Maribor/Marburg an der Drau: Eine kleine Stadtgeschichte 9783205791560, 9783205787204

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Maribor/Marburg an der Drau: Eine kleine Stadtgeschichte
 9783205791560, 9783205787204

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Tamara Griesser-PeČar

Maribor /Marburg an der Drau Eine kleine Stadtgeschichte

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien

Umschlagabbildung: Blick auf den Marburger Stadtteil Lent, Gemälde von Rado Jerič (im Besitz der Autorin) Umschlaggestaltung : Michael Haderer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78720-4 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Baltoprint, Litauen

Inhalt Marburg auf den ersten Blick: Kulturhauptstadt Europas 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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„Ich kämpfe für diese Stadt“: Marchburg, Marburg, Maribor – der Name. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die Toten als Zeugen der Lebenden: Geheimnisse des Burgstalls . . . . . 17 Römer, Germanen, Hunnen, Awaren – und dann die Slawen. . . . . . . 22 Spanheimer, Traungauer, Markgrafen von Steiermark und der Vater von Marburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Babenberger und Habsburger: Das Herzogtum Steiermark im Heiligen Römischen Reich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Castrum Marchburg – die wechselhafte Geschichte der Obermarburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Wie die Stadt Marburg gegründet wurde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 In Marburg wird gebaut: Häuser, Burgen, Festungen – vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Marburger der frühen Jahre: Wer und wie viele? . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Müller, Gerber, Bauern, Bäcker – und ein schönes Wein-Monopol  . . . 56 5

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Die Stadt wird verwaltet – und verwaltet sich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Die Marburger Urpfarre – Kirchen, Friedhöfe, Klöster. . . . . . . . . . . . 65 Schande der Gegenreformation: Das Schicksal der Lutheraner. . . . . . . 72 Die Juden – ein trauriges Kapitel der Stadt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Jesuiten, das erste Gymnasium und die große Zehe der Muttergottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Der wirtschaftliche Niedergang: Vom Ende des 15. Jahrhunderts bis Mitte des 18. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Tiefstand, Aufschwung, Abschwung – wirtschaftliche Wenden einer betriebsamen Stadt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Marburg als Kreishauptstadt: Maria Theresia entmachtet die Stände

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Im Kampf gegen den Eroberer Napoleon: Marburg im neuen Kaiserreich Österreich (1804  –1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Wie sich Marburg von Napoleon zu erholen versucht: Verwaltung nach den Kriegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Der Bildungsschub: Immer mehr Bürger lernen lesen und schreiben – und die Slowenen stehen auf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Marburg liebt sein Theater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Marburg wird Bischofssitz: Anton Martin Slomšek und sein Kampf für das Slowenentum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6

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Die Evangelischen und das Nationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Das nationale Erwachen: „Schämt euch nicht, dass ihr Slowenen seid !“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Marburger Bürger und ihre nationale Zugehörigkeit. . . . . . . . . . . . . 172 Das Ende der Beschaulichkeit: Deutsche und slowenische Zeitungen in Marburg. . . . . . . . . . . . . . . 179 Vom Gerber bis zum E-Werk: Die industrielle Aufrüstung der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Die Garnisonsstadt: Elite-Regimenter und Bürgercorps. . . . . . . . . . . . 198 Marburg während des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Südslawien oder Deutschösterreich? Der Kraftakt des Generals Maister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Maribor im Königreich Jugoslawien: Deutsch raus, Slowenisch rein. . . 229 Zwischen den Kriegen: Der Aufstieg der Industriestadt Maribor. . . . . 242 Bunter Garten der Marburger Kultur – und ein marxistischer Zirkel im Priesterseminar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Die Katholiken rücken ins zweite Glied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Die Deutschen werden zur Minderheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Der Tag, als Hitler kam: Marburg – „Deutsch auf ewig“. . . . . . . . . . . 261 7

inhalt

Bombennächte: Marburg – meistzerstörte Stadt in Jugoslawien. . . . . . 280 Der schwierige Widerstand: Partisanen und Verbände. . . . . . . . . . . . . 284 „Befreiung“ oder neue Diktatur?: Marburg in der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien (FLRJ) 1945  –1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Trümmer wegräumen für eine neue Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Aufbau mit Hindernissen: Planwirtschaft und „Selbstverwaltung“. . . . 304 Die katholische Kirche – Staatsfeind Nummer eins. . . . . . . . . . . . . . . 314 Freie Stadt im freien Land: Marburg im neuen Slowenien. . . . . . . . . . 323

Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Zeittafel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Wichtige Marburger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Namenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

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Marburg auf den ersten Blick: Kulturhauptstadt Europas 2012 Eine pulsierende Metropole ist Marburg nicht. Keine Mega-Stadt, kein Weltzentrum. Mit seinen 116.769 (samt Umlandregion rund 150.000) Einwohnern erreicht es, obwohl zweitgrößte Stadt der seit 1991 selbstständigen Republik Slowenien, gerade knapp die offizielle Mindestgröße für „Großstädte“. Und doch ist Marburg – den slowenischen Namen „Maribor“ trägt es seit dem 19. Jahrhundert – eine überaus bewegte, spannungsreiche und politisch wie kulturell bedeutsame Stadt, in welcher zwei Völker ebenso konfliktreich wie zusammenwirkend aufeinandertreffen. In deren oft widersprüchlichem Miteinander und Gegen­ einander spiegelt sich die Geschichte Sloweniens und Österreichs – wie überhaupt Europas, zu dessen „Kulturhauptstadt 2012“ Marburg ge­wählt wurde. Wer heute nach Marburg kommt, findet eine sonnenreiche, friedliche Stadt mit freundlichen Menschen vor, an einem sich sanft und breit dahinwindenden Fluss – deutsch Drau, slowenisch Drava – gelegen und eingebettet in eine Landschaft grüner, fruchtbarer Hügel und Weingärten. Aber Marburg war nie eine Idylle. Es ist eine dynamische, schaffensreiche Stadt, heute wichtige Industrie-, Landwirtschafts- und Handelsstadt mit den Schwerpunkten Maschinenbau, Textilverarbeitung, Bauwesen und Weinbau, und eine rundum moderne Kultur- und Universitätsstadt, die den unterschiedlichsten, auch jüngsten Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, etwa in der Musik, die Tore weit geöffnet hat. Aber hinter dieser glücklich erscheinenden Gegenwart verbirgt sich eine von schroffen Gegensätzen, von Kämpfen, Kriegen, Zerstörungen, Katastrophen und Unterdrückungen geprägte Vergangenheit, die zum Wesen dieser Stadt gehört. Von einer „deutschen Insel“ in einem slowenischen Land ist Mar9

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burg zu einer rein slowenischen Stadt geworden, deren einstige Zugehörigkeit zur österreichisch-ungarischen Monarchie und deren frühere, von deutschsprachigen Bewohnern beherrschte Kultur jedoch noch im­mer an allen Ecken und Enden zu spüren sind. Diese Stadt, gewissermaßen die Hauptstadt der slowenischen Region Štajerska (Untersteiermark), auf einer Seehöhe von 270 Metern an der Westgrenze des Podravje-Gebiets gelegen, seit 1859 Sitz eines Bischofs (seit 2006 eines Erzbischofs), muss gerade den Historiker herausfordern. Denn was Marburg wirklich ist, erschließt sich nicht allein aus dem genussreichen Betrachten der bezaubernden Landschaft, der Stadtarchitektur und der historisch markanten Gebäude wie etwa des vom 13. bis zum 18. Jahrhundert erbauten Doms, oder aus dem Besuch der vielen oft international ausgerichteten Veranstaltungen, sondern erst aus einem Blick in die Geschichte. Ein solcher Blick verlangt jedoch ein gutes Maß an Schonungslosigkeit. Nationale Animositäten, ideologische Verzerrungen, engstirnige Vorurteile oder lange gepflegte Wunschvorstellungen haben auch in Marburg oft geherrscht – sie müssen der Erkenntnis er­­ wiesener Fakten weichen, wenn Marburgs Geschichte eine wahrhaftige Geschichte sein soll. Eine Stadt, die immer mehr Gäste aus aller Welt anlockt, bedarf der Harmonie, aber nicht einer falschen, künstlichen, die die tiefen Klüfte und Widersprüche übergeht. So müssen zum Beispiel die Mängel der österreichischen Verwaltung zu Zeiten der Monarchie erkannt werden, und es müssen die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten am slowenischen Teil der Bevölkerung zur Zeit der Okkupation des Landes (1941 bis 1945) sowie die vielen rücksichtslosen Zwangs­ umsiedlungen von Slowenen durch die deutschen Besatzer ebenso deutlich gesehen und genannt werden wie die kommunistische Unterdrückung nach dem Zweiten Weltkrieg im Vielvölkerstaat Jugoslawien. Unter anderem darf auch manch wenig Schmeichelhaftes für die Stadt nicht übersehen werden, etwa dass offene und verdeckte Vertreibungen von Deutschen die Entwicklung Marburgs zur rein slowenischen Stadt vorangetrieben haben. Auch hier aber wird wieder klar, dass es meistens 10

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nicht die Völker und die Menschen waren, die sich gegenseitig bekämpften und vernichteten, sondern die Ideologien und Strategien festgefahrener Systeme und machtversessener Politiker. Der ehrliche Blick in die Geschichte verschärft die früheren Gegensätze nicht, sondern kann die Reste alter, verdeckt weiterlebender Feindseligkeiten aufarbeiten und die Menschen versöhnen. Wenigstens in einer ganz bestimmten Hinsicht ist Marburg auch eine Stadt des Rekords. „Modra kavčina“ („Blauer Kölner“) – das ist die Weinsorte, die hier von der ältesten Weinrebe der Welt (sie ist vierhundert Jahre alt) gewonnen wird. 1981 wurde diese Marburger Rebe als Kulturerbe unter Schutz gestellt und 2004 ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Das ist vielleicht nicht weltbewegend, aber doch ein nicht unbedeutendes Symbol für die Weinstadt Marburg. Zwischen 35 und 55 Kilogramm Trauben werden von dieser Rebe im Oktober gelesen und die so gewonnenen fünfzig Liter Wein in hundert (von dem bekannten Künstler Oskar Kogoj entworfenen) 2,5-DeziliterPhiolen abgefüllt. Der Wein gehört nämlich zu den wichtigsten Wirt­ schaftsgütern der Stadt und ihrer Umgebung. Marburg ist das Zentrum des bedeutendsten slowenischen Wein-Anbaugebietes Podravje (Drauland) und wird als „Weinhauptstadt Sloweniens“ gerühmt. Mit seinem 1822 gegründeten Versuchs-Weingut hatte der populäre Erzherzog Johann, Bruder des damaligen österreichischen Kaisers Franz I., ent­ scheidende Weichen für die Qualität des hiesigen Weinbaus gestellt. Dabei ist das Marburger Gebiet, begünstigt von seinem mild-sonnigen subpannonischen Klima, vor allem wegen seiner edlen und aromatischen Weißweine bekannt. Gewiss hängt mit dem Weinbau und dem Weingenuss auch die außerordentliche Freude an Geselligkeiten und Festlichkeiten zusammen, die nicht nur der Stimmung im Land, sondern auch dem Tourismus voranhelfen. Und in besonderem Maße gilt das, was von den Slowenen insgesamt gesagt wird, für die Menschen von Maribor: Sobald drei Slowenen versammelt sind, bilden sie einen Gesangschor. 11

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Aus den jährlich wiederkehrenden sommerlichen Events sticht unter anderem das alljährlich veranstaltete zweiwöchige Lend-Festival heraus, benannt nach dem am linken Drauufer gelegenen romantischen Stadtbezirk Lend (Lent), in dem es stattfindet – mit vielen bunten Musik-, Theater- und Kleinkunstdarbietungen. Im August strömen zahllose – vor allem junge – Menschen aus nah und fern in die alte Heeresbäckerei zum Punk-Festival „No Border Jam“. Und im Herbst genießen Bewohner und Touristen in Marburg einen zweiwöchigen „Glasbeni september“ („MusikSeptember“) – ein international viel beachtetes Kammermusik-Festival. Marburgs Landschaft ist von seltener Anmut. Im Norden wird die Stadt von den sanften Windischen Büheln (Slovenske Gorice) begrenzt, im Süden liegt es am Fuße des für den Tourismus bedeutsamen Bachern­ gebirges (Pohorje), das zu den Zentralalpen zählt. Dort finden im Winter die Damen-Weltcuprennen (Slalom und Riesenslalom) statt, „Zlata lisica“ – „Goldener Fuchs“ – genannt, die seit 1964 veranstaltet werden. Die Gesamtsiegerin erhält eine Trophäe in Form eines Fuchses aus Gold. Aber auch jenseits aller Ski-Spektakel ist dieses Gebirge von weithin bekanntem Reiz. Im Sommer und im Herbst führt es den Wanderer über weite Almwiesen, über Pfade, Grate und zerklüftete, steile und oft felsige Hänge an zahlreichen Flüsschen und Bächlein vorbei, auch an gewaltigen Wasserfällen – wie etwa dem Großen Sumek, in dessen Nähe sich mehrere Moorseen und ein wildromantischer Primärwald befinden. Viele Gewässer, begünstigt von starken Niederschlägen und teilweise wasserundurchlässigen Böden, münden auf der nördlichen Seite des Gebirges in die Drau, auf der südlichen in die Save. Den Großteil des Mittelgebirges bedecken dichte Wälder – mit Nadelbäumen wie Tannen, Föhren und Fichten in den höher gelegenen Gebieten sowie Laubbäumen in den niedrigeren Regionen – vor allem Buchen und Eichen. Aber auch Edelkastanien sind hier zu finden und viele seltene Pflanzen. Botaniker schätzen dieses Gebiet ganz besonders, weil hier die Flora Zentraleuropas auf jene Südmitteleuropas und der Dinariden trifft. Und was die hiesigen Wildtiere anlangt, so sind zwar alte, hier einstmals 12

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heimische Arten wie Luchs, Wolf und Braunbär inzwischen verschwunden (Braunbären verirren sich nur noch gelegentlich über die Karawanken hierher), doch ist der Wildtierbestand reich an Rothirschen, Rehen und Gemsen. Zudem sind hier unzählige Vogelarten zu Hause, etwa der Specht, der Auerhahn, das Birkhuhn oder die Wasseramsel. Ungeachtet der weithin erhaltenen Natur ist Marburg jedoch ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, aus allen Richtungen rasch und bequem erreichbar. Dabei markiert die Drau eine natürliche West-Ost-Verkehrs­ linie am Ostrand des Bachern- und Poßruckgebirges. Auch liegt Marburg direkt an der altösterreichischen Südbahnlinie Wien – Graz – Marburg/ Maribor – Steinbrück/Zidani Most – Laibach/Ljubljana – Adelsberg/ Postojna – Triest sowie an der Drautalbahn, der Ost-West-Achse Marburg – Unterdrauburg/Dravograd – Klagenfurt – Villach (Tauernbahn)­– Lienz – Franzensfeste (Brennerbahn). Zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie, der die ganze Steiermark angehört hatte, hatte die Bahn in der Stadt Marburg ihre wichtigsten Werkstätten angesiedelt. Heute werden beide großen Eisenbahnlinien von Slowenien und Österreich gemeinsam betrieben. Vor allem aber das Autobahnnetz wurde, seit Slowenien selbstständig ist, mit großer Dynamik auf- und ausgebaut. So ist Maribor heute über die Autobahn A1 mit der südwestlich gelegenen slowenischen Hauptstadt Ljubljana (Laibach) verbunden, im Norden über die österreichische Autobahn A9 und den Grenzort Spielfeld mit Graz, der Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Steiermark, das rund sechzig Kilometer von Maribor entfernt liegt und zu diesem enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen unterhält, schließlich im Osten über die Autobahn A5 mit Murska Sobota und Nagykanisza (Ungarn). Auf ungarischer Seite findet die A5 ihre Fortsetzungen in den Autobahnen M70 und M7 in Richtung Budapest. Etwa zehn Kilometer südlich Marburgs liegt der Flughafen der Stadt im Ortsteil Slivnica/ Schleinitz.

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Abbildung 1: Marburg an der Drau im 17. Jahrhundert. Darstellung des Topografen Georg Matthäus Vischer, 1681

„Ich kämpfe für diese Stadt“: Marchburg, Marburg, Maribor – der Name Marburg ist eine alte Stadt, deren Entstehung und Entwicklung seit dem Mittelalter den Historikern noch immer eine Reihe von Rätseln aufgibt. Vieles liegt im Nebel einer Vergangenheit, die sich nicht eben als reich an einwandfreien Zeugnissen, Urkunden und Dokumenten erweist, jedoch manche Schlussfolgerungen aus mühsam Aufgespürtem und spärlich Erhaltenem erlaubt. So ist denn auch die Beantwortung manch wichtiger Fragen auf Vermutungen angewiesen, und etliche wissenschaftliche Beweise sind bis heute strittig. Die Forschungen über Marburgs Vergangenheit gehen auch heute und in der Zukunft weiter und führen zu manch überraschenden Erkenntnissen. Der deutsche Name „Marburg“ geht jedenfalls ins zwölfte Jahrhundert zurück. „Marchburch“ – 1164 lateinisch-deutsch als „Castrum Marchburch“ bezeugt – hieß so viel wie „Burg in der Mark“, also „Burg in der Grenzgrafschaft“. Die Burg stand auf dem heutigen Pyramidenberg nördlich der Stadt. 1209 taucht in einer Urkunde des BabenbergerHerzogs Leopold VI. das „Forum Marchpurch“, also der Markt Marchpurch, auf, und erstmals erscheint diese Bezeichnung am 4. Dezember 1254 als Name für die Stadt: „Civitas Marpurg“. Der slowenische Name „Maribor“ wurde indes erst in jüngerer Zeit geprägt. Umgangssprachlich verwendeten die Slowenen auch schon im 19. Jahrhundert die Bezeichnung „Marprog“ für die Stadt, doch setzte sich dieser Name letztlich nicht durch. Fast gleichzeitig erschien jedoch im Schrifttum der heutige Name „Maribor“. Es war der Schriftsteller Stanko Vraz,1 der ihn in einem Brief vom 10. Novem1 Stanko Vraz, ursprünglich Jakob Fras (*30. 6. 1810 in Cerovec/Scherowetz in der Untersteiermark, † 24. 5. 1851 in Agram/Zagreb), einer der feurigsten Vertreter des Illyrismus.

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„ I c h k ä mpfe f ü r diese s ta d t “ ber 1836 an den Slawisten und Begründer des neuen kroatischen Schriftwesens, Ljudevit Gaj (1809–1872),2 zum ersten Mal gebrauchte, wenn auch noch in der Form „Marbor“. Vraz erwähnte in jenem Brief die „Marborer“ Druckerei sowie die Stadt „Marbor“, die er später durchgehend „Maribor“ nannte. Bald verwendete dann auch Gaj den Namen in seiner Zeitschrift Danica. Dabei war „bor“ offensichtlich ein Synonym für „burg“. Das ist auch aus anderen Gegenden bekannt. So soll zum Beispiel der Name „Brandenburg“ aus dem slawischen „branibor“ hervorgegangen sein. Gewissermaßen hat man es an der Drau mit dem umgekehrten Prozess zu tun: Während in Brandenburg der slawische Name germanisiert wurde, wurde im Fall Maribor der germanische Name slawisiert. Nach 1838 übernahmen Gajs Freunde den Namen „Maribor“ für die Stadt, aber es dauerte noch eine Weile, bis er gebräuchlich wurde. Erst als der Schriftsteller Lovro Toman, Jurist und Abgeordneter im Parlament zu Wien, im Jahr 1861 das patriotische Gedicht „Mar i bor“ veröffentlichte, fiel der Name in der Sprache der Slowenen auf fruchtbaren Boden. „Mar i bor – mar mi je“, heißt es in dem kleinen poetischen Werk: „Mar i bor“ – „lieb ist sie mir“, „i(n) bor-im se za to mesto“ – „und ich kämpfe für diese Stadt …“ Der erste slowenische Leseverein (čitalnica) in Marburg erhielt nun den Namen „Maribor“, und es war bahnbrechend, dass Dr. Matija Prelog, ein slowenischer Arzt in Marburg, Mitbegründer und späterer Präsident des Lesevereins sowie Gründer und Redakteur der Wochenzeitung Slovenski gospodar, anlässlich der Feierlichkeiten zu Ehren der beiden Heiligen Cyrill und Method am 5. August 1863 zweihundert Krüge mit der Aufschrift „Maribor“ anfertigen ließ. Amtlich wurde zunächst jedoch weiterhin ausschließlich der deutsche Name „Marburg“ verwendet. Erst als diesem im Jahr 1910 auf höchstes Geheiß der amt2 Ljudevit Gaj (*8. Juli 1809 in Krapina, Komitat Warasdin/Varaždin, Kroatien [damals Österreich-Ungarn], † 20. April 1872 in Zagreb) war Slawist und Begründer des neuen kroatischen Schriftwesens.

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liche Zusatz „an der Drau“ angehängt wurde – um nämlich die Stadt von „Marburg an der Lahn“ in Hessen zu unterscheiden –, kam auch der slowenische Name dazu. Die Stadt hieß fortan: „Marburg an der Drau – Maribor na Dravi“.

Die Toten als Zeugen der Lebenden: Geheimnisse des Burgstalls Vor rund viertausend Jahren ließen sich die ersten Menschen im Gebiet der heutigen Stadt Maribor/Marburg und deren Umgebung nieder. Nach verschiedenen archäologischen Funden – Steingeräten wie Beilen oder Meißeln – zu urteilen, siedelten sie sich in der Kupferzeit – das war die Zeit vom 24. bis zum 19. Jahrhundert vor Christus – entlang der Drau an, vom heutigen Dogoše/Lendorf bis Kamnica/Gams sowie am Fuße des Bacherngebirges von Hoče/Kötsch bis Limbuš/Lembach.3 Diese Siedler waren nicht nur Jäger, Fischer und Sammler, sondern teilweise auch schon echte Bauern: Sie säten und ernteten Weizen, Gers­ te, Saubohnen, Erbsen und widmeten sich der Viehzucht – vor allem hielten sie Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen. Vom Leben in jener Zeit zeugen Stücke von Tongefäßen, Schalen, Löffeln, Spindeln und Tonringen, die hier gefunden wurden, aber auch Teile von Werkzeugen aus hartem Stein (Serpentin, Amphibolit), etwa von Äxten, Grabwerk­ zeugen und Meißeln. Aus noch älteren Zeiten allerdings gibt es keine wirklichen Spuren für menschliches Leben in diesem Gebiet. Zwar wurde aus der Tatsache, 3 Stanko Pahlič, „Arheološka obdobja Maribora“, Maribor skozi stoletja, Maribor 1991, S. 40/41; Vesna Koprivnik, „Arheološka zbirka“, Archäologische Sammlung, Stoletno poročilo. Vodnik po izbranem gradivu iz pokrajinskega muzeja v Mariboru, Maribor 2003, S. 48 –50.

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liche Zusatz „an der Drau“ angehängt wurde – um nämlich die Stadt von „Marburg an der Lahn“ in Hessen zu unterscheiden –, kam auch der slowenische Name dazu. Die Stadt hieß fortan: „Marburg an der Drau – Maribor na Dravi“.

Die Toten als Zeugen der Lebenden: Geheimnisse des Burgstalls Vor rund viertausend Jahren ließen sich die ersten Menschen im Gebiet der heutigen Stadt Maribor/Marburg und deren Umgebung nieder. Nach verschiedenen archäologischen Funden – Steingeräten wie Beilen oder Meißeln – zu urteilen, siedelten sie sich in der Kupferzeit – das war die Zeit vom 24. bis zum 19. Jahrhundert vor Christus – entlang der Drau an, vom heutigen Dogoše/Lendorf bis Kamnica/Gams sowie am Fuße des Bacherngebirges von Hoče/Kötsch bis Limbuš/Lembach.3 Diese Siedler waren nicht nur Jäger, Fischer und Sammler, sondern teilweise auch schon echte Bauern: Sie säten und ernteten Weizen, Gers­ te, Saubohnen, Erbsen und widmeten sich der Viehzucht – vor allem hielten sie Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen. Vom Leben in jener Zeit zeugen Stücke von Tongefäßen, Schalen, Löffeln, Spindeln und Tonringen, die hier gefunden wurden, aber auch Teile von Werkzeugen aus hartem Stein (Serpentin, Amphibolit), etwa von Äxten, Grabwerk­ zeugen und Meißeln. Aus noch älteren Zeiten allerdings gibt es keine wirklichen Spuren für menschliches Leben in diesem Gebiet. Zwar wurde aus der Tatsache, 3 Stanko Pahlič, „Arheološka obdobja Maribora“, Maribor skozi stoletja, Maribor 1991, S. 40/41; Vesna Koprivnik, „Arheološka zbirka“, Archäologische Sammlung, Stoletno poročilo. Vodnik po izbranem gradivu iz pokrajinskega muzeja v Mariboru, Maribor 2003, S. 48 –50.

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dass unter dem Schlapfenberg/Meljski hrib ein Zahn eines jungen Mammuts gefunden wurde, das wohl in der Altsteinzeit, etwa um 70.000 v. Chr., gelebt haben muss, von einigen Forschern die Vermutung abgeleitet, dass das Tier von Menschenhand getötet worden war, doch ist diese Ansicht nicht hinreichend begründet und entsprechend umstritten. Bis heute gibt es keine wirkliche Bestätigung für die Annahme, dass es schon zu solch uralten Zeiten Menschen in diesem Gebiet gegeben habe. Auch die in der Umgebung der heutigen Stadt gelegenen, nicht sonderlich tiefen Steinhöhlen sind zu wenig aussagekräftig, um einen Beweis für eine solche These abzugeben. Indes gibt es aufgrund der genannten Funde keine Zweifel daran, dass jedenfalls vom 24. bis zum 19. vorchristlichen Jahrhundert Men­ schen in der heutigen Marburger Region gelebt haben. Dagegen liegen aus der dann folgenden Älteren und Mittleren Bronzezeit (1800 bis 1200 v. Chr.) kaum nennenswerte Funde vor. Offensichtlich erfuhr dieses Gebiet erst in der Jüngsten Bronzezeit, etwa ab dem zehnten Jahrhundert v. Chr., eine stärkere Besiedlung. Und dies wird von zahlreichen Ausgrabungen und weiterführenden Untersuchungen bestätigt. So wurden aus dieser Zeit viele Flach- und Urnengräber an der heutigen Mladinska ulica unter dem Kalvarija (Kalvarienberg) am Südrand Marburgs gefunden, ebenso in Radvanje/Rothwein im Südwesten der Stadt, ferner im östlichen Teil, in Pobrežje/Pobersch, und in der Ortschaft Ruše/ Maria Rast zwölf Kilometer westlich von Marburg. Einige dieser Gräber wurden im 19. Jahrhundert n. Chr. entdeckt, die meisten im 20. Jahrhundert – wie etwa jene von Pobersch zwischen 1936 und 1964, wobei gezielte Ausgrabungen erst 1952 starteten. So paradox geht es eben auch in der Geschichtswissenschaft und in der Altertumskunde zu: Der einstige Kult um die Verstorbenen bringt oft die besten Erkenntnisse über die damals Lebenden. Insgesamt wurden im genannten Raum bis heute 220 Gräber entdeckt. Und als vor wenigen Jahren, 2005 und 2006, in diesem Teil Sloweniens die Autobahn gebaut wurde, tauchten im Zuge der erforderlichen Bohrungen, 18

G eheimnisse des burgs ta l l s

Aushebungen und Aufschüttungen auch Reste einer zu den Gräbern gehörigen Siedlung auf. Es handelte sich dabei um Rudimente von Häusern, um Feuerstellen und Vorratsgruben. Tongefäße und Bronzeschmuck aus jenen Gräbern sind heute in der archäologischen Samm­ lung des Pokrajinski muzej, des Marburger Stadtmuseums, zusammengeführt und verwahrt. In der älteren Eisenzeit, also etwa zwischen 800 und 500 v. Chr., verließen viele Menschen das Tal und das Drauufer und ließen sich, vermutlich aus klimatischen wie auch aus sicherheitsstrategischen Gründen im Hinblick auf mögliche feindliche Angriffe und Überfälle, in vorwiegend höher gelegenen Regionen nieder, was vornehmlich daraus ge­­schlossen wird, dass in den Niederungen keine Urnenfriedhöfe aus jener Zeit mehr entdeckt wurden. Und am östlichen Hang des Bacherngebirges stand auf 500 bis 547 Metern Meereshöhe, vermutlich ab dem achten Jahrhundert v. Chr. erbaut, im Gebiet des heutigen Burgstall/ Poštela ein ganz besonderer Zeuge für das Leben in jener Zeit: ein be­fes­ tigter Ringwall, der eine Siedlungsfläche von etwa sechs Hektar um­­ schloss. Der Wall, der die Siedlung umringte, war 900 Meter lang. Zuerst hatte es hier offenbar nur einen Erdwall mit kleinen Steinen gegeben, der in einer zweiten Phase neu aufgeschüttet, zum Teil gepflastert und mit hölzernen Sperren versehen wurde. Verschiedene entdeckte Pfostenlöcher führten die Archäologen zu der Erkenntnis, dass hier ein Tempel sowie 14 Holzbauten mit je einem oder zwei Räumen gestanden hatten. Die ersten Häuser hatten Holzträger, die Wände bestanden aus Brettern oder Flechtwerk. Später wurden steinerne Fundamente gebaut, auf welche die Blockhäuser gestellt wurden. Erhalten ist auch eine in natürlichen Fels gehauene Zisterne, die „Črna mlaka“ – der „schwarze Tümpel“. Unterhalb dieses Ringwalls findet sich eine runde Terrasse namens „Lepa ravna“ („schöne Ebene“), etwa 100 mal 150 Meter groß, die offenbar als Friedhof diente. Die verbrannten Toten waren nämlich zunächst in Urnengräbern bestattet worden, später beerdigte man sie unter den 19

die tot en a l s zeugen der l ebenden

Grabhügeln – die Asche wurde ausgestreut und dann mit Erde aufgeschüttet. Hier, im Bereich der „Lepa ravna“, fand man fünfzig solcher Grabhügel. Eine weitere Grabstätte, 600 mal 1.300 Meter groß, mit sechzig Hügeln aus der älteren Eisenzeit, also aus der Zeit vom achten bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts, wurde in Razvanje/Roßwein und in Pivoli entdeckt. Die teils neuartigen Formen und Verzierungen der Töpfergegenstände, die in den Gräbern gefunden wurden, geben vor allem anschaulichen Aufschluss über den Wandel der Urnenkultur. Die Bedeutung des archäologischen Fundorts Burgstall/Poštela wurde 1837 von Georg Mally, einem Lehrer am Marburger Gymnasium, in der Steiermärkischen Zeitschrift öffentlich dargestellt und 1853 von dem Pädagogen und Historiker Rudolf Gustav Puff, der erstmals eine Ge­­ schich­te der Stadt Marburg verfasste, genauer beschrieben. Die Grabhügel indes entdeckte Franz Ferk, ebenfalls Gymnasiallehrer, der 1853 in seinem „Archäologischen Ferientagebuch“ darüber berichtete. Systema­ tisch erforscht wurde der gesamte Komplex Burgstall jedoch erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts, und zwar widmeten sich zunächst vor allem zwei Persönlichkeiten dieser verdienstreichen Arbeit: Paul Schlosser, ein pensionierter Leutnant aus Marburg, der 1911 in der Grazer Zeitung Urania über seine Forschungen berichtete, und der Grazer Walter Schmid, der hier als erster Archäologe Ausgrabungen unternahm und seine Erkenntnisse 1915 in der Wiener Akademie der Wissenschaften veröffentlichte. Später, um 1980, nahm sich vor allem die Marburger Archäologin Prof. Biba Teržan dieses Themas an. Ihre Forschungen, die sie 1991 herausgab, förderten eine Anzahl wichtiger Erkenntnisse über jene Zeit zutage. Eine andere bedeutende Archäologin, Mira Strmčnik Gulič, leitete 1989 und 1991 umfangreiche Ausgrabungen in Pivoli und Roßwein. Zudem hatten sich die Wissenschaftler noch mit einer sehr rätselhaften Tatsache zu befassen: Mitte des sechsten Jahrhunderts v. Chr. war der Burgstall offenbar aufgegeben worden. Die Menschen hatten die be­­ festig­­­te Siedlung, wie überhaupt die Gegend verlassen – warum, ist nicht 20

G eheimnisse des burgs ta l l s

bekannt. Jedenfalls sind aus der Zeit von etwa 650 bis ins dritte vorchrist­ liche Jahrhundert hinein in diesem Gebiet keinerlei Siedlungsreste oder Gräber mehr entdeckt worden. Wahrscheinlich war die ganze Landschaft an Drau und Mur von da an bis zur Ankunft der Kelten, also etwa drei bis vier Jahrhunderte lang, unbewohnt. Wohl aber wurden Brand- und Skelettgräber aus der jüngeren Eisenzeit, also der Zeit der La-Tène-Kultur, gefunden. Sie stammen offenbar aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. Das war die Zeit, als aus dem Osten die Kelten – und zwar solche aus dem Stammesverband der Taurisker („taur“ = keltisch „Berg“) – angerückt waren. Diese siedelten sich zwischen dem dritten und dem ersten Jahrhundert v. Chr. am Ostalpenrand (etwa im Gebiet des heutigen Kärnten und der heutigen Untersteiermark) an. Und ihre Spuren tauchten nun eben auch im Marburger Gebiet auf: Bei Pobersch/Pobrežje wurden ein Eisenschwert und eine Lanzenspitze aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts ausgegraben. Andere wahrscheinlich keltische Gegenstände wurden 1842 in Tresternitz/Bresternica entdeckt, gingen später jedoch verloren. Etwa im zweiten Jahrhundert v. Chr. ließen sich die Kelten, wie aus gefundenen Töpferwaren und Silbermünzen auf dem Burgstall sowie in Schlapfenberg/Meljski hrib hervorgeht, auch auf den Anhöhen nieder. Dies hing vielleicht auch mit dem 113 erfolgten Einfall der Kimbern zusammen,4 eines germanischen Volksstammes, der aus dem Gebiet des heutigen Dänemark stammte und gemeinsam mit Teutonen und Ambronen nach Süden zog. Jedenfalls blieben die Kelten in der Bergsied­ lung noch bis zum Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. – auch noch nach der Ankunft der Römer. Fast harmonisch fügten sie sich in das politische, kulturelle und wirtschaftliche Leben der Provinz Noricum ein, und es gibt auch keinerlei Hinweise darauf, dass die Römer den Burgstall gewaltsam eingenommen hätten. Dementsprechend wurden hier­auch keinerlei typische Reste von Gegenständen und Bauten aus 4 Pahlič, S. 51.

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römischer Zeit aufgespürt – wie etwa von gemauerten Fundamenten, Ziegeln und anderem. Noch einmal wurde der Burgstall im vierten Jahrhundert nach Chris­ tus besiedelt, und zwar diente er wohl wieder als Zufluchtsort vor einbrechenden Feinden, ähnlich wie der Pyramidenberg oberhalb der jetzigen Stadt Maribor. Im fünften Jahrhundert n. Chr. aber wurde die Bergsiedlung endgültig aufgelassen und geriet schließlich in Vergessenheit. Vom weiteren Schicksal des einstigen Burgstalls wissen wir so gut wie nichts. Im 17. Jahrhundert aber wurde hier, mitten im Wald, eine Lichtung geschlagen, die dann als Weideland diente. Dort ließ sich in den Neun­ zigerjahren des 19. Jahrhunderts der Maurer Predan nieder – in biblischer Anlehnung „Habakuk“ genannt –, womit eine neue Besiedlung dieses Gebiets ihren Anfang nahm. Auch heute noch heißt die Gegend im Volksmund „Habakuk“.

Römer, Germanen, Hunnen, Awaren – und dann die Slawen Eine bedeutsame, teilweise umwälzende Ära brach an, als die Römer kamen, die ihr gewaltiges Imperium erweiterten und großen Teilen Europas ihren Stempel aufdrückten. Als sie im Jahr 15 v. Chr. im Gebiet des heutigen Maribor eintrafen, fanden sie das Königreich Noricum vor, das der keltische Stamm der Noriker begründet hatte. Und vieles spricht dafür, dass keine größeren militärischen Gewaltaktionen erforderlich waren, um sich dieses Land zu unterwerfen. Roms Kaiser Augus­tus konnte es offenbar weitgehend friedlich besetzen und es ohne besondere Probleme dem Römischen Reich einverleiben. Nach ihm gründete Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) die römische Provinz Nori­ 22

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römischer Zeit aufgespürt – wie etwa von gemauerten Fundamenten, Ziegeln und anderem. Noch einmal wurde der Burgstall im vierten Jahrhundert nach Chris­ tus besiedelt, und zwar diente er wohl wieder als Zufluchtsort vor einbrechenden Feinden, ähnlich wie der Pyramidenberg oberhalb der jetzigen Stadt Maribor. Im fünften Jahrhundert n. Chr. aber wurde die Bergsiedlung endgültig aufgelassen und geriet schließlich in Vergessenheit. Vom weiteren Schicksal des einstigen Burgstalls wissen wir so gut wie nichts. Im 17. Jahrhundert aber wurde hier, mitten im Wald, eine Lichtung geschlagen, die dann als Weideland diente. Dort ließ sich in den Neun­ zigerjahren des 19. Jahrhunderts der Maurer Predan nieder – in biblischer Anlehnung „Habakuk“ genannt –, womit eine neue Besiedlung dieses Gebiets ihren Anfang nahm. Auch heute noch heißt die Gegend im Volksmund „Habakuk“.

Römer, Germanen, Hunnen, Awaren – und dann die Slawen Eine bedeutsame, teilweise umwälzende Ära brach an, als die Römer kamen, die ihr gewaltiges Imperium erweiterten und großen Teilen Europas ihren Stempel aufdrückten. Als sie im Jahr 15 v. Chr. im Gebiet des heutigen Maribor eintrafen, fanden sie das Königreich Noricum vor, das der keltische Stamm der Noriker begründet hatte. Und vieles spricht dafür, dass keine größeren militärischen Gewaltaktionen erforderlich waren, um sich dieses Land zu unterwerfen. Roms Kaiser Augus­tus konnte es offenbar weitgehend friedlich besetzen und es ohne besondere Probleme dem Römischen Reich einverleiben. Nach ihm gründete Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) die römische Provinz Nori­ 22

und d a nn die s l awen

cum, die in etwa den Raum der heutigen Länder Kärnten, Salzburg, Oberösterreich, Steiermark und Niederösterreich sowie das Gebiet des südöstlichen Bayern und des östlichen Tirol umfasste. Hauptstadt der Provinz und Sitz der Verwaltung war Virunum – das lag im Gebiet des späteren Kärnten, auf dem heutigen Zollfeld. Zur Zeit der Römer, ­also vom ersten Jahrhundert vor bis zum fünften nach Christi Geburt, gab es am Drauufer im Gebiet des heutigen Marburg eine Siedlung, die den von Süden nach Norden, nach Flavia Solva (Wagna bei Leibnitz) oder bis an die Ufer der Donau reisenden Händlern als Zwischenstation diente. Ein Name für diesen Ort ist jedoch nicht überliefert, wahrscheinlich weil er – im Vergleich mit anderen römischen Siedlungen wie etwa den Städten Emona (Laibach/Ljubljana), Celeia (Cilli/Celje), Poetovio (Pettau/Ptuj) – zu unbedeutend erschien, um in Berichten und Annalen festgehalten zu werden. Sicher ist dagegen, dass bei Betnava/Windenau (heute ein Teil der Stadt Maribor) an der Straße von Celeia nach Flavia Solva eine Station für Pferde­ wechsel bestanden hatte. Zwar stehen systematische und koordinierte archäologische Untersuchungen des gesamten Gebietes noch aus, doch wurden hier, bei Windenau, wertvolle römische Reste zutage gefördert. Im Gebiet des späteren Marburg kreuzten sich nämlich zwei römische Straßen – die von Celeia nach Flavia Solva sowie jene von Poetovio nach Virunum. Da jedoch in Marburg keinerlei aufschlussreiche Straßenreste entdeckt werden konnten, kann nicht bestimmt werden, an welchem Punkt der Stadt die beiden Wege genau aufeinandertrafen. Es darf jedoch angenommen werden, dass die Römer die Drau am alten Hafen (Pristan) überquerten, wo später eine Holzbrücke stehen sollte. Als vor dem Zweiten Weltkrieg auf dem Hauptplatz in Marburg ein neues Gebäude errichtet wurde, wurden 2,5 Meter unter der Erde Reste von Ziegeln und Tonwaren entdeckt, die darauf schließen lassen, dass es am nördlichen Ufer der Drau eine Ansiedlung gegeben hatte. Auch deuten Funde bei St. Niklas sowie bei Loka und Starše/Altendorf nordöstlich von Marburg auf eine Reihe von Siedlungen hin. 23

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Abbildung 2: Die Holzbrücke über die Drau um 1901

Die Römer brachten neue Bautechniken mit, sie bauten mit Ziegeln, Mörtel und gebrochenem wie gemeißeltem Stein. Vor allem waren für die ländliche Besiedlung der damaligen Zeit Bauernhöfe – „villae rusticae“ – charakteristisch, nämlich großräumig angelegte Anwesen mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Teile einer solchen „villa rustica“ wurden zum Beispiel in Rothwein/Radvanje, an der Streliška cesta, bei Windenau und auf der Triesterstraße in Thesen/Tezno gefunden. Ferner lassen Opfersteine aus Marmor auf Götter- und Heldenverehrungen schließen – für Jupiter, Merkur und Herkules, neben keltischen oder von fremden Kulturen übernommenen Gottheiten wie Epona und Mithras. Die Herrschaft der Römer in diesem Gebiet und das Leben unter ihnen sind reich bezeugt. Im Unterschied zum archäologisch weniger ergiebigen Gebiet nördlich der Drau wurde auf der südlichen Flussseite eine Reihe von Gräbern entdeckt. So ist südlich von Maribor, in der 24

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im 15. Jahrhundert erbauten St.-Georgs-Kirche der Ortschaft Hoče/ Kötsch auf dem Draufeld zwischen Bachern und Drau, ein römisches Grabmal aus Marmor aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. erhalten. In der Kirche Mariae Geburt in Slivnica/Schleinitz (das Gotteshaus selbst stammt aus dem elften Jahrhundert) wurde eine römische Gedenksäule ausgemacht. Und in einem Wäldchen in der Ortschaft St. Nikolai am Draufeld/Miklavž na Dravskem polju südöstlich von Marburg fanden Archäologen ein Hügelgrab aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert n. Chr. – offenbar die Bestattungsstätte einer Frau. In der mit großen Steinplatten auf zwei Steinpfeilern ausgestatteten Gruft wurden unter anderem zwei Glasurnen, Asche, viele Knochen, Glasgefäße, eine Sigillata-Schüssel (römisches Tafelgeschirr), eine Bronze-Gürtelschnalle und eine Schmink-Schatulle mit einem Medaillon entdeckt. In die Mauern der Kirche sind verzierte Marmorsteine eingebaut, die vermutlich ebenfalls aus einer römischen Grabstätte stammen. Und auch auf einem Feld nahe der Kirche kamen mehrere Grabsteine mit Grabinschriften zutage. Auch der Dom von Marburg erwies sich als überaus ertragreiche Fundstätte. So diente lange Zeit eine Grabplatte aus römischer Zeit als Altarfläche – heute ist sie im Museum verwahrt. Ferner ist im Boden des Doms eine Grabdeckplatte eingelassen, die eine Wölfin und mehrere Frauenköpfe zeigt. Und auch der marmorne römische Löwe, der auf dem Slomšek-Platz (früher Domplatz) gestanden war und noch heute vor der Kirche bewundert werden kann, war lange im Turm des Doms eingemauert. Er soll von Ausgrabungen in Starše/ Altendorf stammen. Reste zweier Grabsteine aus dem zweiten Jahrhundert sind im Gerichtsturm (Sodni stolp) des Alten Hafens (Pristan) eingemauert. Der Turm wurde 1310 erbaut und viel später, im 16. Jahrhundert, in die Stadtmauer integriert. In einem der Häuser neben ihm wurde ein zweigeteilter Stein mit einer Inschrifts-Widmung an Herkules entdeckt sowie ein Gelöbnisstein, der offenbar der Gesundheit einer 25

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Tochter des Stifters gegolten hatte. Ferner wurde auf dem Hauptplatz (Glavni trg) in Marburg vor dem Ersten Weltkrieg eine Marmorplatte mit dem Rest einer Inschrift ans Licht gebracht, die offenbar im 14. Jahrhundert für das Grab eines Rabbis namens Abraham verwendet worden war. Dies bekräftigt verschiedene Hinweise darauf, dass römische Grabsteine oft auch auf jüdischen und anderen Gräbern Verwendung fanden. Was sich vor allem in den Jahren 1992 bis 1994 bestätigte, als in Maribor Reste der Synagoge ausgegraben wurden: Man fand hier Überbleibsel einer römischen Marmor-Urne. Die insgesamt friedliche Römerzeit endete Anfang des fünften Jahrhunderts nach Christus. Dann fielen die Germanen ins Land, plündernd und mordend, vernichteten Flavia Solva und zerstörten die dortigen Handelswege. Damit verloren natürlich auch die Handelsstraßen, die über den Marburger Raum führten, ihre Bedeutung. Die jüngste aufgefundene römische Münze in diesem Gebiet stammt daher auch aus dem späten vierten Jahrhundert n. Chr. – danach hat es hier keine solchen Funde mehr gegeben. Leider aber gibt es über das gewiss vielfach kriegerische und teilweise umwälzende Geschehen in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts in diesem Raum so gut wie keine konkreten Hinweise oder gar Belege. Bekannt ist jedoch, dass auch die Hunnen das Gebiet überrannten und im Jahr 452 auf ihrem Zug nach Italien die Stadt Poetovio zerstörten. Gewiss zogen sie auch durch das Marburger Gebiet. Aber auch hier ist die Wissenschaft auf viele vage Schlüsse und Spekulationen angewiesen. Denn Fundstücke aus dieser Gegend gibt es erst wieder aus der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts. Diese wurden in der Marburger Judengasse (Židovska ulica) nahe dem Fluss und dem Hauptplatz zutage gefördert, was vermuten lässt, dass die römische Drau-Überquerung auch zu jener Zeit weiterhin genutzt wurde. Vom sechsten bis Anfang des siebten Jahrhunderts hatte das kriegerische zentralasiatische Reitervolk der Awaren, über dessen Herkunft nur sehr wenig bekannt ist, die Oberherrschaft über weite Teile Mittel26

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und Osteuropas inne. Zu dieser Zeit waren die Slawen in den Ostalpenraum vorgedrungen, wurden jedoch von den Awaren unterworfen. Da geschah etwas Sensationelles: Im Jahr 623 befreite ein fränkischer (oder von seiner Abstimmung her slawischer?) Kaufmann namens Samo die westlichen Slawenstämme und gründete auf dem Boden des späteren Böhmen und Mähren ein Slawenreich. Samo war wahrscheinlich zunächst ein Unterhändler des fränkischen Königs Chlothar II. gewesen und dann von König Dagobert I. zu den Slawen entsandt worden, um diese gegen die Awaren kampfbereit zu machen, bis er schließlich nach erfolgreichen Kämpfen selbst zu ihrem König erhoben wurde. Jedenfalls wurden die Awaren nun zurückgedrängt und verloren erst recht erheblich an Kraft und Einfluss, nachdem ihre Belagerung Konstantinopels im Jahr 626 gescheitert war. In Ostalpenraum – die Chroniken sprechen von der „Sclaborum provincia“ („Provinz der Slawen“) – entstand nun in der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts das slawische Fürstentum Karantanien, dessen Zentrum im Gebiet des heutigen Kärnten lag, vermutlich mit Sitz in Karnburg/Krnski grad am Zollfeld/Gosposvetsko polje. Es umfasste auch Teile Osttirols und der Steiermark (auch der Untersteiermark ohne Pettau/Ptuj), Teile Salzburgs (Lungau, Pongau) sowie des südlichen Ober- und Niederösterreich. Wegen der neu erwachten Awaren-Gefahr im achten Jahrhundert baten die Karantanen jedoch die Baiern unter dem Fürsten Odilo um Hilfe (745) und gerieten so in der Folge immer mehr unter die bairische Oberhoheit, bis sie schließlich gegen Ende des achten Jahrhunderts völlig ihre Eigenständigkeit als selbstständiges Fürstentum einbüßten. Der Name „Karantanien“ blieb jedoch. Germanische Stämme, vor allem Baiern und Franken, siedelten sich nun im Land an. Zu derselben Zeit wurde die slawische Bevölkerung dieses Gebiets von der Salzburger Kirche planmäßig christlich missioniert. Papst Zacharias hatte die Bekehrung der Karantanen ausdrücklich angeordnet und sie den Bischöfen von Salzburg übertragen. 27

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Endgültig geschlagen wurden die Awaren dann in den Feldzügen Karls des Großen zwischen 791 und 803. Dessen gewaltiges Fränki­ sches Reich umfasste die heutigen Länder Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, einen großen Teil Italiens sowie Korsika und das Pyrenäengebiet. Somit war nun auch das Gebiet des heutigen Marburg Teil des großen fränkischen Reiches. Nach dessen Teilung im Jahr 843 ging aus dem westlichen Teil Frankreich hervor, aus dem östlichen das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das bis 1806 währte. Auch den Magyaren, die Ende des neunten Jahrhunderts die Ostkarpaten überquert hatten und dann mit brutalster Gewalt durch ganz Europa zogen, wurde Einhalt geboten. Otto der Große besiegte sie 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg. Daraufhin räumten sie die Gebiete östlich und südöstlich der Alpen, und Otto konsolidierte sein Reich. Unter ihm wurden nun Grafschaften errichtet, die jeweils besondere militärische Aufgaben hatten, die sogenannten Grenzmarken – wie etwa die Mark an der Mur, die Mark an der Drau oder die Mark an der Sann. Und wann kamen die ersten slawischen Siedler in den Marburger Raum? Auch diese Frage lässt sich nur ungenau beantworten. Es liegt nahe, dass slawische Karantanen schon im siebten und achten Jahrhundert auch in dieses engere Gebiet um das spätere Marburg eingezogen sind, aber es gibt keine klaren Quellen, die das belegen. Erst im zehnten Jahrhundert stößt man auf deutlichere Spuren. Der aus dem Jahr 985 schriftlich überlieferte Ortsname „Razuuai“ für das heutige „Razvanje“ (Roßwein) unter den Bachern ist sicherlich slawischen Ursprungs. Eine Übersetzung führt zu „razvaline“, was „Ruinen, Trümmerhaufen“ be­­ deutet. Nicht weit von Razvanje liegt Radvanje/Rothwein. Dort fand man in den Grundmauern einiger römischer Häuser 28 schlecht erhaltene Skelette. Die Toten waren in einfachen Gruben bestattet worden. Diese Gräber werden der Zeit des zehnten oder frühen elften Jahrhunderts zugeschrieben. 28

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Der Name der Ortschaft Radvanje ist um 1100 schriftlich als „Radewan“ festgehalten – das ist die slawische Bezeichnung für einen Dorf- oder Siedlungsältesten. Aus derselben Zeit stammen jedoch auch Namen von Ansiedlungen an der Drau, die ganz anderen, teilweise germanischen Ursprungs sind – wie etwa Lendorf (Dogoše) oder Gamnitz (Kamnica). Aus dem zwölften Jahrhundert sind ferner die Siedlungsnamen Choz (später Hoče/Kötsch), Werchendorf (Zrkovci/Zwettendorf ), Melnich (Melje/Melling) und Rogotz (Rogoza/Rogeis) bekannt. Und 1164 wird auch Marchpurg urkundlich erwähnt. Ungewiss ist indes, wo die älteste slawische Siedlung innerhalb Marburgs lag – vermutet wird sie nördlich der Drau an der Kärntnerstraße.

Spanheimer, Traungauer, Markgrafen von Steiermark – und der Vater von Marburg Ab dem neunten Jahrhundert vergaben die Könige Grund und Boden an Adel und Kirche. Die Herren dieser nunmehr gebildeten, sich ständig an Zahl und Größe verändernden Grundherrschaften sorgten für die Besiedlung ihrer Territorien und beanspruchten auf diesen alle Gerichts- und Verwaltungsrechte. Es war in der Tat eine enorme Macht­fülle, über die sie verfügten – erst viele Jahrhunderte später, im Revolutionsjahr 1848, sollte diese Herrschaft mit der Bauernbefreiung zu Ende gehen. Die Bauern, die sich auf dem Land der Grundherrschaften angesiedelt hatten, mussten den Grundherren für das geliehene Land hohe Abgaben leisten. Zunächst konnten sie jederzeit gekündigt werden, später durften sie auf Lebenszeit bleiben, schließlich – ab dem 15. Jahrhundert – konnten sie ihren Grund sogar gegen Entgelt auf andere übertragen, ihn also gewissermaßen verkaufen, wofür sie allerdings der Erlaubnis des Grundherrn bedurften. Diesem hatten sie 29

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Der Name der Ortschaft Radvanje ist um 1100 schriftlich als „Radewan“ festgehalten – das ist die slawische Bezeichnung für einen Dorf- oder Siedlungsältesten. Aus derselben Zeit stammen jedoch auch Namen von Ansiedlungen an der Drau, die ganz anderen, teilweise germanischen Ursprungs sind – wie etwa Lendorf (Dogoše) oder Gamnitz (Kamnica). Aus dem zwölften Jahrhundert sind ferner die Siedlungsnamen Choz (später Hoče/Kötsch), Werchendorf (Zrkovci/Zwettendorf ), Melnich (Melje/Melling) und Rogotz (Rogoza/Rogeis) bekannt. Und 1164 wird auch Marchpurg urkundlich erwähnt. Ungewiss ist indes, wo die älteste slawische Siedlung innerhalb Marburgs lag – vermutet wird sie nördlich der Drau an der Kärntnerstraße.

Spanheimer, Traungauer, Markgrafen von Steiermark – und der Vater von Marburg Ab dem neunten Jahrhundert vergaben die Könige Grund und Boden an Adel und Kirche. Die Herren dieser nunmehr gebildeten, sich ständig an Zahl und Größe verändernden Grundherrschaften sorgten für die Besiedlung ihrer Territorien und beanspruchten auf diesen alle Gerichts- und Verwaltungsrechte. Es war in der Tat eine enorme Macht­fülle, über die sie verfügten – erst viele Jahrhunderte später, im Revolutionsjahr 1848, sollte diese Herrschaft mit der Bauernbefreiung zu Ende gehen. Die Bauern, die sich auf dem Land der Grundherrschaften angesiedelt hatten, mussten den Grundherren für das geliehene Land hohe Abgaben leisten. Zunächst konnten sie jederzeit gekündigt werden, später durften sie auf Lebenszeit bleiben, schließlich – ab dem 15. Jahrhundert – konnten sie ihren Grund sogar gegen Entgelt auf andere übertragen, ihn also gewissermaßen verkaufen, wofür sie allerdings der Erlaubnis des Grundherrn bedurften. Diesem hatten sie 29

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dafür eine eigene Abgabe zu zahlen, die ein Drittel des Schätzwertes des Grundstücks ausmachte. Schriftliche Schilderungen aus der Zeit des neunten Jahrhunderts sind leider sehr spärlich, auch in den Quellen der Kirchengeschichte ist nur wenig belegt. Noch waren Erschließung und Ordnung in dem ganzen Gebiet mangelhaft und unstabil. Im Norden, Westen und Osten des späteren Marburg dominierte die Kirchenprovinz Salz­ burg. Diese erstreckte sich über ein weites Gebiet, umfasste in etwa den Großteil des heutigen Österreich sowie Bayerns, ferner Südtirol, das Trentino, Teile Ungarns, Tschechiens, Sloweniens und der Slowakei. Da die Grenzen der Diözesen sehr ungenau waren, gab es einen anhaltenden Streit zwischen Salzburg und dem südlich benachbarten Patriarchat von Aquileia. Dieser Streit wurde schließlich 811 durch einen Schiedsspruch Karls des Großen beendet. Er bestimmte die Drau als Grenze zwischen den beiden Kirchenprovinzen, sodass das Gebiet des späteren Marburg der Erzdiözese Salzburg zugeordnet war. Dieser Schiedsspruch blieb jedoch nicht anerkannt. In der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts erneuerte Salzburg neben seinem inzwischen erfüllten Anspruch auf Pettau auch seinen alten Anspruch auf die kirchliche Patronanz über einen Streifen auf der rechten Seite der Drau bis St. Nikolai am Draufeld/Miklavž na Dravskem polju südlich von Marburg, der bereits in Salzburgs Eigentum stand. Nun aber meldete sich auch der Grenzgraf Rachwin aus der „Mark an der Drau“, die als Abwehr gegen die von Osten eindringenden Ungarn gegründet worden war, mit Gebietsansprüchen. Er bekam von Otto III. 985 ein umfangreiches Territorium in Roßwein/Razvanje südlich von Marburg zugeteilt, das somit dem Patriarchat von Aquileia angehörte. Roßwein war zu dieser Zeit die größte Ansiedlung in der Gegend von Marburg. Der Sitz des Grenzmarkgrafen war das Haus am Bachern („Pohorski dvor“). Die Stadt Marburg gab es zu dieser Zeit noch nicht. Als Vater von Marburg gilt vielmehr Engelbert I. von Spanheim. Er begründete 30

und der Vat er von M a rburg

vermutlich den Sitz seiner Mark an der Drau vor dem Jahr 1100 auf dem Hügel „Pyramide“ oberhalb der heutigen Stadt Marburg. Die Dynastie der Spanheimer (auch Sponheimer) stammte aus Rheinfranken (die Stammburg Sponheim liegt im heutigen deutschen Landkreis Bad Kreuznach). Ihre Bedeutung für das Gebiet Marburgs begann damit, dass Siegfried I. von Spanheim (†1065) Richgardis von Lavant (†1072) heiratete, Erbtochter aus dem Geschlecht der Sieghardinger. Damit kam Siegfried in den Besitz größerer Ländereien in Kärnten und Tirol sowie in südlicheren Gebieten – eben auch in den Marken des Gebiets von Marburg. Sein ältester Sohn Engelbert  I. gründete in der Kirche St. Paul auf der mütterlichen Burg im Lavanttal das Stift St. Paul. Er war einer der größten Grundbesitzer im Lavanttal und in der „Mark an der Drau“ („Marcha trans fluvium Dravam“  ). Die angenommene Gründung des Sitzes der Mark auf dem späteren Pyramidenberg erfolgte während des Investiturstreits zwischen Papst und König (1076 bis 1122), bei dem sich die Sponheimer auf die Seite Roms und des Erzbischofs von Salzburg stellten. Der ursprüngliche Sitz der Grenzmark an der Drau, das „Haus am Bachern“, war jedoch innerhalb des kirchlichen Bereichs Aquileias gelegen, das in dem besagten Streit um die Befugnisse weltlicher Herrscher hinsicht­lich kirchlicher Ämter und Besitztümer auf der Seite des Königs stand, während der Pyramidenberg zum Kirchengebiet der Erzdiözese Salzburg gehörte. Dies war der entscheidende Grund dafür, dass Engelbert I. sein Zentrum, das zugleich auch sein Wohnort war, auf diesen Berg verlegte. Und es gilt als wahrscheinlich, dass er und seine Söhne Hen­rik, Hartwig, Bernhard und Siegfried dort auch wirk­ lich lebten.5 5 Nach ihrem Tod fielen einige ihrer Besitzungen dem Stift St. Paul zu, so die Anwesen in Gamlitz, bei Roßwein, Rotwein, St. Nicolai, sowie Weinberge bei Melling, Lendorf und Duplek.

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Engelberts Sohn Bernhard, für welchen sich im Landbuch von Österreich und Steier (1245)6 bereits der Titel „Graf von Marburg“ findet,7 kam 1147 auf dem Zweiten Kreuzzug in Laodicea in Kleinasien ums Leben. Da er keine Kinder hatte, fiel sein Erbe, bestehend aus den Herrschaften Marburg, Lembach/Limbuš, Radkersburg/Radgona und Tüffer/Laško, seinem Mündel Otakar III. (auch Ottokar) aus dem Geschlecht der Otakare oder, wie sie auch hießen, der „Traungauer“, zu. Otakar III. war der Sohn des verstorbenen Markgrafen der Steiermark, Leopold I. „des Starken“ (†1129), sowie der Welfin Sophie von Bayern. Unter ihm – und erst recht in der Folgezeit – gab es eine besonders wichtige Entwicklung: Die freien Ritter unterwarfen sich dem Markgrafen als Ministerialen, als Dienstadelige. Auch Otakar III. starb 1164 auf einem Kreuzzug in Kleinasien – ihm folgte sein Sohn Otakar IV., der beim Tod des Vaters erst ein Jahr alt war. Seine Mutter Kunigunde von Vohburg führte die Amtsgeschäfte bis zu seiner Mündigkeit im Jahr 1180. Dieses Jahr war ein überaus bedeutsames – nicht nur wegen des Amtsantritts Otakars IV., sondern vor allem, weil die Steiermark jetzt nach dem Sturz Heinrichs des Löwen ein selbstständiges Herzogtum wurde, fortan also von Bayern getrennt war.

6 Historisch-topografische Übersicht über die Besitzungen der Fürsten Österreichs aus dem Hause der Babenberger und Traungauer bis in das 13. Jhdt. 7 Er hieß ferner: Graf von Truchsen/Trixen, Vogt von St. Paul und Markgraf der Windischen Mark. Unter anderem stiftete er 1142 das Kloster Viktring.

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b a benberger und h a bsburger

Babenberger und Habsburger: Das Herzogtum Steiermark im Heiligen Römischen Reich 1180 wurde Otakar IV. also zum Herzog der Steiermark ernannt. Er war jedoch unheilbar krank und hatte keine Kinder. Um seinem Land einen Thronfolgestreit zu ersparen, schloss er mit Herzog Leopold V. von Österreich aus dem Geschlecht der Babenberger am 17. August 1186 auf dem Georgenberg in Enns (wo heute der Schlosspark Enns­ egg angelegt ist) einen feierlichen Erbvertrag. Dieser wurde jedoch, obwohl er mit mündlichen Erklärungen und Zeremonien vonstatten ging, auch in mehreren Urkunden festgehalten. Zwei von ihnen sind erhalten, darunter die Georgenberger Handfeste, die heute zu den Schätzen des steirischen Landesarchivs zählt. In dieser Vereinbarung, die vom Kaiser ein Jahr später bestätigt wurde, vererbte Otakar sein Herzogtum dem Babenberger Herzog Leopold V. und seinem Sohn Friedrich unter der Bedingung, dass Österreich (Niederösterreich) und die Steiermark stets zusammenbleiben müssten. Denn Otakar war an der Einheit dieses Landes gelegen, spätere Spaltungen sollten mög­ lichst verhindert werden. Auch wurden in der „Georgenberger Hand­ feste“ darüber hinaus die Rechte der steirischen Ministerialen, Land­ leute und Klöster festgehalten. Die Steiermark umfasste damals nicht nur den Raum des gegenwärtigen österreichischen Bundeslandes und der Untersteiermark, die heute ein Teil Sloweniens ist, sondern auch das Land um Wels und Steyr (den Traungau) sowie das Gebiet der heutigen niederösterreichischen Bezirke Wiener Neustadt und Neunkirchen (die frühere Grafschaft Pitten). Am 24. Mai 1192 starb Otakar IV. Jetzt belehnte Kaiser Hein­rich VI. den Babenberger Leopold V. mit der Steiermark – zunächst ganz so, wie es der Erbvertrag gewollt hatte. Also stellten von nun an die Babenber­ 33

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ger bis 1246 die Herzöge der Steiermark. Dennoch lief manch Wesentliches nicht im Sinne des Georgenberger Vertrags. Denn Leopold V. teilte sein Erbe zwischen seinen beiden Söhnen auf: Der ältere, Friedrich I., bekam Österreich, der jüngere, Leopold, die Steiermark. Dies war ein glatter Verstoß gegen den Sinn des Vertrags von 1186, denn dieser hatte doch gerade die Einheit des Herrschaftsgebietes zum Ziel gehabt und diese sogar zur Bedingung der Erbvereinbarung ge­­ macht. Aber das Schicksal sorgte dann doch wieder für das ursprüng­ lich Gewollte und Vereinbarte: Friedrich I. fiel 1198 auf einem Kreuzzug, und Leopold trat nun, im Jahr 1198, wie im Vertrag vorgesehen, als Leopold VI. das Gesamterbe an. Als die Babenberger 1246 mit dem Tod Herzog Friedrichs II. des Streitbaren ausstarben, setzte ein Erbfolgekrieg ein, den der 1254 ge­­ schlossene Friede von Ofen beendete. Ihm zufolge fiel die Steiermark nun zunächst an den ungarischen König Bela IV., das Traungau und das Ischler Land sowie die Grafschaft Pitten an Ottokar II. Přemysl, König von Böhmen. Die Lage änderte sich jedoch schon bald, als Ottokar in der Schlacht von Kressenbrunn (1260) die Ungarn schlug und 1261 die Abtretung der Steiermark und des gesamten babenbergischen Erbes an ihn erzwang. Um seinen Anspruch gegenüber den Ungarn noch zu bekräftigen, verstieß er seine Frau Margarete von Babenberg, Tochter Leopolds V., und heiratete Kunigunde von Halitsch, eine Enkelin des Königs von Ungarn. Nach dem Tod Ottokars gelangte das mit Österreich vereinigte Herzogtum Steiermark, dem die Mark an der Drau mit Marburg angehörte, 1282 auch rechtlich an die Habsburger, wo es von da an über sechshundert Jahre verblieb. Tatsächlich aber hatte der maßlos gewordene König Ottokar das Land bereits 1276 verloren. Nach einer vernichtenden Niederlage wurde er von dem zum deutschen König gewählten Rudolf von Habsburg gezwungen, auf seine Eroberungen zu verzichten – nur noch Böhmen und Mähren verblieben ihm. Sein Versuch, Niederösterreich, die Steiermark und Kärnten zurückzugewinnen, ­scheiterte 34

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und besiegelte auch sein persönliches Schicksal. 1278 wurde er in der Schlacht auf dem Marchfeld besiegt und auf der Flucht er­­schlagen. Im Zuge der habsburgischen Erbteilungen8 wurde die Steiermark mit der Residenzstadt Graz zum zentralen Teil Innerösterreichs. Dieses Innerösterreich umfasste die Länder südlich des Semmering, also die Steiermark, Kärnten, Krain und das Küstenland. Niederösterreich hingegen bestand aus „Österreich ob der Enns“ (im Wesentlichen dem heutigen Land Oberösterreich) und „Österreich unter der Enns“ (dem heutigen Niederösterreich mit Wien). Als „Oberösterreich“ wiederum wurden „Tirol und die Vorlande“ bezeichnet. Schließlich aber wuchsen die verschiedenen habsburgischen Länder zu einem Gesamtreich der Habsburger zusammen. Dies geschah, nachdem Ferdinand III. von Innerösterreich (1578  –1637) nach dem Tod seines Bruders Matthias deutscher Kaiser (als solcher „Ferdinand II.“) sowie Landesherr der niederösterreichischen und der böhmischen Länder geworden war, womit er die vielen verschiedenen Herrschaften unter sich vereinigte.

Castrum Marchburg – die wechselhafte Geschichte der Obermarburg Ohne Zweifel war die Marchburg – oder: die Marburg, die Burg als Sitz der Mark – der erste Vorbote der späteren Stadt. Von ihr ging die Gründung und weitere Besiedlung Marburgs aus, weshalb Engelbert I. von Spanheim auch als „Vater Marburgs“ in die Geschichte eingegangen ist. Denn wie bereits erwähnt, hatte vermutlich Engelbert vor 8 Die erste Teilung war zwischen der Leopoldinischen und Albertinischen Linie 1379. Danach folgten Umverteilungen bis 1411. Die zweite Erbteilung fand 1564 unter den Söhnen Ferdinands I. statt.

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1100 den Sitz der Mark vom „Haus Bachern“ auf den (später so genannten) Pyramidenberg verlegt, auf eine Anhöhe von 384 Metern. Das war auch strategisch von Bedeutung, denn von dort konnte der Zugang zum Drautal am besten überwacht werden. Freilich dauerte es nach Engelberts Umzug noch einige Jahre, bis die Burg errichtet war, die als „Castrum Marchburch“ – „Burg der Grenzmark“ – erstmals am 20. Oktober 1164 urkundlich erwähnt wurde. Während die Forschung lange davon ausging, dass sie Anfang des zwölften Jahrhunderts unter Engelberts Sohn Bernhard von Spanheim erbaut wurde, der in späteren Quellen auch als „Graf von Marburg“ Erwähnung fand, nehmen die Forscher heute eine etwas spätere Gründungszeit an – nämlich etwa 1148 bis 1164. Demnach wäre die Burg unter dem Traungauer Otakar III. errichtet worden. Jedenfalls war sie im frühromanischen Stil erbaut, besaß in ihrer Mitte einen Brunnen mit Grundwasserzufluss sowie drei Teiche für die Fischhaltung. Sie verfügte über eine Kapelle – und vor allen Dingen war sie ausgezeichnet befestigt. Das Plateau des Kernbereichs war 55 mal 45 Meter groß, der Grundriss hatte eine etwas unregelmäßige fünfeckige Form mit geraden Seiten. Die Steinmauer rund um die Burg war 2,2 Meter dick. Heute sind von dem Bauwerk nebst dem Brunnen nur noch einige Fundamente erhalten, die inzwischen freigelegt wurden. 1164 trat Markgraf Otakar V. von der Steiermark seine Besitzungen im Lavanttal dem Benediktinerstift St. Paul ab und erhielt dafür im Gegenzug von Abt Pilgrim einige Güter in Gamnitz und Melnich (Melje/Melling) sowie zwei Mansen unmittelbar bei der Marburg – das waren unselbstständige zehentpflichtige Höfe, die den späteren Hof unter der Festung („curia sub castro Marpurch“) bildeten.9

9 Endgültig gingen die Mansen freilich erst 1211 ins Eigentum des Markgrafen über, als der Babenberger Herzog Leopold VI. dem Stift St. Paul die Rechte an Maria Rast/Ruše und Hollern/Bezena übertrug.

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Die weitere Geschichte der Marchburg ist von geradezu atembe­ raubender Wechselhaftigkeit, wobei Besitzer und Nutzer einander in sehr kurzer Zeitfolge ablösten. Um 1200 überließ der Babenberger Leopold VI. die Burg mit einigen Weinbergen den landesfürstlichen Mi­­ nis­­­terialen zu Lehen, als Benefizium. Diese behielten sie, bis sie 1378 ausstarben. Sie hatten aber auf der westlichen Seite des Marktes neben dem verkehrswichtigen Lebarn/Lebarje schon einen Hof gebaut, von wo aus sie ihre weiten Ländereien unmittelbar verwalteten. Dieser Hof war jedoch nicht die Stadtburg, die heute als ein Wahrzeichen Marburgs besichtigt werden kann – diese wurde erst von Kaiser Friedrich III. in den Jahren 1478 bis 1483 im gotischen Stil errichtet und danach mehrmals baulich verändert und erweitert. Um jedoch die beiden Herrschaftssitze – den auf dem Pyramidenberg und jenen späteren in der Stadt – voneinander zu unterscheiden, soll hier die später aufkommende Bezeichnung „Obermarburg“ oder „Obere Burgherr­ schaft“ auch schon für die Herrschaft und die Burg auf dem Pyramidenberg im 13. Jahrhundert verwendet werden, während die andere Herrschaft „Burg Marburg“ bzw. „Stadtburg“ genannt werden soll. Zur Herrschaft Obermarburg gehörten Ländereien auf der linken Drauseite nördlich der Burg bis Platsch/Plač sowie auf dem rechten Ufer bis Pragerhof/Pragersko.10 Den Ministerialen folgten als Verwalter der oberen Burgherrschaft der Reihe nach die Herren von Schärffenberg (Svibno), Duino, Walsee und dann – in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts – v. Graben, Zwickl, Stadler, Teuffenbach, Welzer, Racknitz, Herberstein, Stübich. 1641 kaufte Johann Jakob Graf Khiessl11 die Obermarburg und führte sie mit der Stadtburg zu einem Besitz zusammen. Sein Vater Hans Jakob von Khiessl hatte nämlich 1620 die Stadtburg erworben und 10 Mitte des 16. Jahrhunderts stellten die beiden Marburger Burgherrschaften den 122. Teil des gesamten Gültwerts des Landes Steiermark. 11 Auch Khissl.

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komplett renoviert – die Freiherren von Khiessl waren dort schon seit 1575 Herrschafts- und Burgverwalter. Den gesamten Besitz erbte dann Johann Jakob Khiessls Adoptivsohn Hans Jakob von Zwickl und nach ihm seine Tochter, Gräfin Ursini-Rosenberg. Dieser Besitz umfasste jedoch noch mehr als die Obermarburg und die Stadtburg. Zu ihm gehörten auch Schloss Stattenberg in Maxau/Makole, Fahrenberg, Windenau/Betnava und Freudenau in Schirmdorf/Črnci. 1727 kam die Obermarburg in den Besitz von Franz Jakob Graf Brandis. Als Heinrich Franz Adam Graf Brandis, der letzte aus der älteren gräflichen Linie der Brandis, die aus Graubünden stammte, starb, gingen die obere und die untere Herrschaft auf die jüngere Tiroler Hauptlinie der Brandis über – auf Adam und Clemens Heinrich Adam, der Gouverneur von Tirol war. So besaßen die Brandis nun die Stadtburg, die Obermarburg, Windenau und Grünberg/Gromperk (auch Grünhof ) bei Pulsgau/Polskava. Die beiden Erben teilten sich den Besitz nun so, dass der eine die Herrschaft Burg Marburg sowie die Obermarburg bekam, der andere die Herrschaften Windenau, Grünberg, Buchberg, Viktringhof.12 Die Obermarburg selbst befand sich jedoch zu diesem Zeitpunkt in sehr schlechtem Zustand, vielleicht war sie schon halb verfallen, weshalb die Brandis das Gebäude 1784 abreißen ließen und die Steine für die Erneuerung des Anwesens Windenau verwendeten. Denn schon im Jahr 1528 hatte ein Blitz in die Burg eingeschlagen und sie erheblich beschädigt. Zwar war sie zwischen 1573 und 1575 renoviert worden, doch schon wenige Jahrzehnte später, zwischen 1605 und 1611, wurden ihr neue schwere Schäden zugefügt, als das Militär in der Obermarburg stationiert war. Knapp vierzig Jahre nach dem Abriss wurde aus den Resten der Burg eine steinerne Pyramide erstellt, die dem Berg erst den Namen gab. Aber auch die Pyramide wurde, als 12 Der Viktringhof hatte den Zisterziensern gehört, war dann aber mit dem Gut Lembach vereint worden.

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die we c hse l h a f t e ges c hi c h t e der O berm a rburg

Abbildung 3: Obermarburg. Darstellung des Topografen Georg Matthäus Vischer, 1681

waltete hier ein unausweichliches Geschick, von einem Blitz getroffen und zerstört. Jetzt ließ Henrik Graf Brandis an dieser Stelle eine Ma­rienkapelle im klassizistischen Stil errichten. Später wurde das übrige Anwesen der Obermarburg verkauft. Den Hauptteil erwarb 1904 Pius Freiherr von Twickel, Spross eines ursprünglich westfälischen Geschlechts. Längst also ist die alte Obermarburg im Strudel der Geschichte untergegangen. Und doch ist uns, wie oben kurz umrissen, aus den wenigen freigelegten Resten von Fundamenten und einigen belegten Hinweisen einiges über ihre Gestalt und ihren Zweck bekannt. Auf vier Kupferstichen von Georg Matthäus Vischer, einem österreichischen Geistlichen und Topografen, ist uns ihr Bild erhalten. Und seit 2010 werden am Ort ihres einstigen Bestands systematische Ausgrabungs­ arbeiten durchgeführt, die bereits einige brisante Überraschungen zu­­ tage brachten. So konnte etwa festgestellt werden, dass der Bau in seiner 39

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Struktur wesentlich größer und umfangreicher war, als zuvor angenommen wurde. Die Mauern wiesen demnach eine Tiefe von bis zu zwei Metern auf. Der gesamte landesfürstliche Grundbesitz veränderte sich mit der Zeit durch verschiedene Lehensvergaben, Schenkungen, Verpfändungen. 1497 übergab der Landesherr die Herrschaft Burg Marburg als Lehen, später wurde sie verschiedenen Adelsfamilien als Pfandobjekt überantwortet. Das änderte sich radikal, als das Jahr 1848 die Bauern­ befreiung brachte. Jetzt wurden aus Erbpächtern und Untertanen freie Staatsbürger und Grundbesitzer. Dabei wurde die Entschä­ digungshöhe für die Vorbesitzer auf zwei Drittel des Schätzwertes festgelegt. Für die Herrschaft Obermarburg war das eine Summe von 28.310 Gulden, für die Herrschaft Burg Marburg von 37.768 Gulden.13

Wie die Stadt Marburg gegründet wurde Unter dem heutigen Pyramidenberg entstand wahrscheinlich schon im elften Jahrhundert eine Ansiedlung, die etwa in der Mitte des zwölften Jahrhunderts zu einer beachtlichen Siedlung heranwuchs und bald den Namen der Burg – Marchburg, Marburg – annehmen sollte. Sie befand sich freilich nicht unmittelbar unter der Festung, also nahtlos an diese anschließend, sondern in einer gewissen Distanz zu ihr. Denn das direkt angrenzende Gebiet war teilweise sumpfig. Südlich der Burg wiederum lagen die im Eigentum des Stifts St. Paul befindlichen Mansen, die später zum Burghof-Anwesen zusammenwuchsen. Und es liegt die Vermutung nahe, dass die Gründung der Siedlung Marburg im 13 Mehr dazu: Jože Koropec, „Mariborski grajski zemljiški gospostvi“, Maribor skozi stoletja, Maribor 1991, S. 73  –146.

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Struktur wesentlich größer und umfangreicher war, als zuvor angenommen wurde. Die Mauern wiesen demnach eine Tiefe von bis zu zwei Metern auf. Der gesamte landesfürstliche Grundbesitz veränderte sich mit der Zeit durch verschiedene Lehensvergaben, Schenkungen, Verpfändungen. 1497 übergab der Landesherr die Herrschaft Burg Marburg als Lehen, später wurde sie verschiedenen Adelsfamilien als Pfandobjekt überantwortet. Das änderte sich radikal, als das Jahr 1848 die Bauern­ befreiung brachte. Jetzt wurden aus Erbpächtern und Untertanen freie Staatsbürger und Grundbesitzer. Dabei wurde die Entschä­ digungshöhe für die Vorbesitzer auf zwei Drittel des Schätzwertes festgelegt. Für die Herrschaft Obermarburg war das eine Summe von 28.310 Gulden, für die Herrschaft Burg Marburg von 37.768 Gulden.13

Wie die Stadt Marburg gegründet wurde Unter dem heutigen Pyramidenberg entstand wahrscheinlich schon im elften Jahrhundert eine Ansiedlung, die etwa in der Mitte des zwölften Jahrhunderts zu einer beachtlichen Siedlung heranwuchs und bald den Namen der Burg – Marchburg, Marburg – annehmen sollte. Sie befand sich freilich nicht unmittelbar unter der Festung, also nahtlos an diese anschließend, sondern in einer gewissen Distanz zu ihr. Denn das direkt angrenzende Gebiet war teilweise sumpfig. Südlich der Burg wiederum lagen die im Eigentum des Stifts St. Paul befindlichen Mansen, die später zum Burghof-Anwesen zusammenwuchsen. Und es liegt die Vermutung nahe, dass die Gründung der Siedlung Marburg im 13 Mehr dazu: Jože Koropec, „Mariborski grajski zemljiški gospostvi“, Maribor skozi stoletja, Maribor 1991, S. 73  –146.

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Unterschied zu anderen Städten und Märkten dieser Gegend, von denen die meisten in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts erfolgten, Teil eines Wehrkonzepts war, das den Erfordernissen des strategischen Raums von der böhmischen Grenze Oberösterreichs bis Kärnten Rechnung trug. Denn eine Siedlung mit vielen Bürgern konnte wesentlich wirksamer Eindringlinge abwehren, als dies eine bloße Burg mit geringer Besatzung vermochte. Die Siedlung Marburg entwickelte sich aus dem Zusammentreffen zweier verschiedener Ansiedlungen: einer älteren bäuerlichen Sied­ lung, die südlich und westlich der späteren mittelalterlichen Stadt lag, voraussichtlich dort, wo sich die Wege nach Kärnten und jene in das Grazer sowie Cillier Becken hinein kreuzten, und einer bürgerlichen Ansiedlung von Gewerbetreibenden und Händlern am Ufer der Drau. Natürlich spielte bei der Entstehung dieser bürgerlichen Siedlung der Fluss als wichtige Verkehrsader eine bedeutende Rolle. Und da er relativ wenig Wasser führte, konnten im Sommer am niedrigen Ufer entlang der Drauwaldstraße Wassermühlen entstehen, was für das Gebiet von großer wirtschaftlicher Bedeutung war. Überhaupt ist die Müllerei in Urkunden als das älteste Gewerbe dieser Gegend belegt. ­Dokumente bezeugen überdies die Existenz von Mühlen auf Schiffen. Und so siedelten sich unweit des Drauufers immer mehr Gewerbetreibende und Händler an. Offenbar waren die Mühlen schon Ende des 13. Jahrhunderts recht einträglich. Neben dem Getreidehandel gedieh an der Drau aber auch der Holz­ handel, und vor allen Dingen nahmen im zwölften und im 13. Jahrhundert Weinbau und Weinhandel, schon zuvor eifrig gepflegt, einen starken Aufschwung. Dies war im Übrigen auch die Zeit, in welcher die Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft überging. Wann genau die Stadt entstand, ist nicht geklärt, wahrscheinlich aber geschah dies während oder nach der Herrschaft von Otakar IV., also in der Mitte des zwölften Jahrhunderts: Oder es war erst unter den Babenbergern Leopold V. und Leopold VI. so weit – im ersten 41

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Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts also. Sicher ist jedoch, dass die beiden Siedlungen, die bäuerliche und die bürgerliche, schließlich zusammengeführt und so im Kern zu dem wurden, was die mittel­alterliche Stadt ausmachte. Die Expansionspolitik der Babenberger war nach Süden ausgerichtet, und gerade hier, im Bereich des späteren Marburg, gab es den einzigen wirklich guten Landungsplatz für Flöße und einen geeigneten Fluss­ übergang, weswegen hier auch eine hölzerne Draubrücke (in ihrem Mittelstück eine Zugbrücke) errichtet wurde, die den Anlegeplatz mit der Magdalenen-Vorstadt am rechten Drauufer verband. Nördlich von Marburg sind die Ufer nämlich zu steil, südlich wiederum – dort wo der Fluss breiter wird – zu flach. Bis 1863, als die Kärntnerbahn ausgebaut wurde, sollten hier jährlich 1.100 bis 1.200 Flöße und 700 bis 800 sogenannte „Schaiken“ (größere, solide gebaute Schiffe) anlegen. Leider existiert keine Gründungsurkunde der Stadt, und es ist nicht einmal überliefert, dass eine solche jemals existiert hat. Vielleicht ging die Gründung ohne Beurkundung vonstatten, das Stadtrecht wurde nur mündlich erteilt. Alles, was wir wissen, ist späteren Urkunden entnommen. Aus ihnen ergibt sich jedenfalls, dass die städtische Verwaltung und die Rechte der Bürger von den Landesherren, also zunächst von den Babenbergern, dann, ab 1282, von den Habsburgern bestimmt wurden. Im Jahr 1209 wird die Siedlung in einer Urkunde des Babenbergers Leopold I. erstmals als „Markt“ bezeichnet, als „Forum Marchpurch“, das in Urkunden von 1227 und 1248 erneut auftaucht. In einem anderen Schriftstück aus dem Jahr 1220 wird Marburg lateinisch als „villa“, also als „Dorf“ bezeichnet. Als „Stadt“, „civitas“, kam es erstmals 1254 urkundlich zu Ehren. In einem weiteren Schriftstück von 1254 schließt „Gottefridus de Marpurg“ [Gottfried von Marburg] einen Vertrag mit Wernher vom Haus am Bacher („Hompoš“) und dem Kloster Viktring. Verschiedene namentlich benannte Bewohner wurden schon früher in anderen Schriftstücken als „burgenses“ oder „cives“ bezeichnet – so etwa in einem Bericht eines gewissen Wolfhahrt, 42

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entstanden zwischen 1202 und 1220, oder in Texten eines Kirschners „Gottfried“ aus dem Jahr 1220 sowie der „Bürger Eberhard und Mark­ vard“, „Marquardus et Eberhardus, cives“, aus dem Jahr 1250.14 Die älteste Urkunde mit dem Amtssiegel „civitatis in Marchpurch“ stammt aus dem Jahre 1271. Von 1273 ist uns ein Schriftstück erhalten, das bestimmte Personen „cives Marchpurgenses“, also „Bürger von Marchburg“, nennt – unter anderem den Stadtrichter Walker und den Schreiber (Notar) Rudolf. Davor, im Juli 1261, hatte Wok von Rosenberg, Landeshauptmann der Steiermark, der zugleich Oberster Marschall des Königreichs Böhmen war, in Marburg ein Landtaiding abgehalten – einen „Gerichtstag“. Auch ist bezeugt, dass der Deutsch­ritterorden am 30. April 1279 sein Generalkapitel in Marburg beging. Das waren Veranstaltungen, die im Allgemeinen nur in Städten stattfanden. Da Marburg, wie bereits erwähnt, der einzige landesfürstliche Brückenkopf an der Drau war, wuchs die Bedeutung der Stadt von Jahr zu Jahr. Und das führte auch zu einer verstärkten Rivalität zwischen Pettau/Ptuj und Marburg. Es ging dabei um die Vormacht auf dem Draufeld – ein zäher Rivalitätskampf, der zwischen den Babenbergern und dem Erzbistum Salzburg ausgetragen wurde, dessen bedeutendste Ministerialen in diesem Gebiet die Herren von Pettau waren. Pettau brillierte mit seiner alteingesessenen Handelsmacht, Marburg mit seiner außerordentlich günstigen Verkehrslage. Erst im Jahr 1500 wurde Pettau dem habsburgischen Herzogtum Steiermark angeschlossen. Deswegen war die Brücke über die Drau in Marburg bis dahin auch für die Habsburger überaus wichtig. Die Landesherren erteilten der Stadt wichtige Privilegien, so den Drau-Zoll, das Weinhandelsmonopol – von Herzog Albrecht II. 1339 erteilt und später bestätigt –, womit Marburg dann endgültig zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt dieser Region wurde. 14 Mehr darüber: Jože Mlinarič, „Maribor od začetkov do sredine 18. stoletja“, Maribor skozi stoletja, Maribor 1991, S. 147–149.

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In Marburg wird gebaut: Häuser, Burgen, Festungen – vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert Im 13. Jahrhundert entfaltete die Stadt eine enorme Bautätigkeit. Ihr Grundriss erstreckte sich damals über ein Quadrat von 500 Metern Seitenlänge. Die Südseite dieses Quadrats verlief im Abstand von vier­zig Metern parallel zum Fluss. Dieser Abstand war nur logisch, denn eine Siedlung unmittelbar am Flussufer wäre schon wegen der Überschwemmungsgefahr wenig sinnvoll gewesen, außerdem war eine Bebauung des steilen Abhangs überaus schwierig. Die rautenförmige Stadtmauer, die die vierfache Fläche des ursprünglichen Marktes um­ringte, entstand zwischen 1255 und 1282 und wurde im 14. Jahrhundert noch weiter ausgebaut. Auf dem Stadtsiegel von 1282 ist die Befestigung im Bild festgehalten. Auch heute noch schmückt sie das Stadtwappen. Der Stadtgraben wurde bereits 1305 erwähnt. Der Ländturm (Ge­­ richtsturm), der heute noch steht, wurde 1310 als runder Wehrturm am südwestlichen Teil der Stadtmauer errichtet. Er diente auch als Lager für Dynamit und Waffen, und auch Gefangene wurden in ihm untergebracht. Die westliche Mauer unterbrach die ursprüngliche Straßenverbindung zum Drau-Übergang, während die östliche Verbindung zur Drau außerhalb der Stadt lag. Im 14. Jahrhundert wurden die wichtigen Stadttore errichtet: das Obere Tor (Kärntnertor, auch Frauentor) im Westen, das St. Ulrichstor (Grazertor, auch Burgtor) im Osten und das Drautor (Wassertor) im Süden. Durch das Drautor führte der Weg zwischen dem Fluss – beim Mautamt vorbei – durch eine sehr steile, enge und kurvige Draugasse (Dravska ulica) zur Stadtmitte hin. Das wichtigste Tor war im Mittelalter das Kärntnertor, durch welches der gesamte Transitverkehr in Richtung Westen und Norden abgewickelt wurde. Vor diesem Tor entstand 44

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Abbildung 4: Das Stadtwappen auf der Hauptbrücke (Glavni most)

die Kärntner Vorstadt, während im Osten, vor dem St. Ulrichstor, durch welches vor allem der ganze Verkehr aus dem Osten strömte, sich die Grazer Vorstadt entwickelte. Indessen war das Gebiet südlich bis zum Fluss – der Hafen (Pristan) mit dem heutigen Vojašniški trg war schon damals stark besiedelt – vornehmlich ein Handels- und Gewerbezentrum. Bereits im 15. Jahrhundert standen dort 30 kleinere Häuser sowie größere Wirtschaftsgebäude und Lager, vor allem Holz­ lager. Neben den Müllern siedelten sich dort Weinbauern mit ihren Weinkellern an, auch Fleischereien und Gerbereien. Die Stadt konnte aber auch durch zwei in der Mauer befindliche kleinere Tore betreten werden: an der Stadtmauer am Ende der Judengasse (Židovska ulica) sowie am Ende der Flößergasse (Splavarska ulica). Wichtigste Verkehrs­ 45

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straßen der Stadt waren jedoch neben der Kärntnerstraße die Burggasse (Gospejna ulica) mit einem Teil der Windischen Gasse (Slovenska ulica) sowie die Viktringhofgasse (Vetrinjska ulica), nicht zuletzt der Hauptplatz als geschäftlicher Knotenpunkt. Innerhalb der Befestigungsmauern wurde 1315 der „marcht“, der Markt also, der heutige „Glavni trg“ (Hauptplatz), Mittelpunkt der Stadt. Auch galt das Gebiet von der Kärntnerstraße bis zum Markt und zur Judengasse, die nach der Vertreibung der Juden 1497 „Allerheiligengasse“ hieß, als vornehmster Stadtteil, in welchem die betuchtesten Bürger lebten. Als eines der ersten Häuser der Stadt ist der Viktring­ hof (Vetrinjski dvor) auf dem Burgplatz (Grajski trg) um 1222 erwähnt, der bis 1709 dem Viktringer Kloster gehörte. Auf dem heutigen Slomškov trg (Slomšek-Platz, früher Domplatz) errichteten 1348 der Stadtschreiber Mattheus und seine Frau Elisabeth das Bürgerspital mit der Heiligen-Geist-Kapelle. Um das Spital zu finanzieren und es für eine wirksame Versorgung und Behandlung von Kranken instand zu setzen, übereignete ihm der Gründer einige Ländereien. Andere Wohltäter folgten, sodass das Krankenhaus schon von Anfang an über eigene Höfe, Parzellen, auch Weinberge verfügte. 1466 beschädigte jedoch ein Brand das Gebäude stark, worauf der Seckauer Bischof eine Spendensammlung initiierte.15 Im 15. Jahrhundert war die Stadt in vier Stadtbezirke geteilt. Im ersten Viertel siedelten sich vorwiegend Gewerbetreibende an – das markanteste Gebäude war die Stadtburg, aber auch andere wichtige Gebäude standen hier: der Viktringhof, der Mellinghof, der Salzbur­ ger Hof und die Synagoge. Im zweiten Viertel gab es entlang der Burg- und der Windischengasse eine Reihe von Gasthäusern. Im dritten Viertel befand sich – zwischen der Windischengasse und der Kärnt­ nerstraße – der Pfarrplatz (heute Slomškov trg) mit der Pfarrkirche 15 Heute steht an der Stelle, an der einst das Bürgerspital stand, die Postdirektion, 1894 vom Wiener Architekten Friedrich Seitz erbaut.

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H äuser , burgen , fes t ungen – vom mi t t e l a lt er bis zum 1 8. J hd t.

Abbildung 5: Draugasse (Dravska ulica) Richtung Hauptplatz (Glavni trg) um 1900.

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und dem St.-Paul-Hof. Im vierten Viertel schließlich standen das Bür­ gerspital, das Rathaus, das Minoritenkloster und der Seitzerhof (Žički dvor). In demselben Jahrhundert wurde auch der Ausbau der Festung in Angriff genommen, wodurch die Stadt zu einem der strategisch wichtigsten Stützpunkte des Landes Steiermark aufstieg. So bekam Marburg bald, im 16. Jahrhundert, auch den rechtlichen Status einer Festung, den es bis zur Zeit Kaiser Josephs II. behalten sollte. Die Festungsanlage war in der Zeit von 1460 bis 1470 nach neuesten Verteidigungskriterien erbaut worden. Tatsächlich hielt sie 1481 dem Ansturm der Ungarn stand (der Belagerung durch Matthias Corvinus 1480 und 1481), wurde dann aber 1532 durch die angreifenden Türken schwer beschädigt. Auch die großen Feuersbrünste von 1503 und 1513 fügten der Festung gewaltige Schäden zu. So wurde eine umfassende Gesamtrenovierung erforderlich, die von 1548 bis 1562 durchgeführt wurde. Dafür stellte auch das Land Steiermark finanzielle Mittel zur Verfügung. Die Arbeiten wurden von italienischen Architekten und Baumeistern geleistet, von den Brüdern Domenico und Andrea dell’ Allio, ferner von Pietro Antonio di Pigrato und Valentin Treveno. Und es wurden vier Basteien errichtet: die Kärntner Bastei, die sogenannte Venedig-Bastei, der Wasserturm und die Burgbastei. Die Stadtverwaltung, die zunächst im Rathaus in der Kärntnerstraße zu Hause war, wurde im Jahr 1362 – nach dem großen Stadtbrand – auf den Hauptplatz verlegt. Das heutige dort befindliche Rathaus wurde indes aus zwei bereits bestehenden einstöckigen unterkellerten Häusern, die von einer Sackgasse voneinander getrennt wa­ren, zu einem Gebäude zusammengefügt. Das östliche Haus, das ur­sprüngliche Benefizium der Maria Magdalena, wurde 1515 in neugotischem Stil renoviert, dann wurde es mit dem zweiten Haus vereinigt, das – wahrscheinlich unter der Leitung von Pietro Antonio de Pigrato (1563–1565) – im Renaissance-Stil umgebaut wurde. Es kam auch noch ein Balkon hinzu, an dessen Vorderseite das Relief zweier Löwen, 48

H äuser , burgen , fes t ungen – vom mi t t e l a lt er bis zum 1 8. J hd t.

die Jahreszahl 1565 sowie das Stadtwappen angebracht waren. Dies ist heute noch zu sehen. Es zeigt zwei Mauertürme, ein silbernes Stadttor im roten Feld sowie eine darauf zufliegende Taube. Hier war der Sitz der Stadtverwaltung, bestehend aus dem Stadtrichter, den Stadträten und dem Stadtschreiber. Im nordöstlichen Teil der Stadt ließ Kaiser Friedrich III. von 1478 bis 1483 die Stadtburg (heute Stadtschloss) erbauen, in spätgotischem Stil. Nachdem es im Verlauf der türkischen Belagerung im September 1532 schwere Schäden abbekommen hatte, wurde es von dem italienischen Architekten Domenico dell’Allio erneuert, erweitert und befes­ tigt. Ursprünglich hatten dort zwei Bürgerhäuser gestanden. Der mittelalterliche Kernbau, unterkellert und drei Etagen hoch, ist im Wesentlichen heute noch erhalten. Zwischen 1556 und 1562 entstand dann im Nordosten – dort wo früher der Burgturm gestanden war – die Bastei mit mächtigen Gewölben in den unteren Geschoßen. Der Historiker Rudolf Puff nimmt an, dass es von hier aus einen unterirdi­ schen Gang zur Obermarburg gegeben habe.16 1584 wurde der östliche Trakt errichtet, dann, 1620, kamen die vier Ecktürme mit ihren glockenförmigen Dächern hinzu, von welchen einer, der südwestliche, noch heute steht. 1640 wurde der Galeriegang erbaut, von 1655 bis 1670 die Lorettokapelle, 1668 eine Plattform mit Arkaden im östlichen Teil, schließlich, von 1747 bis 1750, der Treppenturm. Auch wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Schlossanlage gegen Westen erweitert. In dieser Zeit entstand aber auch der repräsentativste Raum des Schlosses: der Rittersaal. Im Norden wurde die Ringmauer erneuert und ein Burgturm gebaut, im Süden schließlich kam ein einstöckiges Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude hinzu. 1751 bekam die Bastei einen Überbau. 1823 wurde das Ulrichstor niedergerissen und die südliche Burgfassade verlängert. 16 Rudolf Gustav Puff, Marburg in Steiermark. Seine Umgebung, Bewohner und Geschich­te, Bd. I, Graz 1847, S. 26.

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Im Jahr 1593 entstand das städtische Provianthaus an der öst­ lichen Seite des Hauptplatzes, das nach den Bränden 1648 und 1650 in den Besitz der Grafen Tattenbach überging und zum Palais umgebaut wurde. Viel später, im 19. Jahrhundert, sollte es als Kaserne genutzt werden. Im Umland, außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern, entlang der Straßen gab es zahlreiche Hofstätten im Besitz der Bürger der Stadt. Wie bereits erwähnt, besaßen Bürger außerhalb der Stadt häufig Gärten und Äcker, vereinzelt auch Viehställe, Meierhöfe, Huben, Wiesen und Wälder. Die meistverbreitete Besitzart der Marburger Bürger war aber der Weingarten, der zumeist nicht weiter als etwa fünf Kilometer von der Stadt entfernt lag. Hinter den Weingärten aber befanden sich die meisten bäuerlichen Höfe (Huben). Viele Äcker und Felder lagen jenseits der Drau. Größtenteils handelte es sich bei diesen Liegenschaften außerhalb der Stadtmauern um freie Erbzins-Lehen. Die Betreiber dieser landwirtschaft­ lichen Betriebe hatten an die Gültbesitzer – etwa an den Landesherrn, an verschiedene Klöster, an den Erzbischof von Salzburg, an die Bischöfe von Gurk und Seckau oder an das Bürgerspital – Geld oder Abgaben in Naturalien zu entrichten. Sie zahlten also mit Hühnern, Eiern, Getreide, Most und Wein, oder sie leisteten bestimmte persönliche Dienste. Indessen hatten sich zwischen der Drau und der Stadtmauer, vor allem in der Nähe der Draubrücke, auf sehr begrenztem Raum gewerb­ liche Liegenschaften etabliert, die auf Wasser angewiesen waren, wie etwa Lederstuben oder Fleischbänke.17 Dort, wo heute das Barockschloss Windenau steht, südlich der mittelalterlichen Stadt Unter-Rothwein/Sp.Radvanje (heute ein Stadtteil von Marburg), gab es im Mittelalter einen Hof, der 1319 zum 17 Die Bürger von Marburg an der Drau bis 1600. Prosopographische Untersuchung, in: Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 10/1, Graz 1998, S. 96  –103.

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H äuser , burgen , fes t ungen – vom mi t t e l a lt er bis zum 1 8. J hd t.

ersten Mal als Marburger Lehen erwähnt wurde. Schon zur Römerzeit soll sich hier ja, wie bereits erwähnt, eine Pferdewechselstation befunden haben. Die Erbauer des Hofs sollen die Herren von Windenau (auch Windenaw, Witnaw oder Wittenaw) gewesen sein, denen auch Negau in den Windischen Büheln sowie Halbenrain gehörte. Im 16.  Jahrhundert entstand dann an dieser Stelle ein Renaissanceschloss mit vier Trakten und vier Ecktürmen sowie einem Wassergraben. 1685 aber zerstörte eine Feuersbrunst das Gebäude. Franz Jakob Graf Brandis baute es nach 1728 zu einem Barockschloss mit Mansardendächern um. Die Herrschaft Windenau hatte sich ab 1319 im Besitz der Familie Paltram befunden, woher denn auch der Name „Paltramshof “ stammte. Die Mitglieder dieser Familie bekleideten in der Stadt hohe Ämter. 1437 soll Andrej Žusemski mit seiner Frau Liza Wintnawer dort gewohnt haben. Als weitere Eigentümer sind nacheinander in langer Reihe Persönlichkeiten mit klingenden Namen bezeugt, etwa Wolf Engelbert Graf Auersperg (1542), Lucas Szekely (1555), Maks von Khuenburg (1585), Wolf Wilhelm von Herberstein (1587), Johann Jakob Graf Khiessl (1667), der diesen Besitz mit Schloss Marburg vereinigte, Marie Eleonore Gräfin Ursini-Rosenberg (1681–1728), Franz Jakob Brandis (1728), schließlich die Diözese Lavant, in deren Besitz die Herrschaft 1863 überging. Von nun an diente das Anwesen als Sommersitz.18 Westlich der Stadt, in Melling/Melje, befand sich die Kommende der Malteser-Ritter, die erstmals 1217 erwähnt wurde und bis 1799 18 1941 wurde das Anwesen von den deutschen Besatzern konfisziert. Diese hatten vor, den Bau und das Gelände für die Heranbildung von Deutschlehrern zu nutzen. Nach 1945 aber wurde die Immobilie nicht der Kirche zurückgegeben, sondern verstaat­ licht. Sie diente den Kommunisten zu verschiedenen Zwecken, auch als Lagerhaus. Sie wurde vom Agrokombinat Marburg verwaltet. In stark baufälligem Zustand wurde das Anwesen schließlich 2001 der Kirche zurückgegeben. PAM/1841, Gospoščina Betnava pri Mariboru.

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bestand. Der Name „Melnich“ kommt schon in einer Urkunde aus dem Jahr 1164 vor, in welcher auch die Obermarburg erwähnt wurde, sowie in einem Dokument von 1192, in welchem bezeugt war, dass das Kloster St. Paul seinen Besitz den Herren von Melich als Lehen übertragen hatte. Die Malteser-Ordensritter bauten an der heutigen Trdinova ulica eine Kirche zu Ehren der Heiligen Katharina von ­Alexandrien, die von ihnen in besonderem Maße verehrt wurde.19 Die Kirche wurde 1844 abgerissen. Am heutigen westlichen Stadtrand von Marburg, in welchem die Hügel in ebenes Gelände auslaufen, liegt das Weinbauschloss Ratzer­ hof  /Račjidvor, dessen Anlage heute als Freiluftmuseum genutzt wird. Dort war, wie aus dem Jahr 1236 deutlich bezeugt ist, der Deutschrit­ terorden ansässig, der den Hof, zu welchem umfangreiche Weingüter gehörten, jedoch 1279 wegen Verschuldung an das Benediktinerstift Admont verkaufen musste, in dessen Eigentum er dann fast sieben Jahrhunderte lang verbleiben sollte. Von 1414 bis 1416 wurde der Hof umgebaut, doch blieb er – mit dem Wappen und der Jahreszahl 1778 – überwiegend vom 17. und 18. Jahrhundert geprägt. Das Admonter Kloster hatte seinen übrigen alten Besitz auf dem rechten Drauufer in der Gegend des heutigen Lembach/Limbuš. Sitz dieser Gutsherrschaft war der Jahringhof/Jareninski in Pössnitz/Pesnica, der bereits im elften Jahrhundert den Benediktinern gehört hatte.

19 Karla Kramberger, Vloga viteških redov v slovenskem prostoru, Dipl.-Arbeit, Universität Marburg 2009.

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m a rburger der frü hen j a hre

Marburger der frühen Jahre: Wer und wie viele? Wie viele Einwohner die Stadt Marburg im zwölften, 13. und 14. Jahrhundert hatte, ist nicht verlässlich feststellbar. Erst für das 15. und das 16. Jahrhundert liegen einige seriöse Schätzungen der ungefähren Bevölkerungszahl vor, die auf mehreren Indizien beruhen. Diese ergaben sich aus unterschiedlichen Quellen, von welchen aus die entsprechenden Schlüsse gezogen werden konnten. Da war einmal die genau feststellbare Zahl der Marburger Häuser, dann die Anzahl jener Bürger, die in Urkunden und Berichten namentlich nachgewiesen waren, ferner aufschlussreiche Informationen, die sich aus den (in den Steuerbüchern festgehaltenen) Gültschätzungen ergaben, schließlich die Anzahl der Kommunionkinder, die aus verschiedenen Kommunikantenzählungen hervorging. Für das Jahr 1528 kamen die Historiker – bei 187 gezählten Häusern und 663 namentlich genannten Bürgern – zu einer geschätzten Einwohnerzahl von 710 bis 1.500, einige Forscher glauben die Zahl genauer eingrenzen zu können und lassen sie bei 1.000 bis 1.100 Einwohnern einpendeln.20 Viele Einwohner stammten aus Gebieten außerhalb der Stadt. Die meisten von ihnen kamen aus der unmittelbaren Umgebung, aber viele zogen auch aus anderen Gegenden hierher um – vorwiegend aus dem Gebiet des heutigen Kärnten und der Steiermark. Nicht wenige, vor allem Händler, kamen aber auch aus Italien und dem Friaul. Keine einigermaßen verlässlichen Informationen können über die ethnische Zugehörigkeit der Einwohner jener Zeit gegeben werden, 20 Norbert Weiss, „Die untersteirischen Städte und ihre Bewohner im Mittelalter“, Slowenen und Deutsche im gemeinsamen Raum. Neue Forschungen zu einem komplexen Thema, hg. v. Harald Heppner, Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission, Bd. 38, München 2001, S. 20  –23; Manfred Straka, „Die Bevölkerungsentwicklung der Steiermark von 1528 bis 1782 auf Grund der Kommunikantenzählungen“, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark, 52, Graz 1961, S. 3  – 53.

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weil aussagekräftige Quellen fehlen. Offenbar wurde damals die Frage nach der Volkszugehörigkeit nicht als wichtig erachtet. Bis ins 13. Jahrhundert hinein war die Schriftsprache Latein, danach Deutsch. Eine slowenische Schriftsprache entstand erst im 16. Jahrhundert. Doch beweisen einige hebräische Vermerke in mittelalterlichen Urkunden auch die Verwendung des Hebräischen, mithin die Existenz jüdischer Einwohner. Hinweise auf die Volkszugehörigkeit können zum Teil aus den Namen herausgelesen werden – aus Zunamen, Herkunftsnamen, WohnortNamen und Berufsbezeichnungen. Eine prosopografische Untersuchung der Universität Graz, die den Zeitraum bis 1600 erfasste, kam zu dem Schluss, dass zwar slawische Anteile an der Bevölkerung Marburgs nachweisbar sind, dass deren Höhe jedoch bis 1450 nur etwa drei Prozent betrug. Danach aber stieg der slawische Anteil laut dieser Untersuchung und erreichte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 24 Pro­ zent. Während die deutsche und österreichische Forschung zu dem Schluss kam, dass die mittelalterlichen Städte auf dem Gebiet des heutigen Slowenien einen deutlichen deutschen Charakter zeigten, kamen slowenische Forscher zu einem anderen Ergebnis. Denn hier muss nach deren Ansicht auch der damalige Einfluss des jeweiligen Stadtherrn auf die verschiedenen Listen und Zählungen berücksichtigt werden, wie der Historiker Herwig Ebner betont: „Zweifellos wird man zu beachten haben, dass die nationale Zusammensetzung der Stadtbevölkerung vom Willen des jeweiligen Stadtherrn abhängig war. Dass derart eine Bevorzugung des deutschen Bevölkerungselements resultierte, wird vor allem für das Mittelalter kaum ernsthaft zu leugnen sein.“   21 Doch wurden auch keine Hinweise dafür gefunden, dass bis 1600 slawische Namen, etwa von Schreibern, ins Deutsche übersetzt worden wären – bis auf eine Ausnahme: „Vodopivec“ wurde mit „Wassertrinckher“ übersetzt, wobei aber ungeklärt bleibt, 21 Zitiert nach: „Die Bürger von Marburg an der Drau bis 1600. Prosopographische Untersuchung“, Schriftenreihe des Instituts für Geschichte, Bd. 10/1, Karl-FranzensUniversität Graz, S. 28, Anm. 305.

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W er und wie vie l e ?

ob es sich hier wirklich um einen Familiennamen und nicht vielmehr um einen Spitznamen handelte.22 Zu einem anderen Resultat als die genannte österreichische Untersuchung kommt auf jeden Fall der Historiker Jože Mlinarič, der eine ausführliche Quellen-Editionsreihe „Gradivo za zgodovino Maribora“ („Material zur Geschichte Marburgs“) herausgab und schon mehrere gründliche Analysen zu diesem Thema publizierte. Ihm zufolge waren zwar die ersten Siedler der Stadt deutsch, doch hatten die Zugezogenen aus dem Umland größtenteils eine slowenische Herkunft. Der Adel, der nur eine sehr dünne Schicht ausmachte, war durchwegs deutsch, ebenso traf das auf den überwiegenden Teil der Händler zu. Dagegen stammten die Handwerker hauptsächlich aus den Reihen der unmittelbaren Umgebung, waren also größtenteils Slowenen. Als Ausnahmen nennt Mlinarič Goldschmiede, Zinngießer und Gürtler.23 Auch aus dem Steuerregister können gewisse vage Schlüsse über die ethnische Zugehörigkeit gezogen werden, weil hier eine Auflistung nach Berufen erfolgt war. So waren im Jahr 1504 52 Prozent der Erfassten mit Berufsbezeichnungen versehen, die nichts diesbezügich Aufschluss­ reiches aussagten. Von den übrigen 48 Prozent jedoch waren 79 Prozent der Bezeichnungen eindeutig deutsch. Der Historiker Pirchegger kommt für das Jahr 1452 zu einem Verhältnis von 4:1 zugunsten der deutschen Bevölkerung.24

22 Die Bürger von Marburg an der Drau bis 1600, S. 5  – 31. 23 Mlinarič, „Maribor od začetkov do sredine 18. stoletja“, S. 148  –151. 24 H. Pirchegger, Der deutsche Bevölkerungsanteil, S. 11/12. Siehe dazu auch: Boris Golec, „Was bedeutet ‚Slowenisch‘ und ‚Deutsch‘ in den krainischen und unterstei­ rischen Städten in der frühen Neuzeit?“, Slowenen und Deutsche im gemeinsamen Raum, hg. v. Harald Heppner, in: Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission, Bd. 38, S. 53.

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Müller, Gerber, Bauern, Bäcker – und ein schönes Wein-Monopol Natürlich entwickelten sich an der Drau zuerst jene Gewerbezweige, die für das Überleben der Bevölkerung wichtig waren, so das Nah­ rungsmittelgewerbe (Fleischhauer, Bäcker etc.), das Textilgewerbe (Schnei­der, Seiler, Weber, Tuchscherer) und das Lederhandwerk, das bis zum Ausbau der Südbahn Mitte des 19. Jahrhunderts zu den führenden Gewerben der Stadt zählte, da die Marburger Eichenwälder in üppiger Fülle Knoppern (auch Gallen genannt) lieferten, die als Gerbstoff für die Ledergewinnung wichtig waren. Marburgs Lederstu­ ben befanden sich vornehmlich in der Lederergasse östlich des Drautors, zwischen der Drau und der Stadtmauer. Seit dem 16. Jahrhundert ist ein deutlicher Anstieg der Zahl der Lederer zu verzeichnen, sodass diese nun eine der größten Standesgruppen innerhalb der Marburger Bürgerschaft bildeten und, obwohl sie nicht zu den vermögenderen Bürgern zählten, Zugang zu allen städtischen Ämtern hatten. Ihre Standessiegel sind seit dem 16. Jahrhundert erhalten, ihre Wappenfigur ist der Ledererbottich. Weniger angesehen waren jedoch groteskerweise die mit der Lederverarbeitung befassten Schuster, Beutler, Riemer und Sattler. Viele Gewerbetreibende waren nebenher auch Bauern und hatten außerhalb der Stadt ihre Gärten, Felder, Wiesen und Weingärten, deren Produkte sie in der Stadt verkauften. Vermögendere besaßen auch Bauernhöfe mit Untertanen. Aus diesen Höfen zogen sie Geld und wurden so selbst mit Gemüse und Tierprodukten versorgt. Weingärten umgaben die Stadt im Osten, Norden und Westen. Doch war der Weingartenbesitz in Marburg nicht bloß ein Privileg der Oberschicht. Schon im elften Jahrhundert wurde von Vinarski breg/ Wienerberg bis Melling und Zwein/Cvajnik Wein angebaut, und auch auf dem Pyramidenberg ist der Weinbau bereits 1243 bezeugt, 56

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ebenso auf dem Ratzenberg (Račji breg, 1305) und dem Vorderberg (Kalvarija, 1337). Und da der Wein eben von Anfang an das Leben der Stadt so wesentlich mitbestimmte, blühte hier selbstverständlich auch das Fassbinderhandwerk, das zu den ältesten hier betriebenen Gewerbearten zählt. Hohes Ansehen genossen auch die Fleischhauer, die zugleich Vieh­ handel betrieben, weshalb in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch schon Mitglie­der dieses Berufszweigs in angesehene kommunale Ämter einrückten. So wurde etwa der Fleischhauer Lucas Jurtschitz zum ersten Stadtrichter aus den Reihen der Handwerker bestimmt. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts stiegen die Bäcker zum angesehensten Handwerk auf, doch war für sie – schon wegen ihrer außergewöhn­ lichen Arbeitszeiten – die Wahrnehmung öffentlicher Ämter weit problematischer. Eine mehr­jährige Amtszeit als Stadtrichter bedeutete für einen Bäcker den Ruin. Handel treibende Kürschner, Goldschmiede und Tuchscherer erfreu­ ­­ten sich ebenfalls hohen Ansehens. Sie waren meist vermögend, gehörten also zur bürgerlichen Oberschicht, während die Betreiber des textil- und lederverarbeitenden Gewerbes (Schneider, Schuster) eher zur unteren Schicht zählten. Die Gesundheitspflege lag in der Hand von Badern und Barbieren, die trotz ihrer Wichtigkeit nur wenig Achtung genossen. Zu den vornehmeren Bürgern zählten ebenfalls viele Handelsleute, die sich an der Kärntnerstraße ansiedelten. Diese führte durch das Kärntnertor zum Markt (später Platz). Von dort kam man zur Burggasse und zur Windischengasse, deren Name schon die vorwiegend slowenische Besiedlung anzeigt. Gegen Ende des Mittelalters – also in der zweiten Hälfte des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts – wuchs die Bevölkerung rasch. Ebenso rasch vermehrten sich die Gewerbearten, was vor allem der fortschreitenden Spezialisierung zuzuschreiben war. So zog zum Beispiel allein das Schmiedegewerbe eine ganze Reihe weiterer Schmie­ 57

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deberufe nach sich: Hufschmied, Nagelschmied, Messerschmied, Schlosser, Klempner usw. Die Zahl der Gewerbetreibenden schoss in die Höhe. Bis zum Jahr 1514 gab es in Marburg zwei Jahresmärkte, zu dem Händler, Hersteller von Waren und Bauern aus Stadt und Umgebung kamen und ihre Objekte anboten – das war am Sonntag (manchmal am Samstag) vor Lichtmess am 2. Februar. Dabei durften die Marburger acht Tage lang die doppelte Maut- und Brückengebühr verlangen – wie auch am 4. Juli, dem Kirchweihfest von St. Ulrich in der östlichen Vorstadt (1305). Nach dem Großfeuer 1513 kam dann noch ein weiterer Markt hinzu – zum Fest des Evangelisten Lukas am 18. Oktober. Die Landesfürsten unterstützten das Gewerbe und den Handel mit Privilegien. Vor allem wurde der Weinhandel gefördert, sodass die Stadt nicht zuletzt wegen ihres Wein-Monopols zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Draugebiet und Kärnten aufstieg. Nach den um 1375 ausgefertigten Privilegien25 durften Fremde nach dem St. Martinstag den Wein aus den Windischen Büheln nicht durch Marburg oder um die Stadt herum transportieren. Die Pettauer Weine durften also weder durch Feistritz noch durch den Drauwald gefahren werden. Gänzlich verboten waren Weintransporte auf den Straßen über den Pramberg (Remšnik) und Radl (Radlje). Nachdem die Stadt Pettau jedoch 1492 vorübergehend und 1555 endgültig unter die Herrschaft der Habsburger gefallen war – davor gehörte die Stadt zu Salzburg –, wurde auch das Wein-Monopol der Stadt Marburg infrage gestellt. So konnte Pettau den Wein jetzt frei transportieren. Nach Protesten der Marburger Weinhändler erhielten die Marburger jedoch von Maximilian II. 1521 das Monopol auf den Weinhandel zwischen den Windischen Büheln und dem Roiztscher Berg/Rogaška gora. Dieses wurde von den Landesfürsten bis 1595 25 Siehe Rudolf Pertassek, Marburg an der Drau, Graz 2000, S. 34.

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auch immer wieder bestätigt. Gleichwohl hörten die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Städten damit nicht auf. Schließlich kam es zu einem Kompromiss, den Ferdinand III. dann 1654 bestätigte. Ihm zufolge erhielten die Marburger das Monopol auf den Handel mit Kärnten. Die Pettauer erhielten ein solches für den Handel mit der Mittel- und der Nordsteiermark sowie mit Gebieten östlich von Pettau. Die Handwerker schlossen sich in Zünfte zusammen. Die älteste aus den Dokumenten überlieferte Zunft in Marburg ist die der Schus­ ter 1473. Der Historiker Mlinarič vertritt jedoch sehr begründet die Meinung, dass sich die Handwerker zur Wahrung ihrer Interessen, vor allem um sich von außen vor Konkurrenz zu schützen, bereits früher zusammengeschlossen hätten, manche sogar schon im 14. Jahrhundert.26 Jetzt aber – mehr noch im 16. Jahrhundert – verteilte der Landesfürst Zunftpatente, um die Handwerker in der Stadt vor solchen außerhalb Marburgs zu schützen. Die Bäcker schlossen sich 1494 in einer Bruderschaft zusammen, die 1539 bereits als „Zunft“ bezeichnet wurde, die Schneider 1512. Außerdem gab es Zünfte für Fleischhauer (1492), Schmiede (1594), Tischler (1596), Fassbinder (1603), Weber (ca. 1605), Töpfer (1613), Müller (1624), Lederer (1645) und Betreiber des Baugewerbes (vor 1700).

26 Mlinarič, „Maribor od začetkov do sredine 18. stoletja“, S. 181.

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Die Stadt wird verwaltet – und verwaltet sich Die spärliche Quellenlage macht es schwierig, die spezielle Entwick­ lung der Verwaltung der Stadt Marburg in ihren ersten Jahrzehnten nachzuzeichnen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Abläufe zu jener Zeit in der Steiermark in ihren Grundzügen nicht von jenen in anderen Städten des Herzogtums unterschieden, sodass manche Erkenntnisse über die Organisation einer Stadt auch von anderen Orten herangezogen werden können. Jedenfalls war das wichtigste Amt in der Stadt das des Stadtrichters, der im Namen des Stadtherrn (Landesherrn) für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte. Anfänglich wurde der Stadtrichter vom Landesfürsten bestimmt, ab 1313 aber gab es bereits eine Stadtrichterwahl, die allerdings, um in Kraft treten zu können, der Bestätigung durch den Landesfürsten bedurfte. Diese Bestätigung musste dem Fürsten honoriert werden, wobei dieser auch von Fall zu Fall unterschiedliche Honorare verlangte. Wie zum Beispiel aus zwei Urkunden hervorgeht, bestätigte Kaiser Friedrich III. den Marburgern 1478 die freie Wahl ihres Stadt­ richters bis auf Widerruf, doch verlangte er plötzlich 216 Gulden – statt der ursprünglich zugesagten 208.27 Der Stadtrichter, der stets aus den Reihen der einflussreichsten Bürger der Stadt stammte – einige Familien stellten gleich mehrere Stadt­ richter nacheinander, – hatte den Vorsitz des Stadtgerichts inne. Seine Aufgabe war es, den Gerichtsfrieden28 und die verletzte oder bedrohte Rechtsordnung wiederherzustellen, Beschuldigte zu laden und festzunehmen, die Verfahren zu leiten und zu beurkunden, die Gerichtsent27 Mlinarič, „Maribor od začetka do sredine 18. stoletja“, S. 165. 28 Gerichtsfrieden war der vom Gericht verkündete erhöhte Friede (Deutsches Rechts­ wörterbuch).

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scheidung auszugeben. Die Rechtsfindung selbst oblag jedoch dem Stadtrat, in dessen Kompetenz auch die Gesetzesausübung und die Verwaltung lagen. Stadtrichter konnte nur ein Mann werden, der uneingeschränkt rechts- und handlungsfähig war. Ihm zur Seite standen Gerichtsknechte. In der Regel nahm ein Stadtrichter, dessen jeweilige Amtszeit im ganzen steirischen Raum an Petri Stuhlfeier begann, also am 22. Februar, meh­ rere Amtsperioden in Anspruch. So war das im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert auch in Marburg. Dann allerdings änderte sich dies – die Befürworter einer jährlichen Wahl setzten sich durch. Anfangs war die Bezeichnung „Stadtrichter“ streng genommen nicht ganz korrekt. Richtig war „iudex“ (Richter) und nicht etwa „iudex civitatis“, „statrichter“, weil der Amtsbereich eines Richters nicht auf die Stadt beschränkt war, sondern auch den weiteren Landgerichtssprengel umfasste. „Stadtrichter“ tauchte erst 1315 auf.29 Zusammen mit dem Stadtrichter bildete die Versammlung aller Bür­ger, die „universitas civium in Marpurg“, die oberste städtische Behörde. Dies belegt eine Urkunde des Jahres 1283. Diese Versammlung wählte den Stadtrat, der erst aus sechs, später zwölf „Geschworenen“ [„iurati“], später „Ratsbürger“ genannt, bestand. Diese zählten durch­ wegs zu den angesehensten, mächtigsten und reichsten Bürgern der Stadt. Zunächst kamen diese Ratsmitglieder nicht aus den Reihen der Handwerker, sondern waren Angehörige gehobener Schichten.30 Nach­ weisbar sind Handwerker in diesen Positionen erst seit den Sieb­ziger­ jahren des 15. Jahrhunderts. Etwa in der Mitte des 16. Jahrhunderts stie­gen die Zahlen der vom Handwerk kommenden Ratsmitglieder an, wobei jedoch nicht alle Handwerker und Gewerbetreibende gleiches Ansehen genossen. Während ab Mitte des 16. Jahrhunderts Gerber, Tuchscherer und Bäcker schon stark vertreten waren, kamen andere sel29 Die Bürger von Marburg an der Drau bis 1600, S.107–112. 30 Ritter, Personen, die bereits vor Amtsantritt mit „Herr“ bezeichnet wurden.

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ten oder nie vor. Für das Jahr 1473 können zum ersten Mal Handwerker im Rat nachgewiesen werden (so sind etwa aufgeführt: der Fleischhauer Lucas Jurtschitz, die Gerber Christoff Lefrer und Hanns Radkherspurger, der Bäcker Hanns Syber). Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts erreich­ te der Anteil der Handwerker am Stadtrat zwanzig Prozent, im 16. Jahrhundert pendelte er sich zwischen 13 und 32 Prozent ein. Doch ging dieser Einzug der Handwerker in den Rat nicht ohne Widerstand der Oberschicht vor sich, wie etwa ein Rechtsstreit aus den Jahren 1534 bis 1537 zeigt. Ein gewisser Virgili Tunkhl, Bruder des Kaiserlichen Rates und Hofkammersekretärs Sebastian Tunkhl, wurde einige Male verklagt, weil er angeblich seine Bürgerpflichten nicht erfüllte. Er soll geäußert haben, dass er sich weigere, im Rat Seite an Seite mit „Schuster“ und „Schneider“ an einem Tisch zu sitzen.31 Stadtrichter und Stadtrat nahmen zusammen auch die Aufsicht über die Tätigkeit des Bürgerspitals wahr, dem die Pflege und die Fürsorge für Kranke und Obdachlose oblagen, und konnten in seinem Namen Verträge schließen, den Leiter des Spitals wählen, die Hausordnung bestimmen sowie die Vermögensverwaltung führen. Hauptverantwort­ liche im Krankenhaus waren ein Spitalmeister bzw. Pfleger und ein Spital­sverweser. Der Erstere war ein fest angestellter und bezahlter, samt seiner Familie im Krankenhaus wohnender Spitalsverwalter, während der andere, der Spitalsverweser, ein von der Stadt ernannter ehrenamtlicher Leiter war, der eine Kontrollfunktion innehatte. Er stammte stets aus den Reihen einflussreicher Bürger und wurde jeweils für ein Jahr gewählt. Die im Spital Betreuten hatten gleichfalls Pflichten. Sie mussten sich an die Hausordnung halten, nach Bedarf leichtere Arbeiten ver­ richten und regelmäßig die Heilige Messe in der Kapelle besuchen. Ab dem 16. Jahrhundert geriet das Spital stärker unter die K ­ ontrolle des Landesfürsten. So wachte seit 1569 eine von Karl II. eingesetzte 31 Die Bürger von Marburg an der Drau bis 1600, S. 104  –123.

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Kommission mit genauen Prüfungen über die Einnahmen und Ausgaben des Hauses. Wie bereits erwähnt, verfügte das Krankenhaus über eigene Ländereien, aus deren Mitteln es seine karitativen Aufgaben erfüllen konnte. Gerade im 16. Jahrhundert aber verlor es einen Teil dieser Ländereien. Nach landesfürstlichen Instruktionen aus dem Jahr 1598 wurde der Stadtpfarrer Anton Manikor (1587–1601) zum Superintendenten des Hauses bestimmt, dessen Placet für jedes Budget und jede wesentliche Änderung erforderlich war. Auch nachfolgende Stadtpfarrer übten dieses Amt aus. Erst im 18. Jahrhundert wurde eine Hofkommission eingerichtet, die die Arbeit des Bürgerspitals überwachte.32 Hoch angesehen war auch das – zudem als recht lukrativ erachtete – Amt des Stadtschreibers. Dieser war eine Art Notar der Stadt. Der erste Stadtschreiber, der als solcher in den Marburger Urkunden in der Zeit von 1335 bis 1360 ausdrücklich genannt wird, ist „Mathe, der Stadtschreiber“, um welchen sich einige Geschichten rankten. Aus den Urkunden ist auch ersichtlich, dass seit dem 14. Jahrhundert Marburger Bürger als Zechmeister von Kirchen, Klöstern und Bruderschaften fungierten und dass bedeutende Bürger auch als Verwalter in herrschaftlichen, teils landesfürstlichen Weingütern in der näheren und weiteren Umgebung tätig waren. Besonders hoher Achtung erfreute sich nicht zuletzt das landesfürst­ liche Amt des Judenrichters. Gewissermaßen genoss er noch mehr Respekt als der Stadtrichter – in Marburg war er, wie bezeugt ist, auf gesellschaftlichem Terrain höher gestellt als dieser. Das war ein vom Landesfürsten ernannter christlicher Beamter, meist Mitglied einer angesehenen Familie aus der Ritterschaft oder der bürgerlichen Oberschicht, der für die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Christen und Juden zuständig war. Gleichzeitig war er auch Notar. Der erste namentlich bekannte Judenrichter von Marburg war 1333 Heinrich der Schrall.

32 Mlinarič, „Maribor od začetka do sredine 18. stoletja“, S. 187–188.

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Ab dem 14. Jahrhundert versahen auch immer wieder verschiedene Stadtrichter das Amt des Judenrichters. Handwerkern wurde diese Position jedoch nicht zugänglich. Sehr wenigen Bürgern gelang im Übrigen eine andere Karriere: der Aufstieg zum Landesschreiber, der die landesfürstliche Finanzverwaltung leitete.33 Die Landesfürsten förderten die Stadtentwicklung unter anderem durch Verleihung von Privilegien. So finanzierte sich die Stadt Marburg aus den Ländereien, die sie entweder vom Landesfürsten erhielt oder durch Kauf erwarb, sowie aus Maut bzw. Zöllen (Wegzoll für Holztransporte, Transit-Zoll für Drau-Transporte, Maut für Lagerung der Güter, Brückengeld, Straßenzoll, Maut an den Stadttoren etc.), Abgaben (Markt-Standgeld), Steuern, Geldstrafen und so weiter. Außerdem besaß Marburg einige Rechte außerhalb seiner Stadtmauern, so etwa das Fischereirecht in der Drau. Gegen Ende des Mittelalters besaß Marburg auf dem rechten Ufer der Drau drei größere Ländereien. Die weitaus größte befand sich im Bacherngebiet zwischen Rothwein/Radvanje und Pickern/Pekre. Dort war Weideland. Wichtig war dieses Gebiet aber vor allem wegen seines Holzreichtums, später wegen der Gewinnung von Brandkalk, der Herstellung von Holzkohle (Köhlereien) und des Buchecker-Sammelns. Auf der linken Drauseite gab es acht größere und einige kleinere Ländereien. Die Landesfürsten überwachten die wachsende Prosperität der Stadt, verhinderten die Eintreibung von Wegzöllen durch Landbesitzer der unmittelbaren Umgebung, gewährten aber auch selbst Zoll-Befreiungen, so zum Beispiel Geistlichen oder bürgerlichen Siedlern, die für ihren eigenen Bedarf Wein durch die Stadt transportierten.

33 Die Bürger von Marburg an der Drau bis 1600, S. 119  –125.

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die m a rburger urpfa rre

Die Marburger Urpfarre – Kirchen, Friedhöfe, Klöster Nach 1311 entstand mit Genehmigung des Salzburger Erzbischofs Konrad I. Abensberg (1106  –1147) die Marburger Urpfarre.34 Patron und Schutzherr wurde Markgraf Bernhard von Spanheim, der an ihrer Entstehung wesentlich beteiligt war. Die Urpfarre grenzte im Osten an den Bach Wurmberg/Vurberk und damit an die Urpfarre von Pettau, im Westen an den Bach Tschermenitzen/Črmenica bei St. Oswald an der Drau/Ožbalt und damit an die Urpfarre Lavamünd sowie im Norden an die Urpfarre Leibnitz. Die Pfarre Marburg entstand zwischen Anfang und Mitte des zwölften Jahrhunderts und war kirchenrechtlich der Erzdiözese Salzburg unterstellt. Schon zu dieser Zeit lösten sich aus der Marburger Pfarrei mehrere Vikariate heraus – um 1200 etwa St. Martin in Gams bei Marburg/Kamnica, 1335 St. Margareth in Zellnitz an der Drau/Selnica und 1338 St. Peter in Maletschnigg/Malečnik, die später selbstständige Pfarreien wurden. Aber auch danach war die Pfarre zu Marburg nicht nur eine Stadtpfarre, denn sie betreute auch weiterhin einen Teil der Umgebung Marburgs. Der Pfarrei standen auch recht ansehnliche Pfründen zu, die aus Spenden der Gläubigen stammten, aber auch durch Kauf erworben wurden. Deshalb war das Amt des Pfarrers auch vom materiellen Gesichtspunkt aus besonders attraktiv. Am Anfang kamen die Pfarrer weitgehend aus den Reihen der Marburger Ministerialen. Nicht alle wohnten in der Pfarre. Viele bezogen hier zwar ihre Einkünfte, überließen die Seelsorge aber vielfach den Vikaren als ihren Vertretern. Zwei Pfarrer von Marburg stiegen zu Bischöfen der Diözese Seckau (Graz) 34 Eine Urpfarre – auch Mutterpfarre genannt – ist eine Pfarre, die der Bischof in der Zeit der Christianisierung festlegte und die ein sehr großes Einzugsgebiet hatte. Mit der Zeit entstanden auf dem Gebiet der Urpfarren viele Pfarreien.

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die m a rburger urpfa rre

auf: Ulrich von Paldau, der 1295 Pfarrer von Marburg, 1296 Archidiakon der Unteren Mark gewesen war und von 1297 bis zu seinem Tod 1308 als Ulrich II. die Würde des Bischofs von Seckau innehatte. Und Wocho, der von 1300 bis 1315 Pfarrer in Marburg gewesen war und 1317 zum Seckauer Bischof ernannt wurde (†1334).35 Im 18. Jahrhundert entwickelten sich dann aus dem Gebiet der eins­ tigen Urpfarre noch drei weitere Pfarreien: 1787 St. Margarethen an der Pesnitz/Sv. Marjeta ob Pesnici, 1791 St. Martinus unter Wurmberg/Sv. Martin pod Vurberkom (erwähnt 1443) und 1806 Hl. Barbara in Wurz/Korena (erwähnt 1617). Die Heimatkirche des Marburger Pfarrers war selbstverständlich die Stadtkirche. Diese war sehr wahrscheinlich von Otakar III. Mitte des zwölften Jahrhunderts im romanischen Stil erbaut worden – ein einschiffiges Gebäude mit einer Bogenapsis. In der Urkunde aus dem Jahr 1189 wird ein Pfarrer Konrad erwähnt. Die Kirche selbst scheint erstmals in einer Urkunde aus dem Jahr 1248 auf, in welcher festgehalten wurde, dass sie dem Apostel Thomas („Marpvkh in ecclesia sancti Thome apostoli“) geweiht war, später (1254) auch noch Johannes dem Täufer. Bereits in der Zeit von 1280 bis 1295 kam an der westlichen Seite die doppelstöckige Kapelle der Heiligen Katarina dazu, deren Erdgeschoß auch als Kircheneingang diente. In ihr liegt der Erbauer der Kapelle begraben – es war der Stadtrichter und Stadtschreiber Rudolf. In der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden dann das nördliche und das südliche Seitenschiff errichtet, um 1400 kamen das Presbyterium mit Sakristei und Treppenturm hinzu. Das nördliche Seitenschiff wurde bis zur westlichen Fassade verlängert. Die Seitenschiffe bekamen sodann in der Zeit von 1442 bis 1467 gotische Gewölbedecken. Nach einem Brand 1512 wurde die Holzdecke auch im Mittelschiff entfernt, erhöht und mit gotischem Rippengewölbe versehen. Dies bezeugt eine 35 Jože Mlinarič, „Maribor in njegova pokopališča do 20. stoletja“, Mariborska pokopališča, ed. Edvard Glaser et al., Maribor 2009, S. 60.

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Aufschrift an der nördlichen Wand des Hauptschiffes aus dem Jahr 1520. Weitere Feuersbrünste in den Jahren 1648 und 1650 beschädigten auch die Stadtkirche. Im Zuge ihrer Erneuerung kamen nun die ersten barocken Elemente hinzu. Von den damaligen zwölf Altären ist nur noch der Altar des heiligen Florian, gestaltet zwischen 1697 und 1699, erhalten. Später, im 18. Jahrhundert, wurden noch zwei Kapellen gebaut: 1716 die Kapelle des hl. Franz Xaver, 1775/76 die Kapelle des hl. Kreuzes. Schon 1320 wurde der städtische Beobachtungsturm errichtet, der nach dem Bau der Stadtmauer als „Luginsland“ notwendig geworden war. Er wurde an die westliche Fassade angebaut. Zum richtigen Kirchturm wurde er erst nach 1512, als noch eine Glocken-Etage hinzukam. Leider wurde er später, 1590, durch ein Erdbeben und einen schweren Brand in Mitleidenschaft gezogen, sodass in ihm keine Glocken mehr geläutet werden konnten. So wurde er nun ab 1601 von Baumeister Paolo della Porta im Spätrenaissance-Stil umgebaut und dabei auf eine Höhe von 76 Metern angehoben. Und noch einmal, 1792, wurde der Turm von einem durch einen Blitzschlag ausgelösten Brand beschädigt. Der Architekt Josef Hillebrand renovierte ihn, versah ihn mit einer Kuppel und gab ihm damit das heutige Aussehen. Der neue Turm war nun um 19 Meter niedriger als zuvor und erreichte noch 57 Meter. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Kirche dann regotisiert. Bis zur Regierungszeit Kaiser Josephs II., der aus hygienischen Gründen Bestattungen innerhalb der Stadtmauer untersagte und eine entsprechende Friedhofsreform erließ, hatte man die Toten auf dem Friedhof, der die Kirche auf drei Seiten mit einer Friedhofsmauer umgab, begraben. Er wurde zum ersten Mal 1249 urkundlich erwähnt – zusammen mit dem „carnarium“, dem Beinhaus. Die kleine Friedhofskapelle, das Ossarium, dem heiligen Michael geweiht, dem Bezwinger Satans und Seelenwäger am Tag des Jüngsten Gerichts, soll dort gestanden haben, wo sich heute das Nationaltheater befindet. In 67

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den Jahren 1438 und 1450 wurden hier, bei der Kapelle, zwei Benefi­ zien, mit Pfründen versehene Kirchenämter, eingerichtet – dafür waren deren Inhaber, die Benefiziate, verpflichtet, täglich die vorgeschriebenen Messen zu lesen. Schließlich wurde der Friedhof, der josephinischen Reform gemäß, 1783 geschlossen und 1792 abgetragen. Danach wurde er in die Vorstadt verlegt – und zwar etwa in die Gegend des heutigen Stadions. Alte Grabdenkmäler sind jedoch noch auf der Außenseite des Doms zu sehen. Zur Pfarre gehörte neben der Stadtkirche noch die St.-UlrichKirche, die außerhalb der Mauer, in der Grazer Vorstadt, stand, und zwar in der heutigen Prešerengasse. Sie wurde 1305 erstmals erwähnt. 1841 wurde sie niedergerissen. Ferner war auch die Heiligengeist­ kirche im Bürgerspital aus dem 14. Jahrhundert von der Pfarre um­fasst. In der Kärntner Vorstadt gab es, ebenfalls zur Pfarre Marburg gehörig, die Mariä Himmelfahrtskirche (erwähnt 1358) sowie die Kirche der Heiligen Katharina (abgerissen 1844), die der Kommende des zwischen 1217 und 1799 hier ansässigen Malteserordens diente. Insgesamt wurden in Marburg bis 1493 zehn Benefizien eingerichtet, acht davon waren an die Altäre in der Stadtkirche gebunden, zwei an die Kapelle am Friedhof, außerdem wurden einige Bruderschaften in der Stadt gegründet, die Andachten abhielten, sich Bußen auferlegten, aber auch Reisenden, Schutzlosen oder Kranken Hilfe leisteten. In der Seelsorge waren auch Minoriten, die sich seit dem 13. Jahrhundert in der Stadt befanden, und Kapuziner (seit 1613) herausragend tätig. Insgesamt kann von einem sehr regen religiösen und sozialen Leben gesprochen werden. Da die Pfarre gemischtsprachig war, musste auch dies berücksichtigt werden. Zwar wurde die Messe ohnehin nur in Latein gelesen, die Predigten aber wurden durchwegs in den Landessprachen abgehalten. So wurde in der Stadtkirche deutsch, in der St.Ulrich-Kirche slowenisch gepredigt. Aber auch vor der Stadtkirche predigten Kapläne in slowenischer Sprache. 68

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Bereits im elften Jahrhundert ist die in Gams/Kamnica auf einem Hügel gelegene Kirche St. Martin erwähnt, die von einigen Experten als Sitz der Marburger Urpfarre bezeichnet wird (wofür allerdings keine hinlänglichen Beweise vorliegen). 1096 hatten die Sponheimer die in frühgotischem Stil gehaltene Kirche samt Dorf und Hof dem Kärntner Kloster St. Paul geschenkt. 1532 brannten die Türken das Dorf samt Kirche nieder, doch wurde das Gotteshaus bereits drei Jahre später neu errichtet. Damals kam auch das spätgotische Presbyterium hinzu. Der Turm stammt aus dem 16., die Fronleichnam-Kapelle mit der Sakristei aus dem 17. Jahrhundert. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche in barockem Stil umgestaltet.36 Am rechten Drauufer, damals nicht Teil der Stadt, wurde bereits 1289 die Magdalenenkirche errichtet – als Vikariat der Urpfarre Kötsch/ Hoce. Während des türkischen Angriffs 1532 brannte sie teilweise aus, aber noch im 16. Jahrhundert wurde sie wieder aufgebaut. 1863 wurde sie Vorstadtpfarre und 1875 Sitz des Dekanats „Marburg rechtes Ufer“. Im 13. Jahrhundert kamen die „Minderbrüder“, die „Minoriten“, nach Marburg. Sehr wenig ist von ihnen bekannt, rätselhaft ist auch ihre Herkunft, und keiner weiß, aus welchen Gründen und auf wessen Veranlassung sie kamen. Belegt ist indes, dass ihr erster Guardian in Marburg „Pater Martin“ hieß und in Graz geboren war. Mit milden Gaben der Gläubigen richteten die Brüder sich zuerst ein kleines Wohnhaus ein, bauten dann ein Kloster, das erstmals 1270 erwähnt wurde.37 Dieses brannte 1450 aus, wurde aber sogleich wieder aufgebaut. Die zum Minoritenorden gehörende Maria Himmelfahrtskirche wurde vermutlich schon vor dem Kloster errichtet. Die ältesten noch erhaltenen Teile des Kirchenschiffs stammen aus dem 15. Jahrhundert. 36 Mehr dazu: Jože Mlinarič, „Župnija sv. Janeza Krstnika v Mariboru v srednjem veku“, Studia Historica Slovenica, 2006, Nr. 2/3, S. 297– 308; derselbe, „Župnija sv. Janeza Krstnika v Maribo do jožefinske dobe“, Maribor skozi stoletja, S. 451–   479. 37 Anton Klein, Geschichte des Christentums in Österreich und Steiermark, Bd. 2, Wien 1840, S. 406.

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1710 wurde die Kirche im Barockstil umgebaut. Sie bekam nun auch eine barocke Fassade und einen Glockenturm. Nachdem 1747 die Marienstatue aus Gonobitz in die Minoritenkirche gebracht worden war, pilgerten Menschen von überall her, um sie zu sehen. Im Presbyterium ist ein Fresko von Josef Gebler aus dem Jahr 1771 erhalten, der auch die Decke des Festsaals in der Stadtburg angefertigt hatte. Dieses Fresko zeigt den Stadtteil, in dem die Kirche steht. Im Zuge der josephinischen Reformen wurde das Kloster 1784 aufgelassen und zusammen mit der Kirche dem Militär übergeben. Der Turm wurde 1785 abgetragen. Das Gebäude des Klosters wurde zuerst ein Militärspital, dann eine Kaserne für das 47. k. k. Infanterieregiment und diente auch nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie, im Königreich SHS, bis 1927 dem Militär.38 In der Lederergasse (Usnjarska ulica), auf der Innenseite der Ringmauer, steht der Seitzerhof (Žički dvor), der sich an das Minoritenkloster anlehnt und der Kartause von Seitz/Žiče gehörte. Die Gründung dieses Hofs reicht in das 13. Jahrhundert zurück. Mitte des 15. Jahrhunderts breitete sich der Seitzerhof aus – mit der Allerheiligenkapelle ging er über die Außenseite der Ringmauer hinaus. Zusammen mit dem Minoritenkloster wurde auch der Seitzerhof Teil der Kaserne. Ab 1786 wurde dort eine Werkstatt für Militärbekleidung eingerichtet, ab 1835 das Garnisonsgericht und das Gefängnis, danach ein Militärgericht und ein Militärgefängnis. Das bezeugen auch die Namen des Platzes „Vojašniški trg“ (Militärplatz) und „Vojašniška ulica“ (Militärgasse). Auch die Dominikanerinnen, die seit 1251 in Marenburg ein Kloster unterhielten, hatten in Marburg ein Haus. Einen Verwaltungssitz für seine Weingärten und Ländereien in Marburg und Umgebung hatte 38 Der Bau verfiel mehr und mehr – erst im unabhängigen Slowenien konnte der Niedergang gestoppt werden. Nach gründlicher Renovierung beherbergt das Kloster seit 2010 das Marionettentheater („Lutkovno gledališče“). Die Kirche wird inzwischen ebenfalls renoviert.

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auch das Benediktinerkloster St. Paul von 1314 bis 1759 – den St.Paul-Hof. Der wurde dann von den Cölestinerinnen aus Steyr ge­­ kauft, die mit Bewilligung von Kaiserin Maria Theresia am 10. März 1759 das einzige Frauenkloster in der Stadt errichteten, das aber bereits 1782 wieder aufgehoben wurde. Hinter dem Hof bauten die Cölestinerinnen 1766 die Kirche Mariae Verkündigung.39 Sie wurde 1814 an Ignaz Kreinz verkauft,40 diente später kurze Zeit auch als Gebetsraum der Lutheraner. 1954 wurde sie der Kunstgalerie ange­ schlossen. Der Viktringhof (Vetrinjski dvor) stand im westlichen Teil der Stadt vor dem Ulrichstor. Er wurde von Zisterziensern betrieben. Der westliche Trakt des Hofs stammt aus dessen erster Periode. Dort sind im ersten Stock noch Überreste der Kapelle erhalten, die 1345 bis 1350 gebaut worden war. Von der zweiten Kapelle im südlichen Trakt, gegründet 1613, ist nichts übriggeblieben. Der nördliche und der südliche Trakt stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Der Viktringhof blieb im Besitz der Zisterzienser bis 1709. Er war deren Verwaltungshof und umfasste auch Keller (bis 40.000 Liter Wein) und Speicher. Danach ging der Besitz an die Grafen Breuner über, später an die Adelsfamilien Friess und von Bianchi, bis der Hof schließlich 1800 in bürgerlichen Besitz kam. Heute sind in ihm mehrere Geschäfte untergebracht. Das Salzburger Erzbistum hatte bis Anfang des 18. Jahrhunderts den Sitz seiner Güter-Verwaltung im Salzburger Hof, der 1454 erstmals erwähnt wurde und später, 1826 bis 1941, unter anderem dem Benediktinerkloster St. Paul als Sitz der Verwaltung der Viktringer Herrschaft diente, weshalb er auch zeitweise den Namen Viktringhof 39 Das Kloster wurde nach der Schließung als Sitz einer k.k. Monturökonomie-Kommission verwendet, dann wurde es zur Kaserne, und schließlich nahm in ihm eine Fabrik für Kaffeeersatz die Arbeit auf. In den Jahren 1811 bis 1860 wurde es vom Kreisamt genutzt und von 1839 bis 1940 in Richtung Norden vergrößert. 40 Carl Schmutz, Historisch-topographisches Lexikon der Steiermark, Bd. 2, Graz 1822, S. 490.

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s c h a nde der gegenreform at ion

trug. Vom ursprünglichen Hof ist heute nur ein einstöckiger Haupttrakt erhalten. In den Jahren 1720 bis 1725 errichtete die Familie Filipič an dieser Stelle ein barockes Gebäude.41

Schande der Gegenreformation: Das Schicksal der Lutheraner Nachdem Erzherzog Karl II. bereits 1572 den Landständen von Niederösterreich, die dem Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) anhingen, die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt hatte („Religionspazifikation“), auch dadurch bedingt, dass er ihre finanzielle Hilfe für den Türkenkrieg benötigte, musste er diese Freiheit nun auch den landesfürstlichen Städten und Märkten zugestehen. Dies geschah am 9. Februar 1578, allerdings nur mündlich, vor dem innerösterreichischen Landtag in Bruck an der Mur („Brucker Pazifikation“). Die Protestanten fassten diese Zugeständnisse im sogenannten „Brücker Libel“ zusammen, in welchem sie jedoch auch eine ausdrückliche Ablehnung der Calviner festhielten. Zur Zeit der Reformation (ab 1517) waren nämlich die weltlichen Landstände, aber auch viele bäuerliche Untertanen und Bürger protestantisch. Auch in Marburg und seiner Umgebung waren viele Menschen zum Protestantismus übergetreten, vor allem Adelige. So auch Wolf Wilhelm Frei­­herr von Herberstein, der 1587 Schloss Wildenau/Betnava den Protes­­tanten als Stützpunkt zur Verfügung stellte. So entstand dort eine protes­tantische Gemeinde. Als Gebetshaus diente zunächst die Schloss­ 41 Mitte des 19. Jahrhunderts war es Sitz des deutschen Lesevereins gewesen, heute be­­herbergt es die Niederlassung des Verbandes der Ingenieure und Techniker. Mit dem Bau des Geschäftsgebäudes der Zeitung Večer und des Einkaufszentrums „Merkur“ hat es jedoch den Hof verloren.

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trug. Vom ursprünglichen Hof ist heute nur ein einstöckiger Haupttrakt erhalten. In den Jahren 1720 bis 1725 errichtete die Familie Filipič an dieser Stelle ein barockes Gebäude.41

Schande der Gegenreformation: Das Schicksal der Lutheraner Nachdem Erzherzog Karl II. bereits 1572 den Landständen von Niederösterreich, die dem Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) anhingen, die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt hatte („Religionspazifikation“), auch dadurch bedingt, dass er ihre finanzielle Hilfe für den Türkenkrieg benötigte, musste er diese Freiheit nun auch den landesfürstlichen Städten und Märkten zugestehen. Dies geschah am 9. Februar 1578, allerdings nur mündlich, vor dem innerösterreichischen Landtag in Bruck an der Mur („Brucker Pazifikation“). Die Protestanten fassten diese Zugeständnisse im sogenannten „Brücker Libel“ zusammen, in welchem sie jedoch auch eine ausdrückliche Ablehnung der Calviner festhielten. Zur Zeit der Reformation (ab 1517) waren nämlich die weltlichen Landstände, aber auch viele bäuerliche Untertanen und Bürger protestantisch. Auch in Marburg und seiner Umgebung waren viele Menschen zum Protestantismus übergetreten, vor allem Adelige. So auch Wolf Wilhelm Frei­­herr von Herberstein, der 1587 Schloss Wildenau/Betnava den Protes­­tanten als Stützpunkt zur Verfügung stellte. So entstand dort eine protes­tantische Gemeinde. Als Gebetshaus diente zunächst die Schloss­ 41 Mitte des 19. Jahrhunderts war es Sitz des deutschen Lesevereins gewesen, heute be­­herbergt es die Niederlassung des Verbandes der Ingenieure und Techniker. Mit dem Bau des Geschäftsgebäudes der Zeitung Večer und des Einkaufszentrums „Merkur“ hat es jedoch den Hof verloren.

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die juden

kapelle, danach wurde 1590 ein eigenes Gebetshaus errichtet, sodann ein Pfarrhaus für den Pastor, eine Schule (1591) und ein Friedhof, der zwischen dem Weiher und der heutigen Triesterstraße lag. Unter dem Sohn Erzherzog Karls II. von Innerösterreich, dem späteren Kaiser Ferdinand II., begann die wesentlich von den Jesuiten getragene Gegenreformation. Der evangelische Pastor musste Marburg am 21. Dezember 1598 verlassen, die Rekatholisierung setzte auch hier massiv ein, und im Januar 1599 musste sich jeder einzelne Protestant einer Befragung durch die kirchliche und weltliche Obrigkeit stellen. Zwei Tage später wurden das Gebetshaus und die Schule in Brand gesetzt. Im Jahr 1600 wurden auf Befehl der landesfürstlichen Kommission, die nun auch nach Marburg kam und Wildenau aufsuchte, die Mauern des Friedhofs gesprengt, wobei vier Soldaten tödlich verletzt wurden. Die Gräber wurden jedoch nicht angetastet. Der Friedhof wurde noch im selben Jahr renoviert und bis 1620 genutzt.42

Die Juden – ein trauriges Kapitel der Stadt Ein Kapitel besonderer Art bildet die Geschichte der Juden und der jüdischen Gemeinde in Marburg. Diese entstand wahrscheinlich schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Jedenfalls wird zwischen 1274 und 1296 berichtet, dass der Abt von Admont „von einem Juden in Marburg“ einen Weingarten gekauft habe. Da dieser Mann sich kaum wegen dieses Objekts in Marburg angesiedelt haben dürfte, darf angenommen werden, dass er durch Geldverleih Eigentümer des

42 Vili Kerčmar, Evangeličanska cerkev na Slovenskem, Murska Sobota 1995, S. 273.

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kapelle, danach wurde 1590 ein eigenes Gebetshaus errichtet, sodann ein Pfarrhaus für den Pastor, eine Schule (1591) und ein Friedhof, der zwischen dem Weiher und der heutigen Triesterstraße lag. Unter dem Sohn Erzherzog Karls II. von Innerösterreich, dem späteren Kaiser Ferdinand II., begann die wesentlich von den Jesuiten getragene Gegenreformation. Der evangelische Pastor musste Marburg am 21. Dezember 1598 verlassen, die Rekatholisierung setzte auch hier massiv ein, und im Januar 1599 musste sich jeder einzelne Protestant einer Befragung durch die kirchliche und weltliche Obrigkeit stellen. Zwei Tage später wurden das Gebetshaus und die Schule in Brand gesetzt. Im Jahr 1600 wurden auf Befehl der landesfürstlichen Kommission, die nun auch nach Marburg kam und Wildenau aufsuchte, die Mauern des Friedhofs gesprengt, wobei vier Soldaten tödlich verletzt wurden. Die Gräber wurden jedoch nicht angetastet. Der Friedhof wurde noch im selben Jahr renoviert und bis 1620 genutzt.42

Die Juden – ein trauriges Kapitel der Stadt Ein Kapitel besonderer Art bildet die Geschichte der Juden und der jüdischen Gemeinde in Marburg. Diese entstand wahrscheinlich schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Jedenfalls wird zwischen 1274 und 1296 berichtet, dass der Abt von Admont „von einem Juden in Marburg“ einen Weingarten gekauft habe. Da dieser Mann sich kaum wegen dieses Objekts in Marburg angesiedelt haben dürfte, darf angenommen werden, dass er durch Geldverleih Eigentümer des

42 Vili Kerčmar, Evangeličanska cerkev na Slovenskem, Murska Sobota 1995, S. 273.

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verkauften Weingartens geworden war, was wiederum heißt, dass er schon länger in der Stadt gelebt haben muss. Ende des 15. Jahrhunderts dürfte die jüdische Gemeinde etwa 150 bis 200 Köpfe gezählt haben, vielleicht auch mehr.43 Weit über die Stadt Marburg hinaus bekannt war zum Beispiel Israel Isserlein bar Petachja, ein bedeutender Gelehrter seiner Zeit, der Anfang des 15. Jahrhunderts in Marburg lebte und dort als Rabbiner tätig war, bis er 1465 nach Wiener Neustadt zurückkehrte, von wo er gekommen war. Es sind aber auch Namen anderer hiesiger Rabbiner bekannt. Denn Marburg war eine der vier Städte im Land, in welchen ein Rabbinatsgericht residierte, das „Beth Din“ („Haus des Gerichtes“).44 Die Juden lebten im südöstlichen Stadtteil, in einem eigenen Viertel an der einstigen Stadtmauer ganz nahe der Drau. Dennoch kann hier nicht von einem Getto gesprochen werden, weil etliche Juden in Marburg auch außerhalb ihres Viertels wohnten, auch außerhalb der Stadt, so zum Beispiel in Melling (Melje). Im Gegensatz zu den meisten Judenvierteln in anderen Städten lag das Marburger Judenviertel sehr nahe am Stadtzentrum. Die noch existierende Judengasse (Židovska ulica), die vom Hauptplatz zum Judenplatz (Židovski trg) und zur ehemaligen Synagoge führt, geht auf das mittelalterliche Judenviertel zurück, das neben der Judengasse auch die heutige Ključavničarska ulica, einen Teil der Ulica kneza Koclja, den unteren Teil der Vetrinjska ulica (Viktringhofgasse) und einen Teil des Hauptplatzes umfasste. Wann die Synagoge genau gebaut wurde, ist unbekannt. Bei ihrer Renovierung sind Steine und Teile von Fundamenten gefunden worden, die aus römischer Zeit stammen. Vermutlich stand an derselben Stelle, an welcher das heute noch erhaltene Gebäude steht, bereits eine frühere Synagoge. Ausdrücklich erwähnt ist das noch bestehende Gebäude am 2. Januar 1429. Es war damals schon im Gebrauch, sodass 43 Klemen Jelinčič Boeta, Judje na Slovenskem v sred njem veku, Ljubljana 2009, S. 277. 44 Jelinčič Boeta, S. 130  /131, S. 281.

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ein t r auriges k a pi t e l der s ta d t

Abbildung 6: Die Synagoge

zumindest angenommen werden darf, dass sie dem Oberrabbinat der Kronländer Steiermark, Krain und Kärnten diente, das ab 1427 zwanzig Jahre lang seinen Sitz in Marburg hatte. Der Judenturm wird bereits 1359 erwähnt – als das „Judentürml“. Dieser ist jedoch nicht identisch mit dem 1465 zum Schutz der Stadt errichteten Judenturm, der am südlichen Rand des damaligen Judenviertels steht und von welchem aus ein Gang bis zum Wasserturm am Ufer der Drau führt. Seit 1989 ist dort eine ständige Fotogalerie untergebracht. Es ist dokumentiert, dass die Juden für die Renovierung der Stadtfestung vierzig Pfund gespendet hatten. Das Geld wurde für das hierfür benötigte Holz sowie dessen Transport ausgegeben. Die Juden lebten gemäß ihren Religionsvorschriften und mit einer eigenen Verwaltung. Sie hatten eine Synagoge, ein Ritualbad (Mik75

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wah) an der Drau, eine Talmud-Schule neben der Synagoge, koschere Lebensmittelhandlungen und einen Friedhof („Judenkirchhof   “   ), der westlich der ehemaligen Lendgasse lag, der heutigen Pristaniška cesta. Reste jüdischer Grabsteine sind im Bauschutt gefunden worden und können besichtigt werden. Die Marburger Juden des 14. und 15. Jahrhunderts waren zwar von allen öffentlichen Ämtern, Diensten und Verbänden ausgeschlossen, jedoch wirtschaftlich stark. Großteils waren sie Geschäftsleute. Sie betrieben Fernhandel mit Ragusa, Venedig, Mailand, Wien und Prag, auch sehr zum Nutzen der übrigen Marburger Kaufleute. Sie hatten unter anderem auch einen nicht unbeträchtlichen Anteil am Weinhan­ del, besaßen zahlreiche Weingärten in den Windischen Büheln. Verschiedenen Steuerbüchern des 15. Jahrhunderts kann entnommen werden, dass sie größere Mengen Wein bei ihren christlichen Nachbarn lagerten und dafür Weinsteuern an die Stadt entrichteten. Sie zahlten Steuern für den Wein, den sie sehr oft wegen geplatzter Kredite erhalten hatten, und auch Steuern für Häuser, die infolge von Geldgeschäften an sie gefallen waren.45 Erhalten sind mehrere Urkunden, die den Geld­ handel von Juden 1281 in Marburg dokumentieren. Daraus wird deutlich, dass die Juden Geld gegen Zinsen verliehen, was den Christen nach dem 3. Laterankonzil von 1179 verboten war. Doch geht aus den Urkunden auch hervor, dass die jüdischen Bürger Marburgs zahllose vielfältige Beziehungen zu Bürger- und Adelsfamilien pflegten, weit über die Stadtgrenzen hinaus.46 Die Steuern, die Juden ohne persönliche Privilegien an den Landesfürsten zu zahlen hatten, führte die jüdische Gemeinde als Gesamtsumme an den Landesfürsten ab. Sie wurden von bestimmten – vom Lan45 Klemen Jelinčič Boeta, Judje na Slovenskem v srednjem veku, Ljubljana 2009, S. 274, S. 371. 46 Siehe mehr dazu bei: Eveline Brugger und Birgit Wiedl, Von den Anfängen bis 1335, in: Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter, Bd. 1: Innsbruck 2005, und Boeta, S. 263  –288, S. 325 –328.

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Abbildung 7: Die Hinteransicht der Synagoge von Maribor, der späteren Allerheiligenkirche, Stadtturm

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desfürsten bestätigten – Vertretern der jüdischen Gemeinde ein­­­ge­trieben. Es wurden aber auch außerordentliche Zahlungen (Steuern) von ihnen verlangt, so 1415, als die steirischen jüdischen Gemeinden und die Jüdische Gemeinde Wiener Neustadt auf  Verlangen von König Sigismund mehr als ein Fünftel ihres Vermögens abzugeben hatten, auch wurden von ihnen – 1470 und 1478 – Sonderzahlungen er­­ hoben, die für die Abwehr der türkischen Gefahr eingesetzt werden sollten.47 Durch ihre eigene Lebensart und ihre konsequente Religionsausübung erweckten die Juden auch in Marburg Misstrauen und Missgunst, die sich zuweilen in Hassausbrüchen entluden und in Forderungen nach strengem, oftmals verbrecherischem Vorgehen gegen sie gipfelten. Friedrich III. gab dem Drängen der Stände, die Juden zu vertreiben, nicht nach. Wohl aber tat dies sein Sohn Maximi­lian I., der 1496 ihre Ausweisung aus der Steiermark und aus Kärnten verfügte. Dabei versäumte er es allerdings nicht, sich die Juden­steuer, die ihm jetzt fehlte, von den Ständen vergüten zu lassen. Der Grund für das radikale und pauschale Vorgehen gegen die jüdischen Mitbürger, denen die Wirtschaft der Stadt viel verdankte, war wohl die hohe Verschuldung des Adels und des Landesfürsten bei den jüdischen Geldverleihern. Öffentlich angeführt wurden aber selbstverständlich ganz andere, überaus schwere, aber vielfach lächerliche und absurde Gründe. So wurde den Juden die Verantwortung für alle mög­ lichen Katastrophen zugeschoben, für Seuchen und Großbrände, auch wurde ihnen vorgeworfen, dass sie Brunnen vergifteten, christliche Kinder fingen, folterten und töteten. Bis zum 6. Januar 1497 sollten die Juden also, Maximilians Anordnung gemäß, die Stadt verlassen. Ihr Eigentum durften sie jedoch verkaufen und den Erlös mitnehmen. Dabei sahen sich viele gezwungen, wegen des Drucks der Eile, der auf ihnen lastete, ihre Häuser rasch 47 Mehr darüber: Jelinčič Boeta, S. 367–373.

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J esui t en

unter Wert zu verkaufen. Sie zogen nun in Städte an der Adriaküste, unter anderem nach Venedig und Triest, manche gingen nach West­ ungarn. Eine jüdische Gemeinde gab es seitdem in Marburg nicht mehr. Nach der Vertreibung wurde die Synagoge von einem wohlhabenden Ehepaar – Bernardin und Barbara Drukher – gekauft und von 1497 bis 1501 zu einer Kirche, der Allerheiligenkirche, umgebaut. Später wurde sie für alle möglichen, dem Gottesdienst fernen Zwecke genutzt, zeitweise als Warenlager, als Kellerei, als Fabrik. Heute aber ist die Synagoge gründlich renoviert und dient als Stätte vieler kultureller Veranstaltungen.

Jesuiten, das erste Gymnasium und die große Zehe der Muttergottes Bedeutsam für Marburg war in besonderem Maße das Wirken der Jesuiten ab dem 18. Jahrhundert. Wie auch in anderen Gegenden konzentrierte sich dieser intellektuelle Orden vornehmlich auf die pädagogische Tätigkeit. Gewissermaßen der Gründervater der Marburger Jesuiten war Jesu­ itenpater Adalbert, mit seinem alten Namen: Albert Graf von Purg­ stall. Er vermachte dem Jesuitenorden 1744 zum Zweck der Errichtung einer Residenz an einem in der Steiermark liegenden Ort eine beträchtliche Summe. Um nun einem möglichen langwierigen Prozess um das Erbe von Pater Adalbert aus dem Weg zu gehen, einigte sich der Orden mit der gräflichen Familie auf eine Summe von 45.000 Gulden. Und tatsächlich bekam der Provinzial der österreichischen Ordensprovinz, P. Paul Lechner, von Kaiserin Maria Theresia die Bewilligung, mit diesem Geld in Marburg eine Residenz mit acht Mitgliedern einzurich79

J esui t en

unter Wert zu verkaufen. Sie zogen nun in Städte an der Adriaküste, unter anderem nach Venedig und Triest, manche gingen nach West­ ungarn. Eine jüdische Gemeinde gab es seitdem in Marburg nicht mehr. Nach der Vertreibung wurde die Synagoge von einem wohlhabenden Ehepaar – Bernardin und Barbara Drukher – gekauft und von 1497 bis 1501 zu einer Kirche, der Allerheiligenkirche, umgebaut. Später wurde sie für alle möglichen, dem Gottesdienst fernen Zwecke genutzt, zeitweise als Warenlager, als Kellerei, als Fabrik. Heute aber ist die Synagoge gründlich renoviert und dient als Stätte vieler kultureller Veranstaltungen.

Jesuiten, das erste Gymnasium und die große Zehe der Muttergottes Bedeutsam für Marburg war in besonderem Maße das Wirken der Jesuiten ab dem 18. Jahrhundert. Wie auch in anderen Gegenden konzentrierte sich dieser intellektuelle Orden vornehmlich auf die pädagogische Tätigkeit. Gewissermaßen der Gründervater der Marburger Jesuiten war Jesu­ itenpater Adalbert, mit seinem alten Namen: Albert Graf von Purg­ stall. Er vermachte dem Jesuitenorden 1744 zum Zweck der Errichtung einer Residenz an einem in der Steiermark liegenden Ort eine beträchtliche Summe. Um nun einem möglichen langwierigen Prozess um das Erbe von Pater Adalbert aus dem Weg zu gehen, einigte sich der Orden mit der gräflichen Familie auf eine Summe von 45.000 Gulden. Und tatsächlich bekam der Provinzial der österreichischen Ordensprovinz, P. Paul Lechner, von Kaiserin Maria Theresia die Bewilligung, mit diesem Geld in Marburg eine Residenz mit acht Mitgliedern einzurich79

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ten. Der Metropolit von Salzburg erteilte sein Placet mit der Maßgabe, dass von den vier Missionaren wenigstens zwei die slowenische Sprache beherrschen müssten. 1757 wurden die Jesuiten vom Magistrat feierlich eingeführt, am 7. Juli des folgenden Jahres eröffneten sie das Jesuitenkollegium. Dieses Kollegium wurde im Gebäudekomplex an der heutigen Ko­roška cesta/Kärntnerstraße 1 und Glavni trg/Hauptplatz 8 und 9 untergebracht. Es entstand in zwei Phasen: Die erste umfasste die Zeit von 1757 bis 1758, die zweite die Jahre 1767 bis 1770. In der ersten Phase wurden sechs bereits existierende einstöckige Gebäude zu zwei Einheiten zusammengefasst: Gymnasium und Residenz. In der zweiten Phase wurden die Gebäude um ein Stockwerk erhöht und die Fassaden einander angepasst. 1767 wurde der Grundstein für die St.-Aloisi-Kirche (Aloisiuskirche) gelegt. Sie konnte 1769 mittels einer ansehnlichen Schenkung von Anna Herrin von Stubenburg unter Rektor Pater Petrus Holloy fertiggebaut werden. Baumeister war der aus Schlesien stammende Johann Fuchs, ein bekannter untersteirischer Kirchenbaumeister und einer der herausragenden Vertreter des „steirischen Barock“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im Jahr 1773 wurde der Jesuitenorden von Papst Clemens XIV. aufgehoben, sodass die Residenz- und Schulgebäude sowie die St.Aloisi-Kirche an den Studienfonds fielen, der 1776 Residenz und Kirche dem Militär-Ärar übertrug. Das Jesuitenkolleg bestand von 1758 bis 1773 – das in seinem Rahmen gegründete Gymnasium war das erste Gymnasium in Marburg. Es wurde zwei Jahre nach der Aufhebung des Jesuitenordens von der Stadtpfarre Marburg als Fünf-Klassen-Gymnasium, ab 1850 als vollständiges klassisches Gymnasium eingerichtet. (Heute befindet sich in diesem Gebäude unter anderem das Erzbischöfliche Archiv, „Nadškofijski arhiv“.) Bis 1783 wurde die Kirche vom Gymnasium genutzt, doch dann wurde sie wegen fehlender Mittel für die Erhaltung gesperrt. Nicht einmal der Stadtpfarrer 80

d a s ers t e g y mn a sium und die grosse zehe der M u t t ergot t es

wollte sie übernehmen. So wurde das Gebäude schließlich vollends zweckentfremdet und vom Militär als Magazin genutzt. Die Innen­ einrichtung – vom Marburger Holzschnitzer Josef Holzinger, einem weithin anerkannten Künstler in der Untersteiermark, 1769/70 gefertigt – wurde herausgerissen. Der Hochaltar kam in die Pfarrkirche nach Kostreinitz/Kostrivnica, wobei die Säulen abgehackt wurden, die Kanzel wurde der Pfarrkirche in Oberpulskau/Zgornja Polskava einverleibt, das ausgerissene schwarz-weiße Marmorpflaster fand im Vorsaal des Kreisamts Verwendung. Der Kirchturm wurde 1784 abge­ tragen. Zwei Bilder, den Heiligen Ignatius und Franziskus Xaverius darstellend – wahrscheinlich handelte es sich um Bilder zweier Seitenaltäre –, blieben zunächst noch in der Kirche. Das Bild des Ignatius wies offenbar 120 rätselhafte kleine Löcher in der Größe von Schrotkörnern auf, die nur notdürftig auf der hinteren Leinwand des Bildes verklebt waren. Daran rankte sich sogleich eine Legende. Ein „akatholischer“ Offizier soll demnach das Militärmagazin, als welches die Kirche da­­ mals eben gedient hatte, betreten haben, und als er das Bild des Heiligen Ignatius, des Gründers des Jesuitenordens, erblickt habe, habe ihn ein dermaßen überschwänglicher Zorn gepackt, dass er mit einem Schrotgewehr oder einer Schrotpistole wild auf das Bild losgeballert habe. Und nun geschah angeblich ein Wunder, denn weder das Hauptbild des Ignatius noch die auf demselben Bild schwebende Muttergottes mit dem Jesuskind wurden beschädigt. Getroffen wurde nur die große Zehe der Muttergottes … Sollte diese Begebenheit einen wahren Kern haben, dann handelte es sich hier um eine Legende aus der Zeit der französischen Invasion im April 1797, die im Tagebuch des Gymnasiums Erwähnung fand. Jedenfalls wurden die beiden Bilder in die Stadtkirche verbracht, wo sie erst später, unmittelbar vor der Übertragung des Bischofsitzes von St. Andrä nach Marburg, in die Aloisi-Kirche zurückgebracht wurden. Sie schmücken seither die Seitenaltäre der Kirche. 81

der wirt s c h a f t l i c he niederg a ng

Franz Kosar, der erste Spiritual des Priesterseminars, berichtet, dass das Kreisamt mehrmals versucht habe, die Wiedereröffnung der Kirche zu erreichen. Im Jahr 1790 sollte damit, wie es hieß, „die windische Pfarre aus der ehemaligen, zu kleinen Kapuzinerkirche dorthin verlegt werde“ .48 Obwohl das Seckauer Ordinariat damit einverstanden war, wurde aus diesem Plan nichts. 1811 gab es dann die Möglichkeit, das Gymnasium den Benediktinern in St. Paul zu übergeben und dafür im Gegenzug die Herstellung der Kirche durch die Stadtgemeinde zu erreichen. Auch daraus wurde nichts. Die Benediktiner übernahmen vielmehr das Gymnasium in Klagenfurt. Erst 1831 wurde die Kirche ihrer ursprünglichen Verwendung wieder zugeführt und stand erneut dem Gymnasiums-Gottesdienst zur Verfügung. Die Kosten für die Wiederherstellung der nötigen Voraussetzungen wurden zum kleineren Teil durch den Religionsfonds, zum größeren durch Spenden der Bürger beglichen.

Der wirtschaftliche Niedergang: Vom Ende des 15. Jahrhunderts bis Mitte des 18. Jahrhunderts Marburg war im Mittelalter eine aufstrebende Stadt. Den größten Aufschwung erlebte sie in der Zeit von 1335 bis 1450. Dann kam die Stagnation und sogleich auch der schnelle Abstieg. Die gewaltige Wirt­ schaftskrise, die auf das Land und die Stadt zukam, war bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts spürbar. Es ging nun bergab, abgesehen von einem Zwischenhoch im dritten Viertel des 16. Jahrhun48 Kosar, S. 109.

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der wirt s c h a f t l i c he niederg a ng

Franz Kosar, der erste Spiritual des Priesterseminars, berichtet, dass das Kreisamt mehrmals versucht habe, die Wiedereröffnung der Kirche zu erreichen. Im Jahr 1790 sollte damit, wie es hieß, „die windische Pfarre aus der ehemaligen, zu kleinen Kapuzinerkirche dorthin verlegt werde“ .48 Obwohl das Seckauer Ordinariat damit einverstanden war, wurde aus diesem Plan nichts. 1811 gab es dann die Möglichkeit, das Gymnasium den Benediktinern in St. Paul zu übergeben und dafür im Gegenzug die Herstellung der Kirche durch die Stadtgemeinde zu erreichen. Auch daraus wurde nichts. Die Benediktiner übernahmen vielmehr das Gymnasium in Klagenfurt. Erst 1831 wurde die Kirche ihrer ursprünglichen Verwendung wieder zugeführt und stand erneut dem Gymnasiums-Gottesdienst zur Verfügung. Die Kosten für die Wiederherstellung der nötigen Voraussetzungen wurden zum kleineren Teil durch den Religionsfonds, zum größeren durch Spenden der Bürger beglichen.

Der wirtschaftliche Niedergang: Vom Ende des 15. Jahrhunderts bis Mitte des 18. Jahrhunderts Marburg war im Mittelalter eine aufstrebende Stadt. Den größten Aufschwung erlebte sie in der Zeit von 1335 bis 1450. Dann kam die Stagnation und sogleich auch der schnelle Abstieg. Die gewaltige Wirt­ schaftskrise, die auf das Land und die Stadt zukam, war bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts spürbar. Es ging nun bergab, abgesehen von einem Zwischenhoch im dritten Viertel des 16. Jahrhun48 Kosar, S. 109.

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derts. Erst im 18. Jahrhundert sollte sich die Wirtschaft Marburgs wieder erholen. Bis dahin war die Stadt zu einem eher bedeutungslosen lokalen Zentrum verfallen. Immerhin aber konnten sich die Bürger selbst versorgen – sie besaßen Äcker, Weiden, Gärten und Weingärten außerhalb der Stadtmauern. Auch die Ländereien im Stadtbesitz auf beiden Seiten der Drau verschafften gewisse Reserven – wie auch die Wälder auf den Bachern. Für den wirtschaftlichen Niedergang gab es mehrere Gründe. Einer davon war zweifellos die Vertreibung der überaus betriebsamen Juden, die viel wirtschaftliches Leben in die Stadt gebracht hatten. Die Marburger kauften nun zwar die Häuser der Juden auf, waren aber nicht in der Lage, deren vielseitige Fernverbindungen mit Italien und Mitteleuropa aufrechtzuerhalten. Entscheidend für den Niedergang in Marburg waren jedoch eine falsche landesfürstliche Geldpolitik sowie die wirtschaft­ liche Konkurrenz zwischen Pettau und Marburg. Pettau kam nämlich 1491 vorübergehend und 1555 endgültig in den Besitz der Habsburger. Außerdem bedrängten Naturkatastrophen und Seuchen die Bevölkerung. Dazu kam dann noch die Bedrohung durch die Türken und andere Kriege, die der Kaiser führte – so gegen den ungarischen König Matthias Corvinus. Außerdem gab es schwere innersteirische Ausein­andersetzungen zwischen dem steirischen Adel unter der Führung des Krainer Söldnerführers Andreas Baumkirchner und Kaiser Fried­­­rich III. sowie den Kampf um das Cillier Erbe (1457– 1460). Andreas Baumkirchner, Frh. von Schleining (*1420, †1471), der zunächst ganz auf der Seite von Kaiser Friedrich III. gestanden hatte (1452 in Wiener Neustadt gegen das ständische Heer, 1462 beim Auf­stand der Wiener Bürger), verbündete sich mit dem ungarischen König Matthias Corvinus und stellte sich an die Spitze des steirischen Adels gegen Kaiser Friedrich III. Der Fehdebrief des steirischen Adels wurde am 1. 2. 1469 dem Kaiser zugestellt (Baumkircherfehde). Der Adelsbund besetzte mehrere Städte, darunter auch Marburg und 83

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Windisch-Feistritz. Nach der Niederlage der kaiserlichen Truppen am 21. Juli 1469 bei Fürstenfeld und dem folgenden Waffenstillstand im Oktober unterschrieb Friedrich III. am 30. Juni 1470 einen Vertrag mit Baum­gartner, in dem er ihm volle Amnestie und eine Zahlung von 14.000 Gulden zusicherte. Tatsächlich aber leistete der Kaiser die Zahlung nicht, worauf Baumgartner am 23. April 1970 nach Graz aufbrach, um weitere Verhandlungen aufzunehmen. Obwohl ihm frei­es Geleit zugesagt wurde, wurde er zusammen mit seinem Beglei­ ter Andreas von Grei­senegg festgenommen und vor dem Murtor in Graz enthauptet. Wegen der andauernden ungarischen und türkischen Bedrohung ab Mitte des 15. Jahrhunderts, die auch das ganze 16. und 17. Jahrhundert mitbestimmte, mussten die Städte besser gesichert werden. Und da die Befestigung der Stadt Marburg nicht der damaligen Verteidigungstech­ nik entsprach, befahl 1446 der römisch-deutsche König Friedrich IV. (ab 1452 Kaiser Friedrich III.) allen Grundherren und Gültenbesitzern, deren Besitz innerhalb drei Meilen rund um die Stadt lag, ihre Untertanen drei Tage lang der Stadt für die Befestigungsarbeiten zur Verfügung zu stellen. Die Grundherren weigerten sich jedoch, dies zu tun. Darauf­ hin bat die Stadt den Kaiser, sie dazu zu zwingen. Die Stadt verfügte zwar über Holz auf den Bachern, doch da dieses Gebiet nicht unmittelbar an die Stadt angrenzte, mussten sie das Holz durch fremde Ländereien transportieren, was Geld kostete und zu zahlreichen Auseinandersetzungen führte. Die Stadt konnte den wichtigen Stoff zwar auch im Hafen kaufen, doch dies war mit immensen Geld­ ausgaben verbunden. Schließlich befahl der Kaiser 1462 dem Adel, den Grundherren und den Prälaten, es der Stadt zu erlauben, dass diese in ihren Wäldern Holz fällen und ungehindert zu sich transportieren konnte. Die Befestigung der Stadt sollte verstärkt und diese mit einem Wallgraben versehen werden. So geschah es nun auch, und tatsächlich hielten die Festungswerke daraufhin der Belagerung durch die Ungarn 1480 und 1481 stand. 84

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Ab 1470 wurde Innerösterreich immer wieder von den Türken heimgesucht – zwischen 1473 und 1483 gleich fünfmal. Sie plünderten und verwüsteten alles, was ihnen im Weg stand, Städte, Häuser, Bauern­ höfe. Zahllose Menschen wurden getötet oder verschleppt. Um dieser Gefahr in Zukunft besser zu begegnen, mussten enorme Geldmittel erschlossen werden, vor allem für Befestigungen und Söldnertruppen. Und bald wurde klar, dass hierfür besondere Steuern erhoben werden sollten. So wurde vom Landtag nun jährlich eine Gült- oder Landsteu­ er ausgeschrieben. Besteuert wurden damit der Ertrag von Geld- und tu­ ralleistungen der Untertanen und der Zehentpflich­ tigen sowie Na­­ Erlöse aus anderen Rechten. Die jeweilige Steuer wurde von den Untertanen an die Grundherren abgeführt und von diesen an den Landes­ herrn weitergegeben. Doch begnügten sich die Grundherren nicht mit den vom Land­tag beschlossenen Steuern, die schon hoch genug waren und von den Be­­troffenen als fast untragbare Bürde empfunden wurden, sondern legten ihren Bauern noch weitere unzumutbare Belastungen auf, die das Be­­willigte weit überschritten. Zudem verlangten sie, dass die Untertanen Abgaben-Verpflichtungen übernahmen, die sie als Grund­­ herren aus eigener Tasche hätten leisten müssen. Teilweise verbrauchten sie die eingetriebene Steuer auch selbst und führten sie nicht an den Landesherrn ab. Diese überaus hohe Belastung der Bauern und deren unzumutbare Behandlung durch die Grundherren führten denn auch 1515 zu Bauernaufständen in der Unter-, Ost- und Weststeiermark. Schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden die landesfürstlichen Städte und Märkte als „vierter Stand“ etabliert – neben Klerus, Herren- und Ritterstand. Die allgemeine Gültensteuer wurde auf dem Vereinigten Ländertag der steirischen und kärntnerischen Stände am 8. Januar 1471 ausgeschrieben. Es gab jedoch noch keine Richtlinien und keine Kontrolle über ihre Durchführung, da die Gültenschätzung erst 1495 eingeführt wurde. Der Kaiser berief daher am zweiten Sonntag nach Ostern 1475 erneut den Landtag aller Stände der Steiermark, Krain und Kärnten ein. Diesmal in Marburg. Dort fiel 85

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der Satz, dass „kein krig ohne gelt und ohne manschafft kan gestirt werd­ ten“.49 Bis Ende des Mittelalters waren Steuern außerordentliche Maß­­­­nah­ men, die dann vorgeschrieben wurden, wenn eine Zwangslage poli­ tischer oder militärischer Art entstand. Doch solche Zwangslagen häuf­ten sich nun von Jahr zu Jahr, und die Belastungen stiegen. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass einige Städte vor dem wirtschaft­ lichen Ruin standen. Erst 1699 wurde ein Vergleich geschlossen, dem zufolge die steirischen landesfürstlichen Städte und Märkte statt der Gültsteuer, des Zinsguldens und der Leibsteuer eine Pauschale von jährlich 31.000 Gulden entrichten mussten. Die Verteilung innerhalb der Städte und Märkte musste intern ausgehandelt werden. 1699 betrug zum Beispiel der Anteil der Stadt Graz circa 30 Prozent, der von Bruck und Leoben elf Prozent, jener von Marburg sechs Prozent.50 Nach der Machtübernahme Süleimans II. (1520  –1566) im Osmanischen Reich, vor allem nach der Schlacht bei Mohács (Ungarn) am 29.   August 1526, nahm die türkische Bedrohung wieder zu. Im Jahr 1532 bedrohte Süleiman in der Zeit vom 4. bis 16. September auch die Stadt Marburg. Zwar hielt die Befestigung stand – sie wurde nur stark beschädigt –, doch verwüsteten die Türken die gesamte Umgebung der Stadt, die Windischen Bühel und das Draufeld. Stadtrichter Cristoff Willenrainer organisierte eine sehr wirksame Stadtverteidigung. So hatte er offensichtlich bereits 1929 entsprechende vorsorgende Verfügungen erlassen. Die herausragenden Verdienste dieses Mannes und die wechselhaften Ereignisse jener Zeit fasste viel später der gebürtige Marburger Alfred Schmidt (1886   –1960) unter dem Pseudonym Maderno in seinem Roman Die Wildenrainer (1915) zusammen, der in Hinblick auf den geschilderten realen Teil der Erzählung hauptsächlich 49 Franz Pichler, Die steuerliche Belastung der steirischen Bevölkerung durch die Landesdefension gegen die Türken, www.verwaltung.steiermark.at. 50 Pichler, S. 93.

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auf Gustav Puffs Untersuchung „Marburg in der Steiermark, seine Um­­ gebung und Geschichte“ (1847) basierte. Natürlich sprossen hier auch die Legenden. So soll ein kleiner Schuster die Stadt von den Türken befreit haben, indem er sich 1532 zu den Drei Teichen schlich und dort die Wassersperre öffnete, sodass die Belagerer im Wehrgraben ertranken. Eine ähnliche Geschichte ist auch aus Wien überliefert. Dort soll es ein Schneider gewesen sein, der Un­­ glaubliches leistete und die Stadt rettete. Nach den türkischen Eroberungen von Ost-Slawonien (1536  –1538) wurde 1539 eine selbstständige Feldpostlinie Graz–Slawonien eingerichtet. Die ersten steirischen Postmeister, die jährlich vom Landtag bestimmt wurden, waren in Landscha (seit 1568 Ehrenhausen), Pettau und Marburg stationiert. Im Winter wurde die Verbindung eingestellt.51 Die Stadt blieb jedoch auch von Witterungs- und anderen Naturkatastrophen nicht verschont. So hatten die Bewohner der Marburger Gegend 1334 unter einer entsetzlichen Kältewelle zu leiden, in deren Verlauf zahllose Menschen und Tiere erfroren. 1337 gab es eine Heuschreckenplage von fast biblischem Ausmaß – drei Jahre lang verwüsteten die Insekten das Land. 1342 folgten orkanartige Stürme und Überschwemmungen, und am 25. Januar 1348 brachte ein starkes Erdbeben Mauern und Türme zum Einsturz. 1385 führte eine verheerende Missernte zu großer Not. Eine gewaltige Gefahr waren auch die zahlreichen Großfeuer in die­ ser Region. Die erste bekannte Feuersbrunst auf Marburger Gebiet ereignete sich 1362, die letzte 1797. Dabei sind die Brandkatastrophen der Jahre 1513, 1601, 1645, 1648, 1650 und 1700 als besonders verheerend in die Annalen der Stadt eingegangen. Durch sie wurde Marburg auch wirtschaftlich schwer geschädigt. Die Stadthäuser waren überwiegend aus Holz, nur die öffentlichen Gebäude waren mit Steinen 51 Mehr darüber: Andrej Hozjan, Die ersten steirischen Kundschafter und Postbeförderer, S. 237–279, www.verwaltung.steiermark.at.

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und Ziegeln erbaut. Die Gassen waren eng, die Funken sprangen leicht von Bau zu Bau. Bereits 1513 brannte die Stadt fast vollständig ab – dabei gingen auch alle Urkunden zugrunde, sodass Kaiser Maximilian I. 1514 alle Stadtprivilegien neu bestätigen musste. Besonders katastrophale Wirkungen zeitigten die Brände am 30. April 1648 und am 27. April 1650. Der kurze Abstand zwischen den beiden Großfeuern versetzte die Stadt in besondere wirtschaftliche Nöte. Auch das Großfeuer von 1700 zerstörte fast die gesamte Stadt. Die Florianisäule auf dem Marburger Burgplatz (Grajski trg) erinnert noch immer an das Grauen jenes Jahres. Nicht zuletzt war es die gefürchtetste Seuche jener Zeit, die auch Marburg in den Jahren 1646, 1664 und 1680 heimsuchte: die Beulenpest. Das schlimmste Pestjahr war 1680, als in Marburg und Umgebung 483 Menschen starben, rund ein Drittel der Stadt. In Erinnerung daran und als Dank an die Gottesmutter für das schließliche Ende der Pest wurde 1681 auf dem Hauptplatz (Glavni trg) – dort, wo im Mittelalter die Verurteilten an den Pranger gestellt worden waren – eine Mariensäule errichtet, die später, 1743, durch die Pestsäule des Künstlers Josef Straub ersetzt wurde. Heute steht dort die Kopie dieser Säule aus dem Jahr 1991. Außerdem wurde in den Jahren 1681 und 1682 als Dank für die schließliche Errettung von der Seuche das Kirchlein der Heiligen Barbara und der Heiligen Rosalia auf dem Kalvarienberg (375 Meter) errichtet, das im 19. Jahrhundert zum Symbol des Deutschtums in der Stadt werden sollte – im Gegensatz zu Pekrška gora, der nationalen Symbol-Kirche der Slowenen. Es gab auch Erdbeben, so am 16. April 1791 und am 6. Februar 1794, die einige Häuser beschädigten. Die Hexenprozesse in der Steiermark fanden relativ spät statt, nämlich nach 1540, und sie wurden nicht von geistlichen, sondern von weltlichen Gerichten verhandelt, wobei die meisten Prozesse, nämlich 305 (37,3 Prozent) in der Untersteiermark stattfanden, und zwar in einem relativ kleinen Gebiet (auf der Linie Marburg–Radkersburg/ 88

vom ende des 1 5. j a hrhundert s bis mi t t e des 18 . j a hrhundert s

Abbildung 8: Unbekannter Maler, Votivbild mit der Abbildung von Marburg, erstellt anlässlich der großen Pest 1680, Wallfahrtskirche Maria nazaret hin Nazarje, 1681.

Radgona bis zu der alten steirischen Landesgrenze, dann bis zu den Städten Pettau/Ptuj und Friedau/Ormož). Der erste Hexenprozess fand in Marburg statt, und zwar im Jahr 1546. Es wurden sechs Bäuerinnen angeklagt, denen Teufelsbund und Buhlschaft, die Kunst des Hexenflugs und der Hexenlehre, die Teilnahme am Hexensabbat, Giftmorde und Wetterzauber vorgeworfen wurden. Der letzte Prozess fand 1744  –1746 in Radkersburg statt. In Marburg selbst war der letzte Hexenprozess im Jahre 1712. Insgesamt wurden in der Stadt fünfzig Frauen zum Tode verurteilt.52 52 Helfried Valentinitsch, Hexen und Zauberer. Die große Verfolgung – ein europäisches Phänomen in der Steiermark, Graz 1987, S. 297–304.

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Tiefs ta nd , aufs c hwung , a bs c hung

Tiefstand, Aufschwung, Abschwung – wirtschaftliche Wenden einer betriebsamen Stadt Mit dem Merkantilismus Kaiser Karls VI. (1711–1740), der die große Handelsstraße Wien–Marburg–Windisch-Feistritz–Triest erbaute, erlebte die Stadt endlich eine heilsame wirtschaftliche Wende. Plötzlich spürten vor allem Handel und Handwerk einen deutlichen Aufschwung. Dennoch stieg der allgemeine Wohlstand nur sehr langsam, was bestimmt auch mit den Folgen der vorangegangenen Natur­katas­ tro­phen zu tun hatte, die gewaltige Anstrengungen und Kosten beim Wiederaufbau erforderten. Auf jeden Fall aber wurde dank der ge­­ nannten Handelsstraße Marburgs Rolle als Verkehrsknotenpunkt erheblich gestärkt, denn hier, in dieser Stadt, kreuzte sich nun die Handelsstraße  Wien–Triest mit der wichtigen Alpen-Verbindung Mar­burg– Kärnten. Dank der neuen Straßenverbindung Wien –Triest sowie ener­gisch vorangetriebener wirtschaftsfördernder Reformen durch Karl VI., seine Tochter Maria Theresia und deren Sohn Jo­­ seph II. konnten Handel und Gewerbe der Stadt im 18. Jahrhun­ dert wieder aufblühen.53 Dieses Gewerbe war größtenteils eng mit der Landwirtschaft verbunden, wie etwa die Herstellung von Wein und anderen Getränken. So wurde 1762 neben der bereits vorhandenen Bierbrauerei eine weitere gegründet, die lange bestehen und viel später einmal, im Königreich Jugoslawien, als älteste Brauerei („Celigijeva pivovarna“) des Landes so etwas wie ein wirtschaftliches Wahrzeichen abgeben sollte. Auch die Wursterzeuger erfreuten sich einer deutlichen Belebung des Geschäfts, ebenso die Hersteller verschie­ dens­ter Sorten von Öl (Hanföl, Rosmarinöl, Walnussöl, auf dem Drau­ 53 Mlinarič, „Maribor od začetkov do sredine 18. stoletja“, S. 186.

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wirt s c h a f t l i c he wenden einer be t riebs a men s ta d t

feld vor allem Kürbiskernöl). Neu war der Anbau der Kartoffel und des Kukuruz, der ebenfalls zur Prosperität der Landwirtschaft beitrug und den Handel mit Agrarprodukten beflügelte. Auf dem Bachern war wiederum die Glasherstellung im Aufwind, und nicht zuletzt wurden der Gewinn und die Verarbeitung von Leder zu bedeutenden Wirtschaftszweigen der Stadt. Zur Zeit Josephs II. hatte Marburg auch noch das Glück, dass die Werkstatt für Militärbekleidung aus Judenburg in der Steiermark nach Marburg verlegt wurde. Das war das erste große Unternehmen in der Stadt. 800 Arbeiter waren in ihm beschäftigt. Allerdings wurde der Betrieb angesichts der napoleonischen Bedrohung schon zwei Jahrzehnte später wieder von hier abgezogen und nach Ungarn verlegt. Mit dieser Zeit, dem beginnenden 19. Jahrhundert, war jedoch vorerst auch das Ende der wirtschaftlichen Blüte gekommen. In den Jahren Napoleons und der Entstehung der „Illyrischen Provinzen“ war nämlich der Export von Gütern aus Marburg nach Krain wegen der nunmehr sehr hohen Zölle außerordentlich erschwert. Deswegen war es besonders wichtig, dass sich die Stadt nun neue Märkte im Norden erschloss. Sie fand sie in der Steiermark, aber auch in anderen österreichischen Kronländern. Diese Neuerschließungen sollten allerdings erst später deutliche Erfolge zeitigen, nämlich nach dem Bau der Eisenbahn. 1843 wurde die Kärntnerbahn, 1846 die Südbahn er­öffnet.

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m a rburg a l s kreish aups ta d t

Marburg als Kreishauptstadt: Maria Theresia entmachtet die Stände Die Stadt Marburg als öffentliches Gemeinwesen, das für das Wohlergehen seiner Bürger zu sorgen und sich gegen äußere Gegner zu wehren und durchzusetzen hatte, war natürlich von der allgemeinen wirtschaft­ lichen Situation im Land abhängig. Sie hatte aber auch ihre speziellen schweren Probleme, sofern es um den Erwerb und die Erhaltung ihrer eigenen finanziellen Mittel ging. Denn den hohen Lasten der Stadt bei der Erfüllung ihrer Aufgaben – vor allem bei der Aufrechterhaltung der Ordnung, der Straßenerhaltung, der Fürsorge für Kranke und Arme – stand oftmals ein nicht hinreichend großes Einkommen gegenüber, zumal die Stadt auch hohe Abgaben an die Stände, also an Adel und Kirche zu leisten hatte. Dazu kam, dass mit dem Beginn der Neuzeit auch das Ende der mittelalterlichen Stadtprivilegien gekommen war, was zunächst die Stadt und ihr Gewerbe schwer belastete, ehe der nunmehr einsetzende Wettbewerb in manchen Bereichen doch auch wiederum eine Belebung herbeiführte. So durften die Fleischer aus der Drauregion ihr Schweinefleisch von nun an ebenfalls auf dem Marburger Markt verkaufen. Seit Beginn der Neuzeit hatte sich die Stadt vorwiegend aus Maut­ einnahmen finanziert, also aus Zollabgaben, die sie an bestimmten Wege-Stationen vor und innerhalb ihrer Mauern von Handeltreibenden, Einreisenden und Durchreisenden erhob. Da die bestehenden Mautstellen an der Drau sowie an den Stadttoren nicht ausreichten, um genügend Mittel herbeizuschaffen, kamen im 17. Jahrhundert noch zwei weitere Zollstellen für Marburg hinzu – eine im Westen, an der Kärntnerstraße bei St. Oswald a. d. Drau/St. Ožbalt ob Dravi, und eine im Norden der Stadt, bei Platsch/Plač. Doch wegen der enormen Steuer­ schulden, die die Stadt bei den Ständen hatte, beschlagnahmten diese als Gläubiger 1654 und 1673 kurzerhand die städtischen Zollein92

m a ri a t heresi a en t m a c h t e t die s tä nde

nahmen, kassierten diese also einfach selbst. Was die Stadt in eine über­ aus schwierige, ja, fast hoffnungslose Lage brachte. Diese Not milderte sich dann freilich, als Kaiser Leopold I. die Rückgabe der beschlag­ nahmten Zölle an die Stadt anordnete, weil diese Einnahmen an den betreffenden Mautstellen als landesfürstliches Regal zweckgebunden waren, denn mit ihnen musste die Straßenerhaltung finanziert werden. Als jedoch der Staat (das Kronland) die Aufgabe der Straßenerhal­ tung selbst übernahm, war dies fürs Erste keineswegs eine große Entlas­­ tung der Stadt. Denn dafür kassierte er jetzt die Straßenzölle, sodass der Stadt nur noch ein sehr mäßiger Anteil zur Erfüllung dringender eigener Angelegenheiten verblieb. Am Ende, nach noch weiteren Zugriffen des Staates 1726, waren es nur noch die Mauteinnahmen an den drei Haupttoren, von denen Marburg zehren konnte. Dabei gab es zwischen den städtischen und den staatlichen Zöllnern immer wieder heftige Auseinandersetzungen, die erst 1743 mit einem Kompromiss beigelegt wurden. Demnach gehörten die Zolleinnahmen in einem bestimmten abgezirkelten Gebiet fortan der Stadt, alle übrigen dem Staat.54 Die Wende kam mit Maria Theresia. Denn ihre und ihres Vaters wirtschaftliche Reformen gingen mit einer einschneidenden Umge­ staltung der Verwaltung des Staates und des Rechts einher. Dabei stand ein – am Ende größtenteils erreichtes – Ziel im Vordergrund: die sukzessive Entmachtung der Stände. Und dies kam zunächst in erster Linie den Bauern zugute. Denn vor allem deren Lage war bis ins 18. Jahrhundert hinein erdrückend 54 Dieses Zollgebiet der Stadt erstreckte sich von der Steigung bei Koschak/Košaški klanec bis zur Drau, von hier bis zur zweiten Brücke unter dem Schlapfenberg/ Meljski hrib, dann auf der anderen Seite der Drau bis zum Ganzerbach/Kamniški potok bis zur Ziegelei auf dem Weg nach Gams/Kamnica, im Süden aber entlang der Triesterstraße bis zu der Kreuzung Richtung Windenau, im Westen Richtung Pickern/Pekre und Lembach/Limbuš. Mlinarič, „Maribor od začetkov do sredine 18. stoletja“, S. 186.

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m a rburg a l s kreish aup t s ta d t

gewesen. Leibeigenschaft, Frondienste und grundherrliche Lasten mit hohen Abgaben hatten die Landwirte immer schmerzhafter einge­ schnürt und schließlich – seit dem 15. Jahrhundert – zu Rebellionen und Kriegen geführt, nicht nur hier, sondern in weiten Gebieten Europas. Erst recht nach der Niederschlagung der Bauernaufstände in der Mitte des 16. Jahrhunderts war die Lage der Landwirte in der Steiermark unerträglich geworden. Auf rechtlichem Weg war dagegen nichts auszurichten, da die Grundherren gleichzeitig Gerichtsherren und politische Instanz waren. Die Folge war eine Verelendung der Bauern und weiterer breiter Schichten der Bevölkerung. Maria Theresias energische Bemühungen um eine Neuordnung hatten nicht zuletzt mit der desaströsen Lage des gesamten Staates zu tun. Angesichts dessen und zweier unlängst verlorener Kriege (des Ersten und des Zweiten Schlesischen Kriegs gegen Preußen) entschloss sich die Monarchin 1748 zu einer gigantischen Steuer- und Verwaltungsre­ form. Deren Einführung erfolgte im Wesentlichen bis 1760 unter der Leitung und Verantwortung von Wilhelm Graf Haugwitz, danach von Wenzel Anton Kaunitz. Und entsprechend den Zielen Maria Theresias und Josephs II., ihres Sohnes, der ihr 1780 auf den Thron folgte, bestand das Herzstück dieser Reform in einer effektiveren Struktur des Staates, in einer zentralistischen Verwaltung und einer kräftigen Beschnei­ dung der Macht des Adels, die ihr Sohn Joseph II. mit strengem Vorgehen gegen „unproduktive“ kirchliche, vor allem klösterliche Einrichtungen – meist kontemplative Orden – vervollständigte. Er hob viele Klöster auf, verstaatlichte ihren Besitz und übertrug das Vermögen auf einen neu gegründeten Religionsfonds, der nun auch für die Bezahlung der Priester zuständig war. 1783 enteignete Joseph II. dann auch die wohlhabenden Prälaten zugunsten dieses Fonds. In dieser brisanten, die kirchlichen Instanzen aufs Höchste irritierenden Situation kam die Stadt Marburg übrigens zu einer ganz besonderen Ehre: Sie bekam Besuch vom Papst. Pius VI. übernachtete im März 1782 in der Stadtburg. Er befand sich nämlich auf dem Weg nach Wien, wo er den Kaiser 94

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wegen des Toleranzpatents für Protestanten und Griechisch-Orthodoxe, das Joseph II. gerade erlassen hatte, umzustimmen versuchte – vergeb­ lich, der Kaiser blieb bei seinen Beschlüssen. Für die Steiermark bedeutete die Reform, soweit sie die neue Verwaltung betraf, fürs Erste, dass jetzt in Graz eine „Repräsentation und Kammer“ als Mittelbehörde des Staates für die Steiermark eingerichtet wurde. Sie wurde 1763 durch ein „Gubernium“55 ersetzt, an dessen Spitze ein „Landeshauptmann“ stand. Die wichtigste Neuerung für die Steiermark war jedoch die Schaffung von Kreisämtern – von staatlichen Behörden, deren Aufgabe es unter anderem war, das Wirken der Grund­ herrschaften in Polizei- und Gemeindeangelegenheiten zu überwachen, den Untertanen Schutz zu bieten sowie Streitigkeiten zwischen Grund­ herren und Untertanen zu schlichten. Darüber hinaus wurde den Kreis­ ämtern die Aufsicht über das Gewerbe- und Handelswesen sowie die Verantwortung für das Schul- und Gesundheitswesen übertragen. Auch die Rekrutenaushebung und die Veranlassung notwendiger Maßnahmen im Falle eines Militärdurchmarsches zählten zu ihren Aufgaben. Das Kreisamt war mithin die Instanz zwischen der Stadt und den Landesbehörden in Graz. An seiner Spitze stand ein „Kreishauptmann“, der keine anderen ständischen Ämter bekleiden durfte und an die Weisungen der Landesbehörden gebunden war. So gab es nun in der Steiermark fünf Kreise, die sich, von einigen Korrekturen abgesehen, zunächst der Lage und dem Umfang der bereits bestehenden ständischen „Viertel“ anpassten. Denn 1462 hatten die Stände die Steiermark, angelehnt an die Organisation der Pfarrsprengel, in „Viertel“ eingeteilt – in bestimmte abgezirkelte Landesteile, die zunächst militärischen Zwecken, vor allem der Rekrutierung, dienten, später aber auch für die Abwicklung von Steuererhebungen nützlich waren. Ende des 15. Jahrhunderts hatte es also fünf solcher „Viertel“ gegeben: Judenburg, Enns- und Mürztal, Vorau (das Gebiet östlich der 55 Bis 1791 „Gubernium für Steiermark, Kärnten, Krain und Görz-Gradiska“.

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Mur samt Graz), Cilli südlich der Drau sowie das Land zwischen Mur und Drau. Zu letzterem gehörte Marburg, das zwei Jahrhunderte später, 1703, zur Hauptstadt dieses Viertels, damit auch zum militärischen Sammelplatz wurde. Die nun von Maria Theresia geschaffenen Kreise lehnten sich also an jene früheren, von den Ständen eingeführten Viertel an, doch wurden ihre Grenzen später mehrmals geändert. Der Kreis zwischen Mur und Drau, in dem die Stadt Marburg lag, hatte zunächst seinen Sitz in Leibnitz, dann aber in Marburg, weswegen er ab 1752 als „Marburger Kreis“ bezeichnet wurde. Er erstreckte sich zunächst von Frohnleiten (Gamsgraben) bis nach Polstrau an der Drau und wertete die Stadt Marburg als neue Kreishauptstadt erheblich auf. 1783 kamen zum Marburger Kreis weitere Pfarren südlich der Drau hinzu – St. Lorenzen am Bachern/Lovrenc na Pohorju westlich von Marburg, Kötsch/Hoče, Schleinitz/Slivnica, St. Lorenzen am Draufeld/Lovrenc na Dravskem polju, Haidin/Hajdina, St. Veit und Sauritsch. Andere Pfarren nörd­ lich der Drau wurden dem Kreis Graz zugeschlagen (Pfarren im Kai­ nachtal, St. Stefan ob Stainz/St. Štefan pri Ščavnici, Stainz/Ščavnica, Preding, Henggsberg, Wildon und Lebring). 1805 verschoben sich die Grenzen des Kreises Marburg nach Süden, auch beeinflusst durch die Veränderungen der Pfarrgrenzen im Zuge der josephinischen Reformen; dafür wurde Laßnitz im Norden dem Kreis Graz angeschlossen. Danach blieb der Stand bis zur Gebietsreform 1848 unverändert. Zum Kreis Marburg gehörten nun also die Stadt Marburg, Bachern/Pohorje, die Windischen Bühel/Slovenske Gorice bis Lut­ tenburg/Ljutomer und Pettau/Ptuj, außerdem die Gebiete der heutigen, in Österreich gelegenen Bezirke Voitsberg (unter Ausschluss einiger Pfarren um Graz), Deutschlandsberg und Leibnitz westlich der Mur. Im Westen grenzte der Kreis Marburg an den Klagenfurter Kreis, im Osten und Südosten an die ungarischen Komitate (Verwaltungseinheiten Ungarns) Eisenburg/Vasvár, Salad/Zala, Varaždin und Agram/ Zagreb, im Norden an den Grazer Kreis und im Südwesten an den 96

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Cillier Kreis. Insgesamt umfasste der Kreis Marburg jetzt 59 Quadrat­ meilen (rund 3.250 Quadratkilometer), 52 Bezirke, 791 Steuerge­ meinden, drei Städte, sechs Vorstädte, 16 Märkte, 832 Dörfer, 40.000 Häuser, 1.210 Mühlen, Sägen und Stampfanlagen, 15 Dekanate, ein Gymnasium und über 150 Volksschulen. 1788 wurden im Marburger Kreis 186.099 Einwohner gezählt, 1840 bereits 217.000 – davon 159.000 Slowenen aus fünfzig Pfarren.56 Der erste Kreishauptmann war Max von Bendel. Die Kreisverwaltung verfügte zunächst über kein eigenes Gebäude. Deshalb wurde sie vorübergehend im ehemaligen Provianthaus (Frei­ haus), Eigentum von Hans Erasmus Graf Tattenbach, untergebracht,57 bis sie 1811 ein eigenes Kreishaus bekommen sollte. Es war dies das ehemalige Kloster der Cölestinerinnen, das 1839 und 1840 erweitert wurde. Unter Maria Theresia erfolgte 1754 auch die erste Volkszählung, wobei man sich an die Pfarren hielt, also an deren Zahl und Stärke nach Gemeindemitgliedern. Eine zweite Zählung folgte dann 1770. Aber schon 1752 war eine Häuserliste erstellt worden. Demnach hatte es damals in Marburg 212 Häuser gegeben: 202 Bürgerhäuser, sieben „freie“58 Häuser und drei im Eigentum des Stadt befindliche. Erst im Jahr 1771 aber wurde eine gründliche Erfassung aller Gebäude sowie deren Besitzer und Bewohner angeordnet, die nach Ortschaften erfolgte und nicht mehr nach Grundherrschaften oder Pfarren. Bereits 1736 war den Städten und Märkten in der Steiermark jedoch die Führung eines Grundbuchs auferlegt worden. In diesem wurden die 56 Rudolf Gustav Puff, Marburg in Steiermark. Seine Umgebung, Bewohner und Ge­­ schich­te, Bd. I, Graz 1847, S. 211. 57 Hans Erasmus Graf Tattenbach war steirischer Statthaltereirat, der 1671 in Graz hingerichtet (geköpft) wurde, weil er sich den kroatischen und ungarischen Hoch­ adeligen angeschlossen hatte, die sich gegen Kaiser Leopold I. auflehnten. Sie lehnten den Friedensschluss zwischen dem Kaiser und dem osmanischen Sultan ab (sog. Magnatenverschwörung). 58 Sitze der Dienstherren: des Erzbischofs von Salzburg, der Bischöfe, der Kirchen und Klöster, Herrschaften und des Adels.

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bürgerlichen Häuser aufgelistet, während für die untertänigen bäuerlichen Liegenschaften erst 1768 ein staatliches Grundbuch verlangt wurde. Auch die Stadt Marburg hatte 1762 mit der Führung eines Bürgerbuchs begonnen, doch wurden darin zunächst nur jene Besitzer verzeich­net, die ein Haus in der Stadt gekauft, geerbt oder durch Heirat erworben hatten.59 Bis 1836 wurden im Bürgerbuch jedoch auch die Herkunftsorte jener Personen genannt, die Bürgerrechte erworben hatten. Das waren damals 166 Einheimische und 658 Auswärtige, die sich in Marburg angesiedelt hatten. Von diesen Zugewanderten kamen 241 aus deutschsprachigen Gebieten der Habsburgermonarchie und 101 aus slowenischsprachigen – das Verhältnis war also 2,44:1. Die restlichen 116 kamen aus anderssprachigen Gebieten der Monarchie oder von außerhalb. In der gründlicheren Erfassung von 1770 wurden die Orte Numme­ rierungsabschnitte oder „Konskriptionsabschnitte“ genannt. Sie bildeten die Grundlage für die späteren Gemeinden. Wobei ein Nummerierungsabschnitt nur dann die ganze Pfarre erfasste, wenn diese aus einer einzigen Siedlung bestand, wie etwa Stainz mit 71 Häusern und 581 Seelen. Die Nummern der Häuser in einem „Nummerierungsabschnitt“ wurden als „Konskriptionsnummern“ bezeichnet. Später, 1804, sollte dieses System durch das „Conscriptions- und Recrutierungs-Patent“ von Franz II. noch wesentlich verbessert werden. Jedenfalls waren die Nummerierungsabschnitte auch die Vorstufe der Steuergemeinden: Sie bildeten die Grundlage der josephinischen Steuergemeinden und der späteren Katastergemeinden.60 Die Stadt Marburg wurde bei der Erfassung von 1770 als „Nummerierungsabschnitt Marburg-Stadt“ festgelegt – später war sie eine Katas­ 59 Für die Bürger Marburgs war die Eintragung kostenlos, Fremde mussten eine Gebühr von 4 Gulden entrichten. 60 Fritz Posch, „Vorgeschichte und Anfänge der Bezirkshauptmannschaften in der Stei­ ermark“, in: Mitteilungen des steirischen Landesarchivs, Band 18, Graz 1968, S. 101–107.

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ter- und Steuergemeinde. Die Konskriptionsnummer 1 in ihr bekam die Stadtburg. Östlich der Stadt gab es (bis 1810) den „Nummerierungs­ abschnitt Grazer Vorstadt“ – später umfasste dieser sechs Katastergemeinden. Weitere Nummerierungsabschnitte hießen „Kärntner Tor“ (mit 474 Einwohnern 1770) und „Magdalenen-Vorstadt“ (dies erst 1810). Die dabei verzeichneten Einwohnerzahlen sind nicht verlässlich. Am ehesten entsprechen jene der Stadt noch der damaligen Wirklich­ keit. Demnach hatte der Nummerierungsabschnitt Marburg-Stadt im Jahr 1770 insgesamt 1.723 Einwohner.61 Nach der Volkszählung 1770 und der Hausnummerierung wurden kraft eines Patents Maria Theresias die Werbbezirke eingerichtet, die aus mehreren Nummerierungsabschnitten bestanden. Sie wurden zunächst aus militärischen Gründen geschaffen, mit ihnen sollte ein geregelter Rekruten-Nachschub gewährleistet werden, doch schon in den nächsten Jahrzehnten bekamen sie viele andere wichtige – teilweise sogar die wichtigsten – Aufgabenbereiche zugewiesen: den Straßenbau, das Polizei­ wesen, die Statistik, die Verkündung von Gesetzen und Verordnungen, schließlich auch die Aufsicht über das Gewerbewesen und die Schulen. Die Verwaltung des jeweiligen Werbbezirks, die „Werbbezirksherrschaft“ wurde bei der geografisch am günstigsten gelegenen oder größten Grundherrschaft innerhalb des Bezirks angesiedelt. Doch hatte der Werbbezirk kein eigenes Personal, sodass der Verwalter der ausgesuchten Grundherrschaft auch als „Werbbezirkskommissar“ diente. In Marburg übernahmen der Stadtrichter und der Rat (oder der „Magistrat“ – ein Begriff, der sich immer mehr durchsetzte) diese Funktion des Werbbezirkskommissars. Für die Vorstädte am linken Drauufer kam die Werbbezirksherrschaft der Herrschaft Obermarburg zu, für die Magdalenen-Vorstadt 61 Weitere Entwicklung: Jahr 1777: 1.736 Einwohner, 1782: 2.117 Einwohner, 1810: 2.092 Einwohner. Antoša Leskovec, „Zgodovina uprave v Mariboru 1752–1941“, Maribor skozi stoletja, S. 233.

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und Pobersch dem Viktringhof, für Maletschnigg/Malečnik der Herrschaft Melling, für Gams/Kamnica der Herrschaft Wildhaus/Viltus, für Roßwein und Kötsch dem Haus am Bachern/Hompoš, für Rothwein/ Radvanje, Lembach/Limbus und Pickern/Pekre der Herrschaft Roth­ wein. Allmählich wurde der Werbbezirk zur ersten politischen Behörde – dies war nicht mehr die Grundherrschaft. Nach der Strafrechtsänderung 1787, erst recht aber nach der Gubernialverordnung von 1809, wurde er sogar zur alleinigen politischen Behörde im Bezirk, wobei die Zugehörigkeit der Bewohner zu einer bestimmten Grundherrschaft keine Rolle mehr spielte. 1784 gab es in der Steiermark 253 Werbbezirke, die Zahl wurde dann aber reduziert, auf zunächst 222 im Jahr 1826 und 219 im Jahr 1849. Überhaupt führte die Verwaltungs- und Justizreform Josephs II. zu einer Zentralisierung des Regierungssystems, der Instanzenweg war streng geregelt. Die übergeordneten Instanzen waren zunächst die Kreis­ämter, darüber stand das Gubernium oder das Appellationsgericht und ganz oben die Hofkanzlei in Wien. Alle Eingaben, Anfragen, An­träge mussten diesen Weg durchlaufen. Dies war, organisatorisch gesehen, klar und effektiv, trug vermutlich auch zu einer verbesserten Wahrnehmung von „Gerechtigkeit“ bei, aber ohne Zweifel führte es auch zur Entwicklung eines sehr obrigkeitsgebundenen, unselbstständigen Beamtenwesens. In der Stadt bestand die Stadtobrigkeit immer noch aus dem Stadt­ richter und dem Rat, wobei es einen Inneren Rat gab, in dessen Hand die eigentliche Verwaltung lag, und einen Äußeren Rat, der eher beratend tätig war. Zur Zeit Maria Theresias wurden der Stadtrichter und der Rat immer noch von den Bürgern der Stadt gewählt, und zwar am Tag vor dem Fest des hl. Erzengels Michael (dem 29. September). Doch wurde die landesfürstliche Genehmigung der Stadtrichterwahl nicht mehr direkt in Graz beantragt, vielmehr ging der Bericht über die Wahl zunächst an das Kreisamt, das dann die nötigen Schritte bei der 100

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nächsten übergeordneten Instanz unternahm. 1785 änderte Joseph II. den Wahlmodus in der Stadt. Weiterhin wurde der Stadtrat (Magistrat) von den Bürgern gewählt, dieser wählte in Anwesenheit des Kreishauptmanns den Stadtrichter,62 das heißt ab 1798: den Bürgermeis­ ter. Der neu organisierte Magistrat bestand aus dem Bürgermeister und drei bis vier Räten. Wählbar waren aber nur Bürger, denen die Staatsorgane zuvor eine Bestätigung über die notwendigen Qualifikatio­ nen ausgestellt hatten. Bürgermeister und Rat waren den übergeordneten Behörden verantwortlich und nicht mehr der Bürgerschaft. Der erste Bürgermeister war Josef Altmann (1798), der 1802 wegen der schwierigen Finanzlage der Stadt zurücktrat. Sein Nachfolger für kurze Zeit war Franz Lindner, der dann wegen angeblicher Unfähig­keit entlassen wurde, woraufhin Johann Georg Ferlinz zum Bürgermeister bestimmt wurde (1802–1810). Auch im Bereich der Justiz wurden im 18. Jahrhundert die Stände beschnitten. Die josephinischen Reformen wurden durch verschiedene Maßnahmen vorbereitet, so auch, wie bereits erwähnt, durch die Einrichtung der Kreisämter und Werbbezirke, die eine Kontrollfunktion im Rechtswesen ausübten. Auch die Justiz erfuhr durch die Reformen Maria Theresias und Josephs II. erhebliche Wandlungen, wobei auch hier die Macht der Stände beschnitten wurde. Da jedoch die Verwaltung der Werbbezirke, wie erwähnt, zunächst den ausgesuchten Verwaltungen der Grundherrschaften oder Magistrate (Magistrat Marburg, Herrschaften Burg und Obermarburg, Viktringhof, Melling, Haus am Bacher, Rothwein) übertragen wurde, vollzog sich der Umgestaltungsprozess nur sehr langsam. Dennoch sank auch hier die Macht der Stände, die nun auf die Aus­ übung ihrer rein grundherrlichen Gerichtsbarkeit beschränkt wurden, während die landesfürstliche Macht ständig stieg. Schon 1747, unter Maria Theresia, wurde das Appellationsgericht gegründet – als 62 Der letzte Stadtrichter war Josef Remitz, 1797.

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zweite Instanz in Strafsachen. 1782 wurde es von Graz nach Klagenfurt verlegt, das nun überhaupt zum Sitz des Inner- und Oberösterreichischen Appellationsgerichts wurde. Nach einer Unterbrechung zur Zeit der Illyrischen Provinzen – die Steiermark gehörte nicht zu ihnen63 – wurde das Gericht, das nicht nur auf die Rechtsprechung beschränkt war, sondern auch die Justizverwaltung umfasste, in Klagenfurt wiedererrichtet. 1749 wurde dann auch die Oberste Justizstelle, der Oberste Gerichtshof, als dritte Instanz eingerichtet, der gleichzeitig eine Art Justizministerium war. Erst nach der Gerichtsreform Josephs II. sollte die Justiz von der Verwaltung klar getrennt werden. Ebenso wurde nun bei der Gerichtsbarkeit der I. Instanz zwischen dem Landrecht und den Ortsgerichten getrennt, dafür die Vielfalt unterschiedlichster Gerichtsarten beseitigt – mit Ausnahme der Militär-, Merkantil- und Wechselgerichte sowie der Berggerichte. Nicht zuletzt wurden nun Zivil- und Strafrechtsangelegenheiten streng voneinander getrennt. Die Richter wurden künftig vom Kaiser ernannt und vom Staat bezahlt.64 Indessen war die Finanzlage der Stadt Ende der Achtzigerjahre des 18. Jahrhunderts noch immer sehr prekär. Die Einnahmen kamen von der Maut (Zoll) am Grazer-, Kärntner und Drautor,65 von welcher Marburg ein Drittel erhielt, ferner von Haus- und Gewerbesteuern, von Zinsen öffentlicher und privater Obligationen, von Taxen und Landemien (Gebühren bei Besitzveränderungsfällen), von Gemeindegründen, von Pachtzinsen, Platzsammlungspachtgeldern, Mautgefäll63 Die von Napoleon gegründeten „Illyrischen Provinzen“ mit der Hauptstadt Laibach bestanden aus Krain, Kärnten, Görz, Gradiska und Istrien. Napoleon hatte sie nach dem Frieden von Schönbrunn per Dekret geschaffen. 64 Steirische Gerichtsbeschreibungen als Quellen zum Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer, I. Abteilung. Landgerichtskarte: Steiermark, hg. v. Anton Mell und Hans Pirchegger, Graz 1914. 65 Seit 1726 wurde die Maut nicht mehr direkt von der Stadt erhoben, sondern vom Land. Seit 1786 gebührte der Stadt nur ein Drittel davon.

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Sur­ro­­gaten, der Draubrückenmaut und einigem mehr. Sie erbrachten nicht genug, um der Stadt eine positive Bilanz zu verschaffen. Dennoch dachten die Finanzbeauftragten des Landes allzu oft nur daran, die Stadt weiter zu schröpfen. So wurde 1753 ein Stadtkommissär namens v. Schlee von Graz nach Marburg entsandt – um die Stadt­ finanzen zu prüfen, wohl aber auch, um einen Grund dafür zu finden, dass die Steuerzahlungen der Stadt an das Land weiter erhöht werden konnten. In diesem Jahr betrugen die Einnahmen 5.172 Gulden – die Steuer, die Marburg an das Land abführte, belief sich auf 3.355 Gulden. So rechnete v. Schlee auf der Grundlage dieser angeblich guten Bilanz für Marburg der Stadt eine Abgabensteigerung an das Land von 3.593 Gulden vor. Entrüstet widersprach der Magistrat. Schlee habe nicht alle Ausgaben der Stadt berücksichtigt, argumentierte er, und das Kreisamt bekräftigte dies mit dem Hinweis, dass die Prüfung der Finanzen in zu großer Eile erfolgt sei, die Berechnungen des Kommissärs daher nicht als Steuergrundlage dienen könnten. Tatsächlich reichten die Einnahmen der Stadt nicht aus, um alle Ausgaben zu decken, sodass es nötig wurde, Reserven anzuzapfen. So wurde vor allem in der Zeit von 1760 bis 1790 viel städtisches Grundeigentum außerhalb der Stadt veräußert. Käufer waren unter anderem Marburger Bürger, die sich dann in der Stadtnähe ansiedelten, vor allem entlang der Straßen, oder dort ihre Betriebe errichteten.66

66 Leskovec, „Zgodovina uprave“, S. 231–233.

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Im Kampf gegen den Eroberer Napoleon: Marburg im neuen Kaiserreich Österreich (1804  –1918) Kaiser Joseph II. starb unerwartet 1790, und sein Bruder Leopold II., der ihm nachfolgte, verschied nur zwei Jahre später. Die Reformen kamen zum Erliegen. Denn zur Regierungszeit von Franz II., dem Sohn und Nachfolger Leopolds, wurde die ganze Kraft des Staates durch die Kämpfe gegen Napoleon aufgebraucht. Diese hatten 1792 begonnen und endeten 1814 mit der Niederlage Napoleons, die im Wiener Kongress von 1815 zu einer Neuordnung in Europa führen sollte. Und da entschloss sich Franz II. mitten im Krieg zu einem sensationellen Schritt, der Europas Staaten- und Machtgefüge verwandelte: Er, bislang Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, begründete das erbliche Kaiserreich Österreich, wohl als Gegengewicht zu Napo­ leon, der sich zum französischen Kaiser gekrönt hatte, nicht zuletzt aber auch aus dem Bestreben, die anhaltenden Hegemonie-Streitigkeiten mit Preußen zu stoppen (was jedoch nicht gelang). Kaiser Franz II. war nun Kaiser Franz I. von Österreich. 1806 trat er als deutscher Kaiser ab. So waren denn das Herzogtum Steiermark und die Stadt Marburg nunmehr Teil des Kaiserreichs Österreich. Wenige Jahre später, am 2. September 1809, sollten sich Marburgs Bürger sogar der hohen Ehre erfreuen, dem ersten österreichischen Kaiser in ihrer Stadt huldigen zu dürfen. Dabei überreichten sie ihm auch die schriftliche Bitte um einen – offensichtlich dringlich gewordenen – Neubau der Normalschule sowie um die Verlegung des Bischofssitzes der Diözese Lavant nach Marburg, von welcher sie sich eine verbesserte, weil beiden verschiedenen Volksgruppen angemessene, geistliche Betreuung sowie überhaupt eine Aufwertung der Stadt erhofften. 104

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Natürlich hatte auch Marburg unter Napoleon zu leiden, obwohl die Stadt nicht Schauplatz spektakulärer Schlachten war. Zu ihrer ersten direkten Berührung mit dem Krieg kamen die Bürger Marburgs, als 1794 die ersten französischen Kriegsgefangenen durch die Stadt nach Pettau geführt wurden. Zwei Jahre später wurde in Marburg ein militärischer Schießstand erbaut, und im Militärlager wurden Hafer und Stroh für die kaiserliche Division in Klagenfurt bereitgestellt. Bedrohlich wurde die Lage jedoch nach dem Fall der Festung Mantua. Jetzt drangen die Franzosen vom Klagenfurter Becken her über den Neumarkter Sattel in die Steiermark vor. In banger Erwartung der feindlichen Truppen wurden in Marburg vom 19. März bis Ende Juni 1797 die Schulen geschlossen und Gerichtstermine ausgesetzt. Aber noch vor der Ankunft der französischen Aggressoren boten die Straßen Marburgs Bilder des Entsetzens: So zogen verwundete österreichische Soldaten durch Marburg, wobei auch Leichname Gefallener mitgeführt und offen gezeigt wurden. Mannschaften verschiedenster österreichischer Regimenter mit den Namen Pellegrini, Kallenberg, Esterhazy, Mitrofsky, Erzherzog Franz, Wurm und Fürstenberg marschierten durch die Stadt und brachten den Menschen an der bislang verhältnismäßig friedlichen Drau schon etwas vom furchtbaren Gesicht des Krieges nahe. Die ersten französischen Soldaten, 15 Schützen, langten am 11. April 1797 in Marburg ein, 200 weitere – es waren Kavalleristen, die nach Graz unterwegs waren – am 18. April. Entsetzlich fühlbar wurde die Anwesenheit der feindlichen Soldaten erst recht, als am 26. April 1797, nach dem Vorfrieden von Leoben, 9.000 Mann verschiedener Waffengattungen unter dem Kommando des Generals Jean-Baptiste Bernadotte durch die Straßen donnerten – tags darauf waren es schon 11.000, wenige Tage später gar 14.000. Sie versetzten die Bürger in Angst und Zorn, beschädigten und zerstörten Straßen und Gebäude und stürzten viele Menschen in wirtschaftliche Not und Verzweiflung, als sie ihnen alles Schlacht- und Zugvieh wegnahmen. Aber sie setzten sich nicht in der Stadt fest. 105

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In den Jahren 1804 und 1805 wurde das dritte Bataillon des österreichischen Regiments Strassoldo in der Stadt stationiert, und 1805 traf General Josef Wenzel Graf Radetzky mit dem galizischen Ulanen­ regiment Nr. 3 „Erzherzog Carl“ in Marburg ein. Er schickte am 20. November 1805 einen Teil seiner Mannschaft zur Lantschabrücke, nachdem gemeldet worden war, dass sich von Wildon her 500 Franzosen näherten. Vom linken Drauufer rückte der österreichische General Johann Gabriel von Chasteler an und bildete von Mahrenberg bis Platsch eine Vorpostenkette mit zwölf Bataillonen und einer halben Schwadron. Rund um Marburg wurden österreichische Posten gebildet: Radetzky in Strass, Mureck/Cmurek und Radkersburg/Radgona, Oberst Mesko in Ehrenhausen und Platsch, Erzherzog Johann auf der Ebene von Schleinitz/Slivnica. General Neipperg besetzte das Gebiet zwischen Cilli und Ran/Brežice. Die Franzosen, die von einem Eindringen in Marburgs Innenstadt ferngehalten werden konnten, schlugen nun ihr Hauptquartier bei der Parz’schen Mühle in der Kärntner Vorstadt auf. Mehrere Wochen lang standen sie den kaiserlichen Truppen gegenüber. Eine bedrohliche Spannung angesichts vermutlich schwerer Kämpfe, die nun wohl folgen würden, lag über der Stadt, und aus Wien hörte man, dass Napoleon die Kaisermetropole an der Donau besetzt hatte. Aber es kam anders. Nach der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz am 2. Dezember 1805, die den Alliierten Russland und Österreich eine verheerende Niederlage einbrachte und vier Tage später zu einem Waffenstillstand, schließlich zum Frieden von Pressburg führte, zogen die Franzosen im Januar 1806 aus Marburg ab – freilich nicht, ohne größere Mengen an Lebensmitteln und Pferden mitzunehmen.67

67 Sašo Radovanovič, Ponovno doma. Zgodovina 47. pešpolka 1682–1918, Maribor 2007, S. 36/37; Anton Leskovec, „Zgodovina uprave v Mariboru 1752 –1941“, Maribor skozi stoletja, Maribor 1991, S. 238/239.

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Im gleichen Jahr 1806 hielten wieder die kaiserlichen Truppen Einzug in Marburg. Das Infanterieregiment Nr. 37 „Erzherzog Joseph“ sowie das Infanterieregiment Nr. 44 „Oberst Friedrich von Belle­ garde“ marschierten durch die Stadt, und ein Jahr später wurde ein Teil des Infanterieregiments Nr. 16 „Marquis Lusignan“ unter dem Kommando des Grafen Welsberg in Marburg stationiert.68 Am 24. Juni 1807 hielten zwei Schwadronen des Dragonerregiments Erzherzog Johann in Thesen/Tezno bei Marburg ein Infanterie- und Kavallerie-Manöver ab. Marburgs diensttaugliche männliche Jugend wurde, soweit sie zum Militärdienst verpflichtet wurde (es gab noch keine Wehrpflicht, aber das Berufsheer wurde mittels Konskription, unter anderem auch mittels Los-Entscheid, durch zusätzlich eingezogene Männer ergänzt), in das heimische Regiment Lusignan aufgenommen, das im Übrigen unter der Führung von General v. Chasteler auch im Tiroler Freiheitskampf eingesetzt wurde. Die feierliche Fahnenweihe fand am 18. November 1810 in Marburg statt.69 Kurz zuvor aber war in der Steiermark auf Anregung Erzherzog Johanns eine Armee ganz neuen Typs gegründet worden, die sich aus Männern derselben engeren Heimat zusammensetzte – aus Freiwilligen, bei Bedarf aber auch aus zusätzlich Rekrutierten: die Landwehr. Ihr Sinn lag darin, dass dem siegreichen französischen Eroberer nicht nur eine technisch funktionierende Armee wie die reguläre kaiser­lichkönigliche, sondern, diese ergänzend, ein Volksheer mit starker patriotischer Motivation entgegengeworfen werden sollte, das sich zum Teil auch lokal und regional finanzierte und die Staatsfinanzen möglichst wenig belasten sollte – wobei Städte, Stände und Bürger (diese auf dem Weg von Spenden) mitbezahlten. Dieses Modell der Landwehr, das in Tirol (dort freilich in einer ganz besonderen Aus­ 68 Ehe es 1808 für einige Zeit vom ungarischen Regiment St. Julien abgelöst wurde. 69 Bald darauf, im Januar 1811 wurde das Regiment nach Leoben verlegt.

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prägung) bereits 1799 geschaffen worden war, wurde nun von anderen österreichischen Ländern übernommen. Kaiser Franz, der lange zögerte, weil er zunächst die Effektivität eines solchen Heeres bei (trotz lokaler Finanzierung) gleichwohl hohen Kosten bezweifelte, unterzeichnete das Landwehrpatent der Steiermark schließlich am 9. Juni 1808.70 Dem Aufruf zur Bildung der Landwehr am 3. Juli 1808 folgten in Marburg 59 Studenten, die als Rekruten das Recht erhielten, sich einen eigenen Offizier, zwei Feldwebel und zwei Korporale auszusuchen. Feierlich bekamen sie am 10. Juli jenes Jahres die Kokarde, und Ende Oktober defilierten sie, angeführt von Hauptmann Graf Thun, vor Erzherzog Johann. Andere Freiwillige kamen dazu, sodass schließlich im Kreis Marburg zwei Bataillone gebildet wurden. Die Kommandanten, vom Kaiser ernannt, waren Graf Khünburg im ersten und Graf Sauer im zweiten Bataillon. Zusammen hatte die steirische Landwehr schließlich fünfzig Offiziere aus den gebildeteren Kreisen der Gegend gewonnen. Bald gab es aber auch in anderen Ländern – in Kärnten, Krain, Triest, Salzburg, dem Küstenland – eigene Landwehren, die unter dem Dach einer gemeinsamen Landwehr Innerösterreich zusammengefasst wurden. In der Steiermark zählte die Landwehr jetzt 30.000 Mann und 600 Offiziere. Für die Bewaffnung und Bekleidung der Landwehr sorgten die Stände, vielfach wurde die nach festen Bestimmungen vorzunehmende Adjustierung jedoch von den verschiedenen Soldaten, soweit hinreichend begütert, selbst bezahlt. Die Uniform hatte einen sehr einfachen Schnitt, ohne pralle Farben oder glitzernde Verzierungen. Der einfache 70 Dass das System der Landwehr vom Kaiser und von hohen Militärs auch deshalb sehr skeptisch beäugt worden sein könnte, weil mit ihm möglicherweise eine gewisse Art atmosphärischer Demokratisierung verbunden war, liegt nahe, wird von Historikern jedoch vielfach bestritten. Die steirische Landwehr einst und jetzt, Veröffentli­chungen des Landeszeughauses Graz, Sonderausstellung Graz 1977, S. 23  –26.

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Soldat trug einen grünen Rock mit weißen Aufschlägen. Die Hose war grau, die Halsbinde schwarz – wie auch der hohe Hut, auf dem die steirische Kokarde angebracht war. Die Offiziere waren etwas aufwendiger und ansehnlicher ausgestattet als die Mannschaften. Sie trugen einen dreieckigen, gestülpten, mit einem schwarzen Band und einer silbernen Schleife versehenen Hut sowie einen bis zu den Knien reichenden Rock mit silberner Quaste. Der Stahlsäbel besaß einen schwarz lackierten Überschwungriemen und ein silbermeliertes seidenes Portépée. Sofern die Offiziere von anderen Militäreinheiten in die Landwehr übergetreten waren, behielten sie ihre bisherigen Rangzeichen.71 Am Ostersonntag 1808 war es soweit: Marburgs Stadtpfarrer Löschnigg segnete die Flaggen, und am nächsten Tag marschierten beide Bataillone Richtung Kärnten. Die folgenden Monate und Jahre waren für Marburgs Bürger eine Zeit schlimmster Wechselbäder. Da brachen einmal die Franzosen ein und hausten auf teils furchtbare Weise, dann zogen sie wieder ab, um nach kurzer Zeit aufs Neue aufzutauchen – und so ging das fort, in ständigem Auf und Ab. So wurden zum Beispiel am 30. April 1809 gefangene französische Offiziere durch die Stadt geführt, doch schon einen knappen Monat später, am 24. Mai, drangen wieder französische Soldaten durch das Kärntnertor in die Stadt ein, wobei sie vor Raubzügen und Erpressungen nicht Halt machten. Dabei nahmen sie auch Marburgs Bürgermeister Ferlinz und einen anderen Bürger namens Forstner fest – oder genauer: Sie nahmen die beiden als Geiseln. Für deren Freilassung verlangten sie von der Stadt eine Ablöse von 20.000 Gulden. Sie bekamen das Geld – und erpressten die Stadt ein zweites Mal. Wieder wurde gezahlt. Jedenfalls sollen sich zwischen dem 27. und dem 29. Mai 1809 15.000 französische Soldaten in der Stadt eingefunden haben.

71 Puff, S. 277.

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im k a mpf gegen den eroberer n a po l eon

Aus dieser Zeit sind mehrere Geschichten überliefert, die die brisante Zuspitzung der Situation in Marburg wiedergeben und zeigen, wie von österreichischer Seite immer wieder – oft vergeblich und tragisch endend – versucht wurde, sich der brutalen Besatzung zu erwehren. So ritt etwa am Mittag des 5. Juni der böhmische Dragonerkorporal Kralik mit zwei Soldaten aus dem österreichischen Lager von Gutenhag/Hrastovec durch die Grazer Vorstadt auf den Burgplatz, in der Absicht, französische Pferde aus einem Stall zu entführen. Er starb auf dem Kirchplatz im Kugelfeuer der Franzosen – was auf österreichischer Seite als „Heldentod“ verklärt wurde. Am 7. Juni griffen österreichische Soldaten bei Schleinitz/Slivnica und Kötsch/Hoče eine französische Einheit an, schlugen sie in die Flucht und verfolgten sie bis zur Marburger Draubrücke, schließlich sogar bis ans linke Drau­ ufer. In Marburg leiteten die Franzosen nun einen besonders scharfen Kurs ein. Eines Tages zischte eine französische Kugel durch das Fenster des Rathauses in den Sitzungssaal, und schließlich drohten die Angreifer sogar, die Stadt in Brand zu setzen. Was dann jedoch nicht geschah, offenbar dank eines besonnenen Kommandanten.72 Plötzlich aber brachen die französischen Soldaten auf und zogen sehr schnell aus der Stadt ab, sodass die am 9. Juni 1809 einrückenden österreichischen Truppen nur noch wenige von ihnen gefangen nehmen konnten. Und einige Tage später gab es wieder etwas Neues: Marburgs Bürger durften Kroaten begrüßen, die nun durch die Stadt marschierten und gleich drei Lager für Infanteristen und Husaren eröffneten. Am 22. Juni zogen sie weiter, nach Graz. Ein wieder anderes Schauspiel gab es am 5. Juli. Da wurden hundert französische Kriegsgefangene aus der Obersteiermark durch die Stadt geführt.73 72 Diesem Kommandanten war es auch zu verdanken, dass die Franzosen sogar mithalfen, einen Brand zu löschen, bevor sie die Stadt verließen. 73 Puff, S. 278/279.

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Der Znaimer Waffenstillstand vom 12. Juli 1809 beendete vorläufig die Kampfhandlungen, nachdem Napoleon die Österreicher am 5. und 6. Juli in der Schlacht bei Wagram besiegt hatte. Für Marburg bedeutete das, dass die Stadt am 30. Juli schon wieder von den Fran­ zosen besetzt wurde – zunächst mit 150 Mann. Dies geschah an Napoleons Namenstag, dem 15. August, zu welchem Anlass die ganze Stadt – die Marburger nahmen es mit grimmigem Murren hin – in einen festlichen Feuerzauber getaucht wurde. Solche Spektakel zur höheren Ehre des Eroberers wiederholten sich anlässlich des Schönbrunner Friedens am 14. Oktober 1809, als Österreich Krain, Triest, Görz, Villach und das Küstengebiet Kroatiens verlor – diese Gebiete wurden nun Teil der „Illyrischen Provinzen“.74 Von Graz aus marschierten sodann am 24. Oktober 1809 6.000 französische Soldaten durch Marburg nach Klagenfurt, wobei sie kurzerhand 30.000 Gulden aus dem Marburger Stadtsäckel mitnahmen. Dann war plötzlich wieder alles anders: Die Franzosen rüsteten zum Abmarsch. Bis zum 10. Januar 1810 hatten sie alle die Stadt verlassen. Am 13. Februar wurden die Soldaten der Landwehr entlassen. So war denn in Marburg vorerst Ruhe eingekehrt, obwohl die Kriege mit Napoleon weitergingen und die Koalitionskriege erst 1814 mit Napoleons Niederlage endeten. Die Steiermark und Marburg betraf das nur noch indirekt.

74 Von der Steiermark verlangten die Franzosen noch die Schleifung der Festungsanlage auf dem Grazer Schlossberg.

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W ie si c h m a rburg von n a po l eon zu erho l en versu c h t

Wie sich Marburg von Napoleon zu erholen versucht: Verwaltung nach den Kriegen Natürlich war Marburg nach den oftmaligen französischen Besetzungen, nach dem ständigen Kommen und Gehen von Soldaten beider Fronten, nach dem täglichen Gedröhne der Marschierenden mit ihren Schikanen, mit ihren Plünderungen und Drohungen völlig erschöpft. Das galt nicht zuletzt auch für die finanzielle Lage. 1811 betrugen die Schulden der Stadt 63.000 Gulden – das war eine für die damaligen Verhältnisse fast unvorstellbare Summe. Dazu musste die Stadt auch noch die Folgen eines verheerenden Brandes, der sich am 9. Juli 1795 ereignet hatte, verkraften. Die Feuersbrunst hatte 34 Häuser vernichtet. Während der Napoleonischen Kriege hatten der Kreis und der Ma­­ gistrat für die Verpflegung und die Übernachtung der Soldaten zu sorgen gehabt, weshalb die Abgaben und die Steuern empfindlich er­­höht werden mussten. Die Finanzlage der Bürger wie der Stadt nahm eine katastrophale Entwicklung. Zeitweise waren die Verhältnisse geradezu chaotisch – und auf jeden Fall den Stadtverwaltern über den Kopf gewachsen. ­Der Magistrat war nicht mehr Herr der Lage. 1797 trat er geschlossen zurück. Der letzte Stadtrichter, Josef Remitz, blieb jedoch. Aber auch unter den Bürgermeistern, wie die Stadtrichter ab 1798 hießen, besserte sich die Lage nicht. Vieles ist dabei ungeklärt: So ist bekannt, dass Bürgermeister Johann Georg Ferlinz, zu dessen Amts­ zeit die Franzosen 1804 und 1809 die Stadt besetzt hatten, 1810 sein Amt verließ, aber es ist nicht geklärt, ob er entlassen wurde oder wegen seines (vielleicht unverschuldeten) Scheiterns selbst den Hut nahm. Fest steht, dass sich nun niemand mehr um diesen Posten bemühte und die Wahl 1810 ins Leere lief, weil der Gewählte das Amt nicht antreten wollte. Auch zwei weitere Wahlen verliefen ohne Ergebnis. Schließlich erklärte sich ein Bürger namens Karl Kugelmayer bereit, 112

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das Amt provisorisch zu übernehmen (er blieb dann aber doch bis 1816). Auch etliche Magistratsbeamte quittierten ihren Dienst – zum Teil einfach deshalb, weil nicht mehr genügend Geld für ihre ordent­ liche Bezahlung zur Verfügung stand. Ab 1800 versuchte die Stadt, ihre Geldquellen bis auf den Grund auszuschöpfen und neue zu erschließen. Vor allem trieb sie den bereits im Gang befindlichen Verkauf stadteigener Grundstücke voran. Das war nun umso wichtiger, als Marburg auch noch eine empfindliche Niederlage vor Gericht erfahren hatte, die seine Lage weiter verschlech­ terte. Die Stadt verlor nämlich ihre Waldgrundstücke auf dem Bachern. Laut Urteil des Guberniums von 1802, das vom Appellations­ gericht 1812 bestätigt werden sollte, hatte sie ihren Besitzanspruch auf diese Güter verwirkt, da sie diese lange Zeit nicht genutzt habe. Die Wälder gingen nun in das Eigentum der Dörfer Pickern/Pekre und Oberrothwein/Gornje Radvanje über, weil sich diese – so die Gerichte – stets um die betreffenden Waldgrundstücke gekümmert und diese gepflegt hätten, womit ein Gewohnheitsrecht entstanden sei. Der Kaiser genehmigte nun aber verschiedene neu erschlossene Geldquellen: den Verkauf von zwei Dritteln des städtischen Waldes im Gebiet Thesen/Tezno, ferner eine Steuer auf Wein, sofern dieser in Marburg konsumiert wurde, außerdem eine Abgabenerhöhung beim Erwerb des Bürgerrechts, schließlich eine Steigerung der Miete, die der Staat für die stadteigenen Mautstellen zu entrichten hatte. Aber es ging noch längst nicht alles glatt. So lehnte der Bürgerausschuss die Weinsteuer ab, weswegen sie denn auch 1816 widerrufen wurde. Auch der Thesener Wald wurde nicht, wie vorgesehen, verkauft, vielmehr wurde er zu gleichen Teilen an die Hauseigentümer der Stadt vermietet – für fünf Gulden pro Jahr. Im Ganzen aber gelang die Haushaltssa­ nierung durch Grundverkäufe und Abgabenerhöhungen durchaus. 1817 waren die Schulden der Stadt tatsächlich getilgt. Marburg er­wies sich als dankbar: Bürgermeister Mathias Satzerisch erhielt für 113

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seine ausgezeichnete Leistung einige Jahre später die Ehrenbürgerschaft der Stadt. Nun gab es aber zwischen dem Kreis und den meisten Bürgern Marburgs sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Vertreter der Stadt (der Bürgermeister und die Stadträte) künftig bestimmt werden sollten. Der Kreis vertrat die Auffassung, dass gewählte Räte aus dem Volk, die in den betreffenden Fachbereichen zumeist Laien seien, mit den juristischen wie bürokratischen Problemen nicht professionell genug umzugehen verstünden und die Fülle komplizierter Aufgaben nicht mehr meistern könnten. Die Bürger, repräsentiert im Bürgerausschuss, verneinten dies und beharrten weiterhin auf Wahlen – vor allem soweit es um die Kür des Bürgermeisters ging. Ihr Protest nützte wenig – schließlich wurde von oben klar bestimmt: Der Bürgermeister soll von nun an vom Gubernium im Einvernehmen mit dem Appellations­ gericht bestimmt werden. Er wurde nun also nicht mehr gewählt, sondern vom Staat ernannt – vom Herzogtum Steiermark also, vom Her­ zog mithin, der identisch mit dem Kaiser war. Dabei war das Amt des Bürgermeisters an gewisse Qualifikationen gebunden, deren Vorhandensein jeweils vom Staat geprüft werden sollte. Die Bürger durften von nun an nur noch zwei Räte wählen: den für die Kassa zuständigen Stadtrat sowie den Stadtbaumeister. Die übrigen Räte wurden ebenfalls vom Staat bestimmt. Der Bürgerausschuss als Relikt der Stadtauto­ nomie blieb bestehen, hatte aber nur noch eine beratende Funktion.75 Dem solcherart neuorganisierten Magistrat stand zunächst, bis 1834, Vinzenz Tauscher als geprüfter Bürgermeister vor. Ihm folgte Anton Gamilschegg, der bis 1849 amtierte. Die politische Leitung des Kreises wiederum oblag, wie bereits erwähnt, dem Kreishauptmann. Die verschiedenen Aufgabenbereiche wurden von entsprechenden Referaten betreut, die von Kreiskommissaren geleitet wurden. So war zum Beispiel der Kreisphysiker für das 75 Leskovar, „Zgodovina uprave v Mariboru 1752–1741“, S. 240  –242.

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Sanitätswesen zuständig – ihm waren die Ärzte, Apotheken und Heb­ ammen zugeordnet.76 Dem Amt des Kreisingenieurs wiederum war die Errichtung und Überwachung aller Bauten im Kreis anvertraut. Nach der Revolution von 1848 aber kam es in der Steiermark zu einer nochmaligen Umorganisation der politischen Verwaltung. Die Kreise waren nämlich erheblich größer geworden – es gab nun nur noch drei, die in der kaiserlichen Entschließung vom 13. April 1849 aufgeführt sind: den Grazer, den Brucker und den Marburger Kreis mit den jeweiligen Kreisregierungen in Graz, Bruck und Marburg. Dabei wurde dem Grazer Kreis auch der nordwestliche Teil des Marburger Kreises zugeschlagen, während sich der Marburger Kreis nun aus dem alten Marburger Kreis und dem hinzugekommenen Cillier Kreis zusammensetzte. Insgesamt hatte der neue Kreis Marburg eine Fläche von 109,8 Quadratmeilen – das sind rund 6.000 Quadratkilometer – mit 381.086 Einwohnern. Die Kreise wiederum wurden in politische Bezirke unterteilt, wobei der Grazer Kreis sieben, der Brucker und der Marburger jeweils sechs Bezirke umfassten. Im Marburger Kreis waren dies: der Bezirk Marburg (mit der Stadt Marburg, WindischFeis­tritz, St. Leonhard und St. Lorenzen), der Bezirk Cilli (mit der Stadt Cilli, ferner Oberburg, Erlachstein, Tüffer, Gonobitz), der Bezirk Windischgraz (mit Windischgraz, Schönstein, Mahrenberg), der Bezirk Luttenberg (mit Luttenberg, Friedau, Oberradkersburg), der Bezirk Pettau (mit Pettau und Rohitsch) sowie der Bezirk Rann (mit Rann, Drachenburg, Lichtenwald, Windisch-Landsberg). Diese Bezirke, denen die Gemeinden politisch direkt unterstellt waren, wurden von Bezirks­ hauptmännern – von weisungsgebundenen Beamten der jeweiligen Kreise – verwaltet. Außerdem wurden im ganzen Land noch elf „exponierte Bezirkskommissariate“ errichtet – Vorläufer der heutigen politischen Exposituren. 76 1847 gab es im Kreis sechs Apotheken, 61 Wundärzte und 75 Hebammen; Puff, S. 212.

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Wer einen Dienstposten bei den politischen Behörden erringen wollte, musste ein abgeschlossenes Jus-Studium und eine gewisse Erfahrung im politischen Dienst vorweisen. Dabei konnte am Anfang, als die Ämter erstmals besetzt wurden, unter bestimmten Umständen vom Studium abgesehen werden, wenn der Bewerber zuvor bereits einen nicht unbedeutenden Bezirk geleitet hatte. Im Marburger Kreis war außerdem die Kenntnis der slowenischen Sprache unbedingt erforderlich. Das war eine sehr wichtige Bestimmung, die den Bedürfnissen der Slowenen auf Gebrauch ihrer Muttersprache in öffentlichen Ämtern und vor Gerichten gerecht wurde. Dennoch rückten damals nur verhält­ nismäßig wenige Slowenen selbst in Ämter ein. Bei ihnen mangelte es noch an den entsprechenden Bildungsvoraussetzungen – zum Teil war es wirklich so, zum Teil wurde es nur behauptet, im Interesse der Macht­ erhaltung für die deutschsprachige Beamtenschaft, wobei wohl auch Voreingenommenheiten und Überheblichkeiten im Spiel waren. Hohe Ämter waren ohnehin weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, für den (durchwegs deutschsprachigen) Adel reserviert. Die Besetzung der neuen Verwaltungseinheiten dauerte einige Zeit, sodass die Funktion des Guberniums als oberster Landesbehörde in Graz erst am 19. Jänner 1850 zu Ende ging. Die Statthalterei, die an die Stelle des Guberniums rückte, nahm ihre Arbeit einen Tag später auf, die der Kreisregierungen und der Bezirkshauptmannschaften sowie der neuen Steuerämter, die sich mit Gerichtsbezirken deckten, begann am 1. Februar 1850. Bezirkshauptmann von Marburg wurde Alois Nord, der bis dahin Rat und Arrestinspektor in Graz gewesen war. Damit waren die Reformen aber noch nicht zu Ende. 1854 wurden die Bezirkshauptmannschaften von gemischten Bezirksämtern abgelöst; sie wurden so genannt, weil sie eine doppelte Aufgabe hatten, nämlich Verwaltung und Rechtspflege. Während die drei Kreise mit ihren Re­­ gierungssitzen Graz, Marburg und Bruck beibehalten wurden und die Landeshauptstadt Graz der Statthalterei unmittelbar unterstellt wurde, 116

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wurde das Land in neu geschaffene Bezirke eingeteilt. Im Kreis Marburg waren dies: Marburg, St. Leonhard, Windisch-Feistritz, Gonobitz, Rohitsch, Luttenberg, Friedau, Oberradkersburg, Pettau, Windischgraz, Schönstein, Mahrenberg, Cilli, Franz, Tuffer, Erlachstein, Oberburg, Rann, Lichtenwald, Drachenburg. Jetzt wurden kraft kaiserlicher Entschließung vom 18. Dezember 1859 die Kreisbehörden in der Stei­ ermark aufgelöst, ihre Arbeit wurde am 30. April 1860 eingestellt. Die Zuständigkeit der Kreisbehörden ging zum Teil auf die Statthalterei, zum Teil auf die neuen Bezirksämter über. Es gab von nun an also das Land (Herzogtum Steiermark) mit der Statthalterei und, diesem nachgeordnet, die vermehrten Bezirke mit ihren Bezirksämtern. Dieses zentralistische System bewährte sich jedoch nicht. Daher kam es im Jahr 1868 zu einer erneuten Reorganisation, wobei nun auch die endgültige Trennung von politischer Verwaltung und Justiz verwirklicht wurde. Die Länder wurden nun in (neu gebildete) politische Amtsbezirke, die Bezirkshauptmannschaften, eingeteilt, die in der Regel zwei oder mehrere frühere Bezirke umfassten und sich zum größten Teil mit den alten, 1849 errichteten Bezirkshauptmannschaften deckten. An der Spitze einer Bezirkshauptmannschaft stand jeweils der Bezirkshauptmann, ernannt vom Minister des Inneren. So wurden nun also in der Steiermark 18 Bezirkshauptmannschaften geschaffen, darunter auch die Bezirkshauptmannschaft Marburg, der die bis dahin geltenden Bezirke Marburg, St. Leonhard und Windisch-Feistritz angehörten. Bezirkshauptmann von Marburg wurde Julius Seeder. Wie fast alle Bezirkshauptleute war auch er Jurist und kam aus dem Verwaltungsdienst.77 Danach folgten: Alphons Pavich von Pfauenthal 1882, Viktor Frh. v. Hein 1883, Franz Kankowsky 1892, Marius Graf Attems

77 Fritz Posch, „Vorgeschichte und Anfänge der Bezirkshauptmannschaften in der Steiermark“, Festvortrag anlässlich der Hundertjahrfeier der steirischen Bezirkshauptmannschaften im Rittersaal des steirischen Landhauses in Graz am 11. 10. 1968, www.verwaltung.steiermark.at.

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1901, Dr. Adam Weiß v. Schleussenburg 1910, Dr. Viktor Krammer 1917.78 Nach der sogenannten Bauernbefreiung von 1848 mussten die Aufgaben, die bis dahin die Grundherren erledigt hatten, von einer anderen Institution, einer Körperschaft, übernommen werden. Wie bereits gezeigt, hatten die Städte und Märkte teilweise auch schon davor eine andere Form der Verwaltung. Nun aber sah die proviso­ rische Gemeindereform 1849 für das ganze Land die Bildung von Gemein­ den als untersten politischen Verwaltungseinheiten vor. Bis 1918 hatte das Herzogtum Steiermark 22 Bezirke mit über 1.550 Gemeinden. Nach dieser Reform wurden 1850 die Kärntner und die Grazer Vorstadt sowie die Magdalener Vorstadt formell eingemeindet. Tatsächlich aber entstand zunächst nur eine lose Verbindung. Denn die Stadt Marburg, die seit dem Mittelalter aus vier Vierteln bestand, hatte nun in jedem dieser Viertel – Burg, Drau, Stadtpfarre und Platz (Glavni trg) – einen Gemeinderat. Diese Gemeinderäte delegierten dann die Aufgaben an den Magistrat mit vier Räten und einem entsprechenden Beamtenapparat. Auch jede der drei Vorstädte hatte einen eigenen Gemeinderat. Dieses sehr zersplitterte, fast konfuse Nebeneinander und Ineinander musste erst einmal aufgelöst werden, ehe die strikte neue Organisation greifen konnte. Daher kam es erst 1861 zu einer wirk­ lichen Zusammenführung der neu hinzukommenden Orte mit der Stadt – nämlich als das Dorf Melling eingemeindet wurde. Danach bestand die Stadt Marburg aus sieben Stadtteilen („Vierteln“) und hatte für alle zusammen nur noch einen Gemeinderat, bestehend aus zunächst 22, dann 24 Mitgliedern. Verwaltet wurde die Stadt Marburg auch weiterhin vom Magistrat mit einem Bürgermeister an der Spitze, einem stellvertretenden Bürgermeister und vier Räten. Dabei hatten der Bürgermeister und die Räte ein dreijähriges Mandat. 78 Franz Pferschy, „Die steirischen Bezirkshauptleute seit 1868“: www.verwaltung.stei­ ermark.at.

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verwa lt ung n a c h den kriegen

Vier Städte bekamen 1866 ein eigenes Statut – zu ihnen zählte (neben Graz, Cilli und Pettau) auch Marburg, die zweitgrößte Stadt der Steiermark. Sie waren rechtlich den Bezirkshauptmannschaften gleichgestellt. Dabei war die Teilnahme an den Wahlen in die Gemeindeausschüsse von der Steuerleistung der jeweiligen Bürger abhängig. Frauen, die diese Leistung erbrachten, mussten bei der Wahl von Männern vertreten werden.79 Tatsächlich verzeichnete die Stadt Marburg seit Mitte des 19. Jahr­ hunderts ein starkes Wachstum ihrer Bevölkerung. So hatte der politische Bezirk Marburg-Stadt zur Jahrhundertwende 24.601 Einwohner. 1910 waren es (laut neuer Volkszählung) 27.974. Marburg-Land zählte im Jahr 1900 89.718 Einwohner, 1910 94.245.80 Jahr

Einwohnerzahl der Stadt

1851

6.850

1857

6.294

1869

12.828

1880

17.628

1890

19.898

1900

24.601

1910

27.994

Viel änderte sich im Lauf jener Jahre aber auch im Gerichtswesen des Landes und der Stadt. Wichtig war vor allem, dass, wie bereits erwähnt, Justiz und Verwaltung im Jahr 1868 einer strikten Trennung unterworfen wurden. Aber schon davor, zwischen 1848 und 1850, war das „k. k. Oberlandesgericht“ in Graz errichtet worden. Es war an die Stelle des früheren Appellationsgerichts getreten, das seinen Sitz in Klagenfurt 79 Stefan Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, Styria 2000, S. 42; RGBl.1868/ Nr. 101; Mayerhofer, Handbuch Bd. 1, S. 43  –   46. Der bevölkerungsreichste steirische Bezirk war um die Jahrhundertwende Cilli mit über 100.000 Einwohnern. 80 Karner, S. 53.

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D er bi l dungss c hub

hatte. Seinem Geltungsbereich wurde 1853 auch das Land Kärnten angeschlossen – es hieß nun „k.  k. Oberlandesgericht für die Steiermark, Kärnten und Krain“. Indessen blieben die Kreisgerichte als höhere Ge­­ rich­te und als Gerichte zweiter Instanz auch nach dem Wegfall der politischen Kreise im Jahr 1859 bestehen. Als Gerichte erster Instanz fun­ gierten die Bezirksgerichte. Dabei wurde das Bezirksgericht Marburg 1874 in zwei Bezirksgerichte aufgeteilt – das eine war nun für das Ge­biet südlich, das andere für jenes nördlich der Drau zuständig. Im Rahmen der Gerichtsorganisation wurde für das ganze Gebiet des früheren Marburger Kreises das Kreisgericht am Sitz der einstigen Kreisverwaltung Cilli zuständig. Dort blieb es auch noch, als die Kreise bereits abgeschafft waren. Zwar bemühte sich die Stadt Marburg eifrig um die Verlegung des Gerichts nach Marburg, doch ohne Erfolg. Schließ­lich forderte sie (neben den bestehenden Bezirksgerichten) ein eigenes Kreisgericht für den Marburger Raum, das jedoch erst 1897 geschaffen wurde.

Der Bildungsschub: Immer mehr Bürger lernen lesen und schreiben – und die Slowenen stehen auf Die Politik der österreichischen Reformatoren des 18. Jahrhunderts hatte jedoch keineswegs nur das bessere Funktionieren und die größere Ergiebigkeit in der Verwaltung, im Gerichtswesen und im öffentlichen Finanzwesen im Blick. Vielmehr richtete sich ihr Augenmerk mehr und mehr unmittelbar auf die Bevölkerung, was auch mit der teilweisen, inzwischen weitgehend gelungenen Entmachtung der Adelsstände zu tun hatte. Und es gehört wohl zu den bedeutendsten Vorhaben 120

D er bi l dungss c hub

hatte. Seinem Geltungsbereich wurde 1853 auch das Land Kärnten angeschlossen – es hieß nun „k.  k. Oberlandesgericht für die Steiermark, Kärnten und Krain“. Indessen blieben die Kreisgerichte als höhere Ge­­ rich­te und als Gerichte zweiter Instanz auch nach dem Wegfall der politischen Kreise im Jahr 1859 bestehen. Als Gerichte erster Instanz fun­ gierten die Bezirksgerichte. Dabei wurde das Bezirksgericht Marburg 1874 in zwei Bezirksgerichte aufgeteilt – das eine war nun für das Ge­biet südlich, das andere für jenes nördlich der Drau zuständig. Im Rahmen der Gerichtsorganisation wurde für das ganze Gebiet des früheren Marburger Kreises das Kreisgericht am Sitz der einstigen Kreisverwaltung Cilli zuständig. Dort blieb es auch noch, als die Kreise bereits abgeschafft waren. Zwar bemühte sich die Stadt Marburg eifrig um die Verlegung des Gerichts nach Marburg, doch ohne Erfolg. Schließ­lich forderte sie (neben den bestehenden Bezirksgerichten) ein eigenes Kreisgericht für den Marburger Raum, das jedoch erst 1897 geschaffen wurde.

Der Bildungsschub: Immer mehr Bürger lernen lesen und schreiben – und die Slowenen stehen auf Die Politik der österreichischen Reformatoren des 18. Jahrhunderts hatte jedoch keineswegs nur das bessere Funktionieren und die größere Ergiebigkeit in der Verwaltung, im Gerichtswesen und im öffentlichen Finanzwesen im Blick. Vielmehr richtete sich ihr Augenmerk mehr und mehr unmittelbar auf die Bevölkerung, was auch mit der teilweisen, inzwischen weitgehend gelungenen Entmachtung der Adelsstände zu tun hatte. Und es gehört wohl zu den bedeutendsten Vorhaben 120

I mmer mehr b ü rger l ernen l esen und s c hreiben

in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dass die Reformer die Bil­ dung in der Bevölkerung so schnell und so weit wie nur möglich zu verbessern und vor allem das Analphabetentum möglichst rasch auszumerzen versuchten. Denn um jene Zeit konnte in Österreich der weit überwiegende Teil der Bevölkerung noch nicht lesen und schreiben – auf dem Land waren es bis zu neunzig Prozent.81 So führte Maria Theresia im Dezember 1774 mit ihrer „Allgemeinen Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen in sämtlichen Kaiserlichen Königlichen Erbländern“ die sechsjährige staat­ liche Schulpflicht ein (die später, 1869, auf acht Jahre verlängert werden sollte), und Joseph II. setzte diese energische Aufrüstung der Volksbildung nebst einer forcierten Lehrerausbildung mit dem Bau einer hohen Anzahl von Schulen fort – zumeist Volksschulen („Trivialschulen“) für Jungen und Mädchen, und zwar auch auf dem Lande. In den Städten wurden außerdem zahlreiche Hauptschulen für Knaben und „Normalschulen“ (eine besondere Art von Muster-Hauptschulen, die auch Grundkenntnisse für die Berufsausübung und die Lehrerbildung vermittelten) geschaffen, aber auch Gymnasien als Schulen höheren Niveaus, die ihre Schüler zum Hochschulstudium befähigen sollten. Natürlich ließ sich die Schulpflicht nicht sofort, flächende­ ckend und lückenlos verwirklichen, dennoch sollte sich der Erfolg dieser Reformen schon in wenigen Jahrzehnten aufs Erstaunlichste zeigen: Die Zahl der Lese- und Schreibkundigen stieg steil an, auch wenn hier aufgrund fehlender Erhebungen keine verlässlichen Zahlen zu nen­­nen sind. Sicher ist: 1847 besuchten in der österreichischen Monar­ chie bereits etwa 63 Prozent der sechs- bis zwölfjährigen Kinder eine Schule. Dabei ist interessant, dass die Stadt und der Kreis Marburg im Durchschnitt insgesamt einen stärkeren Schulbesuch aufwiesen als die 81 Peter Vodopivec, „Von den Anfängen des nationalen Erwachens bis zum Beitritt in die Europäische Union“, in: Peter Štih, Vasko Simonitti, und Peter Vodopivec, Slowenische Geschichte. Gesellschaft –Politik –Kultur, Graz 2008, S. 219.

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der bi l dungss c hub

übrigen Gebiete der Habsburgermonarchie. 1820 gingen hier schon zwei von drei Kindern in die Schule (65 Prozent), 1847 waren es sogar mehr als drei Viertel (77 Prozent). Der Kreis Marburg zählte in diesem Jahr bereits 123 Grundschulen mit durchschnittlich je 167 Schülern.82 In der Stadt Marburg hatte schon Joseph II. eine Normalschule gegründet, die bis 1847 von rund 20.000 Schülern beiderlei Geschlechts besucht wurde. Allein von 1831 bis 1846 wurden 3.500 Schüler und 1.830 Schülerinnen gezählt.83 Dass die Anzahl der Mädchen in dieser Normalschule für die damaligen Verhältnisse so hoch war, erklärt sich wohl daraus, dass den Mädchen der Zugang zu den Hauptschulen nur ausnahmsweise und zu den Gymnasien überhaupt nicht offenstand. 1869 aber löste eine neue Schulreform die bisherige Marburger Normalschule ab. Ihr entwuchsen nun zwei Schulen: eine achtjährige Volksschule sowie eine dreijährige Bürgerschule. Das war eine Schule mit höherem Bildungsangebot, auf welche Schüler und Schülerinnen nach der fünften Volksschulklasse überwechseln konnten. Bereits 1802 war an der Marburger Normalschule auch ein dreimonatiger (später einjähriger) Kurs für Volksschullehrer und Organisten eingerichtet worden – ein sogenannter Präparandenkurs. Alle Männer, die Volksschullehrer oder Organisten werden wollten, mussten ihn – mit einer Prüfung am Ende – absolvieren. Voraussetzung für den Besuch dieses Kurses war der erfolgreiche Abschluss der dritten Klasse der Normalschule. Im Schuljahr 1862/63 wurde aus diesem Präparandenkurs dann laut Beschluss des Ministeriums für Kultus und Unterricht eine zweijährige (später dreijährige, dann vierjährige) Lehrerbildungsan­ stalt, auf welcher freilich nur männliche Personen zugelassen waren – eine Frauen-Lehreranstalt sollte erst 1902 geschaffen werden. Hier war Slowenisch für alle zukünftigen Lehrer Pflicht, da in den Volksschulen teilweise auch in Slowenisch unterrichtet wurde. Das änderte sich 82 Joachim Hösler, Von Krain zu Slowenien, München 2006, S. 140. 83 Puff, S. 323.

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immer mehr b ü rger l ernen l esen und s c hreiben

jedoch, als die Schulreform 1869 Deutsch als alleinige Unterrichts­ sprache festlegte. Viele widersetzten sich dieser Bestimmung heftig, aber zunächst ohne Erfolg, wie etwa Professor Franc Robič, langjähriger Schuldirektor sowie Reichsrats- und Landtagsabgeordneter, und Henrik Schreiner, einer der bekanntesten slowenischen Pädagogen. In Adelskreisen sowie im gehobenen Bürgertum war es üblich, ja beinahe selbstverständlich, die Söhne, sofern vermutlich mit hinreichenden Talenten ausgestattet, aufs Gymnasium zu schicken. Dagegen besuchten die Kinder von Kaufleuten und Handwerkern in der Regel die Hauptschule. Bauernkinder blieben zumeist in der Volksschule. Nur bei besonders guten Noten und nach einer bestandenen Auswahlprüfung hatten auch sie mitunter Zugang zum Gymnasium. Sehr oft wurden sie dabei von kirchlichen Einrichtungen protegiert – jedenfalls gingen die meisten von ihnen nach dem Gymnasium ins Priesterseminar und studierten Theologie. Wie bereits erwähnt, hatten die Jesuiten 1758 das erste Gymnasium in der Stadt gegründet – gewissermaßen als Fortsetzung der berühmten Pfarrschule in Maria Rast/Ruše, die von 1645 bis 1760 wirkte. Es blieb bis 1773 bestehen, dann wurde der Jesuitenorden von Rom aufgelöst – das Gymnasium mithin geschlossen. Aber schon zwei Jahre später, 1775, wurde es von der Stadtpfarre wiedereröffnet, wohl auch, um den priesterlichen Nachwuchs für die beiden südsteirischen Kreise Marburg und Cilli sicherzustellen. Bis zum Schuljahr 1819/20 hatte die Schule fünf Jahrgänge, danach sechs, doch zu einem vollständigen klassischen Gymnasium im heutigen Sinn wurde sie erst 1850. Der Lehrkörper setzte sich in den Anfangsjahren der Schule ab 1775 zunächst aus Piaristen und Jesuiten des alten Gymnasiums zusammen. 1790 kam der erste weltliche Professor an die Schule. Einer der bekannt gewordenen Marburger Gymnasiallehrer war einige Jahrzehnte später Rudolf Gustav Puff, der 1847 die erste Geschichte der Stadt Marburg schrieb (Titel: Marburg in Steiermark. Seine Umgebung, Bewohner und Geschichte). Er war ein beliebter Lehrer und hoch123

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geachteter Bürger – 1846 wurde er sogar Ehrenbürger der Stadt. Puff zeigte nicht nur starkes Interesse an der slowenischen Kultur, vor allem an der Sprache, sondern studierte diese intensiv und erlernte sie selbst. Nach Schilderung des Geistlichen Davorin Trstenjak, der ebenfalls Lehrer auf dem Marburger Gymnasium war, ermunterte Puff seine Schüler vor allem, ihre slowenische Muttersprache zu pflegen. Das war damals angesichts des wachsenden Selbstbewusstseins der Slowenen gegenüber der herrschenden deutschsprachigen Führungsschicht sowie der sich überall regenden nationalen Strömungen höheren Orts oft sehr ungern gesehen. Trstenjak selbst, der zunächst Kaplan in Slivnica/Schleinitz bei Marburg gewesen war, wurde sogar aus dem Lehrdienst entlassen, weil er sich mit hoher Energie für eine Stärkung des Slowenischen im Unterricht einsetzte.84 Auch Professor Jurij Matjašič, Katechet am Gymnasium, später Domherr und Professor für Dogmatik an der Theologischen Schule, bemühte sich in derselben Richtung und erteilte zu Hause privaten Slowenisch-Unterricht. Immerhin waren all diese Bemühungen und Proteste auch nicht ganz erfolglos: Es dauerte zwar noch etliche Jahre, aber schließlich war es 1889 doch so weit, dass laut Beschluss des Reichsrats in Wien für Kinder slowenischer Zunge die Muttersprache als Unterrichtsfach in den ersten vier Klassen eingeführt wurde. Auch Religion und Latein konnten nun in Slowenisch unterrichtet werden. Im Zeitraum 1775 bis 1848 kam die überwiegende Zahl der Schüler des Marburger Gymnasiums aus den slowenischen Gebieten der Untersteiermark. Die zweitstärkste Gruppe der Gymnasiasten stellten die Kinder Stadt Marburg sowie deutschsprachiger Teile des Marburger Kreises (Leibnitz, Arnfels). Manche kamen aber auch aus Graz, der Rest aus anderen österreichischen Städten und Kronländern, einige wenige aus Ungarn. Die meisten slowenischen Schüler, die nach dem Ende ihrer Gymnasialzeit weiterstudierten, erwählten den Priesterberuf. Hierfür wurde freilich noch bis 1850 verlangt, dass sie zuvor in Graz zwei Jahre 84 Danach war er in der Untersteiermark in der Seelsorge tätig.

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Lyzeum absolvierten. Jedenfalls gingen die meisten Geistlichen der Seckauer Diözese aus dem Marburger Kreis hervor, zumeist aus dem Marburger Gymnasium – unter ihnen zum Beispiel der Priester, Dichter und Schriftsteller Anton Krempl, der erheblich zur Hebung des slowenischen Kultur- und Nationalbewusstseins beigetragen hat. Seine Geschichte des Landes (die erst nach seinem Tod erscheinen sollte) verfasste er in slowenischer Sprache, wobei er seine Hauptakzente auf die Darstellung der Situation und der Entwicklung der Slowenen legte. Auch der Linguist und bekannte Bienenzüchter Peter Dainko, der 1824 in deutscher Sprache ein Lehrbuch der „Windischen Sprache“ (als einer steirischen Mundart des Slowenischen) veröffentlichte und hierfür auch eine besondere Schrift erfand, die nach ihm „dajnčica“ genannt wurde, war Schüler des Marburger Gymnasiums. Der Geistliche Josef Frauenberger, der seit 1775 in St. Ulrich in slowenischer Sprache predigte, war Hilfslehrer auf dem Gymnasium in Marburg. In den ersten Jahren bis 1794 war der jeweilige Stadtpfarrer zugleich Direktor des Gymnasiums, danach übernahm der Kreishauptmann diese Funktion. Bemerkenswert war vor allem die Amtszeit des Direktors und Stadtpfarrers Andrej Kavčič von 1786 bis 1794, in dessen letztem Amtsjahr der Religionsfonds zwanzig Stipendien für das Erlernen der slowenischen Sprache stiftete, weil Priester mit Slowenisch-Kenntnissen im slowenischen Teil des Seckauer Bistums dringend benötigt wurden.85 Das Schulwesen in Marburg wuchs weiter, die Stadt wurde ein fruchtbares Zentrum des Lehrbetriebs. So wurde 1870 eine Oberrealschule mit drei Klassen eröffnet. Und 1872 kam es unter der Leitung des deutschen Weinbaufachmanns Hermann Goethe zur Gründung der Obst- und Weinbauschule Marburg. Der Weinbau war ja, wie bereits aufgezeigt, eine sehr wichtige Einnahmequelle der Stadt. Anfang 85 Dabei wurden die Prüfungen schriftlich abgehalten – bis 1804 unter der Obhut von Kavčič selbst. Kavčič wurde 1808 Domherr in Graz und Rektor des dortigen Pries­ terseminars.

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des 19. Jahrhunderts hatte Erzherzog Johann schon die „Steiermär­ kische Landwirtschaftsgesellschaft“ gegründet, in deren zahlreichen Filialen im ganzen Land junge Bauern in Obst- und Weinbau ausgebildet wurden. Ebenso schuf Erzherzog Johann 1822 einen Musterweinbetrieb in Pickern/Pekre bei Marburg, wo er rheinische Reben anpflanzen ließ. Schon bald war dieser Betrieb weit über die Grenzen der Region, schließlich auch der Monarchie hinaus bekannt.86 Von hoher Bedeutung für das erblühende Bildungswesen war aber auch die überaus engagierte pädagogische Arbeit der Schulschwestern – Nonnen eines franziskanischen Ordens, die 1865 aus dem steirischen Kloster Algersdorf (dem heutigen Eggenberg) nach Marburg gekommen waren. Anfangs unterrichteten sie 86 Mädchen in Handarbeiten, zugleich starteten sie eine erste Volksschulklasse mit 117 Mädchen. Schon im folgenden Jahr unterrichteten sie – in zwei Klassen – 250 Schülerinnen und bauten ihre Schule nun zügig auf. Doch schon 1866 kam ein unerwarteter Rückschlag: Die Statthalterei lehnte das Gesuch der Kongregation um Bewilligung zur Errichtung einer Privatschule (die ihren Betrieb ja schon längst aufgenommen hatte) ab. Das Ordinariat zu Lavant verlangte Aufklärung über die Gründe des negativen Bescheids, der nach seiner Meinung ganz unbegreiflich war, da der bestehenden städtischen Schule für Mädchen durch diese neue Privatschule keinerlei Schaden zugefügt würde. Außerdem gebe es in Marburg bereits zwei private Schulen dieses Typs. Die Antwort vom April 1867 machte indes deutlich, dass die ablehnende Haltung der Behörden auf der Ansicht beruhte, dass die Gründung der Schule nicht religiösen Interessen diene, sondern dass mit ihr der staatlichen Mädchenschule eine private gegenübergestellt werden sollte, für welche es keinen hinreichenden Bedarf gebe. Jedenfalls war nach Ansicht der Behörden – es handelte sich ja um eine vierklassige Volksschule – erst eine posi86 Dank solcher Unternehmungen kamen auch viele Weinsorten von außen in die Stei­ermark, wie zum Beispiel der Chardonnay und der Sauvignon.

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tive Stellungnahme der Stadt Marburg erforderlich. Diese erfolgte schließlich und gab der weiteren Entwicklung der Mädchenschule grünes Licht. So hatte die Volksschule der Schulschwestern im Schuljahr 1868/69 schon vier Klassen mit 300 Schülerinnen.87 1874/75 kam noch eine fünfte Klasse hinzu, und die Schule erhielt das Öffentlichkeitsrecht. Später gab es vorübergehend auch noch eine sechste Klasse. Im Schuljahr 1896/97 wurden auch schon slowenische Parallelklassen eingeführt. Schließlich war es von besonderer Bedeutung für die Schulstadt Marburg, dass die rührigen Schulschwestern 1888 eine FrauenLehreranstalt gründeten, die 1892 das Öffentlichkeitsrecht bekam. In ihr wurde sowohl in Deutsch wie auch in Slowenisch unterrichtet. Es war dies die erste zweisprachige Schule im slowenischen Raum. 88 Auch in St. Peter bei Marburg wurde – auf Betreiben des Kanonikus Markus Glaser – eine Mädchenschule errichtet. Im Oktober 1869 reisten vier Schulschwestern an und begannen mit dem Unterricht.89 1879 erhielt die inzwischen dreiklassige Schule das Öffentlichkeitsrecht. Neben dem regulären Schulunterricht wurden hier auch hauswirtschaftliche Kurse abgehalten. In St. Peter blieben die Schulschwestern bis 1941 – die letzte Eintragung in der Chronik war mit März 1941 datiert. Sie wurden von den deutschen Besatzern ausgewiesen. Als vier Schwestern 1945, nach dem Ende der Okkupation und des Zweiten Weltkriegs, zurückkehrten, wurden sie von den Behörden der neuen kommunistischen Macht­ 87 Ins Internat wurden zehn Waisen aufgenommen, deren Kosten der Katholische Frauenverein übernahm. 88 Kovačič, S. 401. 89 Fast hätte die Oberin wegen der von ihr bedauerten Trennung der betreffenden Schwestern vom Mutterhaus ihre ursprüngliche Zusage zurückgenommen, aber Glaser bestand auf der Zusage. Der Vertrag galt zunächst für die Dauer von sechs Jahren. Zwei slowenische Novizinnen und zwei weitere Grazer Schwestern sollten die beiden Klassen übernehmen, ferner sollten sie an Sonntagen den Wiederholungs­ unterricht für erwachsene Mädchen abhalten und unter der Woche an der Industrie­ schule für weibliche Arbeiten unterrichten.

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haber sogleich wieder vertrieben. Sie mussten sofort das Haus verlassen. Unterkunft fanden sie vorübergehend im Mesnerhaus. Da sie nicht mehr unterrichten durften, halfen sie nun in der Pfarrei aus. Die letzte Schwester verließ den Ort 1961.90

Marburg liebt sein Theater

Abbildung 9: Das Theater 1806  –1862 in der ehemaligen Heiligengeistkirche nach einer zeitgenössischen Zeichnung am Domplatz (heute Slomškov trg). Heute steht an dieser Stelle die Post.

Mit der wachsenden Volksbildung stieg in Marburg wie im ganzen Land auch das Interesse an kulturellen Einrichtungen und Darbie­ tungen steil an. Dabei nahm vor allem das Theaterwesen, das schon 90 Maria Andrea Petz, Mitten unter den Menschen Zeichen christlicher Hoffnung, Bd. II, Graz 1994, S. 286  –288; Kronika Frančiškank Brezmadežne, Slovenska Bistrica 1994, S. 55/56, 135  –137.

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haber sogleich wieder vertrieben. Sie mussten sofort das Haus verlassen. Unterkunft fanden sie vorübergehend im Mesnerhaus. Da sie nicht mehr unterrichten durften, halfen sie nun in der Pfarrei aus. Die letzte Schwester verließ den Ort 1961.90

Marburg liebt sein Theater

Abbildung 9: Das Theater 1806  –1862 in der ehemaligen Heiligengeistkirche nach einer zeitgenössischen Zeichnung am Domplatz (heute Slomškov trg). Heute steht an dieser Stelle die Post.

Mit der wachsenden Volksbildung stieg in Marburg wie im ganzen Land auch das Interesse an kulturellen Einrichtungen und Darbie­ tungen steil an. Dabei nahm vor allem das Theaterwesen, das schon 90 Maria Andrea Petz, Mitten unter den Menschen Zeichen christlicher Hoffnung, Bd. II, Graz 1994, S. 286  –288; Kronika Frančiškank Brezmadežne, Slovenska Bistrica 1994, S. 55/56, 135  –137.

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sehr viel früher große Resonanz im Volk gefunden hatte, einen besonderen Rang ein. Es handelte sich hier ja um die nahezu einzige Quelle spannender und erbaulicher Unterhaltung, zu welcher auch Analphabeten problemlos Zugang hatten. Jedenfalls erfreuten sich die Marburger schon ab 1785, als das Ensemble der Schantrah-Gruppe eine feste Bühne für laufende Aufführungen im Viktringhof aufgebaut hatte, eines echten eigenen Theaters. Allerdings war dessen Entwicklung von schweren Rückschlägen behindert. Wegen Feuergefahr musste die Schauspieltruppe das Gebäude 1806 wieder räumen und hatte mehrere Jahre kein Dach über dem Kopf. Das beliebte Theater wurde von Marburgs Bürgern schmerzlich vermisst. So versuchten nun engagierte Freunde der Bühne durch Spendensammlungen Geld für deren Wiedererrichtung an anderer Stelle zu sammeln – mit großem Erfolg. Schließlich öffnete Graf Brandis die Tore seiner Stadtburg und erlaubte mehrere Vorführungen innerhalb ihrer Mauern. Doch wurde im Jahr 1810 ein Gesuch der Bürger an den Hof in Wien, die aufgelassenen Kirchengebäude der Cölestinerinnen nach dem Abzug der „Montur-Ökonomie-Kommission“, die hier seit 1784 ansässig war, dem Theater zur Verfügung zu stellen, abgelehnt. Endlich aber nahm die Suche doch ein vorläufig gutes Ende. Nachdem die Heiligengeistkirche neben dem Spital am Domplatz (heute Slomškov trg) aufgelassen worden war, konnte das Theater 1811 dort einziehen. Das Haus war freilich nur eine Notlösung, es war düster und extrem renovierungsbedürftig, auch war der Eingang zwischen dem Spital und der Kirche, der direkt neben dem Leichensaal lag, alles eher als einladend. Aber die Hauptsache war, dass gespielt werden konnte. Im Parterre wurden 104 Klappstühle aufgestellt, und auf der Galerie hatten weitere 200 Zuschauer Platz. Der Liebhaber-Theaterverein bekam ein Statut, und der Dechant übernahm die Leitung. Die über die unmittelbaren Bedürfnisse des Theaters und der Spieler hinausgehenden Erlöse dienten wohltätigen Zwecken. 129

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Auch das Laientheater blühte zu dieser Zeit in der Stadt Marburg. Seine Befürworter schlossen sich zu einem „Dilettantenverein“ zusammen und ermöglichten zahlreiche Aufführungen. Allein in der Zeit von 1830 bis 1847 waren es pro Saison (eine Saison dauerte von Allerheiligen bis Palmsonntag) fünfzig bis siebzig Vorstellungen, wobei der größte Erfolg eine Oper war, nämlich „Norma“ von Vincenzo Bellini. Die Leitung des Laientheaters hatten Gymnasialdirektoren inne: Johann Suppantschitsch, Rudolf Gustav Puff, Hans Graf von Schärffenberg. Darüber hinaus aber glänzte das Marburger Theater mit vielen Vorstellungen auswärtiger Schauspielgruppen. Sie brachten Possenspiele, Singspiele, Ritterspiele, aber auch berühmte – vorwiegend deutsche – Werke auf die Bühne: von Kleist, Schiller, Shakespeare, Nestroy, Raimund und so fort. Schließlich bot das Stadttheater auch zahlreiche Konzerte, sehr oft solche des heimischen Musikvereins. Die letzte Vorstellung im alten Haus ging zu Silvester 1851 über die Bretter. Dann musste das Gebäude wegen seines fortschreitenden Verfalls, der für die Besucher wie für die Bühnenschaffenden zunehmend gefährlich wurde, abgerissen werden. An der Stelle des alten Theaters wurde das neue Postgebäude errichtet, das noch heute hier steht. Am 15. April 1847 beschlossen der Gemeinderat und ein Gremium namhafter Bürger der Stadt unter der Ägide des Bezirkshauptmanns Ignaz Ritter von Marqueta und unter der Führung von Bürgermeister Andreas Gamilschegg den Bau eines neuen Theatergebäudes sowie eines Casinos. Die 284 Gründungsmitglieder – unter ihnen bekannte Marburger Bürger und Adelige, ferner das Kloster Admont, Beamte der Kreisverwaltung, Offiziere des Kavallerieregiments v. Kinsky sowie, als Privatmann, der slowenische Stadtpfarrer Jože Kostanjevec – wählten unter dem Vorsitzenden Ferdinand Frh. von Rast ein 15-köpfiges Komitee. Mit diesem einigten sich die Gründer auf den Kauf eines Grundstücks in der Rebengasse (heute Miklošičeva ulica), das sich im Eigentum des Fassbinders Franz Pichler befand. Ein Drittel der Kauf­ 130

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summe wurde vom Komitee beglichen, für den Rest wurden die Spenden verwendet, die von den Gründungsmitgliedern gesammelt worden waren. Die Pläne für den Bau wurden vom Eisenbahningenieur Gustav Lahn angefertigt. So konnte am 24. April 1848 der Grundstein gelegt werden, und am 20. Januar 1852 öffnete das Theater mit der Oper „Martha“ von Friedrich Flotow festlich seine Pforten – es war ein Gastspiel der Grazer Theatergruppe um Franz Thomé. Das neue Theater war 39,82 mal 18,69 Meter groß, hatte 103 Sitzplätze im Parterre, weitere 24 auf der Galerie sowie 25 Logen und fasste insgesamt 850 Zuschauer. Die Vorstellungen waren durchwegs in deutscher Sprache. Einen künstlerischen Leiter gab es erst viel später, ab der Spielsaison 1884/85. Das Orchester war jedoch schon 1840/41 ins Leben gerufen worden, also noch zur Zeit der Spitalskirche. Es bestand aus zwölf Mitgliedern mit einem Kapellmeister – nach dem Umzug wurde es auf zwanzig Musiker aufgestockt. Außerdem wurde 1860 ein Orchesterdirektor eingestellt. Dem freudigen Eröffnungsakt von 1851 war freilich noch eine Zeit großer Sorgen, Probleme und Auseinandersetzungen vorausgegangen, weil die Kosten des Baus – insgesamt 37.000 Gulden – alles Erwartete übertrafen. Das Komitee war gezwungen, erhebliche Kredite aufzunehmen, und die Stadt steuerte zur Behebung der Theater-Schulden hohe Summen aus ihren Zolleinnahmen bei. Letztlich aber erwiesen sich die immensen Ausgaben als überaus lohnend. Denn das Marburger Theater war nicht nur eine unschätz­bare Quelle literarischer Bildung und gepflegter Unterhaltung, sondern wurde mehr und mehr auch ein bedeutender Faktor des kulturellen Renommees der Stadt. Unter anderem lässt sich sein Erfolg an der Fülle hochtalentierter Künstler ermessen, die es hervorbrachte und pflegte. Be­­­deutende Bühnenautoren und Schauspieler weist die Ge­­schichte des Marburger Theaters auf. Für manche von ihnen war es die erste Etappe auf dem Weg ihrer Karriere, die sie danach an die großen, weltberühmten Bühnen in Wien und in anderen europäischen Hauptstädten und 131

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Kulturzentren führte. Für manche Werke leistete das Marburger Theater – als Erstaufführungsort – sogar künstlerische Pionier­arbeit, sodass es wohl nicht übertrieben ist zu sagen, dass das Provinz­­theater an der Drau ein erstaunliches Kapitel österreichischer Theatergeschichte geschrieben habe. So waren es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem drei Künstler, die in oder nach ihrer Marburger Zeit weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und verehrt wurden: der Dramenautor Ludwig Anzengruber, die Schauspieler Josef Kainz und Max Pohl. Ludwig Anzengruber (1839 –1889) wird längst zu den bedeutendsten Dramatikern des Volksstücks gezählt. Zunächst war er Schauspieler (und nannte sich Ludwig Gruber). Mit 24 Jahren kam er vom Theater in Vöslau nach Marburg und fand hier vorwiegend als Komparse und Aushilfsdarsteller Verwendung, in größeren Rollen war er wenig erfolgreich. Sein Aufstieg begann, als ihm der Direktor des Marburger Theaters erlaubte, ein Schauspiel in zwei Akten aus eigener Feder als Benefizvorstellung zu inszenieren – „Der Versuchte“ mit dem Vorspiel „Der Nachlass des Mörders“ – und selbst darin aufzutreten. Es war dies das erste seiner Werke, das überhaupt aufgeführt wurde, obwohl er damals bereits 15 Dramen geschrieben hatte. Keine Bühne, weder in seiner Heimatstadt Wien noch in Graz oder sonstwo war zuvor an der Aufführung eines dieser Stücke interessiert gewesen. Jetzt aber, mit seinem erstaufgeführten Werk in Marburg, erweckte er auch in Wien Aufmerksamkeit. Mit „Der Pfarrer von Kirchfeld“, uraufgeführt 1870 im Theater an der Wien, erlebte er dann den großen Durchbruch. Das deutsche Marburger Theater nahm nun bis 1919 viele AnzengruberWerke fest in sein Repertoire auf. Aber auch auf der slowenischen Bühne kam 1913 eines seiner bedeutendsten Dramen zur Aufführung: „Četrta božja zapoved“ – „Das vierte Gebot“. In der Zeitung Correspondent für die Untersteiermark hatte Anzengruber übrigens 1864 in mehreren Nummern den Essay „Vor den Lampen und in der Sonne. Streiflichter über das österreichische Bühnenleben“ veröffentlicht, in welchem er 132

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den Lesern kritisch und schonungslos das harte Leben eines Schauspielers nahebrachte.91 Ein Jahrzehnt nach Anzengruber kam der gebürtige Ungar Josef Kainz (1858  –1910) nach Marburg, damals noch nicht ganz 18 Jahre alt. Er sollte schließlich als einer der ganz Großen in den Olymp deutschsprachiger Theaterschauspieler einziehen. Noch lange nach seinem Tod, ab 1958, seinem 100. Geburtstag, sollte die Stadt Wien bis 1999 jedes Jahr an Schauspieler und Regisseure eine Kainz-Medaille für herausragende Leistungen verleihen. Kainz nahm Schauspielunterricht und wollte schon als junger Mann sehr hoch hinaus. Aber beim Hoftheater, bei welchem er sich beworben hatte, blitzte er zunächst ab. Deshalb nahm er 1875 das Angebot des spürsicheren Marburger Theaterdirektors Josef Dietz an und erhielt somit sein erstes Engagement. Nun spielte er bis zum Mai 1876 in Marburg in zahlreichen Stücken sehr unterschiedlicher Genres und startete von hier aus seine Karriere, die er mit glanzvollen Rollen – unter anderem Hamlet, Don Carlos, Mephisto – an berühmten Bühnen wie dem Deutschen Theater in Berlin und dem Burgtheater in Wien krönen sollte. Mit seinem Spiel und mehreren Schriften schuf er zudem einen ganz neuen, über Österreich hinaus beachteten Schauspielstil. Auch Max Pohl (eigentlich Pollak, 1855  –1935), der später in Hamburg, Leipzig und Berlin als glänzender Shylock- und Mephisto-Darsteller seine Höhepunkte erleben und außerdem in den Jahren nach 1900 als Präsident der Deutschen Bühnengenossenschaft wirken sollte, wurzelte im Marburger Theaterleben. Das Stadttheater von Marburg war seine erste Schauspielstation. Hier war er in den Jahren 1878 und 1879 engagiert und absolvierte an 236 Tagen 200 Aufführungen in 102 verschiedenen Rollen.92

91 Hartmann, Maribor – dogajanja in osebnosti, S. 224  –227. 92 Hartmann, Maribor – dogajanja in osebnosti, S. 240  –249.

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Die Erfolgsgeschichte des Marburger Theaters unterschied sich jedoch sehr von der Entwicklung des Casinos, das, wie erwähnt, gemeinsam mit dem neuen Theater an der Rebenstraße geplant war. Erst 15 Jahre nach dem Beginn des Theaterbaus konnte es in dessen Nachbarschaft errichtet werden. Es war der seit 1823 aktive, bisher in verschiedenen Kaffeehäusern der Stadt gastierende Lese- und Geselligkeitsverein, der das Projekt vorantrieb. Die Kosten des Casinos überstiegen allerdings noch weit die des Theaters – sie betrugen 95.000 Gulden. Nebst einem Billard- und einem Spielzimmer verfügte das Casino über einen Leseraum mit einer enormen Auswahl an Zeitungen und Zeitschriften. Seiner feierlichen Eröffnung am 16. Januar 1865 war jedoch eine sehr wichtige und nützliche Vereinigung vorausgegangen: Der Theaterverein und der Lese- und Geselligkeitsverein hatten sich zum „Marburger Theater- und Casino-Verein“ zusammengeschlossen.93 Im Jahr 1870 wurde das Theater renoviert, und das war mit einer technischen Sensation verbunden: Die Öllampen-Beleuchtung wurde durch das moderne Gaslicht ersetzt. Dagegen verdankte das Theater die nächste Renovierung im Jahr 1882 nicht der Modernisierung, sondern einem Unglück: dem Brand des Ringtheaters in Wien. Denn jetzt erwachte ein bislang vernachlässigtes Interesse an der Sicherheit. 93 Das acht Personen umfassende Verwaltungskomitee wählte aus seinen Reihen einen Intendanten, der im Namen des Vereins alles Notwendige zu regeln und sich mit dem jeweiligen Direktor abzustimmen hatte. Zwischen 1865 und 1919 gab es dreißig Direktoren. Der Direktor des Theaters schloss mit dem Intendanten des Vereins einen Vertrag, der Verein stellte ihm das Gebäude und die Kulissen zur Verfügung, für alles andere musste der Direktor selbst sorgen, auch für die Requisiten und Kostüme. Allerdings mussten die Schauspieler in ihren eigenen Kleidern auftreten, wenn sie zeitgenössische Stücke spielten. Die meisten Direktoren blieben nur ein Jahr. Ab 1866 durften sie den Erlös aus den Sitzplätzen im Parterre kassieren sowie über vier Logen verfügen. Fortwährend gab es finanzielle Schwierigkeiten. Bei einigen Direktoren wurde gepfändet, andere verabschiedeten sich während der Spielsaison, sodass der Theater- und Casino-Verein den Betrieb oft in eigener Regie weiterführen musste.

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So verfügten die Staatsbehörden nun, dass alle Theater der k. u. k. Monarchie nach verschärften feuerpolizeilichen Kriterien nachgerüs­ tet werden müssten. Der Theater- und Casinoverein bat den Gemeinderat um Unterstützung, die ihm schließlich nach hitzigen Debatten gewährt wurde. Erst ab 1890 jedoch wurden Zuschüsse der Stadt zur Regel. Schon vier Jahre später wurde das Theater erneut renoviert, unter anderem mussten nun auch Notausgänge geschaffen werden. Und als das Gebäude 1902, zur Feier seines fünfzigjährigen Bestehens, noch ein­mal für 50.000 Kronen modernisiert wurde, bekam es unter anderem eine Drehbühne und einen Eisernen Vorhang, der ­– als Feuerschutz – zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgerichtet wurde. Schließlich zog 1907 im Theater wie im Casino das Zeitalter der elektrischen Beleuchtung ein. Ein kurzer Blick in spätere Jahre lässt von der Aufbau- und der Glanzzeit des Marburger Theaters freilich nicht mehr viel übrig: Während des Ersten Weltkriegs war das Theater geschlossen. 1915/16 blieb das Gebäude ungenutzt, ab Frühjahr 1916 diente es als Vorführraum für Filme.94 Sofort nach dem Weltkrieg und dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie – in dem neuen Staat, dem Marburg jetzt angehörte, dem Königreich der Serben, Slowenen und Kroaten (SHS) – wurde auch der Theaterverein aufgelöst. Die letzte Vorstellung in deutscher Sprache ging am 24. Mai 1919 über die Bretter: „Schneewittchen“ von Carl Göner.

94 Mehr dazu: Bruno Hartmann, Maribor – dogajanja in osebnosti, Maribor 2009, S.  84 –96; Pertassek, S. 232 –237; Walter Taufer, Das deutschsprachige Theater in Marburg an der Drau, Diss., Wien 1982.

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Marburg wird Bischofssitz: Anton Martin Slomšek und sein Kampf für das Slowenentum Es gab im 19. Jahrhundert wohl kaum eine bedeutendere Entscheidung für den Verlauf der Stadtgeschichte, zugleich für die Entwicklung des slowenischen Nationalbewusstseins, als die Verlegung des Bischofssit­ zes der Diözese Lavant von St. Andrä in Kärnten nach Marburg in der Steiermark im Jahr 1859. Durch diesen Wechsel und die damit verbundene Veränderung der Bistumsgrenzen entstand eine Diözese, die nun überwiegend slowenisch war und in welcher fast alle slowenischen Pfarreien der Untersteiermark erfasst waren. Das war nicht nur für die Pflege der Religion – die slowenischen Katholiken konnten nun von ihren Seelsorgern in ihrer eigenen Sprache angesprochen werden – von enormer Wichtigkeit, sondern ebenso für die Bildung, das Schulwesen, die Sprache und die Kultur der Slowenen in diesem Gebiet – wie überhaupt für deren Selbstbewusstsein. Obwohl die Stadt Marburg auch weiterhin eine mehrheitlich deutsche Insel mitten im slowenischen Land blieb, wurde sie nun zu einem der wichtigsten Zentren slowenischer Kultur. Doch gewann sie durch den Rang eines Bischofssitzes überhaupt erheblich an Bedeutung und Ansehen, was sich auch auf die Politik, die Wissenschaft und die Wirtschaft auswirkte und mithin allen Bürgern der Stadt, nicht nur den slowenischen, zugute kam. Verantwortlich für diesen so bedeutsamen Umzug der Bischofsresidenz war der legendäre Fürstbischof Anton Martin Slomšek, der noch heute als bedeutender Reformer im Hirtenamt sowie als großer slowenischer Pädagoge und Schriftsteller verehrt wird, was sich unter anderem an zahlreichen Gebäuden, Straßen und Plätzen zeigt, die nach ihm benannt sind. 14 Jahrzehnte später, am 19. September 1999, wurde er seliggesprochen. 136

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Am 26. November 1800 in Ponikva (Ponikl) bei Cilli als Sohn eines wohlhabenden Bauern geboren, war Anton Martin Slomšek nach dem Studium der Theologie und der Philosophie 1824 zum Priester geweiht worden. Nach neun Jahren als Spiritual im Priesterseminar Klagenfurt (1829  –1838) wurde er 1838 auf eigenen Wunsch Pfarrer in Saldenhofen an der Drau (Vuzenica), wo er sein wichtigstes pädagogisches Werk „Blaže in Nežica v nedeljski šoli“ („Blasius und Agnes in der Sonntagsschule“) schrieb, das ursprünglich als Leitfaden für die slowenischen Sonntagsschulen gedacht war, dann aber weit über diesen Zweck hinaus Beachtung fand. Sonntagsschulen waren Schulen, die ihren Unterricht am Sonntag unter der Aufsicht des Pfarrers abhielten. Sie waren gemäß der Allgemeinen Schulordnung für Kinder ab zwölf Jahren eingerichtet, die ihre Volksschulzeit beendet hatten, aber nicht auf höhere Schulen kamen. Den Unterricht an diesen Schulen unterstützte Slomšeks Werk nun durch ein Kompendium an Grund- und Allge­ meinwissen für Kinder und Jugendliche, wobei es ihm nicht nur auf die Vermittlung der Religion, sondern vor allem auf die Übung im Lesen und Schreiben in der Muttersprache, auf das Erlernen der deutschen Sprache, das Verständnis für Mathematik und das prakti­ sche Wissen auf zahlreichen Gebieten wie Botanik, Obstanbau, Hygiene und erste Hilfe ankam. Darüber hinaus schrieb Slomšek zahlreiche pädagogische und unterhaltende Kinder- und Jugendbücher, die bei Schülern und Eltern ungewöhnlichen Anklang fanden und neben ihrer religiösen Bedeutung einen unschätzbaren Beitrag zum Erhalt und zur Kultivierung der slowenischen Sprache leisteten. Ab 1844 war Slomšek Domkapitular von St. Andrä, wo er auch die Oberaufsicht über die Schulen in der Diözese Lavant innehatte. Sein 1845 an das Landes-Gubernium in Laibach gerichtetes Ansuchen, einen „Verein zur Herausgabe lehrreicher und erbaulicher Prämien­ bücher“ gründen zu dürfen, wurde abgelehnt, obwohl die deutschsprachigen Pädagogen und Literaten einen ähnlichen Verein – den „Me­­ chitharistenverein“ (das war ein Verein zur Verbreitung katholischer 137

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Bücher) – bereits besaßen. Deshalb gab Slomšek ab 1846 das Jahrbuch „Drobtinice“ („Brosamen“) heraus, das allen slowenischen Literaturfreunden zur Verfügung stand. Die ersten beiden Jahrbücher redigierte er selbst. Unter Justizminister Alexander Frh. v. Bach wirkte er bei der geplanten Einführung zweisprachiger Schulen in gemischtsprachigen Gebieten Kärntens und der Steiermark mit und gab zehn Bücher für diese Schulen heraus. Kaum war Slomšek im April 1846 als Stadtpfarrer nach Cilli gekommen, starb der Bischof der Diözese, Franz Xaver Kutnar. Die Frage nach dem Nachfolger war rasch beantwortet. Am 30. Mai 1846 bestimmte der Salzburger Fürsterzbischof Friedrich Johann zu Schwarzenberg den beliebten, geist- und tatenreichen Pfarrer Anton Martin Slomšek zum neuen Fürstbischof der Diözese Lavant. Am 5. Juli 1846 empfing er in Salzburg die Bischofsweihe. Während seiner Amtszeit wartete Fürstbischof Slomšek mit bahnbrechenden Neuigkeiten auf, die vor allem das geistige und religiöse Leben der Slowenen prägten und deren Nationalbewusstsein stärkten. Dies rief freilich ganz unvermeidlich deutschnationale Feindseligkeiten hervor, deren sich die slowenische Bevölkerung gerade auch in Marburg immer wieder zu erwehren hatte. Unter anderem führte Slomšek Pastoralkonferenzen ein und gründete 1851 die Hermagoras-Brüderschaft („Mohorjeva družba“), die seitdem, auch heute noch, slowenische Literatur verlegt, diese fördert und vor den Gefahren unzureichender Beachtung, Unterbewertung und Benachteiligung, wie sie kleinen Volks- und Sprachgruppen immer drohen, zu schützen versucht. Auch trug Slomšek entscheidend zur Reform der Volksschulen als des wichtigsten Glieds im System des öffentlichen Unterrichts bei, die Unterrichtsminister Graf Leo von Thun schließlich zögerlich in Angriff nahm. Immerhin wurde nun das Lernangebot erweitert. Im Übrigen erwarb sich Slomšek große Verdienste um das slowenische Volksschulwesen. Er verfasste eine Reihe von Schulbüchern sowohl für slowenische als auch für gemischte slo138

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wenisch-deutsche Schulen. Für diese schrieb er auch eine vergleichende Sprachlehre. Von ganz besonderem Gewicht aber war eben die von Slomšek verfügte Verlegung des Bistumssitzes von St. Andrä nach Marburg, womit die kirchlich-organisatorische Zusammenführung fast aller Slowe­ nen in der Steiermark verbunden war. Sie hat nicht nur das kirchliche, sondern auch das politische wie das alltägliche Leben in der Untersteiermark bis heute nachhaltig geprägt. Fürstbischof Slomšek wurde am 4. September 1859 in der frisch renovierten Domkirche in Marburg inthronisiert. Nach einer stillen Messe in der St.-Aloisius-Kirche und der Segnung eines neu erworbenen Gemäldes des Namensgebers der Kirche bewegte sich eine lange Prozession mit dem Bischof über den Marktplatz durch die Herrengasse und die Schulgasse bis zum Dom. Als er jetzt zum ersten Mal auf der Kanzel der Kirche stand, begrüßte er zu allererst Marburg, die neue Bischofsstadt: „Sei mir gegrüßt, freundliche Stadt, von grünen Reben­ hügeln umkränzt, die du heute einen Feiertag feierst, den deine Väter nicht gesehen haben und deine Kinder nicht mehr erleben werden!   “95 Anton Martin Slomšek starb am 24. September 1862 in Marburg. Seine Beisetzung in der Gruft der Kapelle zur Schmerzhaften Mutter Gottes, die der Grazer Fürstbischof Ottokar Maria Graf von Attems leitete, fand am 27. September 1862 vor einer großen Trauergemeinde und mehr als 200 Priestern aus Lavanter Pfarreien und anderen Bistümern statt. Doch schon am Tag seiner Bestattung setzte sich der immer bedrohlicher werdende Nationalwahn durch. Slomšeks Ruhestätte wurde geschändet. Nach dem Begräbnis betraten radikale deutsch­ nationale Aktivisten die Kapelle und spuckten in die offene Gruft. „Da hast du es jetzt, du slowenischer Heiliger !“   96, höhnten sie. 95 Franz Kosar, Anton Martin Slomšek, dargestellt in seinem Leben und Wirken, Marburg 1863, S. 91. 96 Mariborska stolnica ob 150. obletnici Slomškovega prihoda v Maribor, ed. Stanko Lipovšek, Maribor 2009, S. 276.

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Nach der Okkupation Sloweniens durch das nationalsozialistische Deutschland wurde Slomšeks Sarg am 21. Juni 1941 in die Franziskanerkirche überführt. 1978 kam er in die Presbyteriumsgruft des Doms. Schließlich erhielt er 1995 seinen heutigen Platz in einer eigens eingerichteten Slomšek-Kapelle im Dom. Im Jahr 1999 wurde Anton Martin Slomšek, dem France Kidrič, einer der führenden slowenischen Literaturhistoriker, den „ersten Platz nach Cyrill und Method in der slowenischen Geschichte“ einräumt, von Papst Johannes Paul II. seligge­ sprochen.97 Aber schon bald nach Slomšeks Tod hatten die Verantwortlichen der Stadt Marburg die früheren Beteuerungen des Bürgermeisters Othmar Reiser vergessen und die Errichtung eines Denkmals zu Slomšeks Ehren auf einem der städtischen Plätze oder vor der Aloisius-Kirche, wie dies der slowenische Leseverein 1865 angeregt hatte, abgelehnt. Die von Deutschen beherrschte Stadtführung hatte national motivierte Einwände gegen eine herausragende Ehrung des Pioniers slowenischer Kultur, der sich jedoch zeitlebens nie gegen das Deutschtum gewandt, sondern allein die Entwicklung der slowenischen Muttersprache ge­­fördert hatte. Auch Fürstbischof Stepišnik, der 1878 seinen großen Vorgänger mit einem Denkmal beehren wollte, stieß auf heftige Widerstände – vor allem des Bürgermeisters Matthias Reiser und des Mar­burger Gemeinderates. So entschieden sich der Bischof und das Domkapitel schließlich für eine Gedenkstätte an der südlichen Seite des Presbyteriums im Dom. Als der Bürgermeister darauf bestand, dass der Gemeinderat und der Konkurrenzausschuss das letzte Wort bei der Aufstellung des Denkmals hätten, entgegnete das Konsistorium, dass beiden jedes Mitspracherecht fehle, zumal sie keinerlei Mittel zu dem Denkmal beigesteuert hätten.98 97 Slovenski biografski leksikon (=SLB), Bd. X, S. 379. 98 Kovačič, S. 415; Mariborska stolnica ob 150. obletnici Slomškovega prihoda v Maribor, S. 236/237.

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Abbildung 10: Slomškov trg (Slomšek Platz) mit dem Dom, 1929

Das im neogotischen Stil gestaltete Werk war von dem Grazer Architekten Georg Härtl entworfen worden. Im Mittelpunkt zeigt es eine Skulptur des Bischofs in Carrara-Marmor – eine Arbeit des Bildhauers France Zajec. Neben ihr sind alle Marburger Bischöfe mit Namen und Daten ihres Wirkens aufgereiht, weshalb das Kunstwerk oft auch als „Denkmal der Marburger Bischöfe“ bezeichnet wird. Für die Aufstellung der Skulptur am 24. Juni 1878 wollte der Bürgermeister jede feierliche Handlung und Rede verbieten, doch fand die Zeremonie am Tag des Namenspatrons der Kirche statt, an welchem ohnehin ein Hochamt abgehalten wurde. In ihr ergriff Slomšeks Freund und Biograf Franz Kosar das Wort und hob die Bedeutung des Bischofs hervor. 141

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Erst 113 Jahre später, nach der Gründung der freien Republik Slowenien 1991, konnte vor dem Marburger Dom eine Statue von Bischof Slomšek enthüllt werden – ein bronzenes Werk des Bildhauers Marjan Drev. Sie trägt die Inschrift: „Erster Bischof von Maribor, Erwecker des Nationalbewusstseins, Erzieher, Schriftsteller“. Mit der Verlegung des Bischofssitzes und der Erhebung Marburgs zur Bischofsstadt war indes nach zähen langjährigen Diskussionen, Ver­ handlungen und Auseinandersetzungen ein erlösender Schluss­punkt gesetzt worden. Im Jahr 1228 war das Bistum Lavant als Eigenbistum des Salzburger Erzbistums gegründet worden – mit Sitz in St. Andrä im Lavanttal. 1786 wurde es dann selbstständiges Bistum (Suffraganbistum) der Salzburger Kirchenprovinz. Die Diözese war anfangs sehr klein, laut Stiftungsurkunde umfasste sie der Länge nach nur „anderthalb Tagreisen“ („unam diaetam et dimidiam“  ). Nach der Neuordnung der innerösterreichischen Bistümer unter Kaiser Joseph II. kamen aber 1786 zu den ursprünglichen sieben Pfarreien noch der Völkermarkter (Kärnten) und der Cillier Kreis (Steiermark) (Celje) hinzu, während die Pfarreien nördlich der Drau an die Diözese Seckau mit dem Sitz in Graz abgetreten wurden. Marburg mit seiner Umgebung fiel also dem Bistum Seckau zu. Doch schon bald zeigte sich, dass die geografische Neuordnung ungünstig war. Lavant wurde geografisch größer, es be­­ stand nun aus einem langgezogenen Gürtel, der sich von Wolfsberg in Kärnten bis Brežice/Rann im Süden erstreckte. Der Schwerpunkt der Diözese war jetzt in die Steiermark verlegt, sodass die Verwaltung von St. Andrä aus immer schwieriger wurde. Außerdem befand sich die Diözese nun auf dem Gebiet zweier Kronländer: des Herzogtums Steiermark und des Herzogtums Kärnten. Nicht zuletzt erschwerten jedoch sprachliche Probleme zwischen dem deutschen Kärntner Teil und dem nahezu gänzlich slowenisch bewohnten Cillier Kreis die organisatorische und geistliche Arbeit. Auch im Bistum Seckau gab es ähnliche Schwierigkeiten, da diesem slowenische Pfarren zugefallen waren, sodass der Anteil der Slowenen nunmehr über ein Drittel der Diözese 142

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ausmachte, ohne dass dabei Rücksicht auf die sprachlich-kulturellen Bedürfnisse der Bewohner und Gläubigen genommen wurde. Kein Oberhirte sprach slowenisch. Der Marburger Stadtpfarrer Jakob Kavčič wurde als einziger Slowene ins Domkapitel berufen. Unter den Slowenen aber war das nationale Leben erwacht. Schon während der Grenzregulierung zur Zeit Josephs II. waren die geografischen und nationalen Probleme offenkundig geworden. Deshalb wurde bereits in den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts die Verlegung des Bischofsstuhls erwogen. Dabei dachte man zunächst an einen Sitz Cilli. Dort aber fehlten die geeigneten Gebäude. Weitere Verlegungsversuche wurden in der Zeit von 1804–1809 unternommen,99 dann erneut 1822 auf ausdrücklichen kaiserlichen Befehl. In den Jahren 1826 und 1827 verstärkten sich die Bemühungen, es folgten Verhandlungen über eine Verlegung von St. Andrä nach Marburg, Cilli oder Pettau/Ptuj. Zur Zeit des Bischofs Ignaz Franz Salesius Zimmermann, der dem Bistum Lavant von 1824 bis 1843 vorstand, wurde auch eine Verlegung nach Windisch-Feistritz/Slovenska Bistrica erwogen. Und aus dem Bistum Seckau kam Anfang des 19. Jahrhunderts sogar der Vorschlag, Lavant aufzulösen und das Bistum zwischen Gurk und Seckau zu teilen. Aber letztlich geschah nichts. Im Revolutionsjahr 1848 richteten Klerus und Volk im Marburger Kreis an den Bischof von Lavant und an den Metropoliten von Salzburg die Bitte, die unterbrochenen Verhandlungen über die Grenzregelung in der Untersteiermark wieder aufzunehmen. Endlich fand Bischof Slomšek bei dem 1851 zum Fürsterzbischof von Salzburg und Me­­ tropoliten ernannten Maximilian Josef von Tarnóczy (1806   –1878) ein offenes Ohr. Der schlug daraufhin der Statthalterei in Graz die Wiederaufnahme von Verhandlungen vor. In einer Denkschrift vom 21. Juli 1853 analysierte er die Stellung der vier Suffraganbistümer Gurk, Seckau, 99 Marburger Bürger übergaben Kaiser Franz anlässlich seines Besuches in Marburg am 2. 9. 1806 eine diesbezügliche schriftliche Bitte.

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Lavant und Leoben und erarbeitete konkrete Vorschläge. Er schlug vor, den Sitz des Bistums Lavant nach Cilli, Marburg oder Pettau zu ver­ legen, den Kärntner Teil des Bistums der Diözese Gurk zu übertragen, dafür aber den Kreis Marburg mit 169.000 Einwohnern aus der Diö­ zese Seckau herauszulösen und der Diözese Lavant anzuschließen. Leoben sollte aufgelöst und Teil der Diözese Seckau werden. Damit hätte das Gebiet der Diözese Lavant in ihren neuen Grenzen 405.151 Einwohner.100 Der Erzbischof erwähnte aber auch drei Hauptschwierigkeiten bei der Verwirklichung der Verlegung. Erstens lagen die Ländereien der Diözese Lavant alle in Kärnten, zweitens gab es im Marburger Kreis keine wirklich geeigneten Gebäude für einen Bischofssitz und drittens bestand für diesen Sitz die Notwendigkeit eines eigenen Priesterseminars und einer theologischen Schule vor Ort. Beide Institute müssten also erst gegründet werden. Vor allem aber verfügte das Bistum Lavant zunächst nicht über die benötigten Geldmittel für eine Verlegung. Der steirische Religionsfonds war erschöpft, weshalb schon von Anfang an klargestellt worden war, dass dieser möglichst zu schonen sei. Die Mittel für die Verlegung des Bischofssitzes – um den neuen Sitz bemühten sich Cilli und Marburg – mussten also anderweitig beschafft werden. Erst als die Bürger von Cilli 15.000 Gulden gesammelt und das Gebäude des Magistrats als Bischofsresidenz angeboten hatten, wurden auch die Marburger aktiv. Es fand nun eine große Spendenaktion statt, die der Marburger Bürgermeister Othmar Reiser und der Pfarrer der benachbarten ­Ge­­­meinde St. Peter, Markus Glaser, leiteten. So lagen Bischof Slomšek nun­mehr zwei konkrete Angebote vor. Obwohl er selbst aus der Nähe von Cilli stammte, entschied er sich für Marburg. Die dortige Pfarrkirche konnte mit entsprechenden Mitteln in einen Dom umgewandelt

100 Anton Ožinger, „Cerkvena zgodovina Maribora od konca 18. stoletja“, in: Maribor skozi stoletja, Založba Obzorja, Maribor 1991, S. 485.

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werden, und das städtische Pfarrhaus mit dem dazugehörigen umfangreichen Baugrund schien eine geeignete Residenz abzugeben. Tatsächlich waren die Kosten der Verlegung sehr hoch, denn es muss­te nicht nur eine bischöfliche Residenz geschaffen und die Stadtkirche gründlich renoviert werden, auch Wohnungen für die Domherren wurden benötigt, ein Priesterseminar musste eingerichtet werden, und für die Honorierung der Theologieprofessoren waren die nötigen Finanzen bereitzustellen. Da die Geldmittel des Bistums Lavant bei Weitem nicht ausreichten, wandte sich Slomšek an den Klerus und an das Volk. Der Bürgermeister unterstützte die Initiativen für den Bischofssitz, der seiner Stadt ja einen erheblichen Bedeutungs- und Renommee-Gewinn einbrachte – viele seiner Nachfolger sollten das später nicht mehr so klar erkennen. In einem Dankschreiben an den Salzburger Fürsterzbischof Tarnoczy würdigte er am 12. Februar die Verlegung als „Riesenwerk“. Und er fügte hinzu: „Die Namen Tarnoczy und Slomšek werden bei uns und unseren Nachkommen unsterblich sein!“101 Die Gemeinde gewährte nun aus dem Kommunalvermögen 20.000 Gulden zur Herstellung der bischöflichen Residenz. Die Bürger hatten insgesamt 11.000, der Klerus des zum Lavanter Bistum neu hinzugekommenen Anteils 10.000 Gulden beigetragen. Eine vom Kreispräsidenten des Marburger Kreises eingeleitete Subskription ergab 4.000 Gulden, die des Bezirkshauptmanns 13.000 Gulden. Der Klerus des neuen Anteils spendete für die Errichtung des Seminars noch 4.294 Gulden bar und Obligationen von 1.830 Gulden nebst Büchern und Leinwand. Der Bischof verpflichtete sich, zur Gründung der Theologischen Lehranstalt 20.000 Gulden aus seinem Privatvermögen aufzuwenden. Die Verwirklichung der Pläne zog sich jedoch – wegen der Verhandlungen über die neue Grenze zwischen den Diözesen Seckau und 101 Kosar, S. 83.

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Lavant, aber auch wegen der zähen Realisierung der benötigten Mittel – noch mehrere Jahre hin. Slomšek wollte in seiner Diözese alle steirischen Slowenen versammeln, auch jene aus dem Kreis Graz, doch der Seckauer Bischof Ottokar Maria Attems und die Regierung beharrten darauf, dass die politischen Grenzen der Kreise auch gleichzeitig die Grenzen der Bistümer sein sollten. In dieser Frage gab Bischof Slomšek nach, um nicht das ganze Projekt zu gefährden. Kaiser Franz Joseph erteilte schließlich am 26. Oktober 1856 seine grundsätzliche Genehmigung. Nach einer persönlichen Reise des Fürsterzbischofs von Salzburg nach Rom und Loretto unterzeichnete Papst Pius IX. am 20. Mai 1857 in Loretto das entscheidende Dekret, in welchem Marburg zum neuen Sitz der Diözese Lavant bestimmt wurde. Und noch im selben Jahr gab die Konsistorialkongregation auch ein Dekret über die neuen Grenzen der Diözesen Seckau, Lavant und Gurk heraus. Dem Bischof von Lavant wurde gestattet, das Eigentum der Diözese Lavant in St. Andrä zu verkaufen und den Erlös für Marburg zu verwenden, insbesondere für das Priesterseminar und die Wohnungen der Domherren. Von den 22.750 Gulden aus dem Verkauf wurden 14.000 für die Ausbildungsstätte der angehenden Priester ausgegeben.102 In einer „Conventio Salisburgensis“ vereinbarten die Bischöfe von Gurk, Lavant und Seckau mit dem Fürsterzbischof von Salzburg, dass am 1. Juni 1859 der Kärntner Anteil der Diözese Lavant der Diözese Gurk zufallen und am 1. September die Jurisdiktion über zehn Dekanate, darunter Marburg, von der Diözese Seckau auf die Diözese Lavant übergehen solle. Auch wurde festgehalten, dass die Grenze zwischen den Bistümern Seckau und Lavant einer späteren Korrektur vorbehalten werde. Zu einer solchen kam es jedoch nie. Die aus der jeweiligen Diözese scheidenden Seelsorger konnten sich innerhalb von sechs Jahren um die Wiederaufnahme in ihrer Mutterdiözese bewerben. 102 Kovačič, S. 387.

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In den Jahren 1858 und 1859 wurden die vorgesehenen Gebäude des neuen Bischofssitzes entsprechend umgestaltet und renoviert – vor allem die gotische Stadtkirche St. Johannes der Täufer, die jetzt zur Domkirche erhoben wurde. Die Übersiedlung begann im Frühjahr 1859, zum Teil auf dem Landweg, zum Teil mit dem Floß auf der Drau ab Lavamünd. Die Kosten beglich der Bischof aus seinen privaten Mitteln. Das Domkapitel wurde neu gegründet. Bis auf einen waren alle Domherren aus St. Andrä nach Marburg umgezogen, wo sie im neu gegründeten Priesterseminar wirkten – unter ihnen auch Slomšeks späterer Nachfolger Jakob Ignaz Maximilian Stepišnik. Das Priesterseminar, dessen Gründung er ebenso durchsetzte wie die Einrichtung eines Knabenseminars, hatte ebenfalls zu Slomšeks dringendsten Anliegen gezählt. Am 10. Oktober 1859 waren die ersten Seminaristen zusammengetroffen. Das Studienjahr der Theologischen Schule – nach der damaligen Gesetzgebung hatte sie den Rang einer Hochschule ­– ­begann mit viertägigen Exerzitien. Am 14. Oktober weihte der Fürstbischof die neuen Räumlichkeiten ein. In seiner In­­ augu­rationsrede betonte er die Wichtigkeit der Stadt Marburg. Er nannte drei Orte, die ihm am liebsten und kostbarsten seien: Aquileia als Wiege des Christentums, Salzburg als „reiche Pflanzschule apostolischer Männer“ und „das neu erstandene Marburg, das nun in Zukunft die Pflanzstätte apostolischer Arbeiter für den kostbaren Weinberg des Herrn sein soll, für die schöne Diözese Lavant“. Nach Slomšeks Tod folgten Jakob Maximilian Stepišnik (1862– 1889) und Mihael Napotnik (1889–1922) als Bischöfe von Lavant bis zum Ende der Monarchie. Beide waren Kinder slowenischer Eltern, beide hatten im Augustineum in Wien studiert, beide waren bedeutende Theologen und Gelehrte. Im Gegensatz zu Slomšek unterstützten sie nicht direkt die slowenische Nationalbewegung, hinderten aber auch niemanden daran, es zu tun. Stepišnik gehörte beim I. Vatikanischen Konzil (1869/70) jener Minderheit unter den Bischöfen­an, die die Lehrbildung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht 147

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unterstützte. Napotnik war lange Bischof und veranstaltete gleich fünf Synoden: 1896, 1900, 1903, 1906 und 1911. Zu seiner Zeit wurden zehn Pfarr- und fünf Filialkirchen erbaut, acht Pfarrkirchen wurden erweitert oder umgebaut. Außerdem wurde auf sein Geheiß eine Bestandsaufnahme der Kirchen, Friedhöfe, Orgeln und der gesamten kirchlichen Einrichtungen vorgenommen. Er gründete das bischöf­ liche Museum und das Archiv. Die Stadtpfarre Johannes des Täufers war eigentlich seit der Gründung der slowenischen Pfarre in der Grazer Vorstadt und einer kleineren Erweiterung Richtung Westen in seiner Ausdehnung ziemlich gleich geblieben. Wie bereits erwähnt, war jedoch die Stadtpfarrkirche mit der Verlegung des Bischofsitzes zum Dom erhoben worden. Zum Zeitpunkt der Verlegung hatte die Stadtpfarre 5.420, die slowenische Pfarre (Sv. Marija) 4.365, die Filiale St. Magdalena 2.670 Seelen. 1863 wurde die Pfarre St. Magdalena gegründet, die dann 1875 sogar Sitz des Dekanats rechts der Drau wurde.103

Die Evangelischen und das Nationale Zum kulturellen Bild Marburgs seit dem 18. Jahrhundert gehören jedoch auch andere Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften als die der römisch-katholischen Kirche. Unter diesen nahm die evange­lische Kirche Augsburger Bekenntnisses einen besonderen Rang ein. Zur Zeit der Herbersteins im 16. Jahrhundert war Wildenau/Betnava zum Zentrum der heimischen Protestanten in Marburg geworden. Als Gebetshaus hatte zunächst die Schlosskapelle gedient, danach 103 Ožinger, S. 483.

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unterstützte. Napotnik war lange Bischof und veranstaltete gleich fünf Synoden: 1896, 1900, 1903, 1906 und 1911. Zu seiner Zeit wurden zehn Pfarr- und fünf Filialkirchen erbaut, acht Pfarrkirchen wurden erweitert oder umgebaut. Außerdem wurde auf sein Geheiß eine Bestandsaufnahme der Kirchen, Friedhöfe, Orgeln und der gesamten kirchlichen Einrichtungen vorgenommen. Er gründete das bischöf­ liche Museum und das Archiv. Die Stadtpfarre Johannes des Täufers war eigentlich seit der Gründung der slowenischen Pfarre in der Grazer Vorstadt und einer kleineren Erweiterung Richtung Westen in seiner Ausdehnung ziemlich gleich geblieben. Wie bereits erwähnt, war jedoch die Stadtpfarrkirche mit der Verlegung des Bischofsitzes zum Dom erhoben worden. Zum Zeitpunkt der Verlegung hatte die Stadtpfarre 5.420, die slowenische Pfarre (Sv. Marija) 4.365, die Filiale St. Magdalena 2.670 Seelen. 1863 wurde die Pfarre St. Magdalena gegründet, die dann 1875 sogar Sitz des Dekanats rechts der Drau wurde.103

Die Evangelischen und das Nationale Zum kulturellen Bild Marburgs seit dem 18. Jahrhundert gehören jedoch auch andere Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften als die der römisch-katholischen Kirche. Unter diesen nahm die evange­lische Kirche Augsburger Bekenntnisses einen besonderen Rang ein. Zur Zeit der Herbersteins im 16. Jahrhundert war Wildenau/Betnava zum Zentrum der heimischen Protestanten in Marburg geworden. Als Gebetshaus hatte zunächst die Schlosskapelle gedient, danach 103 Ožinger, S. 483.

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wurden 1589 ein eigenes Gebetshaus, eine Schule, ein Friedhof und ein Wohnhaus für den Pastor geschaffen. Damit machte jedoch die Gegenreformation um 1600 brutal und radikal Schluss. Auf Befehl der landesfürstlichen Kommission wurden das Bethaus, das Pfarr­ haus und der Friedhof zerstört. Erst das Toleranzpatent Josephs II. verbesserte im Jahr 1781 die Lage der religiösen Minderheiten. Es gewährte und garantierte den anerkannten Kirchen, zu denen die Lutheraner gehörten, die freie Religionsaus­ übung. Jetzt konnten auch evangelische Christen ohne staatliche Behinderung und mit einklagbaren Rechten auf Bestand ihre Gottesdienste abhalten. Und schließlich konnte rund acht Jahrzehnte später, im Jahr 1862, auch die Evangelische Gemeinde von Marburg, die während der Gegenreformation aufgelassen worden war, neu gegründet werden. Davor hatten die Marburger Protestanten zur Evangelischen Gemeinde von Graz gehört. Jetzt reichte die wiedergegründete Marburger Gemeinde von Bad Radkersburg entlang der Mur bis Spielfeld und Ehrenhausen/ Ernovž, im Westen bis Windischgrätz und Gonobitz sowie im Süden bis Haloze – bis zu jener Hügelkette im Rücken der Burg Borl, die eine natürliche Grenze zu Kroatien bildet – und zur Region Prlekija. Der erste Pastor war Ernst Schroll. Ihm folgten bis 1919: Emil Bachmann, Julius Kolatschek, Josef Klimanek, Josef Goschenhofer und Ludwig Mahnert. Was in Marburg noch fehlte, war ein evangelisches Kirchengebäude. Bisher waren die Gottesdienste in verschiedenen Provisorien abgehalten worden – von 1862 bis 1865 im ehemaligen Getreidemagazin in der Schmiderergasse (heute Strossmajerjeva ulica), danach in der aufgelassenen Kirche der Cölestinerinnen in der Burggasse (Gospejna ulica), im Haus der heutigen Kunstgalerie (Umetnostna galerija). Das alte Gebetshaus stand nicht mehr zur Verfügung, es war zur Zeit der Ge­­gen­­­reformation abgerissen worden. Schon im Januar 1857 hatte der Marburger Fabrikant Friedrich Pereke eine Spende von 3.000 Gulden für den Bau einer evangelischen Kirche in der Stadt versprochen. Das war eine Initialzündung, die in 149

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den folgenden Jahren eine Anzahl von Bürgern und Vereinen mit erheblichen Spenden auf den Plan rief. Der Hutmacher Heinrich Jolas erwarb nun im Nordwesten der Stadt – an der Luther-Gasse 1 (heute Truberjeva ulica) – vom Grafen Brandis eine Parzelle und verkaufte sie 1861 der Evangelischen Filialgemeinde. So konnte die Christuskirche nun tatsächlich gebaut werden. Am 1. August 1869 wurde sie von Superintendent Andreas Gunesch geweiht.104 Die Christuskirche, im Neo-Renaissance-Stil erbaut, mit einem Turm an der südlichen Seite, war betont einfach gestaltet, wie es ja auch der Grundtendenz des Bekenntnisses entsprach. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte sollte sie jedoch mehrmals verändert werden. 1903 wurden Kirche und Sakristei neu gedeckt und ein Chor wurde eingebaut, und sechs Jahre später folgte ein kompletter Umbau. Jetzt wurde eine neue Kanzel errichtet und eine Taufsteinnische eingemauert, die Orgelempore wurde gesenkt und ausgebaut, die Mittelfenster wurden durchbrochen, ein neuer Treppenaufgang führte jetzt zum Chor. Auch erfuhr die Eingangstür eine neue Gestaltung. Vor allem aber gab es von nun an Gasbeleuchtung. Das war ein enormer Fortschritt. Auffallend ist das Bild von Christus am Kreuz, eine Arbeit des Hamburger Malers Eduard Lind, die über der Pfarrersbank hing. Das Bild ist eines der wenigen Gegenstände, die der Kirche geblieben sind und das noch heute in der zwischen 2007 und 2008 komplett innenrenovierten Kirche links des Altars bewundert werden kann. 1909 wurde die Gemeinde vom Triester Seniorat losgetrennt. Der Oberkirchenrat hatte mit Erlass vom 30. Juni 1900 die Verlegung der Evangelischen Gemeinde Marburg und der Tochtergemeinde Radkersburg zum steirischen Seniorat genehmigt. Auch brachte das Jahr 1909 eine Lösung des Friedhofproblems. Die Evangelische Gemeinde bat den Stadtrat von Marburg, dafür zu sorgen, dass evangelische Verstorbene neben katholischen Toten auf dem Stadtfriedhof beerdigt werden 104 Das Pfarrhaus kam 1877 hinzu.

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könnten, wobei sie sich auf ein Gesetz vom 25. Mai 1868 berief, das solches ausdrücklich erlaubte. Die Bitte hatte Erfolg. Das fürstbischöfliche Ordinariat trat der Gemeinde einen Teil des Friedhofs nördlich der Leichenhalle zur Benutzung ab. Dabei mag manches von dem, was sich aus der Teilung des gemeinsamen Friedhofs in einen katholischen und einen evangelischen Teil mitunter ergab, heute recht kurios anmuten – wie etwa das Beispiel der Familie Renner: Ihre Gruft lag genau an der Grenze zwischen dem evangelischen und dem katholischen Teil. So konnten Karl Renner, der evangelisch war, und seine katholische Frau nebeneinander beigesetzt werden – aber so, dass der Mann im evangelischen, die Frau im katholischen Teil zu liegen kam.105 Einen eigenen Friedhof bekam die Evangelische Gemeinde erst 1914. Er befand sich gegenüber dem Friedhof des Stadtteils Thesen an der Straße von Marburg nach Pettau. Der Blick auf die weitere Entwicklung der Evangelischen Gemeinde in Marburg im 20. Jahrhundert zeigt freilich ein teilweise irritierendes Bild, da in dieser Zeit die nationalen und politischen Anschauungen und Machtziele immer mehr in die konfessionellen und religiösen Bereiche hineinspielten und dort vielfach die Oberhand gewannen. Überhaupt bekamen jetzt die nationalen Fragen, die gerade in einer Stadt wie Marburg mit zwei unterschiedlichen Volksgruppen brisant werden mussten, ein besonderes Gewicht. So ist denn auch das Wachstum der Evangelischen Gemeinde in Marburg nicht allein, ja, nicht einmal in erster Linie, auf eine überzeugungsorientierte Stärkung lutherischen Gedankengutes zurückzuführen als eher auf das Wirken der „Alldeutschen Partei“ des Georg Heinrich Ritter von Schönerer mit 105 Der Stadtfriedhof befand sich ab 1783 an der Stelle, an welcher heute das Stadion steht. Er war 1783 aus dem Gebiet der Stadtpfarrkirche dorthin verlegt worden, weil Kaiser Joseph II. verfügt hatte, dass Begräbnisplätze außerhalb der Ortschaften liegen müssten. 1914 wurde er geschlossen, aber einzelne Bestattungen fanden noch bis 1937 statt. Dann wurde der Stadtfriedhof in den Stadtteil Pobersch ver­­­ legt. Der alte Friedhof wurde 1942 endgültig aufgelöst.

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seiner „Los-von-Rom-Bewegung“. Während der Katholizismus in seiner Gesamttendenz teils der altösterreichischen, teils der slowenischnationalen Linie verhaftet war, geriet die evangelische Kirche hier in den Sog deutschnationaler Strömungen. Schönerers – auch weitgehend antisemitisch geprägte – Bewegung fand in ihr immer mehr Anklang. Diese propagierte unter anderem die Vereinigung der österreichischen Länder mit dem Deutschen Reich. Schönerer war ein konsequenter Gegner der katholischen Kirche, die ihm, weil in ihrer ganzen Struktur und Geschichte übernational ausgerichtet, zu slawenfreundlich erschien. Er trat nicht nur selbst zur evangelischen Kirche über, sondern forderte 1898 alle Angehörigen deutschen Volkstums in der Steiermark zum Übertritt auf. Denn in der evangelischen Kirche meinten Schönerer und seine Anhänger einen wesentlichen Bestandteil der „überlegenen deutschen Kultur“ zu erkennen. Die deutschsprachigen Zeitungen der Untersteiermark, so vor allem die Marburger Zeitung und die Deutsche Wacht, griffen diese Ideen zustimmend auf und agitierten für einen umfassenden Konfessionswechsel in der Bevölkerung, sodass tatsächlich viele Katholiken – vorwiegend wohl aus politischen Gründen – zur evangelischen Kirche übertraten. Dennoch hatten in den Jahren vor und nach der 1900er-Wende nicht wenige österreichische Katholiken auch religiöse und katholikenkritische Gründe, um ihre alte Kirche zu verlassen – sie sehnten sich nach einer freieren, weniger dogmenverhafteten christlichen Religion. Solchen Bestrebungen verlieh vor allem der Geistliche und Schriftsteller Ludwig Mahnert, der ab 1903 evangelischer Pfarrer von Marburg war, einen besonders überzeugenden Ausdruck. Doch war auch er bei seinen Bekehrungsversuchen von weitgehend kulturpolitischen deutschnationalen Motiven beherrscht. Er verstand sich als aktiver Kämpfer im Rahmen der Los-von-Rom-Bewegung. Geboren 1874 in Hamm, hatte Mahnert in Bonn und in Halle Theologie studiert, war dann Lehrer in Lengerich (Westfalen) gewesen und danach in die Untersteiermark gezogen, um – wie er sich ausdrückte – dort „auf Vorposten zu stehen“, 152

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als Pfarrer und Schriftsteller. Von 1900 bis 1903 war er Vikar in der Predigtstation Mahrenberg, 1901 wurde er österreichischer Staatsbürger. In Marburg ordinierte er zwanzig Jahre lang, wobei es eines seiner Hauptanliegen war, Katholiken deutscher Nationalität zum Übertritt in seine Kirche zu bewegen. In seinem Roman Die Hungerglocke ließ er eine seiner sympathisch geformten Figuren sagen, dass die „Windischen“ einen traurigen Beweis dafür lieferten, wie unfähig Rom sei, ein Volk auf ein ausreichend hohes Kulturniveau zu heben.106 Ein Blick auf die Zahlen der Übertritte im ersten Jahrzehnt des 20.  Jahrhunderts macht in der Tat deutlich, dass nach Mahnerts Ankunft in Marburg die Beitrittszahlen der evangelischen Kirche in der Untersteiermark sprunghaft anstiegen. 1875 zählte die Evangelische Pfarrgemeinde in Marburg 164 Mitglieder, darunter 118 in der Stadt. 1910 waren es fast 1.200, kurz vor dem Ersten Weltkrieg 1.954. 1900 erhielten 38 Kinder evangelischen Religionsunterricht in Marburg, 1909 bereits 228.107 Zwar unterschieden sich die statistischen Zahlen, die von der katholischen Diözese Lavant publiziert wurden, von jenen, die die Evangelische Gemeinde herausgab, die Tendenz war jedoch bei beiden die gleiche. Unter anderem lassen sich verschiedene Abweichungen wohl auch damit erklären, dass viele Personen von anderswoher zugezogen und deshalb in der Veröffentlichung der Diözese Lavant nicht berücksichtigt worden waren. Immerhin traten auch nach dieser katholischen Statistik bis Ende 1913 1.126 Katholiken zum evangelischen Glauben über – in der gesamten österreichischen Monarchiehälfte waren es 1.653. Nach Kriegsbeginn 1914 gab es einen weiteren Schub in diese Richtung, was auch mit den damaligen verstärkten Stimmungsattacken gegen die Slowenen zu tun hatte, die unter anderem immer wieder 106 Ludwig Mahnert, Die Hungerglocke, Duisburg 1912, S. 142. 107 Die Evangelische Pfarrgemeinde Marburg a. d. Drau, Steiermark, Kralik: Marburg 1909, S. 11; Boštjan Zajšek, Evangeličanska cerkvena občina v Mariboru (1862– 1945) s posebnim ozirom na obdobje med obema svetovnima vojnama, diplomska naloga, Maribor 2002.

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beschuldigt wurden, eine von ihrer slawischen Verwandtschaft herkommende Sympathie für Serbien zu hegen. Diese Atmosphäre verstärkte bei deutschsprachigen Steirern noch den Trend zum Übertritt in die vermeintlich „deutschere“ Kirche. Von den 143 Austritten aus der katholischen Kirche im Jahr 1914 waren 120 nach Kriegsbeginn erfolgt, 38 Ausgetretene traten später wieder ein. Insgesamt fiel dies alles freilich nicht ins Gewicht, denn im Jahr 1912 gab es im Gebiet des Bistums Lavant 507.786 Katholiken.108 In der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg entstanden auch zahlreiche neue evangelische Predigtstationen und Pfarrgemeinden. Zuerst, 1906, trennte sich Bad Radkersburg von der Gemeinde Marburg und bildete eine eigene Kirchengemeinde, dann erwuchs 1910 aus den bisherigen Predigtstationen Leibnitz und St. Egydi/Št. Ilj (heute Šentilj) eine selbstständige Kirchengemeinde Leibnitz. Auch die Arbeit des 1899 in Graz ins Leben gerufenen „Südmark“Verbandes, eines Schwesternverbandes des 1880 gegründeten Deut­ schen Schulvereins, der zur Stärkung des Grenz- und Auslandsdeutschtums in allen Kronländern der österreichischen Reichshälfte der Monarchie geschaffen worden war und dessen Mitglieder aus allen Schichten der Bevölkerung stammten, war in der Untersteiermark eng mit den Aktivitäten von Pastor Mahnert und seinen Anhängern verbunden. Auch der bekannte steirische Heimatdichter Peter Rosegger war ein besonderer Förderer des Deutschen Schulvereins. 1909 rief er zu Spenden für den Verband auf: „2.000 Kronen mal 1.000 sind 2 Millionen Kronen“, erläuterte er den Steirern und brachte dem Schulverein damit in vier Jahren über drei Millionen Kronen Spenden ein. Dem Südmark-Verein ging es indessen nicht mehr nur um eine Stärkung des deutschen Bewusstseins, auch nicht mehr nur um die Förderung kultureller und konfessioneller Institutionen und Aktivitäten. Vielmehr 108 Fran Kovačič, Zgodovina Lavantinske škofije (1228–1928), Maribor 1928, S.  419/420.

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schwebte ihm eine stärkere deutsche Besiedlung des durchwegs slo­ wenischen Landes vor. Eine solche sollte mit Nachdruck betrieben werden. Im Gebiet zwischen Spielfeld und Marburg betrug der Anteil der deutschen Bevölkerung nur 25 Prozent – die Stadt Marburg bildete eine Art deutsche Insel in einem slowenischen Umland – und gerade dies wollte Mahnerts Bewegung mithilfe des Südmark-Vereins zumindest teilweise ändern. Demnach sollte eine „deutsche Brücke“ von Spielfeld bis Marburg errichtet werden. Tatsächlich zogen jetzt 64 deutsche Familien mit insgesamt 368 Mitgliedern, meist Protestanten aus Württemberg, in die Umgebung von Spielfeld, und im Drautal siedelten sich deutsche Familien aus Ungarn an.109 Mahnert selbst promovierte 1913 an der Wiener Universität mit der Dissertation „Reformation und Gegenreformation in Marburg an der Drau“. Im Ersten Weltkrieg zog er als Feldkurat an die Südfront und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Danach kam er nach Marburg zurück. Nach der Wende 1918/19 wurde beim Bezirksgericht Marburg ein Prozess gegen Mahnert wegen seiner kritischen Reden gegen den neuen südslawischen Staat angestrebt, vor allem aber wegen seiner Äußerungen beim Begräbnis von Leutnant Zeno Gögl, der bei der Auflösung der Schutzwehr erschossen worden war. Unter anderem hatte Mahnert angeblich beleidigend auf General Maister angespielt.110 Mahnert wurde verhaftet, aber nach zwei Wochen wieder freigelassen. Statt seinen Prozess abzuwarten, flüchtete er nach Österreich. So wurde er in Abwesenheit zu zwei Monaten Kerker verurteilt. Doch auch in Österreich – zunächst leitete er die Pfarre Mürzzuschlag und ging 1923 nach Innsbruck – wurde er wegen seiner Predigten mehrmals zu Geld- und Haftstrafen verurteilt.

109 Janez Cvirn, Trdnjavski trikotnik, Maribor 1997, S. 305. 110 Pertassek, S. 213.

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Das nationale Erwachen: „Schämt euch nicht, dass ihr Slowenen seid !“ Die Aktivitäten des Pastors Mahnert und seiner Anhänger waren Zeichen zunehmender nationaler Stimmungen, denen immer fühlbarer werdende Spannungen zwischen Deutschen und Slowenen folgten. In allen Volksgruppen der Monarchie war das nationale Bewusstsein erwacht, das in bestimmter kultureller Hinsicht dem Zusammenleben und dem Frieden hätte dienen können, hätten die verschiedenen Nationalitätengruppen die historischen Entwicklungen sowie die fruchtbaren Eigenarten der jeweils anderen respektiert. Mehr und mehr aber überlagerten Machtziele, egoistische Interessen und ideologisch geschürte Überheblichkeiten und Ängste das Zusammenleben, das der österreichische Staat über Jahrhunderte hin erfolgreich praktiziert zu haben meinte. Einerseits richtete sich manches nationale Aufbegehren verschiedener Volksgruppen gegen die Politik des übernationalen Staates, vielfach angetrieben von Kräften außerhalb der Monarchie, andererseits wuchs in den österreichischen Ländern die Furcht der deutschösterreichischen Mehrheit vor Machtverlust und „fremden“ Einflüssen. Der unheilvolle Germanismus, der erst später sein wirkliches Gesicht zeigen sollte, machte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts bereits bemerkbar. Vor dem Wiener Kongress und im Vormärz – also in der Zeit zwischen 1815 und 1848 – hatte es so gut wie keine nennenswerten nationalen Span­ nungen zwischen Deutschen und Slowenen in der Untersteiermark gegeben. Die Frage nach der Nationalität spielte im Bewusstsein der Menschen noch keine wichtige Rolle. Manche auch schon früher auftretenden Benachteiligungen von Slowenen wurden angesichts der historischen Entwicklung, die von einer fast selbstverständlich gewordenen Hinnahme deutscher Herrschaften und Führungen im Kleinen wie im Großen ge­kenn­ zeichnet war, nicht in dem Maße wahrgenommen, dass sich daraus eine breite Empörung oder gar eine größere Auflehnung ergeben hätte. Man156

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che später angeprangerten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten waren den Betroffenen damals vielfach gar nicht wirklich bewusst oder wurden als Ergebnis gewisser historischer Entwicklungen einfach akzeptiert. Noch waren die Menschen in der Untersteiermark nicht in erster Linie „Deutsche“ oder „Slowenen“, sondern ganz vorwiegend lokale Patrioten. Sie waren Marburger, Cillier, Pettauer, ihre Heimat war die Steiermark. Spätere Ideen wie die einer Teilung der historisch entstandenen Kronländer zugunsten eigener slowenischer Selbstverwaltungsgebiete oder eines Zusammenschlusses aller Slowenen über die Grenzen der Kronländer hinaus lagen außerhalb der Gedankenwelt der überwiegenden Mehrheit der Menschen. So war noch Mitte des 19. Jahrhunderts die steirische Hauptstadt Graz – eine durchwegs deutsch besiedelte Stadt – der politische Mittelpunkt der steirischen Slowenen. Viele Bürger Marburgs – dies gilt auch für andere Städte der Untersteiermark – sprachen sowohl Deutsch als auch Slowenisch und verwendeten die eine oder die andere Sprache je nach Bedarf. In Marburg jedenfalls war Deutsch sowohl die Amtssprache als auch die allgemeine Umgangssprache. Auf dem slowenisch besiedelten Land ringsherum war die Umgangssprache dagegen Slowenisch. Politische Zusammenschlüsse von Slowenen waren noch selten. In der gesamten Steiermark gab es vor 1848 nur 26 Vereine – sie alle waren unpolitisch.111 Dann aber kam der sogenannte „Völkerfrühling“, ausgelöst von der Revolution von 1848. Deren Ruf nach mehr Liberalität, nach Volksmitwirkung, nach Pressefreiheit (also Aufhebung der Zensur) und nach einem konstitutionellen und föderalistischen Regierungssystem (statt des bestehenden absolutistischen und zentralistischen) vereinigte sich ganz natürlich auch mit dem Verlangen nach mehr nationaler Selbstbestimmung. Diese Entwicklung entfachte oder verstärkte in den ver111 Martin Moll, „Politische Organisationen und öffentlicher Raum in der Steiermark“, in: Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. VIII/I: „Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft“, Wien 2006, S. 397.

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schiedenen Volksgruppen innerhalb des Habsburgerreiches das nationale Selbstbewusstsein. So formulierten die Slowenen jetzt das Programm eines „Vereinten Slowenien“ („Združena Slovenija“), das eine Ver­ einigung aller Slowenen innerhalb der Habsburgermonarchie ohne Rücksicht auf die Grenzen der Kronländer vorsah und in den Gebieten dieser Union den Gebrauch der slowenischen Sprache in Ämtern und Schulen forderte. Die Zugehörigkeit zum Deutschen Bund lehnten die slowenischen Wortführer ab. Auf der Gründungssitzung des akademischen Vereins „Slovenija“ am 20. April 1848 in Wien wurde unter der Leitung des Präsidenten Fran Miklošič ein Drei-Punkte-Programm erarbeitet. Dies war, wie etwa der Historiker Robert A. Kann feststellt, das erste föderalistische Programm in der Monarchie überhaupt.112 Es basierte auf Ideen des damaligen Klagenfurter Kaplans Matija Majer Ziljski,113 der vier Tage nach dem Sturz Metternichs in einer Denkschrift die Vereinigung aller Slowenen gefordert hatte, ferner die Einführung der slowenischen Sprache in Ämtern und Schulen, zugleich aber die Treue zur Monarchie. In einer Petition an Kaiser Ferdinand regte er bereits eine politisch autonome Verwaltungseinheit der Slowenen mit dem Namen „Slovenien“ an. Mit einer eigenen Petition traten auch engagierte Slowenen in Graz um den Slawisten Josip Muršec-Živkovski auf, die, ebenfalls im Jahr 1848, den akademischen Verein „Slovenija“ gründeten. Sie unterließen dann jedoch die geplante Unterschriftensammlung und schlossen sich der Petition des Wiener Vereins „Slovenija“ an, die in slowenischer und in deutscher Sprache verfasst war, gerichtet an den Kaiser. Es standen nämlich die Wahlen zum Frankfurter Paulskirchenparlament, für dessen Boykott sich der Verein einsetzte, unmittelbar bevor. In ihrer 112 Robert A. Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918, Bd. I, Graz-Köln 1964, S. 304. 113 Matija Majer Ziljski (*7.2.1809 Wittenig/Vitenče, †  31.7.1892 Prag), Geistlicher, Ethnograf und Publizist.

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Schrift schlugen die Petenten vor, dass „der politisch zerstückelte Stamm der Slowenen in den Gubernien Laibach, Graz und Triest zu einem Königreiche Slowenien mit einem besonderen Provinzial-Landtage vereinigt“ und „die slowenische Sprache in Schule und Amt eingeführt“ werde. Außerdem dürfe „Slowenien nicht dem Deutschen Bunde einverleibt werden“. Dabei beriefen sich die Slowenen auf das am 25. April 1848 verabschiedete Patent, „das allen Volksstämmen der österreichischen Monarchie die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität und Sprache gewährleistet“.114 Die Petitionsbewegung erfasste den gesamten slowenischen Raum. Im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien sind 51 Petitionsbögen mit insgesamt 5.974 Unterschriften aufbewahrt, doch waren es viel mehr – nicht alle Bögen sind erhalten. Am erfolgreichsten war die Unterschriftensammlung in der Untersteiermark. 35 von 51 erhaltenen Bögen stammen aus diesem Raum. Das ist zweifellos auch auf den sehr aktiven Grazer Verein „Slovenija“ zurückzuführen, der das Wiener Programm des „Vereinten Slowenien“ in der Grazer Zeitung veröffentlicht hatte. In Marburg wurden dagegen, soweit bekannt, nur 55 Unterschriften gesammelt, davon 52 von Gymnasiasten. Es gab freilich auch viele Gegner dieser Petitionsbewegung. Neben deutschsprachigen, vornehmlich dem Bürgertum zugehörigen Marburgern reagierten auch manche Slowenen ablehnend. Dabei ist im historischen Rückblick umstritten, ob auch Bischof Slomšek zu den Gegnern zu zählen sei, wie dies nach dem Zweiten Weltkrieg, als in Jugoslawien die Antipathie gegenüber allem Kirchlichen Konjunktur hatte, in anklagendem Ton behauptet werden sollte. Tatsächlich hatte Slomšek die Petition des Klagenfurter Kaplans Majer nicht unterstützt, weil er dessen Aktionen für nicht hinreichend durchdacht hielt. Auch schien ihm der Zeitpunkt für ungeeignet. Vor allem aber vertrat er den Standpunkt, dass sich der Klerus nicht in die praktische Tagespolitik einzumischen 114 Stane Granda, Prva odločitev Slovencev za Slovenijo, Ljubljana 1999, S. 156. Mehr darüber ebenda, S. 130–155.

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habe, weshalb sich die Priester seiner Diözese zurückhalten sollten. Dass er das Programm des „Vereinten Slowenien“ jedoch inhaltlich bejahte, geht aus einem Brief vom 19. April 1848 hervor, in dem er schrieb: „Wir wollen österr. Slowenen bleiben, ohne zum deutschen Bund noch zum Kronathenthum (Zugehörigkeit zu verschiedenen Kronländern) zu gehören. Unsere Petitionen wollen wir zu einer gelegeneren Zeit machen.“115 Als sich nun aber die Petitionsgegner sehr bald radikalisierten und die Unduldsamkeit der Deutschen gegenüber den Slowenen deutlich zunahm, trat auch der Bischof für eine Unterzeichnung der Wiener Petition ein.116 Nicht bekannt ist allerdings, ob er das Papier selbst unterschrieb, da nicht alle Unterschriftsbögen erhalten sind. Bevor die Slowenen ein politisches Programm formulierten, hatten sie bereits ein kulturelles. Von entscheidender Wichtigkeit war dabei die Einheitlichkeit der Sprache und der Schrift, welche als „gajica“ (lateinische Schrift, ans Kroatische angepasst) vorgestellt wurde. Vor allem aber bedurfte es des Einsatzes bedeutender Männer wie des Slawisten Fran Miklošič und des Bischofs Slomšek, der eine Reihe slowenischer Bücher für das Volk schrieb und eine slowenische Volks­ bücherei ins Leben rief. Slomšek hatte schon als Seminarist seinen studenten Nachhilfe in slowenischer Sprache gegeben. Am Mit­ Pfingst­sonntag des Jahres 1834 hatte er in Mossburg (Možberk, Blatograd) in Kärnten zum fünfzigsten Ge­­burtstag des dortigen Pfarrers und slowenischen Dichters Urban Jarnik (1784  –1844) in slowenischer Sprache gepredigt. Dort sagte er unter anderem: „Die Muttersprache ist die teuerste Mitgift, die wir von unseren Vorderen bekommen haben; wir sind verpflichtet sie zu bewahren, sie zu verschönern und sie unseren Nachkommen zu hinterlassen.“ Und: „Brüder und Schwestern, schämt euch nicht, dass ihr Slowenen seid  !“  117 115 Stane Granda, „Anton Martin Slomšek med zvestobo narodu in cerkvi“, Studia Historica Slovenica, Nr. 2–3, Maribor 2010, S. 334. 116 Dies ist ersichtlich aus einem Brief an den Cillier Abt Matija Vodušek 117 Vlado Habjan, Anton Martin Slomšek, Ljubljana 1991, S. 21.

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Farbabbildung 1: Grundriss der Stadt mit den drei wichtigsten Stadttoren: Burgtor, Kärntnertor, Drautor (1824)

Farbabbildung 2: Der Marburger Kreis 1760

Farbabbildung 3: Burgplatz um 1915

Farbabbildung 4: Marburg um 1910: Das Lendviertel mit dem Landturm und dem Landhaus Venedig („Drau-Venedig" genannt)

Farbabbildung 5: Casino-Theater um 1901

Farbabbildung 6: Tegetthoffstraße um 1916

Farbabbildung 7: Ein Teil des Hauptplatzes (Glavni trg) im Jahr 1909

Farbabbildung 8: K.u.k. Infanteriekadettenschule

Farbabbildung 9: Fürstbischof Anton Martin Slomšek

Farbabbildung 10: Abschied von Papst Johannes Paul II. am 18. September 1999 nach der Seligsprechung von Anton Martin Slomšek. Von links nach rechts: der jetzige Ordinarius Erzbischof Marjan Turnšek, Erzbischof Franc Perko, Erzbischof Franc Kramberger, Papst Johannes Paul II.

Farbabbildung 11: Evangelische Kirche in der Truberjeva ulica

Farbabbildung 12: Basilika zur heiligen Maria, Mutter der Barmherzigkeit mit Franziskanerkloster

Farbabbildung 13: Luftaufnahme vom heutigen Maribor, von Bachern aus gesehen

Farbabbildung 14: Bild des Schreckens: Massengrab in Tezno, Luftaufnahme

Farbabbildung 15: Das Beinhaus in Tezno, errichtet als Mahnmal gegen Krieg und Verbrechen

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Die Verachtung des Slowenischen durch manche deutsche Nachbarn schmerzte ihn. Man dürfe nicht zulassen, dass diese das slowenische Leben zerstörten, warnte er. Und die Seminaristen seiner Diözese mahnte er in einer flammenden Predigt in Marburg: „Liebet euer Vaterland, das unsere Wiege war (und) euer Grab sein wird. Wer aber sein Vaterland liebt, der liebt auch sein Volk, seine Sprache …“   118 Von entscheidender Bedeutung für die nationale Erweckung der Slowenen in der Steiermark war aber, wie bereits aufgezeigt, die Verlegung des Bischofssitzes nach Marburg im Jahr 1859, weil nun in der Diözese Lavant die meisten slowenischen Pfarreien der Steiermark zusammengeführt werden konnten. Außerdem entstanden jetzt ein eigenes Priesterseminar der Diözese sowie eine Theologische Lehranstalt. Marburg wurde zum kulturellen Mittelpunkt der steirischen Slowenen. Die Slowenen lehnten sich zunächst, in den Jahren um 1848, nicht gegen die Deutschen in der Steiermark auf, sondern gegen das zentralis­ tische System, gegen welches sich ja auch die Revolution richtete. Zwar beschloss der steirische Landtag noch am 16. August 1848, in der Untersteiermark ein autonomes slowenisches Verwaltungsgebiet einzurichten, doch nach den Wahlen zur Frankfurter Versammlung sowie den Landtags- und Reichsratswahlen war dies alles Makulatur. Denn die Revolution wurde niedergeschlagen. In Wien, wo inzwischen Franz Joseph I. auf den Kaiserthron gekommen war, restaurierten Fürst Windisch-Graetz und Fürst Schwarzenberg nach ihrem Sieg über die Aufständischen wieder den Zentralismus und den Absolutismus. Das Parlament wurde am 4. März 1849 aufgelöst. Noch waren die meisten Presseorgane unpolitisch – doch hatte die durch die Revolution und die Folgejahre eingekehrte Stimmung in verschiedenen Kreisen der Bevölkerung eine neue, liberalere und selbstbewusstere Haltung bewirkt. Auf der anderen Seite sah sich der Kaiser zu 118 Franz Kosar, Anton Martin Slomšek, Fürstbischof von Lavant, dargestellt in seinem Leben und Wirken, Marburg 1863, S. 125.

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Reformen und zu ersten Ansätzen einer konstitutionellen Verfassung gezwungen, auch versuchte er nach einer Serie verlorener Schlachten, ausgleichend zu wirken. So ganz spurlos war die Revolution also nicht an Österreich vorbeigegangen – etliche Errungenschaften blieben bestehen. Wie etwa ein relativ freies Pressewesen. So kamen Ende der Fünfzigerjahre doch mehrere politische Zeitungen mit liberaler Orientierung auf den Markt. Vor 1848 hatte es im steirischen Bereich außer der regierungskonformen Grazer Zeitung kein politisches Presseorgan gegeben. Jetzt wurde außerdem eine Reihe von Studentenverbindungen gegründet. Der Landtag tagte im April 1861 nach zwölf Jahren wieder. Indessen verschärften sich die Spannungen zwischen Deutschen (Deutschösterreichern) und Slowenen in der Untersteiermark. Gegenseitige Anfeindungen nahmen zu, und in Marburg gerieten die Schil­ ler-Feiern 1859 anlässlich des hundertsten Geburtstags des deutschen Dichters zu einer Großdemonstration des Deutschtums, von welcher sich viele Slowenen provoziert fühlten. Als 1865 die Regierung Schmerling mit ihrem zentralistischen Konzept gestürzt war und das Februarpatent unter Ministerpräsident Richard Graf Belcredi119 ausgesetzt wurde, begrüßten die Slowenen dies. Denn jetzt kam auch der Plan des „Vereinten Slowenien“ von 1848 wieder aufs Tapet. Doch aus Angst, dass er weder bei den Deutschen noch bei den slawischen Nachbarvölkern durchzusetzen sei, wurden andere Vorschläge ins Gespräch gebracht, um die Herstellung einer Gemeinsamkeit möglichst vieler Slowenen auf einem bestimmten Territorium zu erreichen. Es waren zwei Pläne, die nun vorgebracht wurden und die auf historischen Grundlagen fußten: das Konzept Illyrien (ihm zufolge sollten das Küstenland, Krain und Kärnten eine

119 Das Februarpatent wurde am 26. Februar 1861 in Kraft gesetzt und ersetzte das föderalistische Oktoberdiplom vom 20. 10. 1860. Die Legislative wurde demnach zwischen dem Kaiser und den beiden Kammern des Reichsrats geteilt. Die Mitglie­ der des Abgeordnetenhauses sollten vom jeweiligen Landtag gewählt werden.

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Einheit bilden)120 sowie das Konzept Innerösterreich (demnach sollten Steiermark, Kärnten, Krain und das Küstenland zusammengeschlossen werden).121 Am 25. September 1865 beschlossen die slowenischen Wortführer aus der Steiermark, Krain und Kärnten auf einem Treffen in Marburg ein Programm, das auf dem historischen Recht Innerösterreichs aufbaute. Dabei wurde für jedes der genannten Länder sowohl ein Landtag als auch eine Statthalterei vorgeschlagen, für alle zusammen aber ein Generallandtag und eine Hofkanzlei. Die Regelung von Nationalitätsfragen sollte einem National-Gruppenlandtag vorbehalten sein. Die Wahlbezirke sollten auf die entsprechenden Volkszugehörigkeiten zugeschnitten werden. In den gemischten Ländern sollte es Kurien nach Nationen geben. Für den Fall, dass im Landtag keine Einigung zustande kommen sollte, sollte der Kaiser höchstselbst eingreifen. Der geistige Vater dieses Programms war der Kärntner Geistliche Andrej Einspieler.122 Doch kam es weder bei den Slowenen noch bei anderen slawischen Volksgruppen an – und schon gar nicht bei den Deutschen, die den Föderalismus und die Sistierung des Februarpatents entschieden ablehnten. Auch das sogenannte „illyrische Programm“ (das die Slowenen der Steiermark ohnehin nur betroffen hätte, wenn man sie in Abweichung von den ursprünglichen Grenzen der Illyrischen Provinzen einbezogen hätte) wurde nicht angenommen.

120 Nach dem Frieden von Schönbrunn 1809 wurden Teile Österreichs abgetrennt und von Frankreich als „Illyrische Provinzen“ verwaltet. Deren Hauptstadt wurde Laibach. 1814 kamen diese Teile wieder zu Österreich zurück und wurden zum „Königreich Illyrien“ (Krain, Kärnten, Görz, Gradiska und Istrien) zusammengefasst. Unterkärnten, das 1809 bei Österreich geblieben war, kam noch hinzu, während Dalmatien ausschied. Bereits 1849 wurde Illyrien aufgelöst. 121 Hier wurden die Slowenen im Übermurgebiet und in Venetien nicht erfasst. 122 Vasilij Melik, „Die slowenische Politik am Anfang des Dualismus“ (1867–1870), Der österreichisch-ungarische Ausgleich 1867, hg. v. Ludovit Holotík, Bratislava 1971, S. 609 – 611.

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Die Niederlage im Deutschen Krieg gegen Preußen 1866 hatte das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund zur Folge, was von den Slowenen begrüßt wurde. Sie waren durch die neue Lage beflügelt und traten bei den Landtagswahlen im Januar 1867 zum ersten Mal organisiert auf. Tatsächlich hatten sie auch sogleich Erfolg in der ländlichen Kurie, in welcher sie alle acht Mandate errangen. Nichts erreichten sie indes in der Marburger Stadtkurie. Immerhin waren sie nun im Land gewachsen, und dies führte auch zu einer Stärkung der slowenischen Vertretung im Wiener Parlament. Die Steiermark wurde dort von zwei Slowenen vertreten, die vom stei­ rischen Landtag aus den Reihen der slowenischen Abgeordneten ge­wählt waren. Nun hatte die Aufbruchsstimmung unter den Slowenen aber eine Kehrseite: Auch die Deutschen, die ihre Vorrangstellung in der Steiermark, vor allem in der Stadt Marburg, bisher größtenteils als Bestandteil einer selbstverständlichen Ordnung begriffen hatten, fühlten sich nunmehr zu besonderen Demonstrationen ihres Volkstums und ihrer traditionellen Führungsmacht im Land ermuntert, wobei sich die Tendenz verstärkte, den Slowenen im öffentlichen Leben und im Wirtschafts­leben die ihnen anteilsgemäß zustehenden Positionen zu verweigern. Denn soweit es um die Gleichberechtigung und die Gleichbehandlung ging, wichen Gesetz und Praxis sehr oft voneinander ab. Vor allem wurde versucht, das öffentliche Ansehen der aufmüpfig gewordenen Slowenen zu beschädigen. Das hatte auch mit einer in der deutschen Bevölkerung immer stärker werdenden Abneigung gegenüber den „Slawen“ insgesamt zu tun, deren Bild vor allem von den als feindlich empfundenen Serben bestimmt war. Nicht wenige deutschsprachige Steirer sahen in den Ansprüchen der Slowenen slawische Angriffe auf die „deutsche Heimat“, die abgewehrt werden müss­ ten. Ein Beispiel hierfür bot unter anderen einer der bekanntesten deutschsteirischen Heimatschriftsteller, der aus Marburg stammende, aber schon früh nach Graz abgewanderte Geistliche und Bibliothekar 164

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Ottokar Kernstock.123 Während des Ersten Weltkriegs sollte Kernstock in einem Gedicht fordern: „Lasst die wilden Slawenheere /nimmermehr durch Marburgs Tor  !  /  Lieber rauchgeschwärzte Trümmer  /  als ein windisch Maribor  !“ Noch bis in die Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts waren Deutsche und Slowenen in verschiedenen nicht-politischen Vereinen gleichermaßen willkommen. Dies änderte sich, als auch der „Deutsche Schulverein“ und der Verein „Südmark“ ihre Niederlassungen in Marburg begründeten. Jetzt wurden auch die bislang unpolitischen Ver­ eine zunehmend politisch. Das beeinträchtigte natürlich das bislang trotz nationaler Verstimmungen friedliche Miteinander von Deutschen und Slowenen in geselligen Gruppen ganz erheblich. So agierte der „Männergesangsverein“, der aus dem 1825 gegründeten „Marburger Musikverein“ hervorgegangen war, zunehmend deutschnational. Erst recht taten das die Turnvereine. Der 1862 gegründete „Marburger Turnverein“ wurde 1888 zum „Deutschen Turnverein Marburg“. Sein Gründer und Leiter war Rudolf Markl, der stets besonderen Wert auf die Hervorhebung seines Deutschseins legte.124 Der „Turnverein Jahn“, der 1899 in Marburg gegründet wurde, wies schon zu Beginn die Pflege „deutschen Turnens“ als Vereinszweck aus. Verschiedene andere Vereine – so der „Deutsche Schulverein“, die „Südmark“, der „Marburger Turnverein“, der „Casino- und Theaterverein“ – bildeten schon in den Achtzigerjahren eine gemeinsame „deutsche Front“ gegen die Slowenen.125 Die „Südmark“, 1899 in Graz gegründet, verlangte von ihren Mitgliedern „deutsche Stammeszugehörigkeit“ und ab 1907 „arische Abkunft“.126 123 Kernstock hatte einen Text für eine Kaiserhymne nach der Haydn’schen Melodie geschrieben, die später, 1929 bis 1938, Bundeshymne der Republik Österreich wurde. 124 Er leitete auch Turnkurse für Lehramtskandidaten und erteilte Turnunterricht an der Oberrealschule. 125 Pertassek, S. 78. 126 Moll, S. 431.

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Natürlich spürten die national erwachten Slowenen auf Schritt und Tritt die erdrückende Überlegenheit der Deutschen, vor allem deren wirtschaftliche Macht, welcher sie ausgeliefert waren. Diese schränkte automatisch auch die politische Mitbestimmung sowie die Mitwirkung von Slowenen in Gremien und Vereinen mehr und mehr ein. Nach dem damaligen Recht gab es bei Wahlen immer noch Abstufungen, die den Vermögenden, je nach ihrer Steuerkraft, insgesamt ein stärkeres Stimmengewicht verliehen als anderen Bürgern. Dabei wurde die Stärke der Deutschen so sehr spürbar, dass die Slowenen, obwohl in den Wahlen auf dem Land erfolgreich, in den entscheidenden Gremien, vor allem in der Stadt, kein ihren Anteilen angemessenes Gewicht erhielten. In der Stadt Marburg erschien den Slowenen die politische Lage, soweit es um ihre Mitsprache ging, sogar so aussichtslos, dass 1867 der einzige slowenische Vertreter aus dem Gemeinderat austrat. Bis 1918 sollte es dort keinen slowenischen Vertreter mehr geben. Nach kroatischem Vorbild wurden jedoch im gesamten slowenischen Raum Lesevereine gegründet, die sich der Pflege der Sprache und des slowenischen Selbstbewusstseins widmeten. So entstand 1861 in Marburg der „Slovanska čitalnica“ (Slawischer Leseverein) mit dem erklärten Ziel, dass „größere Freude und größere Liebe zur Muttersprache geweckt werde“. Der Verein sorgte dafür, dass slowenische Konversation geübt, slowenische Volkslieder gesungen, slowenische Vorträge gehalten, slowenische Zeitungen und Bücher gelesen, slowenische kulturelle Veranstaltungen und Tanzveranstaltungen organisiert und kleinere slowenische Dramen aufgeführt wurden. Das erste Theaterstück trug den bezeichnenden Titel „Ali smem Slovenec biti?“ – auf Deutsch: „Darf ich denn Slowene sein?“ Allerdings war die Mitgliederzahl des Vereins, der jeweils zur Miete in verschiedenen Gasthöfen und Hotels gastierte, niemals hoch – 1861 betrug sie 30, 1872 70, schließlich, im Jahr 1913, 120. Wichtig aber war, was der Verein auslöste. Die Veranstaltungen fanden guten Anklang und 166

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gaben dem Selbstgefühl der Slowenen starken Rückhalt. Die Mitglieder waren Juristen, Professoren, Lehrer, Priester, Kaufleute, Handwerker.127 Wegen der Auseinandersetzungen zwischen den konservativen und kompromissbereiten Altslowenen („Staroslovenci“) und den liberalen Jungslowenen („Mladoslovenci“), die den kulturellen Aufbruch ihrer Volksgruppe mit teils scharfen politischen Tönen begleiteten, wurde die Tätigkeit des Lesevereins dann aber empfindlich geschwächt. Die „Jungslowenen“ vertraten nämlich in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts ein politisches Programm, das ein „Vereintes Slowenien“ und – unter anderem – die volle Gleichberechtigung der Sprachen propagierte. Sie nahmen liberale Ideen auf, lehnten aber den politisch organisierten Liberalismus jener Zeit ab. Vor allem aber waren sie kämpferisch. Nach tschechischem Muster veranstalteten sie – ab 1863 in der Steiermark, dann auch im übrigen slowenischen Raum – Massen-Zusammenkünfte, „Tabor“ genannt, auf welchen das „Vereinte Slowenien“ gefordert und entsprechende Resolutionen verabschiedet wurden. Den „Altslowenen“ warfen sie Opportunismus vor, vor allem glaubten sie bei ihnen ein zu geringes Enga­gement für das Programm des Vereinten Slowenien feststellen zu müssen.128 Sprachrohr der „Jungslowenen“ war die politische Zeitung Slovenski narod („Slowenisches Volk“), die seit 1868 in Marburg heraus­gegeben wurde – als Gegengewicht zur Laibacher Zeitung Novice, deren Herausgeber Janez Bleiweis war, um welchen sich die „Altslowenen“ gruppierten. Im Übrigen gab es ab 1870 noch einen weiteren Verein, der die slowenische Selbstbehauptung förderte und 127 Bruno Hartmann, „Razmerje med nemško in slovensko kulturo v Mariboru“, Od Maribora do Trsta, ed. Darko Friš und Franc Rozman, Maribor 1998, S. 195. 128 Dies zeige sich, so meinten sie, vor allem darin, dass die Slowenen im Wiener Parlament 1867 für die Dezemberverfassung votiert hätten, die den österreichisch­ ungarischen Dualismus besiegelte und nicht gleiches Recht für andere Völker der Monarchie beanspruchte.

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sich gegen die Aktivitäten der Deutschnationalen richtete: der „Ka­­ toliško konzervativno društvo“ [„Katholischer Konservativer Verein“]. Als Antwort auf die Tabor-Bewegung organisierten auch die Deutschen drei Massenveranstaltungen, doch hatten sie offenbar keinen großen Erfolg. Auch sie begannen in den Jahren 1870/71, nationale Vereine zu gründen. Und 1871 verabschiedeten sie das sogenannte Marburger Programm, in dem sie eine stärkere Anbindung Cisleithaniens (der westlichen Reichshälfte der Habsburgermonarchie) an das Deutsche Reich forderten. 1882 wurde der „Slovensko politično društvo“ (Slowenischer politischer Verein) mit Sitz in Marburg ins Leben gerufen. Sein erster Präsident war Franc Radaj, dessen Nachfolger der Geistliche Ladoslav Gregorc, auf dessen Initiative die Gründung zurückgeht. Sinn des Vereins war es, die zwischen „liberal“ und „konservativ“ zerstrittenen Slowenen wieder zusammenzubringen, das slowenische Nationalbewusstsein zu wecken und die staatsbürgerlichen und nationalen Rechte zu verteidigen. Gleichzeitig mit dem politischen Verein wurde eine Volksspar­ kasse („Ljudska posojilnica“) gegründet. Eigentlich war diese schon für viel früher geplant gewesen, aber die Statthalterei in Graz hatte zunächst die Genehmigung verweigert. Der Zweck dieser Sparkasse war nicht nur die Gewährung niedrig verzinster Kredite an ihre Mitglieder, vielmehr sollte sie die Abhängigkeit der slowenischen Bauern von deutschen Geldinstituten eindämmen, womit ein weiterer Schritt zu mehr nationalem Selbstbewusstsein getan war. Die Slowenen hatten erkannt, dass es von großer Wichtigkeit war, die Wirtschaftskraft zu stärken, vor allem den Mittelstand und die Betriebe der Landwirtschaft zu fördern. Die Volkssparkasse erfüllte diesen Auftrag fruchtbar – mit zahlreichen Filialen auf dem Land. 1912 sollte es bereits 254 slowenische Genossenschaften geben. Dabei zeigte sich die „Slovens­ ka ljudska stranka“ (SLS, Slowenische Volkspartei) besonders 168

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aktiv.129 Aber die Volkssparkasse unterstützte auch slowenische Kulturvereine, Schulen, vergab Stipendien an slowenische Schüler und Studenten.130 Auch nachdem sich die finanzielle Lage des Lesevereins („Čitalnica“) wieder gebessert hatte, blieb er weiterhin räumlich eingeengt, untergebracht in verschiedenen Gasthäusern, mit nur spärlichen Möglichkeiten für Bühnenveranstaltungen. Erst als er 1889 in das Gasthaus „Zur neuen Bierquelle“ auf dem Burgplatz (Grajski trg) umzog, wo er bis 1892 blieb, ging es wieder bergauf. Drei Jahre später übersiedelte der Verein in das „Hotel Erzherzog Johann“ (heute Slovenska ulica 13) Ecke Brandisgasse Burggasse/Herrengasse (Grajska ulica/Gosposka ulica). Dort fand auch der 1894 gegründete „Slovensko delovno bralno in pevsko društvo Maribor“ („Slowenischer Arbeiter-, Lese- und Gesangsverein Marburg“) Zuflucht – unter der Leitung von Štefan Skrbinšek, der in seinem Verband die nicht sozialdemokratisch organisierte Arbeiterschaft vereinigte. Im Hotelsaal fanden nun gemeinsame Theateraufführungen beider Vereine statt, so unter anderem im November 1895 der erste Mehrakter in Slowenisch: „Der Müller und sein Kind“ („Mlinar in njegova hči“) des deutschen Schriftstellers Ernest Benjamin Salomo Raupach (1784  –1852). 129 Die Slowenische Volkspartei wurde 1892 in Laibach zunächst unter dem Namen „Katholische nationale Partei“ („Katoliška Narodna stranka“) gegründet. 1909 dehnte sie ihren Wirkungsbereich auf die Untersteiermark, Kärnten, Görz und Gradiska sowie Istrien aus. Sie nannte sich von da an Allslowenische Volkspartei (VLS, „Vseslovenska ljudska stranka“) und war die stärkste slowenische Partei. Sie wurden stark unterstützt von den Bauern und der Katholischen Kirche. Sie eroberte bei den letzten Wahlen während der Monarchie 87 Prozent aller slowenischen Mandate. Die Partei der Liberalen war die „Narodno napredna stranka“ („Nationale Fortschrittspartei“), die von Bürgertum, Intelligenz und vermögenderen Bauen unterstützt wurde. Als dritte Partei stand die Sozialdemokratische Partei zur Wahl. 130 Den Vorsitz übernahm der Rechtsanwalt Dr. Jernej Glančnik, der auch gleichzeitig Präsident des slowenischen Lesevereins („Čitalnica“) war.

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Abbildung 11: Narodni dom (Volksheim), 1999

Unter deutschnationalem Druck wurde dann aber 1897 den beiden Vereinen gekündigt. Der Leseverein zog nun in das Gasthaus an der Kärntnerstraße 2, während die Aufführungen in einem gemieteten Saal der Gaststätte „Gambrinus“ stattfanden. Der Slowenische ArbeiterLese- und Gesangsverein wurde im Gasthaus „Zur Südbahn“ auf der Tegetthoffstraße (heute Partizanska cesta) sowie im Gasthaus von I. Ivanuš einquartiert, wo dann auch die Mitglieder des „Turnvereins Sokol“ aus Cilli auftraten. Nach tschechischem Vorbild bauten auch die Slowenen Volkshei­ me. Der erste „Narodni dom“ entstand in Rudolfswerth/Novo mesto 1885, einer wurde 1896 in Laibach errichtet, ein weiterer 1897 in Cilli. Der „Narodni dom“ in Marburg wurde 1898 gebaut, und zwar von der Slowenischen Volkssparkasse, die ebenfalls kein eigenes Haus hatte und deshalb gezwungen war, sich in verschiedenen Kneipen und 170

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Gasthäusern einzumieten. Dieses neue Volksheim sollte nun verschiedensten slowenischen Vereinen ein Dach über dem Kopf bieten. Das Konzept war so überzeugend, dass sogleich auch die Deutschen begannen, in Marburg ein Deutsches Haus zu bauen. So zogen neben der Volkssparkasse und dem Leseverein, der die erste slowenische Bibliothek der Stadt, die Volksbibliothek, gründete, auch der Geschichtsverein für die Untersteiermark mit seinem Museum, dem „Bralno in pevsko društvo“ (Lese- und Gesangsverein) sowie dem Turn­ verein Sokol in das neue Gebäude ein, das auch über einen Theatersaal verfügte. Dort konnten nun alle möglichen Versammlungen, geselligen Zusammenkünfte, Theateraufführungen und Tanzveranstaltungen abgehalten werden.131 Das Haus wurde so zum kulturellen und politischen Zentrum der Slowenen, das immer mehr Menschen nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus der weiteren Umgebung anzog. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mussten die kulturellen Tätigkeiten dann allerdings stark eingeschränkt werden, da viele Männer eingezogen wurden. Erst mit der Maideklaration 1917 änderte sich dies wieder. Die slowenischen Turnvereine „Sokol“ („Falke“) und „Orel“ („Adler“) wurden 1907 und 1908 gegründet. Auch sie waren betont national ausgerichtet. Dabei galt Sokol als „liberal“, während Orel betont „katholisch“ orientiert war. Im Reichstag sollte der Priester und steirische Abgeordnete der SLS, Anton Korošec, wenige Jahre später, 1911, die Bedeutung der Vereine für das slowenische Nationalbewusstsein umreißen: „Die Entwicklung, die Erweckung und die Erstarkung des slowenischen Volkes ist auf dem Boden des Vereinslebens erfolgt … Alles, was wir sind und was wir erreicht haben, haben wir auf dem Boden des Vereinslebens erlangt!“ 132 131 Es gab 344 Sitz- und 300 Stehplätze im Theater. 1909 wurde der „Dramatično društvo“ [„Dramaturgische Verein“] gegründet 132 Moll, S. 436; Pleterski, „Die Slowenen“, Die Habsburgermonarchie 1848  –1918, III/2, hg. v. Adam Wandruszka und Peter Urbanitsch, in: Die Völker des Reiches, Wien 1980, S. 816.

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Denn die Vereine waren nicht nur Orte geselliger Treffen, sondern auch Stützpunkte der politischen Mobilisierung. Nach 1900 waren zum Beispiel die verschiedenen Gesangs- und Turnveranstaltungen bewusst auch als nationale Demonstrationen organisiert – der „nationale Gegner“ sollte herausgefordert, das eigene Bewusstsein gestärkt werden.

Marburger Bürger und ihre nationale Zugehörigkeit In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg war die Landespolitik in der Untersteiermark größtenteils von der nationalen Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Slowenen beherrscht. Die Beziehungen verschlechterten sich besonders, nachdem Eduard Graf Taaffe Ministerpräsident wurde (1879). Die steirischen Slowenen verlangten von Taaffe die Bildung einer besonderen Abtei­ lung der steirischen Statthalterei, zuständig für die Untersteiermark mit dem Sitz entweder in Marburg oder in Cilli, und die Gleichberech­ tigung der slowenischen Sprache in Amt und Schule gemäß der Verfassung. Sie empfanden dies als einen Angriff auf ihren „deutschen Besitzstand“, den sie seit Jahrhunderten hatten, und einen Schritt auf dem Weg zur Slowenisierung der Untersteiermark. Die Deutsch-Steirer fühlten sich von Wien unverstanden, zunehmend stärker wurde die „Los-von-Rom-Bewegung“. In diesem Sinne schrieb auch das in slowenischer Sprache verfasste, aber von Deutschen herausgegebene Blatt Kmetijski prijatelj (Der Bauernfreund), das in den Jahren 1882   –1884 in Cilli erschien. Dort hatte auch der 1883 gegründete „Untersteirische Fortschrittsverein“ seinen Sitz. Dem slowenischen Programm des „Vereinten Slowenien“ setzten die Zeitung und der Verein das steirische Nationalbewusstsein entgegen und betonten, dass das Land schon aus 172

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Denn die Vereine waren nicht nur Orte geselliger Treffen, sondern auch Stützpunkte der politischen Mobilisierung. Nach 1900 waren zum Beispiel die verschiedenen Gesangs- und Turnveranstaltungen bewusst auch als nationale Demonstrationen organisiert – der „nationale Gegner“ sollte herausgefordert, das eigene Bewusstsein gestärkt werden.

Marburger Bürger und ihre nationale Zugehörigkeit In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg war die Landespolitik in der Untersteiermark größtenteils von der nationalen Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Slowenen beherrscht. Die Beziehungen verschlechterten sich besonders, nachdem Eduard Graf Taaffe Ministerpräsident wurde (1879). Die steirischen Slowenen verlangten von Taaffe die Bildung einer besonderen Abtei­ lung der steirischen Statthalterei, zuständig für die Untersteiermark mit dem Sitz entweder in Marburg oder in Cilli, und die Gleichberech­ tigung der slowenischen Sprache in Amt und Schule gemäß der Verfassung. Sie empfanden dies als einen Angriff auf ihren „deutschen Besitzstand“, den sie seit Jahrhunderten hatten, und einen Schritt auf dem Weg zur Slowenisierung der Untersteiermark. Die Deutsch-Steirer fühlten sich von Wien unverstanden, zunehmend stärker wurde die „Los-von-Rom-Bewegung“. In diesem Sinne schrieb auch das in slowenischer Sprache verfasste, aber von Deutschen herausgegebene Blatt Kmetijski prijatelj (Der Bauernfreund), das in den Jahren 1882   –1884 in Cilli erschien. Dort hatte auch der 1883 gegründete „Untersteirische Fortschrittsverein“ seinen Sitz. Dem slowenischen Programm des „Vereinten Slowenien“ setzten die Zeitung und der Verein das steirische Nationalbewusstsein entgegen und betonten, dass das Land schon aus 172

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Abbildung 12: Reißerstraße (cakarjeva ulica) in Marburg, 1918

wirtschaftlichen Gründen nicht geteilt werden könne. Doch verschwand diese Bewegung Mitte der Achtzigerjahre. Marburg war eine deutsche Sprachinsel inmitten eines slowenisch besiedelten Landes. 88,5 Prozent der Untersteirer waren Slowenen, vorwiegend arbeiteten sie in der Landwirtschaft. Dagegen war die Stadt Marburg vorwiegend deutschsprachig besiedelt. Deutsch war die alltägliche Umgangssprache, etwa am Arbeitsplatz. Laut Volkszählung 1890, die auf einer Befragung der Marburger Bürger nach ihrer gangssprache beruhte, wurden 17.245 der damals insgesamt Um­ 19.898 Einwohner Marburgs der deutschen Sprachgruppe zugeordnet und nur 2.653 der slowenischen. Im Jahr 1910 standen 22.663 Marburger mit deutscher Umgangssprache 3.823 Einwohnern mit slowenischer Sprache gegenüber. Die Resultate in der unmittelbaren Umgebung Marburgs sahen ganz anders aus. In den drei die Stadt umgebenden Bezirken wurden 1910 von insgesamt 132.080 Einwohnern 109.597 mit slowenischer und nur 21.020 (15,91 Prozent) mit deutscher Umgangssprache gezählt. 173

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Doch war offenkundig, dass die genannten Erhebungen nach der Umgangssprache nur ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wiedergaben. Welcher Nationalität und Abstammung die erfassten Bürger von Marburg tatsächlich waren, ja, auch welche Sprache sie tatsächlich in der Fa­­­ milie pflegten, erschloss sich aus den Volkszählungen nur sehr begrenzt. Denn bei der Beantwortung der Frage nach der Umgangssprache spielten zahlreiche soziale, wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische und psychologische Motive eine Rolle. Heirat, Ortswechsel, persönliche Vorteile, wirtschaftliche Präsenz der Deutschen waren dabei oft entscheidend. Auch wurde mancher – zumindest indirekte – Druck auf Slowenen ausgeübt. So hatte etwa die Marburger Zeitung am 27. Januar 1900 gefordert, dass „alle slowenischen Knechte und Mägde, die ihr Brot bei den deutschen Herren verdienen, Deutsch als Umgangssprache“ angeben sollten. Aus allen genannten Gründen befand der steirische slowenische Reichsratsabgeordnete Karl Verstovšek 1910, dass die in diesem Jahr erfolgte Volkszählung unzuverlässig sei und für „null und nichtig“ erklärt werden müsse. Eine von den Slowenen veranlasste private Zählung im selben Jahr kam zu dem Ergebnis, dass in Marburg 7.500 Slowenen lebten, demnach immerhin 13,66 Prozent der Bevölkerung.133 Das freilich bedeutete ebenfalls (wenn auch im abgeschwächten Maße), dass die deutsche Sprache in Marburg eindeutig dominierte. Der Historiker und Gymnasiallehrer Rudolf Gustav Puff hatte die Situation in Marburg schon 1847 in seinem zweibändigen Werk Marburg in Steiermark. Seine Umgebung, Bewohner und Geschichte zusammengefasst. Darin stellte er fest, dass das Leben in der Stadt zu jener Zeit gänzlich deutsch war, das der unmittelbaren Umgebung aber slowenisch. Die Mehrzahl der Einheimischen beherrschte jedoch beide Sprachen – viele Arbeiter auch schon nach einjährigem Aufenthalt in der Stadt. Diese waren jedoch, wie Puff feststellte, nahezu gänzlich slo133 Bruno Hartmann, Maribor – dogajanja in osebnosti, Str. 18.

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wenischer (er schreibt „wendischer“  ) Herkunft.134 Das, was der slowenische Politiker und Jurist Josip Sernec aus dem steirischen WindischFeistritz (Slovenska Bistrica) in seinen Erinnerungen schrieb, dass sie nämlich zu Hause mit Vater und Mutter deutsch sprachen, mit der weiteren Familie und den bäuerlichen Schulkameraden aber slowenisch, galt auch für viele Familien in Marburg.135 Nach der Volkszählung 1880 hatte die Stadt 17.628 Einwohner, davon 1.604 Soldaten, also teilweise Nicht-Einheimische, 654 von ihnen aus Ungarn. Die Erhebung nach der Umgangssprache zeigt folgendes Bild:136 Umgangssprache Deutsch Slowenisch

Einwohner 13.385  2.431

Tschechisch

65

Slowakisch

183

Polnisch

3

Kroatisch

6

Ungarisch Italienisch und Rumänisch Fremde

Zusammen

2.699

668 41 634 7.628

134 Puff, S. 259. 135 Josip Sernec, Spomini, Ljubljana 1927, S. 2. „Deutschsprachige Presse in Slowenien“, in: Berichte und Forschungen, hg. v. Eckhard Grünewald, Bd. 12, 2005, S. 156. 136 Sašo Radovanovič, „Mesto Maribor od sredine 19. stoletja do konca druge svetovne vojne“, Pozdrav iz Maribora. Mesto na razglednicah v letih 1882 do 1945, ed. Jože Ternar, Maribor 1992, S. 15.

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Doch gibt diese Auflistung nicht das tatsächliche Verhältnis zwischen den Nationalitäten wieder, weil die Dienstherren die Fragebögen für ihr Dienstpersonal ausfüllten und deshalb vorwiegend „Deutsch“ als Umgangssprache angaben, obwohl Mägde, Knechte und sonstige Diener – die fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachten – weit überwiegend Slowenen waren. Nahezu jeder dritte Marburger war freiberuflich tätig, öffentlicher Angestellter oder Soldat. Die meisten von ihnen gehörten der deutschsprachigen Volksgruppe an. Vielsagend ist auch die Information, dass die Stipendien des Landtags und Ausschusses in Wien und in Graz überwiegend an Studenten der deutschen Volksgruppen vergeben wurden. Das unverhältnismäßig starke Gewicht des Deutschtums in den besagten Umfragen und Zählungen ergab sich jedoch auch aus der Tatsache, dass der soziale Aufstieg in Marburg nahezu gleichbedeutend war mit der Assimilation an das Deutschtum – und dies in einer Stadt, die von rein slowenischem Gebiet umgeben war. Ähnliches galt im Übrigen auch für Pettau und Cilli. Allerdings verstärkte sich das deutsche Element in Marburg auch durch den Zuzug deutschsprachiger Arbeiter, zum Beispiel wegen der in der Stadt ansässigen Südbahnwerkstatt. Diese Arbeiter ließen sich mehrheitlich am rechten Drauufer nieder. Von 215 eingetragenen Unternehmen in Marburg waren im Jahr 1918, als der Erste Weltkrieg endete und die österreichisch-ungarische Monarchie zusammenbrach, 192 im Besitz deutschsprachiger Bürger und Gruppen, auch die größeren Gewerbebetriebe gehörten vorwiegend deutschsprachigen Bürgern. Insgesamt überwog in Handwerk und Handel eindeutig die deutsche Volksgruppe. Unter den Bäckern waren 14 deutsch, nur einer war Slowene, bei den Baumeistern war das Verhältnis 10 (deutsch) zu 1 (slowenisch), bei den Gastwirten 75 zu 12, bei den Betreibern von Hotels und Einkehrgasthöfen 14 zu 2, bei den Fleischhauern 25 zu 5, bei den Weinhändlern 10 zu 0. Nur neun Slowenen befanden sich unter den 159 größten Steuerzahlern der Stadt (mit über 100 Kronen im Jahr). Aber auch bei akademischen Berufen – bei 176

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den Advokaten (8 zu 5), Apothekern (4 zu 1) und Ärzten (21 zu 2) – zeigte sich ein ähnliches Bild.137 Der Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes der Dezemberverfassung Cisleithaniens (der österreichischen Hälfte der Doppelmonarchie) von 1867, das bis zum Ende der Monarchie 1918 galt, stellte klar: „Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.“ Und: „Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staat anerkannt.“  138 Mangels klarer Durchführungsbestimmungen existierte dieser Artikel oft nur auf dem Papier – die praktizierte Wirklichkeit genügte ihm nicht überall. Dabei ist jedoch festzustellen, dass die staatlichen (Wiener) Behörden einschließlich der Eisenbahnverwaltung das Gesetz doch besser befolgten als die Landesbehörden oder gar die Gemeinden. So gab etwa Justizminister Alois von Pražák für den Sprengel des Oberlandesgerichts Graz, das für Krain, Steiermark und Kärnten zuständig war, einen Spracherlass heraus, in welchem er die Gleichbehandlung aller Sprachen als verbürgtes Recht anmahnte. Das hieß also, dass ein gesetz­ licher Anspruch darauf bestand, sich vor Gericht der jeweils eigenen Muttersprache zu bedienen. Dennoch gab es große Schwierigkeiten, diesen Anspruch durchzusetzen. So beharrte das Oberlandesgericht in Graz noch 1907 darauf, dass nicht jede Sprache, die „landesüblich“ sei – im konkreten Fall war das Slowenische gemeint – als gerichtliche Verhandlungssprache infrage komme. Und dies, obwohl das Oberste Ge­­ richt nach einem Streitfall 1898 das Oberlandesgericht ausdrücklich angewiesen hatte, Slowenisch als Verhandlungssprache zuzulassen und

137 Karner, S. 49/50; Peter Urbanitsch, „Die Deutschen“, in: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. III, Die Völker des Reichs, hg. v. Adam Wandruszka und Peter Urbanitsch, Wien 2003, S. 249. 138 Gerald Stourzh, „Die Gleichberechtigung der Volksstämme als Verfassungsprinzip 1848–1918“, in: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. III, S. 1014.

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lediglich die Verkündung und die Ausfertigung der Urteile der deutschen Sprache vorzubehalten. Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Wien wurden in allen Sprachen der österreichischen Hälfte der Monarchie abgefasst, nur nicht in der slowenischen und der rumänischen – was eindeutig verfassungswidrig war. Große Probleme aber gab es vor allem auf der lokalen Ebene. So lag es beim Kreisgericht in Marburg mehr oder weniger im Ermessen des Richters, ob er überhaupt gewillt war, in slowenischer Sprache zu verhandeln. Da nun die Richter mehrheitlich Deutsche waren und die Schriftführer selten Slowenisch beherrschten, kam es immer wieder zu einschneidenden, rechtswidrigen Benachteiligungen von Slowenen. So geschehen zum Beispiel bei den Schwurgerichten in Marburg und Cilli, wo die Anklagen der Staatsanwaltschaft in Deutsch erfolgten, obwohl die Angeklagten die Sprache gar nicht verstanden.139 Im öffentlichen Dienst des Landes befanden sich damals 85 Prozent „Deutsche“, ähnlich auch in den Städten. Doch wurden die steirischen Stadtverwaltungen vom Wiener Innenministerium ausdrücklich angewiesen, Eingaben auf Slowenisch anzunehmen und auch in dieser Sprache zu erledigen.140 Im steirischen Landtag konnten slowenische Abgeordnete Slowe­ nisch sprechen. Allerdings wurden ihre Reden, sofern ins Deutsche übersetzt, meist nicht im Wortlaut wiedergegeben. 1906 verpflichtete sich der steirische Landesausschuss, slowenische Eingaben auch slowenisch zu bearbeiten. In ähnlichem Sinne sorgte Wien für slowenische Amtstafeln und Amtssiegel. Doch beschloss der Gemeinderat in Marburg noch 1904, Straßen in Marburg nur in deutscher Sprache zu beschildern.

139 Stourzh,, S. 1104  –1111; O. Lobmeyr-Hohenleiten, Steiermark, Kärnten, Krain, in: Das Nationalitätenrecht des alten Österreich, hg. von K. G. Hugelmann, WienLeipzig 1934, S. 474 –  479. 140 Lobmeyr-Hohenleiten, S. 472.

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d a s ende der bes c h au l i c hkei t

Das Ende der Beschaulichkeit: Deutsche und slowenische Zeitungen in Marburg Seit der Analphabetismus besiegt war und es eine breitere Volksbildung gab, war die Entwicklung von Volk, Staat und Stadt eng mit dem Wirken gedruckter Medien verbunden, die nicht nur unterhielten und Wissen vermittelten, sondern auch die Kommunikation, mithin die Politik, anregten, verstärkten und weithin mitgestalteten, sodass immer mehr Menschen aktiv an ihr teilnehmen konnten. Dabei kam den lokalen Zeitungen und Zeitschriften eine besondere Rolle zu. Sie wurden von viel mehr Menschen gelesen als die landes- und staatsweit verbreiteten und sprachen die Leser am Ort ihrer heimatlichen Geborgenheit an, fanden schneller und einfühlsamer Zugang zu ihren Interessen, Sorgen und Wünschen als andere Blätter. Und natürlich konnten sie wegen ihrer räumlichen Nähe zum Konsumenten auch aktueller sein. In der Steiermark dienten sie lange Zeit vorwiegend der Verlautbarung, der (meist in neutralem Ton wiedergegebenen) aktuellen Information und der Unterhaltung. Das änderte sich etwa Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Blätter vermittelten mit ihren Kommentaren und Berichten auch zunehmend Meinungen, und es ist nicht zu be­­ zwei­­feln, dass sie für die politische Stimmung und die öffentliche Diskussion – eben auch für die Auseinandersetzung zwischen den Nationalitäten – von enormer Bedeutung waren. In Marburg fing die Ära der Medien im Jahr 1795 an, als Franz Anton Schütz die erste Druckerei der Stadt eröffnete. In ihr wurden Bücher in deutscher Sprache gedruckt, einige wenige auch in slowenischer, außerdem behördliche Formulare, Schulberichte und so fort. Nach dem Tod des Gründers ging die Druckerei an dessen Stiefsohn Ignaz Dunschegg über, und als dieser sehr früh starb, an dessen Gehil179

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fen Josef Karl Janschitz, Spross einer alten Marburger Familie, der das Unternehmen 1859 an seinen Sohn Eduard Janschitz vererbte. Dieser führte die Druckerei und den Verlag weiter und gründete 1862 eine Zeitung unter dem Namen Correspondent für Untersteiermark. Die erste Ausgabe erschien am 30. März 1862. Ihr Inhalt war im Wesent­lichen unpolitisch, aber doch schon so weit auf die Lokalpolitik ausge­rich­­tet, dass über die Tätigkeit untersteirischer Gemeinde­ ausschüsse und Vereine berichtet wurde. In der ersten Nummer des Correspondent stellte der Herausgeber bereits programmatisch – im Ansatz also schon recht politisch – fest, dass die Zeitung „die Interessen der Deutschen und Slowenen nach dem Grundsatze der vollen Gleich­ berechtigung zu vertreten und … den Geist der Versöhnung zwischen beiden Nationen zu wecken und zu beleben trachtet“. Lange Zeit wurde das Blatt von einem Gymnasiallehrer namens Adalbert Swoboda redi­ giert. 1863 kam dann Franz Zister als verantwortlicher Redakteur, und der gab der Zeitung eine deutliche politische Note, wobei er sich der Toleranz verpflichtet sah – unter dem Motto „Gleiches Recht für alle“. Politisch aktuell wurde das Blatt jedoch ab etwa 1865, als sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Slowenen in der Stadt ver­ schlechterte. Jetzt lautete der Wahlspruch: „Freiheit, Wohlstand und Bildung für alle.“ Die Zeitung richtete sich jetzt deutschnational aus und wurde zum Sprachrohr der unterstei­rischen Deutschösterreicher, deren wirtschaftliche, soziale und vor allem nationale Interessen sie nunmehr in erster Linie vertrat, wobei sie auch ausdrücklich den „deutschfeindlichen Klerus“ bekämpfte. Erst wurde sie in Marburger Korrespondent, dann in Marburger Zeitung umbenannt. Diesen Namen sollte sie bis 1929 behalten – mit einer kurzen Unterbre­chung von September bis November 1870, als sie Tagesbote für Untersteiermark hieß. 1914 wurde sie zur Tageszeitung. Inzwischen war die Druckerei auf den Schwiegersohn des Gründers übergegangen, sodass die Zeitung nun im Verlag von Leopold Kralik erschien. Nach dessen Tod 1917 180

deu t s c he und s l owenis c he zei t ungen in m a rburg

erbte seine Frau Verlag und Druckerei und verkaufte sie nach dem Ersten Weltkrieg an die „Mariborska tiskarna“ (Marburger Druckerei). 1929 wurde sie umbenannt, hieß nunmehr Mariborer Zeitung. Der weitere Werdegang des Blattes war nicht gerade rühmlich und entsprach den wechselvollen Zeitläuften: Nach dem deutschen Einmarsch in Jugoslawien im Jahr 1941 wurde aus der „Mariborska tiskarna“ die „Marburger Druckerei“, später die „Marburger Verlags- und Dru­ ckereigesellschaft“. Die Zeitung erhielt wieder den alten Namen Marburger Zeitung und wurde jetzt streng nationalsozialistisch getrimmt. Die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg war denn auch das Ende der Zeitung. Die letzte Nummer erschien am 8. Mai 1945.141 Die Zeitung enthielt auch verschiedene Beilagen. So erschien in der Zeit, als sie den Namen Tagesbote für Steiermark trug, eine slowenische Beilage unter dem Titel Svobodni Slovenec. 1870 gab es kurze Zeit eine Abend-Extrabeilage, die täglich um 18 Uhr Telegramme von den Kriegsschauplätzen (des Deutsch-Französischen Kriegs) veröffent­ lichte, ferner Börsenkurse, wobei die Zeitung den Ehrgeiz hatte, die Kurse um wenigstens zwölf Stunden eher zu bringen als die Grazer und Wiener Blätter. Dieses Extrablatt musste jedoch mangels Nachfrage eingestellt werden. In den Jahren 1886 bis 1898 erschien die literarische Sonntags-Beilage der „Marburger Zeitung“, danach die Beilage Sonntagsblatt. Illustrierte Unterhaltungs-Beilage zur Marburger Zeitung, die in Berlin gedruckt wurde. Als politisches Blatt war auch die zwischen 1881 und 1900 erschie­ nene Südsteirische Post konzipiert. Die Zeitung schmückte sich mit dem Leitspruch: „Alles mit Gott für Kaiser und Vaterland“. Nach eigenem Bekenntnis war sie von „österreichischen Patrioten deutscher und slowenischer Zunge in Marburg“ gegründet worden und hatte sich zum

141 Petra Kramberger, „Nemško časopisje v Mariboru v 19. stoletju“, Kronika, Nr. 53, 2005, S. 37–52.

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Ziel gesetzt, „der Versöhnung der entzweiten Völker“ zu dienen.142 Wie in der ersten Ausgabe angekündigt, wollte die Zeitung, statt kämpferisch für eine Partei oder eine Volksgruppe einzutreten, die Spaltun­ gen und Gegensätze überbrücken. Darum bemühte sie sich auch in der Tat, wurde jedoch von durchwegs deutschsprachigen, aber mit Slowenen sympathisierenden, größtenteils auch aus slowenischen Familien stammenden Redakteuren gelenkt – wie etwa Dragotin Lovrenc und (spä­ter) Ivan Dečko, denen an einem friedlichen Neben­ einander und Miteinander gelegen war. In erster Linie bemühte sich die Zeitung um die Darstellung und Wahrung der Belange der Stadt Marburg sowie anderer untersteirischer Gemeinden. Die Südsteirische Post erschien zweimal wöchentlich. Im Dezember 1900 musste sie ihr Erscheinen jedoch einstellen, weil ihr damaliger Eigentümer, der Landtagsabgeordnete Mihael Vošnjak, die Schulden der Zeitung in Höhe von 15.000 Gulden, entstanden durch hohe Geldstrafen für Pressevergehen, nicht bezahlen konnte. Die Nachfolgerin erschien am nächsten Tag unter dem Titel Südsteirische Presse, die 1906 in Süd­ österreichische Stimme umgewandelt wurde. Auch sie stellte 1907 ihr Erscheinen ein. In Marburg kam 1885 Die Arbeit heraus, ein Blatt der Sozial­ demokratischen Partei. Die Sozialdemokraten in Marburg waren überwiegend deutsch und hatten später auch keine Beziehungen zur Südslawischen Sozialdemokratischen Partei, die 1896 gegründet werden sollte. Die Parteizeitung erschien zweimal monatlich bis April 1886, als sie in der Folge des Sozialistengesetzes eingestellt werden musste. Allerdings erschienen in Marburg nur acht Nummern, dann wurde das Blatt in Graz gedruckt und die Redaktion ebenfalls dorthin verlegt. Schon bald nach dem Umzug aber wollte Die Arbeit wieder nach Marburg zurückkehren, doch lehnte der Eigentümer der Druckerei Janschitz’ Erben, bei welcher das Organ zuerst gedruckt worden 142 Südsteirische Post, Nr. 77, 28. 12. 1881.

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war, eine weitere Zusammenarbeit mit der Zeitung ab, weil er die erfahrungsgemäß sehr häufigen Beschlagnahmungen des Blattes und die dadurch entstehenden Kosten sowie politische Schwierigkeiten für die Druckerei fürchtete.143 Da es eine Menge satirischer Zeitschriften aus Wien und Graz gab, war gewiss kein Bedarf an einem eigenen lokalen Blatt solchen Typs. Dennoch erschienen in Marburg kurzfristig zwei. Zumindest von einer der beiden Zeitschriften ist bekannt, dass sie sehr beliebt war. Das war Der Marburger Hans Jörgel. Wünsche- und Beschwerdeblatt für jedermann. Stupf-, Zupf- und Rupforgan für communale und sonstige Angelegenheiten, das vom Oktober 1885 bis Juni 1886 alle zwei Wochen erschien. Das andere Blatt war Filarka. Von diesem ist keine einzige Ausgabe erhalten. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es noch weitere deutschsprachige Zeitungsversuche in Marburg. Einige Gründungen sind wohl auch darauf zurückzuführen, dass manchen Deutschösterreichern in der Stadt die inzwischen radikal-deutsch und antislowenisch gewordene Ausrichtung der Marburger Zeitung mehr und mehr widerstrebte. So erschienen in den Jahren 1904 und 1905 die Marburger Nachrichten, 1906 und 1907 die Marburger Presse sowie von 1909 bis 1918 die Untersteirische Volkszeitung. Diese Zeitungen traten für ein Miteinander von Deutschen und Slowenen ein. Ihre Auflage konnte jedoch mit dem Verkaufserfolg der Marburger Zeitung nicht mithalten. Dafür kam 1917 noch eine weitere deutschnationale Zeitung heraus: der Deutsche Montag, der bis kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs erschien.144 Von 1875 bis 1881 gab der damals bekannte Weinbauexperte Hermann Goethe, der um diese Zeit auch die Obst- und Weinbauschule in Marburg gründete, die fünf- bis sechsmal im Jahr erscheinenden 143 Tanja Žigon, Deutschsprachige Presse in Slowenien (1707–1945), in: Berichte und Forschungen, 13, 2005, S. 176. 144 Žigon, S. 177/178.

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Ampelographischen Berichte heraus. Diese Zeitschrift war indes mehr als nur ein Fachorgan für Winzer und Weinkenner, wie der Titel („Informationen aus dem Gebiet der Trauben- und Rebsortenkunde“  ) vermuten lässt. Sie war eine angesehene Fachzeitschrift für die Wirtschaft – mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft – und fand sogar über die Grenzen der Monarchie hinaus Beachtung. Auf der slowenischen Seite erschien in den Jahren 1865 und 1866 die Zeitung Čitalnica („Lesesaal“), die politische, volkswirtschaftliche und populärwissenschaftliche Themen behandelte. Sie erschien in Graz. Das erste Blatt aber, das in Marburg herauskam, war Slovenski gospodar („Der slowenische Arbeitgeber“), das von dem Arzt Matija Prelog, dem Mitbegründer des slawischen Lesevereins, über einen langen Zeitraum hinweg, nämlich zwischen 1867 und 1941, herausgegeben wurde. Die Zeitung bot den steirischen Slowenen Informationen in wirtschaftlichen – vor allem landwirtschaftlichen, die Viehzucht sowie den Obst- und Weinbau betreffenden – Bereichen, widmete sich jedoch auch politischen, insbesondere nationalen Fragen. Zunächst erschien der „Gospodar“ einmal, dann zweimal in der Woche. Die Auflage, anfangs 500 Exemplare, stieg stetig an – 1886 erreichte sie 2.100 Exemplare. Danach nahm sie allerdings wieder ab und lag 1895 bei 1.600. Als jedoch 1898 Anton Korošec, einer der führenden Politiker der Slowenischen Volkspartei (Slovenska ljudska stranka, SLS), die Redaktion übernahm, ging die Auflage wieder steil nach oben. 1909 verkaufte die Zeitung 9.550 Exemplare. Slovenski gospodar war im ganzen slowenischen Raum verbreitet. 1871 wurde die Zeitung vom „Katholischen Preßverein für Steier­ mark“ übernommen, danach verschoben sich die Akzente. Das Blatt bekam eine strengere katholische Note, blieb jedoch slowenisch-national. Besonders erfolgreich war von 1901 bis 1907 die Sonderbeilage Naš dom. Mit ihr erlangte die Zeitung eine Auflage von 10.000 Exemplaren. Dann, ab 1908, wurde dieser Zeitungsteil in eine selbstständige Zeitung umgestaltet und erreichte eine Auflage von 6.000 Exemplaren. 184

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Sie richtete sich in erster Linie an die Jugend und bildete einen gewissen Gegenpol zu der Zeitschrift Štajerc („Der Steirer“), die zwischen 1900 und 1918 in slowenischer Sprache erschien, jedoch eine deutlich prodeutsche Haltung einnahm und scharf die slowenische Nationalpolitik und den slowenischen Klerus kritisierte.145 Wegen seiner entschiedenen Unterstützung slowenischer Forderungen war Slovenski gospodar schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren häufig Opfer der Zensur und anderer einschränkender und behindernder Maßnahmen des Staates. Sehr oft wurde das Blatt auch beschlag­ nahmt.146 Die Staatsanwaltschaft in Marburg war – wie die Staatsanwaltschaft für Cilli und die untersteirischen Bezirkshauptmannschaften – durchwegs von Deutschösterreichern besetzt. Die politische Zeitung Slovenski narod („Slowenisches Volk“) ­erschien in Marburg ab April 1868. Ihre Gründungsmitglieder waren mehrheitlich steirische Slowenen, die auch das Startkapital von 9.000 Gulden gesammelt hatten, doch war die Zeitung von Anfang an an alle Slowenen adressiert. Sie erschien zweimal wöchentlich. Ihr Leitspruch lautete: „Alles für das Volk – Freiheit und Fortschritt“ („Vse za narod – svobodo in napredek“). Ihr erster Redakteur war der Jurist Anton Tomšič, der sich vor allem um eine Einigung zwischen „Jungslowenen“ und „Altslowenen“ bemühte. Nach dessen Tod 1871 übersiedelte die Zeitung 1872 nach Laibach. 1873 wurde sie zur Tageszeitung. Sie war damit die erste slowenische Tageszeitung überhaupt. 1894 wurde sie zum Sprachrohr der „Narodno napredna stranka“ („National-fortschrittlichen Partei“). In den dreißig Jahren, in welchen das Blatt erschien, wurde es 190-mal beschlagnahmt.147

145 Vincenc Rajšp, „Das slowenische Pressewesen“, in: Habsburger Monarchie 1848  – 1918, hg. v. Helmut Rumpler und Peter Urbanitsch, Bd. VIII/2, ÖAW: Wien 2006, S. 2246, 2269. 146 Rajšp, S. 2254  –2266. 147 Rajšp, S. 2255/2256.

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Als Antwort auf den Slovenski narod gab der deutschsprachige Tagesbote für Untersteiermark von September 1870 bis November 1871 eine bunte slowenische Beilage unter dem Namen Slobodni Slovenec („Der freie Slowene“) heraus, die für ein einiges, ungeteiltes Land Steiermark eintrat. Doch schon nach der zwölften Nummer wurde sie eingestellt. 148 Eine eigenwillige Haltung nahm der Štajerski kmet [„Der steirische Bauer“] ein. Obwohl die Zeitung in slowenischer Sprache abgefasst war, vertrat sie deutlich deutsche Interessen. Vor allem versuchte sie, die slowenischen Bauern für die Vorstellungen der deutschösterreichischen Grundherren zu gewinnen. Dagegen widmete sich die Zeitschrift Slovenski učitelj („Der slowenische Lehrer“), die von 1872 bis 1877 erschien, gegründet und geleitet von dem Oberlehrer Ivan Lapajne, ganz der Förderung der slowenischen Sprache unter Lehrern. 1873 wurde das Blatt vom Verein „Učiteljsko društvo za slovenski Štajer“ (Lehrerverein für die slowenische Steiermark) übernommen.149 An Wissenschaftler und Theologen wandte sich wiederum der Geistliche und Historiker Fran Kovačič, der 1898 seine theologische Zeitschrift Voditelj v bogoslovnih vedah („Leitfaden für die theologischen Wissenschaften“) vorstellte, die dann bis 1916 erschien.150 Ebenfalls in Marburg gab 1903 der „Zgodovinsko društvo za Spodnjo Štajersko“ („Geschichtsverein für die Untersteiermark“) die Zeitschrift Časopis za zgodovino in narodopisje („Zeitschrift für Geschichte und Volkskunde“) heraus, als deren Ziel ausdrücklich die „wissenschaftliche Verselbstständigung der steirischen Slo­­­wenen“ genannt wurde. Viel beachtete Beiträge zu dieser Zeitschrift wurden von zahlreichen slowenischen Wissenschaftlern aus Graz, Wien und Laibach beigesteuert.151 148 Rajšp, S. 2256/2257. 149 Rajšp, S. 2260. 150 Rajšp, S. 2276. 151 Rajšp, S. 2276.

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Vom gerber bis zum e - werk

Vom Gerber bis zum E-Werk: Die industrielle Aufrüstung der Stadt

Abbildung 13: Hauptplatz, 1909, Teilansicht

Schon in den Zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts veränderte die Stadt Marburg ihr Gesicht. Sie wurde moderner und städtischer, schon auf den ersten Blick. Dazu gehörte, dass im Jahr 1923 ein vom Gubernium angeordnetes (technisches) Wunder geschah: Im Kern der Stadt flammte die Straßenbeleuchtung auf. Noch waren es Öllampen, die von nun an Fortbewegungen auf öffentlichen Straßen, Arbeitsverrichtungen und Geselligkeiten auch noch bis in die späteren Abendstunden erleichterten und den Bürgern mehr nächtliche Sicherheit boten, ehe diese Lichter rund vierzig Jahre später von der Gasbeleuchtung und schließlich, gleich nach dem Ersten Weltkrieg, vom elektrischen 187

Vom gerber bis zum e - werk

Licht abgelöst werden sollten. Auch wurden nun die Straßen in der Stadt reguliert, ausgebaut und mit Gehsteigen versehen. Zwischen 1825 und 1829 wurden das Grazertor und das Kärntnertor abgerissen, um der Stadt mehr Raum zu geben und ihr eine zukunftsgerechte Erweiterung zu ermöglichen. Ebenso wurde der Stadtgraben beseitigt und die Straßenverbindung in die Vorstädte hinein ausgebaut. Die öffentliche Sicherheit wurde durch feuerverhindernde und andere gefahrenabwehrende Maßnahmen erhöht. So wurde das Militär damit betraut, das viele Heu und Holz auf dem Kirchplatz (Slomškov trg) zu entfernen und es in einem neu errichteten Lager im Gebiet der Kaserne unterzubringen. Um die Mitte des Jahrhunderts verstärkte Marburg noch seine Anstrengungen. Unter Bürgermeister Andreas Tappeiner wurde in den Sechzigerjahren der Bau der Kanalisation in Angriff genommen. Straßen und Gassen wurden gepflastert. Auch wurde die Gesundheitsfürsorge in der Stadt verstärkt und modernisiert. So entstand 1855 in der Magdalenen-Vorstadt das Allgemeine Krankenhaus. Überhaupt wurde die Hygiene wesentlich verbessert. Auch darf es als sehr fortschrittlich ge­­ würdigt werden, dass 1869 die Männerstrafanstalt Marburg mit 800  Insassen die erste Jugendabteilung in der österreichischen Hälfte der Monarchie erhielt. Immer mehr öffentliche Gebäude schossen aus dem Boden und machten Marburg bis zum Beginn des neuen, des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem wichtigen Zentrum der staatlichen Repräsentation und Daseinsvorsorge. Da war etwa das Kreisgericht, die Gemeindesparkasse oder das neue Amtsgebäude des Bezirksgerichts, die Gasanstalt, das städtische Armenhaus, die öffentliche Badeanstalt an der Drau, das Schlachthaus. Unter Bürgermeister Alexander Nagy (1886– 1902) wurden auch militärische Bauten hochgezogen – etwa die Infanteriekaserne in der Triesterstraße oder die Landwehrkaserne in Melling. Zugleich entstanden wichtige und angesehene Schulen – wie etwa die Mädchenschule am Tappeinerplatz (heute Handelsschule am Boris188

die indus t rie l l e aufrü s t ung der s ta d t

Kidrič-Platz). Und nicht zuletzt wurde 1901 die Wasserleitung für die Stadt Marburg errichtet. Jedenfalls schufen die dynamischen Aufbaujahre ab Anfang des 19. Jahrhunderts die geeigneten Rah­menbedingungen für Marburgs Industrialisierung, die gegen Ende des Jahrhunderts besonders kräftig voranschritt. Dafür waren auch er­­ hebliche Leistungen in der Verkehrsführung und im Straßenbau erforderlich. Symbol dafür ist unter anderem die Marburger Reichsbrücke (heute Alte Brücke, „stari most“), die Erzherzog Friedrich am 23. August 1913 eröffnete. Um die Jahrhundertwende ka­­ Abbildung 14: Alexander Nagy, men die Automobile in den VerBürgermeister von Marburg kehr, wenngleich sie in der Steier1886  –1902 mark noch eine Sensation waren. In den untersteirischen Bezirken waren damals durchschnittlich je zwei Autos gemeldet. In Marburg war darüber hinaus sogar ein Lastwagen registriert. Aber schon in wenigen Jahren sollte sich das Straßenbild gewaltig verändern. Wie in allen österreichischen Städten sollten ab den Zehner- und Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts die Pferdekutschen und Fuhrwerke mehr und mehr den motorisierten Fortbewegungsmitteln weichen. Für die steil ansteigende wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, die um die Mitte des 19. Jahrhundert einsetzte, waren weitgehend die erwähnten Ansiedlungen von Verwaltungs-, Gerichts- und Militärbehörden sowie von Schulen verantwortlich, denn sehr viele Beamte und 189

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Abbildung 15: Bau der Reichsbrücke 1912

Abbildung 16: Blick von der Reichsbrücke auf die Draugasse 1913

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Angestellte ließen sich jetzt in der Stadt nieder.152 Und auch die aufgezeigte Verlegung des Bischofsitzes hatte die Bedeutung der Stadt in politischer und kultureller Hinsicht so weit aufgewertet, dass der Zentrumscharakter der Stadt, wichtig auch für die Niederlassung wirtschaftlicher Unternehmen, erheblich gestärkt wurde. Den wohl größten Anteil am Aufschwung der Region und der Stadt im 19. Jahrhundert hatte jedoch die Eisenbahn – die „Südbahn“ und die „Kärntnerbahn“ –, die fürs Erste vor allem dem Handel mit landwirtschaftlichen Waren starken Auftrieb gab. Denn dank der SüdbahnVerbindung konnten jetzt die neu geschaffenen Märkte für landwirtschaftliche Produkte im Norden viel leichter und schneller beliefert werden. Zugleich aber siedelten sich in der Stadt Industriebetriebe an – zunächst vor allem solche, die landwirtschaftliche Erzeugnisse weiterverarbeiteten. Am 2. Juni 1846 fuhr der erste Zug der „Südbahn“ von Graz nach Cilli und machte Halt in Marburg. Über die Drau rollte er auf einer hölzernen Eisenbahnbrücke, die später, zwischen 1864 und 1866, durch eine Betonbrücke ersetzt werden sollte. Und als 1854 die erste normalspurige Gebirgsbahn Europas eröffnet wurde – nämlich die Südbahn-Teilstrecke von Gloggnitz über den Semmering nach Mürzzuschlag – war ein gewaltiger Durchbruch erreicht: Es gab nun eine durchgehende Verbindung von Wien nach Laibach über Graz und Marburg. 1857 wurde die Bahn bis Triest weitergeführt. Mit einem eigenen Unternehmen befruchtete die Südbahn schon 1863 die Wirtschaft der Stadt Marburg. In Brunndorf/Studenci, einer eigenen Gemeinde nicht weit von der Stadt, eröffnete sie ihre Süd­ bahnwerkstätte, die bald zum größten Unternehmen in der ganzen Umgebung anwachsen sollte. So zählte sie 1875 bereits über 1.000 Beschäftigte. Für viele von ihnen errichtete das Unternehmen zwischen 152 Ohne Lehrer gab es 1864 112 Beamte, 1871 124, 1880 141 und 1912 510. Leskovec, S. 285.

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Abbildung 17: Arbeiterkolonie mit Kärntner Bahnhof und Eisenbahnwerkstätten

1863 und 1868 eine Arbeitersiedlung mit vierzig Häusern und 272 Wohnungen. In ihr gab es bereits 1870 einen Kindergarten, ab 1873 eine Schule für Arbeiterkinder. Dazu kamen 1874 ein Lebensmittel­ geschäft und eine Badeanstalt. Im selben Jahr, in welchem die Südbahnwerkstätte eröffnet wurde, wurde auch die Kärntnerbahn in Betrieb genommen. Sie verband Marburg mit Klagenfurt, und ein Jahr später, 1864, wurde der weitere Ausbau bis Villach fertiggestellt. Die Stadt Marburg versah sich nun mit zwei Bahnhöfen: dem Hauptbahnhof und dem Bahnhof bei Studenitz. Nach wie vor aber – bis 1941 – blieb auch die Flößerei auf der Drau in Betrieb, wobei das Jahr der Flößer jeweils an St. Georg (12. März) begann und zu Martini (11. November) endete, wenn es zu kalt wurde. Doch verringerte sich nach dem Bau der Kärntnerbahn der Transport der Güter nach Kärnten auf dem Flussweg erheblich – vor allem wegen 192

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der Stromschnellen, Untiefen und Felsengen, mit welchen es die Flößer in besonderem Maße zwischen Unterdrauburg und St. Oswald zu tun hatten (die Pläne einer Drau-Regulierung im oberen Teil bis Villach waren zunächst nicht realisiert worden). Ganz anders zeigte sich der Fluss dagegen in Richtung Pettau, Ankenstein/Borl, Esseg/Osijek, von wo es dann auf der Donau weiterging bis Belgrad. Dort gab es die genannten Schwierigkeiten nicht, weshalb die Drau als Verkehrsweg auch weiterhin attraktiv blieb. Denn die Tarife waren auf dem Wasser wesentlich günstiger als auf dem Land. Außerdem konnte von Marburg drauabwärts noch lange keine Eisenbahnverbindung erwartet werden. Vor allem nahmen Handel und Gewerbe im 19. Jahrhundert, besonders in dessen zweiter Hälfte, einen erstaunlichen Aufschwung. So gab es im Jahr 1846 in der Marburger Altstadt 201 Gewerbebetriebe, 1855 waren es bereits 305. In der Grazer Vorstadt stieg die Zahl der Betriebe im selben Zeitraum von 34 auf 106, in der Kärntner Vorstadt von 27 auf 52 und in Magdalenen-Vorstadt von 31 auf 51 an.153 Auch die Tatsache, dass jetzt zwei Marburger Vertreter in die Grazer Handelsund Gewerbekammer gewählt wurden, unterstrich die wachsende Anerkennung, die sich Marburg als Wirtschaftsstadt erwarb. Wichtig war auch, dass sich jetzt Bank- bzw. Kreditinstitute in Marburg ansiedelten – neben der Gemeindesparkasse (später Stadtsparkasse) eine Filiale der Grazer Eskomptebank (1872), die allerdings nach dem Börsenkrach in Wien 1873 wieder ihre Tore schließen musste, und die slowenische Darlehenskasse „Posojilnica“ (1882). Nach der Jahrhundertwende sollten noch weitere Filialen anderer Banken folgen. Auch in der Umgebung der Stadt wurden Kreditinstitute gegründet, die vorwiegend den Prinzipien des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen folgten. Sie dienten der Unterstützung der Bauern, die Kredite zu günstigen Konditionen benötigten, um sich unter anderem ihre landwirtschaftli153 Antoša Leskovec, „Razvoj gsopodarstva v Mariboru 1752–1941“, Maribor skozi stoletja, S. 328.

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chen Geräte sowie ihr Saatgut und ihre Düngemittel beschaffen zu können. In diesem Bereich dominierten die Deutschen. Sie gründeten einen Darlehenskassenverein in Roßwein/Razvanje (1886) sowie je einen Vorschusskassenverein in Rothwein/Radvanje, Kötsch/Hoče und Pesnitz/ Pesnica (1896). Anfang des 20. Jahrhunderts sollten auch die Slowenen ähnliche Gründungen nachholen – in Limbuš /Lembach 1907, in Brunndorf /Studenci 1908, in Hoče/Kötsch 1910, in Gams/Kamnica 1913. Die neue Gewerbeordnung, von Kaiser Franz Joseph 1859 erlassen, schrieb die Gewerbefreiheit fest und förderte auch in Marburg die Weiterentwicklung der verschiedenen Handwerksarten. Die bereits vorhandenen blieben und entwickelten sich weiter, doch schritt zugleich die Spezialisierung voran. Also gab es nun Instrumentenmacher, Klaviermeister, Bürstenmacher, einen „konzessionierten Wattamacher“ (Wattemacher, Aufpolsterer), Optiker, Regenschirmmacher, Ringelschmiedemeister, Metallgusswarenerzeuger, Leistenschneider, Pfeifenschneider, Sesselmacher, Stroh- und Rohrsesselerzeuger, Korbflechter. In der Textilbranche gab es nicht mehr nur „Kleidermacher“, sondern Männerkleidermacher, Modisten, Knopfmacher, Seidenfärber usw. Vor allem das Ledergewerbe hatte an der Drau, wie bereits aufgezeigt, schon immer eine hohe Bedeutung. Jetzt gab es hier ab der Brücke in Richtung Osten elf konzessionierte Leder-Gewerbebetriebe, einen weiteren auf dem Burgplatz. Im Baugewerbe wiederum kamen zu den bisherigen gängigen Berufen nun Spezialisten hinzu wie etwa „Architektur-Tischler-Ver­ golder“, Deckenmeister, Schieferdecker usw. Im Übrigen gab es noch Zeichner, Schriftenmaler, Geoplastiker. Und auch im Lebensmittelbereich wurde immer stärker differenziert und spezialisiert. So registrierte man nun Fleischselcher, Würstler, Essigsieder, Kaffeebrenner, Kaffeesieder, Luxusbäcker, Oberbräuer, Gaischützen (Straßenverkäufer von Bäckereien) und so fort. Viele Handwerker, Unternehmer wie Angestellte und Arbeiter, waren nicht geborene Marburger, sondern von auswärts in die Stadt zugezogen, die in der ganzen Region und darüber hinaus ihre Attraktivität entfaltete. 194

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Auch das Hotel- und Gastgewerbe blühte. Um die Mitte des Jahrhunderts wurden in der Stadt mehrere Hotels und Kaffeehäuser eröffnet. So gründete Georg Pomprein 1857 das Hotel „Zum Erzherzog Johann“, das bald zum meistbesuchten Beherbergungsbetrieb der Stadt wurde. 1871 zählte die Innenstadt acht Kaffeehäuser, die Grazer Vorstadt zwei. Aus dieser Zeit sind in verschiedenen Quellen auch die ersten Fotografen von Marburg erwähnt, unter ihnen der bekannte Ferdinand Weitzinger. Manches erscheint heute kurios. So waren da­­ mals auch die „Panoramabesitzer“ überaus populär – das waren SchauDarbieter, die in ihren Räumen mittels rundum angelegter Gemälde und Fotografien dem Besucher die Illusion vermittelten, sich in einer anderen (wohl besonders begehrten) Gegend zu befinden, irgendwo am Meer vielleicht, unter Palmen am Strand oder vor südlicher Häuserkulisse. Während sich die Industrie in der Magdalenen-Vorstadt und teilweise auch in der Grazer Vorstadt verdichtete, war die Marburger Alt­ stadt Zentrum des Handels. Neben dem Handel mit Obst und Gemüse war es der Weinhandel, der sich am lebendigsten entwickelte. Der „Handelsverein Steirischer Weinproduzenten“, 1856 gegründet, setzte sich zum Ziel, den steirischen Wein bekannt und auch außerhalb der Stadt und des Landes populär zu machen. Ende des Jahrhunderts gab es 13 Weinhändler und sechs Weingroßhändler in Marburg. Doch wurde der Wein auch von Winzern direkt verkauft. Und wie schon erwähnt, wurde auch eine Weinbau- und Obstschule eröffnet. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts schlossen sich immer mehr Wirtschaftstreibende in Vereinen zusammen und bildeten damit schon eine Art Standesvertretung. So gab es seit Ende der Sechzigerjahre den Wirtschaftsverein Merkur, seit 1882 den politisch sehr einflussreichen, bei den Gemeindewahlen erfolgreichen Gewerbeverein, ab 1883 das Handelsgremium Vereinigter Kaufleute, das sich um den Nachwuchs kümmerte, schließlich, seit 1910, den slowenischen „Handels- und Gewerbeverein“. 195

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Das 19. Jahrhundert war indes vor allem das Jahrhundert der Indus­ trie. In Marburg konkretisierte sich diese allgemeine Feststellung ab Mitte des Jahrhunderts eindrucksvoll. 1859 zählte die Stadt 33 Industriebetriebe, im Jahr 1912 waren es 337, wobei eine besonders steile Aufwärtsentwicklung in den Sechzigerjahren einsetzte. Bereits 1810 gab es in Marburg zwei Likörbrennereien, die im Eigentum von Triestinern standen. Karl Gerdes, der aus Lübeck kam, gründete 1841 eine Kaffeesurrogat-Fabrik, eine weitere rief deren früherer Geschäftsführer Friedrich Gerecke 1848 ins Leben. In der Grazer Vorstadt florierte die Bierbrauerei von Johann Tappeiner, die später die größte Brauerei der Stadt werden sollte. 1872 eröffnete der Bäcker Karl Scherbaum seine erste Dampfmühle.154 1878 baute er eine neue, noch größere, und verwandelte die frühere in ein Lager. Scherbaum versorgte nämlich die Garnisonen in Marburg, Pettau und Cilli sowie die Kadettenanstalt in Magdalenen-Vorstadt mit Kommissbrot. Er galt als besonders fortschrittlich – bereits 1883 ließ er in seiner Dampfmühle eine elektrische Beleuchtung installieren.155 Dreißig Jahre später, zwischen 1913 und 1918, sollte westlich von Marburg das erste Kraftwerk aus der Reihe der Drau-Wasserkraftwerke gebaut werden, die die steirische Industrie mit Elektrizität versorgten.156 Auch eine Reihe von holzverarbeitenden Betrieben zeichnete Marburg aus – vor allem gegen Ende des Jahrhunderts. Zu ihnen zählten die Möbelfabrik von Johann Theodor Lackner, der Holzindustrie­ 154 Die erste Dampfmühle der Stadt, die Kirchner Dampfmühle, gegründet 1846, war Anfang der Fünfzigerjahre in Konkurs gegangen. 155 Scherbaums Söhne Karl und Gustav bauten dann in Feistritz bei Lembach/Bistrica pri Limbušu eine zweite Dampfmühle. Eine dritte wurde 1912 von Josef Rosenberg errichtet. 156 Der Bau bereitete freilich erhebliche Schwierigkeiten, einmal wegen des Krieges und der dadurch erfolgten empfindlichen Einschränkungen der Bautätigkeit, dann aber auch wegen der problematischen geografischen Lage. Das Drautal ist an dieser Stelle sehr eng, außerdem bildete der Gebirgsblock zwischen den Bachern und dem Bosruck ein erhebliches Hindernis.

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betrieb Josef Rieß und Ferdinand Potschniggs Fabrik für Bauholz. Außerdem verzeichnete die Stadt mehrere Unternehmen der Textilbranche sowie einige Leder- und Schuhfabriken – darunter die „Marburger Schuhwaren-Fabriksgesellschaft“. Besonders wichtig waren die Unternehmen der Metallindustrie – unter anderem Betriebe von Pontos, Kager, Bühl – sowie die Marburger Gießerei und Metallwarenfabrik von Johann Pengg. Ferner stachen aus der zunehmenden Fülle der Industriebetriebe eine Zementfabrik sowie eine Ziegelei hervor. Und in Maria Rast/Ruše wurde 1890 eine Zündwarenfabrik gegründet. Zu erwähnen wäre noch, dass der Steirer Franz Xaver Wels aus Marburg wesentlich zur Entwicklung der „EtrichTaube“ (ein vom österreichischen Flugpionier Igor Etrich entwickeltes Flugzeug) beigetragen hatte. Als zweiter Europäer nach Otto Lilienthal unternahm er einen bemannten Gleitflug.157 Mitten in diese Zeit des Aufschwungs brach 1873, ausgelöst vom Wie­ ner Börsenkrach, ein Jahr der Krise über Österreichs Wirtschaft herein, von welcher etliche Betriebe in Marburg nicht verschont blieben, obwohl die Stadt den Rückschlag insgesamt relativ gut überstand. So musste die „Marburger Schuhwaren-Fabriksgesellschaft“ (eine Aktiengesellschaft) liquidiert werden; ihre Kreditgeberin, die Wiener Indus­triellenbank, war bankrott gegangen. Einer der Gesellschafter, Anton Kleinschuster, verlegte daraufhin seine k.k. Schuhfabrik, die eigentlich ein Markenzeichen des Fortschritts in Marburg gewesen war, nach Wien, und seine Geschäftspartner, die Brüder Staudinger, sahen sich gezwungen, ihre Lederfabrik einem anderen Unternehmer, nämlich Anton Badl, zu überlassen. Auch die von Franz Gasteiger gegründete Rosoglio-Fabrik158 fiel der Börsenkrise zum Opfer. Sie befand sich im Eigentum von Andreas Nudl, der zuvor noch größter Steuerzahler der Stadt gewesen war. 157 Karner, S. 63; Dienes, Luftfahrtpioniere, S. 227 f. 158 Es handelte sich dabei um einen süßlichen Likör, der u. a. aus Orangenblüten gewonnen wurde („rozolija“).

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Die meisten Fabriken und größeren Gewerbebetriebe in Marburg waren in deutschösterreichischer Hand. Ausnahmen bildeten die Eisengießerei und Maschinenfabrik Ježek, die sich in tschechischem Besitz befand, sowie einige slowenische Betriebe, etwa der Buchbinder- und Kartonagenbetrieb von Ivan Špes, die Baufirmen und Dampfmühlen von Edvard Slivca und die Dampfsäge an der Mellingerstraße, die über kurze Zeit von J. Caharija und J. Pertot betrieben wurde. Natürlich war das Gewicht der deutschösterreichischen Unternehmer in der Stadt auch über die bloße Wirtschaftsleistung hinaus unverkennbar. Sie waren direkte oder indirekte Mitwirkende an den Schalthebeln der politischen Macht, aber auch Wohltäter, die das soziale und kulturelle Leben in Marburg förderten. Zu gutem Teil kamen diese ihre Wohltaten deutschsteirischen Vereinen und Organisationen zugute.159

Die Garnisonsstadt: Elite-Regimenter und Bürgercorps Nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung Marburgs nahm schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu, sondern auch die militärische, und dies war für die Stadt ein weiterer kräftiger Renommeegewinn, der freilich auch einschneidende Verpflichtungen nach sich zog. So wurde 1817 das Infanterieregiment Nr. 47, das 1682 unter Kaiser Leopold I. in Prag aufgestellt worden war, nach Marburg verlegt – der Werbbezirk für die Aushebung der Rekruten umfasste den Kreis Marburg, den

159 Mehr über die Wirtschaft in der Stadt siehe: Antoša Leskovec, „Razvoj gospodarstva v Mariboru 1752–1941“, Maribor skozi stoletja, S. 313 – 361, und von demselben, „Gospodarstvo v Mariboru od srede 19 stoletja do prve svetovne vojne“, in: Od Maribora do Trsta, ed. Darko Friš und Franc Rozman, Maribor 1997, S. 107–125.

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Die meisten Fabriken und größeren Gewerbebetriebe in Marburg waren in deutschösterreichischer Hand. Ausnahmen bildeten die Eisengießerei und Maschinenfabrik Ježek, die sich in tschechischem Besitz befand, sowie einige slowenische Betriebe, etwa der Buchbinder- und Kartonagenbetrieb von Ivan Špes, die Baufirmen und Dampfmühlen von Edvard Slivca und die Dampfsäge an der Mellingerstraße, die über kurze Zeit von J. Caharija und J. Pertot betrieben wurde. Natürlich war das Gewicht der deutschösterreichischen Unternehmer in der Stadt auch über die bloße Wirtschaftsleistung hinaus unverkennbar. Sie waren direkte oder indirekte Mitwirkende an den Schalthebeln der politischen Macht, aber auch Wohltäter, die das soziale und kulturelle Leben in Marburg förderten. Zu gutem Teil kamen diese ihre Wohltaten deutschsteirischen Vereinen und Organisationen zugute.159

Die Garnisonsstadt: Elite-Regimenter und Bürgercorps Nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung Marburgs nahm schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu, sondern auch die militärische, und dies war für die Stadt ein weiterer kräftiger Renommeegewinn, der freilich auch einschneidende Verpflichtungen nach sich zog. So wurde 1817 das Infanterieregiment Nr. 47, das 1682 unter Kaiser Leopold I. in Prag aufgestellt worden war, nach Marburg verlegt – der Werbbezirk für die Aushebung der Rekruten umfasste den Kreis Marburg, den

159 Mehr über die Wirtschaft in der Stadt siehe: Antoša Leskovec, „Razvoj gospodarstva v Mariboru 1752–1941“, Maribor skozi stoletja, S. 313 – 361, und von demselben, „Gospodarstvo v Mariboru od srede 19 stoletja do prve svetovne vojne“, in: Od Maribora do Trsta, ed. Darko Friš und Franc Rozman, Maribor 1997, S. 107–125.

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Kreis Cilli und einen Teil des Grazer Kreises.160 Zuvor war ein Teil der bisherigen Mannschaft des Infanterieregiments entlassen und durch Soldaten aus den steirischen Regimentern Nr. 16 und Nr. 27 ersetzt worden. Ferner wurde zu Beginn der Märzrevolution 1848 in allen größeren Ortschaften, also auch in Marburg, ein Bürgerkorps aufgestellt: die Nationalgarde. In ihr dienten freiwillig bewaffnete Bürger der Stadt. Ihre Gründung verdankt diese Garde offenbar der Reaktion auf ein Ereignis, das vom 16. bis 18. März 1848 große Erregung unter Marburgs Bürgern ausgelöst hatte. Ausschreitungen im Gefolge der Revolution waren in einem Überfall auf das Gebäude des ehemaligen Minoritenklosters in der Grazer Vorstadt, in dem seit 1833 die Redemptoristen untergebracht waren, eskaliert (heute steht dort das Franziskanerkloster). Die Bürger konnten sich damals nicht erfolgreich zu Wehr setzen, weil ihnen die Waffen fehlten. Erst zehn Tage später beantragte der Magistrat beim Kreisamt die Lieferung von 400 Karabinern, die dann wohl auch zur Verfügung gestellt wurden. Das Marburger Bürgerkorps bestand aus einem Bataillon mit sechs Kompanien. Zum Kommandanten wurde der ehemalige Leutnant des Infanterieregiments Nr. 47, Ferdinand Frh. v. Rast, gewählt, der damit zugleich zum Major befördert wurde. Die Kompanien wurden von je einem Hauptmann angeführt: dem Apotheker Stampfl, dem Dampfmühlenbesitzer Kirchner, Friedrich v. Rössler, dem Spediteur Meditsch, dem Buchhändler Friedrich Leyrer und dem Lehrer Professor Rudolf Gustav Puff – dieser leitete die Gymnasiastenkompanie. Ein Bataillon bestand aus elf Offizieren, 56 Unteroffizieren sowie 307 Schutzleuten und hatte drei Ärzte, sieben Trommler und zwei Tischler. Militärisch waren die Soldaten des Marburger Bataillons der steirischen Nationalgarde in Graz untergeordnet, in nicht-militärischen Belangen unterstanden sie der Zivilverwaltung, deren Verwaltungsrat aus dem Kommandanten und 17 160 Später wurde der Grazer Teil dem Infanterieregiment Nr. 27 in Graz zugewiesen.

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Abbildung 18: Das k.u.k. Truppen-Spital, 1914

gewählten Vertretern, ferner zwei Offizieren und zwei Mitgliedern der Stadtverwaltung bestand. Höchste Instanz war das Innenministerium, und dem Verwaltungsrat war auferlegt, sich in allen Belangen, die seine Kompetenzen überschritten, an das Gubernium zu wenden. Keineswegs war die Nationalgarde eine harmonische Einheit, vielmehr bildeten sich in ihr bald zwei gegensätzliche Lager heraus: ein gemäßigtes und ein radikales. Dreimal gab es wegen der überaus hef­ tigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Richtungen einen Kommandanten-Wechsel. Und in einem Brief an das Gubernium bezeichnete der Kreishauptmann die Nationalgarde sogar als die „Wurzel allen Übels“ in der Stadt. Und es nützte auch nichts, dass im Interesse der künftigen Beruhigung einige undiszipliniert (radikal) erscheinende Schutzleute entlassen wurden. Als schließlich die Disziplin völlig zum Erliegen kam, verfügte das Gubernium am 9. Juli 1849 die Auflösung der Korps. Endgültig wurden alle Nationalgarden mit dem kaiserlichen Patent vom 22. 8. 1851 abgeschafft. Weil es nun aber zum Zeitpunkt der Abschaffung in der Garnison zu wenige Soldaten gab und jetzt auch keine Nationalgarde mehr diese 200

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Abbildung 19: K.u.k. Infanterie-Kaserne

Lücke schließen konnte, verpflichtete der Magistrat auf Anweisung des Kreisamts vermögendere Bürger der Stadt dazu, in die Sicherheitswa­ che einzutreten und die drei Stadttore zu bewachen. Schon aus diesem Grund – um also selbst entlastet zu werden – hatten die Bürger großes Interesse daran, dass möglichst viele Soldaten in die Stadt kamen. Vor allem aber war nach der Eröffnung der Eisenbahn 1846 die militärstrategische Bedeutung Marburgs erheblich gestiegen und verlangte nun eine entsprechende Aufrüstung. Dem wurde in den nächsten Jahren auch Folge geleistet. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Stadt Marburg vom Ende des Jahrhunderts bis zum Zusammenbruch der Monarchie über die größte Garnison in der Untersteiermark verfügte. Nach 1858 wurde auch der Sitz des Kommandos des LandwehrInfanterieregiments Nr. 26 hier stationiert.161 Das Infanterieregiment Nr. 47 war – ganz oder zu großen Teilen – immer wieder abwesend, vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es sich über Jahre in Italien (Auseinandersetzungen 1820  –1823, 161 Landwehrregimenter wurden 1917 in Schützenregimenter umbenannt.

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1830/31, Unabhängigkeitskrieg 1848/49 – dann auch noch im Jahr 1859) befand. Zuvor hatte es sich schon in zahlreichen Einsätzen in den Napoleonischen Kriegen bewährt. 1866 kämpfte es im ÖsterreichischPreußischen Krieg und 1878 in Bosnien-Herzegowina. Es machte sich verdient und galt schließlich als eines der besten Regimenter in der ganzen Monarchie. 1823 wurde es nach dem Feldzeugmeister Anton Graf Kinsky benannt, 1882 nach Friedrich Graf von Beck-Rzikowsky, dem Chef des Generalstabs (1881–1906). Bis 1945 stand bei Brunndorf/ Studenci ein Denkmal für die Gefallenen dieses Regiments. Nach 1850 wurden auf dem rechten Drauufer der Stadt mehrere militärische Bauten errichtet: von 1851 bis 1856 die Kadettenanstalt, 1864 die Kavalleriekaserne (in der heutigen Jezdarska-Gasse), von 1894 bis 1903 die Infanteriekaserne, zur selben Zeit die Wagenremise, das Augmentationsmagazin und das Truppenspital im Stadtteil Tabor zwischen der Laibachergasse und der Bahnstraße (heute zwischen der Ljubljanska-Gasse und Tito-Straße), sowie 1904 die Artillerie-Kaserne und von 1894 bis 1901 die Landwehrkaserne in Melling. In die neuen Gebäude zogen nun das Infanterieregiment Nr. 47, das Landwehrregiment Nr. 26, die 4. Eskadron des Dragonerregiments Nr. 5 und das Feldhaubitzenregiment Nr. 3 ein. Einige Militärorgane blieben auf dem linken Drauufer, so etwa das Garnisonsgericht. Die Zahl der Soldaten stieg gewaltig an – 1910 befanden sich 1.648 Mann in der Stadt – nirgendwo sonst in der Untersteiermark gab es eine Truppenkonzentration von dieser Stärke.162 Die von der Stadt gebauten Kasernen blieben im Eigentum Marburgs und wurden dem Militär-Ärar nach gesetzlich festgelegten Tarifen zur Verfügung gestellt.163 162 Im Übrigen siedelten sich etliche pensionierte Offiziere in der Stadt an. Wie Marburg überhaupt eine auffallende Attraktivität auf hohe Ex-Soldaten ausübte. In den Quellen sind immer wieder Offiziere „außer Dienst“ erwähnt, die sich für einige Zeit in der Stadt niedergelassen hatten. 163 Andrej Hozjan, „Maribor v prvih desetletjih po pridobitvi škofije“, in: Studia Historica Slovenica, 2–3, Maribor 2010, S. 363–365; Leskovec, 265–267.

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Während sich die Ausbildungsstätte des Regiments Lusignan in Graz befand, öffnete sich nun auch für Marburg die Möglichkeit, Standort der militärischen Ausbildung Jugendlicher zu werden. So wurde nun in den Jahren 1851 bis 1856 eine Kadettenanstalt gegründet und erbaut. Die Stadt hatte das Grundstück unter dem Bachern erworben und es dem Staat für den betreffenden Zweck geschenkt. Die Kadettenanstalt – im gesamten Gebiet der österreichischen Reichs­ hälfte gab es erst vier solcher Schulen, am Ende des Ersten Weltkriegs 22 – war eine vierjährige Militärschule für künftige Offiziere. Die Jungen traten nach beendeten Normalschuljahren in die Internatsschule ein und setzten nach Abschluss der Kadettenzeit ihre Ausbildung an Militärakademien fort. Dabei war die Beherrschung der deutschen Sprache für die aus unterschiedlichsten Gebieten der Monarchie stammenden Militärschüler keine Aufnahmevoraussetzung, weil die Zöglinge ohnehin bereits im ersten Jahr Zusatzunterricht in Deutsch erhielten.164 Mehrere hochrangige Offiziere – wie zum Beispiel Albert von Koller, General der Infanterie der österreichisch-ungarischen Streitkräfte – ging aus der k.u.k Kadettenanstalt in Marburg hervor. Als dann aber Militärschulen dieser Art in der ganzen Monarchie aufgelassen wurden, kam 1869 auch das vorläufige Ende für Marburgs Kadettenanstalt. Das Gebäude wurde jetzt als Infanterie-Kaserne („Kaiser-Franz-Joseph-Kaserne“) genutzt, und während des Krieges in ­Bosnien fand es als Militärkrankenhaus Verwendung. Auf Wunsch der Stadt wurde die Militärschule jedoch 1894 wiedereröffnet – nun als „k.u.k. Infanterie-Kadettenschule“ – und blieb bis zum Ende der Monarchie bestehen – ab 1913 als Militärrealschule und ab 1917 als Höhere Militär-Ober­real­schule (eine von sechs Schulen dieses Typs in der ganzen Monar­­chie).165 Im Übrigen kam die k.u.k. Kadettenanstalt 164 Die Marburger Kadettenanstalt hatte 15 Offiziere als Professoren und Erzieher sowie 20 Unteroffiziere. Die feierliche Eröffnung fand im April 1856 statt. Im ersten Jahr hatte die Kadettenanstalt 50 Zöglinge. 165 Siehe mehr über das Infanterieregiment Nr. 47, die Kadettenschule usw.: Sašo Radova-

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noch einmal zu einer besonderen Ehre: Zum fünfzigsten Thronjubi­ läum von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1898 stellte die Stadt vor der Kadettenanstalt ein Standbild des Monarchen auf.

Marburg während des Ersten Weltkriegs Der Erste Weltkrieg, ausgelöst am 28. Juni 1914 in Sarajevo durch die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, war die vermutlich schärfste Zäsur in der Geschichte der Stadt. Denn mit dem Ende des Krieges verwandelte sich für Marburg so ziem­­lich alles: Die Stadt war vom Krieg zwar schwer getroffen, aber nicht verwüstet; doch sie gehörte nun zu einem anderen Staat: dem König­reich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS, 1918), dem späteren König­reich Jugoslawien. Die alten engen Verbindungen mit den österreichischen Ländern waren zerschnitten, dafür ergaben sich freilich neue Chancen durch verstärkte Ausrichtungen in den östlichen und süd­lichen Raum. Vor allem war dies für Marburg auch ein starker nationaler Umbruch. Denn nun regierten und dominierten nicht mehr die Deutschösterreicher. Jetzt herrschten, wie es vorgesehen war, die Slo­wenen selbst in ihrem Land. Im gesamten Staat hatten indes die Serben, zu welchen auch die Königsfamilie gehörte, die Oberhand. Slowenien war jetzt ein durchwegs slawisches Land – und Marburg eine slawische Stadt. Die Deutschen wanderten großteils aus, ein Teil wurde vertrieben, der Rest hatte nicht mehr das Sagen im Land und in der Stadt. Die Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Slowe-

novič, Ponovno doma. Zgodovina 47. mariborskega pešpolka 1682 –1918, Maribor 2007; Pertassek, S. 97–103.

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noch einmal zu einer besonderen Ehre: Zum fünfzigsten Thronjubi­ läum von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1898 stellte die Stadt vor der Kadettenanstalt ein Standbild des Monarchen auf.

Marburg während des Ersten Weltkriegs Der Erste Weltkrieg, ausgelöst am 28. Juni 1914 in Sarajevo durch die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, war die vermutlich schärfste Zäsur in der Geschichte der Stadt. Denn mit dem Ende des Krieges verwandelte sich für Marburg so ziem­­lich alles: Die Stadt war vom Krieg zwar schwer getroffen, aber nicht verwüstet; doch sie gehörte nun zu einem anderen Staat: dem König­reich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS, 1918), dem späteren König­reich Jugoslawien. Die alten engen Verbindungen mit den österreichischen Ländern waren zerschnitten, dafür ergaben sich freilich neue Chancen durch verstärkte Ausrichtungen in den östlichen und süd­lichen Raum. Vor allem war dies für Marburg auch ein starker nationaler Umbruch. Denn nun regierten und dominierten nicht mehr die Deutschösterreicher. Jetzt herrschten, wie es vorgesehen war, die Slo­wenen selbst in ihrem Land. Im gesamten Staat hatten indes die Serben, zu welchen auch die Königsfamilie gehörte, die Oberhand. Slowenien war jetzt ein durchwegs slawisches Land – und Marburg eine slawische Stadt. Die Deutschen wanderten großteils aus, ein Teil wurde vertrieben, der Rest hatte nicht mehr das Sagen im Land und in der Stadt. Die Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Slowe-

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nen bekamen eine ganz neue Note. Marburg war nicht mehr die deutsche Insel in einem slawischen See. Dies war eines der Resultate eines Krieges, der rund zehn Millionen Menschenleben gefordert hatte. Sein Ende zerstörte die österreichische Monarchie. Das Vielvölkerreich zerfiel in mehrere Länder mit nationaler bis nationalistischer Ausrichtung. Dabei hatte zu Beginn des Krieges für die meisten Beobachter alles ganz anders ausgesehen: Als nach der Abweisung des österreichischen Ultimatums vom 23. Juli 1914 die erste Teilmobilmachung verhängt wurde, der am 28. Juli die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien und am 31. Juli die Generalmobilmachung aller Männer zwischen dem 21. und 42. Lebensjahr folgte, glaubten – trotz der erkennbaren internationalen Verflechtungen der verschiedenen Staaten – nur wenige in Österreich, dass dieser angebliche Bestrafungsakt gegen Serbien nur ein kurzer Ausflug war („Zu Weihnachten sind wir wieder zu Hause!“ riefen die Soldaten, als sie ins Feld zogen), sondern ein langjähriger Weltkrieg, der alle ­Großmächte und noch zahlreiche andere Staaten erfasste und am Ende zehn Millionen Tote und mehr als zwanzig Millionen Verwundete beklagen ließ. Und der nicht so sehr für Serbien, sondern in erster Linie für Öster­ reich und seinen deutschen Verbündeten zum Inferno wurde. Mit Begeisterung zogen die Österreicher 1914 also in den Krieg gegen Serbien, getrieben von der Empörung über das Attentat wie von der Erwartung, jetzt endlich den ewigen slawischen Unruhestifter Serbien ein für allemal zu erledigen. Und auch in Marburg waren die Reaktionen auf die Kriegserklärung und die Mobilmachung nicht anders als sonstwo in der Monarchie. In diesen Tagen schienen die nationalen Spannungen in den Hintergrund zu treten – die meisten Deutschösterreicher wie auch Slowenen sahen sich vereint in einem ge­­­­rechten Kampf gegen das vermeintlich verbrecherische Serbien. Ge­­ rade die Slowenen hatten schon immer als besonders habsburgtreu gegolten, ja, vielfach hielt man sie für die am engsten mit der Dynastie verbundene nicht-deutsche Volksgruppe unter allen Völkern der 205

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Monarchie. Doch schon gleich zu Beginn des Krieges sorgten die ebenso hysterischen wie ungeschickten Maßnahmen der Militärgerichtsbarkeit dafür, dass die Spannungen zwischen Deutschen und Slowenen wieder rasch anschwollen und bald noch heftiger wurden als je zuvor. Blindwütig unterstellten die Vertreter der Staatsmacht den Slowenen „serbophile Tendenzen“, Verrat und Spionagetätigkeiten. Im Bereich des zuständigen Landwehrdivisionsgerichts in Graz (zuständig für die Steiermark, Kärnten und Krain) wurden in der Zeit von Juli bis Dezember 1914 mindestens 910 Zivilpersonen verhaftet, unter ihnen 117 Geistliche. Von den Verhafteten wurden 165 Personen verurteilt, darunter drei Priester.166 Die wirkliche Zahl der Festgenommenen dürfte jedoch noch viel höher gewesen sein – Genaues ist nicht nach­ weis­­bar. Der österreichische Historiker Stefan Karner nimmt aufgrund zahlreicher Hinweise an, dass 1914 insgesamt 2.000 untersteirische Slowenen festgenommen und wenigstens eine Zeit lang inhaftiert worden seien.167 In Maria Rast/Ruše in unmittelbarer Nähe Marburgs wurden fast alle Bewohner der Ortschaft nach Graz abtransportiert. Dass die Zivilpersonen überhaupt vom Militärgericht verhaftet werden konnten, hatte zuvor eine kaiserliche Verordnung vom 25. Juli 1914 ermöglicht, wonach in der österreichischen Hälfte der Monarchie zeitweise die Militärgerichtsbarkeit praktiziert werden konnte.168 Viele Betroffene verdanken ihre Inhaftierung privaten Denunzianten, wobei neben wirklichem Verdacht und falsch verstandenem Patriotismus auch niedrige Beweggründe wie Neid und Missgunst ihre Rolle ­gespielt 166 Janko Pleterski, Politično preganjanje Slovencev v Avstriji 1914–1917. Poročili vojaške in vladne komisije [Die politische Verfolgung der Slowenen in Österreich 1914–1917], in: Viri, Nr. 1, Ljubljana 190, S. 33; Martin Moll, „Erster Weltkrieg und politische Justiz in Österreich-Ungarn: Empirische Befunde aus der slowenischen und deutschsprachigen Steiermark“, in: Zbornik Janka Pleterskega, hg. v. Oto Luthar und Jurij Perovšek , Ljubljana 2003, S. 252–283. 167 Karner, S. 108. 168 Reichsgesetzblatt (RGBl.) 156/1914.

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haben dürften. Offenbar aber waren es zuvorderst Kräfte der – ständig Verrat witternden – Armee, die ihren pauschalen Verdacht sehr oft al­­ lein aus der Tatsache bezogen, dass es sich bei den Slowenen um Mitglieder der großen slawischen Volksfamilie handelte. Dabei wurden die Gebote rechtskonformer und anständiger Verfahren sehr oft missachtet. So geht zum Beispiel aus der Aussage eines langgedienten Bezirkswachtmeisters hervor, dass in Marburg Truppenoffiziere oftmals die Gendarmerie unter Druck setzten, ja, sogar die Gendarmen mit Verhaftung bedrohten, wenn diese die Festnahme eines Bezichtigten nicht durchführen wollten. Der Advokat Dr. Franz Rosina wurde aufgrund persönlicher Intervention eines Majors vom städtischen Polizeidirektor verhaftet und zusammen mit dem Anwalt Vladimir Semec, einem Oberrevidenten der Südbahn, gefesselt nach Graz überführt, weil er Kontakt zu den verhafteten Personen aus Maria Rast gepflegt hatte. Allerdings wurde Rosina nach zwei Monaten wieder auf freien Fuß gesetzt. Der Fall wurde der Staatsanwaltschaft Marburg übertragen, dann wurde das Verfahren eingestellt.169 Die Frau eines Steuerverwalters aus Marburg wurde festgenommen, weil sie es als dumm bezeichnet hatte, dass der Kaiser den Serben ein zweitägiges Ultimatum gestellt hatte. Ein ganzes Jahr wurde die Justiz mit dieser – aus späterer Sicht lächerlichen – Angelegenheit beschäftigt, bis das Landwehrdivisions­ gericht schließlich feststellen musste, dass die inkriminierte Bemerkung der Frau noch vor dem Inkrafttreten der genannten kaiserlichen Verordnung geäußert worden war, folglich die Militärjustiz für diesen Fall unzuständig war. Das Urteil wurde der Staatsanwaltschaft Marburg überstellt, die daraufhin tatsächlich Anklage erhob. Diese wurde dann jedoch abgewiesen. Ein Pfarrer im Gebiet von Marburg wurde des Verrats bezichtigt, weil er vor dem Krieg alle Kapellen und Weg­ kreuze der Umgebung kartografisch festgehalten hatte.170 169 Pleterski, Viri 1, S. 42/43. 170 Martin Moll, Österreichische Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg – „Schwert

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Die Militärgerichtsbarkeit wurde aber auch von deutschnationalen Kreisen missbraucht, um nationale Feindschaften auszutragen. So gab es sehr häufig Reserveoffiziere, die Funktionäre deutschnationaler „Schutzverbände“ gewesen waren und jetzt als militärische Unter­­­ suchungsrichter die Fälle ihrer politischen Gegner bearbeiteten. Da­­ mit wurde die Militärjustiz zum Instrument des Nationalitätenkampfes.171 Die Verfolgung der Slowenen in dieser Zeit beschränkte sich jedoch nicht auf die Militärgerichtsbarkeit. Am 1. September sah sich die Oberstaatsanwaltschaft genötigt, eine öffentliche Warnung zu erlassen, wo­­ nach die Justiz nicht für nationale Kämpfe missbraucht werden dürfe. Dass die Slowenen über diese ganze Entwicklung der deutsch-slowenischen Auseinandersetzung nicht nur enttäuscht und verbittert, sondern geradezu empört waren, ist nicht verwunderlich. So stellte der Südslawische Klub („Jugoslovanski klub“) mehrere diesbezügliche An­­­fragen an die Gesamtregierung – so in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 3. Juli 1917 „betreffend die Inhaftierung unschuldiger Slovenen in Steiermark“. Dies veranlasste Kaiser Karl zur Einsetzung zweier Untersuchungskommissionen – einer Militär- und einer Minis­ terialkommission – mit weitgehenden Vollmachten. Und deren Be­­ richte bestätigten die Vorwürfe der Slowenen nahezu vollständig, so­­­ weit es um das Gebiet der Steiermark ging – doch Ähnliches war auch in fünf anderen Kronländern, in denen Slowenen verfolgt wurden, gang und gäbe, vor allem in Kärnten.172 Martin Moll, der sich einer gründlichen Untersuchung der politisch motivierten Justizpraxis in der Steiermark widmete, kam zu dem Er­­ gebnis, dass in der Untersteiermark im Jahr 1914 619 solcher Verfah­ des Regimes“? Überlegungen am Beispiel des Landwehrdivisionsgerichtes Graz im Jahre 1914, www.verwaltung.steiermark.at, S. 320/321, S. 344. 171 Moll, Österreichische Militärgerichtsbarkeit, S. 347/348. 172 Von den 17 Geistlichen aus der Untersteiermark, die 1914 verhaftet worden waren, wurde am Ende nur einer – und zwar erst 1917 – verurteilt.

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ren anhängig waren – dagegen 305 in den Bezirken, die sich mit dem Gebiet der heutigen österreichischen Steiermark decken. Während im Norden auf 3.172 Personen ein Verfahren kam, waren es im Süden 770. Dabei sind besonders viele Fälle in den Bezirken Marburg, Cilli, Luttenberg und Pettau nachgewiesen. In Marburg, wo, prozentual gesehen, die meisten Verfahren verzeichnet wurden, gab es insgesamt 249 Fälle bei einer Einwohnerzahl von 122.991 nach der letzten Volks­ zählung 1910 – das heißt: Auf 492 Personen kam ein Verfahren. An der zweiten Stelle stand Pettau, gefolgt von Luttenberg und Cilli.173 Mindestens 67 Prozent der Festgenommenen kamen in Untersuchungs­ haft. Vermutlich waren es mehr, doch ist die Quellenlage für einige Bezirke dürftig. Vier Fünftel aller Inhaftierungen erwiesen sich als unbegründet. 216 Angeklagte wurden rechtskräftig verurteilt, davon kamen 41 aus Marburg, 31 aus Cilli, 25 aus Pettau. Die Haftdauer betrug durchschnittlich sechs Wochen. Zwei Drittel aller Verhaftungen erfolgten im August 1914.174 Viele Slowenen wurden wegen angeblicher „Staatsfeindlichkeit“ interniert. Oft kamen sie in Kriegsgefangenenlager. Solche Lager gab es seit 1916 auch in der Steiermark (in Marburg und in Sternthal/Strniš­ če), wo insgesamt 40.000 Gefangene untergebracht waren. Sofern diese arbeitsfähig waren, wurden sie in der Landwirtschaft, in der Industrie oder im Bergbau beschäftigt.175 Bezeichnend für die Stimmung und die Politik in jenen Kriegsjahren war vor allem, wie die österreichischen Militärs im Verein mit Politikern und anderen deutschnationalen Kräften Ende 1916 versuchten, den Interimskommandanten Rudolf Maister aus Marburg zu entfernen. Heute ziert der Name des Generals, der auch Schriftsteller war und als solcher das Pseudonym „Vojanov“ trug, die Schilder zahlreicher Straßen, 173 Moll, „Erster Weltkrieg und politische Justiz in Österreich-Ungarn“, S. 260 –262. 174 Moll, 265 –282. 175 Stefan Karner, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, Graz 2000, S. 109/110.

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Plätze und Gebäude in Slowenien. Er wird dort noch heute als Held gewürdigt. Und er zählt zu den großen Marburgern in der Ge­­schich­­te der Stadt. Am 29. März 1874 wurde Rudolf Maister als Sohn eines Finanz­ wachtmeisters in Stein/Kamnik bei Krainburg/Kranj geboren. Seine Fa­­ milie väterlicherseits stammte aus Thüringen. Das Gymnasium besuchte er in Krain, die sechste Klasse in Laibach, danach besuchte er die Land­ wehrkadettenschule der Franz-Joseph-Militärakademie in Wien. 1894 wurde er als Kadett dem k.k. Landwehr-Infanterieregiment Nr. 4 (mit Sitz in Klagenfurt) zugeteilt, dessen zwei Bataillone in Laibach/Ljubljana stationiert waren. So kam Maister nun zum k.k. Landwehrbataillon Nr. 25 nach Laibach. 1895 wurde er zum Leutnant, 1900 zum Ober­ leutnant befördert. Er diente nun beim neu gegründeten LandwehrInfanterieregiment Nr. 27, das aus den beiden in Laibach stationierten Bataillonen bestand. Maister verpflichtete sich freiwillig für zwölf Jahre. 1906 wurde er zum k.k. Landwehr-Infanterieregiment Nr. 18 nach Prze­ myśl in Galizien versetzt, wo er im Winter 1912 lebensgefährlich an der ­­ Lunge erkrankte. Um die Krankheit zu kurieren, verbrachte er darauf­ hin eineinhalb Jahre in der angeblich gesunden, weil trockenen Luft des Kurorts Heluan in Ägypten. Das half, doch war er seit dieser schweren Erkrankung fortan frontunfähig. So übernahm er jetzt die Kommandantur der Landsturm-Expositur in Cilli. 1914 wurde er Referent des Landsturm-Bezirkskommandos in Marburg, 1916 Interimskommandant dieser Einheit, nachdem er bereits im August 1914 zum Major befördert worden war. In Marburg war er ständiger Gast im Narodni dom, was ihm bei den deutschösterreichischen Offizieren Misstrauen und Verärgerung einbrachte. Sie versuchten ihn denn auch möglichst bald loszuwerden. Dafür brauchten sie einen Vorwand. Den schufen sie sich, indem sie gegen ihn eine Anzeige wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs einbrachten. Den Deutschen Volksrat störte es unter anderem, dass er mit seinen Soldaten slowenisch sprach. Außerdem beschuldigte man ihn, seine Untergebenen unrechtmäßig vom Dienst an der Front 210

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befreit zu haben. Als besonders anrüchig galt jedoch, dass er an einem – wie es hieß – „panslawistischen Treffpunkt“ verkehrte und damit dem Staat angeblich schweren Schaden zufügte. Gemeint war der Narodni dom. So wurde nun eine militärische Untersuchungskommission eingesetzt, die im Januar 1917 in Marburg alle Vorwürfe prüfte. Diese kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Beschuldigungen unbegründet waren. Der Nachrichtenoffizier, der entsprechende Berichte nach Graz weiter­ gelei­tet hatte, gab vor der Kommission zögernd zu, dass die Unstim­ migkei­ten beim Landsturm-Bezirkskommando auf nationaler Grund­ lage zu suchen seien. Mit der Untersuchung wurde Richter Dr. Glockner betraut, der sich tatsächlich um Objektivität bemühte. So wurde Mais­ter vom Militärgericht Mitte Februar 1917 freigesprochen. Auch die ehrenamtliche Verhandlung, die vom Kommandanten General Martiny in Graz gleichwohl eingeleitet wurde und derentwegen Maister zum Landesbezirkskommando Graz abkommandiert wurde – das Kommando in Marburg übernahm unterdessen Oberstleutnant Franz Kellner v. Kellenau –, ging für ihn positiv aus. Maister wurde von der Offiziersversammlung freigesprochen. Er hatte in dem Verfah­ ren auf einen Anwalt verzichtet und sich selbst verteidigt. Trotz dieses für Maister glücklichen Ausgangs gab General Martiny nicht auf. In einem Brief an das k.k. Ministerium für Landesverteidigung in Wien verlangte er, dass der slowenische Offizier in eine südliche Garnison versetzt werde und keinesfalls mehr in Marburg Verwendung finden dürfe. Maister aber, der gerade zu seiner Dienststelle in Marburg zurückkehren wollte, bat in Wien Anton Korošec, den steirischen Abgeordneten und Obmann des Südslawischen Klubs, um Hilfe. Dieser intervenierte umgehend an höchster Stelle: bei Kaiser Karl persönlich. Tatsächlich wurde daraufhin das Militärkommando in Graz vom Ministerium für Landesverteidigung angewiesen, Rudolf Maister das Kommando in Marburg zurückzugeben.176 Und so kehrte Major Mais­ 176 PAM, Fonds Rudolf Maister.

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ter am 1. Juli 1917 nach Marburg zurück. Seine besondere Rolle aber sollte er, wie noch gezeigt werden soll, unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Monarchie wahrnehmen. Im Übrigen war der Erste Weltkrieg für Marburg eine dunkle Zeit wie für alle anderen österreichischen Städte auch. Die Männer mussten ins Feld, und unzählige kamen nicht mehr zurück, viele waren nach ihrer Heimkehr krank oder verstümmelt. Die Wirtschaft kam zum Er­­ liegen, dennoch blieb die Stadt – trotz empfindlicher Versorgungsprobleme – von der schweren Hungersnot, wie sie andere Städte zu erdulden hatten, weitgehend verschont. Die Kräfte des fruchtbaren Landes reichten wenigstens aus, um für die nächste Zeit das Schlimmste zu verhindern. Je mehr sich der Krieg dem Ende näherte und die künftige Neu­ bildung von Nationalstaaten erkennbar wurde, desto mehr war die deutsch­österreichische Bevölkerung beunruhigt. Die nationalen Spannungen verschärften sich nun noch mehr. Viele Deutsche wanderten ab – zumeist nach Österreich. Andere hofften, dass Marburg, sollte denn die Habsburgermonarchie nicht zu retten sein, Teil eines neuen „deutschösterreichischen“ Staates werden würde. Nach dem Empfinden vieler Marburger – der deutschen wie der slowenischen – war es zunächst fast unvorstellbar, dass es künftig keine österreichisch-ungarische Monarchie, kein Herzogtum Steiermark und keinen Kaiser mehr geben werde. All dies war ja wesentlicher Bestand­ teil dessen, was für die meisten Bürger – ungeachtet der vielen Probleme, die zahlreiche Slowenen mit ihren deutschen Mitbürgern hatten – „Heimat“ hieß. Wie sich die Zukunft der traditionsreichen Stadt auch ohne die bisherigen tragenden Säulen der gesamten gesellschaftlichen Ordnung gestalten würde, war noch kaum jemandem klar. Angst und Misstrauen stiegen auf allen Seiten. Aber es gab auch Hoffnungen – nicht zuletzt die vieler Slowenen auf ein slowenisches Land, wenn sich dieses auch nicht mehr, wie früher erhofft, innerhalb der alten Monarchie etablieren konnte. Die Frage gegen Ende des Krieges war, 212

s ü ds l awien oder deu t s c hös t errei c h ?

ob sich die Stadt in einem slawischen Staat der Serben, Kroaten und Slowenen oder in einem neuen Staat Deutschösterreich wiederfinden werde.

Südslawien oder Deutschösterreich? Der Kraftakt des Generals Maister Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war die Stadt Marburg immer noch – ähnlich wie Pettau und Cilli – eine deutsche Sprachinsel (mit slowenischer Minderheit) mitten in einem nahezu rein slowenischen Umland. Jetzt aber sollten die Gebiete der verschiedenen Volksgrup­ pen entsprechend ihren Mehrheiten voneinander abgegrenzt werden. Doch dies war so rasch nach dem Zusammenbruch der österreichisch­ ungarischen Monarchie besonders schwierig geworden. Vor allem auch die Ziehung der Grenzen zwischen den neu entstandenen Staaten warf enorme Probleme auf. Man konnte unmöglich allen Nationalitäten gerecht werden. Auch die Grenze zwischen dem südslawischen Staat und Österreich war umstritten – sowohl in Kärnten als auch in der Steiermark. Und so gab es auch über die künftige Zugehörigkeit der Stadt Marburg unterschiedliche Vorstellungen. Während nach Ansicht des Großteils der deutschen Bevölkerung die Stadt und ihre Umgebung Teil eines künftigen Staates Deutschösterreich werden sollten, hatten die Slowenen, die mit ihrer Mehrheit in der Unterstei­ermark die Stadt umschlossen, die feste Absicht, Marburg in den neuen südslawischen Staat, der sich nun abzeichnete, einzugliedern. In den Monaten des Zusammenbruchs der Monarchie gab es in der Stadt eine „Doppel­ regierung“: auf der einen Seite die noch bestehenden deutschen zivilen Organe, auf der anderen die slowenische Bezirks­verwaltung und Militärkomman­dantur. 213

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ob sich die Stadt in einem slawischen Staat der Serben, Kroaten und Slowenen oder in einem neuen Staat Deutschösterreich wiederfinden werde.

Südslawien oder Deutschösterreich? Der Kraftakt des Generals Maister Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war die Stadt Marburg immer noch – ähnlich wie Pettau und Cilli – eine deutsche Sprachinsel (mit slowenischer Minderheit) mitten in einem nahezu rein slowenischen Umland. Jetzt aber sollten die Gebiete der verschiedenen Volksgrup­ pen entsprechend ihren Mehrheiten voneinander abgegrenzt werden. Doch dies war so rasch nach dem Zusammenbruch der österreichisch­ ungarischen Monarchie besonders schwierig geworden. Vor allem auch die Ziehung der Grenzen zwischen den neu entstandenen Staaten warf enorme Probleme auf. Man konnte unmöglich allen Nationalitäten gerecht werden. Auch die Grenze zwischen dem südslawischen Staat und Österreich war umstritten – sowohl in Kärnten als auch in der Steiermark. Und so gab es auch über die künftige Zugehörigkeit der Stadt Marburg unterschiedliche Vorstellungen. Während nach Ansicht des Großteils der deutschen Bevölkerung die Stadt und ihre Umgebung Teil eines künftigen Staates Deutschösterreich werden sollten, hatten die Slowenen, die mit ihrer Mehrheit in der Unterstei­ermark die Stadt umschlossen, die feste Absicht, Marburg in den neuen südslawischen Staat, der sich nun abzeichnete, einzugliedern. In den Monaten des Zusammenbruchs der Monarchie gab es in der Stadt eine „Doppel­ regierung“: auf der einen Seite die noch bestehenden deutschen zivilen Organe, auf der anderen die slowenische Bezirks­verwaltung und Militärkomman­dantur. 213

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Nachdem am 30. Mai 1917 im wieder einberufenen Reichs­ tag in Wien der Obmann des Südslawischen Klubs, Anton Ko­­­ro­šec, die Maideklaration in deut­­­scher, slowenischer und kro­a­­tischer Sprache verlesen hatte, in welcher ein südslawischer Staat unter dem Zepter der Habsburger gefordert wurde, gab es Widerstand unter den Deutschen, auch in der Steiermark. So meinte etwa ein Cillier Abgeordneter, dass eine solche Lösung den Hinauswurf der Deutschen bedeuten müsse. Am 25. Mai 1918 wurde Abbildung 20: Johann Schmiderer, letzter Bürgermeister Marburgs während der eine Abordnung aus der UnterHabsburgermonarchie (1902–1919) steiermark beim Kaiser vorstellig, um Einspruch gegen die mögliche Errichtung eines solchen südslawischen Staates zu erheben. Als dann aber am 12. Oktober 1918 Kaiser Karl doch noch versuchte, Korošec für eine Regierung zu gewinnen, waren die Geleise bereits in andere Richtungen gelegt. So verabschiedete sich Korošec mit dem oft zitierten Reim: „Majestät, es ist zu spät!“ Am 21. Oktober 1918 versammelten sich die deutschen Reichsrats­ abgeordneten im niederösterreichischen Landhaus in Wien zu einer konstituierenden Sitzung und bildeten die Provisorische Nationalver­ sammlung für Deutschösterreich. Diese gründete dann am 30. Oktober den Staat Deutschösterreich und bestellte Karl Renner zum Staats­ kanzler. Der Stadtrat von Marburg unter Bürgermeister Dr. Johann Schmiderer verkündete sehr eilig, noch am selben Tag, die Zugehörig­ 214

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keit der Stadt zu Deutschösterreich. Allem voran aber herrschte in der Stadt größte Besorgnis über die immer brisanter werdende Versorgungs­ lage. Die Lebensmittel wurden knapp, und man musste mit einer weiteren Verschlechterung rechnen, sodass auch eine große Hungersnot drohte, wenn nicht bald etwas geschah. So bat der Stadtrat den am 21. Oktober 1918 gegründeten Wohlfahrtsausschuss in Graz, die Versorgung der Stadt zu gewährleisten und nicht zuletzt die Ordnung aufrechtzuerhalten, die in der immer unruhiger werdenden Atmosphäre dieser Tage bedroht erschien. Doch verfügte auch Graz nicht über die nötigen Lebensmittelreserven, um die steirischen Industriestädte hin­ reichend zu beliefern. Es war deshalb seinerseits an möglichst guten Beziehungen zum Süden interessiert – in der Hoffnung, von dort via Triest die dringend benötigten Güter geliefert zu bekommen. Auch die erbetenen Ordnungskräfte konnte Graz nicht nach Marburg entsenden – diese wurden dringend in der eigenen Stadt benötigt, denn es bestand stündlich die Gefahr, dass auch hier gefährliche Un­ruhen ausbrachen. In einer Trauersitzung für den soeben verstorbenen österreichischen Sozialistenführer und Staatssekretär Victor Adler (11. November) wurde noch einmal die Zugehörigkeit Marburgs zu Deutschöster­ reich bekräftigt. Auf Weisung aus Wien erweiterte der Stadtrat am 20. November seine Mitgliederzahl und nahm zehn Sozialdemokraten auf. Jetzt wurde der Sozialdemokrat Hans Suppanz neben Karl Neskod zum stellvertretenden Bürgermeister ernannt. Dagegen hatte der Südslawische Klub schon im August 1918 in Ljubljana/Laibach einen Slowenischen Nationalrat (NS, „Narodni svet za Slovenijo“) gegründet, zunächst mit dem Ziel, die Slowenen innerhalb der Monarchie zu vereinigen. Daraufhin etablierten sich in der Steiermark, in Triest, in Görz und in Kärnten entsprechende Unterausschüsse. Und schließlich wurde in Agram/Zagreb am 5. und 6. Oktober 1918 der Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben (SHS, „Narodno vijeće Slovenaca, Hrvata i Srba“) ins Leben gerufen. Er übernahm am 29. Oktober die oberste Gewalt in den südslawischen Län215

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dern der Donaumonarchie. Sein Präsident wurde Dr. Anton Korošec. Das war die Entstehung des „Staates SHS“ („Država Slovenaca, Hrvata i Srba“). Am 31. Oktober 1918 wurde eine Nationalregierung für das Land Slowenien aufgestellt, die noch am selben Tag vom Nationalrat SHS bestätigt wurde. Ihr Ziel war es, das slowenische Volk, das in beiden Teilen der Monarchie (also zu einem kleinen Teil auch in Ungarn) zersplittert gelebt und kein eigenes Staatswesen gekannt hatte, innerhalb eines neuen südslawischen Staates zu vereinen. Die Nationalverteidigung sollte jedoch nicht zu den gemeinsamen Angelegenheiten des Staates SHS zählen, sondern blieb dem künftigen autonomen Slowenien vorbehalten. Die Nationalregierung bekam also einen Bevollmächtigten („poverjenik“) für die Nationalverteidigung; Mobilisierungen sollten im Namen der slowenischen Regierung ausgesprochen werden. Es war aber nicht so, dass der Nationalrat SHS in Agram nicht auch einen militärischen Bevollmächtigten gehabt hätte. Der Nationalrat SHS übernahm am 31. Oktober in Namen des Staates SHS die gesamte österreichisch-ungarische Flotte im Adriatischen Meer. Das Gebiet SHS wurde in militärische Distrikte aufgeteilt; der erste hatte seinen Sitz in Agram (Zagreb), der zweite in Ljubljana mit dem Kommandanten Feldmarschallleutnant Nikola Ištvanović. Die Kommandanten waren dem Sekretär der Regierung SHS Dr. Mate Drinković unterstellt. Da aber für die slowenische Regierung in Fragen der Militärpolitik die Nationalregierung, also deren Verteidigungsbevollmächtigter Dr. Lovro Pogačnik, zuständig war, musste sich Ištvanović grundsätzlich an die Beschlüsse der slowenischen Regierung halten. Ihm oblag es also keineswegs, die Entscheidungen über die mögliche Verwendung der Truppen in Slowenien allein zu treffen, und auch nicht, über die Beförderungen und Einberufungen zu bestimmen. Sämtliche Anordnungen der Kommandantur des zweiten Militärdis­ triktes trugen auch die Unterschrift der Nationalregierung. Am 26. September 1918 etablierte sich im Narodni dom – in erster Linie auf Initiative des Obmanns des Südslawischen Klubs, Korošec – 216

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der „Narodni svet za Štajersko – Maribor“ (Nationalrat für die Stei­ ermark – Marburg, NS). Dieser beschloss nun, dass die Grenzen gegenüber der deutschösterreichischen Steiermark und gegenüber Ungarn klar bestimmt werden müssten und dass in der ganzen Untersteiermark ein wirksamer Nationalschutz eingerichtet werden sollte. Ferner wurde gefordert, dass die Finanzierung des Büros gesichert werden müsse und ein Verzeichnis heimischen und fremden Eigentums zu erstellen sei. Überall sollten jetzt Ortsausschüsse des NS gebildet werden. Auch habe an die slowenischen Sozialdemokraten die Einladung zu ergehen, sich dem NS anzuschließen. Der Steirische Nationalrat ernannte am 31. Oktober 1918 zehn Bezirkshauptleute. In Marburg wurde Dr. Srečko Lajnšič bestimmt, der während des Krieges Chef des Approvisationsamts (Versorgungs­ amts) gewesen war. Vor allem aber ließ der Nationalrat in der Zeitung Straža jetzt verkünden, dass die politische Verwaltung der Untersteiermark nunmehr in seiner Hand und dass auch die Gendarmerie den Bezirkshauptleuten unterstellt worden sei. Am 8. November verabschie­ dete die slowenische Regierung eine Verordnung, mit welcher die Gendarmerie in der Untersteiermark dem Gendarmeriekommando in Laibach unterstellt wurde. Der Gendarmeriekommandant von Marburg wurde abgelöst, und aus Laibach wurde eine 30-Mann-Verstärkung nach Marburg in Marsch gesetzt. Der städtischen Polizei traten nun Slowenen bei, vor allem Flüchtlinge aus Triest. Am 31. Oktober übergab Kaiser Karl die k.u.k. Kriegsmarine dem südslawischen Staat, dabei wurden alle nicht-südslawischen Mannschafts­ mitglieder, die in dem neuen Staat nicht dienen wollten, entlassen. Auch anderswo sollten die Soldaten selbst wählen können, ob sie in den Dienst der neu entstandenen Staaten eintreten wollten oder nicht. In Marburg blieben zunächst alle zivilen Organe der Monarchie bestehen, so der Stadtrat, das Bezirksamt, die Gerichte, die Gendarmerie und die Polizei, die sich noch alle in deutscher Hand befanden. Entscheidend war somit das Militär. Die Lage in der Stadt war schwierig, ja, mehr und mehr 217

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geradezu chaotisch, da nun außerdem zahllose Soldaten in alle Richtungen von der Front nach Hause unterwegs waren, vielfach plündernd und zerstörend. Dabei machten bei den Plünderungen oft auch Einheimische mit. In der Zeit zwischen dem 30. Oktober und dem 19.  November 1918 zogen 430.000 Soldaten Richtung Norden, 330.000 nach Süden und 290.000 nach Osten, meist nach Ungarn. Am 1. November 1918 rief Marburgs Stadtkommandant Oberst Anton Holick die Befehlshaber der in Marburg stationierten Einheiten zu einer Sitzung in der Kaserne Melling zusammen. Diese begann zu einer früheren Uhrzeit als zunächst angekündigt, was dem gleichfalls geladenen Major Rudolf Maister nicht mitgeteilt worden war. Er war dann aber von dem einzigen anwesenden slowenischen Offizier verständigt worden, sodass er doch noch mit nur geringer Verspätung eintraf. Und dies war die Stunde des Rudolf Maister. Entschlossen durchkreuzte er die Pläne Holicks, das Militärkommando der Stadt zu übernehmen und Marburg solcherart für den Staat Deutschösterreich zu sichern. Rabiat unterbrach er Holick, der gerade im Begriffe war, die wesentlichen Punkte seines Plans vorzustellen und darzulegen, wie Ruhe und Ordnung in der Stadt gesichert werden müssten. „Ich erkenne diese Punkte nicht an“, machte Maister der Versammlung klar. „Ich erkläre die Stadt Marburg für einen Bestandteil des Staates der Slowenen, Kroaten und Serben und übernehme im Namen meiner Regierung das militärische Kommando über die Stadt und die gesamte Untersteiermark!“ Außerdem drohte er jedem mit dem Militärgericht, der sich dieser seiner Anordnung entgegenstellen sollte. Tatsächlich tat dies niemand, obwohl einige anwesende Offiziere einen höheren Rang innehatten als er und ihn wegen Hochverrats leicht hätten festnehmen können. Die Stellung der Deutschösterreicher war offensicht­ lich zu schwach geworden, um es hier auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen. Holick gab seinen Plan auf. Auch wollte er, wie er bekundete, unter diesen Umständen nicht mehr in der Stadt bleiben. So rief Maister jetzt den Obmann des slowe­nisch-steirischen Nationalrats, Karl Verstovšek, in die 218

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Sitzung, stellte ihn den Anwesenden vor und ging danach in seiner Begleitung in den Narodni dom zur Sitzung des Natio­nalrats. Dort überzeugte er die Anwesenden davon, dass sie ihn wegen der kritischen Lage, die dringend einer starken Führung bedürfe, zum General ernennen müssten – damit zum ranghöchs­ten Offizier der Stadt. Nun hatte der Nationalrat zwar gar nicht die Befugnis, solche Ernennungen durchzu­ führen, daher fühlte sich die slo­ wenische Nationalregierung, als sie später davon erfuhr, auch missachtet und überrumpelt. Der Abbildung 21: General Rudolf Maister-Vojanov, 1918 Obmann des Steirischen Nationalrats hatte sich deshalb ebenfalls zu rechtfertigen. Doch überzeugten letztlich Maisters Argumente auch die Regierung. Sie bestätigte die Ernennung.177 Dass der solcherart errungene höhere Rang des Offiziers Maister nicht unwesentlich war, bestätigte sich schon am Tag der Ernennung. Denn jetzt schickte das Militärkommando Graz, um dem Stadtrat zur Seite zu stehen, einen Oberst namens Ullmann nach Marburg, der den Oberbefehl über die Truppen in Marburg und Pettau übernehmen sollte. Maister stellte sich ihm entschieden entgegen und befahl allen deutschen Soldaten, die Stadt zu verlassen. Daraufhin verließen freilich 177 Sejni zapisniki Narodne vlade Slovencev, Hrvatov in Srbov v Ljubljani in deželnih vlad za Slovenijo 1918  –1920, Teil 1, S. 67. Siehe auch: Tomaž Kladnik, „Vojaštvo in Maribor v času 1. svetovne vojne in tik ob njej“, Studia Historica Slovenica, 2009, Nr. 2 – 3, S. 332–342.

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nicht nur deutsche Soldaten die Kaserne, sondern auch viele ­kriegsmüde slowenische, sodass General Maister am Ende nur 15 slowenische Offiziere und 87 Soldaten verblieben, mit denen er die Befehlsgewalt über die Stadt und die ganze Steiermark ausüben und sichern sollte. Die slowenische Regierung war nicht in der Lage, militärische Hilfe zu schicken, obwohl sie bereits nach ihrem Antritt einen Aufruf an die slowenischen Soldaten verlautbart hatte, der diese aufforderte, nicht nach Hause zu gehen, sondern sich der Regierung zur Verfügung zu stellen. Schließlich aber gelang es Maister, slowenische Soldaten des 2. Gebirgsjägerbataillons aus Enns, ferner Offiziere und Mannschaftsteile des Triester Infanterieregiments, bosnische Sappeure und eine Einheit serbischer Soldaten, die aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren, dazu zu bringen, in Marburg zu bleiben. Der Sitz des Militärkommandos für Untersteiermark, das sich bald in „Steirisches Grenzkommando“ umbenannte und sowohl Marburger wie Cillier Militärbezirke umfasste, war ein Haus der Gemeinde Marburg (heute: Ulica heroja Staneta 1), in welchem sich auch der Sitz des Nationalrates befand. Bis zum 9. November war Maister zugleich noch städtischer Kommandant, dann übertrug er dieses Amt auf Major Franc Cvirn. Einige Tage schien es sogar, dass es zu einer Zusammenarbeit der deutschen und der slowenischen Seite zum Wohl der Stadt, die ja beiden Volksgruppen gehörte, kommen würde. Die Bedrohungen, denen die Stadt ausgesetzt war, betraf ja alle Bürger. Da viele der von der Isonzo­ front heimkehrenden, teilweise demoralisierten Soldaten die Stadt un­­ sicher machten, gab es zwischen dem Stadtrat und dem Nationalrat am 2. November Gespräche wegen der Gründung einer Schutzwehr. Diese wurde am 3. November auch tatsächlich aufgestellt. Wegen ihrer in den steirischen Farben Weiß und Grün gewirkten Bänder war sie auch als „Grüne Garde“ bekannt. Im Einvernehmen mit dem Nationalrat wurde sie General Maister unterstellt. Sie war offen für alle wehrfähigen Männer. Allerdings wurde sie nach den ersten Umsturztagen bald zu 220

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einer rein deutschen Truppe. Ihr Kommandant war Oberstleutnant Albert Kodolitsch vom Infanterieregiment Nr. 47. Untergebracht wurde sie in der Draukaserne, dem früheren Minoritenkloster. Aus Sorge um die Sicherheit der Stadt, wie er selbst sagte, überschritt General Maister nun seine Kompetenzen ein zweites Mal. Er ordnete die Mobilisierung aller diensttauglichen Männer im Alter von 18 bis 40 Jahren an – das waren die Jahrgänge 1879 bis 1899. Sie mussten sich bis zum 18. November 1918 in der Kaserne Marburg oder in der Kaserne Cilli melden. Ausgenommen wurden Ärzte, Priester und andere Angehörige sozial wichtiger, unabkömmlicher Berufe. Die Nationalregierung veränderte diese Anordnung so, dass sich dann doch nicht alle Männer, sondern alle Soldaten in dem entsprechenden Alter melden mussten. Außerdem erwartete die Regierung eine Entschuldigung Maisters wegen seines eigenmächtigen Vorgehens. Doch endete der Streit um die Methoden des Generals schließlich damit, dass Maister zwei Wochen später von dem Zuständigen der SHS-Regierung in Zagreb, Mate Drinković, bevollmächtigt wurde, noch weitere Jahrgänge zu mobilisieren, so viele wie nötig. Maister wollte jedoch nicht nur die Stadt, sondern darüber hinaus auch das Mießtal (Teil Kärntens) sichern. Für ihn stand von Anfang an fest, dass Marburg der Schlüssel zum Mießtal war, das er für Slowenien abzusichern versuchte. Auch deshalb hatte er, wie schon erwähnt, bereits Anfang November um Verstärkung gebeten.178 Auf jeden Fall stieg die Zahl der slowenischen Soldaten in der Untersteiermark auf 4.000 Mannschaftsangehörige und 270 Offiziere. Die Slowenen misstrauten indes der Schutzwehr. Diese hatte in der Tat den Plan, im geeigneten Augenblick das Kommando der Stadt zu übernehmen. Sie nahm deshalb Verbindung mit den ehemaligen Soldaten der Stadt auf, die jetzt in Leibnitz und Graz stationiert waren, und es war vorauszusehen, dass es bald zu einer Konfrontation kommen 178 Sejni zapisniki, S. 100, 119; PAM, Maistrov Fond, Fasz. IV, Nr. 88.

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würde. Deshalb entschied Maister im Einvernehmen mit der Slowenischen Regierung in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1918, die Schutzwehr zu entwaffnen und aufzulösen. Damals zählte sie 1.500 Mann und 100 Offiziere. Viele Mitglieder der Schutzwehr befanden sich nicht in der Kaserne, als Maister seinen Handstreich vollführte, sie waren zu Hause, in ihren Wohnungen, und ihr Kommandant, Oberstleutnant Kodolitsch, befand sich in Graz. Die Aktion startete um vier Uhr morgens. In Windeseile ließ Mais­ ter alle strategischen Posten besetzen, auch die Post und die Telegrafenzentrale. In der Draukaserne, wo nahezu die gesamte Ausrüstung der Schutzwehr gelagert war, widersetzte sich der wachhabende Offizier, Leutnant Zeno Gögl vom Infanterieregiment Nr. 47, der Entwaffnung. Er büßte dies mit einer schweren Verwundung durch einen Bauchschuss und starb mehrere Tage danach. Maisters Rechnung ging präzise auf – die Schutzwehr musste sich ergeben. Soweit ihre Mitglieder nicht ständig in Marburg zu Hause waren, mussten sie sofort die Stadt verlassen. Viele von ihnen zogen nach Leibnitz und schlossen sich dem Ersatz-Infanterieregiment Nr. 47 an. Marburgs Sozialdemokraten protestierten heftig gegen das Vorgehen Maisters, und auch aus Deutschösterreich kamen entrüstete Reaktionen. Als es nun darum ging, die vorläufigen Grenzlinien in der Steiermark zu ziehen, entsandte der Steirische Wohlfahrtsausschuss den Obersten Rudolf Passy zu General Maister. Passy, der während des Krieges beim Infanterieregiment Nr. 47 in Marburg gedient hatte und daher die Verhältnisse in der Untersteiermark, insbesondere in Marburg, sehr gut kannte, schien der geeignete Mann zu sein, um an der Grenzziehung mitzuwirken. Tatsächlich besaß er eine Vollmacht ohne Genehmigungsvorbehalte, die ihm von Wirtschaftskommissar Arnold Eisler ohne Wissen von Landeshauptmann Kann ausgestellt worden war. So einigten sich General Maister und Oberst Passy schließlich nach ausführlicher Debatte über den Verlauf der Demarkationslinie und hielten das Ergebnis in einem Vertrag fest. Dabei ging es nicht nur um die Demar222

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kationslinie in der Steiermark, sondern auch um jene in Kärnten, ob­wohl Passy über keine Vollmacht verfügte, für die Kärntner Landesregierung zu sprechen. Maister zweifelte, wie er später schrieb, nicht daran, dass Passy dazu befugt gewesen war. Denn während des Weltkriegs war das Militärkommando in Graz sowohl für die Steiermark als auch für Kärnten, Krain, Istrien, Görz und Triest zuständig gewesen. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass tatsächlich eine Vollmacht ausgestellt worden war, doch hatte Landeshauptmann Kann nichts von ihr gewusst. Er befand sich zu dieser Zeit in Wien. Jedenfalls sollte die Demarkationslinie in der Steiermark dieser Vereinbarung zufolge so verlaufen: Oberradkersburg  –Purkla  –Brunn­ see  –St. Veit im Vogau–Ehrenhausen  –Arnfels  –Eibiswald. Das hatte letztlich keinen Bestand. Sowohl die deutschösterreichische wie auch die slowenische Regierung annullierten das Abkommen zwischen Mais­ ter und Passy. Dafür wurde jetzt eine für Deutschösterreich günstigere Demarkationslinie festgesetzt: Unterdrauburg  –Mahrenberg  –Leut­ schach – Spielfeld. 179 Indessen sorgte die militärische Anwesenheit der Südslawen bei den Deutschösterreichern für schwere Verärgerung und heftige Proteste. Dabei gab es auch Arbeitsniederlegungen, wobei der Streik der Eisenbahner als besonders gefährlich für die Situation der Stadt anzusehen war. Denn Marburg war ein besonders wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, und die Südbahn war ein bedeutender Arbeitgeber. In den Südbahnwerkstätten fanden 1.600 Arbeiter und Angestellte Beschäftigung, am Hauptbahnhof etwa 1.000, im Heizungswerk 1.000, am Bahnhof in Brunndorf/Studenci 120, im Lager 100, an den Eisenbahnabschnitten weitere 100. Die Mehrheit der Eisenbahner war sozialdemokratisch organisiert – und zwar in der deutschösterreichischen Organisa­ tion – und befürwortete nach dem Zusammenbruch den Anschluss an Deutschösterreich, vielfach auch den Anschluss Deutschösterreichs an 179 ÖStA, HHStA, NPA, Karton 801.

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Deutschland. Und als am 12. November 1918 in Wien die Republik Deutschösterreich ausgerufen wurde, streikten die Marburger Eisenbahner aus Solidarität. Die slowenischen Eisenbahner hatten sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg in einer Vereinigung Südslawischer Eisenbahner organisiert, die auch in Marburg eine Zweigstelle hatte, aber nicht wirklich stark war. Im November kam es immer wieder zu Streiks. So weigerten sich die Eisenbahner am 2. November, die Züge nach Steinbrück/Zidani most abzufertigen, weil sie dabei die slowenische Sprache hätten gebrauchen müssen. Dies war von der Expositur der Wiener Südbahn in Laibach für Bahnstrecken auf slowenischem Gebiet angeordnet worden. Allerdings wurde dann – auf eine Intervention Maisters hin – auch Deutsch zugelassen. Jedenfalls kehrten die Eisenbahner nach dem 12. November zur deutschen Sprache zurück, ohne dass sich der Nationalrat weiter einmischte. Gestreikt wurde jedoch auch aus sozialen Gründen. Die Lebens­ mittelversorgung war überaus schlecht – das brachte auch zahllose andere Arbeiter, auch jene im Heizungswerk und in der Südbahnwerk­ stätte, auf die Straße. Dagegen aber schritten nun Maister, Bürgermeister Schmiderer, Bezirkshauptmann Lajnšič sowie der stellvertretende Präsident des Nationalrates, Franc Rosina, gemeinsam ein. Sie versprachen den Arbeitern zusätzliche Lebensmittel, zugleich aber verfügten sie in einem verheerenden „Kompromiss“ vom 13. Dezember die Entlassung der meisten deutschen Eisenbahner wegen angeblicher „Illoyalität“ und mangelnder Slowenisch-Kenntnisse. Überhaupt ging es jetzt Schlag auf Schlag. Die Slowenen, von Mais­ ters Machtposition geschützt und ermuntert, krempelten das Land, in welchem mehrheitlich Slowenen lebten, regelrecht um. In Marburg gab es zwar immer noch eine deutsche Mehrheit, aber die Stadt war eben das Zentrum eines slowenischen Landes, weshalb es nach Meinung der slowenischen Wortführer ebenso zu behandeln war wie das Land. Zug um Zug besetzten sie nun alle wichtigen Posten in Mar­ 224

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burg und der Untersteiermark mit Slowenen. So wurden die Präsidenten des Kreis- und Bezirksgerichts sowie vier höhere Richter und zwei Staatsanwälte ihrer Ämter enthoben, dann wurde eine weitere Anzahl deutscher Richter abberufen. Ab 1. Dezember fand der Unter­ richt am Gymnasium in slowenischer Sprache statt – allerdings gab es noch deutsche Parallelklassen. Der Gemeinderat von Marburg wurde am 16. Dezember entlassen – kraft einer Verordnung der Nationalregierung in Laibach. Er setzte sich ausschließlich aus Deutschen zusammen. An seine Stelle trat vorläufig Bezirkshauptmann Dr. Vilko Pfeiffer, der zum Kommissar bestimmt worden war und am 2. Januar 1919 die Verwaltung aus der Hand des bisherigen Bürgermeisters Dr. Johann Schmiderer übernahm. Bereits die Ankündigung dieses Vorgangs sorgte für gewaltige Aufregung unter der deutschen Bevölkerung der Stadt, sodass General Maister ein gewagtes, radikales Mittel anzuwenden versuchte, um sich vorläufige Ruhe zu verschaffen: Er verfügte, dass 21 angesehene Marburger als Geiseln genommen werden sollten. Drei von ihnen sollten abwech­ selnd in der Melling-Kaserne mit ihrem Leben Ruhe und Ordnung in der Stadt garantieren. Würden in der Zeit ihrer Gefangenschaft irgend­ welche Gewaltexzesse oder Aufstände gegen Maisters Leute und seine Maßnahmen ausbrechen, hätten die Geiseln das Schlimmste bis hin zum Tod zu befürchten. Gleichzeitig wurde der verantwortliche Redakteur der Marburger Zeitung aus der Stadt gewiesen. An der beabsichtigten Geiselnahme gab es heftige Kritik. Der Landeshauptmann wie sein Stellvertreter kamen aus Graz angereist, aus Wien langte bei der Slowenischen Regierung in Laibach am 2. Januar 1919 ein Telegramm des deutschösterreichischen Staatssekretärs für Äußeres, Dr. Otto Bauer, ein, in welchem dieser scharf gegen solche Verletzungen der persönlichen Freiheit protestierte, zumal dies in einem Gebiet geschehe, über dessen staatliche Zugehörigkeit noch gar nicht entschieden worden sei. Nicht sehr konsequent im Blick auf das Recht der persönlichen Freiheit drohte freilich auch Bauer mit Geisel225

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nahme. Deutschösterreich werde unter Umständen, so deutete er an, Slowenen als Geiseln nehmen, wenn Maisters Aktion nicht widerrufen würde. Aber auch der Slowenischen Regierung in Ljubljana war nicht wohl bei der ganzen Sache. Aus verlässlichen Quellen geht hervor, dass auch sie jede Geiselnahme ablehnte und die Ansicht vertrat, dass dem General menschlichere Mittel zur Verfügung stünden, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Doch wollte man auf slowenischer Seite den General nicht desavouieren, schließlich war es ja offenbar sein Verdienst, dass sich Marburg nun in slowenischer Hand befand. Daher schrieb die slowenische Regierung zurückhaltend und ausweichend nach Wien, nach Maisters Vorschlag würden „nur in Notwehr infolge nach­ gewiesener Wühlereien gegen den Staat und die öffentliche Sicherheit Geiseln genommen“; sobald die Gefahr vorüber sei, werde auch die Maß­ nahme zurückgenommen. Deshalb gebe es keinen Anlass, jetzt einzuschreiten. Offensichtlich aber wurde Maister auch von Laibach aus befohlen, seine Anweisung aufzuheben. Was dann nach einer Woche geschah.180 Zum besseren Verständnis der Maister’schen Aktion muss freilich daran erinnert werden, dass Geiselnahmen zum damaligen Zeitpunkt noch nicht generell geächtet, sondern sogar nach dem Völkerrecht ein gestattetes Instrument waren, wenn auch nur unter ganz bestimmten engen Voraussetzungen. Dass diese Voraussetzungen hier nicht gegeben waren, ist offensichtlich. Erst die IV. Genfer Konvention vom 12. August 1949 brachte das absolute Verbot der Geiselnahme. Noch einmal nahm Deutschösterreich einen Anlauf, um Mar­ burg und die Untersteiermark vor der Einverleibung in das künftige Slowenien und in den südslawischen Staat zu retten. Am 3. Januar 1919 erließ es eine Anweisung, in welcher einige Bezirke der Unterstei­ ermark – nämlich Marburg, Mahrenberg, St. Leonhard, Pettau und Radkersburg – zu einem Teil des Staates Deutschösterreich erklärt 180 Sejni zapisniki Narodne vlade, I. Teil, S. 236/237.

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wurden. Doch hatte dies keine praktische Bedeutung mehr. Maister hatte die Geleise gelegt, die Züge fuhren bereits unaufhaltsam in Richtung Jugoslawien. Die slowenische Bevölkerung in der Untersteiermark und in Marburg, die sich mit ihrer nun vermeintlich erreichten Selbstständigkeit einen nationalen Aufschwung und eine bessere Vertretung ihrer Interessen erhoffte, begrüßte wohl zu großen Teilen diese neue Entwicklung. Verlässliche Hinweise oder gar Zahlen hinsichtlich der verschiedenen Vorlieben für den einen oder den anderen Staat gibt es jedoch nicht. Wie bereits erwähnt, war eines der größten Probleme der Stadt nach dem Weltkrieg jedoch die Sicherung der Ernährung. Das Problem war schon in den letzten Kriegsjahren überaus brisant geworden. So ließ Kommissar Pfeiffer nun auf dem Hauptplatz (Glavni trg) eine Baracke aufstellen – so etwas hatte es während des Krieges auch auf dem Domplatz gegeben –, in welcher Lebensmittel ausgegeben wurden, die das Slowenische Ernährungsamt bereitgestellt hatte. Auch wurde eine zusätzliche öffentliche Küche eingerichtet. Aber im Frühjahr 1919 besserte sich die Lage zusehends. Auch erreichten nun Lebens­ mittelpakete aus Amerika die Bevölkerung, über welche sich nicht zuletzt die Kinder freuen konnten. Auch zum Heizen und Kochen fehlte es hinten und vorn, aber Mitte März wurde die Stadt mit einer größeren Menge an Kohle beliefert. Diese reichte allerdings noch nicht aus, um die Not zu beenden, sodass diese Mangelware nur mittels Lebensmittelkarten verteilt werden konnte. Am 18. Januar 1919 begann die Friedenskonferenz in St. Germain. Am 2. Juni wurde der Regierung Deutschösterreichs der Wortlaut des Friedensvertrags übermittelt. Unterzeichnet wurde der Vertrag am 10. September. Erst jetzt war der Weg der Stadt Marburg in die Nachkriegszukunft festgelegt. Noch am 16. Juni hatten die Österreicher eine Volksabstimmung in den Gebieten Drautal, Marburg, Slowe­ nische Bühel und Radkersburg gefordert. Daraufhin wollte die südslawische Delegation das Volksabstimmungsgebiet auf das gesamte 227

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Territorium der Bezirke Marburg, Pettau, Luttemberg erweitern, weil in diesem Raum wesentlich mehr Slowenen als Deutsche lebten. Der Oberste Rat verwarf auf Vorschlag der französischen und britischen Delegationsmitglieder die österreichische Forderung. Noch vor der endgültigen Entscheidung hatte im Januar 1919 die amerikanische Delegation unter Oberstleutnant Sherman Miles Radkersburg, Mureck und Marburg besucht, später kam sie auch nach Kärnten. Das erste Mal traf sie General Maister in Spielfeld am 20. Januar, das zweite Mal am 27. Januar, als sie, von Graz kommend, in Marburg eintraf. Doch ehe sie Marburg erreichte, hatten sich dort Deutsch­ österreicher zu einer Kundgebung eingefunden, auf welcher sie gegen die sich abzeichnenden Grenzziehungen protestierten und den Amerikanern zugleich mit ihrer Gegenwart beweisen wollten, dass Marburg noch immer eine „deutsche Stadt“ war. Eisenbahner mar­­­schierten unter Blasmusikklängen auf, Lehrer traten mit ganzen Schulklassen an, die Kinder schwenkten deutsche Fähnchen. Vom Glockenturm des Doms, der sich in städtischem Besitz befand, wehte eine schwarz-rot-goldene Fahne, überhaupt waren alle Häuser ringsum beflaggt. Es waren etwa 15.000 Menschen, die auf dem Hauptplatz zusammengekommen waren. Für Oberstleutnant Miles war dies eine äußerst unangenehme Situation. Er sah seine Mission rein militärisch und keineswegs poli­ tisch. Aus diesem Grund hatte er es auch gerade abgelehnt, eine deutsch­ österreichische Delegation zu empfangen. Plötzlich kam es zu einem schrecklichen Zwischenfall. Die verschiedenen Schilderungen dieses Ereignisses unterscheiden sich sehr voneinander und lassen auch heute noch vieles im Unklaren. Sicher ist, dass plötzlich, mitten in der festlich gestimmten Kundgebung auf dem Hauptplatz, ein Schuss fiel und danach etliche Salven aus den Gewehren slowenischer Soldaten zu hören waren, ehe sich die versammelte Masse in Panik verflüchtigte. Mehrere Tote und Verwundete blieben am Ende auf dem Platz. Während jedoch die Deutschen später behaupteten, die slowenischen Soldaten hätten plötzlich ganz unerwartet auf die wehr228

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losen deutschen Demonstranten das Feuer eröffnet, versicherten die Slowenen, ein Deutscher habe zuerst mit einer Pistole auf einen südslawischen Offizier geschossen und ihn verletzt. Daraufhin hätten die zur Bewachung des Rathauses abkommandierten Soldaten – es sollen nur zehn Mann gewesen sein – zunächst in die Luft geschossen. Erst als sich die Menge lebensbedrohend auf sie und das Rathaus zubewegte, hätten sie ihre Gewehre gesenkt und auf die Angreifer geschossen. Die Amerikaner, die Augenzeugen des Vorfalls waren, bestätigten die slowenische Schilderung. Die Deutschen jedoch blieben bei ihrer Darstellung und gaben dem unheilvollen Vorgang den emotionsreichen Namen „Marburger Blutsonntag“.181 Er sollte als Beweis für die angeblich brutale Ausmerzung alles Deutschen im neuen Slowenien haften bleiben.

Maribor im Königreich Jugoslawien: Deutsch raus, Slowenisch rein Am 1. Dezember 1918 wurde die Untersteiermark mit Marburg Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen – 1929 umbenannt in „Königreich Jugoslawien“. König Peter I. v. Serbien aus dem Geschlecht der Karadjordjević war von nun an auch der Monarch Sloweniens. Während des Weltkriegs und unmittelbar danach hatten viele deutschösterreichische Bürger Marburg verlassen – zum Teil frei­ willig, da sie ein Leben und Wirken in Deutschösterreich, das bald zur „Republik Österreich“ werden sollte, einem weiteren Ver­bleib in dem slowenischen Land vorzogen, zum Teil getrieben von erwarteten 181 Tamara Griesser-Pečar, Die Stellung der slowenischen Landesregierung zum Land Kärnten 1918–1920, Klagenfurt-Ljubljana 2010, S. 269; PAM, Maistrov Fond, Maistrove konceptne beležke; Slovenski gospodar, 6. 2. 1919; Hartmann, S. 58; Pertassek, S. 108  –110.

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losen deutschen Demonstranten das Feuer eröffnet, versicherten die Slowenen, ein Deutscher habe zuerst mit einer Pistole auf einen südslawischen Offizier geschossen und ihn verletzt. Daraufhin hätten die zur Bewachung des Rathauses abkommandierten Soldaten – es sollen nur zehn Mann gewesen sein – zunächst in die Luft geschossen. Erst als sich die Menge lebensbedrohend auf sie und das Rathaus zubewegte, hätten sie ihre Gewehre gesenkt und auf die Angreifer geschossen. Die Amerikaner, die Augenzeugen des Vorfalls waren, bestätigten die slowenische Schilderung. Die Deutschen jedoch blieben bei ihrer Darstellung und gaben dem unheilvollen Vorgang den emotionsreichen Namen „Marburger Blutsonntag“.181 Er sollte als Beweis für die angeblich brutale Ausmerzung alles Deutschen im neuen Slowenien haften bleiben.

Maribor im Königreich Jugoslawien: Deutsch raus, Slowenisch rein Am 1. Dezember 1918 wurde die Untersteiermark mit Marburg Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen – 1929 umbenannt in „Königreich Jugoslawien“. König Peter I. v. Serbien aus dem Geschlecht der Karadjordjević war von nun an auch der Monarch Sloweniens. Während des Weltkriegs und unmittelbar danach hatten viele deutschösterreichische Bürger Marburg verlassen – zum Teil frei­ willig, da sie ein Leben und Wirken in Deutschösterreich, das bald zur „Republik Österreich“ werden sollte, einem weiteren Ver­bleib in dem slowenischen Land vorzogen, zum Teil getrieben von erwarteten 181 Tamara Griesser-Pečar, Die Stellung der slowenischen Landesregierung zum Land Kärnten 1918–1920, Klagenfurt-Ljubljana 2010, S. 269; PAM, Maistrov Fond, Maistrove konceptne beležke; Slovenski gospodar, 6. 2. 1919; Hartmann, S. 58; Pertassek, S. 108  –110.

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Behinderungen, zum Teil auch infolge direkter amtlicher Ausweisung. So veränderte sich die nationale Struktur der Bevölkerung in der Stadt fast schlagartig. Nach der Volkszählung 1921 (eine Erhebung nach der Muttersprache) waren 67 Prozent (20.789 Einwohner) Slowenen, 21 Prozent (6.595 Einwohner) Deutsche. 1910 hatte Marburg noch 79 Prozent Deutsche und 14 Prozent Slowenen gezählt. Das war eine glatte Umkehrung der Verhältnisse. 21 Jahre später, laut Volks­zählung von 1931, sollte der Anteil der Slowenen sogar 81 Prozent (27.994) erreichen, während jener der Deutschen nur noch acht Prozent (2.741 Einwohner) betragen sollte.182 Ohne Zweifel war Marburg 1910 – trotz der bereits festgestellten gravierenden Mängel bei der damaligen Erhebung – eine durchwegs „deutsche Stadt“ gewesen. Dann war der Anteil der deutschen Volksgruppe an der Gesamtbevölkerung bis in die Zwanzigerjahre um 58 Prozent gesunken. Jedenfalls können die Ergebnisse von 1921 nicht ohne kritischen Rückblick genannt werden. Die Deutschen in der Stadt waren nämlich in der Tat erheblichem politischen, nationalen und psychologischen Druck ausgesetzt. Viele Deutschösterreicher verließen die Stadt freiwillig, viele andere wiederum unter Zwang. Die meisten von ihnen ließen sich daraufhin im neuen Staat Österreich nieder. Neben den Soldaten und Offizieren, die gleich nach der slowenischen Machtübernahme ausgewiesen wurden, mussten auch zahlreiche Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst sowie Lehrer die Stadt verlassen. Dafür siedelten sich nun Slowenen aus dem Küstenland an – jenem Gebiet, das nach dem Grenzvertrag von Rapallo zwischen Italien und dem Königreich SHS am 12. November 1920 dem italienischen Staat angeschlossen wurde –, auch Slowenen aus Krain und dem zu Österreich gehörenden Kärnten. Wenige Jahre später, als immer mehr Industriebetriebe ent-

182 Leskovec, „Zgodovina uprave v Mariboru“, S. 280; Stefan Karner, Die deutschsprachige Volksgruppe in Slowenien, Klagenfurt-Ljubljana-Wien 1998, S. 26.

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standen, kamen noch zahllose Arbeitssuchende aus der näheren und weiteren Umgebung Marburgs in die Stadt. Indessen ist sowohl bei der Bewertung der Volksabstimmung von 1910 als auch bei jener von 1921 zu berücksichtigen, dass die relativ hohe Assimilierungsbereitschaft der jeweiligen Volksgruppe ebenfalls eine erhebliche Rolle spielte. Das heißt, dass sich zahlreiche Befragte nicht zu ihrer eigenen, sondern zur jeweils anderen Volksgruppe bekann­ ten. Dafür gab es sowohl 1910 als auch nach dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie gute wirtschaftliche Gründe. Nach dem ­Krieg stand dabei sehr oft die Sorge um das eigene Vermögen im Vordergrund. Auf Verlangen des Präsidenten des Nationalrats, Karl Verstovšek, der auch Mitglied des steirischen Landesausschusses war, hatte die altösterreichische Verwaltung Ende Oktober 1918 einen Slowenen, nämlich den damaligen Leiter des Approvisationsamts (Lebensmittelversorgungsamts), Srečko Lajnšič, zum letzten Bezirkshauptmann bestellt. So konnte die Übernahme der Verwaltung nun einigermaßen ruhig und ohne schwere Reibungen verlaufen. Der Marburger Bürgermeister Schmiderer übergab die Stadtverwaltung am 2. Januar 1919, wenn auch unter Protest, dem von der Slowenischen Landesregierung ein­ gesetzten Regierungskommissar Dr. Vilko Pfeiffer. Doch stand dieser nun vor einer bedenklichen Lücke, die er so rasch wie möglich zu schließen versuchte: Er fand, nachdem die Entlassung zahlreicher Deutscher aus dem öffentlichen Dienst festgesetzt worden war, weder bei der Stadtverwaltung noch bei der Polizei slowenische Beamte. Gleichwohl nahm die Slowenisierung seinen vorgesehenen Gang: Nach dem 27. Januar 1919 wurden zuerst diejenigen 16 deutschen Beamten ihrer Ämter enthoben, die sich an dem sogenannten „Blutsonntag“ an der Demonstration an­lässlich des Besuchs der amerikanischen Delegation beteiligt hatten. Ende Juli folgten dann weitere Entlassungen von 36 deutschen Beamten gemäß der Verordnung der Slowenischen Landesregierung über fremdgebürtige Beamte. Viele wurden auch pensioniert. 231

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Schon zuvor, am 1. November 1918, hatte die Slowenische Landesregierung Slowenisch als Amtssprache festgesetzt und gleichzeitig beschlossen, dass künftig zwar Eingaben auch in Deutsch entgegengenommen würden, die Erledigung derselben jedoch in slowenischer Sprache zu erfolgen habe.183 In der damals noch immer von einer starken deutschen Bevölkerungsgruppe beherrschten Stadt Marburg war die Umsetzung dieser Verordnung jedoch nicht einfach, sodass der Stadtrat sich genötigt sah, am 27. Mai 1920 einen Beschluss zu fassen, wonach allen Ämtern und Betrieben auferlegt wurde, ohne Einschränkungen Slowenisch als Amtssprache zu gebrauchen und auch alle Eingaben, selbst alle Mitteilungen von Betrieben an ihre Kunden in Slowenisch auszuführen. Daraufhin entließ die Gemeinde in einer Art Großreinemachen nahezu alle Beamten, die der slowenischen Sprache nicht mächtig waren. Ersetzt wurden diese durch zugezogene Slowenen aus dem Küstenland. Natürlich widersprachen die Deutschen diesen Maßnahmen mit verzweifelter Heftigkeit und wiesen darauf hin, dass noch immer ein großer Teil der Marburger Deutsche seien. Es gebe daher keinen berechtigten Grund, dieser Volksgruppe den Zugang zu den öffentlichen Ämtern zu versperren. Der Protest blieb unbeachtet, dennoch muss hier im Laufe der nächsten Jahre ein Umdenken stattgefunden haben, vielleicht dadurch hervorgerufen, dass inzwischen ohnehin schon die allermeisten Deutschen abgewandert waren: Die auf der deutschen Liste aufgeführten und gewählten Gemeinderatsmitglieder durften ab etwa 1926 bei ihren Auftritten auch deutsch sprechen, wie aus verschiedenen Protokollen der Gemeinderatssitzungen hervorgeht.184 Überhaupt wurde nun das ganze Kulturleben slowenisch. Vor allem waren davon Institutionen, Organisationen und Vereine wie 183 Sejni zapisniki, Teil 1, S. 54. 184 Aleksandar Berberih-Slana, „Uprava v Mariboru 1919–1929“, Studia Historica Slovenica, 2006, 2–3, s. 422/423.

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etwa der Verein „Südmark“ und der „Schulverein“ betroffen, die in großem Stil aufgelöst wurden. Im Übrigen wurde die Slowenisierung gezielt vorangetrieben. Die Schulen wurden durchwegs auf den Unterricht in slowenischer Sprache festgelegt – dazu gab es ab April 1919 auch die entsprechenden Gesetze. Der Präsident des Nationalrates in Maribor, Karl Verstovšek, wurde zum Unterrichtsbevöllmächtigten der Slowenischen Regierung ernannt und erstellte zusammen mit dem Schulinspektor Dr. Leopold Poljanec einen Schul-Übernahme­ plan für Maribor und die Grenzregion. Aus dem gesamten slowenischen Raum wurden 65 Lehrer nach Maribor berufen, die dann in der Stadt und seiiner Umgebung die Leitung der Schulen übernahmen. Bis Ende des Schuljahres wurde in Marburg an den Volks- und Haupt­ schulen (Bürgerschulen) noch in deutscher Sprache unterrichtet mit Pflichtfach Slowenisch (drei Stunden pro Woche). Ab dem Schuljahr 1919/20 wurde Slowenisch die Unterrichtssprache, es gab aber an allen Schulen deutsche Parallelklassen, weil nach dem Gesetz Minderheiten das Recht auf Unterricht in der Muttersprache hatten. Sie hatten natürlich auch Slowenisch als Pflichtfach. In den Ferien wurde die Aufteilung der Kinder festgelegt, wobei in deutsche Klassen nur jene eingeteilt wurden, deren beide Eltern unstrittig der deutschen Volksgruppe angehörten. Viele Kinder, die slowenischen Klassen zugeteilt wurden, sprachen nicht oder nicht genügend gut Slowenisch, sondern nur einen deutsch-steirischen Vorstadtdialekt. Nur die 1. Bürgerschule für Mädchen in Marburg blieb bis 1923 ganz deutschsprachig, danach bekam auch sie slowenische Parallelklassen. Im Mittelschulwesen war die Situa­tion unterschiedlich. Im klassischen Gymnasium („Državna klasična gimnazija“) war die Mehrheit der Schüler und Professoren ohnehin slowenisch, es wurden aber deutsche Parallelklassen noch einige Jahre aufrechterhalten. Im Realgymnasium („Državna realna gimnazija“) gehörte die Mehrheit der Schüler der deutschen Volksgruppe an, von den Professoren alle bis auf einen. Die Schule blieb bis zum Schul­ jahr 1924/25 überwiegend deutsch, erst danach gab es mehr sloweni233

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sche als deutsche Klassen. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg (Stand Juli 1939) gab es in der Stadt die Theologische Hochschule, das klassische Gymnasium, zwei Realgymnasien, eine öffentliche und eine private (Schulschwestern) Lehrerbildungsanstalt, Handelsakademie, Forstwirt­ schafts­schule, Wein- und Obstbauschule, eine Schule für Gastwirtschaft, die private Landwirtschaftsschule (Schulschwestern), die All­ gemeine Ge­­ werbeschule, die Gewerbeschule der Südbahn, die Han­­dels­schule, die Haushalts- und Gewerbeschule für Frauen, mehrere Bürgerschulen und Volksschulen.185 Deutsche Sparkassen bekamen zunächst kommissarische Leiter, ehe sie liquidiert wurden. Gleichwohl war das deutsche Kapital noch weiterhin stark. Deutsche Straßen-, Orts-, Betriebs- und Geschäftsschilder wurden nun entfernt und durch slowenische ersetzt. So wurde etwa der Rathausplatz zum „Rotovški trg“, die Triesterstraße zur „Tržaška ulica“. Einige Straßen bekamen auch ganz neue Namen. So wurde zum Beispiel die „Bismarckstraße“ zur „Maistrova ulica“ (nach General Maister benannt), die Burggasse zur „Slovenska ulica“, die Maltesergasse zur „Wilsonova ulica“. Die Denkmäler von Kaiser Franz Joseph, Kaiser Joseph II., Erzherzog Johann, Admiral Tegetthoff und Friedrich Lud­ wig Jahn wurden abgerissen. Die Amtszeit des Regierungskommissars Vilko Pfeiffer wurde verlängert, ehe ihm Mitte März 1920 Dr. Josip Leskovar folgte. Dessen Hauptaufgabe bestand in der Milderung oder Beseitigung der Lebensmittelknappheit, unter welcher die Bevölkerung noch mehrere Jahre litt. In besonderem Maße fehlte es an Mehl, weswegen Leskovar die Müller und Händler der Stadt zu sich rief und sie um besondere Anstrengungen bat, teilweise auch auf eigene Kosten zur Linderung des Notstands beizutragen. Tatsächlich sicherten die Inhaber der Lebensmittelbetriebe dem Kommissar am Ende schriftlich zu, die nöti185 Mehr dazu: Vladimir Bračič, „Razvoj šolstva in drugih izobraževalnih dejavnosti v Mariboru“, Maribor skozi stoletja, S. 595–599.

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gen Mengen beschaffen zu wollen, um sie dann der Stadt zum Selbstkostenpreis zu verkaufen. Seine Pläne konnten freilich nicht hinreichend realisiert werden, weshalb Leskovar schließ­ lich sein Amt aufgab. Ihm folgte im Februar 1921 Ivan Poljanec als Regierungskommissar. Die Polizei, die bis 1918 ein Organ der Stadt gewesen war, wurde nun zum Staatsorgan – mit vier Polizeistationen in der Stadt, je zweien auf der linken und rechten Drauseite. Ihr Abbildung 22: Viktor Grčar, Präsidium befand sich in der Bürgermeister von Marburg 1921–1924 Stadt – das war bis 1929 das Königliche Polizeikommissariat Marburg, danach umbenannt in „Predstojništvo mestne policije Maribor“ (Leitung der Stadtpolizei Marburg). Am 26. April 1921 gab es die ersten Gemeindewahlen – noch ohne Frauenwahlrecht. Dabei erhielt die Sozialistische Liste („Socialistična lista“) zwölf von vierzig Mandaten und konnte den Bürgermeister stellen. In dieses Amt wurde der Lehrer Viktor Grčar gehoben, der bereits im Dezember 1919 das Blatt Volksstimme gegründet hatte, wobei es ihm vor allem darauf angekommen war, die slowenische Arbeiterschaft von der deutschösterreichischen Sozialdemokratie zu lösen. Grčar war auch Mitbegründer der Zeitung Edinost („Einheit“). Sowohl bei der Volksstimme als auch bei Edinost war Grčar als Redakteur tätig. Die weiteren Mandate teilten sich entsprechend ihrer Stimmenstärke die „Narodna socialistična stranka“ (Nationale Sozialistische Partei), die zehn Mandate erhielt, die „Slovenska ljudska stranka“ (Slowenische 235

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Volkspartei, SLS) und die „Jugoslovanska demokratska stranka“ (Jugoslawische Demokratische Partei) mit jeweils sieben sowie die „Delavska skupina“ (Arbeitergruppe) mit vier Mandaten. Die deutsche Volksgruppe hatte sich an den Wahlen nicht mit einer eigenen Partei beteiligt, jedoch ihren Mitgliedern empfohlen, die Liberalen („Jugoslovanska demokratska stranka“, Jugoslawische Demokratische Partei) zu wählen. Bereits 1919 hatte die Stadtgemeinde Zuständigkeiten, die sie seit dem Statut von 1871 innegehabt hatte, an die Bezirkshauptmannschaft verloren. Dies waren die Referate für Schulen, Gesundheit, Gewerbe und Militär. Jetzt, 1922, wurde die Stadtautonomie noch einmal ein­ geschränkt. Weitere Zuständigkeiten wurden – im Widerspruch zu dem Gesetz über Selbstverwaltung per Verordnung – an den Bezirk Marburg-Umgebung übertragen: Staatsbürgerschaftsangelegenheiten, Eheschließungen, Volkszählungen, Kultusangelegenheiten, Sozialver­ sicherung für Arbeiter, Wasserrecht. Die alten Bezirke Marburg, Cilli und Pettau wurden als zu groß angesehen und geteilt. So bestand der Bezirk Marburg von nun an aus zwei Teilen: Maribor desni breg (Marburg rechts der Drau) und Maribor levi breg (Marburg links der Drau). Die neuen Bezirkshauptmannschaften („načelstva“) nahmen Mitte 1924 ihre Arbeit auf. Am 26. April 1922 beschloss die Jugoslawische Regierung die Einteilung des gesamten Staates in „oblasti“.186 Das waren Verwal­tungs­ gebiete, die nicht mehr als 800.000 Einwohner umfassen durften. Auf dem Gebiet Sloweniens wurden zwei solche Kreise ge­bildet: „Mari­ borska oblast“ und „Ljubljanska oblast“. Das Marburger Oblast erstreckte sich auf ein Gebiet von 7.569 Quadratkilometern und umfasste die Untersteiermark (ohne die Gerichtsbezirke Rann/Brežice, Lichtenwald/Sevnica und Tüfer/Laško, die Teil des „Ljubljanska oblast“ 186 Das Wort „oblast“ kann man eigentlich nicht richtig übersetzen. „Behörde“ trifft es nicht. Es wir daher das Wort Kreis verwendet, wie im Vodnik po Mariboru (Führer durch Maribor), Ljubljana 1932, S. 21.

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Abbildung 23: Festsaal des Rathauses, 1929

waren), den Bezirk Prävali, das Übermurgebiet sowie einen Teil des Zwischenmurgebiets – mit insgesamt 624.121 Einwohnern (laut Volks­ zählung von 1921). Zum ersten Großbürgermeister („veliki župan“), der dem Mariborska oblast vorstand, wurde im Dezember 1922 Dr. Miroslav Ploj ernannt, doch begann die Arbeit der Marburger Verwaltungsstelle erst richtig mit seinem im Juni 1924 ernannten Nachfolger Dr. Otmar Pirkmajer. Noch im gleichen Jahr wurde Pirkmajer von Dr. Fran Vodopivec abgelöst, kehrte dann aber wieder für drei Jahre in das Amt zurück, gefolgt von Dr. Franc Schaubach. Der Großbürgermeister unterstand direkt der Zentralregierung in Belgrad, dem Minister für Innere Angelegenheiten oder – hinsichtlich der Arbeit in einzelnen Verwaltungsabteilungen – dem für diesen Sachbereich jeweils zuständigen Minister (Finanzen, Gesundheit, Bauten usw.). Die Arbeit der Oblast wurde jedoch fortwährend von den zentralistisch orientierten Parteien (den Liberalen) sowie der Zentralregierung behindert. Dies änderte sich jedoch nach den Wahlen vom 23. Januar 1927. Wahlsiegerin in Marburg war nämlich die Slowenische Volks­ partei, die nun 42 von insgesamt 64 Sitzen im Gremium der autono237

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men Verwaltung erhielt. Sie forderte eine stärkere Mitbestimmung und Autonomie für die Slowenen, strebte aber auch die Zusammenlegung der beiden slowenischen Verwaltungseinheiten an. Josip Leskovar wurde Präsident der autonomen Marburger Verwaltung, die in der kurzen Zeit bis 1929 eine sehr erfolgreiche Politik betrieb, vor allem auf dem gesundheitlichen und sozialen Sektor, aber auch auf dem Gebiet der Straßenerneuerung und des Straßenneubaus. Sie half aber auch dem Staat bei der Regulierung von Flüssen, vor allem der Mur und der Drau. Die autonome Kreisverwaltung wurde in der Scherbaum-Villa untergebracht, die zu diesem Zweck angeschafft worden war. Bis zur Einführung der Alexander-Diktatur 1929, als König Alexander wegen heftiger Auseinandersetzungen zwischen den Nationalitäten die Verfassung außer Kraft setzte, die Parteien auflöste und die demokratischen Freiheiten einschränkte, gab es nach 1921 nur noch zwei Gemeindewahlen: 1924 und 1927. Im September 1924 traten die Slowenische Volkspartei, die Jugoslawische Demokratische Partei und die Nationale Sozialistische Partei gemeinsam auf und bildeten den sogenannten Nationalen Block („Narodni blok“). Damit sollten der jugoslawische und der slowenische Charakter der Stadt demonstriert werden. Tatsächlich errang der Nationale Block 32 Mandate. Die Sozialistische Partei und die deutsche Wirtschaftspartei bekamen je vier Mandate, die Kommunistische Arbeiterliste eines. Zum Bürgermeister wurde Josip Leskovar gewählt. Die letzten Gemeindewahlen im Königreich SHS (oder Jugoslawien) fanden 1927 statt. Kurz davor war der Nationalblock auseinandergebrochen, weil es zwischen der SLS und den übrigen beteiligten Par­­tei­ en zu einer schweren Auseinandersetzung wegen der Wahllisten gekom­men war. Der Slowenischen Volkspartei (SLS) wurden Manipulationen, und zwar gezielte Streichungen von 400 Bürgern der Stadt aus den Listen, vorgeworfen. Vor allem aber verübelte man es der SLS, dass mit ihrer Hilfe ein Vertreter der Deutschen auf die Kandidaten­ liste des Nationalblocks gekommen war, was dem Sinn der Parteienver­ 238

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einbarung widersprach. So traten die Parteien nun wieder einzeln auf. Aus der Wahl ging die SLS mit 14 Mandaten als Siegerin hervor, gefolgt von der Jugoslawischen Demokratischen Partei (JDS) mit sechs Mandaten. Je fünf Mandate erhielten die deutsche Wirtschaftspartei und die Arbeiterliste. Bürgermeister wurde im Januar 1928 Dr. Alois Juvan. Im Zuge des Vorgehens der Alexander-Diktatur wurde der Gemeinde­ rat entlassen. Jetzt bestimmte der Großbürgermeister den neuen Gemeinderat. Er bestätigte jedoch die meisten alten Mitglieder, sodass die Stadtregierung in der alten Zusammensetzung weiterarbeiten konnte.187 Doch wurden von nun an nach einer Notstandverordnung die Mitglieder des Stadtrats je nach politischer Lage bestellt. 1931 wurde das Parteiensystem zwar wieder eingeführt, doch änderte dies an der Bestellung des Gemeinderats nichts, weil nun überhaupt keine Gemeindewahlen mehr durchgeführt wurden. 1931 wurden Dr. Juvan und acht Ratsmitglieder der SLS verabschiedet, Juvans bisheriger Stellvertreter Dr. Franjo Lippold (JDS) wurde zum Bürgermeister bestimmt. Und da nach dem Gesetz über Stadtgemeinden von 1934 Marburg in die Kategorie der Städte zwischen 20.000 und 40.000 gehörte, denen ein Stadtrat mit 45  Räten zustand, bestimmte Ban Dr. Marko Natlačen, der der JRZ („Jugoslavenska radikalna zajednica“) angehörte (die Slowenische Volkspartei war Teil dieser jugoslawischen Partei), Juvan 1935 wieder zum Bürgermeister. Auch die deutsche Minderheit war vertreten.188

187 Nicht mehr im Gemeinderat war Leskovar, der wegen Überlastung zurücktrat. Aber auch der wichtigste Vertreter der deutschen Minderheit in der Stadt und Obmann des Kulturbundes, Lothar Mühleisen, schied aus. Bürgermeister Juvan blieb im Amt bis zur deutschen Okkupation 1941 – mit einer Unterbrechung in den Jahren 1931 bis 1934. 188 Aleksandra Berberih-Slana, „Uprava v Mariboru 1919–1941“, Studia Historica Slovenica, 2006, Nr. 2–3, S. 436–440; Leskovec, „Zgodovina uprave v Mariboru“, S. 279–295. Aus dem Gemeinderat ausgeschlossen wurde vom Ban Natlačen aber der zweite Mann der deutschen Minderheit der Stadt, Rechtsanwalt Karl Kieser.

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Die Gemeinde konnte nun wichtige Vorhaben durchführen, sodass Marburg in vielen Bereichen die modernen Errungenschaften für sich nutzbar machen konnte. So wurde die Elektrifizierung auf den neuesten Stand gebracht und der öffentliche Busverkehr eingeführt – statt des von der alten österreichischen Verwaltung bereits vorbereiteten Straßenbahnprojekts. Auch wurden zahlreiche Wohnungen für Beamte gebaut, denn Marburg war auch im Königreich bis Ende der Zwanzigerjahre eine wichtige Verwaltungsstadt. Jugoslawien wurde jetzt in neun Banschaften („Banovine“) eingeteilt. Diese Reform brachte die Vereinigung aller in Jugoslawien lebenden Slowenen in der „Dravska banovina“ (Drau-Banschaft), außer jenen von Weißkrain („Bela krajina“), die erst 1931 dazukamen. In dieser Drau-Banschaft gab es 25 Bezirke (genannt „srez“), unter ihnen Marburg rechts der Drau und Marburg links der Drau sowie vier Stadtgemeinden als Verwaltungseinheiten erster Instanz: Ljubljana, Maribor, Celje und Ptuj. Dabei wurden der Stadt Maribor freilich wichtige Verwaltungskompetenzen entzogen. Nach der Abschaffung der „oblasti“ wurde für das Gebiet des ehemaligen „Mariborska oblast“ ein Kreisinspektorat gegründet – gewissermaßen ein Hilfsorgan, das dem Ban in Sicherheitsfragen dienen sollte, zugleich ein Kontrollorgan. Schon 1932 wurde es aber wieder aufgelöst. Abgeschafft wurde schon 1929 die Finanz­direktion in Marburg, die 1850 als oberste Finanzbehörde der Unterstei­ermark eingerichtet worden war. Die Drau-Banschaft bekam eine zentrale Finanzdirektion in Ljubljana, der 30 Finanz­ verwaltungsstellen unterstellt waren. Marburg war eine davon (mit zwei Finanzämtern: Maribor-Stadt und Maribor-Umgebung). Proteste an das Belgrader Ministerium, in welchen darauf verwiesen wurde, dass Marburg kaum geringere Steuereinnahmen berappen müsse als das viel größere Ljubljana, blieben ungehört. Die Grenze zu Österreich machte Maribor/Marburg natürlich auch zu einer besonders wichtigen Zollstelle. Deshalb wurde dort der Sitz des Hauptzollamtes I eingerichtet – mit sechs Abteilungen: Št. Ilj (heu240

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te Šentilj), Sladka gora, Ceršak, Sv. Jurij ob Pesnici (heute Jurski vrh), Svečina und Kapla. Auch im Bereich des Sozialen kam manches, das zum Teil schon vorher eingeleitet worden war, schnell voran. Bereits im Zuge der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert waren, zum Teil aufbauend auf den Selbsthilfeeinrichtungen der Zünfte, wichtige Sozialgesetze geschaffen worden, wie etwa das Sozialversicherungsgesetz von 1881, das Krankenversicherungsgesetz von 1883 und das Gewerbe-Unfallgesetz von 1884. Auch existierten in Marburg bereits verschiedene Krankenkassen (Bezirks- und Gewerbekrankenkassen). Nun aber, im Königreich SHS, regelte ein 1922 verabschiedetes Gesetz einheitlich die Kranken- und Unfallversicherung für Arbeiter.189 Schließlich wurde 1934 eine Gemeindereform durchgeführt, die die Kompetenzen der Stadt noch weiter einschränkte. Marburg konnte zwar den Status einer Stadt erster Instanz behalten, doch wurden – entgegen dem Gesetz, das die Volkswahl für zwei Drittel der Stadträte vorsah – die städtische Selbstverwaltung, der Bürgermeister und der Gemeinderat vom Ban bestimmt. Im Übrigen war Marburg die einzige Stadtgemeinde im Königreich, der es trotz zahlreicher Bemühungen nicht gelang, sich die Gemeinden der Umgebung einzuverleiben. So verharrte die Stadt in den Grenzen von 1850, umgeben von selbstständigen Gemeinden wie etwa Brunndorf/Studenci, Koschak/Košaki, Gams/Kamnica, Lembach/Limbuš, Pobersch/ Pobrežje, Thesen/Tezno und so fort. Dabei waren es die Gemeinden selbst, die ihre Eingliederung in die Stadt Marburg ablehnten – offensichtlich aus vorwiegend steuerlichen Gründen.190 189 Das Kreisamt für die Arbeiterversicherung befand sich in Ljubljana/Laibach, doch wurde in Marburg eine Filiale eingerichtet. Neu war auch eine Arbeitsbörse nach französischem Vorbild. Zwar hatte es im alten Österreich bereits private Vermittlungsbüros gegeben – in Marburg fünf Büros (1913) –, bei den neuen Stellen handelte es sich jedoch um öffentliche Einrichtungen. In Marburg wurde Anfang 1919 eine Expositur des 1918 gegründeten Staatsamts für Arbeitsvermittlung in Laibach eröffnet. 190 Leskovec, S. 290.

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Zwischen den Kriegen: Der Aufstieg der Industriestadt Maribor Nachdem die schlimmsten unmittelbaren Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und des österreichischen Zusammenbruchs überwunden waren – und das war früher der Fall, als sich das damals mancher hatte vorstellen können, nämlich schon Mitte der Zwanzigerjahre – stand Marburg vor einem geradezu wundersamen Aufstieg als Industrie­ stadt. Das war nicht nur möglich geworden dank des bereits vorhandenen Grundstocks an technischen und wirtschaftlichen Anlagen sowie technischem und wirtschaftlichem Können, sondern vor allem auch durch die große Flexibilität, die den in der Stadt gebliebenen oder zu ihr zugewanderten Menschen eine ganz neue Orientierung und Planung der bislang vorwiegend auf den deutschösterreichischen Raum ausgerichteten Wirtschaft auferlegte. So kam es, dass Marburg jetzt von einer wichtigen Handelsstadt, die sie vor dem Ersten Weltkrieg ge­wesen war, zu einer bedeutenden Industriestadt wurde. Im gesam­ ten Königreich Jugoslawien verzeichnete Marburg die schnellste wirtschaftliche Entwicklung. So verdoppelte sich die Zahl der Industriebetriebe bis Mitte der Zwanzigerjahre auf 700, die Anzahl der Aktiengesellschaften stieg von drei auf 44 im Jahr 1926, und die Gesellschaften mit beschränkter Haftung verzehnfachten sich. Während Ljubljana das politische und kulturelle Zentrum wie auch das Finanzzentrum der Drau-Banschaft war, war Maribor das Industriezentrum des Landes. Es gab hier nämlich mehr bedeutende Industriebetriebe mit hohem Kapital und hoher Beschäftigtenzahl als in der viel größeren Stadt Ljubljana. Vor allem florierten die Metallindustrie und die Textilwirtschaft sehr rasch, während andererseits viele Unternehmen bestimmter Branchen einen starken Rückfall erlitten, wie zum Beispiel die Mühlenbetriebe, die Bierbrauereien und die Unternehmen der Lederindustrie. Wichtig für die neue Entwicklung war auf jeden 242

der aufs t ieg der indus t ries ta d t m a ribor

Abbildung 24: Luftbild der Stadt mit Industrieanlagen, 1930

Fall die Elektrifizierung der Stadt. Das Draukraftwerk Fala/Faal, das seine Arbeit 1918 aufnahm, versorgte den nordöstlichen Teil des Landes, vor allem Marburg und seine Umgebung. Die Wirtschaft wurde slowenisiert. Immer noch waren die Deutschen in Marburg, wirtschaftlich gesehen, vergleichsweise stark, doch orientierte sich die Wirtschaft jetzt mehr und mehr an ihren Chancen im Süden, auf dem großen jugoslawischen Markt, sodass die Slowenen im Unternehmertum und im Management von Unternehmen immer mehr Gewicht bekamen. So gab es für den deutlichen Aufwärtstrend in der Industrie vor allem drei Gründe: die nunmehr erreichte Teilnahme am jugoslawischen Binnenmarkt, eine gezielt protektionistische Politik 243

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des Staates zugunsten der heimischen Industrie und eine die heimischen Produkte absichernde Preispolitik. Immer noch gab es viele Betriebe, die auf den Handel mit Österreich ausgelegt waren, doch waren die Verkehrsverbindungen zum Norden nun durch die Staatsgrenze sehr erschwert. So bereitete zum Beispiel das Eisenbahn-Dreieck Bruck–Marburg–Klagenfurt besondere Schwierigkeiten. Der einst blühende Handel mit Agrarprodukten, der bis 1918 eine der Hauptstützen der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt gewesen war, nahm nach der Grenzziehung deutlich ab. Die Konkurrenz mit anderen Staaten war schwierig, und die Transporttarife waren hoch. Dafür lockte nun die Zugehörigkeit der Stadt zu Jugoslawien auswärtige Investoren an, und auch verschiedene neue Gesetze, die für Wirtschaftsbetriebe besonders attraktiv waren, führten dazu, dass viele auswärtige Unternehmen entweder ihren Sitz auf das Gebiet des Königreichs SHS verlegten oder dort eine Niederlassung (Vertretung) einrichteten. So gründete zum Beispiel die Holzimprägnierungs- und Eisenbahn­ schwellenfirma Rütgers in Wien die Jugoslawische Firma Guido Rüt­ gers in Marburg. Viele Einheimische bekamen so auch die Gelegenheit, sich an verschiedenen kommerziellen Gesellschaften zu beteiligen – eine Chance, die zunächst weitgehend von Angehörigen der deutschen Volksgruppe wahrgenommen wurde. Etliche Unternehmen der Deutschen kamen dann aber in slowenischen Besitz, weil die bisherigen Inhaber nach Österreich gezogen oder unter Sequester gestellt worden waren. Denn konsequent wurde die „Slowenisierung“ der Wirtschaft vorangetrieben. Mit einer Verordnung über die „Provisorische Gebietsverwaltung“ nationalisierte am 30. Dezember 1918 die Slowenische Nationalregierung wegen möglicher Kapitalflucht eine Anzahl von Banken und Instituten, darunter die Marburger Eskomptebank, die untersteirischen Sparkassen und Raiffeisenkassen. Außerdem wurde das Vermögen der Deutschösterreicher mit jugoslawischer Staats­ bürgerschaft unter Staatsaufsicht gestellt. Am 5. Februar 1919 dehnte der Belgrader Ministerrat das serbische Gesetz, das die Sequestrierung 244

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des Vermögens „feindlicher Staatsangehöriger“ vorsah, auf das ganze Gebiet des Königreichs SHS aus, also auch auf die Untersteiermark. So wurden in Marburg etwa 50 bis 55 Firmen unter staatliche Zwangs­ verwaltung gestellt. Entgegen den Bestimmungen des Friedensvertrags blieben diese Betriebe noch jahrelang unter Sequester. Die Südbahn der ehemaligen österreichischen Monarchie, die damals durch mehrere Kronländer desselben Staates gerollt war, befand sich 1918 plötzlich in drei verschiedenen Staaten wieder: in Österreich bis zur jugoslawischen Grenze bei Št.  Ilj/St.  Egyden, in Jugoslawien (Königreich SHS) und in Italien, da nach dem Vertrag von Rapallo die jugoslawisch-italienische Grenze (bis 1945) bei Planina, unweit Postojna/Adelsberg, somit in Italien lag. Die Südbahngesellschaft hatte – als private Eisenbahngesellschaft – ihren Sitz in Wien, in Marburg aber war ihre Hauptwerkstätte ansässig. Also wurde nun 1923 das gesamte Eisenbahnnetz mit allen Einrichtungen, die im Königreich SHS lagen, an die Jugoslawische Staatseisenbahn verkauft – für 265,2 Millionen französische Goldfrancs. Die Südbahnwerkstätte beschäftigte zwischen 2.100 und 2.500 Arbeiter und war nach wie vor das größte Unternehmen der Metallbranche in Marburg, wenngleich sie nicht mehr dieselbe Bedeutung hatte wie in Alt-Österreich und deshalb auch die Modernisierung des Betriebes unterblieb. Dafür wurden neue Metallbetriebe eröffnet, die überwiegend im Eigentum deutscher Einheimischer waren. Insgesamt waren vor dem Zweiten Weltkrieg in den Metallbetrieben 3.700 Arbeiter beschäftigt.191 Die Textilindustrie kam vor allem dank der tschechischen Fabrikanten Schonsky und Löbl in Schwung, die 1920/21 in Melling eine Weberei und einen Appreturbetrieb errichteten, die spätere „Mariborska tek191 Im Übrigen kann festgestellt werden, dass kleinere Industriebetriebe meist im Stadtkern oder im Westen der Stadt, große Betriebe vor allem in den Industrie­ zonen Melling und Thesen sowie entlang der Triesterstraße lagen.

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stilna tovarna“ (Marburger Textilfabrik). Weitere wichtige Unternehmen dieser Branche waren unter anderen: „Hutter & Co“, „Doctor & Co“, „Marko Rosner“, „Jugostekstil“, „Jugosvila“, „August Ehrlich“, „Zelenka & Co“ (übersiedelte noch vor dem Zweiten Weltkrieg nach Ägypten), „Teksta d.d.“ (Seidenfabrik Karl Thoma). Offensichtlich kamen die Unternehmen der Textilindustrie auch sehr gut über die Wirtschaftskrise von 1931 hinweg. Ende 1938 gab es in Marburg 27 Unternehmen dieser Branche mit 6.293 Beschäftigten – das waren 35,7 Prozent der Beschäftigten der gesamten slowenischen Textilindustrie.192 Der mit Abstand größte Textilunternehmer war indes Josef Hutter, ein Gottscheer Deutscher (aus der Bevölkerung der deutschen Sprachinsel, deren Zentrum Gottschee/Kočevje war). Er betrieb die Firma „Hutter & Co.“. 1926 gründete er in Melling eine Fabrik für die Herstellung von festem Baumwollgewebe (Zeug, „hlačevina“), ihr fügte er 1929 eine Weberei für Klothstoffe hinzu, dann eine Spinnerei, eine Zwirnfabrik und – im Jahr 1939 – eine Seidenweberei. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte der gesamte Betrieb 1.600 Arbeiter. Dabei erwies sich Hutter als Unternehmer mit außergewöhnlichem sozialen Sinn. Er verlangte von seinem Team eine hohe Arbeitsleistung, bezahlte seine Arbeiter jedoch weit besser, als das die anderen taten. Besonders tiefe Spuren in der Marburger Arbeitsgeschichte hinterließ er jedoch durch eine andere soziale Tat: In Pobrežje/Pobersch gründete er 1937 eine Wohnkolonie für seine Arbeiter, bestehend aus zwanzig einstöckigen Zweifamilienhäusern mit eigener Stromversorgung und Kanalisationsanschluss sowie mit außergewöhnlichem Komfort in Küchen, Bädern und Toiletten. Hutter plante noch weitere Einrichtungen für seine Beschäftigten, doch hinderte ihn schließlich der Ausbruch 192 Mehr dazu: Dragan Potočnik, „Gospodarske razmere v Mariboru med svetovnima vojnama“, in: Mesto in gospodarstvo. Mariborsko gospodarstvo v 20. stoletju, ed. Željko Oset, Aleksandra Berberih Slana in Žarko Lazarevič, Maribor 2010, S. 77–157; Leskovar, „Razvoj gospodarstva v Mariboru 1752–1941“, Maribor skozi stoletja, S. 363–369.

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Abbildung 25: Hutter-Siedlung in Pobersch/Pobrežje

des Zweiten Weltkriegs an der Verwirklichung. Im Stadtzentrum, dort, wo zuvor die Ställe und die Garagen der untergegangenen Brauerei Götz gestanden waren, errichtete er 1940/41 Marburgs größten Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit, den sogenannten Hutterblock – in der Absicht, dort (neben anderen Mietern) höhere Angestellte seiner Firma unterzubringen. Die Bauarbeiten wurden an Marburger Unternehmen vergeben. 300 Bauarbeiter waren an der Errichtung des Hutterblocks beteiligt – die Kosten beliefen sich auf zwanzig Millionen Dinar. Der Baublock bestand aus drei- bis vierstöckigen Häusern mit insgesamt 141 unterschiedlich großen, komfortabel ausgestatteten Wohnungen. Fertiggestellt wurde der Bau jedoch erst während des Zweiten Weltkriegs – der südliche Trakt wurde von Bomben beschädigt. Die ersten Bewohner des Hutterblocks waren deutsche Familien und deutsche Soldaten.193 In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ließ sich in Marburg auch eine Reihe holzverarbeitender Betriebe nieder. Die Voraussetzungen 193 Jerneja Ferlež, Josip Hutter in bivalna kultura Maribora, Maribor 2009.

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für eine erfolgreiche Arbeit in dieser Branche waren gut. Holz war in der Umgebung der Stadt ja reichlich vorhanden, auch stand elektrische Energie zur Verfügung, und als Verkehrswege boten sich die Drau sowie die Eisenbahn an. Doch stoppte die Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre den hoffnungsvollen Aufschwung. Zahlreiche Betriebe muss­ ten aufgeben. Neben der Metall-, Textil- und Holzindustrie entwickelten sich in Marburg auch etliche kleinere chemische Fabriken sowie eine Ölraf­ finerie. Auch das Buchdruckerwesen nahm einen neuen Anlauf. So war, wie bereits dargestellt, die Druckerei Kralik von dessen Erben verkauft worden – an eine Gruppe slowenischer Politiker und Wirtschaftstreibender, die 1919 die Aktiengesellschaft „Mariborska tiskarna“ gründeten. Die Druckerei wurde 1936 modernisiert. Sie brachte nach wie vor die lokale Zeitung heraus, die nun jedoch ihren Titel änderte. Sie hieß nicht mehr Marburger Zeitung, sondern Mariborer Zeitung. Wie bereits erwähnt, ging der Lebensmittelhandel zurück – und mit ihm auch die Lebensmittelindustrie. Dennoch entstanden einige kleinere, aber teilweise sehr erfolgreiche Betriebe für Branntweine, nichtalkoholische Getränke, Schokolade, Backpulver, kandierte Früchte, Kaffeesurrogate und Fleischprodukte. Nicht zuletzt begannen die Marburger in der Zwischenkriegszeit einen Wirtschaftsbereich planmäßig zu entwickeln, der bald eine außerordentliche Bedeutung für die Stadt und die Region erlangen sollte: den Tourismus. So wurde 1926 ein Fremdenverkehrsverein gegründet. Zudem bekam die Stadt 1928 ein neues Hotel, das „Mari­ borski dvor“. Andere Hotels wurden modernisiert, so auch das bekannte Hotel „Orel“. Überdies wurde 1930 auf der Marburger Insel eine großangelegte Badeanstalt eröffnet, damals eine der größten in Südosteuropa. Und nicht zuletzt galt das Hauptaugenmerk der Tourismusexperten dem Bacherngebirge, das für Wanderer und Skifahrer immer attraktiver wurde und einige Jahrzehnte später sogar den Schauplatz großer internationaler Wintersport-Events abgeben sollte. 248

B un t er g a rt en der m a rburger ku lt ur

Bunter Garten der Marburger Kultur – und ein marxistischer Zirkel im Priesterseminar Die Zwischenkriegszeit war für Marburg jedoch auch eine Zeit starker kultureller Aktivitäten, vor allem in den Bereichen Erziehung und Volksbildung. So war Marburg damals die Zentrale der südsteiri­ schen Aufklärungs- und Bildungsverbände – zu ihnen zählte die „Prosvetna zveza“ (Bildungsverein) und die „Zveza kulturnih društev“ (Vereinigung der Kulturvereine). Es war ferner Mittelpunkt der SokolOrganisationen im Draugebiet und des Arbeitervereins „Svoboda“ („Freiheit“). Daneben wurde eine Reihe von Bibliotheken eröffnet, erweitert und teilweise umgestaltet – so etwa die „Bibliothek des Historischen Vereins“, die sich 1920 in die „Študijska knjižnica“, die Studienbibliothek, verwandelte. Das 1903 gegründete Museum wurde 1920 mit dem Museum des Historischen Vereins und 1924 mit dem Lavanter Diözesanmuseum vereinigt. 1925 wurde die Studien­ bibliothek eine städtische Institution, und unter der Führung von Janko Glazer entwickelte sie sich sogar zur führenden wissenschaft­ lichen Einrichtung der slowenischen Steiermark überhaupt. Darüber hinaus gab es noch weitere Bibliotheken, die verschiedenen politischen Lagern zugeordnet waren. Die „Prosvetna zveza“ (Bibliothek des Bildungsvereins) war katholisch orientiert, die „Ljudska knjižnica (Volksbibliothek) dagegen liberal. Die „Knjižnica Delavske zbornice“ (Bibliothek der Arbeiterkammer) wiederum war sozialistisch ausgerichtet. 1929 wurde das Archiv gegründet und mit der Studien­ bibliothek und dem Museum vereinigt. Kurz davor war die Volkshochschule („Ljudska univerza“) ins Leben gerufen worden – in der Absicht, möglichst allen Schichten der Bevölkerung eine breite Bildung über das Grundschulwissen hinaus zugänglich zu machen. Bis 249

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1941 hatten 120.000 Menschen in 1.200 Veranstaltungen diese Einrichtung be­­sucht.194 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1919 in Maribor der slowenische Musikverein „Glasbena matica“ gegründet, auf Initiative des Komponisten und Chorleiters Oskar Dev. „Glasbena Matica“ gastierte in vielen Orten Jugoslawiens, aber auch im Ausland. Er unterhielt seit 1919 auch eine Musikschule. Nach der Auflösung des deutschen „Marburger Philharmonischen Vereins“ übernahm „Glasbena matica“ dessen Räumlichkeiten und Einrichtung. Wichtige Gesangsvereine wie „Maribor“, der „Cäcilienverein“, „Drava“ und „Jadran“ etablierten sich in der Stadt. Das Marburger Theater, jetzt „Nationaltheater“, 1922 verstaatlicht und schon 1919 ganz auf die slowenische Sprache umgestellt, litt freilich unter den geringen Geldmitteln, die es von der öffentlichen Hand erhielt. Dank zahlreicher Initiativen vonseiten der Stadt, einiger Bankhäuser, verschiedener Handelsunternehmer und anderer privater Mäzene konnte es jedoch überleben. Als das Elektrizitätswerk Fala 1920 in Betrieb ging, wurde auch das Stadttheater an den Strom dieses Kraftwerks angeschlossen, wobei eine neue elektrische Leitung gelegt wurde. Schließlich finanzierte die Stadtgemeinde 1915, obwohl selbst nicht auf Rosen gebettet, eine – längst fällige – Komplett-Renovierung des Thea­ters und der Fassade des Casino-Gebäudes. Und ehe der Zweite Weltkrieg auch Jugoslawien erfasste, konnte im Sommer 1940 auch noch das Verwaltungsgebäude des Theaters aufgestockt und neuer Raum für Künstlergarderoben und Sanitäranlagen geschaffen werden. Dagegen wurden nun die Theatertätigkeiten im Narodni dom stark eingeschränkt – dieser diente nur noch kleineren Veranstaltungen. In der Zwischenkriegszeit widmete sich das Marburger Nationaltheater vor allem dem slowenischen Drama, sodass dem Publikum nun viele Werke bedeutender slowenischer Dramatiker und Dichter 194 Mehr dazu: Bruno Hartmann, „Ljudska univerza v Mariboru 1922–1941“, Časopis za zgodovino in narodopisje, 1999, Nr. 1, S. 76–95.

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und ein m a rxis t iis c her zirke l im pries t ersemin a r

zugänglich gemacht wurden. Unter anderem gingen Schauspiele und poetische Darstellungen von Alojzij Remec, Stanko Majcen, France Bevk und Rudolf Golouh über die Marburger Bretter, daneben aber auch noch unbekannte Werke, die erst der Entdeckung bedurften. Die musikalischen Darbietungen erschöpften sich vorerst in volksweit beliebten Operetten, bis 1921 die ersten Opern gewagt wurden – es waren die Einakter „Ksenija“ und „Stara pesem“ („Das alte Lied“) von Viktor Parma. Als dann aber der routinierte Theatermann und Dirigent Andre Mitrović 1922 die künstlerische Leitung übernahm und auch seine Frau, die international hochgeschätzte Sängerin Ančica Mitrović, in den gezeigten Opern auftrat, wurde eine Aufführungsreihe italienischer, französischer, deutscher und slawischer Opern gezeigt, die sich großen Zuspruchs erfreute. Nach Mitrovics Weggang – das Ehepaar verließ 1925 wieder die Stadt – ließ das Interesse der Marburger an Opernaufführungen allerdings merklich nach.195 Auch das Kino, inzwischen längst den Kinderschuhen entwachsen, war trotz (oder gerade wegen?) der vielen Sorgen, von welchen die Menschen in jenen unruhigen Tagen geplagt wurden, stark besucht. „Burg­ kino“, „Stadtkino“ (ab 1925 „Apollo“), „Kino Union“ und „Esplanade“ waren die bekanntesten Marburger Adressen der Freunde dieses modernen Kultur- und Unterhaltungsmediums in Marburg. Anfangs waren es vorwiegend österreichische Filme, die gezeigt wurden, erst in den Dreißigern kamen französische Streifen auf die Leinwand, später, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, auch russische. Am 30. August 1930 erregte das Burgkino erstmals mit einem Tonfilm Aufsehen, und am 15.  Januar 1932 gab es in demselben Kino den ersten slowenischen Film: „V kraljestvu Zlatoroga“ („Im Königreich des Goldhorns“). Eine Reihe angesehener Literaten wirkte in Maribor – unter ihnen Janko Glazer und Rudolf Maister, der einige Zeit bei aller übrigen 195 Mitrović kam 1926 ohne seine Frau für zwei Saisonen wieder, doch konnten seine kreativen Einfälle nicht mehr so zünden wie früher.

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Vielseitigkeit als General und Held der Nachkriegszeit auch einen literarischen Salon betrieb. Aus dem Küstengebiet kamen Poeten wie Jan­ ko Samec und Ludvik Zorzut sowie der Dramatiker Makso Šnuderl. In Marburg geboren war der Schriftsteller und Jurist Stanko Majcen. Auch er verfolgte parallel zum poetischen Schaffen eine Karriere auf ganz anderem Gebiet: Er war zeitweise Bezirkshauptmann von Maribor und hatte das Kabinett des jugoslawischen Innenministers Korošec in Belgrad gelei­tet. 1935 wurde er stellvertretender Ban in Ljubljana, schließlich, 1943, Stellvertreter von Leon Rupnik, dem Präsidenten der Provinz Ljubljana. Manches an den damaligen Entwicklungen im Marburger Kulturbereich mutet im Rückblick auch ein wenig skurril an. So bildete sich zu der Zeit, als die Volksfrontbewegung in Slowenien attraktiv wurde, innerhalb des Priesterseminars ein marxistischer Zirkel, dem einige bekannte Kleriker angehörten. Auch der in St. Georgen an der Stainz/ Sveti Jurij geborene bekannte slowenische Schriftsteller und Linksintellektuelle Edvard Kocbek gehörte als Student zu diesem Kreis. Von ihm stammen unter anderem so bedeutende, in viele andere Sprachen übersetzte Essay-Sammlungen und Gedichtbände wie „Aschenglut“ und „Die Dialektik“. Bekannt wurde er für viele, weil er erst 1975 in einem Interview mit dem Triester Schriftsteller Boris Pahor offen über die Ermordung der Domobranci 1945 gesprochen hatte. Seine Tagebücher sind eine wichtige Quelle des sogenannten Volksbefreiungskampfs und der Zeit nach 1945.196

196 Er hatte in Maribor zwei Jahre lang Theologie studiert, dann jedoch dieses Fach gegen Romanistik an der Universität Ljubljana getauscht.

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D ie k at ho l iken rü c ken ins zwei t e g l ied

Die Katholiken rücken ins zweite Glied Für die katholische Kirche brachte der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie und die Eingliederung der meisten von Slowenen bewohnten Gebiete in das südslawische Königreich freilich nicht nur positive Veränderungen. Jetzt war die römische Kirche ja nicht mehr die stärkste Religionsgemeinschaft im gesamten Staat. Die Slowenen, durchwegs Katholiken, mussten sich damit abfinden, dass ihre Glaubensgemeinschaft nun an die zweite Stelle rückte – hinter die serbisch-orthodoxe Kirche. An der Spitze des Staates stand jetzt nicht mehr ein katholischer, nach eigenem Anspruch „von Gottes Gnaden“ eingesetzter Kaiser, der sie stützte, sondern ein serbisch-orthodoxer König. Und mit einem Mal sah sich die katholische Kirche mit mancher Skepsis und Ablehnung konfrontiert. Rechtlich gesehen blieb die Stellung der katholischen Kirche zwischen den Kriegen ohnehin ungelöst. So gab es heftige Auseinandersetzungen um das vorwiegend von der Slowenischen Volkspartei angestrebte Konkordat (Verhandlungen liefen bereits seit 1922), das Jugoslawien am 25. Juli 1935 mit dem Vatikan abgeschlossen hatte und das die Position der Katholiken in Jugoslawien sicherstellen sollte. Erst zwei Jahre nach dem Abschluss des Abkommens wurde dieses von der Regierung Milan Stojadinović der „Skupščina“ (dem jugoslawischen Parlament) zur Ratifizierung vorgelegt – und scheiterte sogleich am Widerstand der serbischen Orthodoxie. Zwar gab es bei der zweiten Abstimmung im Belgrader Parlament eine Mehrheit von 167 Zustimmungen gegenüber 129 Ablehnungen (die erste Abstimmung hatte noch 166 Ja- gegen 128 Nein-Stimmen erbracht), doch wurde das Ergebnis niemals dem Senat zur Bestätigung vorgelegt. Das Konkordat wurde mithin nicht rechtskräftig. Die serbisch-orthodoxe Kirche drohte jedem Abgeordneten, der diesem Konkordat zustimmen sollte, mit dem Ausschluss aus der Kirche. Vor allem störte es die Serbisch-Orthodoxen, 253

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dass das Abkommen der katholischen Kirche das Recht einräumte, in Jugoslawien neue Bistümer zu gründen. Und im Gegensatz zum Vorschlag der jugoslawischen Regierung, die Bistümer Lavant und Ljubljana dem Erzbistum Zagreb/Agram zu unterstellen, sah das Konkordat eine eigene slowenische Kirchenprovinz vor. Da sich in Marburg die Bevölkerungsstruktur nach dem Ende des Krieges so sehr verändert hatte – vor allem weil ein großer Teil der deutschen Bevölkerung Marburg verließ und dafür nunmehr zahlreiche Slowenen aus dem Küstengebiet in die Stadt zogen (nach Schätzungen etwa 11.000) – bekamen natürlich die slowenische Sprache und die slowenische Kultur nunmehr ein viel stärkeres Gewicht als zuvor. Das färbte auch auf das kirchliche Leben ab und auf die Art, wie Glaubensinhalte in der Schule vermittelt wurden. Jedenfalls nahm der seit 1899 (bis 1922) amtierende Bischof Mihael Napotnik, obwohl überzeugter Anhänger der österreichisch-ungarischen Monarchie, die neue Obrigkeit an – gemäß Matth. 22, 21: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Zwar las er, soweit bekannt, keine feierliche Messe anlässlich von Festlichkeiten im Zusammenhang mit dem Ende der Habsburgermonarchie (einen solchen Gottesdienst gab es indes in der Franziskanerkirche), doch spendete er den neuen weltlichen Herren gemäß seinen kirchlichen Vorschriften den nötigen Respekt und feierte am 14. Dezember, einer Anordnung der slowenischen Nationalregierung folgend, ein Hochamt anlässlich des Zusammenschlusses der Slowenen, Kroaten und Serben, an dem auch Vertreter des neuen Staates teilnahmen. Und als Prinzregent Aleksander Karadjordjević die Stadt am 29. Juni 1920 besuchte, begrüßte ihn Napotnik zusammen mit seinem Domkapitel auf dem Hauptplatz und im Rathaus. Der Bischof empfing den Prinzen auch an der Pforte des Doms und geleitete ihn unter Klängen der Kirchenmusik zum Hauptaltar. Im Übrigen spielte Napotnik im Leben der Marburger Nachkriegszeit freilich keine entscheidende Rolle mehr. Er war von schwerer Krankheit gezeichnet und starb im März 1922. Danach blieb der Bischofsitz ein254

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Abbildung 26: Jožefova cerkev (Josefskirche), 1953

einhalb Jahre unbesetzt. Sein Nachfolger wurde im Juni 1923 Andrej Karlin, der frühere Bischof der Diözese Triest-Koper, der seinen Sitz im italienisch gewordenen Triest hatte räumen müssen, weil er Slowene war. Er starb im April 1933 und wurde von seinem Weihbischof (seit 1928), Ivan Jožef Tomažič, beerbt. Tomažič sollte bis 1949 im Amt bleiben und sich in den schweren Zeiten der deutschen Okkupation als oberster Seelenhirte der Marburger behaupten. Unter anderem ließ Tomažič von 1938 bis 1941 das neue Haus für das Priesterseminar auf der Vrbanjska ulica erbauen, für welches seit dem 700-Jahr-Jubiläum der Diözese Lavant 1928 emsig gesammelt worden war. Das Gebäude wurde fertiggestellt, die Studenten hätten im Herbst 1941 einziehen können – dann 255

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aber brachte der Kriegsausbruch das Vorhaben zu Fall. Erst viel später, fast fünf Jahrzehnte danach, im selbstständigen, demokratischen Slowenien, sollte die Diözese das Gebäude zurückerhalten. Seit 1923 betreute der Bischof von Lavant neben seiner Diözese, die im Übrigen 1924 aus der Kirchenprovinz Salzburg herausgelöst und direkt Rom unterstellt wurde, auch noch mehrere Pfarreien der benachbarten Diözesen mit, die nach den Friedensverträgen auf dem Gebiet des Königreichs SHS lagen: 13 Pfarreien der Diözese Gurk (Klagenfurt), 23 Pfarreien der Diözese Szombathely (Ungarn) im Übermur­ gebiet sowie drei Pfarreien der Diözese Seckau (Graz). Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war das kirchliche Maribor in zwei Dekanate geteilt: „Maribor desni breg“ und „Maribor levi breg“ („Marburg rechts der Drau“ und „Marburg links der Drau“). In der Stadt gab es zwei Pfarren und drei Exposituren. Und es wurden neue Pfarreien gegründet. Besonders in den Arbeitervierteln im Dekanat Marburg rechts der Drau – dort lagen ja die großen Eisenbahnwerkstätten der ehemaligen Südbahn und wichtige andere Industriebetriebe – wurde die Seelsorge auf Betreiben der beiden Bischöfe Karlin und Tomažič intensiviert. 1940 wurde an der Kirche St. Josef eine neue Pfarrei, „Maribor – Sv. Jožef “, gegründet, die neben einem Teil der Marburger Gemeinde auch Studenci, Pobrežje und Radvanje erfasste. Sie wurde von den Kapuzinern betreut, die sich 1920 in Marburg angesiedelt hatten. Diese kamen aus dem italienisch gewordenen Küstengebiet, wo sie ihre Niederlassungen hatten räumen müssen. 1927 bauten sie neben der St.-Josefs-Kirche ein Kloster mit einem Heim, dessen Zöglinge das Klassische Gymnasium der Stadt besuchten. Und sie richteten Räumlichkeiten für Seminaristen aus ihren eigenen Reihen ein, die an der Theologischen Schule studierten. Auch zahlreiche Angehörige anderer Orden kamen nun in die Stadt. So wollten sich auch Salesianer in Marburg der Erziehung Jugendlicher widmen. Sie erwarben 1939 ein Grundstück, erhielten 1941 auch schon die Genehmigung des Bischofs, doch verhinderte dann der gerade aus256

die deu t s c hen werden zur minderhei t

brechende Krieg das Vorhaben. Auch der Jesuitenorden, der vor über 150 Jahren aus der Stadt vertrieben worden war, kehrte nun wieder zurück. Weiterhin wirkten im Unterrichtswesen die besonders engagierten Schulschwestern. Die Barmherzigen Schwestern, die seit 1843 in der Stadt waren, arbeiteten in den Jahren 1923 und 1924 im provisorischen Militärspital, von 1928 bis 1941 im Frauenkrankenhaus. Die Lutherische Kirche verlor indessen wegen des teils erzwungenen, teils freiwilligen Auszugs zahlreicher Deutschösterreicher nach dem Zusammenbruch der Monarchie viele Mitglieder. Die Übertritte vom katholischen zum evangelischen Glauben wurden denn auch immer seltener (was sich jedoch einige Jahre später, unter dem Einfluss der deutschen Propaganda, wieder ändern sollte). Dafür stieg mit der Ansiedlung von Soldaten- und Beamtenfamilien aus dem südslawischen Raum die Zahl der Mitglieder der serbisch-orthodoxen Kirche sprunghaft an. 1927 besuchte der serbische Patriarch Dimitrij die Stadt und stärkte so auch nach außen hin sichtbar deren Position. Etliche Zugewanderte aus dem Süden waren jedoch Muslime, denen vorerst noch keine eigenen Gebäude oder Räume zur Verfügung standen. Außerdem etablierte sich in Marburg eine altkatholische Kirchengemeinde, die keine eigenen Räumlichkeiten besaß, deren Mitglieder sich jedoch regelmäßig im Narodni dom trafen.

Die Deutschen werden zur Minderheit Die Deutschösterreicher in Marburg waren nunmehr zur Minderheit in der Stadt geworden. Deshalb waren für die stark dezimierte und weitestgehend entmachtete deutsche Volksgruppe, die noch knapp 3.000 Personen zählte, eigene Organisationen und Vereinigungen besonders wichtig – solche, die den Zusammenhalt der Volksangehöri257

die deu t s c hen werden zur minderhei t

brechende Krieg das Vorhaben. Auch der Jesuitenorden, der vor über 150 Jahren aus der Stadt vertrieben worden war, kehrte nun wieder zurück. Weiterhin wirkten im Unterrichtswesen die besonders engagierten Schulschwestern. Die Barmherzigen Schwestern, die seit 1843 in der Stadt waren, arbeiteten in den Jahren 1923 und 1924 im provisorischen Militärspital, von 1928 bis 1941 im Frauenkrankenhaus. Die Lutherische Kirche verlor indessen wegen des teils erzwungenen, teils freiwilligen Auszugs zahlreicher Deutschösterreicher nach dem Zusammenbruch der Monarchie viele Mitglieder. Die Übertritte vom katholischen zum evangelischen Glauben wurden denn auch immer seltener (was sich jedoch einige Jahre später, unter dem Einfluss der deutschen Propaganda, wieder ändern sollte). Dafür stieg mit der Ansiedlung von Soldaten- und Beamtenfamilien aus dem südslawischen Raum die Zahl der Mitglieder der serbisch-orthodoxen Kirche sprunghaft an. 1927 besuchte der serbische Patriarch Dimitrij die Stadt und stärkte so auch nach außen hin sichtbar deren Position. Etliche Zugewanderte aus dem Süden waren jedoch Muslime, denen vorerst noch keine eigenen Gebäude oder Räume zur Verfügung standen. Außerdem etablierte sich in Marburg eine altkatholische Kirchengemeinde, die keine eigenen Räumlichkeiten besaß, deren Mitglieder sich jedoch regelmäßig im Narodni dom trafen.

Die Deutschen werden zur Minderheit Die Deutschösterreicher in Marburg waren nunmehr zur Minderheit in der Stadt geworden. Deshalb waren für die stark dezimierte und weitestgehend entmachtete deutsche Volksgruppe, die noch knapp 3.000 Personen zählte, eigene Organisationen und Vereinigungen besonders wichtig – solche, die den Zusammenhalt der Volksangehöri257

die deu t s c hen werden zur minderhei t

gen und die Verteidigung ihrer Rechte und Ansprüche betrieben. Besondere Aufmerksamkeit erhielt daher das „deutsche“ Genossenschaftswesen. 1922 wurde der „Politische und wirtschaftliche Verein der Deutschen in Slowenien“ ins Leben gerufen, mit Sitz in Marburg. Er beteiligte sich an den Gemeindewahlen, war aber in erster Linie im Bereich der eigenen wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Organisationen sowie in Sport- und Wohltätigkeitsvereinen aktiv.197 Doch waren ihm nur wenige Jahre teils erfolgreicher Arbeit gegönnt – 1929, zur Zeit der Alexander-Diktatur, die die demokratischen Freiheiten erheblich einschränkte, wurde der Verband aufgelöst. 1920 trat in Neusatz/Novi Sad (Serbien) der Schwäbisch-Deutsche Kulturbund auf den Plan, dessen Ziele zunächst nur in sehr weitem Sinne politisch, nämlich auf die Förderung der deutschen Kultur und des deutschen Schulwesens ausgerichtet waren. Er wurde bereits 1924 aufgehoben, sein Vermögen sofort beschlagnahmt. Als offizieller Grund diente die behauptete Unterdrückung der slowenischen Minderheit in Kärnten durch den neuen österreichischen Staat, die damit eine gerechte Antwort erhalten sollte. Immerhin aber wurde der Bund 1927 wieder aktiviert. Dabei entstanden in Slowenien erst 1931 Ortsgruppen dieses Verbandes. Eine der ersten wurde unter der Leitung von Notar Lothar Mühleisen in Marburg gegründet. Die Ortsgruppe zählte etwa 700 Mitglieder und widmete sich zunächst vor allem kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen, Vorträgen, Tanzkursen, Ausflügen. Doch bald machte sich im Kulturbund ein immer stärker werdender politischer Ton bemerkbar, vor allem nachdem im Januar 1932 unter der Leitung des Bauingenieurs Rudolf Holzer auch eine Jugendorganisation des Verbandes gegründet worden war. Nach Hitlers Machtübernahme in Deutschland 1933 verschärfte sich noch die politische und ideologische Tendenz des Kulturbundes und näherte sich immer mehr der Sprache der Nationalsozialisten; 197 Obmann des Verbandes war Notar Dr. Lothar Mühleisen.

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die deu t s c hen werden zur minderhei t

jedenfalls ging der Verband nun über die Wahrnehmung unmittelbarer Belange der deutschen Volksgruppe in Slowenien deutlich hinaus. So wurde der Kulturbund in Marburg nach einem Beschluss der Banschaftsverwaltung am 15. Oktober 1935 aufgelöst. Begründet wurde der Schritt damit, dass die Organisation die Satzungsbestimmungen überschritten und sich eindeutig politisch betätigt habe. Die übrigen deutschen Vereine, so der „Marburger Männerverein“, die „Lieder­ tafel“ und der Sportklub „Rapid“, bestanden indes weiter. Der „Verband deutscher Hochschüler“, der Ende des 19. Jahrhunderts gegründet worden war, blieb vorerst noch erhalten, wurde 1938 jedoch ebenfalls aufgelöst. 1939 durfte der Kulturbund jedoch überraschend wiederbelebt werden. Offensichtlich wollte der neue jugoslawische Ministerpräsident Dragiša Cvetkovič mit dieser Geste den Machthabern des Dritten Reichs eine freundlichere Haltung demonstrieren. So bildeten sich bis März 1941 in Marburg 15 Ortsgruppen. Inzwischen sympathisierten auch immer mehr Marburger Deutsche mit dem national orientierten Programm des Kulturbundes, teilweise auch mit dem nationalsozialistischen Gedankengut überhaupt. Die Zahl der Mitglieder des Kulturbundes stieg nun stetig an – auf 1.678 im September 1940. Die letzten bekannten Zahlen von Mitte Januar 1941 wiesen in der Stadt 2.211 Mitglieder aus, in Studenci/Brunndorf 502 und in Pobrežje/Pobersch 443.198 Auch die evangelische Kirche hatte ihren Anteil an der deutschnationalen Zuspitzung, indem sich etliche ihrer Pastoren nicht nur mit religiösen Fragen beschäftigten, sondern immer enger mit dem Kulturbund zusammenarbeiteten. Jedenfalls war Marburg Sitz des Seniorats der evangelischen Kirche der gesamten Drau-Banschaft, der Marburger Pastor Hans Baron war gleichzeitig Gauführer des SchwäbischDeutschen Kulturbundes in der Drau-Banschaft. Er war sogar als stell198 Dragan Potočnik, „Mariborski Nemci v letih 1918–1941“, Kronika, 1999, Nr. 1–2, S. 143–151.

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die deu t s c hen werden zur minderhei t

vertretender Bundesführer des Steirischen Heimatbundes vorgesehen, wurde dann aber doch nicht ernannt – die Stelle blieb bis Kriegsende unbesetzt. Nach Hitlers Angriff auf Polen am 1. September 1939 begannen sich die Deutschen in Marburg auf den Anschluss der Untersteiermark an das Deutsche Reich vorzubereiten, nachdem die Nationalsozialisten bereits eineinhalb Jahre davor, im März 1938, den Anschluss Österreichs erwirkt hatten. Jetzt gerieten die deutschen Vereine und Institutionen immer stärker unter den Einfluss des Nationalsozialismus –­ schließlich wurden sie sogar zu Vorposten der kommenden Besatzung. So wurde im Herbst 1940 beim Treffen der Bezirksleiter des Kulturbundes in Marburg ein Nachrichten- und Informationssystem verabredet, das helfen sollte, „deutsches Blut“ und deutsches Vermögen abzusichern. Im geheimen Bericht des Reichssicherheitshauptamtes, vorbereitet für den Angriff Deutschlands auf Jugoslawien, wurden Marburg und Cilli zu „Hauptstützpunkten“ der „deutschen Volkstumsarbeit“ erklärt. Gleichzeitig wurde Marburg nebst Cilli und Pettau als Hauptplatz der „deutschfeindlichen Tätigkeit“ angeprangert. Dem Bericht war eine Liste von 216 Namen angeblich deutschfeind­ licher Slowenen beigefügt. Auf ihr war auch der stellvertretende Bürgermeister Franjo Žebot aufgeführt, der später tatsächlich im Konzentrationslager Dachau zu Tode kommen sollte. Zur gleichen Zeit wurden in Graz das Südostdeutsche Institut und das Grenzlandamt gegründet – beides Organisationen der NSDAP. Diese Institute verfass­ ten umfangreiche Berichte über die Lage der Deutschen, über die Südgrenze, über die Untersteiermark und erstellten unter anderem auch eine Liste von 130 „gefährlichen Slowenen“, auf welcher Soldaten aus Maisters Umkreis, Mitglieder des Vereins Sokol, Kommunisten und andere sogenannte „Feinde“ genannt waren. All dies diente der Vor­ bereitung auf den baldigen Angriff und war bereits Teil des Unterdrü­ ckungsprogramms, das unmittelbar nach dem Einmarsch anrollen sollte. 260

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Der Tag, als Hitler kam: Marburg – „Deutsch auf ewig“ Nachdem der jugoslawische Ministerpräsident Cvetković und sein Außenminister Cincar-Marković am 25. März 1941 in Wien unter massivem Druck der Deutschen den Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt (Deutschland-Italien-Japan) unterzeichnet hatten, flammten auch in Marburg, wie überall in Jugoslawien, heftige Proteste auf. Am 26. und am 27. März 1941 stand die Stadt ganz im Zeichen von Demonstrationen, und schon am 27. März stürzte die Regierung in Belgrad nach einem Militärputsch des serbischen Generals Dušan Simović. Zugleich war nun die Regentschaft des Prinzen Paul für den bislang minderjährigen Peter II. abgelaufen – der junge König übernahm selbst die Macht und betraute Simović mit der Regierungs­ bildung. Sogleich schickte Marburgs Bürgermeister Alojz Juvan dem Monarchen eine Loyalitätserklärung, in welcher er ihn der „Treue der Grenzstadt Maribor“ versicherte. Noch am selben Tag schlossen nach 17 Uhr alle Geschäfte, später auch die Gast- und Kaffeehäuser, und die Menschen strömten in Massen auf die Straßen. Es herrschte Festtagsstimmung. Der junge König wurde umjubelt, und die Zeitungen riefen die Bevölkerung auf, möglichst zahlreich an den weiteren Demonstrationen teilzunehmen. Diese aber glitten den Organisatoren bald aus der Hand. Plötzlich wurden Rufe laut, die sich auch gegen den König und die südslawische Monarchie erhoben und zugleich die Freundschaft mit der Sowjet­ union beschworen. Federführend für diese gezielte Entwicklung waren die Kommunisten. So radikalisierten sich nun die verschiedenen Pro­ test­bewegungen aufs Gefährlichste. Dabei kam es jetzt zu immer radikaleren Ausschreitungen gegen das Vermögen von Bürgern der deutschen Volksgruppe, nicht nur von Nationalsozialisten. Unter anderem 261

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wurde der deutsche Sportklub Rapid, der allerdings auch Treffpunkt von Hitler-Anhängern war, verwüstet, ebenso die Räume des Kulturbundes in der Vetrinjska ulica. In der Gosposka ulica gingen Scheiben mehrerer deutscher Geschäfte zu Bruch, und auch ein Gebäude der evangelischen Kirche in der Trubarjeva ulica wurde von den Ausschrei­ ­tungen beschädigt. Kommunisten verteilten in der Nacht vom 30. auf den 31. März 1941 Flugblätter mit dem Aufruf, die Verbundenheit Jugoslawiens mit der Sowjetunion zu bekunden. Allmählich spürten die Bürger, dass der Weltkrieg, der vor fast zwei Jahren ausgebrochen war, auch für Jugoslawien unausweichlich war und immer näher rückte. Die Woche vor dem deutschen Angriff war bereits ganz von dieser grausamen Gewissheit erfüllt. Ernsthaft gearbei­ tet wurde in Marburgs Betrieben und Ämtern kaum mehr. Voller Angst erwarteten die Menschen das Unaufhaltsame. Ab 1. April wurden die Kinder nicht mehr in die Schulen geschickt, einen Tag später stellte das Theater seine Aufführungen ein, Büchereien schlossen ihre Säle ab, Versammlungen wurden generell verboten. Auch wurden in den ersten Apriltagen bereits Reservisten eingezogen, Lastautos sowie Viehwagen samt Vieh requiriert. Die Drau-Division besetzte jetzt die Festungen von Dravograd/Unterdrauburg bis Št. Ilj/Sankt Egyden und Radgona/Bad Radkersburg, doch war die Kriegsfähigkeit Marburgs und weiter Teile Jugoslawiens völlig unzureichend – so viel ließ sich schon jetzt erkennen. In Marburg standen die meisten Bunker unter Wasser, es fehlte an Munition wie an geeigneten Uniformen. Vor allem war die Lebensmittelversorgung nicht ge­sichert. Doch über der Stadt wurden bereits deutsche Aufklärungsflug­zeuge gesichtet. Dann kam der Krieg mit grausamer Konsequenz. Der Angriff der Deutschen begann am Palmsonntag, dem 6. April 1941. Erst wurde Belgrad bombardiert. Dann rückten Truppen der 2. Armee unter Generaloberst v. Weichs in die Untersteiermark ein. Von Graz her marschierten die Einheiten der 132. Infanteriedivision des 51. Pan­ zerkorps in Richtung Marburg. In der Nacht vom 6. zum 7. April 262

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Abbildung 27: 6. April 1941: Jugoslawische Soldaten sprengen mithilfe von Einheimischen die Brücken über der Drau, um den Deutschen den Weg abzuschneiden. Hier die gesprengte Reichsbrücke (Glavni most).

kamen sie bis Pesnica/Pößnitzhofen. Die pausenlosen Luftangriffe waren fast unerträglich. Schon von Anfang an erwies sich die jugoslawische Armee als hoffnungslos unterlegen. Schon flohen Tausende jugoslawischer Soldaten durch Marburg Richtung Süden – unter ihnen auch viele junge Frei­ willige, vor allem Mittelschüler und Lehrlinge. Und in der Nacht nach dem Angriff verließen fast alle jugoslawischen Armeefahrzeuge die Stadt, während bewaffnete Mitglieder des Kulturbundes bereits auf den Straßen patrouillierten. Sie hatten die ganze Zeit durch eine ille­ gale Radiostation, die im Gebäude des heutigen „Museums der Volksbefreiung“ untergebracht war, Verbindung zu den sich nähernden 263

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deutschen Einheiten gehalten. Die zuletzt abziehenden jugosla­wischen Truppen zerstörten am 7. April noch mithilfe Einheimischer die drei Draubrücken der Stadt, um den Deutschen den weiteren ­Vormarsch zu erschweren. Der Einmarsch der deutschen Truppen in Marburg erfolgte am 8. April um 9 Uhr. Von vielen Mitgliedern der deutschen Volksgruppe wurden sie mit Jubel empfangen. Der leichte Vormarsch ersparte der Stadt schwere kriegerische Auseinandersetzungen – es kam zu keinem nennenswerten Artilleriebeschuss. Nur ein Todesopfer war an diesem Tag zu beklagen – eine Granate war in die „Marburger Druckerei“ eingeschlagen. Die Kulturbund-Mitglieder verhafteten nun die restlichen jugoslawischen Soldaten, die sich nicht rechtzeitig über die Drau hatten retten können, und übernahmen die Macht in der Stadt, noch ehe eine deutsche Zivilverwaltung eingesetzt war. Sie besetzten den Magis­ trat und hissten am Rathaus die deutsche Flagge. Als Bürgermeister wurde der Anwalt Dr. Franz Brandstätter eingesetzt, die Polizei wurde vorerst provisorisch vom Sohn eines Marburger Großkaufmanns namens Gerhard Pfrimer befehligt. In einem kurz vor dem Angriff erstellten Bericht des Reichssicherheitshauptamts über die Lage in Jugoslawien hieß es: „Schon durch die Grenzlage bedingt, sind die Slowenen in überwiegender Mehrheit deutschfeindlich und chauvinistisch eingestellt. Träger des deutschfeindlichen Gedankens sind der Klerus, der im Volke einen starken Einfluss hat, und die slowenische Intelligenz, insbesondere die Lehrerschaft und die Rechtsanwälte… Hauptplätze der deutschfeindlichen Tätigkeit sind die Orte Marburg, Cilli, Pettau, welche stark von Deutschen durchsetzt sind.“199 Am 14. April unterschrieb Hitler den Erlass über die Einführung der deutschen Zivilverwaltung in den besetzten slowenischen Gebie­ ten. Dabei wurde der NS-Gauleiter von Steiermark, Dr. Sigfried 199 Tamara Griesser-Pečar, Das zerrissene Volk, Wien-Köln-Graz 2003, S. 21.

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Abbildung 28: Einmarsch deutscher Besatzungssoldaten in Marburg am 8. April 1941

Uiberreither, zum Chef der Zivilverwaltung in der Untersteiermark bestimmt. Er reiste noch am Tag seiner Ernennung nach Marburg. Empfangen und begrüßt wurde er an der Grenze bei St. Egyden von dem evangelischen Pastor Johann Baron, der ihn in die Stadt begleitete. In seiner Rede vor der Burg (Trg svobode) umriss Uiberreither sehr deutlich das Hauptziel der Deutschen im besetzten Slowenien: „Wir wollen dieses Land so heranbilden, dass darinnen nur Platz hat der Deutsche und jene Steirer, die Jahre und Jahrzehnte und Jahrhunderte hindurch treu und kameradschaftlich Schulter an Schulter mit unseren Volksgenossen gekämpft haben, die, uns blutmäßig sehr nahe verwandt, bereit gewesen sind, auch in den letzten Jahrzehnten mit allen Fasern ihres 265

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Herzens den Anschluss an Deutschland herbeizusehnen … Und alles andere, meine Volksgenossen, daraus mache ich auch öffentlich kein Hehl, das muss hinaus! … Wir werden mit Eiseskälte alle jene Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, damit in dieser Entwicklung auch keine Rückschläge eintreten können. Denn dass dieses Land, wenn einmal der Führer seinen Beauftragten entsendet hat, deutsch ist auf ewig, daran zweifelt heute auf der Welt niemand mehr … “200 Die jugoslawische Armee bot den Deutschen auf deren weiterem Vormarsch keinen wirklichen Widerstand. Schon nach wenigen Tagen, am 17. April, kapitulierte sie. Und so wurde das slowenische Gebiet – die Drau-Banschaft – gleich von drei Mächten okkupiert: Deutsch­ land, Italien und Ungarn. Den größten Teil nahmen sich die Deutschen: die Untersteiermark, das Mießtal, Oberkrain, einen Streifen südlich der Save/Zasavje und vier Ortschaften im westlicheren Teil des Übermurgebiets („Prekmurje“). Am 20. April feierten die Deutschen in Marburg mit spektakulären Auftritten den Geburtstag des „Führers“. Und sechs Tage später be­such­te Hitler selbst die Stadt. Er hatte, während seine Truppen auf dem Balkan vorrückten, sein Hauptquartier auf dem Wechsel – einem Gebirgszug in der Steiermark – bezogen und kam von dort angereist, um nun auch vor Ort seine Zustimmung zu bereits eingeleiteten und geplanten Maßnahmen zu erteilen. Der „Schwäbisch-Deutsche Kulturbund“ hatte jahrelang Informa­ tionen über die Lage in der Drau-Banschaft gesammelt und an das „Südostdeutsche Institut“ in Graz geleitet, das nach dem Beginn des Krieges mehrere Denkschriften mit Vorschlägen für das weitere Vorgehen nach Berlin weitergab. Diese Vorschläge wurden Hitler und Reichs­ außenminister v. Ribbentrop zugeleitet – und zu einem großen Teil auch in die Tat umgesetzt. So kamen die deutschen Besatzer auch mit bereits vorgefertigten Namenslisten von Personen an, die sogleich 200 Ebenda, S. 19.

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Abbildung 29: Besuch Hitlers in Marburg am 26. April 1941. Auf der Draubrücke von links nach rechts: Sigfried Uiberreither (Gauleiter Steiermark, Chef der Zivilverwaltung), Martin Bormann (Leiter der Parteikanzlei, Sekretär Hitlers), Adolf Hitler, Otto Dietrich (SS-Obergruppenführer, Staatssekretär)

verhaftet werden sollten. Zu den ersten Opfern dieses gewalttätigen Aufräumens zählten auch mehrere Persönlichkeiten des katholischen Klerus. Schon kurz nach dem deutschen Angriff, noch vor der Einfüh­ rung der Zivilverwaltung in Marburg, nahmen Mitglieder des Kulturbundes die ersten Geistlichen fest, und bereits am 10. April führten die Besatzer eine Hausdurchsuchung im bischöflichen Palais durch, ferner im Kapitelhaus und im Dom-Pfarrhaus. Und am 15. April rollte die erste große Verhaftungswelle an. Sicherheitspolizei, SA und Wehr­ macht nahmen 300 Personen fest, vorwiegend Angehörige der slowenischen Intelligenz, Professoren, Lehrer, Geistliche – vor allem solche, die sich in besonderem Maße der Pflege der slowenischen Kultur gewidmet hatten und daher verdächtigt wurden, das slowenische Nationalbe267

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wusstsein in der Bevölkerung zu stärken. Bereits nach einem Monat war das „Auffanglager Landwehrkaserne Melling (Melje)“, das als Sammellager fungierte, mit 1.415 politischen Häftlingen, darunter 41 Frauen, gefüllt,201 492 von ihnen waren in Marburg ansässig. Anfang Juni wurden dann auch noch viele ihrer Familienangehörigen dort eingeliefert. Die Besatzer machten der Ankündigung Uiberreithers, die deutschen Vorhaben würden mit „Eiseskälte“ verwirklicht, alle Ehre. Die Häftlinge erfuhren eine überaus grausame, entwürdigende Behand­ lung. Besonders traf dies auf die Geistlichen zu. Sie wurden verhöhnt, verlacht, geschlagen. Es wurde ihnen nicht gestattet, die Messe zu lesen. Besonders erniedrigend empfanden sie das sogenannte „Pflichtturnen“. Sie mussten vor den Augen der amüsierten Wachleute Kniebeugen vollführen, sich auf dem Boden in den Schmutz werfen und mehr desgleichen. Dabei wurden sie geschlagen und oftmals mit Waffen bedroht. Mit bloßen Händen mussten sie die Senkgrube leeren und auf den Straßen den Abfall sammeln. Domherren mussten, als Zugvieh eingespannt, Essen für andere Häftlinge transportieren und Fäkalien auf den Straßen beseitigen. Bis zur Verzweiflung erniedrigend war es für die Geistlichen jedoch vor allem, dass sie gezwungen wurden, die serbisch-orthodoxe Kirche in Marburg abzureißen. Die Nazis fotografierten die Abrissarbeiten und nutzten die Bilder als Propagandamittel in Serbien gegen Katholiken und Slowenen. Um die Germanisierung möglichst schnell voranzutreiben, planten die deutschen Besatzer Zwangsaussiedlungen ungeheuren Ausmaßes – aus ganz Slowenien sollten über 260.000 Personen deportiert werden. Dazu kam es jedoch wegen kriegerischer Auseinandersetzungen nicht. Dennoch waren es über 80.000 Menschen, die ihre engste Heimat verlassen mussten, zählt man jene 17.000 hinzu, die sich der Deportation 201 Stefan Karner, Die deutschsprachige Volksgruppe in Slowenien, Klagenfurt-LjubljanaWien 1998, S. 90.

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durch Flucht – hauptsächlich in das italienisch besetzte Gebiet – entzie­ hen konnten. Schon wenige Tage nach dem Einmarsch wurden im deutschen Besatzungsgebiet Zentralstellen für die Umsied­lung gebildet. Der Stab für die Untersteiermark befand sich in Marburg. Am 22. April 1941 wurde die „Verordnung für die Festigung deutschen Volkstums“ veröffentlicht. Demnach wurde das gesamte Vermögen aller Personen, die zur Deportation anstanden oder die in irgendeiner Weise dem Deutschen Reich feindlich gegenüberstanden, zugunsten des „Reichs“ beschlagnahmt. Immer mehr Menschen wurden festgenommen, viele inhaftiert. In Marburg, Cilli und an etlichen anderen Orten wurden Sammellager errichtet. Dort herrschten Hunger und Krankheiten. Denn es gab für die Insassen nur äußerst wenig Nahrung und miserable hygienische Verhältnisse. Die Aussiedlung der slowenischen Bevölkerung erfolgte in drei Wel­ len. In der ersten Welle (vom 7. Juni bis 5. Juli) wurden Slowenen, die sich offen gegen das Deutschtum ausgesprochen hatten, in zwölf Trans­ porten verfrachtet. Die zweite Welle, vom 11. bis 26. Juli, lief in 14 Trans­porten ab und betraf Zuwanderer in die Steiermark, die seit Januar 1914 hier lebten. Mit der dritten Welle schließlich – ab Herbst 1941 – wurden in sieben Transporten arbeitstaugliche „eindeutschungsfähige“ Slowenen abgeführt, die „aus sicherheitspolizeilichen Gründen unerwünscht“ waren. Viele Ausgesiedelte kamen zunächst in das Sam­ mel­lager Reichenburg (Rajhenburg, heute Brestanica), von wo aus sie nach Serbien und Kroatien verfrachtet wurden. Insgesamt wurden von Marburg aus 4.539 Personen abtransportiert, 4.434 wurden nach Ser­ bien, Kroatien und Bosnien ausgesiedelt, die übrigen kamen zur Zwangs­arbeit ins „Reich“.202

202 Die noch nicht inhaftierten slowenischen Geistlichen in der Steiermark sowie die Priester in den deutsch besetzten Gebieten der Diözese Laibach wurden ebenfalls zur Deportation bestimmt, ausgenommen jene, die schon seit 1914 ihren Wohn­ sitz in dem Gebiet hatten.

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Selbst der Führer des „Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes“ der Drau-Banschaft und der Marburger evangelische Pastor Baron, der die deutschen Besatzer bei ihrem Einmarsch noch überschwänglich begrüßt hatte, waren empört über die völlig gefühllose Art, mit welcher hier fürchterliche Schicksale besiegelt wurden. Zusammen mit dem Brauereibesitzer Franz Tscheligi schrieben sie später einen kritischen, von maßloser Enttäuschung zeugenden Bericht nach Berlin: „Die Art und Weise, wie die Verhafteten behandelt wurden, wurde vom Volk missbilligt. Die Bevölkerung hat da Methoden kennengelernt, die sie von Deutschen niemals erwartet hatten, und die sich die Serben kaum er­laubt hätten. Nach diesen Verhaftungen setzten die Aussiedlungswellen ein. Zuerst wurden alle führenden Politiker und slawischen Intelligenzler ausgesiedelt. Die Art, wie diese Aussiedlung vonstatten ging, erregte zuerst Erstaunen und später tiefen Unwillen. Die Bevölkerung sagte sich: Wenn diese Leute schon wirklich außer Land müssen, so sehen wir nicht ein, warum sie ohne alle Mittel und nur mit einem Handkoffer an die Grenze gestellt werden … Dass sich bei diesen Aussiedlungen Dinge zugetragen haben, die in der deutschen Propaganda den Engländern in den Kolonien und den Russen zur Last gelegt wurden, konnte die Bevölkerung schon gar nicht begreifen. Die Wohnungen der Ausgesiedelten wurden ausgeraubt, der Schmuck wurde den Leuten abgenommen, alles, was irgendwie einen Wert darstellte, verschwand spurlos. Die Bevölkerung musste es erleben, dass die Exekutivorgane den Raub noch während der Amtshandlung unter sich aufteilten …“ Und: „Die Deutschen im Lande, die seit Generationen in der Führung waren, sich kraft ihrer Tüchtigkeit behauptet hatten und immer einen großen Einfluss auf die Bevölkerung ausübten, wurden gleich anfangs vor den Kopf gestoßen, ihre Ansicht und Meinung wurde überhaupt nicht gehört. Man setzte sich über sie hinweg …“  203

203 Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941– 1945, hg. v. Tone Ferenc, Maribor 1980, S. 422–428.

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Indessen bemühte sich der Bischof von Lavant mit mündlichen und schriftlichen Appellen an den Chef der Zivilverwaltung, Uiberreither, (19. 4. 1941) sowie an die Gestapo (30. 4. 1941) und an den Bundesführer des Steirischen Heimatbundes, Franz Steindl (14. 5. 1941), die inhaftierten Priester nach Abschluss beschleunigter Untersuchungsverfahren für die Diözese zurückzubekommen, da Seelsorge nur wirksam ausgeübt werden könne, „wenn sich Priester und Gläubige in derselben Sprache verständigten“. Uiberreither wies die Bitten schroff zurück und bezeichnete die verhafteten Geistlichen als „Hetzpfarrer“ – ähnlich reagierte Gestapochef    Walter Machule.204 Er riet Bischof Tomažič, für die bisherigen Geistlichen Ersatz zu suchen, etwa bei seinem Grazer Amtskollegen, dem Bischof von Graz-Seckau, Ferdinand Pawlikowski. Doch auch dieser intervenierte bei Uiberreither vergeblich und brachte dabei erfolglos die schlechte geistliche Versorgung der Gläubigen in der Untersteiermark zur Sprache.205 Im Sinne der Kirchenvorschriften richtete der Marburger Bischof Tomažič am 16. April 1941 eine „Erklärung loyalen Gehorsams“ an Adolf Hitler – im Namen der katholischen Geistlichkeit und der katholischen Bevölkerung, wie dies nach „göttlichen Geboten und kirch­ lichen Vorschriften dem Souverän gebührt“. Darin bat er, die staatlichen Behörden mögen „berechtigte Wünsche der katholischen Bevölkerung beiderlei Nationalität“ berücksichtigen und der katholischen Kirche die notwendigen Bedingungen für ihre Existenz erhalten. Der Sitz des mächtigen Chefs der Zivilverwaltung befand sich bis zum 14. November 1941 in Marburg, danach in Graz, wobei einige Referate auch weiterhin in Marburg verblieben, nämlich jene für Rassenfragen, Ordnungspolizei, Sicherheitsdienst (SD), Propaganda, Arbeitseinsatz und politische Fragen. Chef der Sicherheitspolizei war SS-Standartenführer Otto Lurker, 18 Jahre zuvor Wärter in jenem

204 ŠAM, P 8/41, 19. 4. 1941. 205 ŠAM, P 8/41, F. B. Seckauer Ordinariat, Nr. 5435.

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Gefängnis in Landsberg am Lech, in welchem der inhaftierte Hitler sein programmatisches Buch „Mein Kampf  “ verfasst hatte.206 Gemäß Hitlers Auftrag „Machen Sie mir dieses Land wieder deutsch!“ verboten die nationalsozialistischen Machthaber alle slowenischen politischen und kulturellen Einrichtungen.207 In Marburg wurden von September 1941 bis Ende 1942 202 Vereine und Organisationen aufgelassen, 249 liquidiert. 17 mussten den Namen ändern, fünf wurden neu gegründet. Bei den zwangsaufgelösten Einrichtungen handelte es sich vorwiegend um slowenische Kulturvereine, konfessionelle ganisationen, Stiftungen und gewerkschaftliche Gruppierungen. Or­ Bücher in slowenischen Bibliotheken wurden beschlagnahmt. Die Studien­ bibliothek in Marburg, die im April noch 10.000 Bücher besessen hatte, durfte nur noch 3.428 behalten – vorwiegend Werke der deutschen wissenschaftlichen und belletristischen Literatur. Ein Teil der Bücher wurde vernichtet, ein Teil – darunter auch Raritäten – in das Südostdeutsche Institut nach Graz verbracht. Ähnlich wurde mit dem Museum und dem Archiv verfahren. Vielfach erlaubte man es dem aufgehetzten Mob, Biblio­ theken völlig zu verwüsten oder in Brand zu stecken – wie zum Beispiel anlässlich der Besetzung des Priesterseminars. Auch die Bibliothek des Bildungsvereins (Prosvetna zveza) wurde Opfer einer solchen Verbrennungs­ aktion. Das Theater wurde nun gänzlich deutsch – am 14. Mai ging das erste Gastspiel der Städtischen Bühnen über die Bretter. Jedenfalls wurde das gesamte Programm der nazistischen Propaganda unterworfen. Ihr hatten nicht zuletzt auch die Lichtspieltheater zu dienen. Am 18. April wurde 206 Unter Lurkers Leitung arbeiteten drei Dienststellen: die der Geheimen Polizei (SS-Sturmbannführer Walter Machule, ab Herbst 1942 Georg Umpfenbach, ab November 1944 Erwin Rusche), die der Kriminalpolizei (SS-Sturmbannführer Fritz Glass) und jene des Sicherheitsdienstes, die von Lurker selbst geleitet wurde. Lurkers Nachfolger wurde im März 1943 SS-Sturmbannführer Josef Vogt, 1944 SS-Sturmbannführer Kurt Stage. 207 Marijan Žnidarič, „Maribor med okupacijo in narodnoosvobodilnim bojem“, Maribor skozi stoletja, ed. Jože Curk, Bruno Hartman, Jože Korošec, Obzorja: Maribor 1991, S. 420–422.

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in Marburg das Burgkino, am 20. April das Esplanade-Kino neu eröffnet. Die Reden von Uiberreither wurden auf Schallplatte angeboten.208 Der Gewaltlogik der Eindeutschung folgend, durfte Slowenisch natürlich auch in der Kirche nicht verwendet werden. Da die slowenischen Geis­tlichen nahezu zur Gänze ausgesiedelt wurden – zusammen mit dem Bischof durften nur acht weltliche Priester und drei Franziskaner bleiben –, setzte die sogenannte „Notseelsorge“ ein. Auf Bitten des Bischofs Tomažič schickte der Seckauer Bischof Pawlikowski ab Sommer 1941 Priester aus seiner Diözese ins Bistum Lavant zur Aushilfe.209 Das Kirchen-, Pfründen- und Mensalgut wurde zugunsten des „Reichskommissariats für die Festigung des deutschen Volkstums“ (RKFDV) eingezogen. Zwar blieben die Kirchen als Stätten des Gottesdienstes in der Regel erhalten. Doch zog die Polizei in das Gebäude des Kapitelhauses ein. Klöster wurden ent­ eignet, die Ordensleute deportiert. Überhaupt wurde das Kirchen-, Pfründen- und Mensalgut zugunsten des „Reichskommissariats für die Festigung des deutschen Volkstums“ (RKFDV) eingezogen.210

208 Karner, S. 90; Ferenc, Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungs­ politik, Maribor 1980, S. 54 und S. 73; Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 132–135. 209 Im Jahre 1943 waren es 13 ständige Priester, die in ihren Gemeinden beurlaubt waren, und 49 weitere Grenzseelsorger, die zu den Feiertagen und etwa alle 14 Tage als Aushilfe kamen. Gleich 40 von 72 Marburger Theologiestudenten flohen nach Ljubljana, acht studierten dann mithilfe des Papstes in Rom, 14 aus dem Übermurgebiet stammende studierten in Szombathely, sechs in Graz, zwei in Kroatien (Djakovo), der Rest wurde in die Wehrmacht oder in den Arbeitsdienst eingezogen bzw. wurde verhaftet, drei wurden deportiert. 210 An der Spitze des RKFDV in Marburg stand SA-Obersturmführer Erwin Seftschnig, sein Stellvertreter war der Rechtsanwalt und SS-Sturmbannführer Werner Delpin, Sohn des Obmannes des deutschen Volksrates für Untersteiermark in den Jahren 1905–1918. Das Reichskommissariat hatte sechs Hauptämter (Menschenführung, Bodenamt, Wirtschaft, Land- und Forstwirtschaft, Haus- und Grundbesitz und Finanzen), einen persönlichen Referenten und eine Abteilung Presse und Archiv. Alles Übrige – außer Wehrmacht und Polizei – unterstand dem Chef der Zivilverwaltung, der sehr weitreichende Vollmachten besaß.

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Bald hatte sich das Gesicht der Stadt völlig verwandelt: Alle slowenischen Orts- und Straßennamen sowie alle öffentlichen Aufschriften verschwanden und wurden durch deutsche ersetzt. Die Straßen bekamen schon im April entweder die alten deutschen Namen aus der Habsburgermonarchie zurück oder wurden nach bekannten deutschen Persön­ lichkeiten der Stadt, der Steiermark oder des Reichs umbenannt. Es verstand sich von selbst, dass der wichtigste und repräsentativste Platz der Stadt, der Hauptplatz, zum „Adolf-Hitler-Platz“ avancierte. Trotz des geplanten Anschlusses der besetzten slowenischen Gebiete an das Deutsche Reich, der jedoch wegen der Kriegsgeschehnisse und der dadurch kompliziert gewordenen Lage am Ende doch nicht mehr verwirklicht werden konnte, erließen die deutschen Besatzer am 14.  Oktober 1941 eine „Verordnung für den Erwerb der Staatsan­ gehörigkeit in den befreiten Gebieten von Untersteiermark, Kärnten und Krain“. Diese Verordnung sprach mit Wirkung vom 14. April 1941 den „ehemaligen jugoslawischen Staatsangehörigen deutscher Volkszugehörigkeit“, die am 14. April 1941 ihren Wohnsitz im okkupierten Gebiet hatten und dort das Heimatrecht besaßen (§1), die deutsche Staatsangehörigkeit zu – ebenso den Staatenlosen deutscher Volks­ zugehörigkeit, die zu demselben Zeitpunkt im besetzten Gebiet wohnten. Daneben gab es laut §2 dieser Verordnung noch eine andere, gewissermaßen zweitklassige Staatsbürgerschaft, eine „deutsche Staatsange­ hörigkeit auf Widerruf  “, die „ehemaligen jugoslawischen Staats­ange­ hörigen deutschen und artverwandten Blutes“ sowie ebensolchen Staaten­losen gewährt werden konnte, sofern sie am genannten Tag ihren Wohnsitz im besetzten Gebiet hatten und „als Angehörige der heimattreuen Bevölkerung der befreiten Gebiete“ anerkannt wurden. Diese Gruppe war also nur vage bestimmt – oder besser: von Fall zu Fall bestimmbar –, die Behörden konnten die Interpretation des „artverwandten Blutes“ ziemlich willkürlich vornehmen. Die auf diese Weise anerkannten Personen bekamen die rote Mitgliedskarte der NS-Vorfeld­ organisationen. Dagegen galten Slowenen, die weder nach § 1 noch 274

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nach §2 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben oder sie verloren hatten, aber gleichwohl weiterhin in diesem Gebiet leben durften, als „Schutzangehörige des Deutschen Reiches“. Diese – an den Wohnsitz im Inland gebundene – Schutzangehörigkeit ging mit der Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland verloren.211 Die Verordnung wurde in der Untersteiermark erst im Frühjahr 1942 in die Praxis umgesetzt. Entscheidende Arbeit leistete hierbei die Vorfeld­ organisation der NSDAP, der Steirische Heimatbund, der vom Chef der Zivilverwaltung gegründet worden war. Mit der Führung wurde Gaurat Franz Steindl betraut. Dann wurde der „Schwäbisch-Deutsche Kulturbund“ in den „Steirischen Heimatbund“ überführt. Gemäß einer Richtlinie des Bundesführers dieses Verbandes wurde nun für den Erwerb der Staatsangehörigkeit – nebst Mitgliedschaft in die­sem Verein – die Beherrschung der deutschen Sprache verlangt. durch wurden die Deutschkurse des Heimatbundes erheblich Da­ aufgewertet, ja, schließlich wurden auch noch zusätzliche Lehrer benötigt.212 Vor dem deutschen Angriff war, wie bereits erwähnt, der Unterricht an den Schulen unterbrochen worden. Nach Ankunft der deutschen Besatzer waren die slowenischen Schulen geschlossen geblieben, dafür war im neuen Schuljahr eine Reihe deutscher Schulen eröffnet worden. Statt des klassischen Gymnasiums entstand nun die „Kernstock-Oberschule“. So blieben in Marburg insgesamt fünf Gymnasien und Lehrerbildungsanstalten, fünf Bürger- und Hauptschulen, 13 Berufsschulen, 23 Volkschulen, vier Kindergärten, die Höhere Theologische Schule sowie das Knabenseminar überhaupt geschlossen. Das war natürlich bedrohlich für den Fortbestand der slowenischen Nationalität, doch entsprach dies der neuen, für die Slowenen hoffnungslosen Situation. 211 Tamara Griesser-Pečar, Das zerrissene Volk. Slowenien 1941–1946. Okkupation, Kollaboration, Bürgerkrieg, Revolution, Böhlau: Wien-Köln-Graz 2003, S. 19/20. 212 Stefan Karner, Die deutschsprachige Volksgruppe in Slowenien 1939 –1997. S. 109/110.

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Es war klar, dass jetzt in den deutsch besetzten Gebieten auch keine slowenischen Lehrer mehr unterrichten durften. Vielmehr wurden nun Lehrer und Aushilfskräfte aus der Steiermark und aus dem Reich nach Marburg versetzt – an den Mittelschulen stellten die Pädagogen aus Deutschland bald die Mehrheit.213 Im Übrigen wurden jetzt DeutschLehrgänge für Erwachsene angeboten, die freilich lange Zeit nicht sonderlich erfolgreich waren – sie bekamen erst mehr Zulauf, als Deutsch­ kenntnisse für den Erwerb der „Staatsbürgerschaft auf Widerruf“ notwendig wurden. Mit Dekret vom 1. Mai 1941 hob der Chef der Zivilverwaltung alle Gemeindeverwaltungen in der Untersteiermark auf, die Grenzen der Bezirke wurden vielfach neu gezogen. Jeder Bezirk und jede der drei Städte mit eigenem Statut (Marburg, Cilli/Celje und Pettau/Ptuj) erhielten je einen politischen Kommissar, der nur dem Chef der Zivilverwaltung verantwortlich war. Politischer Kommissar von Marburg wurde der frühere Bezirkshauptmann von Graz-Land, Fritz Knaus. Er hatte in der Stadt die staatliche Verwaltung unter sich – bis auf die Polizei. Die Deutschen hatten ihre eigene Beamtenschaft mitgebracht – Slowenen gab es in ihren Reihen nur wenige. Sie bekleideten meist untergeordnete Ämter. Doch auch die ortsansässigen Deutschen wurden nicht gerecht berücksichtigt – sie fanden sich allenfalls auf der mittleren Ebene wieder. Die meisten höheren slowenischen Beamten wurden entlassen, zum Teil ausgewiesen. Nur wenige Bürgermeister wurden im Amt belassen – mit dem ausdrücklichen Auftrag an sie und ihre Verwaltungen, die rasche Fortentwicklung des Deutschtums zu unterstützten. So wurde zum Beispiel Dr. Šiška, Bezirkshauptmann von Marburg, über Nacht aus dem Amt entfernt, womit er auch das Recht auf eine Rente verlor. Innerhalb von 24 Stunden musste er mit seiner Familie das slowenische Gebiet verlassen. Als persönliche Habe 213 Karner, Die deutsche Volksgruppe, S. 91, und derselbe, Die Steiermark im Dritten Reich, 1938  –1945, Graz-Wien 1986, S.136/137.

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durfte er nur Wäsche mitnehmen – sein deutscher Nachfolger besetzte ungeniert die samt Mobiliar zurückgelassene Wohnung. Bald erwies es sich, dass in der Untersteiermark die fanatischsten Nationalsozialisten an die Führungsstellen gelangten, die ihrem vorauseilenden Ruf brutaler Rücksichtslosigkeit alle Ehre machten. Am 1. Juli 1941 wurden aus zwölf Land- und drei Stadtbezirken sechs Landkreise und ein Stadtkreis geschaffen. So entstanden der Kreis Marburg-Stadt mit 68.202 Einwohnern sowie der Kreis Mar­ burg-Land mit 111.420 Einwohnern (samt den beiden Städten Windisch-Feistritz/Slovenska Bistrica und Windischgrätz/Slovenj Gradec). Im Januar 1942 lösten in den Landkreisen Landräte die Bezirkshaupt­ leute ab, Marburg bekam einen Oberbürgermeister.214 Es war nur folgerichtig, wenn die Nationalsozialisten in Marburg nun darangingen, die Wirtschaftsbasis der Slowenen in der Stadt systematisch zu zerstören. Zahlreiche Geschäftsleute wurden eingesperrt oder deportiert, ihr Vermögen wurde eingezogen. Die Industrieunternehmen wurden jedoch, oft unter neuer Führung und, soweit es sich um slowenische Unternehmer handelte, unter neuer Inhaberschaft am Leben erhalten. Schon gleich nach Beginn der Okkupation hatten die Machthaber angeordnet, dass Industrie- und Gewerbebetriebe weiter in Funktion bleiben und die Beschäftigten an ihren Plätzen weiterarbei­ ten müssten. Im Übrigen wurden nun in der gesamten Untersteiermark vier Arbeitsämter gegründet, davon eines in Marburg (weitere gab es in Cilli, Pettau und Rann/Brežice), die zuständig waren für den Einsatz der Beschäftigten, die Überwachung der Arbeitsdisziplin, die Lohnfestsetzungen und die mögliche Unterstützung bei etwaiger Ar­beits­losigkeit. Doch hatten diese Ämter auch ein Mitspracherecht bei Bau- und Gewerbebewilligungen. Außerdem leisteten sie Hilfe bei der Rekrutierung von Wehrpflichtigen für die „Wehrmannschaft“, die im Rahmen des Steirischen Heimatbundes organisiert war und in die 214 Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 140.

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der ta g , a l s hi t l er k a m

Mobilisierung für die deutsche Armee mündete. Es handelte sich dabei um eine Zwangsmobilisierung von Bewohnern eines okku­ pierten Gebietes, die nach dem Völkerrecht eindeutig rechtswidrig war.215 Am 24. März 1942 gab der Chef der Zivilverwaltung zwei Verord­ nungen heraus: eine über die Einführung des Wehrrechts in der Untersteiermark und eine über die Einführung des Reichsarbeitsdienstes. Die erste hiervon betroffene Gruppe in der Stadt, bestehend aus 211 jungen Männern – Deutschen wie Slowenen – wurde am 22. Juli 1942 zur Wehrmacht einberufen. In der ganzen Untersteiermark wurden 28.000 Mann eingezogen, nur wenige kamen freiwillig. Bis Mai 1943 waren es 45.000 bis 50.000 Männer, die entweder der Armee zugewiesen oder zu öffentlichem Dienst verpflichtet worden waren. Vor allem die unterdrückten Slowenen empfanden es als Krönung der Rücksichtslosigkeit, dass den Unterdrückten nun auch noch zugemutet wurde, auf der Seite ihrer Unterdrücker „für das Vaterland“ zu kämpfen und dafür sogar ihr Leben einzusetzen. Obwohl bis jetzt keine genaue Gesamtzahl der Gefallenen festgestellt werden konnte, kann der Evidenzliste des Steirischen Heimatbundes, die bis Mai 1944 erhalten blieb, entnommen werden, dass bis dahin 259 Eingezogene aus der Stadt Marburg und 397 aus deren Umland im Krieg ihr Leben ließen. Viele andere erlitten schwere Verwundungen, kamen mit amputierten Armen und Beinen oder oft lebenslang andauernden Leiden nach Hause. Im Jahr 1943 fielen 57,14 Prozent der Eingezogenen aus der Stadt und 77,08 Prozent der Rekrutierten aus der Umgebung Marburgs.216 Gegen Ende des Krieges wurden viele Arbeiter aus den nicht kriegswichtigen Betrieben abgezogen und in die Rüstungsindustrie ver­ 215 Dieter Blumenwitz, Okkupation und Revolution in Slowenien (1941–1946), S. 66. 216 Marjan Žnidarić, „Nemška mobilizacija na slovenskem Štajerskem“, in: Nemška mobilizacija Slovencev v drugi svetovni vojni, ed. Marjan Žnidarič, Jože Dežman, Ludvik Puklavec, Celje 2001, S. 49 und S. 104–106.

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setzt, weil dort ein extremer Mangel an Arbeitskräften herrschte. Doch schon zuvor, bereits 1941, hatten die Deutschen eine besondere Dringlichkeit auf den Aufbau kriegswichtiger Industrien auch in der Steiermark gelegt. So wurden die Flugmotorenwerke Ostmark gegründet, die ihren Hauptsitz in Wiener Neudorf bei Wien hatten und nun ihr Zweigwerk in Graz nach Marburg verlegten. In ihm wurden Luftschrauben einschließlich der Verstellgetriebe hergestellt. Noch im Jahr 1941 wurde die Fabrik in den Konzern der „Vereinigten Deutschen Metallwerke“ eingegliedert. Mitte 1942 waren hier 7.105 Menschen beschäftigt, davon 4.278 in der Produktion, der Rest war mit dem weiter fortschreitenden Bau der Fabrikhallen befasst. Ab 1943 musste die Produktion wegen möglicher Bombardierungen großteils in neu erbaute Bunker verlegt werden – über eine Fläche von 8.512 Quadratmetern. In der Tat störten die Bomben der Alliierten den weiteren Fortgang der Produktion erheblich. 1944 wurde das Werk schwer beschädigt, Arbeiter kamen dabei zu Tode oder wurden schwer verletzt. Anfang 1945 ließ dann auch die Disziplin nach, die Produktion verringerte sich schnell, und es standen nicht mehr genügend Arbeitskräfte zur Verfügung. Ohnehin waren es jetzt ja nur noch wenige Wochen bis zum Ende des nationalsozialistischen Spuks. Als die Kapitulation der Deutschen erfolgte, war das einst stolze Werk zum größten Teil zerstört. Die düstere Zeit der deutschen Besatzung war jedoch auch von einer besonderen Art des Terrors geprägt: Die Okkupanten nahmen, vor allem als Drohung und Vergeltung für Aktivitäten der Partisanen, immer wieder Geiseln. In der ganzen Untersteiermark wurden während der Besatzungszeit 1.590 Geiseln erschossen, davon 689 im Gefängnishof von Marburg. Bezieht man das ganze umliegende Gebiet der Stadt mit ein, wurden hier 760 Geiseln umgebracht, 268 davon stammten aus der Stadt. Die meisten Geisel-Erschießungen erfolgten in den ersten beiden Kriegsjahren. Aber noch im Frühjahr 1945, kurz vor dem Ende des Krieges und der Okkupation, wurden 279

bombenn ä c h t e

in Marburg und in Unterputsgau rund 360 Geiseln „hingerichtet“.217 Zahlreiche Angehörige und Freunde der getöteten Geiseln und Partisanen wurden festgenommen und in Konzentrationslager eingeliefert. Heute steht in der Marburger Altstadt ein Denkmal für die Ermordeten.

Bombennächte: Marburg – meistzerstörte Stadt in Jugoslawien Ein Kapitel makabrer Tragik bildet jedoch vor allem das Schicksal der slowenischen Marburger, das ihnen ausgerechnet von jenen zugefügt wurde, die schließlich als ihre Befreier auftreten sollten. Denn Marburg, von der deutschen Besatzung unterdrückt, hatte nun auch noch die alli­ ierten Luftangriffe auszuhalten, die zwar den Besatzern galten, jedoch die Stadt und ihre Bevölkerung aufs Schlimmste trafen. 484 Einwohner der Stadt kamen zu Tode. Am Ende war Marburg sogar die meistzer­ störte Stadt in Jugoslawien. Das lag natürlich an der Industrie, vor allem an der Rüstungsindustrie, die von den Alliierten ins Visier genommen werden musste – doch ist die Frage auch nicht einfach abzuweisen, wie es zu solch verheerenden Zerstörungen zahlloser ziviler Bauten kommen konnte. Eine Sorgfalt, sogenannte Kollateralschäden zu vermeiden, war kaum erkennbar, vielmehr schien es, als fielen die Alliierten über Marburg fast ebenso flächendeckend her wie über zahlreiche Städte in Deutschland. 47 Prozent aller Gebäude der Stadt wurden ver­nich­ tet. Vom 9. September 1942 bis zum 25. April 1945 gab es 268-mal Luftalarm. Insgesamt war Marburg das Ziel 29 schwerer Bombenan­ griffe, bei welchen Amerikaner und Briten 15.795 Bomben abwarfen. 217 Žnidarič, „Maribor med okupacijo“, S. 423/424. Faksimile der Bekanntmachung durch SS-General Erwin Rösener in deutscher und slowenischer Sprache.

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in Marburg und in Unterputsgau rund 360 Geiseln „hingerichtet“.217 Zahlreiche Angehörige und Freunde der getöteten Geiseln und Partisanen wurden festgenommen und in Konzentrationslager eingeliefert. Heute steht in der Marburger Altstadt ein Denkmal für die Ermordeten.

Bombennächte: Marburg – meistzerstörte Stadt in Jugoslawien Ein Kapitel makabrer Tragik bildet jedoch vor allem das Schicksal der slowenischen Marburger, das ihnen ausgerechnet von jenen zugefügt wurde, die schließlich als ihre Befreier auftreten sollten. Denn Marburg, von der deutschen Besatzung unterdrückt, hatte nun auch noch die alli­ ierten Luftangriffe auszuhalten, die zwar den Besatzern galten, jedoch die Stadt und ihre Bevölkerung aufs Schlimmste trafen. 484 Einwohner der Stadt kamen zu Tode. Am Ende war Marburg sogar die meistzer­ störte Stadt in Jugoslawien. Das lag natürlich an der Industrie, vor allem an der Rüstungsindustrie, die von den Alliierten ins Visier genommen werden musste – doch ist die Frage auch nicht einfach abzuweisen, wie es zu solch verheerenden Zerstörungen zahlloser ziviler Bauten kommen konnte. Eine Sorgfalt, sogenannte Kollateralschäden zu vermeiden, war kaum erkennbar, vielmehr schien es, als fielen die Alliierten über Marburg fast ebenso flächendeckend her wie über zahlreiche Städte in Deutschland. 47 Prozent aller Gebäude der Stadt wurden ver­nich­ tet. Vom 9. September 1942 bis zum 25. April 1945 gab es 268-mal Luftalarm. Insgesamt war Marburg das Ziel 29 schwerer Bombenan­ griffe, bei welchen Amerikaner und Briten 15.795 Bomben abwarfen. 217 Žnidarič, „Maribor med okupacijo“, S. 423/424. Faksimile der Bekanntmachung durch SS-General Erwin Rösener in deutscher und slowenischer Sprache.

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Abbildung 30: Im Bombenkeller in der Kopitarjeva uliva 6, 1944

Abbildung 31: Von alliierten Bomben getroffen: Marburger Allgemeine Baugesellschaft Stahlhoch- und Brückenbau

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Abbildung 32: Zerstörte Häuserfront an der Kopitarjeva-Gasse

Dies ereignete sich allerdings erst in den letzten 15 Mo­naten vor Kriegs­ ende, obwohl das Unheil schon längst befürchtet und erwartet worden war. Zahlreiche zerstörte Betriebe und 2.360 zerbombte (davon 488 total vernichtete) Wohnhäuser bildeten schließlich, nach der deutschen Kapitulation, die Kulisse für die Befreiungsfeiern im Mai 1945.218 Der 7. Januar 1944 wird wohl allen Marburgern, die damals in der Stadt gewesen waren, bis zu ihrem Lebensende in furchtbarer Erinnerung geblieben sein. Damals folgte dem schon zuvor oftmals abgegebenen Luftalarm erstmals ein wirklicher Angriff. Eine Staffel von Bombern donnerte über die Stadt, die ohrenbetäubenden Einschläge dröhnten unheimlich in die mit bangenden und zitternden Menschen gefüllten Luftschutzkeller. Als die Marburger nach der Entwarnung wieder ins Freie traten, war Marburg nicht mehr Marburg, Maribor 218 Žnidarič, „Maribor med okupacijo, S. 437/438; Mateja Čoh, „Maribor v času druge svetovne vojne“, Studia Historica Slovenica, 2006, S. 526/527.

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Abbildung 33: Die niedergebombte Südbahnwerkstatt von Maribor

nicht mehr Maribor: Die ganze Strecke von der Triesterstraße bis zum Flugmotorenwerk Ostmark sowie das ganze Gebiet bis Freen/Brezje hatte sich in eine Landschaft von Ruinen und rauchenden Trümmern verwandelt. Wie man später erfuhr, waren 51 Flugzeuge an dem Angriff beteiligt. Sie hatten 276 Bomben abgeworfen. Danach gab es bis Oktober 1944 zwar keine Angriffe mehr, wohl aber 79-mal Luftalarm, weil immer wieder amerikanische Bomber die Stadt überflogen. Am 14. Oktober folgte der nächste Großangriff. Ziele waren der Hauptbahnhof und die Eisenbahnbrücke, aber auch auf rein zivile Flächen und Gebäude fielen Bomben – vom Volksgarten (Ljudski vrt) bis nach Melling, schließlich auch in der Stadtmitte. Am Abend des 21. Oktober wurden die Eisenbahnbrücke und der Bahnhof von Brunn­ dorf zerstört, damit aber auch die ganze Gegend in Mitleidenschaft ge­zogen. Insgesamt gab es im Jahr 1944 elf Großangriffe, dazu kamen noch etliche Tiefflieger-Attacken. Und jetzt hörte es nicht mehr auf: Den ganzen November über löste in kurzen Abständen ein Angriff den 283

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anderen ab. So warfen am 7. November 200 Flugzeuge 1.350 Bomben auf Marburg ab. Verheerend war vor allem der Angriff vom 19. November – 24 Flugzeuge deckten die Stadt mit 127 Bomben ein. Jetzt wurden auch öffentliche Gebäude und historische Bauten beschädigt, teilweise zerstört, wie etwa die Franziskanerkirche, das Bahnhofsgebäude und das Schloss. Im Dezember attackierten die Alliierten dann die Luftabwehrstellungen der Deutschen. Kurz vor Jahresende übersäten 120 Flugzeuge die Stadt mit 1.000 Bomben. Und auch noch im Februar 1945 gab es schwere Luftangriffe, bei welchen alle drei Eisenbahn­ stationen und weitere Industrieanlagen zerbombt wurden. Auch bei diesen Angriffen wurden zivile und öffentliche Gebäude getroffen. Am 1. April dieses letzten Kriegsjahres, wenige Wochen vor der deutschen Kapitulation, wurden noch die Eisenbahnbrücke und die Hauptbrü­cke zerstört.219

Der schwierige Widerstand: Partisanen und Verbände Die Frage, wo und in welchem Maße die Slowenen Widerstand gegen ihre Besatzer und Unterdrücker geleistet hätten, ist nicht leicht zu beantworten. Sicher ist, dass der Widerstand in der deutschen Besatzungs­ zone wesentlich schwerer zu organisieren war als in der italienischen – also in Krain und im Küstengebiet. Denn die nationalsozialis­tische Okkupation war nicht nur ungleich härter und in ihrer Brutalität konsequenter als die faschistische – die Deutschen hatten schon zu Beginn der 219 Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938–1945, Graz 1986, S.164/165; Žnidarič, S. 437/438; Mateja Čoh, „Maribor v času druge svetovne vojne“, S. 526/527.

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anderen ab. So warfen am 7. November 200 Flugzeuge 1.350 Bomben auf Marburg ab. Verheerend war vor allem der Angriff vom 19. November – 24 Flugzeuge deckten die Stadt mit 127 Bomben ein. Jetzt wurden auch öffentliche Gebäude und historische Bauten beschädigt, teilweise zerstört, wie etwa die Franziskanerkirche, das Bahnhofsgebäude und das Schloss. Im Dezember attackierten die Alliierten dann die Luftabwehrstellungen der Deutschen. Kurz vor Jahresende übersäten 120 Flugzeuge die Stadt mit 1.000 Bomben. Und auch noch im Februar 1945 gab es schwere Luftangriffe, bei welchen alle drei Eisenbahn­ stationen und weitere Industrieanlagen zerbombt wurden. Auch bei diesen Angriffen wurden zivile und öffentliche Gebäude getroffen. Am 1. April dieses letzten Kriegsjahres, wenige Wochen vor der deutschen Kapitulation, wurden noch die Eisenbahnbrücke und die Hauptbrü­cke zerstört.219

Der schwierige Widerstand: Partisanen und Verbände Die Frage, wo und in welchem Maße die Slowenen Widerstand gegen ihre Besatzer und Unterdrücker geleistet hätten, ist nicht leicht zu beantworten. Sicher ist, dass der Widerstand in der deutschen Besatzungs­ zone wesentlich schwerer zu organisieren war als in der italienischen – also in Krain und im Küstengebiet. Denn die nationalsozialis­tische Okkupation war nicht nur ungleich härter und in ihrer Brutalität konsequenter als die faschistische – die Deutschen hatten schon zu Beginn der 219 Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938–1945, Graz 1986, S.164/165; Žnidarič, S. 437/438; Mateja Čoh, „Maribor v času druge svetovne vojne“, S. 526/527.

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Okkupation unzählige nationalbewusste, möglicherweise zum aktiven Widerstand bereite Slowenen eingesperrt, zum Teil in Konzentrationslager eingewiesen, nach Serbien und Kroatien deportiert oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland abkommandiert. In Marburg als dem Hauptsitz der deutschen Okkupationszone in der Untersteiermark war die Lage noch schwieriger als in der übrigen Untersteiermark. Zu all dem kamen mit den Besatzern noch viele Reichsdeutsche aus dem Gebiet des früheren Österreich in die Stadt und schufen so ein erdrückendes Übergewicht in der Bevölkerung. Aber es darf auch nicht verschwiegen werden, dass es selbst unter den Slowenen nicht wenige gab, die die Besatzer zunächst – teils begeistert, teils leicht sympathisierend – begrüßt hatten und denen es am Anfang dieser Besatzungszeit materiell tatsächlich besser ging als zuvor. Doch schon bald sorgten die radikalen, völlig empfindungslosen Maßnahmen gegen die Bevölkerung und gegen die slowenische Sprache, die Schließung der slowenischen Schulen und Vereine, das Vorgehen gegen Lehrer und Geistliche auch bei ihnen für einen totalen Stimmungsumschwung. Schon im April gab es mehrere unkoordinierte Aktionen Jugendlicher gegen die Besatzer. So wurden zum Beispiel deutsche Aufschriften auf Straßenschildern und Gebäuden entfernt oder übermalt. Ende April wurden zwei deutsche Autos in Brand gesetzt, woraufhin einige Jugendliche verhaftet und in die Kaserne nach Melling gebracht wurden. Sie wurden dort verhört und gefoltert, dann aber nach einigen Tagen doch wieder auf freien Fuß gesetzt. Was die Kommunisten anlangt, die nach dem Eindruck, den die spätere Regime-Geschichtsschreibung erweckte, von Anfang an die nahezu geborenen Widerstandskämpfer gewesen sein sollen, so gab es von ihnen in der Steiermark kurz vor dem Krieg rund 500, die propagandistisch aktiv waren – in Marburg waren es etwa 120. Die Okkupation traf sie zunächst nicht in besonderem Maße. Zwar gerieten einige Mitglieder der Kommunistischen Partei nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee in die deutsche Kriegsgefangenschaft, manche wurden im Zuge der Massenverhaftungen im April 1941 (wie viele 285

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andere Slowenen auch) festgenommen, doch richteten sich die Maßnahmen der deutschen Besatzer gar nicht in erster Linie gegen die Kommunisten, sondern gegen jene Slowenen, die wegen ihrer nationalen Einstellung aufgefallen waren. In dieser Hinsicht aber hatten sich die Kommunisten nie besonders hervorgetan. Außerdem waren die Kommunisten noch an den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 gebunden, weshalb sie verschiedene Aktionen und Sabotagen von Nationalslowenen gegen die Deutschen zunächst sogar verurteilten. Erst nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 beschloss die Kommunistische Partei (KP) bei einem Treffen auf der Drauinsel Gris, nunmehr tätlich gegen die Deutschen vorzugehen, das hieß: Sabotage-Aktionen gegen die Besatzer zu organisieren. Dies war die Stunde von Miloš Zidanšek. Der Kommunist, der 1936 in Belgrad zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war, 1938 nach seiner Entlassung beim Bäcker Scherbaum in Maribor gearbeitet und hier Streiks und Demonstrationen organisiert hatte, bis er zum jugoslawischen Militärdienst eingezogen wurde, war nach seiner Entlassung aus der Armee wieder nach Marburg zurückgekehrt – mit dem Auftrag der KP, in der Steiermark die „Antiimperialistische Front“ – nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion „Befreiungsfront“ genannt (OF, Osvobodilna fronta) – ins Leben zu rufen. Die Gründungssitzung, an der neben Kommunisten auch Christlich-Soziale teilnahmen, ging am 22. Mai in Kojzice bei Rimske Toplice/Römerbad vonstatten. Marburg wurde zum Sitz der OF bestimmt. Danach wurden in der Umgebung Marburgs mehrere Ortsausschüsse gebildet, in der Stadt wurde ein Kreisausschuss etabliert. Jetzt organisierte und leitete Zidanšek, auch Mitglied der Militärkommission des Zentralkomitees der KP Sloweniens, bis Ende 1941 die sogenannte „Volksbefreiungsbewegung“ in der Untersteiermark. Bereits Ende April gründete er in Marburg auch eine Militärkommission der KP für den slowenischen Norden. Die Volksbefreiungsbewegung stellte nun in der zweiten Hälfte des Juli 1941 auf den Bachern die erste Partisaneneinheit auf. Bis Ende 286

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Juni traten ihr 30 Freiwillige aus Marburg und Umgebung bei. Jedenfalls fand die Volksbefreiungsbewegung im okkupierten Marburg schon wegen der verzweifelten Lage, in der sich die slowenische Bevölkerung befand, zunächst ein großes Echo. Offensichtlich zogen die Slowenen in der Steiermark bis etwa Herbst 1943, vielleicht sogar noch bis zum Sommer 1944, keine scharfe Grenze zwischen den antikommunistisch orientierten Slowenen und jenen, die in der OF organisiert waren. Wichtig allein war der Kampf gegen die Deutschen. Auch unterschied sich am Anfang die Taktik, die in der Steiermark von den Kommunisten eingeschlagen wurde, von jener im italienisch besetzten Gebiet. Die Ziele der Kommunisten wurden hier nicht gleich so offensichtlich wie in der italienischen Besatzungszone. Nach ihrer Vorstellung befand sich die Gesellschaft ja noch in der Phase der sogenannten „bürgerlichen Revolution“, die freilich das Terrain bereiten sollte für den angestrebten Übergang in die „proletarische Revolution“. Ziel der Kommunisten war hier wie dort nicht nur – ja, nicht einmal in erster Linie – die Befreiung vom Okkupator, als vielmehr die Übernahme der politischen Macht nach dem Krieg. Der Sicherheits- und Nachrich­ tendienst VOS („Varnostno obveščevalna služba“), der sich ausschließlich aus Mitgliedern der KP und der Kommunistischen Ju­­ gend­organisation SKOJ zusammensetzte, wurde in der Steiermark erst im Frühjahr 1943 organisiert und war unter anderem eine Liquidierungstruppe der Kommunistischen Partei. Die Bevölkerung half dem von den Kommunisten organisierten Widerstand auf vielfache Art und Weise. Krankenschwestern sammelten Sanitätsmaterial für die Partisanen, Ärzte versorgten Kranke, die im Untergrund tätig waren, in verschiedenen deutschen Büros und Unter­ neh­ men wurde Verbindung mit Sympathisanten aufgenommen, die Informationen weitergaben – es gab solche überall: bei der Post, bei den Steuerbehörden, in Gefängnissen, selbst beim Heimatbund, bei der deutschen Versicherung „Südmark“ und sogar bei der Gestapo. Eisenbahner und Arbeiter entwendeten aus verschiedenen Transportzügen – vor allem 287

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in den Bahnhöfen in Studenitz und Thesen – Kriegsmaterial, sammelten Waffen, transportierten insgeheim Menschen, die zu den Partisanen unterwegs waren, halfen aber auch direkt bei Sabotage-Aktionen. In Marburg selbst entstanden mehrere Stützpunkte der OF, an welchen sich die Widerständler trafen. Einige – die wichtigste Station in der Stadt befand sich an der Bahnhofstraße – waren technisch so ausgerüstet, dass die Aktivisten Propagandamaterial herstellen konnten. Doch konnte sich die Befreiungsfront in Marburg nicht ähnlich gut entwickeln wie in der Provinz Ljubljana. Zu scharf und zu umsichtig waren hier die deutschen Kontrollen. Schließlich gelang es den Besatzern bereits bis Ende 1941, den Großteil der Organisation zu zerschlagen, sodass der Widerstand nahezu zum Erliegen kam. Alle führenden Kommunisten, die gestellt werden konnten, wurden verhaftet, zum Teil sofort hingerichtet. So wurde am 7. August 1941 in Maribor auch Slavko Šlander, der Sekretär des Parteikomitees der Steiermark, festgenommen und am 24. August erschossen. Viele, die nicht aufgespürt wurden oder der Verhaftung entkommen konnten, verließen die Stadt und schlossen sich den Partisanen an. Auch Miloš Znidanšek konnte die Stadt gerade noch rechtzeitig verlassen. An dem Desaster der Marburger Befreiungsfront waren freilich nicht nur die schlechteren Verhältnisse in der deutschen Besatzungs­ zone schuld sowie der wirksame deutsche Repressionsapparat, sondern auch manche Leichtfertigkeit, mit der verschiedene Kommunisten agierten und sich damit nicht nur selbst in Gefahr brachten, sondern auch alle anderen, die den Kampf gegen den Okkupator unterstützten. Viel zu viele Aktivisten hielten sich nämlich gleichzeitig gemeinsam an verschiedenen Stützpunkten in der Stadt auf und verletzten auch durch zu viel demonstrierte Offenheit die einfachsten Regeln der Konspira­ tion. Dann zwang die Gestapo einige Verhaftete zur Kollaboration. Dabei wirkte sich besonders verheerend der Verrat des am 27. September 1941 verhafteten Sekretärs des Marburger Kreiskomitees, Alojz Zorko, aus. Er gab den Nazis entscheidende Hinweise auf die gesamte 288

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Organisation der KP, der Jugendorganisation SKOJ und der Befreiungsfront. So musste die Widerstandsbewegung (KP und OF) im Frühjahr 1942 neu aufgebaut werden – und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ein solcher Neu-Aufbau nötig wurde. In Marburg begann die OF jetzt damit, Hilfeleistungen für die Angehörigen von Verhafteten und Partisanen zu organisieren. Hierfür wurde Kontakt zu den Partisanen auf den Bachern hergestellt. Doch wurde Tone Grčar, der dieses Vorhaben leitete, im November 1942 in Cilli verhaftet und umgehend hingerichtet. Das war ein erneuter Schlag für die Widerstandsbe­ wegung der Stadt. Zu alledem wurde Anfang Januar 1943 auch das I. Bachern-Partisanenbataillon von den Deutschen aufgerieben. Alle Männer des Bataillons fanden den Tod – bis auf einen, der später doch noch erschossen wurde. Schon vier Monate danach wurde ein zweites Bataillon aufgestellt, dem sich viele aus der Wehrmacht geflohene Zwangsmobilisierte anschlossen. Schließlich gab es im Herbst einen weiteren Anlauf, um die KP und die Befreiungsfront neu aufzubauen. Bis 1944 war Dušan Špindler Sekretär der Partei und Sekretär der Befreiungsfront in einer Person. Er war gerade aus dem Konzentrationslager Mauthausen zurückgekommen. Ihm folgte Maks Gašparič. Aber schon rollte eine neue Verhaftungswelle in Marburg und Umgebung heran – vom September bis Ende November 1943 –, während welcher wieder viele Festgenommene ins Marburger Gefängnis geworfen, gefoltert oder erschossen, zum Teil auch in Konzentrationslager abtransportiert wurden. Nun aber wurde in der OF nach Schuldigen in den eigenen Reihen gesucht, bis es zum Zerwürfnis zwischen der Kreisleitung des Widerstands in Marburg und dem Partisanenbataillon auf den Bachern kam. Das Kommando der Partisanen verdächtigte Špindler sogar, im Nordosten Sloweniens an der Organisation der sogenannten „Blauen Garde“ – das waren die „Tschetniks“ oder, wie sie offiziell hießen, die „Jugoslawische Armee in der Heimat“ – beteiligt gewesen zu sein. Die Aus­ 289

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einandersetzungen eskalierten in der sogenannten „Bachern-Affäre“ („Pohorska afera“), die zahlreiche Opfer in den Reihen der Widerstands­ kämpfer zur Folge hatte. So wurden am 4. März 1944 auf einem Hof in Lehn acht Partisanen und neun Mitglieder der Bachern-Partisanen­ einheit von den eigenen Leuten liquidiert. Die Affäre beschäftigte auch das Zentralkomitee der KPS. Die Folge war die Absetzung einiger führender Mitglieder des steirischen KP-Provinzkomitees.220 Indessen gab es in der Untersteiermark außerhalb der Befreiungsfront und der Partisanen auch noch andere Widerstandsgruppierun­ gen aus unterschiedlichen Lagern und unterschiedlicher Weltanschauungen. Die meisten fanden jedoch nicht die nötige Effektivität und Geschlossenheit, sodass es bei einzelnen Aktionen blieb. Die bekanntes­ te, vielleicht sogar einzig wirksame nicht-kommunistische Widerstandsgruppe war die Tschetnik-Organisation von Jože MelaherZmagoslav in den Windischen Büheln. Die Tschetniks, vollauf antikommunistisch orientiert, kämpften nicht auf der Seite der Partisanen, wohl aber immer wieder gegen die Deutschen. Melaher wurde im Oktober 1942 von der Gestapo verhaftet, konnte flüchten und begann im Untergrund slowenische Deserteure aus der deutschen Armee zu sammeln, mit welchen er eine Tschetnik-Truppe aufstellte. Melahers Einheit zählte im März 1944 220 Mann. Im Frühjahr 1944 wurde die Arbeit der Tschetniks jedoch durch Verräter in den eigenen Reihen stark gestört, sodass einige Stützpunkte des Widerstands aufgedeckt wurden. Im Juli 1944 erschossen die Besatzer vier führende Mitglieder, daher blieb der Kreisausschuss der Befreiungsfront vorerst ohne Führung. Der Mann, der die Hingerichteten nun vertreten sollte, wurde gleichfalls nach wenigen Tagen festgenommen – und arbeitete von nun an mit der Gestapo zusammen. Außerdem schlug der neue Kommandant des Sicherheitsdienstes, Kurt Stage, einen neuen perfiden Strategiekurs ein. Unter dem Zeichen der 220 Siehe mehr dazu: Jurij Štesl, Pohorska afera, Ljubljana 2009.

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„Schwarzen Hand“ – in der Provinz Ljubljana versteckten sich dahinter kleinere, geheime terroristische Gruppierungen – ließ er Anhänger der Befreiungsfront gezielt umbringen und erweckte dadurch den Eindruck, dass slowenische Gegner der Befreiungsfront deren slowenische Anhänger ermordeten. Und wieder musste die Organisation auf neue Beine gestellt werden, inzwischen zum vierten Mal. Ende September 1944 wurden in der Untersteiermark Kreisausschüsse der Befreiungsfront völlig neu organisiert. Aus sieben entstanden fünf Kreisausschüsse, einer davon in Marburg. Die Führung blieb außerhalb der Stadt, meistens hielt sie sich auf den Bachern auf und schickte von Fall zu Fall ihre Mitglieder in die Stadt, um dem Bezirksausschuss der OF Maribor-Stadt beizuspringen. Im Herbst 1944 war das Ende des Krieges abzusehen. Am 18. Oktober wurde der Deutsche Volkssturm gebildet, ein militärischer Verband, der nicht Teil der Wehrmacht war, aber die Wehrmacht bei der Verteidigung der Ortschaften unterstützen sollte. Am 25. Oktober verkündete der Chef der steirischen Zivilverwaltung die Mobilisierung, und drei Tage später wurden schon die ersten Marburger in den Volkssturm eingezogen. Viel war nun aber nicht mehr auszurichten. Auch die Disziplin ließ in diesen letzten Kriegsmonaten stark nach, und im April 1945 fingen die Männer nacheinander an, den Volksturm einfach zu verlassen. In den letzten Monaten vor Kriegsende trat vor allem die Jugend­ organisation SKOJ mit verschiedenen Aktionen hervor. So verteilten die Mitglieder in der ganzen Stadt Flugblätter, was noch ein tragisches Todesopfer kurz vor der Befreiung forderte. Die Bezirkssekretärin der SKOJ, Marica Kerenčič, wurde verhaftet und sofort erschossen. Und noch einmal lief im März 1945 eine unnachsichtige Verhaftungswelle an. Kurz vor Kriegsende trafen sich dreißig Widerständler auf dem Poßruck/Kozjak, wo nun die ersten Vorbereitungen für die Zeit nach der Okkupation getroffen wurden. Der „Volksschutz“ sollte zunächst die Polizei und die Armee ersetzen, bei der Verhaftung der Gegner helfen und den neuen Politikern die Machtübernahme in der Stadt erleichtern. 291

„ B efreiung “ oder neue D ik tat ur ?

Noch einmal zog in den letzten Wochen des Kriegs die sich zurückziehende deutsche Armee durch die Stadt. Aber es gab keine Kämpfe mehr um Maribor. Die meisten deutschen Soldaten und Zivilisten verließen die Stadt bis zum 8. Mai, dem Tag der deutschen Kapitulation, die letzten am 9. Mai morgens. Die Deutschen hatten noch alle Maßnahmen getroffen, um die drei Brücken der Stadt – die Eisenbahnbrücke bei Melling, die Hauptbrücke vom Hauptplatz zum rechten Drauufer und die Notbrücke aus Holz –, die sie ja in der Zeit der Besatzung wiederaufgebaut hatten, zu sprengen. Dies aber konnte durch Vermittlung einiger kommunistischer Untersteirer, die sowohl zu den Partisanen als auch zu Rittmeister Armienstätt vom Kommando „Schutzgebiet Südsteiermark“ guten Kontakt hatten, verhindert werden.221 Bereits im April 1945 wurde in Črnomelj/Tschernembl das künftige Militärkommando der Stadt bestimmt, bestehend aus Offizieren der Partisanenarmee. Zum Kommandanten wurde Štefan Pavšič bestellt, der bis dahin Kommandant in Weißkrain und Mitglied der Opera­tions­ abteilung des Hauptstabs der slowenischen Partisanenarmee ge­­wesen war.

„Befreiung“ oder neue Diktatur? – Marburg in der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien (FLRJ) 1945 –1990 Der Abzug der deutschen Besatzungstruppen, die daraufhin einsetzende massenhafte Abwanderung der Deutschen aus dem slowenischen Gebiet und die Kapitulation Hitler-Deutschlands waren für die Slowenen in Marburg und in der Untersteiermark, erst recht für alle, die jetzt 221 Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 253.

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Noch einmal zog in den letzten Wochen des Kriegs die sich zurückziehende deutsche Armee durch die Stadt. Aber es gab keine Kämpfe mehr um Maribor. Die meisten deutschen Soldaten und Zivilisten verließen die Stadt bis zum 8. Mai, dem Tag der deutschen Kapitulation, die letzten am 9. Mai morgens. Die Deutschen hatten noch alle Maßnahmen getroffen, um die drei Brücken der Stadt – die Eisenbahnbrücke bei Melling, die Hauptbrücke vom Hauptplatz zum rechten Drauufer und die Notbrücke aus Holz –, die sie ja in der Zeit der Besatzung wiederaufgebaut hatten, zu sprengen. Dies aber konnte durch Vermittlung einiger kommunistischer Untersteirer, die sowohl zu den Partisanen als auch zu Rittmeister Armienstätt vom Kommando „Schutzgebiet Südsteiermark“ guten Kontakt hatten, verhindert werden.221 Bereits im April 1945 wurde in Črnomelj/Tschernembl das künftige Militärkommando der Stadt bestimmt, bestehend aus Offizieren der Partisanenarmee. Zum Kommandanten wurde Štefan Pavšič bestellt, der bis dahin Kommandant in Weißkrain und Mitglied der Opera­tions­ abteilung des Hauptstabs der slowenischen Partisanenarmee ge­­wesen war.

„Befreiung“ oder neue Diktatur? – Marburg in der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien (FLRJ) 1945 –1990 Der Abzug der deutschen Besatzungstruppen, die daraufhin einsetzende massenhafte Abwanderung der Deutschen aus dem slowenischen Gebiet und die Kapitulation Hitler-Deutschlands waren für die Slowenen in Marburg und in der Untersteiermark, erst recht für alle, die jetzt 221 Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 253.

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Abbildung 34: Umjubelter Empfang in Maribor: Josip Broz Tito am 31. Mai 1945

aus anderen Ländern, in welche sie deportiert worden waren, zurückkehrten, Anlass zu Freudenfesten, Hoffnungen und Zukunftsplänen. Ungetrübt war der Frohsinn über die Niederlage der Unterdrücker jedoch nicht, denn in den Jubel über die „Befreiung“ mischten sich bei vielen die Sorge um die Entwicklung der neuen Ordnung in Europa und die Furcht, diese vermeintliche Befreiung könnte am Ende nur die Befreiung von einem alten Übel zugunsten eines neuen Übels sein – man hatte ja schon zu viel desgleichen erlebt. Nachdem der Antifaschistische Rat der Volksbefreiung J­ ugoslawiens („Antifasističko veće narodnog oslobođenja Jugoslavije“, AVNOJ) in ein provisorisches Parlament umgewandelt worden war und sich die Kommunistische Partei unter Tito ein Organ geschaffen hatte, das zunächst auch für nicht-kommunistische Politiker offen zu sein schien (was indes ein gewolltes Trugbild war), brachten im November 1945 die ersten Wahlen in Jugoslawien der Volksfront eine überragende Mehrheit von 88 Prozent. Wenige Tage später wurde die Republik ausgerufen, 293

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die ab 31. Januar 1946 „Föderative Volksrepublik Jugoslawien“ heißen sollte. Der Partisanen-Marschall Tito hatte für all dies schon sehr früh die Geleise gelegt: schon auf der ersten AVNOJ-Konferenz 1942 in Bihać, erst recht auf der zweiten im November 1943 in Jajce, mittels einer Scheinfusion der provisorischen Tito-Regierung mit dem jugoslawischen Exilkabinett, schließlich mit der Umwandlung des AVNOJ in ein Exilparlament, in welchem auch Exilpolitiker Platz nahmen und den Eindruck einer breit angelegten Volksvertretung erweckten. Das war die Plattform, von der aus Tito entschlossen und geschickt die Macht im Staat ergriff, die ganze Macht für die Kommunisten. Diese war nicht für alle Slowenen die Garantie dafür, dass es nun innerhalb des jugoslawischen Staatsverbandes ein relativ autonomes oder gar demokratisches Slowenien geben werde. Indes stand nach den vielen Jahren der Gefahren, Entbehrungen, Vertreibungen, Entwürdigungen und Enteignungen die Hoffnung auf Arbeit, bessere Lebensbedingungen und soziale Absicherung obenan. In der Realität jener Tage des Umbruchs war jedoch das, was die Menschen glaubten, wünschten, hofften oder befürchteten, für die tatsächliche Machtgestaltung im Land und in der Stadt nicht ausschlaggebend. Entscheidend für alles, was nun kommen würde, waren die Macht­ verhältnisse, wie sie zum Teil schon während des Krieges geschaffen worden waren. Slowenien – und mit ihm Marburg und die Untersteiermark – wurde Teil der Föderativen Republik Jugoslawien, wobei, wie bald klar war, die Grenzen Jugoslawiens zur wiedererrichteten Republik Österreich so gezogen würden, wie sie vor dem Anschluss Österreichs ans Reich 1938 bestanden hatten. Nach dem bereits im November 1944 herausgegebenen Erlass des AVNOJ „über die Enteignung und die Konfiskation des gesamten Vermögens der Besatzer und deren Helfer auf dem Gebiet Jugoslawi­ ens“ wurde jetzt auch in der Steiermark das gesamte Vermögen des früheren Deutschen Reichs und seiner Staatsbürger, ferner aller Personen deutscher Volkszugehörigkeit beschlagnahmt sowie „sämtliches Vermö294

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gen von Kriegsverbrechern und ihren Helfershelfern ohne Rücksicht auf ihre Staatsbürgerschaft sowie das Vermögen jeder Person, die durch Urteil der Zivil- und Militärgerichte zum Vermögensverlust zugunsten des Staates verurteilt wurde“. Ausgenommen waren nur jene Deutschen, die in der Volksbefreiungsbewegung und in den Einheiten der Partisanen gekämpft hatten sowie Staatsbürger neutraler Staaten, die sich nicht feindlich verhalten hatten. Den Betroffenen wurden auch die Bürgerrechte aber­ kannt. Nachdem schon im November 1944 eine „Kommission für das beschlagnahmte Vermögen auf slowenischem Gebiet“ berufen worden war, wurde in Slowenien am 6. August 1946 das „Gesetz über die Übertragung feindlichen Vermögens abwesender Personen“ verabschiedet. Ihm zufolge wurde das Vermögen aller Personen deutscher und österreichischer Staatsangehörigkeit konfisziert. Zwischen österreichischen und deutschen Staatsbürgern wurde kein Unterschied gemacht.222 Neben dieser Massenenteignung wurde aber auch die Abschie­ bung der deutschen Bevölkerung beschlossen und zügig in die Tat umgesetzt. Mit diesem Thema hatte sich schon im August 1944 der Gebietsausschuss der OF für die Steiermark („Pokrajinski odbor za Štajersko“) befasst. Zunächst war es darum gegangen, die sogenannten Gottscheer Deutschen zu vertreiben, die früher von den deutschen Machthabern in den Häusern und Wohnungen der nach Serbien und Kroatien deportierten Slowenen angesiedelt worden waren. Dann aber erfasste die groß angelegte Vertreibung auch fast alle anderen Deutsch­ österreicher und Deutschen in Slowenien. Sofort nach der sogenannten „Befreiung“, also in der ersten Maihälfte 1945, wurden die ersten Deutschen sowie Mitglieder des deutschen Okkupationsapparats verhaftet. Zdenko Zavadlav, der damalige stellvertretende Chef der 1. Sektion der Abteilung OZNA (Abteilung für den Schutz des Volkes, „Oddelek za zaščito naroda“) für Steiermark und Kärnten (der später aus dieser Organisation aussteigen und von 222 Tamara Griesser-Pečar, Das zerrissene Volk, S. 546/547.

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den Kommunisten zum Tode verurteilt, dann aber doch begnadigt werden sollte), berichtet, dass damals Verzeichnisse von Personen angefertigt worden seien, die sofort aus der Steiermark ausgesiedelt werden müssten. Zuerst kämen Deutsche an die Reihe, die erst mit der deutschen Besatzung oder nach ihr in die Steiermark gekommen waren, sodann Personen deutscher Nationalität, die Mitglieder des Volksbundes oder Nationalsozialisten waren. Dazu zählten auch diejenigen, die irgendwie in deutsche Organisationen eingebunden waren – z. B. in den Steirischen Heimatbund, die Wehrmannschaft und so fort. Die Verzeichnisse basierten auf Mitgliederverzeichnissen des Kulturbundes und der OZNA. Die Deportationen sollten von OZNA-Offizieren sowie von Angehörigen der „Narodna milica“ (Volksmiliz) und des KNOJ (Korps der nationalen Verteidigung Jugoslawiens, „Korpus narodne obrambe Jugoslavije“) durchgeführt werden. Jeder Ausgewiesene hatte nur eine Stunde Zeit, um das Nötigste zu packen, wobei nur das mitgenommen werden durfte, was der Betreffende tragen konnte – eine Methode, die schon die Nazis angewendet hatten. Geld und Wert­ sachen wurden beschlagnahmt. Sammelstelle war dieselbe Kaserne Melling, die schon 1941 die deutschen Besatzer als Sammelstelle ge­nutzt hatten. Solche Lager gab es auch bei Studenci/Studenitz, Bresternica/ Tresternitz, Kamnica/Gams, Hrastovec (Schloss Gutenhaag), Strnišče/ Stenthal und Teharje/Tüchern. In diesen Lagern blieben die Ausgewiesenen bis September und Oktober 1945. Von dort wurden sie dann nach Österreich abgeschoben. Der oft bittere Witz der Geschichte wollte es, dass im Zuge dieser Aktion beinahe auch Titos Schwiegermutter Priska Haas aus Marburg hinausgeworfen worden wäre. Fast in letzter Minute konnte dies kraft Intervention von ganz oben verhindert werden.223 Einige Hundert Deutsche wurden aber auch in verschiedene Lager in Kroatien und der Vojvodina eingeliefert. 223 Zdenko Zavadlav, Iz dnevniških zapiskov mariborskega oznovca, 1. del: Leto 1945, Založba za alternativno teorijo: Maribor 1990, S. 83/84; derselbe: Pozna spoved. Iz

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Insgesamt wurden in den Jahren 1945 und 1946 aus ganz Slowe­nien 9.474 Volksdeutsche ausgesiedelt. Nur acht Prozent der deutschen Bevölkerung blieben am Ende laut Volkszählung 1931 im Land.224 Dies aber war auch die Zeit spektakulärer Massenhinrichtungen, von Verurteilungen und wilden Tötungen, oftmals nach moralisch und juristisch völlig unzureichenden Prozessen und oberflächlichen oder politisch motivierten Urteilen. Deutsche, „Domobranci“ (Mitglieder der Slowenischen Landeswehr), „Domobrani“, Ustascha-Leute und so fort wurden massenhaft umgebracht. Zahlreiche Opfer hatten sich, wie sich später herausstellte, nichts anderes zuschulden kommen lassen, als dass sie den neuen Machthabern nicht spurgenau auf dem Weg des Kommunismus folgen wollten. Bis jetzt sind in Slowenien etwa 600 Massengräber aufgefunden worden, in welchen die Leichen zahlloser potenzieller Regimegegner, meist als Kollaborateure abgestempelt, entsorgt worden waren. Auch in Maribor wurden nach der Wende mehrere solcher entsetzlicher Massengräber entdeckt – auf den Bachern, in Tezno (Tezno-Bohova) sowie bei Ruše.225 Im Gebiet von Tezno wurde im Mai 1999 beim Bau der Südumfahrung der Stadt ein Teil eines Panzergrabens in der Länge von siebzig Metern geöffnet: 1.179 Skelette konnten geborgen werden, darunter 19 von Frauen. Die dnevnika slovenskega oznovca, Hermagoras: Klagenfurt 2010, S. 171. Herta Haas, eine Studentin aus Maribor, wurde die zweite Frau von Josip Broz Tito. Tito lernte sie während seiner illegalen Tätigkeit im Jahr 1937 kennen. Sie wurde zuerst seine Kurierin und dann seine Frau. 1940 wurde ihr gemeinsamer Sohn Aleksander, genannt Mischa, geboren. Das Paar trennte sich aber schon im Frühjahr 1941. Sie wurde gefangen genommen und landete in einem Ustascha-Lager, aus dem sie auf Titos Wunsch im Rahmen eines Gefangenenaustausches zwischen den Partisanen und den Deutschen im März 1943 befreit wurde. Milovan Djilas, Tito. Eine kritische Biographie, Molden: Wien-München-Zürich-New York 1980, S. 237, S. 257– 261. 224 Milko Mikola, Dokumenti in pričevanja o povojnih izgonih prebivalstva v Sloveniji, Ljubljana 2009, S. 10. 225 Siehe: Poročilo Komisije Vlade Republika Slovenije za reševanje vprašanj prikritih grobišč 2005–2008, ed. Jože Dežman, Družina: Ljubljana 2008, S. 84.

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Überreste wiesen Schussverletzungen auf. An einigen Knochen hingen noch Drähte, mit denen die Opfer festgebunden worden waren. Da die slowenische Regierung, die aus Linksparteien gebildet war, der Autobahngesellschaft den sofortigen Weiterbau gestattete, bleibt unklar, wie viele Leichname in dem Panzergraben liegen, der insgesamt eineinhalb Kilometer lang und einen Meter breit ist. Schätzungen gehen von 15.000 bis 20.000 aus. Auch die Herkunft der exhumierten Opfer bleibt unklar, weil 1945 viele unterschiedliche militärische Einheiten durch den Marburger Raum gezogen waren – Deutsche, Kroaten, Slowenen. Es könnte sich aber auch um Angehörige der deutschen Minderheit handeln. Nach Aussagen von Zdenko Zavadlav waren die unmittelbar Verantwortlichen für die Erstellung der Listen von Personen, die ohne Gerichtsurteil liquidiert werden sollten, der mit der Untersuchung betraute OZNA-Mann, der OZNA-Rechtsdienst, der Chef der KreisOZNA und die OZNA-Zentrale in Ljubljana. Zavadlav selbst nahm an einer solchen Liquidierung auf dem Bacherngebirge teil. Er schilderte später den üblichen Ablauf solcher Aktionen: Die Hinrichtung wurde vom Chef der OZNA aufgrund des genannten Verzeichnisses angeordnet. Die zuständigen OZNA-Offiziere nahmen Verbindung zum KNOJ als dem ausführenden Organ auf, dann wurden Freiwillige für die Exekutionen bestimmt. KNOJ-Soldaten sicherten die Hinrichtungsstätten und hoben die Massengräber aus. Dann fuhr der zuständige OZNA-Offizier in die verschiedenen Lager – Sterntal, Brestanica und so fort – oder in die Gerichtsgefängnisse und holte die Opfer heraus.226 Die Transporte zu den Hinrichtungsstätten waren genau organisiert, wobei die ganze Planung (Ort, Zeitpunkt und Ablauf ) in der Hand der OZNA lag. Einheiten des KNOJ waren 226 Siehe Aussage von Zdenko Zavadlav am 16. 12. 1995 vor der Parlamentarischen Untersuchungskommission und Zdenko Zavadlav, Iz dnevniških zapiskov mariborskega oznovca [Aus den Tagesbuchnotizen eines Mitgliedes der Ozna-Maribor], S. 91–93 (abgedruckt auch im Buch Zamolčani grobovi, S. 106  –110).

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die ausführenden Organe, die auch für den Einsatz von Transportmitteln – in der Regel Lastwagen – zu sorgen hatten. Den Opfern wurden mit Draht – in der Regel Telefondraht – die Hände auf dem Rücken gefesselt, wobei jeweils zwei Personen fest aneinandergebunden wurden. Sie wurden auf die Lastwagen geladen, oft fünfzig oder mehr Menschen, wobei sie fortwährend brutal geschlagen und getreten wurden. Erschossen wurden die Opfer im Mai 1945 noch durch Schüsse aus Maschinengewehren, ab Juni erfolgte die Exekution vorwiegend nach bekannter NKVD-Methode: per Genickschuss. Bei den ersten Transporten durften die Opfer noch angezogen bleiben, danach muss­ ten sie sich ausziehen. Die Kleider wurden nach Ljubljana aufs Messegelände gebracht und dort gelagert. Was die Volksdeutschen anlangt, so konnten viele fliehen, andere wurden gefasst und vom Militärgericht oder Kreisgericht verurteilt. In den Jahren 1945 und 1946 wurden nicht nur Funktionäre der Okkupationsmacht, sondern vornehmlich auch Unternehmer und deren Familienangehörige sowie Adelige abgeurteilt. Im Juni 1945 gab Sloweniens Ministerpräsident Boris Kidrič in einer Rede in Marburg Aufschluss über die Einstellung und das Vorgehen der Kommunisten: „Aus den nördlichen Gebieten müssen die Reste des Deutschtums verschwinden. Es ist unzulässig, dass diese Reste noch auf slowenischer und jugoslawischer Erde spazieren gehen. Diese Leute, die den Schweiß des Volkes ausgesaugt haben, diese Leute, die mithalfen, unser Volk zu versklaven, diese Leute dürfen nicht mehr hierbleiben … Genosse Tito ist uns Gewähr dafür, dass in diesen Gebieten niemals mehr der deutsche Imperialismus regieren wird.“227

227 Vestnik, 12. 6. 1945; Übersetzung nach: Stefan Karner, Die Steiermark, S. 310.

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Trümmer wegräumen für eine neue Zeit Die Abrechnung mit den Gegnern ist freilich nur die eine, unrühm­liche Seite der Medaille des neuen Staates. Die andere zeigt den Versuch, die Stadt Marburg wirtschaftlich wieder auf die Höhe zu bringen und ihr neue Geltung im In- und Ausland zu verschaffen. So wurden gleich nach dem Krieg fürs erste einige organisatorische Neuheiten erprobt: Die angrenzenden Vorstadtgebiete wurden in die Stadt integriert. 1955 wurde Marburg in vier Gemeinden unterteilt, 1962 in zwei, die jedoch 1967 wieder zu einer einzigen Gemeinde zusammengeführt wurden. Als Erstes nach dem Krieg war es ganz logisch, die Industrie wie­ der in Schwung zu bringen und hierfür die nötige Infrastruktur aufzubauen. Neben der kompletten Neuansiedlung von Fabriken und anderen Wirtschaftsbetrieben, von welchen im nächsten Kapitel noch die Rede sein soll, wurde von 1949 bis 1955 der neue Bahnhof errichtet. Und neue Wohnbauten schossen in die Höhe. Die Stadt war ja zu großen Teilen zerstört. 2.290 Gebäude waren schwer beschädigt oder vernichtet worden – das waren 47 Prozent aller Bauten. 500 Häuser waren total zerstört, 234 zu mehr als fünfzig Prozent, weitere 1.500 weniger stark, doch ebenfalls erheblich. Die Wasser- und Gasleitungen waren beschädigt, die Radiostation war vernichtet, außerdem hatten die Besatzer das ganze für die Aufrechterhaltung des Telefonkabelnetzes benötigte Material abgeräumt. Mit Energie begannen die Marburger den Wiederaufbau ihrer Stadt. In den Jahren 1953 bis 1962 schossen zahlreiche Wohnblocks in die Höhe. An der Gosposvetska ulica, der Ljubljanska ulica, der Frankolovska und der Celjska sowie auf dem Plateau in Pobrežje entfaltete sich eine überaus rege Bautätigkeit. Zwischen 1955 und 1962 entstand die untere Bachern-Seilbahnstation sowie das Hotel Bellevue, wobei vor allem der Architekt Ivan Kocmut von sich reden machte, der von 300

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Abbildung 35: Neuanfang nach der Beseitigung der Kriegstrümmer: Maribor um 1960

1962 bis 1964 auch das „Haus der gesellschaftspolitischen Organisationen“ („Dom družbenopolitičnih organizacij“) erbaute, in welcher heute das Institut für Informationswissenschaften der Universität Maribor (IZUM) untergebracht ist. Große Wohnsiedlungen entstanden in den Sechzigerjahren zwischen der Ljubljanska und der Betnavska ulica, in den Stadteilen Studenci, Pobrežje und Tezno sowie entlang der Lavričeva ulica. Auch wurden in der ersten Hälfte der S­ echzigerjahre zwei Prestige-Bauten hochgezogen: die überdachte Tribüne des Stadions „Ljudski vrt“ sowie die Tito-Brücke, beides unter der Führung des Architekten Boris Pipan. Wichtig war vor allem der Aufbau des Kran­ kenhauses, der zügig in Angriff genommen wurde. 301

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1968 entstand im Osten der Stadt, in Melje, ein Wasserkraftwerk. Ein Überwasserkanal führt zum Elektrizitätswerk Zlatoličje/Golldorf. Und um die Stadt herum entstanden viele Einfamilienhäuser. Daneben wurden auch weiterhin Wohnsiedlungen mit hohen Blockbauten errichtet, so 1976 in Maribor-Süd – dort entstanden drei Siedlungsbauten – und an der Koroška cesta (Kärntnerstraße). Erst in den Achtzigerjahren begann man auch den Stadtkern zu sanieren, beginnend im Stadtteil Landkai (Lent). Die zweistöckige Mellinger Brücke wurde von 1980 bis 1982 gebaut und ersetzte die frühere Pobersch-Brücke. Die Schnellstraße wurde 1989 eröffnet. Bedeutend für die Stadt war dreißig Jahre nach dem Ende des Kriegs aber vor allem die Entwicklung auf wissenschaftlichem Gebiet. Mit der Universität Maribor erhielt die Stadt jetzt die zweite Universität in Slowenien. 1961 war der Verband der Hochschulen Maribors gegründet worden, der die bereits bestehenden Hoch- und Fachhochschulen in seiner Planung zusammenfasste: die Handelshochschule, die Tech­ nische Hochschule (u. a. mit den Abteilungen Maschinenbau, Elektrotechnik, Textilwesen, Baukunde und Chemische Forschung), die Fach­ hochschule für Landwirtschaft, die Juristische Hochschule, die Hoch­schule für Zahnkunde und die Pädagogische Akademie. Mitglied des Verbandes wurde dann auch die Fachhochschule für Arbeitsorganisation, die aber in Krain beheimatet war. Alle diese Hochschulen und Fachhochschulen zusammen – bis auf die für Zahnkunde, die nur bis 1970 existierte – bildeten dann die Universität. Heute besteht diese aus 15 Fakultäten. Die Universitätsbibliothek wurde 1988 erbaut. Sie grenzt an das ­Gebäude der einstigen Stadtsparkasse, in der heute das Rektorat der Universität untergebracht ist (umgebaut 1995 bis 2000). Alle Zeitungen und Verlage im sozialistischen Jugoslawien waren staatlich. Dies hieß natürlich, dass sie auch parteipolitisch ausgerichtet und gleichgeschaltet waren. Anlässlich des Kriegsendes und als Begrüßung der „Befreier“ wurde am 9. Mai 1945 eine namenlose Zeitungsausgabe aufgelegt, danach erschien das Blatt mit dem Titel Novi Čas 302

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(„Neue Zeit“), schließlich, ab Mai, ein- bis dreimal wöchentlich, unter dem Namen Vestnik („Anzeiger“). Ab 1949 kam es als Tageszeitung heraus. 1952 wurde die Zeitung in Večer („Der Abend“) umbenannt und war nun das führende Presseorgan für die Region der slowenischen Steiermark – was sie bis heute geblieben ist. Das Blatt hatte 1966 eine Auflage von 42.000. Kurz vor der Wende 1989 waren es 53.057 Exemplare. Außerdem wurde 1950 der Verlag „Obzorja“ („Horizonte“) gegründet. Die journalistische Bindung an den Staat und die kommunistische Ideologie mit besonderer jugoslawischer Färbung verhinderten in Marburg wie auch im übrigen Slowenien eine wirkliche Freiheit der Be­richterstattung und der Kommentierung. Dies sollte sich erst mit der Wende von 1990/91 ändern, als das freie demokratische Slowenien entstand, aber auch noch in der Zeit danach und bis heute tat und tut sich die slowenische Presse schwer, zu einer wirklichen journalistischen Vielfalt im westeuropäischen Sinn zu finden. Dies verhinderte indes nicht, dass in Marburg namhafte Journalisten, Schriftsteller und Dichter ihre Sprache vernehmen ließen, so etwa Janko Glazer, Anton Ingolič, Stanko Majcen und Drago Jančar, der weit über die Grenzen Sloweniens hinaus bekannt und anerkannt ist und dem nach der Wende 1993 der wichtigste Literaturpreis Sloweniens, der France-PrešerenPreis, zuerkannt wurde. Drago Jančar wurde 1974 wegen „Verbreitung feindlicher Schriften“ – damit war die Veröffentlichung eines dokumentarischen Werks aus Österreich, „V Rogu ležimo pobiti“ („Getötet liegen wir im Gottscheer Horn“) gemeint – verhaftet. Er verlor seine Stelle bei Večer und wurde zu einem Jahr Haft verurteilt. Allerdings wurde er nach drei Monaten wieder freigelassen, musste dafür aber Militärdienst in Serbien ableisten.

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Auf bau mit Hindernissen: Planwirtschaft und „Selbstverwaltung“ Wie bereits erwähnt, ging es nach dem Krieg aber zunächst um den Wiederaufbau der Industrie. Soweit die Marburger Fabriken überhaupt noch bestanden und funktionierten, waren sie technologisch veraltet. Zahlreiche Industrieanlagen jedoch waren völlig zerstört – weder die Gebäudesubstanz noch die Produktionsmaschinen waren noch zu gebrauchen – so zum Beispiel in der Textilindustrie (Hutter, Ehrlich, Pinter, Roteks und andere). Ähnlich trist war die Lage in der Metallindustrie (Ing. Johann Pengg, Franc Perger und andere) sowie in der Lebensmittelbranche. Aus vielen Betrieben hatten die Deutschen noch in den letzten Kriegswochen wichtige Einrichtungsgegenstände, Werkzeugmaschinen und Ähnliches abtransportiert. Ein Teil davon wurde allerdings nach dem Krieg zurückgegeben.228 Die Erneuerung der Betriebe wurde vom jugoslawischen Staatsminis­ terium für Industrie in Belgrad sowie vom entsprechenden Landesministerium in Ljubljana geleitet. Maribor bekam auch Hilfe von den Vereinten Nationen. Die UNRRA (United Nations Relief and Reha­ bili­tation Administration) lieferte Einrichtungsgegenstände, Maschinen und Rohstoffe nach Jugoslawien. Auch gab es Kooperationsver­ träge mit der Sowjetunion und mit Polen, von welchen die Stadt erheblich profitierte. Das gesteckte Ziel nach dem Krieg war der Wiederaufbau der Industrie – und das hieß auch: Erreichen des Produk­ tionsniveaus der Vorkriegszeit. Bis Herbst 1946 konnten zwar viele Betriebe die Produktion wieder aufnehmen, das Vorkriegsniveau erreichten sie jedoch bei Weitem nicht. 228 Jože Prinčič, „Mariborsko gospodarstvo v času prilagajanja socialistični ureditvi in miselnosti“, in: Mesto in gospodarstvo. Mariborsko gospodarstvo v 20. stoletju, ed. Željko Oset, Aleksandra Berberih Slana und Žarko Lazarević, Ljubljana-Maribor 2010, S. 160/161.

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Entscheidend für die Entwicklung der Wirtschaft, insbesondere der Industrie Jugoslawiens nach dem Weltkrieg, war das System: An die Stelle der einstmals freien Wirtschaftsentfaltung rückte die sozialisti­ sche Planwirtschaft nach sowjetischem Muster. Was zunächst den Kommunisten und Sozialisten, aber auch vielen anderen Menschen im Land als patentes Rezept erscheinen mochte, erwies sich mit den Jahren als gewaltiger Hemmschuh einer dynamischen, international konkurrenzfähigen Wirtschaft. Die offizielle Wirtschaftspolitik wurde in Bel­ grad bestimmt, Ljubljana überwachte die Ausführung – Abweichungen waren nicht möglich. Die Stadt war zuständig für streng ortsbe­zogene, meist kleinere Unternehmen und die kommunale Wirtschaft, alle größeren Betriebe außerhalb der unmittelbaren Gemeindewirtschaft lagen in der Zuständigkeit der Bundes- oder Landesministerien, auch unmittelbar auf die Menschen am Ort bezogene Aufgabenbereiche wie die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung wurden von Belgrad und Ljubljana aus gelenkt. Nicht der wirtschaftliche Nutzen stand im Vordergrund, sondern die Ideologie der Verteilung, die trotz mancher Versuche der Föderalisierung zwangsweise zentralistisch war und sich von vielen unmittelbaren Bedürfnissen der Menschen entfernte. Vorrangig wurde die „Klassensolidarität“ sowie die Solidarität mit anderen sozialis­ tischen Ländern beschworen – die Arbeiter wurden ständig ideologisch belehrt: Sie sollten eine ganz neue Beziehung zu Arbeit und Produktion entwickeln und sich stets der hehren sozialistischen Prinzipien eingedenk sein. Zu welchen Absurditäten das führte, kann am Beispiel der Textilindustrie illustriert werden: Im Herbst 1945 gab es trotz der wiederbelebten Textilindustrie einen großen Mangel an Bekleidungswaren, doch durften die Marburger Betriebe nicht zuerst den heimischen Bedarf decken, vielmehr mussten sie erst einmal für andere jugoslawischen Republiken produzieren, ehe sie selbst zum Zuge kamen. Überhaupt erwies sich diese Art von Planwirtschaft mehr und mehr als wenig effektiv. Schon gar nicht vermochte sie es, die Motivation der Arbeitenden zu stärken und auf diese Weise die Leistung zu erhöhen. Auch die 305

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nach 1950 eingeführte „Arbeiterselbstverwaltung“, die auch im Ausland (sogar in manchen Kreisen bundesdeutscher Sozialdemokraten) oft und noch bis in die Siebzigerjahre hinein als besonders einfallsreiche jugoslawische Sozialismus-Variante gefeiert werden sollte, war dazu nicht imstande. Sie bedeutete, dass die Beschäftigten ihre Direktoren wählten und innerhalb eines bestimmten Rahmens über Investitionen, Löhne und Produktionsplanung entschieden. Dies war eine besonders schwerwiegende Fehlentscheidung, die jedoch zum Glück nur halb umgesetzt wurde – die Staatsverwaltung mischte sich zwangsläufig ein. Nach 1958 wurde dieses „alternative Sozialismusmodell“ dadurch variiert, dass es den Betrieben etwas mehr Selbstständigkeit gewährte. Erst ziemlich spät aber sollten die Planwirtschaftler in Jugoslawien angesichts der wesentlich erfolgreicheren marktwirtschaftlichen Entwicklung in den westlichen Nachbarländern und in Österreich an der Unfehlbarkeit des sozialistischen Systems zu zweifeln beginnen. Inhaber privater Wirtschaftsbetriebe – Einzelunternehmer wie Ge­­ sell­schaften – wurden nahezu zur Gänze enteignet. Alles wurde nun Staatseigentum. Dies geschah mittels verschiedener Maßnahmen: der Agrarreform (1945 und 1953), der Nationalisierung der Unter­ nehmen (1946, 1958–1963) und der Konfiskation durch den Staat. Begonnen hatten die Enteignungen ja bereits gleich nach dem Krieg, als zunächst das „feindliche Vermögen“ beschlagnahmt wurde. Im Unterschied zu späteren Jahren aber, als die Nationalisierungen in erster Linie zum wirtschaftspolitischen Programm wurden, waren sie anfangs nicht nur die Quelle willkommenen Vermögensgewinns für den Staat gewesen, sondern zugleich Strafe für wirkliche und angebliche Kriegsverbrechen sowie andere Straftaten. Viele Konfiskationen wurden denn auch von Militärgerichten verhängt – etwa vom „Militärgericht für das Kriegsgebiet Maribor“ („Vojaško sodišče vojnega področja Maribor“), vom „Militärgericht der Stadt Maribor“ („Vojaško sodišče mesta Maribor“) oder vom „Gericht der Volksehre“ („Sodišče narodne časti“). Letztlich aber sollten diese Maßnahmen 306

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doch alle dem Staat dienen und das zentralistische Macht- und Verteilungssystem festigen. Die Einwohnerzahl der Stadt Maribor betrug Ende 1945 42.000, doch war von der städtischen Versorgung auch die Umgebung der Stadt abhängig, also etwa 120.000 Menschen. So konnte sich Marburg zunächst aus eigenen Quellen mit Gemüse versorgen, alles andere musste importiert werden. Von der UNRRA bekam die Stadt 56 Waggons unterschiedlichster Waren geliefert, doch wurden diese unterwegs zum Teil geplündert. Lebensmittel kamen aber auch aus der Vojvodina und aus anderen slowenischen Gebieten. Schon ab Mitte August kam es zu Engpässen, die bis zum Spätherbst immer brisanter wurden. So fehlte es an Fleisch, Milch, Zucker und anderen wichtigen Nahrungsmitteln, zunehmend auch an Obst und Gemüse. Auch Kleider und Schuhe, Glas und Kohle waren Mangelware. Das zwang zu Rationierungsmaßnahmen, sodass es eine ­Reihe von Lebensmitteln und Bekleidungswaren nur noch auf Karten gab. Bis Ende 1945 wurden im Bezirk Maribor 342.000 Lebensmittelkarten ausgegeben, um 20.000 zu wenig.229 Dabei wurde besonderer Druck auf die Bauern ausgeübt. Das Zentralkomitee der KP war nämlich gerade im Begriff, zusätzliche Kräfte für die Industrie zu mobilisieren, was man unter anderem damit erreichen wollte, dass man den Landwirten die Versorgungsgarantie verweigerte – das heißt, sie bekamen keine Lebensmittelkarten. So waren denn ausgerechnet die Bauern, deren Bewirtschaftungsfläche kleiner war als fünf Hektar, gezwungen, Arbeit in der städtischen Industrie anzunehmen. 1948 siedelten sich daher 36.700 Menschen neu in den slowenischen Industrieorten an, die meisten in Maribor. Und diese Entwicklung hielt lange an, sodass die bäuerliche Bevölkerung bis 1953 um acht Prozent abnahm.230 Die Genossen der Planwirtschaft 229 Prinčič, S. 163–165. 230 Mateja Čoh, „Preganjanje kmetov med letoma 1945 in 1955“, in: Le vkup le vkup uboga gmajna. Preganjanje kmetov in kmečki upori na Slovenskem 1945  –1955, ed. Jože Dežman, Klagenfurt 2011, S. 40.

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waren nicht in der Lage zu erkennen, welche Probleme sie damit der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft bescherten. Der Schwerpunkt des Aufbaus in der Nachkriegszeit lag indes auf der Schwerindustrie, der Metallgewinnung, dem Maschinenbau und der Elektroindustrie. Die Pläne für das Elektrizitätswerk auf der Mariborski otok/Fel­ berinsel waren bereits in der österreichischen Monarchie geschmiedet worden, doch wurde mit dem Bau erst während der deutschen Okkupation 1942 begonnen. Wegen der Kriegslage war der Bau bis 1945 nur zu dreißig Prozent fertiggestellt. Jetzt aber wurde die Arbeit forciert, was nicht zuletzt wichtig war, um hinreichend Energie für die aufsteigende Industrie zu bekommen. Dabei wurde die Arbeit vor allem von politischen Häftlingen und Kriegsgefangenen durchgeführt. Bereits 1948 konnte die erste Turbine in Betrieb gehen. 1952 und 1960 folgten die zweite und die dritte. In den Jahren 1945 und 1946 wurden in Maribor sechzig größere und kleinere Fabriken nationalisiert. Durch Fusionen – es kamen dazu noch elf Industriebetriebe und elf Gewerbe-Werkstätten aus der Umgebung sowie fünf Fabriken, die während des Krieges errichtet worden waren – wurden sie in 35 neuen Unternehmen zusammengefasst. Nur 18 von ihnen konnten an einem Ort produzieren, die anderen 17 waren an 56 verschiedenen Stätten in und außerhalb der Stadt verstreut, und da es noch nicht genügend effektive Kommunikationsmittel gab, die Transportwege jedoch teuer waren, war diese Aufsplitterung von Staatsbetrieben eine komplette Fehlplanung, die zur Erschwerung der Planungen und somit auch zur Produktivitätsminderung führen musste.231 Insgesamt kam es zu einer Stagnation der Industrie. Auch die veraltete Technik wurde in der Regel nicht hinreichend erneuert.

231 Andreja Slavec, „Razvoj industrije v Mariboru s posebnim poudarkom na razvojnih dejavnikih“, Dela, 1995, Nr. 11, S. 57/58.

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Dieser Prozess ging weiter. Dem Register des Jahres 1947 ist zu entnehmen, dass in jenem Jahr im Gebiet von Maribor 541 Unternehmen beschlagnahmt wurden, diese stellten zumeist sofort den Betrieb ein, dreißig gingen in anderen Unternehmen auf und einige größere wurden nationalisiert. Der erste Fünfjahresplan nach sowjetischem Muster wurde in den Jahren 1947 bis 1953 auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, die Industrialisierung und Elektrifizierung des Staates voranzutreiben. Die Planungskommission bestimmte die Produktion des gesamten Staates, setzte aber auch Preise und Löhne fest, ebenso die Verteilung, und regulierte auch so weit wie möglich den Verbrauch. Die einzelnen Betriebe hatten so gut wie keine Planungsmöglichkeit, der Bedarf spielte kaum noch eine Rolle. So waren Fehlplanungen programmiert. Eine solche Wirtschaft war zum Scheitern verurteilt. In der Wirtschaft der Stadt nahm das Gewerbe seit jeher einen besonderen Rang ein. Bereits im Februar 1948 begannen die Machthaber jedoch auch hier einzugreifen und den privaten Handel zu liquidieren. Zum Beispiel wurden hundert Betriebe des privaten Gastgewerbes geschlossen. Insgesamt wurde so die Zahl der Gewerbebetriebe im Privateigentum bis 1949 um fünfzig Prozent gesenkt – auf 548 Betriebe. Das war ein schwerer Rückschlag für Gewerbe, Gastronomie und Tourismus. Am 31. Dezember 1946 wurde auf Initiative Titos die Nutzfahrzeugfabrik TAM („Tovarna avtomobilov in motorjev“) mit Sitz in Maribor gegründet. Ab 1947 wurden hier Lastfahrzeuge der Marke „TAM-Pionir“ nach einer Lizenz des tschechoslowakischen Herstellers Praga gebaut (und zwar bis 1962, solange die Lizenz lief ). Ab 1958 baute TAM auch Lastautos in Lizenz von Klöckner-Humboldt-Deutz – es waren Haubenfahrzeuge mit luftgekühltem Dieselmotor und Allradantrieb. Außerdem wurden in dem Werk auch Fahrzeuge nach eigener Konstruktion gebaut. Den Anfang dieser Firma hatten eigentlich die deutschen Besatzer eingeleitet, die in Marburg eine Zweigstelle der „Flugmotorenwerke Ostmark“ errichtet hatten. Wie bereits aufgezeigt, wurden die Gebäude 309

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dieser Fabrik durch Bomben schwer beschädigt. Doch konnten in ihr noch weiterhin Flugzeugteile produziert werden. Nach dem Besuch Titos in der Stadt und der Nationalisierung der Fabrik fiel die Entscheidung, künftig statt der Flugzeugteile Lastkraftfahrzeuge zu bauen, die auch für das Militär wichtig waren. So nahm die neu gegründete Firma TAM die Produktion auf und wurde schließlich zum führenden Lkw-Hersteller in Jugoslawien – neben der FAP („Fabrika Automobila Priboj“) in Sarajevo. TAM-Fahrzeuge wurden in zahlreiche Länder in Asien, Südamerika und Afrika exportiert. Ende der Achtzigerjahre aber ging es mit dem Unternehmen, das im Übrigen eines der ersten war, in welchem die Arbeiterselbstverwaltung praktiziert wurde, steil bergab. Die „Tovarna Vozil Maribor“ übernahm nun in staatlicher Regie die Lkw-Produktion. Haupteigentümer des Unternehmens wurde 2004 – inzwischen war schon die Zeit des selbstständigen Staates Slowenien angebrochen – die „Viator & Vektor Speditionsgesellschaft“, die vor allem Flughafenfeldbusse in Lizenz der MAN-Tochter „Neoplan“ herstellte, jedoch auch immer noch Last­ autos und Omnibusse der Marke TAM produzierte und wartete. 2011 musste sie jedoch Insolvenz anmelden. Führender Industriezweig der Stadt Marburg war nach dem Krieg die Metallindustrie. 1951 war in ihr die Hälfte aller Arbeiter der städtischen Industrie beschäftigt – das waren 41,7 Prozent aller in der Metallindustrie Sloweniens Beschäftigten. Die Branche erwirtschaftete dreißig Prozent des Bruttosozialprodukts der Stadt. Entscheidend hierfür war, dass aus den Drauwerken hinreichend elektrische Energie zur Verfügung stand. An zweiter Stelle stand die Textilindustrie mit dreißig Prozent aller Beschäftigten in der Stadt. Sie erwirtschaftete fünfzig Prozent des Bruttosozialprodukts. Ihr folgte die Holzindustrie, dann, als neue Wirtschaftszweige, die Elektroindustrie und die chemische Industrie.232 232 Slavec, S. 58/59.

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Für die gesamte Industrie Marburgs galt jedoch, dass die Kapazitäten der Betriebe weitaus größer waren, als es der tatsächlichen Produktion entsprach, das heißt, dass die Betriebe nicht effektiv genug arbeiteten. Gründe hierfür waren: schlechte Planung und Organisation, zentrale staatliche Trägerschaft kraft Nationalisierung und Konfiszierung, Verhinderung privater Initiativen, veraltete Technik, Mangel an Rohstoffen. Sicherlich spielte die Blockade des Ostblocks nach Titos Bruch mit Stalin eine Rolle. Es mangelte jedoch auch oft an qualifizierten Kräften. In verschiedenen Stadtteilen Marburgs kam es zu mancher Konzentration bestimmter Industrien – etwa in Melje/Melling, wo sich Textil-, Metall-, Lebensmittel-, Papier- und Chemie-Fabrikationen anhäuften, oder in der Bahnhofsgegend von Studenci/Studenitz, wo sich nebst Metall- und Textilbetrieben Papierwerke und Mühlen etablierten, oder in Tabor entlang der Tržaška cesta/Triesterstraße sowie in Tezno/Thesen zwischen der Ptujska cesta und der Eisenbahnstrecke. Hier wurde – außer der Konzentration von Metall- und Textilwerken – 1948 die „Elektrovia“ gegründet, das erste elektrotechnische Unternehmen der Stadt, eine Fabrik für Schaltanlagen. Zahlreiche kleinere Industrie­ objekte gingen jedoch ein. Die Industrie Maribors stagnierte seit etwa 1960, weil sie sehr abhängig war von der Nachfrage im In- und Ausland, diese jedoch ausblieb. Auch dass schließlich Mitte der Sechzigerjahre durch den sogenannten „Marktsozialismus“ mehr fremdes Kapital ins Land kam, half der Stadt Marburg wenig, weil das Geld vor allem in die weniger entwickelten Gebiete Jugoslawiens floss. Nur die Elektroindustrie, zum Teil auch die Holzwirtschaft und die chemische Industrie machten Fortschritte. Erst nach 1967 besserte sich die Lage langsam, auch bedingt durch den zunehmenden Tourismus vorwiegend an der kroatischen Adriaküste. Einige Unternehmen allerdings entwickelten sich überaus positiv, so der bereits erwähnte Fahrzeughersteller TAM, aber auch die Seifenund Waschmittelfabrik Zlatorog, die Metallwerke Primat, Marles, 311

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Mariborska livarna und Hidromontaža oder die Baufirmen Konstruktor und Stavbar.233 In den Siebzigerjahren wurde die Wirtschaft neu organisiert. Edvard Kardelj, Vizepräsident der jugoslawischen Regierung 1946–1963, Außenminister von 1948–1953, Parlamentspräsident 1963–1967, Sekretär des Zentralkomitees des Verbunds der Kommunisten („Zveza kommunistov Jugoslavije“), Mitglied des Staatspräsidiums 1974– 1979, Chefideologe der kommunistischen Partei Jugoslawiens, führte die Theorie der „assoziierten Arbeit“ ein. Dies war eine weitere Ausgabe der Arbeiterselbstverwaltung. Es waren nicht mehr die Unternehmen Träger der Selbstverwaltung, sondern die „Grundorganisationen der assoziierten Arbeit“. Demnach wurden jetzt Kontrollkörperschaf­ ten (Selbstverwaltungsgremien) geschaffen, die den Zweck hatten, den Einfluss der Manager und „Technokraten“ auszuschalten oder wenigs­ tens weitgehend zu minimieren, also die Arbeit der Geschäftsführer von Wirtschaftsbetrieben zu überwachen. Das ganze nannte sich „Ver­ einbarungswirtschaft“ („dogovorjena ekonomija“). Diese Reform verschlechterte das Wirtschaftssystem nur noch weiter und führte zur völligen Stagnation und zu einer Aufblähung der Bürokratie. Die Unternehmen konnten nun überhaupt nicht mehr vernünftig wirtschaften. Dazu kam noch die Erdölkrise von 1973, aus der keinerlei Konsequenzen gezogen wurden. Das Land wirtschaftete im Wesentlichen genauso weiter wie bisher. Aber auch im slowenischen Vergleich fiel Maribor zurück. Die Stadt landete nunmehr an zehnter Stelle auf der WirtschaftsentwicklungsTabelle der slowenischen Städte.

233 „Zlatorog“ wurde 1887 gegründet, wechselte mehrmals die Eigentümer, wurde während des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt; 1946 wurden die Eigentümer Georg Leitner und Söhne als Kollaborateure verurteilt und die Firma wurde verstaatlicht. Seit 1990 ist die Firma im Eigentum des deutschen Unternehmens Henkel. Alle anderen Firmen gingen nach der Wende in Konkurs.

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Doch bereitete in den Siebzigerjahren – was allerdings auch für die Betriebe in anderen Teilen des Landes galt – die Beschaffung der Rohstoffe große Schwierigkeiten. In den Achtzigern wiederum waren die Lager voll, aber der Absatz stockte. Erfolgreiche Firmen wie „Metalna“, die Technologie für die Großindustrie herstellte, waren eher die Ausnahme. Auch Investitionen lagen je nach Branche bis zu zwanzig Prozent unter dem slowenischen Durchschnitt. 1988 waren die meisten in der Autoindustrie beschäftigt, dann in der Textilindustrie.234 Der politische und wirtschaftliche Abstieg der slowenischen Wirt­ schaft in der letzten Phase der jugoslawischen Ära war seit Ende der Achtzigerjahre offensichtlich. Treffend gab die Lage in der Stadt ein Mann wieder, der Ende der Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre den Werdegang Sloweniens mitgeprägt hatte, weil er maßgebend die Gesetze zur Entwicklung der Städte und Regionen in Slowenien vorbereitet hatte: Ermin Kržičnik. Das wirtschaftliche und kulturelle Profil der Stadt Maribor beschrieb er in diesem Zusammenhang als „durch­ schnittlich, grau, selbstgenügsam, nicht innovativ und veraltet“. Seiner Meinung nach waren dies die Symptome einer „eigenartigen Strukturkrankheit“ mit historischen Wurzeln. Verantwortlich hierfür sei vor allem der Umstand, dass die Intelligenz die Stadt verlassen habe – und dies gleich zweimal: das erste Mal nach dem Zerfall der Monarchie 1918, das zweite Mal 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.235 Obwohl die Infrastruktur inzwischen verbessert wurde – es wurden Straßen, ein Stück Autobahn und der Flughafen gebaut, es wurden Gasfernleitungen gelegt, es wurde die Universität gegründet, die Biblio­thek sowie das Theater wurden gepflegt –, trug all dies in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts nicht zur wirtschaftlichen Verbes234 Slavec, S. 61/62. 235 Ermin Kržičnik, „Maribor kot sivo mesto, ki je otrplo v svojevrstni strukturni bolezni“, Delo, 11. 10. 1989, Nr. 236, S. 9. Zitiert nach: Žarko Lazarević, „Maribor v slovenskem prostoru“, Mesto in gospodarstvo. Mariborsko gospodarstvo v 20. stoletju, Maribor 2010, S. 16.

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serung der Lage bei, auch nicht zum besseren geistigen Klima der Stadt. Erst dem neuen Slowenien, das sich 1991 nach einem kurzen Krieg mit dem serbischen Rest-Jugoslawien als eigenständiger demokratischer Staat mit sozialer Marktwirtschaft behauptete, gelang ein neuer Aufstieg.

Die katholische Kirche – Staatsfeind Nummer eins Für die katholische Kirche war die Zeit der deutschen Besatzung eine Zeit verheerender Unterdrückung, in welcher sie sich in einer besonders schwierigen, ja, fast aussichtslosen Lage befand, weil sie sich einerseits als Kirche für die weiterhin wichtige Seelsorge in diesem katholischen Land erhalten und behaupten musste und daher immer wieder gezwungen war, hier und dort Kompromisse einzugehen, andererseits aber auch angehalten war, das unmittelbare Leid der Menschen, auch jener außerhalb der Kirche, wahrzunehmen und sich so gut wie möglich für die Opfer der Okkupation einzusetzen. Viele Menschen waren nach dem Krieg und sind auch heute noch der Ansicht, dass offene anklagende Auftritte christlicher Glaubensführer gegen den Okkupator das Gebot der Zeit gewesen wären, doch müssen auch diese Kritiker einräumen, dass angesichts dieser bedenkenlos durchgreifenden Besatzer außer nutzlosen optischen Gesten nicht viel erreicht werden konnte. Immerhin gab es seitens der Geistlichkeit nicht wenige Versuche, auf dem Weg leiserer Interventionen für Verhaftete und Internierte einzutreten. Vorwürfe, die Kirche habe mit den Besatzern kollaboriert, wie sie später vorwiegend von Kommunisten erhoben wurden, sind, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, haltlos und ungerecht. Die Geistlichen der katholischen Kirche war durchwegs selbst Opfer der deutschen Besatzer. 314

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serung der Lage bei, auch nicht zum besseren geistigen Klima der Stadt. Erst dem neuen Slowenien, das sich 1991 nach einem kurzen Krieg mit dem serbischen Rest-Jugoslawien als eigenständiger demokratischer Staat mit sozialer Marktwirtschaft behauptete, gelang ein neuer Aufstieg.

Die katholische Kirche – Staatsfeind Nummer eins Für die katholische Kirche war die Zeit der deutschen Besatzung eine Zeit verheerender Unterdrückung, in welcher sie sich in einer besonders schwierigen, ja, fast aussichtslosen Lage befand, weil sie sich einerseits als Kirche für die weiterhin wichtige Seelsorge in diesem katholischen Land erhalten und behaupten musste und daher immer wieder gezwungen war, hier und dort Kompromisse einzugehen, andererseits aber auch angehalten war, das unmittelbare Leid der Menschen, auch jener außerhalb der Kirche, wahrzunehmen und sich so gut wie möglich für die Opfer der Okkupation einzusetzen. Viele Menschen waren nach dem Krieg und sind auch heute noch der Ansicht, dass offene anklagende Auftritte christlicher Glaubensführer gegen den Okkupator das Gebot der Zeit gewesen wären, doch müssen auch diese Kritiker einräumen, dass angesichts dieser bedenkenlos durchgreifenden Besatzer außer nutzlosen optischen Gesten nicht viel erreicht werden konnte. Immerhin gab es seitens der Geistlichkeit nicht wenige Versuche, auf dem Weg leiserer Interventionen für Verhaftete und Internierte einzutreten. Vorwürfe, die Kirche habe mit den Besatzern kollaboriert, wie sie später vorwiegend von Kommunisten erhoben wurden, sind, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, haltlos und ungerecht. Die Geistlichen der katholischen Kirche war durchwegs selbst Opfer der deutschen Besatzer. 314

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Die Befreiung von den Okkupatoren bedeutete nun aber zugleich die Machtergreifung der Kommunisten in Jugoslawien und in Slowenien. Und dies war ein schrilles Gefahrensignal für die Kirche. Denn für die neuen Machthaber in Belgrad und Ljubljana war die katholische Kirche, die in Slowenien nach wie vor hoch angesehen war und die einzige verbliebene Kraft gegen die Ideologie des Kommunismus darstellte, eine Gefahr, die es gleich nach dem Krieg zu besiegen galt, indem Geistliche moralisch demontiert wurden, wie es denn auch fortwährend versucht wurde. Bis zur demokratischen Wende Sloweniens 1991/92 blieb die Kirche für die kommunistischen Machthaber der Staatsfeind Nummer eins. Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Grenzen des Bistums Lavant wiederhergestellt. Wieder wurde dem Marburger Bischof Dr. Ivan Josip Tomažič die Verwaltung der drei in Slowenien gelegenen Pfarreien der Seckauer-Diözese übertragen sowie 13 Gurker und 23 Übermur-Pfarreien. 1964 wurden dann die verwalteten Gebiete Teil der Diözese Marburg. Am 5. März 1962 wurde die Diözese Lavant in die Diözese „Maribor-Lavant“ („Mariborsko-Lavantinska škofija“) umbe­ nannt. Als dann 1968 Ljubljana zum Sitz der Kirchenprovinz aufstieg, wurde dieser am 22. November 1968 die Diözese Maribor als Suffragan unterstellt. Die Kirchenprovinz umfasste nun ein Gebiet von 7.351,78 Quadratkilometern. Im selben Jahr wurde auch das Priesterseminar wiedereröffnet, das 1941 von den Deutschen aufgelöst worden war. Die Theologische Fakultät in Ljubljana eröffnete in Maribor drei Jahrgänge, die restlichen gab es erst ab 1993. Im Jahr 1987 ließ der Marburger Bischof Kramberger eine neue Bischöfliche Theologische Bibliothek („Škofijska teološka knjižnica“) einrichten. Zuvor, 1960, hatte das Bistum in den Räumlichkeiten des Franziskanerordens wieder ein Knabenseminar erhalten, dessen Zöglinge öffentliche Gymnasien besuchten. Es ist offensichtlich, dass das kommunistische Regime die katholische Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso vernichten wollte wie die politische Opposition, bei welcher es ihm auch weitestgehend 315

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gelungen war. Doch war die Vernichtung der Kirche, wie die Machthaber nach einiger Zeit erkennen mussten, wegen der tiefen Verankerung des Glaubens in der Bevölkerung undurchführbar. Deswegen wurde die Taktik der moralischen Diskreditierung eingeschlagen, wobei jedes Mittel recht war. Außerdem sollte die Kirche auch wirtschaftlich vernichtet oder wenigstens extrem geschwächt werden – durch die Agrarreform, die Nationalisierung, die Konfiskation. Kirchenvertreter und namhafte Katholiken wurden aus den Wählerlisten gestrichen, kirchliche Schulen wurden geschlossen, der Religions­ unterricht wurde behindert und dann, 1952, an den Schulen überhaupt verboten, religiöse Publikationen wurden stark eingeschränkt, Ordens­schwestern wurden aus Schulen und Krankenhäusern geworfen, obwohl es für sie vorderhand keinen Ersatz gab. Es wurden fortwährend Hausdurchsuchungen und serienweise Verhaftungen vorgenommen, Strafprozesse geführt und ständig irgendwelche Verwal­tungs­­ strafen verhängt. Namhafte Vertreter der Slowenischen Katholischen Kirche wurden von der kommunistischen Obrigkeit des Verrats, der Kollaboration und der staatsfeindlichen Betätigung beschuldigt und wanderten deshalb für viele Jahre ins Gefängnis und in die Arbeits­ lager, auch manche aus den Reihen des Bistums Lavant, die während des Krieges nach Kroatien deportiert worden waren. Es wurde auch nicht vor solchen Halt gemacht, die in deutschen Konzentrations­ lagern gelitten hatten, wie zum Beispiel der Leiter der Ciril-Druckerei in Maribor, Franc Hrastelj. Er wurde am 10. Juni 1945 festgenommen, nachdem er soeben erst nach mehreren Jahren schlimmster Qualen aus dem KZ Dachau heimgekehrt war. Zwar wurde er im August nach erlassener Amnestie wieder freigelassen, doch schon im Oktober 1948 erneut verhaftet und zu zehn Monaten Haft verurteilt. Bei einzelnen Priestern, auch durchaus solchen mit einigem Einfluss, gelang es den Kommunisten hingegen, sie innerlich zu brechen und zur Zusammenarbeit zu zwingen. Dies galt auch für einige Priester aus der Umgebung des Marburger Bischofs. 316

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Abbildung 36: Das Gefängnis von Maribor

Auf Schritt und Tritt wurden Kirchenvertreter beobachtet und verfolgt, alle zwei Wochen wurden detaillierte Berichte der Geheimpolizei Udba Maribor (bis 1946 OZNA) an die Zentrale in Ljubljana gesandt. Karitative Tätigkeiten wurden ihnen untersagt. Die Situation der katholischen Kirche verschlechterte sich von Tag zu Tag. Daher beklagte die jugoslawische Bischofskonferenz bereits am 20. September 1945 in einem Hirtenbrief die Verfolgung von Pries­ tern und Ordensleuten sowie die Tatsache, dass bereits 243 Geist­ liche ermordet und viele inhaftiert worden seien. Die Bischöfe forderten nun Pressefreiheit, die Wiedereröffnung kirchlicher Schulen, ungehinderten Religionsunterricht, freie Betätigung in karitativen Institutionen, die Genehmigung zur Weiterführung kirchlicher Organisationen und Vereine, Respektierung der kirchlichen Eheschließung – wie überhaupt die Wahrung der Menschenrechte. Auch forderten sie die Rückgabe des kirchlichen Vermögens. Zu den Unterzeichnern des Hirtenbriefes gehörte auch der Lavanter Bischof Ivan Tomažič. 317

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Die sogenannte „Volksmacht“ betonte zwar immer wieder, dass die Situation während des Zweiten Weltkriegs in der Steiermark ganz anders gewesen sei als anderswo im slowenischen Raum und dass deshalb deportierten Kirchenvertretern keine Kollaboration mit den Besatzern vorgeworfen werden könne. Die Realität aber war anders – die Lavanter Priester wurden derselben schlechten Behandlung unterzogen wie Priester anderswo in Slowenien. Schon im Krieg begann die im Jahr 1944 gegründete OZNA Informationen über die Lavanter Priester zu sammeln, weil das „Rückgrat der Opposition“ – der Begriff taucht in einem Bericht des Innenministeriums vom November 1945 auf – gebrochen werden sollte. In einem Bericht der Udba ist dies klar formuliert. Die Deutschen, heißt es dort, hätten in der Steiermark alle bekannten Vertreter der bürgerlichen Parteien deportiert oder verhaftet, deswegen hätten sich diese nicht als Verräter kompromittieren können, sondern kehrten nun 1945 als Märtyrer heim. Die Vertreter der Slowenischen Volkspartei seien eng verbunden mit der Katholischen Kirche und deshalb besonders gefährlich. In jeder Pfarrei verfüge die Slowenische Volkspartei in der Person des Pfarrers über einen starkenVertreter.236 Priester, die während des Krieges nicht an ihrem Dienstort hatten bleiben dürfen, sondern von den Deutschen verhaftet und deportiert worden waren, benötigten jetzt, nach dem Krieg, eine besondere Genehmigung, um ihren Kirchendienst wieder antreten zu dürfen. Diese Genehmigung war gekoppelt an die Wohnberechtigung. Da Bischof Tomažič nach dem Krieg sehr krank wurde, wurde als Apostolischer Administrator Dr. Maksimilijan Držečnik bestimmt, Professor an der Theologischen Fakultät in Ljubljana und Rektor der Lavanter Seminaristen. Dieser war 1946 zum Weihbischof ernannt 236 Tamara Griesser-Pečar, Procesi proti duhovnikom in redovnikom po maju 1945, Temna stran meseca. Kratka zgodovina totalitarizma v Sloveniji 1945 – 1990, ed. Drago Jančar, Nova revija: Ljubljana 1998, 120.

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worden, was die neuen Machthaber anerkennen wollten, weil diese Ernennung ohne Genehmigung der kommunistischen Obrigkeit erfolgt war. Ähnlich verhielt es sich in der Diözese Ljubljana, die von Weihbischof Anton Vovk verwaltet wurde, weil Bischof Dr. Gregorij Rožman im Ausland war. Die neuen Machthaber versuchten also, an den beiden Ordinarien vorbei kirchliche Angelegenheiten zu lösen. Deshalb wurde im September 1949 mithilfe der Geheimpolizei der „Cyrill-Method-Verein“ gegründet. Die Inhaber der Staatsmacht (Partei, Regierung, Udba, die Glaubenskommission) verfolgten mit dieser Gründung den Zweck, die Kirche zu spalten, die Geistlichen von ihren Bischöfen zu trennen, eine Diözese gegen die andere auszuspielen. Den Mitgliedern des Cyrill-Method-Vereins wurden enorme Vorteile einge­räumt. Sie waren von Anfang an sozialversichert (erst in den Sechzigerjah­ren wurde die Sozialversicherung auch für Nicht-Mitglieder geöffnet), sie konnten Religionsunterricht erteilen, hatten niedrigere Steuern zu zahlen, durften reisen, konnten die Kollekte während der Messe durch­führen, und wenn sie irgend­welcher Ver­ gehen angeklagt wurden, wurden sie milder bestraft als andere Priester. Die Jugoslawische Bischofs­konferenz in Zagreb verabschiedete 1950 ihr „Non ex­­pedit“, was so viel bedeutete wie, dass es von der Kirche nicht gern gesehen wurde, wenn ein Geistlicher die­­sem Verein bei­trat. Jedenfalls wa­ren auch die Bischöfe Držečnik und Vovk entschie­dene Geg­ner des Vereins. Doch kam das Verbot, diesem Verein beizutreten, das die bischöfliche Konferenz schließlich 1952 aussprach, in Slowenien nicht zur An­­wendung. Später, in den Sech­­­zigerjahren, sollte sich die Führung des Vereins gemäßigter zeigen. Darauf­hin wollten die slowenischen Bischöfe unter der Feder­führung von Držečnik beim Vatikan eine Legalisierung des Vereins erreichen, doch Rom wollte dem Wunsch so lange nicht stattgeben, bis in dieser Frage eine Einigung im jugoslawischen Episkopat erzielt würde. 1970 änderte der Verein seinen Namen – er hieß nun „Slowenischer Pries­terverein“ („Slovensko duhovniško društvo“). 1990 löste er sich auf. 319

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Als Bischof Tomažič 1949 starb, wünschten sich die neuen Macht­ haber in Maribor nicht Držečnik als Nachfolger, sondern den ehema­ligen Gene­ ralvikar, den sie im Gefängnis als informellen Mit­arbeiter hat­ ten anwerben können. Aber Držečnik wurde ernannt. 1947 und in den darauf­ folgenden Jahren führte die Udba groß angelegte Aktionen gegen beide slowenischen Diö­ zesen (Ljubljana und Maribor) durch. Es folgten Prozesse gegen weltliche Priester und Ordens­ leute in Ljubljana, Mari­ bor, Celje, Novo mes­to. Rei­­henweise gab es körperliche Attacken auf Abbildung 37: Bischof Dr. Maksimilijan Držečnik Geist­liche, die 1952 eskalierten, als Weihbischof Anton Vovk in Novo mesto mit Benzin übergossen und angezündet wurde. Auch gegen Držečnik wurde zunächst ein Prozess vorbereitet, wobei versucht wurde, mehrere Priester dazu zu bringen, von angeblichen homosexuellen Kontakten mit Držečnik zu berichten. Dies aber misslang. So war nun im September 1951 ein Anschlag auf ihn anlässlich einer Firmung im Ort Hrastnik geplant. Die Udba bewachte alle Zufahrtsstraßen und Wege dorthin. Der Bischof aber, der glücklicherweise vor der Gefahr gewarnt worden war, zog sich zivile Kleidung an und radelte in Beglei­ tung eines Pfarrers nach Hrastnik. Kurz vor der Kirche ließ er das Fahrrad stehen, ging zu Fuß über den Hügel und kam so unbehelligt in die Kirche. Die Begleitung des Bischofs im Auto wurde mit Steinen bewor320

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Abbildung 38: Liste des Bischofs Držečnik mit Namen verhafteter Geistlicher des Bistums Lavant, 1952

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fen, ohne dass die Polizei eingriff. Ein Polizist, darauf angesprochen, zuckte die Achseln: „Gegen den Willen des Volkes können wir nichts tun.“ Oft wurde der Bischof mit allerlei seltsamen Geldstrafen wegen irgendwelcher unverständlicher Nichtigkeiten eingedeckt. Beschwerden gegen die fortwährenden schikanösen Maßnahmen, gegen die vielen Behinderungen des Religionsunterrichts, gegen die Schließung der Wallfahrtskirche auf Ptujska gora und so fort liefen in den ersten Jahren völlig ins Leere. Držečnik beschwerte sich nicht nur bei der Slowenischen Landesregierung, sondern auch bei Innenminister Aleksander Ranković in Belgrad, wurde dort sogar persönlich vorstellig. Es war vergebens. Doch trotz all dieser Behinderungen wurde die weit überwie­ gende Zahl der Volksschulkinder zum Religionsunterricht angemeldet, 1975 waren es achtzig Prozent.237 Auch auf angehende Priester gab es enormen Druck. Mit allen Mitteln versuchte man sie als informelle Mitarbeiter des Geheimdienstes anzuwerben. Auch wurde alles getan, um Maturanten davon abzuhalten, sich an der Theologischen Fakultät zu inskribieren. Als Držečnik schwer erkrankte – er litt an Knochenkrebs –, übernahm der Generalvikar und Weihbischof Dr. Vekoslav Grmič mehr und mehr seine Aufgaben. Dieser war bei den kommunistischen Behörden sehr gut angeschrieben, was ihm den scherzhaften Titel „roter Bischof    “ einbrachte. Er lag im ständigen Konflikt mit Kirchenstrukturen und hohen Kirchenvertretern, vor allem mit den Bischöfen von Ljubljana und Koper, Jožef Pogačnik und Janez Jenko. Als Bischof Držečnik 1978 starb, widersetzte sich ein Großteil des Klerus, der mit Grmičs „Theorie der sozialistischen Theologie“ nicht einverstanden war, seiner Berufung auf den Bischofssitz in Maribor. Neuer Bischof wurde am Ende Dr. Franc Kramberger, Direktor des Slomšek-Knabenseminars (Slomškovo dijaško semenišče), der 2006 zum ersten Erzbischof und Metropoliten der neu ernannten Erzdiözese und Metropolie Maribor bestimmt werden sollte. 237 AS 1211, KOVS, št. 2/1975-75, 10. 10. 1975.

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F reie S ta d t im freien l a nd

Freie Stadt im freien Land: Marburg im neuen Slowenien Als Tito 1980 starb, steckte Jugoslawien in einer tiefen Wirtschafts­krise, die von einem gewaltigen Schuldenberg, von einer außergewöhnlichen Auslandsverschuldung und einer hohen Inflationsrate ge­kennzeich­net war. Ende 1981 war die jugoslawische Auslandsverschuldung bereits auf 19,2 Milliarden Dollar angewachsen. Aber die politische Führung war keineswegs bereit, ihr Wirtschaftssystem zu liberalisieren. Trotzdem gewährte der Westen großzügig weitere Kredite. Das Land wurde nahezu zahlungsunfähig. Ab Oktober 1982 musste jeder, der privat ins Ausland reisen wollte, 5.000 Dinar für ein ganzes Jahr zinslos hinterlegen (für jede weitere Reise 2.000 Dinar), was einem durchschnitt­lichen Monatslohn entsprach. Weitere Maßnahmen, Gebote und Verbote kamen hinzu. So wurde zum Beispiel auch die freie Verwendung von Devisen privater Bürger eingeschränkt. Dies traf vor allem Familien von Gastarbeitern in Deutschland und Österreich hart. Auch Zölle wurden erhöht, die dann von den Gastarbeitern für ihre mitgebrachten Waren nicht immer leicht bezahlt werden konnten. Deswegen stapelten sich nun an den Grenzen die verschiedenen Elektrogeräte, Fernseh­ apparate und so fort. Gegenstände des täglichen Gebrauchs waren in Jugoslawien Mangelware, unter anderem Waschmittel, Seife, Zahnpas­ta, Kaffee, Öl. Darüber hinaus hatte das Land noch andere gravierende Probleme – wie zum Beispiel die Kosovo-Frage. Immer weiter wuchs die Unzufriedenheit, auch – ja, ganz besonders – in Slowenien, so wurde in der Zeitschrift Nova Revija Anfang 1987 ein slowenisches Natio­ nalprogramm veröffentlicht, das von Bundesanwalt Miloš Bakić als „schwere Form des Verbrechens der feindlichen Propaganda“ bezeichnet wurde.238 Der Unmut der Bürger eskalierte schließlich, als Ende Mai 238 Viktor Meier, Wie Jugoslawien verspielt wurde, München 1995, S. 117.

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und Anfang Juni 1988 in Ljubljana drei slowenische Journalisten und ein im aktiven Dienst stehender Fähnrich auf Verlangen der Militärjustiz abgeführt und verhaftet wurden. Einer der Journalisten war der spätere slowenische Premier Janez Janša, der damals einige kritische Kommentare über den Zustand der Armee in der Zeitschrift Mladina („Jugend“) veröffentlicht hatte, obwohl er von Parteifunktionären mehrmals ermahnt worden war, damit aufzuhören. In seiner Schublade im Schreibtisch bei Mladina wurde eine Rede von Parteichef Milan Kučan gefunden, die zum Staatsgeheimnis hochstilisiert wurde. Man warf den Verhafteten Verrat von Staatsgeheimnissen vor. Es gab nun spontane und organisierte Demonstrationen gegen diese Verhaftungen. Es wurde ein „Ausschuss zur Verteidigung der Menschenrech­ te“ gebildet, der dann die Protestaktionen koordinierte, so auch die am 21. Juni 1988 in Ljubljana mit 15.000 Teilnehmern. Das Mili­tär­ gerichtsverfah­ren gegen die Beschuldigten in Ljubljana endete mit für die damalige Zeit relativ milden Strafen von einem halben Jahr bis vier Jahren Ge­­fäng­nis – Janša bekam eineinhalb Jahre –, und die Verurteilten mussten aus der Untersuchungshaft freigelassen und der slowenischen Justiz übergeben werden. Der Prozess veränderte die politische Lage in Slowenien schlag­artig. Ende des Jahres begannen engagierte Bürger politische Parteien zu gründen. Immer mehr trat der Wunsch nach einem eigenen sloweni­schen Staat in den Vordergrund, losgelöst von der jugoslawisch-serbischen Bevormundung, die zunehmend als Macht­anmaßung verstanden wurde, und am 8. Mai 1989 wurde die „Mai­deklaration 1989“ veröffentlicht. Das politische Bündnis „Demos“ („Demokratična opozicija Slovenije“, Demokratische Opposition Sloweniens) wurde im Oktober 1989 gegründet. Im April 1990 fanden die ersten demokratischen Wahlen statt. Demos kam auf rund 55 Prozent der Stimmen, die Reformkommunisten erhielten 17,2 Prozent. Die Stärksten innerhalb des Demos-Bündnisses waren die „Slovenski krščanski demokrat“ (SKD, Slowenische Christ-Demokraten) mit 13,3 Prozent, gefolgt vom „Slovenska kmečka zveza“ 324

m a rburg im neuen s l owenien

(Slowenischer Bauernbund) mit 12,3 Prozent und den „Slovenska demokratična zveza“ (SDZ, Bund Slowenischer Demokraten) mit zehn Prozent. In der Volksabstimmung vom 23. Dezember 1989 entschieden sich 88 Prozent der Wähler für ein selbstständiges und unabhängiges Slowe­nien. Slowenien, das bis zum Zusammenbruch Jugoslawiens 1990 /91 eine Teilrepublik des Vielvölkerstaats Jugoslawien gewesen war, wurde nun am 25. Juni 1991 kraft eigenen Beschlusses ein unabhängiger, demokratischer Staat. Eine große Feier besiegelte am 26. Juni vor dem Parlament den historischen Umschwung. Doch obwohl selbst nach der jugoslawischen Verfassung der Austritt aus dem jugoslawischen Bund grundsätzlich möglich war, trat die serbische Führung in Belgrad so­gleich gegen die Unabhängigkeit des nördlichsten Mitgliedslandes auf. Es beantwortete den Austritt Sloweniens aus Jugoslawien mit dem Einmarsch von Panzereinheiten. Das war der Anfang des sogenannten Zehn-Tage-Krieges, den Serbien ohne Schwierigkeiten in kurzer Zeit für sich zu entscheiden meinte. Aber die Slowenen wehrten sich, mit militärischer Verteidigung und hoher Abwehrbereitschaft der Bevölkerung. Schon Mitte Mai 1991 hatte Slowenien keine Rekruten mehr in die jugoslawische Armee geschickt, sondern sie in die eigene Territorial­armee einberufen. Nach der Unabhängigkeitserklärung, die von der Regierung Marković in Belgrad als illegal verurteilt wurde, wollte diese vor allem die Grenzübergänge sichern, so auch jenen in der Steiermark. Zehn Panzer der jugoslawischen Armee verließen am 27. Juni morgens die Kaserne in Maribor Richtung Grenzübergang Šentilj, weitere fünf in Richtung Dravograd/Unterdrauburg. Bei Pesnica trafen sie auf eine Blockade, die sie beschossen. Auch die jugoslawische Luftwaffe flog mehrere Angriffe. Aus Kroatien näherten sich ebenfalls Panzer, die aber von der Slowenischen Territorialarmee gestoppt werden konnten. Bei Limbuš wurden zwei Panzer der jugoslawischen Volksarmee angegriffen, bei Dravograd/Unterdrauburg wurden die Panzer dann ebenfalls gestoppt. 325

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Am Grenzübergang Holmec, den die slowenische Polizei sicherte, gab es bereits am 27. Juni eine Schießerei, der entscheidende Zusammenstoß fand dann aber am 28. Juni statt. Dank hervorragender Zusammenarbeit mit der Polizei und der Slowenischen Territorialarmee konnte Holmec gehalten werden. Zwei slowenische Polizisten und drei Soldaten der Volksarmee wurden bei dem Angriff getötet, es gab mehrere Verwundete auf beiden Seiten. 45 jugoslawische Soldaten konnten gefangen genommen werden.239 Auch anderswo verlief die Abwehr der Slowenen nach diesem Muster. Die jugoslawische Armee rückte vor, stieß auf die Netze der Territorialarmee und musste schließ­ lich aufgeben. Im Nu wurden die jugoslawischen Kasernen blockiert. In der Stadt Maribor, aus welcher ebenfalls viele junge Männer kamen, die in der Territorialarmee kämpften, und deren Bürger mit großer Anspannung und fast einhelliger Befürwortung der slowenischen Selbstständigkeit die Geschehnisse verfolgten, gab es selbst keine militärischen Auseinandersetzungen. Nur aus der Kaserne Franc-Rozman-Stane, erbaut 1975, soll mit Haubitzen in Richtung Bachern geschossen worden sein. Jedenfalls kam es dann nach einer Reihe von Verhandlungen zwischen Ljubljana, Zagreb, Belgrad und den Vertretern der EU am Wochenende des 7. und 8. Juli auf der Insel Brioni zu einem Abkommen, das die Situation beruhigte. Die jugoslawische Armee teilte am 18. Juli mit, dass sie innerhalb von drei Monaten Slowenien verlassen würde. Ende desselben Jahres wurde die demokratische Verfassung vom Parlament verabschiedet. Es ging alles so schnell, so zügig, wenn auch nicht reibungslos, dass auch den Menschen im Ausland nahezu der Atem stockte. Bald wurde das Land international anerkannt, von der Europäischen Union, deren Mitgliedschaft es sofort anstrebte, am 15. Januar 1992. Seit dem 29. März 2004 ist Slowenien Mitglied der 239 Janez J. Švajncer, Obranili smo domovino, Ljubljana 1993, S. 191–193. Nach anderen Schilderungen differieren die Zahlen etwas.

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NATO und seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der EU, wobei es bereits auf eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2008 zurückblicken kann. Dennoch konnte der Übergang von einem totalitären Regime in die Demokratie nicht reibungslos und in jeder Hinsicht demokratisch zufriedenstellend verlaufen, zumal das Land – und hier liegt noch heute manche Barriere für die Demokratie, zu­gleich eine dringende Aufgabe, die noch erledigt werden muss – sich bisher noch nicht ernsthaft der Aufarbeitung der totalitären Zeit der kommunistischen Herrschaft gestellt hat. Geradezu symptomatisch hierfür ist der Auftritt des aus Marburg stammenden derzeitigen Präsidenten der Slowenischen Republik, Danilo Türk, der nach der Öffnung der „Huda jama“ („Böse Grube“) 2009 nahe dem Kurstädtchen Laško sich zu den Bildern der mumifizierten Leichen kommunistischer Gewalt­ opfer zunächst überhaupt nicht äußern wollte. Und als die Journalisten näckig insistierten, bezeichnete er auf einer Veranstaltung am hart­ Welttag der Frauen, dem 8. März 2009, die Huda jama als „zweitrangiges Thema“ – im Gegensatz zum Frauentag, der für ihn erstrangiges Thema war. Dem Chef der verbrecherischen Udba verlieh er sogar (wenn auch in anderem Zusammenhang) einen Orden. Auch in Marburg wurden im Ortsteil Tezno und auf den Bachern Massengräber entdeckt. Das Massengrab in Tezno dürfte nach heutigen Erkenntnissen das größte Massengrab in Slowenien sein, wo 15.000 Menschen den Tod fanden. Immerhin aber wurde in Tezno das erste Beinhaus errichtet als Mahn­mal für jene, die überall in Slowenien in rund 600 verschwiegenen Gräbern liegen. Doch nicht nur der rasche Übergang von der Diktatur zur Demo­ kratie ist schwierig, sondern auch jener von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft – ein Weg, den die Slowenen vom Anfang der Wende an entschlossen gehen wollten. Auch für die Stadt Maribor war hier zunächst manches schmerzhaft, denn eine Wirtschaftsrevolution fordert ebenfalls ihre Opfer. Viele Betriebe gingen in Konkurs oder mussten sich neu formieren, indem sie in kleinere neue Betriebe unterteilt 327

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wurden – wie etwa die ehemaligen großen Betriebe TAM, Elektrokovina, Svila, Metalna. Der Aufbau der Industrie geht weiter, und zahlreiche hoffnungsvolle Ansätze zeigen sich bereits. Hier tut nicht zuletzt Sloweniens Zugehörigkeit zum großen europäischen Markt das Ihre dank der Europäischen Union, an deren gemeinsamer Währung Slowenien inzwischen gleichfalls teilhat. Deshalb hat auch der Handel, der sich wieder deutlich aufwärts entwickelt, besondere Chancen. Erst recht darf Marburg in der nächsten Zeit auf den wachsenden Touris­ mus zählen, vor allem dank der Bachern-Region. Ein großer Arbeitgeber in der Stadt ist aber auch das Universitäts­ klinikum Maribor geworden. Außerdem ist Marburg Sitz der Slowenischen Post, des Slowenischen Unternehmensfonds („Slovenski podjetniški sklad“), der Öffentlichen Energie-Agentur der Republik Slowenien („Javna agencija Republike Slovenije za energijo“) und der Agentur für den Eisenbahnverkehr („Agencija za železniški promet“). Im großen Stil wurde auch die Stadtsanierung begonnen. Ab 2006 ist die Stadt auch Sitz des Erzbistums und der Metropolie, mit den Suffraganbistümern Celje und Murska Sobota. Marjan Turnšek folgte im März 2011 Franc Kramberger auf den Stuhl des Erzbischofs. Inzwischen hat das Bistum Maribor, das nach der Wende auf vielen Gebieten sehr erfolgreich wirkte, auch die Tore eines bischöflichen Gymnasiums geöffnet, und der Marburger Bischof Slomšek wurde in Maribor, das Papst Johannes Paul II. 1999 besuchte, seliggesprochen. Und wie steht es mit dem deutsch-slowenischen oder österrei­ chisch-slowenischen Verhältnis ? Die Zeiten, in welchen nationale Fragen Ent­rüstung oder Verlegenheit auslösten, sind offensichtlich vorbei. Nicht nur lernen wieder mehr Slowenen Deutsch, sondern auch Deutsche und Österreicher kommen in immer größerer Zahl ins Land, um Slowenisch zu lernen. Zum ersten Mal seit 1945 ist in Slowenien jetzt auch eine Organisation der deutschen Minderheit zugelassen. 1991 wurde in Maribor der Verein „Freiheitsbrücke“ („Most svobode“) ins Leben gerufen. Maßgeblich an der Gründung beteiligt 328

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war der Rechts­anwalt Dr. Dušan Ludvik Kolnik. Der Verein engagiert sich für die Rechte der deutschen Minderheit in Slowenien, wobei es allerdings mitunter auch um Vermögensfragen geht. Seit Mai 1992 ist er auch in die „Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen“ (FUEV) aufgenommen. Die österreichische Regierung unterstützte ihn 1992 in einem Memorandum und setzte sich für die rechtliche Anerkennung der Volksgruppe ein, für die Förderung der deutschen Sprache als Unterrichtsfach in Schulen, auf welchen ein entsprechender Bedarf besteht, nicht zuletzt für eine finanzielle Unterstützung des kulturellen Lebens der Volksgruppe.240 In die von wechselhaften Stimmungen, steilem Auf und Ab, Kämpfen und Leiden geprägte Stadt ist noch nicht die selige Ruhe einge­ kehrt, denn zu viel hat Marburg noch vor – kulturell, wirtschaftlich, politisch. Wahrscheinlich wird es niemals wirklich ruhige Zeiten geben. Aber mit der neuen Ära in Slowenien, mit der neuen Demokratie, mit der neuen Großheimat Europa und mit der neuen Generation ist der Friede in die Stadt gekommen, den die Geschichte den Marburgern früher nicht gegönnt hat. Der Blick in diese Geschichte unruhiger und leidvoller Zeiten ist dennoch – oder jetzt gerade erst recht – empfehlenswert.

240 Dušan Nećak, „Slowenien“, Brennpunkt Osteuropa. Minderheiten im Kreuzfeuer des Nationalismus, hg. v. Valeria Heuberger, Arnold Suppan und Elisabeth Vyslonzil, Wien 1996, S. 241.

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Zeittafel 400 v. Ch. Poštela/Burgstall Vor 1100 Engelbert I. von Spanheim verlegt den Sitz der Mark auf den Pyramidenberg. 1164

„Castrum Marchburch“ wird urkundlich erwähnt.

1189

Ein Pfarrer Konrad wird erwähnt.

1200

Ministerialen auf der Obermarburg

1209

„Forum Marchpurch“

1217

Kommende der Malteser-Ritter erwähnt

1236

Deutschritterorden auf dem Ratzerhof

1243

Stadtrichter Ulrich; Weinbau auf dem Pyramidenberg wird bezeugt.

1246

Die spätere Stadtkirche im romanischen Stil wird erbaut.

1249 Friedhof, Beinhaus erwähnt 1254

Bezeichnung als „civitas“

1270

Kloster der Minoriten erwähnt

1271

Älteste Urkunde mit dem Amtssiegel „civitatis in Marchpurch“

1279

Generalkapitel des Deutschritterordens in Marburg

1281

Geldhandel der Juden in Marburg dokumentiert

1282

Stadtsiegel, in dem die Befestigung festgehalten wird

1283

„Versammlung aller Bürger“, die „universitas civium in Marpurg“

1289

Magdalenenkirche errichtet

1300

Erwähnung des Gerichtsturms; Stadtmauern werden errichtet.

1305

Stadtgraben und die Ulrichskirche erwähnt

1310

Der Ländturm erwähnt

1311

Marburger Urpfarre entstand

1313

Freie Stadtrichterwahl

1315

„Marcht“ (Hauptplatz, Glavni trg) als Mittelpunkt der Stadt bezeichnet

1319

Wildenau/Betnava wird als Marburger Lehen erwähnt

339

zei t ta fe l

1320

Der städtische Beobachtungsturm wird errichtet.

1333

Heinrich der Schrall als erster Judenrichter wird erwähnt.

1334 Kältewelle 1337 Heuschreckenplage 1339

Weinhandelsmonopol der Stadt wird erteilt.

1342

Stürme und Überschwemmungen

1348

Erdbeben; Bürgerspital am Kirchplatz wird errichtet.

1359

Erwähnung des Judenturms

1362

Stadtverwaltung bereits auf dem Hauptplatz; Feuersbrunst

1427

Marburg wird für zwanzig Jahre Sitz des Oberrabbinats.

1429

Erste Erwähnung der Synagoge

1473

Schuster als älteste Zunft erwähnt

1480

Belagerung der Stadt durch die Ungarn

1483

Stadtschloss wird von Friedrich III. erbaut.

1497 Vertreibung der Juden aus der Steiermark; der Adelsbund besetzt kurzfristig die Stadt. 1513

Feuersbrunst, die Stadt brennt fast vollständig ab.

1514

Maximilian I. bestätigt die Stadtprivilegien; zwei Märkte in Marburg.

1515

Rathaus im spätgotischen Stil errichtet.

1532

Süleiman II. bedroht die Stadt; Stadtrichter Cristoff Willenrainer organisiert die Verteidigung.

1537 Türkische Angriffe 1548

Beginn der Renovierung der Festungsanlage

1565

Rathaus im Renaissance-Stil umgebaut

1587

Schloss Windenau/Betnava wird Stützpunkt der Protestanten.

1590

Gebetshaus der Protestanten wird errichtet.

1593

Städtisches Provianthaus wird errichtet.

1598

Evangelischer Pastor muss Marburg verlassen.

1601 Feuersbrunst 1613

Kapuziner in der Stadt

1641

Obermarburg und die Stadtburg werden zu einem Besitz vereint.

1646

Beulenpest

340

zei t ta fe l

1654

Kompromiss zwischen Marburg und Pettau wegen Weinhandels

1680

Das schlimmste Pestjahr

1682

Das Kirchlein der heiligen Barbara wird als Dank für die Errettung vor der Seuche errichtet.

1683

Die Kirche „Barbara und Rosalia“ auf dem Kalvarienberg erbaut.

1685

Feuer zerstört das Schloss Wildenau.

1700

Feuersbrunst

1703

Marburg wird zur Hauptstadt eines Viertels.

1727

Obermarburg kommt in den Besitz der Brandis.

1743

Pestsäule wird von Josef Straub errichtet.

1752

Marburg wird Sitz des Kreises.

1754

Erste Volkszählung

1758 Jesuitenkolleg 1762

Führung des Bürgerbuches beginnt.

1767

Grundstein für die Aloisi-Kirche wird gelegt.

1770

Nummerierungsabschnitt Marburg-Stadt

1771

Erfassung aller Gebäude

1774

Sechsjährige Schulpflicht eingeführt.

1775

Gymnasium von der Stadtpfarre wiedereröffnet.

1782

Papst auf der Reise nach Wien übernachtet in der Stadtburg.

1784

„Montur-Ökonomie-Kommission“ in der Stadt ansässig

1791

Erdbeben

1794

Erdbeben; die ersten französischen Gefangenen werden durch die Stadt

1795

Erste Druckerei wird in der Stadt errichtet.

geführt. 1797 Großfeuer; die ersten französischen Soldaten marschieren ein. 1798 1802 1805

Stadtrichter werden Bürgermeister. Errichtung des Präparandenkurses für die Lehrerausbildung Franzosen kommen

1807

Stationierung des Regiments „Lusignan“ in Marburg

1809

Kaiser Franz I. besucht die Stadt; Franzosen besetzen dreimal die Stadt.

1810

Französische Soldaten räumen die Stadt.

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1811

Theater zieht in die Heiligengeistkirche.

1812

Das Appellationsgericht bestätigt das Urteil des Guberniums über den

1817

Schulden der Stadt werden getilgt; das Infanterieregiment Nr. 47

1822

Versuchs-Weingut von Erzherzog Johann

1825

Musikverein wird gegründet.

1841

Karl Gerdes gründet eine Kaffeesurrogat-Fabrik.

1843

Die Kärntnerbahn wird eröffnet.

1846

Die Südbahn wird eröffnet.

1847

Kaiser Ferdinand I. in Marburg.

1848

Bildung einer Nationalgarde; Petitionsunterschriften für ein Verein­

Verlust der Waldgrundstücke. wird nach Marburg verlegt.

tes Slowenien werden gesammelt. 1850

Eingemeindung der Kärntner-, Grazer- und Magdalenen-Vorstadt; Bezirkshauptmannschaft wird gebildet.

1854

Durchgehende Eisenbahnverbindung Wien-Marburg-Laibach

1855 Das Allgemeine Krankenhaus in der Magdalenen-Vorstadt wird errichtet. 1856

Errichtung der Kadettenanstalt

1857

Durchgehende Eisenbahnverbindung bis Triest

1859

Marburg wird Bischofssitz; Gründung der Priesterseminars und der

1860

Entstehung der Südbahnwerkstatt

1861

Gründung des slowenischen Lesevereins (Čitalnica) und der Gemein-

Theologischen Schule

desparkasse; Gründung der Gemeindesparkasse 1862

Anton Martin Slomšek stirbt; Evangelische Gemeinde von Marburg gegründet; Correspondent für Untersteiermark erscheint; „Marburger Turnverein“ gegründet

1863

Matija Prelog lässt 200 Krüge mit der Anschrift „Maribor“ anfertigen;

1864

Schulschwestern kommen nach Marburg; Kavalleriekaserne errich-

Gründung der Pfarre St. Magdalena. tet

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1865

Eröffnung des Casinos; slowenisches Marburger-Programm, basierend auf dem historischen Recht Innerösterreichs

1866

Marburg bekommt ein eigenes Statut

1867

Gründung der Zeitung Slovenski gospodar; Austritt des einzigen slo-

1868

Einführung der Gasbeleuchtung; Slovenski narod erscheint

wenischen Vertreters aus dem Gemeinderat (übersiedelt 1872 nach Laibach) 1869 Evangelische Christuskirche wird geweiht; achtjährige Schulpflicht. 1870

„Katoliško konzervativno društvo“ (Katholischer konservativer Verein) gegründet; Gründung der Oberrealschule; Marburger Zeitung

1871

Verabschiedung des deutschen „Marburger Programms“

1872

Gründung der Obst- und Weinbauschule

1873 Börsenkrise: „Marburger-Schuhwaren-Fabriksgesellschaft“ wird li­­qui­­ diert, Vorzeigefabrik (Schuhfabrik) von Kleinschuster nach Wien verlegt. 1875

Gründung von Ampelographischen Berichten

1882

Gründung der slowenischen Volkssparkasse; Gründung des „Slo­ vens­ko politično društvo“ („Slowenischer politischer Verein“)

1883 Besuch Kaiser Franz Josephs und Enthüllung des Tegetthoff-Denk­ mals 1885

Eröffnung des Kärntnerbahnhofs

1887 Firma „Zlatorog“ gegründet. 1888

Die Schulschwestern gründen eine Frauen-Lehranstalt.

1889

Männerstrafanstalt in Pobersch Pobrežje mit der ersten Jugendabteilung der Monarchie wird errichtet.

1897 Lazaristen werden feierlich eingeführt. 1899

„Narodni dom“ gebaut

1899

Gründung des Turnvereins „Jahn“

1901

Wasserleitung und Landwehrkaserne werden gebaut.

1903

Slow. Geschichtsverein für die Untersteiermark gibt die Zeitschrift Časopis za zgodovino in narodopisje heraus; Ludwig Mahnert wird evangelischer Pfarrer von Marburg.

343

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1904

Franziskanerkloster und Franziskanerkirche werden erbaut; Artillerie­ kaserne gebaut

1907

Gründung von „Sokol“

1908

Gründung von „Orel“

1910

Neuer Doppelname: „Marburg an der Drau – Maribor na Dravi“; Volkszählung nach Umgangssprache

1911 Lazaristen verlassen die Stadt. 1912

Gründung des slowenischen Vereins „Branibor“

1913

Eröffnung der Reichsbrücke; Baubeginn des Wasserwerks Fall an der Drau

1914 Erster Weltkrieg bricht aus, Mobilmachung; Verhaftungen von Slo­ wenen; die Evangelische Gemeinde bekommt einen eigenen Friedhof. 1917

Maideklaration („Majska deklaracija“); Militär- und Ministerialkommissionen besuchen die Stadt; Major Maister vom Militärgericht freigesprochen.

1918

General Maister übernimmt das Militärkommando der Stadt; Mari-

1919

Bürgermeister Schmiderer übergibt die Stadtverwaltung; Slowenisch

bor wird Teil des Königreichs SHS. wird Amtssprache; Gründung des slowenischen Musikvereins „Glasbena Matica“; amerikanische Delegation in Marburg 1920 Elektrizitätswerk Fala geht in Betrieb; Prinzregent Alexander zu Be­­ such in Marburg; Studienbibliothek wird gegründet; Museum wird mit dem Museum des Historischen Vereins zusammengelegt. 1921

Volkszählung; Gemeindewahlen

1922

Gründung der „Mariborska oblast“; Gründung des „Politischen wirtschaftlichen Vereins der Deutschen“

1923

Straßenbeleuchtung

1931

Volkszählung; Gründung des „Schwäbisch-Deutschen Kulturbunds“; Kreisinspektorat gegründet (bis 1932)

344

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1937

Hutter gründet die Wohnkolonie; Friedhof nach Pobrežje verlegt

1941

Deutsche Okkupation, Besuch Hitlers in der Stadt; „Befreiungs­ front“; erste Partisaneneinheit auf den Bachern; Verhaftungen, Deportationen, Geiselnahmen und Geiselerschießungen

1942

Einführung des Wehrrechts und des Reichsarbeitsdienstes

1944

Schwere alliierte Bombenangriffe

1945

Gründung der Volksrepublik Jugoslawien; Tito besucht die Stadt;

1946 TAM wird gegründet; 1962

Bachern-Seilbahnstation wird errichtet. die Diözese Lavant wird Diö­zese „Maribor-Lavant“

1968

Wasserkraftwerk in Melje

1974

Drago Jančar wegen „Verbreitung feindlicher Schriften“ verhaftet.

1975

Gründung der Universität Marburg

1987

Errichtung der neuen Bischöflichen Theologischen Bibliothek

1991

Slowenien wird unabhängig;

1999

Seligsprechung von Bischof Slomšek

2006

Bistum zum Erzbistum erhoben und Sitz der Metropolie.

2010

Systematische archäologische Ausgrabungen am Pyramidenberg

2012

Kulturhauptstadt Europas

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Wichtige Marburger (Auswahl bekannter Persönlichkeiten, die in Marburg geboren sind oder wesentliche Schaffensjahre hier verbracht haben)

ADALBERT, Pater (urspr.: Albert Christian Graf PURGSTALL) S. J. (*1671, †1744), der Gründervater der Marburger Jesuiten stiftete sein Erbe 1744 für die erste Jesuitenresidenz in Marburg. ANZENGRUBER Ludwig, Schauspieler und Schriftsteller (*1839 Wien, †1889 Wien), einer der bedeutendsten Vertreter des österreichischen Volksstücks, begann seine Bühnenkarriere am Marburger Theater. Seine Stücke „Der Versuchte“ und „Der Pfarrer von Kirchfeld“ wurden in Marburg uraufgeführt. BANCALARI Josef, Apotheker und Politiker (*1824 Marburg, †1871 Marburg), war ab 1867 Bürgermeister von Marburg. BARON Johann, evangelischer Pastor (*1890 Batschka, †1873 Graz), war zwanzig Jahre lang Pfarrer in Marburg, Gauführer des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes in der Drau-Banschaft. BERNHARD, Markgraf v. SPANHEIM (*vor 1097, †1147 Laodicea), Sohn Engelhards I. (siehe dort), vermutlich Erbauer des Castrum Marchburch, 1164 als „Graf von Marburg“ erwähnt. BRANDIS Franz Jakob, Graf v. (*1671, †?), brachte 1727 die Obermarburg in seinen Besitz. BRANDL Josef, Orgelbauer (*1865, †1938), Inhaber des Unternehmens „Josef Brandls Orgelbau-Anstalt“ in Marburg, er baute 149 Orgeln, deren bekannteste sich im Marburger Dom befinden sowie in Kirchen von Brestanica/Reichenburg und Dubrovnik.

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DRŽEČNIK Maksimilijan, Prof. Dr., Bischof von Lavant (*1903 Ribnica na Pohorju, †1978 Ljubljana), Professor an der Theologischen Fakultät für Soziologie und Ethik, 1946 Weihbischof, 1949 Apostolischer Administrator, 1960 Bischof von Maribor. DUCHATSCH Ferdinand, Rechtsanwalt und Politiker (*1835 Marburg, †1885 Marburg), ab 1883 Bürgermeister von Marburg. ENGELBERT I., Markgraf v. SPANHEIM (SPONHEIM) (†1096), „Vater von Marburg“ genannt, weil er den Sitz seiner Markgrafschaft vor 1100 auf den (später sogenannten) Hügel „Pyramide“ oberhalb der späteren Stadt Marburg verlegte. Die Dynastie der Spanheimer (Sponheimer) stammt aus Rheinfranken. FILIPIČ France, Historiker, Schriftsteller (*1919 Maribor, †2009 Maribor), war 1944/45 Häftling im Konzentrationslager Mauthausen und in dessen Außenlager St. Valentin. Verfasste u. a. die umfangreiche Monografie Slovenci v Mauthausnu (Slowenen in Mauthausen, in verkürzter Form in Deutsch erschienen). FRIEDRIGER Fritz, Baumeister, Architekt, Politiker (*1859 Schäßburg, Siebenbürgen, †1922 Graz), wichtigster Vertreter des Jugendstils in Marburg, wurde 1906 Mitglied des Gemeinderats, gestaltete 1902–1911 die Magdalener Vorstadt. GLASER Markus, Pfarrer von St. Peter nächst Marburg (*1806, †1889) GLAZER (auch GLASER) Janko, Bibliothekar in Marburg, Dichter und Literaturhistoriker (*1893 Maria Rast/Ruše, †1975 Ruše) GOETHE Hermann, Fachmann für Weinbau und Önologie (1837 Naumburg/ Saale, † 1911 Baden b. Wien), Gründungsdirektor der Weinbauschule in Marburg. GRČAR Viktor, Politiker, Redakteur, (*1881 Mokronog, †1842 Čačak), erster slowenischer Bürgermeister in Marburg (Sozialistische Liste). Im De­­zem­­­­ber 1919 gründete er die Zeitschrift Volksstimme. Mitbegründer von Edinost.

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GRMIČ Vekoslav, Prof. Dr., Weihbischof in Maribor, Generalvikar und Rektor, Vertreter der sogenannten „sozialistischen Theorie“, Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Maribor. HAAS Herta, zweite Ehefrau von Tito (*1940 Maribor, †2010 Belgrad), Tito lernte sie während der gemeinsamen illegalen Zeit 1937 kennen und heiratete sie 1940 in Istanbul. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes trennte sich das Paar 1941. HARTMANN Bruno, Literaturhistoriker, Lehrer (*1934 Celje), schrieb zahlreiche wichtige Abhandlungen zur Kulturgeschichte der Stadt Marburg/ Maribor. HOLZINGER Josef, Bildhauer und Holzschnitzer (*1735, †1797 Marburg), zählt zu den bedeutendsten Bildhauern der Untersteiermark. HUTTER Josef, Unternehmer (*1889 Doljni Brigi bei Gottschee, †1963 Innsbruck), errichtete und leitete (von 1926 bis 1939) das größte Textilunternehmen der Stadt (Textilfabrik Hutter und Co.), baute eine sozial vorbildliche Arbeiterkolonie in Maribor-Pobrežje und den sog. Hutterblock im Stadtzentrum von Maribor. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er verhaftet und zu fünf Jahren Haft mit Zwangsarbeit verurteilt. Sein ganzes Vermögen wurde beschlagnahmt, ebenso das seiner Frau Elizabeta, geb. Hribar. Er wurde allerdings vorzeitig entlassen und zur Arbeit in einer Textilfabrik in Cilli verpflichtet. Anfang der Fünfzigerjahre durfte er nach Österreich übersiedeln. ISRAEL ISSERLIN bar Petachja (Mitte 15. Jahrhundert), Rabbiner von Marburg, weithin bekannter jüdischer Gelehrter. JANČAR Drago, Schriftsteller (*1948 Maribor), bekam nach der Wende 1993 den wichtigsten Literaturpreis Sloweniens, den France-Prešeren-Preis. Romane u. a.: „Rauschen im Kopf“ („Zvenenje v glavi“) 1998, „Katharina, der Pfau und der Jesuit“, 1999, „To noč sem jo videl“ (noch nicht übersetzt: „Heute Nacht habe ich sie gesehen“  ), 2011. Jančar wurde

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1974 wegen „Verbreitung feindlicher Schriften“ verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Nach vorzeitiger Entlassung wurde er gezwungen, Militärdienst zu leisten. Er lebt heute in Ljubljana. JUVAN Alojz, Dr., Rechtsanwalt und Politiker (*1886, †1960 Maribor), wurde 1924 und 1927 für die SLS in den Gemeinderat gewählt und war von 1928 bis 1931 Bürgermeister, dann wieder von 1935 bis 1941. Im April 1941 wurde er von der Besatzungsmacht verhaftet und nach Serbien deportiert. KAINZ Josef Gottfried Ignaz, Schauspieler (*1858 Wieselburg, †1910 Wien), begann seine später ruhmreiche Karriere in Wien und anderen großen Kulturstädten Europas 1875 am Theater Marburg, an welchem er sein erstes Engagement erhielt. KERNSTOCK Ottokar, Dichter, Priester, Augustinerchorherr (*1848 Marburg, †1928 Festenburg), schrieb Lyrik sowie historische Werke mit deutschnationaler Tendenz, u. a. „Der redende Born“ (1922). Kernstock verfasste 1929 auch den Text für die österreichische Bundeshymne der Ersten Republik nach den Haydn-Tönen der alten Kaiserhymne. KHIESSL Johann Jakob, Graf (†1691), kaufte 1641 die Obermarburg und führte sie mit der Stadtburg zu einem Besitz zusammen. KNOBLOCH Hilda, Schriftstellerin, Lehrerin (*1880 Marburg, †1960 Graz), schrieb Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten und Gedichte, erhielt 1957 den Peter-Rosegger-Preis. KOCMUT Ivan, Prof. Dipl.-Ing., Architekt (*1926 Maribor, †2009 Maribor), Hochschullehrer an der Fakultät für Bauwesen. KOS Ivan, Maler und Grafiker (*1895 Radkersburg/Gornja Radgona, †1981 Maribor) KOVAČIČ Fran, Prof. Dr., Historiker, Philosoph (*1867 Veržej, †1939 Maribor), Mitbegründer des Historischen Vereins in Marburg, Redakteur der Zeitschrift „Časopis za zgodovino in narodopisje“ ab 1917, Experte für Grenzfragen in der jugoslawischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Paris. Er schrieb u. a. 1928 eine Geschichte der Diözese Lavant.

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KRAMBERGER Franc, Prof. Dr., erster Erzbischof und Metropolit von Marburg (*1936 Lenart in Slovenske Gorice), ab 1974 Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Ljubljana, 1980 zum Bischof von Mar­ burg ernannt, 1911 pensioniert. LIPOLD Franjo, Dr., Rechtsanwalt, Politiker (*1885, †1970), Bürgermeister von Maribor 1931 bis 1935. MAHNERT Ludwig, Dr., evangelischer Pastor und Schriftsteller (*1874 Hamm, †1843 Innsbruck), war Pfarrer von Marburg von 1903 bis 1919. 1912 schrieb er neben anderen Werken einen Roman, mit welchem er die steirische Los-von-Rom-Bewegung unterstützte: Die Hungerglocke. In Marburg war er für einen extrem deutschnationalen Kurs verantwort­ lich, der auch zu zahlreichen Übertritten von Deutschösterreichern vom katholischen zum evangelischen Glauben führte. 1918 wurde er verhaftet, aber wieder freigelassen. Er floh nach Österreich. Dort war er Pastor in Mürzzuschlag, dann in Innsbruck. Er wurde auch hier mehrmals verurteilt, weil er Predigten gegen den österreichischen Ständestaat hielt. MAISTER Rudolf, General, Offizier, Politiker, Schriftsteller (*1874 Stein/ Kamnik, †1934 Unec), Soldat in der k.u.k. Armee, während des Ersten Weltkriegs Interimskommandant des Landsturmregiments in Marburg. Am 1. November 1918 übernahm er das Kommando der Stadt Marburg und sicherte die Stadt für den neuen südslawischen Staat. Von 1921 bis 1923 Vorsitzender der jugoslawischen Delegation zur Regelung des Grenzverlaufs mit Italien. Er wurde zwangspensio­niert. MAJCEN Stanko, Dr., Schriftsteller, Jurist, Politiker (*1888 Maribor, †1970 Maribor). 1924 wurde er Bezirkshauptmann von Maribor, 1928 Kabinettsleiter des jugoslawischen Innenministers Korošec, 1935 stellvertretender Ban in Ljubljana. Ab 1943 war er im Büro Leon Rupniks tätig, des Präsidenten der Provinz Laibach, 1944 wurde er dessen Stellvertreter. 1945 pensioniert.

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MAJCEN Stanko, Salesianer (*30. 9. 1904, †30. 9. 1999 Rakovniku), war Missionar in China, Vietnam, Macao. MELL Max, Dr., Schriftsteller, Dramatiker (*1882 Marburg an der Drau, †1971 Wien), bekannt vor allem als katholisch orientierter Dichter in Österreich. Verließ Marburg mit seiner Familie schon im Kindesalter. Häufig aufgeführte Werke u. a. „Das Apostelspiel“, „Die Sieben gegen Theben“. Mell war 1933 Mitbegründer des verbotenen „Bundes Deutscher Schriftsteller Österreichs“. MLINARIČ Jože, Prof. Dr., Historiker, Universitätslehrer (*1935 Maribor), sammelte umfangreiches Archivmaterial in 18 Bänden zur Geschichte der Stadt Maribor (Provinzarchiv Maribor) und ist Autor zahlreicher Abhandlungen über die Stadtgeschichte. NAGY Alexander, Dipl.-Ing., Marburger Bürgermeister von 1889 bis 1902 (*1834 Pettau/Ptuj, †1902 Marburg). NAPOTNIK Mihael, Prof. Dr., Fürstbischof von Lavant (*1850 Tepanje, †1922 Marburg), Professor an der Theologischen Schule in Marburg. OTAKAR (OTTOKAR) III., Markgraf v. TRAUNGAU († 1164), möglicher Erbauer der Marburg zwischen 1148 und 1164. Mündel und Erbe von Bernhard v. Spanheim (siehe dort). PARMA Viktor, Komponist und Jurist (*1858 Triest, †1925 Maribor), Werke: „Ksenija“ und „Stara pesem“ („Das alte Lied“) PARTLJIČ Tone, Schriftsteller, Lehrer, Politiker (*1940 Maribor) PEČAR Franc, Manager, Ingenieur (*1919 Maribor, †2009 Chur), Direktor von „Metalna“ (Maribor), leitete den Aufbau der Turbinenfabrik „Litostroj“ (Ljubljana) und der Fahrzeugfabrik Tomos (Koper). Nach Gift­ attentat der Geheimpolizei emigrierte er nach Österreich. Manager in der Werkzeugmaschinen-Industrie in Deutschland (Hunter-DouglasKonzern).

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PIRKMAJER Otmar, Prof. Dr., Jurist, Politiker (*1888 Fram, †1971 Celje), Großbürgermeister des „Oblast“ Maribor. 1927 stellvertretender Ban in Ljubljana. Während des Zweiten Weltkriegs in der neuen Führung der JNS („Jugoslovenska nacionalna stranka“, Jugoslawische Nationalpartei). Die Nationalsozialisten wiesen ihn 1944 ins KZ Dachau ein. Von dort ging er 1945 zunächst nicht mehr nach Slowenien zurück. Von den jugoslawischen Machthabern in Abwesenheit zum Tode verurteilt (Urteil später aufgehoben). Rektor einer Universität in München, Bevollmächtigter des Hohen Kommissars für Flüchtlingsfragen in der Bundesrepublik Deutschland. 1960 kehrt er nach Slowenien zurück. POHL Max (POLLAK), Dr., Schauspieler, Theaterleiter, Jurist (*1855 in Nikolsburg/Mikulov, †1935 Berlin), begann seine Karriere am Marburger Theater und feierte später in Hamburg, Leipzig und Berlin große Bühnenerfolge. PUFF Rudolf Gustav, Dr., Gymnasiallehrer, Dichter, Historiker (*1808 Holz­ baur­egg, †1865 Marburg), förderte intensiv die slowenische Kultur. 1846 Ehrenbürger der Stadt. 1848 in der städtischen Nationalgarde. Er schrieb Gedichte (1835–1840) in sechs kleinen Bänden, 1847 die erste Geschichte der Stadt Marburg in zwei Bänden, „Marburg in Steiermark. Seine Umgebung, Bewohner und Geschichte“, ferner u. a. ein „Marburger Taschenbuch für Geschichte“ und eine „Landes und Sagenkunde der Steiermark“ (1853–1855). RABCEWICZ Ladislaus v., Dr., Hochschulprofessor und Pionier des Tunnelbaus (*1893 Sankt Kunigund/Kungota b. Marburg, †1975), wirkte 1940 an führender Stelle beim Baubeginn des Loibltunnels zwischen Kärnten und Slowenien mit. RAST Ferdinand, Frh. (*1808 Wien, †1889 Marburg), 1848–1859 Kommandant der Nationalgarde in Marburg, Verwalter von Schloss Faal, Gemeinderat und Stadtschulrat. REISER Matthias, Jurist und Notar, Bürgermeister (*1830 Weilersbach, †1895 Marburg), war seit 1861 sowie von 1870 bis 1882 im Gemeinderat.

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REISER Othmar, Bürgermeister (*1792 Kappel/Schwarzwald, †1868 Marburg), Onkel des späteren Bürgermeisters Matthias Reiser (siehe dort). SATZERISCH Mathias, Bürgermeister von Marburg, wegen seines geschickten und gelungenen Plans zur Tilgung der immensen Stadtschulden (1817) gerühmt und ausgezeichnet. SCHMIDERER Johann, Dr., Bürgermeister (*1848 Marburg, †1925 Maribor), letzter Bürgermeister Marburgs während der Habsburgermonarchie. Erhielt wegen seiner hohen Verdienste um Marburg 1905 das Ritterkreuz des Franz-Josephs-Ordens und 1909 den Orden der Eisernen Krone. SCHMIDT Alfred, Schriftsteller (*1886 Marburg, †1960 Berlin), schrieb 1915 unter dem Pseudonym Maderno den Roman „Die Wildenrainer“, der sich mit dem Wirken des Stadtrichters Christoff Willenrainer (siehe dort) zur Zeit der Türkenbelagerung befasst. SIMČIČ Zorko, Schriftsteller und Publizist (*1921 Maribor), arbeitete in der Presseagentur der Provinzverwaltung in Laibach, flüchtete im Mai 1945 nach Kärnten und emigrierte 1948 nach Argentinien. Seit 1994 lebt er in Ljubljana. In Buenos Aires war er Mitherausgeber der slowenischen Zeitschrift Meddobje. Er schrieb Romane (z. B. „Prebujenje“,1943, „Človek na obeh straneh stene“ ,1957), Gedichte („Korenine večnosti“   ) und Essays, auch Jugendliteratur. ŠLANDER Slavko, Politiker (*1909 Dolenja vas, Prebold, †24. 8. 1941 Marburg), Mitglied des Zentralkomitees der KPS und Sekretär des Parteikomitees der Steiermark, 1941 festgenommen und erschossen. SLOMŠEK Anton Martin, Fürstbischof von Lavant, Schriftsteller (*1800 Slom, †1862 Marburg), verlegte 1859 den Bischofssitz von St. Andrä nach Marburg. Damit setzte er einen bedeutenden Meilenstein für die Entwicklung Marburgs. Slomšek war ein großer Förderer der slowenischen Sprache und Kultur. U. a. begründete er 1846 das slowenische Jahrbuch Drobtince („Brosamen“). 1853 gründete er den St.-Hermagoras-Bücherverein.

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ŠNUDERL Makso, Jurist, Politiker, Schriftsteller (*1895 Rimske Toplice, †1979 Ljubljana), arbeitete in Marburg als Rechtsanwalt und Richter, schloss sich dem „Volksbefreiungskampf“ an. ŠPINDLER Vekoslav, Politiker, Journalist (*1881 Moravci, †1966 Maribor), verfasste 1906 federführend das Programm der Liberalen Nationalen Partei Steiermark. 1922 verantwortlicher Redakteur von Tabor, 1931– 1935 Generalsekretär des Verbandes der Kulturorganisationen für die Steiermark. Von der deutschen Besatzungsmacht nach Serbien deportiert. Nach dem Krieg Sekretär der Studienbibliothek. STEPIŠNIK (auch: STEPISCHNEGG) Jakob Maximilian, Prof. Dr., Fürstbischof, Historiker (*1815 Celje, † 1899 Marburg), wurde 1840  –1847 Vikar des Bischofs von Lavant, Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht, 1862 Domherr in Marburg, 1863 Bischof der Diözese Marburg. ŠTUKELJ Leon, Leistungssportler, Geräteturner, Jurist (*1898 Novo mesto, †1999 Maribor), gewann 1928 eine goldene und zwei bronzene Medaillen bei den Olympischen Spielen in Amsterdam, 1936 eine Silbermedaille in Berlin. Nach seiner Sportkarriere war er Richter in Novo mesto, Lenart, Maribor. TAPPEINER Andreas, Unternehmer (*1810 Marburg, †1867 Marburg), erbte 1834 die Bierbrauerei seines Vaters und verkaufte sie, dafür erwarb er die Glashütte in St. Lorenzen am Bachern. 1850–1853 Bürgermeis­ ter in St. Lorenzen, 1861 Abgeordneter zum Steirischen Landtag und Bürgermeister von Marburg. TEGETTHOFF Wilhelm v., Admiral, Befehlshaber der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine (*1827 Marburg, †1871 Triest), nahm an der Blockade Venedigs 1848/49 teil sowie an vielen Expeditionen der kaiserlichen Marine, begleitete Kaiser Maximilian nach Mexiko. 1866 Sieger der Seeschlacht von Lissa, Marinekommandant und Chef der Marinesektion im Reichskriegsministerium, Mitglied des Herrenhauses, Ehrenbürger der Stadt Wien, Mitglied der Akademie der Wissenschaften.

354

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TOMAŽIČ Ivan Jožef, Prof. Dr., Fürstbischof (*1876 Miklavž pri Ormožu, †1949 Maribor), Professor an der Theologischen Hochschule, ab 1933 Bischof der Diözese Lavant. TRSTENJAK Anton, Prof. Dr., Wissenschaftler, Theologe, Schriftsteller, Psychologe (*1906 Rodmošci, †1996 Ljubljana). Zwischen den Kriegen Katechet am Gymnasium Maribor. Nach dem Zweiten Weltkrieg Hochschullehrer für Theologie. Seine Studien über die Farbenlehre machten ihn weit über die Grenzen der Heimat hinaus bekannt. TRSTENJAK Davorin, Lehrer, Historiker, Schriftsteller, (*1817 Sv. Jurij ob Ščavnici, †1890 Windischgrätz) TÜRK Danilo, Prof. Dr., Politiker, Jurist, Präsident der Republik Slowenien (*1952 Marburg), arbeitete beim „Socialistična zveza delovnega ljudstva Slovenije“ (SZDL, dem „Sozialistischen Verband der Arbeiterschaft Sloweniens“). Sekretär der Kommission für Minderheiten- und Auswandererfragen. Ordinarius des Instituts für Völkerrecht und Internationale Beziehungen in Ljubljana, Mitglied der Unterkommission der Vereinten Nationen zur Verhinderung der Diskriminierung und zum Schutz der Minderheiten, Berichterstatter der Vereinten Nationen für den Bereich Menschenrechte, 1992 Botschafter Slowe­ niens bei den Vereinten Nationen, 2000 bis 2005 politischer Assistent von UNO-Generalsekretär Annan. Seit 23. Dezember 2007 ist Türk Staatspräsident Sloweniens. TURNŠEK Marjan, Prof. Dr., Erzbischof und Metropolit der Diözese Maribor (*1955 Celje), war Professor an der Theologischen Fakultät. Erster Bischof von Murska Sobota 2006, 2011 Nachfolger von Erzbischof Kramberger auf dem Marburger Bischofssitz. VERSTOVŠEK Karl, Dr., Gymnasiallehrer, Politiker (*1871 Velenje, †1923 Maribor), Abgeordneter zum Steirischen Landtag (1909–1913) sowie zum Abgeordnetenhaus (1910/11), Präsident des Nationalrats für die Steiermark (1918), Unterrichts-Bevollmächtigter der Slowenischen Landesregierung von 1918 bis 1921.

355

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WILLENRAINER Christoff, Stadtrichter Marburgs (†1543), organisierte die Vorbereitungen für die Verteidigung gegen die Türkenbelagerung von September 1532 und wird wegen seiner weitsichtigen Planung zu den Rettern Marburgs gezählt. ZIDANŠEK Miloš, Politiker (*1909 Straža na Gori, †1942 Hribarjevo), Kommunist, Organisator der Volksbefreiungsbewegung in Maribor. ŽEBOT Franjo, Journalist, Politiker (*1881 Selnica ob Muri, †1945 Dachau), war Abgeordneter der SLS, danach, von 1935 bis 1941, stellvertretender Bürgermeister von Maribor. 1941 von der Gestapo ins KZ Dachau verbracht, wo er starb.

356

Abkürzungsverzeichnis AS Arhiv Slovenije (Archiv Sloweniens) DEMOS

Demokratična opozicija Slovenije (Demokratische Opposition Sloweniens)

HHStA

Haus-, Hof- und Staatsarchiv

KNOJ

Korpus narodne obrambe Jugoslavije (Korps der nationalen Ver-

KP

Kommunistische Partei

OF

Osvobodilna fronta (Befreiungsfront)

OZNA

Oddelek za zaščito naroda (Abteilung für den Schutz des Volkes)

SLS

Slovenska ljudska stranka (Slowenische Volkspartei)

PAM

Pokrajinski arhiv Maribor (Erzbischöfliches Archiv Maribor)

RKFDV

Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums

SKD

Slovenski krščanski demokrati (Slowenische Christ-Demokraten)

SDZ

Slovenska kmečka zveza (Bund Slowenischer Demokraten)

teidigung Jugoslawiens)

SZDL

Socialistična zveza delovnega ljudstva Slovenije (Sozialistischer Verband der Arbeiterschaft Sloweniens)

VOS

Varnostnoobveščevalna služba (Sicherheits- und Nachrichtendienst)

357

Bildnachweis Textabbildungen:

Abb. 1.

Marburg an der Drau im 17. Jahrhundert Darstellung des Topografen Georg Matthäus Vischer, 1681 Quelle: Pokrajinski arhiv Maribor (PAM, Regionalarchiv Maribor)

Abb. 2

Die Holzbrücke über die Drau um 1901 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, inv. 11642

Abb. 3

Obermarburg Darstellung des Topografen Georg Matthäus Vischer, 1681 Quelle: Pokrajinski muzej Maribor (Regionalmuseum Maribor)

Abb. 4

Das Stadtwappen auf der Hauptbrücke (Glavni most) PAM, Zbirka albumov fotografij, Inv. 7227

Abb. 5

Draugasse (Dravska ulica) Richtung Hauptplatz (Glavni trg) Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, Inv. 3146

Abb. 6

Die Synagoge Quelle: PAM, Fond Zavod za urbanizem Maribor, Te 1–74.

Abb. 7

Die Hinteransicht der Synagoge von Maribor, der späteren Allerheiligenkirche, Stadtturm Quelle: PAM, Fond Zavod za urbanizem Maribor, Te 1–74

Abb. 8



Unbekannter Maler, Votivbild mit der Abbildung von Marburg, erstellt anlässlich der großen Pest 1680, Wallfahrtskirche Maria Nazaret hin Nazarje, 1681 Quelle: PAM, Fond Zavod za urbenizem Maribor, Te 1–26.

358

bi l dn a c hweis

Abb. 9



Das Theater 1806  –1862 in der ehemaligen Heiligengeistkirche nach einer zeitgenössischen Zeichnung am Domplatz (heute Slomškov trg). Heute steht an dieser Stelle die Post. Quelle: PAM, Fond Zavod za urbanizem, Te 1–50

Abb. 10

Slomškov trg (Slomšek Platz) mit dem Dom, 1929 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, inv. 2532

Abb. 11

Narodni dom (Volksheim), 1999 Quelle: Privatarchiv Vera und Josef Schmuck

Abb. 12

Reißerstraße (Cankarjeva ulica) in Marburg,1918 Quelle: Vera und Josef Schmuck, Mellach

Abb. 13

Hauptplatz, 1909, Teilansicht Quelle: Zbirka albumov fotografij, Inv. 3148

Abb. 14 Alexander Nagy, Bürgermeister von Marburg 1886  –1902 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, Inv. 7459 Abb. 15 Bau der Reichsbrücke 1912 Quelle: Privatarchiv Vera und Josef Schmuck, Mellach Abb. 16

Blick von der Reichsbrücke auf die Draugasse 1913 Quelle: PAM, Zbirka albumov fotografij, Inv. 3219

Abb. 17 Arbeiterkolonie mit Kärntner Bahnhof und Eisenbahnwerkstätten Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, inv. 2911 Abb. 18

Das k.u.k. Truppen-Spital, 1914 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic

Abb. 19

K.u.k. Infanterie-Kaserne Quelle: PAM, Zbirka albumov fotografij, Inv. 3248

Abb. 20

Johann Schmiderer, letzter Bürgermeister Marburgs während der Habs­burgermonarchie (1902–1919)

359

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Abb. 21

General Rudolf Maister – Vojanov, 1918 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, inv. 4091

Abb. 22

Viktor Grčar, Bürgermeister von Marburg 1921–1924 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, Inv. 3988

Abb. 23

Festsaal des Rathauses, 1929 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, inv. 2295

Abb. 24 Luftbild der Stadt mit Industrieanlagen, 1930 Quelle: PAM, Te 49, Zavod za urbanizem Maribor Abb. 25

Hutter-Siedlung in Pobersch/Pobrežje Quelle: PAM, Fond Zavod za urbanizem Maribor

Abb. 26

Jožefova cerkev (Josefskirche), 1953 Quelle: PAM, Fond Zavod za urbanizem Maribor, Te 1–29

Abb. 27 6. April 1941: Jugoslawische Soldaten sprengen mithilfe Einheimischer die Brücken über die Drau, um den Deutschen den Weg abzuschneiden. Hier die gesprengte Reichsbrücke (Glavni most) Quelle: Privatarchiv Vera und Josef Schmuck Abb. 28

Einmarsch deutscher Besatzungssoldaten in Marburg am 8. April 1941 Quelle: Muzej novejše zgodovine Slovenije

Abb. 29 Besuch Hitlers in Marburg am 26. April 1941. Auf der Draubrücke von links nach rechts: Sigfried Uiberreither (Gauleiter Steiermark, Chef der Zivilverwaltung), Martin Bormann (Leiter der Parteikanzlei, Sekretär Hitlers), Adolf Hitler, Otto Dietrich (SS-Obergruppenführer, Staatssekretär) Quelle: Deutsches Bundesarchiv, Bild 121–   0723 Abb. 30

Im Bombenkeller in der Kopitarjeva ulica 6, 1944 Quelle: PAM, TE 5–88, Zavod za urbanizem Maribor

Abb. 31 Von alliierten Bomben getroffen: Marburger Allgemeine Baugesellschaft Stahlhoch- und Brückenbau Quelle: Muzej novejše zgodovine Slovenije

360

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Abb. 32

Zerstörte Häuserfront an der Kopitarjeva Gasse Quelle: PAM, Inv. 4038

Abb. 33

Die niedergebombte Südbahnwerkstatt von Maribor Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, Inv. 4167

Abb. 34

Umjubelter Empfang in Maribor: Josip Broz-Tito am 31. Mai 1945 Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, Inv. 4390

Abb. 35

Maribor nach dem Krieg, um 1963 Quelle: Privatarchiv Vera und Josef Schmuck

Abb. 36

Das Gefängnis von Maribor Quelle: Arhiv Republike Slovenije, AS 1549

Abb. 37

Bischof Dr. Maksimilijan Držečnik Quelle: Nadškofijski arhiv, Maribor

Abb. 38 Liste des Bischofs Držečnik mit Namen verhafteter Geistlicher des Bistums Lavant, 1952 Quelle: NŠAM, Zapuščina Dr. Maksimilijana Držečnika

Farbbildteil: Abb. 1

Grundriss der Stadt mit den drei wichtigsten Stadttoren: Burgtor, Kärntnertor, Drautor (1824) Quelle: PAM, Zbirka Franciscejski kataster: P 35 Maribor

Abb. 2.

Der Marburger Kreis 1760 Quelle: Steiermärkisches Landesarchiv, Graz

Abb. 3

Burgplatz um 1915 Quelle: Privatarchiv Vera und Josef Schmuck

Abb. 4

Marburg um 1910: Das Lendviertel mit dem Landturm und dem Landhaus Venedig („Drau-Venedig“ genannt) Quelle: PAM Zbirka fotografij in razglednic, Inv. 8976



361

bi l dn a c hweis

Abb. 5 Casino-Theater um 1901 Quelle: Archiv Vera und Josef Schmuck, Mellach Abb. 6 Tegetthoffstraße um 1916 Quelle: Archiv Vera und Josef Schmuck, Mellach Abb. 7

Ein Teil des Hauptplatzes (Glavni trg) im Jahr 1909 Quelle: Zbirka albumov fotografij, Inv. 3148

Abb. 8

K.u.k. Infanteriekadettenschule Quelle: PAM, Zbirka fotografij in razglednic, Inv. 2846

Abb. 9

Füstbischof Anton Martin Slomšek Quelle: Nadškofijski arhiv Maribor (NŠAM, Erzbischöfliches Archiv Maribor)

Abb. 10 Abschied von Papst Johannes Paul II. am 18. September 1999 nach der Seligsprechung von Anton Martin Slomšek. Von links nach rechts: der jetzige Ordinarius Erzbischof Marjan Turnšek, Erzbischof Franc Perko, Erzbischof Franc Kramberger, Papst Johannes Paul II. Quelle: NŠAM Abb. 11

Evangelische Kirche in der Truberjeva ulica Quelle: Evangeličanska cerkvena občina Maribor

Abb. 12

Basilika zur heiligen Maria, Mutter der Barmherzigkeit mit Franziskanerkloster Quelle: Privatarchiv Vera und Josef Schmuck



Abb. 13 Luftaufnahme vom heutigen Maribor, von Bachern aus gesehen Quelle: Slowenische Wikipedia, Bild aufgenommen von Andrej Abb. 14

Bild des Schreckens: Massengrab in Tezno, Luftaufnahme Quelle: Jože Dežman

Abb. 15

Das Beinhaus in Tezno, errichtet als Mahnmal gegen Krieg und Verbrechen. Quelle: Jože Dežman



362

Namenregister Abensberg Konrad I. 65

Bela IV. 34

Abraham, Rabbi 26

Belcredi Richard Graf 162

Adalbert, Pater 79, 346

Bellini Vincenzo 130

Adler Victor 215

Berberih-Slana Aleksandra 232, 239,

Ahn Friedrich 331

331

Albrecht II. 43

Bernhard, Graf von Marburg 31, 32,

Alexander (Karadjordjević) 238–239,

36, 65, 346

258

Bevk France 251

Allio Andrea dell’ (auch de Lalio) 48

Bleiweis Janez 167

Allio Domenico dell’ 48

Blumenwitz Dieter 278, 331

Altmann Josef 101

Bormann Martin 360

Ambrožič Matjaž 332

Bračič Vladimir 234, 331

Anzengruber Ludwig 131–133, 134,

Brandis, Grafen von 38, 129, 150,

346

341

Attems Marius 117–118

Brandis Adam 38

Attems Ottokar Maria 139, 146

Brandis Clemens Heinrich A. 38

Auersperg Wolf Engelbert 51

Brandis Heinrich Franz Adam 38

Augustus, röm. Kaiser 22

Brandis Franz Jakob 38, 51, 341, 346 Brandis Henrik 39

Bach Alexander Frh. v. 138

Brandl Josef 346

Bachmann Emil 149

Brandstätter Franz 264

Badl Anton 197

Broz Josip – siehe Tito

Bancalari Josef 346

Brugger Eveline 76, 331

Baron Johann 259, 265, 270, 346 Bauer Otto 225

Caharija J. 198

Baumkirchner Andreas 83

Chasteler Johann Gabriel 106

Beck-Rzikowsky Friedrich 202

Chlothar II. 27

363

N a menregis t er

Cinglenečki Marjeta 331

Engelbert I. von Spanheim 31–32,

Clemens XIV. 80

35–36, 339, 347

Claudius (röm. Kaiser) 22–23

Epona 24

Čoh Mateja 282, 284, 307,

Etrich Igor 197

331

Ferenc Tone 270, 273, 332, 337

Corvinus Matthias 48, 83

Ferk Franz 20

Curk Jože 331

Ferdinand I. (österr. Kaiser) 159, 342

Cvetkovič Dragiša 259

Ferdinand II. (Ferdinand III.) 35, 59,

Cvirn Franc 220

73

Cvirn Janez 155, 331

Ferlež Jerneja 247, 332 Ferlinz Johann Georg 101, 109

Dagobert I. 27

Filipič, Familie 72

Dainko Peter 125

Filipič France 346

Delpin Werner 273

Findešek Franc 333

Dežman Jože 297, 307, 335, 336,

Flotow Friedrich 131

362

Franz I. (Franz II.) 11, 104, 143, 341

Dietrich Otto 267

Franz Ferdinand 204

Dietz Josef 133

Franz Joseph 146, 161, 194, 204,

Dimitrij (serb. Patriarch) 257

210, 234, 343, 353

Dolinar France 332

Frauenberger Josef 126

Drukher Barbara 79

Friedrich, Erzherzog 189

Drukher Bernardin 79

Friedrich I. 33 –34

Držečnik Maksimilijan 318  –322,

Friedrich II. 34

347, 361

Friedrich III. (Friedrich IV.) 37, 49,

Duchatsch Ferdinand 347

60, 78, 83, 84, 340

Duino 37

Friedrich IV. 84 Friedriger Fritz 347

Eberhard, Bürger 43

Fuchs Johann 80

Ebner Herwig 54 Einspieler Andrej 163

Gaj Ljudevit 16

Eisler Arnold 222

Gamilschegg Anton 114

Elisabeth (Frau von Mattheus) 46

Gašparič Maks 289

364

N a menregis t er

Gasteiger Franz 197

Hein Viktor Frh. v. 114

Gebler Josef 70

Heinrich der Löwe 33

Gerdes Karl 196, 342

Heinrich VI. 33

Gerecke Friedrich 196

Henrik von Sponheim 31

Glančnik Jernej 169

Herberstein 37, 148

Glaser Edvard 66, 332

Herberstein Wolf Wilhelm 51, 72

Glaser Markus 127, 144, 347

Herkules 24, 25

Glazer Janko 249, 251, 303, 347

Hillebrand, Josef 67

Glockner, Richter 211

Holloy Petrus 80

Goethe Hermann 1257, 183, 347

Hitler Adolf 261–280, 286, 292, 345,

Golec Boris 55, 332

360

Golouh Rudolf 251

Holzer Rudolf 258, 333

Goschenhofer Josef 149

Holzinger Josef 81, 348

Gottfried, Kirschner 43

Hösler Joachim 122, 333

Gottfried von Marburg 42

Hozjan Andrej 87, 202, 333

Graben, Herren von 37

Hrastelj Franc 316

Granda Stane 159, 160, 332

Hutter Josef 246 –247, 304, 332,

Grčar Tone 289

345, 348, 360

Grčar Viktor 235 –239, 347, 360 Gregorc Ladoslav 168

Ingolič Anton 303

Greisenegg Andreas v. 84

Israel Isserlein bar Petachja 74, 348

Griesser-Pečar Tamara 275, 295, 318,

Ištvanović Nikola 216

332 Grmič Vekoslav 322, 348

Jahn, Friedrich Ludwig 234

Gruber Ludwig, s. Anzengruber

Jančar Drago 303, 318, 345, 348–349 Janša Janez 324 –329

Haas Herta 296 –297, 348

Janschitz Eduard 180

Haas Priska 296

Janschitz Josef Karl 180

Habjan Vlado 160, 332

Jarnik Urban 160

Hartmann Bruno 133, 135, 167,

Jecl Gregor 333

174, 229, 250, 332, 348

Jelinčič Boeta Klemen 74, 76, 78,

Haugwitz Wilhelm 94

333

365

N a menregis t er

Jenko Janez 322

Kavčič Jakob 143

Jermann Gregor 333

Kellner v. Kellenau Franz 211

Johann (Erzherzog) 11, 106, 107,

Kerčmar Vili 73, 333

108, 126, 342

Kerenčič Marica 291

Johannes Paul II. 140, 328, 362

Kernstock Ottokar 165, 275, 349

Jolas Heinrich 150

Khiessl, Freiherren von 38

Joseph II. 48, 67, 70, 90, 91, 94,

Khiessl Hans Jakob 37

95 –96, 98, 100  –102, 104,

Khiessl Johann Jakob Graf 37–38, 51,

122, 142, 143, 149, 151, 161,

349

234

Khünburg Graf 108

Jupiter 24

Khuenburg Maks v. 51

Jurič Filip 338

Kidrič Boris 188–189, 299

Jurtschitz Lucas 57, 62

Kidrič France 140

Juvan Alojz 239, 261, 349

Kieser Karl 239 Kinsky Anton Graf 202

Kadiš Marija 337

Kladnik Tomaž 219, 333

Kainz Josef Gottfried Ignaz 132,133,

Klein Anton 69, 333

349

Kleinschuster Anton 197, 343

Kankowsky Franz 117

Klimanek Josef 149

Kann (Landeshauptmann) 222, 223

Knobloch Hilda 349

Kann Robert A. 158, 333

Kocbek Edvard 252

Karl I. 208, 211, 214, 217

Kocmut Ivan 300, 349

Karl II. 62–63, 72

Kolar Bogdan 333

Karl der Große 28, 30

Kolatschek Julius 149

Karlin Andrej 255

Koller Albert v. 203

Kardelj Evdard 312

Kolnik Dušan Ludvik 329

Karner Stefan 119, 177, 197, 206,

Konrad, Pfarrer 66, 330

209, 2302, 268, 273, 275, 276,

Koprivnik Vesna 17, 333

277, 284, 292, 299, 304, 333

Koropec Jože 40, 334

Katharina v. Alexandrien 52

Korošec Anton 171, 184, 211, 214,

Kaunitz Wenzel Anton 94

216, 217, 252, 350

Kavčič Andrej 125

Kos Ivan 349

366

N a menregis t er

Kosar Franz 82, 139, 141, 145, 161,

Leopold V. 33, 41

334

Leopold VI. 34, 36, 37, 41

Kostanjevec Jože 130

Leskovec Antoša 99, 103, 106, 191,

Kovačič Fran 127, 140, 146, 154,

193, 198, 202, 230, 239, 241,

186, 334, 349

334

Kralik, Korporal 110

Leyrer Friedrich 199

Kralik Leopold 180, 248

Likar Miha 333

Kramberger Franc 315, 322, 329,

Lilienthal Otto 197

333, 350, 355, 362

Lind Eduard 150

Kramberger Karla 52, 334

Lindner Franz 101

Kramberger Petra 181, 334

Lipold Franjo 350

Krammer Viktor 118

Lipošek Zrim Mojca 333

Kreinz Ignaz 71

Lipovšek Stanko 139, 334

Kržičnik Ermin 313

Lobmeyr-Hohenleiten O. 178, 334

Kučan Milan 324

Löschnigg 109

Kugelmayer Karl 112

Lurker Otto 271

Kunigunde von Halitsch 34 Kutnar Franz Xaver 138

Machule Walter 271 Mahnert Ludwig 149, 152–156, 334,

Lackner Johann Theodor 196 –197

350

Lahn Gustav 131

Maister Rudolf – Vojanov 155,

Lalio – siehe Allio dell’

209  –228, 234 251–260, 344,

Lajnšič Srečko 217

355 –356, 364

Lapajne Ivan 186

Majcen Stanko, Schriftsteller 251,

Lazarevič Žarko 313, 334, 336

252, 303, 350, 351

Lefrer Christoff 62

Majcen Stanko, Missionar 351

Lechner Paul 79

Mally Georg 20

Leitner Georg 312

Manikor Anton 63

Leopold I. (Babenberger) 42

Margarete von Babenberg 34

Leopold I. (Habsburg) 93, 97, 198

Maria Theresia 71, 79–80, 90,

Leopold I. der Starke 32

92 –103, 121

Leopold II. 104

Markl Rudolf 165

367

N a menregis t er

Markvard, Bürger 43

Natlačen Marko 230

Mathe der Stadtschreiber 63

Nećak Dušan 329, 335

Matjašič Jurij 124

Neipberg Adam Albert 106

Mattheus, Stadtschreiber 46

Neskod, Karl 215

Maximilian I. 78–79, 88, 340

Nord Alois 116

Maximilian II. 58

Nudl Andreas 197

Maximilian (Kaiser v. Mexiko) 354 Meier Victor 323, 334

Odilo, bayr. Fürst 27

Melaher Jože - Zmagoslav 290

Otakar III. (Traungauer) 32, 36, 66,

Melich Herren v. 52

351

Melik Vasilij 163, 334

Otakar IV. 32, 33, 34, 41

Mell Anton 102

Otakar V. 36

Mell Max 351

Otto der Große 28

Merkur 24

Otto III. 30

Mesko (Oberst) 106

Ottokar II. Přzemysl 34

Mikola Milko 297, 334

Ožinger Anton 144, 148, 335

Mithras 24 Mitrović Ančica 251

Pahlič Stanko 17, 21, 335

Mitrović Andre 251

Pahor Boris 252

Mlinarič Jože 43, 55, 59, 63, 66, 69,

Paltram, Familie 51

90, 93, 335, 351

Parma Viktor 251, 351

Moll Martin 157, 165, 171, 206,

Partljič Tone 351

207, 208, 209, 335

Passy Rudolf 222–223

Montanar Ilaria 335

Pavich v. Pfauenthal Alphons 117

Mühleisen Lothar 239, 258

Pawlikowski Ferdinand 271

Muršec-Živkovski Josip 158

Pečar Franc 351 Pengg Johann 197

Nagy Alexander 188 –189, 351, 359

Pereke Friedrich 149

Napoleon 91, 102, 104, 111, 112–

Pertassek Rudolf 58, 135, 149, 155,

120, 202

165, 204, 229, 335

Napotnik Mihael 147 –148,

Pertot J. 198

254  –255, 351

Pesek Rozvita 335

368

N a menregis t er

Peter II. 261

Rabcewicz Ladislaus 352

Petz Maria Andrea 128, 335

Rachwin, Grenzgraf 30

Pferschy Franz 118, 336

Racknitz 37

Pichler Franz 86, 336

Radetzky Josef Wenzel 108

Pichler Franz, Fassbinder 130

Radkherspurger Hanns 62

Pigrato Pietro Antonio di 48

Radovanovič Sašo 106, 175,

Pilgrim, Abt 36

203 –204, 337

Pirchegger Hans 55, 102

Raiffeisen Friedrich Wilhelm 193

Pirkmajer Otmar 237, 352

Rajšp Vincenc 185, 186, 188, 337

Pius VI. 94

Rast Ferdinand Frh. 130, 199, 352

Pius IX. 146

Raupach Benjamin Salomo 189

Pleterski Janko 171, 206, 207, 336

Reiser Matthias 140, 352–353

Pock Friedrich 336

Reiser Othmar 140, 144, 353

Pogačnik Jože 322

Remec Alojzij 251

Pogačnik Lovro 216

Remitz Josef 101, 112

Pohl Max (Pollak) 132, 133, 352

Renner Karl 151, 214

Pomprein Georg 195

Richgardis von Lavant 31

Porta Paolo della 67

Rieß Josef 197

Posch Fritz 98, 117, 336

Robič Franc 123

Potočnik Dragan 246, 259, 336

Rösener Erwin 280

Potschnigg Ferdinand 197

Rössler Friedrich v. 199

Pražák Alois v. 177

Rosegger Peter 154, 349

Predan 22

Rosenberg Josef 196

Prelog Matija 16, 184, 342

Rosenberg Wok v. 43

Prinčič Jože 304, 307, 336

Rosina Franz 207

Pšeničnik Boris 333

Rožman Gregorij 319

Puff Rudolf Gustav 20, 49, 87, 97,

Rudolf, Stadtrichter 43, 68

109, 110, 115, 122, 125, 130,

Rudolf von Habsburg 34

174–175, 199, 336, 337, 352

Rupnik Leon 252, 350

Puklavec Ludvik 333, 335

Rusche Erwin 272

Purgstall Albert Christian Graf ­

siehe Adalbert, Pater

Samec Janko 252

369

N a menregis t er

Samo 27

Šlander Slavko 288, 353

Satzerisch Mathias 113  –115, 353

Slavec Andreja 308, 310, 313, 337

Sauer Graf 108

Slivca Edvard 198

Schärffenberg Hans Graf 37, 130

Slomšek Anton Martin 25, 46,

Scherbaum Gustav 196

136 –147, 159–161, 328, 332,

Scherbaum Karl 196

334, 342, 345, 353, 359, 362,

Schlee v. 103

367, Farbabbildung 9, 10

Schlosser Paul 20

Šnuderl Makso 252, 354

Schmerling Anton v. 162

Sokol Hans H. 337

Schmid Walter 20

Šolar Amabilis 337

Schmiderer Johann 151, 214, 217,

Sophie von Bayern 32

224, 231, 344, 353, 359

Spanheimer (auch Sponheimer)

Schmidt Alfred (Maderno) 86, 353

29–31

Schmuck Josef 359 –362

Špes Ivan 198

Schmuck Vera 359  –362

Špindler Dušan 289, 354

Schmutz Karl 71, 337

Stadler, Herren von 37

Schönerer Georg Heinrich 151–152

Stage Kurt 272

Schrall Heinrich der 63, 340

Stalin 286, 311

Schreiner Henrik 123

Stampfl (Apotheker) 199

Schütz Franz Anton 181

Staudinger (Brüder) 197

Schwarzenberg Felix 162

Steindl Franz 271, 275

Schwarzenberg Friedrich J. 138

Stepišnik Jakob Maximilian 142,

Seftschnig Erwin 277

147 –148, 354

Seitz Friedrich 46

Štesl Jurij 290, 337

Semec Vladimir 207

Štih Peter 339

Sernec Josip 176, 175, 337

Stojadinović Milan 253

Siegfried I. v. Spanheim 31

Stourzh Gerald 177, 178, 337

Simčič Zorko 353

Straka Manfred 53

Simonitti Vasko 337, 338

Strmčnik Gulič Mira 20

Simović Dušan 261

Stübich 37

Šipuš Klavdija 333

Štukelj Leon 354

Šiška 276

Süleiman II. 86, 340

370

N a menregis t er

Suppantschitsch Johann 130

Tunkhl Virgili 62

Švajncer Janez J. 326, 338

Turnšek Marjan 328, 355, Farb­

Swoboda Adalbert 180

abbildung 10

Syber Hanns 62

Twickel Pius Frh. v. 39

Szekely Lucas 51 Uiberreither Siegfried 264 –268, 271, Tappeiner Andreas 188

360

Tappeiner Johann 196

Ulrich von Paldau (Ulrich II.) 66

Tarnóczy Maximilian Josef v. 143,

Umpfenbach Georg 272

145

Urbanitsch Peter 177, 338

Tattenbach Hans Erasmus 97

Ursini-Rosenberg Marie Eleonore 38,

Taufer Walter 135, 338

51

Tauscher Vinzenz 114 Tegetthoff Wilhelm v. 170, 234, 337,

Valentinitsch Helfried 338

354

Verstovšek Karl 174, 218, 231, 233,

Teržan Biba 20

355

Teuffenbach 37

Vischer Georg Matthäus 14, 39

Thomé Franz 131

Vodopivec Fran 237

Thun Graf 100

Vodopivec Peter 121, 338

Tito – Josip Broz 138, 202, 293, 294,

Vogt Josef 272

296, 297, 298, 299, 301, 309,

Vovk Anton 319, 320, 326

310, 311, 323, 345, 348, 361

Vraz Stanko 15

Toman Lovro 16 Tomažič Ivan Jožef 255, 256, 271–

Walker (Stadtrichter) 43

273, 315, 317–320, 335, 355

Walsee 37

Traungauer 29, 32, 36

Weiß v. Schleussenburg Adam 118

Treveno Valentin 48

Weiss Norbert 53, 338

Trstenjak Anton 355

Wels Franz Xaver 199, 342

Trstenjak Davorin 124, 355

Welsberg Graf 107

Tscheligi Franz 270

Welzer 37

Türk Danilo 327, 355

Wernher vom Haus am Bacher 42

Tunkhl Sebastian 62

Wiedl Birgit 76, 331

371

N a menregis t er

Willenrainer Christoff 86, 340, 353,

Zidanšek Miloš 286, 356

356

Žigon Tanja 183, 338

Windisch-Graetz Alfred 161

Ziljski Matija Majer 158, 159

Wintnawer Liza 51

Zimmermann Ignaz Franz S. 143

Wocho 66

Zister Franz 180 Žnidarič Marijan 272, 278, 280, 282,

Zacharias, Papst 27

284, 335

Zafošnik Tone 338

Zorko Alojz 288

Zajšek Boštjan 153, 338

Zorzut Ludvik 252

Zavadlav Zdenko 295, 296, 298, 338

Žusemski Andrej 51

Žebot Franjo 260, 356

Zwickl Hans Jakob v. 38

Ževart Milan 338

Zwieckl 37

372