Managementwissen für Klein- und Mittelunternehmen: Handwerk und Unternehmensführung [Reprint 2018 ed.] 9783486799668, 9783486250039

Anschaulich und verständlich stellt das Werk die Grundlagen der Unternehmensführung kleiner und mittlerer Betriebe dar.

193 120 61MB

German Pages 464 [468] Year 1998

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Managementwissen für Klein- und Mittelunternehmen: Handwerk und Unternehmensführung [Reprint 2018 ed.]
 9783486799668, 9783486250039

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
KAPITEL I: EINLEITUNG
KAPITEL II: DAS HANDWERK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
KAPITEL III: UNTERNEHMENSFÜHRUNG IM HANDWERK
KAPITEL IV: WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG, UNTERNEHMENSENTWICKLUNG UND KRISENMANAGEMENT
KAPITEL V: BEDEUTUNG, PROBLEMFELDER UND CHANCEN DER KMU
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis

Citation preview

Managementwissen für Klein- und Mittelunternehmen Handwerk und Unternehmensführung

Von

Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw und

Diplom-Volkswirt Wolfgang Dürig unter Mitarbeit von Jan Appelhoff, Silke Baltrusch, Juliane Brunk, Antje Heinrich, Patricia Huber, Robert Kasch, Christoph Kreutz, Karl Kuba, Thomas Puchinger, Kathrin Reinhold, Cornelia Saß

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zdrowomyslaw, Norbert: Managementwissen für Klein- und Mittelunternehmen : Handwerk und Unternehmensfuhrung / von Norbert Zdrowomyslaw und Wolfgang Dürig. Unter Mitarb. von Jan Appelhoff... - München ; Wien : Oldenbourg, 1999 ISBN 3-486-25003-5

© 1999 R. Oldenbourg Verlag Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 3-486-25003-5

VORWORT

Es existieren zwar zahlreiche Veröffentlichungen und Lehrbücher zum Management (= Unternehmensführung), aber nach wie vor haben nur wenige Abhandlungen die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im Focus ihrer Betrachtung. Dies ist um so verwunderlicher, da der Mittelstand als „Wirtschaftsfaktor" in Deutschland und in vielen anderen Ländern eine hohe volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung hat. Das Buch soll einen Beitrag dazu liefern, das komplexe Feld des Managementwissens unter KMU einem breiten Leserkreis besonderer Berücksichtigung von näherzubringen. Das bedeutet, daß in diesem vorliegenden lehrbuchorientierten Werk nicht alle Fragestellungen und Facetten der Mittelstandsökonomie behandelt werden können und sollen. Im Mittelpunkt der Abhandlung steht die Managementlehre, wie es auch der Titel des Buches deutlich macht. Zielsetzung dieses Buches ist es, dem Leser das Grundwissen der Unternehmensfuhrung in anschaulicher und verständlicher Art und Weise darzulegen. Die einzelnen Themenbereiche werden deshalb anhand von Beispielen und zahlreichen Abbildungen verdeutlicht und durch Literaturhinweise vervollständigt. Hierbei wird das didaktische Konzept verfolgt, daß neben der grundlegenden Einführung in die Unternehmensfuhrung bestehende Zusammenhänge und Wechselwirkungen betont sowie Anregungen für die weitere wissenschaftliche Durchdringung des gesamten Themenkomplexes gegeben werden. Das Buch ist so konzipiert, daß der „ganzheitliche" Ansatz der Managementlehre deutlich wird, ohne dabei die Behandlung der betrieblichen Funktionsbereiche zu vernachlässigen. Zahlreiche Fragen werden aufgeworfen und behandelt wie z. B.: Wie sind die Strukturen des mittelständisch geprägten Handwerks und welche Entwicklungslinien zeichnen sich ab? Was ist Management? Wie werden Manager von ihrer Umwelt beeinflußt? Welche Aufgaben haben Führungskräfte? Welche Instrumente gibt es, die das Führen von Unternehmen unterstützen? Was zeichnet erfolgreiche und erfolglose Unternehmen und Manager aus? In welchem Ausmaß ist Managen organisierbar? Gibt es betriebsgrößenspezifische Besonderheiten, die es zu beachten gilt? Lassen sich Unternehmenskrisen und Insolvenzen verhindern? Das Buch wendet sich nicht nur an Studierende an Hochschulen und Personen aus Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, die sich in das Gebiet der Managementlehre einarbeiten wollen, sei es als Teilgebiet der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre oder als spezielle Betriebswirtschaftslehre (z.B. Handwerksbetriebslehre), sondern richtet sich gleichermaßen an weiterbildungsinteressierte Praktiker, die ihre Handlungen auch auf eine theoretische

Grundlage stellen möchten bzw. diese überprüfen wollen. Wir sind überzeugt, daß dieses Buch nicht nur die Veranstaltungen im Lehrprogramm der verschiedenen Ausbildungsstätten unterstützen kann, sondern daß auch viele Personen aus Unternehmen und sonstigen Organisationen aus dem Buch einen Nutzen ziehen werden. Beim Zusammenstellen und Recherchieren für dieses Buch profitierte einer der Autoren, nämlich Wolfgang Dürig, von seinen langjährigen Forschungserfahrungen in der Abteilung „Handwerk und Mittelstand" am RheinischWestfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. An dieser Stelle sei den Mitarbeitern der Forschungsgruppe, namentlich Frau WELTER und Herr LAGEMAN, herzlich für die konstruktiven Gespräche über Handwerksfragen gedankt. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts sowie wertvolle Verbesserungsvorschläge bedanken wir uns bei D R . PETRA LUTAT, Dipl.-Kffr. BIRGIT RICHTER und Frau JANA HABECK sowie D R . BERND RETHMEIER. Für die Unterstützung bei der technischen Umsetzung bedanken wir uns bei Dipl.-Ing. FRANK WESTPHAL.

Bei allen menschlichen Bemühungen können Irrtümer und Fehler nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Uber kritische Anregungen und Vorschläge aller Art aus Theorie und Praxis würden wir uns deshalb freuen.

Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw Dipl.-Volkswirt Wolfgang Dürig

VII

Inhaltsverzeichnis

Vorwort KAPITEL I: EINLEITUNG

1

1. 2. 3. 4.

1 1 4 6

5. 6. 7. 8. 8.1 8.2 8.3

Wissenschaft und Wirtschaftspraxis Kurze historische Betrachtung des Handwerk Problemfelder und Zukunftsperspektiven des Handwerks Abgrenzungsprobleme von Mittelstand und Handwerksunternehmen sowie Verbindungslinien Gibt es die Unternehmensfiihrung im Handwerk? Insolvenzen im Handwerk - ein Hinweis auf Managementprobleme? Informationsquellen für den Handwerksunternehmer Handwerksforschung in Deutschland Deutsches Handwerksinstitut Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung Universitätslehrstühle und Hochschulen mit mittelständischem Forschungsschwerpunkt (Auswahl)

12 14 15 17 17 17 20

KAPITEL II: D A S HANDWERK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

21

1.

21

1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.2.1 1.1.2.2 1.2 1.2.1 1.2.2

1.3 1.3.1 1.3.1.1

Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Handwerkswirtschaftein Überblick Begriff des Handwerks Definitionsversuche mit ökonomischen Kriterien Legaldefinition nach der Handwerksordnung Vollhandwerke nach Anlage A der HwO und handwerkliche Nebenbetriebe Handwerksähnliches Gewerbe Anlage B der HwO Großer Befähigungsnachweis als Voraussetzung zur Selbständigkeit im Handwerk Kurzer Rückblick auf die Geschichte des Befähigungsnachweises und die Rechtslage Diskussion um die Bedeutung und die Wirkung des Befähigungsnachweises im Zusammenhang mit dem Gutachten der Deregulierungskommission Einordnung der Handwerkswirtschaft in die Branchenstruktur der Bundesrepublik Deutschland Das statistische Bild des Handwerks Selbständige Handwerksunternehmen

21 21 22 23 26 32 33 34

36 36 38

VIII 1.3.1.2 1.3.1.3 1.3.1.4 1.3.1.5 1.3.1.6 1.3.1.7 1.4 1.4.1

1.4.1.1 1.4.1.2 1.4.1.3 1.4.2 1.4.2.1 1.4.2.2 1.4.2.3 1.4.3 1.4.3.1 1.4.3.2 1.4.4 1.4.5 1.5 1.5.1 1.5.1.1 1.5.1.1.1 1.5.1.1.2 1.5.1.2 1.5.1.3 1.5.1.4

Inhaltsverzeichnis

Beschäftigte und Beschäftigtenstruktur des Handwerks Die Rolle des Handwerks in der Berufsausbildung und Qualifizierung (Qualifikationsstrukturen) Nominale und reale Umsatzentwicklung Wertschöpfung im Handwerk Betriebs- und Unternehmensgrößen im Handwerk Die regionale Präsenz des Handwerks Strukturwandel im Handwerk Wechselwirkung zwischen gesamtwirtschaftlichem Strukturwandel und Wandel der Strukturen im Handwerk Umsatzstruktur des Gesamthandwerks Beschäftigtenstruktur des Handwerks Absatzrichtung und Abnehmerstrukturen des Handwerks Wettbewerbsposition des Handwerks auf ausgewählten Märkten Das Handwerk als Anbieter haushaltsbezogener Dienstleistungen (Konsumgüterhandwerke) Das Handwerk als Anbieter von Investitionsgütern und unternehmensbezogenen Dienstlei stungen Wachsende, stagnierende und schrumpfende Marktbereiche des Handwerks Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen durch veränderte Unternehmensstrukturen Traditionelle Betriebsformen und moderne Unternehmenskonzepte im Handwerk Filialisierung und Franchising im Handwerk Einfluß neuer Technologien auf das Handwerk Die Arbeitsintensität handwerklicher Produktionsweise und das Problem der Lohn- und Lohnzusatzkosten Die „Performance" des Handwerks - Probleme und Perspektiven Stärken und Schwächen im Wettbewerb Konsumgüterhandwerke als Konkurrenten oder als Verteiler der Industrie Demographische Komponenten der Nachfrageentwicklung Do-it-yourself und Schwarzarbeit Investitionsgüter- und Zulieferhandwerke im Zeichen der Europäisierung, der Internationalisierung und der Globalisierung Handwerk als Dienstleister für gewerbliche Abnehmer Neue Betätigungsfelder des Handwerks im

42 45 51 51 52 54 54 56

57 59 62 63 63 68 72 73 74 75 80 82 85 85 85 87 91 93

95 97

Inhaltsverzeichnis

1.5.2 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2

Umweltschutz? Lokale Verankerung oder Öffnung zu weiträumigeren Märkten? Die organisatorische Verankerung des Handwerks Die handwerkliche Selbstverwaltung Innungen Die Innungsverbände Kreishandwerkerschaften Handwerkskammern Die Spitzenorganisation des Handwerks Der Zentralverband des Deutschen Handwerks Deutscher Handwerkskammertag

IX

101 102 103 103 105 105 105 107 107 108

KAPITEL I I I : UNTERNEHMENSFÜHRUNG IM H A N D W E R K

110

1. 1.1 1.2

110 110 111

1.3 1.4 1.5 2. 2.1 2.2 2.3 3. 3.1 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 5. 5.1

Unternehmensfiihrung in Theorie und Praxis Einfuhrung Unternehmensführung - Bestandteil der Wissenschaftsdisziplin Betriebswirtschaftslehre? Rahmenbedingungen der Unternehmensfiihrung in reifen Volkswirtschaften Umwelt und Unternehmensführung Managementprozeß und Führungsaufgaben Merkmale und Ziele von Unternehmen Merkmale eines privaten Unternehmens Zielkategorien und Zielhierarchie Zielgrößen und Zielformulierung Evolution von Führungssystemen Von der Buchhaltung zur ganzheitlichen Unternehmensfuhrung Quantitative und qualitative Unternehmensfiihrung Unternehmen als systemorientiert - ganzheitliches Gebilde Strategien und Faktoren erfolgreicher Unternehmen Was ist Unternehmenserfolg und woher kommt er Erfolgsfaktoren von Unternehmen Mittelstand - nationaler und internationaler Erfolgsfaktor? Erfolgsfaktor Manager und Unternehmer: Wirtschaftskapitäne oder „Nieten in Nadelstreifen" Anforderungsprofile und Kompetenzen Aufgaben und Tätigkeiten Manager-und Unternehmertypen Zentrale Funktionsbereiche in Unternehmen Charakteristische Merkmale in KMU und Großunter-

111 113 115 117 117 119 121 123 123 126 129 129 129 131 135 144 144 146 146 150 150

X

5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.2.1 5.3.2.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.5.1 5.3.5.2 5.3.5.2.1 5.3.5.2.2 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.3.1 5.5.3.2 5.5.3.2.1 5.5.3.2.2 5.5.3.2.3 5.5.3.2.4 5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.7 5.7.1

Inhaltsverzeichnis nehmen Unternehmenspolitik und strategische Führung Führung in die Zukunft mit unternehmenspolitischen Grundsätzen Was ist unter Unternehmensstrategie zu verstehen? Umwelt- und Unternehmensanalyse als Elemente des strategischen Planungsprozesses Aufgabe und Elemente der Situationsanalyse Umweltanalyse Traditionelle Branchenstruktur- und Wettbewerbsanalyse Branchenstruktur- und Unternehmensanalyse anhand der Wertschöpfungskette Unternehmensanalyse - Analyse der eigenen Stärken und Schwächen Methoden zur Schwachstellen-/Stärken-analyse Erfolgsfaktorenanalyse und Stärken-Schwächen-Analyse Erfolgsfaktorenanalyse: Beispiel Bäckerei Stärken-Schwächen-Analyse: Beispiel Augenoptiker Stärken-Schwächen-Profil-Analyse Stärken-Schwächen-Nutzwertanalyse Organisation Wesen und Aufgaben Organisationsformen Besonderheiten und Aspekte der Organisation in KMU Personalwirtschaft und Mitarbeiterführung Vom Personalwesen zum Management der „Ressource" Mitarbeiter Personalplanung in KMU Gestaltung der Mitarbeiterführung Was ist Führung? Einstellung zur Arbeit Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit Wissenschaftliche Erkenntnisse Auf der Suche nach der idealen Mitarbeiterführung Maßnahmen zur Verbesserung der Motivation und des Betriebsklimas Innovationen Bedeutung und Definition von Innovationen Innovationsmanagement Produktinnovationen und Produktlebenszyklus Unternehmenslogistik - Vom Einkauf über die Produktion zum Verkauf Logistik - Querschnittfunktion mit Kundenorientierung

152 152 154 155 155 165 161 164 168 171 175 177 179 179 182 184 184 185 188 191 191 193 197 197 198 198 199 201 205 208 208 209 213 214 214

Inhaltsverzeichnis

5.7.2 5.7.3 5.7.3.1 5.7.3.2 5.7.4 5.8 5.8.1 5.8.2 5.8.2.1 5.8.2.2 5.8.2.3 5.8.2.3.1 5.8.2.3.2 5.8.2.3.3 5.9 5.9.1 5.9.2 5.9.2.1 5.9.2.2 5.9.3 5.9.3.1 5.9.3.2 5.9.3.3 5.9.3.4 5.9.4 5.9.4.1 5.9.4.2 5.9.5 5.9.6 5.9.6.1 5.9.6.2 5.9.6.3 5.10 5.10.1 5.10.2 5.10.2.1 5.10.2.2 5.10.2.3

Produktion Materialwirtschaft: Einkauf und Lager Determinanten der Materialwirtschaft Instrumente zur Lieferantenauswahl und optimalen Bestellmenge Distributionslogistik Marketing Marketing im Spannungsfeld zwischen Unternehmen, Markt und Wettbewerb Marketingkonzeption Marktziele Erfolgsfaktoren Strategien und Marketing-Mix Strategien Marketing-Mix Mittel, Maßnahmen und Kontrolle Finanzwirtschaft: Investition und Finanzierung Beziehung zwischen Investition und Finanzierung Investitionsentscheidungen und Investitionsplanung Aufgaben und Verfahren der Investitionsrechnung Einsatz und Eignung von Investitionsrechnungen Finanzmanagement und Finanzplanung Funktionen des Finanzmanagements im Überblick Finanzwirtschaftliche Entscheidungskriterien Finanzplanung Finanzdisposition Finanzkontrolle und Finanzanalyse Kennzahlen des Jahresabschlusses und Kreditwürdigkeitspriifung Finanzierungsstruktur in deutschen Unternehmen Möglichkeiten und Instrumente der Kapitalzuführung Finanzierungsquellen und Finanzierungsprobleme in KMU Bedeutung und Einsatz von Finanzierungsinstrumenten Mängel im Finanzierungsverhalten Probleme und Widerstände bei der Kapitalbeschaffung Rechnungswesen und Controlling Von der Buchführung zum Controlling Aufgaben und Teilgebiete des betrieblichen Rechnungswesens Aufgaben Teilgebiete Unterscheidungsmerkmale von Finanz-und Betriebsbuchhaltung

XI

216 219 219 221 225 227 227 228 228 229 230 230 232 234 236 236 239 240 242 248 248 249 251 255 257 259 263 266 268 268 272 273 275 275 277 277 279 285

XII

5.10.2.4 5.10.3 5.10.4 5.10.4.1 5.10.4.2 5.10.4.3 5.10.5 5.10.5.1 5.10.5.2 5.10.5.3 5.10.5.4 5.10.5.4.1 5.10.5.4.2 5.10.5.4.3 5.10.5.5 5.10.5.5.1 5.10.5.5.2 5.10.5.5.3 5.10.5.6 5.10.5.6.1 5.10.5.6.2

Inhaltsverzeichnis

Informationshierarchie und -Verdichtung in der Buchhaltung Bedeutung und Nutzung der Finanzbuchhaltung in der Praxis Einsatz von Kosten-und Erlösrechnungssystemen in der Praxis Notwendigkeit eines Kostenmanagements Die Rechengröße Kosten und der Betriebsvergleich Vollkosten-und/oder Teilkostenrechnungssysteme? Controlling Begriff und Abgrenzung zum Finanz-und Rechnungswesen Controlling in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße Zentrale Funktionen des Controlling Instrumentenkasten des Controllers Mindestinstrumentarium für KMU Contollergerechtes Informationssystem Berichtssystem und Berichtshierarchie Kennzahlen, Vergleichsrechnungen und Orientierungsdaten Bedeutung von Kennzahlen für das Controlling Aufgabe, Zweck und Arten von Kennzahlen Ausgewählte Kennzahlen und Orientierungsdaten Führungsinstrumente Eine Auswahl von Instrumenten Controller und Führungsinstrument

KAPITEL I V : WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG, UNTERNEHMENSENTWICK-

287 288 296 296 296 299 300 300 302 304 306 306 308 310 313 313 314 316 317 317 331 336

LUNG U N D KRISENMANAGEMENT

1. 2. 3. 4. 5. 6. 6.1 6.2 6.3 7. 7.1 7.2 7.2.1 7.2.2

Einführung zur Theorie und Praxis wirtschaftlicher Entwicklung Wirtschaftswachstum, Konjunktur und Wirtschaftskrise Deutschland - eine Industrie-und Dienstleistungsgesellschaft Volkswirtschaftslehre - Hintergrund für konkrete Politiken Staatlicher Einfluß auf die Unternehmensentwicklung Management der Unternehmensentwicklung Grundsätzliche Aspekte Bedrohung der Unternehmensexistenz und konjunkturabhängige Normstrategien Frühaufklärung für Unternehmen - Der Wunsch einer überraschungsfreien Unternehmensentwicklung Unternehmensentwicklung Stadien der Unternehmensentwicklung Insolvenzen und Insolvenzentwicklung Insolvenzentwicklung und-prognose Was sind Insolvenzen?

336 336 340 342 345 347 347 349 351 353 353 357 357 359

Inhaltsverzeichnis

7.2.3 7.2.4 8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 9. 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 10. 10.1 10.2 10.3 10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4 10.5 10.6

Insolvenzverordnung 1994 und Sanierungspflichten Analyse von Insolvenzursachen für die Frühaufklärung Die Unternehmenskrise - eine besondere Phase Krise in Theorie und Praxis Was ist eine Unternehmenskrise? Unternehmensentwicklung als Krisenursache Krisenverlauf, Krisenstadien und Krisenarten Krisenursachen Krisenmanagement Begriffsklärung: Krisenmanagement Krisenvermeidung - Aktives Krisenmanagement notwendig Krisen- und Insolvenzfrüherkennung Kennzahlenorientierte Frühwarnung und Frühaufklärung Unternehmenssanierung Führungsinstrumente - ein Weg Unternehmenskrisen und Insolvenzen zu verhindern? Unternehmenssicherung und Nachfolgeregelung Grundsätzliches zur Nachfolgeproblematik Nachfolgeregelung rechtzeitig und umfassend planen Ziele der Nachfolgeregelung Vier Modelle einer Nachfolgeregelung Vorweggenommene Erbfolge Betriebsfortführung Verkauf Betriebsaufgabe Auswahl und Ausbildung des Nachfolgers Die Nachfolge planmäßig regeln

KAPITEL V: BEDEUTUNG, PROBLEMFELDER UND CHANCEN

XIII 362 364 365 365 367 368 369 370 372 372 374 375 376 377 387 388 388 389 391 391 392 393 393 394 394 396 400

DER KMU 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1 2.3.2 3.

Einführung Bedeutung und Situation von Klein- und Mittelbetrieben „Mittelständische Renaissance" in Deutschland? Wirtschaftkraft Mittelstand Problemfelder und Forderungen des Mittelstandes Probleme und Schwachstellen Forderungen zur Entlastung des Mittelstandes Kooperations- und Konzentrationsformen

400 400 400 401 402 402 406 408

Abkürzungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Literaturverzeichnis

412 415 420 422

Kapitel I: Einleitung

1

KAPITEL I: EINLEITUNG 1. Wissenschaft und

Wirtschaftspraxis

Viele Praktiker (Unternehmer, Geschäftsführer) insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) haben ein distanziertes Verhältnis zur Wissenschaft und zu wissenschaftlichen Einrichtungen, obwohl es vielfältige Möglichkeiten der Annäherung und Zusammenarbeit gibt (Zdrowomyslaw/Rethmeier 1995). Aber was heißt schon Wissenschaft? Kann nicht bereits von Wissenschaft gesprochen werden, wenn nur systematisch und nachvollziehbar nach der Wahrheit gesucht wird? Scheu vor der Wissenschaft bzw. Theorie ist in keiner Weise gerechtfertigt. „Allenfalls hat sich die Wissenschaft dem Vorwurf zu stellen, sich nicht immer in der Sprache des Praktikers auszudrücken, wenn sie ihn direkt ansprechen will, oder aber nicht ihrer Aufgabe gerecht wird: Vordenker zu sein", wie es der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft HANS-JÜRGEN WARNECKE ausdrückt. Vielfach wird gerade von KMU beklagt, daß die Ausbildung an Universitäten und Fachhochschulen nicht den Erfordernissen der Unternehmen entspricht. Verkürzt wird gesagt: Zu viel Theorie und zu wenig Praxis. Aber wo ist die Grenze und wer bestimmt diese? Nach wie vor gilt die Erkenntnis: Leonardo da Vinci 1452-1519: „Diejenigen, welche glauben, an der Praxis ohne Wissenschaft Gefallen zu finden, sind Schiffer, die ohne Kompaß und Steuer fahren. Sie wissen nie wohin die Fahrt geht. Immer muß die Praxis auf guter Theorie beruhen." Die „Praxis" (praktisches Handeln) sieht in jeder Unternehmung anders aus. Ein Buch kann insofern die Unternehmenswirklichkeit nicht abbilden und sollte dies auch nicht tun. Die Unternehmensrealität ist zu komplex und die Probleme einzelner Unternehmen zu differenziert und zu spezifisch, als daß man diese in einem Buch abhandeln könnte. Bücher können - mehr oder weniger - nur generalisierende Hinweise und Aussagen aufnehmen bzw. Instrumentarien aufzeigen. Sie können die Wirklichkeit nur in Ausschnitten widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund erfolgt die inhaltliche Strukturierung des Werkes. Eine Vielzahl von Abbildungen macht den Stoff anschaulich, und die zahlreichen tabellarischen Zusammenstellungen sowie Checklisten enthalten Orientierungsgrößen zur Unterstützung der praktischen Arbeit in KMU. 2. Kurze historische Betrachtung des Handwerks Das Handwerk verkörpert das Urbild einer sich immer wieder von unten ergänzenden freien und selbständigen Wirtschaft. „In den grauen Zeiten des Alter-

2

Kapitel I: Einleitung

tums entstand das Handwerk überall da, wo die Völker aus dem Zustand des wandernden Hirtenlebens in geregelte Verhältnisse der Zusammengehörigkeit übertraten, sich also zu einer staatlichen Gemeinschaft zusammenschlössen. Hier mußte die Arbeit eingeteilt und eine gewisse soziale Ordnung vollzogen werden" (vgl. Sinz 1977, S. 16). Trotz zahlreicher Wandlungen und Probleme hat das Handwerk in Deutschland nicht nur überlebt, sondern ist auch heute noch ein wichtiger Zweig der Wirtschaft. Unter Berücksichtigung der Wiedervereinigung ist festzuhalten, daß sich in den neuen Bundesländern im Gegensatz zur Industrie der Wiederaufbau des Handwerks recht positiv entwickelt hat. „Das Handwerk hat goldenen Boden" - auch wenn dieses Sprichwort nur die Sonnenseite der Handwerkswirtschaft hervorhebt und die Schattenseiten ignoriert, so erfreut es sich eines hohen Bekanntheitsgrades. Es will glaubhaft machen, daß manuelles Geschick und Handfertigkeit, gepaart mit ein wenig Geschäftssinn, ausreichend ist, mehr als ein redliches Ein- und Auskommen zu erzielen. Zum Handwerk gehörte und gehört jedoch die ganze Spannweite unternehmerischer Existenzen, von sogenannten „Kümmerbetrieben" bis hin zu Musterunternehmen. In historischen Kategorien ist es noch gar nicht so lange her, da wurde dem Handwerk der Untergang vorhergesagt. Bekannt ist die von K. M A R X und F. E N G E L S 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei" apodiktisch vorgetragene Prognose des alsbald zu erwartenden Untergangs der kleinen selbständigen Unternehmen. Diese Niedergangsprognose fand auch ihren Niederschlag in dem 1891 verabschiedeten Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokraten. Die These der zunehmenden unaufhaltsamen Konzentration und der wirtschaftlichenÜberlegenheit des Großunternehmens wurde später von vielen Ökonomen wie zum Beispiel ZIEGLER (1910), E. GRÜNBERG (1932), R . L U X E M B U R G (1913), R . HILFERDING (1910), H . GROSSMANN (1929) sowie auch von P.A. B A R A N und P.M. SWEEZY (1966) aufgenommen. Auf der anderen Seite fehlte es allerdings nicht an Autoren, die vehement die Auffassung vertraten, daß der selbständige Mittelstand auch in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft einen Stellenwert hat. Zu nennen sind hier beispielsweise J. W E R N I C K E (1907), F. SIMIAND (1928), F. M A R B A C H (1942) und T H . G E I G E R (1949). Eine sehr differenzierte Darlegung wurde 1968 von P. SCHÖBER mit dem Titel „Wirtschaftsmentalität der westdeutschen Handwerker" veröffentlicht. Darin wurde unter anderem dargelegt, daß die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung keineswegs linear verläuft, sondern daß im Laufe der Entwicklung Berufe nicht nur untergehen, sondern auch neue entstehen (vgl. Schöber 1968, Palla/Falkner/Köhler 1997). Damit ist ein Kernproblem der Erfassung des Handwerks angesprochen, da es vorrangig über Berufe definiert wird. Der Begriff „Handwerk" bezeichnet eine bestimmte Produktionsmethode, nämlich die Schaffung von Gütern oder Dienstleistungen (überwiegend) mit der Hand. Die-

Kapitel I: Einleitung

3

se Klassifizierung des Handwerks ist heute nicht mehr zutreffend. Das Handwerk hat sich seit jeher technischer Hilfsmittel bedient und im Laufe der Entwicklung zunehmend Arbeitsweisen entwickelt oder adaptiert, die denen der Industrie gleichen. (Es darf nicht vergessen werden, daß sich die Industrie aus der Handwerkswirtschaft entwickelt hat. Das Handwerk selbst hat seine Ursprünge im wesentlichen in der Agrarwirtschaft bzw. der Agrartechnik.). Grundsätzlich lassen sich zum Begriff des Handwerks zahlreiche Definitionen anfuhren. Im folgenden seien zwei Definitionen von KURT N A G E L vorgestellt, die den Strukturwandel recht plastisch darlegen. Klassische Definition: Handwerk = Werk der Hände Neuere Definition: Handwerk = Individualtechnik „Die klassische Definition berücksichtigt so gut wie nicht die eindrucksvolle technische, organisatorische und strukturelle Entwicklung des Handwerks. Ein Schreinerbetrieb stellt heute ein Möbelstück nicht mehr mit Fuchsschwanz und Handhobel her, sondern produziert dieses Stück mit modernen, meist CNCgesteuerten Holzbearbeitungsmaschinen. Da im Handwerk häufig dieselben Produktionsverfahren wie in der Industrie eingesetzt werden, kann der Technologiegrad nicht als Unterscheidungsmerkmal dienen. Ein wichtiges Kriterium zur Fixierung des Begriffs "Handwerk' ist die Beurteilung des fertigen Produkts. Wird ein Einbauschrank nach individuellem Kundenwunsch und mit moderner Technik gefertigt, dann ist eine individuelle technische Leistung gegeben und damit wird der neueren Definition 'Handwerk = Individualtechnik" voll Rechnung getragen. Das Erstellen individueller Produkte und Dienstleistungen macht den Handwerker zum Individualtechniker. Die hohe fachliche Kompetenz kann dabei mehr technisch oder einmal mehr künstlerisch-kreativ untermauert sein" (vgl. Nagel 1998, S. 14). Spezifiziert wird der Handwerksbegriff mit Berufsbezeichnungen (Bäcker, Metallbauer, Maler etc.). Die meisten Berufsbezeichnungen sind aus den Berufstätigkeiten bzw. Berufsinhalten hervorgegangen. Für die Erfassung des Berufsbildes kann dies jedoch irreführend sein. Berufsbezeichnungen sind Titulierungen, die auch erhalten bleiben, wenn sich der Inhalt der Berufstätigkeit inzwischen stark verändert hat. Der Strukturwandel im Sinne der Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen vollzieht sich mikroökonomisch in Verlagerungen der Tätigkeitsschwerpunkte, nicht so sehr in Veränderungen von Berufsbezeichnungen. Pauschale Vorhersagen über Untergang oder Blüte des Handwerks haben sich vielfach allein aus diesem Grunde als unhaltbar erweisen. Wer den Wandel im Handwerk ergründen will, kann sich nicht allein auf die Analyse von Statistiken verlassen. Man muß den „Menschen auf die Finger schauen" und sehen was sie tun, womit sie sich beschäftigen, wie sie arbeiten

4

Kapitel I: Einleitung

und welche Ziele sie verfolgen. Erst dann erfährt man in Ansätzen, was Strukturwandel im Handwerk heißt. Trotz aller Schwierigkeiten, Handwerksunternehmen eindeutig über gemeinsame Merkmale zu definieren, ist es angebracht zumindest im deutschsprachigen Raum die Trennung von Handwerk und Industrie aufrecht zu erhalten, schon allein deshalb, weil das Handwerk eine von der Industrie unterscheidbare Tradition hat und das Handwerk durch die deutsche Rechtsordnung einen besonderen Stellenwert eingeräumt bekommen hat. Das Überleben des Handwerks als eigenständiger Wirtschaftsbereich ist wesentlich stärker von der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen an veränderte Rahmenbedingungen als von staatlichem Schutz durch Sonderregelungen abhängig. Analysen des Strukturwandels von Volkswirtschaften haben ergeben, daß der Staat nur begrenzt Wirtschaftsbereiche vor dem Wandel durch Nachfrageverschiebungen schützen kann. Der Staat kann allenfalls die Folgen des Strukturwandels sozial abfedern und Bedingungen für eine möglichst friktionslose Anpassung schaffen. 3. Problemfelder

und Zukunftsperspektiven

des Handwerks

Das Handwerk ist durch Besonderheiten und Probleme gekennzeichnet, die in der Industrie oder im Handel nicht vorkommen bzw. in entsprechender Ausprägung nicht existieren (vgl. Tietz 1985, S. 433). •

So korreliert in zahlreichen Bereichen des Handwerks die Nachfrage eng mit der Zahl der Einwohner, wie im Nahrungsmittelhandwerk und den Handwerken der persönlichen Dienstleistungen.



Im allgemeinen sind die Exportleistungsmöglichkeiten des Handwerks in vielen Bereichen begrenzt oder aus Gründen der Betriebsgröße und des Managementpotentials bisher nicht erschlossen.

• Zahlreiche Handwerke sind durch die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Schattenwirtschaft betroffen. •

Durch das Bestreben der Vorlieferanten des Handwerks, Bau, Einbau und Reparaturen durch eine geeignete Produktgestaltung zu erleichtern, ist das Handwerk in mehreren Richtungen betroffen worden. Die Minutenfaktoren bzw. Stundenfaktoren für die Leistungserstellung (Zeiteinsatz je Leistungseinheit) sind stets rückläufig gewesen, d.h. es sind erhebliche Rationalisierungseffekte eingetreten. Die Möglichkeiten, handwerkliche Arbeiten ohne Spezialkenntnisse zu erledigen, sind erhöht worden.

Kapitel I: Einleitung •

In einigen Handwerkszweigen zeigen sich Verdrängungsrisiken durch Marktwandlungen und technische Wandlungen (z.B. Verdrängung des Kraftfahrzeughandwerks durch die Automobiltechnologie).



Andererseits entstehen neue Handwerkszweige, die z.B. für Sicherheit in Wohnungen und Gewerbebauten sorgen, einmal für die entsprechende Infrastruktur und zum anderen für den regelmäßigen Service.

5

Es gibt keine Verfahren, u m sichere Zukunftsaussagen vorlegen zu können. D e n n o c h ist es w i c h t i g , a n h a n d v o n D a t e n b z w . v o n S z e n a r i e n d i e H a n d l u n g s a l t e r n a t i v e n s i c h t b a r z u m a c h e n , d e n e n die E n t s c h e i d u n g s t r ä g e r in W i r t s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t in d e n n ä c h s t e n J a h r e n m i t r e c h t g r o ß e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t g e g e n ü b e r s t e h e n w e r d e n . Z u k u n f t s f o r s c h e r b e m ü h e n sich, d i e T r e n d s u n d E n t w i c k l u n g s l i n i e n in d e r G e s e l l s c h a f t s o w i e die z u k ü n f t i g e n C h a n c e n v o n einzelnen Branchen, zu bestimmen. Entsprechende Erkenntnisse können für die strategische und operative Unternehmensführung - keineswegs nur beschränkt a u f G r o ß u n t e r n e h m e n - v o n e x i s t e n z s i c h e r n d e r R e l e v a n z sein. M i t t e d e r 8 0 e r J a h r e s i n d v o n BRUNO TIETZ S z e n a r i e n u n d H a n d l u n g s a l t e r n a t i v e n f ü r d a s s e l b s t ä n d i g e H a n d w e r k s k i z z i e r t w o r d e n , die im K e r n a u c h h e u t e n o c h z u t r e f fend sind: „Das selbständige Handwerk wird in Zukunft durch eine zunehmende Vertikalisierung, d.h. durch Integration in die Industrie bzw. in den Handel, in seiner Selbständigkeit betroffen, so durch Verlegerkolonnen des Fließengroßhandels, Dekorateurdienste im Heimtextiliengroßhandel oder Teppichverlegung durch Teppichbodenfachmärkte. Weiter werden immer mehr Handwerksleistungen industrialisiert, so die Leistungen der Bäcker in Brotfabriken und die des Fleischerhandwerks in Fleischwerken. Schließlich werden Handwerke durch Nachfragewandel überflüssig, so Stellmacher; andere werden durch veränderten Freizeitbedarf revitalisiert, z.B. Hufschmiede oder Motorradreparaturwerkstätten. Neue Handwerke werden geschaffen, so Heizungsbauer oder Reparaturbetriebe für Rasenmäher und Bootsmotoren. Das Handwerk seinerseits strebt in Anbetracht der beachtlichen Ausschaltungstendenzen nach einer zunehmenden Handelstätigkeit. Hier war das Lebensmittelhandwerk Vorreiter. Weitere Tendenzen der Handelstätigkeit durch das Handwerk betreffen die Elektrohandwerke, den Heizungsbau oder das Installationshandwerk, das sich in Richtung Fliesen- und Sanitärfachmärkte orientiert. Man kann erwarten, daß durch zusätzliche Spezialisierungen, so im Bereich der Elektrotechnik oder auch der Kfz-Technik, neue Handwerke entstehen, die teils frühere Handwerke ablösen, teils ergänzen. Handwerker entwickeln neue Kooperationstypen: Rheinhessische Firmen des Elektro-, Fernmelde- und Tief bauhandwerks haben die *Kabelgesellschaft für Kabelkommunikation Rheinhessen* gegründet. Die Privatunternehmen wollen die Netzherstellung, den Betrieb, die Wartung, das Marketing für Kabelkommunikation übernehmen. Dieses Beispiel eines Zusammenschlusses könnte sich zu einem bundesweiten Modell für die Organisation der Breitbandnetzherstellung entwickeln. Die Kooperation von - bisher aus persönlichen und organisatorischen Gründen oft nicht erfolgreichen - viele Handwerke umfassenden Servicezentralen für alle Reparatur- und Instandhaltungsbereiche in privaten Haushalten und

6

Kapitel I: Einleitung

in Betrieben dürfte sich in den neunziger Jahren durchsetzen. Der Konzentrationsprozeß wird im Handwerk wesentlich kräftiger als bisher werden. Viele Handwerker werden sich in nationale Franchise- und Vertragssysteme integrieren. Die Funktion der Innungen geht weiter zurück. Dadurch ergeben sich auch neue Bindungen zwischen dem Handwerk und z.B. dem Maschinen und Roh- wie Baustoffe liefernden Großhandel zu komplexen Handwerksversorgungssystemen. Die Substitution des Handwerks durch Quasiindustrialisierung mit Filialisierung und Franchising ohne den Einsatz voll ausgebildeter Handwerker nimmt zu. Die Schuhreparatur- und Schlüsselbars, so Mister Minit, seien als Beispiel erwähnt. Dieses Konzept wird sich auf weitere Branchen ausdehnen. Im Automobilbereich ist die Wartungs- und Servicehäufigkeit bereits drastisch gekürzt worden. Diese Tendenz wird sich fortsetzen und hat zum Schlagwort der verschweißten Kühlerhaube geführt; dies hat auf das Handwerk wegen der gegenüber bisher noch einmal längeren Servicefristen weitreichende Folgen. Alle Veränderungen beeinträchtigen den Bereich der Handwerksleistungen erheblich; teilweise erfolgt eine Rückverlagerung bzw. Umstrukturierung der Handwerksleistung durch eine weniger handwerkliche Aktivitäten erforderliche Produktpolitik in der Industrie. Man kann erwarten, daß das Handwerk teilweise stärker als bisher internationalisiert. Auch dürfte sich die in einigen Handwerken, so bei Schreinern, bereits beachtliche Ausbildungsfunktion durch Aufnahme von Ausländern als Lehrlinge verstärken. Man könnte sich auch neue Lösungen der internationalen Know-how-Kooperation vorstellen, z.B. mehr Tätigkeit deutscher Handwerksmeister im Ausland" (vgl. Tietz 1985, S. 434 f ) .

4. Abgrenzungsprobleme Verbindungslinien

von Mittelstand und Handwerksunternehmen

sowie

Abgrenzungsproblematiken begegnen wir in der Ökonomie sowie anderen Wissenschaftsdisziplinen regelmäßig. Selbst auf den ersten Blick scheinbar eindeutige und feststehende Unterscheidungen, wie die zwischen Handwerk und Industrie, können sich mit der ökonomischen, technischen und soziologischen Entwicklung ändern und in Teil- und Grenzbereichen gewisse Abgrenzungsprobleme aufwerfen. Als typische Merkmale des Handwerksbetriebes, die ihn vom Fabrik- bzw. Industriebetrieb unterscheiden, galten früher u.a. Werken mit der Hand, Fehlen von Maschinen und motorbetriebenen Werkzeugen, geringe Betriebsgröße (gemessen an der räumlichen Ausdehnung der Werkstatt, den Arbeitsplätzen, dem Kapitaleinsatz und dem Umsatz), Mitarbeit des Betriebsinhabers als Handwerksmeister, kaum Arbeitsteilung, dominierende Einzelanfertigung aufgrund individueller Bestellung und meist standortbezogener Absatz. Infolge des technischen Fortschritts und des ökonomischen Strukturwandels ist in manchen Wirtschaftszweigen, die traditionell und wirtschaftsrechtlich zum Handwerk gerechnet werden, bereits eine weitgehende Annäherung an industrielle Verhältnisse erfolgt oder sogar teilweise eine völlige produktionsmäßige Identität mit industriellen Fertigungsmethoden feststellbar" (Peters 1996, S. 38). Auch auf den ersten Blick anscheinend klare Begriffe, wie z.B. Eigenkapital

Kapitel I: Einleitung

7

(vgl. Z d r o w o m y s l a w / R i c h t e r 3 / 1 9 9 7 , S.81-89), G e w i n n (vgl. Z d r o w o m y s l a w / K a i r i e s 5/1997, S . 2 5 5 - 2 6 9 ) b z w . Mittelstand, e r w e i s e n sich bei näherer Bet r a c h t u n g als „ p r o b l e m a t i s c h " . Z u n ä c h s t läßt sich festhalten, d a ß d a s H a n d w e r k in D e u t s c h l a n d m a ß g e b l i c h m i t t e l s t ä n d i s c h geprägt ist. D e r M i t t e l s t a n d in seiner Vielfalt u n d H e t e r o g e n i t ä t wird a u s sektoraler u n d betriebswirtschaftlicher Sicht in d e m k ü r z l i c h erschien e n e n G u t a c h t e n ü b e r die M i t t e l s t a n d s f ö r d e r u n g in D e u t s c h l a n d - erstellt im A u f t r a g des B u n d e s m i n i s t e r i u m s f ü r W i r t s c h a f t - w i e folgt charakterisiert: •

„ Unter sektoralem Aspekt sind dem (gewerblichen) Mittelstand insbesondere zuzurechnen:

• kleine und mittlere Unternehmen des Produzierenden Gewerbes (Bergbau und Energiewirtschaft, Verarbeitendes Gewerbe, Bauwirtschaft); • die Betriebe des Handwerks, bei dem es sich um einen die übliche der Volkswirtschaft übergreifenden Wirtschaftsbereich handelt; •

kleine und mittlere Unternehmen des haushalts- und des Dienstleistungsgewerbes;

Branchengliederung

unternehmensorientierten

• der große und vielfältige Bereich der Freien Berufe, der die Freien Heilberufe, die rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufe, die künstlerischen und publizistischen Freien Berufe sowie die pädagogischen und geisteswissenschaftlichen Berufe einschließt; • die kleinen und mittleren Unternehmen des Handels und

Fremdenverkehrsgewerbes;

• die kleinen und mittleren Unternehmen des Verkehrsgewerbes. In betrieblicher Hinsicht stellt sich der Mittelstand höchst vielfältig dar. Er umfaßt sowohl Einzelunternehmen als auch Kapitalgesellschaften (überwiegend GmbH), vom Betriebsinhaber geleitete Unternehmen mit einfacher Organisationsstruktur sowie Unternehmen mit komplexen Leitungs- und Kontrollstrukturen, die global tätig sind. Trotz dieser Heterogenität rechtfertigen es bestimmte Gemeinsamkeiten der wirtschaftlichen Lage der kleinen und mittleren Unternehmen, diese unter dem Begriff'Mittelstand* zu subsumieren und zum Gegenstand wirtschaftspolitischen Handelns zu machen. Mit diesen Gemeinsamkeiten sind vor allem qualitative Merkmale angesprochen, welche die kleinen und mittleren Unternehmen - wenn auch jeweils in unterschiedlich starker Ausprägung - aufweisen. So besteht in der Regel ein relativ enger Zusammenhang zwischen Eigentum und Haftung für die Ergebnisse der unternehmerischen Betätigung. Die persönliche Leitung durch den Betriebsinhaber ist weithin üblich, und die betrieblichen Organisationsstrukturen weisen zumeist noch stark personale Züge auf Gleichwohl ist festzuhalten, daß heute ein zunehmender Teil der mittelständischen Unternehmen nicht mehr nur durch voll haftende Inhaber geleitet wird" (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung/Wirtschafits- und Sozialforschung; 1996, S. 5 f ) .

8

Kapitel I: Einleitung

Bei den Abgrenzungsversuchen bzw. begrifflichen Kennzeichnung des mittelständischen Unternehmens werden diverse qualitative und quantitative Kriterien herangezogen. Prinzipiell kann die Definition an einem einzelnen Kriterium oder an mehreren Kriterien vorgenommen werden. Aus der Reihe von Kriterien, die als typisch für mittelständische Unternehmen gelten und den quantitativen Kriterien zugerechnet werden können, wird relativ übereinstimmend die Personenbezogenheit bzw. die enge Verbindung zwischen Unternehmen und Inhaber genannt. Als zentrale Merkmale, die diese Verbindung idealtypisch dokumentieren, können angesehen werden: •

Einheit von Eigentum und Haftung: Das Unternehmen befindet sich im Eigentum einer Person oder einer kleinen Personengruppe, d.h., daß eine Einheit von wirtschaftlicher Existenz der Inhaber und deren Unternehmen gegeben ist.



Entscheidende Erwerbsquelle: Das Unternehmen ist die alleinige oder zumindest entscheidende Erwerbsquelle für die Eigentümer.



Leitungsverantwortung: Der oder die Eigentümer sind maßgeblich für die Leitung des Unternehmens und alle unternehmensrelevanten Entscheidungen verantwortlich.

• In der Regel Konzernunabhängigkeit: Aus den obigen Merkmalen kann auf ein weiteres notwendiges Kriterium geschlossen werden, nämlich die völlige, zumindest aber weitgehende Konzernunabhängigkeit (vgl. Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (Hrsg.) 1995, S. 10).

Obwohl eine Abgrenzung mittelständischer Unternehmen anhand quantitativer Kriterien nur schwer vorgenommen werden kann, wird in der Literatur zurecht kritisiert, daß die ausschließliche Verwendung quantitativer Kriterien zu einer Vernachlässigung von Brancheneinflüssen, zur Vortäuschung einer trennscharfen Unterscheidungsgrenze sowie zur ungerechtfertigten Kennzeichnung der mittelständischen Unternehmen lediglich als „kleine Großunternehmen" führt. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur diskutiert, die rein quantitative Abgrenzung durch qualitative Kriterien zu ergänzen oder gar zu ersetzen (vgl. Daschmann 1994, S. 50 f). In einer vom Bundesminister für Wirtschaft herausgegebenen Studie ist im Hinblick auf die quantitative Abgrenzung folgende einleitende Passage zu finden: „Aus quantitativer Sicht beschreibt der Begriff "wirtschaftlicher Mittelstand" über alle Branchen hinweg die Gesamtheit von Unternehmen und Freien Berufen, soweit sie eine bestimmte Größe nicht überschreiten. Die Identifikation dieser bestimmten Unternehmensgröße wirft allerdings in der Regel einige Probleme auf da man einen geeigneten Größenindikator benötigt" (Kayser/Hauser 1993, S. 1).

9

Kapitel I: Einleitung

Bei den quantitativen Abgrenzungskriterien steht meistens die Erfassung der Unternehmens- oder Betriebsgröße im Mittelpunkt. Herangezogen werden Kriterien wie Mitarbeiterzahl, Umsatz, Wertschöpfung, Marktanteil, Bilanzsumme oder Gewinn. Solche Kennzahlen haben den Vorteil, daß sie Meßbarkeit und statistische Handhabbarkeit gewährleisten und Vergleiche ermöglichen (vgl. Daschmann 1994, S. 50). Die wohl gebräuchlichste quantitative Abgrenzung des Mittelstandes in Deutschland stellt die Arbeitsdefinition des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) dar. Als Kriterien dienen die Beschäftigtenzahl und der Jahresumsatz. Unternehmensgröße Klein Mittel Groß

Beschäftigte bis 9 10-499 500 und mehr

Jahresumsatz in DM unter 1 Mio. DM 1-100 Mio. DM über 100 Mio. DM

Hierbei handelt es sich allerdings eher um eine allgemeine Definition zur Grobstrukturierung von Unternehmen und zur ersten Abgrenzung des Mittelstandes in Deutschland. Für konkrete Politiken werden durchaus unterschiedliche Definitionen herangezogen. Es ist bereits angedeutet worden, daß besonders vor dem Hintergrund forderpolitischer, rechtlicher oder sonstiger Zwecke national und international unterschiedliche Abgrenzungskriterien in der Regel zur Anwendung kommen. Im Rahmen von detaillierten Untersuchungen kann es sinnvoll sein, die mittelständischen Unternehmen in Abhängigkeit von der Branche zu definieren. Eine für die Praxis relevante Abgrenzung kleiner, mittlerer und größerer Unternehmen ergibt sich aus der Notwendigkeit der Rechenschaftslegung. Gemäß Handelsgesetzbuch (HGB) sind bestimmte Unternehmen verpflichtet, Rechenschaft über ihre wirtschaftlichen Aktivitäten abzulegen. Alle prüfungspflichtigen Unternehmen müssen den Jahresabschluß und den Lagebericht von Wirtschafts- bzw. Buchprüfern prüfen lassen. Tabelle 2 zeigt die Größeneinteilung der Unternehmen, die für besondere Rechnungslegungsvorschriften - einschließlich Prüfungs- und Publizitätspflichten - maßgebend ist, wobei die Zugehörigkeit im Sinne des HGB zu einer bestimmten Kategorie bei der Erfüllung von mindestens jeweils zwei Merkmalen gegeben ist. Hintergrund der Änderungen des HGB (auch der Größenmerkmale) ist die Umsetzung der Mittelstandsrichtlinie.

Kapitel I: Einleitung

10

Tabelle 1 zeigt die Zuordnung der Unternehmen nach der wirtschaftszweigbezogenen Differenzierung. Tab. 1: Abgrenzung mittelständischer Unternehmen nach Wirtschaftszweigen Wirtschafts- und Größenbereich

Größenklasseneintcilung nach Beschäftigten

nach Jahresumsatz

Industrie Klein bis 49 Mittel 50 bis 499 Groß 500 und mehr Handwerk Klein bis 2 Mittel 3 bis 49 50 und mehr Groß Großhandel Klein bis 9 Mittel 10 bis 199 Groß 200 und mehr Einzelhandel Klein bis 2 Mittel 3 bis 99 Groß 100 und mehr Verkehr und Nachrichtenübertragung Klein bis 2 Mittel 3 bis 49 50 und mehr Groß Dienstleistungen von Betrieben Klein bis 2 Mittel 3 bis 49 50 und mehr Groß

bis 2 Mio. 2 Mio. bis 25 Mio. 25 Mio. und mehr bis 100.000 100.000 bis 2 Mio. 2 Mio. und mehr bis 1 Mio. 1 Mio. bis 50 Mio. 50 Mio. und mehr bis 500.000 500.000 bis 10 Mio. 10 Mio. und mehr bis 100.000 100.000 bis 2 Mio. 2 Mio. und mehr bis 100.000 100.000 bis 2 Mio. 2 Mio. und mehr

Quelle: Daschmann; Erfolgsfaktoren mittelständischer Unternehmen. Ein Beitrag zur Erfolgsforschung, Stuttgart 1994, S. 52.

Größenkategorie

Rechtliche Grundlage Handelsgesetz und Publizitätsgesetz

Kleine Kapitalgesellschaften Mittelgroße Kapitalgesellschaften Große Kapitalgesellschaften Publizitätspflichtige Unternehmungen nach PublG

Größenkriterien Bilanzsumme DM

Umsatzerlöse DM

Arbeitnehmer Jahresdurchschnitt

§ 267 Abs. 1 HGB

10.620.000 42.480.000

>50 250

> 125.000.000

> 250.000.000

> 5.000

§ 267 Abs. 3 HGB § 1 PublG § 11 PublG

Quelle: Bieg/Kußmaul; Externes Rechnungswesen, München/Wien 1996, S. 6.

Kapitel I: Einleitung

11

Vor allem die Mittelstandspolitik kommt bei der Gestaltung des Rechtsrahmens bzw. im Rahmen bestimmter Förderprogramme nicht ohne unternehmensgrößenspezifische Regelungen aus. So gelten in der Mittelstandsforderung der Bundesregierung teilweise voneinander abweichende Definitionen, die sich an den Zielen der jeweiligen Maßnahme orientieren sowie zum Teil unterschiedliche Grenzziehungen nach Wirtschaftszweigen aufweisen. Es existieren u.a. Abgrenzungen für das öffentliche Auftragswesen, für die FuEFörderung, für KfW-Programme, für die Beratungsförderung des Bundes und für das Wettbewerbsrecht (ausführlich in: Kayser/Hauser 1993, S. 5-14). Auch in den Förderprogrammen der Europäischen Union (EU) liegt eine Vielzahl von Abgrenzungen vor, die sich an der Beschäftigten-, Umsatzzahl sowie anderen Kriterien orientiert. Zu differenzieren ist u.a. zwischen der EUStatistik und der EU-Beihilfenkontrolle. Tab. 3: Betriebsgrößenklasseneinteilung (EU) Die EU-Statistik nimmt eine Aufteilung in folgende Betriebsgrößenklassen vor: 0- 9 Mikrobetriebe Beschäftigte: Beschäftigte: 10- 99 Kleine Betriebe Beschäftigte: 100-499 Mittlere Betriebe

Für die EU-Beihilfenkontrolle gelten die folgenden Abgrenzungen: Beschäftigte bis 250 und entweder Jahresumsatz bis 20 Mio ECU oder Bilanzsumme bis 10 Mio ECU sowie Beteiligungen von Großunternehmen bis 25 %

Mit ihrer Größenklassenbildung orientiert sich die EG an der Definition der Mehrzahl der Mitgliedstaaten, die unterhalb der in Deutschland gebräuchlichen Größenklassen liegt. Das Statistische Amt der EG (Eurostat) veröffentlicht regelmäßig einen statistischen Bericht über den Mittelstand in der Gemeinschaft. Dabei beschränkt sich die Institution auf eine rein an der Zahl der Beschäftigten orientierten Definition. Als obere Grenze benutzt Eurostat den Wert von 500 Beschäftigten. Betriebe bis 9 Beschäftigte werden als Microbetriebe und Betriebe mit 10 bis 99 Beschäftigten als Kleinbetriebe bezeichnet. Den Mittelstand bzw. die KMU siedelt Eurostat im Betriebsgrößenbereich zwischen 10 und 499 Beschäftigten an. Daß die Problematik der Abgrenzung des Mittelstandes auch in Zukunft stark diskutiert werden wird, zeigt sich auch daran, daß mittlerweile in der Literatur von einem „Neuen Mittelstand" gesprochen wird. Er besteht aus vielfältig unternehmerisch handelnden Einheiten, die aus einer umfassenden Dezentralisation und Öffnung von Großunternehmen hervorgehen. Der „Neue Mittelstand" umfaßt Existenzgründer, junge Unternehmer, ausgegründete Tochtergesellschaften ebenso wie die neuen Selbständigen in Gestalt von Subunternehmern, Vertriebspartnern und anderen Ein-Personen-Unternehmen (vgl. Reiß 1998, S. 11-95).

12

Kapitel I: Einleitung

5. Gibt es die Unternehmensführung

im Handwerk?

Sowie es analytisch vernünftig ist, eine Branchenorientierung der Betriebswirtschaftslehre vorzunehmen (z.B. Handelsbetriebslehre, Bankbetriebslehre), genauso nachvollziehbar ist zunächst die Hervorhebung einer Mittelstandsökonomie oder einer Betriebswirtschaftslehre von Klein- und Mittelunternehmen. Von vielen Autoren wird betont, daß KMU nicht nur eine unterschiedliche Größe zu Großunternehmen haben, sondern darüber hinaus spezielle Eigenarten, vor allem die Personenzentrierung in der Unternehmensfuhrung, aufweisen. Dies bedeutet u.a. daß jede Unternehmensfunktion - mehr oder weniger - auf die Person des Unternehmers zu beziehen ist. Stellvertretend für diese Sichtweise sei der Mittelstandsforscher HAMER zitiert. „Die Mittelstandsökonomie schen Nachweis

zu Großunternehmen Eigenart.

leitet eine Eigenständigkeit

ab, daß mittelständische

oder Minderunternehmen

Wenn aber mittelständische

Minderunternehmen handelt werden.

andererseits

nehmen und ihre Bestimmung, Unternehmen anderen

nehmerperson schicksalhaft ternehmen

wesensverschieden

geschaffenes,

zu etwa 150.000 Kapitalgesellschaften,

als juristische fremdes

Person

Management

Kapitalgesellschaft; die sie tragende

Unternehmerperson

werden und kein eigenständiges nehmen

auch jede

Unternehmen

der Unternehmerperson

haben. Folglich

beginnen

Unternehmen hin organisiert,

denhaft eine andere, eine hierarchisch-delegative

ein

gehört deshalb

die

könnten sie nicht

Person

des

ist deshalb sternförmig während Organisation

Kapital

und sich

muß im mittelständischen

auf die zentrale

aus:

Unternehmerperson,

wurde, dann das

sind dagegen Personalunternehmen.

wären sie nicht vorhanden,

Schicksal

Unternehmensfunktion

bezogen sein. Das mittelständische mensmitte

Eigenleben

ihr Un-

Sie stehen damit im

suchen konnte. Zum Wesen der Großunternehmen mittelständische

Unter-

und mit

bereits in der Rechtsform

bei welchen nicht eine

und geschäftliches

vor allem in einer

abhängiges

sind Personalfirmen:

zu

mittelständischen

Wesen eines mittelständischen

die Grundlage eines Unternehmens

ein rechtliches

be-

Großunter-

ist ein von einer

von dieser

drückt sich bei 93 % aller unserer Unternehmen

sondern ein Gesellschaftskapital

der

Größe, sondern

Unternehmen

Das personale

von

und Praxis auch, sie anders

Die Andersartigkeit

auf diese konzentriertes,

Unternehmen

und von

sind, müssen sie auch eigenständig

Das mittelständische

Unternehmen.

spezielle

einerseits

verlangt nicht nur ihre Abgrenzung

nicht nur in ihrer speziellen

Die Masse unserer mittelständischen Gegensatz

Größe

sondern zwingt Wissenschaft

Eigenart:

verbundenes

empiri-

von Großunternehmen

als z.B. Großunternehmen.

liegt deshalb

qualitativen

wie

nicht nur eine unterschiedliche

haben, sondern darüber hinaus eine

Unternehmen

Dieser Aliudcharakter

sehen und zu behandeln

aus dem theoretischen

Unternehmen

Ohne betrieben Unter-

Risikounternehmers auf die

Unterneh-

die Kapitalgesellschaft

pyrami-

erfordert"

(vgl. Hamer 1990,

S. 44-45).

Prinzipiell unterscheidet sich jedoch die Unternehmensfuhrung als Managementprozeß (Planung, Organisation und Kontrolle) in kleinen und mittleren Unternehmen nicht von der in Großunternehmen. Gleiches läßt sich auch für Industrie-, Handels- oder Handwerksunternehmen festhalten. Auch die Aufga-

13

Kapitel I: Einleitung

ben sind im Kern die gleichen. Die Längsschnitt-Funktionen (Grundfunktionen) Einkauf, Produktion (Werkstatt) und Absatz sowie die traditionellen Querschnitt-Funktionen (Servicefunktionen) Finanzierung, Rechnungswesen, Personal und Mitarbeiterführung usw. kennen sowohl Kleinstunternehmen im Handwerk als auch international agierende Mischkonzerne. Als weitere Querschnitt-Funktionen werden in den letzten Jahren das Controlling und die Logistik diskutiert, denen nicht nur in großen Unternehmen, sondern auch in KMU immer größere Bedeutung zukommen (vgl. Abbildung 1). Abb. 1 : Management als Querschnittfunktion

Management-Funktionen

Querschnitt-Funktionen

Längsschnitt-Funktionen Einkauf

\

Planung

Finan7¡ernnp

\\ \

_ Organisation

\

\

/

//

Kontrolle /

Produktion

Verkauf w ,

Rprhnnnpcwpcen

\ /

Personal und . .... Mitarbeitertuhrung 1 npictiW

w ,

Cnntrnllinp

w

Dennoch scheint es angesichts zahlreicher besonderer Aspekte (Probleme) bei KMU - wozu vor allem auch Handwerksbetriebe zählen - durchaus angebracht zu sein, von der Mittelstandsökonomie als ganzem, sowie von den Funktionsbereichen wie Finanzierung, Marketing usw. im einzelnen zu sprechen. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß in der Literatur Titel wie „Finanzierung im Handwerk" oder „Controlling für kleine und mittlere Unternehmen" auftauchen. Unternehmensführung im Handwerk hebt sich grundsätzlich wenig von Führungsmethoden und -prinzipien in sonstigen kleinen und mittleren Unternehmen ab. Einzig die starke Prägung der meisten Handwerkszweige durch die Technik schafft hier andere Bedingungen als zum Beispiel im Handels- oder im engeren Dienstleistungsbereich. Die meisten Handwerksberufe sind technisch geprägt oder sind zumindest technischen Ursprungs und setzen eine entsprechende Qualifikation voraus. In der Ausbildung hat daher die Vermittlung von technischem Grundverständnis sowie die Anwendung von Techniken einen großen Stellenwert. Ein hohes Niveau an technischem Verständnis und Geschick ist zwar in der Regel eine notwendige, jedoch keine hinreichende, Voraussetzung für die erfolgreiche Führung eines Hand Werksunternehmens. Die Produkte und

14

Kapitel I: Einleitung

Dienstleistungen des Handwerks werden nicht allein aufgrund technischer Perfektion verkauft. Der Kunde muß den Wert des Handwerksangebots auch kennen und ermessen können, bevor er bereit ist, einen nicht nur kostendeckenden, sondern auch gewinnbringenden Preis, zu bezahlen. Handwerksprodukte stehen darüber hinaus immer häufiger im Wettbewerb mit industriellen Angeboten. Der Anspruch an die Qualität der Unternehmensfíihrung im Handwerk hat sich tendenziell erhöht. Die betriebswirtschaftliche Dimension eines Handwerksunternehmens wird jedoch - und das haben mehrere Studien bestätigt - von vielen Handwerksunternehmern unterschätzt. Auch Betriebsberater der Kammern berichten über Defizite im Bereich der Unternehmensfíihrung. Es ist selbstverständlich zu berücksichtigen, daß Betriebsberater naturgemäß mehr problematische als funktionierende Betriebe sehen und ihr Urteil somit einseitig geprägt sein kann. Das Beklagen von Mängeln in der Unternehmensfíihrung im Handwerk muß nicht heißen, daß die Handwerksunternehmer grundsätzlich ihre Unternehmen schlechter führen als Unternehmer in anderen Wirtschaftsbereichen. Gerade jedoch wegen des Elements der Unternehmerqualifizierung durch den Großen Befähigungsnachweis ist allerdings der Anspruch höher zu setzen. Die Vermittlung betriebswirtschaftlicher Kenntnisse bei der Vorbereitung zur Meisterprüfung hebt zwar das Handwerk von jenen Wirtschaftsbereichen positiv ab, in denen keinerlei qualifikatorische Voraussetzungen für die Selbständigkeit verlangt werden, dennoch wird dieser Teil der Meisterprüfung als unzureichend kritisiert. Vor allem mangelt es an einer kontinuierlichen Auffrischung des Erlernten während der Berufspraxis (Fort- und Weiterbildung). Das vorliegende Lehrbuch verfolgt eine sehr praxisorientierte Zielsetzung. Unternehmensfíihrung wird hier weniger im Sinne der Beherrschung von bestimmten Techniken oder „Rezepturen" des Managements verstanden. Im Vordergrund steht einerseits das betriebliche Umfeld, also die Wettbewerbssituation der Handwerkswirtschaft, mögliche Chancen und Risiken auf den Märkten für Handwerksleistungen, Probleme bei der Sicherung von Marktpositionen. Andererseits werden die innerbetrieblichen Bedingungen in den Handwerksunternehmen anhand ausgewählter Problemfelder und Praxisbeispiele ausführlich dargestellt. 6. Insolvenzen im Handwerk - ein Hinweis auf

Managementprobleme?

Tatsache ist, daß es zwar „gute" und „schlechte" Konjunkturen sowie Branchen gibt, trotz aller äußeren Einflußfaktoren gibt es aber vor allem gute und schlechte Unternehmen, oder besser gute und schlechte Unternehmer bzw. Manager. Es konnte in der Praxis beobachtet und durch empirische Ergebnisse unterlegt werden, daß zwar viele Selbständige und Führungspersonen in Handwerksbetrieben über alle technischen oder fachlich-gewerblichen Voraussetzungen, aber oftmals nicht über die zusätzlichen kaufmännischen Führungs-

Kapitel I: Einleitung

15

kenntnisse, verfugen, die letztlich den Erfolg eines Unternehmens langfristig sicherstellen. Fehlen Kenntnisse in der Planung, Organisation und Kontrolle sprich in der Unternehmensführung - ist eine Insolvenz weitgehend „vorprogrammiert". Etwa 70 bis 80 Prozent aller Unternehmensgründungen erleben das fünfte Jahr ihres Bestehens nicht mehr. Betroffen sind vor allem KMU! Die Anzahl der Insolvenzen in Deutschland war in den letzten Jahren beachtlich. Auch wenn größere Unternehmen (z.B. Schneider-Immobilien, Procedo/Balsam, Unternehmensverbund Vulkan) nicht frei von Zusammenbrüchen sind, prägen in der Regel kleine und mittelständische Unternehmen das Insolvenzgeschehen. Handwerksbetriebe sind von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen. Die Wissenschaft bemüht sich seit Jahrzehnten, die Ursachen und deren Wechselwirkungen im Hinblick auf Unternehmenskrisen und Unternehmenszusammenbrüche (vgl. Zdrowomyslaw/Albrecht/Appelhoff 1/1997, S. 8-18; Zdrowomyslaw/Albrecht/Appelhoff 3/1997, S. 119-126) zu erforschen und theoretische Erklärungsansätze zu liefern, allerdings nur mit begrenztem Erfolg (vgl. Weisel 1982). Erkenntnisse über die Ursachen, die zu Unternehmenskrisen sowie zur zwangsweisen Auflösung von Unternehmen führen, sind zahlreichen Untersuchungen zu entnehmen. In den meisten Fällen ist man sich einig, daß neben konjunkturellen Gründen (Rezession) zahlreiche innerbetriebliche Ursachen in ihrem Zusammenwirken erst für ein Aus einer Vielzahl von Unternehmen sorgen. Nicht zu Unrecht werden in vielen Publikationen an erster Stelle sogenannte Managementfehler (Stichworte: mangelnde Unternehmerqualifikation, ungenügende Führungskenntnisse, mangelnde Praxiserfahrung und unzureichende kaufmännische Fachkenntnisse) genannt (vgl. Tabelle 4). Angesichts dieser Ursachen, die direkt oder indirekt auf Managementfehler zurückzuführen sind, stellt sich die Frage, ob in vielen Handwerksbetrieben die Managementkompetenzen ausreichen, um die Unternehmensentwicklung und Sicherung zu gewährleisten. 7. Informationsquellen

für den

Handwerksunternehmer

Wer ein Unternehmen führt, ist auf Informationen, sprich auf zweckorientiertes Wissen angewiesen. Aus der Praxis gewonnene Erfahrungen allein reichen nicht aus, um die Unternehmensentwicklung zu steuern und die Existenz des Unternehmens zu sichern. Wie bereits erwähnt, ist es oftmals der Mangel an Managementwissen in Handwerksbetrieben, der zu einem Scheitern von Unternehmen führt.

16

Kapitel I: Einleitung

Tab. 4: Insolvenzursachen in den Jahren 1985 bis 1990* Position (Ursache) Kapitalstruktur Absatz/ Auftragsentwicklung Geschäftsführung/ Organisation Kalkulationsfehler Auswirkung fremder Schwierigkeiten Investitionspolitik/ Produktionsprogramm Lebensführung der Inhaber Sonstige Gründe Keine Angaben Insgesamt

Anzahl der Nennungen 1.401 1.306

in % aller Nennungen 24 22

1.139

19

459

8

364

6

317

5

86 746 111 5.929

1 13 2 100

* Von den Zweiganstalten der Deutschen Bundesbank ermittelte Insolvenzursachen. Es konnten je Insolvenzfall auch mehrere Ursachen genannt werden. vgl. Creditreform; Analyse der Insolvenzursachen, o. 0., o. J., BW 037/95

Dabei besteht heute eher das Problem, aufgrund der „Informationsflut", schnell und kostengünstig die relevanten Informationen herauszufiltern. Grundsätzlich können Informationen aus unterschiedlichen Quellen bzw. Medien bezogen werden. Neben aktuellen Informationen, die man aus Rundfunk und Fernsehen sowie Zeitung und Zeitschriften erhält, ist man nach wie vor auf die Lektüre von Büchern angewiesen, um sich einen Überblick über die theoretischen und praktischen Elemente der Unternehmensführung zu verschaffen. Über die normale Standardliteratur (z.B. Wöhe: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre) hinaus gibt es spezifische Literatur, die auf kleine und mittelständische Unternehmen (z.B. Bussiek: Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen, Pichler/Pleitner/Schmidt: Management in KMU, Die Führung von Klein- und Mittelunternehmen), bzw. das Handwerk (Sloane: Unternehmensführung im Handwerk I. und II; Spaniol: Grundlagen der Unternehmensführung im Handwerk und Nagel: Top im Handwerk, Managementwissen für Meisterbetriebe) zugeschnitten ist. Zudem gibt es zahlreiche branchenspezifische Fachzeitschriften (z.B. der Augenoptiker oder Back Journal), die dem einzelnen Unternehmer neben allgemeinen Hinweisen weitere wichtige praxisbezogene Beispiele aus der jeweiligen Branche zur Unternehmensführung im allgemeinen sowie Spezialthemen liefern. Neben den allgemeinen Veröffentlichungen sind zentrale Informationsträger im Hinblick auf Daten, Fakten und Hintergründe für den Mittelstand und das Handwerk vor allem die im nächsten Punkt vorgestellten Forschungs- und Lehrinstitutionen (vgl. hierzu auch Mugler 1995, S. 87-90).

Kapitel I: Einleitung

8. Handwerksforschung 8.1 Deutsches

17

in Deutschland

Handwerksinstitut

Das Deutsche Handwerksinstitut (DHI) wurde 1929 als Stiftung des bürgerlichen Rechts in Berlin gegründet. Die Zielsetzung war, die technischen, kaufmännischen, volkswirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme des Handwerks zu erforschen und für die Praxis nutzbar zu machen (vgl. Deutsches Handwerksinstitut; 1997). Nach Kriegsende wurde das DHI 1948 als eingetragener Verein als Deutsches Handwerksinstitut fortgeführt. Das DHI ist nunmehr Dachorganisation für folgende sieben Forschungsinstitute Die Finanzierung der Institute erfolgt aus Zuwendungen des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi), der Wirtschaftsministerien der Länder sowie des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT). Darüber hinaus werden Projekte über Drittmittel finanziert. 8.2 Rheinisch-Westfälisches

Institut für

Wirtschaftsforschung

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) gehört neben weiteren wirtschaftswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen zu der Wissenschaftsgemeinschaft „Blaue Liste". In dieser Liste sind nach einer Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern rund 70 Forschungsstätten und Einrichtungen aus 11 fachlichen Sektionen aufgenommen, die nach Art. 91b des Grundgesetzes von überregionaler Bedeutung und von gesamtstaatlichem wissenschaftlichen Interesse sind. Hieraus begründet sich eine gemeinsame Förderung dieser Einrichtungen durch Bund und Länder. Die Hauptarbeitsrichtungen des RWI orientieren sich an seiner Grundaufgabe der überwiegend anwendungsbezogenen wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung. In diesem Rahmen bestehen die Schwerpunkte: •

Konjunkturforschung, die sich mit der Analyse und Prognose der mittel- und langfristigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auseinandersetzt;



Strukturforschung, die sich mit der Analyse und Prognose der mittel- und langfristigen Entwicklung der Gesamtwirtschaft vor allem unter sektoralen Aspekten beschäftigt;



Forschungen im Bereich der Öffentlichen Finanzen, die sich auf die konjunkturellen und strukturellen Implikationen der Staatstätigkeit (Allokations-, Stabilisierungs- und Verteilungsfunktion) auf allen Ebenen - namentlich auch auf Länder- und Gemeindeebene konzentriert;



Forschungen in Bezug auf die Weltwirtschaft, die den Auswirkungen der Wirtschaftsentwicklung in den europäischen Nachbarländern und der übrigen Welt auf die deutsche Volkswirtschaft und umgekehrt nachgeht;

18

Kapitel I: Einleitung

Tab. 5: Ausgewählte Forschungsinstitute des Handwerks Institut

Adresse

Schwerpunkte -

Öffentlichkeitsarbeit Tel.: (0228) 545-264 Finanzverwaltung Fax: (0228) 545-205 Deutsches Handwerksinstitut, GePersonalverwaltung Sacharbeit für die DHI-Gremien schäftsstelle Bonn email:[email protected] Vorträge und Tagungen Handwerksforschung Tel.: (0551)394882/86 Weiterbildung für die BetriebsbeFAX: (0551) 399553 rater der HandwerksorganisatioSeminar fur Handwerkswesen an nen der Universität Göttingen email: [email protected] - Wissenschaftliche Betreuung von Projekten u.a. - Beratung und Gutachtenerstellung Tel.: (0511)70155-0 Heinz-Piest-lnstitut für Handwerkbei der Planung überbetrieblicher FAX: (0511)70155-0 stechnik an der Universität HannoBerufsbildungsstätten ver email: - Qualitätsmanagement im [email protected] hannover.de - Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung - Weiterbildung der Betriebsberater Tel.: (0721)931030 für Technik, Betriebswirtschaft, Umweltschutz und Zulieferwesen Institut für Technik der Betriebsfüh- FAX: (0721) 9310350 - Weiterbildung von Unternehmern rung im Handwerk, Karlsruhe email: [email protected] und Führungskräften u.a. - Erarbeitung, Überprüfung und Überarbeitung von Berufsbildern Tel.: (0221)4702582 und MeisterprüfungsanforderunFAX: (0221)401183 gen Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Univer- Wissenschaftliche Planung und email: forschungsinstisität zu Köln Erprobung von Qualitätsmodulen [email protected] in der handwerklichen Aus- und Weiterbildung - Wissenschaftliche Entwicklung von Lehrmaterialien Tel.: (089)593671 - Handwerksforschung Institut für Handwerkswirtschaft FAX: (089)553453 - Aus- und Weiterbildung - Service ( Informationen, AusMünchen künfte, Ausschüsse) email: [email protected] Handwerksinstitut München für Tel.: (089)594330 - Gutachtenerstellung Handwerks-, Gewerbe-, Finanz- Auskünfte und Stellungnahmen FAX: (089)5501177 und Steuerrecht e.V. zu einschlägigen Rechtsprobleemail: [email protected] men u.a. - Entwicklung und Erprobung von Lehrgängen über KunststoffverInstitut für Kunststoffverarbeitung Tel.: (0241)8038-12 arbeitung in Industrie und Handwerk an der FAX: (0241)8888-262 - Schulung der Lehrkräfte RWTH Aachen, Abt. Handwerk email: [email protected] - Beratungen und Stellungnahmen zu Ausbildungsfragen auf dem Kunststoffsektor - Mitarbeit in tech.-wiss. Verbänden

Kapitel I: Einleitung



19

Regionalforschung, die sich mit den regionalen Implikationen des wirtschaftlichen Strukturwandels beschäftigt;





Energieforschung, die sich in den letzten Jahren angesichts der mit der mit der Umwelt bestehenden Zusammenhänge immer mehr auf umweltpolitische Fragen konzentrierte. Hinzu kommt die Analyse der energiewirtschaftlichen Implikationen der europäischen Integration und last not least Handwerks- und Mittelstandsforschung, welche die sektorale Strukturforschung um den Betriebsgrößenaspekt ergänzt.

Die Mittelstandsforschung des RWI wurde im Jahre 1952 mit der Einrichtung eines Referats „Handwerk" begründet. Unter der Leitung von D R . THEO BECKERMANN wurden nahezu ausschließlich Handwerksfragen untersucht. Im Jahre 1953 erschien der erste „RWI-Handwerksbericht". In der seit jener Zeit jährlich erscheinenden Veröffentlichung wird über die wirtschaftliche Lage in ausgewählten Handwerkszweigen berichtet und detailliertes Datenmaterial bereitgestellt. Darüber hinaus sind eine Fülle von handwerkswirtschaftlichen Arbeiten veröffentlicht worden. Das Institut wird vom Bundesministerium, den Landeswirtschaftsministerien aber auch von Verbänden regelmäßig mit Gutachten zu speziellen handwerkswirtschaftlichen Fragestellungen beauftragt. Das RWI gehört zu den führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Handwerksforschung. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf die Bereitstellung, Aufbereitung und Berechnung empirischer Daten über das Handwerk insgesamt und einzelner Handwerkszweige im besonderen. In diesem Zusammenhang ist die Verfügbarkeit einer umfassenden Datenbank zu erwähnen. Von 1985 bis 1992 war unter Leitung von D R . WILLI LAMBERTS die zentrale erkenntnisleitende Frage auf mittelstandspolitischem Gebiet die nach der funktionalen Einordnung der kleinen und mittleren Unternehmen in den arbeitsteiligen Prozeß der Volkswirtschaft. In diesem Zusammenhang wurden die Bestimmungsfaktoren der Betriebs- und Unternehmensgrößenstruktur, der Einund Mehrbetrieblichkeit von Unternehmen und der Beziehungen zwischen großen und kleinen Betrieben bzw. Unternehmen analysiert (vgl. Lageman 1993, S. 241). In den letzten Jahren erfolgte eine thematische Öffnung der Forschungsarbeiten, d.h. in das Forschungsprogramm wurden zusätzlich nichthandwerkliche und mittelstandspolitische Fragestellungen aufgenommen. Hierzu wurde die Forschungsgruppe unter Leitung von D R . B . LAGEMAN um zwei Referate erweitert (KMU im Marktprozeß und Mittelstandspolitik). Aus dem erweiterten Themenspektrum sind folgende jüngere Untersuchungen hier exemplarisch zu nennen: • •

Der volkswirtschaftliche Nutzen der industriellen Gemeinschaftsforschung für die mittelständische Industrie. Mittelstandsforderung in Deutschland - Konsistenz, Transparenz und Ansatzpunkte für Verbesserungen.

20 • •

Kapitel I: Einleitung Globalisierung der Märkte - Herausforderungen und Optionen für kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere Zulieferer. Existenzgründungsforschung sowie Untersuchungen zur Rolle der Selbständigen im Transformationsprozeß der mittelosteuropäischen Länder.

Im Bereich der Handwerksforschung wurden in den letzten Jahren umfangreiche Aktivitäten zur Aktualisierung des Datenbestandes unternommen. Gegenwärtig stehen größere Untersuchungen zur Frage des Strukturwandels sowie der regionalen Präsenz des Handwerks an. Die beiden letzten Untersuchungen befaßten sich mit folgenden Themen: Lage und Perspektiven der nordrheinwestfälischen Handwerkswirtschaft und Perspektiven der Berufsbildung im sächsischen Handwerk.

8.3 Universitätslehrstühle und Hochschulen mit mittelständischem schungsschwerpunkt (Auswahl)

For-

Zwar wird schon seit jeher an Hochschulen - aber eben eher sporadisch - dem Thema Mittelstand bzw. Mittelstandsökonomie eine gewisse Beachtung geschenkt. Aber erst in den letzten Jahren scheint das Interesse in Wissenschaft und Praxis stärker geworden zu sein, dieses Gebiet intensiver zu erforschen und in der Lehre zu etablieren. So haben die Veröffentlichungen mittelstandsorientierter Fragestellungen zugenommen und es werden an den Hochschulen Lehrstühle bzw. Stellen eingerichtet, wie z.B. Mittelstandsmanagement und Entrepreneurship. Folgende Aufstellung von Instituten bzw. Hochschullehrern im deutschsprachigen Raum ist lediglich eine kleine Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: •

Institut für Mittelstandsforschung,. Bonn (wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Dr. Dieter Bös - Universität Bonn - und Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Hax - Universität Köln)



Prof. Dr. Horst Albach (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung)



Prof. Dr. Jürgen Bussiek (Betriebswirtschaftliches Institut für mittelständische Unternehmen e.V. an der Fachhochschule Bielefeld



Prof. Dr. Heiko Auerbach, Prof. Dr. Torsten Czenskowsky, Prof. Dr. Harald Wilde, Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw, (Fachbereich Wirtschaft, Fachhochschule Stralsund)



Prof. Dr. Artur Friedrich (Lehrstuhl für Mittelstandsmanagement Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden)



Prof. Dr. Josef Mugler (Wirtschaftsuniversität Wien)



Prof. Dr. Eberhard Hamer (Mittelstandsinstitut Niedersachsen e.V.)



Prof. Dr. Egbert Kahle (Universität Lüneburg)



Prof. Dr. Dr. h.c. J. Hanns Pichler (Wirtschaftsuniversität Wien)



Prof. Dr. Jobst Pleitner (Hochschule St. Gallen)



Prof. Dr. Axel Schmidt, (Universität Trier)



Prof. Dr. Karl- Heinz Schmidt (Universität-Gesamthochschule Paderborn)



Prof. Dr. Erich Staudt (Universität Bochum)

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

21

KAPITEL I I : DAS HANDWERK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

1. Gesamtwirtschaftliche

Bedeutung der Handwerkswirtschaft

- ein Überblick

1.1 Begriff des Handwerks Bereits einleitend wurde auf die Schwierigkeit hingewiesen, das Handwerk als eigenständigen Wirtschaftsbereich mit ökonomischen Kriterien zu definieren. Einigkeit besteht darin, daß Handwerk als typischer mittelständischer Wirtschaftsbereich gilt und die Betriebe überwiegend dem Bereich der Klein- und Mittelbetriebe zuzuordnen sind. Jeder weitere Schritt, das Handwerk zu präzisieren steht vor dem Problem, einerseits die Vielfalt der Betätigungsfelder zu erfassen und andererseits eine Abgrenzung von anderen Bereichen wie Handel und Dienstleistungen bzw. Industrie vornehmen zu müssen. Handwerksbetriebe decken jedoch ein weites Spektrum an Berufstätigkeiten und Marktfeldern ab. Sie sind zum Beispiel im Bau- und Ausbaugewerbe, in der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Gütern des gehobenen Bedarfs und im Dienstleistungsgewerbe tätig.

1.1.1 Definitionsversuche

mit ökonomischen

Kriterien

Versuche, das Handwerk funktional mit ökonomisch Kriterien zu definieren, sind bislang erfolglos verlaufen (vgl. Voigt 1956). Eine anerkannte und praktisch anwendbare Definition gibt es nicht. Die Ursache liegt in dem heterogenen Erscheinungsbild des Handwerks (vgl. Marahrens 1978, S. 9 ff). Folgende Kennzeichen sind bei empirischen Untersuchungen je nach Fragestellung vorzugsweise als Beschreibungsmerkmale vorzufinden: •

Betriebsstrukturen (geringe Betriebsgröße, Ein-Betriebs-Unternehmen, Vereinigung von Eigentum und Unternehmensfuhrung in einer Person, personenbezogene Rechtsformen),



Beschäftigtenstrukturen (vorwiegend Facharbeitskräfte),



Produktionsstrukturen (Einzelfertigung, Auftragsproduktion, Dominanz der Handarbeit, geringe innerbetriebliche Arbeitsteilung und Spezialisierung),



Absatzstrukturen (lokal begrenzte Absatzmärkte, dezentrale Standortverteilung, Absatz an Letztverbraucher)

Zwar trifft jedes dieser Kriterien in gewisser Weise auch auf Handwerksbetriebe zu, eine trennscharfe Abgrenzung zu anderen Wirtschaftsbereichen wird hierdurch jedoch nicht ermöglicht. Die Bemühungen, aus den sonst in empirischen Untersuchungen mittelständischer Unternehmen vorzugsweise verwendeten

22

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Kriterien eine idealtypische Bestimmung handwerklichen Wirtschaftens abzuleiten, haben zwar bestimmte Leitbilder wie „Personalität", „Lokalität" und „Individualität" hervorgebracht, die sich jedoch nur begrenzt für wissenschaftliche Untersuchungen eignen (vgl. Wernet 1965). Insbesondere hinsichtlich der Abgrenzung zur Industrie ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten. Dies liegt einerseits daran, daß sich viele Industrie- und Handelsbetriebe aus handwerklichen Unternehmen entwickelt haben und andrerseits handwerkliche und industrielle Unternehmungen gemeinsam als Anbieter auf Märkten auftreten und sich somit aufgrund der Marktgegebenheiten wenig unterscheiden. Sowohl bei den Betriebsformen, der Beschäftigtenstruktur, der Produktionsweise und den Absatzstrukturen haben sich inzwischen starke Annäherungen zwischen Industrie und Handwerk vollzogen.

1.1.2 Legaldefinition

nach der

Handwerksordnung

In Ermangelung einer funktionalen Definition des Handwerks wird in der Regel auf die Handwerksordnung zurückgegriffen, wonach ein Handwerksbetrieb dann vorliegt, wenn ein Gewerbe in der Anlage A zur Handwerksordnung (sogenannte Positivliste) aufgeführt ist und handwerksmäßig betrieben wird (§ 1 Satz 2 HwO). In der Anlage A sind derzeit 93 Berufe notiert, die der Gesetzgeber als Handwerk bestimmt hat. Die Bestimmung des Handwerks über die Auflistung von Berufsbezeichnungen kommt dem traditionellen Verständnis von Handwerk entgegen, wonach gemeinhin Handwerk mit bestimmten Berufen assoziiert wird. Für die wirtschaftliche Analyse erweist sich die Legaldefinition als nachteilig, weil mit den Berufsbezeichnungen nicht die dynamischen Veränderungen der Tätigkeiten in den einzelnen Berufen erfaßt werden können. Veränderungen der Tätigkeitsfelder in den Berufen führen und führten somit immer wieder zu Abgrenzungsstreitigkeiten nicht nur zu Industrie oder Handel sondern auch zwischen den Handwerken (vgl. Aberle 1994). Die Handwerksberufe der Anlage A können lediglich über die Berufsbilder näher spezifiziert werden. Berufsbilder sind an sich Beschreibungen der Anforderungen für die Lehrlingsausbildung (ähnlich einer Rahmenausbildungsordnung), haben aber in der Rechtsprechung immer wieder als Grundlage für die Abgrenzung von Handwerkszweigen gedient (vgl. Fröhler/Mörtel 1978, Bd. I und II). Der Gesetzgeber hat zwar die Anlage A hin und wieder überarbeitet (zuletzt mit der Novellierung der HwO im Jahre 1998), indem Berufe neu geordnet oder zusammengefaßt wurden. Die Zahl der ersatzlosen Streichungen ist hingegen gering geblieben. Manche Handwerksbezeichnungen wurden dem Sprachgebrauch angepaßt (z.B. Schlosser und Schmiede wurden zu Metallbauern, Wäscher und Plätter gingen im Chemischreinigerhandwerk auf).

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

1.1.2.1 Vollhandwerke nach Anlage A der HwO und handwerkliche betriebe

23 Neben-

Anders als in vielen anderen europäischen Ländern definieren in Deutschland nicht die Betriebsgröße, die Zahl der Beschäftigten oder die Höhe des Umsatzes die Zugehörigkeit zum Handwerk. Die Handwerksordnung sieht vielmehr vor, daß der Bundesminister für Wirtschaft in Einvernehmen mit den Wirtschaftsministern der Länder Bestimmungen darüber zu erlassen hat, welche Gewerbe handwerksmäßig betrieben werden können und welche Handwerke als verwandte Handwerke gelten (verwandte Berufe sind dadurch gekennzeichnet, daß ihre Tätigkeitsfelder sich überschneiden oder sich sehr ähnlich sind). Die Zugehörigkeit zum Handwerk hat rechtliche Konsequenzen vor allem hinsichtlich der Gewerbezulassung und der Berechtigung zur Berufsausbildung. „Der selbständige Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe ist nur den in der Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften (selbständige Handwerker) gestattet" (§ 1 HwO). Die Handwerksrolle ist ein Verzeichnis im Sinne eines Unternehmensregisters. Sie wird von der regional zuständigen Handwerkskammer gefuhrt. „In die Handwerksrolle ist einzutragen, wer in dem von ihm zu betreibenden Handwerk oder in einem verwandten Handwerk die Meisterprüfung bestanden hat" (§ 7, Abs.l, HwO). Dies gilt auch für alle durch Ausnahmebewilligung oder sonstigen Gründen erlangten Berechtigungen zur Führung eines Handwerksunternehmens. Unterschieden werden neben dem selbständigen Handwerksbetrieb auch handwerkliche Nebenbetriebe, die nach den gesetzlichen Vorschriften ebenfalls in der Handwerksrolle verzeichnet werden müssen. Damit bezeichnet der Gesetzgeber Betriebsteile von nichthandwerklichen Unternehmen, zum Beispiel aus den Bereichen Industrie, Handels, Verkehr, Landwirtschaft oder Energieversorgung. Hierzu gehört beispielsweise die in die Handwerksrolle eingetragene Schlachterei, Uhrmacherwerkstatt, Polsterei oder Elektrowerkstatt eines Kaufhauses sowie die Lehrlingswerkstatt eines Industrieunternehmens. In der Anlage A zur HwO sind - wie bereits mehrfach erwähnt - diejenigen Berufe aufgelistet, die der Gesetzgeber als Handwerk betrachtet. Die Anlage A gliedert die Gewerbe des Handwerks in sieben Gruppen: •

Bau und Ausbau (z.B. Maurer, Maler und Lackierer)



Metall und Elektro (z.B. Kfz-Mechaniker, Elektriker)



Holz (z.B. Tischler, Parkettleger)

24 •

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland Bekleidung, Textil und Leder (z.B. Damenschneider, Orthopädieschuhmacher, Raumausstatter)

• Nahrungsmittel (z.B. Bäcker, Fleischer, Müller) •

Gewerbe für Gesundheits- und Körperpflege sowie chemische und Reinigungsgewerbe (z.B. Augenoptiker, Friseure, Gebäudereiniger)



Glas-, Papier-, keramische und sonstige Gewerbe (z.B. Glaser, Buchdrucker, Geigenbauer).

Mit Bekanntmachung vom 28. Dezember 1993 trat nach langer parlamentarischer Diskussion eine weitere Novelle der Handwerksordnung in Kraft. Im Zentrum der neuen Bestimmungen stehen die Regelungen, mit denen die Möglichkeiten zur „Leistung aus einer Hand" verbessert wurden. Konkret handelt es sich um folgende Regelungen: •

Wer bereits ein Handwerk betreibt, kann auch Arbeiten in anderen Handwerken ausführen, wenn sie das Leistungsangebot seines Handwerks wirtschaftlich ergänzen (§ 5 HwO).



Wer bereits als Handwerker tätig ist, darf sich auch in anderen Handwerken betätigen, wenn er die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten nachgewiesen hat. Hierüber wird ihm eine Ausübungsberechtigung erteilt (§7a HwO).



Seit 1. Januar 1994 können sich auch Einzelhandwerker und Personengesellschaften des Handwerks in anderen Handwerken betätigen, die mit ihrem eigenen Handwerk in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, sofern sie einen Betriebsleiter mit der entsprechenden Qualifikation in dem anderen Handwerk einstellen (§ 7 Abs. 6 HwO).



Durch eine Neudefinition in § 7 Abs. 1 Satz 2 HwO ist zugleich die Zahl der verwandten Handwerke erweitert worden.

Von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung ist die Neufassung des § 5 der Handwerksordnung. Demnach dürfen nunmehr von einem Handwerksunternehmen Arbeiten übernommen werden, die zuvor anderen speziellen Handwerken vorbehalten waren. Dieser Tatbestand hat immer wieder bei den Verbrauchern zu Verdruß (Verteuerung der Gesamtleistung durch Beauftragung mehrerer Handwerker, mehrfache Anfahrtsgebühren) und bei den Gerichten zu Rechtsstreitigkeiten (u.a. Abgrenzungsstreitigkeiten zwischen Handwerken) geführt. Zur Sanierung eines Bades waren nach der Vorgängerregelung unter Umständen sechs Handwerker zu beschäftigen: •

Maurer (zum Einmauern der Wanne),



Zentralheizungs- und Lüftungsbauer (zum Einbau der Heizkörper),



Elektriker (zum Verlegen der Steckdosen und Lichtschalter),



Fliesenleger (zum Kacheln und Fliesen der Wände und Badewannenverkleidung),

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

25



Gas- und Wasserinstallateur (zum Anschluß der Wasserleitungen, zum Einbau eines Wasserboilers, zur Installation des WC, des Waschbeckens etc.),



Maler und Anstreicher (für den Anstrich der Decken und Wände).

Diese formalrechtlichen Regelungen haben sich als lebensfremd und für den Verbraucher als kostentreibend erwiesen. Das Gesetz erlaubt jetzt einem Handwerker Arbeiten in „anderen Handwerken" zu übernehmen, wenn die Aufgaben technisch und fachlich zusammenhängen. Bei der Wertung des fachlichen und technischen Zusammenhangs ist der Strukturwandel zu berücksichtigen, der sich vor allem aus der technischen Entwicklung ergibt. Voraussetzung ist stets, daß sich der Auftrag primär auf Arbeiten in dem Handwerk bezieht, mit dem der Handwerker in die Handwerksrolle eingetragen ist. Darüber hinaus ist die Übernahme von Arbeiten aus anderen Handwerken dort gestattet, wo es sich um eine „wirtschaftliche Ergänzung des eigenen Leistungsangebots" handelt. Folge Beispiele sollen die Rechtslage verdeutlichen (vgl. Aberle 1996): •

Ein Kraftfahrzeugmechaniker darf in Zusammenhang mit der Tätigkeit in seinem Handwerk auch Arbeiten ausfuhren, die dem Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk zugeordnet sind.



Ein Gas- und Wasserinstallateur darf, wenn er schadhafte Wasserleitungen instandsetzt, in diesem Zusammenhang auch schadhafte Fliesen erneuern.



Ein Maurer, der eine Garage errichtet, ist befugt, Pflasterarbeiten an dem Weg zur Garage auszuführen.

Eine „Ergänzung liegt dann nicht mehr vor, wenn sich die Leistung aus dem anderen Handwerk isoliert betrachtet als eigenständiger und wirtschaftlich sinnvoller Auftrag aus diesem Handwerk darstellt" (Aberle 1996, Kommentar zu § 5 HwO Rdzf. 10). Die Arbeiten aus dem eigenen Handwerk müssen stets quantitativ überwiegen bzw. übergeordneter Natur sein. Als Richtwert wird ein Auftragswert von 20 % aus einem verwandten Gewerk als akzeptabel betrachtet. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens 1993 einigte man sich auf die Einrichtung einer parlamentarischen Arbeitsgruppe, um die Anlage A und B der HwO zu überarbeiten. Es ging dabei um die Frage, ob die dort verzeichneten Berufe noch tatsächlich dem Handwerk zuzurechnen seien. Konkret sollte geprüft werden,

26

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland



ob Handwerkszweige aus der Anlage A herausgenommen werden sollten,



ob durch eine Zusammenlegung von Handwerken eine Anpassung an die tatsächlichen Tätigkeitsbereiche erreicht werden kann und



ob Handwerke aus der Anlage B in die Anlage A zu übernehmen seien.

Im April 1998 trat nunmehr das 2. Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften in Kraft. Die Zahl der in der Anlage A aufgelisteten Berufe wurde von 127 auf 93 reduziert. Einige Berufsfelder wurden neu zugeschnitten oder erhielten andere Berufsbezeichnungen. Dies geschah unter berufspolitischen, traditionellen, kulturellen und regionalen Aspekten. Neu aufgenommen in die Anlage A wurden die Gerüstbauer, die vorher in Anlage B verzeichnet waren. Einzelne Gewerke wechselten von der Anlage A in die Anlage B, wie beispielsweise die Pinsel- und Bürstenmacher oder Gerber. Mit der Novellierung wurde vom Gesetzgeber ein erster und wichtiger Schritt getan, die Rechtslage der realen und wirtschaftlichen Entwicklung im Handwerk anzupassen. Dies geschah nicht ohne heftigen Protest und Widerstand einiger betroffener Innungen und Fachverbände.

1.1.2.2 Handwerksähnliches

Gewerbe Anlage B der HwO

„Ein Gewerbe ist handwerksähnlich im Sinne des Gesetzes, wenn es in einer handwerksähnlichen Betriebsform betrieben wird und in der Anlage B" der Handwerksordnung aufgeführt ist (§ 18 HwO). Gemeint sind Gewerbebetriebe, die nicht das volle Spektrum eines Handwerks abdecken, sondern sich auf bestimmte Teilgebiete spezialisiert haben. S C H M I D T hat den Versuch unternommen, den Begriff zu präzisieren, in dem er bestimmte Voraussetzungen formuliert, bei deren Vorliegen von einem handwerksähnlichen Gewerbe gesprochen werden kann: „1. Es muß sich um selbständige Gewerbebetriebe handeln. 2. Es müssen Tätigkeiten mittleren Schwierigkeitsgrades der zur Anwendung kommenden Arbeitstechniken den Betriebszweck darstellen. 3. Es darf weder die handwerkliche noch die industrielle Betriebsstruktur ausschließlich vorhanden sein" (Schmidt 1962 zit. nach Aberle 1996, Rdzf. 335 zu § 18 HwO)

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

27

Überblick über die Änderungen der Anlage A und B der Handwerksordnung 1998 ALT die Gewerbe / wesentliche Tätigkeiten

NEU werden zusammengefaßt zu dem Gewerbe mit der Bezeichnung / neu bezeichnet / überführt aus bzw. in Anlage B

Anlage A - Maurer - Beton - und Stahlbetonbauer - Feuerungs- und Schomsteinbauer / wesentliche - Mauerer und Betonbauer Tätigkeit - Betonsteinherstellung des Betonstein- und Terrazzoherstellerhandwerks - Ofen- und Luftheizungsbauer - Backofenbauer - Kachelofen- und Luftheizungsbauer - Estrichleger / wesentliche Tätigkeit - Terrazzoherstellung des Betonstein- und Terraz- - Estrichieger zoherstellerhandwerks Gerüstbauer (bisher Anlage B) - Karosserie- und Fahrzeugbauer - Karosserie- und Fahrzeugbauer - Wagner - Maschinenbaumechaniker - Feinwerkmechaniker - Werkzeugmacher - Dreher - Feinmechaniker - Büroinformationselektroniker - Informationstechniker - Radio- und Fernsehtechniker Kraftfahrzeugtechniker - Kraftfahrzeugmechaniker - Kraftfahrzeugelektriker - Installateur und Heizungsbauer - Gas- und Wasserinstallateur - Zentralheizungs- und Lüftungsbauer - Behälter- und Apparatebauer - Kupferschmied - Elektroinstallateur Elektrotechniker - Elektromechaniker - Fernmeldeanlagenelektroniker - Gold-, Silber- und Aluminiumschläger - Metallbildner - Ziseleure - Gürtler und Metalldrücker - Galvaniseure - Galvaniseure und Metallschleifer - Zinngießer - Metall- und Glockengießer - Metallformer und Metallgießer - Glockengießer - Gold- und Silberschmiede - Goldschmiede - Silberschmiede - Boots- und Schiffbauer - Bootsbauer - Schiffbauer - Drechsler (Elfenbeinschnitzer) und Holzspiel- Drechsler (Elfenbeinschnitzer) zeugmacher - Holzspielzeugmacher - jetzt Anlage B - Schirmmacher - jetzt Anlage B - Bürsten- und Pinselmacher - Herrenschneider - Damen und Herrenschneider - Damenschneider - Wäscheschneider - jetzt Anlage B - Stricker - jetzt Anlage B - Handschuhmacher - jetzt Anlage B - Gerber

28 -

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Modisten Hut- und Mützenmacher Sattler Feintäschner Orthopädiemechaniker und Bandagisten Glasapparatebauer Thermometermacher Edelsteinschleifer Edelsteingraveure Steindrucker Flexografen Chemigrafen Stereotypeure Galvanoplastiker Metallblasinstrumenten- und Schlagzeugmacher

- Modisten - Sattler und Feintäschner - Orthopädiemechaniker - Glasbläser und Glasapparatebauer - Edelsteinschleifer und -graveure -jetzt Anlage B - Flexografen

- Metallblasinstrumentenmacher (ohne wesentliche Teiltätigkeit Schlagzeugmacher - jetzt Anlage B)

Anlage B Gewerbebezeichnung ALT Numerierung NEU 1. Gruppe der Bau- und Ausbaugewerbe Gerüstbauer (Aufstellen und Vermieten von Holz-, 1 Stahl- und Leichtmetallgerüsten) 1 Bautrocknungsgewerbe 2 2 Bodenleger (Verlegung von Linoleum, Kunststoff 3 3 und Gummiböden) 4 Asphaltierer (ohne Straßenbau) 4 Fuger (im Hochbau) 5 5 6 Holz- und Bautenschutzgewerbe (Mauerschutz 6 und Holzimprägnierung in Gebäuden) Rammgewerbe (Einrammen von Pfählen im Was7 7 serbau) Betonbohrer und -Schneider 8 7a Theater- und Ausstattungsmaler 7b 9 II. Gruppe der Metallgewerbe Herstellung von Drahtgestellen für Dekorations8 10 zwecke in Sonderanfertigung Metallschleifer und Metallpolierer 11 9 Metallsägen-Schärfer 12 10 Tankschutzbetriebe (Korrosionsschutz von Öl11 13 tanks für Feuerungsanlagen ohne chemische Verfahren) Fahrzeugverwerter 14 11a Rohr- und Kanalreiniger 15 11b Kabelverleger im Hochbau (ohne Anschlußarbei16 11c ten) III. Gruppe der Holzgewerbe Holzschuhmacher 17 12 Holzblockmacher 13 18 Daubenhauer 14 19 Holz-Leitermacher (Sonderanfertigung) 20 15 Numerierung ALT

Gewerbebezeichnung NEU

jetzt Anlage A: Gerüstbauer Eisenflechter keine Veränderung Bodenleger keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung

keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung

keine keine keine keine

Veränderung Veränderung Veränderung Veränderung

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland 16 17 18 18a

21 22 23 24

Muldenhauer Holzreifenmacher Holzschindelmacher Einbau von genormten Baufertigteilen (z.B. Fenster, Türen, Zargen, Regale

25 IV. Gruppe der Bekleidungs-, Textil- und Ledergewerbe 26 Bügelanstalten für Herren - Oberbekleidung 19 27 Dekorationsnäher (ohne Schaufensterdekoration) 20 28 Fleckteppichhersteller 21 Klöppler 29 22 Theaterkostümnäher 23 30 31 Plisseebrenner 24 Posamentierer 32 25 Stoffmaler 26 33 34 Handapparate - Stricker 27 35 Textil - Handdrucker 28 Kunststopfer 36 29 37 Flickschneider 30 38 39

keine keine keine keine

29 Veränderung Veränderung Veränderung Veränderung

Bürsten- und Pinselmacher (bisher Anlage A) keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung keine Veränderung Stricker (bisher Anlage A) keine Veränderung keine Veränderung Anderungsschneider Handschuhmacher (bisher Anlage A) Ausführung einfacher Schuhreparaturen Gerber (bislang Anlage A)

40 V. Gruppe der Nahrungsmittelgewerbe 41 Innerei - Fleischer (Kuttler) keine Veränderung 31 42 Speiseeishersteller (mit Vertrieb von Speiseeis keine Veränderung 32 mit üblichem Zubehör) 43 Fleischzerleger, Ausbeiner keine Veränderung 32a VII. Gruppe der Gewerbe für Gesundheits- und Körperpflege sowie der chemischen Reinigungsgewerbe Appreteur, Dekorateure keine Veränderung 44 33 Schnellreiniger 34 45 keine Veränderung 46 Teppichreiniger keine Veränderung 35 47 Getränkeleitungsreiniger keine Veränderung 36 Schönheitspfleger Kosmetiker 48 37 49 Maskenbildner keine Veränderung 37a VII. Gruppe der sonstigen Gewerbe 50 Bestattungsgewerbe keine Veränderung 38 51 Lampenschirmhersteller keine Veränderung 39 Klavierstimmer 52 keine Veränderung 40 Theaterplastiker keine Veränderung 53 40a Requisiteure keine Veränderung 54 40b Schirmmacher (bislang 55 Anlage A) Steindrucker (bislang 56 Anlage A) Schlagzeugmacher 57 (bislang Anlage A)

Quelle: Klein, Franz, Die N o v e l l e im Überblick. „Deutsches H a n d w e r k - Report", Düsseldorf, H e f t 1 (Januar 1998), S. 12-13.

30

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Handwerksähnliche Betriebe sind in einem gesonderten Verzeichnis bei der Handwerkskammer zu führen. Im Unterschied zum Vollhandwerk wird im handwerksähnlichen Gewerbe kein großer Befähigungsnachweis zur Selbständigkeit verlangt. Begründet wird dies mit dem eingeschränkten und sehr spezialisierten Leistungsangebot der Betriebe. Die in Anlage B aufgeführten Gewerbe haben sich zum Teil aus Vollhandwerken entwickelt und von diesen abgespaltet. Im Zuge der Novellierung der Handwerksordnung im Jahre 1993 wurde die Anlage B der Handwerksordnung um 10 handwerksähnliche Gewerbe erweitert: •

Betonbohrer und -Schneider,



Theater und Ausstattungsmaler,



Fahrzeugverwerter,



Rohr- und Kanalreiniger,



Kabelverleger im Hochbau (ohne Anschlußarbeiten),



Einbau von genormten Baufertigteilen (z.B. Fenster, Türen, Zargen, Regale),



Fleischzerleger, Ausbeiner,



Maskenbildner,



Theaterplastiker,



Requisiteure.

Mit der Novellierung der HwO 1998 wurde ein Handwerk aus der Anlage B in die Anlage A verschoben (Gerüstbauer) und sieben Handwerkszweige wechselten von Anlage A nach Anlage B (vgl. Übersicht S. 27ff.). Die Anzahl und die wirtschaftliche Bedeutung der handwerksähnlichen Betriebe hat in den letzten 10 Jahren deutlich zugenommen. Die Spezialisierung ermöglicht über die Anmeldung eines handwerksähnlichen Gewerbes auch ohne Meisterprüfung die Besetzung attraktiver Marktnischen. Die Unternehmen des handwerksähnlichen Gewerbes können in der Regel nur ein abgegrenztes Spektrum an Leistungen erbringen. Für größere Aufträge sind die Unternehmen meistens zu klein. Die Spezialisierung hat allerdings den Nachteil, daß die wirtschaftliche Stabilität durch Nachfrageschwankungen leicht erschüttert werden kann. Die Fluktuation im Betriebsbestand ist deutlich höher als im Vollhandwerk.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

31

Tab. 6: Unternehmen, Beschäftigte und Umsatz im handwerksähnlichen Gewerbe Beschäftigte Nr. der Klassifikation "

Gewerbegruppe

Unternehmen

insgesamt

in 1000

Umsatz211995

je Unternehmen

Insgesamt

Anzahl

Mrd. D M

j e Beschäftigten

Insgesamt

115,3

297,9

3

23,7

79577

I

Bau- und Ausbaugewerbe

42,0

115,6

3

11,8

101900

II

Metallgewerbe

5,4

20,3

4

2,0

99200

Davon

11

III

Holzgewerbe

15,5

36,9

2

3,4

91300

IV

Bekleidungs-, Textil- und Ledergewerbe

17,7

27,9

2

0,9

32300

V

Nahrungsmittelgewerbe

VI

Gewerbe für Gesundheitsund Körperpflege, ehem. und Reinigungsgewerbe

VII

Sonstige Gewerbe

3,9

15,3

4

1,3

86000

26,0

62,1

2

2,5

40800

4,8

20,0

4

1,8

90500

Verzeichnis der Gewerbe gemäß Anlage B der Handwerksordnung.

2)

ohne Umsatzsteuer. Quelle: Statistisches

Bundesamt. Ergebnisse der Zählung aus dem Jahre 1996.

Die Zählung des handwerksähnlichen Gewerbe 1996 ergab ein deutliches Schwergewicht im Bau- und Ausbaugewerbe. 36,4 % der Betriebe und 38,8 % der Beschäftigten entfielen auf diesen Bereich. Knapp 50 % des Umsatzes des handwerksähnlichen Gewerbes erzielten Gerüstbauer, Bautrocknungsgewerbe, Bodenleger, Asphaltierer, Fuger, Bautenschutzgewerbe, Rammgewerbe sowie Betonbohrer und -Schneider. Die Zunahme des Betriebsbestandes im handwerksähnlichen Gewerbe muß insbesondere in Ostdeutschland zu denken geben, wo Kammern zeitweilig von mehr Anmeldung in der Anlage B als in der Anlage A berichten. Das Vollhandwerk kann entweder den spezialisierten Bedarf nicht decken oder aber immer mehr Existenzgründer wollen sich selbständig machen, ohne die Meisterprüfung hierfür ablegen zu wollen.

32

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

1.2 Großer Befähigungsnachweis Handwerk

als Voraussetzung zur Selbständigkeit

im

Das Leitbild der Wettbewerbsordnung in der Marktwirtschaft steht staatlichen Regulierungen prinzipiell kritisch gegenüber. Grundsätzlich wird den freien Entscheidungen der Marktteilnehmer eine höhere volkswirtschaftliche und auch einzelwirtschaftliche Effizienz zugebilligt, als eine Steuerung durch den Staat. Der staatlichen Sphäre kommt in diesem Modell lediglich die Aufgabe der Gestaltung der Rahmenbedingungen zu. Diese Sichtweise ist im Einzelfall freilich umstritten. So gibt es eine breit angelegt Debatte über die Frage, ob der Staat die unternehmerische Teilnahme am Wettbewerb von dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig machen darf. Weitgehend Einigkeit herrscht noch, wenn es um moralische Ansprüche und die Integrität des „ehrbaren Kaufmanns" geht. Verlangt der Staat jedoch den Nachweis von bestimmten Qualifikationen zur Ausübung eines Berufes, dann muß er zumindest begründen, weshalb ein solcher steuernder Eingriff erforderlich ist und weshalb bestimmte Personengruppen von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen werden sollen (vgl. v. Hayek 1971). Relativ unproblematisch ist die Begründung zum Beispiel bei Ärzten, da Kranke sicher sein sollen, daß der sie behandelnde Arzt für die Aufgabe der Heilung ausgebildet ist. Überall dort, wo Tätigkeiten mit Gefahren für andere Menschen verbunden sind, ist die Forderung nach dem Nachweis fachlicher Kompetenz verständlich und einleuchtend. Schwieriger fällt diese Begründung im Handwerksbereich, weil es dort viele Tätigkeiten gibt, bei denen nicht von vornherein ersichtlich ist, daß von ihnen unmittelbar Gefahren für die Gesundheit von Menschen ausgehen können. Gleichwohl gehört es zu den konstitutiven Merkmalen des Handwerks in Deutschland, daß nur derjenige Handwerker selbständig ein Gewerbe betreiben darf, wenn er in dem entsprechenden Handwerkszweig eine Meisterprüfung abgelegt hat. Im folgenden wird in aller Kürze die Geschichte des Befähigungsnachweises im deutschen Handwerk skizziert und die Argumente der damit verbundenen Debatte nachgezeichnet. Je nach Sichtweise ist er entweder ein Instrument der Marktzugangsbeschränkung und Marktabschottung oder ein Mittel der Unternehmerqualifizierung. Der „Große Befähigungsnachweis" ist zweifelsfrei jedoch ein Kernelement der Handwerksordnung und begründet allein von daher die Befassung mit diesem Thema in einem Buch über Unternehmensführung im Handwerk. Es kann hier nicht darum gehen, die eine oder andere Position zu bewerten. Für die Zielsetzung dieses Buches wird die Meisterprüfung vor allem unter dem Aspekt der Schulung und Qualifizierung von Unternehmern gesehen.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

1.2.1 Kurzer Rückblick auf die Geschichte des Befähigungsnachweises die Rechtslage

33 und

Der Begriff „Großer und Kleiner Befähigungsnachweis" wurde mit der Dritten Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Deutschen Handwerks vom 18.1.1935 in das Handwerksrecht eingeführt. Mit dem „Großen Befähigungsnachweis" wurde mit der Ablegung der Meisterprüfung das Recht verliehen, selbständig ein Handwerk als stehendes Gewerbe zu betreiben, den Meistertitel in Verbindung mit dem erlernten Handwerk zu führen sowie Lehrlinge auszubilden und zu halten. Der „Kleine Befähigungsnachweis" verlieh lediglich das Recht, Lehrlinge anzuleiten und zu halten (vgl. Aberle 1996, Kennzahl 105, S.

9) Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges wurde das während der nationalsozialistischen Zeit eingeführte Handwerksrecht fast vollständig aufgehoben und auf die vor 1933 geltende Rechtslage zurückgegriffen. Die allgemeine Pflichtmitgliedschaft in Kammern wurde weitgehend aufgegeben, Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern konstituierten sich an Stelle der Gauwirtschaftskammern. Die Regelung des „Großen Befähigungsnachweises" wurde jedoch aufrechterhalten. Während in einigen Ländern (WürttembergHohenzollern, Rheinland-Pfalz und in der britischen Zone) Gesetze erlassen wurden, in denen der „Große Befähigungsnachweis" ausdrücklich als Voraussetzung zur Ausübung eines Handwerks bestätigt wird, wird in Baden und den Ländern der amerikanischen Besatzungszone ausdrücklich auf eine Neuregelung des Handwerksrechts verzichtet. Die Bestimmungen der Dritten Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Deutschen Handwerks vom 18.1.1935 fanden zunächst weiter Anwendung. Die amerikanische Militärregierung untersagt dann jedoch in den Jahren 1948/49 die Anwendung der Regelung über den „Großen Befähigungsnachweis" als Voraussetzung zur selbständigen Ausübung eines Handwerks als stehendes Gewerbe. Die Handwerksorganisation bemühte sich mit großem Einsatz um eine Angleichung des Handwerksrechts in Deutschland. Abweichend von der Dritten Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Deutschen Handwerks vom 18.1.1935 wollte der ZENTRALVERBAND DES DEUTSCHEN HANDWERKS keinen „Kleinen Befähigungsnachweis" mehr, sondern forderte die Wiedereinführung des „Großen Befähigungsnachweises" als grundsätzliche Voraussetzung für die selbständige Ausübung eines Handwerks als stehendes Gewerbe. Es dauerte dennoch bis 1953, bis das Handwerksrecht in Deutschland neu geordnet wurde. Umstritten war insbesondere die Vereinbarkeit der Forderung des Handwerks nach der Wiedereinführung des „Großen Befähigungsnachweises" mit Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes, das die freie Berufswahl vorsieht. Bereits in der parlamentarischen Diskussion um die Handwerksordnung von 1953 spielte deshalb die Frage der Zulassung von Ausnahmeregelungen für die

34

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

grundsätzliche Forderung nach dem „Großen Befähigungsnachweis" eine große Rolle. So wurde seinerzeit bereits vorgesehen, daß auch solche Personen zur selbständigen Ausübung eines Handwerks berechtigt sein sollen, die für den jeweiligen Handwerksberuf die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auf einem anderen Wege erworben haben (§ 7 der Handwerksordnung). Es ist vor allem dieser Regelung zuzuschreiben, daß die Handwerksordnung mit dem Artikel 12 des Grundgesetzes vom Verfassungsgericht wiederholt für vereinbar erklärt wurde. Eine weitere Ausnahmeregelung ist in § 4 der Handwerksordnung festgeschrieben, wonach beim Tod eines selbständigen Handwerksmeisters die Fortführung des Betriebes durch den Ehegatten oder minderjährige Erben gestattet ist (sog. „Witwenprivileg"). Ausnahmen bedürfen regelmäßig der Genehmigung durch eine höhere Verwaltungsbehörde.

1.2.2 Diskussion um die Bedeutung und die Wirkung des Befähigungsnachweises im Zusammenhang mit dem Gutachten der Deregulierungskommission Bereits bei seiner Einfuhrung war der „Große Befähigungsnachweis" heftig umstritten. Diese Diskussion lebte bei der Debatte der Handwerksordnung von 1953 noch einmal auf und ist seither nie ganz verstummt. 1961 hatte bereits das Bundesverfassungsgericht die Konformität des „Großen Befähigungsnachweises" mit der Verfassung bestätigt (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17.7.1961. Abgedruckt in: „Deutsches Handwerksblatt", 13. Jg., 19/1961, S. 362ff.). In jüngerer Vergangenheit stand diese Regelung nochmals im Zentrum der Diskussion, als der Bundestag im Jahre 1987 eine Deregulierungskommission berief und unter anderem damit beauftragte, die Notwendigkeit und ökonomische Sinnhaftigkeit der Zulassungsbeschränkungen im Handwerk zu überprüfen (vgl. Geisendörfer 1992). Kritiker der „Großen Befähigungsnachweises" befürchten, daß die Meisterprüfung zu einer versteckten Bedürfnisprüfung im Sinne der Ausschaltung künftiger Konkurrenten mißbraucht werden könne. Des weiteren wird vorgetragen, die Voraussetzung des Großen Befähigungsnachweises zur Selbständigkeit im Handwerk würde die Gründung neuer Unternehmen verhindern oder zumindest behindern. Befähigte Handwerker ohne den Meisterprüfungsnachweis sowie Autodidakten würden durch die Handwerksordnung vom Markt ferngehalten, obwohl von ihnen belebende Impulse und mehr Wettbewerb auf den Handwerksmärkten ausgehen könnte. Darüber hinaus wird vielfach darauf hingewiesen, daß die Sonderstellung des Handwerks nur im deutschsprachigen Raum anzutreffen sei. In den anderen europäischen Ländern würden selbstverständlich

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

35

ebenfalls Handwerksleistungen erbracht, ohne daß es dort die Anforderung eines Befähigungsnachweises gäbe. Die Befürworter des Großen Befähigungsnachweises heben unter anderem hervor, daß das Handwerk auf Märkten tätig sei, die durch Marktunvollkommenheiten wie z.B. durch asymmetrische Information gekennzeichnet seien. Bei asymmetrischer Information, bei der zwar die Anbieter die Qualität der Produkte kennen, die Nachfrager dagegen unvollkommen informiert sind, ist der Kauf von Gütern und Leistungen für die Nachfrager mit einem Risiko verbunden. Um diese Risiken zu senken und volkswirtschaftlichen Schaden zu mindern, kann der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen so setzen, daß die Anbieter stärker einen Qualitäts- und Werbewettbewerb als einen Preis Wettbewerb führen müssen. Der Nachfrager soll davon ausgehen können, daß wenn er einen Handwerker beauftragt, er per se ein hohes Mindestmaß an Qualitätsniveau erwarten kann. Im Handwerk wird daher von einem „Wettbewerb der Könner" gesprochen. Ein Preis Wettbewerb - so die Argumentation - würde auf Märkten mit asymmetrischer Informationsgrundlage zu einem ruinösen Wettbewerb fuhren, der in der Summe zu einem volkswirtschaftlich niedrigeren Nutzenniveau für die Nachfrager führen würde (vgl. Kucera/Stratenwerth 1990, S. 62ff.). Die Befürworter eines großen Befähigungsnachweises verweisen darauf, daß Regulierungen in anderen Staaten, die ebenfalls auf die Sicherung eines „Wettbewerbs mit Qualität" abzielen, ineffizienter seien. Gemeint sind Produkthaftungsgesetze, wie sie z.B. in Amerika gelten, bei denen Anbieter im nachhinein für schlecht erbrachte Leistungen haften und hohe Entschädigungssummen zahlen müßten. Mit der Produkthaftung können die Folgen von Schäden immer nur in nachhinein ausglichen, die Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens jedoch nicht von vornherein begrenzt werden (vgl. Schrumpf 1997, S. 28-31). Ein weiteres Argument der Befürworter des Befähigungsnachweises weist auf das höhere berufliche Qualifikationsniveau hin, das durch diese gesetzliche Maßnahmen sichergestellt wird. Die handwerkliche Ausbildung mit abschließender Meisterprüfung gewährleistet ein durchschnittlich höheres fachliches Wissen der Handwerksunternehmer, was nicht nur eine entsprechende Qualität der Leistung ermöglicht, sondern auch Insolvenzgefahren mindert. Anders als in anderen Wirtschaftsbereichen verfugt der Handwerker über ein breites Grundwissen, wenn er den Schritt in die Selbständigkeit wagt. An dieser Stelle können nur die wichtigsten Argumente wiedergegeben werden. Eine empirische Überprüfung der Wirkung von gesetzgeberische Maßnahmen wie z.B. dem Befähigungsnachweis - auf den Wettbewerb steht derzeit noch aus. Eine solche Untersuchung hätte allerdings auch schwierige methodische Probleme zu überwinden.

36

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

1.3 Einordnung der Handwerkswirtschaft desrepublik Deutschland

in die Branchenstruktur

der Bun-

1.3.1 Das statistische Bild des Handwerks Das Statistische Bundesamt gliedert zur Erfassung der wirtschaftlichen Aktivitäten die Volkswirtschaft in Wirtschaftszweige. Die Wirtschaftszweigklassifikation in der Bundesrepublik Deutschland haben sich wie folgt entwickelt (vgl. Statistisches Bundesamt 1995, S. 10): •

Im Jahre 1950 erschien das ursprünglich für Zwecke der gewerblichen Betriebszählung entwickelte systematische Verzeichnis der Arbeitsstätten, das später für die allgemeine Arbeitsstättenzählung Verwendung fand. Gliederungskriterien waren die Tatsache, ob die wirtschaftliche Einheit überwiegend Waren produziert.



Die Überarbeitung des Systematischen Verzeichnisses der Arbeitsstätten führte zur Systematik der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1961, in der neben den vorgenannten Gliederungsmerkmalen besonders die Stellung der wirtschaftlichen Einheit im Wirtschaftskreislauf und die Tatsache, ob eine produzierte Einheit ihre Waren und Dienstleistungen überwiegend gegen Entgelt verkauft oder nicht (Gewinnerzielungsabsicht) eine Rolle spielen. Durch diese Sektorengliederung wurde die wirtschaftsstatistische Analyse der erhobenen Daten wesentlich verbessert.



Die Systematik der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1970, enthielt eine Reihe von Änderungen - fast ausschließlich im Bereich des Produzierenden Gewerbes - und trug so den wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen Rechnung.



Eine weitere Revision der Wirtschaftszweigklassifikation in der Bundesrepublik Deutschland Ende der siebziger Jahre (Ausgabe 1979; WZ 79) berücksichtigte neben den ökonomischen Veränderungen auch die Forderung nach besserer internationaler Vergleichbarkeit statistischer Daten. Dies änderte nichts daran, daß die Aufbereitung sich weiterhin vorrangig an den nationalen Interessen und Bedürfnissen orientierte.

Das Handwerk ist ein heterogener Wirtschaftsbereich, der seine Leistungen sektorübergreifend anbietet. Die Einteilung der Volkswirtschaft nach Wirtschaftszweigen, wie sie vom statistischen Bundesamt vorgenommen wird, ist für eine wirtschaftsstatistische Analyse nur teilweise zu gebrauchen, weil das Raster zu grob ist. Das Handwerk spielt und spielte deshalb bei der statistischen Erfassung eine Sonderrolle. Früher wurden unter anderem die Produktionsstatistik und auch die Umsatzsteuerstatistik nach Industrie und Handwerk getrennt ausgewiesen. Diese Unterscheidung ist inzwischen wegen des Erhebungsaufwandes aufgegeben worden. Derzeit werden die Daten (z.B. für die Handwerkszählung, die Handwerksberichterstattung und die Kostenstrukturerhebung im Handwerk) sowohl nach der Wirtschaftszweigsystematik als auch nach der Gewerbezweigsystematik aufbereitet, die im wesentlichen der Gliederung der Anlage A der Handwerksordnung entspricht. Beide Klassifikationen haben für die

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

37

wirtschaftliche Analyse ihre Vor- und Nachteile. Die Gewerbezweigsystematik ermöglicht ein eng am traditionellen Handwerks Verständnis orientiertes statistisches Bild, läßt jedoch Vergleiche mit anderen Wirtschaftsbereichen nur in Grenzen zu. Die Aufbereitung und Tabellierung in der Handwerkszählung 1995 erfolgt nach der „Allgemeinen Systematik der Wirtschaftszweige in den Europäischen Gemeinschaften, revidiert" (NACE, Rev 1). Diese Systematik gilt ab 1. Januar 1993 verbindlich in allen Mitgliedstaaten der EU als Klassifikation der wirtschaftlichen Tätigkeiten. In der Bundesrepublik Deutschland ist daraus die Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ 93) abgeleitet worden. Sie umfaßt Abschnitte, Unterabschnitte, Gruppen, Klassen und Unterklassen. Die Zuordnung von Unternehmen zu der jeweiligen Klassifikation erfolgt stufenweise nach der Top-DownMethode. Die Haupttätigkeit einer Einheit ist die Tätigkeit, die den größten Beitrag zur Bruttowertschöpfung (zu Faktorkosten) dieser Einheit leistet. Überblick über die Gliederung der Klassifikation der Wirtschaftszweige (Ausg. 1993) des Statistischen Bundesamtes Abschnitt A

Land- und Forstwirtschaft

Abschnitt B

Fischerei und Fischzucht

Abschnitt C

Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden.

Abschnitt D

Verarbeitendes Gewerbe

Abschnitt E

Energie- und Wasserversorgung

Abschnitt F

Baugewerbe

Abschnitt G

Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und Gebrauchsgütem

Abschnitt H

Gastgewerbe

Abschnitt J

Kredit- und Versicherungsgewerbe

Abschnitt K

Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen, Erbringung von Dienstleistungen überwiegend für Unternehmen

Abschnitt L

Öffentliche Verwaltung, Sozialversicherung

Abschnitt M

Erziehung und Unterricht

Abschnitt N

Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen

Abschnitt O

Erbringung von sonstigen öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen

Abschnitt P

Private Haushalte

Abschnitt Q

Exterritoriale Organisationen und Körperschaften

Der Handwerkszählung 1995 liegt ein Auszug der Klassifikation der Wirtschaftszweige zugrunde, denn bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten können nicht handwerklich betrieben werden. Dazu gehören z. B. Fischerei, Bergbau, Mineralölverarbeitung, Schiffahrt, Luftfahrt, Kredit- und Versicherungsgewerbe, öffentli-

38

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

che Verwaltung oder die Abfall- und Abwasserbeseitigung. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse aus den Handwerkszählungen von 1995 und 1977 ist durch einen Umsteigeschlüssel im wesentlichen gewährleistet. Da auch andere Wirtschaftsstatistiken nach der WZ 93 aufbereitet werden, besteht die Möglichkeit, Handwerksergebnisse mit denen weiterer Wirtschaftsbereiche zu vergleichen. In diesem wirtschaftlichen Gesamtrahmen ist das Handwerk nach seinen Funktionen einzuordnen. Entsprechend der Funktionsgliederung sind alle Handwerke, die überwiegend Sachleistungen in Verbindung mit sachbezogenen Dienstleistungen erstellen, Bestandteil des Produzierenden Gewerbes und alle diejenigen, die überwiegend Handelsleistungen und personenbezogene Dienstleistungen anbieten, im Dienstleistungs- oder tertiären Sektor. Das Gesamthandwerk läßt sich wiederum nach dem Funktionsschwerpunkt in das Warenproduzierende Handwerk und das Dienstleistungshandwerk gliedern (vgl. Marahrens 1978, S. 19). Nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige ergibt sich für das Handwerk nach den Ergebnissen der Handwerkszählung folgende Größenordnungen hinsichtlich der Zahl der Unternehmen, der Beschäftigten und des Umsatzes {vgl. Tabelle 7a). Das statistische Bild des Handwerks hat erst durch die Handwerkszählung 1995 wieder verläßliche Konturen erlangt, da die Zählung davor 18 Jahre zurücklag. Mit der neuen Handwerkszählung wurden auch erstmals nach der Vereinigung Daten für das Handwerk in den neuen Bundesländern erhoben. Nachstehende Tabelle 7b vermittelt einen Eindruck über die Zahl der Unternehmen und der Beschäftigten sowie des 1994 erzielten Umsatzes nach Handwerksgruppen nach der Gewerbezweigsystematik. Akzeptiert man die Kennziffer Umsatz je Beschäftigten als Widerspiegelung der Produktivität, so zeigt sich auch die Unterschiede zwischen dem früheren Bundesgebiet und den neuen Bundesländern (einschl. Berlin-Ost).

1.3.1.1 Selbständige

Handwerksunternehmen

Am 31. März 1995 gab es in Deutschland insgesamt 563 200 Handwerksunternehmen, also selbständige Unternehmen, die in die Handwerksrolle eingetragen sind. In ihnen waren - zum Stichtag 30. September 1994 - nahezu 6,1 Mio. Personen tätig, darunter gut 1,8 Mio. Frauen. Der von diesen Unternehmen im Jahr 1994 erzielte Umsatz belief sich auf 800,6 Mrd. DM. Je Beschäftigten wurden damit in einem Handwerksunternehmen im Durchschnitt etwa 131 600 DM umgesetzt. Darüber hinaus gab es 30 539 handwerkliche Nebenbetriebe mit 287 441 Beschäftigten. Die Nebenbetriebe erzielten 1994 einen Umsatz von 46,9 Mrd. DM.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

39

Tab. 7a: Unternehmen, Beschäftigte und Umsatz im Handwerk Beschäftigte Wirtschaftsgliederung

Nr. der Klassifikation i)

Unternehmen 2)

insgesamt

in 1000 insgesamt

Umsatz 2 1 1995

je Unternehmen

Insgesamt

je Beschäftigten

Anzahl

Mrd. DM

DM

563,2

6085,0

11

800,6

131571

154,8

1617,9

10

209,4

129443

darunter: D

Verarbeitendes Gewerbe darunter:

15

Ernährungsgewerbe

45,8

552,4

12

59,9

108398

20

Holzgewerbe (ohne H. v. Möbeln

13,6

113,7

8

16,3

143741

28

H. v. Metallerzeugnissen

29,9

287,0

10

38,3

133299

29

Maschinenbau

13,8

183,8

13

29,5

160478

33

Medizin-, Meß-, Steuer- und Regelungstechnik, Optik

12,2

131,9

11

14,0

106401

36

H. v. Möbeln, Schmuck, Musikinstrumenten, Sportgeräten u. sonst. Erzeugnissen

12,2

93,3

8

12,5

134101

232,7

2594,9

11

341,8

131725

F

Baugewerbe darunter

45.2

Hoch- und Tiefbau

62,8

1134,2

18

167,3

147495

45.3

Bauinstallation

88,2

856,9

10

108,1

126105

45.4

Sonstiges Baugewerbe

81,4

598,7

7

65,6

109524

100,3

796,0

8

213,2

267906

G

Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kfz und Gebrauchsgütern darunter:

50

Kfz-Handel; Instandhaltung Reparatur von Kfz; Tankstellen

und

48,6

479,0

10

150,6

341320

52

Einzelhandel (ohne Handel mit Kfz und ohne Tankstellen); Reparatur von Gebrauchsgütern

48,0

255,7

5

38,7

151373

K

Grundstücks- u. Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen, Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen

18,5

771,3

42

22,5

29228

74

dar.: Erbringung von Dienstleistungen überwiegend für Unternehmen

16,7

757,9

45

18,5

24414

O

Erbringung von sonstigen und persönlichen Dienstleistungen

56,0

288,5

5

11,2

38757

93

dar.: Erbringung Dienstleistungen

55,9

287,8

5

11,1

38667

von

sonstigen

Eigene Zusammenstellung nach Angaben des Statistischen Bundesamtes '' nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ 93), 2 ) Am 31.3.1995 mit Beschäftigten am 30.9.1994, 3 ) ohne Umsatzsteuer

40

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Tab. 7b: Unternehmen, Beschäftigte und Umsatz im Handwerk nach Handwerksgruppen und Gebietseinheiten Beschäftigte Nr. der Klassifikation "

Gewerbegruppe

Gebiet

Unternehmen 2)

insgesamt

in 1000

U m s a t z J> 1995

je Unternehmen

Insgesamt

je Beschäftigten

Anzahl

Mrd. D M

DM

563204

6084973

11

800606477

131571

Alte BL

454299

4856485

11

656604977

135202

Neue BL

108905

1228488

11

144001500

117218

107135

1225001

11

181044458

147791

25106

438648

17

48586961

110765

166004

1620294

10

311085402

191993

46490

464371

10

72441381

155999

36854

295347

8

42586959

144125

8896

60484

7

6516798

107744

Bekleidungs-, Textil- und Ledergewerbe

19636

78892

4

8228768

104304

5062

16082

3

1300607

80873

Nahrungsmittelgewerbe

42192

515469

12

61956073

120194

7921

84081

11

7187589

85484

Gewerbe für Gesundheitsund Körperpflege, ehem. und Reinigungsgewerbe

68072

1016114

15

36733746

36151

10879

144603

13

5920100

40940

Glas-, Papier-, keramisches und sonstiges Gew.

14406

105368

7

14989571

142259

4551

20219

4

2048064

101294

Deutschland

insgesamt

davon alte B L

I

Bau- und Ausbaugewerbe

Neue BL alte BL

II

Elektro- u. Metallgewerbe

Neue BL alte BL

III

Holzgewerbe

Neue BL alte BL

IV

Neue BL alte BL

V

Neue BL alte BL

VI

Neue BL alte BL Neue BL

VII

" Verzeichnis der Gewerbe gemäß Anlage A der Handwerksordnung, 3 0 . 9 . 1 9 9 4 . 3 , o h n e Umsatzsteuer. Quelle: Statistisches Bundesamt.

2)

Am 31.3.1995 mit Beschäftigten am

Im folgenden seien die Begriffe Handwerksunternehmen und handwerklicher Nebenbetrieb definiert: Handwerksunternehmen sind definiert als kleinste rechtlich selbständige Einheit, die aus handels- und/oder steuerrechtlichen Gründen Bücher führt und den

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

41

Ertrag ermittelt. Es handelt sich hierbei um selbständige Gewerbebetriebe, die in der Regel von einem Handwerksmeister geführt werden. Ein handwerklicher Nebenbetrieb ist ein unselbständiger Teil eines Unternehmens, der gegenüber Dritten Tätigkeiten gemäß der Anlage A der Handwerks-ordnung ausführt. Hierunter werden z.B. die nebenher betriebene Werkstatt eines Autohändlers oder die Fleischabteilung in einem Supermarkt ausgewiesen, also Unternehmensteile von Unternehmen, die in anderen (nicht handwerklichen) Sparten primär aktiv sind. Ein Blick auf die Gesamtzahl der Handwerksunternehmen gemäß der sechs bislang in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Handwerkszählung zeigt (unabhängig von Veränderungen in der statistischen Erfassung und von Gebietsveränderungen) einen Rückgang von rund 840 000 im Jahre 1949 auf knapp 500 000 im Jahre 1976. Die Zählung 1995 ergibt dann jedoch eine Trendveränderung: die Zahl der Unternehmen steigt gegenüber der Vorgängerzählung 1976 um knapp 70 000 an. Eine relativ einfache Erklärung hierfür liegt auf der Hand: die Vereinigung Deutschlands. Die rasche Übertragung der Handwerksordnung auf Ostdeutschland ließ hier recht schnell den Bestand an Handwerksunternehmen anwachsen. Von den 563 204 in Deutschland 1995 gezählten Handwerksunternehmen hatten 108 905 ihren Standort in Ostdeutschland. Tab. 7c: Entwicklung der Zahl der Handwerksunternehmen nach Beschäftigtengrößenklassen 1949 bis 1995 Unternehmen mit.... bis.... Beschäftigte

1949 Anzahl

0

19562)

in %

Anzahl

in %

1963 Anzahl

!)

in %

19684) Anzahl

in%

19775) Anzahl

in %

1995 Anzahl

6)

in %

1

307265

36,6

249672

33,2

192311

29,2

146867

24,6

87377

17,7

77104

13,7

2-4

374027

44,6

311450

41,4

268051

40,7

238127

39,9

192130

38,9

185443

32,9

5-9

111474

13,3

124100

16,5

121050

18,4

135106

22,6

126304

25,6

154375

27,4

10-19

31903

3,8

40981

5,5

45446

6,9

44933

55806

15,9

11563

1,4

18700

2,5

22476

23040

42018

7,5

50 - 9 9

2147

0,3

4856

0,6

6234

3,4 0,9

11,3 4,9

89537

20-49

7,5 3,9

9477

582

0,1 100

1880

0,3 100

2819

0,4 100

5250

1,7 0,9

563204

100

100 und m e h r insgesamt 0

838961

751639

658387

6022

24261 5707

2662

1,0 0,4

2658

596757

100

494243

1,2 0,5 100

Betriebe am 31.5.1949 mit Beschäftigten am 30.9.1949 einschl. 31 624 Nebenbetriebe, 2) Betriebe am 31.5.1956 mit Beschäftigten am 30.9.1956 einschl. 7 600 Nebenbetriebe, 3 ) Betriebe am 31.5.1963 mit Beschäftigten am 30.9.1962 einschl. 14 397 Nebenbetriebe, 4) Betriebe am 31.3.1968 mit Beschäftigten am 30.9.1968, die das ganze Jahr bestanden haben, einschl. Nebenbetriebe, 5 ) Betrieb am 31.3.1977 mit Beschäftigten am 30.9.1976, die das ganze Jahr bestanden haben, einschl. 2 365 Nebenbetriebe, 6) Betriebe am 31.3.1995 mit Beschäftigten am 30.9.1994 einschl. 30 535 Nebenbetrieben

Die Tabelle 7c gibt auch Auskunft über Verschiebungen in den Größenstrukturen. Der Anteil der Kleinstunternehmen mit einem Beschäftigten ist zwischen 1949 und 1995 von 36,6 % auf 13,3 % zurückgegangen. In den nachfolgenden

42

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Größenklassen gibt es insbesondere in den Gruppen ab 10 bis 19 Beschäftigte zum Teil beachtliche Zunahmen. Selbst in den für Handwerksunternehmen ungewöhnlich großen Unternehmenseinheiten mit 100 und mehr Beschäftigten gibt es einen Sprung um 0,8 Prozentpunkte. Ein Trend zu größeren Unternehmenseinheiten ist unverkennbar. Ganz besonders ausgeprägt zeigt sich dies an der Entwicklung der Kennzahl der durchschnittlichen Betriebsgröße. Waren 1976 noch 7,9 Beschäftigte je Unternehmen tätig, waren es 1995 bereits 10,6 (bezogen auf das frühere Bundesgebiet). Zur Entwicklung des Bestandes an Handwerksunternehmen: Der Bestand an Handwerksunternehmen hat sich - einschließlich Nebenbetriebe - in den letzten 18 Jahren im früheren Bundesgebiet um 68 000 auf nunmehr 563 200 verringert. Jahresdurchschnittlich nahm die Zahl der Betriebe zwischen 1976 und 1995 um 0,7 % ab. Die Verringerung der Zahl der Handwerksunternehmen ist aber nicht gleichbedeutend mit einer nachlassenden Bedeutung des Handwerks für die Wirtschaft. Eine Konzentration handwerklicher Betätigung auf eine geringere Zahl von Unternehmen kann dann volkswirtschaftlich vorteilhaft sein, wenn sie effizientere Unternehmenseinheiten hervorbringt, die bei gleichem Versorgungsniveau zu einer betriebswirtschaftlich günstigeren Ertragslage der Einzelbetriebe fuhrt. Tatsächlich hat sich im Betrachtungszeitraum ein beträchtlicher Wandel der betrieblichen Strukturen vollzogen, der vor allem auch neue Betriebstypen und Organisationsformen hervorgebracht hat. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf das Vordringen von Franchisesystemen und die Filialisierung in zahlreichen Handwerken.

1.3.1.2 Beschäftigte und Beschäftigtenstruktur

des Handwerks

Die im Rahmen der Handwerkszählungen synonym verwandten Begriffe der Beschäftigten oder tätigen Personen umfassen alle in dem Unternehmen tätigen voll- und teilzeitbeschäftigten Personen. Dazu gehören Inhaber, unbezahlt mithelfende Familienangehörige, Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis stehen und in der Lohn- und Gehaltsliste gefuhrt werden, sowie Aushilfskräfte (z.B. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte oder Teilzeitbeschäftigte, deren Lohnsteuer pauschaliert erhoben wird).

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

43

Abb. 2: Entwicklung der Zahl der Beschäftigten im Handwerk 1976 bis 1994 in 1000, alte Bundesländer

Quelle: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (Neuberechnung und Anpassung der Indexreihe der Handwerksberichterstattung nach der Handwerkszählung 1995)

In selbständigen Handwerksunternehmen waren am 30.9.1994 nach den Ergebnissen der Handwerkszählung 1995 insgesamt 6,1 Mio. Erwerbstätige beschäftigt, davon entfielen 4,9 Mio. Beschäftigte auf das frühere Bundesgebiet und 1,2 Mio. auf die fünf neuen Bundesländer und Berlin - Ost. Zwischen den Handwerkszählungen 1977 und 1995 hat sich die Zahl der Beschäftigten im früheren Bundesgebiet um knapp eine Million erhöht. Diese Beschäftigtenzahlen schließen Teilzeitbeschäftigte, darunter auch sozialversicherungsfrei geringfügig Beschäftigte, ein. Eine Umrechnung auf „Vollzeitarbeitskräfte", wie sie z.B. in der Agrarstatistik üblich ist, ist für das Handwerk nicht möglich, da in den amtlichen Erhebungen nur die Tatsache der Beschäftigung erhoben, nicht aber nach deren zeitlichen Umfang gefragt wird. Nach Berechnungen des R H E I N I S C H - W E S T F Ä L I S C H E N I N S T I T U T S FÜR W I R T S C H A F T S F O R S C H U N G hat sich die Zahl der in selbständigen Handwerksunternehmen Beschäftigten zwischen 1988 und 1997 im früheren Bundesgebiet um rund 250 000 und in den neuen Bundesländern um rund 700 000 erhöht (vgl. RWI 1998). Angesichts des ausgewiesenen Beschäftigungsgewinns kann von einer deutlichen Entlastung des Arbeitsmarktes durch das Handwerk gesprochen werden. Dabei fanden im Handwerk auch in erheblichem Maße Arbeitskräfte mit niedriger Qualifikation und mit nichthandwerklichen Ausbildungsprofilen Arbeitsplätze. Der Anteil der ungelernten und angelernten Arbeiter am Beschäftigungsbestand hat sich im früheren Bundesgebiet von 19,6 % im Jahre 1976 auf 26,9 % im Jahre 1994 erhöht. Der Anteil der Angestellten ist vor allem aufgrund der Aufstockung des Verkaufspersonals von 13,2% auf 22,7% ge-

44

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

stiegen. Auf die Bedeutung von Teilzeitarbeit und „geringfügiger Beschäftigung" im Handwerk wurde bereits hingewiesen. Die Gesamtzahl der geringfügig Beschäftigten im Handwerk betrug nach einer Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1997 rund 924 000. Auf das Dienstleistungshandwerk (ohne Reinigungsgewerbe) entfielen 231 000 geringfugige Beschäftigungsverhältnisse, auf das produzierende Handwerk 250 000 und auf das Bauhandwerk 177 000 (vgl. Friederich 1997). Die positive Entwicklung der Beschäftigung im Handwerk soll zum Anlaß genommen werden, ein paar grundsätzliche Hinweise zur statistischen Erfassung der Erwerbstätigkeit in Deutschland einzufügen. Das Zahlenmaterial über Erwerbstätige und Arbeitslose stammt aus unterschiedlichen Quellen. Es sind dies die Statistiken der Arbeitsämter und die Beschäftigungsstatistik der Sozialversicherungsträger, die beide vorhandene Verwaltungsunterlagen auswerten, sowie die Erhebungen der Statistischen Ämter, wie der Mikrozensus oder die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Gemeinschaften. Sie gehen zum Teil von unterschiedlichen Begriffsabgrenzungen aus, die beachtet werden müssen, damit bei der Interpretation der Zahlen keine Mißverständnisse auftreten. Vielfach wird nicht einheitlich zwischen Erwerbspersonen und Erwerbstätigen sowie Erwerbslosen und Arbeitslosen unterschieden. Zu den Erwerbspersonen gehören aus statistischer Sicht sowohl die Erwerbstätigen als auch die Erwerbslosen. Erwerbstätig (umgangssprachlich auch „berufstätig") sind alle Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen (abhängig Beschäftigte) sowie alle Selbständigen, Freiberufler und mithelfenden Familienangehörigen. Ob es sich um eine hauptberufliche Tätigkeit oder eine Nebentätigkeit handelt und wie hoch das Entgelt ist, spielt für die Zuordnung keine Rolle. Erwerbslos sind nicht alle Nichtbeschäftigten, die sich um eine Arbeitsstelle bemühen, unabhängig davon, ob sie beim Arbeitsamt registriert sind oder nicht. Als Arbeitslose gelten hingegen nur diejenigen Personen, die beim Arbeitsamt als solche gemeldet sind. Nach diesen Abgrenzungen gab es im April 1995 im früheren Bundesgebiet rund 31,9 Mio. Erwerbspersonen, darunter 29,2 Mio. Erwerbstätige. Im Vergleich zum April 1985 zeigt sich bei einer Steigerung der Erwerbspersonenzahl um etwa 2,9 Mio. eine Zunahme der Erwerbstätigen um ca. 2,6 Mio. Personen, der ein Anstieg der Erwerbslosigkeit um rund 295 000 gegenüberstand. Das Handwerk hat in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Beitrag zur Entlastung des Arbeitsmarktes geleistet. Zwischen den Handwerkszählungen 1977 und 1995 ist im früheren Bundesgebiet die Zahl der im Handwerk Beschäftigten um rund 1 Mio. gestiegen. In den neuen Bundesländern wurden im Handwerk seit 1990 rund 700 000 Arbeitsplätze geschaffen. Vergleicht man die Entwicklung der Handwerkswirtschaft der alten Bundesländer seit 1976 mit

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

45

derjenigen in anderen Wirtschaftsbereichen, so zeigt sich ein bemerkenswert positives Bild.

1.3.1.3 Die Rolle des Handwerks in der Berufsausbildung (Qualifikationsstrukturen)

und

Qualifizierung

Im Handwerk besteht traditionell eine enge Verzahnung zur Berufsbildung. Die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten an Auszubildende und Gesellen ist im historisch überlieferten Selbstverständnis der Handwerksmeister verankert. Auch wenn der Gedanke an Tradition vielleicht heute von machen Handwerksunternehmen weniger stark betont wird, so hat die Ausbildung von Lehrlingen doch eine große Bedeutung für die Sicherung des Nachwuchses. Weshalb wird im Handwerk ausgebildet ? •

Rekrutierung von Nachwuchskräften: Die Ausbildung von Nachwuchskräften speziell in Hinblick auf den unternehmensspezifischen Bedarf stellt einen wichtigen Anreiz für die Unternehmen dar. Die Suche nach Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt erweist sich oft als wenig erfolgreich. Durch die Ausbildung lernt das ausbildende Unternehmen den Jugendlichen kennen, weiß um seine Fähigkeiten und Fertigkeiten. Eine Übernahme in ein Arbeitsverhältnis ist in der Regel mit weniger Risiken behaftet, als die Einstellung einer auf dem Arbeitsmarkt angeworbenen Fachkraft.



Erhalt handwerklicher Traditionen und Techniken: Handwerk heißt auch immer, sich nicht in letzter Konsequenz der Rationalität des Marktes zu unterwerfen, sondern Tradition zu bewahren und nicht immer gleich jeden modernen Trend mitzumachen. Die Ausbildung ist in diesem Sinne ein Teil dieser Tradition, die nicht immer streng kalkuliert wird, denn nicht in jedem Fall erweist sich das Engagement als vorteilhaft. Handwerksmeister mit großem Engagement und dem Bemühen, seinen Auszubildenden ein breites und solides Fundament an Wissen zu vermitteln, erleben immer wieder, daß nach der Lehre die Gesellen zur besser zahlenden Industrie oder Dienstleistungsunternehmen abwandern. Positive Ansätze werden auch durch Ausbildungsbetriebe konterkariert, die in den Auszubildenden eine preiswerte Arbeitskraft sehen und den Ausbildungsauftrag vernachlässigen. Sie schädigen den Ruf des Handwerks als wichtigster gewerblicher Ausbildungsbereich.

Die Stärkung der eigenen Wettbewerbsposition über die Qualifizierung der Mitarbeiter ist für das Handwerk kein neuer Gedanke, begründet sich doch gerade hierauf die enge Verzahnung der Berufsbildung mit dem Handwerk. Gerät jedoch der Zufluß von jungen, engagierten und qualifizierten Mitarbeitern zum Handwerk ins Stocken, dann wird damit ein wesentliches Element der Wettbewerbsfähigkeit des Handwerks bedroht.

46

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Die nachfolgende Abbildung 3 zeigt, daß die Zahl der Auszubildenden im Handwerk im Jahre 1994 auf das niedrigste Niveau seit 1980 zurückgefallen ist. Abb. 3: Entwicklung der Zahl der Auszubildenden im Handwerk in 1000, alte Bundesländer

Quelle: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. (Angaben in 1000; alte Bundesländer).

Hierzu ein paar ausgewählte Aspekte: • Weshalb nimmt die Ausbildungsbereitschaft der Handwerksunternehmen ab? zu hohe Kosten durch Ausbildungsvergütung, durch behördliche Auflagen (Hygienevorschriften, Arbeitsschutzvorschriften, Jugendschutz etc.), durch zunehmende Anforderungen an Form und Inhalten der Ausbildung im Betrieb „von außen", die zeitliche Inanspruchnahme der Auszubildenden durch die Berufsschule und andere außerbetriebliche Maßnahmen

• Warum gibt es das Paradoxon der unbesetzten Lehrstellen im Handwerk bei gleichzeitigem Mangel an Ausbildungsplätzen ? Auf dem Ausbildungsstellenmarkt kommt es immer wieder zu einem Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage. Tatsächlich konzentriert sich die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

47

auf 10 Handwerksberufe. Dort gibt es einen Überhang an Nachfrage. Auf der anderen Seite werden im Handwerk immer wieder unbesetzte Ausbildungsplätze gemeldet und zwar auch in solchen Handwerken, denen eine positive Zukunftsperspektive zugesprochen werden kann. Hier spielen Fragen der Images und der unzureichenden Information eine große Rolle. Das Spektrum der in einzelnen Handwerksberufen auszuführenden Tätigkeiten hat sich in den letzten 10 Jahren teilweise dramatisch verändert. Dieser Wandel ist allerdings von der Öffentlichkeit oft nur unzureichend zur Kenntnis genommen. Beispielsweise ist das Bild des Bäkkers häufig noch von folgenden Vorstellungen geprägt: unattraktive Arbeitszeiten, Gesundheitsschäden durch Mehlstaub, schwere Mehlsäcke schleppen, kräftezehrendes Teigkneten usw. Ein Blick in eine moderne Backstube könnte dieses Mißverständnis rasch aufklären. Doch auch für zahlreiche andere Handwerksberufe gilt, daß ihre Images nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.

• Nimmt der Bedarf an Handwerksgesellen ab ? Für eine derartige These sprechen folgende Argumente: >

Durch zunehmende Verbreitung neuer Techniken und Technologien hat sich der Qualifikationsbedarf der Unternehmen verändert. Für viele Arbeitsbereiche sind Hilfs- und angelernte Arbeitskräfte ausreichend.

>

Die Industrie nimmt immer weniger Gesellen aus dem Handwerk auf. Die Ausbildung über Bedarf im Handwerk wird eingeschränkt. Die Industrie verläßt sich immer mehr auf gezielte Fort- und Weiterbildung (z.B. Traineeprogramme), die sich oft zum Nachteil der Arbeitskräfte auf das enge Tätigkeitsspektrum des Arbeitsplatzes beschränkt.

Gegen eine derartige These sprechen folgende Argumente: y

Die Technologie verändert zwar die Art der Tätigkeiten, nicht jedoch den Anspruch an die Qualifikation.

>

Es sind andere Qualifikationsformen und Ausbildungsziele erforderlich, so daß sich das Profil des Facharbeiters bzw. des Handwerksgesellen verändert. Gefordert wird der „verhaltenssouveräne, entscheidungsfreudige und verantwortungsbewußte Mitarbeiter", der über Schlüsselqualifikationen verfügt.

In diesem Zusammenhang steht die berufspädagogische Diskussion um den Erwerb von Schlüsselqualifikationen. Grundlegend ist hier die Erkenntnis, daß Fachwissen allein nicht ausreicht, um den Anforderungen an modernen Arbeitsplätzen gerecht werden zu können. Es muß vielmehr soziale Kompetenz hinzukommen. Gemeint ist damit vorrangig die Fähigkeit, mit anderen Mitarbeitern zu kommunizieren, sich in ein Team einfügen zu können, mit wechselnden Personen kooperieren und zielgerichtet arbeiten zu können. Im Handwerk ist dies schon deshalb von großer Bedeutung, weil die geringe Größe der Unternehmen ein Mindestmaß an Harmonie unter den Mitarbeitern bedarf, weil ein Ausweichen - wie es zum Beispiel durch Wechseln in andere Abteilungen in

48

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

der Industrie möglich ist - in den meisten Handwerksbetrieben ausgeschlossen ist. Die Anforderungen an die Beschäftigten steigen fortwährend an, und dies nicht nur im eigenen Berufsfeld, sondern es ist damit zu rechnen, daß in Zukunft jedermann während seiner Lebensarbeitszeit seinen Beruf ein- bis zweimal wechseln muß, was an Fähigkeiten wie selbständiges Lernen, Flexibilität usw. völlig neue Anforderungen stellt. „In Zukunft wird man beim Lernen nur noch von konkreten Problemen ausgehen. Man wird fragen: Was muß ich lernen, um dieses Problem zu bewältigen ? Wo kann ich mir Wissen beschaffen ? Lernen auf Vorrat wird keine Bedeutung mehr haben" (vgl. Bullinger 1998).

W a s bedeutet das für das Handwerk ? Es kann in Zukunft nicht mehr darum gehen, mit dem Erreichen bestimmter beruflicher und schulischer Abschlüsse einen Vorrat an Wissen akkumuliert zu haben, welches für die Erfüllung einer Berufstätigkeit ausreicht. Zum einen wird sich das Grundverständnis vieler Berufe fundamental verändern, zum anderen ist zu erwarten, daß jeder Erwerbstätige in seiner Berufskarriere mehr als eine Berufstätigkeit ausführen wird. Flexibilität und eine positives Verständnis zum Wandel ist erforderlich. Jede Problemstellung, jeder Auftrag für ein Unternehmen muß systematisch betrachtet werden. Abrufbares Erfahrungswissen oder in der Ausbildung erlernte „Rezepturen" reichen nicht aus. Die Berufsbildung wird zukünftig daher in anderen „Lehr-Lern-Arrangements" stattfinden müssen. Dies gilt sowohl für die Berufsschule als auch die Betriebe, die sich verstärkt mit didaktischen Methoden werden auseinandersetzen müssen (vgl. Küchler 1997). Auch wenn die Handwerker vielfach klagen, die Mitarbeiter und Auszubildenden seien viel zu häufig zu Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen abwesend, müssen sie erkennen, daß der Fortentwicklung des Qualifikationsniveaus der Beschäftigten eine Schlüsselrolle für die Wettbewerbsfähigkeit zukommt. Die Betriebe müssen weiterhin ein starkes Gewicht in der Berufsausbildung spielen, doch dafür muß die innerbetriebliche Ausbildung überdacht und in Hinblick auf veränderte Lernziele überarbeitet werden. Dies gilt insbesondere, wenn in den Handwerksunternehmen mehr attraktive Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Abiturienten geschaffen werden sollen. Für die Beschäftigten ist die fortlaufende Qualifizierung immer dringender erforderlich, weil es einen Trend zu neuen Formen der Arbeitsorganisation gibt, in der es zukünftig immer weniger feste Arbeitsverhältnisse in Form eines Dienstvertrages geben wird. Statt dessen beginnt sich die freie Mitarbeit in Form von Werkverträgen durchzusetzen. Von dem Trend zu neuen Formen der Arbeitsorganisation gehen deutlich erhöhte Anforderungen aus. Dies gilt in bezug auf berufliche Flexibilität, eigenverantwortliches und teamorientiertes Arbeiten sowie die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

49

Diese Tendenzen werden durch den Wandel industrieller Produktionstechnologien noch verstärkt. Gering qualifizierte und industriespezifisch qualifizierte Arbeitskräfte, die bereits überdurchschnittlich stark von der Verlagerung ihrer Arbeitsplätze an Niedriglohnstandorte betroffen sind, geraten auch an den inländischen Produktionsstandorten durch die technologische Entwicklung zusätzlich unter Anpassungsdruck. Der amerikanische Ökonom PAUL KRUGMAN spricht in diesem Zusammenhang von einem „Aufbrechen von Wertschöpfungsketten" (vgl. Krugman 1995). Freilich scheint das Handwerk von dieser Entwicklung noch entfernt. Die Konzentration auf einen räumlich begrenzten, heimischen Markt erweckt den Anschein von Sicherheit. Dies kann jedoch eine trügerische Sicherheit sein, wie sich schon bald durch den weiteren Ausbau des europäischen Binnenmarktes zeigen kann. Handwerkliche Zulieferer und auch das Baugewerbe haben bereits erste Erfahrungen mit der Internationalisierung von Märkten sammeln können, die bislang als reine Binnenmärkte galten. Das Handwerk wird sich dem Wettbewerbsdruck, der durch die Internationalisierung verstärkt wird, kaum entziehen können. Es kann nur dann reüssieren, wenn es sich diesen Herausforderungen stellt und eigene Konzepte entgegensetzt bzw. die Märkte selbst gestaltet, bevor es andere tun. Dies bedeutet auch, die aus den verbesserten Bedingungen des Exports sich bietenden Chancen zu nutzen (vgl. Ostendorf 1997). Hierfür sind unter anderem Fachkräfte mit Sprachkenntnissen eine von mehreren wichtigen Voraussetzungen. Das Handwerk hat gute Aussichten, in den als zukunftsträchtig erkannten und vom Strukturwandel begünstigten Märkten zu bestehen. Hierzu bedarf es jedoch umfassend qualifizierter Arbeitskräfte. Hierfür sind - um es noch einmal zu betonen - Mitarbeiter erforderlich, die nicht nur über ein breites Grundwissen verfügen, sondern vor allem soziale Kompetenz aufweisen und selbständig Problemlösungsstrategien entwickeln können. Damit geht der Anspruch über das hinaus, was bislang als Dienstleistungsorientierung im Handwerk galt, nämlich Pünktlichkeit, freundliches Auftreten, Bereitstellung von Annehmlichkeiten für den Kunden im Rahmen der Auftragserfüllung etc. Letztere Anforderungen werden zur Selbstverständlichkeit, deren Mißachtung gnadenlos vom Markt, d.h. von den Kunden bestraft wird (Philipp 1998, S. 61). Die Probleme der beruflichen Ausbildung sind keineswegs nur auf das Handwerk beschränkt, vielmehr zeigen ernst zu nehmende Analysen, daß das Duale Berufsbildungssystem insgesamt im Rahmen des Strukturwandels einen Attraktivitätsverlust erlitten hat und Reformschritte dringend erforderlich sind. Die Probleme des Dualen Ausbildungssystems lassen sich in sechs Problemfelder zusammenfassen: (1) Der Aufstieg innerhalb dieses Ausbildungsweges wird zu wenig gefördert. Nach Abschluß der Gesellenprüfung gibt es im wesentlichen die mit Risiken und Kosten verbundene Weiterbildung zum Meister. Hier sind Zwischenlösungen wünschenswert.

50

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

(2) Die Ausbildung zum Dualen System wird (insbesondere im Handwerk) zu einem Berufsausbildungsweg vor allem für Hauptschüler (rund 65 % aller Ausbildungsanfanger haben den Hauptschulabschluß). Damit wird dieser Ausbildungsweg unattraktiv für Realschüler und Abiturienten. (3) Nicht immer führt die Ausbildung im Dualen System zu dem Arbeitsplatz, der angestrebt wurde. Der Anteil der Absolventen des Dualen Ausbildungsweges, die einen Arbeitsplatz annehmen müssen, der nicht ihrem Abschlußniveau entspricht, ist in den letzten Jahren gewachsen. (4) Die Erwartungen der Jugendlichen an eine moderne Ausbildung kann von vielen Betrieben sowohl in technischer als auch berufspädagogischer Hinsicht nicht erfüllt werden. (5) Das Duale Berufsbildungssystem wird auch durch den Rückgriff der Unternehmen auf Absolventen z.B. von Fachhochschulen ausgehöhlt. Das herkömmliche Ausbildungskonzept schafft es nicht, eine attraktive Berufsausbildung auch für besser qualifizierte Schulabsolventen anzubieten. Wenn denn dann zunehmend Fachhochschulabsolventen oder über andere Ausbildungswege qualifizierte Existenzgründer zu Handwerksunternehmern, dann stimmt etwas nicht am Dualen Ausbildungssystem. Abb. 4: Attraktivitätsverlust des dualen Systems der beruflichen Bildung

Quelle: Schmidt, K a r l - H e i n z / W ü s t e n b e c k e r , Michael, Mangel an Auszubildenden oder M a n g e l an A u s b i l d u n g s plätzen ? „Internationales G e w e r b e a r c h i v " , Berlin, Jg. 45, 3/1997, S. 159.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

51

(6) Für Beschäftigte im Handwerk gibt es eine breite Palette an Weiterbildungsmöglichkeiten, die - zum Teil mit erheblichem Aufwand - von Kammern oder handwerkseigenen Fortbildungseinrichtungen angeboten werden. Hier besteht inzwischen ein unüberschaubares Angebot. Die Zertifizierung dieser Weiterbildung ist unzureichend, auch wenn eine „Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk" (ZWH in Düsseldorf) sich hier um Transparenz, Qualität und Mindeststandards bemüht.

Die Berufswahl von Jugendlichen wird selbstverständlich auch von der Einschätzung der wirtschaftlichen Perspektiven der in Frage stehenden Handwerksberufe geprägt. Im folgenden sollen einige ausgewählten Kennzahlen zur Bestimmung der ökonomischen Entwicklung des Handwerks näher betrachtet werden.

1.3.1.4 Nominale und reale

Umsatzentwicklung

Der Umsatz ist Ausdruck der mengen- und wertmäßigen Gesamtleistung eines Unternehmens. An dieser Kennzahl wird häufig das Wachstum eines Unternehmens gemessen. Nun ist der Umsatz allerdings nur bedingt eine Größe, welche die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens oder eines Wirtschaftszweiges widerspiegelt. Der Umsatz setzt sich sowohl aus einer Mengen- als auch Preiskomponente zusammen. So kann der Umsatz lediglich aufgrund von Preiserhöhungen steigen, auch wenn weniger Produkte abgesetzt wurden. Um zu realen Größen zu gelangen, wird der nominale Umsatz deflationiert. Dabei werden die Preissteigerungen aus den Nominalwerten herausgerechnet. Hierfür stehen verschiedene Preisindices zur Verfügung, die das Statistische Bundesamt für eine Vielzahl von Produkten veröffentlicht. Das RHEINISCH-WESTFÄLISCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG in Essen errechnet spezielle Preisindizes für ausgewählte Handwerkszweige. Der Realumsatz ist demnach eine Größe, mit der die mengenmäßige Gesamtleistung beispielsweise eines Unternehmens oder eines Handwerkszweiges dargestellt werden kann.

1.3.1.5 Wertschöpfung im Handwerk Die Wertschöpfung erfaßt den Wertzuwachs, der aus der Verarbeitung von Gütern im betrieblichen Leistungsprozeß resultiert. Hierzu addiert man zunächst alle vom Betrieb nach außen abgegebenen Werte und zieht von diesen alle von außen in das Unternehmen geflossenen Werte (Vorleistungen, insbesondere Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe und Abschreibungen) ab. Das Ergebnis ist die Bruttowertschöpfung, also der Beitrag des Unternehmens zum Sozialprodukt. Die Wertschöpfung im Handwerk ist demnach die Summe der Bruttowertschöpfung der Handwerksunternehmen. Die Erfassung der Daten setzt die

52

K a p i t e l II: D a s H a n d w e r k in der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d

Kenntnis der Vorleistungsquoten und Abschreibungen voraus. Ein Zugang hierfür ist über die Kostenstrukturerhebung im Handwerk prinzipiell möglich. Leider beruht die Kostenstrukturstatistik auf freiwilligen Angaben der Unternehmen und ist somit nicht repräsentativ. Auch liegen die Daten nicht jährlich vor. Bei den nachstehenden Angaben handelt es sich um Berechnungen des in Essen. Dabei wird die im Handwerk erzielte Wertschöpfung zur saisonbereinigten Bruttowertschöpfung (Summe der Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche vor Abzug der unterstellten Entgelte für Bankdienstleistungen) aller Wirtschaftsbereiche in Beziehung gesetzt. In langfristiger Betrachtung ist der Anteil des Handwerks an der volkswirtschaftlichen Bruttowertschöpfung rückläufig. In den letzten 10 Jahren hat sich allerdings eines Stabilisierung eingestellt, die um so bemerkenswerter ist, weil der Beitrag des Verarbeitenden Gewerbes in den letzten 20 Jahren von 37,2 % auf 27,7 % deutlich zurückgegangen ist. RHEINISCH-WESTFÄLISCHEN INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

In den neuen Bundesländern ist der Anteil des Handwerks an der Bruttowertschöpfung doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern. Dies beruht auf den besonderen Umständen der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Vereinigung, bei der unter anderem das besonders wertschöpfungsintensive handwerkliche Baugewerbe eine bedeutende Rolle spielt.

1.3.1.6 Betriebs- und Unternehmensgrößen im Handwerk Die Handwerksunternehmen sind - gemessen an der Zahl der Beschäftigten je Unternehmen - im Durchschnitt immer größer geworden. Dies läßt sich an den Ergebnisse der sechs Handwerkszählungen seit 1949 ablesen. Waren 1949 noch durchschnittlich lediglich 3,5 Beschäftigte je Unternehmen im Handwerk tätig, ist die Betriebsgröße (1994) auf nunmehr 10,6 angestiegen. Hinter diesen Durchschnittswerten - die selbstverständlich in den einzelnen Handwerkszweigen sehr unterschiedlich ausfallen - verbergen sich erhebliche strukturelle Veränderungen. Die Betriebs- bzw. Unternehmensgröße läßt sich auch mit anderen Kennzahlen bestimmen. So wird in empirischen Untersuchungen oft die Höhe des Umsatzes je Unternehmen herangezogen. Die wachsende Unternehmensgröße im Handwerk kann durch Konzentrationsprozesse verursacht sein. Dynamisch wachsende Unternehmen erlangen eine Marktmacht, die es ihnen möglich macht, andere aufzukaufen bzw. mit ihnen zu fusionieren. Hierfür können Wettbewerbsvorteile durch effizientere Betriebsformen, Einsatz neuer und rationeller Technologien oder bessere Unternehmensstrategien ausschlaggebend sein. Aber auch der bessere Zugang zu Kapital

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

53

kann eine Rolle spielen, um Marktvorteile gegenüber Wettbewerbern ausspielen zu können. Tab. 8: Anteil des Handwerks an der Bruttowertschöpfung Jahr

1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1991 1992 1993 1994 1995 1996

Bruttowertschöpfung Bruttowertschöpfung insgesamt im Handwerk Mrd. DM 2067,1 195,6 2119,9 203,5 209,4 2146,5 2228,8 219,1 2310,4 232,8 2438,3 254,6 2548,4 275,0 2590,9 284,4 2545,0 264,8 2590,8 271,2 267,0 2629,7 2624,4 266,5 Neue Bundesländer 208,4 35,5 224,4 44,2 243,4 53,5 271,2 56,2 57,1 292,1 300,4 57,7 Deutschland 2756,8 210,5 328,7 2815,3 2788,4 318,3 2862,0 327,4 324,1 2921,8 2974,8 324,2

Anteil des Handwerks in % 9,5 9,6 9,8 9,8 10,1 10,4 10,8 11,0 10,4 10,5 10,2 10,0 17,0 19,7 22,0 20,7 19,6 19,2 11,3 11,7 11,4 11,4 11,1 10,9

Quelle: RWI (1998), Auszug. (Zeitraum: 1985-1996, in Mrd. DM und %; in Preisen von 1991)

Wachsende Betriebs- und Unternehmensgrößen müssen jedoch nicht zwangsläufig Ausdruck von wettbewerbsschädlichen Konzentrationsprozessen sein. Vielmehr ist es denkbar, daß größere Unternehmenseinheiten eine effizientere Marktversorgung sicherstellen und somit aus Sicht des Marktergebnisses positiv zu bewerten sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, daß die Wettbewerbsbeziehungen internationaler geworden sind (Globalisierung). Damit sind Kernfragen der Wettbewerbstheorie und des Wettbewerbsrechts angesprochen, die an dieser Stelle jedoch nicht weiter verfolgt werden sollen. Grundsätzlich gehört das Handwerk zu den klein- bis mittelgroß strukturierten Wirtschaftsbereichen. Große Unternehmen mit 50 und mehr Beschäftigten oder mit über 100 Beschäftigten sind für das Handwerk nicht charakteristisch.

54

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

1.3.1.7 Die regionale Präsenz des Handwerks Das Handwerk ist meist auf kleinräumigen Märkten vertreten. Mit seinem Leistungsangebot im Konsumgüterbereich wendet es sich überwiegend an private Haushalte, die ihren Bedarf in der Regel im Umfeld ihres Wohnortes decken. Die Produkte des Nahrungsmittelhandwerks setzen ebenso die räumliche Nähe zum Kunden voraus, wie die haushaltsbezogenen Dienstleistungen zum Beispiel des Raumausstatter- oder Textilreinigerhandwerks. Die handwerkliche Leistung kann in der Regel nur gewährleistet sein, wenn die Transportwege kurz und der persönliche Kontakt zwischen Kunden und Endverbraucher möglich ist. Als Faustregel kann gelten, daß der Absatzradius von Handwerksbetrieben rund 50 Km um den Standort nicht überschreitet. Dies gilt selbst für solche Handwerkszweige, die den Investitionsgüterhandwerken zuzurechnen sind, auch wenn hier häufiger als im Konsumgüterbereich spezialisierte Unternehmen zu finden sind, die bundesweit und mitunter auch international ihre Produkte und Dienstleistungen verkaufen. Auch beim handwerklichen Bauhauptgewerbe, das seinen Schwerpunkt im Bau von Einfamilienhäusern sowie mittelgroßen Wohn-, Büro- und Verwaltungsgebäuden hat, kann ebenfalls von einem räumlich begrenzten Markt gesprochen werden. Der Kontakt zwischen Bauherren und bauausfuhrender Firma ist hier ebenso als Grund zu nennen, wie auch die mit zunehmender Entfernung zwischen Firmensitz und Baustelle wachsenden Transportkosten. Es bleibt festzuhalten, daß das Profil handwerklicher Leistungen überwiegend auf eine regionale Ausrichtung angewiesen ist. Vieles spricht für die These, daß sich je nach Siedlungsstruktur relativ typische Muster des Besatzes mit Handwerksunternehmen herausfinden lassen müßten. Der empirische Nachweis wird allerdings durch die Schwierigkeit der regionalen Abgrenzung und durch die Filialisierung in einigen Handwerkszweigen erschwert.

1.4 Strukturwandel im Handwerk Für die Wirtschaftsstruktur gibt es nicht nur eine, sondern mehrere Definitionen, die sich auf jeweils unterschiedliche Sachverhalte beziehen (vgl. Meißner/Fassing 1989, S.ll): •

So kann damit die Verteilung der Produktionsfaktoren über die verschiedenen Sektoren der Volkswirtschaft verstanden werden. Man meint dann eine Produktionsstruktur, wie sie etwa durch eine Input-Output-Matrix beschrieben wird.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

55



Mit dem Begriff der Produktionsstruktur kann auch eine zeitliche Dimension des Produktionsprozesses gemeint sein. Er zielt dann auch den Grad der Kapitalausstattung der Produktion, d.h. auf die Länge der produktiven Produktionswege.



In der Industrieökonomie und in der Wettbewerbspolitik wird die Marktstruktur definiert und auch gemessen (z.B. durch Konzentrationskoeffizienten). Die Marktstruktur erfaßt damit die Anbieterkonzentration, d.h. die Größenverhältnisse der Unternehmen.



Die deutsche Konjunkturforschung hat schon früh die Strukturwandlungen von den Konjunkturschwankungen unterschieden. Solche Wandlungen gehen tiefer und sind beständiger als die kurzfristigen konjunkturellen Fluktuationen. Die Unterscheidung ist einleuchtende aber schwer für empirische Überprüfungen zu operationalisieren.



In der Wirtschaftstheorie wird der Strukturbegriff verwendet, wenn die Relation zwischen einzelnen Größen betrachtet wird. So gibt uns die Preisstruktur Auskunft über die relativen Preise, also über das Verhältnis der Preise zueinander.



Mit dem Begriff Struktur wird auch die Zusammensetzung einer ökonomischen Größe bezeichnet (z.B. die Exportstruktur eines Landes), wobei eine relative Dauerhaftigkeit unterstellt wird ohne eine Messung vorzunehmen.



Eine weitere Varianten der Verwendung des Begriffes Struktur findet sich in der Ökonometrie. Dort bezeichnet „Struktur" die Matrix der geschätzten Koeffizienten in den Verhaltensgleichungen eines ökonometrischen Modells. Hier wird vielfach eine Strukturkonstanz während des Prognosezeitraums unterstellt.

Im Zusammenhang mit der Beschreibung des Strukturwandels im Handwerk stehen Marktstrukturen im Vordergrund des Interesses. Es reicht daher aus, sich auf eine relativ einfache Definition zu beschränken. Demnach wird als Struktur die Aufteilung einer Gesamtgröße in Teilgrößen bezeichnet, die in sich homogener sind als die Gesamtgröße selbst. Der gesamtwirtschaftliche Wachstumsprozeß beinhaltet eine fortwährende Umstrukturierung der sektoralen Produktionsstruktur (Anteile der Wirtschaftssektoren am Sozialprodukt). Damit geht eine Veränderung der Verteilung der Erwerbstätigen auf die Wirtschaftssektoren einher (sektorale Beschäftigungsstruktur). Maßgeblich für das Wachsen bzw. Schrumpfen von Teilen einer Volkswirtschaft ist die Aufteilung der Investitionen auf die Wirtschaftssektoren (sektorale Investitionsstruktur). Sie wird induziert durch die Verteilung der Nachfrage auf bestimmte Güter- und Dienstleistungen (intrasektorale Nachfragestruktur). Der konzentrierte analytische Blick auf die Aufteilung der Produktion eines Wirtschaftssektors fordert die intrasektorale Produktionsstruktur zutage. Weiterhin spricht man bei der Verteilung der Produktion im geographischen Raum einer Volkswirtschaft von der regionalen Wirtschaftsstruktur. Diese beschriebene Wandel vollzieht sich freilich nicht nur nach den Marktgesetzen, sondern die Politik versucht mehr oder minder stark den Prozeß zu beeinflussen.

56

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Die sektorale Strukturpolitik hat das Ziel, das Wachstum einzelner Sektoren der Volkswirtschaft, oder, innerhalb eines Sektors, das einzelner Branchen zu fordern oder Schrumpfungsprozesse zu verlangsamen. Die Förderung einzelner Branchen der Industrie wird auch als „Industriepolitik" bezeichnet. Eine ähnliche Zielsetzung verfolgt auch die Gewerbe- und Handwerkspolitik (vgl. Wernet, 1952). Für WERNET ist die Handwerkspolitik ein Teilgebiet der Gewerbepolitik. Ihre institutionellen Grundlagen bezieht die Handwerkspolitik aus der Gesetzgebung zur Handwerksordnung einerseits sowie aus der Handwerksorganisation und Handwerkerbewegung andererseits. Infolgedessen unterscheidet er auch zwischen staatlicher und autonomer Handwerkspolitik. Zu den zentralen Sachgebieten der Handwerkspolitik gehören nach WERNET die Berufserziehung (einschließlich Aus-, Fort- und Weiterbildung), die Gewerbe- bzw. Handwerksförderung, Fragen der Gewerbeverwaltung und des Gewerberechts, die berufsständische Selbstverwaltung sowie die Wahrung der Handwerksinteressen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Heterogenität des Handwerks macht es schwierig, dem Handwerk ein eigenständiges Politikfeld zuzuordnen. In der Politik hat dennoch das Handwerk allein deshalb einen hohen Stellenwert, weil es durch den hohen Organisationsgrad seine Interessen machtvoll vertreten kann. Regionale Strukturpolitik will das wirtschaftliche Wachstum in einzelnen Regionen beeinflussen. Kernproblem ist die Abgrenzung und Auswahl von solchen Regionen, denen eine Förderung zugute kommen soll. Umstritten ist auch jeweils, mit welchen Mitteln die räumliche Entwicklung gefördert werden soll. Konzepte zum Erhalt bzw. Aufbau von industriellen Kernen stehen solchen entgegen, die in der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen langfristig ein wirksameres Verfahren sehen.

1.4.1 Wechselwirkung zwischen gesamtwirtschaftlichem Wandel der Strukturen int Handwerk

Strukturwandel

und

Die vorangegangenen Ausfuhrungen zeigen, daß der Strukturwandel einer Volkswirtschaft sehr viel Facetten hat. Das Handwerk ist heterogen und in zahlreichen Wirtschaftssektoren vertreten. Zwischen Veränderungen auf der aggregierten Makroebene einer Volkswirtschaft und den handwerklichen Teilmärkten bestehen sehr unterschiedliche, teilweise gegenläufige Beziehungen. (1) Der konjunkturelle Zusammenhang: Die langfristige Beobachtung zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung im Handwerk und der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur läßt folgende Zusammenhänge erkennen:

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

57

Wird die gesamtwirtschaftliche Entwicklung vor allem von der Binnennachfrage getragen, so profitiert auch das Handwerk von dieser konjunkturellen Konstellation. Beruht das wirtschaftliche Wachstum hingegen vornehmlich auf der Nachfrage aus dem Ausland, so kann das Handwerk hieraus zunächst nur in wenigen Handwerkszweigen (Zulieferer für die exportierende Industrie) und dort meist auch nur indirekt Vorteile ziehen (vgl. Lamberts 1989). Diese Reaktion beruht auf der funktionalen Einordnung des Handwerks in den volkswirtschaftlichen Verbund. Das Handwerk deckt vornehmlich den inländischen Bedarf; sein Exportanteil lag 1994 im Durchschnitt bei lediglich 1,8% des Gesamtumsatzes. Anders als viele Industriebranchen kann das Handwerk bei schwacher Binnennachfrage nicht ohne weiteres in den Export ausweichen. Auf der anderen Seite unterliegt das Handwerk in vielen Marktsegmenten dem Druck importierter Waren. Dies gilt z.B. überall dort, wo preiswert importierte Güter Reparaturleistungen nicht mehr lohnend erscheinen lassen (z.B. Radiound Fernsehtechnikerhandwerk, Uhrmacherhandwerk, holz- und kunststoffverarbeitendes Handwerk). (2) Der strukturelle Zusammenhang: Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, daß die Übergänge von konjunkturellen zu strukturellen Faktoren fließend sind. Das Strukturbild des Handwerks setzt sich aus verschiedenen funktionalen Profilen wie zum Beispiel der Umsatzstruktur, der Beschäftigtenstruktur und der Abnehmerstruktur zusammen. Ihre Analyse ergibt Hinweise auf die Wettbewerbsbeziehungen und damit die Wettbewerbsposition des Handwerks. In den nächsten Abschnitten soll das Strukturbild des Handwerk auf diese Weise schrittweise zusammengesetzt werden.

1.4.1.1 Umsatzstruktur des

Gesamthandwerks

Wir hatten bereits vorab die Unterscheidung zwischen Nominal- und Realumsatz eingeführt. Der Realumsatz ist für analytische Zwecke die geeignetere Größe. Gleichwohl müssen wir uns im folgenden mit Nominalwerten begnügen, da eine rückwirkende Preisbereinigung nach der Handwerkszählung 1995 noch nicht vorliegt. Der von den Handwerksunternehmen erzielte Umsatz läßt sich mit Hilfe der Daten aus der Handwerkszählung beispielsweise nach Umsatzgrößenklassen und nach Umsatzarten (Handwerksumsatz, Handelsumsatz, sonstiger Umsatz) gliedern. Während die Darstellung nach Umsatzgrößenklassen eine Vorstellung über die Verteilung des Umsatzes auf Unternehmensgrößen vermittelt, geben

58

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

die Angaben zu den Umsatzarten Hinweise auf die unterschiedlichen Tätigkeitsschwerpunkte. In der Tabelle 9 sind mehrere Informationen zur strukturellen Analyse zusammengefaßt. Wir können ihr unter Zuhilfenahme eines Taschenrechners entnehmen, daß knapp 47 % der Unternehmen weniger als 5 Beschäftigte haben. Von den Unternehmen dieser Beschäftigtengrößenklasse werden 7,1 % des handwerklichen Gesamtumsatzes erwirtschaftet. Der größte Teil des Umsatzes nämlich 78,2 % - wird von Unternehmen mit 10 und mehr Beschäftigten erzielt. Eine ähnliche Analyse der Verteilung der Unternehmensgröße läßt sich vornehmen, wenn man die Umsatzgrößenklassen heranzieht. Lediglich 16,5 % des Umsatzes erzielten 1994 die „relativ" kleinen Unternehmen mit weniger als 1 Mio. DM Umsatz pro Jahr. Der Löwenanteil entfällt auf Unternehmen, die zwischen 1 Mio. und 10 Mio. DM (46,8 %) und zwischen 10 und 50 Mio. DM Umsatz erzielt haben (24,8 %). Diese Durchschnittswerte lassen sich auch für einzelne Handwerkszweige zusammenstellen, was hier angesichts des dafür erforderlichen Platzbedarfs nicht erfolgen kann. Welche Informationswert haben diese Daten für den Unternehmer ? Die durchschnittliche Umsatzhöhe pro Unternehmen und Jahr kann beispielsweise einem Unternehmensgründer Anhaltspunkte dafür geben, welches Umsatzvolumen er mindestens erzielen sollte, wenn er eine stabile Existenz aufbauen möchte. Dies gilt trotz der Einschränkung, daß es sich um Durchschnittswerte handelt und die Bedingungen im Einzelfall anders aussehen könnten. Die Tabelle 9 stellt über die Größenstruktur hinaus Informationen zu den Umsatzarten bereit. Umsatzarten werden hier unterschieden nach Handwerksumsatz, Handelsumsatz und übriger Umsatz. 74,7 % des Umsatzes sind handwerklichen Tätigkeiten zuzuordnen, 22,5 % sind Handelsaktivitäten. Unterschieden nach Größenklassen zeigt sich, daß mit zunehmender Unternehmensgröße die Bedeutung des Handels und anderweitiger Tätigkeiten zunimmt. Bei den größten Unternehmen mit 50 Mio. DM Umsatz pro Jahr und mehr sinkt der durch reine Handwerksarbeiten erzielte Anteil am Umsatz auf 60 %. Freilich gibt es zwischen den einzelnen Handwerkszweigen große Differenzen. Im Radio- und Fernsehtechnikerhandwerk beträgt der Umsatzanteil aus Handelstätigkeiten zum Beispiel inzwischen 65,8 %; handwerkliche Aktivitäten tragen nur noch mit 25 % zum Umsatzergebnis bei. In den meisten Handwerkszweigen des Bau- und Ausbaugewerbe hingegen beträgt der Anteil des Handwerksumsatzes rund 90 %.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

59

Tab. 9: Handwerksunternehmen und Umsatz nach Umsatzarten Umsatz 2 ) 1994 nach Größenklassen

Beschäftigte am Handwerksunternehmen am 30.9.1994 31.3.1995 i)

Insgesamt

davon Handwerksumsatz

1000 DM

Anzahl

Handelsumsatz

übriger Umsatz

in %

nach Beschäftigtengrößenklassen (Unternehmen mit ... Beschäftigten) Insgesamt 1-4 5-9 10 und mehr

563 262 154 146

204 547 375 282

6 084 873 618 836 1 019 496 4 446 641

800 606 477 56 702 716 117 775 281 626 128 4 7 9

74,7 78,1 77,3 73,8

22,5 19,0 21,2 23,1

2,8 2,8

22,5 6,9 8,8 11,5 12,3 18,9 33,2 29,8

2,8

1,5 3,1

nach Umsatzgrößenklassen (von ... bis unter... DM) Insgesamt bis 100 000 100 0 0 0 - 2 5 0 000 2 5 0 000 - 500 000 500 000 - 1 Mio. 1 Mio. - 10 Mio. 10 M i o . - 5 0 Mio. 50 Mio. u. mehr

563 204 101732 103587 99038 103514 143754 10695 884

6 084 873 164 932 325 787 477 489 780 471 2 909 605 1 0 3 2 881 393 808

800 606 477 4 406 644 17 565 786 35 900 230 74 095 557 374 591 095 198 222 675 95 824 489

74,7 92,0 90,2 87,4 86,5 79,6 63,8 60,2

1,1 0,9 1,1 1,2 1,6 3,0 10,0

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes '' Verzeichnis der Gewerbe gem. Anlage A der Handwerksordnung 2) Umsatz ohne Umsatzsteuer.

Im folgenden richten wir das Augenmerk auf die Beschäftigtenstruktur. Bereits in Abschnitt 1.3. wurde die Bedeutung des Handwerks als Anbieter von Arbeits- und Ausbildungsplätzen erwähnt. Die Ergebnisse der Handwerkszählung ermöglichen zudem eine Beschreibung der Arbeitskräfte nach ihrer Stellung im Unternehmen.

1.4.1.2 Beschäftigtenstruktur

des Handwerks

Die Beschäftigtenstruktur eines Wirtschaftszweiges läßt sich unter anderem anhand von Größenklassen darstellen. Von der 563 204 Unternehmen hatten 1994 rund 7 4 % weniger als 10 Beschäftigte. Der mittelständische Charakter wird durch diese Kennzahl nochmals unterstrichen. Gleichwohl waren in diesen Unternehmen nur 27 % der Beschäftigten im Handwerk tätig. Einer Vielzahl relativ kleiner Unternehmen steht eine wachsende Zahl größerer Unternehmenseinheiten gegenüber, die sowohl hinsichtlich der Zahl der Beschäftigten als auch des Umsatzes an Bedeutung gewinnen. Relativ größere Unternehmenseinheiten beginnen im Handwerk bereits bei 50 Beschäftigten und mehr. Lediglich 14 700 bzw. 2,6 % der Unternehmen fallen

60

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

in diese Größenkategorie. Ihr Anteil an der Beschäftigung im Handwerk erreicht allerdings schon reichlich ein Drittel. Diese Entwicklung kann Ausdruck einer Polarisierung sein. Das bedeutet, das Fundament des Handwerks werden weiterhin eine Vielzahl kleiner und kleinster Unternehmen bilden. Das mittlere Segment wird demnach an Bedeutung verlieren. Relativ größere Unternehmen werden demzufolge an Gewicht im Handwerk gewinnen. Eine empirische Überprüfung dieser These steht allerdings gegenwärtig noch aus. Tab. 10: Handwerksunternehmen, Beschäftigte und Umsatz nach Beschäftigtengrößenklassen Umsata: 2 ) 1994

Beschäftigte am 30.9.1994 Unternehmen mit .... Beschäftigten

Handwerksinsgesamt unternehmen am 31.3.1995

darunter je Unter Arbeit- nehmen nehmer "

Anzahl Insgesamt 1 2-4 5-9 1 0 - 19 20-49 50-99 100 und mehr Quelle: Statistisches Bundesamt.

6 084 973 5 557 77 104 541 732 867 1 019 496 1 192 501 1 129 1 218 818 1 201 640 642 735 9 477 5 250 1 392 587 1 391

563 77 185 154 89 42

204 104 443 375 537 018

insgesamt

je Beschäftigten

1.000 D M

DM

11 800 606 1 5 341 51 360 3 7 117 775 13 163 027 29 194 534 68 106 555 265 162 010

492

123 022 502 617 771

Angestellte, Arbeiter und Auszubildende

2)

477 977 739 281 504 718 410 847

131 571 69 283 94 808 115 523 136 711 159 609 165 784 116338

Umsatz ohne Umsatzsteuer. Leere

Felder durch Geheimhaltungsvorschriften bedingt.

Das Handwerk gilt als ein Wirtschaftsbereich mit einem hohen Anteil an Facharbeitskräften. Darüber hinaus spielen Inhaber bzw. Mitinhaber eine bedeutende Rolle. Unter den Beschäftigten ist traditionell auch ein beachtlicher Anteil an Auszubildenden zu erwarten. Die Handwerkszählung von 1995 ermöglicht eine Quantifizierung dieser Anteile. Unterschieden werden: •

Tätige Inhaber und Mitinhaber



unbezahlt mithelfende Familienangehörige



Arbeitnehmer

Tab. 1 la: Beschäftigtenstruktur im Handwerk Beschäftigte am 30.9.1994 davon insgesamt

Anzahl in %

6 084 973 100,0

tätige Inhaber unbezahlt mithelfenund Mitinha- de Familienangehöber rige 452 034 7,4

Quelle. Statistisches Bundesamt

75 447 1,2

Arbeitnehmer 5 557 492 91,3

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

61

Die Zahl der Arbeitnehmer teilt sich auf in •

Angestellte und



Arbeiter,

wobei eine Differenzierung der Angestellten nach •

Meister und Polieren, Ingenieure sowie



kaufmännische und sonstige Angestellte

möglich ist. Die Arbeiter werden differenziert nach •

Gesellen und Facharbeiter



angelernte und ungelernte Arbeiter

Tab. 1 lb: Arbeiter und Angestellte im Handwerk Von den Arbeitnehmern sind Angestellte

Arbeiter

davon Insgesamt

Meister und Poliere, Ingenieure

Anzahl

1 335 460

in %

100,0

davon insgesamt

Gesellen und Facharbeiter

407 289

kaufmännische und sonstige Angestellte 928 171

3 718 103

2 219 495

angelernte und ungelernte Arbeiter 1 498 608

30,5

69,5

100,0

59,7

40,3

Quelle: Statistisches Bundesamt.

Weiterhin werden die Auszubildenden erfaßt und unterschieden nach •

gewerbliche sowie



kaufmännische und technische Auszubildende.

Tab. 11c: Gewerbliche und kaufmännische Auszubildende im Handwerk Auszubildende davon: gewerbliche kaufmännische AuszubilAuszubildende dende Anzahl 503 929 442 059 61 870 in % 100,0 87,7 12,3 Quelle: Statistisches Bundesamt. Insgesamt

Ein Vergleich mit der Zählung aus dem Jahre 1976 zeigt, daß der Anteil der an- und ungelernten Arbeitskräfte deutlich angestiegen ist. Ein Erklärung hierfür könnte sein, daß die Zahl der Verkaufskräfte ohne entsprechende Ausbildung im Handwerk (z.B. im Nahrungsmittelgewerbe) zugenommen hat. Auch unter dem wachsenden Anteil von Teilzeitkräften (nicht nur im Reinigungsgewerbe) sind Beschäftigte zu vermuten, die keine handwerklich oder ei-

62

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

ne andere Ausbildung absolviert haben. Diese Entwicklung ist nicht mit sinkenden Qualifikationsanforderungen im Handwerk gleichzusetzen. Vielmehr spricht vieles für eine polarisierende Entwicklung, wie sie auch in anderen Wirtschaftsbereichen zu beobachten ist. Der Anteil der leitenden und verantwortlichen Positionen im Handwerk wird eher zunehmen, da mit wachsenden Unternehmenseinheiten wahrscheinlich zusätzliche Ebenen erforderlich werden (z.B. Produktionsleiter oder Filialbetreuer im Bäckerhandwerk). Auf der anderen Seite entsteht durch den technischen Fortschritt eine wachsender Bedarf an ausfuhrenden, überwachenden oder ergänzenden Tätigkeiten. Freilich ist diese Entwicklung erst in wenigen Handwerkszweigen zu beobachten. Ob sich hieraus ein Trend für weitere Handwerke ableiten läßt, kann hier nicht geprüft werden.

1.4.1.3 Absatzrichtung und Abnehmerstrukturen des Handwerks Für die Marktanalyse unverzichtbar ist die Untersuchung der Abnehmerstrukturen eines Wirtschaftszweiges. Auf makroökonomischer Ebene ist es ausreichend, wenn bei der Absatzrichtung zwischen privaten Haushalten, Unternehmen, öffentlichen Auftraggebern und dem Export unterschieden wird. Auf einzelbetrieblicher Ebene - und darauf wird später näher einzugehen sein - ist eine deutlich tiefere Differenzierung erforderlich. Tab. 12: Handwerksunternehmen, Beschäftigte und Umsatz nach überwiegender Absatzrichtung Hand Werksunternehmen nach Oberwiegender Absatzrichtung Beschäftigte am 30.9.1994 Absatzrichtung

insgesamt Handwerksunternehmen am 31.3.1995

darunter je UnArbeit- temeli nehmer " men

Anzahl

Umsatz 1994 insgesamt

1.000 D M

in %

DM

800 606 477

100,0

131 571

397 293 2 849 675 2 442 331

7 380 700 784

47,6

133 594

135 494 2 4 2 9 447 2 329 923

18 329 570 893

41,2

135 657

Insgesamt

563 204 6 084 973 5 557 492

Private Haushalte Unternehmen

11

j e Beschäftigten

Staat "

9 104

7 7 2 452

752 693

27

83 577 062

10,4

108 197

Ausland

1 313

33 399

32 545

25

6 757 738

0,8

202 334

Quelle: Statistisches Bundesamt.

11

Bund, Länder, Gemeinden und andere öffentliche Auftraggeber.

Die Daten aus der Handwerkszählung bestätigen die auf der Hand liegende Vermutung, daß die privaten Haushalte unter den Auftraggebern bzw. Kunden des Handwerks dominieren. 47,6 % des Umsatzes werden mit Privatkunden erzielt. Von zweitgrößter Bedeutung sind Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen. 41,2 % der Abnehmen handwerklicher Produkte oder Dienstleistun-

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

63

gen sind aus dem gewerblichen Bereich. Der Staat (also Bund, Länder, Gemeinden oder andere öffentliche Auftraggeber) spielt für die Umsatzentwicklung im Handwerk demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Freilich gibt es auch hier in den einzelnen Handwerkszweigen deutliche Unterschiede. Es versteht sich von selbst, daß beispielsweise im Straßenbauerhandwerk öffentliche Auftraggeber dominieren; im Nahrungsmittelhandwerk dagegen kaum von Bedeutung sind. Die regionale Verankerung des Handwerks bringt es mit sich, daß der Export für die meisten Handwerksbetriebe kaum eine Rolle spielt. Dies ist nicht zwangsläufig so. Vielmehr besteht die begründete Annahme, daß wesentlich mehr Handwerksbetriebe ihre Produkte und Dienstleistungen exportieren könnten, wenn sie denn diesen Versuch einmal starten würden. Untersuchungen des GÖTTINGER SEMINARS FÜR H A N D W E R K S W E S E N ZU dem Exportpotential des Handwerks legen zumindest diese Vermutung nahe (vgl. Ostendorf 1997; Sauer 1990; König/Müller/Peters 1989).

1.4.2 Wettbewerbsposition

des Handwerks auf ausgewählten

Märkten

Die Wettbewerbsposition eines so heterogenen Wirtschaftsbereichs wie dem Handwerk läßt sich nicht ohne weiteres in wenigen griffigen Befunden beschreiben. Vielmehr erscheint es angebracht, die Orientierung des Handwerks an bestimmte Nachfragegruppen zum Anhaltspunkt zu nehmen, die Handwerkszweige entsprechend zu gliedern und zuzuordnen. Doch auch ein solches Verfahren bleibt naturgemäß grob, da selbst innerhalb einzelner Handwerkszweige die Schwerpunkte der Unternehmen stark differieren. Bewährt hat sich die Unterscheidung zwischen Konsumgüterhandwerken und Investitionsgüterhandwerken. Freilich kann im Einzelfall über die Zuordnung gestritten werden. Je nach Untersuchungszweck wird es mitunter sinnvoll sein, eine andere Gliederung der Handwerkszweige vorzunehmen.

1.4.2.1 Das Handwerk als Anbieter haushaltsbezogener (Konsumgüterhandwerke)

Dienstleistungen

47,6 % der 563 204 selbständigen Handwerksunternehmen in Deutschland erzielten 1994 den überwiegenden Anteil ihres Umsatzes mit Privaten Haushalten. An zweiter Stelle folgen mit 41,2 % die Unternehmen, deren Kunden überwiegend andere gewerbliche Unternehmen sind. 10,4 % der Handwerksunter-

64

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

nehmen gaben im Rahmen der Handwerkszählung an, ihren Absatz schwerpunktmäßig mit öffentlichen Auftraggebern zu erzielen. Abb. 5: Klassifikation des Handwerks nach Konsumgüter- und Investitionsgüterhandwerken Konsumgüterhandwerke Nahrungsmittelhandwerke z.B. Bäcker, Konditoren, Fleischer Bekleidung, Textil, Leder z.B. Schneider, Schuhmacher Haushalts- und Wohnbedarf z.B. Raumausstatter Verkehrsbedarf z.B. Kfz-Techniker, Karosseriebauer Unterhaltungs- und Freizeitbedarf z.B. Radio- und Fernsehtechniker, Fotografen Körper- und Gesundheitspflege z.B. Augenoptiker, Zahntechniker, Friseure

Investitionsgüterhandwerke und Dienstleister für die gewerbliche Wirtschaft Bauhauptgewerbe z.B. Maurer Ausbaugewerbe z.B. SHK-Handwerk, Maler, Elektroinstallateure Technische Investitionsgüterhandwerke z.B. Metallbauer Dienstleister für die gewerbliche Wirtschaft z.B. Gebäudereiniger

Quelle: RWI- Handwerksberichte (verschiedene Jahrgänge)

Die Dominanz privater Haushalte unter den Abnehmern handwerklicher Produkte und Dienstleistungen ist in bestimmten Handwerkszweigen besonders ausgeprägt, weshalb es naheliegend ist sie als Konsumgüterhandwerke zusammenzufassen. Es ergeben sich 6 Gruppen, für die im folgenden die wesentliche Entwicklungstendenzen und Wettbewerbsprobleme dargestellt werden sollen. Die nachfolgenden Beschreibungen dienen lediglich dem Uberblick und erheben nicht den Anspruch einer abschließenden Beurteilung der Wettbewerbsposition der genannten Handwerkszweige. (1) Nahrungsmittelhandwerke Marktcharakteristik: Überwiegend gesättigter Markt. Der Anteil der Ausgaben der privaten Haushalte für Nahrungs- und Genußmittel stagniert. Wettbewerb:

Zunehmende Konkurrenz aus dem Bereich der Gastronomie (fast food) und durch Tiefkühlkost (bo-frost, Eismann, Coppenrath & Wiese). Auch Tankstellenshops drängen auf den Markt der „bequemen" Zwischenmahlzeiten, die zunehmend traditionelle Eßgewohnheiten verdrängen. Im Bäckerhandwerk vollzieht sich ein mächtiger Konzentrationsprozeß über die Filialisierung. Das Fleischerhandwerk hat sich zudem der Diskussion über Gesundheitsgefahren durch Fleischverzehr zu erwehren.

(2) Bekleidung, Textil, Leder Marktcharakteristik: Die Ausgaben der privaten Haushalten für Bekleidung haben tendenziell zugenommen. Mit zunehmenden Ein-

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

65

kommen wird unter dem Einfluß der Mode die Bekleidung häufiger gewechselt. Wettbewerb:

Das Schneiderhandwerk hat in den letzten Jahrzehnten gravierende Marktanteilsverluste hinnehmen müssen. Die Individualanfertigung von Kleidungsstücken ist aufgrund der Personalkosten nicht mehr wettbewerbsfähig. Industriell erzeugte Kleidung hat an Qualität gewonnen. Handwerksintern bestehen Konkurrenzbeziehungen zu den handwerksähnlichen Betrieben der Flickschneider. Das Schuhmacherhandwerk steht ebenfalls unter dem Druck preiswert importierter Industrieware. Reparaturen erscheinen vielen Konsumenten angesichts der Preise für neue Schuhe nicht mehr lohnend. Im Bereich der Schuhreparatur konkurriert das Handwerk mit sogenannten Schuhbars (Mister Minit).

(3) Haushalts- und Wohnbedarf Marktcharakteristik: Die Gruppe der Handwerke des Haushalts- und Wohnungsbedarfs setzt sich aus den Tischlern, Raumausstattern, Textilreinigern und einigen kleineren Handwerken wie Parkettlegern, Korbmachern und Drechslern zusammen. Ihnen ist in der Regel gemeinsam, daß sie Dienstleistungen für Private Haushalte anbieten. In diesem Sinne sind sie von der Einkommenssituation von dem Grad des Wunsches nach Bequemlichkeit (Textilreinigung) und Komfort (Raumausstattung, Holzarbeiten) sowie von den Lebens- und Konsumgewohnheiten der Menschen abhängig. Die Kunden der Raumausstatter sind sowohl private Haushalte als auch Unternehmen, vorzugsweise aus dem Dienstleistungsbereich. Den Textilreinigern kommt der Trend zu kleineren Haushalten sowie zu sensiblen Stoffen in der Mode entgegen. Wettbewerb:

Das Leistungsangebot des Tischlerhandwerks hat sich in den letzten Jahrzehnten stark differenziert. Die Unternehmen stellen u.a. kleine Möbelserien her, sie sind im Laden- und Messebau tätig, sie übernehmen Zulieferungen für die Küchen- und Großmöbelindustrie, sie haben sich auf Holzbauten (Brücken, Ausstellungshallen, Blockhäuser) spezialisiert und bieten auch Holzarbeiten nach Maß an. Die Wettbewerbssituation ist für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk in den jeweiligen Teilmärkten sehr unterschiedlich. Durch den hohen Ausstattungs-

66

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

grad der privaten Haushalte mit Waschmaschinen und Wäschetrocknern konkurrieren die Textilreiniger im wesentlichen mit der Eigenleistung der Privathaushalte. (4) Verkehrsbedarf Marktcharakteristik: Nach wie vor bedient das Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk einen dynamisch wachsenden Markt. Trotz aller kritischen Diskussionen über die Umweltbelastungen von Fahrzeugen erreichten die Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamtes in den vergangenen Jahren neue Höchstmarken. Das Werkstattgeschäft trägt in der Gegenwart in deutlich geringerem Maße zum Umsatz bei als noch in den siebziger Jahren (kurzer Inspektionsintervalle, bessere Qualität der Autos). Wettbewerb:

Konkurrenzbeziehungen bestehen zwischen Handwerk und Kfz-Handel. Innerhalb des Handwerks stehen sich freie Werkstätten und Vertragswerkstätten gegenüber. Die technologische Entwicklung der Kraftfahrzeugtechnik hat tendenziell in den letzten Jahren die Vertragswerkstätten begünstigt.

(5) Unterhaltungs- und Freizeitbedarf Marktcharakteristik: Die Entwicklung der Radio-, Fernseh- und Videotechnik prägt das Marktgeschehen des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks. In rasche Folge erschienen in den letzten Jahren neue Produkte auf dem Markt. Die Fortschritte der Elektrotechnik haben dazu geführt, daß eine Marktabgrenzung z.B. zur Computertechnologie kaum noch möglich ist. Auch das Fotografenhandwerk bedient sich zunehmend Technikern aus dem Videobereich sowie der Digitalen Bildbearbeitung Wettbewerb:

Die vormals prägende handwerkliche Reparaturleistung von Radio- und Fernsehgeräten spielt kaum noch eine Rolle. Reparaturen sind aufgrund der Kosten für Personal und Lagerhaltung (Ersatzteile) in der Regel nicht mehr lohnend. Aus dem Handwerksbereich spielt einzig der Antennenbau noch eine nennenswerte Rolle. Der Handel trägt inzwischen überwiegend zum Umsatz bei. Die Verbindung zur Kommunikationstechnik führt zu einem intensiveren Wettbewerb mit Computerhändlern. Es bleibt abzuwarten, ob die Neufassung des Berufsbildes dem Radio- und Fernsehtechnikerhandwerk zu neuen Wachstumsimpulsen verhilft.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

67

(6) Körper- und Gesundheitspflege Marktcharakteristik: Zu dieser Gruppe gehören z.B. Augenoptiker und Zahntechniker sowie Friseure. Die Gesundheitshandwerke unterliegen dem Einfluß der Gesundheitspolitik, weil ein Großteil ihrer Leistungen über die Krankenversicherung abgerechnet werden. Die Gesundheitsreformgesetze der vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Nach wie vor gehört der Markt für Gesundheitsleistungen jedoch zu den wachsenden Märkten (vgl. Zdrowomyslaw/Dürig 1997) Wettbewerb:

Im Augenoptikerhandwerk besteht bei den Korrekturbrillen vor allem ein handwerksinterner Wettbewerb zwischen Ein-Betriebs-Unternehmen auf der einen und großen Filialisten (Fielmann, Apollo-Optik etc.) auf der anderen Seite. Im erweiterten Sortiment (Ferngläser, Sonnenbrillen etc.) bestehen Konkurrenzbeziehungen zum Handel. Das Zahntechnikerhandwerk steht unter Kostendruck, da die Krankenkassen zukünftig nur noch die Grundversorgung erstatten wollen. Einige Unternehmen lassen inzwischen Zahnersatz und Prothesen im Ausland (z.B. in der Türkei) fertigen. Der stärkste Wettbewerber des Friseurhandwerks ist die Schwarzarbeit.

Untersuchungen über die Konsumgüterhandwerke belegen für einige Handwerkszweige eine deutliche Wachstumsschwäche (vgl. Kolmar 1982; Kornhardt 1986). Tatsächlich ist in vielen Handwerken eine Verlagerung zu Handelstätigkeiten festzustellen, die eher einer Abwehr- denn einer Offensivstrategie entspringt. Die Zahl der Unternehmen im Textil- und Lederhandwerk ist gegenüber der Handwerkszählung 1976 auf ein Drittel geschrumpft. In bestimmten Handwerkszweigen ist eine Industrialisierung der Produktionstechnik (z.B. im Bäkkerhandwerk) unverkennbar. Das sogenannte Reparaturhandwerk hat in den letzten Jahren deutliche Marktanteilsverluste hinnehmen müssen. Dies gilt trotz der Diskussion über die Folgen der Uberflußgesellschaft und den zunehmenden Umweltschäden durch kürzere Produktnutzungszeiten. Diese generellen Aussagen dürfen allerdings nicht den Blick davor verstellen, daß das Konsumgüterhandwerk in einigen speziellen Marktsegmenten nach wie vor eine dominante Rolle spielt. Die Nahrungsmittelhandwerke sind weiterhin Marktführer, auch wenn sie Verluste hinnehmen mußten. Das Kfz-Handwerk spielt eine unangefochtene Rolle im Bereich des Automobilhandels und der Kfz-Reparatur. Auch die Gesundheitshandwerke verfügen über beachtliche Marktpositionen, die ihnen auch zukünftig kaum von anderen Wettbewerbern streitig gemacht werden dürften.

68

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Eine offene Frage ist, welche Folgen die Europäische Integration auf die Konsumgüterhandwerke haben wird. Wie bereits bei einigen Handwerkszweigen erwähnt, können preiswert importierte Waren Produkte handwerklicher Individualtechnik vom Markt verdrängen. Es muß daher ein Anliegen sein, die Exporttätigkeit von Handwerksunternehmen zu fordern. Nur so kann das Handwerk insbesondere im Konsumgüterbereich aus der passiven Rolle in eine aktive gefuhrt werden.

1.4.2.2 Das Handwerk als Anbieter von Investitionsgütern mensbezogenen Dienstleistungen

und unterneh-

Die Zusammenstellung von Handwerkszweigen zu einer Gruppe von Investitionsgüteranbietern ist nicht unproblematisch. Dies gilt insbesondere für die Subsumierung das Bauhaupt- und Ausbaugewerbes zu den Investitionsgüterhandwerken. Hier wird der Konvention der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gefolgt und das Bauhandwerk dem Investitionsgütergewerbe zugeordnet, obwohl es den überwiegenden Teil seines Umsatzes mit privaten Bauherren erzielt (vgl. hierzu Kornhardt 1986). Unstrittig dürften jedoch die Technischen Investitionsgüterhandwerk, zu denen auch die Zulieferer des Metallgewerbes zu rechnen sind, dazugehören. Unter den Investitionsgüterhandwerken haben die metallverarbeitenden Handwerke ein besonderes Gewicht; knapp 40 000 Unternehmen zählen zum Metallhandwerk. Angesichts der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist die wirtschaftliche Situation des Metallhandwerks differenziert zu beurteilen, zumal es ein breit gefächertes Berufsspektrum umfaßt. In der Anlage A der Handwerksordnung zählen allein 35 Berufe zur Gruppe der Metallhandwerke. Im engeren Sinne werden jedoch zum Metallhandwerk die Metallbauer, die Maschinenbaumechaniker, die Werkzeugmacher, die Dreher, Feinmechaniker sowie die Metallformer und Metallgießer gezählt. Gemessen an der Zahl der Betriebe, Beschäftigten und des Umsatzes sind die Metallbauer und Maschinenbauer die bedeutendsten Handwerkszweige innerhalb dieser Gruppe. Die Werkzeugmacher sind mit ca. 2 900, die Dreher und Feinmechaniker jeweils mit 1 200 sowie die Metallformer und Metallgießer mit 140 Betrieben vertreten. Mit der Novellierung der Handwerksordnung und der Überarbeitung der Anlage A wurden die Maschinenbaumechaniker, die Werkzeugmacher, die Dreher und die Feinmechaniker zu einem Handwerk unter der Bezeichnung Feinwerkmechaniker zusammengefaßt. Im folgenden sollen, ähnlich wie bereits bei den Konsumgüterhandwerken, die Handwerke der Investitionsgütergewerbe und ihre Märkte kurz charakterisiert und die Wettbewerbsbeziehungen dargestellt werden.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

69

(1) Bauhauptgewerbe Marktcharakteristik: Die Bautätigkeit in Deutschland wird sehr umfassend statistisch dokumentiert. Unterschieden wird nach Wohnungsbau, Gewerblicher Bau und öffentlicher Bau. Der Wohnungsbau hat insbesondere nach der Vereinigung Deutschlands kräftig angezogen. Investiert wurde vor allem im Mehrfamilienhausbau. Einen beachtlichen Stellenwert hat auch der Einfamilienhausbau, der vor allem eine Domäne kleinerer handwerklicher Bauunternehmen ist. Der gewerbliche Bau ist stark konjunkturabhängig. In Wachstumsphasen werden Erweiterungsinvestitionen vorgenommen und neue Büro- und Produktionsstätten errichtet. Handwerksbetriebe sind insbesondere bei größeren Bauvorhaben vielfach als Subunternehmen in Arbeitsgemeinschaften (Arge) eingebunden. Der öffentliche Bau hat angesichts der Haushaltslage der Kommunen, der Länder und des Bundes seine Investitionen in vielen Bereichen zurückgefahren. Wettbewerb:

Das Handwerk dominiert im Bauhauptgewerbe. Die Industrie hat zwar in den letzten 10 Jahren Marktanteile hinzugewonnen, stellt allerdings nach wie vor hinsichtlich der Zahl der Unternehmen, der Beschäftigten und des Umsatz den kleineren Marktpartner. Die Wettbewerbsposition der kleineren Handwerksunternehmen ist oft insbesondere im Subunternehmerverhältnis gefährdet. Kooperation spielen im Baugewerbe inzwischen eine beachtliche Rolle. Das Instrument der Arbeitsgemeinschaften hat sich bewährt, zumal mittlerweile Regelungen getroffen wurden (z.B. Mustersatzungen), die zu einer Verringerung der Risiken beigetragen haben. Bei kleineren Bauvorhaben haben Handwerksunternehmen insbesondere im regional Umfeld ihrer Standorte einen Wettbewerbsvorteil. Mit zunehmender Größe des Bauprojektes intensiviert sich der Wettbewerb mit überregionalen Anbietern. In der Bauproduktion hat zwischenzeitlich ein beachtlicher Rationalisierungsprozeß stattgefunden.

(2) Ausbaugewerbe Marktcharakteristik: Zum Ausbaugewerbe zählen z.B. Kälte- und Schallschutzisolierer, Fliesenleger, Estrichleger, Maler und Lackierer, Elektroinstallateure, Klempner, Gas- und Wasserinstallateure sowie Zentralheizungs- und Lüftungsbauer. In der

70

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Regel handelt es sich um handwerkliche Tätigkeiten, die nicht oder nur in geringem Umfang standardisierbar sind und deshalb eine individuelle Lösung vor Ort verlangen. Dieses Marktprofil begünstigt kleine und mittlere Unternehmen. Wettbewerb:

Das Ausbaugewerbe steht nicht nur mit anderen Handwerksunternehmen im Wettbewerb, sondern auch und insbesondere mit der Schwarzarbeit. Zu unterscheiden sind auf der einen Seite Handwerksberufe, die ein hohes Maß an handwerklicher Qualifikation und Geschick erfordern und darüber hinaus technische Hilfsmittel erfordern, die nicht ohne weiteres verfügbar sind (z.B. Zentralheizungsund Lüftungsbauer). Auf der anderen Seite stehen Handwerke, für deren Ausübung ein relativ geringes Maß an Kenntnissen erforderlich ist und für deren Ausübung Hilfsmittel und Materialien in jedem Baumarkt zu erwerben sind (Maler, Fliesenleger). Während die erste Gruppe relativ unberührt ist von Schwarzarbeit, beschert das Doit-yourself den Unternehmen der zweiten Gruppe beachtliche Umsatzverluste.

(3) Technische Investitionsgüterhandwerke Marktcharakteristik: Wie bereits eingangs erwähnt wurden Maschinenbaumechaniker, Werkzeugmacher, Dreher und Feinmechaniker zu einem Handwerk unter der Bezeichnung Feinwerkmechaniker zusammengefaßt. Die ursprünglichen Berufsbezeichnungen vermitteln einen Eindruck über das breite Tätigkeitsspektrum dieser Metallberufe. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Unternehmen, die als Zulieferer für Industrieunternehmen tätig sind. Zuliefernde Handwerksunternehmen sind zumeist hochspezialisiert und auf dem neuesten Stand der Technik. Ihre Vorleistungen finden Eingang in einer Vielzahl von Industrieprodukten. Die Wettbewerbsbedingungen von Zulieferern unterscheiden sich deutlich von denen, die ein allgemeines Sortiment anbieten und für zahlreiche verschiedene Abnehmer tätig sind (vgl. Müller 1986; Fieten/Friedrich/Lageman 1997). Wettbewerb:

Technische Investitionsgüterhandwerke bedienen in der Regel einen spezialisierten, engen Markt mit klar strukturierten Beziehungen zu den Abnehmern. Nur wenige Unternehmen produzieren für den anonymen Markt. Der Wettbewerb ist dort besonders ausgeprägt, wo es sich um

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

71

Produkte oder Leistungen handelt, die standardisiert und relativ einfach kopierbar sind. Technische Investitionsgüterhandwerke, die im Zulieferbereich tätig sind, mußten sich den unterschiedlichen Strategien ihrer industriellen Abnehmer anpassen. Einerseits profitierten sie von dem Outscourcing der Industrieunternehmen, andererseits mußten sie sich behaupten, wenn ihre Abnehmer eine Verringerung der Zahl der zuliefernden Unternehmen anstrebten (Single Scourcing). Es ist darauf hinzuweisen, daß Unternehmen eines Handwerkszweigen selbstverständlich Produkte und Dienstleistungen auf verschiedenen oder auf mehreren Märkten anbieten können. So kann beispielsweise ein Feinmechaniker mit seinem Unternehmen auf dem Markt für Medizintechnik und / oder als Zulieferer für die Automobilindustrie tätig sein. Aus diesem Grund ist eine allgemeine Bestimmung der Wettbewerbsposition auf dieser Aggregationsebene nicht möglich. (4) Dienstleister für die gewerbliche Wirtschaft Die Bezeichnung Dienstleister für die gewerbliche Wirtschaft ist sicherlich nicht sehr präzise, weil an sich auch alle jene Metall- und Elektrohandwerke hierunter gefaßt werden könnten, die Reparatur- und Wartungsarbeiten für industrielle Produktionsanlagen vornehmen. Gleichwohl sollen zu dieser Gruppe zunächst die Gebäudereiniger gezählt werden. Aber auch Buchdrucker (z.B. Werbung, Prospekte, Verkaufskataloge, Preislisten) sind hier zugeordnet. Marktcharakteristik: Unter dem Stichwort „Outscourcing" und Privatisierung haben Industrieunternehmen wie auch staatliche Einrichtungen Anfang der achtziger Jahre damit begonnen, Arbeitsplätze in Tätigkeitsfeldern abzubauen, die nicht zum unmittelbaren Kern des Unternehmens zählten. Von dieser Entwicklung haben die Gebäudereiniger profitiert. Der Markt für Reinigungsdienstleistungen hat sich inzwischen aufgefächert und schließt zum Beispiel Sicherheitsdienste und Fassadenabdichtungen mit ein. Wettbewerb:

Die Zahl der Unternehmen im Gebäudereinigerhandwerk ist zwischen den Handwerkszählungen 1977 und 1995 kräftig angestiegen. Der Wettbewerb zwischen den Handwerksunternehmen hat sich erhöht. Dies hat auch dazu beigetragen, daß eine zunehmende Spezialisierung und Diversifikation der Unternehmen zu beobachten ist. Die Gebäudereiniger streben die Profilierung zum umfassen-

72

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

den Dienstleister für alle Angelegenheiten in Zusammenhang mit Immobilien an.

1.4.2.3 Wachsende, stagnierende und schrumpfende Marktbereiche des Handwerks Die kurze Beschreibung der Märkte und der Wettbewerbsbeziehungen des Handwerks im Konsumgüter- und Investitionsgüterbereich haben verdeutlicht, daß die bisherige Marktentwicklung recht unterschiedliche Perspektiven eröffnet. Die Klassifikation von Handwerkszweigen in wachsende, stagnierend oder schrumpfende Marktbereiche erfordert ein paar methodische Hinweise. Aus der Auflistung der jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten aller Handwerkszweige (1949 bis 1994) wurde eine Rangfolge der Wachstumsstärke abgeleitet. Hierbei wurde mit nominalen Umsatzwerten gearbeitet, was freilich eine Einschränkung der Aussagekraft der Zusammenstellung impliziert. Hohe Wachstumsraten sind sicherlich ein erster, aber noch kein zufriedenstellender Hinweis auf die Stärke des Handwerks im Wettbewerb. Erst ein Vergleich mit den Wachstumsraten der Referenzanbieter aus Industrie und Handel könnte einen zweiten Hinweis über die Wettbewerbsstärke des Handwerks vermitteln. In einem weiteren Analyseschritten wäre das jeweilige Marktvolumen zu ermitteln. Hierzu wäre eine präzise Abgrenzung der Märkte erforderlich, was jedoch in der empirischen Praxis an der Heterogenität des Angebot selbst innerhalb eines Handwerkszweiges an Grenzen stößt. An dieser Stelle wird auf detailliertere Marktanalysen verzichtet; sie würden ohnehin den Rahmen dieses Werkes bei 93 Handwerkszweigen sprengen. Tabelle 13 kann somit nur eine grob Einschätzung der Entwicklung in ausgewählten Handwerkszweigen widerspiegeln. An dieser Stelle soll ein Zwischenfazit der vorangegangenen Ausführungen gezogen werden. 1. Das Handwerk ist in den gesamtwirtschaftlichen Strukturwandel einbezogen, was unter anderem daran sichtbar wird, daß Dienstleistungen für diesen Wirtschaftsbereich immer bedeutsamer werden. 2. Das Produzierende Handwerk verliert im Konsumgüterbereich Marktanteile, hingegen ist die Entwicklung im Investitionsgüterhandwerk stabil bzw. die Marktposition konnte in Teilbereichen sogar ausgebaut werden. Zu den Märkten mit den größten Wachstumsaussichten für das Handwerk zählen die produktionsorientierten Dienstleistungen (Kommunikation und Datenverarbeitung, Betreuung von Eigenleistungen, Zulieferungen an die Industrie, Export von Handwerksleistungen, Individualtechnik, Wartung und Kundendienst).

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

73

Tab. 13 : Wachstumsintensive und wachstumsschwache Handwerkszweige Stark wachsende Handwerksbereiche:

Schwach schrumpfende Handwerkszweige

Kraftfahrzeugtechniker Augenoptiker Zahntechniker Orthopädiemechaniker Zweiradmechaniker Gebäudereiniger

Fleischerhandwerk Straßenbauer Radio- und Fernsehtechniker Uhrmacher Friseure Buchdrucker

Schwach wachsende Handwerkszweige

Stark schrumpfende Handwerkszweige

Bäckerhandwerk Feinwerkmechaniker SHK-Handwerke Femmeldeanlagenelektroniker Gold- und Silberschmiede

Herrenschneider Damenschneider Kürschner

3. Das Handwerk hat große Potentiale im Dienstleistungsbereich, weil es flexibel auf Nachfrageänderungen reagieren kann, weil es durch seine dezentralen Standorte über die räumliche Nähe zum Kunden verfugt, weil die Beschäftigten im Handwerk über eine beachtliche technische Kompetenz verfügen. 4. Der Strukturwandel wird maßgeblich durch technologische Neuerungen geprägt. Die Zeitspanne von der Entwicklung neuer Techniken bis zur Aufbereitung als Produkte für den Markt wird immer kürzer. Das Handwerk ist durch seine Funktionen in diesen Prozeß involviert und muß sich deshalb in immer kürzeren Zeiträumen auf neue Werkstoffe, neue Verfahrens- und Fertigungstechniken sowie Produkte einstellen (vgl. Kapitel II Punkt 1.4.4).

1.4.3 Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen ternehmensstrukturen

durch veränderte Un-

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lassen sich Unternehmensstrukturen aus verschiedenen Kennzahlen der Funktionsbereiche des Unternehmens ableiten. Stichworte wie Personalstruktur, Absatzstruktur, Lohnstruktur, Finanzstruktur usw. kennzeichnen die Vielfalt möglicher Inhalte des Begriffs „Unternehmensstruktur". An dieser Stelle soll jedoch die Organisation im Vordergrund des Interesses stehen. Betriebstypologien (vgl. Algermissen 1976) klassifizieren bestimmte Organisationsformen, mit denen Unternehmen bzw. Unternehmer glauben, die ihnen vom Markt gestellten Anforderungen bestmöglich erfüllen zu können. Anforderungen an die Betriebsform kommen von den Kunden, den Beschäftigten, den

74

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

gesetzlichen Auflagen, den technologischen Bedingungen, den Kapitalgebern und anderen Gruppen aus dem Umfeld des Unternehmens. Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Strukturmerkmalen werden zu Betriebstypen zusammengefaßt. Bei der Zusammenstellung einer Typologie werden bestimmte Strukturmerkmale in den Vordergrund gestellt und hiernach eine Ordnung bzw. Gruppierung geschaffen. Die Gruppierung selbst wird Klassifikation genannt (vgl. Hempel 1977).

1.4.3.1 Traditionelle Betriebsformen Handwerk

und moderne Unternehmenskonzepte

im

Die traditionelle handwerkliche Betriebsform ist ein idealtypisches Konstrukt, das jedoch in der öffentlichen Meinung stark verhaftet ist. Es tritt beispielsweise häufig dann in Erscheinung, wenn in Spielfilmen Handwerksbetriebe dargestellt werden (z.B. Meister Eder in der Kindersendung Pumuckel). Ein Handwerksbetrieb wird vielfach mit einer Werkstatt oder Backstube assoziiert. Traditionelle Werkzeuge dominieren das Bild, computergesteuerte Anlagen gibt es nicht. Statt heller, freundlicher Räume werden Handwerksbetriebe im Film eher dunkel und verstaubt dargestellt. Freilich gibt es solche Handwerksbetriebe auch, doch sie sind heute keineswegs charakteristisch für das Handwerk. Die Spannweite unterschiedlicher Betriebsformen im Handwerk ist beträchtlich. Sie reicht von Zulieferunternehmen mit modernster Technologie, eigener Forschungs- und Entwicklungsabteilung und in speziellen Marktsegmenten mit beachtlichen Weltmarktanteilen bis hin zu Betrieben, an denen die technische Entwicklung vorbei gegangen zu sein scheint. Dieses Erscheinungsbild spiegelt nicht selten die Philosophie der jeweiligen Unternehmen wider. Während einige Unternehmen aggressiv sich dem Wettbewerb stellen und das Ziel der Expansion verfolgen, fügen sich andere genügsam in eine gegebene Situation und wollen lediglich Ihr Auskommen. Das traditionelle Handwerksunternehmen ist in der Regel ein Ein-BetriebsUnternehmen, das sich über viele Generationen im Familienbesitz befindet und meistens am selben Standort seit Jahrzehnten seine Dienstleistungen und Waren anbietet. Der Verkauf und die Kundenakquisition erfolgt durch die Persönlichkeit der Handwerkerfamilie. Ihr Ansehen ist ausschlaggebend auch für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit. Die Handwerker - Kunden - Beziehungen sind oft erstaunlich stabil. Auch in der Kundschaft werden Beziehungen zu Handwerksunternehmen „weitervererbt". Wichtig für ein traditionelles Handwerksunternehmen ist das Vertrauen, das es in der Kundschaft am Ort genießt.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

75

Moderne Handwerksunternehmen arbeiten nach anderen Grundsätzen und mit anderen Philosophien. Sie orientieren sich am Markt, rechnen sehr viel genauer als ein traditionelles Handwerksunternehmen und stellen damit mitunter jene Vertrauensbasis zum Kunden etwas hinten an, auf die gerade der traditionelle Handwerksunternehmer setzt. Es versteht sich von selbst, daß mit den vorstehenden Beschreibungen nur das Spektrum der Betriebs- und Unternehmenskonzepte im Handwerk verdeutlicht werden soll. Mit den Aussagen ist keine empirisch analytischer Anspruch verbunden. Der Strukturwandel im Handwerk drückt sich unter anderem auch in einer zunehmenden Verbreitung von Mehr-Betriebs-Unternehmen aus. Mit dieser Bezeichnung werden die Unternehmen als organisatorisch leitende und die Betriebe als vorwiegend technisch ausfuhrende Einheiten verstanden. Zu den Mehr-Betriebs-Unternehmen zählen Unternehmen mit Filialen bzw. Zweigstellen. Aber auch die Bereitstellung eines Unternehmenskonzeptes (Franchising) für rechtlich selbständige Handwerksunternehmen kann als neuere Erscheinungsform handwerklicher Betriebstypen im Handwerk verstanden wer-

1.4.3.2 Filialisierung

und Franchising im Handwerk

Da die meisten Handwerksunternehmen auf räumlich relativ kleinen Märkten operieren, sind ihre Expansionsmöglichkeiten begrenzt. Die Absatzradien sind im Durchschnitt nicht größer als 50 km. Wachstum kann beispielsweise durch neue Produkte und Dienstleistungen erzielt werden oder aber durch eine räumliche Ausdehnung der Absatzradien. Zu den externen Wachstumsstrategien von Unternehmen zählt der Aufbau von Zweigbetrieben oder die Beteiligung an bzw. den Kauf von vormals eigenständiger Unternehmen. Für ein Handwerksunternehmen, das bislang nur an einem Standort präsent war, stellt die Eröffnung eines Zweitbetriebes eine beachtliche Herausforderung dar. Die Koordination der Betriebe hinsichtlich Personaleinsatz, Materialverteilung, Logistik, Abrechnung und Überwachung kompliziert sich mit der zunehmenden Zahl an Verkaufsstellen. Dennoch ist für viele Handwerksunternehmen die Expansion über Zweigstellen bzw. Filialen eine große Chance, die räumlichen Wachstumsbarrieren zu überspringen. Begriff: Filialen sind Verkaufsstellen oder Zweigbetriebe eines Unternehmens, von dem sie rechtlich und wirtschaftlich abhängig sind. In einigen Handwerkszweigen hat die Filialisierung inzwischen einen beachtlichen Stellenwert erlangt. Zu nennen sind hier beispielsweise die Handwerks-

76

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

zweige der Bäcker, Fleischer, Konditoren, Augenoptiker, Zahntechniker, Hörgeräteakustiker. Gründe für Filialisierung: • Vergrößerung der Absatzradien, •

Sicherung von Standorten,

• Präsenz in verschiedenen Stadtteilen und Städten, • Entwicklung zum Markenartikelunternehmen.

Mit der Filialisierung sind Vor- und Nachteile verbunden. Die wichtigsten Vorteile sind: • Marktpräsenz, Abwehr von Wettbewerbern, •

größeres Einzugsgebiet und damit Losgrößenvorteile,

• Corporate Identity schafft Werbe- und Marketingvorteile.

Als Nachteile können gewertet werden: • Meisterpräsenz in Filialen •

Logistikkosten



Personaleinsatz

• Koordinations- und Überwachungsaufwand

Im Rahmen der Filialisierung spielt die Meisterpräsenz eine wichtige Rolle, weshalb dieses Thema in Form eines Exkurses behandelt wird. Das Bundessozialgericht hatte kürzlich die Frage zu klären, ob die Kassenzulassung einer Filiale des Augenoptikerhandwerks von der Präsenz eines Meisters vor Ort abhängig gemacht werden darf (3 RK 25/94 vom 29.11.95). Das Gericht hat in seinem Urteil die Rechtsauffassung bestätigt, daß auch Filialen durch einen Meister des entsprechenden Handwerks zu fuhren bzw. zu überwachen seien. Die Forderung der Meisterpräsenz sei zwar in der HwO nicht ausdrücklich enthalten, ergebe sich aus ihr aber konkludent, insbesondere aus den Vorschriften über den Befähigungsnachweis (vgl. Badura 1992, S. 202). Die Meisterpräsenz sei wie der Befähigungsnachweis verfassungsrechtlich als Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG wegen des schutzwürdigen Gemeinschaftsinteresses an der Erhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des Handwerks gerechtfertigt (BVerfGE 13, 97, Seite 115 ff, abgedruckt in Aberle, 1994).

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

77

Diese Rechtsauffassung wird von den vielen Filialisten vehement kritisiert. Sie sehen in erster Linie die erhöhten Personalkosten, die für sie durch die Anstellung eines Meisters in jeder Filiale entstehen. Strittig in diesem Zusammenhang ist die Auslegung des § 7 der HwO. Dort heißt es: „Eine juristische Person wird in die Handwerksrolle eingetragen, wenn der Betriebsleiter die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt. Eine Personengesellschaft wird in die Handwerksrolle eingetragen, wenn für die technische Leitung ein persönlich haftender Gesellschafter verantwortlich ist, der die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt". Satz 1 ist vielfach als Ausnahmevorschrift von der Grundsatzerfordernis der Inhaberbefähigung angesehen worden, weil dort von einem Betriebsleiter, nicht jedoch von einem Betriebsleiter mit Meisterbrief die Rede ist. Häufig streben deshalb Nicht-Meister als Gesellschafter oder als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Handwerksrolleneintragung dieser juristischen Person an. Die Rechtsprechung hat daraufhin in zahlreichen Urteilen die Mindestanforderung an eine Betriebsleitung für die Handwerksrolleneintragung einer juristische Person zu bestimmen gehabt. Folgende Kriterien wurden in diesem Zusammenhang von den Gerichten formuliert (Vgl. Aberle, Kommentar zu § 7 Rdzf. 24 ff. In: Aberle 1996): 1. Der Anstellungsvertrag muß den geforderten Umfang und die Qualität der Betriebsleitung beinhalten. 2. Die Vergütung darf nicht erheblich unter dem sonst üblichen Meistergehalt liegen. Die Höhe des Gehaltes - so die Argumentation - ist das Gegenstück zu der geforderten meisterlichen Leitung des Betriebes. 3. Es werden auch Anforderungen an die Anwesenheitspflicht des Betriebsleiters gestellt (Residenzpflicht), um sogenannte „Strohmann - Verhältnisse" zu verhindern. Der Betriebsleiter muß rechtlich und tatsächlich in der Lage sein, an sämtlichen Werktagen während der üblichen Arbeitszeit das Betriebsgeschehen zu lenken. Schon aus diesem Grunde darf der Betriebsleiter in der Regel auch kein weiteres Arbeitsverhältnis haben. 4. Wird die Dienstleistung am Körper des Kunden erbracht, z.B. im Friseurhandwerk sowie in allen Gesundheitshandwerken, so ergeben sich erhöhte Anforderungen an die Präsenzpflicht des Betriebsleiters. Existenzgründung und Unternehmenswachstum können auch in Form des Franchising erfolgen.

78

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Begriff: Form der Kooperation, bei der ein Kontraktgeber (Franchisor) aufgrund einer langfristig vertraglichen Bindung rechtlich selbständig bleibenden Kontraktnehmern (Franchisees) gegen Entgelt das recht einräumt, bestimmte Waren oder Dienstleitungen unter Verwendung von Namen, Warenzeichen, Ausstattung oder sonstiger Schutzrechte sowie der technischen und gewerblichen Erfahrung des Franchisegebers und unter Beachtung des vom letzteren entwickelten Absatz- und Organisationssystems anzubieten (Dümpel 1990). Der Franchisegeber bietet ein Unternehmenskonzept an. Seine Partner erwerben ein Nutzungsrecht und fuhren regelmäßig einen festgelegten Beitrag ab. Die Intensität der Bindung wird vertraglich geregelt. In der Bundesrepublik gibt es inzwischen rund 500 Anbieter von Franchise - Unternehmenskonzepten mit insgesamt etwa 22 000 Franchisepartnern und es werden offenbar immer mehr (vgl. Berg 1995). Der Franchise-Vertrag begründet ein Dauerschuldverhältnis mit Rechten und Pflichten für beide Vertragsparteien. Er stellt einen komplizierten Typenkombinationsvertrag mit Elementen der verschiedensten Vertragstypen dar, oft ähnlich dem Vertragsverhältnisses eines Handelsvertreters, eines Vertragshändlers oder Subunternehmers. Dabei ist zu beachten, daß es kein gesondertes Franchise - Recht, jedoch eine ausgeprägte Rechtsprechung dazu gibt. Franchise - Verträge schränken gelegentlich die unternehmerische Freiheit des FranchiseNehmers in unzulässiger Weise ein und verstoßen gegen die Prinzipien der Ausgewogenheit und Fairneß von Leistung und Gegenleistung gemäß § 9 AGB. Diese Beeinträchtigungen werden besonders dort deutlich, wo aus Gebietsschutz eine Gebietsbeschränkung wird, wenn Kalkulationshilfen sich als Verkaufspreisbindung entlarven und Abnahmerechte von Material, Maschinen und Werkzeugen in Bezugsbindungen verkehrt werden. Der Franchise-Vertrag basiert auf einer vertikalen Absatzstruktur. Er darf dadurch aber nicht dazu führen, daß der Franchise-Geber alle Rechte besitzt, die Pflichten allerdings nur dem Franchise-Nehmer aufgelastet werden. Es bedarf deshalb, wie bei jeder Existenzgründung, einer fachlich fundierten Prüfung des Franchisesystems nach unternehmerischen Kriterien (vgl. Dünisch 1997). Hinzuweisen ist auf eine Verordnung der EU - Kommission vom 30.11.1988 (Nr. 4087/88) über Rahmenbedingungen für Franchise - Vereinbarungen. Explizite Vorschriften für die Vertragsform enthält diese Verordnung freilich auch nicht. Prinzipiell lassen sich Vor- und Nachteile nennen. Die Vorteile sind: •

Fertiges Konzept,



Know-how Transfer durch Franchisegeber,



Finanzhilfen durch Franchisegeber,

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland •

79

Marketingvorteile durch überregionalen Marktauftritt und Werbung

Die Nachteile sind: •

Ein Verbundsystem ist anfallig, wenn zentral Fehler in der Werbung oder im Marketing gemacht werden,



Einschränkung der Selbständigkeit,



Regelmäßige Belastung durch Franchisegebühr,



komplizierte Vertragsgestaltung.

Franchisesysteme sind nicht auf bestimmte Branchen begrenzt. Vielmehr sind sie in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen vorzufinden. Der DEUTSCHE FRANCHISE VERBAND E . V . hat in seinem Jahresbericht die größten Franchisesysteme in Deutschland vorgestellt und die Zahl der ihnen angeschlossenen Franchisenehmer veröffentlicht (vgl. Tabelle 14). Nicht alle Franchisesysteme betreffen Märkte des Handwerks, doch ein größerer Teil davon. Die Franchisenehmer können einerseits Konkurrenten des Handwerks sein (z.B. Eismann für die Nahrungsmittelhandwerke, Quick-Schuh für das Schuhmacherhandwerk), andererseits sind auch viele Handwerksunternehmen bestimmten Franchisesystemen angeschlossen (z.B. Tischlereiunternehmen dem Vertriebssystem des Türenherstellers Portas). Im Handwerk sind weitere kleinere Franchisesysteme vertreten, wie z.B. Awell (Gebäudereinigung), Biffar (Bauelemente), Essanelle (Friseursalons), Coiffeur (Friseursalons), Ex-Rohr (Rohrreinigung), Novus (Glasreparatur), Picobello (Schuhund Schlüsseldienst), Depita (Zahntechnik), Finestra (Raumausstattung) und Keramag (SHK - Handwerk). Franchisesysteme bieten insbesondere für Existenzgründer günstige Einstiegsbedingungen. Das Risiko des Markteintritts kann durch bewährte Produkt-, Herstellungs- und Vertriebsstrategien gemindert werden. Kleine und mittlere Unternehmen können von den Erfahrungen und Erkenntnissen anderer Franchisenehmer des Systems profitieren. Gute Franchisesysteme sehen einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch zwischen den Franchisenehmern sowie eine Betreuung (Schulung) durch die Zentrale vor (vgl. Clemens 1988). Der DEUTSCHE FRANCHISE-VERBAND E . V . berät nicht nur bei der Vertragsgestaltung, sondern hat auch Schlichtungsstellen bei verschiedenen Amtsgerichten eingerichtet. Sie sollen im Streitfall zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer vermitteln.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

80

Tab. 14: Die größten Franchisesysteme in der Bundesrepublik und die Zahl der ihr angeschlossenen Franchisenehmer Systemname

Geschäftstätigkeit

NBL

aBL

Porst

581 249

2095

Deutschland 2676

Musikschule Fröhlich

Foto-u. Elektronikhandel Musikschule

Eismann

Tiefkühlheimdienst

234

1500

1734

Foto-Quelle "

Fotofachgeschäft

167

1120

1287

Getifix

Werterhaltung in und an Gebäuden

133

278

Portas

Tür- u. Küchenrenovierung

145 78

154

Quick-Schuh

Schuhgeschäfte

73

349

232 422

Kleenother

Textilpflege

70

Schülerhilfe

Bildung Mobiler Lebensmittel vertrieb

60 60

Vertrieb von Wohnbauten

56 55

Mawedur

Bildung Herst, u. Vertrieb von Fassaden

Cosy-Wash

Autowaschanlagen

Reiseland

46

46

Kulsa

Reisebüros Immobilienberatung

Goodyear

Reifenhandel, Autoservice

36

134

170

OBI

Bau- u. Heimwerkermärkte

35

225

260

Quickbox

Kiosk- und Imbißbetriebe Mauerwerksabdichtung

33

Stop and Shop Cortin Studienkreis

Isotec McDonald's

249

70 317

377 60

182

50

237 50

49

49

56

40

40

33 32

32

Gastronomie

309

309

First Clean Park

Reisebüros SB-Autowaschanlagen

285

285

200

200

Sunpoint

Sonnenstudios

180

180

Aufina

141

141

128

128

Ihr Platz

Immobilienberatung, Finanzdienstleistungen Möbel Drogeriewaren

127

TUI

Reisebüros

124

127 124

Folia Tec

Kfz - Fensterfolien

117

117

Ayk Beauty-Sun

Sonnenstudios

117 7937

117 10086

Thomas-Studio

2149 1) einschließlich Bild- und Filmstellen; Stand 1994

Quelle: Deutscher Franchise - Verband e.V. (Hrsg.), Jahrbuch Franchising 1994, Frankfurt a. M. 1994

1.4.4 Einfluß neuer Technologien auf das Handwerk Wesentliche Veränderungen der letzten Jahrzehnte im Handwerk sind durch die technische Entwicklung bedingt. Sie betreffen das handwerkliche Unternehmen als Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen direkt oder indirekt dadurch, daß sie das Umfeld verändert, in dem der Handwerksbetrieb arbeitet. Vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung gewinnt

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

81

die Entwicklung neuer Techniken, Produkte und Verfahren für die Leistungsund Wettbewerbsfähigkeit des Handwerks zunehmend an Bedeutung (vgl. ZDH 1983). Die Technologie mit den intensivsten und nachhaltigsten Auswirkungen ist zweifellos die Mikroelektronik. Die unglaubliche Verbesserung des Preis-/ Leistungsverhältnisses bei elektrischen Schaltungen um den Faktor 10 000 in den zurückliegenden Jahren, die ständige Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit von Mikroprozessoren und ihre wachsende Zuverlässigkeit haben zu einer schnellen und weiten Verbreitung gefuhrt. Dieser Prozeß ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Mikroelektronik ist bereits heute fester Bestandteil der Fertigungs- und Verfahrenstechnik, der Büround der Kommunikationstechnik, der Energie- und Haustechnik, der Satz- und Drucktechnik, der Medizintechnik, der Kraftfahrzeugtechnik, der Musik- und Unterhaltungstechnik. Herkömmliche Geräte und Verfahren wurden durch die Verwendung der Mikroelektronik leistungsfähiger und billiger. Viele neuartige Anwendungsgebiete werden durch sie überhaupt erst erschlossen. Das trifft sowohl für den handwerklichen wie auch für den nichthandwerklichen Bereich zu. Die Steuerungs- und Regelungstechnik hat durch die Elektronik ungeahnte Fortschritte gemacht. Die Verwendung von Sensoren und Aktoren sowie von speicherprogrammierbaren Steuerungen sind Stand der Technik. Das Handwerk muß sich mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen. In der Fertigungstechnik hat in der zurückliegenden Zeit eine dauernde Produktivitätssteigerung stattgefunden. Anlaß hierfür waren vornehmlich steigende Personal- und Personalnebenkosten. In der Großindustrie bewirkte das eine zunehmende Automatisierung der Fertigungsverfahren. Die Rationalisierung konnte um so wirkungsvoller vorangetrieben werden, je höher die zu fertigenden Stückzahlen waren. Wo es um die Erfüllung spezieller Kundenwünsche ging, lag das Betätigungsgebiet der handwerklichen Zulieferer. Heute ist die Industrie in der Lage, selbst eine große Typenvielfalt bei geringeren Stückzahlen zu realisieren. Daß dies wirtschaftlich möglich geworden ist, hängt mit dem wachsenden Einsatz numerisch gesteuerter Werkzeugmaschinen zusammen oder in letzter Konsequenz mit der Entwicklung sogenannter flexibler Fertigungssysteme, bei denen neben CNC-Maschinen hochentwickelte Handhabungsgeräte eine bedeutende Rolle spielen. Diese Entwicklung beeinflußt das Handwerk bereits heute in starkem Maße (vgl. Harpich/Krüger/Nagel/Schlicht 1990). Weitere Einflüsse werden sich aus der immer stärker um sich greifenden computergestützten Konstruktion und Fertigung (CAD/CAM-Systeme) ergeben.

82

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Hier sind vor allem die Zulieferer betroffen. Die Auswahl von Zulieferbetrieben wird künftig in hohem Maße davon abhängen, inwieweit sie in der Lage sind, mit ihren Auftraggebern im modernen Datentransfer zu kommunizieren. Das Spektrum der Werkstoffe, die dem Ingenieur oder Handwerker zur Verfügung stehen, wird immer breiter, aber auch unübersehbarer. Nahezu alle technischen Eigenschaften lassen sich durch entsprechende Werkstoffauswahl, durch Legierungstechnik, durch chemische Zusammensetzung oder geeignete Behandlungsverfahren realisieren. Besondere Bedeutung kommt den Verbundwerkstoffen zu, die die günstigen Eigenschaften verschiedener Werkstoffe wie z.B. Metalle, Kunststoffe, Holz oder Mineralstoffe, optimal miteinander kombinieren. Für den Handwerker heißt das, sich immer wieder auf neue Materialien einzustellen, ihre Eigenschaften und ihre Verarbeitung kennenzulernen. Das Handwerk ist durch die Installation, Wartung, Reparatur und Kundenberatung immer wieder mit der technischen Entwicklung neuer Produkte sowie neuen Verfahren konfrontiert. Nicht in allen Betrieben wird eine systematische Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter gefördert. Vielfach geschieht die Einfuhrung neuer Techniken im Handwerk durch „learning by doing". Bei umfassenden technischen Veränderungen nehmen die Unternehmen vorzugsweise das Schulungsangebot der Hersteller von Maschinen wahr (vgl. d'Amboise 1989). In der Umsetzung neuer Technologien und Techniken wird für das Handwerk vielfach ein Defizit konstatiert. Dies wird vor allem aus dem Befund abgeleitet, daß Handwerksunternehmen das umfassende Beratungsangebot der Kammern und anderer Anbieter von beruflichen Fort- und Weiterbildungskursen relativ zu anderen Wirtschaftsbereichen in zu geringem Maße annehmen (vgl. de Pay, 1986 sowie Hofstetter 1991).

1.4.5 Die Arbeitsintensität handwerklicher Produktionsweise blem der Lohn- und Lohnzusatzkosten

und das Pro-

Das Handwerk hat in den zurückliegenden Jahrzehnten Einbußen an der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung hinnehmen müssen. Bei der Suche nach der Ursache begegnet man immer wieder Verlautbarungen der Handwerksorganisation, wonach das Handwerk überproportional mit Personalzusatzkosten belastet sei. Das Handwerk sei im Wettbewerb durch die Personalkostenzusatzbelastung vor allem gegenüber der Schwarzarbeit benachteiligt. Es wird dabei die These vertreten, daß die Wettbewerbsverzerrung im Handwerk deshalb besonders groß sei, weil im Handwerk je Beschäftigten absolut oder relativ höhere Personalzusatzkosten zu tragen seien als in der Industrie. Der Grund dafür liege in der arbeitsintensiven Produktionsweise im Handwerk oder anders ausgedrückt, am

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

83

durchschnittlich höheren Anteil des Produktionsfaktors Arbeit an der Wertschöpfung jener Güter und Leistungen, die typischerweise vom Handwerk angeboten werden und in Konkurrenz mit industriell gefertigten Substitutionsgütern stehen (vgl. Kucera/Kornhardt 1990). In einer Untersuchung im Auftrage der Niedersächsischen Kreishandwerkerschaften konnte diese Behauptung von der überproportionalen Belastung nicht bestätigt werden. Gleichwohl ist unbestritten, daß durch den wachsenden Anteil z. B. an Sozialversicherungsabgaben die Personalzusatzkosten in der Wirtschaft insgesamt eine problematische Höhe erreicht haben. Hinsichtlich der begrifflichen Abgrenzung der Personal- und Personalzusatzkosten gibt es in der Literatur keine einheitliche Meinung, zumal synonym gebrauchte Begriffe wie Arbeitskosten, Humanaufwand, Lohnaufwand, Lohnkosten, Mitarbeiteraufwand oder Personalgesamtkostenaufwand das Verständnis erschweren. Nach einer gebräuchlichen Methode lassen sich die Personalkosten in das Entgelt für geleistete Arbeit und Personalzusatzkosten aufteilen. Nach H E M M E R lassen sich Personalkosten in Anschluß an die Definition der amtlichen Statistik wie folgt aufgliedern: Überblick über die Struktur der Personalkosten Entgelt für geleistete Arbeit + Sonderzahlungen + Enteelt für arbeitsfreie Tage Bruttolohn / Gehalt + Aufwendungen für Versorgungseinrichtungen + Sonstige Personalzusatzkosten Personalkosten

(1) (2) (3) (4)

nachrichtlich: (1) + (2) + (3) + (4) = Personalzusatzkosten Quelle: Hemmer (1990) Die Personalzusatzkostenquoten sind in der deutschen Wirtschaft in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen (vgl. Abbildung 6). Der Anteil der gesetzlichen Kosten am Entgelt für geleistet Arbeit betrug in Unternehmen mit 50 und mehr Beschäftigen 1990 knapp 20 %. Die tarifvertraglichen und betrieblichen Kosten erreichten 25%. Das auszuzahlende Entgelt betrug mithin nur noch 55 % der unmittelbaren Personalkosten. Inzwischen dürfte sich die Belastung noch weiter erhöht haben.

84

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Abb. 6 Entwicklung der Personalzusatzkosten im Produzierenden Gewerbe

Personalzusatzkosten im Produzierenden G e w e r b e 50000 45000 40000 35000 30000 25000 20000

15000 10000 5000 0

Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft (in DM je Arbeitnehmer im Jahr; westdeutsches Produzierendes Gewerbe)

Der Anteil der Löhne und Gehälter am Umsatz im Handwerk betrug 1994 knapp 24 %. Hinzu kommen die gesetzlichen Sozialkosten mit einem Umsatzanteil von rund 5 %. Von 100 DM Umsatz werden nahezu 30 DM zur Deckung der Personalkosten benötigt. Die Handwerkszählung 1995 ergab für das Handwerk folgende Struktur der Sozialkosten (vgl. Tabelle 15a): Tab. 15a: Löhne und Gehälter sowie gesetzliche Sozialkosten im Handwerk j e Arbeitn e h m e r 2)

Im Verhältnis zum Umsatz

in D M

in %

Gesetzliche Sozialkosten 1994 j e Arbeit- im Verhält- im Verhältnis zu L ö h nis zum nehmer n e n und Umsatz Gehältern in % DM 1000 DM

33 815

23,7

39053129

L ö h n e und Gehälter U m s a t z 1994 i)

Insgesamt

in 1000 D M 793 016 237

187 927 563

Insgesamt

7027

20,8

4,9

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 1) O h n e Umsatzsteuer, 2 ) Angestellte Arbeiter u n d Auszubildende

Zu den gesetzliche Personalkosten gehören Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber, bezahlte Feiertage und sonstige Ausfallzeiten, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, sonstige gesetzliche Personalzusatzkosten. Die tariflichen und betrieblichen Personalzusatzkosten umfassen Urlaub (einschließlich Urlaubsgeld), Sonderzahlungen (Gratifikationen, 13. Monatsgehalt usw.), betriebliche Altersversorgung, Vermögensbildung und sonstige Personalzusatzkosten.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

85

In der Tabelle 15b wird der Aufteilung der Personalkosten noch einmal mit Hilfe eines Beispiels verdeutlicht. Zugrunde liegen die durchschnittlichen Personalzusatzkosten der Industrie und der Bauwirtschaft aus dem Jahre 1996. Tabelle 15b: Personalzusatzkosten in der deutschen Industrie und Bauwirtschaft 1996 West 80,70 36,80 davon:

43,90 davon:

27,50 4,10 4,80 0,40 19,20 8,50 7,10 1,20 7,90

Personalzusatzkosten je 100 D M Direktentgelt Insgesamt gesetzliche Personalzusatzkosten Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber bezahlte Feiertage Entgeltfortzahlung bei Krankheit Sonstige tarifliche und betriebliche Personalzusatzkosten Urlaub und Urlaubsgeld Sonderzahlungen betriebliche Altersversorgung Vermögensbildung Sonstige

Ost 71,20 28,40 davon:

28,40 3,30 4,50 0,80

34,20 16,00 4,20 0,80 0,20 13,00

Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) (Erläuterung: Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten)

Die Politik ist aufgefordert, für die Lösung der wachsenden sozialpolitischen Aufgaben neue Konzepte zu entwickeln. Die Altersstruktur der Bevölkerung sowie die Probleme auf dem Arbeitsmarkt werden auf absehbare Zeit Kosten verursachen, die mittelfristig nicht über die Verteuerung des Faktors Arbeit zu bezahlen sein werden. Ganz im Gegenteil, höhere Personalzusatzkosten tragen tendenziell dazu bei, die Arbeitsmarktlage zu verschärfen. Die Senkung der Lohnnebenkosten bzw. Lohnzusatzkosten ist nicht nur im Interesse der Unternehmen sondern auch der Arbeitnehmer.

1.5 Die „Performance" des Handwerks - Probleme und Perspektiven 1.5.1 Stärken und Schwächen im Wettbewerb Stärken und Schwächen im Wettbewerb differieren von Handwerkszweig zu Handwerkszweig, von Unternehmen und Unternehmen. Die folgenden Ausführung berücksichtigen daher lediglich generelle Entwicklungstrends im Handwerk.

1.5.1.1 Konsumgüterhandwerke dustrie

als Konkurrenten oder als Verteiler der In-

Das Handwerk konkurriert als Hersteller mit seinen Produkten in erster Linie gegen industrielle Erzeugnisse. Eine Tischlerei muß sich mit ihrem handwerk-

86

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

lieh hergestellten Kleiderschrank im Wettbewerb gegen ein entsprechendes industrielles Serienmöbel durchsetzen. Der Wettbewerb besteht zum einen in Qualität und Machart gegenüber der Möbelfabrik, zum anderen aber gegen den Möbelhandel, der die industriellen Produkte vertreibt. Das Handwerk kann in der Konkurrenz zu industriellen Serienproduktion vor allem dann reüssieren, wenn •

es sich von Industrieprodukten abhebt, z.B. durch Qualität, Originalität, besonderes Design oder anderes,



es individuelle Lösungen realisieren kann (z.B. eine Einbauschrank, der den baulichen Gegebenheiten angepaßt ist und auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmt ist),



es dem Kunden Zusatznutzen anbieten kann (z.B. Installation bzw. fachgerechter Aufbau, Beratung, Service, Reparatur etc.).

Dies gelingt allerdings auch nur dann, wenn der Kunde bereit und in der Lage ist, die Mehrkosten zu bezahlen, die durch die Individualität der Leistung entstehen. Ein Blick auf die genannten Wettbewerbsparameter zeigt, daß handwerkliche Vorteile vor allem mit einem hohen Personaleinsatz realisiert werden können. Angesichts steigender Personal kosten ist in den letzten 20 Jahren die Preisdifferenz zwischen vielen Industrieprodukten und Handwerksprodukten immer größer geworden. Mit zunehmendem Preisunterschied erhöht sich jedoch die Schwelle des Kunden, ein Handwerksprodukt dem Industrieprodukt vorzuziehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die industrielle Produktion hinsichtlich Qualität und Vielseitigkeit aufgeholt hat. In vielen Handwerkszweigen hat sich - nicht zuletzt als Ergebnis des industriellen Wettbewerbsdrucks- eine Verlagerung von reinen handwerklich produzierenden, be- oder verarbeitenden Tätigkeiten hin zu Handelstätigkeiten vollzogen. Damit sind Handwerksbetriebe funktional dem Einzelhandel sehr nahe gerückt. Insbesondere bei den Handwerksunternehmen, in denen mehr als die Hälfte des Umsatzes mit Handelsaktivitäten erzielt wird, kann man ohne weiteres von Handelshandwerken sprechen. Handel und Handwerk versehen damit im großen Ganzen die Rolle des Verteilers industriell erzeugter Produkte. Für diese Handwerke ergibt sich somit eine Veränderung der Wettbewerbsbeziehungen. Das handwerkliche Dienstleistungsangebot wird immer mehr zum zusätzlichen Service des verkauften Produkts und stellt nicht mehr den Hauptzweck des Unternehmens dar. Das Handwerksunternehmen konkurriert nun noch intensiver mit dem Handel. Es sollte hier nicht vorschnell der Schluß gezogen werden, mit dieser Entwicklung habe das Handwerk in diesen Bereichen seine Berechtigung verloren. Der auf handwerkliche Leistungen entfallende Umsatzanteil ist schließlich nur ein Merkmal und keineswegs das ausschlaggebende, um ein Unternehmen dem Handwerk zuzuordnen oder nicht. Das hand-

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

87

werkliche Angebot kann in einigen Marktsegmenten durchaus für den Konsumenten das ausschlaggebende Argument sein, dort und nicht im Einzelhandel zu kaufen. Die Umsatzentwicklung der letzten 20 Jahre zeigt, daß Handwerksunternehmen, die als Verteiler der Industrie tätig sind, durchschnittlich ein größeres Wachstum aufzuweisen haben, als solche, die sich der Industrie als Konkurrenten gestellt haben.

1.5.1.1.1 Demographische

Komponenten der

Nachfrageentwicklung

Die Inlandsnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wird in ihrer Höhe und Zusammensetzung maßgeblich von der Zahl der Bevölkerung, seiner Struktur nach Altersaufbau und Merkmalen wie Geschlecht, Familienstand u.ä. sowie von der Zahl und der Zusammensetzung der Haushalte bestimmt. Der demographische Wandel kann hierbei nachhaltige quantitative und qualitative Veränderungen der Nachfrage hervorrufen. Die Größe und Aufnahmefähigkeit der Konsumgütermärkte ist zunächst gekennzeichnet durch die Anzahl der Personen, die als potentielle Abnehmer in Frage kommen. Vor allem für die personenbezogene und relativ unelastische Nachfrage nach Gütern des Grundbedarfs ist die zahlenmäßige Bevölkerungsentwicklung von erheblicher Bedeutung. Die Zahl der Einwohner in der Bundesrepublik hat sich durch die Vereinigung von rund 62 Mio. auf 79,9 Mio. erhöht. Ende 1994 betrug die Einwohnerzahl Deutschland 81,4 Mio. Drei Variablen bestimmen maßgeblich die Bevölkerungsentwicklung: •

die Entwicklung der Geburtenrate



die Entwicklung der Sterberate und



die Bevölkerungswanderungen.

Seit Beginn der siebziger Jahre sterben jährlich mehr Einwohner als geboren werden. Der Bevölkerungszuwachs der letzten Jahre erklärt sich daher vor allem durch Zuwanderungen. Auf den Ergebnissen der Volkszählung aufbauend führen die Statistischen Ämter die Fortschreibung der Bevölkerung durch. Zur Bevölkerungsfortschreibung werden die Aufzeichnungen der Standesämter über Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle herangezogen. Die Fortschreibungsdaten werden ergänzt durch Ergebnisse der jährlich durchgeführten Mikrozensen, die eine Auswahl von 1 % der Bevölkerung erfassen. Durch Hochrechnungen können statistisch gesicherte Schlußfolgerungen für die Gesamtheit gezogen werden.

88

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Abb. 7: Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland

Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1996. Stuttgart 1996, S. 47.

Für die Handwerksunternehmen ist die Bevölkerungsentwicklung für die Beurteilung und Einschätzung der Marktentwicklung und damit der zukünftigen Absatzmöglichkeiten von Bedeutung. Hier interessiert zu einem die Frage nach der quantitativen Entwicklung der bisherigen und potentiellen Nachfrager und zum anderen die Frage nach den Bestimmungsfaktoren und Ausprägungen der Bedarfsartikulation. Die Altersstruktur in der Bundesrepublik Deutschland: Der Anteil der über sechzig]ährigen Bevölkerung wird nach einer Prognose der BBE bis zum Jahre 2040 auf nahezu 35% ansteigen (vgl. Abbildung 8). Auch für die nächsten Jahren rechnen alle Prognosen mit einer weiteren Zunahmen des Anteils dieser Altersgruppe. Verbesserte Gesundheitsvorsorge, Entlastung von schwerer körperlicher Arbeit während des Erwerbslebens und gesündere Ernährungsweisen haben zu einer höheren Lebenserwartung beigetragen. Diese Entwicklung stellt das Sozialversicherungssystem vor eine schwere Belastungsprobe. Immer weniger Erwerbstätige müssen höhere Leistungen für einen wachsenden Teil der Bevölkerung (Renten, Lohnersatzleistungen für Arbeitslosen etc.) aufbringen. Die zuvor beschriebene Belastung des Faktors Arbeit durch Personalzusatzkosten ist Resultat dieser Entwicklung.

89

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland Abb. 8: Entwicklung der Altersstruktur der Bundesrepublik Deutschland 1992 bis 2040

60,0

40,0

-jilnger als 20 - 2 0 bis 60

30,0

- ä l t e r als 60

1992

2000

2010

2020

2030

2040

Quelle: Eggert 1998

Eine Veränderung der Geburtenrate oder der Sterbeziffern ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Die Zuwanderung aus dem Ausland hat dazu beigetragen, den beschriebenen Trend in der Altersstruktur abzumildern. Die Verschiebungen in der Altersstruktur der Bevölkerung führen zu Veränderungen der Haushaltsgrößenstruktur: Tabelle 16 zeigt, daß schon seit 45 Jahren in der Bundesrepublik ein Vordringen der Ein- bis zwei Personen Haushalte zu Lasten der Haushalte mit 4 und mehr Personen festzustellen ist. Der Anteil der Kleinhaushalte mit weniger als zwei Personen weist zwischen 1970 und 1991 beachtliche Steigerungsraten auf. Hingegen ist der Anteil der größeren Haushalte mit 5 und mehr Personen im gleichen Zeitraum um 44 % zurückgegangen. Tab. 16: Zahl und Größe der Privathaushalte in Deutschland Haushaltsgröße

Hochgerechnete Anzahl der Haushalte in Mio.

Anteile in %

Veränderung in %

1970

1991

1970

1991

1995/70

1 - Person

6,1

10,0

27

35

+64

2 - Personen

6,2

8,7

27

31

+40

3 - Personen

4,3

4,7

19

16

9

4 - Personen

3,5

3,7

15

13

6

5- und mehr Personen

2,7

1,5

12

5

-44

Insgesamt

22,9

28,6

100

100

25

Quelle: Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland (Mikrozensuserhebung 1991).

Veränderte Lebensgewohnheiten (Zahl der Alleinstehenden, Scheidungsraten) sowie Verschiebungen der Altersstruktur tragen zu Verringerung der durch-

90

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

schnittlichen Haushaltsgröße bei. Die Auswirkungen der unterschiedlichen Haushaltstypen (Alter, Größe) auf die Konsumstruktur lassen sich durch ihre abweichenden Präferenzen und Realeinkommen erklären. Kleine Haushalte benötigen in der Regel kleinere Wohneinheiten, der Bedarf an Nahrungsmitteln konzentriert sich auf kleinere Mengen und Portionen, vielfach ist auch ein erhöhter Qualitätsanspruch in Hinblick auf Wohnungsausstattung, Freizeitverhalten und Lebensgewohnheiten festzustellen. Entscheidend für das Konsumverhalten ist jedoch das Realeinkommen. Abb. 9: Monatliches Nettoeinkommen pro Person

14-19

20-29

30-39

4049

50-59

60-«9

70 und mehr

Quelle: Eggert 1998; Monatliches Nettoeinkommen 1996 nach Alter des Haushaltsvorstandes, in DM.

Wie Abbildung 9 zeigt, liegt das monatliche Nettoeinkommen bei den über 50jährigen deutlich über dem Durchschnitt. Das hier zur Verfugung stehende Einkommen übersteigt das Entgelt der 20 bis 29-jährigen, die in der Regel im Erwerbsleben stehen. Dieser Befund rückt die älteren Konsumenten stärker in das Interessenfeld der Konsumgüterproduzenten. Handwerksunternehmen ist es anzuraten, regelmäßig eine Analyse der Sozialstruktur im Umfeld (d.h. im Absatzradius) ihres Unternehmens vorzunehmen. Eine strategische Orientierung an eine bestimmte Konsumentengruppe kann zu Wachstumsimpulsen verhelfen. Marktpotentiale scheinen insbesondere im Bereich der haushaltsbezogenen Dienstleistungen keineswegs ausgereizt. Der Einzelhandel hat auf die sich hier abzeichnenden Chancen bereits mit dem Einsatz mobiler Verkaufswagen reagiert. Für das Handwerk eröffnen sich insbesondere im Bereich wohnortnaher

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

91

Betreuung sowie im Facility - Management neue Marktfelder. Wegen der Verschiedenartigkeit des hier anfallenden Bedarfs an Handwerksleistungen bieten sich Kooperationen von Unternehmen aus verschiedenen Handwerkszweigen an.

1.5.1.1.2 Do-it-y ourseif und

Schwarzarbeit

In der öffentlichen Diskussion wird das Phänomen der Schattenwirtschaft seit vielen Jahren erörtert, wobei die Beurteilung sehr unterschiedlich ausfällt: Einerseits wird der Standpunkt vertreten, daß die Schattenwirtschaft für eine Reihe wirtschaftspolitischer Probleme - von der Arbeitslosigkeit über die Staatsverschuldung bis zur Krise der Sozialversicherung - zumindest mitverantwortlich ist. Andererseits wird die Ansicht vertreten, daß die Schattenwirtschaft einen legitimen Freiraum darstellt, in dem man sich unberechtigten und übermäßigen staatlichen Zwängen entziehen kann. Das Abwandern in die Schattenwirtschaft wird als Reaktion auf eine übertriebene Gängelung von Individuen und Unternehmen durch den Staat und seine Bürokratie empfunden. Zu unterscheiden ist zwischen Selbstversorgungswirtschaft und Freizeitwirtschaft auf der einen und Schattenwirtschaft auf der anderen Seite. Während die erste Gruppe alle jenen produktiven Leistungen umfaßt, die „offen" erbracht, aber - unter anderem wegen beträchtlicher Erhebungs- und Bewertungsprobleme - nicht zum Bruttosozialprodukt gerechnet werden (Haushaltsführung, Kindererziehung durch die Eltern, Produktion von Gütern und Dienstleistungen in Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe sowie ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen und Verbänden), finden schattenwirtschaftliche Aktivitäten verdeckt und in der Regel gegen Geld- oder direktem Tausch statt. Im einzelnen handelt es sich um •

legale Aktivitäten, die auch legal ausgeführt werden, aber der Erfassung durch die Steuerbehörden entzogen werden (Steuerhinterziehung)



legale Tätigkeiten, die illegal ausgeführt werden (Schwarzarbeit) sowie



illegale (kriminelle) Aktivitäten, (vgl. Pommerehne, Kirchgässner 1994)

Die gesellschaftliche Entwicklung in den modernen Industriestaaten ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß die Erwerbstätigen in wachsendem Ausmaß über Freizeit im Sinne von Nicht-Arbeitszeit verfügen. Unterstellt man eine vorwiegend komsumptive Verwendung der „Eigenzeit", so ist ein erhebliches Marktpotential für Branchen zu erwarten, die Güter oder Dienstleistungen für die Freizeitgestaltung anbieten. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist - und dies wird vom Handwerk beklagt - ,daß die Freizeit bzw. Nicht-Arbeitszeit zunehmend dafür verwendet wird, produktive Leistungen zu erbringen, die ge-

92

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

meinhin von Handwerksunternehmen angeboten werden. Damit gehen dem Handwerk Marktpotentiale verloren. Dies betrifft alle Formen der Eigenleistungen (Do-it-yourself) für den privaten Bedarf wie auch für die Schwarzarbeit. Beklagt werden daher die Bestrebungen zur Verkürzung der Arbeitszeit sowie die Frühverrentung von Arbeitnehmern, weil hierdurch eine ungleiche Wettbewerbsbeziehung zwischen offizieller Ökonomie und Schattenwirtschaft gefördert werden würde. Tatsächlich ist ein Schwarzarbeiter, der seine Einkünfte gegenüber dem Finanzamt verschweigt und auch keine Sozialversicherungsabgaben leistet, in der Lage, seine Leistungen günstiger anzubieten als beispielsweise ein Handwerksunternehmen. Nach einer B B E - S T U D I E fuhren vier von fünf Haushalten zahlreiche Handwerksarbeiten selbst aus: zwei von drei Haushalten streichen und tapezieren die Wohnung selbst jeder dritte Haushalt verlegt die Fußböden selbst. 25 % oder jeder vierte Haushalt fuhrt selbst Maurerarbeiten durch. Jeder sechste verfließt Wände und installiert elektrische Leitungen (vgl. BBE 1990).

Entscheidend für die rasante Entwicklung des „Do-it-yourself und Schwarzarbeit sind mehrere Faktoren, dazu zählen: die Steigerung des durchschnittlichen Monatsbruttoeinkommens der Arbeitnehmer, die Reduzierung der tariflichen Wochenarbeitszeit, die Erhöhung des tariflichen Jahresurlaubs, sowie sozialpolitische bzw. arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, wie z.B. der vorzeitige Ruhestand.

Die Verbreitung von Do-it-yourself wurde unter anderem auch durch vereinfachte Handwerkstechniken ermöglicht. Baumärkte bieten heute relativ einfach zu verarbeitende Materialien und Hilfsmittel an, für deren Verwendung frühere aufwendigere Maschinen und spezielle Fachkenntnisse erforderlich waren. Entsprechende Anleitung und Bücher helfen darüber hinaus, bestimmte handwerkliche Leistungen selbst zu erbringen. Erst wenige Handwerksbetriebe haben die sich aus diesem Trend ergebenden Chancen erkannt und bieten den Heimwerkern Unterstützung und Beratung an. Eine kooperative Erbringung von Handwerksarbeiten können für beide Seiten von Vorteil sein. Der Heimwerker erhält eine fachmännische Anleitung und Beratung, das Handwerksunternehmen verkauft Materialien und übernimmt den Teil der Arbeiten, der über das Können des Heimwerkers hinausgeht.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

93

Im Februar 1995 trat das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (SchwArbG) in Kraft. Dort werden folgende Ordnungswidrigkeitstatbestände genannt(§ 1). „ Ordnungswidrig und

handelt, wer Dienst- oder Werkleistungen in erheblichem Umfang erbringt

- als Empfänger von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bzw. als Bezieher anderer Lohnersatzleistungen wie Krankengeld, Verletztengeld oder laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit aufnimmt, ohne den Leistungsträger davon zu unterrichten, - ein unangemeldetes stehendes Gewerbe betreibt oder einem Reisegewerbe ohne die erforderliche Reisegewerbekarte nachgeht, oder - ein Handwerk als stehende Gewerbe betreibt, ohne in der Handwerksrolle

eingetragen zu

sein".

War bisher nur die Verletzung der Mitwirkungspflicht gegenüber einer Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit bußgeldbewehrt, so gilt dies nunmehr auch für die Verletzung der Mitteilungspflicht gegenüber einem träger der gesetzlichen Kranken-, Unfall- oder Rentenversicherung oder einem Träger der Sozialhilfe (vgl. Erdman 1996, S. 19). Eine erfolgversprechende Politik zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft wird an den Ursachen ansetzen müssen und das heißt, eine effiziente Beschäftigungspolitik forcieren. Höhere Strafen und intensivere Kontrollen allein bekämpfen nur die Symptome, ändern aber nichts an den Ursachen und versprechen daher wenig Erfolg.

1.5.1.2 Investitionsgüter- und Zulieferhandwerke im Zeichen der Europäisierung, der Internationalisierung und der Globalisierung. In Kapitel II Punkt 1.4.2.2 wurde dargestellt, welche Handwerkszweige den Investitions- und Zulieferhandwerken zuzuordnen sind. Dort wurden die wesentlichen Entwicklungstrends und Probleme im Wettbewerb der letzten 20 Jahre dargestellt. An dieser Stelle geht es um die zukünftigen Herausforderungen der Handwerksunternehmen, die mit ihrem Leistungsangebot auf Investitionsgütermärkte ausgerichtet sind. Unter den Stichworten Internationalisierung und Globalisierung werden seit einiger Zeit auch in der deutschen Öffentlichkeit Strukturveränderungen der Weltwirtschaft diskutiert, die durch eine Intensivierung der Welthandelsströme und der Direktinvestitionen gekennzeichnet sind. Mit der Globalisierung der Märkte werden auch Ängste thematisiert, die sich auf die zunehmende Ausbe-

94

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

reitung transnationaler Unternehmen sowie die geringeren Steuerungsmöglichkeiten der nationalen Wirtschaftspolitiken beziehen. Die Globalisierung führt dazu, daß auch kleine und mittlere Unternehmen auf dem heimischen Markt durch das Auftreten ausländischer Wettbewerbe erstmals ernsthaft im Frage gestellt werden, die bislang als „unantastbar" galten. Die Zulieferwirtschaft ist in erheblichem Maße von den Auswirkungen des Globalisierungsprozesses betroffen. Eine Untersuchung im Auftrage des Bundesministeriums für Wirtschaft kommt zu dem Ergebnis, daß sich insgesamt allerdings erst nur ein kleiner Teil der KMU im Zuge der Globalisierung der Märkte gezwungen sieht, mit ausländischen Wettbewerbern zu konkurrieren (vgl. Fieten/Friedrich/Lageman 1997). Die überwiegende Zahl aller KMU operiert auf lokalen und regionalen Märkten, die nur indirekt von der Globalisierung betroffen sind. Die mittelständischen Zulieferer (zu denen auch ein empirisch nur schwer zu quantifizierender Teil an Handwerksunternehmen gehört) geraten insbesondere deshalb unter Anpassungsdruck, weil die großen transnationalen Unternehmen in immer stärkeren Maße von den Möglichkeiten der globalen Beschaffung Gebrauch machen. Die Verringerung der Fertigungstiefe in den Montagewerken der Endprodukthersteller führt zwar zu einem größeren Wertschöpfungsanteil der Zulieferer, hieraus resultiert aber nicht zwangsläufig ein größeres Marktvolumen für Zulieferungen durch mittelständische Unternehmen. Vor dem Hintergrund der durch die Globalisierung induzierten Veränderungen im Markt- und Wettbewerbsumfeld stehen kleine und mittlere Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Anstrengungen im Bereich Forschung und Technologie zu steigern, ihre Geschäftsbeziehungen zu analysieren, die Betreuung der Kunden zu intensivieren, die Produktpalette zu überdenken und im Produktionsprozeß Maßnahmen zu ergreifen, die Effizienz zu erhöhen. In der modernen Managementlehre ist bekannt, daß sich erfolgreiche Unternehmen vor allem durch drei Strategien auszeichnen: •

Sie konzentrieren sich auf einen sorgfältig ausgewählten Kundenkreis, sie wissen genau, was sie für diese Kunden und deren Bedürfnisse tun können, und setzen alles daran, diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.



Sie zeigen außergewöhnliche Fähigkeiten bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen mit ausgesprochen hohem Kundenwert.



Sie realisieren die effektivsten Möglichkeiten zur Verbindung der Kundensegmente mit ihrem Produkt-/Leistungsprogramm und erschließen wirksame Absatzkanäle; ihnen gelingt damit ein überzeugender Marktauftritt (vgl. Simon 1996).

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

95

Handwerkliche Zulieferer sind vor allem in den Metall- und Elektrohandwerken zu finden. Die Bestimmung und Klassifizierung von Unternehmen als Zulieferer ist nicht einfach, da nur wenige von ihnen ausschließlich Vorleistungen für andere Endprodukthersteller erbringen. Bereits die Unterscheidung zwischen Vorprodukt und Endprodukt kann im Einzelfall umstritten sein. Auch die Frage, wie hoch den Anteil der Zulieferungen am Umsatz sein sollte, um zuverlässig ein Unternehmen als Zulieferer zu klassifizieren, ist problematisch. Gleichwohl sollte man die Problematik der Globalisierung für handwerkliche Investitionsgüterhersteller nicht unterschätzen. Ein Rundgang auf der HANNOVER-MESSE kann helfen, einen Eindruck über die Vielfalt handwerklicher Betätigung im Zulieferwesen zu erlangen. Einige Unternehmen zeigen Qualitäten von heimlichen Marktführern, auch wenn das Marktsegment oft recht klein und für die Öffentlichkeit unscheinbar ist. Die Messe bietet für Unternehmen der technischen Investitionsgüterhandwerke eine konzentrierte Marktübersicht. Darüber hinaus sind hier die Möglichkeiten für KMU besonders gut, Kontakte zu neuen Abnehmern zu knüpfen sowie auch Auslandsgeschäfte anzubahnen (vgl. Müller 1985 sowie Müller 1987). Den technischen Investitionsgüterhandwerken bieten sich im Zulieferwesen vor allem dann gute Chancen, wenn sie sich von standardisierten Produkten trennen und ihren industriellen Kunden Problemlösungen anbieten. Hierzu wird es mitunter erforderlich sein, nicht vorliegende Fachkompetenz in bestimmten Bereichen durch Kooperationen bzw. Arbeitsgemeinschaften zu ergänzen. Die technische Entwicklung führt - wie bereits gezeigt wurde - zu einer zunehmenden Vernetzung unterschiedlicher Marktsegmente. Es müssen daher auch alle Möglichkeiten ausgelotet werden, ob nicht bestehende Produkte oder technische Lösung auch in anderen Bedarfsfeldern sinnvoll eingesetzt werden können.

1.5.1.3 Handwerk als Dienstleister für gewerbliche

Abnehmer

Untersuchungen zum Strukturwandel der hochentwickelten Volkswirtschaften der westlichen Industrieländer bestätigen einen säkularen Entwicklungstrend zugunsten der Dienstleistungsbereiche, namentlich der industrienahen Dienstleistungen. Industrienahe Dienstleistungen haben in der Vergangenheit zur Expansion des Tertiärbereichs beigetragen. Anders als die klassische DreiSektoren-Theorie von CLARK und FOURASTIE vermuten läßt, stehen die unternehmensnahen Dienstleistungen offenbar eher in einem komplementären als in einem substitutiven Verhältnis zueinander. Von einer Verdrängung des industriellen Sektors durch die Dienstleistungen kann nicht gesprochen werden. Der Trend einiger Industrieunternehmen in jüngster Zeit, ihr Betätigungsfeld auf Kernkompetenzen zu begrenzen, fuhrt zum sogenannten Outscourcing von

96

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Leistungen, die vielfach vom Handwerk erbracht werden können. Dies gilt beispielsweise für alle Formen der Reinigung, Wartung, Montage, Überwachung und Notfallbereitschaft. Produktionsorientierte Dienstleistungen gelten als Wachstumsmärkte (vgl. Döhrn/Graskamp/Löbbe/Scheuer 1995). Nachfolgende Abbildung 10 vermittelt einen Eindruck über das Spektrum unternehmensnaher Dienstleistungen, von denen der überwiegende Teil dem handwerklichen Leistungsangebot zumindest verwandt ist. Abb. 10: Übersicht über Formen industrienaher Dienstleistungen Datenverarbeitung Softwareerstellung Forschung Entwicklung Konstruktion Design Technische Planung Engineering Beratung Marktforschung Schulung, Weiterbildung Dokumentation Rechnungswesen, Buchführung

Wartung Montage Entsorgung Lagerhaltung Transport Vermietung, Anmietung (Leasing) Werbung Bewachung Schreibarbeiten, Übersetzungen Arbeitsvermittlung Analysen und Messungen Ausstellungs- und Messewesen Reinigung

Quelle: Haß (1995),Seite 9

Folgende Beispiele mögen verdeutlichen, in welchen Dienstleistungsbereichen das Handwerk konkrete Möglichkeiten zur Expansion bzw. Erschließung zusätzlicher Marktfelder hat: 1. Kooperationen zur Beschäftigungssicherung und zur Erschließung neuer Dienstleistungsbereiche am Beispiel umfassender Energiedienstleistungen/ Wärmelieferung durch das Sanitär-Heizung-Klima-Handwerk, 2. Neue Dienstleistungen durch neue Technologien am Beispiel des Lasereinsatzes im Zahntechnikerhandwerk und neue Dienstleistungen im Handwerk am Beispiel der Gebäudeleittechnik, 3. Erhöhung der Dienstleistungskompetenz durch neue Formen der Kooperation am Beispiel des Bauhandwerks, 4. Erschließung potentieller Dienstleistungsfelder im industrienahen Handwerk (Zulieferung, Service für Industrieunternehmen), 5. Stärkung und Verankerung des Handwerks auf dem wachsenden Markt des Facility - Managements

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

1.5.1.4 Neue Betätigungsfelder

97

des Handwerks int Umweltschutz ?

In der öffentlichen Meinung hat der Umweltschutzgedanke einen hohen Stellenwert erlangt. Ein großer Teil der Bevölkerung sieht in der Umweltverschmutzung eine Einbuße an Lebensqualität und eine wachsende Gefahr für die Zukunft nachfolgender Generationen. Es läßt sich mithin eine höhere Sensibilität bei den Bürgern in Sachen Umweltschutz feststellen. Dies drückt sich u.a. in einer geringer gewordenen Toleranz und Akzeptanz von umweltbelastenden Produktionsanlagen und Produkten durch die Bevölkerung aus. Umweltfreundliche Produktionsverfahren und Produkte sowie die Recyclingfähigkeit ausgedienter Produkte sind längst nicht mehr Merkmal für ein fortschrittliches Unternehmen, sondern zwingende Notwendigkeit. Der Staat hat auf diese Entwicklung mit einer erweiterten Umweltschutzgesetzgebung reagiert, die neue oder erheblich verschärfte Umweltschutzauflagen für die Betriebe vorsehen. In diesem Zusammenhang werden auch die Fertigungsverfahren und Produkte der kleinen und mittleren Unternehmen des Handwerks einer kritischen Prüfung nach Umweltgesichtspunkten unterzogen. Neue oder zusätzliche gesetzliche Auflagen stellen die Handwerksunternehmer zunehmend vor das Problem, auf die Anforderungen des Umweltschutzes zu reagieren. Sie tun dies zumeist noch passiv und sehen in erster Linie die damit verbunden Kosten. So notwendig es auch ist, die Frage nach den Kosten und damit nach der „Ökonomieverträglichkeit des Umweltschutzes" (vgl. Klemmer 1989 sowie Klemmer 1990, S. 262) zu stellen, so darf nicht übersehen werden, daß der Markt für Umweltschutzgüter auch neue Chancen eröffnet. So ist das Handwerk, und hier insbesondere das technische Investitionsgüterhandwerk, in seiner Funktion als Technikentwickler, Technikproduzent, Technikverkäufer, Technikbetreuer, Technikentsorger und Techniknutzer häufig unmittelbar mit den Problemen der Umsetzung von umweltschonenden Technologien befaßt. Auch das Baugewerbe wird zunehmend mit Fragen des Umweltschutzes konfrontiert, wenn man allein an die Probleme der Beseitigung von asbesthaltigem Bauschutt denkt. Im Konsumgüterbereich bieten sich neue Absatzfelder mit umweltgerechten Produkten. Die wenigen Beispiele lassen vermuten, daß hier ein beachtliches Marktpotential besteht oder entsteht, an dem zahlreiche Handwerksbetriebe aufgrund ihrer hohen Flexibilität und ihre Dezentralität partizipieren können. Gegenwärtig hat das Handwerk am Markt für Umweltgüter lediglich einen Anteil von 5 %. Die Bauwirtschaft, in der das Handwerk ebenfalls verankert ist, kommt auf einen Marktanteil von 9 %. Die Industrie verfügt mit 53 % über den größten Anteil, gefolgt vom Dienstleistungssektor mit 24 % (vgl. Abbildung 11).

98

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Abb. 11: Anteil des Handwerks am Markt für Umweltschutz

Sonstige Dienstleister 24%

Handwerk 5% Handel 9%

Industrie 53% Bauwirtschaft 9%

Umfragen in Handwerksbetrieben (vgl. Cramer 1987 und 1988 sowie Wildförster 1991) haben ergeben, daß den meisten Betriebsinhabern die Umweltproblematik bewußt ist, in diesem Zusammenhang jedoch ein großer Bedarf an Informationen und Beratungen besteht. Allein bedingt durch ihre Betriebsgröße sind die einzelnen Handwerksbetriebe kaum in der Lage, sich umfassend mit den vielen Einzelproblemen des Umweltschutzes auseinanderzusetzen. Ein Handwerksunternehmer wird um so eher den Umweltschutz als möglichen neuen Markt entdecken, wenn er bereits in eigenem Betrieb dem Umweltschutz Rechnung trägt. Zur Erschließung neuer Märkte bedarf es jedoch intensiver Recherche und Informationen. Der Markt für Umweltschutzgüter ist nur vordergründig von großen Unternehmen beherrscht (vgl. HalstrickSchwenk/Horbach/Löbbe/Walter 1994). Möglichkeiten, den Absatz umweltgerechter Güter und Dienstleistungen zu forcieren, ergeben sich in den meisten Handwerkszweigen. Tabelle 17 gibt einige Beispiele für handwerksrelevant Marktsegmente auf dem Umweltschutzmarkt. Reparieren statt Neukauf gehört zu den immer wieder vorgetragenen Forderungen von Umweltschützern. Dies entspricht den originären Funktionsbeschreibungen zahlreicher Handwerke. Die Instandsetzung, Pflege, Wartung und technische Überprüfung von Motoren, Anlagen, Heizungen usw. ist im Kern eine der Umwelt dienliche Aufgabe. Der Anteil der Reparaturen am Gesamtumsatz ist jedoch insbesondere in einigen Konsumgüterhandwerken deutlich zurückgegangen. Dies beruht auf den gewachsen Ansprüchen der Konsumenten an Komfort, Neuigkeitsgrad und Innovation der Produkte.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland Tab. 17: Handwerksrelevante Marktsegmente auf dem Umweltschutzmarkt Handwerksbranche

Angebot an Erzeugnissen und Dienstleistungen, die dem Schutz der Umwelt dienen

Bauhandwerk

-

SanitärHeizungKlima

-

Kfz-Handwerk

-

Maler und Lackierer Elektromaschinenbau

-

Einbau emissionsarmer und energiesparender Heizungsund Brauchwasseranlagen Modernisierung veralteter Heizungsanlagen Energiesparende Anlagen zur Wassererwärmung Einbau von Wärmepumpen, Solaranlagen und Wärmerückgewinnungssystemen Wartung und Optimierung von Heizungsanlagen durch moderne Meß- und Regeltechnik zentrale Be- und Entlüftungsanlagen zur Verbesserung des Raumklimas und zur kontrollierten Lüftung Aufbereitung und Entsorgung betrieblicher Abwässer Einbau und Wartung von Abgaskatalysatoren regelmäßige Abgassonderuntersuchung (ASU); Motoroptimierung Entsorgung von diversen Chemikalien, Altöl und Batterien Verleihservice für Autozubehör (Schneeketten, Dachgepäckträger) Autoverwertung Einbau von wieder aufgearbeiteten Ersatzteilen

-

Verwendung und Handelsangebot von umweltfreundlichen, lösungsmittelarmen Lacken, Farben und Holzschutzmitteln Korrosionsschutzanstriche

-

Pumpen für Naßentstaubungsanlagen

Holz- und kunststoffverarbeitendes

Verwendung von umweltfreundlichen Produkten wie formaldehydfreie Holzmaterialien und lösungsmittelarme Holzschutzmittel, Farben auf biologischer Basis Lärm- und Wärmedämmung in Gebäuden Entsorgung von schadstoffhaltigen Holz- und Kunststoffabfällen

Handwerk

Steuerungsanlagen (Meß- und Regeltechnik) zur optimalen Energieausnutzung bzw. -einsparung im gewerblichen und privaten Bereich Angebot energiesparender Geräte und Lampen Entsorgung von Kühlschränken (FCKW) Anlagen zur elektronischen Überwachung von Abwasserreinigungsverfahren in Kläranlagen

Elektrohandwerk

Maschinenbau/ Metallbauer

allgemein Beteiligung an Bauvorhaben bzw. Betriebsbauten im Bereich des Gewässerschutzes, der Abfallbeseitigung sowie des Natur- und Landschaftsschutzes Sanierung des Kanalisationsnetzes Deponiesanierung (Altlastensanierung) Schall- und Wärmeisolation von Gebäuden Baustoff-Recycling (Bauschuttaufbereitung für Straßenbau) Rekultivierung von Flächen Verwendung natürlicher und umweltfreundlicher Baumaterialien

-

Filteranlagen zur Rauchgasentschwefelung Aktivkohlefilter, Tropfenabscheider Schall- und Lärmschutzsysteme (Verkapselung, Schallschutzkabinen) Recycling-Anlagen Abluftreinigungsanlagen, Entstaubungsanlagen

99

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

100

Anlagen zur Abwärmenutzung Kälteanlagenbauer

Anlagen zur Wärmerückgewinnung Entsorgung von Kühlschränken (FCKW)

Galvaniseure

Entsorgung von Altbeizen, Säuren, Laugen und Metallhydroxidschlämmen

Textilreiniger/ Gebäudereiniger

Benutzung umweltfreundlicher Wasch- und Reinigungsmittel Einsatz von umweltentlastenden und energiesparenden Wasch- und Reinigungsgeräten

Schornsteinfeger

Prüfung und Überwachung der Schadstoffemissionen bei Heizanlagen Entsorgung von Rußrückständen

Friseure

Verwendung von Haarspray ohne Treibgas

Quelle: Kornhardt, Ullrich; Die Entwicklung des Marktes für Umweltschutzgüter und -dienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland und seine ökonomische Bedeutung für das Handwerk, Göttingen 1991 (mit eigenen Ergänzungen).

Darüber hinaus hat sich jedoch - nicht zuletzt wegen gestiegener Personalkosten - die Preisspanne zwischen Reparaturkosten und Preis für eine Neuanschaffung verringert. Auch die Kosten für die Lagerung von Ersatzteilen, die Typenvielfalt der Einzelteile und die Beschaffung vom Hersteller lassen Reparaturen heute oft nicht mehr lohnend erscheinen. Die herstellende Industrie ist darüber hinaus bei vielen Produkten zu einer Bauweise übergegangen, bei der lediglich noch ganz Bauelemente ausgetauscht werden können, jedoch keine Einzelreparaturen mehr vorgenommen werden können. Dies kann sich jedoch rasch wieder ändern, wenn der Gesetzgeber - wie bereits angekündigt - weitere Verbesserungen im Umweltschutz durchsetzen will. Betrachtet man die Perspektiven des Umweltgütermarktes, so gibt es deutlich Anzeichen, daß dieser Markt in Zukunft weiter wachsen wird: (1) Im Gewässerschutz sind hohe Investitionen erforderlich, weil: -in vielen Kommunen das Kanalnetzes erneuert bzw. saniert werden muß -das Kanalnetz an die steigende Zahl der Haushalte anzupassen ist - die Kapazität der Kläranlagen erweitert und den höheren Anforderung an die Qualität entsprochen werden muß (2) Im Bereich der Abfallwirtschaft stehen grundlegende Veränderungen des Entsorgungskonzeptes. Durch getrennte Sammlung und Verarbeitung des Abfalls entsteht auch hier ein Bedarf an Deponien, Anlagen für Sonderabfall, Recycling und Müllverbrennung. (3) Die Verschärfung der Luftreinhaltevorschriften hat in den letzten Jahren investitive Ausgaben der Wirtschaft in der Größenordnung von mehr als 50 Mrd. DM ausgelöst. Die TA Luft sowie die Entschwefelung und Entstickung von Kraftwerken werden auch im Bereich der Luftreinhaltung zu einer Ausweitung des Umweltgütermarktes beitragen.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

101

(4) Zu den wachsenden Bereichen des Umweltschutzgütermarktes ist auch der Lärmschutz zu zählen. Für das Handwerk sind insbesondere die baulichen Maßnahmen zur Eindämmung des Verkehrslärms von Bedeutung (vgl. Kornhardt 1991).

Diese hier erwähnten Entwicklungstendenzen implizieren neben den technischen Anforderungen in vielen Bereichen bauliche Maßnahmen. Somit eröffnen sich hier auch für das Bauhandwerk zusätzliche Marktchancen.

1.5.2 Lokale Verankerung oder Öffnung zu weiträumigeren Märkten ? In den vorangegangenen Ausführung wurde wiederholt herausgestellt, daß das Handwerk vorwiegend auf lokalen und räumlich kleinen Märkten verankert ist. Diese regionale Orientierung ist für das Handwerk von großem Vorteil, •

weil es über den direkten Kontakt zum Kunden sowohl Zustimmung als auch Kritik unmittelbar erfährt,



weil es flexibel auf veränderte Bedarfe reagieren kann,



weil die Konzentration auf einen räumlich begrenzten Markt örtliche Spezialisierungen ermöglicht,



weil die Transportkosten kalkulierbar sind.

Es wurden aber auch die Gründe angesprochen, die dafür sprechen, daß der begrenzte Absatzradius ein Wachstumshemmnis darstellen kann. Eine räumliche Orientierung des Leistungsangebots schafft Abhängigkeiten (z.B. hinsichtlich der Einkommensentwicklung in der Region). In der Produktion können Degressionsvorteile höherer Stückzahlen nicht wahrgenommen werden. Vielfach bestehen in bestimmten Zeiträumen Unterauslastungen von Produktionskapazitäten. Der Aufwand und die zeitliche Beanspruchung durch Umrüstungen können sich bei kleinen Serien oder Einzelfertigungen als beachtlicher Kostenfaktor erweisen. Gründe für begrenzte Absatzradien: bewußt gewählte Nähe zum Kunden, mit größeren Absatzradien steigen die Transport- und Lieferkosten (Anfahrtswege, Kfz.-kosten), das Produkt (z.B. in den Nahrungsmittelhandwerken) läßt längere Transporte nicht zu.

102

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Allgemeine volkswirtschaftliche Entwicklungstrends fuhren allerdings zu der Überlegung, ob nicht für einen Teil des Handwerks eine großräumigere Orientierung empfehlenswert wäre. Dies gilt bei den Investitionsgüterhandwerken zum einen angesichts der beschriebenen Tendenzen zur Internationalisierung und Globalisierung, aber auch bei den Konsumgüterhandwerken, wo konkurrierender Anbieter zunehmend Qualität, Individualität und Versorgung bei industrieller Herstellungsweise gewährleisten können. Zunehmende Mobilität der Bevölkerung sowie Internationalisierung der Beschaffungsmärkte tragen tendenziell zu einer Aufweichung der regionalen Standortfaktoren bei. Nicht zuletzt aus diesem Grund können Filialisierung und Franchisekonzepte auch für solche Handwerkszweige interessant sein, in denen bislang diese Betriebsformen noch nicht verbreitet sind. In diesem Zusammenhang ist den Handwerksunternehmen auch zu empfehlen, die Möglichkeiten des Exports zu prüfen. Die Einfuhrung des Euro kann den Schritt zur Aufnahme von Exporttätigkeiten erleichtern. Untersuchungen haben gezeigt, daß für bestimmte Handwerkszweige beachtliche Marktpotentiale im Ausland erschlossen werden können (vgl. Ostendorf 1997 und Sauer 1990). Inzwischen liegen zahlreiche Ratgeber und Checklisten vor, die praktische Hilfestellung bei der Erschließung von Märkten im Ausland anbieten.

2. Die organisatorische

Verankerung des Handwerks

Für das Ordnungssystem der Wirtschaft in Deutschland ist seit dem 19. Jahrhundert das Kammerwesen charakteristisch. Neben beruflich orientierten Kammern (Ärztekammer, Architektenkammer etc.) sind für die gewerbliche Wirtschaft die Landwirtschaftskammern, die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern von Bedeutung. Ihre Geschichte reicht weit zurück: korporative Vereinigungen von Handel und Gewerbe entstanden schon im Mittelalter in den germanischen Staaten, in den Zünften oder Innungen der Handwerker und den Gremien und Gilden der Handelsleute. Die Vorläufer der heutigen Kammern waren Selbsthilfeeinrichtungen, die der Emanzipation der Gewerbetreibenden von obrigkeitsstaatlicher Bevormundung dienten. Darüber hinaus nahmen sie aber auch schon früh Aufgaben der Förderung ihrer Mitglieder bei technischen und administrativen Angelegenheiten wahr (vgl. John 1979 und John 1987). Die Kammern dienen als der Interessenvertretung der Wirtschaft vor Ort unter anderem gegenüber politischen Entscheidungsträgern und nehmen hoheitliche Aufgaben schwerpunktmäßig im Bereich der Registrierung (z. B. Führung der Handwerksrolle und des Handelsregisters), der Begutachtung sowie der Berufs-

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

103

ausbildung wahr. Von der öffentlich - rechtlichen Funktion im Rahmen der Selbstverwaltung ist die unternehmerische Interessenvertretung zu unterscheiden.

2.1 Die handwerkliche

Selbstverwaltung

Bei der gesetzlichen Neuordnung des Handwerks Anfang der fünfziger Jahre waren sich die Gremien einig, daß zwischen der Selbstverwaltung und den Interessenvertretungen des Handwerks unterschieden werden müsse. Als Einrichtungen der Selbstverwaltung wurden die Kammern bestimmt, welche die Interessen aller im Handwerk tätigen Selbständigen und Unselbständigen wahrnehmen sollen, mit Ausnahme der Angelegenheiten der Tarifvertragsparteien. Der vierte Teil der Handwerksordnung regelt in den §§ 47 bis 109 die Organisation des Handwerks, dargestellt durch Innungen, die Innungsverbände (Landes- und Bundesinnungsverbände), die Kreishandwerkerschaften und die Handwerkskammern. Nicht durch die Handwerksordnung geregelt werden: • die organisatorischen Zusammenschlüsse, wie sie auf der Landesebene als regionale Handwerkskammertage, Vereinigungen der Landesfachverbände und Landeshandwerksvertetungen (z.B. Bayerischer Handwerkstag, Rheinisch-Westfälischer Handwerkerbund usw.) bestehen, • ferner die Spitzenorganisationen des Handwerks auf der Bundesebene (Zentralverband des Deutschen Handwerks, Deutscher Handwerkskammertag, Vereinigung der Zentralfachverbände des Handwerks).

2.1.1 Innungen Die Innungen sind seit dem frühesten Mittelalter als Zusammenschlüsse von Gewerbetreibenden überliefert. Ihr ursprünglicher Zweck war, in einem sozialen und bündischen Geist die Ausbildung im Handwerk und die Ausübung des handwerklichen Berufs zu regeln. Mit der Einführung der Gewerbeordnung wurden die Innungen dem Gewerberecht unterworfen. Mit der Novelle der Gewerbeordnung 1881 und 1897 wurden die Innungen öffentlich-rechtliche Körperschaften. Diesen Status haben sie 1943/44 durch die Gesetzgebung zu den Gauwirtschaftskammern und 1948/49 durch Direktiven der amerikanischen Militärregierung zeitweilig verloren. Nach längeren Debatten wurde mit der Handwerksordnung von 1953 den Innungen der Rechtsstatus einer öffentlichrechtlichen Körperschaft zugesprochen (§ 53 HwO). Ausschlaggebend für die Rechtsform waren die Aufgaben, die der Gesetzgeber den Innungen zubilligte

104

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

(§ 54 HwO). Bei diesen wird nach Muß-, Soll- und Kann-Vorschriften unterschieden. Die Pflichtaufgaben sind wie folgt beschrieben: • den Gemeingeist und die Berufsehre zu pflegen • ein gutes Verhältnis zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen anzustreben, • entsprechend den Vorschriften der Handwerkskammer die Lehrlingsausbildung zu regeln und zu überwachen sowie für die berufliche Ausbildung der Lehrlinge zu sorgen und ihre charakterliche Entwicklung zu fördern, • die Gesellenprüfungen abzunehmen und hierfür Gesellenprüfungsausschüsse zu errichten sofern sie von der Handwerkskammer dazu ermächtigt ist, • das handwerkliche Können der Meister und Gesellen zu fördern: zu diesem Zweck kann sie insbesondere Fachschulen errichten oder unterstützen und Lehrgänge veranstalten, • bei der Verwaltung der Berufsschulen gemäß den bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen mitzuwirken, • das Genossenschaftswesen im Handwerk zu fordern, • über Angelegenheiten der in ihr vertretenen Handwerke den Behörden Gutachten und Auskünfte zu erstatten, die sonstigen handwerklichen Organisationen und Einrichtungen in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, • die von der Handwerkskammer innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Vorschriften und Anordnungen durchzufuhren.

Die Art der Aufgabenbeschreibung spiegelt den historischen Entstehungsprozeß und das berufsständische Anliegen der Innungen wider. Die Zahl der Innungen ist in der Bundesrepublik rückläufig. Gab es 1980 im früheren Bundesgebeit noch 6 358 Innungen, so waren es 1995 nur noch 5 622. Zusammen mit dem neuen Bundesländern beträgt Bestand derzeit knapp 7 000 Innungen. Innungen sind öffentlich-rechtliche Körperschaften mit freiwilliger Mitgliedschaft selbständiger Handwerker des gleichen Handwerksberufs oder nahestehender Handwerksberufe. Durch sie werden unter anderem auch die handwerklichen Traditionen bewahrt. Die Innungen sehen sich mit einem Mitgliederschwund konfrontiert. Die Novellierung der Handwerksordnung, mit der die Grenzen zwischen den Handwerksberufen und ihren Tätigkeitsfeldern durchlässiger gemacht wurden, trifft zahlreiche Innungen in ihrem Selbstverständnis. Die Kammern haben gegenüber den Innungen die Aufsichtspflicht, die sich vor allem auf rechtliche Fragen bezieht. Innungen müssen gerade bei der Fragen der Berufsbildung eng mit den Handwerkskammern zusammenarbeiten. Die Innungsversammlung ist das höchste Beschlußorgan. Durch sie wird der Vorstand gewählt. Darüber hinaus können verschiedene Ausschüsse gebildet werden, wie z.B. Gesellenprüfungsausschuß, Ausschuß zur Förderung der Berufsbildung oder Schlichtungausschuß (§ 60 und 67 HwO). Hinzuweisen ist auf die Tariffahigkeit der Innungen, d.h. die Innungen können die Arbeitgeberinteressen in Tarifverhandlungen vertreten. In dieser Frage entfällt selbstverständlich die Beteiligung des Gesellenaussschusses.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

2.1.2 Die

105

Innungsverbände

Die Innungsverbände (Landes- und Bundesinnungsverbände) sind die fachlichen Zusammenschlüsse des Handwerks und haben den Status juristischer Personen des privaten Rechts. Sie über die Funktion eines Arbeitgeberverbandes auf der Landes- bzw. Bundesebene aus. Im Bundesgebiet bestehen zur Zeit rund 400 handwerkliche Landesinnungs- und Zentralfachverbände.

2.1.3

Kreishandwerkerschaften

Die Handwerksinnungen, die in einem Stadt- oder Landkreis ihren Sitz haben, bilden die Kreishandwerkerschaft. Die Mitgliedschaft der Innungen ist Pflicht. Die Kreishandwerkerschaft hat die Aufgabe, • die Gesamtinteressen des selbständigen Handwerks und des handwerksähnlichen Gewerbes sowie die gemeinsamen Interessen des Handwerksinnungen ihres Bezirks wahrzunehmen, • die Handwerksinnungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützten, • Einrichtungen zur Förderung und Vertretung der gewerblichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Mitglieder der Handwerksinnungen zu schaffen oder zu unterstützen, • die Behörden bei den das selbständige Handwerk und das handwerksähnliche Gewerbe berührenden Maßnahmen zu unterstützen und ihnen Anregungen, Auskünfte und Gutachten zu erteilen, • die Geschäfte der Handwerksinnungen und deren Ansuchen zu führen, • die von der Handwerkskammer innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Vorschriften znd Anordnungen durchzuführen; die Handwerkskammer hat sich an den hierdurch entstehenden Kosten zu beteiligen.

In Deutschland gibt des derzeit 365 Kreishandwerkerschaften.

2.1.4

Handwerkskammern

Das Prinzip der Selbstverwaltung der Wirtschaft in Kammern korrespondiert mit dem föderalen, dezentralen Staatsaufbau der Bundesrepublik. In den Industrie- und Handelskammern sind alle Unternehmen Pflichtmitglieder, deren unternehmerischer Schwerpunkt im Bereich des Handels und der Industrie liegt. Die kleinen und mittelgroßen Unternehmen des Handwerks sind in Handwerkskammern organisiert. In der Bundesrepublik ist die Pflichtmitgliedschaft in einer der Kammern gesetzlich festgelegt. Kammern haben demokratisch gewählte Organe. Die Vollversammlung wählt den Präsidenten und Hauptgeschäftsführer.

106

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Die Handwerkskammer sind öffentlich-rechtliche Einrichtung und unterliegen der staatlichen Aufsicht insbesondere in jenen Bereichen, in denen sie hoheitliche Funktionen wahrnehmen. In Vertretung staatlicher Instanzen übernehmen die Kammern beispielsweise Aufgaben in der Rechtspflege. Sie überwachen die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften und prüfen, ob die Voraussetzung zur Führung eines Betriebs vorliegen (Meisterprüfung, Sachkundenachweis). Sie nehmen Berufsbildungsprüfungen ab, die staatlich anerkannt werden und sind gutachterlich in Fragen des Gewerberechts tätig. Die Kammern sind in der Regel der Rechtsaufsicht der Regierungspräsidenten unterstellt. Aus diesem Grund decken sich die Kammerbezirke zumeist mit denen der Regierungsbezirke. Finanziert werden die Kammern von Pflichtbeiträgen der Mitglieder, öffentlichen Zuwendungen und Gebühren. Die Kammern nehmen ein breites Aufgabenspektrum wahr. Exemplarisch seinen hier einige wichtige Tätigkeitsbereiche aufgeführt (vgl. Stober 1991): •

In der kaufmännischen, gewerblichen und handwerklichen Berufsausbildung und Berufsfortbildung führen sie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen durch und nehmen Zwischen- und Abschlußprüfungen vor. Sie fuhren Sachkunde- und Meisterprüfungen durch.



Zu den hoheitlichen Aufgaben der Kammern gehört die Führung des Handelsregisters bzw. der Handwerksrolle, in der alle Unternehmen des Kammerbezirks registriert werden. Sie führen das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse (Lehrlingsrolle) und schulen Ausbilder.



Sie beraten Existenzgründer in betriebswirtschaftlicher, technischer und rechtlicher Hinsicht. Darüber hinaus sind sie auf dem Gebiet der Exportberatung, der Innovations- und Technologieberatung, der Auftrags- und Subventionsberatung, der Rechtsberatung sowie der Steuerberatung für ihre Mitglieder tätig.



Sie gründen und fuhren Anlagen und Einrichtungen zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige (Umweltschutzberatung, Ausstellungen). Der Schulung der Arbeitskräfte und der Auszubildenden dienen überbetriebliche Bildungszentren.



Die Kammern führen Datenbanken, mit denen sie Kontakte zwischen Geschäftspartnern vermitteln (Vermittlungsstellen, Börsen). In Streitfällen zwischen Kunden und Mitgliedsbetrieben oder aber auch gerichtlichen Auseinandersetzungen bestellen sie Gutachter bzw. Sachverständige. In die Rechtspflege sind sie durch Überwachungsaufgaben eingebunden.



Kammern sind mitunter auch an regionalen WirtschaftsfÖrderungseinrichtungen beteiligt. Sie können auch an Technologiezentren und gewerblichen Infrastruktureinrichtungen (Häfen, Flughäfen, Entsorgungsanlagen) beteiligt sein.

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

107

In seiner Untersuchung des Kammerwesens in Deutschland kommt STOBER auf rund 400 Kammeraufgaben, die er in einem Stichwortkatalog zusammengefaßt hat. Es sei an dieser Stelle auf das sehr informative Werk verwiesen. Sachverständigenwesen: Zu den Aufgaben der Handwerkskammern zählt auch die Bestellung und Vereidigung von „Sachverständigen zur Erstattung von Gutachten über die Güte der von Handwerkern gelieferten Waren oder bewirkten Leistungen und über die Angemessenheit der Preise" (§ 91 Abs 1. Ziff. 8 HwO). Die Muster-Sachverständigenordnung des Deutschen Handwerkskammertages geht von dem Leitbild des nebenberuflichen Sachverständigen aus. Damit soll sichergestellt werden, daß der Sachverständige über praktische Erfahrungen aus dem Berufsalltag des Handwerks verfügt, über das er gutachterlich berichten soll (vgl. Erwig/Heck 1996). Bei den Handwerkskammern in Deutschland waren am 5. Dezember 1995 insgesamt 6 871 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gemeldet. Bewerber um das Amt des Sachverständigen müssen über das durchschnittliche Können und Wissen eines Sachgebietes hinaus persönlich geeignet sein und besondere fachliche Kompetenz vorweisen. Sie müssen ferner in die Handwerksrolle eingetragen sein sowie das 30. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. Zur Sachverständigentätigkeit gehören vorrangig folgende Aufgaben: •

Sachverständigenbeweis nach der Zivilprozeßordnung



Beteiligung an Schlichtungsverhandlungen zwischen Handwerkern und Auftraggebern.

Die Justizbehörden bemühen sich, außergerichtliche Schlichtungen und gütliche Einigungen zu fördern. Aus diesem Grund gewinnt das Sachverständigenwesen auch im Sinne des Verbraucherschutzes an Bedeutung.

2.2 Die Spitzenorganisation

des Handwerks

2.2.1 Der Zentralverband des Deutschen

Handwerks

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), fungiert - wie der Übersicht zu entnehmen ist - als gemeinsame Dachorganisation, in der die 55 Handwerkskammern und die 52 Zentralfachverbände des Handwerks zusammen mit einer sogenannten dritten Gruppe (den wirtschaftlichen und sonstigen Einrichtungen des Handwerks) als gleichberechtigte Mitglieder vertreten sind. Der ZDH nimmt vor allem die politische Interessenvertretung des Handwerks wahr.

108

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

Überblick über die Organisation des Zentralverband des Deutschen Handwerks

Quelle: Internet - Homepage des ZDH am 17.6.1997

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks wurde 1949 gegründet und hat derzeit seinen Sitz in Bonn. In den nächsten Jahren ist der Wechsel nach Berlin geplant. 2.2.2 Deutscher

Handwerkskammertag

Die 55 regional angesiedelten Handwerkskammern bilden den Deutschen Handwerkskammertag. Er hat die Aufgabe, die gemeinsamen Angelegenheiten der ihm angehörenden Kammern zu vertreten und alle gemeinsamen Aufgaben wahrzunehmen, die den Kammern übertragen sind. Das Handwerk in der Bundesrepublik hat eine straff organisierte und mächtige Interessenvertretung. Die Pflichtmitgliedschaft in Kammern und die regionale Gliederung mit den vielfältigen personellen Verflechtungen in den Organen und Gremien trägt dazu bei, daß das Handwerk als stärkste Interessenvertretung des Mittelstandes bezeichnet werden kann. Kritisch setzt sich PERNER mit der Ver-

Kapitel II: Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland

109

bandsorganisation des Handwerks auseinander (Perner 1983). In eine ähnlich kritische Richtung zielt die Arbeit von JOHN, der die politische Rolle der Handwerkskammern seit dem 13. Jahrhundert analysiert hat (John 1979 und 1987). Die Entwicklung der Interessenpolitik des Handwerks seit 1810 - von der Zunft bis zur Verbandsorganisation - wird in der Dissertation von GEORGES nachgezeichnet (Georges 1993).

110

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

KAPITEL I I I : UNTERNEHMENSFÜHRUNG IM HANDWERK

1. Unternehmensführung

in Theorie und Praxis

1.1 Einführung Wie bereits zu Beginn dieses Buches erwähnt wurde, gibt es umfangreiche Literatur zur allgemeinen Betriebswirtschaftslehre sowie zur Unternehmensführung bzw. Managementlehre. Spärlicher ist dagegen die Anzahl der Bücher, die sich mit der Betriebswirtschaftslehre oder der Führung in KMU beschäftigt. Etwa nur eine Handvoll Werke gibt es, die das Thema „Unternehmensführung im Handwerk" zum Gegenstand hat. Nicht selten wird von Praktikern im Hinblick auf die (praktische) Führung von Unternehmen herausgestellt, daß die meisten Bücher zu theoretisch und für die Praxis nicht brauchbar sind. Aussagen von Praktikern, wie „vergiß, was du an der Hochschule gelernt hast, bei uns läuft es ganz anders", sollte mit einer gewissen Skepsis begegnet werden. An dieser Stelle sei nochmals betont, daß Theorie und Praxis nicht als Gegenpole zu betrachten sind, die sich widersprechen. Vielmehr sollte die Erkenntnis vorherrschend sein, daß „Theorien" für die praktische Arbeit durchaus von „Wert" sein können. Natürlich hat jedes Unternehmen seine eigene Aufbau- und Ablaufstruktur sowie Kultur, die nicht in jedem Fall mit einem Buchwissen deckungsgleich sein kann. Informationen, vor allem zweckorientiertes Wissen, benötigt aber jede Führungskraft. Entsprechende Informationen können unterschiedlichen Quellen entnommen werden, eben auch Büchern. Inwieweit ein Buch als praxisrelevant eingestuft wird, entscheidet letztlich der Leser (Führungskraft) als Individuum. In der Regel werden Bücher mit Check-Listen-Charakter (vgl. z.B. Kurt Nagel: Top im Handwerk. Managementwissen für Meisterbetriebe) eher diesem Anspruch gerecht. Unter anderem auch deshalb, weil weniger strategische Überlegungen, denn operative Handlungen das Tagesgeschäft in einem Unternehmen prägen. Welches Unternehmen erstellt schon einen Geschäftsplan, d.h. einen Plan für eine systematische Vorgehensweise, um zukünftige Probleme zu erkennen und zu bewältigen? Ein solcher Geschäftsplan ist nicht nur für Kreditgespräche sehr wichtig und bedeutsam. Gerade vor dem Hintergrund, daß planerische Elemente, nicht nur im Finanzbereich, sondern grundsätzlich in vielen KMU zu kurz kommen, sollte der Blick für die Komplexität des Begriffs „Unternehmensführung" dem Praktiker nicht verschlossen bleiben. Im Gegensatz zu den meisten Büchern, die eher zum „Rezeptdenken" (weitgehend isolierte Darstellung von Funktionsbereichen, Instrumenten usw.) tendieren, orientiert sich dieses Werk stärker am „Problemlösungsdenken".

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

1.2 Unternehmensführung wirtschaftslehre?

- Bestandteil der Wissenschaftsdisziplin

111 Betriebs-

In die Unternehmensführung (Management) greifen mehrere Wissenschaftsdisziplinen, wobei Wissenschaftseinteilungen grundsätzlich beträchtliche Probleme aufwerfen, so daß ein einheitlich logisch zusammenhängendes System der Wissenschaft ebenso wenig wie eine allgemein gültige Gliederung aufgestellt werden kann. Unterschiedliche Auffassungen und Definitionen prägen die Literatur (Zdrowomyslaw/Waeselmann 1997, S.2-5). Wo soll die Unternehmensführung im Rahmen der Wissenschaft eingeordnet werden? Ist sie eher den Verhaltenswissenschaften, der Volkswirtschaftslehre oder der Betriebswirtschaftslehre zuzuordnen? Die Problematik der Abgrenzung und Zuordnung spiegelt sich auch an der Diskussion wider, inwieweit und in welcher Ausprägung die Betriebswirtschaftslehre (BWL) als Managementund Führungslehre charakterisiert werden kann (Wunderer 1994). Diese Diskussion soll hier nicht vertieft werden, sondern es werden lediglich die Gliederungsvarianten der Betriebswirtschaftslehre aufgezeigt werden. An der in der Literatur vorherrschenden Gliederung der BWL in eine institutionelle, eine funktionelle und eine genetische werden in gewisser Weise bereits vage die zu „führenden" bzw. zu steuernden Elemente in einem Unternehmen erkennbar (vgl. Abbildung 12). Im Rahmen der Unternehmensfuhrung sind institutionelle Besonderheiten zu beachten, die funktionellen Bereiche zu analysieren und der Lebenszyklus des Unternehmens in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen. 1.3 Rahmenbedingungen schaften

der Unternehmensfuhrung

in reifen

Volkswirt-

Unternehmensführung in reifen bzw. entwickelten Volkswirtschaften, wie z.B. der Bundesrepublik Deutschland, ist immer auch vor dem Hintergrund der hohen Wettbewerbsintensität sowie der starken internationalen Bezüge (hohe Exportquote usw.) zu bewerten. Etwas überspitzt kann gesagt werden: „In reifen Volkswirtschaften können Unternehmen nur überleben, wenn sie in der Lage sind, eine qualitativ hochwertige Leistung zum optimalen Preis-Leistungsverhältnis in den oberen Bereichen der Wertpyramide ihren Kunden anzubieten. Das bedeutet, daß sich Unternehmen in den reifen Volkswirtschaften konzentrieren müssen auf innovative Produkte, die einen Vorsprung besitzen und technologisch durch Schrittmacher- oder Schlüsseltechnologien untermauert sind. Reife Volkswirtschaften gestatten kein Angebot durchschnittlicher Leistungen in Basistechnologien auf unteren Preisniveaus. Viele Unternehmen haben erkennen müssen, daß auch die Besetzung von Segmenten oder Nischen nicht mehr ausreicht, um dem zunehmenden Wettbewerbsdruck und dem steigenden Anspruch der Konsumenten gerecht zu werden. Dabei

112

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

hat sich vor allen Dingen gezeigt, daß in vielen Unternehmen die Strukturen für den JJnternehmensauftrag nicht mehr stimmen" (Schröder 1996, S.531). Abb. 12: Gliederungsmöglichkeiten der Betriebswirtschaftslehre

Gliederungsmöglichkeiten der Betriebswirtschaftslehre

Institutionale Gliederung I

Allgemeine Betriebswirtschaftslehre

Funktionelle Gliederung I

Führung und Organisation

Genetische Gliederung

Gründungsphase

Materialwirtschaft Spezielle Betriebswirtschaftslehre

Produktionswirtschaft

Umsatzphase

Absatz u. Marketing Betriebswirtschaftliche Verfahrenstechnik

Kapitalwirtschaft

Liquidationsphase

Personalwirtschaft Rechnungswesen u. Controlling

Die KMU werden gegenwärtig mit zahlreichen Entwicklungstendenzen konfrontiert, die sich mit folgenden Stichworten kennzeichnen lassen: •

Internationalisierung und Globalisierung der Märkte,



Technischer Fortschritt (Innovationsgeschwindigkeit),



Komplexität der Produktion,



zunehmende Bedeutung der indirekten Bereiche,



Marktpreise der Leistungen zwingen zu „Kostenmanagement",



konjunkturelle und



strukturelle Veränderungen.

Sowohl große Konzerne als auch KMU müssen ihre Führungskonzepte so gestalten, daß sie Antworten auf spezifische Probleme ihrer Zeit liefern. Patentrezepte für Erfolg gibt es nicht. Sollen Unternehmensentwicklung und -Sicherung gewährleistet sein, müssen die Führungskräfte oder Meister in Handwerksbetrieben ein breites Wissen (eher Generalisten als Spezialisten) haben.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

113

Unstrittig dürfte sein, daß Ergebnisse von Studien und Erfahrungen bei einer erfolgreichen Unternehmensfiihrung hilfreich sein können. Die „Kleinen" können von den „Großen" etwas lernen und umgekehrt. Vor allem in den letzten Jahren wird die Übertragung der Stärken des Mittelstandes auf größere Unternehmen diskutiert. Mit der Frage, welche Faktoren für den Unternehmenserfolg verantwortlich sind, werden wir uns später befassen. Fakt ist allerdings, daß eine gut informierte Führungskraft eher in der Lage ist, Gefahren und Chancen zu erkennen, die das eigene Unternehmen betreffen. Sie sollte nicht nur über das Geschehen im Unternehmen informiert sein, sondern auch die verschiedenen Umfeld- oder Umweltfaktoren nicht aus den Augen verlieren. 1.4 Umwelt und

Unternehmensfiihrung

Jeder Mensch - unabhängig von seiner Stellung in der Gesellschaft - ist auf vielfältige Weise mit dem Phänomen verbunden, das allgemein „die Wirtschaft" genannt wird. Eng mit dem Begriff Wirtschaft sind Begriffe wie Bedürfnisse, Bedarf, Güter, Produktion, Verteilung, ökonomisches Prinzip (Wirtschaftlichkeitsprinzip), Angebot, Nachfrage, Haushalte, Unternehmen, Staat, Außenwirtschaft, Europäische Union (EU) usw. verbunden. Wirtschaft als Phänomen ist zunächst zwar vor allem der Wissenschaftsdisziplin Ökonomie (Volks- und Betriebswirtschaftslehre) zuzuordnen, aber durchaus auch eine reale Erscheinung. Jede Organisation wird durch ihre Umwelt mitgeprägt. Aus der Handlungssicht der Unternehmen, ob in Brasilien, Südafrika, den USA, Deutschland oder dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, bedeutet dies, daß sich Unternehmen in einem Geflecht von Rahmenbedingungen bewegen, das sie beachten müssen. Oder anders ausgedrückt: Jedes Unternehmen sollte im Rahmen der Unternehmenspolitik sowie im Hinblick auf die Ziele seine „Umwelt" gemäß dem Gedanken eines Managementprozesses beachten bzw. analysieren. Kenntnisse über gesellschaftliche Normen, rechtliche Bedingungen, technologische Entwicklungen usw. (äußere bzw. globale Umwelt des Unternehmens) sowie über Konkurrenz, Kunden und die Stärken/Schwächen des eigenen Unternehmens (innere bzw. aufgabenspezifische Umwelt) sind nützlich, wenn nicht gar erforderlich, damit Prognose, Zielsetzung, Strategie, Detailplanung, Realisation und Kontrolle nicht im „luftleeren Raum" stattfindet. Selbstverständlich gewährleistet eine solide Information und Planung nicht prinzipiell den Erfolg eines Unternehmens; auf keinen Fall wirken sie schädlich. Unternehmerische Intuition ist kein Garant für Unternehmenserfolg. Grundsätzlich sollte, trotz eines nicht zu negierenden Spannungsfeldes zwi-

114

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

sehen Kreativität, Rationalität und Durchsetzung, dem Gedanken des Managementprozesses oder enger dem Marketing-Management gefolgt werden, indem • man sich konsequent am Kunden und der Umwelt orientiert, • nach einer koordinierten strategischen und taktischen Planung vorgeht und • organisatorisch über entsprechende Kompetenzen bei der Durchsetzung der Ziele verfugt (Meffert 1986, S. 39).

Abbildung 13 gibt einen Hinweis auf die zahlreichen Einflußfaktoren, differenziert nach der Einflußintensität, die bei unternehmerischen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen sind. Abb. 13: Wesentliche Umwelteinflüsse auf die Unternehmen und deren Einflußintensität

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

115

1.5 Managementprozeß und Führungsaufgaben Ausgehend von dem Begriff „Führung", der in Praxis und Theorie vielfach mit dem Begriff Management gleichgesetzt wird, kann zunächst allgemein festgehalten werden, daß Führung so alt wie die Menschheit ist. „Schon immer haben Personen die Aufgabe übernommen, andere Menschen zu führen, Vorhaben zu organisieren, ganze Institutionen zu gestalten und zu lenken. Nicht nur die Entwicklung und Bewahrung einer Zivilisation, sondern schon das Überleben in einer oft lebensfeindlichen Umwelt ist ohne Führung nicht möglich" (Jung 1996, S. 153). Damit wird auch zum Ausdruck gebracht, daß Führung überall dort erforderlich ist, wo das Verhalten einer oder mehrerer Gruppen von Menschen, vielfach mit divergierenden Interessen, auf bestimmte Ziele hin koordiniert werden muß. Es gibt nicht nur zahlreiche Bücher zur Unternehmensführung bzw. zum Management (vgl. Korndörfer 1989; Rahn 1992; Staehle 1994; Ulrich/Fluri 1992), sondern auch diverse Managementansätze und Interpretationen des Begriffs „Management", auf die jedoch nicht weiter eingegangen werden soll. Es wird hier lediglich in knapper Form der Führungsprozeß und die Aufgaben der Unternehmensfuhrung vorgestellt. Nicht zu Unrecht hat H A N S ULRICH im Titel seiner schon im Jahre 1968 erschienenen Schrift „Die Unternehmung als produktives System" charakterisiert (vgl. Ulrich 1970). Ausgehend von einem systemorientierten (geordnete Gesamtheit von Elementen) bzw. ganzheitlichen Denk- und Handlungsansatz (vgl. Ulrich, Probst 1991) bezeichnet HANS ULRICH die Führung als Gestalten, Lenken und Entwickeln gesellschaftlicher Institutionen. Dies sind die drei zentralen Funktionen der Führung, die für das Überleben von Unternehmen oder sonstigen Organisationen von hoher Relevanz sind. Abb. 14: Hauptfunktionen der Führung

Führung Gestaltung • Entwerfen von Ordnung • Organisationsgestaltung - Aufbauorganisation - Ablauforganisation • Regeln schaffen • Das Unternehmen als handlungsfähige Ganzheit aufrecht erhalten

Lenkung

Entwicklung

• Festlegen, Auflösen und Kontrollieren von zielgerichteten Aktivitäten • Vollzug von Handlungen • Steuerung der Beschaffung, Produktion und Distribution • Nutzung von Informationen

• Suchen und Realisieren neuer Ziele und Verhaltensweisen • Beeinflussung der Unternehmenskultur • Förderung der Innovationsfähigkeit • Rahmenbedingungen zur Unternehmensevolution schaffen

Quelle: Jung, H.; Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 2. Aufl., München/Wien 1996, S. 156.

Die drei Führungsfunktionen sind natürlich nicht statisch zu sehen; sie sind nicht unabhängig voneinander und können analytisch verschiedenen Managern

116

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

zugeordnet werden. Generell kann festgehalten werden, daß die Funktionen des Gestaltens und des Entwickeins bei den höheren Führungsebenen eine wichtigere Aufgabe darstellen, da sie langfristig wirken und tiefgreifende Konsequenzen mit sich bringen. ,.¿Kybernetik ist eine interdisziplinäre Metawissenschaft, die Gesetzmäßigkeiten verhaltensbestimmender Strukturen und Aktivitäten in zielorientierten dynamischen Systemen ermittelt und daraus Gestaltungsprinzipien für solche Systeme ableitet. Im Mittelpunkt der Kybernetik steht also das Ablaufgeschehen von Systemen. Dabei werden grundsätzlich zwei typische Lenkungsprozesse unterschieden, nämlich Steuerung und Regelung" (Schlegel 1996, S. 6).

Der Prozeß der Unternehmensführung kann, abgeleitet aus der kybernetischen Betrachtungsweise von Lenkungsprozessen, als Management-Regelkreis mit den Komponenten Ziel-, Maßnahme- und Ressourcenplanung sowie Kontrolle verstanden werden. Dieser Prozeß kann mit dem Begriff „Unternehmensplanung" belegt werden (vgl. Schlegel 1996, S.7). Abbildung 15 (Thommen 1991, S. 736) skizziert den integrativen Managementansatz. Abb. 15: Integrativer Managementansatz ^

]. Analyse der Ausgangslage

J

^

2. Formulierung der Ziele

J

^

3. Festlegung der Maßnahmen

^

4. Bestimmung des Mitteleinsatzes

^

5. Durchfiihrung (Realisation)

^

6. Resultate

Problemlösungsprozeß

Steuerungsfünktionen

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

117

Die Steuerungsfunktion kann in vier Teilfunktionen oder Führungsinstrumente unterteilt werden: 1. Planung: Die Planung versucht ein Problem zu erkennen und zu analysieren, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und zu beurteilen sowie die daraus resultierenden Ergebnisse vorherzusagen. 2. Entscheidung: Die Entscheidungsaufgabe besteht vor allem darin, die Ziele zu bestimmen, eine mögliche Variante der Problemlösung auszuwählen und über die Allokation der Mittel zu entscheiden. 3. Aufgabenübertragung: Bei arbeitsteiligen Problemlösungsprozessen müssen Aufgaben auf die an der Problemlösung beteiligten Mitarbeiter übertragen werden, um zu einer zielorientierten Problemlösung zu gelangen. 4. Kontrolle: Diese Funktion besteht sowohl in der Überwachung der einzelnen Phasen des Problemlösungsprozesses als auch in der Kontrolle der daraus resultierenden Ergebnisse (Thommen 1991, S. 40).

Abschließend sei betont: Erfolg oder Mißerfolg der unternehmerischen Tätigkeit hängt heute mehr von der Qualität der Führungskräfte als vom optimalen Kapital- oder Materialeinsatz ab. Dem „Humankapital" im allgemeinen und dem „dispositiven Faktor" im speziellen muß unabhängig von Branche, Betriebsgröße oder Rechtsform, eine zentrale Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung eines Unternehmens beigemessen werden. 2. Merkmale und Ziele von Unternehmen 2.1 Merkmale eines privaten

Unternehmens

Das Ziel eines jeden Systems - sieht man von einer bewußten bzw. gewollten Zerschlagung ab - ist das Überleben. So lautet auch das grundsätzliche Ziel eines jeden Unternehmens: Existenzsicherung. Betriebe in Zentral- oder Planwirtschaften zeichnen sich nach GUTENBERG durch die systembezogenen Merkmale „Politisch determinierter Wirtschaftsplan (Organprinzip)", „Prinzip der Planerfüllung" und „Prinzip des Gemeineigentums" aus. Als wirtschaftsunabhängige Merkmale nennt er: 1. Kombination von Produktionsfaktoren: In jedem Betrieb müssen Produktionsfaktoren (Input) miteinander kombiniert werden, um eine Leistung (Output) zu erbringen. 2. Prinzip der Wirtschaftlichkeit (ökonomisches Prinzip): Jeder Betrieb ist bemüht, aufgrund der Knappheit der Güter entsprechend dem Vernunftgedanken nach diesem Prinzip vorzugehen. Dieses läßt sich in drei Ausprägungen formulieren:

118

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

>

Maximalprinzip: Handle so, daß mit einem gegebenen Input an Produktionsfaktoren (Aufwand) der maximale Output (Ertrag) erzielt wird!

>• Minimalprinzip: Handle so, daß mit minimalem Input (Aufwand) ein vorgegebener Output (Ertrag) erzielt wird! Optimumprinzip (generelles Extremumprinzip): Handle so, daß Input (Aufwand) und Output (Ertrag) so aufeinander abgestimmt werden, daß das ökonomische Problem nach den festgesetzten Kriterien optimal (in einem möglichst günstigen Verhältnis) gelöst wird! 3. Prinzip des finanziellen Gleichgewichts (Liquidität): Die Fähigkeit des Betriebes, die zu einem Zeitpunkt zwingend fälligen Zahlungsverpflichtungen uneingeschränkt erfüllen zu können, muß zu jedem Zeitpunkt seines Bestehens gegeben sein.

Bei den genannten systemindifferenten Merkmalen bleibt unberücksichtigt, daß es in der heutigen Zeit ein generelles gesellschaftliches Anliegen gibt, neben der (unangezweifeiten!) ökonomischen Dimension verstärkt humane (Humanprinzip) und ökologische Interessen (Prinzip geringstmöglicher Umweltbelastung) in den Leistungserstellungs- und Unternehmensentscheidungsprozeß mit einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund ist es angebracht, das Optimumprinzip als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in folgender Hinsicht zu erweitern: Handle so, daß Input (Aufwand) und Output (Ertrag) so aufeinander abgestimmt werden, daß das ökonomische Problem nach den festgesetzten Kriterien unter Berücksichtigung des Humanprinzips und des Prinzips geringstmöglicher Umweltbelastung optimal gelöst wird (Hopfenbeck 1990, S.74)! Die marktwirtschaftliche Ausprägung des Betriebes wird als Unternehmung oder Unternehmen bezeichnet, also als ein spezieller Betriebstyp angesehen. Die systembezogenen Merkmale der (privaten oder privatwirtschaftlichen) Unternehmung sind: 1. Autonomieprinzip: Die Unternehmen bestimmen ihre Produktions- und Absatzpläne selbst, ohne daß diese durch Vorschriften staatlicher Stellen reglementiert werden. 2. Erwerbswirtschaftliches Prinzip: Unabhängig davon, ob die Kombination der Produktionsfaktoren dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgt, fordert das erwerbswirtschaftliche Prinzip von der Unternehmung, auf lange Sicht einen möglichst hohen Gewinn auf das eingesetzte Kapital zu erzielen (Gewinn- bzw. Rentabilitätsmaximum). 3. Prinzip des Privateigentums: Die Produktionsmittel befinden sich in Privateigentum, woraus sich der Anspruch der Eigenkapitalgeber auf direkte oder indirekte Unternehmensführung im Sinne der Willensbildung und Willensdurchsetzung ableitet.

In einer privaten Unternehmung geht es - rein ökonomisch betrachtet - darum, die Produktionsfaktoren nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip zu kombinieren und das erwerbswirtschaftliche Prinzip zu verfolgen. Dieses Prinzip stellt die eigentli-

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

119

che Triebfeder des unternehmerischen Handelns dar. Konkret bedeutet dies, daß ein Unternehmen nicht zum Selbstzweck eröffnet und betrieben wird, sondern um Gewinne zu erzielen und langfristig zu überleben. Die Unternehmenssicherung wird i.d.R. dann erreicht, wenn sich das Unternehmen mit seiner Leistung und seinem Verhalten an dem orientiert, was die Umwelt bzw. das Umfeld von ihm erwartet.

2.2 Zielkategorien

und

Zielhierarchie

Jedes Unternehmen ist bestrebt, erfolgreich zu sein, und verfolgt mehr oder weniger konsequent bestimmte Sachziele und Formalziele oder Erfolgsziele, wobei die Formalziele grundsätzlich eine übergeordnete Stellung zu den Sachzielen haben. Abbildung 16 zeigt, was unter Sachzielen und was unter Formalzielen zu verstehen ist. Abb. 16: Betriebswirtschaftliche Zielkategorien

Formalziele ( Erfolgsziele)

Produktivität

Wirtschaftlichkeit

1 Leistungsziele

t

Rentabilität

I

1

Sachziele O r g a n i s a t i o n s - u. Führungsziele

i

Finanzielle Ziele

l

S o z i a l e u. ökologische Ziele

i

Betriebliche Tätigkeiten

Sachziele lassen sich als sachbezogene Aussagen über die angestrebte Leistung formulieren. Nach JUNG können folgende Sachzielgruppen unterschieden werden: •

Leistungsziele: Sie betreffen den betrieblichen Leistungsprozeß und die Absatzseite. Es werden z.B. Umsatzvolumen, Marktanteile oder die Art der Produkte bestimmt.

120 •

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

Ziele sozialer oder ökologischer Art: Diese Ziele werden in Abhängigkeit der gegebenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände und der persönlichen Einstellung der Führungskräfte gebildet. Zu den mitarbeiter-bezogenen Zielen gehören ein gutes Arbeitsklima, Lohngerechtigkeit, ausreichende Mitbestimmung, u.a.. Zu den gesellschaftsbezogenen Zielen zählen Ziele, die den Umweltschutz und Gesundheitsschutz der Mitarbeiter betreffen.



Führungs- und Organisationsziele: Die Ziele nehmen Bezug auf die Organisationsstruktur eines Unternehmens, die Aufgabenteilung, die anzuwendenden Führungsstile oder auch die Art und Weise der Problemlösungen.



Ziele finanzieller Art: Hierzu zählen Ziele, die die Liquidität in einem Unternehmen sichern oder auch eine optimale Kapitalstruktur ermöglichen (Jung 1996, S. 28).

Zwar nehmen Erfolgsziele gegenüber den Sachzielen eine übergeordnete Stellung ein, aber man sollte nicht die Bedeutung des Sachziels „Liquidität" übersehen. Mit SLEGWART kann in Hinblick auf die wirtschaftliche Orientierung eines Unternehmens folgende allgemeine Aussage getroffen werden: „Die Liquidität

ist der Sauerstoff, der Überschuß die Nahrung, das Eigenkapital

der Unternehmung.

Ohne Sauerstoff

(Liquidität) kann eine Unternehmung

überleben, denn wenn eine Unternehmung

die

Substanz

weder leben noch

nicht über genügend liquide Mittel verfügt, so be-

deutet dies auch bei positivem Erfolg das Ende der Unternehmung. Andererseits kann eine Unternehmung bei gesicherter Liquidität auch bei anhaltenden weiterexistieren.

Verlusten durchaus (für einige Zeit)

In ihrer minimalen Ausprägung sind die genannten Größen daher als

sine qua non unternehmerischer

Existenz aufzufassen. Erst wenn diese Mußbedingungen

sind, befindet sich die Unternehmung

in einem finanzwirtschaftlichen

conditio erfüllt

Gleichgewicht'''' (Siegwart

1990, S. 11).

Man kann BUSSIEK zustimmen, daß die Existenz eines Unternehmens auf 3 Säulen ruht: •

Wirtschaftlichkeit i.w.S. (Produktivität, Wirtschaftlichkeit i.e.S., Rentabilität);



Stabilität;



Liquidität (Bussiek 1994, S. 12).

Oberstes Ziel der Unternehmensfuhrung muß jedoch die langfristige Erhaltung der Überlebensfahigkeit sein. Vor dem Hintergrund der Existenzsicherung kann der Liquidität als Teilziel in der Zielhierarchie der Unternehmung die „höchste" Priorität beigemessen werden (vgl. Abbildung 17). Die Liquidität (Zeitpunktgröße) kann insofern als unabdingbare Nebenbedingung zur Realisierung weiterer Unternehmensziele aufgefaßt werden. In der zeitlichen Dimension gilt zwar, daß Liquidität vor Rentabilität geht, dies bedeutet jedoch nicht, daß Unternehmen gegründet werden, um liquide zu sein. Aus mittel- und langfristiger Sicht stellt der Erfolg (Ergebnis/Gewinn) die zentrale Zielgröße der Unternehmenssteuerung dar, wobei erwähnt werden sollte:

121

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

„Während die Liquidität die entscheidende Zielgröße bei der Abwicklung aller finanzwirtschaftlichen Unternehmensprozesse darstellt, tritt neben sie der Erfolg als relevante Zielgröße leistungswirtschaftlicher Unternehmensprozesse. In Unternehmungen wird heute vielfach neben den leistungswirtschaftlichen Prozessen ein reges (teils spekulatives) Geschäft mit Finanzanlagen (Wertpapiere, wie Aktien, Anleihen, Derivaten, Festgeld) betrieben. Für diese Geschäfte ist auch wiederum der Erfolg die maßgebliche Zielgröße, die dann als Finanzergebnis bezeichnet wird" (Hoitsch 1995, S.7).

2.3 Zielgrößen und

Zielformulierung

Ziele beschreiben ganz allgemein einen erwünschten zukünftigen Zustand, den eine Institution erreichen möchte. Sie können nach unterschiedlichen Kriterien systematisiert werden: in Sach- und Formalziele, in Haupt- und Nebenziele, in Ober- und Unterziele, in kurz-, mittel- und langfristige Ziele sowie monetäre und nicht-monetäre Ziele. Abb. 17: Zielhierarchie/Ziele der Unternehmung

Überleben

*

Endziel

*

Liquidität

Teilziel

*

Gewinnstreben

*

Wirtschaftlichkeit

*

Produktivität

*

Teilziel

*

Teilziel

*

Teilziel

Für die Praxis ist es wichtig, daß Unternehmen klare Ziele anstreben und diese so formuliert sind, daß sie sich in Planziele und Handlungsziele auflösen lassen. Vor allem die Formulierung monetärer Ziele sollte von den verantwortlichen Führungskräften nach Inhalt, Ausmaß und Zeit eindeutig sein, um prüfen zu können, inwieweit eine Zielerreichung erfolgt ist und hierauf aufsetzend eine Abweichungsanalyse durchgeführt werden kann (vgl. Abbildung 18). Abb. 18: Beispiele zur Zielformulierung Inhalt

Ausmaß

Zeit

Steigerung des Umsatzes ...

... 1 5 % . . .

... im 1. Quartal 1998

Verringerung der Mitarbeiterzahl...

... um 2 Techniker, 3 Schreibkräfte.

... ab dem 1.1.1999

Auslastung des Drehautomaten ...

...mit maximaler Kapazität...

...vom 1.4.1998 bis 15.6.1998

122

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Als rationale Entscheidungshilfe sowie zur Überprüfung der Erreichung von Unternehmenszielen dienen Kennzahlen und Kennzahlensysteme, die betriebswirtschaftliche Tatbestände in konzentrierter Form aufzeigen. Die betrieblichen Kennziffern Produktivität, Wirtschaftlichkeit, Gewinn (Rentabilität) und Liquidität sind die elementaren ökonomischen Maßgrößen für alle Unternehmen, unabhängig von deren Rechtsform, Branchenzugehörigkeit oder Größe. Die Erfolgsziele (Formalziele) Produktivität, Wirtschaftlichkeit sowie Gewinn bzw. Rentabilität sind das Resultat des güter- und finanzwirtschaftlichen Umsatzprozesses. Zur Beurteilung des Erfolges dienen u.a. folgende aus dem Umsatzprozeß abgeleiteten Wertgrößen. In der betrieblichen Praxis berechnet man die (wertmäßige) Wirtschaftlichkeit gewöhnlich wie folgt: (Ertrags-) Wirtschaftlichkeit (Kosten-)

=

Wirtschaftlichkeit

Ertrag Aufwendungen =

Leistungen Kosten

Die Wirtschaftlichkeit ist bei beiden Formeln um so höher, je größer der Wert des Quotienten ist. Der Quotient kann auch bei „wirtschaftlichem Handeln" kleiner als 1 sein, wenn - man denke hier an das Minimalprinzip!- der geringstmögliche Aufwand den vorgegebenen Ertrag übersteigt. Beträgt die Zahl genau 1, so wird weder ein Gewinn noch ein Verlust erzielt. Eine weitere Möglichkeit, die wertmäßige Wirtschaftlichkeit zu bestimmen, ist: Wirtschaftlichkeit

=

Sollkosten Istkosten

Nachteilig bei den drei Berechnungen ist, daß es sich um mit Geld bewertete Leistungsmengen und mit Geld bewertete Verbrauchsmengen an Produktionsfaktoren handelt. Verändern sich die Absatz- oder die Beschaffungspreise, so verändert sich auch die Wirtschaftlichkeit. Eine Möglichkeit, die Kennziffern in ihrer Aussagekraft zu „stabilisieren", besteht im Ansatz konstanter Preise oder im Ansatz von Verrechnungssätzen. Im Gegensatz zum wertmäßigen Wirtschaftlichkeitsbegriff wird mit Produktivität das mengenmäßige Verhältnis zwischen Input und Output zum Ausdruck gebracht (mengenmäßige oder technische Wirtschaftlichkeit). Bei der Ermittlung der (Gesamt-)Produktivität ergibt sich gewöhnlich die Schwierigkeit, daß zwar für den Output eine einheitliche Größe zur Verfügung steht (i.d.R. die produzierte Stückzahl), die Inputfaktoren (Produktionsfaktoren) aber unterschiedliches Aussehen und unterschiedliche Meßgrößen haben; ein einheitlicher Nenner kann nicht gebildet werden.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk (Gesamt-) Produktivität

=

Ausbringungsmenge

der

Einsatzmenge an

123

Faktorkombination

Produktionsfaktoren

Um die Aussagekraft der Kennziffern zu erhöhen, werden für einzelne Produktionsfaktoren Teilproduktivitäten ermittelt. Als Einsatzmengen kommen z.B. Arbeitsstunden, Materialeinsatz, Maschinenstunden, Nutz- oder Verkaufsfläche in Frage. Arbeitsproduktivität Materialproduktivität Betriebsmittelproduktivität

Erzeugte Menge -— Arbeitsstunden

= =

=

Erzeugte Menge Materialeinsatz Erzeugte Menge Maschinenstunden

In enger Beziehung zur mengenmäßigen und vor allem zur wertmäßigen Wirtschaftlichkeit stehen die Begriffe „Gewinn" und „Rentabilität". Das Gewinnziel als bedeutsamste Zielgröße unternehmerischen Handelns kann entweder absolut, als Differenz zwischen Ertrag (Leistung) und Aufwand (Kosten), oder relativ, als Verhältnis des Gewinnbetrages zu dem zur Erreichung des Gewinnziels eingesetzten Kapital, formuliert werden (relativer Gewinn = Rentabilität). Zu beachten ist hierbei, daß es den Gewinn bzw. Gewinnbegriff als solches nicht gibt (vgl. Zdrowomyslaw/Kairies 1+2/1993, 5/1992). Was als Gewinn beziffert wird, hängt von den Informationsbedürfnissen ab, die mit der jeweiligen Gewinnermittlung befriedigt werden sollen. Die Betriebswirtschaftslehre hat zahlreiche Gewinnbegriffe entwickelt. 3. Evolution von

Führungssystemen

3.1 Von der Buchhaltung zur ganzheitlichen

Unternehmensführung

Im Laufe der Historie sind zahlreiche Managementtheorien entwickelt worden, und es hat eine Evolution der Führungssysteme stattgefunden. Um die Effizienz und Effektivität der Herstellung und des Vertriebs von Produkten und Dienstleistungen möglichst optimal zu gestalten, sind Führungssysteme von Nutzen. Als das erste „Führungssystem" mit Dokumentations- und Rechenschaftscharakter kann die Einfuhrung der doppelten Buchführung oder Finanzbuchhaltung im 15. Jahrhundert (PACIOLI 1494: Das wesentliche italienische Lehrbuch der doppelten Buchführung) angesehen werden. Noch bis ins 18./19. Jahrhundert hatte die Buchhaltung zwei wesentliche Aufgaben: Sie diente zur Selbsterinnerung des Handelnden und als Beweis gegenüber Anfeindungen. Zunächst beschränkte sich das betriebliche Rechnungswesen auf die Dokumentation. Erst später kam die Kontollaufgabe (Überwachung) sowie Planungsaufgabe (Vorausrechnung von Zukufterwartungen) hinzu. Erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts kam es zu einem merklichen Wandel der betriebswirtschaftlichen Steuerungskonzepte, der Führungsstile und der Zielset-

124

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

zung, oder, komplex betrachtet, eine recht schnelle Evolution der Führungssysteme (vgl. Abbildung 19). Bei den Führungsstilen hat ein Wandel von einem eher autoritär patriarchalischen zu einem eher offenen Führungsstil stattgefunden. Dies bedeutet aber keineswegs, daß der autoritäre Führungsstil überhaupt nicht mehr existiert. Selbstverständlich spielen auch heute, wie vor Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten, die Substanzerhaltung, die Gewinnsicherung und die Existenzsicherung eine zentrale Rolle für jedes Unternehmen. Allerdings wird auch verstärkt seitens der Gesellschaft die Frage der Existenzberechtigung aufgeworfen. In der historischen Betrachtung läßt sich die Evolution der Führungssysteme mit folgendem Satz charakterisieren: Von der Buchhaltung zur ganzheitlichen Unternehmensführung. Abb. 19: Evolution der Führungssysteme

Von der Buchhaltung zur ganzheitlichen Unternehmensführung

GanzhcitStrate-

liche

Strate-

gisches

Unter-

gisches

Manage-

nehmens-

Controlling

ment

führung

Betriebswirtschaftliches Operative

Steue-

Operatives

Strate-

Controlling

gische Planung

Voll-

Planung/

DB-

Finanzbuch-

kosten-

Teilkosten-

Rechnung

haltung

rechnung

rechnung

Zeil-

15.Jh.

Anfang

Mitte

Anfang

Ende

Ende

Mitte

Mitte

epoche

Ende

20er Jahre

20er Jahre

50er Jahre

60er Jahre

70er Jahre

80er Jahre

90er J a h r e

rungskonzept

20. J A H R H U N D E R T

Fiihnings-

autoritär

slil

patriarchalisch

Ziel vorgäbe

Zielvereinbarung

I>

Offene Führung

SUBSTANZERHALTUNG Zielsetzung

GEWINNSICHERUNG EXISTENZSICHERUNG EXISTENZBERECHTIGUNG

Unter anderem auch vor dem Hintergrund sich ändernder Erfordernisse in der Wirtschaft und der Erkenntnis, daß das „Humankapital" einen wichtigen Wettbewerbsfaktor, national und international, darstellt, sind Theorien entwikkelt worden, die an den Bedürfnissen des Menschen ansetzen und die Belange von Organisationen berücksichtigen. Kennzeichnete die 50er Jahre die Human Relations Theorie, so sind heute eher Begriffe wie Unternehmenskultur, Informationsmanagement und Entrepreneurship in aller Munde. Die Tatsache, daß Innovationen (eben auch in Unternehmen) maßgeblich durch aktive und selbständig agierende Mitarbeiter hervorgerufen werden, hat dazu gefuhrt, daß sich auch die Methoden der Weiterbildung gewandelt haben. Prägten in den 50er Jahren Vorlesungen und Vortrag die Weiterbildungsveranstaltung, so dominieren heute aktive Lehr- und Lernmethoden (z.B. Rollenspiele, Gruppenarbeiten, Projekt arbeiten). Aus der Sicht der Weiterbildung kann ferner festgehalten werden:

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

125

Abb. 20: Vom Dozenten zum Moderator 50er Jahre

60er Jahre

Anfang

Ende

70er Jahre

70er Jahre

80er Jahre

Anfang 90er Jahre

Motivation Sinngebung Problemlö- Identifikasteigern, Job-enrich- sung tion mit ermöglichen Unterneh„Wirtschafts ment, men wunder" Job-enlargesteigern sichern ment, neue Formen der Arbeitsorganisation

Ziel

Ökonom. Struktur sichern, Gesellschaft sordnung stabilisieren

Stichwort

freundlicher freundlicher Humanisie- Organisarung der tionsentUmgang Umgang Arbeit wicklung

Grund

Mitbestimmungsforderungen (Montan)

Arbeitskräftemangel, sich ändernder Zeitgeist

extreme Quantitätsorientierung und Qualitätsanforderung führte zur Fluktuation und Krankheit (Innere Kündigung)

Theorie

Human Relations

Bedürfnisanalyse

Zweifakto- Organisarentheorie tionsentwicklung

Namen

Mayo

Mc Gregor, Herzberg Maslow

French/Bell, Peters/ Kepner/ Waterman, Tregoe Deal/ Kennedy

Methodenwechsel, Vortrag, Film, Diskussion

Fallbeispiele Kommunika Coaching, Rollenspiele -tionsorien- Projektarbeit Gruppenar- tierung, beiten, Reflexion Planspiele von Fallbeispielen, Gruppenarbeiten, Planspielen

Methoden der Vorlesung, Vortrag Weiterbildungsveranstaltungen

Methodenerweiterung, Rollenspiel, Planspiel, Gruppenarbeit

Delegation von Verantwortung war zum Unternehmensziel geworden (Harzburger Modell)

Vollintegration informationstechnischer Potentiale

Identifikation „ WirGefühl"

vernetztes Denken

Kostensenkung, Qualität als einziges Kriterium bei hohen Produktions kosten und Marktsättigung

Kostensenkung, verkürzte Durchlaufzeiten, Just in Time, Ganzheitliche Verantwortlichkeit des Einzelnen steigern

Cl/Unternehmenskultur

Infomationsmanagement, Entrepreneurship Heinrich/ Burgholzer

Teilnehmer

Rezipient

aktiver aktiver aktiver aktiver gelenkter Teilnehmer Teilnehmer Teilnehmer Teilnehmer Teilnehmer

Weiterbilder

Dozent

Dozent, Medienexperte

Anleiter und anleitender Moderator Ratgeber Phasendozent

Moderator

Der Teilnehmer einer Weiterbildung ist nicht Rezipient, sondern aktiver Teil-

126

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

nehmer und der Weiterbilder ist nicht in erster Linie Dozent, sondern Moderator. {Abbildung 20) zeigt den Wandel bzw. die Verschiebung theoretischer Überlegungen und die sich daraus ableitenden Methoden. Abb. 21: Jede Gruppe setzt sich aus verschiedenen Charakteren zusammen

Führung hat letztlich immer auch mit Menschen und deren Verhalten zu tun. Ob es sich um die Planung bzw. Durchführung von Weiterbildungsveranstaltungen, die Schaffung einer neuen Organisation oder um sonstige Aktivitäten handelt, ist es grundsätzlich von Vorteil, sich mit den Charakteren der Einzelpersonen zu beschäftigen (vgl. Abbildung 21), da Unternehmensführung sowohl quantitative als auch qualitative Elemente enthält. Auf diese Differenzierung werden wir noch etwas ausführlicher im Rahmen der Abhandlung bestimmter Unternehmensfunktionen (insbesondere bei den Querschnittfunktionen „Mitarbeiterführung" und „Controlling") eingehen. 3.2 Quantitative und qualitative

Unternehmensführung

Unternehmensführung ist bereits aus mehreren Blickwinkeln beleuchtet worden. An dieser Stelle möchten wir deutlich machen, daß es unserer Auffassung nach durchaus Sinn macht, analytisch zwischen der quantitativen und qualitativen Unternehmensführung zu unterscheiden (vgl. Abbildung 22), wohl wissend, daß beide Elemente in der Praxis von Relevanz sind und gleichwohl die Tendenz zur Spannung zwischen den beiden Konzepten besteht.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

127

Um den Komplex der „Führung von und in Unternehmen" mit einem Aktualitätsbezug zu kennzeichnen, wählt Seidel die zwei Schlüsselworte „Controlling" und „Partizipation". Wie die Begriffe „quantitative" und „qualitative" Unternehmensführung stehen beide Ausdrücke für „amorphe, vielschichtige und mehrdeutige Konzepte" (Seidel 1994, S.354). Abb. 22 Zwei Schlüsselkonzepte im Bereich Management "Controlling" Unternehmenszentriert Quanitativ (modellanalytisch) Normativ (präskriptiv) Harte Daten, Fakten Struktur "Planung" Unternehmensfuhrung

"Partizipation" Mitarbeiterzentriert qualitativ (verhaltenswissenschaftlich) empirisch (deskriptiv) weiche Daten, Faktoren Kultur "Verhalten" Personalfuhrung

Quelle: Seidel, E.; Ökologisches Controlling - Zur Konzeption einer ökologisch verpflichteten Führung von und in Unternehmen, in: Wunderer, R. (Hrsg.); B W L als Management- und Führungslehre, 3. Aufl., Stuttgart 1994, S. 355.

Quantitative und qualitative Unternehmensfuhrung ersetzen sich nicht, sondern ergänzen einander. Aus einer anderen Sichtweise kann man auch sagen, daß sich die Führung aus den Teilfunktionen „Aufgabenorientierung" (Lokomotions-funktion zur Erreichung der Ziele) und „Personenorientierung" (Kohäsions-funktion in der Gruppe: Gruppenerhalt bzw. -Stärkung) zusammensetzt, die auch als Führungsstile aufgefaßt werden können. Die zwei Funktionen (vgl. Abbildung 23, Zander 1994, S. 31) beschreibt ZANDER wie folgt: „Jede Führungskraft hat aufgabenorientiert zu handeln. Sie muß Ziele, die ihr gesetzt sind, verfolgen und alles tun, mit Hilfe der ihr zugeordneten Mitarbeiter und unter Einsatz der erforderlichen Ressourcen rechtzeitig zu den richtigen Entscheidungen zu kommen. Man nennt dies Lokomotionsfunktion zur Erreichung von Zielen. Jede Führungskraft muß aber auch personenorientiert handeln. Sie hat dafür zu sorgen, daß die Mitarbeiter soweit wie möglich ihre persönlichen Ziele erreichen können, insbesondere, daß sie Befriedigung in ihrer Aufgabe finden. Selbstbestätigung und Selbstentfaltung der Mitarbeiter sind also Ziele, die angesteuert werden müssen. Darüber hinaus gehört zur personenorientierten Aufgabe der Führungskraft auch, die Mitarbeiter zu fördern, sie in ihrer Entwicklung voranzubringen. Mitarbeiter sollen sich zu Mitdenkern, zu Problemlosem entwikkeln. Die Aktionsfähigkeit des einzelnen und der Gruppe soll erhalten und möglichst erweitert werden" (Zander 1995, S. 29).

128

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

Abb. 23: Führungsfunktionen: Aufgaben- und Personenorientierung Führung - persönliche Einflußnahme auf das Verhalten anderer zur Realisierung bestimmter Ziel (d.h. Finden, Treffen, Durchsetzten und Durchfuhren von Entscheidungen und Kontrollieren von deren Auswirkungen)

Lokomotionsfunktion zur

Kohäsionsfunktion in der Gruppe:

Erreichung der Ziele

Gruppenerhalt bzw. -Stärkung

personenorientiert

aufgabeorientiert (initiieren, organisieren, anweisen)

(zuhören, vertrauen, ermutigen)

dafür sorgen,

dafür sorgen,

dafür sorgen,

Mitarbeiter

daß "richtige"

daß die "rich-

daß die Mitar-

zu Mitdenkem,

Entscheidungen

tigen" Personen

beiter ihre per-

Problemlosem,

gefällt werden

vorhanden sind

sönlichen Ziele

entwickeln;

und beauftragt

erreichen können;

Aktionsfähig-

werden, sonstige

Befriedigung in

keit des

Ressourcen

der Aufgabe;

einzelnen und

sicherstellen

Selbstbestätigung,

der Gruppe

(materielle

Selbstentfaltung,

erhalten und

Informationen)

Sicherheit

erweitern

Vertrauen Gewinnen durch

Vorbild

Achtung

Echtheit

an Einsatz

der Mit-

des Füh-

und Über-

arbeiter

rungsver-

zeugung

als

haltens

Menschen

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

3.3 Unternehmen als systemorientiert-ganzheitliches

129

Gebilde

Aus den vorherigen Darlegungen zur Unternehmensumwelt und zu Unternehmenszielen sowie zum Wandel der Führungssysteme läßt sich ableiten, daß es sinnvoll ist, das Unternehmen vor dem sytemorientierten (ULRICH) oder systemorientierten-ganzheitlichen Ansatz zu betrachten. Dieser Ansatz „ist einer der jüngsten der Betriebswirtschaftslehre (BWL) und ein Resultat jahrzehntelanger Bemühungen, realistisch integrierte Aussagen über das Untersuchungsobjekt der BWL - die Unternehmung - zu machen." (Pichler/Pleitner/Schmidt 1996, S. 38). Er hat demnach den Anspruch, auch die älteren bzw. sonstige diskutierte Ansätze der Managementlehre (z.B. „optimale Kombination der Produktionsfaktoren" nach GUTENBERG, der entscheidungsorientierte nach HEINEN, Ergänzung des organisationstheoretischen Ansatzes durch verhaltenswissenschaftliche Aspekte) einzubeziehen. Bei dieser systemorientierten Konzeption stehen nicht die einzelnen Funktionen im Vordergrund, sondern die Probleme der Geschäftsführung einer Organisation oder Institution bilden den Ausgangspunkt von Entscheidungsprozessen. Das Unternehmen wird grundsätzlich als ein mit Eigenleben ausgestattetes Gebilde gesehen, in dem die leistenden Elemente (Unternehmer, Mitarbeiter, Betriebsmittel, Werkstoffe und Kapital), verknüpft durch das Gestaltungsmoment „Information", ihnen jeweils zurechenbare Funktionen erfüllen. Dies vollzieht sich im Rahmen des Umfeldes oder der Umwelt eines Unternehmens. Das Unternehmen wird in diesem Ansatz als offenes, kybernetisches System definiert. Als weitere Dimension werden die Betrieblebensphasen der Unternehmung gesehen. Zwar werden die Entwicklungsphasen (Vorbereitung der Gründung, Gründungsphase, Wachstumsphase usw.) durch die äußeren Rahmenbedingungen beeinflußt, aber sie sind grundsätzlich durch die innerbetriebliche Organisation und die Unternehmensführung gestaltbar. Auch die Phasen im Führungsprozeß und die Mittel zur Zielerreichung sind unabhängig von der Unternehmensgröße und Branchenzugehörigkeit auf alle Unternehmen anzuwenden, wobei vor allem bei KMU der Unternehmer und die Mitarbeiter bzw. die Unternehmens- und Personalpolitik bei allen Funktionen im Vordergrund stehen. Dieser Management-Ansatz ist demnach auch oder gerade für KMU von Bedeutung für eine erfolgreiche Unternehmensführung, wie die Autoren Pichler/Pleitner/Schmidt (1996, S. 38-41)darlegen.

4. Strategien und Faktoren erfolgreicher 4.1 Was ist Unternehmenserfolg

Unternehmen

und woher kommt er?

Weltweit stellen sich Wissenschaftler die Frage, warum erfolgreiche Unternehmen erfolgreich sind, und Experten zerbrechen sich die Köpfe auf der Suche

130

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

nach dem Erfolgsrezept. Die meisten Studien können dahingehend zusammengefaßt werden: Ein Patentrezept für den Unternehmenserfolg gibt es nicht. Empfehlungen und neue Strategien, Instrumente und Konzeptionen für erfolgreiche Unternehmer haben seit Jahren Hochkonjunktur. Spätestens seit der Publikation des Buches „Auf der Suche nach Spitzenleistungen" von PETERS und WATERMANN aus den 80er Jahren ist die Erfolgsfaktorenforschung auch für KMU populär. Wenn über erfolgreiche oder gute Unternehmen gesprochen wird, so bedeutet dies in der Regel operative Spitzenleistungen vorzuweisen. Das heißt im Idealfall, der Konkurrenz im operativen Bereich bezüglich Kosten, Produktnutzen und Zeit voraus zu sein. Wie Abbildung 24 zeigt, ist in diesem Fall die Produktivität des Unternehmens höher (z.B. Stückkosten geringer), die Produktqualität wird besser eingeschätzt (z.B. Kundenzufriendenheit höher) und die Geschwindigkeit der Unternehmensaktivitäten ist größer (z.B. Entwicklungszeiten für neue Produkte kürzer) als bei den Wettbewerbern. Das Unternehmen hat Erfolg am Markt, und steigende Umsätze sowie Gewinne bestätigen diese Entwicklung. Die genannten Erfolgskennziffern richten den Blick jedoch in erster Linie in die Vergangenheit. Abb. 24: Operative Spitzenleistungen als Erfolgsfaktor Produktivität (z.B. Stückkosten, Fehlzeiten)

Durchschnittsunternehmen

Erfolgsunternehmen

Produktnutzen

Geschwindigkeit

(z.B. Reklamationen,

(z.B. Entwicklungszeit,

Kundenzufriedenheit)

Lieferzeiten)

Für die Beurteilung der zukünftigen Entwicklung eines Unternehmens sind sie aber nicht ausreichend und müssen um nicht-monetäre Erfolgsindikatoren ergänzt werden. Erfolgsindikatoren wie „Kundenorientierung", „Qualitätsorien-

Kapitel III: Unternehmensfiiihrung im Handwerk

131

tierung", „Zeitorientierung" und „Produktivitätsorientierung" deuten späteren Erfolg oder Mißerfolg im Unternehmensergebnis an. Nicht zu unterschätzen sind auch „weiche" Faktoren wie Unternehmenskultur, „Wir-Gefühl" usw.

4.2 Erfolgsfaktoren

von

Unternehmen

Welche Faktoren für den Erfolg (ggf. auch Mißerfolg) eines Unternehmens verantwortlich zeichnen, ist seit längerem Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Natürlich können Erfolgsfaktoren einerseits nicht völlig losgelöst von den Rahmenbedingungen und dem Know-how von Branchen beurteilt werden. Andererseits gibt es aber durchaus einige Erfolgsfaktoren, die in Unternehmen mit vorzeigbaren Leistungen beachtet werden und die unabhängig von Branche und zum Teil auch von der Größe des Unternehmens Gültigkeit haben. Die Erfolgsfaktoren, die in den meisten Unternehmen mit Spitzenleistungen festgestellt werden konnten, umfassen nach VOLLMUTH i.d.R. folgende 11 Punkte: Konzentration aufs Kerngeschäft, Kundenorientierung steht im Vordergrund, starkes Kostenbewußtsein, Aufbau- und Ablauforganisation mit klaren und unkomplizierten Strukturen, motivierte und leistungsorientierte Mitarbeiter, optimales Zuliefer-Management (Kooperation bestimmt das Verhalten), modernste Technologie, kontinuierliche Verbesserung der Qualität und Produktivität, laufender Lernprozeß bei den Mitarbeitern, Effektivität (Richtige Dinge tun) und Effizienz (Dinge richtig tun) auf hohem Niveau und schließlich die Etablierung einer lernenden Organisation (vgl. Vollmuth 1996, S.86-88). NAGEL streicht folgende 6 Erfolgsfaktoren des Unternehmens heraus: Strategie, Organisation, Mitarbeiter, Führungssystem, Informationssystem, Kundennähe (vgl. Nagel 1993). Abbildung 25 zeigt die Systematisierung von Erfolgsfaktoren in vergleichender Gegenüberstellung von ausgewählten Studien.

132

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Abb. 25: Ausgewählte Systematisierungsversuche von Erfolgsfaktoren in vergleichender Gegenüberstellung Seibert 1987 Generelle Erfolgsfaktoren Branchenspezifische Erfolgsfaktoren

Pohl/ Rehkugler 1989

Geschäftsfeldspezifische Erfolgsfaktoren

1987

Petres / Waterman 1984

Krüger

Pümpin

1988

1983

Positionserfolgsfaktoren

Eigenschaften von Produktionsfaktoren, Systemteilen oder des Gesamtunternehmens

Kreikebaum/ Grimm 1983

Hoffmann

Unternehmensexterne Erfolgsfaktoren

Makroumweit

Marktbezogene Erfolgsfaktoren

Erfolgsfaktoren aus dem betrieblichen Bereich

Erfolgsfaktoren spezifischer strategischer Gruppen

Unternehmensspezifische Erfolgsfaktoren

Reutner

Markterfolgsfaktoren Leistungserfolgsfaktoren

Strategie

Strategie

Selbstverständnis

Philosophie/Kultur

Funktionsbezogene Erfolgsfaktoren

1986

Aufgabenumwelt

Unternehmensinterne Erfolgsfaktoren

Unternehmensziele/ Kultur

Stil

Strukturgrößen

Struktur

Struktur

Organisationsstruktur Informationssysteme

Einsatz bestimmter Planungsund Kontrollsysteme

Systeme

Systeme

Stammpersonal Spezialkenntnisse

Träger

Managementqualität

Realisationspotential

Produktionstechnologische Potentiale Leistungsprogramm

Produktbezogene Erfolgsfaktoren

Quelle: Daschmann, Hans-Achim; Erfolgsfaktoren mittelständischer Unternehmen, Stuttgart 1994, S.3

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

133

Aus den Charakteristika erfolgreicher Unternehmen erhofft man, allgemeine G e s t a l t u n g s r i c h t l i n i e n a b l e i t e n zu k ö n n e n , d.h., d a ß in d e n l e t z t e n J a h r e n a u f d e r S u c h e n a c h e i n e r s c h l ü s s i g e n H e r l e i t u n g v o n E r f o l g s f a k t o r e n v e r s t ä r k t der i n d u k t i v e W e g d e r F o r s c h u n g b e s c h r i t t e n w i r d . „Der Vorteil dieses Ansatzes liegt in der Praxisnähe seiner Aussagen, die Meßgrößen sind an realen Unternehmen abgegriffen worden und damit nachprüfbar" ( W a r n e c k e 1996, S.67). D i e p o p u l ä r s t e a u f d e m i n d u k t i v e n A n s a t z b e r u h e n d e S t u d i e m i t d e m Titel „ A u f d e r S u c h e n a c h S p i t z e n l e i s t u n g e n " s t a m m t v o n PETERS u n d WATERMANN, v e r ö f f e n t l i c h t A n f a n g d e r 8 0 e r J a h r e . I n ihrer V e r ö f f e n t l i c h u n g a r b e i t e n sie d a s S i e ben-S-Modell, bestehend aus den Elementen Struktur, Strategie, Systeme, S e l b s t v e r s t ä n d n i s , S p e z i a l k e n n t n i s s e , Stil u n d S t a m m p e r s o n a l , h e r a u s . PETERS u n d WATERMAN ( P e t e r s / W a t e r m a n n 1984) k o m m e n a u f g r u n d u m f a n g r e i c h e r Analysen für us-amerikanische Großunternehmen zu folgendem Katalog der K e n n z e i c h e n e r f o l g r e i c h e r U n t e r n e h m e n ( D i e Z u s a m m e n s t e l l u n g ist e n t n o m m e n a u s : B ö c k e r 1988, S. 19-21): (1)

Neigung zur Handlung: Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich nicht nur durch klare Analysen, sondern auch dadurch aus, daß sie zur rechten Zeit handeln. Zu breit angelegte theoretische Ausarbeitungen werden durch knappe, präzise Analysen und gezielt vorgenommene Marktaktivitäten, die häufig zunächst als Tests verstanden werden, ersetzt. Ein jeweils vergleichsweise kleiner Mitteleinsatz, der mit dem Ziel zu lernen unternommen wird, kennzeichnet beispielsweise die Strategie von Procter & Gamble. Die von diesem Unternehmen über Jahre hinweg sinnvoll geplanten Experimente förderten nicht nur wichtige Erkenntnisse über den Markt, sondern in vielen Fällen auch unerwartete Erfolge am Markt zutage.

( 2 ) Strikte Kundenorientierung: Die notwendige Ausrichtung auf die aktuellen und potentiellen Kunden darf nicht nur im Sinne der Befriedigung einmal konstatierter Kundenwünsche, sondern muß auch als ein systematisches Zusammentragen aller Informationen bezüglich der aktuellen und der potentiellen Kunden verstanden werden. Kunden sind dabei nicht als nach Bedürfnisbefriedigung strebende Wesen anzusehen, sondern als Individuen, die häufig sehr wertvolle Verbesserungsvorschläge für neue Produkte beizusteuern in der Lage sind. Das beste Beispiel hierfür stellt die IBM dar, die sich in der Vergangenheit weniger durch technischen Avantgardismus auszeichnete als durch ihre Servicestärke und dadurch, daß sie viele Entwicklungen zusammen mit den Kunden vorantrieb (anders z.B. Siemens). (3) Förderung von Autonomie und Unternehmertum im mittleren Management: Unternehmen sind vor allem deshalb erfolgreich, weil sie Innovatoren und Unternehmer im Kleinen hervorbringen und sie angemessen gewähren lassen. Oberster Wahlspruch sollte daher sein: *Stelle sicher, daß eine vernünftige Anzahl von Fehlern gemacht wird!' Dieser noch zu präzisierende Wahlspruch gilt nicht nur für die Unternehmensleitung, sondern auch für das mittlere Management.

134

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

(4) Achtung vor dem Mitarbeiter: Nicht Kapital oder Know-How, sondern die Mitarbeiter sind die Quelle des Unternehmenserfolges, und zwar Mitarbeiter aller Hierarchieebenen. Das Bemühen um die Mitarbeiter als Menschen stellt keine untergeordnete Aufgabe des Managements, sondern dessen zentrale Funktion dar. (5) Unternehmensführung durch Werte: Eine unverwechselbare Unternehmenskultur (Corporate Identity) ist eine wichtige Triebfeder des Handelns der Mitarbeiter. Die Entwicklung eingängiger Wertvorstellungen, die nach innen und nach außen kommuniziert werden, schafft für die Mitarbeiter und die Kunden Identifikationsmöglichkeiten und liefert ihnen den Grund, sich mit der entsprechenden Marke bzw. Unternehmung zu identifizieren. ( 6 ) „Schuster bleib bei Deinen Leisten!": Nachhaltigen Erfolg erzielen nur solche Unternehmen, die sich durch ein vergleichsweise homogenes Angebotsprogramm auszeichnen. Konglomerate mit ihren unterschiedlichen Aktivitätsbereichen können in der Regel nur finanzwirtschaftlich geführt werden, womit wesentliche Antriebskräfte menschlicher Leistung aufgegeben werden und kaum eine einzigartige Unternehmenskultur entwickelt werden kann. (7) Einfache Organisationsstrukturen: Komplexe Organisationsstrukturen (z.B. Matrixorganisationen) und umfangreiche Stabseinheiten erschweren die direkte Kommunikation und behindern die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten, ferner führen sie häufig zu Verzögerungen von Entscheidungen, was wiederum eine Demotivation der Betroffenen zur Folge haben kann. ( 8 ) Konzentration der Unternehmensführung auf das Wesentliche: Nur weniges bedarf einer zentralen Festlegung, vieles kann dezentral besser erledigt werden. Einer zentralen Planung und Kontrolle ist vor allem die Entwicklung des Wertesystems einer Unternehmung zu unterwerfen."

Verdichtend und vereinfachend können aus der Analyse von PETERS UND WATERMANN acht „Bauernregeln", die in etwa denen von BÖCKER dargelegten Ausfuhrungen entsprechen, abgeleitet werden: •

Der Kunde ist König,



Schuster, bleibt bei deinen Leisten,



Probieren geht über Studieren,



wir wollen lauter Unternehmer,



auf den Mitarbeiter kommt es an,



wir meinen, was wir sagen - und tun es auch,



Kampf der Bürokratie und



soviel Führung wie nötig, sowenig Kontrolle wie möglich.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

135

Erfolg in der Vergangenheit gibt keine Garantie für die Zukunft. Zumindest muß kritisch nachgefragt werden, ob diese Ergebnisse auch noch heute Gültigkeit haben und ob sie auf kleinere Unternehmen übertragbar sind. Außerdem stellt sich die Frage: Gibt es Besonderheiten bei der Führung von KMU, die übertragbar sind auf Handwerksbetriebe? 4.3 Mittelstand - nationaler und internationaler

Erfolgsfaktor?

Vor allem von der Wissenschaft werden dem Mittelstand besondere Fähigkeiten und Stärken (Erfolgsfaktoren) zugesprochen, die sich in den Unternehmen national und international erfolgreich auswirken. Volkswirtschaftlich betrachtet bedeutet dies: der Mittelstand trägt maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg und Ansehen der Bundesrepublik Deutschland bei. Offensichtlich gelingt es der deutschen Wirtschaft, die zu einem beachtlichen Teil durch mittelständische Unternehmen geprägt ist, ihre Wettbewerbsvorteile über die nationalen Grenzen hinaus zu tragen. Bestimmte nationale Erfolgsfaktoren kommen auch im internationalen Vergleich zum Tragen. In seiner Untersuchung über nationale Wettbewerbsvorteile im Hinblick auf ein erfolgreiches Konkurrieren auf dem Weltmarkt macht der bekannte us-amerikanische Ökonom M I C H A E L E. PORTER, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, folgende Feststellung: „Es besteht zwar eine Mischung aus großen und kleinen Unternehmen, doch der internationale Erfolg Deutschlands beruht zu einem überraschend großen Teil auf Klein- und Mittelbetrieben, was von Beobachtern der deutschen Wirtschaft nicht recht verstanden wird. Deutsche Disziplin und Ordnung werden an der Art ersichtlich, wie Firmen geführt werden. Das Unternehmensgefüge ist meistens hierarchisch und patriarchalisch, Eigenschaften, die häufig der deutschen Familie zugeschrieben werden. Der Eigentümer ist oft stark in alle geschäftlichen Belange einbezogen, insbesondere auf technischem Gebiet, und es besteht häufig ein enges und dauerhaftes Verhältnis zu den Beschäftigten. Aber diese Firmeneigenschaften bedeuten auch, daß deutsche Unternehmen selten in Branchen mit kurzen Lebenszyklen (weniger als 3-5 Jahre) oder der Notwendigkeit einer aggressiven Absatzpolitik Erfolg haben. Diese Ausrichtung bringt die deutschen Unternehmen fast zwangsläufig dazu, über die Differenzierung Wettbewerb zu treiben, nicht über die Kosten. Sie werten die Produkte ständig auf und treiben sie fast unerbittlich in den Bereich der Hochleistungsergebnisse, wie bei Messewaren, Automobilen und Druckmaschinen. Das deutsche Augenmerk gilt weniger dem Anteil am Gesamtmarkt als in Schweden oder Japan, mehr der Beherrschung technisch aufwendiger Marktsegmente und dem Erzielen ausreichender Gewinne" (Schröder 1991, S. 538).

Aus Firmenporträts von mittelständischen Unternehmen, veröffentlicht z.B. in der „Wirtschaftswoche", im „manager magazin", der „Süddeutschen Zeitung" (Serie: „Dynastien, Außenseiter, Newcomer") oder auch in regionalen Zeitungen wie der Ostsee Zeitung (Existenzgründer vorgestellt:), können immer wieder interessante Aussagen herausgezogen werden, die auf bestimmte Erfolgsfaktoren in Unternehmen hinweisen.

136

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Aber es gibt auch systematisch angelegte Studien, die sich mit dem Erfolg mittelständischer Unternehmen auseinandersetzen. Hier ist vor allem das Werk von SIMON „hidden Champions" hervorzuheben. Aber auch das Buch von BIALLO (Biallo 1993), in dem anhand von 11 Firmenporträts die Strategien mittelständischer Erfolgsunternehmen beleuchtet werden, die Handlungsweisen solcher Unternehmen. Nicht wenige Autoren vertreten die Ansicht, daß mittelständische Unternehmer ihre Unternehmen anders fuhren als Manager (Hamer 1990, S. 24-73), womit gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht wird, daß ein Heranziehen qualitativer Kriterien zur Abgrenzung mittelständische versus Großunternehmen vor dem Hintergrund bestimmter Fragestellungen mehr als sinnvoll erscheint. Empirische Studien, die Auswertung von Unternehmer- und Managerporträts bzw. Interviews usw. weisen darauf hin, daß es charakteristische Merkmale für unterschiedliche Verhaltensweisen und Handlungen gibt, wie noch dargelegt wird. An dieser Stelle sei anhand des Resümees des Managementprofessors SIMON darauf hingewiesen, wie problematisch sich (populäre) Managementlehren in der Realität darstellen können: „Die "Hidden Champions" gehen ihren Weg. Sie machen fast alles anders als andere Unternehmen und als es populäre Management-Gurus unserer Zeit predigen. Sie haben keine geheime Erfolgsformel. Dagegen achten sie sehr auf gesunden Menschenverstand. So einfach, jedoch so schwierig umzusetzen. Vielleicht", schreibt er nachdenklich, „ist das die wichtigste Lektion" (Simon 1996, S. 227).

Fakt ist zwar, daß jedes (mittelständische) Unternehmen seinen eigenen Stil hat, den Markt zu erobern und zu bearbeiten. Aber die meisten erfolgreichen Mittelständler zeichnet eine konsequente, personenbezogene Vorgehensweise und eine klare Strategie aus. Zur Verdeutlichung einer solchen Politik und deren Umsetzung wird stellvertretend die Abhandlungen von BLALLO über die Paul Binhold Lehrmittelfabrik GmbH in Hamburg wörtlich zitiert. Paul Binhold Lehrmittelfabrik GmbH in Hamburg Die Japaner in Japan schachmatt

setzen

Die Paul Binhold GmbH in Hamburg-Bergedorf erwirtschaftet mit der Produktion von Lehrmitteln wie Skeletten, Übungstorsen oder Lehrtafeln für Universitäten, Schulen, Industrie und Privatpersonen einen Jahresumsatz von knapp 20 Millionen DM. Der Weltmarktführer mit seinen knapp 100 Mitarbeitern im Stammhaus erzielt eine Exportquote von 90 Prozent, schreibt "deutlich schwarze Zahlen" und hat u.a. seine japanischen Konkurrenten in deren Heimat ausgestochen.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

137

Otto H. Gies ist ein Mensch, der seine Arbeitsfreude nicht verbergen kann und es auch gar nicht will. Der für das Marketing und die internationalen Geschäfte von Binhold verantwortliche Manager ist dabei kein geschwätziger oder laut lospolternder Typ, sondern eher ein Herr der vornehmen, leisen, wohlakzentuierten Töne. Seine unaufdringliche Art kommt ihm bei seinen internationalen Kontakten, vor allem bei den Asiaten, sehr entgegen. Bei seinen Gesprächen in Hamburg-Eppendorf blitzt immer wieder sein gesunder, trockener Humor auf. Der stellt sich bei seinem Busineß mit Kunststoffskeletten und Totenköpfen vielleicht sogar zwangsläufig ein. Kaum ein menschliches Einzelteil aus Kunststoff, den es bei Binhold nicht gibt. Nirgendwo lassen sich Anatomiestudien besser bewerkstelligen als hier. Die Produktpalette des Mittelständlers beginnt beim Kunststoff-Knochenmann in verschiedensten Ausführungen, so beispielsweise mit einzelnen abnehmbaren Muskelpartien, beinhaltet sämtliche menschliche Organe und führt bis hin zur High-Tech-Krankenpflegegruppe, an der die Schwesternschülerin alle pflegerischen Arbeiten unter nahezu realistischen Bedingungen übt. Als es Unternehmen wie Binhold noch nicht gab, hängte man (sehr zerbrechliche) Gipsmodelle oder häufiger noch natürliche menschliche Skelette in die Uni-Hörsäle und Unterrichtsräume. Bis 1976 trieben viele Firmen einen schwunghaften Handel mit indischen Skeletten. Pro Jahr wurden mehrere Tausend nach Großbritannien verschifft, bis die damalige Premierministerin Indira Ghandi dem Spuk mit einem Ausfuhrverbot ein Ende bereitete. Auch heute handelt man weltweit mit menschlichen Skeletten. So bot man Gies 100 Exemplare aus Rußland für einen Spottpreis von 700 DM an. Gies lehnte aus ethischen Gründen dankbar ab. Momentan ist der Marketingmann mit Vehemenz dabei, jenes Sortiment kräftig auszubauen, dem er den bezeichnenden Begriff „ana(k)omisch" gab. Dazu gehören aufklappbare Kunststoffmodelle des Aids-Virus. In ihrem Kern findet der Käufer jenes Gummiutensil, das gegen die Ausbreitung der Immunschwächekrankheit am wirkungsvollsten schützt. . . Das, was Gies dem Besucher mit unterdrücktem Lächeln als Gagartikel präsentiert, sind fürs Unternehmen jedoch mehr als launige Scherzartikel. Genauso übrigens wie die pinkfarbenen Partyskelette, die in den USA zu Halloween reißenden Absatz finden. „ Diese Dinge haben wir erst vor kurzem in unser Produktprogramm aufgenommen ", sagt er und freut sich, daß das ana(k)omische Geschäft boomt. Der Marke tingchef ist leidenschaftlicher Schachspieler, als solcher ein strategisch denkender und nüchtern handelnder Mensch. „Die Industriegesellschaften sind weitgehend übersättigt. Jeder hat alles", sagt er. Da müsse man sich den Märkten anpassen, sich etwas einfallen lassen. Sucht die Arztgattin verzweifelt nach dem passenden Geschenk für den lieben Herrn Gemahl, wird sie bei Binhold fündig. Mag sein, der Herr Internist freut sich über die Seidenkrawatte „Herz mit EKG" oder die weltweit einzigartige Skelett-Armbanduhr. Einige Dinge des „ana(k)omischen" Sortiments im neu erscheinenden 130 Seiten starken Binhold-Katalog dürften bei manchem Betrachter ein Kopfschütteln auslösen. Wer legt sich schon einen Gummiknochen mit Knoten als Gedächtnisstütze auf den Schreibtisch? Ansehet-

138

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

nend doch mehr Leute, als der Besucher glauben will. Denn für Gies gilt: Scherz bleibt Scherz, und Geschäft bleibt Geschäft.

Das intelligenteste Binhold-Produkt: Die Elektronik steckt im

Po...

Speziell für die Ausbildung von Krankenschwestern und Pflegern entwickelte das Hamburger Unternehmen eine Puppe, die weitgehend dem menschlichen Körper nachgebildet ist. Sie kann im Bett sitzen, stehen, liegen. Die Bewegungsmechanik entspricht den natürlichen Abläufen. Für die Grundpflege gibt es eine Standardausführung. Mit ihr erreicht das künftige Fachpersonal schneller die erforderliche Sicherheit in Handhabung und Sorgfalt, die eine unbedingte Voraussetzung für die Pflege von Patienten ist. Die Krankenschwester erlernt zum Beispiel verschiedene Lagerungsmöglichkeiten des Patienten, um Wundliegen zu verhindern. Die Puppe enthält alle inneren Organe wie Lunge, Magen, Darmstück, Blase, und Geschlechtsorgane erlauben sogar Katheterisierungen bei Mann und Frau. Folgende Dinge kann das Pflegepersonal außerdem einüben: -

Verbände anlegen,

- Spülungen von Augen, Ohren, Magen, Darm und Blase, - Reanimationsmaßnahmen

(Atemspende)

- Injektionen, Infusionen und Einlaufe durchführen. Nun soll die Puppe sogar elektronisch aufgerüstet werden. Im Gesäß wird sich eine (japanische) Computersteuerung befinden, die bei Injektionen signalisiert, ob die Spritze richtig saß. Und dem angehenden Mediziner zeigen künftige Sensoren an, ob er ein Magengeschwür, einen Polypen, richtig getroffen hat.

Japaner schotteten ihren Markt lange ab Das überwiegende Busineß macht der Hamburger Weltmarktführer jedoch mit (ernsthaften) anatomischen Modellen, Skeletten und Lehrtafeln für Schulen, Universitäten, Privatleute und die pharmazeutische Industrie. Knapp 20 Millionen DM setzte Binhold 1992 um. Der Exportanteil beträgt satte 90 Prozent. Das Hamburger Unternehmen liefert in mehr als 100 Staaten der Erde. „ In Japan ", sagte Gies, „ verkaufen wir in der Zwischenzeit genauso viele anatomische Modelle wie in Deutschland." Dabei haben die dortigen Konkurrenten ihn und seine Mannen anfangs erfolgreich abgeblockt und aus dem lukrativen - im Vergleich zu Deutschland - hochpreisigen Markt ferngehalten.

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

139

Die angewandten Methoden waren nicht immer vom Feinsten. So weigerten sich die japanischen Lehrmittelgroßhändler nach „intensiven Gesprächen" mit ihren traditionellen Zulieferern lange Zeit beharrlich, Binholds Produkte in ihr Sortiment aufzunehmen. Oder es wurde Gies ein japanisches Unternehmen als Alleinvertretung empfohlen, von dem sich zum Glück für die Deutschen noch rechtzeitig herausstellte, daß es natürlich ganz zufällig mit einem großen Wettbewerber verbandelt war. . . Das kostete Binhold viel Zeit und Geld. Monate gehen ins Land. Doch Gies nutzt diese Periode in zweifacher Hinsicht. Einmal arbeitete er eine neue Marketingstrategie aus, um die aufgestellten Hürden listig zu umgehen. Zum anderen - was zumindest genauso wichtig war bringt er sein Japanisch so weit voran, daß er in der Provinz mit Leuten reden kann, die kein Wort Englisch, geschweige denn Deutsch, sprechen.

Die Binhold-Strategie in fünf Punkten 1. Die weltweit praktizierte Niedrigpreisgarantie verschafft dem Unternehmen eine ständige Markttransparenz und schafft so die Möglichkeit, flexibel auf Konkurrenzstrategien zu antworten. 2. Mit einem stark differenzierten Angebotssortiment dringt der Hersteller preissensibel in neue und bestehende Märkte vor und baut seine Marktanteile konsequent aus. 3. Mit Hilfe der Zielkostenrechnung steigert das Unternehmen ständig die Effizienz und setzt dabei konsequent auf Gruppenarbeit und Mitarbeiter-Lösungsvorschläge. 4. Kundenorientierung hat höchste Priorität. Man stellt sich nicht nur mit den Produkten, sondern auch bei Werbung, Marketing und persönlichem Auftritt, auf die jeweiligen lokalen Verhältnisse ein. 5. Binhold kooperiert in vielen Ländern mit dortigen Anbietern, übernimmt von ihnen Produkte zur Optimierung des eigenen Sortiments. Im Gegenzug übernehmen die ausländischen Mitbewerber Binhold-Produkte und stellen die Produktion dieser Dinge ein.

Gies tingelt durch die japanische Provinz Weil die etablierten Händler Binhold-Produkte nicht wollen, besucht Gies die Inhaber kleinerer Handelsbetriebe auf dem Land, drückte ihnen Kataloge in japanischer Sprache in die Hand und offerierte seine Qualitätsprodukte zu sehr guten Konditionen. Die Händler sind dadurch in der Lage, seine Lehrmittel zu Preisen anzubieten, die zwischen 30 und 40 Prozent unter denen der einheimischen Konkurrenz liegen. Im Laufe der Zeit gesellten sich auch andere, größere Betriebe dazu und bereichern ihre Produktpalette um die lukrativen deutschen Erzeugnisse. Da die kleineren Unternehmen damals noch nicht selbst importieren durften, fragten sie immer wieder beim traditionellen japanischen Großhandel nach den Skeletten und Kunststofforganen aus Hamburg. Der Druck auf die letzte Bastion der Abschotter ist schließlich so groß, daß auch diese Dämme brechen. Nach drei Jahren zähen Kampfes hat das deutsche Unternehmen sich durchgesetzt.

140

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

„ Heute arbeiten wir unbehelligt in Japan und haben dort einen Marktanteil von schätzungsweise 40 Prozent", sagt Gies. Die Kontakte sind mittlerweile so intensiv, daß die Hamburger sogar von der Heimat aus (bei Schmuddelwetter in der Hansestadt), selbst auf japanischen Golfplätzen, gelegentlich das „Gras wachsen" hören. Dort plauderten im Herbst 1992 ein paar Angestellte des japanischen Mitbewerbers über die geheimen Pläne, in Taiwan eine Krankenpflegepuppe entwickeln und herstellen zu lassen, um die Deutschen auszustechen. Durch einen Anruf vorgewarnt, senkte Binhold kurzerhand die Preise um 30 Prozent. Die Japaner ließen die schönen geheimen Pläne in der Schublade verschwinden.

Aus Schwertern Pflugscharen gemacht. . . Das tat im Grunde Paul Binhold, als er 1948 damit begann, in der Wohnung auf einem Gasbrenner Pferdegasmasken aus alten Wehrmachtsbeständen einzuschmelzen, um daraus das erste Kunststoffskelett für ein Museum zu produzieren. Vorher hatte er sich mit der Herstellung von Kinderspielzeug und Regenschirmknäufen lediglich über Wasser gehalten. Aus den anfänglich fünf Mitarbeitern wurden schließlich mehr als hundert, die heute in HamburgBergedorf arbeiten. 60 sind es in der Dresdner Tochterfirma. Aus der ehemaligen „Skelettfabrik" ist ein hochmoderner Produktionsbetrieb geworden, dessen Sortiment auf mittlerweile 500 verschiedene Produkte anwuchs. Die Kunststoff-Knochenmänner erbringen nur noch ein Fünftel des Gesamtumsatzes. Angesprochen wird nicht mehr - wie zu Anfang - ausschließlich der Lehrmittelfachhandel. Neben Ärzten, Krankenschwesternschülerinnen oder Medizienstudenten bedient das Unternehmen auch die Pharmaindustrie. Und dies alles in über 100 Staaten der Erde. Binhold, der nie in seinem Leben ein Auto besaß, ist trotz des großen unternehmerischen Erfolgs ein bescheidener Mensch geblieben. Zweimal in der Woche kommt der heute 82jährige in den Betrieb, um nach dem Rechten zu sehen. Und wie in den letzten 45 Jahren auch, legt der immer noch als einer von vier Geschäftsführern fungierende Pensionär die Strecke von der Wohnung zur Firma mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Ein Taxi zu nehmen, kommt dem rüstigen Binhold auch heute nicht in den Sinn.

„Japaner sind die besseren Manager" „ Wir müssen in Deutschland und Europa viel flexibler werden, was die Preisgestaltung angeht, sonst werden noch mehr Unternehmen und weitere Industriezweige von den Asiaten ausgebootet", sagt Gies. Und er spricht aus, was nur wenige deutsche Führungskräfte offen sagen: „Die Misere der Industrie haben die westlichen Manager mitverursacht, deren Gedanken und Aktivitäten sich stets um die Lösung von bereits bestehenden Problemen drehen. " Kaum jemand denke an die Gestaltung der Zukunft. Die Impulse für die Zukunft kämen heute weitgehend aus Asien. Der Binhold-Geschäftsführer, der immerhin mehrere Wochen im Jahr in Asien unterwegs ist, teilt im übrigen auch nicht das Lamento vieler hochbezahlter Managerkollegen über die ungünstigen hiesigen Standortbedingungen oder die angeblichen Kostenvorteile japanischer Unternehmen. „ Man vergleicht nur Lohn- und Lohnnebenkosten und übersieht dabei, daß die japanischen Standortkosten sehr viel höher als bei uns sind", doziert er. Die Preise für Ener-

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

141

gie, Boden, Miete und Transport lägen in dem dichtbesiedelten asiatischen Land auf einem weitaus höheren Niveau als bei uns. Wie gut die japanischen Manager sind, haben sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als sie in den USA eine komplette A utofabrik, einschließlich der Arbeiter von General Motors, übernahmen. Trotz der gleichgebliebenen Produktionsbedingungen sind die japanischen Wagen in derselben amerikanischen Automobilfabrik viel kostengünstiger produziert worden. Das, so Gies, zeigt ganz deutlich: „Nicht die amerikanischen Arbeiter sind eindeutig schlechter, sondern die westlichen Manager sind ihren östlichen Kollegen unterlegen." Dabei denkt der Binhold-Geschäftsführer unter anderem an deren ausgeprägte Fähigkeit, Produktionsabläufe zu optimieren, um die Herstellungszeiten immer weiter zu minimieren. Gies hat, ohne es bisher laut auszuposaunen, in Hamburg damit begonnen, gewisse Elemente erfolgreicher japanischer Managementmethoden einzuführen. Ein Beispiel ist das Prinzip der „ target costs ": Man schaut sich einen Markt und seine Konkurrenzprodukte an und erfährt auf diese Weise, welches eigene Produkt zu welchem Preis wettbewerbsfähig wäre. Dieser Preis X wird als Zielgröße für die eigenen Produktentwickler festgelegt. Wie die das Ziel erreichen, bleibt weitgehend ihnen überlassen. Nur eines steht von vornherein fest: Der fixierte Preis darf nicht überschritten werden. Je mehr er überschritten wird, desto höher der Gewinn.

Zielkostenrechnung bestimmt die Verkaufspreise Regelmäßig schauen sich die Binhold-Techniker die Produkte der anderen Firmen an, zerlegen sie in ihre Einzelteile, vergleichen sie mit eigenen Produkten, denken über neue Produktionsmethoden und Arbeitsabläufe nach, beziehen in diese Überlegungen die Zulieferer mit ein, versuchen immer wieder aufs neue, noch ein Stück effizienter, preisgünstiger zu werden. So gelang es beispielsweise, die Preisuntergrenze für das Standardskelett von 436 DM auf 265 DM herunterzubringen. Das heißt natürlich auch: Hier arbeitet niemand im stillen Kämmerlein einsam vor sich hin. Teamarbeit ist in Hamburg, aber auch bei der Tochterfirma in Dresden mit ihren 60 Mitarbeitern oberstes Gebot. Um ein fixiertes Preisziel zu erreichen und gegen fernöstliche Billiganbieter mithalten zu können, beschreitet man auch unkonventionelle Wege. So, als es galt, sich gegen einen taiwanesischen Konkurrenten zu behaupten, der genauso wie Binhold einen Auftrag von Ciba Geigy zur Produktion von bis zu 25.000 Herzmodellen haben wollte. Als alles Tüfteln in Hamburg nichts half, ergriffen ein paar Mitarbeiter, die vor Jahren aus Polen nach Deutschland übersiedelt waren, die Initiative und organisierten die Handbemalung bei Freunden, Bekannten und Verwandten in der alten Heimat jenseits der Oder. Der Auftrag ging an Binhold. „ Ohne meine tollen Mitarbeiter wären wir nicht da, wo wir heute sind", sagt der 82jährige Firmengründer Paul Binhold, der noch heute zweimal pro Woche nach dem Rechten sieht, sich ansonsten jedoch auf Tochter, Schwiegersohn und seinen rührigen Marketingchef ver-

142

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

läßt, die gemeinsam die Geschäftsleitung der GmbH bilden. Eine Fluktuation gibt es in Hamburg praktisch nicht. Einige Mitarbeiter sind noch aus der Gründerzeit dabei.

Arbeit muß Lebensinhalt bleiben „Ich verstehe mich als Entertainer, der dafür sorgen muß, daß die Mitarbeiter gut unterhalten werden und sich wohl fühlen, damit deren Arbeit Lebensinhalt bleiben kann ", kommt Gies auf seine Rolle zu sprechen. Bei tendenziell mehr Freizeit und weniger Arbeit könne man nur mit hochmotivierten Mitarbeitern Erfolg haben. Daher gelten bei Binhold folgende zwei Grundprinzipien der Mitarbeiterführung: 1. die finanziellen und sozialen Dinge müssen stimmen, 2. die Arbeit muß interessant sein, damit sie Lebensinhalt bleiben kann. Zum Punkt 1: Daß das Unternehmen nach dem Chemie-Tarifvertrag ganauso hohe Löhne und Gehälter wie die drei Riesen Bayer, Hoechst und BASF zahlt, ist die Grundvoraussetzung. Jeder Mitarbeiter erhält bis zu 39 bezahlte Urlaubstage. Einmal im Jahr wird eine Erfolgsprämie ausgeschüttet. Deren Höhe richtet sich nach dem Betriebsergebnis und kann das 13. Monatsgehalt durchaus überschreiten. Zum Punkt 2: Durch „Job-enrichment" und „Job-rotation" erhöht das Unternehmen die Qualifikation seiner Mitarbeiter (Frauenanteil 68 Prozent), schenkt ihnen neue berufliche Herausforderungen und hält die Arbeit so interessant. In der Verwaltung sprechen die meisten zwei Fremdsprachen. Viele Entscheidungen hat die Geschäftsleitung auf die Sachbearbeiterebene deligiert. Das steigert das Verantwortungsbewußtsein für die Firma als Ganzes.

Den Katalog gibt es in 15 Sprachen Weil die Geschäftsführung und Mitarbeiter an einem Strang ziehen, was gerade auch für die Dresdner Tochterfirma mit ihrer überwiegend weiblichen Führungsmannschafi gilt (Gies: „Mit Männern hatten wir dort Schwierigkeiten. Die Frauen haben mehr Rückgrat.. "), hat das Unternehmen sich weltweit zur Nummer eins aufgeschwungen. Das ist so, weil: - Binhold hat mit rund 500 verschiedenen Erzeugnissen des Lehrmittelbereichs eine breitere Produktpalette als die meisten anderen Hersteller; - Binhold verkauft das menschliche Standardsortiment (Skelett, Organe bis hin zur Krankenpflegepuppe) in den größten Stückzahlen; - Binhold ist auf allen Märkten präsent, während die Amerikaner in Japan keinen Stich machen und die Japaner in Europa keine Rolle spielen; - Binholds Katalog gibt es in 15 Sprachen. So beispielsweise auch in Japanisch, Russisch, Türkisch, Koreanisch, Mandarin-Chinesich und Hebräisch. Der Konkurrent, der nach Binhold die meisten Katalogsprachen hat, bringt es gerade auf deren drei! Und es gibt weltweit auch kaum ein Unternehmen in dieser Branche, das sich so virtuos wie Binhold auf die Märkte und deren unterschiedliche Erfordernisse einstellt. Und gerade diese

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

143

überragende Fähigkeit, die in der weitgereisten Persönlichkeit des Otto Gies seinen Ausdruck findet, dürfte sicher das ausschlaggebende Element für den Erfolg sein.

Das Geheimnis: sich total auf die Wünsche der Kunden einzustellen Wie man sich auf Märkte einstellt - dazu noch ein paar lehrreiche Beispiele: - In den USA verkauf Binhold Skelette mit Fernseher oder Walkman: Die Eltern der Medizinstudenten können die Kosten steuerlich geltend machen, weil es in den USA keine Zugabeverordnung wie in der Bundesrepublik gibt, die so etwas untersagt. -

Weltweit gilt eine „Niedrigpreisgarantie ". Wer vergleichbare Qualität günstiger bekommt, erhält von Binhold eine Gutschrift über die Preisdifferenz. Auf diese Weise erhält Gies preisgünstig Informationen über den Wettbewerb und stellt sich darauf ein.

- Die Japaner bevorzugen bei Skeletten eher weiße, Amerikaner eher gelbliche Töne, Afrikaner erhalten bei Tarsen eine schwarze Ausführung. - Bei Skeletten gibt es für den Studenten ein preisgünstiges „Einstiegsmodell" für 400 DM undfür den gehobenen Mediziner ein Modell mit gewissen Extras, wie etwa ein eingebauter Bandscheibenvorfall, für rund 1.500 DM. -

Orientalische Staaten erhalten geschlechtslose Tarsen.

- Künstler modellieren ftir Japan Köpfe mit breiterem Jochbein und Unterkiefer, aber im Vergleich zu europäischen Modellen kleinerem Penis. - Sämtliche Produkte werden in enger Abstimmung mit Medizinern entworfen, von Bildhauern modelliert und zum Teil von ehemaligen Mitarbeiterinnen der Meißner Porzellanmanufaktur per Hand koloriert. Daß das Hamburger Unternehmen nicht nur an das Heute, sondern auch an das Morgen und Übermorgen denkt, zeigt das Engagement in Ostdeutschland und Osteuropa. In Ungarn übernahm das deutsche Unternehmen im Frühjahr 1993 mit „Biocalderoni" den auf der Welt ältesten Hersteller anatomischer Modelle, der 1819 gegründet wurde. Der Budapest er Betrieb schreibt schon schwarze Zahlen. Genauso übrigens wie die 1991 vom Dresdner Hygienemuseum übernommene Lehrmittelfabrik. „Der Betrieb dort ist so ausgelastet", freut sich Gies, „daß wir drei Monate Lieferzeit haben. " Im Binhold-Konzept wächst der sächsischen Tochter künftig eine wichtige Aufgabe zu: Sie wird mit niedrigen Preisen aggressiv Käufer direkt ansprechen. Das Hamburger Unternehmen dagegen pflegt weiterhin die internationalen Kontakte und wickelt das Geschäft mit dem Fachhandel ab. Dazu gehört künftig auch ein „Skelettrecycling": Binhold wird in Zukunft beim Kauf neuer Skelette alte zurücknehmen, selbst wenn diese von Konkurrenten stammen. Die aufgearbeiteten Second-hand-Knochenmänner schleust Gies dann in preissensible Märkte ein...

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

144

4.4 Erfolgsfaktor Manager und Unternehmer: „Nieten in Nadelstreifen " 4.4.1 Anforderungsprofile

Wirtschaftskapitäne

oder

und Kompetenzen

Nicht erst seit dem Buch von G Ü N T E R O G G E R (Ogger 1992) mit dem reißerischen Titel „Nieten in Nadelstreifen. Deutschlands Manager im Zwielicht" stellt sich u.a. die Frage, was eine Person zu einem Manager oder einer Führungsperson macht. Geht man von der hierarchischen Einordnung der Mitarbeiter in einem Unternehmen aus, so wird nicht nur die oberste „Etage", sondern fast jede Person, die Mitarbeiterverantwortung trägt, dem Management zugerechnet bzw. mit der wohlklingenden Bezeichnung Manager versehen. Angesichts einer solch weiten Abgrenzung gibt es demnach in Deutschland mehrere hunderttausend Manager. Wenn allerdings in Veröffentlichungen (Zeitschriften usw.) über Mismanagement berichtet wird und von „Anpassern", „Duckmäusern" und „Fachidioten" gesprochen wird, so ist i.d.R. das Top-Mangement bzw. die Chefetage gemeint. Sicherlich nicht völlig zu Unrecht, da vor allem die Geschäftsführung und ggf. die Verantwortlichen der Überwachungsorgane (z.B. Aufsichtsratsmitglieder) mit ihren Entscheidungen maßgeblich zum Erfolg oder Mißerfolg eines Unternehmens beitragen. Allerdings sei hier kritisch angemerkt, in jeder Institution und auf jeder Hierarchieebene gibt es die Erfolgreichen, die weniger Erfolgreichen und die Versager. Außerdem sollte nicht übersehen werden, daß die Beurteilung wer ein Versager und wer keiner ist, nicht völlig wertneutral gefällt werden kann und durchaus von Interessen geprägt sein kann. Abb. 26: Gegenüberstellung der Kompetenzen Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung

Kompetenzen Vorstand

Aufsichtsrat

Hauptversammlung

Eigenverantwortliche Leitung Überwachung der Geschäfts- Bestellung der Mitglieder des

der Geschäfte (§ 76 AktG)

führung (§111 AktG)

Aufsichtsrates (§ 119 AktG)

Geschäftsführung (§ 77 AktG) Prüfung der Bücher (§ III Verwendung des BilanzAktG) gewinns (§119 AktG)

Berichtspflicht bezüglich Geschäftspolitik, Rentabilität, Finanz- und Ertragslage und bei Geschäften von besonderer Bedeutung Vertretung

Bindung von Entscheidungen Entlastung des Vorstandes des Vorstandes an die Zustim- und des Aufsichtsrates (§119 mung des Aufsichtsrates AktG)

möglich (§ 111 AktG) Einberufung

der

Bestellung des AbschlußHauptver- prüfers (§ 119 AktG)

sammlung (§111 AktG) Quelle: Nach Voss, Rödiger; Grundwissen Betriebswirtschaftslehre, München 1996, S. 124.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

145

Grundsätzlich wird jedoch davon ausgegangen, daß gewisse Schlüsselqualifikation nützlich, wenn nicht gar notwendig sind, um als Manager und Unternehmer bestehen zu können. Dabei werden als die zentralen Rahmenbedingungen für einen qualifizierten Mitarbeiter und erst recht für eine qualifizierte Führungskraft die Fach-, Methoden und Sozialkompetenz herausgestrichen. Der adäquate Begriff, der die drei Elemente vereint, wird als Handlungskompetenz bezeichnet (vgl. Abbildung 27). Die Hervorhebung der Handlungskompetenz ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen, mit der Kundenzufriedenheit sichergestellt werden kann, heute gewöhnlich Resultate eines interdisziplinären Arbeitsteams und nicht die Leistungen eines Einzelnen sind. Vor diesem Hintergrund müssen neben einem ausgeprägten Fachwissen, das nach wie vor einen hohen Stellenwert einnimmt, verstärkt auch methodische und soziale Kompetenz treten. Unter Methodenkompetenz können z.B. Begriffe wie Lernen, Zeitmanagement, Planen/Entscheiden, Streßbewältigung, Delegation, Präsentieren/Moderieren, Problemlösung, Kreativität, strategisches und analytisches Denken, Projektmanagement, Fremdsprachen eingeordnet werden; unter Sozialkompetenz z.B. Führung, Gesprächsführung, Kommunikationsfähigkeit, Argumentieren, Konfliktverhalten, Coaching-Fähigkeit, Verantwortungsbewußtsein, Gestaltungswille, Selbstbewußtsein. Abb. 27: Mitarbeiter und Führungsqualifikation im Unternehmen der Zukunft

Mitarbeiter- und Führungsqualifikation im Unternehmen der Zukunft Fachkompetenz

Mitarbeiter-Qualifikation

Mitarbeiter-Qualifikation o Kommunikations-

"State of the a r f -

o Lernen lernen o Kreativität

fähigkeit

Wissen

o Kooperationsbereit-

o Informationsverarbeitung/

schaft und -fähigkeit

Datenbankrecherchen

o Verantwortungs-

o Management-

bewußtsein

Techniken/ o Methodischsystematisches

Soziale

Kompetenz

Kompetenz

Vorgehen o Kreativität/ Innovationsfähigkeit o Einflußnahme/ Gestaitungswille o Entscheidungsfähigkeit

o Methodisch-systematisches Vorgehen

o

kompetenz Methodische

Führungs-Qualifikation

o Personalentwicklung

o Führung

Handlungs-

Projekt-Management

Einflußnahme/ Gestaltungswille

o

Selbstbewußtsein

Führungs-Qualifikation o Kommunikationsfähigkeit o Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit o

Coaching-Fähigkeiten

o Umgang mit kritischen Situationen und Konflikten

146

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

4.4.2 Aufgaben und Tätigkeiten So wie jeder Mensch einzigartig ist, gilt es gleiches für Unternehmen zu konstatieren. Jedes Unternehmen ist anders. Die Unternehmen unterscheiden sich nicht nur in Rechtsform und Größe, sondern vor allem in der Aufbau- und Ablauforganisation, die von einzelnen Menschen bzw. Gruppen ausgefüllt wird. Unabhängig davon, ob es sich um Großunternehmen oder um KMU handelt, sollte Klarheit über die Aufgabenverteilung bestehen. Angesichts der Umfänglichkeit und Komplexität der betrieblichen Gesamtaufgabe im Sinne der Erreichung von Sach- und Formalzielen besteht i.d.R. die Notwendigkeit, verschiedene organisatorische Bereiche zu schaffen. „Diese Bereiche werden meist unter funktionalen Gesichtspunkten gebildet, so daß man vom Verkauf, von der Produktion und der Verwaltung spricht. Natürlich bestehen zwischen diesen Bereichen Schnittstellen, an denen besonders eng zusammengearbeitet werden muß; gerade deswegen ist es notwendig, die Aufgaben exakt aufzuteilen und festzulegen, wer welche Aufgaben zu erledigen hat" (Zander 1995, S. 42). Mit der Übertragung von Aufgaben wird gleichzeitig Verantwortung übertragen, die für einen harmonischen Ablauf entsprechende Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse erfordert. Während in größeren Unternehmen (z.B. AG: Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder) die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche i.d.R. weiter gestreut sind, bedingt die dominierende Stellung des Unternehmers in Unternehmen ein besonderes Anforderungsprofil. Die Situation im Führungsbereich der KMU ist durch eine recht geringe Arbeitsteilung und üblicherweise damit einhergehend geringe Delegationsbereitschaft gekennzeichnet. Oder wie es BUSSIEK formuliert: „Der Unternehmer arbeitet nicht im Kreis von Spezialisten in einem Vorstand zusammen, sondern ist für alle Bereiche des Unternehmens verantwortlich. Daher sollte er weniger ein Spezialist und mehr ein Generalist sein. Die Praxis zeigt allerdings, daß der Unternehmer je nach Ausbildung den Schwerpunkt seiner Tätigkeit durchaus auf einzelne Bereiche konzentriert. So ist es nicht verwunderlich, daß ein Ingenieur sein Tätigkeitsfeld mehr in den technischen Gebieten wie Innovation und Produktion sieht und die betriebswirtschaftlichen Aufgaben vernachlässigt, ein betriebswirtschaftlich ausgebildeter Unternehmer aber für die technischen Bereiche weniger Interesse aufbringt" (Bussiek 1994, S. 42).

4.4.3 Manager- und Unternehmertypen Seit Mitte der 80er Jahre beschäftigt man sich in der Führungsforschung wieder verstärkt mit der Persönlichkeit erfolgreicher Führungskräfte - sprich Manager oder Unternehmer. Verstärkt wird in Beiträgen eine ganzheitliche Erfassung der Führerpersönlichkeit gefordert. Hierzu liegen in der Literatur einmal idealtypi-

147

Kapitel III: Unternehmensfuhrung im Handwerk

sehe Ansätze und zum anderen empirisch erhobene Realtypen vor (Staehle 1994, S. 818-823). „ Während die Eigenschaftstheorien rereigenschaften

ausgehen,

der Führung noch vom great man mit angeborenen

ist im Zuge der Verwissenschaftlichung

der

rung und der Führungsausbildung

der Glaube an die Lehr- und Lernbarkeit

gestiegen.

rationaler,

jedoch

Durch die Überbetonung

eher Manager denn Führer ausgebildet

kognitiver

Füh-

Unternehmensfühvon

Elemente der Personalführung

Führung sind

worden" (Staehle 1994, S. 818).

Auf die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden „Typen" (managers and leaders) hat als einer der ersten ZALEZNIK Ende der 70er Jahre hingewiesen. Seiner Auffassung nach hat der Manager eher eine unpersönliche, distanzierte Einstellung gegenüber den Unternehmenszielen, bevorzugt bekannte Problemlösungen, sieht in den Kollegen und Mitarbeitern vor allem Funktionsträger. Führer (leaders) sind dagegen von neuen Ideen zu begeistern, arbeiten mit Visionen, sind risikofreudig, haben emphatische Einstellung zu den Mitarbeitern und treiben Veränderungen voran (vgl. Abbildung 28). Auf die einfache Formel gebracht, heißt dies: Manager tun die Dinge richtig, Führer tun die richtigen Dinge. Trotz der zu kritisierenden Vereinfachung dieses Ansatzes im Sinne eines „Entweder/Oder" wird damit eine Polarität angesprochen, in dem Spannungsfeld sich das Handeln von Führung zweifelsohne bewegt. In Publikationen wird immer wieder darauf hingewiesen, daß „Charisma" ein wichtiges Kriterium für Manager bzw. Unternehmer ist. Abbildung 29 zeigt die Gegenüberstellung von Manager und charismatischem Führer; man kann auch sagen zwischen „Verwalter" und „Gestalter". Zweifelsohne liegen die Stärken der Unternehmerpersönlichkeiten - dies gilt vor allem für Gründungsunternehmer - auf der rechten Seite der Übersicht. Vor diesem Hintergrund wird gelegentlich das Idealbild eines Unternehmers entworfen. Von solch einem „Typen" wird u.a. Mut zur Entscheidung (d.h. Risiko- und Entscheidungsbereitschaft) gefordert sowie die Fähigkeit und der Wille zur Führung. Durchsetzungsfähigkeit, Kreativität, Lernbereitschaft usw. vervollständigen das Bild einer solchen Persönlichkeit (vgl. Abbildung 30).

148 Abb.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

28:

Unterschiede zwischen Managern und Führern nach Manager

ZALEZNIK

Führer (leader)

Verhältnis zu Zielen

Unpersönlich Persönlich Ziele entstehen aus objektiven Ziele entstehen aus subjektiven Bedürfnissen Notwendigkeiten Reaktives Reagieren auf Ideen Aktives Produzieren von Ideen Ziele sind eingebunden in die Ziele verändern die traditionellen Tradition (Geschichte, Kultur) der Sicht- und Denkweisen der OrgaOrganisation nisation

Verhältnis zur Arbeit

Konzentration auf Arbeitsprozesse Reduziert Optionen im Rahmen von Entscheidungsprozessen Versteht sich als Problemloser und sucht zwischen Gruppeninteressen auszugleichen Geringe emotionale Bindung zum Produkt

Beziehung zu anderen Starke Beziehungsorientierung, Angst vor Einsamkeit Fehlen von Emphatie und Emotionalität Vermittelt "Signale" Motiviert mit Belohnung und Bestrafung Erfüllt Rollenerwartungen und schöpft daraus Selbstsicherheit Selbstbestimmung

Identifikation mit Status quo

Konzentration auf Arbeitsinhalte Entwickelt neue Möglichkeiten, denen er motivierende Substanz gibt Ist Problementdecker, ist nicht auf Konsens bedacht Identifikation mit Produkt (ähnlich einem Künstler) Sucht mehr die Auseinandersetzung mit Ideen als mit Menschen Intuitiv, emphatisch, emotional Vermittelt "Botschaften" Motiviert durch begeisternde Ideen Definiert Selbstbild nicht über die Erfüllung von Rollenerwartungen Gefühl der Unabhängigkeit gegenüber Status quo

Im Gegensatz zu Großunternehmen ist bereits als ein zentrales Wesensmerkmal von KMU herausgestrichen worden, daß in diesen Unternehmen die Führung des Unternehmens gleichzeitig auch den überwiegenden, wenn nicht den ganzen Teil des Kapitals (Eigenkapitals) in Händen hält. „Der Unternehmer ist demnach Kapitalgeber und Führungsspitze in einer Person" (Bussiek 1994, S.40). Vor allem auch aus dieser Tatsache dürften sich bestimmte Verhaltensweisen bei Art und Weise der Führung von Unternehmen ableiten. So wie bei Managern gibt es selbstverständlich auch bei den Unternehmern unterschiedliche „Typen".

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

149

Abb. 29: Gegenüberstellung Manager/charismatischer Führer Verwalter

Gestalter

Techniker des Managements •

Analyse und Kontrolle



charismatischer Führer Inspiration/Motivation



plant Zukunft aus der Gegenwart



verändert aus der Vision



organisiert gut



will Sinn geben missionarisches Denken



Budgetdenken





plant



begeistert



will sachlich überzeugen



bringt Spaß, Anerkennung



kurzfristiges Denken



Langfristperspektive



liebt Einzelheiten



Sorge ums Ganze



will kein Risiko



nimmt Risiko in Kauf Sorge um Gewinnpotential



Sorge um Gewinn





will sich arrangieren

• hat Feindbild



neigt zur Evolution



neigt zur Revolution



ist eher konservativ



ist eher progressiv



verläßlich



liebt Veränderungen

Quelle: Bussiek, J.; Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen, München/Wien 1994, S. 47.

Abb.: 30 Typen des Unternehmers Extrem 1 Traumtänzerei Ruhelosigkeit Sprunghaftigkeit Spekulationssucht UnÜberlegenheit Blindes Heldentum Besessenheit Verschwendung Dickfälligkeit Phantasterei

Ideal

Extrem 2

Intuition Mangel an Gespür Dynamik Trägheit Initiative Passivität Risikofreude Ängstlichkeit Entscheidungsfreude Zaudern Mut Zaghaftigkeit Motivation Unlust Umsicht in finanziellen Din- Knauserigkeit gen Psychische Belastbarkeit Streßanfälligkeit Kreativität Ideenlosigkeit

Quelle: Bussiek, J.; Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen, München/Wien 1994, S. 45.

150

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

5. Zentrale Funktionsbereiche in Unternehmen 5.1 Charakteristische Merkmale in KMU und Großunternehmen Nachdem die größenspezifischen Vor- und Nachteile von KMU und die wesentlichen Elemente des Führungsprozesses dargelegt sind, soll als „Einführung" für die nachfolgend zu behandelnden zentralen Funktionsbereiche eines Unternehmens eine Gegenüberstellung von KMU und Großunternehmen in ihren charakteristischen Merkmalen vorangestellt werden. Abb. 31: Charakterisierung der Betriebstypen „Klein- und Mittelbetrieb" und „Großbetrieb" Unternehmensführung

Personal

Organisation

Klein- und Mittelbetriebe (KMU) Großbetriebe • Manager • Eigentümer - Unternehmer • mangelnde Unternehmensführungs- • fundierte kenntnisse Unternehmenskenntnisse • technisch orientierte Ausbildung • gutes technisches Wissen in Fachabteilungen und Stäben • unzureichendes Informationswesen verfügbar zur Nutzung vorhandener Flexibi• ausgebautes formalisiertes litätsvorteile Informationswesen • patriarchalische Führung • Führung nach Management-by• kaum Gruppenentscheidungen Prinzip • große Bedeutung von Improvisation • häufig Gruppenentscheidungen und Intuition • geringe Bedeutung von Improvisation und Intuition • kaum Planung • durch Funktionshäufung überlastet, • umfangreiche Planung soweit Arbeitsteilung personen• hochgradig sachbezogene bezogen Arbeitsteilung • unmittelbare Teilnahme am Be• Ferne zum Betriebsgeschehen triebsgeschehen • geringe Ausgleichsmöglichkeiten bei Fehlentscheidungen • gute Ausgleichsmöglichkeit bei • Führungspotential nicht Fehlentscheidungen • Führungspotential austauschbar austauschbar • geringe Zahl von Beschäftigten • hohe Anzahl von Beschäftigten • häufig unbedeutender Anteil von • häufig großer Anteil von ungeungelernten und angelernten lernten und angelernten ArbeitsArbeitskräften kräften • kaum Akademiker beschäftigt • Akademiker in größerem Umfang eingesetzt • überwiegend breites Fachwissen • starke Tendenzen zum vorhanden ausgeprägten Spezialistentum • vergleichsweise hohe Arbeits• geringe Arbeitszufriedenheit zufriedenheit • auf den Unternehmer ausgerichtetes • personenunabhängig an den Einliniensystem, von ihm selbst sachlichen Gegebenheiten oder mit Hilfe weniger Führungsorientierte komplexe personen bis in die Einzelheiten Organisationsstruktur überschaubar • Funktionshäufung • Arbeitsteilung • kaum Abteilungsbildung • Umfangreiche • kurze direkte Informationswege Abteilungsbildung • starke persönliche Bindung • Vorgeschriebene

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk • • • • •

Absatz



• Beschaffung • und Materialwirtschaft •

Produktion

• • • • •

Forschungund Entwicklung

• • • •

Finanzierung

• •



151

Weisungen und Kontrolle im Informationswege direkten personenbezogenen • Geringe persönliche Bindung Kontakt • Formalisierte unpersönliche Delegation in beschränktem Umfang Weisungs- und kaum Koordinationsprobleme Kontrollbeziehung geringer Formalisierungsgrad • Delegation in vielen Bereichen hohe Flexibilität • große Koordinationsprobleme • hoher Fomalisierungsgrad • geringe Flexibilität Deckung kleindimensionierter • Deckung großdimensionierter individualisierter Nachfrage in Nachfrage in einem räumlich einem räumlich und/oder sachlich und/oder sachlich breiten schmalen Marktsegment Marktsegment Wettbewerbsstellung sehr • gute Wettbewerbsstellung uneinheitlich schwache Position am • starke Position am Beschaffungsmarkt Beschaffungsmarkt häufig auftragsbezogene • überwiegend Materialbeschaffung (Ausnahme: auftragsunabhängige Handel) Materialbeschaffung, abgesichert durch langfristige Verträge mit Lieferanten arbeitsintensiv • kapitalintensiv • hohe Arbeitsteilung geringe Arbeitsteilung überwiegend Universalmaschinen • überwiegend Spezialmaschinen • starke Kostendegression mit geringe Kostendegression mit steigender Ausbringungsmenge steigender Ausbringungsmenge häufig langfristig gebunden an eine • keine langfristige Bindung an bestimmte Basisinnovation eine Basisinnovation • dauernd institutionalisierte keine dauernd institutionalisierte Forschungs- und EntwicklungsForschungs- und Entwicklungsabteilung abteilung • langfristig-systematisch kurzfristig-intuitiv ausgerichtete angelegte Forschung- und Forschung und Entwicklung Entwicklung fast ausschließlich bedarfsorientierte • Produkt- und Produkt- und VerfahrensentwickVerfahrensentwicklung in lung, kaum Grundlagenforschung engem Zusammenhang mit relativ kurzer Zeitraum zwischen Grundlagenforschung Erfindung und wirtschaftlicher • relativ langer Zeitraum Nutzung zwischen Erfindung und wirtschaftlicher Nutzung im Familienbesitz • in der Regel breit gestreuter Besitz kein Zugang zum anonymen Kapitalmarkt, dadurch nur begrenzte • ungehinderter Zugang zum anonymen Kapitalmarkt, Finanzierungsmöglichkeiten dadurch vielfältige Finanzierungsmöglichkeiten keine unternehmensindividuelle, • unternehmensindividuelle kaum allgemeine staatliche staatliche Unterstützung in Unterstützung in Krisensituationen Krisensituationen wahrscheinlich

haben diese Unterschiede - teils empirisch nachgewiesen, teils als plausibel angenommen - und in tabellarischer Form PFOHL/KELLERWESSEL

152

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

zusammengestellt. Abbildung „Klein- und Mittelbetrieben" Gegenüberstellung bezogen Daschmann 1994, S. 54). Funktionsbereichen wieder.

31 weist die „typischen" Eigenschaften von und „Großbetrieben" in einer vergleichenden auf die zentralen Funktionsbereiche aus (vgl. Gewisse Unterschiede finden sich in allen

5.2 Unternehmenspolitik und strategische Führung 5.2.1 Führung in die Zukunft mit unternehmenspolitischen Grundsätzen Unternehmenspolitik und strategische Unternehmensführung sollten in den heutigen turbulenten Zeiten, in denen das Risiko für die K M U immer größer wird, durch Fehlentscheidungen den Weiterbestand des Unternehmens in Gefahr zu bringen, keine Fremdworte für die Führungskräfte von K M U sein. Zu häufig ist die Meinung anzutreffen, daß Unternehmenspolitik eher etwas für Großunternehmen sei und daß das Festlegen von Strategien den Handlungsspielraum zu sehr einschränke. Dem ist entgegenzuhalten, daß erst die Formulierung von unternehmenspolitischen Grundsätzen, unter Einbeziehung der Umweltbedingungen und der Kenntnis der Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens, die Festlegung strategischer Ziele gestattet (vgl. Abbildung 32, Mugler, S. 125). Abb. 32: Unternehmenspolitik und hierarchische Struktur der Unternehmensfiihrung

\

Oberste Unternehmens -politische Grundsätze

Stärken und Schwächen

Umweltbedingungen

T Ebene

\

Strategische Ziele

J

Taktische Ebene

/

Die Determinaten strategischer Ziele

\

/ Operative Ebene

Die hierarchische Struktur der Unternehmensführung

\

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

153

Im Rahmen der Unternehmensführung kann dabei die Unternehmenspolitik als Kernaufgabe (Entscheidungen grundsätzlicher Art) eines Unternehmens interpretiert werden, während Planung, Organisation, Koordinierung, Kontrolle und Information eher als Mittel der Unternehmenspolitik zu betrachten sind. Die wesentlichen Merkmale der Unternehmenspolitik sind folgendem Zitat von U L R I C H ZU entnehmen: 1. "Die Unternehmenspolitik umfaßt die originären, allgemeinen und langfristig wirksamen Entscheide, welche das Verhalten der Unternehmung auf lange Sicht bestimmen sollen. 2. Mit unternehmenspolitischen Entscheidungen sollen das oberste Unternehmung, das erforderliche Leistungspotential und die Unternehmensstrategien festgelegt werden.

Zielsystem der anzuwendenden

3. Unternehmenspolitische Entscheide müssen nicht nur getroffen werden, sondern ihre Verwirklichung muß auch in Gang gesetzt werden. Die unternehmenspolitischen Führungsprozesse müssen deshalb mit den planerischen und dispositiven Prozessen zu einem integrierten Führungssystem verknüpft werden, welche die operativen Vollzüge gestaltet und lenkt. 4. Unternehmenspolitische Entscheide haben vor allem zum Ziel, das Überleben der Unternehmung in einer sich verändernden Umwelt durch Anpassung an langfristig wirksame Entwicklungstrends zu sichern. Der geistigen Auseinandersetzung mit der Unternehmensumwelt kommt daher auf dieser Stufe größte Bedeutung zu. 5. Die für die Zukunft des Unternehmens grundlegenden Entscheidungen über die zu bearbeitenden Märkte und anzubietende Marktleistungen gehören auf die Stufe der Unternehmenspolitik" (Hopfenbeck 1990, S. 684).

Während die Unternehmenspolitik den Grundzweck, die Ziele und Verhaltensgrundsätze, d.h. die Normen für die Unternehmensplanung liefert, liefern die Informationen über das Unternehmen und die Umwelt die "harten" Fakten. Anders ausgedrückt: Begriffe wie Unternehmensphilosophie, Unternehmensleitbild, Leitsätze für Führung und Zusammenarbeit, Unternehmenskultur usw., die Ausdruck einer bestimmten Politik sind, lassen sich mit Daten gar nicht oder nur schwer kennzeichnen. Als Bestandteile der Unternehmenspolitik werden in der Literatur des öfteren - neben Grundzweck, Zielen und Verhaltensgrundsätzen - außerdem die Strategien zur Zielerreichung und die dabei benötigten Mittel (Ressourcenzuordnung) benannt. Die Chance als Unternehmen zu überleben wächst, wenn man sich als Führungskraft gewisse Strategien für die Zukunftsentwicklung des Unternehmens zurechtlegt. Es ist notwendig, zukünftige Umweltbedingungen zu erfassen, das Unternehmen darauf vorzubereiten und den Weg des Unternehmens in die Zukunft zu planen. Das Motto lautet:

154

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Ein Unternehmen zu führen heißt nicht nur Führung für die Gegenwart, sondern genauso Führung in die Zukunft!

Im Vordergrund von strategischen Überlegungen steht die Frage, "Tun wir die richtigen Dinge?" und nicht die Frage, "Tun wir die Dinge richtig?" Unter Beachtung der unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen sind Strategien zu entwickeln, die die erste Frage beantworten. Um die Richtung und den Weg eines Unternehmens möglichst qualifiziert festlegen zu können, ist die Führungskraft auf Informationen angewiesen. Es müssen dabei nicht in jedem Fall zahlreiche Daten erfragt und umfassende Papiere verfaßt werden. Wichtig ist jedoch, daß man sich mit der Zukunft auseinandersetzt. Dafür ist ein Mindestmaß an relevanten Informationen nötig. KMU handeln noch zu häufig rein intuitiv; sprich schriftlich formulierte strategische Vorstellungen über Umsatz, Marketing, Personalbedarf usw. liegen nur selten vor (vgl. Brodbeck 1995, S. 34).

5.2.2 Was ist unter Unternehmensstrategie

zu verstehen?

Die Verwendung des Strategiebegriffs ist höchst unterschiedlich. Üblicherweise sind es die folgenden Merkmale, die mit dem Begriff der Unternehmensstrategie bzw. der strategischen Planung und Entscheidung in Verbindung gebracht werden (vgl. Steinmann/Schreyögg 1997, S. 152 f.): •

Unternehmensstrategien Unternehmens fest.



Sie sind konkurrenzbezogen, d.h. sie bestimmen das Handlungsprogramm der Unternehmung in der Relation zu den Konkurrenten, z.B. in Form von Imitation, Kooperation, Domination oder Abgrenzung.



Sie nehmen Bezug auf die Umweltsituation und -entwicklungen, auf Chancen und Bedrohungen. Sie reagieren auf externe Veränderungen und/oder versuchen diese, aktiv im eigenen Sinne zu beeinflussen.



legen das (die) Aktivitätsfeld(er) oder die Domäne(n)

des

Sie nehmen Bezug auf die Unternehmensressourcen, auf die Stärken und Schwächen in ihrer relativen Position zur Konkurrenz.



Sie spiegeln die zentralen Einstellungen, bestimmenden Entscheidungsträger wider.

Wünsche

und

Wertvorstellungen

der



Sie sind auf das ganze Geschäft gerichtet, d.h. sie streben eine gesamthafte Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten auf die strategischen Ziele an. Häufig werden sie in einer Art Totalplan ausformuliert und dokumentiert.

155

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk



Sie haben langfristig eine hohe Bedeutung für die Vermögens- und Ertragslage eines Unternehmens und weitreichende Konsequenzen, was die Ressourcenbindung anbelangt; es sind "große" Entscheidungen.



Sie sind zukunftsorientiert, sie basieren auf langfristigen Erwartungen über eigene Kompetenzen und Umweltzustände.



Sie können, müssen aber nicht, das Ergebnis eines systematischen Planungsprozesses sein.

Verkürzt kann festgehalten werden, daß Unternehmensstrategien auf folgende drei grundsätzliche Fragen eine Antwort geben: 1. In welchen Geschäftsfeldern (Produkt/Marktkombination) wollen wir tätig sein? 2. Wie wollen wir den Wettbewerb in diesen Geschäftsfeldern bestreiten? 3. Was ist unsere längerfristige Erfolgsbasis (Kernkompetenz)?

Strategien zu entwickeln bedeutet demnach, Grundsatzentscheidungen zu treffen, die alle Unternehmensbereiche berühren, die unternehmerischen Absichten gedanklich in die Realität umzusetzen. Nach EHRMANN (1991, S. 217) hat die Planung der (Marketing-)Strategien folgende Ausmaße: •

das Leistungsprogramm (Sortiment, Qualität, Preis)



die grundsätzliche Art und der Umfang der Marktbearbeitung



die grundsätzlichen Absichten im Hinblick auf die Marktstellung



die Gewinn- und Risikopolitik (Gewinn, Umsatz, Rentabilität, ROI)



die Wachstumspolitik (Expansion, Erhaltung des Potentials, Schrumpfung)



die grundsätzliche Einstellung zur Innovation



die grundsätzliche Haltung zur Kooperation



die grundsätzliche Haltung gegenüber Konkurrenten



die grundsätzlichen Aussagen zur Führung, Personalpolitik und Organisation.

Dabei baut jede Strategieplanung - wie unterschiedlich die Vorgehensweise im einzelnen auch sein mag - auf zwei Grundpfeilern auf, nämlich der Analyse der Umweltsituation (Chancen/Risiken) und der Analyse der internen Möglichkeiten und Grenzen, d.h. Stärken und Schwächen des Unternehmens.

5.3. Umwelt- und Unternehmensanalyse Planungsprozesses 5.3.1 Aufgabe und Elemente der

als Elemente

des

strategischen

Situationsanalyse

Im Rahmen des strategischen Planungsprozesses können Situationsanalyse, die Zielplanung, die Strategieplanung, Maßnahmenplanung und das Controlling unterschieden werden.

die die

156

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Ausgangspunkt jeder Strategie ist die Situationsanalyse, d.h. die Beschaffung der für die strategischen Entscheidungen notwendigen Informationen. Aufgabe der strategischen Situationsanalyse ist es, Klarheit über die derzeitigen und zukünftigen internen und externen Rahmenbedingungen der Unternehmenstätigkeit zu verschaffen. Die Situationsanalyse bildet die Basis, um Stärken und Schwächen des Unternehmens gegenüber seinen Wettbewerbern zu erkennen und daraus unter Berücksichtigung der Umweltbedingungen Chancen und Risiken für das Unternehmen abzuleiten. Sie läßt sich grob in zwei Bereiche der Informationsbeschaffung unterteilen: Umweltanalyse und Unternehmensanalyse. Unternehmensanalyse und Umweltanalyse werden häufig kurz als S W O T (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) -Analyse bezeichnet.

5.3.2

Umweltanalyse

Jede Organisation wird durch die Umwelt mitgeprägt. Auch der Erfolg der Strategieentwicklung von Handwerksunternehmen hängt maßgeblich davon ab, inwieweit es ihnen gelingt, die gegenwärtige Lage zu beurteilen und Veränderungen der Umwelt rechtzeitig zu erkennen sowie beim Planungsprozeß zu berücksichtigen. D.h. die Umweltanalyse besitzt zentrale Bedeutung für die Strategieformulierung und Marktbearbeitung. Es geht darum, schwache Signale ("weak signals") zu erkennen, das heißt im Moment noch kaum erkennbare Veränderungen der Umwelt aufzuspüren, die Chancen oder Gefahren für das Unternehmen bringen können. Unter Analyse der Umwelt ist zu verstehen, daß eine Organisation (Unternehmen) versucht, durch Workshops, Expertenbefragungen, Besuch von Messen oder Auswertung von Informationen aus Büchern, Zeitschriften, Datenbanken usw. sich eine Bild über die Entwicklung der Umwelt zu machen.

Obwohl die Grenze zwischen dem engeren System der Organisation und der nur bedingt beeinflußbaren Umwelt nicht eindeutig gezogen werden kann, wird bei der Analyse der Umwelt üblicherweise zwischen einer weiteren Unternehmensumwelt (general environment) und einer engeren Unternehmensumwelt (task environment) unterschieden. Die erste wird auch als Umsystem II, Makro-Umwelt oder globale Umwelt bezeichnet, die zweite als Umsystem I, Mikro-Umwelt oder aufgabenspezifische Unternehmensumwelt. Nach B E A / H A A S läßt sich mit der Nähe zum Unternehmen folgende Zweiteilung vornehmen:

• der Markt (= aufgabenspezifische Umwelt, Wettbewerbsumwelt)

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

157

• die weitere Unternehmensumwelt (= globale Umwelt).

Grundsätzlich besteht eine Vielzahl von Möglichkeiten, Indikatoren zur Situationsbestimmung der globalen Umwelt ausfindig zu machen und die Umfeldfaktoren in Gruppen zu systematisieren. Die Analyse der weiteren Umwelt betrifft in der Regel Entwicklungen in der Gesellschaft, Ökonomie, Technologie, Politik oder Recht. Neben Beachtung der Indikatoren der globalen Umwelt sind die Abgrenzung des Marktes sowie die Kenntnis und Vorhersage von Marktstrukturen und Wettbewerbsverhältnissen wichtige Instrumente zur Ausrichtung des eigenen Verhaltens in einem Markt bzw. in einer Branche. Chancen und Risiken müssen überprüft, Ziele gesetzt sowie Stärken und Schwächen analysiert werden (vgl. Abbildung 33). Das Ziel ist zwar, einen möglichst guten Einblick in die Ausgangslage für die Zukunft zu erhalten, aber dabei ist es wichtig, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Es gilt die "Informationsflut" zweckorientiert zu kanalisiern. Für KMU wird es - angesichts zahlreicher Informationsträger (z.B. Zeitschriften, Datenbanken) - immer schwerer, das einschlägige Informationsangebot über ihre relevanten Umweltausschnitte zu erfassen. Für viele KMU können von Instituten und sonstigen Organisationen erstellte Umweltanalysen (z.B. Branchenanalysen von Kreditinstituten) erste wertvolle Informationen darstellen. In der Regel sind aber zusätzliche Informationen einzuholen. Dabei kann zwar der Unternehmer (oder die Führungskraft) auf Dienste von Informations-Brokern oder anderen Informationslieferanten zurückgreifen, aber die Definition des relevanten Umweltausschnittes muß er letztlich selbst treffen. Außerdem entscheidet nicht die Vielzahl, sondern die Qualität und "richtige" Auswahl und Interpretation der Informationen durch die Führungskräfte. Bei der Informationssammlung und -auswahl sollte man den Hinweis von BRODBECK (1995, S. 37) nicht völlig aus den Augen verlieren: "Denn: Ordner voller Informationen verbauen die Sicht auf die Aspekte, die wirklich relevant sind. Nicht selten wird dann die Übung abgebrochen mit der (resignierenden) Feststellung, dass man gar nicht die Zeit hat, alle Informationen zu verarbeiten. Bevor man deshalb etwas Falsches mache, lasse man es lieber bleiben. Daher: Versuchen Sie, die wichtigsten Erkenntnisse über den Markt und die eigene Marktposition in knapper Form übersichtlich auszuarbeiten. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn gewisse Informationen fehlen. Unternehmensführung in der Situation vollkommener Informationen bleibt eine Illusion. Nehmen Sie Informationslücken bewusst in Kauf. Die gute Kenntnis über Kunden, deren Wünsche und Probleme, Konkurrenten und Trends sind in den meisten Fällen wichtiger als genaue Zahlen und Daten. "

Sowohl die Umweltanalyse als auch die Unternehmensanalyse müssen wegen der Komplexität und Dynamik der Analysefelder als selektive Informationsverarbeitungsprozesse betrachtet werden, sind also immer

158

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

unvollständig und damit risikobehaftet. Es gilt festzuhalten: Strategische Entscheidungen sind prinzipiell Entscheidungen unter Unsicherheit. Während eine Organisation auf die generellen Umweltfaktoren bzw. Indikatoren höchstens mittelbar Einfluß nehmen kann, können die speziellen Umweltfaktoren des Marktes mehr oder weniger stark beeinflußt werden. Abb.33: Die Umwelt des Unternehmens Die Umwelt des Unternehmens

Weitere Untemehmensumweit (globale Umwelt)

Markt (engere, aufgabenspezifische Untemehmensumweit) Verwaltungen/Behörden

1 I o> ro

Unternehmen (Organisation)



1 1 Si 1 3 I 1 1

CD Konkurrenten

Gesamtwirtschaft

Grundsätzlich besteht eine Vielzahl von Möglichkeiten, Indikatoren zur Situationsbestimmung der globalen Umwelt ausfindig zu machen und die Umfeldfaktoren in Gruppen zu systematisieren, B E A / H A A S ( 1 9 9 5 , S. 7 6 , 8 8 f., etwas anders systematisieren Kotler 1 9 8 9 , S. 5 9 , Staehle 1 9 9 4 , S. 5 9 6 - 5 9 8 . ) unterscheiden in ihrer Klassifikation fünf Segmente: Gesamtwirtschaft, Bevölkerung, Technologie, Politik und Gesellschaft (vgl. Abbildung 34). Neben Beachtung der Indikatoren der globalen Umwelt sind die Abgrenzung des Marktes sowie die Kenntnis und Vorhersage von Marktstrukturen und Wettbewerbsverhältnissen wichtige Instrumente zur Ausrichtung des eigenen Verhaltens in einem Markt bzw. in einer Branche. Chancen und Risiken müssen überprüft, Ziele gesetzt sowie Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens (Potential- bzw. Ressourcenanalyse) analysiert werden (vgl. Abbildung 35, Bea/Haas 1995, S. 94).

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

159

Abbildung 34: Segmente und Indikatoren der weiteren Unternehmensumwelt

Umweltsegment (!) Gesamtwirtschaftliche

Indikatoren

Entwicklungen



Wachstum des Sozialprodukts

Trends: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zeichnet sich derzeit durch ein relativ hohes Niveau aus. Die Arbeitslosigkeit entwickelt sich allerdings zu einem Dauerproblem.



Entwicklung des Geldwertes



Entwicklung der Zahlungsbilanz und des Wechselkurses



Arbeitslosenzahlen

(2) Demographische

• Geburtenrate, Sterberate

Entwicklungen

Trends: Das Durchschnittsalter der Deutschen • Entwicklung der Altersstruktur hat sich im Laufe der letzten 100 Jahre stark • Regionale Mobilität erhöht. Heute beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung über 70 Jahre. Es entstehen zwei neue Zielgruppen: junge Doppelverdiener und vermögende Etablierte ohne Kinder zwischen 40 und 60 Jahren. •

Produktinnovationen

Trends: Der Produkt-Lebenszyklus verkürzt sich laufend bei kürzeren Entwicklungszeiten und steigenden F&E-Kosten. Die Prozeßinnovationen sind auf die Schaffung flexibler Fertigungssysteme ausgerichtet.



Prozeßinnovationen

(4) Veränderungen im politischen

• Verschiebungen im Parteiengefuge

(3) Technologische

Entwicklungen

Umfeld

Trends: Der Staat greift immer stärker in das Wirtschaftsgeschehen ein (z.B. Verpackungssteuer für Einweggeschirr). Politische Veränderungen (z.B. in Osteuropa und Südafrika) beeinflussen zusehends die Entwicklung von Märkten.



Regierungswechsel

• Gesetzesinitiativen und gesetzliche Änderungen • Deregulierung im Rahmen des EGBinnenmarktes • Kürzung der Wochenarbeitszeit • Zwischenstaatliche Abkommen (z.B. GATT)

(5) Veränderungen im Umfeld (Wertewandel)

gesellschaftlichen • Entstehung von Bürgerinitiativen

• Änderungen in der Einstellung zur Arbeit und Freizeit (Freizeitmobilität und FreiTrends: Repräsentativbefragungen zeigen, daß zeitverhalten) sich der Umweltschutz zu einem der Hauptanliegen der Deutschen entwickelt hat. Nach • Entstehung eines ökologischen einer Befragung des BundesinnenministeBewußtseins riums sind 62% der Befragten bereit, 500 DM • Abkehr von materiellen Werten, hin zur mehr für die Anschaffung eines umweltPflege des persönlich-privaten Lebensfreundlichen Autos auszugeben. Es findet eine bereiches wie Ehe, Familie, Freizeit, zunehmende Individualisierung mit einer Gesundheit, persönliche Unabhängigkeit Tendenz zum selektiven Luxus (feiner Unterschied) statt.

160

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Während eine Organisation auf die generellen Umweltfaktoren bzw. Indikatoren höchstens mittelbar Einfluß nehmen kann, können die speziellen Umweltfaktoren des Marktes mehr oder weniger stark beeinflußt werden. Abb. 35: Umweltanalyse und Unternehmensanalyse Umweltanalyse und Unternehmensanalyse Unternehmen

Umwelt

Untemehmensanalyse

Umweltanalyse

(interne Analyse)

(externe Analyse) Markt- und

- Potentialanalyse

Branchenanalyse

- Konkurrentenanalyse

T

strategische Ziele

Chanchen- u. Risikenanalyse

T Städten- u.



Schwächenanalyse

Lückenanalyse

f

Strategiewahl

Im Mittelpunkt der Erforschung der engeren, aufgabenspezifischen Umwelt steht die Analyse der Branche und der wichtigsten Konkurrenten. Zu der unmittelbaren Umgebung eines Unternehmens sind vor allem der Beschaffungsmarkt (Lieferanten), der Absatzmarkt (Kunden, Nachfrager, Käufer) und die Wettbewerber zu zählen. Um die Marktattraktivität zu ermitteln wird meistens auf zwei Techniken zurückgegriffen: •

die (traditionelle) Marktanalyse bzw. Branchenanalyse und die



Branchenstrukturanalyse nach PORTER (vgl. Porter 1992, Porter 1992a).

Beide Techniken verfolgen das Ziel, die Gewinnaussichten eines Marktes zu prognostizieren. Während die Marktanalyse an den Kriterien zur Charakterisierung eines Marktes ansetzt, handelt es sich bei der P O R T E R S C H E N Branchenstrukturanalyse um eine branchenbezogene Analyse des Unternehmens (Unternehmen als Wertschöpfungskette) im Hinblick auf seine Wettbewerbssituation. Im folgenden seien die beiden Ansätze separat beschrieben, auch wenn sie im Vorgehen und Ergebnis große Parallelen aufweisen.

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

5.3.2.1 Traditionelle Branchenstruktur-

und

161

Wettbewerbsanalyse

Vergegenwärtigt man sich nochmals, daß ein Markt die Gesamtheit der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen tatsächlichen und potentiellen Anbietern und Nachfragern eines bestimmten Gutes oder einer bestimmten Gütergruppe darstellt und berücksichtigt ferner, daß der "Markt für Gesundheitsgüter" eine Vielzahl von Teilmärkten umfaßt, die sich von der Art der Produkte und Dienstleistungen sowie den Angebots-, Nachfrage- und Preisbildungsstrukturen her teilweise stark unterscheiden, so wird bereits hieran die Problematik einer Marktabgrenzung offensichtlich. Legt man außerdem zugrunde, daß letztlich alle Produkte und damit alle Unternehmen mehr oder weniger in einer Konkurrenzbeziehung stehen und sich - mit aktiver Rolle der Unternehmen - ständig Veränderungen des Marktes in quantitativer und qualitativer Hinsicht vollziehen, so kann auch eine Branche (Wirtschaftszweig) nicht als statische Größe angesehen werden. Den marktdynamischen Prozeß fassen B E A / H A A S (1995, S. 80) in folgende Worte: „Mit der Dynamik von Märkten ist die Erkenntnis verbunden, daß Märkte nicht objektiv gegeben, sondern einer unternehmerischen Gestaltung zugänglich sind. Unternehmen schaffen Märkte, und mit diesem kreativen Vorgang wird die Dynamik der Märkte und damit auch die Verwischung bisheriger Branchengrenzen gefördert." Ausgehend von der Marktforschung kann Marktanalyse nach WEIS (1990, S. 73) wie folgt definiert werden: Die Marktanalyse ermittelt einmalig oder in bestimmten Intervallen alle einen Markt kennzeichnenden Faktoren.

Als wesentliche Determinanten der (traditionellen) Marktanalyse, die die Höhe der Rendite auf einem Markt bestimmen, werden vor allem das Marktpotential (Marktgröße bzw. Marktvolumen, Marktwachstum, Marktanteil), die Marktstruktur (Wettbewerber, Lieferanten, Abnehmer) und die Beschaffenheit des Gutes betrachtet. Wie Abbildung 36 zu entnehmen ist, wird i. d. R. als Marktpotential die überhaupt mögliche Aufnahmefähigkeit eines Marktes für ein Produkt (Produktgruppe) oder eine Dienstleistung bezeichnet. Es gibt an, wieviel Einheiten eines Produktes auf einem Markt abgesetzt werden könnten, falls ein bewußtes Kaufbedürfnis vorhanden und das erforderliche Einkommen verfügbar wäre. Das Marktpotential wird vor allem durch die Faktoren Zahl potentieller Nachfrager, Bedarfsintensität, Markttransparenz und Marktsättigung sowie die Marketingaktivitäten der Anbieter bestimmt (vgl. Weis 1990, S. 38).

162

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Bei der Marktgröße bzw. dem Marktvolumen handelt es sich um realisierte oder prognostizierte Absatzgrößen (Mengen- oder Wertgrößen) einer Güteroder Dienstleistungsart pro Periode in einem abgegrenzten Markt. In enger Beziehung zu den beiden vorherigen Begriffen steht der Begriff Marktwachstum. Das Marktwachstum (absolute bzw. prozentuale Veränderung des Marktvolumens) liefertu.a. Hinweise darauf, in welcher Phase des Marktzyklus sich ein Produkt oder eine Branche gegenwärtig oder künftig bewegen. Abb. 36: Elemente der Marktanalyse Elemente der Marktanalyse Marktgröße: Abhängig von der gewählten Definition und Abgrenzung

Marktpotential

Potentiale der Markterweiterung am Beispiel des Marktes für Sehhilfen: - Verkürzung des Wiederbeschaffungsrhythmus - Millionen Fehlsichtige noch ohne Brille - Produktinnovationen

Marktstruktur - Wettbewerber - Lieferanten - Abnehmer (Konsumenten)

Marktwachstum: Abschätzung der zukünftigen Veränderung der Marktgröße und Bestimmung. in welcher Phase des Marktzylkus sich ein Produkt oder eine Branche bewegen

Abbildung 37 (vgl. Bea/Haas 1995, S. 82) zeigt, daß z.B. die Medizintechnik und Gentechnologie (als Märkte der Gesundheitsbranche) der Wachstumsphase während die Verteidigungstechnologie der Degenerationsphase zugeordnet wird. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, daß die hier vorgenommene Zuordnung (aufgrund einer anderen Abgrenzung von Branchen und Produkten) durchaus nicht immer so ausfallen muß. Der Marktanteil gibt den prozentualen Anteil des in Mengen- oder Wertgrößen gemessenen Marktabsatzes eines Unternehmens am gesamten Marktvolumen eines Marktes an. Anhand des Marktanteils eines Unternehmens läßt sich

Kapitel III: Unternehmensfiihrung im Handwerk

163

feststellen, wie stark die Position des Unternehmens im Vergleich zu anderen Unternehmen auf einem bestimmten Markt ist. Marktwachstum, Marktanteil und Marktattraktivität (die sich aus mehreren Determinanten der Umwelt zusammensetzt; vgl. Hinterhuber 1989, S. 114) sind zentrale Orientierungparameter für die Beurteilung von Produkten und Märkten, z.B. dargestellt anhand von Portfolios (Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio der Boston Consulting Group und Marktattraktivität-Wettbewerbsvorteil-Portfolio von McKinsey). Abb. 37: Beispiele von Branchen und Produkten in verschiedenen Marktphasen

Entstehung

Wachstum

Stagnation

Degeneration

Multimedia (Zusam-

Kunststoffverarbeitung

Maschinenbau

Kohle

menwirken von Com-

Informationstechnologie

Brauereien

Stahl

puter,

Mobilfunk

Stromversorger

Verteidigungs-

Kommunikations-

Freizeitindustrie

Hausgeräte (z.B. Kühl-

technologie

technik und Unterhal-

Finanzdienstleistungen

schränke, Waschma-

Schallplatten

tungstechnik)

Tourismus

schinen)

Schwarz-weiß-Fern-

Datenautobahn

Biologische Lebensmittel

Automobil

sehgeräte

Isogetränke

Echtschmuck

Pelzwaren

Fort-und Weiterbildung Grundnahrungsm ittel Gentechnologie Medizintechnik "Gesundheitsbranche"

Als Marktstruktur kann die Distributionskette vom Anbieter (Industrie, Großhandel, Einzelhandel) zum Nachfrager (Konsumenten) einschließlich bestehender Wettbewerbsstrukturen (Konkurrenten) bezeichnet werden. So ist auf der Beschaffungsseite die Qualität eines Marktes wesentlich von der Störanfälligkeit gegenüber Lieferanten, der Verhandlungsstärke der Lieferanten sowie der Entwicklung der Faktorpreise bestimmt. Von der Absatzseite wird das Gewinniveau eines Marktes über die Zahl und Größe der Abnehmer, die Verhaltensstruktur der Abnehmer (Bindung des Käufers an das Produkt eines Anbieters) und die Preissensitivität beeinflußt. Befinden wir uns auf der Endverbraucherstufe, den privaten Haushalten bzw. einzelnen Käufern (Patienten), spielen insbesondere das verfügbare Einkommen und Verhalten der Verbraucher eine entscheidene Rolle. Der Beschaffenheit eines Gutes wird im Rahmen der Marktanalyse Beachtung geschenkt, weil der Grad der Homogenität eines Gutes Einfluß auf die Transparenz eines Marktes nimmt. In der Tendenz heißt dies: Eine hohe Markttransparenz (z.B. Benzin) verringert die Rendite, eine niedrige

164

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

Transparenz (Dienstleistungen im Gesundheitswesen) verschafft einen größeren Spielraum.

5.3.2.2 Branchenstrukturschöpfungskette

und Unternehmensanalyse

anhand der Wert-

Wie bereits in Abbildung 35 verdeutlicht, muß ein Unternehmen neben der Analyse der Branche und des relevanten Marktes außerdem eine Unternehmensanalyse (interne Analyse) vornehmen, wenn die Frage beantwortet werden soll, wie können und wie sollen wir auf die Umweltbedingungen reagieren. Eine Antwort kann erst dann gegeben werden, wenn die Potentiale eines Unternehmens - sprich die Stärken und Schwächen ermittelt worden sind. Vor dem Hintergrund der strategischen Planung stehen Umwelt- und Unternehmensanalyse in einer engen Beziehung. Da nicht "Schlendrian mit Schlendrian" verglichen werden darf, ist die Konkurrentenanalyse in diesem Sinne Bestandteil der internen Analyse. Denn, in welchem Umfang strategische Erfolgsfaktoren (Leistungspotentiale: z.B. Beschaffung, Produktion, Personal; Führungspotentiale: Information, Organisation, Unternehmenskultur) Stärken oder Schwächen eines Unternehmens darstellen, ist stets relativ, d.h. im Verhältnis zu den Wettbewerbern zu sehen. Im Rahmen der Branchen- bzw. Marktbetrachtung sind die Konkurrenten dagegen Analyseinstrument der aufgabenspezifischen Umwelt. Da PORTER im Rahmen der Unternehmensführung auf der Suche nach Wettbewerbsvorteilen das Unternehmen als Wert(schöpfungs)kette begreift sprich jedes Unternehmen eine individuelle Wertkette (value chain) besitzt, die in ein System vor- und nachgelagerter Wertketten von Lieferanten und Abnehmern eingebettet ist (vgl. Porter 1992a, S. 59-163) - und die Wertschöpfungskette in enger Beziehung zur Branchenstruktur- und Wettbewerbsanalyse steht, wird zunächst kurz das "offene Modell der Unternehmensanalyse" (Macharzina 1993, S. 229) vorgestellt. Abbildung 38 (Ziegenbein 1992, S. 80) zeigt die allgemeine Darstellung der Wertschöpfungskette eines Unternehmens. Wie Abbildung 38 zeigt, differenziert PORTER in seinem Konzept der Wertkette zwischen primären und unterstützenden Aktivitäten. Nach diesem Konzept wird der Wert oder Nutzen, den ein Unternehmen seinen Kunden bietet, geschaffen durch primäre und unterstützende Wertschöpfungsaktivitäten. Während die primären Aktivitäten (Basisaktivitäten) direkt mit der Herstellung eines Produktes bzw. einer Dienstleistung und dem Vertrieb verbunden sind, haben die unterstützenden Aktivitäten über ein Führungs-

165

Kapitel III: Unternehmensführung im Handwerk

und Informationssystem (Unternehmensinfrastruktur) die dazu erforderlichen Güter (Beschaffung), Technologien und Humanressourcen (Personalwirtschaft) bereitzustellen. Soll ein Wettbewerbsvorsprung erzielt und die erhoffte Gewinnspanne realisiert werden, sind die einzelnen Aktivitäten im Vergleich zur Konkurrenz kostengünstiger durchzuführen und/oder die Kundenbedürfnisse besser zu befriedigen. Abb. 38: Die Wertkette nach Porter Die Wertkette nach Porter Wertkette des Unternehmens

Unternehmensinfrastruktur

œ -Ä Kj TO a 's 11

Personalwirtschaft Technologieentwicklung

\

S Eingangs-

Operationen

logistik (Bereitstellung

(Leistungserstel-

von Produktions-

lung durch Kom-

faktoren)

bination von Pro-

%



Beschaffung Marketing/

Ausgangs-

Kunden-

Vertrieb

logistik

dienst/

/

Service

/ S* / J>

(DistributionsMix)

//

/

/

i