut oder durch Holz ersetzt wurde, was zur Entwaldung in den betroffenen Gebieten führte. Die Möglichkeit der Herstellung vor Ort und der einfache Aufbau machten Papierrollen zu einem idealen Material.13 Bans Materialstudien gründen auf seiner Überzeugung, dass Architekten Verantwortung für die Gesellschaft und unsere 18

Umwelt übernehmen müssen. Wie David Leatherbarrow betont er, dass die Beziehung des Entwerfers zum Material ein umfassenderes Selbstverständnis widerspiegelt. Das Experimentieren mit Papierrollen hat Bans Verständnis von Architektur geprägt. Nach der Entwicklung von Notunterkünften für Erdbebenopfer in Japan, der Türkei und Indien kommentierte er: „Niemand, der am Bau der Blockhäuser aus Papierrollen mitarbeitete, konnte sich einer spirituellen Berührung entziehen. Selbst als die Blockhäuser nach mehreren Jahren abgebaut wurden, blieben sie in der Erinnerung der Menschen, die sie gebaut und in ihnen gelebt hatten.“14

Neue Materialien: Die Rolle der Architekten Wenn jedoch die geistige Bereitschaft für die Serie entstünde, könnte alles im Handumdrehen auf die Beine gestellt werden. Tatsächlich strebt auf allen Gebieten des Bauens die Industrie wie eine Naturgewalt, wie ein reißender Fluß, der seiner Bestimmung entgegenfließt, ungestüm danach, natürliche Rohmaterialien umzuwandeln und das, was man „neue Stoffe“ nennt, zu produzieren. – Le Corbusier15 Es wird vermutet, dass während der letzten 20 Jahre mehr neue Materialien entwickelt wurden als im Rest der Menschheitsgeschichte zusammengenommen.16 Die Entwicklung neuer Materialfamilien spiegelt neue Ideen und Ambitionen sowohl von Architekten wie auch der heutigen Gesellschaft wider. Die Art und Weise, in der Architekten mit neuen Materialien umzugehen beginnen, wird dabei entscheidend sowohl deren Wertschätzung wie auch deren Langlebigkeit als Baumaterial bestimmen. In einer Zeit, in der ständig neue Materialien entwickelt werden, ist es sinnvoll, sich auf deren Anfänge zu besinnen, die heute fast in allen Komponenten der Architektur zu finden sind. Die anfänglichen Experimente beispielsweise mit bewehrtem Beton hängen eng mit den Ambitionen der frühen Architekturmoderne zusammen. Mit dem Streben nach nicht-traditionellen Formen und dem mit der zunehmenden Industrialisierung zusammenhängenden Wunsch, immer größere Gebäude schneller bauen zu können, stellte Beton ein Material von großem Potenzial dar. Beton hatte viele der Eigenschaften von Stein, war aber ebenso unzureichend unter Zugspannung. Eisen wurde zur Verstärkung von Steingebäuden bereits seit dem 17. Jahrhundert eingesetzt. Es war daher kein großer Entwicklungssprung für Architekten und Ingenieure, mit der Kombination von Beton und Eisen zu experimentieren. Kleinmaßstäbliche Versuche wurden überall in Europa und den USA durchgeführt, aber bis 1848 wurden nur wenige Fortschritte gemacht. Joseph Monier, ein französischer Gärtner, reichte dann ein Patent für Blumentöpfe und -kübel aus Beton ein, welche mit Eisengittern bewehrt waren. Obwohl er die statischen Eigenschaften, welche das bewehrende Eisen dem Beton verlieh, nicht verstand, fiel ihm der verstärkte Zusammenhalt des Materials auf. Monier beließ es mit seiner Erfindung nicht bei Anwendungen im Bereich des Gartenbaus, sondern experimentierte kontinuierlich mit möglichen anderen Anwendungen. Zehn Jahre später reichte er Patente für eisenbewehrte Stützen und Träger ein, welche er für die Konstruktion von Eisenbahnbrücken empfahl.17 19

Le Corbusier, Sainte Marie de La Tourette, Éveux-sur-Arbresle, Frankreich, 1960, Ansicht.

Moniers Arbeit löste eine Flut von Entwicklungen aus. Bewehrter Beton konnte bis zu diesem Zeitpunkt aufgrund des fehlenden Verständnisses für seine Eigenschaften nicht systematisch eingesetzt werden. Wie Shigeru Bans Papierrollen benötigte das Material weitere Tests und Dokumentationen, bevor es in den Katalog der Baumaterialien aufgenommen werden konnte. 1877 tat sich Thaddeus Hyatt, ein amerikanischer Erfinder, mit David Kirkaldy, der ein Unternehmen mit industriellen Testmaschinen aufbaute, zusammen. Die beiden testeten systematisch die Eigenschaften von bewehrtem Beton und entdeckten zwei wichtige Eigenschaften, die ihn zum bevorzugten Baumaterial des 20. Jahrhunderts machen sollten. Die erste war, dass die beiden Materialien fast identische Wärmeausdehnungskoeffizienten aufweisen, die zweite, dass ihre Verformungen unter Last fast identisch sind.18 Kurz darauf kaufte der deutsche Bauunternehmer G.A. Wayss die Rechte auf Moniers Patente und begann mit dem Aufbau eines Unternehmens, welches mit dem Einsatz von bewehrtem Beton experimentierte. Wayss begann, das Verhalten des Materials in verschiedenen Lastfällen sowie seinen Brand- und Korrosionswiderstand zu dokumentieren. Die Ergebnisse wurden umfassend unter dem Titel „Das System Monier“ publiziert und in viele Länder Europas und die USA exportiert.19 Während Erfinder und Ingenieure an der Systematisierung von bewehrtem Beton arbeiteten, taten sich Architekten schwer damit, das neue Material mit ihrer „modernen“ Bauweise zusammenzubringen. Frank Lloyd Wrights anfänglicher Eindruck war, dass es ein schmutziges Material von geringem Wert sei, da man aus ihm ohne Widerstand alles formen konnte. Wright änderte später seine Einstellung und verwendete das Material in vielen seiner Bauten, wie dem Unity Temple und dem Guggenheim Museum. Im Gegensatz zu Frank Lloyd Wright war Le Corbusier von Anfang an von dem neuen Material begeistert. In seinem einflussreichen Buch Vers une Architecture schrieb er: „Das beständige Material muss an die Stelle des natürlichen, unbegrenzt veränderlichen Materials treten.“20 Dennoch tat auch er sich schwer, Beton in seinen Arbeiten zu verwenden. Erste Versuche, Betonmaschinen des Unternehmens Ingersoll-Rand einzusetzen, schlugen fehl und erreichten nicht die Qualität des Maschinenzeitalters; unregelmäßige Oberflächen mussten überdeckt werden. Mit der Villa Savoye erzielte Le Corbusier den Gesamteindruck, den er sich von dem neuen Material erhofft hatte, obwohl das Gebäude aus einer Vielzahl additiver Baumaterialien entstand. In seinen Projekten der Nachkriegszeit begann Le Corbusier dann, das Potenzial von Beton als Oberflächenmaterial zum Ausdruck zu bringen. La Tourette

(Abb.) und die Unité d’Habitation (Abb. S. 18) verwenden Beton in einer rauen Art, die durch den Prozess seiner Formung durch die Schalung zustande kommt.21 Le Corbusier prägte damit den Umgang vieler moderner Architekten mit dem Material; Architekten wie Le Corbusier, Wright, Nervi und Kahn entwickelten die gestalterischen Mittel des Umgangs mit Beton, die wir heute mit dem Material verbinden. Beton ist ein gutes Beispiel für eine Materialentwicklung, die außerhalb der Architektur begann und von ihr in einer Weise übernommen wurde, die ihren formalen und statischen Bedürfnissen genügt. Das ist die vielleicht häufigste Art, in der neue Materialien ihren Weg in Gebäude finden. Im Unterschied zu anderen Bereichen des Designs gibt es in der Architektur keine gut strukturierte und finanzierte Materialentwicklung. Innovationen entstehen im Normalfall durch das besondere Interesse einzelner Büros oder an Hochschulen; Bauherren sind nur selten willens, umfassende Studien, die nicht direkt mit ihrem Projekt zusammenhängen, zu finanzieren. Auch deshalb brauchen Architekten unbedingt die Zusammenarbeit mit Fachleuten außerhalb ihrer Disziplin. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen große Firmen und staatliche Institutionen die Materialforschung insbesondere für die Raumfahrt und für militärische Zwecke voranzutreiben. Dieser Trend, oft als „NASA-Effekt“ bezeichnet, führte beispielsweise zu vielen Neuentwicklungen im Bereich der Polymere. Im Zuge dessen entstanden auch neue interdisziplinäre Berufe im Bereich der Materialwissenschaften. So brachten beispielsweise die 1980er Jahre eine große Anzahl neuer Metallkombinationen und sogenannter Superlegierungen als Folge der Entwicklungen im Flugzeugbau hervor.22 Das große Interesse an Nachhaltigkeit hat demgegenüber die Fortschritte der letzten Jahre geprägt.23 Die Verzögerungen im Technologietransfer resultieren oft daraus, dass Materialien für einen besonderen Zweck hergestellt werden und nicht für eine Produktion im großen Maßstab geeignet sind, so dass sie in der Regel zu teuer für eine Verwendung in der Architektur bleiben. Innovative Materialien, welche von Produktdesignern entwickelt werden, lassen sich dagegen leichter auf architektonische Anwendungen übertragen, da sie bereits für die Mengenfertigung angelegt sind. Gebäude haben aber im Durchschnitt eine Lebensdauer von 30 Jahren, so dass der Einsatz in Bezug auf Materialien hoch ist. Da sie oftmals nicht einfach ausgetauscht werden können, sind entsprechend auch die Hürden für die Zulassung vor der Implementierung 20

höher. Kleinmaßstäbliche Architekturprojekte wie Pavillons, Messestände und Installationen spielen daher eine wichtige Rolle für Innovationen, da ihre Größe und ihr temporärer Charakter mehr Freiheiten für Experimente zulassen (Abb. S. 35, 41,85,98,122-124,130,148,156,157,160,165,171,172,174-176, 183, 184). Ein weiterer Faktor für den zeitlichen Abstand zu sinnvollen Anwendungen in der Architektur ist die Art und Weise, wie Material katalogisiert wird. In den meisten Ländern listen Bauvorschriften und Normen die Materialien nach Komponenten und angenommenen Anwendungen auf. Diese gehen oftmals nicht von Basismaterialien, sondern von bereits vorgefertigten und standardisierten Baukomponenten aus, so dass der Architekt selten mehr als die Auswahl zwischen bestimmten Herstellern hat. Die derzeitigen Klassifikationen verhindern einen einfachen Transfer von neuen Materialien in die Architektur, da immer mehr Materialien Hybride darstellen und dynamische Qualitäten haben, die nicht in eine bestimmte, bereits bestehende Kategorie eingeordnet werden können.24

stehen an der Schnittstelle zwischen Materialforschern und Bauherren und können entscheidend die konzeptionelle und formale Umsetzung befördern. Mohsen Mostafavi, Dekan der Graduate School of Design der Harvard University, sieht hier ein zunehmendes Interesse von Entwerfern: „Es gibt heute in der Forschung ein großes Interesse an der Rolle von Oberflächen und ihrer Wahrnehmung. Dies könnte also ein Bereich des Entwerfens sein, in dem neue innovative Materialien entstehen... Neue Materialien reagieren auch auf das zunehmende Interesse an komplexen Geometrien in der Architektur...“27

Architekten müssen daher alternative Klassifikationssysteme entwickeln, die es ihnen ermöglichen, Materialien auf der Grundlage anderer Kriterien auszuwählen. Ein Blick auf die Klassifikationssysteme von Ingenieuren und Materialwissenschaftlern hilft zu verstehen, wie diese Berufsgruppen Material bewerten und integrieren. Die unterschiedlichen Klassifizierungssysteme im Ingenieurwesen basieren meist auf einer Beschreibung von Eigenschaften, die es erlaubt, bestimmte Materialien zusammenzuführen, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Die Betonung liegt dabei darauf, was ein Material leisten kann und wie es sich unter bestimmten Bedingungen verhält. Diese Art der Klassifizierung ermöglicht es, bestimmte performative Vorgaben umzusetzen. Sie erleichtert das Experimentieren mit möglichen Anwendungen von Material und seiner Kombination.25 Materialwissenschaftler wählen eher einen anderen Ansatz und klassifizieren Material hierarchisch, basierend auf seiner chemischen Zusammensetzung. Die Betonung liegt dabei auf verbindenden Strukturen in der molekularen Zusammensetzung. Da die Eigenschaften der Zusammensetzung die Eigenschaften des Materials insgesamt bestimmen, ist diese Methode sinnvoll für das Herstellen neuer Materialien mit bestimmten Eigenschaften.26 Einige der Bestrebungen, Materialien neu zu klassifizieren, sind in diesem Buch beschrieben. Architekten können dabei durchaus zu den Materialwissenschaften beitragen. Sie 21

Kultur und handwerkliche Qualität Materialien spiegeln die Eigenschaften ihrer Fabrikationsprozesse und die damit verbundenen Werte wider. Eine große Zahl heutiger Materialinnovationen stammt aus neuen Herstellungstechniken. Viele Materialien, die in der Architektur zum Einsatz kommen, werden mit Bedeutungen assoziiert, die ihre Wurzeln in der Art und Weise haben, wie sie traditionell in einer bestimmten Kultur verwendet werden. Der wahrgenommene Wert eines Materials liegt oftmals nicht in ihm selbst begründet, sondern in der Sorgfalt und Fertigkeit seiner Bearbeitung. Ein Material und seine Eigenschaften außerhalb der für es typischen Anwendung zu erkunden, kann daher bedeuten, seinen wahrgenommenen Wert neu zu bestimmen. So war es Shigeru Ban möglich, durch eine Neuverwendung von Papierrollen architektonische Qualität dort zu finden, wo zuvor keine gesehen wurde. Die handwerkliche Qualität, mit der ein in der Architektur eingesetztes Material bearbeitet wird, ist ein kulturspezifisches Wissen, welches sowohl auf Umweltfaktoren als auch auf sozialen Vorstellungen beruht. Das Bauen mit Holz ist aufgrund seiner großen Verbreitung und langen Geschichte hierfür ein gutes Beispiel und lässt einen kulturübergreifenden Vergleich zu. Die Materiallogik des Holzbaus ist der Grund für viele verblüffende konstruktive Übereinstimmungen auf der ganzen Welt. Der allgemeine Einsatz des Materials in einem auf Stütze und Balken basierenden statischen System beruht auf seinem ursprünglichen Wachsen als Baumstamm. Obwohl der Mythos der primitiven Hütte, wie von Laugier dargestellt, eine naive Idealisierung früher Holzkonstruktionstechniken ist, spiegelt er doch eine dem Holz innewohnende konstruktive Logik wider. Ein beeindruckendes Beispiel hierfür sind die traditionellen Kornlagerhäuser Schwedens und Japans. Frühe Bauten dieser Art wurden auf der schwedischen Insel Gotland entdeckt. Sie sind in Form und konstruktiver Logik identisch mit denen japanischer Tradition, wie sie exemplarisch im Ise-Schrein zu finden sind (Abb. S. 23).28 Der Ise-Schrein repräsentiert eine besondere Tradition in der Erhaltung einer auf sozialen Vorstellungen basierenden Baukonstruktion. Seit dem 7. Jahrhundert wurde er von wenigen Ausnahmen abgesehen alle 20 Jahre rekonstruiert. Seine Form und Konstruktionstechnik basieren auf den sogenannten kura oder Lagerhäusern des Yayoi-Volkes der Bronzezeit.29 Die gut kodifizierte Praxis der Beschaffung, Behandlung, Lagerung und letztlichen Verarbeitung des

Materials wird mit einer in den weltlichen und religiösen Eliten Japans wurzelnden Verehrung durchgeführt, die den hohen Wert der für die Konstruktion notwendigen großen Zypressen widerspiegelt. Bis ins 13. Jahrhundert war es möglich, die schweren Holzkonstruktionen mit lokal wachsenden Zypressen zu errichten. Seit dieser Zeit muss das Holz von immer weiter her und zu einem Preis beschafft werden, der die zunehmende Entwaldung der Umgebung widerspiegelt. Für den Wiederaufbau des Schreins bedarf es 11.000 m3 traditionellen Zypressenholzes. Ein Drittel des Materials muss einen Durchmesser von mindestens 60 cm haben, damit die primären tragenden Elemente aus einem Stamm gesägt werden können. Die größten sind die Stützen, welche die Giebelbalken der Haupttempel tragen. Diese messen 76 cm im Durchmesser und 11 m in der Länge.30 Die schiere Materialmenge und die aufwändigen Konstruktionstechniken, welche für die alle 20 Jahre erfolgenden Rekonstruktionen der Schreine benötigt werden, machen die Tradition zu einer kostspieligen Angelegenheit. Dabei wird große Sorgfalt darauf verwendet, das Material zu erhalten und so zu behandeln, dass der größte Nutzen aus jedem Teil gezogen werden kann. Die Bäume werden im Winter gefällt und anschließend nahe den Schreinen für drei Jahre in Teichen gelagert, um das Holz zu behandeln und vor Austrocknung zu bewahren. Wenn die Stämme das Sägewerk erreichen, werden sie sorgfältig auf Fehler untersucht. Die Handwerker markieren die Schnittlinien, welche die effizienteste Verwendung jedes Stammes ermöglichen. Um das Splittern des Holzes zu vermeiden, werden die Enden gewachst und umklammert, während in die Mitte des Stammes Keile getrieben werden. Der gesamte Prozess wird effizient und sauber von Handwerkern durchgeführt, die bei der Arbeit weiße Handschuhe tragen.31 Der große Aufwand, die hohen Kosten und die umfangreiche Arbeit, die die Konstruktion bedingt, verleihen der Architektur ihre Würde. Die Holzbauweise in den USA basiert auf einem völlig anderen Wertesystem. Im Unterschied zu Europa und Japan, wo Wälder seit Jahrhunderten abgeholzt worden waren, gab es in Amerika Holz im Überfluss. Als die Siedler zwischen 1830 und 1890 westwärts zogen, wurden schwere Holzkonstruktionen nach und nach durch leichte Tragwerke ersetzt. Obwohl leichte Rahmenkonstruktionen oftmals als minderwertig im Vergleich zur Holzmassivbauweise angesehen wurden, passte die Geschwindigkeit, mit der diese errichtet werden konnten, zur rasanten amerikanischen Entwicklung. Nachdem es durch 22

Ise-Schrein, Ise, Japan, alle 20 Jahre rituell rekonstruiert, 690 bis heute, Ansicht.

die zunehmende Industrialisierung möglich geworden war, Holz und Nägel als Standardelemente in großen Stückzahlen zu produzieren, wurden die bislang von Hand hergestellten Verbindungen ersetzt. Während Architekten und Ingenieure noch die Angemessenheit von Ballonrahmenkonstruktionen debattierten, experimentierten Bauunternehmer und Handwerker mit der Einführung dieser Konstruktionen in ältere Typen des Holzbaus. Während andere Kulturen das Material als wertvollen Rohstoff behandelten, spielte Holz in der amerikanischen Gesellschaft, die Einfachheit, Geschwindigkeit und die Möglichkeit, aus weniger mehr zu machen, schätzte, eine völlig andere Rolle.32 Diese wird besonders deutlich in dem Anfang des 20. Jahrhunderts von Sears & Roebuck vertriebenen „Modern Home No. 105“, einer vorgefertigten Ballonrahmenkonstruktion, in der jedes Teil standardisiert war. Sears & Roebuck besaß und kontrollierte zusammen mit anderen großen Firmen die Mittel zur Herstellung standardisierter Häuser und transportierte und verkaufte sie an amerikanische Familien mittleren Einkommens.33 Der mechanisierte und hocheffiziente Prozess der Lieferung dieser Häuser gefiel den Amerikanern in einer Zeit, in der Ökonomie höher als individuelle handwerkliche Leistung geschätzt wurde. Der Einsatz von Holz als Baumaterial in Amerika ist damit in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von dem im japanischen Ise-Schrein. Als der bekannte amerikanische Architekt Ralph Adams Cram 1898 den Ise-Schrein besuchte, was es ihm nicht möglich, seinen Wert zu verstehen. Für ihn stellte er eine reine Holzrahmenkonstruktion dar und er beschrieb ihn als „ziemlich hässlich und barbarisch“.34 Erst von modernen westlichen Architekten wurde der Wert des IseSchreins erkannt, die in ihm ein hervorragendes Beispiel eines Form-Funktion-Paradigmas sahen.35

23

Martin Bechthold, Wes McGee, Monica Ponce de Leon (Leitung), Surfacing Stone: Digital Explorations in Masonry Curtain Wall Design, Harvard University Graduate School of Design, 2008, Roboter-kontrolliertes Wasserstrahlschneiden.

Technologie, Repräsentation, Kommunikation Durch nachhaltige Veränderungen der Verarbeitung von Material können sich auch neue Charakteristika ergeben, nicht nur in Erscheinung und Funktion, sondern auch in ihrer kulturellen Bedeutung. Eine große Zahl von Innovationen basiert nicht auf der Herstellung eines neuen Materials, sondern auf der neuen Art und Weise, wie dieses bearbeitet und verarbeitet wird. Neue digitale Techniken des Modellierens und der Fabrikation ermöglichen heute neue Arten des Umgangs auch mit etablierten Materialien (Abb. S. 24, 25, 28, 29, 35, 41, 56, 57, 63, 67, 72-74, 90-98, 102, 103, 149, 156, 157, 165, 171-177, 179, 183, 184). Unsere Fähigkeit, als Architekten mit einem bestimmten Material zu arbeiten, hat ebenso viel mit der Fähigkeit zu tun, es zu beschreiben. Seit der Einführung des Architektenberufes war die orthografische Projektion das vorherrschende Mittel, durch welches entworfen und der architektonische Raum kommuniziert wurde. Diese Technik zog eine konstruktive Logik nach sich, in der Planarität und gerade Kanten die Kennzeichen guter Baukomponenten darstellten: ein auf kartesischer Geometrie basierendes System, welches universell in allen Bauberufen verstanden wurde. Plan, Schnitt und Ansicht waren die grundsätzlichen Techniken, mit denen Gebäude entworfen, kommuniziert und gebaut wurden. In ihrem Buch Smart Materials and Technologies for the Architecture and Design Professions36 stellen Michelle Addington und Daniel Schodek dar, dass diese Methode der Beschreibung zu einer Art planarem Apriori für das Verständnis von Baukomponenten geführt und phänomenologische Betrachtungen auf eine im Wesentlichen visuelle Erfahrung reduziert hat. Heute wird in der Architektur ein weicherer, intimerer Umgang mit Material verlangt, und es entwickelt sich ein entsprechend breiteres Repertoire von architektonischen Darstellungsweisen. Die Fortschritte im digitalen Modellieren von Volumen sind Teil dieser neuen Methoden. Um die gewünschte Komplexität zu erreichen, arbeiten Architekten, Ingenieure und Bauunternehmer zunehmend mit dreidimensionalen digitalen Modellen, so zum Beispiel beim Building Information Modeling (BIM), welches heute Standard in vielen Bereichen der Konstruktion ist. Das Modellieren am Computer erlaubt es auch, Material in Bezug auf seine sich zeitlich verändernden Eigenschaften einzubinden. Ein Großteil der Intelligenz von Smart Materials liegt in ihrer Fähigkeit, ihre Eigenschaften im Verlauf der Zeit oder unter sich ändernden Umweltbedingungen zu ändern. Diese Arten des Verhaltens konnten mit der traditionellen Plan-, 24

Anish Kapoor, Cloud Gate, Chicago, Illinois, USA, 2006, Ansicht.

Schnitt- und Ansichtslogik nicht beschrieben werden. Ebenso können mit den neuen Technologien beispielsweise flachen Materialien strukturelle Eigenschaften verliehen oder neue Anwendungen für Oberflächenmaterialien gefunden werden.37 Auf ähnliche Weise ermöglichen neue Technologien die Konstruktion großmaßstäblicher komplexer dreidimensionaler Formen. Auch hier ist die Baubarkeit direkt mit der Fähigkeit verbunden, diese Formen zu beschreiben und zu kommunizieren. In diesem Zusammenhang muss auf die Fortschritte bei Gehry Technologies verwiesen werden. Gehry Tech ist ein Vorreiter von BIM und dem parametrischen Modellieren in dem Bemühen, baubare Lösungen für komplexe Formen zu finden. Wenngleich diese Entwicklungen nicht notwendigerweise mit spezifischen Materialeigenschaften umgehen, erlauben sie es doch, Material auf zuvor unbekannte Weise einzusetzen. Frank Gehry demonstriert das in seinen Bauten beispielsweise mit komplexen Kurvaturen von Metallen, einem Material also, das normalerweise in der Architektur auf Planarität beschränkt ist (Abb. S. 63, 67, 72-74). Neue digitale Möglichkeiten räumlichen Entwerfens erlauben auch die Herstellung von Materialapplikationen größerer Komplexität. Computernumerisch kontrollierte (CNC) 5-AchsenFräsen, Stereolithografie (SLA), Selective Laser Sintering (SLS) und andere Formen des sogenannten Rapid Prototyping sind zunehmend für Anwendungen im Entwurfsprozess zugänglich und erlauben neue Methoden der Materialbearbeitung (Abb. S. 24, 40, 56).38 Glas, Kunststoff, Stein und Holz, die alle als Produkte mit orthogonalen Geometrien in industriell produzierter Form preisgünstig erhältlich sind, können mit Hilfe dieser Technologien nunmehr relativ einfach nicht-orthogonal weiterverarbeitet werden. Die Anwendung von CNC-Verfahren erlaubt beispielsweise das präzise Rollen von Metallen für gekrümmte Tragwerke und somit die Herstellung kontinuierlicher Oberflächen wie in Anish Kapoors Cloud Gate (Abb. S. 25, 94).

Inhärenter Ausdruck: Ein umfassenderes Verständnis der Potenziale von Materialien Wenn Du mit Ziegeln entwirfst, musst Du den Ziegel fragen, was er tun will oder was er tun kann. Der Ziegel wird sagen, Ich mag einen Bogen. Du sagst, aber Bögen sind schwer herzustellen, sie kosten mehr Geld. Ich glaube, Du könntest genauso gut Beton für Deine Durchgänge verwenden. Aber der Ziegel sagt, ich weiß, dass Du Recht hast, aber wenn Du mich fragst, was ich mag, ich mag einen Bogen. – Louis I. Kahn39 Ein sowohl physisch als auch konzeptionell maßstabsloses Verständnis der Qualitäten, die ein Material ausmachen, kann zu einer besseren Verwendung im Entwurf führen. Die persönliche Beschäftigung mit Materialien kann Architekten davor bewahren, Material banal oder nur dem letzten Trend folgend einzusetzen. Praktisches Experimentieren und ein Wissen um die physischen und chemischen Eigenschaften eines Materials können zu einem Verständnis seiner Ausdrucksmöglichkeiten und seiner „Persönlichkeit“ beitragen. Obwohl Kahns oft zitierter Dialog mit einem Ziegel sicher vage und in bestimmter Weise naiv bezüglich der Anwendung ist, stellt seine lebenslange Beschäftigung mit dem Charakter und den Ausdrucksfähigkeiten von Ziegeln einen seiner bleibenden Beiträge zur Architektur dar. Über die physischen Qualitäten des Ziegels hinaus war Kahn an seinem inhärenten Ausdruck in unterschiedlichen Kombinationen interessiert. Zu den Materialeigenschaften zählt dessen relative Bescheidenheit im Vergleich mit Naturstein, eine Prädisposition, um für additive Strukturen und die Eignung als Einzelner oder als Gruppe in Erscheinung zu treten. Darin, dass aus Ziegeln trotz ihrer Schwere Bögen konstruiert werden können, lag für Kahn ihre Poesie, und es war diese Qualität, die seine Verwendung des Ziegels von der anderer Meister wie Wright und Aalto unterschied. Diese drei Architekten entwickelten neue, ganz unterschiedliche Arten des Umgangs mit dem Material und erlaubten es ihm, ihre Entwurfskonzepte zu beeinflussen. Für Kahn führte die Bescheidenheit des Ziegels als der Konstruktionseinheit zu einer größeren Nüchternheit bei der Verwendung für öffentliche Gebäude. Der Einsatz des Materials anstelle von Naturstein entsprach hier der Idee, dass ein bescheidenes Individuum in der Gruppe zu Größerem fähig ist. In einem der vielleicht besten Beispiele hierfür, dem Indian Institute of Management, versuchte Kahn drei Programme – Klassenräume des Instituts, Wohngebäude 25

Kengo Kuma, Steinmuseum, Nasu, Japan, 2000, Ansicht und Detail Wand.

der Fakultät und Studentenwohnheime – architektonisch zu verbinden. Diese variieren drastisch im Maßstab; so umfasst das Hauptgebäude verschieden große Komponenten von Klassenräumen über Gemeinschaftsräume bis hin zu großen Sälen. Um diese architektonisch miteinander zu verbinden, verwendete Kahn ein einheitliches System tragender Ziegelwände und Betonböden. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Ruf für die Verwendung von Ziegeln etabliert, aber in den meisten seiner Projekte war das Material nicht tragend eingesetzt worden. Hier war es ihm möglich, eine durchgehende Materialsprache für den gesamten Campus zu entwickeln und dabei dennoch programmatische Unterschiede zu betonen. Größere Lasten erhielten höhere Bögen und die extremsten verlangten einen umgekehrten Bogen. Die umgekehrten Bögen aus Ziegel sind dabei gleichzeitig eine Reaktion auf die lokalen seismischen Gegebenheiten und stellen historische Bezüge zur antiken römischen Ziegelbauweise her.40 Auch Kengo Kuma hat eine besondere Beziehung zu einem bestimmten Material entwickelt, zu Naturstein, einem der ältesten und dauerhaftesten Materialien, welches er auf nicht-monumentale, ja transparente Art einzusetzen versucht. Obwohl Naturstein heute meistens nur als Verkleidung bei mehrschichtigen Wandaufbauten verwendet wird, assoziiert man das Material nach wie vor aufgrund der ihm innewohnenden Schwere mit Stabilität und Repräsentation. Kuma fordert uns in seinen Projekten heraus, Naturstein auf eine Art und Weise wahrzunehmen, die seiner neuen Verwendung als Wandkomponente mehr entspricht. Unsere Einstellung zu diesem Material hat sich nicht verändert, obwohl sich die Baupraxis vom klassischen Poché entfernt hat. Kumas Blick auf den Stein sieht ihn nicht als alt, solide und monumental, sondern als modern, transparent und persönlich. Im Steinmuseum in Nasu (Abb. S. 26, 27) verwendet er Ashino, einen hellen vulkanischen Stein, den bereits Frank Lloyd Wright für das Imperial Hotel in Tokio eingesetzt hatte. Bei den drei neuen Gebäuden kommen hauptsächlich zwei Fassadentechniken zum Einsatz, die es erlauben, im Gegensatz zu den Altbauten einen zugleich aufgelösten und klar definierten Eindruck zu erzielen. Eine Methode basiert dabei auf einem Tragwerk aus Stahl mit horizontalen Sonnenblenden aus Stein, die andere verwendet Stein tragend in einem System, in welchem bestimmte Segmente durch dünne Streifen aus durchscheinendem weißen italienischen Marmor ersetzt sind, welche das Licht im Innenraum filtern. Zur Pflasterung dient innen wie außen Shirakawa-Stein. 26

Kengo Kuma, Steinmuseum, Grundriss, Fassaden und Details Wand.

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FL±0 exterior floor finish:FL-270 water level:FL-450

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Lars Spuybroek/NOX, Maison Folie, Lille, Frankreich, 2004, Ansicht und Detail Konstruktion.

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Lars Spuybroek/NOX, D-Tower, Doetinchem, Niederlande, 2004, Ansicht bei Nacht.

Lars Spuybroek/NOX, Maison Folie, Ansicht bei Nacht.

Die angeführten realisierten Bauten zeigen, auf welche Weise Materialexperimente architektonische Konzepte inspirieren und verstärken können. Umgekehrt vermögen architektonische Konzepte die Suche nach den ihnen am meisten entsprechenden Materialien zu leiten. Ein Architekt, der seit langem versucht, die Grenzen des Materialausdrucks zu erweitern, ist der Holländer Lars Spuybroek mit seinem Büro NOX. Zur Umsetzung komplexer Formen und spezifischer phänomenologischer Effekte experimentiert Spuybroek mit unterschiedlichsten Materialien. Viele seiner Projekte versuchen Architektur durch die Integration digitaler und interaktiver Aspekte zu erweitern. In zwei realisierten Projekten, Maison Folie in Lille und D-Tower in Doetinchem, demonstriert Spuybroek auf eindrucksvolle Weise, wie durch den Einsatz bestimmter Materialien gewünschte Effekte zu erreichen sind (Abb. S. 28, 29). D-Tower in Doetinchem ist eine interaktive Skulptur im öffentlichen Raum, welche mittels Daten, die auf einer Internetseite eingegeben werden, die Stimmung in der Stadt misst. Am Abend leuchtet der Turm grün, rot, blau oder gelb. Die Farben sind dabei den Gefühlen Hass, Liebe, Glück und Angst zugeordnet.41 Für die geometrisch komplexe Form musste ein Material gefunden werden, welches den statischen Anforderungen genügt und dabei die innen angebrachten farbigen Lichtquellen ausreichend durchscheinen lässt, um die gesamte Skulptur zum Leuchten zu bringen. NOX verwendete hierfür CNC-gefrästen Styrolschaum mit einer Deckschicht aus Epoxy. Die Kombination der beiden Materialien ermöglichte die Herstellung einer durchscheinenden leichten und tragenden Form.42 Das Zusammenspiel von Entwurfsidee, digitaler Interaktion, Fabrikation und kreativer Materialwahl erweitert die Grenzen der Architektur auch im Fall des Kulturzentrums Maison Folie im Zentrum von Lille. NOX plante die Fassade als dynamische Form aus Metall und entwickelte mit GKD Metal Fabrics eine Lösung aus Escale, einem rostfreien, biegsamen Metallgewebe, welches sich erst nach dem Verankern in der tragenden Stahlstruktur versteift.43 Dabei war es die visuelle Qualität des Materials, welche GKD ursprünglich dazu gebracht hatte, Escale für Anwendungen in der Architektur anzubieten. Auf ähnliche Weise geht der amerikanische Architekt Preston Scott Cohen oftmals über standardisierte Materialkomponenten hinaus, um komplexe Formen bauen zu können. Das verwendete Material muss darüber hinaus ein hohes Maß an Oberflächenauflösung erreichen. Die Betonkonstruktion des 29

Preston Scott Cohen, Nanjing Performing Arts Center, Nanjing, China, 2010, Diagramm Kachelfarbtöne.

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Performing Arts Center in Nanjing ist mit kleinteiligen Kacheln bedeckt (Abb. S. 30-32). Zu Beginn des Projektes konnten keine Kacheln in der erforderlichen Form und Dimension gefunden werden, die den gewünschten Effekt hätten erzielen können. Aufgrund der Größe des Projektes war es möglich, eine Kachel nach Maß anzufertigen, welche die Oberfläche der Außenwand formal in die Geometrie des Entwurfs einbindet und dabei ein Fischgrätenmuster entstehen lässt. Die Kacheln wurden dabei von Hand verlegt. Der Gesamteffekt der Oberfläche ist der eines komplett kontrollierten und integrierten Systems.44

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Preston Scott Cohen, Nanjing Performing Arts Center, Turm und Detail Fassade.

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Preston Scott Cohen, Nanjing Performing Arts Center, Kachelmuster Fassade.

Maßstabslose Entwurfs- und Materialprozesse Die Untersuchung der Eigenschaften eines Materials führt zu Fragen nach der operativen Logik des Umgangs mit ihm. Eigenschaften wie Textur, Elastizität und Aggregatzustand (flüssig/fest) erschließen dabei ein Spektrum von Möglichkeiten und Beschränkungen. Fügen, Weben oder Modulieren sind einige Beispiele für die Fülle von Prozessen, mit denen Entwurfsideen umgesetzt werden können. Modulieren und Gießen beispielsweise, angewandt auf ein Material wie Beton, betonen seine Formbarkeit und stellen gleichzeitig einen fundamentalen Materialprozess dar. Sowohl Material als auch Prozess sind in diesem Falle maßstabslos und können daher vom Detail bis zum ganzen Gebäude und darüber hinaus angewandt werden. So findet man in Zaha Hadids Materialverwendung die gleiche modulierte Kontinuität – ein Konzept, welches die Spuren der Schalung unterdrückt – in den Möbelentwürfen ebenso wie in den Gebäuden (Abb. S. 96, 97, 102, 103). Damit Materialstudien über das individuelle Experimentieren hinaus eine größere Bedeutung in der Architektur gewinnen können, ist ein kollektiver Ansatz notwendig. Hochschulen sollten dabei ihre Rolle als Vorreiter und Verbreiter von Materialstudien ernst nehmen und groß angelegte Forschungsvorhaben besser fördern. Materialstudien waren seit den Tagen der frühen Moderne immer ein fester Bestandteil der Architektenausbildung. Johannes Itten etablierte als Pädagoge am Bauhaus einen verpflichtenden Grundkurs, in dem alle Studenten mit Material experimentieren mussten und dessen Eigenschaften zu demonstrierten hatten. Kontraste wie glatt/rauh, hart/ weich, schwer/leicht sollten nicht nur gesehen, sondern auch gefühlt werden.45 Ittens Ansatz prägte damals den Umgang mit Material einer ganzen Generation von Architekten. Es gibt zurzeit viele Anstrengungen, Materialstudien besser in die Architekturausbildung zu integrieren. So besitzt beispielsweise die Graduate School of Design der Harvard University eine einzigartige Materialsammlung, die sogenannte Materials Collection, welche online auch öffentlich zugänglich ist (Abb. S. 150-152). Die Materials Collection ist nicht nur ein Katalog von Produkten, sondern eine aktive und kontinuierlich aktualisierte Sammlung von Material und Materialanwendungen. Sie dokumentiert darüber hinaus Materialexperimente und Forschungsprojekte von Studenten und Lehrenden (Abb. S. 84, 149, 156, 157, 160). Auf diese Weise können zukünftige Studentengenerationen auf die vorangegangenen Experimente zurückgreifen. Die Datenbank der Sammlung ist 32

so organisiert, dass sie ein Verständnis von Material fördert, welches weit über die konventionelle Einteilung in Materialfamilien hinausgeht. So wird Material beispielsweise im Kontext seiner Eigenschaften nicht nur in Bezug auf vorgegebene Anwendungen katalogisiert, was es Benutzern der Datenbank ermöglicht, zum Beispiel ein Material für eine Gebäudefassade zu entdecken, welches normalerweise dazu dient, die Reflexion von Computerbildschirmen zu verringern. Die Materials Collection ist ein zentraler Bestandteil der Arbeit in den Entwurfsstudios der Graduate School of Design. Auch andere Institutionen außerhalb der Universitäten haben den Bedarf nach umfassenden Materialkatalogen für Entwerfer erkannt. Zu diesen gehören die in New York gegründete Material ConneXion, eine Quelle neuer und innovativer Materialien für Architekten, Künstler und Designer, die in Paris ansässige matériO und das schweizerische Material Archiv, um nur einige wenige zu nennen (Abb. S. 153, 154, 170). Die entwerferischen Ambitionen von heute basieren auf dem Wunsch nach mehr räumlicher Komplexität, einem subtileren Erfahren von Architektur und zunehmend maßgeschneiderten entwurflichen Lösungen. Die Suche nach Materialinnovationen ist dabei nicht einfach nur die nach der nächsten modischen Fassade, sondern die nach dringend benötigten Materialien, welche die gestalterischen Ambitionen des 21. Jahrhunderts zum Ausdruck bringen können. Dabei überrascht es wenig, dass die Lösungen, die vor 50 Jahren entwickelt wurden, unserer heutigen Zeit nicht mehr genügen. Die Entwerfern heute zur Verfügung stehende Materialpalette ist auch aufgrund überholter Klassifizierungssysteme und des Fehlens einer integrierten Forschung sehr limitiert. Das vorliegende Buch stellt daher einen alternativen Ansatz dar: das Beobachten, Spekulieren und Experimentieren von und mit Material.

Anmerkungen 1. Leatherbarrow, David. „Material Matters“. In: Architecture Oriented Otherwise. New York: Princeton Architectural Press, 2009. S. 69-94, hier S. 91. 2. Ibid. 3. Dietrich Neumann. „Three Early Designs by Mies van der Rohe“. In: Perspecta 27 (1992). S. 77-97. 4. Siehe „Frühlicht“ (1922). Zitiert in: Schulze, Franz. Mies van der Rohe, A Critical Biography. Chicago: University of Chicago Press, 1986. S. 100. 5. Kaplan, David. „New York Times Building“. In: Detail 47, Nr. 9 (2007). S. 990. 6. Ibid. S. 991. 7. Ibid. S. 992. 8. Ibid. S. 997. 9. Stephens, Suzanne. „Renzo Piano Building Workshop and FXFOWLE present a quietly luminous addition to the Manhattan skyline with the New York Times Building“. In: Architectural Record 196, Nr. 2 (Februar 2008). S. 102 f. 10. Ban, Shigeru. Shigeru Ban. New York: Princeton Architectural Press, 2001. 11. McQuaid, Matilda. Shigeru Ban. London: Phaidon, 2003. S. 14. 12. Ban, Shigeru. Shigeru Ban… S. 111. 13. McQuaid, Matilda. Shigeru Ban… S. 29. 14. Ibid. S. 14 f. 15. Le Corbusier. Ausblick auf eine Architektur. Deutsche Ausgabe. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg, 41982. S. 167. 16. Brownell, Blaine. Transmaterial. New York: Princeton Architectural Press, 2006. 17. Condit, Carl W. „The First Reinforced-Concrete Skyscraper: The Ingalls Building in Cincinnati and Its Place in Structural History“. In: Technology and Culture, Jg. 9, Nr.1 (Januar 1968). S. 1-3. 18. Ibid. S. 3 f. 19. Ibid. S. 4-6. 20. Le Corbusier. Ausblick auf eine Architektur… S. 258. 21. Weston, Richard. Materials, Form and Architecture. New Haven: Yale University Press, 2003. S. 88. 22. Beylerian, George M., und Andrew Dent. Ultra Materials. Bradley Quinn (Hrsg.). Hoboken, NJ: John Wiley & Sons, 2005. S. 24. 23. Ibid. S. 6 f. 24. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials and Technologies for the Architecture and Design Professions. Amsterdam: Elsevier, Boston: Architectural Press, 2005. S. 27. 25. Ibid. S. 23. 26. Ibid. S. 22 f. 27. Beylerian, George, und Andrew Dent. Ultra Materials… S. 149. 28. Weston, Richard. Materials… S. 16. 29. Ibid. 30. Henrichsen, Christoph. „The Workshops at the Grand Shrine of Ise“. In: Detail, Jg. 42, Nr. 10 (Oktober 2002). S. 1289 f. 31. Ibid. 32. Peterson, Fred W. „Anglo-American Wooden Frame Farmhouses in the Midwest, 1830-1900: Origins of Balloon Frame Construction“. In: Perspectives in Vernacular Architecture 8 (2000). S. 3-16. 33. Ibid. S. 13. 34. Chamberlain, Basil Hall. A Handbook for Travelers in Japan. Rutland, VT: Charles E. Tuttle, 1981. S. 92. 35. Reynolds, Jonathan M. „Ise Shrine and a Modernist Construction of Japanese Tradition“. In: Art Bulletin 83 (Juni 2001). S. 321. 36. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials… S. 5. 37. Brownell, Blaine. Transmaterial... S. 8. 38. Beylerian, George M., und Andrew Dent. Ultra Materials… S. 14. 39. Kahn, Louis. „Space and Inspirations“. In: Latour, Alessandra (Hrsg.). Louis I. Kahn, Writings, Lectures, Interviews. New York: Rizzoli, 1991. S. 228. 40. McCarter, Robert. Louis I. Kahn. London, New York: Phaidon, 2005. S. 250 f. 41. www.nox-art-architecture.com (konsultiert am 15. August 2009). 42. Beylerian, George M., und Andrew Dent. Ultra Materials… S. 261. 43. Ibid. S. 48. 44. Korrespondenz des Autors mit Yair Keshet, Scott Cohen Architects. 45. „Bauhaus und Bauhauswoche zu Weimar“. In: Das Werk Nr. 9 (1923). S. 233.

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Eine schwierige Synthese

Office dA, Voromuro, Boston, Massachusetts, USA, 2007, Detail.

Nader Tehrani

Einführung: Sprache und Überschuss In der Architektur können alle Materialisierungen als Ergebnis einer bestimmten Form von Überschuss verstanden werden. Sie bilden ein Übermaß, das nicht als negative Seite missverstanden werden darf, das vielmehr als ein Mehrwert einen wesentlichen Bestandteil des tektonischen Denkens ausmacht. Denn alle Arten von Architektur bewältigen die technischen und kommunikativen Anforderungen in der Weise eines künstlichen Eingriffs, nicht durch Rückgriff auf naturgegebene Tatsachen. Deshalb können selbst die technischsten der baulichen Anforderungen selten, wenn überhaupt, ein eindeutig bestimmtes Endresultat vorgeben. Selbst sie führen über jegliche Möglichkeit eines strukturellen, funktionalen oder formalen Determinismus hinaus. Teil des Reizes klassizistischer Referenzen in der Architektur ist die systematische Natur der Klassik als einer Sprache mit ihren ausgeprägten Beziehungen der Einzelteile zum Ganzen und zu ihrer Zeit auf einer Art Gesellschaftsvertrag beruhend: ein System aus Konstruktion und Kommunikation, das sich auf viele Weise ansprechen und handhaben ließ, von der Prosa zur Poetik, von der Nutzung bis zum Missbrauch.1 Aus diesem Grund erzählen die Launen der klassischen Formensprache, ihre Details und ihre Fügungen von den Konventionen und deren Überschreitungen in den Idealen des Andrea Palladio oder den Ketzereien des Giulio Romano. Mit dem kulturellen Wandel des letzten Jahrhunderts hat der Klassizismus seine Autorität verloren; die Moderne und wohl auch die Postmoderne brachten eine Heterogenität und kulturelle Vielfalt mit sich, die keine Vormachtstellung, wie sie der Klassizismus einst genoss, mehr erlaubten. Damit einher ging auch der Verlust der Sozialordnung, auf der nicht nur die Architekturdetails basierten, sondern auch deren Lesbarkeit gründete. Trotz dieses historischen Wandels weist das Detail in der zeitgenössischen Architektur immer noch am besten den Weg durch die aktuellen Debatten. Es verweist auf die Dilemmas und unsere kulturelle Lage. Doch ohne die monokulare Linse des Klassizismus müssen wir mehrere Blickwinkel einnehmen, um bestimmte Beziehungen sichtbar zu machen, die sonst durch die Indifferenz des herrschenden Relativismus unterzugehen drohen. Diese Einführung versucht einige dieser Beziehungen und der um sie geführten Auseinandersetzungen, Argumente und Debatten darzulegen.

In der Vielfalt an formalen Projekten, theoretischen Plattformen und kulturellen Unterschieden lässt sich am Thema der „Performance“ ein erneutes Verlangen nach vermeintlicher Gewissheit ablesen. Der Performancebegriff leistet Ersatz für den früheren Funktionalismusbegriff und soll als vieldeutiger Überbegriff die Antwort auf eine Reihe kultureller Phänomene darstellen, zu denen auch das große Thema der ökologischen Zerstörung gehört. Performance verheißt Erlösung von architektonischen Eitelkeiten, sie eliminiert das experimentelle Spiel – und rechtfertigt es doch zugleich. Denn im Kontext beispiellosen technischen Fortschritts kann sich am Performancebegriff eine neue technische Kultur entwickeln, die das Mittel der Quantifizierung einsetzt, um dem Streben nach gestalterischer Innovation seine Rechtfertigung zu geben. Gleichzeitig richtet sich ein neues Interesse auf Themen wie das Ornament, wo Fragen der Ethik gegen Fragen der Performance gestellt werden und die Produktion von (nicht quantifizierbaren) Affekten das Maß für die formalen Spielzüge der Architektur abgibt. Ein Fachgebiet auf der Suche nach einem Medium Obwohl die Widersprüche zwischen den technischen Mandaten und den Ausdrucksformen der Architektur nicht zu übersehen sind, muss der Ausgangspunkt dieser Darstellung bei den Techniken liegen, welche die unterschiedlichen Fachrichtungen, Gewerke, Bau- und Subunternehmer kennzeichnen. In der unendlichen Vielzahl von Details und Prozessen – Nutund-Zapfen-Verbindung im Holzbau, die Lochnaht beim Stahl, die Stoßverbindung bei Glas, der geschichtete Verband beim Mauerwerk, das SOSS-Scharnier für Paneele oder die Textilschalung für Beton – liegen die Rahmenbedingungen der Mittel, Methoden und Wirkungen einer jeden Architektur. Es gehört zu den Ironien unserer Zeit, dass Planungsverträge beispielsweise in den USA den Architekten für das Entwurfskonzept verantwortlich halten, während der Bauunternehmer für die Mittel und Methoden der Konstruktion zuständig ist. Diese rechtliche Regelung etabliert eine Gegnerschaft zwischen beiden, sie trennt den Architekten von genau jenen Techniken, die das Budget, den Umfang und die Ausführung mitbestimmen, und distanziert gleichzeitig die Bauunternehmer von den konzeptionellen, theoretischen und organisatorischen Grundlagen des Entwurfskonzepts, kurz, mit einem einfachen Hieb entmannt sie den Architekten als Baumeister und enthirnt den Bauunternehmer. Um dies zu überwinden, müsste die Zuständigkeit der Architekten für die Mittel und Methoden des Bauprozesses neu gedacht werden, nicht nur in praktischer Hinsicht, sondern auch als Plattform für neue Wechselwirkungen zwischen Idee 34

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Herzog & de Meuron, Stellwerk Auf dem Wolf, Basel, Schweiz, 1995, Detail Ansicht.

und Materie, zwischen konzeptionellen Strategien und der Ausführung, zwischen Herstellung und Produkt. Es geht um die Definition dessen, was das Medium Architektur ausmacht. Dass Architektur einen bestimmten Grad von Bewusstheit in das Bauen bringt, es damit zu einem intellektuellen Projekt erhebt, steht nicht in Frage, aber die Rolle der Materialität dabei und deren Abhängigkeit vom Detail wurden nicht immer in gleicher Art gesehen. Natürlich hat die Betonung des Details ihre historischen Konjunkturen. Ludwig Mies van der Rohes Glaube an das Detail ist durch berühmt-berüchtigte Sätze wie „Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden“ oder „Gott steckt im Detail“ belegt. Andererseits folgte auf den Brutalismus die Abdankung des Details mit dem Aufstieg der Postmoderne und deren Betonung von Repräsentation, Ikonografie und Semantik, die sich anfangs in der „paper architecture“ niederschlug, dann aber auch von der Bauindustrie nachvollzogen wurde, die zu dieser Zeit bereits den Architekten die Führungsrolle abgenommen hatte. Das Detail erschien nun entweder als „natürliches“ Ergebnis, gleichsam als Bonus am Ende eines Prozesses, oder als Teil einer finalen Arbeitsphase, aber es wurde nicht mehr als Antriebskraft und damit als zentral für das Medium, für ein Projekt verstanden. Daher wird in diesem Beitrag das materielle Detail an eben jene Definition des Mediums zurückgebunden, so wie Öl an die Malerei oder Ton an die Töpferei gebunden ist. Die Verbindung, die Fügung, die Fuge erscheint dann als Wegbereiter oder mikroskopisches Indiz des architektonischen Denkens bei der Arbeit. Auf die Techniken zurückbezogen, wäre so gesehen die konzeptionelle Bedeutung des Gamble House von Charles Sumner Greene und Henry Mather Greene ohne die Nut-und-Zapfen-Verbindung kaum vorzustellen, ebenso wenig wie die radikale Stille im Farnsworth House ohne die Lochschweißung, also die Abwesenheit jeglicher Verbindung. Das Gamble House wäre in einer Holzrahmenbauweise intellektuell gesehen wohl unbedeutend, so wie auch das Farnsworth House, wenn es mit exponierten Nuten, Bolzen und Dichtungen konstruiert worden wäre. Ihre Bedeutung gewinnen diese Beispiele aus der Grundannahme, dass das Detail die Rolle des Generators von Ideen, Erfindungen und fachlichen Fortschritten einnimmt. Aus einem theoretischen Blickwinkel betrachtet, war es Gottfried Sempers Charakterisierung der „Vier Elemente“ Herd, Umfriedung, Erdaufwurf und Dach, die der Disziplin zu einem Verständnis der Verbindung zwischen den architektonischen Elementen und ihren jeweiligen materialtechnischen Gegen-

stücken – des Erdaufwurfs mit dem Mauerwerk, des Herds mit dem Ton, des Dachs mit der Zimmerei und der Umfriedung mit dem Weben – verhalf. Soweit die performancespezifischen Aspekte eines Mediums nicht deutlich genug hervortreten, vollzieht die einfache Identifizierung von „Unterschieden“ zwischen diesen Elementen einen wichtigen Akt der Kodifizierung, der in der architektonischen Denkart eine Ideologie der „Angemessenheit“ bei der Materialverwendung hervorgebracht hat. Auf diese Weise fand Sempers Argumentation eine Bestätigung beispielsweise selbst in der Verwendung von hölzernen Pfahlgründungen in Venedig, obwohl dies ihr eigentlich zuwiderläuft. Ein nur performance-spezifisches Materialverständnis vermochte dem ideologischen Aspekt der „Angemessenheit“ nicht gerecht zu werden, zumal wenn es um die ästhetischen Prozesse von Überschuss oder Widerstand geht: Daraus, dass all die hölzernen Pfeiler unter Venedig unsichtbar dafür sorgen, die Stadt über Wasser zu halten, lässt sich wenig für die Erklärung der tektonischen Besonderheiten des venezianischen Palazzos gewinnen. Die musterartigen Ausschmückungen auf der Fassade des Palazzo Ducale zum Beispiel verlangen eine rhetorisch geschulte Lektüre von Sempers Theorie, wenn man den Unterschied zwischen einer aus Schilf geflochtenen Fassade und einer Fassade, die aus den Mustern der Mauerwerksverbände eine ikonografische Beziehung zu textilen Materialien entwickelt, hervorheben will. Die Vermittlung, Gegenüberstellung und letztendliche Integration des Verhaltens eines Materials und seiner visuell wahrgenommenen Performance bildet daher den Kern dieses auf die Tektonik gerichteten Aufrufs an das Detail. Jenseits des Papiers: Rückgewinnung materialbezogener Handlungsfähigkeit In der zeitgenössischen Architektur haben verschiedene Protagonisten wichtige Rollen bei diesen Bemühungen gespielt. Die Materialforschungen und -spekulationen des letzten Jahrzehnts in der Praxis und an den Universitäten wären ohne Herzog & de Meuron schwer vorstellbar. Der systematische Zugriff, den sie mittels Materialstudien auf die architektonische Kultur der 1980er Jahre nahmen, enthielt eine solch klare didaktische Dimension, dass herrschende methodische Positionen davon in Frage gestellt wurden, zum Beispiel die Stabilität von Typologien (Aldo Rossi), die Betonung von Prozessen (Peter Eisenman) oder die Hingabe an die Komposition (Coop Himmelblau). All diese Herangehensweisen wurden im Zuge der Materialoperationen mit dem Detail als Gesprächspartner überprüft. Herzog & de Meurons Portfolio vergrößerte sich um 36

ein Gebäude nach dem anderen, und mit jedem untersuchten sie Architektur weniger qua ihrer Urheberschaft, sondern stattdessen durch eine bewusste Radikalisierung der Lösungen für Verbindungen und Materialverhalten und deren angestrebte Auswirkungen auf etablierte Traditionen. Ihr Stellwerk in Basel war eines dieser Versuchsprojekte, es betont die Freiheit der Hülle vom Gebäudeinhalt und nutzt die inhärente Formbarkeit von Kupfer dafür, nahtlose Gebäudeöffnungen zu ermöglichen (Abb. S. 36). Das Gebäude wurde zu einer Ikone seiner Zeit und etablierte eine herrschende Lehre von latentem Materialverhalten in Form einer offensichtlichen Lösung, auf die alle Architekten mit Ehrfurcht oder Neid schauten. Dabei darf man aber den Fokus dieser Architektur auf die Phänomene nicht unterschätzen, und vielleicht ist es die Betonung der Effekte, welche die perversen und so präzisen Berechnungen der Experimente von Herzog & de Meuron zu verstehen hilft. Die Leichtigkeit des CaixaForums in Madrid gewinnt ihre Bedeutung gerade aus der Missachtung der Schwerkraft und Logik des Mauerwerksbaus; das Gebäude wird an seinen Gelenken beschnitten und als Artefakt vergegenständlicht, entsprechend seinem Inhalt. Seiner ursprünglichen tektonischen Logik beraubt, eignet sich das Gebäude im Erdgeschoss ein neues Verhältnis zur Öffentlichkeit an, etwas, mit dem die tragenden Wände des früheren Kraftwerks nicht aufwarten konnten. Vielleicht noch wichtiger ist, dass das Gebäude auch vorangegangenen Mythologien den Kampf ansagt, indem es das Mauerwerk dazu bringt, genau das zu tun, was es gerade nicht will; durch einen Akt der Umkehrung oder Negation können seine Bögen, Gewölbe und dicken Mauern nun, beschnitten in ihren herkömmlichen Funktionen, endlich das Gewicht und den Umfang zur Schau stellen, die dem Mauerwerksbau eigen sind. Als Kontrastfolie zu den Büros, die das Materialbewusstsein vorangebracht haben, dient Peter Eisenmans Eingeständnis seines Desinteresses für Konstruktion, Materialforschung und die Bauindustrie. Seine Gebäude sind Opfer und zugleich Nutznießer einer Neigung zu strengen formalen Operationen. So einsilbig die Sprache auch ist, seine Innenräume, komplett aus Gipskartonplatten gebaut, helfen, den Fokus auf der Immaterialität, Geometrie und Zeichenhaftigkeit des Prozesses zu halten, in einer so reinen Abstraktion, dass die Prinzipien konventioneller Tektonik herausgefordert werden: Schwerkraft, Differenzierung funktioneller Eigenschaften, Fühlbarkeit und anderes. Auf der anderen Seite bleibt Eisenmans unvermeidliche Auseinandersetzung mit der Welt der Bauprodukte und -konventionen, der Dehnfugen und Konstruktionsverbindungen, der Sockelleisten, Fensterbretter oder Türrahmen so

von Passivität geprägt, dass sich dies verheerend auf sein Anliegen auswirkt und seine so stark formbezogene Argumentation untergräbt. Seine Auseinandersetzung mit Derridas Konzept der Falte führte ihn bei der Suche nach dem allgemeinsten Wesen der Spur wenig überraschend zu einer Reihe von Projekten, die als architektonische Figuren „gefaltet“ erscheinen, zugleich aber auch prozedurale Spuren des Faltprozesses in ihrer endgültigen Form aufweisen. Bevor man sich an dieser wortwörtlichen Behandlung stößt, sollte man bedenken, dass Architektur neben den konzeptionellen Ansprüchen immer auch ihrer zentralen Berufung zur Raum- und Gestaltbildung und darüber hinaus zur Materialbehandlung als ihrem Medium verpflichtet bleibt. In diesem Sinn kann man es Eisenman kaum vorwerfen, dass er diese uralte Hingabe an das Metier auf seinen Ansatz überträgt, auch wenn damit das fundamentale Problem der Verwendung von Architektur als Illustration konzeptioneller Ansprüche aufgeworfen wird. Aber wenn die Faltung aus der Sicht der Konstruktion solch große Konsequenzen und Potenziale birgt, dann müsste es darum gehen, die Faltung mit dem Medium Architektur zu konzeptionalisieren – nicht so sehr als Metapher für eine Theorie, sondern eher als ein Mittel, die Disziplin selbst voranzubringen. Dazu gehört die Bürde, von all den vielen Fragen, denen materialgerichtetes Denken nicht entkommen kann, jene nach der „Naht“ der Falte zu lösen, oder jene nach „Kontinuität oder Materie“ über der Falte oder jene nach der „Stärke“ der Falte. Und damit diese Bemerkungen nicht als Ruf nach Pragmatismus, Flexibilität oder Baumanagement missverstanden werden, muss hier die Beziehung zwischen konstruktiver Logik und Theorie angesprochen werden, um zu verstehen, worum es geht: Es geht um ein Verständnis davon, dass ein Gebäude in sich eingebettetes Wissen, streitbare Standpunkte und theoretischen Fortschritt enthält. Als eine verfeinerte Anwendung der Faltung zeigt das Dach des Kyneton House von John Wardle einen präziseren Blick fachlicher Erfindungskraft auf die Details des Entwurfs (Abb. S. 38, 39). Entwickelt mittels des Vorritzens und Faltens von Papier, schafft das Dach eine ausgedehnte Überdeckung, die das australische Haus vor der sengenden Hitze schützt, und lässt zugleich mittels seiner Falten Öffnungen entstehen, um Licht auf der Südseite hereinzulassen. Mit origamihafter Strenge ist die Geometrie des Daches aus einem einfachen Rechteck gefaltet, so dass jede Ansicht das Resultat einer einfachen Drehung aus dieser primären Form ist. Umgekehrt findet sich die inhärente Komplexität des Daches in einem Kompositsystem aus Zink, Schalplatten, Baustahl und 37

John Wardle Architects, Kyneton House, Victoria, Australien, 2008, Ansicht.

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John Wardle Architects, Kyneton House, Innenräume.

Gipskartonplatten wieder, so dass die verschiedenen Schichten als eigenständige Ebenen exponiert sind. Diese Schichten deuten auf ein kennzeichnendes Phänomen heutigen Bauens hin: Masse, eigentlich Volumen, wird durch Plattenmaterial bewältigt, und die Artikulation der Schichtungen, die versetzt zueinander angebracht das Volumen des Daches verbergen, exponiert diese tektonische Tendenz – mit surreal anmutenden Ergebnissen. Während jede einzelne Schicht sich auf ihre eigene Materiallogik bezieht, lassen die dünnen und leichten Schichten zusammen das Dach schwebend erscheinen, abgehoben von eben jenem Haus, das es zu schützen hat; es tritt in eine Wechselbeziehung mit dem Horizont, seine messerscharfen Falten antworten auf entfernte Topografien, während die flache Gesamtfigur zu der Weite der Ebene spricht. Diese Entwurfshaltung hat ihren Ursprung anderswo als bei Deleuze, und doch ist die Falte die Antwort auf eine Vielzahl von tektonischen Anforderungen, denen das Dach entsprechen muss: von der Entwässerung hin zu Oberlichtern, von Lastabtrag zu funktionalen Schichten und vom Einsatz von Metallverkleidung zur Putzarbeit. Bei aller Handwerkskunst, die aufgeboten wird, führt Wardle doch auch einen Kampf gegen die Einzelbetrachtung der technischen Performance der Gebäudekomponenten zugunsten der vom Haus als Ganzem inspirierten konzeptionellen Lesarten. So entkommt der Entwurf der simplen Faszination des Handwerklichen und setzt stattdessen auf den intellektuellen Gewinn durch Materialtechniken. Das Trennen der Materialien und ihr darauffolgendes Zusammenfügen vollzieht die buchstäbliche Bewegung eines Gebäudes nach, die in verschiedenen Stufen des Ausdehnens und Zusammenschließens diverser Materialien verläuft. Noch wichtiger ist, dass dies als Ausgangspunkt für räumliche und tektonische Schichtungen genutzt werden kann. Trotz begrenzter theoretischer Ansprüche sind die Wirkungen dieses Gebäudes doch verblüffend und rücken eben jene Konventionen, auf denen jedes Handwerk gründet, in ein fremdes Licht. Vorgaben, Beschränkungen und Intentionen Die Faltung im engeren Sinn gehört zu den Grundbestandteilen der Technikkultur; keiner weiß das besser als Frank Gehry, der die Metallverkleidungsindustrie in den letzten 20 Jahren durch seinen ausgiebigen Einsatz von Metallfassaden radikal beeinflusst hat (Abb. S. 63, 67, 72-74). Um die traditionellen Nähte zwischen Dach, Fassade und Sockel zu verwischen, benötigte Gehrys Neigung zum Figürlichen eine Technologie, die extreme hydrologische Anforderungen erfüllen konnte. Durch das Arbeiten mit konventionellen Steh- und Flachnähten

brachte er die geometrischen Möglichkeiten der Metallbauweise Paneel um Paneel und eine Naht nach der anderen voran. Trotz ihrer raffinierten komplexen Kurvaturen, oder vielleicht gerade wegen ihnen, bleiben seine Paneelsysteme offen für alle Figuren, die sie formen; sie sind gleichgültig gegenüber dem Unterschied zwischen Deckenplatte und Ecksituation und respektlos gegenüber den syntaktischen Ansprüchen nach tektonischer Differenzierung. Als Tapete über die Fassaden ausgebreitet, werden die Metallpaneele zu Teilen eines erweiterten monolithischen Feldes, das die architektonische Figur umwickelt. Selbst wenn sie teilweise unverformt belassen werden, macht das Flachnahtdetail die übergreifende architektonische Strategie erst möglich. Die hydrologischen Anforderungen an die Installation Fabrications von Office dA sind zu vernachlässigen, doch Fortschritte beim Falten werden hier durch die Entwicklung der „abgesteppten Naht“ demonstriert (Abb. S. 41). Erforscht und entwickelt mit Milgo Bufkin, bewältigt die abgesteppte Naht die Stärke der Metallplatten durch mit Laser eingekerbte Versatznähte mit korrespondierenden Abmessungen, die die strukturelle Stabilität und auch die Kontinuität des Materials ermöglichen. Trotz der aus der Schneiderei entliehenen Metapher ist die Naht das Resultat einer Materialentnahme, nicht einer Verbindung; die CNC-konforme Logik des Projekts bietet minimale Toleranzen, individualisierte Massenfertigung und eine tektonische Logik, die die konventionelle Unterteilung zwischen Struktur und Hülle überwindet. Das beschriebene Detail steht im Dienst eines größeren konzeptionellen Ziels, das die wahrnehmungsbezogenen Intentionen tektonischen Denkens ins Extrem treibt, um eine radikale Spaltung zwischen dem visuellen und dem konstruktiven Denken zu demonstrieren. Die Installation ist als eine verzerrte Projektion angelegt, die die Illusion eines flachen rechteckigen Paneels schafft, dessen Einheiten aus einem idealen Blickwinkel als absolut lotrecht und eben erscheinen – ein Vorgehen, das sich auf die konventionelle gegenseitige Kontrolle auf dem Gebiet der Konstruktion bezieht. Während die Konstruktion der Metallplatten die natürlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Paneelen und ihren dazugehörigen Teilen aufzeigt (Unterkonstruktion, Falz und Laibung), hilft die Verzerrung durch die Projektion, die Spuren der Konstruktion durch das Verflachen der Perspektive zu verbergen. Die Installation kommt ohne Nieten aus; Stahlfalze um die tragenden Elemente übernehmen die Funktion der Lochschweißung, um die Spuren des Konstruktionsprozesses zu verbergen, und halten so die Spannung zwischen konzeptionellen und technischen Ansprüchen wach. 39

Gramazio & Kohler, Weingut Gantenbein (Bearth & Deplazes, Architekten Gesamtgebäude) Fläsch, Schweiz, 2006, nicht-standardisierte Ziegelfassade, Fabrikation.

Fabrications steht im Austausch mit einer Tendenz, die im Vorwort von Greg Lynn zur Ausstellung „Intricacy“ treffend beschrieben wird.2 Darin nimmt Lynn einen Blickwinkel ein, der viele aktuelle Überlegungen zur Tektonik zu verorten erlaubt. Er stellt dar, wie die digitale Technik eine neue Haltung zum Detail ermöglicht hat, nämlich den Schwerpunkt von der einzelnen Verbindung weg und hin zu der Idee eines allgegenwärtigen Details zu verlagern, des Details als einem dezentralen System, einer Feldfunktion. Dazu gehört die Tendenz zu Kontinuität, monolithischer Singularität und selbstähnlichen organischen Beziehungen zwischen den Teilen und dem Ganzen, eine Tendenz, welche die traditionellen Hierarchien, Typen und Collage-basierten Zusammensetzungen überholt. Im gleichen Zug haben verschiedene Haltungen in der Architekturlehre der letzten Jahre dem Materialbezug und den daran anknüpfenden Methoden der Aggregation Vorrang gegeben, ebenso geometrischen Spekulationen und systemischen Permutationen und – noch aktueller – gescripteten Prozessen, die konzeptionelle Vorgehensweisen durch den Einsatz von Parametern zu automatisieren suchen.

Wand“ neue konzeptionelle Probleme an, die sich nicht durch den modularen Charakter des Materials lösen lassen. In diesen Szenarien werden die Fügungen aus ihren konventionellen Nachbarschaften wie Schwellen, Ecken und Anschlüssen separiert und Experimenten entweder mit purer geometrischer Spekulation oder mit Materialverhalten ausgesetzt. Bei den Forschungen mit Schaum, ähnlich den Arbeiten des Künstlers Roxy Paine, wird die Viskosität dieses Materials genutzt, um robotische Hilfsmittel zu kalibrieren und die Grenzen der mimetischen Nachahmung zu erkunden. Organische Materie wird mit systematischer Fabrikation konfrontiert. Im Falle von „Der Schaum“ operieren Abtragung und geometrische Musterung äußerst unabhängig von der Form der dem Experiment zugrunde liegenden Paneele: Diese werden durch die konfigurative Logik der Perforierung entmaterialisiert und stellen das dem Prozess zugrunde liegende Voronoi-Diagramm in den Vordergrund. In der perforierten Wand bereitet der eventuelle Verzicht auf die Form der Paneele den Weg für eine komplette Unabhängigkeit der Logik der Fügung, für geometrische Spekulationen und die daraus resultierenden Effekte.

Digitale Forschung

Befreit von den Beschränkungen der modularisierten Bauweise, erfinden die Architekten neue Begründungszusammenhänge für formale Verwandlungen und testen mit digitalen Medien funktionale, performancebezogene und technologische Parameter, um Innovationen bei der Formbarkeit zu erreichen und Komplexität („intricacy“) mit Materialhaftigkeit zu verbinden, auf eine Weise, die über reine Visualisierungen hinausgeht. Und doch sind die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungen Oberflächen mit geringen räumlichen Konsequenzen. Andere Forschungen zum Thema Komplexität, wie etwa die von Ali Rahim, erbrachten geometrische Ergebnisse von größerer formaler und räumlicher Tragweite, auch wenn sie typologischen Fragen gegenüber gleichgültig oder naiv blieben. Rahims Turmentwürfe haben den Boom in Dubai entweder einfach verpasst oder die üblichen Anforderungen konnten aus den genannten Gründen nicht rechtzeitig ausgearbeitet werden (Abb. S. 169). Sie wirken nicht zwingend, ihnen fehlt die Idee, dass die Form eine Geschichte enthält, die über wertschöpfende Strategien hinausgeht. Ähnliche Versuche wie z. B. von Kengo Kuma beim Granada Performing Arts Center gehen eher strategische Allianzen mit typologischen und funktionalen Eigenschaften ein und verbinden dem Entwurf zugrunde liegende hexagonale Geometrien mit der Anordnung von Sitzreihen, Treppen und der Tragwerkslogik des Projekts – und schaffen auf diese Weise einen Begründungszusammenhang, welcher organisch das Detail mit der übergreifenden Geometrie verbindet.

Im Kontext der „Intricacy“-Ausstellung illustrierte das Tongxian Art Project Lynns Text durch die Methode der „variablen Verbindung“, eines Mauerwerksverbandes, der den traditionellen Amerikanischen oder Flämischen Verband zugunsten von Konfigurationen aufgibt, die der Architektur zahlreiche Möglichkeiten eröffnen, indem sie das Detail für übergreifende Strategien wie die strukturelle Optimierung, die ökologische Abstimmung, die programmatische Anpassung u.a. einsetzen. Dieser Ansatz kommt vielleicht am besten bei der Casa La Roca zum Ausdruck, in der experimentell mit Ziegel- und Betonsteinen und Kacheln als Materialien gearbeitet wurde, die alle ihre ureigenen Möglichkeiten zum Tragen brachten (Abb. S. 53). Obwohl das Projekt mit Hilfe einer parametrischen konzeptionellen Plattform entwickelt worden war, verwendete es, altmodisch ausgedrückt, CADDateien als Werkzeug. Einen gewaltigen Sprung nach vorn erfuhr dieser Ansatz mit der Hilfe von R-O-B, einer zur Zeit von Tongxian noch nicht verfügbaren, von Gramazio & Kohler eingesetzten Maschine, welche dieselbe konzeptionelle Plattform auf ein neues technisches Niveau bringt (Abb. S. 40, 56). Ihre Arbeiten mit Mauerwerk teilen im Wesentlichen die Grundannahmen des Tongxian-Projekts u.a. bezüglich der zusammengesetzten Natur des Mauerwerksbaus, aus der sich die Konfigurierbarkeit der Fügungen innerhalb des Systems bestimmt. Dagegen gehen ihre Forschungsarbeiten „Der Schaum“ und „Die aufgelöste

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Office dA, Fabrications, Museum of Modern Art, New York, New York, USA, 1998, Ansicht und Detail.

Die Kunst des Verdeckens Komplexität arbeitet also auf ein erweitertes Wirkungsfeld des Details hin, ebenso auf Entmaterialisierung und auf Veränderlichkeit der Verbindungen. Die ihr eigene Neigung zur Musterbildung trägt dazu bei, all die architektonischen Notwendigkeiten, die die konventionellen architektonischen Strategien bevölkern und überfordern, zu verbergen. In diesem Zusammenhang müssen hier die Techniken des Minimalismus zur Sprache kommen. Deren Tendenz zu Reduktion, Stille und Abstraktion ist gut dokumentiert. Die Verbindungen, die diese Architektur ermöglichen, sind dafür von großer Bedeutung. Die Glasstoßverbindungen am Glaspavillon des Toledo Museum of Art von SANAA zum Beispiel helfen, die Glaswand zu entmaterialisieren, aber sie sind darauf angewiesen, dass dazu all die anderen Spuren der architektonischen Bürokratie beseitigt werden: die das konventionelle Bauen überwältigende Maschinerie der Haustechnik, des Tragwerks, des Brandschutzes und der funktionalen Einrichtungen (Abb. S. 42, 43). Im Kampf um die Vorherrschaft des Affekts über die Substanz muss der Großteil der Fügungen und Details hinter die Kulissen verbannt werden, eben damit das Detail nicht zum Fetisch auf der Oberfläche oder im Vordergrund wird. Aus diesem Grund weist das Toledo Museum of Art Hunderte sorgfältig angeordneter Durchdringungen der Träger über der Deckenebene auf, um die Unantastbarkeit der ausgedehnten flachen Dachdecke zu schützen. Nun kann die Architektur mit Transparenz, Reflexionsverhalten, Doppelsinnigkeit und einer Fülle von anderen Effekten spielen, die mittels der Glasschichtung geschaffen wurden; bedeutungsvolle Beziehungen mit dem Glas-„Inhalt“ des Gebäudes können ungehindert durch ausufernde bauliche Notwendigkeiten entstehen. Die auffällige Abwesenheit von Linien in den Präsentationszeichnungen ist wörtlich zu nehmen, so als sei die Architektur gänzlich der Details entleert; dem steht dann ein umfangreicher Werkplanungssatz gegenüber, in dem eine jede unterdrückte Fügung hinter den Kulissen der Gebäude verortet ist. Einer ähnlichen Sensibilität wie der Glaspavillon, der die Museumslandschaft in den umgebenden Park ausweitet, frönt das Kunstmuseum Liechtenstein von Morger & Degelo und Christian Kerez, jedoch mit einer anderen Intention (Abb. S. 43). Ausgeführt in schwarz poliertem Beton, verstärkt durch dunkles Glas und dunkle Fensterpfosten, soll das Gebäude die umgebende Landschaft reflektieren. Die Politur der Oberfläche löst die Bestandteile auf, als würde feiner Terrazzo alle Dehnfugen verbergen. Auch hier verbleibt nach der Entleerung 41

SANAA, Glaspavillon, Toledo Museum of Art, Ohio, USA, 2006, Innenräume.

42

SANAA, Glaspavillon, Toledo Museum of Art, Detail Schnitt.

Morger & Degelo mit Christian Kerez, Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, Liechtenstein, 2001, Details Ansicht.

von allem Detail eine Leere – und eine Sehnsucht nach dem Verschwinden von Architektur, eine Sehnsucht, die unerfüllt bliebe, würde sie durch Anzeichen von Details betrogen.

ROOFING MEMBRANE

2'-8"

INSULATION VAPOR BARRIER METAL DECKING

3/16"mm CLEAR ANODIZED ALUMINUM

6 7/8"

T.O. METAL FACIA EL. 15'-0"

T.O. BEAMS EL. 14'-5 1/8"

Nach wie vor bieten die meisten Architekturprojekte nicht den Luxus eines großen Budgets oder die Nachsicht bei den Bauvorschriften, mit denen manch exklusives minimalistisches Projekt gesegnet zu sein scheint, so dass dies von geringem Nutzen für die große Masse der Architekten bleibt. Dennoch ist der Gedanke verführerisch, die Emanzipation vom Detail, oder zumindest vom sichtbaren Detail, könnte den Weg zu einer Tektonik der ephemeren Effekte, zu reinen Phänomenen der Wahrnehmung oder zu entmaterialisierten Affekten bahnen: Der (eitle) Umgang mit dem Material weist hier den Weg zu immateriellen Möglichkeiten. In Erwiderung darauf stellt die Arbeit Philippe Rahms eine weitere Herausforderung dar (Abb. S. 44, 183). Er arbeitet gerade nicht mit auf den visuellen Effekt bezogenen Techniken. Atmosphäre, Thermodynamik und Umwelt werden hier nicht als Begründungszusammenhänge nur für Gebäudeperformance, sondern für die Form selbst herangezogen. Wenn seine Rhetorik auch ein unschuldiges Verlangen nach ökologischem Determinismus an den Tag legt, so gibt es doch ein bewusstes Spiel zwischen räumlichen und materialbezogenen Projektionen, in dem Form und Performance gegeneinander gestellt werden. Projekte wie Gulf Stream Intérieur und das Musée Convectif, gegründet auf Unmengen von Aufstellungen und thermischen Diagrammen, legen die materialsprachlichen Befangenheiten einer Architektur auf der Suche nach einem Begründungszusammenhang offen.

2'-0"

11 1/8"

Performance und ihre Dilemmas

6"

B.O. GIRDERS EL. 14'-5 1/8" W12 GIRDER T.O. CEILING EL. 13'-0"

RADIANT HEATING PANELS GYP. BD

3/8"+3/8"mm LOW IRON LAMINATED GLASS

13'-0"

15'-0"

1/2"+1/2"mm LOW IRON LAMINATED GLASS

CAVITY

3" TOPPING CONCRETE RADIANT HEATING CONCRETE SLAB

FEED DUCT

Rahm befindet sich in einem klassischen Dilemma: Form wird zwar stets von einer wie auch immer gearteten Performance beeinflusst, kann jedoch niemals von ihr bestimmt werden, ohne dass Bezug auf externe kulturelle Einflüsse der Sprache oder des Vokabulars der Materialien genommen wird. Man wird daran erinnert, dass die Boston Symphony Hall eine der besten Akustiken für Aufführungen bietet, diese Performance aber nicht die detaillierten syntaktischen Unterschiede des Gebäudes beispielsweise zum Concertgebouw in Amsterdam erklärt. Architektur, so scheint es, strebt nach einer gewissen Unabhängigkeit von Performance, oder zumindest setzt sie die Energien der hier entstehenden Reibung produktiv ein. Was Rahms Haltung jedenfalls aufzeigt, ist, wie in diesem historischen Moment aus der Strenge des ökologischen Gestaltens eine glaubhafte Verbindung zur Form erwachsen kann, und sei es nur, um konventionelle 43

2'-0"

3"

FINISHED FLOOR EL. 0'-0"

Philippe Rahm Architectes, Musée Convectif, Wrocław, Polen, 2008, Innenraum, Rendering, thermische Diagramme.

Typologien, Organisationssysteme und Materialverwendungen herauszufordern. Seine Arbeit ist im Werden, und Weiteres wird sich erst sagen lassen, wenn er Projekte realisiert, ein Kapitel, das noch geschrieben werden muss. Eine schwierige Synthese Aus den Denkern, die die zeitgenössische Kultur und Bauindustrie direkt und respektlos angegriffen haben, sticht Rem Koolhaas hervor. Im Kontext der hier skizzierten Tendenzen kann seine völlige Gleichgültigkeit bei der Detaillierung als polemische Haltung verstanden werden. Bei seinen frühen Projekten, wie etwa der Kunsthal, lässt der nüchterne Einsatz von industriellen Details in den brutalen Nebeneinanderstellungen, Überschneidungen und banalen Verbindungen beinahe das Resultat von Fahrlässigkeit, Inkompetenz oder Unkultiviertheit vermuten. Doch mit dem weiteren Fortschreiten seines Werks erweist sich Koolhaas‘ Widerstand gegen den Sog der Detailverehrung als konsequent, vor allem angesichts seiner Betonung konzeptioneller Strategien – beinahe als ob das Rauschen der Detaillierung die Klarheit seiner Argumentation beeinträchtigen könnte. Ein Beispiel ist die Verweigerung von Detaillierung in den Anschlüssen zwischen Säulen und Außenhaut der Seattle Central Library, wo Doppel-T-Träger umstands- und rücksichtslos den Bereich des diagonalen Tragwerks der Fassade verstärken (Abb. S. 45). Die Überlagerung der Doppel-T-Träger kann als Betonung der sowohl figurativen als auch konfigurativen Bedeutung (vgl. S. 48-61, 62-65) der Diagonalen in Tragwerk und Fassade aufgefasst werden, so dass jegliche Betonung der Anschlüsse eine Art Ablenkung darstellen würde. Vielleicht am wichtigsten ist, dass Koolhaas‘ kulturell motivierte Auseinandersetzung mit hybriden architektonischen und städtebaulichen Programmen zu formalen Experimenten geführt hat, die schwer zu Vereinbarendes zusammenführen. In diesem Sinn weicht seine Arbeit den klassischen Wegen zu einer einfachen Beziehung zwischen dem Teil und dem Ganzem aus. Dann aber wird das Detail in diese Auseinandersetzung einbezogen (wenn es auch nicht der Wegbereiter des Entwurfsprozesses ist) und nimmt eine kulturelle Bedeutung an, indem es zwischen Industriekonventionen und architektonisch erzeugten Veränderungen vermittelt. Die hybriden Programme und Typologien, die heute von der Bauherrschaft zur Aufgabe gemacht werden, erfordern Komplexitäten, die die Architekten unter anderem vor die Herausforderung stellen, auf formalem Gebiet eine Synthese zu erreichen: Denn in jedweder Tradition wird angestrebt, 44

Rem Koolhaas OMA, Seattle Central Library, Washington, USA, 2004, Innenraum.

das Einerseits-Andererseits von hier klassischer organischer Lösung, da Collagetechniken mit ihren Fragmentierungen, krassen Konfrontationen und Gleichzeitigkeiten zu überwinden. Vielleicht wird gerade in diesem Bereich der „schwierigen Synthese“ das Detail seiner härtesten Prüfung unterzogen, wo Systeme zerfallen, Technologien sich überlappen, Geometrien sich verflechten, und wo einfache Lösungen nicht mehr ausreichen. Nicht alle Architekten sind bereit, solche Probleme aufzugreifen, und denen, die es tun, kann kein einfacher Erfolg sicher sein. Bei Steven Holls Whitney Water Purification Plant, einer Kläranlage, bleibt bei dem kühnen Versuch, das HauptTonnengewölbe mit einer tangentialen Treppe zu verbinden, das geometrische Dilemma ungelöst, eine einfache und eine doppelte Kurvatur, jene der Oberflächen des Treppenhauses und jene des Hauptgewölbes, miteinander zu verbinden (Abb. S. 46). Wenn schon das Zeichnen der Geometrie das Problem in seiner Größe hätte sichtbar machen können, so verschärft der Bauprozess die Krise noch, indem die Paneele sich den Forderungen der zusammengesetzten Krümmungen nicht beugen wollen. Ein organisches Vereinen beider Volumen gelingt nicht, und zudem werden sie in einem Maße erodiert, dass sie kaum als individuelle Objekte erkennbar bleiben. Vielleicht am problematischsten ist, dass die resultierende Form das klare Bewusstsein, diesen so elementaren Grundzug der kritischen Kultur des architektonischen Schaffens, untergräbt und den Unterschied zwischen Wille und Versehen verwischt. Preston Scott Cohen stellte sich einem ähnlichen Problem mit Lightfall, einer gedrehten Promenade im Tel Aviv Museum of Art (Abb. S. 47). Die Aufmerksamkeit liegt hier ganz auf der Geometrie, und das Gebäudeteil des Atriums ermöglicht es ihm dabei, die rigorosen Regelflächen der angrenzenden Rampen behutsam in eine andere Geometrie übergehen zu lassen. Sein Einsatz von Beton, einem formbaren Medium, das die Erzeugung eines monolithischen Volumens zulässt, verbirgt die Lücken zwischen den Geometrien der inneren Fassade des Atriums und der Kante der einander gegenüberliegenden Rampen und erlaubt sozusagen eine Fehlertoleranz, welche unbemerkt bleibt. Solch ein Vorgehen befreit auch von der Notwendigkeit der Integration weiterer Komplexitäten geschichteter Systeme, hybrider Konstruktionstechniken und letztendlich von der Angewiesenheit auf das Detail. Durch diese Wendung ist es möglich, formale Kontinuität und räumliche Ganzheit in einem geschlossenen System zu erzeugen, das in Wirklichkeit fragmentiert, parzelliert und zusammengesetzt ist.

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Steven Holl Architects, Whitney Water Purification Plant, Hamden, Connecticut, USA, 2005, Detail Ansicht. SHoP Architects, Fashion Institute of Technology, New York, USA, 2005, Perspektive mehrlagige Glas-undMetallfassade.

SHoP setzen sich mit einem ähnlichen formalen Problem in ihrem Fashion Institute of Technology in New York auseinander (Abb.). Aufsteigende Treppen, welche die vertikalen öffentlichen Bereiche miteinander verbinden, sind an der äußeren Hülle angeordnet und exponieren die vertikale Promenade hin zur Stadt. Die Treppen verspringen in Reaktion auf die angrenzenden Räume, auf die Ausblicke zur Stadt und auf die Nebenfunktionen, und die dabei erzeugten Verformungen in der Hülle machen diese Funktionen sichtbar. Zudem übernimmt die Fassade die technischen Anforderungen des Gebäudes bezüglich Tragwerk, Umweltbezug und Wetterschutz. Entscheidend dabei ist, dass die Fassade zwischen den performancebezogenen Aspekten und einer übergreifenden Verantwortung gegenüber der Stadt und der Identität der Institution vermitteln muss: Sie hält die Beziehung zwischen ihrem ganzheitlichen Ausdruck und den in ihr enthaltenen Fragmenten in der Schwebe. Und ebenso wichtig ist, dass eben wegen dieser Exponiertheit, die vom Verglasungssystem geschaffen wird, der Imperativ einer genuin architektonischen Agenda sich gegen jedwedes funktionale oder performancebezogene Diktat durchsetzt. Komplexität und Widerspruch werden hier mit materiellen und tektonischen Mitteln thematisiert und auf diese Art und Weise als ein Thema behandelt, das trotz fortschreitender Entwicklungen der Formen, Idiome und räumlichen Ordnungen präsent bleibt. Für das Thema der materialbezogenen Detaillierung weist der Begriff der „schwierigen Synthese“ auf die Notwendigkeit hin, in der architektonischen Praxis diskursive, narrative Zusammenhänge herzustellen und strategische Entscheidungen zu treffen. Die Betonung von Details und Konstruktionslogiken kann dabei genauso den Weg weisen wie die Wahl bestimmter Medien, welche Materialität als Wirkungskraft unterminieren, verbergen und zum Schweigen bringen. Beide Strategien halten letzten Endes an der tief verwurzelten, unausgesprochenen Verbundenheit der Architektur mit materiellen und sprachlichen Praktiken fest. Diesen Umstand zu erkennen und ins Auge zu fassen kann als Befreiung wirken, stellt aber auch vor große Herausforderungen. Vom Architekten wird zum einen verlangt, sich wieder mit den Techniken des Mediums vertraut zu machen, eine Kompetenz, die mit der zunehmenden Spezialisierung verloren gegangen ist. Zum anderen wird ein nuancierteres kritisches Urteilsvermögen benötigt, um die Potenziale spekulativer Arbeit mit dem Material von einer redundanten Beschäftigung mit dem Fetisch Material zu unterscheiden. Materialität als Spielfeld aber abzulehnen, ob aus Naivität oder ideologischem Starrsinn, wäre letzten Endes 46

Preston Scott Cohen, Lightfall, Tel Aviv Museum of Art, Israel, 2010, Modell und Schnitte.

ein stillschweigender selbstzerstörerischer Verzicht auf Macht und Urteilskompetenz gerade dort, wo wir den größten politischen Einfluss haben. Es wäre der Verzicht auf die Möglichkeit des Bestimmens von Vorgaben, des Ergreifens architektonischer Chancen und des Vorantreibens von Innovation durch den Bezug auf die tektonischen Grundlagen der Praxis. Anmerkungen 1. Von den vielen Grundfragen der Architektur, die anhand des griechischen Tempels diskutiert wurden, sind die nach den Anschlüssen, Verbindungen und Details in vielerlei Hinsicht die wichtigsten. Sie erzählen eine Geschichte der Architektur, die bis heute reich an prinzipiellen Problemen und Kontroversen ist. Insbesondere betrifft dies die Beziehung von konstruktiven Tatsachen und deren angestrebtem Effekt. Man denke beispielsweise an die Triglyphen und die Vorstellung, dass diese die Endfasern von Holzbalken materialisieren sollten, wie sie auf dem Architrav aufliegen. Wenn schon die Fiktion, dass Holzteile in einem anderen Leben in der Form von Stein erscheinen, fantastisch genug ist, wie kritisch muss es erst werden, wenn die Triglyphen von der Seite des Tempels unter den Giebel an seiner Front wandern. Was bedeutet es, unter dem Paradigma der Sinnfrage gesehen, wenn die Enden der Balken rechtwinklig zur Richtung des Tempeltragwerks liegen? Ist das ein Fehler, oder unterläuft die systematische Adaption diese Einordnung? Oder dürfen wir dies als einen Akt der Ironie verstehen, zu einem Zeitpunkt, zu dem Tempel als heilig betrachtet wurden? Ist es eitle Ornamentierung oder bereiten die Triglyphen hier die Herrschaft des Ornaments vor? Oder anders gedacht: Wären die Triglyphen mit dem Ausdruck des Architravs aufgegeben und in die Unsichtbarkeit versenkt worden, hätten wir dann Zugang zu diesem Depot an Interpretationen oder der mit ihnen verbundenen Ethik? Man mag dies verneinen wollen, aber dann würde man auch genau den rhetorischen Antrieb vieler Projekte der modernen Architektur, des Minimalismus und einer Reihe von Arbeiten, die Gewinn in der Stille gefunden haben, verfehlen. Man würde aber auch die Nuance verfehlen, dass selbst die technischsten der architektonischen Anforderungen kaum, wenn überhaupt, nur eine Lösung haben, so dass jede Möglichkeit eines strukturellen, funktionalen oder formalen Determinismus auszuschließen ist. 2. Lynn, Greg. „Vorwort“. In: Reiser, Jesse u.a. Intricacy. Philadelphia: ICA, 2003.

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Zusammenfügung

Kruunenberg Van der Erve Architecten, Laminata-Haus, Leerdam, Niederlande, 2000, Detail Innenraum.

Nader Tehrani Justin Fowler

Aggregation, der Prozess, bei dem viele Einzelteile zu einem Ganzen zusammengefügt werden, ist allem Anschein nach eine notwendige Selbstverständlichkeit in der Architektur. Ob in Holz-, Stein-, Stahl- oder Betonbauweise, es wäre wohl kaum ein Bauwerk zu finden, das nicht das Resultat eines Zusammensetzens von Einzelteilen ist und danach strebt, mehr zu sein als die Summe seiner Teile. Sogar Beton, anfänglich in einem flüssigen Aggregatzustand, wird durch eine Schalung geformt, deren Aufbau das Ergebnis komplizierter Fabrikationsprozesse ist, die wiederum mit dem Vorgang der Aggregation in Verbindung stehen und einen dauerhaften Abdruck im Material hinterlassen. Aber es gibt begründeten Anlass, das Thema der Zusammenfügung neu aufzuarbeiten, verweist es doch auf einen der wohl fundamentalsten Aspekte der Architektur, der oft übersehen oder vergessen wird. Abstrakte Prozesse lassen die konzeptionelle Basis der architektonischen Tätigkeit oft in den Hintergrund treten. Wie kann es sein, dass die Entwurfstätigkeit sich heute so weit von den Aufgaben des Bauens, der Zusammenfügung von Einzelteilen, dem Wesen der Aggregation, entfernt hat? Die Antwort kann womöglich in einer immer gegenwärtigen Schaffensproblematik liegen, welche die Architektur, die Fachrichtung als Ganzes belastet: Architektur bietet einen Überschuss, einen Mehrwert über den Akt des Bauens hinaus, und einer der Eckpfeiler ihrer theoretischen Grundlagen, das tektonische Denken, tendiert dazu, die Beziehung zwischen dem Bauwerk als Tatsache und dem Bauwerk als Wirkungszusammenhang aufzulösen. Die Allgegenwart der Materie oder der Materialien und ihre gegebenen Beschränkungen in Dimensionierung, Gewicht und Konstruktionsmodul machen in der Architekturpraxis Parameter erforderlich, die eine Konfrontation zwischen Abstraktion und Realität, zwischen Wahrnehmung und Tatsache, zwischen dem Gegebenen und dessen Effekten herbeiführen. Die allgegenwärtige Problematik der Aggregation verfolgt die entwerfenden Architekten, deren konzeptionelle Methoden ihr gleichgültig oder naiv gegenüberstehen. Aber auch in Büros, die bewusster arbeiten, verstärkt sich die Präsenz des Themas am meisten dann, wenn es präzise und systematisch unterdrückt wird: Die Abwesenheit des Themas verwandelt sich in ein Signal seiner Bedeutung. Tektonik Die Beharrlichkeit tektonischen Denkens im Architekturdiskurs basiert auf der Unmöglichkeit, der konzeptionellen Verbindung

zwischen den konstruktiven Tatsachen und der Poetik des Effekts zu entkommen. Seine fortwährende Aktualität bedeutet jedoch nicht, dass das tektonische Denken gegen die Angriffe von den vielen Bewegungen, die es abzulösen versucht haben, gefeit gewesen wäre: Die Beschäftigung mit der Tektonik wurde weitgehend marginalisiert, unter anderem durch den Raum in der Moderne, durch die Ära der „paper architecture“, durch das Aufkommen des Diagramms und die taktisch-sozialen Projekte der informellen Architektur und der Nachhaltigkeit. Tektonisches Denken erscheint gegenwärtig oft als antiquiertes Relikt begrenzten Widerstandes gegen die angebliche Nuancenvielfalt der Netzwerkkultur. Vage Ideen von Gestalt, Performance, Atmosphäre und Umwelt dominieren das Fachvokabular. Durch ihre Weigerung, das Gebäude selbst als den Ort der Auseinandersetzung anzunehmen, haben diese Strömungen zeitgenössischer Architektur es geschafft, die essenziellen theoretischen und praktischen Fragen zu umgehen, die sich bei der ernsthaften Auseinandersetzung mit den Konstruktionsmitteln und -methoden und deren Anwendungen in verschiedenen Maßstäben zur Produktion einer weiten Spanne von Wirkungen stellen. Verzichtet die Architektur auf die tektonische Betrachtung, auf den fachspezifischen Einsatz ihres Mediums, dann gibt sie ihre Fähigkeit zur Erzeugung fachspezifischer Wirkungen preis und droht ihre soziale und politische Botschaft zu verwässern. Weil die aktuelle Tendenz in der Architektur dahin geht, solche Debatten, die den Akt des Bauens selbst betreffen, an Technokraten, Bauträger und Ingenieure abzuschieben, ergeben sich die Architekten der Illusion größeren gestalterischen Spielraums. Aber diese Tendenz steht eben auch für die überraschende Bereitschaft der Architekten, einen erheblichen Teil ihrer Macht abzutreten. Das architektonische Gebilde: Konstellationen von Teil und Ganzem Die Praxis des Bauens kann als eine produktive Spannung zwischen dem motiv- und bildhaften figurativen Aspekt und dem aus der konstruktiven Gestaltung herkommenden konfigurativen Aspekt aufgefasst werden. Das Figurative in seiner Grundbedeutung stellt die tektonischen Mittel in den Dienst einer lesbaren Form. Der Eiffelturm ist vielleicht das offensichtlichste Beispiel, aber auch allgemeinere architektonische Typologien wie etwa die Basilika oder die Rotunde weisen das durchdachte Zusammenfügen von Teilen zu einer erkennbaren Figur auf. Während die Bestandteile der Figur leicht verständlich bleiben mögen, ist die Form im Ganzen durch ihre Komponenten weder bestimmt noch eingeschränkt. 48

49

Moshe Safdie and Associates, Habitat 67, Montreal, Quebec, Kanada, 1967, Detail Ansicht.

Des Weiteren können auch externe Faktoren wie Abstandsregelungen und Grundstücksgrenzen das formale Bild prägen, ohne Rücksichtnahme auf fachliche Konventionen des Bautyps, der Formsprache oder der Konstruktion. Figuration kann, wie bei Frank Gehry (Abb. S. 63, 67, 72-74), aus konstruktivem Ausdruck ebenso erwachsen wie aus der analytischen Deduktion aus vorgegebenen Richtlinien, beispielsweise in der stereotomischen Operation des Subtrahierens, die Hugh Ferriss in seinen Zeichnungen von Manhattans monolithischen Wolkenkratzern angewendet hat. Die Konfiguration der Bauform dagegen arbeitet mit dem systematischen Einsatz von Teilen und gibt dem einzelnen Modul den Vorrang: sei es der Ziegelstein, der Träger oder die Wohneinheit. Dieser aggregative Prozess der Zusammenfügung wird nicht von vornherein von einer lesbaren Endgestalt bestimmt, doch nimmt er die Form sehr präzise anhand der Materialien, Konstruktionsmethoden und Montageregeln vorweg. Moshe Safdies Habitat 67 (Abb.) und Kisho Kurokawas Nakagin Capsule Tower sind die prototypischen modernen Beispiele solch eines konfigurativen Ansatzes, bei dem die Zusammenfügung der Teile eine reiche und abwechslungsreiche räumliche Komplexität erzeugt. Trotz des in ihnen angelegten Informellen sind diese Prozesse natürlich nicht freigestellt von den Zwängen der Organisation, und so muss auch Safdies Habitat sich am „italienischen Bergdorf“ messen lassen, wie Kurokawas Turm die technischen Anforderungen des Hochhaustyps aufgreifen und überwinden muss. Gottfried Semper war einer der ersten Architekten, der die innige Beziehung zwischen Konstruktion und Poetik verstanden hat. Mit den vier Elementen der Baukunst identifizierte er nicht nur einzelne Bestandteile der Baustruktur (Herd, Umfriedung, Erdaufwurf und Dach), sondern verband einen jeden mit einer spezifischen Materialcharakteristik (Keramik, Textilien, Stereotomie, Zimmerarbeiten), aus deren Zusammenwirken ein je besonderes Repertoire von Wirkungen entsteht. Semper trennt in seinem System außerdem die steife Tragkonstruktion von den weichen Einfassungen, die den Innenraum ausmachen. Dies basierte ursprünglich auf seinen Beobachtungen der hängenden Textileinfassungen assyrischer Behausungen, steht aber auch in bestimmten sprachlichen Zusammenhängen, wie etwa im Spanischen zwischen der Ecke im Innenraum (rincón) und deren Äquivalent im Außenbereich (esquina) unterschieden wird. Die Folgen dieser Unterscheidung hallen durch die Geschichte der modernen Architektur, von Adolf Loos‘ Unterscheidung zwischen den abstrakten öffentlichen 50

Fassaden seiner Häuser und deren opulenten Interieurs bis hin zu Koolhaas‘ Trennung der Hülle von der programmatischen Logik des Manhattan-Wolkenkratzers in seiner Analyse des Downtown Athletic Club oder auch Gehrys bewusster Dissoziation von skulpturalen Oberflächen und den Geometrien der Innenräume. Was diese Beispiele jedoch mehr oder weniger verfehlen, ist Sempers strenge Logik der Wechselbeziehungen zwischen der Werkstoffeigenschaft des Einzelteils und dessen entsprechender Verwendung in einem größeren Konstruktionsund Bedeutungssystem. Man mag Sempers Essenzialismus bezüglich spezifischer Assoziationen der unterschiedlichen Materialien ablehnen, ebenso wie seine Vorliebe für das Monumentale, doch was es von seinen Überlegungen aufzugreifen gilt, ist das Augenmerk auf der systematischen Verbindung zwischen Form und Materialität als einem Impulsgeber für präzise architektonische Wirkungszusammenhänge, die aus der Architektur entstehen und dann Auswirkungen im weiten Bereich der kulturellen Produktion und Kommunikation haben. Wenn Eisenman im Interesse der Autonomie der Architektur und einer von ihr ausgehenden Kulturkritik eine Haltung vertritt, die allein von den sprachlichen Bestandteilen der architektonischen Form ausgeht, bar jedweden Bezugs zur Materialität, dann sollte Sempers Methode als ein alternatives Verständnis der Spezifika von Architektur ins Auge gefasst werden, und zwar ein Verständnis, das ihr noch stärker nach außen zu wirken erlaubt, setzt es doch die formalen und sprachlichen Prozesse mit der Materialität und den für diese erforderten Methoden des Zusammenfügens in Verbindung. Musterfindung und das Problem der Ecke Das Thema der Aggregation ist unausweichlich an bestimmte Techniken und Konstruktionsmethoden sowie deren Beschränkungen gebunden. Ebenso ist Aggregation an Musterfindung gebunden, da alle Zusammensetzungen in irgendeiner Weise an systematische Konfigurationen gebunden sind, welche die Regeln (und Ausnahmen) einer bestimmten Baupraxis determinieren. Zum Beispiel bezieht sich das Aggregationsmuster des Mauerwerksbaus direkt auf die immanente Beziehung zwischen der tektonischen Baueinheit, dem Stein und den speziellen Anforderungen seiner Materialbeschaffenheit, und den durch deren systematische Anwendung erzeugten Wirkungszusammenhängen. Wie bei allen herkömmlichen Systemen der Musterfindung kommt der problematische Moment dann, wenn das System auf die Ecke oder Kante trifft. Dieser Ausnahmemoment zwingt tektonische Systeme dazu, entweder dem Mustersystem den Vorzug zu geben und es an

der Ecke zu unterbrechen oder aber es anzupassen, so dass die Ausnahme die Logik des Musters beeinflusst. Beim Mauerwerk im „Amerikanischen Verband“ mit seinem versetzten Wechsel von Läuferschichten muss das System unterbrochen werden, um alle sechs Schichten eine Binderschicht einzubauen, damit die Querfestigkeit der Mauer gewährleistet wird. Durch den Beschnitt der Mauersteine gibt es den Ausnahmefall der Ecke wieder. Der „Flämische Verband“ bezieht im Gegensatz dazu den Ausnahmemoment der Ecke mit ein, er verteilt eine synkopierte Anordnung von Binder- und Läuferschicht auf das Gesamtmuster und verleiht der Mauer eine ganzheitlichere und verteilte Querfestigkeit. Die klare Logik dieser zwei Aggregationsarten führt zu ganz verschiedenartigen konstruktiven und ästhetischen Effekten. Obgleich Semper ein Befürworter des materialgerechten Ausdrucks in der Bautektonik war, folgte er dennoch der Auffassung, die griechischen Tempel seien mit polychromer Malerei dekoriert gewesen. Ihre Gegner fand diese Auffassung bei den Neokantianern, die Materialreinheit für eine tiefere und vernünftigere Weise des Bauens hielten und also meinten, eine so aufgeklärte Gesellschaft wie im antiken Griechenland würde zweifellos in dieser Weise gebaut haben. Diese Tendenz, Tektonik unter ethischen Gesichtspunkten zu behandeln, einen moralischen Imperativ an einen bestimmten Baustil zu heften, wurde zu einem Schlüsselfaktor für die bis heute währende Marginalisierung des tektonischen Denkens. Kenneth Frampton hat sein ganzes Schaffen hindurch an einer kritischen Voreingenommenheit festgehalten, poetische Wirkung mit dem Anreiz eines ethischen Imperativs zu koppeln. Effekte würden umgekehrt ihren moralischen Wert verlieren, wenn sie nicht von einer ganzheitlichen Sensibilität für tektonische Artikulation und Materialausdruck getragen wären. Die Möglichkeit bestimmter Komplexitäten und Widersprüche, die wesentlich zu einem jeden Konstruktionssystem gehören, würde auf diese Weise wohl ausgeschlossen. Eine alternative Sichtweise müsste der Oberfläche einen eigenen rhetorischen Status zuerkennen, sie müsste die Oberflächenstruktur eines Gebäudes als seinen „tektonischen Imperativ“ anerkennen. Wechselbeziehungen zwischen den Tiefen- und den Oberflächenaspekten eines Bauwerks würden dann nicht zwischen gegebenen Tatsachen, sondern zwischen gewollten Betonungen herausgearbeitet. Um an die Stelle von Framptons Erbe, seinem grosso modo „Top-downApproach“ bei der Tektonik, treten zu können, müsste eine tektonische Praxis aus einer Art „Grassroots“-Haltung heraus 51

neu konzeptualisiert werden: indem bestimmte Materialien zusammen mit den ihnen entsprechenden Systemen der Aggregation auf ihre spezifischen Potenziale hin befragt und fruchtbar gemacht würden. Die Geister des tektonischen Essenzialismus können nur durch eine solche Analyse der Grenzbereiche von Materialpotenzialen vertrieben werden. Eine Praxis, die solche Grenzen zugleich annimmt und anficht, wird gut dafür aufgestellt sein, architektonische Lösungen zu entwickeln, die sowohl Performance als auch Ausdruck bieten, nicht das eine oder das andere. Zwei- und dreidimensionale Muster Als Protagonisten der Aggregation wurden in der Kultur des Tektonischen meist Module und Elemente gesehen. Musterfelder dagegen fielen bislang in den Bereich des zweidimensionalen Denkens und der Arbeit mit einer einzigen Variablen: mit Figur oder Grund, aber selten mit beiden. Solch ein beschränktes Denken herrscht in vielen Maßstäben, von Tapeten bis zu Stadtplanungen, bei denen typischerweise dem leitenden, mustergenerierenden Modul der Vorrang eingeräumt wird. Das Fischgrätenmuster ist solch ein Beispiel, es benutzt die Anordnungsbeziehung lotrecht gestellter Einheiten, um das gesamte gerichtete Feld zu bestimmen. Einige bemerkenswerte Ausnahmen haben neben der Figur auch den Grund, den räumlichen Überrest, als gleichberechtigten Partner in der Ausformung des Musters angesehen. Sigurd Lewerentz, zum Beispiel, benutzte den Zwischenraum des Mörtels anstelle des Ziegelsteins als eine formbare Figur und vergrößerte ihn, um Öffnungen im Feld des Mauerwerks zu schaffen. Diese simple Beobachtung ist der Ausgangspunkt für den expandierenden/ kontrahierenden Mauerwerksverband, den Office dA für die Casa La Roca entwickelt hat (Abb. S. 53). Die Dimensionierung des Mörtels wird hier als parametrisches Mittel genutzt, um Lichtdurchlässigkeit und Belüftung in eine ansonsten undurchdringliche Mauer einzuführen. SHoPs Dunescape-Projekt für das P.S.1 Contemporary Art Center des Museum of Modern Art in New York verwendete eine systematische Taxonomie flacher Profile, die erst im Moment ihrer seriellen Vervielfachung räumlich werden – ein zweieinhalb-dimensionaler Prozess, der sozusagen Muster durch zunehmende Verschiebungen extrudiert (Abb. S. 172). FOAs Fährterminal in Yokohama steht ebenfalls in der Tradition modulorientierten Denkens, auch wenn seine Form die Merkmale solch einer Abstammung nicht erkennen lässt. In diesem Fall tritt das Muster aus einer betont dreidimensional

aufgefassten Konstruktion hervor. Zwar gab es eine gewisse Rückkopplung in Gestalt von Querschnitten, die aus der übergeordneten Form extrahiert wurden, doch waren diese Komponenten auch strukturelle Notwendigkeiten für die Bildung des Ganzen, nicht nur Schnitte durch ein als solches noch unbeschriebenes Volumen. Die bildliche Trope des modularen Wohnens erreichte ihren scheinbar frühen Höhepunkt mit Moshe Safdies Habitat 67, einem Projekt, dessen tektonische Lesbarkeit den Standard für ähnlich ausgerichtete Experimente der Metabolisten und auch für aktuellere Projekte setzte, die um das zelluläre Wohnen kreisen (Abb. S. 50). Im Fall von LOT-EKs vorfabrizierten Frachtcontainer-Camps bleibt das Modul als visueller Bedeutungsträger erhalten und auch erkennbar, ohne dass jedoch die Methode der Zusammenfügung unbedingt aus den inhärenten Materialeigenschaften des Moduls abgeleitet würde. Rahmen, Gerüste und andere mechanische Hilfsmittel werden oft herangezogen, um den Effekt von Aggregation zu erzeugen. Das einzelne Modul ist in den Projekten von Greg Lynn, Ali Rahim und anderen meist weniger wahrnehmbar und geht in einem nahtlosen Ganzen auf, das sich einer montagehaften Zusammenfügung annähert, ohne dabei offen die Spuren des Konstruierens zur Schau zu stellen (Abb. S. 93, 98, 169). Doch selbst konsequent auf Nahtlosigkeit setzende Konzepte können nur durch eine strenge Handhabung der Erfordernisse der Fabrikation (Dimensionierung der Module, Konstruktionsverbindungen, Umweltschutzvorgaben u.a.) umgesetzt werden. Damit wird erkennbar, dass es sich bei der nahtlosen Kontinuität um die rhetorische Fassung eines der vielen möglichen Begründungszusammenhänge von Architektur handelt. Dieser Konflikt zwischen dem Performanceaspekt der tektonischen Zusammenfügung und deren bildhafter Erscheinung ist einer der umstrittensten Punkte, wenn es in der Tektonik um Fragen der Wirkung geht. Auch er geht wieder auf die Spannung zwischen den tektonischen Tatsachen und der Poetik der Konstruktion zurück. Wenn es über rein taktische Experimente mit Materialschichtungen zum Zweck technischer Erkundungen hinausgehen soll, müssen die architektonischen Mittel in einen umfassenderen raum- oder wirkungsspezifischen erzählerischen Zusammenhang eingebettet werden. Der Prozess des Zusammenfügens ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck. Techniken der Aggregation können nicht getrennt von ihrer Situierung und Integration in der übergreifenden Logik des jeweiligen Bauprojektes gesehen werden. 52

Office dA, Casa La Roca, Caracas, Venezuela, 1995, Detail Fassade, Modell.

Aus diesen Überlegungen heraus lässt sich nun eine Reihe von Ansätzen und Szenarien für Konfigurationen, also für den systematischen Einsatz modularer Teile, formulieren. Sie unterscheiden sich sowohl in den Techniken des Zusammenfügens als auch in den angestrebten Wirkungen: 1. Wörtlicher konfigurativer Ausdruck („Materialtreue“) für abstrakt figurative Räume Peter Zumthors temporärer Schweizer Pavillon für die Expo 2000 in Hannover lässt aus Holzträgern in recht konventioneller und undifferenzierter Weise eine Reihe abstrakter atmosphärischer Räume entstehen. Um den Effekt eines Holzlagers zu erzielen, wurden massive horizontale Balken roter Kiefer, getrennt durch dünne Elemente aus Lärche mit quadratischen Profilen, ohne Verwendung von Bolzen oder künstlichen Klebstoffen zu dichten, dabei durchlässigen Wänden gestapelt. Sie werden zusammengehalten durch gespannte Stahlstäbe, die vertikal durch die gestapelten Balken verlaufen und sie mit angespannten, an den Stäben angebrachten Stahlsprungfedern unter Spannung halten. Dank dieses Systems können sich die Wände allmählich setzen, während das Holz trocknet, weil es jedwede Verformung im Holz auffangen kann. Da auf sekundäre Verbindungsmethoden verzichtet wurde, konnte nach dem Ende der Expo das im Pavillon verbaute Material als abgelagertes Holz verkauft werden. Deutlich wird hier das Bewusstsein davon, dass sich die Metapher des Holzlagers in eine ökologisch fundierte Leistung umwandeln lässt, ohne die ursprüngliche Entwurfsabsicht zu verwässern. 2. Wörtlicher konfigurativer Ausdruck für Effekte der Wahrnehmung Das Hafengebäude Rohner von Baumschlager Eberle präsentiert sich in der trügerisch einfachen Form eines auskragenden rechteckigen Volumens aus Stahlbeton, das nur durch einen einzigen Kern ausbalanciert und verankert ist. Die offenkundige Missachtung der Schwerkraft, die das Gebäude an den Tag legt, ist nur die erste von mehreren phänomenologischen Manipulationen. Auch der Innenraum erscheint banal in seiner räumlichen Organisation und seiner Materialpalette, doch wird hier Holz konfigurativ eingesetzt, um den Effekt des engen Raumes zu verstärken. Gestoßene Lärchenholzplanken von einheitlicher Breite an den Längsseiten des Raumes lenken den Blick durch eine raumhoch verglaste Öffnung hinaus und rahmen ihn dabei durch das unwiderstehliche Auswärtsstreben der scheinbar kontinuierlichen Raumhülle ein. Einzigartig an diesem Innenraum ist die Art und Weise, in der ein technisch einfaches Modul und ein ebensolches System der Aggregation 53

Kruunenberg Van der Erve Architecten, Laminata-Haus, Leerdam, Niederlande, 2000, Ansicht und Innenraum.

in ein Spannungsverhältnis mit einer untypischen Lösung für die Innenverkleidung treten, welche die traditionelle Unterscheidung zwischen Boden, Decke und Wand verweigert. In diesem System wird auf Varianz vollkommen verzichtet zugunsten einer wortwörtlichen Direktheit in der Materialpräsentation, die das Erscheinungsbild des Materials zugleich verstärkt und auflöst. Die Richtungsbezogenheit des Holzes ist ein unverzichtbarer Aspekt bei der Konstruktion dieser Haltung, und der Fasereffekt, der durch die einheitliche Methode des Materialeinsatzes erzeugt wurde, wirkt Hand in Hand mit den perspektivischen Wirkungsabsichten, so dass die Tiefenwahrnehmung des Raumes ausgedehnt und die Grenzen des Baukörpers in die Landschaft hinausgeschoben werden. Das Rohner-Gebäude zeigt beispielhaft, wie ein komplexer Effekt dadurch erzielt werden kann, dass eine minimale Systemlogik den bestehenden typologischen Konventionen entgegengesetzt wird. 3. Wörtlicher, aber nicht-intuitiver konfigurativer Ausdruck für Effekte der Wahrnehmung Methoden der Materialschichtung oder -zusammenfügung weisen oft eine wortwörtliche Treue, ja Ehrfurcht gegenüber den traditionellen Eigenschaften bestimmter Materialien auf. Wie Zumthors Schweizer Pavillon als eine Abstraktion der Blockhüttenbauweise verstanden werden kann, die das strukturelle Potenzial des Stapelns von Holz wirksam einsetzt, so weist das Laminata-Haus von Kruunenberg Van der Erve Architecten eine gleichermaßen abstrakte, jedoch nicht-intuitive Verwendung des hier gewählten Materials Glas auf (Abb. S. 49, 54). Das Laminata-Haus, errichtet zur Feier der Stadt Leerdam, Hollands Glashauptstadt, besteht aus 13.000 zugeschnittenen, laminierten, in Profilen angeordneten Glasscheiben (vergleiche SHoPs P.S.1-Projekt S. 172). Unter Verwendung transparenten Klebstoffes sind die Glasschichten flächig miteinander verklebt und schaffen geriffelte Wände, deren Dicke von 10 bis 170 cm variiert. Obgleich diese Variationen zwecks Definition unterschiedlicher Räume im Haus angepasst werden, dienen die Glasschichtungen weniger als programmbezogenes Instument, wie etwa in SHoPs Projekt, sondern modulieren das Licht im ganzen Haus und schaffen dadurch eine rhythmisierte Abfolge von Wahrnehmungsbedingungen, die von vollkommener Transparenz bei den Wandöffnungen bis hin zu vollkommener Lichtundurchlässigkeit gleich einer Mauerwerkswand reichen. Lichtbrechungseffekte, verstärkt durch Luftblasen im Klebstoff zwischen den Glasschichten, erzeugen verschwommene Schemen bei Bewegungen durch den Hauptkorridor. Das Haus schafft kein radikales Neuverständnis von Innenraum, und seine Kargheit steht durchaus in einem bestimmten traditionellen 54

Steven Holl Architects, Simmons Hall, Cambridge, Massachusetts, USA, 2002, Ansicht und Fassade.

Zusammenhang stereotomischen Denkens, in dem Räume wie aus einer uniformen Masse herausgeschnitten erscheinen. Doch erzielt wird dieser Effekt hier durch einen additiven Schichtungsprozess, dessen Performance mit einer Mauerwerkskonstruktion unerreichbar wären. Die normative Raumanordnung des Laminata-Hauses mag dem sogar zum Vorteil gereichen, insofern die wahrnehmungsbezogenen Manipulationen durch das entstehende Spannungsverhältnis zum klar definierten Wohnhaustyp noch an Lesbarkeit gewinnen. 4. Selbstauslöschung der Konfiguration zugunsten figurativer Motive Steven Holls Werk umfasst das Figurative und das Konfigurative. Seine Projekte spiegeln oftmals die Absicht wider, ihren Ort selbst zu bauen und Aspekte des Bauprogramms mit einer figurativen Sprache anzugehen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit bei seinem Wohnungsbau in Fukuoka steht das Verzeichnen der Raumanordnung auf der Fassade. Die ineinandergreifenden Oberflächen übertragen das volumetrische Wechselspiel im Inneren. Im Gegensatz dazu soll bei dem Studentenwohnheim Simmons Hall ein neutrales Flächenraster der Fenster die Kontrastwirkung verstärken, die durch herausgeschnittene Hohlräume in einem ansonsten standardmäßig angelegten Block entsteht (Abb.). Sie bezeichnen die Gemeinschaftsräume. Die Lesbarkeit auf das Raumprogramm hin, die viele von Holls frühen Arbeiten charakterisiert, erscheint hier in einer etwas pervertierten Form, indem die Wahrnehmung der Maßstäbe vereitelt wird. Um den Effekt eines regelmäßigen Oberflächenrasters zu erzielen, werden L-förmige Aluminiumpaneele über die gesamte Oberfläche so zusammengefügt, dass eine Serie identisch dimensionierter quadratischer Öffnungen entsteht. Im Intervall von jeder dritten Fensterreihe treten Geschossdecken auf; keine Anzeichen der Tragkonstruktion lassen sich auf der Fassade ablesen. Die Aggregation der Fassadenoberfläche löscht mit diesem Kunstgriff die räumliche Aggregation der dahinterliegenden Wohnmodule aus. Zwei voneinander unterschiedene Systeme der Zusammenfügung wirken gegeneinander und verhindern die Wahrnehmung des Konstruktionsmoduls. 5. Konfiguration als Konstruktion und als Bild Gramazio & Kohlers Fassade für das Weingut Gantenbein in Fläsch löst Aufgaben in den Bereichen Konstruktion, Licht und Bildhaftigkeit mittels einer umfassenden Oberflächenstrategie (Abb. S. 56, 57). Unter Verwendung parametrischer digitaler Entwurfsprozesse wurde mit 20.000 Ziegeln ein Muster geformt, das an übergroße Trauben erinnert, die aus dem von Bearth & Deplazes entworfenen Bauköper herausschwellen. 55

Gramazio & Kohler, Weingut Gantenbein (Bearth & Deplazes, Architekten Gesamtgebäude), Fläsch, Schweiz, 2006, nicht-standardisierte Ziegelfassade, Fabrikation und Ansicht.

Mit einem Roboterarm wurden die Mauersteine zu rechteckigen Flächenmodulen zusammengesetzt, die vor Ort in einem Raster von Betonrahmen montiert werden konnten. Die Oberfläche bildet hier ein spezifisches Bild als Werbeschild für die Gebäudefunktion und gleichzeitig eine variable Folge von Öffnungen, um indirektes Licht und Luft für den Fermentationsprozess der Trauben hereinzulassen. Der unverblümt pittoreske Effekt im Rahmen einer plastisch anmutenden Oberfläche wird aus einem einzigen Konstruktionsmodul gewonnen. Materialität wird so zugleich verstärkt und ausgelöscht. Diese Konsistenz im Material, aus der verschiedene Effekte gewonnen werden, steht in scharfem Kontrast zu der Arbeit von BIG und Herzog & de Meuron, wo eine ähnliche Komplexität der bildhaften Wahrnehmung mit viel Aufwand erzeugt wird. Ein virtuoses Trommelfeuer von für diesen Zweck eingesetzten Mitteln bieten Bjarke Ingels Mountain Apartments: Eine reiche Logik der Zusammenfügung der Wohnmodule, bestimmt vom Raumprogramm, dem Bemühen um viel Licht und der Zuordnung von Terrassen für jede Einheit, ergibt ein kraftvolles Bild. Allerdings wird das gesamte Arrangement symbolisch armiert und präventiv untergraben durch das Siebdruckbild eines Berges am Fuß des Komplexes. Diese etwas eindimensionale Provokation zeugt von der Auffassung des Gebäudes als einer ikonischen Metapher, nicht aber als kohärenter Arbeit, bei der wörtliche Repräsentation aus der Logik der Konfiguration entstünde. Sempers Unterscheidung zwischen den verschiedenen tektonischen Elementen hat den Weg für solch eine extreme Trennung zwischen bildhaftem Ausdruck und konstruktiver Logik bereitet. Vielleicht lässt sich aber in der Fassade des Weinguts Gantenbein eine effektivere architektonische Praxis erkennen, indem dort eine Vielfalt von Effekten durch begrenzte Mittel erzeugt wird, ohne dabei auf den nostalgischen Begriff der Materialtreue oder den willkürlichen Einsatz dissonanter Techniken zurückgreifen zu müssen. 6. Varianz in der Konfiguration für räumliche und tektonische Leistungen Der Sportklub Villa Moda und das Issam Fares Institute von Office dA setzen konfigurative Taktiken ein, um Effekte zu erzielen, die über den Ausdruck der verwendeten Materialien oder dessen Auslöschung hinausgehen. Angestrebt wird eine direkte Interaktion zwischen den jeweiligen lokalen Bedingungen in Kuwait City bzw. Beirut und den Experimenten mit Varianz in Geometrie und Aggregation – Experimente, die in der Kompetenz der Disziplin Architektur gründen.

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Gramazio & Kohler, Weingut Gantenbein, Detail Fassade.

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Office dA, Sportklub Villa Moda, Kuwait, 1995 bis heute, Typen und Konfigurationen.

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Die Grundstruktur des Entwurfs für Villa Moda (Abb. S. 58) besteht aus vier Ebenen, die in den Tiefen und den Geometrien variieren. Unter dem Erdgeschoss befindet sich ein Parkgeschoss für Anlieferungen, Haustechnik und technische Gebäudeausrüstung. Das Erdgeschoss wird von einer wellenförmig verlaufenden öffentlichen Fläche gebildet, die die Hauptfunktionen Arena, Kongresshalle, Souk/Einkaufsstraße, Aquatic-Center und Hotel-Lobby aufnimmt; die Oberfläche sinkt ab und steigt an je nach Funktion (z. B. Schwimmbereiche und Arena) und auch in Bezug zu den erweiterten öffentlichen Zonen wie etwa der Shop-Ebene. Über der öffentlichen Ebene breitet sich ein durchgehendes weitläufiges Dach aus, eine Konstruktion, die gemischte programmatische Funktionen, Erschließungen, konstruktive Notwendigkeiten und vertikale Kerne enthält. Aus dieser Erfindung resultiert zu weiten Teilen die Identität des Entwurfs: Ein großer „Teppich“, der Krone eines großen Banyanbaumes ähnlich, spendet den öffentlichen Bereichen Schatten und schützt das Gelände vor Kuwaits Gluthitze. Trotz seines ebenfalls wellenförmigen Verlaufs ist dieses Dach auf einem konventionellen Raster aufgebaut, das von den repetitiven Anordnungen der Wohneinheiten abgeleitet ist, die geschachtelt die vierte Ebene dieses Systems bilden. Die Wohnebene formt die zweigeschossige Decke des Daches, sie wird ausgehöhlt, um Licht und Luft in Innenhöfe und damit auch Tageslicht in die darunterliegenden öffentlichen Bereiche zu lassen. Die ästhetische Wirkung des Projekts resultiert aus einer Konfrontation mit Geometrie und Musterbildung, die direkter ist als ihre eher abstrakten und anspielungshaften Entsprechungen in Kuwaits Geschichte. Es gibt keine universale Geometrie, die den unterschiedlichen Baubereichen gemein sein könnte, weil jeder Gebäudetypus seine eigene autonome Organisation, Formsprache und Gestalt verlangt. Also wurde für jeden Typ die adäquate Geometrie aus der jeweils naheliegenden figuralen Gestalt bezogen: einem Kreis für die Arena, einem Dreieck für das Theater, einem Quadrat für die Innenhöfe usw. Einzigartig ist die Art und Weise, in der diese Geometrien zusammengefügt werden: Anstelle von typologisch orientierter Aggregation oder Fragmentierung fügen wir die dissonanten Geometrien der unvereinbaren Typen mittels einer Metamorphosetechnik zusammen. Sie beruht auf der Transformation geometrischer Zellen durch das Hinzufügen von Eckpunkten. Zum Beispiel wird eine quadratische Zelle durch die Addition von zwei Eckpunkten zu einem Hexagon, das nun den Übergang von dem quadratischen Hofhaus-Typus in die kreisrunde Arena bewältigen kann. Durch diese präzise Inszenierung von Grundrisstypen und

eine korrespondierende Konstruktion kann trotz typologischer Vielfalt und Heterogenität die Nahtlosigkeit einer organischen geometrischen Logik erreicht werden. Der ästhetische Effekt ist des Weiteren verstärkt durch die Arbeit mit lokalen Materialien, Klima, Landschaft und Texturen, aufgegriffen als anspielungshafte Zeichen von Lokalkolorit. Die Tragkonstruktion dieser Typologie ist nicht unabhängig von der Gestaltung. Die Vielzahl der Programme erlaubt hier der Konstruktion, die Besonderheit der architektonischen Form zu beeinflussen. Die Konstruktion folgt der Logik der schwammartigen Form und des Material-Gewicht-Verhältnisses menschlicher Knochen: eine Bälkchenstruktur, in der Material effizient entsprechend der auftretenden oder antizipierten Belastungen konzentriert und gleichzeitig, wie in Wolffs Gesetzen der menschlichen Anatomie beschrieben, im Gewicht minimiert wird. Was bei Knochen hier und da sichtbar wird und in der Bauwerkskonstruktion in Form individualisierter Massenfertigung auftritt, stellt tatsächlich eine effiziente Art der Materialverwendung dar, die Material dort, wo es zur Stärkung und Festigkeit erforderlich ist, zur Verfügung stellt und andernorts reduziert. Dies kann durch klare, präzise Wechsel in den Querschnitten umgesetzt werden oder, wie hier, in einer geschmeidigeren Form. In Bereichen eines hohen Moment- oder Querkraft-Aufkommens oder besonderer Ansprüche an die Wartbarkeit verändert sich die Form des Deckensystems von einem standardmäßigen, orthogonalen, gleichtiefen Rippensystem in ein System tieferer, breiterer und/ oder enger gereihter Rippen. Die wechselnde Form reagiert auf die Lasten und die Erfordernisse an Stärke und Standfestigkeit. Diese Variabilität in den geschachtelten Geometrien ist zugleich konstruktiv und ästhetisch. Sie bezeichnet Vielfalt im Programm durch Dissonanzen in der Konfiguration. In ähnlicher Weise entwickelt Office dAs Entwurf für das Issam Fares Institute der American University of Beirut eine Strategie, die zwischen dem Figurativen und dem Konfigurativen wechselseitig vermittelt (Abb. S. 60, 61). Das Projekt entstand in Auseinandersetzung mit der Natur mindestens ebenso sehr wie mit der Architektur: Der Hain von Ficusbäumen, in dem das Grundstück liegt, stellte eine beträchtliche Herausforderung für die Positionierung neuer Pfahlfundamente zwischen ihren Wurzeln dar. Das diesmal nicht zwei-, sondern dreidimensionale geometrische Modul entfaltet beträchliches parametrisches Potenzial: Ein an drei Seiten beschnittenes Dreieck wird zum Hexagon und etabliert damit beide Figuren als genetisch verwandt. Diese simple Beobachtung bietet die Möglichkeit 59

Office dA, Issam Fares Institute, Beirut, Libanon, 2006, Ansicht und Aussenraum, Renderings.

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Office dA, Issam Fares Institute, Transformation der Tragwerksformen.

einer Vielfalt von Transformationen der konstruktiven Formen, die gebraucht werden, um die Komplexitäten sowohl auf städtebaulicher Ebene wie auch in den Raumprogrammen zu bewältigen. Die Geometrien boten einen Weg, um Säulen, Pilotis, Träger, Wände und andere konstruktiv-räumliche Elemente unter Verwendung eines einzigen organisierenden Moduls zu integrieren. Das Gebäude, das sich hier scheinbar unter den Bäumen verbirgt, wendet Konfiguration als eine Strategie an, welche die konstruktiven, räumlichen und programmatischen Möglichkeiten der Organisation einsetzt, um vermeintlich widersprüchliche Aspekte in eine kohärente architektonische Figur zu integrieren. 7. Entropische Konfiguration Schichtungen oder Zusammenfügungen entstehen in der Regel als systematische Versuche, eine wiederholbare Logik zu entwickeln oder eine figurale Wirkung in einem gegebenen Kontext zu erzielen. Es ist aber denkbar, solche mit Konfiguration arbeitenden Materialtechniken auch ohne wahrnehmbare Logik oder Absicht zu verfolgen. Der in Massachusetts, USA, lebende Künstler Tom Friedman arbeitet in dieser Richtung mit Werken wie Inside-Out, wo Objekte aus einem Pappcontainer herausfallen und sich in einer scheinbar zufälligen Zusammensetzung von Fundstücken über den Boden verbreiten. Arbeiten mit Styropor-Verpackungsteilchen folgen der gleichen Art, wobei es hier nur eine einzige Einheit gibt, deren Aggregation nicht durch materialspezifische Eigenschaften bedingt ist, sondern dadurch, dass die Teilchen auf jeder beliebigen Oberfläche durch statische Aufladung zusammenhalten.

stärker kritisches, indirektes Verhältnis zur erzählerischen Entwurfsabsicht. Praktiken der Aggregation steuern einen Kurs zwischen der Figuration als dem Ziel und der Konfiguration als dem Weg dorthin. Sie suchen nach intelligenten Lösungen bezüglich Materialverwendung, Mitteln und Methoden sowie wahrnehmungsbezogenen Wirkungen. Methoden der Materialaggregation und Konfiguration bleiben bloße Handübungen, wenn sie nicht in übergreifende, auf Wirkung gründende Strategien und Konstruktionslogiken eingebunden werden. Architektur beinhaltet stets ein Übermaß, einen Mehrwert, der nicht aus der Technik allein abgeleitet werden kann. Eine bewusste Materialverwendung setzt genau dort an, wo gewohnte Arbeitstechniken versagen. Sie braucht eine Ausrichtung und eine Zielsetzung, um klug zwischen den drängenden Spannungen von tektonischen Gegebenheiten und der Poetik des Effektes zu vermitteln.

Ronan und Erwan Bouroullec haben diesen Ansatz zu einem stärker räumlich betonten Ergebnis geführt mit ihren „Algues“, spritzgussgeformten, tentakelartigen Polypropylen-Formteilen, die sich an den Enden verbinden lassen. Die modularen Elemente haben 19 Ösen und können an jedem dieser Punkte unter Verwendung kleiner Plastikstifte miteinander verbunden werden. Auch wenn die Teile bestimmten Beschränkungen in ihren konfigurativen Möglichkeiten unterliegen, sind diese doch minimal und lassen vielfältige nutzungsbestimmte tektonische Wirkungszusammenhänge zu, von halbtransparenten, untereinander verwobenen Sichtblenden bis hin zu ganzen Räumen. Fazit Aggregation und tektonische Konfiguration bezeichnen Strategien, die über das Arbeitsethos der Materialtreue hinauszugehen versuchen. Stattdessen entfalten sie ein 61

Verbindungen und Anschlüsse

Frank Gehry, Guggenheim Museum, Bilbao, Spanien, 1997, Detail Ansicht.

Thomas Schröpfer Elizabeth Lovett

In der Architektur zeugen die Details von den Grenzen unserer Versuche, mit Hilfe von Werkzeugen Veränderungen an den Ausgangsmaterialien vorzunehmen. Die mehrachsigen Rotationen und Übersetzungen von Werkzeugen, wie sie in das traditionelle Fachwissen des Handwerks eingegangen sind, stehen für Entwerfer nur so weit zur Verfügung, wie deren kommunikative Möglichkeiten reichen, um diese präzise in die Form eines anwendungsbezogenen Werkzeugs zu übertragen. Ein Architekt ist kein Handwerker und daher auf ganz andere Mittel der Kommunikation angewiesen, um auf ein Material einzuwirken. Die Komplexität dieser Mittel kommt letztlich in den architektonischen Verbindungen und Anschlüssen eines Projekts zum Ausdruck. Die traditionelle Methode der zweidimensionalen Projektion beschränkt Entwerfer dabei auf einfache planare Vorgehensweisen und lässt sowohl räumliche Tiefe und Abfolgen als auch eindeutige geometrische Definitionen vermissen. Die Komplexität der Verbindungen und Anschlüsse spiegelt daher nicht zuletzt den Einfallsreichtum bei der Darstellung und Dokumentation der Entwurfsabsicht wider. Verbindungen und Anschlüsse sind insofern kennzeichnend für eine Baukultur im Spannungsfeld der Entwurfsabsichten und der verfügbaren Werkzeuge der Kommunikation und Realisation. Dies ist der Rahmen, in den sich die Beziehungen der Gestalter zu den Materialien einschreiben, vom präzisen, intuitiven Vorgehen des Handwerkers bis hin zum abstrakten, umfassenden des Architekten. Um eine Verbindung oder einen Anschluss im Zusammenhang eines Entwurfs zu verstehen, bedarf es eines Wissens, welches über das Begreifen des Zusammenfügens von Komponenten hinausgeht. Materialeigenschaften und -beschränkungen gilt oft das Hauptinteresse bei der Suche nach Fügungen und Anschlüssen, doch obgleich sie entscheidend für die Lösung architektonischer Verbindungen sind, bilden sie doch nur einen Teil der Gleichung. In einer Materialkomposition schaffen Verbindungen und Anschlüsse nie isolierte Nachbarschaften von Materialien, sondern sie spiegeln die umfassendere Entwurfslogik wider. Notwendige Toleranzen zwischen Materialien zeigen dabei Konstruktionsabläufe und Informationshierarchien auf und bedingen oftmals Änderungen der ursprünglichen gestalterischen Absichten. In der Architektur sind Verbindungen und Anschlüsse die resultierende Balance aus entwerferischer Absicht, Prozess, Form und Struktur.

Die Rolle der Detaillierung im Entwurfsprozess Fragen der Detaillierung kreisen oft um die Beziehung der Teile zum Ganzen. Bauwerke werden für ihre Konsistenz von Entwurfskonzept und Materialverbindung geschätzt. Ein Ausdruck dessen ist die als „Total Design“ bezeichnete ethische Perspektive. Diese von Architekten der frühen Moderne und der Arts-and-CraftsBewegung gepriesene Idee, den Ausdruck eines Gebäudes durch seine Form bis hin zu seinen Details zu bestimmen, erscheint heute naiv. Kaum ein Architekt könnte so arbeiten, dass der Umgang mit Material für jedes Projekt neu entwickelt wird. Dies ließe auch kaum Möglichkeiten, Materialprozesse über einen längeren Zeitraum mittels einer Reihe von Projekten zu entwickeln. Und während es im Bereich von Materialverbindungen starke Veränderungen gab, haben in der Baukultur als Ganzes nur wenige systematische Wandel stattgefunden; die größten Veränderungen gingen in den internen Arbeitsprozessen bei den Architekten und Architekturbüros vor sich. Konzentriert man sich also zu sehr auf Verbindungen, dann gerät disproportional die Einzigartigkeit des Details eines Architekten oder eines Projekts in den Blick. Dies gibt der Form Vorrang vor der Struktur und schreibt einer bestimmten Art von Baumethoden besonderen Wert zu. Zwar liegt darin eine größere Anerkennung der Komplexitäten des individuellen Projekts, doch lässt dies den Fachdiskurs kurzatmig werden. Das Ausblenden der alltäglichen, wenig ausdrucksstarken Details ignoriert in gewisser Weise die heutige Baukultur und die Einflüsse der Bauindustrie. Detaillierung wird zu einem Markenzeichen, sie verliert die Spannung zwischen Form und Struktur, auf der ein interessantes Projekt basieren kann. Die Auffassungen des Verhältnisses zwischen Teil und Ganzem polarisieren sich als „Bottom-up“- und „Top-down“-Ansätze. Ein „Bottom-up“-Vorgehen nimmt seinen Ausgangspunkt in Prozessen der Aggregation von Teilen, die letztlich die Form bestimmen; das „Top-down“-Vorgehen nimmt seinen Ausgangspunkt bei einer bestimmten Form und ordnet dieser die Teile unter. Doch verkörpert wohl kein Projekt eines dieser Extreme ganz. Ein erfahrener Architekt kennt die nicht-lineare Natur des Entwurfsprozesses in der Abwägung zwischen den Erfordernissen des Materials und den Ambitionen der Gesamtform. Die vereinfachende Vorstellung von „Bottom-up“- oder „Top-down“-Vorgehen löst architektonische Projekte aus ihrem Zusammenhang. Entstanden aus dem Verlangen nach einer einheitlichen Verständigungsbasis, wirkt diese Vorstellung polarisierend und stellt die Projekte abseits der gängigen Materialprozesse im Bauwesen. Die Dinge so zu betrachten wäre dem kreativen Arbeiten kaum förderlich und schüfe 62

Michel de Klerk, Wohnkomplex Het Schip, Amsterdam, Niederlande, 1921, Ansicht.

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hauptsächlich weitere Diskussionen. Eine angemessenere Auffassung des architektonischen Details wendet sich den spezifischen Methoden zu, mit denen unsere Werkzeuge die Materialien bearbeiten. Teil und Ganzes sind beides Aspekte dieser Auffassung, doch an der Wurzel jeglicher Materialdetaillierung liegt der Prozess der Detaillierung als entwerferische Vorgehensweise. Aus dieser Perspektive erscheinen markenhafte Details dann als Ausdruck einer gewollten Distanzierung vom Gewöhnlichen, so dass sowohl der Zusammenhang der Teile als auch die Form als Ganzes ins Blickfeld geraten. Die Methoden der Materialbearbeitung sind das Resultat einer langen Entwicklung choreografierter Bewegungsabläufe, die durch ein Werkzeug auf ein Material angewendet werden. Holz benötigt dabei beispielsweise ein Beachten der Richtung der Maserung, wenn es geschliffen, gehobelt oder gesägt wird, wie es Stein oder Ziegel nicht verlangen. Die Sprödigkeit vieler Materialien bestimmt die Geschwindigkeit und die auf sie angewendete Kraft bei der Bearbeitung. Diese kann abhängig vom jeweiligen Material auch das einfache Entfernen von Masse durch Faktoren wie Schneide- und Spanwinkel, Abfolge und Splittertoleranzen umfassen. Die meisten dieser Faktoren werden auf der Ebene der Gewerke angegangen, unter Umgehung der Architekten und Bauunternehmer, und zwar unabhängig vom Grad der Industrialisierung der Fabrikationsprozesse nach wie vor von jeweils demjenigen Gewerk, welches am engsten mit dem entsprechenden Material verbunden ist. Hier werden Prozessfehler behoben, bis das beste Resultat erreicht ist. Doch wenn etwas von der Norm Abweichendes erzielt werden soll, müssen Entwerfer sich mit diesen Prozessen auseinandersetzen. Wird eine besondere Lösung der gängigen vorgezogen, dann muss damit begonnen werden, die Bewegungen von Werkzeugen bei der Materialbearbeitung zu verändern. Struktur und Form architektonischer Verbindungen Architekten bauen immer mit Bezug zu lokalen Praktiken. Diese werden normalerweise außerhalb ihrer Disziplin durch die Bauindustrie und die Gewerke entwickelt und auf die verfügbaren Materialien abgestellt. Architekten entwerfen im Dialog mit diesen Praktiken. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang oft genannt wird, ist der des „traditionellen“ Bauens, doch wegen der Assoziation mit einfachen und wenig fortschrittlichen Baumethoden soll hier darauf nicht zurückgegriffen werden. Architektonische Verbindungen und Anschlüsse befinden sich in fortwährender Entwicklung und können einen hohen technischen Fertigungsgrad erfordern. Sie

sind das Resultat des Drucks von Seiten der Materialwirtschaft, der Beschaffungs- und Lieferindustrie und der Darstellungsmethoden von Entwerfern und Ausführenden. Architektonische Innovation bezieht sich dabei immer auf etablierte Praktiken. Als die Stadt Amsterdam im Jahr 1905 ihre erste Bauordnung einführte und Johan van der Mey als ästhetischen Berater berief, erhielt eine Reihe ausgewählter Architekten die Möglichkeit, neue und kreative Wege des Bauens zu beschreiten. Eine Reihe von hauptsächlich auf Mauerwerksbauweise basierenden Wohnungsbauprojekten brachte nun eine traditionelle holländische Materialsprache zu neuen gestalterischen Höhen. Het Schip von Michel de Klerk ist eines der besten Beispiele hierfür (Abb. S. 64). Es zeigt nicht nur eine Reihe neuer architektonischer Ornamente aus Mauerwerk, sondern fügt Ziegel zu völlig neuen Gebäudeformen zusammen, indem es von der rechtwinkligen holländischen Mauerwerksbautradition abweicht und mit anschwellenden und gekrümmten Formen die ausführenden Maurer dazu brachte, mit auskragenden Elementen die Grenzen ihres Gewerks aufs Neue auszuloten. Dabei war die expressionistische Detaillierung des Mauerwerks keine völlig neue Erfindung; viele Elemente der traditionellen holländischen Mauerwerksfassade wurden beibehalten, nun aber neu interpretiert. Typische Gesimse und Fensterrahmen wurden durch einen kreativen Umgang mit den Verbindungsdetails dazu gebracht, neue Formen anzunehmen. Eine Auflockerung in der Platzierung der Mauersteine im Mörtelbett erlaubte Krümmungen des Mauerwerks ohne eine Veränderung des Grundmoduls. Die traditionelle Richtungsbezogenheit des Mauersteins wurde ebenfalls neu interpretiert, da Mauerwerksschichten nun verschiedene Verbandmuster aufwiesen, oft einfach des Effekts halber. Die hieraus resultierende Hierarchie horizontaler Schichten trug zur Gesamtwirkung der neuen Formensprache bei. Office dA hat diesen Zusammenhang zwischen der Form und der Struktur der Detaillierung in seiner Arbeit aufgegriffen: „… der erste Entwurfsansatz entspringt dem Gedanken, dass ein Detail dann erforderlich wird, wenn es zwei Elemente zu verbinden gilt – wenn zwei Materialien eine Fügung benötigen, wenn zwei Teile eines Gebäudes miteinander verbunden werden müssen oder wenn zwei unvereinbare architektonische Situationen nach einer Vermittlung verlangen.“1 Ihr Toledo House außerhalb von Bilbao zeugt von einer alten, tief verwurzelten lokalen Baukultur, die im Konstrast zu einer neuen, importierten steht (Abb. S. 66). Während das Guggenheim Museum in Bilbao (Abb. S. 63, 67) von Frank Gehry den Einsatz integrativer CAD/CAM-Technologien hervorkehrt, ist das Toledo House ein 65

Office dA, Toledo House, Bilbao, Spanien, 1999, Ansicht und Detail, Modell.

Beispiel für eine behutsamere Einführung dieser Technologien. Aufbauend auf lokalen baskischen Baupraktiken, kam eine Kombination aus Holzrahmenbau und Mauerwerksausfachung zum Einsatz. Dabei wurden dennoch mittels neuer Methoden neue räumliche Effekte erzielt. Lasergeschnittenes Sperrholz definierte wie im Bootsbau den Umriss der komplexen Form. Seine Funktion war dabei ähnlich der eines Holzrahmens als konstruktivem Element. Es übernahm auch die Funktion von Führungsträgern und ermöglichte so die Herstellung einer amorphen Wand. Die resultierenden Formen waren durch die zweidimensionale Schnitttechnik bedingt, welche Führungsträger nur als flache Elemente innerhalb des Aufrisses zuließ. Die Kurvatur zwischen den Führungsflächen wurde dann durch den Bauunternehmer erstellt. In diesem Projekt lassen sich die Spannungen zwischen den traditionellen und den avancierten Technologien an der Auflösung der Fassade ablesen. Der digitale Entwurfsprozess eignet sich gut für die Erzeugung von Krümmungen, aber die Mauerwerkseinheit erlaubt diese nur, wenn sie als planare Oberflächen ausgeführt werden. Wenn also die traditionelle Konstruktionseinheit, der Ziegelstein, nicht angetastet werden soll, dann ist die Auflösung der Fassade von der Größe dieses Moduls abgängig, von dem Grad seiner Auskragung über das jeweils darunterliegende Modul und von den Intervallen der während des Bauprozesses platzierten Sperrholzschalungen.2 Das Spiel der Module und Abstände entsteht aus dem Zusammenkommen einer intendierten Form mit einem existierenden Baumaterial, einer neuen Methode mit traditionellen Arbeitsabläufen. Um ein solches untypisches Gebäude im Rahmen einer existierenden Baukultur realisieren zu können, nahmen die Architekten eine aktive Rolle im Bauprozess ein. Die Bereitstellung der Holzrahmenschalung erforderte von den Architekten eine hohe Vertrautheit mit den Details der Baumethoden und auch die exakte Festlegung der Kurvaturen auf verschiedenen Ebenen des Gebäudevolumens. Ähnlich wie bei der traditionellen Bauweise eines Bootsrumpfes, stellten die Entwerfer eine Reihe exakter Formen zur Verfügung, die es den Gewerken erlaubten, unter Einbeziehung der Materialbedingungen die endgültige Form zu ermitteln. Während diese Art der kommunikativen Vermittlung formaler Eigenschaften bei manchen Materialien gut funktioniert, benötigen andere neue Methoden und Werkzeuge der Vermittlung zwischen Entwerfenden und Bauausführenden.

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Frank Gehry, Guggenheim Museum, Bilbao, Spanien, 1997, Detail Ansicht.

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Komplexitätsgrade von Verbindungstechniken in den USA und Japan Die Komplexität architektonischer Verbindungen ist vom Zusammenspiel von Entwerfern, Ausführenden und Materialien abhängig. Die Industrialisierung des amerikanischen Holzrahmenbaus entwickelte beispielsweise ein auf hoher Geschwindigkeit der Herstellung und Verfügbarkeit von Bauprodukten beruhendes System mittels einer Bauindustrie, die auf einer strengen Trennung der Gewerke, einer Vereinheitlichung der Materialverwendung sowie einer Regulierung von Konstruktionstechniken basierte. Das Bauen wurde so kostengünstiger und erforderte weniger Kenntnisse der Materialdetaillierung. Leichtigkeit, zeitliche Begrenztheit und Effizienz wurden zu Entwurfsparametern. Frühe amerikanische Holzständerkonstruktionen wurden zunächst auf Planwagen und später mit der Bahn transportiert. Heutzutage kann ein durchschnittliches amerikanisches Holzständerhaus von nur drei oder vier Handwerkern in kürzester Zeit errichtet werden. Abstriche müssen bei dieser Bauweise bei der Individualität des Endprodukts, der Flexibilität des Entwurfs und der Kommunikation der Gewerke untereinander gemacht werden. Vorgefertigte Lösungen dieser Art können außerdem Probleme bei unvorhergesehenen Nutzungen mit sich bringen und sorgen oft für Spannungen zwischen individuellen Entwurfsabsichten und den damit verbundenen Kosten. Bei dieser Methode wird nicht Materialität zum Ausdruck gebracht, sondern Material wird optimiert: Durch die Bedingungen und die Wiederholung formaler Merkmale werden Materialbesonderheiten unterdrückt. Der Umgang mit Material wird in gleicher Art und Weise vereinfacht wie die Kommunikation zwischen Entwerfenden und Ausführenden. Eine Kombination von zweidimensionalen Zeichnungen und geschriebenen Spezifikationen reduziert die materialbezogenen Arbeitsabläufe auf einfache lineare Prozesse. Das Gegenbeispiel zum amerikanischen ist der japanische Holzbau, der in seiner 1.500-jährigen Geschichte von Familien und Zünften geprägt wurde. Japanische Verbindungstechniken bezeugen einen großen Respekt für das Material und die Werkzeuge, mit denen es bearbeitet wird. Schreiner durchlaufen eine strenge Ausbildung, um ihr Handwerk zu erlernen. Fünfzehn Jahre Erfahrung werden dabei beispielsweise als notwendig erachtet, um die Aufgabe eines Tempelschreiners wahrzunehmen und mit den entsprechenden Werkzeugen vertraut zu werden.3 Es überrascht nicht, dass eine Tradition, die für die Komplexität ihrer Verbindungen berühmt ist, ihren _ Werkzeugen so viel Bedeutung zumisst. Diese werden dogu

genannt, was als „Werkzeuge des Wegs [des Schreiners]“ übersetzt werden kann. Während sich die Werkzeuge weiterentwickelt haben und die Palette heute sowohl traditionelle manuelle als auch elektrisch betriebene umfasst, bleibt der Stolz auf sie ungebrochen. Die Werkzeuge verbinden den Schreiner mit seinem Material, mit dem Gesamtkonzept des Entwurfs und mit seiner kulturellen Tradition. Obwohl Versuche unternommen wurden, die wichtigsten japanischen Verbindungstechniken durch westliche Methoden der orthografischen Zeichnung zu veranschaulichen, kann diese nicht die Komplexität der Arbeitsschritte einfangen, derer es bedarf, um diese Verbindungen herzustellen. Das ist zum Teil dadurch bedingt, dass die Verbindungen selbst nicht auf darstellenden Techniken beruhen. Die persönliche Anleitung, welche Schreiner während ihrer Ausbildung erhalten, erlaubt den Transfer wichtiger räumlich bezogener arbeitstechnischer Informationen, welche sich in zweidimensionalen Zeichnungen verlieren würden. Len Brackett beschreibt im Vorwort seines Handbuchs über Verbindungstechniken die Schwierigkeit, japanische Methoden mit westlichen Darstellungsmitteln zu veranschaulichen: „Obwohl die Verbindungen relativ einfach sind, ist ihre Darstellung im Buch sehr schwierig. Westliche Geometrie ist das Produkt… eines intellektuellen Prozesses, für den ich großen Respekt habe. Die japanischen Verbindungen dagegen beruhen auf Erfahrung, sie sind praktisch und beziehen sich auf die Fähigkeit des Schreiners zu räumlichem Denken.“4 Grenzen der Darstellung: Utzon und Gehry Die Schwierigkeit der Kommunikation komplexer Prozesse durch deren Darstellung ist nicht auf japanische Verbindungstechniken beschränkt. Oftmals ist eine Gebäudeform oder ein Gebäudedetail nicht durch die verfügbaren architektonischen Darstellungstechniken zu veranschaulichen und weicht entsprechend auch von den etablierten Baumethoden ab. Dann müssen Architekten neue Methoden zur Umsetzung des Entwurfs entwickeln. Heute steht eine immer größere Anzahl von Methoden und Werkzeugen für immer spezifischer werdende Einsatzbereiche zur Verfügung. Kommunizierbarkeit ist oft von vorrangiger Bedeutung bei dem Versuch, einen neuen Umgang mit Material zu erreichen. Während traditionelle Methoden des Informationsaustauschs in bestimmten Anwendungsbereichen immer noch genügen, sind sie dort unzureichend, wo die Bautradition nicht zur Problemlösung ausreicht. Als Jørn Utzon seinen Entwurf für das Opernhaus von Sydney einreichte, hatte er dessen zukünftigen Ort noch nie gesehen 68

Jørn Utzon, Opernhaus Sydney, Australien, 1973, Detail Ansicht.

(Abb. S. 69, 70). Er wollte das Projekt von seinem Büro in Dänemark aus mit Hilfe von auf der ganzen Welt verstreuten Fachberatern und mit dem Entwurf nicht vertrauten Baufirmen errichten. All dies ist in der heutigen Baukultur gang und gäbe. Aufgrund der räumlichen Trennung zwischen den verschiedenen am Bau Beteiligten wurde eine Reihe technisch ausgereifter Kommunikationsmittel benötigt. Utzons anfängliches Konzept war dynamisch und inspirierend, enthielt aber nur wenige Informationen über die Materialität und ignorierte jegliche Beschränkungen auf der Ebene der Konstruktion. Angesichts der Größe und Bedeutung des Projekts vermochte das Entwurfsteam jedoch einen klar definierten geometrischen Ansatz sowie Kommunikationstechniken zu entwickeln, die eine gemeinsame Grundlage für die Bauausführung und die Materialdetaillierung schufen. Unter den vielen Herausforderungen bei der Realisierung des ehrgeizigen Entwurfs kam dem Problem der konstruktiven Verbindungen eine vorrangige Rolle zu. Der ursprüngliche Wettbewerbsbeitrag wurde schon bald als „grandioses Gekritzel“ verspottet, da er die Materialbedingungen kaum berücksichtigte. Utzon stellte sich anfangs die Oberflächen der Innenräume als dünne Betonschalen vor, glatt und ohne Aussteifungsrippen, „wie das Innere eines Eies“.5 Die führenden Ingenieure jener Zeit erkannten sofort die Problematik dieser Tragwerksidee. Sowohl Pier Luigi Nervi als auch Felix Candela äußerten Bedenken gegen die Geometrie der Schalen, die nicht selbsttragend waren. Utzon wurde nahegelegt, mit Ingenieuren von Ove Arup and Partners zusammenzuarbeiten. Es war Arup, der als Erster die Schwierigkeiten beschrieb, alle Schalen in unterschiedlichen Formen auszuführen, denn die Detaillierung der Schalen ließ bei den Hauptbestandteilen keine sich wiederholenden Strukturen zu. Es wäre zu dieser Zeit finanziell und zeitlich unmöglich gewesen, Hunderte verschiedener Details zu entwickeln. Einheitliche Elemente hätten nicht definiert werden können, und die architektonische Sprache wäre von Ad-hoc-Lösungen immer anderer konstruktiver Anforderungen geprägt gewesen. Die für die Verbindungen und Anschlüsse erforderliche geometrische Klarheit verlieh der Gesamtform eine Integrität, die sonst unbedacht geblieben wäre. Die Instabilität und geometrische Unregelmäßigkeit veranlassten Utzon und Arup, sowohl die Schalenstruktur neu zu entwickeln als auch den gesamten Bauprozess zu überdenken. Was dem Entwurf fehlte, waren die Mittel der kommunikativen Darstellung für die gekrümmten Oberflächen. Ohne klare Definition der Form konnten die Ingenieure die Lasten nicht berechnen und die Bauausführenden die Materialkosten nicht bestimmen. 69

Jørn Utzon, Opernhaus Sydney, Detail Kachelfassade.

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Arup suchte nach einer Darstellungsmethode, die sowohl die Entwurfsintention wiedergab als auch die Qualitäten geometrischer Klarheit aufwies und dadurch eine präzise Analyse der Form ermöglichte: „Durch die geometrische Definition der Flächen kann jedem Punkt auf der Fläche eine räumliche Koordinate zugewiesen werden und damit eine Basis für die Berechnung der Lasten, die auf die Schale wirken, geschaffen werden.“6 Letztendlich wurde die Schalenkonstruktion dann zugunsten eines Gewölbes mit Rippen aufgegeben, dessen materielle Integrität auch Utzon überzeugte. Eine Schalenkonstruktion hätte eine aufwändige Doppelhülle aus Stahl und Beton bedingt, bei der Beton nur von begrenztem tragenden Nutzen gewesen wäre. Das neu erdachte Tragwerk hingegen wies die Notwendigkeit einer Reihe von großen, nicht identischen Rippen auf, die vor Ort gefertigt werden mussten. Dies führte dann zum endgültigen Entwurf, bei dem alle Schalen aus Teilen identischer Sphären gefertigt wurden. Diese boten die erforderliche geometrische Definition und Wiederholung.7 Nach der Lösung der Gesamtgeometrie rückten die Bedingungen der Komponentenherstellung in den Blick. Der neue Entwurf erlaubte das Zusammenfügen ähnlicher Elemente mittels standardisierter Verbindungen. Die Rippen wurden in insgesamt 2.400 Segmente von je 4,75 m Länge unterteilt. Die Geometrie erlaubte deren Herstellung unter Verwendung von nur vier Schalungsmodulen, auch wenn aus zeitlichen Gründen letztlich zehn verwendet wurden. Die Ausführenden wurden so routiniert im Herstellen der Module, dass der Prozess vorzeitig beendet wurde und die Module außerhalb des Geländes gelagert werden mussten. Die Konstruktion der Rippen stellte auch eine der ersten Anwendungen von Epoxidharz als Bindemittel dar: Herkömmliche Materialien hätten den Bauprozess verlangsamt, da sie längere Abbindezeiten benötigt und sichtbarere Verbindungen hinterlassen hätten.8 Die Berechnungen für die Formfindung des Opernhauses von Sydney waren eine der ersten groß angelegten Anwendungen von Computern in der Architektur. Da die einzigen verfügbaren Rechner dieser Zeit an Universitäten standen, reisten die Ingenieure von Arup in diesem Fall regelmäßig nach Southampton. Nachdem sie anfänglich für die Bestimmung komplexer Lasten, die auf die Schalen wirkten, zum Einsatz kamen, wurden sie nach und nach auch für die Berechnungen vieler Details eingesetzt, vor allem im Bereich der Kachel- und Glasfassaden. Komplexe Berechnungen wurden bei den Kacheln notwendig, um die Platzierung und Kombination von Standard- und Nichtstandardelementen zu ermöglichen.9 Die Kacheln wurden

vom Architekten in Zusammenarbeit mit der schwedischen Firma Hoganas entworfen, da keine marktgängigen Produkte mit den gewünschten Reflexionseigenschaften existierten. Nach unzähligen Experimenten mit Formen, Materialien und Oberflächenbeschaffenheiten wurde eine Kombination aus quadratischen weißen Kacheln mit einer transparenten Glasur und matten, abgetönt weißen Kacheln ausgewählt. Die matten Kacheln wurden entlang der Kanten verwendet, um den Formverlauf sanfter erscheinen zu lassen, während auf den Flächen die glasierten Lichtmuster reflektierten. Die quadratischen Kacheln wurden in Anpassung an die Geometrie der Rippen diagonal verlegt. Ursprünglich sollten die Kacheln auf der errichteten Schalenkonstruktion verlegt werden; für das neue Konzept wurde erwogen, sie vor dem Zusammenbau auf den Rippen zu verlegen, was gut für die präzise Platzierung, aber problematisch für die Montage der Rippen gewesen wäre. Außerdem hätte es keine Garantie bezüglich der Abdichtung und der Oberflächenqualitäten der zusammengebauten Verbindungen geben können. Stattdessen wurde eine Methode der Verbindung entwickelt, bei der Gruppen von Kacheln in Ferrozement-„Kappen“ mit 25 unterschiedlichen Formen und einer gut transportablen Größe von maximal 19,50 m² verlegt wurden.10 Während der Zusammenbau dieser Elemente relativ einfach war, bedurfte die Organisation und Inventarführung von 1.000.000 Kacheln umfangreicher computergestützter Berechnungen. Während die inneren Kachelquadrate geometrisch weitgehend identisch waren und mit fünf Standardgrößen auskamen, wurden die äußeren für ihre einmalige Position auf der Schale maßgefertigt, und zwar so, dass sie die Differenz zwischen idealisierter Geometrie und Ausführung ausgleichen konnten. Die hohe Komplexität bei der Verwendung der Kacheln ergab sich als Konsequenz aus der Suche nach einem bestimmten Materialeffekt. Das Material selbst erlaubte eine recht einfache Vermittlung zwischen Entwurf und gebauter Ausführung, denn der Mörtel der Kacheln und deren Anzahl ließen Diskrepanzen im Gesamtmuster der Lichtreflexionen verschwinden. Solch eine Toleranz gab es bei der Konstruktion der Glashülle nicht. Als primärer Witterungsschutz benötigten die Glasfassaden der Schalen einen höchst exakten Montageprozess. Es gab nur minimale Toleranzen bei den Anschlüssen zwischen Glas, Stahl und der Rahmenkonstruktion. Obwohl die Fassade geometrisch klar definiert war als ein Zylinder, der zwei Kegel durchschneidet, wich die Ausführung signifikant von der Idealgeometrie ab. Es war diese Problemstellung, die Arup 71

Frank Gehry, Vila Olímpica, Barcelona, Spanien, 1992, Ansicht.

veranlasste, eines der frühesten parametrischen Computermodelle einer Schale und des dazugehörigen Fassadensystems zu entwickeln. Die Beziehungen der Materialverbindungen mussten als geometrisch relative anstatt als dimensionsspezifische definiert werden. Anpassungen der Gesamtgeometrie der Schale, die unternommen wurden, um Abweichungen von der Idealform zu bewältigen, wurden auf diese Weise automatisch in Änderungen in der Dimensionierung der kleineren Elemente übertragen. Dabei mussten, wie bei den meisten parametrischen Systemen, die Veränderungen der kleineren Elemente durch spezifische Hierarchien von Parametern und Konstanten kontrolliert werden. Diese produzierten nun eigene Regeln für die Gesamtgeometrie und bedingten eine Reihe von Einschränkungen in Bezug auf Änderungen. Dies stellte einen wichtigen Entwicklungsschritt in der Art und Weise dar, in der mit Materialkomponenten und -verbindungen gearbeitet werden konnte. Anstatt eine Struktur als aus identischen Einzelelementen zusammengesetzt zu verstehen, können diese durch die Einführung der Relation höchst unterschiedlich definiert sein. Verbindungspunkte werden dabei in Abhängigkeit zu einer umfassenderen geometrischen Sprache definiert. Auf diese Weise ist die Beziehung des Teils zum Ganzen, zwischen Detail und Gesamtform nicht länger auf einige wenige Details, welche die Idee des Entwurfs verkörpern sollen, beschränkt. Stattdessen beeinflusst die Gesamtform die Logik der Einzelformen und somit auch die Materialgruppen und -hierarchien jeder einzelnen Verbindung in der Konstruktion.11 Das Opernhaus von Sydney erforderte die Entwicklung neuer Methoden zur Beschreibung von Oberflächengeometrien und leistete Pionierarbeit für die Kommunikation zwischen den am Bau Beteiligten. Die neuen Methoden, die Arup einsetzte, um ein Informationsmodell zu schaffen, haben sich seitdem enorm weiterentwickelt. Durch diese Modelle wurden mathematische Verfahren in der Architektur wiederentdeckt. Analytische und algorithmische Geometrie, beide Jahrhunderte alt, wurden als Methoden eingeführt, architektonische Formen zu beschreiben und ihre Baubarkeit durch präzise räumliche Definitionen der Verbindungen und Anschlüsse zu ermöglichen. Aufgrund dieser Entwicklungen sind die Formensprachen heute nicht mehr auf einfache Geometrien wie Kettenlinien beschränkt. Kaum ein Architekt veranschaulicht das Potenzial dieser neuen Technologien besser als Frank Gehry. Gehry materialisiert fortwährend Formen, welche wir sonst nur aus der Natur kennen, und ermöglicht deren Baubarkeit durch präzise analytische und konstruktive Methoden. Auch er musste eine neue Sprache für

die Kommunikation seiner formalen Intentionen entwickeln. Im Rahmen der heutigen Baukultur wird einer solchen Sprache eine nie dagewesene Tiefe und Präzision abverlangt. Mit von Flugzeugherstellern entliehener Software begannen Gehry und sein Team, die Kommunikation von Entwurfsideen neu zu definieren. Während der Arbeit an Entwurf und Fabrikation des fischartigen Sonnendachs der Vila Olímpica für die Olympischen Spiele 1992 veranlassten knappe Terminvorgaben das Entwurfsteam, die Form im Computer zu modellieren (Abb. S. 72, 73). Die zu dieser Zeit verfügbare Software war jedoch nur für zweidimensionales Zeichnen oder dreidimensionale Visualisierung konzipiert. Das erste digitale Modell des „Fischs“ wies einen hohen Grad an Übereinstimmung mit dem physischen Modell auf, doch bot die digitale Oberfläche nicht die eingebetteten Flächeninformationen, welche eine präzise räumliche Platzierung von Punkten erst ermöglicht hätte. Weil die Flächen als polygonale Annäherungen beschrieben wurden und nicht mit polynomischen Gleichungen der darstellenden Geometrie, konnte die Information nicht auf digital gesteuerte Werkzeuge übertragen werden, welche aber benötigt wurden, um die Baukomponenten effizient anzufertigen.12 Gehrys Problem war im Wesentlichen das von Utzon: Wie kann die exakte Größe, Form und Platzierung einer Baukomponente im Raum kommuniziert werden, welche sich nicht vollständig durch zweidimensionale Zeichnungen beschreiben lässt? Utzon löste dieses Problem durch Vereinfachung seiner Formen, um auf vertraute und leicht zu berechnende Geometrien wie Kettenlinien, Hyperboloide und Sphären zurückgreifen zu können. Gehrys Team dagegen entwickelte die Modellierungsund Darstellungswerkzeuge fortwährend weiter, um die Beschreibung komplexer Kurven zu ermöglichen. Mit dem Einsatz von CATIA, der heute bekannten Software der Firma Dassault, die im Flugzeugbau zum Einsatz kommt, begann Gehrys Team, die physischen Modelle digital mit den gleichen Mitteln nachzubauen, wie sie für die Konstruktionszeichnung verwendet wurden: mit Lotschnüren, Vermaßungen und der Definition geometrischer Beziehungen. Der Erfolg bei der Realisierung der Detailverbindungen des Olympischen Pavillons führte zum Einsatz der neuen Software für größere Projekte, eben um die Entwürfe für die Bauausführenden darzustellen. Deren zweidimensionale Repräsentationen fielen jedoch zu kompliziert aus. Die Schwierigkeit, effektiv zu kommunizieren, erforderte mehr Zeit und erhöhte so die Kosten für die Errichtung von Gebäuden. Außerdem beschränkten die bis dahin verfügbaren Geometrien die entwurflichen Ideen. Doch trotz der geometrischen Kenntnisse und Erfahrungen mussten die 72

Frank Gehry, Vila Olímpica, 1992, Detail Ansicht.

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Frank Gehry, Weisman Art Museum, Minneapolis, Minnesota, USA, 1993, Ansicht.

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Entwürfe weiterhin vereinfacht werden, um sie kommunizierbar zu machen. Das letzte von Gehrys Projekten, dessen Formen auf geschnittenen platonischen Körpern basierten und das in seinem Büro vollständig von Hand gezeichnet wurde, war das Weisman Art Museum von 1993 (Abb. S. 74).13 Es ist die Entwicklung und Anwendung neuer Darstellungsmöglichkeiten und -werkzeuge durch Gehrys Team, welche eine größere Vielfalt gebauter Formen ermöglicht hat. Der Wert der Software liegt nicht in ihrer Fähigkeit, anstelle des Architekten Formen zu entwickeln, sondern darin, die Entwurfsintentionen so zu beschreiben, dass sie präzise und verständlich für diejenigen werden, die sie baulich und im Detail ausführen. Insofern die Software auch dreidimensionale, zeitliche und materialbezogene Informationen beinhaltet, ist sie damit in ihrer Wirkung durchaus vergleichbar mit den langen Jahren der Ausbildung und Erfahrung, welche ein japanischer Schreiner durchläuft.

Anmerkungen 1. El Khoury, Rodolphe u.a. Office dA. Minneapolis: Rockport Publishers, 1999, S. 6. 2. Ibid. S. 56. 3. Nakahara, Yasuo. Japanese Joinery: A Handbook for Joiners and Carpenters. Washington: Hartley & Marks Publishers, 1983. S. 7. 4. Brackett, Len, und Landers Rao, Peggy. Building the Japanese House Today. New York: Harry N. Abrams, 2005. S. 9. 5. Murray, Peter. The Saga of Sydney Opera House. London: Spon Press, 2004. S. 13. 6. Ibid. S. 20. 7. Ibid. S. 34. 8. Smith, Vincent. The Sydney Opera House. Sydney: Paul Hamlyn, 1974. S. 15. 9. Murray, Peter. The Saga… S. 30. 10. Ibid. S. 40. 11. Schodek, Daniel u.a. Digital Design and Manufacturing. Hoboken: John Wiley & Sons, 2005. S. 29-33. 12. Lindsey, Bruce. Digital Gehry. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2001. S. 32-34. 13. Ibid. S. 38 f.

Parametrische digitale Modelle werden heute von zahlreichen am Bau Beteiligten entwickelt. Die Modelle machen es erforderlich, sich mit den Beschränkungen durch Konstruktionsweisen und Werkzeuge, Materialtoleranzen, Montagebedingungen, möglichen Schalungsformen und Ähnlichem auseinanderzusetzen. Der allgemeine Zugriff auf digitale Modelle ermöglicht den am Bau Beteiligten ein neues gemeinschaftliches Arbeiten. Das bringt den Entwerfer wieder mit den Fachgebieten in Kontakt, welche für Materialverbindungen zuständig sind. Das Überbrücken der Kluft zwischen den Disziplinen führt aber auch zu neuen Fragen nach Autorschaft, Zusammenarbeit und fachlicher Zuständigkeit. Die zunehmende Verbreitung dieser Modelle führt zu neuen Verbindungs- und Anschlussmethoden, die standardisierte mit maßgefertigten vereinen. Details entwickeln sich dabei in Richtung topologischer statt dimensionaler Ähnlichkeiten. Eine außergewöhnliche bauliche Verbindung ist heute eine, welche vom geometrischen Vokabular der anderen abweicht. Auf diese Art bezieht sich Architektur wieder auf sich selbst: Die Einheit aus Teil und Ganzem entspringt nun wieder dem Entwurfsprozess und spiegelt von Neuem eine Baukultur wider, eine Baukultur, die aufs Engste mit ihren digitalen Methoden zusammenhängt.

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Weben Die Tektonik von Textilien

Toshiko Mori Architect, Treppe für ein Haus in Casey Key, Florida, USA, gebaut von Goetz Custom Boats, 2004, Ansicht.

Toshiko Mori

Die Erforschung von Materialien verlangt ein ganzheitliches und umfassendes Verständnis von Materialkultur. Materialstudien können auf zwei grundsätzliche Weisen betrieben werden: erfahrungsbezogen und technikbezogen. Der Erfahrung bieten Textilien differenzierte und nuancenreiche Eigenschaften, die nur schwer zu messen und zu beschreiben sind, doch in ihrer Wirkung sehr kraftvoll sein können. Textur, Muster und Taktilität bergen große Potenziale, emotionale Reaktionen hervorzurufen. Textilien können Erinnerungen und Assoziationen in sich tragen, die das Empfindungsvermögen durch Geschmeidigkeit, Nahbarkeit und Textur ansprechen. Fabrikationstechniken als der zweite Zugangsweg bestimmen, wie ein Material aufbereitet, verarbeitet und schließlich zu einem bestimmten Zweck angewendet werden kann, so dass die einzelnen Bestandteile in ein vollständiges Ganzes mit einer spezifischen Gebrauchsaufgabe verwandelt werden. Durch die Arbeit mit den tektonischen Eigenschaften von Textilien lernt man nicht nur eine beeindruckende Vielzahl von Methoden und Anwendungen kennen, sondern auch das Potenzial einer scheinbar primitiven Technik, die als eine bedeutende Materialtechnologie des 21. Jahrhunderts hervortritt. Die Tektonik der Textilproduktion ist mit Methoden wie dem Weben, Stricken, Knüpfen, Flechten, Schichten, Laminieren, Filzen, Säumen, Absteppen, Nähen, Sticken und Flicken befasst. Dies sind Techniken, die oft mit Handwerksarbeiten insbesondere von Frauen in Verbindung gebracht werden, die traditionelle Kenntnisse und Fertigkeiten von Generation zu Generation weitergeben. Textilherstellung kann bis in die antiken Welten Ägyptens und Mesopotamiens zurückverfolgt werden und ist universell präsent. Jede Kultur und Zivilisation entwickelt ihre eigenen Formen, Materialien und Farbpaletten entsprechend ihrer Geografie, ihres Klimas und der Verfügbarkeit von Materialien. Man nimmt an, dass im alten Peru Textilien als Kommunikationsund Aufzeichnungsmedium verwendet wurden, um Nachrichten zu übermitteln und Geschichten festzuhalten. Die Verbreitung der Textilherstellung über Kulturen und Zeit hinweg ist sicher der Vertrautheit mit diesen Techniken und ihrer Verfügbarkeit geschuldet. Sie können von unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung praktiziert werden, von Jungen und Alten, Männern und Frauen, von den Schwachen und den Starken. Diese alte, primitive, traditionelle Technik macht nun den Sprung in die fortgeschrittensten und vielseitigsten Fabrikationsmethoden. Methoden der Produktion von herkömmlicher Kleidung oder Fischernetzen werden heute zur Herstellung von Hochleistungsprodukten verwendet, von professioneller Sportausstattung bis hin zu Hightech-Medizingeräten, von

militärischer Ausrüstung bis hin zu Werkzeugen der Weltraumforschung. Innovative Textilprodukte und -anwendungen lassen ein weitreichendes Zukunftspotenzial von Textilien und Textiltektonik in den unterschiedlichsten Industrien vermuten. Neue Formen und Prozesse kontinuierlicher Entwicklung und Innovation haben weitreichende Konsequenzen in ihrer Anwendung in der Architektur. Die Tektonik von Textilien lässt sich auf zwei Wegen erkunden, die hier beide dargestellt werden sollen. Der eine befasst sich mit der Schaffung neuer Oberflächen mit Textilien, der andere entwickelt ausgehend von den Eigenschaften und Konzepten der Tektonik von Textilien eine neue Auffassung der Architektur. Die Webtechnik Der Prozess der Textilherstellung gehört zu den wenigen Techniken, die drei Produktionsarten umfassen: Handarbeit, mechanische und digitale Fertigung. Die Übersetzung der handarbeitlichen Arbeitsweise in die mechanische Fertigung geschieht intuitiv und vorhersehbar. Der Sprung in die digitale Produktion wirft dann einen interessanten Blick auf die ursprüngliche Struktur des Webens, welche überraschend kompatibel mit digitalen Prozessen ist. Weben ist ein binärer Prozess, darin elektronischen Schaltungen ähnlich, bei dem Webkette und Schussfaden die fundamentale Struktur der Technik ausmachen. Tatsächlich dienten einige der frühen Muster-Lochkarten des Jacquardwebstuhls als Vorbild für die ersten FORTRAN-Lochkarten zur Computerprogrammierung. Auch Programmierprozesse sind dem Mustergestaltungsprozess beim Weben nicht unähnlich, beide teilen dieselbe mathematische Grundlage. Traditionelle Weber müssen das präzise Verhältnis zwischen dem flächigen Muster und der linearen Dimension des Garns verstehen. Sie müssen Kette und Schuss andauernd in der Struktur in ein Gleichgewicht bringen, um ein stabiles Gewebe zu erzeugen. Die Zusammenführung dieses ebenso intuitiven wie präzisen handwerklichen Wissens und Erfahrungsschatzes mit der Rechnerlogik und das damit einsetzende exponentielle Wachstum der Textilfabrikation führte schnell zur Entwicklung von Hochleistungsmaterialien. So erlaubte die Ähnlichkeit in den Sprachen des Webens und der digitalen Prozesse einen Sprung aus der mechanischen in die digitale Produktion. In der neuen Generation von Textilien ist der Herstellungsprozess präziser, die Komposition ist kalkulierter, und die Einsatzmöglichkeiten sind enorm. Mit diesen verschiedenen Produktionsmethoden bietet die Textilherstellung eine hervorragende Flexibilität in Bezug auf 76

Ausstellung „Josef and Anni Albers: Designs for Living“, Cooper-Hewitt National Design Museum, New York, New York, USA, 2005.

Qualität und Quantität des Endprodukts. Gewebte Stoffe können einzeln oder in Masse hergestellt werden; sie können maßgefertigt, in Serie oder sogar als kundenindividuelle Massenproduktion gefertigt werden. Jede Faser und jedes Garn in der Textilfabrikation ist „Information“. Diese Verfahrenstechnik erlaubt es, mit Hilfe der Kombination von komplexen Datensätzen in den Fäden oder Lagen eine gewaltige Menge an Information in das Textil einzuarbeiten. Ein spielerisches Beispiel ist Issey Miyakes A-POC-Projekt, das von Dai Fujiwara entwickelt wurde. Der Kunde erschafft das Kleidungsstück seiner Wahl, indem er ein Stück Stoff beschneidet. Die A-POC-Stoffrollen enthalten die Information für die Vielzahl potenziell daraus zu fertigender Kleidungsstücke. Die verschiedenen Arten, auf welche einzelne Fäden kombiniert werden können, liefern ein einzigartiges Produkt. Physisch sind diese individuellen „Informationsstränge“ oft aus leichten, wenig substanzhaltigen Materialien gefertigt. Die Leichtigkeit der Garnfasern war es, die ursprünglich zur Entwicklung von Textilien als Bekleidung und anderer tragbarer Ausrüstung wie Fischernetze, Teppiche, Decken und Schals führte. Eingebettet in die Technologie ist das Wissen um eine schnelle Einsetzbarkeit, Tragbarkeit, Faltbarkeit und Formbarkeit des Materials. Die Knüpftechnik zum Beispiel, die bei der Herstellung von Fischernetzen zum Einsatz kommt, maximiert die Dimensionierung der Oberfläche, minimiert den Materialeinsatz und erlaubt eine optimale Transportfähigkeit durch einfaches Zusammenfalten in ein kompaktes Volumen. Diese inhärenten Qualitäten von Textilien anerkennend, doch ihre vorgefassten Limitierungen hinterfragend, beschreibt Anni Albers die Beziehung zwischen Textilien und Architektur in ihrer Abhandlung „Die formbare Fläche: Textilien in der Architektur“ [The Pliable Plane: Textiles in Architecture]: „Beides sind alte Handwerke, noch älter sogar als Töpferei und Metallverarbeitung. In ihrer frühzeitigen Nutzung teilten sie die Funktion, Obdach zu bieten, das eine für ein sesshaftes Leben, das andere für ein Leben des Wanderns, für ein nomadisches Leben. Bis zum heutigen Tage sind beide durch ihre Eigenschaften charakterisiert, die sie für diese beiden unterschiedlichen Aufgaben geeignet machten, offensichtlich im Fall des Bauwerks, mehr oder weniger undeutlich im Falle der Textilien. Da das Offensichtliche kaum untersucht werden muss, sollten wir uns dem weniger Augenscheinlichen zuwenden.“1 Auf den ersten Blick erscheint Gewebe als ein nicht-tragendes, leichtgewichtiges und leicht biegsames Material, dessen Tragfähigkeit unendlich weit von jener des Stahls oder Betons entfernt ist. Doch durch bestimmte Fertigungsmethoden können Textilien kräftig, robust und steif werden. Textilien sind langlebig;

sie überstehen täglichen Gebrauch durch viele Generationen. Ihre Stärke beruht auf ihrer strukturbetonten Komposition. Die Steifigkeit bei Textilien wird durch die Dichte in der Webtechnik, die Schichtung der Gewebe und das Hinzufügen von Nähten in geometrischen Mustern erreicht. Angesichts dieser tektonischen Gegebenheiten erkennt man eine natürliche Intelligenz in der Verwendung von schwachen Materialmassen, wie etwa Garnen, für eine Konstruktion von beträchtlicher Vielfalt. Die Anhäufung kleiner Einheiten zur Erschaffung eines bedeutungsvolleren größeren Ganzen ist im Wesentlichen ein „Bottum-up“-Prozess. Er erlaubt den Einbezug ganz unterschiedlicher Materialien und dadurch die Auflockerung einer ansonsten monolithischen Komposition. In ihren vielzähligen Textilexperimenten am Bauhaus hat Anni Albers an dieser Idee gearbeitet, indem sie synthetische Materialien, etwa Metallfolie oder Zellophan, mit natürlichen Materialien wie Baumwolle und Leinen kombinierte. Auf diese Weise stattete sie ihre Projekte mit den Leistungsmerkmalen von Textilien bezüglich Schallabsorption oder Lichtreflexion aus (Abb.). Während einige Textilherstellungsprozesse Kompositionen mit größerer Steifigkeit erlauben, ist es doch die scheinbare Schwäche und Verformbarkeit, die sich als Vorteil für die Anwendungen in der Architektur erweist. Durch ihre Flexibilität bieten Textilien eine Alternative zu der herkömmlichen starren und statischen Weise, den Kräften der Natur entgegenzutreten. Tatsächlich gibt es in der Tragwerkslehre heute eine grundsätzlich neue Auffassung, welche die Spezifika von Textilien als ein mögliches Modell versteht und dadurch zu einem effizienteren, leichteren, stärkeren und dynamischen strukturellen Paradigma findet. Die Fäden agieren gleichzeitig als Lastverteilungs- und Bindekomponenten des Gewebes. Wenn ein Gewebe eine lokale Last aufnimmt, wird diese seitlich durch die Oberfläche aufgenommen, so dass eine geringere Materialstärke ausreicht. Die Verformbarkeit von Textilien wird zu einem Vorteil, da sie es ihnen erlaubt, Lasten zu verteilen und so effizient zu absorbieren, anstelle ihnen mit zusätzlicher Masse und Volumen entgegenzutreten. Schusssichere Paneele aus Schichten von Fiberglas sind ein gutes Beispiel zum Verständnis der spezifischen Fähigkeiten von faserbasierten Kompositkonstruktionen. Wenn der Aufschlag der Kugel die Oberfläche der schusssicheren Platte trifft, leitet das gewebte Fasermuster auf der obersten Schicht die auftretenden Kräfte horizontal ab, überträgt die Kräfte und verringert ihre Auswirkung mit zunehmendem Verlauf zum Rand der Fläche hin. Die Mehrfachschichtungen von Verbundtextilien absorbieren weiter die Restkräfte, so dass ein geringeres Gewicht und geringeres 78

Mylar-laminierte Segel von North Sails, Ausstellung „Extreme Textiles: Designing for High Performance“, Cooper-Hewitt National Design Museum, New York, New York, USA, 2005.

Volumen möglich werden als bei einem Material mit nur einer diesbezüglichen Eigenschaft, wie etwa Stahl und Beton. Eine neue Auffassung der Oberfläche Der Schlüssel für die intelligente Anwendung textiler Tektonik in der Tragwerksplanung liegt darin, sie nicht nur als ein Mittel des Ausgleichs von Druck- und Zuglasten zu begreifen, sondern vielmehr die Oberfläche als eine Fläche aufzufassen, in der Kraftübertragung stattfindet. Vertikale Kräfte wie Schwerkraft und Gewicht und horizontale wie Erdbeben und Wind werden damit als dynamisch aufgefasst, so dass ihre Übertragung präzise mit dem Aufbau der Faserausrichtung kalibriert werden kann, um eine Abtragung in einer bestimmten Richtung zu erreichen. Wenn ein neuer Ansatz entwickelt wird, um Naturkräfte als dynamisch zu verstehen, dann wird schon dies allein zu einem neuen Denken in der Baukonstruktion führen. Webmuster als künstlerische Ausdrucksformen können in Lastabtragungsdiagramme übersetzt werden und erlauben dem Gewebe, die präzise abgestimmte Geometrie eines performativen Musters anzunehmen. Das Mylar-laminierte Segel von North Sails zeigt zum Beispiel ein Kräfteverlaufsmuster, das aus der sorgfältigen Anordnung von Fasern wie Karbon (schwarz) und Kevlar (gelb) in kritischen Punkten der Kräftekonzentration herrührt (Abb.). Dies erlaubt den minimierten Einsatz leichter und dünner Materialien bei gleicher Erfüllung konstruktiver Leistungsvorgaben wie bei soliden Materialien wie Stahl und Beton. Karbonfasern zum Beispiel können den gleichen Kräften widerstehen wie Stahl, bei nur einem Sechstel dessen Gewichtes, und haben im Bootsbau aufgrund dieser Eigenschaft Stahl bereits als strukturellen Rahmen ersetzt. Die inhärente Porosität von Textilien, scheinbar eine weitere strukturelle Schwäche des Materials, bietet ein interessantes Potenzial, welches gegen das konventionelle Verhalten solider Materialien ausgespielt werden kann. Durch das Einarbeiten von negativem Raum, Löchern und Lufteinschlüssen, ist die Textiltektonik eine der Herstellungstechniken, welche die Oberflächenausdehnung maximieren, bei gleichzeitiger Minimierung des Materialaufwands. Webmuster und -prozesse können so ein Material in Dichte und Gewicht und damit seine Steifigkeit verändern. Veränderungen in der Materialdichte können eine Reihe von Funktionen bezüglich Umwelteigenschaften beeinflussen. Vorteile sind eine erhöhte Luftzirkulation und eine Filtration von Aerosolen. Die Lufträume in porösen Textilien können zudem 79

Ausstellung „Extreme Textiles“, Cooper-Hewitt National Design Museum, New York, New York, USA, 2005: Leichte faltbare Karbon/Epoxy-Tragwerke für den Einsatz in der Raumfahrt. Hochleistungsseile.

die Dämmwerte erhöhen. Diese Strategie lässt sich häufig bei „primitiven“ Konstruktionen beobachten, doch ist ihr Konzept extrem intelligent und durchdacht. Afrikanische Hütten zum Beispiel benutzen Schichten aus gewobenem Bambus, um die Luftzirkulation zu fördern. Sie können des Weiteren als Regen- und Sonnenschutzmechanismus eingesetzt werden, bei dem alternierende, unterschiedlich poröse Strukturen in Schichten eingesetzt werden, um Regen und Sonnenlicht abzuhalten. Im Wesentlichen funktioniert die Textiltektonik im Multitasking-Betrieb. Textile Techniken erlauben es einander entgegengesetzten Leistungsanforderungen zu koexistieren. Geotextilien zum Beispiel weisen Webmuster auf, welche die Festigkeit haben, um Erosion zu verhindern, und durch ihre Porosität dennoch Wasser für Bewässerungszwecke durchlassen. Sie nutzen die begrenzte Dicke des Materials und Unterschiede an der Ober- und Unterseite, um scheinbar gegensätzliche Funktionen zu vereinen. Die Fähigkeit von Textilien, verschiedene Funktionen in einer sehr dünnen Schicht zu integrieren, kann auf zukünftige Anwendungen in der Architektur übertragen werden und verändert dann beispielsweise die Rolle intelligenter Fassaden, die normalerweise nur auf eine begrenzte Anzahl allgemeiner Kräfte reagieren, um mit einem effektiven und systematischen Ansatz die Leistungsansprüche bei unterschiedlichen Umweltbedingungen zu erfüllen. In Kombination und Verbindung mit verschiedenen Materialpaletten können Textilfassaden atmen, den Krafteinwirkungen von Explosionen standhalten, sie bieten Schutz vor Feuer, Wasser und Korrosion und können zu einer tragenden Außenhaut, einer sogenannten MonocoqueKonstruktion verarbeitet werden. Kurz, Textilien kombinieren Performance- und Konstruktionsmöglichkeiten in den Bereichen Klima, Sicherheit, Energieverbrauch, Licht und Luft. Innovationen und Anwendungen technischer Textilien Die Anwendungsbereiche technischer Textilien umfassen eine große Anzahl verschiedener Industrien. Sie sind so verschieden in ihrer technischen Herstellung, wie sie es auch in ihrem praktischen Einsatz sind. Im Jahr 2005 hat die Autorin die Ausstellung „Extreme Textiles: Designing for High Performance“ am Cooper-Hewitt National Design Museum, kuratiert von Matilda McQuaid, beratend und gestaltend begleitet (Abb. S. 80, 81, 85). Die Ausstellung zeigte eine Vielzahl industriell entwickelter Textilien, die sich einer direkten architektonischen Nutzung annäherten. Über 150 Objekte demonstrierten die innovativen Techniken der Textilfabrikation 80

Mondlandungsausrüstung und -kleidung.

Filz-Zahnräder (Vordergrund links).

Hochleistungshandschuhe.

Glasfaser/Kevlar-Skirennhelm, Karbonfaserbogen, Karbon-Rennradräder.

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Ausstellung „Structure & Surface: Contemporary Japanese Textiles“, Museum of Modern Art, New York, New York, USA, 1999.

und ihre Verbreitung in einer Vielzahl von Industrien. Die Eigenschaften, die in diesen eindrucksvollen Textilobjekten zu finden sind, bergen großes Potenzial für die Zukunft der Tektonik von Textilien in der Architektur. Gewebte Metallröhren, Ringe und Schwämme bilden Systeme, die unerwünschte Partikel und Chemikalien filtern, auffangen und fernhalten. Unter Verwendung widerstandsfähiger Materialien und Verfahren funktioniert Filtrationstechnologie sowohl in der Luft wie bei Flüssigkeiten. Durch Walken im Wasser wird Wolle zu Filz verarbeitet. Filz ist ein weiches, aber widerstandsfähiges Material, das absorbierend wirkt und langlebig ist. Industrielle Zahnräder aus verdichtetem, größere Festigkeit bietendem Filz absorbieren Schmiermittel und senken den Lärmpegel. Filz ist an viele Produktionsprozesse anpassbar, der CO2-Ausstoß bei der Herstellung ist gering, und es kann wiederverwendet und kompostiert werden. Zusammenfaltbare Textilträger dienen als Tragwerkskomponenten, sind aber auch für den Einsatz im Weltraum portabel. Sie sind falt- und dehnbar, und mit ihren verknüpften Verbindungen bieten sie sowohl Flexibilität während der Entfaltung als auch die notwendige Steifigkeit der aufgebauten Konstruktion. In der Medizin wird traditionelle Textiltechnik wie die Stickerei in ein digitales Musterfeld übertragen, so dass frei organisch geformte Teilstücke ausgebildet werden können, die sich an menschliche Organe und Muskeln anpassen. Fasern aus Proteinen zerfallen nach einer bestimmten Zeit im menschlichen Körper, bei einigen verbindet sich dies sogar mit einer langsamen Abgabe von Medikamenten, während sie noch den Heilungsprozess aus dem Inneren des Körpers überwachen. Wie bei jeder Material- oder Fabrikationstechnik im Anfangsstadium beginnen Hersteller für Luxus- und Freizeitmärkte das Experimentieren und setzen Trends mit neuen Materialien und Techniken. Der Profi- und Extremsport gewinnt kommerzielle Sponsoren dafür, in Produktentwicklungen zu investieren. Ein gewebter Fahrradsitz zum Beispiel bietet Federwirkung für Komfort während einer langen Fahrt, er reagiert auf die Gewichtsverteilung des Fahrers und ist luftdurchlässiger und leichter als formgegossene Plastiksitze. Aus dem gleichen Grund sind Fahrräder, Bogen, Sporthelme, Angeln und Skier oft aus Fasern und synthetischen Textilien hergestellt; sie widerstehen Aufprall, die Biegsamkeit kann kontrolliert werden, sie sind leichter und widerstandsfähig gegenüber unterschiedlichen Wetterverhältnissen, Salz und extremen Temperaturen. Kletterseile sind ein interessantes Beispiel für die Zusammenführung von ästhetischen und funktionalen Aspekten, sie sind oftmals farbkodiert, damit verschiedene 82

Materialien sich abheben, die raffiniert miteinander verwoben sind, um Beanspruchbarkeit, Formbeständigkeit, Langlebigkeit, Flexibilität und Leichtigkeit zu bieten. Im militärischen Bereich und der Weltraumforschung werden Schutzausrüstungen aus einer Vielzahl von Textilschichten zusammengesetzt. Die äußere Schicht bildet den ersten Schutz gegen Angriffe und extreme Wetterbedingungen, die darunter folgenden Schichten funktionieren als Isolierung, bieten Schussfestigkeit und ermöglichen Temperatur- und Luftfeuchtigkeitskontrolle. Bei Raumanzügen ist die Luft- und Wasserversorgung in den Anzug eingebettet. Die Schichten bestehen aus Mylar, Dacron, Nomex, Teflon und anderen Materialien. Zusammen mit Schichten aus leitfähigen Textilien erzeugen sie eine Mikroumgebung, die durch elektrisches Leitvermögen und integrierte Anzeigen Modell für die Entwicklung von Fassadensystemen ist, da viele der Funktionen vergleichbar sind. Auf diesem Wege kann ein textiles Fassadensystem saisonal anpassbar gemacht werden und die erste Schutzschicht nach außen bilden. Das Airbag-System für die Landung des Mars Exploration Rover verwendet eine Textilkonstruktion aus Vectran in Leintuchbindung, die Webmethode für maximale Stabilität. „Jeder Airbag verfügt über eine Doppelmembran und mehrere abriebresistente Schichten aus dicht gewebtem Vectran… Vectran bietet eine vergleichbare Stärke wie Stahl bei einem Fünftel des Gewichts. Gewicht ist von hoher Bedeutung für alle Materialien, die in der Raumfahrt zum Einsatz kommen. Warwick Mills, die Weberei für die Gewebe der Airbags, war in der Lage, ein Gewebe mit einem Gewicht von nur 82 g/m2 herzustellen, das eine Widerstandskraft von 62 kg/cm hatte.“2 Das Material erbringt die Leistung auch unter extremen Temperaturschwankungen. Handschuhe für unterschiedlichste Aufgaben nutzen ebenfalls die Vorteile der Schichtung verschiedener Materialien für spezifische funktionale Anforderungen. Die Anordnung der Schichten folgt leistungsorientierten Gesichtspunkten wie dem Schutz vor Hitze, Abnutzung oder Einschnitten. Wegen der erforderlichen Flexibilität und Leichtigkeit ist die Herstellung von Handschuhen hochsensibel gegenüber den Parametern der menschlichen Motorik. Die Textiltektonik erlaubt für eine solche Anwendung lokalisierte Maßnahmen zur Verbesserung und Verfeinerung der Handhabbarkeit. In die Webstruktur können elektronische Schaltkreise, Sensoren und Computerchips eingebunden werden. Auf diese Weise entstehen responsive Textilien zur Nutzung in extremen Umgebungen wie in der Raumfahrt oder bei militärischen Einsätzen.

Diese Innovationen in hochtechnisierten Textilobjekten demonstrieren die Anwendungsvielfalt der Textiltektonik und das Potenzial für Entwurf und Konstruktion in der Architektur. Sie machen deutlich, dass die Textilherstellung vielfältigen Formen, Einsatzbereichen, Industrieanforderungen und Verwendungszwecken gerecht wird. Diese Technologien lassen sich problemlos auf verschiedene Disziplinen übertragen, ja sie können eine facettenreiche und ergiebige Zusammenarbeit zwischen Industrien ermöglichen und damit einen Wissenstransfer fördern, der faszinierende Entwicklungen in Gang setzen kann. Technologietransfer: Vom Bootskörper zur Architektur Es mag überraschen, dass die Autorin als Architektin die Entwicklung des Bootsbaus seit über 20 Jahren verfolgt, im Besonderen den Karriereweg von Eric Goetz von Goetz Custom Boats in Bristol, Rhode Island, USA. Eric Goetz baut Bootskörper für die Boote der America‘s Cup Regatta und andere Wettbewerbe wie auch für Freizeitboote (Abb. S. 85). Das Unternehmen begann mit traditionellen handwerklichen Bootskonstruktionen. Dies verlangt ein tiefes Verständnis der Holzarten, einen präzisen Blick auf die Holzmaserungen und eine feine Beurteilung der Anteile und Lokalisierung von Lignin und Zellulose in den verschiedenen Holzarten. Dies zusammen ergab ein hoch qualifiziertes Wissen in den Bereichen der Holzgeometrie und Verbindungstechniken. Bootsbauer mussten nicht nur die verschiedenen Holztypen kennen, sondern auch die Teile des Baumes, die sich am besten für bestimmte Bauteile eignen. Praktische Erfahrung schafft Wissen um Varianten in den Härtegraden und dem Witterungswiderstand unterschiedlicher Hölzer. Teile der Wurzel der amerikanischen Lärche beispielsweise vermögen starken Gewichtslasten und Querkräften zu widerstehen und werden daher für Verbindungen von Bootshülle und Sitzelementen verwendet. Bootsbauer mussten stets sorgfältige Lagerhaltung betreiben, um Holzstücke mit spezifischen Eigenschaften für eine zukünftige Nutzung verfügbar zu haben, weil dafür keine Anfertigungen bestellbar waren. Das Wissen darüber, wie das natürliche Material im Wasser reagieren würde, kann nur durch jahrelange Praxis erlangt werden. Ähnlich wie die Weber mussten auch die Bootsbauer ihr Material und seine Techniken genau kennen, um optimale Funktion und Leistung zu erzielen. Die bemerkenswerte Entwicklung der Bootsbautechniken stellt ein weiteres Beispiel der Anwendung von textiler Tektonik dar und konnte schließlich in einem der Architekturprojekte der Autorin umgesetzt werden. 83

Verschiedene Textilfasern und faserverstärkte Plastikverbundmaterialien.

Kompositbauweisen wurden im Bootsbauhandwerk erstmals in den 1960er Jahren eingesetzt, als die Rolle der Zellulose im Holz in den Blick geriet. Holz besteht aus einer großen Zahl von Mikrofasern, und die Zellulose bildet die strukturelle Komponente der Pflanzen, durch welche Wasser und Nährstoffe verteilt werden. Im Holz sind die Muster der Zellulose in der Maserung sichtbar. Beim Bootsbau werden diese Muster mit der Direktionalität externer Kräfte abgestimmt. Da die wirtschaftlichsten Textilfasern von Pflanzen stammen, liegt es nahe, Holzbautechniken in textile Techniken zu übertragen, um Optimierungen des Wirkungsgrades und der Berechenbarkeit zu erreichen (Abb.). Ebenfalls in den 1960er Jahren wurde mit der Verwendung glasverstärkten und faserverstärkten Kunststoffs für einen korrosionsbeständigeren, wartungsfreien und strukturstärkeren Bootsbau begonnen. Diese Technik wurde auch benutzt, um Fiberglasboote in Massenfertigung herzustellen: Fiberglastextilien werden um eine hölzerne Bootsform gelegt und bilden die Form beim Aushärten aus. Der Bau der Holzform erfordert nach wie vor fortgeschrittene Techniken des Holzbootsbauers. Die Komposittechnologie unter Verwendung faserbasierter Materialien wie Fiberglas, Kevlar und Karbonfasern folgte dann als natürlicher Schritt für die nächste Generation im hart umkämpften Bootsbau (Abb. S. 79, 84, 85). Bestimmte Fasermuster können durch computergestütztes Entwerfen und Simulationsprogramme bestimmt werden. In den Fasermustern lassen sich die auf das Material wirkenden Kräfte bei ihrem Weg durch und entlang der Fasern verfolgen. Durch die Formgebung des Bootes transportieren und übertragen die Fasern diese Kräfte höchst wirkungsvoll. Daher sind Anordnung und Ausrichtung der Fasern entscheidend für einen Schiffskörper mit geringstmöglichem Widerstand. Überlappende Fasern bilden jedoch, bedingt durch die Struktur eines gewebten Textils, unerwünschte Mikroknoten. Um diese Knoten in Bootshüllen und Segeln zu vermeiden, werden die Fasern in Schichten übereinandergelegt. Mit Kombinationen von Faser- und Webmustern, bei denen ein geschichtetes Muster mit einer Faser über der anderen erzeugt wird, oder auch durch Verstärkungen mit widerstandsfähigeren und teureren Karbonfasern an kritischen Punkten überträgt man das traditionelle Wissen des Holzbootsbaus auf den technisch ausgereiften und komplexen Wissensstand der synthetischen Herstellung im digitalen Zeitalter. Heute liegen in Bootswerkstätten anstelle der Sammlungen von Holzteilen die Rollen von Komposittextilien, die mit einer Schere geschnitten werden können; der Arbeitsplatz von Eric Goetz ähnelt heutzutage, so sagt seine Mutter, mehr einer Schneiderei als einer Bootswerkstatt.

Laminiertechniken sind ein weiterer Bereich, der im Bootsbau erprobt wurde. Im Holzbau wurde vor allem das West System bekannt, entwickelt in den frühen 1970er Jahren von den Brüdern Gougeon. Diese Methode verwendet Epoxidharz als konstruktiven Klebstoff für Holzprodukte. Durch das Laminieren von Holzfurnier mit Epoxidharz konnten steifere, stabilere und leichtere Boote gebaut werden. Diese Arbeitstechnik basiert auf einem der beiden Bestandteile des Holzes: dem Lignin, das die Zellulose im Holz bindet. Diese Laminiertechnik verwendet das Klebeverfahren und erzielt glattere Boote wie aus einem Guss, die entsprechend weniger Wasserwiderstand erfahren. Selbst in dieser weitgehend industrialisierten Arbeitstechnik mit Chemikalien sind die Fertigkeiten des traditionellen Holzbootsbaus bei der Arbeit mit dem Holz immer noch essenziell, und die Prinzipien sind ebenfalls noch eng mit den frühen Bootsbautechniken verbunden. Die wesentlichen Fertigkeiten bei der Verwendung von Kompositmaterialien sind dieselben wie beim traditionellen Bootsbau. Das Anforderungsniveau kann in beiden Bereichen nicht sinken, ja es steigt eher, da das Verständnis von Material-Mikro-Ausrichtungen und die Herstellung mittels digitaler Fabrikationslogik ein komplexeres und zugleich ganzheitlicheres handwerkliches Wissen verlangen. Dai Fujiwara, der die bereits erwähnten A-POC-Textilien für Issey Miyake unter Einsatz digitaler Fertigung entwickelt hat, studierte auch traditionelle Bootsbauweisen in Japan. Er beobachtete, dass Bootsbauer in Nordjapan den Begriff des Nähens benutzten, um überlappende Verbindungen von Holzplanken zu beschreiben. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie der traditionelle Bootsbau erkannt hat, dass die Tektonik und die strukturelle Integrität des Holzes auf der Ausrichtung der Fasern basieren. Durch die Digitalisierung des Handwerks wird der Abstand zwischen Materialkunde und Fabrikationstechnik weiter reduziert. Dieser Prozess beschleunigt sich sogar noch, wenn Analysen von Materialeigenschaften miteinander kombiniert werden und direkt zu neuen Fabrikationstechniken führen. Ein breiterer Ansatz ist also gefragt, und doch sind die fundamentalen Grundlagen noch immer im traditionellen Wissen des Holzbootsbaus eingebettet. In enger Zusammenarbeit mit Eric Goetz konnten die Bootsbautechnologien seiner Werkstatt in einem der Architekturprojekte der Autorin angewandt werden. Darin wird beispielhaft der Wissens- und Technologietransfer deutlich, der heute immer häufiger vor sich geht. Es handelt sich um eine Außentreppe für ein Wohnhaus in Casey Key in Florida, die von Eric Goetz in seiner Bootswerkstatt in Bristol, Rhode Island, aus Fiberglas 84

Toshiko Mori Architect, Glasfaser-Installation für die Ausstellung „Extreme Textiles“, hergestellt von Eric Goetz, Ansicht.

Werkstatt von Goetz Custom Boats in Bristol, Rhode Island, USA.

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Toshiko Mori Architect, Treppe für ein Haus in Casey Key, Florida, USA, hergestellt von Goetz Custom Boats, 2004, Ansicht und Detail.

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Toshiko Mori (Leitung), Materialexperimente an der Harvard University Graduate School of Design, Studentenprojekte.

hergestellt wurde (Abb. S. 77, 86). Durch seine Lage, noch dazu in einem Hurrikangebiet, ist das abgelegene Grundstück des Hauses extremen Winden, Salzwasser und starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Die Fiberglastreppe in Leichtbauweise wiegt weniger als 140 Kilogramm und kann in einem Stück von zwei Personen transportiert werden. Die Trittflächen der Treppe bestehen aus sieben Schichten: drei auf der Oberseite und drei auf der Unterseite, mit einem Balsaholzkern in der Mitte. Die Setzstufen bestehen aus neun Schichten: vier auf der Oberseite und vier auf der Unterseite, ebenfalls mit einem Balsaholzkern in der Mitte für Stabilität und Leichtigkeit. Die Treppe hängt an 63,5 mm starken Fiberglasstäben, die wie Angeln konstruiert sind und durch das Dach gehalten werden. Die Detailzeichnungen der Treppe zeigen große Unterschiede zu konventionellen Baudetails, die Treppen gewöhnlich als ein Produkt der Zusammensetzung von Einzelteilen auffassen. Bei dieser Treppe gibt es keine Nägel, Schrauben oder zusätzlichen Unterstützungen durch anderes Material. Sie ist eine monolithische Monocoque-Konstruktion, die vollständig aus Textilien besteht. Der Unterschied in der Detaillierung einer Textilkonstruktion liegt im Verständnis der Kontinuität des Materials. Es gibt weichere Übergänge zwischen den verschiedenen Ebenen, welche es den Fasern erlauben, den Richtungswechsel der Kräfte zu übertragen. Einige der Öffnungen in der Treppe sind gefaltete Einschnitte anstelle von Durchstichen, damit die Randfasern die Kraftübertragung fortsetzen können. Die Detaillierung der Treppe orientiert sich an Schneidereitechniken wie Drapieren, Schlitzen, Klemmen, Falten und Aufrollen. Wie beim Schneidern eines Ärmels, das die Kontinuität des Materials auch an einer Öffnung, dem Armloch, erfordert, gehen die Trittflächen in das Geländer über. Das Geländer selbst ist ein Detail, wie es oft für die unterste Naht eines Bekleidungsstücks verwendet wird. Visuell erscheint es, als sei der Stoff heruntergerollt worden, um auf die Treppenauftritte zu fallen, die sich daraufhin nach außen falten. Die Tektonik der Textilien erlaubt der Treppe nicht nur, den Klimaverhältnissen zu widerstehen, sondern hat auch den Entwurf geleitet, der mit seiner kontinuierlichen Oberfläche eine klare und stromlinienförmige neue Ästhetik aufweist. Die Tektonik von Textilien erfordert die Erfindung einer neuen Detaillierungsmethode durch den Transfer von Schneidertechniken und Bootsbautechnologien. Im Fall der gezeigten Treppe ist die Konstruktion steif, doch es wäre vollkommen stimmig, Gebäudeelemente insbesondere für Fassaden zu entwickeln, die freier und flexibler sind und zu reaktionsfähigen Komponenten werden. Eine textile Fassade könnte gleichzeitig atmen, filtern,

dämmen und schützen, sie könnte komplexe und zusammengesetzte funktionale Eigenschaften ermöglichen. Diese Fähigkeit zur Integration mehrerer gleichzeitig erfüllter Funktionen ist einzigartig bei diesem Material, das aufgrund seines besonderen Herstellungsprozesses höchste Heterogenität in seiner Zusammensetzung zulässt. Seine Reaktionsfähigkeit und Flexibilität ist eine wünschenswerte Eigenschaft, die zu architektonischer Innovation führen kann. Gerade wegen ihrer Intelligenz, ihres ökologischen Potenzials und der guten Möglichkeit von Wissenstransfer können Textilien mit ihrer Tektonik an unterschiedliche Ökonomien angepasst werden und sowohl in Entwicklungsländern als auch in hochentwickelten Ländern bestehen. Ihr großer Vorteil liegt darin, einem signifikanten Teil der Weltbevölkerung zugänglich zu sein. In der Vertrautheit mit dem Material liegt ein großes Potenzial für die Umsetzung gegebener Techniken, Fähigkeiten und kultureller Ressourcen in ein neues Produktionsmodell für das 21. Jahrhundert. Von den ersten Experimenten bis zur Erfindung eines neuen Materials und dessen Marktzulassung vergehen in der Regel 20 bis 30 Jahre. Die Tektonik von Textilien kann dagegen auf existierende Herstellungsprozesse bezogen werden, die ihr Leistungsvermögen bereits demonstriert haben. Bestehende Fabriken können leicht und ohne große Änderungen umfunktioniert und neu organisiert werden, und bereits existierende Produkte können neue Einsatzmöglichkeiten finden. Dies ist eine besonders attraktive Qualität für architektonische Innovationen, die durch Technologietransfer, Fertigkeits- und Wissensaustausch möglich werden. Da Gebäude keine Konsumgüter sind, stellt die Umnutzung existierender Technologien eine sehr nachhaltige Herangehensweise bei der Materialerfindung dar. Es besteht zudem die Möglichkeit, dass Textilherstellung sowohl als ein hierarchisch organisierter und fixierter Prozess erfolgt, wie es bei der multinationalen Fertigungsindustrie der Fall ist, als auch als ein mehr demokratischer, der auf lokalen Gemeinschaften basiert. Dies stellt eine attraktive Möglichkeit dar, Geschäftsmodelle für eine hybride Fertigung zu entwickeln, die in der Lage ist, sich an unterschiedliche Ökonomien anzupassen, von Entwicklungsländern bis zu technisch hochentwickelten Ländern. Anmerkungen 1. Albers, Anni. „The Pliable Plane: Textiles in Architecture”. In: Perspecta: The Yale Architectural Journal 4 (1957). S. 36-41. 2. Brown, Susan (Assistenz-Kuratorin am Cooper-Hewitt National Design Museum). „Textiles: Fiber, Structure, and Function”. In: McQuaid, Matilda (Hrsg.). Extreme Textiles: Designing for Higher Performance. New York: Princeton Architectural Press, 2005. S. 38.

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Modulation Transformation durch Formgebung und Strukturierung

Peter Zumthor, Bruder-Klaus-Feldkapelle, Mechernich, Deutschland, 2007, Innenraum.

Thomas Schröpfer

Materialien mit kulturellen Ideen zusammenzubringen und zu verschmelzen ist ein grundlegender architektonischer Akt, dessen Ergebnis Bruno Latour als „Natur-Kultur-Hybrid“ bezeichnet.1 Die Formgebung und Strukturierung, oder Modulation, von Material als Teil des Bauens findet sich in jedem kulturellen Kontext. In der ägyptischen Architektur gibt es Schilf-Wandpfeiler, die aus einem Stein gehauene Wände und Säulen darstellen, während Steinsäulen so geformt sind, dass sie Papyrusbündel nachahmen. Der Echinus zwischen Abakus und Säulenschaft in der dorischen Säulenordnung markiert den modulierten Übergang zwischen der Säule und der Last des Gebälks. Die Volute stellt eine organischere, biomorphe Form beim Übergang zwischen Säule und Architrav dar. In der Kathedrale St. Peter in Exeter läuft das dünne Steingerippe des Tierceron in einer kleinen Säule zusammen, die so bearbeitet ist, als würde das Steingerippe nach unten, entlang der kleinen Säule weiterverlaufen – ein Stück Stein, das moduliert wurde, um eine Kontinuität des Tragwerks zu betonen, die zwar existiert, aber nicht auf diese Art artikuliert werden müsste. Die stetige Krümmung des Gebälkelements über der unteren Säulenreihe in der Fassade von San Carlo alle Quattro Fontane von Borromini dient dazu, die einzelnen skulpturalen Teile durch eine die Natur nachahmende Geste zu vereinen. In der VilLA NM von UN Studio ist es die Gesamtform des Gebäudevolumens, die der Modulation unterworfen wird (Abb. S. 90, 91). Modulation im Sinne von Formung und Strukturierung eines formal unbestimmten Materials oder Volumens ist eine konzeptionelle Idee, die in der Architektur allgegenwärtig ist. Obwohl sich die Konstruktions- und Herstellungsmethoden modulierter Materialformen mit der Zeit stark verändert haben, sind die des letzten Jahrhunderts auch heute noch relevant. Modulation in der Architektur ist heute kein geschlossenes Konzept, vielmehr ein polysemantischer Rahmen, welcher der Fixierung auf zentrale Themen trotzt. Die Darstellung muss daher abweichende Haltungen, die oftmals die gleichen Materialien und Methoden betreffen und keine klaren Grenzen zwischen sich haben, mit einschließen: Die Grundlage für Gebäude ist selten nur eine einzige konzeptionelle Richtung. Modulation in der Architektur folgt oft einer Leitlinie, die erweitert wird und durch Berührungen mit anderen Verläufen an Tiefe gewinnt. Im Folgenden wird das Thema in drei Kategorien aufgeteilt: „Modulation modulieren“ behandelt Geometrien und Eigenschaften, die in kontinuierlichen Formen gefunden werden können, „Modulation des Geformten“ stellt die Techniken des Krümmens und Kerbens dar, und „Modulation des Gestaltlosen“ untersucht Mimesis, Kodierung, Fusion und Integration.

Modulation modulieren Kurvatur Geometrien vermitteln zwischen den Konzepten der Modulation und ihrer Umsetzung in Materialien. Kurvaturen können dabei durch die Natur nachahmende Mimesis erschaffen werden, wie im Falle von Michelangelos Steinskulpturen, oder durch den Verlauf einer Linie auf Papier, wie bei Zumthors Skizzen für eine Feldkapelle, aber in den meisten zeitgenössischen Arbeiten wird die formgebende Geometrie durch CAD-Software generiert. Es gibt verschiedene Methoden, mit dem Computer Kurvaturen herzustellen (Abb. S. 92, 93). Programme wie Maya können den Effekt von Teilchenflüssen auf weiche Körper simulieren, oder sie können gröbere Annäherungen an glatte Formen mittels Oberflächenunterteilungen vornehmen. Die am weitesten verbreitete Methode der Rundungs- und Oberflächenerzeugung ist das NURBSVerfahren (Non Uniform Rational Basis Spline), welches von Pierre Bézier für Renault und von Paul de Casteljau für Citroën in den 1950er Jahren unabhängig voneinander entwickelt wurde. Bézier und de Casteljau entwickelten die Kurvengleichung, um Freiformflächen, wie sie Auto- und Schiffskörper aufweisen, exakt beschreiben zu können. Béziers Methode der Kurvengenerierung verwendet Kontrollpunkte, bei der die Kurve mit der Ausnahme der Endpunkte nicht durch diese verläuft. Die Kurve ist dabei parametrisch; wenn die Generierungspunkte bewegt werden, ändert die Kurve ihre Form. Die Bézier-Kurve (oder die Ansammlung von Bézier-Kurven, um eine Spline-Kurve zu generieren) ist entscheidend wichtig für das Modulieren im Entwurf, da sie eine der am häufigsten verwendeten in heutiger CAD-Software ist. Die Bézier-Spline-Kurve ist jedoch nur eine unter vielen Gleichungen, die zur Kurvengenerierung benutzt werden können, und sie ist nicht neutral in Bezug auf die formalen Möglichkeiten. Rockwood und Chambers benennen die Aspekte der Bézier-Kurve, die wichtig für ihre Verwendung im Entwurf sind: Sie wird durch Endpunkte definiert und ist kotangent zu ihrem Kontrollpolygon.2 Das bedeutet insbesondere, dass die Kurve tangential zu den Linien verläuft, welche die Endsegmente formen. Das Skalieren, Drehen oder Bewegen eines Kontrollpunktes der Bézier-Kurve verändert dabei die Geometrie der Kurve. Die Bézier-Kurve bewegt sich nicht mehr als ihr Kontrollpolygon. Das bedeutet, dass die Richtung der Kurve nicht hin- und herwechselt, es sei denn, der Kontrollpunkt verhält sich dementsprechend. Außerdem verfügt die Bézier-Kurve 88

UN Studio, VilLA NM, Bethel, New York, USA, 2007, Innenraum.

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UN Studio, VilLA NM, Grundriss und Schnitte.

über lineare Präzision: Wenn alle Kontrollpunkte eine gerade Linie formen, wird auch aus der Kurve eine gerade Linie. Die Berechenbarkeit der Bézier-Kurve, sowohl bei der Manipulation von individuellen Kontrollpunkten wie auch bei Änderungen in der Gesamtkurve, ist essenziell für ihre Verwendung in der Architektur. Wie Greg Lynn die Komplexität von Spline-Kurven beschreibt, „ist es für Architekten nicht notwendig, Differenzialgleichungen zu beherrschen, da sogar die Gleichungen der einfachsten Spline-Kurve für die meisten Architekten zu komplex wären, um sie zu berechnen. Stattdessen müssen Entwerfer die topologischen Muster, während sie sich dynamisch, mit unterschiedlichen Ausprägungen entfalten, verstehen lernen, statt sie nur als bloße Formen zu betrachten.“3 Ebenso wichtig für die Berechenbarkeit der Bézier-Kurve ist das tangentiale Verhalten der Start- und Endpunkte. Die Ansicht der VilLA NM in Längsrichtung zum Beispiel verwendet Spline-Kurven und Regelflächen, um den Übergang von einer orthogonalen Box in die andere zu generieren. Dieser weiche Übergang und die tangentialen, orthogonalen Endzustände können alle mit einer einzigen Kurve beschrieben werden; der Höhenverlauf der Volumen kann dabei fortlaufend gestaltet werden, statt diese auf verschiedener Höhe aneinander angrenzen zu lassen. Die Bézier-Kurve steht in enger Verwandtschaft – optisch, nicht mathematisch – mit der Hohlkehle; beide sind von tangentialen Verhältnissen an ihren Enden abhängig, um einen weichen Kurvenverlauf zu erzielen. Greg Lynn betont einen kritischen Unterschied zwischen der Hohlkehle, welche einen festgelegten Radius hat, und Spline-Kurven, welche er als einen Fluss zwischen besonderen Kontrollpunkten beschreibt.4 In diesem Sinne ist die Hohlkehle statisch, während die Spline-Kurve, auf Berechnung beruhend, dynamisch ist. In Bezug auf Modulationskonzepte sind diese Unterschiede bedeutsam, während für die Oberflächengestaltung Hohlkehle und Spline-Kurve miteinander verwandt sind. Die Bézier-Kurve und die Hohlkehle sind beides herausragende Methoden für die Erarbeitung modulierter Übergänge. Die Projekte in Ali Rahims Buch Catalytic Formations bieten eine detaillierte Untersuchung der Implikationen von SplineKurven und Tangentialität in Bezug auf Modulation.5 In seinem eigenen Projekt für einen Reebok Flagship Store verwendet Rahim Teilchendichten, interpoliert mit Spline-Kurven, um topologische Formen zu generieren (Abb. S. 93). Modulation tritt hier bei den Übergängen zwischen generierender Geometrie und funktional geforderten Formen auf, in Systemen tangentialer Verhältnisse. Treppen zum Beispiel werden zu Texturen auf dem Boden, winden sich anschließend eine 91

Bézier-Spline, generiert mit vier Punkten mittels Kontroll-Polygon-Endlinien-Tangentiale.

Interpolierte NURBS-Kurve, generiert mittels der gleichen Ursprungspunkte wie BézierSpline, nicht tangential an den Enden.

NURBS-Bézier-Spline aus sieben Punkten, generiert mittels Endpunkt und Tangentiale, zeigt eine Auflösung in eine gerade Linie. (Zeichnungen: Eli Allen)

Wand hinauf, um sich sodann in tragende Elemente für Regale zu verformen. Während Rahims eigene Texte bezüglich der Arbeitsprozesse des digitalen Entwerfens eher vage bleiben, bietet deren rigorose Untersuchung durch Greg Lynns Texte einen Schlüssel zum Verständniss von Rahims Herangehensweise. Die sich verjüngenden Treppen und Regale des Reebok Flagship Store sind Beispiele für das, was Lynn als „Schnipsel“ („shreds“) bezeichnet, die wiederum ein Spezialfall „isoparmer Öffnungen“ sind. Lynn hat diese „Schnipsel“ in verschiedenen Projekten eingesetzt, darunter in seiner Installation Predator aus dem Jahr 1999. Lynns besonderer Blick auf diese Techniken, die mittlerweile Allgemeingut sind, ist deshalb wichtig, weil er diese als eine neue Grundtechnik zu verstehen erlaubt. Seine Beschreibung digitaler Methoden einer konsequenten Modulation ist es aufgrund ihrer Klarheit wert, genauer verfolgt zu werden. Er beschreibt die „Schnipsel“ folgendermaßen: „Topologische Oberflächen sind als Kurvennetzwerke modelliert: Kurven verlaufen durch oder hängen von Kontrollknoten oder -punkten in je zwei Richtungen ab. Die U- und V-Richtungen beschreiben die Tendenz der Kurven. Durch die Verdopplung zweier Kurven in der gleichen Position und das anschließende Verteilen der Kontrollknoten sind wir in der Lage, Schnipsel oder Teilstücke so zu positionieren, dass sie sich voneinander entfernen und dann wieder miteinander auf der Oberfläche verschmelzen. Auf diese Art sind die Geometrien von Öffnungen koinzident mit der Geometrie der Oberfläche... Die Allgegenwärtigkeit dieser Technik Mitte der 90er Jahre weist darauf hin, dass sie zur allgemeinen Methode der Platzierung von Öffnungen in Oberflächen geworden ist, ohne die Logik der Oberfläche selbst zu verletzen.“6 Rahim deutet an, wie seine Analyse des Teilchenflusses Lynns Beschreibungen verstanden werden kann: „Das System wurde durch das Verbinden von Teilchen mit Erzeugung von Kurven und Oberflächen umgesetzt: Je mehr Teilchen oder Punkte die Kurven regulieren, desto intensiver werden die Transformationen in der entstehenden Oberfläche.“7 Die Verwendung von punkterzeugten Kurven und im Flagship Store setzt das Projekt sowohl mit Lynns Erklärungen als auch mit der Bézier-Kurve in Verbindung. Rahims Entwürfe enthalten viele von Lynn Beispiel die Treppen und oder das Regalsystem im Eingangsbereich des Ladens – ein Beispiel für Lynns Begriff der „Zahnung“ („teeth“), den er wie „... die Verbindung von ungleichen Flächen mittels Koplanarität erzeugt eine ‚Zahnung‘ entlang der Oberfläche. Der Begriff ‚Zahnung‘

beschreibt jede Verbindung zwischen Oberflächen, bei der zwei Kurven tangential sind oder zusammenfallende Kontrollknoten aufweisen.“8 Er erkundet das Zahnungskonzept in seinem Tadpoles-Projekt aus dem Jahr 2000, einem Tisch- und Regalsystem, das Zahnung anwendet, um multifunktionelle Oberflächen in eine kontinuierliche modulierte Form zu integrieren. So wie Lynns Forschungen und Texte die geheimnisumwobenen „generischen Operationen“ durchschaubar machen, schafft Rahims virtuose Arbeit eine Integration von Techniken in ein ganzheitliches System: Der Flagship Store verbindet Schnipsel, Zahnung, Hohlkehle und Spline-Kurve in einem kontinuierlichen Ganzen, mittels Verwendung von Modulationstechniken, aber darüber hinaus auch dadurch, dass er Modulation als Konzept zum Ausdruck bringt. Rahims und Lynns Projekte setzen auch auf eine ähnliche Materialität. Bei Rahim handelt es sich um vakuumgeformtes Acryl und Form-Fiberglas für die inneren Oberflächen des Flagship Store, bei Lynns Fabrikation der Installation Predator um vakuumgeformte Kunststoffplatten.9 Beide verformen ein flaches Material zu einer modulierten Oberfläche, eine Methode, die unten im Abschnitt „Modulation des Geformten“ eingehender besprochen wird. Acryl- und Fiberglas sind leicht mit Hilfe von Formen zu manipulieren. Bei der Installation Predator wurden 250 CNC-gefräste Schaumstoffplatten hergestellt, die als Formen für die vakuumgeformten Kunststoffplatten dienten. Vakuumformung, eine Art von Thermoformung, verwendet hohe Temperaturen, um die Oberfläche einer Kunststoffplatte dauerhaft zu verformen. Rahim strebt an, dass diese Methode und die resultierende Materialität „die emotionalen Wirkungen dieser Anordnung erhalten und auch steigern wird durch die entstehende Palette von Atmosphären und Umgebungen”.10 Mit den Umgebungen und ihren Bedingungen ist das Zusammenspiel von doppelter Krümmung und Lichtwirkung gemeint; Rahim merkt an, dass „der Vakuumformprozess die Molekularstruktur der Platten verändert und einen Effekt in der Bewegung des Lichts auf der Oberfläche erzeugt… in die Fiberglasdecke eingelassene Muster helfen ebenfalls, verschiedene Lichtqualitäten herzustellen.“11 Auf ähnliche Weise beschreibt Lynn das Tadpoles-Projekt und merkt bezüglich eines „Lichteffekte werden durch die wechselseitige Befruchtung zwischen geometrischen Aushöhlungen und erzeugt.“12 In Fotografien von Predator Renderings des Flagship Store oder das Durchscheinen lation von Licht hier als ein der Formgenerierung angesehen werden. Die Verwendung doppelter Krümmung 92

Ali Rahim and Hina Jamelle/Contemporary Architecture Practice, Reebok Flagship Store, Shanghai, China, 2005, Detail Ansicht und Innenräume, Renderings.

Fillet-Konstruktion generiert mittels Tangentiale. (Zeichnung: Eli Allen)

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Anish Kapoor, Cloud Gate, Chicago, Illinois, USA, 2006, Ansicht.

Erwin Hauer, Design I, 1950, Details Ansicht.

nicht zum Zwecke der Formgebung, sondern um Licht zu modulieren und abzuschirmen, wurde bereits vor 50 Jahren durch Erwin Hauer erforscht (Abb.). Licht In seinem experimentellen Projekt Design I aus dem Jahr 1950 verwendete Erwin Hauer kontinuierliche Kurvaturen als Methode, die Diffusion von Licht zu erforschen. Design I wurde als eine einzelne, sich wiederholende Einheit aus Hydrostone (hochfestem Gipszement) oder Portlandzement gegossen.13 Die Fugen der entstehenden modularen Einheit sind dabei versiegelt, so dass die Verbindungsdetails wie auch die einzelnen Elemente gänzlich integriert sind. Was dagegen hervortritt, ist die Kontinuität der Oberflächenkurvatur. Hauers Wände erfahren eine drastische Verwandlung, wenn sie von vorn oder hinten beleuchtet werden. Wechsel zwischen hell und dunkel werden durch eine allmähliche Modulation der Lichtreflexion durch die Oberfläche erreicht. Im Gegensatz zu abrupten Übergängen erzeugt die Kurvatur eine Abstufung von Lichtstärken. Hauer schreibt, das „Licht, das von der gegenüberliegenden Seite aus in die Wand fließt, scheint sich an der Oberfläche festzuhalten, sich um das geformte Volumen zu legen und sogar die Teile der Oberfläche zu beleuchten, die von der Lichtquelle abgewandt sind“.14 Fotos von Design I bestätigen Hauers Beschreibung. Hier wird Licht selbst moduliert. Modulation des Geformten Biegen Im architektonischen Maßstab ist Beton das einzige verfügbare Material ohne inhärente Form, was es befähigt, jede ihm gegebene Modulation anzunehmen. Es ist zwar möglich, auch Metalle und Kunststoffe zu gießen, doch ist dieser Prozess meist zu kostspielig, um in der Architektur zur Anwendung zu kommen. Metalle, Glas, Kunststoffe, Stein und Holz sind alle als Produkte in industriell produzierter Form in größtenteils orthogonalen Geometrien kostengünstig für das Bauen erhältlich. Die vorgeformten orthogonalen Geometrien können so manipuliert werden, dass modulierte Formen entstehen, die genauso fließend wie Beton in ihrer Erscheinung sind. Anish Kapoors Cloud Gate benutzt präzise CNC-Fertigungsmethoden, um Metallplatten um ein Tragwerkskelett zu biegen (Abb. S. 25, 94). Das grobe Skelett wird dabei komplett durch die kontinuierliche Biegung der Edelstahloberfläche versteckt. In diesem Fall wird Modulation durch extreme Präzision der beschnittenen und gebogenen Platten erreicht, mit großer 94

Office dA, Lazlo Files, Möbel der Harvard University Graduate School of Design, Cambridge, Massachusetts, USA, 2001, Ansichten.

Ingenieurskunst, die sicherstellt, dass sich die Platten nicht verbiegen,15 und durch kontinuierliche polierte Schweißnähte.16 Nader Tehrani bezeichnete die polierte Schweißnaht als ein ausgelöschtes Detail, eine technische Notwendigkeit, die einem „wahrnehmungsbedingten Imperativ“ folgend unterdrückt wird.17 Die Verwandlung der planaren Elemente ist so vollkommen, dass die vollendete Figur als eine homogene modulierte Form wahrgenommen wird. Das polierte Metall der doppelt gekrümmten Oberfläche handelt auch von der Interaktion mit Licht, genau wie Hauers Wandskulpturen. Viel mehr als nur ein Spiel von Licht und Schatten, sammelt Cloud Gate das reflektierte Licht des umgebenden Parks und der angrenzenden Stadt und bezieht deren immerzu wechselnde Bedingungen als eine permanente Eigenschaft der Oberfläche der Skulptur mit ein. Viele der Techniken, die verwendet wurden, um diese Form herzustellen, sind seit langem bekannt. Sie wurden ursprünglich im Schiffsbau verwendet und werden mittlerweile zunehmend auch in architektonischen Projekten eingesetzt. Die Biegungen der Platten von Cloud Gate wurden für jede einzelne analysiert, und die Oberfläche wurde so aufgeteilt, dass die jeweiligen Verformungen der einzelnen Elemente akzeptabel blieben.18 Während diese Technik weit verbreitet ist, setzt sich Cloud Gate durch eine extreme Präzision und durch die Auslöschung der einzelnen Platten durch die Behandlung der Schweißnähte von anderen Beispielen ab. Zaha Hadids Verwendung von doppelt gekrümmten Glaspaneelen für vier Bahnstationen in Innsbruck ist in ihrer Struktur dem Cloud Gate ähnlich (Abb. S. 96, 97). Auch hier wurden die Paneele so definiert, dass der Grad der Krümmung für die meisten von ihnen minimiert ist und sie auf ein innenliegendes Tragwerk montiert werden konnten. Der wesentliche Unterschied besteht in der Betonung der Fugen, welche hier als schmale rahmende Fugenlinien belassen wurden. So wird in Hadids Arbeit die modulierte Kontinuität als eine Ordnung wahrgenommen, der sich die Fuge unterwirft, genauso wie ihre Arbeiten mit Beton die Spuren der Schalungen unterwerfen (siehe Abschnitt „Modulation des Gestaltlosen“). Kerben Die 2000 bis 2001 entstandenen Registerschränke Lazlo Files, die Office dA für die Graduate School of Design der Harvard University entwarf (Abb.), verwandeln mittels CNC-Fräsen flache Sperrholzplatten in eine kontinuierliche implizite Oberfläche. Wie bei Hadids Bahnstationen werden Fugen weiterhin benötigt (in diesem Fall bilden die einzelnen Paneele individuelle Schubladen), aber die Kontinuität der fließenden Oberfläche 95

Zaha Hadid Architects, Stationen der Nordkettenbahn, Innsbruck, Österreich, 2007, Lageplan und Dachformen.

ordnet die Schubladen der Gesamtfläche unter. Brüche erlauben die Integration von Griffen in das modulierte System. Die wechselnden Maserungen der Sperrholzbeschichtung zeichnen die Tiefe der Einkerbungen nach. Die freigelegten Sperrholzschichten erzeugen einen Gegensatz zwischen dem planaren orthogonalen Material und der fließenden Form, die den Einkerbungen unterworfen wurde. Der Bildhauer Tony Cragg verwendet in seinen Arbeiten in Stein ähnliche Methoden. Messenger oder Under Circumstances benutzen Modulation als eine Technik, um einzelne Steinplatten zu einem zusammenhängenden Volumen zu formen. Die Kontinuität des sorgsam polierten Steins formt deutlich ein individuelles, moduliertes Ganzes. Doch sind die Linien, welche die einzelnen Komponenten dieser Modulation hervorheben, ebenso ausdrucksstark. Während im architektonischen Maßstab die Arbeit mit Komponenten unumgänglich ist, müssten sie im kleinen bildhauerischen Maßstab nicht zum Ausdruck gebracht werden. Cragg erkundet die Beziehung zwischen der Aggregation von Teilen und dem modulierten Ganzen, eine Beziehung, die in Kapoors Cloud Gate komplett unterdrückt ist. Germano Celant sagt zu dieser Spannung in Craggs Arbeit: „Craggs Weg führt ihn von den auf Fragmentierung und Assemblage basierenden Arbeiten mit industriellem Schrott und Abfall in Richtung einer Kompaktheit und Vereinheitlichung, welche der Wahl eines einheitlichen Materials geschuldet ist, das geformt und modelliert wird, um neue Formen und neue Bilder zu erschaffen.“19 Craggs modulierte Skulpturen enthüllen einen essenziellen Aspekt von Modulation: den Ausdruck von Kontinuität, von der Fähigkeit, ganzheitliche Formen zu schaffen. Wenn ein Gebäude eine einheitliche Idee darstellen soll, ist es angemessen, es in einer einheitlichen Form auszuführen. Cragg erkundet in der Bildhauerei diese bestimmte Technik der Modulation, doch liegen die Ideen, die seiner Skulptur ihre Form geben, jenseits von ihr. Im Gegensatz dazu erkunden die Sperrholzmanipulationen von Office dA eine dem Material inhärente Eigenschaft. Craggs Ideen berühren sinnliche, organische Formen. Sie führen zur Mimesis, der vielleicht ältesten Art der Modulation.

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Zaha Hadid Architects, Nordkettenbahn, Stationen Congress und Hungerburg, Ansichten bei Nacht.

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Ali Rahim and Hina Jamelle/Contemporary Architecture Practice, Migrating Formations, Ausstellung „Home Delivery”, Museum of Modern Art, 2008, Ansicht und Details.

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Modulation des Gestaltlosen Mimesis Mimetische Modulation ist ein expressiver Ansatz. Mimesis, Nachahmung von Naturformen, beinhaltet sowohl expressive Formgebung als auch Biomimikry, wie sie beide auch in klassischer Architektur zu finden sind. Michelangelos plastische mimetische Modulation wird bei der Pietà deutlich. Die Kontinuität der Marmoroberfläche stellt meisterhaft Kleidung und Haut dar. Der hoch verfeinerte Schliff, der mit Carraramarmor möglich ist, nutzt die Reflexion des Lichts aus. Der über die verschiedenen Oberflächen der Skulptur ähnlich bleibende Grad der Lichtreflexion akzentuiert die Kontinuität der Gesamtform und verleiht dem Stein Weichheit. Erich Mendelsohn verwendete mimetische Modulation in seinem Einsteinturm in Potsdam. Der Turm sollte Einsteins Relativitätstheorie zum Ausdruck bringen; die Form des Baukörpers war der Versuch, die Beziehung zwischen Masse und Licht, welche die Forscher des Observatoriums zu entwickeln versuchten, sichtbar zu machen. Die ausdrucksstarke Form des Turms verkörpert jene Modulation, die durch das Bauen mit Stahlbeton möglich geworden war. Zu jener Zeit konnte der Turm jedoch noch nicht komplett aus Beton gebaut werden, an dessen Stelle für große Teile des Gebäudes verputztes Mauerwerk treten musste. In seiner letzten Schnittzeichnung des Turms kennzeichnete Mendelsohn, für welche Teile Beton und für welche Mauerwerk verwendet werden sollte; die Schnitte belegen, dass einige der modulierten Oberflächen in Mauerwerk hergestellt werden sollten, viele der dynamischsten Elemente (der geschwungene Eingang, die Einfassungen der Fenster, der dünne Balkon auf der Spitze des Turms) aus Beton.20 Das Material wurde aufgrund seiner Fließeigenschaften, seiner Ausdrucksstärke und seiner dynamischen Wirkung eingesetzt. Die Putzschicht zieht sich dicht und gleichmäßig über das gesamte Gebäude und stellt ein weiteres vereinheitlichendes Mittel dar, ähnlich wie bei den Oberflächen von Le Corbusiers Kapelle in Ronchamp (siehe unten im Abschnitt „Fusion“). Das TWA-Terminal von Eero Saarinen versucht ebenfalls, eine abstrakte Idee zum Ausdruck zu bringen, hier die Idee des Fliegens. In einem unvollendeten „General Statement“ sagt Saarinen: „... man hat auch gelernt, dass das Strukturelle und Rationale nicht immer Vorrang haben kann, wenn sich eine andere Form als schöner erweist. Das ist eine gefährliche Behauptung, aber ich glaube, dass sie wahr ist.“21 Saarinen zeigte

in seinem TWA-Terminal sein Interesse an kommunikativen und expressiven Formen.22 Während die mimetische Modulation der Hauptgedanke für die Formgebung war, sollten hier auch verschiedene funktionale Bereiche durch Mimesis zusammengefasst werden, so dass die mimetische Modulation zu einer Gesamtmodulation, wie weiter unten besprochen, fortentwickelt wird: „Während der Passagier sich durch die Abfolge des Gebäudes bewegt, soll er sich in einer einheitlichen Umgebung befinden, in der jeder Teil aus einem anderen folgt und alle zu derselben Gesamtform gehören.“23 Anders als beispielsweise bei der VilLA NM folgt die Form hier nicht aus der Vereinheitlichung verschiedener funktionaler Bereiche, sondern bildet vielmehr eine vereinheitlichende Hülle für diese unterschiedlichen Bereiche, wie Mark Lamster in diesem Zusammenhang erklärt: „Saarinen stellte die technischen Zeichnungen erst fertig, nachdem die endgültige Form als das Resultat eines ausgedehnten Modellbauprozesses gefunden worden war.“24 Solch eine Arbeitsweise verweist auf eine Dominanz einer formalen über eine funktionale Modulation. Kodierung Der Prozess der Formung von Materialien ermöglicht es, Informationen über den Prozess selbst zu integrieren. So können beispielsweise Schalungsspuren zur vorherrschenden Logik einer modulierten Form werden. Carlo Scarpas Friedhof Brion und Denkmal in Treviso betont die einzelnen Schalungselemente, indem sie zu repetitiven rauen und linearen Muster zusammengefasst werden und dadurch große Oberflächen strukturieren. Die dabei zugrunde liegende geometrische Sprache setzt den so behandelten Beton mit den anderen Materialien des Projekts in Beziehung. In Scarpas Kirche Nostra Signora del Cadore in Belluno wurden die linearen Bretter der Schalung voneinander abgesetzt und erzeugten so auf der Wand ein Reliefmuster. Diese Schalungstechnik wurde zuvor von Frank Lloyd Wright in komplexeren Mauersteinen erprobt; im Haus Storer in Hollywood, Kalifornien, arbeitete er mit speziellen geometrischen Mustern auf Betonsteinen, die zusammen größere Muster erzeugen. Herzog & de Meuron setzen sich bei der Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde mit dem Prozess des Übergangs von Beton aus dem flüssigen in den festen Zustand unter Verwendung von Abbindeverzögerern auseinander. Durch das gesteuerte verzögerte Aushärten der Oberfläche der Betonpaneele übertragen sich die Motive von Fotos auf den Beton: Wo dieser mit dem Verzögerer in Kontakt gekommen war, konnte er anschließend weggewaschen werden, um ein raues, dunkles Inneres zum Vorschein zu bringen, welches 99

Fusion Die Fusion unterschiedlicher Elemente schafft eine Verbindung und Ordnung durch Modulation der Form eines dieser Elemente, das dann kontinuierlich alle in Beziehung zueinander setzt. Bei Le Corbusiers Notre-Dame-du-Haut ist es das expressive Dach, das als vereinheitlichendes Element für den Innenraum der Kapelle dient (Abb. S. 101). Während das Äußere eine fragmentartige Folge aus Kurven, Öffnungen und kleinen Türmen aus Spritzbeton ist, wird das Innere durch die dunkle kontinuierliche Wölbung der Betondecke dominiert und unterwirft alle anderen Elemente dieser monolithischen Form. Die Wandkonstruktion funktioniert in technischer Hinsicht ähnlich wie das Dach: Die sanfte Wölbung der Wände verbirgt ein System aus sich verjüngenden Säulen, die mit Versteifungsstreben verbunden sind; diese separaten tragenden Elemente werden zusammengeführt und durch die glatte Oberfläche der Außenwände durchgehend vereinheitlicht. 27 Diese Fusion einzelner Elemente steht im Einklang mit dem Gießen des Betondaches und dem Spritzbeton der Wände: Der Beton umgibt und verbirgt die tragende Konstruktion. Dieses Verstecken eines groben Tragskeletts ist in konstruktiver Hinsicht fast identisch mit dem Verstecken der Konstruktion unter der glatten Oberfläche von Kapoors Cloud Gate.

materiellen Homogenität machten die Architekten bereits in ihrem Modell für das Projekt deutlich, welches aus einem einzigen polierten Holzblock gebaut worden war. Statt die Krümmung für eine betonte räumliche Integration zu nutzen, bildet sie eine nach innen gerichtete, eigenständige Form. Das Material und die räumliche Sprache, die diese defensive Innenräumlichkeit zum Ausdruck bringen, rührt aus dem Vokabular der Betonbunker aus dem Zweiten Weltkrieg her. In einem frühen Artikel zur „Bunker-Archäologie“ schrieb Virilio, dass der Bunker eine Körperlichkeit besitzt, die „dem Habitat erlaubt, intim mit den verborgenen Möglichkeiten, die in jedem Menschen zu finden sind, verbunden zu werden“. 28 Parent schrieb: „Die Kirche hat eine furchterregende Erscheinung: Ihr lichtundurchlässiger Betonpanzer ist defensiv, sogar absichtlich ‚abstoßend’ in seiner Beziehung zu der Umgebung, formt aber gleichzeitig einen geschützten Innenraum.“29 Dieser umschließende Innenraum vereint die Besucher der Kirche gewissermaßen gewaltsam und lässt sie quasi zu einem Teil der Vereinheitlichung werden. Als weiteres Motiv kommt das Interesse an nicht-orthogonalen Formen zum Ausdruck durch die Abwinklung von Oberflächen, die den Körper in fortwährender Bewegung hält: Die Oberflächen der Innenräume und die Sitzgelegenheiten im Hauptschiff wurden auf Gefällen aufgebracht, um diese Kontinuität der Bewegung herbeizuführen. Virilio stellte Verbindungen zwischen dieser Art der Bewegung und einer „topologischen Architektur“ her.30 In der Mathematik beschäftigt sich Topologie mit Homöomorphismen, der Verwandlung eines geometrischen Objektes in ein anderes. Der topologische Übergang ist eine Art von Modulation, die weiche kontinuierliche Übergänge produziert. Die wahrgenommene Modulation in SainteBernadette basiert sowohl auf der besonderen Ausformung der Wände und Decken als kontinuierliche Oberflächen als auch auf dem hartnäckigen Einsatz des homogenen Materials (der Beton erlaubte es Parent und Virilio, ohne Details, welche die Kontinuität unterbrochen hätten, auszukommen). Die konzeptionellen Vorstellungen, mit denen in der Kirche gebrochen wird, führen zu einem anderen Konzept von Modulation. In dieser Form der Modulation werden nicht nur verschiedene Elemente konsolidiert, sondern sie werden auch zum Teil in ein neues Ganzes integriert.

Eine aggressivere Anwendung einer Fusion als modulierender Strategie findet sich in Claude Parents und Paul Virilios Kirche Sainte-Bernadette-du-Banlay in Nevers. Die kleine Kirche besteht nahezu vollständig aus Ortbeton, der sowohl im Innen- als auch im Außenraum exponiert ist. Die Absicht einer

Integration Die Integration unterschiedlicher Elemente zu einem einheitlichen Ganzen ist eine geometrische Modulation, bei der im Unterschied zur Fusion die Elemente so transformiert werden, dass sie ein Morphing-System bilden. Dieser Unterschied ist

im Gegensatz zur glatten restlichen Oberfläche steht und so das Fotomotiv erscheinen lässt.25 Wie im Falle von Wrights abstrakten Betonmusterblöcken stellt der derart „bedruckte“ Beton eine Reihe sich wiederholender Einheiten dar. Eine Modulation in sehr kleinem Maßstab erlaubt es einem einheitlichen Material, eine Vielzahl von Zuständen zum Ausdruck zu bringen. Peter Zumthors Bruder-Klaus-Feldkapelle kodiert den Konstruktionsprozess, indem eine Rundung durch eine Innenschalung aus gesammelten Baumstämmen geformt wurde (Abb. S. 89). Die Spannlöcher wurden mit Glas gefüllt und erscheinen im dunklen Innenraum der Kapelle als Lichtpunkte. Der so geformte Beton wurde durch Feuer geschwärzt.26 Dieser Prozess wiederholt in gewisser Weise den der Betonformung durch die Baumschalung: Das formende Element (die Schalung bzw. das Feuer) sind vergänglich, bleiben aber als Spuren im Beton erhalten.

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Le Corbusier, Kapelle Notre-Dame-du-Haut, Ronchamp, Frankreich, 1954, Ansicht.

ähnlich zu dem zwischen einer Mischung und einer Lösung: In einer Mischung bleiben die Elemente getrennt, während eine Lösung ein neues, homogenes Ganzes darstellt. Integration ist damit die vielleicht reinste Form von Modulation. Es ist der Versuch, die gesamte Gebäudeform und ihre Materialien zu einer Idee zusammenzuführen. Bei der Integration wird Modulation im Volumen und in der Form des gesamten Gebäudes angestrebt. Modulation erfolgt hier nicht aus expressiven Ideen oder der Nachahmung natürlicher Elemente, sondern versucht, unterschiedliche Systeme zu einer fließenden Synthese zu bringen. UN Studio hat eine stark an dieser Art der Modulation orientierte Entwurfsmethode entwickelt, die von den Architekten als „inklusives Prinzip“ bezeichnet wird: „Das gleichzeitige Erreichen einer integralen Beziehung der Elemente eines Gebäudes und einer engmaschigen, effizienten Organisation, in welcher sie angeordnet sind, ist für beide Seiten von Vorteil – Mehrzweck-Konstellationen sind das wichtigste Ordnungsprinzip unserer Entwurfsmodelle.“31 Was UN Studio als integrale Beziehung bezeichnet, wird durch Modulation erreicht, gut erkennbar im „Blob-to-Box“-Modell, welches „im Maßstab eines individuellen Gebäudes... das Modell für eine Verbindung getrennter Systeme durch Transformationen in den Gebäudeschnitten bietet“. Die VilLA NM demonstriert solch eine Modulation in Form einer Oberflächenkrümmung, die zur Integration von drei Boxen dient, von denen sich jede auf einer anderen Schnittebene befindet.32 Die Konstruktion der Wandkrümmung in der VilLA NM ist dabei analog zu jener der Wände von Notre-Dame-du-Haut: Vorgefertigte Profile werden mit Latten und Putz bedeckt. Die glatte Oberfläche vereinigt dabei die einzelnen Elemente. Die Modulation durch Integration führt jedoch zu einem anderen Resultat als bei Ronchamp: Bei der VilLA NM produziert die kontinuierliche Wand eine einheitliche Komponente, die orthogonalen Boxen werden durch die Verbindungskrümmung zu einer einzigen kontinuierlichen Form. Das Phaeno Science Center in Wolfsburg von Zaha Hadid zeigt eine ähnliche systematische Integration (Abb. S. 102, 103). Die aufgeständerte Ausstellungsbox „fließt“ hier in die Betonstützen. Deren Form, ein Kreissegment mit zwei Endtangenten, erlaubt einen langsamen Übergang von Wand zu Boden. Die tangentialen Krümmungen erlauben sowohl das Ineinanderübergehen der Formen als auch die Integration des Tragwerks mit dem Gesamtvolumen. In den fließenden Übergängen werden dabei die Spuren der Schalung des Betons unterdrückt. Das geschieht hier aber nicht durch Oberflächenbehandlung, sondern durch die Verschiebung der Betonung auf die Kontinuität der Gesamtform. 101

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Zaha Hadid Architects, Phaeno Science Center, Innen- und Außenraum.

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MVRDV, Villa VPRO, Hilversum, Niederlande, 1997, Ansicht, Schnitt und Grundrisse.

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und die wahrgenommenen vereinheitlichten Oberflächen sind das architektonische Resultat. Die konzeptionelle Modulation, angewendet auf oder mit Material, transzendiert Materialität und Konstruktion in einem Akt der Architektur.

Anmerkungen 1. Zitiert in Martin, Reinhold. „What is a Material?“ In: Eero Saarinen: Shaping the Future. Pelkonon, Eeva-Liisa und Donald Albrecht (Hrsg.). New Haven: Yale University Press, 2006. S. 69. 2. Rockwood, Alyn, und Peter Chambers. Interactive Curves and Surfaces. San Francisco: Morgan Kaufmann, 1996. S. 37-40. 3. Lynn, Greg. Animate Form. New York: Princeton Architectural Press, 1999. S. 25. 4. Ibid. S. 20. 5. Rahim, Ali. Catalytic Formations: Architecture and Digital Design. London: Taylor & Francis, 2006. 6. „Greg Lynn FORM“. Design Document 15: Greg Lynn: Form/Predator. Seoul: DAMDI, 2006. S. 92. 7. Ibid. S. 53. 8. Lynn, Greg, und Véronique Patteeuw (Hrsg.). Architectural Laboratories / Greg Lynn and Hani Rashid. Rotterdam: NAi, 2002. S. 25. 9. „Greg Lynn FORM“. Design Document 15… S. 134. 10. Rahim, Ali. Catalytic Formations… S. 53. 11. Ibid. 12. Lynn, Greg, und Véronique Patteeuw (Hrsg.) Architectural Laboratories… S. 26. 13. Hauer, Erwin. Continua: Architectural Screens and Walls. New York: Princeton Architectural Press, 2004. S. 94. 14. Ibid. S. 10. 15. Hornzee-Jones, Christopher in: Anish Kapoor: Memory. New York: Guggenheim Museum Publications, 2008. S. 89 f. 16. Korrespondenz der Autoren mit Kate Bachman. Bachmans detaillierte Beschreibung der Fabrikation von Cloud Gate vom 9. Mai 2006 erschien auch unter dem Titel „Metal Fabricating in a New Millenium” auf der Internetseite www.thefabricator.com/ArtSculpture/ArtSculpture_Article. cfm?ID=1331 (konsultiert am 5. September 2010) 17. Cadwell, Michael, und Nader Tehrani. Strange Details. Cambridge: MIT Press, 2007. S. xi. 18. Siehe Anmerkung 15. 19. Germano Celant in: Cragg, Tony. A New Thing Breathing: Recent Work by Tony Cragg. London: Tate Gallery Publishing, 2000. S. 52. 20. Zur Erklärung der Zeichnungen siehe James, Kathleen. „Organic!“ In: Eric Mendelsohn: Architect 1887-1953. Regina Stephan (Hrsg.). New York: The Monacelli Press, 1999. S. 29 und 37. 21. Pelkonon, Eeva-Liisa, und Donald Albrecht (Hrsg.). Eero Saarinen: Shaping the Future. New Haven: Yale University Press, 2006. S. 344. 22. Stoller, Ezra. The TWA Terminal. New York: Princeton Architectural Press, 1999. S. 1. 23. Ibid. S. 3. 24. Ibid. S. 5. 25. Libermann, Valeria, und Gerhard Mack. Herzog & de Meuron: Eberswalde Library. Pamela Johnson (Hrsg.). London: The Architectural Association, 2000. S. 22. 26. Rossmann, Andreas. „Feldkapelle bei Wachendorf.” In: Detail, 2008, Jg. 48, Nr. 1-2, S.12-14. 27. Für eine Beschreibung der Wandkonstruktion und Komponenten siehe Pauly, Danièle. Le Corbusier: Die Kapelle von Ronchamp. Basel, Boston, Berlin: Birkhauser, 2008. S. 80. 28. Zitiert in Johnston, Pamela (Hrsg.). The Function of the Oblique: The Architecture of Claude Parent and Paul Virilio 1963-1969. London: The Architectural Association, 1996. S. 71 „Bunker Archeology” erschien in Architecture Principe, einer von Parent und Virilio herausgegebenen Zeitschrift, in der Ausgabe vom März 1957. Von Paul Virilio erschien 1991 das Buch Bunker Archéologie, dessen deutsche Ausgabe 1992 bei Hanser unter dem Titel Bunker-Archäologie erschien. 29. Ibid. S. 19. 30. Ibid. S. 11. 31. Van Berkel, Ben, und Caroline Bos. UN Studio: Design Modules, Architecture, Urbanism, Infrastructure. New York: Rizzoli, 2006. S. 26. 32. Ibid. S. 216. 33. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Winy Maas von MVRDV sich als Praktikantin bei OMA mit dieser Art von Oberflächenübergängen beschäftigte. Costanzo, Michele. MVRDV: Works and Projects 1991-2006. Mailand: Skira, 2006. S. 20. 34. Immaterial/Ultramaterial: Architecture, Design and Materials. Toshiko Mori (Hrsg.). New York: George Braziller, 2002, S. 80. 35. S. 81. 36. Cadwell, Michael, und Nader Tehrani. Strange Details... S. vii, Ich danke Eli Allen, Master of Architecture Kandidat and der Harvard University Graduate School of Design, für seine Forschungsassistenz und Zeichnungen für diesen Beitrag.

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Das Einfangen des Ephemeren James Carpenter James Carpenter Design Associates, Refracted Light Field, Salt Lake Courthouse, Salt Lake City, Utah, USA, 2003-2011. Die extrudierten Glasröhren mit prismatischen Innenprofilen sammeln und konzentrieren das Umgebungslicht und geben es wieder, während sie zugleich die Sicht und Reflexionen ablenken.

James Carpenter Design Associates, Refracted Light Field. Das Feld von Glaszylindern mit prismatischen Innenprofilen konzentriert Licht in seinen vertikalen Kannelierungen und verteilt es horizontal. James Carpenter Design Associates, 7 World Trade Center, New York, New York, USA, 2006, Podiums- und Vorhangfassade.

Der Versuch, das Ephemere in der Architektur einzufangen, scheint auf den ersten Blick keine Beziehung zu Materialien zu haben, und doch existieren alle Phänomene, einschließlich der hier behandelten Lichtphänomene, nur in der materiellen Welt. Lichtphänomene sind für uns mit der sorgfältigen Beobachtung der materiellen Welt verbunden. In gewisser Weise betrachten wir die Materialien der natürlichen Welt als untrennbar von den Lichtphänomenen – Wolken, die Farben des Himmels, einen Regenbogen. Lichtphänomene begleiten jeden Schritt, den wir tun – es sind die Ablenkungen unserer urbanen Umwelt, die unsere Fähigkeiten einschränken, diese wahrzunehmen. Dabei hat die gebaute Umwelt das Potenzial, uns die natürliche wahrnehmen zu lassen, und der sensible Einsatz von Materialien kann unsere Fähigkeit, das Ephemere umfassender zu erfahren, erweitern. Um dies zu erreichen, haben wir einen Ansatz entwickelt, mit dem unsere Beobachtungen des Ephemeren in die gebaute Umwelt übertragen werden können. Dieser Ansatz basiert auf über 40 Jahren Erfahrung, angefangen mit künstlerischen Arbeiten mit dem Medium Glas, über Filminstallationen und Lichtphänomene, um dann mit Materialforschern und Herstellern und schließlich mit Ingenieuren und Architekten zusammenzuarbeiten, so dass wir heute die ganze Bandbreite unserer interdisziplinären Erfahrungen auf Architekturprojekte anwenden können. Das Fachgebiet des Künstlers basiert auf Beobachtung, und diese erzählt uns von der Welt, in der wir leben. Volumetrisches Licht Licht ist mit der Besonderheit seines Ortes verbunden. Es beinhaltet einen Großteil der „Information“ über unsere unmittelbare Umgebung. Jeder Moment flüchtigen Lichts trägt zu unseren bewussten und unbewussten Beobachtungen bei. Wenn Licht mit der materiellen Welt in Wechselwirkung tritt, wird es sichtbar. Im Zusammenspiel mit jedwedem Material transportiert es die Information, die unsere unmittelbare Umgebung definiert. Wir versuchen, diese Beobachtungen durch die Erforschung von Materialien im Allgemeinen und Glas im Speziellen zu synthetisieren und dann diese Synthese in einem Maßstab oder Zusammenhang wiederzugeben, der uns nicht vertraut ist und dadurch die Lichtphänomene in eine beobachtbare Erfahrung verwandelt. Dem architektonischen Entwurf nähern wir uns auf dem Weg über die „Architektur“ von volumetrischem Licht. In den

Materialeigenschaften von Glas liegt das größte Potenzial zur Erzeugung volumetrischer Lichtqualitäten. Licht erscheint simultan auf zahlreichen Oberflächen, so dass eine räumliche Tiefe entsteht. Dies ist ein Schlüsselkonzept: Die Sensibilisierung der Oberflächen für Licht ermöglicht dem Betrachter eine neue Lesart der Besonderheit seines Ortes. Zentral für diese Auffassung ist die Idee des reaktiven Feldes – Beobachtung, die Synthese der Beobachtung und das Testen von Materialien und Ideen führen zu einem Verständnis davon, auf welche Weise Glas und andere Materialien die ursprüngliche Beobachtung verkörpern können. Wir verstehen Materialien jenseits ihrer typischen Position auf der für Architekten verfügbaren Palette. Wir erforschen sie, um Eigenschaften auf die Spur zu kommen, die nur flüchtig in der Natur beobachtet werden können und die eine einzigartige Verbindung mit ihrem Ort definieren. Dank der unterschiedlichen Charakteristiken dieser Materialien können Oberflächen optisch durchlässig und dimensional flexibel wirken. Das Verständnis der Eigenschaften von Glas ist im Allgemeinen immer noch sehr begrenzt. Viele Materialien bestehen aus Glas, wie bestimmte Metalle, Keramiken und Polymere. Ein Fenster ist für viele das A und O von Glas, obwohl doch Glas ein Zustand ist, in dem sich viele Materialien befinden können – eine unterkühlte Flüssigkeit, deren Elemente lokalisierte und unstetige strukturelle Felder dynamischer Heterogenität ausbilden. Seine veränderbaren Eigenschaften sind ein Fenster zu einer Welt unbeschränkter Möglichkeiten. Transparenz ist nur eine von zahlreichen Eigenschaften, welche Glas als Material zur Verfügung stehen. So können zum Beispiel lichtempfindliche Gläser als latent erinnerungsfähig beschrieben werden. Information kann im Glas durch die Belichtung mit bestimmten Wellenlängen aufgezeichnet und in Reaktion auf bestimmte Temperaturen sichtbar werden, während das Glas ansonsten transparent bleibt. Glas ist ein sehr formbares Material, aber leider bestimmt der Hersteller seine Eigenschaften und der Entwerfer hat im Normalfall nur sehr wenige Möglichkeiten, das Material jenseits der vom Hersteller gemachten Vorgaben zu beeinflussen. Wir haben aber die Möglichkeit, eng mit den Herstellern zusammenzuarbeiten, um Glas speziell für unsere Zwecke zu entwickeln. Diese besondere Herangehensweise an Materialien eröffnet für die Architektur eine Reihe von neuen Möglichkeiten. Was bedeutet es beispielsweise, mit einem Material zu arbeiten, das generell als eine unterkühlte Flüssigkeit oder ein nicht-kristalliner, 106

Hajime Tanaka, Glasübergang und -stauung in einem bewegten granularen System.

Takeshi Kawasaki, Takeaki Araki und Hajime Tanaka, Glasübergang in einem polydispersen kolloidalen System.

fester Werkstoff bezeichnet wird? Was bedeutet es, dass dieses Material druckfest und wie ein Feststoff handhabbar ist, wenn es doch molekular besser als Flüssigkeit beschrieben werden kann? Die bloße Definition von Glas war und ist noch immer ein Forschungsthema in den Wissenschaften. Wir wissen, dass es den glasartigen Zustand bei vielen Materialien gibt, bei Metallen, Keramiken, Kunststoffen und kolloidalen Lösungen. Der in diesem Zusammenhang verwendete Ausdruck des „Stauens“ basiert auf sehr dicht gepackten Molekülen, welche mit zunehmender Dichte sich so weit verlangsamen, dass sie als Festkörper wahrgenommen werden, ohne die mit Festkörpern üblicherweise assoziierte organisierte Struktur aufzuweisen. Im Bereich der Physik, der sich mit granularen Materialien beschäftigt, haben Forscher wie Sidney Nagel, Heinrich Jaeger und Hajime Tanaka diese Vorstellungen in Modelle übersetzt (Abb.). Latenz Eine andere besondere Qualität von Glas und anderen konzeptionell faszinierenden Materialien ist Latenz. Der Begriff wird im Zusammenhang mit auf Licht reagierendem oder lichtempfindlichem Glas verwendet. Glas ist aus chemischen Elementen aufgebaut, die kombiniert und in eine Lösung verwandelt werden. Unter Zuführung bestimmter Metalle wie Silberhalogenid, Goldchlorid, Manganoxid oder Selenoxid, alles Metalle, die historisch bei der Herstellung von lichtempfindlichem Papier zur Verwendung kamen, und bei der darauf folgenden Verbindung mit anderen Chemikalien wie Fluoriden erscheint das resultierende Material als gewöhnliches Glas, es hat jedoch die Eigenschaft, durch Licht beeinflussbar zu sein. Dies kann so direkt geschehen wie durch die Entwicklung eines Fotos im Glas, doch ist dabei interessant, dass das Bild in drei Dimensionen existiert, da es die gesamte Tiefe des Glases einnimmt. Die Verwendung bestimmter Chemikalien erlaubt es, selektiv Teile des Glases bestimmten Wellenlängen auszusetzen, was im Glas zur Abbildung von komplexen dreidimensionalen Formen führt. Bei der Herstellung von Glas im Brennofen verschmilzt man Chemikalien miteinander, um das Glas zu formen und danach abzukühlen. Bei Raumtemperatur wird das Material ultravioletten oder infraroten Lasern oder durch ein Fotonegativ hindurch dem Sonnenlicht ausgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt trägt das Glas sein latentes „Erinnerungsvermögen“ in sich. Es erscheint klar, aber sobald es wieder erhitzt wird und Temperaturen nahe dem Schmelzpunkt erreicht, wird das Bild wieder sichtbar. Durch dieses Verfahren entsteht eine örtlich

Hajime Tanaka, Zwei-OrdnungsparameterBeschreibung des Übergangs von Glas von fest zu zerbrechlich.

begrenzte kristalline Struktur innerhalb eines nicht-kristallinen Feldes, eine Matrix aus gestauten Elementen, fotografisch organisiert in Bereichen innerhalb dieses Feldes. Ein festes Feld wird in ein nicht-festes Feld sozusagen „eingehängt“. Man kann noch weiter gehen – unter bestimmten Voraussetzungen ist der unbelichtete Bereich immer noch säureempfindlich, so dass man die Glasscheibe in Säure tauchen und dadurch den gläsernen Bereich wegätzen kann, was nur den keramischen Bereich zurücklässt und somit eine systematische Methode der chemischen Bearbeitung des Materials darstellt. Latenz und latentes Erinnerungsvermögen erlauben die Gestaltung von extrem komplexen dreidimensionalen Strukturen, welche in vielen Funktionen, von der Kommunikationstechnik bis hin zu keramischen Filtrationssystemen, eingesetzt werden können. Eine andere Anwendung dieses Prozesses, die bei der Arbeit mit fotografischem Glas für die Hong Kong and Shanghai Bank von Norman Foster entwickelt wurde, diente zur Herstellung fester, im Glas integrierter Lamellen. Diese Art von Lamellenglas wurde nicht weiterentwickelt, aber heute umfasst diese Glasgattung auf Licht reagierende Gläser und Glasfilter. Die anfängliche Forschungsarbeit, welche Glas gleichzeitig als ein fotografisches Medium und als ein leistungsstarkes System für den Umgang mit Tageslicht erforschte, zeigt Glas als ein letztendlich formbares Material. Gleich einem Chamäleon kann es beinahe jede Eigenschaft, Funktion oder Rolle annehmen. Wenn ich über Licht als Information spreche, meine ich damit, dass Licht unsichtbar ist, bis es auf etwas, sei es Wasser, Staub oder ein Oberflächenmaterial, sei es reflektierend oder absorbierend, trifft und sich manifestiert. Jeder Untergrund oder Gegenstand, auf den es trifft, teilt uns Informationen über seine Gegenwart in unserer Welt mit. Licht zeigt sich paradoxerweise erst dann, wenn es durch die materielle Welt „gestört“ wird. Für uns ist nur schwer zu begreifen, dass Licht, wenn es auf ein Objekt trifft, von uns weg reflektiert wird. Licht enthält die Information der reflektierenden Oberflächen und jede dieser Oberflächen wird wiederum durch die angesammelte Information des Lichts beeinflusst. Jedes Photon ist ein Beleg für seine Reisen und Interaktionen und wir versuchen, diesen Informationsgehalt zu verstehen und sichtbar zu machen – eine höchst komplexe Aufgabe. Man kann das übertragene und reflektierte Licht zwar beeinflussen, aber dabei gilt es zu bedenken, was innerhalb des Glases vor sich geht. Glas ist auch insofern ein bemerkenswertes Material, als Licht, welches durch das Glas scheint, auf molekularer Ebene verlangsamt und durch dessen Brechungsindizes gekrümmt wird. Das Volumen und 108

James Carpenter Design Associates, 7 World Trade Center.

Das Schnittdiagramm zeigt, wie das lineare überlappende Detail und der BogenzwickelTageslichtreflektor auf Tageslicht reagieren. Dieses Plandiagramm zeigt, wie das Tageslicht durch die prismatische Ausrichtung der Außenhülle gesteuert wird. Dieses Plandiagramm zeigt, wie das Licht von in der Wand integrierten LED-Beleuchtungselementen auf die prismatische Ausrichtung der Außenhülle reagiert.

Podiums- und Vorhangfassade: Zwischen den beiden Schichten eines prismatischen Drahtgitters wurde eine LED-Beleuchtung eingesetzt. Das lineare überlappende Detail und der Bogenzwickel-Tageslichtreflektor verwandeln die ganze Vorhangfassade in eine reaktive Membran.

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James Carpenter Design Associates, Periscope Window, Minneapolis, Minnesota, USA, 1997. Das Fenster als Apparatur, die eine neue Realität schafft: Sie sammelt diverse bestehende Informationsquellen des Außenraums und setzt sie durch Überlagerung neu zusammen, um so eine „neue”, tiefere Wahrnehmung der Außenraums zu schaffen. Die Apparatur während der Konstruktion. Sie bleibt von außen sichtbar und wird im Innenraum, bedingt durch wechselnden Lichteinfall, mal mehr und mal weniger sichtbar. Die Apparatur ist so eingestellt, dass sie über den Tag wechselnde Lichtverhältnisse synthetisiert und arrangiert.

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James Carpenter Design Associates, Lamellenfassade, Israel Museum (Architekt: Efrat-Kowalsky Architects, Lehman Architects and Town Planners), Jerusalem, Israel, 2010.

James Carpenter Design Associates, Lamellenfassade, Israel Museum. Standbilder einer computeranimierten Studie zur Lichtdurchlässigkeit der Lamellenfassade.

1:1-Papiermodell der Lamellenfassade. Die Ost- und Westseite sind durch das Lamellenprofil geschützt, welches detaillierte Lichtinformationen aus dem Außenraum auf die Innenseite der bildschirmartigen Flächen der Lamellen überträgt.

die Oberflächen des Glases ergeben eine enorme Anzahl von Verarbeitungen visueller Informationen, aber Glas enthüllt auch Eigenschaften, die dem Licht selbst innewohnen. Wir verfügen über eine außerordentliche Sammlung von Erfahrungen, die signifikant durch das Erinnerungsvermögen von Licht gespeist werden, zum Großteil unbewusste. Unsere Erinnerungen machen einen Teil dieses Informationsgehaltes aus, Träume und das Unterbewusstsein einen anderen. Wenn Licht durch Glas fällt, enthüllt es mehrere Schichten von Information. Und wenn Licht unser Unbewusstsein genauso beeinflusst wie unser Bewusstsein, dann scheint es möglich, dass im Prozess des Sichtbarmachens der für gewöhnlich unsichtbaren Natur von Licht auch ein Naturempfinden, welches eine starke, doch ignorierte Präsenz in uns hat, vertieft werden könnte. Durch die Kontrolle des Lichtdurchgangs in Materialien ist es möglich, die gewöhnlich flachen Begrenzungen von Volumen in tiefe Lichtvolumen zu verwandeln. Durch diese Erweiterung der Begrenzungen kann der Weg des Lichts durch den Raum und seine Beziehung zur Zeit besser erfahren werden. Man könnte wohl sagen, dass Transparenz die am wenigsten interessante Eigenschaft von Glas ist. Das Erweitern der Grenze zwischen innen und außen In gewisser Weise wird man bei Projekten wie dem 7 World Trade Center (Abb. S. 107, 109) oder dem Periscope Window (Abb. S. 110) bezüglich des Verständnisses von volumetrischem Licht mit Materialschichten konfrontiert, die optisch darauf abgestimmt wurden, die Wahrnehmung von Volumen und natürlichem Licht zu erschaffen oder zu erweitern. Das Ziel ist es, die Erfahrung der Grenze zwischen Innen- und Außenraum über die materielle Tiefe der Gebäudefassade hinaus zu erweitern, und zwar mittels eines Verständnisses für die visuellen und überhaupt sinnlich wahrgenommenen Übergange, die an dieser Grenze auftreten. Im Gebäude 7 World Trade Center sieht man Licht, welches von den tiefsten Fassadenflächen sowohl auf die Oberfläche des Gebäudes wie auch in den öffentlichen Raum zurückgesandt wird. Es gibt mehrfache Lichtquellen in verschiedenen Tiefen, welche für den Betrachter überlagert werden. Dieser hat womöglich keine ausreichenden physikalischen Kenntnisse von Licht und Glas, um die Effekte zu verstehen, aber er erkennt, dass er etwas sieht, was er noch nie zuvor gesehen hat. Das Ziel ist es, etwas zu erschaffen, was Menschen als anders

empfinden und das sie mit der Unmittelbarkeit, Vertrautheit und Gegenwärtigkeit von Natur verbindet. Die Latenz von Glas kann als eine Metapher für das Konzept von Bewusstsein und Unterbewusstsein verstanden werden. Beim Periscope Window sieht das Glas wie eine normale Klarglasscheibe aus, doch es beinhaltet Informationen, die nur unter Anwendung erheblicher optischer Manipulationen sichtbar werden. Das Periscope Window verwendet absichtlich reflektierte und vergrößerte Bilder und Direktprojektionen, kurz gesagt, verschiedene optische Prinzipien, die auf einer Oberfläche überlagert werden (Abb. S. 110). Diese Oberfläche stellt zahlreiche Ausblicke in die Welt jenseits des Innenraumes dar, doch ungleich einem gewöhnlichen Fenster sammelt dieses Fenster Informationen von Punkten außerhalb, die für die Nutzer im Innenraum durch ein normales Fenster nicht sichtbar wären. Das Periscope Window, verglichen mit der eindeutigen Sicht in die Natur durch ein herkömmliches Fenster, schafft einen erweiterten Blickwinkel. Ein Fenster würde uns normalerweise eine Sicht nach außen ermöglichen, aber in diesem Fall gibt es wegen eines direkt angrenzenden Zaunes und eines Nachbargebäudes keinen Ausblick. Unser Verständnis von dem, was eine Aussicht durch ein Fenster ausmacht oder wie sie auszusehen hat, wird in Frage gestellt. Das Fenster hat das Potenzial für einen stärker interpretierenden und informierenden Zugang zum Gesamtkontext. Es kann Einzelheiten der umgebenden Umwelt mittels einer großen Anzahl von Blickwinkeln sammeln. Man wird mit einer Vision der Außenwelt konfrontiert, die eine erweiterte Erfahrung des Ortes ermöglicht. Diese Maßnahmen bleiben nicht im Hintergrund, sie sind wesentlicher Bestandteil des Projektes. Im Periscope Window verbirgt die flache Fläche des geätzten Innenraumglases periodisch die Funktionselemente, doch zeitweilig sammeln sich Direktprojektionen auf der Fensterfläche und lassen die Linsen als Objekte sichtbar werden. Information aus der Außenwelt, etwa Bilder von Bäumen, die aufs Glas projiziert werden, Schattenwürfe und die optischen Teile des Fensters koexistieren und werden im selben Moment enthüllt. Alle Teile fügen sich zu vielfachen Phänomenen zusammen, die gleichzeitig auf der Fläche der Innenverglasung dargestellt werden und damit auf das Sammeln jahres- und tageszeitlicher Informationen hinweisen. Die Erfahrung mag flüchtig sein, aber die optische Einstellung der Vorrichtung bietet eine Konstanz, die die Komplexität der Sinneseindrücke zu verarbeiten hilft.

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Das Periscope Window hat alle Eigenschaften eines einfachen Glaselements und erweitert sie, teilt jeder von ihr eine spezifische Aufgabe zu. Im Gegenzug bringen diese Eigenschaften eine andere Interpretation der Außenwelt zur Geltung. Und genau darum spreche ich immer von Lichtvolumen oder Informationsvolumen, weil wir versuchen, diesen Grenzzustand von innen und außen zu erweitern und uns so eine komplexere Sichtweise der Welt zu erlauben. Transparenz, Reflexion, Refraktion Wie über Glas auf eine optisch limitierte Weise nachgedacht wird, so werden auch die strukturellen Potenziale von Glas oftmals nicht richtig verstanden. Tragendes Glas ist noch immer eine Ausnahme in der standardisierten Herangehensweise beim Bauen mit diesem Material. Das Tragwerk sollte so leicht und filigran wie irgend möglich sein, damit das Glas eine größere Rolle bei der Gestaltung der Raumerfahrung einnehmen kann. Durch die weitgehende Reduktion der Kabel, Edelstahlrohre und anderen Dinge, die für Spannkonstruktionen benötigt werden, können die latenten Informationen und die Phänomenologie von Licht, wie sie im Glas dank der Fähigkeiten zu Transparenz, Reflexion und Refraktion vorhanden sind, deutlicher hervortreten. Der Retracting Screen stellt ein besonders anspruchsvolles und doch klares Beispiel für tragendes Glas dar (Abb. S. 113). Das Glaselement taucht aus dem Boden des Wohnhauses auf, um einen Essbereich von einer Galerie abzuschirmen, und zieht sich zu anderen Zeiten in den Boden zurück, um die Raumtrennung aufzuheben. Zwei Glasschichten sind auf jeder Seite von vertikalen Stäben gehalten, um die Glaskonstruktion mit einem Minimum an Konstruktion auszusteifen. Auf diese Weise kommt das Potenzial des Glases voll zur Wirkung und kann die Eigenschaften des Raumes und die Beziehung zu dem Ausblick durch die Klarglasgrenze hindurch prägen. Die zwei Glasschichten der Zwischenwand haben eine hochgradig spiegelnde Innenseite, was die Außenseite leuchtend erscheinen lässt. Um das Material auf diese Weise zu exponieren, muss das Glas selbst die Primärstruktur bilden, damit seine Gegenwart in seiner Umgebung nicht durch externe konstruktive Elemente beeinträchtigt wird. Das Structural Glass Prisms Window (Abb. S. 113) ist schon über 20 Jahre alt, aber bemerkenswert zeitlos. Es ging darum, ein klares Fenster zu schaffen, um die herrliche Landschaft um eine Kapelle in den Blick zu holen. Wie wählt man Material und

Konstruktion für ein Fenster mit den Maßen 9,75 m x 3,05 m x 61 cm (H x B x T), um eine zusätzliche Ebene von Spiritualität, Sicht und Geheimnis in die Kapelle hereinzuholen? Die Fensterpfosten einer metallischen Rahmenkonstruktion hätten sich aneinandergereiht und den Ausblick von den meisten Standpunkten aus verdeckt. Die langen vertikalen Elemente aus Hartglas, die nun die Primärstruktur ausmachen, überspannen die Breite und Tiefe der Öffnung, während die kleineren horizontalen Elemente, welche eine dichroitische Beschichtung aufweisen, die Gesamtkonstruktion versteifen. So wie die Einfachheit des Periscope Window über die zahlreichen Ebenen übertragener und reflektierter Informationen hinwegtäuscht, so ist auch das Structural Glass Prisms Window eine Vorrichtung, die unsere Erfahrung des Innenraums im Bezug zum Außenraum verändert. Abhängig von den besonderen Gegebenheiten sieht man eine leere Oberfläche, dann erscheinen Fragmente der Außenwelt und verschwinden wieder. Diese Phänomene werden sehr intensiv wahrgenommen, und die abstrakte Information entfaltet eine kraftvolle kumulative Wirkung. Der sensible Einsatz von Materialien hat enormes Potenzial, doch muss dafür auch der Einfluss von Zeit auf die Materialien bedacht werden. Die tages- und jahreszeitlichen Einwirkungen von Licht auf bestimmte Orte oder Räume müssen systematisch berechnet werden, um strategisch solche Materialien auszuwählen, welche die Beziehung zwischen Licht und Zeit zum Ausdruck bringen können. Reaktive Flächen Materialien können reaktive Ebenen bilden. Sie vermögen auf unsere Umwelt, unterschiedliche Lichtverhältnisse, uns selbst und auf unsere Betrachtungswinkel zu reagieren. Der sorgfältige Einsatz von Materialien kann zu optischen Vorrichtungen führen, die hochgradig reaktiv sind, jedoch unter der Voraussetzung, dass ihre Bautiefe und ihre Einzelteile präzise zusammenarbeiten. Es gibt eine Vielzahl von Prozessen, die auf Glas angewandt werden können – Laminieren, Vorspannen, Beschichten, Polieren, Ätzen usw. Diese Prozesse richten sich nach pragmatischen Ansprüchen bezüglich Wärmeenergie, Tageslicht, Blendwirkung und anderen leistungsbezogenen Fragen zu Nutzungskomfort und Funktionalität des Raumes. Hinzu kommen kontextabhängige Fragen nach Programm, Kultur, Tradition und Geschichte. Letzten Endes fördern wir das Potenzial von Glas zutage, diese Fragen zu beantworten und die Eigenschaften von Licht herauszuholen, die der Struktur eine Präsenz verleihen und einen Moment der Ruhe für jene schaffen, die ihr begegnen. 112

James Carpenter Design Associates, Retracting Screen für ein Privathaus, Dallas, Texas, USA, 1993.

Zwei Arten von Glas werden kombiniert, um ein Gefühl der Gleichzeitigkeit von Reflexion und Transmission zu vermitteln. Videostandbild einer Glas-Materialprüfung. Die zwei Glasschichten der Zwischenwand bestehen aus einer hochgradig spiegelnden Innenseite und einer Außenseite als erhöhter leuchtender Ebene.

Die tragende Glas-Zugkonstruktion senkt sich in das Kellergeschoss ab. James Carpenter Design Associates, Structural Glass Prisms Window für eine Kapelle, Indianapolis, Indiana, USA, 1987. Das Structural Glass Prisms Window öffnet den Blick auf die umgebende Landschaft durch die Verwendung von tragendem Glas unter Verzicht auf Fensterpfosten.

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James Carpenter Design Associates, Reflection Threshold, New York, New York, 2007-. Studienmodell des Grundstücks und des Kontexts, um Möglichkeiten der Veränderung einer dunklen Gasse zu erkunden.

Modell der metallischen „tri-wire“-Wand in Kombination mit gelochten und strukturierten Metallpaneelen. Die „tri-wire“-Wand befindet sich auf der Seite der Gasse und die gelochten und strukturierten Metallpaneele befinden sich auf der Seite der Fassade der Sheldon H. Solow Library.

Modellansicht des Fensters des Sheldon H. Solow Library and Study Center, gesehen vom südlichen Ende der Gasse bei Nacht. Der Abstand zwischen Schirm und Fensterkonstruktion beträgt 66 cm. James Carpenter Design Associates, Reflection Threshold. Modell ohne das westlich gelegene Duke House, um den Schirm entlang des Fenster der Solow Library zu zeigen.

Jedes Projekt ist ein pragmatischer Prozess, aber durch kluge Antworten auf Bauvorschriften oder Tageslichtbedarf und gezielte Fragen nach Funktion und Performance verwandeln wir scheinbare Beschränkungen in Möglichkeiten. An Modellen kleineren Maßstabs können wir die aus diesen Beobachtungen gewonnenen Ideen testen und in Materialmustern auf ihre Performance hin analysieren. Ein Beispiel ist die Reflection Threshold, ein Projekt an einem Ort nahezu ohne Tageslicht: eine Gasse, die von Norden nach Süden zwischen zwei Gebäuden verläuft, die heute dem Institute of Fine Arts der New York University gehören – dem Sheldon H. Solow Library and Study Center und dem Duke House nahe dem westlichen Rand des Central Park in Manhattan (Abb.). Die schmale Gasse sollte eine Verbindung zwischen den beiden achtgeschossigen Gebäuden herstellen, aber die geringe Menge an Tageslicht, welche von oben herab in die Gasse fällt, wurde als Schwierigkeit angesehen. Es geht hier um die Sensibilisierung des Auges für das geringe Niveau von Umgebungslicht und das Einfangen und Umleiten von Licht in diese eingeschränkte Umgebung. Die richtigen Oberflächen können dem Auge helfen, konzentrierter zu beobachten, und die richtigen Optiken können das vorhandene Licht verstärken. Passanten, welche in die mutmaßlich dunkle Gasse hineinschauen, werden mit dem Licht aus dem Central Park konfrontiert, das von einer metallischen „triwire“-Wand in Kombination mit gelochten und strukturierten Metallpaneelen eingefangen wird, welche entlang der Ostseite der Gasse verlaufen. Innerhalb des Duke House, welches sich auf der Westseite der Gasse befindet, enthält die „tri-wire“-Wand hellere horizontal angeordnete Profile, die auf die Fenster des Duke House abgestimmt sind. Die Drähte der horizontalen Profile sind so ausgerichtet, dass sie die Helligkeit des Himmels direkt einfangen. Auch begegnet man einer Spiegelung des Fensters, aus dem man hinausschaut, wahrnehmbar als hellere Fläche auf der gegenüberliegenden Wand. Das Sheldon H. Solow Library and Study Center auf der Ostseite der Gasse beherbergt viele seltene Bücher, aber wenn es angemessen ist, diese vor direkter Lichteinstrahlung zu schützen, heißt das nicht, dass die Nutzer um ein lebendiges Maß an visueller Information gebracht werden müssten. Eine Lichtbox vermittelt dem Nutzer das Gefühl eines erweiterten lichten Körpers durch einfaches Vergrößern der Tiefe der Innen- und Außenfenstersimse unter Anbringung von spiegelndem Material – eine Vorrichtung, die auf Fenstersimse in England rekurriert, die weiß gestrichen werden, damit die Fensteröffnung heller erscheint als das Fenster, durch das man schaut. So wird ein erweitertes 114

James Carpenter Design Associates, Dichroic Light Field, New York, New York, USA, 1995, Detail Ansicht. Das Polieren der Enden der auskragenden Elemente verleiht dem Glas die Fähigkeit, dieses bestimmte Lichtverhältnis auf dem Grundstück darzustellen.

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James Carpenter Design Associates, Moiré Stair Tower, Post Tower (Architekten: Murphy/Jahn), Bonn, Deutschland, 2002.

James Carpenter Design Associates, Moiré Stair Tower. Details des komplexen Zusammenspiels von reflektierten und übertragenen Bildern, die vom Treppenturm aufgefangen werden.

Außenansicht. Die Aussichtsplattform auf der Spitze des Treppenturmes.

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Metropolitan Life Building in New York: das Phänomen von durch Wasserdampf sichtbar gemachtem und verteiltem Licht.

James Carpenter Design Associates, Luminous Threshold, Sydney, Australien, 2000.

Raumgefühl geschaffen. Der Entwurf umgreift eine jede Oberfläche des Keller- und Erdgeschosses mit verschiedenen Arten von Glas, Edelstahlblenden und Pflastermaterialien, die zusammen die dunkle Gasse in eine höchst lichtsensible Umgebung verwandeln. Oft ist es die Detaillierung, welche eine Vorrichtung befähigt, eine sinnenhafte Erfahrung von Licht zu vermitteln. Die auskragenden Elemente des Dichroic Light Field haben polierte Enden, welche unter bestimmten Bedingungen Lichtstrahlen auf der Oberfläche brechen (Abb. S. 115). Der Retracting Screen hat polierte Kanten, die Licht in das Glas leiten und seine Flächen erhellen (Abb. S. 113). Oft lassen mattierte Kanten Oberflächen glanzlos erscheinen. Hier dagegen wurde sogar beim Einsatz von Säureätzungen die optische Brillanz des Glases erhalten. Letztlich ist dies ein Beispiel für eine sorgfältige Abstimmung der Glaseigenschaften. Wir können die Taxonomie von Glas in Begriffen von Reflexion, Transmission, Diffusion, Absorption, Refraktion und Beugung beschreiben. Ein Spiegel als komplett reflektierende Oberfläche präsentiert sich entweder als völlige Anwesenheit oder Abwesenheit von Licht. Ein auf uns gerichteter Spiegel stellt die Präsenz von Licht und Bild dar, aber dieselbe verspiegelte Fläche, wenn sie von uns weg reflektiert, bietet nur Leere. Diese Qualität von An- und Abwesenheit wird im Dichroic Light Field thematisiert. Von einem bestimmten Betrachtungswinkel aus wird all das Licht, welches von hinter uns kommt, von uns weg reflektiert, so dass das Feld komplett schwarz erscheint und man nur das Licht sieht, das zu uns von den auskragenden Elementen gegen die Leere zurückreflektiert wird. Wer dagegen zur gleichen Zeit aus der anderen Richtung auf das Feld schaut, sieht die Präsenz von Licht. Der gleiche Spiegel hat zwei konträre Lesarten.

James Carpenter Design Associates, Luminous Threshold.

Reflexionsvermögen und die Reflexion zu erhöhen. Es ist ein Spiegel, aber zusammengesetzt aus einem Feld rechteckiger Punkte, und deshalb wird unsere Interpretationsfähigkeit, unsere Wahrnehmung herausgefordert. In der Realität spiegelt die Glasoberfläche die gleichen Informationen wie die Spiegelpunkte, aber durch die Schichtungen der reflektierenden und transparenten Flächen wurden die Informationen auf die Erfahrung von flüchtigem Licht reduziert. Anbindung an natürliche Vorgänge Materialien vertiefen unsere Wahrnehmung von Licht. Mit ihrer Hilfe zeigt sich die Einzigartigkeit eines Ortes durch die Erfahrung von Licht. Ein einfaches Phänomen wie eine Wolke erscheint durch ein solches Vorgehen sehr viel komplexer. Dass Licht von Wasserdampf eingefangen und gestreut wird, scheint uns selbstverständlich, und doch kann in solchen Wahrnehmungen große Schönheit liegen. Luminous Threshold markiert den Eingang zum Olympischen Park in Sydney mit der Erfahrung eines natürlichen Phänomens, welches mit der Rückgewinnung des vormals industriellen Ortes und seiner Transformation zu tun hat und durch die Interferenz von Wasserdampf mit dem Weg des Lichts entsteht (Abb.). Durch das Leben in immer urbaneren Umwelten können wir von den Naturkräften entfremdet werden. Die hier dargestellte Herangehensweise an Materialien beginnt stets mit der Frage: Wie können wir die alltägliche Erfahrungswelt wieder mit den natürlichen Phänomenen verbinden? Welches sind die Wege, über die der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden kann, dass die gebaute Umwelt Potenziale dafür enthält, dem Ephemeren, Schönen und Informativen eine Präsenz zu verschaffen?

Prismatische Effekte, „Pixelation“ und Brechung lassen sich als Untergruppe der Reflexion beschreiben. Der Treppenturm im Sockelgebäude des Post Tower in Bonn von Murphy/Jahn, genannt Moiré Stair Tower, enthält reflektierende, streuende und in das Glas zurückwerfende Bereiche (Abb. S. 116). Eigentlich geht es aber um eine Pixelung, eine Bildpunktauflösung. Von außerhalb des Gebäudes gesehen gibt dieses Feld von Spiegelelementen die Landschaft und den Himmel hinter dem Betrachter wieder. Tritt man näher, sieht man nicht nur mehr vom Himmel, sondern bemerkt auch die blauen Quadrate, die ins Innere des Turms gerichtet sind und nun mit dem Blau des Himmels verschwimmen. Diese verspiegelten/blauen Elemente wurden mittels Siebdruck auf das Glas aufgebracht, um das 117

Reaktive Materialien

Mette Ramsgard Thomsen und Karin Bech, Slow Furl, Brighton, Großbritannien, 2008, Detail.

Sheila Kennedy

Ausschlaggebend für das Entwerfen mit Anordnungen von reaktiven Materialien und Bausystemen ist die Möglichkeit, mit diesen zukünftige Nutzungen vorgreifend zu gestalten. Zwei Kerngedanken liegen in der Grundbedeutung von „reaktiv“. Zu reagieren bedeutet „antworten“, und zwar auf eine vorausgehende Fragestellung, welche wir in der notwendigen erneuten Verbindung von Material und Forschung in der Architektur sehen. Darüber hinaus aber weist der Ausdruck auch auf ein gegebenes Versprechen hin: Das Konzept reaktiver Materialien beinhaltet eine Verantwortungskomponente. Neben die fachliche Fragestellung tritt die Verantwortung gegenüber anderen, auf deren Präsenz reagiert wird, und zwar die Verantwortung für etwas, das umfassender als das Architekturprojekt selbst ist. Was uns interessiert, ist die potenzielle Vermittlungsfähigkeit des Architekten in diesem Zusammenhang von Fragestellung, Antwort und Versprechen, weil darin ein Zustandswechsel der Architekturpraxis erkennbar wird – hin zu Modellen einer initiativen Praxis, welche die Momente von Theorie und Umsetzung im Entwurfsprozess vereint. Neue Materialien, neue Modelle der Praxis Der steigende Bedarf, in der Architektur aktive, Energie austauschende Materialien einzusetzen und dezentralisierte Formen der Energieerzeugung und -verteilung in Bauprojekten anzuwenden, verlangt nach neuen, vertikal integrierten Modellen der Architekturpraxis. Der Architekt muss die Produkte, Technologien und Dienstleistungen, die benötigt werden, um technische, ökologische, räumliche und soziale Zielsetzungen zu einer Synthese zu bringen, selbst organisieren und oft überhaupt erst schaffen. Er muss außerdem Wege finden, dass aktive Materialien in der Fachwelt und der weiteren Öffentlichkeit wahrgenommen und in Betracht gezogen werden. Die Anforderungen der vertikalen Integration, zu denen insbesondere die Innovation und die rasche Aufbereitung neuen Wissens gehören, finden keinen guten Platz im typischen modernen horizontalen Modell der Architekturpraxis. In diesem beziehen sich Entwerfer und externe Berater auf eine gemeinsame Verständnisgrundlage bezüglich verfügbarer Bauprodukte und -prozesse, welche auf der erfolgreichen Wiederholung erprobter Modelle und bekannter Standards beruht und davon ausgehend spezifiziert und umgesetzt werden kann. Doch sind für neue Materialien und Technologien noch keine Regulierungspraktiken vorhanden, um dieses Vorgehen systematisch zu unterstützen. Gleichzeitig bietet die Architektur als Fachdisziplin aber sehr große Potenziale, um gewonnene Informationen, relevante Aufgabenstellungen und

das Vermögen, neue Realitäten zu projizieren und zu projektieren, zu einer Synthese zu bringen. Um die Implementierung von aktiven Materialien und Technologien in der Architektur zu befördern, sind neue Praxismodelle erforderlich, die gleichermaßen umsetzen und reflektieren. In diesen Modellen sind Forschung, Entwurf, Herstellung und Konstruktion Teile einer integrativen Plattform, auf der „neue“ und etablierte Wissenszusammenhänge in Verbindung miteinander treten können. Hybridmaterialien Aktive Materialien bieten dann das größte Potenzial für die Architektur und zugleich die interessantesten Paradoxien, wenn sie mit scheinbar gegensätzlichen oder einander fremden Eigenschaften ausgestattet sind. Dies trifft zum Beispiel bei den Phase Change Materials (PCM) zu, welche leichtgewichtig sind, aber zugleich das Verhalten einer „dichten“ thermischen Masse aufweisen, oder bei solar-lumineszierenden Materialien, die Licht gleichzeitig reflektieren und absorbieren. Energie sammelnde und speichernde Materialien zeigen im Verlauf ein sowohl „asymmetrisches“ als auch „symmetrisches“ Verhalten, insofern gespeicherte Energie (Elektrizität) für Anwendungen mit scheinbar autonomen Nutzungskreisläufen eingesetzt werden kann, welche dann aber durch ihre Dauer oder Kapazität mit natürlichen Tageszyklen in Beziehung stehen. In Baumaterialien eingebettete aktive Materialien bilden hybride Materialkomposite, welche die heutige Unterscheidung zwischen High- und Low-Tech verschwimmen lassen und Wege bieten, die standardisierten Bauprodukte von heute gleichzeitig einzusetzen und zu verändern.1 Entwerfen mit der vierten Dimension Eine der bedeutendsten Entwicklungen in der Materialkultur ist der Wandel von statischen Eigenschaften der Materialien hin zu ihrem dynamischen Verhalten. Die statische Natur der traditionellen Materialeigenschaften erlaubt die Arbeit mit Oberflächen zur Erzeugung wechselnder Opazitäten und Texturen in Abhängigkeit von äußeren Einflüssen wie wechselnden Lichtverhältnissen, dem Wandel der Jahreszeiten oder der Bewitterung. Die Bandbreite dieser extern induzierten Varianz kann durch den Einsatz von CNC-Maschinen erweitert werden, welche durch selektive Entfernung von Material traditionelle Oberflächen formen oder durchdringen und eine sogenannte „digitale Materialität“ erzeugen.2 Aktive Materialien folgen 118

Omar Kahn, SEEN, San José Art Museum, California, USA, 2006, Details.

einem vollkommen anderem Paradigma, das das Entwerfen auf die vierte Dimension zugreifen lässt: Zeit. Aktive Materialien ändern ihren Zustand intern in Zusammenhang mit einem Energieaustausch, welcher von externen Faktoren wie Licht, Temperatur oder Elektrizität ausgelöst werden kann. Die Frage in der Architektur lautet demnach nicht mehr, was ein Material ist, sondern wann es ist. Wann verändert es seinen Zustand zu einem anderen, und wie kann sein dynamisches Verhalten im architektonischen Raum gestaltet und erfahren werden? Aktive Materialien sind nicht nur einfach expressiv; sie haben das Potenzial, kommunikativ zu werden, da ihre Eigenschaften digital kontrolliert und ihre Resultate kodiert werden können, um äußere Umstände der sozialen Gemeinschaft (Gesten oder Handlungen), des Gebäudes (Sensoren und Überwachung) der Stadt (vernetzte Ressourcen) oder der Umwelt (Wetter und andere atmosphärische Ereignisse) anzuzeigen. Die Auseinandersetzung mit Zeit beinhaltet auch ästhetische Implikationen. Das Bestehen der Moderne auf heroischen konstruktiven Ausdrucksformen wird gekontert durch die subtilere, vielleicht eher Grenzen überwindende Ästhetik von Phänomenen, die in Materialien verborgen liegen, bis sie gebraucht oder aktiviert werden. Die moderne Spannung zwischen Ornament und Struktur, zwischen Form und Performance, zwischen Oberfläche und Tiefe des Materials, zwischen innen und außen, Vorder- und Rückseite, bedienenden und bedienten Räumen wird sämtlich durch aktive Materialien infrage gestellt. Aktive Materialien können zu intelligenten Materialien werden, wenn ihre Ästhetik und Leistung durch den Entwurfswillen bestimmt werden. Ohne die Einbindung ihrer architektonischen Potenziale in die Entwurfsabsicht bliebe das physische Verhalten der aktiven Materialien rein mechanisch. Das Entwerfen mit neuen, aufregenden Materialien und Technologien ist ebenso interessant wie herausfordernd. Die populäre Annahme, neue Materialien seien „Hightech“ und höchst leistungsfähig, trifft nur selten zu. Interessante neue Materialien und Technologien, wie Feststoff-Batterien, Hochfluss-LEDs, Nanomaterialien und sogar herkömmliche polykristalline Materialien für Solarzellen liegen in der Leistung häufig unter den Standardtechnologien. Die Aufgabe des Entwerfers liegt darin, die Grenzen dieser Materialien ebenso wie ihre Potenziale zu verstehen und Einsatzszenarien zu konzipieren, die ihren Eigenschaften entsprechen. Die Macht der Vielen Aktive Materialien und reaktive Gebäudesysteme bergen ein Potenzial für radikale Veränderungen in der konzentrierten

Anordnung der technischen Gebäudeausrüstung innerhalb der architektonischen Hülle. Das dezentrale Erzeugen von Energie und das Gebot, bestehende architektonische Normen infrage zu stellen, um Einsatzgebiete für effiziente aufregende Technologien wie Feststoffleuchten, Tageslichtnutzung, Mikrokühlung und lokalisierte Wärmezufuhr zu erschließen, fördern die Anordnung und Integration der Gebäudetechnik in einer verteilten Reihe von Materialoberflächen, welche Energie erzeugen, Niederspannung verteilen, Räume definieren und die Lichtversorgung lösen. In Absetzung gegen die einheitliche und zentralisierte Gebäudeinfrastruktur, die wir aus der Moderne übernommen haben, ist nun eine Vielzahl von reaktionsfähigen Materialoberflächen vorstellbar, eine räumlich ausgedehnte Ökologie der Gebäudetechnik in einer dynamischen, dezentralisierten Architektur mit der Möglichkeit, sinnlich, körperlich und taktil zu sein. Mit der Hereinnahme des Faktors Zeit tritt die Multifunktionalität von reaktiven Oberflächen dem Credo der Moderne, „Form folgt Funktion”, entgegen. Die Funktionsvielfalt erfordert entweder räumliche Neutralität oder Materialien und Räume, die sich den zeitlich wechselnden Nutzungen körperlich anpassen können. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt fort vom offenen Grundriss und hin zum rekonfigurierbaren Grundriss, welcher die Koexistenz von unterschiedlichen Aktivitäten im gleichen Raum zu unterschiedlichen Zeiten ermöglicht. Rekonfiguration oder adaptive Konfiguration misst den architektonischen Anpassungsfähigkeiten, welche auch den Nutzer in der Miterschaffung des Raumes einbeziehen, eine größere Bedeutung zu. Die reaktive Qualität eines Materials wird auf diese Weise in der Architektur verdoppelt: Das Material reagiert nicht nur auf internen Energieaustausch, sondern auch auf eine Reihe externer formaler Konfigurationen und alltäglicher Funktionen, die sowohl durch seine Materialeigenschaften als auch von seiten der Bedürfnisse der Bewohner ins Spiel kommen. Reaktive Systeme: Potenziale für neue Praktiken des Umweltbezugs Im Fall von passiven reaktiven Systemen erfolgt die Materialauswahl aufgrund der Eigenschaften, des Verhaltens, des Einsatzortes und der Nähe zu den aktivierenden Quellen. Aktive Materialien dagegen reagieren, sobald sie implementiert sind, „automatisch“, gewöhnlich in Form eines Energieaustauschs, mit dem Wechsel von einem Zustand in den anderen. Dadurch erfordert das Entwerfen mit aktiven reaktiven Systemen nicht nur Kenntnis, Auswahl und Anordnung des Materials, sondern auch die Schaffung eines Verarbeitungssystems, durch welches 120

Julius Popp, bit.fall, 2001-2006, Ausstellung, „Design and the Elastic Mind”, Museum of Modern Art, New York, New York, USA, 2008, Ansichten.

ein bestimmtes Set von Informationen oder Erscheinungen in ein anderes Set von Informationen oder Erscheinungen umgewandelt wird, in einen Output. Geschlossene Kreislaufsysteme sind in der Geschichte ihrer Anwendungen mit Haus- und Tragwerkstechnik assoziiert. Kausalitäten stehen dabei im Vordergrund, und dies kann die Intentionen und Qualitäten der Architektur fort von Reflexion und Konzeptionierung, hin zur Auffassung des Entwurfs als einer Reihe vorhersehbarer Ergebnisse verschieben. Dies erhöht die Ähnlichkeit von Architektur mit einer modernen Maschine und betont die vorhersagbaren Leistungsindikatoren. Offene Kreislaufsysteme dagegen nehmen Informationen auf, passen sich fortwährend an und produzieren vielfältige Ergebnisse. Entwürfe auf dieser Basis können zufallsgesteuert sein oder innerhalb entwurflich vorgegebener Parameter variieren. Informationen oder Erscheinungen, die von offenen Kreislaufsystemen ausgegeben werden, haben den Vorteil natürlicher Vielfältigkeit, sie schließen diverse Bedingtheiten, Variationen, Abhängigkeiten und manchmal überraschende Ergebnisse mit ein. Grenzen erweitern Kann das Entwerfen mit innovativen reaktiven Materialien und Systemen mit der Nachhaltigkeitsfrage als Aufgabe der Architektur verbunden werden? Das Passivhaus ist derzeit zunehmender Kritik ausgesetzt, weil das Baumaterial, das für die Gebäudehülle benötigt wird – Dreifachverglasung, Glasfaserisolierung usw. –, eine große Menge an grauer Energie enthält und seine industrielle Herstellung und Transport CO2-intensiv sind. Umweltverträgliche Strategien sind in der Architektur mit reaktiven Materialien möglich, die passive und aktive Elemente hybrid kombinieren. Diese Strategien basieren auf einem bestimmten Umgang mit der physischen Hülle, auf der Neubewertung ihrer Grenzen als einer Folge von individuellen leichten Oberflächen und Räumen, die durch ein Klimakonzept innerhalb des Rahmens eines reaktionsfähigen Systems zusammengebracht werden. Die Leistungsfähigkeit eines reaktiven Entwurfs kann in den modernen Begriffen von Systemeffizienz gefasst werden (d. h. als Minimierung des Energieaufwands innerhalb des Funktionszusammenhangs des Systems). Wir aber plädieren dagegen für einen erweiterten Effektivitätsbegriff jenseits bloßer Performancebetrachtung: für ein Verständnis von Effektivität, das den Grad an differenzierter affektiver Verwandlung berücksichtigt, der durch aktiv ausgerichtetes Vorgehen erreicht werden

kann, und das ebenso die rhetorische Kompetenz eines Entwurfs berücksichtigt, ein Nachdenken anzustoßen. Die Architektur als Fachrichtung benötigt ein Repertoire kritischer Begriffe, um Entwurfsintentionen im Bezug auf reaktive Materialsysteme zu beschreiben: Begriffe, mit denen sich beschreiben lässt, wie und warum ein Set von Erscheinungen in ein anderes Set von Erscheinungen prozessiert wird und wie dabei Entwurfsentscheidungen getroffen werden. Eine Art Eleganzprinzip muss für die Entwurfsintention aufgestellt werden: Der maximale Affekt soll durch das System mit den geringsten Material- und Energieaufwänden erreicht werden. Interaktive Medien: Innovative Entwurfsstrategien für die Umwelt Drei Projektpaare aus Architektur, Produktdesign und künstlerischen Installationen können unterschiedliche Arbeitsstrategien von heute zeigen, mit denen reaktive Systeme zum Einsatz gebracht werden, um umwelttechnische Fragestellungen von Bewegung, Energieerzeugung und Luftqualität zu lösen. Diese Strategien umreißen eine Auffassung von reaktiven Systemen, die an die Grenze der Hülle vorstößt, indem das Verständnis davon, was eine Wand ist und welche Funktionen sie hat, neu aufgearbeitet wird. An dem einen Ausgangspunkt dieses Weges steht das Projekt, die Wand durch Bewegung zu transformieren, am anderen steht das Projekt, die Wand zu zerlegen und so die moderne Vorherrschaft der architektonischen Hülle als definitiver und einheitlicher Grenzsituation zu brechen. Die Projektpaare umreißen vorläufige Strategien, die derzeit in Form von Installationen, Experimenten und Projekten zur Mobilität getestet werden. Anwendungen reaktiver Systeme in den räumlichen und zeitlichen Maßstäben von Architektur und Städtebau stecken noch in den Kinderschuhen. Jede Arbeitsstrategie repräsentiert eine andere Herangehensweise an Beweglichkeit, Fabrikation und Bauwirtschaft; manche stellen das Visuelle oder Taktile in den Vordergrund, andere die dynamischen Materialkomponenten und- eigenschaften oder uns umgebende Medien. Bis zu dem Moment, wo formale und programmbezogene Strategien nicht mehr als einander entgegengesetzt aufgefasst werden, sondern synthetisch als integrale Aspekte reaktiver Architektur behandelt werden, werden die Fragen der Entwurfsabsicht, der Prioritätensetzung und der Einordnung in die übergreifenden Aufgaben des Fachgebiets ungelöst bleiben. Wie verhalten sich diese strategischen Entwurfskonzepte zu der Wahrnehmung und dem Einfluss reaktiver Architektur und den von ihr 121

Mark Goulthorpe dECOi Architects, Aegis Hyposurface, Birmingham, Großbritannien, 2000, Detail Ansicht.

aufgegriffenen Problemen? Wo können diese Strategien innerhalb des Spektrums von Singularität/Reproduzierbarkeit, Herstellungsmethoden/Implementierung in der Bauindustrie, Bestätigung/Widerspruch zu heutigen Kulturen der Nutzung positioniert werden? Wenn Reaktivität die angesprochene Dimension der Verantwortung beinhaltet, wem muss dann die Arbeit Antwort stehen und wie positioniert der Entwerfer seine Arbeit als Beitrag zum Erkenntnisgewinn und zu größeren Zusammenhängen jenseits des einzelnen Projekts? Kann reaktive Architektur Fortschritt in grundlegenden Fragestellungen des Fachs bringen – Fragen der Form, des Programms, des Raums, der Materialität – und Einfluss auf zunehmend komplexe soziale, politische und kulturelle Dimensionen der Umweltthematik nehmen? Aegis Hyposurface – Adaptive Fritting Surface Aegis Hyposurface, ein Projekt von Mark Goulthorpe, das breite öffentliche Aufmerksamkeit bei der Ausstellung über Non-Standard Architecture im Centre Pompidou in Paris fand, zeigt ein bemerkenswertes integriertes System interaktiver Beweglichkeit im Maßstab einer architektonischen Oberfläche (Abb. S. 122, 123). Der Prototyp wurde unter Verwendung von zehn gerahmten Stützmodulen konstruiert, jedes mit triangulierten Metallplatten, die durch pneumatische Kolben in Echtzeit auf elektronische Reize aus der Umgebung wie etwa Bewegung, Geräusche oder Licht reagieren. Durch eine Serie von Algorithmen, die speziell für dieses Projekt geschrieben wurden, können die individuellen triangulierten Oberflächen„Pixel“ programmiert und physisch manipuliert werden, um seine Gestalt zu verändern und in einem dynamischen Bewegungsfluss von Form zu Form zu wechseln. Aegis Hyposurface schafft aus der Verbindung von Informationssystemen mit physischer Form eine dynamisch variable Verkleidungsoberfläche. Es handelt sich um den möglicherweise weltweit ersten dynamischen dreidimensionalen Wandschirm: ein dreidimensionales Formorgan. Auf konzeptioneller Ebene wirft dieses außergewöhnliche Stück interdisziplinärer Ingenieursarbeit einen neuen Blick auf heutige Einstellungen zu Kompositionslogik, Form, Ornament und Struktur. Doch um dieses System herstellen zu können, gibt es eine eindeutige Vorder- und Rückseite, ganz in der Tradition des Bühnenbaus. Die Parameter für die Dimensionierung der Querschnittstiefe der Stützmodule und der Grad der Beweglichkeit der einzelnen Oberflächen-„Pixel“ sind die limitierenden Grenzen der Bewegungsfreiheit des Systems und stellen es in das moderne Paradigma von Tragwerk und Hülle, unter 122

Mark Goulthorpe dECOi Architects, Aegis Hyposurface, Schnitt, Ansicht, Perspektive, Grundriss.

123

Hoberman Associates, Adaptive Fritting Surface, Ausstellung „Ecological Urbanism“, Harvard University Graduate School of Design, Cambridge, Massachusetts, USA, 2009, Details.

124

KVA MATx, Projekt für das HMS-Labor an der University of Pennsylvania, Philadelphia, USA, 2009, Detail, LEDs, Renderings.

visueller Betonung der Vorderseite der Oberfläche. Der Entwurf unternimmt große Anstrengungen, den Installationsprozess von Aegis Hyposurface zu standardisieren: Das ganze System kann in einem großen Lastwagen untergebracht und an einem Tag von einem gewöhnlichen Arbeiter mit Hilfe eines Gabelstaplers aufgebaut werden; detaillierte Anweisungen werden bezüglich der Sicherung der pneumatischen Rahmen gegen dynamische Kräfte gegeben. Allerdings gehen die interaktiven formalen Qualitäten zu Lasten von Gewicht, Aufwand und Kosten, so dass das Projekt den leichteren und mehr standardisierten Strukturen wie Reklametafeln oder Fassadensystemen weniger nahekommt als vielleicht intendiert. Ästhetisch und technisch aber ist es eine außergewöhnliche Leistung – es ist nicht einfach, in der Architektur eine Oberfläche tanzen zu lassen – und wirft strategische Fragen danach auf, welches die Träger und die Maßstäbe reaktiver Bewegung in der Architektur sein können: Welchen Maßstab wird ihre Nutzung haben, welchen Grad an Einheitlichkeit werden sie aufweisen, wie werden sie hergestellt und reproduziert, und welchen Einfluss werden sie auf die Architektur als Fachdisziplin und auf die Bauwirtschaft nehmen? Chuck Hobermans aktuelle Adaptive Building Initiative mit Buro Happold behandelt Entwurf und Konstruktion von großformatigen Bauteilen, die sich in Reaktion auf spezifische Umweltbedingungen bewegen. Im Gegensatz zu der digitalen Bandbreite von Freiheiten, die durch die Algorithmen von Aegis Hyposurface entstehen, basiert Hobermans Projekt auf mechanischen Übergängen beweglicher Komponenten aus einem klar definierten Zustand in einen anderen. Diese Strategie bietet den praktischen Vorteil von hocheffizienten mechanischen Bewegungsprinzipien auf der Basis von Punktgelenken, Rotationsübersetzungen und der Verwendung von synchronisierten Zugelementen. Hobermans Adaptive Fritting Surface ist ein Rotationssystem, das von kleinen elektrischen Motoren angetrieben wird, um vier Schichten von Plexiglaspaneelen in einem 7,32 x 1,22 m großen Fenster innerhalb einer geschwungenen Wand zu bewegen (Abb. S. 124). Diese Art von Lösung bietet die Vorteile der potenziellen Massenfertigung einer Komplettlösung für ein reaktives Fenstersystem, das aus herkömmlichen Baumaterialien, Schaltungen und Motoren konstruiert werden kann. Rotation als Grundlage vereinfacht den von den mechanischen Servos verlangten Aktionsspielraum und reduziert die benötigte Energie. Die Bewegung ist an den Ecken konzentriert, sie erlaubt es den Paneelen, sich im Verhältnis zueinander zu bewegen, und schafft eine große Bandbreite von zuweilen unerwarteten zwischenstufigen „Fehlausrichtungen“, bevor das System in seinen Originalzustand zurückkehrt und

sich das Muster wiederholt. Hoberman sieht die Besonderheit des reaktiven Systems in seiner Fähigkeit zur Bewegung und schreibt in einem Ausstellungstext über das Projekt: „Während herkömmliche Frittung auf einem festgelegten Muster basiert, bietet adaptive Frittung einer Oberfläche eine kontrollierbare Lichtdurchlässigkeit, die zwischen opaken und transparenten Zuständen modulieren kann. Diese Leistung wird erreicht durch die Verschiebung gefritteter Glasschichten, so dass das grafische Muster sich wechselnd deckt und divergiert.“3 Der Entwurf ist inspiriert durch natürliche adaptive Prozesse der Hautpigmentierung. Dieser Ansatz zur Integration von Beweglichkeit in der Architektur demonstriert die Probleme der Maßstabswahl und der Zweckdienlichkeit bei der Übersetzung biologischer Prozesse in die harten, schweren, planaren Baumaterialien ebenso wie die Probleme bei der Verwendung der newtonschen Mechanik, um architektonische Materialien in Bewegung zu versetzen. Kann die Bauindustrie Innovationen für die Fertigung von reaktiven Systemen entwickeln, oder werden diese in ein Bauprojekt versetzte Installationen bleiben? Kann es der hier verfolgte Lösungsansatz mit den Notwendigkeiten von Isolierverglasung oder öffenbaren Fenstern mit all ihren normierten Anforderungen bezüglich Reinigung und Wartung aufnehmen? Oder haben diese Ansätze rein demonstrativen Charakter zur Förderung einer dynamischen Ästhetik in der Tradition der kinetischen Skulpturen von Miró und Tinguely oder von Calders Mobiles? Slow Furl – SOFT HOUSE Die Arbeit von Mette Ramsgard Thomsen und ihrer Mitarbeiterin Karin Bech zeigt andere, radikalere Strategien der Integration dynamischer und reaktiver Fähigkeiten in flexible Materialien. Thomsens Team benutzt leichte Materialien, oft Textilien, weil diese eine in der Architektur beispiellose Materialflexibilität und minimales Oberflächengewicht in sich vereinen, so dass Bewegung mit geringeren Kosten und Aufwand bei einem hohen Grad von Materialpräsenz möglich wird. Die interaktive Installation Slow Furl („träges Raffen“) wurde als dreidimensionale Tanzbühne entworfen (Abb. S. 119). Sie ist gleichzeitig Objekt und Hülle. Slow Furl erkundet das neue Konzept robotischer Membranen aus durchscheinenden Stoffflächen, die einzeln durch ein Messsystem kontrolliert und von Servos betrieben werden, die von Gegengewichten gestützt werden. Das Messsystem berücksichtigt den Widerstand und das Gewicht des Gewebes. Robotische Membranen setzen Textilien als Technologie und als Materialoberfläche ein, sie verbinden dabei strukturelle Stärke mit Bewegung. Die Bestimmung der Materialzusammensetzung des Textils 125

KVA MATx, SOFT-HOUSE-Prototyp, 2007, Benutzung und räumliche Konfiguration zu verschiedenen Tageszeiten.

+/-

nimmt die Form einer Matrix zur Berechnung an und integriert sensorielle und operative Fähigkeiten des Materials. „Stahloder Kohlenstofffasern erlauben Elektrizität oder Daten den Fluss durch das Material und nutzen das Textil zur Verkabelung der unabhängigen Mikroprozessoren, die dadurch miteinander kommunizieren können. Die Membran wird zu einem intelligenten Gewebe, das seinen Zustand ‚bewusst‘ wahrnimmt und in der Lage ist, sein Umfeld und den Raum oder auch die Aktivität, die es umschließt, zu registrieren.“4 Da die robotischen Membranen ein dezentralisiertes Berechnungssystem verwenden, können die Aggregate einzelner Gewebezellen unabhängig agieren oder auf Änderungen in ihrer Umwelt reagieren. Komplexität entsteht durch Überlagerung. Derzeit sind diese Experimente auf Innenrauminstallationen beschränkt. Slow Furl stellt die Frage nach intelligenter Reaktivität im Lauf der Zeit und paart dies mit der Idee des Habits in beiden Bedeutungen des Worten, nämlich Kleidung und Gewohnheit: Wie kann ein gebautes Artefakt mit der Zeit Konventionen ausbilden? Darin liegt das Potenzial für einen neuen Grad an Materialautonomie und zugleich für ein System reaktiver Beweglichkeit, die auf die Eigenschaften des sich bewegenden Materials zurückgreift.

+/ -

08:00

13:00

+/-

24:00

HPanel (7’-1”)

19:00

L Panel

3-5 PV /

POWER YIELD =

(4’-0”)

1

2

3-10 PV / Textile POWER YIELD = 52.9

3

3-15 PV / Textile POWER YIELD = 36.8

4

3-20 PV / Textile POWER YIELD = 29.9

Eine andere Strategie besteht in der Erweiterung und Umwandlung vertrauter Standardelemente und -materialien als Träger und Verteilmechanismen für reaktive und/oder dynamisch aktive Architekturen. Das SOFT HOUSE von KVA MATx verwandelt den Vorhang von der Stange in einen Satz energiegewinnender Textilien, die sich bewegen, um den unterschiedlichen räumlichen Nutzungsanforderungen von Wohnen und Arbeiten gerecht zu werden (Abb. S. 126, 127). Zwei Vorhangsysteme werden hierfür untersucht. Ein zentraler Vorhang unter einem Oberlicht kann heruntergelassen werden, um einen Instant-Arbeitsraum zu schaffen, oder bildet, wenn heraufgezogen, einen weichen Kronleuchter, der innerhalb des offenen Wohnbereichs durch Festkörperbeleuchtung einen Raum definiert. Randvorhänge bewegen sich horizontal entlang der südlichen Außenseite auf einer Standardschiene. Da Schiene und Vorhang durchgehend verbunden sind, stellt die Schiene zugleich die strategische Wahl eines Gleichstrom-„Rings“ dar, der den erneuerbaren Gleichstrom verteilt, Vorhängen erzeugt wird. Die werk des SOFT HOUSE sind Einfachheit, Anpassungsfähigkeit und intelligente Zusammenarbeit der Die mechanischen Details sind simpel, lässt sich leicht die dünnen Schichten der sind flexibel und leicht. 126

KVA MATx, SOFT-HOUSE-Prototyp, Modell.

127

Die Relevanz des Projekts liegt in der Einbettung einer verbes­ serten Funktionalität der reaktiven Energieerzeugung in einen gewöhnlichen Vorhang und dessen bereits vorhandenen Bewegungsmechanismus – die Schiene. Das Textil übernimmt Aufgaben im Raum und im Haushalt, es ist Sonnenschutz und stattet das Haus mit einer zusätzlichen Dämmschicht entlang der Fensterflächen aus. Bei seiner Verwandlung behält der Vorhang seine traditionellen formalen und materialen Quali­ täten des Raffens und Fließens, der Lichtdurchlässigkeit und Bewegung – Qualitäten, die dann mit der reaktiven Technologie in Beziehung treten. Die bewusste Arbeit mit dem Vorhang als Typus unterläuft die Unterscheidung von „intelligenten“ und „dummen“ Materialien, High- und Low-Tech, handwerklichem und computergestütztem Vorgehen. SOFT HOUSE erweitert das Entwerfen mit reaktiven Technologien um eine Strategie der Einbindung häuslicher Energiegewinnung in die heutigen bauindustriellen Möglichkeiten und kulturellen Nutzungsmuster. SOFT CITIES, die städtebauliche Ausformulierung des SOFTHOUSE-Konzepts, arbeitet mit den Beschränkungen und Vorzügen von formbaren organischen Fotovoltaik-Materialien (OPV). Diese Klasse von fotovoltaischen Materialien weist eine paradoxe Kombination von ineffizienter Energieumwandlung (im Vergleich zu konventionellen Solarpaneelen) mit einer schnellen und leichten Produzierbarkeit und einer sehr günstigen CO2-Bilanz bei der Herstellung auf. Während herkömmliche Solarmaterialien nach dem Industrie-Standardmaß eines optimalen Wirkungsgrades bewertet werden, haben OPVs eine großzügig bemessene Sonneneinstrahlungsfläche und produ­ zieren Energie, aber eben ineffizient, den ganzen Tag lang, so dass ein neues Maß von „gesammelter Gesamtenergie pro Tag“ in die Entwurfsüberlegungen eingehen muss. Das SOFT-CITIESProjekt in Portugal geht von minimalen Leistungsanforderungen an die OPVs aus und nutzt im urbanen Maßstab die formalen Möglichkeiten dieser energiegewinnenden Oberflächen, die flexibel, billig, ineffizient und allgegenwärtig sein können. Um die Flexibilität des Materials auszunutzen, wurde im Entwurf das Verhältnis von Spannung und Strom in der bedruckbaren OPV-Konstruktion verändert. Lange, dünne, biegsame Fasern erlauben größtmögliche Flexibilität und minimieren die Zahl der elektrischen Verteiler. Die Fasern werden mit computer­ gestützten Textilfertigungsmaschinen in die Stoffoberfläche integriert, so dass ein Hybrid zwischen Architektur, mobiler Einrichtung und Infrastruktur entsteht. Der Schwerpunkt wurde auf die Reproduzierbarkeit des einfahrbaren Vordachs gelegt, um das undeterminierte Modell einer ressourcenorientierten

zentralisierten Stromversorgung durch Ausformulierung einer massengefertigten Produktform für Solarenergie zu präzisieren, welche erneuerbare (Licht-)Energie liefert und wie gekauft sofort einsatzfähig ist. Jedoch steht die angestrebte Allgegenwart des generischen, globalen Produkts in einer Spannung zu dem Grad seiner Anpassung an lokale Materialkulturen. In Portugal wecken die Sonnendächer des SOFT-CITIES-Projekts Assoziationen mit der Materialkultur der portugiesischen Spitzenstickerei und der Tradition von Wäscheleinen und Weinreben auf den Dächern. Bestimmte Materialien, beispielsweise Textilien, mögen ein breiteres Spektrum an assoziativen Eigenschaften haben, die kulturunabhängig funktionieren und als gemeinsamer materieller Nenner dienen können. Wenn dies zuträfe, dann wären das stillschweigende Koordinieren oder ausdrückliche Konfrontieren ihrer traditionellen assoziativen Werte mit denen ihres erweiterten Leistungsbildes in reaktiven Architekturen lohnende Handlungsfelder für den Entwurf. Wenn reaktive, energiegewinnende Materialien eine größere Rolle spielen sollen, dann müssen ihre Assoziationen, Materialeigenschaften und Freiheits- oder Anpassungsgrade in den Blick genommen werden, und zwar als Teil der sich fortsetzenden Geschichte der Materialkultur in der Architektur. Copenhagen Wheel – Open Columns Das Copenhagen Wheel, ein Projekt des senseable City Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT), entwickelt die Idee eines Hybridprodukts, das zugleich vertrauten traditionellen Zwecken dient wie auch eine dynamische reaktive Rolle in der Umweltökologie einnimmt (Abb. S. 129). Es positioniert sich in Erscheinungsbild und Entwurf bewusst als ein Lifestyle-Produkt, indem es eine bestimmte Lifestyle-Praxis – die in Dänemark weitverbreitete Tradition des Radfahrens – aufgreift, erweitert und in diesem Fall buchstäblich ankurbelt durch eine neue Mobilitätsfunktionalität. Das Copenhagen Wheel fängt erzeugte Energie auf, speichert sie und stellt sie dem Fahrer zur Verfügung, um den CO2-Level, Verkehrsstaus und Autoabgase entlang seiner Route zu überwachen. Carlo Ratti vom senseable City Lab beschreibt das Copenhagen Wheel als „Radfahren 2.0“.5 Die kompakte, autonome Form als abnehmbares Hinterrad macht daraus ein „Instant-Upgrade“ für jedes herkömmliche Rad. Die erweiterte Technologie in der Radnabe bietet Synergieeffekte mit weiteren, ebenfalls autonomen Produkten gleicher LifestyleOrientierung: Eine Anzeige ist überflüssig, weil das iPhone des Fahrers dafür genutzt werden kann, und die gewonnenen Informationen können in ein städtisches Drahtlosnetzwerk 128

senseable City Lab am MIT, Copenhagen Wheel, 2009.

senseable City Lab am MIT, Copenhagen Wheel, 2009, Informationsvisualisierung.

eingespeist und so von jedem Laptop aus angesehen werden. Mobile Technologien erweitern auf diese Weise die vertraute Aktivität des Radfahrens und versehen sie mit neuen Funktionen, indem die Wegstrecken von Tausenden zu einer „crowd-sourced information“ aufbereitet werden, welche den Städten eine kostengünstige Methode zur Überwachung der Verkehrs- und Luftqualität zur Verfügung stellt. Projekte wie das SOFT HOUSE und das Copenhagen Wheel arbeiten in Richtung massenfertigungsfähiger Hybridformen aus Produkt und Infrastruktur. Es bleibt zu fragen, ob reaktive Massenprodukte, die im Rahmen der herrschenden Marktkräfte produziert werden, wirklich eine alternative kulturelle oder ökologische Agenda voranbringen können. In jedem Fall zeigt dieser Ansatz das Potenzial verbundener reaktiver Netzwerke für den Brückenschlag zwischen unabhängig voneinander hergestellten Produkten und scheinbar unzusammenhängenden anderen Handlungsfeldern. Die unbegrenzte Verfügbarkeit vieler globaler Produkte in der Bauindustrie der „Ersten Welt“ und die redundanten Komponenten der Unterhaltungselektronik (Wireless-Schnittstellen, Tastaturen, Batterien, Anzeigen etc.) legen den Gedanken nahe, dass eine reaktive Architektur nicht als geschlossenes System, sondern stattdessen als eine neue konzeptionelle Organisationsform funktionieren kann, die disparate Handlungsfelder mit industriellen Komponenten für Konsumenten- und Architekturzwecke zusammenbringt. Das Erfinden von Teilen und Produkten, wie dem Rad oder dem Vorhang, kann auf dem Weg durch das sich herausbildende Netzwerk-Paradigma eingehen in eine Strategie der atomisierten Entstehung einer dezentralisierten Gebäudetechnik oder erweiterter ökologischer Praktiken. Die dezentralisierte Struktur dieser Projekte verweist darauf, dass sensorische und energieerzeugende Systeme ihre Dynamik aus der Einführung neuer kollektiver Formen und Foren gewinnen, ebenso wie aus der Aggregation einer Vielzahl unabhängiger Informationsquellen. Open Columns Project, eine interaktive Installation von Omar Kahn an der University of Buffalo, New York, USA, arbeitet mit innovativen homöostatischen Systemen als Anzeige für Umweltqualität und zugleich als Motivation für die Öffentlichkeit, sich über den Monitoringprozess und seine Notwendigkeit auszutauschen (Abb. S. 130, 131). Open Columns („offene Säulen“) ist buchstäblich eine „Gesprächsinstallation”: Die Versammlung einer diskutierenden Öffentlichkeit erzeugt höhere CO2-Werte in der Luft des Raumes; Sensoren messen die ausgestoßene 129

Omar Kahn, Open Columns Project, University of Buffalo, New York, USA, 2007.

130

Omar Kahn, Open Columns Project.

Atemluft; die Säulen deformieren sich nach unten; dies erregt im Gegenzug die Aufmerksamkeit der Diskutanten und provoziert weitere Gespräche. Materialität und Herstellungsprozess der interaktiven Säulen stützen sich auf das, was der Entwerfer als die „relationalen Geometrien“ bezeichnet, mit denen selbstähnliche Baugruppen oder Organismen sich vermehren. Die Säulen bestehen aus sehr einfachen, selbstähnlichen Gummiteilen, welche aus einer einzigen rekonfigurierbaren Gussform unter Verwendung von zwei unterschiedlichen Shore-Durometern hergestellt wurden. Diese im Industriedesign verbreitete Produktionsmethode führt hier zu berechen- und kontrollierbaren räumlichen Ergebnissen. Doch die Materialität des Systems übersteigt die vollkommen kontrollierte Reproduktion: Jede Deformierung aufgrund von identischen atmosphärischen Reizen kann in der Gummiform leicht unterschiedlich verlaufen, je nach Wirkung der Schwerkraft und der inhärenten Elastizität des Formteils. Die variablen und berechenbaren Parameter der Elastizität von Gummi und die Strategie der Produktion flexibler Formteile erweitern in ihrer Zusammenwirkung die Möglichkeiten der konventionellen Herstellungsprozesse im Industriedesign. Ein neuer Bereich parametrischer Materialität für eine interaktive Architektur wird erkennbar.

Anmerkungen 1. Kennedy, Sheila. „Electricity, the Fairy and the Hollow Wall”. In: PRAXIS 6, New Technologies://New Architectures, Boston, 2004. 2. Gramazio, Fabio, und Matthias Kohler. Digital Materiality in Architecture. Baden: Lars Müller, 2008. 3. Hoberman, Chuck. „Adaptivity in Architecture”. In Ecological Urbanism. Baden: Lars Müller, 2010. 4. Ramsgard Thomsen, M. „Textile Logics in a Moving Architecture”. CHI 2009: Digital Life New World. (http://ambient.media.mit.edu/transitive/chi2009papers/thomsen09.pdf, konsultiert am 17. Juni 2010). 5. http://web.mit.edu/press/2009/copenhagen-wheel.html (konsultiert am 17. Juni 2010).

In der Tradition der Avantgarde der Moderne nimmt Open Columns den Standpunkt ein, auf eine gegebene Bedingung oder eine Problemstellung zu verweisen, in diesem Fall die unsichtbare Luftqualität, und zeigt bewusstseinsbildend einen potenziell schädlichen Umweltzustand. Dieser Ansatz lädt die Architektur als Fachgebiet ein, endlich den dringend notwendigen Abstand von dem reduzierten Effizienzbegriff zu nehmen, der bei umweltbezogenen Projekten dominiert. Die unheimliche Materialelastizität von Open Columns und deren rhetorische Fähigkeit, Gedanken und Gespräche anzustoßen, tritt klar hervor. Könnte aus einem solchen Ansatz mehr gewonnen werden als Überwachung und Warnung, und wenn ja, wie? Könnten Installationen wie diese zu einer Lösung eben jener Probleme beitragen, auf die sie hinweisen? In ihrem Potenzial für öffentlichen Dialog, kulturelle Reflexion und fachliche Erkundung von Neuland liegt das größere, noch offene Versprechen reaktiver Materialien.

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Materialisierungen der Nanotechnologie in der Architektur

Adhäsion einzelner Spateln eines Geckos im Nanomaßstab. Mit freundlicher Genehmigung von Stanislav N. Gorb, Universität Kiel, Deutschland. Dieses Bild eines Rasterkraftmikroskops zeigt die feingliedrigen Spatel am Zeh eines Geckos. Jeder Spatel kann sich an nassen oder trockenen Oberflächen mittels nicht-kovalenter Bindungsinteraktionen, auch als Van-derWaals-Kräfte bezeichnet, an den Molekülen der Oberfläche festhalten. Die Adhäsionskraft jedes Spatels beträgt ungefähr 10 nN.

Peter Yeadon

Tag für Tag sind Millionen Deutsche in einen rastlosen Kampf gegen Nanomaschinen verwickelt, aber sie sind nicht allein. Weltweit erheben sich Hunderte von Millionen, vielleicht sogar Milliarden, um sich dem nicht enden wollenden Vormarsch dieser Schädlinge mindestens einmal am Tag zu widersetzen – und müssen sich noch dazu fragen, ob das Problem durch ihr Verhalten nur noch vergrößert wird. Schon früh lernt man, dass diese lästigen Feinde kaum aufzuhalten sind. Zu einer häufig angewandten Strategie gehört etwas Geschick im Umgang mit groben, klingenbewehrten Werkzeugen. Doch haben sich eine Reihe von fortschrittlichen Lasern für die, die es sich leisten können, auch als äußerst effektive Waffen erwiesen. Der Feind, den ich meine, ist natürlich das menschliche Haar.

Nanotechnologie bei: Einige molekulare Strukturen, einschließlich der erwähnten aus einem Molekül, sind größer als 100 nm. Was also ist so wichtig daran, die Dimensionen der Nanotechnologie auf 1-100 nm zu beschränken? Warum nicht 1-999 nm oder 1-100 Moleküle? Man stelle sich vor, Architektur als die Erforschung und Herstellung aller Objekte von 1-100 m, oder 10-1.000 m in wenigstens einer Dimension, zu beschreiben. Und man stelle sich die Anzahl der Fachrichtungen vor, die dann für sich beanspruchen könnten, an der Architektur beteiligt zu sein. Und die entsprechend zahlreichen Möglichkeiten für Kooperationen.

Ein Haar im Bart eines Mannes wächst mit einer Geschwindigkeit von etwa 8 Nanometern (nm) pro Sekunde. Ein Haar fügt also mit jeder Sekunde ungefähr acht Milliardstel eines Meters seiner Länge hinzu. Innerhalb von 13 Sekunden hat ein Haar genug Rohstoffe (z. B. Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Schwefel) gesammelt, um weitere 104 nm fester Struktur anzuhäufen. Dies ist eine recht kleine Bauleistung. Bemerkenswert bleibt aber, dass diese selbstorganisierende Struktur in diesen 13 Sekunden bereits größer geworden ist als die größten Schöpfungen der Nanotechnologie.

Nanotechnologie entwickelt sich hin zu einem neuen Zugriff auf das Verhalten von Materie und wird tiefgreifend die Mittel verändern, mit denen Entwerfer unsere Beziehung zu der Welt, die uns umgibt, gestalten. Vier Methoden oder Wege der Erfindung zeichnen sich ab, an denen deutlich wird, wie Architekten Innovation im Entwurf durch Nanotechnologie angehen. Sie bezeichnen einen gewissen Widerstand gegen das bloße „Neuverständnis“ und „Neuerfinden“ bestehender architektonischer Denkstrukturen. Vier Herangehensweisen: durch Nachahmung der Natur, durch Anwendung in der Praxis, durch experimentelle Studien und durch visionäre Projekte. Interessanterweise charakterisieren dieselben vier auch die unterschiedlichen Entwicklungsrichtungen, durch welche die Nanotechnologie selbst vorangebracht wird.

Nanotechnologie ist die Erforschung und Herstellung sehr kleiner molekularer Strukturen, die in mindestens einer Dimension zwischen 1 und 100 nm messen. Ihr Ziel ist es, vollständige Kontrolle über die Materie, bis hinunter auf die atomare Ebene, zu gewinnen, aber es ist schwierig, sie als eine Fachrichtung an und für sich zu definieren. Da Nanotechnologie die Beobachtung und Manipulation von Materie auf atomarer und molekularer Ebene betreibt, ist sie ein integraler Teil diverser Fachgebiete. An ihr beteiligen sich Forscher aus den Material- und Ingenieurswissenschaften, der Biologie, Informatik, Chemie, Physik, Medizin und vielen anderen Wissensgebieten. Der Begriff bezeichnet eigentlich eine Reihe von Technologien, nicht nur eine einzige; würde man eine Runde aus Wissenschaftlern und Ingenieuren verschiedener Fachrichtungen befragen, was Nanotechnologie ist, würde man wohl ein recht breites Spektrum an Definitionen erhalten. Zum Beispiel wird diskutiert, ob Nanotechnologie sich nur auf aus einem Molekül bestehende Strukturen bezieht oder auch Strukturen mit umfasst, die aus mehr als einem Molekül zusammengesetzt sind.1 Zu diesem Problem der Unbestimmtheit tragen auch die scheinbar willkürlichen Dimensionsgrenzen der

Vier innovative Ansätze für Nanotechnologie in der Architektur

Nachahmung natürlicher Prozesse Die erste Strategie besteht darin, zu kopieren, was die Natur bereits leistet. Mit der Annäherung von Bildverarbeitung in Echtzeit an eine räumliche Auflösung von 0,05 Å, also nur 0,05 nm, hat die Mikroskopie den Wissenschaftlern immer besser ermöglicht, biologische und mineralische Proben zu untersuchen, ihre Zusammensetzung festzustellen und Materialien zu synthetisieren, die solcherart neue Eigenschaften nachahmen.2 Die aktuellen Verbesserungen vor allem bei biomimetischen nanostrukturierten Materialien haben davon profitiert, dass Organismen beobachtet und beschrieben werden konnten, die sich in den letzten Milliarden Jahren entwickelt haben. Mit Hilfe der Untersuchung beispielsweise, auf welche Weise die Stundenglasform von Aquaporinen Wasser effizient durch Zellwände transportiert, haben Forscher Filtrationsmembranen aus Polymer erschaffen, die diese Form nachahmen zur Gewinnung von Reinstoffen. Die hohe 132

Reihen von Kohlenstoff-Nanoröhren mit „Strong Shear Binding-On“- und „Easy Normal Lifting-Off”-Eigenschaften. Liangti Qu, Liming Dai, Morley Stone, Zhenhai Xia und Zhong Lin Wang. Aus Science 322:238 (2008). Abb. S14c. Mit freundlicher Genehmigung von AAAS. Dieses Bild eines Rasterelektronenmikroskops zeigt eine ungeordnete Serie vertikal aufgereihter Nanoröhren (VACNTs), die auf ein dünnes Foliensubstrat aus Polystyrol aufgebracht wurden. Die Nanoröhren ähneln Geckospateln, aber dieser biomimetische VACNT-Halter hat fast die zehnfache Kraft von Geckos und kann dabei leicht loslassen und wieder festhalten. Eine auf Glas aufgebrachte 4 x 4 mm große Folie mit diesem Material kann ein hängendes Gewicht von 1480 g halten.

Herstellung von anti-reflektierenden Nanostrukturen kleiner als Lichtwellen mittels einer Bio-Schablone. Guoyong Xie, Guoming Zhang, Feng Lin, Jin Zhang, Zhongfan Liu und Shichen Mu. Aus: Nanotechnology 19 095605 (5pp), Abb. 1a, 2 und 3a. Mit freundlicher Genehmigung von IOP. Oben: Diese von einem Rasterelektronenmikroskop erzeugten Bilder eines Zikadenflügels zeigen eine 400 nm hohe Oberfläche mit Nanonippeln. Die Nippel sind der Grund für die anti-reflektierenden Eigenschaften des Flügels. Jeder Nippel verjüngt sich von ungefähr 150 nm an der Basis auf 65 nm an der Spitze und besteht im Wesentlichen aus Chitin, einem kristallinen Polymer.

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Mitte: Das Bild zeigt, wie eine dünne Goldschicht (Au) auf den Zikadenflügel aufgebracht und dann abgenommen wird, um eine Form für die Herstellung von Polymethylmethacrylat- (PMMA-) Folien zu erhalten. Die anti-reflektierenden Eigenschaften der Zikadenflügel übertragen sich auf die PMMA-Folie, welche die Oberflächenreflexion für Wellenlängen zwischen 250 und 800 nm erheblich reduziert. Unten: Dieses Bild eines Rasterelektronenmikroskops zeigt die mit Hilfe der Au-Form nachgebauten Nanonippel als freistehende Säulen auf einer PMMA-Folie. Die Forscher wählten PMMA-Folien, da diese flexibel und transparent sind und über eine hohe Auflösung verfügen. Diese Eigenschaften sind höchst vorteilhaft für viele Anwendungen, die Antireflexion erfordern.

Aranda \ Lasch, Grotto Pavilion, Entwurf für P.S.1, New York, New York, USA, 2004, Detail Modell. Wie bei den Quasikristallen besteht der Grotto Pavilion von Aranda und Lasch aus Mustern sich wiederholender Elemente, die nicht identisch sind.

Gruppe von Sc-Zn-Quasikristallen. Mit freundlicher Genehmigung des U.S. Department of Energy’s Ames Laboratory. Quasikristalle sind eine wichtige Referenz für die Architekturprojekte von Benjamin Aranda, Daniel Bosia und Chris Lasch. Sie haben eine ungewöhnliche Symmetrie, bei der die Struktur sowohl geordnet als auch aperiodisch ist. Diese Gruppe rhombischer Quasikristallkörner wuchs in einer Lösung. Jedes Korn ist ungefähr 1 mm im Durchmesser.

Selektivität und zugleich Durchlässigkeit des Materials erlaubt, Zielmoleküle schneller und mit weniger Energieaufwand zu isolieren. Bei der Entsalzung zum Beispiel passieren Wassermoleküle die Poren, deren Form die im Salz enthaltenen Ionen dagegen abweist. Bekannt geworden sind die Studien über die Oberflächenstruktur von Lotusblättern und Zikadenflügeln, mit deren Hilfe Nanowissenschaftler biomimetische Materialien geschaffen haben, die wasser- und schmutzabweisend sind. Aber Forscher haben auch synthetische Moleküle geschaffen, die Chlorophyll imitieren und Lichtenergie in elektrische Energie umwandeln, um dadurch Fortschritte in der Fotovoltaik zu erzielen. Sie haben die Augen von Motten und Fliegen kopiert, um nicht-reflektierende Oberflächen zu schaffen, auf denen feine Protuberanzen Photonen einfangen. Sie haben für den Einsatz autonomer Roboter in Flüssigkeiten spiralförmige Nanopropeller geschaffen, die eine Dicke von nur 27 nm aufweisen und die Geißel (Flagella) einer Bakterie nachahmen. Sie haben durch das Studium der Art und Weise, in welcher Pflanzen sich bewegen, um sich vor zu viel Sonnenlicht zu schützen, ein Molekül entworfen, das seine Form in Reaktion auf Licht verändert. In den letzten Jahren hat sich die Forschung nicht nur auf neuen Wissensgewinn konzentriert, sondern es wurde auch gefragt, wie wir uns dieses Wissen zunutze machen könnten, wie es durch Nanoengineering zur Anwendung kommen könnte. Ein einziger Zweck bestimmt all die genannten Beispiele: die Nutzung dessen, was wir von der Natur lernen können, zur Verbesserung unserer verfügbaren Fähigkeiten. Vielleicht ist der Naturbegriff in der Bezeichnung Naturnachahmung, Mimesis, hier eher ungeeignet, da im Nanomaßstab, wenn wir bis in den Bereich einzelner atomarer Elemente hinunterkommen, Unterscheidungen zwischen dem Künstlichen und dem Natürlichen verschwimmen. Aber wir beginnen zu sehen, wie die bildhaften Darstellungen von Nanostrukturen auf Entwurfsentscheidungen in der Architektur Einfluss nehmen. Benjamin Aranda, Daniel Bosia und Chris Lasch haben zum Beispiel beschrieben, wie durch „das Heranzoomen auf den Nanomaßstab die Kristallografie und ihre Nachbardisziplinen vielzählige Typen von Modularität durch molekulare Rahmenstrukturen bieten, die im Gebäudemaßstab nachgeahmt werden können”.3 Für den Grotto Pavilion wurden Quasikristalle in Betracht gezogen, weil sie eine außergewöhnliche Symmetrie aufweisen, in der die Struktur sowohl geordnet als auch aperiodisch ist, so dass es keine Muster sich wiederholender gleicher Elemente gibt (Abb.). 135

„Die aktuelle Erforschung der aperiodischen Strukturen von Quasikristallen zeigt auf, dass einige Materialien eine perfekte Ordnung von großer Reichweite aufweisen, ohne dabei auf dreidimensionale periodische Strukturen zurückzugreifen. Dies ist eine Eigenschaft, die sich gut in die Welt der Architektur übertragen lässt: Modularität ohne eine konventionelle Anmutung von Wiederholung. Die Suche gilt der wilden, doch vollkommen stabilen Ordnung. Die Brücke zwischen diesen Disziplinen, zwischen dem sehr Kleinen und dem sehr Großen ist die Geometrie, sie bildet die Wurzel unserer Untersuchungen. Welchen Einfluss haben diese Regeln, die im sehr Kleinen herrschen, auf die Organisation des Materials im Maßstab des sehr Großen?“4 Durch das Vergrößern und Verkleinern oder „Heranzoomen“ und „Herauszoomen“ sind die Architekten auf eine Reihe von Geometrien gestoßen, die in Algorithmen gefasst werden und imitiert werden können. Das Zoomen bedeutet auch, dass es für uns wichtig ist, Zeuge zu sein, zu sehen, zu überprüfen, wie das eine zu dem anderen werden kann. Aber ein bedeutender Unterschied zwischen der Mimesis in der Nanotechnologie (wie bei biomimetischen Materialien vollzogen) und architektonischen Herangehensweisen an Mimesis ist dabei hervorgetreten, und er hat viel mit der Fähigkeit des Heran- und Herauszoomens zu tun. In der Nanotechnologie ist die Bildgebung ein Mittel zum Verständnis der Dinge auf der atomaren Ebene, um Nanostrukturen zu fabrizieren, die auf diesen Dingen basieren. In der Architektur jedoch ist das Bild selbst zur Hauptquelle der Inspiration geworden. Es ist die Repräsentation, die Darstellung des Dinges, nicht das Ding selbst, welches oft als Vorbild zur Nachahmung dient. Dies ist kaum zu vermeiden; die durch die Mikroskopie hervorgebrachten Bildwelten sind so exotisch und unwiderstehlich, dass ihre Macht, das Unsichtbare sichtbar zu machen, uns alle, die wir am Schaffen von Architektur beteiligt sind, inspirieren muss. Gleichzeitig müssen wir aber skeptisch gegenüber den Bildern bleiben, die wir aufnehmen, und uns der Tatsache bewusst sein, das die bildgebenden Werkzeuge die Bilder, die sie im Nanomaßstab aufnehmen, beeinflussen und verändern können. Durch kritisches Hinterfragen der Analogien zur Nanotechnologie im Entwerfen werden Architekten mehr und mehr den Wert und die Relevanz der Metaphern, welche sich in mimetische Praktiken einschleichen, überprüfen müssen. Besondere Vorsicht muss bei Metaphern walten, die von anderen Fachrichtungen ausgeliehen werden, wie etwa dem „Grey-goo“-Szenario, welches sich selbst reproduzierende Nano-Roboter beschreibt, die unkontolliert

alle vorhandene Materie konsumieren. Vielleicht wird sich dann unsere Arbeit vom Evokativen hin zum Provokativen wenden. Nanostrukturen sind so klein, dass sie in einem Bereich mit eigenen Gesetzen zwischen klassischer Mechanik und Quantenmechanik existieren. Ihre Eigenschaften sind sehr verschieden von denen von Materialien im Makromaßstab. Tatsächlich kann man kritisch fragen: Warum sollten die Regeln, die im ganz Kleinen gelten, eine Relevanz für das Entwerfen des ganz Großen haben? Anwendungen in der Praxis Weil sie von einer Größenordnung sind, bei der QuantumEffekte ihr Verhalten beeinflussen, haben nanostrukturierte Materialien einzigartige elektrische, optische und magnetische Eigenschaften. Sie sind signifikant anders als die Materialien, mit denen Architekten vertraut sind. Aber ihre Herstellung erfolgt unter Bedingungen, die Architekten sehr vertraut sind. Diese Materialien werden entworfen. Sie verlangen sorgfältige Voruntersuchungen, und es gibt angesichts der derzeit verfügbaren Mittel und Ressourcen signifikante Unterschiede zwischen dem Möglichen und dem Machbaren. Fortschritte in der Nanotechnologie sind ebenfalls stark beeinflusst durch Investitionen aus dem öffentlichen und privaten Sektor; dies hat die Materialinnovation vermehrt hin zu den Bereichen Gesundheit und Sicherheit, Energie, Transport, Verteidigung und Umwelt geleitet. Nicht zuletzt hat die Fähigkeit, Materialien Atom für Atom und Molekül für Molekül zu gestalten und zu konstruieren, die Forscher vor dieselben Fragen gestellt, die auch ein Architekt heute stellen mag: Was soll es sein? Wie soll es funktionieren, wie sich verhalten? Wenn wir für einen Moment die später behandelten molekularen Maschinen außer Acht lassen, dann gibt es zwei große Klassen von Materialien als Produkte der Nanotechnologie: Nanomaterialien und Nanokomposite. Nanomaterialien sind nanostrukturierte Materialien, in denen die strukturellen Elemente, in wenigstens einer Dimension, kleiner als 100 nm sind. Ein sehr großes Blatt Graphen ist ein Nanomaterial, ungeachtet seiner Breite und Länge, da es nur ein Karbonatom dick ist. Nanoröhren sind Nanomaterialien, auch dann, wenn sie sehr lang sind, weil ihre Durchmesser kleiner als 100 nm sind. Nanopartikel gelten aber nur dann als Nanomaterialien, wenn sie weniger als 100 nm in allen räumlichen Dimensionen messen. 136

Richard Meier, Kirche Dives in Misericordia, Rom, Italien, 2003. Foto von John Shnier. Einzelne Bauteile der Kirche wurden mit einem Zement hergestellt, welcher fotokatalytische Titaniumdioxid- Partikel enthält. Unter Einfluss von Sonnenlicht bauen diese Partikel organische und anorganische Schmutzteilchen der Luft ab, so dass die Oberflächen des Gebäudes weiß bleiben. Herzog & de Meuron, 40 Bond Street, New York, New York, USA, 2007. Foto von Peter Yeadon. Bei dem Wohngebäude sind die grünen Glaskappen der Fassadenpfosten mit einer hydrophobischen Schicht versehen, die Schmutz und Wasser abstößt. Unsichtbare integrierte hydrophobische Beschichtungen können dafür verwendet werden, den Wasser- und Energiebedarf und die Kosten der Reinigung und Instandhaltung wirksam zu senken.

Viele Nanomaterialien haben eine zählbare Anzahl von Atomen, sind kleiner als 50 nm und werden erst in Verbindung mit anderen Materialien nutzbar. Durch Integration von Nanomaterialien in die Matrizen anderer Materialien können wir Nanokomposite für Produkte mit verbesserten Eigenschaften erzeugen, die es ohne die Einbeziehung dieser winzigen Nanostrukturen nicht geben würde. Nanokomposite, in anderen Worten, beinhalten Nanomaterialien, und die Zahl der Produkte, die auf Nanokompositen basieren, wächst rasch. 2006 stellte das Woodrow Wilson International Center for Scholars einen durchsuchbaren Onlinekatalog von 212 auf Nanotechnologie basierenden Konsumgütern vor. Um die 15 % dieser Produkte waren Kosmetikartikel. Die Datenbank ist zwischenzeitlich auf mehr als 1.000 Artikel angewachsen, und Woche für Woche kommen vielleicht drei oder vier Nanotechnologieprodukte neu auf den Markt. Doch geht ihr Erscheinen recht unauffällig vor sich, und das Zentrum konstatiert ein enttäuschend geringes öffentliches Bewusstsein für Nanotechnologie.5 Seit einiger Zeit verwenden Industrie- und Modedesigner Nanokomposite in einem breiten Anwendungsspektrum, wie etwa bei Hochleistungsbekleidung und Sportausrüstungen. Der Schweizer Fahrradhersteller BMC bietet zum Beispiel leichte, starke Fahrradrahmen aus Nanokompositen an, welche aus Kohlenstofffasern, Kunstharz und Kohlenstoff-Nanoröhren bestehen. Die Technologie wurde von Easton entwickelt, einer US-amerikanischen Firma, die sich auf avancierte Materialien für den Sportbereich spezialisiert hat. Ihr eigener Fertigungsprozess beruht auf dem gleichmäßigen Verteilen von KohlenstoffNanoröhren in dem Kunstharz, welches verwendet wird, um die Kohlenstofffasern miteinander zu verbinden. Herkömmliche Kohlenstofffaserrahmen wiesen Schwächen in den Bereichen zwischen den Fasern auf, wo das Kunstharz ist. Mit der Einbindung von Kohlenstoff-Nanoröhren erhöht sich das Verhältnis von Festigkeit zu Dichte der Kunstharz/Faser-Matrix signifikant, mit dem Ergebnis leichterer Komponenten und/oder verbesserter Festigkeit. Auch wenn die Bauwirtschaft im Vergleich zu anderen mit der Architektur verbundenen Bereichen eher der Übernahme und Entwicklung von Innovationen ist, so dringen Nanokomposite doch stetig in zwei Bereichen in die gebaute Umwelt vor: bei der Optimierung Form und Erweiterung bestehender Bautechnologien von neuen Materialerzeugnissen, geben können. Sogar harte Praktiker beginnen der Verwendung von Nanokompositen in ihren Projekten zu 137

Diamon-Fusion®, hydrophobe Beschichtung für Glas und andere siliziumbasierte Oberflächen. © 2005 Diamon-Fusion International, Inc. Die hydrophobe Oberfläche auf der Fassade des Wohngebäudes 40 Bond Street wurde von DFI hergestellt. In einem zweistufigen Verfahren wächst zunächst eine extrem dünne Schicht auf dem unbehandelten Glas, um die raue Oberfläche zu glätten. Dann werden atomare Ketten gekappt, um die hydrophoben Eigenschaften zu verstärken, indem die Oberfläche keine Ansatzpunkte für Verschmutzung mehr bietet. Diese Technologie kann bei den meisten Siliziumdioxid-Oberflächen angewandt werden, wie Glas, Keramik, Porzellan und Granit.

Das Projekt HydroNet von IwamotoScott entwirft eine Stadt der Zukunft, bei der Tunnelwände aus Kohlenstoff-Nanoröhren bestehen, Rendering. Mit Wasserstoff angetriebene Fahrzeuge transportieren die Bewohner schnell durch diese Tunnel. Die Nanoröhren speichern Wasserstoff in den Wänden und verteilen ihn für die Wiederbetankung der Fahrzeuge. Mit freundlicher Genehmigung von IwamotoScott.

erkennen. Die mit selbstreinigender Technologie ausgestattete Kirche Dives in Misericordia in Rom von Richard Meier verwendet Titandioxid-Nanopartikel im Zement, um unter Reaktion auf Sonnenlicht Luftverunreinigungen abzubauen (Abb. S. 137). Bei dem Wohnungsbau 40 Bond Street in New York von Herzog & de Meuron wurde das Glas unter Verwendung einer von Diamon-Fusion International entwickelten wasserabweisenden Behandlung hergestellt (Abb. S. 137). Bei dem zweistufigen Prozess wird erst die raue Oberfläche des Glases geglättet und dann eine hydrophobe Schicht aufgetragen, um Schmutz und Wasser abzuweisen; dies senkt effektiv den Wasserverbrauch, den Energieaufwand und die Kosten der Reinigung und Instandhaltung der Fassade. Sowohl die Kirche in Rom und als auch 40 Bond Street demonstrieren, wie Nanotechnologie in der Architektur angewendet wird: in Form von Bauprodukten, die mit singulären Performancemerkmalen ausgestattet werden. Trotz aller Aufregung, die um Nanotechnologie als einer beunruhigenden Technologie herrscht, ging ihr Markteintritt überraschend leise vonstatten. Vielleicht ist dies auf den Charakter der auf Nanotechnologie basierenden Bauprodukte zurückzuführen, welche für Architekten und aufgrund ihrer Vorgaben geschaffen wurden. Nanokomposite sind eine überaus unaufdringliche Technologie. Bei der großen Mehrheit handelt es sich um Zusatzstoffe, dünne Filmbeschichtungen oder Gels. Sie sind einfach da und funktionieren, oder genauer, in ihnen schlafen ihre neuartigen Eigenschaften, die sie erst zeigen, wenn sie zum Einsatz wachgerufen werden. In dieser Hinsicht sind Nanokomposite nicht sehr anders als herkömmliche Bautechnologien. Auch Tragwerkskomponenten sind ständig am Wirken, sogar wenn sie gerade nur sich selbst tragen, und intelligente Materialien und Sprinklerköpfe haben gemein, dass sie stimuliert werden müssen, damit sie reagieren. So erstaunt es nicht, wenn Architekten Nanokomposite auf dieselbe Weise einsetzen wie jedes andere Bauprodukt und den Wert und Nutzen von Nanoprodukten (bezüglich Kosten, Lebensspanne, Leistung, Umweltlast usw.) abwägen, bevor sie sie bei der Ausschreibung berücksichtigen. Aber bislang scheint Nanotechnologie kein integraler Bestandteil bei ihrer Arbeit zu sein. Sicherlich gibt es einige Beschichtungen und Dämmstoffe, die hier und dort in der Praxis aufgegriffen werden, aber es lässt sich kaum zeigen, dass Nanotechnologie dafür unverzichtbar wäre und Kernentscheidungen der Entwürfe beeinflusst hätte. Innovation durch Nanomaterialien und Nanokomposite hat noch keine Priorität. Hinsichtlich beispielhafter Anwendungen, 138

die das Potenzial von Nanotechnologien ausschöpfen, steht keine Industrie weiter zurück als die Bauindustrie. Dies wirft ein weiteres Mal eine Architekten nur allzu bekannte Frage auf: Werden wir fortfahren, die uns vorgegebenen Produkte zu verwenden, gleich Konsumenten, oder beteiligen wir uns an der Erforschung und Entwicklung von Produkten, als engagierte innovative Kräfte? Experimentelle Studien Es gibt einige aktuelle Neuentwicklungen, die von der Beteiligung von Architekten an ihrer Entstehung und Anwendung profitieren würden. Im Gegenzug könnten einige dieser Materialien deutlich sichtbare Auswirkungen auf die Architektur haben, wie etwa: transparentes Aluminium, lumineszierende Quantum-Punkte, Fotovoltaik der dritten Generation und flüssige Kristall-Elastomere, die ihre Form abhängig von Lichteinfall und Temperatur verändern. Andere Materialien bleiben im Hintergrund. Wir werden die EMFBeschichtungen, die Funksignale blockieren, nicht sehen können, noch werden wir die Nanokomposite bemerken, die automatisch Risse in einem Bauwerk erkennen und reparieren. Doch werden wir bei den meisten dieser neuen Materialien ihr Verhalten wahrnehmen, wenn ihre Reaktivität aktiviert wird. Piezoelektrische Nanodrähte aus ZnO brauchen nur mechanisch belastet zu werden, damit wir die Elektrizität wahrnehmen, die sie zu produzieren in der Lage sind. Silikat-Partikel werden uns gewärtig, wenn eine Kugel von einer dünnen Membran, die mit sich unter Einfluss von Scherung verdickender Flüssigkeit beschichtet wurde, abprallt. Entsprechend verhält es sich mit den gesteuerten schwingungsdämpfenden Fähigkeiten von Gelen, die auf Erschütterungen reagieren, und dem Wirken von magnetorheologischen Flüssigkeiten, deren Präsenz in großen Bauten nur unter seismischer Belastung aufscheinen wird. Kohlenstoff-Nanoröhren (Carbon Nanotubes) sind ein weiteres Nanomaterial, das Architekten interessieren sollte (Abb. S. 140). Diese haben die Korrosionsbeständigkeit von Legierungen erhöht, helfen Kaliumperchlorat-Toxine aus verseuchtem Wasser zu entfernen, werden mit Nano-Ton kombiniert, um den Feuerwiderstand von Kunststoffen zu verbessern, und bilden Oberflächen, die gesteuert zwischen superhydrophoben (wasserabweisenden) und hydrophilen (wasseranziehenden) Eigenschaften wechseln können. Die herausragende spezifische Festigkeit, die sie aufweisen, ist gut bekannt, mit dem höchsten Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht aller uns bekannten Materialien. Sie werden derzeit verwendet, um Polymere,

Golfschläger, Surfbretter, Boote und viele andere Materialien und Produkte zu verstärken. Ein kreisförmiger Bereich mit einem Radius von 1 cm, in dem Nanoröhren in einem Abstand von 5 μm, der sie unsichtbar bleiben lässt, hängen, reicht aus, um einen Menschen zu tragen, der dabei zu schweben scheint.6 Über feste Nanokomposite hinaus bieten Kohlenstoff-Nanoröhren eine Vielzahl von anderen neuartigen Eigenschaften, die auf ein breites Spektrum von Anwendungen übertragen werden können. Je nachdem, in welcher Struktur sie vorliegen, können Nanoröhren metallisch oder halbleitend sein, sie können fotovoltaisch und gute elektrische Leiter sein. Daher wurden sie in der Forschung eingesetzt, um leichte, flexible, elektrisch leitfähige Folien und Elektronik wie Sensoren, Bildschirme, Antennen, Lautsprecher, Solarzellen, Batterien und Superkondensatoren herzustellen. Bei Stromfluss durch ein Netzwerk von Nanoröhren, das in eine Beschichtung, welche ein Substrat umgibt, eingelassen ist, können sie als eine Art Nervensystem agieren und Spannungen, Defekte und Brüche in einer gebauten Struktur erkennen. Ein kurzer elektrischer Impuls kann die Nanoröhren an den lokalisierten Stellen erhitzen und ein vor Ort befindliches reparierendes Mittel einschmelzen, das den Bruch ausfüllen und die Baustruktur reparieren kann. Dank ihrer röhrenförmigen Architektur können KohlenstoffNanoröhren verwendet werden, um ganze Moleküle von einem Ort an einen anderen zu transportieren, ähnlich einem molekularen Förderband, oder um Materie Atom um Atom zu zerlegen und an anderer Stelle wieder zusammenzusetzen. Sie können verwendet werden, um Moleküle einzufangen und zu lagern, wie z. B. Wasserstoff für unsere zukünftige Treibstoffversorgung. Das Durchschleusen von Wassermolekülen lässt die Röhren zu winzigen hydroelektrischen Generatoren, zu Stromerzeugern werden. In ihrem Projekt HydroNet, einer städtebaulichen Vision für San Francisco, haben Lisa Iwamoto und Craig Scott die Festigkeits- und Lagereigenschaften von Kohlenstoff-Nanoröhren voll ausgeschöpft (Abb. S. 138). Das Projekt sieht ein unterirdisches Netzwerk aus Kohlenstoff-Nanoröhren-Tunneln für wasserstoffbetriebene Schwebefahrzeuge vor. Die Nanoröhren speichern Wasserstoff und versorgen die Fahrzeuge in ganz San Francisco. Kohlenstoff-Nanoröhren nehmen erstaunlich gut Zug auf (weshalb sie für das Verbindungskabel eines Weltraumlifts in Erwägung gezogen wurden), nicht jedoch Druck, denn sie neigen aufgrund ihrer Form zum Knicken. Das mag hier weiter 139

Kohlenstoff-Nanoröhren mit multiplen Wänden. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Robert Hurt. Dieses Bild eines Transmissionselektronenmikroskops von Kohlenstoff-Nanoröhren mit multiplen Wänden (MWNT) zeigt deren Aufbau aus mehreren konzentrischen Röhren. Der äußere Durchmesser beträgt ca. 15 nm. Metallunreinheiten innerhalb der MWNT sind erkennbar. Decker Yeadon, dünne Schichten mit Kohlenstoff-Nanoröhren-Elektroden. Mit freundlicher Genehmigung von Decker Yeadon. Dünne Schichten mit KohlenstoffNanoröhren mit multiplen Wänden wurden von Decker Yeadon auf einen flexiblen Untergrund aufgebracht und auf ihre elektrische Konduktivität getestet. Die Nanoröhren wurden erst in einer Lösung verteilt und dann in unterschiedlichen Dichten mit einem Tintenstrahldrucker aufgebracht. Decker Yeadon untersucht Methoden, um MWNT als flexible Elektroden für elektro-aktive

Polymermuskeln einzusetzen, welche ein Fassadensystem aktivieren. Decker Yeadon, durch Nanoröhren aktivierte künstliche EAP-Muskeln. Mit freundlicher Genehmigung von Decker Yeadon. Das schematische Diagramm zeigt, wie Änderungen der anliegenden Spannung Bewegung in dem Verbundstoff induzieren. Die Nanoröhren/Polymer-Muskeln (schwarz) sind zu beiden Seiten mit einem Schaum/Gel-Substrat verbunden (grün). Wenn Spannung auf der Muskelseite angelegt wird, dehnen diese sich aus und bedingen eine Biegung des gesamten Verbundmaterials.

keine Rolle spielen, aber beabsichtigt oder zufällig bietet das Projekt Hydro-Net mindestens eine Situation, in der die entworfene Form die Beschränkungen des Nanomaterials ausgleichen könnte: Es wäre anzunehmen, das Kohlenstoff-Nanoröhren in einer Reihe von gleichmäßig belasteten Druckringen gute Leistung bringen können. Trotz des außerordentlichen Versprechens, das die Nanoröhren und überhaupt Nanomaterialien bergen, sind Architekten bis heute zögerlich, sich mit ihnen experimentell zu befassen. Vielleicht liegt das an den Kosten. Die Kohlenstoff-Nanoröhren, mit denen im Büro des Autors experimentiert wird, haben einen Reinheitsgrad von 95 %, einen Außendurchmesser von etwa 15 nm und eine Oberfläche von schätzungsweise 220 m²/g. Mit 110 USD pro Gramm können Experimente mit ihnen recht teuer werden für ein kleines Büro, aber der Preis ist in den letzten Jahren gesunken und wird mit sich abzeichnenden neuen Herstellungsprozessen voraussichtlich weiter sinken. Vielleicht ist die Zurückhaltung im Experimentieren mit Nanomaterialien aber auch der Schnelligkeit des nanotechnologischen Fortschritts geschuldet. Es ist unzweifelhaft schwierig, mit Materialtechniken zu arbeiten, die sich in rascher Entwicklung befinden. Dies ist eine der Herausforderungen für Architekten, die sich dem Experimentieren mit Nanomaterialien – und dem Schreiben über Nanotechnologie – zuwenden. Experimente in der Architektur und Experimente in der Nanotechnologie liegen eigentlich nicht weit voneinander entfernt. Beide erfordern Forschungsarbeit, um neues Wissen zu schaffen, welches, wenn angewendet, zu neuen Fähigkeiten führen kann. Beide erfordern Tests; denn Materialien und Formen sind nur die physische Manifestation eines idealen Modells, welches auf Prinzipien beruht, so dass das Gemachte immer nur eine Annäherung an die Modellvorgaben darstellen kann. Beide machen gern Vorhersagen und stecken doch tief im Hier und Jetzt mit seinen reichlich vorhandenen Beschränkungen. Während die Problemstellungen und Versprechen der Nanotechnologie in der Architektur durch experimentelle Studien und durch Anwendungen immer deutlicher hervortreten, liegt der bedeutende Vorteil, den Architektur gegenüber den Natur- und Ingenieurswissenschaften hat, darin, dass sie auch zu den Geisteswissenschaften gehört, zu Kunst, Kultur und Gesellschaft. Dieser Umstand wird es uns erlauben, Überzeugung und Zweifel in einem austarierten Gleichgewicht zu halten und, hoffentlich, überzeugende, ja zwingende Sinn- und Argumentationszusammenhänge aufzubauen, die uns eine führende Position im Umgang mit heutigen Anforderungen einnehmen lassen. 140

Decker Yeadon, kinetisches, durch Nanoröhren aktiviertes Fassadensystem. Mit freundlicher Genehmigung von Decker Yeadon. Dieser Entwurf für ein aktives Fassadensystem beinhaltet Sonnenschutzelemente aus durchgehenden Bändern künstlicher Muskeln (links im Bild). Die Bänder bestehen aus elektroaktiven Polymer-Aktuatoren mit einer Kohlenstoff-Nanoröhren-Beschichtung. Die Bänder können sich in Reaktion auf die Sonne dichter oder weniger dicht anordnen und dadurch die Wärmeaufnahme durch Sonnenlicht kontrollieren. Durch eine solche Konfiguration kontrollierbarer Oberflächen arbeiten Decker Yeadon auch an der Vergrößerung der Oberflächen von fotovoltaischen Beschichtungen der dritten Generation.

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Daniel Pelosi, You’ve Gotta Have Faith, Rendering. Mit freundlicher Genehmigung von Daniel Pelosi. Pelosi entwirft eine Zukunft, in der technologischer Fortschritt mit zunehmender Umweltzerstörung einhergeht und in der unsere Zuflucht Innenräume sein werden. Sein Projekt beruht auf einer Nanofiltrationsfolie, die uns vor UV-Strahlung schützt und das Regenwasser und die Luft von Verschmutzungen reinigt. Nanospule. Mit freundlicher Genehmigung von “Piezoresistive InGaAs/GaAs Nanosprings With Metal Connectors.” Gilgueng Hwang, Hideki Hashimoto, Dominik J. Bell, Lixin Dong, Bradley J. Nelson und Silke Schön. Nano Letters 2009 9 (2), 554-561. © 2009 American Chemical Society. Eine 27 nm starke Nanospule mit zwei Metallverbindungen. Die dreidimensionale Struktur formt sich aus einer zweilagigen planaren InGaAs/GaAsPlatte selbst. Forscher haben demonstriert, dass Nanospulen als künstliche Bakterien-Flagellen und für winzige Roboter eingesetzt werden können und dass sie für die Umwandlung von linearer in kreisförmige Bewegung nützlich sind.

Zahnstangen-Ritzel-Vorrichtung im molekularen Maßstab. Franco Chiaravalloti, Leo Gross, Karl-Heinz Rieder, Sladjana M. Stojkovic, André Gourdon, Christian Joachim und Francesca Moresco. Aus: Nature Materials 6, 30-33 (2007). Abb. 1. Mit freundlicher Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd. Viele molekulare Komponenten von Nanomaschinen ähneln ihren großen industriellen Gegenstücken, so wie diese Zahnstangen-Ritzel-Vorrichtung (a). Jüngst wurde ein Ritzel aus einem einzigen Molekül mit einem Durchmesser von 1,8 nm entwickelt, ein sechszahniges, am Rand verbundenes Rad eines sich selbst zusammenbauenden molekularen Elements, welches als Zahnstange funktioniert. Die Rotation des Ritzel-Moleküls Zahn um Zahn entlang der Zahnstange lässt sich mittels einer Chemikalie beobachten, die auf einem der Zähne aufgebracht ist. Die chemische Struktur des Moleküls (b) besteht aus zwei Stickstoffatomen, Kohlenstoffatomen (hellblau) und Wasserstoffatomen (weiß).

Visionäre Projekte Lassen wir die schlechten Übersetzungen beiseite, die entstehen, wenn Forschungsneuheiten zuerst durch Publikumszeitschriften wandern und dann in Architekturprojekte eingehen: hie noch wissenschaftliche Hypothesen darüber, was erreichbar „sein könnte“, da dann Pressemitteilungen, was erreichbar „ist“, und dort schon Behauptungen der Architektur von etwas, das vorgeblich erreicht „wurde“. Jenseits davon gibt es eine wachsende Zahl provokativer architektonischer Beiträge, die die Debatte um Nanotechnologie in Architektur und Gesellschaft voranbringen. In der reichen Tradition visionärer Architektur stehend, nehmen die meisten dieser Beiträge an, dass Fortschritt in der Nanotechnologie etwas Gutes ist. Sie machen vorstellbar, warum nanotechnologische Entwicklungen wichtig und unserer Aufmerksamkeit und Anstrengung wert sind. Um dies zu bewerkstelligen, führen visionäre Arbeiten häufig neue Technologien an und legen dar, wie diese uns helfen können, bestimmte Probleme anzugehen. Dadurch sind sie dann auch gezwungen darzulegen, warum speziell Nanotechnologien wichtig für ein Projekt sind. Welches Problem können sie angehen, und warum sollten wir dem unsere Aufmerksamkeit schenken? Wofür sind sie erforderlich? Verbessern sie unsere derzeitigen Fähigkeiten in signifikanter Weise, oder bieten sie uns eine elegante, ungekannte Ökonomie der Mittel? Hydro-Net zum Beispiel legt ein überzeugendes kritisches Denken an den Tag, und die angeführte Technologie mag im Bereich des Machbaren liegen; aber sind die KohlenstoffNanoröhren wirklich zentral für das Projekt? Die mit Abstand seltensten und zugleich gelungensten Beiträge sind jene, die die Rolle der Nanotechnologie in der Architektur mit Ironie behandeln. Sie gehen über das Beschreiben der Möglichkeiten der Nanotechnologie in einem Projekt hinaus, zeigen das Versprechen der Nanotechnologie und durchdenken dabei deren Konsequenzen. (a)

(b)

Daniel Pelosi leistet mit seinem Projekt You’ve Gotta Have Faith (Abb.) einen bedrohlich anmutenden Beitrag über die Wechselwirkung zwischen den Problemen und den Versprechen der Nanotechnologie, projiziert auf das Jahr 2050. Teil des Beitrags sind gewisse substanzielle Eingriffe am Prada Flagship Store in Manhattan, einem Stück Technologie des frühen 21. Jahrhunderts. Prada gehört lange der Vergangenheit an, ebenso aber auch frische Luft, sauberes Wasser und unverseuchter Boden. 142

Molekulares Modell von Nanoauto-Teilen. Mit freund­licher Genehmigung von Tour Lab / Rice University. Die an der Rice University in Houston, Texas, hergestellten Nano-Autos sind nur wenige Nanometer lang. Sie können sich bei Zimmertemperatur mit einer Geschwindigkeit von 4,1 nm/sec bewegen. Sie besitzen einen licht­­akti­vierten Schaufelradantrieb, der auf dem Kohlenstoffrahmen des Autos aufsitzt. Für die Räder waren ursprünglich Buckyballs vor­ge­sehen, die aber die Lichtenergie einfingen, so dass sie durch Kohlenstoff und Bor ersetzt wurden.

Decker Yeadon, Greifer aus Kohlenstoff-Nano­ röhren. Mit freundlicher Genehmigung von Decker Yeadon. Nanostrukturen werden heute mittels Molecular-Modeling-Programmen entwickelt und getestet. Decker Yeadon benutzt NanoEngineer, eine von Nanorex Inc. entwickelte Software, um molekulare Projektkomponenten zu entwickeln und zu untersuchen. In der ursprüng­lichen Fassung von Decker Yeadons nBots-Projekt ermöglichen winzige Finger es den Nano-Robotern, sich aneinander festzuhalten und sich selbst zu Objekten zusammenzubauen. Der Querschnitt zeigt drei Kohlenstoff-Nanoröhren-Finger, die auf einem molekularen Lagergelenk rotieren können.

Die Habgier des Menschen hat die Umweltzerstörung an einen Punkt geführt, wo wir uns in das Innere ziehen müssen, um unser Heil zu finden. Anders als mancherorts vermutet ist es nicht die Liebe noch die Bombe, sondern die Umwelt, die uns zusammenbringen wird. Wie ein übergroßer Chemieschutzanzug sind die Gebäude in Pelosis Projekt von einer mehrschichtigen Nano-Filtrationsmembran umgeben, die vor schädlichen UV-Strahlen schützt, Verunreinigungen aus der Luft und aus dem Regenwasser filtert. Das Verhältnis zur Umwelt hat sich umgekehrt: eine reine, „natürliche“ Umwelt liegt innerhalb der Gebäudehülle, während die vom Menschen „geschaffene“ Umwelt draußen gehalten wird. Ironischerweise ist die Umweltzerstörung das Produkt desselben technologischen Fortschritts, auf den wir nun angewiesen sind. Hier ist der technologische Fortschrittswille sowohl Problem als auch Lösung, und das Projekt verspottet die menschliche Torheit, in Anbetracht überwältigender Gegenbeweise zu glauben, die Umwelt managen zu können.

Sowohl Pelosi als auch IwamotoScott führen uns einige der zukünftigen Auswirkungen der Nanotechnologie vor Augen. Ihre Arbeit signalisiert einen Wechsel weg vom heutigen ktur zurückPrimat des Neuerfindens hin zu einer Kultur des Erfindens. Die Vorsicht der Wissenschaft gegenüber Voraussagen macht die Beurteilung dieser Arbeiten nicht einfacher. Dies heißt aber nicht, dass nicht auch die Nanotechnologie ihre eigenen Visionäre innerhalb der Wissenschaftsgemeinde hervorgebracht hätte. Das Aufkommen neuer Materialien mit atomarer Präzision ging einher mit vielen zeitgleichen Entwicklungen von Nanomaschinen, und dies hat zu einigen abenteuerlichen Voraussagen für die Zukunft geführt. Von nanorobotischen Environments über Bitströme in der Blutbahn bis hin Desktop-Nanofabri­ken: Das Potenzial molekularer Maschinen scheint groß, unvorstellbar und von seltsamer Magie. dieser Vorschläge erscheinen kaum denkbar, doch ist ungewöhnlich für technologische Voraussagen, einige Zeit als unerreichbar zu gelten, bevor sie wirklich werden. Es ist nicht allzu Schallgeschwindigkeit als unerreichbar betrachtet wurde. Engines of Creation von K. Eric Drexler machte als 20 Jahren die bekannt und legte dabei molekularen Maschinen. Das Nanotechnologie uns am selbstreplizierende nanoskalige 143

Decker Yeadon, Rotaxane Molecular Motor. Mit freundlicher Genehmigung von Decker Yeadon. Rotaxane sind lichtangetriebene Motoren, die über ein Ringmolekül verfügen (im Bild nahe dem Zentrum), welches sich entlang des Schafts eines anderen Moleküls vor und zurück bewegt. Die beiden knollenförmigen Enden verhindern, dass der Ring vom Schaft rutscht. Die aktuelle Variante von Decker Yeadons nBots-Projekt benutzt modifizierte Rotaxane als molekulare Muskeln, mit denen sich die winzigen Roboter bewegen können. Zwei Rotaxane sind an den Enden verbunden und weisen zwei Ringe auf, an denen über Verbindungselemente flexible molekulare Balken befestigt werden können.

Künstliche magnetische nanostrukturierte Propeller. Mit freundlicher Genehmigung von Peer Fischer. Dieser Nanopropeller wurde mittels eines Si-Wafers und eines Rasterelektronenmikroskops abgebildet. Mit einer Breite von nur 200-300 nm passen Hunderte Millionen dieser Schwimmer in 1 cm2. Die magnetisierten rückseitigen Propeller treiben die Vorrichtung in Flüssigkeiten durch spiralförmige Bewegungen an. Die Schwimmer können kontrolliert Objekte bewegen, die ca. 1.000-mal größer als sie sind. Diese Vorrichtung ist ungefähr 20-mal kleiner als ein menschliches Spermium und so schnell wie ein Bakterium: sie bewegt sich mit 40 μm/ sec.

dass Nanobots Produkte selbstständig und industriell Atom für Atom, Molekül um Molekül aus einem Reservoir von chemischen Basiselementen herstellen könnten. Viele Forscher haben daran gearbeitet, diese Ideen voranzutreiben, während ihre Gegner es für unmöglich erklärten, solch winzige Maschinen mit solch einer Präzision herzustellen.7 Wir sind jedenfalls umgeben von einer Vielzahl von Indizien für molekulare Fabrikationsprozesse, und es könnte sein, dass Präzision sich dafür als weniger wichtig erweist denn Redundanz. Unter den richtigen Voraussetzungen wird eine Kartoffel eine Kartoffel hervorbringen, keine genaue Kopie, aber im Prinzip doch das Gleiche. Auch wir können uns natürlich replizieren und schlussendlich Handlungen von einer gewissen Nützlichkeit ausführen: Molekulare Maschinen erneuern fortwährend die Zellen in unserem Körper. Weltweit werden derzeit Hunderte von molekularen Maschinen und Geräten entworfen und entwickelt, viele für spezifische Aufgaben. Forscher haben Ein-Molekül-Zahnräder, -Schalter, -Achsen, -Räder, -Bremsen, -Rotoren, -Schlösser und -Zahnstangenlenkungssysteme gebaut (Abb. S. 142-146). Sie haben viele verschiedene Arten von molekularen Motoren für Ein-Molekül-Nanoautos und andere Maschinen gebaut, welche keinen Abfall produzieren, Objekte drehen können, die 10.000mal größer als sie selbst sind und sich der Geschwindigkeit biologischer Maschinen annähern. Molekularen Maschinen wurde beigebracht, sich zu drehen, zu biegen, zu knicken, ihnen wurde beigebracht, zu heben, zu schwimmen, zu schwärmen, zu lenken, zu gehen und sogar andere Moleküle aufzunehmen und gleich molekularen Kurieren an andere Orte zu transportieren. Auch wenn manche dieser Maschinen ihren großen industriellen Gegenstücken zu ähneln scheinen, sind sie doch unvergleichbar mit allem, was wir jemals zuvor konstruiert haben, und können in noch nie da gewesener Weise funktionieren. Im Büro des Autors wird erforscht, wie zum Beispiel Cluster von Rotaxanen als Aktuatoren verwendet werden können, die sich kraftvoll wie Muskeln spannen, aber keinen Abfall produzieren. Diese molekularen Maschinen bestehen aus zwei ineinandergreifenden Molekülen. Ein Molekül hat eine Hantelform mit einem dünnen Schaft aus Atomen und zwei knolligen Endstücken. Das zweite Molekül ist ein Ring, der den Schaft vollständig umgibt, aber nicht chemisch an ihn gebunden ist und dank der Stopper nicht abrutschen kann. Bei kontrollierter Stimulation der Rotaxane mit Licht oder Elektrizität folgt der Ring einem angeregten Elektron, während 144

Decker Yeadon, nBots schließen sich zu Strukturen zusammen. Mit freundlicher Genehmigung von Decker Yeadon. Die Standbilder zeigen eine Reihe von Rotaxanen bzw. Balken, die direkt unterhalb einer Schicht von Graphen angeordnet sind, die als Haut für die nBots fungiert. Das Graphen ist mit flexiblen Balken verbunden und faltet sich wie eine Haut, wenn die Rotaxane-Muskeln die Balken deformieren und eine Kontraktion der gesamten Konstruktion bewirken. Die nBots sind weich, klebrig und nass. Ihr Zusammenhalt basiert auf Van-der-Waals-Molekularkräften, welche von den Kohlenstoff-Nanoröhren bereitgestellt werden, ähnlich wie bei den Spateln am Zeh eines Geckos (Abb. S. 133). Die Haare der Nanoröhren sind so platziert, dass jeder nBot seinen Arm um seinen Nachbarn legen kann, so dass in kurzer Zeit Masse, Objekte oder Umgebungen aufgebaut werden können, die ihre Erscheinung und Eigenschaften schnell ändern.

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Faltungen von DNA in gekrümmte und rotierende Formen im Nanomaßstab. Hendrik Dietz, Shawn M. Douglas und William M. Shih. Aus: Science 325:725 (2009). Abb. S5. Mit freundlicher Genehmigung von AAAS. Die Programmierbarkeit von DNA hat in der letzten Zeit zu vielen Entwicklungen in der Nanotechnologie geführt. Hier zu sehen sind Zahnräder mit zwölf Zähnen, die mittels DNA konstruiert wurden. Die DNA erschafft komplexe Formen durch Rotation und Krümmung der Moleküle, so dass diese sich selbst zu nutzbaren Formen zusammensetzen können.

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es vor und zurück springt, von einer Position auf dem Schaft zur nächsten. In diesem Beispiel wird ein einfaches funktionalisiertes Material in ein komplexes Gerät verwandelt, in dessen Rahmen es sein eigener Sensor, Prozessor und Aktuator ist. Rotaxane formen die Muskulatur von einigen sehr kleinen robotischen Geräten, genannt nBots, die wir gegenwärtig entwerfen, in denen sie direkt unter einer Hülle aus Graphen angeordnet sind (Abb. S. 145). Unsere nBots würden sich in Objekte und Environments selbst organisieren, ähnlich den Foglets von Dr. J. Storrs Hall, jedoch würden nBots anstelle von mechanischen Greifern auf ihren Körpern verteilte KohlenstoffNanoröhren verwenden, um sich miteinander zu verbinden. Im Unterschied zu den „harten“ Foglets sind nBots weich, klebrig und feucht, sie verkörpern einige jüngere Überlegungen über die Zukunft der Nanomaschinen, insbesondere, dass die ersten avancierten Nanobots wahrscheinlich feucht und aus biologischen Komponenten zusammengesetzt sein werden. Es gibt bereits enzymbetriebene Antriebe für Nanomaschinen, die Sauerstoff produzieren, welcher Nanoröhren in Bewegung setzt. Enzymschlösser öffnen und schließen sich abhängig von sichtbarem und UV-Licht, und Kinesin-Molekülmotoren können Fracht aufnehmen, transportieren und abliefern. Aber bei weitem am interessantesten sind die DNS-basierten Nanomaschinen, da die DNS programmierbar ist. Sie kann programmiert werden, sich zu biegen und in komplexe Formen zu verdrehen, um nanoskalige Komponenten zu bilden, und es wurden eine Reihe von DNS-Nanomaschinen geschaffen, die auf Oberflächen laufen können. Ein DNS-Molekularmotor wurde gebaut, der seine Form je nach Wellenlänge des Lichts ändert, und DNS-Roboterarme können mehr und mehr vielseitige Aufgaben ausführen, einschließlich der Fabrikation. DNS-basierte Nanotechnologie ist seit 2006 in der Herstellung von Materialien und Geräten eingesetzt worden. Roboterarme können andere Moleküle und Nanopartikel auffangen und manövrieren, und DNS-Nanofabrikatoren haben erfolgreich andere DNS-Maschinen hergestellt, die laufen können. „Der Einsatz von DNS zur Zusammensetzung von Nanomaterialien ist einer der ersten Schritte hin zur Verwendung von biologischen Molekülen als Fabrikationswerkzeuge“, sagte Adam Lazareck, Forscher an der Brown University, damals, 2006. „Wenn man etwas erschaffen will, wende man sich an Mutter Natur. Von der Haut bis zu Seemuscheln werden bemerkenswerte Strukturen unter Benutzung der DNS ingenieurmäßig hergestellt.“8

All dies wird hier angeführt als Hintergrund für die Spekulation, dass noch in diesem Jahrhundert ein Entwerfer in der Lage sein könnte, eine Desktop-Nanofabrik aufzubauen, um Materialien und Geräte herzustellen, Atom für Atom, Molekül für Molekül. Die Zähmung der Atome wird sicherlich neue Möglichkeiten für Erfindungen bieten, sie wird aber auch größte Auswirkungen auf Architektur und Gesellschaft haben. Was ist zum Beispiel der Wert eines Gegenstandes, wenn man mit molekularer Fabrikation eine exakte Kopie herstellen kann? Unsere derzeitigen Techniken der Architekturproduktion sind vergleichsweise sehr ungeschliffen; unsere fortschrittlichsten Methoden können als um einige Schritte verbesserte Techniken des Schneidens, Formens, Gießens und Anordnens von Materialmengen verstanden werden. Auf seine Art ist der anfangs angesprochene selbstorganisierende Bart um ein Vielfaches avancierter. Wir werden im Zeitalter molekularer Fabrikation auf keine Präzedenzfälle zurückgreifen können, die wir „neu erfinden“, aber wir werden neue Gelegenheiten zum Erfinden haben, und wir können stolz darauf sein, zu wissen, dass jene ungewollte Behaarung immerhin auch wir geschaffen haben. Anmerkungen 1. Professor Norio Taniguchi von der Tokyo University of Science definierte als erster Nanotechnologie als „das Verarbeiten, die Trennung, Zusammenführung und Deformation von Materialien durch ein Atom oder durch ein Molekül” in seinem Text mit dem Titel „On the Basic Concepts of ‚NanoTechnology’“. In: Proceedings of the International Conference on Production Engineering, Part II. Tokio: Japan Society of Precision Engineering, 1974. S. 18-23. 2. Die genannte Lösung basiert auf dem „TEAM 0.5 transmission electron aberration-corrected Microscope” am National Center for Electron Microscopy des Lawrence Berkeley National Laboratory. 3. Zitiert aus „Nanostructures to Buildings: Generating an Architecture of Crystal Geometries”, ein Abstract von Benjamin Aranda, Daniel Bosia und Chris Lasch für NLSO (Non-Linear Systems Organization), University of Pennsylvania School of Design, 10. Oktober 2005. Siehe http://www.design.upenn.edu/new/arch/nlso/NSO%20sponsored%20research.pdf (konsultiert am 20. August 2009). 4. Ibid. 5. Ein geringes öffentliches Bewusstsein für Nanotechnologien wurde beschrieben in Woodrow Wilson International Center for Scholars News Release, Nr. 84-07, „Poll Reveals Public Awareness of Nanotech Stuck at Low Level”, 25. September 2007. Mit einer wachsenden Datenbank von über 2000 Eintragungen ist Nanoarchitecture.net die führende Informationsquelle für Architekten und Designer. 6. Pugno, Nicola M. „Macroscopic invisible cables”. In: Microsyst Technol (2009) 15. S. 175-180; DOI: 10.1007/s00542-008-0653-9. 7. Chang, Kenneth. „Yes, They Can! No, They Can’t: Charges Fly in Nanobot Debate”. In: The New York Times, 9. Dezember 2003. 8. „Brown Engineers Use DNA to Direct Nanowire Assembly and Growth”. Pressemitteilung der Brown University Media Relations, 10. Juli 2006. Siehe http://www.brown.edu/Administration/ News_Bureau/2006-07/06-003.html (konsultiert am 24. Juli 2009).

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Kodierung Digitale und analoge Taxonavigation

Lee-Su Huang und Gregory Thomas Spaw, Osnap!, Installation an der Harvard University Graduate School of Design, Cambridge, Massachusetts, USA, 2009. Vakuum-geformtes PETG-Plastik mit lasergravierter dichroitischer Folie (3M Radiant Light Film), Detail.

Liat Margolis

In der gegenwärtigen Flut des Hyper-Materialismus finden wir uns hin- und hergeworfen zwischen unseren Bekenntnissen zu Hochleistungs- und Umweltbewusstsein und unserer Faszination an waghalsigen Materialverformungen, unwahrscheinlichen Morphologien und einem sensorischen Extremismus des Luxus und der Effekte. Welcher Strömung wir auch folgen, immer wieder finden wir uns in einem Wirbel neuer Materialien wieder – von selbstreinigendem Glas, elektrolumineszierenden Folien, fotokatalytischem, duktilem, selbstheilendem, porösem Zement bis hin zu ultra-wärmeisolierendem geschäumtem Aluminium und superabsorbierenden Polymeren, die ausgelaufene giftige Flüssigkeiten im Nu aufsaugen können. Wir sehen uns vor eine „Hyper-Auswahl“1 gestellt und finden uns in einen unendlichen Materialdiskurs verwickelt. Die Erfindungen auf der molekularen Ebene der Materialkomposition sowie der Zustrom neuer Technologien, welche neue ästhetische und leistungsbezogene Möglichkeiten eröffnen, haben die Materialien der Gegenwart in ein immerwährendes Futur gesetzt. Die Gier nach Materialoptionen und das Verlangen nach Neuheiten haben die zeitgenössischen Spielarten von Material­ sammlungen und Klassifikationssystemen entstehen lassen. Obgleich großenteils auf technischer Expertise beruhend, sind diese neuen Mechanismen der Materialforschung auch zutiefst in den Prozess des technologischen Wissenstransfers involviert – einen fachübergreifenden Austausch zwischen oft nicht zusammenhängenden Arbeitsfeldern. Beides zusammen bildet die Basis für den Inhalt, den Content von Materialsammlungen, beides fordert aber auch neue Leitlinien und neue Wege der Informationsverknüpfung, um die Beschränkungen, die durch die konventionellen Grenzen der Disziplinen geschaffen wurden, weiter aufzuheben. Dem Überfluss an Materialien und deren häufige Anpassungs­­­ prozesse an immer andere Industrien setzen Klassifizierungssysteme aus Architektur und Bauwesen einen gewissen Widerstand entgegen, wie etwa dem US-amerikanischen Construction Specification Institute (CSI), das sich an vorge­ gebenen architektonischen Anwendungen orientiert. Wenn Innovation im Entwurf mit den angesprochenen Phänomenen der Hyper-Auswahl und des Technologietransfers umgehen muss, dann muss die Materialklassifizierung mittels einer flexiblen Kodierungsstruktur erfolgen, welche die spezifischen Materialeigenschaften mit einer Vielfalt möglicher Anwendungen in Beziehung setzt und auf diese Weise die klassifikatorischen „Ablagefächer“2 architektonischer Konventionen überwinden kann. Wie organisieren wir ein vereinheitlichtes

körperliches Archiv aktueller Materialmuster aus Mode, Bauingenieurwesen, Automobil- und biomedi­zinischem Design? Wie verknüpfen wir Taxonomien aus Metallurgie, Polymerwissenschaften und Botanik so, dass die Fachbereiche sich wechselseitig befruchten können? Und welche Bedeutung hat die Materialklassifizierung für den Entwurfsprozess und für die Entwurfslehre? Neusein Ein illustriertes Wörterbuch der heutigen Praxis, das Metapolis Dictionary of Advanced Architecture von 2003, vertritt den Standpunkt, dass sich die Architektur im heutigen Kontext einer Informationstechnologie, die neue Herangehensweisen an die Konzeption von Bauten und Städten fordert und fördert, nicht nur auf die fachlichen Standards verlassen könne, sondern auch auf Innovationen im Entwurf und Anwendungen neuer Techniken und Materialien zugreifen müsse.3 Die Autoren rufen nach einem relationalen, nicht-linearen Format für ihr Wörterbuch, um unterschiedliche konzeptionelle Rahmenwerke zu verlinken: „… eine Matrix von Begriffen, ein Netzwerk von Kodes“, das nicht nur offen für Querverweise ist, sondern auch einen Wandel in der Baukultur zulässt. Sie erklären: „Wenn in der Tat das Aufkommen des Neuen fast ausnahmslos Ungewissheit schafft (eben deshalb, weil wir nicht wissen, wie wir es benennen sollen, und es dadurch schwerfällt, seine Merkmale abzugrenzen und ihr Verhältnis zum Bestehenden zu erkennen), dann ist die Neubelebung und Neubestimmung der Sprache in konzeptioneller Hinsicht zwingend erforderlich für ein prospektives Handeln, das nicht bei der Anlage einer Sammlung unveränderlicher und alles abdeckender Etiketten stehenbleibt.“5 Das Metapolis Dictionary selbst kodiert zum Beispiel unsere zeitgenössische Verbindung des Begriffs „blur“ (Unschärfe) mit dem Blur Building von Diller + Scofidio für die Schweizer Expo 2002 in Yverdon. Vergleichbar mit den Praktiken des tagging, labeling, blogging und wikiing, ist die Taxonavigation ein selbstverständlicher Teil von Design und Architektur in Praxis und Lehre geworden. Die Gründer der in Paris ansässigen Materialbibliothek matériO, Daniel Kula und Élodie Ternaux, haben das Interesse an einer synthetischen, relationalen Datenstruktur bekräftigt und nennen als einen der ersten Kampfschauplätze (zugleich als Hauptmotivation hinter ihrer eigenen Arbeit) die Polysemie, die Mehrdeutigkeit in der Materialnomenklatur. In ihrem Buch Materiology von 2008 gestehen sie mit Ungeduld ein: „Eine der größten Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit 148

Harvard University Graduate School of Design, Materials Collection, Materialmuster.

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Harvard University Graduate School of Design, Materials Collection. Beispiel für Suchmöglichkeiten der Onlinedatenbank: Form (Gewebe) und Eigenschaft (korrosionsresistent).

dem Materialkonzept ist die Tatsache, dass dieses sich zahlreicher Hilfsmittel bedient, die sich nicht alle auf der gleichen sprachlichen Ebene bewegen… Sensorische Wahrnehmung, technische Beschreibung, wissenschaftliche Theorie und philosophischer Ansatz sind verschiedene Herangehensweisen, die bei einer Definition ineinandergreifen...“6 Im Titel dieses Buches, Material Design, verweist „Material“ zugleich auf Materie, auf die Alchemie des Periodensystems, und auf sein Bezugswort Design, Entwurf, das es mit einer Bedeutung entsprechend dessen wechselnden empirischen oder theoretischen Handlungsfeldern auflädt. So bezeichnet „Materialität“ in unserem Zusammenhang auch nicht nur konstruktive und ästhetische Kategorien, sondern ebenso Standpunkte zu den tatsächlichen oder möglichen Rollen von Materialien in der heutigen Kultur. Sensorisch, ideologisch (z. B. Nachhaltigkeit), konstruktiv, performancebezogen (z. B. biologische Sanierung, Selbstheilung), ökonomisch sinnvoll, neu oder veraltet – die Bedeutung von Materialien ist vielfältig. Dieser Sachlage entsprechend wurde das Format heutiger Materialsammlungen so strukturiert, dass es permanent Feedback-Schlaufen zwischen der Einführung neuer Materialien und der Neudefinition von Entwurfsformen, Prozessen und Kultur gibt. Die techno-kulturelle Feedback-Schlaufe lässt sich zum Beispiel in Kulas und Ternaux’ Beschreibung der parallelen Entwicklung von polymerer Elastizität mit der Faszination an Weichheit ablesen: „Häufig vielmehr als ‚nicht hart’ definiert, wird das Weiche zu einer beliebten Qualität: ‚Weich’ im Griff – von der Tastatur über andere Bedienelemente, Kosmetik, Schuhe bis hin zum Interieur von Autos setzen sich weiche, lockere Formen und reaktive Materialien wie Schaumstoffe mit Verzögerungseffekt, aber auch Gele im Medikamentenbereich durch. Weder fest noch flüssig, stellt das Weiche somit das Zwischenstadium par excellence dar, erregte jedoch nie die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler, die sich vielmehr für Materialeigenschaften interessieren, die als durch und durch nobel galten. Heute eröffnet die Weichheit neue Horizonte, bietet als Übergang zwischen den einzelnen Phasen zahlreiche Möglichkeiten und kann vielleicht gar als vierter Materialzustand angesehen werden. Allerdings handelt es sich um einen äußerst zwiespältigen, sowohl attraktiven als auch abstoßenden Zustand, von dem eine unbändige Berührungslust ausgeht und der eine ungeahnte Tiefe aufweist. Angenehm oder gefährlich? Weichheit fasziniert, weil sie an etwas Lebendiges erinnert.“7

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Material ConneXion, New York, New York, USA, Materialarchive und Muster.

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Material ConneXion, Köln, Deutschland, Materialarchive. iMatter, Holon, Israel, Materialmuster.

Diese technologische Agilität betrifft kulturelle Faszinosa und zeitgerechte Leitgedanken wie Weichheit, Transparenz, Ultra-Leichtigkeit, flüchtige visuelle Erscheinung und biologische Abbaubarkeit, um nur einige zu nennen. Obwohl Wissenschaftler und Ingenieure von der Objektivität von Materialfakten überzeugt sind, ist offensichtlich auch das Gegenteil wahr: Die Wandlungsfähigkeit der Bedeutung und Relevanz von Materialien liegt in deren Rekontextualisierung begründet.8 So sind dank der Nachhaltigkeitsthematik zum Beispiel Umweltverträglichkeitsprüfungen und Leistungsangaben zugänglicher geworden, was dann im Gegenzug wieder unsere Eloquenz in Umweltdingen im Entwurfsprozess gestärkt hat. Die Dringlichkeit der umweltbezogenen Agenda in den letzten 20 Jahren hat zudem die großen Kunststoffproduzenten dazu veranlasst, die Polymerisation von Stärke aus Rüben und Mais und die Herstellung von biologisch abbaubaren Kunststoffen umzusetzen. Sobald wir also dem Abweichen von den architektonischen Klassifikationssystemen den Weg bahnen, ergeben sich neue Betrachtungsweisen; neue Testparameter und qualitative Leistungsmerkmale werden identifiziert; und die Entwurfssprache macht einen Entwicklungsschub. Die Rekontextualisierung ist des Materialsammlers Königsweg zum Anstoßen von Innovation. Gattung: Unklassifizierbar Das MasterFormat des oben genannten Construction Specification Institute ist seit 50 Jahren der Standard unter den Klassifikations- und Spezifikationssystemen in den USA. Es organisiert Materialien hierarchisch, nach erstens, allgemeinen Materialgruppierungen wie Farbe, Laminat und Beton, und zweitens, Komponenten oder Systemen. Die Experten Michelle Addington und Daniel Schodek beschreiben diese Kategorien als nicht material- oder leistungsspezifisch – so beinhaltet die Fensterkategorie zum Beispiel mehrere Materialien wie Holz, Vinyl, Aluminium oder Stahl –, sondern diese geben den Anwendungsmöglichkeiten und gebräuchlichsten Verwendungen den Vorrang. Eigenschaften werden ausschließlich in Bezug auf Vorschriften und Anforderungen für vorgegebene Anwendungsfälle betrachtet. Holz zum Beispiel wird nur bezüglich seiner Tauglichkeit für lasttragende Dach- oder Bodenkonstruktionen dargestellt; Türen sind entsprechend ihrer Tauglichkeit für Sicherheit, Feuerschutz, Fluchtwege oder Nutzung für Gewerbe/Wohnen geordnet.9 Diese hierarchische und lineare Informationsstruktur beschränkt die Möglichkeit für unvorhergesehene Lösungen. Rollenbahnen 154

aus Edelstahlgewebe zum Beispiel würden hier wohl als Fördereinrichtungen klassifiziert, eine Kategorie, die man bei der Arbeit an Gebäudefassaden, Türen oder Wandstrukturen nicht unbedingt konsultieren würde. Und doch hat die heute verbreitete Anwendung von Metallgeweben ihren Ausgangspunkt in der Förderband-Industrie gehabt und viele wichtige Architekturprojekte ermöglicht, einschließlich Dominique Perraults Bibliothèque Nationale de France in Paris von 1995 und der Olympischen Schwimm- und Radsporthalle in Berlin von 1999 oder des Comme des Garçons Shop in New York aus dem Jahr 1998 von Studio Morsa. Im Gegensatz dazu würde ein Materialsammlungssystem das Förderband gemäß mehreren durchsuchbaren Eigenschaften aufführen, darunter Materialinhalt (Metall), Form/Struktur (Gewebe), Fabrikationsprozess (gewebt) und Eigenschaften (flexibel, korrosionsbeständig). Herkömmliche architektonische Kodierungen, so Addington und Schodek, dienen nicht der Anregung zu Innovationen, sondern als praktische Rahmenwerke für die Kommunikation zwischen Architekten, Bauunternehmern, Herstellern und Zulieferern.10 Daher werden Materialien auch strikt an der Stelle des Leistungsverzeichnisses am Ende des Entwurfsprozesses behandelt, statt Materialüberlegungen als iterativen und generativen Prozess in der Entwurfsentwicklung zu nutzen. Zu den Nebenwirkungen eines von der Leistungsbeschreibung aus aufgebauten Systems gehört im Allgemeinen das Ignorieren von neuen und ungewöhnlichen Materialtechnologien, weil der Blick auf Fragen der Haftung und die bekannten Größen gerichtet bleibt. Addington und Schodek merken an: „Für viele Nutzungen sehen die Regelwerke und Standards mehr oder weniger ausdrücklich die verwendbaren Materialien vor und beschränken den Architekten auf die Auswahl des Herstellers.“11 Die Abkehr von konventionellen Klassifizierungssystemen begann mit Material ConneXion Inc., welche 1996 eine noch nie da gewesene Materialbibliothek mit Beratungsdienst etablierten; ihnen folgten gewerbliche und akademische Institutionen, um den dringenden Bedarf nach den neuesten Materialentwicklungen sowohl zu decken als auch weiter anzufachen (Abb. S. 153, 154, 170). Den Hintergrund für Material ConneXion bildeten Ezio Manzinis Buch The Material of Invention von 1986 und zwei wegweisende Ausstellungen – „Mondo Materialis“, 1990 vom Gründer George Beylerian für die Steelcase Design Partnership organisiert,12 und „Mutant Materials“, 1994 kuratiert von Paula Antonelli vom Museum of Modern Art in New York.

Beide Ausstellungen legten ihren Schwerpunkt in bis dahin beispielloser Weise auf Materialien und deren wandelbare Wahrheiten. „Mutant Materials“13 im Speziellen sammelte erstmals Projekte entsprechend ihrer Materialzusammensetzung (z. B. Glas, Kunststoff, Keramik) und Leistung (z. B. Fotochromie, Elastizität, Formgedächtnis). Zum ersten Mal ausgestellt fand man Dinge wie den auf Glas aufgebrachten 3M Privacy Film (Flüssigkristallfolie), 1991 von Vitracon hergestellt, der seine Opazität von transparent zu opak verändert, wenn er einem elektrischen Feld ausgesetzt wird. Ebenfalls ausgestellt waren „Mobil“ Container Systems, 1993 von Antonio Citterio für Kartell S.p.a. entworfen, aus thermoplastischem Polymer mit dem Erscheinungsbild einer sandgestrahlten Glasoberfläche. Die Ausstellung drehte sich um den Materialgebrauch wie auch „Materialmissbrauch“14 durch den Entwerfer. Sie enthielt alles von Stühlen über Leuchten bis hin zu medizinischen Geräten, und die alles übergreifende vereinheitlichende sensorische Taktilität, die hier herrschte, legte Zeugnis ab von den materialtechnischen Triumphen dieser Zeit. Materialsammlungen Material ConneXion war der erste Versuch, aus dem Standardsystem des CSI auszubrechen und ein neues, auf Eigenschaften und Prozessen basierendes Datenbankmodell für die Materialklassifizierung zu entwickeln. Die Datenbank sah sich als das damals fehlende physische und digitale Forum für Designer, Materialwissenschaftler und die herstellende Industrie. Die fachübergreifende Forschungsplattform sollte möglichst viele gestaltende Disziplinen umfassen, von der Architektur bis zur Mode, und damit auch die Grenzen zwischen ihnen verwischen. Mit einer Sammlung von gegenwärtig mehr als 5.000 Materialproben, einer Galerie und einem Magazin namens Matter, hat diese moderne Wunderkammer15 die Schleusentore für den Kulturfetischismus des Materialsammelns geöffnet, und sie hat dem Crossover der Disziplinen durch ein neu ausgelegtes Klassifizierungssystem eine Stimme verliehen. Das Aufspüren und Erwerben des techno-kulturell „Neuen und Innovativen“ stand immer im Mittelpunkt der sammlerischen Bemühungen. Dafür gab es drei Hauptkriterien: neu im allgemeinen Sinn; neu für die gestaltenden Disziplinen; und konzeptionell auf einer Linie mit den neuesten thematischen Strömungen, beispielsweise einem Interesse an zellularen Strukturen und biomorphen Geometrien, das in der einflussreichen Publikation Emergence: Morphogenetic Design Strategies16 oder in der Zeitschrift Praxis, Journal of Writing + Building in dem Heft 155

Lee-Su Huang und Gregory Thomas Spaw, Osnap!, Installation an der Harvard University Graduate School of Design, Cambridge, Massachusetts, USA, 2009. Sequenz Montage.

zu „Expanding Surface“ über die Arbeit von Andrew Kudless von Matsys zum Ausdruck kam. In diesem Umfeld erkundet Material ConneXion die führenden oder sich herausbildenden Themen und richtet seine Erwerbsstrategie darauf aus. In anderen Fällen beeinflusst der Inhalt der Sammlung entwurfsbezogene Experimente. Zellulare Strukturen wie zum Beispiel von Honigwaben, mehrkernige Paneele, Aluminiumschaum und retikulierte Polymerschäume fanden sich in den Regalen vieler Sammlungen seit 1997. Inspiriert von solchen Mustern, studierten der Materialentwickler Panelite (dessen Arbeit weiter unten in diesem Kapitel beschrieben wird) und OMAs Materialforscher Chris van Duijn eine Reihe von zellularen Wandstrukturen, die auf der Geometrie eines Schwamms basierten, um flexible Präsentationssysteme für Mode in den Prada Stores in New York und Los Angeles zu entwickeln.17 Ein anderes Beispiel des Hinausgehens über konventionelle Materialklassifizierungssysteme ist die Materialsammlung Materials Collection an der Harvard University Graduate School of Design (GSD) (Abb. S. 150-152, 162). Gegründet im Jahr 2003, basiert sie weitgehend auf der gleichen Herangehensweise. Der Hauptunterschied gegenüber Material ConneXion liegt in dem Ziel, die sammlerische Betreuung in Verbindung mit dem aktuellen Architekturdiskurs und mit der Lehre an der GSD zu betreiben, um die materialtechnologische Forschung zu einem Forum für Lehrplanentwicklung, Publikationen, Konferenzen, Seminare und Musterbau zu machen. Ähnlich dem System von Material ConneXion sind das körperliche Archiv und die Onlinedatenbank der Materials Collection als ein mit Querverweisen arbeitendes Kategorisierungssystem angelegt. Zudem fließen auch die Ergebnisse der Entwurfsstudios und -seminare der GSD in die Sammlung ein. So entstand ein institutionsbasiertes Archiv der Materialtrends und -theorien. Materialsammlungen gibt es heute weltweit. Material ConneXion hat Zweigstellen in New York, Mailand, Köln, Bangkok und Daegu. Seit 2002 hat matériO Niederlassungen in Paris, Antwerpen und Barcelona. Materia gründete ein Materialzentrum in den Niederlanden; iMatter eröffnete 2007 in Holon in Israel (Abb. S. 154); das schweizerische Material Archiv wurde 2008 gegründet. Ihnen allen liegt die Geschäftsidee zugrunde, durch Beratungsdienste eine Zusammenarbeit zwischen den Entwerfern, der Industrie und den Wissenschaften zu fördern. Deshalb sind an einem Standort oftmals auch andere gewerbliche oder kulturelle Verbände angesiedelt, um lokale Netzwerke mit Trägern aus Wirtschaft und Kultur anzuregen und von ihnen zu profitieren. Die genannten

Organisationen arbeiten auf der Basis von Mitgliedschaft und sind zudem oft mit universitären Institutionen verbunden. Die meisten bieten Paketlösungen für Universitäten an, welche der gesamten Studentenschaft Zugriff gewähren; in manchen Fällen kann eine Auswahl der körperlichen Materialbibliothek, entsprechend der jeweiligen Lehrplanausrichtung, dupliziert und an der Universität eingerichtet werden. Einige Schulen oder Universitäten wie die GSD an der Harvard University, die University of Texas in Austin und Parsons School of Design in New York haben neben solchen Mitgliedschaften ihre eigenen körperlichen Musterbibliotheken und in einigen Fällen auch eigene Datenbanken angelegt. Einzigartig an diesen neuen Modellen von Materialsammlungen ist der Umstand, dass ihre Mitglieder und Nutzer aus unterschiedlichen Feldern stammen, was eine natürliche gegenseitige Befruchtung durch ihre unterschiedlichen Gestaltungsanforderungen und fachspezifischen Terminologien zur Folge hat. Als Material Research Director bei Material ConneXion leitete die Autorin Recherchen für das Automotive Design Team von BMW, das in Textilien integrierte Sensortechnologien und reaktive Textilien als Alternative zur Stahlkarosserie eines Wagens erforschte. Zur gleichen Zeit beriet sie Target bei der Entwicklung einer neuen Produktlinie von Elektrogeräten mit Philips Electronics und der Motorola Corporation; und ebenso die Kosmetikfirma AVEDA auf der Suche nach ökologisch verantwortlichen Materialien für die Verpackung ihrer Kosmetikprodukte. Zwei Jahre später brachte Target das Produkt Iridescent Evolution unter Verwendung von ChromaFlair auf den Markt, einer irisierenden Beschichtung, die in der Automobilindustrie weit verbreitet ist; und AVEDA verwendete bei der Einführung einer neuen Linie von Kosmetikprodukten einen Verbundkunststoff, der zu 70 % landwirtschaftliche Nebenprodukte wie Kokosfasern und Weizenspelze enthielt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Sammlungen ist das körperliche Materialarchiv, dessen Format so angelegt ist, dass in manchen Fällen vollkommen unerwartete Nachbarschaften von Materialien entstehen. Zum Beispiel findet man in Harvards Materials Collection in der Abteilung für Polymere nebeneinander eine das Sichtfeld kontrollierende Folie (View Control Film), die für Geldautomaten entwickelt wurde und unterschiedliche Transparenz abhängig vom Betrachtungswinkel aufweist, und eine Ethylen-Tetrafluorethylen-Folie (ETFE), die ursprünglich im Zusammenhang mit Beschichtungen in der Halbleiter- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie entwickelt worden war. Im Rahmen von herkömmlichen, anwendungsspezifisch ausgerichteten 156

Lee-Su Huang und Gregory Thomas Spaw, Osnap!, Ansicht.

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Katalogisierungssystemen würden diese beiden Folien niemals nebeneinander platziert werden oder im gleichen Resultat einer Datenbanksuche erscheinen. Beide wären wohl nicht einmal in einer konventionellen Architektur-Materialbibliothek enthalten gewesen. Und doch sind beide innerhalb der letzten zehn Jahre von Randerscheinungen in der architektonischen Anwendung zu äußerst gefragten Materialien avanciert. Die das Sichtfeld kontrollierende Folie zum Beispiel wurde in der 1998 von Toshiko Mori Architects für Issey Miyake entworfenen Pleats Please Boutique in SOHO in New York eingesetzt. ETFE wurde 2008 einem breiten Publikum bekannt durch den Einsatz von 100.000 m² Texlon® ETFE, produziert von Vector-Foiltec, bei den rund 4.000 luftgefüllten Kissen am Olympic Swimming Center („Water Cube“) in Beijing, entworfen von PTW Architects und Arup. Im Vergleich zu Glas hat ETFE nur 1 % von dessen Gewicht, eine bessere Lichtdurchlässigkeit, bessere Dämmeigenschaften und kostet zwischen 24 und 70 % weniger in der Installation. Es kann das 400-fache seines Eigengewichts tragen, bei einer geschätzten Lebensspanne von 50 Jahren, ist wiederverwertbar und, wie Teflon(®), nicht-haftend, nicht-färbend und erfordert insofern keine Reinigung. Eine Suche in konventionellen Architektur-Materialdatenbanken nach Fassadenmaterialien würde zum allgegenwärtigen Glas, Holz und Metall führen, wohingegen eine ungeplante Begegnung im körperlichen oder digitalen Archiv mit Folien, seien es fotovoltaische oder fotochrome, solche mit Lichtinterferenz oder Sichtfeldkontrolle oder auch elektrolumineszierende Folien, die Bedeutung der Grundkategorien, in denen wir Materialität verstehen, revolutionieren können. Analog Eine körperliche Materialsammlung hat drei Haupteigenschaften. Die erste ist das Eintauchen in ihre visuelle und taktile Präsenz. Oft wird kritisch angemerkt, besonders von Ingenieuren, dass die Auswahl von Materialien sich ausschließlich auf sensorische Eigenschaften stütze.18 Jedoch sind der unmittelbare sinnliche Eindruck, das Experimentieren und Testen, der Musterbau und der Vergleich verschiedener Materialpaletten tatsächlich essenziell für den Entwurf, selbst dann, wenn dahinter einige Nutzungs- oder Leistungsmerkmale, die von der CSI-Datenbank erfasst werden, zurückstehen. Entsprechend kann analoges Modellieren manchmal höchst effektiv in der Entwicklung einer Entwurfsidee sein, trotz der Verfügbarkeit von ausgefeilten parametrischen CAD-Programmen. Der optische Effekt von dichroitisch beschichtetem Glas zum Beispiel, bei dem das Lichtspektrum zugleich transmittiert und

reflektiert wird, ist besser mittels visueller Erfahrung als durch bloße Beschreibung zu verstehen. Man könnte sogar vermuten, dass der Begriff dichroitisch, wenn er im Zuge einer Datenbanksuche erscheint, mangels Vertrautheit damit ignoriert würde. Umgekehrt könnte der visuelle Reiz das Interesse wecken, die Vorzüge von dichroitischem Glas näher kennen zu lernen und dabei dann auf seine intensive Nutzung zum Beispiel in den Projekten von James Carpenter zu stoßen. Dies führt zum zweiten Aspekt einer Materialmuster-Bibliothek, dem Konzept, Materialien außerhalb ihres gewohnten Kontextes zu zeigen. Dieses Format erlaubt es, Materialien von typischen Assoziationen loszulösen, um neue Ideen von ihren physischen Eigenschaften abzuleiten. Die superdämmende Aerogel-Technologie zum Beispiel, die aus der Luft- und Raumfahrtindustrie stammt, wird heute viel für HochleistungsSportkleidung und Baupaneele verwendet; Gabionenkäfige, deren typische Nutzung in der Stabilisierung von Hängen liegt, bilden die temperatur- und lichtregulierenden durchlässigen „brise soleil“-Wände des Weinguts Dominus von Herzog & de Meurons in Napa Valley in Kalifornien; Gründachkonstruktionen arbeiten heute oft mit Geotextilien und Bioengineering, wie im Falle der California Academy of Sciences in San Francisco von Renzo Piano Building Workshop und SWA. Kurt W. Forster schreibt über die Arbeit von Herzog & de Meuron: „Das Transzendente, das Herzog & de Meuron in Materialien suchen, muss aus dem Projekt selbst entstehen, nachdem die Materialien aus ihrem gewöhnlichen Kontext herausgelöst oder von den Zwecken, für die sie üblicherweise eingesetzt werden, befreit worden sind. Im engen Rahmen aus Nutzanwendung und Konvention leisten Materialien keinen Widerstand. Erst verändert oder aus dem Bezugsrahmen hergebrachter Beziehungen herausgelöst, vermögen sie spezifisch architektonische Funktionen zu übernehmen. Es geschieht genau und ausschließlich in der Diskrepanz zwischen dem vertrauten Verwendungszweck und einem neu erfundenen, dass Materialien Charakter entwickeln.“19 Die Entwicklung der transparenten Wabenpaneele durch Panelite beispielsweise ist ein Resultat dieser Dekontextualisierung von Materialien. Während ihres Studiums an der Columbia University suchten die Firmengründer Emmanuelle Bourlier und Christian Mittman ein lichtdurchlässiges, tragfähiges und doch ultra-leichtes Material für Paneele zur Verwendung für eine Drehwand in einem Wohnhaus mit Schwimmbecken. Bei Material ConneXion fanden sie Wabenpaneele, die gewöhnlich beim Bau von Flugzeugflügeln eingesetzt werden. Als 158

OMA Rem Koolhaas, Student Center am Illinois Institute of Technology, Chicago, Illinois, USA. Panelite Wabenkern-Paneele, 2003.

Wabenkern-Zwischenschicht aus Verbundwerkstoff zwischen zwei Metallblechen hätte diese die Forderung nach einem guten Festigkeit-Gewicht-Verhältnis erfüllt, nicht aber die Vorstellung der Architekten von der gewünschten Transparenz. Im Zuge derselben Suche fanden sie auch ein transparentes Fiberglaspaneel und entschlossen sich zu einem eigenen „Material Design“ für ihr Projekt, indem sie den Wabenkern allein nahmen und eine inzwischen patentierte Klebetechnik zur Verbindung transparenter Platten entwickelten. Kurz darauf wurde Panelite gegründet, nicht nur als Hersteller von Wabenpaneelen, sondern auch als Materialdesigner, die in Zusammenarbeit mit Architekten neue Materialien erforschen und entwickeln. Die Wabenverbundstoffe zum Beispiel verkleiden nun das 2003 entstandene Student Center am Illinois Institute of Technology (IIT) von Rem Koolhaas/OMA (Abb.). Der dritte Aspekt von Materialsammlungen ist, dass sie von den gedanklichen Wegen und den experimentellen Absichten ihrer Mitglieder und Nutzer aus Praxis und Lehre getragen sein sollten. Auch in diesem Sinn gilt es, Materialsammlungen von den Spezifikationssystemen zu unterscheiden, deren Inhalte auf Industriewerbung ausgerichtet sind; kraft ihrer Autonomie haben sie ihren spezifischen Interessen und kulturellen Zusammenhängen zu entsprechen, nicht finanziellen Abhängigkeiten von der Industrie. Wichtiger noch ist die fachliche Fähigkeit der Trägerinstitutionen und der Sammlungskuratoren, die Inhalte entsprechend ihrer engagierten Auffassungen von den zeitgemäßen Konzepten und Richtungen weiterzuentwickeln. Nicht unähnlich einer Wunderkammer, benötigt die Tendenz zu hektischer und wahlloser Anhäufung von Materialmustern eine aufmerksame Sammlungsleitung, deren Expertise bei der Unterscheidung des Außergewöhnlichen vom Banalen in der Erkundung des „Zeitalters der Entdeckungen“ auf Augenhöhe mit Trendforschern und Architekturkritikern liegt. Bei Material ConneXion geschieht dies unter Einbeziehung einer Jury aus renommierten Gestaltern, die monatlich über die Aufnahme neu erworbener Materialien berät. Weil von Sinn und Bedeutung dieser Objekte der Begierde die Rede ist, können sie zu den aktuellen Architekturdiskursen beitragen und Diskussionsforen mittragen. Diese neue Spielart des „materialistischen“ Denkens hat in den letzten zwölf Jahren stetig an Glaubwürdigkeit gewonnen. 2007 begann Material ConneXion eigene Exzellenzauszeichnungen für Innovation in Entwurf (z. B. für Kennedy & Violich Architecture) und Material (z. B. für Concrete Canvas für das Concrete Cloth, ein zement-imprägniertes flexibles Betongewebe) zu 159

Beatrice Saraga, Wileen Kao, VERTical, Installation an der Harvard Graduate School of Design, Cambridge, Massachusetts, USA, 2007, Fabrikation, Detail Ansicht.

R&Sie, Lost in Paris House, Paris, Frankreich, 2008, Innenraum, Detail Ansicht.

vergeben. In Partnerschaft mit McDonough Braungart Design Chemistry, LLC (MBDC) und der Environmental Protection Encouragement Agency (EPEA) werden seit 2009 patentierte Cradle to CradleSM-Materialentwicklungsdienste angeboten, um geschlossene industrielle Kreisläufe bei Herstellern zu optimieren. Ähnlich den Modellen aus der freien Wirtschaft versteht sich die Materials Collection der GSD als ein Labor, genauer als ein Hybrid aus Bibliothek und Labor, angesiedelt tatsächlich zwischen der Bibliothek der GSD und den Holz-/ CAD-CAM-/Laserschneide-Werkstätten. Zum Beispiel mündete eine Studie über natürliche und polymere Geotextilien zur Erosionskontrolle in einem Prototyp für eine „grüne Wand“, mit der Behältnissysteme für erdreichlose Speichermedien wie Kokosfasern, superabsorbierendes Hydrogel-Gewebe und ausgedehnter Schiefer getestet wurden. Eine solche Plattform für spekulativen Erkenntnisgewinn bietet weitere Schnittstellen für die Zusammenarbeit mit ingenieur- und materialwissenschaftlichen Fakultäten, um regelgerechte Tests durchzuführen und neue Produkte patentieren zu lassen. Digital Sanford Kwinter schreibt in der Einführung zum Atlas of Novel Tectonics / Reiser + Umemoto: „Wenn ein Baum als Holzstütze oder -träger konfiguriert wird, geschieht dies dadurch, dass ein Set von Eigenschaften der Zellulose ausgewählt und zum Ausdruck gebracht wird; genauer gesagt ist es die Geometrie von Leitbündeln, die die Auswahl jener Eigenschaften der Zellulose trifft und deren wünschenswerte Festigkeiten und Flexibilitäten auf das Makrolevel des Gebäudes selbst überträgt. Wenn andererseits ein Baum als ein Scheit Brennholz konfiguriert wird, ist es das Feuer selbst – welches bereits im Holz existiert, schlafend oder unendlich verlangsamt –, welches ausgewählt und zum Ausdruck gebracht oder freigesetzt wird. Diese zwei Ausdrucksformen, chemisch und tektonisch, haben genau dieselbe körperliche Wirklichkeit. Der Form und Handlungskraft diagrammatischen Vorgehens haben wir es zu verdanken, dass solche unterschiedlichen Eigenschaften abrufbar und freisetzbar geworden sind. Es ist eine nicht zu unterschätzende revolutionäre Erkenntnis für das Entwerfen, diese ebenso einfache wie entscheidende Verwandtschaft zwischen ihnen verstanden zu haben.“20 Datenbanken dekodieren Attribute von Materialien mittels Listen von Begriffen, die – die Zusammensetzung (z. B. Metall, Polymer, Keramik, Glas), 160

– die Rohstoffform oder -struktur (z. B. Blech, Rolle, Flüssigkeit, Textilie), – den Herstellungsprozess (z. B. extrudiert, CNC-gefräst, versponnen, thermogeformt, gewoben-dreidimensional) und – Eigenschaften, Verhaltensmerkmale und ähnliche Attribute (z. B. antistatisch, magnetorheologisch, nährstoffliefernd, UV-resistent) enthalten. Dies erlaubt durch beliebige Kombination der aufgelisteten Eigenschaften eine zusammengesetzte Suche. Die ausgewählten Begriffe werden dann mit Hyperlinks versehen, um Querverweise zu ermöglichen. Zum Beispiel beginnt eine Suchanfrage mit dem Begriff Folie in der Kategorie „Form“ und führt womöglich zu einer großen Auswahl von Folientypen, darunter der 3M™ Optical Lighting Film, eine transparente prismatische Polykarbonatfolie, die benutzt wird, um die Lichtintensität in Lampen gleichmäßig zu verteilen. Dessen prismatische Mikrostruktur wird nun verknüpft mit dem Begriff „reflektierend“ in der Kateorie „Eigenschaften“ und mit einem Hyperlink versehen. Ein Klick auf den Begriff „reflektierend“ bringt an dieser Stelle einen neuen Satz von Materialresultaten, nämlich eine Reihe reflektierender Materialien, die nicht notwendigerweise Folien sind, darunter die retro-reflektierenden Mikro-Glaskugeln, die bei den Sicherheitskennzeichnungen von Fußgängerüberwegen zum Einsatz kommen. Während ihre Wirkung beim auftreffenden Licht der Autoscheinwerfer gemeinhin bekannt ist, dürften außer Straßenbauingenieuren und Baufirmen nur sehr wenige mit den Glasperlen vertraut sein oder um deren einzigartigen Herstellungsprozess wissen. Das in seiner Präzision und zugleich Nüchternheit klinisch anmutende Sezieren von Materialeigenschaften erlaubt eine Konzentration auf die je speziellen Eigenarten bei gleichzeitiger „Entspezialisierung“21 bezüglich vorgegebener Anwendungen. Aus dieser Perspektive betrachtet, werden alle Materialien zu Ausnahmen: Sie werden, mit anderen Worten, neu und innovativ. „Neusein“ wird zur Routine, zur Grundlage, manchmal sogar mit archaischen Zügen. Denn in der Tat erscheint die chronologische Neuheit von Materialien als ein relativ unbedeutender Faktor für Innovation, verglichen mit dem hier geschilderten Prozess der Taxonavigation durch ein rhizomartiges Netzwerk aus Daten, das unendliche Zugangsmöglichkeiten zu Informationen und eine endlose Zahl an Wechselbeziehungen bietet.

1:1 Ergänzend zur Dekodierung erlaubt die fotografische Darstellung jedes Materialmusters – herangezoomt, um seine Körnung und Mikrostruktur zu betonen – eine Suche nach den Spuren seines Herstellungsprozesses, jenseits seiner Ganzheit als fertiges, zur Anwendung bereites Produkt. Indem wir Materialien als Artefakte mit ihnen innewohnenden Ordnungen, Mustern und Verhaltensprinzipien auffassen und darstellen, ermöglichen wir die Projektion ihrer Mikrostruktur auf einen Maßstab, in dem architektonischer Raum definiert werden kann. Die Dekontextualisierung von Materialien, weg vom architektonischen Maßstab, formuliert also eine auf den Maßstab 1:1 bezogene Materialpraxis und -lehre, eigentlich also eine Maßstabslosigkeit, die eine Abstraktion von diesen Prinzipien bedeutet und dann zugleich die Hochrechnung auf viele Maßstäbe, Materialien und Kontexte zulässt. Vor diesem Hintergrund ist ein ebenso wichtiges Ziel des Aufbaus einer Materialtaxonomie in der Aneignung einer Terminologie zu sehen, aus der Metaphern für Entwurfsprozesse gebildet werden können. Veröffentlichungen wie The Function of Ornament22 von Farshid Moussavi und Michael Kubo, und Tooling23 von Benjamin Aranda und Chris Lasch sind zwei von vielen Beispielen, bei denen Operationen und Strukturen als Analysemethoden für die Bestimmung struktureller Effizienz und visueller Wirkung, anders gesagt, als die Artikulation von Ordnung im computergestützten Entwerfen aufgefasst werden. The Function of Ornament bietet drei Klassifizierungssysteme, die Tiefe, Material und Wirkung betreffen. Die Organisation eines Gebäudes wird nach dem Verzeichnis der Operationen und Herstellungsmethoden kodiert, welche dann die Wirkung und die Funktion der Fassaden definieren. So wird neuen Verwandtschaften zwischen architektonischen Typologien Legitimität verliehen. Das Vokabular von Materialoperationen, weder wissenschaftlich noch technisch exakt, wird hier in den Dienst der Auflösung der herkömmlichen Lesart von Fassaden gestellt, um eine funktionale Ordnung der Geometrien von Materialien herauszuarbeiten. In einer ähnlichen Weise greifen die Kategorien algorithmischer Techniken in Aranda/Laschs Buch Tooling – Winden, Verdichten, Weben, Mischen, Aufbrechen, Scharen und Kacheln – an dem Moment an, wenn formlose Materie, gleichsam Prä-Material, in das materielle Reich von Substanz und Organisation eintritt. Die taxonomische Kodierung, die die Autoren gleichsam als Rezept für einen programmbezogenen Computerkode anführen, 161

Harvard University Graduate School of Design, Materials Collection, Organisationsschema der Onlinedatenbank.

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Material

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Materials Acoustic Panel

Dichroic Glass Architectural Mesh

Insulating Glass

Interference Film Corrosion-resistant Property

Reflective Laminated Glass Coiled Wire

Pavement Markings Polycarbonate Glazing

Process

Woven

Conveyor Belt

Composition

Prismatic Film

Retro-reflective Tape

Metal

Wire Rope

Form

Mesh Safety Glass Spheres

Solar Heating Drapes

Stainless Steel Tiles

Woven Fiber Optics

162

lässt erkennen, dass die Eigenschaften ihrer Geometrien prozessorientiert ausgerichtet sind. Während der Algorithmus die Entstehung von Form automatisiert, erzeugt die kategoriale Formulierung des Prozesses das Futter für den Entwurf. „Das Winden lässt eine unvergleichliche Form entstehen, weil es selten als Geometrie, sondern meist als Energie erfahren wird.“ Die Unterscheidung zwischen Form/Gestalt einer Windung und ihrer Herausbildung („das Aufscheinen einer Gestalt in ihrer Entstehung“) eröffnet die Möglichkeit für noch eine weitere Definition von Materialität: als Autogenese einer Form durch die Prozesse ihrer Herstellung.24 Taxonavigation ist ein Modell, bei dem das Mittel des „Materialismus“ auf Spekulation statt auf Spezifikation, also auf spekulativer Erkenntnis statt auf der Vorgabe bestimmter Anforderungen beruht, um die normative Wahrnehmung von Material als einem reinen Gebrauchsgut zu überwinden. Das Ziel heutiger Materialsammlungen ist es, den Entwerfenden sowohl die Sprache als auch die übrigen Mittel für einen Dialog mit den Wissenschaftlern und den Herstellern an die Hand zu geben, damit sie aktiv Einfluss auf technologische Entwicklungen nehmen können. Ebenso zentral ist das Streben nach einer ausgeprägten und produktiven materialistischen Expertise, die in der Lage ist, zwischen technischen und theoretischen Konstruktionen hin- und herzuwechseln und daraus neue Erfindungen zu gewinnen. Diese Art von Materialismus muss als Teil des Entwurfsprozesses konzipiert werden, und deshalb müssen dabei ergebnisoffene Werkzeuge eingesetzt werden, die dieses besondere Verhältnis zwischen technischen und theoretischen Konstruktionen weiter auszuarbeiten erlauben und ebenso latente Materialeigenschaften zum Vorschein bringen.

Anmerkungen 1. Kula, Daniel, und Élodie Ternaux (matériÓ). Materiology. Handbuch für Kreative: Materialien und Technologien. Amsterdam: Frame Publishers/Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2009. S. 313. 2. Daston, Lorraine, „Speechless“. In: Things That Talk: Objects Lessons from Art and Science. New York: Zone Books, 2008. S 23. 3. Gausa, Manuel u.a. The Metapolis Dictionary of Advanced Architecture: City, Technology and Society in the Information Age. Barcelona: Actar, 2003. S. 15. 4. Ibid. S. 14. 5. Ibid. 6. Kula, Daniel, und Élodie Ternaux (matériÓ). Materiology. Handbuch... S. 326. 7. Ibid. S. 317. 8. Daston, Lorraine, „Speechless“... S. 17. 9. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials and New Technologies for the Architecture and Design Professions. Oxford: Architectural Press, 2005, S. 25 f. 10. Ibid. S. 26. 11. Ibid. S. 25. 12. „Mondo Materialis“ wurde im Anschluss in verschiedenen Museen gezeigt, darunter das CooperHewitt National Design Museum. 13. „Mutant Materials“: http://www.mutantmaterials.com (konsultiert am 4. September 2010). 14. Kennedy, Sheila, und Christoph Grunenberg (KVA). Material Misuse. London: Architectural Association, 2001. 15. Die Wunderkammer des 17. Jahrhunderts ist als eine Sammlung von Wundern, des Neuen, Seltenen und Ungewöhnlichen beschrieben worden – eine enzyklopädische Sammlung von ungleichartigen Objekten und Materialien aller Art und verschiedener Herkunft. Solche Sammlungen waren Ausdruck der Entdeckung der Neuen Welt, eines Zeitalters der Erforschung, „einer Periode sich rasch erweiternder Wissenshorizonte und der ständige Versuch, das scheinbar Unerreichbare zu erreichen”. Diese Zusammenstellungen waren als „Mikrokosmos im Universum gedacht – ein Makrokosmos“; ein Spiegel des gegenwärtigen Wissens, „unbhängig davon, ob diese Objekte vom Genie des Menschen oder von der Laune der Natur kreiert waren. Je seltener ein Gegenstand, desto attraktiver erschien er, ob es sich um einen kolossalen Riesenknochen oder einen wertvollen Fund in einer Mineralienader handelte, der von einem berühmten Goldschmied in ein glitzerndes Juwel verwandelt wurde.“ Siehe Wolfram Koeppe. „Collecting for the Kunstkammer“. In: Heilbrunn Timeline of Art History. New York: The Metropolitan Museum of Art, 2000. http://www.metmuseum.org/toah/hd/kuns/hd_kuns.htm (konsultiert am 4. September 2010). 16. Hensel, Michael; Achim Menges und Michael Weinstock (Hrsg.). Emergence: Morphogenetic Design Strategies, Architectural Design. London: Wiley-Academy, 2004. 17. Van Duijn, Chris: „Prada Bubble Mat Prototype“. In: Ferrer, Albert u.a., Verb Matters: a survey of current formal and material possibilities in the context of the information age: built, active substance in the form of networks, at all scales from the biggest to the smallest. Barcelona: Actar, 2004. S. 80-91. 18. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials... S. 29. 19. Forster, Kurt W. „Stücke zu vier und mehr Händen“. Ursprung, Philip (Hrsg.). Herzog & de Meuron: Naturgeschichte. Montreal: Canadian Centre for Architecture/Baden, Schweiz: Lars Müller, 2002. S. 56. 20. Kwinter, Sanford. „The Judo of Cold Combustion“. In: Atlas of Novel Tectonics/Reiser + Umemoto. New York: Princeton Architectural Press, 2006. S. 13. 21. Kula, Daniel, und Élodie Ternaux (matériÓ). Materiology Handbuch... S. 313. 22. Moussavi, Farshid, und Michael Kubo (Hrsg.); Zeichnungen von J. Seth Hoffmann u.a. The function of ornament. Barcelona: Actar, 2006. 23. Aranda, Benjamin, und Chris Lasch. Tooling. Vorwort von Cecil Balmond, Nachwort von Sanford Kwinter. New York: Princeton Architectural Press, 2006. 24. Ibid. S. 10, 12. Ich danke George Beylerian von Material ConneXion, Élodie Ternaux von matériO, Efrat Friedland von iMatter, Zaneta Hong von der University of Texas, Austin, und ebenso meinen Kollegen an der University of Toronto, Andrew Payne und Etienne Turpin, für die Anregungen in Fragen der Materialtechnologie wie auch die Großzügigkeit, mit der sie Informationen geteilt und die oben aufgeführten Ideen diskutiert haben. Des Weiteren danke ich Hugh Wilburn, Jane Hutton und Sophia Lau für ihre Mitarbeit in der Harvard GSD Materials Collection und Karen May an der University of Toronto für ihre Unterstützung bei der Visualisierung der Datenbank.

163

Die Zukunft von Material Design

Gramazio & Kohler, Architonic Concept Space, 2008, Detail Ansicht.

Thomas Schröpfer

Seit mehreren Jahrzehnten erlebt die Welt des Material Design einen bedeutenden Paradigmenwechsel. Neue Technologien bringen eine andere Ästhetik und eine bessere Materialperfor­ mance mit sich. Eine Flut neuer Materialien und Anwendungen, die auf Innovationen auf der fundamentalen Ebene der Mate­ rialzusammensetzung basieren, stellen die Art und Weise, in der wir Werkstoffe in der Architektur verstehen und mit ihnen umgehen, in Frage. Das bedeutet jedoch nicht, dass traditionelle Materialien – die uns vertraute Palette von Holz, Stahl, Beton, Glas und Kunst­ stoffen – in Zukunft weniger wichtig sein werden. Sie bleiben höchstwahrscheinlich die Grundlage des architektonischen Repertoires. Die Entdeckung ihrer Eigenschaften erfolgte über lange Zeiträume, ihr Einsatz wurde zum Teil über Jahrhunderte verfeinert.1 Holz ist ein solches Baumaterial, mit dem über Jahrhunderte experimentiert wurde, um Einheitlichkeit und Stabilität zu erreichen. Frühe Beispiele für die Laminierung von Holz wurden bereits in ägyptischen Gräbern gefunden. Aus China ist die frühe Verwendung von Bögen aus verleimtem Spanholz für Möbel bekannt. Es dauerte jedoch bis zum frühen 20. Jahrhundert, bis Holzwerkstoffe für eine breite Nutzung einfach genug herzustellen waren. Heute sind Produkte wie Leimbinder und Furnierschichtholzträger im Holzbau weit verbreitet. Und auch heute wird die Verwendung von Holz durch das Aufkommen neuer Generationen von Materialprodukten wie beispielsweise hochfester Textilien und Ligninklebstoffe weiter entwickelt. Dass neue Materialien oft in Verbindung mit etablierten verwendet werden, ist ein weiterer Grund für die teilweise neue Verwendung traditioneller Materialien. Beton ist ein weiteres Beispiel für ein Material, dessen Einsatzmöglichkeiten ständig weiter entwickelt werden. Materialwissenschaftler haben beispielsweise gezeigt, dass es durch die Beifügung von phosphoreszierenden anorganischen Pigmenten möglich ist, einen Beton herzustellen, dessen Oberfläche in der Nacht leuchtet.2 Neuartige Formen der Bewehrung erlauben es, extrem dünne Bauteile aus Ortbeton herzustellen.3 Und selbst einfache Materialien wie Anstrichfarben werden beispielsweise durch Beimischung fluoreszierender Pigmente aufgewertet. Es entstehen aber auch völlig neue Materialien, in einem Umfang und mit einer Geschwindigkeit, die mit nichts Vorherigem zu vergleichen sind. Eine Vielzahl von Entwicklungen in der Verfah­ rens­technik und der digitalen Fabrikation und Kommunikation schaffen eine Fülle von neuen Möglichkeiten: Klebstoffe, die

gebrochene Gliedmaßen kleben, Genmanipulationen, laserver­ siegelte Nähte für Kleidung, lichtemittierende Textilien, seine Farben wechselndes Geschirr, und Personal Mobile Information Devices sind nicht länger Wunschträume. Es scheint, als hätten diese Fortschritte in vielen Bereichen Grenzen überschritten; die Frage ist, warum nicht auch in der Architektur? Es ist an der Zeit, dass auch die Architektur von Innovationen in anderen Bereichen profitiert. Während die Auto-, Kommuni­ kations- und andere technologiebasierte Industrien in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte im Bezug auf die Materialver­ wendung gemacht haben, blieben die grund­legenden Konzepte und die Materialpalette in weiten Teilen der Architektur und des Bauwesens unverändert. Um sich weiter zu entwickeln, braucht es hier ein Überdenken der Grundlagen. Viele der interessan­ testen Entwicklungen in der Architektur finden gegenwärtig im Bereich des Material Design statt. Materialtechnologien Drei Gruppen von Innovationen lassen sich zusammenfassen: Verbundwerkstoffe bieten eine größere Effizienz, Smart Materials bieten ein größeres Performancespektrum, und Nano­ materialien – neben vielen anderen Qualitäten – bieten eine größere Anpassungsfähigkeit. Jede dieser Gruppen basiert auf der Entwicklung neuer Technologien und Verfahrensweisen. Verbundwerkstoffe Innovative Entwicklungen mit traditionellen Materialien sind im Bereich von Verbundwerkstoffen weit fortgeschritten. Im Betonbau zum Beispiel erlaubten neue Bewehrungstechniken dem Büro Anin, Jeromin, Fitilidis & Partner eine Ortbeton­ struktur von extremer Schlankheit (10 cm) für die Agentur LOOK UP zu verwirklichen.4 Im Glasbau erlaubte jüngst die Installation von großen Aussichtsboxen an Chicagos Sears Tower Besuchern, in einer Höhe von 412 m über der Straße 1,28 m vor der Gebäudehülle zu stehen. Verbundglas aus drei Scheiben chemisch gehärteten Glases mit Polymerfilm­ schichten wurde für alle fünf Flächen der Boxen eingesetzt und erlaubte Ausblicke, die von keinem Tragwerk oder opaken Böden beeinträchtigt wurden.5 Über ähnliche Elemente aus Verbundglas verfügen die in letzter Zeit gebauten Apple Stores, beispielsweise die Stufen monumentaler Vollglastreppen (Abb. S. 166). Jede Lage wird dabei mit der nächsten durch eine Ionoplast-Zwischenschicht verbunden. Die Glaselemente der Stufen werden durch maßgefertigte Titanium-Verbin­ dungsstücke punktgehalten, die erforderlichen Toleranzen 164

165

Bohlin Cywinski Jackson (Architekten) mit Eckersley O’Callaghan (Tragwerksplanung), Apple Store 5th Avenue, New York, New York, USA, 2006, Ansicht Eingang. Bohlin Cywinski Jackson (Architekten) mit Eckersley O’Callaghan (Tragwerksplanung), Apple Store West 14th Street, Innenraum mit Glastreppe.

werden von den Glas-Glas-Verbindungen aufgebracht. Die ästhetische Wirkung dieser Konstruktionsmethode ist so beeindruckend, dass es Steve Jobs, der Gründer und CEO von Apple Computers, und der Tragwerksplaner des Projekts, James O‘Callaghan, für angezeigt hielten, ein 14-jähriges Patent auf die Konstruktion zu beantragen. Ein weiteres gebautes Beispiel für das Experimentieren mit räumlichen und strukturellen Eigenschaften von Verbundglas ist Laminata, ein fast vollständig aus Glas bestehendes Haus des holländischen Architektenbüros Kruunenberg Van der Erve (Abb. S. 48, 54). Der Entwurf basiert auf den verschiedenen Graden der Transparenz von Glas, die mit vom Einsatz des Materials und seinem Betrachtungswinkel bestimmt wird. Für Laminata wurden Tausende identischer Glasscheiben so angeordnet, dass sie ein langgestrecktes massives Glasvolumen formten, welches dann in Längsrichtung geschnitten wurde. Insgesamt wurden 13.000 Glasscheiben für die Innen- und Außenwände verwendet. Diese variieren in ihrer Dicke von 10 cm bis zu erstaunlichen 170 cm. Trotz ihrer Massivität lassen auch diese Wände noch Licht durchscheinen. 6 Adaptive Materialien, Smart Materials, Nanomaterialien Während Verbundwerkstoffe größere Effizienz bieten können, erweitern Smart Materials das Spektrum der Materialperformance. Wie im Kapitel über „Reaktive Materialien“ von Sheila Kennedy erörtert (siehe S. 118-131), sind Smart Materials Materialien, deren chemische oder mechanische Eigenschaften ein „Verhalten“, eine umkehrbare Reaktion auf ihre Umwelt zeigen. Sie vermögen beispielsweise ihre Form oder Farbe in Reaktion auf physische oder chemische Einflüsse wie Licht, Temperatur oder das Anlegen eines elektrischen Feldes umkehrbar zu verändern.7 Smart Materials sind also in der Lage, kalibrierte Veränderungen ihrer Eigenschaften wie Dichte, Lichtdurchlässigkeit oder Bewegungen zu produzieren. Sie können in Semi-smart und Smart Materials eingeteilt werden, wobei der Hauptunterschied darin liegt, dass die Morphologien von Smart Materials endlos wiederhol- und umkehrbar sind, während das auf Semi-smart Materials nicht zutrifft. Obwohl adaptive und sich verändernde Materialien nichts vollkommen Neues in der Architektur sind, setzen sich doch die Intentionen und Methoden ihrer derzeitigen Verwendung von denen vorheriger Generationen ab. Dies hat Paradigmenwechsel bei der Gebäudeperformance mit sich gebracht, sowohl ökologisch als auch anderweitig, wie auch Möglichkeiten für nie zuvor gesehene visuelle Phänomene. In der Vergangenheit spiegelte der Einsatz adaptiver Materialien das zunehmend komplexere Verständnis ihrer Verhaltensweisen 166

wider. Seit Jahrhunderten haben Schreiner beispielsweise Bugholztechniken verwendet, um Holz so zu bearbeiten, dass es gebogen werden und für den Bau von Booten, Musikinstrumenten oder Möbeln eingesetzt werden kann. Diese und ähnliche Techniken wurden jedoch auf Materialien vor deren Einbau angewendet; die Veränderung des Materials erzeugte ein statisches Ergebnis, bezog sich also auf den Ausgangszustand des Materials. Heutzutage ist es jedoch die Dynamik der Materialveränderung, die Entwerfer interessiert. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen die Smart Materials, welche kein menschliches Zutun für ihr Funktionieren benötigen. Fotochromatische Gläser beispielsweise werden nicht wegen einer spezifischen Tönung unter Sonnenlichteinwirkung benutzt, sondern weil dieser Prozess umkehrbar ist und automatisch abläuft. Dieses Beispiel ist insofern typisch für Smart Materials, als die umkehrbare Reaktion, die in dem Material auftritt, an sich relativ konventionell und wenig spektakulär ist. Es ist die einfache Reaktion von Silberchlorid- oder Silberhalogenid-Molekülen, die ihre Form verändern, wenn sie UV-Strahlen absorbieren. Die Bedeutung von Smart Materials beruht auf ihrer Veränderbarkeit in einem Maßstab, der von uns wahrnehmbar ist. Es gibt sicherlich auf Oberflächen beschränkte Anwendungen mit visuellen Effekten, die nur begrenzt interessant sind, wie die „Appearing Pattern Wallpaper“, eine Tapete, die mit fotochromatischen Farbstoffen8 beschichtet ist, oder „Heat Chairs“, die mit einem thermochromatischen Anstrich9 versehen sind und von ihren Benutzern einen zeitlich begrenzten Eindruck zurückbehalten. Diese Anwendungen beeinflussen jedoch nicht die Performance eines Gebäudes. Wie es Ed van Hinte in seinem Buch Material World ausdrückt: „Ein Material ohne Kontext ist nicht mehr als ein langweiliges Spielzeug.“10 Unsere Aufmerksamkeit sollte sich eher auf Anwendungen wie thermochromatische Textilien richten, die dazu beitragen, Wärme in Innenräumen zu verringern, oder auf magnetorheologische Flüssigkeiten, welche ihre Flussrichtung innerhalb von Millisekunden in Reaktion auf ein magnetisches Feld ändern können und den Einsatz von noch nie dagewesenen großformatigen seismischen Dämpfern in Gebäuden ermöglichen. In diesen Dämpfern bestehen die magnetorheologischen Flüssigkeiten (oder MRFs) aus stabilen Suspensionen kleinster, magnetisch polarisierbarer Teilchen in einer nicht-magnetischen Trägerflüssigkeit. Durch die Anwendung eines magnetischen Feldes kann ihre Viskosität in Millisekunden variiert und reversibel verändert werden. Die Teilchen sind zufällig in der Trägerflüssigkeit

verteilt, und wenn sie einem elektrischen oder magnetischen Feld ausgesetzt werden, formen sie lange Ketten, die in der Lage sind, mechanische Lasten zu tragen, und durch äußere Einflüsse verformt oder gebrochen werden können.11 Smart Materials können die Effizienz von Gebäuden und insbesondere auch die Produktlebensdauer in der Baukonstruktion erhöhen. Farbstoffsolarzellen oder Dye Solar Cells haben gegenüber konventionellen, auf Fotovoltaik basierenden Solarzellen dadurch Vorteile, dass sie mit nur geringen Lichtmengen bereits Strom erzeugen. Sie können bei niedrigen und gemäßigten Temperaturen eingesetzt werden und haben eine relativ lange Lebensdauer.12 Anorganisch gebundene natürliche Verbundwerkstoffe verwenden ein ungiftiges Bindemittel für das Verbinden von Fasern mehrjähriger Pflanzen, um eine leichtgewichtige, druck- und biegeresistente, aus natürlichen Resourcen gewonnene Alternative zu Wabenelementen aus Kunststoff zu bieten.13 Diese auf Performance und Nachhaltigkeit setzenden Anwendungsarten von Smart Materials werden mit großer Wahrscheinlichkeit einen bleibenden Einfluss auch in der Architektur haben. Auch Eigenschaften im Nanomaßstab können Materialien transformative Qualitäten verleihen, aber typischerweise finden die Anpassungen und Wandlungen von Nanomaterialien auf einer Ebene mit solch kleinen Dimensionen statt, dass ihr Effekt für uns kaum wahrnehmbar ist. Obwohl der normale Nutzer die komplexen Abläufe dieser Technologien im Gebäude kaum bemerken wird, haben sie, wie von Peter Yeadon im Kapitel über “Materialisierungen der Nanotechnologie in der Architektur” dargestellt (siehe S. 132-147), doch eine bedeutende Wirkung für das Erleben von Architektur. Während frühere Materialklassifikationen die Bereiche der Bauindustrie nach den Typen wie Holz, Glas, Metall, Beton, Kunststoffe usw. eingeteilt haben, jeder mit seiner eigenen Forschung und seinen eigenen Interessengruppen, ist eine solche Nomenklatur für heutige Materialien nicht mehr angebracht. Nanomaterialien und Smart Materials können zum Beispiel nach funktionalen Gesichtspunkten in eigenschaftsverändernde und energie- oder materieaustauschende Materialien eingeteilt werden. Eigenschaftsverändernde Materialien können weiter unterteilt werden in formverändernde, farb- und optisch verändernde und adhäsionsverändernde Smart Materials, wie beispielsweise selbstreinigende Membranen, die mit Titandioxid (TiO2) behandelt wurden. Letztere Technologie ist mittlerweile weit verbreitet. Sie basiert auf den hydrophilen Eigenschaften 167

von Molekülen, welche in Verbindung mit UV-Strahlen nichtwasserbasierte Partikel abstoßen.14 Titandioxid wurde zunächst nur als weißer Pigmentfarbstoff eingesetzt, aber in jüngster Zeit wird es mehr und mehr dazu verwendet, in Verbindung mit Sonnenlicht Wasser zu reinigen. Ein fotokatalytisches Verfahren erlaubt nur die Aufnahme von Wasser durch die mit Titandioxid behandelte Fläche. Andere Substanzen wie Pestizide werden abgestoßen. Diese Eigenschaft bietet einfach zu reinigende, hydrophile Oberflächen, wie sie etwa bei der Kapelle des Osaka Hyatt Regency Hotel zum Einsatz kamen.15 Energieaustauschende Materialien können in lichtemittierende, stromerzeugende und im engeren Sinn energieaustauschende Smart Materials eingeteilt werden. Das Seniorenwohnhaus in Domat/Ems des Schweizer Architekten Dietrich Schwarz ist ein interessantes Beispiel dafür, wie neue Materialien eingesetzt werden können, um die Gebäudeperformance zu verbessern. Die Glasfassade besteht aus latent wärmespeicherndem Isolierglas. Das Dreifach-Isolierverglasungssystem verwendet dabei ein lichtlenkendes Prismaelement, um Licht im Sommer abzulenken und im Winter durchzulassen. Wenn der Sonnenstand in den Wintermonaten niedrig genug ist, um Licht durch das Prisma zu lassen, trifft es auf mit Salzhydrat gefüllte Elemente auf der Innenseite der Fassade. Das Sonnenlicht wird in Wärme umgewandelt und durch das Schmelzen des Salzhydrats gespeichert, welches seinerseits kristallisiert, wenn die Raumtemperatur sich abkühlt und seine gespeicherte Wärme in den Raum freigibt. Die Wärmeerhaltung wird weiter durch die Veränderung der Lichtdurchlässigkeit des Salzhydrats in seinen unterschiedlichen Zuständen unterstützt; in „ungeladenem“ Zustand sind die Elemente undurchsichtig und in „geladenem“ durchsichtig. Materieaustauschende Materialien sind eine kleinere Gruppe, die derzeit vorrangig aus ad- und absorbierenden Mineralien und absorbierenden sowie superabsorbierenden Polymermaterialien besteht. Auch wenn absorbierende und superabsorbierende Polymere nicht speziell für eine architektonische Anwendung entwickelt wurden, können sie doch für Anwendungen wie Abdichtungen gegen Regenwasser in Dachkonstruktionen oder gegen Grundwasser eingesetzt werden.16 Experimente Materialmanipulationen haben sich, wie schon angesprochen, zur Teilchenebene hin verschoben. Nanotechnologie erlaubt es der Wissenschaft, die Molekularstruktur eines Materials zu verändern, was zu verblüffenden Produkten führt. Für bestimmte Materialien werden neue Interaktionen elementarer

Teilchen erforscht, während die wesentlichen Bestandteile des Materials gleich bleiben. Bei transparenter Keramik zum Beispiel werden wie bei normaler Keramik Aluminiumoxidteilchen verwendet, aber es wird Argongas hinzugefügt, um die Keramikbestandteile auf ungefähr 500 nm, jenseits der Wellenlänge von sichtbarem Licht (jedoch über dem Limit von 100 nm, das den Bereich von Nanotechnologie definiert), zu komprimieren. Bei normalen polykristallinen Materialien werden die Lichtwellenlängen sowohl durch die Körnungsgröße der Teilchen wie auch durch den Abstand zwischen ihnen auf inkohärente Weise zerstreut, während sie durch das Material dringen, so dass, obwohl das Material eigentlich porös ist, das menschliche Auge es als lichtundurchlässig wahrnimmt. Wenn die Teilchen auf eine Größe reduziert werden, die kleiner als diejenige der Wellenlänge von Licht ist, wird das Licht nicht länger zerstreut und das Auge nimmt das Material als transparent wahr. Auf diese Art behandelte Keramik ist extrem unelastisch, hart, kratz- und abnutzungssicher und resistent gegenüber aggressiven Umwelteinflüssen; das neue Material hat die Transparenz von Glas und ist dreimal härter als Stahl.17 Transparente Keramiken dieser Art werden bereits in wissenschaftlichen Bereichen (zum Beispiel bei Hochenergielasern, in der medizinischer Bildgebung und der Weltraumerforschung) wie auch in militärischen und sicherheitsrelevanten Bereichen (zum Beispiel in transparenten gepanzerten Fenstern und infrarotgesteuerten Raketen) eingesetzt und haben ein großes Potenzial als Baumaterialien. Mit ihren stoßfesten Eigenschaften können transparente Keramiken zur Erdbebensicherung und zur Aufnahme von Windlasten und anderer Querkräfte verwendet werden. Wenn transparente Keramiken einen Großteil dieser Kräfte in einem Gebäude aufnehmen könnten, würde beispielsweise der konventionelle Umgang mit Fassaden zu einem gewissen Grad obsolet werden. Bei anderen Materialien experimentieren Wissenschaftler mit den bewährten Herstellungsmethoden und -prozessen. Porzellanfolien sind ein Beispiel für die Umarbeitung herkömmlicher Methoden für neue Produkte. Anstelle der Porzellanherstellung mit Formen und durch Brennen benutzen Porzellanfolien eine Technik, die gewöhnlich verwendet wird, um keramisches Pulver zu Leiterplatten oder elektrischen Isolatoren zu verarbeiten. Das resultierende Produkt ist ein dünnes Blatt Porzellan, 200 μm bis 1,5 mm dick, das auf zuvor nicht vorstellbare Weisen weiter gefaltet, zerschnitten, gestempelt, laminiert oder geprägt werden kann.18 Diese Folien können für plastische und ornamentale Zwecke in der Architektur eingesetzt werden. Ein anderes Beispiel für diese Herangehensweise ist 168

Ali Rahim und Hina Jamelle/Contemporary Architecture Practice, Wohnturm, Dubai, Vereinigte Arabische Emirate, 2008, Ansicht, Rendering.

das „Schweißen“ von Holz, eine neu entwickelte Technologie, die Ultraschallenergie benutzt, um poröse Materialien mit thermoplastischen Elementen zu verbinden. Dies ermöglicht die Herstellung von Möbeln, Fensterrahmen und Türen ohne Standard-Verbindungselemente, so dass die Verbindungen jedwede Form und Gestalt annehmen können.19 Eine dritte Gruppe der auf atomarer Basis rekonfigurierten Materialien sind solche, deren Zusammensetzung zugunsten einer geringeren Umweltbelastung komplett neu definiert wird. Viele dieser Materialtypen setzen sich aus verschiedenen biologisch abbaubaren Elementen zusammen. Die vielleicht bekanntesten und verbreitetsten Beispiele sind Plastikwasserflaschen und Geschirr aus Mais. Derzeit werden neue Materialien aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt, die nach ihrer Nutzung komplett kompostierbar sind.20 Produkte aus diesen Kunststoffen könnten Einfluss auf die Baubranche nehmen, zum Beispiel durch die Entwicklung von temporären Verschlüssen, Behältern und Ähnlichem, die sich nach ihrer Nutzung auf der Baustelle vor Ort biologisch abbauen, statt auf Deponien verbracht zu werden oder zunächst als Müll auf der Baustelle zurückzubleiben. Heutzutage können biologisch abbaubare Rohmaterialien wie Sägemehl oder Holzschnitzel unter Verwendung von Mais und natürlichen Harzen oder biologisch abbaubaren Kunststoffen in Pellets umgewandelt werden. Pellets werden in extrudierbare Formen eingearbeitet und dienen damit der Herstellung von Profilen, welche biologisch abbaubar, wiederverwertbar, stabil, steif und nicht brennbar sind. Forschung Um diese und andere Materialentwicklungen zu unterstützen und zu fördern, wurden neue Forschungseinrichtungen gegründet. Wie in „Kodierung – Digitale und analoge Taxonavigation“ von Liat Margolis dargestellt (siehe S. 148-163), gibt es eine zunehmende Zahl von Institutionen, die sich dieser Aufgabenstellung widmen, wie zum Beispiel das Center for Intelligent Material Systems and Structures des Virginia Polytechnic Institute und das Textiles Nanotechnology Laboratory der Cornell University. Das in Kalifornien ansässige Institute for Molecular Manufacturing betreibt Nanotechnologie-Forschung, und in Zusammenarbeit mit seiner Partnerorganisation, dem Foresight Institute, unterstützt es Bildungsanstrengungen rund um die Nanotechnologie. Material ConneXion, eine Organisation mit großer Präsenz im Bereich des Material Design, kuratiert nicht nur eine große Bibliothek neuer, innovativer und nachhaltiger Materialien und Prozesse, 169

Material ConneXion, New York, New York, USA, Materialarchive und -muster.

170

Hochschule für Gestaltung Offenbach, Achim Menges (Leitung), Steffen Reichert, Reaktive Flächenstruktur aus Furnierelementen, Deutschland, 2007, Ansicht und Details.

sondern bringt auch Wissenschaftler und Materialspezialisten verschiedener Disziplinen zusammen, um innovative Lösungen für eine große Bandbreite von Problemen zu entwickeln (Abb. S. 153, 154, 170). Diese internationale Gruppe betreibt auch Materialforschung, um den strategischen Wert von Materialien und nachhaltige Materiallösungen voranzubringen. Entwurfsmethoden Neben einer wachsenden Zahl neuer Materialtechnologien fordern auch neue Entwurfsmethoden die traditonellen heraus. Computergestütztes Design hat das architektonische Entwerfen in vielfältiger Weise beeinflusst, zuletzt durch das Aufkommen von auf Algorithmen und Parametern basierenden Formen. Doch sind die auf diese Weise entstandenen Projekte in Bezug auf ihre Materialität oft nur wenig definiert. In ihrer Kritik dieses häufigen Fehlens von Materialität beim computergestützten Entwerfen argumentieren die Architekten Achim Menges und Michael Hensel für einen integrativeren Umgang mit den neuen Technologien und kritisieren „die zugrunde liegende verarmte Vorstellung von Formfindung, welche sich auf verschiedene digital gesteuerte Prozesse stützt und in Formen resultiert, die losgelöst von Material- und Konstruktionslogik bleiben”. Aus ihrer Sicht sollten Materialsysteme eine kreative Rolle im Entwurfsprozess spielen und zu „einem Verständnis von Form, Material, Struktur und Verhalten führen, das diese nicht als getrennte Elemente, sondern als komplexe Wechselbeziehungen versteht”.21 Ein Beispiel für diesen Ansatz ist Steffen Reicherts Installation Responsive Surface Structure, bei der die hygroskopischen Eigenschaften von Holz untersucht und in einer Struktur entfaltet werden (Abb.). Das Projekt nutzt die inhärenten feuchtigkeitsabsorbierenden Eigenschaften von Holz und die damit verbundene differenzielle Oberflächenausdehnung. Diese Eigenschaft macht die Installation zu einem Luftfeuchtigkeitssensor, Aktuator und Regelelement, alles in einem einzigen Bauteil kombiniert, einem feuchtigkeitsempfindlichen Furnierelement, das auf einem tragenden Unterbau aufgebracht wird. Wenn das Holz einem hohen Luftfeuchtigkeitsgehalt ausgesetzt ist, quillt es und die anschließende Oberflächenausdehnung löst eine Deformation aus, die eine Lücke zwischen dem Unterbau und dem Furnierelement schafft und in einer veränderten Durchlässigkeit der Gesamtstruktur resultiert. 22

Digitale Fabrikationsmethoden In Verbindung mit diesen Fortschritten im computergestützten Entwerfen machen der schnelle Prototypenbau, das „Rapid Prototyping“, und andere neue Fabrikationsmethoden die Herstellung maßgefertigter Komponenten leichter und erlauben so das Experimentieren mit neuen tektonischen Formen und Sprachen. Digitale Fabrikationswerkzeuge wie CNC-Maschinen („computer numerically controlled“ Schneidelaser, Fräsen, Sägen und Bohrer) und vielfältig einsetzbare Roboter, sogenannte „Universal Robots“, machen die Herstellung von maßgefertigten Bauteilen zu vergleichsweise geringen Kosten möglich (Abb. S. 24, 40, 56). Obwohl Architekten das Potenzial von CNC-Maschinen bereits seit einigen Jahren erforschen, waren es doch oftmals die hohen Kostenund Unterhaltsanforderungen dieser Maschinen, welche Experimente auf gut finanzierte Universitäten oder mit diesen zusammenarbeitende Architekten beschränkt haben. Universal Robots sind kostengünstiger, da sie von Benutzern in anderen Bereichen wie beispielsweise der Automobilindustrie, die diese in großer Zahl einsetzt, gebraucht gekauft werden können. Die Erforschung der potenziellen Einsatzgebiete für diese Fabrikationswerkzeuge hinkt jedoch hinter den CNC-Maschinen her, vielleicht auch wegen der großen, mit dieser Technologie verbundenen Platzanforderungen. Das in New York ansässige Architekturbüro SHoP hat sich in einer Reihe von Projekten mit diesen Technologien auseinandergesetzt und leicht zu fertigende Bauteile entworfen, die von vergleichsweise wenigen ungelernten Arbeitskräften schnell zusammengebaut werden können. Projekte wie Dunescape im P.S.1 Contemporary Art Center des Museum of Modern Art in New York (Abb. S. 172), das Virgin Atlantic Clubhouse am John-F.-Kennedy-Flughafen, ebenfalls in New York (Abb. S. 173), und die Camera Obscura für den Mitchell Park auf Long Island (Abb. S. 179) verwenden alle eine Kombination aus solchen Technologien, mit denen maßgefertigte Bauteile bei relativ geringen Fabrikationskosten und unter minimaler Anleitung zusammengefügt werden. Für Dunescape wurde eine Holzstruktur aus 6.000 individuellen Zedernholzelementen entworfen, die unter Verwendung von Scharnieren auch verschiedene Sitzmöglichkeiten und Wände ausbilden. Da das Budget für das Projekt sehr begrenzt war, wurde der Aufbau zum größten Teil von ehrenamtlichen Arbeitern ausgeführt. Um die Kosten für gelernte Arbeitskräfte auch beim Virgin Atlantic Clubhouse auf einem Minimum halten zu können, entwickelten die Architekten einen standardisierten Montageprozess, der aber dennoch die Verwendung maßgefertigter Bauteile 171

SHoP Architects, Dunescape im P.S.1 MoMA, Long Island City, New York, USA, 2000, Schnitte.

SHoP Architects, Dunescape, Details Konstruktion und Ansicht.

erlaubte. Die Fabrikation der Fassadenelemente wurde unter Verwendung einer CNC-Fräse automatisiert. Um Arbeits- und Bauauflagen für Innenraumarbeiten zu vermeiden, wurden alle Bauteilmaße klein genug gehalten, um sie als Möbelstück statt als Bauelement zu klassifizieren. Die Einzelteile wurden nummeriert und mit Abstandsbohrungen versehen. Beim Projekt Camera Obscura erlaubte eine ähnliche Nutzung von CNC-gefrästen individuellen Bauteilen den Zusammenbau durch nur zwei Arbeiter in relativ kurzer Zeit. Ein bezüglich der Herstellungsmethoden ähnliches Beispiel ist Voromuro (Abb. Cover, S. 35, 175), eine von Office dA für das Institute of Contemporary Art (ICA) in Boston entworfene Installation, die bereits im Kapitel „Eine schwierige Synthese“ von Nader Tehrani vorstellt wurde (siehe Seite 34-47). Ausgangspunkt war ein Voronoi-Diagramm, eine besondere Art der Dekomposition eines metrischen Raumes, der durch die Entfernungen zu einer Reihe räumlich verteilter Objekte bestimmt wird. Das Voronoi-Diagramm wurde in die dritte Dimension erweitert und entlang einer Kurve gedreht, um ein wellenförmiges, zellulares Muster zu erzeugen, in dem das parametrische und das tragende System identisch sind. Flache, durchscheinend weiße Kunststoffpaneele aus glykiertem Polyäthylenterephthalat (PETG) wurden zu 600 unterschiedlichen Profilen CNC-gefräst, zu geschlossenen Schalen gebogen und miteinander vernietet. Parametrische Entwurfsmethoden machen auch die Neuverwendung bekannter und gebräuchlicher Baumaterialien in hochpräzisen Kompositionen möglich. Zelluläre, in der Natur auftretende Muster sind die Grundlage von Bamboo Oblique, einem von Schröpfer + Hee entworfenen Pavillon für die Design Biennale 2009 in Gwangju in Südkorea (Abb. S. 174, 175). Dabei kamen digitale Techniken zum Einsatz, die fraktale Muster einer Aggregation von Bambus in einer präzisen kubischen Form bestimmen. Materialoptimierung wurde hier durch einen Prozess erreicht, bei dem eine ökonomische Bündelung von geschnittenem Bambus auf jeder Seite des Kubus gewährleistet wurde. Jede Wand wurde dabei individuell dem gewünschten Lichteinfall im Inneren angepasst. Neuartige Verbundwerkstoffe und digitale Fabrikationstechniken wurden bei Lounge Landscape, einem Studentenprojekt der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach unter Leitung von Achim Menges eingesetzt (Abb. S. 176). Der Entwurf basiert auf einem Wellenfeld, welches unter Verwendung digitaler Werkzeuge entwickelt wurde. Die modulierte 172

SHoP Architects, Virgin Atlantic Clubhouse, New York, New York, USA, 2004, Materialschablonen und Axonometrie der Konstruktion.

173

Schröpfer + Hee, Bamboo Oblique Pavilion, Gwangju Design Biennale, Südkorea, 2009, Ansicht.

174

Office dA, Voromuro, Boston, Massachusetts, USA, 2007, Ansicht und Detail.

Benc The proje thro

Schröpfer + Hee, Bamboo Oblique Pavilion, „Packing“ des Materials und Teilaxonometrie.

N

Oberfläche stellt eine Auseinandersetzung mit normativen Typologien des Sitzens und Liegens dar. Zur Herstellung wurden CNC-Fräsen eingesetzt, um eine Schaumstoffform zu erstellen, von der sechs geometrisch einzigartige Oberflächen abgeleitet wurden. Die Masterform wurde versiegelt, beschichtet und durch eine mit einem Marker ausgestattete CNC-Maschine mit entsprechenden Flächenumrissen markiert. Zwei Schichten aus Fiberglas wurden über der Form vakuumgeformt und ein flexibler dreidimensionaler Abstandshalter wurde zwischen ihnen gespannt. Viele dieser Experimente sind faszinierend, bewegen sich bisher aber häufig nur auf der Ebene von Installationen und Innenraumgestaltungen. Digitale Fabrikationswerkzeuge haben jedoch auch ein großes Potenzial für die Schaffung von widerstandsfähigen Materialien im architektonischen Maßstab. Ein Beispiel dafür ist die von Neutelings Riedijk Architecten entworfene Glasfassade für das Niederländische Institut für audiovisuelle Medien (Abb. S. 176, 177). Die Identität des Institutsgebäudes wurde mit Hilfe von Standbildern aus Fernseharchiven geschaffen, die auf 748 individuelle farbige Glasscheiben mit Hochreliefs übertragen wurden. Für jedes Glaselement wurde dabei ein Positiv des ausgewählten Bildes in eine MDF-Platte CNC-gefräst. Diese Platten wurden dann mit einer Keramikpaste beschichtet, auf eine Sandform gelegt und auf 820° C erhitzt. Die hohe Temperatur ließ das Glas schmelzen und die Gestalt der Gussform annehmen. Gleichzeitig wurde die keramische Paste des Bildes in das Glas gebrannt. Die resultierende Textur produziert ephemere Lichteffekte und schafft ein einzigartiges architektonisches Erlebnis. Die Schweizer Architekten Fabio Gramazio und Matthias Kohler haben mit ihrer Fassade für das Weingut Gantenbein einen individuellen und technologisch innovativen Entwurf aus wellenförmigem Mauerwerk umgesetzt (Abb. S. 56, 57). Dabei kam für die Konstruktion ein computergesteuerter Industrieroboter zum Einsatz. Das Programm des Projekts umfasste Räume für die Weinfermentation, welche mit versehen werden sollten, die sowohl als Temperaturzwischenspeicher funktioniert als auch direkte Sonneneinstrahlung, die den Gärungsprozess beeinträchtigen könnte, kann. Die Architekten entschieden aufgrund der thermischen Masse von Ziegeln „pixelhaften“ Eigenschaften des Materials des Lichteinfalls. Um Gärungsraum exakt kalibrieren zu können, wurde ein Produktionsverfahren verwendet, Ziegelsteine 175

Hochschule für Gestaltung Offenbach, Achim Menges (Leitung), Nicola Burggraf, Susanne Hoffmann, Steffen Reichert, Nico Reinhardt, Lounge Landscape, Deutschland, 2007, Ansicht und Materialdetail.

Neutelings Riedijk Architecten, Niederländisches Institut für audiovisuelle Medien, Hilversum, Niederlande, 2006, Fassade.

präzise nach programmierten Parametern verlegt wurden – im gewünschten Winkel und in exakt bestimmten Abständen. Dies erlaubte es den Architekten, jede Wand so zu gestalten und zu konstruieren, dass die gewünschte Licht- und Luftdurchlässigkeit erzielt und gleichzeitig ein Muster geschaffen wurde, welches die gesamte Gebäudefassade überzieht.23 Trotz des innovativen Einsatzes neuer Materialtechnologien verbleiben die Projekte von Gramazio & Kohler und von Neutelings Riedijk innerhalb der Grenzen etablierter tektonischer Sprachen. Die Anwendungen bleiben auf Fassaden beschränkt und sind eher innovatives Ornament als Reflexionen eines Paradigmenwechsels in der Art und Weise, in der Gebäude und Räume geschaffen werden. Die Erkundung der Potenziale der jüngsten Fortschritte digitaler Fabrikation steht noch immer am Anfang. Werkzeuge wie Industrieroboter und Schneidelaser werden im Wesentlichen in formal nachahmender Weise eingesetzt und reproduzieren auf digitale Weise analoge Lösungen für mehr oder weniger konventionelle Entwurfsaufgaben. Achim Menges vergleicht diese Art des Umgangs mit den neuen Werkzeugen mit einer Verwendung von Textverarbeitungssoftware als einem digitalen „Fortschritt“, der eine analoge Schreibmaschine nachahmt. In einem Beitrag über integrale Formgebung und Materialisierung, computergenerierte Form und materielle Gestalt weist Menges darauf hin, dass selbst wenn CAD/CAM-Technologien „gelegentlich zu neuen, innovativen Strukturen und räumlichen Qualitäten führen… die auf diese Weise verwendete Technologie nur eine Fortsetzung wohlbekannter und etablierter Designprozesse ist”.24 Eine häufige im Zusammenhang mit der Verwendung neuer digitaler Methoden in der Architektur geäußerte Kritik ist, dass sie indifferent gegenüber Fragen der Materialität seien. Jedoch haben wir in der Arbeit von Gramazio & Kohler und anderen gesehen, dass Materialeinschränkungen und -potenziale oft die Basis für digitale Modelle abgeben. Digitale parametrische Werkzeuge erlauben es, Formen genau abzubilden und zu verändern und dabei gleichzeitig eine Rückkopplung bezüglich der eingebetteten Materialinformation in Echtzeit hinzuzufügen. Ein gutes Beispiel für diese Art der Anwendung neuer Technologien ist die Firma Zahner. Zahner begann vor über 100 Jahren als Metallverarbeitungsbetrieb und hat sich seither zu einem führenden Unternehmen in der Herstellung maßgefertigter Metallfassadensysteme entwickelt. Zahner setzt unter anderem BIM- (Building Information Modeling) Technologie ein, welche einen hohen Grad an Komplexität in der Detaillierung der Produkte erlaubt. Das Unternehmen sieht die Zukunft der 176

Neutelings Riedijk Architecten, Niederländisches Institut für audiovisuelle Medien, Ansicht bei Nacht.

177

Bauindustrie darin, dass neue Technologien wie BIM die Lücken zwischen den am Bau beteiligten Disziplinen und Gewerken schließen könnten: „Traditionell waren Entwerfer und Bauausführende sehr viel enger miteinander verbunden. Die Welt war einfacher und kleiner und ein Großprojekt mag den Großteil eines Lebens eingenommen haben. Über die Zeit haben sich jedoch strenge Abgrenzungen der Bauberufe voneinander entwickelt und der Risikotransfer wurde neben Qualität und Service zu einem Schwerpunkt der Branche. Plötzlich begannen wir einfache Boxen aus rechteckigen Elementen zu bauen, die von diesen Unterteilungen bestimmt wurden. Komplexität war riskant. Das Tragwerk bestand aus Stahl und wurde in geraden Linien von einem Gewerk verschraubt. Die Fassade wurde in ebenfalls rechtwinkligen Komponenten von einem anderen Gewerk an die Tragstruktur angebracht. Die stolzen Zünfte mit ihrer Lehrlingstradition verschwanden und wurden durch angelernte Arbeiter ersetzt. Es ist schwer, Leidenschaft für eine Box zu entwickeln. Heute wird die Verbindung zwischen dem Entwerfer und den Bauausführenden wieder hergestellt. Die Möglichkeit, eine Form zu modellieren und sie dann einer Produktionsstätte zu übergeben, bringt die Kunst zurück in den Herstellungsprozess.“25 Zahner betont das Potenzial digitaler Entwurfsprozesse, welche die Architekten wieder mit den Produktionstechniken in Verbindung setzen und eine direkte Beziehung zu den Baumaterialien wieder herstellen. Ihm zufolge haben sich in den letzten Jahrzehnten die Architekten mehr und mehr von den Materialien entfernt und dabei Experimente auf den Maßstab von Möbeln und Installationen beschränkt. Heute jedoch können sich Entwerfer mittels digitaler Entwurfsmodelle mit eingebetteten Materialinformationen bereits während der Entwurfsphase direkt mit den Materialeigenschaften auseinandersetzen. Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Materiallebenszyklen Fragen der Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Materiallebenszyklen werden im Bereich des Material Design zunehmend wichtiger. Gebäude und die mit ihnen verbundenen Systeme produzieren beispielsweise 32 % aller Treibhausgase in den USA. Daher nimmt die Umweltbewegung auf die Bauindustrie und die von ihr produzierten Materialien auf nie dagewesene Weise Einfluss.

Manche Architekten wenden sich in ihrer Suche nach Reduzierung des Energiebedarfs von Gebäuden kombinierten Lösungen zu. Das Projekt von Mitchell Joachim, Terreform ONE und Terrefuge, MATscape: A Material Mosaic Triplex verwendet beispielsweise eine komplexe Kombination aus Solarzellen, Windfedern, Fußbodenheizungen und Stampflehm, um Wärmeund Kältebedarf zu verringern. Das Aviva-MUNICH-Gebäude im Südosten von München benutzt Jalousien und Beleuchtungssysteme, die mittels ferngesteuerter Schalter bedient werden, welche piezoelektrische Effekte anstelle von Funktechnologie verwenden. Passive Gebäudeklimatisierung kann durch phasenwechselnde Materialien (PCMs), wie Paraffine und Gemische mit Salzhydrat, erreicht werden. Wenn diese Verbindungen ihren Zustand durch Kristallisation von flüssig zu fest ändern, geben sie eine Wärmeenergiemenge frei, die zuvor bei höheren Temperaturen gespeichert wurde.26 Produkte, die diese Technologie verwenden, reichen von Gipskartonplatten bis hin zu Aluminiumfolientaschen mit PCM. Die zunehmende Nutzung dieser neuen Technologien in richtungsweisenden Projekten unterstreicht die Möglichkeiten dieser Materialtechnologien. Thermodynamik, Biologie und Chemie werden in Zukunft neben der klassischen Bauphysik eine immer wichtiger werdende Rolle für die Bereitstellung von Komfort spielen. Obwohl die Architekten und Bauherren der angeführten Beispiele viel dazu beigetragen haben, um nachhaltige Architektur voranzubringen, ist ein systematischerer (und kostengünstigerer) Weg notwendig. Zu diesem Zweck haben viele Regierungen und Regulierungsbehörden Standards entwickelt, um den Einfluss eines Gebäudes auf die Umwelt zu bewerten. Zertifizierte Umweltverträglichkeiten halten Bauherren dazu an, im Vorfeld mehr Geld in umweltverträglichere Gebäude zu investieren, die in der Folge Betriebskosten sparen und dementsprechend vermarktet werden können. In den USA wurde zu diesem Zweck durch das U.S. Green Building Council LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) entwickelt. LEED strebt eine das gesamte Gebäude betreffende Herangehensweise an und ist in fünf Bewertungskategorien eingeteilt: nachhaltige Standortentwicklung, Wassereinsparungen, Energieeffizienz, Materialauswahl und Umweltverträglichkeit im Innenraum. Das System hat mit großem Erfolg zu vielen Entwurfsmodifikationen beigetragen, bei denen beispielsweise Standard-Materialkomponenten trotz höherer Kosten durch ihre „grünen“ Gegenstücke ersetzt wurden. Firmen, die umweltverträgliche Materialien herstellen, hat LEED einen wachsenden Markt für ihre Produkte beschert. LEED berücksichtigt viele Faktoren in Bezug auf die Materialauswahl, zum Beispiel den 178

SHoP Architects, Camera Obscura, New York, New York, USA, 2004, Matrix der Konstruktion.

Anteil von wiederverwertetem Material in Bauteilen, ob ein Material lokal erhältlich ist und sich somit Transportwege reduzieren, ob es von einem schnell nachwachsenden Rohstoff stammt oder ob es flüchtige organische Verbindungen (VOCs) enthält. Das System bewertet damit die Umweltverträglichkeit nicht nur aufgrund bloßer Betriebskosten und Energieaufwände. Vielmehr setzt es auf eine ganzheitlichere Betrachtung bezüglich der Lebenszyklen von Materialien.27 Deutschland hat ebenfalls damit begonnen, ein Bewertungssystem für umweltbewusstes Bauen zu entwickeln. Das Siegel der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) basiert auf einem Katalog aus fünf Kategorien und wird anhand von 49 Kriterien zuerkannt. Im Unterschied zu LEED berücksichtigt das DGNB-Qualitätssiegel auch soziokulturelle Aspekte des Bauens. Zum Beispiel kann ein Gebäude danach bewertet werden, ob es fahrradfreundlich ist oder den Nutzern das Recycling einfach macht. LEED-Zertifikate und das DGNBQualitätssiegel sind nur zwei Beispiele einer wachsenden Anzahl von Bewertungssystemen, welche entwickelt wurden, um nachhaltiges Bauen zu fördern.28 Andere Beispiele sind die BRE Environmental Assessment Method in Großbritannien, HQE in Frankreich und Green Star in Australien. Die ganzheitliche Betrachtung, um die sich diese Bewertungsmethoden bemühen, rückt eine wichtige Frage der Nachhaltigkeit in den Vordergrund. „Graue Energie“, die in einem Gebäude oder Bauteil enthaltene Energie, berücksichtigt die Energiemenge, die benötigt wurde, um das Material herzustellen, zu transportieren, anzubieten, zu vermarkten und schließlich zu entsorgen oder wiederzuverwerten.29 Obwohl ein wenig Energie verbrauchendes Gebäude zur Umweltverträglichkeit beiträgt, liegen die größten Auswirkungen darin, wie Materialien vor und nach ihrem Einbau gehandhabt werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, Materialkomponenten in dieser Hinsicht zu verstehen und beispielsweise sicherzustellen, dass Bauholz aus gut verwalteten Wäldern stammt und lokale Materialien bevorzugt werden, die weniger Transport und Lageraufwand benötigen. Materialien, die nachwachsen und die recycelt werden können, sollten den nur einmal verwendbaren Materialien vorgezogen werden. Gegenwärtig werden zunehmend Anstrengungen unternommen, Materialien aus erneuerbaren Rohstoffen zu gewinnen, wie die zuvor erwähnten wiederverwertbaren Kunststoffe, Schaumstoffe aus Sonnenblumenöl30 oder natürlich gewonnene Verbundstoffe, die in Zukunft faserverstärkte Kunststoffe (FRP) ersetzen sollen. Letztere bestehen aus Biopolymeren 179

Mitchell Joachim/Terreform ONE + Terrefuge, MATscape: A Material Mosaic Triplex, 2006, Ansicht und Aufsicht, Renderings.

(wie Zuckerrüben, Kartoffeln, Mais, pflanzlichen Ölen oder aus Zellulose, die aus Papierabfällen hergestellt wird) und natürlichen Fasern (wie etwa Flachs, Hanf oder Ramiefasern) und können ohne CO2-Emissionen verbrannt oder kompostiert werden.31 In diesem Zusammenhang sind „cradle-to-cradle“-Lebenszyklen, ein von William McDonough und Michael Braungart beschriebenes Konzept, von großem Interesse. McDonough und Braungart sehen eine mögliche Lösung für den grundlegenden Konflikt zwischen Industrieinteressen und Umweltschutz in der Umwandlung bestehender offener Kreisläufe, die nach dem Prinzip „take, make and waste“ (nehmen, machen, wegwerfen) funktionieren, in geschlossene Kreisläufe. Aus dem Abfall unserer heutigen Industrien könnten Produkte und Dienstleistungen von ökologischem, sozialem und ökonomischem Wert entstehen.32 Ein Beispiel für diese Idee ist die Produktion von Schaumholzprodukten, die aus Rückständen der Holzverarbeitung hergestellt werden können. In diesen Produkten vergären Hefe und Bakterien mit Holzschnitzeln zu einer brotteigartigen geschäumten Holzpaste, welche dann im Ofen getrocknet wird und eine harte, leichte und poröse Platte ergibt, die anstelle von Gipskartonplatten verwendet werden kann. Die Entsorgung eines solchen Produktes hat keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt und nimmt keinen Platz auf Mülldeponien ein, da das Material wasserlöslich ist.33 Dieses neue Interesse an der Lebensgeschichte von Materialien, wenn man so sagen kann, macht bestimmte Bereiche der Biologie und Chemie interessant für Architekten und wirkt sich auch auf die formale Sprache der nachhaltigen Architektur aus. Der Architekt Philippe Rahm beispielsweise hat damit begonnen, eine Architektur unter Auslassung der traditionellen Materialpalette zu entwickeln, und verwendet stattdessen „meteorologische“ Effekte, um Raum zu definieren (Abb. S. 44, 183). In einem Prototyp für die Biennale von Venedig manipuliert er heiße und kalte Elemente, um den Luftfluss zu kontrollieren und die Funktion von Räumen nicht durch Wände, sondern durch körperliches Befinden zu definieren.34 Diesem Ansatz liegen Prinzipien der Thermodynamik, genauer Konvektion und nicht-physikalische Mechanismen zugrunde. Der Architekt Sean Lally von WEATHERS definiert räumliche Grenzen neu als Abstufungen zwischen klimatisierten und nicht-klimatisierten Bereichen. Er entwirft mit klimatischen Bedingungen anstatt mit Materialgrenzen.35 Die Projekte sind in gewisser Weise radikale Beispiele einer „leichten“ Architektur und doch darüber hinaus Wegweiser für eine mögliche Zukunft atmosphärischen Bauens. Andere 180

Architekten verwenden Werkzeuge, die normalerweise eingesetzt werden, um Phänomene wie Wärmefluss, Windfluss oder andere Fluiddynamiken darzustellen und daraus neue Formen zu entwickeln. Ob aus diesen Ansätzen reale nachhaltige Projekte hervorgehen oder nicht, und auch wenn sie von einer gewissen Ambivalenz in Materialfragen zeugen, sie ordnen den Entwurf auf alle Fälle nicht einer Technologie unter, sondern antworten auf das Drängen der Nachhaltigkeitsproblematik auf neue Klarheit und Inspiration bei der Suche nach zeitgemäßen architektonischen Formen. Problemlösung als Konzept: Risiken und Chancen Die Art und Weise, in der Entwerfer Materialien wahrnehmen und mit ihnen umgehen, hat sich erweitert. Materialien werden nicht länger nur als statisch und unbelebt betrachtet, sondern als Objekte mit adaptiven und veränderbaren Eigenschaften, wie es zum Beispiel in Verbindung mit Smart Materials in den vorhergehenden Abschnitten beschrieben wurde. Diese neuen Materialien werden traditionelle nicht ersetzen, sondern diese aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften ergänzen. Smart Materials können als radikale Weiterentwicklung von Standardbaumaterialien verstanden werden. Standardmaterialien reagieren statisch auf auftretende Kräfte, während Smart Materials dynamisch auf Energiefelder reagieren. Auf diese Weise kann eine neue Generation innovativer Materialien und Herstellungsprozesse einen Paradigmenwechsel für die Methoden bedeuten, mit denen Architekten mit Materialien arbeiten.36 Die herkömmliche Fragestellung: Ein Material ist gegeben – was kann es leisten? kann nun radikal anders formuliert werden: Welches Problem müssen wir lösen – wie entwickeln wir ein Material, das dieser Aufgabe gerecht wird? Bei Projekten, in denen avancierte Materialien eine Rolle spielen, haben Gestalter dazu geneigt, optimistische Platzhalter für kommende innovative architekturbezogene Lösungen einzusetzen. Smart Materials beispielsweise werden oft zu sehr als Heiliger Gral einer solchen Suche begriffen, obwohl die genaue Art und Weise, wie diese Materialien funktionieren sollen, unklar bleibt, da für den Entwerfer häufig nur das erhoffte Endresultat zählt. Und da die Erwartungen auf der Entwurfsseite der tatsächlichen Entwicklung in vielen Fällen vorauseilen, haben diese Materialien enorme Erwartungen zu erfüllen. Die Notwendigkeit ihrer Erfüllung aber schränkt mitunter die Entwicklung der Materialien ein und verhindert, dass technologische Erkenntnisse ihr intelligentes Verhalten prägen. Die Wissenschaft hatte oft das umgekehrte Problem: Nach

einem Entwicklungsschub, bei dem eine neue Technologie entstand, musste nach einem Problem gesucht werden, für das die Technologie einzusetzen war. Die Suche nach neuen Technologien für ein Problem kann durchaus zu Anwendungen führen, die in dem hier beschriebenen Problemlösungsansatz nicht entstehen würden. Natürlich können neue Materialien in der Architektur aufgrund ihrer relativ langen Materialzyklen nicht ohne Weiteres getestet und integriert werden. Im Idealfall kann Material Design aber die Lücke zwischen den Wünschen der Entwerfer und den Limitierungen vorhandener Technologie schließen. Entwerfer können jedenfalls nicht länger mehr nach einem bestimmten Materialeffekt verlangen und davon ausgehen, dass dieser aufgrund einer neuen Technologie schon eines Tages zur Verfügung stehen wird.37 Die Art und Weise, auf welche diese Materialtrends sich im Laufe der Zeit entwickeln werden, ist derzeit unklar. Aber es gibt andere wichtige Fragen, die im Zusammenhang von Material Design und Architektur gestellt werden müssen. Wird der Trend zur Verwendung von Materialien aus nichtlokaler Herkunft weiterbestehen oder wird er sich aufgrund eines wachsenden Umweltbewusstseins umkehren? Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und der globalen Explosion in der Verwendung von Stahl, Beton und Glas wurde die Materialwahl mehr und mehr vom Konzept lokaler Verfügbarkeit getrennt. Dieser Trend wird sich wahrscheinlich mit der derzeitigen Verbreitung von Materialien und Prozessen, die auf anspruchsvollen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten basieren, fortsetzen. Diese Entwicklung steht in offensichtlichem Widerspruch zu dem Ziel vieler Architekten, umweltverträglichere Produkte einzusetzen. Das derzeit wahrscheinlichste Szenario ist, dass Technologie ohne geografische Gebundenheit bleiben wird. Jedoch werden die Anwendungen dieser Technologie sicherlich stark von spezifischen ästhetischen Ausdrucksweisen beeinflusst werden, die im Zusammenhang mit den jeweiligen Orten der Anwendung und mit den Präferenzen der Architekten stehen. Welche Stellung werden diese neuen, performativen Materialien neben den traditionellen einnehmen und wo werden sie in den aktuellen architektonischen Diskussionen positioniert werden? Werden sie im Zusammenhang mit Auffassungen von Materialehrlichkeit und -reinheit oder im Zusammenhang mit einem Begriff von Überschuss und Übermaß gesehen werden? Ein Trend zur Verwendung von Smart Materials als Furniere, 181

Oberflächen oder Paneele auf traditionellen Trägermaterialien besteht bereits; viele temperaturempfindliche Lacke und Farben, viele Filter für ästhetische und/oder leistungsspezifische Effekte zur Aufbringung auf Glas sind im Handel erhältlich. Diese Verortung neuer Materialien im architektonischen Diskurs ist selbst natürlich nichts Neues. So gingen auch dem modernen Glas- und Stahlbau am Anfang des 20. Jahrhunderts auf ähnliche Weise viele formale Experimente mit den neuen Materialien voraus. Und obgleich ihre Einführung letztlich Entwurfsmethoden radikal veränderte, errangen die genannten Materialien doch nicht sofort ikonografische Eigenständigkeit, sondern wurden zunächst dazu eingesetzt, die Ikonografie anderer Materialien nachzuahmen.38 Wieder stehen wir ähnlichen Herausforderungen gegenüber, da die „meisten derzeitigen Versuche, Smart Materials im architektonischen Entwurf zu integrieren, das Vokabular zweidimensionaler Oberflächen oder kontinuierlicher Ganzheit beibehalten und Smart Materials nur als Ersatz für herkömmliche Materialien vorschlagen… Es steht noch aus, die Implementierung von Smart Materials durch ein anderes Paradigma der Materialverwendung neu anzugehen.“39 Einmal vorausgesetzt, dass die neue Generation von Materialien auch jenseits von visuellen Effekten für die Architektur relevant sein wird, werden dann Entwerfer Materialien nicht länger nur „browsen“, sondern auch in der Lage sein, sie nach ästhetischen Gesichtspunkten und nach einem Grundwissen um ihre elementaren Fähigkeiten auszuwählen? Der derzeitige Stand der Materialspezifikation in der Bauindustrie hat meist mehr mit dem Aussehen von Materialien in Oberflächenapplikationen und Profildimensionen als mit leistungsrelevanten Eigenschaften zu tun. Müssen sich Entwerfer, sobald dieser Aspekt Teil der allgemeinen architektonischen Kultur wird, ein tiefer gehendes Wissen von Chemie, Physik und Elektrotechnik aneignen, um sich mit diesen Materialien auseinandersetzen zu können? Tatsächlich hat die bis heute technologisch fortschrittlichste Materialgeneration ihre Ursprünge im Maschinenbau, in der Elektrotechnik und in den Biowissenschaften. Ein Großteil des damit verbundenen Wissens geht weit über das vieler Architekten hinaus. Doch obwohl die Terminologien so unterschiedlich sind und das Wissen begrenzt ist, sind Entwerfer doch Entscheidungsträger im Bauprozess und stehen der Herausforderung gegenüber, Kompetenz in einem Bereich zu entwickeln, der normalerweise nicht zu ihrer Ausbildung gehört. Die Frage ist dann: Wer soll diese Technologie- und Terminologielücke schließen, die Entwerfer oder die Wissenschaftler? Wenn von Architekten eine Kompetenz in Chemie

und Physik verlangt wird, warum bieten dann Wissenschaftler nicht im Gegenzug vereinfachte Analysen der Materialien an, die sie herstellen? Tatsächlich wurde diese Marktlücke bereits erkannt. Materialspezialisten gehören zu einer Zukunftsbranche. Um die Lücke zwischen Wissenschaftlern und Entwerfern zu schließen, beteiligen sich Forschungs- und Dienstleistungszentren, die sich mit innovativen Materialien auseinandersetzen, an diesem Prozess. Kommerzielle Unternehmen tauchten erstmals Mitte der 1990er Jahre auf und sind mittlerweile weit verbreitet. Heutzutage agieren sie als Vermittler zwischen Entwerfern und Herstellern durch die Sammlung, Organisation und Systematisierung von Materialinformationen, die zuvor auf höchst unterschiedliche Arten kategorisiert waren.40 Derzeitig umfasst die Entwicklung fortschrittlicher Materialien zahlreiche verschiedene Disziplinen. Auf der einen Seite gibt es hochspezialisierte wissenschaftliche und technologische Anwendungen, wie im Bereich der Luftfahrt- und Militärindustrie. Auf der anderen Seite finden sich Anwendungen von Smart Materials in Automobilen, Möbeln, Textilien und Kunstinstallationen. Eine wichtige Frage ist daher, wie Material Design auch in der Architektur eine Mainstreamposition besetzen kann, damit die Anwendungen für Architekten und Bauherren einfacher zugänglich und erschwinglich werden. Wenn es keine Anreize gibt, diese Materialien einzusetzen, seien sie ökonomisch, ökologisch oder ästhetisch, werden Bauherren nicht bereit sein, in diese zu investieren. Unabhängig von Fachgrenzen muss ein besseres Umfeld für beschleunigte Forschung entstehen. Die Textil-, Möbel- und Kunstindustrien haben bewiesen, dass sie erfolgreiche Inkubatoren für fortschrittliches Material Design sind. Diese Bereiche bieten gleichsam ideale Laborbedingungen, bedingt sowohl durch schnelle Konzept/Prototyp/Produkt-Abläufe als auch durch ihren kleineren Tätigkeitsumfang und die damit verbundenen relativ geringeren Produktionskosten. Kurze Umsetzungszeiten ermöglichen eine größere Anzahl von experimentellen Produkten, und marktspezifische Tests erlauben es, Produkte schnell einzuführen. All das trifft nicht auf Architektur zu, da Gebäude eine durchschnittliche Lebensdauer von 30 Jahren haben. Der jährliche Umsatz an Gebäudesubstanz ist daher sehr gering. Alles Neuartige wird folglich meist in einem anderen Bereich getestet, bevor Bauherren willens sind, das mit einer neuen Technologie verbundene Risiko zu tragen.41 Beispiele für Experimente in Innenräumen sind die interaktive kinetische Wand Aegis Hyposurface von dECOi Architects 182

Philippe Rahm Architectes, Musée Convectif, Wrocław, Polen, 2008, Innenraum, Rendering. Philippe Rahm Architectes, Gulf Stream Intérieur, Paris, Frankreich, 2008, thermisches Diagramm.

OCEAN/Hochschule für Gestaltung Offenbach/ Oslo School of Architecture, Deichmanske Bibliothek Medienstationen, Oslo, Norwegen, 2008, Ansicht.

(Abb. S. 122, 123) und der Architonic Concept Space von Gramazio & Kohler (Abb. S. 164, 184). Bei Aegis Hyposurface werden Wellenbewegungen und andere Simulationen natürlicher Phänomene mittels einer Oberfläche aus diagonal angeordneten Einzelelementen geschaffen und durch pneumatisch reaktionsfähige Aktuatoren kontrolliert. Die Aktuatoren sind dabei an einem tragenden Rahmen befestigt und werden mittels einer Software so gesteuert, dass sie spontan auf Stimuli wie Licht, Geräusche und Bewegung reagieren können.42 Im Fall von Architonic Concept Space wurden eine Reihe von Skulpturen mit Namen „The Eroded Cubes“ aus Einzelelementen (volumetrische Pixel, von den Entwerfern als „Voxel“ bezeichnet) unter Verwendung eines Industrieroboters konstruiert. Der Roboter wurde so programmiert, dass er additive und subtraktive Operationen ausführt und auf diese Art ineinandergreifende Elemente und funktionelle Hohlräume aus 50 cm, 1 und 2 m großen Würfeln schafft. Die resultierenden Elemente können als Tische, Stühle oder Wandobjekte verstanden werden. Projekte wie diese inspirieren und ermutigen einen neuen Umgang mit Materialien, aber es bedarf des Einsatzes dieser Techniken im Maßstab von Gebäuden, damit ihr Beitrag im Bereich der Architektur und des Bauens klar erkennbar werden kann. Die intensive Arbeit an Experimenten mit Materialien blieb bislang meist auf einige wenige bekannte Architekturbüros wie Herzog & de Meuron, Toyo Ito, Shigeru Ban, Kengo Kuma und OMA beschränkt.43 Dies hat zu der Wahrnehmung geführt, dass das Experimentieren mit Materialien ein elitäres Unterfangen und nur jenen Entwerfern mit den reichsten und aufgeschlossensten Bauherren möglich sei. Das ist ein schwieriges Thema, weil die Technologien hinter den meisten fortschrittlichen Materialanwendungen komplex sind und für gewöhnlich einer großen Anzahl sowohl von Tests und Experimenten als auch von Spezialisten bedürfen. Vielleicht läge in einer Segmentierung der Industrien dergestalt, dass die zugrunde liegenden Technologien von Wissenschaftlern entwickelt und in „open-source“-Manier auf den Markt gebracht würden, die beste Chance, erfolgreiche Produkte zu entwickeln. Oder vielleicht können private Forschungs- und Entwicklungsunternehmen die Wissenslücke zwischen Entwerfern und Wissenschaftlern schließen und der Zugänglichkeit von Materialforschung erste Priorität einräumen, um damit den Einsatz neuer Materialien in der Architektur zu fördern. Die Frage bleibt, wie diese Materialien bezüglich ihrer neuen Eigenschaften kategorisiert werden können. Darüber hinaus 183

Gramazio & Kohler, Architonic Concept Space, 2008. Details und volumetrische Pixel oder „Voxel“.

muss geklärt werden, wie und ob diese neuen Materialien mittels unserer traditionell zweidimensional darstellenden Medien verständlich gemacht werden können. Wie werden Entwerfer temporäres Materialverhalten in statischen Zeichnungen darstellen? Wie können computergestützte Entwürfe angemessen in die Darstellung gelangen? Zweidimensionale Medien eignen sich beispielsweise nicht gut für die Dokumentation von Spannkonstruktionen. Werden Sequenzen und Animationen in Zukunft Teil von Bauplänen? Werden die Grenzen der Darstellungsmittel die Entwicklung von neuen Materialien mit beeinflussen? Wenn neue Materialien allgemein verfügbar und einfach zu kategorisieren sein werden, wird sich die Frage dahin verschieben, wie man sie optimal in einem baulichen Zusammenhang einsetzen kann. Sie wiederholen nicht die Eigenschaften herkömmlicher Materialien, weisen nicht die gleichen Materialstrukturen, nicht dieselbe ästhetische Palette, nicht dieselben ökologischen Standpunkte (oder deren Fehlen) auf. Mindestens eine, wenn nicht mehrere dieser Eigenschaften müssen sich ändern, wenn die avancierten Materialien eine langfristige Wirkung haben sollen. Es kann nicht sein, dass ihr Beitrag nur in Bezug auf Ästhetik besteht, denn dann würden sie folgenlos als Moden oder Gimmicks abgetan werden. Neue Materialien haben das Potenzial, sowohl die Performance eines Gebäudes als auch sein Erscheinungsbild zu beeinflussen. Bislang auf Oberflächen beschränkte Anwendungen, wie thermochromatische und fluoreszierende Farben, müssen weiter und mit mehr Tiefe entwickelt werden, um räumliche Funktionen zu beeinflussen. Tun sie das nicht, laufen sie Gefahr, innerhalb des sich schnell entwickelnden Bereichs des Material Design schnell ins Abseits gedrängt zu werden. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass Materialien und Materialität weiterhin mit ihren transformativen Potenzialen der Architektur Poesie und Würde verleihen können. Der deutsche Architekturkritiker Manfred Sack formulierte es so: „Wieder und wieder wird man mit der Sinnlichkeit des Materials konfrontiert – wie es sich anfühlt, wie es aussieht: sieht es matt aus, glänzt oder funkelt es? Sein Geruch. Ist es hart oder weich, flexibel, kalt oder warm, geschmeidig oder rauh? Welche Farbe hat es und welche Struktur hat seine Oberfläche?“44 Im Zusammenhang mit Material Design sollte heutzutage hinzugefügt werden: Hat es dynamische Eigenschaften und wenn ja, welche? Durch fortschrittliches Material Design beginnen wir erst, die Möglichkeiten, welche uns neue Materialien bieten, zu erweitern.

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Anmerkungen 1. Arroyo, Salvador Perez u.a. (Hrsg.). Emerging Technologies and Housing Prototypes. Rotterdam: Berlage Institute Postgraduate Laboratory of Architecture, 2007. S. 29. 2. Ritter, Axel. Smart Materials in Architektur, Innenarchitektur und Design. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2007. S. 121. 3. Bell Ballard, Victoria, und Patrick Rand. Materials for Design. New York: Princeton Architectural Press, 2006. S. 74. 4. Ibid. S. 74. 5. Fountain, Henry. „As Unbreakable as… Glass?“ In: The New York Times, 6. Juli 2009. 6. Van Hinte, Ed. „The Great Disappearing Act“. In: van Onna, Edwin. Material World. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2003. 7. Ritter, Axel. Smart Materials… S. 26. 8. Ibid. S. 79. 9. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials and Technologies for the Architecture and Design Professions. Boston: Architectural Press, 2005. S. 4. 10. Van Hinte. „The Great…“, Vorwort. 11. Ritter, Axel. Smart Materials… S. 38. 12. Ibid. S. 145. 13. Stattmann, Nicola. Ultra Light Super Strong: Neue Werkstoffe für Gestalter. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2003. S. 102. 14. Van Hinte, Ed. „The Great…“, Kapitel 11. 15. Ritter, Axel. Smart Materials… S. 105. 16. Ibid. S. 184. 17. Stattmann, Nicola. Ultra Light… S. 26. 18. Ibid. S. 32. 19. Ibid. S. 84. 20. Ibid. S. 108. 21. Menges, Achim. „Inclusive Performance: Efficiency Versus Effectiveness – Towards a MorphoEcological Approach for Design“. In: Architectural Design, Jg. 78, Nr. 2 (2008). S. 56. 22. Kolarevic, Branko, und Kevin R. Klinger (Hrsg.). Manufacturing Material Effects: Rethinking Design and Making in Architecture. New York: Routledge, 2008. S. 204. 23. Gramazio, Fabio, und Matthias Kohler. Digital Materiality in Architecture. Basel: Lars Müller Publishers, 2008. S. 95. 24. „Integral Formation and Materialization: Computational Form and Material Gestalt“. In: Kolarevic, Branko, und Kevin R. Klinger (Hrsg.). Manufacturing... S. 196. 25. Zahner, L.William. „Zahner: Building Information Modeling (BIM)“. Homepage: http://www. azahner.com/building_information_modeling.cfm (konsultiert am 25. April 2010). 26. Ritter, Axel. Smart Materials… S.160-165. 27. Material and LEED: The architect’s handbook of professional practice. Joseph A. Demkin (Hrsg.). Washington, DC: American Institute of Architects/Hoboken, NJ: John Wiley and Sons, 2008. 14. Ausgabe. 28. Jäger, Frank Peter. „DGNB Gütesiegel – Nachhaltig in jeder Beziehung“. In: DETAIL Green, Sonderheft Januar 2009. 29. Ibid. 30. Ibid. S. 110. 31. Stattmann, Nicola. Ultra Light… S. 100. 32. McDonough, William, und Michael Braungart. Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things. New York: North Point Press, 2002. 33. Stattmann, Nicola. Ultra Light… S. 96. 34. Rahm, Philippe. „Meteorological Architecture“. In: AD, Jg. 79, Nr 3, S. 30-41. 35. Lally, Sean. „When Cold Air Sleeps“. In: AD, Jg. 79, Nr. 3, S. 55-63. 36. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials… S. 4. 37. Ibid. S. viii. 38. Arroyo, Salvador Perez u.a. (Hrsg.). Emerging Technologies… S. 30. 39. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials… S. 5. 40. Arroyo, Salvador Perez u.a. (Hrsg.). Emerging Technologies … S. 37. 41. Addington, Michelle, und Daniel Schodek. Smart Materials… S. 12. 42. Ritter, Axel. Smart Materials… S. 12. 43. Arroyo, Salvador Perez u.a. (Hrsg.) Emerging Technologies… S. 38. 44. Deplazes, Andrea. Architektur konstruieren: Vom Rohmaterial zum Bauwerk. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2005. S. 19.

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Über den Autor und die Beiträger

Thomas Schröpfer Thomas Schröpfer ist Mitbegründer von Schröpfer + Hee, einem in Cambridge, Massachusetts ansässigen interdisziplinären Architektur- und Designbüro und Associate Professor of Architecture an der Graduate School of Design (GSD) der Harvard University, wo er Architekturentwurf, Material und Baukonstruktion unterrichtet. Davor praktizierte er als Architekt in Deutschland und leitete u.a. Bauforschungs- und Entwicklungsvorhaben bei Hochtief. Schwerpunkte in seiner Forschung und Praxis sind Materialperformance, Entwurfsstrategien und Nachhaltigkeit in der Architektur. Seine Arbeiten wurden vielfach publiziert, unter anderem in Journal of Architectural Education, Journal of Green Building und DETAIL Green. Schröpfers Projekte wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem von der Union Internationale des Architectes (UIA) und zuletzt von der Gwangju Design Biennale, und international ausgestellt.

Erwin Viray Erwin Viray ist Mitherausgeber der in Tokio erscheinenden Zeitschrift A+U (Architecture and Urbanism) und Professor und Chair in Architecture and Design an der Graduate School of Science and Technology des Kyoto Institute of Technology. Zuvor war er Assistant Professor am Department of Architecture der National University of Singapore und Design Critic an der Graduate School of Design (GSD) der Harvard University. Viray ist der Autor von Beauty of Materials: When Surfaces Start to Move (Tokyo: Kyoritsu Publishing, 2002), Kurator der Ausstellung Exotic More or Less im AEDES Architekturforum in Berlin und einer der zehn an der Publikation 10x10_2 (London: Phaidon Press, 2006) beteiligten Kritiker. Viray war Jurymitglied in vielen internationalen Designwettbewerben.

Nader Tehrani Nader Tehrani ist Mitbegründer des in Boston, Massachusetts ansässigen Office dA, einem für seine Innovation und Weiterentwicklung neuer Formen des Wissens international anerkannten Architektur- und Designbüro. Er ist Professor und Leiter des Department of Architecture an der School of Architecture and Planning des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Schwerpunkte der auf interdisziplinären Plattformen basierenden Forschung sind die Transformation der Bauindustrie, innovative Materialapplikationen und die Entwicklung neuer Fertigungstechniken und -methoden für die Baukonstruktion. Office dA wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Honor Award des American Institute of Architects (AIA), dem AIA/ALA Library Building Award, dem Harleston Parker Award sowie zwölf Progressive Architecture Awards; die Projekte wurden vielfach international publiziert und ausgestellt. Justin Fowler Justin Fowler ist Master of Architecture Candidate an der Graduate School of Design (GSD) der Harvard University. Elizabeth Lovett Elizabeth Lovett graduierte im Master of Architecture Programm an der Graduate School of Design (GSD) der Harvard University. Sie ist als Designerin für die in Kansas City, Missouri ansässige Firma Zahner tätig, ein international aktives Metallverarbeitungsund -fabrikationsunternehmen, das insbesondere für seine Arbeit in den Bereichen Kunst und Architektur bekannt ist. Toshiko Mori Toshiko Mori ist die Gründerin von Toshiko Mori Architect, einem in New York ansässigen Büro, welches für seinen intelligenten Umgang mit historischen Kontexten, innovativen Einsatz von Materialien und ökologisch sensible Strategien bekannt ist. Mori ist Professor in the Practice of Architecture an der Graduate School of Design (GSD) der Harvard University, wo sie von 2002 bis 2006 das Department of Architecture leitete. Bevor sie nach Harvard berufen wurde, unterrichtete Mori von 1983 bis 1995 an der Cooper Union School of Architecture in New York. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Cooper Union Inaugural John Hejduk Award, dem Academy Award in Architecture der American Academy of Arts and Letters, und der Medal of Honor vom New York City Chapter des American Institute of Architects (AIA). Ihre Arbeiten wurden vielfach international publiziert und ausgestellt.

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James Carpenter James Carpenter ist der Leiter von James Carpenter Design Associates (JCDA), einem kooperativen, den Gedankenaustausch fördernden Arbeitsumfeld von Architekten, Werkstoff-, Bau- und Umweltingenieuren sowie Herstellern. Das Büro hat Architektur- und Ingenieurbauprojekte mit Glas, Stahl, Holz und Verbundwerkstoffen für Museen, Universitätsgebäude, Bürobauten und Kultureinrichtungen u.a. entwickelt. Carpenter hat zahlreiche Preise erhalten, darunter der National Environmental Design Award der Smithsonian Institution, der Honor Award des American Institute of Architects (AIA) und ein MacArthur Foundation Fellowship; seine Arbeiten wurden vielfach international publiziert und ausgestellt. Sheila Kennedy Sheila Kennedy ist Mitbegründerin der in Boston, Massachusetts ansässigen Firma Kennedy & Violich Architecture (KVA) und Professor of the Practice of Architecture am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Kennedy hat ein neues Modell interdisziplinärer Entwurfspraxis für Architektur, digitale Technologie und neue gesellschaftliche Bedürfnisse etabliert. Die im Rahmen von KVA im Jahr 2000 eingerichtete Gruppe MATx betreibt Materialforschung und anwendungsorientierte Fertigung für Design, Elektronik, Architektur und Materialwissenschaften. MATx arbeitet zusammen mit führenden Firmen, Kultureinrichtungen und öffentlichen Einrichtungen an der Verbreitung nachhaltiger digitaler Materialien. Kennedy erhielt eine Vielzahl von Anerkennungen und Auszeichnungen, unter anderem den Congressional Award des Amerikanischen Kongresses, den Energy Globe Award und den Tech Museum Laureate Award für Technologie im Dienst der Menschheit. Ihre Arbeiten wurden vielfach international publiziert und ausgestellt.

Peter Yeadon Peter Yeadon ist Mitbegründer von Decker Yeadon, einem in New York ansässigen, forschungsorientierten Büro für Architektur und Design, und Associate Professor an der Rhode Island School of Design (RISD). Yeadons Arbeiten untersuchen, auf welche Weise neue Materialtechnologien im Zusammenhang mit wichtigen Fragen unserer Zeit eingesetzt werden können. Im Mittelpunkt stehen Anwendungen von Smart Materials und Nanotechnologie für innovative Entwurfslösungen für eine Vielzahl von Aufgaben wie Wasserqualität, Energie, Gesundheit und Sicherheit. Yeadons Arbeiten wurden vielfach international publiziert und ausgestellt, er erhielt Auszeichnungen und Anerkennungen und wurde für den World Technology Award nominiert. Liat Margolis Liat Margolis ist Landschaftsarchitektin und Assistant Professor of Landscape Architecture an der John H. Daniels Faculty of Architecture, Landscape and Design der University of Toronto. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der interdisziplinäre Wissenstransfer von Multi-Performance-Materialien und -Technologien. Margolis ist Mitbegründerin und früherer Director of Materials Research an der Graduate School of Design (GSD) der Harvard University und war ebenfalls Director of Material Research bei Material ConneXion, wo sie entscheidend an der Entwicklung einer interdisziplinären Materialdatenbank und der Erforschung von Umwelteinflüssen industrieller Fertigung beteiligt war. Ihre Arbeiten wurden vielfach international publiziert und ausgestellt. Margolis ist die Autorin von Living Systems: Innovative Materialien und Technologien für die Landschaftsarchitektur (mit Alexander Robinson, Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 2007).

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Namenregister der Personen, Objekte und Orte

Seitenzahlen in kursiv verweisen auf Abbildungen (Bildlegenden). Aalto, Alvar 17, 25 Adaptive Fritting Surface 122, 124, 125 Addington, Michelle 24, 154, 155 Aegis Hyposurface 122, 122-123, 125, 183 Albers, Anni 78, 78 Albers, Josef 78 Ali Rahim und Hina Jamelle / Contemporary Architecture Practice 93, 98, 169 Allen, Eli 93 Amsterdam, Niederlande 43, 64, 65 Anin Jeromin Fitilidis & Partner 164 Antonelli, Paula 155 Antwerpen, Belgien 156 Apple Store 5th Avenue, New York, New York, USA 166 A-POC 78, 84 Araki, Takeaki 108 Aranda, Benjamin 135, 161 Architonic Concept Space 164, 182, 184 Arup, Ove 69, 71, 72, 158 siehe Ove Arup and Partners Austin, Texas 156, 163 AVEDA 156 Aviva MUNICH Gebäude, München, Deutschland 178 Bamboo Oblique Pavilion, Gwangju, Südkorea 174-175, 172 Bangkok, Thailand 156 Ban, Shigeru 17, 20, 22, 183, siehe Shigeru Ban Architects Barcelona, Spanien 72-73, 156 Bauhaus 32, 78 Baumschlager Eberle 53 Bearth & Deplazes 55, 56 Bech, Karin 118, 125 Bechthold, Martin 24 Beijing, China 158 Beirut, Libanon 56, 59, 60-61 Bell, Dominik J. 142 Belluno, Italien 99 Bethel, New York, USA 90-91 Beylerian, George 155, 163 Bézier, Pierre 88 Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde, Deutschland 99 Bibliothèque Nationale de France, Paris, Frankreich 155 BIG 56 Bilbao, Spanien, 62, 65, 66, 67 Birmingham, Großbritannien 122-123 Blur Building, Yverdon, Schweiz 148 BMC 137 BMW 156 Bohlin Cywinski Jackson 166 Bonn, Deutschland 116, 117 Borromini, Francesco 88 Bosia, Daniel 135, 135 Boston, Massachusetts, USA 12, 13, 34, 43, 102, 172, 175 Boston Symphony Hall, Boston, Massachusetts, USA 43 Bourlier, Emmanuelle 158 Bouroullec, Ronan und Erwan 61 Brackett, Len 68 Braungart, Michael 180 Brighton, Großbritannien 118 Brion, Friedhof und Denkmal, Treviso, Italien 99 Bristol, Rhode Island, USA 83,84, 85 Brown University 147 Bruder-Klaus-Feldkapelle, Mechernich, Deutschland 88, 100 Buffalo, New York, USA 129, 130 Burggraf, Nicola 176 Buro Happold 125 CaixaForum, Madrid, Spanien 37 Calder, Alexander 125 California Academy of Sciences in San Francisco, Kalifornien, USA 158

Cambridge, Massachusetts, USA 55, 95, 124, 148, 156, 160 Camera Obscura, New York, New York, USA 171, 172, 179 Candela, Felix 69 Caracas, Venezuela 53 Carpenter, James 106-117, 158, siehe James Carpenter Design Associates Carta, Möbel aus Papierrollen 16 Casa La Roca, Caracas, Venezuela 40, 52, 53 Casey Key, Florida, USA 76, 84, 86 Casteljau, Paul de 88 CATIA, Programm 72 Celant, Germano 96 Central Park, New York, New York, USA 114 Centre Pompidou, Paris, Frankreich 122 Chambers, Peter 88 Chiaravalloti, Franco 142 Chicago, Illinois, USA 25, 94, 159, 164 Citroën 88 Citterio, Antonio 155 Cloud Gate, Chicago, Illinois, USA 25, 25, 94, 94, 95, 96, 100 Cobb, Harry 13 Cohen, Preston Scott 29, 30-32, 45, 47 Comme des Garçons Shop, New York, New York, USA 155 Concertgebouw, Amsterdam, Niederlande 43 Construction Specification Institute 148, 154, 155, 158 Contemporary Architecture Practice 93, 98, 169 Cooper-Hewitt National Design Museum, New York, New York, USA 78-80, 80 Coop Himmelb(l)au 36 Copenhagen Wheel 128, 129, 129 Cornell University, Ithaca, New York, USA 169 Cragg, Tony 96 Cram, Ralph Adams 23 Daegu, Südkorea 156 Dai, Liming 134 Dallas, Texas, USA 113 Decker Yeadon 140-141, 143, 145 Deichmanske Bibliothek Medienstationen, Oslo, Norwegen 183 de Klerk, Michel 64, 65 Deleuze, Gilles 39 Design I 94, 94 Dichroic Light Field, New York, New York, USA 115, 117 Dietz, Hendrik 146 Diller + Scofidio 148 Diller Scofidio + Renfro 102 Dives in Misericordia, Kirche, Rom, Italien 137, 138 Doetinchem, Niederlande 29, 29 Domat/Ems, Schweiz 168 Dominus-Weingut, Napa Valley, Kalifornien, USA 158 Dong, Lixin 142 Douglas, Shawn M. 146 Downtown Athletic Club, Manhattan, New York, USA 51 Drexler, K. Eric 143 D-Tower 29, 29 Dubai, VAE 40, 169 Duke House, New York, New York, USA 114 Dunescape im P.S.1 MoMA, Long Island City, New York, USA 52, 171, 172 Eberswalde, Deutschland 99 Eckersley O’Callaghan 166 „Ecological Urbanism“, Ausstellung 124 Educatorium, Utrecht, Niederlande 102 Efrat-Kowalsky Architects 111 Eiffelturm, Paris, Frankreich 48 Einstein, Albert 99 Einsteinturm, Potsdam, Deutschland 99 Eisenman, Peter 36, 37, 51 Eveux-sur-Arbresle, Frankreich 20 Exeter, Kathedrale St. Peter, Großbritannien 88 „Extreme Textiles: Designing for High Performance“, Ausstellung 79-80, 80, 85

Fabrications, Museum of Modern Art, New York, New York, USA 39, 40, 41 Farnsworth House 36 Fashion Institute of Technology, New York, New York, USA 46, 46 Ferriss, Hugh 50 Fischer, Peer 144 Fläsch, Schweiz 40, 55, 56 Foreign Office Architects, FOA 52 Foresight Institute 169 Forest City Ratner 16 Forster, Kurt W. 158 FORTRAN, Programm 76 40 Bond Street, New York, New York, USA 137, 138 Foster, Norman 108 Fowler, Justin 48-61 Frampton, Kenneth 51 Frankreich 179 Friedland, Efrat 163 Friedman, Tom 61 Fujiwara, Dai 78, 84 Fukuoka, Wohnungsbau 55 FXFOWLE Architects 10, 13-16, 16 Gamble House 36 Gehry, Frank 25, 39, 50, 51, 62, 65, 67, 68, 72-74, 72, 75 Gehry Technologies 25 GKD Metal Fabrics 29 Glaspavillon, Toledo Museum of Art, Toledo, Ohio, USA 41, 42-43 Goetz Custom Boats 76, 83, 85-86 Goetz, Eric 83, 84, 85 Gorb, Stanislav N. 132 Gougeon, Brüder 84 Goulthorpe, Mark 122, siehe Mark Goulthourpe dECOi Architects Gourdon, Andre 142 Graduate School of Design siehe Harvard University Gramazio & Kohler 40, 40, 56, 56-57, 164, 176, 182, 184 Gramazio, Fabio 175 Granada Performing Arts Center 40 Großbritannien 179 Gross, Leo 142 Grotto Pavilion, New York, New York, USA 135, 135 Guggenheim Museum, Bilbao, Spanien 62, 66, 67 Guggenheim Museum, New York, New York, USA 20 Gulf Stream Intérieur, Paris, Frankreich 43, 183 Gwangju, Südkorea 172, 174-175 Habitat 67, Montreal, Quebec, Canada 50, 50, 52 Hadid, Zaha 32, 95, 101 siehe Zaha Hadid Architects Hafen Rohner Gebäude 53 Hamden, Connecticut, USA 46 Hannover, Deutschland 17, 17, 53 Harvard University Graduate School of Design 21, 24, 33, 87, 95, 95, 124, 148, 150, 156, 156, 160 Hauer, Erwin 94, 94, 95 Haus Storer, Hollywood, Kalifornien, USA 99 Hensel, Michael 171 Herzog & de Meuron 36, 36, 37, 56, 99, 137, 138, 158, 183 Herzog, Jacques 102 Het Schip, Amsterdam, Niederlande 64, 65 HfG Hochschule für Gestaltung Offenbach, Offenbach, Deutschland 171, 172, 175, 182 Hilversum, Niederlande 102, 104, 176, 176-177 Hiroshima, Japan 18 Hoberman Associates 124 Hoberman, Chuck 125 Hochhaus in Berlin (Mies van der Rohe) 13 Hoffmann, Susanne 176 Holl, Steven 45, 55, siehe Steven Holl Architects Hollywood, Kalifornien, USA 99 Holon, Israel 154, 156

188

„Home Delivery: Fabricating the Modern Dwelling“, Ausstellung 98 Hong Kong and Shanghai Bank, Hongkong, China 108 Hongkong, China 108 Hong, Zaneta 163 Huang, Lee-Su 148, 156-157 Hurt, Robert 140 Hutton, Jane 163 Hwang, Gilgueng 142 HydroNet 138, 142 iMatter 154, 156, 163 Imperial Hotel, Tokio, Japan 26 Indianapolis, Indiana, USA 113 Indian Institute of Management 25 Ingersoll Rand 20 Innsbruck, Österreich 95, 96-97 Institute for Molecular Manufacturing 169 Institute of Contemporary Art, Boston, Massachusetts, USA 102, 172 „Intricacy“, Ausstellung 40 Ise, Japan 23 Ise-Schrein 22-23, 23 Issam Fares Institute, Beirut, Libanon 56, 59, 60-61 Ito, Toyo 183 Itten, Johannes 32 Iwamoto, Lisa 139 IwamotoScott 138, 143 Jaeger, Heinrich 108 Jamelle, Hina 93, 98,169 James Carpenter Design Associates 106, 109-111, 113-117 Japanischer Pavillon, Expo 2000 Hannover, Deutschland 17, 17 Jerusalem, Israel 111 Joachim, Christian 142 Jobs, Steve 166 John Hancock Tower, Boston, USA 12, 13 John Wardle Architects 38-39 „Josef and Anni Albers: Designs for Living“, Ausstellung 78 Kahn, Louis I. 20, 25, 26 Kahn, Omar 120, 130-131, 129 Kao, Wileen 160 Kapoor, Anish 25, 25, 94, 94, 96, 100 Kartell S.p.a 155 Kawasaki, Takeshi 108 Kennedy, Sheila 118-131, 166 Kennedy & Violich Architecture 159, siehe KVA MATx Kerez, Christian 41, 43 Kiel, Deutschland 132 Kinetisches Fassadensystem 141 Kirche Dives in Misericordia, Rom, Italien 137, 138 Kohler, Matthias 175 Köln, Deutschland 154, 156 Koolhaas, Rem 44, 45, 51, 159, 159 Kruunenberg Van der Erve Architecten 48, 54, 54, 166 Kubo, Michael 161 Kudless, Andrew 156 Kula, Daniel 148, 152 Kuma, Kengo 26-27, 26, 40, 183 Kunsthal, Rotterdam, Niederlande 44 Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, Liechtenstein 41, 43 kura 22 Kurokawa, Kisho 50 Kuwait 56, 58, 59 KVA MATx 125, 126, 126-127 Kwinter, Sanford 160 Kyneton House 37, 38-39 Lally, Sean 180 Lamellenfassade, Israel Museum, Jerusalem, Israel 111 Laminata-Haus, Leerdam, Niederlande 48, 54, 54, 55, 166 Lamster, Mark 99 Lasch, Chris 135, 161 Latour, Bruno 88

Laugier, Marc-Antoine 22 Lau, Sophia 163 Lazareck, Adam 147 Leatherbarrow, David 12, 19 Le Corbusier 18, 19, 20, 20, 99, 100, 101 Leerdam, Niederlande 48, 54 Lehman Architects and Town Planners 111 Lightfall, Tel Aviv Museum of Art, Israel 45, 47 Lille, Frankreich 28-29, 29 Lin, Feng 134 Liu, Zhongfan 134 LOOK UP 164 Loos, Adolf 50 Los Angeles, Kalifornien, USA 156 Lost in Paris House, Paris, Frankreich 160 LOT-EK 52 Lounge Landscape 172, 176 Luminous Threshold, Sydney, Australia 117, 117 Lynn, Greg 40, 52, 91, 92 Madrid, Spanien 37 Mailand, Italien 156 Maison Folie 28-29, 29 Manzini, Ezio 155 Margolis, Liat 148-163, 169 Mark Goulthorpe dECOi Architects 122-123, 182 Marseille, Frankreich 18 Mars Exploration Rover 83 Material Archiv 32, 156 Material ConneXion 32, 153-54, 155, 156, 159, 160, 163, 169, 170, 171 Materials Collection, Graduate School of Design, Harvard University 32, 150-152, 156, 162 matériO 32, 148, 156, 163 MATscape: A Material Mosaic Triplex 178, 180 Matsui, Gengo 18 Matsys 156 Maya, Programm 88 May, Karen 163 McDonough Braungart Design Chemistry, LLC 160 McDonough, William 180 McGee, Wes 24 McQuaid, Matilda 80 Mechernich, Deutschland 88 Meier, Richard 137, 138 Mendelsohn, Erich 99 Menges, Achim 171, 172, 176, 176 Mesopotamien 76 Messenger 96 Metropolitan Life Building, New York, New York, USA 117 Michelangelo Buonarotti 88, 99 Mies van der Rohe, Ludwig 13, 36 Migrating Formations 98 Milgo/Bufkin 39 Minneapolis, Minnesota, USA 74, 110 Miró, Joan 125 Mitchell Joachim/Terreform ONE + Terrefuge 178, 180 Mittman, Christian 158 Miyake, Issey 78, 84, 158 Modern Home No. 105 23 Moiré Stair Tower, Deutsche Post, Bonn, Deutschland 116, 117 Moneo, Rafael 8 Montreal, Quebec 50 Monier, Joseph 19 Moresco, Francesca 142 Morger & Degelo 41, 43 Mori, Toshiko 76-87, 76, 85, 87, 158 Moshe Safdie and Associates 50, 50, 52 Mostafavi, Mohsen 21 Motorola Corporation 156 Moussavi, Farshid 161 Mu, Shichen 134 München, Deutschland 178 Murphy/Jahn 116 Musée Convectif, Wrocław, Polen, 43, 44, 183 Museum of Modern Art, New York, New York, USA 17, 52, 82, 98, 121, 155, siehe P.S.1 MVRDV 102, 104

Nagel, Sidney 108 Nagoya, Japan 18 Nakagin Capsule Tower, Tokio, Japan 50 Nanjing, China 30, 30-32 Nanjing Performing Arts Center 30, 30-32 Napa Valley, Kalifornien, USA 158 Nasu, Japan 26-27 Nelson, Bradley J. 142 Nervi, Pier Luigi 20, 69 Neutelings Riedijk Architecten 175, 176, 176-177 Nevers, Frankreich 100 New York, New York, USA 10, 13-16, 13, 32, 41, 46, 46, 78-80, 82, 98, 106, 109, 114, 114-115, 117, 135, 137, 155, 156, 166, 170, 172, 172-173, 179 New York Times Building 10, 13-16, 13 Niederländisches Institut für audiovisuelle Medien, Hilversum, Niederlande 176, 176-177 NMR Laboratory, Utrecht, Niederlande 102 „Non-Standard“-Ausstellung 122 Nordkettenbahn, Stationen, Innsbruck, Österreich 96-97 North Sails 79 Nostra Signora del Cadore, Belluno, Italien 99 Notre-Dame-du-Haut, Ronchamp, Frankreich 100, 101, 101 Nouvel, Jean 12 NOX 26, 28-29, 29 O’Callaghan, James 166 OCEAN 183 Offenbach, Deutschland 171 Office dA 34, 39, 41, 52, 53, 56, 58, 59, 60, 61, 65, 66, 95, 94, 96, 172, 175 OMA 45, 102, 159, 183 Open Columns Project 128, 129, 130-131, 131 Opernhaus Sydney, Australien 68, 69-70, 71, 72 Oslo, Norwegen 183 Osnap!, 148, 156-157 Otto, Frei 18 Ove Arup and Partners 69 Paine, Roxy 40 Palazzo Ducale, Venedig, Italien 36 Palladio, Andrea 34 Panelite 156, 158, 159 Parent, Claude 100 Paris, Frankreich 32, 122, 148, 155, 156, 160, 183 Parsons School of Design 156 Paxton, Joseph 13 Payne, Andrew 163 Pei Cobb Freed & Partners 12 Pelosi, Daniel 142, 142, 143 Periscope Window, Minneapolis, Minnesota, USA 110, 111, 112 Perrault, Dominique 155 Phaeno Science Center, Wolfsburg, Deutschland 101, 102-103 Philadelphia, Pennsylvania, USA 125 Philippe Rahm Architects 44, 183 Philips Electronics 156 Piano, Renzo 14, 17, siehe Renzo Piano Building Workshop Pietà 99 Pleats Please Boutique in SoHo, New York, New York 158 Ponce de Leon, Monica 24 Portugal 128 Potsdam, Deutschland 99 Prada 142, 156 P.S.1 MoMA, Long Island City, New York, USA 52, 171, 172 PTW Architects 158 Qu, Liangti 134 Rahim, Ali 40, 52, 91, 93, 98, 169, siehe Ali Rahim … Rahm, Philippe 43, 180, siehe Philippe Rahm Architects Ramsgard Thomsen, Mette 118, 125 Reaktive Flächenstruktur aus Furnierelementen 171 Reebok Flagship Store, Shanghai, China 91, 92, 93

Reflection Threshold, New York, New York, 114, 114 Refracted Light Field, Salt Lake Courthouse, Salt Lake City, Utah, USA 106 Reichert, Steffen 171, 171, 176 Reinhardt, Nico 176 Renault 88 Renzo Piano Building Workshop 10, 13-16, 14, 158 Retracting Screen for a Private Home, Dallas, Texas, USA 113 Rieder, Karl-Heinz 142 R-O-B Mobile Fabrikationsanlage 40, 40, 56 Rockwood, Alyn 88 Romano, Giulio 34 Rom, Italien 137 Ronchamp, Frankreich 99,101, 101, 102 Rossi, Aldo 36 R&Sie 160 Saarinen, Eero 99 Sack, Manfred 184 Safdie, Moshe siehe Moshe Safdie and Associates Sainte-Bernadette-du-Banlay, Nevers, Frankreich 100 Sainte Marie de La Tourette 20, 20 Salt Lake City, Utah, USA 106 SANAA 41, 42-43 San Francisco, Kalifornien, USA 139, 158 San Jose, Kalifornien, USA 120 San Jose Art Museum, Kalifornien, USA 120 San Carlo alle Quattro Fontane, Rom, Italien 88 Saraga, Beatrice 160 Scarpa, Carlo 99 Schodek, Daniel 24, 154, 155 Schon, Silke 142 Schröpfer, Thomas 10-33, 62-75, 88-105, 164-185 Schröpfer + Hee 172, 174-175 Schwarz, Dietrich 168 Schweizer Pavillon, Hannover, Deutschland 53, 54 Scott, Craig 139 Sears & Roebuck 23 Sears Tower, Chicago, Illinois, USA 164 Seattle Central Library, Seattle, Washington, USA 45 Seattle, Washington, USA 44, 45 SEEN 120 Semper, Gottfried 36, 50, 51, 56 Seniorenwohnhaus, Domat/Ems, Schweiz 168 senseable City Lab 128, 129 7 World Trade Center, New York, New York, USA 106, 109, 111 Shanghai, China 93 Sheldon H. Solow Library and Study Center, New York, New York, USA 114 Shigeru Ban Architects 16-17 Shnier, John 137 SHoP 46, 46, 52, 54, 171, 172-173, 179 Simmons Hall, Cambridge, Massachusetts, USA 55, 55 Slow Furl, Brighton, Großbritannien 119, 125, 126 SOFT CITIES 128 SOFT HOUSE 125, 126, 126-127, 128 Southampton, Großbritannien 71 Spaw, Gregory Thomas 148, 156-157 Sportklub Villa Moda, Kuwait 56, 58, 59 Spuybroek, Lars 28-29, 29 Steelcase Design Partnership 155 Steinmuseum, Nasu, Japan 26-27, 26 Stellwerk Auf dem Wolf, Basel, Schweiz 36 Steven Holl Architects 46, 55 Stojkovic, Sladjana M. 142 Stone, Morley 134 Structural Glass Prisms Window für eine Kapelle, Indianapolis, Indiana, USA 112, 113 „Structure & Surface: Contemporary Japanese Textiles“, Ausstellung 82 Student Center am Illinois Institute of Technology, Chicago, Illinois, USA 159, 159

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Studio Morsa 155 SWA 158 Sydney, Australien 69, 69-70, 71, 72, 117, 117 Tanaka, Hajime 108, 108 Target 156 Tehrani, Nader 34-61, 95, 102, 172 Tel Aviv, Israel 45, 47 Ternaux, Elodie 148, 152, 163 The New York Times 14 Tinguely, Yves 125 Tokio, Japan 26 Toledo House, Bilbao, Spanien 65, 66, 66 Toledo, Ohio, USA 41, 42-43 Tongxian Art Project 40 Treviso, Italien 99 Türkei 19 Turpin, Etienne 163 TWA Terminal, New York, New York, USA 99 Under Circumstances 96 Unité d’habitation 18, 20 Unity Temple 20 University of Buffalo, New York, New York, USA 129, 130 University of Pennsylvania, Philadelphia, USA 125 University of Texas, Austin, Texas 156, 163 University of Toronto, Kanada 163 UN Studio 88, 90-91, 101 Utrecht, Niederlande 102 Utzon, Jørn 68, 69, 69-70, 71, 72 Vaduz, Liechtenstein 43 Valéry, Paul 8 van der Mey, Johan 65 van Duijn, Cris 156 van Hinte, Ed 167 Vector-Foiltec 158 VERTical, Installation 160 Vila Olimpica, Barcelona, Spanien 72, 72-73 VilLA NM, Bethel, New York, USA 88, 90-91, 91, 99, 101 Villa VPRO, Hilversum, Niederlande 102, 104 Virgin Atlantic Clubhouse, New York, New York, USA 171, 172 Virginia Polytechnic Institute 169 Virilio,Paul 100 Volz, Erik 14 Voromuro, Boston, Massachusetts, USA 34, 172, 175 Wang, Zhong Lin 134 Wardle, John 37 Warwick Mills 83 Water Cube, Beijing, China 158 Wayss, Gustav Adolf 20 WEATHERS 180 Weingut Gantenbein, Fläsch, Schweiz 40, 55, 56, 56-57, 175 Weisman Art Museum, Minneapolis, Minnesota, USA 74, 75 Whitney Water Purification Plant, Hamden, Connecticut, USA 45, 46 Wilburn, Hugh 163 Wohnturm, Dubai, Vereinigte Arabische Emirate 169 Wolfsburg, Deutschland 101, 102-103 Woodrow Wilson International Center for Scholars 137 Wright, Frank Lloyd 20, 25, 26, 99 Wrocław, Polen 44, 183 Xia, Zhenhai 134 Yayoi-Volk 22 Yeadon, Peter 132-147,137, siehe Decker Yeadon Yokohama-Fährterminal, Yokohama, Japan 52 Yokohama, Japan 52 You’ve Gotta Have Faith 142, 142 Yverdon, Schweiz 148 Zaha Hadid Architects 96-97, 102-103 Zahner Company 176, 178 Zhang, Guoming 134 Zhang, Jin 134 Zumthor, Peter 53, 54, 88, 88, 100

Sachregister

Seitenzahlen in kursiv verweisen auf Abbildungen (Bildlegenden). 1:1 111, 161 Abbindeverzögerer 99 Abdichtung 71, 168 Absorption 78, 117 Absteppen 39, 76 Acryl 92 Adaptiv 120, 122, 124, 125, 166, 167, 181 Affekt 34, 41, 43, 121 Aggregation 40, 48, 51-55, 59, 61, 62, 96, 129, 172 Aktiv, aktivieren 118, 120, 121, 126, 140, 141, 143 Aktuator 141, 144, 147, 171, 183 Algorithmus, algorithmisch 72, 122, 125, 136, 161, 163, 171 Aluminium 14, 16, 55, 139, 148, 154, 156, 168, 178 Amerikanische Lärche 83 Anschluss, Anschlüsse 40, 44, 62, 65, 69, 72, 75 Argongas 168 Ashino-Stein 26 Assemblage 96 Atmosphäre, atmosphärisch 43, 48, 53, 92, 120, 131, 180 Balken 22, 53, 143, 145 Bauindustrie 36, 37, 44,62, 65, 68, 122, 125, 128, 129, 139, 167, 178, 182 Baukomponenten 16, 21, 24, 72 Bauunternehmer 20, 23, 24, 34, 65, 66, 155 Bauvorschriften 18, 21, 43, 114 Beschichtung, beschichtet 96, 112, 136, 137, 138, 139, 141, 156, 158, 167, 175 Beton 19, 20, 25, 26, 30, 32, 34, 40, 43, 45, 48, 53, 56, 69, 71, 78, 79, 94, 95, 99, 100, 101, 105, 154, 159, 164, 167, 181 Beugung 117 Bewehrung, bewehrter Beton 19, 164 Bewertungssystem 179 Biologie 132, 178, 180 Biologisch abbaubar 169 Biomimikry, biomimetisch 99, 132, 134, 135, 136 Biomorph 88, 155 Biopolymere 180 Bottom-up 62 Building Information Modeling (BIM) 24, 25, 178 Building Research Establishment (BRE) 179 CAD 40, 88, 158 CAD/CAM 66, 160, 176 Computer 24, 25, 33, 71, 72, 76, 83, 84, 88, 111, 128, 161, 166, 171, 175, 176, 184 Computer-numerically controlled (CNC) 25, 29, 39, 92, 94, 95, 118, 161, 171, 172, 175 Cradle-to-cradle 160, 180 Dach 16, 36, 37, 39, 41, 50, 59, 69, 72, 87, 96, 100, 128, 154, 168 Dacron 83 Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) 179 Dichroitisch, dichroic 112, 115, 117, 148, 158, 162 Diffusion 94, 117 Digitale Entwurfsprozesse 56, 66, 178 Digitale Fabrikation/Herstellung/Produktion 29, 76, 84, 164, 171, 172, 175, 176, 178 Digitale Interaktion 29 Digitale Materialität 118 Digitales Modellieren 24, 25, 72, 158, 178 Doppelte Krümmung 45, 92, 94, 102, 120 Druck 79, 108, 140, 167 Dye Solar Cells 167 Eisen 13, 19, 20 Elastizität 32, 131, 152, 155 EMF-Beschichtung 139 Energieaustauschende Materialien 120, 167, 168 Entropisch 61 Ephemer 43, 106, 117, 175 Epoxy 29, 80 Escale 29

Ethylen-Tetrafluorethylen (ETFE) 156, 158 Experiment, experimentell 10, 17-21, 23, 25, 29, 32-34, 37, 40, 44, 52, 59, 71, 78, 82, 87, 94, 121, 126, 132, 139, 140, 156, 158, 159, 164, 166, 168, 171, 175, 178, 182-184 Fabrikation 22, 24, 29, 40, 48, 52, 56, 65, 72, 76, 78, 82, 84, 92, 121, 147, 155, 164, 171, 172, 175, 176 Falte 37, 39, 61, 78, 87, 91, 112, 144, 169, 171 Faserverstärkte Kunststoffe 84, 180 Fassade 13, 14, 16, 26, 28, 29, 31, 32, 33, 36, 39, 40, 44-46, 51, 55-57, 65, 66, 67, 70, 71, 72, 80, 83, 87, 88, 106, 109, 111, 114, 125, 137, 138, 140, 141, 155, 158, 161, 168, 172, 175, 176, 178 Fenster 8, 16, 37, 41, 55, 65, 99, 106, 110, 111, 112, 113, 114, 114, 125, 154, 168, 169 Fensterpfosten 43, 112, 113 Feuerwiderstand 139 Fiberglas 78, 84, 87, 92, 159, 175 Figuration, figurativ 44, 48, 50, 53, 61 Filzen 76 Flämischer Verband 40, 51 Flechten 45, 76 Flexibilität 37, 68, 76, 78, 82, 83, 87, 125, 128, 160 Flüchtige organische Verbindungen (VOC) 179 Fluoreszierend 164, 184 Flüssigkeit 82, 106, 108, 135, 139, 144, 148, 160, 167 Flüssigkristallfolie 155 Foglets 147 Form-Funktion-Paradigma 23 Formgedächtnis 155 Fotochromie, fotochromatisch 155, 158, 167 Fotovoltaik, fotovoltaisch 128, 135, 139, 141, 158, 167 Fragmentierung 45, 59, 96 Frostwiderstand 14 Furnier 84, 164, 171, 171, 181 Geometrie 21, 24, 25, 30, 37, 41, 45, 51, 59, 61, 68, 69, 71, 72, 75, 79, 83, 88, 91, 92, 94, 131, 136, 155, 160, 161, 163 Geotextilien 80, 158, 160 Gipskartonplatte 37, 39, 178, 180 Glas 12, 13, 14, 16, 25, 34, 41, 42, 43, 46, 54, 55, 71, 72, 78, 84, 87, 94, 95, 100, 106, 108, 111, 112, 112, 116, 121, 125, 134, 137, 138, 148, 155, 158-161, 162, 164, 166-168, 175, 181, 182 Goldchlorid 108 Graue Energie 121, 179 Handwerk, Handwerkskunst, handwerklich 22, 23, 39, 62, 68, 76, 78, 83, 84, 128 Haute Qualité Environnementale (HQE) 179 Hochfluss-LED 120 Hochleistungsbekleidung 137, 158 Hohlkehle 91, 92 Holz 17, 18, 22, 23, 25, 34, 36, 48, 53, 54, 65, 66, 68, 83, 84, 87, 94-96, 100, 154, 158, 160, 164, 167, 169, 171, 179, 180 Homöomorphismem 100 Hybrid, hybride 21, 44-46, 87, 88, 118, 121, 128, 129, 160 Hydrogel 160 Hydrophil, hydrophob 137, 138, 139, 168 Hydrostone 94 Hyperboloide 72 Immaterialität, immateriell 12, 13, 37, 43, 102 Individualisierte Massenfertigung 39, 59 Industrialisierung 19, 23, 65, 68 Installation 13, 17, 21, 39, 40, 85, 92, 106, 121, 125, 126, 131, 148, 156, 160, 164, 171, 172, 175, 178, 182 Ionoplast 164 Isolierung 18, 83, 121 Kachel 30, 30, 32, 40, 70, 71, 161 Karbon, Karbonfaser 79, 80, 81, 84, 137, 161 Keramik 14, 16, 50, 106, 108, 137, 155, 160, 168, 175 Kerben 88, 95, 102

Kettenlinie 72 Kevlar 79, 81, 84 Kiefer 53 Klassifikation, Klassifizierungssystem, klassifizieren 21, 33, 148, 154, 155, 161, 167, 172 Klassizismus, klassizistisch 34 Klebstoff 53-55, 84, 164 Klima, klimatisieren 59, 76, 80, 87, 121, 178, 181 Knüpfen 76 Kodierung 88, 99, 148, 155, 161, 169 Komplexität 24, 25, 33, 39, 40, 41, 45, 46, 50, 51, 56, 61, 62, 68, 71, 91, 111, 126, 178 Komposit 39, 78, 84, 118, 136-139 Komposition 36, 62, 76, 78, 148, 172 Konfiguration, konfigurativ 40, 44, 48, 50, 51, 53-56, 59, 61, 120, 141 Konstruktion, Konstruktionskomponenten 20, 22-25, 30, 34, 37, 39, 40, 46, 48, 50, 51, 52, 54-56, 59, 61, 62, 66, 68, 69, 71, 72, 75, 80, 82, 83, 87, 93, 100, 105, 110, 112, 113, 114, 118, 125, 128, 145, 154, 158, 163, 166-168, 171, 173, 175, 179, 184 Konstruktionslogik, konstruktive Logik 22, 24, 37, 46, 56, 61 Kontinuierliche Oberfläche 25, 87, 96, 102 Kontroll-Polygon 92 Kontrollknoten 92 Kontrollpunkt 88, 91 Kurvatur 25, 39, 45, 46, 66, 88, 94 Lamelle 14, 108, 111 Lamellenschirm 13 Laminierung, laminieren 54, 76, 79, 79, 84, 112, 164, 169 Lärche 53, 83 Latenz, latent 32, 106, 108, 111, 112, 163, 168 Leadership in Energy & Environmental Design (LEED) 178, 179 Lichtemittierende Textilien 164 Lichtempfindliches Glas 106 Light-Emitting Diode (LED) 109, 120 Ligninklebstoffe 164 Lokalisierte Wärmezufuhr 120 Magnetorheologisch 139, 161, 167 Manganoxid 108 Marmor 26, 99 Maßstabslos 25, 30, 161 Materialbibliothek 148, 155, 157, 158 Materialforschung, -forscher 21, 106, 156 Materialkatalog 33 Materialprüfer 18 Materialsammlung 32, 148, 152, 155, 156, 158, 159, 163 Materialwissenschaften, -wissenschaftler 17, 20, 21, 155, 160, 164 Mauerwerk 13, 34, 36, 37, 40, 51, 52, 55, 65, 66, 99, 175, 176 MDF 175 Mehrachsige Rotation 62 Metall, metallisch 20, 25, 29, 39, 46, 78, 82, 94, 95, 106, 108, 112, 114, 114, 122, 140, 155, 158, 160, 167, 178 Mikrokühlung 120 Militärisch 20, 76, 83, 168 Mimesis 88, 96, 99, 135, 136 Möbel 16, 17, 18, 32, 95, 164, 167, 169, 172, 178, 182 Modellieren 24, 25, 72, 92, 96, 158, 178 Moderne 19, 32, 34, 48, 62, 120, 131 Modul, modular 40, 48, 50, 52-56, 61, 65, 66, 71, 94, 135, 136 Modulation 88, 91, 92, 94-96, 99-102, 105 Molekül, molekular 21, 92, 108, 132, 132, 135, 136, 139, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 168 Monocoque 80, 87 Morphologie 148, 166 Mörtel 52, 65, 71 Muster 30, 32, 36, 40, 41, 51, 52, 56, 65, 71, 76, 78-80, 82, 84, 91, 92, 99, 100, 114, 125, 128, 135, 136, 148, 150, 156, 158, 161, 170, 176

190

Mylar 79, 79, 83 Nachhaltigkeit, nachhaltig 17, 20, 24, 48, 87, 121, 152, 154, 167, 171, 178-181, 186 Nähen 76, 84 Naht 34, 37, 39, 52, 59, 78, 87, 95, 164 Nanoauto 143, 144 Nanofabriken 143, 147 Nanokomposite 136-139 Nanomaschinen 132, 142, 143, 147 Nanopropeller 135, 144 Nanotechnologie 132, 136, 138-140, 142-144, 146, 147, 167, 168, 171 Nasa-Effekt 20 nBots 143, 145, 147 Nomex 83 NURBS 88, 92 Nut-und-Zapfen-Verbindung 34, 36 ökologisch 34, 40, 43, 44, 53, 87, 118, 129, 156, 166, 180, 182, 184 Opazität 118, 155 Operation, operativ 32, 36, 37, 50, 92, 126, 161, 183 Optical Lighting Film 161 Organische Fotovoltaik-Materialien (OPV) 128 Orthografische Projektion 24 Packing 175 Panelite 156, 158, 159, 159 Papierrollen 16, 17-20, 22 Paraffin 178 Parameter, parametrisch 25, 40, 48, 52, 56, 61, 68, 72, 75, 83, 88, 108, 121, 125, 131, 154, 158, 171, 172, 176 Passive Gebäudeklimatisierung 178 Pavillon 17, 17, 18, 21, 41, 42, 43, 53, 54, 72, 172 Performance, performativ 21, 34, 36, 39, 40, 43, 46, 48, 52, 55, 79, 80, 114, 120, 121, 138, 152, 166-168, 181 Phänomen, phänomenologisch 8, 9, 10, 12, 14, 24, 29, 34, 37, 39, 43, 53, 106, 111, 112, 117, 117, 120, 148, 166, 181, 183 Phase Change Materials (PCM) 118, 178 Photon 108, 135 Piezoelektrisch 139, 178 Piloti 61 Pixel, Pixelung 117, 122, 175, 183, 184 Planarität, planar 24, 25, 62, 66, 92, 95, 96, 125, 142 Plastik 61, 82, 84, 148, 169 Plexiglas 125 Pneumatisch 122, 125, 183 Polyäthylenterephthalat (PETG) 148, 172 Polykarbonatfolie 161 Polykrystalline Materialien 120, 168 Polymere 20, 106, 132, 134, 139, 140, 141, 148, 152, 154-156, 160, 164, 168, 179 Polynomische Gleichungen 72 Polypropylen 61 Polystyrol 134 Porosität, porös 80, 171 Porzellan 137, 168 Prototyp, prototypisch 25, 50, 122, 126, 160, 171, 180, 182 Quasikristalle 135, 135, 136 Rapid Prototyping 25, 171 Raster 55, 56, 59 Reaktivität, reaktiv 106, 112, 118, 120-122, 125, 126, 128, 129, 131, 139, 152, 156, 166, 171 Recycling, recycelt 17, 179 Reflektion, reflektierend 113, 43, 71, 95, 108, 109, 111, 112, 116-118, 134, 135, 158, 161 Refraktion 112, 117 Rippen 59, 69, 71 Roboter, robotisch 24, 40, 56, 125, 126, 135, 136, 142, 143, 147, 171, 175, 176, 183, 184 Rotaxane 143, 144, 145, 147 Salzhydrat 168, 178 Säulen 44, 61, 88, 100, 131, 134 Schale 69, 71, 72, 172 Schalung 20, 32, 34, 48, 66, 71, 75, 95, 99-101 Schaum 29, 40, 92, 140, 148, 152, 175, 180

Schichtung, schichten 34, 39, 51, 54, 55, 65, 76, 78, 80, 83, 84, 87, 96, 102, 109, 111, 112, 113, 125, 128, 140, 158, 164, 167, 175 Schnittstelle 21, 129, 160 Schreiner 68, 75, 167 Selbstreinigend 138, 167, 148 Selective-Laser-Sintering (SLS) 25 Selenoxid 108 Sensor, sensorisch 83, 120, 126, 129, 131, 139, 147, 148, 152, 155, 156, 158, 171 Silberchlorid 167 Silberhalogenid 108, 167 Smart Materials 24, 164, 166-168, 180-182 Software 72, 75, 88, 143, 176, 183 Solar-lumineszierende Materialien 118 Solarzellen 120, 128, 139, 167, 178 Sperrholz 66, 95, 96 Sphären 71, 72 Spline 88, 91, 92, 92 Sprödigkeit 65 Stabilität 26, 36, 39, 69, 83, 87, 164 Stahl 26, 29, 34, 37, 39, 48, 53, 71, 78, 79, 83, 94, 99, 112, 126, 155, 156, 164, 168, 178, 181, 182 Stein 8, 12, 19, 25, 26, 26, 27, 40, 48, 50-52, 56, 65, 66, 88, 94, 96, 99, 175 Steppen 76 Stereolithografie (SLA) 25 Stereotomie, stereotomisch 50, 55 Stoßverbindung 34, 41 Stricken 76 Styrolschaum 29 Styropor 61 Superabsorbierende Hydrogel-Gewebe 160 Superabsorbierende Polymere 148, 168 Superlegierung 20 Synthetisch 78, 82, 84, 135, 148 Tageslicht 59, 108, 109, 112, 114, 120 Taktilität 76, 155 Tangente, tangential, kotangent 45, 88, 91, 92, 92, 101 Taxonavigation 148, 161, 163, 169 Taxonomie, taxonomisch 52, 117, 148, 161 Teflon 83, 158 Teil-zum-Ganzen-Beziehung 10, 72 Teilchendichte 91 Textilien 34, 36, 50, 76,78, 79, 79, 80, 80, 82, 82, 83, 84, 85, 87, 125, 126, 128, 156, 158, 160, 161, 164, 167, 169, 182 Textur 14, 32, 59, 76, 91, 118, 175 Thermische Diagramme 43, 44, 183 Thermische Masse 118, 175 Thermochromatisch 167, 184 Thermodynamik 43, 178, 180 Titandioxid 171, 179, 180 Top-down 52, 62 Topologie, topologisch 75, 91, 92, 100 Tradition, traditionell 8, 14, 17, 19, 22, 25, 37, 40, 45, 52, 54, 62, 65, 66, 68, 76, 82-84, 112, 118, 122, 125, 128, 131, 142, 164, 178, 178, 181, 182, 184 Träger 20, 41, 44, 50, 53, 61, 66, 82, 92, 125, 126, 128, 160, 164, 182 Tragwerk 18, 22, 25, 26, 40, 41, 44, 46, 61, 69, 71, 78, 79, 80, 82, 88, 94, 95, 101, 112, 121, 122, 138, 164, 166, 166, 178 Transmission 79, 113, 117, 139, 176 Transparenz, transparent 12-14, 26, 41, 54, 61, 71, 106, 111, 112, 117, 125, 134, 139, 154-156, 159, 161, 166, 168 Typ, Typologie, typologisch 23, 36, 40, 44, 48, 50, 54, 58, 59, 83, 122, 126, 127, 128, 135, 160, 161, 167, 169, 171, 175, 180, 182 Umwelt 10, 12, 13, 19, 22, 25, 43, 46, 48, 52, 79, 80, 106, 111, 112, 117, 120-122, 125, 126, 128, 131, 236, 138, 143, 148, 154, 166, 168, 169, 178-181 Vakuumformung, vakuumgeformt 92, 48, 175

Verbindung 10, 18, 23, 34, 36, 37, 39-41, 44, 48, 51-53, 62, 65, 68, 69, 71, 72, 75, 76, 80, 82-84, 92, 94, 100-102, 106, 108, 114, 118, 122, 137, 140, 143, 148, 156, 159, 164, 166, 168, 169, 171, 178, 179, 181 Verkleidung 26, 39, 54, 122, 159 Visualisierung 40, 72, 129 Vorhangfassade 13, 106, 109 Voronoi-Diagramm 40, 172 Wabenpaneele 158, 159, 159 Wärmeausdehnungskoeffizient 20 Wärmeenergie 112, 178 Wärmefluss 181 Wasseraufnahme 14 Weben 32, 36, 76, 139, 155, 161 Weichheit 99, 152, 154 Werkzeug 40, 62, 65, 66, 68, 72, 75, 76, 132, 136, 147, 163, 171, 172, 175, 176, 181 Wetterschutz 46 Windfluss 181 Witterung 71, 83, 118 Wunderkammer 155, 159 Zahnung 92 Zellophan 78 Zement 71, 94, 137, 138, 148 Ziegel 25, 26, 40, 50, 52, 56, 65, 66, 176 Zink 37 Zugspannung 19

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Abbildungsnachweis

Die Nachweise für die Abbildungen im Kapitel „Materialisierungen der Nanotechnologie in der Architektur“ befinden sich in den Bildlegenden zu den jeweiligen Abbildungen. o. oben, M. Mitte, u. unten, l. links, r. rechts Office dA  Cover, 35, 41 (2 Abb.), 53, 58, 60 (2 Abb.), 61, 66 (2 Abb.), 95 (2 Abb.), 175 M., 175 u. Michel Denancé  10 Vladimir Babkin, Dreamstime  12 Renzo Piano Building Workshop  13, 14 o., 14 M., 16 M. Thomas Schröpfer  15, 166 (2 Abb.), 174, 175 ol., 175 or. Shigeru Ban Architects  16 o., 17 (3 Abb.) Dan Talson, Dreamstime  18 Pavel Vrzala, Dreamstime  20 Piya Leelaprad, Dreamstime  23 Bryan Boyer, Harvard University Graduate School of Design  24 Replayall, Dreamstime  25, 94 M. Kengo Kuma & Associates  26 (2 Abb.), 27 Lars Spuybroek / NOX  28 (2 Abb.), 29 (2 Abb.) Preston Scott Cohen  30, 31 (2 Abb.), 32, 47 (2 Abb.) Herzog & de Meuron  36 John Wardle Architects  38, 39 (2 Abb.) Gramazio & Kohler, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich  40, 56 (2 Abb.), 57, 165, 184 (3 Abb.) SANAA  42 (2 Abb.), 43 M. Morger & Degelo, Christian Kerez  43 ol., 43 or. Philippe Rahm Architects  44 M., 44 u., 183 M., 183 u. Rem Koolhaas / OMA  45, 159 (2 Abb.) Steven Holl Architects  46 M., 55 (2 Abb.) SHoP Architects  46 u., 172 (3 Abb.), 173 (2 Abb.), 179 Kruunenberg Van der Erve Architecten  49, 54 (2 Abb.) Moshe Safdie and Associates  50 Jarnogz, Dreamstime  63 Museum Het Schip  64 Wessel Cirkel, Dreamstime  67 Instinia Photography, Dreamstime  69 Janateneva, Dreamstime  70 Typhoonski, Dreamstime  72, 73 Aliaksandr Nikitsin, Dreamstime  74 Paul Warchol  77, 82, 86 (2 Abb.) Andrew Garn, Smithsonian Institute  79, 80 (2 Abb.), 81 (4 Abb.), 85 u. Matt Flynn, Smithsonian Institute  78 Toshiko Mori Architect  84 (4 Abb.), 85 o., 87 (5 Abb.) Thomas Mayer Archiv  89 Christian Richters  90 UN Studio  91 (3 Abb.) Ali Rahim and Hina Jamelle /  Contemporary Architecture Practice  93 (3 Abb.), 98 (3 Abb.), 169 Erwin Hauer  94 ol., 94 or. Zaha Hadid Architects  96 (2 Abb.), 102 (3 Abb.) Werner Hutmacher  97 (2 Abb.), 103 u. Oleg Mitiukhin, Dreamstime  101 Richard Bryant  103 M. MVRDV  104 (4 Abb.) Andreas Keller  107, 109 MM., 109 Mr., 109 ur., 116 (5 Abb.) James Carpenter Design Associates  106 (3 Abb.), 109 ol., 109 Ml., 109 ul., 110 (6 Abb.), 111 (6 Abb.), 113 Ml., 113 ur., 114 (5 Abb.), 115, 117 ol., 117 or. Hajime Tanaka  108 l., 108 r. Takeshi Kawasaki, Takeaki Araki, Hajime Tanaka  108 M. David Sundberg  109 or. Balthazar Korab  113 u., 3. Abb. von l. Brian Gulick  113 ol., 113 or. Bob Peters  117 or.

Mette Ramsgard Thomsen, Karin Bech  119 Omar Kahn  120 (2 Abb.), 130, 131 Julius Popp  121 (2 Abb.) Mark Goulthorpe dECOi Architects  122, 123 (4 Abb.) Hoberman Associates  124 (2 Abb.) KVA MATx  125 (4 Abb.), 126 (5 Abb.), 127 senseable city lab at MIT  129 (3 Abb.) Lee-Su Huang, Gregory Thomas Spaw, Harvard University Graduate School of Design  149, 156, 157 Anita Kan, Materials Collection, Harvard University Graduate School of Design  150 (24 Abb.), 151 (24 Abb.) Liat Margolis  152 (2 Abb.), 162 Material ConneXion  153, 154 o., 170 (2 Abb.) Eran Lam, iMatter  154 u. Beatrice Saraga, Wileen Kao  160 M., 160 u. R&Sie  160 ol., 160 or. Gerry Amstutz  165 Steffen Reichert, Hochschule für Gestaltung Offenbach  171 (4 Abb.) Neutelings Riedijk Architecten  176 o. Form Finding, Hochschule für Gestaltung Offenbach   176 M., 176 u. Daria Scagliola  177 Mitchell Joachim / Terreform ONE + Terrefuge  180 (2 Abb.) Achim Menges, OCEAN / Hochschule für Gestaltung Offenbach / Oslo School of Architecture 183 o.

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