Lyrische Dramen nach orientalischen Quellen 9783412217785, 9783412223892

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Lyrische Dramen nach orientalischen Quellen
 9783412217785, 9783412223892

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Rudolf Fahrner Gesammelte Werke III

Rudolf Fahrner

GESAMMELTE WERKE III

Lyrische Dramen nach orientalischen Quellen

Herausgegeben von Stefano Bianca

2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Frontispiz: Emailplatte von Gemma Wolters-Thiersch, den Beginn der ersten Scene des Stückes „Perlenbaum“ darstellend. (Original 6,5 x 18 cm, Privatbesitz.)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU 978-3-412-22389-2

INHALT

EINFÜHRUNG IN RUDOLF FAHRNERS ORIENTALISCHE STÜCKE Von Stefano Bianca Zur west-östlichen Thematik ............................................................................ Fahrners Voraussetzungen und innere Vorbereitung ................................. Die Erfahrung des Orients................................................................................. Dichterische Verarbeitung der Thematik........................................................ Anis al-Dschalis................................................................................................... Kamar az-Zamân oder der Mond der Zeit .................................................... Ishak ...................................................................................................................... Perlenbaum........................................................................................................... Knappen ............................................................................................................... Kaihosrau . ............................................................................................................ Abschluss: Zur Frage des Gegenwartsbezuges ........................................

8 14 18 22 29 33 40 49 53 60 66

ANIS AL-DSCHALIS Erste Scene ......................................................................................................... 77 Zweite Scene . ..................................................................................................... 80 Dritte Scene . ....................................................................................................... 90 Vierte Scene......................................................................................................... 93 Fünfte Scene ....................................................................................................... 94 Sechste Scene ................................................................................................... 99 Siebente Scene .................................................................................................. 102 KAMAR AZ-ZAMÂN ODER DER MOND DER ZEIT Erste Scene ......................................................................................................... 115 Zweite Scene........................................................................................................ 122 Dritte Scene.......................................................................................................... 124 Vierte Scene......................................................................................................... 137 Fünfte Scene ....................................................................................................... 144 Sechste Scene ................................................................................................... 150 Siebente Scene .................................................................................................. 154

ISHAK Erste Scene ......................................................................................................... 163 Zweite Scene........................................................................................................ 164 Dritte Scene.......................................................................................................... 179 Vierte Scene......................................................................................................... 181 Fünfte Scene ....................................................................................................... 209 Sechste Scene ................................................................................................... 213 Siebente Scene.................................................................................................... 228 PERLENBAUM Erste Scene........................................................................................................... 233 Zweite Scene........................................................................................................ 235 Dritte Scene.......................................................................................................... 242 Vierte Scene......................................................................................................... 245 Fünfte Scene ....................................................................................................... 256 Sechste Scene..................................................................................................... 271 Siebente Scene .................................................................................................. 288 KNAPPEN Rosseführen.......................................................................................................... 295 Nach dem Vorsingen........................................................................................... 298 Singstunde............................................................................................................ 300 Botschaft Bringen .............................................................................................. 307 Auslegung ............................................................................................................ 309 Nach der Auslegung .......................................................................................... 318 Siegen.................................................................................................................... 322 KAIHOSRAU Erste Scene ......................................................................................................... 329 Zweite Scene . ..................................................................................................... 330 Dritte Scene . ....................................................................................................... 332 Vierte Scene......................................................................................................... 337 Fünfte Scene ....................................................................................................... 339 Sechste Scene ................................................................................................... 341 Siebente Scene .................................................................................................. 344

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EINFÜHRUNG IN RUDOLF FAHRNERS ORIENTALISCHE STÜCKE Von Stefano Bianca

ZUR WEST-ÖSTLICHEN THEMATIK Ein wenig beachteter und ohne Einführung auch schwer zu erschließender Aspekt von Rudolf Fahrners dichterischer Hinterlassenschaft sind seine auf orientalischen Quellen beruhenden Stücke, die einen wichtigen Teil seines Spätwerks ausmachen. Sie sind aus seiner geschichtlichen Beschäftigung mit der Blütezeit des westlichen und des östlichen Rittertums erwachsen, sind aber nicht als Ausdruck historisierenden oder orientalistischen Fachwissens zu verstehen – wenn sie auch einiges davon voraussetzen. Vielmehr geht es dabei um die Vorstellung von lebendigen menschlichen Gestalten, Antrieben und Verhaltensweisen, die sich in einem ausgewählten „Milieu“ bewegen (und dort besonders einleuchtend verwurzelt sein können), die aber darüber hinaus auf geistige Urbilder verweisen. Durch dichterische Gestaltung können solche Urbilder zu sinnhaltigen Lebenskeimen werden, die übertragbar, d.h. in anderen menschlichen Zusammenhängen neu erfahrbar sind und sich dort fruchtbar auszuwirken vermögen. Dies alles wird noch bei der Beschäftigung mit Fahrners Dramaturgie und mit der Struktur der einzelnen Stücke genauer zu erläutern sein. Im Voraus sei aber schon darauf hingewiesen, wie eng historische Betrachtung und dichterische Darstellung nach Fahrners Meinung miteinander verknüpft, ja verschwistert sind. Dichtung und Geschichtsschreibung waren für ihn nicht zwei getrennte Geistestätigkeiten, sondern schon dadurch miteinander verbunden, dass sie beide auf die Möglichkeiten der Sprache und das Potenzial der menschlichen Einbildungskraft angewiesen sind. So beginnt Fahrner seinen Aufsatz „Dichtung und Geschichte“ – er ist grundlegend für seine Studien über das „West-östliche Rittertum“ – folgendermaßen: „Die Sage, die älteste Form der Überlieferung unter Menschen, und die Dichtung wachsen aus der gleichen Wurzel. Die Urgeschichte – Geschichte als umgestaltende Wiedergabe der Geschehenen – ist das Urlied. Sage und Dichtung folgen einem Gesetz des menschlichen Lebens: Es muss sich selbst darstellen, es muss Bilder seiner selbst hervorbringen. Menschliches Leben kann nicht gedeihen, wenn es sich nicht in einem zweiten Element noch einmal hervorbildet und wenn es sich nicht aus seinen eigenen Gebilden zurückempfängt. Diesem Gesetz folgen im Grunde alle von Menschengeist hervorgebrachten Schöpfungen und Einrichtungen, alle Künste, Religionen und Wissenschaften, alle Kulte, Begehungen, Gebräuche und Staatseinrichtungen. Besonders aber ist es der innere Sinn von Sage und Dichtung, Lebensvorstellungen zu erschaffen, in denen der 8

Mensch sich darstellt und aus denen er dann wieder neue Lebenskräfte empfängt. […]  Dem entspricht, dass bei fast allen Völkern die Dichter als die ersten Historiker hervortreten. […] Und die Dichter sind nicht nur am Anfang und dann immer wieder die ‚ersten‘ Historiker, sie sind auch die ‚letzten‘ in dem Sinne, dass nichts unter Menschen und Völkern eigentlich lebendig bleibt, wenn es nicht ‚besungen‘ wurde. Immer wieder haben gerade die großen Tatmenschen das Verlangen empfunden, ins ‚Lied‘ zu kommen, hat ihnen all ihr Wirken unerfüllt und zeitverfallen geschienen, wenn es nicht geistiges Gebilde, wenn es nicht ‚Gesang‘ geworden ist.“1 Im Anschluss daran kommt Fahrner auch auf die Voraussetzungen und Aufgaben heutiger Historiker zu sprechen, woraus seine persönliche Ethik des wissenschaftlichen Vorgehens zu ersehen ist, die auf das Erfassen des Wesentlichen zielt:2 „Vor jedem ehrlichen Wissenwollen und Habenwollen der Geschichte, ja jedes Geschehens, muss eine Erkenntnis stehen. Eine scharfe Schneide trennt das wirkliche Geschehen von jedem Wissen darüber, von jeder Wiedergabe. Alles Geschehen verrinnt unerbittlich in sich selbst und bleibt einsam und unerforschlich. Alles, was wir davon wissen, begreifen, erfassen, aussagen können, entsteht in einem anderen, in einem zweiten, neuen Daseinsraum, ist schon eine Umsetzung, ist schon eine Deutung oder beruht auf Deutungen. Es ist schon eine Auffassung, ist im günstigen Falle: ein Bild! Auch der nüchternste Historiker muss schon bei seinem Forschen und Untersuchen (wie aber erst bei seinem Darstellen!) Tätigkeiten seines Geistes und seiner Seele ausüben, die denen des Dichtens verwandt sind. Notwendig ist sein Verfahren an ähnliche Gesetze des Aussagens und der Wiedergabe in der Sprache gebunden, die immer das ‚Wirkliche‘ verwandeln. Übrigens üben alle etwas Mitteilenden solche verwandelnden Tätigkeiten aus. Jede Mitteilung, jede Wiedergabe eines äußeren oder inneren Geschehens in der Sache setzt die Umsetzung in eine zweite Existenzart,

1 Vgl. Rudolf Fahrner: „West-Östliches Rittertum“, Graz 1994, S. 49/50. 2 Als Gegensatz zu Fahrners Anschauung sei auf die Aussage von Ulrich Raulff hingewiesen, welche postuliert, dass das Salz der modernen Wissenschaftsethik nicht etwa die innere Begegnung mit dem Gegenstand, sondern eine Distanzierung durch „Witz, Kritik und Ironie“ sei. (Ulrich Raulft: „Kreis ohne Meister“, München 2009, S. 243).

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in eine Existenz in der Seele, setzt das Entstehen und Wirken innerer Bilder voraus. Die Aufgabe des wissenschaftlichen Historikers kann nur heißen: Suchen und prüfendes Bewähren der dem Gegenstand gemäßen Darstellung aus dem redlich eingestandenen Wissen um die innere Bedingtheit seiner Aussagen und Vorstellungen. Nüchternes Erwägen und verantwortungsbewusste Genauigkeit sind nur Voraussetzungen der Erkenntnis. Es ist durchaus eine hohe Kraft und daher eine hohe Pflicht des Menschengeistes, Erscheinungen auf ihr Wesentliches hin anzuschauen, das Wesentliche in ihnen zu suchen auch da, wo es nur bruchstückhafte Bezeugungen gibt. Gerade in diesem häufigen Fall gilt es, aus unvollkommener Überlieferung den Kern zu entwickeln, das Eigentliche, das ihr innewohnt, zu gewinnen. Mit dieser ihrer höheren Aufgabe sind die Historiker jeder Art aber wieder in der Nähe der Geschichtsdichtung, die sie, gerade wegen ihrer Pflicht zu kritischer Erkenntnis, nicht ernst genug nehmen können.“3 Um nun auf unsere west-östliche Thematik zurückzukommen (die in Fahrners historischem und dichterischem Alterswerk eine so große Rolle spielt) bleibt noch klarzustellen, was mit der eingangs genannten „west-östlichen Kulturblüte“ eigentlich gemeint ist, und welche räumlichen und zeitlichen Dimensionen hier anvisiert sind. Kurz gesagt ist es die mittelalterliche Welt des europäischen und islamischen Rittertums, in der sich auf beiden Seiten ein neues geistiges Erwachen vollzog, das die Dichtung befeuert und verbindliche menschliche Haltungen hervorgebracht hat. Das geschah auf so grenzüberschreitende Weise, dass dadurch gemeinsame Werte entstanden – Werte, die jenseits aller religiösen Spaltungen und kriegerischen Auseinandersetzungen eine höhere Einheit andeuteten. Solche Gemeinsamkeiten traten etwa in der Ausbildung eines „geistigen Kriegerstandes“ hervor, wie er in den europäischen Ritterorden und in den orientalischen „Futuwwa“-Bünden fassbar wird.4 Im dichterischen Bereich wäre auf den arabischen „esprit courtois“ hinzuweisen, dessen Ausstrahlung wohl das Entstehen der frühesten europäischen Dichtung beeinflusst 3 Vgl. R.F.: „West-Östliches Rittertum“, S. 50/51. 4 Das arabische Wort „Futuwwa“ steht für die Vereinigung edel gesinnter junger Männer, die sich in Brüderschaften, Orden oder Zünften zusammenschließen konnten und mit ihren Idealen auch das islamische Rittertum durchwirkt haben. Vgl. Henry Corbin: „Juvénilité et Chevalerie“, Eranos-Tagung 1976, sowie Franz Täschner: „Zünfte und Bruderschaften im Islam“, Zürich 1979. Zur „geistigen Erhebung“ des westlichen Rittertums vgl. Rudolf Fahrner: „West-Östliches Rittertum“, S.  25–48 und S. 133–168.

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hat – zuerst die mit dem islamischen Spanien in Kontakt stehenden provenzalischen Trobadors, und dann die den davon inspirierten deutschen Minnesänger. Orientalische Anklänge finden sich auch in der Kosmologie von Dantes „Divina Commedia“, sowie in Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ und besonders in seinem „Willehalm“.5 Ob es sich dabei um Beeinflussungen oder um unabhängig entstandene Affinitäten handelt, ist nicht mit Sicherheit nachweisbar und im Grunde unerheblich. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die an den Höfen Alfons des Weisen in Toledo und Friedrichs des Zweiten in Palermo – eigentlichen Schaltstellen west-östlichen Austauschs – erfolgten Übertragungen antiker Werke der Philosophie und Wissenschaft aus dem Arabischen ins Lateinische. Die Wiederbelebung der griechischen Wurzeln der europäischen Kultur fand teilweise auf dem Umweg über die islamische Welt statt, welche sich schon vorher das antike Wissen angeeignet hatte. Man braucht dieses in verwandten Glaubens-, Ehr- und Liebesvorstellungen gründende, und in hohen Werken der Sage, der Dichtung und der Mystik erblühende Mittelalter nicht zu glorifizieren, um doch anzuerkennen, dass damals für zwei bis drei Jahrhunderte ein eigentümliches kulturelles Einverständnis rund um das Mittelmeer bestand, das sich dann paradoxerweise im Gefolge der europäischen Renaissance wieder verloren hat. Der Grund für dieses Auseinanderfallen lag in den mit dem Zeitalter der geographischen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen aufkommenden neuen westlichen Prioritäten. Vom 16./17. Jahrhundert an ging das europäische Denken auf die Dominanz des Menschen über die Schöpfung aus: Das Weltliche wurde allmählich von seinen spirituellen Ursprüngen abgeschnitten, und die Natur zu einer allseits verfügbaren toten Materie reduziert, die dem faustischen Zugriff eines neuen Nutzdenkens ausgeliefert war. Folgerichtig entstand schon vor der Aufklärung, und erst recht im späten 19. Jahrhundert, eine Entzweiung zwischen Mensch und Kosmos, aus welcher ein neuer Glaube an die Allmacht einer isolierten menschlichen ratio und die von ihr hervorgebrachten Wissenschaften und Techniken erwuchs, gefolgt von einer säkularen Eschatologie des neuzeitlichen Fortschrittsglaubens. 5 Zum arabischen Konzept der höfischen Liebe vgl. Jean-Claude Vadet: „L‘Esprit Courtois en Orient“, Paris, 1968. Zur Beeinflussung von Trobadors und Minnesänger durch arabische Vorbilder vgl. Konrad Burdach: „Vorspiel“, Halle 1925. Zu Analogien zu arabischen Mystikern bei Dante, vgl. Miguel Asin Palacios: „La Escatologia Musulmana en la Divina Commedia“, Madrid 1943. Zu Wolfram von Eschenbachs „Willehalm“, vgl. Rudolf Fahrner: „West-Östliches Rittertum“, S. 117–132 („Minneheere in Ost und West“).

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Um 1800 zeigt sich in der deutschen Geistesgeschichte vorerst eine verzögernde, ja entgegengesetzte Tendenz zu dieser neuen Laufrichtung. Die Gegenbewegung war getragen von Herder, Goethe und den Romantikern, die in den Traditionen des Orients eine Inspiration und einen Ausgleich zur Einseitigkeit des heraufkommenden rational-technologischen Zeitalters fanden. Herder hat in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ schöne Worte zum arabischen Rittergeist und zur orientalischen Poesie gefunden; Goethe hat im Alter die Erhabenheit der islamischen Geisteswelt gepriesen und im „West-Östlichen Diwan“ seine Wahlverwandtschaft mit dem persischen Dichter Hafis bezeugt.6 Hölderlin hat in seinen späten Hymnen die uralte „Kulturwanderung“ von Orient zu Okzident angesprochen. Rückert und Platen haben orientalische Gehalte und Versformen in ihre Dichtungen aufgenommen. Die Geschichten aus 1001 Nacht, bereits 1706 in der Übersetzung von Galland erschienen, fanden eine begeisterte Leserschaft. Und alle diese Vorgänge ereigneten sich parallel zur neuerlichen Rezeption des Griechentums, wie sie im Klassizismus stattfand. Trotzdem schritt die von Goethe (in seinen Schriften zur Morphologie) bekämpfte mechanistische Weltanschauung im späteren 19.  Jahrhundert unaufhaltsam voran, nicht zuletzt wegen ihrer „Effizienz“, welche sich ihrem verkürzenden, die Erscheinungen zu bloßen Objekten reduzierenden Ansatz verdankt. Die neuen, durch die Industrialisierung erworbenen ökonomischen und militärischen Machtgewinne ermöglichten die kolonial-imperialistischen Raubzüge der jungen europäischen Nationalstaaten, die sich zu jener Zeit konstituierten. Ihr vom technologischen Fortschritt gespeister Welteroberungstrieb führte schließlich dazu, dass sich die letzten west-östlichen Gemeinsamkeiten verflüchtigten. Nachdem einmal der technische Vorsprung mit kulturellem Vorrang gleichgesetzt war, wurde die islamische Welt (und mit ihr viele andere traditionelle Kulturen) nur noch als rückständige, unterentwickelte Region wahrgenommen, und der neue Westen betrachtete es als eine missionarische Pflicht, dem Osten und dem Süden, wenn nötig mit Gewalt, seine modernen Glaubensgrundsätze aufzudrängen. Damit berühren wir am Rande auch die Ursprünge der gegenwärtigen, seit dem Zusammenbruch des multi-ethnischen osmanischen Reiches im ersten Weltkrieg schwelenden Nahost-Problematik. Sie leitet sich aus willkürlichen kolonialen Eingriffen und künstlichen Grenzziehungen ab, durch 6 Vgl. dazu Katharina Mommsens eingehende Studie: „Goethe und die arabische Welt“, Frankfurt a.M., 1988.

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welche geschichtlich gewachsene soziale und kulturelle Zusammenhänge zerschnitten wurden. Und sie hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch verschärft, nicht zuletzt wegen des späten Wiederaufflammens von überlebten westlichen Ideologien nationalistischer und rassistischer Prägung in den neuen, politisch unabhängig gewordenen Staaten des Mittleren Ostens. Extremistische Bewegungen, wie der Zionismus, verschiedene arabische Nationalismen, sowie in jüngster Zeit der dogmatische (auf westlichen Anpassungsdruck antwortende) islamische Fundamentalismus waren die Folge davon.7 Sie können als späte Nachwirkung eines ebenso einseitigen, agressiven westlichen Imperialismus gesehen werden, dessen im Schatten zweier Weltkriege stehende Geschichte noch zu wenig aufgearbeitet worden ist, und dessen politische Hegemonie inzwischen durch wirtschaftliche und zivilisatorische Dominanz ersetzt wurde. Der totalitäre Fanatismus solcher extremistischen Bewegungen beruht auf einem ideologischen Wahn, der die Religion als fiktiven Deckmantel nutzt und sich dabei moderner terroristischer Praktiken jeglicher Art bedient – von der völkerrechtswidrigen, staatlich betriebenen Vertreibung und Landnahme bis zum mörderischen Sprengstoffanschlag. Statt einigender Gottesliebe verbreitet dieser Wahn nur spaltenden Menschenhass. Sein engstirniger ideologischer Furor steht im Gegensatz zu einer jahrhundertalten kulturellen Tradition der Toleranz in der islamischen Welt, wie sie sich in der dichterischen Überlieferung des Orients manifestiert hat, und nicht weniger in einer übernationalen Gemeinschaftsidee – einem Zusammenleben der Religionen und der Völker, das im Ganzen gesehen sehr viel friedlicher verlaufen ist, als dies im neuzeitlichen Europa und seinen Kolonien der Fall war. Doch würde es uns abseits führen, hier näher auf aktuelles politisches Geschehen einzugehen, und so kehren wir zurück zur ursprünglichen Fragestellung: wie ein im Medium von Dichtung und Geschichte erschauter, aber auch real erfahrener Orient in Fahrners Werk Gestalt annehmen konnte.

7 Zum Zionismus und zur israelischen Staatsgründung vgl. die Schriften liberal denkender jüdischer Autoren, wie Shlomo Sand: „The Invention of the Land of Israel“, London 2012, oder Tony Judt: „Nachdenken über das 20. Jahrhundert“, München 2012, S. 119–150. Zum militanten islamischen Fundamentalismus und seiner Übernahme moderner terroristischer Praktiken vgl. John Gray: „Al-Qaeda and what it means to be modern“, London 2003.

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FAHRNERS VORAUSSETZUNGEN UND INNERE VORBEREITUNG Vorerst ist auf die naheliegende Frage einzugehen, welches die kulturellen und lebensmäßigen Voraussetzungen waren, die Fahrner zu seinem Eintauchen in die eingangs erwähnte west-östliche Kulturblüte befähigten. Dabei geht es weniger um Fahrners „zunftmäßige“ Kompetenz (er kannte sich zwar gut im Mittelhochdeutschen aus, war aber für arabische und persische Quellen auf Übersetzungshilfe angewiesen), als um den Nachweis seiner inneren Lebensnähe zu den beschriebenen historischen und dichterischen Erscheinungen. Als erstes Moment muss man hier wohl Fahrners Aufwachsen in den letzten Jahren der Habsburgischen Monarchie nennen, deren Vielvölkerstaat einen späten Abglanz der ursprünglichen mittelalterlichen Reichsidee bewahrt hatte, und deren Ethik ihm sein Vater noch zu vermitteln wusste. Fahrner schrieb in seinen Erinnerungen dazu: „Ich war in einem Land und in einem Staat heraufgekommen, die im tiefsten nicht aus Doktrinen und Maximen lebten und regiert wurden, sondern nach einem mächtigen und noch geltenden Menschenbild, dem letzten Menschenbild in der Überlieferung solcher Bilder – dem Ritterlichen. Man könnte sagen: Wenn im vielbewunderten alten Hellas die Grundfrage der Menschen bei allen Dingen gelautet hatte: ‚Ist das schön?‘, in der christlichen Welt weithin die Frage wirkte ‚Ist das sittlich gut?‘, in der Welt der Geschäfte die entscheidende Frage war: ‚Bringt das Nutzen, bringt das Erfolg?‘, so war in diesem alten Österreich und bei seinen Menschen immer noch die Richtfrage des Lebens: ‚Ist das ritterlich?‘ Mein eigener Vater stellte diese Frage bei allem eigenen Verhalten und dem Verhalten anderer ganz selbstverständlich voran. Ob einer ‚nobel‘ war und ‚nobel‘ handelte, war das entsprechende, in seinen Ansprüchen tiefgefühlte Lebenskennwort, und der eigentlich geltende Wettkampf unter Menschen war ihm der Wettkampf in der Nobilität. Und ich war in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der noch viele patriarchalische Vorstellungen wirksam waren, in dem Sinne, dass gegenseitige Treue und gegenseitiger Dienst alle als Leitbild verbanden, in welcher Beziehung auch immer ‚Herrschende‘ und ‚Dienende‘ standen. Der Herr war ebenso stolz auf seinen Diener wie der Diener auf seinen Herrn und oft war es eine Art Wettstreit unter Herren, wer den besten Diener und ein Wettstreit unter Dienenden, wer den besten Herrn habe. Herrentum galt nicht als missliebige Unterschiedseinrichtung, sondern war begehrt, gesucht, 14

geliebt als eine lebenspendende Gabe. Das Dienen war nicht verächtlich, wurde keineswegs als erniedrigend empfunden, so dass jeder „Herr“ sich wieder einen Herrn und eine Herrin suchte, in deren Dienst er sich erfüllen konnte, und jeder Dienende auf allen Stufen wieder am Lebenswerk und auch Lebensglanz seines Herrn teilnahm und auch teilhatte.“8 Ein zweites vorbreitendes Moment war sicher Fahrners Schülerschaft bei Friedrich Wolters und, daran anschließend, sein Erlebnis des George-Kreises und dessen Ethik. Nach dem eben angeführten Zitat aus Fahrners „Erinnerungen“ versteht es sich von selbst, dass er eine natürliche Affinität zu Wolters’ auf die Georgesche Poiësis übertragene Idee von ‚Herrschaft und Dienst‘ haben musste. Diese Schrift spricht vom „Wechselatem in der Eintracht“ zwischen geistig führenden und seelisch aufnehmenden Menschen und erstrebt jenen Einklang zwischen den verschiedenen Lebensstufen, der einer Zeit, die „keine Hingebung wagt“, fremd geworden sei. Auch die Art des Wirkens von George selbst musste Fahrner wach machen für „Orientalisches“. Denn der rituelle Zug von geistig verankerten Daseins- und Verhaltensformen, so wie sie George bis in alltägliche Gesten hinein verkörperte, war auch für die traditionelle islamische Lebenskultur kennzeichnend. Die Gestalt eines „Meisters“, die im Kontext der westlichen Moderne so viel Anstoß zu erregen scheint, war in der islamischen Welt ein naturgegebenes, allgemein anerkanntes Leitbild, das in allen sozialen und beruflichen Schichten wirksam war, und es bis heute (insbesondere bezüglich der Führung eines Menschenkreises durch einen geistigen Meister) oft geblieben ist. Später sollte Fahrner folgenden Spruch des Scheichs Bistami, eines frühen islamischen Mystikers, finden und immer wieder zitieren: „Wer keinen Meister hat, den führt der Teufel“. Dazu kommt, dass Georges frühe Dichtung nicht nur mit Gestalten und Bildern aus der Antike, sondern auch mit solchen des Orients umgeht, so etwa im „Algabal“ und im „Buch der Hängenden Gärten“. Vor allem aber war es Georges mythisches, ja kosmisches Verständnis der Dichtung in der Nachfolge von Hölderlin, was Fahrner für analoge orientalische Haltungen empfänglich machte. Nicht weniger gilt dies für Georges Anspruch, dass Dichtung alle Bereiche des Lebens durchdringen sollte. In seinem bereits genannten Aufsatz „Dichtung und Geschichte“ sollte Fahrner später schreiben:

8 Vgl. R.F.: „Gesammelte Werke II“, Köln, Wien, Weimar 2008, S.  90/91. Vgl. auch Äußerungen des Vaters auf S. 1/2.

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„Im Leben der heutigen Zivilisationsmenschen tritt uns auffallend und häufig eine eigentümliche Unfähigkeit und Unlust entgegen, große Dichtung überhaupt aufzunehmen. Schon die Begegnung mit gehobener, geformter Sprache ist sehr vielen heutigen Menschen unangenehm geworden. Die Ansprüche der Dichtung, dass man sich an ihren Bildern messe, mit ihnen lebe oder gar sich nach ihnen ausrichte, sind ihnen unbequem. […] Die heutigen dichtungsfernen Menschen dürfen aber nicht glauben, dass das bei den Menschen früherer Zeiten und noch junger Vergangenheit immer ähnlich oder geradeso gewesen sei. Diese Menschen hatten im Orient und im Okzident eine natürliche und durch Erziehung jeweils ausgebildete Fähigkeit, Dichtung aufzunehmen, in und aus der Dichtung zu leben. Sie haben Dichtung gesucht mit starkem Triebe und sie als einen Lebensquell empfunden. Ein Hauptvorwurf gegen Herrscher und Staatsmänner war es, wenn sie nichts von Dichtung, nichts vom Dichten verstanden. Als ihr Ruhm galt dagegen, selbst zu dichten, Dichter um sich zu sammeln, Dichtungen genau zu kennen, in ihnen und ihnen nachfolgend zu leben. Die Dichtung wirkte auf die ersten Empfänger und durch sie auf andere, und in Umbildungen durch viele Schichten. Aus ihr entsprangen Gebärden, Lebenshaltung, Formungen und Leistungen der Menschen.“9 Ein drittes vorbereitendes Moment war Fahrners aus dem Umgang mit der Dichtung gewonnenes Geschichtsverständnis, das sich stark von der Vorstellung einer geradlinigen, dem technologischen Fortschrittsglauben entlehnten „Entwicklung“ abhebt. Innerhalb eines linear eingeengten Ablaufs besteht Geschichte ja nur noch aus abgestorbenen Schichten aufeinanderfolgender und jeweils entwerteter und abgetaner Vergangenheiten. Dagegen gab es für Fahrner, wie schon für Goethe und George, schöpferische „Urphänomene“ und „Urseinsformen“, die zu verschiedenen Zeiten zyklisch wiederaufleben, sich erneuern oder verwandeln konnten. In einem Vortrag zu „Hölderlins Kosmos- und Geschichtsdeutung“ schrieb Fahrner zum Phänomen der geschichtlichen Durchdringung und der immer möglichen Wiederkehr: „Solche überzeitlichen und überräumlichen Beziehungen erscheinen oft als noch wirksamer und wirklicher, ja, sie erweisen sich gewissermaßen als notwendig, weil wir bei genauerem Zusehen kaum ein bedeutendes Geschehen finden können, was sich ohne ein Ineinanderspielen mit einem räumlich und zeitlich entfernten Gegenstück ereignete.“10 Dieses gleichsam a-histo9 Vgl. R.F.: „West-Östliches Rittertum“, S. 51/52. 10 Vgl. R.F.: „Gesammelte Werke I“, S. 250.

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rische Ineinanderspielen hat Fahrner später auch als Gestaltungselement in einigen seiner lyrischen Dramen benutzt, wie noch zu zeigen sein wird. Ein viertes vorbereitendes Moment bestand in Fahrners eindringlicher Beschäftigung mit der Geisteswelt des europäischen Mittelalters, die ihn später befähigte, sofort die Entsprechungen im islamischen Umkreis wahrzunehmen. Schon früh befasste er sich mit „Wortsinn und Wortschöpfung bei Meister Eckehart“ (1928), dessen aus dem Urgrund der Sprache geborene Schöpfungslehre er dargestellt hat. Eckeharts Vorstellungen von der inneren Einheit von Gott und Mensch und vom „eingefleischten Geist“ klingen nicht nur an Georges Anschauungen an, sondern öffneten Fahrner auch den Zugang zu den Schriften islamischer Mystiker. Zu Eckehart schrieb er: „Das ‚Eine‘ wird zum Namen für das Innerste der Gottheit, für das innerste Wesen des Menschen und für das Band, das Göttliches und Menschliches zusammenfügt. Es bezeichnet den alles durchwaltenden Grund, auf dem jedes Wesen zuletzt beruht, und der eine Beziehung und Vereinigung des Verschiedenen erst möglich macht, der aber auch durch die Macht seines Daseins Vereinigung und Einheit bewirkt. […] Aber das Eine ist auch wirkende Macht, die die verschiedenen Erscheinungen, in denen sie hervortritt, zueinander lockt und zwingt. So macht es das Wesen der Liebe aus, dass sie ein Eines ist, das aus Zweien entspringt und das Zwei in Eines bindet. Sie kann dies nur, soweit das Eine in Beiden wirksam ist, dieser wahre Erzeuger aller Dinge im Himmel und auf Erden. Ähnlichkeit und ‚gelichnus‘ empfangen lebendige Kraft durch das Eine, das in ihnen verborgen liegt und das Ähnliche zum Ähnlichen, das Gleichnis zu seinem Urbild treibt.“11 In den Jahren während und nach dem zweiten Weltkrieg beschäftigte sich Fahrner, zusammen mit Freunden, dann mit dem von den provenzalischen Trobadors und ihren orientalischen Vorläufern beeinflussten deutschen Minnesang; ebenso mit den Epen des „Rolandsliedes“ und des „Parzival“, die für den gemeinsam gegründeten Delfin Verlag in eine neue, zugänglichere Sprachform gegossen wurden. Einige Jahre später sollte Fahrner entdecken, welche Gegenstücke dazu im islamischen Bereich bestanden und wie stark solche Dichtungen das Weltverständnis und das Lebensgefühl der damaligen Menschen in West und Ost bewirkt haben.

11 Vgl. R.F.: „Wortsinn und Wortschöpfung bei Meister Eckehart“, Marburg 1929, S. 122.

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DIE ERFAHRUNG DES ORIENTS Nord und West und Süd zersplittern, Throne bersten, Reiche zittern: Flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten! Unter Lieben, Trinken, Singen Soll dich Chisers Quell verjüngen.

Dort, im Reinen und im Rechten, Will ich menschlichen Geschlechten In des Ursprungs Tiefe dringen, Wo sie noch von Gott empfingen Himmelslehr in Erdesprachen Und sich nicht den Kopf zerbrachen.

(Goethe, Anfang des „West-Östlichen Diwans“, „Hegire“.)

Der beschriebenen inneren Vorbereitung folgten seit dem Jahr 1950 äußere Auslöser, das heißt, neue Lebensumstände, die Fahrner in realen Kontakt mit der orientalisch-islamischen Welt gebracht und ihn dazu veranlasst haben, tiefer in sie einzudringen. Ohne auf allzu viele biographische Einzelheiten einzugehen, soll hier nur kurz an seine 1944 abgebrochene Lehrtätigkeit in Athen, an seine Beteiligung am gescheiterten Erhebungsversuch vom 20. Juli 1944 und die nachfolgenden entbehrungsreichen ersten Nachkriegsjahre erinnert werden, die er mit Freunden im Überlinger Haus verbrachte – Vorgänge, die in seinen „Erinnerungen“ ausführlich geschildert werden. Im Jahr 1950 erhielt Fahrner dann einen Ruf an die Universität Ankara, dem er schon aus Gründen materieller Bedürfnisse zu folgen genötigt war. Anfänglich sah er diesen Aufbruch – seine eigene „Hegire“, oder „Hedschra“, wie es auf arabisch heisst – als mühsamen, kurzfristigen Notbehelf an, doch schon bald erkannte er den tieferen Sinn dieses Aufenthalts. Seine Briefe an die Eltern, an Robert Boehringer und an Michael Stettler12 verraten die Begeisterung, mit der er die urtümlichen Landschaften, die archaischen Lebensformen und die vielfältigen Kulturgüter Anatoliens aufzunehmen wusste. Dazu bot ihm der siebenjährige Aufenthalt in Ankara auch die Möglichkeit zu weiteren kulturellen Entdeckungsreisen in den Iran, nach Syrien und ins Zweistromland. Schon die ersten anatolischen Erlebnisse fanden einen Niederschlag in einem gemeinsam mit dem Architekten Clemens Holzmeister herausgegebenen Buch über Landschaften und Bauten Kleinasiens.13 Es folgte eine historische Studie über den ritterlichen Herrscher und Bauherren Alaed12 Vgl. R.F.: „Gesammelte Werke II“, S. 282–288, sowie: „Wir sind die späten Erben des Schönen, das ewig währt“, Hrg. Stefano Bianca, Weimar/Köln 2013, S. 22–56, passim. 13 Vgl. C. + G. Holzmeister/R. Fahrner: „Bilder aus Anatolien“, Wien 1955.

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din Keykubad (1188–1237), dessen Wesen und Wirken Fahrner bewegten Ausdruck gab.14 Seine Schrift hebt an: „Was ist schöner und lebenweckender, als wenn ein vornehmer Mensch auf dem Fürstenthron, der alles kann: Rechnen, Wägen, Ordnen, Lenken und Richten, Dulden und Siegen, das äußere Leben reich machen, das innere glühend, Menschenschichten binden, Künstler und Künste auflocken und ihnen die Mittel geben zu strahlenden Verwirklichungen – wenn dieser fürstliche Mensch über all dies sein Können hinaus noch ein Traumbild in der Seele trägt und diesem Traum leben gibt? Die Rechnenden werden ihm immer zeigen, wie er sich, diesem inneren Hochbild nachlebend, nach den Gesetzen des Irdischen selbst den Erfolg verkürzt, die Dauer seiner Gründungen und Taten gefährdet. Die mit der gefiederten Seele aber werden sich ihm zuwenden, denn erschienener Traum nährt neuen Traum.“ Durch seine anatolischen Erfahrungen gewann Fahrner Einsicht in weit gespannte historische und kulturelle Parallelen: So zwischen den politisch maßgebenden Dynastien der deutschen Staufer und der irano-türkischen Seldschuken, so zwischen den steinernen Gefügen romanischer und seldschukischer Baukunst, und so zwischen den ritterlichen Lebensformen der Fürsten in Ost und West – sei es in der Reitkunst, in der Kampfes-Ethik oder in der Dichtung. Dschalaluddin Rumi, der große neu-platonische Mystiker des Ostens (von dem er sich eine eigene Spruchsammlung zum Hausgebrauch herstellte) ging ihm nun als Verwandter von Meister Eckehart auf. Beiden war die gleiche enthusiastische, in neuartigen Sprachschöpfungen sich mitteilende Gottesschau eigen – eine Erkenntnis, die den Menschen nicht mehr engen orthodoxen Dogmen unterwarf, sondern ihn zu einer Verkörperung des Göttlichen erhob und ihn an diesem Ursprung teilhaben ließ. Gemäß der islamischen Mystik war Gott ja ein „verborgener Schatz“, der wünschte, erkannt zu werden und deshalb die Welt erschuf, in deren Manifestationen er sich spiegeln konnte. Ganz besonders faszinierte Fahrner das „Buch der Könige“ von Firdausi, das große iranische National-Epos, das zum „Lebensbuch der seldschukischen Ritterwelt“ wurde. Sein Dichter hat nicht nur mythische Helden und Ereignisse besungen, sondern auch Menschenbilder, ethische Normen und 14 Vgl. R.F.: „Alaeddin Keykubad“, in: „Robert Boehringer – Eine Freundesgabe“, Tübingen 1957. In einem Brief an Boehringer (Kopie im Fahrner-Archiv) rühmte Carl J. Burckhardt Fahrners dichterischen Atem in der historischen Schilderung von Alaeddin Keykubad.

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individuelle wie kollektive Verhaltensformen – und somit auch staatliche Muster – geprägt, die noch über Jahrhunderte wirksam blieben. Hier erkannte Fahrner die gleiche Kraft dichterischen Bewirkens, wie er sie früher schon an Turolds Rolandslied und dessen karolingischem Menschenbild für die europäischen Reichsgründungen festgestellt hatte. Und später, in den sechziger Jahren, sollte er bei den Dichtern der Artus-Sage (von Geoffrey von Monmouth über Chrétien de Troyes bis zu Thomas Mallory) auf ganz ähnliche Phänomene stoßen. Dabei wurde ihm dann Alianor von Aquitanien (die „Königin der Troubadoure“, die selbst den Orient erlebt hatte) als Vermittlerin zwischen dichterischen Vorgaben und gesellschaftlicher Umsetzung zu einer besonders wichtigen Figur. Ihr widmete er ein eigenes Stück, sowie ein Kapitel in seinem „West-östlichen Rittertum“. Angesichts der anatolischen Erfahrungen ist es kein Wunder, dass in Fahrners Korrespondenz aus Ankara schon 1952 der Plan auftaucht, ein solches Buch zu verfassen, dessen Verwirklichung sich dann über viele Jahrzehnte hinauszog. Denn nach den Jahren in Ankara nahm er von 1958– 1970 einen Lehrstuhl an der Technischen Hochschule in Karlsruhe an, wo anderes im Mittelpunkt stand: Nämlich die Frage, wie der Austausch zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften fruchtbar gestaltet werden könne, und welche Rolle die Beschäftigung mit der Dichtung in Hinblick auf eine menschliche Ethik haben solle, die zur verantwortungsvollen Anwendung technischer Errungenschaften unabdingbar ist. Allerdings wurde Fahrners Karlsruher Tätigkeit zeitweise unterbrochen durch die Einrichtung eines neuen Lehrstuhls für deutsche Literatur in Kairo, mit der er 1965 beauftragt wurde. Das brachte zahlreiche mehrmonatige Aufenthalte am Nil mit sich und eröffnete ihm weitere Fundgruben für seine west-östliche Thematik, was dem alten Plan neuen Auftrieb verlieh. In Kairo befand er sich in einer der früheren Kapitalen aus den Geschichten aus „1001 Nacht“. Hier erlebte er hautnah die gestischen Nachklänge dieser gedichteten Wirklichkeit, wo der Umgang mit Versen zum Alltag von Fürst, Kaufmann und Diener gehörte, und wo gesellschaftliche Rituale und Zeremonien dem Leben Halt und Würze verliehen. Hier besuchte er auch die eindrücklichen Stiftungsbauten – Kuppelgräber, Moscheen, Schulen, Spitäler und Brunnenhäuser – die von ritterlichen Fürsten des 12. bis 15. Jahrhunderts zur Erhaltung ihres Andenkens erbaut worden waren. Eine Entdeckung aber bewegte ihn in besonderem Maße: Das Phänomen des Mamlukentums, das als eine orientalische Entsprechung zum ritterlichen Gefolgschaftswesen im mittelalterlichen Europa betrachtet werden kann. „Mamluk“ ist die arabische Bezeichnung für einen gekauften Sklaven oder Knappen und wurde zugleich zum Namen einer ganzen 20

Herrscherreihe, die Ägypten und Teile Vorderasiens von 1250–1506 beherrschte. In ihrer nicht unblutigen Geschichte zeigt sich eine Abkehr vom überkommenen dynastischen Denken zugunsten des Prinzips der Bewährung: Herrscher sind nicht mehr durch familiäre Erbfolge vorbestimmt, sondern wachsen durch eine Stufenfolge von Auswahl, Erziehung und erbrachten Leistungen von Dienenden zu Gebietenden heran. Man fühlt sich an Stefan Georges Wort aus dem „Stern des Bundes“ erinnert: Neuen adel den ihr suchet Führt nicht her von schild und krone.

In der Tat stammten die meisten mamlukischen Sklaven aus der zentralasiatischen Steppe und wurden als junge turkmenische Knappen auf dortigen Märkten ausgesucht und erworben, um dann für den Kriegsdienst oder für den persönlichen Fürstendienst ausgebildet zu werden. Dies brachte eine Erziehung nicht nur in der Reitkunst und in verschiedenen Waffenkünsten mit sich, sondern auch im geschliffenen Gebrauch des Wortes. Gekaufte Sklaven erhielten später ihre Freiheit zurück und konnten, je nach Verdienst, in hohe und höchste militärische oder staatliche Stellungen aufsteigen, was nicht selten mit einem harten Wettbewerb verbunden war. Während das Mamlukentum bereits in früheren Perioden der islamischen Geschichte bestanden hatte (und man darf beifügen, dass die Sklaverei hier nicht den grausamen Charakter der späteren amerikanischen Einrichtung hatte) wurde es erst in Ägypten zu einer Institution, aus der sich die Mitglieder des obersten Herrscherstandes rekrutierten. Dieser Umschlag vom dynastischen Prinzip zur bewussten Selektion geschah nach dem Tod des letzten Ayyubiden Sultans as-Salih (1250), als für kurze Zeit seine Gattin Shagarat ad-Durr mit Unterstützung seiner Mamluken die Herrschaft ergriff, um dann von diesen abgelöst zu werden. Darauf wird anlässlich der Besprechung des Stückes „Perlenbaum“ zurückzukommen sein. Im Ganzen darf man sagen, dass Fahrners lebendige Orienterfahrung ihm die Möglichkeit gegeben hat, viele in ihm selbst angelegte Anschauungen und Triebkräfte in fremdem Kleide zu entdecken, wodurch er sein eigenes Wesen bestätigt und bestärkt fand. Dies wiederum erweckte in ihm die Lust, eine solche innere Begegnung auch dichterisch zum Ausdruck zu bringen. Dementsprechend sind seine Stücke keine einfachen Nachbildungen orientalischer Vorlagen, sondern echte Neu-Schöpfungen, hervorgegangen aus einer inneren „Osmose“, welche zur vollkommenen Assimilation des Stoffes geführt hat.



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DICHTERISCHE VERARBEITUNG DER THEMATIK „Der höchste Charakter orientalischer Dichtkunst ist, was wir Deutsche Geist nennen, das Vorwalten des oberen Leitenden; hier sind alle übrigen Eigenschaften vereinigt, ohne dass irgendeine, das eigentümliche Recht behauptend, hervorträte. […] Jene Dichter haben alle Gegenstände gegenwärtig und beziehen die entferntesten Dinge leicht aufeinander, daher nähern sie sich auch dem, was wir Witz nennen; doch steht der Witz nicht so hoch, denn dieser ist selbstsüchtig, selbstgefällig, wovon der Geist ganz frei bleibt, deshalb er auch überall genialisch genannt werden kann und muss.“ (Goethe, aus den „Noten und Abhandlungen zum West-Östlichen Diwan“)

Fahrners Verarbeitung seiner west-östlichen Einsichten und Erlebnisse verlief seit etwa 1960 parallel auf der historischen und der dichterischen Schiene. Wenn die literarischen und geschichtlichen Darstellungen in Fahrners Buch über das west-östliche Rittertum lange nicht zum Abschluss kamen (das Buch ist erst 1994, sechs Jahre nach seinem Tod erschienen), so war ein Hauptgrund für diese Verzögerung, dass es sich hier um ein zentrales Anliegen, ein Lebensthema von Fahrner handelte, mit dem er nicht einfach rational oder „wissenschaftlich“ zu Rande kommen konnte. Denn während er noch historische und literarische Quellen durchforschte, stiegen ihm bereits Gestalten und Bilder auf, die nach dichterischer Fassung verlangten. Geschichtliche Konstellationen riefen nach Verdichtung in prägnanten Handlungen, Dialogen, Gebärden und rhythmischen Fügungen, durch welche manche allzu abstrakte historische und zwischenmenschliche Vorgänge sinnfällig gemacht und geistig vertieft werden konnten. Gemäß einem Wort aus der zweiten Folge der „Blätter für die Kunst“, ist ja „sinnbildliches Sehen die natürliche Folge geistiger Reife und Tiefe,“15 und diese Perspektive hat sich Fahrner zweifellos zu eigen gemacht. So wuchs in den Jahren nach 1961 und bis 1975, in einer Phase neuer dichterischer Inspiration, eine ganze Reihe von Vers-Stücken heran, in denen er sich, oft schubweise, mit dieser Gestaltenfülle auseinandersetzte. Vor der Betrachtung des Inhalts dieser Stücke sei kurz auf die gewählte Form eingegangen, die eng damit verwoben ist. Hier orientiert sich Fahrner an der Diskussion des George-Kreises über Möglichkeit oder Unmöglichkeit des modernen Dramas:

15 Vgl.: „Einleitungen und Merksprüche der Blätter für die Kunst“, Düsseldorf/München 1964, S. 10 (II,2,1894).

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George hatte die damals zeitgemäße Form des naturalistischen Theaters und des konventionellen Schauspieler-Theaters Reinhardtscher Prägung (dem der spätere Hofmannsthal anhing) als Irrweg bezeichnet, der sich erschöpft habe. Auch das verfremdende epische Theater Bertolt Brechts mit seiner lehrhaft-ideologischen Ausrichtung wäre ihm sicher unlieb gewesen. Statt dessen vertraten die „Blätter für die Kunst“ Positionen, die sich etwa mit folgenden Zitaten umreißen lassen: „Eine neubelebung der bühne ist nur durch ein völliges in-den-hintergrund-treten des schauspielers denkbar.“16 „Wesentlich ist die künstlerische umformung eines lebens.“17 „Wenn eine erneuerung des dramas kommt, so kommt sie nur durch den rhythmus und eines dichters lebendige stimme.“18 „Wir erinnern zur vorbereitung noch einmal an […] den grundsatz von der wiedergeburt des schauspiels durch den VERS. Wir halten in diesen vorführungen zuvörderst auf die abrichtung der stimme zum hersagen der neuen rhythmischen gebilde – das hervortreten der körperlichkeit in einem schönen licht – das beschränken der bewegungen als strenge begleiter des wortes vorläufig in kleinen auftritten mit möglichst einfachen gegenüberstellungen. Wohl meinen wir nicht mit vielen dass stil und geschmack sich wie kleider wechseln lassen – doch alle keime die vorhanden sind hoffen wir in kleinem kreise reifen zu sehen und erwarten durch zusammenwirken allmähliche förderung. ‚Strenge überlegung – kalte schlichtheit – selbst absichtlich bis an die grenze hinab – das kann allein helfen‘ …“19 Fahrners „Stücke“ kann man als einen neuartigen Versuch interpretieren, eben diesen Forderungen einer besonderen Dramaturgie des Symbolismus nachzukommen, die bisher als theoretische Positionen im Raum gestanden, aber erst ansatzweise erfüllt worden waren – etwa in den ersten lyrischen Dramen Hugo von Hofmannsthals, deren Spur dann von ihm aufgegeben wurde. Einige von Fahrners Stücken sind einfache Vers-Dialoge, die sich als „kleine Auftritte mit möglichst einfachen Gegenüberstellungen“ formal an frühere Zwiegespräche aus den „Blättern für die Kunst“ (besonders Max Kommerells „Gespräche aus der Zeit der deutschen Wiedergeburt“20) an16 Vgl. op. Cit., S. 11 (II,2,1894). 17 Vgl. op. Cit., S. 13 (III,1,1896) 18 Vgl. op. Cit., S. 47 (VIII,1909). 19 Vgl. op. Cit., S. 26 (IV,5,1899). 20 Nach dem Erscheinen von Kommerells „Gesprächen” schrieb Fahrner am 4.12.1929 an Wolters, wie sehr er ergriffen sei von dieser im Ton von George gehaltenen und

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lehnen, aber in der lebensvollen Prägnanz der Figuren darüber hinausgehen. Andere seiner Stücke sind ausgewachsene lyrische Dramen, mit einer Vielfalt von Situationen und handelnden Figuren, wo er, mehr noch als in den einfachen Dialogen, Neuland betritt – wie er sich auch mit eingehenden Szenenanweisungen und gestischen oder pantomimischen Elementen erfinderisch zeigt. Eines dieser Dramen – „Perlenbaum“ – bringt eine spannungsvolle Haupt- und Staatsaktion zur Sprache, deren tragischer Ablauf an die Stücke von Shakespeare gemahnt. Schon früh hatte sich Fahrners Freundeskreis in häuslichen Aufführungen von Shakespeares Dramen in der neuen Übersetzung durch George und Gundolf geübt – etwa „Antonius und Kleopatra“, „Der Kaufmann von Venedig“ und „Der Sturm“. Diese Praxis hat sicher auch die Entstehung von Fahrners Stücken befeuert, von denen die meisten (teilweise oder vollständig) in der Halle oder im Garten des Überlinger Hauses durch junge Laien-Spieler aufgeführt wurden. Anderseits zeigt sich Fahrner zur Zeit der Abfassung dieser Stücke – so sein eigenes Zeugnis in einem Brief vom Februar 1966 – weniger von der prallen Shakespeareschen Dramatik als von „Goethes silbernen Seelengesprächen“ in der „Iphigenie“, im „Tasso“ und in der „Natürlichen Tochter“ bewegt. Die zwischen 1961 und 1975 entstandene Serie von Fahrners neun Stücken oder „Spielen“ darf man als den Kern seines Alterswerkes bezeichnen. Sie bildet zugleich den unbekanntesten Teil seines Gesamtwerkes, da die Stücke bisher nur als Privatdrucke zugänglich waren und wegen ihres Umfangs vorerst nicht in die 2008 herausgegebenen „Gesammelten Werke“ aufgenommen werden konnten. Die folgende Liste gibt die Titel, das Entstehungsjahr und (rechts) das Jahr des Privatdruckes dieser neun Stücke an: Drei Spiele aus 1001 Nacht: 1961 Anis al-Dschalis 1962 Kamar az-Zamân 1964 Ishak

1972

1966 1966

1973 1971

Perlenbaum Launcelot

doch ganz eigenständigen Schöpfung, die das Geheimnis der echten traditio erfülle. Er fährt fort: „Ich selbst – mag es kühn sein, dies auszusprechen – finde mich mit dem besten was ich habe in diesem werke gegenwärtig und bekenne, dass kühner keiner meiner träume von einer wahrhaften erweckung der geschichte gewesen ist, als er hier erfüllt wurde.“ (Stefan George Archiv, Stuttgart)

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Kaihosrau Spiel der Küsse Alianor Knappen

1970 (?) 1970 1971 1975

1970 (Nur als Manuskript) 1977 1976

Im Rahmen der vorliegenden Einführung ist es nicht möglich, auf alle neun Stücke einzugehen, und so beschränkt sich die Betrachtung auf eine Beschreibung der nachfolgend abgedruckten „orientalischen“ Stücke und ihrer Quellen, für welche der westliche Leser oder Hörer wohl am meisten der Erläuterung bedarf. Eine Einführung in Fahrners orientalische Stücke muss vorerst auf eine seiner wichtigsten Anregungen eingehen, nämlich auf das über Jahrhunderte gewachsene und aus vielerlei Zuflüssen – von Indien bis Ägypten – gespeiste Kompendium der „Erzählungen aus den Tausendundein Nächten“.21 Was Fahrner darin angesprochen hat, ist zunächst die Art, wie die Geschichten „ein großes dichterisches Lebensgewebe aufbauen, das dem Gewebe des Daseins antwortet und es gleichnishaft darstellt, […] sodass das sonst unfassbar Verrinnende schaubar, ergreifbar und, auf eine neue Weise durchleuchtet, erlebbar wird. […] Damit wird das Einzelne seiner Einzelheit enthoben und empfängt, schon allein als ein Teilmuster im großen Lebensteppich, einen eigentümlichen Gleichnischarakter. Denn jedes Geschehen führt auch anderes Geschehen mit sich und weist damit über sich selbst hinaus auf das eine große Geschehen, das sich in ihm und in unendlichen anderen Vorgängen abspielt.“22 Was ihn weiter an „1001 Nacht“ fesselte, war die Art, wie eine dichterische Welterfahrung und entsprechende Sageweisen mit der Handlung verwoben sind und einen Bezug zum Höheren knüpfen. Nicht zuletzt aber entzückte ihn der darin sich zeigende Durst nach Schönheit als einer höchsten Manifestation der göttlichen Schöpfung, die in so vielen Geschichten und Figuren in Erscheinung tritt. Das Schauen jugendlicher Schönheit war ja im Orient, wie wir von den Sufis wissen, ein besonderes Ritual des Gotteserlebens. So haben Geschichten und Verse aus 1001 Nacht auch Fahrners Beginn als Stückeschreiber genährt und begleitet – vor allem in den „Drei Spielen aus tausend und einer Nacht“, die in den folgenden Abschnitten 21 Zur Entstehung und zum Aufbau der Sammlung vgl.: „Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten“. (Hrg. Enno Littmann, Wiesbaden, 1953, Band VI, S.  647– 738, sowie Wiebke Walther: „Tausend und eine Nacht“ (Artemis Einführungen), München/Zürich, 1987. 22 Vgl. Fahrners Vorlesung über 1001 Nacht im Zyklus „Dichter als Wegweiser zur Dichtung“, in R.F.: „Gesammelte Werke II“, S. 369–379.

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näher besprochen werden. Auch in seinem Buch über das „West-Östliche Rittertum“ haben sie Spuren hinterlassen: Episoden aus der längsten Erzählung von 1001 Nacht, der „Geschichte des Königs Omar Ibn en-Nu’mân und seiner Söhne Sharkan und Dau el-Makân“, haben Fahrner dazu inspiriert, sie in eigene rhythmische Prosa umzusetzen und die ritterliche Erziehung eines muslimischen Prinzen durch eine christliche Prinzessin darzustellen.23 Dass die Grundstimmung von 1001 Nacht (obwohl die Geschichten im Orient nicht als „hohe Dichtung“ angesehen wurden, und trotz allem Alltäglichen oder Burlesken, das auch darin vorkommt) doch eine dichterische bleibt, das ist in der westlichen Wahrnehmung gerne übersehen worden. Oft genug wurden die Geschichten entweder zu Kindermärchen reduziert, oder sie mussten erotische Wunschvorstellungen von Erwachsenen bedienen – mit entsprechenden orientalistischen Klischees von Haremswesen, von ungezügelter Sexualität und von männlichem Paschatum, die bis heute ihr Unwesen treiben.24 Was den eigentümlichen poetischen Charakter dieser Erzählungen ausmacht, ist, wie an entscheidenden Stellen, wenn sich die Handlung zuspitzt oder ein neuer Schicksalsknoten geknüpft wird, unweigerlich Verse den Handlungsstrom still stehen lassen. Gereimte Sätze oder ganze Gedichte, seien sie der Erzählerin Schehrezâd oder den handelnden Personen in den Mund gelegt, geben einer geschilderten freudigen oder leidvollen Situation erst den erwünschten intensiven Ausdruck: Verse preisen den Erhabenen, der die Menschenlose lenkt, Verse feiern die unvergängliche Schönheit eines gelebten Augenblicks oder erregen des Hörers tiefstes Mitleid. Wesire raten Herrschern in heiklen Angelegenheiten durch Gleichnisse in Versen; Todgeweihten gelingt es, durch geistesgegenwärtiges Rezitieren oder Improvisieren von Versen im letzten Moment ihre Peiniger umzustimmen oder den Verlauf des befürchteten Schicksals umzudrehen; Liebenden wird eine Erhöhung ihres Genusses durch Verse zuteil und in Versen vermögen sie den Verlust zu überwinden. Dies alles sind deutliche Zeichen für die magisch verdichtenden und verwandelnden Kräfte solcher Sprach- und Klanggebilde. Eng mit diesen lyrischen Eingebungen verbunden ist die immer mitgedachte Allgegenwart des Göttlichen,

23 Vgl. R.F.: „West-Östliches Rittertum“, S. 93–116. 24 Auch Ulrich Raulff bedient sich noch solcher abgestandenen Klischés in seiner frei erfundenen Darstellung von Fahrners Liebesleben („Kreis ohne Meister“, München 2009, S. 207/208), die sich auf eine angebliche, so nie gemachte „Zeugenaussage“ von Gudula Knerr-Stauffenberg stützt. (Mitteilung von G. Knerr-Stauffenberg an den Verfasser)

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dessen Vorsehung heimlich lenkend oder überraschend antwortend in die menschlichen Geschicke eingreift. Nicht umsonst waren die Erzählungen aus 1001 Nacht eine willkommene Nachttischlektüre von Stefan George in Minusio, der ja auch den Übernamen „Adschib“ (der Wunderbare) für Berthold von Stauffenberg der „Geschichte von den drei Äpfeln“ entnahm.25 Ebenso bezaubert vom poetischen Charakter dieser Erzählungen zeigte sich Hugo von Hofmannsthal, wie seine Einleitung zur Ausgabe von „1001 Nacht“ (in der Übersetzung von Enno Littmann) erweist. Hier zwei kurze Auszüge daraus: „Wer möchte versuchen, ein durchaus wundervolles Gewebe wie dieses aufzutrennen? Und dennoch fühlen wir uns verlockt, dem Kunstmittel nachzuspüren, welches an tausend Stellen angewandt sein muss, dass eine so ungeheure Masse des Stoffes, mit der äußersten Realität behandelt, uns mit ihrer Wucht nicht beklemme, ja auf die Dauer unerträglich werde. Und das Gegenteil trifft ein: Je länger wir lesen, desto schöner geben wir dieser Welt uns hin, verlieren uns im Medium der unfasslichsten naivsten Poesie und besitzen uns erst recht; wie jemand, in einem schönen Wasser badend, seine Schwere verliert, das Gefühl seines Leibes aber als ein genießendes, zauberisches erst recht gewahr wird. Dies führt uns in die innerste Natur orientalischer Poesie, ja ins geheime Weben der Sprache; denn dies Geheimnisvolle, das uns beim höchsten gehäuften Lebensanschein von jeder Beklemmung, jeder Niedrigkeit entlastet, ist das tiefste Element morgenländischer Sprache und Dichtung zugleich: dass in ihr alles Trope ist, alles mehrfach deutbar, alles Ableitung aus uralten Wurzeln, alles schwebend. […] Hier sind unendliche Begebenheiten, Träume, Weisheitsreden, Schwänke, Unanständigkeiten, Mysterien; hier ist die kühnste Geistigkeit und die vollkommenste Sinnlichkeit in eins verwoben. Es ist kein Sinn in uns, der sich nicht regen müsste, vom obersten bis zum tiefsten; alles, was in uns ist, wird hier belebt und zum Genießen aufgerufen.“ Was Hofmannsthal in dieser Einleitung anklingen lässt – die Erfahrung der Schwerelosigkeit, die aus der kunstvollen Vereinigung von geistiger und sinnlicher Wirklichkeit gewonnen wird und erst den Blick für das innerste Weltwesen freimacht – das darf man auch als Fahrners Ziel bei der Verarbeitung seiner Quellen und der Ausarbeitung seiner Stücke ansehen. Dabei setzte er um, was er über ein Jahrzehnt früher bei der Analyse von Hugo von Hofmannsthals lyrischen Dramen (wie dem „Kleinen Welttheater“) als 25 Vgl. „Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten“, Bd. I, S. 263.

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Gestaltungsmittel erkannt hatte: Dass nämlich die dichterischen Gestalten Facetten urbildhaften Menschenwesens verkörpern und so über sich selbst hinausweisen.26 Durch diesen Zuwachs an Gehalt werden die Konstellationen zwischen ihnen zu mikrokosmischen Spiegelbildern der großen Weltordnung. Diesen komplexen dichterischen Vorgang macht Fahrner deutlich mit den dem Dichter Ishak (im gleichnamigen Stück) unterlegten Worten: Gestalten rufen die gestalten, Die einen sind nur eins und zeigen eines Die anderen anderes. Erst der ganze reigen Lässt uns – ein augenblick – den saum erheben Des grossen schleiers und das wahre schauen.

Zusammenfassend darf man sagen, dass es drei Momente waren, die Fahrner bei der Gestaltung der eigenen Stücke beeinflusst haben: sein Erfassen der in den „Blättern für die Kunst“ entworfenen Dramaturgie, sein Verständnis von Hugo von Hofmannsthals lyrischen Dramen (in denen er eine „geistige Kunst“ verwirklicht sah), und sein Erlebnis der angewandten orientalischen Poesie von 1001 Nacht, das er dann auf andere Quellen des west-östlichen Rittertums ausweitete. Nicht umsonst beginnt die Reihe seiner Stücke mit „Drei Spielen“, die auf Motive aus 1001 Nacht zurückgreifen, und in denen Fahrner zunehmend sein eigenes dichterisches und dramaturgisches Profil findet – um sich dann in Eigenschöpfungen fortzusetzen, die in andere historische und imaginäre Bezirke vordringen. Abschließend sei noch auf eine Eigenheit der dichterischen Komposition vorausgewiesen, die uns in manchen von Fahrners Stücken entgegentritt: Es handelt sich um den „a-historischen“ Einschluss bekannter deutscher Gedichte, die orientalischen Figuren in den Mund gelegt werden, wie es in den Stücken „Ishak“, „Perlenbaum“ und „Knappen“ geschieht. Diese Gedichte entstammen dem Jahrhundert Goethes, zitieren Verse von Walter von der Vogelweide oder sind aus der Dichtung Stefan Georges und seines Kreises übernommen. Da sie sinngemäß in den Fluss der Fahrnerschen Dialoge eingebaut sind, erscheinen sie nicht als Fremdkörper, sondern als kostbare Bereicherungen. Sie weisen auf verwandtes Geistesgut, sowie auf verwandte menschliche Anschauungen und Haltungen, die sich über Raum und Zeit hinweg begegnen und so dem zugrunde liegenden Gedanken einer „west-östlichen Sympoïese“ Profil verleihen. Zugleich sind sie lebendige Zeugnisse für Fahrners bereits erwähnte These, dass Poesie 26 Vgl. R.F.: „Gesammelte Werke I“, S. 185–242.

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und Geschichte beide von überräumlichen und überzeitlichen Phänomenen durchsetzt sind (und bewegt werden), die überall und jederzeit erneut in Erscheinung treten können. In den folgenden Kapiteln soll nun näher auf den Inhalt und die besondere „Tonart“ der einzelnen Stücke eingegangen werden, wobei Fahrners Gebrauch und Verarbeitung der Quellen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Einführungen in unvertraute Zusammenhänge, Zusammenfassungen der jeweiligen Handlung, sowie Proben von bezeichnenden Dialogen mögen dem Leser den Einstieg erleichtern und ihn zur vollständigen Lektüre anregen.

ANIS AL-DSCHALIS Fahrners erstes lyrisches Drama überhaupt (und das erste aus den „Drei Spielen aus tausend und einer Nacht“ ist sozusagen sein Gesellenstück, in dem er den eigenen Sprachduktus und die dramaturgische Umsetzung noch in enger Anlehnung an die Vorlage entwickelt. Das Stück folgt der „Geschichte von Nur ed-Din Ali und Anis al-Dschalis“ in Band I der Insel-Ausgabe von 1001 Nacht (S. 406–460). Die Erzählung setzt in Basra ein, wo zwei Wesire (ein gut gesinnter und ein boshafter) dem dortigen Sultan dienen. Der gute Wesir wird vom Sultan beauftragt, ihm eine Maid, so schön wie es keine andere gäbe, zu suchen und findet eines Tages ein Juwel an Schönheit und Bildung – Anis al-Dschalis – auf dem Sklavenmarkt. Er ersteht sie im Auftrag des Sultans und hütet sie ein paar Tage in seinem Palast, um sie ausgeruht und geschmückt dem Sultan zuführen zu können. Durch einen Zufall begegnet der Sohn des Wesirs, Nur ed-Din Ali, „selbst dem Monde gleich in seiner Fülle“ und dazu ein großer Verführer, der schönen Anis. Beide verfallen sich sofort in rasender Liebe und Anis verliert ihre Jungfräulichkeit. Da das Unglück nun geschehen ist, zahlt der Wesir selbst den Preis für die Sklavin, verzeiht dem geliebten Sohn und gibt ihm Anis zur Frau. Ein Jahr später stirbt der Wesir, Nur ed-Din Ali erbt sein Vermögen, verschwendet es aber in kürzester Zeit mit prächtigen Gastmählern und Geschenken an Freunde. Als er in Armut endet, steht ihm keiner der alten Gefährten bei. Wie auch noch seine Geschichte mit Anis ruchbar wird und der gegnerische Wesir ihn zu verfolgen und hinzurichten droht, ergreift das junge Paar die Flucht zu Schiff nach Bagdad, wo es am Ufer des Tigris landet. Dort führt das Geschick die Gestrandeten an das Tor eines Lustgartens, wo der Kalif Harun er-Rashid mit seinem Hofsänger Ishak Feste zu

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feiern pflegt, „bis ihm die Brust weit wird.“ Scheich Ibrahim, der Hüter des Gartens, findet das Paar erschöpft und schlafend vor dem Tore. Von ihrer Anmut und ihrer Verlassenheit berührt, lädt er sie ein, in den Garten einzutreten, den er großspurig als sein Eigentum ausgibt, und der in der Erzählung in blumigen Reimworten gepriesen wird. Anis und Nur ed-Din Ali lassen sich von der Schönheit des Gartens berauschen, ebenso wie Ibrahim von der Schönheit des jungen Paares. Schließlich treten sie aus dem Garten in das „Schloss der Bilder“, Ibrahim trägt auf erlesenem Geschirr Speisen, Früchte und Blumen aus der Vorratskammer des Kalifen auf. Dann überredet Nur ed-Din Ali den zögernden Ibrahim, auch noch Wein herbeizuschaffen, und ein prächtiges Gastmahl beginnt. Zur Krönung des Ganzen werden alle Kerzen und Leuchter angezündet – sodass der Kalif von seinem Palast auf der anderen Seite des Tigris plötzlich die Festbeleuchtung gewahrt. Der Wesir Dschafar, vom erzürnten Kalifen zur Rechenschaft gezogen, redet sich damit heraus, dass er Ibrahim erlaubt habe, das Beschneidungsfest seiner Söhne im Schloss der Bilder zu feiern. Worauf der Kalif gegen den Widerstand des Wesirs beschließt, gleich dorthin aufzubrechen, um dem Ibrahim eine Gunst zu erweisen und am Segen der frommen Feier teilzuhaben. Vor dem Gartenpalast steigt der Kalif auf einen Baum und entdeckt bestürzt das muntere Treiben zwischen den zwei Schönen und dem Verse vortragenden Ibrahim. Zuerst wutentbrannt, dann gebannt von der Schönheit des jungen Paares und von der Gesangskunst der Anis, beschließt der Kalif, verkleidet am Fest teilzunehmen. Er tauscht sein Gewand mit der flohbedeckten Kleidung des Fischers Karim (der verbotenerweise vor dem Palast seinem Gewerbe nachging) und empfiehlt sich der fröhlichen Gruppe sogleich durch ein Gastgeschenk von frisch gebratenen Fischen. Als Anis erneut zur Laute singt, äußert der vermeintliche Fischer solche Begeisterung, dass Nur ed-Din Ali dem „Zwang“ erliegt, dem maßlos Preisenden das Gepriesene zu überlassen, wie es gute orientalische Sitte will: In einem Anfall von trunkener Großmut macht er ihm Anis zum Geschenk. Die bekümmerte Anis improvisiert daraufhin eine Reihe trauriger Abschiedsverse mit Anspielungen auf ihre Lebensgeschichte und endet mit Blick auf Nur ed-Din Ali: Möge dich Gott mein Scheiden niemals gereuen lassen! O gäbest Du mich einem Edlen von untadligem Sinn!

Den tragischen Hintergrund des Geschehens ahnend, wird es dem verkleideten Kalifen schwer, das Paar zu trennen, und er bittet Nur ed-Din Ali, 30

ihm seine Geschichte zu erzählen, sowohl in Versen, als auch in sachlichem Bericht. Zum Abschied gibt er ihm für seine Rückkehr nach Basra ein Empfehlungsschreiben an den dortigen Sultan mit. Der Verwunderung des Nur ed-Din Ali begegnet der verkleidete Kalif mit der Behauptung, er sei früher ein Schulkamerad des Sultans von Basra gewesen, und während jener in solche Stellung aufgestiegen sei, habe das Schicksal ihn selbst nur zum Fischer bestimmt. Der verschlossene Brief enthält eine geheime Anweisung des Kalifen, Nur ed-Din Ali zu seinem Statthalter in Basra einzusetzen. Dieser macht sich sogleich, seine Anis zurücklassend, auf die Reise. Dann gibt sich der Kalif dem fassungslosen Ibrahim zu erkennen, der schnell wieder nüchtern wird, mit vier Verszeilen die Großmut seines Herren anruft, und dessen Vergebung gewinnt. Anis wird, in Erwartung der Erhebung des Nur ed-Din Ali zum neuen Sultan von Basra, unberührt in den Stadtpalast des Kalifen verbracht und soll ihm dann wieder zugeführt werden. Bei seiner Ankunft in Basra wird Nur ed-Din Ali vorerst ehrenvoll empfangen, und der Sultan scheint bereit, das Geheiß des Kalifen zu erfüllen – bis der bösgesinnte Wesir den Nur ed-Din Ali des dreisten Betrugs beschuldigt, seine Auslieferung fordert, ihn ins Gefängnis wirft und zum Tode verurteilt. Zur festgesetzten Stunde der Hinrichtung – das Volk trauert um den Schönen – kündigt eine Staubwolke das Kommen des vom Kalifen geschickten Wesirs Dschafar mit seinem Gefolge an: Der Kalif hatte die Ereignisse beinahe vergessen, als er, am Gemach der trauernden Anis vorbeigehend, deren klagende Verse hörte und sich des Nur ed-Din Ali erinnerte. Darauf sandte er, genau zur rechten Zeit, Dschafar nach Basra, um sich zu vergewissern, dass seine Anordnung befolgt wurde. Nur ed-Din Ali wird im letzten Augenblick befreit, der böse Wesir wird gefangen genommen; doch Nur edDin Ali will weder seinen Gegner köpfen lassen – das sei entgegen seiner Natur – noch die Statthalterstelle in Basra annehmen. Er wünscht sich nur Eines: Tischgenosse des Kalifen in Bagdad zu sein und mit seiner Anis wiedervereinigt zu werden, was ihm gewährt wird. * Wie ging nun Fahrner mit dieser Vorlage um? In seinem Stück hat er die weit ausholende Handlung vereinfacht und den narrativen Fluss in eine Reihe von prägnanten Szenen und Dialogen überführt: „Kleine Auftritte und einfache Gegenüberstellungen“, wie es in den „Blättern für die Kunst“ heißt, bereichert durch sprechende Szenenanweisungen. Die vielen Verse hat er zum Teil inhaltlich übernommen, aber in neue Sprachschöpfungen umgesetzt,

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manche auch durch eigene Dichtung ersetzt. Die Handlung des Stückes ist ganz auf den für das lyrische Drama ergiebigsten mittleren Teil der Erzählung, d.h. auf die Szenen vor, im und um den Gartenpalast des Kalifen in Bagdad, zusammengezogen. Die in Basra spielende Vorgeschichte wird gerafft und nur als Rückblende im einleitenden, sehr sinnlichen Dialog des jungen Paares vor dem Garten des Kalifen wiedergegeben, während das Nachspiel in Basra ganz entfällt. In den Dialogen lässt Fahrner die unbedingte Liebe der Anis und ihre am Ende sieghafte Schicksalsergebenheit aufleuchten; ebenso den bis zum Übermaß gesteigerten Großmut des Ali, sowie das edle Herrschertum des Kalifen, der auf die Ausübung absoluten Rechtes und absoluter Macht verzichtet. Anis, Ali und Ibrahim vereinigen sich angesichts des Lustgartens in einem berührenden Preis der Schönheit der göttlichen Schöpfung. Durch ihre lyrische Ausdrucksweise werden alle Gestalten auf eine neue Ebene gehoben, wo sich Ernst und Scherz die Waage halten und ein Hauch von Anmut und Zärtlichkeit das Geschehen durchweht. Genussvoll malt Fahrner die Szenen im „Schloss der Bilder“ mit ihren Täuschungen, Verkleidungen, Tafelfreuden und Sangesfreuden aus – bis zum dramatischen Umschlag, als Nur ed-Din Ali (hier nur Ali genannt) seine Anis „in grenzenlosem Überschwang“ dem vermeintlichen Fischer zum Geschenk macht. Die allgemeine Betroffenheit weiß Anis zu lösen mit ihrer Bitte, sich verlauten zu dürfen: Gebieter: abschied ohne lebewohl, Das trägt, wers tragen kann. Ich fleh: verweile Bis ich dir lebewohl gesagt, gesungen Was mich betraf.

Darauf beginnt sie ihr Abschiedslied mit folgenden Versen: Der schmerz, der klare reine, Ist einer lautren quelle gleich, die nährend Und tränkend quillt, die in das feine Gehäär der gräser läuft und blinkt und während Sie küsst auf ihrem weg die blum, den halm, Die lüfte klärt und süsst, dass sich kein qualm, Kein dunst erheben kann – und lichter laut Der quellenwellen tönt, wie wenn es taut In seelen und sie sehen klar Was ist, was wird, was war.

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Und endet, wie in der Erzählung, mit dem Wunsch: Da bitt ich, bet ich nur das eine: Allah Soll nie dich reuen lassen, was du gibst, Untadlig sei, der hinnimmt, was du liebst.

Zum Ende des Stückes muss Fahrner das verwickelte Nachspiel der Erzählung in Basra ersetzen: Ali bleibt anwesend, als sich der Kalif nach Ausstellung seines Sendschreibens (Ferman) an den Sultan von Basra zu erkennen gibt. Nachdem Ibrahim sich durch vier Verszeilen (eine Fahrnersche Variation der entsprechenden Zeilen in der Erzählung) die Gnade seines Brotherren errungen hat, bekennt Ali, dass er seine Tage nicht länger fern vom Kalifen verleben will. Schließlich bringen die abschließenden an Ali gerichteten Worte des Kalifen die Lösung für alle: Du gehst zu deinem fürsten, mein ferman Geleitet dich und macht dich gross vor ihm, Du tötest deinen feind und bringst dich mir. Die du dem fischer gabst, bewahr ich dir Untadlig, die geehrte geb ich frei Dass sie, in freiheit, frei die deine sei. Ihr wohnt an meinem tisch und gebt zurück In wort und sang was unser sei: das Glück! Doch sticht uns lebenslang der süsse stich: Gesiegt hat Anis über dich und mich.

KAMAR AZ-ZAMÂN ODER DER MOND DER ZEIT Bei seinem zweiten Stück aus 1001 Nacht, „Kamar az-Zamân oder der Mond der Zeit“, greift Fahrner noch stärker als Bearbeiter ein. Da die ursprüngliche Vorlage recht lang ist (Band II, S. 357–569), wählte er die ihm passenden Teile der Geschichte aus, transponierte sie in einzelne Szenen und brachte eigene Erfindungen mit ein. In der Erzählung geht es um zwei junge, schöne Widerspenstige aus entfernten Erdteilen, die beide parallel zueinander die Ehe verweigern, dann unter wundersamer Einwirkung von Geisterhand sich kurz begegnen, wieder getrennt werden und nun unter dem Zwang stehen, ihr Traumbild in der Realität wiederzufinden. Kamar az-Zamân, der lang erwartete einzige Sohn eines arabischen Sultans, wird von seinem Vater und dessen Wesir jahre

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lang erfolglos gedrängt, sich zu verheiraten, weigert sich aber starrsinnig „aus Angst vor der Frauen List und Tücke“. Ungeduldig geworden, lässt ihn der Vater auf Rat des Wesirs in ein unterirdisches Verlies schließen, um ihn zur Vernunft zu bringen. Dort steigt in der Nacht die mächtige Dämonin Maimuna, Tochter des Geisterkönigs, aus dem Brunnenschacht herauf und berauscht sich an der Schönheit des Prinzen. Aus dem Verlies ins Himmelszelt emporfliegend, begegnet sie Dahnasch, einem männlichen Dämonen niedrigeren Ranges, der sich ihr zitternd unterwirft. Ausgefragt, berichtet er ihr, er habe im Lande China eine allerschönste Königstochter namens Budur entdeckt, deren Reize er in langen blumigen Vergleichen rühmt. Die Schöne habe alle Freier abgewiesen, weil sie nicht zulassen wolle, dass ein Mann über sie herrsche. Der Vater habe sie in einem Zimmer des Palastes eingesperrt, aber er, der Dämon, besuche sie jede Nacht ungesehen und weide sich an ihrem Anblick. Darauf erzählt Maimuna dem Dahnasch ebenso bilderreich von ihrem eigenen Erlebnis, und beide streiten darum, welchem der zwei Menschenkinder die Krone der Schönheit gebühre. Sie schließen eine entsprechende Wette ab, die aber des Vergleiches in natura bedarf. Budur wird also durch die Lüfte ins Verlies des Kamar getragen und neben ihn gelegt, und wieder behaupten beide Dämonen den Vorrang des eigenen Lieblings, dessen Schönheit sie beide in Versen preisen. Den Streit zu schlichten, rufen sie einen dritten Dämon herauf, der ihnen empfiehlt, die zwei Schönen einzeln aufzuwecken, und wer dann von größerer Liebe zu dem in Schlaf versenkten Gegenüber erfasst werde, der sei der an Schönheit Unterlegene. Der Rat wird gutgeheißen und der hilfreiche Dämon verwandelt sich in einen beißenden Floh, der nacheinander jeden der beiden Schönen weckt und ihn den Anderen neben sich liegend entdecken lässt. Kamar wird als erster geweckt, ist überwältigt vom Anblick der Budur, hält sich aber zurück, um die Braut rein zu halten, von der er meint, sein Vater habe sie ihm zur Prüfung beigesellt. Doch zieht er ihren Siegelring als Pfand an sich. Budur wird als zweite gebissen; erwachend entflammt sie sogleich für den neben ihr liegenden Kamar, lässt allerdings ihren Trieben freien Lauf – „denn das Verlangen der Frauen ist stärker als das der Männer“ – und nimmt ebenfalls den Siegelring des Anderen in Besitz. Angesichts von Budurs Hingabe beansprucht die herrische Maimuna den Sieg im Schönheitswettbewerb für ihren Kamar, und Budur wird wieder durch Geisterhand nach China entrückt. Als beide Königskinder am Morgen erwachen, spitzt sich ein neues, umgekehrtes Drama zu. Denn nun sind die kurz Vereinigten wieder getrennt und verlangen, um jeden Preis mit dem leibhaftig geschauten Traumbild des 34

Anderen zusammengebracht zu werden. Sie klagen Eltern und Aufseher an, ihnen das geliebte Wesen erst zugeführt und dann mutwillig entzogen zu haben, was diese nur als Ausdruck des Wahnsinns deuten können. Kamar verfällt in einen gefährlichen Schwächezustand und wird zur Pflege in einen Palast am Meer verbracht. Budur droht sich zu entleiben und wird in ihrem Gemach in Fesseln gelegt. Weder Ärzte noch Sterndeuter vermögen ihrem Zustand abzuhelfen. Eine Lösung bahnt sich an, als Marzuwan, ein vielgereister Milchbruder der Budur, sie heimlich besucht, und sie ihn beauftragt, die Welt nach Kamar zu durchforschen. Marzuwan zieht unablässig von Land zu Land und Insel zu Insel, bis er in einer Stadt vom Schicksal des Königssohnes Kamar erfährt, der auf die Insel Chalidan verbracht worden sei. Von seiner Ahnung (und von der Hand Allahs, des Erhabenen) geleitet, besteigt er ein Schiff, das nach einem heftigen Sturmwind an den Felsen unterhalb jenes Palastes strandet, wo Kamar lebt. Der Wesir, der sich gerade bei Kamar befindet, rettet den schiffbrüchigen Marzuwan und führt ihn in den Palast, wo dieser endlich dem sterbenskranken Kamar begegnet und ihm das Ende seines Leidens ankündigen kann. Kamar erholt sich rasch angesichts der Hoffnung, Budur wiederzusehen. Unter dem Vorwand eines Ausfluges in die Steppe verlassen Kamar und Marzuwan den Palast, legen eine falsche Spur, um Verfolgern zu entgehen, und machen sich auf nach der Hauptstadt des Landes China. Kamar gibt sich als weiser Arzt und Sterndeuter aus, um Zugang zur kranken Budur zu gewinnen. Nach alter Märchentradition mussten Bewerber, die die Prinzessin nicht zu heilen vermochten, ihren Misserfolg mit dem Tode büßen, doch Kamar lässt sich vom Volk, das ihn ob seiner Schönheit liebt und ihn vom Heilungsversuch abzuhalten versucht, nicht entmutigen. Durch einen Vorhang von Budur getrennt, schreibt er ihr eine Liebesbotschaft in Versen, die nur sie zu verstehen weiß, und legt ihren Siegelring als Zeugnis bei. Daraufhin wird Budur von neuer Kraft erfüllt, sie sprengt ihre Fesseln und wirft sich Kamar in die Arme, ihr Traumbild umfassend. Die Liebenden werden vermählt, und große Feste werden gefeiert. Und als einige Zeit darauf Kamar von der Sehnsucht befallen wird, sein Vaterland wiederzusehen, gewährt ihnen der König von China die Reise auf die Dauer eines Jahres. Hier findet ein Bruch in der Erzählung statt, denn der zum Greifen nahe liegende Schluss wird aufgeschoben durch eine fast endlose Reihe neuer Abenteuer, die sich weniger organisch in die Grundgeschichte einfügen: Kamar wird während der Heimreise ins Land der Magier gelockt und heiratet eine zweite Prinzessin. Dann wird auch noch die Geschichte seiner zwei

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Söhne, der Stiefbrüder, erzählt, bis alle Beteiligten, nun drei Generationen umfassend, am Ende durch das Schicksal wundersam zusammengeführt werden. * In seinem Stück lässt Fahrner die erst auf Eigenwesen bestehenden, dann von unbedingter Liebe verzehrten Königskinder von typisierten Märchenfiguren zu starken Persönlichkeiten wachsen, deren Charakter aus den Dialogen mit ihrer Umgebung hervortritt. Wie im vorangegangenen Stück ergreift er die Gelegenheit, einen Mikro-Kosmos menschlicher Gestalten verschiedenen Standes vorzuführen: Junge und Alte, Könige und Wesire, den Wärter des Kamar und die dazu erfundene Wärtelin der Budur, sowie die ebenfalls erfundenen lustigen Figuren des „Eckenstehers“ und der „Wärtelin“. Die Königskinder werden zu Verkörperungen jugendlichen Edeltums, wo der Trieb zur absoluten Selbstbewahrung angesichts einer schicksalhaften Begegnung mit dem oder der „Richtigen“ in absolute Hingabe umschlagen kann: Kamar will sich erst für den „höheren Ruf“ freihalten, Budur vermisst unter den Bewerbern das tiefere Wesen, das dem ihrigen entspricht. Beide finden in der traumhaften Begegnung das zweite Ich, das sie in Bildern verfolgt, bis sie sich wieder vereinigen können. Die Eltern dagegen schwanken zwischen Kindesliebe und erzieherischer Strenge. Wie nicht anders zu erwarten, nutzt Fahrner die in der Erzählung angelegten dichterischen Möglichkeiten des Spiels zwischen Traum und Wirklichkeit, die bereits Hofmannsthal in seiner Umarbeitung von Calderons „Das Leben ein Traum“ zum „Turm“ gereizt hatten. Der Brunnen im Verlies wird zum poetischen Anlass für Kamar, sein Inneres zu schauen und zu befragen. Die abenteuerlichen Peripetien der Erzählung werden im Stück stark gekürzt: So verwendet Fahrner nur den ersten Hauptteil der Geschichte und nimmt dort einige  Änderungen, besonders bei den Dschinnen (Geistern) vor. Maimuna wird zu einem männlichen Dämon gemacht und Dahnasch wird in eine weibliche Marmárakas umbenannt. Maimuna ruft Marmárakas noch an Ort und Stelle herbei, um den schlafenden Kamar zu bestaunen, und Budur wird im Nu herbeigezaubert. Der dritte Dämon entfällt, und stattdessen zieht Maimuna selbst den Floh aus ihrem Gewand, der die Liebesprobe einleitet. Der Logik der dramatischen Form folgend, werden „Schnitte“ zwischen einzelnen Szenen gemacht, und überleitende narrative Elemente werden entweder der Vorstellung des Zuschauers überlassen oder durch begleitende szenische Erläuterungen vermittelt. Das Dahinsiechen des Kamar entfällt, denn dieser ermannt sich nach der Auseinander36

setzung mit dem Vater und dem Wesir und macht sich unmittelbar auf die Suche nach Budur auf. Die ganze Marzuwan-Handlung, wie auch die lange Reise Kamars und Marzuwans nach China, werden ausgelassen. Dagegen gewinnen die Ereignisse in Budurs Heimat zum Schluss von Fahrners Stück stärkere Kontur. Schon die erste Szene vor dem Tor der Hauptstadt von China, mit dem heiteren Dialog zwischen Kamar und dem „Eckensteher“ ist von Fahrner frei erfunden. Auch die folgende Szene zwischen Kamar, dem König el-Ghajur (Vater der Budur) und seinem Wesir ist ein neuer Zusatz, wohl um eine Spiegelung zu den anfänglichen Dialogen des Königs Schechriman (Vater des Kamar) und dessen Wesir herzustellen. Bei der Einführung des Kamars klingen Töne an, die bereits auf Fahrners spätere Stücke und die darin enthaltenen Menschenbilder weisen: EL-GHAJUR Der neue werber, wie? WESIR Das ist kein werber Der hat ein wesen ernstest und bescheiden, Und doch wie einer, der aus gnade gibt, Der nichts für sich begehrt, weil ers nicht braucht, Schon hat, was er empfangen könnte. EL-GHAJUR Nun, Dann lass ihm seine habe, wir behalten Die unsre. WESIR Haben wir sie denn? Und suchen nicht, dass einer sie uns gibt? Und da ist einer, herr, ich bleib dabei, Der einem geben könnte, was man hat, Weil er durch wesen weiss. EL-GHAJUR So lass ihn kommen. Allein, wer ist er?



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WESIR Gibt sich nicht zu kennen, Gibt sich als arzt, der heilen will, und spricht Von grosser welterfahrung, trotz der jugend, Auf weiten fahrten, und von arzterfahrung Durch eigne krankheit. Doch auf seinem mund Hat er das herrschersiegel, auf der stirn Die leuchtenden gedanken, und sein gang Ist eines königssohnes.

Ebenso neu ist die Szene in der Kammer der leidend-leidenschaftlichen Budur, in der Fahrner (durch den Mund der Budur) über ein merkantiles Arzt-Gewerbe lästert. Die Erkennungsszene wird gegenüber der Vorlage vereinfacht und auf gestische wie auf dichterische Weise gehoben: Der Vorhang entfällt, und wie in einem Ritual ertasten die zwei Liebenden, vorerst ohne sich anzublicken, die mit dem Ring des Anderen geschmückte Hand und erkennen sich endlich am Ziel ihres langen Leidensweges. Allah, als der Lösende, wird von Kamar angerufen, und durch die magische Kraft des Spruches fallen Budurs Fesseln von selbst. Nach der Wiedervereinigung von Kamar und Budur lässt Fahrner eine eigene Schluss-Szene folgen, die (noch stärker als in Anis al-Dschalis) die Handlungsfäden bündelt und das Geschehen – ganz im Sinne der symbolistischen Dramaturgie – auf eine höhere, gleichnishafte Ebene rückt. Aus diesem Schluss seien Kamars geheimnisvolle Worte an el-Ghajur hervorgehoben, welche die väterlichen Gestalten hüben und drüben gleichsam in eins verwachsen lassen: Du bist mein vater, ich erkenn dich wieder, Und dieser ist mein väterlicher freund, Dem ich, nebst dir, viel unrecht angetan In jenem leben, draus ich komme. Lauf Des rades hats gedreht. Sie geben jetzt Durch euch, was sie nicht gaben, und ich geb, Was ich euch nehme und was ihr behaltet, Und bring es jenen. Und ich nehm zurück, Was ich euch, beiden, gab: getauschtes glück. Lass gehn uns, wenn du uns gesegnet, dass Ich bald dem vater und dem vaterfreund Verkünde; wie ich sie in ihm und dir Gefunden hab, und eine herrin mir,

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Dass wir nun beide ziehn aus einer zeit In neue zeit zu neuer wirklichkeit, Dass, was uns aufgegeben jetzt beginnt.

In einer frühen Manuskript-Fassung des Stückes steht an Stelle dieses knappen Schlusses eine sehr viel längere Doppelszene, in welcher die Andeutungen der letzten drei Zeilen der obigen Versfolge in fast hymnischer Weise ausgestaltet werden. In der gedruckten Version hat Fahrner diesen Schluss der ersten Fassung aus unbekannten Gründen gestrichen – vielleicht weil seine Länge und sein ekstatisch-mystischer Ton das Stück aus dem Gleichgewicht brächten. Die entfallene Doppelszene bringt den Übertritt aus der Traumwelt – dem Kairos des glücklichen Wiederfindens – in die Welt des realen Alltags und seiner abnützenden Erfahrungen zur Sprache. Das Thema der Lebensreise und der entsprechenden Veränderungen und Verwandlungen wird angeschlagen, denen sich die Liebenden miteinander stellen müssen, um der Gewöhnung und dem allmählichen Absterben der Leidenschaft entgegenzuwirken und sich Neuem zu öffnen. Der erste Teil der Doppelszene spielt auf einer Lichtung, die dem Paar schließlich die Erlösung aus seinen Irrungen und Wirrungen bringen wird. Der Eckensteher und die Wärtelin suchen nach Kamar und Budur, die sich auf geheimnisvolle Weise verflüchtigt haben, kommentieren deren Trennung und ihr eigenes Verhältnis zueinander in teilweise recht burlesker Weise, und gehen dann wieder ab. Im zweiten Teil der Szene tauchen Kamar und Budur aus dem Hintergrund der Lichtung hervor und bewegen sich zuerst getrennt, Schritt um Schritt parallel zueinander, nach vorne, bis sie sich schließlich einander zuwenden und mit erhobenen Händen neu vereinigen. Diese Choreographie ist abgestimmt auf die langen, teils getrennt, teils zusammen vorgetragenen Versreihen, in denen sie den Gründen ihres Sich-Verlierens nachsinnen: Was war geschehn? Man sah sich nicht im Sehen, Vernahm sich nicht im hellen Hören, fühlte Sich nicht und spürte nichts von Liebe, Nähe In dichtester Liebkosung … sah die Farben Der Liebessonne blassen in ihr selbst, In jedem Ding. . Ich starrte, hoffte. . hörte Den Liebeston verklingen in sich selbst, In Ding und Tun – weh: in der eignen Stimme – Und tastete das liebste Ding vergebens.



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Da war kein Spüren mehr in dem Getast – Und war doch wie von neuem Geist gefasst, Genommen, aufgehoben, hingestellt, Der sprach: Euch ziemt der Gang in neue Welt. […] Du musst dich verändern, gewandelter wandern, Du findest dein Haus nur in neuem Gezelt, Musst sehnen und sterben – und leben im ANDERN , Das neu sich erbildet in werdender Welt – Und hast es doch schon, und es klingt in den Adern, Und fühlst es und hörst es – schon fasst es dich an Und streicht dir das Haar – und in hellen Geschwadern Ziehn suchende Segel die Ströme hinan Zur Quelle, zur Stelle, wo Ursprung beschieden, Das Ewige mündet ins Wesen hinieden –

Die Doppelszene schließt mit dem verzückten Wechselgesang der neu sich findenden und ineinanderströmenden Liebenden: Da ist sie (er) – oder steh ICH dort und hier? Weiss nicht, bin ich’s ist sie’s (er’s), so gleicht sie (er) mir. Geh mit mir, schönes Geistbild: aus der Zeit Und in die Zeit zu neuer Wirklichkeit! Ich sehe ihn (sie) reich an künftigen Gebärden Was kommt ist nah und neu und ist auf Erden.

ISHAK Bei „Ishak“, dem dritten und bedeutendsten der „Drei Spiele“, bot die kurze, kaum siebenseitige Geschichte aus 1001 Nacht (Band  III, S.  115–123) nur einen knapp erzählten Handlungsrahmen, den Fahrner unter Erfindung zusätzlicher Nebenfiguren und unter Einschluss von eigenen und fremden Gedichten zu einem ausgewachsenen lyrischen Drama besonderer Art erweitern und umbilden konnte. In 1001 Nacht wird die Geschichte nicht von Ishak als einer Drittperson, sondern von ihm selbst in der Ich-Form erzählt. Fahrners Einbildungskraft wurde dadurch beflügelt, dass Ishak der legendäre Dichter und Sänger am Hofe der Kalifen Harun ar-Raschid und alMamûn war, dass also ein Dichter und die Dichtung selbst im Mittelpunkt der Geschichte stehen, und ebenso, dass die Rahmenhandlung viele Mög40

lichkeiten zu einem festlich-heiteren „Spiel im Spiele“ bot. Hier in kurzem Umriss die Handlung der Erzählung: Auf dem Heimweg von einem Gelage beim Kalifen al-Mamûn begibt sich Ishak in eine dunkle Seitengasse, um unbeobachtet Wasser lassen zu können. Da kommt ein großer leerer Korb, mit Brokat gefüttert, die Hauswand heruntergeglitten. Von Weinlaune und Neugierde bewegt, setzt sich Ishak hinein und wird sogleich hinaufgezogen. Angekommen, findet er sich in einem prächtigen Palastraum voll von duftenden Blumen und seltenen Früchten; Dienerinnen mit Kerzen und Räuchergefäßen heißen ihn zusammen mit der schönen Hausherrin Chadidscha willkommen. Auf ihre erste Frage gibt sich Ishak als Kaufmann aus, und auf die zweite Frage, ob er Verse vortragen könne, täuscht er zuerst Befangenheit vor, trägt dann aber „eine Anzahl von Versen der alten Dichter“ vor (die in der kurzen Erzählung entgegen der Gewohnheit nicht eingefügt werden). Darauf lässt Chadidscha Speisen und Wein auftragen und findet es an der Zeit, „Geschichten zu erzählen“, die ebenfalls nicht näher ausgeführt werden. Auf ihre Verwunderung, dass ein Kaufmann solche Verse und Geschichten zu sagen wisse, behauptet Ishak, sie von einem Nachbarn zu haben, der Tischgenosse von Fürsten war. Zum Höhepunkt schlägt Chadidscha vor, Lieder zur Laute zu singen, und als der Gast sich ziert, trägt sie selbst Verse zu den stadtbekannten Melodien des Sängers Ishak vor, die der „Kaufmann“ höchlich preist. (Auch diese Verse sind in der Erzählung nicht enthalten.) Am nächsten Abend, nach einem mit dem Kalifen al-Mamûn verbrachten Tag, drängt es Ishak, die vertrauliche Zusammenkunft mit Chadidscha zu erneuern, und wieder findet er den Korb bereit, aufgezogen zu werden, und wieder plaudern sie, tragen Lieder vor und erzählen sich merkwürdige Begebenheiten bis der Morgen anbricht, ohne dass die Erzählung nähere Angaben über den Inhalt ihrer Gespräche macht. Am folgenden Abend wird Ishak, der den Tag mit dem Kalifen verbracht hat, von seinem vielbeschäftigten Herrn gebeten, auf ihn zu warten, während er eine dringende Angelegenheit zu regeln habe. Doch die Versuchung ist zu groß, noch ein drittes Mal das geheimnisvolle Haus zu besuchen – auf drei Tage ist das arabische Gastrecht befristet – und er entwischt dem Kalifen und „verbringt die Nacht wie zuvor.“ Den Zorn des Kalifen voraussehend, bittet er Chadidscha um die Gnade, auch einen vierten Abend kommen zu dürfen und ködert sie mit dem Angebot, einen „Vetter“ mitzubringen, der den berühmten Ishak von allen Menschen am besten kenne – nämlich den ebenso zu verkleidenden Kalifen. Kaum wieder zu Hause, wird Ishak von Abgesandten des Hofes mit Gewalt zum Kalifen geschleppt, der ihn der Treulosigkeit bezichtigt, sich aber

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besänftigen lässt, als ihm Ishak von seinen Erlebnissen bei der schönen und klugen Chadidscha erzählt und ihn einlädt, ihn als sein Vetter zu ihr zu begleiten. Tatsächlich stehen am Abend zwei Körbe bereit. Die Festlichkeiten mit Geschichten, Versen, Gesang und Tafelfreuden wiederholen sich, und der Kalif ist bezaubert von Chadidscha, die ihm besondere Aufmerksamkeit widmet. „Als aber el-Mamûn drei Maß getrunken hatte, kam Fröhlichkeit und Weinseligkeit über ihn und er rief: ‚He! Ishak!‘ und bat ihn, eine bestimmte Weise zu singen.“ Nach dieser Eröffnung besagt die Geschichte, dass Chadidscha die Gesellschaft verließ und sich ins Innere des Hauses zurückzog. Kurz nach Ende des Liedes ruft der Kalif Chadidschas Vater, um sein Einverständnis zu gewinnen für eine Vermählung mit ihr noch am selben Tage. Die Geschichte endet mit den Worten des Ishak: „Darauf gingen wir beide fort. Der Kalif aber sprach zu mir: ‚Ishak, erzähle diese Geschichte niemandem!‘ Und ich habe sie bis zum Tode el-Mamûns für mich behalten. Kein Mensch hat jemals so viel Glück auf einmal erlebt, wie ich es in jenen vier Tagen genossen habe, als ich tagsüber mit el-Mamûn und des Nachts mit Chadidscha zusammen sein durfte. Bei Allah, ich habe nie einen Mann gleich el-Mamûn gesehen und nie eine Frau gleich Chadidscha kennengelernt, ja nicht einmal eine, die ihr an Klugheit, Verstand und feiner Rede auch nur nahegekommen wäre. Doch Allah weiß es am besten.“ * In seinem Stück verkürzt Fahrner die vier Nächte der Erzählung auf drei Nächte, hält sich aber weitgehend an den gegebenen Rahmen der Handlung. Dadurch, dass der Bericht des Ishak sehr kurz ist und entgegen dem Usus anderer Erzählungen aus 1001 Nacht auf eingeschobene Verse und Geschichten verzichtet, braucht Fahrner keine Umbildung von Bestehendem zu machen und gewinnt eine große Freiheit für eigene dichterische Einsätze, die er auch weidlich nutzt. Es ist, als ob er ein rohes Grundgewebe durch Einknüpfung des eigenen Flores zu einem prächtigen Teppich verwandelte. Wie sehr ihm das behagte, zeigt sich auch an der Länge dieses Stückes, die jene der zwei Vorläufer deutlich übertrifft. Fahrners Eigenschöpfung wird schon aus der Erweiterung des Gestaltenkreises ersichtlich. Dem Bund zwischen Ishak und al-Mamûn stellt er eine kleine, eng verschworene weibliche Gemeinschaft gegenüber – eine Gruppe von Mädchen, die sich um Chadidscha scharen und die sowohl ihr Eigenwesen behaupten, als auch in Beziehung zum männlichen Gegenüber treten. Daraus ergeben sich reizvolle Dialoge, welche die Spannung zwi42

schen den beiden Sphären mit feiner Ironie auskosten und Chadidscha als große wissende Frau hervortreten lassen, die das Versteckspiel des Ishak früh durchschaut hat. Dadurch, dass sie es in der Schwebe lässt, wird sie zur heimlichen Lenkerin eines Geschehens, in dem die Männer nur scheinbar die Führenden sind. Das Leben in der Dichtung und aus der Dichtung vereint die Gestalten beiderlei Geschlechts in gemeinsamer Feier und gipfelt im Preis des am Ende entdeckten und ganz sich eröffnenden Ishak. Eine Ausweitung der Handlung ergibt sich auch durch den Einschub von nicht nur beiläufig erwähnten, sondern von den Hauptpersonen nun tatsächlich erzählten (oder gestisch vorgeführten) Geschichten, deren Stoff Fahrner anderen Erzählungen aus 1001 Nacht entliehen hat. Außerdem sind zahlreiche Gedichte in die Dialoge eingebaut, entweder als Rezitation gegebener Verse, oder als Improvisation durch die handelnden Figuren. Die meisten dieser Gedichte stammen aus Fahrners eigener Feder, einige sind dem klassischen Schatz deutscher Dichtung entnommen und sinngemäß eingebaut. So ist ein kunstvoll verschränktes und verwobenes Gebilde entstanden, dessen komplexe Struktur den Aufbau von 1001 Nacht spiegelt. Darüber hinaus wird es zu einem Paradigma des „schönen Lebens“, so wie Fahrner es verstand. Was beim genauen Lesen des Stückes besonders auffällt, ist, wie Fahrner die Gelegenheit wahrnimmt, dem Dichter Ishak die Grundsätze seines eigenen symbolistischen Verfahrens und seiner dichterischen Hermeneutik in den Mund zu legen, wodurch er mit diesem Stück auch ein Licht auf seine anderen lyrischen Dramen wirft. Zwei Beispiele seien hier dem früheren Zitat (s. S. 28) beigefügt: Gedichte, herrin, sollte man nicht denken Nur wissend sagen und dem blumenwald Der worte nicht durch denken abbruch tun. Das wissen, das in Liedern sich Verlautet kann aus e i n e m sinn nicht stammen Ist wissen von der welt so wie sie selbst Sich weiss.

Der erste festliche Abend in Fahrners Stück beginnt mit einem Gastmahl, zu dem, genau nach der Vorgabe der Erzählung, „Verse der alten Dichter“ rezitiert werden, in diesem Falle klassische deutsche Gedichte. Chadidscha beginnt an Stelle des „befangenen“ Gastes und Fahrner lässt sie zuerst zwei Strophen aus einem Gedicht von Brentano („Sprich aus der Ferne“)

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rezitieren, dann eins von Hebbel („Sie sehn sich nicht wieder“) und schließlich eins von Hölderlin („Hälfte des Lebens“). Die Gedichte sind assoziativ durch die Atmosphäre verbunden, die in den Schlussversen des ersten Gedichtes aufklingt: „In goldenen kähnen / Schiffen die geister im himmlischen see“ … Woran sich die „von dunklen Wogen hinuntergezogenen“ Schwäne von Hebbel anschließen, gefolgt von Hölderlins Schwänen, die „trunken von Küssen ihr Haupt ins heilignüchterne Wasser tunken“. Ishak erwidert zuerst mit einem verwandten Gedicht von Walter Wenghöfer („Die stillen Kähne“), das Wolkenbahnen, Wasser und Kähne thematisiert, und fährt fort mit eigens von Fahrner gedichteten Versen, die von herbstlichem Vergehen und wieder erwachendem Lebenstrieb singen und schließlich drei Baumgestalten –  Ölbaum, Lorbeer und Zypresse – feiern. Mit Chadidschas Reaktion auf die Verse: „Hat das nicht etwas von der Anmut eines der stottern muss vor Freude“, und mit Ishaks Replik: „Der es machte, der weiß es“ gestattet sich Fahrner, eine kleine Selbstironie im Stück unterzubringen. Nach dem Wetteifern im Vortrag von Versen folgt ein Austausch von rhythmisch gefügten Geschichten, „Damit man singend lebe, lebend singe/ Damit was Allah wollte in uns klinge!“ Fahrner lässt Ishak kunstvoll die Geschichte einer untadeligen Ehefrau erzählen, die ob ihrer Schönheit verfolgt, verleumdet und fast getötet, dann gerettet wird und unglaubliche Geschicke durchlebt, bis sie in königlicher Stellung, als Mann verkleidet, wieder ihrem Gatten entgegentritt. Chadidscha antwortet, in anderem Ton, mit der ebenfalls aus den Erzählungen von 1001 Nacht entnommenen Geschichte des Kalifen Hischam, der zur Jagd ausreitet und auf einen stolzen jungen Geißhirten stößt (Bd. III, S. 93–95). Dieser widersetzt sich dem herrischen Gebaren des Kalifen und wird von dessen Gefolge mit dem Tode bedroht. Der Geißhirt lacht der Drohung und weiß sich mit passenden Versen nicht nur das Leben zu retten, sondern auch den Respekt und die Gunst des Herrschers zu erringen. Am nächsten Tag macht Ishak seine Aufwartung beim Kalifen el-Mamûn, der ihn geschäftehalber lange warten lässt, sodass Ishak am Abend entspringt und wieder dem Korb entgegeneilt – zu jener neu entdeckten, verwandten Seele, die ihn so innig versteht: „Bis zu jenem hauch / Des übergangs von sein zu schein, von schein / Zu wesen und von wesen in die stunde: / Dem augenblick!“ Für die zweite Nacht hat sich Fahrners Chadidscha ein kleines Schauspiel mit ihren vier Mädchen ausgedacht, das sie unter vielen Scherzen über die Männer und ihre Not, sich beweisen zu müssen, vorbereiten. Die verkleideten Mädchen stellen in szenischer Verkürzung die Geschichte 44

vom Fischer Chalifa dar, die einer anderen Erzählung aus 1001 Nacht entnommen ist (Bd.  V, S.  503–556). Dem Fischer steigt anstatt der erwarteten Fische ein Affe aus dem ausgeworfenen Netz. Der Affe verspricht ihm sein Glück zu machen, wenn er ihn seinem Besitzer, einem jüdischen Händler, abluchse. Zu diesem Behufe fischt er einen Prachtfisch, den der Fischer dem Juden als Tauschobjekt anbieten solle, und so geschieht es. Der Affe macht den Fischer reich mit seinen Beutezügen, und dieser lässt sich dazu hinreißen, mit seinem Gold eine geheimnisvolle Kiste zu kaufen, die im Basar von einem Makler feilgeboten wird. Zu seiner Überraschung hat die Kiste einen lebenden Inhalt – die schöne Kutalkulub, die Favoritin des Kalifen Harun ar-Raschid, die von Zubeida, der stets eifersüchtigen Ehefrau des Kalifen, betäubt und so aus dem Wege geschafft worden war. Schließlich kommt der Makler, um Kutalkulub im Namen des Kalifen zurückzufordern, doch diese gibt sich hart und verlangt das Kommen des Kalifen selbst. Da für die Rolle des Kalifen keine Spielerin mehr verfügbar ist, springt Ishak sofort ein und improvisiert den Kalifen mit einer (wie Chadidscha bemerkt) täuschend echten Gestik. Kutalkulub lässt sich endlich dazu herbei, in den Palast zurückzukehren, verschafft dem Fischer aber vorher noch große Gegenleistungen vom Kalifen: Schlösser, Güter und gar die Tischgenossenschaft … Nach dem Ende dieses kleinen Spiels im Spiel feiern sich alle mit Reden und Trünken, und Ishak bittet darum, am nächsten Abend einen Vetter mitbringen zu dürfen, da er schon ahnt, dass el-Mamûn nur durch Mitgenuss dieser Festlichkeiten zu beschwichtigen sein wird. In der Tat zeigt sich el-Mamûn am nächsten Tag aufgebracht, am Vorabend von Ishak versetzt worden zu sein. Ishak aber entgegnet in sehr Fahrnerscher Manier: Ich frag zurück: lässt man so freunde holen? Verliert beim ersten anschein das vertraun? Lässt kein geheimnis gelten, kein im-stillen In dem sich doch ein neues ding bereitet Und nur und nur in dem! Wie soll der freund Denn freund sein und, die beste freundespflicht, Das neue bieten, wenn du ihn zum quell Nicht gehen lässt, ihn ausspähst und dabei Schon sein willst wenn er trinkt und schaut?



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El-Mamun lässt sich nicht gleich von den durch Ishak gepriesenen Reizen der Chadidscha überzeugen, sondern meint: Ishak, du weisst, ich mag kein weib das nur Ein weib, das nur dabei ist wichtig, mag Auch keinen mann ders übers blosse mannsein In nichts hinausgebracht, verstehst mich doch?

Immerhin lässt er sich als Vetter des „Kaufmanns“ Ishak am dritten Abend willig in die Gesellschaft einführen. Kaum dem Korb entstiegen, wird er von Chadidscha, da er angeblich den Ishak so gut kenne, nach diesem befragt. Beide, Chadidscha und der verkleidete el-Mamûn, ergehen sich, vom listigen Ishak durch Fragen angestachelt, in Lobreden auf den Dichter: EL-MAMÛN Wenn er nicht sänge, wär die erde stumm Soweit sie Allah schuf und harrte eines Der sänge CHADIDSCHA Gast, du sprichst vertraut ! Doch wie, Wenn du es weisst, wie kommen ihm die töne, Der klang, das silbenfliessen und das singen Der melodie?

Darauf erzählt der verkleidete Kalif ein Ereignis, das ihm von Ishak selbst berichtet worden sei – eine Fahrnersche Adaptation einer weiteren Kurzgeschichte aus 1001 Nacht (Bd. IV, S. 645–649): Ishak habe einmal Urlaub von dem allzu zudringlichen Kalifen genommen, um in der Stille seiner Halle zu meditieren – da sei ihm plötzlich ein schöner, ernster Mann erschienen und habe ihn mit leisem Spott zum Sing-Wettstreit aufgerufen. Nachdem Ishak glaubte, in unerreichbarer Weise vorgesungen zu haben, sei der Fremde eingefallen: ‚Merke dir das lied‘, Ishak! Und glitt mit seinen fingern in die saiten, Ganz leicht, das ganze reich der töne wogte In meiner halle, wogte, schwand, es blieb Ein silbern klingen von so feinem satz Dass ihn auch ich nicht kannte, und ein lied

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Von solchem silbenfall und sinngefälle Dass mir die seele lauschte. Endend fragt er : ‚Noch eins?‘ Ich nickte, wieder setzt er an Und diesmal wars als säng der ganze raum Der boden und die decke und die säulen Als sängen sie mit ihm, und meine kleider Und glieder sangen mit. Und noch einmal: ‚Hast du’s gemerkt? So hör noch dies!‘ und offen War oben das gewölb, und andre stimmen Als irdische, von seinen fingern herGezogen in die saiten, silbertonig Und goldentonig, worte feinster zunge –

Nach seinem alles übertreffenden Gesang sei der geheimnisvolle Fremde spurlos verschwunden, und plötzlich sei ihm offenbar geworden, dass es Iblis (die islamische Entsprechung zu Satan oder Luzifer, dem schönsten der gefallenen Engel) war, der ihn heimgesucht habe. Die Lieder aber habe er heute noch im Mund. Diese Erzählung und Chadidschas Bemerkung, dass auch das Böse im Schimmer des Schönen enthalten sei und ihm dienen müsse, geben den Auftakt für die gemeinsame Festlichkeit. Sie beginnt mit dem zur Flöte vorgetragenen Lied eines der Mädchen von Chadidscha, zu dem el-Mamûn und Ishak entsprechende Fortsetzungen improvisieren, womit die Initiative an die beiden Gäste übergeht. Ishak und el-Mamûn hatten sich vorweg abgesprochen, als Gastgeschenk eine kleine Szene aufzuführen, in welcher sie, als Wesir Dschafar und Kalif Harun ar-Raschid verkleidet, die Geschichte der verlorenen und wiedergefundenen Kutalkulub aus anderer Warte improvisieren wollten: Harun ar-Raschid zeigt sich untröstlich über den Verlust der einzigen Kutalkulub, „das Haupt, das Herz, die Mitte seines Lebens“; denn ihm wurde nach der Rückkehr von der Jagd nur noch das angebliche Grab der betäubten und in einer Kiste in den Basar verbrachten Kutalkulub gezeigt. Dschafar versucht zuerst, ihn das Geschehene vergessen zu machen, zeigt sich dann gerührt von Haruns Klage, erinnert sich plötzlich des am Vorabend im Hause Geschehenen und ruft Chadidscha als die verloren gemeinte Kutalkulub auf die kleine improvisierte Bühne. Nun kommt Chadidschas Gelegenheit, den anfangs begonnenen Fahrnerschen Liederreigen fortzusetzen und abzuschließen: Das ist das glück, wenn sich durch dichte zweige Der wildnis dieser welt ein antlitz zeige,

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Ein anverwandtes, und mit neuen zeichen Ein haupt sich zu dem deinen durstend neige, Da fühlst du lüfte wehn, die warmen weichen Schaust wie ein licht aus dunklen mulden steige Und hörst die stimme die dir nie mehr schweige!

Dann schlägt sie einen neuen Ton an mit dem „Gesang auf den Schatten, die Mutter des Lichtes“, worauf el-Mamûn sich nicht mehr halten kann, Ishak bei seinem Namen aufruft und ihn auffordert, es der Chadidscha nachzutun und sie im Gesang womöglich noch zu übertreffen. Damit ist der Wendepunkt des Stückes erreicht, denn el-Mamûn hat die von den anderen längst vermutete Identität des Ishak offenbart, während dieser seinen „Vetter“ nun als den „Herrscher der Gläubigen“ anspricht. Mit den folgenden von Fahrner verfassten Liedern – mit dem „Rätsellob“ und dem „Lied von den Betenden“ – setzt der entdeckte Ishak den lyrischen Höhepunkt des Stückes, und zum Abschluss wünscht sich der Kalif: Euch möcht ich haben: Dich! und dich und sie! Geleitende geschwister meiner tage: Gefiele es der herrin uns zu dulden? Dass aus der einen nacht noch viele nächte Mit uns entblühen mögen? Sagt ihr ja?

Der die Erzählung von 1001 Nacht abschließende Auftritt des Vaters der Chadidscha entfällt. Ein Wunsch des Kalifen ist zugleich Befehl (nicht umsonst ist eine der stehenden Formeln in 1001 Nacht: „Ich höre und gehorche“), und in der letzten Szene des Stückes sinnieren die zurückgebliebenen Mädchen zusammen mit Chadidscha über die neue Schicksalsfügung und ihren kommenden Aufbruch in den Kalifenpalast: Wir hingen den korb aus was stieg uns darein? Wars schenkendes glück wars täuschender schein? Wir zogen ihn auf und erwünschtes entstieg, Bringts trennendes leid bringts liebenden sieg? Das kommt und geht Glückswind verweht Doch glücksstern scheint Sind wir vereint.

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PERLENBAUM Ganz neu und anders tritt uns Fahrner in seinem nächsten (im Frühjahr 1966 in Kairo entstandenen) Stück entgegen, das der ägyptischen Sultanin Shagarat ad-Durr gewidmet ist. Hier gilt es nicht mehr dem Märchenzauber, der Sinnenfreude, der lyrischen Emphase und den die Realität aufhebenden Verwandlungsspielen. Statt dessen geht es um die harten Zwänge staatlichen Handelns innerhalb eines großen geschichtlichen Umbruchs, was sich auch in einem anderen Sprachduktus ausdrückt. Im Vordergrund stehen schicksalhafte Fragen von Herrschaft und Dienst, von Führungslegitimation und Gefolgschaftstreue. Das Stück spricht den nicht zu vermeidenden Zwiespalt zwischen unbedingtem Ideal und bedingter Realität an, sowie die menschlichen und gesellschaftlichen Konflikte, die sich daraus ergeben können. Im Extremfall bleibt als Ausweg nur das Selbstopfer (oder das Geopfertwerden), um das verbindend-verbindliche Hochbild am Leben zu erhalten und seine weiterzeugende Kraft zu gewährleisten. Dabei knüpft Fahrner an die historischen Figuren des letzten Ayyubiden-Sultans as-Salih († 1249) und dessen Gattin Shagarat ad-Durr (wörtlich „Perlenbaum“) an und bringt auch dessen Mamluken Aibak und Beibars ins Spiel, sowie den treuen Wesir und Heerführer Fahr ed-Din – jenen langjährigen Ayyubidischen Staatsdiener, der Freundschaft mit Friedrich II. von Hohenstaufen schloss und 1229 von ihm zum Ritter geschlagen wurde. Mit den Hofdichtern und Würdenträgern Zuhair und Ibn Matrûh werden zwei weitere historisch bezeugte Figuren eingeführt, während die Jungknappen Yusuf und Arslan, sowie der Sufi und die „Stille Botin“, eine junge Vertraute der Shagarat, Erfindungen von Fahrner sind, die der Handlung zusätzliches Relief verleihen. Zeitgenössische historische Quellen zur Figur der Shagarat sind nicht sehr ausführlich, lassen aber doch ihre Einzigartigkeit erahnen.27 Es ist die Rede von ihrer außerordentlichen Schönheit und von ihrem hoheitsvollen, den führenden Männern ebenbürtigen Wesen. Ihr Charisma ließ sie für kurze Zeit zur regierenden Sultanin werden (Münzen wurden in ihrem Namen geprägt) und während mehrerer Jahre die Fäden der Macht aus dem Hintergrund ziehen – beides eine für die damalige Zeit außergewöhnliche Tatsache. Ihr Wirken hat sich auch baulich bezeugt durch die Errichtung eines großen Kuppelgrabes für den verstorbenen as-Salih und eines kleineren (schon zu Lebzeiten gebauten) für sich selbst. Beide haben sich bis 27 Fahrner bediente sich zum Quellenstudium des Werkes von Götz Schregle, „Die Sultanin von Ägypten“, Wiesbaden 1961.

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heute erhalten und sind zu prägenden Vorläufern einer stolzen Reihe von mamlukischen Herrschergräbern in Kairo geworden. Es war die aus den wenigen historischen Dokumenten und den architektonischen Manifestationen erfühlte Ausnahmeerscheinung dieser Frau, die Fahrner zu seinem Drama „Perlenbaum“ inspirierte, das ihre Lebensgeschichte in einer Abfolge von erdachten Schlüsselszenen durch Bilder, Reden und Gebärden sinnfällig macht. Die dramatischen und teilweise blutigen Tatsachen der Handlung werden meist nicht direkt gezeigt, sondern in Rückblenden oder in Berichten anderer auftretender Personen vorgestellt, wie jenen des Sufi, des Dichters Zuhair oder des Wesirs Fahr ed-Din und seines Nachfolgers al-Faîzi. Die heimliche Leitfigur des Stückes, auf die sich alle Handelnden in ihrem Sagen und Tun beziehen (die aber im Drama selbst nur als Traumbild erscheint), ist der Sultan as-Salih, der als Erster das Mamlukentum zur Grundlage seiner Staatsführung und seiner Gefolgschaftsbeziehungen gemacht hatte, was dann nach seinem Tode von Shagarat fortgeführt und mit neuem Ethos erfüllt wurde. Das Stück spielt vor dem Hintergrund des sechstens Kreuzzuges: Ludwig der Heilige hat mit seinem Frankenheer die Hafenstadt Damietta erobert, und das Heer des aus Syrien herbeigebrachten, schwer erkrankten Sultans as-Salih bereitet sich zum Gegenschlag bei Mansura vor. As-Salih aber stirbt noch vor der Schlacht, was Shagarat vor eine harte Bewährungsprobe stellt. Hier setzt die sichtbare Handlung des Stückes ein: Shagarat befiehlt den Getreuen, den Tod des Sultans geheim zu halten, und betraut den Wesir Fahr ed-Din mit der Führung der Heeres. Der Sieg wird „vom Schicksalsbaum gepflückt“, Ludwig und fünfzehntausend Franken werden gefangengenommen, später freigelassen und zurückgeschickt. Shagarats hohe Gesinnung und bestimmtes Handeln machen sie zur natürlichen Stellvertreterin as-Salihs. So wird sie auch von den anderen Figuren des Stückes gesehen: FAHR ED-DIN Rasches wort War immer ihre stärke; im erfassen Des augenblicks, mit vor- und nachher, weicht Sie keinem mann. Und was sie sagt das trifft, Manchmal vielleicht auch dort wos besser wäre Es träfe nicht.

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BAIBARS Allein der hochsinn kann Nicht rücksichtsvoll verfahren wie ein rechner Und spieler kann, er muss sich immer selbst Zugleich bezeigen, mit den dingen auch Sich selbst bezeichnen, ob es günstig sei Für den gewinn ob nicht. AIBAK Mag sein er muss. Jedoch das wirkliche! bleibts auch im blick Sobald der hochsinn steigt und sich bezeigt? Und ist nicht die gefahr der hochgesinnten Dass sie den sinn, der andern innewohnt, Nicht immer merken wollen und das gold Auch in das eisen schlagen möchten? BAIBARS Gold Und eisen sind die schlimmste paarung nicht! Der herrschende hat seine wirklichkeit. Hätt er sie nicht wie gäb er wirklichkeit Dem werdenden das noch nicht wirklich ist?

As-Salihs Mamluken geloben Shagarat den Treueschwur, wodurch eine neue, nicht mehr dynastische Reichsordnung gegründet wird. Sein Sohn aus früherer Ehe, der sich durch seine Ränkespiele als der Macht unwürdig erwiesen hat, wird durch die Mamluken ausgeschaltet. Shagarat selbst kündet die Regeln des neuen ritterlichen Staates: Heil edlem blut. Es ist und schafft das beste. Allein es lässt sich nicht mit sippenstolz Verbürgen alter art die nicht mehr fruchtet. Was dieser schein von edelblut verwirke, Das hat sich uns gezeigt. Schau auf all diese Die aus dem falschen anspruch leben, schau Auf des as-Salih sohn, den wir zu richten Nicht meiden konnten! Nein: Bewährung ist Dem ritterherrscher die gesuchte lust So wie den seinen: sie sind stark von seiner

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Bewährung – er von ihrer gross und heil. Sie fordern sie ein jeder von sich selbst Das fordert sie von allen. Bricht dies einer So gibt es rechenschaft, verbrechens alle Dann gehen sie zu grund, mit recht! Ein zirkel Wo fast ein jeder herrschen könnte, käms An ihn, wo mancher lieber nicht – sieh zu – Das herrschen nimmt und seine andre bahn Bevorzugt. Wenn dies alles gilt und blüht Dann herrscht der beste, sohn aus neuer sippe Ob alten oder neuen bluts, und herrscht Zusammen mit den besten, die er wählt, Die ihn erwählen, wenn sie wählen.

Nach wenigen Monaten sieht sich Shagarat durch den Einspruch des Kalifen in Bagdad (des nominellen Oberherrn der ägyptischen Sultane) gezwungen, den formellen Herrschertitel an as-Salihs Ober-Mamluken Aibak, den neuen Heerführer, abzugeben, und geht auf Empfehlung des Staatsrates eine Vernunftehe mit Aibak ein, bleibt aber die heimliche Regentin und Trägerin des Geistes des as-Salih. Der „große Zug“ dieser verschworenen, vom Hofdichter gepriesenen Lebensgemeinschaft musste enden, als Aibak auf neue Brautwerbung ging und aufs „alte Blut“ setzte, d.h., als er implizit versuchte, auf das dynastische Prinzip der blutmäßigen Erbfolge zurückzugehen. Wieder steht Shagarat vor einer Entscheidung. Bevor sie sie trifft, sinnt sie in einem Traumgesicht aus vergangenen Tagen nach, als der junge as-Salih um sie warb und sie beide zu ihrer gemeinsamen Bahn unter einem neuen Stern ansetzten. Dann ruft Shagarat die Knappen Yusuf und Arslan, mahnt sie an ihren Eid und heißt sie Aibak beim Bad aufzuwarten und ihn dort zu erstechen. Das geschieht nicht zur bloßen Befriedigung von Rachegelüsten, sondern um Aibaks Bild durch dieses Opfer zu reinigen. Damit setzt das Ende der Handlung ein: Shagarat (die schon zu Anfang des Stückes durch den im Voraus errichteten Grabbau ihre Todesbereitschaft gezeigt hatte) wird von der dem Aibak ergebenen Gegenpartei der Mamluken zusammen mit der „Stillen Botin“ – ihrer jungen Schwester und Begleiterin – in einen Turm geworfen, wo sie später beide ermordet aufgefunden werden. Der treue Knappe Yusuf ersticht sich über ihrer Leiche, obwohl er hätte fliehen können. Die von as-Salih entzündete Flamme wird aber weitergetragen von dessen früheren Knappen Beibars und Arslan (dem späteren Sultan Kalaun), die beide ihren Weg machen und zu Herrschern aufsteigen. 52

Dem Charakter des Dramas entsprechend, ist Fahrners rhythmische Sprache äußerst knapp und bestimmt, fast stählern gespannt. Im Gegensatz zu den „Spielen aus 1001 Nacht“ sind Reime nur sehr sparsam in die Verse eingeflochten, etwa in den lyrischen Szenen des Traumes der Shagarat, sowie in der Liebesbegegnung zwischen Yusuf und der „Stillen Botin“, wo auch noch das mittelhochdeutsche „Falkenlied“ Walters von der Vogelweide eingeschoben wird, um die ferne Herkunft der türkischen Knappen zu kennzeichnen. An entscheidenden Stellen des Dramas, wie Yusufs Gebet oder Aibaks Monolog vor seiner Ermordung, drückt sich die Spannung in einer Folge von übergehenden Reimen an, wo sich jeweils das letzte Wort einer Verszeile mit dem ersten Wort der nachfolgenden Zeile reimt. Als Beispiel Yusufs Gebet: Gross stürzt herein das wissen Zum kissen sinkt das haupt Wer glaubt muss beten Treten vor gott Spott steht dabei Frei bleibt der sinn Drin lebt die kraft Die schafft dass im leibe Fliehendes bleibe. Amin.

Von der historischen Handlung, dem kompositorischen Aufbau und dem Sprachduktus aus betrachtet ist „Perlenbaum“ sicher Fahrners dramatischstes Stück, das den Gesetzen der Bühne am meisten entsprochen hätte. Seine Hoffnung, es ins Arabische übersetzen und in Kairo öffentlich aufführen zu lassen, hat sich leider nie erfüllt.

KNAPPEN Neun Jahre später (und nach der Vollendung weiterer Versdramen, wie „Launcelot“, „Kaihosrau“, „Spiel der Küsse“ und „Alianor“), ist Fahrner in seinem letzten Stück „Knappen“ nochmals ausführlicher auf das Thema der Berufung und Bewährung junger turkmenischer Mamluken zurückgekommen, das er in „Perlenbaum“ mit den Figuren des Yusuf und des Arslan bereits angeschnitten hatte. Die „Knappen“ sind allerdings kein Stück mit durchgehend gebauter Handlung wie „Ishak“ oder „Perlenbaum“, sondern

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bestehen aus einer locker verbundenen Abfolge in sich geschlossener Szenen, welche die Ausbildung und den Waffengang dieser jungen Gefolgsleute (und möglicher kommender Herrscher) zum Inhalt hat. Dabei geht es nicht nur um die richtige Art der Pflichterfassung, sondern auch um die Bändigung der vitalen Kräfte zu einer innerlich erfüllten Form – im Menschlichen ebenso wie in der Ausübung von kriegerischen oder musischen Tätigkeiten. Wie die anderen orientalischen Stücke hat Fahrner auch dieses in sieben Szenen komponiert. Sie spielen unter den Titeln: „Rosseführen“, „Nach dem Vorsingen“, „Singstunde“, „Botschaft bringen“, „Auslegung“, „Nach der Auslegung“ und „Siegen“. In ihren Dialogen lässt er den Zauber einer starken und spielerischen Jugend aufleuchten, ebenso wie den wechselseitigen Eros, der zwischen Erziehenden und Erzogenen waltet. Eine Inspiration zu diesem Werk entstammte Fahrners Lektüre des „Buches der Staatskunst“ (Siyāsatnāma) des bedeutenden persischen Wezirs Nizam ul-Mulk (1018–1092), der dreißig Jahre lang unter den seldschukischen Sultanen Alp Arslan und Malikschah gewirkt und den Aufstieg ihres Reiches mitgetragen hat.28 Sein Lehrbuch enthält einen Schatz von Erfahrungen, anekdotischen Erzählungen und geschichtlichen Beispielen zur guten Staatsführung. Schon das einführende Zitat Nizam ul-Mulks muss Fahrners Georgeanisch geprägtes Geschichtsverständnis angesprochen haben: „Herrscherhäuser, Reiche und Städte hängen allezeit mit einem bestimmten Manne zusammen … Es bedarf immer wieder eines Menschenalters und dazu noch günstiger Umstände, bis ein entsprechender und bewährter Mann sich einstellt.“ Ein Hauptanliegen des Buches ist die richtige Erziehung und der richtige Einsatz von künftigen Staatsstützen. Dabei wird oft auf die Geschichte der Samaniden (der Vorläufer der Seldschuken) zurückgegriffen, deren berühmtester Herrscher Mahmud von Ghazna (971– 1030) war. Vieles wird auch über die Ausbildung von gekauften turkmenischen Knappen ausgesagt, deren Wildheit erst gezähmt und festen Regeln unterworfen werden müsse, um staatstragend zu wirken. Die erste, die vierte und die letzte Episode von Fahrners „Knappen“ gehen denn auch auf direkte Anregungen aus dem Siyāsatnāma zurück. In der einleitenden Szene „Rosseführen“ bezieht sich Fahrner auf eine von Nizam ul-Mulk mitgeteilte Dienstordnung: „Noch zur Zeit der Samaniden bestand der Grundsatz, die Knappen in Ansehung ihrer Dienstleistungen, Tüchtigkeit und Würdigkeit stufenweise aufsteigen zu lassen. Sobald ein Kappe [ausgesucht und] gekauft worden war, ließ man ihn ein Jahr lang zu Fuß dienen. […] 28 Nizamulmulk: „Siyāsatnāma – Gedanken und Geschichten“, Hrg. Karl Emil Schabinger von Schowingen, Freiburg 1960 (Neudruck, Zürich 1987)

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Während dieses Jahres durften die Knappen weder öffentlich noch heimlich ein Pferd besteigen.“29 Fahrner – selbst ein passionierter Reiter – malt diesen Sachverhalt im Zwiegespräch von zwei Jung-Knappen wie folgt aus: SABUKTIG˘ IN Das hat sich unsere herrschaft ausgedacht Als ob der teufel sie beraten hätte Ich mein den Iblis der von menschen mehr Als alle menschen weiss […] – dies gehen Am ross, ein ganzes jahr, und nie besteigen Das wundertier dem sich die lefzen heben Wenn du es küsst, das sich die lippen nimmt Mit seiner rosseslippe wie der zarteste Und reifste mannesfreund. AHMAD Oh du! besteigen Tu ichs in meinem geist ganz unablässig Und jag dahin. Und halt und tanz der viere, Der fesselschönen rossesbeine, folgend Dem feinen tanz an seinen weichen flanken Von meinen beinen. Und aus übermut Den stolzen schritt weitgreifend eng gesetzt Und aus dem stand den einsprung in den weichen Galopp, scha scha!

Die vierte Episode, „Botschaft bringen“, benutzt ebenfalls eine Geschichte aus dem Siyāsatnāma: Alptig˘in, ein ehemaliger Knappe, nun zum Samanidischen Statthalter von Khorassan aufgestiegen, erwählt (über die Dienstordnung sich hinwegsetzend) den noch jungen Sabuktig˘in zu seinem engen Vertrauten und erprobt ihn durch Aussenden von wichtigen Botschaften und Einholen treffender Antworten. Eines Tages betraut er ihn mit der Mission, Steuergelder bei einem rebellischen Stamm einzuziehen. Als die Schuldner nicht vollständig bezahlen wollen, schlagen die anderen Knappen vor, den Zins gewaltsam einzuziehen. Da sagt Sabuktig˘in gemäß dem Siyāsatnāma: „Der Herr hat uns nie zum Kämpfen ausgesandt, sondern nur gesagt: Geht und bringt das Geld. Wenn wir nun kämpfen und unterliegen, 29 Vgl. „Siyāsatnāma“, S. 203.

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so ist es eine große Fahrlässigkeit und Schande und schädigt das Ansehen unseres Herrn. Er wird fragen: Warum habt ihr ohne Befehl gekämpft? Bis zum Tode werden wir von diesem Vorwurf nicht mehr frei werden.“30 In seinem Stück lässt Fahrner Sabuktig˘in so sprechen: Hätten wir gekämpft Dort ohne dein geheiss, dann wären wir Wie herren dort gewesen nicht wie männer Im dienenden gefolg. Es ist das zeichen Des mannes im gefolg dass er so tut Wie es der herr befiehlt. Wenn uns die Chuludsch Geschlagen hätten, hättest du gesagt: Wer hat euch kampf befohlen? und wir könnten Den vorwurf nicht ertragen. Wenn der herr Befiehlt zu kämpfen, kämpfen wir und nehmen Die gelder oder lassen unser leben.

Und lässt Alptig˘ in, den stolzen Erzieher, befriedigt feststellen: Du sprichst wie ich gesprochen hätte, tatest Wie ich an deiner stelle täte. Gut. Du bist entlassen.

Die letzte, siebente, vom Siyāsatnāma inspirierte Episode, „Siegen“, dreht sich um den Siegeszug des schon in die Jahre gekommenen Fürsten Alptig˘ in, nachdem er am Hof der Samaniden in Ungnade gefallen war. Der Zug führte ihn von Iran aus über das heutige Afghanistan bis nach Indien, wo Alptig˘in den Grund zu einem neuen islamischen Reich legte. (Seine Nachfolger in Indien wurden sein früherer Lieblingsknappe Sabuktig˘ in und dessen Sohn, der berühmte Mahmud von Ghazna.) Bei diesem Unternehmen begleiteten ihn die Knappen Sabuktig˘in und Tughan und zeichneten sich durch ihre Heldentaten aus. Die im Siyāsatnāma ausführlich erzählte Geschichte31 raffte Fahrner zu einer Unterhaltung zwischen den Dreien nach einer entscheidenden Schlacht gegen das zahlenmäßig überlegene Chorassanische Heer. Die Schlacht hatten sie aus einer Talschlucht heraus gewonnen, und zwar durch die Verbindung eines kühnen spontanen Ausfalls des Sabuktig˘in mit der klugen Strategie des Alptig˘in und dem fügsame Handeln Tughàns. In Fahrners Stück fasst Alptig˘in zusammen: 30 Vgl. „Siyāsatnāma“, S. 205. 31 Vgl. „Siyāsatnāma“, S. 211–213.

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So rühm ich euch mit lust und will euch sagen Wie ichs mir denke wenn der zug gelingt Wenn wir des hochlands grossen ruf erfüllen Und zwischen Iran und dem reichen land Am Indus jetzt ein junges reich beginnen Das nach dem Indus schaut und nach Turan Und nach Bagdad zu des kalifen thron: Sabuktig˘ in du hast den sieg gepflückt Den lebenssieg der dir den rang bestimmt Du wirst mein erbe in der neuen gründung. Tughan du hast vielleicht noch mehr gesiegt Hast mit dem fügegeist gesiegt, dem deinen, Der sich die schlacht und sich das lied gewinnt Und du bekommst das königsbuch zu dichten.

Die letzte Zeile enthält eine dichterische Freiheit Fahrners; denn das berühmte „Buch der Könige“, das spätere iranische Nationalepos, dessen Ethik und Verhaltensweisen für Generationen von ritterlichen Herrschern maßgeblich blieben, wurde nicht von „Tughan“, sondern von Ferdowsi gedichtet, aber tatsächlich am Hofe des Mahmud von Ghazna, dem Sohn des Sabuktig˘in, in Auftrag gegeben. Fahrner hatte Teile daraus schon als Quelle für sein Stück „Kaihosrau“ (s. S. 60) verwendet. Während sich Fahrner also in den Episoden 1, 4 und 7 relativ treu an die Vorgaben aus Nizam ul-Mulks Siyāsatnāma hält, die er genussvoll ausmalt, lässt er in den dazwischen liegenden Episoden seiner dichterischen Imagination freien Lauf. Er wusste ja, welche maßgebliche Rolle die dichterische Redeweise an orientalischen Fürstenhöfen spielte – ein Verszitat oder eine gereimte Replik konnte die verfahrensten Situationen entschärfen, und dichterische Gaben waren die beste Empfehlung für einen Tischgenossen des Herrschers. So baute er vier weitere Szenen in sein Stück ein, welche parallel zur kriegerischen Ertüchtigung die gedachte poetische Erziehung der Knappen zum Inhalt haben: Denn „Da lernt es sich am besten / Was für gewichte dichterworte haben / Die bildgewichte und die sinngewichte / Und das gewicht der wertungen die tief / In worten wohnen, leben …“ Hier ist die führende Figur nicht mehr Alptig˘ in, sondern der Singmeister Nuh, in dessen Gestalt sich Fahrner gewissermaßen selbst ins Spiel bringt, und dem er seine Erkenntnisse über die Deutung und die richtige Erfüllung der dichterischen Form unterlegt. In der zweiten Szene des Stückes – „Nach dem Vorsingen“ – sinnen die jungen Knappen Tulun und Tughān darüber nach, wie ihr wildes, aus der

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Steppe mitgebrachtes Singen in einen gestalteten Sang eingehen könne. Sie erkennen, dass es bei den neuen Fügungen und dem Aufgehen in einer neuen Gefolgschaft auch um ein Umgestalten der eigenen Person geht. So sagt Tughan: Mit vorsicht kannst dus nicht und nie gewinnen Das spiel wo‘s um den ganzen einsatz geht Der eigenen natur, die hinzubieten Zu neuer fügung du gewillt bist, die Der füger aufzunehmen geist und kraft Und liebe in sich finden muss. Sonst droht Der sturz weil beide fliegen müssen dass Die wahl beginnt. Ich sah den herrscherblick Den sinnend festen, sah den stumm bewegten Und reichen mund. Ich trau dem glück, dem sinn Der mich und was ich bin und biete fasst Und mir die lenkende bejahung gibt.

In der dritten Szene, „Singstunde“, übt Nuh mit den vier Knappen Sabuktig˘in, Tughan, Tulun und Ahmad das fortfahrende Improvisieren von Versen auf Grund der thematischen Vorgabe einer ersten Zeile („Ritten zwei und der eine“ …) – eine übliche orientalische Praxis, die auch aus den Geschichten von 1001 Nacht bezeugt ist und die Fahrner noch selbst in der Türkei erlebte. Nuh kommentiert die individuellen rhythmischen Erfindungen der Knappen und vermittelt eine versteckte Fahrnersche Lehrstunde über Reimarten, Rhythmen und Versfügungen. Dann krönt er den Unterricht mit einer eigenen Improvisation über den Anfangsvers und fasst am Schluss zusammen: Genug für heut, genug für ein paar tage. Wir denken künftig noch darüber, wie Das sagen so nach selbstgewählten und Aus der bewegung fluss gewonnenen Gesetzen das was kunst ist ausmacht, und Dass man die regeln, strengre oder leichtre, Erwählen muss gemäss der kraft die man Im ersten fliessen spüren kann und wägen Und proben kann. Denn ist die regel erst Zu streng gewählt dann stockt der fluss und leicht Bleibt das gesetzte leer. Doch streng genug

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Für die entsprungne kraft muss sie schon sein Sonst quillt es über. Doch das schönste ist Die strengste regel ganz mit kraft zu füllen.

In der fünften Episode, „Auslegung“, will Nuh den Knappen die Arten der Deutung von Gedichten nahebringen. Als Gegenstand der Auslegung dient ihm (wieder eine a-historische „Unterschiebung“ Fahrners) Stefan Georges Gedicht „Ich warf das stirnband, dem der glanz entflohn“ aus dem gewissermaßen orientalischen „Buch der Hängenden Gärten“. Nuh begleitet die Knappen durch mögliche Wege und Irrwege der Deutung, lässt sie auch sich widersprechen, und beschließt das Ganze mit seinem Plädoyer für ein In-sich-Ruhen-Lassen des unausschöpfbaren, d.h. vielfachen Deutungen offenen Gehaltes: Jetzt lasst ab. Und trinkt von neuem das gedicht und lasst Es wirken über alles wissen weit Hinaus. Kein streit. Braucht nie zu glauben Ihr ‚hättet‘ ein gedicht in einer deutung. Denn nicht wer recht hat mit der deutung lässt Sich am gedicht erweisen, sondern wie wir In unsern augenblicken diesem text Dem wesen dieses dings am nächsten kommen. Heut gilts für uns. Und andre werden andres In diesen versen finden, morgen zeigen Sie andres auch uns selbst und machen uns Erstaunen, fragen, neu. Doch heute waren Wir ihnen nah. […] Bei guten versen gibt es immer etwas Das sich dem deuten ganz entzieht, die deutung Nicht will und in sich bleiben muss – ein samen Verborgen bis er wieder aufgeht und nur Das wieder zeigt was sich in wuchs und blüte Was in gestalt und bild sich zeigen kann.

In der sechsten Episode, „Nach der Auslegung“, schließlich fragen sich die dichterisch bewegten Knappen Ahmad und Tulun, was sie Nuhs erzieherischen Eröffnungen verdanken, und was sie aus eigener Substanz mitbringen. Sie necken sich liebevoll, auf eine Art, die fast an die Gespräche der

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Georgeschen „Knappen“ in Robert Boehringers „Ewiger Augenblick“ erinnert, lästern über ihre Mitknappen und anerkennen doch die Überlegenheit Tughāns: Und Tughān ist schon auf dem weg Zum obersänger weil er tat und wort Wie’s so schön heisst vereinen kann: als kämpfer Gewaltig und im singen gross, ein stern. Und wir sind stolz auf beide jeder grad Und wechselweis.

Hiermit schließt sich der Kreis, denn Tughans Großtaten unter seinem Herren Alptig˘ in werden in der bereits erwähnten, letzten Episode „Siegen“ besungen. In solcher Wechselwirkung bezeugt sich Fahrners Credo, dass dichterische Wachheit und Schulung auch zur besseren Bewältigung des Weltwesens dienen können.

KAIHOSRAU Das letzte orientalische Stück Fahrners, das hier zu besprechen bleibt, ist sein kurzes, nicht von ungefähr dem Gedächtnis von Friedrich Wolters gewidmetes Drama „Kaihosrau“. Mit ihm geht er den Fragen nach, worauf echtes Führertum beruht, wie es die Welt verwandeln kann, und wie der Führende die Macht im guten Sinne besitzen und nutzen kann, ohne durch Überheblichkeit selbst von ihr besessen zu werden und ihren zerstörerischen Seiten zu verfallen. Es sind dies zeitlose Themen, die aber für Fahrner einen engen Bezug zu selbst erlebten politischen Erscheinungen, Ereignissen und Problemen in den Jahren 1933–1945 hatten. Dass der Begriff der „Führerschaft“ im Deutschen auf Jahrzehnte und Jahrhunderte hin durch verbrecherischen Missbrauch vergiftet ist (ganz im Gegensatz etwa zum gleichbedeutenden englischen Begriff „leadership“), darf nicht davon abhalten, die unverdorbene Grundbedeutung dieses Topos wahrzunehmen, die für jegliche Art gegliederter und lebendiger Gemeinschaft – auch für das moderne demokratische Staatswesen – unabdingbar ist. Das Stück lehnt sich an mehrere Kapitel aus dem bereits genannten „Buch der Könige“ des großen persischen Dichters Ferdowsi (941–1020) an, die den Mittelteil des großen Epos einnehmen. Ferdowsis vollständiges Werk ist etwa doppelt so umfangreich wie Homers Ilias und Odyssee zusammen. Es gilt den Taten der sagenhaften Könige und Helden der ira60

nischen Frühzeit bis zu der von den eindringenden Arabern überwältigten Dynastie der Sassaniden; es besingt die Hoheit von Helden und die Gefolgschaftstreue und hat durch seine Vermittlung von Vorbildern ähnlich prägend auf die mittelalterliche iranische Kulturwelt gewirkt wie Homers Epen auf die griechische Antike oder das Rolandslied auf die europäische Ritterwelt. Fahrner ist dem Einfluss des „Königsbuches“ auf die Reichsgründung der im Iran und in Anatolien eingewanderten Seldschukendynastie auch in einem entsprechenden Kapitel seines Buches „West-Östliches Rittertum“ nachgegangen. Dem Charakter dieser Quelle gemäß32 schlägt Fahrner in „Kaihosrau“ wiederum einen anderen Sprachton an als in seinen vorangegangenen Werken: keinen lyrisch-spielerischen wie in den Stücken aus 1001 Nacht, keinen emotional aufgeladenen, gespannt-dramatischen wie in „Perlenbaum“, sondern einen schlanken heroischen Ton, der die Leitbilder des adligen Rittertums, die ihm am Herzen lagen, in besonderer Weise zum Leuchten bringt. Dieser an George geschulte Ton nüchterner Hochstimmung sucht mythische Wirklichkeit neu zu vergegenwärtigen und ist grundverschieden von den etwas biederen balladesken Reimspielen des mittleren und ausgehenden 19. Jahrhunderts, die in Friedrich von Schacks an sich verdienstvoller Übersetzung des „Buchs der Könige“ von 1865 anklingen. Ebenso unterscheidet er sich von flachen prosaischen Nacherzählungen des Königsbuches, die nur äußeres Geschehen zusammenfassen, aber die inneren Antriebe schlecht zum Ausdruck bringen können. Dem Anti-Naturalismus von Fahrners Sprachduktus entspricht, dass die Figuren mit Masken oder Halbmasken auftreten, also der platten Realität enthoben werden. Den Hintergrund sowohl des Epos wie des Stückes bildet die alt-iranische (von Ferdowsi übernommene) kosmische Vorstellung des irdischen Kampfes zwischen Licht und Finsternis. Zwei Reiche stehen sich hier gegenüber: Einerseits das helle Reich von Iran, südlich des Flusses Dschihun gelegen, das durch den König Kai Kawus und dessen durch den Helden Rustem erzogenen Sohn Sijawusch verkörpert wird. Anderseits das dunkle Reich von Turan, die turkmenischen Steppen nördlich des Flusses umfassend, das vom König Afrasiab vertreten wird. Die Auseinandersetzungen zwischen den zwei Gegenreichen ziehen sich in vielfältigen Windungen und mit einem ganzen Reigen handelnder Personen durch weite Teile des „Buchs der Könige“. 32 Fahrner benutzte für das „Buch der Könige“ die relativ vollständige deutsche Übersetzung (in Versen) von Adolf Friedrich von Schack: „Heldensagen von Firdusi“, 2. erw. Auflage, Berlin 1865.

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Fahrner hat einige Fäden aus diesem reichen Gewebe zu einem kurzen Drama zusammengezogen, um mit Kaihosrau, dem Sohn des Sijawusch, das Bild des „idealen Herrschers“ nachzuzeichnen, das aus Ferdowsis weitläufigem Epos hervortritt. Parallel zu Ferdowsi vertritt er seine Überzeugung, dass soziale Lebensgefüge nicht abstrakt konstruiert werden können, sondern organisch wachsen müssen; dass staatliche Ordnungen und Einrichtungen nur dann von Sinn getragen sind, wenn sie zu einer Manifestation menschlicher und göttlicher Grundkräfte werden und nicht nur der Befriedigung materieller Notdurft dienen; dass vorbildliche Heroen die Erwecker des Volkes zu höherer Fügung sind und jene Bindekräfte ausüben können, ohne welche keine lebendige Gemeinschaft möglich ist.33 Zugleich bringt Fahrner auch Ferdowsis Anliegen zum Ausdruck, die unvermeidliche Verwicklung des Guten mit dem Bösen darzustellen – also zu zeigen, wie das Lichte sich aus einem dunklen Untergrund erhebt, ja, wie es zum wahren Leuchten auf dessen Bestehen geradezu angewiesen ist. Die handelnden Gestalten in Fahrners Stück sind alle dem „Königsbuch“ entnommen: Ferengis, Tochter des Afrasiab und Witwe des von Afrasiab ermordeten Sijawusch; der Knabe Kaihosrau, Sohn der Ferengis und des Sijawusch; Piran, der Großwesir des Afrasiab; Guders, ein iranischer Edler und dessen Sohn Giw; sowie ein Fährmann. Zeitlich setzt das Stück bei den Knabenjahren des Kaihosrau ein. Die Vorgeschichte aus dem Königsbuch wird in Fahrners Stück, der Spannung zuliebe, anfangs nur in Andeutungen mitgeteilt und tritt gesamthaft erst in Pirans großem Monolog gegen Ende des Stückes hervor. Sie besagt, dass der edle Sijawusch, die Blüte des iranischen Rittertums, entgegen dem Willen seines wilden Vaters einst die in seiner Hand befindlichen Geiseln aus Turan nicht ermordete, sondern freiließ, dann mit der Absicht zur Versöhnung beider Reiche nach Turan zog, und Piran zum ritterlichen Freund gewann. Piran erinnert sich: Sah ihn zuerst am Dschihun, gab mich ganz: Mein herz, den geist, mein glück, mein alles gab ich An ihn. Im kampf gewann ich ihn zum freund! Ich kannt ihn gleich: die hochgestalt, das auge Von geistes flammen leuchtend, und die hand, 33 Solche Vorstellungen hatten Fahrner schon Mitte der Dreißigerjahre bewegt, als er sein Buch: „Arndt – Geistiges und Politisches Verhalten“, Stuttgart, 1937, verfasste. (Vgl. insbesondere das Kapitel „Staatliche Fügung“, S.  171–181.) Sie traten auch in den Gesprächen mit Claus von Stauffenberg bei den Vorbereitungen zur Erhebung des 20. Juli 1944 hervor. (Vgl. die „Lautlinger Gespräche“, in Eberhard Zeller: „Oberst Claus Graf Stauffenberg – Ein Lebensbild“, Paderborn, 1994, S. 160/161.)

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Die siegesstarke, offen für die milde. Verwandelnd war sein erstes wort, es liess mich Die morgenröte schauen neuer welt, Die nur aus einem solchen kommt wie er.

Damals wurde Sijawusch von Afrasiab gastlich aufgenommen, baute sich die leuchtende Stadt Gangdis und brachte neues Leben ins Dunkelreich. Durch Pirans Fürsprache konnte er Ferengis, die Tochter des Afrasiab, ehelichen und zeugte mit ihr den Erben Kaihosrau, auf dem die Hoffnung der Vereinigung beider Reiche ruhte. Afrasiab aber konnte der Helle des Sijawusch auf die Dauer nicht standhalten. Auf Grund einer böswilligen Verleumdung gewann sein Dunkelwesen wieder die Oberhand: Er befahl, die Tochter Ferengis und Kaihosrau zu beseitigen und ließ Sijawusch ermorden, vom Wahn befallen, der Lautere wolle ihm die Herrschaft rauben. Um den Lauf des Unheils zu unterbrechen, ließ Piran die Ferengis und ihr Kind in einem Wald aussetzen – eine iranische Parallele zum Parzival – und machte Afrasiab weis, dass Kind sei tumb und könne ihm nie zur Gefahr werden. Hier setzt die Handlung von Fahrners Stück ein: Die iranischen Königssucher Guders und Giw haben den Knaben Kaihosrau nach sieben Jahren endlich im turanischen Wald entdeckt, erkennen die Zeichen seines Adels und erneuern die Hoffnung, die einst Sijawusch in ihnen erweckt hatte: Die rote blume, Das Blut des Sijawusch, die aus den tropfen Vom lebenssaft entsprang, als sie das herz ihm Aufbrachen mordend – heut beim jungen licht Hat sie uns aufgeleuchtet, als den wald Den innern wir betraten, auf der suche Im siebten jahr nach seinem kind, nach ihm. Ist es der sohn von Irans blütenbaum Und Turans königsmaid – des Einen sohn, Der in die flammen ritt im weissen kleid34 Und wiederkam in blanker herrlichkeit? Des ritters, der dem feind die treue hielt, Den wilden vater liess, dem thron entsagte 34 Dieser Vers spielt auf die im „Königsbuch“ berichtete Feuerprobe des Sijawusch an, der von seiner in ihn verliebten Stiefmutter Sudabe fälschlich der Unzucht angeklagt worden war und durch den Flammenritt seine Unschuld bewies.

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Um seiner ehre einzig schönen thron? Der Turans könig sich zum freund gewann Zum liebenden, das königskind zur braut? Der fern im osten sich die stadt gebaut Gangdis, die glänzende, in rosengärten Vorm hochgebirg dess wasser sie ernährten, Die früchte wachsen liessen bis ans meer, Im jagdgefild die hirsche tränkten, hoch Der bäume wuchs gedeihen liessen, busch Und matten sprossten auf.

Der Knabe merkt die Späher und berichtet der Mutter davon. Diese, im Zweifel ob es Todes- oder Freudenboten seien, erinnert sich an die Voraussage des Sijawusch, ihr Kind sei einst zum Reichseiniger bestimmt. Bei der folgenden Begegnung mit den iranischen Boten gibt Kaihosrau zu erkennen, dass es ihm weder um Rache noch um das Herrschen zu tun ist, sondern um Reinigung und Entsühnung, worauf Guders antwortet: Dir nicht Um herrschen, uns um einen herrscher. Die wissenden erbitten es als gunst, Als dein geschenk dies herrschen, und die dumpfen Ersehnen was ihr leben helle macht, Den missbrauch tilgt, das gaukelspiel zerstört, Als könne herr sein ders nicht ist, nicht weiss Um das gefüg. Es schmachtet trüb das land In finsteren widerspielen, wo sich recht Und unrecht glanzlos in den stricken winden, Des abgesunkenen getreibs, wo dasein Ein feiles spiel um enge süchte wird. Sei unser retter du!

Nach der Vereidigung auf die versöhnende Macht einer neu erhofften Herrschaft, und nachdem Kaihosrau das ihm zubestimmte, vom Vater in die Wildnis entlassene Edelross Bangor in Besitz genommen hat (das sich nur von ihm besteigen ließ), brechen alle auf, um den Fluss Dschihun in Richtung Iran zu überschreiten. Hier sträubt sich ein Ferge sie überzufahren, doch Kaihosrau und den Seinen gelingt es – neue Schicksalsprobe – auf ihren Rossen schwimmend den Fluss zu überqueren. Dort erfahren sie vom Herannahen eines feindlichen, von Afrasiab gesandten Heeres. Piran führt 64

es an und steht im tragischen Zwiespalt, einerseits seinem Dienstherren Afrasiab Gefolgschaft zu leisten, anderseits dem toten Freund Sijawusch und seinem Nachkommen die Treue zu halten – zumal der Grund dieser Freundschaft mit einem neuen, heilbringenden Reichsgedanken verbunden war. Angesichts der Übermacht des Heeres soll der Kampf (im Sinne eines Gottesgerichtes) durch ein ritterliches Duell zwischen Giw und Piran entschieden werden. Vor diesem entscheidenden Kampf sinnt Piran in jenem bereits erwähnten großen Monolog den schicksalhaften Ereignissen nach, die ihn in diese ausweglose Situation geführt haben. Er erinnert sich der ersten Begegnung mit Sijawusch am gleichen Ort, erinnert sich der verwandelnden Kraft, die mit dem Erscheinen des Freundes verbunden war, seiner neuen Stadtgründung in Gangdis, und wie solche Erfolge die Neider auf den Plan gerufen hätten, bis ihn Afrasiabs Bruder bei diesem als Usurpator verleumdete. Schließlich erscheint in Fahrners Stück der beschworene Geist des Sijawusch (ähnlich dem von Hamlets Vater) aus den Nebelschwaden; er sagt Piran als Schicksalsbote den Gang des Kampfes und der folgenden Ereignisse voraus, wie sie sich in späteren Episoden des „Buchs der Könige“ erfüllen und im Stück nur angedeutet werden konnten: Ich komm als freund, schrick nicht, als schicksalsbote. Ich bring dir rettung nicht: du bist der meine, Der mir gepaarte auch im todesgang. Was wär dir rettung nur des lebensodems? Wenn dir die ehre stirbt im ausweglosen, Ziemt freies opfer, willentliche weihe An das geschick. Du stirbst mit deinem könig Am ende, gehst noch dunklen gang zuvor.

Piran wird von Giw besiegt und in Fesseln geschlagen, aber auf Verlangen der Ferengis befreit werden. Er und Afrasiab werden in späteren Kämpfen zwischen Iran und Turan den Tod finden. Kaihosrau aber wird als Herrscher zum Glückbringer für Iran und Turan werden, dann sich freiwillig von der Welt abwenden, um im Gebirge ein heiliges Einsiedlerleben zu führen, bis er in einer Art mystischer Auffahrt in die höhere Welt eingeht. Mit solcher Voraussage der im Königsbuch enthaltenen Geschehnisse endet Fahrners Stück: Er bringt dem geist die macht, dem edelsinn Die führung. Und mit einmal zeigt sich, wie Viel edelsinn in menschenherzen wohnen

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Und wirken kann – ein reichtum, der die himmel Erstaunen lässt. Er kommt zur höchsten macht, Weil er die macht nicht sucht, das glück des dienstes Mit allen teilt, das sie vom gierigen Ich Befreit und in die freie fülle bringt Ihr wahres selbst. In stufen liegt das heil! Das dunkle dient dem hellen zur erscheinung: Er wird entsühnen, wo er siegt, die welt Wird sich ihm beugen, weil er sie nicht beugt, Nein wachsen macht im gottgefallenden mass. Dann zeigt er noch, wie er sein tun gemeint: Er wird sich lächelnd aller macht entkleiden, Wird dem erkorenen die krone geben, Wird betend das verliehene dem verleiher Darbringen, wird sich selbst dem spender weihn: Von freunden ins gebirg, zum Gott, geleitet, wo feiner schnee ihr letztes lager deckt, Dass ihre münder nicht das tuch zerreissen, Das das Geheimnis seiner auffahrt birgt. Ihn nimmt der Gott, weil er das schöne schön Vollendet, weg ins schönste ohne tod.

ABSCHLUSS: ZUR FRAGE DES GEGENWARTSBEZUGES „Flight from the world in dark times of impotence can always be justified as long as reality is not ignored, but is acknowledged as the thing that must be escaped.“ (Aus Hannah Arendt, „Men in Dark Times“.)

Von der Warte einer modernen „politisch korrekten“ Kritik aus gesehen, muss Fahrners Werk, und besonders das Spätwerk der „Lyrischen Dramen“, wie ein erratischer Block in der Landschaft der neueren deutschen Literatur erscheinen. Seine Eigenart (die als „Hermetismus“ gedeutet werden könnte) mag manchen Leser fremd anmuten, ja, verstören. Ist es nur ein kurioser Nachklang des scheinbar verblichenen Werkes von Stefan George, dessen Ethik und Sprachverständnis Fahrner auf eigene Weise reflektiert? Passt es überhaupt noch in eine von ganz anderen Fragen und Problemen bedrängte Zeit? Wie kann es Gültigkeit beanspruchen, wenn es sich in keine der anerkannten modernen literarischen Strömungen einfügt? 66

Solche Fragen sind nicht zu umgehen – wobei allerdings die gängige moderne Sicht der Dinge, die so Vieles vor ihrem supponierten absoluten Richtpunkt aus infrage stellt, zunächst einmal selbst hinterfragt und relativiert werden muss. Dabei wird deutlich, dass die heute vorherrschende Strömung in der Literaturbetrachtung oft auf einer fragwürdigen Gleichschaltung mit drei anderen Zeittendenzen beruht: Erstens mit der Ideologie des technokratischen Zeitalters, die zivilisatorischen Fortschritt mit einer Vervollkommnung des menschlichen Lebens verwechselt und „Entwicklung“ gerne auf eine lineare Folge sich ablösender und gegenseitig aufhebender Zustände reduziert; zweitens mit der modernen Verbrauchermentalität, die, von wirtschaftlich gelenkten Interessen und Bedürfniserweckungen geleitet, von Reiz zu Reiz und Mode zu Mode springt; und drittens mit der Dominanz des überquellenden aktuellen Informationsflusses, der immer das Neuste und Sensationellste in den Vordergrund schiebt, aber den Blick für tiefere und überdauernde Weltzusammenhänge verloren hat.35 Als Reaktion auf derartige Zeittendenzen kann sich umgekehrt die Vorstellung einnisten, dass ernsthafte Literatur immer kritisch zu sein habe – eine verständliche Gegenstellung, die sich aber in ähnlicher Verkümmerung auswirkt, weil sie auf eine negative Weltsicht fixiert ist. Fahrners Werk ist von solchen Perspektiven her nicht zu erfassen und schlecht zu beurteilen. Es muss dagegen im Zusammenhang mit den von Stefan George ausgehenden Bemühungen zur dichterischen Spracherneuerung gesehen werden, die mit dem tiefen historischen Einschnitt von 1933–1945 unterbrochen worden sind, aber untergründig weiterwirkten. Die geistigen und schöpferischen Prinzipien, denen der George-Kreis anhing, treten deutlich im „Stern des Bundes“ zutage, jenem Gedichtzyklus, der von der Gründung einer besonderen Lebens- und Geistesgemeinschaft handelt. Er kehrt übergreifende Zusammenhänge hervor, die sich stark von den engen, zeitverhafteten Vorstellungen der gängigen Moderne abheben. Seine Kosmologie besagt, dass das sich drehende Rad der Zeit und dessen wechselnde periphere Erscheinungen immer auf den gemeinsamen schöpferischen Mittelpunkt zurückzubeziehen sind. Dieser zeitlose, selbst unbewegte Ursprung, der sich in wechselnden zeitlichen Phänomenen manifestiert, wird in sinnhaltigen Bildern beschworen, die keiner dogmatischen 35 Vgl. dazu das jüngst erschiene Buch des Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa über die „Kultur des Spektakels“, deutsch unter dem Titel: „Alles Boulevard“, Berlin, 2013. Dort u.a.: „In der Kultur des Spektakels interessiert der Intellektuelle nur, wenn er das Spiel des Tages mitspielt und den Narren gibt.“ (S. 44)

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religiösen Prägung unterworfen sind: Sie erscheinen etwa als „Flamme“, als die in die irdische Wirklichkeit ausstrahlende „Ordnung der Sterne“, als „Allheit“, oder als das unsichtbar lenkende Göttliche und werden nicht durch einseitige Definition entmächtigt. Irdisches Leben gebiert sich immer wieder neu als eine leibhafte SelbstOffenbarung dieser unfassbaren Mitte und kann nur durch einen dauernden Rückbezug auf sie Sinnerfüllung und Verbindlichkeit gewinnen. Da es der Vergänglichkeit untersteht, muss es sich stetig erneuern und, anderen äußeren Gegebenheiten entsprechend, sich verwandeln. Wenn aber Erneuerung und Verwandlung nicht über diesen zentralen Austausch geschehen und statt dessen äußere Faktoren überhand nehmen, löst sich die Verbindung zwischen Kern und Peripherie: Die Erscheinungen brechen aus dem Kreislauf aus und verlieren ihre innere Erfüllung – sie „zerstieben im all“. Dann bricht jene „kosmische Nachtzeit“ an, die der Gegenwart nicht fremd ist. George sieht die Aufgabe des Dichters in innerer Verwandtschaft zu der des Demiurgen. Dichtung ist Weltschöpfung im Wort, ein Heben von Wirklichkeit aus dem geheimnisvollen Urgrund des Lebens, der sich nicht rational erschließen, sondern nur als „Begehung und als Bild“ vermitteln lässt. Durch den Bezug aus solchem Quell wird die geschaffene Gestalt erst mit Gehalt und Sinn erfüllt. Dieses Verständnis der dichterischen Aufgabe als Vermittlung zwischen dem Ursprung alles Zeitlichen und dem jeweils waltenden Moment (oder, anders gesagt, zwischen Urbild und Verkörperung) lässt George in der heutigen Zeit als Fremdling erscheinen. Gerade darin liegt aber auch die tiefere Aktualität seines Ansatzes. Denn eine in den eigenen Fesseln der Zeitlichkeit gefangene Gegenwart bedürfte – mehr als sie es zuzugeben vermag – der Befreiung durch Rückbesinnung auf übergeordnete Standpunkte und Blickwinkel. In der Tat vermag nur jener das Zeitliche zu durchdringen und wahrhaft zu bewältigen, dem die Rückbesinnung auf das Ursprüngliche offen steht. Fahrner – der sich seit seiner Habilitation oft mit Meister Eckehart und dessen sprachschöpferischen Ideen vom Urgrund, der Nicht-Zeit, dem lebendigen Funken und dem blitzartig sich einstellenden oder sich erneuernden Nu beschäftigt hat – teilt Georges Glauben an das kosmische Vermögen der Dichtung und deren Bedeutung für das Ethos der individuellen Lebensführung. In seiner schon erwähnten Rede „Hölderlins Kosmos- und Geschichtsdeutung“ (1970) beschreibt er die seit dem Platonismus immer wieder aufkommenden Bestrebungen, den Kosmos als Ursprungsort geistigen Daseins zu begreifen – als jene Quelle, die es dem Menschen gestattet, die engen Schranken rationaler Lebensentwürfe zu überwinden 68

und über die visionäre Kraft der Imagination sein höheres schöpferisches Potenzial auszulösen: „Unangetastet aber blieb der Gedanke von alldurchdringenden und weltgestaltenden geistigen Formkräften, die die Einheit von Geistigem und Leiblichem immer von neuem herbeiführen. Und mit Leidenschaft wurde der Gedanke ergriffen von der Teilhabe des Menschen an diesen Kräften, die ihn an einen besonderen Punkt des Kosmos stellt – weil er, als ein leibhaftiges sinnliches und stoffliches Wesen, die Materie und die sinnlichen Erscheinungen mit Geisteskraft durchdringen kann und zugleich als Mitschöpfer kosmischer Mächte die erschaffene Welt und sich selbst wieder (über Erkenntnis und künstlerische Gebilde) in kosmisch-geistiges Wesen zurückverwandeln kann.“36 Diese Vorstellung des wechselseitigen, zuinnerst aneinander gebundenen Austausches zwischen Göttlichem und Menschlichem, zwischen transzendentem Wesen und immanenter Verkörperung, bildet die Grundlage für eine die Grenzen des Individuellen überschreitende Ethik, wie sie sich in großen Menschen und entsprechenden dichterischen Gestalten manifestieren kann. Und zugleich eröffnet sie den Zugang zu jener zyklischen Erfahrung der Geschichte, die Vergangenes immer als untergründig Anwesendes betrachtet – bereit unter veränderten äußeren Umständen und in angepasster äußerer Form jederzeit neu aufzublühen (s.  S.  16). Die technologisch dominierte Moderne war dagegen bestrebt, den Kosmos als ausschließlich physische Domäne zu erfahren, zu analysieren und ihren beschränkten Zwecken dienstbar zu machen. Dem entsprechend ist ihr „Ethos“ auf individuellen Eigennutz ausgerichtet, und auch ihr Geschichtsverständnis ist ein anderes: Es läuft auf einen unerreichbaren Fluchtpunkt hin, den man als eine säkulare Übertragung des vor-modernen Mythos des himmlischen Paradieses auf die materielle Sphäre bezeichnen könnte. Vergangenheiten werden dabei als abgelebte Phasen eines linearen „Fortschritts“ eingereiht, dessen Grenzen und dessen Belastungen für das Weltganze heute einsehbar geworden sind. Hält man sich diese Voraussetzungen vor Augen, so darf man sagen, dass Fahrners Weltbild – so unzeitgemäß es erscheinen mag – an vormoderne, in gewissem Sinne überzeitliche Traditionen anknüpft, die immer noch, oder gerade heute wieder, eine latente Aktualität in sich bergen. Es ist ja eine 36 Vgl. R.F.: „Gesammelte Werke I“, S. 246.

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naheliegende Tatsache (und Giorgio Agamben hat kürzlich wieder darauf hingewiesen37), dass nur wer mit einem Fuß außerhalb der eigenen Zeit steht und Verbindung mit den „Gestirnen der Vergangenheit“ (Agamben) aufnimmt, die eigene Position wahrhaft erhellen kann. So besteht Fahrners Gegenwartsbezug gerade darin, dass er in der heutigen Zeit – die er in Anlehnung an Hölderlin als eine Zeit des kosmischen Nachtens38 verstand – positive Gegenentwürfe zu gängigen Strömungen aufstellt, statt sich um das Abbilden oder die Kritik aktueller Tendenzen zu bemühen. Die dadurch aufgerissene Distanz macht dem Aufnehmenden (falls er empfänglich dafür ist) erst bewusst, welche Lücken an Bildern, Vorstellungen, Haltungen im modernen Zeit- und Kulturverständnis entstanden sind – Lücken, die zur Entleerung menschlichen Lebens führen, auch wenn oft versucht wird, sie über minderwertige Ersatzbefriedigungen zu kompensieren. Durch dichterisch entworfene Gegenbilder ein anderes, sinnvolles Sein festzuhalten und zu erneuern, das sah Fahrner als eine große Aufgabe auch der heutigen Zeit an, wie er es in seiner Interpretation von Hofmannsthals Drama „Der Turm“ anhand der Gestalt des „Kinderkönigs“ dargestellt hat: „Die echte Vision eines solchen Wesens, des uranfänglich schönen Menschentums, seine Verlebendigung in einer geistigen Gestalt ist ohne Zweifel das Höchste, was der visionären Kraft eines Dichters gelingen kann. Ob sie gelungen ist oder nur ein Traumbild im Sinne eines Wunschbildes, ob in ihr ein Bild schaffenden Traumes, [d.h.] die wirkliche Vorgeburt eines Künftigen erschienen ist, das kann nicht durch Einsicht und Darlegung entschieden werden, darüber entscheidet in den Wirklichkeiten das Schicksal und in den Menschen die Kraft des Mitschauens. […] Was als wirkliches Bild im Dichtwerk eines Menschen erscheinen, was ein Mensch innerlich schauen und als Gebilde darstellen kann, das erweckt den Glauben, dass so Geartetes von neuem möglich sei.“39 Eine solche Hoffnung – so darf man annehmen – liegt auch manchen von Fahrners eigenen Gestalten, wie etwa jener des Kaihosrau, zugrunde. Sie war die Triebkraft, die ihm die geistige Existenz in einer „feindlichen“ Umwelt möglich machte. Angesichts von „dunklen Zeiten“, in denen die herrschenden Welt- und Wertvorstellungen einen weniger fruchtbaren Boden für echten geistigen Austausch und sinnvolles öffentliches Wirken bieten, bleibt die von Hannah Arendt im einleitenden Zitat angeführte „Weltflucht“ als alternative Daseinsmöglichkeit. Fahrner hat sie benutzt, hat aber nur am Rande – kaum in sei37 Vgl Giorgio Agamben: „Qu’est-ce que le contemporain?“, Paris 2008. 38 Vgl. R.F.: „Gesammelte Werke I“, S. 263. 39 Vgl. R.F.: „Gesammelte Werke I“, S. 230 und S. 228.

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nen dichterischen Gestalten – die vordergründige „Realität“ angesprochen und beklagt. Sein Bemühen als Dichter zielte vielmehr darauf, eine umfassendere, von den Zeitläufen verdeckte Realität sichtbar zu machen, der er sich zugehörig und dienstbar wusste. So hat er sich fast nie explizit zu Fragen der Zeitgenossenschaft und zur Problematik einer von Sinnverlust betroffenen Gegenwart geäußert. Dies auch deshalb nicht, weil er glaubte, dass jede rationale Argumentation „nach den Gesetzen der Paradoxie, die in menschlichen Verhaltensweisen unaufhebbar walten, dem zu bekämpfenden Element immer schon in der einen oder anderen Weise mitverfallen ist.“40 Doch hat er in seinem 1937 erschienen Werk über Ernst Moritz Arndts geistiges und politisches Verhalten die Aufgabe des Dichters und Künstlers in der Zeit auf eine Weise beleuchtet, die mutatis mutandis auch für ihn selbst (und für den ganzen George-Kreis) bezeichnend ist: „Arndt spricht in den ‚Briefen an Psychidion‘ aus, dass der Mensch keine andere Kraft besitze, die mit solcher Gewalt die Götter und Geister zur Erde herabzwinge als die Kunst. Er nennt die Kunst die große Hebamme des Geistes und aller geistigen Kräfte. Er sieht sie als gottunmittelbar an und sieht sie selbst ihre eigentümliche Göttermacht verraten und verletzen, wenn sie sich nach außerkünstlerischen Gesetzen oder Ansprüchen richtet. Bei einer Schilderung des Einbruches neuer geistiger Gewalten und neuer Lebenssinne in die irdischen Bezirke erklärt Arndt ausdrücklich, dass von jenen Wissenden, Sehern, Propheten und Künstlern, die als auserwählte Offenbarer des höchsten Menschlichen und Göttlichen erscheinen, je und je der neue Bund zwischen Mensch und Gott geschlossen werde, und dass diese erhabenen Walter des Geistes der Dinge jedes Mal ein geistiges Vermächtnis hinterließen ‚immer ein Neues Testament der Bestätigung Gottes, ein von allen vorigen Leben verschiedenes Leben.‘ Aus dieser Mittlerschaft zwischen Göttlichem und Irdischem und aus dieser Aufgabe des Hereinreißens neuer göttlicher Gewalten in das menschliche Leben ergibt sich mit Notwendigkeit eine bestimmte Ferne der großen geistigen Ingenien von ihrer Zeit, die dann um so deutlicher hervortreten muss, wenn die Menschen und Völker, unter denen sie erscheinen, besonders weit von der Gefolgschaft einer höheren göttlichen Lebensordnung abgeirrt und auf eine niedrigere Stufe des Daseins herabgesunken sind. Mit zarter Kühnheit zeichnet Arndt im ersten Teil des ‚Geistes der Zeit‘, bei der großen Abrechnung mit allen Schreibenden, die Lage der hohen

40 Vgl. Fahrners Ausführungen zur Auflösung des Dogmatismus in Goethes „Wilhelm Meister“ („Gesammelte Werke I“, S. 268).

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Dichter in einer Welt, die die Fähigkeit, das Hohe aufzunehmen und sich zu seinem Mitträger zu machen, verloren hat. […] Aus der Aufgabe der Mittlerschaft zwischen Göttlichem und Irdischem und der deshalb notwendigen Zeitferne großer geistiger Genien ergibt sich aber auch eine bestimmte Art ihres Wirkens. Es sind wieder die ‚Briefe aus Psychidion‘, in denen Arndt sich darüber am ausführlichsten und ergiebigsten äußert. Als Wichtigstes erscheint sein Instinkt dafür, dass wirkliche Kunst durchaus nichts mit dem zu tun hat, ‚was man gewöhnlich Gesellschaft nennt‘, und was Arndt als ein ‚gemischtes Mittelding‘‚ erkennt, in dessen merkwürdiger, nach allen Seiten hinschielender Halbheit alles, was höheren Wesens ist, mit Notwendigkeit beleidigt werden muss. Als den rechten Ort der Kunst erkennt Arndt einerseits den Bannkreis des Hauses und ‚den engeren Kreis weniger Zugetaner und Geweihten‘, und anderseits ‚die Versammlung der Gemeinde‘, das heißt aber in einem ganz bestimmten Sinne des Wortes: das Volk. Mit äußerster Wut und äußerstem Hohne verfolgt Arndt jene bübische Bänkelsängerart, die sich überall, wo Großes erscheint, sogleich breit macht, um durch angemaßte Beschwätzung und Auslegerei und durch dreiste Betriebsamkeit – ‚Geister im Guckkasten herumtragen und die Götterhymnen auf den Straßen ableiern‘, sagt Arndt – zu eigenem, schmählichen Verdienste das Heilige in Allerweltsgerede umzusetzen und gemein zu machen. Mit klarem Sinne erkennt er, dass das Hohe gerade darum nicht allen gemein sein kann, weil es aller Leben ins Künftige nähren und tragen muss und darum oft den Zeitgenossen kaum anzugehören scheinen kann. Und er erkennt auch, dass die höheren Genien, gerade um ihren Eingang in eine große Gemeinschaft zu ermöglichen, ‚in einem gewissen Sinn immer eine Art Schule, eine enge, geschlossene Genossenschaft‘ bilden müssen, und dass sie, weil sie über dem Volke stehen, mit Notwendigkeit auch oft außer dem Volke zu stehen scheinen.“41 Ein ironisch-humoristischer Nachklang zu der von Fahrner damals (mit Verweis auf Arndt) beklagten „bübischen Bänkelsängerart“ unverständiger Zeitgenossen findet sich Jahrzehnte später in jenen dem kecken Knappen Arslan im Stück „Perlenbaum“ in den Mund gelegten Worten:

41 Vgl. R.F.: „Arndt – Geistiges und politisches Verhalten“, Stuttgart 1937, S.  234– 236.

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Ein zeitgenosse? Hast dus nicht erlebt Was zeitgenossen so zusammenschreiben? Und wirsts erleben, wenn du lebst, und staunen: Was werden sie erst sagen über heut? Sich aus den fingern saugen, schmutzigen Und übersaubren leeren. Vom gewesnen Und also wesenden weiss der verwandte, Sonst keiner, und der saugt sein wissen schon Aus einem halben satz, weiss weil ers weiss. Ich weiss, du weisst: wir wissen mehr als jeder Ders nur bedacht, und dann noch aus der nähe! Als zeitgenosse! Artgenosse müsst Er sein! Dann hätt sein wissen wert.

Als „Artgenosse“ hat sich Fahrner jahrzehntelang um die Vergegenwärtigung des west-östlichen Rittertums bemüht, im Glauben, dass sich in dessen Antrieben, Haltungen und dichterischen Äußerungen etwas Urmenschliches erweise, dass auch für andere Zeiten Bestand und Bedeutung haben könne. Sein Dichter-Freund Michael Stettler, der das Entstehen der hier beschriebenen Stücke begleitet und kommentiert hat, schrieb ihm am 7.2.67: „Viel muss zusammenkommen, dass einer so dichten kann: das Aufwachsen in einem Dichterstaat; das Gestaltenkönnen seiner eigenen Umgebung; die Kenntnis der nahöstlichen Dynastien; des nahen Ostens und seiner Länder; Ägyptens; des orientalischen Zeremoniells und dessen tiefinnere Bejahung in einem selbst – das Aufhebenkönnen des faktischen Geschehens in eine dichterische, höhere Wirklichkeit. Es ist geleistet, Effendi!“42

42 Vgl.: „Wir sind die späten Erben des Schönen, das ewig währt – Eine Dichterfreundschaft in Briefen“ (Hg. Stefano Bianca), Wien, Köln, Weimar, 2013, S. 84. Fahrners Übernamen „Effendi“ (= türkisch: „Herr“) hatte sich schon vor seinem Orient-Aufenthalt eingebürgert, nachdem ihn ein Zögling seines Freundes Frank Mehnert in den späten Dreißigerjahren (nach ausgiebiger Karl May-Lektüre) scherzhaft auf solche Weise betitelt hatte.

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ANIS AL-DSCHALIS

PERSONEN

ANIS AL-DSCHALIS ALI IBRAHIM

Wächter im gartenschloss des kalifen in Bagdad

HARUN ER-RASCHID

Kalif

DSCHAFAR

Sein wesir

KÂRIM

Ein fischer

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ERSTE SCENE

Vor dem gartenschloss des kalifen am Tigris, beim gartentor. Anis und Ali, er mit einem grossen umhang, treten umschlungen und sich aneinander lehnend mit etwas müden traumschritten auf. Sie sprechen etwa in der art, wie sie gehen: langsam, zögernd einer dem andern zögernden gleichsam liebevoll das wort abnehmend und den schritt abnehmend.

ANIS

Wie sagte uns der schiffspatron? Er führe Uns nach Bagdad, die stätte seis des friedens? D i e gärten scheinen friedensorte, aber .. ALI

Wär frieden finden nicht der neue raum Der neue grund zu neuer lust des lebens? ANIS

Du Schnellimhoffen, sinn noch einmal mit Eh wir vertraun und uns den schlummer suchen An dies was uns geschah. Was war denn das? Traum oder wahrheit? Weißt dus, Ali? Nein? Du hast die sultansbraut, die wohlbewahrte, Die neue sklavin, deines vaters fund Für seinen könig, die mit gold gewogne, Im hause noch gehütete, gepflegte, In deinen arm gerissen – oder flog sie, Sprang sie in deinen arm? Von was berückt? Entzückt? Von dieser schlanken hohen gerte Des leibs, die sich ihr zubog? Vom geleucht Der augen? Von der goldnen haut? Dem flaum Von rosen auf der wange? Von dem ambratüpfel Das saß in diesen rosen, kleines mal? Vom schein der weichen lende, den man ahnte Durchs prunkgewand, das bunte? Oder wars Ein seelenhauch, ein ewig ihr bestimmter Der sie betraf, das wittern von verwandtem Geding aus geist im ding aus fleisch und blut? Was wars? Was wars?

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ALI

Du warsts, kamst aus dem bad. Auf dir lag seine frische, lag der schmelz Von warmem und gelöstem blut, du standest Mit einmal in der tür. ANIS

Ich war gewarnt. Doch diese süße vaterswarnung weckte Begier nach einem blick auf das gewarnte! Ich hörte deine stimme wie du fragtest Nach deiner mutter nah vor meiner tür Und in mir sprachs: Bei gott, den will ich sehen Von dem sein vater sagt, dass ihm im viertel Der stadt kein mädchen widersteht! Da trat ich .. ALI

Heraus! Der mond in seiner fülle trat Heraus vor mir, die kleinen wächterinnen Ich schrie sie weg und trat mit dir hinein In dein gemach, die Luft roch süß .. ANIS

Wir hingen Im netz der liebe, hingen, stiegen drin Empor wie auf der himmelsleiter: weißt du, Obs leiber waren in entzücken pochend, Umschlungen? Seelen, die der große Allah rief Zum tanz in seinen takt? Der einzige Profet, sei heil ihm, hat gesagt .. ALI

Was Medschnun Gesagt hat, als die toren fragten, sagte Er lächelnd, denn sie hatten ihn gefragt: ›Ist Leyla denn so schön? Wer durch die straßen wandre Findt schöner wohl als sie noch an die hundert andre.‹ Und er gab antwort, und die antwort sagte: ›Die schönheit ist ein krug, wein ist der schönheit leben Gott hat mir seinen wein in Leylas krug gegeben‹. 78

ANIS

Ali! Du bist ein schmeichler! Doch der schreck, die flucht, Das gleiten auf dem schiff an schwebenden Gefilden hin hat müd gemacht, wir legen uns. ALI

Wir legen uns und unter einer decke. Mich hüllt was dich umhüllt: das helle feuer, Dich deckt was mich bedeckt: die dunkle glut. Sie legen sich auf eine rasenbank und decken sich mit Alis mantel zu, auch die gesichter. Ibrahim kommt mit großem stab aus dem gartentor heraus und sieht sie.

IBRAHIM

Die unverschämten! Unter e i n e m mantel. Die losen! Gliederschlingen, pärchenspiel? Da wär mein garten recht dazu – mein garten? Der garten des kalifen! Vollmacht hab ich Zu züchtigen, der stab in meiner hand Fährt nieder, zucht in ihnen wecken! Nein! Mein Ibrahim, du schlägst und weisst nicht wen? Die fremden! armen? oder wandersleute? Die Sklaven des geschicks wie du und alle? Ich will sie sehn. (Er nimmt den mantel leise von den gesichtern)

Ein hübsches paar, ich decke Sie zu und will des knaben füße kneten. Er tut so, Ali erwacht und zieht, sich schämend, die füße an, blickt auf den alten Ibrahim, küsst ihm vorsichtig, blick in blick, die hand. Anis schaut, das halbe gesicht bleibt verdeckt, aus dem mantel. Eine zeitlang schweigen.

IBRAHIM

Woher mein sohn? ALI

Geflohne. Fremde.

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IBRAHIM

Der profet, Den Allah segne, hat befohlen, fremde Und irrende zu ehren. Magst du dich Erheben, sohn, und in den garten kommen? Dich trösten, rasten und am milden schein Dein herz erfreuen? ALI

Lieber herr, der garten Wes eigentum? IBRAHIM

Der garten, sohn – ich hab ihn Von meiner Sippe angeerbt – sei ruhig Und fürchte nichts. Tritt ein. Ali und Anis erheben sich und folgen Ibrahim, der mit seinem stab vorangeht, in den garten.

ZWEITE SCENE Schmale terrasse mit balustrade vor dem lustsaal des schlosses, von der auf beiden seiten treppen in den garten führen. Anis und Ali, die Ibrahim vom gartengang kommend durch das schloss geführt hat, treten mit ihm aus dem saal auf die terrasse. Ibrahim ist nun ohne stab.

IBRAHIM

Hats euch gefallen? ANIS

Lieber herr: gefallen, Was ist das für ein wort? Gefällt es euch? Was ihr geschenkt, ist über dies ›gefallen‹ So hoch als wär ›gefallen‹ tief gefallen! Gefallen? Mir gefiels die augen schließen Und wieder auftun und den schöpfer loben, 80

Der das hervorgebracht aus staub und feuchte! Wir schritten durch die bogen: reben, trauben Rubinengleich und schwarz wie ebenholz Und Früchte, einsam hangend und zu zweien In Lauben, vogellieder, nachtigall! Der amsel flöten war wie menschenstimme Der turteltaube gurren klang hinein Wie stöhnen eines der vom weine trunken, In doppelreihen standen da die bäume Von früchten schwer: die weißen aprikosen, Und die mit süßem kern aus Chorasan, Die pflaumen .. ALI

Pflaumen, wisset lieber herr, Ich weiß von pflaumen, wie sie sind die pflaumen! Die glattsten purpurfarbigsten hab ich Gesehn, gekostet und den mund gefüllt Mit diesem weichen allausfüllenden Oval. Doch lieber herr bei euch die pflaumen .. ANIS

Du musst nicht alles übertrumpfen wollen Mit deinen pflaumen! Sag sie wären schön! Weißt du noch mehr zu sagen? Mehr als schön? Die kirschen aber, weiße, leuchteten wie zähne leuchten im korall der Lippen, Und feigen, zwiegefärbte .. ALI

Feigen sah ich Die bläulichen und weißlich gelben, hast du, O lieber herr, von feigen das gewusst, Als du sie pflanztest, pflegtest, dass die feigen ..



81

ANIS

Die feigen, Ali, sind sehr weich, sehr süß, Und haben außen, Ali, und von innen Bedeutungsvolle, tief bedeutungsvolle Gestalt, das wissen wir wie du, nur darfst dus Nicht auch noch sagen, üppigredender. Doch blumen ... ALI

Wenn du nur mit deinen blumen Beginnen kannst: die blumen .. ANIS

Ali, schweig! Wer blumen lästert, muss sich doch von blumen Beblühen lassen und auf deinen wangen Die rosen strafen deine lästerlippe. Die blumen aber, lieber herr, die blumen In eurem garten sind sie aufgereiht Wie perlen und korallen! Eure rosen Beschämen aller schönen wangen, freilich nicht Dem Ali seine. Gelbe veilchen: schwefel Im matten grünen schein, wenn ihn bei nacht Ein schönes licht begießt. Levkojen, myrthen, Lavendel, anemone aufgeschmückt Mit wolkentränen, schimmernden, im kleid. Es lacht das zahngehege der kamille, Narzisse schaut in rose, bechern gleichen Limonen, goldnen kugeln die zitronen ... ALI

Jetzt willst du gar in deinem blumenpreisen Limonenbecher und zitronenkugeln Zu blumen machen! ANIS

Blume, Ali, blume Ist alles was die eigne wohlgestalt Zur blüte bringt und sich und andre schwingend Und selig macht, wie ich, und du, vielleicht. 82

IBRAHIM (der schon ungeduldig war, zu worte zu kommen)

Die bäche habt ihr doch vergessen, bäche Die rieselnden, sich schlängelnden, die ich Durch blüten, früchte hingelenkt, damit sie Sich spiegeln können und die süße flut, Die sie ernährt, auch strömen sehn. Doch esset Und stärkt euch nach dem großen lob, denn loben Ist anstrengend und ist doch ein verdienst. Ich hol vom besten, was ich habe, gleich! Anis und Ali treten, als Ibrahim sich entfernt hat, an die balustrade und versinken in den anblick der baumwipfel und der früchtekronen. Im augenblick, da Ibrahim sie verlässt, nehmen sie wieder die aneinander lehnende haltung ein, mit der sie im anfang der ersten scene aufgetreten sind. Eine weile schweigen.

ALI

So wars, als ich nach vaters tod die freunde Bewirtete im gartenrund, da fehlte Kein duft, nicht e i n e farbe, und wir tranken .. ANIS

Im trinken bist du groß, hast weggetrunken Was dir vom vater und vom himmel her An gütern überkommen, alles! ALI

Anis Was sagst du solche sachen in die nacht! Der gebende, der nur um haaresbreite Im geben zaudert, mischt ein gift der gabe. ANIS

Dies gift, das rechte wärs gewesen, Ali, Für deine freunde, die sich freunde nannten, Bis sie dich ausgetrunken und als feinde Die türen schlossen, türen ihrer häuser Und ihrer seelen, wenn du kamst.

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ALI

Oh Anis, Das hat das fatum doch nur eingerichtet Dass ich dir ganz anheimfiel: jenen molch Der dich, die opfernde, die mich zu retten Zu kaufe stand, erstehen wollte, nieder Vom rosse riss und in die grube trat Und dir am herzen lag und wusste, Anis, Dass du und ich .. ANIS

Wie lange wirst dus wissen? Bis dich ein neues geben lockt, das geben, Das jäh sich selber trinkt, das süße geben In grenzenlosem überschwang .. Ibrahim kommt zurück, Anis und Ali ändern wieder ihre haltung.

IBRAHIM

Ihr guten, Da hab ich euch, was euch gefällt, ich weiß es, Und munden wird, gebracht, so nehmt und esst! ALI (das gebrachte mit suchenden blicken musternd)

Ja du, scheich Ibrahim, wir sprachen grad Vom trinken, doch zum trinken freilich hast du Uns nichts gebracht. IBRAHIM

Begehrst du etwa wein? ALI

Ja den, nur den!

84

IBRAHIM

Das wolle Allah nicht, Seit dreizehn jahren hab ich nicht getan Was der profet, sei heil ihm, ganz verflucht, Vom keltern, kauf und verkauf bis zum trinken! ALI

So hör zwei worte. IBRAHIM

Sprich. ALI

Wenn er, dein esel Verflucht wird, der verfluchte, wird dann dich Von seinem fluch was treffen? IBRAHIM

Nein. ALI

So nimm Den dinar hier und die zwei dirhems, steige Auf deinen esel, mach in weitem abstand Vom weinverkäufer halt und ruf den nächsten, Der einkauft, dir herbei und sprich: ›Da diese, Die dirhems, sind für dich, und für den dinar Kauf wein und setz ihn auf den esel.‹ Dann Hast du verfluchtes nicht getragen noch Gekauft, und nichts von flüchen fällt auf dich. IBRAHIM

Bei Allah! klüger, feiner, witziger Als dich hört ich noch keinen worte setzen. Ich nehm das geld. ALI

Den schutzbefohlenen, Das sind wir, bring nun, was sie brauchen.



85

IBRAHIM (stolz)

Geh in die speisekammer, such und nimm dir Das, was du brauchst! Weist ihn treppab zur linken treppe. Ali geht die stufen hinunter und kommt mit verschiedenen weingefäßen zurück.

ALI

Bei Allah, lieber scheich, Das nenn ich wein, das nenne ich gefäße! Die lassen fließen, die empfangen schimmernd Das schimmernde in ihren Leib und gebens Von ihrem in den unsern, schöner kreislaut: Das sinnliche gefäß gibt geistige gaben, Der geist fällt in das sinnliche gefäß. Während Ali nun die becher füllt, zieht sich Ibrahim auf die äußerste ecke der steinernen balustrade zurück. Ali und Anis beginnen zu trinken, schütteln ihr haar, richten sich hoch auf und machen zärtlich-kühne gebärden steigenden übermuts.

IBRAHIM (beiseite)

Da sitze ich, die beiden könnens anders! Und ich, warum so fern, und warum nicht Dazu gesessen? Angeschaut die zwei, Die s o mir niemals wiederkommen, monde Der fülle, monde schön an licht und lust. Ibrahim kommt näher und setzt sich vor Anis und Ali auf die balustrade.

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ALI

Komm näher, lieber herr, bei meinem leben Komm nah heran (er füllt einen becher für Ibrahim)

und probe den geschmack! IBRAHIM

Das wolle Allah nicht, das nicht, das hab ich Seit dreizehn jahren nicht getan. Ali trinkt den für Ibrahim gefüllten becher mit einem zug aus und sinkt, wie von weinlust übermannt, auf die balustrade. Pause. Anis und Ibrahim blicken beide auf Ali.

ANIS

Da siehst du scheich, wie dieser mann es macht, Wie der mit mir verfährt. IBRAHIM

Wie mag das sein? ANIS

So tut ers immer, so, und immer wagt ers Mir so zu tun und trinkt und schläft dann ein. Und ich hab niemand, der mir trinken hülfe Und keiner hält den becher, dem ich singe. IBRAHIM

Das ist nicht gut, bei Allah. ANIS

Ibrahim Ich fülle dir den becher, und du musst ihn Mir trinken, heile mir mein krankes herz! (Ibrahim nimmt den becher und trinkt ihn in einem zug)

Und diesen zweiten, scheich, du musst ihn trinken!



87

IBRAHIM

Ich kann nicht mehr, ich hab genug, bei Allah! ANIS

Bei Allah! Und doch musst du, musst und musst. Er trinkt den becher aus. Ali hat sich derweil langsam halb aufgerichtet.

ALI

Was ist das Ibrahim, was tust du da? Hab ich nicht grade dich beschworen? Weigrer Warst du und hast zu mir gesagt: Das hab ich Seit dreizehn jahren nicht getan! IBRAHIM

Bei Allah Die schuld hat sie, sie hat gebeten, hat mich Gezwungen. ANIS (beiseite zu Ali)

Hör mich Ali: trink und zwinge Den frommen nicht, damit ich dir was zeige. Anis schenkt und bietet Ali, Ali schenkt und bietet Anis den becher, sie trinken in immer rascherer folge wie in einem bechertanz. Ibrahim folgt mit augen und wendungen des kopfes den beiden wandernden bechern.

IBRAHIM (ausholend)

Ist das noch kameradschaft? Freundestun? Verfluche, Allah, die so gierig sind! Du reichst mir keinen becher, bruder, wenn Ich an der reihe bin. Mann gottes, was Ist das für ein benehmen? Sagst du nichts?

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Ali und Anis reichen ihm lachend ihre becher hin. Er nimmt den Alis und fängt mit ihm das gleiche becherspiel an, das jener vorher mit Anis gespielt.

ANIS

Oh, Ibrahim, mein scheich, was schenkst du m i r ? Willst du mir gütig nicht erlauben eine Von diesen lampen anzuzünden? IBRAHIM

Zünde! Doch zünde mir nur eine an und stör Mich nicht! ALI (sich von Ibrahim lösend)

Die eine will die zweite, brennen Muss eine und die andre durch die andre. ANIS

Bis alle achtzig brennen! Die beiden haben begonnen, lampen und kerzen nacheinander zu entzünden. Ibrahim, mit seinem becher sich allein sehend, ohne einen, der ihn nimmt und füllt und reicht, dann die beiden lichteranzünder gewahrend und mit staunenden blicken verfolgend.

IBRAHIM

Kühner seid ihr Als ich! Da müssen verse klingen, springen Wie perlen in den wein und ihn durchklingen, Bis aus den bechern uns die geister singen. Ibrahim folgt Ali und Anis, die die lichter im lustsaal entzünden, von der Balustrade in den lustsaal. Alle drei entschwinden, wenn alle lichter entzündet sind, den blicken der zuschauer.



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DRIT TE SCENE Vor dem schloss des kalifen in Bagdad am andern Tigrisufer. Hohe bäume, großer mond. Der kalif tritt unter die bäume und schaut zum mond.

KALIF (milde gereizt)

›Der mond scheint hell‹, so sangen dichter. Meiner, Den dichter mein ich in der brust, hats nicht Gesungen. Scheine mond, du scheinst vergebens Wenn dich die seele, meine, die dich schaut Nicht scheinen lässt. Und dennoch: Milde atmet In deinem licht der himmel und die brust, Das auge freut sich deinen fluten folgend Wie sie so niedergehn und schattenfluten Sich zu gefährten rufen, baum und fluss In glanz und dunkel tauchen. In diesem augenblick gewahrt der kalif dem mondlicht folgend die lichter im schloss der bilder jenseits des Tigris.

Allah, drüben Im gartenschloss der bilder leuchtet licht, Nein, ist ein lichtertaumel ausgebrochen – (laut)

Sohn einer hündin, Dschafar, her zu mir. Dschafar tritt sofort aus den bäumen mit dem rücken gegen das lichterschloss.

DSCHAFAR

Gebieter? KALIF

Hund von einem wesir, willst du Mir Bagdad nehmen, ohne mir ein wort Davon zu sagen? 90

DSCHAFAR

Herrscher, deine worte Was meinst du wol damit? KALIF

Hättst du mir Bagdad Genommen nicht, wie leuchteten da drüben Im gartenschloss die lampen und die kerzen Und fenster wären aufgetan? Weh dir! Wer sollte solches wagen, wär mir nicht Das kalifat vom haupt genommen! DSCHAFAR

Herrscher Der gläubigen, wer hat dir kundgetan, Dass in dem schloss der bilder fenster offen Und lichter leuchtend sind? KALIF

Tritt her und sieh! DSCHAFAR (beiseite)

Was sag ich? Mutter, vater, ahnen alle Der Barmekiden, sagt es mir im geist! Da muss scheich Ibrahim geheime gründe Und gute haben, dass er das erlaubt. Wie schütz ich ihn? (zum Kalifen)

Oh unser aller herrscher Und der der erde! Sieh, scheich Ibrahim Vor einer woche sprach er, kam zu mir, Und sagte: Mein herr Dschafar, sprach er, freude Möcht ich den söhnen machen bei dem leben Des waltenden kalifen und bei deinem,



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Herrn Dschafars leben, und ich fragte ihn: Was willst du? Und er sprach: Verschaffe mir Erlaubnis vom beherrscher, die beschneidung Der söhne, dass ich sie im bilderschloss Begehe, und ich sprach: Geh hin, beschneide Die söhne, und ich wills dem herrscher sagen. Und er ging weg und glaubte mir, und ich Vergaß es dir zu sagen. KALIF

Dschafar, anfangs Hast du nur e i n vergehen gegen mich Begangen. Z w e i vergehen aber sind Daraus geworden. Zwei vergehen hast du Begangen: den bericht an mich versäumt, Und hast dem alten nicht gegeben das, Worum er bat, denn der ist doch gekommen Und hat gesprochen so, damit du merktest, Er bitte dich um geld für seinen aufwand. Du hast ihm nichts gegeben, mir dazu Die kenntnis vorenthalten! DSCHAFAR

Oh, beherrscher Der gläubigen, ich habs vergessen. KALIF

Dschafar, Bei Allah, was noch bleibt von dieser nacht Das will ich nirgends als bei diesem frommen, Dem Ibrahim, verbringen! Fromm ist der Und sorgt für glaubensmänner und für arme Und ist ihr wirt. Und jetzt sind wahrlich alle, Ich weiß es, dort versammelt und gebet Von einem unter ihnen wird vielleicht In dieser welt uns gutes bringen oder In jener, und dem alten wird bei dieser Gelegenheit auch meine gegenwart Zum nutzen und zur freude sein.

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DSCHAFAR (zögernd)

Beherrscher Der gläubigen, der größte teil der nacht Ist schon verstrichen und sie werden schon Beim aufbruch sein. KALIF

Ich will auf jeden fall Zu ihnen, komm du!

VIERTE SCENE Kalif und Dschafar kommen ans gartentor des schlosses der bilder.

KALIF

Sieh, ich staune, Dschafar, Wie der scheich Ibrahim das gartentor Ganz gegen seinen brauch um diese zeit Noch offen lässt. DSCHAFAR

Er hat vielleicht gedacht, Es käme noch ein frommer zu den frommen.



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FÜNF TE SCENE Der kalif und Dschafar kommen vor dem lustsaal und der balustrade unter einen grossen baum.

KALIF

Oh Dschafar, das ist mein gelüst: eh ich Hinauf zu ihnen geh, sie zu belauschen, Damit ich schaue, was sie treiben und Damit ich sie erblicke und betrachte Die glaubensmänner, denn noch keinen laut Hab ich gehört, von Allahs namen keinen, Gerufen hell von einem frommen mund. (Er blickt umher und hinauf und schätzt den baum ab.)

Oh Dschafar, mein gelüst ist groß. Ich steige Auf diesen baum, der mit den großen zweigen Bis an die fenster streicht. Da kann ich dann Hinein zu ihnen sehn. Er steigt auf den baum, Dschafar hilft ihm dabei. Von oben erblickt er die dreie im lustsaal, die die zuschauer aber noch nicht gewahren können, weil sie zu tief im innern des saales zechen.

Allah, da schau ichs: Ein mädchen und ein knabe, mondengleich! Gepriesen sei, der sie geformt aus wasser Und erde — und da schau ich Ibrahim Den becher in der hand. Man hört die stimme Ibrahims sich im lustsaal erheben. Bis dahin hatte man nur manchmal kleine laute und ein becherklingen gehört, so dass man überzeugt ist, die zechenden seien im lustsaal.

IBRAHIM

Doch ohne singen Kann alles trinken keine freude bringen! Die dichter sagens, und wir trinker wagens: Lass kreisen den wein in grossen und kleinen gebechern, 94

Und nimm aus des mondes händen, des schenken, ihn ein. Doch trinkende, wenn sie nicht singen, sind schmähliche zecher, Und schöne gesänge sind perlen, die schmelzen im wein. Nach Ibrahims versen hört man becherklingen und lachen. Der kalif hat staunend zugehört und zugeschaut mit deutenden gebärden.

KALIF

Noch niemals, Dschafar, hab ich einen frommen So ganz im dienst gesehn. Komm auch herauf, Dass du sie schaust und dass auch dir der segen Der frommen nicht verloren sei. Dschafar steigt schnell zum kalifen auf den baum, beide starren in den lustsaal hinein, woher immer lautere zechgeräusche kommen.

KALIF

Oh Dschafar, Der große Allah sei gepriesen, der uns Auch äußerlich des heiligen buchs gebot Befolgen lässt. Ich möchte wissen, Dschafar, Wer die hierher gebracht, sie eingelassen In dieses schloss: den mond von einem jüngling Und diese übermondin, dieses mädchen? Von beiden hab ich gleiches nie gesehn. DSCHAFAR

Die wahrheit sprichst du, großer herrscher. KALIF

Dschafar, Schau jetzt hinein! Man sieht jetzt, auch die zuschauer sehens, wie Anis und Ibrahim sich erhoben haben, näher an den ausgang vom lustsaal zum balkon kommen, Ibrahim leicht schwankend, Anis kerzengerade.



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IBRAHIM

Die würde, herrin, sank, Als ich gewürdigter vom weine trank, Doch trinken ohne singen macht mich krank. ANIS

Bei Allah, oh scheich Ibrahim, wir hätten Der freude gipfel nur, wenn eine laute In unsrer hand sich einzufinden traute. KALIF

Was wird er jetzt tun, Dschafar? DSCHAFAR

Weiß es nicht. Ibrahim ist in die hintergründe des lustsaals entschwunden und kommt mit der laute Ishaks, des leibdichters des kalifen, zurück. Die laute ist mit zwei farbigen bändern geschmückt, die fliegen, weil Ibrahim wie ein sieger die laute schwingt. Er gibt sie der Anis.

KALIF

Bei Allah, Ishaks laute! Dschafar, wenn Das mädchen ärmlich singt, ich lass euch alle An kreuze schlagen, singt sie aber schön, Dann schenk ich diesen meine gunst und lass Nur dich am kreuze hangen! DSCHAFAR

Allah, lass sie Doch ganz erbärmlich singen! KALIF

Und warum? DSCHAFAR

Weil: wenn du alle kreuzigst, leisten wir Gesellschaft uns am kreuz.

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KALIF (gelöst und lachend)

Dies wort macht frei! Nun treten Ali, der indessen, von der geschwungenen laute gelockt, langsam aufgestanden und sichtbar geworden ist, Anis und Ibrahim mit bechern, laute und weingefäßen, heraus auf den balkon und setzen und stellen sich als zech- und singgruppe. Anis schlägt auf der laute eine kurze lockende melodie, setzt ab, schwingt die laute sieghaft, dass die bänder wehen, nimmt dann die stellung eines hersagenden ein, unterarme waagrecht erhoben, beine leicht übereinandergestellt, und beginnt.

ANIS

Macht, die dem liebenden hilft, Wenn er, von sehnen umschilft, Am ufer steht, Macht, die geht Von einem zum harrenden andern Wie boten und fittiche wandern: Lass mich nicht beben allein Mach uns beben zu zwein. Und wenn du mich wund gemacht, und genug Die wunden brennen, dann tu dem gestrengen Den gleichen fug! Nach den versen schwingt Anis wieder die laute, geht wie ein anführer mit stab in den lustsaal zurück, und die andern folgen ihr.

KALIF

Bei Allah, das ist schön! Wie diese stimme Hab ich im leben gleiches nicht gehört! DSCHAFAR

Ist des kalifen zorn geschwunden?



97

KALIF

Weg! Geschwunden! Dschafar, komm, wir steigen ab. Da drunten sag ich dir, was ich begehre. (Sie steigen herunter und stehen unter dem baum.)

KALIF

Hinein zu ihnen will ich, sitzen dort Und schaun, und hören wie das mädchen singt Vor mir, ganz nah vor mir! DSCHAFAR

Oh herrscher Der gläubigen, erscheinst du da, dann greift Der schrecken sie, vor angst stirbt Ibrahim! KALIF

Dschafar, ersinne was, dass ich sie täusche, Zu ihnen gehe, und sie wissen nicht, Wer kommt. DSCHAFAR

Zum fluss, zum wasser, vielleicht zeigt Sich dort, was jetzt zu tun. (Kalif und Dschafar steigen zum flussufer hinunter.)

98

S EC H S T E S C E N E Am Tigrisufer. Kârim, der fischer, im groben, geflickten kleid und mit buntgeflicktem turban, mit dem rücken gegen die schlosslichter. Der kalif tritt in seinem rücken auf.

KÂRIM (Er spricht vor sich hin)

Heut ist der tag der Unachtsamkeit, der herrin dieser nacht … Ich fische! (Er schickt sich an, sein netz auszuwerfen.)

KALIF (für sich)

Hab ich doch Dem Ibrahim befohlen: geh, verbiete Den fischern diese stelle, dass ihr lärm Mir nicht die fenster eindrückt. (zu Kârim)

Kârim, he! Der fischer fährt herum, erblickt den kalifen, bebt und ruft:

KÂRIM

Bei Allah, herrscher der begünstigten Durch glauben, nicht zum hohne tat ichs, Zu trotzen wider das gebot. Die not, Die sorge um die meinen trieb mich her!



99

KALIF

Tu diesen wurf in meinem namen! Kârim wirft das netz aus, wartet, zieht ein, und fische wimmeln im netz, die Kârim in seinen korb wirft.

KALIF

Kârim, Zieh dein gewand aus. Kârim legt ängstlich gewand und turban ab, der kalif tut das gleiche.

Und zieh dieses an, Und gib mir deinen kittel und den turban. Die beiden tauschen die gewänder. Der kalif zieht den zipfel von Kârims kopftuch als schleier vor sein untergesicht. Dann zu Kârim:

Geh deiner wege! KÂRIM Dem kalifen die füße küssend und ihm dankend, noch auf den knieen

Du schenktest mir gunst, ich schenk dir den dank des armen, Du hast mich beschenkt, du ließest das eis mir erwarmen, Oh bleib mir geneigt, und lass mich nicht wieder vereisen, Und noch mein gebein soll dereinst aus dem grabe dich preisen. Die läuse aus gewand und turban des Kârim kriechen dem kalifen über die haut, er fasst nach ihnen, fängt sie sich vom hals und wirft die gefangenen weg.

KALIF

Kârim, weh dir! Von läusen ist die fülle, Ein heer, in deinem kleid.

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KÂRIM (der sich erhoben hat)

Herr, sie quälen Dich jetzt, noch kaum ist aber eine woche Vergangen, fühlst du keine mehr und denkst An keine. KALIF

Mann, soll ich so lang den kittel Am leibe haben? KÂRIM

Herr, ich möchte wol Ein wort dir sagen. KALIF

Sprich, ich hör dir zu! KÂRIM

Beherrscher du der gläubigen, das fischen, Ein handwerk, willst du, das dir nutzen kann, Erlernen, weil es nützlich ist: das kleid Passt gut, mit solchen kleidern fängt man fische. Der kalif lacht und winkt Kârim, sich zu entfernen. Dann nimmt er Kârims korb mit den fischen und legt gras darüber.

DSCHAFAR (tritt auf und spricht zum kalifen, den er für Kârim hält)

Unseliger, was hat dich hergeführt In dieser nacht, da der kalif im garten Lustwandelt? Sieht er dich, ists aus mit dir! (Der kalif lacht, Dschafar erkennt ihn am lachen)



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DSCHAFAR

Herr, kann das sein? Du bists? Der sultan? KALIF

Ja, Dschafar, der bin ich und du wesir! Ich kam mit dir, du kennst mich nicht, wie soll Scheich Ibrahim mich kennen, der doch trunken Vom weine ist? Komm mit und halt dich still!

SIEBENTE SCENE Schmale terrasse vor dem Lustsaal. Ali, Anis und Ibrahim sind wieder herausgetreten, immer weiter zechend, und haben dort und auf der balustrade eine gruppe gebildet. Der kalif tritt als Kârim verkleidet an den fuß der rechten, zur terrasse aus dem garten hinaufführenden treppe und klatscht leise in die hände.

ALI

Da tritt ein mann heran, scheich Ibrahim. IBRAHIM

Wer ist denn drunten? KALIF

Ich bins, Ibrahim. IBRAHIM

Und ›Ich‹, wer ist das? KALIF

Kârim ists, der fischer. Ich hörte, du hast gäste, und da bring ich dir Von fischen etwas, gute fische, herr.

102

ANIS UND ALI (lüstern zusammen sprechend)

0 herr, lass ihn herauf, o lass ihn bringen Die fische! IBRAHIM

Kârim, tritt heran! Der Kalif steigt einige stufen der treppe hinauf und bleibt mit geheuchelter ehrerbietung belustigt beobachtend stehen.

IBRAHIM

Willkommen Dem dieb, dem räuber, dem verbotnen spieler! Lass uns die fische sehn! Der kalif hebt das gras im korb von den fischen, und man sieht sie zappeln.

ANIS

Bei Allah, frische fische sinds, wenn die Doch nur gebraten wären! IBRAHIM

Richtig sprichst du, O, meine herrin. Fischer, warum hast du Die fische nicht gebraten uns gebracht? Auf jetzt, und brat sie gleich für uns, dann bring sie! KALIF

Ich höre und gehorche, braten will ich Die fische und sie bringen. IBRAHIM

Eile dich! ANIS

Mach schnell!



103

ALI

Geh zu und komm zurück, du solltest Schon wieder da sein! KALIF

Sputen, leute, will ich Mich sehr, bei meinem leben! Der kalif geht mit seinem korb die treppe wieder hinunter. Anis, Ali und Ibrahim trinken auf die zu erwartenden fische.

ANIS, ALI, IBRAHIM

Die fische – fische – fische! Der kalif trifft auf Dschafar, der wartend unter dem großen baum gelehnt hat, und, als der kalif die treppe hinunter kommt, zu ihm tritt.

DSCHAFAR

Herr, da bin ich. Steht alles gut? KALIF

Sie wollen, weisst du, Dschafar, Gebraten soll ich gleich die fische bringen. DSCHAFAR

O herrscher du der gläubigen, die fische Gib mir, ich will sie braten! KALIF

Bei den gräbern All meiner ahnen und der väter, Dschafar, I c h will sie braten mit der eignen hand. Du gehst ins schloss und hältst das prunkgewand, Den tulbend mir bereit und kommst heran, Und auf mein zeichen trittst du vor. Geh zu! Während Dschafar ins schloss und der kalif zum braten ins gartenhaus geht, zechen Ali und Ibrahim weiter und Anis spielt ein stückchen auf der laute.

104

Nach einer weile bringt der kalif auf einem mit schönen blättern belegtem tablett die gebratenen fische mit früchten aus dem garten, besonders mit zitronen und limonen verziert, die rechte treppe herauf und stellt sie vor den dreien auf die balustrade. Die drei machen eine weile ess- und lustgebärden. Der kalif hat indessen wasserkrug und schüssel geholt und ein schönes handtuch über dem arm. Während der essgebärden hat er, auf einer der oberen stufen der treppe stehend und an der balustrade lehnend, den dreien ruhig zugeschaut, dann hält er ihnen nacheinander die schüssel unter die hände, gießt ihnen das waschwasser über und bietet das handtuch dar. Dann tritt er auf die treppenstufen zurück.

ALI

Du hast uns, fischer, diese nacht ein großes Geschenk gemacht. Ich nenn es eine wohltat. Nimm die paar stücke gold, es ist das beste, Was ich jetzt geben kann, so nimms und lass mich Bei dir entschuldigt sein, denn wahrlich: hätt ich Dich v o r dem fall gekannt, der über mich Gekommen ist, ich hätte dir das herz Befreit von bitterkeit der armut. Ali wirft dem kalifen drei goldstücke zu, der sie auffängt und küsst und zu sich steckt.

KALIF

Geber Bist du ein großer! Doch von deiner güte Der grenzenlosen, bitt ich mehr: lass singen Dies mädchen, lass sie singen, dass ich höre! ALI

Oh Anis … ANIS

Ja … ALI

Bei meinem leben, sing Uns was um dieses fischers willen, dens verlangt, Dass er dich höre. Mädchen sing!



105

ANIS

Ich sing. Sie schwingt wie oben die laute, spielt lockend, setzt ab, nimmt wieder die haltung eines hersagenden an wie oben und spricht die folgenden verse:

Die finger der zarten griffen hinein in die saiten der laute, Und als sie die saiten schmeichelten, waren die geister entrückt. Sie sang, und sie löste der tauben ohr, und der blinde: er schaute, Da redeten stumme, und trauernde weinten beglückt. Nach diesen versen spielt und verhält sich Anis wie oben, dann fährt sie fort:

Das war unsre ehre, als du deinen fuß auf die erde, Die unsre, gesetzt, und dein glanz brach das dunkel der nacht. Drum ziemt es, dass wir dir spenden an unserem herde, Dass wir uns dir bringen, wie du uns das leben gebracht. KALIF (entzückt)

Bei Allah, das ist schön, bei Allah, das Ist schön und schön! Bei Allah, ist das schön! ALI (erregt)

Oh fischer, dieses kind, gefällt es dir? KALIF

Bei Allah, ja! ALI

Dann ist sie mein geschenk An dich, die gabe, die ein geber gibt, Der sein versprechen nicht zurücknimmt, Nicht widerruft die gabe, die er gab.

106

Ali springt auf, ergreift ein loses gewand, das Anis wie einen umhang mit sich geführt, und wirft es dem kalifen zu.

Nimm sie und geh! Alle anwesenden zeigen sich, jeder nach seiner weise, durch gebärden betroffen von Alis tun, auch Ali selbst. Pause.

ANIS (lange den Ali anblickend, dann)

Gebieter: abschied ohne lebewohl, Das trägt, wers tragen kann. Ich fleh: verweile Bis ich dir lebewohl gesagt, gesungen Was mich betraf. Sie spielt eine kurze traurige melodie, nimmt die hersagestellung ein wie oben und spricht die folgenden verse:

Der schmerz, der klare reine, Ist einer lautren quelle gleich, die nährend Und tränkend quillt, die in das feine Gehäär der gräser läuft und blinkt und während Sie küsst auf ihrem weg die blum, den halm, Die lüfte klärt und süsst, dass sich kein qualm, Kein dunst erheben kann. Und lichter laut Der quellenwellen tönt, wie wenn es taut In seelen und sie sehen klar Was ist, was wird, was war. Könnt je ein mensch in seinen tränen schwimmen, Ich badete in meiner tränen flut. Du, den ich liebe, liebe süsst den schlimmen, Den trank wie kahles wasser süsst des weines glut! Dies ist die trennung, die ich bebend ahnte So lang: Der gebende in dir besiegt Den liebenden, und, wie der seele schwante, Das herz ist ohne hoffnung, zuckt und liegt In seines feindes hand, des liebsten, tiefsten,

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Des gradesten der graden und des schiefsten, Und in d i e herzensnacht fällt nie ein schimmer, Denn die ist ausser aller zeit, ist immer. Meintwillen, dass du mich besitzest, meine Gestalt, hast deinen fürsten du gekränkt, Gingst fliehend in die ferne, nun verschenkt Dein gabensinn die heisserworbne deine. Da bitt ich, bet ich nur das eine: Allah Soll nie dich reuen lassen, was du gibst, Untadlig sei, der hinnimmt, was du liebst. Ali hat während des Liedes der Anis seine augen mit den händen bedeckt. Jetzt lässt er die hände langsam sinken und spricht das folgende, Anis anblickend.

ALI

Sie fragte mich: was tust du, wenn wir geschieden, Du nimmer mich hast im himmel und nicht hienieden? Da sprach ich: grösser als berge ist dieses leid, Frag den, was ich tu, der wohnt in der ewigkeit. Langes schweigen, in dem alle, jeder auf seine art, ihre bewegung mimisch zeigen.

KALIF (zu Ali)

Wohin denkst du zu gehen? ALI

Gottes welt Ist weit. Der kalif tritt eine stufe höher auf der treppe und spricht mit neuem ton.

KALIF

So nimm von mir den brief an deinen Gebieter, der dir dort die wege öffnet Und dich geleitet.

108

ALI (Auf den ton des kalifen eingehend, aber noch zweifelnd.)

Wie? Gibt es in der welt Denn fischer, die an könige mit briefen Versorgen? KALIF

Ja, ich saß mit deinem fürsten, Den ich errate, in der gleichen schule, Beim gleichen lehrer, ich war klassenerster. Seither war glück ihm gut, er wurde sultan, Und mich hat Allah niedrig nur gemacht, Zum fischer. Aber niemals send ich jenem Ein bitten, das er nicht erfüllt, und tausend An einem tag gesandte bitten würd er Erfüllen! ALI (fast schon gewiss)

Schreib, damit ichs sehe! KALIF

Gleich. IBRAHIM Der kaum noch an sich halten kann und von dem neuen ton des kalifen, Anis ist längst aufmerkend, noch nichts bemerkt hat

Du hund von einem fischer! Fische hast du Für zwanzig rappen uns gebracht, genommen Hast du drei golddinare, gutes gold, Jetzt willst du noch das mädchen an dich nehmen?



109

Der kalif gibt Dschafar, der indessen im lustsaal hinter den andern erschienen ist, das verabredete zeichen. Dschafar tritt mit einmal aus der tür des Lustsaals heraus vor den kalifen, wirft ihm das prunkgewand über und setzt ihm statt des fischerturbans den herrschertulbend aufs haupt. Der kalif steigt die letzten stufen zur terrasse hinauf und überragt nun alle anwesenden, die, ihm in verschiedenen formen ihre ehrerbietung erweisend, zurückweichen. Nur Ibrahim bleibt, den kalifen anstarrend, sitzen.

IBRAHIM (sich in die finger beißend)

Ich schlafe, nein ich wache, nein ich schlafe .. KALIF

Scheich Ibrahim, in welchem zustand muss ich Dich sehn? IBRAHIM (knieend)

Vergib in was mein fuß hineingeglitten. Mein ist: mich geben deiner strengen huld, Dein ist: die huld lässt nicht vergebens bitten, Und der kein schulden kennt, tilgt alle schuld. KALIF Gibt Ibrahim ein zeichen, sich zu erheben und streift ihn mit einem freundlichen blick, dann zu Ali:

Ali, dein wunsch? ALI (frei und groß)

Ich will nicht könig sein Von dir entfernt! Ich will dir dienen, will Dein angesicht nur schauen, dein und nah. 110

KALIF

Du gehst zu deinem fürsten, mein ferman Geleitet dich und macht dich gross vor ihm, Du tötest deinen feind und bringst dich mir. Die du dem fischer gabst, bewahr ich dir Untadlig, die geehrte geb ich frei Dass sie, in freiheit, frei die deine sei. Ihr wohnt an meinem tisch und gebt zurück In wort und sang was unser sei: das glück! Doch sticht uns lebenlang der süsse stich: Gesiegt hat Anis über dich und mich. Beim vorletzten wort hat der kalif auf Ali geblickt und gezeigt, beim letzten wort der Anis ins auge geschaut und ihr das hüllgewand, das Ali ihr genommen und ihm zugeworfen hatte, zurückgereicht. Der kalif führt Anis in den lustsaal hinein, Ali folgt mit Dschafar.

IBRAHIM (allein ad spectatores)

D e n garten will ich pflegen – seine pflaumen Sind einziger geschmack für meinen gaumen. (Er geht den andern nach in den lustsaal.)



111

KAMAR AZ-ZAMÂN ODER DER MOND DER ZEIT

PERSONEN

SCHECHRIMAN

Ein Sultan

KAMAR AZ-ZAMÂN

Sein junger sohn

WESIR

bei Schechriman

WÄRTEL

im gefangenengewölbe

MAIMUNA

Ein dschinn

MARMÁRAKAS

Eine dschinnin

EL-GHAJUR

Ein zweiter Sultan

BUDUR

Seine junge tochter

WESIR

bei el-Ghajur

ECKENSTEHER

in der sultanstadt el-Ghajurs

WÄRTELIN

bei Budur

114

ERSTE SCENE

Gemach des königs Schechriman mit tacht (thron) auf breiter stufe. Sitzkissen und stützkissen an den wänden. König Schechriman, würdigsten alters, sitzt auf dem tacht. Der wesir, auch bei jahren, sitzt unterhalb der stufe auf einem prunkkissen. Die türe ist rechts vorne. Ein fenster an der linken wand über der thronstufe. Abendschein.

SCHECHRIMAN

Du hast mir zum gebet geraten, als Ich ohne sohn in böser sorge fühlte, Dass mich das tiefe alter überkam, In dem wir uns entrücken schon der erde Und doch so sehr noch da sind – späte liebe – Dass wir sie formen möchten noch nach uns Und uns den erben wünschen eh wir gehn, In ihm uns schauen möchten. Und dein rat Hat heißbegehrte frucht gebracht, rat wieder! Der sohn aus deinem ersten rat ist jung Und schön und gut – geraten! Damals, weißt du, Als wir ihn nannten ›Mond der Zeit‹, wars unser Geheimnis, was wir meinten mit dem namen: Der zeit der wandelnden mit einem wandler, Der selbst sich wandeln kann, begegnen, frucht, Die wieder fruchtet, uns zu wünschen: söhne Will ich von ihm aus deinem zweiten rat! Vermählen ihn, da ich noch lebe, schauen, Wie er in neuen jungen augenpaaren Sich spiegelt. Rat mir, wie ich das beginne! WESIR

Du lässt ihn kommen, sagst ihm deinen wunsch. Du sagst ihm, dass er wählen könne, du Ein rater für ihn seist, doch seiner wahl Vertrautest und der einsicht, die von tag Zu tag auf seinem antlitz wüchse. Bürd ihm selbst Das wissen um die ehe auf, den eingang In ihr geheimnis, in die heilige pflicht.



115

SCHECHRIMAN

Du sprichst, wie ichs von dir erwarten konnte. Und dass du mit mir fühlst, gibt mir das zeichen. Ruf mir den sohn! (Wesir erhebt sich, neigt sich und geht den prinzen holen)

SCHECHRIMAN

Er denkt es sich zu leicht. Ich kenne meinen sohn, er wird es nicht Und nicht aus schlechtem grund nicht wollen, wird Es als versuchung sehn, wird widerstehn, Wir werden schwerem gang entgegengehn. Der wesir bringt den prinzen, ihn achtsam geleitend, bis vor den vater und tritt dann zur seite. Kamar bleibt vor der thronstufe stehen in geneigter haltung, bis ihn der vater anspricht.

SCHECHRIMAN (nach einer kurzen stille)

Wohlan, mein Mond der Zeit, (Kamar hebt das gesicht dem vater entgegen)

Heut sag ich dir, was dir zur freude sei Und mir zum frieden meiner tage: sohn, Ich wünschte, dass du dich vermählst, derweil Ich lebe, jetzt in meinen tagen, in Den schwindenden, die über sich hinaus Noch schauen wollen, dass im glück sie enden. Beglücke mich und dich.

116

KAMAR (kurz das haupt wieder senkend, dann es abermals erhebend)

Mein vater, seid ihr Auch eures rats gewiss? Und ist es nicht Ein wunsch der laune, ein verlangen, wie Es viele ankommt, mehr als das des königs? Ich hoff es, und so wag ich euch zu sagen, Dem könig, der mich hohen sinn gelehrt: Mein sinn steht nicht nach ehe, lieber wollte Den tod ich wählen als den untergang In diesem zweisam-einsam hinversinken. SCHECHRIMAN

Sei nicht so rasch, lass erst die einsicht sprechen Im herzen, dann sprich mit dem mund. Jetzt wohnt sie Auf deiner stirne mehr als auf den lippen. Mein sohn, ich war schon alt, gesenkt, als Allah Mir dich geschenkt auf mein gebet. Das beten War heiß, die gabe groß, die freudenfeste So groß wie meine freude, sieben tage Geschmückte stadt, und trommeln, flötenjubel Und boten durch die länder – freudenboten. Und wärtelinnen, edelste, und aufwuchs Durch alle kindsgefahren. Schönheit, anmut Und lieblichkeit und kraft und einsicht. Als wir Dich nannten, nannten wir dich Mond der Zeit, Zeitwandler, der sich wandelt und die zeit. Glaub nicht, dass Allah uns zum zweiten mal Das wunder tut. Tu, wie dem sterbling ziemt, Dass selbst er sorge, noch beizeiten. Folge Dem ruf des vaters! Denk: dein glück, die lust Und mich und dich! Und denk: das reich!



117

KAMAR (der während der ganzen rede dem vater fest ins auge sah)

Vater, Hör auf! Und füll mir nicht das ohr mit fremder Mir unbekannter stimme! Sag ich dir Zum überfluss, was du doch weißt, der könig Doch weiß: Der mann ist frei und ganz nur ohne Ein weib im arm, das ihn zerteilt, nein nimmt Das ganze, mischt ihn ein in ihr bedingtes. Man lasse sie in ihrem, bleib im seinen! Im ganzen! Lust? Die lust ist kurz, als wär Sie gar nicht da. Ein augenblick ist zeugen, Ist bald getan, vorbei, und dann die bürde Im weib verhemmt dir allen freien flug. Du trägst die fessel, trägst die last. Kein schwingen Des schwerts, kein ritt, kein aufgehobner schild, Kein Lied, kein sinnen, dem sich nicht d i e last, Nicht diese bürde mischte, in gedanken Und nichtgedanken. Nicht im eignen leib Und geist bist du zu haus, da wohnt was mit, Was dich aus dir vertreibt. Und wenn von oben Die rufe kommen, einzige lust, die dauer Verbürgt, gewähr, dass du umsonst nicht bist, Nein bist und herrschest, weil du dienst, bedingt In dem bedingten, unbedingt in deinem Hingeben an den ruf, wenn diese rufe, Die großen, kommen, lähmt es dir das herz, Dass du gebunden bist. Oh vater, nimm mir D i e freiheit nicht, um die ich lebe, deiner Und meiner würdig. SCHECHRIMAN Sich aufrichtend, auf der thronstufe stehend über dem sohn, der, erschrocken über sich selbst, das haupt senkt.

Prinz, du bist nicht klar. Zieh dich zurück. Besinne dich, erscheine, 118

Wenn diese wallung abgeebbt und wieder Vernunft in dir aus diesen wilden wolken Hervortritt, wenn du wieder, was du bist, Was ich bin, weißt, und wenn dein bessrer sinn Die dinge wägt, so wie sie eigentlich Und wirklich sind. Du bist entlassen. Kamar hebt das haupt, neigt sich nicht und geht mit erhobenem haupt hinaus. König Schechriman wendet sich zum fenster links und schaut hinaus. Der wesir schaut auf ihn hin. Nach einigem schweigen wendet sich der könig und lehnt mit dem rücken am fenster.

SCHECHRIMAN

Freund, Was tun wir? WESIR

Wart! Er kommt zurück, vielleicht Besonnener. Und bleibt er unbesonnen, Und wenn er sich vergisst, was ich befürchte, Setz ihn gefangen in dem alten turm, Wo noch die geister hausen, wie man sagt, Und ahnungen sich nahn. Ist wer gefangen In fesseln oder amt, beschäftigungen, So gibt die freiheit ihm entrückung. Ist er In freiheit, bietet eben die entrückung Gefangenschaft: die zeigt die dinge anders Und neu. Man weiß dann doppelt, wie sie scheinen Beim einen und beim andern, und vielleicht auch Von dem was, wie sie sind. Und wärs zur probe Auf seinen stolz. Die tür geht auf, und Kamar kommt mit raschen entschlossenen schritten bis vor den sultan, neigt sich nicht, wartet aber auf anrede.



119

SCHECHRIMAN Vom fenster einen schritt vortretend, freistehend auf der thronstufe über dem sohn.

Nun, hast du dich bedacht? KAMAR

Das denken ziemt nicht, wo die triebe sprechen, Die tiefen, allentscheidenden. Ich sag es Dir abermals: Ich wollte lieber wählen Den tod als dies versinken in die zeit! Und was du sprichst und willst, das ist mir fremd, Das ist, wie nicht von dir, hat nichts zu tun Mit dem, was uns verbindet! Kannst du dich Zum anwalt machen dessen, was mich beugt Und bricht, was jeder tut und jede, die Sich betten in das allgemeine nichts, Zum anwalt dessen, was verhasst mir ist Und greul, so bin ich dir ein fremder, bin Allein und handle so. SCHECHRIMAN

Noch einmal, prinz, Bedenke dich und sprich geziemend. KAMAR

Vater, Geziemend spricht man aufs geziemende. Was du mir sagst, geziemt nicht mir, nicht dir! SCHECHRIMAN (sich hoch aufrichtend, so dass der prinz zurückbebt)

Aus meinem auge bann ich dich solang Und halte dich in dunkelheit gefangen, Als du gefangen bist in deinem dunkel. Wenn dir die leuchte dann in deiner seele

120

Erst wieder scheint, dann lass michs wissen. Geh! Mein helfer hier begleitet dich und bürgt Für den gewahrsam. Kamar wendet sich stumm und folgt gesenkten haupts dem wesir, der ihm vorangeht. Der könig steht noch mit erhobenen unterarmen, wie betend oder dem prinzen nachdeutend, als der wesir mit raschen schritten zurückkommt.

WESIR

Herr, ich habe ihn Im gartensaal gelassen auf sein wort Und bin zurückgeeilt. Ich sah dein auge Bei deinem spruch, und m e i n herz schlug dazu: Hat er nicht edelst sich geschlagen? Steil Die jugendfahne aufgerollt? Mir war, Als säh ich euch von damals, als ihr wähltet Im jugendglühen zwischen tat und lust Und nahmt die tat! Was auch in mir der mann Des staates sagen mag, die andre stimme Die herzensstimme sagt nur: Euer sohn! SCHECHRIMAN Der sich beim erscheinen des wesirs auf den thron niedergelassen hat, still und fest:

Sehr edel schlug er sich, und kaum vermocht ich An mich zu halten, hätt ihn wahrlich lieber Ans herz genommen als gestraft. Doch heischt Der ausbruch buße, die er selbst sich härter Erfunden, hätt nicht ich sie ihm geschenkt. Ich bin bekehrt, ich treibe keinen handel Mit einem edelmann. Die eine nacht Ist ihm und mir für viele! Wenn es tagt, Gehst du zu ihm und sprichst ihn frei und bringst ihn Zu mir, in meine arme. Führ ihn fort.



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ZWEITE SCENE Gewölbe mit brunnen, weitläufig, dunkel mit tiefdunklen hintergründen und seitengründen. Runder brunnen mit nicht zu hoher brunnenmauer, nah der mitte, aber weit genug rechts, so dass links platz für die ganzen abläufe bleibt. Rechts im hintergrund oder seitengrund wird das zugangstor angenommen, das man aber nicht zu sehen braucht. Es genügt, das schließen und das öffnen einer schweren tür zu hören. Der wärtel schließt auf und führt, mit licht, Kamar und den wesir herein. Wesir zum wärtel während Kamar stumm und abweisend dasteht, alles noch rechts vom brunnen.

WESIR

Der Prinz ist müde. Rüst ein lager ihm Beim brunnen, wo die kühle hingelangt Und noch kein feuchtes stört. Der wärtel geht hinter dem brunnen nach links, stellt die leuchte auf einen gewölbeabsatz oder hängt sie an einen holzpflock, der in einem felsloch steckt, holt kissen und decken und bereitet links vom brunnen in gutem abstand das lager. Wesir und Kamar stehen rechts vom brunnen stumm dabei in abstand voneinander. Als das lager fertig ist, stellt der wärtel die leuchte zu füßen des lagers und entzündet eine kerze zu häupten. Dann tritt er in den raum rechts vom brunnen zurück. Der wesir wendet sich zu Kamar.

WESIR

Gefällts mein prinz? KAMAR

’S ist seltsam, dass sich eure hoheit gar So sehr um mich bemüht. Sie hat sich mühe Bisher nicht grad f ü r mich gemacht. WESIR

Mein junger Gebieter, nur f ü r euch wars, wenn ich je Mir einen dienst in eurem angemaaßt, Ihr werdets noch erkennen. KAMAR

Schon erkenn ichs Und bitt euch um entfernung, dankverpflichtet, Wenn ihr euch schnell entfernt, die kröte mit euch. 122

(auf den wärtel weisend) Die beiden verlassen mit stummen verneigungen das gewölbe, man hört das tor schließen. Kamar tritt zögernd zum brunnenrand und schaut hinab.

KAMAR

Da haben sich schon schmerzensseelen viele In solchem Spiegel angeschaut – und manche, Die glücklich waren: dass sie doch ihr lächeln, Das selige, da drunten sähen, ihr Gesicht, das leuchtende, da drunten schauten Im spiegelbild, im tiefen – und die andern, Dass sie die runen läsen auf der wange, Der eignen, und der stirn, der eignen, drunten Im spiegelbild. Was ist das? Schau ich m i c h ? Doch das, was jetzt da drinnen schaut, das bin Nicht ich, so wie ich ich bin, wer ist das? Ein andrer? Ein gefährte? Neues wesen, Wer bist du? Bruder? Schwester? Zweiter mensch? Der erste mensch. (sich aufrichtend)

Mir ziemt zu beten: Allah, Lass dir das lied des ausgestossenen Und eingeschlossnen wohlgefällig sein. Er nimmt die stellung eines hersagenden an: arme vom ellenbogen ab waagrecht erhoben, beine leicht übereinander gestellt, und kommt mit leicht übereinander setzenden schritten nach vorn gegangen.

KAMAR

Die woge trifft Den trotzigen, der schifft Auf eigne faust zu eignem ziel, So sicher wie den schmiegsam schaukelnden, Den willig mit den winden gaukelnden, Das ist ihr spiel.



123

Der steile fall Zerschellt den ball, Der kühnen sinnen vorgeschwebt, Zu öden splittern, sich verlierenden Und eint zu neuem schmuck die zierenden, So ists im all. Was bin denn ich? Da einte sich Aus stoffen, kräften ein gebild Und ward zerwirkt im sturm, im prächtigen, Vom herzen selbst entfachten, mächtigen, Ich bins nicht mehr und bin doch da: Sag, Allah, du dein rettend ja, Sei du mein schild. Er löst seine betende hersagestellung, zieht sein obergewand aus und legt es auf den brunnenrand, geht bescheiden zum lager gesenkten haupts, legt sich und zieht die leichte deckhülle ganz über sich bis zum kinn. Haupt und glieder lösen sich, er schläft ein.

DRIT TE SCENE Der Dschinn taucht aus dem brunnen, gewahrt den schlafenden Kamar und umwandelt ihn, spricht in absätzen, dazwischen den schönen genau betrachtend.

MAIMUNA

Allah – Allah – Allah – Allah – Allah! Maimuna, sprech ich zu mir selbst, Maimuna, Hast einen solchen jemals du geschaut, So einen ausbund? Einen gehtnichtschöner? So eine blume, die der himmelsherr Ins irdische gefäß hineingemalt Am tag des malens, mit der besten hand Des malens, das er, immer glorreich, übt? Der wangen rosen, frühe morgenröte, Die stirne silber, seine augen schlafen, 124

Doch liegen unterm lid die langen mandeln. Die langen wimpern schatten und die brauen Sind, süßes wunder, ineinand gewachsen. Die nase ist ein schmaler turm, die lippen Sind reich und können schenken und das kinn Ist füllsel einer hand, die haare fallen Und schmiegen sich ums bild, oh dunkler rahmen. Und welche glieder schimmern durch das tuch! In welchen reinen maaßen! Und die lende, Man kann sie ahnen! Und die füße lugen Schimmernd heraus. Nur alles hingeschüttet An gaben und an ehren und an dienst Und hoffen, dass er gnädig ist und schaut Und spricht und lacht! Maimuna, hältst du an dich? Und rufst dir einen zeugen, ders bezeugt? Marmárakas herbei: Sieh! Sieh! Sieh! Sieh! Marmárakas ist blitzschnell wie von oben erschienen und beschaut das wunder.

MAIMUNA

Verneig dich! Tu ihm ehre an! Was willst du Noch zaudern? Soll dir Allah denn, du hündin, Noch einen schönern schicken? Niemals hast du Auf allen flügen durch die welt erblickt Ein seinesgleichen! Schwörs! und bet ihn an Und lob und preise kniend seinen schöpfer! MARMÁRAKAS (erst zaudernd, dann immer freier begeistert)

Erlesen! Wirklich! Auserlesne frucht Aus einem edlen adelig besämten Und weichen leib, der ihn ans licht geboren Und aufgesäugt hat! Heil der tragenden! Und ehre gott, der diese menschensöhne Geformt aus wasser und aus erde! Großer Maimuna – aber – eben – hörs und staune, Hab ich im flug hoch über Asiens weiten, (Gewährs der zunge, dass sies sage, ehrend

125

Den schönen) – die noch schönere gesehn, Die herrin! Adel auf der stirn, vom haar, Vom fließend schwarzen ganz umflossen, ganz Gerahmt der hohe leib, der schimmernd weiße, Und milch ist öder schlamm, wenn dieses leibes Geweihte milch du fließen siehst – Allah! Die lippen noch im schlafe blühend rot, Die nase ein juwel, nein, ein kristall, Die schlangenwimpern biegen zu den brauen, Den engverwachsenen, den gegenbogen, Und hüften ahnst du, brüste ahnst du, zitternd Vor lust, und kniee, runde, zart im bug – Du stürbest, wenn du zu den edelwangen Im antlitz noch die andern wangen schautest, Nicht minder edle, minder nicht geformte, Und das was sie bekrönen ahntest, fühltest. MAIMUNA

Verworfne! Wagst du, was sich Asfrael, Der todesengel, nicht getraute? Er, Der jugend pflückt mit lust, der tausende Und tausende der schönsten sah, entblößt Vor seinem schwert, und wagst vorm schönsten Noch schöneres zu nennen, faselst grob Von deiner traummaid? Hündin, ich erwürg dich! Nein zerre dich zerfetzt durch alle höllen Wenn du mir nicht dies schönersein beweist! MARMÁRAKAS

Maimuna, komm, sei friedlich, lass dir raten: Wir holen sie und tun sie zueinander Und legen jene neben diesen, schaun Sie beide, weiden uns beglückt, und wenn du Es willst, so lass uns dann entscheiden, welchem Der preis gebührt.

126

MAIMUNA

Verwegne! Auf zum himmel! Und her mit deiner maid! Du reizest wahrlich Zum höchsten deinen herrn und am genick Will ich dich halten, bis du stöhnend, knieend Dein eingeständnis hergestammelt hast Vor diesem schatz der welt: dass ER der schönste .. Er packt Marmárakas am nacken, und sie entfliegen. Im nu erscheinen sie wieder, Budur tragend, und legen sie, unbedeckt im hemd, neben den bedeckten Kamar. Maimuna greift sogleich wieder nach dem nacken der Marmárakas, die sich ihm aber zu entziehen weiss.

MARMÁRAKAS Das liegende paar lustvoll betrachtend und sich zugleich immer wieder mit seitenblicken versichernd, dass ihr Maimuna nicht zu nahe kommt.

Bei Allah! wohlgelagert. Lusterbebend Erwart ich das gericht. MAIMUNA (die im anblick versunkene wieder beim nacken haschend)

Knie nieder! Bet ihn an, den schönsten! MARMÁRAKAS (sich durch tieftauchen befreiend und sich auftauchend in sichere entfernung bringend)

Der richter, wer? Maimuna, ich beschwör dich, Lass einen richter uns erwählen, schnell, Zu so erhabnem zwecke. Schau: der floh, Ich fing ihn grad aus meinem kleid – wir setzen Ihn erst an ihn und dann an sie, der andre Darf nicht zugleich auch wach sein, und wir schauen Was jedes tut, der floh macht das gericht! Wer heissre liebe zeigt, ist in der schönheit Geringer und bezeugt des andern sieg.

127

MAIMUNA

Bin einverstanden. Jeder, der ihn sieht, Ist schon an ihn verloren. Er indessen Lässt sich von niemand ziehen, den er zieht. Marmárakas setzt den floh dem Kamar in den nacken, beobachtet mit erhobenem finger und deutet mit dem finger in der Luft den augenblick an, in dem der floh sticht. Dann tritt sie zurück. Kamar wacht auf, fasst sich an den nacken, richtet sich halb auf, sich mit dem arm stützend, erblickt Budur und betrachtet sie staunend.

KAMAR (benommen)

Der duft, der mir entgegenschwebt, spricht sprache Von wunderbarem wesen, hüfte, die Ich fühle an der meinen, ist noch weicher Als rahm. Er setzt sich höher auf, nun auf den ausgestreckten arm gestützt, und schaut lange an Budur hinab und hinauf. Dann halb flüsternd:

Wie edelstein, wie eine kuppel Im sonnenschein, wie linien so fein Die hochgestalt. Du leichtes rot der wangen, Glanzstirne, nachthaar! (frei und offen)

Goldgesticktes tuch, Am haupt, juwelen drin, erlesene, An halsesturm die perlen, das sind königs Sind königskindes zeichen! Herr der himmel Du gibst mir ein das himmlischste verlangen, O süsse süsse diesen Leib umschlingen, Noch süssre süsse, in sie einzudringen, Mit ihr den süßten liebeskampf zu ringen!

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Allah! was je geschieht, nach deinem willen Muss es geschehn. Willst du, so muss ich stillen Dies süßeste begehren mir und ihr, Wenn sie begehrt. Er versucht, sie sacht an der schulter zu wecken, weckt dann, als sie reglos bleibt, immer kühner und wendet sie endlich an beiden schultern hin und her.

Wach auf du fürstliche, und schau mich an, Ich bin des königs sohn Kam’ az-Zamân. MARMÁRAKAS (beiseite zu Maimuna)

Wie gut, dass ich sie tief in schlaf gesenkt, Er hätt es schon zum wilden end gelenkt. MAIMUNA (beiseite zu Marmárakas)

Er macht mich zittern. KAMAR (innehaltend, sich aufrichtend, nachdenkend, dann:)

Oh, der vater hat Sie mir gesandt. Es ist die edle jungfrau, Mit der er mich vermählen wollte, weh! Ich hab es, himmel, ganz verweigert, doch Am morgen geh ich zu ihm, sag: vermähle Mich ihr! – ich küsse sie. Er neigt sich über sie zum kuss, spürt den duftenden atem und schaudert zurück.



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Vor Allah, Dem größten, hab ich scheu, und vor dem vater. Wenn der mich proben wollte, sie zu mir Gesandt mit schlafgebot und ihr gesagt: Was Kamar az-Zamân dir tut, das lass Mich wissen, und er stünde gar Verborgen irgendwo und sähe alles Und ich ihn nicht und spräche morgen: Kamar, Der ehe hast du widersagt, und was getan Mit dieser jungfrau? Sie geküsst, zu ihr Hineingegangen? Grausam blossgestellt Wär ich für immer! – ich enthalte mich Von jeglicher berührung. Er betrachtet Budur noch einmal, entdeckt an ihrer hand ihren siegelring – roter stein auf goldener kuppel – und fasst ihre hand.

Doch ich nehme mir Ein pfand, ein zeichen, das für mich und sie Bestehen bleibt, nehm ihr den ring, Er hebt Budurs hand und streift ihr den siegelring ab, schiebt ihn auf seinen finger und lässt ihre hand wieder sinken.

und schlafe. Er bettet sich mit dem rücken gegen Budur neben sie und schläft ein.

MAIMUNA

Edel, edel, mein schönster! Heil sei dir Und mir! Der sieg ist dein. MARMÁRAKAS

Wart ab, wart ab, Der vater wars, die sorge nur, zu stehen Am pranger vor dem eignen wort, d a s hielt ihn – Beschränktes edeltum – zurück!

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MAIMUNA (höhnisch)

Stich doch

Nicht mich, stich deine jungfrau! Marmárakas macht eine fratze gegen Maimuna und setzt dann sorgsam einen floh, den sie sich vom kleid fängt, unter Budurs hemd auf die wade, beobachtet mit erhobenem finger und deutet mit dem finger in der luft an, wie der floh seinen weg beinaufwärts nimmt und wie er, vier finger breit unter dem nabel, sticht. Dann tritt Marmárakas zurück. Budur erwacht, setzt sich auf, viel energischer als Kamar, und fasst mit der hand nach der gestochenen stelle. Da erblickt sie Kamar, der bei ihrem sichaufrichten schlafend auf beide schultern zurückgesunken und ihr so ganz sichtbar geworden ist, und be-

trachtet ihn staunend, lange. Dann wirft sie den kopf zurück. BUDUR

Schmach der welt! Ein fremder junger hier, ich kenn ihn nicht, An meiner seite auf demselben bett! Sie wendet sich Kamar zu, betrachtet ihn von neuem und spricht zunächst halb flüsternd, wie unfreiwillig, vor sich hin:

Schönstes gebild Allahs, des menschenbildners! Der mund trägt aufgeprägt das hohe siegel Des Salomon, ein künftiger herrscher. Heil Den ihm ergebenen. (frei und klar)

In mein morgengrauen Kommt licht! Ein klares, alldurchdringendes! Ich liebe ihn. Ich bin in schande. Nein: Bin bei mir selbst! – Hätt ich gewusst: er wärs, Der warb um mich bei meinem vater, hätt ich Die ehe nicht verhöhnt.



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Sie beugt sich vor und schaut Kamar genau ins antlitz. Dann entschlossen, zärtlich:

Gebieter du! Mein augenlicht, wach auf und freu dich meiner! Sie berührt ihn sacht mit der hand und bewegt ihn leise hin und her.

MAIMUNA (heimlich zu Marmárakas)

Wie gut, dass ich ihn tief in schlaf gesenkt! Nein schade! denn ich hätte meinen sieg! Sie würfe sich auf ihn, sie fasste ihn Und zög ihn ganz in sich hinein! MARMÁRAKAS

Wart ab! Der deine hat am anfang auch gewollt, Erst dann entsagt. Budur bewegt Kamar immer heftiger, fasst ihn mit beiden händen an beiden schultern und beginnt, ihn zu schütteln, immer wieder innehaltend. Dabei erst leise mit pausen, dann lauter:

Wach auf .. wach auf .. wach auf! Wach auf aus deinem schlaf! Bei meinem leben, Bei Allah, hör auf mich und schau mich an, Sieh mich an deiner seite, deine, nimm mich Zu dir, sei mein gebieter, einziger, Nimm dir, all was ich habe, was ich bin. (sie hält inne)

Ah, du bist stolz, auf deine schönheit, anmut! Doch schön bin ich, bei Allah, auch! wie du! Was heißt das? Hat man dich gelehrt, du solltest Mir spröde tun? Hat dich wol gar mein vater

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In eid genommen, dass in dieser nacht Du nimmer mit mir sprichst? Gebieter, sprich! Sag mir ein wort! Gib antwort! Sag mir, wie Du heißest? Ah, weshalb so stolz? Sie bewegt ihn wieder, fasst seine linke hand und sieht ihren ring an seinem finger, entzückt:

Geliebter! Du liebst mich. Wärst du sonst zu mir gekommen, Derweil ich schlief, nicht wusste, was du tatest? Und hättst den ring genommen? Doch ich will ihn Dir lassen, nicht vom finger wieder ziehn. Sie öffnet ihm das hemd am hals, legt erst die hand auf seine brust, dann neigt sie sich zu ihm und küsst ihn auf die brust. Dann streicht sie mit der hand an ihm herunter, schaudert, reißt sich los. Dann streicht sie ihn wieder, nun von seiner rechten schulter herunter, findet seine andere, die rechte hand, fühlt an ihr und sieht dann seinen siegelring.

Da ist sein ring. Ich nehm ihn. Er ist meiner. Sie zieht seinen ring ab und nimmt ihn an ihren finger. Sie küsst seinen mund, seine hände, behaucht die ganze gestalt mit küssen, legt ihren einen arm unter seinen hals, den andern über seine brust, schmiegt sich, vom zuschauer abgewandt, an ihn und schläft ein.

MAIMUNA (zu Marmárakas)

Hast du gesehn, verfluchte, wie er stolz Abweisend war und wie dein mädchen brünstig An ihn sich drängte? Schöner ist er, schöner! Doch ich vergebe dir! Hinweg mit ihr!



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MARMÁRAKAS (beiseite)

Hast d u gesehen, wie sie himmlisch war? Noch königlicher, freier! ihn im lieben Weit übertraf? (zu Maimuna)

Ich höre und gehorche. Sie lösen die schlafende Budur von Kamar, heben sie, zu häupten und an den knieen fassend, auf und entschwinden mit ihr nach links. Pause, in der man Kamar still zwischen den lichtern liegen sieht. Die lichter gehen aus. Ein morgenschein kommt von oben durch eine nicht sichtbare öffnung im gewölbe. Kamar erwacht, blickt um sich, findet sich allein.

KAMAR

Hab ich geträumt? Nein, ich hab wahr gesehn! Geträumt hab ich, denn solche schönheit kommt Nicht vor auf erden. Er schaut auf seine hand und sieht Budurs ring, tastet ihn ab mit der andern hand, bemerkt, dass sein siegelring fehlt, hebt beide handrücken vor die augen.

Wahr hab ich gesehn! Der ring an meiner hand ist ihrer, meiner Ist fort, bei ihr, an ihr! (Er senkt die hände)

Ich werde rasend. Soll so ein ring, ein rundes dummes ding, Das in sich selber beißt, ein glied von ihr Umschließen, liegen eng an ihrer haut, Sie streicheln, wenn sie an und ab ihn streift Und fühlen, wie sie in ihn fährt, und wieder Umspannen süßes glied von ihrer hand, Sie selbst! Und ich lag neben ihr und habe 134

Sie nicht berührt, verfluchtes misstraun, vater, Dein gift war wild in mir, du hast mich grausam Bekehrt, und doch: ich küsse deine hände, Dass du es so mit mir gemeint, das auge Mir schmerzhaft brennend aufgetan. Ich rase, Ich hasse dich, ich liebe dich, nein niemand Und nichts mehr lieb ich ausser dieses bild: Du grosse, süße, reiner alabaster, Lebendiger edelstein – nein: ebenholz Und elfenbein verbunden und zum leben Erweckt, zum neuen sein als wunderbild Als männin, die das leben mir erfüllt. Ich wollte nicht hinein in dieses spiel Von finden und verlieren, wiederfinden Und doch entschwinden sehn. Ein grauen Davor entsprang im geist und wand sich mir Ums herz, schien mir wie schutz. Der mächtige Hat mich gefasst: ich dien, ich dien, ich dien. ’S ist sie, die mir die brust, den atem schwellt, Die mich behaucht, die mich am leben hält. Ich suche sie im weiten breiten feld, Und müsst ich suchen bis ans end der welt. Er erhebt sich vom lager, und während er sein obergewand vom brunnenrand nimmt und sich überstreift, hört man das tor aufschliessen und wärtel und wesir erscheinen rechts vom brunnen.

WESIR

Prinz, ihr seid frei! In gnaden! Heimgerufen! Den vater reut ein jedes harte wort, Er ehrt euch hoch, ehrt euren sinn, er will Euch bald an seiner seite sitzen sehen, Die hand euch legen unters kinn. KAMAR

Da hätt ich Noch ein beding: das mädchen diese nacht, Das ihr zu mir gelegt, entrückt – wer war sie? Woher? Wohin? Wo ist sie jetzt?

135

WESIR

Es gab Kein mädchen, als vielleicht in eurem traum? Verschlossen war das einzige tor, versiegelt! KAMAR

Verleugnen mag der feine spieler spiele Der hohen list, geheimes lassen im Geheimen, doch gebt heut dies einzige zeichen, Dass ihr mich ehrt, mich anerkennt: sagt wahr! WESIR

Ich sage wahr! Der schlüssel zum gewölb Lag unter meinem kissen diese nacht. Und nie, bei Allah, wäre je gewesen In eures vaters oder meinem sinn Ein solches spiel mit euch. Der mann ist ganz Nur ohne weib in seinem arm, ihr sagtet Es selbst und habt uns alte groß belehrt: Nur ohne weib, das ihn zerteilt und nimmt Die hälfte, will und nimmt das ganze, Man lasse sie in ihrem – zeugen ist Ein kurzer nu, geniessen noch ein kürzrer Ein nu im nu – und bleibe, was man ist, Und tue ungehindert, was befehl Von oben. KAMAR

Oh, dann wisst ihr nicht vom weib, Von dem, was mir erschien, vom zweiten wesen. Was ihr gesagt, was ich für bessres wissen Und tiefres ahnen hielt, war nur gered Vom üblichen verhassten. Euer sinn Ist zu, ich bin allein, bin abermals Allein, nun m i t dem zweiten menschen Wie erst ohne ihn.

136

WESIR

Ich wähnt euch klar und fest. Prinz, kommt zu sinnen, kommt zum vater, schon Erwartet euch die huld, sein herz, das reich. KAMAR

Wenn ihr um dies nicht wisst, seid ihr nur welt, Seellose, die in leeres morgen fällt aus leerem gestern über leeres heut. Mir ist gewiss, was mir das herz gebeut: Ich will nicht herrschen, stürzen, leuchtend stehn, Ich will nicht siegen und nicht untergehn, kenn keinen vater, eh ich sie gesehn. Er stürzt auf das tor zu und entschwindet ehe wesir und wärtel sich vom staunen ermannen können.

WESIR (ihm nachblickend)

Der junge, edle, er ist hochgereift, Er geht, damit er nach dem höchsten greift. Ich sags dem vater, dass er heilig wacht, Bis ihm das los den sohn zurückgebracht.

VIERTE SCENE Stadttor zu einsamer stunde. Ein eckensteher sitzt, lehnt gelangweilt herum, wechselt öfter den platz und die stellung. Kamar tritt auf in reisekleidern (bündel) wie von weiter wanderung durch die welt. Er erblickt den eckensteher und spricht ihn von ferne an.

KAMAR

Ist das des sultans stadt?



137

ECKENSTEHER

Wer fragt gewinnt. KAMAR

Und was gewinn ich? ECKENSTEHER

Nachricht, wenn du willst. KAMAR

Die will ich! ECKENSTEHER

Also frag! KAMAR

Und weißt du auch, Was ich dich frage? ECKENSTEHER

Nein! KAMAR

Dann wüsst ich nicht, Wie ich dich fragen sollte. ECKENSTEHER

W e i ß es doch! KAMAR

Dann brauch ich nicht zu fragen, sags mir so! ECKENSTEHER (langsam, lauernd)

Da ist e i n m a l der sultan. KAMAR

Meinst du wirklich, 138

Dass ich von dem was wissen will? ECKENSTEHER

Und dann Ist da auch der wesir. KAMAR

Und vom wesir Zu wissen, glaubst du, drängt es mich? ECKENSTEHER

Wesir Ist einer, der die sachen kann und macht, Damit ein andrer herrscht, ein wichtiger mann. KAMAR

Das meinst du wirklich? Oder sagst es so, Auf dass du das verbirgst, was du nicht weißt, Wonach ich frage? ECKENSTEHER

Eine königstochter Gibts auch, ein gutes mädchen. KAMAR

Siehst du, mann, Das hättest du doch gleich erfinden können. ECKENSTEHER

Ein gutes mädchen, wenn sie nicht verrückt Da oben, weißt du, ganz und gar verrückt, So ›nicht bei sinnen‹ sagt man, wäre, doch bei sinnen Ist s i e vielleicht allein. Sie sinnt und sinnt, Die wärtlin hats mir anvertraut, und keiner Im ort, ders nun nicht weiß von mir, sie sinnt Und sinnt auf einen, auf das eine, das ihr So wichtig ist und will es greifen, fassen. Da legen sie die schöne ganz in ketten Und sagen: ist verrückt. I c h sage: lasst Sie frei, dann tut sie, was sie sinnt! Doch tun

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Des töchterchens ist ihm nicht einerlei, Dem sultan, und der sultan ist der sultan, Das weiß auch der wesir, und so: in ketten! KAMAR

Was denkst du, dass sie täte, wär sie frei? ECKENSTEHER (zurücktretend)

Was du nicht wissen brauchst, du eingeschneiter! Glaubst denn, ich lass mich von dir schnellen? Prellen? Mit fragen kitzeln, die dir wichtig sind Und mir nur luft? Da weiß ich eine katze, (sich annähernd)

die schnurrt nur, wenn du unterm kinn sie streichst. KAMAR steckt ihm schnell ein goldstück in den hals hinter dem gewand

D a m i t vielleicht? Das geht vom kinn zum hals, Vom hals zum bauch hinunter. Schnurrst du jetzt? (Er tritt zurück vor den letzten worten)

ECKENSTEHER (ihm langsam wieder näherrückend)

Dass du vom streicheln was verstehst, das sah ich An deiner nasenspitze, und die tochter Des sultans wär vielleicht, wer weiß, zu retten Mit streicheln. KAMAR

Danach hab ich nicht gefragt. 140

ECKENSTEHER (gebärdig immer näher tretend)

Grad deshalb sag ichs dir genau: ein ganz gewisses Gekonntes streicheln rettet sie allein. Und außerdem, das streicheln bringt was ein: Ein königreich und eine hohe pforte, Durch die hineinzugehn sich schicken könnte Für so ein bild. (er deutet auf Kamar)

KAMAR (scheinbar auf ihn eingehend)

Wie ist denn deine schöne So aufgetan? ECKENSTEHER

Die haare schwarz und lang, Die wimpern seide, mund rubinenrot, Das auge durstig groß, verwachsne brauen, Und was man sieht vom leib, ist weiss und zuckern, Und was man nicht sieht, sagt die wärtelin, Noch zuckerner, und zwischen haar und sohlen Ist viel dazwischen, du, und einen ring Hat sie am finger, einen rotbesteinten, Der macht den lippen konkurrenz, den liebt sie Wie einen abgott, ihres wahnsinns ursprung, Denken die andern, und sie schwur, den finger Sich abzubeißen, nähm man ihr den ring. Juwel liebt das juwel. KAMAR einen seufzer des glücks in ein leises auflachen verwandelnd, dann herrisch:

So zeig den weg!

141

ECKENSTEHER (zurückfahrend)

Da musst du erst bei mir noch üben, lernen! Ich habs ganz gern, wenn du so nah mir kommst Am hals mit so was glattem, weisst du, mein ich, Das bis zum gürtel glitscht und dort mich kühlt, Wo mirs am heißesten. KAMAR ihm langsam nachgehend und ihn bei seinen letzten worten erreichend, lässt ihm blitzschnell zwei goldstücke am hals ins gewand gleiten.

Und zweimal, mein ich, Streicht besser als nur einmal. (Er tritt zurück)

ECKENSTEHER

Wusst ich doch, Dass du vom streicheln was verstehst. Vielleicht Bist du vorausbestimmt zum oberstreichler Der herrin Budur. KAMAR

Frechheit ist ein weg Zum wissen. Lässt dus nun heraus? ECKENSTEHER

Ja, sieh: Dem sultan wars zuletzt zu arg, zu lang Das mit dem sinnen und das mit den ketten, Und dem wesir ist lang, was seinem sultan Schon lang ist, länger, mein ich, als dem sultan. Und ausgeschrieben haben sies im land,

142

Dass, wer die tochter heilt, dass der die tochter Bekommen soll und noch dazu das reich. Die erste nähm ich gern, und ließe gern Das zweite dem wesir. KAMAR

Doch wenn das erste Nicht sein kann ohne dieses zweite, lässt sich Doch auch das zweite nehmen. Sag: wie trägt sich Bei euch ein arzt? ECKENSTEHER

Was nützt dir aber tochter Und reich, wenn du den kopf verlierst? KAMAR

Den kopf? ECKENSTEHER

Ja, weißt du, dass nicht jeder hergeschneite Und zwirn und zwerg am königstöchterchen Herumpfuscht, hat mans ausgeschrieben, dass Den kopf verliert, wer da umsonst mit salben Und handauflegen, weihrauch und gebet Herumbeschwört, sich nähren lässt und nur Das sinnen schlimmer macht und ihre wut Noch steigert, denn sehr wütend kann sie sein. KAMAR

Du bist nicht logisch. Wenns mir nicht gelingt, Krieg ich die tochter nicht und nicht das reich. Und wenns gelingt, behalt ich auch den kopf.



143

ECKENSTEHER

Das ist nun d e i n e logik. Wollen sehn, Ob deine oder meine zieht. Mein herrchen, Ich wünsch dir gutes glück, und ärzte tragen Bei uns den turban dreimal größer, dicker Als ihren kopf, und glaub nicht, dass ein hähnchen Grad frisch auf einen neuen mist gesetzt, Gleich krähen kann. Nur zu! Gut glück. (Er springt durchs tor davon)

KAMAR

Die pest In deinen hals! Doch nein: noch einmal drei, Nein dreißig, dreißig hundert, dreißig tausend Von goldnen streichlern, wenn du wahr gesagt. So nah ich meinem los und scheue nicht, Was es mir bringt – der himmel hält gericht. Was kommt, das steigt aus diesem heiligen ei: Mein wahnsinn mach vom wahn die herrin frei!

FÜNF TE SCENE Gemach von Budurs vater, dem sultan el-Ghajur, nicht unähnlich dem gemach von Kamars vater in der ersten scene, mit tacht (thron) auf einer stufe und sitzkissen und stützkissen an den wänden. Sultan und wesir, nicht unähnlich Kamars vater und seinem wesir, aber gleichsam verjüngt, stehen im vordergrund rechts nah der eingangstür. Ein fenster an der linken wand des raumes über der thronstufe. Morgenlicht.

EL-GHAJUR

Der neue werber, wie?

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WESIR

Das ist kein werber Der hat ein wesen ernstest und bescheiden, Und doch wie einer, der aus gnade gibt, Der nichts für sich begehrt, weil ers nicht braucht, Schon hat, was er empfangen könnte. EL-GHAJUR

Nun, Dann lass ihm seine habe, wir behalten Die unsre. WESIR

Haben wir sie denn? Und suchen nicht, dass einer sie uns gibt? Und da ist einer, herr, ich bleib dabei, Der einem geben könnte, was man hat, Weil er durch wesen weiß. EL-GHAJUR

So lass ihn kommen. Allein, wer ist er? WESIR

Gibt sich nicht zu kennen, Gibt sich als arzt, der heilen will, und spricht Von großer welterfahrung, trotz der jugend, Auf weiten fahrten, und von arzterfahrung Durch eigne krankheit. Doch auf seinem mund Hat er das herrschersiegel, auf der stirn Die leuchtenden gedanken, und sein gang Ist eines königssohnes. EL-GHAJUR

Bring ihn her! Der wesir geht Kamar holen. Der sultan bleibt allein, geht einmal auf und nieder, lässt sich auf dem tacht nieder.



145

EL-GHAJUR

So hat der kluge, weise ist er trotz Des grübelns das ihn plagt, noch nicht geredet. Den eidam prüf ich, der das kostbare Gewächs aus hoher ahnen blut beglücke Und seiner würdig sei, den künftigen herrscher Erforsch ich, ob er wohnt in ihm, der nächste Nach mir und mit mir, will es das geschick. Der wesir kommt mit Kamar zurück, Kamar trägt den weiten gelehrtenumhang, der, vorne offen, arme und hände mitbedeckt. Sein gesicht ist bleich und bleibt still entschlossen. Er neigt sich vor dem sultan.

EL-GHAJUR (Kamar mit eindringlichem blick messend, dann:)

Willkommen, junger freund, und gut gekommen! So mög es sein, das wünsch ich dir und mir! KAMAR

Mein sultan, herrscher, euren guten wunsch Geb ich zurück mit ehrerbietung: mög ich Euch gut gefunden haben, euch und allem, Was teuer euch, und mir weil es das eure, Zum guten kommen! EL-GHAJUR

Jüngling, hast du mut? KAMAR

Ich stünde hier nicht, wenns daran gebräche. EL-GHAJUR

Du weißt noch nicht, was dich erwartet, weisst es Durch diesen, aber weisst nicht alles. Hör Auch mich! Der arzt, du nennst dich so, muss vieles Und muss von vielen hören, dass zuletzt ihm Ein bild gedeiht. Ich hab die tochter ehdem, Es sind schon jahre und sie war im alter 146

Zur ehe, wohl vermählen wollen, aber Gewiss nicht blind und ohne zwang. Sie sollte Den gatten wählen aus den werbern, die Sich zeigten, unter denen ich gewählt. Sie hats verweigert, heftig, schnell, entschlossen Für eins und immer, ohne hinzusehn Auf einen. Schon die namen, sprach sie, hätten Von jedem ihr genug gesagt. Sie spüre Unwesen dieser nichtgestalten, die Sich männer nennten und sich unterschieden Von röcketragenden durch ihre tracht Und manches sonst, doch nicht sich unterschieden Von dem, was eben männer und was weiber Gemeinhin seien. Ja, sie wisse wohl Zu schätzen die besondren gaben, die Der eine und der andre vorzuweisen Und darzubringen hätte – ihr gölt e i n e s Allein: das wesen und das fehle ganz. Sie folge niemals einem solchen, folge Dem eigenen gebot, das in ihr spräche. Sie blieb dabei. Wir sparten nicht an reden, An ernst und scherz und rührten auch, weils not war, Ans tiefere geheimnis, an die pflicht. Sie blieb dabei, bis da, nach einer nacht, In der, ich weiß nicht was geschah, sie sehr Verwandelt war, noch härter im verweigern Des nahgelegten, hingerissen ganz Von bildern, wie sie sagte, die sie zwängen, Beglückten, quälten. Und ein goldner ring Mit rotem stein an ihrer hand war seitdem Ihr abgott, den sie trug, wo vorher immer Ihr siegelring geleuchtet, goldnes mal Mit rotem stein. Wir suchten ihr den ring, Den neuen, zu entführen, wähnend, zauber Hab sie geschlagen. Doch sie wurde rasend Und schwur, sich selbst zu töten, nähm man ihr Den ring. Wir mussten sie in ketten legen Und konnten nicht ergründen, was sie trieb Seither.

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KAMAR

Ich werd es wissen, wenn ich sie Gesehn. Führt mich zu ihr. EL-GHAJUR

Und woher willst du Es wissen, wie ergründen? KAMAR

Herrscher, Der arzt sucht immer beispiel zu dem beispiel, Dass eins zum andern, zug um zug, die züge Zum bilde gibt. Ich kenne einen fall Von großer ähnlichkeit: ein weites reich, Ein schönes, fast wie deines, einen könig Und einen wesir, fast wie du und er, Und einen königssohn, der, fast wie sie, Die tochter, die du schildertest, die ehe Verweigert und in streit mit seinem vater Und wahn gekommen. Und vielleicht Löst hier sich jenes rätsel aus dem deinen Und deins aus jenem, wenn ich sie beschaue Und prüfe und das eine mit dem andern Vergleiche. Lasst mich jetzt beginnen! Bringt mich Zu ihr. Doch ein beding: ich muss allein Sie sehn. EL-GHAJUR Erhebt sich vom tacht, tritt vor, bleibt aber auf der thronstufe stehn.

Du bist so schnell im gang. Erlaube Noch eine frage: wenn es dir gelingt Dass du sie heilst, so sollst du könig sein. KAMAR

Ich heile nicht um eine braut und nicht Ums königtum. Ich heile, w e n n ich heile, Weil ich es muss, es käm danach was immer.

148

EL-GHAJUR

Doch ist es so gesetzt, dass, wer sie heilt, Ihr gatte wird, und dass er könig wird. Wie denkst du dir das königsein? KAMAR

Nicht leicht. EL-GHAJUR

Und doch verlockend? KAMAR

Herr, ich möchte nicht Die worte setzen vor das tun. Ein könig Ist, wer ein könig ist, und wem es Allah, Der größte, gibt, dass er das heil der andern Aus seinem wesen wirkt. EL-GHAJUR (nach langem blick)

Seit gestern weißt du Von dem gesetz der probe. Willst du heut noch Dein leben wagen und dein junges haupt? ’S ist so wie in der schlacht, wenn männer kämpfen Ums einzige ziel, sieg oder tod, du willst? KAMAR

Ich will. EL-GHAJUR (zum wesir)

So führ ihn zu ihr, aber nicht So ungestärkt, er nehme einen trunk Vom besten trank, den wir zu bieten haben. Und gib ihm zeit zum beten .. Keiner sei



149

Dabei als nur die wärtlin. Ich bereite Mich drauf, dass ich zwar selbst auch nicht dabei Doch in der nähe bin, im saale. Geht! Der wesir führt, sobald sich beide verneigt haben, Kamar hinaus.

EL-GHAJUR (den beiden nachblickend)

Der kluge grüblerfreund hat nicht zuviel Nein, nicht genug gesagt, d e r ist vom besten. So geh er glücklich, meine wünsche sind Gleich stark: für ihn, das reich, für dich, mein kind!

S EC H S T E S C E N E Gemach der herrin Budur mit nur halb durch einen vorhang abgetrenntem vorgemach. Budur auf einem lager in silbernen ketten, die je ein handgelenk mit einem fußgelenk locker verbinden. Außerdem sind die beiden handgelenke vor dem Leib aneinandergekettet, aber so locker, dass die arme sich noch ziemlich frei bewegen können. Sie liegt auf dem rücken, das eine knie erhoben, die beiden ellenbogen aufgelegt und die unterarme aufgerichtet, so dass sich die kette zwischen den handgelenken über ihr spannt, die augen starren nach oben.

BUDUR

Wie lang noch? Stunden? Tage? Jahre? Allah, Nimm mich hinweg! Vernichte! Wirst du nimmer Vom leiden satt, das dir die herzen zollen Und das dich freut, so scheints, und dich berauscht, Und machst ein end? Wenn diese silberfesseln Mich nicht entmächtigten, ich tät es selbst! Genug! Genug! – Oh, bilder, kommt ihr wieder Und wollt nicht, dass ich frei sei? Saugt an mir, Und macht euch gross und reich aus meinem blut? Und saugt noch kräftiger und mächtiger – Wars nicht in jener nacht? Ich weiß es wohl, 150

Und tu, als wüsst ichs nicht, damit ich wieder Mich fragen kann: wars nicht in jener nacht? Ich lag, wo lag ich? Fand, wo fand ich? einen Der bei mir lag, und alle sinne sprachen, Die sonst nur schweigenden, verschmähenden, Verachtenden, sie sprachen, sagtens, zitternd Vor freude, wach mit einmal, kühn mit einmal, Wissend mit einmal, tönend klar: Er ists! Es gibt den zweiten menschen, gibt den ersten. Ich war der erste und bin nun der zweite. Ich sah den zweiten, jetzt ist er der erste, Der einzige: ich selbst! Und mehr als ich! Gefunden jäh, besessen jäh, verloren Noch jäher! Und so kurz das finden war, So lang währt das verlieren, lang und tief, Und immer tiefer dunkler wird die nacht Und immer dunkler glüht sie von dem leuchten Der bilder, glüht und deckt mir alles zu. Genug! Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr. Die wärtelin tritt ein, bleibt abwartend ferne stehen, besorgt, die kranke nicht zu reizen, und ihren zustand abmessend.

WÄRTELIN

Ein neuer arzt, mein täubchen, ist gekommen. BUDUR Ohne ihre stellung zu ändern, erst träge mit dem sprechen beginnend, dann jäh es bis zum ausbruch steigernd und jäh wieder gleichgültig.

So einer von den nichtigen fanten? Einer Der geilen alten? Einer, ders mit glauben Und beten machen will: der liebe gott Wird helfen, wenn man knixt! So ein verworfner, Der denkt: die mach ich kirre? So ein ahnungsloser, Sein wissen hindert, dass er was verstünde, Quacksalber, ders gelernt mit mitteln handeln Und sie und sich verkaufen, sein geschäft Im auge hat und an der stirne, stirne

151

Ist gut gesagt für dieses vorderleder, Den dünkel seiner zunft, und schimpft sich arzt: Wir dürfen leiden, und die gulden klimpern. Und wenn die duldende natur sich selbst Nicht hilft und trotz der mittel siegt, so bleibts Experiment: man machts, man reiht es ein. So einer wird es sein. WÄRTELIN die bei den träge gesprochenen stellen beobachtend vorgerückt, bei den heftig gesprochenen zurückgewichen und bei diesem hin und her doch ein stück vorwärtsgekommen ist

Nein, gar nicht, herrin! Ein feiner ists, ein weitgefahrener mann, Ein süßer, junger, doch ein wissender Der trägt den turban des gelehrten, doch Die stirn ist frei, der mund von witz, die hände Sind schnell, nicht ungeschickt, die rede klug, Gelassen t u t er nur, die augen brennen, Er fragt und fragt mit künsten. BUDUR

Woher hast dus? WÄRTELIN

Der eckensteher, unser fühlhorn, sagts. Er hat am tor ihn einvernommen, seit Verfolgt, weiß alles: gestern hatte er Ein langes vorgespräch mit dem wesir, Jetzt grad war er beim sultan. BUDUR

Mädchen, hat dich Dein schräger freund doch wieder eingewoben, Damit er geld sich macht. Kein einzig zeichen Ist am bericht, dass wirklich einer kam, Und dass und wie er wirklich ist.

152

WÄRTELIN

Du irrst: Er sah den ring an seinem finger, mehr An wert als manches königreich, ein roter stein Ein liebentzündender auf goldnem hügel … BUDUR Jäh auffahrend und sich der wärtelin mit wilden blicken zuwendend, dann gleich wieder scheinbar gelassen, sich auf die seite legend, den kopf auf die hand stützend.

Wer ist der mann? Die haare? Farbe? Hoch Gewachsen? Schlank? Die Lende weich und voll Und biegsam, nichts von starrheit? Brennend, Sagst du, das auge? Ich habs nicht gesehn, Dies licht! Ich rede irr! Hinweg! Du weißt nichts Von bildern, die der seele reizend, tröstend, Entflammend, tötend auf- und niedergehn. (Schritte)

WÄRTELIN

Sie kommen! BUDUR

Käm der eine, einzig eine, Wär ich genesen, frei, und wär die seine.



153

SIEBENTE SCENE In den kleinen, vom schützenden halbvorhang gebildeten vorraum treten Kamar, verhüllt im grossen gelehrtenumhang, und der wesir. Die wärtelin tritt an den rand des vorhangs. Kamar und Budur spielen mit scheinbarer kälte, ihr geheimnis wahrend, doch mit immer sich steigernder leidenschaft.

WESIR zugleich zur wärtelin und durch den vorhang zur herrin sprechend:

Ein großer arzt ist angekommen. Sage Es deiner herrin, dass sie ihn empfange Und ihm in allem willig sei. Ein heiler, Der heilen kann, von junger lippe und Von weisem haupt. Der sultan hat befohlen, Dass er, so macht ers zum beding, alleine Mit deiner herrin sei, nur du dabei. Ich harre hier. Wenn deine herrin dies Befiehlt, ruf ich den sultan, der sich nah Im saale hält. WÄRTELIN wirft einen fragenden blick auf Budur, die langsam mit dem haupte nickt, dann zu Kamar:

Tritt ein, die herrin wills. KAMAR tritt, während die wärtelin sich in die rechte vordere ecke des raumes zurückzieht, und während der wesir sich wartend auf ein kissen im vorraum niederlässt, neben den rand des vorhangs und verneigt sich tief vor der regungslosen Budur. Budur, bis dahin auf den arm gestützt, ohne regung verharrend, lässt sich auf das lager zurücksinken, hebt wieder die hände mit den ketten und schaut zur decke. Kamar, ohne die augen zu erheben:

Aus weiter ferne komm ich, hab am tor Der stadt erst was euch quält erfahren. Hoffnung Trieb mich heran, dass ich euch helfen könne. Nichts denk ich meinethalben zu erwerben, 154

Nicht schatz noch macht, um eure heilung kam ich. Ich heb das aug nicht auf, bevor die hand Die eure fassen durfte, schau das antlitz Nicht, ehe ich die hand gesehn, befühlt, Berührt mit meiner hand, an der mein ganzes Geheimnis liegt des heilens, das euch nur, Wenn eure hand und meine sich begegnen Und sich erkennen, helfen kann, das nur Mich rettet, wenn die meine eurer frommt, Von eurer wieder kraft in meine kommt. BUDUR

Ich will den blick nicht wenden von der decke, An die mein wahn ihn lang geheftet und An der die bilder mir erschienen groß Und untergingen, meine nacht erglühte Und auf mich niedersank, ich will den blick Von dort nicht wenden, euer antlitz nicht Erspähn, zu dem die stimme lockt, bevor ihr In diese meine blicke eure hand Gebracht, von der ihr spracht: die mulde und Den rücken will ich sehen dieser hand, Von der das heil uns kommt, wenn heil gegeben Für euch und mich. Hebt mir entgegen beide, In meine blicke eure hände, meine Will ich in eure dann erst legen, wenn Die euren mir die rechten mulden scheinen, Die meinen zu bedecken und zu streichen Auf sie den strich, den heilig rettenden. KAMAR

Ich heb die hände, nahe mich mit ehrfurcht, Und reiche sie den augen, die zu schauen Ich hoffe, wenn ich wieder meine blicke Zu eurem antlitz, Allah, wenden darf.



155

BUDUR sieht an seinen über die ihren erhobenen händen ihren ring. Leiser fast ächzender schrei.

Ich hebe die geketteten zu euren, Eh ihr sie niedersenkt zum heilenden Zum segensstrich, schaut meine an und prüft: Sind sie die eure kraft empfangenden? KAMAR richtet die augen auf Budurs hände, öffnet die seinen, dass er die ihren sieht, und erblickt an ihrer hand seinen ring. Tiefer atemzug.

Ich senke meine hände auf die euren. Gewährt mir Allah alldurchdringendes, Ergebenes flehen, heilig hoffen, springt, Sein zeichen, helle ketten! (Die ketten fallen von Budurs händen und füßen)

Ihr seid frei! Erhebt euch! Kniet mit mir! Und steht mit mir Vorm einen höchsten allbeherrschenden Und gütigen gott! Budur, Kamars hände nur leicht berührend, hat sich wie schwebend vom lager erhoben, kniet mit Kamar, knieend umschlungen. Sie stehen auf, einander zart in den armen haltend und sich ins antlitz schauend.

BUDUR

Er ist der arzt, du bist Der arzt: das heil. Heilst aus dem grund und deine Geweihten finger reissen leicht die ketten, Die strickenden, und lassen pulse frei, Die springen, fliegen. Du bist steuermann, Der wieder lenken macht das eigne steuer In diesem geist. Wesir! Beruft den sultan!

156

Erst als der sultan, vom wesir herbeigeholt, erscheint, lösen sich Kamar und Budur und schauen ehrerbietig dem vater entgegen, der stumm und gross betrachtend innehält.

BUDUR

Vater, ich bin geheilt, bin frei, gebunden An den befreier. EL-GHAJUR (zu Kamar)

Herr, wie tatet ihrs? KAMAR

Ich komm aus einem andern leben, schaute Das deine dort: dein kind, und ward der ihre, Der deine. Lange suche ist verhängt, Eh das, was sich gehört, sich tief empfängt. Nimm sie an deine brust, dir gibt sie DER , Der, allbefehlend, leicht und herb und hehr In wunderbarer süße herrscht im nu: Nimm sie in deinen schutz, nimm mich dazu! Der sultan schließt Budur und Kamar in seine arme. Der wesir steht betend, mit waagrecht erhobnen unterarmen, links, die wärtelin steht betend rechts neben den dreien.

EL-GHAJUR (noch in der umarmung)

Kind, herz und leben, süßes! Du, mein sohn! Geschenkt, verloren, höher als ein thron Zurückgeschenkt, dazugeschenkt: gekommen Zu geben mehr, und mehr als je genommen!



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KAMAR die umarmung lösend, zurücktretend nach rechts so dass sultan und wesir nun, Budur in die mitte nehmend, eine gruppe bilden, der Kamar gegenübersteht, hinter ihm die wärtelin, die zurückgewichen ist, in gemessenem abstand.

Du bist mein vater, ich erkenn dich wieder, Und dieser ist mein väterlicher freund, Dem ich, nebst dir, viel unrecht angetan In jenem leben, draus ich komme. Lauf Des rades hats gedreht. Sie geben jetzt Durch euch, was sie nicht gaben, und ich geb, Was ich euch nehme und was ihr behaltet, Und bring es jenen. Und ich nehm zurück, Was ich euch, beiden, gab: Getauschtes glück. Lass gehn uns, wenn du uns gesegnet, dass Ich bald dem vater und dem vaterfreund Verkünde: wie ich sie in ihm und dir Gefunden hab, und eine herrin mir, Dass wir nun beide ziehn aus einer zeit In neue zeit zu neuer wirklichkeit, Dass, was uns aufgegeben jetzt beginnt. BUDUR

Und lass mich sehn wie neues los sich spinnt, Wie wir in zeiten greifen, uns verwandeln Wie die geschicke reifen wenn wir handeln. EL-GHAJUR

Nicht schneller als die sonne steigt und fällt Darf einer gehn in so beschiedner welt. Ihr zieht, wenn ihr geblieben seid ein jahr, Denn jahr um jahr nur wird das leben wahr. Das kind entlass ich, ihr seid e i n gesind, Das schenkt mir s i e zurück und dich zum kind. Sultan und wesir entlassen Budur zu Kamar, lassen die beiden voranschreiten und folgen ihnen.

158

WÄRTELIN in die mitte tretend, erst den andern nachblickend, dann ad spectatores

Mir ist so seltsam reich, ich schau zurück Und schau nach vorne, groß und neu das glück. Von gebend nehmend geben hört ich viel Das ruft mich mit zum weg in neues ziel, Ruft mich ins wagnis froh und ängstig-kühn, Ich seh mit euch das unbekannte glühn, Mir schlägt die gleiche stunde, ich bin euer, Ich zieh mit euch ins große abenteuer.



159

ISHAK

PERSONEN

ISHAK

Hofdicher am kalifenhof in Bagdad unter Harun er Raschid, dann unter seinem jungen sohn el-Mamûn

EL-MAMÛN

Der junge kalif

CHADIDSCHA KUTALKULUB MUNIS AÏSCHA BUNBANA

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Vier Mädchen der Chadidscha

ERSTE SCENE

Glatte weiße hauswand in einer schmalen gasse. Links vorne Ishak, der sich gerade die hose wieder festbindet. Es ist dunkle nacht, nicht mehr als sternenlicht.

ISHAK

Erlesne wonne wenn du dich erleichterst Ob hockend oder stehend, von den fluten Der langen trünke sprengend dich befreist Der oft im übermaß genossenen, Besonders wenn du vom kalifen kommst, Bei ihm gesessen, als sein dichter hoch Geehrt, an seiner rechten, und mit ihm Gefährte seiner jungen trünke warst: Rechts hinten kommt langsam und leise ein korb an starkem seil an der hauswand herunter.

Wie schön durchflutet zeigt sich da der leib Und spendet edlen heilungskräftigen saft, Den nur verachtet wer ihn nicht erkennt. Der kenner aber ehrt ihn, achtet sein. Genießt der spende die von ihm entfließt: Gewürzter, leibentstiegener, plätschernder, Und ehrt das abseits wo’s ihn hingelockt. Er blickt und wendet sich bei den letzten worten leicht herum, zuletzt mehr nach links mit starker kopfwendung wie halb hinter sich blickend. Da entdeckt er den korb.

Ein korb – schau da: ein korb mit einem strick! Daran hinaufzuziehn was drein sich legt: Den der ihn etwa, kühner Lust, besteige – (er geht näher und beschaut den korb)

Brokaten ausgefüttert und vier henkel. Ich bin von trunkenheit verführt, ich weiß, Doch was für einer ist der der sich nicht



163

Von schöner trunkenheit verführen lässt? Ich steig hinein und warte wer es merkt Und wer mich zieht. Er steigt in den korb und hockt sich darin nieder, turban und kopf schauen heraus und blicken am seil nach oben. Das seil hat sich beim einsteigen gestrafft.

ZWEITE SCENE Gemach der Chadidscha, durch eine nicht zu hohe stufe in zwei verschieden hohe räume geteilt, leuchter mit brennenden kerzen, verschiedene lager, fell- und ledersitze und kissen sowie niedrige tischscheiben im tiefen und im höheren raum verteilt. Vorhänge und quervorhänge zum auf- und zuziehen, für unterteilungen. In der mitte sieht man durch geöffnete vorhänge auf einen balkon mit balustrade. Vom fusse eines lagers läuft ein locker liegendes seil zur balkontüre hinaus und über die balustrade. Chadidscha und ihre mädchen Kutalkulub, Munis, Aïscha und Bunbana sind sitzend und lagernd im raume gruppiert, Chadidscha vorne links. Man muss den eindruck gewinnen, dass alle vor kurzem vom balkon Ishak erspäht, den korb hinuntergelassen und sich dann auf lager und sitze zurückgezogen haben. Sie beobachten, sich mit augen und händen manchmal zuwinkend, das seil, das sich mit einmal nach kurzem zucken strafft.

CHADIDSCHA

Er ist hineingestiegen. Zieht ihn auf, doch langsam! Solch ein vogel Will langsamkeit und vorsicht, achtsamkeit! Wer soviel stricke legt, so liebliche, Wie d e r , damit er unsre seelen fängt Und uns bestrickt mit seinen listigen gaben, Der merkt vielleicht die stricke nicht, die ihn Umfangen – oder merkt sie und schlingt mit Beim schönen binden ungemeiner bande. Und taucht er auf und schaut und will erraten, Tut nicht erstaunt und nicht gewusst und nur Als müsst es sein wie‘s ist und – bringt ihn her!

164

Die mädchen eilen auf den balkon. Die einen leuchten den andern und dem korb entgegen mit mitgenommenen kerzen, die anderen vollführen mit heiteren gebärden das hebewerk. Chadidscha bleibt auf ihrem lager. Der korb mit haupt und turban Ishaks zeigt sich über der balustrade.

DIE MÄDCHEN

Willkommen dem willkommenen. Ishak steigt langsam aus dem korb über die balustrade in den balkon.

Tritt ein! Ishak schaut zögernd in den raum, erblickt Chadidscha und verneigt sich. Dann, wieder aufgerichtet

ISHAK

Von gutem komm ich – geh ins gute gern. CHADIDSCHA

Sei unbesorgt, nur gutes wartet deiner. Und böses nur wo es das gute schmückt Und schön vor uns emporhebt: im gesang. ISHAK

Du singst? CHADIDSCHA

Ich singe, aber nicht bevor ich Dich eingeführt in das gelass, bewirtet Den fremden der sich anvertraut dem korb Zum aufstieg, unser gast geworden. Komm! Und lass dich hin! Ishak tritt ein, von einer kerzenträgerin begleitet, und setzt sich neben das lager zu füßen der Chadidscha.

CHADIDSCHA

Du bist ein kaufmann?



165

ISHAK

Ja Ein kaufmann vom bazar in Bagdad. CHADIDSCHA

Weißt du Geschichten? ISHAK

Manche weiß ich freilich, kleine, Und ungeschickt im reden und erzählen Wirst du mich finden. CHADIDSCHA

Speise stärkt nicht nur Den leib, die leibeskraft, stärkt auch die seele, Gewiss nur die mit gunst genommene, Die ehrend dargebotne. Trünke lösen Die zunge, schön genossen, unbehindert. Oh mädchen zeigt dem gast die kunst des gasten, Die eure, lernt die seine, bringt ihm was Ihn freue. ISHAK

Meine zunge war schon heut Gelöst, und wurde schwer, und wieder leicht, Doch ungelöst. Die Lösung, herrin, nehm ich Auf meine zunge gern und lass sie schmecken Das lösende, eh sie, gelöst, es lobe. Und deine hände, die beglückten, geben, Ich weiss es schon, die speise die beglückt, Die sinnverschwisterte: der nehmende Wird froh von dem gewirke ihres gebens. CHADIDSCHA

Versuchen wirs, soviel wir können, deinen Gekonnten worten nachzutun. Sie winkt den mädchen. Diese verschwinden durch die vorhänge nach verschiedenen seiten und kommen sogleich mit den vorbereiteten duftenden schüsseln zurück. Man

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sieht nur farben, schmückendes laub und früchte köstlich aufgeputzt mit blumen. Chadidscha und Ishak machen, sich anblickend und zureichend, genießende essgebärden und schmeckgebärden. Nach einer weile

CHADIDSCHA

Oh gast Was denkst du über einen zusatz noch Zur speise, der sie würzt indem er sich Durch sie bestärkt – was denkst du von gedichten? ISHAK

Gedichte, herrin, sollte man nicht denken Nur wissend sagen und dem blumenwald Der worte nicht durch denken abbruch tun. CHADIDSCHA

So fang du an! ISHAK

Der gast ist noch befangen, Beginne du! CHADIDSCHA

Wahr ist was du gesprochen Ich fange an. Ein dichter sagt, Chadidscha richtet sich auf dem lager halb auf. Ishak rückt etwas zurück, doch nicht so weit, dass er nicht noch, sich vorneigend, in die schüsseln greifen könnte.

was sagt er? ›Wenn das abendrot niedergesunken Keine freudige farbe mehr spricht Und die kränze still leuchtender funken Nacht um die schattige stirne flicht Wenn des mondes still lindernde tränen Lösen der nächte verborgenes weh – Dann wehet frieden. In goldenen kähnen Schiffen die geister im himmlischen see ..‹

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Ein andrer sagt, ein trauernder, was sagt er? ›Von dunkelnden wogen Hinuntergezogen Zwei schimmernde schwäne, sie schiffen daher, Die winde sie schwellen Allmählich die wellen Die nebel, sie senken sich finster und schwer. Die schwäne sie meiden Einander und leiden – Nun tun sie es nicht mehr, sie können die glut Nicht länger verschließen, Sie wollen genießen Verhüllt von den nebeln, gewiegt von der flut ..‹ Und einer hat von schwänen so gesungen: ›Mit gelben birnen hänget Und voll mit wilden rosen Das Land in den see, Ihr holden Schwäne, Und trunken von küssen Tunkt ihr das haupt Ins heilignüchterne wasser.‹ Chadidscha reicht mit einer hand- und augengebärde Ishak das wort. Ishak nimmt noch schnell etwas von der schüssel und verschluckt es leicht und schnell und ohne dass eine unterbrechung durchs essen entsteht erhebt er sich, tritt zurück, vielleicht schon auf die stufe wo ein zweites lager steht, und spricht stehend. Chadidscha hat indessen ihre füße auf den boden und sich auf ihr lager gesetzt und hört zu, die beiden hände neben ihren knieen aufs lager gestützt.

ISHAK

Und einer sagt, er sagt es nicht, er singt: ›Die wolkenbahnen blass und leer Sind ausgebrannt in weiten toten bogen. Da kommen kähne schwarz und schwer Wie dunkle vögel auf dem fluss gezogen. 168

Und alle wasser singen nun nicht mehr. Die glatten wellen sind wie blasses blei. Die bäume werden blind und leer – Die dunklen kähne ziehen still vorbei.‹ Und wer ist der der dies gesungen, weißt dus? Ein wunder ist wenn sich im herbst der kahle Entlaubte baum im winde biegt Dass nicht der herbe gleichmut und die schale Geduld, nein doch die liebe siegt. Denn lauschst du in den grund so wird er sprechen: Lieb weiss von lieb, lieb sinnt auf lieb. Und wenn die wägenden gedanken stechen: Lieb schaut auf lieb, lieb traut der lieb. Und wenn beim abendrauche stumpf und bleiern In fahlen schein zerfloss das letzte licht Und wenn die dunkelfahnen uns umschleiern Der liebe scheint ein neu gesicht. Und dieses: weißt dus, herrin, wer es sang? Der ölbaumzweig Streckt seine blätter aus Ins große zelt Und sonnenblinken rieselt Auf blätterrücken silbern Und mondes geld Rollt golden drauf Und nimmt das leid Der nacht vom ölbaumzweig. Der lorbeerstamm Ersprießt von glatten blättern Und kleine blüten stellt er Ins zweigezwieseln Und kleine früchte wieder Dem blatt gesellt er Und steht an seinen stätten,



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Du siehst ihn nimmer matt, Und glatt sind stamm und blatt. Da gehen die zypressen Gefangen doch In strengem wuchs. Wuchs ist das siegel. Siehst du sie spiegeln In gartenteiches bucht? Der stamm: der docht! Und flamme zum himmel gesenkte: Der schlanke leib der zypressen! CHADIDSCHA

Hat das nicht etwas von der anmut eines Der stottern muss vor freude? ISHAK

Der es machte Der weiss es! Aber hör noch dies zuletzt: Die liebenden lagen umschlungen Kein hahn noch hatte gesungen Und in ihres schlummers brunnen Die bilder, inwärts gesunken Aus ihrem leben, wie funken Steigen und sinken hinunter Tief in den brunnen. CHADIDSCHA

›Tief in den brunnen.‹ Oh dieses, herr, das klang schon nach geschichten, Nach einer die die beiden wussten, vielen Die ich vernehmen will. (Sie klatscht in die hände)

So bringt, ihr mädchen, Den wein den lösenden!

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Die mädchen bringen aus verschiedenen vorhängen jedem ein trink- und ein schenkgefäß und entschwinden wieder. Ishak zieht sich mit becher und krug auf das obere lager zurück, das im leichten winkel zu Chadidschas lager steht, so dass die köpfe der beiden sich näher sind als die füße. Er setzt sich auf das lager mit aufgestützten händen wie Chadidscha. Beide trinken.

ISHAK

Warum geschichten? Nicht heut, nicht gestern, morgen – überhaupt: Warum geschichten? CHADIDSCHA

Herr, damit man lebe! ISHAK (zustimmend)

Damit man singend lebe, lebend singe Damit was Allah wollte in uns klinge! (Beide trinken)

CHADIDSCHA

Beginne du! Chadidscha legt sich auf ihr lager, auf den ellenbogen gestützt. Das gleiche tut Ishak. Während des erzählens geht er manchmal in halbaufgerichtete stellung über, mit gestrecktem arm auf die hand gestützt, und wieder auf den ellenbogen zurück.

ISHAK

Da war ein schöner mann Der hatt ein schönes weib: ein reines klares, Untadliges. Er ging auf fahrt. Der bruder Sollt sie beschützen, stellt ihr nach, getroffen Von so viel schönheit. Sie verweigert sich, Wird angeklagt von ihm derselben untat Zu der er sie verleiten wollte, wird Verdammt, gesteinigt, bleibt am leben, freilich Zu tod verwundet, und, ein beduine –

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Die halbgestorbne nimmt er mit vom anger – Begehrt, getroffen von der schönheit, die Genesende. Sie weigerts, und die frau Des mannes tötete ihr eignes kind Und barg den dolch im bett der fremden, klagte Sie an, getroffen von der scharfen lanze Der eifersucht. Der mann erkennt den trug Spricht jene frei, doch heißt sie gehn. Sie geht Geht bis ans meer und bittet schiffer, bietet Was ihr der mann als weggeld gab. Sie fährt Sie meint in bessre welt – die schiffer buhlen, Getroffen von der schönheit, um das weib. Sie weist sie ab, die männer drohen, brauchen Gewalt, sie betet, und ein feuer steigt Herauf aus wogen und verzehrt die männer, Die schändlichen, und sie nur wird gerettet Ans land – ein land das einen könig hat. Dem gibt sie schiff und schöne fracht, in mannes Bekleidung die sie anlegt, geht hinaus In einsamkeiten, betet, tröstet, hilft Und wird der segen jenes volks. Da stirbt Der könig – und ein langer zug von bittern, Die großen und die kleinen, zieht hinaus Zu ihr, den königssitz ihr anzubieten. CHADIDSCHA

Wo lässt du denn den mann, den ihren, fernen? ISHAK

Ja, siehst du, der war heimgekehrt, der bruder Betrog auch ihn, und er verdammte, trauernd Um sie, das schöne weib. Da krankt der bruder. Dem tode nahe hat er ein gesicht: Die totgeglaubte lebt, er muss sie suchen Will er genesung finden! Er bekennt Den traum und zweifel ob der richterspruch Gerecht war. Und die brüder ziehen aus Vom steinesanger, finden suchend, ahnend, Den beduinen, fragen nach dem weib. Er leugnet, er gesteht, nur halb, zieht mit 172

Zum meer, zu schiffe über meere – und: Sie landen dort im land, sie hören fragend Vom könig der, ein heiliger, wissend herrsche. Sie bahnen sich den weg zu ihm, er kennt sie, Sie legen ihre frage vor, ihn nicht Erkennend. CHADIDSCHA

Und er nimmt sie gütig auf? ISHAK

Sie fallen vor ihm nieder, er gebietet, Ein heiliger der auch verborgenes weiß Durch Allah, er gebietet erst dem bruder Die untat zu gestehn, der mann gesteht, Bezeugt des weibes reinheit, nun getroffen Von neuer schönheit – und er wird geheilt. Den beduinen heißt der könig wahrheit Die ganze zu enthüllen und er tuts. Er muss es tun, gebannt von neuer schönheit! Der könig bietet jenem gnade, diesem Die gunst, versöhnt die brüder, bietet Dem gatten an das königtum. Der weigerts, Fragt eines nur: Wo ist mein weib? Da geht .. CHADIDSCHA

Der heilige muss es wissen. Sagt ers? ISHAK

Nein Und ja: Da geht der könig rat zu suchen In sein gemach. Er nimmt den turban ab, Er lässt die haare wallen, kleidet sich In weibliches gewand, und tritt hervor, Erkennbar denen die ihn kannten, schöner Als je: das schönste weib! Und alle fallen, Die sehen, hören, vor ihr nieder, betend Dem gott der lenkt und nicht lenkt wie er will.



173

CHADIDSCHA

Der gatte? ISHAK

König wird er, herrscht im land Und dient der schönen die sich offenbarte. (Pause)

Jetzt fahr du fort, geschätzteste, erzähle! CHADIDSCHA

Im gleichen atem? Da noch die gestalten Die große und die andern vor dem sinne Mir stehn? ISHAK

Gestalten rufen die gestalten. Die einen sind nur eins und zeigen eines Die andren andres. Erst der ganze reigen Lässt uns – ein augenblick – den saum erheben Des großen schleiers und das wahre schauen. Fang an! Fang an! (Sie trinken)

CHADIDSCHA (Nun sehr ruhig und in anderem ton)

So schön und fein wie deines Ist meines nicht gesponnen, das gemeinte, Das ich erzählen will. An schönem tage Ritt der kalif zur jagd, Hischâm der junge, Erblickte die gazelle, jagte sie, Die hunde mit ihm. Sie entflieht ihm springend Und droht ihm zu entgehn – und einen jungen Geißhirten sah er da und rief ihm zu: ›Auf bursch, auf die gazelle da! Sie fehlt 174

Mir sonst!‹ Der jüngling hob den kopf und sagte: ›Du, der nicht weiß was sich gebührt vorm edlen, Wirfst mir die worte ins gesicht und sprichst So wie tyrannen reden, unverschämte, Entartet von der macht die nicht sie haben Nein, die sie hat‹ .. ISHAK

Bei Allah, das ist richtig: ›Nein, die sie hat!‹ CHADIDSCHA

Und Hischâm: ›Kennst mich nicht?‹ Und jener: ›Wer du bist sagt mir der mangel An aufzucht: einer der den gruß nicht sagt Und doch sein wort an mich zu richten wagt.‹ Und Hischâm: ›Ich bin Hischâm der kalif!‹ Der jüngling: ›Allah lass dein haus dir ferne sein Und lasse deine wege ohne sterne sein! Du weißt zu schwätzen aber nicht zu schätzen!‹ Da kamen angesprengt von allen seiten Des herrschers mannen und ein jeder sagte: Mit dir sei frieden, herrscher der beglückten Durch glauben. ›Spart‹ rief Hischâm ›euer wort! Und packt den burschen dort!‹ Sie griffen ihn. Der jüngling gönnte keinem einen blick Er sah dorthin wo seine füße traten Er hob das haupt auch nicht vorm herrscher, grüßte Ihn nicht und sprach kein wort. Und einer vom Gefolge fuhr ihn an: ›Araberhund, Du wagst dem herrscher ohne gruß zu nahen?‹ Der jüngling wandte sich nach jenem, rief: ›Du sattel eines esels, sieh mein weg war lang Die stufen steil, nur schweiß mir aus den poren drang!‹ Hischâm: ›Jetzt, bursch, erlebst du deinen tag Die stunde kommt, die hoffnung schwimmt ins weite, Du trittst vom leben auf des todes seite.‹ Der jüngling: ›Hischâm, ist die lebenszeit Mir länger noch bestimmt, so sprichst du luft Sorgst dich umsonst wo meine hoffnung schwimmt ..

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ISHAK (einfallend)

Merkst wie der funke meines lebens glimmt Und dass ich weiß, wie sich ein herr benimmt!‹ CHADIDSCHA

Da fiel der wesir ein: ›Du niedrigster Araberhund, geziemt dir dass du wechselst Und wort um wort mit dem kalifen stichst?‹ Und schnell der jüngling: ›Schlag auf dich! Verwaisung Und weh! Hast du denn nie gehört was Allah Der größte allerhabne, spricht: Es kommt das licht Wo jede seele für sich steht im endgericht?‹ Und Hischâms zürnen lodert: ›Henker, her Mit dieses burschen kopf, der worte macht Weil keiner noch den schrecken ihm gebracht!‹ Blutleder wird gelegt, da kniet der hirt, Der henker fragt den herrscher: ›Soll ich schlagen Und keine schuld an seinem blute tragen?‹ Der herrscher: ›Ja!‹ Und auf die zweite frage: Auch ja! Und als zum drittenmal der henker Gefragt, da weiß der hirt dass jetzt der tod Ihm fällt sobald der herrscher winkt. Was tut er? Zu lachen fängt er an und lacht und lacht Dass seine zähne blinken! Hischâm schreit: ›Bist irr? Siehst die, die dir den garaus machen Und lachst? Willst du beim tod dich selbst verlachen?‹ Der hirte: ›Ist gesetzt ein spätres lebensziel So droht mir nicht gefahr, nicht wenig und nicht viel! Mir fielen verse grade ein, hör sie doch an, Dann kannst du machen was ein herrscher kann.‹ Und Hischâm: ›Sag sie, aber kurz!‹ Der jüngling: ›Ein falke fing den Sperling den ihm das geschick Entgegentrug, und in des falken fängen Der mit dem fang emporstieg stolz und lust im blick Hob jener sperling an mit klageklängen:

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,An mir ist nicht so viel das deinesgleichen nähre Verzehrst du mich, verzehrst geringes ding, Geringe kost ich einem sowiedu gewähre Bin speise nicht die passt für den, der fing!‘ Der falke musste lächeln, sah es ein Und ließ den sperling frei – der lachte sein.‹ Und Hischâm lachte, rief: ›Bei der verwandtschaft Mit dem profeten Allahs die mich schmückt: Hätt er gesprochen so und die gesandtschaft So feiner worte mir ins ohr geschickt, Ich hätte, ausgenommen des kalifen thron, Ihm jeden wunsch erfüllt, er hätt ihn schon! Füllt ihm den mund mit edelsteinen, reicht Ihm ein geschenk das seinem stolz nicht weicht!‹ Der hirte .. ISHAK

Dankte? CHADIDSCHA

Nein, er nahm es hin Und ging wohin ihn seine wege führten. Ishak, der mehrmals während der erzählung mit blicken und gebärden seine zustimmung kundgetan, hebt grüßend den arm. Die beiden trinken.

ISHAK

Auch ich geh meiner wege, reich beschenkt Wenn du so sprichst und so erzählst. CHADIDSCHA

Und ich Hab keinen kaufmann noch gesehn, der verse, Geschichten weiß, die man vor königen Erzählen sollte.



177

ISHAK

Ja, ich hatte einen Zum nachbarn, der ein tischgenosse war Von königen, vor ihnen sang, erzählte. Und wenn er musse hatte, suchte ich Sein haus und hörte manchmal manches. CHADIDSCHA

Oh Bei meinem leben, dein gedächtnis ist Ein gutes. (Eines der mädchen, Kutalkulub, tritt durch den vorhang)

KUTALKULUB

Der morgen ist gekommen, Allahs stunde. (Ishak erhebt sich sogleich und macht sich zum gehen bereit)

CHADIDSCHA (ihre letzten worte fortsetzend)

Und behalt für dich was zwischen Uns beiden vorgefallen. Solche art Zusammenkünfte sind vertraulich. ISHAK

Herrin, Mein leben ist für dich! Und solcher mahnung Bedarf es nicht für mich! Er verneigt sich, Chadidscha grüßt den wieder sich aufrichtenden mit winkendem arm.

CHADIDSCHA

So geh zum guten! Kutalkulub führt, auf Chadidschas bedeuten, mit brennender leuchte Ishak vorne durchs haus die treppe hinab.

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DRIT TE SCENE Langer gang im palast des kalifen el-Mamûn. Am besten vor dem vorhang zu spielen, besonders wenn er weiß ist und nach links und rechts auch über den bühnenrahmen hinaus fortläuft. Ishak in der mitte, gelassen, ungeduldig.

ISHAK

Erst kommen boten, rufen dich und toben. So schnell als möglich, heißt es, zum beherrscher Der gläubigen, und: aus der schöne schlaf Den dir der himmel schenkend zugebracht Da du aus eins der nächte zwei gemacht. Und jetzt stehst du im gang und wartest – wartest! Zwei worte nur war der empfang und dann: ›Geschäfte, eilige, du wartest doch? Ich bin gleich wieder da.‹ Das freut mich aber Zu denken wie’s ihn wonnen würde wenn Ers wüsste wie es schwang in dieser nacht Von versen, rauschte von geschichten, klang Von bechern, duftete von speisen, und: Wie unaussprechlich jene Eine war. Und kein gesetz der kunst hat sie verletzt, Und keines nicht gekannt, sie hat die künste Im ärmel schon, und wieviel mehr im aug, Und wie sie singen würde wenn sie sänge! Und hat sie nicht gesagt sie singe? Oh Ishak du sahst dir ein geschwister – schwister! Und in der seele ist sie eine feine Feinst Eine und, als wissende, die deine Die dich errät und mit dir weiß: vom ›mund Voll edelsteine‹ bis zu jenem hauch Des übergangs von sein zu schein, von schein Zu wesen und von wesen in die stunde: Den augenblick! – Und wie ers neiden würde Das denk ich mir mit freuden, wenn ers wüsste Der spürer …



179

El-Mamûn tritt auf von rechts, rasch, schon redend, auf Ishak zu, fasst ihn an den händen, spricht schnell, bleibt nur kurz stehen, spricht im weitergehen, indess Ishak ihn halb festhält, so dass er vom weiterstrebenden el-Mamûn mit herumgedreht wird.

EL-MAMÛN

Freund, hab nachsicht, eine sache, Sehr dringend, führt mich weg. Geh nicht hinein Wo all die andern sind, ›hie staatsrat‹, wo Ich dich nicht hab, nichts von dir hab, bleib hier! Ich lass dir kissen bringen! ISHAK

Herr, der tag Ist schon vorbei, du hast noch vieles, lass, Ich komme morgen! EL-MAMÛN

Morgen ist nicht heut Und heut bedarf ich dich, je mehr ich habe An vielem um so mehr bedarf ich d i c h : Zum blicketausch und wortetausch, du weißt, Und zum gesang und zu den tränken. Trinken Wie soll ichs ohne dich? Und singen, lauschen, Wie ohne dich? ISHAK

Mamûn, du solltest rasten Nach deinem wirken! Schau: wir trinken morgen Und singen, halten singestunde wenn Dus magst und reden in der musse über Was dich bewegt, was sich bewegt .. EL-MAMÛN

Umsonst. Ich muss dich sprechen, heute! Sitz doch hier! Ich bitt dich dringend! Er macht sich los und spricht im weitergehen halb zurückgewendet:

180

Wart bis ich zurück bin! Ich komm ja bald! (El-Mamûn ab nach links)

ISHAK (verändert)

Ein wahnsinn wär es wenn Ich bliebe, nicht zum korbe ginge, zum – Ich kanns nicht denken ohne dass die lust In alle glieder fährt – ich muss entspringen Eh die mir ihre dummen kissen bringen. Er blickt noch kurz nach links. Dann rechts ab mit großen beschwingten schritten.

VIERTE SCENE Gemach der Chadidscha, noch prunkvoller geschmückt als das erste mal. In dem erhöhten teil des raumes ist zwischen vorhängen eine kleine scene für ein spiel offen gelassen. Zwei lager unten über eck gestellt, sitze und kissen. Chadidscha wieder vorne links auf dem lager, diesmal mit dem kopf zu den zuschauern. Die mädchen um sie und gegenüber. Das lockere seil läuft wieder durch die offene mitteltür auf den balkon hinaus und über die balustrade.

KUTALKULUB

Und wenn er n i c h t kommt? CHADIDSCHA

Spielen wir allein! Man darf sein herz zu sehr an niemand hängen An nichts, auch nicht ans schönste, muss es können Das fahrenlassen – schnell.



181

AÏSCHA

Wenns aber hängt Das herz? CHADIDSCHA

Dann mach es frei, durch übung! Schau Wohin sein schlagen sonst noch reicht, da schick Es hin und lass es tätig sein: zu mir, Zu diesen, und wer weiß bei dir wohin. Bleib in dir selber! MUNIS

Wenn sichs aber gibt Das sehr verlangte? CHADIDSCHA

Musst du tun als hättest Du’s nicht, musst es umwerben, nicht Mit schmeicheln und verwöhnen mein ich, das Kommt oft von selbst, mit freiheit und mit wissen Und wachen um das wesen dieses dings: ’S will jede stunde neu erworben sein. BUNBANA

Und wenn er kommt, und es gefällt ihm nicht? KUTALKULUB

Das muss ihm doch gefallen. Du, der merkt Doch den triumf den wir ihm bieten. Triumfieren, Dem kann ein mann nicht widerstehn, und d e r Schon gar nicht. MUNIS

Meinst du er sei eitel? Freilich Ein knabe ist er nicht der spielt und lacht Und nichts bedenkt, nicht an sich denkt, und nichts Auf sich zu halten weiß!

182

KUTALKULUB

Chadidscha, deine Gewiegten Lippen könnens besser: sprich Für mich, für ihn, für dich, sprich für uns alle! CHADIDSCHA

Man muss die knaben knaben sein, die männer Sich mannen lassen: dass sie männer sind Sie müssen ständig sichs beweisen, das Schafft vorteil auch für uns! KUTALKULUB

Und welchen vorteil? CHADIDSCHA

Kutalku, stell dich nicht so unerfahren Und tu nicht so als ob du‘s nicht verstündest Gerade du: dies sich beweisen müssen Der männer sehr in deinen dienst zu stellen! AÏSCHA

Das möcht ich von ihr lernen! CHADIDSCHA

Keckes du! ’S ist recht und wetz nur deinen grünen schnabel. KUTALKULUB

Der schon die ersten zeichen gibt zum härterUnd schärferwerden, wie bei vögeln die Ins picken kommen. BUNBANA

Ja und ich – weiß gar nicht Wovon ihr sprecht, kenns nur vom hörensagen Das alles. AÏSCHA

Aber kennst es doch recht gut.



183

BUNBANA

Das werden wir ja sehn wenn meinen affen Ich mache, deinen fischer du, da wird Sichs zeigen wers am besten weiß. MUNIS

Ich hätt So gern Kutalkulub gespielt, gesehen Wie er mich aufnimmt. Aber die den namen Schon hat, hat auch den part. KUTALKULUB (die aufmerksam gewacht hat)

Das seil ist straff! Die mädchen eilen zum hebewerk. Wieder leuchten die einen den andern auf den balkon und dem korb entgegen.

KUTALKULUB (sich umblickend zu Chadidscha)

Wir sollen? CHADIDSCHA

Zieht! Turban und kopf Ishaks und der rand des korbs er- scheinen über der balustrade.

DIE MÄDCHEN

Gegrüßt der gast! ISHAK

Er darf entsteigen? DIE MÄDCHEN

Darf! Und soll zur herrin kommen! 184

ISHAK (ausgestiegen)

Ich tret ein! Er sagt es, wartet aber den wink Chadidschas ab, die er diesmal sich entgegenblicken sieht. Sie winkt leicht mit gehobener hand. Er verneigt sich, tritt ein und wird von ihr auf das lager ihr schräg gegenüber entboten. Dort setzt er sich auf den lagerrand mit neben den knieen aufgestützten händen. Die mädchen entschwinden in die vorhänge, diesmal alle nach der rechten seite, einen vorhang vor der spielscene schließend.

CHADIDSCHA

Du scheinst ein eifriger! ISHAK

Ich dachte schon Ich wäre lässig. CHADIDSCHA

Nein, ein treuer scheinst du! ISHAK

Der b i n ich, Allah weiß es! CHADIDSCHA

Hast mein haus Zur wohnstatt dir erkoren? ISHAK

Herrin, drei Sind gastrechttage, komm ich dann noch einmal Kannst du mein blut vergießen, setz ich doch Mein leben hin für dich. CHADIDSCHA

Nicht gleich das blut! Wir wüssten andres noch wie wir dich büßten.



185

Sie klatscht in die hände. Kutalkulub und Munis bringen die schüsseln, ähnlich wie am vortag, eher noch prunkender, flink und anmutig, stellen sie, Kutalkulub vor Chadidscha, Munis vor Ishak, und entschwinden nach rechts in die vorhänge. Chadidscha fordert Ishak mit der hand zum zugreifen auf. Er tuts und beide machen, ähnlich wie am vortag, nur noch freizügiger und offener, ess- und schmeck- und zureichgebärden.

CHADIDSCHA

Bist du fürs hören, gastfreund, oder bist du Fürs schaun? ISHAK

Am liebsten bin ich, frei gesprochen, Für beides: schaun und hören – und: zugleich! CHADIDSCHA

Dann könnten wir beginnen. Kutalkulubs gesicht erscheint kurz in der seitlichen vorhangspalte neben der scene und Chadidscha winkt ihr mit der hand. Ishak, der dies spiel verfolgt hat, legt sich auf sein lager und schaut wie Chadidscha auf den ellenbogen gestützt zur seinsollenden scene hin. Der vorhang geht auf: Man sieht Aïscha in der maske des Chalifa in ärmlichen zerrissenen halblangen hosen, vielgeflicktem offenen kittel, mit einem strick gegürtet, einen langen stock in der hand, von rechts rücklings breitbeinig hereinspringen. Fischerkorb und netz stehen und liegen auf der scene. Chalifa verstrickt sich beim rücklings hereinspringen mit einem fuß ins netz.

CHADIDSCHA

Oh das netz! Chalifa befreit sich, kurz verlegen, und fängt sein spiel an: springt mit dem stock fuchtelnd vor, nach rechts, und wieder zurück, wie nach etwas unsichtbarem schlagend das ihm entgangen ist.

CHALIFA

Verfluchtes untier, wart, ich treib dich aus! Du lumpenträger überm affenhintern, Du unglückseinaug, schandgesicht, verdunkler All meiner tage, tolle affenbrut!

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rastet mit dem gesenkten stock und spricht immer noch nach rechts hinaus aber manchmal zu den zuschauern:

Glücksaffen gibt es da, du glaubst es nicht, Und unglücksaffen! Und der meine wagt es Und setzt sich in mein netz und sagt es mir Ins angesicht: er seis! Er seis der mir Die fische wegtreibt und das fangen hindert Und mir das brot vom maul reißt! Und da steh ich Im elendskittel, weiß nicht aus noch ein. Hebt den stock von neuem und schlägt vielmal nach rechts in die luft, dann innehaltend und eifrig:

Ich werf noch einmal aus und fang ich ihn Noch einmal kommt er lebend nicht davon! Er bereitet das netz, tut einen großen wurf nach rechts hinter die scene, wartet, zieht zu und heraus und – der schöngeputzteste affe, Bunbana, kommt, groß und possierlich, im netz herausgezogen. Chalifa glotzt ihn staunend an und lässt das netz aus der hand sinken, tritt aber schnell mit dem fuß auf den netzverschluss.

AFFE

Gut tag, mein freund, und Allahs segen auf Dein haupt. CHALIFA

Allah, barmherziger, wieder einer! Solls nur noch affen denn im Tigris geben Statt fische? AFFE

Schöne affen, gute affen! In mir hast du dein bestes teil gefangen Und staunen wirst du wie sich alles wendet Wenn du auf mich vertraust!



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CHALIFA

Mein bestes teil Ist gut gesagt. Mein äffchen, woher kennst Denn du mein bestes teil? Doch zierlich bist du Herausgeputzt, und dein jakettchen hätt ich Und deine hosen gern an mir – lass schauen Was du an lösegeld mir zahlst. AFFE

Geehrter Und großer fischermeister, nimm dir nicht Geringes nur von mir, was morgen schleißt Und abfällt! Nimm das beste! CHALIFA (nachäffend)

Schau! Das beste! Woher denn weißt du das schon wieder was Das beste ist für mich an dir? Ich zause Dich wohl so lang bis du mirs lässt. Dergleichen Goldtierchen kenn ich jetzt wie du eins bist Und wie man euch bezahlen macht. Er greift nach dem stock, indess er mit dem fuß den netzverschluss festhält, und macht unmissverständliche gebärden mit dem stock. Dazu lacht er unbändig.

AFFE

Mein bester Du wirst doch nicht dein glück erschlagen wollen In mir, ich hab dir was zu sagen, horch: Der affe springt ein paarmal scheinängstlich als ob er den drohenden schlägen Chalifas ausweichen wollte, dann beginnt er zierlich im netz lockend zu tanzen und zu singen in singsangweise indes unsichtbar eine flöte lieblich dazu bläst:

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Mein wissen wohl Wie sich dein los Lässt wenden, Bist du mir gut Und zähmst die wut Ich will dirs spenden. Chalifa tritt staunend und mit dem stock innehaltend mit einem fuß zurück, den andern lässt er vorsorglich fest auf dem netzende, und wieder vor, lässt dann den stock fallen und tanzt mit dem einen freien fuß, auf affige weise den tanz mit. Dann steht er staunend.

CHALIFA

Jetzt singen noch die allen, großer gott, Und wolln mir profezein! Wer bist du denn Mein herzensäffchen? Aber niedlich bist du Das muss man sagen, (Er greift wieder nach dem stock)

Doch wer bist du denn? AFFE (scherzhaft geheimnisvoll)

Ich bin – der affe, sieh – des juden Ismail Des maklers, des geriebnen, und ich bringe Ihm zehn dinare jeden tag und bring ihm Noch das dazu, was zehn dinare hecken Am tag bei einem heckerich wie dem. Und wenn du klug bist sag ichs dir genau, Wie du den affen, seinen, an dich bringst! Mich an dich bringst! Und auch die zehn dinare An jedem tag in deine tasche. Willst du? CHALIFA

Und was heißt ›klug sein‹?



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AFFE

Nur dass du mich frei Von diesem überwurf da machst, dem hübschen, Der dir an mir gefallen, der mir zierlich Gestanden, aber doch ein bisschen feucht Und eng für einen affen ist wie mich Der weit im trocknen Tigris wohnt und in Den Tigris wieder will. CHALIFA

Verstehe! So Betrügt man einen dummen, doch nicht mich Der klug sein soll, du sagst es. AFFE

Schöner fischer! Ich schwör bei deinem strick und deinem netz Bei deiner hose der zerschlissenen, Ich schwör bei deinem wunderkittel, ›wunder‹ Weil er zusammenhält aus so viel flicken, Ich schwör: ich sag es dir genau und so Dass es gelingen muss – lässt du mich frei. CHALIFA (an sich hinunterblickend)

Bei Allah, wer bei m e i n e m kittel schwört Der muss es arm und ehrlich meinen. Los! Er zieht den fuß weg. Der affe nestelt behend das netz auf, springt heraus, indess Chalifa zur sicherheit wieder den stock zur hand nimmt, und hält, nun Chalifa umspringend wie dieser vorhin ihn, aber heiter und zierlich, seine rede:

AFFE

Du lässt mich in den fluss und wirfst das netz In Allahs und in meinem namen, und: Ich setz dir einen fisch hinein wie keinen Du noch gesehn seit du den Tigris kämmst! Du bringst ihn zu dem juden, hältst ihn hin 190

Lässt jenen bieten: einen dinar, sagt er. Du nimmst den fisch und gehst zur tür. D e r geht Auf zehn dinare, schritt für schritt. Er fragt Wieviel du nehmen willst ›beim gott der väter‹. Verlange fünfzig, geh zurück auf zehn Und geh auf einen, wenn er dich bedroht (So Leute sprechen gern von wucher, drohen Mit ihrem sindelvolk, mit schlägen) aber Nur unter der bedingung: dass den affen, Den seinen, er mit deinem tausche, schwöre: Sein affe solle deiner sein und deiner Der seine. Hast das ausgefressen jetzt In deinem klugen kopf? CHALIFA

Bei Allah, freundchen, Ich fang den fisch aus diesem fluss wo nur Noch affen fischen, geh zu dem und lass ihn Mir springen übers gold, bring dich an mich Und meiner sollst du sein! Doch bist du untreu Und schickst mir keinen fisch, den ganzen Tigris Durchwühl ich bis ich dich nur wieder habe. Dann zieh ich dir das jäckchen aus und deine Koketten hosen und .. Er droht gewaltig mit dem stock. Der affe weicht zierlich zurück und sagt das folgende schmeichelnd und nach rückwärts, rechts, weghüpfend

AFFE

Ich nütz dir mehr Im jäckchen in der hos als nackt und bloß! (Singsang singend)

Im jäckchen in der hos Nicht nackt und bloß. Der vorhang vor der kleinen scene fällt oder wird zugezogen.



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ISHAK (bewegt, jäh, ungeduldig)

Geht das nicht weiter, hochgeschätzteste? Ich bitt dich drum! CHADIDSCHA (lächelnd, langsam)

Es geht noch weiter. Schau! Der scenenvorhang wird wieder aufgezogen. Eine lange kiste, zweimal verschnürt, steht auf der scene. Chalifa mit hose, kittel und strick wie vorhin, sitzt erschöpft und nachdenkend auf dem fußende der kiste, rechts. Korb und netz und stock stehen und liegen beiseite.

CHALIFA

Den Juden packt ich: gierig angefischt Vom fischgott den der affe schickte, und: Geboten, zugeboten, abgehandelt Geschmäht, gedroht, den affen hergetauscht! Denn ich, Chalifa, blieb ganz fest, erließ ihm Kein wort vom eid: jetzt hat er meinen, ich, Ich bin ganz überfischt. Wie’s wimmelt! Zieh Das netz ich aus, und, frisch in grünem blatt Die fische machen gold! Ja, potz das gold! Wo tu ichs hin? War das ein ängsten! Beutel Am hals? Den löst mir einer, hört ers klimpern Beim netzwurf! Grube? Kann man finden! Und hört es der kalif, dass Chalifa, Der fischer, gold hat, will ers von mir leihen Auf nimmer wiedersehen!

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ISHAK (von außen)

Ja, wills leihen Auf nimmer wiedersehen! CHALIFA (nach einem schelmischen Aïscha-Blick auf Ishak)

Hundert dinar Das ist ein sümmchen! Kommt der makler doch Mit dieser kiste, trudelt im bazar, Und ruft sie aus für hundert dinar, und Nicht einer will sie haben, weil der makler Nicht sagt was sie enthält, und wer kauft blind? Ja: wer kauft blind? Chalifa, wahnsinnsmann: DU nimmst sie! Gibst dein gold, dein ganzes, für Die kiste, weißt nicht was sie hat, da drinnen. Er schlägt mit der rechten hand auf die kiste, legt schnell sein ohr an zu hören ob etwas drin klingt und richtet sich dann wieder auf.

Chalifa, was? Das wär ein stück: jetzt öffnen Und sehn dass drin nur steine sind! Bei Allah, Du überlebst es nicht! Er springt auf und schaut die kiste auf und ab. Dann plötzlich wie erleuchtet:

Da hab ich doch Ein bett zum schlafen, eine schlafstatt, sicher Vor mäusen, ratten, wie ein kleiner turm Wie eine fischerburg: das netz darüber Und mich darein, den korb an meine hand, Da stiehlt mich keiner! Er stellt den korb heran, legt das netz über die kiste, legt sich auf das netz, wickelt sich darein und legt die andere hand an den korb.



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Tolles affenstück! Allah, Allah, hast je du so gelegen? So längs auf deinem eigentum? Da war keins Auf dem du liegen konntest, schlafen gar Darauf und wissen, dass dirs keiner nimmt, Nicht nehmen kann! Er richtet sich halb auf und schlägt wieder mit der hand auf die kiste.

Verdammte kiste, sprich Was in dir ist das ich so gut beliege. Ich horch dirs ab. Schlägt abermals auf die kiste, mehrmals, und legt dann sein ohr an. Da hört man in der kiste ein tiefes aufstöhnen. Chalifa fährt zurück und sitzt in sein netz eingeschlagen wieder auf dem fußende der kiste mit herabhängenden beinen.

Allah, das ding kann seufzen! Kann wohl auch reden? Sag, sag wer du bist Da drin! Ein dschinn? Dich hab ich eingeschnürt Zwiefach, hab auf dem rücken dich getragen Und jetzt belieg ich dich, (Er zieht die beine an)

besitz ich dich! Den stock noch nehm ich her eh ich entschnür Und wart auf dich und fahr dir in die kehlen Der knie wenn du entfährst – noch hab ich dich! Sag deinen namen. Gleich! KUTALKULUB (aus der kiste)

Kutalkulub!

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CHALIFA (erstaunt)

Kutalkulub? Kutalkulub? (ad spectatores)

Die läuft Doch sonst in Bagdad frisch herum, grad vorhin Hab ich sie noch gesehn, da unten bei Chadidscha! Steckt die jetzt da in der kiste? KUTALKULUB

Mich hungert! Tu mir auf! bei Allah, tus! CHALIFA

Was? Du bists wirklich, mädchen? Her mit dir! Er springt auf, wirft das netz ab, schnürt die kiste auf und öffnet nun doch wieder vorsichtig den deckel. Kutalkulub richtet sich reichgeschmückt und prachtvoll aufgetan in der kiste halb auf, erstaunt und erschrocken. Chalifa springt aus vorsicht nach hinten zum fußende der kiste, stürzt, springt wieder auf und betrachtet Kutalkulub genau, aber noch von ferne.

Oh, la la la, la la — ist das ein mädchen! (Als Aïscha ad spectatores)

Da reicht die meine – (zu Chadidscha) deine – lang nicht hin! (wieder in der rolle)

Da ist der fischgott den der affe schickte Und der doch groß genug war, noch ein kleines An wunder neben der. Und auch mein äffchen Trotz hos und jäckchen kann nicht mit. La la! Er geht vorsichtig näher, hilft Kutalkulub, die die hand nach hilfe ausstreckt, aus der kiste, legt, nach kurzem umherblicken, den deckel wieder auf und bietet ihn höflich als sitz an. Sie sitzen beide auf der kiste.

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KUTALKULUB

Ich bin noch halb betäubt. CHALIFA

Betäubt? Kommt das Von taube oder tauber? Was ist das Betäubt? Und dann noch halb? KUTALKULUB

Ich mein: benommen. CHALIFA

Benommen? Was? Genommen hat er dich? Dem geb ichs mit dem stock! Wer wars denn? Sag! Den richt ich artig zu, der solls gedenken! (Kutalkulub muss lachen. Das macht Chalifa noch eifriger.)

Lachst du? Wars nicht so schlimm? Hats dir gefallen Bei dem? Dann schlag ich ihn noch toller! KUTALKULUB

Mann, Das war doch einer dem du nicht so leicht Mit schlägen kommen kannst. CHALIFA

Was? Nicht so leicht? Ich mach mir nichts aus einem soundso Und soundso, mein stock ist lang und schwingt Und geht dir durch und durch! Ich bin Chalifa, Der fischer, und: ich hab dir einen affen Wie sonst kein fischer ihn im Tigris hat Der mir die fische eintreibt in das netz, Ein schön bejacktes bürschlein sag ich dir! Und wenn du bei mir bleibst so kann mein äffchen Für dich auch sorgen, bringen, mein ich, das Mit dem ich für dich sorge und was du Mir dann behüten kannst: Ich geh und fische Und bring dir geld, heißt gutes gold, und essen 196

Und trinken, was du willst, und auch ein tuch Vom bazar wenn dir deines schleißt, und sälbchen Auch für dein schönes fell. Kutalkulübchen Sag ja! Wir fangen an! KUTALKULUB

Das kann nicht sein! CHALIFA

Nicht sein? Ich hab dich doch gekauft, mein mädchen, Um hundert stücke gold! Hab schon mein netz Da um dein kleines haus geschlagen, hab Auf dir gelegen, bin nur aufgestanden Grad weil du seufztest – jetzt woher der hochmut? KUTALKULUB

So meint ichs gar nicht, meint ja nur: du brauchst Für mich nicht sorgen. Ich wills tun für dich Der mich gerettet hat und der so reizend Im umgang ist und so ein großer fischer! Ich hab ein großes haus und gärten, sklaven Und sänften, mäuler, rosse, was du willst, Die tragen dir den korb, verkaufen dir Die fische, bringen dir das gold und knixen. Ich kann dich auch vergolden, wills auch tun Bist du nur weiter gut zu mir und hörst mich: Mich hungert! CHALIFA (verlegen)

Hunger ist ein schlechter koch: Kann gar nichts zubereiten, so ein hunger! Den hatt ich oft und nichts hat er gekocht, Und alles gold hab ich für dich bezahlt. Ich muss erst wieder fischen gehn.



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KUTALKULUB (schnell etwas vom schmuck abstreifend)

Bei Allah Nimm da das armband, machs zu geld und bring uns Zu essen, bitt ich, lauf und bring! Chalifa nimmt staunend das armband, geht stumm rückwärts und immer Kutalkulub beobachtend zur türe links, dann schnell hinaus. Man hört ihn sorgsam zuschließen.

KUTALKULUB

Gefangen, Allein bei einem guten! (sich besinnend)

Wohl entsinn ich mich Die herrin ließ mich holen – der kalif War auf der jagd. Zubaida, das hast du Mir angetan! Wie süß sie mir das süße Zu bieten wusste, und ich nahm das stück Und seither weiß ich nichts, da war doch bendsch Darin. Die eifersucht, die sucht der süchte, Hat das ihr eingegeben. Schöner sang Und dieses antlitz und der junge leib Und anmut, sagt er, und das spiel der laute Und rede die, so sagt er, passend leicht In seine rede einfiel, das, so sagt er, Das hab ihn mir geneigt gemacht. Sie zürnte Ich wusst es lang, denn solche neigung sah man Noch niemals am kalifen, sagten sie, Und wahr ist, dass er immer zu mir kam In jeder freien stunde, manche nacht Im reden und im singen und im lieben. Sich hoch aufrichtend und in ihren prunkgewändern und ihrem prunkschmuck einige augenblicke fast erhaben aussehend

198

Und wahr ist dass er kommt! Er kommt zurück, Er kann Kutalkulub nicht finden, ahnt Den trug. Er sucht wenn sie mich totgesagt Die tote, kann nicht leben ohne das Im sang geliebte leben! (Der vorhang schließt sich vor der scene.)

CHADIDSCHA (zu Ishak)

Solls n o c h weiter gehn? ISHAK

Bei Allah: ja ja ja! CHADIDSCHA

Dann schau dirs an Und höre! Der vorhang öffnet sich. Kutalkulub sitzt auf dem fußende der kiste, immer noch in großem sinnen. Mit einmal heftiger lärm links außer der scene, wie wenn einer zur tür hereindringen will und der andere es ihm wehrt. Kutalkulub schaut gespannt dahin.

STIMME DER MUNIS (außer der scene)

Auf und auf! Zum letztenmal! Ich lass die tür dir sprengen, bursche, helf Dir heim in den verstand. Gib sie heraus! Die tür wird eingedrückt, Chalifa kommt rücklings hereingesprungen, stellt sich mit ausgebreiteten armen vor Kutalkulub. Nach ihm Munis als makler Bringdasglück, der nahe der tür stehen bleibt.



199

CHALIFA

Oho, oho, oho, das ist m e i n mädchen! Die hab ich mir gekauft und kauf ist kauf Und keiner nimmt sie mir und du schon gar nicht. Du hast sie ausgerufen, hast den preis Genannt, genommen, für die ganze kiste Und keiner wollt ihn geben außer mir. Ich gab ihn, nicht so? Ei, herr Bringdasglück Willst du in einen Nimmdasglück dich ändern? Gemach! Den stock, den stock! (Er fasst nach dem stock und schwingt ihn)

Du kriegst sie nicht! BRINGDASGLÜCK (zu Kutalkulub nach einer verneigung)

Da seid ihr, herrin, endlich find ich euch. Ich hatte hohen auftrag, wusste nicht Was in der kiste war, tat was ich musste Nach jenem auftrag, jetzt hab ich den höhern: Ihr seid erwartet! Folgt mir! Ihr seid frei! Die mäuler warten draußen und die sänfte Wird gleich zur stelle sein, wie euch beliebt. Dem burschen wieg ich gold in seinen kittel Wenn er gebührend sich verhielt und ihr Euch nicht beklagt? KUTALKULUB (sicher ihr spiel spielend)

Nicht nur gebührend hat er Sein teil an mir getan, hat mich gepflegt! Gehätschelt! Selten sah ich einen von So angenehmem umgang, hat mir viel Versprochen: Sorgen wollt er, gold mir bringen Ins haus und tuch und salbe vom bazar! 200

Und ›bursche‹? Herr Chalifa ist ein fischer Ein meisterfischer, hat es oft bewiesen Und so an mir! BRINGDASGLÜCK

Ihr liebt zu scherzen, herrin! KUTALKULUB

Ich scherze? habt i h r nicht den kauf geschlossen, Die hundert dinar nicht genommen? BRINGDASGLÜCK

Doch! Allein ich bring euch botschaft: Der kalif Nachfolger des profeten, den Allah Der größte segne, sendet mich an euch Entbietet seinen gruß, entbietet euch: Er harre euer! Ihr sollt kommen! Gleich! Er lässt euch sagen: Könnt er kommen, käm Er selbst. So send er mich als seinen boten. KUTALKULUB (sich hoch aufrichtend, fast erhaben, wie vorhin)

Das lügst du in den bart! Solch eine botschaft Ist nicht von ihm, dem einzigen, dem herrn! So lockt Harun sein leben nicht, so ruft er Nicht seines sanges sang Kutalkulub Mit ›könnt ich käm ich‹ hätt er dich gesandt, Nur mit ›ich komm‹ und stünd schon hinter dir! Und hat er dich gesandt, so sag die wahrheit: Er kommt. Ich weiß: er kommt. Schaut aus! Er kommt! Bringdasglück hat sich auf wort und gebärde Kutalkulubs erschrocken umgedreht. Alle blicken gebannt nach links als ob durch die offene tür. Nur Aïscha-Chalifa, rechts als letzte stehend, nimmt schnell die maske ab und spricht als Aïscha hinaus zu Ishak.



201

AÏSCHA

Wir hatten keinen fünften für die rolle Wir sind nur vier. Was meinst du? kommt er nicht? ISHAK Der schon vorher, während die sprecher ausschauten, den turban kalifisch gebunden und sich gerüstet hat, die schönsten der umstehenden blumen ergreifend, einen ganzen arm voll:

Er kommt – er ist schon da! Nach einem blick auf Chadidscha auf die scene tretend wie durch die tür und innehaltend, indess die andern, jeder auf seine weise, ihre ehrerbietung ausdrücken. Nur Chalifa steht auf breitgestellten füßen und stemmt seine hand mit gebogenem ellbogen in die hüfte.

ISHAK ALS HARUN

Kutalkulub! Er wirft die schönsten Blüten aus seinem arm wie zum segensgruß einzeln über Kutalkulub, die übrigen zu ihren füßen.

Du totgesagte, auferstandne, bringst Auch uns die auferstehung! Bring sie! Komm! Wir leben nur wenn dein gesang uns klingt Und wenn dein mund uns süße rede bringt. Ich spähte, Bringdasglück durft es nicht wissen, Ihm nach und saß auf deiner sänfte kissen. Komm wenn du kannst! KUTALKULUB (auf Chalifa weisend schelmisch ernst)

Das hängt an diesem, noch Ist kein entscheid gefällt.

202

ISHAK ALS HARUN (zu Bringdasglück)

Wie hast du ihn Denn ausgefunden? BRINGDASGLÜCK

Der ist unverkennbar! Im bazar packt ich ihn, er leugnete Sie noch zu haben, fort sei sie, jedoch Das armband sprach die sprache der von höchster Und reichster hand beschenkten, das er hatte Und feilbot, ihr geheiß, gestand er, geld Für essen galts. ISHAK ALS HARUN (zu Chalifa)

Du hast sie nicht versehrt? CHALIFA (tief aufseufzend)

Das unheilsarmband ist das einzige teil Von ihr das ich berührt. (zu Kutalkulub)

Da hast dus wieder! KUTALKULUB

Behalts und nimm noch das dazu und das Und das für deine gute pflege! Sie wirft ihm zu und reicht ihm noch drei kostbare schmuckstücke die sie von sich abnimmt.



203

CHALIFA (nehmend aber nur auf Kutalkulub schauend)

Hungerts Dich jetzt denn gar nicht mehr, oh mädchen? KUTALKULUB (auflachend, dann wieder ernst)

Hunger Hab ich gewaltigen! Allein der handel Ist noch nicht abgeschlossen. ISHAK ALS HARUN

Fischer, sag: Verkaufst du sie mir wieder? CHALIFA (immer noch Kutalkulub anblickend, mit blicken verschlingend)

Aber nur Wenn sie es will, so sagt das heilige buch! ISHAK ALS HARUN

Und will sie? KUTALKULUB

Gäb es ein nichtwollen da Das schenkte ich Chalifa, und mein wollen Das schenkt er mir, denn er verliert ja nichts: Mach ich doch die bedingung für mein wollen Dass er bekommt für mich was ich versprach Dass ich ihm gebe als ich seine war: Das schloss, die mameluken, sklavinnen Und sklaven, sänften, mäuler, rosse, und Vergolden wollt ich ihn!

204

ISHAK ALS HARUN

Dies alles und Die tischgenossenschaft dazu! Nimmst an? CHALIFA

Ich nehm es, aber alles ist das nicht Das beste ding ist nicht dabei: das mädchen! KUTALKULUB

Das ich dir nicht versprach! Chalifa, doch Ein mädchen ist vergänglich. Schlösser, güter Die dauern länger, und die gunst des herrschers Schafft mädchen dir genug! CHALIFA

Auch eines das So klug im reden ist? So lang? Auf dem Ich liegen kann? ISHAK ALS HARUN

Das suchen wir! Und wenn Wirs haben feierst du die hochzeit: wir Mit dir und du mit uns! Er streckt Kutalkulub die erhobene hand entgegen, vortretend, sie hebt ihre entgegen so dass ihre finger sich kurz berühren, doch bleibt zwischen beiden ein gebührender abstand.

CHADIDSCHA (aufstehend)

Wenn i c h nicht ende Ihr hört nicht auf und macht gar noch die hochzeit Mit der man stücke schließt. Zu Ishak, der eine abwehrende geste macht und eine werbende zu Munis, als ob er noch etwas zu ihr sagen wolle



205

Ich nehm dir Munis Auch so nicht weg, oh gast! Sie soll uns singen – Du sollst uns singen, Munis! Munis nimmt die männliche maske ab. Ishak, von ihr entzückt, greift ihr unter das kinn

ISHAK ALS HARUN

Munis! Mädchen! Du bringst das glück gleich scheffelweise, schenkst uns Dein antlitz noch und deine stimme! MUNIS

Herr Die herrin wills, so bring ichs euch mit freuden! Ishak führt Kutalkulub von der scene herunter Chadidscha zu, verabschiedet sich mit blicken von ihr und setzt sich wieder auf sein lager. Bunbana, ohne affenmaske aber noch in hose und jäckchen, kommt aus der kulisse rechts, bringt Munis die flöte und trägt mit Chalifa die kiste hinaus, dann kommen auch die beiden zu den zuhörern, von den andern bewillkommt. Munis hat ihr maklergewand schnell ein wenig ins weibliche verwandelt, bleibt mit der flöte auf der scene mitten in Kutalkulubs blumen stehen. Sie bläst ein heiteres stück, nimmt dann die hersagestellung ein und beginnt lächelnd:

Aischa war der Chalifa und Munis brachte das glück Nein Bunbana bracht es der affe und sprang in den Tigris zurück Und in der kiste war drinnen nicht mädel und hübscher bub Kutalkulub war drinnen und spielte Kutalkulub. Sie war, ihr saht es, erstaunlich, und die sie vorher gekannt Die staunten, sogar der kalif kam hinter ihr hergerannt. Den spielte der gast der geschätzte, er blieb in nichts zurück Im fädeln war er der schnellste, gerettet hat er das stück. Da waren es ihrer fünfe die für die herrin gespielt Wir alle bitten um nachsicht wenn einer schlecht sich verhielt. Sie löst die hersagestellung und bläst schnell ein paar kurze heitere tonfolgen, aus dem tonstück wiederholend das sie vor dem hersagen geblasen.

CHADIDSCHA

Ihr habt euch gut gehalten! Munis komm Und schenk uns weiter noch! 206

Sie streckt Munis ihre beiden arme entgegen und holt sie zu sich. Alle mädchen nun Chadidscha und Ishak gegenüber, alle mit den reizen halb aufgelöster maskerade nach dem spiel.

CHADIDSCHA

Ihr holt die becher, Wir loben unser stück auch noch mit wein! Und jeden spieler! Und den gast besonders, Denn sehr gekonnt hat er mit uns gespielt! ISHAK

Und ihr mit mir! (Die mädchen verschwinden hinter die vorhänge)

CHADIDSCHA

Die hast du, gast, wahrhaftig gut gespielt Die geste des kalifen! Woher hast du Dies wissen von kalifen? A u c h vom nachbarn? ISHAK (lächelnd)

Ein vetter hat es mir geschenkt, der manchmal Ihn sieht und umgang mit ihm hat. CHADIDSCHA (auch lächelnd)

Geschickter Scharfsichtiger vetter! Die mädchen kommen mit bechern und verschiedenen weingefäßen und blumen zurück.

Stellt euch her zu mir Wenn ihr verteilt habt!



207

Die mädchen verteilen becher und weingefäße und blumen. Alle treten, die becher in der hand, zu Chadidscha. Munis schenkt allen ein und stellt sich dann auch zu Chadidscha.

Grüßen wir den gast! Alle trinken ihm zu, dann alle allen, dreimal, dann löst sich die gruppe auf. Kutalkulub tritt rasch auf den balkon hinaus und kommt zurück.

KUTALKULUB

Der morgen kommt, der gast muss gehn, ich leucht ihm. CHADIDSCHA

Heut muss ihn Munis bringen! (zu den anderen mädchen)

Auf! Entfliegt! Die drei entschwinden in die vorhänge mit grußblicken und grußgebärden. Munis nimmt eine leuchte und geht nach rechts vorne voraus, wie an die tür, und wartet dort.

ISHAK (indessen beiseite)

Es muss heraus. Mamûn wird mich vernehmen Wird rechenschaft verlangen, bohrend fragen Und ich muss sagen können was ich sage. (zu Chadidscha)

Doch hört mich, herrin, jenen vetter, darf ich Ihn bringen? Morgen? Heute nacht noch? Willst dus? Er weiß geschichten und hat kunst zu singen Die wohl sich lohnte dass mans höre. Willst du?

208

CHADIDSCHA (lächelnd)

Ja willst du denn heut nacht schon wieder kommen? Hast du mein haus zur heimstatt dir gemacht? Bist ein schmarotzer? Bist ein zudringling? ISHAK

Bei dir steht die entscheidung, doch bedenke Dass er viel schöner ist als ich von antlitz, An bildung feiner und von den geschöpfen Allahs Ishak am besten kennt. CHADIDSCHA

Dann muss Er kommen, schnell und heut, denn wer dem sänger Der sänger nah ist, ist auch uns ein nächster. ISHAK

Du hast gesprochen und ich habs gehört Und mein ist der gehorsam. Auf! Zum guten: Aus deinem guten in ein neues gutes!

FÜNF TE SCENE El-Mamûn am fenster hinter säulen links, hinausblickend, die arme verschränkt, gelassen, gespannt, wartend. Mit einmal sieht er unten im hofe das erwartete, richtet sich hoch auf, wirft den kopf zurück und schaut ins weite.

EL-MAMÛN

Sie bringen ihn! ’S wird zeit dass ich erfahre Was war, was ist. Nur nicht gezaudert, gleich Entscheidung fordern: vom geschick, von ihm, Von mir! Und wissen was man tut, und tun!



209

Ishak wird von rechts hinter der scene hereingestoßen und bleibt mit gesenktem haupt stehen in gebührender entfernung. Mamûn betrachtet ihn kurz, immer noch mit verschränkten armen, dann ohne gruß zu bieten oder abzuwarten:

Was heißt das, freund? Du kündigst mir die stelle? Willst nimmer der sein, der du warst? Bist weg Wenn ich dich bat zu warten, kommst nicht wenn Ich warte, sende? Muss dich holen lassen? Recht wie man nur den säumigen holt, den lassen? Was ist ein freund den man erst holen muss? Zwei nächte warst du nicht zuhaus, ich weiß es, Und nicht bei mir, das schwör ich, also wo? Hast schon den neuen herrn dir ausgesucht? Und neue Lust? Gehst fremd? ISHAK

Gebieter, deine So ungeduldigen worte ehren mich Zu sehr fast! Wecken anschein als ob meiner Du dürftig wärst. Du weißt, herr, wenn ich ferne Von dir bin, bin ichs nur für dich. Mich dünkt So f ü r dich bin ich nie dir fern gewesen Wie diese nächte, also dir ganz nah! Du nennst mich freund und fragst mich schlimme fragen. Ich frag zurück: Lässt man so freunde holen? Verliert beim ersten anschein das vertraun? Lässt kein geheimnis gelten, kein im-stillen In dem sich doch ein neues ding bereitet Und nur und nur in dem! Wie soll der freund Denn freund sein und, die beste freundespflicht, Das neue bieten, wenn du ihn zum quell Nicht gehen lässt, ihn ausspähst und dabei Schon sein willst, wenn er trinkt und schaut?

210

EL-MAMÛN (Die arme lösend und sich ans fenster zurücklehnend)

Ishak Mach nicht so weise reden, hilft mir nicht! Und wenn du neunmal recht hast! Du warst fort, Ich sah dich nicht, im innern mein ich, wusste Mit einmal nicht um dich. So lass mich wissen Was dich bewog, wenns sein kann! ISHAK

So gefragt Wie gern erzähl ich: Herr, ich sah ein mädchen Geschmückt war die mit jedem reiz der welt. EL-MAMÛN (enttäuscht)

Ishak, du weißt, ich mag kein weib das nur Ein weib, das ›nur‹ dabei ist wichtig, mag Auch keinen mann ders übers bloße mannsein In nichts hinausgebracht, verstehst mich doch? Und sind nicht so fast alle? Gar so schnell Darfs du nicht glauben eine wäre anders. Das zeigt sich oft wie anmut, seele, geist Und steckt doch nichts darin als dieses eine Das sich dann zeigt wenn sich die künste öffnen, Der antrieb spricht, der tiefre. Nur zwei nächte Erfahrung und schon glaubst du? ISHAK

Das ist eine Von sinn! Ich kam – wann wars – von dir und trat In eine schmale gasse. Mich erleichtern Wollt ich von unserer flut von tränken, tat Es wohlig und – da hing ein korb mit einmal Von einem haus herab, brokatgefüttert, Und mit vier henkeln, hing an einem seil.

211

Ich steig hinein, man zieht, und ich war oben. Und du: du glaubst es nicht, vier monde hoben Mich aus, auf den balkon, und drinnen lag Der volle mond. Vom lager stand sie nicht Hob nur die hand, gelassen, ließ mich ein Zu ihren füßen sitzen. Speisen edle Und trünke bot sie, wissend, und ein mahl Von versen und geschichten, wie nur wir Es uns zu bieten wissen. Von der rede Will ich nicht reden und von dem nicht was Die nächste nacht, die zweite, mir gebracht. Ich hab dich eingebeten! EL-MAMÛN

Mich den sultan? ISHAK

Nein dich den freund, den vetter um die ecke, Dass dus, verhüllter, dir beschaust und prüfst. EL-MAMÛN

Ishak, du machst mich sehr begierig! Meinst du Wir sollten hin? Noch heut? ISHAK

Heut abend! EL-MAMÛN

Abend?! Da ist ja noch ein ganzer tag dazwischen! Ein langer! ISHAK

Herr, er wird uns kurz. Wir sinnen Was aus, das wir ihr bieten, denn s i e bot Mir viel! Und wenn wir nun n i c h t s bieten, fällts Auf uns – das von dem antrieb der zuletzt Sich zeigt! Und sicher sei: s i e kommt uns nicht Heraus aus ihrer schönen schmeidigen hülle Wenn wir sie nicht verlocken. Und: Du darfst 212

Mich nicht beim namen nennen, nicht Ishak Mich rufen, denn verborgen hab ich mich Vor ihr, bin nur ein kaufmann, und Ishak Ist ihr der meistersänger und ich hör Sie sprechen über ihn. Hab ihr gesagt Du seists der den Ishak am besten kennt, Da lud sie dich sogleich. EL-MAMÛN

Und über mich Will ich sie hören. Sag nicht herrscher du Der gläubigen zu mir, ich bin dein vetter. ISHAK

Und du der meine. EL-MAMÛN

Komm, wir gehen gleich Ins singgemach. ISHAK

Ins sinngemach! Glück zu!

S EC H S T E S C E N E Gemach der Chadidscha, verändert: vor der balkontüre ein prächtiger vorhang, Chadidschas lager gegenüber. Sitze, kissen und niedrige rundtische anders gruppiert. Chadidscha liegt mit dem rücken gegen die zuschauer, wange in die hand gestützt, kopf nach rechts. Vor ihr ein kleiner niedriger rundtisch. Dem fußende ihres lagers gegenüber ein größerer niedriger rundtisch mit vorbereiteten sitzen für die gäste. Blüten- und pflanzenschmuck diesmal nur an den rändern der scene und nur große edle gewächse. Kutalkulub ordnet noch daran. Die andern mädchen sind schon auf dem balkon.

KUTALKULUB

Gleich wird er da sein.



213

CHADIDSCHA

Er mit seinem vetter! KUTALKULUB

Zwei körbe hängen, doch vielleicht kommt doch Nur einer. CHADIDSCHA

Oder keiner! – Horch, sie lachen! Man hört ein leises belustigtes girren hinter dem balkonvorhang. Bald darauf öffnen Munis und Aïscha den vorhang in der mitte und halten ihn offen. Ishak und el-Mamûn treten vom balkon herein und verneigen sich tief. Hinter ihnen erscheint Bunbana, deutet wechselnd auf die beiden sich verneigenden und macht Chadidscha übermütige zeichen. Chadidscha entbietet mit einladender handbewegung, nun auf den ellenbogen gestützt, die gäste auf die vorbereiteten Plätze gegenüber dem fußende ihres lagers.

CHADIDSCHA

Willkommen gäste! Stärkung nach der fahrt In körben wird nicht unwillkommen sein? ISHAK

Du sagst es und wir nehmen an. CHADIDSCHA

So bringt Die schüsseln, mädchen, und legt blumen, schöne Den gästen auf den platz. Die mädchen entschwinden, zwei nach rechts und zwei nach links, in die vorhänge und kommen gleich mit speisen und blumen zurück. Von links werden die männer bedient, von rechts Chadidscha. Die blumen werden teils auf die tische gelegt, teils mit den händen wohlgefällig empfangen. Chadidscha steckt sich blüten ins haar, die männer ins gewand oder in den turban. Die mädchen entschwinden nach ihren seiten. Die essenden machen speise- und schmeckgebärden aber ohne zureichungen.

CHADIDSCHA (zum neuen gast)

Ihr kennt Ishak! Erzählt uns von Ishak! 214

ISHAK

Denkt ihr denn nur an d e n ? CHADIDSCHA

An den und alle Die von ihm wissen, wissend mit ihm sind Und er mit ihnen. EL-MAMÛN

Dann: so habt ihr auch An mich gedacht. Denn lang schon kenn ich ihn Und wüsst nicht wie ich lebe ohne ihn Zu kennen, ohne wissen um sein singen Und ohne schöpfen mit dem ohr am brunnen, Am ursprung seiner quelle, seiner flut. ISHAK

Ist er denn gar so einzig dass ihr ihn, Die herrin und auch der geschätzte vetter, So übers maaß genießt und ehrt und lobt? CHADIDSCHA

Wir sind die einzigen nicht. Was an ihm ist Das weiß auch der kalif, der ihn, so sagt man, Gefangen hält auf seine art! – Von mir: Ich wüsste nicht was eine weise ist, Wie lieder leben, wüsst ichs nicht durch ihn! EL-MAMÛN

Wenn er nicht sänge wär die erde stumm So weit sie Allah schuf und harrte eines Der sänge! CHADIDSCHA

Gast, du sprichst vertraut! Doch wie, Wenn du es weißt, wie kommen ihm die töne, Der klang, das silbenfließen und das singen Der melodie?



215

EL-MAMÛN

Er hat einmal von selbst Davon erzählt, nur eines sicher, lang Nicht alles, doch das eine sagte viel! CHADIDSCHA

Vergönnst dus uns? ISHAK (zu el-Mamûn)

Gib acht! Er hörts vielleicht! Für sänger gibt es ohren überall In häusern, auf den wegen, in den bäumen In berg und tal, ja in den herzen selbst, Die für sie hören! CHADIDSCHA

Machen sie aus dem Was jene ohren für sie hören dann Die lieder? ISHAK

Weiß es nicht genau. Doch denk Ich mir: Das wissen das in liedern sich Verlautet kann aus e i n e m sinn nicht stammen Ist wissen von der welt so wie sie selbst Sich weiß. CHADIDSCHA

Du willst uns doch nicht gar die kunde Die angesagte durch dein vorwort kürzen? Erzählt der neue gast?! EL-MAMÛN

Da kam er einmal, Ishak, mit schnellem schritt von seinem haus Wie wenn er einem sagen müsste Was ihm widerfahren, setzte sich und sprach 216

Und war nicht aufzuhalten: nicht mit gruß, Mit frage nicht und nicht mit gastbegabung. ›Ich hatt‹, so sprach er, ›urlaub mir genommen Von el-Mamûn, der immer nach mir ruft Und mich nicht weglässt, dacht: in meinem haus Mir stille zu bereiten, gab dem pförtner Gestrenge weisung: Niemand lässt du vor! Sag, ich sei nicht zu haus, ich sei verritten, Und ging in meine halle, saß und sann. Und kaum im sinnen hörte ich ein tönen Und blickte auf, und an der Säule sitzt Ein mann, nicht weit von mir, ein schöner, ernster, Mit großem haupte das er manchmal wiegend Zur seite legte mit dem weißen haar, Und sah auf mich mit spöttischem blick und fragte: Ishak, weißt du ein schönes lied so sing mirs, Du bists doch, der die schönsten Lieder weiß! Das ohne gruß und ohne ,Herr wie gehts euch‘ Und ‚du‘ und gleich ein lied, der unverschämte! So dacht ich, weis ihn doch hinaus! – und doch War was in ihm das zog, mehr als sein lob Im Spott gereicht, ich nahm die laute, ganz Entgegen meinem wollen, stimmte, sang Von jenen liedern eins, den feingesetzten, Die nur der kenner schätzen kann. Er wiegte Das haupt und sagte: ,Gut gesungen, noch eins!‘ Und wieder, wollte gar nicht, sang ich doch Und noch ein feinres. ,Gut gemacht, Ishak! Darf ich dir auch eins singen?‘ Ich erstaunte: Nach mir noch singen wollen! Der ist nicht Der klarste, dacht ich, der bescheidenste Auch nicht! – und gab, weiß nicht wieso, die laute! Da legte er die finger an die saiten Und sagte: ,Merke dir das lied, Ishak!‘ Und glitt mit seinen fingern in die saiten, Ganz leicht, das ganze reich der töne wogte In meiner halle, wogte, schwand, es blieb Ein silbern klingen von so feinem satz Dass ihn auch ich nicht kannte, und ein lied Von solchem silbenfall und sinngefälle

217

Dass mir die seele lauschte. Endend fragt er: ,Noch eins?‘ Ich nickte, wieder setzt er an Und diesmal wars als säng der ganze raum Der boden und die decke und die säulen Als sängen sie mit ihm, und meine kleider Und glieder sangen mit. Und noch einmal: ,Hast du‘s gemerkt? So hör noch dies!‘ Und offen War oben das gewölb, und andre stimmen Als irdische, von seinen fingern herGezogen in die saiten, silbertonig Und goldentonig, worte feinster zunge – Ich dacht: ich werf mich nieder, werfe nur Noch einen blick auf ihn – da war kein haupt Das wiegte, war kein mann mehr, nur die laute Lag an der säule. Und ich zog das schwert Sprang in den harim, schrie die weiber an: Wo ist der mann, den ihr versteckt? Sie wussten Von keinem, schworen alles ab, der pförtner Saß ruhig und ich fuhr ihn an: Wen hast Du eingelassen gegen das gebot? ,Herr, keiner War an der tür und keinen liess ich ein!‘ Bedrückt ging ich zurück zur halle. Denk: Da duftete die luft von unbekanntem Erlesenem duft, und aus der fernsten ecke Kam leises klingen einer stimme: ,Weisst du, Ishak, wer diese lieder dich gelehrt? Behalt sie gut und sing sie!‘ Und ich ging Und sang, und hab sie noch im mund, im ohr, Und wusste dass mich Iblis heimgesucht.‹ ISHAK

Das sagst du so. Ein andrer hat es anders Erzählt, ders auch von ihm gehört. Und wie es Dann wirklich war, das weiß nur er und sagts nicht! CHADIDSCHA

Dies hat er aber doch gesagt, was so Gesehn ich nie gehört: wie schön das böse Im schönen ist, wie es dem schönen dient Und es vollkommen macht durchs schöne böse! 218

ISHAK

Die herrin spricht als ob sies mitgehört Als Iblis sang. Vielleicht hat sie schon selbst Von ihm gelernt? Vergönnt sies uns zu hören? CHADIDSCHA

Da müssen erst die gäste singen und Die becher singen! (Sie klatscht in die hände und die mädchen erscheinen)

Mädchen, bringt zu trinken! Die mädchen holen und verteilen die becher, schenken ein und bleiben an den vorhängen dienstbereit.

CHADIDSCHA

Und auf den schönen schimmer des dem bösen Mit-abgewonnenen Lieds und ihn, ders dichtet! (Sie trinken mehrmals und tiefe zöge)

EL-MAMÛN (zu Chadidscha)

Du singst? CHADIDSCHA

Ich lass die Munis singen, dann Singt ihr, und, wenn ichs dann noch wage, sing Auch ich. Oh Munis, sing ein dunkles lied Ein trauriges mit süßem schein, wo Iblis Hineingeflüstert!



219

MUNIS (mit der flöte vortretend)

Ob es Iblis war Wer weiß es? Doch ganz ohne Iblis, sagtest Du selbst, ist nie ein lied! Ich spiel und sing! Munis bläst auf der flöte eine dunkel-sehnsüchtige weise und spricht dann in der hersagestellung:

Ob du mich kennst wenn ich durch dichte zweige Mich aus den abendlichen büschen neige? Ob du mich liest wenn ich in fremden zeichen Mich in den schattenklaren wassern zeige? Ob du die lüfte fühlst, die warmen weichen In denen ich aus dunklen mulden steige Die küsse die dich treffen wenn ich schweige? ISHAK (auf el-Mamûn der versunken zugehört hat zeigend)

Blas ihm, der schon so sinnend sitzt, die weise Noch einmal und er wird erwidern! Nicht? EL-MAMÛN

Erwidern oder weitersingen. (zu Munis) Ja? Munis bläst die gleiche melodie noch einmal aber sie rhythmisch aufhellend.

EL-MAMÛN

Ich kenn dich wohl wenn du aus lichten winken, Beglückender, erscheinst und mit der linken Das zeichen gibst dass ich zu dir mich hebe. Und wenn du dann mit einem hellen blinken Der augen machst dass ich mit dir entschwebe Dass wir von jenen silberlüften trinken Und die bedingten unter uns versinken. Jetzt bist du dran, mein vetter! 220

ISHAK

Wohl, ich komme. Blas heiter, Munis, denn ich sing nur weiter Wenn du jetzt heitrer bläst. Das dunkel-helle Der schwermut will den heitern abgesang. (Munis bläst erst heiter gespannt, dann heiter gelöst)

ISHAK

Dich kenn ich nicht wenn du mit bösen augen Mir sprichst und fragst: was soll ein freund mir taugen Der nicht von selbst zu mir kommt, den ich stauchen Und treiben muss und hangend an ihm saugen? Doch kenn dich wohl seh ich dich neu enttauchen Und auferstehn aus solchen vorwurfs laugen Mir süß vertraun und winken mit den augen. Munis fällt sogleich wie hingerissen mit der flöte ein und wiederholt die erst gespannte dann gelöste melodie mit der sie Ishaks singen eingeleitet hatte.

EL-MAMÛN (zu Chadidscha, bittend)

Und, herrin, du? CHADIDSCHA

Dies lied ist ausgesungen. Ein neues ist mir noch nicht zubedungen. ISHAK

Wir wollen dirs bedingen! Lässt du frei Für uns das w i e , sind bald wir unser drei. CHADIDSCHA

Das reimt und reimt nicht bloß, das ›frei‹ und ›drei‹. ISHAK UND EL-MAMÛN

Wir fangen an, seis dir nicht einerlei!



221

Die beiden männer, den blumenschmuck ablegend und sich leicht an turban und gewand verändernd, etwa durch vorher verborgenen schmuck oder seidentücher, treten rasch in den oberen teil des raumes und öffnen den vorhang, wo sie den kleinen scenenplatz vom vortag vermuten und finden. Sie stellen – die mädchen reichen auf winke zu – im linken teil der kleinen scene je zwei schöne leuchten und einen hohen pflanzenschmuck so auf, dass die beiden gruppen eine art grabespforte bilden und werfen ein schönes tuch dazwischen. Dann stellen sie sich davor wie betend-sinnende. Chadidscha und die mädchen schauen zu.

ISHAK ALS DSCHAFAR

Herr, trauert nicht. Ein neues leben kommt Wenn eines ging. Gießt eine spende aus Und lasst die lichter des gedenkens brennen, Dann kehrt euch ab und kehrt euch zu: dem leben Das euch erwartet, bald mit neuem heil! EL-MAMÛN ALS HARUN ER-RASCHID

So kannst d u sprechen den es nicht betraf, Betraf nur so wie einen etwas streift Weil es den freund betraf: auf mich gekommen! M i c h trafs von vorn, das haupt, das herz, die mitte Des Lebens. Denn sie war nicht so ein mädchen Ein schönes künstereiches liebliches Wies manche gibt. Sie war ein stern, gefährtin Der tage und der nächte, wisserin Um das was spielte, was aus dem verborgnen Und lichten schleier der den grund bedeckt, Den unnahbaren, uns in ersten hauchen Entgegenweht. Wie soll ich wege suchen Für morgen, zeichen lesen und den schritt, Den neuen, finden, den das ganze geht, Wenn s i e nicht ist? Dschafar, bedenk: wir kamen Vom jagen, von der lust, nach lust uns sehnend Nach andrer tieferer, nach der lust mit ihr. Man zeigt uns dieses grab.

222

DSCHAFAR

Oh, wenn du so Um diese klagst, so muss sies hören, kommen Von wo sie sei, muss aus dem grab entsteigen Wenn du den namen rufst. HARUN

Kutalkulub! DSCHAFAR Den ton ändernd und den Ishak aus der Dschafar-Maske hervorblicken lassend und das ›hier‹, ›hier oben‹, ›hinab‹ und ›unten‹ mit gesten begleitend:

Hat Harun sie nicht gestern erst und hier Gesehn beim fischer Chalifa? Gefunden Gerettet neu gewonnen? Unversehrt Und schöner strahlender? Die sie gespielt, Hier oben stieg hinab, doch unten steht Die andre mit dem tau auf klaren Lippen, D i e ruf! HARUN

Kutalkulub! Kutal- – Chadidscha! Steig uns herauf und singe! DSCHAFAR

Kommt die herrin? CHADIDSCHA

Wenns mir Kutalku, diese hier, erlaubt? Chadidscha löst sich von den mädchen und insbesonders von Kutalkulub, steigt auf die stufe zum oberen raum und tritt von links zwischen die lichter- und pflanzengruppen auf das seidentuch. Sie winkt Munis und diese bläst in dunklen tönen eine freudige melodie. Die männer treten als zuhörer hinunter in den untern raum und setzen sich gegenüber dem fußende von Chadidschas lager. Die mädchen stehen vor dem balkonvorhang. Chadidscha singt:



223

Das ist das glück, wenn sich durch dichte zweige Der wildnis dieser welt ein antlitz zeige, Ein anverwandtes, und mit neuen zeichen Ein haupt sich zu dem deinen durstend neige, Da fühlst du lüfte wehn, die warmen weichen Schaust wie ein licht aus dunklen mulden steige Und hörst die stimme die dir nie mehr schweige! Chadidscha neigt sich leicht vor den lauschenden und sagt mit leiserer stimme:

Und hört noch dieses auf den schatten der Die mutter ist des lichts, sein schöner tod: Sie winkt wieder der Munis. Diese wiederholt die dunkel-volle melodie und geht dann in ein helles heroisch-klares zugleich zartes und festes melos über.

In deiner labe erquicken sich wieder die matten Aus deiner habe zehren die heiß versengten In deinen scheinen wandeln die süßgelenkten Und sinken dahin und trinken von dir – oh schatten! Du schweigst wenn oft in deiner tiefe die glatten Verbotener wege genüsse heimsen – und fallen. Du zittertest als die taube, die sonder gallen, Von deinen hügeln beflügelt entschwebte – oh schatten! Du bist es wenn sich entrückt die liebenden gatten Der tief sie birgt und mit ihnen stirbt und wieder Die auferstandnen umfliesst – der die schimmernden lieder Mit seinen flügelnden flügeln beschattet – oh schatten! 224

In deinem bogen ruhen vom mahle die satten Von dir her zogen in lichtgefilde die starken Sie nehmen den ruhm und setzen die schützenden marken Und sinken dir zu und trinken von dir – oh schatten! (Munis wiederholt das helle heroisch-klare melos.)

EL-MAMÛN

Ishak! Mein freund Ishak! Jetzt musst du singen Wenn du es wagst nach ihr, wie dir die herrin So schön es nachgesagt und vorgesagt! ISHAK

Du hast gesprochen, herr der gläubigen, Die antwort ist gehorsam. Die mädchen entweichen ehrerbietig zu Chadidscha in den oberen raum. Chadidscha neigt sich mit ihnen vor dem kalifen. Auch Ishak hat wieder seine dienende haltung zu el-Mamûn angenommen.

Munis, blas Das lied vom rätsellob! Kennst du die weise? (Munis nickt und bläst getragene, rätselvolle töne)

Wie früher dämmer leis und lächelnd kaum Auf gartenbeete hin den morgen weht Und schmückt die blüten mit dem ersten flaum Der von den sternen in das tagen geht Und wie ein segel das vom hafenrain Sich löst und seine bahnen leuchtend zieht Wie tiefer teich, der kurz des spiegels schein Verdunkelt, aufglänzt, wenn die wolke flieht



225

Und wie der sichelmond, ein feines schwert, Den äther schneidend durch die sterne fährt Wie sich ein tränenüberströmt gesicht Aus starkem troste hebt und grüsst das licht Und wie die übervolle honigwabe Erfließt und träuft und gibt die süße labe – Wer weiß es wem ich dies verglichen habe? (Munis wiederholt die rätseltöne.)

EL-MAMÛN

Dir selbst, mein freund, vergleichen wirs, so neig dich Und spend uns weiter noch von deiner gabe. Ishak winkt Munis zu sich und flüstert ihr etwas zu. Sie bläst eine schlichte große weise.

ISHAK

So hört das lied das von den betenden Und von den singenden versucht zu singen: ›Lass mir das glück – es hebt mich dir Entgegen aus der flut Und schmückt mich mit der schönsten zier Dem lob: so war es gut!‹ ›Dass es sich finde: dass es horcht geschwind Auf das was in ihm spricht und klingt vom eden! Und was gebührt für sich, für mich, für jeden, Dass es das finde – gibs dem liebsten kind!‹ ›Gib dem sein herzbegehren, schau ihn an: Wie wird er blühen wenn ers eigen nennt Und fühlt dass der ihn kenne den er kennt Und hat des lebens siegel, wird ein mann!‹ ›Gewähr noch dies gedeihn: die kette schließt Sich glied um glied und hält den klaren stein Den funkelnden der sprühend sagt was dein, Und der sein licht in ganze welten gießt!‹ 226

›Entzieh mir was mich schwächt und seis das reichst Geschmückte heil, ich will nur als ein fester Den bruder suchen und die hehre schwester Und leben dort nur wo mir du nicht weichst!‹ ›Und schenk mir was du weißt, ich sag es nicht, Du kennst das nächtige sinnen, die gedanken, Die brennend heiße lieb, du kennst das schwanken Das mich bedroht, das glühende gesicht!‹ ›Lass mir den blick, lass mir das leid, Es zieht, bringt mich dir nah Und näher, und im weißen kleid Der schmerzen steh ich da!‹ So beten sie zu Allah und der eine Der weiß wie alles steht Macht aus dem edlen beten erst das reine Das leuchtende gebet. Von diesem fallen funken in das leben Der dichter, hauch und klang, Und aus der vielen seelen betend beben Wird leuchtender gesang. (Munis wiederholt die große schlichte weise.)

EL-MAMÛN (sich erhebend)

Euch möcht ich haben: Dich! Und dich und sie! Geleitende geschwister meiner tage: Gefiele es der herrin, uns zu dulden? Dass aus der einen nacht noch viele nächte Mit uns entblühen mögen? Sagt ihr ja? CHADIDSCHA

Mein ja ist ein: Nicht gibt es da ein nein.



227

(Chadidscha klatscht in die hände)

Zu trinken! Drei der trünke, dreimal drei! Die mädchen schenken ein, zwei, Kutalkulub und Aïscha, dem Kalifen, zwei, Munis und Bunbana, dem Ishak. Chadidscha, El-Mamûn und Ishak trinken die neun trünke.

KUTALKULUB Die wieder gewacht und am vorhang zum balkon ausgespäht hat, den morgen ankündigend:

Wie leuchten wir den gästen heut? CHADIDSCHA

Oh: Munis Geht links und leuchtet für Ishak. Kutalku, Die spielend auch Kutalku war, geht nun Zur rechten des kalifen el-Mamûn. Die beiden geleiten wie angegeben, mit lichtern, el-Mamûn und Ishak, die grüßenden und winkenden, nach vorne hinaus.

SIEBENTE SCENE Aïscha und Bunbana treten zu Chadidscha.

AÏSCHA

Bist du jetzt dort gefangen? BUNBANA

Nimmst uns mit Zum Sänger und zum herrscher? Lässt uns hier? AÏSCHA

Kommst wieder?

228

CHADIDSCHA

Gehen wolln wir wenn wir gehen Und bleiben wenn wir bleiben! Ohne euch Wo wär Chadidscha? Ohne mich, wo wollt Ihr sein? Kutalkulub und Munis sind bei den worten der Chadidscha zurückgekommen

KUTALKULUB UND MUNIS

Oh nirgendwo! AÏSCHA UND BUNBANA

Und nirgends! AÏSCHA

Sag, Chadidscha: Die männer, meinen sie nicht, was sie wissen, Das sei wie s i e es wissen, und sie wüsstens V o r uns, und gnade sei wenn sie uns ›finden‹, Und unser glück, das käm so nebenbei Wenn sie geruhn, an uns sich zu beglücken? BUNBANA

Ich weiß vielleicht wie sies so weit gebracht: Sie denken: wenn s i e denken seis gedacht! KUTALKULUB

Aïscha, sieh dich vor! Bunbanas schnabel Wird schneller hart, trifft schärfer schon als deiner! CHADIDSCHA

Oh, Munis, sing! Sonst schwatzen jung und jünger Uns noch die welt entzwei die doch drei nächte Ganz hübsch zusammenhielt. Bunbana weiß wo die flöte liegt und gibt sie der Munis. Munis bläst eine heitere, zum übermütigen hin ausschlagende melodie mit großen tonsprüngen. Dann spricht sie in hersagestellung:



229

MUNIS

Das kommt und geht Glückswind verweht Doch glücksstern scheint sind wir vereint. Wir hingen den korb aus was stieg uns darein? Wars schenkendes glück wars täuschender schein? Wir zogen ihn auf und erwünschtes entstieg, Bringts trennendes leid bringts liebenden sieg? Das kommt und geht Glückswind verweht Doch glücksstern scheint Sind wir vereint. Chadidscha und die mädchen fallen sich lachend in die arme.

230

PERLENBAUM

PERSONEN

SHAGARAT AD-DURR

Gemahlin des sultans as-Salih und seine nachfolgerin im sultanat

TRAUMGESTALT JUNG AS-SALIH

als prinz und statthalter in den syrischen provinzen

TRAUMGESTALT JUNG SHAGARAT AD-DURR

als sklavin und dann gemahlin des prinzen as-Salih

AIBAK

Großmamluke des as-Salih

BAIBARS

Großmamluke des as-Salih, der spätere sultan Baibars

YUSUF ARSLAN

Türkische edelknappen des as-Salih, Arslan ist der künftige sultan Kalaûn

FAHR ED-DIN

Arabischer emir, wezir und oberbefehlshaber des heeres unter as-Salih und Shagarat ad-Durr

AL-FAÎZI

Arabischer emir, nachfolger des Fahr edDin im wezirat unter Shagarat ad-Dur und al-Mansur

AL-MANSUR

Aibaks sohn aus früher ehe, nach Shagarat ad-Durrs sturz für kurze zeit zum sultan erhoben

IBN MATRÛH ZUHAIR

Hofdichter und inhaber hoher ämter unter as-Salih und Shagarat ad-Durr

DER SUFI DIE STILLE BOTIN

232

ERSTE SCENE

Im vorraum des sultanszeltes bei Mansura steht Baibars im vordergrund in sich versunken. Im hintergrund seitlich, wenig wahrnehmbar, hockt der Sufi auf einer matte an der filzwand des innenzeltes. Der vorhang vor der pforte zum innenzelt wird beiseite geschoben und Shagarat ad-Durr tritt heraus und bleibt einige augenblicke stumm und hoch aufgerichtet stehen. Dann zu Baibars, der regungslos auf sie schaut:

SHAGARAT

Tot! – aber schweig! Dein reden wär dein tod Von meiner hand. Bei den vermächtnissen Von al-Karak, wo du der dritte warst Als unser herr und ich die fesseln teilten Und alle andern waren fort gegangen Nur ich und du an seiner seite: Du Und Fahr ed-Din allein und Aibak wissens Und schweigen. Für die andern gilt: Der herrscher Ist krank, es kann ihn keiner sehn. Fahr ed-Din Hat den befehl, so wills der herr. Die schlacht Wird angenommen, wird vom schicksalsbaum Gepflückt. Die frucht ist reif. Dein sieg von Gaza Der uns die heilige stadt gebracht, hat diesen könig Im westen aufgestört und ihn und seine Geschienten Franken hergetrieben und Du siegst, auch wenn du diesmal nicht befiehlst. Geh, rüste dein gefolg! – Zuvor die boten: Den sohn aus Hisn Kaifa holen, den Unsäglichen. Er muss es selbst erweisen Dass er nicht taugt, nah sein noch eh sein vater Im reich ein toter heißt. Die Franken muss er Geschlagen finden dass er dort nicht erntet Wo er nicht säte. Sage den emiren Ihr teil und den mamluken, heiß die knappen: Keiner tritt ein und keiner kommt zum zelt Der nicht gerufen ist. Arslan und Yusuf Stell an den eingang hier. Ich schick den läufer Mit dem befehl zu euch. Die unterschrift Macht as-Suhaili – und ihr zieht zur schlacht Und holt den siegesmorgen aus der nacht.

233

Baibars entfernt sich stumm. Shagarat ad-Durr lehnt sich, den kopf auf den arm stützend, an den zeltpfosten. Sie spricht jetzt zum Sufi der sich erhoben hat, aber an seinem ort geblieben ist.

SHAGARAT

Sag dass er lebt! SUFI

Er lebt. Du wirst es sehen Und wirst ihn leben sehn. SHAGARAT

Das sagt ihr so Weil ihr es geistig meint, ich mein die andre Die höhere, die leibhaftige gegenwart. SUFI

Die doch nichts ist als geist. Lass uns ihn waschen Und hüllen und ihn ehren. Den verehren Der ihn gemacht hat: einen einzigen solchen Und dich zu ihm, den schöpfer, im gebet. Shagarat ad-Durr richtet sich wieder auf, reicht dem Sufi, der jetzt zu ihr hervortritt, die hand und geht, ihn an der hand haltend, mit ihm ins innere zelt. Nach kurzer weile erscheinen Arslan und Yusuf, bewaffnet, am zeltvorhang und blicken herein.

ARSLAN

Leer! Aber drin ist dicke luft, die schwere, Die luft vom kismet mein ich die man riecht Wenn sie sich so zusammenzieht. YUSUF

Schau doch Nach außen, drin ist schwere stunde, halt Den speer bereit, das schwert, der weg hinein Geht über unsre leichen.

234

ARSLAN

Leichen, schatz? Dann geht er nicht hinein – ich leb noch lang. Sie tauschen sehr verschiedene blicke und nehmen ihre wächterplätze ein.

ZWEITE SCENE Thronraum im innern des sultanszeltes vor Mansura. Der raum ist durch einen vorhang geteilt. Im linken teil auf dem erhöhten sitz Shagarat im profil, der Sufi steht zu ihrer linken. In den rechten teil treten, während der bühnenvorhang aufgeht, Fahr ed-Din, Aibak und Baibars. Fahr ed-Din stützt sich auf Aibak. Sie grüßen in der richtung auf die fürstin und stehen dann in abwartender gruppe. Kurzes schweigen.

SHAGARAT

Sprich emir, sag was du zu sagen hast. FAHR ED-DIN

Vom sieg hab ich zu sagen: fünfzehntausend Gefangne, könig Ludwig ist gefangen Mit seinen großen allen. Turanschach As-Salihs Sohn, wie du befohlen hast, Ist bald verständigt, nächstens hier. Du willst Den Frankenkönig sehn? SHAGARAT

Nur wenn er bittet Und dann nur wenn ich dann auch will. Der sieg Ist gottgegeben, heischt den dank: Ein haus Dem Gott zu stets erneutem beten. Marmor Und gold in den Mihrab. Dazu ein bad Zur reinigung und eine küche für Die armen und ein haus der labe Wo alle kranken labsal finden, heilung Wenn Gott es will und trost im tod. Den Franken Gebt freundlichen gewahrsam! Für die gutGehaltenen werden wir Damiette wol Zurückbekommen und auch ihren abzug

235

Nachhaus in ihre Länder. Ehrt den könig Wie sichs geziemt: das krönt den sieg und ist Für euch die schönste siegeskrone nächst Dem dank von meiner hand. Der wird nicht mangeln Nein, trifft mit huld. Das heer versammelt sich Hier vor Mansura, morgen. Jener sohn Braucht zeit und kommt zurecht wenn wir den eid Auf dich und ihn genommen und sein name Zusammen mit des hohen sultans namen Am freitag im gebet erklang – wir machen Zum herrscher ihn bis ers dahin gebracht Wohin sein sinn ihn führt. Der tod des sultans Bleibt noch geheim, bewahrt. Der leichnam fährt Zur insel Rauda in der nacht. Fahr ed-Din Dich ehrt die wunde sehr die du empfingst. As-Salihs arzt sei deiner. Shagarat ad-Durr erhebt sich und verlässt, vom Sufi begleitet, den raum während der emir und die beiden großmamluken grüßen. Die drei setzen sich auf die im hintergrund ihres raumteils bereiteten sitze. Ein nubischer Sklave, dunkelhäutig, in weißem seidenkaftan, mit weißem seidenturban, bringt lautlos den bewirtungsscherbet.

FAHR ED-DIN (nach dem ersten trinken)

Rasches wort War immer ihre stärke: im erfassen Des augenblicks, mit vor- und nachher, weicht Sie keinem mann. Und was sie sagt das trifft, Manchmal vielleicht auch dort wos besser wäre Es träfe nicht. BAIBARS

Allein der hochsinn kann Nicht rücksichtsvoll verfahren wie ein rechner Und spieler kann, er muss sich immer selbst

236

Zugleich bezeigen, mit den dingen auch Sich selbst bezeichnen, ob es günstig sei Für den gewinn ob nicht. AIBAK

Mag sein er muss. Jedoch das wirkliche! Bleibts auch im blick Sobald der hochsinn steigt und sich bezeigt? Und ist nicht die gefahr der hochgesinnten Dass sie den sinn, der andern innewohnt, Nicht immer merken wollen und das gold Auch in das eisen schlagen möchten? BAIBARS

Gold Und eisen sind die schlimmste paarung nicht! Der herrschende hat s e i n e wirklichkeit. Hätt er sie nicht wie gäb er wirklichkeit Dem werdenden das noch nicht wirklich ist? Der hochsinn schaut voraus! FAHR ED-DIN

Er schaut voraus Und schaut auch nach: nach dem entgangenen. As-Salih hat euch hergebracht, hat Sie Gebracht. Sie ist mit ihm wie ein gewächs Von einem wesen. Dass ihr beider sohn Gestorben, ist ein unglück von der art Bei der wir irdischen glauben, Allah habe Uns ein zuviel an glück ersparen wollen. ›Wie wär Halîl?‹ so dürfen wir nicht fragen Nein, müssen sagen: wär er da, s i e träte Zurück, die neue sonne würd es bringen Dass ihre nicht das himmelszelt bestiege. Er ließ die bahn ihr frei und leuchtet mit! Sie hat ein herrscherherz, ist großen wesens Hat des as-Salih geist, ist er noch einmal. In ihr ist er mit uns, drum lasst uns folgen Der steilen bahn, denn mählich steigt sie nicht.



237

AIBAK

Was du gesagt ist schön, das schönste ist Dass Du es sagst, nicht unsereiner der Mit ihm und ihr gekommen, du vom Nil! Ob er, ob sie den hochbefehl des heers Dir anvertraut ist eins. Sie wussten beide Dass du sie kennst, erkennst wozu der Größte Dem alle dienen, sie bestimmt. BAIBARS

Du mahnst uns Dass wir mit ihr und durch denselben kamen Den herrn der uns gemacht hat und mit ihr Gemacht, hat wachsen lassen wie wir sind. Die so verbundenen sind von neuer sippe Und bist nicht du, ders weiß, schon mit dabei? FAHR ED-DIN

Mehr als ›dabei‹ und mehr als ›mit‹! Und ihr Verschwisterte mamluken, seid nur eins Solang ihr wisst wo euer stamm und eure Geweihte krone, und dann eins mit mir. Wo Gott in menschen ist, ist heller tag Ob glück ob unglück ihre häupter fasst Und dunkle nacht wo menschen ohne Gott Den sie umgehen wollen selbstisch fallen In ihre eignen hände. Sprecht das Amín Zum ersten und ich reich euch meine hand. BAIBARS UND AIBAK (sich erhebend)

Amín! Amín! Die drei ergreifen sich, nachdem auch Fahr ed-Din sich erhoben, kurz an den händen, so dass alle sechs arme zusammenlaufen, und verlassen dann, Fahr ed-Din auf Aibak gestützt und zuletzt Baibars, den zeltraum nach rechts. Eben daher schauen alsbald Yusuf und Arslan herein. Arslan tritt zuerst ein.

238

ARSLAN

Komm her, wir setzen uns Wo die gewaltigen saßen, dass auch wir Aufsteigen in den sattel, kommt die zeit! YUSUF

Sitz du, ich steh, ich kanns erwarten, bin Nicht ungeduldig drauf. Doch bei der schlacht Da fiels mir sauer nicht im sattel sein Und wachen hier beim unglück, wo doch keiner Zu kommen wagt wenn s i e ihr wort dagegen Gestellt. Und jetzt wo alles grad vorbei Da kommt die ablösung! Ich mag nicht sitzen Wo diese sieger saßen, denen ich Den kampf beneide nicht den sieg! – Arslan Denkst du auch manchmal an das Kaspische Das meer zu dem wir mit den herden kamen Den unsern, hunderte und fast ein tausend Kamele, an die rosse deren haar Die nackten schenkel kitzelte wenn wir Zur schwemme ritten? Luft war da wie glas Wie wein und manchmal seide, weich und still Und reiherhälse tauchten in die flut Wie wir in liebesnetze. ARSLAN

Denken schon, Allein verlangen tut mich nicht danach Und nicht nach jener sippe, vätern, müttern Und brüdern nicht und schwestern, den geliebten, Und nicht nach herd und kessel in der yurte. Ich bin as-Salihs sohn geworden, leider Der jüngsten einer der des vaters hand Schon bald verlor – du glaubst doch nicht er lebt? Die zeichen standen weiß auf ihrer stirn Als sie uns gestern nach der stunde fragte Und ungeleitet an die pforte kam Und ihre blicke in die weite sandte Als sähe sie die schlacht und atmete



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Die schlachtluft durch die nahe meilenferne. Die also schaute trug das los, das ganze Nicht nur ihr teil mit ihm, sie war allein! YUSUF

Allein? Ja weil sie einzig ist. D i e sind Allein. Doch nicht allein wo anhebt was Gefolgschaft heißt, da hat sie alle mit Und nach ihr, vor ihr, wenn sie winkt. Nicht einer Der nicht die lenkerin fühlt: s e i n zweites ich. Und ist er tot, der thron ist nicht verwaist Und wir nur halbe waisen. Hör Arslan: Auch ich will nicht zurück, den großen umtausch Nicht rückwärts tauschen, umgeboren Wie du bin ich. Und als die botin kam, Die stille, und uns hieß zur stelle sein Wenn die gerufenen gingen und am vorhang Am ihren warten, zückte was ins herz Was unaussprechliches. ARSLAN

Hali halo! Dann sind wir also brüder und ich wusst es Doch eh dus fein eröffnet. Brüderchen Schau nicht so groß, ein scherzblick tut es auch! Und das unsprechliche wird sprechen, bald! Da kommt es schon! Arslan springt auf. Beide in ehrerbietiger haltung wartend. Der Sufi tritt auf der anderen vorhangseite ein, dort wo Shagarat ad-Durr und er hinausgegangen, und stellt sich auf seiner raumseite an den vorhang.

SUFI

Die beiden knappen nennen Jetzt ihren namen. YUSUF

Yusuf

240

ARSLAN

Und Arslan SUFI

Die herrin will von euch den eid auf sie Auf sie allein und ungefragt und ohne Bedingnis ohne schranken, ganz und immer. Seid ihr bereit? YUSUF

Bereit. ARSLAN

Bereit. SUFI

So schwört: Bei Allah dem Erhabenen Einzigen, Die herrin Shagarat ad-Durr, die große, Ist unser herr von nun ab. Keinem andern, Nur ihr gehorchen leib und seel und lippe. Wir sind die ihren, wie wir sind, auf immer. YUSUF UND ARSLAN

Bei Allah dem Erhabenen Einzigen, Die herrin Shagarat ad-Durr, die große, Ist unser herr von nun ab. Keinem andern, Nur ihr gehorchen leib und seel und lippe. Wir sind die ihren, wie wir sind, auf immer. SUFI

Die herrin nimmt es an und euer ort Ist wo sie ist: im zelt und im palast Und wo auch sonst auf dieser erde gottes. Ihr zieht ins dienstgelass der leibeswächter Nehmt deren amt und zubeding als ob Des herren handtuchhalter ihr geworden. Holt eure habe. Geht und kommt zurück. Yusuf und Arslan verlassen, dem vorhang nie den rücken kehrend, den raum.

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SUFI (ihnen nachblickend)

Jugend ist jugend, wenn sie edel ist Ein schimmerndes versprechen, und ein opfer, Wenn es zum opfer kommt, das lohnt und leuchtet.

DRIT TE SCENE Sultanszelt in Mansura. Man sieht in ein zeltgemach, das durch in mehreren schichten einfallende behänge nach hinten immer enger wird. Im grunde des gemachs sitzt vor der rückwand Shagarat ad-Durr. Zu ihrer rechten aber mit abstand und weiter nach vorne Fahr ed-Din und im vordergrund Aibak. Zu ihrer linken sitzt ihr näher der Sufi und, noch weiter vorne als Aibak, Baibars. Der Nubier trägt gerade die schon geleerten gefäße des begrüßungsscherbets hinaus.

SHAGARAT

Beginnt die rede. Jeder sagt sein teil Was er vom stand der dinge denkt, und denkt Von dem des namen ich nicht nennen will. Der emir spricht zuerst. FAHR ED-DIN

Er war in Kairo Die schläfen von der missgebrauchten wollust Gezeichnet, ein verfallner, zog Damiette Zurückzuholen, blieb in Fariskur Und gängelt sich und seinen tross mit weichen Genüssen statt des kampfs. Wir haben zeugen Die unbezweifelbar die dinge melden: Er schwankt, indes nur zwischen schlecht und schlechter, Sagt, dass er die gefangnen morden wollt Die uns die pfänder der befreiung sind, Der früchte unsres siegs, sagt anderntags, Das heißt bei ihm die nächste nacht: ein bündnis

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Mit könig Ludwig woll er schließen, kehren Die so gestärkten waffen gegen uns. Er schreibt mit drohungen der fürstin, die Zum herrscher ihn gemacht, hat die juwelen, Den staatsschatz auszuliefern angesonnen. Er kann nicht sultan sein. SHAGARAT

Die rede lastet Weil sie das wahre sagt und das bald wahre Und sagt es aus gemessenem mund, der lieber Durch schweigen spricht und noch im sprechen schweigt. Aibak, dein wort. AIBAK (sich erhebend)

Er hat sobald der tod Des vaters ausgerufen war, geehrte männer, Die würdigen, abgesetzt, hat ihre stellen Unwürdigen, buhlen seiner Lust, gegeben Unreifen knaben, die ihn hetzen, sagen: ›Die macht hat Shagarat ad-Durr und die Die mit ihr sind. Du hast allein den namen Des sultans‹. Und der trunkene hat die kerzen Um sich gestellt, die flammen mit dem schwert Herabgeschlagen und geschrien: so mach ichs Mit den mamluken von der insel. Wie Er lebt, wenn man das leben nennen kann, Ist uns nicht neu. Er hat in Hisn Kaifa Den harim seines vaters schwer verletzt, Das unbetretbare betreten, hat Des vaters mutter morden lassen, die Ihn mahnte. Wenn wir warten wird er uns So tun wie andern er getan, die ihm Im wege waren, so wie vaters mutter. Er kann nicht länger leben.



243

SHAGARAT (sehr langsam)

Mehr als das. Er hat dem unnahbaren schleier, wisst es, Sich nahen wollen. Er war lang geschont, Geführt, gemahnt, sank tiefer nur. Sein sterben Je schneller desto besser ists getan. Der Sufi hebt die hand zum zeichen, dass er sprechen will.

SHAGARAT

Der Sufi spricht. SUFI

Ich nenn den ungenannten Mit dem befleckten namen: Turanschach. Und sage was der scheich Bistâmî sagt: Wer keinen meister hat den führt der teufel. SHAGARAT

Baibars, dein wort zuletzt. BAIBARS (sich erhebend)

Wenn ich ein vorrecht In diesem falle mir erbitten darf, Führ ich den streich. SHAGARAT

Gewährt! Und heil uns wenn Die erde von d e r frucht entlastet ist. Nennt mir den tag.

244

BAIBARS

Der zweite mai! Der gleiche An dem as-Salih, unser herr, den thron Bestieg, des seele er, der sohn, geschändet. Dann holen wir den herrn von seiner insel Dann wohnt er wieder mit im reich. Shagarat ad-Durr, die sich erhoben hat, hebt schweigen gebietend die hand. Während sich die drei ebenfalls erheben und zur fürstin hin verneigen fällt der vorhang.

VIERTE SCENE Sultanszelt in Fariskur mit doppelthron links, nach vorne gerichtet, der durch einen vorhang vom übrigen raum getrennt werden kann. Der vorhang ist weggezogen. Fahr ed-Din, Aibak, Baibars, Ibn Matrûh und Zuhair im rechten teil des raumes wartend versammelt. Fahr ed-Din stützt sich leicht auf Aibak. Yusuf und Arslan im hintergrund am vorhang, dort wo der vorhang bewegt werden kann. Shagarat ad-Durr, das haupt vom mantelschleier bedeckt und dadurch sehr verhüllt, tritt von links auf, gefolgt vom Sufi, der, wenn sie stehen bleibt, an ihre linke Seite tritt. Hinter beiden, in gemessenem abstand gehend und stehend, die Stille Botin. Wenn sich die gruppe der emire beim eintritt Shagarat ad-Durrs zu ihr hin öffnet, kommt Fahr ed-Din in die mitte zu stehen.

FAHR ED-DIN (nun freistehend)

Die hier versammelten empfingen würde, stand Von as-Salih und Shagarat ad-Durr mit willen Allahs. Der hohe as-Salih ist heimgegangen Zu Allah, und sein sohn, der abgeartete, Empfing was er empfing. Wir bitten unsre fürstin Dass sie den goldnen thron Ägyptens innehalte Wie sie ihn an as-Salihs seite hielt So jetzt allein. Und doch mit ihm, der lebt In ihr, uns seines herrschertumes segen schenkt.



245

SHAGARAT

Du sprichst mit einsicht und mit würde, wie Du stets gesprochen. Zuhair hat das wort. (Fahr ed-Din stützt sich wieder auf Aibak)

ZUHAIR

Du siehst mich hier auf deinen ruf, die hand Mit der du winktest, die versöhnende Entsühnende, soll mir die winke geben Zu neuem wirken in der nähe. SHAGARAT

Schön Gesprochen. Und der freund der dir verblieb Indes der herrscher schied, im staatswerk freund Und freund im dichten, mag dein wort ergänzen: Ibn Matrûh, wir lauschen wenn du sprichst. IBN MATRÛH

Die herrin Beliebt zu scherzen, scherzt als herrscherin Und scherzt so ernst dass meine dichterzunge Nur schwer die verse meidet. Lass sie dir Wenn mich der himmel leben lässt zugleich Mit allem bringen was verstand und herz Noch sonst in deinem dienst vermögen könnten. SHAGARAT

Sie werden uns wie deine taten klingen. Was sagst du Aibak? Sprich, wir hören dich. AIBAK

Am morgen steigt das licht, am abend sinkt es Und ist die gleiche leuchte doch die immer In zeit und nichtzeit leuchtend alles spendet: Die leidenschaft, den geist, den mut, die kraft. Das sinkende ist uns zum glück gestiegen.

246

SHAGARAT

Und Baibars? BAIBARS

Ist in worten nicht der beste Vielleicht, allein hat einen arm, ein schwert Drin eine flamme zückt, so fühlt er, jene, So hofft er, die von Shirkûh auf Salah Ed-Din, auf al-Adil, auf al-Kâmil Und auf as-Salih übersprang. Sie stehen, Der arm, das sehwert zu deinem dienst. SHAGARAT

Mich dünkt Die worteprobe hätten wir bestanden Sei Allah mit uns auch bei unserm werk. Shagarat ad-Durr gibt mit der hand ein zeichen, Yusuf und Arslan schließen darauf den vorhang vor dem thron und stellen sich links und rechts des vorhangs nach der seite der emire hin wie wachen auf. Shagarat ad-Durr nimmt den mantelschleier vom haupt, auf dem der sultanstulbend sichtbar wird, steigt zum erhöhten doppelthron hinauf und lässt sich auf ihm nieder. Der Sufi tritt zu ihrer linken auf die untere thronstufe. Die Stille Botin, die Shagarat ad-Durr beim niederlassen geholfen hat, stellt sich rechts halb hinter den thron.

SHAGARAT

Das erste ist wir bauen mir ein grab. Denn seit mein herr starb bin ich eine tote Die dadurch lebt dass er lebendig blieb In mir und euch. Und da ich also lebe In sonderer art, so bin ich auch dem tod Sehr nahe, muss es wissen: Allah hält Ihn mir bereit an jedem tag. Darum Das grab. Das zweite: Ihm erbauen wir, Dem sultan as-Salih, ein grabmal, mächtig Und hochgewölbt so wie sein wesen war Und seine hochgestalt, und das in fester Sorgsamer eile, denn von seiner insel Ihn heimzuholen können wir erst wagen Wenn wir ein haus ihm, seiner würdig, bieten.

247

Das dritte ist der friede, sieges frucht. Husam verhandelt. Statt des schwankenden Lässt er die festen spüren, bietet rasch Und bündig, und die Franken werden weichen! Streng, kurze frist: gleich heut, schon morgen, in Zwei tagen, spätestens den achten mai! Ist Damiette unser, sie zu schiff, Gebunden durch vertrag und eid und siegel, Dann schickt ich ihnen herzlich gern noch einen Gefangenen könig nach und noch einmal Die fünfzehntausend, doch es tuns die einen. Die ämter, freunde, teilen wir nach maaß, So weit es uns zu neuer teilung nötigt. Zuerst: dass Fahr ed-Din das wezirat Zum hochbefehl des heeres übernimmt Wenn er geneigt ist? FAHR ED-DIN (wieder freistehend)

Deine hoheit möge Erlauben dass ich tauschend sage: wohl Nehm ich das wezirat so lang ich kann Solang dus mir vertraust! Den hochbefehl Geb ich an dich zurück. Verleih ihn einem Der in der blüte seiner kraft dies amt Versehen kann. Die wunde aus der schlacht Ist zweimal aufgebrochen. Bricht sie auf Ein drittes mal besteh ichs nicht. Du solltest Mir auch im wezirat den helfer schon Zur seite stellen dass er wirken kann Wenn ich versage. SHAGARAT

Sprich nicht von versagen. Wenn einer nie versagte bist es du. Hast jahr um jahr die kette deiner stillen Und deiner lauten taten hingereiht 248

Die du gekrönt hast bei der jüngsten probe. Und könntst du nichts mehr tun, du tatst genug! Trägst deine wunde groß wie einen schmuck, Sie schmückt dich, hochgeehrter, leuchtend still, Dein siegesschmuck, das mahnmal der erfüllung. Geb Allah dir genesung! Sieh wir betens Für dich und uns. Den helfer wählst du selbst, Wenn du ihn wählst so ist er uns vertraut Und wächst uns zu, und wer den hochbefehl Erhalten soll, sag du! FAHR ED-DIN

Als helfer nenn Ich Al-Faîzi. Er ist einer der Maaß hält, ist langher dir und mir vertraut. Und für den hochbefehl benenn ich Aibak. Ihn ehren die mamluken, die vom Nil Sind stolz dass er sie ehrt. Er sieht das ganze, Kann für das ganze wächter, führer sein. SHAGARAT

Was sagst du Aibak, da mir dem gesagten Aus vielen gründen beizupflichten scheint? AIBAK

Vielleicht ist Baibars’ arm der stärkere Sein schwert das schärfere. Ich würds d e m arm D e m schwert an raum und amt nicht fehlen lassen Wär der befehl bei mir. Der Perlenbaum, Vergönn mir deines hohen namens deutung, Er sollte meiner führung führung sein Und alles was ich täte wär ein gruß An unser neues Licht. Die gütige meinung, Die Fahr ed-Din für mich bezeigte, macht Dass ich bescheiden werde, zaudre. Möcht Er recht behalten, möcht ich das erreichen Was er, ein spender, mir schon zugesagt. Nach ihm den hochbefehl empfangen heißt Zu großer probe stehn – dass sie mir glücke! Er war der engvertraute al-Kâmils

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Der mit dem Frankenkaiser einst verhandelt Den sie den größten Friedrich nennen. Der Schlug ihn zum ritter. Zwei der größten Machten ihn groß bei freund und feind, und ›ritter‹ Und ›mann des stolzes‹, ›grosser krieger‹, ›reich Und mächtig‹ nannte ihn der Franke Der mit Husam verhandelte. Sein ruhm Bei ihnen selbst, der wirkte mit zum sieg Zur flucht der Franken. Und weil er mir traut Darf ich mir trauen, darfs und sage ja! SHAGARAT

Nehmt ihr es an? EMIRE UND MAMLUKEN

Wir nehmen an. SHAGARAT

Baibars Dich halten wir zu sonderer verwendung Mit arm und schwert und auch mit deiner lippe, Die nicht so ganz unkundig ist der worte Die sagen was sie sagen, dass doch Einer Im heer im staate sei der ohne last Des amtes wirkt sobald wir sein bedürfen. Was sagst du? BAIBARS

Gerne bin ich frei und dien. Das reich ist groß und deine flaggen hangen Vom Nil bis an den Eufrat wenn sie wehn Dort wo sie sollten wehen. Schick mich aus Behalt mich hier, ich bleib und zieh! Wir zogen Von Hisn Kaifa an den Nil und waren In al-Karak gefangen, wieder frei, Indessen wol in Mossul und Damaskus Und auch am Roten Meer und wieder hier. Ob du dir arm und schwert ob geist ob lippe Zu deinen diensten wählst, ich such den ruhm. Mein ruhm ist wenn ich Seiner, Deiner bin. 250

SHAGARAT

Sei seiner, sei der meine! Und du steigst Am Ajubidenbaum hinauf, wirst blüte An diesem stamm von neuem blut. Ibn Matrûh: Du hast ein wezirat mit frucht geführt, Warst mit as-Salih in den ostprovinzen, Meister des schatzes warst du rückgekehrt Und waltetest, sein sendling, in Damaskus. Nimmst du den schatz noch einmal in die hände? Und tust dazu von deinen innern schätzen, Lässt mit dem gold das gold der herzen leuchten In deinem wort und bild und klang? Den könig Ludwig haben unsre krieger Und deiner verse sturm zurückgescheucht. In ihrem schönen grollen fährt er hin, Aus unserm reich hinausgesungen. Und, Da du den Fahr ed-Din so schön gepriesen So möchten wol durch wesen und verdienst Wir andern auch in deine verse kommen, So hältst du uns am dichterzaum! IBN MATRÛH

Erhabne Gebieterin, schon immer macht dein scherzen Im ernsten kleid mich sängerisch verzückt! Und bringt das neue amt mir neue schmerzen Bin ich beglückter noch, durch dich beglückt! Denn wenn aus meiner hand dinare rollen Auf dein gebot, sie wissen was sie sollen. Und wenn sie umgekehrt dinare rafft Dann sind sie nahrung für des reiches kraft! Und schenken mir die Großen, schlanke erlen, Durch ihren wandel, ihrer taten licht Dass mir die verse von den Lippen perlen Ist mein das dichtwerk, ihrer das gedicht! So werk ich gern, nur eines wag ich kaum: Für uns das lebenslied vom Perlenbaum.



251

SHAGARAT

Ich hätte doch den oberschreiber asSuhaili in die ratung bringen müssen Dass er verzeichne was du ratend dichtest. Doch in den herzen wird es nicht vergehn! Zuhair! Dein freund hat angenommen! Du Kannst nicht zurück! Du musst die feine lauge Des spotts dazwischen singen dass er uns Nicht übersüßt – nimmst du die staatskanzlei? Als Fahr ed-Din den ruf zum Heiligen Krieg Von dir verfassen ließ, dus angenommen, Der tote herr durch as-Suhailis hand Ihn unterzeichnete, der herold-rufer Dem heer ihn las, und so zogs in die schlacht, Da wusst ich dass wir uns die brücke bauten Auf der wir dich begrüßen könnten wieder Im staatsrat, auf der freunde bank! ZUHAIR

Du holst Mich aus dem dunkel! Trennt der tod die freunde, Die lebenslangen, im zerwürfnis, das Sich wol im gang der tage einstellt, kann Allein der ruf der nächsten, die den freund Zum abschied hingeleitet, den getrennten Aus seinem abseits retten, ihm den freund, Die lebensfreude wiedergeben. Dank? Ein wort, und worte sind ein hauch, jed wort Das in den atem kommt aus herz und geist Und in den klang, in federn, in die schrift Soll diesen dank euch hauchen, klingen, schreiben, Und dir vor allen, einer herrin, die Durch güte straft, fruchtbare züchtigung, Und so dem toten, dem lebendigen herrn!

252

SHAGARAT

Du sagtest viel. Wir hörten eines mannes Und eines dichters rede. Sei mit uns! Und lass das trübende in dir verklingen In neuem klang. Wezir, du sprichst! FAHR ED-DIN

Es ist An uns dass wir den würdenträgern allen Dass wir dem heer uns zeigen. Deine hoheit Die neuen namen nenne und ihr amt, Die bleibenden im amt bestätige, Die gaben gebe die du gibst, dass die Mit eides recht den eid entgegennehmen. Folgst du dem zug? SHAGARAT

Ich folge! Aber nicht Eh noch ein wort zu euch gesagt ist das Ich sagen will: Dies ist der tag wo einmal Die Stille Botin mit mir vor euch tritt Die, sonst verborgen, selten euch begegnet Nur wenn sie botschaft bringt von mir zu euch. Sie hat auf ihren namen einst verzichtet Weil sie bei ihrem tun sich selbst nicht meint, Und heißt nur nach dem amt das sie versieht. Nehmt sie als meine auf in euren sinn. EMIRE UND MAMLUKEN

Wir ehren deine botin, ihre stille. SHAGARAT

Die Stille Botin nimmt die ehrung an. Sie bleibt. Die knappen neigen sich, die brauch ich Nicht vorzustellen, kennt sie gut genug, Sie bleiben, halten haus, wir ziehn! Allah!



253

Shagarat ad-Durr erhebt sich und verhüllt, die Stille Botin hilft, ihr haupt mit dem mantelschleier. Auf ihren wink wird der vorhang weggezogen von Yusuf und Arslan, die dann wieder im hintergrund zusammentreten. Der zug setzt sich angemessen in bewegung und verlässt den raum nach rechts: Fahr ed-Din voraus, ihm folgen Zuhair und Ibn Matrûh. Nach ihnen wird Shagarat ad-Durr in den zug aufgenommen mit dem Sufi, der einen halben schritt links hinter ihr geht, dann folgen Aibak und Baibars. Die Stille Botin verlässt, wenn der zug entschwindet, den raum nach links, woher sie mit Shagarat ad-Durr und dem Sufi gekommen. Yusuf und Arslan, die den zug und zuletzt die Stille Botin gegrüßt haben, bleiben im hintergrund stehen, Arslan rechts, Yusuf links auf der thronseite des zurückgeschobenen vorhangs.

ARSLAN (Yusufs redeweise nachahmend)

Die welt ist unser! YUSUF

Deiner? Meiner? Keiner Weiß heut sein los von morgen, weiß es, doch Nur so wie menschen wissen, nie und immer. ARSLAN

Tatí Tatá, ich weiß dass unsre herrin Von heut an sultan ist und du und ich Die handtuchhalter dieses sultans, heißt: Er zieht uns auf zum dienst, für amt und reich! Heut sind wir mit ihr groß geworden, morgen Kann sein du nimmst den staat in deine, ich Das heer in meine hand. YUSUF

Und Mahmud Ghaznevi Hat einen handtuchhalter schnell ins dunkel Hinuntertauchen lassen und vermählt Nur weil er ihn zu lieb gehabt. Das sagt Ein zeitgenosse, merk: ein zeitgenosse!

254

ARSLAN

Ein zeitgenosse? Hast dus nicht erlebt Was zeitgenossen so zusammenschreiben? Und wirsts erleben, wenn du lebst, und staunen: Was werden sie erst sagen über heut? Sich aus den fingern saugen, schmutzigen Und übersaubren leeren. Vom gewesnen Und also wesenden weiß der verwandte, Sonst keiner, und der saugt sein wissen schon Aus einem halben satz, weiß weil ers weiß. Ich weiß, du weißt: Wir wissen mehr als jeder Ders nur bedacht und dann noch aus der nähe! Als zeitgenosse! Artgenosse müsst Er sein! Dann hätt sein wissen wert. Tralá! YUSUF

Mag sein. Du weißt ja alles besser, weißt Du denn was heut geschah? Jetzt ist gefahr! Nicht sichrer sieg! Hier sind sie einig, aber Wie nimmts die welt? Ich hör sie fragen: ›Herr Soll eine frau sein? Gibts nicht männer noch Von Aijubs blut? Und sagt nicht der Profet Von frauen was er sagt?‹ Jetzt ist gefahr! Wie nimmts die welt? ARSLAN

Sie nehm es wie sie will. Wenn sies n i c h t aufnimmt wirds ihr eingegeben, Und nimmt sies hat sie bald das nächste drauf. Amin! Und hier ist zucker in der schale Und so ein löffel zucker wär dir gut Dass du mir süßer tust und mich bezuckerst Und nicht nur auf die Stille Botin schaust. YUSUF (jäh nach dem dolch greifend)

Arslan, kein einzig wort. Du brichst den frieden Bei uns, wie draußen bald die Aijubiden.

255

ARSLAN (blitzschnell Yusuf am gelenk der dolchhand fassend)

Die syrischen meinst du? Freund, dann gehts ins feld Du bist doch gern im sattel und ein held! Sie müssen beide lachen und gehen arm in arm und blick in blick nach rechts ab.

FÜNF TE SCENE Selamlik im sultanspalast in Kairo. Tieferer mittelteil, leicht erhöhte seitenemporen. Der mittlere raumteil hat eine kuppel mit laterne, eingelegte marmorböden. Versenkt in schmalen rinnen ein fließwasser. Zarte niedere springbrunnen. Verteilte sitze. Der Sufi auf der rechten empore erhebt sich von einem schlichten sitz und empfängt den von rechts eintretenden Zuhair, bietet ihm einen schönsitz und nimmt selbst wieder seinen schlichten. Sie schweigen eine weile und lächeln ab und zu.

SUFI

Ich hab dich hergebeten, dichter, weil Ich mehr noch wissen möchte, wissen müsste Um dein- und meinthalb und ich glaub für alle. ZUHAIR

Der Sufi spricht, den seltnen hört man gern. Und willst du, frag! SUFI

Ich hab gewartet, dachte Die zeit bringt mir die stunde gern, sie brachte Die dinge die man wol erwarten konnte. Sie drängen, sind sie da. Du sollst es beichten Mir sagen wie es war mit as-Salih, Verschwiegen lastets weiter, dir vom herzen Die trübung sprechen. Worte machen frei In einer sagestunde. Die ist da.

256

ZUHAIR

Dass uns das frommen würde, glaubst du das? SUFI

Wenn ichs nicht glaubte, hätt ich dann gefragt? ZUHAIR

Der beichtende sucht ein vertrautes ohr. SUFI

Das zugeneigte, wirds dir nicht vertraut? ZUHAIR (erst zögernd, dann leicht und wie beschwingt)

Da war an einem tag as-Salihs ohr Dem rühmen offen. Nimmer spart der dichter Am rühmen, ists doch sein beruf, ich rühmte: Das schöne das durch ihn zum leben kam Und um ihn blühte. Und er merkte doch Dass ich von seinem innigsten geschwiegen Und forderte den zusatz. Den hab ich Verweigert, hart und höhnend, dass er das Unsägliche gesagt, den unnahbaren schleier Mich zu berühren zwingen wollte, und Er drohte, und ich steigerte den hohn, Berief zuletzt noch meiner kunst gesetz Dem er als lebenssatzung unterworfen. Da wies er mich hinweg. Er war im unrecht, Im unrecht weil er unerlaubtes heischte. Ich war im unrecht weil ich höhnte statt Andeutend ihm in feinen bildern sinnig Die seele sanft zu singen, meinem herrn Und freund. Hast dus gehört oh Sufi? Und nimmer wünscht ich dass ich handelte Je anders, nimmer dass ichs je noch einmal Mit höhnen täte statt mit liebe – und – Da eine beichte du gewollt: der sang



257

Mit dem die türkenführer Shagarat Ad-Durr beim großen angriff priesen, neulich In unsrer letzten schlacht, er war von mir. SUFI

Das wollt ich hören, habs gehofft, gewusst Dass du so bist, und ich mit dir. Ich seh uns Noch einmal, so geeint, die heiligzarte, Die ehre, aus dem untergang in dieser In eine weitere zeit hinüberbringen. Denk meiner worte dann! Er hält inne und lächelt nach der tür zu, dann in ganz anderem ton

Die knappen kommen, Die männer gehn. Hast du gehört von Aibaks Erlesenen gärten? Wusstest du wie sehr Er bäume liebt der steppensohn? Das beste Der beute nimmt er jedmal, wandelt es In bäume und gewässer die sie tränken. Du solltest nicht versäumen sie zu sehn. Er lässt verschwiegne dort zu stunden wandeln, Das wär für dich und mich. ZUHAIR

Bin einverstanden. ›Sprich unter bäumen‹ heißt es und die dinge Stehn ja nach wortetausch. Die beiden gehen nach rechts ab. Von eben dort kommen nach kurzer pause Yusuf und Arslan und beginnen den raum zu ordnen und zu überprüfen wie vor erwartetem besuch. Die Stille Botin kommt von links mit blumen, die danach zum schmuck des raumes verteilt werden, indes das ordnen weitergeht.

YUSUF UND ARSLAN (staunend und mit etwas scherzhafter betonung)

Selám aleikum.

258

STILLE BOTIN

Aleikum selám. Sie gibt sich wie selbstverständlich mitwirkend beim raumbereiten, ohne erklärung, und die beiden anderen finden sich immer noch leicht staunend darein.

YUSUF (zögernd eine unterhaltung beginnend)

Ich lieb die sprache hier die schmeidige Und blumige, und lieb die herrin doch Am meisten wenn sie türkisch spricht. ARSLAN

Und ich Finds herrlich wenn sie die arabischen laute So in die kehle nimmt, die haben nichts Zu lachen da, sie spricht sie tüchtig aus! (alle lachen)

YUSUF (zur Stillen Botin)

Sprichts du a u c h türkisch? STILLE BOTIN

Sprechs und bins. YUSUF UND ARSLAN

Geschwister? ARSLAN

Von Togruls herd und kessel? YUSUF

Nein: Asrafs?



259

STILLE BOTIN

Von einem andern den ihr doch nicht kennt Der keinem herd und kessel weicht. YUSUF

Das sieht … ARSLAN (ihm ins wort fallend)

Das sieht man wenn man dich beschaut im stehn Und gehn .. YUSUF (ihm wieder ins wort fallend)

Und deine stimme klingen hört! Wir machen eine probe, kennst du dies? Er zitiert als ob es türkisch wäre mittelhochdeutsche verse, die die Stille Botin fortsetzt. Das gleiche spiel danach mit Arslan. Bei diesem versesprechen müssen die mittelhochdeutschen längen und kürzen und die andersartige vokalität und konsonanz ganz scharf und klar herausgebracht werden, so dass man merkt, wie sich die sprechenden an der anderen sprache und an ihrer gemeinsamkeit darin weiden.

YUSUF

Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr. Und dô ich in gezamete als ich in wolte hân Und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant Huop er sich ûf vil hôhe und floug in anderiu lant STILLE BOTIN

Sît sach ich den valken schône fliegen Er fuorte an sînem vuoze sîdîne riemen Und was im sîn gevidere alrôt guldîn Got fuege si zusammene die gern geliep wellen sîn.

260

ARSLAN

Wir machen auch die probe: kennst du das: Jô stuont ich nehtint spâte an dînem bette Do getorste ich dich nicht wecken frouwe schône STILLE BOTIN

Des gestrafe got den dînen lîp! Jo enwas ich nicht ein eber wilde, sô sprach das wîp. (sie lachen zusammen)

ARSLAN

Hast du as-Salih noch gekannt? Wir haben Dich damals nie gesehn. STILLE BOTIN

Da war ich jung, Im inneren gemach, und ihr beim heer. Doch sah ich dort ihn oft, den feurigen! ARSLAN

Uns schien er streng verschlossen, tat den mund Nicht auf, es sei denn dass sein worteblitz Herausfuhr, hieß bei uns der große schweiger. YUSUF

Doch manchmal in der nacht beim sternefunkeln Nach schöner jagd, da war es anders. Feurig Floss ihm die rede, blumenreich, und voll Von glühenden bildern, und wir jungen durften, Herangerufen je nach jagdverdienst, Ganz nah an seinen knieen sitzen, lauschen Und staunen, mussten knappe fragen ihm Erwidern, rede stehn. Die becher kreisten. ARSLAN

Und du hast einmal einen späten mond, Blaulichte kugel in der silberschale, Der übern hügelrand sich langsam hob Für eine neue welt gehalten.

261

YUSUF

Du Hast einmal auf die frage ob das glück Im frieden läge, im befriedigtsein, Gesagt du äßest gerne trauben, und Da gabs den nicht zu sanften backenstreich. ARSLAN

Ich bleib dabei, die scharfe würde selbst Das war er! Habs doch nie erlebt dass einer Sich ungefragt vor ihm zu äußern wagte. Kurz angebunden alle, die mamluken, Die größten, hatten furcht und ehrfurcht Und scheu auf ihren stirnen. STILLE BOTIN

Doch so wars Erst später, als er sultan war. Der junge As-Salih, der war biegsam, gertengleich Hochwüchsig schlank, ein falkenkühnes haupt Und falkenaugen, war ein sänger, tänzer, Der kühnste reiter, zärtlich wie ein strom Und redeströmend, und ein freund der freunde, Und handschlag, süßes wort und wangenkuss – Da war kein halten. ARSLAN

Weißt du wie das war Mit ihm und seinem vater, al-Kâmil? Man hörte viel und manches. STILLE BOTIN

Ja der hat Ihn abgetan, den prinzen, den er schon Zum herrschenden nach sich bestimmt, das wissen Ja alle, hat ihn weggesandt in die Provinzen. Doch der junge as-Salih Hat Hisn Kaifa sich am jungen Tigris

262

Den heimatort von Salah ad-Dins mutter Zum sitz gewählt, hat kraft gesammelt: männer Die dann mit ihm das reich gewannen. ARSLAN

Die ihn Wol auch einmal verrieten? YUSUF

Nein, die heut In seinem willen herrschen überm Nil, Die söhne seiner wahl. Verräter lassen Erst ganz die sterne der getreuen leuchten. ARSLAN

Gut, gut, du stern! (er blickt sich im raum um, was noch zu tun sei)

Ich fürcht ich muss ihn holen Schon kommt die stunde. YUSUF

Bring ihn nicht zu früh! ARSLAN (noch zögernd im abgehen zur Stillen Botin)

Hast dus begriffen? Warum kommt der mann Ins haus? Wir sind doch manns genug zum schutz Der herrin. Stillberatung? Ist was faul Im staat? Wir hörten was wir hörten. Mir Könnt auch ein schreiben des kalifen nicht Den finger rücken wär ich Shagarat Ad-Durr. STILLE BOTIN

Du bist es nicht und also rücke Dein bein vors bein und tu wie dir geheißen.

263

Arslan bricht lachend auf. Yusuf und Stille Botin stehen sich gegenüber auf der linken empore. Langer blick.

YUSUF (die unterarme wie beim gebet erhoben)

Du Namenlos, ich lieb dich namenlos Seit ich dich sah. STILLE BOTIN

Und bliebst nicht unerwidert Vom ersten blick an. Großes buch das tut Mit uns so wie es will. Schon stehts geschrieben. YUSUF

Ich les die schrift so wie man liest im traum So unbegriffen deutlich, liest du mit? STILLE BOTIN

Ich lese und da steht in meinem teil Dein schönes bild und sagt: ich bin dein heil. YUSUF

Und schau, bei mir da steht mit gold geschrieben: Wenn lieb die liebe speist wie muss sie lieben! STILLE BOTIN

Und wieder les ich und ich les genau: Es perlt am rosenblatt der tropfe tau. YUSUF

Und sieh, bei mir heißts weiter: Immerzu Kreist um das licht der falter, brennt im nu Und hebt sich aus der flamme, neues wesen Das kreist ums licht, so lass mich immer lesen. STILLE BOTIN

Doch da, da seh ich nichts, da halt ich ein.

264

YUSUF

’S ist unser ort, da schreiben wir hinein. STILLE BOTIN

Was schreiben wir? Ich tu den ersten strich. (Sie malt in die luft einen großen zug)

YUSUF

Das ist ein ›Jot‹ mit ›N‹ ergänz ich dich. (Er malt es groß in die luft)

STILLE BOTIN

Weißt du mein ›Jot‹? Sagst was dein ›N‹ mir heißt? Liebe die weiß, will wissen wie dus weißt. YUSUF

Das ›Jot‹ bin ich, es zieht den bogen groß Das ›N‹ ist was ich liebe: Namenlos! STILLE BOTIN

Und was dich liebt, wies ›Jot‹ ich bog, so groß! Ich geh, die männer kommen, freund lebwohl! Bet mit für unsre herrin, denn dann betest Du auch für dich und mich. Sie entschwindet während sich beide die arme zustrecken. Yusuf schaut ihr nach. Dann wendet er sich und betet mit noch erhobenen händen.

YUSUF

Groß stürzt herein das wissen Zum kissen sinkt das haupt Wer glaubt muss beten Treten vor gott Spott steht dabei Frei bleibt der sinn Drin lebt die kraft



265

Die schafft dass im leibe Fliehendes bleibe. Amín. Er lässt die hände sinken. Arslan führt Aibak von rechts herein.

YUSUF

Aibak. in Allahs namen heil! AIBAK

Und dir! ARSLAN

Die knappen lassen dich allein, so heischts Die herrin die allein dich finden will, Wir ziehn auf wache. (Yusuf und Arslan gehen grüßend nach rechts ab)

AIBAK (auf der rechten empore)

Trifft mich unheil? Glück? Die halle ist geschmückt, zum gruß? Zum tod? Im rat verzog sie keine miene, sprach Kein wort zur frage als: sie wollts besinnen. Nur als beim gruß ihr auge an mich kam Schiens wie ein kurzes stilles aufgeleucht Und ein gedankenfunke zuckte auf In mir, der sprang von meiner heimatsteppe Jenseits des Elbruz leicht bis an den Nil Und wurde wie ein stern auf dieser bahn Warf blitze nach Iran, Eufrat hinab Und quer durchs land von Rum und bis Byzanz, Warf neue funken ins gefild des streits Von Mossul bis Damaskus und Nablús Und sprühte bis zu Tariks Fels, dass noch Bis Cordova und Aachen funken stoben.

266

So hab ich nur mit meinem herrn gedacht In sternennächten seiner wachgesichte Wie ich da dachte. – Wählte sie mich aus, Verträt ich meinen herrn im staat und stünd Ihr näher noch als jetzt und mit ihr höher. Ich scheute nicht den schlichten anbeginn Das sichbescheiden in das maaß der stunde, Das schritt für schritt und sprung auf sprung, und traute Auf der mamluken kraft und anstieg. Mann Käm da auf mann, wir sind noch jung. Da kommt Die herrin. Der vorhang vor der türe links, die aus dem selamlik ins innere des palastes führt, wird von der Stillen Botin beiseite geschoben. Shagarat ad-Durr, türkisch frei gekleidet, kommt durch die tür herein und bleibt auf der linken empore stehen. Die Stille Botin entschwindet wieder, den vorhang schließend. Shagarat ad-Durr begrüßt Aibak mit erhobener hand. Aibak verneigt sich. Sie bittet ihn mit handgebärde, in den mittelraum herabzusteigen, steigt dann selbst zu ihm herunter, bietet ihm freimütig-gelassen einen sitz und lässt sich zum gespräch in seiner nähe nieder, wie unter gleichgestellten verbundenen.

SHAGARAT

Aibak, dass man mir die ehe Im rat geraten, weißt du, warst dabei Und kennst die gründe. Sag sie mir noch einmal, Damit ich seh, wie du sie siehst und sehe, Wie wir sie sehen können. AIBAK

Herrin, dass Die Aijubidensprossen da in Syrien Sich rühren würden, unsre alten freunde, Die schon as-Salih niederkämpfen wollten, Das war vorauszusehn. Wir sahns voraus. D e r kampf war unvermeidlich ohnehin, Denn da liegt die entscheidung: Ob Ägypten Die neue mitte bleibt, zu der es Shirkûh, Salah ad-Din und al-Kâmil gemacht, Und wirkt wo der Profet gebietet – oder Ein land das syrische herrscher sich erobern

267

Verwalten ließen, dem sie nur von dort Den herrscher geben, das als lehen heimfällt Jedmal wenn einer stirbt – das ist die frage! Doch dass sich der kalif von jenen fangen Und gängeln ließe, seine geistige macht In jener dienste stelle, ganz! das war Nicht zu erwarten. Und wir dachten: einsicht Ging ihm verloren durch den groll, den tiefen, Weil seine bitte um Turanschahs leben Zu achten uns nicht möglich war. Das andre Im neuen schreiben über frauenherrschaft Entgegen dem koran und seiner satzung Das ist nur vorwand. Doch der vorwand zieht In dichtem wirken seine weiten kreise. Wie dem begegnen, fragte sich der rat. SHAGARAT

Und war da einmut? AIBAK

Fahr ed-Din erwog Die ehe die dem vorwand jede kraft Entzöge und wir andern meinten, sagten: Die antwort läg bei dir. Nur Baibars war Dagegen, wollte dass wir dem kalifen Zur wendung rieten, ihm die zahl der krieger Durch blumenworte zu verstehen geben Und ihre art und weise hier und dort. Man müsse deutend deutlich werden lassen Was der kalif doch weiß: die großgefahr, Die stürmenden Mongolen, wenden nur Von des Profeten reich und seinem sitz Das heer vom Nil und seine führer, anders Geschmiedet als die haufen sonstwo, nicht Die spaltlinge von Mossul bis Nablús. SHAGARAT

Und was steht dem entgegen?

268

AIBAK

Fahr ed-Din Sagt, dabei geh es um geheimes, stilles Verhandeln ungewissen gangs, indess Der anwurf weithin wirke. Oberkadi Und mufti werkten schon im stillen am – Wie heißt es? – gut- nein schlechtem achten über ›Die frau im thron‹. En-Nâsir von Aleppo, Schon in Damaskus aufgenommen, wo man Die anerkennung dir verweigert, sprenge Sehr bittre reden aus. Die frühere sklavin, So nennt er dich, genannt im heilsgebet Am freitag, herrscherin, das sei bei muslims So unerlaubt dass es zum krieg ihn zwinge. Man säh an kadi, mufti wie das wirke Bis Kairo. Wie es weiter wirke, könnt man Ermessen, wirkten jene mit. Der krieg, Der sichre mit en-Nâsir, dürfe nicht Mit dieser last belastet sein. SHAGARAT

Und du? Was sagst du? AIBAK

Herrscherin, man beugt sich wohl Dem druck der stunde bis ihn abzuschleudern Man kraft genug gesammelt. Junger baum, So nenn ich unsern staat, biegt sich beiseit Wenn alter fels ihn hemmt, und schießt noch höher. Die frage ist das wie, und: dass die Syrer Mit ihrem alten sippendenken nicht Noch einmal sieger werden, as-Salih Mit seiner neuen Sippe herrscher bleibt. SHAGARAT

Du sprachst das wort, dran ich das meine knüpfe. Heil edlem blut. Es ist und schafft das beste. Allein es lässt sich nicht mit sippenstolz Verbürgen alter art die nicht mehr fruchtet.

269

Was dieser schein von edelblut verwirke, Das hat sich uns gezeigt. Schau auf all diese Die aus dem falschen anspruch leben, schau Auf des as-Salih sohn, den wir zu richten Nicht meiden konnten! Nein: Bewährung ist Dem ritterherrscher die gesuchte lust So wie den seinen: sie sind stark von seiner Bewährung – er von ihrer groß und heil. Sie fordern sie ein jeder von sich selbst Das fordert sie von allen. Bricht dies einer So gibt es rechenschaft, verbrechens alle Dann gehen sie zu grund, mit recht! Ein zirkel Wo fast ein jeder herrschen könnte, käms An ihn, wo mancher lieber nicht – sieh zu – Das herrschen nimmt und seine andre bahn Bevorzugt. Wenn dies alles gilt und blüht Dann herrscht der beste, sohn aus neuer sippe Ob alten oder neuen bluts, und herrscht Zusammen mit den besten, die er wählt, Die ihn erwählen, wenn sie wählen. Heut Treff ich die wahl, sie fällt auf dich. AIBAK

Und ich Hab keine wahl mehr, hab schon dich gewählt Zur herrin, die mein herr vor mir gewählt. SHAGARAT (erhebt sich und tritt leicht zurück)

Wohl Aibak. Staatswerk heischt vertrag. Wir tragen Ins innere buch die schrift, die klare, ein. Ich sag sie und du schreibst, wir zeichnen beide Wenn du bejahst. AIBAK

Beginn, ich schreib es ein.

270

SHAGARAT

Du schirmst was Shagarat ad-Durr bestimmt Mit deinem namen, heißt der sultan, bist Es auch zugleich in meinem namen, in As-Salihs namen, so wie ich, und führst Die mameluken und das heer wie wirs Bestimmen, du und ich mit unsern räten. Geht unser meinen auseinander, muss Mein wille gelten, den du willst. Der ehe, Obs der bedarf für andre wird sich zeigen. Für uns ist unser bündnis so getan Wie ichs gesagt und so begrenzt – für immer. So biet ich heute – zeichnest du die schrift? AIBAK

Ich zeichne und ich führe deine hand An meine stirn, gewähr es, Allah ist Mein zeuge. SHAGARAT

Und der meine. Sie reicht ihm die rechte hand und er führt sie an seine stirne.

S EC H S T E S C E N E Sieben jahre später. Ein gemach im innern des sultanspalastes in Kairo in einem oberen stockwerk. Ein lager steht links im hintergrund auf einer einstufigen empore, die durch vorhänge abzutrennen ist. Links vor der lagerstufe eine vorhangtür, die zu anderen gemächern führt. Rechts im hintergrund die tür zu den baderäumen. Wenn der türvorhang offen ist, sieht man in den eckgang hinunter, der eine stufe tiefer und danach noch einmal über stufen hinab in die baderäume führt. An der rechten seitenwand eine tür, die durch einen vorraum zu einer der palasttreppen führt, auch diese tür mit vorhang. Ein schöner sitz steht an der wand.



271

Die emporenvorhänge sind geöffnet. Shagarat ad-Durr sitzt oder liegt halb aufgestützt auf dem lager. Sie ist wieder auf türkisch frei gekleidet, ebenso die Stille Botin, nur schlichter, die ihr zu häupten auf einem kissen auf der emporenstufe sitzt. Vor dem fußende des lagers auf der emporenstufe sitzt Yusuf mit ritterdolch im gürtel des untergewandes. Er ist nicht ganz ohne anflug von kriegerpracht mehrfarbig gekleidet. Während des gesprächs steht er auch einmal auf und setzt sich wieder. Er ist überhaupt in der ganzen scene bewegt und beweglich.

SHAGARAT

Da sann ich doch die weile, ob vielleicht ein weg sich zeige, dass ich euch entsende weit weg von dem, was hier herankommt. YUSUF

Und Wo wär ein sinn, ein leben, wenn du uns Verweist aus deinem los, da wär kein atmen. SHAGARAT (lächelnd)

Zu sehr verwachsen, ja, ich fühls, das macht Der feine atem der sich aus der liebe So duftend löst und dann – wir atmen ihn Zurück – so unentrinnbar uns umschwebt Wie lebensluft. Da ist kein atmen draußen. Arslan vielleicht, kann sein, dass er entgeht. STILLE BOTIN (fortsetzend)

Und ihm entgeht, was werter ist. Du gibst Doch zu, dass sterben in dem gleichen duft Und atem drin du lebtest, sich als glück Anfühlen kann, wie neue lebenssüße?

272

SHAGARAT (wieder lächelnd)

Das wusst ich, schwester, nicht dass du so weit gehst In der verwandtschaft, fühlt ich dich auch mehr Als irgendwas mir anverwandt. YUSUF

Oh, schwester! Er kniet ritterlich vor den beiden, hebt seine hände, die arme öffnend, vor ihnen auf und spricht leise klingend:

Da steigt die Lust, da knie ich einen nu Vor diesem paar und schließ die augen zu Und öffne sie und darfs euch liebend raunen Ich staunte viel vor euch, ihr seid mein staunen. Shagarat ad-Durr bittet ihn mit einer handbewegung wieder zum sitz. Die Stille Botin hat nur die schwester angeschaut und senkt den kopf. Shagarat ad-Durr wechselt die stellung, nimmt die beine aufs lager und stützt sich auf den rechten arm.

SHAGARAT

Wars nicht ein großer zug: die sieben jahre? Vorm ende – fühlt ihrs? – überwiegt die süße, Der stolz aufs lebende geweb: wir stickten Die perlen ein und hebens jetzt und sehen Sie leuchten, und der trauer glimmen webt Sich tief hinein und macht die perlen silbern Und rötlich, wie sie nur von tränen glänzen: Fahr ed-Din senkte stolz sein haupt, wie ers Im leben trug, in seiner letzten stunde. Gelöst ging Ibn Matrûh, und schlug er nicht Mit lichten lauten ein brücke hin Zum leben aus dem todeshauch? Oh dichter! Und als wir as-Salih bestatteten: Das weiße heer! Sie trugen alle weiß, Den häuptern hatten sie den schmuck der haare

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Genommen, märkte zu, sie nahmen Ihn Der von der insel kam in ihre mitte, Und banner, kleiderbündel, bogen, köcher Vorangetragen, aufgestellt am großen Dem kuppelbau, das erste herrschergrab Von solcher art am Nil. Und wie sie lasen Des heiligen buches laute, lesen werden Durch viele zeiten da an seinem grab. (sie wendet sich den beiden wieder zu)

Und gibts noch schöneres als wenn die liebsten Sich lieben und dich lieben, oh da singts Und klingts. Mir klangt ihr, Nur und du! STILLE BOTIN

Oh wenn du Mich nennst dann liebt er nicht mehr Namenlos. YUSUF

Und liebt dich namenloser: Nur, mein licht. SHAGARAT (wieder mit erhobenem haupt)

Und wie war Aibak groß in seinen taten In seiner führung, hell und klar in seinem Festhalten und der welt die stirne bieten, So stolze frucht aus unsern neuen gärten. YUSUF

Die Syrer schlug er nieder, zweimal, pflückte Den frieden, schmiedete den staat und brachte Das nötige auf und ab der lebensbahnen Zum schönen steigen und zum schönen sinken, Maaßhaltend. Und das glück war reiche blume In seinem feld, die freude war zu gast Bei arm und reich, beim nehmen und beim geben. Und Ibn Matrûh ließ die dinare rollen 274

Und schwang von versen dass der nach ihm kam In s e i n e n rhythmen schaltete im amt, So wie die krieger auch beim schönen klang Der tamburine, fiedeln, trommeln, den Die herrin auf der burg allabendlich Erklingen ließ – oh, dass er lang noch klänge! In ihren rhythmen tanzten und ich mit. STILLE BOTIN

Auch sattelfreuden hattest du und sprengtest Daher, davon, und was an kampfeslust Die schlacht nicht bot, das speerspiel, der dschirít, Im locken, jagen, werfen hats gebracht Und deine hochgerühmten schwertturniere Mit deinem freund Arslan, und unser war Das nachsehn, nein, wir lagen auch im fenster Und teilten schauend deine lust. YUSUF

Du tust Als hätt ich nur geritten und gestritten Und nichts am feinen uhrwerk ausgerichtet Und zugelernt! STILLE BOTIN

Ja, bei Zuhair, da hast du wol Mitgesonnen, und wir konntens merken Wo deine jungen schnörkel seiner feinen Gediegenen schrift sich angehängt. Die herrin Hats mir erzählt wie sie beim einsamstreifen In Aibaks gärten, den verriegelten, Für sie bewachten, dass sie niemand störe, Mit einem mal euch beide sah – im traum, In euren dichterträumen, hieß es, wärt ihr Hineingeraten durch entlegene pforte. So ›unter bäumen sprechen‹ liebt ihr ja, Und was ihr triebt, wir konntens wohl bemerken An mancher strofe dann die du geruhtest Uns, spärlich, zuzusingen.



275

YUSUF

Nur bescheidne Bescheidenheit, freund-freundin, und bescheidne Ergebenheit die sich nur selten vorwagt. SHAGARAT

Ihr streitet ja ganz hübsch – und doch: der dunkle Verborgene feind schlich sich herein und wirkte Erst in den herzen, dann im handeln. Kams nicht Mit dieser ehe erst, die er erbeten Zu der Fahr ed-Din noch geraten hatte Und die so leicht zu geben schien als mittel Für alle die das bündnis anders nicht Begreifen konnten – die so sieghaft Zu zeigen schien wie fest er war, und doch Zu wirken anfing kaum dass sie geschlossen Und ihm den sinn verdunkelte? YUSUF

Von da ab Wuchs unheil! Kam sein maaß ins wanken, sah er Auf alt, nicht mehr auf neu! Und was zuvor In schönen diensten stand das wurde anspruch. Und was vorher verständigung genannt war Das hieß verletzung, und das misstraun fing Zu wachsen an, und eine dunkle wolke Hing sich um seine stirn. Das erste war Dass er as-Salihs freunde von sich trennte Und eine eigne truppe sich erwarb. Da gabs zwei arten von mamluken, hießen Bahriten und Bourgiten, inselwohner Und auf der burg gesiedelte, die einen Gedungen, jäh die andern einzukerkern, Zu töten den der sich zu sperrig zeigte. STILLE BOTIN

Und Baibars floh, ein Baibars in Damaskus! Und eine schar Bahriten in Damaskus! Als ob die neue sippe sich vom Nil 276

Dorthin verflogen hätte wo die feinde Des neuen wohnen, und am Nil das alte, Am Nil besiegt geglaubte wesen herrsche. Und wie er seinen sohn, erst wars der söhne, Der neuen einer und er wuchs heran Wie sie, heran wie andre zur bewährung ›Ali geh mit, Ali bleib da, komm Ali‹, Mit einmal abgesondert und auf einmal, ’S war wie gemusst, auf einmal wars s e i n sohn S e i n blut. YUSUF

Dann kam das andere. Das gerücht Kam auf und viel kam auf den weg. Arslan Ders mit ihm kann erriets, und wir im schreibwerk Erkannten dass noch andre schreiber schrieben. Es geht um werbung. Mossul und zugleich Hama, dass ja der fürstenstämme töchter Doch eine in den neuen harim käme! Er setzt aufs alte blut. Arslan tritt herein wie einer der weiß dass er erwartet wird und bleibt am türvorhang stehen.

SHAGARAT

Arslan, wie stehts? ARSLAN

Es steht nicht mehr, es fällt. Er hat die boten Nach Mossul abgesandt und auch nach Hama, Wir habens sicher. Und jetzt find ich ihn Zum schlagdenball geritten auf der großen Reitbahn die as-Salih gebaut, wezir Und heerherr Al-Faîzi, oberkadi Und großgetane mit. Sie spielen hart Und er fehlt nie den ball.



277

SHAGARAT (sich aufrichtend)

Ihr jungen ritter Jetzt geht ihr zuschaun, schaut und sagt uns dann Wenn er vom spiele geht und noch die worte Des abschieds mit den spielgenossen tauscht. Ihr seid entlassen. (Yusuf und Arslan entfernen sich nach rechts)

Und du, Stille Botin, Lässt mich allein. Ich bleibe, liege, raste. (die Stille Botin entschwindet nach links)

Und geb dem sinnen raum, besonnen muss es Noch sein. Shagarat ad-Durr lagert sich, den kopf in die hand gestützt, während um sie eine zartdunkle nacht entsteht. Aus diesem zartdunkel hört man sie noch sagen:

Oh achtzehn jahr und Hisn Kaifa! Vor ihr im raum entsteht eine helligkeit, die einen feinen, wie von dünnen schleiern umgebenen lichtraum bildet. Jung-Shagarat ad-Durr in langem hemd tritt wie vom lager kommend in den lichtraum und geht darin nach vorne als ob sie auf einen söller getreten sei und von ihm ausschaue. Sie ist vor tagesanbruch vom lager aufgestanden und auf den söller der hochburg von Hisn Kaifa getreten, schaut zum sternhimmel auf und späht dann ins dunkle tal des jungen Tigris hinunter.

JUNG SHAGARAT

Wo bleibt er? Sirius ist schon erschienen. Jung as-Salih, der indessen gerade schon die burg erreicht hatte, kommt, ihr unvermutet, in ihrem rücken auf den söller. Er trägt turban und reitermantel und tritt wie vom lager her, auf dem er sie gesucht hat, in den zartverschleierten lichtraum, bleibt stehen und betrachtet mit entzücken ihre gestalt. Dann ruft er sie an:

278

JUNG AS-SALIH

Heia, schöne, wieg dich … Jung Shagarat ad-Durr wendet sich schnell, erblickt ihn, streckt ihm die arme entgegen, bleibt aber stehen. Jung As-Salih, auch mit ihr entgegengestreckten armen aber stehen bleibend, singt in volksweise mit tänzerisch wiegenden gebärden im stehen:

Heia, schöne, wieg dich Heia, schöne, bieg dich Heia, schöne, wirf den kopf Schau zum mann und nicht zum tropf. (Jung Shagarat ad-Durr gleicherweise singend)

JUNG SHAGARAT

Heia, schöner, schmück dich Heia, schöner, bück dich Vor der schönen tanz und spring Vor der schönen sing und kling. Sie lachen und schließen sich kurz in die arme. Dann wieder getrennt und wie in leichtem tanz, die stellungen wie auf einer kreislinie wechselnd, so dass jedes von allen seiten sichtbar wird, stehend und wieder sich bewegend im wechsel. Übermütig. Jung as-Salih kann auch seinen reitermantel ab- und aus dem lichtraum hinauswerfen ins dunkel.

JUNG SHAGARAT

So ernst gings her dass du so lustig bist? JUNG AS-SALIH

Zu ernst dass ich dirs sage und so lustig Dass du es wissen musst. Die hunde bellen, Du weißt schon welche, und die esel schrein Und das heißt staatsrat, mitten in der nacht Und bis zum morgen hin. Die hähne krähen Am Nil, ich hör sie krähn so weit es ist. Wir ziehn zum Nil, geliebte!



279

(zart)

Nimmst es mit In dir das kind, den prinzen, unsern? Schau Das ist ganz lustig so ein heereszug: Lebwohl, lieb Hisn Kaifa, wiederschaun! Und bald das wiederschaun im neuen stand: Ich reit als sultan auf die steile brücke Und deine sänfte schaukelt überm Tigris, Vielleicht bist du zu ross das stampft und wiehert? Und hast den buben vor dir, an die brust Gedrückt mit einem arm, der andre hält Den zügel, oder nein: er klettert schon Und stellt sich auf die kruppe, schaut hinauf Zur felsenburg, zum söller wo wir jetzt Die letzten sterne blassen sehn und zaubrisch Der morgenhauch von den gebirgen weht. JUNG SHAGARAT

Du bist schon weit vorausgeritten, schönster! Und weiter bin doch ich voraus. Weh dir Wenn du mich in die sänfte setzt! Die ritte, Mein jäger, haben dirs nicht angetan Auf die gazelle? Mit dem falken die, Und kappe weg und wurf, die schellen klingen Der vogel steigt und äugt und schießt herab, Oh armes wild! Und doch von einem falken Gerissen sein! War dir mein sitz zu schlecht? Hast dus nicht oft gerühmt mein schlankes traben? Gelassenen galopp, den festen schritt? Und wendung und verhalt und neuen ansprung So aus dem stand? Und kühne sprünge, tänzeln Und übertritt und schrägschritt? Nein, mein gold? Und all das willst du in die sänfte tun? JUNG AS-SALIH

Die sänfte meint den turm der ehrung den Ich dir erbaue, und er schaukelt weil Er lebt, in meiner seele lebt. Dein ross Du große reiterin, bleibt dein, ich will 280

Es selber sein und trag dich in die nacht Die heilignahe, in den tag der herrschaft Und lass dich steigen wie der falke steigt Der falke der du bist, du herrscherin. Die traumgestalten lösen sich hand in hand aus dem lichtraum und verschwinden lagerwärts im dunkel. Der lichtraum verblasst, die dunkelheit um Shagarat ad-Durrs lager weicht, sie richtet sich auf, auf eine hand gestützt.

SHAGARAT (die letzten worte Jung as-Salihs wiederholend)

Du herrscherin! Merk auf, mein ritter-ross. Ich bleib dein falke. Sie erhebt sich und setzt sich auf den lagerrand. Yusuf und Arslan treten ein durch die rechte tür und bleiben an der tür stehen.

ARSLAN

Er ist vom feld geritten, unterhält Sich noch mit Al-Faîzi und man hörte Er käme zum palast, sei ruhbegierig. YUSUF

Er spielte finster, scharfe schläge trafen Den ball, gezielte, schnellende, und meinten Ein andres ziel. Die flanken seines rosses, Er hat den rappen, bluteten. Die andern: Von ihm gejagtes wild! Shagarat ad-Durr erhebt sich und steht auf der lagerstufe über den beiden, die auf ihr mit beiden händen gegebenes zeichen herangetreten sind.

SHAGARAT

Ich muss an euren knappeneid euch mahnen. Die stunde spricht: der sultan hat e i n leben Verwirkt. Ich brauche eure ritterdolche. Ihr holt ihn hier herein. Ihr hättet auftrag

281

Ein bad ihm zu besorgen und ich selbst Wollt ihn da pflegen dass er sich erquicke, Ich hätt von seinem harten spiel gehört. Ich stehe hinterm vorhang dieses lagers, Ihr lasst ihn hier und geht voraus ins bad. Wenn ich die hand hier durch den vorhang strecke Dann holt ihr ihn hinein. Ihr fesselt ihn Sobald er nackt ist, seine waffen weit. Die fangschnur ist sein teil, verschnürte arme Und beine, stoßt die dolche ein, zur brust Der eine, rückenher der andre, dass sie Im herzen sich begegnen, dass vom opfer Das bild gereinigt sei für das er wirkte So lang er heil war, dass es weiter lebe! ARSLAN

Lasst meinem dolch den brustweg, Yusuf legt Den arm vom nacken um die kehle, senkt Vom rücken ein. YUSUF

Ich kenn das herzmaaß auch Vom rücken her, weiß zwischen welchen rippen Der weg zum ziele geht und halt ihn stille Am haupt. SHAGARAT

Jetzt geht, ich denk er ist schon bald am tor. Yusuf und Arslan entfernen sich nach rechts. Shagarat ad-Durr klatscht in die hände. Die Stille Botin erscheint von links.

SHAGARAT

Es ist so weit. Du gehst und sagst dem Sufi Er halte sich bereit zu uns zu kommen Auf jene trommeltöne die er kennt. Dann stehst du hinterm vorhang vor der tür Wie ich hier hinterm lagervorhang, trittst Erst ein sobald dus hörst: mein wort ›vorbei‹. Schließ jetzt den lagerschleier. 282

Die Stille Botin schließt den emporenvorhang, den Shagarat ad-Durr – wo sie steht treffen die beiden vorhangteile zusammen – mit zuzieht, und entfernt sich nach links. Bald darauf führen Yusuf und Arslan Aibak herein, alle in turban und reitermantel, mit höflichen gebärden, holen ihm den schönsitz von der wand den er aber nicht nimmt.

ARSLAN

Wir sehen nach dem bad. Magst du geruhn Zu warten dass die herrin bald dich findet? YUSUF

Sie bittet drum und will dir heute selbst Die badedienste tun. Sie gehn ins bad hinunter. Man hört, von unten heraufklingend, einige geräusche vom mantelablegen, füllen des wasserbeckens, mischen des badewassers, klirren der gußschüssel auf dem stein.

AIBAK Allein, betroffen, zaudernd, befangen, dann in seine vorstellungen versinkend. Er spricht leise wie singend oder summend.

Solch eine sprache Hab ich noch nie gehört von ihr, das klingt Wie neues Lied – zu spät, du schneeige taube! Doch einmal dich zum dienst bei mir, das wär Nach langer qual ein heißer wilder tropfen Wie herzblut auf dem schnee. Wie sagt der dichter? Ihr teurer dichter dessen tod die seele, Die mir so starre stolze, mehr geschmolzen Als ichs ertragen konnte? ›Perlenbaum: Die augen zauber, lippen reden perlen Und edelsteine, duftet wie ein baum, Der mund ist eine perle.‹



283

Was er n i c h t sagt Das redeten as-Salihs augen wenn er Die hochgestalt umfing mit liebesblicken Und wusste was er wusste und ich weiß. Weich wirst du doch nicht werden, festes herz? Qual war zu lang Bangnis zu schneidend Weidend wie stahl Im mal das den schild Wild meiner brust zerriss. Er spliss das gebein. Schein meiner selbst nur mehr Leer überschwommen Beronnen war ich vom roten saft Kraft war mir keine. Eine entsprang Dem klang den ich sang, da ich rang: Wange, die süße, Büße das leid. Kleid einer tochter aus fürstenblut Glut soll es teilen Heilen soll mich ein sohn Lohn der sengenden einsamen mühen Blühen die reichesau Vom tau meiner lende. Spende, Allah, dein schrot. Lot misst das stolze meer, wache Rache dem hungernden gib. Lieb ist ein einzig brot: Perlenbaums tod. Aibak senkt sein haupt und lässt sich in sich zusammensinken. Shagarat ad-Durrs hand erscheint aus dem vorhang über ihm. Arslan und Yusuf kommen im untergewand, in dem die dolche verborgen sind, aus dem bad herauf.

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ARSLAN

Geruht der sultan einzutreten? Schüssel Und schale, wasser, tücher, frische reibe Aus ziegenhaar und wedel sind bereit, Wir lassen dich dann gleich, du bleibst allein. YUSUF

Die Herrin wird dir gleich zu diensten sein. Aibak steigt, nur kurz aufblickend, in die baderäume hinunter und entschwindet an der ecke des zugangs. Arslan ist ihm vorangegangen, Yusuf folgt. Man hört einige geräusche von waffenablegen und entkleiden aus dem badevorraum, bald darauf einen aufschrei aus dem baderaum. Die herausdringenden stimmen klingen etwas hohl, wie es in baderäumen zu sein pflegt.

AIBAKS STIMME

Ah Was wollt ihr von mir? ARSLANS STIMME

Deinen tod. YUSUFS STIMME

Und dass Du stille hältst. Man hört kurze kampfgeräusche, das aufklatschen der fangschnur auf Aibaks nacktem leib, und Aibaks stöhnen oder keuchen. Dann ruhe.

AIBAKS STIMME

Ah perlenbaum Sie wollen statt mit wasser mich mit blut Hier baden: der stemmt mir das knie an meinen Geschnürten leib, der presst das haupt mir hoch Mit armsgewalt, drückt mir ins kreuz sein knie. Ist das dein werk und willen tu mirs kund. Sonst rette mich. Shagarat ad-Durr reißt den vorhang auf, tritt an die ecke der empore und schaut ins bad hinab.

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SHAGARAT

Lasst ihm das wasser fließen übers haupt Dass er sich reinigt und stoßt zu. Der erste schrei Aibaks ist noch laut, der zweite und dritte gehn in ein verlöschendes stöhnen über.

AIBAKS STIMME

Wah – wah. Wah – wah. Wah – wah. Einige stille, in die Shagarat hineinlauscht

SHAGARAT

Vorbei. Legt ihn zu boden, deckt ihn zu. (zur Stillen Botin die von links hereintritt)

Du gibst das zeichen für den Sufi, gleich. Die Stille Botin geht wieder zur linken tür hinaus. Man hört eine handtrommel rhythmisch schlagen, mehrmals dunkel und hell im wechsel, zuletzt den hell und stark geschlagenen oberton. Wenn das zeichen, dem sie lauscht, verklungen ist, steigt Shagarat ad-Durr von der empore herab. Yusuf und Arslan kommen, wieder in obergewand und mantel, aus dem bad, die Stille Botin tritt von links herein. Alle drei knieen vor Shagarat ad-Durr nieder und suchen ihre hände, die sie sich an die stirnen drücken. Yusuf ist zur Stillen Botin hinübergegangen und nimmt mit ihr Shagarat ad-Durrs rechte hand, Arslan die linke. Der Sufi tritt von links ein und bleibt an der tür stehn.

SHAGARAT (zum Sufi)

Sag dass er tot ist.

286

SUFI (der alles überblickt hat)

Tot: das schlechte, das das Unverbrüchliche verbrach, sein gutes Wird leben weil du ihm die schwärze tilgtest. Shagarat ad-Durr entzieht den knieenden ihre hände und legt sie ihnen kurz auf die häupter. Dann lässt sie sich vom Sufi an der hand hinausführen und nimmt die Stille Botin mit, um deren schulter sie den anderen arm legt. Yusuf und Arslan stehen sich allein gegenüber.

ARSLAN

Lass uns entspringen – schnell! YUSUF

Ich bleib! ARSLAN

Gib acht! Sonst kommst du noch ans kreuz! YUSUF

Da hing Schon mancher. Bleiben will ich, leb mit ihr Und ihr wenn es zum leben, sterb wenns kommt Zum sterben. Zieh du aus! Die herrin gibt Die ganze bahn dir frei! ARSLAN

Ich bin schon bald Bei Baibars, komm mit ihm zurück, wir holen Euch hier heraus wenns Allah will. Lebwohl! YUSUF

Leb stark wies deine art ist und leb wohl! Sie reichen sich zum abschied die hände. Arslan nach rechts ab. Yusuf steht noch einen augenblick in der mitte des raums. Dann fällt der bühnenvorhang.

287

SIEBENTE SCENE Selamlik im sultanspalast in Kairo wie in der fünften scene, aber ungeschmückt und ungeordnet, mit wirrem stand der sitze und der dinge, so dass man merkt dass viele bewegungen durch den raum gegangen sind. Die springbrunnen springen nicht. Al-Mansur, der junge Ali, in schlichtem weißem gewand aber mit dem sultanstulbend und al-Faîzi, der großwezir des Aibak und nun des al-Mansur, treten von links herein und bleiben auf der linken empore stehen.

AL-FAÎZI

Zuhair, der schriftenobre, und der Sufi, Der Shagarat ad-Durr vertrauter, haben Sehr dringend nach gehör verlangt, geborgnem Und freiem gang zu dir und mir. Ich ließ Sie kommen. Noch ist alles wild Im schwanken, die Bourgiten rachedürstend Für deinen vater, die Bahriten brünstig Für as-Salih und Shagarat ad-Durr Zu sterben, heißt die andersdenkenden Zu töten, beide gruppen gierig, endlich Mit schwertern aufeinander loszufahren, Die doch die beste kraft zusammen wären Wenn dus vom staat her, ohne wallung, siehst. Wer herrschen will am Nil, es sei wer immer, Muss sie vereinen, muss den wilden zwist Den reichverderbenden zu tilgen suchen, Den ausgleich finden. Zwei von jener seite Wie diese, männer von gewicht, zu hören Scheint mir von vorteil, unerlässlich. Stimmst Du zu, sie treten ein. AL-MANSUR

Es ist nicht leicht Die männer, die ich sonst in andrer lage Gesehn, jetzt in der neuen zu empfangen. Doch weil ich deinen rat nicht schelten kann Soll es geschehn. Du sprichst, ich schweige. Nur Wenn über Shagarat ad-Durrs Geschick Verhandelt wird dann sprech ich mit.

288

Al-Faîzi klatscht leicht in die hände. An der rechten eingangstür erscheint eine wache.

AL-FAÎZI

Du lässt sie ein, begleiter bleiben draußen. Die wache geht ab. Kurz darauf treten der Sufi und Zuhair ein und bleiben auf der rechten empore stehn.

AL-FAÎZI

Der sultan fragt: was führt euch her? SUFI

Wir fragen: Wo ist die herrin Shagarat ad-Durr? AL-MANSUR

Im roten turm. SUFI

Glaubst du das selbst? AL-MANSUR

Ich weiß es. Ich hab es selbst befohlen dort im turm Sie zu bewahren, fürstlich aber streng. Die sie die Stille Botin nannte ist Bei ihr. Nur Yusuf ist, ein mörder, im verließ. SUFI

Dann bist du nicht der herrscher, nicht Bahriten Gehorchen dir und nicht Bourgiten. Shagarat Ad-Durr ist tot. Hinausgeworfen liegt Ihr barer leib im graben an der burg. Die Stille Botin tot, gefunden im Gemach wo sie zuletzt der herrin diente. Und Yusuf – ist befreit, entschwunden, wo? Al-Mansur stützt die stirne in die linke hand, deren ellenbogen er mit der rechten stützt.



289

AL-FAÎZI (beide arme hebend)

Allah! – Jetzt starb as-Salih wenn man sterben Das einsamlassen dieser erde nennt. Jetzt starben Fahr ed-Din und Aibak wirklich, Sind weggegangen. Jetzt zerbrach die brücke Die Ibn Matrûh mit seinen letzten lauten Für sich und alle noch zum leben schlug. Und einsam fließt der Nil der jüngst die bilder Von diesen wesen spiegelte. Jetzt seh ich Mein gang ist nur mehr kurz. (zu Al-Mansur)

Dich junges haupt Wird, fürcht ich, keiner schützen allzu lang. Vorbei ist was uns trug. ZUHAIR

Das tragende, Du irrst, ist nicht vorbei, ob auch die träger, Die ersten großen, sanken und noch mancher, Ich denks von mir, zu ihnen sinken wird. Das neue tor ist offen: Baibars lebt, Des sieges kind, noch vieler siege vater. Arslan ist frei und bald bei ihm, ein zweiter Dems zugeschrieben ist, die innere krone Der er verschworen ist zum leuchten bringen Im gang der welt. Und Yusuf ist ein stern. Den wird noch mancher glänzen sehn. SUFI

Ihr gebt Den leib der herrin frei, in ihrem grabmal Ihn zu bestatten, dessen aufschrift sagt, Sie hat sie selbst gesetzt, was sie uns wollte Nach ihrem hingang sagen? Tut ihr so, 290

Versöhnt ihr die Bahriten für die stunde Gewinnt für eine weitre probe raum Und seid gewiss ihr tuts in Aibaks geist Der über seinen dunklen abschied wächst! AL-MANSUR (sich aufrichtend)

Wir werden selbst in ihrem zuge gehen Und jene finden die sie mitgeleiten. Von der wache, die ihn hindern will, sich losmachend kommt ein vertrauter Zuhairs hereingestürzt, flüstert seinem herrn eine nachricht zu und folgt dann der wache, die ihn hinausbringt. Alle blicken fragend auf Zuhair.

ZUHAIR

Yusuf hat sich ins eigne schwert gestürzt. Man fand ihn nah der herrin die er liebte, Er warf sein kleid auf ihren bloßen leib. In das schauernde ehrerbietige schweigen der anderen, die häupter und blicke senken, spricht der Sufi wie ein entrückter:

SUFI

Der Leib, die leichte beute, doch die bürgschaft Des edelsten, des allentrücktesten Verborgensten, verzückende gewähr Des lebenswerts: Er sah den Einen, Schönsten! Der unnahbare schleier war gehoben Vor ihm, dem schauenden, für einen nu. Er weiß, wir wissen. Gang der welt, geh zu.



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KNAPPEN

PERSONEN ALPTIG˘ IN

Fürst und statthalter in Chorasan unter den Samaniden

SABUKTIG˘ IN TUGHAN AHMAD TULUN

Knappen des Alptig˘in vom gleichen jahrgang

NUH

Singmeister am hofe Alptig˘ins

Alle, außer dem persischen singmeister Nuh, sind seldschukischer abkunft und aus seldschukischen nomadensippen in Turkestan zu knappendiensten angekauft: Alptig˘in in seiner jugend vom Samanidenherrscher Ahmed ben Ismail, die anderen von Alptig˘in selbst, der mit 35 jahren zum statthalter der provinz Chorasan und dann zur eigentlichen stütze des Samanidenreichs aufstieg. Er soll zur zeit seiner blüte 2700 knappen besessen haben. Die knappen waren nach eintrittsjahrgängen geordnet und durchliefen einen ganz bestimmten erziehungsgang. Die sich am meisten bewährten, kamen in den persönlichen dienst ihres herrn und wurden für große stellungen im heer und im staat ausgebildet. Vom leben Alptig˘ins und seiner gefolgschaft erzählt ein jahrhundert später Nizam ulMulk in seinem „Buch der Staatskunst“, das er als großwesir für seinen letzten herrn, den seldschukenherrscher Melikschah, geschrieben hat. Er berichtet auch, wie es in Alptig˘ins hohen jahren seinen feinden am Samanidenhof bei einem thronwechsel gelang, den neuen jungen herrscher gegen ihn einzunehmen, wie Alptig˘ in von den plänen zu seiner abberufung und ermordung erfuhr, aber dem ansinnen seiner Großen, selbst nach der herrschaft zu greifen, widerstand. Und Nizam erzählt, wie Alptig˘ in mit einer ausgewählten schar den Samanidenstaat verlässt und zu einem zug gegen Afghanistan und Indien aufbricht, wie er das zu seiner verfolgung ausgesandte heer an der Chulmschlucht besiegt und in Afghanistan einen neuen staat gründet, in dem sein auserwählter Nächster, Sabuktig˘in, später sein nachfolger und herrscher von Ghazna wird. Unter Sabuktig˘ins sohn, Mahmud von Ghazna, wächst Alptig˘ins gründung zu einem großen reich, und unter ihm dichtet Firdausi das persische Königsbuch, das im Samanidenstaat schon geplant und begonnen worden war.

294

ROSSEFÜHREN SABUKTIG˘ IN

Das hat sich unsere herrschaft ausgedacht Als ob der teufel sie beraten hätte Ich mein den Iblis der von menschen mehr Als alle menschen weiß und der das schönste Geschöpf – wie Allah meinte – anzubeten Sich weigerte weil er sich für noch schöner In eingeschaffener schönheit hielt – dies gehen Am ross, ein ganzes jahr, und nie besteigen Das wundertier dem sich die lefzen heben Wenn du es küsst, das sich die lippen nimmt Mit seiner rosseslippe wie der zarteste Und reifste mannesfreund. AHMAD

Oh du! Besteigen Tu ichs in meinem geist ganz unablässig Und jag dahin. Und halt und tanz der viere, Der fesselschönen rossesbeine, folgend Dem feinen tanz an seinen weichen flanken Von meinen beinen. Und aus übermut Den stolzen schritt weitgreifend eng gesetzt Und aus dem stand den einsprung in den weichen Galopp, scha scha! – Allein was du gesagt Vom mannesfreund hat recht: Da kehrt sichs um Da zeigt das wundertier dir seinen gang Und schritt, den festen wiegenden, dass du Nur nicht ins schwanken kommst beim rechten setzen Der füße, eurer sechs zusammgespielten. Da nimmt es deinen rücken vor die schulter Und drängt dich mit der schulter ins bewegen Und macht dich schwingen mit dem schwingenden, Dem stolz geworfnen rosseshaupt – denn stolz Ists auch auf dich wie du auf seinen adel, Und setzt dich in den lauf mit dem gespannten Und feinen schulterdruck. Wie es dich lenkt Von dir gelenkt! Wie’s dir die Lenkung schenkt! Es weiß dass du es weißt, was es dir weiß.

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Und freilich Iblis, wieder hast du recht, Der Iblis ist bei allem guten tun Mit eingetan mit eingewachsen, weißt du. SABUKTIG˘ IN

Beim guten denken nicht? Er redet schon Aus dir. Ich merks wie du die argumente Schon setzst in seinem takt und wie er dir Die bilder deines rossetraums verstellt In seiner zärtlichen manier. AHMAD

Mit diesen Den zärtlichkeiten hast du angefangen Den er, merk ich, noch mehr am schopfe hat. SABUKTIG˘ IN

An schopfe oder beinen das gilt gleich! Allein ich bleib dabei: Die herrschaft hats Nicht nur aus weisheit, Iblisscher, so hart Uns eingerichtet. ’S gilt auch andres noch, Das zähmen von uns steppensöhnen die Zu gut schon reiten von geburt und deren Befähigung zur zucht sie proben wollen. Wir sollen erst auf rosserücken wieder Wenn wir gezogen sind, und nur zu ihrer, Der herrschaft ehren, reiten. AHMAD

Hast dus nicht Vorausgewusst von mancher botschaft, die Die vor uns gingen sandten und bist dennoch Sehr gern gegangen als die sultansboten Dich wählten so wie mich und unsern vätern Gold in die jurten wogen? Nicht Tutuchas Nicht deiner mutter haar hielt dich zurück Das sie so zärtlich oft, die langen strähnen, Dir um die wangen schlug und lächelnd sagte: ›Besser als liebste rossesmähne noch Sind frauenhaare von der rechten art 296

Die peitschen können, streichen können, fliegen Im wind wie eines mannes fahne. Geh nicht Zu weit davon!‹ SABUKTIG˘ IN

Und jetzt hast sicher du Begonnen mit den zärtlichkeiten, neuen! Ja doch, ich ging sehr gern so ausgewählt. Und zu den haaren komm ich einst zurück Wenn ich der erste jener zwölfe war Die sie herauszusieben schon begonnen, Wenn ich von rottenmeister über hauptmann Hinaufgeschnellt und schon ein ganzes heer Von reitern durch die länder kommandiere. AHMAD

Das denkst du dir zu leicht das von dem schnellen Nach oben und das andre, mein ich, auch Das wiederfinden zu den edlen haaren. SABUKTIG˘ IN

Leicht oder schwer – das beides geht durch dienst Und dienst ist wollust, großer sinngetragner Freiwillig dargebrachter, stolz empfangner. An willen fehlts mir nicht ihn zu bestehn Und nicht an lust zum heer- und haargewinn. AHMAD

Jetzt aber bist du tüchtig umgesprungen Mit deinen argumenten: Vom bezähmen Der steppensöhne, reitern von geblüt, Zu reitern nur zu herrschaftsehren und Vom dienst aus wollust und zur freudenernte An haar und heer durchs unbedingte dienen. Das war wol auch schon ganz im Iblistakt? SABUKTIG˘ IN

Den du vorausgeschlagen, freund, und der Im hochland wie in tiefer steppe gilt.



297

N AC H D E M VO R S I N G E N TULUN

Was hat das wilde singen dir gefruchtet? Sie schreckten alle und der eine höchste Blieb stumm, ganz stumm. TUGHAN

Doch blieb nicht unbewegt! Er spürte, mein ich, gut wo wir dies singen Gelernt und wie. Ist auch von herd und kessel Der fernen jurten nicht so lang entfernt. Er selbst, sein vater und des vaters vater Wohnten noch unterm filzdach, zogen mit Beim weidewechsel. Kann ich anders singen Als ichs gelernt, geliebt von knabentänzen Von mutters mund von sängers lippen her? TULUN

Doch hättst du eine sanftre weise auch Wol wählen können, wusstest doch wie fein Sies drehen hier das klangseil, nein die zarten So schön gesponnenen klingefäden, und Dass sie so sind dass ihnen kühnheit nicht Auch nicht im singen fehlt, doch dass sie kunst, Die alles mildert alles überwirklicht, Verklärt, noch fordern in der leidenschaft Im rausch, im kampf – im lieben, denk ich, auch! TUGHAN

Kann dem nicht vorzugreifen suchen, was Vielleicht schon bald sich gibt und jetzt doch noch Ein falsches äugeln um den vorteil wär – Ein sich geschmeidig zeigen für den griff Ins innre, statt dies innre darzutun Als fremdes zwar doch starkes trächtiges Das wohl an kunst und künsten noch gewinnen Doch auch das kunstgebild noch steigern kann Durch zustrom seiner kraft. Das klangholz das Sie da aus Indien sich zugebracht 298

Klingt noch zu weich, so denk ich, braucht noch schärfer Dazu gespannten riss! Und manche saite Die dran ist ließ ich lieber ungerührt. TULUN

Das lässt danach als ob du schon im geist Das neue instrument erfunden hättest Das du dem neuklang schenkst so wie er dir Im munde wohnt. TUGHAN

Ich geb dirs zu, ich fühls Ganz eigen in mir rege, so als ob Ich wüsste wo es diesem singen fehlt – Noch fehlt, denn zaubern tut es schon, das die Da singen lassen, meist von fremdem mund, Und was das unsre noch gewinnen könnte An schön gesteigerter gestalt, ja geb Dirs zu dass schon aus brust und mund heraus Mir springen will der neue aufgesang. TULUN

Dann lass ihn ja nicht gar zu früh heraus Dass ihn der höchste nicht verweist – sehr streng Hab ich ihn gegen neurung schon gesehn Die das geordnete ins wanken bringt Des wankens halb, der ungehemmten süchte. TUGHAN

Mit vorsicht kannst dus nicht und nie gewinnen Das spiel wo’s um den ganzen einsatz geht Der eigenen natur, die hinzubieten Zu neuer fügung du gewillt bist, die Der füger aufzunehmen geist und kraft Und liebe in sich finden muss. Sonst droht Der sturz weil beide fliegen müssen dass Die wahl beginnt. Ich sah den herrscherblick Den sinnend festen, sah den stumm bewegten Und reichen mund. Ich trau dem glück, dem sinn Der mich und was ich bin und biete fasst

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Und mir die lenkende bejahung gibt. Ich baue mir das neue instrument Und muss ich wieder vor ihm singen dann Sing ich den neugefügten, meinen sang Und schlag dazu die neugefundnen töne.

SINGSTUNDE NUH

Ich sage eine zeile und ihr dichtet Sie weiter und so weit ihr mögt, ein jeder Dems kommt das singen und das sagen. Hört: Ritten zwei und der eine AHMAD (scherzend)

Spähte am blühenden ranft Goldene maid (Nuh winkt ab. Alle lachen)

NUH

Da muss ich noch einmal beginnen, neu: Ritten zwei und der eine TULUN

Ließ von der schnellenden hand Auf seinen falken steigen Hoch übers wildliche land (Er wartet auf Nuhs zeichen)

300

NUH

Versuchen wirs auf diesem weg, wie weiter? TULUN

›Wenn du den falken wieder Lockst auf den handschuh zurück‹ Sprach der zweite ›die lieder Sing ich von deinem glück‹. SABUKTIG˘ IN (einfallend)

Aber der falke äugte Stehend in himmlischer flut Sah wie das rehkitz sich beugte Schlürfend an quellender flut TULUN

Und er stieß in die tiefe Schlug mit den fängen das kitz Nahm auf dem keuchenden, liefe Noch so schnell es, den sitz SABUKTIG˘ IN

Schlug mit den Hügeln die lichter Brachte zum sturze das wild Spielte den blutigen richter Dort im quellengefild Schwang sich, lassend die beute Wieder zum himmel und strich Ab. Und nimmermehr heute Sah ihn der jäger bei sich. NUH

Ihr bleibt zu lang beim falken. Der hat euch Wol mitgenommen. Und die reiter? Wie?



301

TULUN

Hob sich, lassend die beute Auf, da traf ihn der klang Seines jägers, er scheute Wilde ferne und schwang Sich, in kreisen befliegend, Schön auf den handschuh zurück. Einer der lächelte siegend Einer sang von dem glück. NUH

Nicht schlecht gesungen, einer wie der andre. Doch könnt es auch ganz anders lauten wieder Mit satz und gegensatz, und auch bei euch Wenn ihr es neu begönnet. Aber lasst uns Noch einen schritt in andres tun. Denn Tughan Schaut schon so scheel auf leichten sang. Man muss Den gleichklang nicht nur enge setzen, nur Von versesend zu versesend. Man kann Auch mitt auf mitte reimen, anfang mit Dem anfang und den anfang mit dem end. Und auch den anklang kann man jäh versetzen Dass das gespannte aneinander klingt, So etwas meinst du, Tughan? TUGHAN

Ja und gleich: Ritten zwei und der eine Merkte dass keine Flamme sprang zwischen ihnen. Mit kühnen Sätzen war er voran, Wendete, rief: die waffen Müssen entscheiden was Gelten soll unter uns. ›Du willst es‹, rief Der andre ›du sollst es 302

Haben‹. Traben War keines. In wilden Sätzen gingen sie sprangen sie An. Wer kann Sagen welcher der stärkre Schwertesschwinger und welcher Mächtiger stieß mit dem schild Den schild? Welcher im ringkampf Dem von pferde zu pferd im roßsitz Stärker griff und riss und die flinkren Wendungen machte? Lachte der forderer auf: ›Bruder, dein schlag Weich wie eisen, dein griff Zart wie eisen, tun mir genug. Hätt dir auch ich Genug getan und du könntest Schwertband binden um uns und den Ringergürtel?‹ ›Ausgewogen wie noch bei Keinem fand ich bei dir Jeden schlag und den griff von Solcher wucht dass ich selbst kaum Stand. Und dass du zur probe Riefest war unser glück.‹ Bogen sich beide von ross zu Ross und umschlangen Bruder den bruder. NUH (Tughans setzweise nachahmend)

Heil dir junger, du hast Zwar den gleichklang und anklang Fast verschmäht und zu viel nicht Auf was ich sagte gehört.

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Aber dein geist war Schon beim sang den je eher Du je lieber gesagt, und du zeigtest Wie man gleichklang und anklang Wol entbehren kann wenn die starken Rhythmen binden ins band, Ins gefüge den sang, und wie sprechend Dann ganz einzeln und hochaufKlingend gleichklang und anklang Stehn und die spitzen der wellen Sich begrüßen, und ausschwung Kommt aus der raffung! (nun besinnlicher)

Du siehst ich wollte dir in deiner weise Erwidern, hab dir freilich sicher nicht Genug getan. Doch zugegeben dass Man sich mit vorteil von der längengleiche Der zeilen und von ihrer wiederkehr Befreien kann, dass kürzre oder längre Stark rhythmische gebilde aneinander Zu fügen gut gelingen kann – ich bleib Dabei, wir sollten auch die klängefolge Nach anderem gesetze noch erproben Wie ich es vorschlug. (Ahmad gibt ein zeichen)

Oh, da will schon einer. AHMAD

Ritten zwei und der eine Keines hielt ihn Spielte und schnellte Prellend jäh den vogel empor.

304

Rohr des schilfes Hilft es dem hirten zur flöte? Böte Da der andre den wurf zu Rundem streite? Weite Himmel nahmen die segelnden späher Jähen kampfes boten Roten blutes verkünder, Münder zuckten und hell Gellte der hohnruf. NUH

In kürze liegt viel würze. Stiegst ja selbst So wie der falk und stießest schnell herab Und rissest die zwei herzen auseinander Wie deine springereime, aber hieltest Doch ein gesetz: Dass immer versesende Mit anklang oder gleichklang – schön wenn die So wechseln! – klingend aufgenommen wurde Im nächsten versesanfang und das ohr Befriedeten und wieder frischten durch Die eingewobne dissonanz. Ich sing euch Auch selbst noch eins: Ritten zwei und der eine Neigte sich zu dem andern: ›Wandern dir auch die gedanken Schwankend im reiten davon? Schon sind meine im gleiten Weiten gefilden zu. Nu und ewiger kreis Kreisend sich wandelnder Randen die steppenflut Gut. Und die herden Werden sich mehren.‹



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›Kehren deine sich weit Schweifend‹ sagte der andre ›Wandern doch meine nicht. Gewicht hat mein sinnen Nach innen und in das heut. Beute wird mir genug Im flug um die tenne Wo wir uns proben. Loben kann uns noch kaum ein Flaum von geneigtem Über uns zweigendem sinnen.‹ So kams mir und ihr solltets hören. Doch Genug für heut, genug für ein paar tage. Wir denken künftig noch darüber, wie Das sagen so nach selbstgewählten und Aus der bewegung fluss gewonnenen Gesetzen das was kunst ist ausmacht, und Dass man die regeln, strengre oder leichtre, Erwählen muss gemäß der kraft die man Im ersten fließen spüren kann und wägen Und proben kann. Denn ist die regel erst Zu streng gewählt dann stockt der fluss und leicht Bleibt das gesetzte leer. Doch streng genug Für die entsprungne kraft muss sie schon sein Sonst quillt es über. Doch das schönste ist Die strengste regel ganz mit kraft zu füllen. Wir sinnen weiter noch darüber, proben Es aus — vielleicht an einem liebeslied.

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B OT S C H A F T B R I N G E N ALPTIG˘ IN

Du bist der was ich sage am getreusten Mir wiederholen kann, der jede botschaft Klar sagen konnte dem, der sie empfing Und mir die klare antwort brachte, klarer Als ich sie nach der aufgetragnen botschaft Erwarten konnte. Aber heute dieses Erklärst du mir das auch? Ich sandte dich Mit deinen knappen die ich dir sehr früh Gegeben und mit andern vielen aus, Zweihundert, dass ihr bei den Chúludsch gelder Geschuldete mir einzieht. Und ihr kamt Zurück vom zug, du trittst hervor und sagst: Die Chúludsch widersetzten sich und gaben Das geld nicht her. Ich frage: warum habt Ihr nicht gekämpft? SABUKTIG˘ IN

Die andern wollten kämpfen Ich hielt sie ab. ALPTIG˘ IN

Warum? SABUKTIG˘ IN

Weil du es nicht Befohlen hattest. Hätten wir gekämpft Dort ohne dein geheiß, dann wären wir Wie herren dort gewesen nicht wie männer Im dienenden gefolg. Es ist das zeichen Des mannes im gefolg dass er so tut Wie es der herr befiehlt. Wenn uns die Chúludsch



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Geschlagen hätten, hättest du gesagt: Wer hat euch kampf befohlen? Und wir könnten Den vorwurf nicht ertragen. Wenn der herr Befiehlt zu kämpfen, kämpfen wir und nehmen Die gelder oder lassen unser leben. ALPTIG˘ IN

Du sprichst wie ich gesprochen hätte, tatest Wie ich an deiner stelle täte. Gut. Du bist entlassen. (Sabuktig˘in grüßt und entfernt sich. Alptig˘in allein)

ALPTIG˘ IN

Wie ist das gekommen? Da hatt ich dreißig knappen angekauft. Kaufboten, kenner, hatten sie gewählt. Da war Sabuktig˘in dabei. Nicht lang danach Da standen sie vor mir. Und grade trat Ein reiterhauptmann her und meldete: Ein rottenmeister wurde heimberufen Wer soll die stelle haben und das zelt Und das geding? Zehn folgereiter und Den nachlass? Auf Sabuktig˘in fiel da Mein auge und es kam mir von den lippen: Dem knappen, diesem da, schenk ich das alles. Der hauptmann wandte ein, mit recht und ganz Gemäß der knappenordnung: Herr, seit kurzem Ist er erst da, hat noch kein jahr gedient Und sieben muss er dienen dass er kommt In diesen rang. Wie sollt es billig sein Dass er ihn jetzt erhält? Und ich sprach nur: Ich hab gesprochen. Und er warf sich nieder, Der junge knappe, und ich sprach: ich nehme Nicht mein geschenk zurück. Und alles hat er Erhalten. Wie ist das gekommen? Mag Wol sein dass er dort bei den jurten in Turkestan aus sehr edlem blut geboren Und wohl gezogen wurde und dass hoch 308

Hinauf er kommt und eine zukunft hat. Ich hab ihn viel erprobt und fand ihn immer Noch besser jeden tag und ließ ihn täglich Noch steigen, machte ihn zum handtuchhalter Bei mir in täglich nahem dienst der nähe. Er hat sein herz an mich gehangen doch Ist stets sein eigner herr geblieben weil Er dient mit jener inbrunst, die den herrn Im dienen macht, ihn wachsen lässt zur kraft. Mit achtzehn jahren hat Sabuktig˘ in Zweihundert reiter die ihm folgen und Die er mir lenkt und so wie ich getan Mit ihnen brüderlich das leben führt. Und wenn er einen apfel nimmt dann teilt er Mit zehnen ihn. Er ist mein zweites ich Und wird vielleicht noch mehr. Amín.

AU S L EG U N G NUH

Sabuktig˘ in und Tughan sind davon Auf botenritt. Wir bleiben heut zu drein Und auslegung soll unser tuen heut Und üben sein. Da lernt es sich am besten Was für gewichte dichterworte haben Die bildgewichte und die sinngewichte Und das gewicht der wertungen die tief In worten wohnen leben und die wechselnd Heraufgerufen durchs zusammenspiel Des ganzen vor und mit und nach die sprache Erst wirken machen, erst ein sinngebild Ein neues, werden lassen, erst die seele Verlauten dass man ihre laute hört.



309

Ihr kennt doch das gedicht vom fürsten der Sich selbst zum sklaven eines siegers macht Dann dessen tod beschließt durch seinen stahl – An einem ›siegesabend‹ nach dem siegfest Da soll es sein ›sobald das wachs erlischt‹ – Und absteht und ihn leben lässt und weg Von ›ruhm und schmach‹ zum strome geht in dem Der lebenssinn versinkt und seiner woge Ins auge schaut. AHMAD

Ich kenn es. TULUN

Und ich kenn Und lieb es, sinn darüber. AHMAD

Und ich auch. NUH

Wer ist denn der von dem die verse handeln? Ich meine: was für einer? Welcher art? Und welchen schicksals? TULUN

Ein unglücklicher. NUH

Ist er unglücklich? Wirklich? TULUN

Ist denn einer Der seinen reif zerbricht und hinwirft, seinen Erlesnen thron verlässt und schätze, gärten, Nicht ein unglücklicher?

310

NUH

Doch hat er nicht Mehr noch gewonnen als verloren: kraft Und schau ein letztes zu bestehn? AHMAD

Er ist Ein schwacher. Hat gelitten tief und lang An seiner schwäche, hat sich aufgerichtet Und war von neuem schwach, zu schwach die tat Zu tun und schlich davon gebeugt, besiegt Ein zweites mal und nun noch durch sich selbst Durch sein versagen. NUH

Hat er denn versagt? Hat sich nicht er versagt zu tun was er Wohl hätte tuen können? Selbst gewählt Das nichttun? AHMAD

Seine schwere schwäche gibt Er selbst doch zu und leidet dran, bewundert Den starken, beugt sich zu ihm hin und singt Ihm ruhmeslieder, lang! TULUN

Er hat ein los Das ihn der stärke überhebt und schwäche Zur stärke macht, zum wissen. Aber glücklich Ist diese losempfängnis nicht. Und schwermut Bringt sie genug. AHMAD

Die siegerfreuden malt Er doch mit allen farben des verlangens ›Im garten bei der fackeln gelbem schein‹



311

NUH

In das sich nicht auch ekel mischt? Verzicht Auf ein ihm nicht gemäßes? AHMAD

Nimmermehr. Der starke ist im glück, der starke strahlt, Erfüllt sich in sich selbst und füllt die andern. Der schwache muss zum strom des untergangs Hinuntergehn, hinein. Das hat sein herz Erlebt, das drückt er aus, das macht ihn selbst Zum bild dass er das weiß und so es weiß Und auf sich nimmt. NUH

Da möcht ich doch erwidern: Wenn einer alles dies verlässt: den thron Die schätze, gärten, das erlesne haus Und sich in dienst begibt, muss man nicht fragen: Wie tut er das? Warum? Steht da kein wort Das das erklärt? TULUN

Da steht nur: ›Satt verließ Ich sie‹. NUH

Was heißt da nur? Sagt das nicht viel Nicht alles dieses ›satt‹? Das ungenügen An der erfüllung die die meisten seelen Doch fängt? Und was für einer wird da nicht Gefangen? TULUN

Einer der noch andres in Sich trägt.

312

AHMAD

Ja, tatenwille könnt es sein. Doch wo davon ein zeichen? Zieht er aus Zur tat? NUH

Schau doch wohin er geht? AHMAD

Zu einem Der groß in taten ist. NUH

Und was er tut? TULUN

Er singt ihm jubellieder. Vielleicht will er Ein leben teilen das in liedern sich Verklärt? Er glaubt ans lied? AHMAD (ironisch)

Er glaubt ans lied Und sucht die rosennebel, nimmt den dienst ›In einer schiras die in rosennebeln träumt‹. Hat scheu, heißt ehrfurcht, vor dem starken der Die meuterer bezwingt, die gegner jocht. NUH

Doch wählt er diesen nicht zur tat? Was soll die? Und warum lässt er sie? Wo sind die worte Die davon sagen, das erraten lassen? TULUN

Zum mord: er hat ihn doch bekränzt! Ein opfer? Wär dann das los versöhnt wenn grad der starke Und grad am siegesabend fiele, gleich Der ›brandung‹ nach, mit der ihn ›volk‹ umrauscht?

313

AHMAD

So wär er töter, der die lösung brächte Nicht nur für sich, im weltengang, für alle? TULUN

Und dass ers lässt kann doch nur daher kommen Dass er mit einmal weiß es wär vergeblich Die lösung käme nicht, es finge neu Das spiel nur an? AHMAD

Doch kann auch sein, er kann Es nicht, ihm fehlt die kraft vor so viel stolz Und größe, vor der feier die sie wecken. TULUN

Vielleicht ist er gebunden? Sagt er nicht Er hab ihn ›treu‹ besungen seinen herrn? NUH

Und was heißt ›neue reue‹ wie er sagt Dass sie ihn überkam? TULUN

Kann denn nicht einer Der nie bereute, reue nur verachtet Von neuer reue sprechen wenn mit einmal Der eigne vorsatz ihm vergeblich scheint? Dann würd er ›blass und stumm‹ mit recht und ›schliche‹ Hinaus weil ihm der eigne schritt gewankt? AHMAD

Doch kann er nicht auch neu bereuen weil er Sich einer tat die er geträumt nicht würdig Erkennen musste – was ihm nie begegnet? NUH

Das kann das weitre des gedichtes nur Entscheiden, denn: Wie geht er weg? Das ist Die frage. Und wie ist es uns gesagt? 314

Das scheint mir sicher dass er nicht mit einem Verlangensblick nach jener fackeln schein Vorübergeht, wenn auch die schildrung leuchtet. TULUN

Ich mein ich seh es jezt: ›noch einmal‹, heisst es, Will ihm ein strauch von ruhm und schmach da lispeln – Der strauch trägt ›breite bunte blüten‹ heissts – Will ihn versuchen einem nachzuhangen Das ihn nicht träfe. Doch er traut ›nicht mehr‹ Dem ›lug‹. So hat er also einem wahn getraut, Den wahn des tuns mit einem eigenwahn Durchdringen wollen, ruhm- und schmachbetroffen. AHMAD

Und hätt nicht glaube an die kraft des tuns Den ›lug‹ zum heil gemacht? Wie leben jeder Nur lebe wenn er glaubt an seinen traum? Doch muss vielleicht manchmal ein wissender Den blick durch diesen schleier tun und zeigen Und dann die buße zahlen für den blick. NUH

Da scheint mir doch ein vers noch zu beachten: ›Der Sklave geht. Sein werk ist all geschehn‹ Was für ein werk? AHMAD

Das singen und das kränzen. TULUN

Blickt er dahin zurück? NUH

Vielleicht ist aber Ein werk gemeint das man nicht tut, nein das ›Geschieht‹. Und so geschieht in ihm das was Geschieht?



315

AHMAD

Ist das nicht überdeutet? Heißts Nicht einfach wie es heißt: Sein werk geschah. Das meint doch nur sein tuen ist vorbei. NUH

Ja, wenn am anfang des gedichts nicht stünde: ›Das stirnband dem der glanz entflohn‹ das warf er ›So dass es klirrte hin‹. Es heisst nicht etwa Dass ihm der glanz genommen wurde, nein Der glanz ist selbst gewichen wie die woge Wenn sie zuvor die ganzen mächte die Ihr innewohnen in das leuchtgefäss Der edlen bucht gespült. In versen winken Oft weither wort und wort einander zu. Er fühlt im lebensschein, den vieles ausmacht, Zuletzt das element das man nicht rufen, Nicht halten kann, das kommt und da ist, geht Nach anderm als dem menschlichen bedingen. Ist ihm nicht so geschehn? Doch sagt mir noch: Als dieser Sklave geht, am end, warum Bricht er den zweig von einer sykomore? AHMAD

Als trauerblume wol, dem dargebracht Was ihm entging. TULUN

Als friedenszweig vielleicht Dass er das wähnen nicht verneint, bekämpft Dem er entgeht, das andre nötig haben So wie er selbst, solang er blieb? NUH

Jezt seid Ihr nah, so scheints mir. Jezt lasst ab. Und trinkt von neuem das gedicht und lasst Es wirken über alles wissen weit Hinaus. Kein streit. Braucht nie zu glauben 316

Ihr ›hättet‹ ein gedicht in einer deutung. Denn nicht wer recht hät mit der deutung lässt Sich am gedicht erweisen sondern wie wir In unsern augenblicken diesem text Dem wesen dieses dings am nächsten kommen. Heut gilts für uns. Und andre werden andres In diesen versen finden, morgen zeigen Sie andres auch uns selbst und machen uns Erstaunen, fragen, neu. Doch heute waren Wir ihnen nah. Und sagens noch, Ahmad? AHMAD

Ein starker bringt die schwäche in die sage. TULUN

Die schwäche zeigt sich stärker als die starken. NUH

Ein dichterfürst durchschaut das weltgeweb Lernt tragen dass wir nur vor grauens schleier Das leben führen. Und da steht noch etwas Zuletzt zu diesem. Doch wir rühren nicht Daran. AHMAD

Ihr wollt es nur nicht sagen! TULUN

Oh Wir bieten es euch ab. Was ist der preis? NUH

Bei guten versen gibt es immer etwas Das sich dem deuten ganz entzieht, die deutung Nicht will und in sich bleiben muss – ein samen Verborgen bis er wieder aufgeht und nur Das wieder zeigt was sich in wuchs und blüte Was in gestalt und bild sich zeigen kann.

317

Ich lob euch. Ihr könnt denken und verstehn. Und ich bin stolz dass auch ihr beide schon So wie Sabuktig˘ in und Tughan in Die zwölf gekommen seid, gleich alle vier Aus unsrer singestunde! Seht, jezt kommt Noch härtre schule, eigene erprobung Und dann, wills Allah, große einsetzung In tat und amt. Doch des bleibt eingedenk: Die dinge unterscheiden sich auch dort Danach wer dichten kann und sagen kann Und wer von dichtung was begreift, wieviel Und wie er lebt mit ihr.

N AC H D E R AU S L EG U N G AHMAD

Glaubst du dem Nuh was er so möchte dass In diesen versen steht? TULUN

Ich glaub ihm dass Ers möchte. Und ich denke gern mit ihm Auf seinen wegen. AHMAD

Ich denk lieber auf Den meinen. TULUN

Und bleibst stecken auch einmal. AHMAD

Oder ich spring auch übers hindernis.

318

TULUN

Und wär doch gut wenn man so stecken bleibt Man schaute wie ein andrer denkt, und dächte Dazu. So tu ichs. Aber dass er meint Das könnt man lehren, lernen ist mir fremd. AHMAD

Ein jeder denkt er könne was er kann, Du auch. TULUN

Ja, aber einem andern dass ich das Beibringen könnte denk ich nicht. Und dir Schon gar nicht. AHMAD

Brauch dein können nicht. Ich kann Mein eigenes. Lass es nicht so gerne mir Entfremden. TULUN

Und das meine wär dir fremd? AHMAD

Jezt willst du was ich dir nicht geb die liebesErklärung. Aber ungesprochen hast Sie jeden augenblick. Freund Tulun, scheints Dir auch so viel an glück dass wir die beiden Sabuktig˘in und Tughan noch erreichten Im zwölferstab noch aufgenommen? TULUN

Noch? Wer sagt denn dass die beiden vor uns waren? Das denkt nicht einmal Nuh und sagt es so Mit diesem sporenzeigen dass er uns Im lob doch eins versetzt, dass wir nicht gar Auf seinem lorbeer, den er zart gereicht, Auch rasten könnten.

319

AHMAD

Hat er seinen lorbeer Nicht erst und sehr sich selber unterbreitet Als hätt ER uns hinaufgelehrt gleich alle Mit singens lehre und gedichtverstehn? TULUN

Ich merk es aber doch auch wider willen Er hat uns immer was dazugebracht Und viel aus uns mit list herausgeholt Was wir nicht hätten ohne ihn. AHMAD

Nicht wüssten Vielleicht ganz ohne ihn. Doch hätten? Nein. Wir haben was wir haben und er lernt Soviel von uns wie wir von ihm. TULUN

Jezt hast dus Schon weit gebracht in der trasystomie Der frechmaulkunst mein schatz. AHMAD

Weiter als du? Dann ists nur weil du über unsre freunde Sabuktig˘in und Tughan dich vorhin Nicht ausgesprochen hast. TULUN

Die habens mit Der wildheit. Einer will in lauter inbrunst Des diensts sein eigen wesen nur erfüllen Der andre will mit seinem wilden singen Den sang auf seine seite reißen, will Den indischen zum Indus wieder jagen Und beide fallen umso tiefer in Das umgebildetwerden, in das garn.

320

AHMAD

Garn nennst du das? Der so gern mitdenkt auf Der andern wegen? Netze meinst du wärens Die uns umstricken, lähmen sollen in Der aufglut? Aber Tughan singt, ich sag dirs, Dass mir die adern klingen. TULUN

Sei nur stolz Auf deinen Tughan. Gibs nur zu, dem hast Du doch dein liedlein neulich zugedacht. Herausfordrung ist liebe. AHMAD

Du weißts gut Und hast deinen Sabuktig˘ in gefordert Mit deinem falkenlied von falkenzähmung. Als er dir dreist in deine verse sang Hätt ich am liebsten eingesungen. Doch Du hasts ihm selbst schon gut gegeben mit Des falken rückkehr auf die handschuhhand. Da sitzt er jezt und wartet auf den wurf Und kommt dann brav zurück und nimmt das luder Aus jägers ledertasche, rührt die beute Nicht an. TULUN

Und Tughan ist schon auf dem weg Zum obersänger weil er tat und wort Wie’s so schön heißt vereinen kann: als kämpfer Gewaltig und im singen groß, ein stern. Und wir sind stolz auf beide jeder grad Und wechselweis. AHMAD

Und lieben sie verrückt, Da muss man lästern.



321

S I EG E N Sabuktig˘in und Tughan unter bäumen rastend, später Alptig˘ in.

SABUKTIG˘ IN

Triumf war das, besiegt die sechzehntausend – Dreitausend reiter wir – das macht die bahn Für alles frei! Sie hatten uns erreicht Die sendlinge aus Samarkand, die uns Den weg verlegen sollten in der Chulmschlucht. Wir waren zwar noch früher da, verlegten Den weg für sie – da schlugen sie ein lager Davor und sperrten uns den zug, wir konnten Nicht mehr heraus und auch nicht weiterziehn Vor diesen vielen jägern her. TUGHAN

Du hast es Nicht ausgehalten nach zwei monden so Belagert. Sahst da war kein ausweg mehr Als sie zum letzten aufzureizen. Als Die wache an dich kam, da nahmst du deine Dreihundert – ausfall, wilder sieg, und rückzug Als sie in massen kamen. Und der herr Hat dann den griff getan. Sie dachten s’müsst Verzweiflung dich herausgetrieben haben, Begannen schon mit dem triumf. SABUKTIG˘ IN

Vielleicht Hab ichs in gang gebracht. Gerettet hat es Mit seinem planen Alptig˘in. Er rächte Verhöhnte treue. Ritterlich wie keiner Hat er was er zu schulden meinte darGebracht. Sie wolltens ihm mit sturz und mord Belohnen. Aber Allah hats gewendet. TUGHAN

Wir durften tilgen das am herrn verbrochne Mit ihm. Er tilgte wie ein löw sein wild. 322

Mit tausend reitern ist er durch die schlucht Zur nacht gezogen mit dem tross und hielt Dann in der ebne nah dem ausgang. Dich Mit tausend reitern in der seitenschlucht Der rechten, mich mit tausend in der linken Verbarg er beide hinterm felsgewänd. Sie sahn am morgen nichts mehr an der schlucht, Den eingang leer und dachten: doch zur flucht Gezwungen! Saßen auf und stürmten nach Gewiss uns jetzt zu fangen nach der schlucht. Die vordersten erblickten vor dem ausgang Schon Alptig˘in – da, wie der herr befohlen – Stürmt ich heraus mit meinen tausend jäh In ihren zug hinein. Und in der enge Ratlos wohin sie flüchten könnten spähten Sie grad ob deine seitenschlucht vielleicht Die zuflucht wär – da brachest du heraus! Oh freund, das war ein gottgeschenk, erfüllung All unsrer waffengänge, aller zucht Und alles singens in dem neuen sang. SABUKTIG˘ IN

Ja, freund der freunde, das war lohn und glück Und darbringung an unsres herren größe An seine treu und ehr. Und dass er dich Und mich zu seinen schwertern machte, uns Die brudertat an diesem tag gegeben War sein geschenk an uns, sein groß geschenk So groß wie er zu schenken liebt, dann wann Er schenkt. TUGHAN

Wir trieben sie in seine arme. Sie waren ganz umfasst von schwertern und Von schrecken. Und so hab ich Alptig˘in Noch nie gesehn. Er war der große löwe Und wo er schlug entstand die lücke von Gefallnen und die flüchter gaben raum! Er musste seinen hengst nach allen seiten Und hin und her da wenden dass er noch

323

Den gegner fand. Den der sie dreist geführt Sich zum verräterzug herangeboten Hat er mit seiner Lanze ganz durchspießt. Da lag er dann. Solang es tag war kam Kein feindeshaupt davon – und singen durften Mit seinem unsre schwerter schwertgesang! Dann kam die nacht. Da ließ er ihre reste Sich flüchten. Und jetzt stürzen unsre rückGesandten reiter auf ihr lager, heimsen Die beute ein, das was wir tragen können. Doch einen mond lang, glaub ich, können sich Die bauern rings noch reichlich holen von Dem gut mit dem wir uns doch nicht beschweren Belasten können auf dem weiterzug. SABUKTIG˘ IN

Und herrlich schlugen sich die freunde alle! Wie groß die lust den einen und den andern Da kämpfen sehn mit einmal in dem dichten Gemeng. Und einen muss ich eigens rühmen: Groß war Ahmad. Er ist ein reiter dem Ich selbst mich kaum vergleichen kann! TUGHAN

Er hätte Dir doch den ziegenbock beim reiterspiel Nicht abgejagt, dir nicht vom ross gerissen. Du hättst ihn siegend noch zurückgebracht. Doch heute wars kein spiel. Ich hab ihn auch Gesehn: da schossen helle starke flammen Aus seinen augen zu den schwertesflammen Die er da lohen ließ. Nur sollst du Tulun Mir nicht vergessen, unsern feinen singer. Das war ein lied vom besten, das er da Erklingen ließ der schwertesschwinger!

324

SABUKTIG˘ IN

Mir Ists köstlich wie er singt und wie er kämpft. Und zudem könnt ich von ihm lernen wie er Mit andern denken kann auf ihren wegen Und sich ihr sinnen noch gewinnt zu seinem. Alptig˘in tritt zwischen den bäumen heraus. Die beiden werfen sich nieder. Er hebt sie auf.

ALPTIG˘ IN

Ich hört euch loben und da durft ich kommen Um mitzuloben, Euch! Die sich doch selbst Nicht loben können so wie ich es kann. Sabuktig˘in, du hast es angefangen Begonnen mir zum zeichen dass ihr mir Bereit bis in die letzte faser seid Und hast es durchgeführt mit meisterschaft. Tughan, du hast, das ist vielleicht das schwerste, Dich zugefügt mit taten die nicht minder Entscheidend waren, ob auch ins gefolge Des großbegonnenen hineingetan. Das war ein dreiertag. Wir siegten, wir Die drei, die hände mit den händen. Doch Da war noch was dabei. Ich hab auch euch Besiegt und ihr besiegtet mich. Ich siegte Weil ich von eurer ungeduld den plan Den wendung bringenden gepflückt. Ihr siegtet Mit euren reifen heldenstücken dann Auch über mich. Ich weiß es, was es heißt Die tausend so entflammen mit dem atem Dass ihnen übermacht ein zwerg nur scheint Und leben nur ein leichter preis den man Mit wonne zahlt für kampferfüllung im Gerechten krieg. Ich weiß was heißt entflammung Im angesicht des todes zu erhalten Bis in den sieg und nach dem sieg als zucht. So rühm ich euch mit lust und will euch sagen Wie ichs mir denke wenn der zug gelingt Wenn wir des hochlands großen ruf erfüllen

325

Und zwischen Iran und dem reichen land Am Indus jezt ein junges reich beginnen Das nach dem Indus schaut und nach Turan Und nach Bagdad zu des kalifen thron: Sabuktig˘in du hast den sieg gepflückt Den lebenssieg der dir den rang bestimmt Du wirst mein erbe in der neuen gründung. Tughan du hast vielleicht noch mehr gesiegt Hast mit dem fügegeist gesiegt, dem deinen, Der sich die schlacht und sich das lied gewinnt Und du bekommst das königsbuch zu dichten.

326

KAIHOSRAU

PERSONEN

FERENGIS

Tochter des Afrasijab, Königs von Turan, gattin-witwe des Sijawusch, des iranischen Königssohns

KAIHOSRAU

Sohn der Ferengis von Sijawusch

GUDERS

Iranischer großer, königsucher

GIW

Sohn des Guders mit ihm auf der königsuche

PIRAN

Großwesir des Afrasijab

DER GEIST DES SIJAWUSCH EIN FERGE

Alle in festen masken oder halbmasken

328

ERSTE SCENE

Waldquell im wald der verborgenheit. Kaihosrau trinkt am quell, erhebt sich, steht kurz still und geht dann nach rechts ab. Von links treten Guders und Giw aus dem wald.

GIW

Der dort am quell stand war gezeichnet, fest Die hüfte, schöner thron die schultern, hohe Halssäule, drauf das klare haupt, in maaßen Das ganze – wie er stand auf langem bein Und schritt davon! Ein junger könig. Meinst du Er merkt’ uns? GUDERS

Gab kein zeichen, wenn nicht schon Sein weggehn ohne blick ein zeichen war. Ist er gefunden? Und die frage bliebe: Ob er sich finden lässt? Ich nicht und du nicht Wagten ein wort, ein zeichen – denn ein solcher Ist nicht gern überrascht. GIW

Die rote blume, Das Blut des Sijawusch, die aus den tropfen Vom lebenssaft entsprang, als sie das herz ihm Aufbrachen mordend – heut beim jungen licht Hat sie uns aufgeleuchtet, als den wald Den innern wir betraten, auf der suche Im siebten jahr nach seinem kind, nach ihm. Ist es der sohn von Irans blütenbaum Und Turans königsmaid – des Einen sohn Der in die flammen ritt im weißen kleid Und wiederkam in blanker herrlichkeit? Des ritters, der dem feind die treue hielt, Den wilden vater ließ, dem thron entsagte Um seiner ehre einzig schönen thron? Der Turans könig sich zum freund gewann Zum liebenden, das königskind zur braut? Der fern im osten sich die stadt gebaut

329

Gangdis, die glänzende, in rosengärten Vorm hochgebirg dess wasser sie ernährten, Die früchte wachsen ließen bis ans meer, Im jagdgefild die hirsche tränkten, hoch Der bäume wuchs gedeihen ließen, busch Und matten sprossten auf.. GUDERS

Der sich ein schloss Errichtete, in dem die bilder strahlten Von Irans herrschern, kriegern die sich paarten Zum wettkampf, nicht zum tod – von nachbarwänden Der adel Turans schaute und der alte Einstamm sich wies, der neue den sie fänden, Wenn sie sich seinem rittergeist vertrauten. Ist er dess sohn, der um sein opfer wusste, Sich preisgab seinem tod, damit sein kind Was sein prophetengeist geschaut erfüllte? Wir schwärmen! Harte frage: wie ihm nahn? Gewissheit finden, sein geneigtsein dann Gewinnen, ihm den ruf von Iran sagen, Die bitte seines reichs um seinen könig Und dann erfahren was sein wille will. Sie gehen langsam zum quell, aus dem Kaihosrau getrunken hat und schauen dem sprudelnden wasser zu.

ZWEITE SCENE Hütte der Ferengis und des Kaihosrau im wald der verborgenheit. Kaihosrau tritt von rechts aus dem wald. Die mutter tritt ihm aus der hüttentür entgegen.

KAIHOSRAU

Mutter Da war etwas im wald, ich merkte späher.

330

FERENGIS

Gesehn? gehört? KAIHOSRAU

Gefühlt. Ich ging und bot Den rücken, dass der feind sich zeige – doch Nichts kam hervor. Wer sucht uns? FERENGIS

Freudenboten Vielleicht, vorsichtige, die was sie wollen Verbergen, bis sie wissen wer wir sind – Ich träum – auch feinde können sich verbergen Bis alles ausgespäht, sie sicher greifen, Vertilgen können dich und mich – und jäger? Könntens nicht jäger sein, verirrt im großen Weglosen wald, der uns verbirgt – verbarg Bis heut? – Nur Piran weiß es, wo wir sind Und hält die treue – hält sie bis sein könig Ihn anders heißt – so hielt er sie bis heut, seit er sich deinem vater zugeschworen Als freund-feind, seinem könig immer dienend – Am meisten wenn er ihm den irren wahn Der grausamkeit geheilt: Erst Sijawusch Gerettet, unsern liebesbund gestiftet, Dann dich und mich bewahrt nach Sijawuschs Grausamem opfergang. Mein vater tobte Und wollte dich im mutterleib, in meinem, Mit mir vernichten. Hielt der henker mich Nicht schon am haar, als Piran in den hof Einsprengt, die handschnur löst, Afrasijab Besinnung gibt, weil er den schreckenstraum Von künftigem untergang durch dich ihm lichtet – Hat Piran nicht mich im palast gepflegt Und dich den hirten, guten, anvertraut, Den neugeschreckten könig neu beschwichtet Und uns im rettungswald versorgt, verborgen?



331

KAIHOSRAU

So hast dus mir erzählt, hab ichs gesehn – Entscheidung kommt, was wird, was ist – das wissen Die anderen wie wir – der falk ist flügge, Den fliegenden fängt nur ein trugnetz ein – Wenn er sich trügen lässt – man greift den jungen! Jetzt ists an dem. FERENGIS (Sich hoch aufrichtend)

Oh nein! Denn Sijawusch Hat es mir angezeigt: die boten kommen. (Sie gehn in die Hütte)

DRIT TE SCENE Guders und Giw treten von rechts aus dem wald und bleiben ferne stehen. Kaihosrau tritt aus der hüttentür. Eine weile schweigen.

GIW

Wo kommst du her? Wo gehst du hin? KAIHOSRAU

Ich komme Woher ich komme, geh wohin ich geh. GUDERS

Wir suchten sieben jahre, den zu finden Uns einziges heil erscheint, wir kommen, bitten Dass du uns nimmst als fragend suchende Und geben uns in deine hand. (Sie legen die Waffen nieder)

332

Fremdlinge Sind wir, doch fremde nicht, so hoffen, ja So glauben wir und wissen schon – durch zeichen Gestärkt und durch den anblick. Willst du fragen? Wir sind bereit zu jeder kunde, die Du hören willst vom unsrigen. KAIHOSRAU

Der kunde Bedarf es nicht, ihr seid mir wohl bekannt. Guders bist du der spricht und Giw dein sohn Bei dir der sprach. Und Sijawusch, mein vater, Hat eure kunft vorausgesagt. Ich weiß Aus meiner mutter mund von seinem wissen Und von Iran. GUDERS

Heb deinen arm und zeig uns Das Kajanidenmal, das schwarze zeichen, Das seit der ahnherr Kaikubad, vom Elbruz Gebeten kam, die königssprossen schmückt Aus seinem stamm. Nicht dass wir zweifelten, Zu zweifeln ziemt bei deinem anblick nicht, Doch lass den botenauftrag uns erfüllen. Kaihosrau hebt den arm. Der ärmel des gewandes fällt zurück. Guders und Giw sinken aufs knie, das schwarze Kajanidenzeichen erblickend.

GUDERS

Wir ehren dich und den der dich erzeugt Und die dich trug und bildete, die mutter, Die königstochter Turans, die den sprossen Zu beider reiche heil gebar. Wir sagen Dir unsre botschaft: Iran ruft dich, harrt, Bereit zur sühne, wo du willst zur rache. Der thron ist leer, komm heim, sei unser herrscher. (Sie erheben sich auf des Kaihosrau zeichen)



333

KAIHOSRAU

Mir ist um Herrschen nicht zu tun. GUDERS

Dir nicht Um herrschen, uns um einen herrscher. Die wissenden erbitten es als gunst, Als dein geschenk dies herrschen, und die dumpfen Ersehnen was ihr leben helle macht, Den missbrauch tilgt, das gaukelspiel zerstört, Als könne herr sein ders nicht ist, nicht weiß Um das gefüg. Es schmachtet trüb das land In finsteren widerspielen, wo sich recht Und unrecht glanzlos in den stricken winden, Des abgesunkenen getreibs, wo dasein Ein feiles spiel um enge süchte wird. Sei unser retter du! KAIHOSRAU

Iran hat lange Den vater meines vaters hoch getragen, Den wankelmutigen Kaikawus, den wilden, Der seinen sohn den flammen geben wollte, Als ihn die zweite königin bezichtet Des schlimmen, das sie selbst begehen wollte, Vor seinem schönen leib von lieb ergriffen – Der dann den geist des sprossen nicht ertrug, Ihm an die ehre griff, sein rittertum Verriet und schmähte und zuletzt im wahn Zum himmel fliegen wollte, um den rausch Der macht ganz auszukosten – nicht die großen Und nicht die dumpfen regten sich, den irrgeist Zu bändigen, den schänder abzutun. GIW

Du richtest recht, doch weißt du nicht, dass Rustam Die königin, die Sijawusch verleumdet, Den bösen geist des Kaikawus, die spät Den einsamen umstrickt, vom throne riss? Mit schwertstreich richtete? 334

KAIHOSRAU

So handeln recken Von euch noch angebetet: wilde kräfte, Aufwallungen von edeltum gemischt Mit rachelust. Du weißt es: Sijawusch Bat seinen vater, dass er ihr vergebe Und ihn entferne, ihm den kampf ums recht, Des reichfeinds, rechtfeinds zähmung anvertrauend. Nach rache steht mein sinnen nicht, sie stillt Den trieb, doch zeitigt keine frucht, es sei Denn neue rache, wenn das blatt sich wendet. Entsühnung ist ein andres – und Turan Ist mir nicht racheziel, nein, reinigung Bring ich dem Land, das sie begehrt. Wenn recht Verletzt, entehrt, versehrt, vergeltung heischt, Sie habe statt nach feierlichem brauch, Den täter und den richter gleich entsühnend, Dass sie gereinigt sind vorm Gott – der schlimmste Rechtbrecher ist ders bricht in rechtes namen. GUDERS

Wir beide Bekennen uns zu dem was du gesagt, Wir bieten uns als bürgen, dass wir nicht Die einzigen sind, die deinem rufe folgen. Wir sprachen wie die noch befangenen sprechen, Die uralt wähnen, neue irre noch Befängt, doch sehen sie das licht Und gehen sehnend zu auf seinen strahl, Sich weihend: komm zu uns und unsern brüdern Im geist. Das andre Iran ruft dich: komm! Kaihosrau tritt langsam auf sie zu und streckt ihnen seine hände entgegen.

KAIHOSRAU

Mög nicht ein bloßes wallen aus euch sprechen. Der lange weg den ihr gegangen zeugt Für euch, die sieben jahr, und dass in mir Ihr Sijawusch gesucht. Ich komm! – Nicht herrscher, Ein lenker und ein rater will ich sein.

335

Guders und Giw sinken abermals in die kniee. Des Kaihosrau hände stehen wie einweihend über ihnen. Als er die knieenden aufhebt, tritt Ferengis in helm und panzer aus der hütte. Ihre schlanke gestalt, ihr auge und ihre gangart lassen sie wie die jüngste unter den versammelten erscheinen. Sie steht den dreien gegenüber. Kaihosrau zwischen Guders und Giw.

FERENGIS

Aufbruch ihr männer! Eile ziemt, die waffen Hebt auf vom boden, neue waffen, die Für neue weihe streiten und das kleinod Beschützen, das der Gott uns anvertraut. Sohn, lass dir jetzt den letzten spruch berichten, Den dir dein vater hinterließ, als er Zum dunklen opfer ging. Er nahm sein ross, Das rosseshaupt des Bangor, in die arme Und sprach zum freund, der ihn durch jeden kampf Zu aller lust des lebens heil getragen – Sein zweites ich –: ›Bangor, ich nehm den sattel, Den reich gezierten, meines lebens thron, Von deinem rücken, nehm die goldne zäumung Aus deinen zähnen, ab von deinem hals. Der weide im gebirge geb ich dich. Sei führer edler rosse, wie dein freund Die edleren der menschen führen wollte. Lass dich von keinem sterblichen besteigen, Bis Einer kommt, du witterst ihn: mein kind. Den trage heil wie mich zu jeder fahrt Und gib ihm deines edelrückens höhe Und schnaub ihm zu, wenn in gefahr ihr reitet Und grüß ihn wiehernd, wenns zum siege geht.‹ So sprach dein vater und so tat er: Du, Den Bangor hol dir von der hohen trift Im bergland, wir sind dir zu seiten. Dann Sei unser zug vom Gott geführt, vom geist Des Sijawusch – er wird gewärtig sein, Wenn wir den Dschihun überschreiten, fluss Der noch die ufer trennt: Turan und Iran, Und der sie beide eint durch seinen lauf Zu Einem Reiche, wenn du deines vaters Vermächtnis in die wirklichkeiten rufst. 336

KAIHOSRAU

Oh mutter, So sei es! Sei du unser jüngster krieger: Das pfand, dass blut und blut zu neuer blüte Sich einen, herrscht der geist – der geist der güte.

VIERTE SCENE Auige waldlichtung am Dschihun, hohe bäume, üppiges gebüsch – dahinter, tiefer, ist der fluss zu spüren. Abend. Kaihosrau steht auf der lichtung und ruft flusswärts. Bald taucht der Ferge auf einem pfad zwischen den büschen herauf und bleibt, ferne, stehen.

KAIHOSRAU

Wir sind nur vier, drei männer, eine frau, Die auch zugleich ein mann ist. Eile tut Uns not. Wir sind verfolgt. Du führst uns über? FERGE

So schnell? Und ohne wissen wer ihr seid? Mein guter – hier ist grenze und wir führen Nur den hinüber, der sein recht erweist Von land zu land zu gehn. KAIHOSRAU

Das recht ist eines An beiden ufern, hier und drüben, recht Kann nicht ein fluss zu unrecht biegen, kann Auf diesem grund nicht anders sein als drüben. Du meinst gewalt, die eigne satzung macht, Um menschen aufzuzwingen die gewalt Nach eignem nutzen – dem vermeinten. Ich Sprech von des menschen recht auf leben und Auf rettung! Uns verfolgt man, gilts dir nichts?



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FERGE

Wie du da redest! Da könnt jeder kommen, Der ordnung bricht und der gewalt nicht achtet Und sich entziehn will, dann den gegner stärken. Wer weiß, was du verbrachst und wer dich sucht? Soll ich den kopf hinhalten, dass du weichst, Man hier mich kreuzigt und du drüben lachst? KAIHOSRAU

Wir haben rosse, mutige, und mut Im herzensgrund. Wir schwimmen durch den fluss. Nur asche was du sagst. Du sprichst, als sei ich Ein hergelaufener – wo ist dein gemerk? Wenn ihr den rang nicht merkt, der euch begegnet, Den menschenrang, so könnt ihr weiter waten In eurem sumpf im aufgewühlten dunkel, Denn ohne ehrfurcht seht ihr nie ein licht! FERGE (Besinnlich geworden, langsam, Kaihosrau betrachtend)

Dich möcht ich gern noch einmal sehen, wenn du Der flut enttauchst, seis drüben oder hier, Die stimme hören, wie sie klingt nach kaltem Reißendem bad – ob sie so groß noch tönt – Was bietest du an vorteil, wenn ich fahre? KAIHOSRAU

Nichts. Und ich nähme nicht den willigsten Bereiten dienst, seit ich von deinem sinn Dem niedern weiß. Heb schnell dich weiter – oder Wir kommen über dich! Der Ferge taucht langsam, zögernd, sich umblickend durch die uferbüsche zum fluss hinunter.

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FÜNF TE SCENE Ferengis, Guders und Giw treten aus den bäumen.

GIW

Ein heer ist hinter uns und Piran führt es, Er hat den mann in sich entdeckt, der seinem Geschworenen herrn die treue hält und seis Um bruch der heiligsten, der freundestreue. Sie denken uns zu fangen. Will der ferge? KAIHOSRAU

Will nicht, ist argen sinns. FERENGIS

Sie sind schon nah. GUDERS

Sie sind dreihundert – kampf ist untergang. KAIHOSRAU

Wir schwimmen mit den rossen durch den fluss. Stehn sie bereit? Wie zeigt sich Bangor? FERENGIS

Sohn, Er schnaubt. GIW

Doch ich will kämpfen. Lasst mich kämpfen! Einbrechen in die reihn, auf sie mich stürzen! Ich scheu die hundert nicht, der hohe mut Treibt sie zu paaren. Lass sie zahlen für Ihr blindes folgen einem üblen herrn! Heimsenden will ich ihre dunklen seelen Zu dunkelfürst Afrasijab, die leiber Bett ich am Dschihun hier, dass keiner mehr Ein glied noch rühre für die dunkelwelt.



339

KAIHOSRAU

Nur Piran gilt, der einzige wissende. Du kannst ihn gern bestehn im einzelkampf, Damit er merke, dass wir ihn nicht fürchten Und so sein herr. Die andern sind nur häscher, Und an die meute lohnt sich nicht die kräfte Zu wenden – sie sind hier und dort – geworfen, Wohin der zwang sie wirft. Ihn kannst du fassen, Im wettkampf durch die probe überzeugen, Wo höhers recht ist und wo Gott im bunde – Nimm ihn gefangen! Bring ihn mir! GIW

Er soll, Wenn er es wage mir zu stehen, zu fechten, Zu deinen füßen liegen, gnade bitten Umsonst! KAIHOSRAU

Umsonst nicht, wenn des geistes strahl Der strahl des Sijawusch ihm in die augen, Die weitgeöffneten zur geisterstunde Zur stunde der erweckung zückt. FERENGIS

Und ich Leg meine bitte ein: ein teures haupt, Ein viel erprobtes darf kein richter schänden, Auch wenns im dunkel edler triebe irrt. KAIHOSRAU

Wir gehn. Sie verlassen die lichtung, dort in die bäume tretend wo Ferengis, Guders und Giw hergekommen sind.

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S EC H S T E S C E N E Piran allein, mantel über den gewaffen, tritt von rechts, in sinnen versunken, auf die nun schon nächtige lichtung. Er blickt sich um, fällt wieder ins sinnen und lässt sich auf einem baumstamm nieder, sinnend gebeugt. Während er mit sich selbst spricht geht der mond zwischen den baumwipfeln auf und nebelschleier steigen aus dem fluss.

PIRAN

Sah ihn zuerst am Dschihun, gab mich ganz: Mein herz, den geist, mein glück, mein alles gab ich An ihn. Im kampf gewann ich ihn zum freund! Ich kannt ihn gleich: die hochgestalt, das auge Von geistes flammen leuchtend, und die hand, Die siegesstarke, offen für die milde. Verwandelnd war sein erstes wort, es ließ mich Die morgenröte schauen neuer welt, Die nur aus einem solchen kommt wie er. Und als er dann sein wesen durch die tat Kundtat, nach Turan kam und thron und vater Verließ, sein wort zu halten, den gefangenen Verheißene freiheit gebend, deren tod Der wilde vater fordert, wahrend ehre Der welt – da kam das glück! Ich legte seine Und meines königs hände ineinander, Und liebe flocht die schimmernde die krone Um ihre stirnen – heller tag! Ich legt ihm Die tochter, meine, und des königs tochter, Ins bette, dass der herrliche erzeuge In eh und eh die sprossen seiner kraft, In himmelslust sich weide, weil die monde Ihn licht umstanden, ihn umschienen, tränkten Mit lieblichstem geleucht der liebe, tat Das beste, weil ich wusst ich tat das beste Für ihn, für meinen herrn und für die welt. Ich hab die hohe Ferengis den henkern Entrissen, als der düstre könig ihren Von Ihm gesegneten den mutterleib, Des sprossen tilgen wollte, hab dem könig Den schreckenstraum ins licht gedeutet, glaube Ihm weckend, dass der helle sohn Irans

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Und seiner, Turans tochter, ihm, der welt Zum heil geboren werde. So schon einmal Hatt ich getan als Gersiwes, der bruder, Afrasijab den stachel in den geist gesetzt, Aus Gangdis kehrend, aus der neuen stadt Des Sijawusch. Er konnt es nicht ertragen, Dass der des königs lieb gewonnen, ihn Und seine recken all besiegt im speerwurf Vom ross, dem jagenden, und dann im ringkampf Zu boden alle brachte – nicht der helle Suchte triumf – der dunkle war der fordrer Und griff den weigernden, aufs gastrecht sich Berufenden, bei seiner ehre an: Was blieb dem hellen als der sieg? Der dunkle Stieß selbst die unerbittliche, die lanze Der eifersucht sich in sein herz – verleumder Trat er, zurückgekehrt, zum bruder, deutete Die edelbilder künftiger versöhnung, Die im Palast in Gangdis leuchteten, In schnöd verkehrten lugbericht: Aus Iran Hab Sijawusch gefolg um sich versammelt In seiner stadt, sein heer sei groß im wachsen, Den bund des reiches Rum hab er gewonnen, Afrasijab zu stürzen sei sein weg – Und wahn ergriff den könig, nur mein wort Vermochte ihn zu stillen, meine bürgschaft Den glauben neu zu wecken. Aber jener Schlug heuchelnd eine probe vor: Den prinzen Zu laden, dass er käme ohne heer, Die königstochter mit, das kind im leibe, Ein festzug: Der gefolgsmann vor den könig Der freund zum freund. Dann bot er sich als lader Und trat als warner vor den hellen, droht’ ihm Mit königstücke, untergang von weib Und kind, beschwor ihn, nur gerüstet Zu nahn, allein mit seinem heer, vorm könig Die tochter zu entschulden mit schon hoch Gewölbtem leib — da wusste Sijawusch, Was ihm bevorstand zwischen königsbruder Und könig, wusste dass kein klares mehr 342

Kein heil zu finden sei und rettung nur Um den verbruch der eigenen gestalt, Des eignen geists – und ging den opfergang, Dem sohn, der welt zum rettenden vermächtnis. Sie stießen ihm den dolch ins herz, zum wald Ihn schleppend auf die lichtung. Blumen, rote Und leuchtende erblühten aus den tropfen Von seinem herzen: Blut des Sijawusch. Piran hält inne, schaut auf zum eben emportretenden mond, den zarte nebel umschleiern. Er erhebt sich und hebt betend die unterarme.

Kommst du, vertrauter mir und eingeleiter In deinem rundlauf mir jedweden gangs? Willst mir zuhören, milder? Hör mir zu! Doch lindern kannst du heut nicht mein geschick. Er lässt sich nach kurzem verharren wieder auf dem baumstamm nieder, sitzt aber nun aufrecht und spricht zum mond hinauf und unter dem mond hin.

Ich barg den sohn bei hirten, barg im wald Ihn und die mutter, täuschte meinen könig Mit heiligem trug und macht ihn sanft, die stunde Erwartend, wo der enkel ihm als kind, Als glück, als erbe seines reichs erscheine. Jetzt kommt der schrei der boten: Flucht nach Iran, Vom feind gerufen, übergang zum feind! Ein rächer droht, kein weltbeschwichter soll Aufsteigen aus Turan, der alte streit Ist offen, meines königs traum, der wilde, Geht in erfüllung. Muss ich nicht dem Herrn, Dem Lebensherrn, den ich gewählt, die treue Bewähren? Bot mich selbst als häscher, will Die viere fangen – dann wird, weiß ich, keine Fürsprache mehr die sich zum andern weg Bekannten retten. Tod ist ihre losung, Und tod die meine, weil ichs nicht ertrage, Das Blut des Sijawusch zum zweiten male Vergossen – dunkle nacht – und tod der menschen Des neuerwachten geists. Wenn sie entgehn,

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Das heil in Iran pflanzen, Irans banner Gen meinen könig tragen, greift noch schlimmrer, Der tod der schande mir nach meinem haupt – Verräter meines königs! – Sijawusch Geliebter, hoher, hast du mich verlassen?

SIEBENTE SCENE Der Geist des Sijawusch erscheint in den nebelschleiern zwischen den bäumen, dort wo Kaihosrau und die seinen weggegangen. Piran kniet.

SIJAWUSCH

lch komm als freund, schrick nicht, als schicksalsbote. Ich bring dir rettung nicht: du bist der meine, Der mir gepaarte auch im todesgang. Was wär dir rettung nur des lebensodems? Wenn dir die ehre stirbt im ausweglosen, Ziemt freies opfer, willentliche weihe An das geschick. Du stirbst mit deinem könig Am ende, gehst noch dunklen gang zuvor. Giw wird dich fordern: kampf um die entscheidung Des Gotts zu zwein, du kannsts nicht weigern und Die junge kraft, die glaubensstarke, zwingt Dich unbesiegt bewährten nieder. Schnöd In fesseln schlägt er dich und zerrt und wirft Dich vor mein kind – er kämpft auf meiner seite, Du – müssend – gegen mich. Und Kaihosrau Wird dir die fesseln lösen, Ferengis Fürbittend ihm zur seite. Doch die schmach Besiegten heimgangs wirst du kosten, finger Zeigen auf dich, den irrer falschen glaubens. Verräter wirst du heißen bei den dumpfen Auf beiden seiten, Dschihuns beiden ufern, Im hohen Iran und im weiten Turan, Und bist es doch, der meiner seele sendung, Mein schicksal teilend, mit – mit mir – vollzieht.

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Und der den du gerettet, für die welt Gerettet: Siegend – Bangor wiehert – wird Er reiten, wird die frucht, die meine, deine Der erde bringen, wird sie reinigen. Er bringt dem geist die macht, dem edelsinn Die führung. Und mit einmal zeigt sich, wie Viel edelsinn in menschenherzen wohnen Und wirken kann – ein reichtum, der die himmel Erstaunen lässt. Er kommt zur höchsten macht, Weil er die macht nicht sucht, das glück des dienstes Mit allen teilt, das sie vom gierigen Ich Befreit und in die freie fülle bringt Ihr wahres selbst. In stufen liegt das heil! Das dunkle dient dem hellen zur erscheinung: Er wird entsühnen, wo er siegt, die welt Wird sich ihm beugen, weil er sie nicht beugt, Nein wachsen macht im gottgefallenden maß. Dann zeigt er noch, wie er sein tun gemeint: Er wird sich lächelnd aller macht entkleiden, Wird dem erkorenen die krone geben, Wird betend das verliehene dem verleiher Darbringen, wird sich selbst dem spender weihn: Von freunden ins gebirg, zum Gott, geleitet, Wo feiner schnee ihr letztes lager deckt, Dass ihre münder nicht das tuch zerreißen, Das das Geheimnis seiner auffahrt birgt. Ihn nimmt der Gott, weil er das schöne schön Vollendet, weg ins schönste ohne tod. (Der Geist verschwindet)

PIRAN

Ich komm und geh den weg zu dir! Geliebter Und hehrer Geist, du hast mich nicht verlassen.



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RUDOLF FAHRNER

GESAMMELTE WERKE IN DREI BÄNDEN HERAUSGEGEBEN VON STEFANO BIANCA UND BRUNO PIEGER

Die hier vorgelegte Auswahl aus den Werken Rudolf Fahrners ruft eine ungewöhnliche Gestalt des 20. Jahrhunderts in Erinnerung, die zwar nicht ohne ihre Zugehörigkeit zum George-Kreis zu denken ist, sich jedoch nicht darauf eingrenzen lässt. Fahrner war ein eigenständiger Dichter, ein einfühlsamer literarischer Interpret und ein origineller Historiker. Weite Teile von Fahrners Werk waren bislang unzugänglich und sind nun erstmals in insgesamt drei Bänden ediert. BD. 3 | RUDOLF FAHRNER

BD.1 | RUDOLF FAHRNER

GESAMMELTE WERKE III

GESAMMELTE WERKE I

LYRISCHE DRAMEN NACH

DICHTUNG UND DEUTUNG

ORIENTALISCHEN QUELLEN

HG. VON STEFANO BIANCA UND

HG. VON STEFANO BIANCA

BRUNO PIEGER

2014. CA. 336 S. GB.

2008. XII, 352 S. 1 FRONTISPIZ

ISBN 978-3-412-22389-2

UND 2 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-412-20110-4

BD. 2 | RUDOLF FAHRNER GESAMMELTE WERKE II ERINNERUNGEN UND DOKUMENTE HG. VON STEFANO BIANCA UND BRUNO PIEGER 2008. XII, 424 S. 1 FRONTISPIZ UND 32 S/W-ABB. AUF 16 TAF. GB. ISBN 978-3-412-20111-1

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STEFANO BIANCA (HG.)

»WIR SIND DIE SPÄTEN ERBEN DES SCHÖNEN, DAS EWIG WÄHRT« MICHAEL STETTLER UND RUDOLF FAHRNER EINE DICHTERFREUNDSCHAFT IN BRIEFEN

Der ausführlich kommentierte Briefwechsel zwischen Michael Stettler (19132003) und Rudolf Fahrner (1903-1988) ist ein bewegendes Zeugnis der Freundschaft zwischen zwei Menschen, denen das Leben in der Dichtung und aus der Dichtung ein tiefes Bedürfnis war. Zugleich ist er ein Dokument, das wie kein anderes eine frische und authentische Sicht auf das Nachleben des George-Kreises in den Jahrzehnten nach 1945 vermittelt. Michael Stettler, aus einem alten Berner Patriziergeschlecht stammend, war Architekt und Kunsthistoriker und hat sich einen Namen als Direktor des Berner Historischen Museums und der Abegg-Stiftung gemacht. Der Germanist und Historiker Rudolf Fahrner stammt aus dem österreichischen Waldviertel, studierte bei Friedrich Gundolf in Heidelberg und Friedrich Wolters in Marburg, und hat selber in Marburg, Heidelberg, Athen, Ankara, Karlsruhe und Kairo gelehrt. Beiden Autoren wurde in jugendlichem Alter die Begegnung mit Stefan George zu einem prägenden Erlebnis. Diese Edition belegt erstmals ihr Wirken und ihren intensiven gegenseitigen Austausch als Dichter. 2013. 226 S. 12. S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-20951-3

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