Lyrische Werke 9783110229745

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Lyrische Werke
 9783110229745

Table of contents :
Einleitung......Page 7
1. Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs (ab ca. 1150/70)......Page 31
2. Minnesang II: Der deutsche Minnesang von Friedrich von Hausen bis Heinrich von Morungen (ca. 1170–1190/1200)......Page 89
3. Minnesang III: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide......Page 189
4. Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250......Page 237
5. Minnesang V: Der deutsche Minnesang nach 1250......Page 259
6. Spruchdichtung und Sirventes......Page 281
7. Niederländische Lyrik......Page 313
8. Musik......Page 353
Abkürzungsverzeichnis......Page 395

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Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF) Band III

Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF) Handbuch der deutschen und niederländischen mittelalterlichen literarischen Sprache, Formen, Motive, Stoffe und Werke französischer Herkunft (1100–1300)

Herausgegeben von

Geert H. M. Claassens, Fritz Peter Knapp und René Pérennec

De Gruyter

Lyrische Werke GLMF III Herausgegeben von

Volker Mertens und Anton Touber Redaktion Nils Borgmann

De Gruyter

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Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF) Gesamtplan Band I Die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Spiritualität, Bildung und Dichtung aus Frankreich Band II Sprache und Verskunst Band III Lyrische Werke Band IV Historische und religiöse Erzählungen Band V Höfischer Roman in Vers und Prosa [2010] Band VI Kleinepik, Tierepik, Allegorie und Wissensliteratur Band VII Gesamtregister, Bibliographie, Addenda

ISBN 978-3-11-022974-5 e-ISBN 978-3-11-026184-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

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Inhaltsverzeichnis Einleitung von Volker Mertens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs (ab ca. 1150/70) von Rüdiger Schnell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Minnesang II: Der deutsche Minnesang von Friedrich von Hausen bis Heinrich von Morungen (ca. 1170–1190/1200) von Rüdiger Schnell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Minnesang III: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide von Ricarda Bauschke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4. Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250 von Anton Touber (und Nicolaas Unlandt) . . . . . . . . . . . . . . 231 5. Minnesang V: Der deutsche Minnesang nach 1250 von Nicolaas Unlandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 6. Spruchdichtung und Sirventes von Michael Shields . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 7. Niederländische Lyrik von Frank Willaert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 8. Musik von Florian Kragl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

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Benutzerhinweis Kreisverweise auf andere Einzelartikel des Handbuches werden durch einen Rechtspfeil (f) vor der Nennung des andernorts nochmals und ausführlicher behandelten Gegenstandes gegeben. Befindet sich der betreffende Artikel in einem anderen Band, wird die Bandnummer in römischen Ziffern vorangestellt, z.B. „f II Lyrische Strophenformen“. Steht der Artikel im gleichen Band, wird der Verweis – sofern möglich – durch die Nennung des Unterkapitels in arabischen Ziffern präzisiert, z.B. „f Minnesang II, Kap. 2.4“.

Vorbemerkungen

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Einleitung von Volker Mertens 0.1 Vorbemerkungen – 0.2 Grundsätzliches – 0.3 Anregungen – 0.4 Schlußfolgerungen

0.1 Vorbemerkungen Das mittelalterliche deutsche Lied ist nächst der Epik besonders intensiv von der Romania beeinflußt. Dieser Band gliedert die Liebeslyrik chronologisch: In der Frühzeit, im donauländischen Minnesang, wird mit einem generellen Einfluss auf die Neupositionierung des Liedes im Rahmen höfischer Lebensformen gerechnet (f Minnesang I, Kap. 1). In der nächsten Generation, der ‚Ersten Staufischen Schule‘, werden Formen, Motive und Konzepte übernommen (f Minnesang II, Kap. 2). Der romanische Einfluss ist bei den Sängern um 1200, bei Reinmar und Walther, vor einem eigenen Referenzsystem des deutschen Sangs zurückgetreten (f Minnesang III, Kap. 3), und im dreizehnten Jahrhundert ist ein Reflex der Trobador- und Trouvèrekunst, wenn überhaupt, so nur noch punktuell zu erkennen (f Minnesang IV u. V, Kap. 4 u. 5). Die niederländischen Lieder (f Niederländische Lyrik, Kap. 7) sowie die Sangspruchlyrik (f Spruchdichtung und Sirventes, Kap. 6) erhalten je ein eigenes übergreifendes Kapitel, ebenso die f Musik (Kap. 8). Lücken ergeben sich vor allem bei möglichen Parallelen des religiösen Lieds mit der Chanson pieuse sowie bei der Großform des Leichs. Allerdings wird in beiden Fällen nicht mit unmittelbaren Wirkungen, sondern vielmehr mit gemeinsamen Bezügen zur mittellateinischen Lyrik gerechnet. Im Fall des Leichs gehen diese in beide Richtungen: Es gibt mehrere lateinische Kontrafakta deutscher Leichs wie ‚Sion egredere‘ mit Melodie zum Tannhäuser-Leich IV (Ausg. Lomnitzer/Müller, S. 63–70), aber auch, zumindest in einem Fall, die Übernahme einer lateinischen Form ins Deutsche: Zwischen dem ‚Carmen Buranum 60/60a‘ und Walthers Leich (L 3,1) besteht ebenfalls eine formale Beziehung. Hier scheint der deutsche Autor die Form des mittellateinischen Gedichtes adaptiert zu haben (Knapp 2005). Da dieses roma-

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Einleitung

nischen Ursprungs ist, ist eine mittelbare Beziehung zur Romania gegeben: durch die beiden Kulturen gemeinsame Gelehrtensprache. Das Verhältnis zwischen den Lais und Descorts und den deutschen Leichs hingegen ist nach dem Urteil Apfelböcks (1991) durch konkurrierende Nachbarschaft, aber nicht durch direkte Beziehungen untereinander bestimmt. Für die Einführung stellt sich die Frage nach den grundsätzlichen Bedingungen des Verhältnisses zwischen romanischer und deutscher Lyrik, denn sie werden in den einzelnen Kapiteln nur punktuell angesprochen, zuvörderst in denen von Rüdiger Schnell und Ricarda Bauschke. Sie sollen daher an dieser Stelle systematisch reflektiert werden. Die Lyrik ist durch thematische, formale und mediale Eigenheiten bestimmt, die Einfluß auf die kulturellen und literarisch-musikalischen Austausch- und Aneignungsprozesse haben, die somit teilweise andere sind als die in der Epik. 1) Die Themen der Lieder sind relativ eng begrenzt, im Zentrum steht die Liebesproblematik (Lebenslehre, Panegyrik, Politik und Polemik in Sirventes/Sangspruch sind Sonderfälle). Die erotische Thematik wird in viele Aspekte aufgefächert und rhetorisch aufbereitet. Eine solche Vielfalt in der Ähnlichkeit erleichtert ein selektives Vorgehen des Aufnehmenden, er wählt aus verschiedenen Liedern Themen, Motive und Sprachformen aus und kombiniert sie neu (s. Kap. 0.3). 2) Die Länge der Strophen erlaubt eine relativ schnelle Erfassung von Form und Melodie über das Hören, auch bei komplexeren Schemata ist eine Aneignung durch das Gedächtnis leicht möglich. Die Lyrik steht unter der Prämisse: ‚jedes Lied ein eigener Ton‘. Das bedeutet eine große Diversität und damit eine weite Wahlmöglichkeit für den Nachsänger. Er kann zu Inhalten, Bildern, Wendungen des einen Liedes die Strophenform und Melodie eines weiteren adaptieren. 3) Medial ist die Lyrik lange Zeit durch Dominanz der Mündlichkeit gekennzeichnet. Lieder werden vorzüglich über das Ohr aufgenommen und durch das Gedächtnis tradiert, vielleicht gestützt durch schriftliche Aufzeichnungen (Van Vleck 1991, S. 56–68; Holznagel 1995; Aubrey 1996, S. 26–34). Die musikalische Dimension spielt eine herausragende Rolle: Ein Lied kann auch dann geschätzt werden, wenn man die Sprache nicht oder kaum versteht (f Niederländische Lyrik, Kap. 7.2: das Lied ist „ein sehr mobiles Genre“), selbst eine Aneignung des Tons ist ohne Verständnis des Worttextes möglich. Eine Aufnahme von herausgehobenen Leitwörtern durch die Zuhörer könnte dem Sänger genügt haben; wir wissen nicht einmal, in welchem Umfang Wortverständlichkeit bei der Aufführung angestrebt oder sichergestellt wurde. Für die, die den Worttext ge-

Vorbemerkungen

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nauer kennenlernen wollten, mag er schriftlich bereitgestellt worden sein. Aber auch die Skripturalität stand unter der Imagination von realer Performanz; diese sollten wir daher als Schlüsselszenario betrachten, wie in den neueren Untersuchungen immer wieder betont wird. Für eine Theorie sind verschiedene Szenarien, die einander nicht ausschließen müssen, möglich. 1) das performative Szenario: Die Vermittlung geht über die Präsenz des Sängers und die Kopräsenz der Rezipienten als Angehörige der verschiedenen Kulturen. Prototypisch ist die öffentliche ‚Aufführung‘ von Liedern vor einem Publikum in repräsentativem oder auch kleinerem Rahmen. Inwieweit der Vortrag einen gesellschaftlich unbestrittenen Platz hatte, institutionell abgesichert und reguliert war, wissen wir nicht (Schilling 1996; Müller 2005). Ebensowenig ist evident, ob Schriftlichkeit dabei eine stützende Rolle spielte, etwa dergestalt, daß der Sänger zunächst von einem Liederblatt und erst später auswendig vortrug oder daß für den Hofherren (oder die Herrin) eine schriftliche Fassung übergeben wurde. Die ältere Forschung rechnet mit solchen Liederblättern (Gröber 1877), während die jüngere sie zumeist verneint (Van Vleck 1991, S. 56–58). Jede Aufführung stellte eine Neuschöpfung des Liedes in musikalischer und textlicher Hinsicht dar (ebd., S. 209) – es ist jedoch umstritten, in welchem Umfang das der Fall war. Daß Performanz existierte, ist hingegen unbezweifelt, aber ob sie als Modus sinnlicher Präsenz die dominierende Übermittlungsform bedeutete, wird, zumindest für das 13. Jahrhundert, angefochten (Cramer 2004). 2) das skripturale Szenario: Der deutsche Sänger arbeitete mit schriftlichen Texten, vermutlich mit Liederbüchern. Daraus ‚bastelte‘ er seine Fassung, wie das im Fall von Rudolf von Fenis, MF 80,1 vermutet wurde (Touber 2001), einem Gedicht, das der Autor nach drei Liedern Folquets von Marseille (PC 768,1; 573,2; 690,1) geschaffen hat. Daß sie in der Florentiner Handschrift P (um 1310) als Block zusammenstehen, kann bedeuten, daß die schriftliche Vorlage, aus der Rudolf geschöpft haben soll, aus dieser Überlieferungstradition gestammt hat. Wahrscheinlich reflektiert diese jedoch eine usuelle mündliche Vortragssequenz, da mit Schriftlichkeit der Lyrik im 12. Jahrhundert kaum gerechnet wird (s.o.). Daß für die Melodien schriftliche Übermittlung galt, ist noch unwahrscheinlicher, hier dürfte Mündlichkeit lange die entscheidende Rolle gespielt haben, wie aus dem Zeugnis Ulrichs von Lichtenstein hervorgeht (f Minnesang IV, Kap. 4.3). Für die Epik hingegen scheint die Arbeit mit einer schriftlichen Vorlage das dominierende Paradigma gewesen zu sein. Die spezifische Erscheinungsform der Performanz ist kaum zu rekon-

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Einleitung

struieren, also können wir sie nur in ihrer grundsätzlichen Dimension in unsere Überlegungen einbeziehen, nicht aber in ihrer konkreten Ausprägung. Allgemeinere Aussagen hingegen sind möglich. Es scheint anspruchsvollere und weniger anspruchsvolle Formen der melodischen und damit der performativen Gestalt gegeben zu haben. Darüber geben auch die in unsere Notation nicht umsetzbaren Neumen Auskunft. So gehört Walthers Frauenpreislied ‚Si wunderwol gemachet wîp‘ (L 53,25) nach Auskunft der (unvollständigen) Neumierung in der Handschrift N (Diehr 2004, S. 62f.) melodisch zum hôhen sanc (Z. 4). Die Unterscheidungen von trobar clus und trobar leu wie die Gliederung von Pierre Bec (1977) in ein „registre aristocratisant“ und „popularisant“ sind jedoch zu allgemein; man findet einen ‚hohen‘, stark verzierten, melodischen Stil in den ‚leichten‘ Formen (wie in der ornamentalen Melodie der zum „popularisierenden“ Register zählenden Chanson de toile ‚Bele Doete‘) und umgekehrt (Aubrey 1996, S. 200). Mit unterschiedlich ausgeprägten Spannungen zwischen dem Anspruch der Melodie und der des Textes ist zu rechnen. Man kann auch regionale Stile unterschieden haben, die bestimmte Traditionen und Konfigurationen reflektierten: Vielleicht existierte im Minnesang sogar ein ‚okzitanischer Vortragsstil‘, ähnlich wie ein thüringischer, denn man erkennt die Tänze von dort im ‚Parzival‘ 639,11f. Daneben gab es sicherlich Personalstile der Sänger; darauf deuten die Bemerkungen Gottfrieds von Straßburg in der Literaturschau (s. Kap. 0.3). Der Vortragende scheint die zentrale Rolle im Vermittlungsprozeß zu spielen, anders als im Fall der Epik, wo mutmaßlich Mäzene für die Textgrundlagen sorgten. Wenn ein Sänger einen Ton vorgegeben erhält, wird das anscheinend, wie im Fall von Walthers ‚Zweitem Philippston‘, ausdrücklich erwähnt: Mir hât ein liet von Vranken / der stolze Mîssenaere brâht (L 18,5f.; vgl. zur Problematik Dobozy 2005, S. 271–273). Das Lied ist dank seiner spezifischen Medialität eine volatile Gattung. Man wird sich den jeweiligen Vortrag in Strophenfolge und -anzahl variabel vorzustellen haben, melodische und rhythmische Varianten konnten in den jeweiligen Aufführungen und sogar in den einzelnen Strophen eines Liedes realisiert werden (Van der Werf 1988; Aubrey 1996, S. 252–254). Diese Fluidität wirkte wie eine Aufforderung, in den Produktions- und Aufführungsprozeß einzusteigen, sie regte spezifische Rezeptionsmodalitäten an, der Übergang vom ‚Wieder-Singen‘ (frei nach Worstbrock 1999) zum ‚Neu-Singen‘ war fließend. Das schriftlich Überlieferte hält davon nur einen Reflex bereit.

Grundsätzliches

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0.2 Grundsätzliches Die hier in Frage stehenden Kulturen Okzitaniens und Frankreichs sowie des deutschen Sprachraums weisen viele Gemeinsamkeiten und einige Unterschiede auf; beides ist, wie die Ethnologen wissen, Voraussetzung eines produktiven Austauschs. Ohne das Gemeinsame wäre eine Verständigung, wenn nicht unmöglich, so doch sehr erschwert, die Differenzen hingegen werden als Impulse erfahren, einen Mangel in der eigenen Kultur zu entdecken und ihn durch Übernahmen und/oder Umstrukturierungen sowie eigene Erfindungen für die entsprechenden Problemfelder zu beheben (Jullien 2009). Sie finden sich auf verschiedenen Ebenen im sozialen und kulturellen System der Adelsgesellschaft und betreffen deren Selbstverständnis und Selbstdarstellung. Zur Identitätsfindung und -bildung leistet anscheinend der öffentliche Vortrag von Literatur, die sich mit Themen der Lebensführung, der gesellschaftlichen Organisation, der religiösen Sinnfindung beschäftigt, einen wichtigen Beitrag. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Symbolfeld der Geschlechterbeziehungen in Gestalt der wie immer gearteten ‚höfischen Liebe‘ zu (f Minnesang I, Kap. 1.4 u. ö.). Produktive Aneignungsprozesse greifen dabei einmal das Phänomen als solches sowie die artikulierten Konzepte auf, dann aber die konkreten Erscheinungsformen auf sprachlicher, motivlicher, formaler, musikalischer und performativer Ebene. Voraussetzung ist die Existenz einer kulturellen ‚Sinngemeinschaft‘, die durch alte Kontakte im politisch-sozialen Raum immer wieder bestätigt und erneuert wurde: durch Bündnisse und Auseinandersetzungen, durch Heiratsverhandlungen, Eheschließung sowie zweisprachige und kulturraumüberschreitende Erziehung der Kinder, wie sie sich in Entsendungen an fremde Höfe manifestiert. Zu den Gemeinsamkeiten gehörte anscheinend ein Bündel von Repräsentations- und Legitimationsusualitäten (um den schwergewichtigen Begriff „Ritual“ zu vermeiden) wie Turnier, Leibesübung, Tanz u.ä., vermutlich weniger institutionalisiert als die verbindlicheren Formen von Festmahl, Rechtshandlung und Unter-Krone-Gehen der Könige sowie religiösen Übungen wie Prozessionen, Segnungen und Gottesdienste, die in ähnlichen Zusammenhängen funktionieren. Darauf weisen beispielsweise die Abläufe beim Hoffest in Mainz 1184: Auf die Festkrönung folgte eine Prozession, daran schloß sich das Hochamt an. Nach einem Bankett traten die Spielleute auf den Plan. Dann erhielten die beiden Kaisersöhne das Schwert, Gaben wurden verteilt und nach einem zweiten Bankett klang

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Einleitung

der Festtag mit Reiterspielen aus (Wolter 1991). Daß der Vortrag von Liedern und von Epik schon vor der schriftlich überlieferten höfischen Dichtung einen festen Platz am weltlichen und geistlichen Hof hatte, ist anzunehmen. Nicht ohne Grund polemisiert Chrétien de Troyes im ‚Erec‘-Prolog gegen berufsmäßige Erzähler vor „Königen und Grafen“ (V. 20–22). Höfe bieten als fluktuierende soziale Gebilde (Paravicini 1994, S. 65–71) die Offenheit für Neuerungen im Bereich der literarischen Kommunikation, haben aber, wegen der fragilen internen Differenzierung, das Bedürfnis der Traditions- und der Kohärenzstiftung durch die genannten identititätsstiftenden Formen (Melville 2004). Die älteste überlieferte Lyrik zeigt in einigen Fällen ein so hohes selbstreflexives Niveau – wie im ‚Zinnenwechsel‘ des Kürenbergers (MF 8,1 u. 9,29; Mertens 1997) –, daß auch hier von einer vorliterarischen Sangeskunst (sei sie verbunden mit oder freigestellt von jahreszeitlichem Brauchtum) ausgegangen werden muß. Der Eintritt der Dichtung in die Schriftlichkeit hatte zwar Schwellencharakter, muß jedoch als mediale Erweiterung, nicht als grundstürzende Neuerung angesehen werden. In der Folgezeit führte die Schriftlichkeit zu einer Neuorganisierung des literarischen Feldes, das sich mehr und mehr aus seinen früheren Zusammenhängen löst und in neue eintritt. Jedoch ist noch bis weit in das 13. Jahrhundert vor allem bei der Lyrik von einer gemischten Medialität im Bewußtsein des Lesers auszugehen, dergestalt, daß bei der Lektüre die Präsenz in der Aufführung mit ihrer grundsätzlichen Situativität mitschwang. Das ist bei unserer Interpretation der schriftlichen Zeugnisse zu berücksichtigen. Der Vortrag von Liedern brachte anscheinend öffentliche Reputation, daher sind Adlige in den Anfängen der Trobador-, Trouvère- und Minnesingerkunst besonders reich vertreten. Die durch geographische und personelle Mobilität gekennzeichneten Höfe waren ein bevorzugter realer Ort des Austausches über die sprachlichen Grenzen hinweg. Zu der Einflußarena gehörte das den drei Kulturen gemeinsame antike Erbe sowie die Präsenz lateinisch dichtender Kleriker aus den beiden großen Kulturräumen, wie sie in der Überlieferung der Carmina Burana mit ihrem französischen (CB 56–131) und deutschen Teil (Ausg. Vollmann) manifest geworden sind. Dabei steht, schon aus sprachlichen Gründen, die Romania dem Lateinischen näher. Französisch galt eher als eine Varietät des Lateinischen denn als eigene Sprache. Bildungsgeschichtlich bedeutet dies, daß unter den Trobadors und Trouvères Lateinkenntnisse häufiger waren als bei ihren deutschen Kollegen, wo Heinrich von Veldeke anscheinend eine frühe Ausnahme bildet (f Minnesang II, Kap. 2.4; f Niederländische Lyrik, Kap. 7.3). Vermutlich ist die in der Romania geringere Distanz von

Grundsätzliches

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clergie und chevalerie auch für die größere Dichte an Musiküberlieferung verantwortlich, denn nur im klerikalen Bereich gab es Schreiber, die Musiknoten aufzuzeichnen vermochten: Mit 250 Trobador- und 1500 Trouvèremelodien werden die etwa 140 deutschen (einschließlich der Sangspruchmelodien; vgl. Brunner/Hartmann 2011) deutlich übertroffen. Bis hin zu den großen Liederhandschriften wird man allerdings sowohl im romanischen wie im deutschen Raum von ‚ungeschriebener Musik‘ ausgehen, das heißt, daß ihre Schreiber und Leser noch die Melodien ‚im Kopf‘ hörten, wenngleich nicht immer in ihrer spezifischen Gestalt, so zumindest in ihrer stilistischen Eigenart. Die Aufführung von Liedern ist Teil einer entwickelten Geselligkeitskultur. In ihrer Ausprägung scheinen deutliche Differenzen zwischen der Romania und dem deutschen Sprachraum zu bestehen (f Minnesang II, Kap. 2.2 u. ö.): Während in Okzitanien und Frankreich offensichtlich ein breites literarisch gebildetes und aktives Publikum existierte, das sowohl eine hohe Komplexitätserwartung praktizierte wie auch aktiv an Diskussionen teilnahm, scheint die deutsche Zuhörerschaft weniger zahlreich und auch weniger anspruchsvoll gewesen zu sein. Daher ist die Breite der Formen und Inhalte hier geringer, der Differenzierungsgrad niedriger. Auch dafür dürfte das erwähnte Bildungsgefälle ausschlaggebend gewesen sein. Daß in der Trobadorlyrik eher als im Minnesang das Singen selbst zum Thema gemacht und die Performanzsituation thematisiert wird, ist ein Zeichen eines höheren literarischen Bewußtseins. Das Ineinssetzen von Kompetenzen in der Liebe und Kompetenz im Singen findet sich in der deutschen Lyrik in größerem Umfang erst um die Jahrhundertwende. Die immer wieder beobachtete Tendenz zum Lehrhaften im Minnesang, die einhergeht mit stärkerer Geschlossenheit der Liedaussagen, hat anscheinend ihre Ursache in einer geringeren Bereitschaft, Literatur als Literatur zu diskutieren. Es ist allerdings generell mit einer Binnendifferenzierung des deutschen (und nicht nur dieses) Publikums zu rechnen: Es mischten sich Kenner der romanischen und lateinischen Liedkunst (für letztere stehen exemplarisch wieder die ‚Carmina Burana‘) mit Teilnehmern, die den deutschen Minnesang gut kannten, sowie mit literarischen Novizen; solche, die selbst die Gesangskunst praktizierten, vereinten sich mit reinen Zuhörern. Daß an deutschen Höfen bei besonderen Gelegenheiten, wie beim Mainzer Hoffest von 1184, auch romanische Lieder vorgetragen wurden, ist anzunehmen; bei nicht textgebundenen Musikproduktionen wie der Tanzmusik spielte die Herkunft der Ausführenden ohnehin keine entscheidende Rolle. Direkte Kontakte von deutschen und romanischen Sän-

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Einleitung

gern können außer bei Festen bei Gesandtschaften und im Fall von Fahrenden auf Reisen stattgefunden haben wie bei Walther von der Vogelweide und Peire Vidal zu vermuten ist (f Minnesang III, Kap. 3.3). Der Hof der Markgrafen von Montferrat, wo sich nachweislich Raimbaut de Vaqueiras und Peirol aufhielten, wo Walther womöglich ein Lied des letzteren kennenlernte (s. Kap. 0.4), könnte als Kontaktzone zum Norden eine wichtige Rolle gespielt haben. Der von Willaert (f Niederländische Lyrik, Kap. 7.5) beschriebene Hof zu Lothringen mit seiner französischdeutsch gemischten Unterhaltungskultur ist ein extremes, aber nicht untypisches Beispiel für die mögliche sprachliche Pluralität in einer Adelskultur. Die Tatsache, daß Bischof Wolfger von Erla außer dem cantor Walther von der Vogelweide französische Musiker in seiner Entourage hatte, deutet in eine ähnliche Richtung (Heger 1970; Boshof/Knapp (Hgg.) 1994). An seinem Hof sind auch die Zeugnisse einer Geselligkeit von romanischer Leichtigkeit und Vitalität zu vermuten, die durch zwei Lieder Albrechts von Johansdorf greifbar ist (Meves 2005), darunter das performative Virtuosenstück ‚Ich vant si âne huote‘ (MF 93,12), wo der Sänger die Rollen der Dame und des Mannes charakterisierte. Das ist eine aller Wahrscheinlichkeit nach ironisch gestaltete Werbeszene, in der die geforderte Ethisierung des Liebesbegehrens kritisch reflektiert wird. Geistliche Höfe wie der Wolfgers mögen generell ein vielstimmigeres Bild geboten haben als weltliche. Die Walther-Reinmar-Lieder sind ebenfalls aus einer entwickelten Geselligkeit zu verstehen, sie können als eine Art überdimensioniertes Partimen betrachtet werden (f Minnesang III, Kap. 3.4). Walthers Rhetorik, seine ausgeprägte Pointenstruktur, sein oft aggressiver Witz wie zum Beispiel in den Atze-Strophen (f Sangspruch, Kap. 6.1) gehören in den Rahmen einer romanisch geprägten literarischen Polemik. Einen ähnlich lockeren Umgang mit Liebeskonzepten und Theorien zeigen Reinmars Lieder MF 183,33 (f Minnesang III, Kap. 3.2) und 162,7: Letzterer wandelt Strophe II der Chanson R. 1232 des Trouvères Gace Brulé ab und ersetzt Selbstanalyse durch soziale Reflexion. Reinmar hat trouvèreske Gattungen übernommen wie die Chanson de la mal mariée oder die Chanson de toile und mit seinen eigenständigen Aktualisierungen das Spektrum des Minnesangs deutlich erweitert. An welchem Hof wir Auftraggeber und Publikum für diese Vielgestalt zu suchen haben, ob am Stauferhof oder am Wiener Hof, ist nicht zu sagen; an beiden gab es mit Irene, der Tochter des Kaisers Isaak II. Angelos (und Witwe Königs Roger III. von Sizilien) beziehungsweise mit Theodora (Enkelin des Kaisers) kultivierte und wahrscheinlich entsprechend anspruchsvolle byzantinische Herrscherfrauen.

Grundsätzliches

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Wenig wissen wir über das Geschlechterverhältnis in der Zusammensetzung des Publikums. Es ist zu vermuten, daß es die Familia des Hofherren umfaßte; ob jedoch die Frauen immer anwesend waren, bleibt zweifelhaft. In der Trobadorlyrik scheint oft die Männergemeinschaft vorausgesetzt, der Selbstruhm (Prahllieder: gap) und die Ansprache von Männern in einigen Tornadas scheinen darauf zu deuten, auch im deutschen Sprachraum verweist das Zeugnis des sog. Heinrich von Melk (um 1160/70) darauf, daß renommiersüchtige Männer unter sich waren (‚Von des todes gehugede‘, V. 354–358). Walthers Thüringer Hofschelte (L 20,4) ‚Der in den ôren siech von ungesühte sî‘ mit der ironischen Referenz auf die stolzen helden […] der ir iegeslîcher wol ein kempfe waere in der Umgebung des Landgrafen deutet ebenso wie ihr Reflex in Wolframs ‚Parzival‘ (297,16–29) auf eine lärmende Männerrunde. Andere Zeugnisse hingegen reflektieren eine Zuhörerschaft von Männern und Frauen, wie die Beschreibung des Artusfests in Hartmanns ‚Iwein‘ mit den Rittern, die Konversation mit den Damen machen (V. 65–72), oder die von Markes Maifest in Gottfrieds ‚Tristan‘ (V. 587–1118), wo sich Riwalin und Blanscheflur begegnen. Walther spricht in seinem ‚Kranzlied‘ (L 74,20) die Damen direkt an: Vrouwe, durch iuwer güete … Wahrscheinlich wurden auch in der Frauengemeinschaft höfische Lieder gesungen, wie es der ‚Guillaume de Dole‘ des Jean Renart nahelegt (Mertens 1986; Van der Werf 1997). Für die Auffassung einzelner Lieder ist es wichtig, wie das Publikum aussah; Walthers ‚Lindenlied‘ (L 39,11) wird man nur vor einer angenommenen männlichen Zuhörerschaft als Parodie der Frauenrolle deuten dürfen (Krohn 2006). Denkbar ist andererseits, daß Walther ein solches Lied im Auftrag einer realen hêren frouwe für den Vortrag in den Frauengemächern geschaffen hat. Im Fall der Ausführenden vor der Adelsgesellschaft scheint die Situation klarer: Männliche Sänger trugen auch Frauenrollenlieder vor. Daß adlige Frauen vor dem gesamten Hof als Vortragende auftraten, wird trotz Isoldes öffentlichem Gesang und Instrumentenspiel (‚Tristan‘, V. 8026–8131) generell verneint. Ob die Trobairitz in Okzitanien selber außerhalb der Frauengemeinschaft sangen, bleibt umstritten; jedoch allein das Wissen des Publikums, daß ein Lied mit einem weiblichen Text-Ich von einer Frau verfaßt wurde, nähert, auch wenn ein Berufssänger (oder eine Sängerin) das Lied vortrug, Text- und Autor-Ich einander an. Damit könnte die im Vergleich zur okzitanischen Lyrik in der deutschen größere Bedeutung des Frauenrollenliedes erklärt werden: Im Frauenlied konnte der Sänger Haltungen des Begehrens formulieren, die nur deshalb öffentlich geäußert werden durften, weil sie als rollenhaft erkennbar waren

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Einleitung

(Mertens 1983). Ob die für Okzitanien bezeugten Joglaressas (A. Rieger 1991) und die Joculatrices/Cantatrices, die beispielsweise Wolfger von Erla begleiteten (Heger 1970, S. 93 u. 96), höfische Lieder sangen, wissen wir nicht. Schon diese Beispiele zeigen, wie komplex die Besimmung der Unterschiede ist. Bildungsgeschichtliche, sprachliche, formale, performative, binnenliterarische Dimensionen können namhaft gemacht werden, wobei die Impulse sowohl in allgemeiner wie in spezieller Weise wirken konnten.

0.3 Anregungen Allgemeines – Sprachliches – Formales – Performatives – Binnenliterarisches – Motivliches – Konzeptuelles

Allgemeines Hierzu gehört vermutlich der romanische Einfluß auf den frühen Minnesang als Vortragskunst mit Liebesthematik und der Tendenz zur Verschriftung (oder Verschriftlichung, wenn man von Umgestaltungen im Rahmen der Aufzeichnungsprozesse ausgeht, vgl. Worstbrock 1999). Ähnlich ist Walthers Neukonfiguration der Sangspruchdichtung im Rahmen und in Ausweitung der existierenden Konventionen zu verstehen – sie verdankt sich mutmaßlich allgemeiner Anregungen durch die okzitanischen Sirventes: die Mehrtonigkeit, die politische Aktualität, die Gestaltung der Liebesthematik in dieser Form wie in den Strophen L 27,17 und 27,27 sowie 81,31 ebenso wie die Übernahme spruchdidaktischer Haltungen und Aussagen in Minnelieder dürften von dort inspiriert sein (f Minnesang III, Kap. 3.3). In vergleichbare Kategorien gehört die ‚Fehde‘ zwischen Walther und Reinmar, die sich lediglich allgemein an das Partimen (s. Kap. 0.2) anlehnt: Allein Walther, L 113,23 und Reinmar, MF 159,1 erfüllen die Bedingung der Tonidentität, wie sie bei der okzitanischen Gattung üblich ist. Die anderen Gegengesänge sind hingegen eigenständige Lieder. Das mag auf unterschiedliche traditionelle Auftrittstypen (Gleichzeitigkeit beider Sänger oder zeitlich und räumlich versetzte Performanz) verweisen und/ oder auf mangelnde Vertrautheit des deutschen Publikums mit der trobadoresken Form.

Anregungen

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Sprachliches Sprachliche Dimensionen bestimmen formale Aspekte der Strophe, so die deutsche Reimarmut im Vergleich zum Reimreichtum im Romanischen, was die Übernahme von Reimschemata erschwert. Ferner zählt dazu der Unterschied von silbenwägendem und silbenzählendem Vers, der alternierend oder daktylisch übertragen werden kann. Die in der Romania stärker vom Lateinischen geprägte Begrifflichkeit führt zu Lehnbedeutungen eher als zu Lehnwörtern (Touber 2003), da sich diese dem, der des Lateinischen nicht mächtig ist, leichter erschließen; andererseits verweist dieser Befund auf eine im Deutschen bereits existierende Liebessprache, in der Wörter mit neuen Bedeutungen aufgeladen werden. Mit dieser Form der Übernahme sind Motive oder sogar Konzepte verbunden wie die Gegenüberstellung von hôher minne und niderer minne (nach fin’amors und bass’amors) oder wîp und frouwe (entsprechend femna und domna). Weiterhin ist im Romanischen die Fähigkeit zu Wortspielen, die im Deutschen schwer nachgeahmt werden können, deutlich ausgeprägt – man denke nur an cors/cuers bei Conon de Béthune, R. 1125 (s.u.) und die Reduktion auf das stereotype Begriffspaar herze/lîp ohne Klangspiel bei Friedrich von Hausen, MF 47,9 oder an das Wortspiel von l’ameir/ l’amer/la meir in der Liebestrankszene bei Thomas von Britannien und Gottfried von Straßburg (‚Tristan‘, V. 11986–11995; f V Tristanromane). Formales Formal ist die Kanzonenstrophe ein okzitanischer Import. Sie wird vermutlich um 1170 übernommen, mutmaßlich frühe Zeugnisse wie Dietmar von Eist, MF 34,9 können spätere Umformungen nach dem dann verbindlichen Typus sein, wie Worstbrock (1998) im Fall der Budapester Fragmente wahrscheinlich gemacht hat. Warum die Kanzone ein Erfolgsmodell war, sie sich schnell als die wichtigste Gestalt durchsetzte, ist nur zu vermuten. Die Nibelungenstrophe wie die Kürenbergerstrophe bestanden wohl aus einem musikalischen Doppellangzeilen-Modell (Brunner 1970), vielleicht mit einer Schlußmarkierung. Die Kanzone weist mit der wiederholten Stollenmelodie eine vergleichbare Repetitionsstruktur auf. Als neues Element tritt der Abgesang hinzu, der eine Ausweitung des melodischen Ambitus, meist mit Erreichen des höchsten Tons, bietet. Damit ist ein bedeutendes Spannungsmoment gewonnen, das die Strophe aus der Monotonie der Repetition herauslöst. Die Verbindung von beidem, dem

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einheimischen Wiederholungsmodell mit dem neuen Spannungsmodell, könnte die Konjunktur dieser Form begründet haben. Okzitanische oder französische Reimtechniken werden in allgemeiner Weise gespiegelt in Liedern Reinmars (f Minnesang III, Kap. 3.2), auch Walther hat sich in den Liedern L 47,16 und 122,24 von okzitanischen Reimgestalten anregen lassen. Noch im 13. Jahrhundert dient die okzitanische Formkunst als Vorbild: Coblas capfinidas und Coblas alternans importierte Gottfried von Neifen (f Minnesang V, Kap. 5.2). Performatives Für die Performanz ist als gemeinsame Basis der Sängervortrag vor der höfischen Gesellschaft anzusetzen. Daraus resultiert eine repräsentationsbezogene sowie eine ästhetische Rezeption, wie sie im bereits zitierten ‚Zinnenwechsel‘ des Kürenbergers angesprochen ist: Der Sänger ist, soviel sagt seine höfische Stimme (Karpf 2006), ein rîter, er singt sehr schön im Burghof vor der Familia (al ûz der menigîn), sein Gesang erregt durch seine Kultiviertheit, Schönheit und Sinnlichkeit das Begehren der Herrin. Daß das schon im frühen Minnesang zum Thema werden konnte, verweist auf eine bereits existierende Performanzkultur, auf der dann die neue aufbauen konnte, als deren frühes Zeugnis wir dieses Lied betrachten dürfen. Die Träger der Aufführung unterscheiden sich in den Kulturräumen: Es finden sich viele Berufsmusiker in Okzitanien, hingegen dominieren adlige Dilettanten im deutschen Sprachraum. Dies hat sich auch in differierenden technisch-musikalischen Anforderungen niedergeschlagen. Nicht ohne Grund preist Gottfried von Straßburg in der so genannten Literaturschau gerade den Berufssänger Walther mit Termini technici der Musik (‚Tristan‘, V. 4802–4810). Auch das Problem der Instrumentalbegleitung könnte mit dem technischen Niveau der Musizierenden zusammenhängen: Wenn versierte Instrumentalisten verfügbar waren, setzte man sie ein, was vermutlich bei den Trobadors eher der Fall war. Vielleicht hängt die in der deutschen Lyrik erst spät, vornehmlich mit Walther, vertretene Thematisierung der Kunst des Sängers auch mit einem hier zunächst geringeren formal-performativen Niveau zusammen (f Minnesang II, Kap. 2.2 u. ö.). Ebenso ist wahrscheinlich die abwandelnde Kontrafaktur erst ab einer gewissen Professionalität möglich, wie wir sie für Walthers ‚Palästinalied‘ (L 14,38; f Musik, Kap. 8.3), für L 110,13 ‚Wol mich der stunde‘ (f Minnesang III, Kap. 3.3) sowie für den ‚Zweiten Philippston‘ (das Weihnachtslied ‚Nû sis uns willekomen, herro Crist‘ oder eher dessen

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lateinische Vorlage ‚Virga Jesse humidavit‘, vgl. Brunner/Müller/Spechtler 1977, S. 57*f.) anzusetzen haben. Entsprechendes gilt für die „Tonderivation“ (f Sangspruch, Kap. 6.2; Brunner/Hartmann 2011) bei den Sangspruchautoren des 13. Jahrhunderts. Eine spezielle Variationstechnik könnte zum Personalstil gehört und damit einen Eigentumsanspruch begründet haben. Einen Blick auf die Kontrafakturpraxis erlauben die deutschen Strophen der Carmina Burana. Gleichwie man die Abhängigkeiten sieht, ob man eine größere Anzahl der deutschen Lieder als Vorlage der lateinischen betrachtet (wie Wachinger 1985) oder häufiger die Priorität letzterer postuliert (wie Vollmann in seiner CB-Ausgabe), es bleibt bemerkenswert, daß es Lieder gibt, in denen die erste lateinische Strophe neumiert ist, die abschließende deutsche jedoch nicht (wie beispielsweise im Fall von CB 48 und dem Tagelied Ottos von Botenlauben, CB 48a), und solche, in denen sowohl die lateinischen wie die deutschen mit Neumen versehen sind wie CB 143/143a, 146/146a, 147/147a, 150/150a. In diesen Fällen sind die Melodien ähnlich, aber anscheinend nicht identisch. Einen Sonderfall stellt CB 151/151a dar, wo nur die ersten zwei Zeilen und das Anfangswort der dritten Zeile des deutschen Textes 151a neumiert wurden. Hier sind die Melodien offensichtlich gleich, die Aufzeichnung diente nur der Bestätigung, daß das genau so sei, weil es in den vorhergehenden Liedern (s.o.) anders ist. Der Aufzeichnungsbefund ist dahingehend zu deuten, daß es sowohl identische wie variierte Kontrafakturen gab. Es liegen keine Hinweise dafür vor, daß ein System hinter diesem Unterschied steckt, daß etwa besonders aufwendige Melodien unverändert übernommen, einfache hingegen verziert und abgewandelt wurden. So ist zu CB 160/160a eine einfache Melodie in allen drei Strophen identisch notiert, hingegen zu 150/150a eine komplexere im Vergleich der ersten lateinischen mit der deutschen Strophe (Heinrich von Morungen, MF 142,19) variiert notiert worden. Hier finden wir zudem ein Indiz für den Vorgang der Aufzeichnung: An die Schlußzeilen beider Strophen erinnerte sich der Schreiber anscheinend nicht, sie blieben in beiden Fällen ohne Neumen. Das bedeutet, daß die Aufzeichnung aus dem Gedächtnis erfolgte. Ob Ulrich von Lichtenstein sein Lied 7 (Touber 1987) auf die persönlich abgewandelte Melodie seines romanischen Vorbilds gesungen oder sie genau übernommen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Zur Verdeutlichung der Problematik der Kontrafaktur werfe ich einen Blick auf Albrechts von Johansdorf ‚Mich mac der tôt‘ (MF 87,5), das als Kontrafraktur von ‚Ahi amors, com dure departie‘ (R. 1125) des Conon de Béthune gilt. Das letztere Lied ist in neun Handschriften mit Musik über-

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liefert. Die gleiche Melodie mit leichten melodischen Varianten tradieren die Manuskripte KNPX, in den Handschriften MTO steht eine andere, jedoch ähnliche sowie in Hs. V eine, die Charakteristika der beiden Gruppen vereint. Hs. R verzeichnet eine völlig differierende Melodie (McMahon 1990, S. 173). Es sind prinzipiell drei Möglichkeiten denkbar: 1) Der deutsche Sänger übernahm die Melodie, die er hörte. Wir können nicht wissen, welche es war. Als ‚originalnah‘ gilt die erste Gruppe, aber ob der deutsche Autor eine Weise dieses Typs kannte, wissen wir nicht. 2) Er hatte eine Auswahlmöglichkeit unter mehreren Varianten und ging nach dem Eignungsprinzip vor (s.u.). 3) Er schuf eine neue Melodie, ähnlich wie es der Sänger, der die Vorlage für Hs. V lieferte, getan hat. Dann ist sie nicht wiederzugewinnen. Bei der Entscheidung für eine der ersten Alternativen kann die Methode von Michael Shields weiterhelfen: Er hat herausgefunden, daß in der Sangspruchdichtung des 13. Jahrhunderts die Tendenz besteht, auf den melodischen Höhepunkten wichtige Schlüsselwörter zu verwenden (f Sangspruch, Kap. 6.5). Ähnliches hat Margaret Switten (1999, S. 155) für die Trobadors beobachtet, das gilt beispielsweise für Jaufré Rudels ‚Fernliebelied‘ (PC 262,2); auch eine Analyse der Kontrafaktur in Walthers ‚Palästinalied‘ (L 14,38) zeitigt ein vergleichbares Ergebnis. Wenn man diese musikalische Rhetorik auch für deutsche Minnelieder annimmt, so kann eine Korrespondenz von Text und Melodie eine Kontrafraktur plausibel machen. Die vier verschiedenen Trouvères-Melodien unterscheiden sich strukturell: Die in Hs. V ist eine Oda continua, in den Hss. MTO haben wir eine Doppelstollenmelodie (AB AB, CDCD), mutmaßlich als Ergebnis einer sekundären Vereinfachung, nur die Fassungen in den Hss. KNPX und R haben die klassische Kanzonenform (AB AB, CDEF). Beide kommen deshalb als ‚originalnah‘ in Frage. Der melodische Verlauf hebt in Hs. K (und auch in M) die Zeilen 6 und 8 durch Sprünge in die hohe Lage hervor. Im altfranzösischen Lied sind dadurch textlich wichtige Aussagen betont, so daß man jeweils vorher einen Doppelpunkt setzen könnte. Auf der Pointe in Strophe I, Vers 8 (cors im Wortspiel mit cuers) steht in der Melodie gar der Spitzenton: Las! K’ai je dit? Ja ne m’en part je mie! Se li cors va servir Nostre Signor, mes cuers remaint del tot en sa baillie. (Conon de Béthune, R. 1125, Str. I,6–8) „Ach, was habe ich gesagt? Ich gehe keineswegs fort! Wenn der Körper dann auch Unserem Herrn dient, mein Herz bleibt ganz in ihrer Gewalt.“

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In den folgenden fünf Strophen ist, mit Ausnahme der dritten, die rhetorische Anlage ganz ähnlich. Im deutschen Lied ist das vergleichbar, am offensichtlichsten in der ersten Strophe: sô bin ich verfluochet vor gote alse ein heiden si ist wol gemuot und ist vil wol geborn. heiliger got, wis gnaedic uns beiden! (Albrecht von Johansdorf, MF 87,5, Str. I,6–8)

In Strophe II ist Vers 6 nicht überliefert, Vers 8 bietet ebenfalls eine pointierte Aussage: ê was mir wê: do geschach mir nie sô leide. In der dritten Strophe werden wiederum wichtige Aussagen hervorgehoben: dâ ne iemen ze sêre gevalle. daz meine ich sô: sô die sêlen werden vrô sô si ze himele kêren mit schallen. (ebd., Str. III,6–8)

Die in den Hss. KNPX überlieferte Melodie paßt am besten sowohl für das altfranzösische wie das deutsche Lied. Die aus Hs. V kommt weniger in Frage, auch wenn die Musiker von „I Ciarlatani“ sich für sie entschieden und sie zum Hausen-Text (s.u.) eingespielt haben; sie bezieht sich weniger auf die Worte. Mir scheint das Untersuchungsergebnis plausibel zu machen, daß Albrecht die KNPX-Melodie, zumindest was den Verlauf angeht, kontrafaziert hat. Auch das zweite deutsche Lied, das Bezüge zu Conons Chanson aufweist, Friedrichs von Hausen ‚Mîn herze und mîn lîp, diu wellent scheiden‘ (MF 47,9), zeigt eine den beiden eben diskutierten vergleichbare Textanlage und scheint mir daher gleichfalls als Kontrafraktur von R. 1125 gelten zu dürfen. Andererseits muß die Tatsache, daß etwa zwei Drittel aller Minnesänger insgesamt 450 Strophenformen benutzen, die in der Romania existieren (Touber 1998), nicht bedeuten, daß sie sie – sei es identisch, sei es kreativ – kontrafaziert haben. Hier wäre jeder Einzelfall zu untersuchen. Von „sicheren Kontrafakturen“ (Aarburg 1961) darf man in keinem dieser Fälle ausgehen. Binnenliterarisches Binnenliterarische Bedingungen sind ebenfalls nicht leicht festzumachen. Man wird in allen drei Kulturen mit unterschiedlichen vorliterarischen Grundlagen für die Liebeslyrik und den Sirventes/Sangspruch rechnen. Es gibt fragmentarische Zeugnisse dafür: Okzitanisch ist der Refrain zu ‚Phoebe claro‘ (Zumthor 1984); ob die Hargas der hispano-arabischen Lieder eine auch für Okzitanien anzusetzende vergleichbare volkstümliche

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Lyrik repräsentieren, ist zumindest unsicher (Bond 1995). Ein vorliterarisches niederländisches Beispiel führt Willaert (f Niederländische Lyrik, Kap. 7.2) auf; im Deutschen gelten einige der namenlosen Strophen aus „Des Minnesangs Frühling“ und die Erwähnung der werbenden trovt liet durch Heinrich von Melk (‚Von des todes gehugede‘, V. 612) als Belege. Auf alle Kulturen wirken die antike und die zeitgenössische lateinische Dichtung fortwährend in von Fall zu Fall unterschiedlichem Maße. Als Beispiel darf Bauschkes Verweis auf Walthers Lied L 53,25 gelten (f Minnesang III, Kap. 3.3). Einen besonderen Fall stellt sein Mailied L 51,13 im vagantischen Stil dar: Es wurde zweimal in den ‚Carmina Burana‘ kontrafaziert (CB 151 u. 169); seine angenommene formale Rezeption im Französischen durch Gautier d’Espinal, ‚Quand je voi l’erbe menue‘ (R. 2067) in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (vgl. ‚Carmina Burana‘, Ausg. Korth) könnte gut aus dem Bezug auf eines dieser mittellateinischen Modelle resultieren. Die deutsche Lyrik bildet bald eigene Traditionen mit intensiven Binnenbeziehungen aus, die sogenannte Walther-Reinmar-Fehde, von der bereits die Rede war, gilt als das offensichtlichste Beispiel. Im 13. Jahrhundert ist schwer zu entscheiden, ob Übernahmen von anderen deutschen Sängern oder aus der Romania erfolgten (Touber 1987; f Minnesang V); das Gewebe von Einflüssen ist kaum aufzudröseln. Motivliches Unstrittig ist nahezu nichts, was an direkten Wirkungen und Übernahmen genannt wurde. Motivliche Anklänge lassen sich verschieden deuten: Als unmittelbare Rezeption oder als Variation eines gemeinsam mittellateinischen Erbes, aber auch als auf eine diffuse Weise entstandene zeitgenössische Koine der Liebe (f Minnesang III). Große Sicherheit besteht allerdings bei den motivlichen Parallelen zwischen okzitanischen Liedern und einigen von Rudolf von Fenis sowie Trouvèregedichten und solchen Friedrichs von Hausen und Berngers von Horheim (f Minnesang II, Kap. 2.3 u. 2.4), wobei die Übernahme der Form (und der Melodie?) nicht immer erfolgte. Gerade bei Rudolf hat man den Eindruck eines kreativen Umgangs mit seinen Vorbildern, der von einem zweisprachigen Publikum nachvollzogen werden konnte, wie wir es in seiner Heimat Neuchâtel vermuten. Auch in anderen Fällen wird die romanische Anregung nicht einfach aufgenommen, sondern differenziert umgesetzt; im Fall von Heinrichs von Veldeke Bezug auf Chrétiens ‚Tri-

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stanlied‘ (R. 1664) in MF 58,35 kann man sogar von einer kritischen Revision des Trouvèrekonzepts ausgehen (f Niederländische Lyrik, Kap. 7.3). Vergleichbare Auseinandersetzungen führten Reinmar und Walther mit ihren Gewährsleuten, wobei man selbst bei Walther-Liedern wie L 71,35 oder 92,9, die keine inhaltlichen, sondern nur formale Parallelen mit Trobadorliedern aufweisen (f Minnesang III, Kap. 3.3), die Möglichkeit einer kritischen Revision der Vorgaben nicht ausschließen sollte. Um 1300 wäre Frauenlobs Gedicht ‚Minne und Welt‘, betrachtet vor romanischem Hintergrund, ein Partimen und zwar ein besonders originelles (f Sangspruch, Kap. 6.1). Hetzbold von Weißensee übernahm das Motiv des Senhals – Schoener Glanz, vergleichbar mit Bel vezer und Dous Esgar bei Bernart von Ventadorn (Gaunt 2006, S. 184) – aus der Trobadorkunst (f Minnesang V, Kap. 5.2). Raffinierter verwendet bereits Walther in seinem ‚Hiltegunde-Lied‘ (L 73,23) diese Technik und stellt sie zusätzlich durch formale Romanismen als Import aus (f Minnesang III, Kap. 3.3). Ob das Lied XIII des Kanzlers mit einem einzigen Reimklang in jeder Strophe vom Romanischen beeinflußt ist (f Minnesang V, Kap. 5.2) oder von Walthers ‚Vokalspiel‘ (L 75,23) bleibt schwer zu entscheiden. Letzteres wiederum beruht wohl auf okzitanischen Anregungen (f Minnesang III, Kap. 3.3). Konzeptuelles Als problematisch ist die Vorstellung von der Übernahme von Konzepten zu beurteilen. Wie Rüdiger Schnell (f Minnesang I, Kap. 1.4 u. ö.) betont, gibt es keine feste trobadoreske Minnekonzeption wie etwa den Frauendienst, die okzitanische Liebesthematik ist vielmehr durch eine Pluralität ausgezeichnet, von der im deutschen Sprachraum nur einzelne Momente übernommen wurden. Das im Deutschen prominente Vasalllitätskonzept (bzw. die entsprechende Bildlichkeit) kann in allen drei Kulturen auf vergleichbare (aber nicht identische) soziale und politische Strukturen rekurrieren, dennoch ist ein starker Einfluß aus dem Okzitanischen anzunehmen (Kasten 1986). Die Idolisierung der Minnendame hat ihre Parallele in der im 12. Jahrhundert aufblühenden Marienverehrung, hier ist mittelbarer und unmittelbarer Einfluß theologischer und poetischer lateinischer Texte anzunehmen (Kesting 1965). Andere Bildbereiche wie „Liebe als Krankheit“ oder „Liebeskrieg“ und „Liebe als Gefangenschaft“, die alle die Unterordnung des Liebenden unter das überwertige Objekt abbilden, spielen im deutschen Sprachraum eine geringe Rolle.

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0.4 Schlußfolgerungen Rüdiger Schnell (f Minnesang II, Kap. 2.1 u. ö.) hat die Frage gestellt, ob der vermutete (oder bewiesene) Bezug zu einer romanischen Vorlage dem heutigen Interpreten hilft, deutsche Lieder besser zu verstehen. Produktionsästhetisch ist das der Fall: Einmal wird die Poetik der Lieder schärfer faßbar. Die deutschen Sänger bedienen sich anscheinend der klassischen Bearbeitungstechniken (Bumke 1997), wie wir sie nicht nur aus der lateinischen Literatur, sondern auch aus volkssprachlichen Predigten kennen. Das geht aus dem Befund der Lied-Compilatio hervor: Es werden mehrere Vorlagen ausgewählt, verglichen und kompiliert wie in dem bereits angeführten Lied Rudolfs von Fenis (s. Kap. 0.1); diese Zusammenstellung verbunden mit den eigenen Zutaten kann man als Commentatio verstehen. Entsprechendes gilt für Walthers Vorgehen im Fall der Melodie des ‚Palästinaliedes‘. Er schafft sie auf der Basis zweier Vorlagen, Jaufré Rudels ‚Lanquan li jorn‘ und der Marienantiphon ‚Ave Regina celorum‘ (f Musik, Kap. 8.3), wobei nicht erheblich ist, ob Jaufré letztere bereits herangezogen hat. Auch auf der Textebene kompiliert Walther: Er reagiert auf einige Formulierungen Jaufrés, lehnt sich aber in seiner ersten Strophe an ein Lied Peirols (PC 366,28; f Minnesang III, Kap. 3.3) an; er verband also zwei Melodien und zwei inhaltliche Vorgaben, wodurch er dem Lied vom Heiligen Land die emotionale Intensität des Minnesangs gab und ihn gleichzeitig durch das geistliche Thema überbot (Mertens 2009). Sein Verfahren ist, wie es bei einem lateinisch gebildeten Autor nicht überrascht, von gängigem gelehrten Vorgehen geprägt. Im 13. Jahrhundert dürften Sangspruchdichter ähnliches gemacht haben, wie Shields (f Sangspruch, Kap. 6.5 u. ö.) festhält. Womöglich hatte sich dann diese Verfertigungstechnik, wie Walther sie benutzt hat, bereits als usuell etabliert. Unter dieser Perspektive ließen sich weitere Lieder und Melodien untersuchen. Weiterhin dient der Vergleich der Erhellung von Interaktionen zwischen Sängern und zwischen den von ihnen vorgetragenen Liedern im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, wobei erstere bis ins 13. Jahrhundert dominant gewesen sein dürfte (s. Kap. 0.1). Daß in der Romania Skripturalität früher präsent war als im deutschen Raum, ist nicht sicher; vermutlich dürfte das für die Trouvères, weniger für die Trobadors gelten. Die Betrachtung der Minnelyrik vor romanischem Hintergrund läßt die spezifischen Leistungen der jeweiligen Dichter gerade vor den umfassenden Gemeinsamkeiten hervortreten. Die Sichtbarmachung ebendieser europäischen literarischen Kultur in ihren vielen Facetten ist, wie Bauschke

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(f Minnesang III, Kap. 3.4) betont, mindestens so wichtig wie die nicht selten problematische Herausarbeitung von Abhängigkeiten. Wenn wir nach den Gebrauchszusammenhängen unserer Texte fragen, müssen wir uns vor der Annahme hüten, die Lieder damit erfaßt zu haben (Müller 2007). Wenngleich sie Teil der höfischen Festkultur sind, so gehen sie doch nicht in ihr auf. Der Literatur fällt in dem Rahmen der Selbstbestätigungs- und Wertvergewisserungsrituale der adligen Gesellschaft das Durchspielen von Möglichkeiten zu, sie hat die Aufgabe, im künstlerischen Unernst (oder Halbernst) Themen zu bearbeiten, die in den realen Lebenszusammenhängen nicht vorkommen oder nicht vorkommen sollen. Diese Perspektive hat die Interpretation letztlich herauszuarbeiten. Der Vergleich der deutschen Gegebenheiten mit denen in der Romania erlaubt in der Erschließung und Differenzierung von Gemeinsamkeiten und angeeigneten Besonderheiten, das eben diese Bedingungen Überschießende zu fassen, den literarischen Freiraum im Rahmen der Entstehungsund Wirkungsmöglichkeiten zu erschließen, zu zeigen, inwieweit die Liedkunst bestimmte Wahrnehmungs-, Denk- und Redegewohnheiten umund neustrukturiert und -formuliert. In den kreativen Übernahmen der deutschen Sänger werden bestehende, von den Gebrauchsfunktionen abhängige Produktions- und Vortragsdimensionen ergänzt und erweitert. Gerade diese Spannungen geben den Texten ihre ästhetische Geltung. Die Performanz als zentrale Kategorie anzusetzen bedeutet auch eine eigene Bewertung der ‚Wiederaufführungen‘ mittelalterlicher Lieder im Konzert und auf Tonträger. Eine Rekonstruktion mittelalterlicher (‚originaler‘) Performanz ist unmöglich. Schon die Melodien entstammen Überlieferungsträgern, die zumeist 100 Jahre oder mehr nach der Schaffung der Lieder entstanden sind, in ihnen spiegelt sich die ursprüngliche melodische Dimension in veränderter Gestalt. Und von anderen Dimensionen wie Rhythmus, Begleitung, Artikulation haben wir nur vage Vorstellungen. Ob die gern eingespielten Kontrafakturen wie die von Walthers ‚Lindenlied‘ (Brunner/Müller/Spechtler 1977, S. 98*) den realen Verhältnissen entsprechen, ist jedoch unerheblich. Die Aufführungen sind, auch in ihrer Anpassung an die moderne Medialiät, wichtig für unser Verständnis. Die Ausführenden orientieren sich an einer neuzeitlichen Konzertpraxis und ihren Modifikationen durch bestimmte Mittelalterbilder sowie an den Bedingungen der Tonträger mit der Notwendigkeit, den Verzicht auf die Visualität und die Publikumsinteraktion durch größere akustische Reize (z.B. überdimensionierte Begleitung) zu kompensieren. Doch die oben angesprochene performanzbedingte Unfestigkeit vor allem der musikalischen Gestalt wird in jeder Aufführung deutlich. Sie auf größere und ge-

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ringere Variabilitäten grundsätzlich zu befragen, bleibt eine Aufgabe für eine ‚performative Forschung‘.

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Einleitung

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1 Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs (ab ca. 1150/70) von Rüdiger Schnell 1.1 Einleitung – 1.2 Forschungssituation – 1.3 Vorüberlegungen und Problematisierungen – 1.4 Aspekte der Rezeption romanischer Lyrik – 1.5 Resümee des Vergleichs von romanischem und deutschem Minnesang – 1.6 Der deutsche Minnesang in seinen Anfängen – 1.7 Zusammenfassung

1.1 Einleitung Die Frage nach romanischem Einfluß in den Anfängen des Minnesangs berührt vier Problemaspekte: 1) Welche (inneren, äußeren) Faktoren haben zur Entstehung des deutschen Minnesangs beigetragen (Ursprungstheorien)? 2) Sind uns Lieder vor der Rezeption romanischer Lyrik überliefert oder weisen bereits die ersten uns überlieferten Minnelieder Spuren romanischen Einflusses auf ? 3) Hängt die Entwicklung (bzw. der Phasenverlauf) des deutschen Minnesangs zwischen ca. 1160 und 1190 mit der Verstärkung des romanischen Einflusses zusammen oder haben wir (auch) mit ‚innerdeutscher‘ Dynamik zu rechnen? 4) Welche (formalen, thematischen, motivischen, konzeptionellen) Elemente des Minnesangs in seiner ersten Phase lassen sich zweifelsohne romanischem Einfluß zuordnen? Damit verbunden ist eine Rückbesinnung (re-evaluation) auf das Profil der französischen Liebeslyrik: Was ist es, das die Trobador- und Trovèrelyrik von anderen Literaturen unterschieden hat?

1.2 Forschungssituation Die tatsächlichen Anfänge der deutschen Liebesdichtung liegen im Dunkeln. Zwar bestätigen lateinische Quellen die Existenz von Liebesliedern in deutscher Sprache (winileod) schon für das 8./9. Jahrhundert (Baesecke

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

1937), doch über deren Form und Inhalt können wir nur spekulieren. Der Hinweis auf den lateinisch-deutschen Liebesgruß in dem lateinischen Epos ‚Ruodlieb‘ (XVII,11–14; Ende 11. Jh.) verbessert unsere Kenntnis kaum, da es sich um kein Lied handelt und das Ausmaß der Latinisierung unsicher ist. Die trûtliet, von denen um die Mitte des 12. Jh. mißbilligend der Bußprediger Heinrich von Melk (‚Von des todes gehugede‘, V. 603ff.) berichtet, belegen immerhin die Existenz von Liebesliedern in der höfisch-ritterlichen Gesellschaft. Doch auch die Versuche, über die Analyse lateinischer Liebesgedichte (z.B. ‚Carmina Cantabrigiensia‘, ‚Carmina Ratisponensia‘, Tegernseer Briefsammlung) Licht ins Dunkel der Vorgeschichte des deutschen Minnesangs zu bringen, haben wenig Konkretes erbracht (Frantzen 1919, bes. S. 365ff.; H. Brinkmann 1926, S. 89ff.). Der Funktionszusammenhang dieser Texte unterscheidet sich zu sehr von dem des Minnesangs, was oft deshalb übersehen wird, weil wir mit den Termini carmen, carmina wie selbstverständlich die Vorstellung ‚Lied‘ verbinden, der mittellateinische Sprachgebrauch jedoch damit auch schriftliterarische Textsorten (Versepistel, Liebesbriefe u.a.) bezeichnet. Schließlich müssen auch die vielfältigen Versuche, mit Hilfe der Rekonstruktion von anscheinend ‚ursprünglichen, einheimischen‘ Liedgattungen (Pastourelle, Tagelied, Frauenklagen) etwas über die Vorgeschichte des Minnesangs in Erfahrung zu bringen, mit Skepsis betrachtet werden. Ungelöste Datierungsfragen, ungeklärte Gattungsbestimmungen und unsichere Abhängigkeitsverhältnisse erschweren die Beweisführung. Deshalb darf es nicht verwundern, daß bis heute z.B. umstritten ist, ob die Pastourelle als ‚volkstümliche‘ oder als ‚höfisch-aristokratische‘ Gattung zu gelten hat. Mit diesen Überlegungen sind wir schon mitten drin in dem jahrhundertealten Streit über die Ursprünge des höfischen Minnesangs, über die Gründe und Faktoren, die das literarische Phänomen ‚höfische Liebe‘ hervorgebracht und die zum Entstehen ihres frühesten Auftretens, d.h. zur Trobadorlyrik, geführt haben. Im Hinblick auf die Anfänge des deutschen Minnesangs darf hier die sog. arabische These vernachlässigt werden. Relevanter erscheinen die Thesen, die das Entstehen des westeuropäischen Minnesangs insgesamt auf Anstöße durch die lateinische Dichtung der Antike und des Mittelalters zurückführen. Die sozialgeschichtliche Begründung der Trobadorlyrik (Köhler 1962), die mentalitätsgeschichtliche Herleitung der ‚neuen‘ Beschäftigung mit dem Thema Liebe (Dinzelbacher 1986), der damit verbundene Hinweis auf die neue Marienverehrung (Kesting 1965), der psychohistorische Erklärungsversuch (U. Müller 1986: „ekklesiogene Kollektivneurose“) haben unseren Blick auf die Anfänge

Forschungssituation

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des Minnesangs erweitert. Ob sie den historischen Befund zutreffend beschreiben, mag hier dahin gestellt bleiben (Schnell 1991). Die Forschungssituation zur Frage nach den Anfängen des Minnesangs stellt sich als mißlich dar. Erstens haben wir beträchtliche Diskontinuitäten zu konstatieren. Mit den Ursprüngen und Anfängen des deutschen Minnesangs hat man sich in umfassender Weise vom 19. Jh. bis ca. 1940/50 intensiv befasst (Schönbach 1898; Lüderitz 1904; Wechssler 1909; Burdach 1925; H. Brinkmann 1926; Ecker 1934; Frings 1961). Danach dominierte die sog. werkimanente Interpretation; es folgte die Beschäftigung mit den Problemen der Überlieferung (ab den 60er Jahren; vgl. Fromm (Hg.) 1961 [31967]); immer größeres Interesse fanden dann ab den 80er Jahren Aspekte der Aufführung, der Relation von AutorSänger und Text-Ich, von Fiktionalität und Intertextualität (Kleinschmidt 1976; Strohschneider 1993; J.-D. Müller 1994, 2001 u. 2004; Mertens 1995; Schnell 2001; U. Müller 2002; Braun 2007, S. 69 ff.). Die Frage nach den Anfängen und nach fremdsprachlichen Einflüssen rückte in den Hintergrund. Seit Ende der 90er Jahre des 20. Jhs. aber ist das fast vergessene Thema „Einfluß des romanischen Minnesangs auf die ersten Minnesänger“ wiederentdeckt worden (Sayce 1996 u. 1999; Mertens 1997 u. 1998; Touber 1998a, b u. c, 2005a, b u. c, 2008). Doch werden dabei nur z. T. die Ergebnisse der früheren Studien aufgenommen. Diskontinuität kennzeichnet – zweitens – auch die Erforschung des möglichen mittellateinischen Einflusses einerseits, die Erforschung des romanischen Einflusses andererseits. Bis ca. 1950/60 wurde in zahlreichen Studien die sog. mittellateinische Ursprungstheorie vertreten (die volkssprachliche höfische Liebeslyrik sei durch mittellateinische Texte angeregt worden). Die heutige germanistische Forschung zur Entstehung des Minnesangs in Deutschland hat hingegen fast ausschließlich die romanische Lyrik im Blick. Dies führt in Einzelfällen zu einseitigen Schlußfolgerungen. Denn es kann ja nicht ausgeschlossen werden, daß die den deutschen Minnesang beeinflussende romanische Liebeslyrik bzw. das ihr zugrundeliegende Liebeskonzept ihrerseits durch Faktoren beeinflußt wurden, die gleichzeitig in Deutschland wirksam waren. Zahlreiche Vorbilder und Anregungen, die immer wieder gern für das Entstehen der höfischen Liebeslyrik verantwortlich gemacht wurden und werden, könnten auch direkt auf die deutsche Dichtung eingewirkt haben: die lateinischrömische Liebesdichtung (Ovid u.a.), die mittellateinische Panegyrik oder Briefliteratur. Gerade dort, wo es um einzelne Motive oder Bilder geht, die in der romanischen wie in der lateinisch-römischen oder mittellateinischen

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

Liebesdichtung zu Hause sind, sollte man nicht nur die romanische Dichtung im Auge haben (Schnell 1983). Ein drittes Dilemma der Forschungssituation bildet der Umstand, daß die heute intensiv diskutierten Minnesang-Probleme der Fiktionalität (bzw. Referentialität und Authentizität), der Gattungsinterferenzen, der Performance und des Autorstatus bei den Studien über die Rezeption des romanischen Minnesangs nahezu unberücksichtigt bleiben. In der Romanistik wie in der Germanistik dominiert heute das Fragen nach den ästhetischen, performativen und literaturtheoretischen Aspekten (wobei jedoch beide Disziplinen nahezu beziehungslos nebeneinander ihr Geschäft betreiben). Doch finden die dort angestellten Überlegungen kaum Eingang in die rezeptionsgeschichtlichen Studien. Umgekehrt nimmt auch die erste Richtung kaum Notiz von der zweiten (stellvertretend genannt sei Hausmann 2004), obwohl es durchaus denkbar ist, daß sich die Rezeption der romanischen Lyrik nicht auf einzelne Motive, Bilder und Themen beschränkt, sondern auch eben die Aufführung, den Autorstatus oder die Funktion von Liebeslyrik betrifft. Damit ist schon das vierte Dilemma angesprochen. Die romanistische Fachdiskussion hat seit den 80er Jahren ein z.T. ganz neues Bild von der Trobadorlyrik entworfen, vor allem deren Funktionen neu bestimmt (Stichworte: keine Frauenverherrlichung, sondern Diskurs unter Männern; weniger Liebesdichtung als Dichtungstheorie; eher Spiel als Lehre). Während also das ‚Frauendienst-Konzept‘ in der Romanistik mit großen Fragezeichen versehen wird (kurzer Überblick bei Gaunt/Kay 1999), bildet es für die heutige Germanistik einen unhinterfragbaren Bestandteil des Minnesangs überhaupt. Diskontinuitäten, innerfachliche Phasenverschiebungen und Diskrepanzen zwischen den Fächern kennzeichnen die derzeitige Forschungsdiskussion zum Problemaspekt „Anfänge des deutschen Minnesangs“. Angesichts dieser Ausgangslage läßt es sich kaum rechtfertigen, medias in res zu gehen und sich einfach an die Aufgabe zu machen, die Lieder der ersten Minnesänger auf die Übernahme einzelner Motive, Strophenformen oder Themen hin zu befragen. Es gilt, die in unterschiedlichen Forschungsphasen gewonnenen Erkenntnisse zusammenzuführen und sie für die Frage nach den Anfängen des deutschen Minnesangs nutzbar zu machen.

Vorüberlegungen und Problematisierungen

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1.3 Vorüberlegungen und Problematisierungen Wer mit Blick auf die deutschsprachige Dichtung des Mittelalters die Frage nach romanischem Einfluß stellt, wird damit sogleich die Vorstellung vom Kultur- und Bildungsgefälle verbinden, das im 12. und 13. Jahrhundert die Germania von der Romania trennt. Mit der Romania assoziiert werden dann so unterschiedliche Phänomene wie Rittertum, Frühscholastik (mit dem Aufblühen von Logik und Dialektik), monastische Spiritualität, Humanismus, Rechtswissenschaft, Mäzenatentum von Frauen u.a. In allem scheint Frankreich voraus gewesen zu sein. Deshalb wurden romanischfranzösische Texte ins Deutsche übersetzt, deshalb schickte man Fürstensöhne nach Frankreich; den umgekehrten Weg beschritt kaum jemand (Bumke 1986, S. 106f. u. 114f.). Engt man jedoch den Blick auf den Minnesang ein, wird man sich gegenüber der These vom Bildungs- und Kulturgefälle kritische Fragen gefallen lassen müssen. Gab es vor dem Einfluß der romanischen auf die deutschsprachige Lyrik keine Liebesdichtung in ‚Deutschland‘ (zur Problematik des Deutschland-Begriffs vgl. Schnell 1989)? Dies wird man kaum verneinen können (zur Forschungsdiskussion vgl. Ehrismann, LG III [1927], S. 328–330; Schönbach 1898, S. 1–14). Inwiefern ist es aber berechtigt, von dieser Liebesdichtung als einer „kulturell niedrigerstehenden“ Literatur zu sprechen? Das Mißliche ist, daß wir darauf keine Antwort geben können, weil uns von dieser ‚vor-romanischen‘ Periode mutmaßlich keine Liebeslieder erhalten sind. Unterstellen wir aber einmal, es habe eine solche Liebeslyrik gegeben, so könnte sich deren angebliches kulturelles Defizit in der Form oder aber im Inhalt, in der Redeweise oder aber im (Liebes-)Konzept, in der Motivik oder aber in der Funktion bemerkbar gemacht haben. Auf welchen Bereich dieser vor-romanischen, ‚einheimischen‘ Liebeslyrik wird dann aber welches der genannten kulturellen Überlegenheitsphänomene der Romania (Scholastik, Rittertum, Humanismus u.a.) eingewirkt haben? Auf die Form, das Liebeskonzept, die Funktion …? Man wird beispielsweise die Einführung des reinen Reimes im frühhöfischen deutschen Minnesang sicherlich nicht dem Einfluß der romanischen Scholastik anlasten, eher einem durch Rhetorik- und Poetik-Unterricht gesteigerten ästhetischen Empfinden. Sollte sich aber durch den romanischen Einfluß beispielsweise eine präzisere Argumentation im Liebeslied eingestellt haben, wird dafür die Scholastik, nicht das Rittertum verantwortlich zeichnen. Die Rede vom Kulturgefälle wird ein weiteres Moment zu berücksichtigen haben: Einflußnahme gelingt meist nur, wenn eine gewisse Empfäng-

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

lichkeit für die fremden Angebote gegeben ist. Diese Einsicht führt letztlich zu der provozierenden Frage, ob nicht ‚höfische‘ Ideale und Verhaltensmuster für Deutschland bereits vor dem Zeitpunkt romanischen Einflusses anzusetzen sind (s.u. zur ‚Kaiserchronik‘). Folglich wird man bei denjenigen, die vor dem romanischen Einfluß sich an ‚einheimischen‘ Liebesgedichten in Deutschland erfreuten, ein gewisses Maß an ästhetischer und emotionaler Sensibilität voraussetzen können, weil andernfalls der hinlänglich bekannte Rezeptionsprozess gar nicht in Gang gekommen wäre. Dies wiederum würde bedeuten, daß ein Aufeinandertreffen von ‚altertümlicher‘ Liebesdichtung und ‚ritterlich-höfischen‘ Ansprüchen – schon vor der Phase romanischen Einflusses – nicht ausgeschlossen werden kann. Man wird sich fragen müssen, ob in Deutschland zwischen ca. 1100, dem ersten Auftreten des höfischen Minnesangs in der Provence (mit Wilhelm IX. von Aquitanien, 1071–1127), und ca. 1160, den (angeblichen) Anfängen romanischen Einflusses auf die deutsche Liebeslyrik, nichts ‚passiert‘ ist, was diesem Einfluß den Boden bereitet hat. Denn es macht für die historische Einschätzung des literarischen Vorgangs „Romanischer Einfluß auf die deutsche Dichtung“ einen Unterschied, ob wir das, was uns an greifbaren Belegen für diesen Einfluß vorliegt, als tatsächlich völligen Neuanfang verstehen müssen bzw. wollen oder ob diesem angeblichen Neubeginn deutscher Lyrik eine längere Übergangsphase vorausgeht. An der Gestalt des Kürenbergers werden die Folgen dieser Alternative zu diskutieren sein. Manches spricht für die These eines totalen Neubeginns um 1160, z.B. die Tatsache, daß es auch in Nordfrankreich eine ganze Weile gedauert hat, bis die Trobadorlyrik dort ihre Wirkung entfaltet hat. Obwohl mit Wilhelm IX. von Aquitanien, Jaufre Rudel, Marcabru, Cercamon und auch Bernart Marti in Südfrankreich einige herausragende Trobadors in der ersten Hälfte des 12. Jh. produktiv waren und mit Eleonore von Aquitanien, der Enkelin des ‚ersten‘ Trobadors und zugleich französischen Königin von 1137 bis 1152, die besten Voraussetzungen für eine Ausstrahlung der neuen Lieddichtung nach Norden gegeben waren (A. Rieger 2002), setzt das nordfranzösische Pendant, die Trovèrelyrik, erst zögerlich um 1170 mit Chrétien de Troyes, dann ab 1180 etwas breiter mit Gace Brulé, Guiot de Provins, Blondel de Nesle und Conon de Béthune ein. Fast zeitgleich rezipieren auch deutsche Liederdichter – scheinbar erstmals – die Trobadorlyrik (bezeichnenderweise nicht die ‚Alten‘, sondern die zeitgenössischen Vertreter wie Bernart von Ventadorn, Folquet von Marseille, Peire Vidal, Gaucelm Faidit u.a.), öffnen sich aber auch der nordfranzösischen Liedkunst. So stehen wir vor einem frappanten historischen Befund: Die

Vorüberlegungen und Problematisierungen

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nordfranzösischen Minnesänger hinken zeitlich gesehen genauso hinter den Trobadors her wie die deutschen Lyriker. Die nordfranzösische Kultur weist also gegenüber der südfranzösischen Lyrik dieselbe Phasenverschiebung auf wie die deutsche Kultur. Die Rede vom Kultur- und Bildungsgefälle zwischen Romania und Germania im Mittelalter ist also aufgrund der Differenzen innerhalb der französischen Kultur zu modifizieren. (Freilich kommt es um 1200/1204 zu einem literarischen Austausch zwischen okzitanischen und französischen Dichtern [A. Rieger 1998 u. 2000], während die deutschen Minnesänger weder auf Trobadors noch auf Trovères Einfluß ausübten [anders A. Rieger 2000, S. 499].) Trotz der unbestreitbaren Fakten, die einen völligen Neuanfang der deutschen Lyrik um 1160 vermuten lassen, spricht doch auch manches für die Annahme eines allmählichen Einsickerns ritterlich-höfischer Praktiken und Denkweisen in die deutsche Liebesdichtung: z.B. die Vorformen von Ritterturnieren schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts (der Bericht Ottos von Freising, ‚Gesta Frederici‘, über ein Ritterturnier im Jahre 1127 dürfte aber eine Erfindung sein) oder die Inszenierung eines Dialogs in der nach 1147 entstandenen ‚Kaiserchronik‘ (V. 4563–4632: AlmeniaTotila-Szene), in der es um die größere Wertschätzung des Kampfes oder aber der Liebe geht. Die von Almenia gestellte Frage stimmt mit der Streitfrage eines okzitanischen Partimens weitgehend überein (PC 150a,1: „Was zieht Ihr vor: eine Dame, die alles gewährt, Waffenruhm oder die Gunst Eures Herrn?“). Umrahmt wird die Gesprächsszene in der ‚Kaiserchronik‘ von der Schilderung, wie hoveske frowen oben von den Burgzinnen herab die glanzvolle Ritterschar aus Rom bewundern. Umgekehrt scheinen die scônen frowen eine diskursive und ästhetische Attraktion auf die Ritter auszuüben (‚Kaiserchronik‘, V. 4415–30). Wenn höfisch-ritterliche Themen sogar in eine dem Minnesang so ferne Gattung wie die Chronik Eingang finden, wird man nicht an einen zeitlich punktuellen Einfluß aus dem Westen denken wollen. Geht man von einer längeren, seit etwa 1100 andauernden Phase der Ausstrahlung provenzalischer auf die deutsche Liebeslyrik aus – die aber für uns nicht eindeutig belegbar ist –, wird es natürlich noch schwerer, in den ersten uns erhaltenen Zeugnissen deutschsprachiger Lyrik irgendwelche Anzeichen für eine vorgängige ‚einheimische‘ Dichtungstradition zu entdecken. Wer jedoch von einem erstmaligen Einfluß romanischer Lyrik um 1160 ausgeht, wird versucht sein, anhand der aus der Zeit von ca. 1160–1180 erhaltenen deutschen Liebeslieder die allmähliche Ablösung von ‚heimischen‘ Traditionen abzulesen. Insofern hängt die Deutung der Anfänge des deutschen Minnesangs (vor allem des Kürenbergers) von

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

einer Entscheidung in dieser Frage ab: Neubeginn und erstmaliger Einfluß um 1160 oder vorgängige längerfristige Kontaktierung? Im letzteren Fall wäre die Annahme von Parodien bei den ersten Minnesängern leichter zu erklären als im Falle der ersten Position. Wir verfügen über keine quellenkundlich verläßlichen Daten, die für die These von einem zeitlich fixierbaren Neuanfang der deutschen Liebeslyrik ins Feld geführt werden können. Die bisher vorgebrachten Belege können die Beweislast kaum tragen. Immer wieder werden in der Forschung die Kreuzzüge (1096–1099, 1147–1149, 1187–1192) als Möglichkeiten einer Kenntnisnahme provenzalischer Lyrik durch deutsche Adlige genannt (A. Rieger 1998 u. 2000). Friedrich Panzer (1939, S. 143f.) verstieg sich sogar zu der Annahme, der erste Trobador, Wilhelm IX. von Aquitanien, sei auf seinem Weg ins Heilige Land im Jahre 1101 durch Österreich gezogen und sei dabei auch „an der Burg der Kürenberger vorbeigeritten“ (kritisch dazu Jansen 1974 [Jansen hält immerhin eine Begegnung der Kreuzheere Herzog Welfs VI. von Bayern und Wilhelms IX. von Aquitanien vor Konstantinopel für möglich]): eine Vorstellung, die heute noch vertreten wird (Kasten 1986, S. 210). Eine Begegnung mit der okzitanischen Lyrik könnte jedoch im Rahmen des 2. Kreuzzugs erfolgt sein, als das französische Kreuzheer Ludwigs VII. – dieser in Begleitung seiner Gattin Eleonore von Aquitanien – im Jahre 1147 in Regensburg weilte. Dieses Ereignis könnte das „Bedürfnis nach vergleichbarer literarischer Repräsentation beim deutschen Adel ausgelöst haben“ (Mertens 1993, Sp. 647). Ein donauländischer Minnesänger, der Burggraf von Rietenburg, mag damals – neben anderen dichtenden Herren – seine provenzalischen Kollegen Cercamon und Jaufre Rudel gehört und kennengelernt haben (Bertau, LG I, S. 363f.; Räkel 1986, S. 21f.). Doch über Spekulationen kommen wir nicht hinaus. Überzeugender scheinen die Indizien, die für einen längerfristigen kulturellen Kontakt zwischen der Romania und der Germania sprechen. Alois Wolf (1983, S. 200) meint mit Blick auf den Durchzug des französischen Kreuzzugsheeres durchs Donautal im Jahre 1147 ebenfalls, man sollte die Kontaktmöglichkeiten zwischen Trobadorlyrik und Minnesang nicht auf dieses Ereignis einengen. Man verkenne die grundsätzliche Mobilität der höfischen Gesellschaft. Im übrigen müsse damit gerechnet werden, daß der Durchzug des französischen Kreuzzugsheeres „auch ohne jeden Einfluß auf die donauländischen Dichter [habe] bleiben können“. Im Westen reichte – ein weiteres Argument – die Reichsgrenze weit über die Sprachgrenze deutsch/französisch hinaus. Der politische Verband ‚Deutschland‘ umfaßte also weite Gebiete französischer Kultur (Lothrin-

Vorüberlegungen und Problematisierungen

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gen, Flandern). Somit übte die französische Kultur kontinuierlich (!) großen Einfluß auf die westlichen Reichsgebiete aus (Brabant, Hennegau, Elsaß, ‚Schweiz‘). Berücksichtigt man überdies die mannigfachen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den französischen und deutschen Adelsgeschlechtern (Bumke 1986, S. 102–107), so liegt der Gedanke nicht ferne, die deutschen Minnesänger könnten auch Provenzalisch verstanden haben (Bumke, S. 17, unter Berufung auf Karl Bartsch). Friedrich Barbarossa heiratete 1156 Beatrix von Burgund und wurde 1178 in Arles zum König des regnum Arelatense gekrönt. Die Voraussetzungen für eine Kenntnis der Trobadorlyrik waren also gegeben. Friedrichs und Beatrix’ Sohn Heinrich VI. (später Gemahl der Konstanze von Sizilien) kannte wohl provenzalische Lieder und betätigte sich selbst als Minnesänger. Deshalb sollte es nicht verwundern, wenn auf dem Mainzer Hoftag von 1184 auch Trobadors und Trovères (z.B. Guiot de Provins) anwesend waren (zuletzt Sayce 1999, S. 9f.). Mit dem Trobador Bertran de Born wird eine Tochter des Herzogs Heinrichs des Löwen und seiner zweiten Frau Mathilde von England (Tochter des englischen Königs Heinrichs II.) in Zusammenhang gebracht (Kellermann 1974). Angesichts dieser vielfältigen Kontaktmöglichkeiten erstaunt es nicht, daß die provenzalische Lyrik auf ganz verschiedenen Wegen nach Deutschland gelangte: über Nordfrankreich nach Flandern und dann bis in die Rheinlande (Heinrich von Veldeke; f Niederländische Lyrik, Kap. 7.3); über Lothringen ins Elsaß (Reinmar); in die ‚Schweiz‘ (Rudolf von Fenis); über die Lombardei (Oberitalien, z.B. Raimbaut de Vaqueiras) nach Friaul (Thomasin von Zirclaere, ‚Welscher Gast‘) und dann bis nach Kärnten, Steiermark, Österreich, Bayern (Schönbach 1898, S. 26–34 u. 78–92; Lüderitz 1904, S. 1–9; Kasten 1986, S. 243–247). Ob man sich nun für die These eines durch ein einmaliges Ereignis angestoßenen Rezeptionsprozesses entscheidet oder für die Annahme einer längerfristigen Kontaktierung provenzalischer und deutscher Liederdichter – schon vor den ersten überlieferten und um 1160 datierten Liedern – plädiert: Bei der Frage nach den möglichen Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen der romanischen Lyrik für die deutsche Liebesdichtung muß stets bewußt bleiben, daß dieser Prozeß von Einfluß einerseits und Aneignung andererseits nie mit letzter Genauigkeit beschrieben werden kann. Denn das Phänomen ‚deutsches Liebeslied vor dem romanischen Einfluß‘ ist für uns heute nicht (mehr) greifbar. Dadurch aber entfällt die Grundlage für einen präzisen Vergleich, d.h. die Voraussetzung überhaupt für eine Aussage darüber, was sich im deutschen Liebeslied durch romanischen Einfluß verändert hat.

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

Ein weiterer Aspekt verkompliziert die Suche nach den Auswirkungen der Rezeption romanischer Lyrik: der Umstand, daß die ersten Belege für romanischen Einfluß zugleich die ersten schriftlichen Belege für deutsche Liebeslyrik überhaupt darstellen. Dies bedeutet, daß Rezeption der romanischen Liebeslyrik und Literarisierung deutscher Liebeslyrik gleichzeitig verlaufen und somit eine genaue Abgrenzung, welche Phänomene sich welchem Prozeß (Romanisierung vs. Literarisierung) verdanken, im Einzelfall schwer fällt.

1.4 Aspekte der Rezeption romanischer Lyrik Wie wurde rezipiert? – Was wurde (nicht) rezipiert?

Wie wurde rezipiert? Mit dem Aspekt der Literarisierung von Liebesliedern ist die Frage verbunden, ob sich die deutschen Minnesänger die romanischen Vorbilder hörend oder lesend angeeignet haben. Nachdem der romanistische Streit über den Anteil von Schriftlichkeit und Mündlichkeit bei der Produktion und Rezeption soweit geklärt zu sein scheint, daß nicht auszuschließen ist, daß die Texte der Trobadors schon im 12. Jahrhundert in schriftlicher Form vorlagen und auch verbreitet wurden (D. Rieger 1987 u. 1990; Nichols 1991; Selig 1996; Aubrey 1996, S. 26–65; Gaunt 2005), muß auch die Germanistik mit der Möglichkeit schriftliterarischer Rezeption romanischer Lieder rechnen. Vor allem für Rudolf von Fenis, der drei Lieder Folquets von Marseille in einem einzigen Lied verarbeitet, darf eine schriftliche Vorlage vorausgesetzt werden (Sayce 1999, S. 235f.), zumal diese drei rezipierten romanischen Lieder in zwei von den insgesamt 25 FolquetHandschriften als Block zusammenstehen (Touber 2005c, S. 78). Ob nun mündlich oder schriftlich – der Einfluß romanischen Liedguts vollzog sich auch sonst auf sehr unterschiedliche Weise (Zotz 2005): Ein Minnesänger konnte durch ein fremdes Lied recht frei zur Produktion eines eigenen Liedes angeregt werden; er konnte den Hauptinhalt eines fremden Liedes nachahmen; einzelne prägnante Motive übernehmen; eine einzelne Strophe aus einem fremden Lied übersetzen und in einen neuen Kontext einfügen; aus verschiedenen Liedern ein neues Lied anfertigen und schließlich – der Höhepunkt einer Rezeption – konnte er ein ganzes Lied übernehmen bzw. übersetzen. Der Umstand, daß die getreue Über-

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setzung eines ganzen okzitanischen oder französischen Liedes selten zu belegen ist, daß stattdessen die Fälle von Übernahme einzelner Motive (z.B. „nicht hören, was andere sagen“) oder wirkmächtiger Bilder oder Gleichnisse (z.B. „von einem hohen Baum nicht mehr herunterkommen“; „ohne Rute von der Dame geschlagen werden“) bei weitem überwiegen, provoziert die Frage, inwiefern überhaupt davon gesprochen werden darf, daß die Minnesänger von den Romanen ein bestimmtes Liebeskonzept oder gar eine Liebestheorie übernommen hätten. Daß die Minnesänger (z.B. Rudolf von Fenis) aus verschiedenen Liedern eines Trobadors ein eigenes Lied ‚zusammenbastelten‘ oder ein und dasselbe fremde Lied in zwei eigenen Liedern verwerteten (Mertens 1998), läßt auf einen recht eigenwilligen Umgang mit den romanischen Vorlagen schließen: Diese Vorlagen scheinen zu Steinbrüchen bzw. zu bloßen Stichwortgebern degradiert worden zu sein. Man muß wohl von einer einschneidenden Transformation der romanischen Vorlagen im Minnesang ausgehen. Was wurde (nicht) rezipiert? Freilich bleiben auch bei der Annahme schriftliterarischer Rezeption methodische Schwierigkeiten bestehen, wenn es um die Frage geht, was deutsche Minnesänger übernommen, was sie nicht übernommen oder was sie umgeformt haben. Die eine Schwierigkeit betrifft den Überlieferungsbefund, auf romanischer wie auf deutscher Seite: Die uns vorliegenden mittelalterlichen Handschriften überliefern oft einen recht unterschiedlichen Text ein und desselben Liedes: Strophenanzahl und Strophenabfolge können differieren; eine Strophe wird in unterschiedlichen Lesarten geboten; die Zuordnung eines Liedes zu einem Dichter variiert. Schließlich ist mit Überlieferungslücken zu rechnen, so daß eine Aussage in einem deutschen Minnelied auch dann auf eine romanische Vorlage zurückgehen kann, wenn wir heute keine entsprechende Parallele in der Romania nachweisen können. Und was zunächst als Umgestaltung durch einen Minnesänger erscheint, könnte bereits innerhalb der romanischen Liedüberlieferung vorgegeben gewesen sein. Es bleibt ein Unsicherheitsfaktor. Die zweite methodische Schwierigkeit betrifft die Aufgabe, ein klares Profil von der Trobador- bzw. der Trovèrelyrik zu erstellen. Um die Frage, was die deutschen Minnesänger vom romanischen Minnesang übernommen haben, beantworten zu können, muß zunächst festgestellt werden, was überhaupt sie hätten übernehmen können. Solange nicht feststeht, wodurch sich die Trobadordichtung von anderen Literaturen (auch von

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

mittellateinischen Liedern) unterscheidet, bleibt der Versuch, bestimmte Erscheinungen des deutschen Minnesangs auf den Einfluß der Trobadorlyrik zurückzuführen oder aber als Gegenpositionen zu deuten, unbefriedigend. (Dies gilt etwa für den selektiv angelegten Versuch von Schmitt 2008.) Erst nach einer Bestandsaufnahme des Profils der Trobadorlyrik können mit einiger Sicherheit Aussagen über mögliche Transferenzen und Einflüsse der Romania auf die Germania gemacht werden. Zu einer solchen Bestandsaufnahme gehört die Beschreibung nicht nur der Gattungen, Strophenformen, Motive und Liebesauffassungen, sondern auch des Autorstatus, der Funktion(en) und der Redeweisen bzw. Sprachtabus. Angesichts der langandauernden und heftigen Kontroverse über die (sozialgeschichtlichen) Funktion(en) der Trobadorlyrik insgesamt und deren Einzelgattungen, angesichts der umstrittenen Bestimmung ‚des‘ trobadoresken Liebeskonzepts, angesichts des Streits darüber, ob nun Frauen oder Männer in besonderer Weise von der Produktion der höfischen Liebeslyrik profitiert haben, und angesichts der ungelösten Frage, welche Art von Liebesdichtung der Trobadorlyrik vorausging und inwieweit sie älteren Literaturtraditionen verhaftet blieb (Stichworte: Hargas; Pastourelle; Frauenklagen): Angesichts all dieser offenen Fragen, die der Erstellung eines klaren Profils der Trobadorlyrik entgegenstehen, fällt im Einzelfall eine Aussage über mögliche Beeinflussung eines deutschen Liedes durch romanische Vorlagen oft schwer. Solange jedoch der große Rahmen, d.h. die Funktion und das thematische Profil der Trobadorlyrik, unklar bleibt, muß auch die Charakterisierung eines einzelnen romanischen Liedes umstritten bleiben. Das Fundament für die Kontrastierung von romanischer und deutscher Liebeslyrik muß immer wieder neu erarbeitet werden. Eine Merkmalsbeschreibung ‚der‘ Trobadorlyrik ist schließlich auch dadurch erschwert, daß wir es mit recht unterschiedlichen Phasen und Vertretern zu tun haben (z.T. sogar mit erheblichen Entwicklungen innerhalb des Œuvres eines Autors; vgl. Goldin 1975). Man unterscheidet gerne verschiedene Generationen von Trobadors (etwa um 1100, von ca. 1130 bis ca. 1150, von ca. 1150 bis ca. 1170, von ca. 1170 bis ca. 1200 usw.). Einen Wilhelm IX. von Aquitanien mit Bernart von Ventadorn in die gleiche literarhistorische Schublade zu stecken, dürfte Bedenken hervorrufen. Genauso lassen sich im deutschen Minnesang verschiedene Phasen voneinander abgrenzen (Schweikle 1989b, S. 78–100, unterscheidet sechs Phasen). Da die Minnesänger um 1180/90 bekanntlich auf romanische Zeitgenossen (Folquet de Marseille, Gaucelm Faidit, Giraut de Bornelh u.a.) zurückgreifen und dazuhin sich oft mit der Entlehnung von ‚Exzerpten‘

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begnügen, müßte sich ein präziser Vergleich von Trobadorlyrik und Minnesang jeweils auf eine bestimmte Phase in beiden Literaturbereichen beschränken. Da aber nicht auszuschließen – und z.T. auch belegbar – ist, daß deutsche Minnesänger gegen Ende des 12. Jh. nicht nur von romanischen Zeitgenossen beeinflusst sind, sondern über die deutsche Liedtradition auch älteren Trobadors verpflichtet sind, gestaltet sich ein streng an Phasen orientierter Vergleich schwierig (ein Versuch bei Kasten 1986). Im Folgenden soll – wenigstens ansatzweise – ein Profil der Trobadorlyrik des 12. Jh. erstellt werden, um die Voraussetzungen für die Klärung der Frage zu schaffen, was die deutschen Minnesänger hätten übernehmen können und was sie schließlich aus dem reichlichen Angebot ausgewählt haben. a. Lied- und Strophenformen: Im Bereich der Formkunst ist die Germanistik (mit Unterstützung der Musikwissenschaft) zu den beweiskräftigsten Resultaten gelangt (vgl. u.a. Gennrich 1961, Aarburg 1961, Touber 1975 u. ö.; f II Lyrische Strophenformen). Es hat sich gezeigt, daß der Formenreichtum der romanischen Lyrik den des Minnesangs bei weitem übertrifft. In welchem Ausmaß nun haben die deutschen Minnesänger formale Anleihen bei den romanischen Dichtern vorgenommen? Dank neuerer umfassender Datenbanken sind auf diesem Gebiet recht eindeutige Ergebnisse erzielt worden. In einem von Anton Touber geleiteten Projekt sind nahezu sämtliche romanischen und deutschen Lieder auf ihre formalen Kriterien hin (Metrum, Reim, Verszahl, Strophenbindung) erfaßt und somit einem Formvergleich zugänglich gemacht worden. Weist ein romanisches Lied eine Strophenform (bzw. einen Ton) auf, die bzw. der nur in einem einzigen weiteren Lied begegnet, und handelt es sich bei diesem seltenen Pendant um ein deutsches Lied, darf zu Recht eine formale Übernahme unterstellt werden. b. Dichtungstheorie und Autorstatus: Die seit dem 19. Jh. geführte Diskussion um das Liebeskonzept der Trobadors (die ‚höfische Liebe‘) und die ebensolange andauernde These von der Idealisierung der Frau im mittelalterlichen Minnesang haben übersehen lassen, daß sich möglicherweise das entscheidend Neue in der volkssprachlichen Lyrik in einem ganz anderen Bereich ereignet: in der Konstituierung eines Autor-Ichs. Zieht man die Literaturbereiche, die als mögliche Ausgangs- oder Einflußbereiche in Frage kommen, zum Vergleich heran – das wären etwa die hispano-arabischen Hargas, die mittellateinischen Pastourellen, die altfranzösischen Frauenklagen –, so fällt auf, daß die Trobadorlyrik von ihrem ersten greifbaren Vertreter an durch die Thematisierung des Singens und Dichtens markiert ist. Die Äußerungen

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

über die Liebe werden begleitet von Äußerungen über das Singen/Dichten, von einem Metadiskurs also über die Voraussetzungen, Absichten, Schwierigkeiten und Fähigkeiten des Sich-Äußerns überhaupt (zur differenzierten poetologischen Semantik in der romanischen Lyrik vgl. Unzeitig 2010, S. 184–197). Dieser Metadiskurs über das Dichten/Singen (Paterson 1975) begegnet keinesfalls nur bei den Berufssängern, die damit vielleicht auf ihre künstlerische Leistung hätten aufmerksam machen wollen, sondern auch bei adligen und hochadligen Gelegenheitsdichtern. Die Trobadorlyrik ist offensichtlich nicht (nur) deshalb entstanden, weil die Gesellschaft von einer neuen Sensibilität (für die Macht der Liebe) erfaßt worden wäre, sondern vor allem, weil sich nun der Wunsch, das Bedürfnis und das entsprechende Können einstellten, überhaupt in der Volkssprache anspruchsvolle Kunst hervorzubringen. (Dieses Selbstbewußtsein könnten die volkssprachlichen Dichter von den lateinischen Autoren ihrer Zeit übernommen haben; vgl. H. Brinkmann 1924, S. 203). Nimmt man hinzu, daß die Trobadorlyrik nicht einmal zur Hälfte aus Liebesgedichten bestand (s.u.), so kann der Impetus zur Produktion von Gedichten nicht allein von einem neuen Liebesempfinden gespeist sein. Der Stolz auf die artistische Kompetenz durchzieht die Trobador- und Trovèrelyrik. Wir werden Zeugen einer Synthese von künstlerischem Selbstbewußtsein und der Reflexion auf die Voraussetzungen und Konsequenzen von Dichtung. Warum aber artikuliert sich dieses ästhetische Selbstbewußtsein volkssprachlicher Dichter gerade ab Anfang des 12. Jahrhunderts? Man wird wohl mit einem Anstieg der Laienbildung rechnen müssen, der seinerseits dann zu einem Wettstreit zwischen Laien und Klerikern führte. In letzter Zeit wurde öfter darauf hingewiesen, daß sich das Entstehen der volkssprachlichen Liebeslyrik in Südfrankreich und auch die Reflexion auf die eigene Sangeskunst möglicherweise der Auseinandersetzung von clericus und miles (bzw. laicus) verdankt, d.h. eine selbstbewußte Antwort von kunstverständigen Laien auf die Geringschätzung der Laienbildung durch die Kleriker darstellt. Demnach oszilliert die Trobadordichtung zwischen Einfluß mittellateinischer Dichtkunst (Reflexion auf das Dichten) und laikal-ritterlichem Selbstbewußtsein (Rivalität von miles und clericus) (Wolf 1983; Kasten 1986, S. 36–46). Kay (1996) geht sogar so weit zu behaupten, die Trobadorlieder repräsentierten einen Wettstreit zwischen Rittern und Klerikern, wobei der männliche lauzengier (der rivalisierende Dichter-Liebhaber) der Schlüsselspieler im höfischen Szenario sei, nicht die domna. Wenn aber in Deutschland ähnliche Konkurrenzverhältnisse zwischen Laiendichtern und Klerikern nicht gegeben waren (Wolf 1983, S. 204; vgl.

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Schnell 1978, S. 102–104, u. 1983), wird sich der ‚Sitz im Leben‘ eines deutschen Minneliedes – auch im Falle der getreuen Übernahme einer romanischen Vorlage – ändern, quasi a priori aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen. Freilich haben auch in Deutschland bei der Entstehung der höfischen (vor allem epischen!) Literatur Kleriker und Laien zusammengearbeitet, und auch hier ergaben sich Konkurrenzverhältnisse (Jaeger 1985; Mertens 1988a; Kasten (Hg.) 2002; Bertelsmeier-Kierst 2003; Reuvekamp-Felber 2003, bes. S. 244–302 [zur Bildung bei Laien und Geistlichen] u. 303–325 [zur Rivalität von clericus und miles]; zur Situation in England vgl. Turner 1978; Jaeger 1994, S. 301ff.). Doch spricht vieles dafür, daß die Beziehungen zwischen Kleriker- und Laienkultur in Südfrankreich enger waren – ein Wechsel vom Trobadordasein zum Klerikerstatus und umgekehrt war im 12. Jahrhundert in Südfrankreich keine Ausnahme – und demzufolge sich Abgrenzungsversuche eher anboten als in Deutschland (Schnell 1978, S. 54–61 u. 102–113). Dieser Befund wiederum könnte ein Indiz dafür sein, daß sich das Prestige eines Trobadorliedes eher auf die künstlerische Form bezog, das Ansehen eines deutschen Minneliedes hingegen eher auf das Thema bzw. den Inhalt. Nicht von ungefähr verkündete der ‚erste Trobador‘ programmatisch: „Ich mache ein Lied über nichts“ (PC 183,7, V. 1: Farai un vers de dreyt nien). Mit dieser Fokussierung auf die künstlerische Leistung und mit dem gleichzeitigen Zurückdrängen des Gewichts der inhaltlichen Aussagen darf auch der prominente Stellenwert des dilemmatischen Streitgedichts (Partimen, Joc partit) in der Romania in Zusammenhang gebracht werden. Dort geht es nicht darum, wer die besseren Argumente anführt – für die allermeisten Partimen sind keine Urteilssprüche überliefert, das Fragen nach der ‚besseren‘ Aussage ist also irrelevant –, sondern wer eine spitzfindige dilemmatische Frage (z.B. PC 248,28: „Zieht Ihr Gegenliebe ohne Vollzug oder die Erfüllung all Eurer Wünsche ohne Gegenliebe vor?“) künstlerisch am besten meistert. In dieser Gattung der Trobadorlyrik zählt rhetorisches Können mehr als der Inhalt. Wenn die literatursoziologische und bildungsgeschichtliche Verortung der Trobadorlyrik in der Spannung zwischen miles und clericus ihren Ausgangspunkt besitzt, wird man das kulturhistorische Profil dieser Literatur anders skizzieren, als wenn man davon ausgeht, die Trobadorlyrik sei durch die Spannungen zwischen niederem Rittertum und Hochadel (These Erich Köhlers) bestimmt. Wieder konstatieren wir, wie sehr unser Blick auf das jeweilige kulturelle Umfeld die Einschätzung ein und desselben Liedes verändert. Deshalb bedarf es nicht nur der Erarbeitung solcher kultureller Kontexte, sondern

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Minnesang I: Die Anfänge des deutschen Minnesangs

auch der Hinterfragung unserer Konstituierungen solcher Kontexte. Auf der Suche nach möglichem romanischen Einfluß auf den Minnesang wird jedenfalls dem Aspekt des Autorbewußtseins, d.h. dem kunsttheoretischen Metadiskurs unsere besondere Aufmerksamkeit zu gelten haben. Für die besondere bildungsgeschichtliche Situation in Südfrankreich spricht überdies der Umstand, daß dort ab ca. 1170 auch weibliche Autoren hervortraten (Comtessa de Dia, Alamanda, N’Azalais de Porcairagues), die über eine z.T. erhebliche literarische Bildung verfügten (A. Rieger 1991, S. 619–622, zur Comtessa de Dia). Daß sich überhaupt vornehme Frauen als Dichterinnen ‚in der Öffentlichkeit‘ artikulieren durften, ist für mittelalterliche Verhältnisse ungewöhnlich. Doch sogar in der Provence sahen sich diese Frauen deswegen der Kritik ausgesetzt und mußten mit Selbstverteidigung darauf reagieren (Schnell 1999, S. 174). Frühestens von 1170 an sahen sich innerhalb der Trobadorlyrik die männlichen Klagen über die hartherzige Haltung der Minnedame ebensolchen Klagen von weiblichen Stimmen über Liebesschmerz gegenüber. Die in der Forschung oft betonte Einseitigkeit männlichen Liebeswerbens im höfischen Minesang war seit dieser Zeit nicht mehr gegeben. Dem Bild von der lieblosen Frau trat ein anderes Bild zur Seite, das die männlichen Anklagen unbarmherziger Frauen ins Leere laufen ließ. Im deutschen Minnesang hingegen waren ähnliche Frauenstrophen von Anfang an präsent (Boll 2007), was den Stellenwert der Mannesstrophen verändern mußte. Damit sind wir bei der Frage nach der Funktion der Einzelgattung im Gattungssystem der okzitanischen und der deutschen Lyrik angelangt. c. Gattungen: Die Annahme eines Gattungssystems in jeder nationalsprachlichen Literatur basiert auf der Vorstellung, wonach jede einzelne Gattung im Zusammenspiel der verschiedenen Gattungen eine besondere bestimmte Funktion erfüllt. Übernehmen z.B. zwei Gattungen eine ähnliche Funktion, genügt es, wenn nur eine dieser beiden Gattungen einen Platz im Gattungssystem einer Nationalliteratur erhält. Dies scheint auf Pastourelle und Tagelied zuzutreffen (Forster 1969, S. 84ff.; zuletzt S. Brinkmann 1976, S. 281–305). Nur eine der beiden Gattungen kann sich innerhalb eines nationalen Gattungssystems entfalten. So stehen in der Trobadorlyrik relativ wenig Tagelieder (ca. 10 bis 19) relativ vielen Pastourellen gegenüber (ca. 30). Der deutsche Minnesang weist umgekehrt viele Tagelieder (ca. 60), jedoch – zumindest innerhalb des uns überlieferten Textmaterials – kaum Pastourellen auf (zudem erst im Spätmittelalter). Die nordfranzösischen Trovères gehen mit den Trobadors zusammen. Sie dichten zahlreiche Pastourellen (die Forschung beziffert sie auf 130 bis 182), dafür

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kaum Tagelieder (4–5). (Die z.T. großen Differenzen in den Zahlenangaben beruhen auf den unterschiedlich engen oder weiteren Gattungsdefinitionen.) Die süd- und nordfranzösische Literatur stehen sich in diesem Punkte sehr nahe. Die in vielerlei Hinsicht unbestreitbare Nähe von Trobadors und Trovères hat zuweilen dazu verführt, bei der Beschreibung der Rezeption der Romania durch die Germania die nordfranzösische Liebeslyrik zu vernachlässigen. Doch gerade das Denken in Gattungssystemen sollte zur Kenntnis nehmen, daß hinsichtlich ihrer breiten epischen Produktion die nordfranzösische Literatur mit der deutschen zusammengeht. Auch in der Kreuzzugslyrik, d.h. in der Art und Weise, wie die Trovères diejenigen tadeln, die sich vor dem Kreuzzug drücken, gibt es gemeinsame Schnittmengen von Minnesängern und Trovères, gegen die Trobadors (Räkel 1989, S. 421f.). Schließlich ist, gerade gegenüber Studien, die die sozialgeschichtliche Verortung der Gattungssysteme stark machen, daran zu erinnern, daß deutscher Minnesang und Trovèrelyrik kaum von Berufspoeten bestritten wurden, im Gegensatz zur Trobadorlyrik. Solche Differenzen innerhalb der Romania (dazu schon Lüderitz 1904) und die dadurch sichtbaren unterschiedlichen Relationierungen von Romania und Germania lassen einerseits eine Ausklammerung der Trovèrelyrik nicht zu, wenn es um die Kontrastierung von deutscher und romanischer Liebeslyrik geht (Kasten 1986 klammert die Trovèrelyrik als irrelevant aus), und lassen andererseits das Rezeptionsverhalten der deutschen Minnesänger, die ihre Vorlagen sowohl der Trobador- wie der Trovèrelyrik entlehnen, als weitaus selektiver und komplexer erscheinen, als dies zuweilen suggeriert wird. Jedenfalls wird man sich angesichts dieser literarhistorischen Ausgangssituation fragen müssen, ob die Minnesänger überhaupt ein in sich stimmiges bzw. geschlossenes (Minne-)Konzept in den Blick genommen und rezipiert haben. Die Position und Funktion der Liebeslyrik wird in einem Gattungssystem, dem wie in Deutschland und Nordfrankreich eine breite epische Literatur integriert ist (der Literaturexkurs in Gottfrieds von Straßburg Tristanroman belegt dieses Zusammensehen, indem er Epiker und Minnesänger beurteilt), anders zu bestimmen sein als in einem Gattungssystem, das wie in Südfrankreich vornehmlich aus Liedern besteht. Aber grenzen wir nun den Blick auf die Lyrik ein. Es wird gerne übersehen, daß die Trobadorlyrik nicht nur aus Liebesliedern besteht, sondern sich aus einer Vielzahl von Gattungen zusammensetzt. Nicht einmal die Hälfte der Trobadorlyrik besteht aus Minnekanzonen (40 Prozent). Den zweiten Platz nimmt das Sirventes (20 Prozent) ein, ein Schelt- oder Rügelied, eine Art politischer oder moralischer Satire. Mit ebenfalls 20 Prozent

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ist die Cobla, eine unabhängige Strophe verschiedenen Inhalts, vertreten (die erstmals um 1190 bei Folquet de Marseille auftritt und allmählich die Kanzone verdrängt). Die Zahl der kleineren Gattungen ist umfangreich: das Partimen (ein dilemmatisches Streitgedicht mit Spielcharakter), die Tenzone (eine oft ernsthafte, bisweilen auch fiktive Kontroverse zwischen zwei Dichtern über verschiedenste Gegenstände), das Klagegedicht (planh), die Pastourelle (pastorela), das Tagelied (alba), die durch eine besondere Form ausgezeichnete Liebesklage (descort), das Abendlied (serena), das Prahlgedicht (gap). Bei den ersten Trobadors sind die Grenzen zwischen den Gattungen noch nicht klar erkennbar. Erst allmählich konstituiert sich das Gattungssystem (Ringger 1987). Doch zur (angenommenen) Zeit des romanischen Einflusses auf den deutschen Minnesang (ab ca. 1160) darf man von einem ausgeprägten Gattungssystem sprechen. Umso auffälliger ist die Selektion, die die Minnesänger vornehmen: Sie favorisieren eindeutig die Minnekanzone, vernachlässigen bis Walther von der Vogelweide das zeitkritische Lied (f Minnesang III, Kap. 3.3; nur z.T. wird diese Thematik durch den Sangspruch übernommen), klammern die Tenzone und das Partimen fast ganz aus. Das Prahlgedicht (gap; z.B. bei Raimbaut von Orange mit zahlreichen Liedern vertreten: Ausg. Pattison, Nr. 20 [PC 389,18], Nr. 21 [389,20], Nr. 24 [389,28], Nr. 28 [389,31], Nr. 32 [389,39]) findet ebenfalls kaum Nachahmung (Kürenberger, MF 10,17; das Lügenlied Berngers von Horheim, MF 113,1). Die Pastourelle hat in Deutschland erst im 13. Jh. eine Chance, das Tagelied hingegen – in der Trobadorlyrik eher ein Stiefkind – breitet sich in Deutschland zur gleichen Zeit immer mehr aus. Hinzu kommt, daß bestimmte Strophenformen mit ihren besonderen Funktionen wie die Tornada (Geleitstrophe, afrz. envoi) vom deutschen Minnesang nicht übernommen werden. Man kann also ohne Übertreibung feststellen, daß das trobadoreske Gattungssystem in Deutschland völlig umgekrempelt wird. Die Folgen sind zweifach: 1) Den rezipierten Gattungen wachsen im neuen Gattungsumfeld andere Aufgaben und Funktionen zu. Das heißt zugleich, daß auch im Falle eines vollständig übernommenen (übersetzten) Liedes die Botschaft dieses Liedes eine andere sein wird, einfach deshalb weil andere intertextuelle Bedingungen vorliegen. Dadurch, daß z.B. das dilemmatische Streitgedicht (Partimen) im deutschen Minnesang nahezu ausfällt, fehlt hier der Minnekanzone das spielerische Korrektiv. Die deutsche Minnekanzone erhält – ohne den Kontext der Gattung Partimen – eine Ernsthaftigkeit und eine Programmatik, die sie in der Trobadorlyrik nicht besessen hat.

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Ein und demselben Gedicht kommt folglich ein unterschiedliches Gewicht in Deutschland und in der Romania zu. Dies schon deshalb, weil mit dem Wegfall der Tornada – der Geleitstrophe, in der die Adressaten des Liedes zwar in verschlüsselter Form (mit Verstecknamen, senhals), aber für die Kenner dennoch erkennbar genannt wurden – ein zusätzliches Spielmoment verlorenging. Die Tornada deutete den gesellschaftlichen Spielcharakter des Liedes an; sie band ein Lied an einen bestimmten Hof an. Ohne die Tornada erhält die Aussage eines Liedes einen allgemeineren Anspruch bei gleichzeitigem Verlust seiner Funktion als Teil eines Gesellschaftsspiels. Wenn die Germanistik im Hinblick auf den deutschen Minnesang – und im Vergleich mit dem romanischen Minnesang – die Termini ‚Didaktisierung, Exemplifizierung‘ verwendet hat, bezog sie dies stets auf einzelne Veränderungen, die die deutschen Minnesänger an ihren romanischen Liedervorlagen vorgenommen haben. Ich meine, diese Didaktisierung, Abstrahierung, Generalisierung ist schon alleine dadurch – quasi a priori – eingetreten, daß im Gattungssystem der deutschen Lyrik einige ‚meinungsbildende‘ und funktionsbestimmende Gattungen fehlen. 2) Umgekehrt wachsen auch den ‚heimischen‘, traditionellen Gattungen neue Funktionen zu, indem sie sich plötzlich der Übermacht einer neuen Gattung, der Minnekanzone, gegenübersehen. Während vor der Rezeption des romanischen Minnesangs der Liedtyp des Frauenlieds bzw. der Frauenstrophe, vielleicht auch der des Wechsels im Zentrum der Liedproduktion stand, etabliert sich nun die Stimme eines männlichen Ichs, das repetitiv über sein vergebliches Liebeswerben klagt. Und auf einmal bekommt die traditionelle Liebesklage einer Frau eine neue Bedeutung: Was sie sagt, erlangt – angesichts der tiefen Zuneigung des Mannes zu ihr – eine zutiefst subjektive Note, stellt eine Verkennung der Realität dar. Daß der Mann sie nicht liebe, daß er ihr untreu sei, daß er nicht mehr wiederkomme: All das wird durch die Liebesbeteuerungen des männlichen Ichs in der Minnekanzone widerlegt bzw. korrigiert. Die Klage der Frau läuft eigentlich ins Leere. Der eigentliche Anlaß für ihre Klage kann realistischerweise nicht (mehr) fehlende Liebe des Mannes sein, sondern ist nun die fehlende Möglichkeit eines Gesprächs zwischen den Geschlechtern (zum Aspekt der Kommunikation zwischen den Geschlechtern vgl. Schnell 1999). Mit der Einführung der Minnekanzone hat sich also der Begründungszusammenhang für die Frauenstrophen verschoben. Die Lieder der trobairitz können im Bereich der Trobadorlyrik nicht dieselbe Funktion übernehmen wie die Frauenlieder im deutschen Minnesang. Dafür spricht schon die Tatsache, daß im deutschen Minnesang das Frauenlied bzw. die -strophe von Beginn der schriftlichen Überlieferung

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an präsent sind, während die trobairitz erst nach ca. 50 Jahren der Trobadorlyrik produktiv werden. Überdies ist der Fiktionsstatus des weiblichen Ichs in den deutschen Frauenstrophen – die ja von Männern vorgetragen werden – viel transparenter als der Aussagemodus des weiblichen Ichs in den von Frauen gedichteten und vorgetragenen provenzalischen Liedern. d. Funktionen: Über die möglichen Funktionen der Trobadorlyrik ist viel geschrieben worden (vgl. Liebertz-Grün 1977). Die sozialhistorischen Thesen Erich Köhlers, der die Trobadorlyrik als das Sprachrohr einer aufstrebenden Ritterschicht deutete, sind zunehmend in die Kritik geraten (Kay 1990; Schnell 1991). Größere Attraktivität besitzt noch heute die seit dem 19. Jh. (Friedrich Diez) propagierte Auffassung, wonach die Trobadorlyrik vor allem eine panegyrische Funktion erfülle: den Preis einer territorialen Herrin (Liebertz-Grün 1977, S. 72ff.). Diesen Lobpreis belohne die gepriesene Dame wiederum mit materiellen Gütern. Die These wird gestützt durch den Hinweis auf die zahlreichen Berufssänger in der Provence des 12. Jahrhunderts. Diese seien von der Gunst der Herrin abhängig gewesen. Trobadorlyrik sei somit Frauendienst (Lüderitz 1904, S. 10–13; Schrötter 1908, S. 20; Kasten 1986, S. 41ff., 147f. u. 188; J.-D. Müller 2004, S. 306ff. [zum deutschen Minnesang]; auch noch Schmitt 2008, S. 264). Die These muß sich allerdings einige kritische Fragen gefallen lassen: 1) Die ersten Trobadors waren keine Berufssänger, auch keine niederen Adligen. Weshalb sollten sie aus untergeordneter Position eine adlige Herrin verherrlicht haben? 2) Warum sollten die Berufssänger, die auf der sozialen Skala weit unter der gepriesenen Herrin standen, ihren Lobpreis ausgerechnet in der Rolle eines Liebenden vorbringen? Wenn man schon die mittellateinische Literatur als mögliches literarisches Vorbild bemüht, so wäre zu konstatieren, daß sich dort das Lob vor allem aus den Hinweisen auf die ruhmreichen Vorfahren, auf eine ehrenvolle Heirat, auf eine friedensreiche oder aber militärisch-erfolgreiche Tätigkeit und auf die Wertschätzung von Literatur und Kunst speist. Nichts von alledem begegnet in den trobadoresken Liebesliedern. Wie also passen Berufssängertum und Bekundung von Liebesleidenschaft als Herrscherinnenpreis zusammen? 3) Zahlreiche Lieder sind nicht an Frauen gerichtet bzw. Frauen gewidmet, sondern an männliche Herrscher, von denen ein Sänger Belohnung erhofft. Die Tornadas, die Geleitstrophen, unterrichten uns zuverlässig darüber (trotz Verstecknamen, senhals). Von einer einseitigen Ausrichtung der Trobadorlieder auf weibliche Herrscher kann keine Rede sein. Ohnehin muß sich die Germanistik hinsichtlich der sozialen und rechtlichen Stellung der adligen Frau sowie der vasallitischen Verhältnisse in Südfrankreich von man-

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chen liebgewordenen Vorstellungen trennen (Paterson 1993, S. 220–228; Harvey 1999). 4) Befragt man die Trobadorlieder einmal genauer auf die panegyrischen Elemente hin, ist man vom Ergebnis enttäuscht. Denn die Passagen eines Liedes, die als Lobpreis einer Herrscherin fungieren könnten, nehmen einen erstaunlich schmalen Raum ein. Sogar bei Bernhart von Ventadorn, bei dem Ingrid Kasten (1986, S. 188) zufolge der Frauendienst (und damit die panegyrische Funktion der Liebeslieder) „zum dominierenden literarischen Paradigma in der Trobadorlyrik“ geworden sei, begegnet ein Frauenpreis nur in einem Drittel der Lieder und beschränkt sich dazuhin meist auf eine einzige Strophe in einem Lied von meist fünf oder mehr Strophen. Auch im deutschen Minnesang etabliert sich der Frauenpreis erst in einer späten Phase, ab der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts (s.u. zum Minnesänger Heinrich VI. [Kap. 1.6]; überdies Schnell 2011). 5) Wer die Funktion(en) der Trobadorlyrik allein von der Minnekanzone her beschreibt, vergißt, daß sie nicht einmal die Hälfte der erhaltenen Gedichte ausmacht (s.o.). Denn die anderen Liedgattungen fügen sich der behaupteten panegyrischen (vor allem frauenverherrlichenden) Funktion nicht ein. Für sie müßten andere Zwecke gefunden werden, die dann aber möglicherweise eben auch für die Liebeslieder gelten. 6) Bei der These von der panegyrischen Funktion der Minnekanzone scheint aber vor allem eines übersehen worden zu sein: Der allergrößte Teil der Minnekanzonen handelt vom Ich, von dessen Hoffnungen und Schmerzen, von dessen Verzweiflung und Leid, von dessen Träumen und Albträumen in der Liebe. Der Diskurs der Minnekanzone gilt dem Ich als Liebendem – und als Dichtendem, Singendem, somit als Künstler. Es ist nicht so, daß die Liebesklagen der Trobadors dazu dienten, die Qualitäten der Dame zur Geltung zu bringen (Kasten 1986, S. 209), sondern es ist umgekehrt: Die Hinweise auf die Vorzüge der Dame sollen erklären, warum der Mann so sehr an seiner unglücklichen Liebe leidet. Trobadorlyrik handelt von der Macht der Liebe; die domna fungiert als Mittel zum Zweck. Wenn es stimmt, was immer wieder behauptet wird, daß nämlich die Trobadorlyrik der gesellschaftlichen Unterhaltung diente, also eine Form der Geselligkeit war – während der deutsche Minnesang eher lehrhaftdidaktische Aufgaben übernahm –, dann wird man dieser Trobadorlyrik nicht unterstellen können, sie habe eine ganz bestimmte allgemeingültige Liebestheorie propagieren wollen. Dies würde ja voraussetzen, daß alle Trobadors und auch ihr Publikum sich auf ein bestimmtes Liebeskonzept verständigt und allein dieses Konzept als das richtige akzeptiert hätten. Doch steht fest, daß sich Geselligkeitsformen und Wahrheitsdiskurs nicht vertragen (dies gegen Bernsen 2001). Geselligkeit praktizieren zu wollen

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und gleichzeit auf bestimmten Positionen als unbestreitbar richtigen Positionen zu beharren, ist ein Ding der Unmöglichkeit (Schnell 2008). Geselligkeitskultur und Wahrheitsdiskurs widersprechen einander. Damit aber ist erwiesen, daß die Trobadorlyrik keine generell gültige Theorie der Liebe kennt, sondern allenfalls verschiedene Entwürfe von rechter Liebe durchspielt. Anspruch auf Wahrheit darf keiner der Beteiligten erheben. Wenn er es dennoch versucht, kann dies nur in spielerisch-selbstironischer Art geschehen (gap, Partimen, z.T. auch Tenzone). Meines Erachtens konnten deshalb die deutschen Minnesänger auch keine Liebestheorie rezipieren, sondern allenfalls selbst ein Liebeskonzept schaffen – aus einem lehrhaft-didaktischen Impetus heraus und in Ermangelung einer bestehenden (volkssprachlichen!) Geselligkeitskultur (s.u. zu Meinloh von Sevelingen, Friedrich von Hausen und Rudolf von Fenis [Kap. 1.6; 2.3; 2.4]). e. Frauenbild(er): Die kritische Sicht auf die Panegyrik-These wird gestützt durch die Kritikpunkte gegenüber der These vom positiven, ja idealistischen Frauenbild in der Trobadorlyrik (gegen die These vom Frauenkult schon Scheludko 1934): 1) Frauenkritik: Von einem einheitlichen Frauenpreis kann keine Rede sein. Immer wieder sind Trobadorlieder mit Angriffen und Vorwürfen gegen die Dame durchsetzt (Nickel 1907, S. 71ff.; Leube-Fey 1971, S. 74ff.; Kay 1990, S. 86–101). Dies begegnet vor allem in den sog. Absageliedern (comjat bzw. chansons de change), in denen das Text-Ich sich von seiner Dame abwendet, weil sie sich undankbar, heuchlerisch verhalten hat – und dann gegebenfalls in den Dienst einer zweiten Dame tritt (D. Rieger 1972 u. 1976, S. 303–318; Lachin 1980; A. Rieger 1993; Touber 1998a, S. 661f., u. 1998b). Der deutsche Minnesang bietet vor dem 13. Jh. keine Belege für diesen Liedtypus, sondern allenfalls einzelne Motive (Brunner 1993 u. 1997). Misogynie und Frauenpreis können in der Trobadorlyrik problemlos abwechseln (z.B. bei Folquet de Marseille). Auch dieser Befund spricht für die spielerisch-gesellige Funktion der Trobadorlyrik (Mouzat 1965, S. 548ff. [zur Tenzone PC 52,3] verkennt dieses Spiel und vermutet eine Entwicklung von Frauenpreis zu Misogynie). Weder Frauenkritik noch Frauenpreis beanspruchen generelle Gültigkeit. 2) Trobadorlyrik als Diskurs unter Männern: Daß die Trobadorlyrik möglicherweise recht wenig mit panegyrischem Herrscherinnenpreis zu tun hat, lassen zahlreiche Lieder vermuten, in denen ein männliches Ich sich mit einem (fiktiven) männlichen Publikum über die Liebe unterhält. Der Terminus „Frauendienst“ übersieht, daß es in der Trobdorlyrik vor allem um Liebe, nicht um Frauen geht (deshalb spricht Kay 1990, S. 147,

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von „love service“, nicht von „women service“; ebenso Bekker 1988). Die Frauen spielen sozusagen nur das Medium, in dem sich Männer mit Männern amüsant unterhalten (Wilhelm IX.; Raimbauts von Orange obszöne Lieder; Folquet de Marseille z.B. spricht viel weniger über die Frauen als über die Liebe an sich). Der Lobpreis einer Dame soll oft nur dem Selbstruhm dessen dienen, der da singt „Ich liebe“. Das Text-Ich zeichnet sich dadurch aus, daß es eine so vorzügliche Dame liebt (z.B. Gaucelm Faidit, PC 167,20, Str. VII; 167,21, Str. I; 167,30a; 167,41, Str. III; 167,61, Str. IV; Bertran de Born, PC 80,10). Die Wahl einer vortrefflichen Dame zeichnet den Mann aus (dies auch bei Hausen, MF 49,21). Deshalb hat sich in der heutigen anglophonen (und z.T. frankophonen) Forschung die Überzeugung festgesetzt, daß es in der trobadoresken Minnekanzone gar nicht um Frauen gehe, sondern um Rivalitäten und Konkurrenzen unter Männern (Forschungsliteratur bei Schnell 1999, S. 170f., u. 2000, S. 46f.). Dazu paßt, daß viele Lieder Herrschern, nicht Herrscherinnen gewidmet werden (s.u.), ablesbar an den sog. Geleitstrophen (tornadas). 3) Männer als Adressaten von Liedern: Zahlreiche Lieder werden nicht Frauen zugeeignet, sondern Herrschern gewidmet (Kay 1990, S. 147–161). Zwar wird im Lied von der Liebe zu einer Frau gesungen, doch das Lied an einen Mann (oder auch an eine andere Frau, vgl. Scheludko 1934, S. 14ff.) adressiert. Zuweilen schließen sich an ein Lied mehrere Tornadas an, die an verschiedene Personen (unterschiedlichen Geschlechts) gerichtet sind (Kay 1990, S. 147 u. 248). Die Bedeutung Eleonores von Aquitanien für die Trobadorlyrik wird überschätzt (Harvey 2005). 4) Selbstruhm von Dichtern: Wie bereits beim Aspekt Autorstatus zu konstatieren war, legen es die meisten Trobadors darauf an, das Thema Liebe mit dem Thema Dichten/Singen zu verknüpfen. Dabei gewinnt man zuweilen den Eindruck, daß die Selbstdarstellung des dichtenden und liebenden Ich einen gewichtigeren Platz einnimmt als der Preis der verehrten Dame. Einige Indizien belegen, daß die Trobadorlyrik nicht nur von der Rivalität zwischen miles und clericus lebt, sondern auch von der Konkurrenz zwischen den volkssprachlichen (männlichen) Dichtern (Gruber 1983; Kay 1990; Meneghetti 1999). Demzufolge fungierten Frauen und Liebe nur noch als Mittel zum Zweck. Der Liebesdiskurs würde zum Anwendungsfall einer Poetik-Diskussion. (Bezeichnenderweise richten sich einige Tornadas auch an Dichterkollegen!) Geht es also in Wirklichkeit um Selbstdarstellung des Autors, nicht um Verherrlichung einer Dame? Insgesamt erfordert diese Auflistung ein Umdenken auch in der germanistischen Minnesang-Forschung. Die Rede von der Umkehrung traditioneller Geschlechterrollen und von der Unterordnung des Mannes unter

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die Frau verkennt, daß das männliche Ich in den Liedern keineswegs seine Subjekt-Position abgibt, sondern den Preis der Dame zur Selbstdarstellung nutzt. Walther von der Vogelweide ist keineswegs der erste mittelalterliche Liebeslyriker, der die Abhängigkeit der frouwe/domna vom Dichter thematisiert. f. Liebeskonzept(e): Um die Bestimmung des bzw. der Liebeskonzepte(s) der Trobadorlyrik hat sich eine kaum mehr überschaubare Forschungsliteratur bemüht, anscheinend – angesichts der immer wieder erneuten Anläufe – mit wenig Aussicht auf Konsens. Während die einen (etwa Calin 1990, S. 62) die Existenz einer höfischen Liebesdoktrin bestreiten, glauben andere (etwa Burns 1999, S. 253) fest daran. Wie aber kann dann in der Germanistik von einer Übernahme ‚des‘ provenzalischen Liebeskonzepts gesprochen werden, wenn das übernommene Phänomen so irritierend schillert? Um die Bedeutung des romanischen Einflusses auf die Anfänge des deutschen Minnesangs richtig einschätzen zu können, wäre es beispielsweise wichtig zu wissen, ob die Minnesänger um 1160/80 – wie es heute zahlreiche Mediävisten tun – aus ihrer Kenntnis der romanischen Lieder den Schluß gezogen haben, dort werde die Unerfüllbarkeit erotischer Liebe und die Unerreichbarkeit der geliebten Frau zelebriert. In diesem Falle wäre die romanische Lyrik als um einiges ‚fremder‘ erfahren worden, als wenn die Minnesänger den Eindruck gewonnen hätten, die Trobadors und Trovères würden in ihren Liedern die Liebeserfüllung für prinzipiell möglich erachten. Wenn aber die Trobadorlieder nicht vom Dogma der unerfüllten Liebe besetzt waren, haben es dann die Minnesänger von sich aus in ihren Liedern formuliert? Unsre Einschätzung des deutschen Minnesangs ist abhängig von unserer Beschreibung des trobadoresk-romanischen Minnekonzepts. Dies erfordert eine nähere Auseinandersetzung. Hier können nur einige wenige Positionen zum trobadoresken Liebeskonzept kritisch beleuchtet werden. 1) Verzichtliebe/unerfüllte Liebe: Leo Spitzer (1944) hat die These vom paradoxe amoureux geprägt, die bis heute in der Occitanistik Anhänger besitzt und die Erich Köhler (1962) als Ausgangsbasis für seine soziologische Deutung der Trobadorlyrik benutzt hat. Demnach wünschten die Ichs (die Trobadors) in den Liebesliedern die Liebeserfüllung, schreckten jedoch gleichzeitig davor zurück, weil dann die Liebesleidenschaft verlorenginge. Dieser These widerspricht der literarhistorische Befund. Denn in zahlreichen Partimen (z.B. PC 52,5 = 97,12; 167,30b = 178,1; 167,23 = 366,17; auch in zahlreichen nordfrz. jeux partis) wird davon ausgegangen, daß auch nach einer Liebesvereinigung die Liebe weiterbesteht. Auch die

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Tagelieder (alba) illustrieren, daß die Liebesbeziehung durch die Liebesvereinigung nichts von ihrer Intensität einbüßt. Zahlreiche Trobadorlieder lasssen überdies vermuten, daß die Liebeserfüllung nicht deshalb ausbleibt, weil sie das Liebesverlangen zerstören würde, sondern aufgeschoben wird, weil das schwer Erreichbare mehr Lust verspricht. Hier greifen die Trobadors ovidische Gedanken auf (Schnell 1979). 2) Umkehrung der Geschlechterrollen (Frau als domna des Mannes): Gerne wird „die charakteristische Grundsituation des klassischen Minnesangs“ mit dem Terminus Frauendienst umrissen: „die Dominanz der Frau und die Unterordnung des Mannes in dienender Ergebenheit“ (Kasten 1986, S. 11). Die Frau werde zum Inbegriff aller Werte stilisiert. Der Dienst des Mannes gelte allein der Frau. Diese Fokussierung auf die Relation Mann/Frau wird dem literarischen Befund ebenfalls nicht gerecht. Denn zwischen die beiden Geschlechter schiebt sich in der Trobadorlyrik mit Vehemenz Amors. Die Fehllektüre der Mediävisten zeigt sich besonders deutlich an den Stellen, wo ein Trobador von der Unterwerfung unter die Liebe spricht, im wissenschaftlichen Kommentar dazu aber von der Unterordnung unter die Frau die Rede ist (Kasten 1986, S. 55, zu Wilhelm IX. von Aquitaninen, PC 183,11 Pos vezem de novel florir, V. 25f.; überdies Kasten 1986, S. 195f.). Amors in der Trobadorlyrik, Minne oder Venus im Minnesang übernehmen jedoch besondere Funktionen und sind keinesfalls mit der umworbenen Dame gleichzusetzen. Angriffe oder Vorwürfe, die eigentlich der hartherzigen Dame gelten, werden an Amors adressiert; Schuld an der verzweifelten Lage des Liebenden hat nicht die Dame, sondern Minne; nicht von der Dame ist der Mann besiegt, sondern von der Macht der Minne. (Deshalb kann in Trobadorliedern Amors genauso angerufen werden wie die domna; vgl. Schnell 1985, S. 229 u. 452–464; Lazar 1959, S. 389f.). Die Frau ist lediglich das Lockmittel von Amors. Da die Rede vom Sieg der Frau über den Mann im Mittelalter sogleich misogyne Vorstellungen aufruft (Adam, Samson, Salomon, Aristoteles u.a. wurden von Frauen besiegt, weil überlistet), wählten die höfischen Dichter den Ausweg, vom Sieg der Liebe (Amors, Minne, Venus) über den Mann zu sprechen. Während die misogyne Dichtung den Mann als Frauensklaven hinstellt, zeigt ihn die höfische Dichtung als ‚Minnesklaven‘ (Schnell 1985, S. 452–505, bes. 475ff. zum Unterschied zwischen Minneund Frauensklaven). Leider fehlt es in einschlägigen Arbeiten immer wieder an dieser notwendigen Differenzierung, die grundlegend ist für ein rechtes Verständnis des höfischen Minnesangs überhaupt: Der Liebende wird von der Minne besiegt, nicht von der Frau. Vorrangig geht es in der Trobadorlyrik um die Liebe (vgl. auch Gaunt 2006), nicht um die Frau.

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3) Vervollkommnung durch die Liebe (oder durch die Frau): Zwar singen die Trobadors immer wieder davon, daß von der Liebe Gutes komme, doch diese Beteuerungen werden genau so häufig konterkariert durch die Klagen über das schreckliche Leid, in das die Ich-Figuren gerade aufgrund von Liebe gestürzt wurden. Immerhin klammern sich diese Ichs in den Liedern an die Vorstellung, daß die Liebe sie zu sittlich besseren Menschen mache (Schnell 1985, S. 66–71). Der Glaube an die Liebe als bonum scheint letztlich über allem Zweifel zu stehen. Ein Blick in die deutsche Literatur fördert schnell zutage, daß vergleichbare Aussagen dort vor allem im spätmittelalterlichen Minnesang und in lehrhafter Dichtung begegnen (Bumke 1986, S. 522f.). Im frühen und hohen Minnesang sind ganz eindeutige Äußerungen zur veredelnden Macht der Minne nur spärlich belegt (Kaplowitt 1986, Willms 1990). Dieser Befund erlaubt mehrere Deutungen: Die Minnesänger haben in den Liedern ihrer romanischen Zeitgenossen die Auffassung, wonach Liebe als ein bonum zu verstehen sei, nicht als zentrale Botschaft wahrgenommen. Zumindest ist kein romanisches Lied bzw. Liedteil, das sich programmatisch zur Liebe als einem bonum äußert, rezipiert worden (f Minnesang II, Kap. 2.4). Möglich ist aber auch, daß das deutlichste Kennzeichen der romanischen Lieder, das Klagen über das durch Liebe verursachte Leid, die Minnesänger zunächst und allererst beeindruckt und sie von einer einseitigen Positivierung der Liebe abgehalten hat. Es ergibt sich der Eindruck, daß im deutschen Minnesang des 13. Jh. aus dem Lob der Liebe ein Lob der Frauen geworden ist. Möglicherweise hat aber auch die häufige Betonung der staete im deutschen Minnesang das zusätzliche Statement, von der Liebe komme Gutes, überflüssig gemacht. Schließlich ist zu erwägen, ob nicht die in Deutschland – wie in Nordfrankreich – vorhandene zeitliche Nachbarschaft von Epik und Lyrik auf den Minnesang abgefärbt hat. Die schrecklichen Ereignisse, die in Veldekes Eneasroman oder in Hartmanns von Aue ‚Erec‘ durch Liebe verursacht werden, und die von Wolfram im ‚Parzival‘ (292,1ff.) der Liebe angelastete Zerstörung von Familie, Ehe und Gesellschaft lassen eine recht skeptische Sicht auf die erotische Liebe erkennen. Demgegenüber mußte sich die (angebliche) trobadoreske Positivierung der Liebe im Lied nicht mit narrativen Korrekturen auseinandersetzen. (Marcabrus Kritik zielte nicht gegen die konzeptionelle Grundlage.) Der jahrezehntelange Forschungsstreit darüber, welcher Trobador welches Liebeskonzept verfolge, läßt vermuten, daß die Trobadorlyrik insgesamt eher als eine Vielfalt von Perspektivierungen erotischer Liebe zu verstehen ist. (So kann etwa Bernart von Ventadorn in ein und demselben Lied das Konzept der einseitigen Liebe vertreten und die Forderung nach Gegenseitigkeit in der Liebe erheben: PC 70,15; vgl. auch PC 70,30,

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V. 12f.). Die deutschen Minnesänger haben infolgedessen auch keine Liebestheorie von den Provenzalen übernommen – wie immer wieder unterstellt wird –, sondern einzelne Motive, Bilder und Gleichnisse, die sie möglicherweise erst selbst zu einer Liebestheorie formten. Doch auch diese Annahme geht wohl von einem zu einförmigen Textkorpus aus, wenn man an die Frauenstrophen, die Tagelieder, die Wechsel denkt. g. Motive: Hier ergeben sich drei Probleme: 1) Die Antwort auf die Frage, was ein Motiv sei, fällt nicht immer leicht. Entsprechend diffus präsentiert sich die Forschung: Was die einen als Motiv bezeichnen, ordnen andere einem Konzept zu und umgekehrt. Ist etwa die Stilisierung des höfischen Minnedienstes nach dem Vorbild der Vasallität (z.B. vor der Dame niederknien) ein Motiv oder Teil des Liebeskonzeptes? 2) Motive können in vielen Literaturen zuhause sein, sie werden auch von Epoche zu Epoche weitergegeben. Angesichts dieser ‚Mobilität‘ von Motiven ist die Zuweisung eines Motivs zu einem einzigen Einflußbereich immer riskant. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß einseitig die romanische Lyrik als Quellenort vermutet und die antike oder mittellateinische Dichtung ausgeklammert wird. 3) Gerade in der Übergangsphase einer Literarisierung der Volkssprachen im 12./13. Jh. muß damit gerechnet werde, daß einige Bilder, Gleichnisse, Vergleiche, die lange mündlich tradiert wurden, nun den Weg in die Schriftlichkeit finden. h. Sprachtabus/Redeweisen (Obszönität): Für den gesellig-spielerischen Charakter der Trobadorlyrik spricht auch der Umstand, daß dort offensichtlich obszönes Sprechen gestattet war. Denn im Mittelalter konnte Sexuelles nur unter drei Bedingungen zur Sprache gebracht werden (Stempel 1968): 1) zu moralischen Zwecken; 2) in satirischer Absicht (z.B. Marcabru); 3) in komischer oder parodistischer Absicht (z.B. Raimbaut d’Orange, Ausg. Pattison, Nr. 28 [PC 389,31]). Durch metaphorische Umschreibungen konnte die Anstößigkeit zusätzlich gemindert bzw. die Komik gesteigert werden (Jernigan 1974). Gerade die letzte Bedingung ebnete dem Sexuellen den Weg in die Trobadorlyrik. Es muß den Dichtern wie dem Publikum höchstes Vergnügen bereitet haben, mit immer wieder neuen Sprachspielen Sexuelles zu benennen. Ein gewisser Unernst der Redeweise ermöglichte dieses Spiel. Jedenfalls zeigen die Trobadors gegenüber der Erwähnung sexueller Vorgänge oder der Genitalien sehr viel weniger Berührungsängste als die Minnesänger (Bec 1984; vgl. Lewent 1936; Schnell 1978, S. 98–101). Im deutschen Minnesang scheint die Beschreibung bzw. Erwähnung von Sexuellem in einen separaten Liedtyp ausgelagert und damit eingegrenzt worden zu sein (U. Müller 1989), auch wenn man Reinmar einige ‚Ps.-Reimare‘ zuzuschreiben gewillt ist.

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Nach diesem Versuch, ein Profil der Trobadorlyrik (z.T. auch der Trovèrelyrik) zu entwerfen, kann die Frage beantwortet werden, was die deutschen Minnesänger übernommen, nicht übernommen oder aber umgeformt haben. Daraus erwächst dann allmählich eine Vorstellung vom Profil ‚des‘ deutschen Minnesangs.

1.5 Resümee des Vergleichs von romanischem und deutschem Minnesang Die Trobadorlyrik (und zum großen Teil auch die Trovèrelyrik) zeichnet sich durch folgende Elemente aus: – Sie weist Liedgattungen auf, die als spitzfindig-geistreiches Spiel zu begreifen sind (Partimen, z.T. Tenzone). – Wortspiele lenken die Aufmerksamkeit der Hörer(innen) oft eher auf den Klang als auf den Inhalt. – Die Lieder werden aufgrund von Orts-, Hof- und Gönnernamen in der gesellschaftlichen Realität verankert (ein ähnliches Profil stellt Unzeitig 2010, S. 143, für die romanische Epik fest). – In den Liedern nimmt die Reflexion auf das Dichten und Singen einen wichtigen Platz ein. – An den Damen werden oft Redekunst und Bildung gepriesen (gen parlar); dies stützt die These, wonach die Trobadorlyrik in einer Geselligkeitskultur verankert ist. – Zugleich werden immer wieder misogyne Töne laut (Frauenkritik), was die Relativierung des Frauenlobs impliziert. – Die Selbstrühmung des Ich wird oft mit Hilfe ironischer oder parodistischer Distanznahme relativiert (vgl. die Gattung des gap). – Die Lust an zweideutigen, obszön gemeinten Formulierungen ist unübersehbar. Diese Elemente verleihen der romanischen Liebeslyrik einen insgesamt geselligen, spielerischen, in den Aussagen oft ambivalenten, zwischen Frauenpreis und Misogynie oszillierenden Charakter (zur Minnegeselligkeit in Frankreich vgl. Bumke 1986, S. 572–576). Bildung und Selbstbewußtsein einerseits, spitzfindige Argumentation und ironische Selbstdemontage andererseits lassen die Einzelaussagen vieldeutig erscheinen. Relativierung bildet ein Grundprinzip trobadoresken Sprechens. Die entscheidende Frage ist nun, ob und inwieweit die deutschen Minnesänger dieses Spiel der Anspielungen, Zweideutigkeiten und Ironien übernommen oder aber auf Eindeutigkeiten hin zurückgenommen haben.

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Versucht man ein Resümee der Änderungen, die die deutschen Minnesänger an ihren romanischen Mustern vorgenommen haben, könnte dies etwa so aussehen: – Die das Spielelement betonenden Gattungen werden nur in Ansätzen rezipiert (Partimen, Tenzone). – Es wird größerer Wert auf die inhaltliche ‚Botschaft‘ gelegt als auf Wortspiele (Programmatisierung). – An die Stelle von Ironie tritt verstärkt Lehrhaftigkeit (Didaktisierung). – Anspielungen auf historische Ereignisse, Orte und Personen fehlen (Entkonkretisierung; vgl. u.a. Hölzle 1980 zu den Kreuzzugsliedern); – Die kommunikativ-gesellschaftlichen Fähigkeiten der Dame (frouwe) werden durch ethische Vorzüge ersetzt (Ethisierung). – Das Ausharren des Mannes im Liebesleid wird stärker als sittlich-moralischer Wert vorgestellt (bei Reinmar auch als ästhetischer Wert inszeniert). – Misogyne Töne werden vermieden (vgl. Hausen, MF 46,29 u. 46,39; Veldeke, MF Nr. XXXV; Reinmar, MF 170,36 u. 183,27) oder durch eine revocatio (z.B. Ps.-Reinmar, MF 202,1) unschädlich gemacht (Idealisierung der Frau). – Das spärliche Auftreten von sog. Absageliedern (vgl. Brunner 1993, S. 221, u. 1997) wird damit zusammenhängen. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß sich der ‚Sitz im Leben‘ eines Minneliedes von einer gesellig-spielerischen Funktion hin zu einer didaktisch-lehrhaften verschoben hat. Dies betrifft das Gattungssystem, den Liebesdiskurs, die Frauendarstellung und die Redeweise.

1.6 Der deutsche Minnesang in seinen Anfängen Vorbemerkungen – Der von Kürenberg – Meinloh von Sevelingen – Der Burggraf von Regensburg – Der Burggraf von Rietenburg – Dietmar von Eist – (Kaiser) Heinrich (VI.)

Vorbemerkungen Ob bereits die ersten Minnesänger (Der von Kürenberg, die Burggrafen von Rietenburg und Regensburg, Dietmar von Eist, Meinloh von Sevelingen) westliche Anregungen verarbeitet haben, ist unsicher. Man muß wohl

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unterscheiden zwischen formalen, inhaltlichen und konzeptionellen Einflüssen. Während die Verwendung der einheimisch-altertümlichen Langzeilenstrophen beim Kürenberger und bei Meinloh in formaler Hinsicht eine französische Einflußnahme ausschließt, gibt es bei diesen beiden Dichtern Anhaltspunkte für eine Übernahme einzelner Motive. Ein enger Anschluß an romanische Vorbilder in Thematik, Form und Konzeption ist erst bei Friedrich von Hausen (und Heinrich von Veldeke) erreicht (f Minnesang II). Den sichersten Beweis für den romanischen Einfluß in der Anfangsphase des Minnesangs haben Vergleichsanalysen des französischen und deutschen Vers- und Strophenbaus erbracht (s.u.). Die in der ersten Sängergeneration sichtbaren Veränderungen verdanken sich der Ausrichtung an romanischer Formkunst: Am Versende wurden Assonanzen zugunsten des reinen Reims aufgegeben; der Auftakt und der Schluß eines Verses, die Kadenz, wurden streng geregelt; die Reimschemata nahmen komplizierte Formen an; an die Stelle eines ungeregelten Wechsels von Hebung und Senkung (Silbenzahlenfreiheit) traten allmählich Daktylen, um so die Übernahme der französischen Zehn- oder Zwölfsilblerverse zu ermöglichen (Spanke 1961). Mit der ungeheuren Vielfalt an Strophenschemata, wie sie die romanische Lyrik präsentiert, kann der deutsche Minnesang allerdings nicht konkurrieren. Immerhin den wirkungsmächtigsten Strophentyp, die dreiteilige Kanzonenstrophe, die aus zwei gleichgebauten Stollen und einem andersgeformten Abgesang bestand, haben die Minnesänger übernommen. Er sollte zum dominanten Strophentyp des deutschen Minnesangs überhaupt werden. Dank der Zusammenarbeit von Musikwissenschaftlern, Romanisten und Germanisten ist es gelungen, nahezu alle Strophenschemata des romanischen und deutschen Minnesangs zu erfassen und – heutzutage – auf elektronischen Rechnern Vergleichsanalysen durchzuführen. Auf diese Weise können eindeutige Fälle der Übernahme eines Strophenschemas, wahrscheinlich auch des ‚Tons‘, der Melodie, nachgewiesen werden. In solchen Fällen spricht man von Kontrafakturen (Gennrich 1961 [1948/50]; Frank 1952 u. 1966; Müller-Blattau 1955; Aarburg 1961 [1956/57]; Räkel 1968; Mölk/Wolfzettel 1972; Schweikle 1993, S. 85–91; Sayce 1999; Touber 1975; 1998a; 2005a u. c; 2008; f Sangspruchdichtung; f II Lyrische Strophenformen). Rund 20 Kontrafakturen können heute als gesichert gelten, wobei die meisten Belege in die frühere Phase des Minnesangs fallen: auf Friedrich von Hausen und Graf Rudolf von Fenis (f Minnesang II, Kap. 2.3 u. 2.4). Übernommen wurden die Melodien der Trobadors wie der Trouvères, bevorzugt wurden zeitgenössische Dichter:

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Folquet de Marseille und Gaucelm Faidit einerseits, Chrétien de Troyes, Gace Brulé, Blondel de Nesle, Conon de Béthune, Guiot de Provins andererseits. Freilich sind für den deutschen Minnesang vor Walther keine Melodien überliefert. Alle anschließenden Angaben über mögliche romanische Einflüsse auf den deutschen Minnesang sind mit dem Vorbehalt überlieferungsgeschichtlicher Lücken, Umschreibungen und Mängel zu verstehen. Dieses Warnzeichen ist gerade im Hinblick auf den frühen Minnesang angebracht. Die in den folgenden Abschnitten besprochenen Minnesänger ordnen sich in eine literarhistorische Entwicklung ein, die gemeinhin (anders aber Heinen 1981) so skizziert wird (Schweikle 1989b, S. 82f.): 1) von der Langzeile zur Kurzzeile; 2) vom unreinen (beim Kürenberger noch ca. 50 Prozent) zum reinen Reim; 3) von einfachen zu komplizierten Reimschemata; 4) von der ‚einfachen Strophe‘ zur komplizierter aufgebauten Stollenstrophe mit Auf- und Abgesang; 5) von der Einstrophigkeit zur Mehrstrophigkeit: Zu Beginn des (überlieferungsgeschichtlich faßbaren) Minnesangs dominiert die Einzelstrophe (liet bezeichnet ursprünglich die Einzelstrophe); 6) vom epischen Bild zur Reflexion und Theoretisierung des Phänomens ‚Liebe‘: Mit der Einzelstrophe gehen relativ einsinnige, direkte Liebesaussagen zusammen; im frühen deutschen Minnesang wird der seelische Innenraum noch kaum ausgeleuchtet, oft mit nur wenigen Bildern angesprochen. Von 1160 bis 1180 nimmt die Komplexität des diskutierten Phänomens ‚Liebe‘ zu. Das nun höhere Reflexionsniveau erzwingt offensichtlich eine Mehrzahl von Strophen; 7) von der Liebespartnerschaft zur (meist) einseitigen Liebesbeziehung (was aber bei Reinmar durch die zahlreichen Frauenstropehn wiederum relativiert wird); 8) von der Gleichsetzung von Sprecher (Sänger) und Text-Ich zur Disjunktion von intra- und extratextuellem Subjekt. Das Textsubjekt vereinigt in sich dann die Sänger- wie die Liebender-Rolle, setzt sich aber ab vom real vortragenden Sänger. Doch gibt es Stimmen, die die Trennung von Sprecher (Sänger) und Text-Ich (Liebendem) schon für den frühen Minnesang behaupten (Hausmann 2004, S. 31f.); 9) von thematischer und perspektivischer Vielfalt zur Reduzierung der Themen (fast nur noch Klagegestus); ab dem 13. Jh. dann wieder Verbreiterung der Themen und Motive.

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Der rezeptionsgeschichtlich relevante Ort eines Minnesängers wird danach bemessen, welche und wie viele der neueren Stufen er erklommen hat. Doch die diesbezügliche Verortung ist nicht gleichzusetzen mit der chronologischen Reihenfolge. Der Einfachheit halber orientiert sich die folgende Anordnung der Dichter an deren Abfolge in der maßgeblichen Ausgabe MF. Die dort in der ersten Abteilung aufgeführten (namenlosen) Lieder können mit guten Gründen hier ausgespart bleiben (Haustein 2000). Der von Kürenberg (keine Identifikation möglich; dichtete ca. 1150–1170 in Österreich, bei Linz?) Bis heute ist umstritten, ob die Lieder des Kürenbergers ein rein einheimisches Gewächs sind oder nicht schon Spuren französischer Lyrik zeigen. Einige Forscher behaupten, der Kürenberger sei noch nicht vom Westen her beeinflußt (Ehrismann, LG). Andere meinen beim Kürenberger die neuen höfischen Konzeptionen (Mertens 1988b) zu erkennen, andere wiederum sehen eine Abwehr bzw. Parodierung des romanischen Frauendienst-Modells, d.h. der Unterordnung des Mannes unter die Frau (Kasten 1986, S. 210–218; Kasten 1988, S. 172), was freilich eine intime Kenntnis der romanischen Lyrik (beim Dichter und bei seinem Publikum) schon um 1150/60 in Deutschland voraussetzen würde. Das Textkorpus des Kürenbergers ist allein in der Hs. C (Heidelberg, cpg 848) überliefert und besteht aus 15 Einzelstrophen, die sich auf zwei Töne verteilen. Das metrische Schema des zweiten Tons (3C – 15C) entspricht dem der Nibelungenstrophe: 4 + 3a / 4 + 3a / 4 + 3b / 4 + 4b. Eine Strophe setzt sich also aus vier Langzeilen (mit Assonanzenreim) zusammen, wobei der letzte Halbvers durch eine zusätzliche Hebung erweitert ist (zuletzt Braun 2007, S. 75ff.). Die Zahl der Frauenstrophen übertrifft die der Mannesstrophen. Zumindest dreimal beziehen sich je zwei Strophen inhaltlich aufeinander, so daß ein sog. Wechsel entsteht (Schilling 2004 möchte das gesamte Kürenberger-Korpus in Wechsel einteilen). All diese (formalen) Merkmale markieren eine Differenz zur Trobadorlyrik und schließen romanischen Einfluß aus. Und doch unterstellen zahlreiche Studien einen solchen Einfluß, freilich inhaltlicher Art (Bumke, S. 42f.; Sayce 1982, S. 89f.; wenig überzeugend Spanke 1943, S. 75f.). An einen mittellateinischen Einfluß denkt (außer H. Brinkmann 1926, S. 108ff.) kaum jemand.

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In einzelnen Motiven ergeben sich erstaunliche Parallelen zu romanischen Liedern, wobei freilich nicht ausgeschlossen werden kann, daß diese Fälle auf Vorstellungen zurückgehen, die in der ritterlich-höfischen Welt der Romania wie der Germania beheimatet sind. So kann man z.B. für MF 8,25–29 (Ez hât mir an dem herzen vil dicke wê getân, / daz mich des geluste, des ich niht mohte hân) zwar auf eine wortwörtliche Parallele bei Wilhelm IX. von Aquitanien verweisen (PC 183,11, Str. IV,2), doch handelt es sich um eine nachweislich sprichwörtliche Redensart, die auch bei anderen Trobadors belegt ist (Sayce 1982, S. 90). Man könnte den Ausspruch (des Kürenbergers und Wilhelms IX.) aber auch an die bei Ovid, in mittellateinischen Liebesgedichten und bei Trobadors vielfach propagierte Vorstellung anbinden, wonach dasjenige unser Begehren weckt, was kaum zu erlangen ist (Schnell 1979). Meines Erachtens ist es deshalb nicht erforderlich, hier romanischen Einfluß zu bemühen. Da für den Fall, daß eine Frau diese Auffassung vom Begehren des Unerreichbaren ausspricht, die Aussage von 8,25 im Mittelalter allzu sehr mit misogynen Assoziationen belastet wäre, plädiere ich für 8,25 als Mannesstrophe (anders Kasten 1995, S. 591). Die Tatsache, daß wir heute Schwierigkeiten haben, das Geschlecht der Text-Ichs einiger Kürenbergerstrophen zu bestimmen (z.B. auch für das Falkenlied 8,33 u. 9,5), zeigt zumindest eines: Von einer klaren ‚neuen‘ Geschlechterrelation, wie sie der Trobadorlyrik (meines Erachtens zu Unrecht) unterstellt wird, sind wir beim Kürenberger weit entfernt. Auch MF 8,9 wird gerne mit provenzalischem Einfluß in Verbindung gebracht: In den ersten beiden Langzeilen gesteht ein Mann, einst nachts vor dem Bett seiner Dame gestanden zu haben, sie aber nicht zu wecken gewagt zu haben. In den Langzeilen 3 und 4 verflucht ihn deswegen diese Dame, indem sie beteuert, doch kein wilder Eber zu sein, also hätte ihr Verehrer schon ein bißchen mehr Mut an den Tag legen können. Diese spöttische Entgegnung der Frau kann einerseits als Parodie des Dichters auf die in der romanischen Lyrik vielfach anzutreffende ängstliche Beteuerung des männlichen Ichs, er wage der Dame nicht seine Liebe zu gestehen, aufgefaßt werden (Dronke 1968, S. 112), andererseits als ein Nachsprechen trobadoresker Zitate. In der Tat finden sich bei Bernhard von Ventadorn in einem Lied (PC 70,31, Str. VI u. VII) beide Motive vereint: die Furcht des Verehrers vor seiner Dame und zugleich dessen – sich selbst Mut machender – Ausruf an die Dame „Ihr seid doch kein Bär oder Löwe, daß Ihr mich tötet, wenn ich mich Euch ergebe“ (Ausg. Appel, S. 193; gegen Abhängigkeit von Bernhard von Ventadorn: Frings/Lea 1965, S. 58). In einem (freilich erst um 1200/1209 entstandenen) CoblaWechsel fordert die Dame den Mann sogar auf, seine Furchtsamkeit abzu-

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legen und sie kühn um ihre Liebe zu bitten (PC 187,1=192,6; Mölk 1988, S. 86; A. Rieger 1991, S. 204ff.). Unterstellt man der Trobadorlyrik nicht ein in sich geschlossenes Liebeskonzept (z.B. Frauendienst), sondern gesteht ihr eine breite, vielfältige Diskussion um die rechte Liebe zu, dann muß MF 8,9 nicht als Abwehr trobadoresker Auffassungen gedeutet werden, sondern als ein Mitsingen in einem vielstimmigen Chor. Möglicherweise ist MF 9,21–28 (Wîp vil schoene, nû var dû sam mir) durch nordfranzösische Pastourellen angeregt worden (Hrub´y 1963). Freilich darf man auch hier eine heimische vorliterarische Liedtradition nicht ausklammern. Sieht man einmal von Motivparallelen ab und fragt, ob nicht das grundlegende Selbstverständis der Trobadors, das sich in der Reflexion auf das eigene Dichten und im Selbstbewußtsein des Dichter-Ich äußert, auf den Kürenberger abgefärbt hat, so drängt sich die Strophe MF 8,1 (die möglicherweise mit 9,29 einen Wechsel bildet) als Beleg auf. Denn dort spricht eine Frau (anders Ehlert 1981) über die Attraktivität des KürenbergerGesangs und über ihr durch diese ästhetische Attraktion hervorgerufenes erotisches Begehren gegenüber ebendem rîter, der in Kürenberges wîse (8,5) so wunderbar gesungen habe. Hier finden zwei Themen und zwei Diskurse zusammen, wie es uns in all den angeblich archaischen, ‚ursprünglichen‘, ‚volkstümlichen‘ Liebesliedern nicht begegnet, die von der Forschung als Belege für eine vorhöfische Liebesdichtung beigebracht worden sind: In 8,1 wird nicht nur von Liebe gesprochen, sondern zugleich auch vom Singen/Dichten, und zwar von der Wirkung des Singens. Das künstlerische Selbstbewußtsein des donauländisch-österreichischen Sängers steigert sich in MF 9,29 zu einer offenen Absage gegenüber den erotischen Ansprüchen der frouwe. Denn wie in 8,1 Ästhetik und Erotik eine untrennbare Verbindung eingegangen sind, darf auch in 9,29 das Thema ‚Liebe‘ nicht losgelöst werden vom Thema ‚Dichtung‘: Die stolze Ablehnung erotischen Begehrens speist sich aus dem Stolz auf die eigene artistische Kompetenz. So gesehen, d.h. wenn man in den beiden Strophen nicht nur das Thema Liebe verhandelt sieht, sondern auch das Thema Dichtung berücksichtigt, zeigt dieser ‚Wechsel‘ nicht eine parodistische Ablehnung des (angeblichen) trobadoresken Frauendienst-Konzepts an (Wechssler 1902; Kasten 1995, S. 589; J. Köhler 1997, S. 76f.; anders Reuvekamp-Felber 2001, S. 400; Brunner 2005, S. 198), sondern im Gegenteil die Rezeption des ‚neuen‘ romanischen Autorkonzepts. Nimmt man hinzu, daß das Gattungsphänomen Wechsel weniger eine einheimische Liedtraditon fortführt als vielmehr – durch die Zusammenstellung zweier aus der Distanz sprechender Stimmen – ein hochartifizielles Ge-

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bilde darstellt (Braun 2011), läßt sich der ‚erste‘ deutsche Minnesänger nicht nur über einzelne (oft strittige) Motivparallelen mit der romanischen Lyrik in Verbindung bringen, sondern auch über ein neues Selbstbewußtsein als Autor, das dann auch seine Darstellung – von „Konzept“ möchte ich nicht sprechen – von Liebe und Geschlechterrollen prägt. Daß der Dichter sein Selbstlob nicht selbst ausspricht, sondern von einer weiblichen Stimme artikulieren läßt (8,1), zeigt diese Verflechtung der beiden Diskurse ‚Kunst‘ und ‚Erotik‘. Auch wenn wir für Deutschland nicht von einer solchen Aktualität der Konkurrenz von miles und clericus ausgehen können wie für Frankreich, so spricht aus 8,1 und 9,29 doch auch das Selbstbewußtsein eines laikalen, adligen Dichters (Wolf 1983, S. 204f.). Von Selbstbewußtsein, ja Selbstlob ganz anderer Art kündet die Strophe C 15 (MF 10,17): Wîp unde vederspil diu werdent lîhte zam. / swer sî ze rehte lucket, sô suochent sî den man. / als warb ein schoene ritter umbe eine vrouwen guot. / als ich dar an gedenke, sô stêt wol hôhe mîn muot. Auf den ersten Blick erscheint diese Aussage weit weg von aller trobadoresken Frauenverherrlichung zu sein. Denn das ganze weibliche Geschlecht scheint zu einer leicht verfügbaren Beute degradiert zu werden, als bloßes Objekt männlicher sexueller Potenz. Deshalb wird diese Strophe gerne für eine „frühhöfische Auffassung […] über die Liebe und die Frauen“, d.h. als Beleg für Frauenverachtung in Anspruch genommen (Kasten 1995, S. 593; dagegen schon Mertens 1988b, S. 51). Doch dieselbe Aussage begegnet in einem Lied des ‚hochhöfischen‘ Trobadors Peire Vidal, der ca. 1183–1204 dichtete (PC 364,30, Str. II): „The hawk which is caught in the net / is wild until it is tamed, / then it becomes quiet and well trained, / if it is treated gently and kindly, / it is worth much more than another when it hunts; / in just the same way, / he who wishes to love a young lady (jove dona), / must win her with kindness“ (Übersetzung: Fraser 2006, S. 169; weitere Parallele: Guilhelm de Cabestanh, PC 213,1a, Str. VII; dazu Wolf 1983, S. 207, Anm. 12). Die junge Frau, die erobert werden soll, wird einem Falken gleichgestellt, den man zähmen muß. Beide aber muß man erst ins Netz locken. Wie kommt eine solche Aussage in ein Trobadorlied, das doch angeblich die Unterordnung des Mannes unter die Frau verkündet? Die Herausgeberin von Peire Vidals Liedern ordnet dieses Lied zu Recht der trobadoresken Gattung des gap zu, sog. Prahlstrophen. Solche Prahlstrophen, die in der Trobadorlyrik öfter vorkommen (u.a. bei Wilhelm IX. von Aquitanien, Raimbaut d’Orange), gehören genauso zum Repertoire eines Trobadors wie die sog. Frauendienst-Lieder. Begreift man die Kürenbergerstrophe MF 10,17 als ein Exemplar dieser Gattung gap, wäre eine romanische Einflußnahme durchaus denkbar. Sobald man von Liebeskonzept und Frauenbild ab-

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sieht, also nicht mehr konzeptionsgeschichtlich argumentiert (wie z.B. Hensel 1997), sondern die Abhängigkeit der Aussagen von der jeweiligen Gattungszugehörigkeit wahrnimmt, also gattungshistorisch argumentiert, fällt das Urteil über Pro oder Contra eines romanischen Einflusses anders aus. Zugleich wird deutlich, wie fragwürdig es ist, von einem allzu eng gefaßten Liebeskonzept oder Frauenbild der Trobadors auszugehen und daran die deutschen Minnesänger zu messen. Daß die Kürenbergerstrophe 10,17 als Prahlstrophe intendiert war, darauf deutet gleich die erste Zeile. Denn jedem mittelalterlichen Adligen, der Greifvögel für die Vogeljagd abrichtete, war klar, daß diese Tätigkeit keinesfalls eine leichte, sondern eine zeitaufwendige, strapaziöse und auch Selbstdisziplin erfordernde Aufgabe war (Schnell 1974 u. 1994). Wer das Gegenteil behauptete, war ein Prahler. Solche Prahlerei gab es aber sicher nicht nur in Südfrankreich, sondern auch in Süddeutschland. Von solchen sexuellen Prahlereien unter Männern berichtet der Laienprediger Heinrich (von Melk?) um die Mitte des 12. Jahrhunderts (‚Von des todes gehugede‘, V. 354–372): Wo einige Ritter beeinander seien, würden sie gerne angeberisch von ihren sexuellen Erfolgen bei Frauen berichten. Für des Kürenbergers Prahlstrophe bedurfte es also nicht unbedingt romanischen Einflusses. Doch die weitgehende wörtliche Übereinstimmung zwischen der deutschen Strophe und dem Trobadorlied legt eine solche Annahme nahe, auch wenn Peire Vidals aktive Zeit nach dem Kürenberger anzusetzen ist und dieser nicht als Quelle in Frage kommt. Es zeichnen sich also vielfältige Möglichkeiten ab, den Kürenberger an die romanische Liebeslyrik anzubinden, freilich nicht in formaler Hinsicht. Engt man die Trobadorlyrik nicht auf das Frauendienst-Konzept (Unterordnung des Mannes unter die Frau) ein, sondern berücksichtigt die Vielstimmigkeit von Liebeseinstellungen, dann stellt sich die Beziehung des Kürenbergers zur romanischen Lyrik komplexer dar als zumeist angenommen. Aufgrund der Heterogenität der Rollen und Positionen auch im Kürenberger-Œuvre kann man nicht von einem verbindlichen Handlungsmuster sprechen, das in den Liedern vorgegeben wäre. Damit trifft auf ihn die Rede vom rituellen bzw. pararituellen Status volkssprachlicher Lyrik nicht zu. Dies gilt auch für die folgenden donauländischen Minnesänger, ja noch bis zu Hausen (Reuvekamp-Felber 2001, S. 394f. u. 401f., u. 2004). Was den Kürenberger jedoch von den meisten Trobadors trennt, ist der Umstand, daß die dortige Fokussierung auf die Frau als Standesperson bei ihm fehlt. Der Kürenberger verwendet wip (Geschlechtsbezeichnung) und frouwe (Standesbezeichnung) austauschbar. Dies ist bereits ein erster Hinweis dafür, daß die deutschen Minnesänger mehr von der Frau als Ge-

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schlechtswesen singen als von der Frau als Standesperson, wie dies bei den Trobadors meist der Fall ist. Eine zweite Differenz: Während bei den Trobadors (schon bei Wilhelm IX. von Aquitanien) das Sprechen zum (fiktiven) Publikum vom Text-Ich selbst thematisiert und praktiziert wird, ist es beim Kürenberger meist ein Dritter, ein Erzähler bzw. die episch-narrative Perspektive, die zwischen der Ich-Stimme und dem Publikum (der Gesellschaft) vermittelt. Im hohen Minnesang (Heinrich von Morungen, Reinmar, Walther) wird die ‚soziale Interaktion‘ zwischen Lied und Gesellschaft dann auch durch das Text-Ich vollzogen (Schnell 2011). Meinloh von Sevelingen (keine Identifikation möglich; dichtete ca. 1160/70, bei Ulm) Auch dieser Dichter wird zum sog. donauländischen Minnesang gezählt (Schweikle 1987). Zwar weist sein Œuvre (12 Strophen) vier verschiedene Strophentypen auf, doch deren Grundttyp besteht aus paargereimten Langzeilen. Es herrscht Einstrophigkeit vor; ob sich einige Strophen zu Kleinzyklen zusammenschließen, ist umstritten (Schweikle 1993, S. 379; Köhler 1997, S. 78). Mit zahlreichen unreinen Reimen zusammen ergibt dies das Bild eines in der heimischen Traditon verwurzelten Dichters. Dafür spricht auch, daß Spruchstrophen und Minnelieder nebeneinander stehen (Huber 2006). Allerdings befinden sich die Frauenstrophen (drei von zwölf Strophen) gegenüber den Mannesstrophen und einer Botenstrophe in der Minderzahl. Hinsichtlich der Motivik, Thematik und Liebeskonzeption hat die Forschung einen starken romanischen Einfluß konstatiert: das Motiv der Liebe vom Hörensagen (MF 11,1); das Motiv, daß die Liebe zur verehrten Dame keinen Gedanken mehr an andere Frauen zulasse: Ausschließlichkeit der Liebe zur Dame (11,14; 13,1) wie zum Mann (13,14); das Motiv der Geheimhaltung der Liebe: tougen minne (12,1; 14,1; 14,14); das Motiv von der Wertsteigerung des Mannes durch die Liebe (12,7); das Motiv der merkaere (13,14; 14,14); das Motiv von der Bereitschaft, in der Liebe Leid zu ertragen (12,1). Das Thema Frauenpreis (11,1; 12.27; 13,1; 15,1) sollte freilich nicht allein auf das Konto ‚romanischer Einfluß‘ gebucht werden – zumal der Frauenpreis keinesfalls eine zentrale Stellung in der Trobadorlyrik einnimmt –, sondern muß im Zusammenhang mit der rhetorischen Übung ‚Frauenpreis‘ im Lateinunterricht gesehen werden. Überdies dient der

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Frauenpreis bei Meinloh wie bei zahlreichen anderen Minnesängern nicht dem Preis der Frau an sich, sondern hat die Funktion zu erklären, warum sich das Text-Ich in den Dienst dieser Dame begeben hat (Hübner 1996, S. 59–62). Nicht die Dame steht im Zentrum der Argumentation, sondern das Ich (Kap. 1.4). Meinloh verdankt der Romania angeblich auch einige konzeptionelle Elemente: die Vorstellung von der Dienstminne (12,1; 13,1; 14,1; 14,26); die an beide Geschlechter gerichtete Forderung nach keuscher, beständiger und aufrichtiger Liebe (12,1; 12,14; 14,26). Zu diesen zahlreichen ‚Entlehungen‘ will die merkwürdige Kritik am langen Werben um eine Dame (was der Dienstminne widerspricht) und das gleichzeitige Plädoyer für eine rasche Liebeserfüllung, sofern sich dazu die Chance ergibt (12,14), gar nicht passen. Dies widerspricht ja der Forderung, in der Liebe Leid zu ertragen. Haben wir es deshalb in Meinlohs Textkorpus mit einem Aufeinanderprallen von einheimischer, vorhöfischer Liebesauffassung und romanisch-höfischem Liebeskonzept zu tun? Die Sachlage ist komplizierter, weil hier nicht frühere und spätere bzw. einheimische und ‚fremde‘ Auffassungen aufeinanderprallen, sondern Positionen, die innerhalb der romanischen Lyrik gleichzeitig auftreten. Nimmt man hinzu, daß entsprechende Belege auch in der mittellateinischen Liebesdichtung begegnen, und zwar dort, wo ovidische Gedanken der ‚Ars amatoria‘ zu greifen sind (z.B. Andreas Capellanus, ‚De amore‘ [vgl. Taiana 1977, S. 49 u. 213–223]; ‚Carmina Burana‘ 70,14; 164; 169,4; 172,2; 173,1; 175,2 u. ö.), dann darf man wohl vermuten, daß das Plädoyer für eine rasche Liebeserfüllung in der romanischen Dichtung letztlich auf Ovid zurückgreift (Dragonetti 1959, S. 29ff.; Schnell 1978, S. 89–92). Da motivische, ja sogar thematische Anleihen der Trobadors und Trovères (für ihre dilemmatischen Streitgedichte) bei mittellateinischen Autoren nichts Ungewöhnliches darstellen (Schnell 1983), darf die Frage nach fremdsprachlichem Einfluß – was den Minnesang betrifft – nicht auf die romanische Lyrik eingeengt werden. Die Meinloh-Strophe MF 12,14 lehrt aber noch ein Zweites. Daß in der Trobadorlyrik von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jh. mehr als zehn Dichter sich dafür aussprechen (bzw. aussprechen lassen), daß rasche Liebeserfüllung einem langen Werben vorzuziehen sei, paßt kaum zum Forschungsdogma vom paradoxe amoureux, wonach die Trobadors einerseits die Dame besitzen wollten, zugleich aber freiwillig auf die sexuelle Gunst der Dame verzichtet hätten, weil andernfalls ihr Liebesverlangen aufgehört hätte. Offensichtlich finden sich bei den Trobadors Äußerungen, die unserem Bild von deren Liebeskonzept entschieden widersprechen. Dann aber müssen wir dieses unser Bild ändern. Die Lösung bringt die An-

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nahme, daß in der Trobadorlyrik öfter kontroverse Positionen formuliert werden, ohne daß die eine über die andere gestellt wird (auch in den Partimen). Dieser ‚Sitz im Leben‘ bildet die Voraussetzung für eine Geselligkeitskultur (1.4). Sogar in der Anlage der Trobadorhandschriften läßt sich die Tendenz beobachten, gegensätzliche bzw. sich widersprechende Standpunkte gegeneinanderzustellen (Nichols 1999, S. 77–80). Damit lehrt uns die Meinloh-Strophe MF 12,14 ein Drittes: Während in der romanischen Lyrik widersprüchliche Positionen in gleicher Weise zu Wort kommen (Schnell 1990, S. 282–285), steht die Aussage von 12,14 merkwürdig isoliert da. Dies rührt zum großen Teil daher, daß bei Meinloh immer noch die Einstrophigkeit dominiert. Während vergleichbare Plädoyers für rasche Liebeserfüllung und gegen langes Werben in der Trobadorlyrik nur einen Ausschnitt aus einem Lied mit mehreren Strophen darstellen (z.B. Bernhard von Ventadorn, PC 70,39, Str. VII; Peire Vidal, PC 364,32, Str. III u. IV [Tenzone!]) und durch die übrigen (z.T. anderslautenden) Äußerungen im Lied ‚aufgefangen‘ und relativiert werden, erhält die Aussage in 12,14 aufgrund der Einstrophigkeit einen lehrhaft-programmatischen Anspruch. Trotz möglicher, oben angedeuteter romanischer Einflüsse entzieht Meinloh der Verlautbarung von 12,14 den in der Trobadorlyrik sicher unterstellten Spielcharakter und setzt sie quasi absolut: Sie wird zur Lehre. Damit praktiziert er ein Verfahren, das dann noch stärker bei Hausen (MF 50,19) und Rudolf von Fenis (MF 84,28) – dort sogar unter den Vorzeichen von Mehrstrophigkeit! – zu beobachten ist: Aus einer Streitfrage wird bei den Minnesängern eine Lehre. Meinloh greift also aus einer in der okzitanischen Lyrik belegbaren Diskussion konträrer Standpunkte einen einzigen heraus und erklärt ihn zum einzig richtigen (ausgerechnet eine sog. unhöfische Auffassung!). Diese Selektierung, Abstrahierung und Didaktisierung kennzeichnet den Rezeptionsprozeß in Deutschland. Denkt man aber an (auch möglichen) mittellateinischen Einfluß, so würde dies belegen, daß die Minnesänger – zumindest in den Anfängen – keine in sich geschlossene Liebeskonzeption übernommen haben, sondern sich von verschiedenen Literaturen haben anregen lassen. Der Burggraf von Regensburg (keine Identifikation möglich; dichtete ca. 1150–1180) Das schmale Œuvre, lediglich vier Strophen aus jeweils zwei paargereimten Langzeilen (mit Ausnahme eines Kurzverses in der 3. Zeile von zwei Strophen), erlaubt kaum eine präzise rezeptionsgeschichtliche Verortung.

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Die Strophenform und der Befund, daß drei von den vier Strophen Frauenstrophen sind (in denen eine Frau ihre beständige, unverbrüchliche Liebe zu ihrem Geliebten beteuert), sprechen gegen einen romanischen Einfluß (Schweikle 1989a; Boll 2007, S. 182ff.). Daß die Frau bekennt, sie sei einem Ritter untertân (MF 16,2), paßt ebensowenig dazu. Auch die Verbindung einer Frauen- und Mannesstrophe zu einem Wechsel (16,15 u. 16,23; Köhler 1997, S. 81–83) trennt den Regensburger von den französischen Dichtern. Überdies fehlt wie beim Kürenberger die Abgrenzung von wîp (Geschlechtsbezeichnung) und frouwe (Standesbezeichnung). Allenfalls die Erwähnung der merkaere (16,19), die der Frau ihre Liebschaft neiden, könnte westlichen Einfluß (lauzengiers) vermuten lassen (Lüderitz 1904, S. 15–17; anders Spanke 1943, S. 81f.; Kasten 1986, S. 225). Der Burggraf von Rietenburg (keine Identifikation möglich; vielleicht mit dem Burggrafen von Regensburg identisch [zuletzt Brunner 2005, S. 204]; dichtete ca. 1170/85) „Riedenburgs Sammlung [7 Strophen] ist neben der Dietmars [von Eist] die erste, in der eine ‚modernere‘ Formensprache angestrebt wird“ (Schweikle 1992, Sp. 65). Diese Formensprache läßt romanischen Einfluß vermuten. Statt der Langzeile erscheint nun der Vierheber, überdies dominiert eindeutig die Stollenstrophe (Ausnahme: Strophe II): Vier Lieder (Strophen) weisen stolligen Bau auf (MF 18,1; 18,25; 19,17; 19,27). Der Rietenburger erweitert auch das Repertoire der Reimbindungen, indem er über den traditionellen Paarreim hinaus den umarmenden Reim und den Kreuzreim verwendet. (Freilich finden sich darunter auch noch unreine Reime.) Die Überlieferung dieses Dichters zeigt den seltenen Fall, daß ein Text innerhalb der deutschsprachigen Überlieferung, d.h. sozusagen postum, an die romanische Lyrik herangerückt wird. Während die sieben erhaltenen Strophen in dem Budapester Fragment (Ende 13. Jh.) in je zwei Langzeilen angeordnet sind, erscheinen sie in Hs. C (Anfang 14. Jh.) als vier kreuzreimende Kurzverse. Dazu waren einige Eingriffe in den ursprünglichen Text notwendig (Worstbrock 1998; Neukurchen 2001; Janota 2001; Boll 2007, S. 182ff.). Diese nachträgliche ‚Modernisierung‘ der ‚altdeutschen‘ Langzeile ist natürlich nicht einem direkten Einfluß der Romania zu verdanken, sondern einer Angleichung an den klassischen deutschen Minnesang, aber indirekt ist auch eine solche Veränderung von der Langzeile zum Kurzvers und die Angleichung an die Kanzonenform dem generellen Rezeptionsprozeß geschuldet. Besäßen wir die Budapester Fragemente

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nicht, würden wir den Burggrafen vom frühen Minnesang wegrücken und in eine spätere Phase setzen. Damit stellt sich erstens die Frage, ob in den Liderhandschriften des 13./14. Jahrhunderts überhaupt etwas vom älteren Minnesang in der ursprünglichen Form erhalten ist, und zweitens die Frage, ob nicht weitere Dichter, bei denen wir die spätere Transformation in der Überlieferung nicht so schön dekonstruieren können, eher der früheren Phase zuzuschlagen sind. Glücklicherweise hat der Schreiber in Hs. C nicht alle Texte des frühen Minnesangs so entscheidend umgeformt (s.o. zum Kürenberger). Auch inhaltlich geht der Rietenburger mit den neuen Tendenzen in der Romania zusammen. Zwar findet sich bei ihm auch noch eine Frauenstrophe (MF 18,1, mit 18,9 zu einem Wechsel verbunden), doch herrscht nun die Perspektive des männlichen Ich vor; wir erleben eine starke Egozentrierung des Sprechers (Hensel 1997, S. 195). Das Text-Ich ergeht sich allerdings nicht in bloßer Klage über unerfüllte Liebe, sondern artikuliert auch die Freude über glückliche oder hoffnungsvolle Liebe (MF 18,9; 18,17; 19,17). Die Vorstellung vom langen Bemühen um die Gunst der Dame bzw. vom Minnedienst des Mannes schlägt sich nieder in 18,9; 18,17 u. 19,27. Die Bereitschaft zum Leiden in der Liebe artikuliert sich in 18,25 u. 19,27. Zahlreich sind mögliche Motivparallelen (vgl. auch Touber 1998c, S. 289), z.B. die Vorstellung (MF 19,17), daß man in den Anstrengungen um die Gunst der Dame gleichsam wie das Gold im Feuer geläutert werde (Peirol, vgl. MF III/2, S. 341 u. 527; überdies Peire von Auvergne, Ausg. Zenker, Nr. IX2, Str. V; Guilhelm Ademar, Ausg. Almquist, Nr. X, Str. II). Auch die Beteuerung, aus Liebe zu der einen Dame auf alle anderen Frauen zu verzichten bzw. keine andere Frau zu begehren (MF 18,25), ist ein Topos in der Trobadorlyrik. Das als Adynaton formulierte Ansinnen an die Dame, erst solle sie ihre Schönheit und ihre Tugenden ablegen, bevor er sich von ihr trenne – angeblich eine Forderung der Dame (19,27) –, findet sich bei Folquet de Marseille (dichtete ca. 1179 bis 1195; vgl. MF III/2, S. 341f. u. 527; Lehfeld 1876, S. 369f.). Später wird Hiltbolt von Schwangau dies wiederholen (KLD 24, Lied 18, Str. II). Das Vorkommen eines Natureingangs (MF 18,17; 19,7) hingegen scheint mir wenig über mögliche Abhängigkeiten auszusagen. Die Interdependenzen von lateinischer, romanischer und deutscher Liebeslyrik in diesem Punkte sind kaum mehr zu entwirren (anders Touber 2005b u. c). Die formale, thematische und konzeptionelle Nähe des Rietenburgers zur romanischen Lyrik macht es wahrscheinlich, daß MF 18,25 als (rein formale) Kontrafaktur einer französischen Vorlage zu deuten ist (Aarburg 1961, S. 418–421; MF II, S. 69).

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Wie beim Kürenberger stoßen wir auf ein Phänomen, an dem sich meines Erachtens der Einfluß romanischer Dichtung am wirkmächtigsten zeigt: an der Reflexion auf das eigene Singen, d.h. auf einen poetischen Metadiskurs, der das Thema Liebe begleitet. Dadurch daß die direkte, unmittelbare Bekundung von Liebe durchbrochen wird von Hinweisen auf das Mittel der Liebesäußerung, auf das Lied und das Singen, behält das Text-Ich stets eine gewisse Distanz zur eigenen Liebesäußerung. Dies grenzt die höfische Lyrik entscheidend von den (angeblich?) ursprünglichen Liedern der heimischen Tradition ab. Beim Rietenburger liest sich das so: noch ist mîn rât, / daz ich niuwe mînen sanc (MF 19,12f.); swaz ich singe, daz ist wâr: / gluotes ez iemer mê, / ez wurde bezzer vil dan ê (19,24–26). Im letzten Beispiel verschlingt sich das Hoffen auf die Vervollkommnung der Liebe (wie des Goldes im Feuer) mit der Hoffnung auf die Perfektionierung des Gesangs. Mit dieser Engführung von Lieben und Dichten schließt der Rietenburger an eine zentrale Errungenschaft der romanischen Lyrik an. Dietmar von Eist (keine Identifikation möglich; dichtete ca. 1150/80 in Oberösterreich) Die Stellung Dietmars von Eist zur romanischen Liebeslyrik ist schwer zu bestimmen, weil nicht sicher ist, ob alle 42 Strophen (16 Lieder), die in Hs. B (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. HB XIII 1) oder in Hs. C diesem Dichter zugeordnet werden, auch tatsächlich von Dietmar stammen. Überlieferungsgeschichtlich angemessener wäre es, von einem Textkorpus zu sprechen, das unter dem Namen ,Dietmar von Eist‘ erhalten ist. Gemeinhin als echt gelten die Lieder I, II und III; unsicher ist die Zuschreibung von IV, V, XI u. XIII. Die übrigen Lieder werden Dietmar abgesprochen (Tervooren 1980; Schweikle 1993, S. 388–394). Billigt man Dietmar jedoch eine künstlerische Entwicklung zu (von der Einzel- zur Mehrstrophigkeit, von der Langzeile zur Kurzzeilenstrophe, und innerhalb dieser Form von der paargereimten [IV, V, XIII] zur Stollenstrophe [VIII, IX, X, XIV, XVI]), stellt sich die Frage der Echtheit neu. Eine Kombination von Lang- und Kurzzeile bilden Lied I (MF 32,1), II (32,13), VI (34,19), VIII (36,5), IX (36,23), XI (37,30) u. XII (38,32). Der trobadoresken Mode, zwei oder mehr Strophen durch gleiche Reimfüllung zu verknüpfen (coblas doblas bzw. ternas), nähert sich (Ps.-)Dietmar dadurch an, daß er mit Reimresponsionen arbeitet (Lied XI: 37,30; XII: 38,32; XV: 40,19). Mit seinen Kreuzreimen (Lieder VI bis X u. XVI) weist Dietmar

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auf Hausen voraus, die zahlreichen Assonanzenreime zeigen die Bindung an eine ältere Tradition. Dietmar von Eist bzw. die ihm zugeschriebenen Lieder repräsentieren den formalen Übergang von der heimischen Formtradition zu einer von der Romania beeinflußten Formkunst. (An Einfluß durch die mittellateinische Vagantenzeile denkt H. Brinkmann 1926, S. 123f.). Entsprechend reichhaltig ist das Gattungsrepertoire. Die meisten Lieder verbinden Frauen- und Männerstrophe, sei es in der Form des Wechsels oder des Dialogs (I 1 u. 2, II, III 4–5, VII, VIII, XI, XII, XIV, XV); daneben (in der Minderzahl) begegnen das reine Frauenlied (IV, V), das reine Manneslied (VI, IX, X, XVI) und das Tagelied (XIII). Ob sich der Natureingang (II, III 3) provenzalischem (Touber 1998c, S. 289) oder mittellateinischem Einfluß (Tervooren 1980, Sp. 97) verdankt, ist kaum zu entscheiden (s.o. zum Rietenburger). Ebensowenig ist klar, ob das Motiv „Erst jetzt erfahre ich, was Liebe ist“ (35,5; vgl. auch Friedrich von Hausen, MF 50,35) auf mittellateinischen (Marbod, Liebesbriefgedichte, Ausg. Bulst, Nr. 24, S. 184 [289]) oder auf provenzalischen Einfluß zurückgeht (Bernhard von Ventadorn, Ausg. Appel, Nr. 5,2 u. 43,2). Zum Teil ähneln sich die Geschlechterrollen: In den Frauenstrophen dominiert die Vorstellung von der an der Liebe leidenden, die Liebe als bedroht ansehenden und den Mann herbeisehnenden Frau; auch der Mann trägt schwer an seiner Liebe zur Dame (MF 32,9) und leidet unter der Trennung (32,13; 34,19). Man gewinnt den Eindruck einer bereits bestehenden Liebespartnerschaft (uns und wir in Lied XIV; dazu paßt das Tagelied 37,30 = Lied XI). Der ‚Dienst‘ des Mannes (38,2) findet seine Parallele im ‚Dienst‘ der Frau (35,33). Eine ganz andere (einseitige) Liebeskonstellation präsentieren einige der Dietmar abgesprochenen Lieder bzw. Strophen: Der Mann ordnet sich ganz der Frau unter (MF 38,32; 40,19; Anm. 249,2) und erhofft deren genâde für sich (36,34; 40,19; Anm. 249,2). Von einer Liebespartnerschaft kann auch im Wechsel (40,19) keine Rede mehr sein. Nur eine einzige Strophe (36,23) bietet einen (individuellen) Frauenpreis (bezeichnend aber, daß diese Strophe in Hs. B Reinmar zugeschrieben wird). Der Einfluß der romanischen Lyrik schlägt sich auch in einigen Äußerungen zur Wirkung der Liebe nieder: Der Mann glaubt, in und durch die Liebe zur Dame besser geworden zu sein (33,23); ja er ist überzeugt, daß die geliebte Frau ihn diszipliniert und zivilisiert habe (38,32). Diese Auffassung von der Frau als Erzieherin des Mannes und als einer Zivilisationsinstanz wird dann zu einem Grundtenor des höfischen Verhaltensprogramms vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Provenzalischen Einfluß bei Dietmar läßt auch

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die Überzeugung des Mannes vermuten, er habe durch den Dienst gegenüber der Dame Anspruch auf Lohn (39,4 u. 39,11). Die Warnung vor dem Sich-selbst-Rühmen (33,31) fügt sich zwar gut in den höfischen Verhaltensstandard ein, könnte aber auch durch christliche Moraldidaxe bedingt sein. Eine mögliche (rein formale) Kontrafaktur ist für das Lied VII (35,16) zu erwägen (Aarburg 1961, S. 413f.; Bernhard von Ventadorn, PC 70,43). Die von mir bereits mehrfach erwähnte Gewohnheit der romanischen Lyriker, das Text-Ich sich nicht nur über seine Liebe, sondern auch selbstbezüglich über sein Dichten und Singen äußern zu lassen – und damit die Kommunikation zum realen Publikum in der Aufführung zu stärken –, begegnet bei (Ps.-)Dietmar zwei Male. Hier in der Form, daß er – quasi abseits vom monologischen Sprechen des Ich über seine Liebe – sich mit einem nu sehent (MF 34,36) bzw. seht (35,11) direkt an sein (fiktives wie reales) Publikum wendet. Das Reden über die Dame wird also eingebettet in das (schon immer vorhandene, aber selten thematisierte) Sprechen zum Publikum. Blickt man auf die weitere Entwicklung des Minnesangs, erkennt man in diesen zwei seht den Anfang einer Redefigur, die im klassischen Minnesang immer mehr an Attraktivität gewinnt: die ‚Interaktion‘ des Text-Ich mit dem Publikum (Schnell 2011). (Kaiser) Heinrich (VI.) Die in Hs. B und C unter dem Namen „Kaiser Heinrich“ versammelten acht Strophen (3 Lieder) werden heute gemeinhin Kaiser Heinrich VI. (1165–1197), dem Sohn Kaiser Friedrichs I., zugeschrieben (Schweikle 1981 u. 1993, S. 506f.; Brunner 2005, S. 219). Auf dem berühmten Mainzer Hoffest 1184, bei dem mutmaßlich auch französische und deutsche Minnesänger (z.B. Veldeke) anwesend waren, fand Heinrichs Schwertleite statt. Seine Verlobung mit der normannischen Prinzessin Konstanze im selben Jahr dürfte Heinrich überdies mit der französischen Lyrik bekannt gemacht haben. Doch ist bei Heinrich VI. auch Beeinflussung durch (bereits ‚romanisierte‘) deutsche Minnesänger (Friedrich von Hausen, Bernger von Horheim u.a.; f Minnesang II, Kap. 2.4) denkbar. Daß Heinrich der Phase des Übergangs vom frühen zum sog. rheinischen (höfischen) Minnesang zugehört, zeigt sich in formaler wie inhaltlicher Hinsicht (anders Kasten 1988, S. 173). Bezeichnenderweise ist die formgeschichtliche Bestimmung der beiden ersten Töne (MF 4,17 u. 4,35) umstritten: Haben wir es mit Stollenstrophen oder Langzeilenstrophen zu tun (Schweikle 1981 u. 1993, S. 509)? Die vier Stollenstrophen des dritten

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Liedes (5,16) „bestehen aus gemischt-daktylischen Vierhebern (evtl. eine freie Nachbildung des romanischen Zehnsilblers)“ (Schweikle 1981, Sp. 680). Mit ihren reinen Reimen folgen die Lieder ebenfalls dem neuen Trend; mit den Liedtypen Wechsel (4,17) und Frauenlied (4,35 – oder auch ein Wechsel?) schließt Heinrich hingegen an die heimische Tradition an. Doch auch im Liedtyp Wechsel lassen sich neue Einstellungen vernehmen. So hat die geliebte Dame aufgrund ihrer tugende den Mann von seinen Sorgen befreit (4,21f.); umgekehrt hängt dessen staetez herze der Dame an (4,25). Neues bringt auch das dritte Lied (5,16), obwohl es kein Frauenpreislied ist (anders Schweikle 1993, S. 507). Immer wieder wird in der Forschung von Frauenpreis gesprochen, wo es sich in Wirklichkeit um eine Minnereflexion handelt, so auch hier. Zwar beginnt das vierstrophige Lied mit einem Gruß an die Dame, doch die Strophen 2 bis 4 widmen sich ganz dem psychischen Zustand des Mannes: Fast in jeder Zeile begegnet das Personalpronomen ich bzw. mir. Thema dieses Liedes ist die (durch eine Frau verursachte) Wirkung der Liebe auf den Mann, nicht ein Lobpreis der Dame. An diesem dritten Lied Heinrichs VI. zeigt sich überdies die entscheidende Wende, auf die ich wiederholt aufmerksam gemacht habe: die Verquickung des Themas Liebe mit Reflexionen auf die Tätigkeit des Dichtens/Singens. Das Text-Ich verweist nicht nur auf seine Liebe, sondern zugleich auf sein Dichten bzw. Singen (und dessen Voraussetzungen und Funktionen). Heinrich beginnt sein drittes Lied so: Ich grüeze mit gesange die süezen, / die ich vermîden niht wil noch enmac (5,16f.). Er habe, so fährt er fort, seine Dame schon lange nicht mehr persönlich grüßen können (5,18f.). Wer auch immer jedoch sein Lied (diese Strophen) der Dame vortrage, der solle sie von ihm grüßen: Swer nu disiu liet singe vor ir, / der ich sô gar unsenfteclîch enbir, / ez sî wîp oder man, der habe si gegrüezet von mir (5,20–22). Diese Aussage betrifft nicht nur die Beziehung Werbender/Dame, sondern auch den künstlerischen und gesellschaftlichen Stellenwert des Liedes. Denn mit der Formulierung „Wer auch immer dieses Lied vor der Dame singe“ setzt der Dichter voraus, daß sein Lied so gut sei und deshalb einen solchen Bekanntheitsgrad erlange, daß es von anderen weiter verbreitet werde. Mit dem zweimaligen Hinweis auf sein Lied und sein Singen lenkt das Text-Ich die Aufmerksamkeit der Hörer und Hörerinnen vor allem auf das ästhetische Produkt selbst und auf dessen Performance, nicht auf die Inhalte, die dieses Produkt vermittelt. In der letzten Strophe nimmt der Sänger die Kommunikation mit dem (imaginierten) Publikum wieder auf, wenn er unterstellt, daß jeder (5,37: swer) Sünde auf sich lade, der nicht glaube, daß er, der Sänger, keinen Tag ohne seine Dame leben könne. Ohne seine Dame vermöchte er weder Frauen noch Männern Freude zu schenken

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(6,3). Damit spielt der Dichter/Sänger wieder auf seine gesellschaftliche Funktion an, mit seinem Minnelied der Gesellschaft Freude zu spenden. So aber entfernt sich dieses Lied weit von den üblichen ‚ursprünglichen‘ Liebesliedern, die einfach nur Liebesschmerz oder Liebesglück ausdrükken. (Sogar in dem Wechsel bzw. Frauenlied 4,35 durchbricht die [meines Erachtens] männliche Stimme den ‚Gesprächsrahmen‘ und wendet sich direkt an das Publikum [5,13]: nu merkent, wie ich daz meine). Das Markenzeichen der romanisch-höfischen Liebeslyrik, nämlich das Sprechen/Singen über die Rolle der Liebe hin zur Gesellschaft (Kuhn 1961, S. 173f.), hat sich auch Heinrich VI. angeeignet.

1.7 Zusammenfassung Die Anfänge des deutschen Minnesangs zeigen ein recht disparates Bild des romanischen Einflusses. Es ist keine einlinige Entwicklung zu erkennen, sondern eine Vielfalt recht unterschiedlicher Ansätze, sich der ‚neuen Mode‘ zu öffnen. In formaler Hinsicht (Langzeile, unreine Reime, Frauenstrophen) wird noch recht lange an der eigenen Traditon festgehalten. Doch auch hier steht bald Neues (Kurzvers, Stollenstrophe, reiner Reim, Tendenz zur Mehrstrophigkeit) neben Altem. Was Motivik, Thematik und Konzeptionelles betrifft, scheint eine fast beliebige Selektion bei der Rezeption der romanischen Lyrik zu herrschen. Auch hier vermag sich das Neue nur sehr zögerlich durchzusetzen. Von einer gezielten Übernahme zentraler Vorstellungen läßt sich kaum sprechen. Doch bei der Bearbeitung des ‚fremden‘ Liedguts deuten sich einige Tendenzen an, die sich in den späteren Dichtergenerationen fortsetzen, dann aber z.T. auch wieder zurückgenommen werden, als das Neue selbst zur Konvention wird. Als entscheidende Anregung durch den romanischen Minnesang ist die poetische Reflexion anzusehen. Neben das ‚Bekenntnis‘ der Liebe tritt die Thematisierung der künstlerischen Vermittlung dieser Liebe. Damit löst sich der deutsche Minnesang allererst von seinen volkssprachlich-heimischen Wurzeln. Dieser Vorgang entfaltet in den nächsten zwei Jahrzehnten eine erstaunliche Dynamik und sorgt dafür, daß dem Publikum immer stärker ins Bewußtsein tritt, daß die ‚leiden‘-schaftlichen Klagen des Sängers letztlich vor allem eines sein wollen: Kunst. Nicht nur in der Kunst des Liebens, sondern auch in der Kunst des Redens über die Liebe wollte sich die höfische Gesellschaft – bzw. diejenigen, die sich dazu rechneten – auszeichnen. Ars amandi und ars dicendi gingen eine anspruchsvolle Verbindung ein, wobei die Romania der volkssprachlichen Germania zeitlich voranging.

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Einleitung

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2 Minnesang II: Der deutsche Minnesang von Friedrich von Hausen bis Heinrich von Morungen (ca. 1170–1190/1200) von Rüdiger Schnell 2.1 Einleitung – 2.2 Forschungsaspekte – 2.3 Fallbeispiel: Rudolf von Fenis, MF 84,10 – 2.4 Die einzelnen Minnesänger – 2.5 Schlußbemerkung

2.1 Einleitung In diesem Kapitel sind sieben Problemaspekte anzusprechen: 1) Welche Entwicklung hat der deutsche Minnesang in dem Zeitraum von ca. 1170–1190/1200 genommen? 2) Welchen Anteil an dieser Entwicklung hatte der Einfluß (bzw. die Rezeption) der romanischen Liebeslyrik? 3) Welche Gründe sind für die Übernahme der romanischen Vorbilder verantwortlich zu machen? 4) Welche Veränderungen haben die deutschen Minnesänger an ihren Vorlagen vorgenommen, oder generell gefragt: Wodurch unterscheidet sich der deutsche Minnesang dieses Zeitraums von der romanischen Liebeslyrik? Diese Fragen erfordern zugleich Überlegungen darüber, warum überhaupt die Minnesänger Veränderungen an ihren romanischen Modellen vorgenommen haben und wie es zu erklären ist, daß der deutsche Minnesang trotz umfänglicher Rezeption des romanischen Minnesangs ein eigenes Profil hervorgebracht bzw. bewahrt hat. 5) Haben sich während dieses Zeitraums von ca. 1170–1190/1200 Art und Umfang des romanischen Einflusses verändert? 6) Dürfen wir beim Publikum des deutschen Minnesangs Kenntnis der jeweiligen romanischen Vorlagen voraussetzen? Dürfen wir (folglich) heute unklare Stellen deutscher Minnelieder mit Hilfe der romanischen Vorlagen ‚besser‘ verstehen? 7) Gibt es Indizien dafür, daß der Rezeptionsvorgang auch in umgekehrter Richtung erfolgte: Haben Minnesänger auf Trobadors oder Trovères eingewirkt?

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Minnesang II: Der deutsche Minnesang von 1170 bis 1190/1200

2.2 Forschungsaspekte Entwicklung des Minnesangs – Nachweismöglichkeiten und Merkmale romanischen Einflusses – Gründe für die Rezeption romanischer Liebeslyrik – Transformationsregeln – Umfang und Reichweite des romanischen Einflusses – Kenntnisse des Publikums – Rezeptionsvorgang auch in umgekehrter Richtung?

Entwicklung des Minnesangs „Um 1170 ändert sich der Charakter des deutschen Minnesangs“ (Touber 2005c, S. 62). Festgemacht wird dieser Umbruch am Liedœuvre Friedrichs von Hausen (dieser Dichter ist erstmals 1171 urkundlich bezeugt und am 6. Mai 1190 auf dem 3. Kreuzzug tödlich verunglückt). Die mit Hausen einsetzende Entwicklung des deutschen Minnesangs zwischen 1170 und 1190/1200 wird gemeinhin anhand formaler, gattungsgeschichtlicher, thematischer, motivischer, minnekonzeptioneller und poetologischer Aspekte so beschrieben (f Minnesang I, Kap. 1.4): größere Raffinesse in der formalen Gestaltung (Mehrstrophigkeit, Stollenstrophe [Kanzonenform], iso- und heterometrischer Strophenbau, anspruchsvolle, raffinierte Reimschemata, reiner Reim, sog. mhd. Daktylen); neue Liedgattungen wie Kreuzzugslied und Leich, dafür Zurückdrängen der Frauenstrophen; thematische Dominanz des leidvollen Dienstes gegenüber der Frau, introvertierte Gedanklichkeit des Ich (‚Seelenanalyse‘), ständiger Spannungszustand zwischen Freude und Schmerz, Hoffnung und Verzweiflung (wân-Minne), zugleich eine wachsende Tendenz zur Thematisierung des Singens/Dichtens (poetologische Reflexivität); neue Motive wie Sinnenverwirrung des Mannes, Fernliebe, Sterben aus Liebe, die Figur des Aufpassers und Neiders, Verstummen vor der Dame; konzeptionelle Auseinandersetzung zwischen Minne- und Gottesdienst, Liebe als Sinn des Lebens, als Quell alles Guten konzipiert, Liebeserfüllung als kaum erreichbares Ziel und doch zugleich als Lohn für Dienst vorgestellt, schließlich aber der Gnade der umworbenen Dame anheimgestellt, also ein paradoxes Minnekonzept. Doch wird man nicht so weit gehen können, Friedrich von Hausen allein für den skizzierten Umbruch verantwortlich zu machen oder für ihn schon alle genannten Merkmale zu reklamieren. Erstens konnten wir bemerkenswerte Veränderungen bereits in der ersten Phase des Minnesangs (ca. 1150–1170) konstatieren (etwa Meinloh, MF 12,28; Dietmar, MF 38,33f.) und mußten folglich von Dichtern des Übergangs sprechen

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(Dietmar von Eist, Burggraf von Rietenburg u.a.; f Minnesang I, Kap. 1.6; vgl. auch Touber 1998b, S. 285–289). Zweitens bleiben auch in dieser zweiten Phase noch ältere Traditionen – wenn auch spärlich – wirksam (Halbreime, Langzeilen, Einstrophigkeit, Frauenstrophen). Drittens ist die Vorstellung von einem ‚rheinischen Minnesang‘ (‚staufischen Kreis‘) – sie suggeriert Homogenität in dieser zweiten Phase des Minnesangs – bzw. von einer ‚Hausenschule‘, für die Friedrich von Hausen traditionsbildend gewirkt habe, in die Kritik geraten (Touber 2005c). Dieser Kritik zufolge würden die der ‚Hausenschule‘ zugerechneten Autoren Bligger von Steinach, Bernger von Horheim und Ulrich von Gutenburg nicht auf Hausen zurückgreifen, sondern ihre ‚Modernität‘ dem direkten Rückgriff auf romanische Vorbilder verdanken. Nachweismöglichkeiten und Merkmale romanischen Einflusses Damit ist bereits der Zusammenhang von Entwicklung des deutschen Minnesangs und romanischem Einfluß angesprochen. Man spricht gerne von der „romanisierenden Phase“ des deutschen Minnesangs in diesem Zeitraum (Bumke 1986, S. 130; Mertens 1997, S. 15). Tatsächlich haben zahlreiche damals auftretende Minnesänger romanische Vorbilder nachgeahmt. Fast alle (formalen und inhaltlichen) Merkmale der eben skizzierten Entwicklung lassen sich in der romanischen Liebeslyrik nachweisen (auch etwas scheinbar so Nebensächliches wie die daktylische Versfüllung, der Binnenreim oder die Durchreimung einer Strophe). Es liegt also nahe, die Entwicklung des Minnesangs und die Rezeption der romanischen Lyrik zusammen zu sehen und sie als interdependente Prozesse zu sehen (Bumke; Kasten 1986; Mertens 1997 u.a.). Freilich sind Art, Umfang und Reichweite der Rezeption romanischer Liebeslyrik gerade für den Zeitraum von 1170–1190/1200 in der Forschung umstritten. Dabei sind mehrere Forschungsphasen abzugrenzen. Lange Zeit (von Johann Jakob Bodmer 1749 bis zur Mitte des 20. Jh.) hatte man sich begnügt, vornehmlich auf Motivparallelen aufmerksam zu machen. Gleichwohl wagte man in eben diesem Zeitraum schon umfassende Charakterisierungen des deutschen Minnesangs im Vergleich mit der romanischen Liebeslyrik (vgl. Kasten 1986, S. 12–15). Das Resultat der Quellennachweise ist dokumentiert in MF III/2 und MF III/1. Es fehlte jedoch an detailorientierten Textvergleichen, die die Spezifika der literarischen Rezeption herausgearbeitet hätten. Deshalb mußten die seit ca. 1900 bis in die 70er Jahre des 20. Jh. entwickelten literatursoziologischen

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Thesen zu den unterschiedlichen Trägerschichten in Germania und Romania – mit deren Hilfe unterschiedliche Minnekonzepte erklärt werden sollten – von vornherein auf schwachen Füßen stehen (dazu LiebertzGrün 1977). In dieser Tradition steht auch noch – insofern sie auf präzise Textvergleiche verzichtet und größtenteils mit Textfragmenten operiert – die Studie von Ingrid Kasten (1986), die die Funktion eines Minnelieds, dessen Liebeskonzept und die soziale Stellung des Sängers ‚kurzschließt‘. Einen Neuanfang leitete Olive Sayce (1996 u. 1999) mit zwei Monographien ein, in denen sie jeweils ein deutsches Minnelied dem jeweiligen romanischen Vorbild in seiner Gänze gegenüberstellte. Allerdings zielten die Äußerungen Sayces eher auf rein formale und sprachliche Korrespondenzen, weniger auf konzeptionelle Aspekte. Sayces Neuansatz wäre freilich nicht möglich gewesen ohne die grundlegende Dokumentation von István Frank (1952), in der 26 deutsche Minnelieder (von Albrecht von Johansdorf bis Reinmar) mit ihren jeweiligen (angeblichen) romanischen Vorlagen abgedruckt und die Strophenschemata und Überlieferungsvarianten der romanischen Lieder angegeben wurden. Während aber Frank (1952) alle mhd. Texte einbezogen hatte, die sich inhaltlich oder formal in die Nähe einer romanischen Vorlage rücken ließen, grenzte Sayce (1999) ihr Korpus auf die Texte mit genauen inhaltlichen und sprachlichen Korrespondenzen ein. Für die Forschungsgeschichte der romanisch-deutschen Literaturbeziehungen ist es bezeichnend, daß Franks Grundlagenarbeit von 1952 in der Germanistik bis Sayce (1996 u. 1999) weitestgehend unbeachtet blieb. Was Sayce noch vermissen ließ, holte Zotz (2005) nach, indem sie detaillierten Textvergleich mit der Frage nach möglichen Differenzen in der Minnekonzeption verband. Freilich scheint Zotz in der Frage ‚Abhängigkeit oder Eigenentwurf‘ zuweilen übers Ziel hinausgeschossen zu sein, insofern sie für manche Lieder zweifelhafte romanische Vorlagen behauptete (vgl. die Rezensionen von Peters 2006; ReuvekampFelber 2007). Ohnehin wird es in der Frage, ob dieses oder jenes Motiv, dieses oder jenes Thema entlehnt oder aber unabhängig von romanischen Liedern verwendet wurde, immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Auch Sayce (1999) wurde vorgehalten, manche der von ihr postulierten Abhängigkeitsverhältnisse seien spekulativ (Luff 2002). In der Frage der Abhängigkeit deutscher Minnesänger von romanischen Modellen hat die Musikwissenschaft seit den 1920er bis in die 1960er Jahre erhellendes Material zusammengetragen (Spanke 1929; Gennrich 1961 [1948/50]; Aarburg 1961 [1956/57]), begünstigt durch den Umstand, daß – im Gegensatz zur Überlieferung des Minnesangs – zahlreiche romanische Lieder mit ihren Melodien überliefert sind. Um

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einen Vergleich zwischen romanischen und deutschen Liedern zu ermöglichen, hat die Musikwissenschaft für den deutschen Minnesang auf die an den überlieferten Texten ablesbaren Strophenformen zurückgegriffen. Bei identischer Strophenform wurde auf Einfluß des romanischen Modells und auf eine identische Melodie geschlossen: Das deutsche Lied sei auf die in den romanischen Handschriften schriftlich fixierte Melodie gesungen worden, auch wenn es einen anderen Inhalt aufwies (Kontrafaktur). Die musikwissenschaftliche Forschung war also auf rein formale Parallelen fokussiert. Demzufolge hätten sich die deutschen Autoren vor allem für die reizvollen, wirkungsmächtigen Melodien interessiert, weniger für die Inhalte und Konzepte der romanischen Lieder. Möglicherweise übte deren musikalische Novität eine genausostarke Anziehungskraft aus wie die textuell-konzeptuelle Neuheit. Schweikle (1984, S. 37) meint sogar, daß „wohl primär die Melodie die Kontaktstelle [zwischen romanischem und deutschem Minnesang] bildete“. Die bloß musikalische Übernahme eines romanischen Liedes ist nachweisbar, denn es gibt deutsche Minnelieder, bei denen Strophenschema und Inhalte (Motive) verschiedenen romanischen Liedern entlehnt wurden. Doch die Ergebnisse der musikwissenschaftlichen Forschung haben sich mit Einwänden auseinanderzusetzen. Damit stehen auch die musikwissenschaftlichen Erkenntnisse über die Kontrafakturen im deutschen Minnesang auf dem Prüfstand: 1) Den Musikwissenschaftlern war meist nur ein sehr begrenzter Ausschnitt aus der Trobador- und Trovèrelyrik bekannt. Da aber, wie wir heute wissen, viele romanische Lieder dieselben Strophenschemata (Zeilenzahl, Hetero-/Isometrie, Hebigkeits- bzw. Silbenzahl pro Vers, Reimschema) aufweisen, ist die Zuordnung eines deutschen Liedes zu einem bestimmten romanischen Lied problematisch. 2) Die Gleichsetzung von Strophenschema (eines deutschen Liedes) und Melodie (eines romanischen Liedes) hat mit Unsicherheiten zu kämpfen: Die Bestimmung des Strophenschemas eines Liedes kann unterschiedlich ausfallen; die Gleichsetzung von Strophenschema und Melodie ist ebenfalls forschungsgeschichtlich brisant. Beides sei kurz ausgeführt: Neueren großangelegten Versuchen, mittels eines Vergleichs romanischer und deutscher Strophenschemata mögliche formale Einflüsse der Romania aufzuspüren (Touber 1998a; 2005a u. c), sind zwar wichtige Einsichten zu verdanken. Doch müssen sie sich mit dem Einwand auseinandersetzen, daß die metrische und rhythmische Bewertung zahlreicher deutscher Minnelieder sehr unterschiedlich ausfallen kann (vgl. z.B. Kasten 1995, S. 624, 627f., 631 u. ö.; vgl. auch Schweikle 1977 [1993], S. 39–43

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u. 414–564, u. 1984, S. 38f.). Somit sind die Resultate des Formenvergleichs mit Unsicherheiten belastet. Überdies lassen sich die formtechnischen Eigenheiten des (auf dem Hebigkeitsprinzip basierenden) deutschen Minnesangs auch mit den ausgeklügeltsten Transformationsregeln (Sayce 1999, S. 11; Touber 2005a) nicht immer zweifelsfrei mit den (auf dem Silbenprinzip gründenden) romanischen Strophenschemata verrechnen. Schließlich wird zu bedenken gegeben, daß von gleichen Strophenschemata nicht stets auf Ton- bzw. Melodiegleichheit geschlossen werden darf. Für ein und dasselbe romanische Lied sind zuweilen mehrere Melodien überliefert (vgl. etwa R. 264 u. 1125). Überdies ist sich die Forschung hinsichtlich der ‚Interpretation‘ der überlieferten mittelalterlichen Notationen keineswegs einig (Stablein 1982; Schweikle 1989, S. 40f.). Die Entscheidung für eine Deutung der Notation gemäß der mittelalterlichen Theorie der sechs Modi ist durchaus nicht die einzig mögliche. In einem Punkt jedoch hat uns, den Philologen, die musikwissenschaftliche und formengeschichtliche Forschung eine neue Sicht eröffnet: Die vielzitierte romanische Rezeption betrifft nicht nur Texte, sondern auch Melodien (f Spruchdichtung, Kap. 6.8;f Musik, Kap. 8). Mehr als 70 Prozent der deutschen Minnesänger des 12./13. Jh. sollen nach Touber (1998b; f II Lyrische Strophenformen) strophische Formen gebrauchen, die auch in Frankreich bekannt waren. Angesichts der angedeuteten methodischen Aporien erstaunt es nicht, daß es zu einer Kontroverse darüber gekommen ist, ob die Entwicklung des deutschen Minnesangs (vor allem seiner Strophenformen) im Zeitraum von ca. 1170–1190 autochthon und ‚systemimmanent‘ durch Weiterentwicklung heimischer Liebeslieder erfolgte oder erst durch romanischen Einfluß möglich wurde (Schweikle 1977 [1993], S. 57–59; Touber 2005c, S. 65). Damit verbunden ist die Frage, ob die konzeptuelle Neuorientierung des deutschen Minnesangs überhaupt auf die (mehrmals erwähnten) kleinteiligen Entlehnungen zurückgeführt werden darf und kann. Nimmt man den Umstand hinzu, daß von den einzelnen Trobadors und Trovères und auch innerhalb der Autorenœuvres sehr unterschiedliche Positionen vertreten wurden, drängt sich die Frage auf, wie die deutschen Minnesänger angesichts dieser Vielstimmigkeit eine ‚Minnetheorie‘ hätten übernehmen sollen (f Minnesang I, Kap. 1.4). Haben sie etwa erst selbst ein eigenes Minnekonzept entwickelt – und jeder Minnesänger wieder ein anderes? Erst neuerdings ist diskutiert worden, inwieweit mit der Rezeption romanischer Liebeslyrik ein sprachlicher Einfluß einhergeht: Vermutlich haben in Einzelfällen deutsche Wörter eine Lehnbedeutung angenommen (Sayce 1982, S. 27f., u. 1999, S. 14f.; Touber 1998b, S. 293–296, u. 2005a,

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S. 289f.). Doch im Vergleich zur zeitgenössischen Epik orientierte sich die mhd. Lyrik in sprachlicher Hinsicht wenig an den fremdsprachlichen Vorlagen (Schweikle 1984, S. 37; f II Höfisch-ritterlicher Wortschatz). Ein rezeptionsgeschichtlicher Aspekt ist bis heute kaum diskutiert worden: Haben die Minnesänger nicht nur Formen, Inhalte und Konzepte übernommen, sondern auch die Art des Vortrags bzw. das Prestige, das einem solchen Vortrag anhaftete, und den ästhetischen Anspruch, den das öffentliche Auftreten als Dichter und Sänger implizierte? Zwar konnten sie darüber nicht alleine befinden, sondern mußten es dem Publikum überlassen. Doch standen ihnen sicherlich Möglichkeiten zur Verfügung, die gesellschaftliche Auszeichnung, die den Trobadors und Trovères zuteil wurde, für sich zu reklamieren. Dann hätte die Romania nicht nur Formen und Inhalte der deutschen Minnelieder beeinflußt, sondern auch deren Performance mit all dem, was dazu gehört: Erwartungen des Publikums, Selbstverständnis und Anspruch des volkssprachlichen Sängers, Thematisierung des Vorgangs ‚Singen‘, mögliche Interaktion zwischen Dichter und Publikum (f Minnesang I, Kap. 1.4). Zur Rezeption der romanischen Lyrik gehört also möglicherweise auch die ‚Mode‘, vor einem gebildeten Publikum von der ‚eigenen‘ Liebe zu singen. Resultat: Man wird romanischen Einfuß keinesfalls bestreiten können. Doch unklar ist, ob mit der Übernahme romanischer Einzelmotive auch ein Liebeskonzept übernommen wurde (falls es ‚das‘ romanische Konzept überhaupt gegeben hat; dazu schon Schnell 1982, S. 12), ob und in welchem Ausmaß die Minnesänger neben dem romanischen Vorbild auf inzwischen auch in ‚Deutschland‘ (die Problematik dieses Begriffs sei hier dahingestellt) heimisch gewordene Themen und Motive zurückgegriffen haben und ob wir auch bei fehlenden wörtlichen Anklängen an ein romanisches Lied mit dem Einfluß der Romania rechnen müssen, insofern eine breite Kenntnis romanischen Liedguts vorauszusetzen ist. Schließlich darf die Möglichkeit eines Einflusses der mittellateinischen Liebesdichtung nicht ausgeschlossen werden, vor allem bei Motiven, die gerade dort zahlreich auftreten und die sich dann wieder im volkssprachlichen Minnesang finden: Natureingang, descriptio der Frau, das Motiv ‚Sterben aus Liebe‘. Freilich läßt sich auch in diesem Fall insofern von romanischem Einfluß sprechen, als die fragliche lateinische Liebesdichtung aus der Romania nach Deutschland ausstrahlt (der Liedergruppe CB 56–131 wird westeuropäisch-französische Herkunft zugeschrieben; vgl. Wachinger 1985; Vollmann 1987). Eine differenzierende Sicht auf die Rezeption ist allerdings schon wegen der geographischen Streuung und der bildungsgeschichtlich unterschiedlichen Niveaus der Minnesänger gefordert: Der ‚Schweizer‘ Rudolf von

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Fenis-Neuenburg, der Mainfranke Bernger von Horheim, der Thüringer Heinrich von Morungen, der Bayer Albrecht von Johansdorf und der niederrheinische Dichter Heinrich von Veldeke (f Niederländische Lyrik, Kap. 7.3) werden auf sehr unterschiedliche Weise und in sehr unterschiedlichem sozialen Kontext mit dem romanischen Minnesang in Berührung gekommen sein und ihn entsprechend unterschiedlich rezipiert haben. Die geforderte Differenzierung geht z.T. so weit, daß den Dichtern zu Fenis, Gutenburg und Horheim unterstellt wird, sie hätten die inhaltliche Auseinandersetzung mit ‚dem‘ romanischen Konzept „dem Streben nach formaler Perfektion“ untergeordnet (Kasten 1986, S. 259). Bei diesen Autoren hätte sich der romanische Einfluß folglich auf die formale Ebene beschränkt. Für sie sei das romanische Konzept ‚Frauendienst‘ vor allem ein „poetisches Modell“ gewesen. Einer solchen Einschätzung wird man nicht ohne weiteres zustimmen wollen. Daß aber von der hochstehenden Formkunst der Romanen eine besondere Faszination ausging (dokumentiert etwa in dem Versuch deutscher Minnesänger, die Reimklänge der Vorlage nachzuahmen), wird man nicht bestreiten. Damit sind wir bei der Frage nach den Gründen und Motiven für die Ausstrahlung des romanischen Minnesangs angelangt. Gründe für die Rezeption romanischer Liebeslyrik Diese Frage ist hineinzustellen in den größeren Zusammenhang der Ausstrahlung der Romania überhaupt: Nicht nur die deutschsprachige Lyrik, sondern auch die Epik – und darüber hinaus die Sprache – zeugen von der Attraktion dessen, was man mit ‚höfischer Kultur‘ bezeichnet. Kleidung, Rüstung, Umgangs- und Repräsentationsformen, Literatur: All das, wodurch sich eine aristokratische bzw. sich als aristokratisch begreifende Schicht vor anderen auszeichnete, übte eine starke Anziehungskraft auf die Führungsschicht in Deutschland aus. Zu dieser Attraktion zählte eben auch der Minnesang. Was jedoch oft vergessen wird, ist der Umstand, daß die Rezeption der romanischen Liebeslyrik eine gewisse Sensibilität auf Seiten der Rezipienten voraussetzte. Es wurde nicht etwas völlig Fremdes, Unverstandenes übernommen, sondern die Faszination, die z.B. die romanischen Melodien auf die deutschen Autoren ausübten, war nur möglich, wenn eine Empfänglichkeit, eine Aufgeschlossenheit für diese neue Art des Sangs vorhanden war. Daß die Romania in der Produktion der neuen volkssprachlichen Gattungen (Epik, Minnesang) der Germania voranging, hatte sicherlich mit

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dem bildungsgeschichtlichen Vorsprung der Romania (f I Einleitung) zu tun, der wiederum einen (spielerischen) Umgang mit Dichtung ermöglichte, der in Deutschland nicht ohne weiteres übernommen werden konnte (Schnell 1978, S. 102ff., u. 1983). Damit ist zugleich ein wesentlicher Grund für die Abänderungen genannt, die die Minnesänger an ihren romanischen Modellen vornahmen. Die Frage nach den Gründen für die Übernahme romanischer Minnelieder kann aber auch enger gefaßt werden: Warum haben Minnesänger ausgerechnet dieses oder jenes Lied zum Vorbild genommen? Dafür sind wohl recht unterschiedliche Faktoren verantwortlich: – das Prestige eines bestimmten Trobadors bzw. Trovères; – die persönliche Begegnung mit einem romanischen Dichter (etwa das Erlebnis eines Liedvortrags); – die Verfügbarkeit einer Liedersammlung; – die Attraktivität einer (weithin bekannten, d.h. reichlich überlieferten) Melodie; – ein lautlich besonders auffälliger Text (durch Reimschemata, etwa von coblas unissonas, durch rhetorische Raffinessen wie Paradoxa, Antithesen, Annominationes; vgl. dazu Stadler 1973, S. 8); – auffällige, einprägsame, prägnante Bilder oder Vergleiche (ein Mann, der auf einen Baum steigt, und auf halber Höhe steckenbleibt; ein Mann, der vor lauter Liebesversunkenheit den Menschen, die ihm abends begegnen, einen guten Morgen wünscht; der Schmetterling, der von einer brennenden Kerze angelockt wird und sich dabei verbrennt; usw.). Minnesänger haben in der Tat besonders häufig auf romanische Lieder zurückgegriffen, die sich durch solche eingängigen Bilder und Vergleiche auszeichneten. Diese Fokussierung mag man z.T. mit der geringen Fremdsprachenkenntnis der deutschen Dichter erklären (Mertens 1997, S. 36). Man könnte aber auch auf eine gewisse souveräne Haltung der aufnehmenden Dichter gegenüber den romanischen Stichwortgebern schließen: Sie trauten sich zu, aus den romanischen Bausteinen ein eigenes Lied anzufertigen (s. Kap. 2.4 zu Friedrich von Hausen und Heinrich von Veldeke). Auch die Fähigkeit, aus Bruchstücken mehrerer romanischer Lieder ein eigenes Lied zusammenzubasteln, belegt, daß die Minnesänger selten an ihren romanischen Vorbildern klebten.

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Transformationsregeln Es stellt sich die Frage nach den Transformationsregeln, die die Rezeption der romanischen Liebeslieder bestimmten, und nach den Gründen, die diese Umformung bedingten. Ihre Beantwortung geht einher mit einer Kontrastierung von romanischem und deutschem Minnesang und Überlegungen zu Möglichkeit und Notwendigkeit einer Abgrenzung von okzitanischer und französischer Liebeslyrik. In der Forschung wurden neben dem bildungsgeschichtlichen Defizit weitere Faktoren für die Umformungen des romanischen Minnesangs in Deutschland verantwortlich gemacht: – die soziologischen Unterschiede zwischen Romania und Germania auf seiten der Autoren wie auf seiten des Publikums (von Kluckhohn 1910 über Köhler 1970 bis Kasten 1986, vgl. Liebertz-Grün 1977). Im Zusammenhang damit ergab sich eine Kontroverse darüber, inwieweit die trobadoreske Vasallitätsterminologie von den deutschen Minnesängern übernommen wurde (s.u.); – der Umstand, daß das Publikum in Deutschland überhaupt erst mit der ‚neuen‘ literarischen Erscheinung bekannt gemacht werden mußte; – das Weiterwirken heimischer Formtraditionen. Von einer Argumentation, die mit unterschiedlichen Nationalcharakteren operiert, ist man heute abgekommen. Doch läßt der historische Befund – in Frankreich eine Geselligkeitskultur mit Bildungsanspruch, das literarische Spiel als öffentliches Ereignis – zumindest für die Oberschicht eine andere Mentalität vermuten als in Deutschland. Doch vor allen Spekulationen über mögliche generelle Unterschiede der beiden Nationalliteraturen sind methodische Aporien einzuräumen. Um Art und Weise der Übernahme romanischer Lieder (besser: Liedfragmente) durch deutsche Minnesänger präzise und zuverlässig bestimmen zu können, bedürfte es der Kenntnis der authentischen Vorlage. Doch daran fehlt es in den allermeisten Fällen. Die Handschriften überliefern fast alle romanischen Lieder nach Wortlaut, Strophenfolge und Strophenzahl in recht unterschiedlicher Weise (die Editionen von Appel 1915 zu Bernart de Ventadorn, von Pattison 1952 zu Raimbaut d’Orange und von Pickens 1978 zu Jaufre Rudel legen Zeugnis davon ab). Zwar können wir in Einzelfällen aus den in den modernen Editionen dokumentierten Überlieferungsvarianten der jeweiligen Vorlagen die Lesart herausfinden, die einem deutschen Lied am nächsten steht, doch ist dann immer noch nicht auszuschließen, daß der deutsche Autor einen anders überlieferten Text kannte und von sich aus die Änderung vornahm. Viele romanische Liebes-

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lieder sind in 10–20 Handschriften auf uns gekommen. Vielleicht ist aber die unmittelbare Vorlage eines deutschen Liedes nicht überliefert. Dieselbe Unsicherheit gilt für die überlieferten deutschen Texte. Möglicherweise ist der ursprüngliche Wortlaut nicht erhalten. Deshalb sind alle Textvergleiche von romanischen Vorlagen und deutschen Bearbeitungen mit einem methodischen Manko behaftet. Trotz der vielfältigen Übernahme romanischer Liebeslyrik behauptet der deutsche Minnesang ein eigenes Profil. Ein eigenes ‚Gesicht‘ wahren die deutschen Minnesänger schon äußerlich dadurch, daß sie oft mit heterometrischen Strophenmustern operieren, während bei Trobadors und Trovèrs der isometrische Strophenbau überwiegt (Dragonetti 1960, S. 386–388). Weiterhin behalten sie weitgehend den akzentuierenden Vers und dessen Füllungsfreiheit bei. Auch die Einstrophigkeit von Liedern haben einige Minnesänger nicht ganz aufgegeben (Veldeke, Hartwig von Raute, Bernger von Horheim, Bligger von Steinach, Heinrich von Morungen), doch weisen diese nun eine kompliziertere, anspruchsvollere Struktur auf als der frühere Formtypus (so bei Raute, MF 117,26). Auf ein eigenes Profil läßt auch der Umstand schließen, daß (wie schon Kienast 1960, S. 71 f., und Bumke [1967], S. 44 f., bemerkten) kein einziges romanisches Lied zur Gänze rezipiert wurde (dies gegen Zotz 2005, S. 205–238). Die herausragende Rezeptionsform bestand in der Selektion: von Motiven, Bildern, Strophenfragmenten. Kaum einmal erstreckt sich die Übernahme eines romanischen Modells über mehr als vier Verse. Diesen Auswahlprozeß muß eine ganz bestimmte Vorstellung der deutschen Autoren davon gesteuert haben, was passend und adäquat für das eigene Publikum sei. Als unpassend erschienen demzufolge obszöne Anspielungen, offene Frauenkritik, Motive wie Ehebruch und Eifersucht, weitestgehend auch Gattungen wie das Prahlgedicht (gap), das Absagelied, die Pastourelle (zumindest bis Walther von der Vogelweide), das Partimen und die Tenzone. Verzichtet wurde auch auf die Tornadas, die sog. Sendstrophen, die den Abschluß eines Liedes bildeten und an einen Gönner oder die gepriesene Dame adressiert waren. All diesen Indikatoren für eine romanische Geselligkeitskultur gegenüber zeichnete sich der deutsche Minnesang durch einen dominant lehrhaften Charakter aus (Stichwort: Ethisierung des Minnegedankens; vgl. Kaplowitt 1986; Kasten 1986, S. 254, 261 u. ö.; gegen diese Auffassung Willms 1990, S. 9 ff.). (Zu Ansätzen einer spielerisch-witzigen Präsentation des Themas Liebe s. u.) Wir haben es mit einem formal und inhaltlich verengten Zugriff der Minnesänger auf das romanische Vorbild zu tun (Mertens 1993b).

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Dazu gehört, daß sich romanisches und deutsches Frauenbild in einem entscheidenden Punkt unterscheiden. Während die Romanen (möglicherweise durch eine jahrzehntelange einschlägige lateinische Tradition angeregt) immer wieder die Bildung und Redekunst der Dame, das bel parlar (bzw. digz cortes, parlar, bels parlars, gens parlars, dous parlars, tant avinen parlar, l’adreit parlar, ric saber) hervorheben, mit der diese ihre gesellschaftliche Umgebung beeindruckt (Leube-Fey 1971, S. 46; Schnell 1983, S. 13; Willms 1990, S. 95 u. 301, Anm. 14), beschränken sich die Minnesänger darauf, neben der ästhetischen Wirkung – wie es auch die Trobadors tun – die sittlichen Werte ihrer Dame zu preisen. (Der weitverbreiteten Kontrastthese, wonach die Romanen die äußere Schönheit, die Minnesänger die sittlichen Vorzüge der Dame hervorgehoben hätten, kann ich nicht folgen; vgl. schon Wechssler 1909, S. 123–126; Leube-Fey 1971, S. 27–50). Die Bezeichnung der Romania als Geselligkeitskultur zieht eine weitere Überlegung nach sich: Wenn es so ist, daß die romanischen Minnelieder als Teil geselliger Unterhaltung – auch mit der Möglichkeit von Diskussionen im Publikum am Ende eines Liedvortrags – zu begreifen sind, dann muß jedes einzelne romanische Lied als Teil einer solchen Geselligkeitsform verstanden werden. Das heißt aber auch, daß die Einzellieder lediglich als Stimmen, Positionen, Äußerungen innerhalb einer umfassenden ‚Debatte‘ fungieren, keinesfalls den Anspruch auf ein abschließendes Urteil erheben. Deshalb verfügt die Romania auch über Gattungen wie das Partimen, die Tenzone, das gap (Prahlstrophen) und das Nebeneinander von malas und bonas cansos (Frauenkritik und Frauenpreis). Ja, sogar innerhalb eines Trobadorliedes begegnet das Hin- und Herschwanken zwischen zwei Positionen (‚Dialog‘ als Strukturprinzip eines romanischen Liedes, vgl. Kay 1990, S. 8–16 u. 69ff.). Dann aber wird man kaum behaupten können, die deutschen Minnesänger hätten ‚das‘ romanische Liebeskonzept übernommen. Mit ihren doch recht kleinteilig organisierten Übernahmen konnten sie allenfalls einzelne Stimmen aus dem ‚Stimmengewirr‘ der romanischen Liebeslyrik rezipieren. Möglicherweise hängen die vielzitierte Spiritualisierung der Liebe und die Entkonkretisierung der Liebesbeziehung im deutschen Minnesang – insofern alle möglichen Anbindungen der umworbenen Frau an die gesellschaftliche Realität unterbleiben – mit der unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktion der Liebeslyrik in der Romania und Germania zusammen. Mit dem einem fingierten Publikum unterstellten Fragen nach biographischen Details der umworbenen Dame, einem Fragen, das sofort als unangemessen abgewiesen wird (Reinmar, MF 167,13; Walther, L 13,33), legen die deutschen Minnesänger gerade diesen Aspekt der Abstrahierung bloß.

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Bezeichnend aber ist, daß dieses Spiel mit der (latenten) Erwartung des Publikums, die besungene Dame existiere, erst ab 1190/1200 in Deutschland möglich wird. Mit dem unterschiedlichen sozialen Status der romanischen (zahlreiche Berufsdichter) und deutschen Minnesänger (zahlreiche Adlige und Ministeriale) und mit der (angeblichen) unterschiedlichen Funktion – panegyrischer Preis realer Herrscherinnen in der Romania, Propagierung eines (abstrakten) Frauenideals in der Germania – wurde auch das unterschiedliche Vorkommen des Vasallitätsvokabulars erklärt. Freilich ist umstritten, ob die Minnesänger die Vasallitätsterminologie der romanischen Autoren übernommen haben (vgl. Bumke [1967], S. 45, u. 1976; Kasten 1986, S. 295ff., u. 1995, S. 768 u. 781f.; Touber 1995, 1998a u. 2004, S. 688–692). Die Frage, ob und inwiefern die Vasallitätsterminologie übernommen wurde, tangiert ein grundsätzlicheres Problem: Dürfen bzw. müssen wir die literarische Projektion von der Unterwerfung des Mannes unter die Frau, wie sie in der Trobadorlyrik erscheint, als direkte Spiegelung realer sozialer Verhältnisse verstehen? Ist der Unterwerfungsgestus des Mannes im Liebeslied auf die Lohnabhängigkeit von Berufssängern bzw. auf die Aufstiegsambitionen sog. ‚niederer Ritter‘ (Romania) oder auf den Ministerialenstatus (Germania) zurückzuführen (zu dieser Diskussion Liebertz-Grün 1977; Schnell 1991)? Einer solchen Gleichschaltung von sozialer Realität und Literatur (wie sie noch Kasten 1986 vornimmt) steht das Faktum entgegen, daß sowohl in Süd- und Nordfrankreich wie in Deutschland auch hohe Adlige sich als Minnesänger betätigten und den Unterwerfungsgestus inszenierten. Damit aber wird die Frage virulent, ob im Mittelalter ein höfisches Minnelied zwei ganz unterschiedliche Auslegungen erfahren hat: 1) Beim Hören des Liedes eines Berufssängers hat das Publikum den Unterwerfungsgestus und die Bitte um Liebeslohn als adäquaten Ausdruck von dessen sozialem Status verstanden. Die literarisch inszenierte Unterwerfung folgte demnach konsequent aus den realen Begebenheiten. Mit der Bezeichnung domna für die geliebte Dame würde ein Minnelied lediglich die soziale Abhängigkeit des Sängers von einer Herrscherin abbilden. Aus dieser Sicht haftete der Unterwerfung des Mannes nichts Erstaunliches, nichts Provozierendes, nichts Herausragendes an: Die Unterwerfung wäre eine sozialhistorische Notwendigkeit. Auch die in den Liedern vielbeschworene Macht der Liebe wäre demnach lediglich eine Umschreibung realer Abhängigkeitsverhältnisse. Eine solche Deutung wäre in der Tat ‚langweilig‘ und nähme dem Thema Liebe jegliche Sprengkraft. 2) Ganz anders, provokanter, stellte sich der Unterwerfungsgestus des Text-Ich dem mittelalterlichen Publikum im Falle eines

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hochadligen Autors/Sängers dar: Seine Unterwerfung unter eine Frau und unter die Macht der Liebe mußte – weil eine ganz und gar freiwillige Aktion – unverständlich, irrational und irreal erscheinen. Diese Unterwerfung war zwar der Macht der Minne geschuldet, galt aber angesichts der realen Möglichkeiten des Adels, sich sexuelles Vergnügen zu verschaffen und über Frauen zu verfügen, als außergewöhnlich. Erst so wurde Amors zum wirklichen Ereignis, erst hier konnte sie ihre Macht demonstrieren. Auch die Anrede domna an die geliebte Dame spiegelte dann nicht Realität, sondern resultierte aus einer Projektion des Liebenden, der die von ihm begehrte Frau in seiner Vorstellung zur ‚Herrin‘ erhob. (Mittelalterlichen Medizinern war die Vorstellung vertraut, wonach Liebende sich gegenüber der begehrten Person wie Untergebene gegenüber ihrem Herrn verhalten und das Wort der geliebten Frau für den Liebhaber ein Befehl sei wie das Wort des Herrn für den Knecht [Schnell 1985, S. 114].) Leiden an der Minne, Unterwerfung unter die Frau bedeutete im Falle adliger Trobadors und Minnesänger eine Demonstration der Macht der Liebe (die eben auch die Mächtigen beherrschte), zugleich – da auf Gewalt verzichtet wurde – eine freiwillig eingenommene Haltung, die wohl als Auszeichnung der eigenen Person begriffen werden konnte (Schnell 1994 u. 2000). Die domna wäre in diesem Fall die Projektion eines Verliebten, nicht das Abbild einer realhistorischen Person. Der Unterwerfungsgestus eines Mächtigen fungierte so als Teil adliger Selbstdarstellung, war freiwillige Leistung, nicht durch Abhängigkeitsverhältnisse erzwungener Dienst. Es wird deutlich, daß die heutigen literatursoziologischen Hypothesen unmittelbar auf das Verständnis durchschlagen, das wir den mittelalterlichen Rezipienten eines Minneliedes zubilligen bzw. unterstellen. Die entscheidende Frage lautet nun: Hat das mittelalterliche Publikum dem literarisch inszenierten Unterwerfungsgestus je nach sozialem Status des Autors/Sängers ganz unterschiedliche Deutungen zuteil werden lassen – ihn einmal als freiwillig erbrachte Leistung, als Auszeichnung eines Mannes und als bewußte Ignorierung machtpolitischer Möglichkeiten verstanden, das andere Mal als von den realen Verhältnissen erzwungene Verbeugung einer abhängigen Person vor den real Mächtigeren? Das erscheint reichlich unwahrscheinlich, ja absurd. Doch an der Antwort auf die gestellte Frage hängt das Prestige des Minnesangs bzw. der darin präsentierten Minnehaltung: freiwillig übernommene Leistung oder aber sozial erzwungener Dienst? Seit den 90er Jahren des 20. Jh. hat diese literarsoziologische Fragestellung an Brisanz und Relevanz verloren. Denn es wurde mehr und mehr erkannt, daß wir zwischen Autor, Sänger und TextIch zu unterscheiden haben und mit ‚Rollen‘ rechnen müssen (Mertens

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1995; Müller 2001; Schnell 2001), also keineswegs sozialer Status des Dichters und Text-Ich ‚kurzgeschlossen‘ werden dürfen. Damit hängt zusammen, daß sich der Unterwerfungsgestus des männlichen Text-Ich im Laufe des 12. Jh. als literarisches Spiel verselbständigt hat und somit für das Publikum die Frage des sozialen Status eines Minnesängers irrelevant geworden ist. Dies würde dann aber bedeuten, daß auch wir heute unser Verständnis eines Minnelieds nicht zu sehr von der Frage der jeweiligen sozialen Trägerschicht abhängig machen sollten. Zudem bleibt der Befund unbestritten, daß sowohl in Frankreich wie in Deutschland am Anfang des Minnesangs adlige Sänger standen und somit die Verstehensvariante mit der Semantik ‚Auszeichnung, Leistung, Freiwilligkeit‘ den Ausgangspunkt dieser Gattung bildete. Spätere Berufsdichter haben von diesem durch adlige Sänger geschaffenen Prestige des Minnesangs (Unterwerfungsgestus) profitieren können. Offensichtlich muß aber dem Minnesang auch noch in der zweiten Hälfte des 12. Jh. das Renommee einer auszeichnenden Haltung angehaftet haben, sonst hätten die Trovères, allesamt Adlige, um 1170/1190 diese trobadoreske Gattung nicht rezipiert. Und sonst hätten die deutschen Minnesänger im 13. Jahrhundert nicht immer wieder eine größere Anerkennung für sich eingefordert als sie dies ihren Spruchdichterkollegen zugebilligt sehen wollten (Tervooren 1995a, S. 30–32 u. 88f.). Nimmt man aber die literarsoziologische Diskussion der 60er bis 80er Jahre des 20. Jh. für einen Moment nochmal ernst, dann stellt sich für die Rezeption des romanischen Minnesangs in Deutschland dieselbe Frage wie für das Publikum in der Romania: Ist der romanische Minnesang als Produkt sozial abhängiger Berufsdichter rezipiert worden, die aus ihrem untergeordneten Status heraus mit Liebeslohn eigentlich materielle Belohnung durch einen Mäzen meinten, oder als Ausdruck des Anspruchs adliger Personen, die Macht der Liebe diskursiv zu meistern? Berücksichtigt man den Umstand, daß die deutschen Minnesänger gleichzeitig Lieder von okzitanischen Berufssängern wie von nordfranzösischen Adligen übernommen haben, wird die Antwort nicht einfach ausfallen können. Aber dadurch, daß am Beginn des deutschen Minnesangs adlige Personen standen, wird auch in Deutschland der Minnesang eher mit Begriffen wie Leistung, Auszeichnung, Freiwilligkeit verbunden gewesen sein als mit der Vorstellung, es handele sich um die literarische Artikulation von Personen eines sozial minderen Status. Der literarischen Gattung des Minnesangs wurde in Deutschland ja bis ins Spätmittelalter ein hoher Rang zugesprochen (etwa gegenüber der Sangspruchdichtung). Im Laufe des Zeitraums 1170–1190/1200 hat sich allerdings im deutschen Minnesang – wie schon

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vorher in der Trobadorlyrik – neben dem Thema Liebe immer mehr das Thema Singen/Dichten festgesetzt (nach Walther von der Vogelweide trat dieses Thema jedoch wieder etwas zurück). Neben das Ich des Liebenden trat mehr und mehr das Ich des Autors/Sängers. Dadurch entschärfte sich ohnehin der skizzierte (literatursoziologische) Konflikt zwischen zwei Deutungen des Minnesangs. Denn nun beanspruchte das Text-Ich Anerkennung nicht nur für sein Lieben (Unterwerfungsgestus), sondern auch für seine künstlerische Kompetenz. Und dafür war der soziale Status wenig relevant. Freilich hat sich im deutschen Minnesang das gestiegene Dichterbewußtsein nie so ausgeprägt niedergeschlagen wie in der Trobadorlyrik. Dort kommen Selbstnennungen der Autoren viel häufiger vor (Warning 1979, S. 129f.). Die Rezeption des romanischen Minnesangs bleibt hier hinter ihrem Vorbild zurück. Die angesprochene Umakzentuierung des deutschen Minnesangs vom dominanten Minnediskurs hin zur verstärkten Thematisierung des Singens/Dichtens erfährt ihren Höhepunkt bei Reinmar (f Minnesang III, Kap. 3.2). Denn er verlagert den Schwerpunkt seiner Gedichte immer mehr von einer rein inhaltlich-konzeptuellen Diskussion über rechtes Lieben zu einer Thematisierung performativer Aspekte. Der Interaktion mit dem (fingierten) Publikum räumt er großen Raum ein. Reinmars Anspruch liegt demnach nicht mehr in der (lehrhaft orientierten) Beschreibung rechten Liebesverhaltens (wie etwa noch bei Friedrich von Hausen und Rudolf von Fenis), sondern im Zeigen, in der ‚Aufführung‘ dieses Verhaltens. Er behauptet, Daz nieman sîn leit alsô schône kan getragen (MF 163,5; zum möglichen trobadoresken Hintergrund: Touber 2005c, S. 68). Es ist also weniger ein Diskurs, den Reinmar bieten will, als eine Haltung, zugleich die Bedingungen des Redens über Liebe reflektierend. Mit dieser Tendenz zur Thematisierung dessen, was er gerade tut – nämlich singen bzw. sprechen – ähnelt Reinmars Minnesang der Trobadorlyrik. Denn dort wird ebenfalls immer wieder die Frage erörtert, was man und ob man der Dame dieses oder jenes sagen dürfe – und gleichzeitig wird vorgetragen, was der Dame angeblich nicht gesagt werden darf. Damit aber drängen sich Probleme der Performanz in den Vordergrund. Im deutschen Minnesang stellt Reinmar wohl den Höhepunkt dieser Verschiebung vom Konzeptuellen zum Performativen dar. Aus all dem ergibt sich, daß die Forschungsdiskussion über den Zusammenhang von sozialhistorischer Realität (des Sängers und des Publikums) und Sinnpotential des Einzelliedes für den Zeitraum 1170–1200 nicht ohne eine zeitliche Differenzierung ihres Gegenstandes auskommt. Jedenfalls hat eine literatursoziologische Erklärung möglicher Unterschiede

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zwischen romanischem und deutschem Minnesang gerade die angesprochene Ästhetisierung des literarischen Phänomens Minnesang im entsprechenden Zeitraum zu bedenken. Diese Forderung bestätigend, soll nun die Frage nach den Transformationsregeln, die die Rezeption der romanischen Vorlagen steuern, mit dem Versuch einer (weiteren) Differenzierung angegangen werden. Es zeigt sich, daß die weitverbreitete Formel von der Didaktisierung und Programmatisierung des Liebesdiskurses durch die Minnesänger der gattungsgeschichtlichen Entwicklung im Zeitraum von 1170–1190/1200 nicht ganz gerecht wird. Meines Erachtens zeichnet sich zwischen ca. 1170 und 1190/1200 eine Veränderung in der argumentativen Anlage der deutschsprachigen Minnelieder ab: Während von den ca. 15 Liedern Friedrichs von Hausen die Hälfte mit einem eindeutigen Votum für eine bestimmte Entscheidung abschließt (ablesbar u.a. an Formeln wie niemer mê, iemer, niemer, nieman, an mîn ende) und diese Entscheidung lehrhaft vertritt, enden bei Heinrich von Morungen nur noch fünf von den ca. 35 Liedern mit einem abschließenden Statement. Reinmars Oeuvre weist in nur ca. 15 von 60 Liedern einen ‚echten‘ Schluß auf, wobei diese ‚Endgewichtung‘ oft performativ, nicht argumentativ hergestellt wird. (Die Überlieferungsproblematik gilt für alle drei Autoren und kann somit hier vernachlässigt werden.) In den anderen Liedern haben wir es mit einer sog. diskursiven Kreisbewegung zu tun: Das Lied macht inhaltlich und argumentativ keine ‚Fortschritte‘, könnte am Ende gleichsam wieder von vorne beginnen. Eine lehrhafte Tendenz ist kaum zu erkennen, es sei denn, man würde die häufige Thematisierung des Singens selbst und das ‚Zeigen‘ einer rechten Haltung als lehrhaft bezeichnen wollen. Wie schon oben erläutert, verschiebt sich also der funktionale Schwerpunkt der deutschen Minnelieder im Untersuchungszeitraum vom Lehrhaften zum Performativen. Die Entwicklung vom argumentativen Schlußpunkt zum kreisförmigen Diskurs (mit performativer Akzentuierung) ist z.T. ablesbar an der rhetorischen Figur der revocatio, die den Argumentationsablauf eines Liedes umkehrt und das Liedende an den Anfang zurückbindet. Zum Teil ist dieses diskursive ‚Perpetuum mobile‘ durch den Umstand bedingt, daß in allen Strophen immer wieder dasselbe gesagt wird. Da sich gerade die Trobadorlyrik durch eine solche diskursive Kreisbewegung mit ‚offenem‘ Ende auszeichnet (Bec 1971; Kay 1990, S. 69ff.), drängt sich folgende These auf: In der ersten Phase des Minnesangs (1150–1170) begegnen wir wegen der weitgehenden Einstrophigkeit dem Phänomen ‚offenes Liedende‘ noch nicht. Innerhalb der zweiten Phase (ca. 1170–1190/1200), die zur Mehrstrophigkeit tendiert, verhalten sich die Minnesänger unterschiedlich ge-

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genüber dem romanischen Vorbild. Zunächst wehren sie das romanische Modell der diskursiven Kreisbewegung ab bzw. halten an dem Ziel eines auf den Liedschluß hinzielenden Gedankenablaufs weitgehend fest (Hausen). Im weiteren Verlauf lösen sie (Fenis z.T., Morungen, Reinmar) sich mehr und mehr von diesem (heimischen?) Liedtypus und nähern sich immer mehr dem ‚offenen‘ trobadoresken Liedtypus an. Diese These widerspricht nun allerdings der von Zotz vertretenen Auffassung, wonach sich das Profil des deutschen Minnesangs generell „unter dem Stichwort ‚Offenheit‘ fassen“ lasse (Zotz 2005, S. 251). Gemeint ist dort, daß sich deutsche Autoren – im Unterschied zu romanischen Dichtern – jeglicher Wertung (über die Liebe, das Lieben, die Frau) in einem Lied enthalten. Dem ist einiges entgegenzuhalten: Erstens ist diese so verstandene ‚Offenheit‘ auch dem romanischen Minnesang eigen (s.o.); auch dort, wo in einem romanischen Lied Wertungen artikuliert werden, werden diese meist anschließend zurückgenommen, so daß sich doch wieder eine Offenheit einstellt (man sollte den romanischen Liedtyp mala canso nicht pro toto nehmen; im übrigen ist dieser Liedtyp diskursiv ‚kreisförmig‘ angelegt). Dieser Offenheit ist es auch wohl anzulasten, daß die Strophenfolgen zahlloser romanischer Lieder in den Handschriften noch viel uneinheitlicher überliefert sind als dies bei den Minnesängern der Fall ist. (Es würde sich lohnen, einen romanisch-deutschen Vergleich hinsichtlich dieses enggefaßten Überlieferungsaspektes [Strophenfolge] anzustellen.) Zweitens widerspricht Zotz’ Äußerung der Forschungsthese von der Didaktisierung des Minnesangs. Man wird diesen Widerspruch zwischen Offenheit und Didaktisierung z.T. auflösen können durch die Annahme einer Entwicklung innerhalb des deutschen Minnesangs (1170–1190/1200): von wenig zu mehr Offenheit, in dem Sinne, daß gegen Ende des 12. Jh. am Ende eines Liedes nur noch selten ein endgültiges, abschließendes (bzw. lehrhaftes) Statement abgegeben wird. Die Dichotomien und Antagonismen, in die der höfische Diskurs über rechte Liebe verstrickt ist (vgl. Schnell 1990, S. 275–293), verhindern mit steigendem Reflexionsgrad solche einseitig gültigen Aussagen. (Bei den Einzeldarstellungen [Kap. 2.4] wird dies deutlich werden.) Zu diesen diachronen Differenzierungen des deutschen Minnesangs zwischen 1170 und 1190/1200 tritt ein synchroner Unterschied hinzu: Es fällt auf, daß sich einige Dichter zuweilen einen distanziert-ironischen Umgang mit den rezipierten romanischen Liebesentwürfen erlauben (Veldeke, Johansdorf), andere wiederum engagiert und ‚unmittelbar‘ ihrem Liebesschmerz Ausdruck geben (Hausen, Fenis, Morungen). Die ersteren scheinen bei ihrem Publikum bereits eine Kenntnis der romanischen Kon-

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zepte voraussetzen zu können und spielen gleichsam mit diesen Konzepten wie mit ‚alten Bekannten‘, die Vertreter der zweiten Gruppe müssen allererst etwas (ihren Liebesschmerz) glaubhaft machen und identifizieren sich ganz mit der vorgegebenen Rolle des verzweifelten und doch hoffnungsvollen Liebenden und beeindrucken durch expressive Gestaltung. Freilich werden neben dem publikumsabhängigen Faktor noch andere, individuelle Gründe für die angesprochene Differenz verantwortlich sein. In jedem Fall aber wird man die These von der Didaktisierung als beherrschendem Element des deutschen Minnesangs auch in diesem Punkt etwas zurücknehmen, d.h. zumindest differenzierter anwenden müssen. Neben der Didaktisierung steht Ironisierung und Parodierung, wenn auch weniger ins Auge fallend. Die angestellten Überlegungen führen zu der weiteren, generellen Frage, ob und inwieweit sich Quantität und Qualität des romanischen Einflusses auf den deutschen Minnesang im Zeitraum von 1170 bis 1190 verändert haben. Umfang und Reichweite des romanischen Einflusses Es ließe sich zunächst durchaus vorstellen, daß die deutschen Minnesänger in der ersten Phase (1150–1170; f Minnesang I) nur einzelne Motive, erst später dann (ab 1170 mit Friedrich von Hausen) die Grundelemente der neuen Liebeskonzeption rezipierten (so Bumke [1967], S. 42). Doch spricht die durchgängige Art der Rezeption im Zeitraum von 1160 bis 1190 – Übernahme kleinteiliger Elemente wie einzelner Verse, Bilder, Motive – eher für die These, daß sich die deutschen Minnesänger selbst aus den romanischen Liedfragmenten ein eigenes (vielfältig formuliertes) Minnekonzept konstruiert haben (s.o. zu den Transformationsregeln). Nach 1190/1200 hatte sich dann in Deutschland offensichtlich eine so feste Liedtraditon herausgebildet, daß der direkte Rückgriff auf fremdsprachige Modelle überflüssig wurde. An dessen Stelle trat nun vermehrt die Auseinandersetzung mit deutschen Minnesängern (eine letzte Zuspitzung erfuhr diese Entwicklung in der sog. Reinmar-Walther-Fehde; f Minnesang III, Kap. 3.4). Die Forschung ist sich weitgehend darin einig, daß in dem hier vorgestellten Zeitraum von ca. 1170–1190/1200 die Hochzeit des romanischen Einflusses anzusetzen ist. Differenzen gibt es allenfalls in der Gewichtung der Trobadorlyrik einerseits, der Trovèrelyrik andererseits und in der Annahme eines sicheren oder lediglich möglichen Einflusses. Zieht man die

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Vielzahl der Fälle ab, in denen ein deutsches Minnelied ein in der romanischen Lyrik weit verbreitetes Motiv aufgegriffen hat (z.B. Sterben aus Liebe; Fernliebe; sich glücklicher als der Kaiser fühlen) und beschränkt sich auf mutmaßlich wörtliche bzw. musikalische Übernahmen aus romanischen Quellen, so schwankt die Zahl der von der Forschung als romanisch beeinflußt gewerteten deutschen Lieder (ca. 1170–1190/1200) zwischen 15 (Sayce 1996 [nur Rudolf von Fenis] u. 1999 zusammengenommen, abzüglich des Waltherliedes L 110,13; ebenso Zotz 2005), 24 (Schweikle 1977 [1993], S. 89f.), 26 (Frank 1952) und 31 (Aarburg 1961, dabei aber einige rein formale Korrespondenzen mitgerechnet). Interessant ist die geographische Verteilung: Während der ‚Schweizer‘ Rudolf von Fenis vor allem auf trobadoreske Vorlagen zurückgreift, beziehen Friedrich von Hausen und Bernger von Horheim ihre Vorlagen fast ausschließlich von den Trovères. Es überrascht, daß für Heinrich von Morungen, der als der ‚romanischste‘ Minnesänger gilt (s. Kap. 2.4 zur Kontroverse um Morungen, MF 145,1), und für Heinrich von Veldeke, der doch dem romanischen Raum sehr nahe steht, kaum eine direkte romanische Vorlage nachgewiesen werden kann (f Niederländische Lyrik, Kap. 7.3). Dem Versuch, den Einfluß okzitanischer und nordfranzösischer Lieder unterschiedlich stark zu veranschlagen, steht entgegen, daß manche Minnesänger auf beide Literaturbereiche zurückzugreifen scheinen, z.T. sogar innerhalb ein und desselben Liedes (Friedrich von Hausen, MF 44,13; Rudolf von Fenis, MF 81,30). Umgekehrt ist der Fall eingetreten, daß ein und dasselbe Lied eines Trobadors (z.B. Folquet de Marseille, PC 155,8) als Vorlage für zwei geographisch weit voneinander entfernt beheimatete Minnesänger diente (Hausen, MF 45,37; Fenis, MF 81,30). Conon de Béthune (R. 1125) hat möglicherweise Friedrich von Hausen (MF 47,9) und Albrecht von Johansdorf (MF 87,5) beeinflußt. Dieser Befund läßt auf die weite Verbreitung der jeweiligen romanischen Vorlagen schließen. Tatsächlich sind die meisten der von den Minnesängern rezipierten romanischen Lieder in großer Zahl (ca. 20 Hss.) überliefert (Frank 1952; Sayce 1999, S. 8). Unter den rezipierten Vorbildern, fast alle Zeitgenossen der Minnesänger, sind berühmte Namen: die Trobadors Peire Vidal (Fenis), Gaucelm Faidit (Hausen, Fenis, Raute), Bertran de Born (Horheim?), Folquet de Marseille (Hausen, Fenis); die Trovères Gace Brulé (Hausen, Fenis, Horheim?), Blondel de Nesle (Hausen, Gutenburg), Conon de Béthune (Hausen?, Johansdorf ?, Horheim?), Guiot de Provins (Hausen, Fenis), Chrétien de Troyes (Horheim).

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Kenntnisse des Publikums Dürfen wir beim Publikum des deutschen Minnesangs Kenntnis der jeweiligen romanischen Vorlagen voraussetzen? Dürfen wir (folglich) heute unklare Stellen deutscher Minnelieder mit Hilfe der romanischen Vorlagen ‚besser‘ verstehen? Die Antwort auf diese Frage zieht gravierende Folgerungen nach sich. Setzen wir beim deutschsprachigen Publikum des Minnesangs Kenntnisse der jeweiligen romanischen Vorbilder voraus, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß dieses Publikum mögliche ironische Zwischentöne oder aber gar dezidierte Antithesen des deutschen Sängers leichter erkannte. In diesem Fall würde sich das Deutungspotential erhöhen. Würden wir dem Publikum ein solches ‚Vorwissen‘ absprechen, verminderte sich das Spektrum möglicher Interpretationen des Publikums. Man wird die gestellte Frage wohl nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten können, sondern von unterschiedlicher Kennerschaft innerhalb einer Zuhörerschaft ausgehen müssen (Mertens 1997, S. 35ff., u. 1998, S. 282f.). Mit der gestellten Frage tut sich eine weitere Kontroverse auf, die den heutigen Interpreten betrifft. Dürfen wir – falls wir die romanische Vorlage eines Minneliedes kennen, mit dem Verstehen des deutschen Textes jedoch Schwierigkeiten haben – den Sinn des romanischen Textes einfach auf den deutschen Text übertragen? Dürfen wir also den Sinn des deutschen Minneliedes mit Hilfe der Vorlage erschließen (dafür plädiert Touber 2003, S. 24–29, u. 2005a, S. 282f.)? Bei diesem Ansatz ergibt sich das methodische Problem, daß wir möglicherweise gerade die vom deutschen Dichter beabsichtigten Abänderungen ausschließen, die wir doch bei zahlreichen anderen deutschen Liedern, deren Sinn wir eindeutig bestimmen zu können glauben, ohne weiteres zugestehen. Es bleibt wohl ein ungelöstes Problem. Immerhin kann man sich damit trösten, daß mit der Berücksichtigung der romanischen Vorlage wenigstens eine mögliche Deutung eines schwierigen deutschen Textes gelingt. Rezeptionsvorgang auch in umgekehrter Richtung? Gibt es Indizien dafür, daß der Rezeptionsvorgang auch in umgekehrter Richtung erfolgte? Haben Minnesänger auf Trobadors oder Trovères eingewirkt? Vereinzelt wird diese Frage bejaht. So spricht Angelica Rieger (2000, S. 487f.) von einem „dichterischen Austausch“ bzw. einem gleichberechtigten Austausch zwischen Trobadors und Trovères auf dem Vierten

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Kreuzzug in den Jahren 1203/04, an dem auch Albrecht von Johansdorf beteiligt gewesen sei. Schweikle (1977 [1993], S. 456) vermutet im Blick auf Rudolf von Fenis ein „wechselseitige[s] Nehmen und Empfangen“ mit Folquet de Marseille. Doch für eine eventuelle Wirkung von Minnesängern auf die romanischen Dichter fehlen bislang die Belege (Touber 2005a, S. 292). Angesichts des erwähnten bildungsgeschichtlichen Gefälles erscheint es wenig wahrscheinlich, daß sich die Trobadors oder Trovères des damals wenig prestigeträchtigen deutschen Minnesangs bedient hätten.

2.3 Fallbeispiel: Rudolf von Fenis, MF 84,10 Peire Vidal, PC 364,37 – Stimmenvielfalt in der Trobadorlyrik – Rudolf von Fenis, MF 84,10

Peire Vidal, PC 364,37 Angesichts der skizzierten diachronen und synchronen Differenzierungen in der Rezeption romanischer Liebeslyrik mag der Versuch verwundern, einen einzelnen Fall als exemplarisch vorzustellen. Richtig ist, daß an dem ausgewählten Beispiel nicht alle Rezeptionsformen demonstriert werden können (z.B. fehlt die Ironisierung des Minnedienstes). Doch an dem Lied Rudolfs von Fenis MF 84,10 lassen sich zahlreiche Aspekte der Transformation romanischer Lyrik ablesen. Die Forschung ist sich einig, daß Fenis’ Lied MF 84,10 formal (Verszahl, Reimschema) und inhaltlich auf ein Lied des Trobadors Peire Vidal (PC 364,37) zurückgeht – also als Kontrafaktur zu bezeichnen ist (Frank 1952, Nr. 12; Aarburg 1961, Nr. 26; Sayce 1996, Nr. 7; Zotz 2005, S. 50–65). Vidals Lied ist zwischen 1187 und 1192 entstanden, Fenis’ Lied wohl wenig später. Während aber Fenis’ Lied nur in der Großen Heidelberger Liederhandschrift überliefert ist (C 19–21), sprechen 22 Handschriften für einen breiten Bekanntheitsgrad des romanischen Liedes. Entsprechend unterschiedlich wird der Text in den modernen Ausgaben dargeboten. Vor allem hinsichtlich der Strophenfolge weichen die Editionen voneinander ab. Zwar folge ich der Ausgabe von Avalle (1960), erwähne dennoch die Textanordnung der anderen Herausgeber: Ausg. Avalle (und Ausg. Fraser, S. 62–64): I, II, III, IV, V, VI, VII; Ausg. Anglade: I, IV, II, V, VI, II, VII; Frank 1952 (Nr. 12 b, mit Varianten) und Sayce 1996 (S. 169–172, mit Varianten): I, III, V, VI, II, IV, VII.

Fallbeispiel: Rudolf von Fenis, MF 84,10

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Da Fenis das siebenstrophige Lied Vidals ohnehin auf drei Strophen reduziert hat, fällt das Problem der ungeklärten Strophenfolge nicht so sehr ins Gewicht. Zudem entspricht Fenis’ Lied keiner der überlieferten Strophenabfolgen des romanischen Liedes. Geht man von Avalles Ausgabe aus, so ergeben sich folgende Relationen: Fenis I = Avalle V (Anglade IV, Frank III), Fenis II = Avalle III (Anglade III, Frank II), Fenis III = Avalle II (Anglade VI, Frank V). Peire Vidal (PC 364,37, Ausg. Avalle, Nr. 40, S. 367–371) Pus tornatz sui em Proensa Et a ma dona sap bo, Ben dei far gaia chanso, Sivals per reconoissensa: Qu’ap servir et ab honrar Conquier hom de bon senhor Don e benfag et honor, Qui be·l sap tener en car; Per qu’ieu m’en dei esforsar. E sel que long’atendensa Blasma, fai gran falhizo; Qu’er an Artus li Breto On avion lur plevensa. Et ieu per lonc esperar Ai conquist ab gran doussor Lo bais que forsa d’amor Me fetz a ma domn’emblar, Qu’eras lo·m denh’autreiar. E quar anc non fis failhensa, Sui en bona sospeisso Que·l maltragz me torn en pro, Pus lo bes tan gen comensa. E poiran s’en conortar E mi tug l’autr’amador, Qu’ab sobresforciu labor Trac de neu freida fuec clar Et aigua doussa de mar. Ses pechat pris penedensa E ses tort fait quis perdo, E trais de nien gen do Et ai d’ira benvolensa E gaug entier de plorar E d’amar doussa sabor, E sui arditz per paor E sai perden gazanhar E, quan sui vencutz, sobrar. Estiers non agra guirensa,

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Mas quar sap que vencutz so, Sec ma domn’aital razo Que vol que vencutz la vensa; Qu’aissi deu apoderar Franc’humilitatz ricor, E quar no trop valedor, Qu’ab lieis me posc’aiudar, Mais precs e merce clamar. E pos en sa mantenensa Aissi del tot m’abando, Ja no·m deu dire de no; Que ses tota retenensa Sui sieus per vendr’e per dar. E totz hom fai gran folor Qui di qu’ieu me vir alhor; Mais am ab lieis mescabar Qu’ab autra joi conquistar. Bel Rainier, per ma crezensa, No·us sai par ni companho, Quar tug li valen baro Valon sotz vostra valensa. E pos Dieus vos fetz ses par E·us det mi per servidor, Servirai vos de lauzor E d’als, quant o poirai far, Bel Rainier qui·us etz!, si·us par.

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Str. I: „Da ich nun in die Provence zurückgekehrt bin und das meiner Dame angenehm ist, muß ich wohl ein heiteres Lied machen, wenigstens aus Dankbarkeit; denn durch Dienst und Ehrerbierung erobert man von einem guten Herrn Gaben, Wohltaten und Ehre, wenn man das zu schätzen weiß; daher muß ich mich darum bemühen.“ Str. II: „Und wer langes Warten verurteilt, begeht einen großen Fehler; denn die Bretonen haben jetzt Artus, auf den (dessen Kommen) sie vertraut haben. Und ich habe durch langes Hoffen mit großer Süßigkeit den Kuß erobert, den mich die Kraft der Liebe meiner Dame rauben ließ – daß sie ihn mir jetzt doch gewähren möge!“ Str. III: „Und da ich nie einen Fehler beging, habe ich gute Hoffnung, daß mein Leid sich zum Vorteil wandle, da doch das Gute so schön beginnt. Und durch mich können alle anderen Liebenden Mut fassen, denn mit übermächtiger Anstrengung gewinne ich aus dem kalten Schnee helles Feuer und Süßwasser aus dem Meer.“ Str. IV: „Ohne Sünde nahm ich Buße auf mich, und ohne daß ich ein Unrecht beging, bat ich um Vergebung, und aus nichts hole ich eine freundliche Gabe, und aus Zorn habe ich Wohlwollen und vollkommene Freude aus Weinen und aus Bitterkeit süßen Geschmack, und ich bin mutig aus Furcht, und ich weiß, wenn ich (etwas) verliere, (etwas) zu gewinnen, und wenn ich besiegt bin, überlegen zu sein.“ Str. V: „Eine andere Rettung wird es nicht geben; vielmehr verfährt meine Dame, weil sie weiß, daß ich besiegt bin, nach folgender Idee: Sie will, daß ich sie als Besiegter besiege; denn so soll die aufrichtige Demut die Macht unterwerfen, und ich finde kein Mittel, das mir bei ihr helfen könnte, als zu bitten und um Gnade zu flehen.“ Str. VI: „Und da ich

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mich auf diese Weise ganz ihrer Macht unterwerfe, darf sie mir nicht nein sagen; denn ganz ohne Rückhalt bin ich der Ihre mit Haut und Haar. Und jedermann, der sagt, daß ich mich anderswohin wenden soll, begeht eine große Torheit; lieber will ich bei ihr scheitern, als eine andere Freude zu erobern.“ Str. VII: „Schöner Rainier, ich glaube, ich kenne keinen Pair und keinen Gesellen für Euch, denn all die werten Barone sind Euren Wert nicht wert. Und da Gott Euch zu seinem Pair machte und Euch mich zum Diener gab, werde ich Euch mit Lob und anderem dienen, wenn ich es kann – der Ihr der schöne Rainier seid –, wenn es Euch gut dünkt.“ (Übersetzung: Zotz 2005, S. 52f.)

Meine Präsentation dieses Liedes vollzieht sich in zwei Schritten. Zunächst wird der Text für sich selbst charakterisiert, dann dessen Profil unter Einbezug seines literarischen Kontexts verdeutlicht. Gleich die erste Strophe dieses Vidal-Liedes (PC 364,37) verwirrt den heutigen Leser. Denn die Verfertigung des Liedes, als Akt der Dankbarkeit gegenüber der geliebten Dame angekündigt, wird sofort zu einem Dienst gegenüber einem guten Herrn (bon senhor) umgedeutet. Haben wir es mit ein und derselben Person zu tun? Ist die Bezeichnung bon senhor als Umschreibung der Dame (ma dona) zu verstehen und die Dame somit der ‚Herr‘? Dieser Lesart steht der Übergang von Strophe 6 zu Strophe 7 entgegen. Str. VI endet mit der Beteuerung des Ich, sich niemals „anderswohin“ (d.h. zu einer anderen Dame) zu wenden. Str. VII beginnt dann mit dem Lobpreis auf Rainier, den Vizegrafen von Marseille, und der Beteuerung, diesem Herrn zu dienen. Wieder gehen Äußerungen über das Verhältnis zur Dame und über das Verhältnis zum senhor nahtlos ineinander über. Doch in diesem Falle gehen dona und senhor keinesfalls mehr in einer einzigen Person auf. Die am Ende des Liedes erkennbare Dissoziation von dona und senhor läßt sich aber auch für die erste Strophe in Anspruch nehmen. Dennoch, die übergangslose Abfolge von Minne- und Herrendienst ist verblüffend. Es entsteht der Eindruck, daß die Aussagen aller Strophen dieses Liedes auf einer doppelten semantischen Ebene anzusiedeln sind (von einem einseitigen panegyrischen Frauenpreis kann keine Rede sein): Der Diskurs über Dienst und Warten auf Lohn, über Macht und Gnade könnte das Verhältnis des Ich zur Dame wie auch das Verhältnis des Sängers zu seinem Gönner betreffen. (Dies gilt auch für andere Lieder Vidals, z.B. PC 364,28, Ausg. Avalle, Nr. 10; dazu Fraser 2006, S. 224; der Hörer weiß nicht, ob die Str. III u. IV die Belohnung durch den Mäzen oder durch die Dame meinen). Rudolf von Fenis wird diese Ambivalenz auf eine einzige mögliche Lesart (Minneverhalten) verengen. Programmatisch beginnt die zweite Strophe: Wer langes Warten kritisiert, begeht einen Fehler. Doch die Begründung fällt spöttisch-scherzhaft aus. Es wird mit der damals sprichwörtlichen (und von allen Nicht-Breto-

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nen belächelten) Vorstellung vom Glauben der Bretonen (spes Bretonum) an die Wiederkunft ihres Königs Artus argumentiert. Selbst diese an sich aussichtslose Hoffnung habe sich erfüllt – im Jahre 1187 wurde Arthur, der Sohn Gottfrieds von Bretagne, geboren. Allein diese Inbezugsetzung von eigenem langen Warten auf Lohn der Dame und dem unverdrossenen Hoffen der Bretonen, das sich nun angeblich erfüllt habe (aber vom Publikum Vidals nur mit Schmunzeln bedacht wurde), rückt die Beteuerung des Ich, langes Warten werde schließlich doch belohnt, in die Nähe von schelmischer Selbstironie. Wie um diesen Eindruck zu verstärken, konterkariert das Ich sein Eintreten für langes Warten durch die Mitteilung, es habe der umworbenen Dame einen Kuß geraubt. (Dazu habe ihn die Macht der Liebe gedrängt.) Nun hoffe es, daß die Dame ihm diesen Kuß gewähre. Auch bei Berücksichtigung der textkritischen Unsicherheit des letzten Verses (Str. II, V. 9) bleibt die entscheidende Aussage unzweifelhaft: Das Ich, das zuvor das lange Warten auf das Entgegenkommen der Dame verteidigt hat, bekennt nun, dieses Warten nicht praktiziert, sondern der Dame einen Kuß geraubt zu haben. Damit aber wird das anfängliche Diktum ad absurdum geführt. Die dritte Strophe führt diese Art der ironischen Selbstdarstellung fort, diesmal mit Hilfe eines übertriebenen Selbstlobs, das an die Gattung des gap erinnert. Die Untadeligkeit des Ich („ich habe nie einen Fehler begangen“) wird zur Voraussetzung der Gewißheit erklärt, daß das lange Werben belohnt werde. Ja, alle Liebenden könnten sich an ihm ein Beispiel nehmen, wozu unverdrossenes Lieben und Dienen befähige. Was dann allerdings als Beweis angeführt wird, kann nur als witzige Übertreibung und damit als absichtsvoller Nonsens verstanden werden: die Fähigkeit des Ich, aus kaltem Schnee helles Feuer und aus Meerwasser Süßwasser zu gewinnen. Die programmatische Äußerung zu Beginn der zweiten Strophe, langes Warten auf die Gunst einer Dame dürfe nicht verurteilt werden, wird mehr und mehr unglaubhaft (gemacht!) bzw. setzt den Glauben an ein Wunder voraus. Die vierte Strophe knüpft nahtlos an den gap-Charakter der dritten Strophe an. Wie schon dort, gipfelt die grenzenlose Selbstüberhebung in einer Kaskade von Paradoxa bzw. von Oxymora. Kurzerhand wird das Besiegtwerden zum Sieg erklärt. Ernsthaft hingegen klingt die Aussage in Str. V, wonach gerade der Unterlegene die überlegene Person zwingt, aus der Position des Stärkeren heraus Gnade walten zu lassen. Damit ist eine in mittelalterlicher Machtpolitik anerkannte und bewährte Praxis artikuliert. Freilich ist nicht auszuschließen, daß der bereits in Str. IV (V. 9) angedeutete und in Str. V ausge-

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führte Gedanke vom Sieg des Besiegten eine weitere Konnotation einschließt. Denn die Formel vom Sieg dessen, der eigentlich ‚unter-liegt‘, beherrscht den mittelalterlichen Diskurs über den Part der Geschlechter beim Sexualverkehr. In der Tenzone zwischen Guillelma de Rosers und Lanfranc Cigala (PC 200,1 = 282,14; Mitte 13. Jh.) begegnet in Str. VII dieses anzügliche Wortspiel vom Sieg der Frau, den der besiegte Mann gerne erträgt (vgl. Neumeister 1969, S. 171f.; A. Rieger 1991, S. 227–233, mit anderer Lesart). In den ‚Carmina Ratisponensia‘ (Ausg. Paravicini, Nr. 37, V. 17) wird ebenfalls den Frauen zugestanden, in Wettkämpfen mit den Männern zu siegen. Daß mit diesem Sieg der Frauen deren größere sexuelle Potenz gemeint ist und daß die Männer diese Art von Besiegtwerden gerne ertragen (und möglicherweise als Sieg feiern), macht im mittelalterlichen Eneasroman der Ritter Tarcons (Tarcho) im Streitgespräch mit der Amazone Camilla deutlich (‚Roman d’Eneas‘, V. 7073–80; Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 8973–9003). Daß eine Frau, obwohl sie ‚unterliegt‘, dennoch jeden Mann besiegt, weiß auch das misogyne Gedicht ‚De coniuge non ducenda‘ (1. Hälfte 13. Jh.; Ausg. Rigg, S. 88 u. 90, J 8, V. 2: Omnemque subdita vincet testiculum). Der Diskurs über den Kampf der Geschlechter liebt es, Sieg und Besiegtwerden beim Koitus entgegen der traditionellen Geschlechterordnung zu verteilen und dabei einerseits das Besiegtwerden der Männer als Sieg zu deuten, andererseits gleichzeitig die Frauen trotz ihres ‚Unter-Liegens‘ zu Siegerinnen auszurufen. Das Wortspiel Vidals von Sieg und Besiegtwerden beim Werben des Mannes um eine Frau konnotierte möglicherweise diesen Diskurs. In Str. VI bekräftigt das Text-Ich nochmals seine rückhaltlose Unterwerfung unter die Macht der Dame, was diese wiederum zu einer wohlwollenden Reaktion nötige. Seine totale Fixierung auf diese eine Dame läßt auch den Ratschlag anderer, er möge sein Werben „anderswohin“ richten, als törichtes Gerede erscheinen. Ohne Übergang kommt nun in Str. VII plötzlich der Mäzen Raimon Gaufré (Senhal Rainier) ins Spiel. Er wird als unvergleichlicher Herrscher gespriesen, dem das Ich mit Herrscherlob dienen werde. Vidals Lied steckt voller scherzhafter Übertreibungen und selbstironischer Aussagen. Der Glaube daran, daß sich langes Warten auf Belohnung für Minnedienst lohne, wird gefordert und zugleich ins Lächerliche gezogen. Überdies vermischen sich auf intrikate Weise zwei Lesarten: Warten auf Liebeslohn und Warten auf Lohn durch den Mäzen. Deshalb ist unsicher, worauf sich die Zuversicht des Ich gründet: auf den Lohn des Herrn oder den der Dame (Str. I,6 und II,6 bestärken durch das identische conquier bzw. conquist für den Herren- und Minnedienst diese Ambivalenz).

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Berücksichtigt man den realhistorischen Kontext des Liedes, könnte jedoch die These, wonach langes Warten belohnt werde, trotz der zahlreichen Ironiesignale Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen. Denn Vidal hat, nachdem er sich offensichtlich einige Jahre fern der Provence aufgehalten hatte, den Vizegrafen von Marseille als Mäzen (zurück?)gewonnen. Insofern stützt seine Biographie die Liedaussage in Str. II, langes Warten werde belohnt. Doch die Aussage in Str. II bezog sich ja auf das Minneverhältnis. Demnach begründet Vidal eine auf die Liebe zielende Aussage durch ein realpolitisches Ereignis, die Gunst des Vizegrafen, wie sie in der ersten und letzten Strophe des Liedes angesprochen ist. Von dieser doppelten Semantik fehlt in Rudolfs von Fenis Rezeption jede Spur. Stimmenvielfalt in der Trobadorlyrik Das Sinnpotential und der Spiel-Charakter von Vidals Lied vergrößert sich noch, wenn man es in den damaligen literarischen Kontext hineinstellt. Denn dieses Lied steht in einer Auseinandersetzung mit Liedern anderer Trobadors – einer Auseinandersetzung, die auch Spielmomente aufweist. Erwiesen ist (Gruber 1983, S. 220–228; Zotz 2005, S. 54; Fraser 2006, S. 66f.), daß Vidal mit seinem Lied (PC 364,37) Position bezieht gegen ein Lied Folquets de Marseille (PC 155,10; entstanden ca. 1190/92) – zur Erinnerung: Vidal preist den Vizegrafen von Marseille als seinen Mäzen –, das sich seinerseits gegen ein Lied Peires d’Alvernha wendet (PC 323,2; ca. 1168 entstanden). In allen drei Liedern geht es um die Streitfrage: Ist langes Warten auf Liebeslohn zu befürworten? Daß aber diese Streitfrage erstens über die drei genannten Lieder hinaus in der Trobadorlyrik breit debattiert wird und daß diese Diskussion zweitens eher literarisch-spielerischen als minnetheoretisch-konzeptuellen Charakter besitzt, soll kurz vorgeführt werden. Dann erst wird das ganz andere Profil von Fenis’ Lied deutlich. Den Ausgangspunkt des erwähnten Dichterwettstreits bildete Peire d’Alvernha mit seinem Lied ‚Ab fina joia comensa‘ (PC 323,2, Ausg. Zenker, Nr. 4; Übersetzung: ebd., S. 157f.). Gegen zwei Aussagen dieses Liedes wendet sich Folquet de Marseille (PC 155,10). Peire d’Alvernha hatte erklärt, daß er „durch geduldiges Ausharren“ (Str. II,3: per bona atendensa) Freude von der Dame erlangen werde. Daß er, um die Gunst der Dame zu erlangen, bereits in Vorleistung gegangen sei, beteuert er zu Beginn der fünften Strophe: „Ohne Sünde tat ich Buße“ (Str. V,1: Ses pechat fis penedensa), und verteidigt nochmals das „lange Werben“ (Str. V,3: long’enten-

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densa). Dieses lange Warten kritisiert Folquet (PC 155,10) als törichtes Tun: „Diejenigen mögen Pein erleiden, die durch törichtes Ausharren vor der Sünde Buße tun“ (Ausg. Stro´nski, Nr. 13, Str. II,7–9: e cylh suefran lo turmen / qui fan, per fol’ atendensa, / ans del peccat penedensa). Die wörtlichen Zitate sind unüberhörbar. Peire Vidal seinerseits spielt formal auf Peire und Folquet an und verteidigt inhaltlich Peire gegen dessen Kritiker Folquet. Peire Vidal greift zustimmend Peires d’Alvernha Aussagen auf (pro langes Warten und pro ‚Buße tun ohne Sünde‘) und weist somit Folquets Position zurück. Daß Vidal auf Folquets Lied antwortet, wird durch die Identität der sonst nicht belegten metrisch-musikalischen Struktur belegt (Gruber 1983, S. 222). Außerdem entlehnt Vidal sämtliche Reimwörter auf -ensa – mit Ausnahme des ersten – der Kanzone Folquets (ebd.). Mit Peire d’Alvernha stimmt Peire Vidal nicht nur in den zwei Punkten überein, die Folquet abweist (langes Warten; ohne Sünde Buße tun), sondern auch in der Beteuerung, daß derjenige auf falschem Wege sei, der ihm rate, er solle einer anderen Frau dienen. Bei Peire d’Alvernha wie bei Peire Vidal steht diese Aussage in der sechsten Strophe (dieselbe Aussage bei Aimeric de Peguilhan, PC 10,23, Ausg. Shepard/Chambers, Nr. 23, Str. IV u. V). Zunächst wird es den heutigen Leser verwirren, überhaupt in der Trobadorlyrik einer solchen Kontroverse über die rechte Art des Liebens zu begegnen (vgl. schon Jaufre Rudel, PC 262,1, Ausg. Jeanroy, Nr. 4, Str. II,5–7: „Ich bin dessen gewiß, daß der weise ist, der wartet, und jener dumm, der zu sehr tobt“), wo doch angeblich deutsche Minnesänger ‚die‘ provenzalische Minnedoktrin übernommen haben. Diese trobadoreske Kontroverse ist nicht wegzudiskutieren, doch ist sie in ihrer Schärfe abzuschwächen, sobald feststeht, daß diese Kontroverse nicht mit einem ideologischen Meinungsstreit gleichzusetzen ist. Nicht um eine ethischmoralische Auseinandersetzung, nicht um eine Kontroverse zwischen gegensätzlichen persönlichen Überzeugungen geht es hier, sondern um einen literarisch-rhetorischen Wettstreit (Peire Vidal [PC 364,2, Ausg. Avalle, Nr. 3, Str. VII,1] bezeichnet Folquet de Marseille als seinen Freund, als mon amic; dazu Fraser 2006, S. 42f.). Einen Beweis hierfür liefert Bernart von Ventadorn, ein Klassiker unter den Trobadors. In seinem Lied ‚Lo tems vai e ven e vire‘ (PC 70,30, Ausg. Appel, Nr. 30) beklagt sich der Sänger in den ersten vier Strophen über den ungelohnten Dienst und schilt sich selbst wegen der Aussichtslosigkeit des Dienstes einen Toren. In Str. V fragt er unwillig, wer denn jemals gesehen habe, daß jemand vor der Sünde Buße getan habe (V,3f.: qui vid anc mais penedens/ faire denan lo pechat), und droht seiner Dame mit dem Abschied. Also auch Bernart von Ventadorn stuft wie Folquet de Marseille

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und gegen Peire d’Alvernha und Peire Vidal das lange mühevolle Werben um die Dame als ein unsinniges Verhalten ein. Freilich vollzieht Bernart in Str. VI seines Liedes eine revocatio und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß seine Dame ihn eines Tages doch noch erhören werde, und beteuert in der siebten Strophe, daß er sich nie von seiner Dame trennen und daß er seine Kritik an ihr aufgeben werde – falls sie sich von nun an bessere. Damit aber macht er seinen weiteren Dienst doch wieder von einer veränderten, günstigeren Haltung der Dame abhängig, vollzieht also eine versteckte revocatio der revocatio. Zwar endet das Lied mit einem Preis der geliebten Dame, doch bleibt alles in der Schwebe bzw. unter dem Vorbehalt „falls sie sich bessert“ (Str. VII,7: sol d’eus adenan s’emen). Mag auch Bernart die erste provokante Aussage (keine Buße tun vor der Sünde) durch die revocatio (die aber dann wiederum durch die folgende Teil-revocatio relativiert wird) zurücknehmen, entscheidend ist der Umstand, daß diese kritische Sicht überhaupt artikuliert wird und dazuhin weit mehr als die Hälfte des Gedichtes einnimmt! Keine revocatio kann die vorangegangene geballte Kritik am langen Warten vergessen machen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Peire d’Alvernha und Peire Vidal mit ihrer Behauptung „Ich habe vor der Sünde Buße getan“ auch auf Bernarts skeptische Frage (Wer wird denn vor der Sünde Buße tun?) geantwortet haben. Doch bleibt angesichts der Gewichtsverteilung der konträren Positionen unklar, für welche Auffassung Bernart von Ventadorn nun eigentlich steht. Das Schwanken zwischen Kritik am langen Warten und anschließender revocatio prägt – wie so viele andere Lieder – auch Bernarts Lied ‚La dousa votz ai auzida‘ (PC 70,23, Ausg. Appel, Nr. 23). Die ersten 5 Strophen (plus der ersten Hälfte der 6. Strophe) sind voll von Anklagen gegen Amors. Folgerichtig gipfeln diese Beschuldigungen in der Aufkündigung des Dienstes: „Ich bin gar töricht, wenn ich ihr ferner diene. Dienst, den man nicht lohnt, und bretonisches Harren machen nach Fug und Brauch einen Mann zum Kinde“ (Str. V,4–8; Übersetzung: Ausg. Appel, S. 139). Das Hoffen der Bretonen auf die Rückkehr von Artus erinnert an Peire Vidals zitiertes Lied (PC 364,37). Aber anders als dort erfüllt sich in Bernarts Lied nicht das Wunder der Wiederkunft, sondern das lange Warten des liebenden Ich erscheint genauso töricht wie die spes Bretonum. Dieses Lied steht also – bis zur sechsten Strophe – näher bei Folquets Lied PC 155,10 als bei Peire Vidal, PC 364,37. Doch mittten in der sechsten Strophe erfolgt in einer Art von revocatio wiederum eine Wendung: Plötzlich (einsetzend mit einem mas ‚doch‘) zeigt sich das Ich erfreut, wenn jemand ihm von der Dame berichtet (Str. VI,5–8). Die Abkehr von der Dame wird rückgängig gemacht. Das Ich schwankt in seiner Haltung gegenüber der

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domna. Keiner Position kommt der Status einer endgültigen Auffassung zu. Stets droht die revocatio (auch die revocatio der revocatio). Entsprechend muß die oben skizzierte Aueinandersetzung zwischen Peire d’Alvernha, Folquet de Marseille und Peire Vidal in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Keine Position beansprucht generelle Gültigkeit, sondern die eine Position ist genauso richtig wie die andere. Diese These bestätigt sich, wenn wir die Vielfalt der Liedtypen bedenken. Den entscheidenden Beweis dafür, daß die skizzierte Kontroverse nicht ernstgemeinte Meinungsverschiedenheiten spiegelt, liefert Folquet de Marseille selbst, der doch von Peire Vidal wegen seiner Kritik an langem Werben getadelt wird. Das fragliche Lied Folquets gehört zum Typ mala canso, dessen Kennzeichen harsche Kritik an der domna und die Trennung von ihr sind. Kein Wunder also, daß Folquet in diesem Lied das lange, vergebliche Warten anprangert. Ganz andere Töne vernehmen wir in einer sog. bona canso Folquets, der konventionellen Minnekanzone mit Dienstergebenheit des Mannes. So lesen wir in dem Lied ‚Tan mou de corteza razo‘ (PC 155,23), daß das Herz dem Leib nicht erlauben werde, sich von der Dame zu trennen. Dann versichert das Ich: „Ich warte lieber, ob ich sie (die Dame) nicht durch mein Erdulden besiegen kann, denn langes Erdulden und Mitleid siegen da, wo Gewalt und List nichts vermögen“ (Str. V,9–12). In einem anderen Lied wiederum, einer mala canso (Trennungslied), beklagt das Ich das lange, vergebliche Warten auf den Lohn der Dame (PC 155,21, Ausg. Stro´nski, Nr. 11, Str. I; dieses Lied wird Rudolf von Fenis, MF 80,1 u. 81,30, aufgreifen). Aber auch innerhalb desselben Liedtypus können Divergenzen auftreten. So hat etwa Peire d’Alvernha, der in dem oben erwähnten Lied Kritik am langen Warten abwehrte, in einem anderen Lied durchaus den Wunsch nach rascher Liebeserfüllung geäußert (PC 323,12, Ausg. Zenker, Nr. 5, Str. III,1–4). In einem weiteren Lied bezieht auch Peire d’Alvernha gegen zu langes Warten Stellung (PC 323,23, Ausg. Zenker, Nr. IX1, Str. VI; Übersetzung: ebd., S. 163): „So will ich plaidieren: Wer seine Hoffnung auf Liebe setzt, sollte nicht lange säumen, so lange Liebe Zeit hat; denn schnell fällt weiss auf blond, wie die Blüte am Baum, und es ist besser, wenn eine handelt, bevor ein anderer sie dazu zwingt.“ Zwar ist dies die Stimme der Nachtigall, die der domna einen Rat gibt, doch grundsätzlich ändert dies nichts an dem Faktum, daß hier ein Text den Wunsch formuliert, Liebeserfüllung solle nicht lange hinausgezögert werden. Trobadors können also in verschiedenen Liedern unterschiedliche Ansichten äußern. Sogar Peire Vidal, der Folquets Kritik am langen Warten kritisiert hatte (PC 364,37), konnte in einem anderen Lied (PC 364,28, Ausg. Avalle, Nr. 10, Str. III)

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sich darüber beklagen, daß er seiner Dame vergeblich gedient und vergeblich wie ein Bretone (Hinweis auf die spes Bretonum!) auf die Gunste der Dame gewartet habe. Deshalb wende er sich nun von ihr ab. Von einem Plädoyer für langes Warten will Vidal in diesem Lied nichts wissen. Diese Vielfalt, ja Widersprüchlichkeit von Aussagen zum Thema Minne war offensichtlich möglich, weil ein Trobador nicht auf ein einziges Liebeskonzept festgelegt war bzw. festgelegt wurde. Stattdessen war die Aufgabe gestellt und das Bemühen erkennbar, das komplexe Phänomen Liebe in all seinen Schattierungen auszuspekulieren. (Deshalb kann das Problem des langen Wartens auch zum Gegenstand einer Tenzone werden; vgl. PC 364,32: Tenzone zwischen Peire Vidal und Blacatz.) Nicht nur generierten unterschiedliche Liedtypen unterschiedliche Liebesauffassungen, sondern Stimmenvielfalt war auch in ein und derselben Liedgattung erlaubt. Die Stimmenvielfalt ist letztlich die Folge des Umstands, daß in zahllosen Trobadorliedern emotionale Dispositionen wie Schmerz und Freude, Verzweiflung und Hoffnung, Ängstlichkeit und Kühnheit ständig wechseln und sogar häufig ineinander aufgehen: Im Schmerz liegt dann die Freude; die Ängstlichkeit wird zum Mut; der Tod ist das Leben (Dragonetti 1960, S. 55–59; Bec 1971). Die Formel ‚aus Furcht mutig sein‘ gehört hierher. In Peire Vidals Lied PC 364,37, das den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildete, formuliert das Ich: „Ich bin mutig aus Furcht“ (Str. IV,7: E sui arditz per paor). Darin geht Vidal mit Folquet zusammen, der genauso formuliert (PC 155,5, Ausg. Stro´nski, Nr. 1, Str. III,2: q’arditz sui per paor; ähnlich PC 155,22, Ausg. Stro´nski, Nr. 2, Str. V,8). Diese paradoxe Aussage spiegelt exemplarisch die prinzipielle Fragilität der emotionalen Befindlichkeit des Text-Ich in der romanischen Liebeslyrik. Der Umschlag von Freude in Schmerz, von Hoffnung in Verzweiflung, von Lobpreis in Anklage und in umgekehrter Richtung kann jeden Augenblick erfolgen, so daß schließlich die beiden Zustände gar nicht mehr auseinanderzuhalten sind und in eins zusammenfallen. (Den mittelalterlichen Medizinern war der Gedanke vertraut, daß Liebeskranke die Fähigkeit verlieren, Schmerz und Freude zu unterscheiden; vgl. Bernardus Gordonius, ‚Lilium medicinae‘ [1542], fol. 111r). Zwar hat die romanische Lyrik diese paradoxe Formel „aus Furcht kühn sein“ Ovid entlehnt, doch bezeichnenderweise nicht dessen Liebesdichtung, sondern den ‚Tristien‘ (Ovid, ‚Tristien‘ I 4,4: Audaces cogimur esse metu; dort geht es um die Gefahren in der Seefahrt). Denn in der ‚Ars amatoria‘ (I 664) rät Ovid unverblümt dazu, eine günstige Gelegenheit zur Befriedigung sexuellen Begehrens nicht ungenutzt zu lassen. Schüchternheit vor der Dame ist für Ovid lediglich ein taktisches Mittel (Schrötter 1908, S. 57ff.), keine emotionale Befindlichkeit. Deshalb

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erstaunt es nicht, daß in den altfranzösischen Minnetraktaten, die stark von Ovids ‚Ars amatoria‘ beeinflußt sind, immer wieder der Ratschlag erteilt wird, sich nicht schüchtern, sondern kühn vor der geliebten Frau zu verhalten (z.B. ‚L’art d’amours‘, V. 1124, 1136, 1562–66, 1824f.; Richard de Fournival, ‚Consaus d’amours‘, Ausg. Speroni, S. 265). So ist man geneigt, einen Unterschied zwischen den nordfranzösischen Liebestraktaten (mutiges Vorgehen) und dem höfischen Minnesang (ängstliches Verhalten) herzustellen (Dragonetti 1959, S. 29ff.). Doch kennzeichnet den Minnesang in Nord- wie in Südfrankreich eher das Miteinander von Kühnheit und Ängstlichkeit (vgl. zur Trobadorlyrik: Cropp 1975, S. 113–145; Beispiel aus der Trovèrelyrik ist R. 264, dazu Kelley 2000, S. 200ff.). Weil aber dieses ‚Zugleich‘ der konträren Verhaltensweisen ein höchst labiles Gebilde darstellt und ständig der Umschlag von der einen in die andere emotionale Disposition erfolgen kann, reizte es die romanischen Dichter, die stets an spitzfindigen Problemstellungen interessiert waren, die eine Haltung gegen die andere auszuspielen. Also wurde in Partimen und Tenzonen die Frage diskutiert, ob eine Dame einen ängstlichen oder einen kühnen Verehrer bevorzugen solle: in der zweisprachigen (okz.-frz.) Tenzone zwischen Raimbaut de Vaqueiras und Conon de Béthune (PC 392,29, Ausg. Linskill, Nr. 21); in der Tenzone zwischen Jehan Bretel und Jehan de Grieviler (R. 546; Ausg.: Bec 2000, S. 179–185). Da diese Streitreden fast nie mit einem Urteilsspruch überliefert sind, können beide Positionen mit einem gewissen Zuspruch seitens des Publikums rechnen. Dann aber – und damit kehren wir zu unserem Ausgangspunkt, dem Lied Peire Vidals mit seiner expliziten Stellungnahme für langes Warten, zurück – dürfen wir prinzipiell keiner extremen Aussage in einem Trobadorlied den Anspruch auf endgültige Wahrheit zugestehen, schon deshalb, weil die Trobadors des 12. Jh. selbst einen solchen Anspruch nicht erhoben haben (dies gegen Bernsen 2001). In einem Cobla-Wechsel tadelt die Comtessa de Proensa den Trobador Gui de Cavaillon dafür, daß er zu schüchtern sei und sie doch um Liebe bitten solle (PC 187,1=192,6; Ausg.: A. Rieger 1991, S. 204f.). Es gibt in der romanischen Lyrik keine Äußerung, keine Stellungnahme, die nicht durch eine gegenteilige Äußerung hätte in Frage gestellt werden können. (Sogar in der Anlage der Trobadorhandschriften läßt sich zuweilen die Tendenz beobachten, gegensätzliche Standpunkte gegeneinanderzustellen; vgl. Nichols 1999, S. 77–90). Man kann das Hin- und Herschwanken zwischen zwei Positionen geradezu als Strukturprinzip eines Trobadorliedes bezeichnen (Kay 1990, S. 69ff.). In der Trobadorlyrik wird genauso oft gegen das lange Warten plädiert wie dafür (vgl. Schnell 1978, S. 89–92; zu den dort angeführten Belegen

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kommen u.a. hinzu: Bernart von Ventadorn, PC 70,39, Str. VII; Pons de Capdoill, PC 375,4, Str. I; Tenzone zwischen Peirol und Dalfi, PC 366,30; Partimen zwischen Prebost und Savaric, PC 384,1, Str. V; Tenzone zwischen Peire Vidal und Blacatz, PC 364,32; Folquet de Marseille, PC 155,10 [s.o.]; Raimbaut de Vaqueiras, PC 392,17, Str. III; vgl. auch Knobloch 1886, S. 37f. – Reinmar, MF 189,14 u. 189,32, wagt nur ganz vorsichtig am Sinn des langen Wartens zu zweifeln). Damit steht die romanische Lyrik näher bei der mittellateinischen Dichtung, die gerne die in der ‚Ars amatoria‘ vorgestellte Liebesauffassung rezipiert (vgl. Schnell 1985, S. 156f.). Angesichts der Neigung der Trobadors, jeder Position eine konträre Position entgegenzustellen, erscheint es fast schon konsequent, daß sie den idealen Liebenden als eine paradoxe Figur konstruieren, die Gegensätze in sich vereinigt (vgl. auch ‚Cort d’amor‘, V. 43–45, 157–180, 217–248). In dieser idealen ‚Kunstfigur‘ kommt zugleich eine Minneauffassung zu Wort, deren Ideal im Ausgleich von sexuellem Begehren (Kühnheit) und Unterwerfung unter den Willen der begehrten Frau (Furchtsamkeit) besteht (Schnell 1990, S. 280–282). Doch dieses Ideal wird in jedem Lied wieder anders ins Visier genommen. Im einen Lied schlägt das Pendel mehr zur Ängstlichkeit, Schüchternheit aus (Gaucelm Faidit, PC 167,18, Ausg. Mouzat, Nr. 62, Str. V,9–12: man könne nicht aufrichtig lieben ohne Furcht zu fühlen), in einem anderen Lied eher zur Kühnheit, in wiederum anderen Liedern werden beide Dispositionen in eins zusammengezwungen. So spricht sich Folquet de Marseille in einem Lied eher für eine furchtsame Haltung gegenüber der Dame aus (PC 155,27, Ausg. Stro´nski, Nr. 4, Str. II,1–5 u. IV,2; PC 155,14, Ausg. Stro´nski, Nr. 8, Str. III,5–7), in einem anderen Lied hofft er, mit Mut die Angst zu überwinden (PC 155,18, Ausg. Stro´nski, Nr. 7, Str. III,5). Cadenet zeigt sich einmal als kühner Liebhaber (PC 106,2, Ausg. Appel, S. 22f., Str. I–III: um etwas zu gewinnen, müsse man verwegen sein), ein andermal als ausgesprochen furchtsamer Verehrer (PC 106,15, Ausg. Appel, S. 29f., Str. V). Gaucelm Faidit thematisiert in ca. 20 seiner ca. 70 Lieder die Relation von Furcht und Kühnheit. Die paradoxe Formulierung „mutig aus Furcht“ läßt letztlich die Frage, ob man auf die Gunst der Dame lange warten soll oder nicht, ins Leere laufen: Denn Ängstlichkeit und Kühnheit sind gleichermaßen gefragt. Wenn aber Gegensätze in eins zusammenfallen, dann ist der Streit zwischen konträren Positionen hinfällig. Das Aussprechen unterschiedlicher Auffassungen kann dann keinen anderen Status mehr besitzen als den einer spielerisch-kompetitiven Auseinandersetzung.

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An zentralen Aspekten wie ‚langes Warten oder nicht‘, ‚kühn oder furchtsam gegenüber der Dame sein‘, ‚schmerzliches Dienen ohne Liebeserfüllung bejaht oder abgelehnt (Buße tun vor der Sünde?)‘ läßt sich also der Diskussionscharakter des romanischen Liebesdiskurses festmachen: Jeder Position kann eine Gegenposition entgegengestellt werden. Und dies nicht nur in Partimen oder Tenzonen, sondern sogar auch innerhalb der Gattung der Minnekanzonen! Der skizzierten diskursiven Offenheit in der romanischen Lyrik hat der deutsche Minnesang wenig an die Seite zu stellen, schon gar nicht Rudolf von Fenis. Obwohl Fenis dasselbe formuliert wie Vidal, erhält die identische Aussage (man soll langes Warten nicht kritisieren) aufgrund der unterschiedlichen literar- und bildungsgeschichtlichen Kontexte einen je anderen Sinn und Anspruch. Die Balance zwischen Furcht vor der Dame und Kühnheit ihr gegenüber thematisieren die Minnesänger ganz selten (nahe kommt allein Hartwig von Raute, MF 117,26), meist bleibt es bei der Erwähnung einer einzigen Haltung (Friedrich von Hausen, MF 44,17f.: angest; Heinrich von Veldeke, MF 57,1: Warnung vor Kühnheit; Reinmar, MF 153,23: Wunsch, nicht furchtsam zu sein). Ein weiteres Detail ist aufschlußreich: In den Trobadorliedern spricht das Ich davon, daß Furcht vor der abschlägigen Antwort der Dame es davon abhalte, ihr den Liebesschmerz mitzuteilen (obgleich im selben Atemzug gerade dieser Liebesschmerz artikuliert wird: der sog. performative Selbstwiderspruch). Im deutschen Minnesang berichtet das Ich davon, daß die Nähe der Dame einmal so überwältigend auf es gewirkt habe, daß es vor lauter Staunen das Reden vergessen habe (Heinrich von Morungen, MF 126,6f.; 135,19f.; 135,32f.; 136,15f.; Reinmar, MF 153,27; 164,21–29; Walther von der Vogelweide, L 115,22). Zwar ist das Motiv des Verstummens vor der Dame der abendländischen Liebesdichtung seit Ovid bekannt (vgl. auch Wechssler 1909, S. 259–264), doch der Unterschied zwischen der romanischen und der deutschen Liebeslyrik ist vielsagend. Trobadors sprechen in ihren Liedern vor allem darüber, ob sie es wagen können, der Dame ihre Liebe zu bekennen. Während des Vortrags und in ihrem Vortrag thematisieren sie die Bedingungen und Konsequenzen dessen, was sie jetzt gerade tun: ihres Singens (besonders schöne Beispiele bei Gaucelm Faidit, PC 167,20a, Ausg. Mouzat, Nr. 19, Str. IV; Folquet de Marseille, PC 155,22, Ausg. Stro´nski, Nr. 2, Str. V; Peirol, PC 366,21, Ausg. Aston, Nr. 15, Str. III–V; Raimbaut d’Orange, PC 389,41, Ausg. Pattison, Nr. 5, Str. V,7, VII,4–7 u. VIII,3f.; ders., PC 389,4, Ausg. Pattison, Nr. 7, Str. II,3–6). Das nenne ich Thematisierung der performativen Handlung. Die Minnesänger hingegen berichten in ih-

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ren Liedern – rückblickend – von einer Begegnung, in der sie ihre Sprache verloren hatten. Sie erzählen also (vereinzelt kommt dies freilich auch in der Romania vor, z.B. Cercamon, PC 112,4, Ausg. Jeanroy, Nr. 1, Str. III,3–6). Das nenne ich einen narrativen Vorgang. Dieser Unterschied von Reflexion auf den Akt des Vortragens einerseits (Trobadors) und von narrativem Bericht einer vergangenen Begebenheit andererseits (Minnesänger) stützt die These (s. Kap. 2.2), wonach die romanische Lyrik viel stärker als der Minnesang die Implikationen des Singens in den Blick genommen hat. Das Thema Singen stand neben dem Thema Liebe im Zentrum ihrer Lieder. Erst mit Reinmar und vor allem mit Walther von der Vogelweide wurde in diesem Punkt gänzlich der Anschluß an die romanische Lyrik hergestellt (Reinmar, MF 176,19f., bietet wohl eine der ganz wenigen Parallelen zu den performativen Reflexionen der Trobadors; f Minnesang III, Kap. 3.2). In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Unterschied zu nennen: Wenn die Trobadors darüber reflektieren, was sie sagen dürfen bzw. was sie nicht zu sagen wagen, dann bezieht sich diese Überlegung häufiger auf das Verhältnis zur Dame. Wenn die Minnesänger (beispielhaft Reinmar) darüber nachdenken, was sie sagen dürfen bzw. verschweigen sollen, dann betrifft diese Überlegung häufiger das Verhältnis zum (fingierten) Publikum: Die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Pflicht, nach außen hin Freude zu zeigen und zu schenken, und der inneren, von Leid geprägten Befindlichkeit erlangt im Minnesang einen höheren Stellenwert. Damit aber gewinnt der Aspekt der ethischen Leistung, d.h. der Selbstdisziplin des Sängers, an Bedeutung. Die vielzitierte Ethisierung des Minnesangs würde demnach nicht nur die inszenierte Liebesbeziehung betreffen, sondern auch die gesellschaftliche Funktion des Sängers. Rudolf von Fenis, MF 84,10 Doch nun zu Rudolfs von Fenis Lied MF 84,10. Daß Fenis das zitierte Lied Vidals als Vorlage benutzte, ist weitgehend Konsens (Frank 1952, Nr. 12 a/b; Aarburg 1961, Nr. 26; Kasten 1995, S. 669; Sayce 1996, Nr. 7; Zotz 2005, S. 50–65; skeptisch Peters 2006, S. 252). Was hat er aus seiner romanischen Vorlage gemacht? (Nur am Rande sei vermerkt, daß Rudolf von Fenis den Hinweis auf zehn Jahre Dienst in Str. II,9 einem Lied Folquets von Marseille entlehnt hat, PC 155,21, Str. I,7 – einem Lied, das er in einem anderen Lied [MF 80,1] ausgiebiger rezipiert hat.)

Fallbeispiel: Rudolf von Fenis, MF 84,10 Nun ist niht mêre mîn gedinge, wan daz si ist gewaltic mîn: bî gewalte sol genâde sîn. ûf den trôst ich ie noch singe. Genâde diu sol überkomen grôzen gewalt durch miltekeit. genâde zimt wol bî rîcheit. ir tugende sint sô vollekomen, daz durch reht mir ir gewalt sol vromen. Swer sô staeten dienest kunde, des ich mich doch troesten sol, dem gelunge lîhte wol. ze jungest er mit überwunde Daz sende leit, daz nâhen gât. daz wirt lachen unde spil. sîn trûren gât ze vreuden vil. in einer stunde sô wirt es rât, daz man zehen jâr gedienet hât. Swer sô langez bîten schildet, der hât sichs niht wol bedâht. nâch riuwe sô hât ez wunne brâht. trûren sich mit vreuden gildet. Dem, der wol bîten kan, daz er mit zühten mac vertragen sîn leit und nâch genâden klagen, der wirt vil lîhte ein saelic man. daz ist der trôst, den ich noch hân.

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(Str. I)

5

(Str. II)

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(Str. III)

5

Nachdem das Profil des romanischen Vorbilds ausführlich erläutert wurde, lassen sich die Merkmale des deutschen Liedes relativ rasch benennen. Dabei soll das Exemplarische im Vordergrund stehen (die Darstellung bei Zotz 2005, S. 61–65, verliert sich in zahlreichen Details). Da Rudolf von Fenis das sieben Strophen umfassende Lied Peire Vidals auf drei Strophen reduziert hat, interessiert natürlich die Frage, was er übernommen, was übergangen hat. Fenis berücksichtigt nur drei der sieben Strophen Vidals: Strophe V (Macht verpflichtet zur Gnade) verwendet Fenis für seine erste Strophe; aus Vidals Str. III (Untadeligkeit des Werbers berechtigt zur Hoffnung auf Liebesglück; das Ich kann als Beispiel für andere dienen) konstruiert er seine zweite Strophe; Vidals Str. II bildet den Grundstock für Fenis’ dritte Strophe. Dem Lied Vidals hat Fenis also drei Grundgedanken entnommen: Zur Macht und Herrschaft gehört Gnade; Dienst berechtigt zur Hoffnung auf ein glückliches Ende des Werbens; Verteidigung des langen Wartens. Sodann stellt sich die Frage, wie aus dieser Fragmentarisierung von Vidals Lied ein eigenes in sich geschlossenes Gedicht werden konnte.

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Schnell wird klar, daß dies mit Hilfe der Leitworttechnik gelang (der sich die meisten deutschen Minnesänger bedienten). Der zentrale Begriff der ersten Strophe, genâde, kehrt am Schluß des Liedes wieder (Str. III,7) und bindet somit Anfang und Ende zusammen. Der ebenso bedeutsame Begriff trôst (das Wissen darum, daß zur gewalt Gnade gehört, erzeugt Hoffnung) verbindet alle drei Strophen (I,4; II,2; IV,9). Das Widerspiel von vreude und trûren durchzieht die Strophen II und III. Auf diese Weise entsteht ein dichtes thematisches Geflecht, das den Eindruck von Geschlossenheit vermittelt. Dazu trägt auch der Verzicht auf alle ‚konkreten‘ Details der Vorlage bei: Rückkehr in die Provence; Anlaß des Singens; Hoffnung der Bretonen auf die Wiederkunft Artus’; Eroberung eines Kusses; Nennung des Mäzens. (Beachtenswert ist immerhin der Umstand, daß Fenis zumindest in einem Vers [I,4] von seinem Singen spricht, also den performativen Aspekt einbezieht; f Minnesang I, Kap. 1.4) Die Geschlossenheit von Fenis’ Lied wurde also ermöglicht durch Reduktion, Selektion und Abstraktion. Es wird nicht verwundern, daß diese thematische Verengung und Verdichtung dem Lied Rudolfs von Fenis einen stärker programmatischen Charakter verleiht. Diese Programmatik wird durch eine strukturelle Verlagerung verstärkt: Während Vidal die Aussage, man dürfe langes Warten nicht tadeln, bereits in der 2. Strophe bringt (in anderen Fassungen in der 5. Strophe, nur in der Edition von Anglade [1923] in der 6. Strophe), setzt Fenis sie ans Ende und gibt ihr damit ein erheblich stärkeres Gewicht. Ja, es hat den Anschein, daß den zwei vorangehenden Strophen die Funktion zukommt, argumentativ die dritte Strophe vorzubereiten. Die dritte Strophe würde demnach das ‚Endziel‘ des Liedes bilden und so etwas wie eine absolut gültige Auffassung verkünden (s. Kap. 2.2 zu den „Transformationsregeln“). Diese Allgemeingültigkeit der Aussagen wird bekräftigt durch das verallgemeinernde Relativpronomen swer (II,1 u. III,1) bzw. durch dessen Wiederaufnahme in Dem, der (III,5). Gegenüber der argumentativen Offenheit des romanischen Vorbildes zeichnet sich das deutsche Lied also durch eine logisch stringente Struktur aus. Dies verleiht Fenis’ Gedicht einen lehrhaften Charakter (vgl. auch Mertens 1997, S. 28f.). Das romanische Lied konnte sich schon aufgrund seiner Vielzahl von Strophen einerseits inhaltliche Redundanzen, andererseits differenzierte Gedankengänge oder sprachliche Spitzfindigkeiten leisten. Demgegenüber bestimmt didaktische Prägnanz das deutsche Minnelied. Prägnanz erlangt Fenis’ Lied auch dadurch, daß er die merkwürdige und verunklarende Überblendung von Minnedienst und Herrendienst in der Vorlage (wo spricht das Text-Ich von welchem Dienst?) rückgängig macht

Fallbeispiel: Rudolf von Fenis, MF 84,10

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und sich auf das Thema Minne konzentriert. Diese Fokussierung gilt für den gesamten deutschen Minnesang. Die Fokussierung auf das Thema Minne bei Fenis (MF 84,10) hat zur Folge, daß das Text-Ich viel mehr als Liebender denn als Dichter/Sänger im Rampenlicht steht. Und dieser Liebende gibt sich viel bescheidener als in Vidals Lied. Während dort aus dem langen Warten, der eigenen Untadeligkeit und dem treuen Dienst sowie aus der völligen Unterwerfung unter die Dame fast ein Anspruch auf Belohnung bzw. Gnade abgeleitet wird (Str. I,6f.: man erobert durch Dienst von einem guten Herrn Wohltaten; Str. VI,3: die Dame darf nicht nein sagen), begnügt sich der Liebende bei Fenis mit der Hoffnung auf Liebesglück. Zu einem solchen Selbstlob wie Peire Vidal (Str. III u. IV) mag sich der deutsche Dichter nicht versteigen. Mir ergibt sich der Eindruck, daß sich im romanischen wie im deutschen Minnesang die Selbstdarstellung des Werber-Ich und die Selbstinszenierung des Sänger-Ich gegenseitig bedingen, aber auf unterschiedliche Weise. Je souveräner, arroganter, selbstgefälliger das Text-Ich seine künstlerischen Fähigkeiten herausstellt, umso souveräner, distanzierter und selbstironischer kann das Ich seine Werber-Rolle spielen. Umgekehrt gilt: Je weniger das Dichter-Ich sich profiliert, umso bedrängender erscheint die Abhängigkeit des Liebenden. Da nun in der Romania der Diskurs über die Qualität eines Liedes weit ausgeprägter ist und mit einigem Selbstbewußtsein geführt wird, ist der stärkere Einschlag von Ironie, Parodie, Distanz auch bei der Inszenierung des Minneverhältnisses verständlich. Der deutsche Minnesang hingegen thematisiert lange Zeit (bis Heinrich von Morungen) in viel geringerem Maße das Singen. Vom Stolz des Sängers erfahren wir wenig. Entsprechend bescheiden gibt sich auch das Werber-Ich; statt von ästhetischen Ansprüchen lesen wir vom Anspruch einer ethischen Leistung (vgl. Rudolf von Fenis, MF 84,33: mit zühten vertragen). Erst bei Reinmar, vor allem aber bei Walther treffen wir das an, was den romanischen Minnesang insgesamt kennzeichnet: Dichterstolz und – dank Ironie und Witz – Souveränität in der Liebe (präziser: im Diskurs über die eigene Liebe). Das Selbstbewußtsein des Sänger-Ich färbt auf das Selbstbewußtsein des Werber-Ich ab. Für die früheren Minnesänger gilt das Gegenteil: Die vergleichsweise geringe Thematisierung des Dichterstolzes zieht eine bescheiden-ernst formulierte Minnehaltung nach sich. Zwar scheint schon am Anfang des deutschen Minnesangs ein Vertreter für die romanische Variante zu stehen (der Kürenberger; f Minnesang I, Kap. 1.6), doch in ausgeprägter Form begegnen Dichterstolz und selbstbewußte Minnehaltung erst bei Reinmar und Walther. Jetzt drängt auch die Thematisierung des performativen Aspekts des Vortrags in den Vordergrund.

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Rudolfs von Fenis Lied MF 84,10 bestätigt die vorgetragene These in einem weiteren Punkt. Die konstatierte Lehrhaftigkeit und thematische Verengung implizieren im Falle von Fenis’ Lied Verzicht auf Ironie, Witz, Scherz, Übertreibungen, Spitzfindigkeiten einerseits (Warten der Bretonen; einen Kuß rauben; aus Meer- Süßwasser machen; aus Furcht mutig sein; als Besiegter siegen) und Verzicht auf die Auseinandersetzung mit Dichterkollegen andererseits. Vidals Lied war ja innerhalb einer intertextuellen Diskussion angesiedelt. Eine solche Diskussionskultur fehlte in Deutschland, wie das weitgehende Fehlen der literarischen Gattungen Partimen (Joc partit) und Tenzone in der Germania belegt. Wie gezeigt wurde, prägt das Prinzip des pro/contra jedoch nicht nur die Gattung der Streitgedichte (Partimen, Tenzone), sondern auch die Gattung der Minnekanzone in der Romania. Das kann schließlich so weit gehen, daß sich die konträren Extreme in einem ‚Zugleich‘ aufheben: Der Liebende ist ängstlich und kühn. Fenis löst die paradoxen Gefühlszustände des Ich in der Vorlage auf (Wohlwollen aus Zorn, Freude aus Weinen, mutig aus Furcht) und entwirft ein Nacheinander dieser Gefühlszustände (Str. II: Leid wird sich in Freude verwandeln; vgl. aber Kap. 2.4 zu Fenis, MF 81,30). Überdies kann ein und derselbe Trobador in verschiedenen Liedern unterschiedliche Auffassungen vertreten, weil es nicht um persönliche Überzeugungen ging, sondern um die bestmögliche ästhetische Aufführung des komplexen Phänomens Liebe im dichterischen Wettstreit. Fenis rezipiert eine einzige Position, isoliert sie und dogmatisiert sie. Im deutschen Minnesang fällt es somit leichter, ‚höfisch‘ und ‚unhöfisch‘ gegeneinander abzugrenzen. Damit wird aber auch klar, daß die germanistische Rezeptionsforschung in methodischer Hinsicht z.T. falsch vorgegangen ist. Denn sie hat vielfach die Vorstellung einer ‚höfischen‘ Liebesauffassung, wie sie sich am deutschen Minnesang ablesen läßt, auf die Romania übertragen, sodann die Rezeption dieser Auffassung in Deutschland unterstellt und schließlich gefragt, wie die Minnesänger die unterstellte Minneauffassung rezipiert haben. Dieses Vorgehen gleicht aber einem methodischen Zirkelschluß. Demgegenüber müßte die Möglichkeit einkalkuliert werden, daß der romanische Minnesang niemals die dogmatische Vorstellung von der höfischen Liebe besaß, die der deutsche Minnesang später entworfen hat. Und was es in der Romania nicht gegeben hat, konnte der deutsche Minnesang auch nicht rezipieren. Abschließend ergibt sich folgende Gegenüberstellung von romanischer Vorlage und Rudolfs von Fenis Bearbeitung: argumentative ‚Endbetonung‘ bei Fenis gegenüber diskursiver Kreisbewegung in der Romania; Lehre im deutschen Lied gegenüber ‚Spiel‘ mit unterschiedlichen Positio-

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nen in der Romania (dort wird die eigene Position ironisiert und damit relativiert); hier lehrhafte Indoktrination, dort künstlerischer Wettstreit. Fenis greift aus einer breiten, kontrovers geführten spielerischen Diskussion unter Trobadors eine einzige Position heraus und erklärt diese zur einzig richtigen.

2.4 Die einzelnen Minnesänger Vorbemerkungen – Friedrich von Hausen – Heinrich von Veldeke – Ulrich von Gutenburg – Rudolf von Fenis – Albrecht von Johansdorf – Heinrich von Rugge – Bernger von Horheim – Hartwig von Raute – Bligger von Steinach – Heinrich von Morungen

Vorbemerkungen Die drei entscheidenden Fragen müßten in diesem Abschnitt lauten: 1) Inwiefern unterscheiden sich die einzelnen Minnesänger in der Art der Rezeption romanischer Vorlagen voneinander? 2) Inwiefern ist diese Art der Rezeption abhängig vom Profil des jeweiligen Dichters? 3) Inwiefern hat umgekehrt die Rezeption dieses Dichterprofil bestimmt? Doch schon die beiden letzten Fragen machen den hermeneutischen Zirkel deutlich, in dem sich ein solches Fragen bewegt. Es läßt sich kaum bestimmen, wer was bestimmt. Wir müssen von einem interdependenten Verhältnis ausgehen. Auch wenn wir zunächst nur ein Profil der Lieder eines Sängers erstellen, bei denen wir keine romanische Vorlage ermitteln können, sodann mit den Liedern vergleichen, für die ein romanisches Vorbild gesichert ist, und dann mögliche Differenzen zwischen den beiden Œuvre-Anteilen benennen wollten, ist nicht auszuschließen, daß auch die Lieder, für die uns keine direkte romanische Vorlage bekannt ist, von einer breiteren Kenntnis romanischer Lieder seitens des fraglichen Dichters beeinflußt sind. Für den Inhalt von Friedrichs von Hausen Lied MF 42,1 etwa ist keine romanische Quelle bekannt (zu möglichen formalen Entsprechungen Touber 2005c, S. 65). Und doch lassen sich alle zentralen Aussagen dieses Liedes in der romanischen Lyrik nachweisen: die Dame hat alle anderen Frauen aus dem Herzen des Ich vertrieben (Ausschließlichkeit der Liebe); die Augen des Ich haben diese Dame vor allen anderen Frauen auserwählt (Exklusivität der Frau und der Liebe); der jetzige Liebesschmerz übertrifft alle bisherigen Liebeserfahrungen (Einzigartigkeit dieser Liebe); die geliebte Frau im Herzen des Liebenden (Reflexion auf die Liebe; als Parallele wird

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häufig Folquet de Marseille, PC 155,8, Str. II,10 genannt, vgl. auch Rudolf von Fenis, MF 82,4, doch die weite Verbreitung dieses Motivs verbietet, eine einzelne Quelle zu benennen); Festhalten an der Liebe zur Dame (Beständigkeit der Liebe, staete); von der Dame entfernt bzw. getrennt sein (Spiritualisierung der Liebe); die Schönheit der Dame ruft Schmerz im Ich hervor (Leiden an der Dame). All diese Motive, die als Bausteine eines Liebeskonzepts fungieren, sind sicherlich der romanischen Lyrik entlehnt. Repräsentiert dieses Lied MF 42,1 also nicht die Eigenart des Dichters? Jeder Kenner von Hausens Oeuvre weiß, daß die hier genannten thematischen Elemente in fast allen anderen Liedern Hausens wiederkehren. Worin besteht also Hausens ‚Eigenart‘? Der methodisch sicherste Weg wird sein, die Veränderungen, die ein deutscher Dichter an seinen romanischen Vorlagen vorgenommen hat, auf mögliche gemeinsame Tendenzen hin zu befragen. Solchermaßen gestützt fördern die Versuche, die deutschen Minnesänger hinsichtlich ihrer Rezeption romanischen Liedguts voneinander abzugrenzen, auch die Einsicht in das, was wir das Autorenprofil nennen. Nachdem in Unterkapitel 2.2 einerseits generelle Transformationsregeln, andererseits entwicklungsgeschichtliche Differenzen bei der Rezeption romanischer Lieder skizziert wurden, geht es nun darum, den individuellen Umgang der einzelnen deutschen Minnesänger mit den literarischen Mustern aufzuzeigen. Es ergibt sich eine erstaunliche Vielfalt dessen, was die Minnesänger übernommen haben (literarische Gattungen, Strophenformen, Reimschemata, Themen, Motive), jedoch eine gewisse Typik in der Art und Weise, wie sie sich gegenüber den romanischen Vorlagen verhalten. Da die genaue Datierung der einzelnen Minnesänger wie auch deren formengeschichtliche Einordnung nicht abschließend geklärt ist, halte ich mich in der Abfolge der Dichter an die Reihenfolge der Textausgabe „Minnesangs Frühling (MF)“, was eine rasche Orientierung ermöglicht. Friedrich von Hausen Friedrich von Hausen stand in Beziehung zum Stauferhof und ist am 6. Mai 1190 auf dem 3. Kreuzzug tödlich verunglückt. Folgt man der Textausgabe MF, so sind von Friedrich von Hausen 17 Lieder überliefert (Schweikle 1984 richtet sich nach der Hs. B und zählt 20 Lieder): ein Frauenlied, ein Wechsel, drei Kreuzlieder, ein Traumlied (MF 48,23) und elf Minnekanzonen. Nur zwei dieser Kanzonen (MF 44,13 u. 49,37) ent-

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halten einen Frauenpreis, der über die schlichte Kennzeichnung mit den gängigen Attributen (guot, schoene) hinausgeht (Hübner 1996, S. 66–70). „Ich will nicht behaupten, daß romanische Einwirkung auf Hausen gar nicht stattgefunden habe. Daß sie aber Hausens Eigenart nicht berührt hat, ist sicher.“ Mit dieser Behauptung Hennig Brinkmanns (1926, S. 134f.) ist das angesprochene methodische Problem von Eigenprofil und romanischem Einfluß tangiert. Hat Hausen nur das ausgewählt, was zu seinen eigenen Vorstellungen paßte? „Mit Friedrich von Hausen, der die Anfangsphase des hohen Sangs repräsentiert, tritt uns ein Dichter von prägnanter Eigenart entgegen“ (Schweikle 1984, S. 28). Vielleicht aber ist diese Eigenart durch romanische Vorbilder bestimmt worden. Daß Hausen eine entscheidende Zäsur in der Rezeption romanischer Lyrik darstellt, suggeriert auch die traditionelle Rede von der „staufischen Dichterschule“ (u.a. Kasten 1995, S. 632) bzw. von der „Hausenschule“, zu der außer Hausen Ulrich von Gutenburg, Bernger von Horheim, Bligger von Steinach (und Heinrich VI.; f Minnesang I, Kap. 1.6) gezählt werden (zur Kritik an dieser These Touber 2005c). Zugleich aber relativieren solche Gruppenbezeichnungen die Eigenart eines Sängers. Obwohl Friedrich von Hausen der romanischen Lyrik viel entlehnt hat, zeigt er Züge des Übergangs (vgl. auch Schweikle 1984, S. 22–25): einerseits Mischung aus paargereimten Lang- und Kurzzeilen (MF 42,1) und auch Halbreime (MF 48,32 u. 51,33, die allerdings in Hs. C gebessert wurden), andererseits neue Reimtechnik (z.B. Durchreimungen), Stollenstrophen und daktylische Vierheber; ältere Liebesauffassungen neben dem neuen Liebeskonzept (Dienstgedanke, Ethisierung und Spiritualisierung der Minne, Ideologisierung, Selbstreflexion; vgl. Hensel 1997, S. 238f.); Frauenlied und Wechsel neben Minnekanzonen. Da nahezu alle Strophenformen Hausens auch in der Romania vorkommen, ist anzunehmen, daß Hausen zumindest in formaler Hinsicht stark von romanischen Mustern abhängt (Touber 2005c). Eine Antwort auf das Fragen nach Profil, Eigenart einerseits und nach romanischem Einfluß andererseits kann nur eine Bestandsaufnahme der möglichen Übernahmen romanischen Liedguts und der dabei vorgenommenen Transformationen bringen. Doch eine solche Bestandsaufnahme fällt angesichts der kontroversen Forschungssituation nicht leicht (vgl. die Zusammenstellungen der Übernahmen bei Spanke 1943, S. 85f.; Aarburg 1961; Frings/Lea 1965, S. 67; Schweikle 1977 [1993], S. 482; Sayce 1982, S. 114–119, u. 1999; Schweikle 1984, S. 39–41; Frank 1952, Nr. 1a–6a u. 11c; MF II, S. 75–78, III/1, S. 115–160, u. III/2, S. 391–397; Kasten 1995, S. 637–658 zu einzelnen Hausenliedern). Die Zahl der als romanisch

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beeinflußt geltenden Lieder schwankt zwischen sieben und elf (von insgesamt ca. 17 Hausen-Liedern – s.o.). Während bis in die 90er Jahre des 20. Jh. recht großzügig bei der Zuordnung einzelner Lieder zu romanischen Vorbildern verfahren und schon die Übereinstimmung in einem Motiv oder aber in der Strophenform als Beweis angeführt wurde, ist man heutzutage etwas vorsichtiger, zuweilen allzu vorsichtig geworden: Als Kontrafaktur gilt ein Lied nur, wenn zur formalen Korrespondenz inhaltliche Übereinstimmung hinzutritt. Denn dank der durch Anton Toubers Datenbank (f II Lyrische Strophenformen) ermöglichten Vergleiche von romanischen und deutschen Strophenformen kann in vielen Fällen die unterstellte Zuordnung eines Hausen-Liedes zu einem bestimmten romanischen Lied in Frage gestellt werden, wenn zigfache formale Parallelüberlieferung vorliegt. So wird etwa die These, Hausens Lied MF 43,28 sei – formal – von Gaucelm Faidit (PC 167,37) abhängig (Aarburg 1961, Nr. 39; Kasten 1995, S. 637), in dem Moment fragwürdig, in dem diese Strophenform 700fach in der Romania nachgewiesen werden kann (Touber 2005c, S. 64). Es muß also schon eine inhaltliche Parallele hinzutreten – überdies eine Parallele, die mehr als ein weitverbreitetes Motiv (z.B. das ‚KaiserMotiv‘) bietet –, um Abhängigkeit von einem bestimmten romanischen Lied behaupten zu können. Daran wird sich auch meine Darstellung ausrichten. Das heißt, für die von mir übergangenen Lieder Hausens fehlen meines Erachtens überzeugende Beweise für eine Abhängigkeit von präzise zu benennenden romanischen Vorbildern. Für das Lied MF 44,13 Friedrichs von Hausen sind als formale Vorlagen Gaucelm Faidits Lied PC 167,53 und ein Lied Chrétiens von Troyes (R. 1664) angeführt worden. Doch das betreffende Strophenschema tritt ca. 175-mal in der Romania auf (Touber 2005c, S. 65). Winzige inhaltliche Korrespondenzen lassen sich allenfalls in Faidits Lied aufspüren (Mertens 1998, S. 276–278, glaubt, auch Parallelen zu Chrétiens Lied erkennen zu können). Doch auch diese winzigen Korrespondenzen sind nicht einmal nur diesen beiden Liedern eigen: die Dame soll sich des Liebenden erbarmen (MF 44,29f.; Faidit, PC 167,53, Ausg. Mouzat, Nr. 16, Str. VI,3f.); Gott habe alle weibliche Schönheit in dieser Dame vereinigt (MF 44,22–25 u. 31f.; Faidit, ebd., Str. V,5f.; ganz ähnlich auch Peire Vidal, PC 364,49, Ausg. Avalle, Nr. 16, Str. IV,3f.; Raimbaut d’Orange, PC 389,36, Ausg. Pattison 1952, Nr. 38, Str. VI,7f.; außerdem Parallelen in der mittellateinischen und mittelhochdeutschen Lyrik); das Ich liebt keine andere Frau so sehr (MF 44,19–21; Faidit, ebd., Str. IV); das Ich denkt intensiv an die Dame (MF 44,15f.; Faidit, ebd., Str. V,1f.); Dame weist die Bitten des Liebenden zurück (MF 44,33–37; Faidit, ebd., Str. III,3f.). So bleibt kaum

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ein Beleg für eine direkte Abhängigkeit. Aussagekräftiger für unsere Suche nach dem Dichterprofil Hausens und nach dem Profil des Minnesangs überhaupt wäre ein umfassender Vergleich zwischen diesem Lied MF 44,13 und der mutmaßlichen Vorlage (Gaucelm Faidit, PC 167,53). In Hausens Lied fehlen: die Thematisierung des Singens (Faidit, Str. I); die Vasallitätsterminologie (Faidit, Str. II); das Motiv der Trennung von der Dame (Faidit, Str. III); das freundliche Reden (gen parlar) und das süße Lächeln der Dame (Faidit, Str. V,8f.; allenfalls die süezen wort [Friedrich von Hausen, MF 44,13] könnten als Entsprechung gelten). Der Abfolge zweier emotionaler Dispositionen (kühn, dann furchtsam) bei Faidit steht bei Hausen ein einziger Zustand (MF 44,17 u. 33: angest) gegenüber. Dieser Befund bestätigt die vorausgegangenen Überlegungen zur Kontroverse kühn/ängstlich in der Romania (s. Kap. 2.3). In Hausens Lied MF 44,13 vermag ich kein Dichterprofil zu erkennen, allenfalls die Umrisse des deutschen Minnesangs um 1170 (typisch die weitgehende Aussparung der Themen Singen sowie Redekunst der Dame). Friedrichs von Hausen Lied MF 45,37 bietet den seltenen Fall, daß die formale Vorlage präzise benannt werden kann und eine inhaltliche Korrespondenz damit einhergeht. (Die von Hölzle 1980, Bd. I, S. 181–191, unterstellten inhaltlichen Parallelen zu Peirol, PC 366,29 überzeugen nicht.) Hausens heterometrischer Neunzeiler besitzt nur eine einzige Entsprechung in der Romania: Folquet de Marseille, PC 155,8 (Ausg. Stro´nski, Nr. V; Hausen ist aber konsequenter in der Paarreimstruktur). Auch zumindest eine inhaltliche Parallele scheint das Abhängigkeitsverhältnis zu bestätigen: Sinnenverwirrung durch Denken an die Dame (MF 46,1–8; Folquet, Str. III). Doch gerade dieses Motiv (infolge der Minneversunkenheit nicht hören, was die Leute sagen; abends ihnen einen guten Morgen wünschen) begegnet so häufig in der romanischen Lyrik, daß aufgrund dieser Motivparallele kein Abhängigkeitsverhältnis konstruiert werden kann (u.a. Gaucelm Faidit, PC 167,53, Ausg. Mouzat, Nr. 16 [vgl. auch oben zu MF 44,13], Str. V,1–3; Bernart von Ventadorn, PC 70,36, Ausg. Appel, Nr. 36, Str. III; ders., PC 70,39, Str. II; Cadenet, PC 106,18a, Ausg. Appel, S. 32f., Str. II,1–4). Was aber Friedrich von Hausen von Folquets Lied übernommen haben kann, ist die Auseinandersetzung zwischen Herz und Leib. Doch Hausen stellt dieses Motiv in einen ganz anderen Zusammenhang. Während bei Folquet von Marseille die Leib/Herz-Auseinandersetzung ganz im Minnediskurs verbleibt (der Leib soll sich nicht beim Herzen beklagen, daß dieses ihm schmerzliche Verwirrung zumutet), biegt Hausen diesen Konflikt zur Auseinandersetzung zwischen Frauen- und Gottesliebe um, wobei er den Dienst an Gott entschieden über den

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Frauendienst stellt, ohne letzteren zu diskreditieren (MF 47,7f.). Das Aufgreifen einer religiösen Thematik innerhalb einer nicht als Kreuzzugslied markierten Minnekanzone mag ein Element von Hausens Dichterprofil ausmachen. Der Perspektive des Minnesangs um 1170/1190 überhaupt mag geschuldet sein, daß (a) Hausen das Thema Singen übergeht (Folquet de Marseille, Str. I u. IV), daß (b) er – ganz anders als der romanische Minnesang, der diese Dogmatisierung des Frauenlobs nicht kennt – Frauenkritik tabuisiert und daß (c) die argumentative Struktur stringenter angelegt ist als bei Folquet (andere Einschätzung bei Zotz 2005, S. 100). Während Folquets Lied noch zahlreiche weitere Strophen aufweisen könnte, ohne daß ein argumentatives Ende erreicht wäre, zielen Hausens Strophen II bis V – trotz gewisser Eigenständigkeit – immer dezidierter auf die abschließende Haltung (hierarchisches Verhältnis von Gott und frouwe), hinter die nicht mehr zurückgegangen werden kann. Hausens Lied (MF 45,37) bietet Anlaß, eine methodische Überlegung anzuschließen. Beim Vergleich eines Minneliedes mit seiner mutmaßlichen Vorlage dürfen nicht alle Unterschiede auf das Konto von Akzeptanz bzw. Abwehr gebucht werden. Zuweilen lassen Minnesänger einzelne Aussagen der Vorlage deshalb aus, weil sie die entsprechende Textstelle selbst in einem anderen Lied verwendet haben oder aber weil ein anderer Minnesänger diese Aussage bereits rezipiert hat (dazu Mertens 1998). So ist der Anfang von Hausens mutmaßlicher Vorlage (Folquet, PC 155,8) von Rudolf von Fenis, MF 81,30 aufgegriffen worden (je mehr ich singe, desto mehr erinnere ich mich an die Dame); das Motiv ‚Dame im Herzen‘ hat Hausen schon in den Liedern MF 42,19 und 50,15 verwendet, ebenso Fenis in MF 82,4. An Friedrichs von Hausen Lied MF 47,9 zeigt sich die Problematik der Rezeptionsforschung besonders drastisch. Denn für die einen steht fraglos fest, daß Hausen die Melodie bzw. sogar Melodie und Inhalt dieses Liedes Conon de Béthune (R. 1125, ca. 1188/89 entstanden; s.u. zu Albrecht von Johansdorf, MF 87,5) entlehnt hat (Melodie: Davies 1996/97; Luff 2002, S. 255f.; Melodie und Inhalt: Sander-Schauber 1978, S. 84f.; Kasten 1995, S. 648 u. 650; Sayce 1999, S. 37; Zotz 2005, S. 111–113), andere hingegen bezweifeln die Übernahme der Melodie (Räkel 1973, S. 343; Schweikle 1984, S. 142f.; Ranawake 1994, S. 270) oder des Inhalts (Schweikle 1984, S. 143). In der Tat weicht das Reimschema Hausens von dem Conons ab. Überdies lassen sich für die Strophenform fast 700 romanische Entsprechungen finden (Touber 2005c, S. 64). Da Conons Lied in vier verschiedenen Melodien (vgl. den Hinweis bei R. 1125; Sayce 1999, S. 37, spricht von drei Melodien) überliefert ist, bleibt ohnehin unsicher, wel-

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che Melodie Hausen gehört hat. Inhaltlich berühren sich die beiden Lieder auch nur in einem einzigen Motiv: dem Zwiespalt zwischen Leib und Herz angesichts der Notwendigkeit, an einem Kreuzzug teilzunehmen. Doch hat Hausen das Motiv der Trennung von Herz und Leib in einem weiteren Lied verwendet (MF 51,13; hier 51,29f.: vert der lîp in ellende, / mîn herze belîbet dâ), für das keine romanische Quelle bekannt ist. (Hat Hausen auch für diese Stelle Conon, R. 1125 ausgebeutet, oder ist das Motiv ein ‚Eigengewächs‘?) Nun zur inhaltlichen Parallele zwischen Conon und Hausen: Conon de Béthune, R. 1125 (Ausg. Wallensköld, Nr. 4, Str. I): Ahi! Amors, com dure departie Me convenra faire de la millor Ki onques fust amee ne servie! Dieus me ramaint a li par sa douçour, Si voirement con j’en part a dolor! Las! k’ai je dit? Ja ne m’en part je mie! Se li cors va servir Nostre Signor, Mes cuers remaint del tot en sa baillie. „Ach, Minne, welch schmerzlichen Abschied werde ich nehmen müssen von der Besten, die je geliebt wurde oder der man je diente! Möge Gott mich zu ihr zurückführen, seine wahre Barmherzigkeit zeigend, ebenso wie ich mich mit wahrem Leid von ihr trenne. Wehe, was habe ich gesagt? Ich trenne mich gar nicht von ihr: Wenn der Leib scheidet, um unserem Herrn zu dienen, bleibt das Herz gänzlich in ihrer Macht zurück.“ (Übersetzung: Sayce 1999, S. 241) Friedrich von Hausen, MF 47,9 (Str. I): Mîn herze und mîn lîp diu wellent scheiden, diu mit ein ander wâren nu manige zît. der lîp wil gerne vehten an die heiden, sô hât iedoch daz herze erwelt ein wîp Vor al der welt. daz müet mich iemer sît, daz siu ein ander niht volgent beide. mir habent diu ougen vil getân ze leide. got eine müese scheiden noch den strît.

Den beiden Strophen gemeinsam ist das besagte Motiv der Trennung von Leib und Herz: Während der Leib zum Kreuzzug aufbrechen will, möchte das Herz gerne bei der Dame bleiben. Doch in den folgenden Strophen gehen die beiden Lieder thematisch weit auseinander (lediglich Hausen, Str. II,3f. stimmt noch zusammen mit Conon, Str. I,3): Conons Ich entscheidet den Konflikt zwischen Leib und Herz, indem es das Herz bei der Dame bleiben, den Leib nach Palästina ziehen läßt und ab Strophe II die Hörer zur Teilnahme am Kreuzzug aufruft. Hausen hingegen thematisiert den Konflikt von Herz und Leib auch noch in den Str. II u. III innerhalb

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des Minnediskurses, entfernt sich also gänzlich von der (mutmaßlichen) Vorlage. Dabei klingt die typisch ‚deutsche‘ Ethisierung des Minnegedankens an: Allein die staetekeit des Minners (MF 47,20; vgl. auch Hausen, MF 50,9) habe bislang verhindert, daß sich dieser ganz auf den Kreuzzug konzentriert habe. Zählt man Str. IV noch zu diesem Lied, dann endet es mit einer heftig-groben Absage an die Dame. Es ist eine der ganz seltenen frauenkritischen Äußerungen im Minnesang. Sie bedarf jedoch offensichtlich einer Entschuldigung: Niemand möge es als unstaete auslegen, wenn er (der Minner) sich nun von der Dame abwende (MF 47,33). Immerhin fassen wir mit diesem Lied ein klein wenig das, was sonst die romanische Lyrik gegenüber dem Minnesang auszeichnet: das Formulieren von Gegenpositionen. Während Hausen in MF 51,24 und 52,36 beteuert, seiner Dame stets undertân zu sein, artikuliert er hier eine Absage an die Dame (die ich hier nicht allein mit der Gattung Kreuzzugslied erklären möchte). Die kleine Ausnahme bestätigt umso nachdrücklicher die angesprochene Regel. Angesichts der angedeuteten formalen und inhaltlichen Differenzen wird man das Abhängigkeitsverhältnis nur vage umschreiben können: Das deutsche Lied steht „inhaltlich und formal im Einflußbereich von Conons“ Lied (Luff 2002, S. 256). Von einer Kontrafaktur wird man kaum sprechen können. Anklänge an die Gattung des Streitgedichts/Partimen (Luff 2002, S. 255) sehe ich weder in Conons noch in Hausens Lied (wenn überhaupt, müßte man in unserem Fall von der Tenzone ausgehen). Eher ließe sich denken, Hausen habe sich in der vierten Strophe an die literarische Gattung der mala canso angelehnt, bezeichnenderweise aber mit einer apologetischen Bemerkung. Daß trotz der angedeuteten gravierenden Unterschiede Friedrich von Hausen das Lied Conons (R. 1125) gekannt hat, läßt sein Lied MF 48,3 vermuten. Dieser isometrische vierhebige Zehnzeiler besitzt mehr als 50 Entsprechungen in der Romania (Touber 2005c, S. 65; die Annahme von Aarburg 1961, Nr. 40, S. 414f., es handle sich um eine Kontrafaktur zu Gontier de Soignies, R. 265a, ist abzulehnen). Thematisch aber ähnelt dieses Lied MF 48,3 dem eben besprochenen Lied MF 47,9. Wieder geht es um ein scheiden von der Dame (48,7; vgl. 47,9). Doch hier bleibt der Konflikt zwischen Leib und Herz aus. Was den Kreuzugsfahrer hier belastet, ist die Sorge (Str. II), daß sich die Dame während seiner Abwesenheit einem anderen Mann verbinde (und dieser Mann sei, da er dem Kreuzzug fernbleibe und folglich kein ehrenhafter Mann sei, ir êren slac [48,16]). Dieselbe Argumentation begegnet in jenem Conon-Lied (R. 1125), das Hausen mutmaßlich für sein Lied MF 47,9 benutzt hatte (vgl. auch Hölzle

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1980, S. 202f.). Dort werden in Str. IV,4–8 (Ausg. Wallensköld, S. 6f.) die Damen gelobt, „die ein keusches Leben führen und den Scheidenden die Treue bewahren wollen. Und wenn sie aus Leichtsinn Torheiten begehen, werden sie es nachlässigen und schlechten Leuten gegenüber tun, denn alle guten Männer werden diese Reise unternehmen“ (Übersetzung: Sayce 1999, S. 242). Dieser Befund läßt den Schluß zu, daß Hausen (wie auch Rudolf von Fenis) ein romanisches Lied für verschiedene Lieder ‚ausbeutet‘. Der Vergleich eines deutschen Minneliedes mit einem mutmaßlichen romanischen Vorbild muß also stets das gesamte Liedœuvre des betreffenden Minnesängers berücksichtigen. Andernfalls werden etwaige Auslassungen des deutschen Liedes gegenüber dem romanischen Vorbild vorschnell als Merkmal deutscher Uminterpretation gedeutet, wo der Minnesänger in Wirklichkeit das Vorbild lediglich auf mehrere Lieder ‚verteilt‘ (vgl. auch die oben zitierten Verse MF 51,29f. zu lîp/herze, die ebenfalls durch Conons Lied beeinflußt sein könnten). In beiden Liedern ahmt Hausen möglicherweise die romanische Praxis der Tornadas nach, wenn er davon singt, seine Lieder der Dame schicken zu wollen (MF 48,19 u. 51,28f.; vgl. auch Bernger von Horheim, MF 113,35). Während aber bei den Trobadors die Tornadas ein Lied ‚nach außen‘ hin öffnen – das Lied wird als personifiziertes Produkt, als etwas Abgeschlossenes angesprochen und aufgefordert, sich zu dieser oder jener Person zu begeben – und zum Bestandteil gesellschaftlicher Kommunikation machen, verbleibt bei Hausen das Sendemotiv funktional innerhalb der Beziehung zur Dame. In einer Übersicht über die Rezeption romanischen Liedguts in der Germania darf ein Hinweis auf Friedrichs von Hausen Lied MF 48,23 nicht fehlen. Nicht weil es den romanischen Einfluß auf besonders eindrückliche Weise bestätigt, sondern weil es eine Strophenform aufweist, die sonst weder in der romanischen noch in der deutschen Lyrik begegnet (Touber 2005c, S. 63). Um so interessanter ist die Frage, ob Hausen in diesem Lied etwa auch inhaltlich ein eigenes Profil entwickelt. Das Motiv (Traummotiv) ist jedoch traditionell – von Ovid über die Trobadors bis zu Walther von der Vogelweide: Das Ich sieht im Traum eine schöne Frau, erfreut sich daran, doch das Erwachen nimmt ihm das schöne Bild. Befragt man dieses Lied bzw. diese Strophe auf Profilgebendes hin, dann bleibt allein Hausens Vorwurf an die Augen, die für die Enttäuschung verantwortlich sind (MF 48,30f.), denn für Hausen (wie später für Heinrich von Morungen) spielen die Augen eine entscheidende Rolle bei dem Entstehen der Liebe (MF 43,17; 45,33 u. 36; 47,15; 48,30f.). Doch die Vorstellung von den Augen als causa amoris wiederum ist so weit verbreitet in der mittelalterlichen Liebesdichtung wie kaum eine andere. Fazit: Hausen ver-

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sucht sich, obwohl von keiner romanischen Quelle abhängig, an einem überaus bekannten Motiv. Ein Profil ist nur schwer auszumachen. Auch in der ersten Strophe von MF 48,32 greift Hausen weitverbreitete Motive auf: Schmerz darüber, der Dame gegenüber nichts gesagt zu haben, als Gelegenheit war; Verfluchung der Leute, die ein Zusammensein der Liebenden verhindern. Gerade beim letzteren Motiv folgt Hausen fast wörtlich trobadoresken Mustern (Cercamon, PC 112,1b, Ausg. Jeanroy, Nr. 2, Str. II,4; Gaucelm Faidit, PC 167,2, Str. V,9–11; Raimbaut d’Orange, PC 389,5, Str. VIII,4–7). Da für die Strophenform dieses Liedes ca. 20 romanische Parallelen bekannt sind (Touber 2005c, S. 63), wird sich Hausen dort haben anregen lassen. Ein interessantes romanisch-deutsches Liedgebilde kommt nun dadurch zustande, daß Hausen sich zwar inhaltlich und formal von der Romania beeinflussen ließ, aber dadurch, daß er der ersten Strophe eine Frauenstrophe folgen ließ, eine typisch deutsche Literaturgattung fortsetzte: den Wechsel (vgl. Eikelmann 1999, S. 89). Daß Hausens Lied MF 49,13 eine „sichere Kontrafaktur“ eines anonym überlieferten französischen Liedes (R. 420) sein soll (Aarburg 1961, Nr. 21, S. 395), wird man heute nicht mehr behaupten, da das Strophenschema Hausens mit diesem romanischen Lied nicht übereinstimmt, ja sogar überhaupt keine romanischen Parallelen kennt (Touber 2005c, S. 63). Auch das ‚Kaiser-Motiv‘ (MF 49,17–20) ist zu weit verbreitet, als daß es die Zuordnung zu einem bestimmten Werk der romanischen Lyrik erlaubte. Inhaltlich erscheint dieses Hausen-Lied insgesamt recht konventionell. Doch gerade in der Konventionalität wird sichtbar, wie sehr Hausens Vokabular von der Romania geprägt ist: In allen drei Strophen übernimmt daz herze die grammatische und konzeptuelle Position des Ich (MF 49,13; 49,21; 49,31), darin vergleichbar fast allen Hausen-Liedern (später von Heinrich von Morungen weitergeführt). Es scheint fast so, als ob sich die Romanisierung des Minnesangs gerade in dieser gehäuften Verwendung von herze dokumentiere, ablesbar auch an Wortverbindungen wie herzeleit, herzeliebe, herzeswaere. Damit ist eine Interiorisierung des Liebesgeschehens verbunden. Friedrichs von Hausen Lied MF 50,19, ein isometrischer vierhebiger Achtzeiler wie ca. 450 romanische Lieder auch (Touber 2005c, S. 64), ragt dadurch heraus, daß es Anzeichen einer im deutschen Minnesang weitgehend fehlenden literarischen Gattung, des Partimens, aufweist. Die dilemmatische Frage lautet (Str. I): Welche Vor- und Nachteile hat es für das Ich, wenn die umworbene Dame unter Aufsicht gestellt ist? Einerseits ist dem Ich der Zugang zur Dame verwehrt, aber auch sichergestellt, daß keine Rivalen sich der Dame nähern können; andererseits will das Ich nicht so weit gehen, die Vertreter der huote zu loben (Str. IV). Dieser Fragestellung

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entsprechen romanische Partimen bzw. Jeux partis (Schnell 1983, S. 3–5 u. 16, Anm. 26; vgl. ebd. auch zu Reinmar, MF 165,37). Bezeichnend aber für den deutschen Minnesang ist der Umstand, daß Hausen die Streitfrage abschließend beantwortet (Str. IV,8): Er wünscht den Aufpassern alle Schande (wie es auch in einigen okzitanischen Minnekanzonen formuliert wurde). Zur Anzitierung der Gattung Partimen und einer einschlägigen Streitfrage tritt die Rezeption zweier weiterer in der Romania bekannter Motive hinzu: 1) Wenn auch die Augen die Frau – wegen den merkaeren – meiden müssen, so sei doch das Herz bei der Dame (MF 50,32–34; Bernart von Ventadorn, PC 70,41, Str. VI; Gaucelm Faidit, PC 167,21, Str. V,9–12); 2) ‚Bislang wußte ich nicht, was Liebe sei; erst in der Liebe zu dieser Dame habe ich es schmerzvoll erfahren‘ (MF 50,35–38; Bernart von Ventadorn, PC 70,5, Str. II; ders., PC 70,43, Str. II; vgl. auch Marbod, ‚Liebesbriefgedichte‘, Ausg. Bulst, Nr. 24). Das zweite Motiv ist möglicherweise schon vor Hausen in den deutschen Minnesang gekommen (vgl. Dietmar von Eist, MF 35,3f.; 35,5–8; Rudolf von Fenis, MF 84,37). Doch Hausen scheint dieses Motiv ganz besonders geschätzt zu haben, denn er verwendet es auch in MF 53,15 und 52,17. Das Lied MF 50,19 ist jedenfalls ohne romanischen Einfluß nicht denkbar. Die Gewißheit, mit der man früher Hausens Lied MF 51,33 als Kontrafaktur eines französischen Liedes (Guiot de Provins, R. 142) ausgegeben hat (Frank 1952, Nr. 4; Aarburg 1961, Nr. 22, S. 396; Schweikle 1977 [1993], S. 482; Räkel 1986, S. 58–76), wird heute nicht mehr geteilt. Das Strophenschema kennt 24 romanische Entsprechungen (Touber 2005c, S. 64), inhaltliche Parallelen sind nicht auszumachen. Dennoch hat sich romanischer Einfluß unverkennbar in dem Leitwort denken, gedanken, gedenken (MF 51,33; 52,2; 52,30) wie auch in dem Motiv ‚körperlich entfernt, doch in Gedanken nahe bei der Dame sein‘ (MF 52,27) niedergeschlagen. Wiederum haben wir ein Lied vor uns, für das wir keine unmittelbare Quelle benennen können und das dennoch voll romanischer Reminiszenzen steckt. Hausens Lied MF 52,37, ein daktylischer isometrischer vierhebiger Siebenzeiler, kennt fast 300 Entsprechungen in der Romania (Touber 2005c, S. 64). Eine bestimmte formale Vorlage ist also kaum auszumachen. Überlieferungsgeschichtlich ist durchaus denkbar, daß dieses jetzt in MF als vierstrophiges Gebilde abgedruckte Lied im Mittelalter auch in einer zweistrophigen Variante (15 C, 16 C) vorgetragen wurde. Die letzten drei Verse der zweiten Strophe würden einen durchaus wirkungsvollen Abschluß bilden: Seht, dêst mîn wân, dâ vür sô wil ichz hân, / und wil dienen mit triuwen der guoten, / diu mich dâ bliuwet vil sêre âne ruoten (MF 53,11–13). Mit der Rute geschlagen werden, dieses Bild kennen auch schon Heinrich von Veldeke

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(MF 63,27) und Ulrich von Gutenburg (MF 78,22) – die möglicherweise beide von romanischen Quellen abhängig sind (s.u.) –, doch hat Hausen die Vorstellung, ohne Rute geschlagen zu werden, möglicherweise direkt aus der Romania entlehnt (z.B. Gaucelm Faidit, PC 167,60, Ausg. Mouzat 1965, Nr. 11, Str. II,2: „Sie hat mich süß verwundet im Herzen, ohne Schlag der Lanze, sondern mit einem Blick ihrer Augen“; dem kommt Ulrich von Gutenburg, MF 78,22 schon recht nahe). Auch Peire Vidal (PC 364,23, Ausg. Avalle, Nr. 16, Str. II,1f.) beklagt sich: „Sie hat mir gegenüber ein so feindliches Herz, sie, die mich mit ihrer Rute schlägt“ (Tant m’a salvatge cor e dur / Selha que·m bat de sos verjans; vgl. Sander-Schauber 1978, S. 64–66). Es scheint wieder einmal so zu sein, daß die Minnesänger gerade die eindrücklichen Vergleiche der Romania verdanken. Doch ist in unserem Fall nicht auszuschließen, daß eine sprichwörtliche Verwendung der Rute den Ausgangspunkt bildete (vgl. Frings/Lea 1965, S. 20–22, wo das ‚Schlagen ohne Rute‘ als „eigene Findung des Deutschen“ begriffen wird). Irrungen und Wirrungen sind beim Versuch, die Rezeptionswege des deutschen Minnesangs nachzuzeichnen, vorprogrammiert. Wenn wir abschließend die zu Anfang des Unterkapitels gestellten drei Fragen aufgreifen und nach einer Antwort für das Liedœuvre Friedrichs von Hausen suchen, so drängen sich folgende Eindrücke auf: Hausen bedient sich häufig romanischer Strophenformen (ob damit immer Melodiegleichheit einhergeht, ist fraglich). Doch stets – auch dort, wo er eigene Strophenformen zu erfinden scheint – füllt er seine Lieder inhaltlich mit in der Romania weitverbreiteten Motiven und Bildern. Dabei verfährt er sehr selektiv und somit auch produktiv. Niemals übernimmt Hausen den Gedankengang eines ganzen romanischen Liedes, sondern baut mosaikartig die entlehnten ‚Partikel‘ zu einem neuen Ganzen zusammen. Einerseits wird dies durch die immer noch große Selbständigkeit der Einzelstrophen ermöglicht, andererseits zielen Hausens Lieder stringenter auf einen argumentativen Schlußpunkt als die romanischen Vorbilder. Auffallend ist die harsche Absage an die Dame (MF 47,33), mit der er dem romanischen Liedtyp der mala canso Eingang in Deutschland hätte verschaffen können (was aber bis zu Walther von der Vogelweide nicht eingetreten ist; s.u. zu Heinrich von Morungen, MF 141,37). Eine andere literarische Gattung (Partimen) scheint Hausen in MF 50,19 aufgegriffen zu haben. Mit der häufigen Stellvertretung des Ich durch das herze legt Hausen den Grund für die rasch zunehmende Interiorisierung des Minnediskurses. Romanischer Einfluß, eigenständige Selektion und Nachwirken heimischer Literaturtradition lassen ein Œuvre mit eigenem Profil entstehen, das jedoch geprägt ist von einer konzeptuellen und gattungsgeschichtlichen Vielstimmigkeit.

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Heinrich von Veldeke (f Niederländische Lyrik, Kap. 7.3) Dieser bei Maastricht beheimatete Dichter aus einem adligen Geschlecht hat – wohl in einer Kloster- oder Kathedralschule – eine gelehrte Bildung erhalten. Da er den französischen ‚Roman d’Eneas‘ ins Deutsche übersetzte, müssen ihm gute Französischkenntnisse bescheinigt werden. Angesichts der geographischen Nähe Heinrichs von Veldeke zum romanischen Literaturbereich erstaunt es, daß für seine (ca. 33 bis 35) Lieder so wenige direkte Quellen nachgewiesen werden können. Andererseits spricht gerade das häufige Anzitieren verbreiteter Motive und Themen für eine souveräne Kennerschaft der romanischen Liebeslyrik. Indiz hierfür ist u.a. der häufige Einsatz von Ironie, mit der Veldeke seine Minneaussagen überzieht: MF 63,19f.; 64,5–9; 64,10; 66,13–15; 66,32. Die scherzhaft-ironischen Äußerungen Veldekes wurden bislang zwar konstatiert (Schweikle 1977 [1993], S. 423f.; Kasten 1995, S. 626; Touber 2005a, S. 283f.), doch kein Versuch einer Erklärung unternommen. Meines Erachtens waren für diese Ironie-Signale mehrere Faktoren verantwortlich: 1) daß Veldeke eben nicht nur Minnelieder verfaßte, sondern auch ein episches Werk rezipierte, in dem gattungsbedingt ein Liebesverhältnis nicht beim aussichtslosen Werben des Mannes stehenbleibt. Somit konnte die Einseitigkeit der Minnekonstellation, wie sie die klassische Minnekanzone entwarf, leicht einen ironisch-parodistischen Unterton provozieren; 2) daß Veldeke als klerikal Gebildeter der Selbstdarstellung der ‚unsterblichen Verliebtheit‘ des Mannes und seiner Unterwerfung unter die Frau etwas kritischer gegenüberstand; 3) daß Veldekes Publikum, im Grenzbereich zwischen Germania und Romania, mit der romanischen Liebeslyrik bereits vertraut war und den ironischen Umgang mit den fremdsprachigen Mustern goutieren konnte. Ein großer Teil der unter Veldekes Namen überlieferten Strophen spielt – wie es auf andere Weise ja auch die meisten romanischen Lieder tun – mit der Figur des ganz der Dame ausgelieferten Liebhabers. Für eine repräsentativ-zeremonielle Funktion sind diese Strophen nicht unbedingt geeignet. Insofern wird man Veldeke und die gesellschaftliche Funktion seiner Lieder vom übrigen deutschen Minnesang etwas abrücken müssen (dazu Tervooren 2000b). Da Veldeke jedoch in einigen Liedern durchaus lehrhafte Töne (Vernunft und Maß müssen die Liebe in geordnete Bahnen lenken) angeschlagen hat (MF 56,1; 57,10), stellt sich Veldekes Liedœuvre als inhaltlich, thematisch und funktional recht vielseitig dar (Bastert 1994). Alleine schon durch die zahlreichen sangspruchartigen Strophen hebt sich Heinrich von Veldeke von den zeitgenössischen Minnesängern ab

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(MF 60,29; 61,1; 61,9; 61,18; 61,25; 61,33; 65,5; 65,13; 65,21 u. ö.; vgl. dazu Lieb 2000). Für all diese Spruchstrophen liegen keine romanischen Quellen vor. Damit tritt neben den ‚romanisierenden‘ Minnesänger Veldeke ein ‚deutscher‘ Sangspruchdichter Veldeke, wobei freilich in der Überlieferung die beiden Bereiche teilweise vermischt werden. Aus einer solchen distanzierten Spruchdichter-Rolle heraus kann Veldeke einerseits die Männer ihrer Frauenkritik wegen schelten (MF 61,25), andererseits selbst die Frauen dafür tadeln, daß sie nichts von betagten Männern wissen wollen (62,11). Diese Frauenkritik ist aber nicht der Frauenkritik innerhalb der romanischen malas cansos an die Seite zu stellen. Denn Veldeke formuliert seine Frauenkritik mehr als unpersönliche Lehre, während die Trobadors Frauenkritik als Resultat einer persönlichen Enttäuschung artikulieren. Wie bei Friedrich von Hausen ist sich die Forschung auch bei Veldeke hinsichtlich der möglichen romanischen Vorlagen keineswegs einig (Nähe zur mittellateinischen Lyrik vermutet Ranawake 1976, S. 208f.). Zwischen zwei und sieben Liedern (von insgesamt 33 bis 35) schwankt die Zahl der Lieder, für die romanischer Einfluß angenommen wurde, wobei in den einzelnen Untersuchungen keineswegs stets dieselben Liednummern genannt wurden (Frank 1952, Nr. 5 u. 7; Frings/Lea 1965, S. 67; Ranawake 1976, S. 209; Schweikle 1977 [1993], S. 429): MF 57,10; 58,35; 61,33; 63,29; 65,13; 65,28; 67,9. Dennoch muß Schweikle (1977 [1993], S. 428f.) konstatieren: „Trotz der immer wieder betonten Nähe seiner Formkunst zur provençalischen und französischen Lyrik konnte die Forschung weder sichere noch wahrscheinliche Kontrafakturen eruieren.“ Man sieht sich also darauf beschränkt, einzelne Motivparallelen aufzudecken. Inwieweit diese etwas über Veldekes Dichterprofil verraten, wird zu prüfen sein. Das Thema von MF 56,1 hat Veldeke sicher der romanischen Lyrik entlehnt: Der Anblick der schönen Dame hat den Mann erotisch erregt und ihn dazu hingerissen, der Dame gegenüber allzu kühn seine Wünsche zu äußern. Solches Eingeständnis eines zu kühnen Auftretens begegnet auch in der Trobadorlyrik (Gaucelm Faidit, PC 167,53, Ausg. Mouzat, Nr. 16, Str. II,4f.: car m’ausiei enardir tan „denn ich war ihr gegenüber zu kühn“; Giraut de Bornelh, PC 242,8, Ausg. Kolsen, Nr. 6, Str. V; ders., PC 242,53, Ausg. Kolsen, Nr. 11, Str. V; ders., PC 242,29, Ausg. Kolsen, Nr. 22, Str. IV). Anders und neu bei Veldeke jedoch ist, daß er das motivliche Detail eines romanischen Liedes zum durchgehenden Thema eines ganzen Liedes macht (mit Hilfe der Leitworttechnik) und gleichzeitig eine ethische Verurteilung vornimmt: Mîn tumbez herze mich verriet (MF 56,7), durch tumpheit (56,14), von sô süezer tumpheit wunt, / daz mir wîsheit wart unkunt (56,24f.), dô mich betrouc mîn tumber wân (57,3). Argumentativ steht dieses

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Lied eher bei der offenen Kreisbewegung der Trobadorlyrik als bei der Tendenz (der meisten Hausen-Lieder; vgl. auch unten zu Rudolf von Fenis, MF 81,30), das Liedende mit einem abschließendenm Statement zu ‚beschweren‘. Die ‚Offenheit‘ des Liedes MF 56,1 ergibt sich auch durch den Umstand, daß Veldeke dem Manneslied 56,1 in 57,10 ein Frauenlied zur Seite stellt und so eine weitere Perspektive auf den skizzierten Vorgang entwirft. Doch die Frau verwendet dieselben Leitwörter tump, tumpheit und sie nimmt dieselbe Bewertung vor wie der Mann zuvor (MF 57,9 ze unrehte entspricht 58,9 ze unreht in Hs. A). Auch das Frauenlied läßt keine argumentative Stringenz erkennen, so daß die Strophen austauschbar werden. Ob man Veldekes Lied MF 58,35 von Chrétiens Lied ‚D’Amors ke m’ait tolut a moy‘ (R. 1664) beeinflußt sieht (Kasten 1995, S. 619f.; Sayce 1999, S. 91; Zotz 2005, S. 146–163), hängt davon ab, ob man die Aussage des Ich in beiden Liedern, es habe nie den Trank getrunken, der Tristan zum Lieben gezwungen habe, als ausreichend für ein Abhängigkeitsverhältnis ansieht. Denn eine formale Analogie liegt nicht vor (Sayce 1999, S. 91), weshalb Frank (1952) das Chrétien-Lied und Heinrich von Veldeke, MF 58,35 nicht zusammensieht. Das Tristanmotiv verwendet auch Bernger von Horheim (MF 112,1) – der es seinerseits von Chrétien hat übernehmen können –, so daß auch ‚heimische‘ Rezeption nicht auszuschließen ist (dazu Mertens 1993a). Aufschlußreich ist freilich, daß in der Romania die Tristanfigur ganz unterschiedlichen Perspektivierungen dienen konnte (Raimbaut d’Orange, PC 389,32, Ausg. Pattison, Nr. 27, Str. IV–VI, wünscht sich in Tristans Lage), während die Minnesänger durchgängig die Tristanliebe als Negativfolie für ihre eigene Liebe einsetzten. Wie auch immer man das Abhängigkeitsverhältnis bewerten mag, eine Differenz zwischen den beiden Liedern fällt wiederum ins Auge. Bei Chrétien nimmt das Tristanmotiv lediglich eine Strophe (Str. IV) eines sechsstrophigen Liedes ein; Veldeke macht daraus ein ganzes Lied, das zwar nur aus einer einzigen Strophe besteht (meines Erachtens bildet MF 59,11 ein eigenes Lied), aber eben doch für sich allein vorgetragen werden konnte. Einerseits wirkt hier die im frühen Minnesang vorherrschende Einstrophigkeit nach, andererseits wird deutlich, daß sich Minnesänger oft mit einem einzigen, aus einem romanischen Lied entlehnten Motiv als inhaltlicher Grundlage für ein ganzes Lied begnügen. Dasselbe gilt für Veldekes Lied MF 65,21, das sich sangspruchartig gegen die huote richtet, mit dem Argument, daß die Bewachung der Frauen ihr Gegenteil erreiche. Diese Vorstellung wird in der sprichwörtlichen Wendung zusammengefaßt: „Viele Männer tragen die Rute, mit der sie

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sich selbst schlagen.“ In der Trobadorlyrik (u.a. Bernart von Ventadorn, PC 70,23, Ausg. Appel, Nr. 23, Str. IV,3f.; Comtessa di Dia, PC 46,1, Ausg. A. Rieger [1991], Nr. 34, Str. II,7f.) begegnet dieses Sprichwort öfter (vgl. auch Cnyrim 1888, S. 47; Frings/Lea 1965, S. 20–22). Daß diese Redensart jedoch auch im deutschen Sprachgebiet heimisch war, ist nicht auszuschließen (s.o. zu Friedrich von Hausen, MF 52,37). Eines steht jedoch fest: Was in einem romanischen Lied nur ein untergeordnetes Motiv bildete, wird beim deutschen Dichter zum einzigen Inhalt eines Liedes. Veldekes einstrophiges Lied MF 64,10 scheint eine Mischung von Unsinnspoesie (sotte chanson) bzw. Lügenlied (dazu Tervooren 2000b, S. 210ff.) einerseits und Parodie auf die Gattung des Partimen andererseits zu sein. Denn gegenübergestellt werden die zwei Positionen: lieber bei der Dame sein und einen Schrein voll Gold zu besitzen als fern der Dame arm und krank zu sein. Die Parteinahme für die erste Position wird sogar noch mit einer Wahrheitsbeteuerung bekräftigt (MF 64,15f.). Man könnte weiterhin eine Parodie auf die Vorstellung von der Fernliebe sowie auf die Beteuerung von Trobadors, die Wahrheit zu sagen, oder auf die in mittelalterlichen Minneliedern häufig zitierte Forderung der Dame nach Beglaubigung der Liebe hineinlesen (Touber 2005a, S. 283f.). Dies setzt allerdings voraus, daß das Publikum mit den parodierten Gattungen bzw. Vorstellungen vertraut war. In jedem Fall bereichert Veldeke den deutschen Minnesang durch dieses scherzhaft-parodistische Lied. Ob er eher der Nehmende war – und die romanische Unsinnspoesie nachahmt – oder eher der Produktive – indem er die Gattung des Partimen und trobadoreske Topoi (vgl. etwa den ‚Kaiser-Topos‘) parodiert –, muß offen bleiben. Ungeklärt muß auch bleiben, ob Heinrich von Veldeke so eine rhetorische Raffinesse wie die grammatischen Reime (MF 66,32) oder das Motiv vom Schwan, der singt, wenn er stirbt (MF 66,13f.), der (mittel-)lateinischen oder der romanischen Lyrik entlehnt hat. Ulrich von Gutenburg Die Identifikation dieses Dichters ist nicht gesichert (Tervooren 1995b, Sp. 1267; Meves 2005, S. 823–835). Wahrscheinlich handelt es sich bei ihm um das Mitglied eines freiherrlichen Geschlechts aus der Pfalz. Dieser Ulrich von Gutenburg ist zwischen 1172 und 1186 bezeugt, z.T. in staufischen Urkunden, die in Italien ausgestellt sind. Dies deutet einerseits auf Beziehungen zum Stauferhof und zu Friedrich von Hausen, Bligger von Steinach und Bernger von Horheim hin; andererseits kann Ulrich in Ober-

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italien möglicherweise selbst einigen Trobadors begegnet sein (am Hof von Montferrat?). Von Ulrich von Gutenburg sind lediglich ein Leich (MF 69,1) und ein Lied (MF 77,36) überliefert. Obwohl die Gattung des Leichs häufig auf romanischen Einfluß zurückgeführt wird (f Einleitung, Kap. 0.1), ist es bislang nicht gelungen, für Gutenburgs Leich präzise romanische Quellen nachzuweisen (MF II, S. 83). Gutenburgs Lied hingegen wurde und wird in formaler wie inhaltlicher Hinsicht mit einem Lied Blondels de Nesle (R. 482) in Verbindung gebracht (Frank 1952, Nr. 8b; Aarburg 1961, Nr. 23; Sayce 1999, Nr. 7; Zotz 2005, S. 17–34; Klein 2010, S. 424). Doch sind Zweifel angebracht: Erstens ist Blondels Lied erst um 1200 entstanden, Gutenburg jedoch – jedenfalls der Ulrich von Gutenburg, den wir für den Dichter halten – nur bis 1186 urkundlich bezeugt. Zweitens kommt als formale Vorlage nicht nur Blondels Lied, sondern eine Vielzahl romanischer Lieder in Betracht (Touber 2005c, S. 75f.). Die von Touber (ebd.) angeführten möglichen deutschen Parallelen weisen hingegen ein anderes Reimschema auf. Drittens sind die inhaltlichen Korrespondenzen zwischen Ulrichs und Blondels Lied dürftig, weil die zwei einzigen Motivparallelen zu unspezifisch sind: Die Dame hat mit ihren Augen den Liebenden verwundet und nur sie kann ihn heilen (Blondel, R. 482, Str. II,2–6); die Augen der Dame waren die Rute, mit der sie den Verehrer geschlagen hat (ebd., Str. V,7). Die Verwundung des Liebenden durch die Augen der domna ist ein Topos in der romanischen Lyrik. Das Bild mit der Rute hatten schon Heinrich von Veldeke (MF 65,23f.) und Friedrich von Hausen (MF 53,13) verwendet (s.o.). Nehmen wir aber einmal an, Ulrich von Gutenburg hätte das sechsstrophige Lied Blondels benutzt, so ergeben sich für die Rezeptionsforschung die inzwischen hinlänglich bekannten Merkmale: 1) Der deutsche Dichter greift nur vereinzelte Textfragmente der Vorlage auf, vornehmlich eingängige Bilder; 2) er baut um diese Textfragmente herum ein neues Lied mit eigenen Themen; 3) diese ‚eigenen‘ Themen akzentuiert er mit Hilfe der Leitworttechnik, hier z.B. mit den Termini gnâde (Str. I,8; II,8; IV,1), vröide und wân (Str. I,3f. u. 7; II,8; III,5; IV,4; V,8); 4) den Rest der Strophen füllt er mit Zitaten bzw. Anleihen bei deutschen Minnesängern aus. Die vierte Strophe etwa liest sich wie eine Zitatenlese aus Rudolf von Fenis (MF 80,1f. und das dortige Reimwort vertrîben entsprechen Gutenburg, MF 78,26f.; der Schlußvers des Liedes MF 80,25, nämlich 81,29, entspricht wörtlich Gutenburg, MF 78,26) und Heinrich von Morungen (MF 128,35 entspricht Gutenburg, MF 78,28–32; freilich ist daneben auch Anlehnung an Blondel, R. 482, Str. VI möglich, zur Textkritik der

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Blondel-Stelle Sayce 1999, S. 136); 5) schließlich nähert sich Ulrich von Gutenburg (in Str. V) einer abschließenden Stellungnahme (Str. VI ist möglicherweise in einer späteren Fassung hinzugesetzt), indem er die Schuld an seiner mißlichen Situation der Dame zuschiebt (Str. V,9). Blondels Lied endet demgegenüber mit einer ‚offenen‘ Aussage, die alles in der Schwebe läßt (R. 482, Str. VI,9): „Die Dame will mich weder töten noch heilen.“ Rudolf von Fenis Dieser Dichter, Graf von Fenis-Neuenburg (in der heutigen Westschweiz, nicht weit von der französichen Grenze), zwischen 1158 und 1192 bezeugt (Tervooren 1992, Sp. 346), zeichnet sich durch die breiteste und augenfälligste Rezeption romanischer Vorbilder aus (fünf seiner acht Lieder haben romanische Muster benutzt) und hat demzufolge gerade auf diesen Aspekt hin eine relativ breite Forschungsliteratur angeregt (Schwietering 1925; Stadler 1973; Sayce 1996, S. 2f. [zur Forschungsgeschichte]; Mertens 1997; Touber 2003; Zotz 2005, S. 35–65, 77–84 u. 165–204). Folgerichtig hat sich ein Lied Rudolfs von Fenis (MF 84,10) als Fallbeispiel für dieses Kapitel angeboten (s. Kap. 2.3). Wie dort wird sich auch bei den anderen Liedern, für die Fenis eine romanische Vorlage benutzt hat, auf beeindrukkende Weise zeigen, wie dieser Dichter – selbst wenn er ein Lied aus mehreren Vorlagen ‚zusammengesetzt‘ – ein jeweils stringent strukturiertes Gedicht geschaffen hat. Hilfreich dabei waren drei Markenzeichen des ‚deutschen‘ Minnesangs dieser Zeit (s. Kap. 2.2): Endgipfelkomposition (Argumentation auf den Schluß hin), Tendenz zur programmatischen Aussage (Endgültigkeit der im Lied eingenommenen Position), ‚Vereinseitigung‘ der thematischen Perspektive (Fokussierung auf einen einzigen Aspekt bzw. Emotionszustand). Rudolfs von Fenis Lied MF 80,1 entnimmt drei verschiedenen Liedern Folquets de Marseille je ein Motiv. In Strophe I entlehnt er (außer den ersten zwei Versen) den Vergleich des Mannes, der auf einen Baum gestiegen ist und dann weder höher- noch heruntersteigen kann, Folquet, PC 155,18 (Ausg. Stro´nski, Nr. 7, Str. II; Frank 1952, Nr. 9d; Sayce 1996, Anhang Nr. 1; Zotz 2005, S. 185ff.). Strophe II greift zurück auf zwei Vergleiche in Folquets Lied PC 155,21 (Ausg. Stro´nski, Nr. 11, Str. I; Frank 1952, Nr. 9b; Sayce 1996, Anhang Nr. 2; Zotz 2005, S. 178ff.): der Spieler, der zu spät seinen Verlust erkennt; die Minne als Schuldner, der Zurückzahlung verspricht, aber sein Versprechen nicht einhält. Strophe III schließlich soll zu-

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rückgehen auf Folquet, PC 155,22 (Ausg. Stro´nski, Nr. 2, Str. III; Frank 1952, Nr. 9c; Sayce 1996, Anhang Nr. 3; Zotz 2005, S. 195ff.), und zwar auf zwei Aussagen der dritten Strophe des romanischen Liedes: Die Dame möge das Gute ertragen, während er, der Verehrer, das Schlechte ertrage (so daß sie sich im Ertragen gleich werden); wenn die Dame wünsche, daß er sich von ihr abwende, müsse sie allererst ihre Schönheit und ihr süßes Lachen ablegen. (Für diese dritte Strophe, V. 1f., hat Fenis aber auch Folquet, PC 155,18, Str. III,7 benutzt.) Das Strophenschema (den Ton?) seines Liedes soll Fenis einem der drei Folquet-Lieder (PC 155,21; Aarburg 1961, Nr. 24) entnommen haben. Angesichts dieser Quellensituation mag sich leicht der Eindruck aufdrängen, daß Fenis seine Strophen „unvermittelt hintereinander gestellt“ (Zotz 2005, S. 203) und daß der deutsche Dichter keine Verbindung zwischen den Einzelstrophen geschaffen habe. Die Selbständigkeit der Einzelstrophe, wie sie dem früheren Minnesang eigen sei, schlage auch hier durch (ebd.). Dabei wird jedoch ein den deutschen Minnesang um 1170–1190/1200 prägendes Element übersehen: die Leitworttechnik. Mit ihrer Hilfe gelingt es – wie wir immer wieder feststellen werden – den Minnesängern, die Einzelstrophen zu einem Ganzen zusammenzubinden. In unserem Fall ist zu beobachten: Das letzte Wort der ersten Strophe, das sich also im Ohr der Hörer gut festsetzen kann, lautet vertrîbet (MF 80,8). Das letzte Wort der letzten Strophe lautet vertrîbe (80,24), vorbereitet durch vertrîben kurz vorher (80,21). Alle drei Belege fungieren als Reimwörter und sind schon deshalb herausgehoben. Ein zweites Leitwort ist „Verlust/Gewinn“: Der Spieler der Strophe II erleidet Verlust (Str. II,2: verliuset), die Dame in Strophe III soll den Gewinn haben (Str. III,1: gewin). Mit dieser Leitworttechnik greifen wir ein bedeutsames Instrument der Minnesänger bei der Rezeption romanischer Lieder. Dennoch sperrt sich Rudolf von Fenis, MF 80,1 in einem Punkt gegen die von mir vorgenommene typische Kontrastierung von romanischer und deutscher Liebeslyrik. Während die Minnesänger den romanischen Vorlagen, die sich in der Regel durch eine argumentative Offenheit und eine thematische Vielfalt auszeichnen, eine argumentativ klare Struktur und eine thematische Fokussierung entgegenstellen, endet Fenis, MF 80,1 mit einem ‚offenen‘ Schluß. Denn das Ich befindet sich dort immer noch in der Schwebe zwischen lassen und festhalten (Str. I,4: weder lâzen noch hân), nämlich jetzt zwischen Bleiben bei oder Trennung von der Dame (Str. III,1–8). Damit übernimmt Fenis das für die romanischen Lieder typische Balancieren bzw. Changieren zwischen konträren Gefühlszuständen. (Nur bei den malas cansos herrscht emotionale Einseitigkeit vor, wie

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eben auch bei Folquet, PC 155,21, dem Fenis zwar zwei Vergleiche entnimmt, aber die dortige Absage an die Dame übergeht.) Frühere Beobachtungen (s. Kap. 2.2 u. 2.3) bestätigt jedoch Fenis’ Lied MF 80,1 insofern, als er keine der zahlreichen (performativen) Erwähnungen des Singens, wie sie sich vor allem bei Folquet, PC 155,18 finden, übernommen hat. (Eine Ausnahme bildet Fenis, MF 80,25, Str. I, wo das Ich gegen die Vorlage das Thema Singen aufgreift; vgl. Gace Brulé, R. 1102, s.u.). In diesem Punkt bleibt er weit hinter Heinrich von Morungen zurück, der mit den Romanen fast ‚gleichzieht‘. Auf die textkritisch und (deshalb) interpretatorisch umstrittene dritte Strophe von MF 80,1 kann hier nicht eingegangen werden (vgl. Touber 2003, S. 24–29, 2005a, S. 282f., u. 2005b, S. 727–729). Doch muß der Versuch, von der romanischen Quelle her den Sinn des deutschen Liedes zu bestimmen, kritisch gesehen werden, da Rudolf von Fenis ja bei all seinen Übernahmen immer wieder eigene Akzente gesetzt hat. Sollte der Sinn von Str. III,5f. tatsächlich der sein, daß sich die Dame ihrer Schönheit und ihres Lächelns entledigen müsse, bevor sie den Verehrer loswerde, dann wäre auch denkbar, daß Fenis auf ein Lied des Burggrafen von Rietenburg (dichtete ca. 1170/85; f Minnesang I, Kap. 1.6) zurückgegriffen hat. Dort heißt es in völliger Übereinstimmung mit Folquet de Marseille (PC 155,22, Str. III,5f.): Wenn die Dame wolle, daß das Ich von ihr scheide, so lasse sie ab von ir schoene und ir güete beide (MF 19,27–30). Zur Zeit Fenis’ ist der Motivschatz des deutschen Minnesangs bereits so weit angewachsen, daß er in Konkurrenz zum romanischen Minnesang treten konnte. Dies kann auch für das Lied MF 80,25 gelten. Denn obwohl gemeinhin ein romanisches Lied als Quelle angenommen wird, kann Fenis sein Gedicht mit Anleihen bei deutschen Minnesängern aufgefüllt haben (z.B. Friedrich von Hausen, MF 52,7–16 für Rudolf von Fenis, MF 81,11–13). Zwar soll Fenis bei MF 80,25 formal (vgl. aber MF III/2, S. 424, wo von acht weiteren formalen Parallelen die Rede ist) und inhaltlich auf ein Lied des Trovère Gace Brulé (R. 1102) zurückgegriffen haben (Frank 1952, Nr. 10b; Aarburg 1961, Nr. 25; Sayce 1996, Nr. 2; Mertens 1997, S. 23–26; Zotz 2005, S. 35–50), doch sind die Unterschiede zwischen ‚Vorlage‘ und ‚Bearbeitung‘ recht groß. Immerhin, Fenis scheint die coblas capfinadas, ja sogar die coblas capcaudadas der Vorlage nachzuahmen, indem er den Schlußreim (und die letzten Wörter) einer Strophe im Anfangsvers der Folgestrophe in leicht veränderter Form wiederaufnimmt. Vergleicht man jedoch die beiden Lieder auf Thematik, argumentative Stringenz und Stimmigkeit hin, zeigen sich große Differenzen, von denen hier nur einige, vor allem für den deutschen Minnesang typische, erläutert werden können.

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1) argumentative Offenheit vs. argumentative Stringenz: Im französischen Lied stehen immer wieder sich widersprechende Aussagen nebeneinander. Gace Brulé (R. 1102) stellt zunächst ein Ich vor, das in den ersten drei Strophen von Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet ist: „Ich bin verurteilt zum Sterben“ (Str. III,7); „Ich sehe, daß sie mich nicht lieben wird“ (IV,8). Unverhofft kommt dann der Umschwung zu Beginn der fünften Strophe: „Vielleicht liebt mich die Dame doch“ (V,1). Das Ich redet sich Mut zu: Ein rechter Verehrer erobere durch Beharrlichkeit und Geduld seine Dame (V,2f.). Doch sogleich kippt die Stimmung wieder (V,4ff.). Am Schluß von Str. VI bezieht das Ich die Position eines Mannes, der vor der Dame nichts hervorzubringen weiß. Doch in Str. VII, dem ersten envoi (‚Geleit‘), äußert sich das Ich gegenteilig: Es könne nicht anders als zu reden und zu singen. In all dem ist ein argumentativer Fortschritt nicht zu erkennen, weil eben gar nicht intendiert. Unterschiedliche emotionale Zustände und Einstellungen wechseln sich in lockerer Weise ab, mit dem Resultat, daß das Ich sich am Ende des Liedes wieder dort befindet, wo es zu desen Beginn gestanden hatte. Mit dem Wort Kreisbewegung ist dieser Befund treffend beschrieben. Ganz anders Rudolf von Fenis: Zwar beginnt Fenis’ Ich ebenfalls mit der Beschreibung von Hoffnungslosigkeit: Minne zwingt das Ich zu lieben (Str. I u. II,1–5), wo keine Gegenliebe ist. Doch dieser Zustand des Gezwungenwerdens weicht bald dem Zustand des Wollens: wil ich ir dienen (III,1); wellent mîne sinne (III,8); Mîne sinne wellent (IV,1). Im Verlaufe des Liedes vollzieht sich die Entwicklung vom Müssen zum Wollen. Damit ist aber eine neue Qualität der Liebe erreicht, die sich von dem in Str. I vorgestellten Zustand klar abgrenzt. Gestützt wird diese Bewegung vom Müssen zum Wollen durch die Beteuerung in Str. II,6 und III,1, daß die staete dafür verantwortlich sei, daß das Ich am Dienst festhalte. Eine solche Abfolge von Auffassungen bezeichne ich als argumentative Stringenz. Der Kreisbewegung des romanischen Liedes – Mertens (1997, S. 25) spricht von „assoziativ-kreisender Struktur“, Zotz (2005, S. 41) vom „wiederholenden Umkreisen immer wieder derselben Motive“ – steht die Endgipfelkomposition des deutschen Minneliedes gegenüber (gegen Zotz 2005, S. 46). Mit der Kreisbewegung der geäußerten Gedanken in der Romania ist deren Unabgeschlossenheit verkettet. Genauso ‚unendlich‘ vollzieht sich die Diskussion in den Gattungen Partimen und Tenzone; sie könnte endlos weitergehen, eine Entscheidung wird vermieden. Meines Erachtens liegt der argumentativen Unabgeschlossenheit zahlreicher romanischer Minnekanzonen ein Prinzip zugrunde, das auch die Streitgedichte bestimmt. Von dieser These her gewinnt die argumentative Stringenz in

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Fenis, MF 80,25 wie in zahlreichen anderen deutschen Minneliedern dieses Zeitraums 1170–1190/1200 eine (noch) größere Relevanz. 2) performative Rede vs. konzeptuell-lehrhafte Rede (Didaktisierung): Die germanistische Rezeptionsforschung bedient sich gerne des Terminus ‚Didaktisierung‘, wenn es um die Beschreibung der von Minnesängern an den romanischen Quellen vorgenommenen Änderungen geht. Kaum gefragt wurde, was denn nun eigentlich den romanischen Minnesang auszeichnet, wenn ihm die Didaxe fehlt. Was bietet die Romania anstelle der Didaxe? Sicherlich Spiel, Diskussion, aber eben auch das Zurschaustellen des Singens und das Hinweisen auf die Bedingungen und Konsequenzen des Redens über die Dame. Was Rudolf von Fenis in MF 81,26 in einem einzigen Vers ‚versteckt‘ – die Thematisierung des Widerspruchs von innerem Zustand und äußerer Gebärde –, nimmt bei Gace Brulé großen Raum ein: die Frage nämlich, was das Ich der Dame sagen dürfe und was es verschweigen müsse (R. 1102, Str. III,5f.; IV,5; V,7f.; VI,7f.; VII,3f.). Performative Relevanz besitzt diese Diskussion insofern, als der Sänger im Moment des Singens vom Nichtsingen spricht. Bei Fenis erscheint der performative Aspekt doppelt verkürzt. Denn er reduziert nicht nur das Problem Sagen/Verschweigen, sondern auch die performative Doppelrolle des Ich, die darin besteht, daß das Ich sich an die Dame wendet (Brulé, Str. VI) und zugleich zur Gesellschaft singt. Brulé spitzt diesen Widerspruch noch zu, indem er das Ich aussprechen läßt, was dieses sagen würde, wäre es in stiller Zweisamkeit mit der Dame zusammen (Str. VI,4). Fenis’ Ich begnügt sich damit, von der Dame in der dritten Person zu sprechen, wählt also eine eindimensionale Redeperspektive (und erwähnt allenfalls ein Mal im Lied MF 80,25 die Wahrnehmung der Gesellschaft: Str. IV,5 und vielleicht I,1 u. 4). Gegenüber der performativen Rolle von Brulés Ich rückt Fenis’ Ich in eine lehrhafte Funktion. Dadurch daß bei Fenis die Schlußstrophe den Schlußpunkt einer gedanklichen Abfolge bildet (vgl. Punkt 1), erlangt die Aussage dieser Strophe eine größere Gültigkeit, also mehr Autorität. Es ließe sich sogar sagen: Diese Aussage erhält den Status einer Lehre. Demgegenüber erscheinen die Aussagen der Einzelstrophen in der romanischen ‚Vorlage‘ fast austauschbar und damit in gewisser Weise beliebig. 3) Vielfalt an Aspekten vs. Fokussierung auf ein Thema: Mit der argumentativen Stringenz bei Rudolf von Fenis hängt dessen Fokussierung auf ein einziges Thema zusammen. Während Gace Brulé eine Vielfalt von Aspekten anspricht (Dame nicht vergessen können; keine Hoffnung auf Liebe; vielleicht doch Gegenliebe; Entscheidung für das Schweigen, gegen

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das Schweigen), konzentriert Fenis sein Lied auf das eine Thema: Das Ich wird sich in seinem Dienst gegenüber der Dame nicht beirren lassen. Solche thematischen Fokussierungen charakterisieren viele deutsche Minnelieder. 4) äußerer Zwang vs. selbstverantwortete Haltung (Ethisierung): Während im romanischen Lied (R. 1102) das Tun, Handeln und Reden des Ich auf die Macht der personifizierten Liebe zurückgeführt wird (Str. I,5f.; II,1f.) und das Ich als eine von außen getriebene Figur erscheint, fällt bei Fenis (MF 80,25) mehrmals der ethisch aufgeladene Begriff staete (Str. I,7; II 6; III,1). Zum Vorbild wird das Ich bei Fenis nicht aufgrund des Zwanges, den die Liebe auf ihn ausübt, sondern aufgrund der unerschütterlichen Beständigkeit, die ihn an seiner Liebe festhalten läßt und ihn somit auszeichnet. Und diese Beständigkeit setzt sich dann um in dienen, dienst (Str. I bis IV). Aus der Objektposition wechselt das Ich in die Subjektposition. Gace Brulé beschreibt hingegen die Macht der Liebe und die dadurch hervorgerufenen performativen Widersprüche (vom Schweigen reden); bei Fenis kommt die Kraft der Liebe aus der vom Ich selbst verantworteten ethischen Kraft der staete, die dann sogar zum dienst an allen Frauen befähigt (Str. IV,4). Die ‚Offenheit‘ in Brulés Gedicht läßt sich in Kurzform so formulieren: emotionales Schwanken (zwischen Hoffnungslosigkeit und Hoffnung auf Gegenliebe), argumentatives Schwanken (die Dame liebt nicht, vielleicht liebt sie doch), performatives Schwanken (zwischen Singen und Schweigen). Fenis’ Lied hingegen zeichnet sich aus durch emotionale Konsistenz, argumentative Stringenz und performative Abstinenz. Insgesamt wird man feststellen müssen, daß sich die Lieder von Gace Brulé (R. 1102) und Rudolf von Fenis (MF 80,25) inhaltlich so sehr unterscheiden, daß sich die Frage aufdrängt, ob Brulés Lied – außer der metrischen Form – überhaupt Fenis’ Lied beeinflußt hat (Stadler 1973, S. 17f.). Deshalb war die vorangegangene Vergleichsanalyse eher typologisch als liedspezifisch ausgerichtet. Das Lied MF 81,30 von Rudolf von Fenis (das ich nicht mit Lied MF 83,11 zusammensehe) nimmt sich rezeptionsgeschichtlich wie ein Potpourri aus. Denn es setzt sich inhaltlich aus drei verschiedenen romanischen Vorlagen zusammen und basiert formal auf einer vierten Quelle (Frank 1952, Nr. 11i; Aarburg 1961, Nr. 34; Kasten 1995, S. 665; Sayce 1996, Nr. 3; Zotz 2005, S. 165–184), wobei diese vierte Quelle nicht hinreichend identifiziert ist. Lange glaubte man, ein Lied von Gace Brulé (R. 42; ca. 1180/85 entstanden) bzw. dessen Kontrafakt von Gaucelm Faidit (PC 167,46; 1187/88 entstanden) habe das formale Muster abgegeben

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(s.u.). Doch kommt nach Touber (2005c, S. 79) die Strophenform von MF 81,30 mehr als 200mal in der Romania vor. An Fenis, MF 81,30 läßt sich vorzüglich demonstrieren, wie die Rezeption romanischer Lieder in concreto aussieht. Die Aussage, Fenis habe für die ersten beiden Strophen (MF 81,30 u. 82,1) ein Lied von Folquet de Marseille (PC 155,8, Str. I u. II) benutzt, für die dritte und vierte Strophe ein Lied von Guiot de Provins (R. 1668, Str. I) und für die fünfte Strophe ein weiteres Lied von Folquet de Marseille (PC 155,21, Str. II), gibt nicht im entferntesten wieder, was in Fenis’ Lied MF 81,30 wirklich ‚passiert‘. Einen tieferen Einlick gibt folgende Beobachtung: Die jeweils ersten Verse in Fenis’ Lied – Str. I,1–4 (Singen soll Sorgen mindern) bzw. II,1–3 (Minne setzt Dame ins Herz des Ich) – entsprechen den jeweils ersten Versen (Str. I,1–5 bzw. II,1–3) seiner Vorlage (Folquet de Marseille, PC 155,8); die Schlüsse seiner Str. I und II entsprechen den Schlüssen der Str. I und II seiner Vorlage (Folquet, PC 155,8). Es sind also die beim Vortrag besonders auffallenden Strophenteile, die Fenis übernimmt. Für die dritte Strophe ergibt sich derselbe Befund: Fenis entnimmt seiner zweiten Quelle (Guiot de Provins, R. 1668) wiederum die ersten paar Verse von Str. I und setzt sie auch bei sich an den Strophenanfang. Über die Quelle von Str. IV wird weiter unten zu sprechen sein. Fenis’ fünfte Strophe praktiziert wieder das gewohnte Verfahren: Die ersten Verse (MF 81,30, Str. V,1–3) entsprechen den ersten paar Versen der zweiten Strophe seiner dritten Quelle (Folquet de Marseille, PC 155,21, Str. II,1–4). Wie ein Baumeister bedient sich Fenis der romanischen Vorlagen; er greift jeweils die Anfänge und Schlüsse der Vorlagenlieder bzw. -strophen auf und setzt sie in seinem Lied an strukturell entsprechenden Stellen ein. Freilich stellt sich angesichts des Umstandes, daß Rudolf von Fenis nur Teile seiner Strophen mit ‚fremdem Material‘ bestreitet, die Frage, wie er den Rest seiner Strophen inhaltlich füllt. Diese Frage hängt mit der weiteren Frage zusammen, wie und ob es Fenis gelingt, aus dem ‚Potpourri‘ der Vorlagen ein geschlossenes Ganzes zu schaffen – trotz der vielzitierten Eigenständigkeit der Einzelstrophen. Zunächst wäre wieder auf die Leitworttechnik zu verweisen, die die verschiedenen Strophen miteinander verbindet (sorge, wân, sehen, bî ir sîn, brennen). Das zweite rhetorische Element ist die amplificatio, d.h. dasselbe sagen wie in der Vorlage, aber mit mehr Worten (MF 81,30, Str. I,6 u. II,4; III,3f. u. III,5f.; IV,4 u. V,4). Dazu gehören auch Begründungen oder Präzisierungen (Str. I,4), auch Überleitungen zwischen den Strophen (von Str. III zu IV). Auch Anleihen bei deutschen Dichtern können eine Strophe erweitern (Veldeke, MF 56,7 entspricht Fenis, MF 82,23).

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Die Strophenbindung in Fenis, MF 81,30 verhindert aber nicht, daß dieses Lied (wie auch MF 80,1; s.o.) eine argumentative Stringenz vermissen läßt. In der Aneinanderreihung der stets gleichen Aussage – das Ich würde sich gerne von Dame, Sorge und Liebe lossagen, doch sein tumbez herze ist dazu nicht fähig – ähnelt dieses Fenis-Lied zahllosen Exemplaren der romanischen Lyrik. Die Einsicht in diesen Befund wiederum macht es verständlich, daß Fenis die Einbeziehung mehrerer Quellen in diesem Falle leicht gefallen ist. Die Nähe zur romanischen Lyrik ergibt sich auch durch die Übernahme des Themas Singen gleich zu Beginn des Liedes (MF 81,30 aus Folquet de Marseille, PC 155,8, Str. I). Doch ist der performative Aspekt in Fenis’ Lied nicht so ausgeprägt wie in den romanischen Vorlagen. So blitzt z.B. bei Guiot de Provins (R. 1668; Text und Übersetzung bei Sayce 1996, S. 163–165, und Zotz 2005, S. 173–175) die performative Doppelrolle des Ich dadurch auf, daß dort das Ich sowohl in eine kommunikative Interaktion mit dem (fingierten) Publikum eintritt (Str. II,1f.) wie auch die Herrin direkt anredet (II,4f.). In einem weiteren Punkt kann der deutsche Minnesänger seinem romanischen Vorbild nicht folgen. Die Vorlage für Fenis’ letzte Strophe mit dem Nachtfalter-Motiv ist ein Absagelied (Folquet de Marseille, PC 155,21). Diese Absage folgt unmittelbar auf den Vergleich mit dem Nachtfalter, der sich ins Feuer stürzt und verbrennt (PC 155,21, Str. II,5: mas ieu m’en part e segrai autra via „Aber ich trenne mich von ihr und will einen anderen Weg gehen“)! Bei Folquet dient das Nachtfalter-Motiv also zur Begründung für die Trennung von der Dame; Rudolf von Fenis hingegen verwendet es zur Demonstration seiner totalen, wenn auch tumben Hingabe an die geliebte Dame (Mertens 1997, S. 32). In der Umfunktionierung des Nachtfalter-Motivs fassen wir ein Markenzeichen des deutschen Minnesangs: Abwendung von der Dame ist ein (ganz selten und spät durchbrochenes) Tabu (Schnell 1985, S. 454–456). Die Quellenlage von Strophe IV des Liedes ist noch kurz anzusprechen. Einerseits wird die Auffassung vertreten, die Vorlage der dritten Strophe (Guiot de Provins, R. 1668, Str. I) habe inhaltlich auch die vierte Strophe beeinflußt (Sayce 1996, S. 63); andererseits wird das Motiv von gluot und brennen auf die beiden Texte zurückgeführt, die auch formal mit Fenis’ Lied übereinstimmen (Aarburg 1961, Nr. 34, S. 408): Lieder von Gace Brulé (R. 42) und Gaucelm Faidit (PC 167,46, Str. III; Frank 1952, Nr. 11e; Text und Übersetzung auch bei Sayce 1999, S. 247–249). Faidits Lied soll ja auch Bligger von Steinach (MF 118,19) und Hartwig von Raute (MF 116,1) als formale Vorlage gedient haben (dazu Mertens 1997, S. 31ff., u. 1998, S. 275f.). Meines Erachtens bietet sich jedoch ein weiteres Lied

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von Gaucelm Faidit als Vorlage an (PC 167,56, Ausg. Mouzat, Nr. 65, Str. V). Denn dieses Lied vereinigt in Str. V beide Motive der Str. IV von Fenis’ Lied: Brennen/Sterben; bei der Dame sein läßt den Verehrer gleichsam verglühen, von ihr gehen bringt ebenfalls den Tod. Allerdings verbindet Gaucelm Faidit auch in PC 167,31 (Ausg. Mouzat, Nr. 27, Str. V) das Sehen der Dame und den Vergleich mit dem Gehölz, das im Feuer verbrennt. Doch fehlt hier das Schwanken zwischen Sehen und Weggehen (eindeutig für das Sehen nimmt Partei auch Gaucelm Faidits Lied PC 167,37, Ausg. Mouzat, Nr. 17, Str. V; zwischen Sehen und Weggehen schwankt hingegen das Ich in Cercamon, PC 112,4, Ausg. Jeanroy, Nr. 1, Str. III,3–6). Jedenfalls mahnt die Vielzahl romanischer Belege für das Motiv Lieben/Brennen (von der Antike sei hier gar nicht geredet, vgl. nur Ovid, ‚Metamorphosen‘ III,370; VI,455ff.) zur Vorsicht bei der Bestimmung einer konkreten Quelle für Fenis’ Liebe/Feuer-Vergleich in Strophe IV. Die von Stadler (1973, S. 10–13) für Str. I u. II angeführte Parallele (R. 230) bietet keine überzeugenden Korrespondenzen. Offensichtlich hat Rudolf von Fenis an den Liedfragmenten, die er übernommen hat, der Aspekt des unauflösbaren Widerspruchs gereizt: Im Singen den Schmerz lindern, doch das Gegenteil ist der Fall; die Illusion, in der Nähe der Dame (beim Erblicken der Dame) würden die Sorgen verschwinden, doch das Gegenteil tritt ein; das Erblicken der Dame bringt den Tod, ebenso aber auch das Fernsein; Wissen um das Verbrennen im Feuer und dennoch ins Feuer fliegen. Mit diesem Changieren/ Balancieren zwischen zwei Extremen, die gleichermaßen unausweichlich das Sterben in der Liebe verursachen und deshalb eigentlich in eins zusammenfallen, hat Fenis eine Nähe zur romanischen Liebeslyrik erreicht, die zuvor und neben ihm kaum ein Minnesänger erreicht hat. Mit der abschließenden Entscheidung, für immer in dieser ausweglosen Situation zu verharren (MF 81,30, Str. V,6f.) und auch die Konsequenzen bis zum bitteren Ende zu ertragen, fügt sich Fenis aber doch wieder in die Tradition des Minnesangs bis und mit Friedrich von Hausen ein, der wir die Tendenz zu einer abschließenden endgültigen Aussage bescheinigten (s. Kap. 2.2 u. 2.3). Da Fenis’ Lied MF 83,11 ein ähnliches Strophenschema aufweist wie MF 81,30, hat man es zuweilen als Teil dieses Liedes betrachtet und dafür dieselben formalen Vorbilder (Gace Brulé, R. 42; Gaucelm Faidit, PC 167,46) angenommen (Aarburg 1961, Nr. 34). Doch nach Touber (2005c, S. 79) kommt das betreffende Schema, wie gesagt, mehr als 200mal in der Romania vor. Faßt man die beiden Strophen MF 83,11 und 83,18 zusammen als ein eigenes Lied auf, hat man zunächst Mühe, einen thematischen

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Zusammenhang zu erkennen. Denn die erste Strophe beschreibt in immer wieder neuen Formulierungen das Dilemma des Ich, die Dame zu meiden, die ihm gewogen ist, und die Dame zu begehren, die sich ihm entzieht. Die zweite Strophe hingegen spricht nur allgemein von der grôze[n] nôt (Str. II,6), in die sich das Ich mit seiner Entscheidung für die minne hineinmanövriert hat. Doch gerade an dieser angeblichen Unstimmigkeit können wir gut studieren, wie ein Minnesänger mit einem romanischen Vorbild produktiv umgeht. Den Ausgangspunkt für das zweistrophige Lied MF 83,11 bildet ein seit Ovid (‚Amores‘ II 19,1–6 u. 33–36), vor allem aber in der mittellateinischen und romanischen Lyrik weit verbreitetes Motiv (u.a. Bernart von Ventadorn, PC 70,29, Ausg. Appel, Nr. 29, Str. VI; ders., PC 70,42, Ausg. Appel, Nr. 42, Str. IV): Der Mann (bzw. ‚man‘) begehrt gerne das, was sich ihm entzieht, und flieht das, was er (bzw. man) leicht haben könnte (zahlreiche Belege bei Schnell 1979). Bei Rudolf von Fenis heißt es entsprechend: daz ich der ger, diu sich mir wil entsagen. / diu mir zerwerbene vil lîhte waere, / diu vliuhe ich, wan si mir niht kan behagen. / Ich minne die, diu mirs niht wil vertragen. / mich minnent ouch, die mir sint doch bormaere. / sus kan ich wol beide, vliehen und jagen (MF 83,12–17). Es wäre nun unsinnig, behaupten zu wollen, Fenis habe „durch künstliche Hindernisse die Genußmöglichkeiten in der Liebe steigern“ wollen (dies unterstellt Kasten 1986, S. 258) oder zu meinen, Fenis habe „die Unerreichbarkeit seiner geliebten Dame […] bejaht“ (dies unterstellt Zotz 2005, S. 86, Anm. 150). Es geht nicht um die individuelle Strategie eines Subjekts zur Lustgewinnung, sondern zunächst schlichtweg um die Rezeption eines Topos, der auch Leid impliziert: Das schwer Erreichbare ist attraktiver als das, was sich von selbst aufdrängt. Bis in einzelne Formulierungen hinein kommt Fenis einer Stophe des Folquet de Marseille (PC 155,5, Ausg. Stro´nski, Nr. 1, Str. II) nahe: „Doch ich erkenne es als Eigenschaft der Liebe, daß sie an meinem Schaden Geschmack findet, denn sie läßt mich das geringschätzen, was ich reichlich besitze, und um das hart kämpfen, was sich gegen mich wehrt. Ich fliehe vor dem, was mich verfolgt, und folge dem, was vor mir flieht. Also weiß ich nicht, wie ich mich retten kann, denn es geschieht mir, daß ich gleichzeitig verfolge und fliehe“ (Übersetzung: Sayce 1996, S. 101; auf die Textkritik des letzten Verses kann ich hier nicht eingehen, vgl. ebd. u. Mertens 1997, S. 30). Diese psychologische Maxime, die eine anthropologische Wahrheit suggeriert, markiert eigentlich eine Trennlinie zwischen Minnesang und romanischer Liebeslyrik. Denn jene mit ihrer Diskussionskultur konnte es sich leisten, das Werben des Mannes um die Dame zuweilen spielerisch als Wirkung einer unüberwindlichen Veranlagung aller Men-

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schen bzw. als Wirkung der unbezwinglichen Macht ‚Liebe‘ hinzustellen. Eine solche Auffassung, die das Werben um das schwer Erreichbare auf einen bloßen psychischen Mechanismus bzw. auf den Einfluß eines Dritten zurückführt, paßte freilich nicht zu den ethischen Ansprüchen der meisten deutschen Minnesänger. Fenis rezipierte dennoch die in der Romania bekannte These, freilich mit einer bemerkenswerten Änderung (vgl. auch Mertens 1997, S. 29f.). Als fast der einzige Minnesänger (neben dem Kürenberger, MF 8,25; Reinmar, MF 160,9–15 ist anders zu deuten, vgl. Schnell 1979, S. 48f.), der diese romanische Auffassung aufgreift, beläßt er es nämlich nicht bei deren bloßer Übernahme. Er biegt das als ‚Naturereignis‘ vorgestellte psychologische Gesetz in ein selbstverantwortetes Verhalten um: ‚Ich bin selbst schuld‘ (MF 83,11, Str. I,1: Ich hân mir selber gemachet die swaere). Und genau dieser von Fenis neu eingebrachte Gesichtspunkt ist es denn auch, mit dem er – in einer Art von amplificatio – die zweite Strophe füllt und abschließend festhält: den kumber hân ich mir selbst getân (Str. II,7 – letzter Vers!). Der Rezeptionsvorgang verläuft hier also wie folgt: Rudolf von Fenis greift aus einer mehrstrophigen fremdsprachigen Vorlage ein einziges Motiv auf (in unserem Falle einen romanischen [und mittellateinischen] Topos); damit bestreitet er nun nicht nur eine, sondern zwei Strophen; in der zweiten Strophe jedoch amplifiziert und fokussiert er das, was er bereits in der ersten Strophe als Abweichung vom Topos hat anklingen lassen: die Eigenverantwortung; schließlich wird dadurch eine größere argumentative Stringenz gegenüber der romanischen Vorlage erreicht. Als Resultat ergibt sich: Der erste(!) und der letzte(!) Vers des Fenis-Liedes mit der Akzentuierung der Selbstschuld umschließen die andersgeartete ‚romanische‘ apologetische Auffassung, wonach der Mensch (bzw. der Mann) nichts dafür könne, daß er das begehre, was sich entziehe, und das ablehne, was man leicht haben könne. Diese Umschließung des ‚Fremdkörpers‘ durch das ‚Eigengewächs‘ ist ein treffliches Beispiel für die Vereinnahmung und Umwertung, Integration und Transformation einer romanischen ‚Idee‘ in den deutschen Minnesang. Im übrigen zeigt sich an diesem Beispiel erneut, daß der romanische Minnesang der mittellateinischen Dichtung näher steht als der deutsche Minnesang (Schnell 1978, S. 92, 1979 u. 1983).

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Albrecht von Johansdorf Der zwischen 1180 und 1206/9 urkundlich bezeugte bayerische Dichter Albrecht von Johansdorf (Schirmer 1978; Meves 2005, S. 109–124) läßt in formaler Hinsicht einerseits heimische donauländische Tradition (Langverse, Wechsel, Frauenstrophen), andererseits westliche Einflüsse (Daktylen, Reimkunst, Dialoglied) erkennen. In vier seiner 13 Lieder thematisiert Johansdorf Aspekte des Kreuzzugs. Man hat Johansdorf gerne als Wegbereiter von Walthers Gegenseitigkeitsminne bezeichnet (dazu Ranawake 1994, S. 253ff.), dabei jedoch zu wenig beachtet, daß dieses Bekenntnis zur gegenseitigen Liebe in einer Frauenstrophe (MF 91,29) formuliert wird. Mögen Albrechts von Johansdorf sieben Werbelieder auch „anspruchslose Unterhaltungslyrik“ bzw. von einer „formalen und inhaltlichen Anspruchslosigkeit und unterhaltsamen Unverbindlichkeit“ sein (Ranawake 1994, S. 259), so wird man den Kreuzzugsliedern eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht absprechen können. Johansdorfs Liedœuvre präsentiert sich in einer erstaunlichen Vielfalt, die auch die Aussagen über die Liebe betrifft. In dieser konzeptuellen Vielfalt, ja Widersprüchlichkeit scheint Albrecht von Johansdorf der romanischen Lyrik (mit ihren skizzierten Pros und Contras, s.o.) nahezustehen, wahrscheinlich auch von ihr beeinflußt zu sein. Zu dieser Vermutung berechtigen vor allem zwei Lieder, die – bezeichnenderweise – von Ironie und Witz geprägt sind. Die zwei Strophen des Liedes MF 89,9 stehen in einem merkwürdigen Mißverhältnis. In der ersten Strophe beklagt das Ich den ausgebliebenen Lohn (Leitwort lôn) für sein Singen. Ob damit der gesellschaftliche Lohn für das Singen oder der Minnelohn gemeint ist, bleibt offen. Für die erste Deutung spricht die Formulierung mir weiz sîn [für das Singen] niemen danc (MF 89,10). Wenn „niemand“ dankt, ist Lohn von mehreren erwartet worden. Die zweite Strophe schneidet ein ganz anderes Thema an. Es wird die Frage gestellt, ob es erlaubt bzw. niht unstaete sei (MF 89,17), daß ein Mann sich heimlich zwei Frauen zu eigen gebe. Ein herre wird um seine Meinung gefragt. Dieser beantwortet nun nicht nur diese Frage, sondern auch noch eine Frage, die gar nicht gestellt wurde – ob nämlich eine solche Erlaubnis auch den Frauen zu erteilen sei (ich folge, weil sie mir logischer scheint, der Interpunktion von MF und Kasten 1995, S. 170; anders Schweikle 1977 [1993], S. 332): sprechent, herre, wurre ez iht? / ‚wan solz den man erlouben unde den vrouwen niht‘ (MF 89,19b–20). Zwei Strophen, zwei unterschiedliche Themen. Es ist nicht auszuschließen, daß diese beiden Strophen ganz bewußt die Kontrastierung zweier Positionen darstellen sollen (Schweikle 1977 [1993], S. 554f.): hoffnungs-

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los um eine einzige Dame werben (Str. I); insgeheim sich zwei Freundinnen zulegen (Str. II). Man könnte aber die zweite Strophe auch als Folgerung der ersten Strophe verstehen (Kasten 1995, S. 689): als indirekte Drohung an die Dame – die nicht lohnt –, den Dienst aufzukündigen und sich einer anderen Dame zuzuwenden. Mir scheint die zweite Strophe jedoch eher durch romanischen Einfluß gesteuert zu sein. Für das Lied insgesamt ist keine romanische Vorlage bekannt. Doch ist unschwer zu erkennen, daß die Verbindung von Frage (die an eine andere Person gerichtet ist) und folgender Antwort ihr Pendant in den romanischen Gattungen des Partimen und der Tenzone besitzt. Infolge der Kürze des Frage-/Antwortspiels in MF 89,15 ist nicht zu entscheiden, ob sich Albrecht von Johansdorf auf ein Partimen oder eine Tenzone bezogen hat. Für die Rezeptionsforschung dürfte entscheidend sein, daß in diesem Lied ein Minnesänger nicht ein einzelnes Lied rezipiert, sondern eine literarische Gattung, und zwar die Form des Streitgedichts. In der Tat hat die romanische Lyrik ähnliche Streitfragen in Partimen und Tenzonen debattiert, freilich in voll ausgeführter Form. Johansdorfs Strophe nimmt sich wie die Reduktion der romanischen Diskussion aus, und zwar in für den deutschen Minnesang erwartbarer lehrhafter Form, da nur eine einzige Stellungnahme erfolgt. Freilich kann der programmatische Schlußsatz auch ironisch-parodistisch verstanden werden, wie zu zeigen ist. Bei der Suche nach romanischen Vorbildern sollte man sich nicht auf die Frage beschränken, ob Männern eine Liebesbeziehung zu zwei Frauen gestattet sei, sondern den bei Albrecht von Johansdorf unvermutet – weil nicht in der Frage an den ‚Herren‘ enthaltenen – nachgereichten Zusatz einbeziehen: den Frauen sei solches nicht zuzugestehen. In der Tenzone zwischen Gui d’Uisel und Elias d’Uisel (PC 194,17 = 136,4; Carstens 1914, S. 52f.) wie auch in der Tenzone zwischen Guillem und Arnaut (PC 201,5 = 25,2) wird die Frage erörtert, ob der Liebhaber einer Frau dieser erlauben solle, sich für eine Nacht einem anderen Verehrer hinzugeben. Bei der Frage, ob einer Frau zwei Männer zuzugestehen seien, differenziert die romanische Lyrik allerdings oft zwischen ganz verschiedenen Beziehungen: 1) Solange beide Männer Verehrer der Dame sind und von ihr noch nicht belohnt worden sind (solange also keine sexuelle Beziehung vorliegt), werden keine Einwände gegen eine solche Doppelbeziehung vorgebracht, so in der zweisprachigen Tenzone (um 1203) zwischen Raimbaut de Vaqueiras und Conon de Béthune (PC 392,29; Ausg. Linskill, Nr. 21). Dort wird zunächst vorausgesetzt, daß eine Dame zwei Verehrer hat, sodann lediglich darüber debattiert, ob sie den kühnen oder den ängstlichen

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Verehrer erhören solle. Demgegenüber erklärt Gaucelm Faidit es für eine Schande, wenn eine Dame, die bereits einen Verehrer habe, sich einem anderen zuwende (vgl. Lüderitz 1904, S. 53). Kritisch äußert sich auch Giraut de Bornelh (PC 262,62, Str. VI, V. 15f.): Eine Frau dürfe keine zwei Liebhaber besitzen, denn dann würde sie keinen von beiden lieben. (Dahinter steht die – auch bei Medizinern des Mittelalters – verbreitete Auffassung, man könne nicht zwei Personen gleichzeitig sexuell begehren; z.B. Andreas Capellanus, ‚De amore‘, Ausg. Trojel, S. 310, regula III). 2) Auch wird die Möglichkeit diskutiert, daß die Dame zwei Verehrer liebt, den einen im Geheimen, den anderen in der Öffentlichkeit (vgl. Lüderitz 1904, S. 52; Köhler 1962 [1960], S. 94–96). Auch diese Variante wird zuweilen akzeptiert bzw. gewünscht, z.B. von Bernart de Ventadorn (PC 70,6, Str. VIII): „Fraue, in der Öffentlichkeit liebet einen anderen und mich im Geheimen, so daß ich den ganzen Gewinn habe und er die schöne Rede“ (Übersetzung: Ausg. Appel, S. 38). Im Partimen zwischen Uc de la Bacalaria und Gaucelm Faidit (PC 167,44, Ausg. Mouzat, Nr. 45) werden die Argumente für und gegen eine solche Doppelbeziehung der Dame ausgetauscht. 3) Die Frage, ob einer Frau zwei Männer zuzugestehen sind, wird schließlich mit Blick auf das Nebeneinander von Ehe und Liebe debattiert: Darf eine Frau neben ihrem Ehemann einen Verehrer haben? Dies wird bejaht, aber betont, daß sie keinen dritten Mann haben dürfe (Beispiele bei Cingolani 1984; Kasten 1986, S. 153f.). Das Spektrum an Konstellationen, anhand derer die Frage erörtert wird, ob einer Frau zwei Männer zuzugestehen sind, ist also recht groß. Demgegenüber nimmt sich die Zahl der romanischen Textbeispiele für die Frage, ob einem Mann eine Liebesbeziehung zu zwei Frauen zu gestatten sei, bescheiden aus. Die männlichen Trobadors sahen wenig Anlaß dazu, eine Frage zu erörtern, deren Antwort von vornherein feststand. Die patriarchale Doppelmoral sah auch im Mittelalter über sexuelle Eskapaden der Männer hinweg. Doch von zweierlei Seiten kam Kritik: erstens von seiten der Kirche, die sich vehement gegen die sexuelle Zügellosigkeit der Männer wandte (Schnell 1998, S. 323–328 u. 338ff.) und für Männer dieselben moralischen Maßstäbe forderte wie für Frauen; zweitens – man glaubt es kaum – von seiten der volkssprachlichen Liebesauffassung, wonach ein Mann stets nur eine einzige Frau lieben solle. Hundertfach beteuert in der romanischen Liebeslyrik das Ich, alle anderen Frauen um der einen willen aufgegeben zu haben bzw. keinen Gedanken mehr an andere Frauen zu verschwenden. Die Singularität der Dame erfordert die exklusive Liebesbeziehung und umgekehrt (Schnell 1990, S. 239f.).

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Als vorläufiges Ergebnis unserer ‚Spurensuche‘ ergibt sich eine doppelte Perspektive für Albrechts von Johansdorf Statement wan solz den man erlouben unde den vrouwen nicht (MF 89,20): Diese Aussage unterläuft einerseits die kirchlichen Bemühungen um eine Gleichbehandlung sexueller Verfehlungen von Frauen und Männern; andererseits widerspricht sie einem Grundpfeiler der höfischen Liebeslyrik (Liebe nur zu einer einzigen Frau) – in der Romania wie in der Germania. Daß Johansdorf diese beiden ‚Systeme‘ ernsthaft aushebeln wollte, wird man kaum annehmen. Insofern liegt es nahe, den zitierten Vers als eine ironische Stellungnahme zu verstehen. Johansdorfs ironisch zu verstehendes Statement könnte sogar noch an eine dritte Diskussion anschließen: Kirchenväter und mittelalterliche Theologen hatten gegen kritische Stimmen immer wieder zu begründen, weshalb die Väter des Alten Testaments mehrere Frauen haben durften. Dies wurde – im Hinblick auf die erforderliche Fortpflanzung des israelitischen Volkes – damit erklärt, daß die Männer mehrere Frauen schwängern könnten (Augustin, ‚De bono coniugali‘, MPL 40,387 – was dann Boccaccio, ‚Decamerone‘ V,10 u. VI,7, zu einer parodistischen Replik animierte: Frauen könnten mehrere Männer befriedigen, doch Männer nicht mehrere Frauen). Demnach hätte Johansdorf sein Plädoyer für Bigamie augenzwinkernd mit dieser theologischen Überlegung rechtfertigen können. Schließlich wäre noch auf die Vielfalt der Standpunkte hinzuweisen, die im Traktat ‚De amore‘ des Andreas Capellanus (ca. 1186/90) zur Frage, ob jemand (Mann oder Frau) zwei Personen lieben könne, artikuliert werden (vgl. Taiana 1977, S. 140–148; Schnell 1982, S. 105–107). Die möglichen Anknüpfungspunkte für das von Johansdorf ‚referierte‘ Urteil eines herre sind also zahlreich. Entscheidend für die Deutung dieser Strophe durch die zeitgenössischen Hörer wird aber gewesen sein, daß sie den hier vorgestellten Kasus an die Gattung der Streitgedichte anbinden konnten. Denn erst dies hätte sichergestellt, daß der letzte Vers als provokant-ironische Aussage eines in seiner Sicht subjektiv beschränkten Gesprächspartners verstanden wurde. Die Rezeption der romanischen Gattung Streitgedicht hätte es in unserem Falle also erlaubt, daß ein Minnesänger eine Auffassung vertreten lassen kann, die im Widerspruch zu gewichtigen Positionen in verschiedenen Diskursen steht. Mit ihrem Schlußvers gerät Johansdorfs Strophe sogar in direkten Widerspruch zu anderen Aussagen seiner eigenen Lieder. So heißt es etwa in MF 86,5–8: Sold ich minnen mêre danne eine, / daz enwaer mir niht guot, / sône minnet ich deheine. / seht, wie meneger ez doch tuot! Mithin bringt Johansdorfs Lied

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MF 89,9 ein bißchen von dem ‚Stimmengewirr‘, dem wir in der romanischen Liebeslyrik begegnen, in den deutschen Minnesang. Freilich bleibt Johansdorf ein Stück weit hinter dem Vorbild zurück, weil er die ContraPosition von einem Dritten – gleichsam einer übergeordneten Instanz – verkünden läßt, nicht von einem Ich. Nicht ernstzunehmen ist wohl auch der Schlußsatz des zweiten hier vorzustellenden Gedichts von Albrecht von Johansdorf (MF 93,12), das aus der Wechselrede von werbendem Mann und ablehnender Frau besteht. Dieses Gedicht bringt ebenfalls ein wenig von der romanischen Diskussionskultur nach Deutschland. Wieder ist weniger von der Rezeption eines bestimmten romanischen Liedes auszugehen (anders Zotz 2005, S. 205–221) als von der Übernahme einer literarischen Gattung, diesmal des Dialogliedes. Denn vor Johansdorf war das Dialoglied im Minnesang unbekannt (Sayce 1999, S. 73). Zwar hat Johansdorfs Lied mit einem anonym überlieferten romanischen Dialoglied bzw. Streitgespräch (PC 296,1a, Ausg. A. Rieger [1991], S. 356f.; in der einzigen Handschrift ist das Lied mit tenso überschrieben) einige formale Züge gemeinsam: Beide Gedichte weisen sieben Strophen auf, beide verteilen die Redeanteile von Mann (M) und Frau (F) auf die sechs Verse jeder Strophe wie folgt: 2 (M) – 2 (F) – 1 (M) – 1 (F). Doch hinsichtlich des Reimschemas und der Versform (das deutsche Lied ist [traditionell] heterometrisch, das romanische hingegen isometrisch) unterscheiden sich die beiden Lieder – an eine Kontrafaktur ist nicht zu denken (Sudermann 1976, S. 319). Auch inhaltlich gehen sie weit auseinander (abwegig die Interpretationen von Ukena-Best 1991 und von Zotz 2005, S. 209–221; Zotz meint, in beiden Liedern würden Mustergespräche vorgeführt). Während Johansdorf eine von Anfang an grob abweisende Frau zeigt, spielt die Umworbene im romanischen Lied zunächst geschickt das höfische Werbungsritual mit, durchbricht dann aber in den letzten beiden Strophen (VI u. VII) die literarische Illusion und verspottet ihren Gesprächspartner, indem sie plötzlich die konventionell-fiktionale Anrede Amicx der ersten fünf Strophen aufgibt, den Mann mit Marques anspricht und ihm die Diskrepanz zwischen seinem hohen sozialen Status (Marquis) und seiner Bereitschaft zur totalen Unterwerfung unter den Willen der Frau vorhält: Er tue etwas Unsinniges (Str. VI,6) und sage eine „Riesendummheit“ (VII,4; Übersetzung: A. Rieger 1991, S. 358). Die Dame zerrt das literarische Spiel plötzlich vor den Spiegel sozialer Realität: Es sei unsinnig, daß ein so hochgestellter Mann sich ganz dem Willen einer Frau unterwerfe (ob mit dem Gesprächspartner der Marquis Albert de Malaspina oder Marquis Boniface de Montferrat gemeint und ob einer dieser beiden zugleich der Autor dieser tenso ist, bleibe

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dahingestellt; vgl. A. Rieger 1991, S. 360–366; widersprüchliche Datierung des Liedes bei Köhler 1979, S. 7f.). Hiermit werden Fiktion und Realität konfrontiert und das vorangegangene Gespräch (Str. I–V) als bloße Fiktion entlarvt. Dieser Demaskierung der Situation durch die Dame paßt sich der Mann (nun Marquis) sofort an, übernimmt den Gestus des Herrschenden und fordert, daß sich die Dame ihm unterwerfe. Der Umschwung vom höfischen Geplänkel zur realistischen Auseinandersetzung um Herrschaft und Unterwerfung in der Liebe ist vollzogen. Bis in Details hinein hat der romanische Dichter die Kontrastierung von gespieltem höfischen Konversationsverhalten (Bitten, Flehen des Mannes; Vertrösten, Hinhalten von seiten der Frau) und dessen Demaskierung durch realistische Ansprüche durchgeführt. Das romanische Dialoglied (Tenzone?) beginnt mit der Beteuerung des Mannes: Dona, a vos me coman (Str. I,1: „Herrin, Euch befehle ich mich“). Ganz höfisch repliziert die Dame: Amicx, be vos dic e·us man/ qu’ieu farai vostre coman (Str. I,3f.: „Freund, ich sage und versichere Euch, daß ich Euch zu Diensten sein werde“). Doch in der letzten Strophe hört sich das ganz anders an. Der Mann, nun als ‚realer‘ Marquis auftretend und aus einer herrschaftlichen Position heraus agierend, verlangt: Domna, mot ay gran talan / qu’ie·us tengues a mon coman (Str. VII,1f.: „Herrin, ich wünsche mir sehr, Euch meinem Willen zu unterwerfen“). Und der Dame bleibt, nachdem das Gespräch die Ebene des literarisch-fiktionalen Rituals verlassen hat, nichts anderes übrig als sich ebenfalls neu zu positionieren: Sie wechselt das Sprachregister, schlägt einen anderen, gröberen Ton an und hält den Mann mit seinen ‚realen‘ Wünschen auf Distanz. Nachdem sie zuvor noch von Vertrauen zum Mann gesprochen hatte (Str. IV,6), äußert sie nun ihr entschiedenes Mißtrauen ihm gegenüber (VII,3 u. 6). Inwiefern hat sich Albrecht von Johansdorf von diesem oder einem ähnlichen Gesprächslied der Romania (denkbar ist auch ein Einfluß des Dialogliedes von Aimeric de Peguilhan, PC 10,23, Ausg. A. Rieger [1991], S. 308f.; zur Abhängigkeit ebd., S. 364) beeinflussen lassen? Auch Johansdorf führt ein Werbungsgespräch vor, bei dem jedoch die Frau von Anfang an eine ablehnende Haltung zeigt. Was in dem eben vorgestellten romanischen Lied erst am Ende passiert – daß die Dame den Mann als töricht, als unsinnig bezeichnet –, ereignet sich bei Johansdorf schon in den ersten Strophen (II,3; III,3). Ja, die vrowe äußert sogar ihren zorn und haz (III,4f.) gegenüber dem Gesprächspartner. Erst in der letzten Strophe (VII) scheint die Dame einzulenken. Auf die Frage des Mannes, ob sein Singen und sein Dienst gänzlich ohne Lohn blieben, antwortet die Dame (Str. VII,3f.): iu sol wol gelingen, / âne lôn sô sult ir niht bestân (MF 94,11f.).

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Dem nachfragenden Mann (Str. VII,5: Wie meinent ir daz, vrowe guot?) erteilt sie dann folgende Antwort (Str. VII,6): daz ir dest werder sint unde dâ bî hôchgemuot (MF 94,14). Diese Aussage wurde und wird gerne als ernstgemeinte Kurzformel der höfischen Liebesauffassung gedeutet (so noch Sayce 1999, S. 87; Luff 2002, S. 257; Zotz 2005, S. 217): In seinem langwierigen, schmerzvollen Liebeswerben um die Zuneigung einer Frau lerne der Mann, seine sexuelle Begierden zu zügeln, und werde so zu einem ethisch wertvolleren Menschen; zugleich versetze ihn das Lieben in eine Art von Hochstimmung (zahlreiche Belege für diesen Gemeinplatz – dessen Existenz Willms 1990 bestreitet – bei Kaplowitt 1986; Sayce 1999, S. 87; zur Hochstimmung vgl. Heinrich von Morungen, MF 139,3). Aus der Perspektive der Rezeptionsforschung stellt sich allerdings die Frage, ob nicht der meist ironisch-parodistische Ton der romanischen Gesprächslieder auf Albrecht von Johansdorf abgefärbt hat. Läßt sich der sentenzenhafte Schlußvers von Johansdorfs Gesprächslied nicht auch ironisch verstehen (Ansätze bei Bergmann 1963, S. 189; Willms 1990, S. 22–25; Ranawake 1994, S. 260–263)? Während des gesamten Redewechsels ist klar, worauf das Werben des Mannes hinzielt: auf die sexuelle Vereinigung. Die Argumente, mit denen die Frau den Mann abwehrt, machen dies unmißverständlich deutlich: Sie werde ihn noch in 1000 Jahren nicht erhören (Str. II,6); würde sie seine Bitte erfüllen, mehrte er sein Ansehen, sie jedoch wäre dem Spott ausgesetzt (IV,6); des Mannes Bitte könne niemals erfüllt werden (V,4); Gott möge ihm das, was er von ihr begehre, bei einer anderen Frau gewähren (VI,6). Demgegenüber bleibt der am Schluß versprochene Lohn ziemlich vage und abstrakt: Wertsteigerung und Hochstimmung. Ist es denkbar, daß Johansdorf sechs Strophen lang den Mann vergeblich um die sexuelle Befriedigung sich bemühen läßt, um ihm – und dem Publikum! – im letzten Vers ernsthaft eine höfische, aber in dieser Situation wenig befriedigende Lehre (das Lieben trage seinen Wert in sich) zu erteilen? Eine andere Deutung bietet sich an: Die Dame „speist ihren Anbeter mit einem Artikel der Minnelehre ab“ (Ranawake 1994, S. 261). Es ergibt sich der Eindruck, daß sich hier jemand über das höfische Minnewesen lustig macht, indem die Diskrepanz zwischen dem realen Begehren des Mannes und einer hehren Minnedoktrin (formuliert auch bei Walther, L 14,6) aufgedeckt wird. Damit aber stünde Johansdorfs Gesprächslied ganz nahe bei dem vorher vorgestellten romanischen Beispiel (PC 296,1a). Überzeugen wird diese Deutungsvariante der Ironisierung eines höfischen Credos jedoch erst, wenn sich an Johansdorfs Lied weitere Ironie-Signale nachweisen lassen. Dies erfordert eine detailliertere Lektüre.

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Bereits der Anfang des Liedes bietet eine Umkehrung traditioneller Vorstellungen. Der Mann findet eine Frau allein. Sie begrüßt ihn mit den Worten „Warum kommt Ihr so alleine daher?“ (MF 93,15). Üblicherweise – in der Pastourelle etwa – fragt der Mann ein weibliches Wesen, was sie so alleine an diesem Ort treibe. (Immerhin deuten einige Minnelieder darauf hin, daß die Gattung Pastourelle in Deutschland bekannt war, wenn auch vollgültige Exemplare dieser Gattung erst nach Walther nachzuweisen sind.) Ironisch wird auch die Anrede vil lieber man (Str. III,6) zu verstehen sein (gegen Sayce 1999, S. 74; Zotz 2005, S. 217f.), da die Dame kurz zuvor mit zorn und haz gedroht hat und anschließend den Mann wiederum strikt abweist. Das entscheidende ironische Element verbirgt sich jedoch an anderer Stelle. Während die ersten drei Strophen nur allgemein vom Liebesschmerz des Mannes handeln, fokussieren die folgenden Strophen immer mehr die Tätigkeit des Sängers: iuwer süezen doene (Str. IV,3); iuwer wortel (V,4); mîn singen (VII,7). Die Argumentationsfolge in der letzten Strophe ist zu beachten: Zunächst fragt der Mann, ob sein Singen nichts nütze. Darauf die Antwort der Frau: Ohne Lohn soll der Mann (d.h. das Singen des Mannes!) nicht bleiben. Auf die Frage des Mannes, woraus dieser Lohn bestehe, verweist die Dame auf die höfische Minnelehre: Das Lieben trage seine Früchte in sich selbst. Wir haben es in dieser Schlußstrophe also mit einer witzigen Überblendung von Sängerfunktion und Minnedienst zu tun. Der Sänger, der fragt, ob sein Singen nicht belohnt werde, wird auf eine Minnedoktrin verwiesen. Diese Lesart erhält eine Stütze durch eine gravierende Änderung, die Albrecht von Johansdorf gegenüber vergleichbaren romanischen Dialogliedern vorgenommen hat. Während dort der Dialog mit dem ersten Vers beginnt – und somit unklar ist, wer spricht –, führt sich bei Johansdorf der Sänger mit einem ‚Ich‘ ein: Ich vant âne huote / die vil minneclîche eine stân. / jâ, dô sprach diu guote: (Str. I,1–3). Damit reklamiert der vortragende Sänger die Rolle des männlichen Gesprächspartners für sich selbst! Alle Aussagen der Frau fungieren als direkte Rede zum Ich des Sängers. Wenn z.B. die Dame zu ihrem Gegenüber – dem Sänger! – sagt: iuwer süezen doene / wolten krenken mînen staeten lîp (IV,3f.), dann steckt neben dem Vorwurf ein gehöriges Stück Selbstlob des Dichters in dieser Rede. Und auch die Frage Sol mich dan mîn singen […] niht vervân? (VII,1f.) bringt der Sänger sozusagen persönlich vor. Folgerichtig ist auch die Schlußaussage der vrouwe nicht an irgendjemanden gerichtet, sondern an den Sänger (alias Albrecht von Johansdorf). Wenn also der Sänger in der letzten Strophe die Frage stellt, ob er für sein Singen nicht belohnt werde (VII,1f.), die Dame ihn aber mit einem Glaubenssatz des höfischen Liebesdiskurses abspeist (VII,6), kann dies nur als bewußte Überblendung

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zweier Funktionsbereiche ausgelegt werden: Dem (auf materiellen Lohn hoffenden) Sänger winkt der (virtuelle) Lohn des Minners (vgl. etwa Bernart von Ventadorn, PC 70,15, Ausg. Appel, Nr. 15, Str. II,5–7: Durch das Lieben habe er einen edlen Sinn und größere Freude). Das Text-Ich beansprucht Lohn für das Singen, die Dame stellt einen (recht vagen) Lohn für das Lieben in Aussicht. Auch wenn Johansdorf kein Lohnsänger, sondern ein aristokratischer Dilettant gewesen ist, konnte er doch in spielerischer Manier für sein Singen die Lohn-Thematik reklamieren (wie z.B. in MF 89,9; s.o.). Oder anders ausgedrückt: Das auf das Lieben zielende höfische Dogma (die Liebe hat ihren Lohn in sich selbst) wird – in ironisch-spöttischer Absicht – auf das Singen übertragen. Daß sich beide Diskursbereiche (Belohnung für Singen; Belohnung für Minnedienst) innerhalb der romanischen Liebeslyrik öfter vermischen, haben wir bereits bei Peire Vidals Lied (PC 364,37) gesehen (s. Kap. 2.3 zu Rudolf von Fenis, MF 84,10). Überdies ist dieser Aspekt auch in MF 89,9 von Johansdorf angesprochen. Daß die vrouwe des Sängers zuweilen als der Hof bzw. die Hofgesellschaft verstanden werden kann, hat Wolfgang Mohr (1967) gezeigt. Albrecht von Johansdorf scheint also von dem Witz und der Ironie romanischer Vorbilder inspiriert worden zu sein. Vermutlich hat die Rezeption der okzitanischen Tenzone das Bewußtsein für die performative Doppelrolle des Ich (als Sänger und Liebender) geschärft und für einen spielerischen Umgang mit dieser Doppelrolle gesorgt. Für die anderen Lieder Johansdorfs ist ein so folgenreicher Einfluß der Romania nicht zu belegen. Es scheint, daß außer MF 93,12 die Lieder Johansdorfs „nicht von direkter Kenntnis der Troubadour-Dichtung zeugen“ (Sayce 1999, S. 65). Romanischer Einfluß ist freilich in einigen motivlichen Details zu belegen. Die folgende Zusammenstellung soll nicht direkte Abhängigkeit suggerieren, sondern lediglich andeuten, daß zahlreiche Aussagen von Johansdorfs Liedern in der romanischen Lyrik vorformuliert sind. – Albrecht von Johansdorf, MF 86,1 (meine erste Liebe wird die letzte sein) entspricht Bernart von Ventadorn, PC 70,33 (Ausg. Appel, Nr. 33, Str. V,5f.; vgl. aber auch Heinrich von Morungen, MF 123,10f. in Hs. C); – Johansdorf, MF 90,16 (Liebe von Kindheit an) entspricht Bernart von Ventadorn, PC 70,28 (Ausg. Appel, Nr. 28, Str. IV); – Johansdorf, MF 91,36 (unbeschreibliche Freude darüber, daß jemand von der geliebten Dame berichtet) entspricht Raimbaut d’Orange, PC 389,11 (Ausg. Pattison, Nr. 29, Str. VII u. VIII).

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Diese schmale Ausbeute an klaren Motivparallelen spricht weniger gegen romanischen Einfluß als für die um 1190 gewonnene Fähigkeit der Minnesänger, sehr frei über den Motivschatz der Romania zu verfügen und zugleich sich stärker an der inzwischen weit entwickelten eigenen Literaturtradition auszurichten (z.B. Friedrich von Hausen – Albrecht von Johansdorf). Ob Johansdorf das Strophenschema (und damit die Melodie?) für sein Lied MF 87,5 einem Lied Conons von Béthune (R. 1125) oder dessen (mutmaßlicher) deutscher Kontrafaktur, Hausen, MF 47,9 (s.o.), entnommen hat, wird schwerlich zu entscheiden sein (für Übernahme von Conon: Aarburg 1961, Nr. 27; Räkel 1973, S. 541; Zotz 2005, S. 118 u. 120; unentschieden Sayce 1999, S. 55 u. 63). Jedenfalls zeichnet sich hier eine in der Entwicklung des deutschen Minnesangs immer häufigere Rezeptionsvariante ab: Neben die mögliche romanische Vorlage tritt eine – bereits durch diese romanische Vorlage beeinflußte – deutsche Vorlage (zu diesem Aspekt Mertens 1998). Die Inhalte von Conons und Albrechts von Johansdorf Lied weisen eine zu unspezifische Gemeinsamkeit auf (Kreuzzugsthema), als daß dies die These einer Übernahme stützen könnte. Abschließend darf konstatiert werden, daß aus dem deutschen Minnesang des Zeitraums 1170–1190/1200 Albrecht von Johansdorf dadurch heraussticht, daß er – neben zahlreichen ‚ernstgemeinten‘ Aussagen seiner Lieder – den höfischen Liebesdiskurs durch ironisch-witzige Statements bereichert, worin er Heinrich von Veldeke verwandt ist (s.o.). Beide Minnesänger dürften zu diesem Wagnis durch romanische Muster ermutigt worden sein. Heinrich von Rugge Eine für die Rezeptionsforschung interessante Gestalt ist Heinrich von Rugge, vermutlich der um 1175/78 bezeugte miles de Rugge (Burgsitz bei Blaubeuren), ein Ministeriale der Pfalzgrafen von Tübingen (Schweikle 1981a, Sp. 870; Meves 2005, S. 659–664), der zumindest bis in die frühen 90er Jahre des 12. Jh. gedichtet hat. Auch wenn die Überlieferungssituation für diesen Dichter recht verworren ist (einige Lieder erscheinen in einigen Hss. unter dem Namen anderer Dichter), so sei dennoch der Versuch einer Charakterisierung gewagt. Rugge (ein Leich und 12 Lieder) scheint sich gänzlich gegen den romanischen Import gestellt zu haben. Jedenfalls sind keine präzisen inhaltlichen Parallelen bekannt. Rugges Minneäußerungen lassen sich alle bereits im deutschen Minnesang nachweisen (zu hoch hin-

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aus wollen in der Liebe; eine Frau lieben, die von dem Verehrer nichts wissen will; eine tugendhafte Frau vor allen Frauen ausgewählt haben; u.a.). In formaler Hinsicht scheint er an romanische Vorbilder anzuschließen – freilich ist auch hier eine Vermittlung über zeitgenössiche Minnesänger nicht ausgeschlossen. Rugge verwendet isometrische wie heterometrische Strophenformen, überdies daktylische Verse und differenzierte Reimstrukturen. Andererseits begegnen bei ihm archaisch anmutende Wörter wie degen, helde, gespill. Wollte man eine Erklärung dafür suchen, daß Rugges Lieder so stark in der deutschen Literaturtradition verbleiben, könnte man zwei Faktoren anführen: den Zug zur Lehrhaftigkeit, der sich in zahlreichen spruchartigen Strophen niederschlägt (MF 101,23; 102,27; 104,15; 104,24; 108,22); die hohe Zahl an Wechseln (fünf oder sechs je nach Interpretation), einer heimischen Literaturgattung. Heinrich von Rugge wird so zum Exempel für die Verzahnung von romanischem Einfluß und deutscher Literaturtradition, die um 1180/90 diesen Einfluß z.T. schon ‚verinnerlicht‘ hatte. Bernger von Horheim Der geographisch schwer fixierbare, in italienischen Urkunden der 90er Jahre des 12. Jh. bezeugte Bernger von Horheim (Schweikle 1978; Meves 2005, S. 125–132) wird gerne der sog. Hausenschule zugeordnet (gegen diese Vorstellung Touber 2005c). Horheim „erweist sich aber in der Themenwahl und der sprachlich-formalen Durchführung seiner Lieder [sechs an der Zahl] als ein Dichter von eigenem Profil“, meint Schweikle (1978, Sp. 751). „Horheim steht fest in der romanischen Tradition“, konstatiert Touber (2005c, S. 74, ähnlich Kasten 1995, S. 673). In der Tat sind gerade für die Lieder Horheims, die wegen inhaltlicher Besonderheiten auffallen, romanische Vorbilder angeführt worden: Das Lied MF 112,1 (mit der Übertrumpfung der Tristanliebe) rezipiert angeblich ein Lied Chrétiens de Troyes (R. 1664), das auch schon Friedrich von Hausen (MF 44,13) als Vorlage gedient haben soll (Frank 1952, Nr. 5c; Aarburg 1961, Nr. 28; Kasten 1995, S. 675; Sayce 1999, Nr. 6; Zotz 2005, S. 146–163; Klein 2010, S. 463–465); das Lügenlied (MF 113,1) soll seine Strophenform einem Trovèrelied (R. 1457) und Bertran de Born (PC 80,25) verdanken (Frank 1952, Nr. 14; Aarburg 1961, Nr. 47; Kasten 1995, S. 678); die Trennungsklage (MF 114,21; der Tod eines Herrschers zwingt das Ich auf eine Heerfahrt nach Apulien und somit zur Trennung von der Geliebten) soll formal auf ein Lied Conons de Béthune (R. 1837) und zwei Lieder Bertrans de

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Born (PC 80,1 u. 80,37) zurückgehen (Frank 1952, Nr. 15; Aarburg 1961, Nr. 48; Kasten 1995, S. 679); schließlich wird unterstellt, das klanglich und reimtechnisch anspruchsvolle Lied MF 115,27 folge in seiner Strophenform einem Lied von Gace Brulé (R. 160; vgl. Frank 1952, Nr. 16; Aarburg 1961, Nr. 35; Kasten 1995, S. 675). Alle Entsprechungen rein formaler Art sind allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen. Einzig die inhaltliche Korrespondenz der ersten vier Verse von MF 112,1 mit Chrétiens Lied (R. 1664) kann überzeugen. Den Rest von MF 112,1 wie auch das Lied MF 114,21 scheint Horheim mit Reminiszenzen an Hausen zu bestreiten. Während der Nachweis konkreter inhaltlicher und formaler Korrespondenzen trotz der Unterstellung eines starken romanischen Einflusses schwer fällt, zeigt sich Bernger von Horheim in einem anderen Punkt der romanischen Lyrik nahe verwandt: in der Reflexion auf das eigene Tun, d.h. auf das eigene Singen. Auffallend ist angesichts der geringen Anzahl der Lieder die Häufigkeit, mit der dieser performative Aspekt thematisiert wird (singen, sanc, swîgen, sagen, lieder senden): MF 112,24; 113,15; 113,26; 113,35; 113,38; 115,4; 115,6; 115,9; 115,16; 115,27; 115,28; 115,32. Horheims Bewußtsein von den widersprüchlichen Implikationen, die mit dem Singen vom persönlichen Liebesschmerz in der Öffentlichkeit verbunden sind, wird besonders im Lied MF 115,3 sichtbar. Denn die ersten beiden Strophen handeln durchweg vom herzeleit des Ich. Doch zugleich beteuert dieses Ich, daß es diesen Schmerz eigentlich (ver)swîgen müsse, da sein Singen ja Freude bereiten solle. Diesem performativen Widerspruch begegnen wir ausgesprochen oft in der Trobadorlyrik; im deutschen Minnesang erlebt er erst mit Reinmar seine Glanzzeit. Doch Horheim schon zelebriert genüßlich den Widerspruch von Aussage (Schweigenwollen/-müssen) und Tun (Singen). Daß er das Publikum ganz bewußt auf diesen Widerspruch aufmerksam macht, belegen die ersten zwei Verse des Liedes: Si vrâgent mich, war mir sî komen / mîn sanc, des ich ê wîlent pflac (MF 115,3f.). Damit sind die Hörer auf das Thema Singen/Nichtsingen gestoßen. Daß Bernger von Horheim seinem Publikum die Erkenntnis ‚eintrichtert‘, daß alles, was das Ich sagt, ins Belieben des Sängers/Dichters gestellt ist, bezeugt auf eindrucksvolle Weise sein Lügenlied MF 113,1. Jede Strophe stellt zunächst einen Gefühlszustand vor, den dann aber der jeweils letzte Vers als bloß erfunden entlarvt. Damit aber wird die Aufmerksamkeit der Hörer von dem Inhalt, der sich als unwahr entpuppt, auf die Sprachkunst des Sängers gelenkt. Die virtuelle Befindlichkeit des Ich wird als bloß imaginiert und damit als Produkt des Dichters kenntlich gemacht. Dichtung wird so zum Ort, wo Unwirkliches, Erfundenes, Nicht-Reales ‚realisiert‘ wird. Der Dichter vermittelt nichts, was außerhalb des Gedichts

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existiert, sondern schafft eine eigene Welt. Dadurch verliert Sprache ihre Vermittlungsfunktion, sie wird frei für ganz andere Funktionen: Sie wird ästhetisch. Ich meine, der romanische Einfluß auf den Minnesang hat eben auch poetologische Konsequenzen: Die Minnesänger wurden – nicht zuletzt – von dort her mit poetologischer Reflexion bekannt gemacht. Ein prägnantes Beispiel ist eben Horheims Lied MF 113,1. Nicht ausgeschlossen ist, daß Horheim sich dabei von einer romanischen Literaturgattung hat anregen lassen, die das skizzierte Sprachspiel mit Erlogenem auf die Spitze trieb: dem gap (Touber 2005c, S. 75). Hartwig von Raute Auch dieser Dichter bleibt geographisch (bairisch-österreichisch?) und zeitlich (ca. 1180/90?) schwer greifbar. Allgemein wird er als ein Dichter der Übergangszeit bezeichnet (Schweikle 1977 [1993], S. 538). Mit seinen Halbreimen (lît:lîp:strît) und den einstrophigen Liedern verweist er auf eine ältere Tradition, mit einer anspruchsvollen Reimstruktur und seinen Themen (Widerstreit zwischen Minne- und Gottesdienst sowie zwischen Minne- und Ritterdienst; unbeirrbare Liebe zur Dame; Lieben/Singen) geht er mit der ‚neuen Mode‘. Von seinen insgesamt vier Liedern (Kasten 1995, S. 680, spricht von drei Liedern) ist jedoch nur ein einziges Lied (MF 116,1) mit einem konkreten romanischen Vorbild (Gaucelm Faidit, PC 167,46, Ausg. Mouzat, Nr. 29) in Zusammenhang gebracht worden (Frank 1952, Nr. 11d u. 11e; Aarburg 1961, Nr. 36; Sayce 1999, Nr. 8). Doch gegen die Annahme einer Kontrafaktur spricht zweierlei: daß das Strophenschema (auch die Melodie?) häufiger nachgewiesen werden kann (Kasten 1995, S. 681) und daß das gemeinsame Motiv (der Sänger erwartet einen Boten) zu unspezifisch ist. Romanischen Einfluß verraten allenfalls die vier Verse, die in den beiden Überlieferungszeugen B und C auf die dritte Strophe folgen, und zwar auch nur dann, wenn man sie als Geleit (envoi) zum vorigen Lied versteht (Schweikle 1977 [1993], S. 540; Kasten 1995, S. 682). Von einem direkten romanischen Einfluß wird man auch hinsichtlich des Liedes MF 117,26 (einer Einzelstrophe) nicht sprechen wollen. Doch die Motivparallele zwischen dieser Strophe und einer Strophe Bernarts von Ventadorn (PC 70,39, Ausg. Appel, Nr. 39, Str. III) ist auffallend. Rautes Text-Ich berichtet, daß es beim Anblick der schönen Dame sich kaum zurückhalten kann, diese zu umarmen. Das Ich würde, auch wenn die ganze Welt zuschaute, davor nicht zurückschrecken, fürchtete es nicht, die

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Gunst der Dame zu verlieren. Bernarts Strophe lautet entsprechend: „Ich wundere mich, wie ich es ertragen kann, mein Begehren ihr nicht zu zeigen. Wenn ich meine Herrin sehe und sie betrachte, stehen ihr ihre schönen Augen so wohl an, kaum halte ich an mich, daß ich nicht zu ihr laufe. Und ich würde es tun, ließe ich es nicht aus Furcht, denn nimmer sah ich, daß ein so zur Liebe geschaffener Körper der Liebe gegenüber so zurückhaltend und langsam ist“ (Übersetzung: Ausg. Appel, S. 225). Mir ist aus der romanischen Lyrik keine andere Parallele bekannt. Bligger von Steinach Dieser Dichter (von überlieferten drei Liedern) hat möglicherweise Friedrich von Hausen gekannt. Jedenfalls ist er zwischen 1178 und 1194 in staufischen Urkunden bezeugt (Meves 2005, S. 133–168), weshalb ihm – wie Friedrich von Hausen und Ulrich von Gutenburg – Nähe zum Stauferhof unterstellt wird. Anton Touber (2005c, S. 71–73) jedoch sieht Bligger von Steinach in stärkerer Abhängigkeit vom romanischen Minnesang als von der sog. Hausenschule (deren Existenz er bestreitet). So weise Bliggers Lied MF 118,1 eine auffällige Eigenschaft (Reimumkehrung in den Stollen des Aufgesangs) auf, die in der zeitgenössischen romanischen Liebeslyrik zahlreich zu belegen sei (z.B. Gaucelm Faidit, PC 167,63), im Minnesang jedoch nur bei Rudolf von Fenis (MF 80,1 u. 84,10) auftrete, der für seine umfassende Rezeption romanischen Liedguts bekannt sei. Doch inhaltliche Bezüge des Bligger-Liedes (MF 118,1) zu Gaucelm Faidits Lied PC 167,63 sind kaum zu erkennen, so daß dieses als Vorbild einer möglichen Kontrafaktur ausscheidet. Ebenso vage bleibt die Beziehung von Bliggers Lied MF 118,19 zur Romania (Frank 1952, Nr. 11h; Aarburg 1961, Nr. 49). Zwar tritt dessen Strophenform innerhalb des deutschen Minnesangs angeblich hier zum ersten Mal auf (vgl. aber Hartwig von Raute, MF 116,1; Rudolf von Fenis, MF 81,30 u. 83,11), sie kennt aber in der Romania mehr als 250 Parallelen (Touber 2005c, S. 72), nicht nur bei Gace Brulé (R. 42) oder Gaucelm Faidit (PC 167,46). Und inhaltliche Parallelen sind bislang nicht gefunden. An Bliggers Lied MF 119,33 mag man ein ‚typisch deutsches‘ Gebilde studieren. Dessen Strophenform ist in der romanischen Lyrik unbekannt (Touber 2005c, S. 71f.). Es weist überdies stark lehrhafte Tendenz auf – aber nicht mit dem Thema Minne, sondern mit einer spruchartigen Kritik an Unbeständigkeit, mangelnder Freigebigkeit und falschem Verhalten allgemein. Offensichtlich sperrte sich das sangspruchartige Dichten gegen

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romanische Einflüsse (vgl. aber f Minnesang III, Kap. 3.3; f Spruchdichtung, Kap. 6). Dies war ja bereits bei Heinrich von Veldeke (s.o.) zu vermerken. Heinrich von Morungen Wie bei den meisten Minnesängern sind bei Heinrich von Morungen die genauen Lebensdaten und Lebensumstände unbekannt (Tervooren 1981, Sp. 803). Er wird gemeinhin mit dem Hendricus de Morungen identifiziert, der 1217 und 1218 in zwei Urkunden des Markgrafen Dietrich von Meißen bezeugt ist (Meves 2005, S. 651–658). Auch bei Morungens Liedcorpus ist ein überlieferungsgeschichtlicher Vorbehalt angebracht (Schweikle 1981b; Tervooren 1981, Sp. 805–807). Zeitlich und literarisch darf Morungen schon wegen seiner virtuosen Reimkunst dem ‚klassischen‘ Minnesang zugerechnet werden. Damit aber ergibt sich für einen rezeptionsgeschichtlichen Ansatz eine gewisse Unsicherheit. Denn einerseits wird Morungen „eine besondere Vertrautheit mit der romanischen Lyrik“ bescheinigt (Kasten 1995, S. 747) und ein Einfluß „besonders der trobadoresken Lyrik geltend“ gemacht (Kasten 1990, S. 243), andererseits gestaltet sich der Nachweis konkreter Abhängigkeiten schwierig (Hinweise auf Motivparallelen in der Trobadorlyrik bei Michel 1880; Ausg. Tervooren [1975]; Kasten 1995, S. 749–808; Sander-Schauber 1978, S. 161–234, führt zahlreiche Belege aus Trobadorliedern an, die allesamt wenig überzeugen). Unbestritten aber dürfte sein, daß Morungens Lieder von (vagen) Reminiszenzen an trobadoreske Motive wimmeln (die hier nicht im einzelnen aufzulisten sind). Daß Heinrich von Morungen – wie Reinmar, Hartmann von Aue und Walther von der Vogelweide – gegenüber der romanischen Lyrik eine eigenständig-souveräne Haltung eingenommen hat, zeigt der Umstand, daß die Forschung für Morungens Oeuvre (ca. 35 Lieder) kaum ein romanisches Strophenschema als Vorbild anführen konnte. Die zwei Ausnahmen (MF 145,1 u. 147,17) sind überlieferungsgeschichtlich umstritten (s.u.). Wie ist es also um das eigene Profil von Morungens Werk bestellt? Irritieren mag der Befund, daß Heinrich von Morungen immer wieder dieses eigene poetisches Profil bescheinigt wird, daß aber ausgerechnet die Merkmale, die dafür als Beleg angeführt werden, in der Trobadorlyrik weit verbreitet sind: das Thema bzw. Motiv des Liebeskrieges (die zerstörende, ja dämonische Macht der Minne und die Gegengewalt des Ich; Sterben aus Liebe; vgl. Ehlert 1993; Kellner 1997); das Motiv des Sehens/Schauens

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mit dem Preis auf die Schönheit der Dame (Liebe entsteht durch Erblikken der schönen Frau; vgl. Kasten 1986, S. 319–329); die bildhafte Sprache, die sich vor allem des Wortfeldes Licht (Sonne, Mond, Abendstern, Glanz, Spiegel u.a.) bedient (vgl. zuletzt Leuchter 2003, S. 125ff.); die Thematisierung des Singens (inklusive sozialer Interaktion mit dem Publikum; vgl. u.a. Jackson 1975; Hirschberg 1992; Fisher 1997; Pfeiffer 1999). Hinzukommt, daß Morungen um 1200 auf eine heimische Literaturtradition zurückgreifen kann, so daß die Entscheidung darüber, ob bei einem Lied Morungens romanischer oder deutschsprachiger Einfluß vorliegt, oft schwerfällt. Eine salomonische Lösung in dieser Frage bringt der Standpunkt, daß die Romania über die deutschen Minnesänger auf Morungen gewirkt hat. Ein Profil hat Morungen aber sicherlich durch seine Fokussierung auf einige wenige Motive bzw. Bildformeln gewonnen. In seinem Falle führte Reduktion zur Individualität (vgl. Irler 2001). Als Markenzeichen Morungens gelten überdies der Rückgriff auf Bildformeln der Mariendichtung (Tervooren 2000a) und die Rezeption antik-römischer und mittellateinischer Motive (Von Drygalski 1928; Ausg. Tervooren [1975], Kommentar zu MF 126,24; 135,9; 139,15). Aber wenn auch Heinrichs von Morungen Motivik und Bildsprache begrenzt erscheint, so läßt er sich konzeptuell keinesfalls auf eine einzige Position festlegen. Wenn behauptet wurde, Morungen stehe „der im zeitgenössischen Minnesang propagierten Dienstethik eher distanziert gegenüber“ (Kasten 1990, S. 243), so ist demgegenüber auf die widersprüchliche Vielfalt der Haltungen des Ich in Morungens Liedern zu verweisen: Lieder der Verzweiflung stehen neben solchen der Hoffnung; Absage an die Dame und Aufkündigung des Dienstes (MF 136,17; 142,9) neben Festhalten an Dame und Dienst (MF 124,20; 140,25); zuweilen verbinden sich aufgrund der emotionalen Ambivalenz in ein und demselben Lied (infolge einer Art von revocatio) ganz unterschiedliche Einstellungen (MF 127,34, besonders Str. III, V u. VI; 140,11; 144,17). Gerade diese Vielstimmigkeit ist es nun aber, die Morungens Oeuvre der romanischen Liebeslyrik verwandt erscheinen läßt (s. Kap. 2.3). Mit Morungen scheint der deutsche Minnesang die Phase lehrhafter Vermittlung von Liebesauffassungen endgültig hinter sich gelassen zu haben. Er hat sich ‚freigeschwommen‘ (schon deshalb erscheint es unwahrscheinlich, daß Morungens gesamtes Lied MF 145,1 einfach einer romanischen Vorlage nachgedichtet sein soll). Nun wird das Erleben des Phänomens Liebe in seinen verschiedensten Facetten ausspekuliert (Speckenbach 1999) und zugleich eher zum Gegenstand poetologischer Reflexionen (vgl. auch Kasten 1995, S. 752 u. 805) als zum Anlaß ethischer Überlegungen. Die Liebe und das Singen verbindet

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Morungen in zwei programmatischen Selbstaussagen: wan ich wart durch sie und durch anders niht geborn (MF 134,33); wan ich durch sanc bin zer werlde geborn (133,20). Als Fortsetzer trobadoresker Poetologie betrachtet Mertens (2005, S. 36) Heinrich von Morungen, da sich dieser in die Tradition des trobar clus, des dunklen Stils, stelle. Morungens Umgang mit möglichen romanischen Vorbildern soll an einigen wenigen Beispielen skizziert werden. (Die meisten Parallelen sind bislang noch nicht bemerkt worden.) Viele Spekulationen ranken sich um das berühmte Lied MF 125,19: In sô hôher swebender wunne / sô gestuont mîn herze ane vröiden nie. / ich var, als ich vliegen kunne, / mit gedanken iemer umbe sie, / Sît daz mich ir trôst enpfie, / der mir durch die sêle mîn / mitten in das herze gie (Str. I). Auch die folgenden Strophen werden beherrscht von den Leitwörtern vröide, wunne, herze, trôst. Da solche reinen ‚Freude‘-Lieder im Minnesang selten sind, hat dieses Lied besondere Aufmerksamkeit erlangt. Man rückte es gerne in die Nähe kirchlicher Hymnen bzw. religiös geprägter Ausdrucksmuster: Die weltliche Liebe werde durch Anlehnung an das christliche gaudium infinitum legitimiert. Doch ist ein ganz anderer Einfluß denkbar: Peire Vidal, dem wir bereits als Vorbild für Minnesänger begegnet sind (u.a. Rudolf von Fenis, MF 84,10), hat in der ersten Strophe seines Liedes ‚Neus ni gels ni plueja ni fanh‘ (PC 364,30, Ausg. Avalle, Nr. 34) einen ähnlichen Jubel angestimmt: „Weder Schnee noch Eis noch Regen noch Schlamm kann mir meine Freude und mein Vergnügen nehmen. Die dunkle Zeit scheint mir hell wegen der neuen Freude, die mich tröstet; denn eine junge Dame hat mich erobert – könnte doch ich auch sie erobern! Wenn ich sie anschaue, so ist sie so schön, daß ich glaube, vor Freude zu fliegen“ (eigene Übersetzung). Die Übereinstimmungen sind unübersehbar. Doch während Peire Vidal in den folgenden Strophen ganz andere Themen und Motive aufgreift, beharrt Heinrich von Morungen auf dem einen Thema der überwältigenden Freude, entfaltet es ‚lediglich‘ in immer wieder neuen Bildern. Diese thematische Verdichtung verleiht dem Morungenlied eine ganz besondere inhaltliche und sprachliche Intensität. Auffallend innerhalb des deutschen Minnesangs ist auch Morungens Lied MF 127,34 mit der impliziten Frauenkritik in der fünften Strophe (128,35). Denn der Vorwurf, daß der aufrichtig liebende Mann keinen Erfolg habe, kann nur die Frauen meinen. Diesen an die Frauen adressierten Vorwurf, in der Wahl ihrer Liebhaber zu irren, hat später Walther von der Vogelweide zu einem Standardmotiv gemacht (L 14,22; 44,35; 48,25; 52,23; 90,23 u. 31; 96,19). Heinrich von Morungen ist – neben Ulrich von Gutenburg (MF 78,24) und Reinmar (MF 167,22) – der erste, der sich

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darüber beklagt, daß untriuwe in der Liebe erfolgreicher zu sein scheint. In der romanischen Lyrik jedoch finden sich zahlreiche Belege (mit fast wörtlicher Übereinstimmung zu Morungen) für dieses Motiv: Bernart von Ventadorn (PC 70,29, Str. II; PC 70,38, Str. III), Raimbaut de Vaqueiras (PC 392,17, Str. VI), Raimon de Miraval (PC 406,2, Str. IV), Chrétien de Troyes (R. 1664, Str. I; Text und Übersetzung: Ausg. D. Rieger [1983], S. 48–51). Auch die Häufigkeit eines Motivs kann etwas aussagen über das Profil des romanischen bzw. deutschen Minnesangs. Überdies läßt sich zuweilen daran die Entwicklung ablesen, die der Minnesang in Deutschland genommen hat. Heinrichs von Morungen Lied MF 141,37 markiert einen weiteren Schritt der Annäherung von romanischer und deutscher Lyrik, insofern es das erste deutsche Absagelied darstellt (nachdem Friedrich von Hausen mit MF 48,2 das Absagemotiv bereits hat anklingen lassen; vgl. Brunner 1993, S. 219–223, u. 1997; Touber 1998a, S. 659–662, vermischt verschiedene Motive). Demgegenüber besitzt die Gattung der Absagelieder in der Trobadorlyrik eine breite Tradition (Leube-Fey 1971, S. 74ff.; D. Rieger 1972; D. Rieger 1976, S. 303–318; Kaehne 1983, Bd. II, S. 51ff., 75ff., 97ff., 232ff. u. 256ff.; Köhler 1987, S. 162–176; Kay 1990, S. 26–37; A. Rieger 1992; De Winter-Hosman 1994). Immerhin kann man aufgrund der ersten vorsichtigen Versuche der Minnesänger, die Gattung des romanischen Absageliedes zu rezipieren, vermuten, daß sich das ‚System‘ höfischer Minnesang in Deutschland um 1200 so fest etabliert hatte, daß schon mal eine Grenzüberschreitung gewagt werden konnte. Das Repertoire an Liedtypen wird dann Walther von der Vogelweide nochmals entscheidend erweitern (f Minnesang III, Kap. 3.3). Morungens einstrophiges Lied MF 134,6 ist ein weiteres Beispiel für den bereits öfter erwähnten Befund, daß ein Minnesänger einem romanischen Muster (hier möglicherweise Raimon de Jordan, PC 404,12; dazu Kasten 1995, S. 777f.) ein einziges Motiv entlehnt und daraus ein ganzes Lied erschafft. Das krasse Gegenteil scheint bei Lied MF 145,1 (das sog. Narzißlied) vorzuliegen. Denn mit dem von Karl Bartsch 1858 edierten anonymen Lied ‚Aissi m’ave cum al enfan petit‘ (PC 461,9a; drei Strophen und eine Tornada) liegt eine Quelle vor, die Heinrich von Morungen zur Gänze übernommen haben soll (Frank 1952, Nr. 17; Zotz 2005, S. 223–238). Doch ist meines Erachtens keineswegs sicher, daß dieses Trobadorlied vor Morungens Zeit entstanden ist; ja es sind sogar gute Gründe für die Annahme vorgebracht worden, daß die angebliche mittelalterliche Quelle von Bartsch selbst stammt, d.h. daß er selbst eine Art freie Übersetzung zu

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Morungen, MF 145,1 angefertigt hat (Hölzle 1974; Sayce 1999, S. 172f.; skeptisch gegenüber dieser Annahme Räkel 1977, S. 96; Touber 2003, S. 31–34; unentschieden Kasten 1995, S. 802f.). Geht man das Problem einmal nicht vom romanischen Text, sondern vom deutschen Minnesang her an, so muß Erstaunen hervorrufen, daß ein deutscher Dichter einer romanischen Vorlage in ihrer Ganzheit gefolgt sein soll. Einem vergleichbaren Befund sind wir bislang nicht begegnet. Stets waren es nur wenige Verse aus einem Lied oder aus verschiedenen Liedern, die ein Minnesänger rezipiert hat. Bei näherer Betrachtung geben sich denn auch erhebliche Unterschiede zwischen Heinrich von Morungen, MF 145,1 und dem romanischen Lied PC 461,9a zu erkennen (von einer ganzheitlichen Übernahme kann somit keine Rede sein): 1) Morungens zweite Strophe (Traummotiv) besitzt keine Entsprechung in der ‚Vorlage‘; auch die vierte Strophe (Hoffnungslosigkeit) ist Morungen eigen. Demzufolge hat Morungens vierstrophiges Lied der ebenfalls vierstrophigen ‚Vorlage‘ eigentlich nur 1 1/2 Strophen entnommen: das Motiv des Kindes, das sich im Spiegel erblickt und beim Versuch, sich selbst zu fassen, das Glas zerbricht, mitsamt der Inbezugsetzung auf das Ich (PC 461,9a, Str. I); das Motiv vom Narziß, der sich in der Quelle erblickt (Str. II, 2. Hälfte). Die ganze dritte Strophe der ‚Vorlage‘ mit dem Freude- und Hoffnung-Motiv hat er übergangen, ebenso die Tornada. 2) Das romanische Lied schließt mit der Hoffnung auf ein gutes Ende der Liebesbeziehung, während bei Heinrich von Morungen am Ende Hoffnungslosigkeit herrscht; Morungens Lied bezieht also eine Gegenposition. 3) Für das Leid in der Liebe sind in dem romanischen Lied die lauzengiers, also Dritte verantwortlich, bei Morungen ist der (nicht benannte) Grund wohl bei den zwei Liebenden zu suchen. 4) In der ‚Vorlage‘ hat die Liebesbeziehung bereits die Phase einer drudaria (PC 461,9a, Str. II,2) erreicht, die einen Kuß einschließt (Str. III,6), während sich bei Morungen die zwei Figuren noch sehr ferne sind. Unterstellt man einmal, Heinrich von Morungen habe das von Bartsch edierte romanische Lied gekannt (zumindest das Narzißmotiv kennen auch andere Trobadorlieder) und Morungens Änderungen seien einem klaren Konzept zuzuschreiben, so ließe sich als Resultat festhalten: Morungen entnimmt seiner ‚Vorlage‘ nur die Inhaltsfragmente, die seinem Lied einen durchgehenden Ton von leit, nôt, tôt sichern. Das rätselhafte Versehrtsein des roten Mundes der Dame steigert noch das geheimnisvolle Dunkel, das die Liebe umgibt. Bezeichnenderweise kommt bei Morungen vröude nur als Traum vor (MF 145,1, Str. II), während das romanische Lied mit der Hoffnung auf baldiges Liebesglück in der ‚Realität‘ schließt. Ins-

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gesamt macht Morungens Lied einen inhaltlich geschlosseneren, dichteren Eindruck, während im romanischen Lied zwischen den ersten beiden Strophen (Weinen, Tod) und der dritten Strophe (Hoffnung auf Liebesglück) sich eine Lücke auftut, die nur mühsam durch das gemeinsame äußerliche Motiv der lauzengiers (PC 461,9a, Str. I u. III) verdeckt wird. Damit bestätigt sich die These (s. Kap. 2.2 u. 2.3), daß in romanischen Liedern (ausgenommen die malas cansos) größere affektive Schwankungen präsentiert werden bzw. emotionale Extreme in einem widerspruchsvollen Zustand zusammenfallen. Die emotionale Schwankungsbreite ist in den deutschen Minneliedern geringer; hier verdichtet sich die Stimmung meist auf einen einzigen Ton. Nach Heinrich von Morungen hat Reinmar diesen Trend zur Einseitigkeit eindrucksvoll zur Vollendung geführt. Ich kenne keinen romanischen Dichter, der ein vergleichbares Markenzeichen kreiert hätte. Abschließend werden wir nochmals mit grundlegenden Problemen einer vergleichenden Untersuchung von romanischen und deutschen Liedern konfrontiert. Morungens einstrophigem Lied MF 147,17 soll ein anonym überliefertes Trovèrelied (R. 1538) zugrundeliegen (Frank 1952, Nr. 18; Aarburg 1961, Nr. 29; Sayce 1999, Nr. 10; Zotz 2005, S. 127–136). Doch ist erstens umstritten, ob das Lied MF 147,17 überhaupt von Morungen stammt, und zweitens ist das romanische Lied wahrscheinlich erst nach Morungens Zeit entstanden (Touber 2005a, S. 292). Zwar stimmen MF 147,17 und R. 1538 hinsichtlich ihres Strophenschemas weitgehend überein (und zwar exklusiv, wenn Touber 2005a, S. 292, recht hat), doch das Thema der beiden Lieder – nach langer Zeit des Leidens an der Liebe ist dem Ich eine Botschaft übermittelt worden, es werde von seiner Dame gütig aufgenommen werden – begegnet auch in anderen Liedern, sogar mit noch größerer sprachlicher Übereinstimmung (Michel 1880, S. 69 u. 71–73). Vor allem Peire Vidal (PC 364,21, Ausg. Avalle, Nr. 9) bietet eine frappierende Parallele, die überdies noch die erste Strophe des Liedes bildet und somit leicht im Gedächtnis haften mag: „Ich bin lange traurig und in Gedanken versunken gewesen, doch nun empfinde ich größere Freude als ein Vogel oder ein Fisch. Denn meine Dame hat mir eine Botschaft geschickt, daß ich mich als ihr Verehrer verhalten solle. Ah, welche Süße liegt in dieser Botschaft. Nun ist sie einverstanden, daß ich mich guter Hoffnung zuwende“ (eigene Übersetzung). Angesichts dieser inhaltlichen und formalen Korrespondenz (der gleiche Inhalt am Anfang beider Gedichte) sind nun mehrere Abhängigkeitsverhältnisse denkbar: Heinrich von Morungen ist direkt abhängig von Peire Vidal; das Trovèrelied ist von Vidal beeinflußt und hat seinerseits (in einer früheren, nicht erhaltenen Fassung) auf Morungen gewirkt; MF 145,1 ist nicht von Morungen, sondern später

Schlußbemerkung

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entstanden und kann demzufolge von Vidals Lied wie auch von dem anonymen Trovèrelied beeinflußt sein. Der Umstand, daß mehrere romanische Lieder das in MF 147,17 verwendete Motiv (erst Traurigkeit, dann frohe Botschaft) aufweisen, muß vor voreiligen Quellenzuweisungen warnen. Doch unabhängig von der Quellenfrage ist zu konstatieren, daß das deutschsprachige Lied MF 147,17 (ob nun von Morungen oder nicht) einem romanischen Lied ein einziges Motiv entnimmt und daraus ein ganzes Lied schafft, auch wenn dies in unserem Falle nur aus einer einzigen Strophe besteht. Dadurch erhält das entlehnte Motiv ein viel größeres Gewicht, es zieht die ganze Aufmerksamkeit der Hörer auf sich. Vidals Lied (PC 364,21) nimmt in seinen fünf Strophen (und zwei Tornadas) immer wieder andere Aspekte der Liebesbeziehung in den Blick, kehrt den anfänglichen Umschwung von der Traurigkeit zur Freude sogar in der fünften Strophe wieder um und tadelt – in der Art eines Absageliedes – die Dame aufs heftigste, weil sie einen anderen Mann vorgezogen habe. Das Lied erscheint wie ein Kaleidoskop aller möglichen Gefühlszustände in einer Liebesbeziehung. Lokker sind die einzelnen Strophen aneinander gereiht. MF 147,17 dagegen scheint den Zustand der Freude als fest zugesagte Hoffnung festzuhalten. Wie unverrückbar und endgültig lautet das Schlußwort: ez ist quît, was mir wê (MF 147,27: „Es ist vorbei, es hat mir weh getan“). Das deutsche Lied präsentiert eine eindeutige(re) Aussage, ist um eine schlüssige Botschaft bemüht – auch noch bei Heinrich von Morungen bzw. nach ihm.

2.5 Schlußbemerkung Am Ende dieses Überblicks, der Romania und Germania immer wieder kontrastiv vorgestellt hat, bleibt freilich die Skepsis, inwieweit die zahlreichen in MF versammelten Lieder und Dichter trotz ihrer jeweiligen Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit überhaupt einer umfassenderen nationalsprachlichen Charakterisierung unterworfen werden können. Kein Lied ist wie das andere, weder auf romanischer noch auf deutschsprachiger Seite. Doch in einem Überblick kann man sich nicht in Details verlieren, sondern muß eben auch wagen, größere Linien zu ziehen. Schon die Frage nach den jeweiligen Dichterprofilen kommt dabei nicht ohne die Gefahr des Nivellierens aus. Es wird immer schwierig bleiben, zwischen dem Skizzieren von Konturen bzw. Tendenzen einerseits und der Berücksichtigung zahlreicher widerständiger Ausnahmen die Balance zu halten. Deshalb wird manches, was in diesem Kapitel ausgeführt wurde, durch weitere

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Analysen präzisiert und modifiziert werden müssen. Doch sollte hier zumindest der methodische und theoretische Rahmen abgesteckt werden, den solche künftigen Vergleichsarbeiten zu berücksichtigen haben.

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Einleitung

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3 Minnesang III: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide von Ricarda Bauschke 3.1 Einleitung – 3.2 Reinmar – 3.3 Walther – 3.4 Reinmar und Walther

3.1 Einleitung Reduktion, technische Perfektion und inhaltliche Akzentsetzungen – Typen von Vorlagenorientierung

Reduktion, technische Perfektion und inhaltliche Akzentsetzungen Mit der Rezeption okzitanischer und französischer Liedkunst haben die deutschen Minnesänger ein liebeslyrisches System adaptiert und den Bedingungen ihres eigenen Dichtens angepaßt. Formal manifestiert sich dies in der Aufnahme der Kanzonenstrophe, wobei die Spannbreite hier von der Aktualisierung des abstrakten Modells über metrische Entsprechungen einzelner Verse oder Versgruppen sowie ganzer Lieder bis hin zu Melodieübernahmen, also Kontrafakturen romanischer Prätexte reichen kann. Inhaltlich treten neue Elemente hinzu, welche die alte heimische Tradition überlagern oder sogar ablösen; dies betrifft konstituierende Elemente der Minnesituation (Dienstgedanke, Stilisierung der Distanz, Minneparadox) sowie Einzelmotive (Natureingang, Nachtigall), aber auch Techniken der Präsentation (Introspektion und Reflexion, autoreferentielle Profilierung der Ich-Rolle) und die Bedeutung sozialer Referenz (Anonymisierung, Anbindung an die Gesellschaft). Die Vielzahl von Formen, Themen und Motiven in der Romania erscheint in der deutschen Adaptation reduziert, und zwar nicht im Sinne einer Vereinfachung, sondern vielmehr als Kondensation des in der okzitanischen und französischen Lyrik bereitgestellten Materials. Dadurch werden die deutschen Lieder komplexer und hermetischer, denn sie sind unter bestimmten Wissensvorausset-

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Minnesang III: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide

zungen über konkrete Prätexte und eventuell sogar über deren Referenzsysteme entstanden, die vermutlich nur der Dichter selbst kannte, über die aber bereits das Primärpublikum nicht immer verfügte. Nach der traditionell mit Friedrich von Hausen anzusetzenden Anfangsphase der Rezeption romanischer Lyrik (f Minnesang II) habitualisiert sich zunehmend der Umgang mit den okzitanischen und französischen Vorbildern. Die diskursiven Verfahren, die sich in der romanischen Lyrik aktualisieren, werden weiter perfektioniert, und wiederum bezieht sich dies auf die technische Ebene (Versmaß, Reim) und auf die inhaltliche Ausgestaltung gleichermaßen. So läßt sich ein freier Umgang mit der Kanzonenstrophe erkennen, und die Ausdifferenzierung einzelner Minnekonstellationen, Reflexionen oder Motive wird komplexer und geschieht zum Teil sogar intertextuell in kritischer Hinsicht auf die romanischen Bezugstexte. Reinmar und Walther bieten hier jeder einzeln betrachtet prägnante Beispiele für den souveränen und zugleich spielerischen Umgang mit dem romanischen lyrischen System einerseits und der sich seit Hausen immer mehr etablierenden deutschen Tradition, Vorgaben und Anregungen der okzitanischen und französischen Lyrik für die eigene Textherstellung zu adaptieren, andererseits. Darüber hinaus kann das intertextuelle Spiel, das Walther und Reinmar betreiben, indem sie in ihren Minneliedern miteinander kommunizieren und zentrale Fragen, welche die Minneauffassung, die Rollendefinition der frouwe sowie poetologische Grundpositionen betreffen, aufwerfen und provokativ-kontrovers beantworten, auch vor dem Horizont des provenzalischen Streitgedichts gedeutet werden. Bei der als ‚Fehde‘ inszenierten Kommunikationssituation handelt es sich um einen in der Romania prominenten Gestaltungstyp einander widersprechender Positionen, den die beiden Dichterkollegen adaptieren und für ein deutsches Publikum in starker Variation umsetzen. Typen von Vorlagenorientierung Für alle drei Bereiche – Romania-Adaptation bei Reinmar, bei Walther sowie im Rahmen der Reinmar-Walther-Intertextualität – lassen sich verschiedene Grade oder Typen von Vorlagenorientierung feststellen (in Anlehnung an Zotz 2005): Es können lockere Verbindungen bestehen, etwa wenn zu einem bestimmten Text aus der Romania ein deutsches Pendant existiert, wobei die Parallelen vermuten lassen, daß der Minnesänger sich hier von einem okzitanischen bzw. französischen Vorbild hat anregen lassen. Unabhängig von einem potentiell divergierenden Gesamttenor der

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Lieder können prägnante einzelne Motive aus der romanischen Lyrik in deutsche Minnelieder integriert und sinnstiftend (um)funktionalisiert worden sein. Es können ganze Strophen, unter Umständen in neuem Kontext, und sogar ganze Lieder, auch mit Neuakzentuierung in der Aussage, übertragen worden sein, so daß tendenziell Eins-zu-Eins-Relationen auszumachen wären. Auf der anderen Seite können auch unterschiedliche Quellen in einen Einzeltext bzw. in die Gruppe der Walther-Reinmar-Lieder eingegangen sein, so daß sich in der deutschen Adaptation vielfältige romanisch angeregte Phänomene aktualisieren. Zudem bleiben diese Typen oder Grade von Adaptationen nicht auf inhaltliche Übernahmen beschränkt, sondern müssen ebenso auf die metrische Form bezogen bzw. in Kombination mit ihr gesehen werden: Kontrafaktur und inhaltliche Differenz bzw. gleiche Aussage bei anderer Melodie sind die beiden Pole, in denen sich zahlreiche Zwischenstufen einer deutschen Verarbeitung romanischer Vorlagen denken lassen, etwa metrische Detailvarianz oder Kombination von Aufgesang und Abgesang zweier unterschiedlicher Lieder. Die folgende Darstellung kann daher nicht alle an der Romania orientierten oder aus ihr direkt übernommenen Einzelphänomene auflisten, die sich in der Lyrik Reinmars und Walthers finden lassen, sondern es sollen vielmehr prominente Einzelfälle vorgestellt und damit das adaptierende Verfahren als solches symptomatisch in seinen Möglichkeiten, wie Walther und Reinmar sie nutzen, beschrieben werden.

3.2 Reinmar Das Reinmar-Corpus – Formale Anklänge – Motivparallelen – Systemreferenz

Das Reinmar-Corpus Für Reinmar werden die potentiellen romanischen Einflüsse kontrovers diskutiert. Einerseits gilt er als ‚Meister der Kanzone‘, und da diese ihre Wurzeln in der Romania besitzt und bei den Trobadors und Trouvères ihre ganz eigene Ausprägung erfahren hat, liegt es nahe, für Reinmar einen konstruktiven Umgang mit den gestalterischen Möglichkeiten seiner romanischen Dichterkollegen anzunehmen, ähnlich wie dies für Heinrich von Morungen zu konstatieren ist (f Minnesang II, Kap. 2.4). Andererseits jedoch zwingt die Zusammenschau des Materials zu einer Relativierung solcher Präsuppositionen. Nur in wenigen Fällen (s.u.) lassen sich

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konkrete Orientierung und direkte Übernahme romanischer Prätexte ausmachen (Sayce 1982a). Signifikant für Reinmars Dichten ist dagegen vielmehr eine ganz grundsätzliche Beeinflussung durch okzitanische und französische Lyrik, deren diskursive Verfahren er verwendet und für sein deutsches Publikum neu aufbereitet. Es handelt sich mithin bei Reinmars adaptierendem Dichten nicht dominant um singularisierbare Relationen vom Typ ‚Vorlage – Bearbeitung‘, sondern um eine allgemeiner zu fassende Aktualisierung von Diskurstraditionen über die romanisch-deutsche Sprachgrenze hinweg. Beispiele hierfür lassen sich sowohl im Grundstock des Reinmar-Corpus finden, das traditionell als ‚echt‘ gilt und bereits in den ersten Auflagen von „Des Minnesangs Frühling (MF)“ Reinmar zugesprochen wird, als auch in der Gruppe der sogenannten ‚Pseudo-Reinmare‘, die allgemein athetiert werden. Diese Lieder stehen bei Lachmann und Vogt in den Anmerkungen und rücken später, manche erst mit Moser/Tervooren, in den Haupttext, wenngleich auch dort zum Teil noch in anderem, hierarchisch abqualifizierendem Druckbild. Daß romanische Einflüsse sich im ‚echten‘ Reinmar-Bestand ebenso zeigen wie in dem Reinmar-Corpus mit problematisierbarer Autorzuweisung zeigt unter Umständen die Obsoletheit der Echtheitsdiskussion (vgl. auch Hausmann 1999) und indiziert darüber hinaus, welche konstituierende Funktion die Orientierung an Trobador- und Trouvère-Kunst für den minnelyrischen Diskurs im deutschen Sprachraum um 1200 bereits erlangt hat. Formale Anklänge An erster Stelle sind die in der Philologie oft noch immer unterschätzten formalen Anklänge und Korrespondenzen zu nennen. Sie können auf direkter Abhängigkeit beruhen oder aber ganz eigene Rückgriffe auf ein metrisches System indizieren, das übergreifend zu denken ist und sich in der höfischen Lyrik auch über Sprachgrenzen hinweg etabliert. Nicht kulturelle Differenz, welche die Adaptation zu überwinden versuchte, deren Ausdruck sie aber letztlich noch immer wäre, sondern kulturpraktische Identität wäre damit für die Parallelen und Ähnlichkeiten verantwortlich. Ein Verhältnis von Vorlage und Transfer besteht eindeutig dort, wo Kontrafakturen vorkommen. Bei Reinmar könnte dies auf mindestens zwei Lieder zutreffen: Sehr eng ist die Verbindung zwischen MF 194,18 (Nr. XLVI) und Gaucelm Faidit, PC 167,37 ‚Mon cor e mi‘ („Mein Herz und ich“). Reinmar setzt den provenzalischen Zehnsilbler durchgehend in einen alternierenden Vierheber um und behält auch das Reimschema bei

Reinmar

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(abab/c’ddc’). Dem gleichen Formprinzip folgt im übrigen auch Kanzone PC 375,14 des Pons de Capduelh (Spanke 1929, S. 230). Mit den formalen Parallelen gehen signifikante inhaltliche Anlehnungen Reinmars an das Lied von Gaucelm einher: PC 167,37, Str. II,1 Al prim q’ie·us vi, […] dompna („Als ich Euch zum ersten Mal erblickte, Herrin“) kehrt in MF 194,19 dô ich die minneclîchen êrst gesach wieder; die erste Begegnung, vermittelt anhand des Augenmotivs, führt jeweils zu einer existentiellen Erschütterung, Str. II,6f. D’una doussor d’amor qe·m venc ferir / Al cor, qe·m fetz si tremblar e fremir („[erfreute ich mich] eines Liebesglücks, das mich ins Herz traf und das mich so sehr zittern und erschaudern ließ“) bzw. MF 194,20f. daz ez mir hiute und iemer mê tuot wol. / ein minneclîchez wunder dâ geschach; und sie ermöglicht dem bis dahin verstockten Herz erste Liebeserfahrung, Str. IV,1f. Ai cum m’a traich mos fis cors amoros / C’anc mais non fo leus ad enamorar! („Ach, welchen Antrieb hat mir mein treues und liebendes Herz gegeben! Denn niemals war ich schnell darin, mich zu verlieben.“) bzw. MF 194,27–29 daz dû mich heimesuochest an der stat, / dar sô gewalteclîch wîbes lîp / mit starker heimesuoche nie getrat. Auf der anderen Seite werden einzelne Motive neu funktionalisiert, wenn Reinmar anstelle der lachenden Augen der Dame bei Gaucelm (Str. II,5), die den Verliebten vor Begehren fast sterben lassen, Str. II,8 c’a pauc denan non mori de desire („denn fast wäre ich aus Verlangen nach Euch gestorben“), nun den Sehsinn des Werbenden anspricht, MF 194,18 Mîn ougen wurden liebes alse vol, dabei die wohltuende Wirkung der Dame hervorhebend (MF 194,29); und wo der Verliebte Gaucelms es nicht wagt, um Gnade zu flehen (Str. IV,4), formuliert Reinmar gleich zweifach eine entsprechende Bitte (MF 194,30 Genâde, vrouwe!; MF 194,33 des muoz ich ûf genâde lônes bîten). Die Übernahme der Melodie, der freie Umgang mit einzelnen Elementen sowie die insgesamt neue Liedaussage zeugen gerade in ihrer Kombination von einer engen Verbindung Reinmars zur Romania einerseits und selbständiger Haltung andererseits. Kaum Beachtung (nur durch Aarburg 1961, Nr. 6, u. Tervooren 1991, S. 105 u. 239) hat die Kontrafaktur vermutlich deshalb gefunden, weil das Lied lange Zeit einem Pseudo-Reinmar zugeschrieben worden ist. Für Reinmar, MF 183,33 (Nr. XXXIV) gibt es immerhin eine starke Formkorrespondenz mit dem gap-Lied Wilhelms von Aquitanien (Guillaume IX.) ‚Ben vuelh que sapchon li pluzor‘ („Ich will wahrlich, daß es alle erfahren“). Totale Tongleichheit liegt nicht vor, denn in Reinmars Schema (4a 4b 4a 4b / 4c 4c 2c) ist erst der Schlußvers verkürzt, um das Strophenende durch den metrischen Witz zu pointieren, während Guillaume IX. in einer für die Provenzalen üblichen Manier bereits Vers 5 seiner Strophe abschneidet (Str. I,5–7 et es vertatz, / e puesc en trair lo vers auctor, / quant er

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lassatz – „das ist die Wahrheit, und ich kann den vers dafür als Zeugen anführen, sobald er zusammengefügt ist“). Doch bis auf diese Abweichung stimmen Metrik und Reimschema überein. Der inhaltliche Zusammenhang beider Lieder ist in der Forschung bisher ignoriert worden. Im Stil des gabar, dem in der okzitanischen Lyrik weit verbreiteten Gestus der Prahlerei (Köhler 1978), rühmt sich der als Guillaume IX. inszenierte Sprecher seiner besonderen lyrischen Kompetenz und verbindet den Ausdruck von Dichterstolz mit dem Anspruch männlicher Potenz, wobei er seine Vorrangstellung in sexueller Leistungsfähigkeit aus seinem Erfahrungsschatz ableitet. Reinmars Lied initiiert weder eine plakative Dichtungsdiskussion noch wird in irgendeinem Gebiet die Prädominanz des Sprechers einfach nur behauptet. Wohl aber formuliert der Text im Rückblick zumindest einen kurzen Zeitraum erotischen Glücks, und die zugewandte Dame wird in ihrer Tröstungskompetenz über alle anderen Frauen erhoben (MF 184,12f. wan âne sî, vier tûsent wîp / dien hetens alle niht getân). Auffällig ist zudem, daß Reinmar in sehr gegenständlicher Naturmetaphorik die körperliche Erfüllung umschreibt, dabei mehrfach wiederholend, von swære, sorgen, leit und angest nun befreit zu sein. Vor dem Hintergrund, daß für Reinmar der Klagegestus typisch ist und er selbst mit dieser Stigmatisierung spielt (s.u.), nimmt sich das Lied als doppelte Kommentierung aus: Zum einen setzt Reinmar gegen die aufdringliche Prahlerei des Trobadors ein rhetorisch ausgefeiltes Beispiel, wie erotische Erfüllung dezent formulierbar ist. Seine Vorrangstellung ergibt sich damit indirekt aus seinem sprachpraktischen Handeln, nicht aus der puren Behauptung von Potenz, wie Guillaume IX. sie vorlegt. Zum anderen hebt Reinmar mit seinen abgrenzenden Hinweisen auf das von ihm selbst konventionalisierte Leid die spielerische Komponente jeder Art von Liebeslyrik hervor. Zentral für die Bewertung des Verhältnisses zwischen Romania und adaptierenden Minnesängern ist in diesem Fall, daß sich die Relationierbarkeit der beiden Lieder nicht in den Kategorien von Übernahme und Nachahmung erschöpft, sondern vielmehr Reinmar durch seinen Gegenentwurf eine intertextuelle Kommunikation mit dem provenzalischen Dichter aufbaut. Diese Art der Orientierung an Vorbildern aus der Trobador- und Trouvèrelyrik leitet zu einem anderen Typ von Adaptation über, nämlich den Beispielen, wo Reinmar einzelne formale Gestaltungsweisen übernimmt bzw. aktualisiert, ohne daß sich überhaupt konkrete Bezugstexte ausmachen ließen. Dies betrifft zum Beispiel die Rezeption romanischer Zehnsilbler durch Reinmar (Nr. LXIII), welche in der deutschen Anverwandlung Interpretationen als alternierendes und daktylisches Schema

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gleichermaßen zuläßt. Für die Lesart von Touber (1975, S. 7), der den Vers als vierhebigen Daktylus deutet, spricht die sich dann über die Formparallele ergebende Nähe zum sogenannten Hausen-Kreis und dort speziell zu Friedrich von Hausen selbst (MF 43,28, Nr. II) sowie zu Bernger von Horheim (MF 113,1, Nr. II). Beide Lieder weist schon Aarburg (1961, Nr. 23 u. 39) als mutmaßliche Kontrafakturen zu Gaucelm Faidit bzw. Bertram de Born aus. Reinmars Übernahme könnte direkter Natur sein, zumal ein anderer Fall von Kontrafaktur zu Gaucelm Faidit vorliegt (s.o.), oder sich als doppelte Brechung vollziehen, also mediatisierte Romaniarezeption über eine deutsche Zwischenstufe. Letzteres fügte sich in die Überlegungen ein, daß Reinmar nicht allein konkrete Lieder intertextuell verarbeitet, sondern Typen und Strukturen erkennt, aktualisiert und anverwandelt. Je nach Beurteilung des Tones lassen sich auch für sein Lied MF 154,32 (Nr. VI) romanische Formmuster postulieren oder nicht. Während Bartsch, Heusler und andere von einem daktylischen Metrum ausgehen und damit eine Nähe zur Romania implizieren, plädieren Paul und vor allem von Kraus für die alternierende Lesart, wofür sie jedoch zahlreiche Konjekturen in Kauf nehmen (Diskussion in MF III/1). Mit dem Reimschema ahmt Reinmar ganz deutlich romanische Gestaltungsart nach: abab//bxbx/cdc. Die Reimklammer (b-Reime) über die Grenze von Aufgesang und Abgesang hinweg und vor allem die strophenübergreifende Identität der d-Reime im vorletzten Vers (Kornreim), deutlich in Liedfassung VI b mit Beginn MF 155,16 (Str. I,10: zît; II,10: sît; III,10: strît; IV,10: zît), erinnert an cobla-Techniken der Trobadors und Trouvères. Die Reimart läßt vermuten, daß auch für das Metrum romanische Orientierung vorliegt und daher der Daktylus zu favorisieren ist. Vergleichbare romanische Einflüsse auf die Gestaltung des Reimschemas finden sich in mindestens sieben weiteren Liedern: MF 180,28 (Nr. XXX) spielt mit dem Kanzonenschema – ab/aabb//cc. Indem die beiden Verse des ersten Stollens sich im zweiten von ab zu aabb verdoppeln und der Aufgesang damit sechs Verse gegenüber dem nur zweiversigen Abgesang erhält, ergibt sich insgesamt bei unstollig wirkendem Aufbau eher die Tendenz zur Reihenstrophe, und nicht zur Kanzone. Im Vergleich zum gänzlich unstolligen Lied MF 182,14 (Nr. XXXII), für das romanische Bezugspunkte nicht diskutiert werden, bleibt bei MF 180,28 allerdings eine Nähe zum Kanzonentyp prinzipiell bestehen. Bereits Vogt reklamiert deshalb romanische Vorbilder für MF 180,28, ohne allerdings eine konkrete Quelle zu nennen (MF III/1). Freier Umgang mit dem Stollenprinzip nach romanischem Entwurf findet sich ebenso in MF 191,7 (Nr. XLII), wo entweder der Aufgesang dreistollig zu deuten ist (ababab//

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ccb) oder aber, korrespondierend zum Satzgefüge, zwischen einem zweistolligen Aufgesang und dem Abgesang ein vermittelndes Verspaar steht (abab//ab/ccb). In MF 193,22 (Nr. XLV) fällt die romanisch geprägte Übernahme des b-Reims der Stollen in den Abgesang auf (abab//ccb); in MF 195,3 (Nr. XLVIII) ist es der a-Reim, über den die Verbindung von Aufgesang und Abgesang intensiviert wird (abab//cac). Der Ton von MF 181,13 (Nr. XXXI) liefert ein Beispiel für die da capo-Form, abab/cc/dede (in einigen Strophen mit Waisen anstelle der d-Reime). Obwohl Spanke (1929, S. 231) sich dezidiert gegen mögliche romanische Vorlagen ausspricht, scheinen die Formspielereien in MF 198,4 (Nr. LIII) deutlich trobadoresk zu sein (Tervooren 1991, S. 120 u. 239): a,b,a,b//cd,cd,ef,ef. Die Binnenreime (c und e) bilden mit den ihnen zugeordneten Endreimen (d bzw. f) zusätzlich noch grammatische Reime (lîp/lîbe, kan/kunde etc.), und der Aufgesang von Strophe II ist mit dem Abgesang von I durch grammatische und identische Reime verknüpft. Auch hier konnte eine konkrete Vorlage bislang nicht ermittelt werden, festzuhalten bleibt jedoch, daß der angewandte Typ artistischen Formstils als solcher romanischen Konventionen verhaftet ist. Deutlicher sind die Systemanlehnungen in Lied Nr. LXVI. Die zweite Strophe wiederholt die Reimklänge und sogar Reimwörter der ersten Strophe, so daß dieses Lied die prägnanteste Nachahmung der coblas unissonans im deutschen Minnesang darstellt (Tervooren 1991, S. 177, 181 u. 239). Reinmars freier Umgang mit dem formalen System romanischer Lyrik zeugt von umfangreicher Kenntnis der Dichtungsweise seiner Kollegen ebenso wie von einer zunehmenden prinzipiellen Habitualisierung deutscher Orientierung an Trobador- und Trouvère-Lyrik, welche sich bei Reinmar in einer besonders souveränen Spielart präsentiert. Gerade die ältere Forschung hat indes die von romanischen Formeinflüssen geprägten Lieder oft für unecht erklärt; ungewöhnlich oder wenig eigenständig anmutende Phänomene haben offensichtlich nicht in das zeitgenössisch aktuelle Originalitätspostulat der Philologen gepaßt und die Athetese befördert. Motivparallelen Diese Behandlung des Corpus irritiert nicht zuletzt deshalb, weil Reinmars Anlehnungen an romanische Formkunst mit romanisch-deutschen Parallelen in semantischen Einzelmotiven korrespondieren. Im konkreten Fall dürfte nur schwer zu entscheiden sein, ob es sich dabei jeweils um eine direkte Übernahme handelt, ob die Motivverwendung polygenetisch zu

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denken ist oder ob Provenzalen, Franzosen und Deutsche sich an einem gemeinsamen, noch aufzufindenden mittellateinischen Vorbild orientieren, das sie jeder für sich aufnehmen und variieren. Grundsätzlich spricht allerdings gleiche oder ähnliche Motivik für eine gewisse, vielleicht sogar anthropologische, zumindest aber zeitgenössische Konstanz in den Möglichkeiten, über Liebe zu sprechen. Das Bedürfnis, bestimmte zwischenmenschliche Konstellationen und Affekte in Worte zu fassen, würde dann sprachübergreifend ähnlich gestillt, und dies verweist – wie im Zusammenhang der Formübernahmen bereits angedeutet – eher auf eine kulturelle Nähe als auf Distanz. Reinmars Œuvre zeigt einige motivische Anklänge an Trobador- und Trouvère-Lyrik. Das betrifft sentenzhafte Wendungen, die sowohl im deutschen als auch im romanischen Sprachraum nachweisbar sind, z.B. MF 189,22 (Nr. XXXIX, Str. II,9) daz man ze lange beitet. daz kumet niht wol ze guote. Belege von Godefroy de Paris, Charles d’Orléans (car trop ennuie qui atant/attent – „denn zuviel Kummer hat der, der wartet“) und anderen für diese Redensart weist früh Singer nach (vgl. TPMA XII (2001), S. 361f.). Polygenese scheint dabei mehr als plausibel. Anders verhält es sich beim Motiv des Kußraubes, das Reinmar provokant in MF 159,37 (Nr. X, Str. III) einsetzt (die folgende Überschau orientiert sich an der Zusammenstellung durch Touber 2005d, S. 515f.): Der Diebstahl des Kusses kommt bereits bei Bernart de Ventadorn vor (Ausg. Appel, Nr. 39, Str. IV,1–3 Be la volgra sola trobar, / que dormis, o·n fezes semblan, / per qu’e·lh emblès un doutz baizar – „Ich träfe sie gern allein an, schlafend oder sich schlafend stellend, damit ich ihr einen süßen Kuß stehlen kann.“). Peire Vidal greift das Motiv viermal auf – Ausg. Bartsch [1857], Nr. 37, Str. II,6f. car una vetz, en son rejal capdolh / l’emblei un bais don al cor mi sove („denn einmal stahl ich ihr auf ihrem königlichen Schloß einen Kuß, den ich in meinem Herzen bewahre“); Nr. 7, Str. II,10–13 qu’un mati / intrei dins sa maizo / elh baizei a lairo / la boca el mento („denn eines morgens trat ich in ihr Haus, und ich habe ihr wie ein Dieb Mund und Kinn geküßt“); Nr. 20, Str. IV,1–3 Melhs pagatz fora qu’om natz, / sil bais emblatz mi fos datz / o neis autrejatz („Ich wäre besser belohnt als jeder, der lebt, wenn der geraubte Kuß mir [freiwillig] gegeben oder auch nur zugestanden worden wäre.“); Nr. 13, Str. VI,6–9 ai conquist ab gran doussor / lo bais que forsa d’amor / me fetz a mi dons emblar, / qu’eras lom denh’ autrejar („Ich habe mit großem Glück ihren Kuß erobert, den die Macht der Liebe mich hat meiner Dame stehlen lassen, jetzt geruht sie, ihn mir zuzugestehen.“). Bei Reinmar finden sich die von Peire Vidal vorgelegten Varianten der heimlichen Aufbewahrung (MF 159,40 tougenlîchen tragen und iemer heln) und der Rückgabe des Kusses (MF 160,4 trage ez hin wider,

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dâ ichz dâ nan) wieder. Peirol spannt den Bogen noch weiter, indem er den Wunsch einer Rückgabe und damit weiteres Küssen imaginiert (PC 366,12, Str. III,17–21): Pero, si s’esdevinia, / gran talan ai qu’un baisar / li poques tolr’o emblar; / esi pueys s’en iraissia / voluntiers lo li rendria („Doch, falls es möglich wäre, hätte ich großes Glück, wenn ich ihr einen Kuß stehlen oder rauben könnte; und wenn sie sich darüber erzürnte, gäbe ich ihn ihr bereitwillig zurück.“). Reinmar folgt auch ihm (MF 160,4). Mit allen romanischen Entwürfen stimmt der deutsche Lyriker insofern überein, als daß auch er nur eine Wunschvorstellung beschreibt. Den provokanten Vorschlag von Peirol potenziert Reinmar jedoch noch, indem er den wiederholten Kuß um einen Kommentar ergänzt, der seine besonderen Kußqualitäten behauptet (MF 160,5 als ich wol kan). Die Motivverwendung bei Reinmar fußt darum deutlich auf romanischer Tradition. Die Art seiner Fortentwicklung zeigt zugleich den produktiven Umgang mit jener Tradition, als deren Teil Reinmar sich auch selbst – die Sprachgrenzen überspannend – zu begreifen scheint. Das Phänomen der Adaptation geht dort in Interaktion über, wo Reinmar sich abgrenzend auf romanische Motivik bezieht, also nicht trobadoreskes Darstellungsreservoir affirmativ selbst verwendet, sondern es kritisch ausstellt. Dies geschieht zum Beispiel in bezug auf das Motiv des vor der Dame stummen Liebhabers (MF 170,26f. Maniger zuo den vrouwen gât / und swîget allen einen tac). Seit Guillaume IX. (Lied VIII ‚Farai chansoneta nueva‘ – „Ich werde ein neues Liedchen machen“; Beispiel von Touber 2005a, S. 728) beschreiben okzitanische Lyriker, so zum Beispiel Pons de Capduelh (s. Kap. 3.3), pathologisch genau die physischen Auswüchse der Liebeskrankheit und artikulieren Erfahrungen von Sprachlosigkeit. Abgesehen von einer möglichen Intertextualität Reinmars mit Walther (s. Kap. 3.4), kann sich die Distanzierung von der Redeunfähigkeit daher wohl ebenso auf die entsprechende romanische Konvention beziehen, welche Reinmar an anderer Stelle bezeichnenderweise auch ohne abgrenzende Wertung gegenüber Dichterkollegen adaptiert: Ôwê, daz ich einer rede vergaz, / daz tuot mir hiute und iemer wê. / dô sî mir âne huote vor gesaz, / war umbe redte ich dô niht mê? (MF 164,21–24). Systemreferenz Wesentlich für Reinmars freie und konstruktive Orientierung an romanischen Gestaltungsoptionen ist der selbständige Rückgriff auf das abstraktere lyrische System, das sich in den Einzelaktualisierungen der Lieder erst manifestiert. Es sind also nicht die singulären lyrischen Äußerungen, die

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hier Anregungen liefern, sondern ein ganzer Liedtyp, der das Vorbild gibt. In diese Kategorie fällt zweifellos Lied Nr. LXIV, das einzige hochmittelalterliche Beispiel im deutschen Sprachraum, das die besonders in Nordfrankreich gepflegte Chanson de la mal mariée, eine Untergattung der Chansons des femmes, repräsentiert (Tervooren 1986). Die Textsorte konstituiert der Gegensatz von junger Frau und altem Mann, der eifersüchtig und gewalttätig auf die liebeshungrige, spöttische und durchaus rücksichtslose Attitüde seiner Partnerin reagiert. Aus dieser Grundsituation ergeben sich unterschiedliche Motivkonstellationen, welche als Frauenmonolog, zum Teil mit einer kleinen erzählenden Einleitung, umgesetzt werden. Meist ist die Perspektive der Jungen affektisch aufgeladen und erzeugt Komik auf Kosten des betrogenen Alten, zum Beispiel (Ausg. Bartsch [1870], Nr. 23, Str. I): Je ne li ai rienz mesfait / ne riens ne li ai mesdit / fors c’acolleir mon amin / soulette / por coi me bait me maris / laisette! („Ich habe ihm doch nichts Böses getan noch etwas Böses gesagt, nur meinen Geliebten habe ich im Arm gehalten. Warum schlägt mich mein Mann, ich Arme!“). Vergleichbares liefert Reinmar mit: Mîn alter man der zürnet und ist ime leit, / ob ich einen jungen gerne minne (Nr. LXIV, Str. II,1f.). Zusätzlich zur Exposition (Str. I,1f.: Went ir hoeren, einen gemellîchen strît / hât ein alter man mit sînem wîbe) erweitert er den Typ um die Rede des Mannes: Got gebiete mîner vrouwen, daz si sî / senftes muotes und ân argen willen (IV,1f.). Die Schlußwendung ich enkan ir anders niht gehüeten (IV,7) ruft mit der Problematik der untreuen Frau eine gesellschaftliche Dimension auf. Für MF 192,25 (Nr. XLIV) nimmt Tervooren (1991, S. 93 u. 239) das Typenvorbild der Chanson de toile an, vermutlich weil in dem Frauenlied die moralischen Hindernisse der Verbindung mit dem Geliebten im Vordergrund stehen und der sich nur langsam fortentwickelnde Gedankengang stets um den einen Konflikt kreist. Der siebenversige Ton würde zum romanischen Formvorbild passen, der übliche Refrain fehlt allerdings. Die Strophe MF 165,37 aus Reinmars prominentem Preislied ‚Swaz ich nu niuwer maere sage‘ (MF 165,10, Nr. XIV) gestaltet eine dilemmatische Situation und ist fraglos einem Partimen des Folquet de Marseille (Ausg. Stro´nski, Nr. XV, Str. I) nachgebildet (Kasten 1980, S. 40ff.): Tostemps, si vos sabetz d’amor / triatz de doas cal mal mays: / s’es drutz de tal que no·s bias / vas vos ni sofr’ autr’ amador / empero no·us fay veiyaire / que·us am ni que s’azaut de vos, / o d’autra que·us am atrestan, / et a d’autres drutz un o dos, / e que·us fassa de plazers tan / com fin’amia deu faire („Tostemps, wenn Ihr Euch in der Liebe auskennt, wählt, was von beiden besser ist: Der Liebhaber einer solchen [Dame] zu sein, die Euch nicht untreu ist und keinen anderen Liebhaber duldet, aber Euch nicht zeigt, daß sie Euch liebt und an Euch Gefallen fin-

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det, oder einer anderen [Dame], die Eure Liebe erwidert und einen oder zwei Liebhaber hat und Euch so viel Vergnügen bereitet, wie es eine echte Liebende tun soll.“). Wie in den romanischen Streitgedichten üblich, wird eine Diskussion inszeniert, in der zwei Sprecher die beiden konkurrierenden Positionen vortragen und vertreten (Neumeister 1969). Dem darüber vermittelten pluralisierten Meinungsbild haftet eine starke spielerische Komponente an (f Minnesang II, Kap. 2.3 u. 2.4). Reinmar (MF 165,37– 166,6) verlagert den Konflikt ganz in das Innere eines einzelnen Sprechers: Zwei dinc hân ich mir vür geleit, / diu strîtent mit gedanken in dem herzen mîn: / ob ich ir hôhen wirdekeit / mit mînen willen wolte lâzen minre sîn, / Oder ob ich daz welle, daz si groezer sî / und sî vil saelic wîp bestê mîn und aller manne vrî. / siu tuont mir beide wê: / ich wirde ir lasters niemer vrô; / vergêt siu mich, daz klage ich iemer mê. Die Unverbindlichkeit des Partimen geht damit verloren, doch es gelingt eine intensivere Reflexion über die höfische Liebe. Aus dem Bezug auf den provenzalischen Prätext erklärt sich die bei Reinmar irritierende Implikation, die Hingabe der Dame an den Sänger schließe ihre grundsätzliche sexuelle Freizügigkeit ein. Der Gedanke stammt aus der Vorlage, wo er Folquets Argumentation wesentlich bestimmt; bei Reinmar schlägt er sich in sehr abgeschwächter Form nieder. Wieder zeigt der diskursive Umgang mit dem Typenvorbild, hier insbesondere die Reduktion des Dilemmas auf eine Sprecherposition, Reinmars selbständigen Aneignungsstil. Gleiches gilt für die Frauenlieder, die im romanischen Bereich häufig vorkommen und dort zu einem großen Teil von weiblichen Autoren stammen (A. Rieger 1991). Reinmar gestaltet mehrere solcher Auftrittstypen, einzelne Lieder sogar mit zyklischer Verbindungsoption – MF 117,10 (Nr. XXVII), MF 178,1 (Nr. XXVIII), MF 186,19 (Nr. XXXVII), MF 192,25 (Nr. XLIV, die potentielle chanson de toile, s.o.) –, sein Rollenverständnis artikuliert sich dabei jedoch ganz anders als etwa bei der Comtessa de Dia. In den deutschen Liedern werden Positionen der Dame formuliert, die ganz auf die männlichen Werbungslieder abgestimmt sind und sich darin als deren dialogisches Pendant erweisen (Kasten 1987). Damit aktualisiert Reinmar Strukturelemente, die auch in der Romania auftreten, zieht aber in der inhaltlichen Adaptation nicht nach, sondern orientiert sich an den semantischen Erwartungen seines eigenen Publikums. Tervooren (1991, S. 238f.) macht darauf aufmerksam, daß auch Reinmars Gesprächslieder vom Frauen-Boten-Typ romanische Parallelen besitzen. – Die Systemverwendung setzt dabei zweierlei voraus: Zum einen muß Reinmar mit okzitanischen und französischen Dichtungskonventionen über Einzelfälle konkreter Lieder hinaus so vertraut gewesen sein, daß sich

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sein Verwendungswissen in der eigenständigen Aktualisierung von Typenphänomenen äußern kann. Zum anderen rückt die vermeintlich andere, romanische Kultur, welche adaptiert wird, damit viel näher an den Horizont der eigenen kulturellen Praxis heran. Es stellt sich daher umso drängender die Frage, inwiefern noch von kultureller Differenz und von kulturellem Transfer gesprochen werden kann oder vielmehr eine gesamteuropäische Adelskultur anzunehmen ist, deren Lyriker zwar in unterschiedlichen Sprachen, aber in einem gemeinsamen, übergreifend zu denkenden liebeslyrischen System dichten. Neue Akzente erhält letztlich unter diesen Vorzeichen auch die Poetik des trûren, die in der Forschung traditionell als typisch für Reinmar gilt (Kasten 1986, S. 310–319), wobei die Stigmatisierung in vielerlei Hinsicht den Blick auf Reinmars Œuvre verstellt hat (Stange 1977; Tervooren 1986). Zentrale Elemente, die in vielen Reinmar-Liedern auftreten, zum Beispiel der Klagegestus, die unerfüllte Liebe, die Bereitschaft zum Leid sowie dessen aktive Bejahung usw., besitzen Pendants bei den Trobadors und finden sich konzentriert bei Bernart de Ventadorn (Touber 2005d, S. 515). Dies läßt die Schlußfolgerung zu, daß auch in jenem für ihn als wesentlich geltenden Aspekt Reinmar romanische Anregungen benutzt hat und bestimmte Diskursvorgaben transferiert, um sie in seiner Sprache zu aktualisieren. Zweierlei bleibt bei dieser Einschätzung allerdings problematisch: Sobald die von der älteren Forschung für unecht erklärten Lieder und einige der sog. ‚Pseudo-Reinmare‘ in das Autorcorpus aufgenommen werden – und dafür sprechen gute Gründe (Tervooren 1991; Hausmann 1999) –, relativiert sich die behauptete Dominanz des trûrenTopos in Reinmars Lyrik. Gerade viele der oben skizzierten Lieder mit möglichen romanischen Anklängen stammen ja nicht aus dem harten Kern der Überlieferung, den von Kraus (1919) als echt akzeptiert. Damit kann dann Reinmars leidästhetischer Stil durchaus von den Trobadors und Trouvères beeinflußt sein, sollte aber nicht mehr als alleiniger Grundtenor seines Œuvres gelten. Daraus ergibt sich der zweite kritische Punkt: Wenn tendenziell alle oder zumindest die Überzahl der Phänomene, die Reinmars Lyrik konstituieren, romanische Entsprechungen besitzen, verbietet es sich umso mehr, von differenten lyrischen Systemen auszugehen. Die Souveränität, die Reinmars Umgang mit romanischen Dichtungsangeboten auszeichnet, zeigt sich symptomatisch und überdeutlich in dem Fall, wo eine engere Orientierung greifbar wird, sich nämlich eine konkrete inhaltliche Abhängigkeit zu einem singulären Textvorbild fassen läßt: Reinmars Strophe ‚Ein wîser man sol niht ze vil‘ (MF 162,7ff., Nr. XII,

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Str. I), in den Handschriften A, b, C und E tradiert, in der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift und im Würzburger Hausbuch des Michael de Leone sogar als Eingangsstrophe verzeichnet, hat Strophe II aus Lied R. 1232 des Gace Brulé zum Vorbild (hierzu Zotz 2005, S. 140–146). Die Kanzone wurde in der älteren Forschung aufgrund eines Schreibereintrags im Manuskript Paris, B.N. ms. fr. 12615 Aubouin de Sézanne zugeordnet; inzwischen gilt die Autorschaft des Gace Brulé aber als gesichert (MF III/1). – Gace Brulé (R. 1232, Str. II): Je di ke c’est grans folie / D’essaier ne d’esproveir / Ne sa femme ne s’amie / Tant com on la veult ameir; / Ains se doit on bien gairdier / D’enquerre, per jalousie, / Ceu c’om n’i voroit troveir („Ich sage, es ist eine große Dummheit, seine Frau oder seine Geliebte zu versuchen oder zu prüfen, solange man sie lieben möchte. Vielmehr soll man sich gut davor hüten, aus Eifersucht das zu suchen, was man niemals finden wollte.“); Reinmars Umsetzung (MF 162,7–15): Ein wîser man sol niht ze vil / versuochen noch gezîhen, dêst mîn rât, / von der er sich niht scheiden wil, / und er der wâren schulden noch keine hât. / Swer wil al der welte lüge an ein ende komen, / der hât im âne nôt ein vil herzelîchez leit genomen. / wan sol boeser rede gedagen. / vrâge ouch nieman lange des, / daz er ungerne hoere sagen. Beide Strophen formulieren die Lebensregel, eifersüchtiges Nachforschen zu unterlassen. Gace Brulé motiviert diese Position unter dem Gesichtspunkt, es könnten sich dabei Wahrheiten offenbaren, die lieber im Verborgenen hätten bleiben sollen. Vielmehr garantieren Unkenntnis oder – positiv gewendet – Vertrauen den Fortbestand der Zuneigung zur Dame. Ihre unüberprüfte Tadellosigkeit ermöglicht andauerndes Lieben. Das sich als Ratgeber profilierende Ich leitet daraus allerdings keine poetologische Diskussion um Werben und Singen ab, sondern tritt hinter der didaktisierten Information zurück. All diese Elemente nimmt Reinmar auf, er verstärkt und intensiviert sie zudem und gibt ihnen, über den individuellen Impetus des von Gace Brulé vorgelegten Entwurfes hinausgehend, eine Wendung hin zu sozialer Relevanz. Auch Reinmars Ich spricht in der Ratgeberrolle. Die entpersonalisierte Phrase ein wîser man (V. 1) exponiert den Charakter einer ganz allgemeingültigen Rede, und dieser Tenor setzt sich im weiteren Strophenverlauf fort (V. 5: swer wil; V. 6: der hât im; V. 7: wan sol; V. 8: vrâge nieman; V. 9: daz er). Während Gace Brulé jedoch die Lebensregel aus sich heraus erklärt (‚was man nicht finden will, darf man auch nicht suchen‘), nimmt Reinmar die Gesellschaft und ihre verleumderischen Praktiken in den Blick, womit er die eigentlich regulativ wirkende huote in ihr gefährliches Gegenteil verkehrt. Die Idee einer Erprobung der Dame ist also nicht in der affektischen Irritation eines Verliebten angesiedelt, wo sie in einer Art Gedankenspiel rein theoretisch verhandelt würde, sondern Reinmar inszeniert

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sie als Resultat übler Nachrede, welche der Sprecher mit seinen Nachforschungen zu entkräften denkt. Das diskutierte Problem nimmt seinen Ausgang daher in der Gesellschaft. In der Lösung nähert sich Reinmar dann wiederum dem Vorschlag von Gace Brulé an, nämlich sich jeglichen Nachforschens zu enthalten. Durch den dritten, sozialen Faktor wird indes die Polarisierung von Sänger und Dame, welche sich im romanischen Prätext andeutet, vermieden; bei Reinmar stehen der Sänger und die Dame gleichermaßen den Verleumdern gegenüber. Wertungen wie boeser rede (V. 7) und ungerne hoere (V. 9) weisen deren Handeln dezidiert als problematisch aus. Indem Reinmars Sprecher die Ratgeberrolle in der gesamten Strophe beibehält, qualifiziert ihn dies besonders zur Kritik, so daß er jederzeit die Deutungshoheit über die dargestellte Situation besitzt. Die direkte Abhängigkeit Reinmars vom romanischen Vorbild zeigt sich in der Übernahme einzelner Wendungen an ähnlichen Positionen in der Strophe, so etwa bei der Ratgeberinszenierung je di ke (Gace Brulé, R. 1232, Str. II, V. 1: „ich sage/rate, daß“) zu dêst mîn rât (Reinmar, MF 162,7ff., V. 2) oder in der Doppelform essaier ne esprover (Gace Brulé, V. 2: „weder versuchen noch auf die Probe stellen“) zu versuochen noch gezîhen (Reinmar, V. 2), wobei wiederum die verstärkende Nuancierung und Neuakzentuierung Reinmars deutlich wird, zum Beispiel wenn er das von Gace Brulé vorsichtig ins Spiel gebrachte tant com on la veult ameir (V. 4: „solange man sie lieben möchte“) in das konsequentere scheiden (V. 3) transferiert. Obwohl die Koordinaten klar scheinen – Reinmar gestaltet die Strophe nach dem direkten Vorbild des Gace Brulé und setzt dabei eigene, den Sinn verändernde Akzente – bleiben einzelne Facetten des Verhältnisses von Vorlage und Bearbeitung dunkel. Deutungsbedarf besteht vor allem deshalb, weil die Lieder von Gace Brulé und Reinmar, aus denen die Strophen jeweils stammen, formal ganz verschieden sind. Dem Aufbau bei Gace Brulé 7a’ 7b 7a’ 7b / 7b 7a’ 7b (leider ist die Melodie nur verstümmelt tradiert) steht Reinmars Kanzone 4a 5b 4a 5b / 7c 7c / 4d 4x 4d (gänzlich ohne Melodieüberlieferung) gegenüber. Vor allem das aus zwei Siebenhebern bestehende Reimverspaar, das auf den stollischen Aufgesang folgt und Reinmars Abgesang einleitet, steht ohne Pendant im französischen Bezugstext. Zudem sind die insgesamt sechs Strophen des Gace Brulé-Liedes in coblas ternas verfasst, das heißt, je drei Strophen werden durch die selben Reime verbunden; diese makrostrukturelle Eigenart bleibt im deutschen Lied ohne Entsprechung. Überhaupt läßt sich kein romanisches Vorbild für den von Reinmar gestalteten Ton ermitteln. Dies ist insofern wichtig, weil Reinmar durchaus romanische Formtypen benutzt und variiert hat (s.o.). Daß nicht das Lied

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selbst, sondern nur die eine Strophe, inseriert im ‚Roman de Guillaume de Dole‘ (V. 3625–3631), den Weg in den deutschen Sprachraum gefunden haben soll (so angedeutet bei Frank 1952, S. 187), scheint schon aus chronologischen Gründen problematisch, wenn die Datierung des französischen Erzähltextes auf ca. 1212 zutrifft. Der Bekanntheitsgrad von Gace Brulé läßt sich zudem an der Vielzahl deutscher Adaptationen seiner Lyrik – so durch Friedrich von Hausen, Heinrich von Veldeke, Rudolf von Fenis, Bernger von Horheim (f Minnesang II, Kap. 2.4) und Hartmann von Aue – ablesen. Auch für Reinmar ist unbedingt von einer Kenntnis des gesamten Liedes auszugehen. Die formale Unabhängigkeit korrespondiert vielmehr mit dem offenbar bewußt erzielten Befund (s.u.), daß Gace Brulé, R. 1232 und Reinmar, MF 162,7 (Nr. XII) – abgesehen von der besagten Strophenübernahme – kaum inhaltliche Berührungspunkte besitzen. Dies betrifft die unterschiedlichen Inszenierungen der Sprecherrollen, den aktualisierten Inhaltstyp, die diskutierten Motive und die Kontextualisierungsoptionen. Während Gace Brulé eine Minneklage gestaltet, verbinden sich bei Reinmar didaktisierte Äußerungen, die das Lied als eine Aneinanderreihung von Minnelehren und die diskutierte Strophe sogar als isolierbaren Minnespruch erscheinen lassen. In der romanischen Kanzone stehen die Abgrenzung von einer falsch liebenden Dame sowie der Versuch, sich mit den eigenen Gefühlen dagegen zu behaupten, im Zentrum. Reinmar interessiert dieses Thema nur als Aufhänger, um an die formulierte Enttäuschung den Ausdruck seines Leides anzuschließen, das er selbstzweckhaft hervorhebt und zum Wert an sich stilisiert (MF 163,9 Daz nieman sîn leit alsô schône kan getragen). Unter den Vorzeichen des oben problematisierten normativen Bildes von Reinmar als ‚Leidästhetiker‘ erwiese sich die Adaptation eines romanischen Vorbildes im vorliegenden Fall als Chance, parallel existierende Ausdrucksmöglichkeiten der eigenen Kunst einzuverleiben und neu zu funktionalisieren. Doch auch ohne solch einen Rückgriff auf Deutungsmuster der älteren Reinmar-Philologie ergeben sich wesentliche Ergebnisse: Reinmar überführt den bei Gace Brulé individualisiert formulierten Sachverhalt in eine poetologische Diskussion, und dies wiederum korrespondiert mit der insgesamt gesteigerten metalyrischen Komplexität, die für jene Generationen der Minnesänger zu konstatieren ist, die auf die Anfangsphase der Orientierung an Trouvères und Trobadors folgen. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Einschätzung kann sein, daß die Parallele zwischen R. 1232 und MF 162,7 (Nr. XII) nicht ausschließlich in der Aufnahme und Bearbeitung des Ratmotivs liegt, sondern darüber hinaus in einer strukturellen Ähnlichkeit: In beiden Liedern steht die betreffende Strophe relativ unverbunden neben den anderen Strophen

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gleicher Melodie; ihre große Eigenständigkeit bei Gace Brulé, durch welche sie aus dem Argumentationsgang des Gesamtliedes partiell herausfällt, hat die Rezeption vermutlich begünstigt (anders Zotz 2005, S. 145). Reinmar extrapoliert seinerseits die bei Gace Brulé in Strophe II entworfene Problematik nicht über mehrere Strophen hinweg; stattdessen erkennt er ihren solitären Status an und übernimmt den Gedanken in einer eigenen Strophe, an die sich – in Anlehnung an das von Gace Brulé aktualisierte Strukturprinzip – weitere Strophen mit eigenen Motiven und Gedankenspielen anknüpfen, ohne kausal von der ‚Rat-Strophe‘ abzuhängen oder organisch zwingend mit ihr verbunden zu sein. Heterogene Verbünde von inhaltlich stark singulären Strophen bei identischer Melodie kommen bei Reinmar häufiger vor, so daß die strukturelle Affinität zu der von ihm selbst praktizierten Dichtungsweise sein Interesse an dem Gace BruléLied vermutlich mit verantwortet hat. Trotz der kritischen Einschränkungen im Einzelfall wird deutlich, daß Reinmars Orientierung an okzitanischer und französischer Dichtungsweise sehr viel umfangreicher und in weit größerem Ausmaß stattgefunden hat, als in der Forschung bisher anerkannt worden ist. Von „Randstellung“ und „Marginalität“ (Zotz 2005, S. 243) kann keine Rede sein. Vielmehr sollten sich die hier angestellten Beobachtungen, insbesondere die zur systemhaften Anlehnung an romanische Diskurstraditionen, grundlegend auf das Bild Reinmars in der Minnesang-Philologie auswirken.

3.3 Walther Vorbemerkung – Formale Anklänge – Motivparallelen und Systemreferenz – ,Nideriu minne‘ – Kreuzzugslyrik und Weltabsage – Minne, Sangspruch und Sirventes – Kontaktmöglichkeiten

Vorbemerkung Die für Reinmar gezeigten Verfahren potenzieren sich noch in Walthers Lyrik. Auch in seinem Œuvre sind die skizzierten unterschiedlichen Kategorien des Umgangs mit romanischen Quellen nachweisbar, sie werden quantitativ, aber auch qualitativ (s.u.) erweitert. Darüber hinaus zeigt Walthers Adaptieren ganz eigene Akzente. Das umfangreiche Belegmaterial zwingt indes dazu, vieles summarisch zu erwähnen und nur prominente Einzelfälle genauer zu beschreiben. Anders als bei Reinmar sind Walthers

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Trobador- und Trouvère-Bezüge zudem leichter zugänglich dokumentiert (vgl. u.a. Touber 2005d), so daß an solchen Punkten ein Verweis auf die Forschung genügen mag. Formale Anklänge Für die formalen Entsprechungen zwischen okzitanischer bzw. französischer Liedkunst und Walthers Lyrik sind in der Philologie inzwischen Hilfsmittel elektronischer Datenverarbeitung nutzbar gemacht worden. Das von Anton Touber angewandte „Anastrof“-Programm (Beschreibung bei Touber 1999b) liefert Ergebnisse über metrische Entsprechungen und zeigt rund 1000 formale Parallelen, die Walther in eine enge Beziehung zu den Trobadors und Trouvères setzen. Die mit Hebungszahlen operierende deutschsprachige Metrik wird dafür in das syllabische System der Romania transformiert, so daß die traditionell verwendeten Suchraster potentieller Berührungspunkte (Daktylus, Zehnsilbler; anwendbar etwa auf L 85,25 ‚Ich sach hie vor eteswenne den tac‘, L 39,1 ‚Uns hât der winter geschadet über al‘) um weitere, numerisch erfaßbare Kriterien ergänzt sind. Der dabei zu verzeichnende, überwältigende Befund Hunderter von Korrespondenzen bleibt seinerseits interpretationsbedürftig, zumal sich der Großteil der Übereinstimmungen ganz auf die Form beschränkt und keine inhaltlichen Pendants besitzt. Es stellt sich darum einerseits die Frage nach der Aussagekraft solch elektronisch bereitgestellten Materials. Sinnvollerweise muß hier – und dies macht Touber auch optisch deutlich – die Isometrie mit Parallelen im Reimschema abgeglichen werden, um den möglichen formalen Anklang argumentativ zu stärken. Andererseits zeigen die vielen Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen wiederum den engen Verbund des deutschen lyrischen Systems mit dem romanischen. Die Gestaltungspotentiale in den unterschiedlichen Sprachen, und zwar ganz offenbar auch gerade die formalen, speisen sich aus einem gemeinsamen Reservoir. Deutlich wird dies an einem Fall wie Walthers Lied L 92,9 ‚Ein niuwer sumer, ein niuwe zît‘, das mit Raimbaut de Vaqueiras, Nr. 12 (Ausg. Linskill) ‚No m’agrad iverns ni pascons‘ („Weder Winter noch Frühling erfreut mich“) gleich gebaut ist (zwölfversiger Vierheber mit Auftakt bzw. zwölfversiger Achtsilbler mit Auftakt; Beschreibung bei Touber 2005d, S. 512). Trotz des ähnlichen Naturexordiums gehen die beiden Lieder inhaltlich völlig auseinander; während Walther minnetheoretische Überlegungen formuliert, lobt Raimbaut die Kriegstaten seines Herrn. Vergleichbar verhält es sich bei Walther, L 71,35 ‚Mich hât ein wunneklîcher wân‘,

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wo Mann und Frau im Wechsel unter den Vorzeichen der Hohen Minne die glückspendende Option ihrer Zuneigung artikulieren. Das Lied zeigt Formidentität wiederum mit Raimbaut, Nr. 28 ‚Ja hom pres ni dezeritatz‘ („Ein gefangener oder enterbter Mann“); dort allerdings werden divergierende finanzielle und intellektuelle Ausstattungen von Männern diskutiert. Der doppelte Bezug auf Formschemata von Raimbaut zeugt von einer Vertrautheit mit dessen Œuvre, indiziert jedoch zugleich die thematische Unabhängigkeit, wenn Walther Verwendbares aus Unbrauchbarem herauslöst und es sich souverän aneignet: Ein Lob von Raimbauts Gönner hätte für Walther keinen Sinn ergeben, die Form des Liedes aber schien ihm interessant. Gerade die Parallelexistenz einer formal-inhaltlichen Kontrafaktur (s.u. zu L 110,13) weist selektive Übernahmen einzelner Komponenten wie die der Form bei L 92,9 und L 71,35 als bewußt auswählendes Vorgehen aus. Dennoch bleibt Polygenese stets eine kausale Möglichkeit für die Doppelexistenz der Form. Alle drei Begründungsvarianten – unabhängige Parallelentstehung, ähnliche Aktualisierungen des einen, sprachübergreifend zu denkenden Systems, selektierende Adaptation nur von Metrik und Reimschema – lassen sich auch auf die Zeit nach Walther anwenden, nämlich in dem einen Beispiel, wo Walthers Form chronologisch später in romanischer Lyrik wiederkehrt: Für L 51,13 ‚Muget ir schouwen, waz dem meien‘ findet Touber (2005d, S. 510, Anm. 12) zwei französische Entsprechungen im ausgehenden 13. Jahrhundert. Entlehnungen in der Gegenrichtung sprechen für eine noch festere Verbindung als üblicherweise schon angenommen und zudem für systemische Korrelation. Enger ist die Verknüpfung mit konkreten Prätexten zu denken, sobald zu der metrischen Gleichheit Parallelen im Reimschema hinzutreten, wenngleich auch die Aktualisierung okzitanisch bzw. französisch wirkender Reimarten an sich systemisch sein kann. Eine romanisch geprägte Weise zu reimen findet sich mehrfach bei Walther: In der technischen Formspielerei L 47,16 ‚Ich minne, sinne, lange zît‘ dominiert die Form den Inhalt; das Lied besteht aus selbstzweckhaft eingesetzten Schlagreimen und Binnenreimverknüpfungen. Obwohl eine konkrete Vorlage bisher nicht identifiziert werden konnte, ist doch die grundsätzlich okzitanische Reimart in dem Lied evident. Noch stärker prägt sich die Reimspielerei in L 122,24 ‚Ein meister las‘ aus: aabc/aabc//cc/dbbd. Verschlingung, rührende Reime, erweiterte Reime, kombiniert mit extrem kurzen Versen stehen für okzitanische Formtypen, wie sie unter anderem bei Gaucelm Faidit, z.B. PC 167,9 ‚Ara nos sia guitz‘ („Jetzt sei unser Führer/Retter“), vorkommen. Zwischen Gaucelms Kreuzlied und Walthers Weltzweifel

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liegt keinesfalls Formgleichheit vor, wohl aber die strukturell vergleichbare Aktualisierungsweise eines formalen Prinzips. Darüber hinaus könnte der resignierende Tenor in Walther, L 122,24 von dem Provenzalen beeinflußt sein. Ähnlich wie bei Reinmar sind die Besonderheiten des Walther-Liedes aber nicht als Resultat kulturellen Transfers diskutiert worden, sondern haben dessen frühe Athetese bewirkt. Ihre Begründung stellt von Kraus (MF III/1) forschungsgeschichtlich zusammen und treibt sie noch voran. Dem entspricht, daß Wilmanns/Michels (1924, S. 175) für den daktylischen Tetrameter in L 39,1 ‚Uns hât der winter geschadet über al‘ (s.o.) lieber gelehrte und kirchliche Poesie als Formgeber mutmaßen, anstatt über romanische Orientierung nachzudenken. Auch L 66,21 ‚Ir reiniu wîp, ir werden man‘ zeigt romanisch geprägte Besonderheiten, die traditionell nicht auf Adaptation zurückgeführt werden; diesmal gilt die Nähe des Textes zur Sangspruchdichtung als klärende Instanz für die Abweichungen: abba/cxcy/deed. Die Stollen weisen ein Reimschema auf, das abgesangstypisch ist und dort auch wiederkehrt; der insgesamt dreigliedrige Aufbau tendiert stärker zur Reihenstrophe als zur Kanzone. Enge Verknüpfung von Auf- und Abgesang durch Wiederholung von Reimen nach romanischem Vorbild zeigen ebenso Lieder, die dem Kanzonentyp folgen, etwa L 118,24 ‚Ich bin nû sô rehte vrô‘: abab/bb. Quantität und Diversität der Beispiele rücken Walthers Lyrik eng an Trobador- und Trouvère-Kunst heran, die Ausbildung der einzelnen Adaptationsphänomene erinnert indes an Reinmars Umgang mit der romanischen Lyrik. Beide Dichter gehen kreativ mit den Formtypen um. Wie sehr formale Spielereien ein Eigenleben entfalten können, zeigt sich an Walthers Lied L 75,25 ‚Die welt was gelf, rôt unde blâ‘. Das von den ersten Herausgebern prägnanterweise „Vokalspiel“ genannte Lied besteht aus fünf Strophen, deren Reime jeweils auf einen Vokal gehen, so daß der Text insgesamt den Reim durch alle Vokale führt. Strophenübergreifende Reimbindungen mit alphabetisierter Vokalierung treten schon vor Walther in der Romania auf. Das Lied ‚Ab cor lejal, fin e certa‘ („Mit treuem, reinem und festem Herzen“; Abdruck: Ausg. Bartsch [1856], S. 142), welches Diez (1826, S. 264) als Vorbild reklamiert und dessen Verfasserschaft ungeklärt ist (Hs. C: Daude de Pradas, Hs. E: Bernart de Ventadorn, Hs. C reg. sowie ‚Brev. d’amor‘: Bernart de Pradas), zeigt das Schema abba/cddc/ee. In allen Strophen lauten dort die a-Reime auf a, b-Reime auf e, c-Reime auf i usw. Auch die wechselnden Konsonanten bleiben pro Strophe identisch (z.B. Str. II: vas, bes, merces, sobeiras / fis, doptos, pros, conquis // dejus, reclus). Walther stimmt in der aeiou-Folge überein, variiert jedoch das Prinzip, indem er die Vokale nicht den Reimen, sondern

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den Strophen zuweist (Str. I: â, II: ê, III: î, IV: ô, V: û). Als mögliche Zwischenstufe nimmt Stengel (1880) Jaufre Rudel an, weil er ein Lied mit dem Reimschema i,a,a,i,i,a versieht: PC 262,3, Str. I No sap chantar qui so non di, / Ni vers trobar qui motz no fa, / Ni conoys de rima quo’s va / Si razons non enten en si. / Pero mos chans comens’aissi / Com plus l’auziretz, mais valra („Es kann nicht singen, wer keinen Laut von sich gibt, noch kann jemand Verse finden, der kein Wort spricht, noch weiß jemand, wohin die Dichtung führt, wenn er ihren Sinn nicht versteht. Darum beginne ich mein Lied auf diese Weise, daß es Euch, je mehr ihr zuhört, umso wertvoller wird.“). Die Beschränkung auf die i- und a-Reime setzt sich zwar durch alle sieben Strophen und das envoi durch, eine die anderen Vokale einbeziehende Alphabetisierung findet jedoch nicht statt, so daß Walthers Text von Jaufre Rudel abrückt und näher an das zuerst genannte ‚Ab cor lejal‘ tritt. Nachahmer findet Walther in Ulrich von Singenberg, Rudolf dem Schreiber und anderen (Wilmanns/Michels 1924, S. 283). Daß neben den Provenzalen auch die Franzosen solche Formartistik kennen, verwundert kaum auf der Grundlage des Befundes, den Meyer (1905, S. 281–283) bereitstellt: Reimhäufungen besitzen eine mittellateinische Tradition. Romanen und Deutsche können sich mithin gleichermaßen aus ihr bedienen, ohne daß konkrete Abhängigkeiten der Einzelautoren untereinander postuliert werden müssen. Dies könnte nicht zuletzt die große Freiheit von Walthers Vokalspiel gegenüber seinen – dann nur – vermeintlichen Vorbildern Daude bzw. Bernart oder Jaufre Rudel erklären. Motivparallelen und Systemreferenz Die formale Nähe von Walthers Lyrik zur Romania setzt sich fort in Inhalt und Motivik; auch in diesem Bereich treten signifikante Parallelen mit der Trobador- und Trouvère-Kunst auf. Dabei handelt es sich zum Teil um Übernahmen, die in gleicher oder ähnlicher Weise bei Reinmar vorkommen, nämlich die Figur des vor der Dame stumm werdenden Liebhabers und die Idee des Kußraubes. Abgesehen von den Implikationen, die sich daraus für eine Deutung der sog. Walther-Reinmar-Fehde ergeben (s. Kap. 3.4), fällt bei Walther die Spannbreite in der Aneignung dieser Elemente auf. Die Sprachlosigkeit wird in einer eigenen Strophe thematisiert (L 115,22–29 Als ich under wîlen zir gesitze, / sô sî mich mit ir reden lât, / sô benimt si mir sô gar die witze, / daz mir der lîp alumbe gât. / Swenne ich iezuo wunder rede kan, / gesiht sî mich einest an, / sô hân ichs vergezzen, / waz wolde ich dar gesezzen; dazu Bauschke 1999, S. 55f.); sie wird von der Redekompetenz abgegrenzt

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und mit mentaler Unfertigkeit verglichen (L 121,24–27 Gnuoge kunnen deste baz / gereden, daz sî bî liebe sint. / swie dicke ich ir noch bî gesaz, / sô wesse ich minner danne ein kint); und sie kann von der Kommunikation mit der Dame abgekoppelt sein, um mit dem Ratmotiv verbunden zu werden: Wenn die Rede der klugen Männer nicht verstanden wird, muß auch die Antwort ausbleiben (L 42,1 sô swîge ich und lâze in reden dar; L 42,3–6 Hete ich ougen oder ôren danne dâ, / sô kunde ich die rede verstân. / swenne ich ir beider niht enhân, / sone kan ich nein, sone kan ich jâ). Das Ja-Nein-Motiv klingt an Pons de Capduelh (Nr. IV, 5,1) an, wo der Liebende diese Worte allerdings nicht herausbringt, wenn er der Dame fern ist; steht er ihr gegenüber, traut er sich aus Schüchternheit nicht einmal, sie anzusehen (Nr. X, 5,5). Bei Peirol verhindert diese Zurückhaltung das Sprechen zur Dame (Nr. XII, 5,6), diesmal ohne Ja-Nein-Konkretisation (Belege bei Michel 1880, S. 110). Den Vergleich mit dem Kind gestaltet Bernart de Ventadorn, gekoppelt an die physischen Krankheitssymptome und affektischen Angstzustände, in denen sich die Liebe äußert: PC 70,31, Str. VI,1–6 Cant eu la vei, be m’es parven / als olhs, al vis, a la color, / car aissi tremble de paor / com fa la folha contr·al ven. / Non ai de sen per un enfan, / aissi sui d’amor entrepres („Wenn ich sie erblicke, ist es wohl sichtbar an meinen Augen, am Gesicht, an der Farbe, denn so zittere ich vor Furcht wie das Blatt im Wind. Ich habe nicht mal mehr den Verstand eines Kindes, so sehr bin ich von der Liebe gefangen.“). Walther kombiniert die einzelnen Gedanken und stellt sie in einen neuen Sinnzusammenhang. Variationsvielfalt zeigt Walther auch für das Kußmotiv. In intertextueller Anverwandlung des von Reinmar stammenden Entwurfes (zu MF 159,37ff. s. Kap. 3.2) bringt Walther in seiner Parodie ‚Ein man verbiutet‘ (L 111,23) eine dritte Person ins Spiel, die den geraubten Kuß erhalten soll (L 112,1f. er muoz sîn iemer sîn mîn diep und habe imz dâ / und lege ez anderswâ). Dagegen schwächt er in ‚Si wunderwol gemachet wîp‘ (L 53,25) den Raub zur Leihgabe ab (L 54,15f. daz sol si lîhen mir: / sô dicke sô si ez wider wil, sô gib ich ez ir). Provozierend ist hier nicht der Diebstahl, sondern das implizierte Einverständnis der Dame sowie die Fortdauer der Kußhandlungen (Bauschke 1999, S. 130f.). Diese und weitere inhaltliche Bezugsmöglichkeiten auf die Romania können die Liedaussage mal mehr, mal weniger prägen – je nach Positionierung der adaptierten Motive im Liedganzen, nach Quantität ihrer Ausgestaltung sowie nach Kombination mit anderen Elementen. Um punktuelle, wenngleich trotzdem gewichtige Übernahmen handelt es sich bei folgenden zwei Beispielen: Der Liebende wehrt sich dagegen, sein Werben auf andere Damen auszudehnen (L 70,22–24 Genâde, frowe, alsô bescheiden-

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lîche: / lâ mich dir einer iemer leben. / obe ich daz breche, daz ich furder strîche!); eine ähnliche Position formuliert auch Reinmar (MF 159,19–22 Alse eteswenne mir der lîp / durch sîne boese unstaete râtet, daz ich var / und mir gevriunde ein ander wîp, / sô wil iedoch daz herze niender wan dar). Im provenzalischen Motivpendant des Guilhem de Cabestanh (Nr. I, 3,1f.) kann der Dienst für andere Damen Mittel der Zerstreuung und Ablenkung vom Liebesschmerz sein; die Treue zu der einen Herrin hindert den Sprecher aber daran, andere umworbene Damen wirklich zu lieben (Beleg bei Diez 1829, S. 130f.). Beide deutsche Lyriker gehen den Weg des Provenzalen nicht mit. Für den Beginn des sog. ‚Sumerlaten-Liedes‘ wählt Walther gleich einen doppelten Anklang an die Romania. In L 72,31 hatte der Sprecher sich ein langes Schweigen vorgenommen (Lange swîgen des hât ich gedâht), ebenso wie Bernart de Ventadorn lange nicht gesungen hat und dies im Exordium preisgibt: PC 70,27 Lonc tems a qu’eu no chantei mai („Es ist eine lange Zeit, die ich nicht mehr gesungen habe“). Der Gesellschaft zuliebe nimmt Walther den Sang jedoch wieder auf (L 72,33 dâr zuo habent mich guote liute brâht), und diese Idee kennen ebenso Peire Rogier und Raimon de Toloza (Wilmanns/Michels 1924, S. 275). Die multiple Präsenz in der romanischen Lyrik und Walthers kombinierte Aktualisierung sprechen für unabhängige Rückgriffe aller auf ein und dasselbe lyrische Motivreservoir und lassen Spekulationen über direkte Abhängigkeiten nur schwer zu. Anders liegt der Fall dagegen in Walthers Lied L 73,23 ‚Die mir in dem winter vröide hânt benomen‘, und zwar im erweiterten Abgesang der letzten Strophe: Mînes herzen tiefiu wunde, / diu muoz iemer offen stên, si enküsse mich mit friundes munde. / mînes herzen tiefiu wunde, / diu muoz iemer offen stên, si enheiles ûf und ûz von grunde. / mînes herzen tiefiu wunde, / diu muoz iemer offen stên, sine werde heil von Hiltegunde (L 74,14–19). Auf das Bild von den Liebeswunden folgt die Erwähnung der Hiltegunde, durch welche Walther die Sage von Walther und Hiltegunde alludiert und ein komplexes Spiel mit der Fiktionalität des Sanges betreibt: Hiltegunde, literarisiert im ‚Walthari-Lied‘, wird zum Decknamen für die Minnedame; der sich ihr vor dem Horizont der Erzähltradition zuordnende Partner ist Walther, wie zugleich der historische Sänger heißt. Allein deshalb hat Walther ausgerechnet den Namen Hiltegunde gewählt, kann doch durch ihre literarische Verbindung mit Walther von Aquitanien die im Lied inszenierte Walther-Rolle als fiktive Brechung thematisch werden. Der Blick auf die Romania macht Walthers Entwurf indes noch komplexer. Daß die Wunden der Liebe eine Parallele bei Raimon de Toloza besitzen (Übersetzung bei Diez 1829, S. 116), könnte grundsätzlich auf Polygenese fußen bzw. einen unabhängigen Rückgriff beider Lyriker auf die mittellateinische Tradition markieren, wo

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die antiken Vorstellungen vom Liebeskrieg und den sich dabei ergebenden Verletzungen fortleben. Die Kombination mit Hiltegunde wirkt dem entgegen, denn für die Trobadorlyrik ist typisch, die gepriesene Dame mit einem Decknamen zu belegen. Auf diese Weise wird ihre Identität verschlüsselt enttarnt und offen versteckt, wobei dieser paradoxen Ambivalenz ein zusätzliches Spannungsmoment innewohnt. Walther kombiniert in L 74,14–19 Wundenmotiv und Decknamentechnik vielleicht deshalb, weil er durch die Doppelung den Romania-Bezug stärken und seine Hiltegunde-Nennung als spielerischen Umgang mit okzitanischen Konventionen markieren und sogar transparent machen kann. Unterstützt wird diese Deutung durch ein drittes Element, das die Passage ebenfalls an ein trobadoreskes Phänomen heranrückt, nämlich die anaphorischen Wiederholungen in Lexik und Syntax, mit denen die drei Heilsmöglichkeiten eingeleitet werden (mînes herzen tiefiu wunde, / diu muoz iemer offen stên). Sie aktualisieren okzitanische Redundanztechniken (und nicht, wie Burdach 1880 meinte, volkstümliches Dichten). Derart ausgefeilte intertextuell-systemreferentielle Bezugsformen stehen neben den zahlenmäßig überlegenen singulären Motivanklängen. Für das von Walther gestaltete Bild der Krähe (L 94,39f. wan ein unsæligiu krâ, / diu begonde schrîen) liefert Diez (1829, S. 22f., Anm.) eine ganze Reihe romanischer Parallelen, unter anderem bei Bertran de Born, Raimbaut de Vaqueiras, Daude de Pradas. Das gemeinsame Glück, das die Minne spenden kann, und ihr prinzipiell veredelnder Einfluß, wie Walther ihn mit L 95,37–96,2 gestaltet (Er sælic man, si sælic wîp, / der herze ein ander sint mit triuwen bî! / ich wil daz, daz ir beider lîp / getiuret und in hôher wirde sî), kennt auch Peirol (Übersetzung bei Diez 1829, S. 311). Walther kann dabei durchaus romanische Anregungen kondensieren: Bernart de Ventadorn führt farbenreich und wiederholend aus, wie ihm die Liebe den kalten Winter angenehm macht (PC 70,44, Str. I Tant ai mo cor ple de joya, / tot me desnatura. / Flor blancha, vermelh’e groya / me par la frejura, / c’ab lo ven et ab la ploya / me creis l’aventura, / per que mos pretz mont’e poya / e mos chans melhura. / Tan ai cor d’amor, / de joi e de doussor, / per que·l gels me sembla flor / e la neus verdura. – „Mein Herz ist so voller Freude, daß mein ganzes Wesen verändert ist. Die Kälte erscheint mir wie Blumen von allen Farben, und mit dem Wind und dem Regen wächst mein Glück. Daher steigt und hebt sich mein Wert, und mein Gesang schwingt sich auf. Mein Herz ist so erfüllt von Liebe, Freude und Glück, daß mir das Eis wie Blumen und der Schnee wie Grün erscheint.“). Die Einzelmotive Bernarts faßt Walther zusammen, und er grenzt seine Wahrnehmung zusätzlich von der anderer Menschen ab (L 118,33–35 der kalte winter was mir gar unmære. / Ander liute dûhte er swære,

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/ mir was die wîle, als ich enmitten in dem meien wære). Der neu hinzugetretene gesellschaftliche Bezug (liute) korrespondiert mit der von Walther häufiger eingespielten sozialen Dimension seines Singens. Da das Lied in einer weiteren Strophe einen Bezug auf antike Mythologie besitzt (L 119,10 si ist schœner unde baz gelobt denne Helêne und Dijâne), ergeben sich prinzipiell über die Vergleichsmöglichkeiten mit den Trobadors hinaus auch potentielle Berührungspunkte zur Vagantenlyrik (Diskussion bei Wilmanns/Michels 1924, S. 399). ,Nideriu minne‘ Die Frage, inwiefern sogar Aspekte, die für Walthers Minnesang als innovativ gelten und seine Art des Minnesangs konstituieren, von romanischen Modellen beeinflußt sind, stellt sich vor allem im Hinblick auf die sog. nidere minne (zum Begriff siehe Hahn 1989), bei Walther ausformuliert in L 49,31f.: Si verwîzent mir, daz ich / zuo nider wende mînen sanc. Zumindest punktuell artikuliert Peirol, daß Adel allein nicht ausreicht, um die Dame wertzuschätzen, und dies schließt eine mögliche Hinwendung zu sozial niedriger rangierenden Frauen unter bestimmten Tugendvoraussetzungen ein (PC 366,2, Str. V Franquez’ab fin cor verai / Trai amor enan; / autz paratges la deschai, / que·ll ric son truan, / que tan n’i a de rics malvatz / per que·l segles n’es sordeiatz. / E domna que bon pretz mante, / non am per ricor, s’als no i ve. – „Tugend in reinem Herzen bringt wahrhafte Liebe hervor. Doch der Adel bringt sie zu Fall, denn die Mächtigen sind Betrüger. Es gibt so viel Falschheit unter den Herrschern, daß die ganze Welt schlecht geworden ist. Eine Dame, die auf Anstand hält, liebt nicht um des Reichtums willen, wenn sie dahinter nicht auch anderes sieht.“). Die Abgrenzung vom bloßen Reichtum ohne innere Werte findet sich jedenfalls in Walthers ‚Herzeliebez vrowelîn‘ (L 49,25), allerdings mit verkehrten Rollen: und nim dîn glesîn vingerlîn vür einer küneginne golt (L 50,12). Auch in verschiedenen Streitgedichten wird der Kasus verhandelt, ob einer schwer zugänglichen hochgeborenen Dame, die trügerisch agiert, die untadelige Geliebte niederen Standes vorzuziehen sei; die Alternative diskutieren Elias und Gui d’Ussel sowie Albert de Sisteron und Gaudi (Köhler 1960). Von der Sache her bespricht Peire Vidal das Phänomen des bass’amor („niedere Liebe“; vgl. Touber 2005d, S. 519); Marcabru wendet sich satirisch gegen den nicht höfischen fals’amor („falsche Liebe“; vgl. Mölk 1968, S. 55–90), wobei jedoch Roncaglia (1969, S. 41ff.) gerade die Starenromanze des Marcabru als Parodie des fin’amor („reine/hohe Liebe“) deutet. Definitionsversuche

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und Abgrenzungsnotwendigkeiten verschiedener Arten der Liebe – und verschiedener Möglichkeiten, diese lyrisch zu beschreiben – treten damit verbreitet im lyrischen Diskurs des mittelalterlichen Europa auf, bei Walther und in der Romania, dort besonders bei Marcabru (Harvey 1989). Gleiches gilt für den Rollenentwurf einer neuen Gefährtin, die gegenseitige Leistung und Hingabe befürwortet, ohne dabei frivol zu sein. Walther gestaltet die Thematik in mehreren Liedern im Rahmen einer sog. ebenen minne (z.B. L 63,20 Friundîn unde vrowen in einer wæte). Auch hierfür finden sich romanische Pendants: Zahlreiche Trobadors ziehen aus dem Gegensatz von amia („Freundin/Geliebte“) und domna („Dame/Herrin“) neue Chancen, das Geschlechterverhältnis im Rahmen des fin’amor andersartig zu diskutieren und vor allem für Reziprozität in der Beziehung zu plädieren (Belege bei Touber 2005d, S. 517f.): Guillaume IX. (Nr. VI, V. 37f. Ja m’amigu’ anueg no m’aura / Que no·m vuelh’ aver l’endema – „Meine Freundin wird mich niemals eine Nacht besessen haben, ohne daß sie mich am nächsten Tag nicht auch noch haben möchte.“), Jaufre Rudel (Nr. VII, V. 37–49), Bernart Marti (Nr. III, V. 24), Peire d’Auvergne (Nr. III, V. 66), Bernart de Ventadorn (Nr. XLV, V. 53), Guiraut de Bornelh (Nr. XLIX, V. 35f., 55f. u. 64–67). Das mhd. Pendant zu amia – friundîn – kommt bei Walther häufig vor (L 63,30f. Friunt und geselle, diu sint dîn, / sô sî vriundinne unde vrowe mîn; L 88,21 Friundinne mîn; L 89,21 vil liebiu friundinne) und enthält in den genannten Beispielen zudem die Implikation von Gegenseitigkeit. Auch die Differenz von wîp und frouwe, welche von der älteren Forschung irreführend auf die postulierte Auseinandersetzung Walthers mit Reinmar projiziert worden ist (Kritik bei Bauschke 1999; s.u.), besitzt okzitanische Vorläufer. Walther gestaltet die Opposition ganz deutlich in L 48,38f.: Wîp muoz iemer sîn der wîbe hôhste name, / und tiuret baz denne vrowe, als ich ez erkenne (in L 57,5f. – sem mir gôt, sô swüer ich wol, daz hie diu wîp / bezzer sint danne ander frowen – ist dagegen von synonymer Verwendung auszugehen); die Antithese erinnert an den Entwurf des Bernart de Ventadorn in PC 70,43 ‚Can vei la lauzeta mover‘ („Wenn ich sehe, wie die Lerche flattert“), wo domna („Dame/Herrin“) und femna („Frau“) gegeneinander ausgespielt werden, wenngleich dort femna negativ konnotiert ist (Str. IV,1–4 De las domnas me dezesper; / ja mais en lor no·m fiarai; / c’aissi com las solh chaptener, / enaissi las deschaptenrai. – „An den Damen verzweifle ich, ich werde ihnen nie mehr vertrauen. So wie ich mich um sie zu kümmern pflegte, werde ich sie [fortan] im Stich lassen“; Str. V,1f. D’aisso·s fa be femna parer / ma domna – „Darin erweist sich meine Herrin als Frau.“). Sogar wenn Walther innerhalb der wîp-Gruppe Unterscheidungen vornimmt, nämlich in bœsez wîp und guotez wîp (L 58,35f. wan daz ich scheide / die guoten und die bœsen;

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paraphrasierte Abgrenzung in L 73,11–13), besitzt dieser Gedanke einen okzitanischen Vergleichsfall – diesmal bei Gaucelm Faidit, ‚Tant ai sofert longamen grand afan‘ („So sehr habe ich lange Zeit großen Kummer erlitten“): Ausg. Mouzat, Nr. 30, Str. III,1–4 E pois mos cors e miei huoill trahit m’an, / E ma mala dompn’ e ma bona fes / Si que chascus m’agra mort si pogues, / Clamar m’en dei cum de mals baillidors! („Und da mein Herz und meine Augen mich betrogen haben ebenso wie meine grausame Dame und meine große Treue, so daß jeder von ihnen mich hätte töten können, wenn er die Macht dazu hätte, muß ich mich über sie beklagen wie über schlechte Herren.“). Unter diesen Vorzeichen scheint es kaum ein Zufall zu sein, daß sich ausgerechnet im Lied von der Traumliebe ‚Nement, frowe, disen cranz‘ (L 74,20) die aus dem Französischen entlehnte Bezeichnung schappel (L 75,10) wiederfindet. Die starke Verbindung von Walthers ‚Mädchenliedern‘ und derem engeren Umfeld mit der Romania potenziert sich noch, da Einzeltexte, die in Walthers Œuvre eine prominente Stellung einnehmen, Motive und ganze Wendungen aus der trobadoresken Lyrik aufnehmen. Zu dem bereits besprochenen Kußmotiv in L 53,25 ‚Sî wunderwol gemachet wîp‘ (s.o.) treten drei weitere Aspekte hinzu: der Wohlgeruch, der aus dem Mund der Geliebten strömt, besitzt eine Parallele bei Folquet de Marseille – er wertet die Süßigkeit des Atems ähnlich hoch wie den ins Herz gehenden Glanz der Augen (Nr. XI, 4,1; Beleg bei Michel 1880, S. 109) – und steht zudem in der Tradition des Hoheliedes (Bauschke 1999, S. 122); die katalogische Organisation des Frauenlobs kennt ebenso Bernart de Ventadorn (Nr. XXXV, V. 20f.; Beleg bei Touber 2005d, S. 519). Da beide Elemente in der Vagantenlyrik auftreten, können sich Folquets, Bernarts und Walthers Entwurf indes auch als unabhängig voneinander vollzogene Aktualisierungen mittellateinischer Dichtungsweisen deuten lassen. Anders sieht dies mit dem dritten Element aus; für die Wendung Obe ichz vor sünden tar gesagen, / sô sæhe ich si iemer gerner an / dan himel oder himelwagen (L 54,1–3) finden sich allein Belege in der Romania, dort aber gleich doppelt bei Raimon de Toloza (Nr. VII, 3,8; Beleg bei Michel 1880, S. 215), der sein Liebesglück hierarchisch über die Paradiesfreude stellt, und Arnaut de Maroill (Nr. XI, 7,6; Beleg bei Michel 1880, S. 237), welcher noch einen Schritt weiter geht und hypothetisch die Paradiespforten sein eigen wähnt. Selbst der Segenswunsch aus ‚Herzeliebez vrowelîn‘ (L 49,25), got gebe dir hiute und iemer guot (L 49,26), den Walther in L 119,17 wiederholt, Got gebe ir iemer guoten tac, kommt in einem französischen Lied vor: Bon ior ait heu celle acui suis ami; / Plus biaul ne sai ma chanson comancier („Einen guten Tag habe heute diejenige, deren Geliebter ich bin; noch schöner weiß ich mein Lied nicht an-

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zufangen“; Ausg. Wackernagel, komm. v. Wilmanns/Michel 1924, S. 400). Einen ganzen Auftrittstyp scheint Walther in seinem Dialoglied L 88,9 ‚Friuntlîche lac‘ nachzuahmen, das als Tagelied zugleich einen romanischen Inhaltstyp aktualisiert. Wie in der provenzalischen Alba sind die Redeanteile gleichmäßig innerhalb der Strophen verteilt, die Gesprächsbeiträge beginnen mit Apostrophen des/der Geliebten, und das amiex der Alba wird mit mîn friunt (L 88,27 u. ö.) übersetzt (Wilmanns/Michels 1924, S. 322), einer zur Zeit Walthers eher seltenen Bezeichnung der Dame für den Partner. Weit spielerischer manifestiert sich Walthers Umgang mit romanischen Auftritts- und Inhaltstypen in L 39,11 ‚Under der linden‘. Der prominente Text lehnt sich in Sprecherrolle und narrativem Substrat an die Pastourelle an (Sievert 1990, S. 93–106), wobei jedoch die körperliche Vereinigung (L 39,16 gebrochen bluomen unde gras) nicht als Nötigung erscheint, sondern das Mädchen in der glücklichen Erinnerung eines einvernehmlichen Liebesspiels schwelgt (L 40,4f. des wirt noch gelachet/ inneclîche). Walther transformiert die im Provenzalischen oft aktualisierte Textsorte in einen neuartigen Typ, der tandaradei-Refrain hält die romanische Parallele aufrecht, und zugleich kann die Existenz von Vergleichstexten in der Vagantenlyrik (hier konkret CB 185) den sprachübergreifenden Zusammenschluß einer noch umfangreicher gedachten Romania mit der deutschen Lyrik belegen. In der deutschen Kontrafaktur und Resemantisierung L 110,13 ‚Wol mich der stunde‘ offenbart sich dann trotz der kombinierten und sich damit gegenseitig verstärkenden Orientierung an Form und Inhalt einer konkreten Vorlage – Guilhem de Cabestanh, PC 213,6 ‚Lo jorn qu’ie·us vi‘ („An dem Tag als ich Euch erblickte“) – Walthers ganz eigener Ansatz (zum Vergleich siehe Zotz 2005, S. 69–76). Die Töne der Lieder zeigen eine auffällige Ähnlichkeit: Guilhem 10a 10b 10a 10b / 10x’ 10c 10c; Walther 4a- 4b- 4a- 4b- / 5K 4C- 4C-. Ihre Verszahl ist identisch, und – bis auf den rein alternierenden Fünfheber (Schade 1865) in den fünften Versen von Walthers Strophen – läßt sich ‚Wol mich der stunde‘ als daktylisch lesen. Auch die Reimschemata stimmen überein, wenngleich die männlichen und weiblichen Kadenzen jeweils vertauscht sind. Dennoch hält Walther sich nicht sklavisch genau an das Formvorbild, sondern variiert: Die im Deutschen ohnehin nicht üblichen coblas unissonans übernimmt er nicht, er verknüpft die Strophen stattdessen durch Kornreim und Refrain. Diese Verfahren verweisen selbst auf trobadoreske Formkunst, kommen aber im Prätext Guilhems gerade nicht vor. Walthers fünfte Verse nehmen durch den Rhythmuswechsel, die männliche Kadenz und den Kornreim die Funktion von Schwellenversen ein; sie leiten im konkreten Fall nicht

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nur zum Abgesang über, sondern kündigen durch ihre mehrfache Markiertheit den Refrain an. Ein Pendant dafür fehlt in ‚Lo jorn qu’ie·us vi‘. Mit der formalen Varianz geht die inhaltliche Eigenständigkeit von Walthers Adaptation einher. Zahlreiche Motivparallelen indizieren den Verbund von Vorlage und Übernahme: exordiale Erinnerung an das erste Erblicken (PC 213,6, Str. I,1 Lo jorn qu’ie·us vi, dompna, primeiramen – „An dem Tag, Herrin, als ich Euch zum ersten Mal erblickte“; L 110,13 Wol mich der stunde, daz ich sie erkande); völlige Fixierung auf die Dame (Str. I,4 foron ferm en vos tug mey voler – „alle meine Wünsche waren fest auf Euch gerichtet“; L 110,15 sît deich die sinne sô gar an sie wande); Verlust der Sinne und Gedanken (Str. I,3 Parti mon cor tot d’autre pessamen – „da löste ich mein Herz ganz von anderem Denken“; I,7 mi e quant es mi fezes oblidar, „mich und was mein ist, ließet Ihr mich vergessen“; II,3 m’embleron si mon sen – „raubten mir so meinen Sinn“; L 100,15f. sît deich die sinne sô gar an sie wande, / der si mich hât mit ir güete verdrungen); Hoffnung auf Gnade (Str. IV,7 Bona dompna, qu’ieu suy en l’esperar – „edle Herrin, denn ich lebe in der Hoffnung“; L 110,22f. daz müez uns beiden wol werden volendet, / swes ich getar an ir hulde gemuoten). Weder im Argumentationsgang noch in der Begründung der glücklichen Grundstimmung allerdings folgt Walther Guilhem. Der Provenzale kommuniziert mit der Dame, deren körperliche Schönheit im Vordergrund steht (Str. I,5 Qu’assi·m pauzetz, dompna, el cor l’enveya / Ab un dous ris – „denn so setztet Ihr, Herrin, mir ins Herz das Verlangen mit einem süßen Lachen“; II,1 Que·l grans beutatz e·l solas d’avinen – „denn die große Schönheit und die angenehme Gesellschaft …“); sein Leid hat Amor, eine von außen agierende Instanz, in Freude verkehrt (Str. III,1 u. V,5); das über Feudalmetaphorik transportierte Werben (Str. II,5 autrejar „überantworten“; II,5 mercejar „um Gnade bitten“; II,7 render „ergeben“; III,5 sopleyar „verneigen“; IV,1 coven „Versprechen“) zeigt Aussicht auf künftigen Erfolg (Str. V,2f. Sol qu’ieu en cug e ma vida aver / De vos, dompna, calacom jauzimen – „wenn ich nur glaube, dadurch mein Lebtag von Euch, Herrin, irgendeine Freude zu haben“). Walther tilgt die Distanz der Anrede und redet über die Dame, sich mit ihr im Glückszustand einig seiend (L 110,22 uns beiden). Ihre Schönheit wird nicht aufgefächert, sondern mit inneren Werten verknüpft (L 110,16 güete; L 110,18 u. 110,25 daz hât ir schœne und ir güete gemachet). Es handelt sich dabei um eine moralisierende Ausgleichsstrategie, welche die alludierte körperliche Liebeserfüllung auffangen soll. Der lieblich lachende rote Mund (L 110,19 u. 110,26 und ir rôter munt, der sô lieplichen lachet), überpräsent durch seine Position im Refrain, bedeutet Versprechen oder bereits Vollzug und steht für erlebtes Glück. Während Guilhems Freudenstimmung somit futurische Erfahrung antizipiert, ist die positive Atmosphäre

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in Walthers Lied Resultat erfolgter Handlung. Der deutsche Text geht dadurch einen Schritt weiter; aus dem Freudenlied einer Hohen-Minne-Situation in PC 213,6 wird in L 110,13 ein Beispiel für die Glückschancen, die sich aus ebener minne ergeben können. Die komplexe Gestaltungsweise Walthers in ‚Wol mich der stunde‘ (L 100,13), die sich in den Koordinaten von Übernahme und Veränderung vollzieht, kann als symptomatisch für sein Adaptationsverfahren gelten. Die zuvor skizzierten systemischen und einzeltextlichen Annäherungen bedeuten nämlich keinesfalls, daß Walthers neuartiger Weg niderer und ebener minne, welchen er in konstruktiver Auseinandersetzung mit dem konventionalisierten Minnesangparadigma einschlägt, allein das Derivat einer Nachahmung romanischer Vorbilder sein muß. Solch eine Bewertung des Befundes wäre methodisch ohnehin doppelt fragwürdig: Zum einen sind die Kategorien von ‚Originalität‘ und ‚Epigonalität‘ gerade für die Literatur des Mittelalters unangemessen; so wie die Epik sich über das Wiedererzählen konstituiert (Worstbrock 1999), lebt die Lyrik von der permanenten Retextualisierung immer gleicher oder zumindest ähnlicher Konstellationen. Daß sich innerhalb des Systems dann Verschiebungen einstellen (Rollenverständnis der Dame, Art des Geschlechterverhältnisses usw.), ist auch dem Erwartungshorizont des Publikums, immer wieder aufs neue interessiert zu werden, geschuldet. Zum anderen spricht etwa die Vielzahl der Trobadors, deren Lyrik Belege für amia enthält (s.o.), für systeminhärente Entwicklungsnotwendigkeiten. Sie entstehen vermutlich in Wechselwirkung mit kulturellen Prozessen, indizieren aber auch, daß literarische Praxis wandelfähig bleiben muß, weil Varianz und Heterogenität ihr Überleben garantieren. In diesem Sinne ahmt Walther nicht die Provenzalen nach, sondern geht mit ihnen zusammen einen Progressionsschritt, den das redundant werdende System der Hohen Minne selbst provoziert hat. Die Entschiedenheit, mit welcher Walther neue Aktualisierungsoptionen ausprobiert, liegt sicherlich an seiner chronologischen Stellung nach der sog. Hausenschule (f Minnesang II, Kap. 2.2 u. 2.4), deren Vertreter das als Neues ausprobieren, was für Walther bereits habitualisiert ist, und sie liegt wohl auch in der für Walther prinzipiell hoch einzuschätzenden Bereitschaft begründet, sich auf anderes einzulassen. Sein Wanderleben hat ihm dabei zahlreiche Erfahrungschancen geboten, die er vielleicht nicht nur bereitwillig annimmt, sondern sogar einfordert (in anderem Zusammenhang ähnlich Schweikle 1989c).

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Kreuzzugslyrik und Weltabsage Diese Bewertung des romanischen Einflusses auf die Minnelyrik bestätigt sich, wird das weitere Werk Walthers in die Überlegungen einbezogen. Einige Aspekte der Kreuzzugslyrik seien hier zumindest erwähnt, um ein Gesamtbild von Walthers Romania-Affinität zu profilieren: Das ‚Palästinalied‘ Walthers (L 14,38) ist im Münsteraner Fragment des 14. Jahrhunderts mit einer Melodie überliefert, die mit der des Liedes PC 262,2 ‚Lanquand li jorn son lonc en mai‘ („Wenn die Tage lang sind, im Mai“) von Jaufre Rudel identisch ist (Mertens 1998, S. 280–282; Zotz 2005, S. 9; f Musik, Kap. 8.3). Der okzitanische Text handelt von der Fernliebe und wird inhaltlich insofern von Walther konterkariert, als dieser ja die überwältigende Naherfahrung des Selber-Sehens zum Aufhänger seines Liedes macht: L 14,38–15,5 Nû alrêst lebe ich mir werde, / sît mîn sündic ouge siht / daz hêre lant und ouch die erde, / dem man vil der êren giht. / Mirst geschehen, des ich ie bat, / ich bin komen an die stat, / dâ got menschlîchen trat. Walthers Exordium lehnt sich wiederum an einen Preis des Heiligen Landes an, den Peirol (PC 366,28) formuliert: Str. I,1–5 Pus flum Jordan ai vist e·l monimen, / A vos, vers Dieus, qu’es senher dels senhors, / Ne ren merces, quar vos plac tan d’onors / Que·l sancte loc, on nasques veramen, / M’avetz mostrat, don ai mon cor jauzen! („Da ich den Jordan und das Grab gesehen habe, sage ich dir, wahrer Gott, der du Herr der Herren bist, dafür Dank. Denn dir gefiel das Herrliche, daß du mir den heiligen Ort, wo du wahrhaftig geboren wurdest, gezeigt hast, worüber mein Herz Freude hat.“). Der letztgenannte Transfer von der Romania hin zu Walther setzt allerdings die späte Datierung des ‚Palästinaliedes‘ voraus, welche die jüngere Forschung favorisiert; sie sieht im Kreuzfahrtunternehmen von Friedrich II. 1227/28 den Entstehungskontext des Liedes. Wird den älteren Positionen gefolgt (Überblick bei Schweikle 1998, S. 788), müssen die Anklänge – in diesem Fall eher unplausibel – auf Polygenese beruhen, oder aber Peirol, dessen Lied auf 1221 datiert (Wilmanns/Michels 1924, S. 94), hat Walther adaptiert. Solch ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis wird selten in Betracht gezogen, sollte aber nicht nur für den Eingang von L 14,38, sondern wohl auch grundsätzlich angedacht werden. Interessant wäre dann nämlich der ‚Rundweg‘ von Jaufre Rudel zu Walther (Kontrafaktur) zurück zu Peirol (Exordium). Die Verwandtschaft des Tones von L 14,38 – und dementsprechend des Liedes von Jaufre Rudel – mit der Antiphon ‚Ave regina celorum‘ aus dem 12. Jahrhundert (Brunner 1963; Mertens 2009, S. 82f.; f Musik, Kap. 8.3) bringt für beide volkssprachige Lyrikparadigmen darüber hinaus den lateinischen Horizont deutlich ins Spiel. Offensichtlich hat sich die lyrische

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Praxis im Okzitanischen, Französischen und Deutschen in größerer lokaler und gedanklicher Nähe zueinander vollzogen als bisher angenommen. Zu diesen Beobachtungen paßt, daß Walther in L 13,5 ‚Owê, waz êren sich ellendet von tiutschen landen‘ auf Bildmaterial zurückgreift, das mutmaßlich in französischen Kreuzzugspredigten vorkommt (Wilmanns/Michels 1924, S. 91). Die äsopische Fabel von der vorsorgenden Ameise, bezogen auf das Seelenheil des Menschen (L 13,26f. Wê der wîse, die wir mit den grillen sungen, / dô wir uns solten warnen gegen des kalten winters zît), setzt auch Thibaut de Champagne in einem Bittlied an die Himmelskönigin (Ausg. Wallensköld, Nr. 30) um, hier an das Bild der umsichtigen Maus geknüpft: Str. III,1–4 La souris quiert pour son cors garantir / Contre l’yver la noix et le froment. / Et nous chaitif nous n’alons rien quérant, / Quant nous morrons, où nous puissions garir („Die Maus sammelt, um im Winter zu überleben, Nuss und Weizen. Und wir, die wir in Sünde verstrickt sind, wir sorgen mit nichts vor, damit wir uns schützen könnten, wenn wir sterben.“). Die Abhängigkeitsverhältnisse zur Fabeltradition einerseits und zum Dichterkollegen andererseits – Thibauts Geburtsdatum ist der 30. Mai 1201 – lassen sich kaum aufschlüsseln. Damit korrespondiert, daß L 76,22 ‚Vil süeze wære minne‘ inhaltliche Parallelen zu einem lateinischen Kreuzlied aufweist, das von einem gewissen Bertier gegen 1188 verfaßt worden ist (MPL 155,1289f.) und dessen Begründung der Kreuzfahrt ebenso wie bei Walther mit verschiedenen Dimensionen des Erlösungstodes Christi argumentiert (z.B. Str. I,58–60 Quanti fidem aestimat, / Tanti crucem redimat, / Si quem crux redemit). Zeitgenössisch aktuelle Themen schlagen sich in unterschiedlichen Sprachen lyrisch nieder. In diesem Sinne könnte Walthers Absage an die Welt L 100,24 ‚Frô Welt, ir sult dem wirte sagen‘ selbst wiederum Vorbild gewesen sein für eine französische Aktualisierung der Welt-Thematik im Spätmittelalter (Ausg. Jubinal): Mondes, de toi plaindre me doi, / Quar par toi engané me voi, / Por ce que je t’ai trop créu; / Tes promesses de pute foi / M’ont si converti en ta loi, / Mondes, qu’eles m’ont dédéu. / Mondes, tu m’as si desvestu, / Qu’il n’a en moi nule vertu; / Mondes mauvès, nous sommes doi, / Cors et âme, cui t’as feru / A mort et de venin peu: / Fols est qui a fiance en toi („Welt, ich muß mich über dich beklagen, denn ich sehe mich durch dich betrogen, weil ich dir zu sehr Glauben geschenkt habe. Deine dirnenhaften Versprechen haben mich so in deinen Bann gezogen, Welt, daß sie mich ergötzt haben. Welt, du hast mich so entblößt, daß es an mir keinerlei Tugend gibt. Schlechte Welt, wir sind verloren, Körper und Seele, die du an den ewigen Tod gebunden und mit Gift genährt hast. Törricht ist, wer dir vertraut.“).

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Minne, Sangspruch und Sirventes Die Nähe Walthers zur Romania zeigt sich in einem weiteren großen Aspekt, der als zentral für sein lyrisches Schaffen gilt: in der f Spruchdichtung (insb. Kap. 6.1 u. 6.4). Auf die Nähe der deutschen Spruchdichtung zum provenzalischen Sirventes hat früh Diez (1829) und dann wieder Wilhelm Nickel (1907) aufmerksam gemacht. In der zweiten Hauptgattung der Trobadorlyrik – die erste ist der canso – werden Themen verhandelt, die auch Gegenstand der deutschsprachigen Spruchlyrik ab Walther sind: Moraldidaxe (besonders bei Marcabru, Cercamon), Fürstenlob und -tadel sowie Kommentierung der politischen Situation, oft artikuliert als polemische, bisweilen pessimistische Stellungnahmen zu allgemeinen Fragen und konkreten Personen des öffentlichen Lebens (zentral vertreten bei Bertran de Born). Die Sirventesdichtung kann auch Liebesthematik enthalten; in allen Themenbereichen ist die gewählte Diktion vorrangig satirisch-kritisch (vgl. Winkler 1941; D. Rieger 1976). Neben Formen mit gereimten Vierzeilern lehnt sich die Textsorte strukturell an den Kanzonentyp an, das heißt, mehrere Strophen mit zum Teil heterogenen Inhalten sind zu Liedern verbunden. Die Parallelen zur deutschen Spruchlyrik sind evident, die zu Walthers spezifischer Neugestaltung des gnomischen Systems umso mehr. Mehrtonigkeit, partielle Tendenz zu liedhaften Einheiten sowie Erweiterung des thematischen Spektrums um die politische Komponente und zumindest im Ansatz auch um minne-Fragen (s.u.) sind Elemente, die Walthers Spruchlyrik konstituieren und seine Dichtungsweise als innovativ gegenüber der älteren Tradition ausweisen (Tervooren 2001, S. 113–116). Es drängt sich damit die Vermutung auf, daß die grundlegenden Veränderungen, mit denen Walther das spruchlyrische Paradigma in deutscher Sprache erweitert, auf Anregungen durch die provenzalischen Sirventese fußen, ebenso wie die französische Lyrik mit den Serventois sich die okzitanische Textsorte einverleibt. Wiederum läßt sich das Verhältnis zwischen Romania und Walther allerdings kaum auf Kategorien von ‚Nachahmung‘ oder ‚Übernahme‘ reduzieren. Vielmehr scheint Walthers grundsätzliche Kenntnis dieser Dichtungsart eine ganz eigenständige Systemaktualisierung bewirkt zu haben, für die Walther sich punktuell Phänomene der Romania aneignet und diese kompatibel zu Dichtungskonventionen umsetzt, die im Deutschen bereits eingespielt sind. Somit ist die deutsche Spruchlyrik Waltherscher Prägung mehr als Adaptation romanischer Vorbilder. Die Sirventesdichtung hat offensichtlich ganz abstrakt und von ihren Systemmerkmalen her als Ideengeberin fungiert, durch welche sich der nach neuen Wegen suchende Walther hat inspirieren lassen.

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Deutlich wird dies an den Sonderwegen, die er formal und inhaltlich einschlägt: Walthers Prinzip der Mehrtonigkeit spiegelt durchaus den Melodienreichtum der Sirventese wieder; allerdings können ganze Liedeinheiten heterogener Strophen bei ihm zwar vorkommen, sind indes eher selten, weil die Geschlossenheit des einzelnen Spruches dominiert. Hier vermischt sich ein formales Modell der Romania mit heimischer Tradition. Thematisch fällt die starke Präsenz des Politischen in Walthers Gnomik auf, während die minne-Strophen in seiner Spruchlyrik derart singulär auftauchen, daß im Einzelfall sogar Athetesen gerade aufgrund der Liebesmotivik versucht worden sind. Dies betrifft etwa die minne-Strophen im König-Friedrichston: L 27,17 ‚Durchsüezet und geblüemet sint die reinen frowen‘ und L 27,27 ‚Vil süeziu frowe hôhgelopt mit reiner güete‘, deren Sonderstellung mit ihrer Isometrie zur Lehnsbitte (L 28,1 ‚Von Rôme voget, von Pülle künic‘) und zum Lehnsdank (L 28,31 ‚Ich hân mîn lehen‘) interpretatorisch aufgefangen wird. Mit einer Dichtungsweise, die sizilianische Lyrik nachfolgender Generationen antizipiert, hat Walther wohl Friedrich II. seinen Dank übermitteln wollen (Bauschke 2001). Auch die Diskussion um das Wesen der Liebe im Bognerton hat Anlaß zu entsprechenden Spekulationen gegeben: Diu minne ist weder man noch wîp, / si hât noch sêle noch den lîp, / sî gelîchet sich dekeinem bilde. / ir nam ist kunt, si selbe ist aber wilde, / und enkan doch nieman âne sie / der gotes hulden niht gewinnen / si kam in valschez herze nie (L 81,31–82,2). Hier kann das schwankende Geschlecht von amor im Französischen zu einer lyrischen Umsetzung der Problemfrage in der Romania geführt haben, was Walther dann ins Deutsche überträgt. Die Erklärungsnotwendigkeit, warum Walther derartige Texte ausgerechnet spruchlyrisch aktualisiert, verschwindet sofort vor dem Horizont der Sirventesdichtung und kehrt sich in ihr Gegenteil um; denn im Spiegel des okzitanischen Gattungssystems stellt sich eher die Frage, warum Walther nur in so wenigen Spruchstrophen Minnethematik verhandelt. Ansatzweise geschlossen wird diese vermeintliche Lücke in der Adaptation dadurch, daß Walther Elemente des Sirventes wiederum in seinen Minnesang einholt. In dem Lied ‚Die hêrren jehent, wan sul den frowen‘ (L 44,35) wird der fehlende Mut zu loben mit der gesellschaftlichen Situation begründet: torst ich vor den wandelbæren, / sô lobte ich die ze lobenne wæren (L 45,11f.); eine ähnliche Klage formuliert Guiraut de Borneil (Übersetzung bei Diez 1829, S. 143). Die dominant systemische Beziehung Walthers auf das Sirventes sollte allerdings nicht daran hindern, im konkreten Einzelfall nach direkten Parallelen zu suchen. So kommt zum Beispiel der antipäpstliche Vorwurf, Irrlehren zu verbreiten, sowohl bei Walther vor (L 34,24f. Swelh herze sich bî

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disen zîten niht verkêret, / sît daz der bâbest selbe dort den ungelouben mêret) als auch bei Peire Vidal (Ausg. Bartsch, Nr. 22, Str. II), der den sündhaften Lebenswandel der Geistlichen für das Aufkommen der Ketzerei verantwortlich macht: Quar com an vaut en tal pantais / l’apostolis elh fals doctor / sancta gleiza, don deus s’irais; / que tan son fol e peccador, / per que l’eretge son levat. / e quar ilh comensol peccat, / greu es qui als far en pogues: / mas ja no volh esser plages („Die Apostel/die Päpste und falsche Gelehrte haben die Heilige Kirche in solches Elend versetzt, daß sie Gottes Zorn reizen: Durch ihre Torheit und ihr sündiges Leben haben sie die Häresie hervorgerufen. Da die Sünde von ihnen selbst ausgeht, ist es schwer, ihr zu widerstehen. Doch ich will kein Ankläger sein.“). Die 1193/1194 formulierte Position (Diez 1829, S. 170) datiert vor Walthers Kritik und ist vielleicht deren Vordbild. Auf der anderen Seite ist das Thema zeitgenössisch so aktuell, daß der Wunsch nach dichterischer Umsetzung des Problems bei beiden Lyrikern unabhängig voneinander entstanden sein kann. Grundsätzlich bleiben zudem Filiationen in die eine und in die andere Richtung denkbar. Dies gilt zum Beispiel für das Motiv, daß es unmöglich ist, Kleriker zu unterscheiden. Walther stellt diese Behauptung auf (L 45,27f. Sich crenkent frowen unde pfaffen,/ daz si sich nicht scheiden lânt,), und vergleichbar vertritt Peire Cardinal diesen Standpunkt (Übersetzung bei Diez 1829, S. 451). In keinem Fall darf der Einfluß der Sirventesdichtung auf Walther unterschätzt werden. Dies zeigt sich in komplexer Weise in Walthers ‚Ir sult sprechen willekomen‘ (L 56,14; vgl. dazu Bauschke 1999, S. 134–167). Das Preislied der Deutschen fungiert auf einer metaliterarischen Ebene als Ruhmespreis in eigener Sache, weil es Merkmale des Minnesangs und der Spruchdichtung verbindet und als eine Art Programmlied Walthers Repertoire reklamehaft vorstellt, wohl um bei Mäzenen um Aufträge zu werben und sich mit einem Beispiel der gestalterischen Spannbreite zu empfehlen. Damit korrespondiert, daß der Sprecher, ausgestattet mit der Erfahrungskompetenz des Weitgereisten, als historischer Autor inszeniert wird. Dem minnelyrischen Paradigma verpflichtet sind die Kanzonenform, der Frauenpreis, der intertextuelle Bezug auf Reinmar (Walthers der iu mære bringet, daz bin ich [L 56,15] als Umkehrung von Reinmars Swaz ich nu niuwer maere sage, / des endarf mich nieman vrâgen [MF 165,10f.]) und der Minnedienstgedanke, den die nur in Handschrift C tradierte Strophe L 57,15 (‚Der ich vil gedienet hân‘) formuliert. Aus der Spruchlyrik stammen das miete-Motiv (L 56,18), die Ausdehnung des Lobes auf alle Frauen und sogar die Männer (L 57,7 Tiusche man sint wol gezogen) sowie die Flüsseformel (L 56,38f. Von der Elbe unz an den Rîn / her wider unz an der Unger lant), die mit anderen Grenzsetzungen auch in einem Walther-Spruch vorkommt

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(L 31,13f. von der Seine unz an die Muore, / von dem Pfâde unz an die Trabe). Die Anknüpfungspunkte an die Romania sind zahlreich und liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen besitzt die Kombination heterogener Aspekte, hier des allgemeinen Herr(inn)enlobes mit der Minnethematik, im Gewand einer Kanzone ihr Typenvorbild im Sirventes. Zum anderen ist von dort – und zugleich aus dem canso – die envoi-Technik übernommen, also die Anfügung einer Geleitstrophe, welche das vorangegangene Lied einer konkreten Person dediziert (hier Str. VI). Zum dritten kommuniziert Walther intertextuell mit seinen okzitanischen Dichterkollegen, insbesondere Peire Vidal. Der Trobador hat zwei polemische Scheltstrophen gegen die mangelnde höfische Erziehung und das plumpe Verhalten der Deutschen verfasst: Ausg. Bartsch, Nr. 4, Str. VIII Alaman, trop vos dic / vilan, felon, enic, / qu’anc de vos nos jauzic / quius amet nius servic („Deutsche, ich sage euch, ihr seid zu plump, schurkisch und schlecht, denn niemals hatte derjenige an euch Freude, der euch liebte oder euch diente“) bzw. Nr. 41, Str. II Alamans trob deschauzitz e vilas, / e quan negus se fenh d’esser cortes, / ira mortals e dols et enois es, / e lor parlars sembla lairar de cas. / per qu’eu no volh esser senher de Friza, / qu’auzis tot jorn lo glat dels enojos, / ans volh estar entrels Lombartz jojos, / pres de mi dons qu’es gaja blanc’ e liza („Ich finde die Deutschen zu unhöfisch und plump, und wenn einer von ihnen versucht, höfisch zu sein, ist es ein tödlicher Kummer und Schmerz und bitterer Verdruß. Ihr Gerede gleicht dem Gebell der Hunde. Auch möchte ich nicht der Herr von Friesland sein, der ständig das Kläffen dieses lästigen Völkchens hören muß. Ich wäre lieber bei den fröhlichen Lombarden, in der Nähe meiner freundlichen und zärtlichen Dame mit ihrem weißen Antlitz“); die zweite Strophe formuliert zudem den Wunsch, die heimatliche Dame wiederzusehen. Auf die Diffamierungen reagiert Walther mit seiner Gegendarstellung, die provenzalischen Beschimpfungen und sein Unverständnis darüber direkt ansprechend: swer si schiltet, derst gar betrogen: / ich enkan sîn anders niht verstân (L 57,9f.). Handschrift E, welche ohnehin die Tendenz zeigt, Textsinn zu vereindeutigen (Bauschke 2004), bietet an dieser Stelle die Lesart Falsches volk ist gar betrogen, was Wilmanns/Michels (1924, S. 232) unter Bezugnahme auf Handschrift Uxx als welhischez deuten. Die Funktion von Walthers Preislied, einer okzitanischen Verunglimpfung zu widersprechen, wäre damit explizit markiert. Grundsätzlich könnte Walthers L 56,14 auch auf Peire de la Cavarana reagieren, der ebenfalls Deutschenschelte artikuliert (la gent d’Alemaigna / non voillaz amar, / ni la soa compaigna / nous plaza usar, / c’al cor m’en fai laigna / ab lor sargotar – „das deutsche Volk wollet nicht lieben, und auch seine Gesellschaft soll uns nicht gefallen, denn im Herzen macht es mir Beschwerde, mit ihnen zu kauderwelschen“; zitiert nach Nik-

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kel 1907, S. 22). Die besondere Nähe zu Peire Vidal ergibt sich jedoch daraus, daß von ihm ein Preis der Provence erhalten ist, in dem er eine Flüsseformel gestaltet: Ausg. Bartsch, Nr. 17, Str. II Qu’om no sap tan dous repaire / Com de Rozer tro qu’Vensa, / Si com clau mars e Durensa, / Ni on tan fis jois s’esclaire. / Per qu’entre la franca gen / Ai laissat mon cor jauzen / Ab leis que fa’ls iratz rire („Denn man kennt kein ebenso liebliches Land wie das, das sich von der Rhone bis nach Vence erstreckt und das zwischen dem Meer und der Durance liegt. Es gibt kein anderes, wo eine so reine Freude herrscht. Deswegen habe ich bei diesen edlen Menschen mein glückliches Herz gelassen, bei derjenigen, die selbst den Tieftraurigen das Lachen zurückbringt.“). In diesem Fall ist Walthers Bezug ein doppelter und seine Argumentation gestuft: Er widerlegt die Vorwürfe des Provenzalen auf der Metaebene (L 57,9f.), durch Gegendarstellung (L 57,7) und indem er das bei Peire Vidal vorgefertigte Lobinstrument der Flüsseformel adaptiert und auf seine eigene geographische Situation anwendet (L 56,38f.). Außerdem enthält auch Walthers Preislied den bei Peire Vidal vorgegebenen Bezug auf die eigene Dame (L 57,15). Kontaktmöglichkeiten Angesichts des Wanderlebens, das Walther geführt hat (Schweikle 1989c), ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, wie er mit den historischen Trobadors persönlich zusammengetroffen sein oder zumindest deren Lieder kennengelernt haben kann. Im Gegenzug scheinen auch die romanischen Dichter mobil gewesen zu sein. Peire Vidal, zu dem, wie oben gezeigt, eine recht enge Verbindung Walthers vorliegt, hat immerhin derart viele Erfahrungen mit Deutschen und deutscher Kultur gemacht, daß er negative Wahrnehmungen in einer Form literarisch inszenieren kann, die Erfahrungswissen impliziert. Um 1190 und dann noch einmal Mitte der 1190er Jahre unternimmt Peire Vidal zwei Reisen nach Italien, er ist am Hof des Marquis de Montferrat nachweisbar und kommentiert den politischen Konflikt zwischen Pisa und Genua; in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts begleitet er vermutlich den Hochzeitszug von Konstanze, einer Tochter Alfons II. von Aragón, nach Ungarn, wo sie 1198 König Emmerich heiratet (Anglade 1913). Es ergeben sich damit zwei ganz konkrete Kontaktoptionen: zum einen das Herzogtum Österreich, das Peire Vidal durchreist, sowie Norditalien, wo die Präsenz von Trobadors sich urkundlich nachweisen läßt und darin ihren Niederschlag findet, daß dort entstehende Handschriften okzitanische Liebeslyrik überliefern (Touber 2005d,

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S. 507–509). Geographisch liegen letztlich in Norditalien die Wurzeln der scola siciliana, die sich von der Trobadorpoesie emanzipiert (Neumeister 1993; Contini 1994) und auf deren spätere Dichtungsweise bereits Walthers minne-Strophen im König-Friedrichston vorausweisen (Bauschke 2001). Die Verbindungen Walthers zu Österreich sind im Kontext seiner stets postulierten Wien-Affinität evident (Hoffmann 1996), die Beziehungen nach Norditalien ergeben sich über die Kontaktfigur Wolfgers von Erla, Bischof von Passau und ab 1204 Patriarch von Aquileja (zuletzt Touber 2005d). Der Eintrag in seinem Rechnungsbuch über eine finanzielle Zuwendung an Walther (Heger 1970) und Wolfgers Gönnerschaft für Thomasin von Zerklære, den norditalienischen Moraldidaktiker, der im ‚Welschen gast‘ Bezug auf Walthers Papstschelte im Unmutston nimmt (Schupp 1974), weisen den Hof des Bischofs und Patriarchen als kulturellen Umschlagplatz aus, an dem oder über den sprachübergreifende Literaturkontakte hergestellt werden konnten – zumindest mit den Werken, vielleicht aber auch mit den Dichterpersonen selbst. Zahlreiche phrastische Wendungen in Walthers Lyrik legen jedenfalls den Schluß nahe, daß Walther auch in alltäglicher Praxis mit romanischen Sprachen vertraut gewesen ist: ich bin der (L 111,29), ähnlich der … daz bin ich (L 56,15), entspricht dem französischen je suis cil („ich bin derjenige“). Der Topos des Duldens, ich vertrage als ich vertruoc (L 50,7), kommt in gleicher syntaktischer Wendung bei Peire Vidal vor: Ausg. Bartsch, Nr. 37, Str. III,8 ans sofrirai so qu’ai sofert ancse („sondern ich werde weiterhin leiden/ertragen, wie ich zuvor gelitten/ertragen habe“). Der Gebrauch von ganz (L 35,5) korrespondiert mit provenzalischem entier („völlig/ganz“; vgl. Wilmanns/Michels 1924, S. 164).

3.4 Reinmar und Walther Die sogenannte Walther-Reinmar-Fehde – Fazit

Die sogenannte Walther-Reinmar-Fehde Die literarische Kommunikation Walthers und Reinmars, belegt durch intertextuelle Bezüge beider Autoren aufeinander, ist in der Forschung früh als biographisch dimensionierte vermeintliche Dichter-‚Fehde‘ überinterpretiert worden. Sobald in Walthers und Reinmars Aktualisierungen des minnelyrischen Systems ähnliche oder aufeinander beziehbare kontradiktorische Verwendungsweisen zu beobachten sind, haben Philologen wie

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von Kraus darin Positionierungen in einem Sängerstreit gesehen und die Bedeutungen komplexer Lieder auf Einzelaspekte einer möglichen literarischen Kontroverse heruntergebrochen (Forschungsüberblick bei Bauschke 1999). Obwohl die These von der konkreten, persönlich gefärbten ‚Fehde‘ inzwischen widerlegt ist, bildet doch ein Kernbestand von Liedern beider Lyriker eine besondere, intertextuell auf den jeweils anderen ausgelegte Gruppe, zu der mindestens gehören: Reinmar, MF 158,1; 159,1; 165,10; 170,1; 196,35 – Walther, L 52,23; 53,25; 56,14; 58,21; 71,35; 72,31; 90,15; 91,17; 109,1; 111,23; 113,31; 115,6. Für einige dieser Texte sind die potentiellen Bezüge auf die Romania diskutiert worden (s. Kap. 3.2 u. 3.3). Dabei fällt auf, daß gerade auch jene Phänomene, an denen sich die vermeintliche ‚Fehde‘ entzündet haben soll, nämlich die bei Walther und Reinmar divergierende Behandlung des Topos vom Verstummen vor der Dame sowie die unterschiedliche Bewertung des Kußraubes, auf okzitanischen Entwürfen dieser Motive beruhen. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Deutungsoptionen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern besitzen für jeden Einzelfall einen anderen Grad an Adäquatheit. Das Bild vom stummen Werber, das in beiden Œuvres vorkommt, kann durch unabhängige Adaptationen dort hineingelangt sein (Touber 2005d, S. 514f.), während Walther das Motiv des Kußraubes in deutlicher Abgrenzung von Reinmar bearbeitet und seine Intertextualität durch die Mattmotivik in der Schachliedparodie L 111,23 markiert (Bauschke 1999, S. 68–70). Da zudem Referenzen zu okzitanischer Kußmotivik bestehen, und dort besonders zu dem mehrfach für Walther relevant gewordenen Peire Vidal (s. Kap. 3.3), muß hier von einem triangularischen Beziehungsgeflecht ausgegangen werden – Abgrenzung Walthers von Reinmar qua Rückgriff auf ein trobadoreskes Vorbild. Ob Reinmar und Walther sich in ihren Möglichkeiten, auf die Romania zurückzugreifen, überbieten wollten oder ob zahlreiche der angeblich explizit hergestellten Motivparallelen nicht genauso systemisch bedingt sein können wie die oben skizzierten Ähnlichkeiten zwischen okzitanisch-französischer und deutscher lyrischer Praxis, muß offen bleiben. Ableiten läßt sich für künftige Forschung gleichwohl die Notwendigkeit, stärker zwischen Intertextualität (im engen Sinne) und Systemreferenz zu unterscheiden. Wie für die Spruchdichtung, die ihr systemisches Pendant im Sirventes findet, kann die intertextuelle Diskussion minnetheoretischer Streitfälle mit poetologischem Impetus als solche ein Strukturvorbild in der Romania besitzen. Die dilemmatische Situation, welche Reinmar in MF 165,10 ‚Swaz ich nu niuwer maere sage‘ entwirft, adaptiert Elemente aus einem Partimen Folquets de Marseille (s. Kap. 3.2), und es liegt nahe, in der

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Gattung des okzitanischen Streitgedichts ein dem inszenierten Dichterstreit Reinmars und Walthers ähnliches Phänomen zu sehen (Kasten 1973 u. 1980). Im okzitanischen Liedtyp des joc partit („geteiltes Spiel“) vertreten zwei Dichter zu einer eingangs formulierten dilemmatischen Streitfrage zwei verschiedene Lösungen, die sie in einer Art Wettstreit verteidigen. Dabei ist es durchaus üblich, daß die beiden Trobadors gemeinsam ein Partimen verfassen (Neumeister 1969; Schnell 1983). Durch die formale Zusammenführung profilieren sich die divergierenden Positionen noch stärker als zwei Seiten einer Medaille (f Minnesang II, Kap. 2.3 u. 2.4). Diese Form lyrischer Kommunikation könnte Anreger und Orientierungspunkt für Walther und Reinmar gewesen sein, es wäre aber auch polygenetische Entstehung denkbar (Kasten 1980). Reinmars Bezugnahme auf Folquet belegt indes eine tatsächliche Kenntnis des Partimentyps. Ein zentraler Unterschied zum postulierten Walther-Reinmar-Dialog ist in jedem Fall die andere Inszenierung des Auftrittstyps. Das Partimen setzt einen gemeinsamen Vortrag voraus, während bei Reinmar und Walther die vermittelten Positionen auf in sich geschlossene Einzellieder verteilt sind, die – bis auf die Parodie L 111,23 – auch allein, ohne Kenntnis potentieller Prätexte, rezipierbar und verständlich bleiben. Die engere Verbindung ergibt sich damit nicht über den Liedtyp selbst, sondern die aufführungstechnische Zusammenführung stellt im performativen Akt den Bezug zu einem großen Teil erst mit her. Sprachübergreifend vergleichbar sind die diskutieren Fragen wie êre der Dame, Angemessenheit des Lobe(n)s, Rolle von frouwe und wîp, Wunsch nach Liebes-unio usw. (Köhler 1960). Ein im Gegensatz zum Partimen stärkeres persönliches Engagement Walthers und Reinmars, wenn sie ihre jeweiligen Positionen vertreten (so Kasten 1980), liegt dabei nicht vor; diese These resultiert noch aus der alten Annahme eines historisch-faktischen Konfliktes zwischen Walther und Reinmar. Fazit Insgesamt gilt für die enge Intertextualität der beiden Lyriker und deren mögliche Beziehbarkeit auf romanische Parallelfälle das gleiche wie für die zuvor skizzierten systemischen Aktualisierungen von Konstituenten der Trobador- und Trouvère-Lyrik: Die kulturellen Voraussetzungen, um bestimmte Themen – Minne, Tagespolitik, memento mori – lyrisch zu verarbeiten, sind im europäischen Hochmittelalter sprachübergreifend vergleichbar, so daß sich ähnliche diskursive Praktiken ausbilden. Zudem ermöglichte die interkulturell angelegte Adelsgesellschaft im Rahmen ihres

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höfischen Repräsentationshandelns direkte Kontaktnahmen zwischen den okzitanisch, französisch und deutsch dichtenden Protagonisten, was systemische Korrelationen und Motivaustausch begünstigte. Die Kategorie der deutschen Romania-Adaptation greift daher nur partiell. Denn Anspielungen wollen tendenziell verstanden werden, sind daher mit produktionsästhetischer Intentionalität verbunden und setzen auch auf Rezipientenseite ein Wissen über Prätexte voraus; das Primärpublikum der romanischen Lieder kann daher durchaus teilidentisch mit dem Primärpublikum der deutschen Lyrik sein. Systemaktualisierungen sind dagegen schlicht Verwendungen bestimmter Strukturen, ohne daß die Verwendung selbst thematisch werden muß. Gerade deshalb impliziert die Ausbildung ähnlicher Systemkonstituenten eine grundlegende Nähe – wenn nicht sogar Identität – der sie hervorbringenden Kulturen. [Manuskriptabschluß: Januar 2010]

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Minnesang III: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide

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Einleitung

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4 Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250 von Anton Touber (und Nicolaas Unlandt) 4.1 Einleitung – 4.2 Ulrich von Lichtenstein – 4.3 Elemente romanischer Herkunft im einzelnen

4.1 Einleitung Die Lyrik der Troubadours hat ab dem 12. Jahrhundert einen teils gleichen, teils unterschiedlichen Einfluß ausgeübt auf die iberische Halbinsel, auf Norditalien und Sizilien, auf Nordfrankreich und auf das deutsche Sprachgebiet (Touber 1998 u. 2009). Wie steht der Minnesang in dieser Gruppe? Der romanische Einfluß auf den deutschen Minnesang ist bei Heinrich von Veldeke (fl. 1170–1190; f Minnesang II, Kap. 2.4; f Niederländische Lyrik, Kap. 7.3), in der sog. Hausengruppe (fl. 1170–1190; f Minnesang II) und bei den hochhöfischen Lyrikern einschließlich Walther von der Vogelweide (fl. 1190–1228; f Minnesang III) voll nachweisbar. Für die Lyrik nach Walther von der Vogelweide gilt grundsätzlich die Aussage von Joachim Bumke (1987, S. 121): „Nach 1220 ändert sich die Situation grundlegend. Zwar blieb der französische Geschmack dominierend, und die aus Frankreich übernommenen Gattungen des Minnelieds und des höfischen Romans haben das Bild der Literatur noch lange geprägt. Man nimmt an, daß die unmittelbare Rezeption französischer Texte ebenso plötzlich aufhörte, wie sie begonnen hatte. […] Es ging im 13. Jahrhundert nicht mehr darum, mit der literarischen Entwicklung in Frankreich Schritt zu halten.“ Nun erwähnen die Minnelieder unserer Periode einige Möglichkeiten der Verbreitung mittelalterlicher Texte – sie werden gesungen, gehört, per Brief gesandt und gelesen: Jacob von Warte (Ende des 13. Jh.; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XXII, Lied 5, V. 6; SMS, Ausg. Schiendorfer, Nr. 3, Lied 5, Str. I, V. 6): diz unbilde („Unrecht“) sollten frouwen lesen; Konrad von Altstetten (2. Hälfte 13. Jh.; Ausg. Bartsch, Nr. XXIV, 2,11; Ausg. Schiendorfer, Nr. 18, 2,II,3): (Ge)torst ich senden mit gesange mîne liet; der Taler (nach

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Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250

1250; Ausg. Bartsch, Nr. IV, 3,6; Ausg. Schiendorfer, Nr. 25, 4,I,6): bring ir den brief und sing ir ûf gedoene; Ulrich von Singenberg (um 1228; Ausg. Bartsch, Nr. II, 22,11; Ausg. Schiendorfer, Nr. 12, 18,II,3): ich sunge, ich sagete ir alsô hovelîchen danc. Die Troubadour- und Trouvèrelieder fanden im Grunde in Europa in gleicher Weise Verbreitung (DLFMA [11964]; Ong 1982; Stock 1983; Zumthor 1987). Wie die Minnesänger die romanischen Lieder gelesen haben können, geht für den früheren Minnesang hervor aus der Art und Weise wie Rudolf von Fenis für sein dreistrophiges Lied MF 80,1 ‚Gewan ich ze minnen ie guoten wân‘ aus drei unterschiedlichen Liedern von Folquet de Marseille geschöpft hat (f Minnesang II, Kap. 2.3 u. 2.4): PC 768,1 ‚Tant m’abellis l’amoros pessamens‘ („Die Liebessorge gefällt mir so sehr“), PC 573,2 ‚Sitot me soi a tart aperceubitz‘ („Obgleich ich spät eingesehen habe“) und PC 690,1 ‚S’al cor plagues, ben for’oimais sazos‘ („Wenn das Herz damit einverstanden ist, ist jetzt der Augenblick da“). Diese drei Lieder sind in Dutzenden von Troubadourhandschriften getrennt überliefert. Nur in der Handschrift P, die aus Zentralitalien stammt, kommen sie als Block zusammen vor. Der Hof des deutschen Kaisers Friedrich II., der auch selbst Dichter sizilianischer Lieder war, hielt sich manchmal dort auf; ein anderer Dichter aus der sizilianischen Schule, Mazzeo di Ricco, nimmt dieselben Lieder von Folquet de Marseille zur Vorlage wie Rudolf von Fenis. Die Handschrift P oder Liederblätter davon können die Vorlagen für Rudolfs Lied gebildet haben (Touber 2001). Solche Liederblätter, die uns durch ihre gefährdete Existenz leider kaum überliefert sind, können – in welcher Form auch immer – eine Hauptquelle der Verbreitung der Troubadourpoesie gewesen sein. Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß diese Methode nicht nur für Rudolf von Fenis und Mazzeo gegolten hat; auch andere und spätere Minnesänger können romanische Texte in Form schriftlicher Vorlagen benutzt haben. Wir untersuchen, inwiefern die Minnesänger von 1230 bis 1250, mittelbar oder unmittelbar, noch unter romanischem Einfluß stehen können. In Betracht kommen: der Herzog von Anhalt, Burkhard von Hohenfels, Hiltbolt von Swanegöi, der Markgraf von Hohenburg, Otto von Botenlouben, Ulrich von Singenberg, Reinmar von Zweter, Bruder Wernher (Sayce 1982, S. 265, Anm. 2; Bumke 1987, S. 653 u. 674), Ulrich von Lichtenstein, Gottfried von Neifen, vielleicht der Marner (Bumke 1987, S. 118, 614f. u. 691), der Burggraf von Lüenz, der von Sachsendorf, und von Stadegge (Olive Sayce 1982, S. 265, Anm. 3). Über das Leben der Minnesänger ist uns aus historischen Quellen wenig bekannt, aber in ihrer Lyrik werden gelegentlich historische Persönlichkeiten und Ereignisse erwähnt, so daß eine ungefähre Datierung manchmal möglich ist (Meves 2005).

Einleitung

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Zwei Strömungen in der Erforschung des Mittelalters versuchen, das Verhältnis von Literatur und Geschichte näher zu bestimmen: Die Mentalitätsgeschichte sucht die Mentalitäten, die geschichtlichen Prozessen zugrunde liegen, auch in der Literatur zu belegen; die Literatursoziologie geht von den literarischen Texten aus und versucht, sie aus der historischen Realität zu erklären. Die Mentalitätsgeschichte gebraucht die Literatur auf zwei Weisen als ihre Quelle: Sie betrachtet sie als direkte Wiedergabe der sozialen Wirklichkeit – le Goupil hatte beim Begräbnis im ‚Roman de Renart‘ la teste découverte, wie es Brauch war bei ritterlichen Begräbnissen der Zeit (Vovelle 1985, S. 43) – oder als Entsprechung zu ihr: In der literarischen Rettung des Wucherers aus der Hölle sieht man den Niederschlag seiner zunehmenden Akzeptanz (Le Goff 1986). Diese beiden Methoden gebraucht man auch, wenn die geschichtlichen Quellen schweigen und nur die Literatur über eine bestimmte Mentalität Auskunft geben kann, z.B. über die Haltung gegenüber dem Tod in verschiedenen Epochen der Geschichte (Vovelle 1985, S. 46). Die Mentalitätsgeschichte verfährt m.E. manchmal zu unbekümmert und reflektiert den Literaturcharakter und die historischen Unsicherheiten ihrer Quellen zu wenig. Der Literaturhistoriker sollte sich, bevor er literarische Belege für seine historische Thesen benutzt, fragen, warum ein Dichter eine bestimmte Aussage macht: Man nimmt an, daß Walther von der Vogelweide in seinem Ottenton den 1212 als Kaiser aus Italien nach Deutschland zurückkehrenden Welfen Otto IV. in Frankfurt begrüßt. Walther betont in seinem Lied (L 11,30), daß die Fürsten ergeben auf den neuen Kaiser gewartet haben: die fürsten sint iu undertân, / si habent mit zühten iuwer kunft erbeitet (L 12,1f.). Diese Mitteilung Walthers entspricht den historischen Tatsachen nicht, denn Hermann von Thüringen, Ottokar von Böhmen und Erzbischof Siegfried von Mainz hatten inzwischen – so die historischen Quellen – gemeinsame Sache mit Ottos Gegnern, der staufischen Partei, gemacht. Walther erhofft sich Geld und Vorteile, sowohl von Otto als auch von den Fürsten, wie er auch sonst ein politischer Wendehals ist. Er verfälscht die Geschichte, wenn es ihm paßt: Politische Dichtung hat mit Wahrheit wenig zu tun. Die Literatursoziologie studiert ebenfalls die Beziehung zwischen dem literarischen Kunstwerk und der historisch-sozialen Wirklichkeit. Oft betrachtet man Literatur als direkte Wiedergabe der Wirklichkeit: Bumke (1987) gibt uns trotz „der methodischen Unsicherheit“ (ebd., S. 21) viele Beispiele. Aber es wird schwerhalten, die Löwen und Drachen der Epik in der Wirklichkeit nachzuweisen und die minnesängerische Frauenverehrung in der sozialgeschichtlichen Stellung der Frau wiederzuerkennen. Die Diskrepanz zwischen Dichtung und Wahrheit mahnt um so mehr

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Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250

zur Vorsicht bei unseren Schlußfolgerungen auf die Beziehung zwischen der Literatur und der Wirklichkeit, als über das Leben der meisten Dichter wenig bekannt ist: Fast alles, was die Forschung über ihr Leben zu berichten weiß, stammt aus den Dichtertexten selbst, so daß die Gefahr einer Zirkelargumentation sehr groß ist. Was den Philologen heute vorliegt, ist die Textebene. Nachstehende Betrachtungen versuchen, Parallelen zwischen deutschen und romanischen lyrischen Texten zu ermitteln. Daß in der deutschen Lyrik Romanisches zu erwarten ist, beweist der elektronische Vergleich der Strophenformen (f II Lyrische Strophenformen): Mehr als 70 % der Minnesänger des 12. und 13. Jahrhunderts verwenden Strophenformen, die in Frankreich schon bekannt waren. Diese Feststellung bedeutet, daß auch inhaltliche Elemente in der deutschen Lyrik zwischen 1230 und 1250, selbst wenn sie in einer früheren Minnesangperiode vorkommen, nicht unbedingt auf eine innerdeutsche Übernahme zu weisen brauchen: Auch hier kann die Romania Pate gestanden haben. Bei der Adaptation der okzitanischen und französischen Lyrik kennt der deutsche Minnesang die Reduktion als Hauptmerkmal (f Minnesang III, Kap. 3.1). Fast alle Gattungen, Themen, Motive und viele Strophenformen sind in der okzitanischen und französischen Lyrik vorgegeben, aber der Minnesang nutzt sie in beschränkterem Umfang. Diese Reduzierung macht die deutschen Texte ohne die okzitanisch-französischen Vorlagen manchmal schwer verständlich. Im folgenden vergleichen wir eine Reihe übereinstimmender Erscheinungen in deutscher und romanischer Lyrik aus der Periode 1230–1250 – ausgehend von Ulrichs von Lichtenstein ‚Frauendienst‘, der viele Elemente zeigt, die in der Troubadour- und Trouvère-Lyrik vorgegeben sind.

4.2 Ulrich von Lichtenstein Bei Ulrich von Lichtenstein sind wir in der Lage, sein literarisches Werk mit seinem Leben zu vergleichen. Etwa 100 Urkunden legen ein beredtes Zeugnis ab: Er war ein gewandter Politiker: Truchseß, Landrichter und Landeshauptmann. Deshalb nehmen wir Ulrichs ‚Frauendienst‘ (1255) als Ausgangspunkt unserer Betrachtungen. Der ‚Frauendienst‘ ist fast durchweg eine Episierung der inserierten, durchaus topischen Liebeslieder, die in schroffem Gegensatz zu der Wirklichkeit, seiner réalité sociale vécue stehen. Die beiden Dienstverhältnisse zu Damen, in denen Ulrich nach seiner ‚Autobiographie‘ gestanden hat, ergeben sich aus der Eintei-

Ulrich von Lichtenstein

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lung seiner Lieder: 1) Lieder der ersten Minne (Str. 8–1389); 2) Lieder der zweiten Minne (Str. 1390–1835). Mit dieser Einteilung steht Ulrich in einer literarischen Tradition, die schon lange vor ihm in Frankreich in den sog. Chansons de change bekannt war und auch bei anderen Minnesängern vertreten ist (Touber 1994). Ulrichs ‚Frauendienst‘ umfaßt alle seine 59 Liebeslieder. Eine solche Verbindung von Erzählung und Lyrik war in der deutschen Literatur unbekannt: Ulrich schließt sich hier der romanischen Tradition an, denn wie im ‚Roman de la Rose ou Guillaume de Dole‘ (Anfang des 13. Jh.; f II ‚Deutschland‘ in französischer Sicht) und in den Vidas und Razos (13. Jh.) der Troubadours geht Ulrichs Erzähltext oft aus den eingeschlossenen Liedern hervor. Die Vidas und Razos sind zusammen mit der Troubadourlyrik überliefert. Die Vidas sind Lebensbeschreibungen der Troubadours, die Razos geben Erklärungen der Umstände, unter denen die individuellen Lieder entstanden sind. Die Razos waren ursprünglich wohl gemeint als Einleitung zu der Aufführung der Lieder. Oft gehen die Funktionen von Vidas und Razos durcheinander. Die Verfasser dieser altokzitanischen ‚Biographien‘ schöpften ihre Daten meistens aus den Gedichten selbst: Ihre ‚Biographien‘ sind oft eine erfundene Realität aus den Gedichtinhalten (Boutière/Schutz 1973, S. XI–XIII). Diese Kombination von Dichtung und Wahrheit ist auch eine Eigenschaft von Ulrichs von Lichtenstein ‚Frauendienst‘: Dieser ist ebenfalls eine Verbindung des Lebens des Dichters und seiner Lieder, also eine Mischung von vida und razo. Wir geben einige Beispiele: In einer Razo zum italienischen Troubadour Lanfranc Cigala, einem Zeitgenossen von Ulrich von Lichtenstein (belegt zwischen 1235 und 1278), wird gesagt (Ausg. Boutière/Schutz, S. 571): Era vau disent – e vos aujatz riccha nova – enaisi con venc ad uns chavaliers, castellans d’un ric chastel. Ez eron ric de cor e sen e d’armas e d’aver, e bels e joves de lor cors; et eron ric d’amor e de dompnei e de totz faitz plasens, et eron pros d’armas e maistres de querra. Et sobre tos los autres amadors amavan per amors doas dompnas, bellas et ensegnades e gentilz, per las cals cil feron maintz faitz d’agradatge, aisi comme se fai per amor de dompnas: bellas cortz, bels torneis, rics dons e bels acuillimenz. „Ich werde Euch jetzt sagen – und Ihr werdet eine schöne Neuigkeit erfahren – wie es bestimmten Rittern, Besitzern eines reichen Schlosses, erging. [Sie verfügten über alle äußeren und inneren Vorzüge.] Und mehr als alle andere Liebhaber liebten sie zwei schöne, gebildete und edle Damen, für welche sie schöne Taten verrichtet haben, wie man sie gewöhnlich unternimmt, um die Liebe der Damen zu erwerben: prächtige Hofhaltung, schöne Turniere, kostbare Geschenke und schöne Empfänge.“

Was hier von den okzitanischen Rittern erzählt wird, trifft auch für Ulrichs von Lichtenstein ‚Frauendienst‘ zu. Ulrich verrichtet gleichfalls schöne Ta-

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Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250

ten für seine Dame(n), kennt prächtige Hofhaltungen mit kostbaren Geschenken und reichen Empfängen und beteiligt sich an festlichen Turnieren. Die Vidas und Razos der Troubadours teilen uns Verkleidungsszenen mit: Peire Vidal liebte die Tochter von Raimon de Pennautier, Na Loba, und aus Liebe zu ihr nannte er sich Lop („Wolf“), verkleidete sich mit einer Wolfshaut und ließ sich von den Hirten mit ihren Hunden jagen (Ausg. Boutière/Schutz, S. 368ff.). Ulrich von Lichtensteins ‚Frauendienst‘ kennt drei große Verkleidungsszenen: den Aufenthalt unter den Aussätzigen, die Venusfahrt und die Artusfahrt. Weiter erzählen die Vidas und Razos von der fellonia, der Treulosigkeit der Dame. So verläßt der Troubadour Guilhem de Saint Didier (1147–1195) seine Dame, weil sie, als Guillem nicht zu Hause war, eine Liebesnacht mit einem anderen Mann verbracht hat. In seinen Liedern erwähnt Guilhem diese fellonia (Ausg. Boutière/Schutz, S. 274ff.). Andere Troubadours, etwa Bernart de Ventadour (fl. 1147–1170), Raimon de Miraval (fl. 1185–1213), Uc de Saint Circ (fl. 1210–1250), kennen diese Situation in ihren Liedern auch. In den Vidas und Razos werden die Troubadours manchmal des Ehebruchs beschuldigt. Ähnlich macht es der Stricker (fl. 1220–1250), der sich in der französischen Dichtung gut auskannte, in seiner Versgeschichte über die Minnesänger (Bumke 1987, S. 555). Auch bei anderen Minnesängern der nachwaltherischen Lyrik bis etwa 1250 treten neue Begriffe in der Terminologie auf, die in der Romania und bei Ulrich von Lichtenstein nachweisbar sind. So stellt die untât der höfischen Dame einen Scheidungsgrund zwischen den Liebenden dar. Die unstaete und die missetât der boesen wîp sind für Liutolt von Savene (KLD 35, Lied 2, Str. IV) eine Ehre der guoten wîp. Der ‚tuginthafte Schrîber‘ (um 1250) will, wie es sich gehört, nichts über die Untaten seiner Dame sagen (KLD 53, Lied 8, Str. III,8: des ich vil durch zuht verdage), und Neidhart sagt uns sehr deutlich, was er mit der Untat meint: Er schilt die Dame lôsiu hoverîbe „leichtsinnige Hofhure“ (Ausg. Wiessner, Nr. 28, Str. II,3). Der schwäbische fahrende Minnesänger ‚der wilde Alexander‘ (nach 1250) behauptet von seiner Dame (KLD 1, Lied 2, V. 9f.): umb sündic guot ich sie vil schalt / sist kebeslîcher minne balt („Wegen sündiger Geschenke habe ich ihr wiederholt Vorwürfe gemacht, sie hat zu viele uneheliche Liebschaften.“). Auch bei Ulrich von Lichtenstein kommt die fellonia der Troubadours als untat vor: In Strophe 1361 seines ‚Frauendienst‘ teilt er uns mit, daß seine Vrowe ein dinc tat, eine missetat – im ‚Frauendienst‘ auch untat genannt – beging. Im ‚Leich‘ (‚Frauendienst‘, Lied XXV, V. 42–44) sagt er schließlich: Mîn muot von wîben hôhe stât, / waz danne ob mir einiu hât / erzeiget hôhe missetât? Die Dame sei unstaete (V. 64) gewesen und habe sich einen anderen Liebhaber genommen.

Elemente romanischer Herkunft im einzelnen

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Diese Untat kann Anlaß zu Scheltliedern sein. Die Vidas und Razos erwähnen manchmal, daß die Troubadours mal dire, d.h. daß sie Scheltlieder über die Dame schreiben. Uc de Saint Circ trennt sich, nachdem er gehört hat, daß Dame Clara einen anderen Liebhaber hatte (Ausg. Boutière/ Schutz, S. 245): se parti malemen de ma dompna Clara, et commenset a maldir d’ella et lausar ma dompna Ponsa („Uc trennte sich in niederträchtiger Weise von Dame Clara und fing an, schlecht über sie zu reden und Dame Ponsa zu loben.“). Auch andere Troubadours kennen diese Scheltlieder, z.B. reagieren Peire Vidal (fl. 1185–1205) und Raimon de Miraval damit auf die felonia, das mal, also die Untat der Dame. Bei Ulrich von Lichtenstein ruft die Untat der Dame ebenfalls Scheltlieder (‚Frauendienst‘, Lied XX) hervor, die ihm später vielfach vorgeworfen werden (ebd., Str. 1364): Owê, daz ez ir ie geschach / und owê, daz ich ie gesprach / in mînem zorn iht gegen ir, / daz doch her nâch verwîzet mir / an disem buoche vil manic munt, / dem doch niht leider reht ist kunt, / mit wie getâner missetât / si ez gein mir gedienet hât. Die Vidas und Razos prätendieren Biographien zu sein; in Wirklichkeit sind sie eine Mischung von Wirklichkeit und Fiktion. So sagt die Vida des Troubadours Cercamon (Ausg. Boutière/Schutz, S. 9): „Und er bereiste die ganze Welt. Deshalb nannte er sich ‚Cherche-monde‘ (‚Suche die Welt‘).“ Solch gewagte Interpretationen der Dichternamen finden sich auch in den Minnesängerbildern des Codex Manesse: Der Minnesänger Günther von dem Vorste (fol. 314v) befindet sich mit einer Dame in einem Wald, Hetzbold von Weißensee (fol. 228r) jagt ein Wildschwein, und Otto von Botenlouben (fol. 27r) – der in seinen Liedern auch französische Wörter gebraucht (s. Kap. 4.3) – ist wie ein Bote dargestellt.

4.3 Elemente romanischer Herkunft im einzelnen Die fünf Stufen der Liebe – Die Vasallität – Den Finger abschlagen – Der Natureingang – Das Stummheitsmotiv – Der geblümte Stil – Der Refrain – Frîer man – Motivik aus Italien – Fremdwörter – Bezzer danne guot

Die fünf Stufen der Liebe Die Troubadourlyrik steht mit ihrer fin’amor an der Wiege der deutschen hôhen minne. Beide Minnearten werden meistens als Entsagungs- oder Läuterungsminne (Bumke 1987, S. 135 u. 818f. [Literatur]) aufgefaßt. Der Romanist Moshe Lazar (1964, S. 258–267) war einer der ersten Forscher,

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Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250

der dem Terminus amour courtois in der Bedeutung ‚Entsagungsliebe‘ mißtraute: „Chez les troubadours la sensualité, l’erotisme, l’amour charnel orientent leur poésie“ (ebd., S. 133). Bei den deutschen Minnesängern kann man in ihrer Handhabung der fünf Stufen der Liebe eine ähnliche Erscheinung feststellen. Diese Stufen haben eine alte Tradition. Schon bei Terenz (um 190–159 v. Chr.) werden sie erwähnt; sie sind als linea amoris im ganzen Mittelalter bekannt geworden. Im 4. Jahrhundert sagt Aelius Donatus (320–380 n. Chr.): quinque lineae perfectae sunt ad amorem: prima visus, secunda alloquii, tertia tactus, quarta osculi, quinta coitus (‚Terenz-Kommentar‘ 640,2); und nach ihm wurde dieser Topos in der lateinischen Dichtung wiederholt angewendet. Noch in den ‚Carmina Burana‘ (CB 88) heißt es: Ut, quem decet fieri, / Ludum faciamus. […] Volo tantum ludere, / Id est: contemplari, / Presens loqui, tangere, / Tandem osculari; / Quintum, quod est agere, / Noli suspicari! („Innerhalb der Grenzen des Anstandes wollen wir ein Spiel spielen. […] Ich möchte soweit spielen, nämlich: dich betrachten, persönlich sprechen, dich streicheln und dann küssen und fünftens schließlich: ‚es tun‘, aber das unterstelle mir nicht!“). Auch die romanische Lyrik wurde durch die fünf Stufen angesteckt (Curtius 1948, S. 501f.; Akehurst 1989; Lazar 1995, S. 82f.). Und die Troubadours kennen obscénités und ambiguités in ihrer Lyrik (Nelli 1963; Bec 1984). Sowohl die Trouvères als auch die Minnesänger geben sich meistens zurückhaltender, aber im Minnesang kann schon jede fortgeschrittene Stufe der Liebe als pars pro toto der letzten Stufe Anlaß zu Doppeldeutigkeiten sein. Man muß mit zwei Entwicklungsmöglichkeiten rechnen (f Minnesang V, Kap. 5.1): 1) Der Minnesänger dichtet in der Tradition der deutschen Lyrik; 2) der Minnesänger dichtet vom Standpunkt der romanischen Lyrik aus. Die erste Möglichkeit kommt am häufigsten vor: Die Stufen der Liebe werden innerhalb der deutschen Lyrik fortgesetzt, und man kann mit einem Vorwissen eines großen Teiles des Publikums rechnen. Die zweite Möglichkeit kann sich nur einem begrenzten Publikum erschließen: Den meisten Zuhörern und Lesern wird die romanische Lyrik fremd geblieben, aber in einer mehrsprachigen Umgebung mag sie durchaus vertraut gewesen sein. In der Troubadourpoesie treten die fünf Stufen schon bei Bernard de Ventadour (1125–1195) auf (Akehurst 1973). Auch in Nordfrankreich waren die fünf Stufen in der Lyrik und in der Epik bekannt. In der mittelhochdeutschen Epik erscheinen sie etwa im ‚Moriz von Craûn‘ (V. 525ff.) und in Gottfrieds von Straßburg ‚Tristan‘ nach dem Trinken des Liebestrankes (V. 11845–12168), in der spätmittelalterlichen niederländischen Literatur z.B. in der ‚Ballade von Brunenburch‘ (Van Buuren 1984) und bei Dirc Potter (1370–1428) in seinem ‚Der minnen

Elemente romanischer Herkunft im einzelnen

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loep‘, einer mittelniederländischen Ars amandi (Van Buuren 1979). Eine Analyse der fünf Stufen in der deutschen Lyrik von 1170 bis 1230 hat gezeigt, daß auch dort – trotz der vielmals betonten Abstraktion und Ethik der Minnesänger (s.o.) – das Streben des Mannes oft auf die Erfüllung seiner erotischen Wünsche gerichtet ist (Beekers 2000; Knapp 2009). Die Minnesänger der nachwaltherischen Periode verwenden die linea amoris ebenfalls, so daß auch hier romanischer Einfluß möglich ist. So sagt Walther von Klingen, urkundlich belegt 1240–1286 (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XI, Lied 3; Ausg. Schiendorfer, Nr. 5, Lied 3): V. 9 Dô von êrst ir liehten ougen lieplîch sâhen in daz herze mîn (1. Stufe); V. 15ff. Owê, fröiderîchez grüezen (2. Stufe) und owê, minneclîcher rôter munt, wenne wiltu swaere büezen mir? (3. Stufe); V. 22–25 Minneclîchez umbevâhen / daz tuot von den reinen wîben wol. / swem si went mit küssen nâhen, / waz der ganzer staete haben sol! (4. Stufe); V. 34f. sô muoz si mir sorge ringen: / dar nâch kurzer stunde will ich froelich sîn (5. Stufe). Weitere Beispiele sind: Kristan von Hamle (um 1225; KLD 30, Lied 1, Str. I, V. 1, 4 u. 10, Str. II, V. 3, 5 u. 10, Strophe III, V. 1, 3 u. 7), Ulrich von Lichtenstein (KLD 58, Lied 36, I,4 u. 7, II,2 u. 6, III,1f.,4 u. 6, IV,3f., V,7f., VI,3ff., VII,1ff.), Otto zum Turne I (bis 1275; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XVIII, Lied 1; Ausg. Schiendorfer, Nr. 17, Lied 1, V. 25ff.), Rudolf von Rotenburg (um 1257; KLD 49, Leich 2 [S. 363], V. 11, 16f., 23 u. 38), Walther von Klingen (1229–1286; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XI, Lied 3; Ausg. Schiendorfer, Nr. 5, Lied 3: Stufe I, II, III, IV, V), Heinrich von Sax (1235–1258; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XIV, Lied 3; Ausg. Schiendorfer, Nr. 6, Lied 3: Stufe I, II, IV, V) und Johannes Hadlaub (um 1300; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XXVII, Lied 16; Ausg. Schiendorfer, Nr. 30, Lied 16: Stufe I, II, IV, V, Lied 51: Stufe II, III, IV, V). Die Vasallität Der Vasallitätsvertrag zwischen dem Herrn und dem Vasallen findet folgendermaßen statt: 1) Im hominium kniet der Vasall vor dem Herrn, legt seine gefalteten Hände in die des Herrn und sagt, daß er bereit ist, ihm zu dienen. 2) Der Vasall schwört Treue und legt seine Hand auf eine res sacra, eine Reliquie. 3) Im osculum küssen der Herr und der Vasall sich auf den Mund. Die Verpflichtungen des Vasallen sind Dienst und Gehorsam. Der Herr hat die Pflicht in omnibus vicem reddere, das heißt praktisch, daß er sich verpflichtet, den Vasallen zu schützen und zu unterhalten. Die romanische Forschung hat die Vasallität schon früh bei den Troubadours und Trouvères nachgewiesen: Wechssler (1902) hat die Vasallitätstermini in der

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romanischen Lyrik aufgedeckt, Pellegrini (1944) untersucht sie bei den ersten Trouvères, und Lejeune (1979, S. 104–120) weist sie bei dem ersten Troubadour, Guillaume IX. von Aquitanien (um 1100), nach. Auch für die deutsche Lyrik wurde die Vasallitätsterminologie studiert (u.a. Kluckhohn 1961). Nach Ansätzen bei Reinmar dem Alten, Heinrich von Morungen und anderen Minnesängern ist Burkhard von Hohenfels, bezeugt in Urkunden zwischen 1212 und 1242, der erste Minnesänger, der die Vasallitätsterminologie in seinem Lied KLD 6, Nr. 8 ziemlich ausführlich einsetzt: Ich wil die vil guoten flêhen umbe ein dinc […] daz sî lîhe mir ze lêhen und wils, ich tuon ir mannes reht: / mîne hende valde ich ir; / ruochet sîs, sô sol ich gâhen / und sol ez mit kusse enpfâhen / mit ir gêren sol siz selbe lîhen mir (vgl. Wechssler 1902; Touber 1995 u. 2009). Burkhard benutzt hier das Lehen, das Niederknien, die gefaltenen Hände und den Kuß aus der vasallischen Formel. Einfluß der Romania auf den Minnesang ist hier anzunehmen. Die Belegstellen zeigen, daß die deutsche Lyrik die Vasallität kennt (anders Bumke 1976). Den Finger abschlagen Guillem de Balaun (fl. 1200–1210) läßt sich, um seine Dame, mit der er sich überworfen hatte, wieder günstig zu stimmen, unter heftigen Schmerzen einen Fingernagel ausreißen, den er ihr zusammen mit einer entschuldigenden Chanson zuschickt. Dieses Motiv steht in der Handschrift H in der Razo von Guillem de Balaun und geht wohl auf eine italianisierende venezianische Kopie aus dem 13. Jahrhundert zurück (Ausg. Boutière/ Schutz, S. 331: Razo 208,1). Norditalien war im 13. Jahrhundert sehr an der Troubadourpoesie und an den Lebensgeschichten der Troubadours interessiert. Eine vergleichbare Geschichte wie Guillems Razo kennt Ulrichs von Lichtenstein ‚Frauendienst‘ (Str. 437–469): Aventiure, wie der herre Uolrîch sînen vinger abe sluoc und sant in sîner frowen. Da wird erzählt, wie auf einer Ritterfahrt in Norditalien nach dem großen Turnier von Brixen Ulrich von Lichtenstein von Ulrich von Bozen zur Einzeltjost eingeladen wird. Im Kampf wird dem Lichtensteiner ein Finger der rechten Hand fast abgestochen. Auf dem Weg zu einem Arzt in Bozen dichtet Ulrich auf dem Pferd, wie es vor ihm der Klosterminnesänger Venantius Fortunatus und der erste Troubadour Guillaume IX. (beide aus Poitiers) taten, ein Liebeslied. Sieben Tage liegt er danach im Krankenbett, da schickt ihm eine Verehrerin durch einen Boten vier Rittererzählungen als Geschenk und am nächsten Tag bekommt er von der unbekannten Dame eine Melodie, die in deutschen Landen unbekannt war, mit der Bitte, einen deutschen Text

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dazu zu schreiben. Ulrich dichtet danach sein Lied ‚Wê war umbe sul wir sorgen?‘ (KLD 58, Nr. 7). Seine eigene harte Dame wirft ihm Untreue mit der Unbekannten vor. Um ihr zu zeigen, wie sehr er sie liebt, läßt er den verstümmelten Finger von einem Freund mit einem Messer abschlagen. Den abgeschlagenen Finger schickt er seiner Dame als Beweis seiner treuen Liebe. Man kann sich fragen, ob die unbekannte Melodie zu Ulrichs Lied vielleicht auch aus Frankreich stammt. Die Strophenform des Liedes (Z4A– Z2B+; Z4A– Z2B+; Z4C– Z4D+ Z4C– Z4D+;) ist in der deutschen Lyrik des 13. Jahrhunderts unbekannt. In der altfranzösischen Poesie aber gibt es Entsprechungen: bei Gillebert de Berneville, Mitglied des Arraser Pui, in einer Strophe (R. 1907), die sich in der Hs. Douce 308 der Bodleiana in Oxford befindet, und in einem Lied (R. 1537) in der Hs. R (Paris, B.N. ms. fr. 1591, fol. 144). Dieses letztgenannte Lied ist mit Melodie überliefert, zeigt troubadoureske Züge und hat eben fast genau dieselbe Strophenform wie das Lied von Ulrich von Lichtenstein, das sich gut auf diese Melodie singen läßt (Sayce 1982, S. 302–311; Touber 1987). Der Natureingang Auch die Art und Weise wie Ulrich von Lichtenstein in seinem ‚Frauendienst‘ den Natureingang verwendet, kann in der romanischen Lyrik vorgegeben sein. Die Troubadourbiographien verwenden in ihren Vidas und Razos die topische Natur der Lyrik. Ein Beispiel: Die Razo zu Bertran de Born, PC 80,2 verweist auf seinen Liedtext Al douz nou termini blanc / Del pascor vez la elesta … („In der milden und neuen und reinen Osterzeit sehe ich die Ankündigung …“), dem er auf diese Weise einen Platz in der ‚Wirklichkeit‘ gibt. Ulrich von Lichtenstein kennt dasselbe Verfahren. Auch er überträgt Naturbeschreibungen aus seinen Liedeinlagen in die ‚Wirklichkeit‘ seines maere: Der Vogelgesang aus Lied XXXI (V. 11f.) wird in dem maere episiert. Das geschieht gleichfalls in seinen Liedern IV, XIII, XVII, XXIX und LIV. Das Stummheitsmotiv Die Stummheit des Liebenden ist schon in der Literatur der Antike bekannt. Auch die Troubadours seufzen, zittern, beben, werden bleich, schwach, sprachlos, ohnmächtig und verlieren ihre Sinne vor ihrer Dame seit dem ersten Troubadour Guillaume IX. Ob Ulrich von Lichtenstein,

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etwa in seinem ‚Frauendienst‘, Str. 380, V. 5–7: ein minnewunder mir geschach: / daz houbet mîn mir nider seic / mîn herze seuft, mîn munt der sweic, das Motiv aus der Romanik oder aus der früheren deutschen Poesie kennt – u.a. Reinmar, Walther (f Minnesang III, Kap. 3.4 u. ö.) – bleibe dahingestellt (vgl. Touber 1988). Der geblümte Stil Man hat die formkünstlerischen und geblümten Leichs und Liebeslieder von Konrad von Würzburg (1225–1287) als eine Fortsetzung der ‚Neifenschule‘ betrachtet (De Boor, LG III/1 [21964], S. 320), aber nachdem sich Peire Vidal schon im 12. Jh. seines ric trobar gerühmt hatte, ist – zumal sich diese Dichtungsart im 13. Jh. in Frankreich reich entwickelt hat – französischer Einfluß auch hier nicht auszuschließen (Gottschalk 1908; DLFMA [11964], S. 1451f.; Spanke 1977, S. 104f.; Hübner 1995). Die wichtigsten Gattungen bzw. Genres des Minnesangs – ‚Hohe Minne‘-Lieder (canso/ grand chant), das Tagelied (alba/aube), Kreuzzugslied (chanson de croisade), Abschiedslied (congé), der Leich (okz. descort, frz. lai) – sind in der Romania vorgegeben. Unter dem Namen des Ulrich von Gutenburg (Ende 12. Jh.; f Minnesang II, Kap. 2.4) ist – nur in Hs. C – der erste deutsche weltliche Leich überliefert. Der geblümte Stil dieses Leichs kommt im deutschen Minnesang sonst nur später vor. Konrad von Würzburg sagt selbst im ‚Partonopier‘-Prolog (V. 213): franzeis ich nicht vernemen kan; er gebrauchte Hilfe von Übersetzern bei der Arbeit an seinen Epen nach französischen Vorlagen (Bumke 1987, S. 116). In seiner Versnovelle ‚Herzemaere‘ hat er das alte Motiv des coeur mangé (des „gegessenen Herzens“) aufgenommen, das aus Frankreich stammt: Thomas d’Angleterre verwendet es in seinem Tristanroman (um 1170; f V Tristanromane), in dem ein Graf seine Frau das Herz ihres Geliebten essen läßt, und Renaut de Beaujeu (1165–1230) in seinem ‚Lai d’Ignaure‘, in dem Ignaure von den Gatten seiner zwölf Geliebten getötet wird und sein Herz und seine Genitalien den Frauen zum Essen vorgesetzt werden. Die Vida von Guilhem de Cabestanh (1165–1212) erzählt, wie er von dem eifersüchtigen Herrn von Château de Roussillon getötet worden sei, der ihm auch das Herz aus dem Körper herausgeschnitten und es seiner eigenen ehebrecherischen Frau gebraten zu essen gegeben habe. Die ausführliche Fassung dieser Vida (Ausg. Boutière/Schutz, S. 530–536) befindet sich in der auch sonst für die deutsche Lyrik bemerkenswerten Handschrift P (Anfang 14. Jh.) der Biblioteca Laurenziana in Florenz (vgl. Touber 2001). Als Beispiel möge ein Lied

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des Minnesängers Hiltbolt von Swanegöi dienen: Hiltbolt wird urkundlich zwischen 1221 und 1256 datiert. Sein Lied ‚Dô versagen mir sô nâhe gie‘ (KLD 24, Nr. 18TE) hat eine metrische Form (Z4X+ Z4A– Z4A– Z4B+ Z4B+ Z4C– Z4C– Z4D+ Z4D+ Z4C–), die in der deutschen Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts nur bei ihm vorkommt, in Frankreich aber mehrere Entsprechungen hat. Für das Lied von Hiltbolt kann eine Chanson von Peire Vidal, PC 364,33 ‚Per melhs sofrir lo maltrait e l’afan‘ („Um besser die schlechte Behandlung und Traurigkeit zu ertragen“), die Vorlage gewesen sein. Hiltbolt verwendet viele Motive, die auch in der ‚Hausenschule‘ bekannt sind. Man hat nachgewiesen, daß diese Motive schon bei den Troubadours, vor allem bei Peire Vidal, vorgegeben waren (Unlandt 1988; Mertens 1995; f Minnesang II, Kap. 2.2). Die Frage, ob innerdeutscher oder romanischer Einfluß vorliegt, ist nicht gelöst. Der Refrain Refrains werden in der mittelalterlichen okzitanischen und französischen Lyrik global in zwei Gruppen unterschieden, die auch in der deutschen Lyrik erkennbar sind. Mit chansons à refrain werden Kehrreime bezeichnet, die mit den gleichen Worten am Ende jeder Strophe eines Liedes auftreten. Man kann diese Form als „festen Refrain“ bezeichnen; er verbindet inhaltlich die Strophen, die sonst unterschiedliche Inhalte aufweisen. Die chansons avec des refrains dagegen sind Kehrreime, deren Text nach jeder Strophe variiert. Man kann diese Art „variierenden Refrain“ nennen; er begleitet meistens die Gedankengänge der Einzelstrophen. Der Refrain kommt bei den Troubadours nicht allzuoft vor, ist bei den Trouvères dagegen sehr beliebt. Der frühe deutsche Minnesang kennt beide Typen, aber sie sind nur einige Male belegt. Das erste Beispiel eines festen Refrains ist wohl Friedrich von Hausen, MF 49,37 ‚Ich sihe wol, daz got wunder kan‘. In dem zweistrophigen Lied wiederholt sich der Kehrreimtext mîn vrowe sehe, waz sî des tuo! / dâ stât dehein scheiden zuo. Man vergleiche auch Heinrichs von Veldeke Lied MF 60,13 ‚Der blîdescaft sunder riuwe hât‘ und Heinrich von Morungen, MF 143,22 (Owê am Anfang und Dô tagte ez am Ende jeder Strophe). Es war aber Dietmar von Eist, der in ‚Nu ist ez an ende komen‘ (MF 38,32) zum ersten Mal den Refrain gebrauchte. Es handelt sich um den variierenden Refrain – nach der ersten Strophe lautet er: sô hôh ôwî! / si benimet mir mange wilde tât, nach der zweiten Strophe: sô hôh ôwî! / wol ime, wie er daz gedienet hât, und nach der dritten Strophe: sô hôh ôwî! / sol ich ir lange vrömde sîn. Auch Heinrich von Rugge, MF

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101,15 ‚Got hât mir armen ze leide getân‘ gebraucht diesen Typ: Die drei zweizeiligen Kehrreime variieren ihren Text. Ein anderes Beispiel ist Albrecht von Johansdorf, MF 90,16 ‚Ich wil gesehen, die ich von kinde‘. Im späteren Minnesang treten Ulrich von Winterstetten (belegt 1241–1280) und Steinmar (ab 1250?) mit vielen Refrains beider Typen hervor; im 15. Jahrhundert ist der Refrain besonders bei Oswald von Wolkenstein und im Augsburger Liederbuch vom Jahre 1454 ziemlich oft vertreten. Die Übereinstimmung mit den vorangegangenen romanischen Reimarten legt französischen Einfluß auf den Minnesang nahe (Gennrich 1932; Boogaard 1969; Hausner 1980 u. 2005). Die Lyrik Burkhards von Hohenfels (KLD 6), der von der Burg Hohenfels am Bodensee stammt, leitet sich vom klassischen deutschen Minnesang und von der auf französischem Boden ausgeprägten lateinischen Poetik ab (Kuhn 1967, S. 40, Anm. 118; f Minnesang V, Kap. 5.2); Burkhard verkündigt in seinen festen Refrains der Lieder VII und XI (fröide unde frîheit / ist der werlte für geleit) den für seine Lyrik charakteristischen Drang zur Freiheit in der Liebe. Bei Otto von Botenlouben (KLD 41, Lied 13) und mehrfach bei dem Marner werden, wohl nach romanischem Vorbild, Kehrreime (Stânt ûf, ritter!; aldâ luht im der tac etc.) in Tageliedern verwendet: In der Provence war das Kehrreimwort alba („es wird Tag“) fast obligatorisch, und auch die altfranzösische Lyrik kennt im Laufe des 13. Jahrhunderts eine Zunahme von Kehrreimen in den Tageliedern (Sayce 1982, S. 277–279). Frîer man Bei der beträchtlichen Zahl von Minnesängern des 13. Jahrhunderts, die laut den Handbüchern auf die Waltherperiode zurückgegriffen hätten, wäre die Frage zu stellen, inwiefern sie auch direkt von Frankreich her beeinflußt sein könnten. Man erkennt z.B. deutlich die Reihenfolge ‚erster Dienst – Bruch und frîer man – zweiter Dienst‘, wenn um 1225 Liutolt von Savene (KLD 35, Lied 3, Str. II) singt: Wünschet daz mîn niuwez werben / baz verende dan daz alte habe getân, / ald ich muoz an fröiden sterben, / sît ich herzeliep alrêste funden hân. / ich was frî; nu hât mîn herze sich ergeben / in der dienste ich muoz verderben, / einem wîbe, der ich muoz für eigen leben. Liutolt kann zwar auf Walther zurückgegriffen haben, aber auch die romanische Lyrik der Zeit strotzte vor solchen Aussagen. Es kommt noch die Erwägung hinzu, daß die Reihenfolge ‚erster Dienst – Bruch – zweiter Dienst‘ mit einer Zwischenphase als frîer man charakteristisch für die romanische Gattung ist. Aus logischen Gründen – ‚man muß zuerst von der ersten Dame reden,

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bevor man sie verlassen kann‘ – haben Wackernagel, von Kraus und ihre Nachfolger die Reihenfolge der Handschriften B und C verworfen und die Strophen 1 und 2 vertauscht. Aber Peire Vidal kennt in seinem Lied ‚Estat ai gran sazo‘ („Ich war seit längerer Zeit traurig“; Ausg. Anglade, Nr. 24) dieselbe Reihenfolge der Strophen wie Liutolt in den Hss. B und C: Er lobt zunächst die neue Dame, und danach erwähnt er die erste. Der ‚lachmannische‘ Eingriff in die handschriftliche Überlieferung in KLD ist unzulässig. Motivik aus Italien Das Zusammentreffen von Troubadours und Minnesängern in Italien hat nachweislich auch zu literarischen Kontakten geführt. In dem anonymen Troubadourlied PC 296,1a ‚Dona, a vos me coman‘ („Herrin, ich empfehle mich Eurer Gnade“) ist der männliche Sprecher ein Marquis (von Monferrato), der der Dame seine Liebe beteuert und um Liebeserfüllung bittet. Wegen seiner hohen Stellung versucht die Dame den zudringlichen Liebhaber subtil fernzuhalten, indem sie seine Worte bewußt falsch versteht. Schließlich sagt die Dame ihm einen Kuß zu, aber am Ende weist sie ihn, da er zu viel verlangt, heftig zurück. Schon der Minnesänger Albrecht von Johansdorf (urkundet 1180–1209) nimmt das Lied als Vorlage für sein Lied MF 93,12 ‚Ich vant si âne huote‘. Es ist möglich, daß Johansdorf den Vortrag des okzitanischen Liedes am Hof von Monferrato gehört hat. Die letzte Strophe (VII,3–6) von Johansdorfs Lied lautet: (Die Dame spricht:) iu sol wol gelingen, / âne lôn sô solt ir niht bestân, (der Mann spricht:) Wie meinent ir daz, vrowe guot?, (die Dame:) daz ir dest werder sint / unde dâ bî hôchgemuot. Dies läßt sich aber – im Gegensatz zu der okzitanischen Vorlage – als ein Versprechen der Erfüllung der erotischen Wünsche des Mannes deuten (Touber 1994 u. 2007; Zotz 2005, S. 212f.). Der Schweizer Waltheradept Ulrich von Singenberg (fl. 1228–1240) kennt in seinem Lied ‚Frouwe, ich waere gerne vrô‘ (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. II, Lied 7; Ausg. Schiendorfer, Nr. 12, Lied 5) eine ähnliche Situation wie in PC 296,1a und Johansdorfs Lied. Singenbergs Lied endet mit den Worten der Dame (V. 30): so sult ir niht verkunnen iuch darumbe guoter zuoversiht („So sollt Ihr deshalb nicht verzweifeln an der Erfüllung Eurer Wünsche“), womit sie dem Mann ihre Liebe zusagt. Damit interpretieren sowohl Albrecht von Johansdorf wie Ulrich von Singenberg den ursprünglichen Text von ‚Dona, a vos me coman‘ in derselben, von der Vorlage abweichenden Weise. In Singenbergs Tagelied (Ausg. Bartsch, Lied 9; Ausg. Schiendorfer, Lied 7, V. 1f. u.

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7f.) heißt es: Wie hôhes muotes ist ein man, / der sich zuo herzeclichen liebes schoenem lîbe hât geleit! […] Geselliclicher umbevanc / mit blanken armen sunder wân tuot senede herze hôhgemuot. Die provenzalischen Äquivalente von hôher muot sind pretz e valor und joy, womit die sexuelle Liebe angedeutet wird (Lazar 1964, S. 104–117; Resnick Alfonsi 1986, S. 294ff.). Bezzer danne guot Der Ausdruck mielhs de be („besser als gut“) kommt in der Troubadourlyrik schon früh vor: Arnaut Daniel (1150–1200) sagt: PC 29,17, Str. VI,1f. Na Mielhs-de-be, ja no’m siatz avarga, qu’en vostr’amor me trobaretz tot blanc („Dame Bezzer danne guot, seid mir nicht feindlich gesinnt, Ihr werdet mich sehr ehrenwert finden und ich liebe Euch noch immer sehr.“). Auch dem einflußreichen Troubadour Folquet de Marseille (1178–1231) war mielhs de be bekannt. Die deutsche Lyrik kennt den Ausdruck seit Rudolf von Fenis (MF 83,9; Touber 1970), und der mhd. Ausdruck bezzer danne guot folgt von da an der altokzitanischen Bedeutung. Tannhäusers Leich Nr. 4 (Ausg. Siebert) – der deutsche Leich hat ohnehin viel Gemeinsames mit den romanischen Genres descort, lai, estampida, estampie (Sayce 1982, S. 405) – sagt von der Dame: diu ist noch bezzer danne guot, und bei Burkhard von Hohenfels heißt es in einem Lied mit ‚Stabat mater‘-Strophik (KLD 6, Nr. 6, Übergang Str. IV/V): si ist doch guot. / Ez waer bezzer, ich verdürbe. Das Altokzitanische be in mielhs de be bekommt im Laufe der Zeit zwei Bedeutungen: 1) Adjektiv ‚gut‘, 2) Substantiv ‚Gut, Besitz‘. Matfré Ermengaud faßt die Entwicklung 1288 folgendermaßen zusammen (‚Breviari d’amor‘, Ausg. Ricketts, Bd. V [1976], Z. 29977): Mielhs de dona, mielhs d’amor, mielhs de tot quan mais dir vueil … („Besser als Frau, besser als Liebe, besser als alles, das ich dir sagen will …“). Inwiefern der deutsche Minnesang diese Entwicklung mitmacht, wurde noch nicht untersucht. Fremdwörter (von Nicolaas Unlandt) Der Minnesänger Tannhäuser (greifbar zwischen 1245 und 1266; vgl. Siebert 1934; Cammarota 2009) wird hier, hauptsächlich ausgehend von seinen vermeintlichen Kenntnissen der französischen Sprache, als ein Sonderfall romanischen Einflusses verstanden. Französische Lehnwörter sind im Minnesang vor und nach Tannhäuser nicht unbekannt und können ihren Ursprung in so unterschiedlichen Gebieten wie der Literatur, den Wis-

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senschaften – obwohl es hier eine starke Konkurrenz des Lateinischen gibt – oder sogar im ritterlichen, geistlichen oder bürgerlichen Alltag haben (Bumke 1976 u. 1987; f II Höfisch-ritterlicher Wortschatz). Ein methodologisches Problem ist die Zeitbestimmung der Aufnahme eines Wortes aus dem lateinischen, altfranzösischen oder altokzitanischen in den deutschen Wortschatz. Der beschränkte Rahmen dieser Arbeit erlaubt es uns nicht, dieses Problem weiter zu erörtern, so daß es sich hier hauptsächlich um ein Inventar bestimmter romanischer Wörter handeln wird. Wir geben zunächst Beispiele aus dem Minnesang außerhalb Tannhäusers Dichtung. Wissenschaftlicher Herkunft sind Wörter wie adamas/adamant (‚Magnet‘), zweimal verwendet von Herzog Heinrich von Breslau; eccentricôs (‚exzentrisch‘), verwendet vom Kanzler; element (‚Element‘), ebenfalls beim Kanzler; kokodrille (‚Krokodil‘), in verschiedenen Schreibarten verwendet von Süßkind dem Juden von Trimberg und vom Kanzler; nigromanzî (‚schwarze Kunst‘), verwendet von Süßkind dem Juden von Trimberg; plân (‚Feld, Ebene‘), mehrmals verwendet von Konrad von Würzburg und von Meister Johannes Hadlaub; plânête (‚Planet‘), verwendet vom Kanzler, und der Name Tremuntân/Tremuntânen, verwendet von Rudolf von Rotenburg. Wörter, die dem Bereich des ritterlichen Lebensstils zugehören, sind u.a. âventiure (Abenteuer), verwendet von Burkhard von Hohenfels, Otto von Botenlouben, Rudolf von Rotenburg, König Wenzel von Böhmen und Ulrich von Singenberg; banier/baniere (‚Banner‘), verwendet von Konrad von Würzburg im ‚Turnier von Nantes‘; massenie (‚Haushalt, feudales Gefolge‘), verwendet von Konrad von Würzburg. Aus dem Bereiche des geistlichen Lebens stammen z.B. crêatiure (‚Geschöpf‘), verwendet von Gottfried von Neifen, Konrad dem Schenken von Landegge und Konrad von Würzburg. Die höfische Liebe französischer Prägung hat dem deutschen Wortschatz u.a. amîs (‚Freund, Liebhaber‘), verwendet von Otto von Botenlouben und dem von Buwenburg, und Amor (‚Minne‘), verwendet vom wilden Alexander, gegeben. In allgemeinerem Sinne besitzt der Wortschatz des Minnesangs der Zeit romanische Wörter wie dormieren (‚schlafen‘; belegt beim Grafen von Anhalt), galander (ein Vogelname; verwendet von Meister Johannes Hadlaub), kundewieren (‚führen‘; verwendet von Ulrich von Winterstetten), marner (‚Seefahrender‘; verwendet vom Kanzler) und murmerieren (‚flüstern‘; verwendet vom Schulmeister von Eßlingen). Romanische Bezeichnungen kommen im Minnesang dieser Zeit also ziemlich weit verbreitet vor. Tannhäuser ist deswegen ein Sonderfall, weil er sich gelegentlich für eine systematische Benutzung des französischen Wortschatzes entscheidet: Das schon erwähnte adamant verwendet er einmal; er kennt auch plân und plâniure, crêatiure und gamandrê (eine Pflanze). Außerdem be-

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dient er sich einer Reihe von geschickt aus dem Französischen abgeleiteten Infinitiven wie (t)schantieren (‚singen‘), parlieren (‚reden‘) und salûieren (‚grüßen‘). Des wissenschaftlichen Wortschatzes bedient er sich ebenfalls mit großer Begeisterung: astronomîe, nigromanzî, rubîn, salamander, discordia, oriende und occidende; aus dem Alltag stammt etwa parol/parolle (‚Wort, Rede‘); französischer amour courtois lebt bei ihm weiter in Wörtern wie (t)schoie (‚Freude‘), bel amis, dulze, bel amur und faitiure (‚Gestalt, Ausrüstung, Putz‘). Tannhäuser parodiert wohl bewußt die höfische Minne und ist als Neidhartschüler zu betrachten, aber er läßt durch sein preziöses fremdsprachiges Wortspiel den Geschmack und die Französischkenntnisse seines kritischen Publikums erkennen. Die frühen deutschen Lyriker gebrauchen – im Gegensatz zu den Epikern – kaum französische Lehnwörter: Man operiert mit Bedeutungsentlehnung, wobei eine fremdsprachige Bedeutung einem schon existierenden Wort der Muttersprache unterlegt wird.

Literaturverzeichnis 1) Textausgaben Romanische Texte: [Arnaut Daniel] The Poetry of Arnaut Daniel, hg. u. übers. v. James J. Wilhelm, New York u.a 21986. [Bertran de Born] The Poems of the Troubadour Bertran de Born, hg. u. übers. v. William D. Paden, Berkeley u.a. 1986. Biographies des troubadours. Textes provençaux des XIIIe et XIVe siècles, hg. u. übers. v. Jean Boutière u. Alexander Herman Schutz, Paris 1973. Le breviari d’amor de Matfre Ermengaud, hg. v. Peter T. Ricketts, bisher 4 Bde., London 1976ff. [Peire Vidal] Les poésies de Peire Vidal, hg. v. Joseph Anglade (CFMA 11), Paris 21966. Lateinische Texte: [Aelius Donatus, Terenz-Kommentar] Aelii Donati quod fertur Commentum Terenti, hg. v. Paul Wessner, 3 Bde., Leipzig 1902–1908. Germanische Texte: Gottfried von Straßburg, Tristan, hg. v. Karl Marold, bearb. v. Werner Schröder, Berlin 1977. Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, in: Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur, Turnei von Nantheiz, Sant Nicolaus, Lieder und Sprüche, hg. von Karl Bartsch, Wien 1871, S. 1–312.

Literaturverzeichnis

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Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250

Einleitung

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5 Minnesang V: Der deutsche Minnesang nach 1250 von Nicolaas Unlandt 5.1 Einleitung – 5.2 Romanische und innerdeutsche Einflüsse – 5.3 Tabelle: Innerdeutsche Einflußwege

5.1 Einleitung In der Einleitung zu seiner 1886 veröffentlichten Ausgabe der Schweizer Minnesänger schrieb Karl Bartsch über die Möglichkeit romanischer Einflüsse im deutschen Minnesang u.a., daß „am Ende des dreizehnten Jahrhunderts eine Nachahmung von Trobadorliedern des zwölften ganz undenkbar ist“ (SMS, Ausg. Bartsch, S. XI; Ausg. Schiendorfer, S. XVf.). Diese Behauptung des großen Philologen wirkt bis heute nach: Seit Bartsch gilt noch immer eine Einteilung der deutschen mittelalterlichen Lyrik in vier Perioden. Während die erste durch donauländische Dichter geprägte vielen Forschern als frei von romanischen Einflüssen gilt (f Minnesang I), zeigt die zweite (die der sog. Hausenschule) unverkennbare romanische Einflüsse (f Minnesang II). Die dritte Periode umfaßt die Lyrik der ‚fünf Großen‘ (Albrecht von Johansdorf, Heinrich von Morungen, Hartmann von Aue, Reinmar von Hagenau und Walther von der Vogelweide; f Minnesang II u. III), bei denen sich ebenfalls romanische Züge finden. Die von Rooth (1928; vgl. auch Hemmes-Hoogstadt 2005) entdeckten frühen niederdeutschen Bruchstücke lassen sich dahingehend deuten, daß der spätere Minnesang heimische Traditionen fortsetzte, die im niederdeutsch-niederländischen Gebiet noch bewahrt waren (vgl. aber f Niederländische Lyrik, Kap. 7.8). Hugo Kuhn (1952, S. 146f., Anm. 2) hat dagegen vermutet, daß der spätere Minnesang an der nordfranzösischen Liedkunst ausgerichtet war; Ranawake (1976) konnte wiederum keine direkten Einflüsse konstatieren. Nach gängiger Meinung steht die Lyrik der nachwaltherschen Zeit in der in früheren Perioden von der Romania beeinflußten deutschen Tradition. In den letzten Jahrzehnten hat es Versuche gegeben (Touber 1988; Unlandt 1992 u. 2001), den eher dogma-

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Minnesang V: Der deutsche Minnesang nach 1250

tischen Charakter dieser Einteilung zu revidieren. Gerade das Schaffen des am 6. Januar 1275 oder 1276 gestorbenen steirischen Dichters Ulrich von Lichtenstein (KLD I, S. 428–494, u. II, S. 519–557; Linden/Young (Hgg.) 2010) hat den Anlaß dazu geboten. Seine ‚autobiographischen‘ Werke ‚Frauendienst‘ und ‚Frauenbuch‘ enthalten beide von romanischen Vorbildern geprägte Episoden. Ulrich könnte in Italien die dort noch immer sehr lebendige okzitanische Dichtung kennengelernt haben. Sein ‚Frauendienst‘ scheint von provenzalischen Vidas und Razos beeinflußt, zudem berichtet er, daß seine Dame ihm eine romanische Melodie für ein neues, deutschsprachiges Lied zugeschickt habe. Leben und Werk dieses nicht nur dichterisch, sondern auch politisch sehr aktiven Minnesängers, und seine für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts überdurchschnittlich gute Beherrschung einer eher romanisch als deutsch anmutenden Verskunst scheinen gute Gründe dafür abzugeben, einen direkten Kontakt mit der zeitgenössischen französischen oder okzitanischen Dichtung anzusetzen (f Minnesang IV, Kap. 4.2). Wir unterstellen daher die Möglichkeit – und in einigen Fällen die Wahrscheinlichkeit – des romanischen Einflusses im deutschen Minnesang der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Es wird sich dabei vor allem um Einflüsse im Bereich der Textinhalte, gelegentlich aber auch um formal-technische Parallelen zwischen Minnesang und romanischer Dichtung handeln. Dazu teilen wir die einzelnen Dichter in ‚Schulen‘ ein. Der Begriff „Schule“ ist hier locker zu verstehen, denn es wird sich zeigen, daß mehrere Dichter aus der Periode nach 1250 verschiedenen Einflüssen ausgesetzt waren. Sänger, die keine eindeutig identifizierbare Verbindung mit Vorbildern der deutschen poetischen Tradition haben, werden dabei besonders interessant: Ihre Unabhängigkeit von großen Namen wie Reinmar, Walther oder Gottfried von Neifen mag feststehen, aber wie verhalten sie sich zur altfranzösischen und zur altokzitanischen Lyrik? Die Vielfalt der ‚Schulen‘ wird in einer am Schluß dieses Beitrags abgedruckten Tafel veranschaulicht (Kap. 5.3).

5.2 Romanische und innerdeutsche Einflüsse Minnesänger mit unsicherer chronologischer Zuordnung Ich schicke der Darstellung dieser ‚Schulen‘ eine Diskussion der Minnesänger mit unsicherer oder unbekannter Chronologie voraus. Für von Buchein (KLD 5), den Düring (KLD 8), Niune (KLD 39), von Wissenlo

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(KLD 68) sowie die Schweizer der Taler (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. IV; Ausg. Schiendorfer, Nr. 25) und Winli (Ausg. Bartsch, Nr. XV; Ausg. Schiendorfer, Nr. 17) gibt es keine sichere Datierung. Den von Sachsendorf (KLD 51), Süßkind den Juden von Trimberg (KLD 56) und den Schweizer Heinrich von Tetingen (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XVII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 29) kann man nur annähernd datieren. Unter den elf von Buchein (KLD 5) zugeschriebenen Strophen sind sechs, die in der handschriftlichen Überlieferung auch unter des von Trostbergs Namen (vielleicht tätig um 1300; SMS, Ausg. Bartsch, Nr.XXV; Ausg. Schiendorfer, Nr. 19) vorkommen. Man hat in den übrigen Gedichten des letzteren den Einfluß Gottfrieds von Neifen erkannt. Die zwei Gedichte ‚Seht wâ meie mit vil wünne‘ und ‚Wan sagent ir mir, frou Minne‘ zeigen diese Einwirkung jedoch nicht. Ein traditioneller, nicht auf ein bestimmtes Vorbild zurückzuführender Natureingang eröffnet das erste Lied, dessen zweite Strophe ebenfalls keinen eindeutigen romanischen Einfluß aufweist. Das Wort küniginne des sechsten Verses erinnert an Heinrich von Morungen (MF 140,32) oder einen anderen, von ihm beeinflußten Dichter. Über die Person von Süßkind dem Juden von Trimberg (KLD 56) ist mehr geschrieben worden als über seine dichterische Tätigkeit (vgl. Weigand 2000). Daß er Jude war, ist für viele Forscher deutlich, während andere davon nicht überzeugt sind. Es ist vor allem die zweite Strophe des fünften Liedes ‚Wâhebûf und Nichtenvint‘, deren siebter Vers ich wil in alter juden leben Anlaß gegeben hat, über die Person Süßkinds zu streiten. Daß Süßkinds Strophen moraldidaktisch sind, ist offensichtlich. Bei ihm treten Bibelzitate – so erinnert z.B. Ir mannes krône ist daz vil reine kiusche wîp (Ton 3, Str. II,1) an das biblische Lob der keuschen Frau (Prv 31) – an die Stelle der höfisch-lyrischen Gemeinplätze, die einen beträchtlichen Teil des späten Minnesangs prägen. Und wenn passende Bibelzitate nicht zur Verfügung stehen, bedient der Sänger sich allgemeiner Weisheiten aus Sprichwörtersammlungen oder auch Tierfabeln, die wahrscheinlich dem Gedankengut der Epoche und nicht etwa allein der jüdischen Überlieferung entstammen. Man spürt den belehrenden Einfluß des während der ersten Jahrhunderthälfte aktiven Reinmar von Zweter (Roethe 1887) fast überall in Süßkinds Liedern. Bei ihm ist zudem eine inhaltliche Entlehnung aus einem Gedicht Ulrichs von Singenberg, der selber ein Nachfolger Walthers von der Vogelweide war, nachweisbar sowie eine formale Entlehnung im fünften Lied, „dessen Verse 1–10 von fünf Vagantenzeilen gebildet sind“ (KLD II, S. 514f.), was auf Kontakte mit der mittellateinischen Literatur, die in intellektuellen Kreisen bekannt war, zurückgehen kann. Direkte Bezüge auf die Romania gibt es in den Gedichten Süßkinds anscheinend nicht; zwischen seinen Ge-

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dichten und denen der zwei bekannten jüdischen Dichter Frankreichs, des aus Nordfrankreich stammenden Ma(t)hieu le Juif de Gant und des Provenzalen Bofilh – Altokzitanisch Bofilh (buchstäblich „guter Sohn“) stimmt mit der Bedeutung von Süßkinds Namen überein – bestehen keine eindeutigen inhaltlichen Übereinstimmungen (vgl. auch Mertens 1995). Vom Schweizer Minnesänger Heinrich von Tetingen besitzen wir nur zwei Lieder. In dem ersten (‚Liep, liebez liep, liebiu vrouwe‘) spielt der Dichter mit den Wörtern liebe und liep in verschiedenen Flexions- und Wortbildungsforme (Polyptoton). Diese Technik ist in der Romania nicht unbekannt: Man vergleiche das Trobadorlied Guillems de Montanhagol († 1258) PC 225,1 (Ausg. Ricketts, S. 49), wo es heißt A Lunel lutz una luna luzens („auf der Burg Lunel leuchtet ein glänzender Mond“, d.h. die Dame als leuchtende Quelle der Liebe), im Altfranzösischen hat sich u.a. Gautier de Coincy (1177–1236) ihrer bedient. Der Natureingang hingegen ist ganz konventionell und erinnert an Dichter wie Ulrich von Lichtenstein, dessen Lied IV Heinrich von Tetingen fast wörtlich zitiert: Aus In dem walde süeze doene / singent kleiniu vogelîn wird dar zuo singent süeze doene / kleine vogele. Das Enjambement im Gedicht Heinrichs verbindet süeze doene mit kleine vogele und verleiht dadurch dem Aufgesang mehr Spannung. Gruppe I: Minnesänger, die von den fünf großen Minnesängern beeinflußt wurden Die Minnesänger der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts sind, so scheint es, vor allem deutschen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Diese gehen oft von großen Namen aus wie Reinmar dem Alten, Heinrich von Morungen und Walther von der Vogelweide und verweisen auf die um 1225/1230 zu Ende gehende Blütezeit des Minnesangs. Form, Inhalt und poetische Technik der Lieder dieser Autoren sind Vorbild für eine Reihe von späteren Minnesängern gewesen: Einfluß Reinmars finden wir u.a. bei Reinmar von Brennenberg (KLD 44, fl. 1260–1276), Rudolf von Rotenburg (KLD 49), der auch Walther von der Vogelweide rezipiert, und Rudolf dem Schreiber (KLD 50), der ebenfalls als Nachfolger Walthers aufgefaßt werden kann. Heinrichs von Morungen Nachwirken war offensichtlich weniger stark; immerhin erkennt Carl von Kraus (KLD II) seinen Einfluß bei den späten Minnesängern Kristan von Luppin (1292–1312; KLD 31), Otto von Brandenburg mit dem Pfeil (1279–1309; KLD 42) und Reinmar von Brennenberg (KLD 44). Daß Morungen selber mit der altokzitanischen Lyrik be-

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kannt gewesen ist, wurde in der Forschung seit Karl Bartsch schon mehrmals betont (f Minnesang II, Kap. 2.4). Für den aus Thüringen stammenden Kristan von Luppin gilt der Befund, daß bei den norddeutschen unmittelbarer romanischer Einfluß viel länger wirksam ist als bei den süddeutschen Sängern (KLD II, S. 275 u. 381). Walther von der Vogelweide wurde von den späteren Minnesängern wohl am häufigsten imitiert. Zu den in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aktiven Lyrikern in dieser Tradition zählen der Schulmeister von Eßlingen (um 1280; KLD 10), Hawart (vor 1270; KLD 19), Markgraf Heinrich von Meißen (nach 1250; KLD 21), der bereits angeführte Otto von Brandenburg mit dem Pfeil, der Püller (1262–1315/16?, vgl. Meves 2005, S. 759–764; KLD 43) sowie die schon genannten Reinmar von Brennenberg, Rudolf von Rotenburg und Rudolf der Schreiber, zudem der von Suonegge (ab 1250; KLD 57), Ulrich von Winterstetten (1241–1280; KLD 59) und Walther von Metz (gestorben um 1270; KLD 62). Der Schweizer Steinmar (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XIX; Ausg. Schiendorfer, Nr. 26) und der oft mit ihm urkundende Walther von Klingen (Ausg. Bartsch, Nr. XI; Ausg. Schiendorfer, Nr. 5) schließen die Reihe. Es muß also damit gerechnet werden, daß ein beträchtlicher Teil aller im späteren Minnesang zu findenden romanischen Themen und Motive in der deutschen Lyrik bereits vorhanden waren. Gruppe II: Minnesänger, die von anderen zwischen 1200 und 1250 tätigen Minnesängern beeinflußt worden sind Eine zweite Gruppe von Dichtern kompliziert das Gewebe von möglichen Einflüssen: Es handelt sich um jene Minnesänger, die zwischen etwa 1200 und 1250 gesungen haben, aber nicht zu den ‚fünf Großen‘ gerechnet werden. Hier kommen vor allem Burkhard von Hohenfels (Urkunden 1191 bzw. 1212 bis 1242 – zwei oder drei Generationen? [vgl. Meves 2005, S. 227–242]; KLD 6), Gottfried von Neifen (urkundet 1234–1279, vgl. Meves 2005, S. 353–372; KLD 15) und Ulrich von Lichtenstein (vor 1254; KLD 58) in Betracht. Burkhards von Hohenfels Einfluß ist bestimmt nicht so groß wie der der zwei anderen hier genannten Minnesänger. Anklänge an seine Dichtung finden wir zuerst bei Hug von Werbenwag (1258–1279/1299, vgl. Meves 2005, S. 691–693; KLD 27), der auch Anregungen in den Gedichten Ulrichs von Winterstetten und Gottfrieds von Neifen gefunden zu haben scheint. Wichtiger ist, daß Ulrich von Winterstetten, der wohl als einer der bedeutendsten Formvirtuosen des aus-

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gehenden Minnesangs zu verstehen ist, mitunter selbst als Nachfolger Burkhards interpretiert wird. ‚Romanisches‘ ist in den Texten Hugs von Werbenwag nicht eindeutig erkennbar. Der Anfang seines ersten Liedes ‚Wol mich hiute und iemer mêre‘ erinnert an Walthers ‚Wol mich der stunde daz ich si erkande‘ (L 110,13), das als Kontrafaktum eines Liedes des Trobadors Guilhem de Cabestanh gilt: PC 213,6 ‚Lo jorn qu’ie·us vi, dompna, primeiramen‘ („Am Tage, als ich Euch, meine Dame, zum ersten Mal sah“; vgl. Mertens 1998; Zotz 2005, S. 65–76; f Minnesang III, Kap. 3.3). Das Motiv des wol mich kommt im Minnesang aber zu oft vor, um hier einen direkten Einfluß wahrscheinlich machen zu können. In Hugs fünftem Liede wird jede Zeile zum Vorwand wichtige Wörter zu wiederholen, als ob der deutsche Schüler einen unbekannten romanischen (oder vielleicht doch deutschen?) Meister übertreffen wollte: Die systematische Wiederholung der Schlüsselwörter sumer, wunne, loup, bluomen, zît, blüejen, dœne, singen, grüenen, rœte, brûn, gelwe, blâ, wîz und werlt verleiht diesem einstrophigen Natureingang einen festlichen Charakter, der die Freude über den wiederkehrenden Sommer zum Ausdruck bringt. Längere Natureingänge kommen bei den späteren Minnesängern häufiger vor als bei den zeitgenössischen Trobadors und Trouvères. Gottfried von Neifen ist einer der wichtigsten und einflußreichsten Minnesänger seiner Zeit. Anklänge an die altokzitanische Lyrik sind bei ihm deutlich zu erkennen (Schnell 1985, S. 254 u. 347, Anm. 602). Drei kurze Beispiele: 1) In seinem Gedicht II ‚Sumer, dîner fröidebernden wunne‘ beweist Gottfried, daß er die ursprünglich okzitanische Technik der coblas capfinidas, wonach ein bedeutungsvolles Wort aus der letzten Zeile einer Strophe in der ersten Zeile der unmittelbar folgenden Strophe wiederholt wird, kennt und beherrscht. 2) Die vier unterschiedlichen Strophen seines Liedes VII ‚Wer gesach ie wunneclîcher mê den süezen meien‘ sind alle aus Verszeilen aufgebaut, die keine innerstrophischen Reime haben. Diese ursprünglich romanische Technik – Trobadors wie der in der Romania vor allem als Formvirtuose bekannte Arnaut Daniel (um 1180) haben diese Technik verwendet – wird hier von Gottfried mit besonderer Virtuosität eingesetzt. Die formale Einheit des Gedichtes wird dadurch gewährleistet, daß die Waisen zwar innerhalb der Strophe keine Reimkorrepondenz kennen, die Reimklänge der ersten Strophe jedoch mit denen der dritten identisch sind. Das gleiche gilt für die zweite und für die vierte Strophe. Es ergibt sich also ein Lied, in dem die Anordnung der Reime – die eigentlich keine Reime im traditionellen Sinne des Wortes sind – nach dem provenzalischen Prinzip der coblas alternans (Str. I = III u. II = IV) geregelt ist. Schließlich bietet Gottfrieds Gedicht XXV eine weitere okzita-

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nische Technik: Das Lied ‚Owê liehten tage / owê bluomen rôt‘ kennt eine sogenannte Reimverdrehung in den Stollen, d.h. einen Aufgesang abcddbca statt abcd-abcd. Obwohl derartige Kunstgriffe in der Romania weit häufiger vorkommen als im deutschen Sprachgebiet, sind sie dort nicht so virtuos gehandhabt wie bei Gottfried. Hier haben wir einen Fall, wo ein Minnesänger seine romanischen Vorbilder übertrifft. Zu den späteren, von Neifen beeinflußten Minnesängern zählen u.a.: Bruno von Hornberg (urkundet 1234–1276; KLD 3), Brunwart von Augheim (Ende 13. Jh.; KLD 4), die oben schon erwähnten Dichter Hug von Werbenwag, der Püller, der von Suonegge und Schenk Ulrich von Winterstetten. Dazu kommen noch folgende Schweizer Minnesänger: Der Taler (nach 1250) – er nennt Gottfried von Neifen in seinem Liede ‚In klage niht bluomen noch den klê‘ (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. IV, Lied 2, V. 16; Ausg. Schiendorfer, Nr. 25, Lied 3, Str.II,7) –, Herr Walther von Klingen (1229–1286), Steinmar (1271–1306), Konrad der Schenk von Landeck (urkundet 1271–1306; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XXI; Ausg. Schiendorfer, Nr. 16), Konrad von Altstetten (urkundet 1268; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XXIV; Ausg. Schiendorfer, Nr. 18) und der von Trostberg (s.o.). Der bereits in der Einleitung erwähnte steirische Minnesänger und Politiker Ulrich von Lichtenstein hat u.a. folgende Dichter der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts beeinflußt: Hug von Werbenwag, den von Sachsendorf, Ulrich von Winterstetten, den von Stadegge (1230–1261; KLD 54) und seinen Schwiegersohn (Herrand) von Wildonie (1248–1278; KLD 66). Gruppe III: Minnesänger der Periode 1250–1300, die von zeitgenössischen Minnesängern beeinflußt wurden Ein wichtiger Teil der Lieder der bis jetzt behandelten Dichter der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts muß, so scheint es, als Epigonendichtung aufgefaßt werden. Daß ein Minnesänger einen anderen als sein Vorbild wählt und aus dieser Wahl kein Geheimnis macht, ist im Minnesang keine Seltenheit: In der ersten Hälfte des Jahrhunderts dichtet Ulrich von Singenberg einen kurzen Spruch, in dem er Walther von der Vogelweide seinen Meister nennt. In seinem langen Lied IV beklagt der oben schon erwähnte Reinmar von Brennenberg den Tod Walthers und auch der Minnesänger Rudolf von Fenis-Neuenburg, Heinrich von Rugge, Albrecht von Johansdorf, Friedrich von Hausen, Walther von Metz, Rubin, Wachsmut von Mühlhausen und Ulrich von Gutenburg. Es entsteht also eine ‚Literaturschau‘, die sowohl an den Literaturkommentar in Gottfrieds von Straß-

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burg ‚Tristan‘ als auch an mindestens zwei Trobadorlieder erinnert: Der zwischen 1150 und 1170 singende Trobador Peire d’Auvergne verfaßt das Lied PC 323,11 ‚Cantarai d’aqestz trobadors‘ („Ich werde die Trobadors besingen“), in dem er Leben und Werke einer Anzahl anderer okzitanischer Dichter kommentiert, und dies nicht ohne Spott. Ähnlich verfährt der Mönch von Montaudon, der eine Generation später singt, in seinem Liede PC 305,16 ‚Pois Peire d’Alvergn’a chantat‘ („Weil Peire aus der Auvergne die Trobadore besungen hat“). Ein drittes Lied enthält sechs wörtliche Zitate aus Liedern von anderen Trobadors: Es handelt sich um PC 304,1 ‚Be m’a lonc temps menat a guiza d’aura‘ („Wie eine Brise hat meine Liebe mich gelenkt“) von Jaufre de Foixá, einem um etwa 1280 literarisch aktiven Mönch. Die letzte Verszeile jeder Strophe ist ein Zitat. Zitierte Trobadors sind: Arnaut de Mareuil und Perdigon (je zweimal), Folquet de Marseille, Gaucelm Faidit und Pons de Capdeuil (LiGotti 1952, S. 55). Deutlich angeregt von Peire d’Auvergnes Lied schreibt der Mönch im gleichen spottenden Ton einen längeren, amplifizierten Literaturkommentar. Ähnlichkeiten zwischen den Texten sind deutlich: Bei allen provenzalischen und deutschen Texten – außer dem von Ulrich von Singenberg verfaßten – handelt es sich um Kataloge von Dichternamen. Während Gottfried von Straßburg fast nur Gutes über seine großen Vorgänger und Zeitgenossen zu sagen hat – und Schlechtes eigentlich nur über einen nicht mit Namen genannten Dichter, vermutlich Wolfram von Eschenbach – klagt Reinmar von Brennenberg vor allem um eine lange Reihe von verstorbenen Minnesängern. Diese Klage kann als Laudatio temporis acti und damit als ein negatives Urteil über die zeitgenössische Lyrik verstanden werden. Der wichtigste Unterschied zur Romania ist der überwiegend spottende Ton der Trobadors. Unter den von Zeitgenossen beeinflußten Minnesängern der Periode 1250–1300 zählen wir folgende Dichter: Walther von Klingen, Ulrich von Winterstetten (unter dem Einfluß des Tannhäusers 1228–1256), den von Wengen (ab 1250; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. VII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 23) und die unter Einfluß von Ulrich von Winterstetten stehenden Minnesänger Hug von Werbenwag, der Püller, von Wissenlo, Steinmar und Konrad der Schenk von Landeck. Walther von Klingen, dem Gottfried von Neifen als Vorbild dient, ist ebenfalls von seinem Zeitgenossen Konrad von Würzburg beeinflußt worden. Die Technik der grammatischen Reime ist wohl Neifens Kunst, die zahlreichen Wortwiederholungen sind den Liedern des ihm persönlich bekannten Konrad von Würzburg entlehnt. Walthers von Klingen Gedichte müssen in ihrer formalen Perfektion als typisch für den ausgehen-

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den Minnesang betrachtet werden (Bartsch 1886, S. LXXXV: „Die Lieder zeigen zwar, daß der Dichter sich an guten Mustern geschult hat und die Form recht gewandt beherrscht, aber sein Gedankenkreis ist der ganz gewöhnliche.“). Bekanntschaft mit der romanischen Lyrik vermuten wir in seinem Lied IV ‚Ich sach bluomen schône erspringen‘, in dessen sechs Strophen die A-Reimwörter folgende Anordnung haben: erspringen – verderben – güete – huote – herze – twinget. Die Tatsache, daß sechsstrophige Lieder im Minnesang weit weniger häufig als in Frankreich vorkommen, läßt ein romanisches Vorbild vermuten. Walther von Klingen bringt hier eine ‚Symmetrie der Assonanzen‘ zustande, die an die ursprünglich okzitanische, aber auch von den Trouvères verwendete Technik der coblas capcaudadas erinnert. Conon de Béthune ist der einzige romanische Dichter, der sich zur gleichen Zeit einer mit Walthers Lied identischen Strophenstruktur und der coblas capcaudadas bedient (Unlandt 1992, S. 136–138). Der von Wengen, von dem nur drei spruchartige Texte überliefert sind, ist von Walther von Klingen vielleicht nicht in poetischer Hinsicht beeinflußt worden, aber er nennt ihn dennoch am Anfang seines Liedes II: Danc habe der werde Klinger, dar gehûset hât / triuwe milte und dâ bî zuht: die wil er wol behalten. Walther von Klingen, der mit Steinmar urkundet, war möglicherweise Mittelpunkt eines nicht nur politisch, sondern auch literarisch aktiven Kreises. Ulrich von Winterstetten, über den es eine reiche Forschungsliteratur gibt (vgl. Ranawake 1999; Strohschneider 1999), ist einer der wirkungsreichsten Minnesänger der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts; er wurde selbst von seinen Vorgängern Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Burkhard von Hohenfels, Gottfried von Neifen, Ulrich von Lichtenstein und dem Tannhäuser beeinflußt. In seiner Lyrik verbindet sich das traditionelle poetische Verfahren mit einem erneuten Interesse an der Verwendung des Refrains und der für eine späte Kunst so typischen Ironie. Ob es unter den in den Liedern dieser ‚Winterstetten-Gruppe‘ vorkommenden romanischen Motiven welche gibt, die direkt aus Frankreich entlehnt worden sind, läßt sich wegen der Vielfalt ihrer heimischenVorbilder beim heutigen Stand der Forschung kaum feststellen. Gruppe IV: Übrige Minnesänger Geographisch und chronologisch gehört Heinrich von Breslau (gestorben 1290; KLD 23) zu den späten Dichtern des Nordens und des Ostens, die an den romanischen Vorbildern länger festhalten als die Minnesänger des

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Südens. Die Metrik seines ersten Liedes ‚Mir ist daz herze worden frô‘ mutet ganz traditionell und deutsch an: Der vierhebige Siebenzeiler ist die am meisten gepflegte Strophenform des Minnesangs. Verse mit Auftakt sind sowohl in der Romania als auch in Deutschland bekannt; die auftaktlosen Zeilen der sog. Hausenschule dagegen werden als ‚typisch romanisch‘ betrachtet. Die dreizeiligen Stollen des zweiten Liedes ‚Ich klage dir, meie, ich klage dir, sumerwunne‘ weisen auf die Tradition des deutschen Minnesangs des 13. Jahrhunderts, weil dreizeilige Stollen in der romanischen Lyrik viel seltener belegt sind – die Trobadors und Trouvères dichten hauptsächlich vierzeilige Aufgesänge. Inhaltlich ist Lied II interessant, weil es einen Dialog zwischen Liebhaber und Vênus darstellt. Obwohl derartige Dialoge auch in Okzitanien vorkommen, erinnert dieser Wortstreit eher an den Kreis der Thüringer Nachahmer Heinrichs von Morungen, die mit antiken Themen anscheinend bekannt waren. Bartsch erkennt romanischen Einfluß in den von Wernher von Teufen (urkundet 1286; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. III; Ausg. Schiendorfer, Nr. 9) gedichteten Fünfhebern. Tatsächlich ist eine Vers wie ich ranc und ringe ouch iemer nâch ir hulden (Lied IV, V. 7) mit seiner Elision ringe_ouch ein schönes Beispiel einer romanisch inspirierten Verszeile. Der Schluß des fünften Liedes ‚Ich minne in mînem muote ein dinc und hazze dâ bî zwei‘ lautet triôs triên trisô und zeigt eine unverkennbar romanische Klangqualität. In den Liedern des bürgerlichen Meister Heinrich Teschler (1251–1286; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. VIII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 21) kommt eine Anzahl romanischer Motive vor, die alle auch im heimischen Minnesang vorhanden sind – so im Lied II ‚Ich han vertriben die mînen besten zît dâ her von einem kinde‘, in dem der Dichter behauptet, er habe ohne Lohn einer Dame von seiner Kindheit an gedient, und im Lied VI ‚Sî jehent, ich habe doch vollen teil‘, das das Motiv der sich über das Schweigen des Dichters wundernden höfischen Gesellschaft aufgreift. Die Wiederholung dieser Motive und die Nachahmung der Strophenstruktur des Liedes MF 80,25 von Rudolf von Fenis (‚Minne gebiutet mir daz ich singe‘) in Teschlers erstem Lied ‚Swem von liebe friuntlich meinen sî beschehen‘ sind wohl ein Beweis dafür, daß die romanischen Themen und Techniken, die in den früheren Perioden des Minnesangs integriert worden sind, auch gegen das Ende des 13. Jahrhunderts für manchen Minnesänger ihre Attraktivität noch nicht verloren haben. Dies gilt auch für Heinrich von Stret(e)lingen (gestorben 1266; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. IX; Ausg. Schiendorfer, Nr. 10), in dessen Lied I sich alte und neuere Einflüsse treffen. Die Nachtigall als vom Liebhaber angespornter Liebesbotschafter erinnert an ein bekanntes altokzitanisches Ge-

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dicht von Peire d’Auvergne, das zweiteilige ‚Rossinhol, el seu repaire‘ (PC 323,23; Ausg. Fratta, S. 146 u. 149). Das schlichte Lied hat einen sich auf zwei Zeilen ausdehnenden und auf Walthers tandaradei zurückgreifenden Refrain deilidurei faledirannurei / lidundei faladaritturei; die allgegenwärtige, für das 13. Jahrhundert so typische Naturbeschreibung mit bluomen, klê und heide, wo vogellîn singen suoze, fehlt auch hier nicht. Die Lieder des Schweizer Minnesängers Goeli (Bartsch 1886, Nr. XII; Schiendorfer 1990, Nr. 20) zeigen keine deutlichen romanischen Einflüsse; daß der aus dem Baselland stammende Dichter die Champagne nennt, weist vielleicht darauf hin, daß Goeli Teile Frankreichs besucht hat. Jakob von Warte (1272–1331; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XXII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 3) läßt am Ende seines Liedes VI ‚Guot rîter, merke, waz ich sage‘ einen sich von seiner Geliebten trennenden Ritter sagen, daß er den morgensternen schône ûf brehen sieht. Dieses Tagelied erinnert dadurch an das vei l’alba der Trobadors (Unlandt 1992, S. 172–175). Vom Grafen Wernher von Homberg (gestorben 21. März 1320) besitzen wir eine für die Spätzeit hohe Anzahl von einstrophigen Gedichten. Ob diese Tatsache der defektiven handschriftlichen Überlieferung, einer beschränkten Begabung des Dichters oder bewußtem Archaisieren zugeschrieben werden muß, bleibt eine offene Frage. In vier seiner Lieder spricht er vom Ausland, was möglicherweise auf Kontake mit der Romania weist (Schnell 1985, S. 410, Anm. 273). Mit seinem Lied III ‚Mîn muot dien valken tuot gelîch‘ hat Otto zum Turne II (1312–1335?; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XXXI; Ausg. Schiendorfer, Nr. 15) ein sehr besonderes Gedicht verfaßt. Das Falkenmotiv erinnert an den frühen deutschen Minnesang: der Kürenberger, MF 8,33 und Dietmar von Eist, MF 37,4, aber auch an Lieder Burkhards von Hohenfels (Lied I, II u. V). Selbst wenn in der Trobadorkunst das Falkenmotiv nicht in gleicher Weise begegnet, ist hier möglicherweise ein Kontakt zwischen der altokzitanischen und der mittelhochdeutschen Literatur anzunehmen, denn es heißt bei Otto, daß die Falken sich geilent mit der sunne (Lied III, V. 3). Zu denken ist dabei an Bernarts de Ventadorn bekanntes Lied ‚Quan vei la lauzeta mover‘ (PC 70,43), in dem es die Lerche ist, die sich der Sonne nähert und sich vor reiner Freude wieder fallen läßt. Diese Synthese zweier klassischer Motive aus augenscheinlich weit entfernten literarischen Traditionen eröffnet eine neue Perspektive auf die Kontakte zwischen ‚Deutschland‘ und der Romania.

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Gruppe V: Minnesänger, die nicht einer bestimmten ‚Schule‘ zuzuordnen sind Hier nennen wir die Minnesänger, für die in der Forschung kein prägender Einfluß angeführt wird. ‚Der wilde Alexander‘ (letztes Viertel 13. Jh.; KLD I, Nr. 1 u. KLD II, S. 1ff.) ist wohl nicht der wirkliche Name des Minnesängers – „Alexander“ ist eher eine Allusion an Alexander den Großen, der dem Mittelalter nicht nur als Welteroberer, sondern auch als Wanderer bekannt war. Der Anfang seines Liedes IV (Sîôn, trûre …) und die nachfolgende Beschreibung erinnern an die vom Propheten Jeremias (Ier 6) beschworene Gefahr, in der sich die Stadt Zion befindet und an den Anfang des zweiten Psalms (Quare fremerunt gentes …). Ob in diesen Motiven Romanisches zu erkennen ist, ist schwer zu sagen. Der wilde Alexander scheint vielmehr ein Sänger am Ende einer langen geistlichen Tradition zu sein. Daß er seine antiken Klassiker kennt, verrät die erste Strophe seines Liedes II: Der körperlichen Beschreibung des in der Welt herumgehenden wunder geht die Mitteilung voran, daß es der Sîrênen sanc (V. 4) hat. Am Ende seines Leichs nennt der Dichter zudem den trojanischen Helden Paris und seine Stadt. Beim wilden Alexander finden wir allerdings die ursprünglich romanische Technik der Wortwiederholung, die wir schon beim Schweizer Minnesänger Heinrich von Tetingen erwähnt haben. Hartmann von Starkenberg (ab 1260; KLD 18) berichtet in seinem Lied I ‚In weiz niht waz ez mich hât vervangen‘, wie er einen Heiligen bat, sein Liebesbotschafter zu werden. Die offenbare Weigerung des nicht mit Namen genannten Heiligen stürzt den Liebhaber in Verzweiflung, weil er nicht weiß, wen er jetzt fragen soll. Am Ende wird das Lied selbst zum Botschafter: ich wil ir disiu liet ze boten senden. Das Thema des Boten kehrt in der zweiten Strophe des Liedes II ‚Mit manger hande varwe mischet‘ wieder; Hartmann erklärt hier, er würde einen Boten, wäre dieser von tiutschen landen, auf handen […] tragen. Das wohl im 13. Jahrhundert verfaßte anonyme altfranzösische Lied ‚Lors quant voi venir la dousor‘ (R. 1489) enthält ebenfalls die (pseudo)religiöse Verehrung eines Heiligen, um durch seine Vermittlung die Gunst der Geliebten zu erlangen. Der französische Dichter klagt sein martire, ruft den Allmächtigen ki de tous est Sire an, und erklärt das Ende seines Lebens sei nah, wenn der Glorreiche (li glorious) ihm seine Geliebte nicht gebe. In der letzten Strophe betet er noch einmal zum hl. Julian, er möge ihm seine Jullioute geben. Jedoch gibt es Unterschiede zu dem Lied Hartmanns: Während der Minnesänger ganz höfisch eine unerreichbare Dame besingt, die gar nichts von seinen Leiden weiß, schreibt der unbekannt gebliebene Trouvère ein parodieartiges Liedchen mit Re-

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frain, der nach jeder Strophe wortwörtlich wiederholt wird (Chanson à refrain). Die sich am Ende des Gedichtes in Entschlossenheit verwandelnde Verzweiflung des Sprechers findet aber wiederum eine Parallele im französischen Versprechen einer laut erschallenden und instrumental reich besetzten Musik: Der Liebhaber werde vor Freude singen und floute, herpe und rote spielen, wenn der Heilige sein Gebet erhöre. Der Minnesänger Heinrich Hetzbold von Weißensee (um 1300; KLD 20) ist wohl einer der interessantesten der in diesem Beitrag zu besprechenden Minnesänger. Im Lichte des am Anfang zitierten Satzes von Karl Bartsch wäre ein romanischer Einfluß in seinen acht überlieferten Liedern ganz unwahrscheinlich. Aber Heinrich gehört mit den oben erwähnten Kristan von Luppin und Wachsmut von Mühlhausen (1264–1284; KLD 61) zu den Erben Heinrichs von Morungen. Ob dies nun bedeutet, daß alle romanischen Elemente in seiner Dichtung als Morungen-Entlehnungen zu gelten haben, ist höchst fraglich. Tatsächlich gibt es bei Hetzbold eine große Anzahl von direkten Morungenzitaten, und wie dieser experimentiert er mit daktylischen Rhythmen. Hetzbolds Geliebte heißt der Schœne Glanz (u.a. Lied II, Str. III,4) und Decknamen dieser Art kommen in Okzitanien schon seit dem ersten Trobador Wilhelm von Aquitanien (um 1100) vor, der sich des Pseudonyms Bon Vezi („guter Nachbar“) bedient. In den meisten Fällen versteckt sich eine Dame hinter dem senhal, aber manchmal bezieht sich ein senhal auch auf einen Mann, so das bekannte Oc et Non des vor allem als politischer Zankstifter und nicht als zarter Liebesdichter bekannten Bertran de Born (1140–1215; vgl. Paden/Sankovitch/Stäblein 1986). Er verwendet es als senhal für Richard Löwenherz, den ältesten Sohn Heinrichs II. von England und Alienors von Aquitanien, der zu dieser Zeit eine besonders wichtige politische Rolle spielte. Im deutschen Minnesang vor Heinrich Hetzbold von Weißensee ist der systematisch verwendete senhal unbekannt. Der okzitanische senhal, dem der Schœne Glanz Hetzbolds inhaltlich am nächsten steht, ist der vom Trobador Bernart de Ventadorn (fl. 1150–1190) erfundene Bel Vezer. Hetzbold verwendet der Schœne Glanz in vier von seinen acht Liedern: in Lied II ‚Nu wünschet alle der süezen‘, Str. II,4; in Lied V ‚In wart nie halb sô vrô‘, Str. I,7; in Lied VI ‚Wâ nu mîn vrouwe, wâ mag man schouwe der Schœne Glanz‘, Str. I,1 und in Lied VIII ‚Nûst mir al der muot geringe‘, Str. III,8. In der altokzitanischen und altfranzösischen Lyrik wird manchmal am Ende eines Liedes in der tornada (frz. envoi) – der Widmung an die Geliebte – der senhal noch einmal hervorgehoben. Der Minnesang kennt die tornada nicht; aber wie wir schon bei Hartmann von Starkenberg festgestellt haben, ist eine vergleichbare Widmung den Minnesängern nicht un-

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bekannt: Hartmann verweist auf disiu liet und nennt sie Botschafter seiner Liebe. Warum erst der späte Minnesänger Heinrich Hetzbold von Weißensee einen senhal im provenzalischen Stil verwendet, wissen wir nicht. Während viele romanisierende Elemente in den Liedern Heinrich Hetzbolds auf Heinrich von Morungen und andere romanisch beeinflußte Minnesänger zurückzuführen sind, gilt dies nicht für den senhal – dieser kann direkt aus der Romania stammen. Der späte Minnesänger der Kanzler (urkundet zwischen 1312 und 1323; KLD 28) gebraucht in den drei zwanzigzeiligen Strophen seines Liedes XIII ‚Leider winter ungestalt‘ in jeder Strophe nur einen Reimklang – eine Form, die in der deutschen Lyrik sonst nicht vorkommt. Im Romanischen hingegen waren solche Strukturen bekannt, man vergleiche die sechsstrophige okzitanische Estampida ‚Pus chan era‘ (PC 434a,50) von Cerverí de Girona (fl. 1260–1280). Auffällig ist allerdings auch die beide Gedichte kennzeichnende Polymetrie: Cerveri dichtet drei- bzw. siebensilbige Verse, während der Kanzler Vier-, Drei- und Zweiheber schreibt. Man nimmt im allgemeinen an, daß deutsche Vierheber mit romanischen Siebensilblern und deutsche Zweiheber mit romanischen Dreisilblern übereinstimmen. Es zeigt sich also, daß die zwei Gedichte hinsichtlich ihrer Metrik originelle, nicht weiter nachgeahmte Schöpfungen sind, das erste entstanden im okzitanischen Bereich, das zweite im deutschen Sprachgebiet. Obwohl der Kanzler sich für sein Lied eines Natureingangs bedient, ist sein Lied keine herkömmliche Liebeskanzone. Wie schon andere Dichter vor ihm bevorzugt er einen moralisierenden Ausgangspunkt: Kritik des Verhaltens der Fürsten und ihres Ehrverlustes mischen sich mit eher traditionellen Themen, wie dem Vogelgesang und der an die Jugend gerichteten Einladung zum Tanz. In seinen Liedern verwendet der Kanzler eine Anzahl von Wörtern, die einen lateinisch gebildeten Mann verraten: Sein in der zehnten(!) Strophe seines Liedes XVI ‚Sô wol dir, hôchgeloptez adel‘ geäußertes Lob der sieben freien Künste ist wohl das deutlichste Zeugnis dafür. Auch das eher wissenschaftlich anmutende helfant der dritten Strophe des schon erwähnten Liedes XIII kann wohl kaum zum Wortschatz eines ‚Durchschnittsminnesängers‘ gehört haben. Das wenig später in derselben Strophe (III,14) vorkommende vasant zählt auch nicht gerade zu den Vogelnamen, mit denen der traditionelle Minnesang vertraut ist. Auch Cerverí de Girona hat seine poetische Tätigkeit (vgl. Cabré 1999) nicht auf das Schreiben von Liebesliedern beschränkt. Von diesem sehr produktiven Trobador besitzen wir eine Anzahl Pastourellen, gereimte Predigten und mindestens einen moralisierenden Text über den Wert der Damen. Man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, daß Trobador und Minnesänger

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beide Intellektuelle waren, derselben Schicht der Gesellschaft angehörten, bereit waren, dichterisch zu experimentieren, und in poetisch-ästhetischer Hinsicht mehr oder weniger dieselben Vorstellungen hatten. Man vergleiche ferner die Auffassung des Kanzlers von minn wirt welt gemêret, nach der die Minne zur Erhaltung des Menschengeschlechts dient (Lied XVII, Str. III,6), die an die Schule von Chartres erinnert (Schnell 1985, S. 167). Die zeitliche Einordnung der beiden Verfasser (s.o.) erlaubt eine Frist von mindestens zwanzig Jahren, in der Einfluß stattgefunden haben könnte. Der von Obernburg (um 1250; KLD 40), Konrad von Kilchberg (1281–1326[?], vgl. Meves 2005, S. 719–758; KLD 33) und einige andere spätere Minnesänger kennen eine Reimtechnik, die an die der Trobadors erinnert. Obwohl nicht von Gottfried von Neifen beeinflußt, bedient sich der von Obernburg der Technik der Coblas capfinidas. In zwei seiner Gedichte erkennen wir Versuche, seinen Liedern durch sie einen romanisierenden Charakter zu verleihen. In seinem Lied II ‚Uns tuot der winter aber leide‘ sind zwar alle Strophen verkettet, doch ohne daß der Dichter der strengen Regel der altokzitanischen Poetik fehlerfrei folgt: Während die Trobadors – und als ihre Nachfolger die Trouvères – ein Wort aus dem letzten Vers einer Strophe im ersten Vers der folgenden verwenden, überschreitet der von Obernburg die Grenzen der Verszeilen, so daß z.B. klag (Str. I,7) und klage (II,1) sowie fröidelôser (II,6) und fröiden (III,3) eine Verkettung bilden. Einen subtileren Versuch unternimmt der von Obernburg in seinem Lied V ‚Ich wil wol von wîbes güete‘. Die Coblas capfinidas sind hier nicht durch eine Wortwiederholung, sondern durch Synonyme bestimmt, etwa diene ich ir (Str. I,7) und Ich ergap mich (II,1). Carl von Kraus verweist Wachsmut von Mühlhusen in das Rheinland oder nach Schwaben (KLD II, S. 606). Aber ist Wachsmut, dessen Lyrik eine Anzahl von romanischen Zügen aufweist und dessen Sprache mitteldeutsche Merkmale hat, nicht eher im Thüringer Mühlhausen zu Hause? In seinem Lied I ‚Si treit krûs hâr, krisp unde gel‘ dürfte wohl der Einfluß Heinrichs von Morungen (MF 123,1) dem Bilde Diu sunne schînet nie sô klâr (Str. II,1) zugrunde liegen. Das an Kaiser Heinrich VI. (MF 5,23) oder an die sog. Hausenschule erinnernde Kaisermotiv in næme niht die krôn von Rôme / ze tragen für mîner frouwen lîp (Str. II,5f.) allein ist nicht zureichend, um den Dichter in das Rheinland zu versetzen. Das Ende der ersten Strophe (I,5f.) gibt aber Anlaß, Romanisches in Wachsmuts Liedern zu sehen: mir wære ê liep bî ir ze sîne / danne bî gote in paradîs ist bei den Trobadors bekannt (Moret 1951, S. 157). Man vergleiche auch Arnaut de Mareuil (fl. 1171–1190; Ausgg. Johnston u. Bec) und Daude de Pradas (um 1270; Ausg. Schutz).

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Die Gedichte des Walther von Breisach (zwischen 1256 und 1300, vgl. Meves 2005, S. 837–849; KLD 63) erinnern in textlicher Hinsicht nicht an die romanische Lyrik; sie scheinen alle fest in der deutschen Tradition verankert zu sein. Zwei von den drei Tönen haben einen religiösen Text: Der erste (‚Der welte schepfer, himelischer künc, gedrîet eine‘), der mit einem Lob des dreieinigen Gottes anfängt, verwandelt sich ziemlich rasch in einen moraldidaktischen Text. Das letzte überlieferte Lied dieses Freiburger(?) Schulmeisters ist ein Marienlied, in dem alle Epitheta für die Gottesmutter auf eine lange – nicht nur mittellateinische, sondern auch deutsche – Tradition zurückgehen. Die letzten Strophen dieses Liedes sind auch hier moralischen Charakters. Obwohl Carl von Kraus (KLD II, 632f.) der Meinung ist, daß König Wenzel II. von Böhmen seine Gedichte in deutscher Sprache verfaßt hat – und nicht ursprünglich tschechisch, wie wohl zu Unrecht vermutet wurde, da die erhaltenen tschechischen Gedichte ganz anders aussehen (Ausg. Stanovská/Kern) – kommt ihm die in den Handschriften überlieferte Fassung der Texte fremdartig vor. Nur das Motiv der Probenacht könnte romanisch beeinflußt sein (ebd.). Im dichterischen Schaffen der fünf übrigen Dichter, Hesso von Reinach (gestorben um 1289; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. X; Ausg. Schiendorfer, Nr. 11), Heinrich von Frauenberg (1257–1298; SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XIII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 7), Meister Johannes Hadlaub (urkundet 1302–1340; Ausg. Bartsch, Nr. XXVII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 30), Bruder Eberhard von Sax (urkundet 1309; Ausg. Bartsch, Nr. XXVIII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 4) und Rost Kirchherr zu Sarnen (1281–1301; Ausg. Bartsch 1886, Nr. XXXII; Ausg. Schiendorfer, Nr. 22), gibt es keine erwähnenswerten romanischen Einflüsse. Damit soll nicht gemeint sein, daß es sich für unsere Forschung um unbedeutende Dichter handelt. Als Beispiel nennen wir Meister Johannes Hadlaub, der schon wegen der Anzahl seiner Gedichte (54) wichtig ist; in seinen Liedern erkennen wir die Wandlung, die innerhalb der deutschen, ähnlich wie in der romanischen Dichtung stattgefunden hat. In einigen Liedern Hadlaubs erscheinen nun historisch belegte Personen, so daß man die Lyrik der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts als eine stärker realitätsbezogene Kunst auffassen kann, obgleich die Idealisierung der Dame und das höfische Minnekonzept auch noch ihren Platz haben (Schiendorfer 1986, S. 196–207). Gleichwohl haben sich auch in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts noch wichtige romanische Elemente nachweisen lassen.

Tabelle: Innerdeutsche Einflußwege

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5.3 Tabelle: Innerdeutsche Einflußwege Legende Vertikal: Dichter, die Einfluß ausüben; horizontal: beeinflußte Dichter. BVH = Burkhard von Hohenfels REI = Reinmar der Alte (von Hagenau) RVZ = Reinmar von Zweter GVN = Gottfried von Neifen HVM = Heinrich von Morungen TAN = Tannhäuser UVL = Ulrich von Lichtenstein KVW = Konrad von Würzburg UVS = Ulrich von Singenberg NEI = Neidhart

UVW = Ulrich von Winterstetten WAL = Walther von der Vogelweide WVK = Walther von Klingen WOL = Wolfram von Eschenbach

HVM REI BVH GVN UVL UVW WOL UVS WVK NEI WAL TAN KVW RVZ MF 18 MF 20 KLD 6 KLD 15 KLD 58 KLD 59 KLD 69 SMS 2 SMS 11 KLD 3 X KLD 4 X KLD 10 X KLD 11 X KLD 19 X KLD 21 X KLD 27 X X X X KLD 31 X KLD 36 X X X KLD 42 X X KLD 43 X X X KLD 44 X X X KLD 49 X X KLD 50 X X KLD 52 X KLD 53 X KLD 54 X KLD 55 X KLD 57 X X X X KLD 59 X X X X X X KLD 62 X X KLD 66 X KLD 68 X SMS 4 X SMS 7 X SMS 11 X X SMS 16 X SMS 19 X X X SMS 21 X X SMS 24 X SMS 25 X SMS 29 X

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Literaturverzeichnis 1) Textausgaben Romanische Texte: [Arnaud de Maruil, ‚Chansons‘] Les poésies lyriques du trobador Arnaut de Mareuil, hg. v. Ronald C. Johnston, Paris 1935. [Arnaud de Maruil, ‚Saluts d’amour‘] Les saluts d’amour du trobador Arnaud de Mareuil, hg. v. Pierre Bec, Toulouse 1961. Bernard de Ventadour, Chansons d’amour, hg. u. übers. v. Moshé Lazar, Paris 1966. [Bertran de Born] The Poems of the Troubadour Bertran de Born, hg. u. übers. v. William D. Paden, Tilde Sankovitch u. Patricia H. Stäblein, Berkeley u.a. 1986. [Cerverí de Girona] Obras completas del trovador Cerverí de Girona, hg. v. Martín de Riquer, Barcelona 1947. [Daude de Pradas] Poésies de Daude de Pradas, hg. u. übers. v. Alexander H. Schutz, Toulouse/Paris 1933. [Guilhem de Cabestanh] Les chansons de Guilhem de Cabestanh, hg. v. Arthur Långfors (CFMA 42), Paris 1924. [Guilhem de Montanhagol] Les poésies de Guilhem de Montanhagol, trobador provençal du XIIIe siècle, hg. v. Peter T. Ricketts, Toronto 1964. Jofre de Foixá, Vers e Regles de trobar, hg. v. Ettore LiGotti, Modena 1952. [Mönch von Montaudon] Les poésies du Moine de Montaudon, hg. v. Michel J. Routledge, Montpellier 1977. Peire d’Alvernhe, Poesie, hg. v. Aniello Fratta, Rom 1996. [Peire Raimon de Tolosa] Le poesie di Peire Raimon de Tolosa, hg. v. Alfredo Cavaliere, Florenz 1935. Germanische Texte: Johannes Hadlaub, Die Gedichte (des Züricher Minnesängers), hg. u. übers. v. Max Schiendorfer, Zürich/München 1986. [Jakob von Warte] Die Lieder des Hern Jacob von Warte, hg. v. Friedrich Techen, Göttingen 1886. Konrad von Würzburg, Kleinere Dichtungen, hg. v. Edwar Schröder, 3 Bde., Berlin 1924 [Nachdr. Dublin/Zürich 1970]; Bd. I: Der Welt Lohn. Das Herzmære. Heinrich von Kempten; Band II: Der Schwanritter. Das Turnier von Nantes; Band III: Die Klage der Kunst. Leiche, Lieder und Sprüche. [Reinmar von Zweter] Die Gedichte Reinmars von Zweter, hg. v. Gustav Roethe, Leipzig 1887 [Nachdr. Amsterdam 1967]. Tannhäuser, Gedichte, in: Siebert 1934 (s.u. unter Forschungsliteratur). Tannhäuser, Die Gedichte der Manessischen Handschrift, hg. u. komm. v. Maria Grazia Cammarota, übers. v. Jürgen Kühnel (GAG 749), Göppingen 2009.

Literaturverzeichnis

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Minnesang V: Der deutsche Minnesang nach 1250

Einleitung

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6 Spruchdichtung und Sirventes von Michael Shields 6.1 Einleitung: Deutungen im Spannungsfeld zwischen Transferenz und Polygenese – 6.2 Unterschiede zwischen Sirventes und Sangspruch – 6.3 Provenzalische Gesangspraktiken am Beispiel Bertrans de Born – 6.4 Gesangspraktiken der Sangspruchdichtung am Beispiel Walthers von der Vogelweide – 6.5 Deutsche Gesangspraktiken nach Walther – 6.6 Tonwechsel bei gleichbleibender Melodie als Schlüssel zum Verständnis deutscher Kompositionskunst – 6.7 Eine deutsch-italienische Kontrafaktur mit deutschem Variationsformat – 6.8 Provenzalische Melodien – ein Steinbruch für Sangspruchdichter?

6.1 Einleitung: Deutungen im Spannungsfeld zwischen Transferenz und Polygenese Ist es direktem romanischem Einfluß zu verdanken, daß Sangspruchdichter im 13. Jahrhundert Kanzonenstrophen dichteten? Wer nach Berührungen zwischen der mhd. Sangspruchdichtung und den romanischen moralisch-politischen Gattungen Sirventes, Tenso, Partimen und Cobla sucht, wird nicht auf sicher nachweisbare Entlehnungen, sondern auf Ähnlichkeiten und Parallelen stoßen, die vielleicht mehr als zufällig sind. Romanischer Einfluß läßt sich bei der Sangspruchdichtung schwerer belegen als bei der Minnelyrik, weil man bisher bei den Sangspruchtönen sichere Kontrafakturen zu romanischen Tönen nicht nachweisen konnte. (Die deutschen Kreuzzugslieder, die zu romanischen Melodien geschrieben wurden, sind strophentechnisch gesehen nicht Sangsprüche, sondern Lieder.) Die daraus entstehenden Unsicherheiten sind seit dem 19. Jahrhundert eine Konstante der Forschung geblieben. Ob sich ein Sänger wie Walther von der Vogelweide überhaupt an den Möglichkeiten romanischer politischer Dichtung orientierte (er hätte sie in den Sirventes Bertran de Borns oder Peire Vidals vorfinden können) ist nicht eindeutig zu bestimmen – auch wenn man das bei Walther für wahrscheinlich halten kann (f Minnesang III, Kap. 3.3), da u.a. sein ‚Palästinalied‘ (L 14,38) eine berühmte Melodie des Troubadours Jaufré Rudel (PC 262,2 ‚Lanquand li

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Spruchdichtung und Sirventes

jorn son lonc en mai‘) verwendet (f Musik, Kap. 8.3). Über die Voraussetzungen anderer Sangspruchdichter ist weniger bekannt. Neuere Gesamtdarstellungen (Brunner/Tervooren (Hgg.) 2000; Tervooren 2001) tendieren zur Ansicht, daß die Ähnlichkeiten zwischen den Sirventes und der Sangspruchdichtung mehr oder weniger unabhängig voneinander entstanden sind (was einen Vergleich nicht immer uninteressant machen muß). Auf der stilistischen und inhaltsmotivischen Ebene werden die vielen Mosaiksteine, die zu sammeln man schon seit dem 19. Jahrhundert bemüht war, durch ihre Menge allein nicht aussagekräftig. Man findet sie aber noch gelegentlich in Texteditionen zitiert: Als Sinnbild richtigen rechtzeitigen Handelns benutzt Walther von der Vogelweide (L 13,26f.) das Bild der fleißigen Ameise, Thibaut de Champagne (Ausg. Wallensköld, Nr. 30, Str. III) das Bild der fleißigen Maus (Ranawake 1997, S. 130; f Minnesang III, Kap. 3.3). Auch auf der rhetorischen Ebene kann das Vorkommen ähnlicher Persuasionsstrategien bei deutschen und provenzalischen Sängern polygenetisch erklärt werden; Sänger konnten aus einem allgemeinen Bildungshintergrund heraus ähnliche Techniken entwickeln, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Ebenfalls polygenetisch zu erklären wäre die Entstehung neuer (z.B. wissenschaftlicher oder meisterlicher) Diskurstypen oder neuer (wohl städtischer) Ich-Rollen und -Haltungen bei deutschen und provenzalischen Sängern im späteren 13. Jahrhundert, wie sie von Lauer (2009) und Routledge (1999) aus verschiedenen Forschungsperspektiven untersucht wurden. Dabei wird die Unterschiedlichkeit von romanistischen und germanistischen Forschungsprogrammen besonders deutlich. Auf germanistischer Seite sind die Werk- und Rollenkomplexe vieler deutscher ‚kleinerer‘ Spruchsänger inzwischen besser ausgearbeitet und dank ihrer neuen Zugänglichkeit im RSM [und in Brunner/Hartmann 2011] gut greifbar, während man sich auf der romanistischen Seite noch eher auf die Sänger konzentriert, deren Œuvre einen höheren Grad an Indivuation und Witz erkennen läßt; ein Sänger wie Bertran Carbonel, der, wäre er deutsch gewesen, Gegenstand ausgiebiger Untersuchungen geworden wäre, bleibt stattdessen „not everyone’s favourite troubadour“ (Gaunt/Kay 1999, S. 281). Die unterschiedlichen Zugriffe sind also zum Teil eine Frage des Stoffangebots. Auch ein Vergleich der Entfaltung von kulturellen Begriffen wie dem der Freigebigkeit – larguesa in den Sirventes bzw. milte in der Sangspruchdichtung – ist vor allem dazu geeignet zu zeigen, wie sehr die Entwicklung eines Ethos des guot umb êre-Gebens eine spezifische literarische Errungenschaft aufeinanderfolgender deutscher Sänger (Bruder Wernher, Friedrich von Sonnenburg) war, für die es in der Romania keine wirklichen Parallelen gibt (vgl. Kiepe 1975; Krause 2005; Lauer 2009).

Einleitung

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Besonders interessant für das Problem des Einflusses erscheint die Frage, inwiefern in der mittelhochdeutschen Spruchdichtung ein formales Bewußtsein von der gattungstypologischen Unterteilung in Sirventes, Tenzone, Partimen vorhanden war. Wenn man zeigen könnte, daß das Gattungsdenken der Spruchsänger gelegentlich romanisch geprägt war, z.B. in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wäre man näher daran zu präzisieren, ob der Einfluß hauptsächlich performativ-musikalischer Art war oder ob er für die literarische Beschaffenheit der Texte auch weitere Konsequenzen hatte. Zum Beispiel: Frauenlobs ‚Minne und Welt‘ (RSM 1Frau/1/; Ausg. Stackmann/Bertau, Bd. I, S. 380–388, u. II, S. 705–719) ist ein 21-strophiger Austausch, in dem zwei personifizierte Figuren (Minne und Welt) über die eingangs vom Sänger-Ich gestellte Frage debattieren, wer mehr wirde hat – die Minne oder die Welt. Ist der Text als Überbietung romanischer Vorbilder zu denken oder als selbständige, dem Hoheitsgebiet der Germanistik allein gehörige schöpferische Leistung? Die Tatsache, daß französische oder provenzalische Zuhörer in Frauenlobs Text ein ziemlich originelles Partimen erkannt hätten (in den um 1340 geschriebenen ‚Leys d’amor‘ [Ausg. Anglade, Bd. I, S. 344f.] wird für das Partimen ein Umfang von zwanzig, dreißig oder noch mehr Strophen vorgesehen), würde zu einer Interpretation des Textes nichts beitragen, wenn die Kreise um Frauenlob nicht wußten, was ein Partimen war. Reinmar von Brennenberg (RSM 1ReiBr/9a u. 10–12a; KLD 44, Nr. 4, Str. IX u. X–XII) will vielleicht auch ein Partimen schreiben, ohne recht zu wissen, wie. Nun wird man bei der wichtigsten Textsorte, dem Sirventes, vor ähnliche Fragen gestellt, ohne daß der formale Rahmen so deutlich ist wie bei dem Partimen. Die Schimpfstrophe L 82,11 im ‚Zweiten Atze-Ton‘ Walthers von der Vogelweide wirkt im Kontext der Sangspruchdichtung ungewöhnlich persönlich und frech, fällt im breiteren Kontext europäischer Streitkultur aber nicht aus der Reihe. Die Beschreibung von Gerhart Atze – im gênt diu ougen umbe als einem affen / er ist als ein guggaldei geschaffen (Str. I,10f.) – ist von den Worten des Sängers Torcafol, der einen Gegensänger, den Comtor von Apchier, beschimpft, nicht so weit entfernt (PC 443,1): Aisi prenc de vos comjat, pos mai de mi no chantat, e del vostre vielh barat, e de vostra vielha pansa, e del nas tort, mal talhat, e del vezer biaisat, que tal vos a Dieus tornat c’anas co escut e lansa.

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Spruchdichtung und Sirventes

„Also nehme ich Abschied von Euch – da Ihr nichts mehr von mir singt – und von Eurem alten Betrug, und von Eurem alten Wanst und von der krummen, schlechtgeformten Nase und von dem schielenden Blick, der Euch derart von Gott abgewendet hat, daß Ihr mit Schild und Lanze hantiert.“

Sollte Walthers Strophe eine Art eingedeutschtes Sirventes sein? Man hat bemerkt, daß die Texte seines anderen gegen Gerhart Atze gerichteten Tons (L 103,13) dazu tendieren, als dreistrophige „liedhafte Einheit“ statt als Einzelstrophen zu fungieren (Scholz 1999, S. 69). Die Überlieferung anderer solcher Einheiten kann durch die von Bartsch (1923) und Schneider (1941, S. 32ff.) beobachtete Tendenz der Hss. C und J, Persönliches zu vermeiden oder zu entaktualisieren, gestört worden sein. Wurde zu wenig intensiv nach Indizien gesucht, daß die neuen Töne der Sangspruchdichter sich auf der Grundlage von sirventesartigen Gesangspraktiken entwickelten? Mit den folgenden Ausführungen soll zu dieser Suche beigetragen werden. Da das Sirventes eine Kontrafakturgattung war, gerät die Frage, ob Kontrafakturen und Adaptationen in der Sangspruchdichtung eine Rolle spielten, in den Mittelpunkt. Zuerst aber werden einige Grunddaten zu Sirventes und Sangspruch vorgestellt, sofern sie aus den erhaltenen Text- und Melodieüberlieferungen erschlossen werden können.

6.2 Unterschiede zwischen Sirventes und Sangspruch Sowohl beim Sirventes als auch beim Sangspruch gab es am Ende des 12. Jahrhunderts (zeitlich etwa zwei Jahrzehnte voneinander getrennt) formale Entwicklungsschübe, die jeweils mit einer hervorragenden Dichterpersönlichkeit in Verbindung gebracht werden. Mit Bertran de Born scheint sich beim Sirventes in den 70er Jahren des 12. Jahrhunderts der später regelhafte Brauch eingebürgert zu haben, Texte zu vorhandenen Liedtönen (Melodien inkl. metrischer und Reimstruktur) zu verfassen (Rieger 1980). Das Sirventes war also fast immer eine Kontrafaktur eines Minnelieds oder eines anderen Sirventes und hatte eine ähnliche oder größere Strophenzahl (Bertran verwendet zwischen vier und zehn Strophen), den Dichtern stand damit eine reiche Auswahl an Melodien zur Verfügung. In Deutschland fanden die Änderungen um 1200 statt: Wie bei Bertran wird das Dichten politisch-moralischer Texte stärker in die Nähe des höfischen Minnesangs gerückt, indem bei Walther von der Vogelweide zum ersten Mal Sangsprüche in Kanzonenform und in unterschiedlichen Tönen überliefert werden, deren Texte aber im allgemeinen ein-, nicht mehrstrophig sind. Ob Walther vorhandene Melodien verwendete, ist un-

Unterschiede zwischen Sirventes und Sangspruch

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bekannt, aber die metrischen Strukturen sind seine eigenen (anders als bei seinem Leich, der einem älteren lateinischen Vorbild – CB 60 [vgl. Knapp 2005] – zu folgen scheint). Die Strophen müssen länger als Minneliedstrophen sein, weil die Spruchsänger Einzelstrophen aufführen; Walther braucht im Rahmen der Einzelstrophe genug Platz für eine ganze Mitteilung. Zwar haben auch romanische Sänger seit Ende des 12. Jahrhunderts in Einzelstrophen (Coblas) gedichtet, als Dichtungsform gewinnt die Cobla aber erst später im 13. Jahrhundert an Bedeutung, die romanischen Strophenformen erreichen außerdem den ausladenden Umfang der deutschen nicht. Anders als die deutschen erhalten die romanischen Texte sehr oft eine Gattungsetikette am Liedanfang: Bertran de Born, PC 80,43 Un sirventes fatz dels malvatz baros / E ja mais d’els no m’auziretz parlar („Ein letztes Mal werde ich ein Sirventes über die schlechten Barone machen, danach werdet ihr mich nicht mehr darüber reden hören“); ders., PC 80,25 Mieisirventes vuolh far („Ich will ein Halbsirventes machen“) usw. Hier ist die genaue Tragweite der Begriffe sirventes und miei-sirventes vielleicht nicht klar, aber wir wissen, daß Bertran und andere provenzalische, französische, italienische und katalanische Sänger ihre Texte als Sirventes betrachteten. Solche Gattungsbezeichnungen fehlen in den deutschen Texten, es gibt auch kein (erhaltenes) deutsches Pendant zu den Gattungsdefinitionen der romanischen Poetiken des 14. Jahrhunderts (‚Leys d’amor‘; ‚Breviari d’amor‘; Deschamps, ‚L’art de dictier‘). Ein wichtiger Unterschied zwischen dem Sirventes und dem Sangspruch liegt in den Besitzansprüchen, welche Sänger für ihre Gesänge geltend machen. Während im Sirventes eigene Texte zu einem ausgeliehenen Liedton gesungen werden, wird im allgemeinen angenommen, daß es bei den Spruchsängern stattdessen die Norm war, einen eigenen Ton bzw. eigene Töne zu verfassen und einen Besitzanspruch auf diese zu erheben, so daß die Melodie metonymisch für den Sänger stehe. Im Vergleich dazu wirkt das Sirventes eher wie ein Nach- oder Gegensingen, das man am ehesten mit Kreuzliedkontrafakturen wie Walthers ‚Palästinalied‘ (f Minnesang III, Kap. 3.3; f Musik, Kap. 8.3) oder Johansdorfs Lied MF 87,5 (f Minnesang II, Kap. 2.4) vergleichen könnte; man hat auch an manche Gegenstrophen in der Minnelyrik gedacht (die bäuerlichen Gegenstrophen zu Neidharts Winterliedern; Walthers Strophen (L 111,22 u. 111,32) in Reinmars Ton ‚Ich wirbe umb allez daz ein man‘ – die Manesse-Handschrift weist ausdrücklich auf diese Tonentlehnung hin). Hier ließe sich wahrscheinlich noch einiges finden, wenn man den Blick für Fremdes etwas weniger konsequent zensiert, als es die germanistische Methodenstrenge zu verlangen scheint; so arbeitet ein jüngerer Aufsatz zu den Lie-

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Spruchdichtung und Sirventes

dern Veldekes bei einer Reihe von zweistrophigen Liedern ein „Modulieren“ zwischen Sangspruch- und Minneliedmodus mit großer Klarheit heraus, ohne die Möglichkeit romanischen Einflusses zu erwähnen (Lieb 2000). Das klarste Beispiel für Eigentönigkeit bietet Reinmar von Zweter, der Hunderte von Texten zu einer einzigen Melodie, dem ‚Ehrenton‘, dichtet. (Die Melodie ist leider erst in späten Fassungen überliefert.) Viele andere Spruchsänger haben ebenfalls eine Hauptmelodie, zu der sie eine Mehrzahl ihrer Strophen singen: Frauenlob, Rumelant von Sachsen, Friedrich von Sonnenburg. Tonbesitz hatte im 13. Jahrhundert nicht dieselbe Bedeutung wie später bei den Meistersingern (die regelmäßig in den Tönen anderer Sänger dichteten), aber es gibt durchaus Sänger, die mehrmals in fremden Tönen dichteten, etwa der ‚Hobbydichter‘ Ulrich von Singenberg, Truchseß von Sankt Gallen. In solchen Fällen war die Forschung bemüht zu zeigen, daß Berufsdichter sich solcher Kontrafakturen nicht oder weniger bedienten, z.B. daß die Kontrafakturproduktion Heinrichs von Mügeln (spätes 14. Jh.) sich auf lateinische Nachdichtungen konzentrierte (Kornrumpf/Wachinger 1979, S. 147). Man hat so die Tatsache, daß eine frühe und besonders eingängige, von mehreren Sängern verwendete Melodie des Dichters Stolle den Tonnamen ‚Alment‘ (im Sinne von Allmende, Gemeinbesitz) erhielt, als Indiz dafür verstanden, daß die anderen Töne Privatbesitz (des Sängers oder des Auftraggebers?) waren (Kornrumpf/Wachinger 1979). Es gäbe aber auch andere mögliche Erklärungen dieses Tonnamens, etwa daß das Dichten zu dieser Melodie Sängern die Möglichkeit bot, ihren Texten einen besonders hohen Grad der Öffentlichkeitswirksamkeit zu geben. Er könnte auch ein Hinweis auf die allgemein zugängliche Stillage der Texte sein. Ab dem späten 12. Jahrhundert begegnet beim Troubadour Garin d’Apchier (PC 162) sowie bei Torcafol (PC 443) ein rätselhafter Cominal („Allmende“ als Sängername?), der dafür gerügt wird, Gesang (cantar) gestohlen zu haben, ohne die Reime im Sirventes richtig machen zu können. Die Vorstellung, daß man für öffentlichkeitswirksamere Texte eine einfache Strophenform wählt, gibt es öfter bei den Troubadours und Trouvères, etwa bei Bertran d’Alamanon, PC 76,8. Eine berühmteTenzone zwischen Giraut de Bornelh und Linhaure (PC 242,14) bespricht die Frage, was besser ist: das trobar clus oder ein Dichten, das allgemein zugänglich (cominal) ist. Im späten 13. Jahrhundert erklärt Frauenlob, zwei Stilebenen zu beherrschen, die weiche, allgemein verständliche, und die scharfe, tiefsinnige, die er je nach Publikum einsetzt (RSM 1Frau/2/34, Ausg. Stackmann/Bertau, Bd. V, S. 114). Der in Niederösterreich (Mergersdorf) lokalisierbare Sänger Ge-

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Unterschiede zwischen Sirventes und Sangspruch

drut/Geltar prangert auch das heimliche Singen an (Man singet minnewîse dâ ze hove und inme schalle: […] slahen ûf die minnesenger die man rûnen siht!) und ist der Meinung, daß Minnesänger ihre Minnedame beim Namen nennen sollten (KLD 13, Nr. 1 u. 2). In 15. Jahrhundert vereinfacht Michael Beheim das Reimschema eines Tons und nimmt dabei Rücksicht auf ein ungebildetes Publikum (RSM 1Beh/438). In Deutschland waren es aber nicht nur adelige Sänger, die Töne entlehnten: Der Hauptton des Jungen Meißners (RSM 1JungMei/1) benutzt dieselbe Melodie wie Frauenlobs Hauptton (sein ‚Langer Ton‘, RSM 1Frau/2) und wandelt dabei das Strophenschema leicht ab, was vielleicht als Eigentumskennzeichen zu verstehen ist (s. Kap. 6.6). Besonders sirventesartig wirkt die Praxis, fremde Töne spezifisch für polemische Zwecke zu benutzen, wie das Boppe tut. Neben dem eigenen Hauptton dichtet er insgesamt in sieben fremden Tönen (Ton II: Marner, ‚Langer Ton‘; Ton III: Meißner, Ton I; Ton IV: ‚Alment‘; Ton V: Klingsor, ‚Schwarzer Ton‘; Ton VI: Frauenlob, ‚Grüner Ton‘; Ton VII: Gast; Ton VIII: wahrscheinlich ein verlorener Ton vom Litschauer, vgl. Rettelbach 1993, S. 153 u. 280). Verglichen mit den Hunderten von Kontrafakturen der Sirventesdichter ist die Zahl der genauen Kontrafakturen bei den Spruchsängern zugegebenermaßen sehr gering. Rettelbach (ebd., S. 148) listet 19 Spruchtonschemata, die von mehreren Spruchsängern im 13. Jahrhundert verwendet werden. In die Liste werden variierende Tonübernahmen (z.B. beim gerade erwähnten Jungen Meißner) und Tonübernahmen aus der Minnelyrik (etwa Gottfried von Neifen, KLD 15, Nr. 20 > Mönch von Salzburg, ‚Hofton‘) nicht aufgenommen; man kann sie ergänzen oder durch Neuentdeckungen vergrößern: Es ist beispielsweise die Tongleichheit von Ulrichs von Singenberg Ton 33 (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. II) mit Robin (RSM 1Rob/1–2) bisher nicht bemerkt worden. In diesen beiden Tönen stehen je zwei Strophen, die mir thematisch verwandt erscheinen. Bei Robin bilden sie ein Paar (Klage auf verstorbene Dichter, die richtig zu loben verstanden), bei Singenberg ist die zweite Strophe ebenfalls eine Totenklage, die erste reagiert mit Gegenkritik auf die Kritik eines Sängers. Das Reimschema wird verändert, die metrischen Längen bleiben fast identisch. Robin

Singenberg, Ton 33

a d 3’ a a 3’

b b 3 b b 3

a d 3’ c c 3’

c c 3 d d 3

e

f

e

f

e

f

3’ 3 x e

3’ 3 f f

3’ 3 x e

4_ 3

3’ 3’ 4_ 3

282

Spruchdichtung und Sirventes

Rettelbach (1993, S. 151) konstatiert außerdem metrische Verwandtschaften von Robin mit Kelin, Ton I (RSM Kel/1) und Rudinger (RSM 1Rud/1–3); Kelins Melodie ist auch zumindest tonartlich mit der Robins verwandt. Man könnte auch eine Ähnlichkeit zu Wernhers von Hohenberg Lied 4 (SMS, Ausg. Bartsch, Nr. XXVI) und dem Mönch von Salzburg, ‚Kurzer Ton‘ (RSM 1Mönch/4/1) erwägen, wenn diese nicht eine andere Melodie (beim Mönch überliefert) und andere Satzeinschnitte verwendeten. Hohenberg / Mönch, ‚Kurzer Ton‘

a b d b 3’ 4

a c d c 3’ 3

e

f

e

g

g

f

4

3

4

3’ 3’ 3

Wenn man die Grenzen zwischen Tonkontrafaktur und Tonderivation auflockert – was schon 1928 von Spanke (1983), zuletzt nochmals von Holznagel (2005) nahegelegt wurde und mir in Anschluß an Rettelbachs Arbeiten zu den Tonderivationen der Sangspruch- und Meistersänger (1993) sogar erstrebenswert erscheint –, könnte man die Zahl genauer und ‚irregulärer‘ Kontrafakturen vielleicht verdoppeln oder vervierfachen.

6.3 Provenzalische Gesangspraktiken am Beispiel Bertrans de Born Man findet in den Sirventes mehr Hinweise auf die Entstehungssituation der Texte als bei den Sangsprüchen. Wesentlich für die Entstehung von Bertrans Sirventes ist die Vorstellung, daß der Sänger auf einen äußeren Impuls reagiert. In manchen Sirventes ist die Bitte des Auftraggebers Teil der Struktur des Textes: Im Lied ‚Lo coms m’a mandat e mogut‘ (PC 80,23) ist er von seinem Herrn dazu „beauftragt und bewegt“ (mandat e mogut) worden, ein Lied (canso, also doch kein Sirventes?) zu machen, in dem tausend Schilde gespalten, Helme, Halsberge, Waffenröcke und Wamse beschädigt werden sollen. Der ganze Text, der im Futurtempus gehalten ist, ist die Ankündigung einer bevorstehenden Kampagne des Auftraggebers. Das Lied ‚Ieu chan‘ (PC 80,14) nennt den König als Auftraggeber; in einem weiteren, ‚Puois Ventadorns‘ (PC 80,33), singt Bertran zugunsten einer Reihe von Verschworenen: Ventadorn, Comborn, Ségur, Turenne, Monfort, Gourdon, Périgord. Andere Werke entstehen eindeutig in eigener Vollmacht: Das Lied ‚Ges de far sirventes no·m tartz‘ (PC 80,20), das hochmütig von Bertrans Erfolg in einem Erbschaftsstreit mit seinem Bruder berichtet, rechtfertigt dieses selbständige Singen mit der Bemerkung,

Provenzalische Gesangspraktiken am Beispiel Bertrans de Born

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daß er das Sirventes dank seinem subtilen Geist und seiner Kunst ohne jede Mühe dichten könne (Str. I,1–4). Immer wieder hat man in Bertrans Sirventes den Eindruck, daß er auf bekannte Aufführungspraktiken anspielt, die heute nicht mehr rekonstruierbar sind. Einmal erklärt er, ein Sirventes zu machen, in dem „kein Wort fehlt“ (PC 80,44 ‚Un sirventes on motz no falh‘), und meint dabei vielleicht ein Reimwort oder einen Versfuß; ein Lied von Raimbaut d’Aurenga (PC 389,5) steht im selben Ton. Sein Halbsirventes ‚Miei-sirventes vuolh far dels reis amdos‘ (PC 80,25) ist das erste, das sich als solches bezeichnet; man erklärt die Bezeichnung als Hinweis auf die halbierte Strophenzahl, aber sie kann sich ebensogut darauf beziehen, daß in diesem Lied die zwei Könige, die besungen werden, jeweils nur die halbe Zuwendung des Dichters erhalten. Wir erfahren in dem Prolog zu einem Lied (PC 80,17), daß der Spielmann Folheta ihn darum gebeten habe, zu singen, daß er aber ohne Herrn und Nachbarn sei und daher nicht „singend bestrafen“ dürfe (V. 4): ni volha ges qu’en chantan lo chasti. Es scheint sich hier um ein ritualisiertes Schelten zu handeln, da Bertran dann sofort der Bitte nachkommt und eine Schimpftirade singt, um Folheta loszuwerden. Ein ganzes Lied lang (PC 80,24) beschimpft Bertran den joglar Mailoli, der ihn ebenfalls um ein Lied gebeten hat: Mailoli sei niederträchtig, sollte nicht „von den Eingeweiden anderer Leute“ leben, singe wie ein gestochenes Schwein usw. In der Schlußstrophe heißt es, wer ihm Text und Melodie (los motz e·ls sos) gebe, sei ein Narr, denn er verderbe diese nur. Das Geben und Nehmen von Strophenformen spielt im späteren 13. Jahrhundert weiterhin eine wichtige Rolle. Für eines seiner Lieder (PC 457,8) wählt Uc de St. Circ (1217–1253) eine Melodievorlage, die gut verständlich und leicht zu singen sei, damit man weder den Text noch die Melodie kritisieren müsse. Das Lied ist eine Kontrafaktur von einem Lied Bernarts de la Fon (PC 62,1), das mit dem gleichen Topos arbeitet (Str. I): Leu chansonet’ ad entendre ab leu sonet volgra far, coindet’ e leu per apendre e plan’ e leu per chantar, quar leu m’aven la razo, e leu latz los motz e·l so. „Ich möchte eine cansoneta machen, die man sich leicht anhören kann, die eine leichte Melodie hat, die hübsch und leicht zu lernen ist und schlicht und leicht zu singen, weil der Inhalt mir leicht einfällt, und ich die (Reim-)Wörter und die Melodie leicht zusammenfädeln kann.“

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Spruchdichtung und Sirventes

Leider ist die Melodie nicht erhalten, aber es geht offensichtlich darum, daß leichte Lieder sich schneller verbreiten als schwere. Laut Bertran Carbonel (fl. 1252–1265) sollte ein Sänger in seinem Reimschema nicht allzuseltene Reime benutzen (man pflegte nicht nur das Reimschema, sondern auch die Reimklänge nachzubilden). So, wie ein Duellist dem Gegner dieselbe Waffe zur Verfügung stellt, die er selber in der Hand hat, sollte man Reime nehmen, zu denen der Mitsinger (jonhedor) eine Gegenstrophe machen kann (PC 82,20): sel que cobla fa / Deu donar rims segon razo / Que y puesca hom far responsio. (Im folgenden Jahrhundert wendet Lupold Hornburg dieselbe Metapher auf zwei Spruchsänger an: Der regenboge den vrouwenlop bestunt gelicher wer – „Regenbogen trat mit gleichen Waffen gegen Frauenlob an.“) In einer anderen Cobla von Bertran Carbonel (PC 82,41) erfahren wir, daß man mit manchen Sängern Strophen besser nicht austauschen sollte, um sich nicht zu blamieren: D’omes trobi de gros entendemen Que fan coblas aitals com lur perte, L’us ab fals motz, l’autre-s vay enfenhen Qu’el fay coblas naturalmen e be! Per que aquel c’a engenh e sciensa Non deu voler ni mour’ ab els tenso, Car a cobla que non porta razo Nulhs hom non pot far respost de valensa. „Ich kenne Männer von großem Verstand, die Strophen so machen, wie es ihnen entspricht; einer benutzt falsche (Reim-?)Wörter, ein anderer tut so, als ob er Strophen natürlich und gut machen kann. Deshalb sollte derjenige, der etwas davon versteht, nicht mit ihnen eine Tenzone machen wollen, da keiner in der Lage ist, auf eine unsinnige Strophe eine Antwort zu geben, die etwas taugt.“

6.4 Gesangspraktiken der Sangspruchdichtung am Beispiel Walthers von der Vogelweide Textstellen, die auf Gesangspraktiken hinweisen, sind bei den Spruchdichtern dünner gesät. Drei Töne Walthers von der Vogelweide lassen eine Entstehungssituation erkennen, in der der Sänger vorgegebene Melodien übernimmt. (Daß er das im ‚Palästinalied‘ tat, ist bekannt – s.o.) Im ‚Zweiten Philippston‘ scheint er den Auftrag erhalten zu haben, eine vorgegebene Melodie (mitsamt Strophenform?) zu verwenden (L 18,15–17): Mir hât ein liet von Franken / der stolze Mîssenære brâht: / daz vert von Ludewîge. Die Übermittlung eines Liedauftrags scheint mir der wahrscheinlichste Grund dafür, Walther ein Lied zu überbringen. (Wachinger [1973, S. 109]

Gesangspraktiken der Sangspruchdichtung

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hält Ludwig für den Sänger oder möglicherweise den Gegenstand der Strophe.) Wenn man aber akzeptiert, daß der Meißner hier einen Auftrag – m.E. doch von Ludwig – an Walther übermittelt, ist es immer noch unklar, ob Walther einen vorgegebenen Text zu singen hat oder einen neuen Text im selben Ton, vielleicht zu einem vorgegebenen Thema, verfassen soll. Walthers Strophe erklärt, daß er den Auftrag nicht annehmen könne. Selbstbewußt witzig kehrt er die Machtkonstellation um, indem er sich wie ein Mäzen dafür entschuldigt, daß er nicht in der Lage ist, das erhaltene Lied zu bezahlen (L 18,21f.): Kund ich swaz ieman guotes kan, / daz teilte ich mit dem werden man. Ob die Strophenform des zweiten Philippstons (3’a 4b 3’c | 3’a 4b 3’c | 4d 4d 4d 3’e | 4f 4f 4f 5’e) die Form von Ludwigs Strophe widerspiegelt, ist natürlich unbekannt. Wenn sie es tut, hat Walther sich wahrscheinlich nicht sklavisch an die Vorlage gehalten, er könnte beispielsweise leicht einen oder beide Strophenabschnitte verdoppelt haben. In einer weiteren Strophe desselben Tons rechtfertigt sich Walther angesichts der Kritik eines Herrn Wîcman (Hs. A) bzw. Volcnant (Hs. C) – beides wohl sprechende Namen – dafür, daß er einige Längen mißachtet hat (L 18,11–13): her Walther singet swaz er wil, / des kurzen und des langen vil: / sus mêret er der werlt ir spil. Ob hier Verslänge oder Strophenlänge gemeint ist, ist nicht deutlich; daß Walther sich die kreative Freiheit herausnimmt, Strophenformen nach Bedarf zu verändern, ist so klar wie die Tatsache, daß er dafür kritisiert wurde. In einem anderen Ton, dem ‚Unmutston‘, erklärt Walther, daß er „in dieser Melodie singen muß“, weil das höfische Singen und Leben in Gefahr sei (L 31,35f.): Daz ich gesingen müeze in dirre wîse alsô, / swer höveschen sanc und fröude stœre, daz der werde unfrô. Der gleiche Ton wird in einer anderen Strophe als „scharfer Gesang“ bezeichnet (L 32,7). Ob sich das auf die Melodie bezieht oder nur auf die mißmutigen Textinhalte, ist unklar. Eine andere Strophe im Ton beschwert sich darüber, daß jemand am Hof des Herzogs Bernhard von Kärnten den Gesang Walthers verdreht (L 32,33: ichn weiz wer mir in dînem hove verkêret mînen sanc). Walthers Beschwerde bezieht sich hier wohl nicht primär auf die Form seines Lieds, sondern auf den Inhalt, den der Zuhörer sich nacherzählen lassen soll (L 32,36): frâge waz ich habe gesungen, und ervar uns werz verkêre. Ein dritter Ton, der ‚König-Friedrichston‘ (eigentlich ‚Gespaltener Ton‘ – dieser Tonname ist in der Kolmarer Hs. bezeugt), scheint darauf anzuspielen, daß Sänger in einem von ihrem Auftraggeber vorgegebenen Ton singen. (Es bliebe dabei noch zu klären, ob der Ton dem Auftraggeber ‚gehört‘ oder nur von ihm ausgewählt wird.) Walther ist in der etwas schwierigen Lage eines Sängers, der sich zwischen zwei Dienstherren be-

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Spruchdichtung und Sirventes

findet (Otto und Friedrich), und rettet sich darüber hinweg, indem er Gott als den Auftraggeber nennt, bei dem er sich für seine schlechten Dienstleistungen entschuldigt (L 26,3f.): Vil wol gelobter got, wie selten ich dich prîse, / sît ich von dir beidiu wort hân unde wîse. Interessant an dieser Formulierung ist, daß sie eine Normalsituation impliziert, in der der Sänger wort und wîse (Thema und Strophenform?) vom Auftraggeber erhält. Das ist der Auftragssituation, die von Bertran de Born im Sirventes ‚Lo coms m’a mandat e mogut‘ (PC 80,23) beschrieben wird (s. Kap. 6.3), nicht unähnlich. (In Bertrans Lied, wie im ‚Zweiten Philippston‘, wird nicht nur der Auftraggeber, sondern auch der Überbringer des Auftrags genannt – bei Walther der Meißner, bei Bertran Aramon Luc d’Esparro.) Es ist auch nicht sehr weit von der archetypischen Situation entfernt, die der späteren Definition vom Sirventes in den ‚Leys d’amor‘ (Ausg. Anglade, Bd. I, S. 340) zugrundeliegt: Das Sirventes ist ein Lied, das von einem Diener zu einem vorgegebenen Ton verfaßt wird. Formal ungewöhnlich ist Walthers Ton bekanntlich deshalb, weil der ‚abgespaltene‘ zweite Stollen erst nach dem Abgesang kommt. In einer Strophe (L 26,33) nützt Walther diese formale Spaltung aus, um seine Situation zwischen zwei Auftraggebern zu versinnbildlichen: Im ersten Stollen wird Ottos Körpergröße gemessen (seine milte ist im Vergleich dazu zu klein), im zweiten wird die êre des jungen Königs Friedrich für riesig im Vergleich zu seiner Körpergröße befunden. Vielleicht ist ein Wortspiel beabsichtigt: mez als ‚Längenmaß‘, aber auch als ‚metrisches Maß, Stropheneinheit‘. In der Strophe eine Art Halbsirventes zu erkennen, wäre wohl zu phantasievoll. Ranawake (1997, S. 111) bemerkt, daß die gnomischen Strophen im ‚Gespaltenen Ton‘ inhaltlich zu Strophenpaaren gruppiert sind: „Auffallend ist das Bestreben, jeweils zwei Strophen zu einem Thema zu bieten, wobei die zweite Strophe authentische Waltherstrophe oder spätere Zusatzstrophe sein kann.“ Wenn es sich bei diesen Texten um Zeugnisse eines ‚Gegen-Singens‘ handelt, könnte man von einer sirventesartigen Singpraxis sprechen, die mit den Kontrafakturen zu Walthers Winterlied L 75,25 (dem ‚Vokalspiel‘) zusammenzudenken wäre – eine Verwischung der traditionellen germanistischen Gattungsgrenze zwischen Lied und Sangspruch. Auch die Verwischung könnte man als sirventesartig betrachten; die romanistische Forschung arbeitet manchmal mit dem (modernen) Begriff Sirventes-Kanzone. Einer der Nachahmer des Vokalspiels war Ulrich von Singenberg, der zudem mindestens zwei Strophen (L 31,3 u. 153,1) im ‚Gespaltenen Ton‘ verfaßte. Eine davon parodiert Walthers Eingangsstrophe L 26,3 und scheint eine Kritik an Walthers Mäzenen zu enthalten (L 153,1–7; Ausg. Ranawake, S. 36):

Deutsche Gesangspraktiken nach Walther

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Der welte vogt, des himels künic, ich lobe iuch gerne daz ir mich hânt erlân daz ich niht lerne, wie dirre und der an vrömder stat ze mînem sange scherne. mîn meister claget sô sêre von der Vogelweide, in twinge daz, in twinge jenz, daz mich noch nie getwanc. den lânt sî bî sô rîcher kunst an habe ze cranc, daz ich mich kûme ûf ir genâde von dem mînem scheide. „Verwalter der Welt, König im Himmel, ich lobe Euch gern, da Ihr es mir erspart haben, zu erfahren, wie dieser und jener in meiner Abwesenheit Spottlieder aus meinem Gesang macht. Meister Walther von der Vogelweide beklagt sich über Probleme, an denen ich nie gelitten habe. Trotz seiner großen Kunstverdienste halten sie ihn in solcher Armut, daß ich schwerlich ihre Erlaubnis bekomme, ihm etwas von meinem Besitz zu schenken.“

Der Stelle kann man vielleicht entnehmen, daß Walthers Auftraggeber den wohlwollenden Singenberg daran gehindert haben, den verehrten Meister zu belohnen.

6.5 Deutsche Gesangspraktiken nach Walther Obwohl es im späteren 13. Jahrhundert nicht wenige Sänger gibt, die in fremden Tönen dichten (z.B. wird Regenbogen in der Manesse-Handschrift als Verfasser mancher Gegenstrophen in Frauenlobs ‚Langem Ton‘ genannt), sind explizite Hinweise darauf, wie man die Töne fremder Sänger benutzte, enttäuschend selten. Sie haben zum Teil zu sehr verschiedenen Interpretationen Anlaß gegeben. Die vielbesprochene Kritik des Marners (Ton XI, Str. III,16) an Reinmar von Zweter, ein doenediep zu sein, kann auf verschiedene Arten der sängerischen Zweckentfremdung hinweisen (dazu zusammenfassend Haustein 1995, S. 21f.) und muß nicht bedeuten, daß Reinmar für das Singen im Ton eines anderen Sängers getadelt wird. Trotzdem herrscht ein allgemeiner Konsens darüber, daß Spruchsänger dem novitas-Prinzip huldigten und eigene Töne erfinden wollten (was auch immer das kompositorisch bedeuten mochte). Es gibt aber klare Indizien, daß Sänger sowohl für Minnelieder als auch für Spruchstrophen vorhandene Töne als Vorlage benutzen konnten. Ich nenne hier drei Beispiele: 1) Im ‚Frauendienst‘ Ulrichs von Lichtenstein erfahren wir, daß Ulrich von einem Boten eine in Deutschland unbekannte Weise erhalten und zu ihr im Auftrag der Dame ein Minnelied (KLD 58, Nr. 7 / ‚Frauendienst‘, Ausg. Lachmann, S. 113, V. 13ff.) gedichtet habe; Touber (1987; f Minnesang IV, Kap. 4.3) bespricht mögliche romanische Vorbilder mit ihren Me-

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Spruchdichtung und Sirventes

lodien. Ulrichs Dame schickt die fremde Melodie als direkte Reaktion auf Ulrichs am Vortag geleistetes Versprechen, in ihrem Dienst zu stehen, eigentlich als Belohnung dafür. Das Wort dienest wird zum Leitthema (‚Frauendienst‘, Ausg. Lachmann, S. 113, V. 5–10): Die wîse ich lernte an der stat und sanc drin reht als si mich bat mit triuwen vrowen werdekeit, den ich ze dienst ie was bereit und ouch mit triuwen dienen wil vil gerne unz an mîn endes zil.

Falls Ulrich hier an eine Art Sirventes erinnern wollte, hatte er kein Problem damit, daraus ein Minnelied zu machen – eben kein Sirventes. 2) Wizlaw von Rügen erklärt in seinem Ton IV (1Wizl/4/1), daß er Schwierigkeiten habe, eine senende wise des Ungelehrten zu textieren: Ez ist so harte, daz ich an mineme sange prise; / sint ich ez bi minen ziten nie han gehort / durch daz dunket ez mich so schone. Meint er, daß er sie nie als gesungene Strophe gehört hat? Mit ihren männlichen Zweitaktern und klingenden Dreitaktern wirkt die Melodie tanzartig, die Textierung scheint aber teilweise Silben, nicht Versfüße zu zählen. Handelt es sich hier um die erstmalige Textierung einer instrumentalen Melodie, wie bei der berühmten Estampie ‚Calenda Maia‘ (PC 392,9) des Raimbaud de Vaqueiras? Wizlaw hat Schwierigkeiten, zwischen männlichen und weiblichen Reimkadenzen zu unterscheiden: Nu volge im durch daz er mich hat gebraht in diu leide, / durch daz ich mannen unt den wiben muoz mit pin unterscheide. Er beschließt die Strophe mit einem gewissen Erfolgsgefühl: kinder alle, ich sage iu, daz hie ist diser senenden klage süeze lute. 3) Wie Rettelbach (1993, S. 174) zeigt, steht auch des Pfalz von Straßburg ‚Rohrweise‘ in einer angereicherten Form dieses Tons, zumindest was seine metrische Gestalt betrifft. Thematisch verwandt mit Wizlaws Strophe sind die zweite und dritte Strophe von RSM 1Pfalz/2 (wohl 14. Jahrhundert; Ausg. Bartsch [1862], S. 114), die einen Sänger auffordern, sich korrekt an das metrische Schema, das er gewählt hat, zu halten: bedenk er sich / daz im sîn fuoz iht stê hin ûf die flühten […] kan er ze reht den sînen sanc volfüeren, / daz silben, rîme stên gelîch / und daz ein zal die ander müge gerüeren, / er mezzez eben und künsterîch, dâ von niht wîch / als er ez habe gelêret. Die Fortsetzung – manch einer meine, das Dichten sei ein Sprechen, wie es gerade zum Munde herauskommt, weil er seinen Text nicht ‚wägen‘ könne – erinnert an die Kunstauffassung des Bertran Carbonel (s. Kap. 6.3): Wer sich der hohen Kunst des Singens annehme, müsse schauen, daz er sîn kunst mit worten wol durchhefte.

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Deutsche Gesangspraktiken nach Walther

Ich gebe das metrische Schema Rettelbachs (1993, S. 174) unter Berücksichtigung einer kleinen Korrektur (Wizlaw, V. 3, 6 u. 12: 6’ statt 5’) wieder; das Symbol ’ bezeichnet weibliche Kadenz, das Symbol ° Auftaktlosigkeit: Wizlaw, Ton IV 2’ °5’ 4_°6’ a °b x c a °b x c

4_3’ x d

4_3’ x d

Pfalz von Straßburg, ‚Rohrweise‘ 2 5’ 4 2 3’ 4 3’ 4 a b c c d f g f

4’ 4’ e e

3’ 5’ 4 g h i

2’ 5’ 4_°6’ x f x f

5’ 4 h i

2 i

3’ h

Pfalz stiftet etwas Ordnung, indem er die vielen unbereimten Zäsuren mit Reimen versieht und ein rhythmisch problematisches Zeilenpaar im Mittelteil (Reime bei Wizlaw: hiure:tiure) neu gestaltet. Der Ton, den Kornrumpf (1989) vor die Mitte des 14. Jahrhunderts datiert, hat also spätestens mit Pfalz von Straßburg eine Verwendung als Sangspruch gefunden. Anders als bei Wizlaw ist der dritte Stollen bei Pfalz unvollständig realisiert, was nach 1300 ungewöhnlich wäre; das würde dafür sprechen, daß der ‚Rohrton‘ auf eine von Wizlaw unabhängige alte Fassung zurückgeht – die Melodie wäre somit schon im 13. Jahrhundert als Sangspruchton in Umlauf gewesen. Unklar bleibt, ob und unter welchen Bedingungen ein solches Nachdichten auch zu einer Aneignung des Sangspruchtons führen konnte. Grundüberlegungen zu dieser Frage wurden von Kornrumpf/Wachinger (1979) ausgearbeitet: Wie sehr mußte man einen Ton ändern, damit er der eigene wurde? Konnten Spruchdichter schon im 13. Jahrhundert, wie später bei der Gesangsweise Römers von Zwickau (1Römer/1), einen neuen Ton begründen, indem sie unter Beibehaltung der Melodie eine geringfügige Änderung am metrischen Schema der Vorlage vornahmen? (Römer übernimmt Boppes Hofton und fügt nur einen Reim hinzu; vgl. Rettelbach 1993, S. 164.) Im späten 14. Jahrhundert übernimmt Heinrich von Mügeln das völlig unveränderte metrische Schema von Boppes Hofton mitsamt der Melodie; die Änderungen, die er vielleicht an der Melodie vornahm, sind heute nicht mehr zu erkennen, und trotzdem scheint der ‚neue‘ Ton ihm zuerkannt worden zu sein (auch wenn die Kolmarer Handschrift am Ende des Boppe-Korpus, fol. 581ra und 589r, einige Boppe- und Müglinstrophen vermischt). Gleichzeitig muß man davon ausgehen, daß Sänger und Zuhörer die Melodieähnlichkeit erkannten; vielleicht störten sie sich nicht daran, daß eine Melodie zwei verschiedenen Sängern zugehörte, wenn einer der Sänger schon verstorben war.

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Spruchdichtung und Sirventes

6.6 Tonwechsel bei gleichbleibender Melodie als Schlüssel zum Verständnis deutscher Kompositionskunst Wie schon von Kornrumpf/Wachinger (1979) beobachtet wurde, ist der erste Ton des Jungen Meißners in der gewählten Hinsicht besonders interessant, weil er den klaren Fall einer Tonaneignung darstellt. Bis auf das Fehlen der drittletzten Melodiezeile ist er eine getreue musikalische und metrische Kontrafaktur von Frauenlobs ‚Langem Ton‘. In der Kolmarer Handschrift erhält die Notenaufzeichnung zum Jungen Meißner die ältere Form der Melodie zu Frauenlobs ‚Langem Ton‘ (in der Hs. München, cgm 716 erhalten) streckenweise sogar besser, als es die Kolmarer Melodieüberlieferung zu Frauenlobs ‚Langem Ton‘ selbst tut. Wir besitzen einen analogen provenzalischen Fall, der zumindest für den galloromanischen Kulturraum das Musterbeispiel einer ungenauen Tonentlehnung, die trotzdem kein Tonwechsel ist, abgibt. Für das Lied ‚Fort m’enoia, s’o auzes dire‘ (PC 305,10) benutzt der Mönch von Montaudon einen Ton Bertrans de Born aus ‚Rassa, tan creis e mont’ e poia‘ (PC 80,37). Auch die Melodie zu Bertrans Lied ist erhalten, die Melodien sind identisch. Obwohl die Fassung des Mönchs den Ton um 2 achtsilbige Zeilen verkürzt (und dabei der Melodie eine etwas konventionellere Kanzonenform verleiht), enthält die Melodiehandschrift Paris, B.N. ms. fr. 22543 am Ende des Textes einen Schreibervermerk: el so de la rassa. Also – je nachdem, wie man das Wort so übersetzt – „in der Melodie von ‚Rassa‘“ oder sogar „in dem Ton ‚Rassa‘“. Trotz der vom Mönch vorgenommenen Strophenverkürzung gehört die Melodie nicht ihm, sondern dem ursprünglichen Text. Bertran selbst verkürzt anscheinend den Ton seines Halbsirventes (PC 80,25) in einem anderen Lied (PC 80,43). Eine ausführliche Behandlung mehrfach überlieferter Sirventesmelodien und ihrer Texte gibt es bei Bonse (2003). Spanke (1983) bespricht mehrere mit Melodie überlieferte geistliche Kontrafakturen im Altfranzösischen, die relativ oft mit der metrischen Struktur ihrer weltlichen Vorlage frei umgehen. Der Stellenwert variabler romanischer Kontrafakturen unterscheidet sich von dem der deutschen variierenden Nachdichtungen vor allem darin, daß die Spruchsänger in dem überarbeiteten Ton unbegrenzt weiterdichten konnten. Das Lied Bertrans de Born hat fünf, das des Mönchs von Montaudon neun Strophen, während in Frauenlobs ‚Langem Ton‘ über hundert frühe Strophen erhalten sind und man bei den älteren Texten im Ton des Jungen Meißner auf 35 Strophen kommt. Ich gehe davon aus, daß das unbegrenzte Singen und Dichten in einem Ton zu einer größeren Vertrautheit mit den Ausdrucksmöglichkeiten und formalen Einzelheiten des Tons führte.

Tonwechsel als Schlüssel

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Rettelbach (1993, S. 156) stellt die Argumente für eine zeitliche Priorität des Frauenlob-Tons zusammen; insgesamt sind sie einleuchtend: Zeilenlängen und Reimschema sind für Frauenlob typisch; ihm ist eine Strophenform von dieser Komplexität zuzutrauen; die Fürstenpreisstrophen, die er im ‚Langen Ton‘ dichtet, würde er nicht in einem fremden Ton verfassen; der Ton ist sein Hauptton, auch wenn die datierbaren Strophen spät sind. Als ergänzende Beobachtung (nicht als Beweismaterial, denn wir wissen nichts über den sonstigen Melodiestil des Jungen Meißners) kann man hinzufügen, daß die Melodie an Frauenlobs Marienleich erinnert: Die Eröffnungsmelodie des Abgesangs variiert die Eröffnungsmelodie des zweiten Versikels, der frauenlobtypische Melodieanstieg und -fall (V. 13–18) mit abschließender Refrainzeile (V. 19) des Abgesangs hat eine stilistische Parallele im sechsten Versikel. Interessanterweise führt der Wegfall einer Melodiezeile zu wichtigen Unterschieden in der Melodie- und Textsyntax der zwei Töne, auch dann, wenn man annimmt, daß ihre Melodie sonst identisch war. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Frauenlobs Abgesangsmelodie symmetrisch proportioniert und chiastisch angelegt ist, während beim Jungen Meißner diese Harmonie zugunsten einer einfacheren Struktur verdeckt wird. Diese Änderung der Melodiestruktur führt zu ganz unterschiedlichen Textstrukturen bei den zwei Dichtern. Die Melodie der älteren Überlieferung (München, cgm 716) definiert sich stark über steigende und fallende Bewegungen innerhalb des Ambitus c-g’ (mit der Finalis f). Im folgenden Melodieschema ist das Verhältnis der Melodien / zu den Melodien 1/1 nicht das einer Identität oder Ähnlichkeit der Notensequenz (diese hat nur die Refrainzeile R) sondern einer gegenläufige Korrelation der Bewegung im Tonraum: Die Melodien  und 1 erreichen ihren Schlußton f von unten () bzw. von oben (1), die Melodien  und 1 erreichen ihren Schlußton c’ von unten () bzw. von oben (1), dem Anstieg der Melodie  bis zum Tongipfel (c’-g’) entspricht der Abstieg f ’-c’ der Melodie 1. Auch in den Taktproportionen ist der Abgesang symmetrisch: Die zweitaktigen Verse 15 und 16 werden von viertaktigen Verspaaren doppelt umklammert.

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Spruchdichtung und Sirventes

Frauenlob, Langer Ton cgm 716, fol. 185t-189r (Melodie fehlt in J wegen Blattverlust) Frauenlob, ‚Langer Ton‘ / Junger Meißner, Ton I Melodiestruktur nach München, cgm 716 Verslänge: 6 2 3’ 3 4_° 3’ 4_ 3’ :|| Reim: a a b b b c d d e e e c 1Melodie:   1 2 1 R _

4 4 2 2 f f f f

[4] [f]



[1] 1 R





1

4 f

4_ 3’ c

Bei Frauenlob führt die Melodie im Abgesang zu einem zentralen Höhepunkt (Höchstnote g’) hinauf und wieder herunter, eine Langzeilenmelodie (R) schließt jeden Strophenabschnitt ab. Der Melodiehöhepunkt -1 bildet den Mittelpunkt des Chiasmus. Beim Jungen Meißner geht diese Symmetrie durch die Verlust von V. 17 verloren, mit der Reduktion des Abgesangs von 20 auf 16 Takte steht der Melodiehöhepunkt in der zweiten Hälfte des Abgesangs. Falls der Junge Meißner Frauenlob überarbeitete und nicht umgekehrt, könnte er V. 17 deshalb für redundant gehalten haben, weil die Melodiebewegung f ’-c’ schon in der vorangehenden Kurzzeile vollzogen wurde.

Tonwechsel als Schlüssel

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Frauenlob, ‚Langer Ton‘

*Hier wird angenommen, daß die Melodiestruktur mit der zu Frauenlobs ‚Langem Ton‘ überlieferten identisch war. Meißner, Ton I

Damit ist die Dynamik des Abgesangs in den zwei Tönen vollkommen unterschiedlich. Die anspruchsvolle unitäre Umklammerungsstruktur Frauenlobs wird beim Jungen Meißner zugunsten einer knapperen, relativ unkomplizierten Zweiteiligkeit aufgegeben. Wie eine Lektüre der Strophen im ‚Langen Ton‘ zeigt, neigen Frauenlobs Texte dazu, die Klammerstruktur der Melodie (unterschiedlich ausgeführt und in unterschiedlicher Deutlichkeit) in einem großen Satzbogen zu reproduzieren. Solche Strukturen zu erkennen, ist natürlich immer Interpretationssache. Hier kann ein syntaktisch unproblematischer Abgesang (RSM 1Frau/2/505.2, Ausg. Stackmann/Bertau, Bd. V, S. 4) als Beispiel genügen:  Ach, priester, reinez gotes vaz,  (sît du vermacht aleine daz  und nieman baz, 1 als Christ ez maz, 1 der himel und ertrich besaz,) 1 gein dinen worten ist nicht laz:

R er komt und leistet din gebot,

ein got und dri genende.

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Spruchdichtung und Sirventes

Der Hauptsatz füllt die Melodiezeilen  und 1, eingeklammert ist ein Nebensatz  und, von diesem Nebensatz wiederum abhängig, ein weiterer Nebensatz 1, von dem abermals ein Nebensatz 1 abhängt. Ganz anders der Junge Meißner: Wie sich schnell durch eine Überprüfung der älteren Überlieferung (Ausg. Peperkorn, Strophengruppe A) bestätigen läßt, werden bei ihm die Verse 15 bis 17 in der Regel zu einer achttaktigen Einheit verbunden, die von den Versen 13 und 14 syntaktisch getrennt ist. Dabei hat der Melodiehöhepunkt durchaus Betonungsfunktion; ich unterstreiche ihn im folgenden Beispiel (RSM 1JungMei/1/10; Ausg. Peperkorn, A I,10,13–18): Wol im, wer sus gelouben pfliget unt sich des zwifels gar gewiget. schone er gesiget und ob geliget vil mangem, der mit wandel riget. haltet gelouben, daz rat ich, ir alten und ir jungen!

Wenn eine geringfügige Änderung an einem Ton zu einer wesentlichen Verschiebung in der Struktur der Texte führt, mag es berechtigt erscheinen, das Geänderte als neuen Ton zu betrachten. Die Trennlinie, die einen Ton von einem anderen unterscheidet, definiert sich hier nicht mehr über die Melodie oder das metrische Schema. Das, was einen Ton ausmacht, ist das rhetorische Potential, das sich aus der Realisierbarkeit von Texten zur gegebenen Melodie ergibt. (Es bleibt immer noch unklar, ob etwas Strukturelles Boppes ‚Hofton‘ von Mügelns ‚Langem Ton‘ trennte.) Trotzdem werden uneingeweihte Zuhörer noch immer zuerst die Melodie hören, den Ton mit dieser identifizieren und ihn mit dem ersten Tonerfinder oder (wie beim ‚Rassa‘-Lied Bertrans de Born) dem bekanntesten Text assoziieren. (So wird Kelins Ton III nach einer beliebten Fabelstrophe als ‚Hundweise‘ benannt.) Das Bewußtsein, daß der Meißner seine Melodie nicht selbst ausdachte, scheint bis ins 15. Jahrhundert fortgelebt zu haben. In der Kolmarer Handschrift wird sein Ton – entgegen der üblichen Praxis – ausdrücklich nicht als ton bezeichnet, statt dessen steht der Vermerk: Der michsener in sim gedicht. Das ist unter anderem deshalb sinnvoll, weil unterschiedliche Tonautorschaft manchmal (bei identischem Reimschema und identischer Metrik) über die Melodie allein definiert wurde, etwa in den eng verwandten Tönen der Dichter Guter (RSM 1Gut/1) und Unverzagter (Ton II; RSM 1Unv/2). Schumann (1972, S. 22) versteht die Bezeichnung gedicht hier als Hinweis darauf, daß es sich beim Meißner um die „freie Nachahmung eines frem-

Tonwechsel als Schlüssel

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den Tones“ handelt; Peperkorn (1982, S. 6) lehnt diese Lesart ohne Begründung ab. In der Kolmarer Handschrift hat das Wort gedicht manchmal (etwa fol. 3r) die undifferenzierte Bedeutung ‚poetische Werke‘. Sowohl ton, don als auch wyse bezeichnen meistens die kombinierte Melodie- und Textstruktur einer Strophe. Gelegentlich benutzen die Schreiber gemesse (fol. 19r, 547r) als Wort für die metrische Strophenstruktur eines Gedichts; bei der Wendung in eym tone vnd in eym gemesse (fol. 19r) bezeichnet ton offensichtlich die Melodie. Die Überschrift Der propheten dantz ein eygen geticht des marners (fol. 489r) stellt fest, daß der Text dem Marner gehört, nicht (oder nicht nur) die Melodie. Bei der Überschrift zu einem weiteren Dichter, dem Jungen Stollen (fol. 719r) wird es ganz eindeutig, daß die Texte gemeint sind: Dyß ist des jungen stollen getichte / vnd hat nit geticht dann dyse dru par darnach starp er / wie er sturbe daz ste zu gotte. Schumanns Lesart ist also besser als die Peperkorns (die den Unterschied zwischen geticht und ton ignoriert), weil sie dem sonstigen Sprachgebrauch der Handschrift entspricht. Man muß annehmen, daß die anderen Überschriften, in denen geticht statt ton verwendet wird, nämlich die zu Meffrid und zum Jungen Meißner, ebenfalls ein Hinweis darauf sind, daß die Texte, nicht der Ton gemeint sind; die Überschrift sagt entweder nichts über die Melodie aus oder legt nahe, daß sie nicht vom Dichter stammt. Abschließend läßt sich sagen, daß Tonübernahmen bei den Spruchsängern zwar nicht – wie beim Sirventes – zur Norm geworden sind, aber daß das Singen in fremden Tönen ein noch wichtigerer und häufigerer Bestandteil des literarischen Betriebs war, als allgemein angenommen wird. Das zu zeigen, war Teil des Versuchs, Verbindungen zwischen Sirventes und Sangspruch zu erkennen. Analogien zum Sirventes sind am ehesten bei den liedhaften Kontrafakturen von Minneliedern vorstellbar: etwa Gottfried von Neifen, KLD 15, Nr. 20 > Mönch von Salzburg, ‚Hofton‘ oder der Komplex Walther, L 75,35 / Rugge, MF 99,29 > Guter / Unverzagter, Ton III. Es sind Ähnlichkeiten, aber auch wichtige Unterschiede in den Prozessen der Übermittlung von Strophenformen der moralisch-politischen Dichtung beider Kulturbereiche deutlicher geworden. Besonders aufschlußreich erscheint die unterschiedliche Einstellung zur Kontrafaktur und zur abgewandelten Kontrafaktur, da sie den unterschiedlichen Existenzformen, die den beiden Gattungen zugrundeliegen, entspringt; der gegenwärtige Eindruck ist, daß ein Sirventesdichter sich formal freier bewegen konnte als ein Sangspruchdichter. Beim Sirventes wurde die Kontrafaktur, bei den Spruchsängern die Variation zur Norm. Die variierende Übernahme von Tönen hat Sängern die Möglichkeit geboten, vorhandene Melodien (die wohl auch ein bestimmtes Ausdruckspotential

296

Spruchdichtung und Sirventes

transportierten) zu benutzen, ohne darauf zu verzichten, einen eigenen Ton daraus zu machen; vielleicht erlaubten z.B. Walther die Änderungen am Reimschema des ‚Palästinaliedes‘ (s. Kap. 6.1 u. 6.2), einen Eigentumsanspruch auf die von ihm übernommene Form zu erheben.

6.7 Eine deutsch-italienische Kontrafaktur mit deutschem Variationsformat Die regelmäßige Verwendung abgewandelter Kontrafakturen verringert deutlich die Wahrscheinlichkeit, daß wir die formalen Entlehnungsprozesse, die sich (zumindest hypothetisch) zwischen Sirventes- und Sangspruchtönen abgespielt haben könnten, je mit Sicherheit nachweisen werden. Man kann die Möglichkeit einräumen, daß das Fehlen von Sirventestönen bei den Spruchsängern eine Folge gängiger Variationspraktiken war, nur: Wie kann man das nachweisen, wenn fast alle deutschen Melodien verloren sind? Immerhin ist nicht ganz auszuschließen, daß sich die eine oder andere Kontrafaktur noch nachweisen läßt. Dank den verdienstvollen Arbeiten von Joachim Schulze (1989 u. 1995) wissen wir von mindestens einer wirklich überzeugenden deutsch-italienischen Kontrafaktur. Der Ton, um den es geht, ist Kelins ‚Hundweise‘ (Ton III; RSM 1Kel/3):

Meister Kelin, Ton 3 J18b-d; UB Basel N.I. 3,145, fol. 2c-d (Fragment)

Eine deutsch-italienische Kontrafaktur mit deutschem Variationsformat

297

Schulze (1995) identifiziert drei italienische Lieder, die den Ton verwenden: das anonyme Lied ‚Per la fera membranza‘ (Ausg. Panvini [1957/58], Bd. I, S. 451), das der Strophenform Kelins am nächsten steht, und zwei stärker verkürzte Fassungen, ‚La gran nobilitate‘ von Paolo Zoppo (Ausg. Monaci/Arese, S. 245f.) und das Sirventes ‚Poi ch’è si vergognoso‘ von Carnino Ghiberti (Ausg. Catenazzi, S. 75). Schulze (1995) datiert das Lied Carninos zwischen 1264 und 1266. Er hält es für eine Kontrafaktur zum Lied Zoppos; dann wären die Reime des Abgesangs, die bei Zoppo fehlen, bei Ghiberti wieder eingesetzt worden. Zoppo ist zwischen 1268 und 1273 in Bologna nachgewiesen, hatte ein Haus dort und dichtete eine Tenzone zusammen mit Monte Andrea. Schulze betrachtet (m.E. zu Recht) auch Monte Andreas Lied ‚Donna, di voi si rancura‘ (Ausg. Contini, Bd. I, S. 460–462) als verkürzte Kontrafaktur zum Ton Rumelants von Schwaben bzw. Albrechts von Haigerloch (RSM 1RumeSw/; RSM 1AlbrH/). Der Wegfall der Schlußzeile, die in der Melodie eine etwas überflüssige Coda bringt, könnte als Ausbesserung der musikalischen Struktur verstanden werden. Bei gleichbleibender Melodie hat Monte Andreas Ton das Melodieschema ABC ABC DEFF’ GC, Rumelant ABC ABC DEFF’ GCH. Über solche Entlehnungen ließe sich in den 1260er und 1270er Jahren ein dichterischer Kreis in Bologna identifizieren, der die Töne, wenn nicht die Textinhalte Rumelants und Kelins rezipierte bzw. den deutschen Sängern als Quelle diente. In seinem Text verwendet Monte Andrea überdies Tiervergleiche (Löwe, Pfau, Drache, Falke) am Melodiehöhepunkt im Abgesang, was vielleicht eine Reaktion auf ein entsprechendes Thema in seiner Textvorlage ist. Keine der drei Entsprechungen ist jedenfalls metrisch ganz exakt. (Daß sie nur weibliche Verskadenzen verwenden, liegt daran, daß die italienische Prosodie die männlichen nicht benutzt.) Der anonyme Dichter bewahrt die Form von Kelins Ton am genauesten, aber auch er verkürzt die zwei mittleren Verszeilen (12 und 13) des Abgesangs. Ghiberti und Zoppo verkürzen die Stollen um eine Zeile und verzichten auf die Wiederholung des Abgesangs. Ich gebe die metrischen Strukturen der vier Töne in deutscher Notation (nach Hebungszahl, nicht nach der Zahl der Silben) wieder:

298 Kelin Melodie: Verszeile:

Spruchdichtung und Sirventes 3’ a d A

3 b e B

3’ a d C

2_3’ b_c e_c E_F

:||

5/10

Anonym

3’ a a

3’ b b

3’ b b

Ghiberti

3’ a a

3’ b b

3’ b b

Zoppo

4 b e D 3’ c c

4 f h G

2_5 f h E_H

6 f h E_F’

5’ :|| g g E_F

3’ e e

3’ e e

2’_3’:|| e_d e_d

11/15

2’_3’ c_d c_d

:||

5’ c c

:||

3’ d d

3’ 3’ 3’ 5’ 5’ K dd e e (K= Kornreim in allen 5 Strophen)

3’ 3’ 3’ 5’ :|| 3’ 3’_3’ a b b c – d _d a b b c (Reime a und b bei Zoppo auch im Abgesang = Str. IV)

5’ – (a)

5’ – (b)

Die Annahme, daß Kelins Melodie allen vier Tonvarianten zugrunde liegt, fußt auf folgenden Beobachtungen: 1) Ghibertis Ton geht offensichtlich auf eine Form zurück, die die Melodie (und Reime) des Abgesangs wiederholt, wie bei Kelin und dem Anonymus. Der Verzicht auf diese Wiederholung hat bei Zoppo zu fast völliger Reimlosigkeit im Abgesang geführt. 2) Die Melodie E_F der Verse 5, 10, 14 und 18 hat bei Kelin einen auffallenden Binnenreim in beiden Stollen, aber keinen in den Versen 14 und 18, wo die Melodie wiederholt wird. Beim Anonymus wird der Binnenreim nicht nur erhalten, sondern auch zusätzlich am Strophenende (V. 14 u. 18) eingeführt. Bei Ghiberti und Zoppo wird er konsequent entfernt. 3) Eine verkürzte Form der Melodien zu den Versen 12 und13 (die einzige größere Umbearbeitung in der Tonvariante des Anonymus) läßt sich ohne Schwierigkeit erstellen, wenn man die wiederholt umspielten Rezitationstöne zusammenstreicht. Kelins Zeile 12 scheint ohnehin aus einer ursprünglich viertaktigen Melodie gewonnen zu sein:

Stilistisch und inhaltlich haben die erhaltenen italienischen und deutschen Texte dieses Tons miteinander nichts zu tun. Wenn man nicht zur Hypothese greifen will, daß hier ein Korpus deutscher und italienischer, aufeinander direkt Bezug nehmender Texte verloren gegangen ist, ist das ein negativer Befund für die Literaturwissenschaft: Die Kontakte sind rein musikalischer Natur. Ganz negativ freilich auch nicht, denn die Variations-

Provenzalische Melodien – ein Steinbruch für Sangspruchdichter?

299

techniken, die in diesen Liedern eingesetzt werden, sind erstaunlich homogen. Es sind genau die musikalischen und versifikatorischen Umspielungskünste der Sangspruchdichtung (hier: die Hinzufügung von weiteren Reimen an den Verszäsuren, Wiederholung oder Weglassen einer Verszeile oder eines ganzen Strophenabschnitts, metrische Verkürzung einer Versmelodie), die in den italienischen Liedern wieder vorkommen.

6.8 Provenzalische Melodien – ein Steinbruch für Sangspruchdichter? Haben solche Strophenerweiterungen noch mit Frankreich zu tun? Um in die Nähe etwaiger französischer oder provenzalischer Vorbilder zu kommen, müßte man die deutschen und italienischen Strophenverlängerungen rückgängig verkürzen. Das wäre jedenfalls ein denkbares Modell, um die schrittweise Entwicklung einer französischen oder provenzalischen Melodie zur Sangspruchmelodie (mit oder ohne Zwischenstufe als deutsches oder italienisches Minnelied) zu rekonstruieren. Ich nenne ein letztes Beispiel aus der Jenaer Liederhandschrift: Hermann Damens sechster Ton gehört mit seinen 36 Reimversen (insgesamt 145 Takte) zu den längsten des Sangspruchrepertoires. Hermann erreicht diesen Umfang mit Hilfe eines einfachen Mittels: Er verwendet die ganze Strophenmelodie einer unbekannten Oda continua als Stollenmelodie. (Eine vergleichbare Vervielfachung von Strophenabschnitten ist auch in seinem Leich zu beobachten.) Da er auch einen dritten Stollen im Abgesang verwendet, braucht er nur noch eine wiederholte dreizeilige Stegmelodie. Hermanns unerhörtes Reimschema abcdefghik-lmn ist den Reimschemata mancher provenzalischer Dichter (nicht der Trouvères!) ähnlich: Die Reimschemata abcdefg, abcdefgh, abcdefgg, abcdefghh (Reim durchgehend in allen Strophen) gibt es bei Arnaut Daniel, Bertran de Born, Uc de Saint Circ, Ramon de Tolosa, Arnaut de Mareuil und anderen. Ein Reimschema dieses Typs wäre im Normalfall auf deutsch unmöglich, da man in ‚Deutschland‘ Reimbindungen prinzipiell strophenintern benutzte; Damens massive Bauweise löst das Problem, indem er die Strophe seiner Vorlage dreimal in seine neue Strophe importiert.

300 Damen, Ton VI

Verszeile:

Spruchdichtung und Sirventes 4 a a a

4 b b b

3’ c c c

4 d d d

3 e e e

4 f f f

6 g g g

3’ h h h

4 i i i

5 k k k

:||: 2 2 3’ l m n l m n

5/15

10/20

31

36

Es ist wohl kein Zufall, wenn die Melodie des Tons eine Ähnlichkeit zu einem provenzalischen Lied, ‚La franqua captenenza‘ (PC 30,15), hat, die über eine bloße Tonartenverwandtschaft hinausgeht. Es handelt sich um ein Minnelied Arnauts de Mareuil (Ende 12. Jh.). Die Reihenfolge der Melodiedistinktionen bei Arnaut ist jedoch anders als bei Damen, auch Reime und Metrik gleichen sich nicht, obwohl die Strophe ungefähr die Länge von Damens Stollen hat: A. de Mareuil, 3’ 3 3 3 3 3 3 3 3 3 PC 30,15 a b b b c d b c c d 5 10 Verszeile: Verslänge in deutscher Notation (nicht silbenzählend!)

Herman Damen, Ton 6

J122c-123b

Literaturverzeichnis

301

Arnaut de Maroill, La franqua captenensa PC30,15

Hat Damen sein ungewöhnliches Reimschema einem verlorenen Lied Arnauts entlehnt? Ähnliches könnte man bei anderen Melodien der Jenaer Handschrift fragen, die liedhaft wirken und an provenzalische Melodien erinnern: Ist die schöne Melodie zu Fegefeuers Ton II mit Peire Cardenals Sirventes ‚Un sirventes novel vuelh comensar‘ (PC 335,67; Ausg. Gennrich, Nr. 187) verwandt? Über Spekulatives kommt man gegenwärtig nicht hinaus; ein systematischer stilistischer Vergleich der Melodien der Jenaer Handschrift (Ausgg. Holz/Saran/Bernoulli u. Tervooren/Müller) mit den romanischen Melodiesammlungen steht noch aus und könnte vielleicht in dieser Hinsicht aufschlußreich sein. Vorläufig ist die Vorstellung, daß Sangspruchdichter romanische Melodien und Gesangspraktiken im 13. Jahrhundert weiterhin fleißig importierten und überarbeiteten, nicht ganz von der Hand zu weisen. [Manuskriptabschluß: August 2009]

Literaturverzeichnis 1) Text- und Melodieausgaben Romanische Texte und Melodien: Appel 1930: Provenzalische Chrestomathie, hg. v. Carl Appel, Leipzig 1930. Appel 1969: Provenzalische Inedita aus Pariser Handschriften, hg. v. Carl Appel, Osnabrück 21969. [Arnaud de Maruil] Les poésies lyriques du trobador Arnaut de Mareuil, hg. v. Ronald C. Johnston, Paris 1935. [Bertran de Born] Die Lieder Bertrans von Born, hg. v. Carl Appel, Halle a. d. S. 1932. Bertran Carbonel, Cansos e Coblas, hg. v. Michael J. Routledge, London 1998.

302

Spruchdichtung und Sirventes

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Spruchdichtung und Sirventes

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Spruchdichtung und Sirventes

Ranawake 1976: Silvia Ranawake, Höfische Strophenkunst. Vergleichende Untersuchungen zur Formentypologie von Minnesang und Trouvèrelied an der Wende zum Spätmittelalter, (Diss.) München 1976. Ranawake 1997: Walther von der Vogelweide, Gedichte, Bd. I: Der Spruchdichter, hg. v. Silvia Ranawake (s.o. unter Textausgaben). Rettelbach 1993: Johannes Rettelbach, Variation – Derivation – Imitation. Untersuchungen zu den Tönen der Sangspruchdichter und Meistersinger, (Diss. Würzburg 1989) Tübingen 1993. Rieger 1976: Dietmar Rieger, Gattungen und Gattungsbezeichnungen der Trobadorlyrik. Untersuchungen zum altprovenzalischen Sirventes (Beihefte zur ZfrPh 148), Tübingen 1976. Rieger 1980: Dietmar Rieger, Sirventes, in: GRLMA II/1/4 (1980), S. 9–61. Routledge 1999: Michael J. Routledge, The Later Troubadours, in: Gaunt/Kay (Hgg.) 1999, S. 99–112. Schneider 1941: Erwin Schneider, Spruchdichtung und Spruchdichter in den Handschriften J und C, in: ZfdPh 66 (1941), S. 16–36. Scholz 1999: Manfred Günter Scholz, Walther von der Vogelweide (SM 316), Stuttgart/ Weimar 1999. Schulze 1989: Joachim Schulze, Sizilianische Kontrafakturen. Versuch zur Frage der Einheit von Musik und Dichtung in der sizilianischen und sikulo-toskanischen Lyrik des 13. Jahrhunderts (Beihefte zur ZfrPh 230), Tübingen 1989. Schulze 1995: Joachim Schulze, Verwandte deutsche und italienische Strophenformen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: Dorothee Lindemann u.a. (Hgg.), Bickelwort und wildiu maere. Fs. Eberhard Nellmann (GAG 618), Göppingen 1995, S. 313–323. Schumann 1972: Eva Schumann, Stilwandel und Gestaltveränderung im Meistersang. Vergleichende Untersuchungen zur Musik der Meistersinger, (Diss. Göttingen 1969) Kassel 1972. Spanke 1983: Hans Spanke, Das öftere Auftreten von Strophenformen und Melodien in der altfranzösischen Lyrik, in: ders., Studien zur lateinischen und romanischen Lyrik des Mittelalters, hg. v. Ulrich Mölk, Hildesheim/ Zürich/ New York 1983, S. 279–323 [erstmals 1928]. Switten 1995: Margaret L. Switten, Music and Poetry in the Middle Ages. A Guide to Research on French and Occitan Song, 1100–1400, New York 1995. Tervooren 2001: Helmut Tervooren, Sangspruchdichtung (SM 293), Stuttgart 22001. Touber 1987: Anton Touber, Ulrichs von Lichtenstein unbekannte Melodie. Dem Deutschen Seminar der Universität Amsterdam zum 75. Geburtstag als Angebinde, in: ABäG 26 (1987), S. 107–118. Wachinger 1973: Burghart Wachinger, Sängerkrieg. Untersuchungen zur Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts (MTU 42), München 1973.

Vorbemerkung

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7 Niederländische Lyrik von Frank Willaert 7.1 Vorbemerkung – 7.2 Früheste Spuren – 7.3 Veldeke – 7.4 Hadewijch – 7.5 Minnesang in Lothringen – 7.6 Jan I. von Brabant als lothringischer Minnesänger – 7.7 Lothringische Expansion – 7.8 Höfische Minneverse: littera sine musica – 7.9 Didaktische Lyrik – 7.10 Schluß

7.1 Vorbemerkung Man darf die Frage stellen, ob der Titel dieses Kapitels nicht anmaßend oder zumindest irreführend ist. Nur zwei Minnesänger stammen ja aus den Niederlanden, Heinrich von Veldeke und Jan I. von Brabant, und ihre Lyrik ist ausschließlich in hochdeutschen Handschriften erhalten. Sangspruchdichtung hat es in den Niederlanden nicht gegeben. Überliefert sind einige wenige anonyme Lyrikbruchstücke. Und selbstverständlich gibt es die fünfundvierzig Lieder der brabantischen Mystikerin Hadewijch und die zehn strophischen Gedichte des westflämischen Dichters Jacob von Maerlant, zwei lyrische Œuvres, die in ihrer Zeit aber recht isoliert zu stehen scheinen. Kurzum, es ist wenig und es ist unterschiedlich. Ist es nicht zu wenig, um ein gesondertes Kapitel „Niederländische Lyrik“ zu verantworten? Und ist das, was überliefert ist, nicht zu verschieden, als daß es ein einigermaßen kohärentes Bild ermöglicht?

7.2 Früheste Spuren Schon der Anfang ist heikel. 1933 veröffentlichte der Anglist Kenneth Sisam folgenden Satz, den er (oder war es sein Schüler Neil Ker?) als probatio pennae zwischen einer Reihe anderer Federproben auf der ursprünglich unbeschriebenen letzten Seite einer Handschrift mit altenglischen Predigten (Oxford, Bodleian Library, Bodley 340, fol. 169v) gefunden hatte (Transkription nach Louwen 2009; was unlesbar ist und rekonstruiert werden muß, steht in eckigen Klammern):

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Niederländische Lyrik Hebban olla uogala nestas [h]agunnan hinase hi[c] [e]nda [t]hu uu[at] [um]bida[n] [uu]e nu

Eigentlich steht in der zweiten Zeile [um]biada[n], wobei das i über der Zeile zwischen dem b und dem (expungierten) a eingefügt ist. Vermutlich hatte der Kopist dieses a, – vielleicht unter dem Einfluß des a in der folgenden Silbe – zu früh geschrieben. Übers.: „Es haben alle Vögel mit ihren Nestern begonnen außer mir und dir; was warten wir nun?“

Unmittelbar darüber hat dieselbe Hand die folgende Wort-für-Wort-Übersetzung ins Lateinische hinzugefügt und dabei aus Platzmangel die letzte Wortgruppe eine Zeile höher geschrieben: quid expectamus nu[nc] Abent om[ne]s uolu[cres] nidos [in]c[ept]os nisi ego & tu

Der amouröse Inhalt und das Bild der nestbauenden Vögel sind zweifellos mit dafür verantwortlich, daß diese zwei Zeilen, die etwa auf das Ende des 11. Jahrhunderts datiert werden können, im kollektiven Gedächtnis der Flamen und Niederländer als das älteste Niederländisch abgespeichert sind – was sie aber mit großer Sicherheit nicht sind. Mit so wenig Text und Kontext werden die unterschiedlichsten und bisweilen wunderlichsten Theorien möglich. Sisam (1933, S. 12) vermutete zunächst, daß es sich um ein Zitat aus einem niederländisch-lateinischen Gesprächsbuch handele, später dachte er an eines aus einer Tierfabel (erwähnt in Schönfeld 1958/59, S. 4). Schönfeld (1933, S. 8) sah darin den Seufzer eines flämischen Mönchs voller Sehnsucht nach seinem Vaterland. Für Van Ginneken (1936/37, S. 56) handelte es sich um ein gefühlvolles Liebesgedicht eines verliebten Studenten. Lindemans (1941, S. 517f.) vermutete, daß es sich um ein Zitat aus einem verlorenen epischen Gedicht handele, und De Smet (1954, S. 111) interpretierte die Verse allegorisch als den frommen Seufzer eines Novizen nach der Ruhe des Klosterlebens. Für Van Mierlo (1955, S. 553–559) war es vielleicht eines derjenigen winileodos, über die Karl der Große einstmals verfügt hatte, daß keine Nonne es wagen dürfe, sie aufzuschreiben oder zu verschicken. Caron (1963, S. 257–263) wiederum dachte an ein raffiniertes lateinisch-deutsches Sprachspiel. Unlängst stellten Dronke (2005) und Van Oostrom (LG, S. 104–107) unabhängig voneinander die Hypothese auf, daß es sich um ein Frauenlied handeln müsse. Letzterer sah darin gar das altniederländische Äquivalent zur romanischen kharja. Doch allem aufgebotenen Scharfsinn zum Trotz müssen wir erkennen, daß wir nicht einmal ganz sicher wissen, ob wir es hier mit einem Vers oder einem Lied zu tun haben. Selbst der Charakter dieser Zeilen als niederländisch ist nicht über jeden

Früheste Spuren

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Zweifel erhaben, da verschiedene Sprachwissenschaftler kürzlich argumentiert haben, daß es sich um eine Mischung aus altenglisch – genauer altkentisch – und altniederländisch handeln müsse (De Grauwe 2004; Dekeyser 2007; Louwen 2009). Für die flämische oder in jedem Fall niederländische Herkunft des Schreibers spricht die von ihm verwendete karolingische Minuskel, die darauf hinweist, daß er seine Ausbildung auf dem Kontinent erhalten hat (Kwakkel 2002). Seine Anwesenheit jenseits des Ärmelkanals läßt sich gut mit der Tatsache verbinden, daß die altenglische Handschrift, in der er und vier weitere Kopisten ihre Feder ausprobierten, dem Kloster St. Andrew in Rochester gehörte. Nach 1083 wurden die angelsächsischen Kanoniker vom Bischof von Rochester durch eine große Gruppe von Mönchen ersetzt, die aus der Normandie und besonders aus der berühmten Abtei von Bec stammten. Diese Abtei und ihre renommierte Schule rekrutierten damals aus allen Himmelsrichtungen, auch aus Flandern. Etwa zu der Zeit, als sein flämischer Ordensgenosse unwissentlich in die niederländische Literaturgeschichte einging, schrieb ein Benediktiner in einem niederrheinischen Kloster auf der letzten, zu diesem Zeitpunkt noch fast unbeschriebenen Seite einer Terenz-Handschrift aus dem frühen elften Jahrhundert (London, British Library, Harley 2750, fol. 94v) einige Phrasen nieder, die den Scharfsinn der Philologen – falls möglich – noch mehr auf die Probe stellen sollten (zit. nach Ausg. Bischoff, S. 266): lasqui n sun sparuir astur qui podis aliuorer la sintil imbracher se busch schi duls baser dussi rie repasar tu dulur und auf der unteren Hälfte derselben Seite: sacramente non ualent tuspiure current multeuel […] edent peramor inclusi scheualar iuch tradur

Über beiden Texten stehen Neumen: Es handelt sich hier also sicher um Lieder. Aber auch hier ist nicht sofort klar, in welcher Sprache dieser Satz aufgeschrieben ist. Der italienischen Romanistin Lucia Lazzerini zufolge soll es sich um okzitanisch mit einigen französischen und lateinischen Einsprengseln handeln, und damit um Dichtung, die noch älter ist als die des ersten Troubadours (Lazzerini 1993). Viel bestimmter ist Ulrich Mölk (1996, S. 50): „Die ursprüngliche Sprache, das Provenzalische, ist leicht in toto wiederherstellbar, ohne lateinisch-volkssprachlichen oder provenzalisch-französischen Mischcharakter annehmen zu müssen.“ Seine Meinung wird aber nicht von dem Okzitanisten Pierre Bec geteilt, der sich auf

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Niederländische Lyrik

ein vages „langue hybride“ romanischer Herkunft beschränkt (Bec 2004, S. 157). Der Schreiber selbst stammte jedenfalls nicht aus der Romania: Daß seine Muttersprache ein germanischer Dialekt gewesen sein muß, ergibt sich unter anderem aus dem Fehlen des Anfangsvokals in der Form sparuir (vgl. okz. esparvier und afrz. esprevier). Es kann aber kaum ein Zweifel daran bestehen, daß es sich hier um Minnelieder handelt. Das erste kann eventuell wie folgt interpretiert werden (ich folge hier der kritischen Ausgabe von Bec 2004, S. 154, aber nicht allen seiner Emendationen): Las! qui n[e] sun sparvi[e]r astur, qui podis a li vorer, la sintil imbracher, se buchschi duls baser: dus sirie repasar tu dulur. „Ach! Warum bin ich kein Sperber-Falke, der bis zu ihr fliegen könnte, die edle [Dame] umschlingen, ihren Mund süß küssen: Es wäre süß, allen Kummer zu heilen.“

Das zweite Lied ist schwieriger zu interpretieren. Bei den zwei ersten Versen gelingt es noch leidlich: Sacramente non valent / tu spiure current – „Schwüre sind nichts wert, alle Späher gehen umher“. Von den folgenden Versen sind nur einige Worte interpretierbar: multe „viele“, per amor „aus Liebe“, schevaler „Ritter“, tradur „Verräter“. Handelt es sich hier um einen Vorstoß gegen Wortbrüchige, Späher und Verräter, die die Liebe der Ritter gefährden? Wie dem auch sei: Wenn wir auch das Motiv des Jagdvogels als Bild für den Liebenden und den Kuß als Medizin gegen den Liebesschmerz aus dem ersten Lied berücksichtigen, wird deutlich, daß diese Lieder die Ankunft der okzitanischen Troubadourlyrik ankündigen, die im Laufe des zwölften Jahrhunderts Westeuropa erobern sollte. Eine Schlußfolgerung ist inzwischen klar: Wenn wir bei der traditionellen Hypothese, daß auch ‚Hebban olla vogala‘ ein altniederländisches Lied ist, bleiben, dann verdeutlichen diese beiden Beispiele auf jeden Fall, daß das Lied ein sehr mobiles Genre gewesen ist, das weit von seinem Entstehungsort entfernt aufgezeichnet worden sein kann. Und genau dieser Punkt – die Mobilität des Liedes – scheint mir ein entscheidender Aspekt zu sein, wenn wir mehr Einsicht in die Geschichte des niederländischen Minneliedes erhalten wollen.

Heinrich von Veldeke

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7.3 Heinrich von Veldeke (f Minnesang II, Kap. 2.4) Der aus der Gegend von Hasselt (heute Hauptstadt der Provinz BelgischLimburg) stammende Dichter Heinrich von Veldeke gehört zur ersten Generation von Minnesängern, die seit den (späten) siebziger Jahren des zwölften Jahrhunderts dem romanischen grand chant courtois gefolgt sind. Veldekes Lieder sind in drei Handschriften erhalten. Die Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, cpg 357; Sigle: A), die um 1270/80 im Elsaß entstanden ist, umfaßt unter seinem Namen zwei Sammlungen (fol. 32r–v u. 33r–v), insgesamt 17 Strophen, von denen ihm aber in der Regel nur neun zugeschrieben werden. Die vermutlich im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts in Konstanz angefertigte Weingartner Liederhandschrift (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, cod. HB XIII.1; Sigle: B) hat 48 Strophen. Die größte Sammlung befindet sich – ziemlich vorhersehbar – in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, cpg 848; Sigle: C), auch Codex Manesse genannt, die kurz nach 1300 in Zürich begonnen wurde. Von den 61 Strophen, die ihm dort zugeschrieben werden (fol. 30r–32r), gelten in der Regel 13 als unecht. Wenngleich Veldekes Lieder ausschließlich im alemannischen Südwesten des deutschen Sprachraums überliefert sind, ist unter einer manchmal dünnen hochdeutschen Schicht sein maasländischer Dialekt deutlich spürbar. Dies ist aus verständlichen Gründen besonders bei den Reimen der Fall, wenn auch besonders der Kopist von Hs. C sich darum bemüht hat, nordwestliche Formen zu bisweilen nicht existierenden hochdeutschen umzubiegen und so glatte Reime herzustellen. In der ersten Strophe von Lied 1 hat er beispielsweise Veldekes Reimworte mare – openbare – jare – ware – sware gänzlich an das Alemannische angepaßt, was in der nicht bestehenden, aber wohl für das Auge reimenden Form jære resultierte: mere – offenbere – jære – were – swere (Goossens 2003a; zur Arbeitsweise des Hauptkopisten von C vgl. Tervooren/Weidemeier 1971). Und doch zeigt sich, daß bei weitem nicht alle Lieder problemlos rückübersetzt werden können. Selbst wenn wir Veldekes Muttersprache weiter fassen, indem wir auch den ‚niederländischen‘ Westen und das angrenzende Rheinland einbeziehen, scheint Veldeke noch mehr als einmal auch (Reim-)Wörter und Wendungen gebraucht zu haben, die nicht in dieser Region vorkamen (Klein 1971, S. 91–105). Selbst Frings und Schieb (1947 u. 1948), die sich so darum bemüht haben, Veldekes Lieder in ihrer ‚ursprünglichen‘ altlimburgischen Gestalt zu rekonstruieren und dabei durchgängig weitreichende Eingriffe in den überlieferten Text wagten, kamen schließlich nicht um diese Feststellung umhin:

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Niederländische Lyrik

In manchem steht Veldeke in einem vom südlichen Deutsch abgehobenen nordwestlichen Verband, dessen reichste Bezeugung im Mittelniederländischen liegt; zum Verband gehört gegen Süden zunächst und vor allem das kölnische Rheingebiet, aber auch das angrenzende Mitteldeutsch. Anderseits steht Veldeke, gegen das Mittelniederländische, auf der Seite des Rheinisch-Mitteldeutschen und Mittelhochdeutschen, also in einem vom Niederländischen abgehobenen südöstlichen Verband. Neben streng mundartlich Gebundenem findet sich Sprachgebrauch weiträumiger Geltung mit unterschiedlicher Abgrenzung. Die Beziehungen zum Mittelhochdeutschen verdienen besondere Beachtung. (Frings/Schieb 1947, S. 220)

Es hat denn auch wenig Sinn, die Frage nach der Sprache von Veldekes Liedern in Form eines Dilemmas zu formulieren, wie man dies in der Vergangenheit häufig getan hat: maasländisch oder mittelhochdeutsch. Eine derartige Fragestellung berücksichtigt ja nicht den Kontext, in dem die Hofdichtung des zwölften Jahrhunderts zustande kam. Große Höfe waren durch Beweglichkeit und Veränderbarkeit gekennzeichnet. Sola mobilitate stabilis, so charakterisiert der englische Höfling Walter Map im zwölften Jahrhundert den Hof (zit. nach Johanek 1992, S. 664). Große Landesherren waren immer auf Reisen: um den Untertanen ihre Macht zur Schau zu stellen, um Recht zu sprechen, um ihre Interessen zu vertreten, um die eingetriebenen Steuern in Naturalien vor Ort zu gebrauchen. Betrachten wir die Reiserouten des Hofes von Kaiser Friedrich Barbarossa und die seines Sohnes, des römischen Königs (und Minnesängers) Heinrich VI. (f Minnesang I, Kap. 1.6), so stellen wir fest, daß ihr Aktionsradius sich bis in die letzten Winkel des Kaiserreichs erstreckte, einschließlich des Maasund Niederrheingebiets und Italiens (Oppl 1978; Willaert 1999b, S. 312f.). Aber der Hof war auch veränderlich (curia … numquam in eodem statu permanens, schreibt Map). Im Gefolge des Kaisers, des Königs und großer Fürsten zogen für kürzere oder längere Zeit auch andere Herren mit ihrem eigenen Gefolge mit, so daß die Zusammenstellung des Hofes fortwährend wechseln konnte. Höfe waren denn auch das, was Peter Johanek (1994) „points of contact“ nennt, wo dichtende Höflinge aus verschiedenen Himmelsrichtungen einander trafen, ihr Œuvre kennenlernten oder auf andere Einflüsse reagieren konnten. Was Veldeke betrifft, so müssen wir uns beispielsweise vor Augen halten, daß Graf Gerard von Loon, Sohn der Gräfin Agnes von Metz, die die Mäzenin von Veldekes ‚Leven van Sint Servaas‘ war, seit seiner Thronbesteigung 1171 mehrmals und manchmal für längere Zeit mit dem Hof Friedrichs Barbarossa und/oder dem Heinrichs VI. umherzog, besonders in den Jahren 1171, 1174, 1180, 1182, 1184/85 (Gerard nimmt dann am sechsten Italienzug Friedrichs Barbarossa Teil), 1187, 1190, 1192 und 1193 (Willaert 1999a, S. 46). Ob Veldeke

Heinrich von Veldeke

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mit ihm durchs Land zog, läßt sich nicht beweisen: Möglicherweise stand er im Dienst beim Grafen von Kleve, beim Pfalzgrafen von Thüringen oder bei einem anderen großen Herrn. Aber sein Leben muß sich zumindest teilweise an den großen Höfen abgespielt haben, wo er auch andere Minnesänger und ihr Repertoire kennenlernen und darauf reagieren konnte. Veldeke kann also seine Lieder praktisch in allen Winkeln des Kaiserreichs und für ein Publikum, dessen Zusammensetzung immer wieder wechseln konnte, zu Gehör gebracht haben. Dies hat nicht nur Folgen für seine Sprache, sondern vermutlich auch für den Text seiner Lieder und für seine Poetik. Der Text konnte von Auftritt zu Auftritt wechseln und an die Umstände angepaßt werden, so daß es nicht unmöglich ist, daß manche der Varianten, die wir heute in den verschiedenen Handschriften vorfinden, nicht das Werk zerstreuter oder allzu zwangloser Kopisten gewesen sind, sondern auf den Dichter selbst zurückgehen. Doch die wichtigste Schlußfolgerung muß hinsichtlich der Poetik Veldekes gezogen werden. Es ist doch auffällig, daß der maasländische Dichter wiederholt das ziemlich wirklichkeitsferne höfische Minneideal ironisiert und den Ernst, mit dem andere Minnesänger eine unmögliche Liebe besingen, auf feinsinnige Weise durchbricht (De Paepe 1971; Willaert 1983; Bastert 1994; Tervooren 1997). Mehr als einmal zitiert er dabei polemisch ihre Lieder (Willaert 1999a, S. 48–53). Für manche Zuhörer wird das Erkennen dieser Anspielungen eine Quelle erhöhten Genusses gewesen sein. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß er andere Hofsänger persönlich gekannt hat und daß manche Auftritte den Charakter eines raffinierten literarischen und musikalischen Turniers der Dichter untereinander hatten. Versuchen wir uns vorzustellen, vor was für einem Publikum Veldeke aufgetreten ist, so liegt es auf der Hand, dabei auch an den bereits erwähnten Hof Friedrichs Barbarossa oder den Heinrichs VI. zu denken. Immerhin sind in diesem Umfeld verschiedene Minnesänger aus Veldekes Generation mit Sicherheit oder mit großer Wahrscheinlichkeit bezeugt, wie Friedrich von Hausen, Bligger von Steinach, Ulrich von Gutenberg, Bernger von Horheim und natürlich Heinrich VI. selbst (Meves 2005). Ebenso wie einige dieser Sänger muß er gute Kenntnisse des zeitgenössischen romanischen Repertoires gehabt haben. So hat der Musikwissenschaftler Hans Spanke (1961, S. 292) festgestellt, daß sich viele seiner Strophenformen auch in der Troubadour- und Trouvèrelyrik finden. Doch ist von ihm nur ein Lied bekannt, in dem er eine unmittelbare Anspielung auf das Werk eines romanischen Dichterkollegen macht:

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Tristran muose sunder sînen danc 1 staete sîn der küniginne, wan in daz poisûn dar zuo twanc mêre danne diu kraft der minne. Des sol mir diu guote danc 5 wizzen, daz ich sölhen tranc nie genam und ich sî doch minne baz danne er, und mac daz sîn. wol getâne, valsches âne, 10 lâ mich wesen dîn unde wis dû mîn. (MF 58,35; Heinrich von Veldeke, Lied IV, Str. I) Das Zitat folgt der Lesart von MF bis auf V. 5, in dem das vorletzte Wort ([sagen] danc), entsprechend den Hss. A und C, getilgt worden ist (vgl. Sayce 1999, S. 92). Übers.: „Tristan mußte wider Willen der Königin treu sein, denn der Gifttrank zwang ihn dazu, mehr als die Kraft der Minne. Meine gute Dame kann mir wohl Dank dafür wissen, daß ich niemals einen solchen Trank eingenommen habe und sie nichtsdestoweniger noch mehr liebe als er, wenn das möglich ist. Schöne Dame, ohne Trug, laß mich dein sein und sei du mein!“

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Veldeke hier eine Strophe aus der Chanson ‚D’amors, qui m’a tolu a moi‘ Chrétiens de Troyes zitiert: Onques du buvrage ne bui Dont Tristrans fu enpoisonnez, Car plus me fet amer que lui Amors et bone volentez. Si m’en devroit savoir boen grez, Qu’ainz de riens efforciez n’en fui, Fors que tant mes euz en crui, Par cui sui en la voie entrez Donc ja n’istrai n’ainc n’en recrui. (Ausg. Zai, Lied II, V. 28–36)

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Das Zitat basiert auf der Ausg. Zai, S. 78, ist aber auf der Grundlage des kritischen Apparates soweit wie möglich an den Text angepaßt, den Veldeke gekannt haben muß. Es handelt sich um folgende Anpassungen: V. 29 Tristrans statt Tristan; V. 30 Car statt Mes; V. 31 Amors statt Fins cuers; V. 32 Si m’en devroit savoir statt Bien en doit estre miens. Übers.: „Niemals habe ich von dem Trank getrunken, von dem Tristan vergiftet wurde, denn Liebe und aufrichtiges Verlangen bewirken, daß ich mehr liebe als er. Darum muß sie mir Dank dafür wissen, denn niemals hat etwas mich dazu gezwungen, außer daß ich meinen Augen Glauben geschenkt habe, die mich einen Weg haben betreten lassen, den ich niemals verlassen werde und auch niemals aufgegeben habe.“

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Veldekes Lied ist mit großer Sicherheit keine Kontrafaktur desjenigen von Chrétien: Dafür sind die Strophenformen zu unterschiedlich. Aber seine Verse sind auch keine vage Anspielung auf ein Lied, daß er irgendwann einmal gehört hatte. Dafür sind die Übereinstimmungen dann doch wieder zu groß: Das französische Lehnwort poisûn, das natürlich durch enpoisonnez bedingt ist; der gesamte fünfte Vers, der mit dem Ausdruck danc wizzen eine nahezu wörtliche Übersetzung von savoir grez (V. 32) in Chrétiens Lied darstellt; das Wort kraft (der minne), daß eventuell auf efforciez zurückzuführen ist; und auf jeden Fall die begründenden Wörter wan und des, die sich am Anfang des zweiten Stollens und des Abgesangs an genau denselben Schlüsselpositionen der Strophe befinden wie ihre französischen Äquivalente Car und Si. Nun wird Chrétiens Lied von vielen Romanisten (u.a. Roncaglia 1958 u. Rossi 2001) als Reaktion auf zwei berühmte Troubadourlieder aufgefaßt, in denen das Tristanmotiv ebenfalls erscheint, nämlich ‚Can vei la lauzeta mover‘ (PC 70,43) des Bernart de Ventadorn und ‚No chant per auzel ni per flor‘ (PC 389,32) des Raimbaut d’Aurenga. In seinem Lied, das vermutlich um 1170 entstanden ist, verficht Chrétien bleibende Hingabe und Dienst, selbst wenn die Dame für das inständige Bitten des treuen Liebenden unempfänglich bleibt. Damit wird er sich sowohl gegen Bernart gewandt haben, der in seinem berühmten Lerchenlied abgekämpft und entliebt den Dienst aufgesagt hatte, als auch gegen Raimbaut, der eine mühselige Beziehung gegen den unmittelbaren Genuß einer gegenseitigen verbotenen und verborgenen Liebe in Tristan-Manier eingetauscht hatte. Gegenüber den zwei Troubadours, die sich in ihren Liedern bis an und selbst über die äußersten Grenzen des fin’amor hinaus gewagt hatten, wird sich Chrétien dann auf den Standpunkt der höfischen Orthodoxie gestellt haben: Wie schwierig oder ungerecht die Liebe auch sein mag, ein wahrhaft Liebender bleibt stets treu. Wir wissen nicht, ob Veldeke auf dem neusten Stand dieser literarischen Debatte war. Aber von dem Lied Chrétiens kannte er zweifelsohne mehr als die oben zitierte Strophe. Anstatt diese bis zum Ende nachzuahmen und somit zu erklären, daß er sich auf ewig der Liebe ausliefere, hat er sich im vorletzten Vers seiner Strophe (MF 59,9 lâ mich wesen dîn) vom Anfang der dritten Strophe Chrétiens (V. 19f.) inspirieren lassen (vgl. Sayce 1999, S. 96 u. 103): Dame, de ce que vostres sui, / Dites moi se gre m’en savez („Dame, da ich der Eure bin, sagt mir, ob Ihr mir dafür Dank wißt!“). Veldekes ‚Sprung‘ zu Chrétiens dritter Strophe wurde ihm vermutlich durch den Ausdruck savoir gre eingegeben, der hier auch auftaucht. Der maasländische Sänger nimmt aber an Chrétiens Vers 19 eine kleine, jedoch nicht un-

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wichtige Änderung vor: Er ist noch nicht der Ihre – wie Chrétien –, er bietet sich als der Ihre erst an („Laß mich der Deine sein“). Und im Gegensatz zu Chrétien (V. 23f.), der sich der Dame einseitig und bedingungslos ausliefert (Et puis que vos ne me volez, / Dont sui je vostres par ennui – „Und da Ihr mich nicht wollt, bin ich der Eure gegen Euren Willen“), verdeutlicht Veldeke mithilfe einer chiastischen Formel (V. 11f.), daß seine Liebesauffassung eine solche ist, bei der die Liebenden einander gleichwertige Partner sind: Lâ mich wesen dîn, / unde wis dû mîn. Veldeke polemisiert hier also anscheinend gegen Chrétien (eine ganz andere Interpretation des Verhältnisses zwischen beiden Liedern findet sich bei Mertens 1993). Sogleich distanziert er sich auch vom traditionellen fin’amor-Ideal, wie es hier von dem französischen Autor verbreitet wird (vgl. z.B. Tyssens 1998, S. 1419). Die chiastische Formel, die er am Ende seiner Tristanstrophe verwendet, mag denn auch ein Topos in der mittelalterlichen weltlichen und geistlichen Literatur sein, im traditionellen höfischen Minnelied wird man sie fast niemals vorfinden (Hasebrink 2002, S. 465). Da geht das Verlangen beinahe nur in eine Richtung – vom Liebenden zur Dame –, für gegenseitige Liebe ist im traditionellen Minnelied nun einmal kein Platz. Mit ihrem Humor und ihrer Ironie steht Veldekes Lyrik in starkem Kontrast zu dem erhabenen Ernst, den wir in den Liedern der übrigen Minnesänger seiner Generation vorfinden. Warum ist Veldeke als Dichter so ein Eigenbrötler gewesen? Eine Erklärung ist vielleicht, daß er als einziger in seiner Generation ein Kleriker war, durch und durch beschlagen in Ovids ‚Ars amatoria‘ und der lateinischen Dichtung seiner Zeit. Möglicherweise ist das der Hintergrund dafür, daß er den Idealismus seiner aristokratischen Minnedichterkollegen zum besten hält: Er zumindest ist nicht bereit, für seine Geliebte zu sterben (MF, Lied XIV, Str. III, V. 11f.; XXV, V. 5–7; XXVIII, V. 5f.), und sie und er wissen nur zu gut, wie sie die huote, die über ihre Ehre und Tugend wacht, außer Gefecht setzen können (Lied XVI, Str. II, V. 5–9; XXXII, V. 7f.).

7.4 Hadewijch Aus dem halben Jahrhundert, das Veldekes Œuvre von den mystischen Minneliedern der brabantischen Begine Hadewijch trennt, ist keine mittelniederländische Lyrik überliefert. Wie aber ist die allgemein anerkannte hohe Qualität der Lieder Hadewijchs dann zu erklären? Für Forscher wie Van Mierlo und Grundmann war klar: Hadewijchs Werk konnte nicht aus

Hadewijch

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dem Nichts entstanden sein, es mußte durch eine blühende, aber leider verlorene Tradition vorbereitet sein (Van Mierlo 1922, S. 93f.; Grundmann 1977, S. 454). Bezüglich der Liedkunst Hadewijchs richteten sich die Blicke dann zuallererst auf Veldeke. Theodor Frings und Gabriele Schieb (1947) haben zahlreiche Übereinstimmungen – vor allem im Gebrauch der Reimworte – zwischen den beiden ansonsten so verschiedenen Dichtern aufgezeigt. Doch sie waren der Meinung, daß von einer direkten Abhängigkeit nicht die Rede sein könne. Beide Autoren sollten aus einer autochthonen limburgisch-brabantischen Dichtertradition geschöpft haben: „Weder ist Veldeke der erste, noch auch ist Hadewijch die letzte in einer Reihe limburgisch-brabantischer Dichter, deren Zwischenglieder uns allerdings leider fehlen“ (Frings/Schieb 1947, S. 249). Aber ist die doch freilich gewagte Hypothese einer nirgends bezeugten brabantisch-limburgischen Tradition nötig, um Hadewijchs Lieder in einen angemessenen literarischen Kontext zu stellen? Zunächst besteht durchaus eine reelle Chance, daß die brabantische Mystikerin Lieder Veldekes gekannt hat. Zwar finden sich vier der fünf Strophenschemata, die sie mit dem maasländischen Minnesänger gemein hat, auch in der nordfranzösischen Lyrik, so daß eine Beeinflussung durch Veldeke hier keineswegs feststeht (Willaert 1984, S. 250f. u. 456), aber das trifft für die doch sehr auffällige Strophenform ihres sechsten und siebten Liedes nicht zu. In der gesamten westeuropäischen Minnelyrik kommt diese nirgends vor außer bei Veldeke, nur daß sich das Hebungsmuster etwas unterscheidet (Willaert 1995a, S. 75f.; Touber [persönliche Mitteilung 13. 01. 2008]): Hadewijch, Lied 6 u. 7 Veldeke, Lied XIV (MF 62,25)

3a 3b 3c 3d; 3a 3b 3c 3d; 3e 3e 3e 3a 2a 2b 2c 2d; 2a 2b 2c 2d; 2e 2e 2e 3a

Auch die Anfangsverse von Hadewijchs sechstem Lied scheinen sich auf Veldekes Lied zu beziehen: Alse ons onsteet de merte, verquicken alle dinghe ende alle crude ontspringen ende werden sciere groene. (Ausg. Fraeters/Willaert/Grijp, Lied 6, V. 1–4)

In dem aberellen sô die bluomen springen, sô loubent die linden und gruonent die buochen. (MF 62,25–28; Veldeke, Lied XIV, Str. I, V. 1–4)

Übers. Hadewijch: „Wenn der März Einzug hält, lebt alles wieder auf; alle Gewächse sprießen und grünen binnen kurzer Zeit.“ Übers. Veldeke: „Im April, wenn die Blumen sprießen, dann bekommen die Linden Blätter und die Buchen grünen.“

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Das ontspringen in Hadewijchs drittem Vers scheint sich auf springen in Veldekes zweitem Vers zu beziehen, während der erste Stollen in beiden Liedern jeweils mit dem Motiv des Grünens endet (groene ist in den Liedern Hadewijchs ein Hapax legomenon). Was aber am meisten auffällt, ist, daß Lied 6 das einzige Lied Hadewijchs ist, in dem im Natureingang ein Monatsname genannt wird, und dann noch genau an der Stelle, an die Veldeke das Wort aberellen gestellt hat. Zufall? Oder sollte Hadewijch, die in ihren Natureingängen doch viel häufiger ihre Vorliebe für einen sehr frühen Frühlingsanfang bekundet, hier Veldekes Lied im Gedächtnis gehabt und mit ihrem merte seinen aberellen überboten haben? Die Forschung der letzten Zeit hat jedoch die Annahme nahegelegt, daß die meisten Lieder Hadewijchs Kontrafakturen französischer höfischer Minnelieder sind. Die französischen Vorbilder, die durchweg zwischen ca. 1200 und ca. 1250 entstanden sind, werden Gace Brulé (ca. 1160 – nach 1213), Thibaut de Champagne (1201–1253), Moniot d’Arras (fl. 1213–1239), Colard le Bouteiller und Rogeret de Cambrai (dichteten im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts), Perrin d’Angicourt (fl. 1245–1250), Gilbert de Berneville (dichtete nach 1247) und Jean Érart († 1258/59) zugeschrieben (Grijp 1992; Fraeters/Willaert/Grijp 2009, S. 35–37, 41–43 u. 325–412). Von den drei letztgenannten Trouvères steht fest, daß sie mit dem literaturinteressierten Herzog und Trouvère Heinrich III. von Brabant (regierte 1248–1261) in Verbindung standen, was die Chancen, daß Hadewijch ihr Werk gekannt hat, gewiß nicht verringert (Sleiderink 2003, S. 61–64). Andere Lieder Hadewijchs verraten wiederum deutlich ihre Vertrautheit mit dem lateinischen geistlichen Lied. Schon seit geraumer Zeit ist bekannt, daß ihr 45. Lied eine Kontrafaktur der aus Frankreich stammenden Sequenz ‚Mariae praeconio‘ aus dem frühen zwölften Jahrhundert ist (Van Mierlo 1943). Die Übereinstimmung hinsichtlich der Strophenform, aber vor allem die lateinischen Entlehnungen lassen daran nicht den geringsten Zweifel. Die Lieder 33 und 37 sind wiederum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Kontrafakturen der unter den mulieres religiosae sehr beliebten Pseudo-Bernhard-Hymne ‚Jesu dulcis memoria‘ anzusehen,die auf das Ende des 12. Jahrhunderts datiert. Auch hier sind neben der Gleichheit der Strophe wörtliche Anklänge zu bemerken, wenngleich diese hier viel weniger auffallen und ausschließlich mittelniederländisch sind (Fraeters/Willaert/Grijp 2009, S. 38–39, 255 u. 407). Die Lieder 4, 5, 13, 16, 19, 30 und 44 schließlich scheinen eng verwandt mit den lateinischen Rondelli zu sein, wie sie in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts an der berühmten Schule von Notre-Dame in Paris kultiviert wurden (Frae-

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ters/Willaert/Grijp 2009, S. 39–41). Vor allem bei Lied 30 gibt es deutliche Übereinstimmungen, weil wir dort den Binnenrefrain vorfinden, der auch in den Rondelli gebräuchlich war. Ich zitiere die ersten beiden Strophen: Men moet in allen tiden der minnen wesen blide ende hare volgen in elken side, in allen weghen daer si gheleidt. Men moet hare leven blide, ende den rouwe dan alsoe na ghereit. Die minne moets mi onnen. Ic hebbe minne begonnen. Des mi die vremde wanconnen, dies mi benemen niet en moghen. Ic hebbe minne begonnen. God gheve dattic hare moete doghen. (Ausg. Fraeters/Willaert/Grijp, Lied 30, V. 1–12) „Man muß zu allen Zeiten froh sein um die Minne und ihr folgen überall, auf allen Wegen, die sie entlang leitet. Man muß ihretwegen in Freude leben und ebenso zu Kummer bereit sein. Die Minne möge mir das gönnen. Ich habe angefangen zu minnen. Das nehmen mir die Fremden übel, die mich nicht davon abbringen können. Ich habe angefangen zu minnen. Gott gebe, daß ich ihr würdig erscheinen möge.“

Oft nimmt man an, daß die Rondelli als Tanzlieder zur Begleitung ritueller Reigentänze, die an wichtigen Festtagen von Klerikern in der Kirche ausgeführt wurden, fungierten (Gougaud 1914; Spanke 1930; Sahlin 1940, S. 142–153; Backman 1952, S. 50–131 u. 154–161; Horowitz 1989). Hadewijch scheint sich der choreographischen Funktion dieses Genres bewußt gewesen zu sein: Ausgerechnet in einem ihrer Rondelli ruft sie ihre Gefährtinnen dazu auf, es nicht beim juweren („Spielen“) und balleren („Tanzen“) zu belassen, sondern sich auf die Tugend zu verlegen: Maer die hier met lieve willen juweren Ende met ghevoelne dan balleren Ende met ghenoechten daerin basieren, Ic segghen wel tevoren: Si moeten hen wel met doechden cieren Ochte daer es de scole verloren. (Ausg. Fraeters/Willaert/Grijp, Lied 13, V. 55–60) „Aber diejenigen, die hier mit ihrem Liebchen spielen und sodann mit viel Gefühl tanzen und dabei munter küssen wollen, ich sage ihnen wohl zuvor: Sie müssen sich gut mit Tugenden schmücken, oder die Lektion ist umsonst.“

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Genauso wie der Diskurs des profanen Minneliedes im Sinne des Romanisten Paul Zumthor ‚registral‘ festgelegt ist – nur ausnahmsweise verläßt das Gedicht einen vorab bestehenden und recht beschränkten sprachlichen Raum thematischer, motivischer, formeller und lexikalischer Möglichkeiten (Zumthor 1972, S. 231–233 u. 239f.) – so ist auch die Lyrik Hadewijchs in hohem Maße vom Wiedererkennungswert und der Vorhersehbarkeit gekennzeichnet (Willaert 1984). Dies jedoch mit dem Unterschied, daß die Minnesänger des 13. Jahrhunderts auf mehr oder minder kreative Weise innerhalb eines Registers variieren, daß ihnen von der Tradition mitgegeben wurde, während Hadewijch ihr Register in erheblichem Maße selbst zusammengestellt zu haben scheint. Sie hat sich dabei Themen, Motive, Ausdrücke und Schlüsselwörter angeeignet, die verschiedenen Traditionen entstammten: der französischen und vielleicht – sei es auch in viel geringerem Ausmaß – der deutschen Minnelyrik, der mittelniederländischen höfischen Literatur, dem volkssprachigen Mystikdiskurs, wie dieser unter den mulieres religiosae ihrer Zeit gängig gewesen sein muß (vgl. z.B. den in vielerlei Hinsicht verwandten Mystikdiskurs ihrer Zeitgenossin, der Zisterzienserin Beatrijs von Nazareth in ihrem Traktat ‚Van seven manieren van minnen‘), den lateinischen Mystikschriften aus der Zisterzienser- und Victorinertradition und nicht zuletzt der Bibel selbst. All diese Texte müssen sie und ihre Gefährtinnen – wie sie es in ihrem Brief 24 selbst sagt – „in ihr Herz haben dringen lassen“, wobei „Herz“ hier als der Sitz der memoria oder der re-cor-datio betrachtet werden muß (Willaert 2004, S. 74). Es handelt sich hier um eine intensive Aktivität, bei der nicht nur der Intellekt, sondern die gesamte Persönlichkeit betroffen war. Memorieren bedeutete, daß man sich das Gelesene und Gehörte so zu eigen machte, daß es ganz und gar eigener Besitz wurde (Willaert 2009, S. 7). Memoria spielte denn auch eine wichtige Rolle bei der Komposition neuer Texte: „Composition begins in recollection“ (Carruthers 1998, S. 69). Das trifft mit Sicherheit für Hadewijchs Lieder zu, deren Register sich in erheblichem Maße aus der memoria speist und zwar dergestalt, daß ‚Eigenes‘ und ‚Entlehntes‘ zumeist nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Hadewijchs Poetik mag denn auch in erheblichem Maße mit derjenigen der französischen Minnelyrik verwandt sein, die Funktion ihrer Lieder ist jedoch eine ganz andere. Wo der Minnesänger doch in erster Linie auf die Bewunderung und Anerkennung des ihm zuhörenden Publikums abzielt, ist Hadewijch darauf bedacht, ihre Zuhörer zur völligen Hingabe an die mystische Minne zu bewegen. In diesen Liedern geht es nicht um ein liebendes ‚Ich‘, sondern um ein liebendes ‚Wir‘. Beständig richtet sie sich auch mit Ermahnungen und Ratschlägen an ihr Publikum. Ebenso wie

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ihre Briefe sollen auch ihre Lieder ihre Vollendung im Leben ihrer Zuhörerinnen finden. Bereits in der ersten Strophe ihres ersten Liedes spricht sie unmittelbar nach dem Natureingang ihre Gefährtinnen direkt an: – Ay, vale, vale millies – ghi alle die nuwen tide – si dixero non satis est – omme minne wilt wesen blide. (Lied 1, V. 9–12) „– Ay, vale, vale millies – ihr alle, die ihr euch in der neuen Jahreszeit – si dixero, non satis est – der Minne freuen wollt.“

Aber in der folgenden Strophe läßt sie sogleich keinen Zweifel daran aufkommen, daß Freude in der Liebe auch die Bereitschaft voraussetzt, als tapfere Ritter Abenteuer zu wagen: – Ay, vale, vale millies – Ghi alle die aventure – si dixero non satis est – wilt doghen om minnen nature. (Lied 1, V. 21–24) „– Ay, vale, vale millies – ihr alle, die ihr Abenteuer – si dixero, non satis est – um der Minne bestehen wollt.“

Mit diesem lateinischen Heilswunsch, der in allen Strophen wiederkehrt, und mit der deutlichen Bezeichnung dessen, was sie ihrem Publikum abverlangt, erinnert das erste Lied stark an einen Prolog. Zusammen mit dem 45. und letzten Lied, das nicht zufällig mit dem Wunsch, sich in der Minne zu bewähren und gut zu sterben (bene mori) endet, ist das erste Lied auch das einzige, das Latein beinhaltet, so daß die Schlußfolgerung auf der Hand liegt, daß beide Lieder absichtlich dazu verfaßt wurden, die Sammlung zu eröffnen und zu beschließen. Das bedeutet, daß Hadewijch selbst den Entschluß gefaßt haben muß, ihre Lieder zu sammeln – und das ist allerdings bemerkenswert. Von den volkssprachigen Dichtern ihrer Zeit scheinen einzig der französische Minnesänger Thibaut de Champagne (1201–1253) und der Sangspruchdichter Reinmar von Zweter selbst für die Sammlung ihrer Lieder eingetreten zu sein. Hadewijchs Lieder sind auch allein als Sammlung und – bis auf eine einzige Abweichung – immer in derselben Reihenfolge überliefert. Diese Sammlung taucht zudem niemals isoliert auf, sondern stets zusammen mit ihrem restlichen Werk, also in regelrechten Autorhandschriften. Dies scheint ein Hinweis darauf zu sein, daß die Lieder hauptsächlich in Schriftform rezipiert wurden (in einer

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Handschrift werden verschiedene Lieder sogar mit dem Terminus capitulum bezeichnet) und daß Hadewijch selbst in den Kreisen, in denen ihr Werk überliefert wurde, als Autorität galt. Nicht zufällig wird sie von Ruusbroecs Schüler Jan von Leeuwen een heylich glorioes wijf genannt, een ghewareghe lereesse, deren Bücher aus Gott geboren und durch ihn offenbart sind (Willaert 2010).

7.5 Minnesang in Lothringen In dem Jahrhundert zwischen Veldeke und Jan I. von Brabant, dessen schmales Œuvre von neun Liedern nur in einer – und dann noch in einer hochdeutschen – Handschrift, dem Codex Manesse, überliefert ist, ist kein niederländischsprachiger profaner Minnesang erhalten. Ebenso wenig – wie schon im vorigen Abschnitt dargelegt – kann Hadewijchs Lyrik als Beweis für die Existenz „einer machtvoll einheimischen poetischen Tradition“ (Frings/Schieb 1947, S. 270) in den Niederlanden herangezogen werden. Die Erklärung, die hierfür in den letzten Jahren gegeben wurde, lautet, daß in den Lage Landen das Französische und nicht das Niederländische die Verkehrssprache des hohen Adels gewesen und daß folglich an den Höfen französisch und nicht niederländisch gedichtet worden sei (Hogenelst/Rierink 1992, S. 51–55; Willaert 1995a, S. 73–77; Tervooren 2005, S. 294, 2006, S. 130, u. 2008, S. 84f.). Der Erfolg der französischen Minnelyrik habe daher der erfolgreichen Entfaltung einer niederländischen Liedtradition im Wege gestanden. Wie plausibel diese Erklärung auch sein mag, so ist hier doch eine nicht unwichtige Nuancierung geboten. Denn auch die französische höfische Chanson ist in den Lage Landen und besonders im Gebiet zwischen Schelde und Rhein, im alten Lothringen also, bei weitem nicht so intensiv gepflegt worden, wie man erwarten könnte. Gehen wir kurz die Belege durch, die Helmut Tervooren (2006, S. 136–138) in seinem Handbuch „Van der Masen tot op den Rijn“ anführt, um zu zeigen, daß das französische Minnelied beim hohen Adel dieser Region zur Blüte gekommen ist: Zunächst verweist er auf den ‚Tournoiement de dames‘ von 1189 des Dichters Huon d’Oisy, Herr von Oisy-le-Verger nahe Arras und Burggraf von Cambrai (ebd., S. 136). In diesem langen Lied, das ein fiktives Damenturnier beschreibt, das in Laigny an der Marne angesiedelt ist, sehen wir u.a. Ida von Boulogne-sur-Mer in den Kampf ziehen, die tatsächlich einmal, aber nur ein Jahr lang, mit Graf Gerard III. von Geldern (und Boulogne-sur-Mer) verheiratet war (Pulega 1970, S. 87–97; Tervooren 1991;

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Sleiderink 2003, S. 39–41). Tervooren erwähnt noch einen zweiten anonymen ‚Tournoiement aus dames‘, in dem wir mehrere adlige Damen aus dem alten Lothringen antreffen: eine bone dame de Braibant, die zweifelsohne als Aleidis von Burgund, Ehegattin Herzog Heinrichs III. von Brabant, identifiziert werden muß; eine dame riche de Clèves, die mit Gräfin Aleidis von Kleve, der Tochter Heinrichs, des Herrn von Heinsberg, identisch sein muß; und celle de Gueille, gewiß Philippote de Dammartin, die Tochter des Grafen von Ponthieu und Ehegattin Ottos II. des Lahmen, Graf von Geldern. Die Komposition dieses zweiten ‚Tournoiement‘, der übrigens kein Lied, sondern ein erzählender Text in paargereimten Versen ist, fällt recht spät, zwischen 1253 und 1261 (Pulega 1970, S. 103–109). Jener Otto II. von Geldern, dessen Gattin im Damenturnier auftritt, wird selbst in einem Jeu parti, einer Debatte in Liedform, zwischen dem Grafen der Bretagne, Pierre Mauclerc, und Bernart de la Ferté zum Schiedsrichter berufen. Nach Salverda de Grave (1908, S. 4) ist er auch mit dem Quens de Guelle gleichzusetzen, dem ein Minnelied gewidmet ist, das in den Handschriften verschiedenen Trouvères zugeschrieben wird. (Die Auffassung Tervoorens, dieses Lied müsse Conon de Béthune († 1219) zugesprochen werden und folglich viel älter sein, scheint weniger wahrscheinlich; vgl. Wallensköld 1921, S. X). Höchstwahrscheinlich ist Otto II. auch der Partner des sonst unbekannten Trouvères Jeannin in einem Tenzo, einem dialogförmigen Lied in drei Strophen (Salverda de Grave 1908, S. 4f.; eine andere Zuschreibung bei Jeanroy 1925, S. 52). Tervooren (2008, S. 84) weist auch noch auf eine vierstrophige Chanson hin, die zwischen 1247 und 1251 von Graf Jan II. von Rouci gedichtet wurde und den Grafen Heinrich II. von Luxemburg und Arnold IV. von Loon gewidmet ist. Aber das Herzstück in seiner Argumentation, eine blühende französische Liedkultur habe der Entstehung niederländischer Liebesdichtung im Weg gestanden, bildet natürlich der brabantische Hof unter Herzog Heinrich III. von Brabant (regierte 1248–1261). Der Herzog unterhielt ja literarische Beziehungen zu Trouvères wie Gilbert de Berneville, Perrin d’Angicourt, Carasaus und Jean Érart, und auch zu dichtenden Adligen wie Raoul Soissons und Karl von Anjou (Sleiderink 2003, S. 60–64). Vom Herzog selbst sind überdies vier Lieder erhalten: ein Jeu parti mit dem Trouvère Gilbert de Berneville aus Arras, eine Pastourelle, in der er beschreibt, wie er eine Hirtin mit einem schönen Gürtel zu verführen weiß, und zwei höfische Minnelieder (Ausg. Henry [1948]). Eines davon fällt durch seinen sprunghaften Rhythmus und die Tatsache, daß jede Strophe mit einem Refrain (Fors li etc.) endet, auf. Ich zitiere die erste Strophe:

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Amors m’est u cuer entree, De chanter m’a esmeü, Si chant por la bele nee A qui j’ai mon cuer rendu Ligement; Et sachent la gent Mercier Ne doit on de mon chanter, Fors li Cui j’aim si Que j’en ai et cuer et cors joli. „Liebe ist in mein Herz gekommen, hat mich zum Singen angeregt, und so singe ich für die Schöne, der ich voller Hingabe mein Herz verpfändet habe; und die Menschen sollen wissen, daß mir niemand für meinen Sang zu danken braucht außer ihr, die ich so liebe, daß mein Herz und Leib voller Freude sind.“

Welche Schlußfolgerungen können wir aus dieser kleinen Bestandsaufnahme ziehen? Erstens: die Ausbeute ist doch recht gering und bis um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts sogar fast nicht vorhanden. Alles in allem scheint das französische höfische Minnelied in der Gegend zwischen Schelde und Rhein in diesem Zeitraum bei weitem nicht so intensiv gepflegt worden zu sein wie gewöhnlich unter Niederlandisten und Germanisten angenommen wird. Dieses Bild wird durch einen faszinierenden Roman, der um 1210 entstanden ist und zu großen Teilen im Prinzbistum Lüttich spielt, bestärkt. Es geht um den ‚Roman de la Rose‘ des Jean Renart, der oft, um nicht mit dem berühmten gleichnamigen allegorischen Gedicht des Guillaume de Lorris verwechselt zu werden, nach seinem Hauptcharakter der ‚Roman de Guillaume de Dole‘ genannt wird (f II ‚Deutschland‘ in französischer Sicht). In diesen Roman sind zahlreiche (46) längere und kürzere Lieder aufgenommen, die von den Figuren bei allerlei Gelegenheiten zum besten gegeben werden. Sechzehn davon sind höfische Minnelieder, von denen zwölf namentlich bekannten Dichtern zugeschrieben werden können: neun Trouvères und drei Troubadours. Bis auf eine Ausnahme, von der gleich die Rede sein wird, erweist sich kein einziger dieser Autoren als aus dem alten Herzogtum Lothringen stammend. Das Bild, das der Roman von der Region jenseits der Sprachgrenze evoziert, ist dasjenige eines Importgebietes, nicht das einer Region, in der der grand chant courtois enthusiastisch kultiviert wurde (Switten 1993, S. 31–35; Page 1998, S. 386). Typisch ist in dieser Hinsicht, daß die aus Lothringen stammende Trouvèrehandschrift Paris, B.N. ms. fr. 20050, die etwa auf 1250 datiert, eine ganze Reihe Minnelieder der allergrößten Trouvères, darunter Gace Brulé

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und Thibaut de Champagne, enthält, die unbarmherzig und systematisch auf drei Strophen gekürzt sind. Das alles brachte die amerikanische Musikwissenschaftlerin Margaret Switten (1993, S. 33) denn auch zu der Schlußfolgerung, daß „Lotharingia […] may have […] defined itself discreetly as anti-grand chant courtois“. Der einzige von Jean Renart zitierte Minnelieddichter, den man zur Region Lothringen rechnen könnte, sei es auch nur zu deren äußerster Peripherie, ist der Hennegauer Trouvère Gontier de Soignies. Aber ausgerechnet dieser Dichter wich von der traditionellen Form des grand chant courtois ab und verfaßte Rotrouenges, ein Genre, das formal viel enger an das Tanzlied anschloß und beispielsweise immer einen Refrain umfasste (Bec 1977, S. 183–189). Im ‚Roman de la Rose‘ des Guillaume de Lorris werden während des berühmten Reigentanzes im Jardin de Déduit nicht zufällig Rotrouenges gesungen: Lors veïssiez querole aler E genz mignotement baler E faire mainte bele tresche E maint bel tor sor l’erbe fresche. La veïssiez fleüteors, Et menestreus et jogleors; Si chantoit li uns rotruenges, Li autres notes loherenges, Por ce qu’en fait en Lohereine Plus beles notes qu’en nul reine. (Ausg. Ott, V. 742–751) „Da hättet ihr sehen können, wie der Tanz ging, wie anmutig die Leute tanzten und viele schöne Farandolen ausführten und viele schöne Drehungen auf dem frischen Gras. Da hättet Ihr Flötenspieler gesehen und Spielleute und fahrende Sänger; der eine sang Rotrouenges, ein anderer lothringische Weisen, weil man in Lothringen schönere Weisen macht als in irgendeinem Land.“ (Übers.: Ausg. Ott, S. 113–115, mit einer Änderung)

Anscheinend war Lothringen vor allem für seine Tanzweisen bekannt. Und das ist die zweite Schlußfolgerung, die ich in Bezug auf die höfische Liedkultur im alten Lothringen ziehen möchte. Zwar scheint es nur wenige Trouvères gegeben zu haben, die sich auf den grand chant courtois verlegten. Aber das ändert nichts daran, daß die (wenn auch nicht höfische) Liebe dort sehr wohl das Thema allerlei weniger gewichtiger, eher spielerischer Genres gewesen ist. Adlige Damen aus diesem Gebiet werden – wie wir soeben sahen – im ‚Tournoiement aus dames‘ erwähnt. Adelige Herren nahmen via Jeu parti und Tenzo an gesungenen Debatten teil. Als Heinrich III. von Brabant ein höfisches Minnelied verfaßte, goß er es in eine

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sprunghafte tanzliedartige Form mit kurzen und langen Versen und einem Refrain. Und wenn wir die Lieder in Jean Renarts ‚Roman de la Rose‘ insgesamt betrachten, finden wir dort zahlreiche Refrains und Rondets, ganz kurze Lieder, bestehend aus sehr stereotypem Material. Diese Miniaturgenres, die von den Sängern aus dem Stegreif improvisiert werden konnten, waren sicher keine kunstvollen Lieder zum Zuhören, sondern dienten dazu, die allgemeine höfische Freude zu vermehren: Sie fungierten als Begleitung beim Tanzen, beim Pferderitt, beim Einzug auf das Turnierfeld usw. Das Lied zum Zuhören war der Unterhaltungslyrik unterlegen. Das Monopol des höfischen Minnesängers wurde zugunsten jedes Mitglieds der höfischen Gesellschaft durchbrochen, das dazu imstande war, einige fröhliche, aber auch unprätentiöse Verse zu improvisieren. Ausgehend von diesem spielerischen Umgang mit dem Lied, das hauptsächlich ein Tanzlied ist, müssen wir die weitere Geschichte des niederländischen, französischen und deutschen Minnesangs begreifen. Und innerhalb dieser Geschichte hat unser zweiter höfischer Minnesänger, Herzog Jan I. von Brabant (regierte 1267–1294), eine bescheidene, aber doch nicht unwichtige Rolle gespielt.

7.6 Jan I. von Brabant als lothringischer Minnesänger Musikwissenschaftler und Romanisten sind sich darüber einig, daß die aus dem frühen 14. Jahrhundert stammende Handschrift Oxford, Bodleian Library, Douce 308 eine wichtige Etappe in der Entwicklung der französischen höfischen Lyrik markiert. Dieses Konvolut, das in Metz entstanden sein muß, enthält nämlich einen Chansonnier, in dem – und das ist außergewöhnlich – die Lieder nach Genres eingeteilt sind: 1) Grant chant, 2) Estampies, 3) Jeus partis, 4) Pastorelles, 5) Balletes, 6) Sottes chansons contre amours, 7) Motetten und Rondeaus (Atchison 2005). Im Lichte dessen, was hier eben über die lothringische Liedkultur gesagt wurde, kann das Interesse an anderen Genres als dem grant chant nicht verwundern: Der Jeu parti ist eigentlich eine Debatte zwischen zwei Sängern über eine Minnefrage, die Pastourelle die Evokation einer erotischen Begegnung zwischen einem Ritter und einer Hirtin, die Ballettes sind Tanzlieder, die sottes chansons sind – wie es die Rubrik in der Handschrift besagt – gegen die höfische Liebe gerichtet, die Motetten sind mehrstimmige Lieder, in denen der Text der Musik untergeordnet ist, die Rondeaus sind als Tanzlieder die nun zu einer forme fixe erstarrten Nachfolger der unprätentiösen Rondets. Das Rondeau wird in der weiteren Geschichte der westeuropäischen Lyrik eine

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wichtige Rolle spielen. Als relativ einfaches Gedicht aus mindestens acht Versen unterlag es dem Zugriff jedes Amateurdichters und damit jedes Höflings. Aber zugleich sollte das Rondeau ab dem 14. Jahrhundert auch den Text zahlloser virtuoser polyphoner Kompositionen liefern. Eines der frühesten datierbaren Beispiele eines vollwertigen Rondeaus finden wir im Roman ‚Cleomadés‘ des brabantischen Dichters Adenet le Roi von 1285. In diesem Roman geben Königin Ynabele und König Marcadigas ihren drei Töchtern und ihrem Sohn (Cleomadés) den Auftrag, ein Willkommenslied für Clarmondine zu verfassen, die zum ersten Mal am Hof erscheint – car tans est de joie mener („denn es ist Zeit, froh zu sein“). Sowohl Cleomadés als auch seine drei Schwestern führen ihre Aufgabe auf der Stelle aus und improvisieren jeder ein Rondeau, während sie Clarmondine entgegenreiten (Ausg. Henry [1971], V. 5808ff.). Sie dichten also wörtlich ‚aus dem Stegreif‘. Aber für ein gutes Verständnis der Lyrik Herzog Jans I. von Brabant ist in der Oxforder Liederhandschrift vor allem der Abschnitt der Tanzlieder, der Balletes, von Bedeutung. Ich gebe ein willkürliches Beispiel so einer Ballette, zitiere aber der Kürze halber nur die erste der drei Strophen und – fett gedruckt – den Refrain (Ausg. Atchison, S. 391; Ballete XI): Amors qui m’ait en la voie Mis de loialment ameir, Me semont et me maistroie De hautement espireir. C’est bien raisons ke j’an soie Plus jolis a l’esprouveir Et en chantant dire an doie: ‚Dame, boin grei vos sauroie, se vostre bouche riant daignoit touchier a la moie.‘

7a 7b 7a 7b 7a 7b 7a 7A 7B 7A

I I II II

„Liebe, die mich auf den Weg treuen Dienstes gebracht hat, befiehlt mir und zwingt mich, mit Verlangen hoch zu zielen. Es geschieht wohl zu Recht, daß ich durch diese Erfahrung um so fröhlicher bin und daß ich singend sagen muß: „Dame, ich wäre euch dankbar dafür, wenn euer lachender Mund sich dazu herabließe, den meinen anzurühren.“

Das Lied hat die Dreigliederung des grand chant courtois: Auf zwei parallele Stollen (7a 7b) mit derselben Melodie I, die zusammen den Aufgesang bilden, folgt ein Abgesang mit abweichendem Reimschema (hier 7a 7b 7a) und abweichender Melodie (II). Aber die meisten Ballettes in der Oxforder Liederhandschrift weisen zwei Kennzeichen auf, durch die sie sich vom grand chant unterscheiden: Sie haben einen Refrain, der dieselbe Me-

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trik, dasselbe Reimschema und dieselbe Melodie wie der Abgesang hat, und sind auf drei Strophen beschränkt. Häufig erscheint der Refrain wie im Rondeau auch vor der ersten Strophe: Dann wird er folglich vier- statt dreimal wiederholt. Diese Ballettes werden sich in der französischen Lyrik vom Anfang des 14. Jahrhunderts an zu zwei Genres auskristallisieren: zur Ballade und zum Virelai. Weil wir uns hier in einem dem vorausgehenden Stadium befinden, bezeichne ich das Genre, das wir studieren, mit einem Bindestrich: die Virelai-Ballade. Die Lieder Jans I. nun weisen exakt dieselben Merkmale wie die VirelaiBalladen dieser lothringischen Handschrift auf (Willaert 1994, S. 171f., u. 2003, S. 103–105). Zur Veranschaulichung lasse ich hier ein Beispiel folgen, nun mit einem Anfangsrefrain. Auch hier beschränke ich mich auf die erste der drei Strophen (Ausg. Goossens/Willaert, S. 123; Lied VII): Mir stet troube von ir zesine, noch danne lide ich bi ir pine. Das tuot rehter minne kraht.

4C 4C 4D

II

Menig creatiure ist plide, diu bis her in sorgen was. Dast naturlich gegen dem zide. Doch helt mich minne in ein pas. Si tuot mir das ich verswine. Genade, kiusche, werde, fine, umb iuch pense ich tag und naht.

4a 4b 4a 4b 4c 4c 4d

I

Mir stet truobe von ir zesine, noch danne lide ich bi ir pine. Das tuot rehter minne kraht.

4C 4C 4D

II

I II

„Es stimmt mich traurig, von ihr getrennt zu sein, aber bei ihr leide ich ebensosehr Schmerz. Das macht die Kraft der wahren Liebe. Manches Geschöpf ist froh, das bis jetzt Sorgen hatte. Das paßt zu dieser Jahreszeit. Aber mich hält die Liebe bedrückt. Sie läßt mich verkümmern. Gnade, keusche, edle Schöne, Tag und Nacht denke ich an Euch! Es stimmt mich traurig, von ihr getrennt zu sein, aber bei ihr leide ich ebensosehr Schmerz. Das macht die Kraft der wahren Liebe.“

In der dritten Strophe singt der Herzog: Entzwischen Mase und dem Rine / ist kein schoner danne diu mine (V. 28f.). Dieser Vers weist darauf hin, daß Jan dieses Lied nicht in Brabant geschrieben hat, sondern weiter östlich, im Gebiet zwischen Maas und Rhein. Der Sprachwissenschaftler Jan Goossens (2003b, S. 247) hat übrigens gezeigt, daß die Sprache in den Liedern

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des Herzogs – von einem brabantischen Standpunkt aus betrachtet – mit dem Osten in einem Zusammenhang steht, der sicher das Limburgische und das Ripuarische umfaßt. Zweifelsohne besteht eine Verbindung zwischen der Sprache der Lieder und Jans politischen Ambitionen als Reichsfürst und Herzog (Nieder-)Lothringens, die ihn häufig in die Region zwischen Maas und Rhein geführt haben. Das schmale Œuvre des Herzogs kann somit als ‚germanische‘ Manifestation lothringischer Dichtung, als direktes Pendant zu den französischen Ballettes, die wir in der Oxforder Liederhandschrift vorgefunden haben, betrachtet werden. Sicherlich hat die Ausrichtung des Herzogs nach Osten dazu beigetragen, daß seine Lieder schließlich in die Große Heidelberger Liederhandschrift, und nur dorthin, gelangt sind. Hinsichtlich der Poetik Jans fällt auf, daß seine Lieder vornehmlich aus stark vorhersehbarem formelhaften Material bestehen. Jans berühmtestes Lied ‚Eins meien morgens fruo‘ (Lied II) beispielsweise, in dem er eine mißglückte Liebesbegegnung mit drie juncfrouwen in einem boungartegin besingt, ist wenig anderes als eine fast wörtliche Übertragung von Formeln, die in der französischen Dichtung und besonders in den Ballettes aus dem ,Chansonnier d’Oxford‘ zahllose Male auftauchen (Willaert 1980). Die Lieder, in denen er seine Verehrung für eine Dame besingt, bestehen wiederum zum großen Teil aus festen Wendungen und Schlüsselbegriffen, die im hochdeutschen Minnesang des 13. Jahrhunderts Gemeingut sind, besonders im Werk von Dichtern wie Gottfried von Neifen, Burkhart von Hohenfels, Ulrich von Winterstetten, Bruno von Hornberg und vielen anderen (Willaert 1986 u. 2003, S. 106–108). Wenn auch von diesem Repertoire keine handschriftlichen Zeugnisse überliefert sind, die aus den Lage Landen stammen, so muß doch während der letzten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts in der Gegend von Maas und Rhein dergleichen bekannt gewesen sein. Wir müssen in Jans Lyrik also sicher nicht auf Suche nach ästhetischer Ergriffenheit oder großer Wortkunst gehen. Im Vergleich zur Lyrik Veldekes gibt sein schmales Œuvre in literarischer Hinsicht wenig her. Seine Lieder müssen in erster Linie als Unterhaltung angesehen werden: Sie konnten das Ambiente während eines Festes verbessern; sie ließen sich während des Reigentanzes oder – wenn wir den Ruf Jans I. als handfester Schürzenjäger berücksichtigen – vielleicht auch beim amourösen Eroberungsspiel verwenden. Sie schließen mit anderen Worten perfekt an die lothringische lyrische Tradition, wie ich sie soeben skizziert habe, an.

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7.7 Lothringische Expansion Aus dem Vorausgehenden drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß man das Spezifische der lothringischen Lyrik zu wenig erkannt und die Bedeutung dieses Repertoires für die weitere Entwicklung der europäischen Minnelyrik unterschätzt hat. Das gilt sowohl für die französische als auch für die niederländische und deutsche höfische Literatur. Hinsichtlich der französischen Dichtung beschränke ich mich hier auf einen Verweis auf einen meisterhaften Artikel des englischen Romanisten und Musikwissenschaftlers Christopher Page (1998), der zeigt, wie die lothringischen Liedformen des 13. Jahrhunderts sich zu den drei formes fixes auskristallisiert haben, die die spätmittelalterliche französische Lyrik dominieren sollten: zum Rondeau, zur Ballade und zum Virelai. Aber auch in der Geschichte der spätmittelalterlichen deutschen und niederländischen Minnelyrik haben lothringische Refrainlieder und dann vor allem die Virelai-Ballade eine entscheidende Rolle gespielt (Willaert 1989 u. 1994). In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist die Anzahl der Zeugnisse noch recht beschränkt, aber um 1360 ist der Durchbruch vollständig. Der Mönch von Salzburg verwendet die Form der Virelai-Ballade und experimentiert damit, und in zahlreichen Liederbüchern, die um oder nach 1400 in süddeutschen Städten wie Nürnberg oder Augsburg entstanden sind, zeigt sich, daß gut und gerne ein Drittel des Gesamtrepertoires aus Virelai-Balladen besteht. Auch in den Niederlanden wird das Genre bis nach 1400 gepflegt: Es erscheint unter anderem in der Brüsseler Handschrift Van Hulthem und in der möglicherweise in Holland entstandenen Haager Liederhandschrift. Zwei Gründe sind dafür verantwortlich, daß man die Bedeutung des lothringischen Minnesangs für die Geschichte der europäischen Literatur unterschätzt hat: Der erste und vielleicht wichtigste Grund ist der, daß es sich um eine Region handelt, die auf drei verschiedene ‚Nationalphilologien‘ verteilt ist und dort jeweils mehr zum Rand- als zum Kerngebiet gehört. Der zweite Grund ist der, daß das alte Herzogtum Lothringen sich nur wenig auf die ‚Produktion‘ des am besten ausgeprägten Genres verlegt hat: des grand chant courtois, des klassischen höfischen Minneliedes. Die Vorliebe galt statt dessen der Unterhaltungslyrik: Diese wurde schnell gemacht, war aber auch schnell vergessen. Sogar im 14. Jahrhundert, als diese Art von Lyrik auch außerhalb von Lothringen in Mode kam, ist sie oft nur ‚zufällig‘ überliefert: als Zitat in anderen Genres, als Blattfüllung, als Entwurf, in kleinen Privat-Florilegien usw. Daß Jan I. von Brabant als Herzog und Sieger der Schlacht bei Worringen (1288) eine Figur von großer euro-

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päischer Strahlkraft war, hat zweifelsohne dazu beigetragen, daß seine Lieder im Codex Manesse aufgenommen sind. Daß er im Gebiet von Maas und Rhein mit seinem Repertoire aber keine Ausnahme gewesen ist, können wir aus einer Szene des ‚Maastrichter Passionsspiels‘ (ca. 1300) erschließen, wo die noch sündige Maria Magdalena die erste Strophe und den Refrain einer Virelai-Ballade singt. Wie in den Liedern Jans I. erscheinen auch dort die typischen Formeln, die wir bei vielen hochdeutschen Minnesängern des 13. Jahrhunderts in der Tradition Gottfrieds von Neifen vorfinden können (Willaert 1995b).

7.8 Höfische Minneverse: littera sine musica Bei dem wenigen an mittelniederländischer Lyrik Überlieferten, das ferner noch im 13. Jahrhundert angesiedelt wird, ist es sehr fraglich, ob es jemals zum Singen bestimmt gewesen ist. Dieser Zweifel gilt bestimmt den beiden westflämischen Minnegedichten, die ein unbekannter Mönch der Zisterzienserabtei Ter Doest bei Brügge am Ende des 13. Jahrhunderts auf der ursprünglich unbeschriebenen ersten Recto-Seite einer Handschrift der ‚Antiquitates Iudaicae‘ des Flavius Josephus aufgeschrieben hat (Lieftinck 1954; Ausg. Gysseling [1980], S. 324f.). Die Reimschemata (aabaab u. ababab) wecken vielmehr den Eindruck, daß diese Gedichte mit anderen mittelniederländischen Reimtexten, die sicher nicht zum Singen bestimmt waren, verwandt sind (Willaert 1984, S. 68). Bekannter sind die sechzehn schwer beschädigten Minnegedichte, die Erik Rooth 1926 in einer Mappe mit unidentifizierten Fragmenten in der Universitätsbibliothek Lund fand und unter dem Titel „Ein neuentdeckter niederländischer Minnesänger aus dem 13. Jahrhundert“ (Rooth 1928) veröffentlichte. Es zeigte sich, daß die Gedichte formal und inhaltlich besonders stark mit acht ebensoschwer beschädigten Gedichten übereinstimmten, die Willem de Vreese schon 1895 gefunden und herausgegeben hatte (De Vreese 1895). Das Doppelblatt aus Lund (Universitetsbiblioteket, Mh. 55) wird etwa auf 1300 datiert, die zwei Blätter von De Vreese, die heute in Brüssel aufbewahrt werden (Koninklijke Bibliotheek, IV 209/11), auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. In beiden Fällen handelt es sich um Abschriften, so daß es in der Tat „keinen Kraftakt [erfordert], den Entstehungszeitraum der Gedichte bis ins 13. Jahrhundert zurückzuführen“ (Hemmes-Hoogstadt 2005, S. 274). Dem Dialekt nach zu urteilen sollte(n) der/die Dichter aus dem Grenzgebiet zwischen Brabant und Limburg stammen (ebd., S. 48).

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Aber handelt es sich hier, wie Rooth (1928) meinte, um Lieder? Die Form dieser Gedichte ist auf jeden Fall weder im romanischen noch im deutschen Minnesang bekannt. Ein Mittelteil aus zehn Versen mit grammatischen Reimen in der ‚Ich-Form‘ wird von zwei belehrenden Strophen aus jeweils sechs Versen mit dem Reimschema aabccb umrahmt. In den De-Vreese-Fragmenten wird das Ganze noch von einem Spruch aus jeweils zwei paarweise reimenden Versen in roter Tinte eingeleitet und abgerundet. Wie die Verse im Mittelteil haben diese Spruchverse vier Hebungen, die Verse mit aabccb-Strophen haben zwei. Zur Veranschaulichung zitiere ich unten das achte Gedicht aus den De-Vreese-Fragmenten (Hemmes-Hoogstadt 2005, S. 183; Lied B 8): Lijfs ende sins is hi versaeght, die dlijf mint die sijn dinst meshaeght. Die daer ghern ware daer men ommare sijn vrinschap heeft ende draf wijst smelec, hi es ghehelec die armste die leeft. In mach bi haer sijn een ure, dier ic telker uren gherne waer bi; dat es mi dure! Si en laet mi bi haer duren, liefst alre creaturen. Al eest dat ic dlijf ontvure, in wille, in mach ontvuren haer mijn herte, wijt versure. Si mach aen mi dversuren doch dusentfout ersturen. Woude thert, en kan haer, diert slijfs an, sijn sinne ontien, die dusentvout sijn onghedout mach doch versien. En mach verberghen in gheen hol hem lief vor lief, die liefs es vol. „Der ist an Leib und Sinnen übel dran, der eine Geliebte liebt, die seinen Dienst mißbilligt. Wer gerne dort wäre, wo man seine Zuneigung unbeachtet läßt und schmählich abweist, der ist in jeder Hinsicht die armseligste Person, die lebt. Ich kann keinen Augenblick bei ihr sein, bei der ich gerne jeden Augenblick wäre; das ist für mich unerreichbar! Sie, das liebste aller Geschöpfe, läßt mich nicht bei ihr bleiben. Wenn ich auch meinen Körper von ihr fernhalte, weder will noch kann ich mein

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Herz von ihr fortnehmen, wie schwer es auch wird. Sie kann mir das Leiden doch tausendfach vergüten. Wenn das Herz auch wollte, es kann derjenigen, der es den Leib gönnt, seine Gefühle nicht entziehen, ihr, die tausendfach sein verzweifeltes Verlangen erfüllen kann. Ein Liebender, der erfüllt von seiner Geliebten ist, kann sich in keinem Loch vor seiner Geliebten verbergen.“

Der Inhalt des Gedichts ist stark durch die Form bestimmt. Der rubrizierte Spruch kündigt das Thema an: Wer eine Geliebte hat, die seinen Dienst abweist, leidet sowohl körperlich als auch seelisch. Dieser Gedanke wird sodann in der aabccb-Strophe wiederholt: Wer abgewiesen wird, ist elendig dran. Die Mittelstrophe gibt dasselbe Thema wieder, jetzt aber in der ersten Person, wobei der Dualismus lijf – sin/herte aus dem Anfangsspruch nun zu einer Antithese wird: Wenn der Körper auch Abschied von der Geliebten nimmt, das Herz bleibt bei ihr. In der zweiten aabccb-Strophe wird dieser Gedanke, jetzt aber wieder in der dritten Person, wiederholt. Der abschließende Spruch bringt die Schlußfolgerung: ein Liebender, der erfüllt von seiner Geliebten ist, kann sich für sie nicht unsichtbar machen. Ein Meisterwerk höfischer Beredsamkeit, dichterischer Akrobatik innerhalb straff gezogener Linien also. Und dasselbe läßt sich auch über die 23 anderen Gedichte sagen, soweit sich das an den schwer beschädigten Resten ablesen läßt. Aber an Minnesang scheinen wir hier doch nicht denken zu müssen. Nicht nur läßt der ungleiche Strophenbau Zweifel aufkommen, sondern auch die spruchartigen Reimpaare und die aabccbStrophen wurden nur in sehr seltenen Ausnahmen – und dann auch erst im 15. Jahrhundert – als Liedstrophen verwendet, wenn sie auch in der mittelniederländischen Literatur sonst weit verbreitet waren (Van Anrooij/ Mertens 1992). Von einem Zusammenhang mit der deutschen Sangspruchdichtung kann ebensowenig die Rede sein. Die deutlichste Verbindung besteht zur französischen Literatur: Die aabccb-Strophe taucht, jetzt mit sechssilbigen Kurzversen, immerhin auch in drei anglonormannischen Übersetzungen der ‚Disticha Catonis‘ aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts sowie in den bekannten ‚Proverbes au vilain‘ auf, die zwischen 1174 und 1193 von einem Kleriker am Hof Philipps von Elsaß, des Grafen von Flandern, geschrieben wurden (Willaert 1984, S. 59). In der französischen Literatur bestätigt sich also das Vorliegen des engen Zusammenhanges zwischen dieser Strophenform und spruchartiger Weisheit, den wir in den mittelniederländischen Minnegedichten vorgefunden haben.

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7.9 Didaktische Lyrik In dem Zeitraum, der hier besprochen wird, scheint die deutsche Sangspruchdichtung nur bis an den äußersten Rand dessen, was heute als der niederländische Sprachraum betrachtet wird, durchgedrungen zu sein. Kronzeuge ist hier das um 1300 geschriebene ‚Maastrichter Fragment‘ (Maastricht, Rijksarchief, 167/III.11), das den Herausgebern zufolge in einer Region entstanden ist, in der rheinische und westfälische Schreibtraditionen zusammenflossen, vielleicht also nicht sehr weit vom jetzigen Aufbewahrungsort entfernt (Tervooren/Bein 1988, S. 61). Das Doppelblatt umfaßt 23 oder 24 oft nur teilweise erhaltene Strophen: Sangsprüche über die Liebe, Tugenden und Maria, von denen einige mittels Parallelüberlieferung Reinmar von Zweter, Kelyn, Rumelant und dem Meißner zugeschrieben werden können, Lieder Neidharts und (vermutlich) eine Minnerede in Paarreimen (Holznagel 1995, S. 389). Auffällig sind die vorherrschende Aufmerksamkeit für Minne- und höfische Tugendlehre und die Kombination aus Lied und Minnerede, zwei Kennzeichen, die man später auch in anderen Handschriften aus der Region, z.B. in der Niederrheinischen, der Haager und der Berliner Liederhandschrift, vorfindet (Tervooren 2006, S. 141–143, u. 2007, S. 40–43). In den Niederlanden selbst hat sich der Sangspruch aber nicht entfaltet (Hogenelst 1997, S. 59–70; Tervooren 2007). Auch in dieser Hinsicht folgt die niederländische Lyrik der französischen Literatur, wo die didaktische, moralisierende oder politische Lyrik – ob sie nun gesungen wurde oder nicht (zu dieser Problematik vgl. Wolfzettel 2007) – im 13. (und 14.) Jahrhundert durchweg andere Formen als die dreigliedrige Chansonstrophe verwendet hat. Die gesungene nordfranzösische Lyrik des 13. Jahrhunderts kennt kein Genre, das eine ebenso prominente Stellung einnimmt wie das Sirventes in der okzitanischen Literatur (Sélaf 2007, S. 308). Das französische Wort serventois scheint – was die Lyrik betrifft – vor allem zur Bezeichnung religiöser Lieder (besonders von Marienliedern) gebraucht worden zu sein (Rieger 1976, S. 75–85). Von den französischen sogenannten nichtlyrischen Strophenformen muß die in Frankreich sehr gebräuchliche Helinandstrophe (mit dem Reimschema aabaabbbabba) in den Niederlanden auf jeden Fall bekannt gewesen sein: Das in dieser Form geschriebene Gedicht ‚Miserere‘ (ca. 1230) des Reclus de Molliens wurde nämlich in derselben Strophenform von einem gewissen Gielijs von Molhem und – nachdem dieser das Werk hatte liegen lassen – viel später, zu einem leider nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, auch von einem weiters unbekannten Heinrec übersetzt (für

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andere mittelniederländische Beispiele von Gedichten mit Helinandstrophen, die aber mit Sicherheit auf weit nach 1300 datieren, vgl. Willaert 2007, S. 68). Der Erfolg der mittelniederländischen Helinandstrophe bleibt aber weit hinter dem der Strophenform aabaabaabaabb mit vierhebigen Versen zurück, die der westflämische Dichter Jacob von Maerlant in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts in acht seiner zehn ‚Strophischen Gedichte‘ verwandte. Zweifelsohne geht diese Strophenform auf die in der lateinischen Dichtung weitverbreitete Strophe aabaab zurück, mit der der Kleriker Maerlant gewiß gut vertraut gewesen ist. Das zeigt sich an seinen beiden übrigen Gedichten ‚Van den vijf vrouden‘ und ‚Ons Heren wonden‘, wo wir dieses Schema zu aabaabccbccb verdoppelt ebenfalls vorfinden, ganz in Übereinstimmung mit dem Strophenbau der zwei Hymnen ‚Gaude virgo mater Christi‘ (AH, Bd. XV [1893], S. 95) und ‚Omnibus consideratis paradisus‘ (Verdam/Leendertz 1918, S. LXXXf.), deren Übersetzungen sie sind. Das Hinzufügen eines dreizehnten, abschließenden Verses mit Verdopplung des b-Reims scheint aber Maerlants eigene Erfindung gewesen zu sein. Der viermal wiederholte Schweifreim und die Wiederholung des Reims im letzten Vers verleihen der Maerlantstrophe einen starken Rhythmus und eine Geschlossenheit, die sie für die Übermittlung ideologischer Botschaften sehr geeignet machen. Fünf dieser Gedichte sind Dialoge (die ‚Martijns‘, vier Gedichte, in denen Jacob mit seinem Freund Martijn über verschiedene gesellschaftliche, moralische und religiöse Fragestellungen debattiert, und eine ‚Disputacie‘ zwischen Maria und dem Kreuz); hinzu kommen noch ein Lobgedicht auf Maria und zwei heftige Anklagen: ‚Van den lande van oversee‘, geschrieben nach dem Fall von Akko am 18. Mai 1291, und ‚Der kerken claghe‘ über den Verfall der Kirche (Van Oostrom 1996, S. 65–68). Einige von Maerlants ‚Strophischen Gedichten‘ – insbesondere die ersten drei ‚Martijns‘ – haben im Mittelalter weite Verbreitung und große Resonanz gefunden (Verdam/Leendertz 1918, S. XLVIII–CVI). Auch Maerlants Strophenform hat Schule gemacht. Um 1300 finden wir sie im Prolog des zweiten Teils des ‚Spiegel historiael‘ von Maerlants jüngerem Zeitgenossen und mutmaßlichem Mitarbeiter Philip Utenbroeke vor (Ausg. Von Hellwald/De Vries/Verwijs, Bd. II [1879], I,1–39; vgl. Van Oostrom 1996, S. 364f.), und bereits 1299 steigerte ein anonymer, aber äußerst geschickter brabantischer Dichter die Möglichkeiten dieser Strophenform, indem er in seinem ‚Vierde Martijn‘, einem Schimpfgedicht über den Verfall des Rittertums, zwei weitere aab-Terzinen hinzufügte: aabaabaabaabaabaabb (Ausg. Hegman; vgl. Lievens 1960, S. 58–61). Bis weit ins 15. Jahrhundert wird man dem Beispiel von Maerlants Strophe

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folgen. Die Aufgabe, für jede Strophe acht a-Reime und fünf b-Reime zu finden, stellte jedoch hohe Anforderungen an die Dichter, und schon bald sieht man, daß manche diese dadurch abgeschwächt haben, daß sie die Strophenlänge um ein oder zwei Terzinen verkürzten (Willaert 2007). Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß der Einfluß Maerlants auf Form und Inhalt der moralisierenden und didaktischen Lyrik des Mittelalters nicht nur in Flandern, sondern auch in Brabant und Holland sehr groß gewesen ist.

7.10 Schluß Alles in allem ist es nicht sehr viel, was vor 1300 (und sogar vor 1400) an niederländischer Lyrik überliefert ist. Eine partielle Erklärung hierfür liegt zweifelsohne in der Tatsache, daß der hohe Adel sich vornehmlich für die französische höfische Liedkunst interessierte. Doch könnte dieses Interesse an dem, was mit dem klassischen grand chant courtois zu tun hat, vor allem rezeptiv gewesen sein. Besonders im alten Herzogtum Lothringen scheint das klassische höfische Minnelied wenige aktive Bearbeiter gefunden zu haben. Man kannte dieses Repertoire freilich, aber selbst dürfte man sich vorzugsweise auf (höfisches) Spiel und Unterhaltung verlegt haben: auf den Jeu parti, den Tenzo, die Chanson à refrain und nicht zuletzt auf allerlei Arten von Tanzlyrik … In diesem Sinne kann die Region mit Margaret Switten (1993, S. 33) mit Recht als „anti-grand chant courtois“ charakterisiert werden. Berücksichtigt man dies, so ist es möglich, in der ‚germanischsprachigen‘ Lyrik derselben Region doch mehr Kohärenz zu gewahren, als man auf den ersten Blick erwarten sollte. Höfische Minnelieder, die ohne weiteres als niederländische Pendants des grand chant courtois der Trouvères betrachtet werden können, sind in der Tat nicht überliefert. Aber Veldeke und Hadewijch nutzen beide ihre Vertrautheit mit diesem Genre, um ihren eigenen Weg zu gehen. Veldeke distanziert sich auf ironische Weise vom allzuhoch angesetzten Minneideal seiner Minnesängerkollegen: Die Tatsache, daß so viele seiner Lieder nur aus einer Strophe bestehen, muß eher mit seiner Vorliebe für eine spitze Pointe als mit der ihm unterstellten Verpflichtung gegenüber „volkstümlicher Kleinkunst“ (Frings/Schieb 1948, S. 117) in Verbindung gebracht werden. Hadewijch verwendet die Poetik des grand chant courtois als Vehikel einer ganz anderen (mystischen) Minnebotschaft. Jan I. findet wiederum Anschluß an die Unterhaltungs- und Tanzlyrik, die in der französischsprachigen Lyrik im alten Lothringen do-

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minierte. Diese wird sich zu den drei formes fixes – Ballade, Rondeau, Virelai – auskristallisieren, die die französische Lyrik ab dem Spätmittelalter dominieren. Auf germanischer Seite werden die Virelai-Ballade und das damit verwandte Rondeau nicht nur in der niederländischen, sondern auch in der hochdeutschen Minnelyrik tiefe Spuren hinterlassen, wenngleich es eine ganze Zeitlang dauern wird, bis der Erfolg dieser Genres – und vor allem dann der des erstgenannten – auch in der schriftlichen Überlieferung wirklich sichtbar wird. Das Spezifische der lothringischen (in diesem Fall: brabantisch-limburgischen) Literaturlandschaft zeigt sich auch an den Gedichten – nicht Liedern – aus Lund und Brüssel, wo man mit der höfischen Minnethematik ein kunstvolles Sprachspiel spielt. Auch hier hat die feste Form Vorrang, wobei ein persönliches ‚Minnebekenntnis‘ mit höfischen Minnesprüchen verbunden wird. Es ist verlockend, in diesem Interesse für die Minnedidaktik eine Verwandtschaft mit der Sangspruchdichtung, wie sie in den Maastrichter Fragmenten überliefert ist, zu sehen: Auch in diesen Sangsprüchen spielt die Liebe ja eine wichtige Rolle. Haben wir es hier mit einem frühen Vorboten der Minnerede, die im 14. Jahrhundert im Rheinland und in den Niederlanden zur Blüte kommen wird, zu tun? Aus dem Gesagten mag sich ergeben, daß das alte Herzogtum Lothringen als Wiege bedeutender Entwicklungen in der französischen, deutschen und niederländischen Lyrik betrachtet werden kann. Aber ab den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts wird der ‚germanischsprachige‘ Teil dieser Region in zunehmendem Maße unter den Einfluß der Literatur aus der Grafschaft Flandern gelangen. Die große Gallionsfigur ist hier Jacob von Maerlant gewesen, dessen riesiges und vielseitiges Œuvre auch östlich der Schelde Bewunderung und Nachahmung gefunden hat: Nicht zu Unrecht nennt der Antwerpener Stadtsekretär und Dichter Jan von Boendale (1279 – um 1350) ihn 1330 den vader der dietscher dichtren algader. Dies gilt auch für seine ‚Strophischen Gedichte‘, von denen manche – insbesondere die drei ‚Martijns‘ – enorme Verbreitung gefunden haben, und die sowohl hinsichtlich der Form als auch des Inhalts auf die didaktische Dichtung der Lage Landen großen Einfluß ausgeübt haben (Van Oostrom 1996, S. 385–387). Diese Geschichte weiter zu verfolgen überschritte allerdings den Rahmen dieses Beitrags. [Übersetzung (Kap. 7): Michael Wolbring] [Manuskriptabschluß: Juni 2009]

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8 Musik von Florian Kragl 8.1 Methodologisches zur Interdependenz von Musikkontakt, Sprachkontakt und Textlektüre – 8.2 Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters – 8.3 Musikkontakte zwischen lateinischem, romanischem und deutschem Bereich am Beispiel des ‚Palästinaliedes‘ und verwandter Melodien – 8.4 Fallweise offene und prinzipiell offene Fragen: Apotheose des Nicht-Wissens

8.1 Methodologisches zur Interdependenz von Musikkontakt, Sprachkontakt und Textlektüre ‚If You Are But A Dream‘ war einer der ersten ganz großen Erfolge Frank Sinatras. Sinatra hat dieses Lied 1944 – im typischen crooner sound mit einem Arrangement von Axel Stordahl – nicht als erster, dafür aber am erfolgreichsten interpretiert. 1945 integrierte er den Song als erste (von zwei) Musiknummern in seinen patriotischen Kurzfilm ‚The House I Live In‘, für den er 1946 den Oscar erhielt. Sinatra hat das Lied bis 1991 live gesungen, 1992 immerhin noch geprobt – doch vor Schmalz triefende Liebeslieder der 40er Jahre wollte man von ihm längst nicht mehr hören. Der kurze, simpel daherkommende Text des Liedes ist vielschichtiger, als man meinen möchte. Konjunktivisch verhüllt, wird erzählt – von einem Du. Einem Du, das wie ein Traum ist – oder im Traum existiert. Verlassen zu werden – aufzuwachen? –, das wäre dem Ich unerträglich, und doch genügt ihm dann die Fantasie – der Wachtraum, der nun seinerseits Wirklichkeit werden soll. Registerwechsel: Ich will Du küssen, wagt es nicht, das Du könnte sich verflüchtigen – ein unliebsamer Pseudo-DornröschenEffekt: Schlafende können wachgeküßt werden, doch als Schlafender seine Fantasie im Traum zu küssen, das ist desaströs. Oder fürchtet das Ich das Zerbrechen seiner Traumliebe durch ein körperliches Bekenntnis? Die nächste Kehrtwende: Würde die Affäre – der Traum? – zu Bruch gehen, dann wacht Ich nicht, wie man erwarten würde, auf, nein, dann hofft es, niemals aus seinem Traum zu erwachen – doch nur, wenn es ein geträum-

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tes Du ist. Das führt zurück zum Anfang (If you are but a dream): Die Doppelnatur des Traumes als Markierung eines Ideals und als Bewußtseinszustand erzeugt einen semantischen Wirbel, aus dem es, einmal gefangen, kein Entrinnen gibt. Ein Liedtext ohne seine Melodie – das ist immer so eine Sache. Denn literarhistorisch aufwühlend wird dieser Liedtext erst, wenn man seine musikalische Geschichte mitdenkt: Das Lied, für dessen Text und Musik Moe Jaffé, Nathan Bonx und Jack Fulton verantwortlich zeichnen, war kein neues. Es basiert auf der Romanze in Es-Dur von Anton Rubinstein (1860; op. 44,1), die im frühen 20. Jh. in den USA Gassenhauerstatus erlangt hat, in allen möglichen Arrangements gespielt – und dann eben auch textiert wurde. Neu textiert: Schon Rubinstein selbst hat die Melodie neben dem Klavierstück für ein Gesangsduett (mit Klavierbegleitung) zu Alexander Puschkins Gedicht ‚Notsch‘ („Nacht“) verwendet (1852; op. 48,8), der dieses Gedicht, das auch Rimsky-Korsakov und andere vertonten, 1823, angeblich inspiriert von seiner ersten großen Liebe Amalia Rizni´c, geschrieben hat. Das ist bemerkenswert – nicht nur, weil hier eine Melodie verschiedene Existenzformen mit verschiedensprachigen Texten durchläuft, also ein klassischer Fall von Kontrafaktur vorliegt. Bemerkenswert erscheint mir vielmehr die Nähe des russischen Textes zu dem englischen, den Frank Sinatra gesungen hat. Puschkins Gedicht wirkt in der Wortsemantik eindeutiger: Ein Ich dichtet im Bett bei Kerzenlicht für und an ein Du, Liebe wird Sprache. Doch dann, wieder, das Dunkel, in dem Ich die Augen seines Du leuchten sieht, die ihn anlächeln, das ihn liebt, das sich ihm hingibt – ein Traumbild. Man mag das ganz rational lesen: Liebesbrief bei Kerzenlicht, dann ein sich in Sehnsucht verzehrender Halbschläfer. Und dennoch stellt sich die Frage, ob nicht die Worte bei Kerzenlicht die Liebeswut erst generieren, erst sie den Wachtraum erzeugen, der nur in prosaischer Lektüre Traum, für das Ich aber Wirklichkeit ist – so wie im Sinatra-Song die Worte einen Schwebezustand etablieren, der sich nicht mehr kategorisieren läßt. Was ‚If You Are But A Dream‘ abstrakt beschreibt, würde hier als kompakte Szenerie imaginiert. Aufdringlich wird diese Frage indes nur, wenn man den Sinatra-Song kennt (schließlich könnte es ebenso gut eine Szene am Sterbebett einer/s Geliebten o.ä. sein), wobei es von nachrangiger Bedeutung ist, ob die Autoren des englischen Texts nur Rubinsteins Melodie oder auch die Vertonung mit Puschkins Gedicht kannten, ob dieser Sprachgrenzen überschreitende Reinterpretationsprozeß ein intentionaler ist oder nicht. Wesentlich ist vielmehr, daß hier ein Kontrafakturphänomen vorliegt, bei

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dem musikalische Identifizierung semantische Affizierung bewirkt. Um von den dabei vorgängigen Variationen im Musikalischen zu handeln – von Rubinstein zu Rubinstein und dann zur Sinatra-Version –, fehlt hier der Platz. Sie könnten eine Interpretation wie die vorgeschlagene um weitere Aspekte bereichern, vielleicht – ich denke an das Arrangement von Nelson Riddle (1957), das die Melodiestimme harmonisch neu auslotet – auch ironisch kommentieren. Daß aber ein enger Bezug der musikalischen, melodischen Strukturen vorliegt, läßt sich nicht abstreiten. Dies unterscheidet die Situation im 19. oder 20. Jh. fundamental von jener der mittelalterlichen Musikkultur. Das liegt nicht nur an den veränderten kulturellen Rahmenbedingungen: Die Wanderung einer Melodie von der russischen Romantik in die frühe US-amerikanische PopmusikSzene hat den Charakter des Zufälligen, es könnte genauso gut eine Melodie aus Italien, Deutschland – woher auch immer sein. Die frühen Jahrgänge der Billboard Charts sind voll von solchen Beispielen. Und auch der umgekehrte Weg war und ist, vor allem nach 1945, nicht ausgeschlossen, jede Liedgeschichte steht zunächst für sich. Das ist im späten 12. und auch im 13. Jh. anders: Dort ist die Erzählung immer schon eine gerichtete, Bezugnahmen erfolgen vom deutschen Sprachraum aus auf die romanischen Texte und Melodien – der Einfluß der liturgischen Musik ist nach wie vor schwer abzuschätzen. Wenn aber Melodien gewandert sind, dann von Westen nach Osten. Von grundsätzlicherem Charakter ist eine andere Differenz zwischen Mittelalter und Neuzeit: Was uns heute selbstverständlich erscheint, gibt es im 12. und 13. Jh. nicht oder nur in Ansätzen: notierte, fertige musikalische ‚Texte‘, die sich kaum einem Analysewunsch verschließen. Kulturelle Bezüge zwischen Romania und deutschem Sprachraum lassen sich, was den musikalischen Bereich angeht, daher nicht in dieser lakonischen Art abhandeln wie der Brückenschlag von Anton Rubinstein zu Frank Sinatra. Oft sind die überlieferten Notate schwer deutbar, wenn denn überhaupt Melodien vorhanden sind; andernfalls bleibt als Hilfskonstruktion die Metrik, so daß viele Annahmen von Kontrafakturprozessen primär das Ziel verfolgen, verlorene Melodien zu erschließen, und dabei musikhistorische Fragestellungen eher an den Rand drängen. Daß es einen intensiven Austausch von melodischem Material und musikalischen Gepflogenheiten gegeben hat, daran ist freilich nicht zu zweifeln. Das Wandern von Melodien oder Musikstilen über Sprachgrenzen hinweg – darum wird es im Folgenden gehen – ist im Mittelalter aber immer schon ein tiefschürfendes Problem; tiefschürfend, weil die Schwierigkeiten und analytischen oder interpretatorischen Lakunen schon in einer

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viel grundlegenderen Ebene siedeln als heute: bei der Transkription und Deutung jeder einzelnen Melodie. Ich beginne aus diesem Grund – und auch, um einige musikhistorische Grundbegriffe zur Verfügung zu stellen – mit einer problemorientierten, überblicksartigen Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters, um mich dann, mit geschwächtem Optimismus und gestärktem Problembewußtsein, der Frage nach interkulturellen bzw. interlingualen Beziehungen im Musikbereich an einem konkreten Beispielfall zu nähern.

8.2 Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters Notation, Transkription, Überlieferung – Rhythmus – Begleitung und Kontext: Mehrstimmigkeit, Instrumente, Aufführungsszenarien – Melodik – Text und Melodie / wort und wîse

Notation, Transkription, Überlieferung Die Schwierigkeiten im Umgang mit mittelalterlicher Musik setzen, noch drastischer vielleicht als bei der Lektüre alter Texte, bereits bei der Überlieferung ein. Notierte Melodien sind zunächst, im frühen Mittelalter, die Ausnahme, und wo es sie doch gibt, lassen sie sich nur schwer oder auch gar nicht in ein modernes Notationssystem übertragen. Die Rede ist von Neumen (zu griech. pneuma „Atem“), eine Art Vortragszeichen, die man in Handschriften ab dem 9. Jh. über oder unter Texte des Offiziums oder der Liturgie setzte. Es handelt sich um jene einstimmigen Melodien des (wohl) 4.–7./8. Jh., die man heute mit dem Überbegriff ‚Gregorianischer Choral‘ faßt. Neumierte Texte stellen dabei jedoch weniger ein konservierendes Notat dar als vielmehr eine mnemotechnische Hilfe, die weniger den Melodieverlauf, sondern mehr die Art und Weise des Vortrags einer Melodie abbildet. Welche Bedeutung diese Zeichen im einzelnen haben, ist in vielen Fällen noch immer strittig, fest steht aber: Ist der Tonhöhenverlauf der Melodie nicht von vornherein (z.B. durch eine andere, spätere Überlieferung) bekannt, läßt er sich aus den Neumen nicht erschließen, die nur Bewegungsrichtungen, nicht aber exakte Tonschritte angeben (Adiastematie). Diese Situation wandelt sich radikal erst im 11. Jh. Der Vorrat an Gregorianischen Melodien nimmt stetig zu: Das Schlußmelisma der Gesänge (auf Alleluia) wird kunstvoll ausgebaut und textiert, vorhandene Melismen erhalten neue Texte oder vorhandene Texte neue Melodien (Tropen), neue

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Hymnen werden komponiert. Das scheint die Notwendigkeit erzeugt zu haben, die Tonhöhenverläufe exakt zu notieren (Diastematie), so daß man – entscheidend war wohl der Vorschlag Guidos von Arezzo (gest. 1050) – begann, die Neumen auf (vier) Linien im Terzabstand zu setzen. (Frühere Versuche von Buchstabennotenschriften, die ebenfalls exakte Tonhöhen angeben, haben ihren Ort fast ausschließlich in der mittelalterlichen Musiktheorie.) Die Neumenzeichen werden dabei zusehends in ihrer Komplexität reduziert auf Quadrate und vergleichsweise einfache Zeichengruppen (Ligaturen). Ergebnis ist die ‚Römische Quadratnotation‘, in der noch heute die Melodien des einstimmigen geistlichen Gesangs aufgezeichnet sind. Schon an dieser Prähistorie der abendländischen Notation läßt sich eine gewisse Dynamik zwischen Notations- und Kompositionsgeschichte ablesen: Die Notenschrift lernt Tonhöhen nicht aus Selbstzweck, sondern schlicht aus einer gewissen Notwendigkeit heraus. Umgekehrt ermöglicht sie dadurch wiederum neue bzw. komplexere Kompositionsverfahren, hier zunächst im Bereich der einstimmigen Musik (komplexere Melodiefolgen, größerer Melodievorrat). Diese Dynamik setzt sich fort, wenn Mehrstimmigkeit zusehends von einer improvisierenden Praxis (z.B. Parallelstimmen in Quart- oder Quintabstand) zu einem theoretisch reflektierten, (wenngleich nicht im streng neuzeitlichen Sinne) auskomponierten Phänomen wird: Es genügt nicht länger, Melodieverläufe zu notieren, sondern es wird nötig, auch zeitliche Verläufe in der Notation abzubilden, um den Zusammenklang von (je für sich melodisch und rhythmisch autonomen) Stimmen auch in Metrik und dann Rhythmik zu organisieren. Das bringt ein Wechselspiel aus kompositorischen Notwendigkeiten und – immer wieder diese überschreitenden – notationstechnischen Möglichkeiten (z.B. Einführung immer kürzerer Notenwerte) auf den Plan, das die Musikgeschichte zumindest bis ins 15. Jh. nachhaltig prägt. Mit der weltlichen Musik zumindest bis 1300 hat dies allerdings kaum noch zu tun. Sie verharrt, was das Schriftbild der aufgezeichneten Melodien anlangt, auf einem Stand, den die geistliche Musik bereits im 11. Jh. erreicht hatte. Die frühesten Notate zur deutschen Lyrik (in den Carmina Burana) operieren noch mit adiastematischen Neumenzeichen, der Großteil der Notate steht in Quadratnotation oder Hufnagelschrift (eine im 14./15. Jh. besonders im deutschsprachigen Raum verbreitete Variante der Quadratnotation, bei der aufgrund der Federhaltung Rhomben anstelle von Quadraten verwendet werden, z.T. auf fünf statt vier Notenlinien). Dazu kommt, daß die Überlieferung der weltlichen Musik im Vergleich zu den zu Tausenden überlieferten geistlichen Melodien meist relativ spär-

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Musik

lich ist. Gut dokumentiert ist nur der Bereich der Trouvères mit ca. 2000 Melodien. Von den Troubadours sind hingegen keine 300 Melodien erhalten, bei der deutschen Lyrik ist selbst die quantifizierende Einschätzung der Überlieferungslage ein Problem: Anders als im romanischen Bereich überliefern keine großen Lyrikhandschriften Melodien; Ausnahme ist nur die Jenaer Handschrift, die vielleicht bedeutendste Sammlung mittelhochdeutscher Spruchdichtung aus dem frühen 14. Jahrhundert, die zu den Spruchtönen auch die Melodien überliefert (f Spruchdichtung, Kap. 6.8). Abgesehen davon ist Musik entweder verstreut, in kleinen (Werk-)Hss. (z.B. Neidhart, Frauenlob) oder Fragmenten (ab dem 14. Jh.), dann aber häufig auch nur mit zweifelhaften Zuschreibungen („Walthers Goldener Ton“ und dergl.) erhalten. Je nach Optimismus kann man vielleicht von 150 bis 200 Melodien für die deutsche Lyrik vor 1300 ausgehen, wobei der Minnesang vor Neidhart kaum vertreten ist. Der zeitliche Abstand zwischen (vermeintlicher) Entstehung und Überlieferung ist relativ groß – die Melodieaufzeichnungen stammen fast zur Gänze aus dem Spätmittelalter, die früher gerne getroffene Unterscheidung zwischen ‚authentischer‘ und später Melodieüberlieferung treibt Grenzmarken ins Bodenlose. Das ‚Palästinalied‘ nimmt sich vor diesem Hintergrund aus wie ein Glücksfall – und das ist der eine Grund, weshalb ich es als ‚Leitmotiv‘ dieses Artikels heranziehen werde. Es ist die einzige relativ früh – im Münsterschen Fragment Z (Staatsarchiv Münster, Ms. VII 15) des frühen 14. Jh. – und vollständig überlieferte Melodie Walthers von der Vogelweide und eine der wenigen erhaltenen Melodien zum Minnesang vor Neidhart überhaupt. Die Aufzeichnung steht in Hufnagelschrift, unterlegt ist der Text der ersten Strophe. In meiner Transkription (Abb. 1) habe ich alle Zeichen der Handschrift – wie es heute üblich ist – neutral als Notenpunkte wiedergegeben, die Zeilenumbrüche orientieren sich am Reimschema der Strophe. (Auf Detailprobleme der Transkription kann ich hier nicht eingehen, vgl. zum ‚Palästinalied‘ Brunner/Müller/Spechtler 1977, S. 81*.) Doch auch dieser vermeintliche Glücksfall vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß die Fragen, die sich aus ihm ergeben, zahlreicher sind als die Antworten, die die Aufzeichnung gibt. Das erste Problem ist eines, das sich gewissermaßen ex negativo stellt: Es betrifft die Spärlichkeit der Überlieferung, die das ‚Palästinalied‘ erst zu dem Sonderfall macht, der es ist. Über die Gründe läßt sich nur spekulieren: Es mag sein, daß das Notieren von Melodien ein technisches Hindernis bedeutete, das viele Schreiber nicht bewältigen konnten, daß es also einfach an der Expertise gebrach. Mag sein, daß – analog zur Frühzeit des

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Abb. 1: Palästinalied

Gregorianischen Chorals – die Notwendigkeit einer Aufzeichnung nicht bestand, weil die Melodien ohnehin bekannt waren. Es kann auch sein, daß das Mißverhältnis zwischen Text- und Melodieüberlieferung ein Indiz dafür ist, daß doch den Texten eine größere Bedeutung zukam als der Musik – zumindest zur Zeit der Sekundärrezeption durch die Sammelbestrebungen vor allem des 14. Jh. All das ist schwer einzuschätzen, der Befund bleibt erratisch. Konkreter sind die Fragen, die von den überlieferten Melodien selbst aufgeworfen werden: Wieso geben die Notate nur die Tonhöhenverläufe (im schlimmsten Fall – bei Neumen – nicht einmal diese exakt) an und verzichten auf weitere Informationen zum zeitlichen Verlauf und zur Begleitung? Auch diese Defizienz der Überlieferung kann mangelnder Schreibbzw. Notationskompetenz geschuldet sein – was wiederum eine Ungleichzeitigkeit zu den viel potenteren Notationssystemen der geistlichen Musik des 14. und 15. Jh. darstellte. Und wiederum wäre es genausogut denkbar, daß man diese Informationen, die uns heute unabdingbar scheinen, nicht

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Musik

benötigte – sei es, weil man sie für irrelevant hielt, sei es, weil sie selbstverständlich waren; Reflexionen dieses Problems in der zeitgenössischen Musiktheorie sind rar. Anders aber als die schmale Überlieferung ist dies nun eine Defizienz, die sich auch en détail diskutieren läßt: Wie steht es um Rhythmik und Begleitung? Rhythmus Wie singt man eine Melodie, deren Rhythmus nicht überliefert ist? Das war das dringlichste Interesse der musikwissenschaftlichen Arbeiten zur weltlichen Musik des Mittelalters im frühen und mittleren 20. Jh. Schließlich ging es darum, die Melodien idealiter wieder zum Erklingen zu bringen. Der Optimismus war dabei recht groß und die Konstruktionen bzw. Rückprojektionen z.T. abenteuerlich, so daß die meisten dieser Theorien heute nur noch „historische Bedeutung“ (Tervooren 2001, S. 101) haben: Hugo Riemann wollte in der mittelalterlichen Musik bereits die Viertaktperiode der Wiener Klassik erkennen, während von germanistischer Seite eher eine rigide angewandte Textmetrik als Grundlegung einer musikalischen Rhythmisierung versucht wurde (Paul Runge, Friedrich Saran). Andere, wie etwa Raphael Molitor (der erste Herausgeber der Melodie des ‚Palästinaliedes‘), betonten wiederum die Nähe der weltlichen Melodien zur Gregorianik und plädierten – den damaligen Vorstellungen vom Vortrag der liturgischen Gesänge entsprechend – für eine feierlich-gemessene Vortragsweise (‚oratorische Theorie‘). Karriere machte aber ein anderes Prinzip: der Versuch, die Ungleichzeitigkeit von weltlicher und geistlicher Notationssphäre einzuschleifen und die einstimmigen Notate der weltlichen Melodien nach Prinzipien zu rhythmisieren, die in der lateinischen Mehrstimmigkeit des 12. und 13. Jh. entwickelt worden waren. Bisweilen (und immer wieder) hat man das versucht, indem man die Prinzipien der ab dem mittleren 13. Jh. sich ausdifferenzierenden (Schwarzen) Mensuralnotation der Ars antiqua auf weltliche Melodieüberlieferung anwandte – und mußte dabei (mit wenigen Ausnahmen) kläglich scheitern, da sich der Großteil der Überlieferung massiv gegen die Applikation dieses (auch im Vergleich zur heute üblichen Notation) hochkomplexen und fehlersensiblen Regelwerks sträubte: Aus Sicht der Mensuralnotation ist die weltliche Überlieferung dermaßen von Errata durchwachsen, daß keine Zeitstrukturen mehr erkennbar sind. Man mußte einen Schritt in der Notationsgeschichte zurückgehen, um bessere Ergebnisse zu erzielen: Zwischen Neumen bzw. rhythmusunspe-

Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters

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zifischer Quadratnotation und Mensuralnotation steht eine relativ kurze Phase (um 1200), in der man versuchte, den Zusammenklang verschiedener Stimmen durch an der antiken Metrik geschulte, modale Prinzipien zu regulieren. Es sind vor allem die Organa der so genannten Notre-DameSchule, die in dieser Notationsform erhalten sind. Das Prinzip der rhythmischen bzw. metrischen Notierung beruht auf sechs verschiedenen Modi, die jeweils durch eine bestimmte Abfolge von langen und kurzen Notenwerten bestimmt sind und je nach Ligaturenfolge aus dem Schriftbild abgeleitet werden können. Friedrich Ludwig war der erste, der diese Modaltheorie konsequent auch auf weltliche Melodien anwandte. Später war es vor allem Friedrich Gennrich, der in zahlreichen Arbeiten und Ausgaben der mittelalterlichen Musik den modalen Stempel aufprägte. Allerdings stellten sich auch in diesem Bereich bald Probleme ein. Die wesentlich simplere Theorie der Modalnotation war zwar ‚dehnbarer‘ als die strikten Regeln der Mensuralnotation, und so waren die Notate aus modaler Sicht immerhin nicht gänzlich sinnfremd. Wie aber die korrekte Übertragung einer konkreten Melodie auszusehen habe, ist dann aber doch im einzelnen schwierig zu sagen und letztlich abhängig von Prämissen, die sich die Bearbeiter zusätzlich zur Modaltheorie gesetzt haben: Während die Modalnotationen der Notre-Dame-Schule Halteton-Passagen beschreiben und damit die Ligaturenfolge als Indikator für Zeitrelationen einsetzbar wird, sind weltliche Melodien in der Regel dicht textiert, so daß die Unterscheidung zwischen Einzelnote und Ligatur primär vom Text-Musik-Verhältnis bestimmt ist. Entsprechend vielfältig waren die Ergebnisse der Forschung, die außer einer konsequenten Dreizeitigkeit (die im 12. und 13. Jh. in der geistlichen Mehrstimmigkeit Usus ist) oft kaum etwas gemein haben. Am deutlichsten zeigt das die Übersicht zu verschiedenen Transkriptionsversuchen des ‚Palästinaliedes‘, die Burkhard Kippenberg (1971, S. 82) zusammengestellt hat (siehe die erste Melodiehälfte in Abb. 2 – der unterlegte Text stammt nicht aus der Handschrift, sondern aus Maurers Walther-Ausgabe; für die Auflösung der bibliographischen Hinweise siehe ebd., S. 80f.). Die Schwierigkeit liegt offensichtlich schon in der Identifikation der verwendeten Schriftzeichen: kaudiert (Longa) oder nicht (Brevis), ohne oder mit ‚Häkchen‘ (Plica) – von deren metrisch-rhythmischer Interpretation gar nicht zu reden. In Kippenbergs Übersicht – die übrigens nur eine Auswahl darstellt! – dominiert klar die modale Rhythmisierung (B, E, G, H, I, K), daneben wirkt in einigen Versuchen wohl Riemanns Vorschlag nach (C, D, F, L).

356

Musik

Abb. 2: Rhythmisierungsversuche des ‚Palästinaliedes‘

Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters

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Auf einige forschungsgeschichtliche Fehden zwischen Vertretern der Modaltheorie mußte notwendig Ernüchterung folgen. In den 1960er Jahren verlor man zusehends das Vertrauen in die Möglichkeit einer streng modalen Rhythmisierung der weltlichen Melodien. Damit einher geht auch ein Nachlassen der Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der weltlichen Musik des Mittelalters (vgl. Lug 1993). Allerdings hat man, was die Rhythmisierung angeht, aus der Not eine Tugend gemacht – nach einem Modell, wie es Ewald Jammers bereits im frühen 20. Jh. in Untersuchungen zur Jenaer Handschrift (Jammers 1924/25) vorgeschlagen hatte: Rhythmisiert werden die Melodien nun in einem komplexen semiologischen Prozeß, der textmetrische Phänomene ebenso zu berücksichtigen versucht wie melodische Verläufe (z.B. Melodiehöhepunkte, Schlußbildung etc.). Eine Parallele hat dieser Paradigmenwechsel in der gregorianischen Semiologie, die nach einem langjährigen Streit zwischen Äqualisten (alle Töne mit gleicher Dauer) und Mensuralisten (modalrhythmische Deutung der Gesänge) versucht, im kritischen Vergleich von neumierten Aufzeichnungen und Aufzeichnungen in Quadratnotation Aufschlüsse über den Vortragsstil des Gregorianischen Gesanges zu gewinnen. Daß dabei die Individualität des Interpreten besonders stark in die rhythmische Deutung eingebracht wird, liegt auf der Hand, und zwar um so mehr dann, wenn Neumennotate fehlen. Ihren Ort haben diese ‚rhapsodischen‘ bzw. ‚frei-deklamatorischen‘ Deutungen weltlicher Melodien daher auch vor allem in der Aufführung, zumal es mit Hilfe des modernen Notensystems auch kaum möglich ist, ungefähre, nicht meßbare Dauern abzubilden. In den Melodieausgaben hat sich die neutrale Transkription (wie in Abb. 1), z.T. unter Angabe auffälliger Notenzeichen der Quelle als Sub- oder Superskripte, durchgesetzt. Im Prinzip ist man damit wieder in der Nähe der Erstausgabe der ‚Palästinalied‘-Melodie durch Molitor (Abb. 2, A) – der freilich mit der Uniformität der Zeitwerte nicht rhythmische Freiheit, sondern eine ‚schwebende‘ Vortragsweise angezeigt haben wollte. Dieser Befund zur zeitlichen Gestalt der Melodien, genauer: zu ihrer Erforschung, demonstriert auch und vor allem, welche engen Grenzen der musikalischen Analyse gesteckt sind: Im besten Fall läßt sich der Überlieferung eine Rhythmisierungsmöglichkeit abtrotzen – weiterführende Analysen dieser erschlossenen rhythmischen Konfigurationen wären aber nichts weiter als die Iteration der eigenen Vorannahmen. Die Rhythmisierungsmodelle haben – genau wie die einleitend gestellte Frage, auf die sie antworten – in erster Linie praktische Bedeutung, taugen nicht für aufbauende Studien. Allerdings kann die Unsicherheit, die den Melodien durch

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Musik

das Fehlen eines zeitsensiblen Notats attachiert ist, bei anderen analytischen Zugriffen virulent werden – doch davon später. Begleitung und Kontext: Mehrstimmigkeit, Instrumente, Aufführungsszenarien Anders liegen die Dinge beim zweiten großen Fragezeichen der mittelalterlichen Melodieüberlieferung: der Begleitung. An die Stelle des Wie – denn irgendeine Zeitgestalt mußten die Melodien gehabt haben – tritt jene des Ob. Mehrstimmigkeit im Sinne einer auskomponierten, artifiziellen Kunstübung ist im deutschen Raum erst beim Mönch von Salzburg und dann bei Oswald von Wolkenstein üblich. Und wieder ist es – wie im Falle der Notationsgeschichte – bezeichnend, daß das deutsche Lied seiner Zeit hinterherläuft: Der Mönch und Oswald bedienen sich einer Kompositionstechnik, die in Nordfrankreich (mit Zentrum Paris) schon Jahrzehnte zuvor von Guillaume de Machaut und anderen gepflegt worden war (Ars nova). Kaum ein anderer Bereich bildet ein derart starres Zentrum-Peripherie-System aus wie die mittelalterliche Musikgeschichte, und fast immer liegt der deutschsprachige Bereich – davon zeugt schließlich, im Literarischen, auch die Anlage dieses Handbuches – an der Peripherie. Bedeutet dies, daß für die deutschen weltlichen Melodien des 12. und 13. Jh. Mehrstimmigkeit ausgeschlossen ist? Die Schriftform scheint dies durch die Nähe zum Gregorianischen Choral anzudeuten, der einstimmig (solo oder im Chor) gesungen wurde. Ein anderes Bild zeichnen jedoch außermusikalische Quellen. Zum einen sind dies ikonographische Zeugnisse, etwa die Miniaturen des Codex Manesse, die einige Minnesänger mit Instrumenten darstellen. Am bekanntesten ist zweifellos die Miniatur zu Frauenlob: Ein Mann (Frauenlob?) sitzt erhöht über einer kleinen Gruppe von Figuren, von denen einige Instrumente halten bzw. spielen; er selbst hält einen Stab oder Stock in der Hand, so daß man geneigt ist, an eine Dirigierszene zu denken. Die Suggestionskraft solcher Bilder ist hoch – die Gefahr, allegorische Bildprogramme (etwa im Hinblick auf allegorische Konnotate einzelner Instrumente oder der Musik überhaupt) zu verkennen und die Zeugnisse dadurch in eine ihnen fremde Vorstellungswelt des 19. und 20. Jh. zu überführen, ebenso. Überschaubarer wirken – zum anderen – auf den ersten Blick Textpassagen aus höfischer Literatur: Kaum ein höfischer Roman des 12. und 13. Jahrhunderts, der etwas auf sich hält, kommt ohne Musikszene aus. Ih-

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ren Ort haben diese Szenen fast immer im Rahmen höfischer Feste, entworfen werden sie zumeist stichwortartig in Aufzählungen diverser höfischer Vergnügungen (Jagd, Turnier, Falknerei etc.). Eine der längsten davon findet sich in der ‚Krone‘ Heinrichs von dem Türlin. Der Artushof hat soeben erfahren, daß Gawein noch am Leben ist, alles Leid ist in Freude verkehrt – der Hof ist bereit für die Handschuhprobe. Doch zuvor wird gefeiert – und musiziert (V. 22084–22110): Was vor sweig, das erhuob sich nuo. Die videler, die richten zuo Zuo iren vil süszen leichen Vnd begunden aber weichen Zuo freuden vil manigen mut. Manige suesze note vnd guot Von der harpfen zuo hant erklang. Auch erhub sich schon ir gesang Die rotte mit rijlichem tone. Das galt ir vil schone Die süsze symphonie. Die fleute vnd die clye, Die lüre vnd die püsin, Die enwolten da nit sin Vnder den andern verholn; Man moht sie vil gern doln, Wann sie frölichen hullen. Darzu noch freuden schullen Mit den andern an dem drum Manochorde vnd psalterium, Der holer mit der gygen. Es enwolte auch nit swijgen Organisten vnd tambure. Ein selig nachgebaure Was frauw Musica Mit allem irem gesinde da, Die vorhin was anderswa.

Das ist beinahe ein Overall-System: Fiedel, Harfe, Rotte (Harfenzither), Drehleier (symphonie), Flöte, clîe(?), Leier, Posaune, Trommel(?), Monochord, Psalterium, Holunderholzflöte, Geige, Drehleier (organistôn) und Tambur (Trommel). Die doppelte Nennung der Drehleier signalisiert bereits den enzyklopädischen Charakter dieser Liste, und auch das Monochord weist eher in den Bereich der Musiktheorie, wo es einen hohen Stellenwert für die Demonstration der pythagoräischen Verhältnislehre hatte – wenn nicht doch das Trumscheit gemeint ist, das man im Mittelalter der Spielmannssphäre zuordnete.

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Musik

Bemerkenswert ist aber, daß gerade bei einer so umfassenden Liste Gesang weitgehend außen vor bleibt. Zwar kümmern sich die Fiedler um Leichs – doch weiß man nicht, ob sie diese bloß spielen oder auch singen. Und der Gesang der Rotte ist wohl ein metaphorischer. Das mag seinen Grund darin haben, daß Gesang – im Gegensatz zu Instrumenten – keine materielle Präsenz hat und sich dadurch schlecht eignet zur Schilderung eines repräsentativen Festes. Marginalisiert wird er dadurch aber allemal, und es fällt schwer, diese Schilderungen höfischer Romanliteratur mit möglichen Aufführungsszenarien höfischer Lyrik zusammenzudenken, der man gemeinhin eine größere Bedeutung beimißt, als ihr die Romanliteratur zugestehen möchte. Das gilt auch für Passagen, die Gesang wenigstens erwähnen, z.B. im ‚Alexander‘ Ulrichs von Etzenbach, als man Alexanders Geburt feiert (V. 1225–1230): dâ was süeßes dônes vil von manger hande seitenspil. dise videlten, jene rotten, dise mit zühten spotten, jene tanzten, dise sungen, jene lîrten, dise sprungen, …

mit zühten spotten und singen, vielleicht auch tanzen könnten auf verschiedene Formen höfischen Gesangs hindeuten, vielleicht auf Spruchdichtung, Minnesang und Tanzlieder, vielleicht aber auch auf geteiltez spil, Leichs und doch Tanzmusik usw. usf. – entscheiden läßt sich das freilich nicht. Die Topik und Enzyklopädik dieser Aufzählungen, verbunden mit der Unspezifik der verwendeten Begriffe und dem funktionalen Charakter als obligate Ingredienz eines höfischen Festes, läßt grundsätzlich am Realitätsgehalt dieser Szenen zweifeln. Daß ein solcher bis zu einem gewissen Grad gegeben ist, liegt zwar auf der Hand, da es sich schließlich um reale Instrumente handelt und Musik bei Festen schließlich nichts Außergewöhnliches ist. Im Detail wird die Analyse aber schwierig. Insbesondere die innermusikalische Frage, ob hier Gesangsdarbietungen neben, zu oder gegen Instrumentalmusik gestellt werden, wird vom reihenden Gestus der Passagen völlig ausgeblendet. Doch auch die Kombination solcher Passagen mit tatsächlich erhaltener Lyrik fällt, wie angedeutet, schwer. Auf die Spitze getrieben wird dieses literarische Spiel mit Musikszenen im ‚Tristan‘. Musiziert wird dort allenthalben – Tristan lernt an Markes Hof das Harfespiel, Tantris als Musiklehrer, die Gandin-Episode, Liebeslieder in der Minnegrotte –, ohne daß auch nur für einzelne Stellen Eindeutigkeit in der Interpretation zu gewinnen wäre. Das Musizieren oszilliert zwischen Spiel und Gesang (bei ‚Leichs‘), unklar ist das Verhältnis von

Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters

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Minneliedern(?) zu ‚Leichs‘, schwer zu bestimmen die Funktionalität der Musikszenen im literarischen Kontext (zu all dem detailliert Van Schaik 1996). Aus diesen Szenen auf das mittelalterliche Musikleben zu schließen, wäre fast so, als würde man das Musikleben des 20. Jahrhunderts aus ‚Les parapluies de Cherbourg‘ (1964), ‚Sound of Music‘ (1965), ‚Cabaret‘ (1972), ‚Grease‘ (1978), ‚Chicago‘ (2002) oder ‚Sweeney Todd‘ (2007) rekonstruieren. Hier wird das dichte Ineinander von realer Musikszenerie, diffuser Beschreibung und literarischer Funktionalisierung besonders evident. Und so gilt hier ähnliches wie bei der Rhythmisierung der Melodien: Der musikhistorische Befund ist – bei Text- und Bildzeugnissen – enttäuschend unsicher: kaum Verbindliches zu Aufführungssituation, Begleitung, Mehrstimmigkeit. Es bleibt bei Gemeinplätzen: Höchstwahrscheinlich waren Minnesang und Spruchdichtung Teil höfischer Vergnügungen, wahrscheinlich gab es instrumentale Begleitung, vermutlich war die Mehrstimmigkeit keine elaborierte, sondern eine improvisierte (Bordun, Quart-, Quint- oder Oktavparallelen und Variantenheterophonie – also parallele Stimmführung mit punktuellen Abweichungen). Die Interpretation ikonographischer oder literarischer Quellen über musikalische Szenen hingegen kann aufregend kompliziert sein. Doch das ist eine andere Geschichte. Melodik Bleibt als Basis musikhistorischer Analysen das, was einigermaßen gesichert überliefert ist: der Tonhöhenverlauf. Das ist auch jene Größe, die von der zeitgenössischen Theorie für den einstimmigen Gregorianischen Choral behandelt wird. Schon früh wird versucht, das Melodiekorpus in verschiedene Skalenschemata einzuordnen. Es entsteht das System der Kirchentöne oder Modi, zuerst mit den Modi auf d, e, f, g, die später (in der Theorie erst im 16. Jh.) um die Skalen auf a und c (im Tonmaterial den heutigen Moll- und Durtonleitern entsprechend) ergänzt werden. Allerdings implizieren diese Skalen anders als heutige Tonarten keine harmonischen Verlaufsmodelle (Tonika, Subdominante, Dominante etc.), sondern regeln vielmehr den melodischen Verlauf: Entscheidend für die Klassifizierung sind Schlußfindung bzw. Schlußton (Finalis) und Halteton (Repercussa), von denen aus die Skala einer Melodie (hinsichtlich der Lage der Halbtonschritte) betrachtet wird. (Die tatsächliche Lage im Tonraum ist gleichgültig, zumal es keine temperierte Stimmung gibt.) Bei authentischen Modi liegt die Finalis am unteren Ende des Ambitus (meist eine Oktave plus ein

362

Musik

oder zwei weitere Töne nach unten und oben), bei plagalen Modi liegt sie in der Mitte. Die Repercussa ist in der Regel die Oberquinte zur Finalis bei authentischen Modi, die Repercussa in plagalen Modi liegt eine Terz unter der Repercussa des entsprechenden authentischen Modus. (Kommt die Repercussa auf dem problematischen Ton h/b zu liegen, wird sie einen Ton höher auf c gelegt, um die Tritonusgefahr zu mindern.) Der erste Ton (Initium) ist in der Regel mit Finalis (oder Repercussa) identisch. Die acht ‚alten‘ Skalen sind in folgender Tabelle schematisch dargestellt (F = Finalis, A = Ambitus, R = Repercussa, H = Halbtonschritte; Ambitus ohne Lizenzen [erlaubte Über- oder Unterschreitung des Ambitus], Halbtonschritte von Finalis aus gezählt). Modus

Ältere Bezeichnung

F

A

R

H

Dorisch

Protus authentus

d

d–d

a

2/3, 6/7

Hypodorisch

Protus plagalis

d

a–a

f

Phrygisch

Deuterus authentus

e

e–e

c

Hypophrygisch

Deuterus plagalis

e

c–c

a

Lydisch

Tritus authentus

f

f–f

c

Hypolydisch

Tritus plagalis

f

c–c

a

Mixolydisch

Tetrardus authentus

g

g–g

d

Hypomixolydisch

Tetrardus plagalis

g

d–d

c

1/2, 5/6

4/5, 7/8

3/4, 6/7

Ein idealtypischer Melodieverlauf beginnt auf der Finalis, nähert sich der Repercussa und hält bzw. umspielt diese, um schließlich wieder zur Finalis zurückzukehren. (Man kennt solche sehr schematischen Verläufe noch heute aus den Rezitationsgesängen der katholischen Messe.) In der mittelalterlichen Praxis ist das freilich, speziell bei längeren Stücken (Sequenzen, Leichs), wesentlich komplexer. Frauenlobs ‚Marienleich‘ etwa vollführt, wie Christoph März (1987) gezeigt hat, einen doppelten Kursus durch alle acht Kirchentöne. Zumindest Abschnittsweise gelingt es aber – im geistlichen Bereich – meist recht gut, eine Melodie einer bestimmten Skala zuzuordnen. Das gilt auch für das ‚Palästinalied‘ (Abb. 1): Z. 1 beginnt damit, die Finalis zu umspielen, der erste Modus wird fixiert. Dann (Z. 2) wird ein Bogen von Finalis zu Repercussa und wieder zurück gespannt, wieder wird das Dorische mit kleinräumigen Bewegungen gefestigt. Nach dessen Wiederholung (Z. 3f.) verlagert sich das Gewicht auf die Repercussa, die zunächst mit einer Quinte aufwärts angesprungen und dann – ähnlich wie

Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters

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in Zeile 1 die Finalis – umspielt wird, wobei der Ambitus das erste Mal seinen höchsten Ton c (und den gleich dreimal) erreicht (Z. 5). Z. 6 streift, wieder von der Repercussa ausgehend, noch einmal kurz das c, um von dort aus den gesamten – mit einer Oktave vergleichsweise engen – Ambitus der Melodie abwärts zu durchmessen, das tonale Zentrum verlagert sich wieder zur Finalis. Der Zeilenambitus ist der größte des Liedes. Z. 7 bringt, ähnlich wie Z. 2/4, nochmals eine Schweifbewegung von Finalis zu Repercussa zu Finalis. Die Grundbewegung Finalis – Repercussa – Finalis wird im ‚Palästinalied‘ also – und das ist auch im Gregorianischen Choral der Normalfall – sowohl innerhalb der modusdefinierenden Zeilen als auch durch die sukzessive Verlagerung der tonalen Zentren ausgeführt. Das muß nicht immer in dieser Schematik vollzogen werden. Es mag eine Rolle spielen, daß das ‚Palästinalied‘ schon im Text der liturgischen Sphäre nahesteht, oder auch, daß das ‚Palästinalied‘ im ersten Modus steht, da in der mittelalterlichen Theorie mit den Kirchentönen auch semantische Konnotate und – ganz praktisch – bestimmte Melodiefloskeln verbunden wurden. (Ähnlichkeiten, die wir heute zwischen Melodien zu sehen meinen, können dann immer auch dieser modalen Qualität geschuldet sein!) Betrachtet man andere weltliche Melodien, wird es mitunter schon schwierig, sie überhaupt in das System der Kirchentöne einzupassen, etwa wenn Repercussa und Finalis nicht zueinander stimmen. Besonders kraß ist das bei den Melodien Neidharts, denen man nicht zuletzt aus diesem Grund eine Tendenz zur Tanzmelodik attestiert hat (dazu grundlegend Schmieder 1930a). Ähnliches gilt für die Mikrostruktur des melodischen Verlaufs. Auch hier ist das ‚Palästinalied‘ mit seiner ruhigen Bewegung in meist kleinen Intervallen recht konventionell gebaut. Und auch hier heben sich speziell die Melodien Neidharts mit ihrer ungleich sprunghafteren Melodik deutlich von der kirchlichen Tradition ab. Blickt man auf den makrostrukturellen Verlauf, lassen sich im ‚Palästinalied‘ aufgrund der ruhigen Auf- und Abbewegung kaum Motivresponsionen oder Ähnliches festmachen. Lediglich die Ähnlichkeit von Z. 2/4 und 7 springt ins Auge. Das gewinnt aber erst vor dem Hintergrund des unterlegten Textes Bedeutung. Text und Melodie / wort und wîse Das Zusammenspiel von Text und Musik (wort und wîse) ist zunächst aber keines der abstrahierenden Analyse, sondern – abermals – der Transkription: Zwar sind den Melodieaufzeichnungen meist Texte unterlegt, doch

364

Musik

mit den normalisierten Texten der Ausgaben hat dies oft herzlich wenig zu tun. Doch nicht nur das macht es schwierig, Text und Musik in Einklang zu bringen: Von Strophe zu Strophe stellt sich im Deutschen das Problem neu, da Melodien prinzipiell silben-, die deutsche Metrik hingegen akzentzählend operiert. Es bleibt nicht aus, nach Bedarf Töne zu ergänzen oder zu tilgen bzw. Melismen zu teilen. Abgesehen von dieser doch letztlich eher marginalen Variabilität der melodischen oder textlichen Form (schließlich ist es ja auch denkbar, daß zwei Textsilben verschliffen werden etc.), bietet die Analyse des makrostrukturellen Verlaufs von Melodie und Text aber einen überraschend festen Anhaltspunkt für die Klassifizierung der Lieder nach Großformen. Das elaborierteste, graphische Analysemodell stammt aus Friedrich Gennrichs epochemachendem „Grundriß einer Formenlehre des mittelalterlichen Liedes“ (1932). In leicht modifizierter Form ergäbe das für das ‚Palästinalied‘: 

1



1





2

5ka8

4mb7

5ka9

4mb7

4mc8

4mc7

4mc6

13

14

13

14

10

14

14

Ohne ins Detail zu gehen: Die erste Zeile (griechische Buchstaben) gibt die Melodieteile an, die zweite den metrischen Verlauf (Hebungszahl + Kadenzbildung + Reimstruktur + Silbenzahl), die dritte die Notenanzahl. Das ‚Palästinalied‘ ist, so besehen, ein sehr klar strukturiertes Gebilde, sowohl Text als auch Musik bilden eine Kanzonenform aus, die in der Musik dadurch verfeinert wird, daß die letzte Melodiezeile nochmals den Schluß des Aufgesangs aufgreift und dadurch eine Art Da-Capo-Form entsteht. Gennrich hat das „Rundkanzone“ genannt. Die Wiederholungsfrequenz ist relativ hoch und liegt beinahe bei 50 Prozent. Komplizierter verhält es sich mit Analysen des wort-wîse-Zusammenspiels im mikrostrukturellen Bereich: Hier bleibt letztlich nicht mehr, als den melodischen Verlauf ‚nachzuerzählen‘, Hintergrundfolie kann kaum anderes als das System der Kirchentöne sein. Man könnte für das ‚Palästinalied‘ von einer im Aufgesang sich stetig steigernden Melodik sprechen, die dann mit dem dreifachen c in Z. 5 ihren Höhepunkt findet. Nach einem kurzen erneuten Aufbegehren am Anfang von Z. 6 klingt der melodische Verlauf langsam wieder aus. Freilich ist das nicht mehr als eine etwas blumige Beschreibung dessen, was ohnehin evident ist. Die spannende Frage ist vielmehr, wie sehr dadurch auch bestimmte Textteile melodisch hervorgehoben werden – wozu natürlich auch Melismen oder me-

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lodische Ruhepunkte dienen können (so daß schließlich fast jeder Melodieteil exorbitant sein kann). Doch alleine die Mehrstrophigkeit der weltlichen Lieder macht solche Deutungsversuche beinahe unmöglich, weil die Textstrophen kaum je einmal die Konsequenz, die ihrem semantischen Bau so abverlangt würde, einlösen. Wenn, dann ist dieses auf Sukzession abhebende Analyseverfahren bei Durchkomposition anwendbar, also bei Leichs, und selbst dort nur dann, wenn man bereit ist, mit einer relativ hohen Konstanz der melodischen Hörgewohnheiten vom 12./13. Jh. bis heute zu kalkulieren. Die Schwierigkeit besteht also weniger darin, einen Zusammenhang zwischen Text und Musik auszumachen – der scheint mir, auch wenn man lange daran zweifeln wollte, in jedem Fall gegeben –, und mehr darin, diesen tatsächlich semantisch festmachen oder überhaupt beschreiben zu können. Das Thema Text und Musik hat aber noch einen anderen, viel grundlegenderen Aspekt: Text versus Musik. Daß wir etwas Defizitäres lesen, wenn wir eine Ausgabe der Texte Walthers von der Vogelweide zur Hand nehmen, ist etwas, an das nicht gerne gedacht wird. Und man hat immer wieder versucht, dieses Problem außen vor zu halten – in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten etwa Günther Schweikle mit seiner Theorie von frühen Aufzeichnungen nur oder vor allem der Texte, wodurch die Musik (auch wenn das selten expressis verbis formuliert wurde) zu einem Akzidens des kunstvollen Gedichts wurde. Dagegen stehen Aussagen der Texte über Musik, auch in Minnesang und Spruchdichtung, die der Musik durchaus eine wichtige Rolle zuerkennen, von Sängern als Musikern sprechen und überhaupt selten nur den Text, viel häufiger aber die Gesamtheit der Text-Melodie-Einheiten (als dôn) referenzieren. Bloß subsidiär war Musik also wohl kaum, und es mag sein, daß hier auch von Gattung zu Gattung zu differenzieren wäre. Denkt man das weiter, ergibt sich ein enormer Reizüberschuß wenigstens bei der Primärrezeption mittelalterlicher Lyrik, der sich zwar im einzelnen (man denke an das Problem der Begleitung) nicht bestimmen läßt; an der apodiktischen Verbindlichkeit rein textzentrierter Interpretationen zweifeln läßt er aber allemal.

366

Musik

8.3 Musikkontakte zwischen lateinischem, romanischem und deutschem Bereich am Beispiel des ‚Palästinaliedes‘ und verwandter Melodien Schon dieser kursorische Überblick sollte gezeigt haben, wie prekär der Umgang mit weltlicher mittelalterlicher Musik ist. Das Feld wird von offenen Fragen dominiert: angefangen bei der schlechten Überlieferung, Problemen der Transkription, über nicht vorhandene Informationen zu Rhythmus, Begleitung und Kontext bis hin zur schwierigen Deutung der melodischen Verläufe und der Text-Melodie-Beziehungen. Fragen nach der historischen Entwicklung, wie man sie für andere Bereiche der mittelalterlichen Lyrik gestellt hat (Altes und Neues bzw. Großes und Kleines Lied), sind für den Bereich speziell der deutschen Lyrik oft schon in der Formulierung schwierig. Allerdings zeichnet sich in einigen Aspekten eine Nähe der weltlichen Melodien zur lateinischen Einstimmigkeit ab (Notenschrift, Tonsysteme), wenn auch lange nicht von einer Deckungsgleichheit der Phänomene ausgegangen werden kann. Ein solches Naheverhältnis könnte, vielleicht in noch größerem Ausmaß, zwischen romanischen und deutschen Melodien bestanden haben. Das war, forschungsgeschichtlich, zunächst in Analogie zu anderen Textformen und Ideologemen, von denen dieses Handbuch handelt, gedacht. Und schließlich hatte man damit auch die Lizenz erworben, melodielos überlieferten deutschen Texten die Melodien ähnlich gebauter aprovenzalischer oder afranzösischer Texte zu unterlegen und mit solchen Kontrafakta den Melodievorrat der deutschen Überlieferung aufzufetten. Die vielbenützte Melodieausgabe von Ewald Jammers (1963) ist voll von solchen Vorschlägen – nicht anders als Einspielungen mittelalterlicher Musik auf Schallplatte und CD. Musikhistorisch sind derartige Kontrafakturen freilich vergleichsweise uninteressant, weil gerade das Spannende – die Variation bei der Übertragung – nicht zugänglich ist; sofern man dieser Art der Melodiefindung überhaupt historische Relevanz zugestehen möchte. Ich will mich daher im Folgenden auf einen Sonderfall, wieder einen Glücksfall, der Überlieferung konzentrieren – und das ist nun der andere Grund, weshalb das ‚Palästinalied‘ im Zentrum meines Artikels steht. Es mag an seiner intensiven Erforschung liegen – auf jeden Fall aber ist, wie es scheint, kaum eine andere (erhaltene) weltliche Melodie der deutschen Lyrik bis 1300 in ein so engmaschiges musikalisches Interferenznetz eingespannt (f Minnesang III, Kap. 3.3).

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Ich beginne mit einer Bestandsaufnahme. Die Melodien, die – auf ganz verschiedene Weise – mit der wîse des ‚Palästinalieds‘ zu tun haben, sind die folgenden: 1) ‚Tristor et cuncti tristantur‘ bzw. ‚Maria moder vnde maget‘ aus der niederdeutschen ‚Bordesholmer Marienklage‘, einem 1475/6 im Augustinerkloster Bordesholm (bei Kiel) aufgezeichneten geistlichen Spiel, das von Kreuzigung und Tod Christi erzählt, vor allem aus Perspektive der klagenden Maria. 2) Das berühmte Lied ‚Lanqand li jorn son lonc en mai‘ des Troubadours Jaufré Rudel (†1170), das in drei Handschriften überliefert ist. 3) Eine zweistimmige Marienantiphon ‚Ave regina coelorum‘, die reich überliefert ist, unter anderem in der Repertoire-Handschrift W1 (HerzogAugust-Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 677 Helmst. [olim Helmst. 628], wohl Ende 13. Jh.) der so genannten Notre-Dame-Schule. Sie könnte demnach in der zweistimmigen Fassung um 1200 in Paris entstanden sein. Der cantus firmus, um den es im Folgenden gehen wird, dürfte daher wohl schon im 11. oder 12. Jh. entstanden sein. (In der Notre-DameSchule hat man in der Regel bereits vorhandene, ältere cantus firmi um weitere Stimmen ergänzt.) Die im folgenden gegebenen Transkriptionen folgen den Handschriften so exakt wie möglich: Doppelnoten werden übertragen, die Plica notiere ich als Kombination aus ‚normalem‘ und kleinerem Notenkopf, der unterlegte Text folgt der verwendeten Melodiehandschrift; lediglich die Reimpunkte werden nicht übernommen. Für ‚Lanqand li jorn‘ und die Marienantiphon verwende ich jeweils die älteste Handschrift. Die gesamte (Parallel-)Überlieferung ist (in Abbildungen und Transkriptionen) zugänglich bei Brunner/Müller/Spechtler 1977. Nicht eingehen kann ich auf die nach communis opinio haltlose These Huismanns, der einen Konnex zwischen ‚Palästinalied‘ und der Hymnenmelodie ‚Te Joseph celebrent‘ sehen wollte – was nur über gravierende Emendationen des Melodieverlaufs möglich ist (vgl. Brunner/Müller/Spechtler 1977, S. 54*f.). Den klarsten Bezug zum ‚Palästinalied‘ weisen die beiden Melodien der ‚Bordesholmer Marienklage‘ auf, die neben anderem (in erster Linie lateinischen Traktaten) in UB Kiel, Cod. Bord. mscr. 53.4° aufgezeichnet ist: Die Melodien stimmen mit jener Walthers so exakt überein, daß mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen ist, daß Walthers ‚Palästinalied‘ Pate stand für diese beiden einstrophigen Gesänge des Spiels. Der Melodieverlauf von ‚Maria moder vnde maget reyne‘ (Abb. 3) stimmt bis in Details mit jenem des ‚Palästinaliedes‘ überein: Beide stehen im ersten Modus, alle Zeilenfinales entsprechen einander, die Rundkanzo-

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Abb. 3: Maria moder vnde maget reyne

nenstruktur ist identisch (die Veränderungen von Z. 2/4 sind konsequenterweise auch in Z. 7 durchgeführt), und auch die einzelnen Zeilenmelodien sind einander so ähnlich, daß man kaum von einem Zufall sprechen kann. Das soll nicht bedeuten, daß es nicht auch Unterschiede gäbe: Z. 1/3 dürfte (auch wenn die metrische Deutung unsicher ist) eher sechs als nur fünf Hebungen haben, dafür allerdings ist die Silbenzahl von 8 bzw. 9 auf 11 bzw. 10 angestiegen. Dies führt zu einer Reduktion von Melismen, die auch in den übrigen Zeilen, besonders dann im Abgesang, zu beobachten ist: Bis auf Z. 5 (11 statt 10) ist die Notenanzahl überall auf 10 oder 11 (statt 13 oder 14) reduziert. Das Lied wirkt dadurch gemessener, weniger verspielt – vor allem die Zeilenschlüsse von Z. 1/3, 2/4 und 7 sind im Melodischen wesentlich karger. Auch die Verläufe der Zeilenmelodien sind im einzelnen abweichend: So steht in Z. 1 anstelle der pendelnden Bewegung d–f–d–f–d eine auf- und absteigende Melodielinie über d–f–g–f–d. In Z. 6 und 2/4/7 hingegen wird, genau gegensätzlich, der große Melodiebogen durch die Antizipation tiefer Töne (d bzw. c) gebrochen, so daß

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Abb. 4: Tristor et cuncti tristantur

die Melodieführung abgehackter, die Zeilenschlüsse plötzlicher wirken. Streng beibehalten werden aber in allen Zeilen die charakteristischen Zeileneingänge mit d–f bzw. (gewissermaßen auf der Repercussa-Stufe) a–c oder – nach Zeilenfinalis c – die zur Repercussa führende Formel e–g–a. Das macht die Melodie trotz einer gewissen Varianz unverwechselbar. All das gilt auch für die Melodie zu ‚Tristor et cuncti tristantur‘ (Abb. 4), die genau dieselbe Art von ‚Entschlackung‘ der melismenreichen ‚Palästinalied‘-Melodie aufweist. Z. 1 ist nochmals einfacher und bildet, in melodischen Zentren gedacht, nur noch den Verlauf d–f–d aus, in Z. 2/4 und im Abgesang ist lediglich die Ton-Silben-Beziehung gegenüber ‚Ma-

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ria moder vnde maget‘ leicht verschoben, was einfach an dem geänderten Text liegt. Bemerkenswert scheint mir, daß der Bearbeiter bzw. Kontrafaktor die Rundkanzonenstruktur mit der Reimstruktur des lateinischen Textes nachgebildet hat: Statt ababccc wie bei Walter und ‚Maria moder vnde maget‘ ist die Reimfolge nun ababccb. All das sind Phänomene, die eine dichte konzeptionelle Arbeit am melodischen Material erahnen lassen. Dem entgegen steht jedoch, daß Z. 3 aus Perspektive einer klassischen Text- bzw. Melodiekritik als verderbt gelten muß. Die Melodie von Z. 1 wird nicht wiederholt, sondern durch eine ähnliche, kürzere und nochmals einfachere ersetzt, die kaum noch eine melodische Bewegung aufweist; auch der Text ist deutlich kürzer und würde nur durch Einführung ausladender Melismen zur Melodie von Z. 1 passen. Das ist der Grund, weshalb Horst Brunner in seiner Ausgabe (Brunner/Müller/Spechtler 1977, S. 82*) am Beginn von Z. 3 ein omnes ergänzt und die Melodie von Z. 1 übernommen hat. Außer acht bleibt dabei, daß sowohl Text wie Melodie auch in der überlieferten Form text- und ‚musikgrammatisch‘ sinnvoll sind – und wer aus der Handschrift gesungen hat, konnte, mußte aber nicht (z.B. nach Vorbild des direkt, im selben Notensystem, anschließenden deutschen Liedes) in die notierte Fassung eingreifen. So stehen bei ‚Tristor et cuncti tristantur‘ einander zwei diametral entgegengesetzte Bearbeitungstendenzen gegenüber: eine, die die Wiederholungsstruktur des Liedes durch den Nachvollzug der Rundkanzone im Reimschema explizit macht, und eine andere, die den Aufgesang tendenziell durch eine durchkomponierte Text-Melodie-Folge ersetzt. Eines aber steht bei all dem doch fest: daß es schwer vorstellbar ist, daß hier nicht das ‚Palästinalied‘ als Vorlage verwendet wurde. Und schließlich ist das in der ‚Bordesholmer Marienklage‘ auch kein Einzelfall: Für ein anderes Lied hat man die ‚Große Tagweise‘ Peters von Arberg verwendet (Abert 1948). Viel unsicherer und dann aber auch faszinierender nimmt sich dagegen die Entstehungssituation der ‚Palästinalied‘-Melodie aus. Hier lassen sich die Einflüsse lange nicht mit dieser Sicherheit festmachen – und aus dem eindimensionalen Verhältnis zwischen Melodie A und Melodie B ist plötzlich ein dreidimensionales Geflecht geworden: Irgendwie hat das ‚Palästinalied‘ in seiner Genese sowohl mit Jaufrés ‚Lanqand li jorn‘ als auch mit der Marienantiphon zu tun. Das mehrfach überlieferte ‚Ave regina coelorum‘ ist in Abb. 5 nach der vermutlich ältesten Handschrift des zweistimmigen Stückes transkribiert. Es handelt sich dabei um einen Kodex (Stadtbibliothek Schlettstatt 22 [olim 95]) des 11. Jh., der vor allem Texte über die Wunder und das Mar-

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Abb. 5: Ave regina coelorum

tyrium der hl. Fides enthält. Die Marienantiphon zählt zu Nachträgen, die wohl um 1200 in die Handschrift eingetragen worden sind. Die melodischen Unterschiede zu anderen Überlieferungszeugen sind jedoch marginal und für die weiteren Analysen nicht von Bedeutung; die Überlieferung ist erstaunlich konstant. Nicht transkribiert ist die zweite Stimme (Duplum), da nur der cantus firmus Ähnlichkeiten zum ‚Palästinalied‘ aufweist und – angesichts der Musikpraxis des 12. und 13. Jh. – kein Grund zur Annahme besteht, daß dieser nicht auch selbständig existiert hat bzw. ohne Duplum gesungen werden konnte. (Mehrstimmigkeit war um 1200 etwas Akzidentielles, mehrstimmige Kompositionen keine unveränderlichen Gebilde, sondern durch das Hinzufügen oder Weglassen einzelner Stimmen jederzeit variabel.) Die Marienantiphon hat auf den ersten Blick kaum etwas mit Walthers Weise zu tun, außer daß es sich wiederum um eine dorische Melodie han-

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delt. Z. 1 und 2 haben bei Walther keine Entsprechung, die (grammatische) Reimstruktur der übrigen vier Zeilen ist aaaa, es gibt keine Wiederholung bzw. keine aufgesangsartige Struktur (bei Z. 3 u. 4) und im Abgesangsbereich fehlt eine Zeile. Vergleicht man jedoch Z. 3–6 mit Walthers Melodie, springen die melodischen Ähnlichkeiten im Verlauf der Zeilenmelodien sofort ins Auge (oder Ohr). Z. 3 zeigt denselben Grobverlauf wie Walthers Z. 1/3 (d–f–d–f–d), Z. 4 hat denselben Anfang wie Z. 2/4 des ‚Palästinaliedes‘ und unterscheidet sich auch gegen Ende nur marginal: Das melismatische Zentrum ist nicht ganz am Zeilenende auf bzw. um d, sondern schon zuvor auf f und vor dem Terzsprung f–d situiert. Dann lassen die Ähnlichkeiten nach, Z. 5 könnte eine Kombination von Walthers Z. 5 und 6 sein, doch ist dies nur durch die Anfangsintervallik (und im Detail nicht einmal durch diese) und dann durch den ungefähren, stark abstrahierten melodischen Verlauf zu begründen (Bewegungsrichtung, Ecktöne). Auditiv ist diese Ähnlichkeit vermutlich kaum noch wahrnehmbar. Die jeweils letzten Zeilen stimmen dann aber wieder sehr genau überein, insbesondere am Zeileneingang. Gegen Zeilenende steht gegen die fließende Melodik des ‚Palästinaliedes‘ eine starrere Stufenmelodik, die Varianz ist aber im Bereich des Ornamentalen. Das könnte zur Hypothese Anlaß geben, Walther habe die (ziemlich sicher ältere) Marienantiphon als Vorlage für sein ‚Palästinalied‘ herangezogen. Doch die Konstellation ist komplizierter – Grund ist Jaufrés ‚Lanqand li jorn‘, das ich in der wohl ältesten faßbaren Version der Troubadour-Hs. X, die als Trouvère-Hs. die Sigle U trägt (Paris, B.N. ms. fr. 20050: ‚Chansonnier de Saint-Germain-des-Prés‘, Anfang/Mitte 13. Jh.), abdrucke (Abb. 6). Die anderen beiden erhaltenen Fassungen weichen aber nicht wesentlich davon ab und unterscheiden sich vor allem durch eine weniger ausgeprägte Melismatik. Die Makrostruktur entspricht im Wesentlichen der des ‚Palästinaliedes‘: Rundkanzone im Musikalischen bzw. Kanzonenstrophe im MetrischReimtechnischen, ähnliches Reimschema ababccx (wobei x einen Kornreim durch alle Strophen bildet). Beunruhigend ist erst die Analyse der einzelnen Zeilenmelodien: Z. 1/2 beginnt ähnlich wie im ‚Palästinalied‘ und Z. 3 der Marienantiphon, setzt aber am Schluß (long en mai) plötzlich jenes Melisma, das bei Walther Z. 2 (ersicht) schließt – und das in der Marienantiphon fehlt. Die Zeile endet dadurch auf dem ‚falschen‘ Ton d – einen Ton höher als ‚Palästinalied‘ und Marienantiphon. Das wirkt sich auf Z. 2/4 aus, die (anstelle einer Terz aufwärts) mit demselben Ton fortsetzt und damit einen Ton unter Walther und Marienantiphon liegt. Diese Transposition wird konsequent fortgesetzt, die Melodik ist zunächst (wie auch

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Abb. 6: Lanquant li ior sont lonc en mai

sonst) freier und verspielter als die Marienantiphon, trifft sich aber mit deren Z. 4 wieder bei e–d–e–f–d bzw. d–c–d–e–c und findet, nach weiteren Verzierungen, folgerichtig die Zeilenfinalis c. Im Vergleich mit dem ‚Palästinalied‘ könnte man sogar so weit gehen zu behaupten, daß die Transposition durch die Sekunde (statt Terz) abwärts nach danz kurz rückgängig gemacht, durch die Terz e–c aber wenig später reetabliert wird. Das in der Antiphon fehlende Schlußmelisma entspricht (transponiert) jenem bei Walther. Z. 5 hat dann mit der Marienantiphon kaum noch zu tun, ist auch nur schwerlich, wie bei Walther, mit Z. 6 als Ausfaltung der Z. 5 der Antiphon zu begreifen. Ganz im Gegenteil, ist – wenn überhaupt – dann der Schluß von Z. 5 bei Jaufré (enclin) in der Art der melismatischen Bewegung dem Ende von Z. 5 der Antiphon (filium) vergleichbar. Ungleich größer ist die Nähe der Zeile zu Z. 5 bei Walther. Zunächst wird die strenge transponierte Bewegung weiter getrieben (g–b), dann aber folgt noch ein weiterer Schritt nach oben, so daß der Ausgleich zu Walther hergestellt ist und die Melodie auf c und a wechselt. Der Übergang c–b–a–g treibt die Melodie-

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linie allerdings wieder einen Ton tiefer als bei Walther, die letzten drei Töne sind gegen das ‚Palästinalied‘ abermals exakt einen Ton tieftransponiert. Auch Z. 6 hat nichts mit der Antiphon zu tun, stimmt aber mit Walthers Z. 6 (abgesehen von den üblichen Mehrnoten bei Jaufré) phasenweise sehr genau überein. Jaufré springt von Z. 5 zu 6 höher und hat damit, durch den folgenden Sekundschritt (statt Terz bei Walther), plötzlich zwei Töne aufgeholt und liegt nun einen Ton höher als Walther. bin ko- bzw. que gehen transponiert parallel abwärts und nach einer Art Interludium über chant wird die Melodik von -men in ne … be- ausgeschmückt. Walthers e über an hat keine Entsprechung, die Abwärtsbewegungen über die stat und spin laufen aber wieder parallel. Damit ist dieselbe Ausgangslage hergestellt wie in Z. 1: d bei Jaufré statt c bei Walther. Dort kann Z. 7 anschließen, die genau wie Z. 2/4 durchläuft und die Melodie auf c enden läßt. Es ist schon im melodischen Material verwirrend: Jaufré und Walther stehen einander viel näher als der Marienantiphon, die einmal (Z. 4) näher bei Jaufré (Z. 2/4), einmal (Z. 5) näher bei Walther (Z. 5 u. 6) steht. Noch irritierender ist der Befund, wenn man versucht, die Melodie Jaufrés in das System der Kirchentöne einzuordnen. Von einem durchgehenden dorischen Modus kann keine Rede mehr sein: Zwar beginnt das Lied (Z. 1/3) dorisch, endet dann aber in Z. 1/3 nicht overt, sondern clos, um von dort aus in Z. 2/4 eine Modulation durch Repercussa g und Finalis c zu – ja, wozu? – zu ionisch oder mixolydisch durchzuführen. Der Aufgesang bleibt polyvalent. Die Festlegung erfolgt erst in Z. 5 durch (wohl konsequent zu denkende) Vorzeichnung von b: Die Melodie ist mixolydisch auf c. Z. 6 verharrt darauf; der Zeilenschluß mit d ist wohl kaum als Rückmodulation nach dorisch zu denken und eher als Halbschluss (overt) – so wie auch die Kadenzierung in Z. 2/4 und 6 des ‚Palästinaliedes‘. Je nach Deutung bleibt Z. 7 im Mixolydischen oder moduliert (vor dem Hintergrund von Z. 5 und 6 – die Zeile für sich ist wieder deutungsoffen) erneut dorthin zurück. Damit ist die Melodie Jaufrés wesentlich farbenreicher als jene Walthers – oder auch die Antiphon, die so besehen wesentlich näher bei Walther als bei Jaufré steht. Das ergibt ein irisierendes historisches Bild. Klar scheint nur, daß der cantus firmus der Marienantiphon die älteste der drei Melodien repräsentiert; vor allem liegt das an der Überlieferung und Datierung: Die Marienantiphon ist bereits um 1200 überliefert und alles spricht dafür, daß der cantus firmus bereits einige Zeit davor vorhanden war. Doch auch mit Blick auf die musikalische Gestalt scheint es eher unwahrscheinlich, daß die Antiphon-Melodie von Walther oder gar – die tonale Buntheit macht es schwer vorstellbar – von Jaufré abgeleitet ist. Hinter dieser Einschätzung

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steckt nicht ein Evolutionsdenken, das den Weg vom (in dem Fall: melismatisch) Komplizierten zum Einfachen kategorisch ausschließt, sondern die Überlegung, daß das Kürzen von Z. 5 und 6 zu einer Zeile und das Hinzufügen von zwei neuen Melodiezeilen am Beginn gegenläufige Tendenzen darstellen. Das hätte man einfacher haben können. Wie aber steht es mit der – von meiner Melodieerzählung rhetorisch insinuierten – Hypothese, daß Jaufré von Walther abhängt? Die musikalischen Charakteristika der drei Melodien scheinen genau dieses Bild zu vermitteln: Walther ist (aus Gründen der Tonalität) wesentlich näher an der Antiphon und die wenigen Fälle (Melismen), an denen Jaufré näher am Lateinischen ist, sind nicht sonderlich instruktiv. Immerhin wäre es doch ein recht auffälliger Zufall, wenn Walther bei der Bearbeitung von Jaufrés Melodie just den tonalen Verlauf der Vorstufe Jaufrés erreicht hätte. Und dennoch ist es genau diese Kettenreaktion, die das historische Wissen um Jaufré und Walther suggeriert. Alle Unsicherheit über die Lebensdaten mittelalterlicher Dichtersänger ändert nichts daran, daß Jaufré starb, bevor oder kurz nachdem Walther geboren wurde. Bliebe die Option, daß Jaufré und Walther unabhängig voneinander von der Antiphon geborgt haben – doch wieso sollten sie genau dieselben Zeilen weggelassen bzw. extendiert und (fast) dieselbe metrisch-reimtechnische Struktur etabliert haben? Irgendeine Berührung zwischen Jaufré und Walther hat es wohl gegeben. Wie läßt sich das erklären? Man hat verschiedene Möglichkeiten in Erwägung gezogen: Walther könnte auf beide Melodien zurückgegriffen haben und – vielleicht wegen seines geistlichen Inhalts? – die Freiheiten bei Jaufré (extensive Melismatik, tonale Unsicherheiten) reduziert haben. Vielleicht aber ist auch die Melodie Jaufrés bloß schlecht überliefert und stand eine frühere Variante dem ‚Palästinalied‘ wesentlich näher als die erhaltenen Fassungen – gerade die Beobachtung, daß die Änderungen fast durchwegs auf Transpositionsprozessen beruhen, macht dies nicht gänzlich unwahrscheinlich; dagegen steht die Konstanz der Dreifachüberlieferung. Könnte auch sein, daß diverse andere Vor- oder Zwischenstufen – seien dies nun geistliche oder weltliche, romanische oder deutsche Melodien – verloren sind und, ganz ähnlich wie bei der textkritischen Untersuchung mittelalterlicher Literatur, die Spärlichkeit der Überlieferung der Stemmatisierungslust ein Schnippchen schlägt. Und schließlich bleiben neben diesen m.E. plausiblen Erklärungsoptionen noch immer weitere, die gröbere Eingriffe in geltende historische oder auch musiksystematische Modelle erforderten: daß der cantus firmus der Marienantiphon doch nach Jaufré und Walther entstanden ist (das wäre, von Jaufré aus gedacht, eine kontinuierliche Komplexitätsreduktion im Musikalischen), daß Jaufré

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irgendwie eine Melodie untergeschoben worden ist, die erst nach Walther entstanden ist, daß Walther eine ältere, fertige Melodie benützte, die zwischen Antiphon und Jaufré steht, daß Walther und Jaufré doch unabhängig voneinander und ausgehend vom selben Quellenmaterial zu sehr ähnlichen Ergebnissen gelangt sind etc. pp. Und schließlich könnte eine rabulistische Sichtweise alle Ähnlichkeiten der drei Melodien der Verwendung desselben Melodieschemas zuschreiben, zumal mit den Kirchentönen auch bestimmte kleinmelodische Verläufe (Melodiefloskeln) verbunden sind. Das würde jede Einflußforschung obsolet machen. Eines aber gilt unbeschadet all dieser Unsicherheiten und Paradoxien: daß man es mit drei Melodien zu tun hat, deren musikalischer Zusammenhang beim Lesen oder Hören unmittelbar ‚einklingt‘. Das erzeugt einen assoziativen Sog, der über die melodischen Phänomene hinausreicht und auf die gesungenen Texte übergreift. Wer z.B. die Marienantiphon gut kannte und dann das ‚Palästinalied‘ gehört hat, der muß nicht, der kann aber den Zusammenhang erkannt, die eine Melodie vor der Folie der anderen, den einen Text vor dem Hintergrund des anderen verstanden haben. Der Perzeptionsprozeß wird um eine Dimension erweitert, es entstehen semantische Interferenzen, das Interpretationspotential wird potenziert. Wie diese Interferenzen im einzelnen beschaffen sind, darüber läßt sich nicht pauschal handeln. Einige mögliche Aspekte solcher Interaktionsprozesse seien aber zumindest angerissen: Der lateinische Text der Marienantiphon läßt nur geringen Interpretationsspielraum: Es ist ein ganz konventionell gestricktes Marienlob, Maria bekommt die üblichen Attribute (Königin des Himmels, Rose, Lilie, Jungfräulichkeit) und soll bei ihrem Sohn für die Betenden Fürbitte leisten. Ähnlich schematisch ‚Tristor et cuncti tristantur‘: Es wird mit Maria gelitten, geweint, geschluchzt – compassio mit dem Leiden Mariens angesichts des Leidens Jesu. ‚Maria moder vnde maget reyne‘ bringt das, wenn auch leicht variiert, ins Deutsche, im einzelnen ist der niederdeutsche Text konkreter, z.B. Tod statt Leiden Jesu. Ob es an einer Vermittlung durch Walther liegt oder doch bloßer Zufall ist, daß die Melodie (wenngleich in zwei ganz verschiedenen Ausformungen) sowohl in der vermutlich frühen Antiphon als auch Jahrhunderte später, in der ‚Bordesholmer Marienklage‘, mit Mariologischem kombiniert wurde, ist nicht zu entscheiden. Hört man jedenfalls das eine vor dem Hintergrund des anderen, paßt das wunderbar zusammen. Ähnlich verhält es sich, wenngleich mit Abstrichen, auch noch bei der Kombination von Antiphon oder den beiden Liedern aus der ‚Bordesholmer Marienklage‘ mit Walthers ‚Palästinalied‘ (L 14,38). Dies ist zwar kein

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Marienlob im engeren Sinne – der geistliche Rahmen aber bleibt gewahrt. Das gilt trotz der großen Varianz der Überlieferung – insgesamt sind zwölf Strophen erhalten, der Strophenbestand und die Strophenreihenfolge der Handschriften sind aber höchst variabel –, was am parataktischen Charakter der Strophensequenzen liegt. Folgt man (wie meistens) Handschrift A (sieben Strophen), besteht der Rahmenteil aus einem Palästinalob, gepaart mit einer inszenierten Reise ins bzw. Ankunft im Heiligen Land. Dann folgen zentrale christliche Dogmen: Jungfrauengeburt, Erlösung der Christenheit durch den Kreuzestod Jesu, Heidenschelte, Trinität, Höllenfahrt Christi, Auferstehung (als Leid der Juden), Jüngstes Gericht, Gerechtigkeit für Witwen, Weisen und Arme. Am Schluß wird – der Rahmen schließt sich – wieder auf Palästina Bezug genommen, das schon den (allegorischen) Ort für das Jüngste Gericht abgeben mußte: Christen, Juden und Heiden streiten um dasselbe „Erbe“ (was wiederum allegorisch oder historisch lesbar ist), der trinitarische Gott möge entscheiden: wir sîn an der rehten ger, / reht ist, daz er uns gewer (Ausg. Cormeau, Str. XII,5f.) – ein typisch waltherscher argumentativ-rhetorischer Kurzschluß. Die weiteren erhaltenen Strophen fügen sich in dieses Bild ein: Erzählt wird von den Wundern Palästinas, es klingen sehr unverhohlen antijudaistische Töne an, wieder werden einige Dogmen gelistet bzw. wiederholt (freiwilliger Kreuzestod, Himmelfahrt, Jüngstes Gericht), Palästina wird zur Wiege all dessen erklärt, was Gott je mit den Menschen wirkte. Nichts steht dagegen, das Lied – wie man es üblicherweise tut – im Kontext von Kreuzzug und Kreuzzugspropaganda zu lesen, wobei der konkrete historische Bezug irrelevant ist. Die Möglichkeiten um und nach 1200, sich dieses Lied vorgetragen zu denken, sind wahrlich nicht rar. Und der Bezug zur Antiphon bzw. zur ‚Bordesholmer Marienklage‘ kann, das Musikalische beiseite lassend, auch über die Texte hergestellt werden: Bei der Antiphon wäre es das Reden über Maria und Jesus als Erlöser (als der er in der Antiphon angebetet, im ‚Palästinalied‘ verehrt wird) – also geistlicher Horizont auf ganz basaler Ebene. Etwas dichter sind die Querverbindungen zu den beiden Texten der ‚Bordesholmer Marienklage‘: Zu Jesus und Maria treten Kreuzigung und Auferstehung als Motive, die auch bei Walther eine wichtige Rolle spielen. Man hätte es also mit einer Melodie zu tun, die – wenn man diese systemmusikalischen Zusammenhänge als Intertextualitätssignale nehmen darf – in den geistlichen Bereich gehört und dort mit verschiedenen, z.T. ähnlichen, im einzelnen auch dekkungsgleichen Inhalten gefüllt werden kann. Problemkind ist wieder Jaufrés Lied, das mit seiner vertrackten Tonsystematik aus dem geistlichen Bereich schon im Musikalischen ausschert.

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Noch krasser sind die inhaltlichen Divergenzen, die zunächst jeden Zusammenhang mit den anderen Texten absurd erscheinen lassen. ‚Lanqand li jorn‘ (PC 262,2; Ausg. Rieger [1980]) schildert das Paradoxon einer Fernliebe: Die Idealität der unerfüllten Fernliebe prallt auf die Hoffnung auf Erfüllung der Liebe – ohne daß dies im Lied jemals in dieser Plakativität behauptet würde. Vielmehr hört man eine Reflexion darüber, wie es wäre wenn: So brächte das Treffen mit der Ferngeliebten die Trennung der Fernliebe als Idee, was aber ohnehin nie geschehen kann, da die Distanz – die ideelle oder die reale – unüberwindbar ist, da das Ich seiner Fernliebe ohnehin näher ist, wenn es weit von ihr entfernt ist … Kurzum: Es wird mit der Ambivalenz der Fernliebe als Abstraktum einerseits und als Metonymie für die Geliebte andererseits gespielt – spätestens auf dieser Ebene entgleitet jeder Sinn. Diese Vagheit setzt sich in allen Bereichen des Liedes fort: So bleibt die Artikulation der Hoffnung auf sexuelle Erfüllung zwar verhalten, sei doch die Fernliebe viel besser – und doch will der Pilger die Distanz überwinden, damit seine Fernliebe seinen Pilgerstab und sein Pilgergewand betrachten kann. Am Ende verflucht das Ich seinen Paten(?), der ihm das Schicksal eingebracht hat, liebend nicht geliebt zu werden. Wie gesagt: Diese Schematik, wie sie meine kurze Skizze evoziert, ist dem Lied fremd. Es fehlt der Platz für eine eingehende Analyse – ich beschränke mich exemplarisch auf Strophe I: Lanqand li jorn son lonc en mai m’es bels douz chans d’auzels de loing, e qand me sui partitz de lai remembra·m d’un’amor de loing. Vauc, de talan enbroncs e clis, si que chans ni flors d’albespis no·m platz plus que l’inverns gelatz. „Wenn die Tage lang sind, im Mai, gefällt mir der süße Vogelgesang von fern, und wenn ich mich von ihm gelöst habe, erinnere ich mich einer Fernliebe. Ich gehe, von Verlangen niedergedrückt und gebeugt, so (durch die Welt), daß weder der Gesang (der Vögel) noch die Weißdornblüte mir mehr gefällt als der eisige Winter.“ (Übers. nach Ausg. Rieger [1980])

Da ist nicht nur das vordergründige Paradoxon, das Vogelgesang (eine amoene Szenerie wohl, vielleicht reflexiv das Singen des Ichs aufgreifend) und Mai mit Fernliebe und Winter kontrastiert – wobei Vogelsang und Mai wertend unter Fernliebe und Winter gestellt werden. Ausgehend von dieser widersinnigen Konfiguration folgen weitere subtile Subversionen, wenn auch der so eindrücklich-präsentische Vogelgesang de loing kommt; wenn die mächtige Fernliebe sich nicht von selbst Bahn bricht, sondern

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erst durch das Loslösen des Ichs vom Vogelgesang möglich wird; und wenn all das schließlich in den Erinnerungsmodus verschoben wird. Einen Weg von dieser paradoxen Liebeslyrik zur Marienantiphon finde ich nicht, wenn man sich nicht auf den Gemeinplatz der Parodie eines Geistlichen durch ein Weltliches begeben möchte. Interessanter ist der Vergleich mit Walther: Es ist nicht nur die Fernliebe, die mit dem Distanzgestus des ‚Palästinaliedes‘ (Reise ins Heilige Land) gleichgeschaltet werden kann. Die Korrespondenzen sind auch im Detail zu finden. Jaufré selbst ruft in Strophe II einen Kreuzzugshorizont auf, wo er im Abgesang den Wert der Fernliebe als so vollkommen beschreibt, daß er um ihretwillen (per lieis) gerne ein Gefangener im Reich der Sarazenen geschimpft würde. Das ist wieder inszenierte Offenheit, nicht erfährt man, ob es der Wert der Fernliebe oder der Ferngeliebten ist, unklar bleibt, ob er für die Fernliebe (abstrakt), für die Ferngeliebte oder doch bei der Ferngeliebten gerne im ‚Reich der Sarazenen‘ – nicht wäre, sondern geschimpft würde! Die Idee einer Kreuzfahrt schwingt aber mit – und immerhin ist es eine bemerkenswerte biographische Parallele, daß Jaufré am zweiten Kreuzzug teilgenommen haben dürfte. Die Distanzvorstellung wird in Strophe III wiederholt (die Länder von Ich und Geliebter sind weit voneinander entfernt); in Strophe V folgt dann die Pilgeridee, die wörtlich einen Aufbruch zur Geliebten ins Reich der Sarazenen meinen könnte, genausogut aber metaphorisch als Zote gelesen werden kann. Das ist kühn – auch angesichts der ab Strophe IV immer dichter werdenden Gottesreferenzen: Das Ich ist zuversichtlich, daß ihm von ihr Fernliebe gewährt wird, wo er doch in Gottes Namen um sie bittet (IV). Fernliebe ist nur durch Gott möglich (V) – und zwar, weil nur dieser Fernliebe installieren kann, so daß das Ich auf Gottes Beistand hofft, um die Fernliebe sehen zu können, was ganz konkret als Stelldichein gedacht wird (VI). Und der verfluchte Pate (VII u. VIII) könnte schließlich auch eine Gottesreferenz sein. Die intertextuellen Bezugsmechanismen zwischen Walther und Jaufré sind evident: Gottesreferenzen und Distanzüberwindung durch Gottes Hilfe oder um Gottes willen. Anders ist die Kontextualisierung: christliche Dogmen bei Walther, Liebessachen bei Jaufré. Hört man das ‚Palästinalied‘ vor Jaufrés Lied – und historisch ist doch kaum eine andere Option denkbar –, würde man üblicherweise im Jüngeren die Parodie vermuten. Doch es will mir nicht recht einleuchten, wie eine parodistische Rezeption von ‚Lanqand li jorn‘ – eines Textes, der sich unablässig jeder Festschreibung entzieht – vom ‚Palästinalied‘ angeregt werden könnte. Wenn, so müßte, so könnte man einen anderen Rezeptionsversuch wagen: Wer das ‚Palästinalied‘ hört und dabei Jaufrés Melodie und Text im Ohr hat,

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kann den parodistischen Stoß – gegen jede produktionsästhetische Evolutionstheorie – historisch vorwärts ausführen und über Walthers bierernste Dogmatik lächeln. Ob Walther das bewußt inszeniert hat, ist gleichgültig: Die Rezeption funktioniert auch ohne seine explizite Bewilligung in dem dône. Daß man aber das ‚Palästinalied‘ gerne ironisiert hat, demonstriert schon die deutsche Überlieferung: In der Weimarer Liederhandschrift F (3. Viertel 15. Jh.; abgedruckt in der Ausg. Cormeau) findet sich (zumindest metrisch) eine Kontrafakturstrophe, die inhaltlich perfekt in ein Lied der Hohen Minne passen würde – und damit auch zu Jaufré: Ein Ich bittet eine vrouwen um Nachsicht und Güte für seine Klage, entschuldigt das missereden eines tumben mannes – Gottesdienst und Frauendienst werden wieder verkehrt. Ulrich von Liechtenstein könnte im ‚Frauendienst‘ das ‚Palästinalied‘ mit seinem Lied XXX (wiederum im Metrum) kontrafaziert und damit – parodistisch? – ins Weltliche (der Minne) gebogen haben. Noch deutlicher ist der Parodiegestus in den ‚Carmina Burana‘ (bei Walther die Sigle M): Hier steht Strophe I des ‚Palästinaliedes‘ am Ende des (auch in der Strophenform ähnlichen) lateinischen Trink-, Sauf- und Freßliedes ‚Alte clamat Epicurus‘ (CB 211). Nu lebe ich mir alrest werde, wie es in der Hs. heißt (CB 211a), wird dadurch ganz neu funktionalisiert – auch dann, wenn ‚Alte clamat Epicurus‘ im Subtext seine eigene Antithese, moralisierend und didaktisch ist. So gesehen ist es dann doch verlockend, das ‚Palästinalied‘ schon a priori als ein parodiertes zu lesen – als einen Text, der, gibt man der Versuchung der Produktionsästhetik nach, seiner Parodie nachgedichtet worden wäre.

8.4 Fallweise offene und prinzipiell offene Fragen: Apotheose des Nicht-Wissens Diese Interpretation ließe sich freilich auch umkehren: Dann wäre Walther der Anwalt der Christenheit, die sich an der Verweltlichung einer Marienantiphon durch Jaufré stößt, würde Walther die Melodie wieder (modal) zurechtrücken, zeigen, wie man sie ‚richtig‘ in die Volkssprache bringt – musikalisch und textlich. Es möge sich jeder den Walther suchen, der ihm gefällt. Wesentlich scheint mir eine andere Beobachtung: Derartige Interpretationen werden durch die Engführung literatur- und musikwissenschaftlicher Analysen und Fragestellungen überhaupt erst möglich. Nicht nur erhalten dabei – darauf lag der Fokus meiner Interpretationen – die Texte

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neue Sinnschichten, sondern es werden auch die musikalischen Fragestellungen um semantische Potentiale angereichert, etwa bei Walthers (historisch zunächst paradox erscheinender) größerer Nähe zur Marienantiphon. Sichtbar wird dabei, abstrahiert man vom konkreten Beispiel, eine vielleicht überraschende Nähe des geistlichen und weltlichen Bereichs im Musikalischen – zweier Bereiche, die in der Musikgeschichte oft wie zwei Welten nebeneinander geführt werden. Dieses dichte Bezugsnetz umfaßt nicht nur den romanischen und den deutschen Bereich sowie die lateinische Einstimmigkeit, sondern sogar jenen der progressiven lateinischen Mehrstimmigkeit, auch wenn hier dann nur ein cantus firmus und nicht der mehrstimmige Satz kontrafaziert wurde. Das wäre gewissermaßen die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Daß man bei all dem mit einer kaum kalkulierbaren Anzahl von Unsicherheiten zu kämpfen hat, liegt natürlich ebenso auf der Hand. Großflächige Vergleiche zwischen lateinischen, romanischen und deutschen Melodien werden durch die schmale Überlieferung (im deutschen Bereich) schwierig, wenn nicht unmöglich. Es muß notwendig bei vereinzelten Analysen bleiben, deren Befunde nach verschiedenen Richtungen deutbar sind: mit Bezug auf den Text (wie oben), auf die Gattung, auf die Überlieferung (z.B. Abstand zur Entstehung, Melismenreichtum), auf den Autor, auf die Sprache. Hier fehlt es auch an Vorarbeiten, namentlich an intensiven Studien zu den tatsächlich überlieferten Melodien. Daß die Einflüsse vom lateinischen und romanischen auf den deutschen Bereich im Musikalischen zahlreich sind, ist unbestreitbar. Abstrahierbare Ergebnisse zu Art und Weise dieser Querbezüge scheinen aber, fürs erste, unerreichbar. Vielleicht werden sie unerreichbar bleiben, zumal schon die Basis all dieser Deutungsversuche, der Melodievergleich, ein heikles Unterfangen, im einzelnen unsicher ist. Intentionalität ist kaum einmal auszumachen. Doch auch die ‚Hörbarkeit‘ von Kontrafakturen ist schwer einzuschätzen. Das liegt noch nicht einmal am tatsächlich überlieferten melodischen Material. Das liegt vielmehr – und das führt zurück zu den grundsätzlichen Unwägbarkeiten der Melodieüberlieferung – am Fehlen der Informationen zu Begleitung bzw. Mehrstimmigkeit und Rhythmik: Eine Melodie, die mit einer anderen konfrontiert bzw. kontrastiert, kontrapunktiert wird, die mit anderen Instrumenten gespielt oder begleitet wird, ist mitunter schon schwer wiederzuerkennen. Wenn derselbe Tonhöhenverlauf aber eine radikal abweichende Zeitgestalt verpaßt bekommt, ist die Identität kaum noch hörbar. Man kann das jederzeit mit egal welcher Melodie im Selbstversuch testen. Vom Problem einer takt- versus einer silbenzählen-

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den Metrik gar nicht erst zu reden. Methodisch würde sich hier wohl auch eine strenge Unterscheidung von Produktions- und Rezeptionsästhetik anbieten – allein fehlt auch hier das Quellenmaterial. Dieses Defizit der Überlieferung unterscheidet die Erforschung mittelalterlicher Kontrafakta ganz grundsätzlich von der Beobachtung heutiger Melodiewanderungen wie im einleitenden Sinatra-Beispiel. (Die Neutextierung angloamerikanischer Melodien durch die deutsche Schlagerindustrie gäbe übrigens ein reiches, wenngleich etwas anstrengendes Untersuchungsfeld ab, über dessen häßliche analogische Suggestion man als Altgermanist nicht gerne nachdenken möchte.) Wie beim Fall von Walther, Jaufré etc. ist zwar auch bei Frank Sinatra und Konsorten das Kontrafakturphänomen ein komplexes, eines, das semantische Verschiebungen und Verrückungen bewirken kann. Und selbst dort fällt die positivistisch-intentionalistische Ausbeute mager aus, wenn es offen bleibt, wie bewußt der englische Text auf Puschkins Gedicht Bezug nimmt. Aber es ist immerhin meist, und auch in diesem Fall, einigermaßen klar, daß bzw. wo es sich um Kontrafakturen handelt. Das läßt sich mit Melodik, Rhythmik, Harmonik – und dann natürlich auch mit außermusikalischen Faktoren belegen. Vielleicht muß man es zwei- oder dreimal hören, damit man die Ähnlichkeit bemerkt. Aber irgendwann hört man sie. Bei mittelalterlichen Melodien ist das schon auf dieser niedrigen Ebene um vieles schwieriger, selbst wenn die Melodien erhalten sind. Welche Risiken man eingeht, wenn man aber Melodien auf Texte appliziert, die dem unterlegten Text im metrischen und Reimschema ähneln, braucht dann gar nicht mehr ausgeführt zu werden. Die Übernahme von metrischen und Reimstrukturen – die natürlich ihrerseits wieder Intertextualitätssignal sein kann – ist nicht gleichbedeutend mit der Übernahme einer Melodie und vice versa; das zeigt auch das ‚Palästinalied‘-Beispiel sehr deutlich. Man kann diesen Weg freilich dennoch beschreiten, um melodielose Texte für ihre Tonträgerkarriere aus der defizitären Überlieferung zu erlösen, hat das ja auch immer wieder mit großem Eifer betrieben. Hier war davon aber nicht die Rede – und das aus gutem Grund: Es genügt, sich zu vergegenwärtigen, wie viele verschiedene – ich bleibe dabei – Sinatra-Texte (von anderen Interpreten einmal ganz zu schweigen) zur Melodie von Cole Porters ‚You Do Something To Me‘ passen würden. Kalkuliert man mit einer ähnlichen Bandbreite musikalischer Varianz (Melismen, Einfügung von Nebennoten) wie beim Vergleich der beiden Melodien aus der ‚Bordesholmer Marienklage‘ mit einander und mit Walthers ‚Palästinalied‘, wäre das, irgendwann in 800 Jahren, auch die einzig richtige Melodie für den Text von ‚If You Are But A Dream‘. Vielleicht würde die Melodie darauf mit

Literaturverzeichnis

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ihrem ursprünglichen Titel antworten wollen. Aber ob sie auch fortsetzen würde mit: something that simply mystifies me? [Manuskriptabschluß: Juni 2008]

Literaturverzeichnis Bibliographische Hinweise Zur Einführung empfehlen sich die entsprechenden Artikel (Personen und Sachen) in MGG2 und Sadie (Hg.) 2001, weiters einige Monographien bzw. Handbuchartikel zur mittelalterlichen Musik: Binkley 1992 (besonders zur Aufführungspraxis); Diehr 2004 (vor allem für den deutschen Bereich); Lug 1991 (sozialgeschichtlich orientiert); Haug 2004 (zum mittelalterlichen ‚Lied‘); McMahon 1990 (zum frühen deutschen Minnesang); Stevens 1986. Einen guten Einstieg in die Materie (vor allem zur deutschen Überlieferung) bietet Welker 1988. Einen kritischen Forschungsbericht zu den Melodien deutscher Texte vor 1300 gibt Kragl 2005, vgl. auch die forschungsberichtartige Zusammenstellung bei Mohr 1966. Ein Desideratum ist für den deutschen Bereich eine kompendiale Melodieausgabe, die heutigen Standards der Editionsphilologie standhalten kann. Für die Sangspuchdichtung liegt sie nunmehr vor (Brunner/Hartmann 2011), für den Minnesang fehlt sie allerdings. So ist man meist auf Autorenausgaben (z.B. Brunner/Müller/Spechtler 1977 zu Walther und Schmieder 1930b zu Neidhart) oder mittlerweile zweifelhafte (erschlossene Melodien, Rhythmisierung) Sammlungen angewiesen (z.B. Jammers 1963; Lommatzsch/Gennrich 1957/59; Rohloff 1962; Taylor 1964). Die romanische Melodieüberlieferung ist vorbildlich bei Van der Werf 1977/79 (Troubadours) und Tischler 1997 (Trouvères) ediert. Literaturhinweise zu den einzelnen Unterkapiteln und Abschnitten sind im folgenden getrennt aufgeführt: 8.2 Einführung in die weltliche Musik des Mittelalters / Notation, Transkription, Überlieferung: Überblicke zur Notationsgeschichte geben Apel 1970; Jammers 1975; Schnürl 2000; Stäblein 1975. Die Überlieferung zum deutschen Minnesang (inkl. der Melodien) ist vorbildlich von Schweikle 1995 und Diehr 2004 aufgearbeitet, für den frühen Minnesang ist noch immer Aarburg 1966 wichtig. Für den gesamtmittelalterlichen Horizont siehe die erschöpfende Aufarbeitung der „Sources, MS.“ (Art.) in Sadie (Hg.) 2001. Zur späten deutschen Überlieferung (insbesondere in der Kolmarer Handschrift) siehe Brunner 1975. Mertens 2005a demonstriert in einer Analyse der Musiküberlieferung (vor allem) deutscher Hss. (inkl. Neumen) eindrucksvoll die Bedeutung der Musik nicht nur für die mittelalterliche Lyrik, sondern für fast alle Gattungen an der Grenze von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. / Rhythmus: Instruktive Überblicke finden sich bei Taylor 1964, Bd. I, S. 35–37; Aarburg 1967, S. 110f.; Jammers 1975, insb. S. 38–51 (zu den Modi) u. 67–81 (zum deutschen Vers); McMahon 1990, S. 42–59; Tervooren 2001, S. 101–103; am umfassendsten Kippenberg 1962 u. 1971. Zur Modaltheorie siehe Gennrich 1954 und Husmann 1952 u. 1953. Die Grundlegung der heutigen Praxis stammt von Jammers 1924/25, ausgearbeitet wurde das System nicht zuletzt von Van der Werf 1972. Beispiel für eine moderne Rhythmusinterpretation ist Mertens 2005b. / Begleitung und Kontext: Musikdarstellungen in mittelhochdeutschen Texten hat Bartels 1997 gesammelt, vgl. zum Thema auch Heinen 1992. Die in deutschen Texten genann-

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ten Instrumente werden bei Eitschberger 1999 detailliert vorgestellt. Page 1986 hat, für den romanischen Bereich, versucht, auf Basis (vor allem) literarischer und musiktheoretischer Quellen die Begleitoptionen (Art der Begleitung, Instrumente) nach Liedgattung zu differenzieren. / Melodik: Vorbildlich sind noch immer die melodischen Analysen zur Jenaer Handschrift bei Jammers 1924/25 und die Untersuchungen zu Neidhart von Schmieder 1930a, später dann die Studien zu Frauenlob März 1987 u. 1988 sowie Shields 1988. Den seltenen Versuch, verschiedene melodische Stile voneinander abzugrenzen, hat Stäblein 1966 unternommen. In diese Kerbe schlägt auch Kragl 2007. / Text und Melodie: Grundlage des makrostrukturellen Analyseschemas ist Gennrich 1932. Zum Thema wort und wîse siehe Ackermann 1959; Kohrs 1969; Taylor 1992; Touber 1964. Die wichtigsten Arbeiten Schweikles sind in Schweikle 1994 gesammelt, kritisch dazu u.a. Lug 1991. 8.3 Musikkontakte zwischen lateinischem, romanischem und deutschem Bereich: Die ältere Literatur zum ‚Palästinalied‘ und seinem musikalischen Umfeld sammelt Brunner/Müller/ Spechtler 1977, S. 54*, für die Forschungsgeschichte samt Hss.-Beschreibungen siehe ebd., S. 51*–56*, für eine synoptische Melodietranskription ebd., S. 81*–85*, sämtliche Überlieferungszeugen sind im Band abgebildet. Siehe weiters: McMahon 1982/84 (der wegen der allgemeinen Verfügbarkeit melodischer Motive an einer Kontrafaktur zweifelt); McMahon 1990, S. 48, 50, 55, 81, 89–93; Brunner u.a. 1996, S. 66–69; Mertens 1998, S. 280–283. Ein Abdruck der zweistimmigen Marienantiphon findet sich in der (im Darstellungsteil höchst problematischen) Arbeit Schneider 1969, Tl. II, Anhang, S. 34f. Auf das intertextuelle Spiel qua Kontrafaktur hat nachdrücklich Mertens 1998 aufmerksam gemacht.

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390 APF AR arab. Arbitrium Art. as. ASNS AT ATB ATU

Aufl. Ausg(g). bair. BAR BBIAS BBSR Bd., Bde. bearb. begr. Berlin, mgf (mgq, mgo) Bertau, LG bes. Bezzola BGP BHL Bibl. (-bibl.) BIMILI Bl(l). BMZ

Abkürzungsverzeichnis Les anciens poètes de la France, hg. v. François Guessard, Paris 1858–1870 Archivum romanicum, Florenz 1917–1941 arabisch Arbitrium. Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Literaturwissenschaft, Tübingen 1983ff. Artikel altsächsisch Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Braunschweig u.a. 1846ff. Altes Testament Altdeutsche Textbibliothek, begr. v. Hermann Paul, Halle a. d. S. 1882–1939 u. 1952–1955, Tübingen 1955ff. (Ergänzungsreihe 1963ff.) Hans-Jörg Uther, The Types of International Folktales. A Classification and Bibliography, Based on the System of Antti Aarne and Stith Thompson, 3 Bde. (FFC 284–286), Helsinki 2004: Märchentyp (+ Nr.) Auflage Ausgabe(n) bairisch Biblioteca dell’Archivum romanicum, Florenz 1921ff. Bibliographical Bulletin of the International Arthurian Society / Bulletin bibliographique de la Société internationale arthurienne, Paris 1949ff. Bulletin bibliographique de la Société Rencesvals, Lüttich 1958ff. Band, Bände bearbeitet begründet Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. (Ms. germ. qu., Ms. germ. oct.) Karl Bertau, Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, 2 Bde.; I: 800–1197, München 1972; II: 1195–1220, München 1973. besorgt Reto R. Bezzola, Les origines et la formation de la littérature courtoise en Occident (500–1200), 3 Teile in 5 Bde., Paris 1958–1963 Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Münster 1891ff. Bibliotheca hagiographica latina, Brüssel 1898–1901, Supplementbd. 21911 Bibliothek (-bibliothek) Bibliothek mittelniederländischer Literatur, Münster 2005ff. Blatt (Blätter) Georg F. Benecke, Wilhelm Müller u. Friedrich Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 3 Bde., Leipzig 1854–1866 [Nachdr. Stuttgart 1990]

Allgemeine Bibliographie De Boor, LG

De Boor, LG III/2 (Glier)

De Boor, Texte BPM Brunner, LG Bumke Bumke/Cramer/ Kartschoke, LG

CB CCCM CCM CCSL CFMA CISR CN cod(d). CSEL CUERMA Curtius

391

Helmut de Boor u. Richard Newald (Hgg.), Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart; I: Helmut de Boor, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung. 770–1170, München 11949, bearb. v. Herbert Kolb, München 91979; II: ders., Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. 1170–1250, München 11953, bearb. v. Ursula Henning, München 111991; III/1: ders., Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn. 1250–1350, München 11962, bearb. v. Johannes Janota, München 51997 Helmut de Boor u. Richard Newald (Hgg.), Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart; III/2: Ingeborg Glier (Hg.), Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Reimpaargedichte, Drama, Prosa. 1250–1370, München 1987 Walther Killy (Hg.), Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse; I: Helmut de Boor (Hg.), Mittelalter, 2 Teilbde., München 1965 Bulletin de philosophie médiévale, Turnhout 1964ff. Horst Brunner, Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick (RUB 9485), Stuttgart 1997. Joachim Bumke, Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen im Mittelalter. Ein Überblick, Heidelberg 1967 Joachim Bumke, Thomas Cramer u. Dieter Kartschoke, Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter, 3 Bde., München 1990; I: D. Kartschoke, Deutsche Literatur im frühen Mittelalter, München 32000; II: J. Bumke, Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, München 52004; III: Th. Cramer, Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, München 32000 Carmina Burana, hg. v. Alfons Hilka u. Otto Schumann; I/1–3: Text, Heidelberg 1930–1970; II/1: Kommentar, Heidelberg 1930. Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, Turnhout 1966ff. Cahiers de civilisation médiévale, Poitiers 1958ff. Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout 1953ff. Classiques français du moyen-âge, Paris 1910ff. Congrès international de la Société Rencesvals (+ Jahr) Cultura neolatina. Rivista di filologia romanza, Modena 1941ff. codex (codices) Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum (Academiae Vindobonensis), Wien 1866ff. Centre Universitaire d’Études et de Recherches Médiévales d’Aix Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen 111993 [11948]

392 DA DEAF DEAF, Bibl. ders., dies. Diss. Diss. Abstr. DLFMA DLZ DMA DNP Donaueschingen, cod. DPhA -dr. dt. DTM DU durchges. DVjs DWB ebd. EG Ehrismann, LG EM engl. Eppelsheimer erw.

Abkürzungsverzeichnis Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (1937–1944: für Geschichte des Mittelalters, Weimar), Marburg/Köln 1951ff. Dictionnaire étymologique de l’ancien français, begr. v. Kurt Baldinger, bearb. u. hg. v. Frankwalt Möhren, bisher 4 Bde., Tübingen 1995ff. Dictionnaire étymologique de l’ancien français. Complément bibliographique 2007, bearb. u. hg. v. Frankwalt Möhren, Tübingen 2007 derselbe, dieselbe Dissertation Dissertation Abstracts. A Guide to Dissertations and Monographs Available in Microfilm, Ann Arbor/London 1938ff. Dictionnaire des lettres françaises, hg. v. Cardinal Georges Grente; I: Le Moyen Âge, hg. v. Robert Bossuat, 2. Aufl. bearb. v. Geneviève Hasenohr, Paris 1994 [11964] Deutsche Literaturzeitung für Kritik der Internationalen Wissenschaft (bis 1920: Deutsche Literaturzeitung), Berlin 1880–1993 Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Berlin 1996ff. Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. v. Hubert Cancik, 16 Bde., bisher 7 Supplementbde., Stuttgart 1996ff. Donaueschingen, Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek, cod. (+ Nr.) Deutsche Philologie im Aufriß, hg. v. Wolfgang Stammler, 3 Bde. (+ Registerbd.), Berlin u.a. 21957–1962 [11952–1957] -druck deutsch Deutsche Texte des Mittelalters, Berlin 1904ff. Der Deutschunterricht, Seelze 1947ff. durchgesehen Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Stuttgart/Weimar 1923ff. Deutsches Wörterbuch, begr. v. Jacob u. Wilhelm Grimm, 16 Bde. (in 32 Teilbde.), Leipzig 1854–1960 ebenda Études germaniques, Lyon/Paris 1946ff. Gustav Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, 4 Bde., München 1918–1935 Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, begr. v. Kurt Ranke, hg. v. Rolf Wilhelm Brednich, bisher 13 Bde., Berlin 1977ff. englisch Bibliographie der deutschen (Sprach- und) Literaturwissenschaft, begr. v. Hanns W. Eppelsheimer, hg. v. Clemens Köttelwesch u.a., Frankfurt a. M. 1957ff. erweitert

Allgemeine Bibliographie Euphorion europ. expl. f., ff. Fabula FEW FFC fl. Flutre

FMSt fol. Frgm., frgm. frk. frnhd. frz. Fs. FSt GAG gegr. germ. Germania Germanistik Gerritsen/Melle GLL GQ Gramm. Gramm. Buridant Gramm. Loey Gramm. Moignet griech. GRLMA GRM

393

Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte (1934–1944: Dichtung und Volkstum), Heidelberg 1894ff. europäisch explicit folgende Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung, Berlin/New York 1958ff. Französisches etymologisches Wörterbuch, begr. v. Walther von Wartburg, Basel u.a. 11928–2003, 21983ff. Folklore Fellows Communications, Helsinki 1910ff. floruit Louis-Fernand Flutre, Table des noms propres avec toutes leurs variantes figurant dans les romans du moyen âge écrits en français ou en provençal et actuellement publiés ou analysés, Poitiers 1962 Frühmittelalterliche Studien, Berlin 1967ff. Folio Fragment, fragmentarisch fränkisch frühneuhochdeutsch französisch Festschrift French Studies, Oxford 1947ff. Göppinger Arbeiten zur Germanistik, Göppingen 1968ff. gegründet germanisch Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Altertumskunde, Wien 1856–1892 Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen, Tübingen 1960ff. Willem P. Gerritsen u. Anthony G. van Melle (Hgg.), A Dictionary of Medieval Heroes, übers. v. Tanis Guest, Woodbridge (N.Y.) 1998 [Ndl. Ausgabe Nimwegen 1993] German Life and Letters, Oxford 1936ff. (N.F. 1947ff.) The German Quarterly, Appleton (Wis.) 1928ff. Grammatik Claude Buridant, Grammaire nouvelle de l’ancien français, Paris 2000 Adolphe van Loey, Middelnederlandse spraakkunst, 2 Bde., Groningen 71976; I: Vormleer; II: Klankleer Gérard Moignet, Grammaire de l’ancien français. Morphologie, syntaxe, Paris 32002 griechisch Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, hg. v. Hans Robert Jauß u. Erich Köhler, Heidelberg 1968ff. Germanisch-romanische Monatsschrift, Heidelberg 1909ff. (N.F. 1950ff.)

394 H. HDA Hdb. Heidelberg, cpg Hg(g)., hg. v. Heinzle (Hg.), LG

Hl., hl. HLF HMS

Hs(s). HWP IASL idg. inc. it. Jb. JbIG JbOWG JEGPh Jh.

Abkürzungsverzeichnis Hälfte, Heft Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. Hanns Bächtold-Stäubli, 10 Bde., Berlin 1927–1942 [Nachdr. Berlin 2000] Handbuch Heidelberg, Universitätsbibliothek, codex palatinus germanicus (+ Nr.) Herausgeber, herausgegeben von Joachim Heinzle (Hg.), Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit; I/1: Wolfgang Haubrichs, Von den Anfängen zum hohen Mittelalter. Die Anfänge: Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700–1050/60), Königstein/Ts. 21995 [11988]; I/2: Gisela Vollmann-Profe, Von den Anfängen zum hohen Mittelalter. Wiederbeginn volkssprachiger Schriftlichkeit im hohen Mittelalter (1050/60–1160/70), Königstein/Ts. 21994 [11986]; II/1: L. Peter Johnson, Vom hohen zum späten Mittelalter. Die höfische Literatur der Blütezeit (1160/70–1220/30), Königstein/ Ts. 1999; II/2: Joachim Heinzle, Vom hohen zum späten Mittelalter. Wandlungen und Neuansätze im 13. Jahrhundert (1220/ 30–1280/90), Königstein/Ts. 21994 [11984]; III/1: Johannes Janota, Vom späten Mittelalter zum Beginn der Neuzeit. Orientierung durch volkssprachige Schriftlichkeit (1280/90–1380/90), Königstein/Ts. 2004. Heilige(r), heilig Histoire littéraire de la France, begr. v. Dom Rivet, hg. v. Paulin Paris u.a., Paris 1733ff. Friedrich Heinrich von der Hagen (Hg.), Minnesinger. Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts; I–IV: Leipzig 1838 [Neudr. Aalen 1963], V–VI: Leipzig 1856 [Neudr. Aalen 1962] Handschrift(en) Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, 13 Bde., Darmstadt 1971–2007 Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Berlin 1976ff. indogermanisch incipit italienisch Jahrbuch Jahrbuch für internationale Germanistik, Frankfurt a. M. u.a. 1969ff. Jahrbuch der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft, Frankfurt a. M. u.a. 1980/81ff. The Journal of English and Germanic Philology, Urbana (Ill.) 1901ff. Jahrhundert

Allgemeine Bibliographie Kalff, LG Kap. Klapp KLD Kluge Knapp, LG

Knuvelder, LG

Komm., komm. krit. KTRMA Langlois lat. LB Lexer LG LGRPh LiLi Lit. Literaturwiss., literaturwiss.

395

Gerrit Kalff, Geschiedenis der Nederlandsche letterkunde, 7 Bde., Groningen 1906–1912; I: Standenpoëzie, Groningen 1906; II: Volkskunst, Groningen 1907 Kapitel Bibliographie der französischen Literaturwissenschaft, begr. v. Otto Klapp, hg. v. Astrid Klapp-Lehrmann, Frankfurt a. M. 1960ff. Carl von Kraus (Hg.), Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts; I: Texte; II: Kommentar, besorgt v. Hugo Kuhn; 2. Aufl. durchges. v. Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978 [11952–1958] Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl. bearb. v. Elmar Seebold, Berlin 2002 Herbert Zeman (Hg.), Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart; I: Fritz Peter Knapp, Die Literatur des Früh- und Hochmittelalters in den Bistümern Passau, Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273, Graz 1994; II/1: ders., Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439. Die Literatur in der Zeit der frühen Habsburger bis zum Tod Albrechts II. 1358, Graz 1999; II/2: ders., Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439. Die Literatur zur Zeit der habsburgischen Herzöge von Rudolf IV. bis Albrecht V. (1358–1439), Graz 2004 Gerard P. M. Knuvelder, Handboek tot de geschiedenis der Nederlandse letterkunde, 4 Bde., ’s-Hertogenbosch 61967; I: Van de aanvang tot de vroege renaissance, ’s-Hertogenbosch 81982 [11948] Kommentar, kommentiert kritisch Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben, München 1962ff. Ernest Langlois, Table des noms propres de toute nature compris dans les chansons de geste imprimées, Paris 1904 [Nachdr. Genf 1974] lateinisch Leuvense bijdragen, Löwen 1896ff. Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Leipzig 1872–1878 [Nachdr. Stuttgart 1992] Literaturgeschichte Literaturblatt für germanische und romanische Philologie, Heilbronn 1880–1944 Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Stuttgart/ Weimar 1970ff. Literatur Literaturwissenschaft, literaturwissenschaftlich

396 Literatuur LJb LL LL2 LMA LR LThK

MA MAev MAev PhSt MAge Manitius, LG MarR masch. md. me. Mediaevalia Mediaevistik MF

mfrk. MGG MGG2 MGH

Abkürzungsverzeichnis Literatuur. Tweemaandelijks tijdschrift over Nederlandse letterkunde, Amsterdem 1984–2004 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, (N.F.) Berlin 1960ff. Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, hg. v. Walther Killy, 14 Bde. (+ Registerbd.), Gütersloh 1988–1993 Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums, 2. Aufl. hg. v. Wilhelm Kühlmann, 12 Bde. (+ Registerbd.), Berlin/New York 2007ff. Lexikon des Mittelalters, hg. v. Robert Auty u.a., 9 Bde. (+ Registerbd.), München u.a. 1980–1999 Les lettres romanes, Löwen 1947ff. Lexikon für Theologie und Kirche, begr. v. Michael Buchberger, 3., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Walter Kasper, 10 Bde. (+ Registerbd.), Freiburg 1993–2001 Mittelalter(s) Medium Aevum, Oxford 1932ff. Medium Aevum. Philologische Studien, München 1963ff. Le moyen âge. Revue d’histoire et de philologie, Brüssel/Paris 1888ff. Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, 3 Bde. (Handbuch der Altertumswissenschaft IX/2/1–3), München 1911–1931 [Nachdr. München 1965] Marche romane, Lüttich 1951–1993 maschinenschriftlich mitteldeutsch mittelenglisch Mediaevalia. A Journal of Mediaeval Studies, Binghamton (N.Y.) 1975ff. Mediaevistik. Internationale Zeitschrift für interdisziplinäre Mittelalterforschung, Frankfurt a. M. u.a. 1988ff. Des Minnesangs Frühling, unter Benutzung der Ausgg. v. Karl Lachmann u. Moriz Haupt, Friedrich Vogt u. Carl von Kraus neu bearb. v. Hugo Moser u. Helmut Tervooren, 3 Bde., Stuttgart 361977–1981; I: Texte, 38., erneut revidierte Aufl., Stuttgart 1988; II: Editionsprinzipien, Melodien, Handschriften, Erläuterungen, Stuttgart 1977; III: Kommentare, [Nachdr.] Stuttgart 1981; III/1: Carl von Kraus, Untersuchungen, Leipzig 1939; III/2: Anmerkungen, 30. Aufl. neu bearb. v. Carl von Kraus, Zürich 1950 mittelfränkisch Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Friedrich Blume, 14 Bde. (+ 3 Supplementbde.), Kassel u.a. 1949–1986 Die Musik in Geschichte und Gegenwart, begr. v. Friedrich Blume, 2. Ausg. hg. v. Ludwig Finscher, 2 Teile in 26 Bde., Kassel u.a. 1994ff. Monumenta Germaniae historica, Berlin u.a. 1826ff., München 1949ff.

Allgemeine Bibliographie MGH AA MGH DC MGH DMA MGH EE MGH HM MGH LL MGH PL MGH QG MGH Schr. MGH SRG MGH SRL MGH SRM MGH SS MGH ST mhd. Mhd. Gramm. Mhd. Wb. MIF MIGSN

Minis I Minis II MIÖG MJb mlat. Mlat. Wb. MLJ MLN MLQ MLR MM MMS

397

MGH Scriptores. Auctores antiquissimi, 15 Bde. MGH Scriptores. Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des MA, 6 Bde. MGH Deutsches Mittelalter. Kritische Studientexte, 4 Hefte MGH Epistolae, bisher 25 Bde. MGH Hilfsmittel, bisher 25 Bde. MGH Leges, bisher 63 Bde. MGH Antiquitates. Poetae latini medii aevi, bisher 6 Bde. MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters, bisher 27 Bde. Schriften der MGH, bisher 62 Bde. MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, 78 Bde.; N.F.: Scriptores rerum Germanicarum, bisher 25 Bde. MGH Scriptores rerum Langobardorum et Italicarum, 1 Bd. MGH Scriptores rerum Merovingicarum, 7 Bde. MGH Scriptores, bisher 38 Bde. MGH Studien und Texte, bisher 53 Bde. mittelhochdeutsch Hermann Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik, 25. Aufl. neu bearb. v. Thomas Klein, Tübingen 2007 Mittelhochdeutsches Wörterbuch, hg. v. Kurt Gärtner u.a., bisher 1 Bd., Stuttgart 2006ff. Stith Thompson, Motif-Index of Folk-Literature, 6 Bde., Kopenhagen 21955–1958 [11932–1936] Motif-Index of German Secular Narratives from the Beginning to 1400, hg. v. d. Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung v. Helmut Birkhan, 7 Bde., Berlin/New York 2005–2010 Cola Minis, Französisch-deutsche Literaturberührungen im Mittelalter, in: RJb 4 (1951), S. 55–123 Cola Minis, Französisch-deutsche Literaturberührungen im Mittelalter, in: RJb 7 (1955/56), S. 66–95 Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1923–1942: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung), Innsbruck u.a. 1880ff. Mittellateinisches Jahrbuch, Stuttgart 1964ff. (Beihefte: 1968ff.) mittellateinisch Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert, hg. v. d. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, bisher 4 Bde. (+ Registerbd.), München 1959ff. Modern Language Journal, New York 1916ff. Modern Language Notes, Baltimore 1886ff. Modern Language Quaterly, Seattle 1940ff. Modern Language Review, London 1905ff. Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln, Köln 1960ff. Münstersche Mittelalter-Schriften, München 1970ff.

398

Abkürzungsverzeichnis

mnd. mnl. Mnl. Gramm.

mittelniederdeutsch mittelniederländisch Johannes Franck, Mittelniederländische Grammatik, Leipzig 21910 [Nachdr. Arnheim 1971] Mnl. Wb. Eelco Verwijs u. Jakob Verdam, Middernederlandsch woordenboek, 11 Bde., ’s-Gravenhage 1885–1952 Molinier Auguste Molinier, Les sources de l’histoire de France des origines aux guerres d’Italie (1494), 6 Bde., Paris 1901–1906 [Neudr. New York 1964] MPh Modern Philology, Chicago 1903ff. MPG Patrologiae cursus completus, series Graeca, hg. v. Jacques Paul Migne, 161 Bde., Paris 1857–1866. MPL Patrologiae cursus completus, series Latina, hg. v. Jacques Paul Migne, 217 Bde. (+ 4 Registerbde.), Paris 1844–1864. MR Medioevo romanzo, Rom 1974ff. ms(s). manuscrit(s), manuscript(s) MSt Mediaeval Studies, Toronto 1939ff. MTU Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, hg. v. d. Kommission für deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1960ff. München, cgm (clm) München, Bayerische Staatsbibliothek, codex germanicus Monacensis (codex latinus Monacensis) (+ Nr.) Museum Museum. Tijdschrift voor filologie en geschiedenis, Leiden 1893–1959 NAWG NdJb ndl. NdSt Neophilologus N.F. nfrk. nhd. NHL Niermeyer NLk NM NT NTg NTk

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Allgemeine Bibliographie obd. OFM OGSt o.J. okz. Olifant Van Oostrom, LG OP OSB österr.

399

oberdeutsch Ordo fratrum minorum – Franziskaner Oxford German Studies, London 1966ff. ohne Jahr okzitanisch Olifant. A Publication of the Société Rencesvals, AmericanCanadian Branch, Winnipeg 1973ff. Frits P. van Oostrom, Stemmen op schrift. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur vanaf het begin tot 1300, Amsterdam 2006. Ordo fratrum praedicatorum – Dominikaner Ordo sancti Benedicti – Benediktiner österreichisch

Paris, B.N. ms. fr./lat. Paris, Biblothèque nationale de France, manuscrit français/latin (+ Nr.) PBB Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, begr. v. Hermann Paul u. Wilhelm Braune, Halle a. d. S. 1874– 1979, Tübingen 1955ff. PBB (Halle) PBB, Halle a. d. S. 1955–1979 PBB (Tüb.) PBB, Tübingen 1955–1979 PC Alfred Pillet, Bibliographie der Troubadours, hg. u. bearb. v. Henry Carstens, Halle a. d. S. 1933 [Nachdr. New York 1968] PhStQu Philologische Studien und Quellen, Berlin 1956ff. PMLA Publications of the Modern Language Association of America, New York 1884ff. Poetica Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft, München 1967ff. PQ Philological Quarterly, Iowa City 1922ff. PRF Publications romanes et françaises (1930–1960: Société de publications romanes et françaises), Genf 1930ff. prov. provenzalisch QF Queeste R. RAC RBPh RE

Reg.

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Berlin u.a. 1874–1996 Queeste. Tijdschrift over middeleeuwse letterkunde in de Nederlanden, Hilversum 1994ff. G. Raynauds Bibliographie des altfranzösischen Liedes, neu bearb. und ergänzt v. Hans Spanke, Teil 1, Leiden 1955 Reallexikon für Antike und Christentum, begr. v. Franz Joseph Dölger, hg. v. Theodor Klauser u.a., bisher 24 Bde., Stuttgart 1950ff. Revue belge de philologie et d’histoire, Brüssel 1922ff. Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, begr. v. August Pauly, neue Bearbeitung hg. v. Georg Wissowa u.a., 1. Reihe 24 Bde., 2. Reihe 10 Bde., 15 Supplementbde., Stuttgart 1893–1978 Register

400 REW Rez. RF RG RGA RGG rhfrk. RHLF RJb RL RLG RLLO RLR RMSt RN rom. Romania RPh RR RSM

RSt RUB RZLG S. SATF SB SBB

Abkürzungsverzeichnis Wilhelm Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch (SREH III/3), Heidelberg 31935 [Nachdr. Heidelberg 1992] Rezension Romanische Forschungen, Frankfurt a. M. 1883ff. Recherches germaniques, Straßburg 1971ff. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, begr. v. Johannes Hoops, 2., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Heinrich Beck u.a., 35 Bde., Berlin 1973–2007 [11913–1919] Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 4., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Hans Dieter Betz, 8 Bde. (+ Registerbd.), Tübingen 1998–2006 rheinfränkisch Revue d’histoire littéraire de la France, Paris 1894ff. Romanistisches Jahrbuch, Hamburg 1947ff. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft (Neubearbeitung des RLG), hg. v. Klaus Weimar u.a., 3 Bde., Berlin 1997– 2003 Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begr. v. Paul Merker u. Wolfgang Stammler, 2. Aufl. hg. v. Werner Kohlschmidt u.a., 4 Bde. (+ Registerbd.), Berlin 1958–1988 Revue de langue et littérature d’Oc (1960–1961: Revue de langue et littérature provençales), Avignon 1960ff. Revue des langues romanes, Montpellier 1870ff. Reading Medieval Studies, Oxford 1975ff. Romance Notes, Chapel Hill (N.C.) 1960ff. romanisch Romania. Revue (1872–1942: Recueil) trimestrielle consacrée à l’étude des langues et littératures romanes, Paris 1872ff. Romance Philology (Research Center for Romance Studies, Berkeley), Turnhout 1947ff. Romanic Review, New York 1910ff. Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts, hg. v. Horst Brunner; I: Überlieferung, Tübingen 1994; II: Katalog der Töne, Tübingen 2009; III–XIII: Katalog der Texte, Tübingen 1986–1990; XIV–XVI: Register, Tübingen 1996–2002 Romanistische Studien, Berlin 1897–1941 Reclam Universal-Bibliothek, Leipzig 1867–1992 u. Stuttgart 1947ff. Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte (1994–1997: Cahiers d’histoire des littératures romanes), Heidelberg 1977ff. Seite (Publications de la) Société des anciens textes français, Paris 1875ff. Sitzungsberichte Sitzungsberichte der (Preußischen/Deutschen) Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Phil.-hist. Klasse, Berlin 1836ff.

Allgemeine Bibliographie SBH SBL SBM SBW Schneider Scriptorium Sénéfiance Slg. SM SMS Sp. span. Speculum SpL SREH St. StF StM StN Stotz Stouten u.a. (Hgg.), LG StPh Str. StR Tab. TCFMA Tervooren TL

401

Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Heidelberg 1909ff. Sitzungsberichte (1849–1960: Berichte über die Verhandlungen) der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.hist. Klasse, Berlin 1849–1960, Leipzig 1962ff. Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, Phil.-hist. Klasse, München 1860ff. Sitzungsberichte der (Österreichischen) Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-hist. Klasse, Wien 1848ff. Karin Schneider, Gotische Schriften in deutscher Sprache, 2 Teile; I: Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300, 2 Bde., Wiesbaden 1987. Scriptorium. Revue internationale des études relatives aux manuscrits, Brüssel 1946ff. Sénéfiance [Schriftenreihe], Aix-en-Provence 1976ff. Sammlung Sammlung Metzler, Stuttgart 1961ff. Die Schweizer Minnesänger, hg. v. Karl Bartsch, Frauenfeld 1886; Die Schweizer Minnesänger, [nach der Ausg. v. Karl Bartsch] neu bearb. u. hg. v. Max Schiendorfer, Tübingen 1990 Spalte spanisch Speculum. A Journal of Medieval Studies, Cambridge (Mass.) 1926ff. Spiegel der letteren. Tijdschrift voor nederlandse literatuurgeschiedenis en voor literatuurwetenschap, Löwen 1956ff. Sammlung romanischer Elementar- und Handbücher, Heidelberg 1901ff. Sankt, Saint(e) Studi francesi, Turin 1957ff. Studi medievali, Spoleto 1904ff. Studia neophilologica, Oslo u.a. 1928ff. Peter Stotz, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, 5 Bde., München 1996–2004 Hanna Stouten u.a. (Hgg.), Histoire de la littérature néerlandaise. Pays-bas et Flandre, Paris 1999 Studies in Philology, Chapel Hill (N.C.) 1906ff. Strophe Studia romanica, Heidelberg 1961ff. Tabelle Traductions des classiques français du Moyen Âge, Paris 1968ff. Helmut Tervooren, Van der Masen tot op den Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas, Berlin 2006 Adolf Tobler, Altfranzösisches Wörterbuch, bearb. u. hg. v. Erhard Lommatzsch, weitergeführt v. Hans Helmut Christmann, 11 Bde., Stuttgart 1925–2002

402 TLF TNTL Totok TPMA TRE TVNM

Abkürzungsverzeichnis Textes littéraires français, Genf u.a. 1945ff. Tijdschrift voor Nederlandse taal- en letterkunde, Leiden 1881ff. Wilhelm Totok, Handbuch der Geschichte der Philosophie; II: Mittelalter, Frankfurt a. M. 1973 Thesaurus proverbiorum medii aevi, begr. v. Samuel Singer, hg. v. Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, 13 Bde., Berlin 1995–2002 Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Krause u. Gerhard Müller, 36 Bde. (+ 2 Registerbde.), Berlin 1974–2007 Tijdschrift van de (Koninklijke) Vereniging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis, Amsterdam 1882ff.

UB Übers., übers. übertr. Überweg

Universitätsbibliothek Übersetzung, übersetzt übertragen Friedrich Überweg (Hg.), Grundriß der Geschichte der Philosophie; II/2: Die patristische und scholastische Philosophie, hg. v. Bernhard Geyer, Berlin 131956

V. Verf., verf. VGI

Vers Verfasser, verfaßt Veröffentlichungen (1958–66: Mitteilungen) des Grabman-Instituts zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, München u.a. 1958ff. (N.F. 1967ff.) Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Afdeeling Letterkunde, Amsterdam (N.F.) 1938ff. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begr. v. Wolfgang Stammler, 2., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Kurt Ruh u. Burghart Wachinger, 10 Bde. (+ 4 Ergänzungsbde.), Berlin 1978–2008 [11933–1955] Verslagen en mededelingen der Koninklijke Vlaamsche academie voor taal- en letterkunde (ab 1972: Verslagen en mededelingen der Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde), Gent 1887ff. Vox romanica, Basel u.a. 1936ff.

VKNAW VL

VMKVA

VR Walther

Wb. WdF Wien, cod. Te Winkel, LG

Hans Walther, Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung, 5 Bde. (+ Registerbd.), Göttingen 1963–1969. Wörterbuch Wege der Forschung, Darmstadt 1956ff. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Codex Vindobonensis (+ Nr.) Jan te Winkel, De ontwikkelingsgang der Nederlandsche letterkunde, 3 Teile in 7 Bde., Haarlem 21922–1927 [Neudr. Utrecht

Abkürzungen biblischer Bücher

Wiss., wiss. WSt WW Z. ZfdA ZfdPh ZfG ZfrPh ZFSL Zink, LG zit.

1973]; I: Geschiedenis der Nederlandsche letterkunde van Middeleeuwen en Rederijkerstijd, Haarlem 21922 [11908] Wissenschaft(en), wissenschaftlich Wolfram-Studien, Berlin 1970ff. Wirkendes Wort, Trier 1950ff. Zeile Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Wiesbaden u.a. 1841–1875, Stuttgart 1876ff. Zeitschrift für deutsche Philologie, Berlin 1869ff. Zeitschrift für Germanistik, Berlin u.a. 1980ff. (N.F. 1991ff.) Zeitschrift für romanische Philologie, Tübingen 1877ff. Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, Stuttgart u.a. 1889ff. Michel Zink, Littérature française du Moyen Age, Paris 22001 [11992] zitiert (bei Ausgaben: nach dieser Ausgabe wird zitiert)

(Abkürzungen biblischer Bücher nach der Vulgata) Abd Act Agg Am Apo Bar Ct Col I Cor II Cor Dn Dt Ec Eph I Esr II Esr Est Ex Ez Gal Gn Hab Hbr Iac Idc Idt

403

Abdias Apostelgeschichte Aggäus Amos Geheime Offenbarung (Apokalypse) Baruch Hoheslied Kolosserbrief 1. Korintherbrief 2. Korintherbrief Daniel Deuteronomium Prediger (Ecclesiastes) Epheserbrief 1. Esdras 2. Esdras (Nehemias) Esther Exodus Ezechiel Galaterbrief Genesis Habakuk Hebräerbrief Jakobusbrief Richter Judith

404 Ier Io I Io II Io III Io Iob Ioel Ion Ios Is Iud Lam Lc Lv Mal Mc I Mcc II Mcc Mi Mt Na Nm Os I Par II Par Phil Phlm Prv Ps I Pt II Pt III Rg IV Rg Rm Rt Sap Sir I Sm II Sm So Tb I Th II Th I Tim II Tim Tit Za

Abkürzungsverzeichnis Jeremias Johannes-Evangelium 1. Johannesbrief 2. Johannesbrief 3. Johannesbrief Job Joel Jonas Josue Isaias Judasbrief Klagelieder Lukas-Evangelium Leviticus Malachias Markus-Evangelium 1. Makkabäer 2. Makkabäer Michäas Matthäus-Evangelium Nahum Numeri Osee 1. Chronik (Paralipomenon) 2. Chronik (Paralipomenon) Philipperbrief Philemonbrief Sprüche Psalm(en) 1. Petrusbrief 2. Petrusbrief 3. Könige 4. Könige Römerbrief Ruth Weisheit Sirach (Ecclesiasticus) 1. Samuel (1. Könige) 2. Samuel (2. Könige) Sophonias Tobias 1. Thessalonicherbrief 2. Thessalonicherbrief 1. Timotheusbrief 2. Timotheusbrief Titusbrief Zacharias