Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips: Eine rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie [1 ed.] 9783428501953, 9783428101955

Der Autor widmet sich der Frage, inwieweit der Grundsatz der Subsidiarität in gegliederten Gemeinwesen als Maßstab für d

134 33 46MB

German Pages 462 Year 2001

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips: Eine rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie [1 ed.]
 9783428501953, 9783428101955

Citation preview

WOLFRAM MOERSCH

Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 73

Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips Eine rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie

Von Wolfram Moersch

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Moersch, Wolfram:

Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips : eine rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie I von Wolfram Moersch.Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 73) Zug!. : Speyer, Dt. Hochsch. für Verwaltungswiss., Diss., 1999 ISBN 3-428-10195-2

Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 2001

JSSN 0937-6305 ISBN 3-428-10195-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand zum überwiegenden Teil während meiner Tätigkeit am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Abgeschlossen wurde sie am Rechtszentrum für europäische und internationale Zusammenarbeit in Köln, wo ich im Anschluß an meine Speyerer Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung "Staatsrecht und Verfassungsrecht in Europa" unter der Leitung von Prof. Dr. Dres. h. c. Klaus Stern beschäftigt bin. Von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer wurde die Untersuchung im Sommersemester 1999 als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie überarbeitet, ergänzt und aktualisiert. Die Literatur konnte bis Januar 2000 berücksichtigt werden. Die Idee, sich dem Grundsatz der Subsidiarität einmal mit einem anderen Ansatz zu nähern, entstand bei einem Seminar von Univ.-Prof. Dr. Hermann Hill. Ihm danke ich für seine geduldige Betreuung der Arbeit, seine wohlwollende Bereitschaft, die verschiedenen Aufbau- und Schwerpunktverschiebungen zu akzeptieren, vor allem aber für seine beharrliche Mahnung, Interdisziplinarität und den Bezug zur Praxis nicht aus den Augen zu verlieren. Dank schulde ich auch Herrn Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Merten für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens, besonders jedoch für zahlreiche Anregungen und seine stets konstruktive Kritik, die er mir während unserer dreijährigen Zusammenarbeit in Speyer und bei vielen Deidesheimer Gesprächen hat zuteil werden lassen. Danken möchte ich ferner Herrn Univ.-Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann, der trotz vielfaltiger eigener Verpflichtungen mir immer ein kenntnisreicher und kritischer Diskussionspartner auch zu später Stunde gewesen ist. Den Damen der Speyerer Hochschulbibliothek Frau Dipl.-Bibliothekarin Sybille Roßhirt und Frau Uschi Ohliger danke ich für ihre tatkräftige Unterstützung bei der nicht immer leichten Literaturrecherche. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Frau Gabriele Billigen-Koenen, Sekretärin am Rechtszentrum für europäische und internationale Zusammenarbeit in Köln, für die zügige und professionelle Erstellung des Manuskripts. Danken möchte ich schließlich meiner Familie für vielfaltige Unterstützung, die ich erfahren habe, besonders jedoch meinem Vater Winfried Moersch für die Mühe des Korrekturlesens und meiner Frau Ulrike

Vorwort

6

Moersch, M. A. (JHU), Mag. rer. publ., dafür, daß sie mir vor allem in der Endphase der Arbeit den Rücken freigehalten hat.

Zu danken habe ich Herrn Univ.-Prof Dr. Siegfried Magiera und Herrn Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Merten für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Europäischen Recht" und dem Bundesrat für die Gewährung einer Druckkostenbeihilfe. Bonn, im März 2000

Wolfram Moersch

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Zur Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Zielsetzung und Konzeption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Erstes Kapitel

Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen des Subsidiaritätsprinzips............ ........ . . . ......... . . . .......... . .... . . ...... . .. ... I. Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Historische Grundlagen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Problematik zeitlicher Fixierung.... . .. ... ........... . . . . . . . 2. Der Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Immanuel Kant und Wilhelm von Humboldt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Robert von Mohl... . ... . ..... . ......... . ... . .. . .. . . ..... . . c) Georg Jellinek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die katholische Soziallehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips in politikwissenschaftlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Subsidiaritätsprinzip in der politikwissenschaftlichen Steuerungsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der politikwissenschaftliche Steuerungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polyzentrismus, Neokorporatismus, Delegation und Subsidiarität . . . a) Korporalismus oder Neokorporalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Delegation und Subsidiarität......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 23 25 25 26 27 28 31 35 39 39 40 40 42 43 47 49

C. Ausprägungen und Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

II. Das Subsidiaritätsprinzip als Relationsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendungsvoraussetzungen. . .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen eines Konkurrenzverhältnisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bezogenheil auf individualistische Systeme... . .... .. . . ... . ..... . IV. Die Ambivalenz des Subsidiaritätsprinzips und ihre Auflösung....... . V. Merkmale. . .. .. . . . . .. .. . . . . .. . . .. . .. . ...... . . .... . ... .. .........

51 54 54 55 60 63

8

Inhaltsverzeichnis 1. Universalität und Nonnativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

a) Die Universalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Normativität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Dependenz des Subsidiaritätsprinzips von Zweck- und Zielvorgaben.................................. . . . .................. a) Das Subsidiaritätsprinzip in teleologischen Lehren . . . . . . . . . . . . b) Die Orientierungsfunktion von Ziel- und Zwecksetzungen . . . . . aa) Die final-teleologische Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zur rechtlichen Bedeutung von Gemeinschaftszwecken... . cc) Die funktionale Systemtheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Bestimmtheilsgrad der Zwecksetzungen................. . VI. Funktionen und Zeitgebundenheit des Subsidiaritätsprinzips. . . . . . . . . . . 1. Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitgebundenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 68 69 69 71 72 73 75 77 79 79 80 82

Zweites Kapitel

Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des Grundgesetzes A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Methodologische Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hauptthesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Annahme des Subsidiaritätsgrundsatzes als allgemeiner Verfassungsgrundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ableitungen eines Verfassungsgrundsatzes der Subsidiarität aus konkreten Einzelbestimmungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeine Verfassungs- und Rechtsgrundsätze als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips . . . .. .. . .. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ablehnung einer verfassungsrechtlichen Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritische Würdigung der staatsrechtlichen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ableitung des Subsidiaritätsprinzips aus dem Menschenbild des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Induktionsschluß von einzelnen Grundrechten auf einen Verfassungsgrundsalz der Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der föderalistische Staatsaufbau als allgemeiner Ausdruck des Subsidiaritätsprinzi ps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bewertung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Offenheit des Föderalismusbegriffs . .. . . .. .. . ..... . ............. III. Zur Unterschiedlichkeil der Föderalismuskonzeptionen der USA, der Schweiz und Österreichs . . . . . ... . ... .. . ..... . . . ...................

85 85 85 86 87 87 88 89 90 92 93 93 96 102 102 104 106

Inhaltsverzeichnis

9

I. Die Vereinigten Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2 Die Schweizer Eidgenossenschaft .......................... .. .. 108 3. Die Republik Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historische Entwicklung bis zum Grundgesetz . . . .. ............... . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Rheinbund ....... . .................. . .................... 3. Der Deutsche Bund ....................................... .. . . 4. Der Norddeutsche Bund ................. .. . . ............... .. . 5. Das Deutsche Reich .................... . . . ............... .. . . 6. Die Weimarer Reichsverfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Würdigung der historischen Entwicklung des deutschen Föderalismus unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Politische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Föderalismuskonzeptionen in der deutschen staatstheoretischen Diskussion des neunzehnten Jahrhunderts ..... ... ............... . . . III. Entstehung und Wandel des Föderalismus unter dem Grundgesetz . . .. . I. Artikel 30 GG als Generalklausel der grundgesetzliehen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beteiligung des Bundesrates an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes ......................................... . . . . IV. Ursachen der Unitarisierung des Bundesstaates . .. ..... . ........... . . 1. Historische Gründe ... . ................ .... ............... . ... 2. Das Legitimationsdefizit des föderalen Prinzips ............... .. . 3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............ . . 4. Die unitarische Wirkung der Grundrechte .... . ............ . .. ... 5. Das Gleichheitspostulat als entscheidende Ursache hundesstaatlicher Unitarisierung ....... ......... ....... .. .. .......... . . . ... V. Würdigung der These des Zusammenhangs von Föderalismus und Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall des Subsidiaritätsprinzips .......... . .................. .. .................. I. Selbstverwaltung als organisatorische und kompetentielle Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips ...... . .............. . ................... 1. Der Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Innenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Selbstverwaltung und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zum Verhältnis von Subsidiaritäts- und Demokratieprinzip. . . . . . . . . . . . E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zum Grundsatz der Subsidiarität. ..................... .. .. . ........ li. Zum Grundsatz der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die demokratische Gleichheit. .. . ........ .. . .... .. . . ...........

112 112 112 114 115 116 120 123 126 126 128 134 138 141 145 145 146 149 152 156 158 163 163 170 171 173 175 178 180 180 181 182

10

Inhaltsverzeichnis 2. Die Rechtsgleichheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die soziale Gleichheit ............. . ...................... .... 4. Grenzen der Umsetzung subsidiärer Strukturen im Gleichheitsstaat . III. Subsidiarität und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Integration als Staatsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Funktion des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Orientierungsleistung des Gemeinwohlgedankens ...... .. . 2. Würdigung des Verhältnisses von Integration und Gemeinwohl zur Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184 185 188 198 198 200 203 209

F. Fazit .... . .... . .... . . . . ..... . . ........ . ............................. 210

Drittes Kapitel

Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

214

A. Allgemeines.... . ............................... . . . .................. 214 B. Diskussion und Ausprägungen des Subsidiaritätsprinzips in der Rechtsordnung der Europäischen Union .................. .. . . ................... I. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zum Stand der Diskussion .................... .. .................. l. Schwerpunkte und Hauptargumentationslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Subsidiaritätsprinzip als Postulat der deutschen Länder . . . . b) Subsidiarität als Kompromißformel. ........... .. ....... . .... c) Erwartungen und Befürchtungen gegenüber dem Subsidiaritätsprinzip ......... . ......................................... 2. Zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips vor dem Maastrichter Vertragswerk ....... .. ..................... . .................. a) Hauptargumente und Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Einstimmigkeitserfordemis ......................... cc) Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung ...... . . . .. ...... dd) Einzelne Vertragsbestimmungen .. . ..................... ee) Artikel 130 r Abs. 4 Satz 1 EWGV .. . .................. ff) Artikel 249 Abs. 3 EGV ............ .. ................. b) Zusammenfassende Würdigung .......... . ........... . ...... 111. Fazit ...... . ......... . . .. ..... . .. .. .. .. .. .. ... . ... .. ..... . .. .. . . C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes .............. . ... . . .... I. Historische Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Europäischer Bundesstaat als Ziel der Integration? ................... III. Konsequenzen der Zieloffenheit des Integrationsprozesses .... . ....... IV. Der Primat der Wirtschaft . ... .. . .. . ..... . .... ... .. ... . . .. .. . . .. . . I. Konzeption und Entwicklung der Gemeinschaftsverträge .... . ..... 2. Struktur und Kompetenzordnung des EG-Vertrages ...... . .. . .....

216 216 217 217 217 226 228 232 232 232 235 237 238 242 245 246 247 250 250 258 266 271 271 274

Inhaltsverzeichnis

II

V. Konsequenzen der wirtschaftlichen Ausrichtung der Integration ..... . . 277 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht . ... . I. Universalität ................. . ............. .. . .............. . . .. I. Die Anwendungsbeschränkungen des Art. 5 Abs. 2 EGV. . . . . . . . . . 2. Abgrenzungs- und Definitionsprobleme ...... . ............ ... . . . a) Einordnung einzelner Politikfelder ..... . . . ............... ... b) Zuordnungskriterien .................................... .. . 3. Würdigung ............ . ................ . .... .. . . .. . ... . . ... . a) Kritik der dargelegten Ansichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ursachen der Definitionsprobleme ....... . ........ . ...... . .. c) Kriterien zur Bestimmung des Merkmals "ausschließliche Zuständigkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Narrnativität und Justitiabilität ................. . ............ . ... . . 1. Zum Stand der Diskussion .. . ....... . ...... .. ... . ....... . . . .. . . 2. Kritische Würdigung .... . . .. .... .... ...... .. .... . . .. ... . ... .. . 3. Die Pflicht zur Begründung ....... . ......... . ............... .. . 4. Klagebefugnis und Darlegungslast .......... .. ................ .. a) Klagebefugte .... . ................. ..... .. . ............ . . . b) Darlegungslast. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Politische Probleme bei der Anwendung und Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips .......... . . . .. . .......... . ..... . ........... . a) Anwendung und Reichweite des Art. 5 Abs. 2 EGV ...... . . . . . b) Zur konkreten Handhabung des Art. 5 EGV .. .. ...... . .... .. . 6. Fazit .................................... .. ............... . .. III. ZielabhängigkeiL .......... . .................. . ............... . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Integration als übergeordneter Gemeinschaftstopos .. . .. . .. . . .. c) Kompetenzübertragungs- oder Kompetenzausübungsregel . . . . . . 2. "Die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen" .............. a) Der grundlegende Zielkonflikt im Gemeinschaftsrecht ...... . . . b) Der Inhalt der Gemeinschaftsziele ....... . .. ... ... . . . .... .... c) Die Definitionsbefugnis . . . .. . ............ . ... .. ......... . . . d) Die "Ebene der Mitgliedstaaten" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . ... . .. . .. . .. . . . . . . . . ..... . . ... ...... . ..... . . .. ......... E. Das Verhältnis des Subsidiaritätsprinzips zu anderen Rechtsnormen und -prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Europäische Gemeinschaftsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EGV ........ . . a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Subsidiarität und Proportionalität . .. . ...... . . ... .. . ......... . .... ... ... . ....... b) Das Verhältnis der Absätze 2 und 3 des Artikels 5 EGV ..... ..

283 283 283 284 285 287 289 289 293 295 303 303 305 309 311 312 317 318 318 320 326 329 329 329 329 331 333 333 334 343 346 348 350 350 350 350 353

12

Inhaltsverzeichnis 2. Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue in Artikel 10 EGV und die Auslegungsmaxime des "effet utile" . . . .. ........... . ........... a) Artikel I 0 EGV .. . . .............. . . ................ . .. . ... b) Die Auslegungsmaxime des "effet utile" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Il. Artikel 23 des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358 358 360 366

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips im Recht der Europäischen Gemeinschaft ..... .. . . ............. .. . ............ . . .. .. . . . . I. Würdigung bisheriger Lösungskonzepte ....... . . ...... . .. . . . . .... .. li. Lösungsvorschlag ..... . . .. ...... . ....... . ..... . .................. III. Begründung .. . . ........ . .......... . .......... . .................. IV. Folgerungen für die Praxis . .......................................

371 371 378 380 382

G. Fazit ..... . . . ............ .... ............ . . . .............. ..... . . ... 385 H. Ausblick ................. . . . ............. . . . ... . . . ....... . . . ...... . . 387 I. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Personen- und Sachverzeichnis . ... . ............................. . . . .... . 437

Abkürzungsverzeichnis a.A. AAS abgedr. Abi. Abs. AcP AdV a.F. AfP ALR Anm. AöR Arg. Art. Aufl. B BayVBI. BIBIPIS

Bd. BGB BGBI. li BK BRD BR-Drs. BRRG BT-Drs. Bull. Bull. BReg. BVerfGE BVerwG BVerwGE B-VG CMLR D

anderer Ansicht Actae Apostolicae Sedis abgedruckt Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis Archiv des Völkerrechts alte Fassung Archiv für Presserecht Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Argurnenturn Artikel Auflage Beilage (in Verbindung mit "Aus Politik und Zeitgeschichte") Bayerische Verwaltungsblätter Beutler, BengtiBieber, RolandiPipkorn, JörniStreil, Jochen, Die Europäische Union - Rechtsordnung und Politik Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil II Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundesrepublik Deutschland Bundesrats-Drucksache Beamtenrechtsrahmengesetz Bundestags-Drucksache Bulletin Bulletin der Bundesregierung amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundesverfassungsgesetz (der Republik Österreich) Common Market Law Review Dokumentensammlung (in Verbindung mit dem Europa-Archiv)

14

ders. d.h. dies. Dok. DÖV DV DVBI. d. Verf. EA EAG EAGV EEA EG EG Abi. EGKS EGKSV EGV endg. EU EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW EvStL EWG EWGV EWS f. FamRZ FAZ ff. FG FN FS F-VG GASP GG ggf. GGO II

Abkürzungsverzeichnis derselbe das heißt dieselbe oder dieselben Dokument Die öffentliche Verwaltung Die Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt der Verfasser Europa-Archiv Europäische Atom-Gemeinschaft Vertrag über die Gründung der Europäischen Atom-Gemeinschaft Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft endgültige (Fassung) Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Gründung der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evangelisches Staatslexikon Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende (Seite) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende (Seiten) Festgabe Fußnote Festschrift Finanzverfassungsgesetz (der Republik Österreich) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (der EU) Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil

Abkürzungsverzeichnis GMBI. GS G/T/E

15

Gemeinsames Ministerialblatt Gedächnisschrift von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-lEGVertrag Gesetz- und Verordnungsblatt GVBI. Handbuch des Verfassungsrechts HdbVR HGB Handelsgesetzbuch Hessische Kreisordnung HKO Herausgeber Hrsg. herausgegeben hrsg. Handbuch des Staatsrechts HStR ibidem ibd. in Verbindung mit i.V.m. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart - Neue Folge JöR N.F. Juristische Schulung JuS Juristen-Zeitung JZ Kommanditgesellschaft KG Kommissionsdokument (der EG oder EU) KOM kritisch krit. Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und RechtswissenKrit. V schaft Iitera lit. Melderechtsrahmengesetz MRRG M/S-B/K/U Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Kommentar mit weiteren Nachweisen m.w.N. Neue juristische Wochenschrift NJW Nummer Nr. NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NWVBI. Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Österreichisches Bundesgesetzblatt ÖBGBI. Offene Handelsgesellschaft OHG Österreichische Juristen-Zeitung ÖJZ Page oder Pagina p. Der Parlamentarische Rat 1948-1949 Pari. Rat. PI. Prot. Plenarsitzungsprotokolle (des Deutschen Bundestages) Preuß. VwBI. Preußisches Verwaltungsblatt Pr. OVGE amtliche Sammlung der Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Dokument des Rates der Europäischen Union Ratsdok. Recht der Arbeit RdA Reichsgesetzblatt RGBI.

16 RIW Rz. S. SEK Slg. SozL Sp. Sten. StL Sub. u.a. UNESCO UPR verf. VerwArch VGH NRW vgl. Vol. VRE VSSR VVDStRL VZG WiSt WRV WVK ZaöRV z. B. ZEUBLG ZEuP ZfRV ZG ZGR ZHR Ziff. zit. ZöR ZParl ZRP

Abkürzungsverzeichnis Recht der internationalen Wirtschaft und Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Randziffer Seite Dokumente des Sekretariats der Kornmission (der EG oder der EU) (amtliche) Sammlung Katholisches Sozial-Lexikon Spalte Stenographisch(er) Bericht oder Protokoll Staatslexikon, herausgegeben von der Görres-Gesellschaft Subsection und anderswo United Nations Educational, Sientific and Cultural Organisation Umwelt- und Planungsrecht Verfasser Verwaltungs-Archiv Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen vergleiche Volurne Vereinigung der Regionen Europas Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Wirtschaft und Statistik Weimarer Reichsverfassung Wiener Vertragsrechts-Konvention Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer zitiert Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung I. Zur Thematik Mit der ausdrücklichen Erwähnung in Art. 5 des EG-Vertrages und in Art. 2 Abs. 2 des EU-Vertrages ist das Subsidiaritätsprinzip erneut in den Blickpunkt der rechtswissenschaftliehen Diskussion gerückt. Schon im Vorfeld, vor allem aber nach der Unterzeichnung des sog. Maastrichter Vertrages durch die Vertreter der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften am 7. Februar 1992 hat die Zahl der Publikationen, die sich mit dem Grundsatz der Subsidiarität befassen, inflationäre Ausmaße angenommen. Hinzu kommt noch, daß die Frage nach der Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland bereits in den sechziger Jahren ein zentrales Thema der deutschen Staatsrechtslehre war, so daß sich Josef Isensee schon 1968 veranlaßt sah, seine grundlegende Arbeit 1 zu diesem Problem thematisch zu rechtfertigen2. Andererseits zeigt die große Zahl von Veröffentlichungen, die sich mit diesem der Sozialphilosophie entstammenden Grundsatz befassen, zum einen die große Bedeutung, die ihm als Organisationsprinzip für gegliederte Gemeinschaften zukommt, und zum anderen, daß eine abschließende und erschöpfende Behandlung dieses Themas kaum möglich ist. Daß dem Subsidiaritätsgedanken als "Strukturprinzip der Europäischen Union"3 und Kompetenzverteilungsmaxime zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten gerade von deutscher Seite größte Beachtung zugemessen wird, verdeutlicht insbesondere seine Aufnahme in den neuen Art. 23 Abs. 1 GG, der den ,,rechtsverbindlichen Auftrag"4 der Bundesrepublik Deutschland, "bei der Entwicklung der Europäischen J. lsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht Vgl. dazu J. lsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 11 f. 3 Als solches bezeichnen ihn 0. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, Art. 23, Rz. 17ff. und R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 16ff. 4 So R. Streinz, ibd., Rz. 10; ähnlich H. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 23, Rz. 3; 0 . Rojahn, ibd., Rz. 3. Die Bundesregierung spricht in ihrem Entwurf zu dem "Europa-Artikel" von "Staatsauftrag", BT-Drs. 12/3338, S. 6. Ungeachtet der unterschiedlichen Terminologie besteht jedoch Einigkeit darüber, daß Art. 23 Abs. 1 GG Rechtsverbindlichkeit zukommt und die Vorschrift eine positive Handlungspflicht enthält, die sich gleichermaßen an Bund und Länder richtet. 1

2

2 Moersch

18

Einleitung

Union" mitzuwirken, unter anderem von der Beachtung des Subsidiaritätsprinzips durch die Union abhängig macht. Darüber hinaus ist auf europäischer wie auf nationaler Ebene das Bemühen erkennbar, die Einhaltung dieses Grundsatzes durch die Organe der Europäischen Gemeinschaften durch entsprechende institutionalisierte Prüfungsverfahren5 und Berichtspflichten6 sicherzustellen. Doch beschränkt sich die Bedeutung des Subsidiaritätsgedankens keineswegs auf die Beziehungen und die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union, ihren Mitgliedstaaten und deren Glieder. Betrachtet man die Diskussion um die Reform des Sozialstaates und die Modemisierung der öffentlichen Verwaltung, erkennt man, daß die vorge5 Vgl. dazu das in Anlage zu § 85 a GGO II enthaltene Prüfraster. Der Text der "Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil" in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1976, GMBI. I S. 550. Das "Prüfmuster für die Subsidiaritätsprüfung" ist ferner aufS. 108f. des Materialbandes zum Abschlußbericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat" abgedruckt. 6 So hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach Einführung des Subsidiaritätsprinzips durch den ,,Maastrichter Vertrag" am 24. November 1993 den "Bericht der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat über die Anpassung der geltenden Rechtsvorschriften an das Subsidiaritätsprinzip", KOM (93) 545 endg., vorgelegt. Seitdem berichtet die Kommission entsprechend der Aufforderung des Europäischen Rates von Brüssel vom Dezember 1993 (vgl. dazu EA 1994, D, S. 16ff. [20]) jährlich über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Vgl. dazu ihren "Bericht an den Europäischen Rat über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1994", KOM (94) 533 endg. vom 25. November 1994, S. 6 und 16, in der durch das Dokument KOM 533 endg./2 vom 29. November 1994 korrigierten Fassung, sowie den "Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Europäischen Rat: Eine bessere Rechtsetzung - Bericht über die Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, über Vereinfachung und Kodifikation vom 21. November 1995, SEK (95) 580; Ratsdok. 12183/95. (Der Text ist ferner abgedr. in der BR-Drs. 904/95). Zu diesem Bericht hat der Bundesrat am 22. März 1996 ein Stellungnahme beschlossen, BR-Drs. 904/95 (Beschluß), die auf der Grundlage der Empfehlungen und Stellungnahmen der mit dem Kornmissionsbericht befaßten Ausschüsse von 11. März 1996 ergangen ist, BR-Drs. 904/ 1/95. Darüber hinaus hat auch die Bundesregierung am 26. Juni 1996 den "Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1995" (Subsidiaritätsbericht 1995), BT-Drs. 13/5180, herausgegeben. Dieserumfaßt den Zeitraum vom 1. April 1995 bis 31. März 1996 und schließt an den "Subsidiaritätsbericht 1994) vom 6. Juni 1995 an, der sich auf den Berichtszeitraum vom 1. April 1994 bis 31. März 1995 erstreckt. Am I. Juli 1997 legte die Bundesregierung den Subsidiaritätsbericht 1996 für den Berichtszeitraum vom 1. April 1996 bis 31. März 1997 vor, BT-Drs. 13/ 8174, dem am 17. Juni 1998 der Subsidiaritätsbericht 1997, für den Zeitraum 1. April 1997 bis 31. März 1998, BT-Drs. 13/11074, folgte. Am 9. Februar 1996 hat zudem der Sachverständigenrat "Schlanker Staat" einen Bericht mit dem Titel: ,,Mit einer konzentrierten und subsidiaritätsgerechten Rechtsetzung zu einem starken Europa" vorgelegt, in dem die "stringentere Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch die EU-Organe und die Mitgliedstaaten als vorrangig für die Schaffung eines leistungsstarken, bürgerfreundlichen Europas" bezeichnet wird.

Einleitung

19

schlageneo Konzepte, soweit sie nicht auf die Einführung von Marktmechanismen im weiteren Sinne gerichtet sind, stark an die ordnungspolitischen Argumente der siebziger und achtziger Jahre erinnern. So geht es bei den Forderungen nach einem .,schlanken Staat"7 , einer .,lean adrninistration", dem "sourcing- oder contracting-out", einer "public-private-partnership" oder ganz allgemein bei der Frage nach der Neudefinition der Staatsaufgaben letztlich darum, festzulegen, welche Funktionen als öffentliche Aufgaben ausgestaltet und staatlichen Stellen zur Erfüllung übertragen werden sollen oder müssen. Dabei wurde die Diskussion über dieses grundlegende ordnungs- und gesellschaftspolitische Thema jedoch bis in die achtziger Jahre hinein in erster Linie als Grundsatzfrage auf der Grundlage unterschiedlicher (Sozial-) Staatsauffassungen geführt, bei der das Spannungsverhältnis von individueller Freiheit und Selbstverantwortung des einzelnen einerseits sowie andererseits des Umfangs und der Reichweite staatlicher Schutz- und Sicherungspflichten im Vordergrund stand. Die aktuelle Auseinandersetzung wird dagegen vornehmlich von der prekären Situation der Staatsfinanzen bestimmt, was die Diskussion häufig auf Fragen der Finanzierbarkeit staatlicher Leistungen und Dienste verengt8 . Doch trotz der gegenwärtigen Dominanz wirtschaftlicher und fiskalpolitischer Argumente bleibt die Frage der Ausgestaltung der Staatsaufgaben letztlich eine ordnungspolitische und kompetentielle Diskussion, die große Parallelen und eine hohe Affinität zu der alten staatswissenschaftliehen Debatte um das sozialphilosophische Prinzip der Subsidiarität aufweist. Dies verdeutlicht, daß dem Subsidiaritätsprinzip mit seiner strukturellen und steuerungspolitischen Aussage letztlich auch in der Auseinandersetzung um eine Reform des modernen Leistungsstaates Bedeutung zukommt, auch wenn der Begriff .,Subsidiarität" hierbei seltener verwandt wird. Im Rahmen dieser Untersuchung ist es jedoch nicht möglich, die gegenwärtige Reformdiskussion unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsgedankens zu würdigen.

7 Vgl. dazu den von dem Sachverständigenrat "Schlanker Staat" vorgelegten "Abschlußbericht", in dem die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips nicht nur für das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu den Europäischen Gemeinschaften, sondern auch im Bund-Länder-Verhältnis nachdrücklich angemahnt wird (S. 27, 40, 49). 8 Symptomatisch für die Diskussion ist insoweit der Beitrag von W. Albers, Reform und Konsolidierung des Sozialstaats, S. 87 f., der zunächst ganz allgemein auf die Problematik der Staatsaufgaben hinweist, dann jedoch ausschließlich auf die Finanzierung der Pflegeversicherung eingeht.

20

Einleitung

ß. Zielsetzung und Konzeption

In der älteren staatswissenschaftliehen Erörterung des Subsidiaritätsprinzips herrscht die Tendenz vor, diesen sozialphilosophischen Grundsatz als ein dem Grundgesetz und der auf ihm aufbauenden Rechtsordnung immanentes Prinzip nachzuweisen, das in verschiedenen Bestimmungen und Grundsätzen der Verfassung Ausdruck gefunden haben soll. Dem Subsidiaritätsgedanken wird zumeist als überpositives Verfassungsprinzip rechtliche Verbindlichkeit zugemessen. Dabei legen die meisten Autoren9 ihren Ausführungen das Subsidiaritätsverständnis der katholischen Soziallehre zugrunde. Die Tatsache, daß der Gedanke nicht der kirchlichen Dogmatik entstammt, wird hierbei in der Regel ebenso verkannt oder ignoriert wie die spezifische Prägung, die diese Idee in der katholischen Soziallehre erhalten hat. Auch in der europarechtlichen Literatur wird hinsichtlich des Ursprungs und des Inhalts dieses Organisationsgrundsatzes ganz überwiegend auf die Enzyklika "Quadragesima anno" Papst Pius XL aus dem Jahre 1931 und damit auf seine theologisch-dogmatische Provenienz verwiesen. Die Fixierung und kritiklose Übernahme des kirchlichen Subsidiaritätsverständnisses in weiten Teilen der europarechtlichen Diskussion läßt manche Autoren zu Deutungen gelangen, die einer näheren Überprüfung am geltenden Recht der Europäischen Union nicht standhalten 10• Inhaltlich ist die Auseinandersetzung um den Subsidiaritätsgrundsatz auf europäischer Ebene im Gegensatz zu der älteren staatsrechtlichen Diskussion darauf gerichtet, diesen nunmehr in Art. 5 Abs. 2 EGV und in Artikel 2 Abs. 2 EUV 11 aufgenommenen und damit formal positivierten Grundsatz zu konkretisieren und als taugliches Instrument zur Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten auszugestalten. Dabei herrschen in der Literatur ganz überwiegend Versuche vor, aus der zentralen Aussage dieses Grundsatzes, der Präferenzentscheidung zugunsten der ,,kleineren" oder "unteren" Gemeinschaften, unmittelbar Schlußfolgerungen hinsichtlich der Geltung, der Umsetzung oder Konkretisierung dieses Prinzips zu ziehen. Dabei vermag diese verkürzte Betrachtungsweise jedoch zum einen die Vielschichtigkeit und Leistungsfahigkeit des Subsi9 Ausnahmen stellen hier insbesondere die grundlegenden Arbeiten J. lsensees, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, und R. Zucks, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, dar. 10 Das bedeutet indes nicht, daß ein Rückgriff auf die Ursprüge und philosophischen Bezüge des Subsidiaritätsprinzips überhaupt keinen Erklärungswert für die Auslegung und Anwendung dieses Grundsatzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht besitzt. So aber wohl P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (49). 11 Vgl. dazu das Gesetz vom 28. Dezember 1992, BGBI. II S. 1251.

Einleitung

21

diaritätsgrundsatzes nur sehr unzureichend zu erfassen. Zum anderen überzeugt dieser Ansatz auch deshalb nicht, weil er die beiden methodischen Hauptprobleme, die sich bei der Umsetzung eines Grundsatzes in konkrete Rechtsregeln ergeben, außer acht läßt. So berücksichtigt weder der induktive Rückschluß aus einzelnen Bestimmungen und Rechtsinstituten des Grundgesetzes auf einen allgemeinen Verfassungsgrundsatz der Subsidiarität noch umgekehrt die unmittelbare Deduktion konkreter Rechtsnormen aus diesem formalen Organisationsprinzip das methodische Problem der Umsetzung eines metajuristischen Grundsatzes in ein Rechtsprinzip. Darüber hinaus wird weder in der juristischen Methodologie noch in der europarechtlichen Literatur der Frage nachgegangen, wie konkrete Rechtsnormen aus allgemeinen Rechtsprinzipien abgeleitet werden können 12. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen, das Subsidiaritätsprinzip als Maßstab der Kompetenzabgrenzung in mehrstufigen Rechtssystemen zu verwenden und davon ausgehend einen Vorschlag für eine normative Umsetzung dieses Prinzips zu unterbreiten. Dabei liegt der Arbeit ein funktionaler Ansatz zugrunde, der den Subsidiaritätsgrundsatz als formale Relationsgröße betrachtet und ihn über seine funktionsbezogenen und typusbildenden Merkmale und Anwendungsvoraussetzungen zu erschließen sucht. Der Analyse dieser Charakteristika und Prämissen kommt dabei in konzeptioneller wie methodischer Hinsicht grundlegende Bedeutung zu. Zunächst erlaubt eine Betrachtung der Funktionen dieser Kompetenzverteilungsmaxime eine Loslösung dieses Prinzips von den weltanschaulichen Einbindungen und inhaltlichen Aufladungen, die es in der katholischen Soziallehre und den liberalen Staatszwecklehren erfährt. Der Rekurs auf die grundlegenden Merkmale ermöglicht zudem eine Teilkonkretisierung des abstrakten Organisationsgrundsatzes, was zum einen eine allgemeine Bestimmung seiner Anwendungsmöglichkeiten in gestuften Rechtssystemen erlaubt. Zum anderen läßt sich unter Rückgriff auf die das Subsidiaritätsprinzip kennzeichnenden Funktionsmerkmale das methodische Problem der kategorialen Verschiebung eines zum sozialphilosophischen Prinzip verdichteten Postulats hin zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz ohne jene Frik12 Mit diesem methodischen Problem setzen sich soweit ersichtlich lediglich J. Esser, Grundsatz und Norm, durchgehend, allerdings beschränkt auf das Zivilrecht und die richterliche Konkretisierung, sowie H. Heller, Staatslehre, S. 49 ff., auseinander. Ein Hinweis auf - wenn auch keine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Frage - findet sich noch bei P. Häberle, in: Alois Riklin/Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, S 267 ff., (271 ff.).

22

Einleitung

tionen, Widersprüche und Aporien vollziehen, denen man in weiten Teilen der staats- und europarechtlichen Literatur begegnet. Dabei liegt dieser Vorgeheusweise die Annahme zugrunde, daß die einem Prinzip zukommenden, typusbildenden Merkmale ungeachtet etwaiger Kategoriensprünge und Paradigmenwechsel bei der Umsetzung und Ableitung konkreter Rechtsnormen zu berücksichtigen sind und in ihrem Wesenskern unverändert erhalten bleiben müssen. Schließlich dienen die das Subsidiaritätsprinzip kennzeichnenden Spezifika als Maßstab für die Würdigung zentraler Thesen und Aussagen der staats- und europarechtlichen Diskussion. Dem funktionalen Ansatz entsprechend liegt der Arbeit eine Konzeption zugrunde, an deren Anfang die Darlegung der für Anwendung und Umsetzung des Grundsatzes relevanten Merkmale steht. Diese werden in einem ersten Kapitel methodisch im Wege einer vergleichenden Analyse der Subsidiaritätsidee in einigen liberalen Staatszwecklehren des 19. Jahrhunderts und der katholischen Soziallehre entwickelt, jenen Lehren also, die dem Gedanken der Subsidiarität inhaltlich und sprachlich die Form gegeben haben, der er seine große Bedeutung und Aktualität verdankt. Daran schließt sich im zweiten Kapitel eine Betrachtung der staatsrechtlichen Diskussion um die verfassungsrechtliche Geltung des Subsidiaritätsprinzips sowie eine kritische Würdigung ihrer zentralen Thesen an, wobei die Behauptung, es bestehe ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Staatsorganisationsform des Föderalismus und dem Grundsatz der Subsidiarität, den Schwerpunkt der Ausführungen bildet. Auf der Grundlage seiner Charakteristika (1. Kapitel) und den Erkenntnissen der staatsrechtlichen Diskussion (2. Kapitel) erfolgt im letzten Kapitel eine Bewertung der Auseinandersetzung um den Subsidiaritätsgrundsatz in der Rechtsordnung der Europäischen Union. Dabei bilden zwei Aspekte den Schwerpunkt der europarechtlichen und europapolitischen Untersuchung. Zum einen geht es darum zu zeigen, daß sich in der Auseinandersetzung um Einführung und Anwendung des Subsidiaritätsprinzip im EGRecht letztlich der Gegensatz zweier grundverschiedener Integrationskonzeptionen widerspiegelt. Zum anderen werden entsprechend dem funktionalen Ansatz der Arbeit der bisherige Integrationsansatz sowie die konkrete Ausgestaltung des Art. 5 EGV unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, inwieweit sie den charakteristischen Elementen des Subsidiaritätsgrundsatzes gerecht werden und eine Umsetzung dieses Prinzips erlauben, die den Erwartungen die an seine Aufnahme in das geltende Gemeinschaftsrecht entspricht.

Erstes Kapitel

Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen des Subsidiaritätsprinzips I. Aussage So einfach sich die Bedeutung des Wortes "Subsidiarität" aus der lateinischen Sprache auch erschließt, so gering ist der Erklärungswert, den der Rückgriff auf die Etymologie 1 für die Ermittlung der Aussage des Subsidiaritätsprinzips als eines sozialphilosophischen Grundsatzes beizusteuern vermag. Soweit in der aktuellen verfassungs- und europarechtlichen Diskussion eine Definition dieses Grundsatzes angeführt wird, wird zumeist auf die Formulierung der Sozialenzyklika "Quadragesima anno" 2 Papst Pius' XI. vom 15. Mai 1931 verwiesen 3 . Dort wird dieses Prinzip wie folgt definiert: 1 So weist G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67ff., (74f.), auf die Herleitung des Wortes vom lateinischen "subsidere", dem "Daruntersitzen" und dem daraus abgeleiteten Begriff "subsidium", der mit "Unterstützung" oder "Hilfeleistung" zu übersetzen ist, als etymologischem Ausgangspunkt des Subsidiaritätsbegriffs hin. Ähnlich J. Schütz, Der Grundsatz der Subsidiarität und das Grundgesetz, S. 1f., und J. Messner, Das Naturrecht, S. 298 f.; A. Wallenstätter, Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten, S. 12f. Die Bedeutung der "Nachrangigkeit", die das vorherrschende Merkmal des Subsidiaritätsprinzips ist, läßt sich aus dem Institut der "Hilfe" erst auf der Grundlage primärer Eigenverantwortlichkeit und Eigenständigkeit des einzelnen folgern. Ob man dem Wort ,,hilfsweise" in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zumessen kann - so G. Küchenhoff, ibd., S. 72f., ihm folgend J. Schütz, ibd., sei dahingestellt. Eine über das allgemeine Verständnis von Hilfeleistung und Unterstützung hinausgehende Aussage läßt sich jedenfalls auf etymologischem Wege dem Begriff "Subsidiarität" nicht entnehmen oder führt zu Fachausdrücken der römischen Militärsprache und damit thematisch auf Abwege, aus denen nur noch ein abrupter Übergang zu dem "übertragenen philosophischen Sinn" des Begriffs herausführt, wie bei A. Wallenstätter, ibd., deutlich wird. 2 Der offizielle Titel des Rundschreibens lautet: "Über die gesellschaftliche Ordnung, ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung nach dem Heilsplan der Frohbot-

24

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

"Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen."

Auch wenn damit der katholischen Soziallehre das Verdienst zukommt, den Subsidiaritätsgedanken auf eine griffige und einprägsame Formel gebracht und zu einem Normativität beanspruchenden, Universalistischen Postulat der Gesellschaftsorganisation verdichtet zu haben, so bleibt doch festzuhalten, daß die katholische Kirche das Subsidiaritätsprinzip "nicht erfunden, sondern vorgefunden hat"4 .

schaft"; der lateinische Originaltext hat folgenden Wortlaut: ,,Fixum tarnen immotumque manet in philosophia sociali gravissimum illud principium quod neque moveris neque mutari potest; sicut quae a singularibus hominibus proprio marte et propria industria possunt perfici, nefas eisdem eripere et communitati demandere, ita quae minoribus et inferioribus communitatibus effici praestrique possunt, ea ad maiorem et alteriorem societatem avocare iniuria est simulque grave damnum ac rectiordinis perpubatio; cum socialis quaevis opera vi naturaque sua subsidium affere membris corporis debeat, numquam vero eadem destruere et absorbere." Acta Apostolicae Sedis (AAS) XXIII, (1931), p. 177-228, Rz. 78-80. 3 Vgl. dazu aus dem umfangreichen Schrifttum V. Constantinesco, integration 1990, S. 165ff. (167f.); ders., EuZW 1991, 561 ff. (561 f.); H.-J. Blanke, ZG 1991, S. 133ff. (134); A. Faber, DVBI. 1991, S. 1126ff. (1133f.); W. Hummer, ZfRV 1992, S. 81 ff. (81 f.); J. Pipkom, EuZW 1992, S. 697ff. (698), C. Stewing, DVBI. 1992, S. 1516ff. (1516); ders. , Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 7ff.; W. Kahl, AöR 1993, S. 414ff. (414, FN 1); A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, S. 35f.; H.-J. Lambers, EuR 1993, S. 229ff. (230); H. Lecheler, FS für Werner Thieme, S. 431 ff. (436); W. Renzsch, ZParl 1993, S. 104ff. (106f.); P. M. Schmidhuber, DVBI. 1993, S. 417ff. (417); D. Grimm, Krit.V 1994, S. 6ff. (7); B. Gutknecht, FS für Herbert Schambeck, S. 92lff. (922); 0 . E. Kempen, Krit.V 1994, S. 13ff. (20); R. Scho[z, FS für Herbert Helmrich, S. 411 ff. (413); P.-L. Weinacht, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3-4/95, S. 33 ff. (33); M. Rotter, FS für Herbert Schambeck, S. 981 ff. (995). 4 D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S 77 ff. (91 ); Im Ergebnis zustimmend R. Herzog, Der Staat 1962, S. 399ff. (399); ders., Allgemeine Staatslehre, S. 148; C. Stewing, DVBI. 1992, S. 1516ff. (1516); ders., Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 12f.; M. Zuleeg, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185 ff. (187); W. Hitz, Subsidiaritätsprinzip und EU-Gemeinschaftsordnung, S. 27ff.; ders., in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22, 1999, S. 28ff. (28); P. J. G. Kapteyn/P. VerLoren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, p. 135 ff.

A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen

25

Darüber hinaus bringt die in der Enzyklika formulierte Beschreibung nur einen Teilaspekt dieses umfassenden Organisationsgrundsatzes zum Ausdruck. II. Historische Grundlagen 1. Die Problematik zeitlicher Fixierung

Eine objektive, präzise geschichtliche Verortung des Entstehungszeitpunktes des abstrakten und vieldeutigen Gedankens der Subsidiarität ist aus mehreren Gründen nicht möglich, obwohl es an entsprechenden Versuchen nicht mangelt5 . Doch erscheinen derartige Bemühungen häufig als bloße Referenz an einen ritualisierten Historismus6 . Der Versuch einer genauen Bestimmung des Ursprungs des Subsidiaritätsgrundsatzes ist schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil dieses Prinzip zum einen selbst ganz unterschiedliche Vorstellungen zusammenführt7 , deren Entstehung ebensowenig wie der Zeitpunkt ihrer erstmaligen Synthese zweifelsfrei festgestellt werden kann, und zum anderen der Gedanke der Subsidiarität seinerseits vielfältigen, seinen Inhalt, seine Bedeutung und Funktion häufig modifizierenden geistigen Einflüssen ausgesetzt war und ist8 . Ist mithin das Herausgreifen eines zeitlichen Ausgangspunktes der Betrachtung notwendigerweise subjektiv, so bedarf diese Festlegung der Rechtfertigung, soll sie nicht beliebig und willkürlich erscheinen. 5 Vgl. etwa W. Kahl, AöR 1993, S. 414ff. (414); A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, S. 35. 6 Symptomatisch hierfür ist, daß häufig keinerlei weiterführende Schlußfolgerungen aus der vorgenommenen historischen Verortung gezogen werden, sondern die jeweils getroffene Einordnung als apodiktische Behauptung ohne Nachweis erscheint. Vgl. etwa W. Kahl, AöR 1993, S. 414ff. (414) FN 1: .,Es ([das Subsidiaritätsprinzip] der Verf.) geht in seinen Wurzeln bis auf Anstoteies und Thomas von Aquin zurück." Ebenso W. Hummer, ZfRV 1992, S. 81 ff. (81). Teilweise finden sich auch, in scholastischer Tradition verharrend, unreflektierte Übernahmen anderer geschichtlicher Einordnungen, wie bei A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, S. 35, "die Idee der Subsidiarität wird im allgemeinen auf Aristoteles und Thomas von Aquin zurückgeführt...", mit einem Verweis auf V. Constantinesco, integration 1990, S. 165ff. (S. 177, FN 6, 7 m.w.N.). Zu Recht kritisch gegenüber den insgesamt wenig überzeugenden Versuchen, die Herkunft des Subsidiaritätsprinzips genau zu bestimmen, P. Pescatore, FS für Ulrich Everling, Bd. II, s. 1070ff. (1074 f). 7 So zum einen den ethischen Personalismus und zum anderen ein organisches, gegliedertes Gesellschaftsbild, das selbst in verschiedenen Formen - vom Ständestaat bis zu föderalen Strukturen - beschrieben wurde und im Laufe der Geschichte eine überaus heterogene Gestalt besaß. 8 Vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen im 1. Kapitel.

26

1.

Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Ausgehend von der Zielsetzung dieser Arbeit, geeignete Instrumente zur rechtlichen Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips als Grundsatz der Kompetenzzuweisung und -ausübung in mehrgliedrigen Rechtsgemeinschaften zu finden, erscheint es sachgerecht und sinnvoll, den Ausprägungen und Formulierungen dieses Gedankens nur bis zu den Autoren nachzuspüren, die ihn zu einem tragenden Prinzip der Staatslehre entwickelt und ihm jene Prägung verliehen haben, die ihm zu der großen Resonanz verhalfen, der er sich seit Jahrzehnten in der deutschen Staatswissenschaft erfreut und die zugleich den Grund für seine aktuelle Implementation in das geltende Recht der Europäischen Union bildet. So betrachtet lassen sich zwei größere Entwicklungslinien des Subsidiaritätsprinzips aufzeigen, von denen die erste zum Liberalismus und die zweite zu der katholischen Soziallehre des zwanzigsten Jahrhunderts führt. 2. Der Liberalismus Die ersten Ansätze des Subsidiaritätsprinzips finden sich in den liberalen Staatstheorien des späten 18. und des 19. Jahrhunderts9 . Gemeinsam ist diesen Lehren, daß sie, aufbauend auf den philosophischen Arbeiten Kants, den Menschen in seiner Individualität und Personalität in den Mittelpunkt der gesellschafts- und staatstheoretischen Betrachtung stellen. Mit der ihm zukommenden Rationalität und seiner Freiheit im Denken und Handeln gewinnt der Mensch Eigenständigkeil und Unabhängigkeit auch gegenüber dem Staat. Dieser erscheint fortan nicht mehr als vorgegeben und unveränderbar, als eine den Menschen in seiner gesamten Existenz beherrschende Macht, sondern als eine von ihm geschaffene Institution zur Sicherung und zum Schutz seiner Bürger und ihrer Freiheit10• Die in dieser Betrachtungsweise zum Ausdruck kommende Umkehrung der Subjekts- und Objektsteilung von Mensch und Staat macht letzteren zur Emanation der Vernunft des Individuums. Der Staat wird Idee 11 , eine geistige Schöpfung des Menschen, eine Konstruktion. Als solche bedarf er der Rechtfertigung. Diese erfährt der Staat nur noch über die ihm zugewiesene Funktion, den seine Existenz erklärenden Zweck 12 . Rechtfertigt sich der Staat aber ausschließlich über 9 J. List/, in: EvStL, Bd. 2, Sp. 3374; H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 206; grundlegend dazu: J. /sensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, S. 44 ff.; D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff.

(90f.).

10 Zu dieser Hauptfunktion des Staates in den materiellen Staatszwecklehren vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 246. 11 So auch J. /sensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, S. 44. 12 Übersichten über die verschiedenen Varianten der einzelnen liberalen Staatszwecklebren in der deutschen Staatsrechtswissenschaft finden sich bei P. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 102 ff.; K. Hespe, Zur Entwicklung der Staats-

A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen

27

seine Funktion und besteht diese primär in der Freiheitssicherung, bleibt staatliches Handeln in jeder Form dem Primat der Freiheit verhaftet. Das bedeutet aber, daß jeder Eingriff in die individuelle Freiheit der Bürger zu begründen und zu rechtfertigen ist und auf das absolut notwendige Maß beschränkt bleiben muß. Staatliches Handeln erfolgt daher stets zur Wahrung der Freiheit und ist demnach dieser grundsätzlich untergeordnet. Diese Nachrangigkeit des Staates gegenüber der Individualität und Freiheit des Menschen ist es, die das Subsidiaritätsprinzip zu einem genuinen Bestandteil der liberalen Staatszwecklehren macht, so daß nach diesen "liberale Staatlichkeil daher nur legitim ist, soweit sie subsidiär ist" 13 • Der Subsidiaritätsgedanke erfährt bei einzelnen Vertretern liberaler Staatsmodelle eine besondere Ausformung. Ungeachtet dieser Unterschiede im Detail ist allen diesen Staatskonzeptionen jedoch der unbedingte Vorrang menschlicher Individualität und Liberalität gegenüber dem Staate und seinem gesamten Handeln gemeinsam. Der Staat besitzt ausschließlich eine dienende Funktion, die gleichermaßen seine Existenz rechtfertigt und sein Handeln begrenzt. Die Divergenz in den einzelnen liberalen Staatszwecklebren liegt daher nicht in der dem Subsidiaritätsprinzip zukommenden Funktion der Staatslegitimation, sondern in der Frage, ob und in welchem Umfang staatliche Tätigkeit an die Stelle individueller und gesellschaftlicher Aktivität treten soll. a) Immanuel Kant und Wilhelm von Humboldt

Während Kant noch allgemein eine Limitierung der Gesetzgebung auf das zur Sicherung der Freiheit Notwendige fordert 14 und lediglich eine staatlich verordnete Glückseligkeit ablehnt 15, die Wohlfahrtspflege aber immer noch als eine Aufgabe des Staates betrachtet16, wenn auch unter zwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts (durchgehend). 13 J. Jsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 45. 14 /. Kant, Werke, Bd. XI, S. 144f.: "Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, in so fern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist; und das öffentliche Recht ist der Inbegriff der äußeren Gesetze, welche eine solche durchgängige Zusammenstimmung möglich machen." (Hervorhebung im Original). 15 /. Kant, Werke, Bd. XI, S. 159: "Man sieht hier offenbar, was das Prinzip der Glückseligkeit (welche eigentlich gar keines bestimmten Prinzips fähig ist) auch im Staatsrecht viel Böses anrichtet, so wie es solches in der Moral tut, auch bei der besten Meinung, die der Lehrer desselben beabsichtigt. Der Souverän will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen, und wird Despot; das Volk will sich den allgemeinen menschlichen Anspruch auf eigene Glückseligkeit nicht nehmen Jassen, und wird Rebell."

28

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

dem Gesichtspunkt der Sicherung des inneren Friedens 17 und weniger als staatliche Primärpflicht, so erschüttert er damit noch nicht die Grundfesten des Etatismus des patrimonial absolutistischen "Policey-Staates". Anders dagegen Wilhelm von Humboldt, der mit "radikal-liberalem" 18 Impetus für eine Beschränkung staatlicher Tätigkeit auf den Schutz der Bürger vor inneren und äußeren Gefahren eintritt, wenn er resümierend verlangt: .,Der Staat enthalte sich aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger, und gehe keinen Schritt weiter, als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst, und gegen auswärtige Feinde notwendig ist; zu keinem anderen Endzweck beschränke er ihre Freiheit" 19•

b) Robert von Mohl

Der absolutistisch-fürsorgliche "Policey-Staat" wurde jedoch nicht durch einen rein liberalen "Rechtsbewahrstaat"20 abgelöst. Vielmehr gelang dem "bedeutendsten wissenschaftlichen Vertreter des neueren deutschen Liberalismus"21 eine ,,kunstvolle Synthese"22 dieser gegensätzlichen Staatsauffassungen. Von Mahls Staatslehre gründet sich auf ein individualistisches, dem Kantschen Persönlichkeitsideal verhaftetes Menschenbild. Danach ist der Mensch, "seiner Natur nach ein sinnlich, vernünftiges Wesen", das in unterschiedliche "Lebenskreise" eingebunden ist23 und dabei verschiedene "Lebenszwecke" verfolgt. Diese Zielsetzungen ergeben sich teilweise aus den biologischen Bedürfnissen des Menschen, teilweise handelt es sich um selbstgesetzte Ziele. Die Verfolgung derjenigen Lebenszwecke, deren Erreichung dem einzelnen nicht möglich ist, bringt den Menschen dazu, Verbindungen einzugehen, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen und diverse Organisationen zu gründen, die von der Familie über den Stamm, 16 I. Kant, Werke, Bd. VIII, S. 446: "Der Volkswille hat sich nämlich zu einer Gesellschaft vereinigt, welche sich immerwährend erhalten soll, und zu diesem Ende sich der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten." 17 /. Kant, Werke, Bd. XI; S. 155: Wenn die oberste Macht Gesetze gibt, die zunächst auf die Glückseligkeit (die Wohlhabenheit I der Bürger, die Bevölkerung u. dergl.) gerichtet sind: "so geschieht dieses nicht als Zweck der Errichtung einer bürgerlichen Verfassung, sondern bloß als Mittel, den rechtlichen Zustand vornehmlich gegen äußere Feinde des Volkes zu sichern." (Hervorhebung im Original). 18 So H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 206. 19 W. von Humboldt, Werke Bd. 1, S. 90. 20 Zum Begriff H. Krüger, DVBI. 1951, S. 361 ff. (364). 21 So G. Jellinek; Allgemeine Staatslehre, S. 296, über Robert von Mohl. 22 J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 58. 23 R. von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, S. 6ff.

A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen

29

die Gemeinde, die Gesellschaft, den Staat bis zur Staatenverbindung reichen24. Dabei ist das Ordnungssystem von Mohls vor allem durch folgende Merkmale gekennzeichnet: - Es überwindet die Antithese von Individuum und Staat, die das liberalistische Staatsverständnis von Humboldts prägt, und ersetzt diese bipolare Struktur durch ein System gestufter Organisationen; - es vermag außer dem Dualismus von öffentlicher Gewalt und Individuum auch private und gesellschaftliche Organisationsformen mit zu erfassen; - schließlich greift es über den Staat als Herrschaftsverband hinaus und bezieht auch die Ebene des Völkerrechts mit ein, wenn es als größte Organisation die Staatenverbindung nennt25 . Hatten Kant und von Humboldt bereits die Legitimationsfunktion des Subsidiaritätsprinzips für den liberalen Rechtsstaat dargelegt26 , so liegt die Bedeutung der Arbeiten von Mohls darin, den Subsidiaritätsgedanken zum Grundsatz verdichtet und seine Eignung als Maßstab sowohl für die Kompetenzzuweisung als auch für die Kompetenzausübung erkannt zu haben, so daß seit den wohl bedeutendsten Werken von Mohls 27 Hauptfunktion und Wirkungsweise des Subsidiaritätsprinzips als gesellschaftlicher und staatstheoretischer Organisationsgrundsatz des liberalen Rechtsstaates28 entwikR. von Mohl, ibd., S. 3 ff. Zwar weist von Mohl, ibd., S. 41, dem Staat eine herausgehobene und exklusive Stellung zu, wenn er erklärt: "Allerdings hat jeder Staat für sich die Aufgabe, das einheitliche Leben seines Volkes herzustellen, und zwar in allen Beziehungen und unter Berücksichtigung aller berechtigten Zwecke der sämmtlichen (sie!) in demselben enthaltenen Lebenskreise; und ein jeder Staat soll in dieser Rücksicht völlig abgeschlossen und genügend sein." Dennoch geht von Mohl, ibd., S. 42, ganz selbstverständlich und konsequent davon aus, daß es "[... ] hierüber hinaus noch weitere und dadurch höhere Aufgaben [... ]" gebe, zu deren Erfüllung die Staaten "[ ... ] eine schließliehe allgemeine Verbindung, welche die Harmonie sämmtlicher Völker ermöglicht und durch gegenseitiges Zusammenwirken Ziele und Mittel steigert [...]" eingehen. 26 Vgl. dazu oben A. Il. 2. a). 27 Als diese sind die "Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates", erschienen in erster Auflage 1832/33, sowie die "Encyklopädie der Staatswissenschaften", die in erster Auflage 1859 erschien, zu nennen. 28 Ob in diesem Zusammenhang von Mohl auch das Verdienst zuzusprechen ist, den Begriff des "Rechtsstaates" geprägt zu haben, wie dies R. von Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, S. 333, FN 2; diesem folgend R. Thoma, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, S. 97, sowie F. Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 3, S. 138, behaupten, erscheint zweifelhaft. So weist E. Angennann; Robert von Mohl 17991875, Leben und Werk eines Altliberalen Staatsgelehrten, S. 116, ausdrücklich darauf hin, daß von Mohl den Begriff des Rechtsstaates wahrscheinlich von Carl Theodor Welcker übernommen und lediglich zur Klärung seines Inhalts beigetragen habe. Ob von Mohl tatsächlich Bedeutung bei der Begriffsbildung zuzugestehen ist 24

25

30

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

kelt waren29 • Daß dabei von Mohl mit seiner begrifflichen Unterscheidung von "Justiz" und "Polizei"30 hinter die - bereits zu seiner Zeit geläufige terminologische Beschränkung des Polizeibegriffs auf Aufgabe und Institutionen der Gefahrenabwehr31 zurückgeht und an den alten Sprachgebrauch des absolutistischen Wohlfahrtsstaates anknüpft, ist für die weitere Entwicklung des Subsidiaritätsgedankens nicht von gleicher Bedeutung wie etwa oder ob er dieser Bezeichnung lediglich "Resonanz verschafft hat", wie J. lsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 59, meint, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. 29 Im Ergebnis zustimmend J. lsensee, ibd., S. 60, ihm folgend H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 35. 30 So weist R. von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. 1, S. 10, die Aufgabe der Gefahrenabwehr der Justiz zu: "Dem feindseligen Einwirken von Menschen setzt er [(der Staat) der Verf.] die Rechtspflege, Justiz, entgegen. Er gibt also Bestimmungen darüber, wie weit der Rechtskreis eines Jeden gehe, verbietet verletzende Eingriffe in dieses Gebiet bei Vermeidung bestimmter Strafen; ordnet da, wo es nöthig ist, Anstalten zur Abwehr drohender Rechtsbeeinträchtigungen an". In bewußter Abgrenzung zu dem sich zunehmend durchsetzenden radikal-liberalen Staatsverständnis, das ausschließlich die Schutzfunktion und die Sicherheitsgewährleistung als legitime Staatszwecke begreift, vgl. dazu R. von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. 1., S. 10, Anm. 1, "Wer möchte und könnte in einem Staate leben, der nur Justiz übte, allein gar keine polizeiliche Hülfe eintreten ließe?", definiert von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, S. 6f., die "Polizei" als den "die Gesamtheit derjenigen staatlichen Anstalten und Handlungen, welche bezwecken durch Verwendung der Staatsgewalt die äußeren, nicht in Rechtsverletzungen bestehenden, Hindernisse zu entfernen, welche der allseitigen vernünftigen Entwicklung der Menschenkräfte im Wege stehen, und welche der Einzelne oder ein erlaubter Verein von Einzelnen nicht wegzuräumen im Stande ist". 31 Die Beschränkung des Polizeibegriffs auf diesen Bereich der Staatstätigkeit geht auf J. S. Pütter, Eiementa juris publici germanici, zurück, der in § 517, formuliert, "promovendae salutis cura proie non est politiae [...]", wobei darauf hinzuweisen ist, daß sich diese, in der vierten Auflage von Pütters Werk findende Wendung, erst nach und nach entstand. Dazu sowie insgesamt zur Entwicklung des Polizeibegriffs P. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 184. Mit dieser Bedeutung hat der Polizeibegriff auch Eingang in § 10 Teil 11 Titel 17 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 gefunden: ,,Die nöthigen Anstalten der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey." Diese Vorschrift bildete wiederum die Grundlage für die sog. Kreuzberg-Erkenntnisse des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Juni 1880, Preuß.VwBI. 1879/80, S. 401 ff. und die berühmte Entscheidung vom 14. Juni 1882, Pr.OVGE 9, 353ff., die ihrerseits zum Ausgangspunkt einer diesen engen Polizeibegriff in Rechtsprechung und Verwaltungspraxis verankernden Jurisdiktion wurden. In beiden Urteilen hob das Gericht die Ablehnung eines Bauantrags nebst den diese bestätigenden Instanzurteile mit der Begründung auf, daß die Verordnung, auf die die Ablehnungsentscheidungen gestützt worden waren, außerhalb der der Polizei in § 10 Teil 11 Titel 17 ALR zugewiesenen Aufgabe der Gefahrenabwehr lägen und daher rechtswidrig seien.

A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen

31

für den Fortgang der Polizeiwissenschaft32 . Denn die sachliche Trennung der Gefahrenabwehr als einer eigenständigen und besonderen Staatstätigkeit, die institutionell, rechtlich und terminologisch vom übrigen Verwaltungshandeln, insbesondere von dem Bereich staatlicher Fürsorge abzugrenzen ist, bleibt auch bei von Mohl erhalten, wenn auch unter anderer Bezeichnung33 . So ist es daher weniger von Mohls Terminologie als vielmehr die gelegentliche Überschätzung eines sich auf die konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips gründenden Staatsverständnisses, die Zweifel weckt34 . c) Georg Jellinek

Es war Georg Jellinek, dem mit seiner Unterscheidung von "ausschließlichen" und ,,konkurrierenden Staatszwecken" nicht nur die Entwicklung einer neuen, auf soziologischer Grundlage aufbauenden Staats(zweck)lehre gelang35 , sondern der darüber hinaus die potentiellen Anwendungsbereiche, die praktischen Umsetzungsprobleme und die Voraussetzungen des Subsi32 E. Angennann, Robert von Mohl 1799-1875, Leben und Werk eines Altliberalen Staatsgelehrten, S. 130 und 137, sowie H. Maier, Die ältere deutsche Staatsund Verwaltungslehre, S. 262, und ihnen folgend, J. lsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 62, FN 51, sehen in der unglücklichen Begriffswahl von Mohls eine Beeinträchtigung seiner Polizeiwissenschaft 33 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, daß von Mohl unter dem Begriff der "Justiz" sowohl die unmittelbare Gefahrenabwehr - also nach unserem Verständnis das polizeiliche Handeln - als auch die Rechtsprechung versteht. Dies erklärt sich aus seinem Ansatz, das gesamte Staatshandeln als das Beseitigen von zweierlei Arten von Hindernissen, "welche der allseitigen Entwicklung der Kräfte der Bürger im Wege stehen", zu begreifen. Dabei differenziert von Mohl in von Menschen drohende und/oder begangene Rechtsverletzungen und andere, äußere Hindernisse. Auch wenn zur Beseitigung der ersten Kategorie von Hindernissen insgesamt die ,)ustiz" zuständig ist (vgl. Encyklopädie der Staatswissenschaften, S. 10), so unterscheidet von Mohl innerhalb derselben rechtlich und begrifflich zwischen Rechtsetzung, Rechtsvollzug und Rechtspflege. 34 So stellt von Mohl das Staatsmonopol auf dem Gebiet der Rechtsprechung in Frage, wenn er für den Bereich der gesellschaftlichen Gerichtsbarkeit den Gedanken der Subsidiarität meint fruchtbar machen zu können und Überlegungen anstellt, ob die richtige Lehre von den kleineren Organismen des Volkslebens nicht auch für die Staatsrechtspflege von Bedeutung sei, "wie dies offenbar hinsichtlich der polizeilichen Hilfstätigkeit der Fall ist" (Polizei-Wissenschaft, Bd. 1, S. 21, Anm. 2). Bezeichnend ist insofern, daß sich diese Überlegungen erst in der dritten Auflage des Werkes von 1866 finden, wohingegen die Vorauflagen (I. Auflage 1832 , 2. Auflage 1844) diesen Gedanken noch nicht enthalten. Dies zeigt, daß von Mohl, von der Richtigkeit einer auf das Subsidiaritätsprinzip gegründeten Gesellschafts- und Staatsorganisation überzeugt, sich zunehmend mit Möglichkeiten der Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieses Grundsatzes auf immer weitere Felder der Staatstätigkeit befaßt hat.

32

I. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

diaritätsprinzips sowie seine Grenzen aufgezeigt hat. Dabei kann dem Subsidiaritätsgrundsatz, den auch Jellinek noch nicht als solchen bezeichnet, notwendigerweise ausschließlich auf dem Gebiet der "konkurrierenden Staatszwecke" Bedeutung zukommen36 • Jellinek umschreibt dieses Prinzip wie folgt: "Nur soweit die freie individuelle oder genossenschaftliche Tat unvermögend ist, den vorgesetzten Zweck zu erreichen, kann und muß ihn der Staat übernehmen, soweit reine Individualinteressen vorliegen, bleibt ihre Erringung auch dem Individuum überlassen'm. Dabei ließen ihn der soziologisch-empirische Befund und die geschichtliche Entwicklung zu einer realistischeren Beurteilung der Möglichkeiten einer wirksamen Begrenzung staatlicher Tätigkeit gelangen als von Humboldt oder von Mohl. So geht Jellinek davon aus, daß dem Staat auch auf dem Gebiet der "konkurrierenden Staatszwecke", bei denen die Staatstätigkeit typischerweise eine fördernde, unterstützende - eben eine subsidiäre sein soll, "ausschließliche Funktionen zukommen" können38 • Jellinek erkennt aber auch die Requisition ursprünglich nicht zum Bereich exklusiver Staatstätigkeiten gehörender Aufgaben durch den Staat an, wobei er nicht übersieht, daß es bei dieser Form der Aufgabenverlagerung zu einer 35 K. Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, S. 60ff., bezeichnet G. Jellineks Ansatz zutreffend als "allgemeine Soziallehre des Staates". Der entscheidende Unterschied zu den vorangehenden Staatsmodellen liegt in dem von Jellinek gewählten Ausgangspunkt. Dieser besteht nicht mehr in der reinen Vernunft wie bei Kant oder einem naturrechtlich geprägten Rationalismus wie bei von Mob!, sondern in der Erkenntnis, daß jedwede Staatstätigkeit a priori dort ihre Grenze findet, wo es um Bereiche "der menschlichen Innerlichkeit" geht. Zum Begriff G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 250. Dieses soziologisch-empirische Staatsverständnis, das den Staat als etwas Ontisches begreift, kann jenem keine absoluten, außerhalb seiner sozialen Realität und Bedingtheit liegenden Zwecke zuweisen. G. Jellinek geht daher auch nur von ,,relativen Staatszwecken" aus (G. Jellinek, ibd., S. 250), die er in die genannten Kategorien "ausschließlich gemeinsame, also nach außen wirkende, menschliche Tat Erreichbaren" und "konkurrierend" einteilt. [Hervorhebungen durch den Verf.]. Dabei stecken zunächst die "Gebiete der ausschließlich gemeinsamen Staatszwecke den Rahmen jeder staatlichen Tätigkeit ab, weshalb "in seinen Wirkungskreis nur solidarische menschliche Lebensäußerungen fallen" können [Hervorhebungen im Original]. (G. Jellinek, ibd., S. 252). Zu den exklusiv dem Staate vorbehaltenen Bereichen gehören nach G. Jellinek, ibd., S. 258, die Machtbehauptung, der Schutz der Bürger und des Territoriums nach außen sowie die Rechtsbewahrung. Den Bereich der "konkurrierenden Staatszwecke" beschreibt Jellinek demgegenüber abstrakt als solche Tätigkeiten, "mit welchen er [(der Staat) der Verf.] nur ordnend, unterstützend, fOrdernd oder abwehrend zu individuellen und sozialen Lebensäußerungen hinzutritt". (G. Jellinek, ibd., S. 255). 36 Vgl. dazu J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 69f., D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (91). 37 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 259. 38 G. Jellinek, ibd., S. 263.

A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen

33

extremen Ausdehnung ausschließlichen Staatshandeins kommt39 • Gleiches gilt auch für die dem Staat von der Kirche "zugewachsenen" und von ihm weit über den ursprünglichen Zustand hinausgeführten Bereiche der "geregelten Armenfürsorge" und des "Bildungswesens"40. Die Ausweitung der ausschließlichen Staatstätigkeit führt dabei zwangsläufig zu einer Zurückdrängung der Betätigungsmöglichkeiten anderer, nicht-staatlicher Akteure auf dem Gebiet des "konkurrierenden Staatshandelns". Damit verliert jedoch gleichzeitig auch das von Jellinek in diesem Bereich angesiedelte Subsidiaritätsprinzip als maßgeblicher Grundsatz der Staats- und Gesellschaftsorganisation an Bedeutung41 • Von größerem Interesse als die Beschreibung des bekannten Phänomens der Ausweitung der Staatstätigkeit sind Jellineks Analyse und seine Schlußfolgerungen. Er differenziert bei den dem Staat zugewachsenen Tätigkeitsfeldern in solche Funktionen, die letzterer sich von anderen Kompetenzträgern angeeignet hat42, und Aufgaben, deren Wahrnehmung wegen ihrer großen Sachnähe zu einer exklusiven Staatstätigkeit im Laufe eines historischen Prozesses auf den Staat übergegangen sind43 . Während in beiden Fällen die Übernahme der betreffenden Aufgabe durch den Staat zumeist mit einer Intensivierung der Tätigkeit einhergeht, ist die zweite Form der Aufgabenverlagerung zusätzlich mit der Konsequenz verbunden, daß sich ursprünglich bloße Mittel zu eigenen Zwecken, sog. Mittelzwecken44, entwickeln und damit die Gefahr entsteht, daß die Grenze zwischen Mittel und Zweck verwischt wird. Ebenso weist Jellinek auf die zwangsläufig mit einer fortschreitenden Sozialisierung verbundene Zentralisierung von Aufgaben und auf den staatsübergreifenden Charakter dieses Prozesses45 hin. G. Jellinek, ibd., S. 258 f. G. Jellinek, ibd., S. 259. 41 J. lsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 69, spricht davon, daß das Subsidiaritätsprinzip durch die Einordnung in den Bereich der konkurrierenden Staatszwecke von Jellinek in eine "Randzone gedrängt" worden sei. 42 Als Beispiel für einen im Wege der ,,Enteignung" erlangten Aufgabenzuwachs des Staates nennt G. Jellinek, Allgerneine Staatslehre, S. 259, die Armenfürsorge und das Bildungswesen, die der Staat im Laufe der Auseinandersetzung mit der Kirche von dieser übernommen hat. 43 Hierzu rechnet G. Jellinek, ibd., vor allem die für die Unterhaltung und Weiterentwicklung des Militärwesens, dessen sich der Staat zur Erfüllung seiner Schutzfunktion bedient, wichtigen Bereiche der Wirtschaftsverwaltung zur Sicherung und Steigerung der Finanzeinnahmen, das Kommunikations- und Verkehrswesen sowie Ausbildung und Forschung. 44 Zum Begriff G. Jellinek, ibd. 45 .,Die Entwicklung der neueren Zeit weist zweifellos einen fortschreitenden Prozeß der Sozialisierung und sodann der Zentralisierung, der , Verstaatlichung' ursprünglich individueller Tätigkeiten auf. [. ..] Welchen Umfang diese Sozialisierung und Zentralisierung annehmen werde, welches ihr Endziel sei, läßt sich auf Grund 39

40

3 Mocnch

34

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Die geschichtliche Erfahrung ließ Jellinek zu der Erkenntnis gelangen, daß es letztlich unmöglich sei, über eine teleologische Limitierung des Staates bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens vollständig staatlichem Zugriff zu entziehen, sog. staatsfreie Räume zu schaffen oder auch nur bestimmte Handlungsspielräume nicht-staatlicher Akteure durch die Formulierung von Staatszwecken dauerhaft und sicher zu erhalten46 . Hierin liegt auch der Grund für die kaum merkliche inhaltliche Veränderung des Jellinekschen Subsidiaritätsverständnisses47 . der uns bekannten Weltlage mit Sicherheit nicht bestimmen. Jedenfalls sind Anzeichen dafür vorhanden, daß einstaatliche Zentralisation nicht deren höchste Form ist, da eine Reihe von Verwaltungsgeschäften bereits heute von den Einzelstaaten im internationalen Interesse nach vereinbarten Normen verwaltet wird. Die auf völkerrechtlichem Grunde ruhende "internationale , Verwaltung' bestimmter Gebiete durch Einzelstaaten, die bereits zu organisierten internationalen Verwaltungsvereinen geführt hat, bezeichnet einen bedeutsamen Schritt zu einer höheren Form der Zentralisation, der internationalen." (G. Jellinek, ibd., S. 260f.). Anmerkung: Bei den hier von Jellinek angesprochenen völkerrechtlichen Vereinigungen handelt es sich um sektorale Völkerrechtsregime, die in größerer Zahl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden wie z. B. der Weltpostverein, der als Allgemeiner Postverein am 9. Oktober 1874 gegründet und am l. Juni 1878 in Weltpostverein = Union Postale Universelle (UPU) umbenannt wurde, (Text in: Martens, Nouveau Recueil General, Deuxieme Serie, Tarne III. 1878, p. 699 ff. und RGBI. 1879 S. 83ff.) sowie verschiedene Abkommen über die freie Schiffahrt auf Flüssen, die durch die Gebiete mehrerer Staaten fließen (Fluß- und Schiffahrtsabkommen). Vgl. dazu etwa das Po-Abkommen: Vertrag zwischen Österreich, Parma und Modena vom 12. Februar 1850 (Text in: Neumann, Nouveau Recueil IV, p. ll8ff.), den Vertrag über den Pruth zwischen Österreich, Rußland und Rumänien vom 15. Dezember 1866 (Text in: Martens, Nouveau Recueil General, Deuxieme Serie, Tarne XX, p. 296ff.) oder das Donau-Abkommen (Berliner Vertrag) vom 13. Juli 1878 (Text in: Martens, Neveau Recueil General, Deuxieme Serie, Tarne III, p. 449 ff. und RGBI. 1878 S. 307 ff.). Dies ergibt sich aus seinen Formulierungen "internationale Verwaltung" und "internationalen Verwaltungsvereinen", die G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, S. 159ff., in bezug auf genau diese Form von Staatenverbindungen verwendet. 46 Dies formuliert G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 265, mit den Worten: ,,Jede Rechtfertigung des Staates trifft jedoch nur sein in die Sphäre des Bewußten und Absichtlichen fallendes Wirken. [... ] Daher wird historische, nach rückwärts gewendete Beurteilung eines Staates ganz anders ausfallen als das Ergebnis politischer Messungen gegenwärtiger oder auch vergangener Zustände am Maßstabe der Staatszwecke. Nur nach der Totalität seiner wirklichen Leistungen kann der Staat vom Historiker gewürdigt werden, mögen sie berechtigt sein oder nicht." 47 Während G. Jellinek, ibd., S. 259, die Übernahme eines vorgesetzten Zwecks durch den Staat nur in dem Fall und in dem Maße für gerechtfertigt hält, wie die ,,freie individuelle oder genossenschaftliche Tat unvermögend ist", jenen "Zweck zu erreichen", gelangt er, ibd., S. 263, zu dem Ergebnis, daß "nichtregulierte individuelle und genossenschaftliche Tat [... ] schon dann [(hinter staatliches Handeln) der Verf.] zurücktreten oder [(durch staatliches Handeln) der Verf.] ausgeschlossen werden [(soll) der Verf.], sofern der Staat mit seinen Mtteln das betreffende Interesse in besserer Weise zu fördern vermag". (Hervorhebungen durch den Verf.).

A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen

35

Trotz der Erkenntnis fehlender Begrenzbarkeit staatlicher Tätigkeit durch Staatszwecke hält Jellinek an einer teleologischen Rechtfertigung des Staates fest und ist zudem von der Notwendigkeit und der Möglichkeit, auf theoretischem Wege eine Limitierung staatlichen Handeins vornehmen zu können48 , überzeugt, was unweigerlich zu Aporien, Widersprüchen und Verlegenheiten in seinem Werk führen mußte49 . Doch weisen gerade diese Schwierigkeiten zwischen wissenschaftlich theoretischem Anspruch und staatspolitischer Realität, in die seine Staatslehre geraten ist, weit über Werk und Person Jellineks hinaus auf ein allgemeines staatstheoretisches Problem hin, das sich in anderer Gestalt und unter anderen Vorzeichen bei den erheblichen Umsetzungsproblemen im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz im Europarecht ergibt50. 3. Die katholische Soziallehre

Das Subsidiaritätsprinzip hat in seiner säkularen Ausprägung bei den Vertretern liberaler Staats- und Gesellschaftsmodelle eine unterschiedliche Ausformung erfahren und somit einen Entwicklungsprozeß durchlaufen, der eine präzise historische Einordnung seines Entstehungszeitpunktes nicht erlaubt. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem von der katholischen Kirche geprägten Subsidiaritätsgrundsatz, wie er eingangs beschrieben wurde51 . Zwar ist auch das kirchliche Subsidiaritätsverständnis von der liberalen Staatslehre des 19. Jahrhunderts inspiriert und beeinflußt worden52, doch ist das päpstliche Rundschreiben, dem dieser Grundsatz 48 G. Jellinek, ibd., S. 259: "Der Staat ist aber bei dieser Enteignung nicht stehen geblieben, sondern hat sich Recht und Pflicht zugemessen unter Berufung auf die ihm in steigendem Maße zum Bewußtsein kommende Aufgabe der Kulturpflege, alle im Gemeininteresse ersprießlichen Tätigkeiten entweder selbst vorzunehmen oder ihre Vornahme dem Individuum anzubefehlen. An diesem Punkte hat nun die Untersuchung einzusetzen, um die Grenzlinie zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Tätigkeit zu ziehen. Diese Grenzlinie wird gemäß den vorhergehenden Erörterungen mit Sicherheit gezogen werden können". 49 Hierauf weist zutreffend auch K. Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, S. 68f., hin, wobei allerdings seine Begründung, Jellinek sei von der älteren Lehrtradition "fehlgeleitet" gewesen, als zu vordergündig erscheint. so Vgl. dazu unten 3. Kapitel D. 51 Siehe oben A. I. 52 Hierauf weist ausdrücklich A.-F. Utz, in: ders. (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 1 ff. (7), hin: "Auf jeden Fall bedurfte es - wenigstens rein äußerlich - des Anstoßes durch den Liberalismus mit seiner überbetonten Auffassung vom Rechtsstaat, um überhaupt zu einem solchen Sozialprinzip vorzustoßen". Daß die älteren Wurzeln des Subsidiaritätsprinzips beim Liberalismus liegen, erkennt auch E. Link, Das Subsidiaritätsprinzip - Sein Wesen und seine Bedeutung für die Sozialethik, S. 5, ausdrücklich an. So auch J. Listl, in: EvStL, Bd. 2, Sp. 3374, der zu dem

36

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

seine große Beachtung verdankt53 , in erster Linie das Ergebnis der Forschungen des mit seiner Ausarbeitung befaßten Jesuitenpaters Oswald von Nell-Breuning54, so daß jene Enzyklika weithin unbestritten als der Ausgangspunkt des Subsidiaritätsprinzips in der katholischen Soziallehre angesehen wird. Als Bestandteil der kirchlichen Dogmatik unterlag es naturgemäß keinen entscheidenden zeitgeistigen Inhaltsänderungen, wenn es auch teilweise verschieden interpretiert wurde und seine Aussagen unterschiedlich gewichtet wurden55 . Dies gilt auch für seine immanente Ambivalenz, die sich in der Begrenzungsfunktion gegenüber den Kompetenzen höherer Gemeinschaften (negative Komponente) einerseits und der Unterstützungspflicht derselben gegenüber den kleineren Gemeinschaften (positive Komponente) andererseits ausdrückt56.

Ergebnis kommt, daß der Grundsatz der Subsidiarität von der katholischen Soziallehre ,,rezipiert und philosophisch vertieft" worden sei. Andere Autoren übersehen oder ignorieren bewußt diesen direkten Zusammenhang oder erwähnen die ältere liberale Tradition des Subsidiaritätsprinzips eher beiläufig. So z. B. A. Wallenstärter, Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten, S. 7f.; J. Wichmann, in: Heiner Timmermann, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 7 ff. (8 ff. ); B. Gutknecht, FS für Herbert Schambeck, S. 921 ff. (921 f.); ähnlich H. Stad/er, Subsidiaritätsprinzip und Föderalismus, S. 12f.; die liberale Herkunft des Subsidiaritätsprinzips leugnend; B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 11 ff., hält das Subsidiaritätsprinzip für ausschließlich aus der kirchlichen Dogmatik für interpretier- und verstehbar! S3 Vgl. dazu die Nachweise in FN 13. 54 Vgl. dazu J. Schasching, FS für Herbert Schambeck, S. l07ff. (108f.), der zu dem Ergebnis kommt, daß der erste Entwurf zu der Enzyklika "Quadragesimo anno" eindeutig von von Nell-Breuning stammt. Teilweise wird sogar angenommen, daß Oswald von Nell-Breuning mit der Ausarbeitung des Rundschreibens direkt vom Vatikan beauftragt gewesen sei. So J. Busche, Süddeutsche Zeitung vom 24.08.1991; ebenso H. Klein, FAZ vom 23.08.1991, S. 6. A.A. wohl A. Rauscher, in: StL, Bd. 5, Sichwort: Subsidiarität, Sp. 386, der die Formulierung der Enzyklika "Quadragesima anno" Gustav Gundlach zuschreibt. ss Zu der Auseinandersetzung insgesamt vgl. 0. von Nell-Breuning, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. III, S. 11 ff. und 24 ff. Der Haupstreitpunkt bestand vordergründig gesehen in einem schlichten Übersetzungsproblem des lateinischen Urtextes der Enzyklika "Quadargesimo anno". Übersetzt man die Formulierung "gravissimum principium" wörtlich als Superlativ mit "oberstem philosophischem Grundsatz" so G. Gundlach, Die sozialen Rundschreiben Leos XIII. und Pius XI., S. 35, so ergibt sich für die Stellung und Bedeutung des so bezeichneten Subsidiaritätsprinzips eine andere Gewichtung, als wenn man elativisch von einem .,äußerst bedeutsamen und ernsten Grundsatz der Sozialphilosophie" spricht, wie dies J. David, Streit um das Subsidiaritätsprinzip , S. 15 ff. (S. 15), und A.-F. Utz, in: Neue Ordnung 10, S. ll ff. (11), tun. 56 Vgl. dazu die Darstellung bei A.-F. Utz, Formen und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, S. 52 ff.

A. Aussage, historische und philosophische Grundlagen

37

Von größerer Bedeutung als die konkrete Ausgestaltung und Auslegung, die der Subsidiaritätsgedanke in der kirchlichen Lehre gefunden hat und die in den Kernaussagen nicht entscheidend von denen der liberalen Staatstheoretiker abweichen, sind der Ausgangspunkt und der historische Kontext, die letztlich zur Aufnahme dieses Prinzips in die kirchliche Soziallehre geführt haben. So weist Schasching nach, daß es von Nell-Breunings "Analyse der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation nach dem ersten Weltkrieg" war, die den Jesuiten auf den Grundsatz der Subsidiarität zurückgreifen ließ57 • Von Nell-Breuning wollte damit der erkannten Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft in Klassen das philosophische Konzept einer reich gegliederten Gemeinschaft entgegenstellen. Dies hat unmittelbaren Niederschlag in der Enzyklika gefunden58 . Ist der von von Nell-Breuning beschriebene Gesellschaftszustand schon problematisch genug, so kommt noch hinzu, daß die Entwurzelung breiter Massen und die damit einhergehende Zerrüttung gesellschaftlicher Strukturen, die der erste Weltkrieg nicht nur in Deutschland nach sich gezogen hatte, einen idealen Nährboden für totalitäre Ideologien, wie sie sich in Form des Kommunismus als kollektivistische Diktatur, als Faschismus und Nationalsozialismus mit ihren Führerstaatsmodellen unterschiedlicher Provenienz ausbreiteten59, bot. Die Implementation des Subsidiaritätsgrundsatzes als eines "Gerechtigkeitsprinzips"60 in die kirchliche Dogmatik ist daher nicht zuletzt auf das Bemühen zurückzuführen, der Gefahr, die von den im ersten Drittel dieses Jahrhunderts um sich greifenden, totalitären Herrschaftsformen ausging, ein vielgestaltiges, gegliedertes Gesellschaftsideal entgegenzusetzen, das an traditionelle Strukturen wie Familie und Gemeinde als Konstanten menschlicher Existenz anknüpfte und dadurch den einzelnen in seiner Individualität und Würde zu erfassen suchte und nicht lediglich als anonymen Bestandteil einer "Volksmasse" oder Angehörigen einer Klasse oder eines Kollektivs. Während die "Staatsdenker"61 des Liberalismus auf der Grundlage des ethischen Personalismus' Kants in geistiger Auseinandersetzung mit dem S?

J. Schasching, FS für Herbert Schambeck, S. l07ff. (109).

So heißt es in der Enzyklika Quadragesimo anno, AAS Xlll, (1931), Rz. 78: "In Auswirkung des individualistischen Geistes ist es so weit gekommen, daß das einst blühende und reichgegliedert in einer Fülle verschiedenartiger Vergemeinschaftungen entfaltete menschliche Gesellschaftsleben derart zerschlagen und nahezu ertötet wurde, bis schließlich fast nur noch die Einzelmenschen und der Staat übrig blieben". 59 Vgl. dazu die Analyse totalitärer Weltanschauungen des zwanzigsten Jahrhunderts von K. D. Bracher, Die totalitäre Erfahrung, S. 13 ff. 60 So ausdrücklich J. J. M. van der Ven, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 45 ff. (57 ff.). 61 Zum Begriff vgl. den Titel des von M. Stalleis herausgegebenen Werkes "Staatsdenker der frühen Neuzeit". 58

38

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

absolutistischen Wohlfahrtsstaat ihre Gesellschaftsmodelle und Staatszwecklebren entwickelten, denen das Subsidiaritätsprinzip als maßgebliches Legitimationsmoment und Strukturprinzip immanent war62 , gelangte der Wegbereiter und Vordenker der Enzyklika "Quadragesimo anno" über eine Analyse der ihn umgebenden Nachkriegsgesellschaften und im Kampf gegen die sich ihrer bemächtigenden totalitären Ideologien zu dem gleichen Grundsatz als einem Gerechtigkeitspostulat und politischem Fanal63 . Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, weshalb der Papst in seinem Rundschreiben das Subsidiaritätsprinzip als einen universelle Geltung beanspruchenden ethisch-philosophischen Grundsatz formuliert und bewußt auf eine durchaus mögliche theologische Begründung dieses Prinzips verzichtet64 hat. Hätte doch sonst die Gefahr bestanden, daß der Subsidiaritätsgrundsatz von der profanen Propaganda jener totalitären Ideologien als klerikale Heilsformel abgestempelt und damit vorschnell seiner Durchschlagskraft beraubt worden wäre. Der Subsidiaritätsgedanke erscheint somit auch in der katholischen Soziallehre weder als primär theologischer noch als konfessioneller65 Grundsatz, wobei nicht verkannt wird, daß das Prinzip in der kirchlichen Dogmatik eine spezifische Prägung erfahren hat. Auch der dem Subsidiaritätsgrundsatz in der Sozialenzyklika beigemessene universelle Geltungsanspruch resultiert nicht aus einem theologischen Missionsbedürfnis, sondern folgt aus der europa- und weltweiten Expansion totalitärer Gesellschaftsformen. Seine universelle Ausrichtung macht zugleich deutlich, daß sich diesem Prinzip keineswegs die inzidente Forderung nach einer spezifischen Staatsorganisationsform - etwa im Sinne eines kirchlichen Appells 62 J. Listl, in: EvStL, Bd. 2, Sp. 3374, bezeichnet das Subsidiaritätsprinzip sogar als "genuines Gedankengut des staatstheoretischen Liberalismus". 63 Seine Verwendung als politischer Kampfbegriff gegen Totalitarismus, Etatismus und Zentralismus hat das Subsidiaritätsprinzip entgegen seiner eigentlichen Aussage zu einem Argument zur weitestgehenden Zurückdrängung der Staatstätigkeit werden lassen. In dem Ziel, "so wenig Staat wie möglich", sieht G. Dahm, Deutsches Recht, S. 161, die entscheidende Aussage des Subsidiaritätsprinzips, wobei er in der "Grundeinstellung", den Staat als ein notwendiges Übel" zu betrachten, zugleich die Gemeinsamkeit von Liberalismus und katholischer "Staatslehre" erblickt. Diese Argumentation verkennt jedoch das Anliegen des Subsidiaritätsprinzips, das nicht in einer prinzipiellen Zurückdrängung des Staates liegt, sondern in einer der Leistungsfähigkeit der verschiedenen gesellschaftlichen Handlungseinheiten adäquaten Aufgabenverteilung. Zu einem gegen die Staatstätigkeit gerichteten Fanal wird das Subsidiaritätsprinzip erst und nur dort, wo der Staat entgegen den tatsächlichen Notwendigkeiten Aufgaben an sich zu ziehen beginnt, deren Erledigung dem Menschen "näher" stehenden Organisationen in gleicher Weise möglich ist. Auf diese Fehlinterpretation des Subsidiaritätsprinzips weist ausdrücklich A. Rauscher, in: StL, Bd. 5, Stichwort: Subsidiarität, Sp. 387, hin. 64 Auf diesen Umstand weist nachdrücklich J. Schasching, FS für Herbert Schambeck, S. 107ff. (llOf.), hin; ebenso J. Listl, in: EvStL, Bd. 2, Sp. 3374. 65 So auch H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 29.

B. Die Bedeutung in politikwissenschaftlicher Perspektive

39

an Einheitsstaaten zur Errichtung föderativer Strukturen- entnehmen läßt66 . Daß die Kirche mit der Berufung auf diesen Grundsatz nicht zuletzt auch das Ziel verfolgt hat, ihre eigenen traditionellen Wirkungsbereiche der karitativen und pädagogischen Betreuung, die ihr zugleich eine entscheidende geistige Einflußnahme auf die Menschen ermöglichte, vor staatlichem Zugriff zu bewahren67 , liegt auf der Hand.

B. Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips in politikwissenschaftlicher Perspektive I. Vorbemerkung

In neuerer Zeit hat sich auch die Politikwissenschaft mit dem Grundsatz der Subsidiarität befaßt. Dabei stand im Gegensatz zu den Staatszwecklehren und der kirchlichen Dogmatik weniger das philosophisch-politische Postulat dieses Prinzips im Vordergrund, sondern seine Brauchbarkeit zur Lösung staatlicher und politischer Steuerungsprobleme. Damit verbunden war der Versuch, diesen theoretischen und abstrakten Grundsatz auf die komplexen Strukturen moderner Gesellschaften zu projizieren und anzuwenden, was zu einer funktionsbezogenen Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips geführt hat. Dies hat sich vor dem Hintergrund eines "dreidimensionalen Politikbegriffs" vollzogen, der zum einen den Bereich des öffentlichen Handeins (public policy) umfaßt, zu dem neben den Sachproblemen und den darauf gerichteten Inhalten politischer Entscheidungen sowie den diesbezüglichen Strategien auch die entsprechenden Instrumente und Bewertungskriterien gehören. Zum anderen bezieht dieses Politikverständnis aber auch den Sektor des ungesteuerten, konflikthaften Prozesses (politics) in die Betrachtung ein, der die Bedingungen und Formen des politischen Handeins auf der Grundlage von Interessenkonkurrenz sowie Wertund Zieldivergenzen zu analysieren sucht. Schließlich werden auch die institutionellen Rahmenbedingungen öffentlichen und politischen Handeins (polity) berücksichtigt, zu denen insbesondere das Verfassungs- und Rechtssystem zählen68 . Ausgehend von diesem umfassenden Politikbegriff nimmt die Politologie eine "Mittlerposition" zwischen Sozialphilosophie und Rechtswissenschaft ein. Denn wegen ihres Bezugs zu den Bedingungen des konkreten politischen und gesellschaftlichen Systems ist sie in ihren Aussagen einerseits Zustimmend T. Adam Schmitt, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 80f. Vgl. dazu T. Rendtorff, in: Der Staat 1962, S. 405ff. (424f.). 68 Vgl. zu diesem mehrdimensionalen Politikbegriff V. von Prittwitz, Politikanalyse, S. 11 f. 66 67

40

I. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

weniger abstrakt als die ideengeschichtlich theoretischen Erkenntnisse der Sozialphilosophie. Andererseits ist die Politikwissenschaft jedoch auch nicht an die starren Formen rechtlicher Dogmatik und die strenge juristische Terminologie gebunden, was mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität erwarten läßt, zu differenzierteren, die Flexibilität sowie die Möglichkeiten und Grenzen dieses Prinzips deutlicher beschreibenden Aussagen zu gelangen. II. Das Subsidiaritätsprinzip in der politikwissenschaftlichen Steuerungsdiskussion 1. Der politikwissenschaftliche Steuerungsbegriff

Das Subsidiaritätsprinzip hat in der Politikwissenschaft vor allem als Instrument zur "Gesellschaftssteuerung"69, Bedeutung erlangt. Den Ausgangspunkt dieser Diskussion bildete die Beobachtung, daß das traditionelle Verfahren zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme, die Ausweitung der Staatsaufgaben und die Ausdehnung der Staatstätigkeit70 in alle Gesellschaftsbereiche nicht zu den gewünschten und erwarteten Ergebnissen führte. Insbesondere die "Enttäuschungserfahrung"71 , daß auch die von der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung in den sechziger und siebziger Jahren propagierte staatliche Planungs- und Lenkungspolitik72 letztlich nicht in der Lage war, grundlegende Probleme wie etwa Massenarbeitslosigkeit oder Inflation entscheidend und nachhaltig zu lösen, führten zu der These vom "Staatsversagen'm, von der "Unregierbarkeit"74 moderner Gesellschaften, von der "Entzauberung des Staates"75 oder den "Grenzen des Regierens"76• Bei der politikwissenschaftlichen Analyse bestand weithin Einigkeit darin, daß es sich bei diesem Phänomen um ein Problem der "Gesellschaftssteuerung" handelt, dessen Ursache in einem Steuerungsdefizit des Staates liegt. Die angeführten Begründungen für das staatliche 69 Zum Begriff siehe U. Schimank/M. Glagow, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 4 ff. (durchgehend). 70 Diese Vorgehensweise beschreibt auch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, s. 250ff. 71 So R. Mayntz, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 89 ff. (96). 72 C. Offe, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 309 ff. (309); ebenso R. Mayntz, ibd. 73 R. Mayntz. ibd., S. 89. 74 Zum Begriff W. Hennis, in: ders./Peter Graf Kielmannsegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit- Studien zu ihrer Problematisierung, Bd. I, S. 9ff. (9). 75 Vgl. dazu H. Willke, Ironie des Staates, S. 137. 76 So der Titel der analytischen Studie von F. Lehner.

B. Die Bedeutung in politikwissenschaftlicher Perspektive

41

Steuerungsversagen lassen sich entsprechend ihrem Ansatzpunkt m zwei Kategorien einteilen77 • So wurde teilweise der Grund für den staatlichen Steuerungsmangel in dem Steuerungsinstrument "Recht" erblickt und die Lösung des Problems demzufolge in einer Änderung der rechtlichen Strukturen und der dem Recht zugemessenen Funktion gesehen 78 . So vertreten etwa Teubner und Willke die Ansicht, es müsse darauf verzichtet werden, Recht als Mittel zur Intervention in komplexe Teilsysteme der Gesellschaft einzusetzen; erforderlich sei es vielmehr, die "Fähigkeit dieser Teilsysteme zu Selbstorganisation und Selbststeuerung" zu nutzen. Dabei gelte es, das Recht darauf auszurichten, im Spannungsfeld zwischen notwendiger (zentraler) Kontextsteuerung und Teilbereichsautonomie die Koordination der Teilsysteme sicherzustellen und die Autonomie der Teilsysteme zu regulieren und zu garantieren79 . Die Mehrheit der Autoren tendierte dagegen dahin, die eigentliche Ursache für das entstandene Steuerungsproblem in der grundsätzlichen Unmöglichkeit zu sehen, die hochkomplexen Systeme moderner Industriegesellschaften westlicher Prägung auf traditionelle Weise überhaupt etatistisch und zentral steuern zu können80, wobei die Begründungen dieser These zahlreiche Varianten im Detail aufweisen81 • Dennoch gehen die Vertreter 77

Ebenso R. Mayntz, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987,

s. 89 ff. (90).

78 G. Teubner!H. Willke, in: Manfred Glagow/Helmut Willke (Hrsg.), Dezentrale Gesellschaftsordnung, S. 3ff. (4-12), gehen von einer fortschreitenden Abnahme der Steuerungsleistung des traditionellen Rechts aus, die ihren Grund darin habe, daß der das herkömmliche Rechts- und Rechtssetzungssystem kennzeichnende Anspruch, jeden Sachverhalt unmittelbar, erschöpfend und eindeutig regeln zu wollen, angesichts der "Dynamik komplexer Systeme" nicht mehr durchgehalten werden könne. So führe die in Anbetracht steigender gesellschaftlicher Komplexität erforderliche stetige Ausdifferenzierung des Rechts zu Widersprüchen und einer Selbstblockierung des politischen Systems, andererseits gehe mit der isolierten Betrachtung lediglich einzelner Probleme und Kategorien der Blick für größere Zusammenhänge verloren, so daß Recht teilweise sogar dysfunktional und kontraproduktiv wirke. 79 Vgl. dazu G. Teubner!H. Willke, ibd., S. 4 und 23f. 80 Vgl. die Beschreibung des Diskussionsstandes bei U. Schimank!M. Glagow, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 4ff. (9f.). 81 So sehen K. Eichenberger, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/UIrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 1, S. 103ff. (103ff.), und U. Matz, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 1, S. 82ff. (82 ff.), die Ursache für das Phänomen der "Unregierbarkeit" in einer historisch gewachsenen Überlastung des Staates; C. Watrin, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 2, S. 233ff. (239ff.), sieht in diesem Zusammenhang speziell die dem Staat nach dem ersten Weltkrieg in steigendem Maße übertragenen wirtschaftspolitischen Aufgaben - vor allem die "Sicherung der Vollbeschäftigung" als entscheidenden Überlastungsfaktor an, wäh-

42

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

des institutionellen Ansatzes im wesentlichen von den gleichen Prämissen aus. Auf der Grundlage des von Renate Mayntz formulierten akteursbezogenen Steuerungsbegriffs, wonach unter "Steuerung" die von einem Subjekt (Steuerungsakteur) vorgenommene gezielte Beeinflussung eines Systems (Steuerungsobjekt) zu verstehen ist, die auf die Verbringung dieses Systems von einem Ort oder Zustand zu einem bestimmten anderen gerichtet ist82 , kann die Gesamtgesellschaft als das zu steuernde System bezeichnet werden, welches sich durch funktionale Differenzierung in eine Vielzahl selbstreferentieller Teilsysteme83 aufspaltet. Insgesamt lassen sich die am häufigsten diskutierten Lösungsansätze grob in vier Kategorien einteilen. 2. Polyzentrismus, Neokorporatismus, Delegation und Subsidiarität

Mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip sind vor allem die drei Ansätze, die als "nicht-etatistische Formen der Gesellschaftssteuerung"84 diskutiert wurden, von Bedeutung. Diese gehen alle von den gleichen Prämissen aus, zu denen neben der Erkenntnis, daß das traditionelle etatistische Steuerungsmodell das komplexe Gesellschaftssystem nicht mehr hinreichend zu beeinflussen vermag, das prinzipielle Festhalten an der Forderung nach gesellschaftlicher Kontextsteuerung85 gehört. So geht es bei den Konzeptionen "des (Neo-)Korporatismus, der "Delegation" und der "Subsidiarität" rend H. Klages, Überlasteter Staat, S. 28 ff., auf die von den Bürgern und damit letztlich von jedem einzelnen ausgehenden "Anspruchsdynamik" gegenüber dem politischen System als einem zentralen Moment der Staatsüberlastung hinweist. P. Graf Kielmansegg, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 1, S. ll8ff. (12lf.), stellt bei seiner Analyse die zur Realität gewordene Gefahr in den Vordergrund, daß Demokratien "durch ihre eigenen normativen Prämissen überfordert" seien und "diesem Dilemma nicht entrinnen" könnten. Demgegenüber sieht W. Hennis, in: ders./Peter Graf Kielmansegg/ Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 1, S. 9ff. (17ff.), die Ursache des Steuerungsdefizits in der Rolle und der Binnenstruktur der großen politischen Parteien und ihrem großen Einfluß auf Legislative und Exekutive. 82 R. Mayntz, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 89ff. (91-94). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das auch von der Autorio kritisierte mangelnde Bemühen um eine eindeutige Definition von "Steuerung" im sozialwissenschaftliehen Schrifttum trotz gleichzeitiger intensiver Verwendung des Steuerungsbegriffs (R. Mayntz, ibd., S. 91 f.). 83 Als "selbstreferentiell" wird dabei ein System bezeichnet, "das die Elemente, aus denen es besteht, selbst produziert und reproduziert", so N. Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, S. 33. 84 Vgl. U. Schimank/M. Glagow, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 4 f. 85 Vgl. zu diesem Begriff H. Willke, in: Manfred Glagow/Helmut Willke (Hrsg.), Dezentrale Gesellschaftssteuerung, S. 3 ff. (3).

B. Die Bedeutung in politikwissenschaftlicher Perspektive

43

um eine vollständige oder teilweise Verlagerung der Funktion der Gesellschaftssteuerung vom Steuerungssubjekt "Staat" auf andere gesellschaftliche Teilsysteme. Auf die "polyzentristischen" 86 Ansätze braucht wegen ihrer offenkundigen Praxisfeme nicht eingegangen zu werden87 • a) Korparatismus oder Neokorporatismus 88

Im Rahmen der sozialwissenschaftliehen Steuerungsdiskussion haben seit Mitte der siebziger Jahre korporatistische Konzepte große Bedeutung erlangt89. Diese Modelle versuchen das Steuerungsproblem dadurch zu lösen, daß sie die verschiedenen Teilsysteme - insbesondere die - in Formen institutionalisierter Kooperation in die staatliche Steuerung und damit in die gesellschaftliche Verantwortung mit einbeziehen. Trotz weitreichender Unterschiede der einzelnen Ansätze90 bildete die 1967 in der Bundesrepublik gegründete "Konzertierte Aktion"91 den gemeinsamen realpoliZum Begriff vgl. H. Willke, Ironie des Staates, S. 341. Die zentrale These der polyzentristischen Konzeptionen besteht darin, daß es möglich sei, ausschließlich über eine Koordination der Selbststeuerungspotentiale der Teilbereiche zu einem System "dezentraler Gesellschaftssteuerung" (so H. Willke, in: Manfred Glagow/Helmut Willke (Hrsg.), Dezentrale Gesellschaftssteuerung, S. 3 ff. (5 f.), zu gelangen und dadurch auf den Primat von Recht und Politik ganz verzichten zu können (H. Willke, ibd., S. 25 f.). Offen bleibt jedoch bei diesen Konzeptionen, wie das auch von ihren Vertretern für notwendig erachtete Maß an gesamtgesellschaftlicher Integration (dazu H. Willke, ibd., S. 6) erreicht werden soll. Zudem beachten diese Ansätze nicht, daß das Recht nicht ausschließlich eine "systemsteuernde" Aufgabe besitzt. Vielmehr kommt der Rechtsordnung auch eine Sicherungs- und Ordnungsfunktion zu. 88 Der Begriff "Neokorporatismus" entspringt dem Bedürfnis einiger Vertreter des politikwissenschaftlichen Schrifttums, auch sprachlich den Unterschied dieses "neuen" Steuerungsansatzes von ständestaatliehen Strukturen, die bisweilen als ,,korporatistisch" bezeichnet werden, deutlich zum Ausdruck zu bringen. Vgl. dazu U. von Alemann/R. G. Heinze, in: dies. (Hrsg.), Verbände und Staat, S. 38ff. (38f.). Besonders eingehend K. von Beyme, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, S. SOff. (85 ff.). Zur Bedeutung, die der Korparatismus gerade in der deutschen Geschichte hatte, vgl. U. Nocken, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, S. 17ff. (17ff.). 89 Vgl. W. Gotsch, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 54ff. (54); G. Lehmbruch, in: Journal für Sozialforschung 1983, S. 407ff. (407). 90 Die Korporalismusdiskussion sieht sich ebenso wie die Erörterung der Steuerungsdefizite des Staates vor dem Problem uneinheitlicher Begrifflichkeil und einer ausufernden Theorienvielfalt, die eine zielorientierte und in Lösungsvorschläge mündende wissenschaftliche Auseinandersetzung außerordentlich erschwert. Dieses Problem wird auch im Schrifttum bisweilen beklagt, so etwa von W. Bonß, in: Volker Range (Hrsg.), Am Staat vorbei, S. 125ff. (128f.); U. von Alemann,/R. G. Heinze, in: dies. (Hrsg.), Verbände und Staat, S. 38 ff. (38 f.); dies., in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, S. 43ff. (47f.). 86

87

44

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

tischen Bezugspunkt, sah man doch in diesem Instrument eine praktische Umsetzung der Korporatismusidee. Eine im politikwissenschaftlichen Schrifttum auf größere Akzeptanz92 stoßende Definition des Korparatismusgedankens führt Philippe C. Schmitter in begrifflicher Abgrenzung zum Pluralismus an93 . Dabei wurden die Vorzüge dieses Steuerungsmodells zum einen in einer Erhöhung der Sachgerechtigkeit politischer Entscheidungen gesehen. Dies sollte durch die Einbeziehung von auf die Wahrnehmung bestimmter Teilinteressen ausgerichteter Verbandsvertreter in den politischen Entscheidungsfindungsprozeß erreicht werden. Zum anderen erwartete man - wenn schon keinen Konsens so doch - zumindest eine Steigerung der Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen selbst. Dies sollte zunächst durch die in der Verhandlung als gleichwertig anzuerkennende Gegenposition auf der Ebene der Verbandsfunktionäre und durch Vermittlung der Verhandlungsergebnisse an die Verbandsmitglieder erfolgen94• Ferner wurde der Neokorporatismus auch als eine Form institutionalisierter Integration95 angesehen. Die "Konzertierte Aktion" wurde zudem als ein auch auf andere Politikbereiche übertragbares Modell der Gesellschaftssteuerung betrachtet96• Ihr Scheitern im Jahre 197797 und einige der von der Politikwissenschaft herausgearbeiteten Probleme und Defizite des Korporalismusansatzes liefern interessante Erkenntnisse für das Integrationskonzept und die Subsidiaritätsdiskussion auf europäischer Ebene. Auf der Grundlage des akteursbezogenen Steuerungsbegriffs entsteht für das politische System aus korporatistischen Verhandlungs- und Entschei91 Vgl. dazu H. Willke, in: Politische Vierteljahresschriften 1979, S. 221 ff. (221 f.); W. Bonß, ibd., S. 133. 92 Vgl. dazu W. Fach, in: Journal für Sozialforschung 1983, S. 385 ff. (385). 93 P. C. Schmitter, in: ders./G. Lehmbruch (ed.), Trends toward corporatist intermediation, S. 7ff. (13): "Corporatism can be defined as a system of interest representation in which the constituent units are organized into a limited number of singular, compulsory, noncompetitive, hierarchically ordered and functionally differentiated categories, recognized or Iicensed (if not created) by the state and granted a deliberate representational monopoly within their respective categories in exchange for observing certain controls on their selection of Ieaders and articulation of demands and supports". 94 Vgl. zu diesen Erwartungen an das korporatistische Steuerungsmodell, U. Schimank/M. Glagow, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 4ff. (22). 95 W. Gotsch, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 54ff. (73 ff.). 96 Vgl. dazu die Arbeiten H. Wiesenthals, Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen - Ein Beispiel für Theorie und Politik des modernen Korporatismus, S. 76ff.; ders., in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, S. l80ff. 97 Dazu U. von Alemann/R. G. Heinze, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, S. 43ff. (43).

B. Die Bedeutung in politikwissenschaftlicher Perspektive

45

dungsmodellen grundsätzlich die Gefahr zunehmender Abhängigkeit von den in den Kreis der Steuerungsakteure aufgenommenen lnteressengruppen98. Diese Abhängigkeit kann je nach Stärke der beteiligten Verbände so weit gehen, daß nur noch solche Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden können, die die Zustimmung dieser Interessengruppen erfahren, mit der weiteren Folge des Verlustes von Autorität und Glaubwürdigkeit der politischen Instanzen bei den nicht am Entscheidungsprozeß Beteiligten. Dieses Problem ist unter Stichworten wie "Verbändestaat", "Unternehmer-" oder "Gewerkschaftsstaat"99 im Schrifttum beschrieben worden. Da die Mitwirkung in korporatistischen Institutionen nur den in einer bestimmten Form organisierten Interessengruppen möglich ist, fördern korporatistische Strukturen die quantitative Zunahme von Organisationen einer spezifischen Form. Damit stehen korporatistische Steuerungsmodelle jedoch in einem doppelten Antagonismus zum Pluralismus 100: Zum einen führt die Präferenz von hierarchisch strukturierten Verbänden umgekehrt zu einer Benachteiligung anderer Organisationsformen 101 • Zum anderen zwingen korporatistische Entscheidungsgremien zu einer Begrenzung des Kreises der Beteiligten, so daß von der wachsenden Zahl von Interessenverbänden ein immer kleiner werdender Anteil in den Verhandlungs- und Entscheidungsprozeß einbezogen werden kann, wenn nicht die Handlungsfähigkeit des Gremiums insgesamt in Frage gestellt werden soll. Das bedeutet, daß gerade der integrative Ansatz der Korporalismuskonzepte eine dysfunktionale Wirkung entfaltet. In diesem Punkt ergibt sich eine Parallele der Korporalismusdiskussion zu einem zentralen Problem der Europäischen Gemeinschaften, die ebenfalls dem Prozeß fortschreitender Integration 102 verpflichtet sind. So stellt die Bewahrung der Handlungsfähigkeit sowohl bei der Frage der Erweite98 So haben durch die 1967 begründete Konzertierte Aktion die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände "Einfluß auf die Wirtschaftspolitik erhalten", wie H. H. von Amim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 143 f., konstatiert, was bezüglich der Konzertierten Aktion dazu geführt habe, daß "ihr ursprünglicher Sinn umgekehrt" worden sei. 99 Vgl. dazu statt aller P. Graf Kielmansegg, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 1, S. 118ff. (141f.). 100 Auf diesen Gegensatz, der sich als unmittelbare Konsequenz aus der Korporatismusdefinition Schmitters ergibt, weist K. von Beyme, in: Jürgen Habermas (Hrsg.), Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, Bd. 1, S. 229ff. (238 und 241), hin. 101 Vgl. dazu die Studie von D. Thränhardt, in: Rudolf Bauer/Hatmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe, S. 45 ff. (45 et passim), der eine "Kartellund Monopolbildung" der Wohlfahrtsverbände in bestimmten Bereichen auf lokaler Ebene diagostiziert. 102 Vgl. T. Oppermann, Europarecht, Rz. 20.

46

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

rung der Gemeinschaften um neue Mitglieder als auch bei der Besetzung und Größe von Europäischem Parlament und Kommission 103 eine Hauptschwierigkeit dar. Schließlich gehen mit der Etablierung korporatistischer Organisationsformen die Zentralisierung gesellschaftlicher und politischer Macht sowie ein Mangel an Transparenz der Entscheidungsprozesse einher. Dies hat auf dem Gebiet der Sozialpolitik in den siebziger und achtziger Jahren dazu geführt, daß von Interessengemeinschaften, die nicht in die korporatistischen Gremien integriert wurden, private Initiativen und Selbsthilfegruppen gebildet wurden. Diese Vereinigungen sahen in den Kooperationsbeziehungen zwischen öffentlichen Instanzen und Trägern der freien Wohlfahrt eine Interessenakkumulation und ein Machtkonglomerat, das die Anliegen ihrer Mitglieder bei seinen Entscheidungen nicht berücksichtigt. Dieses Phänomen der Abkopplung von den Verfahren und Ergebnissen korporatistischer Politik durch organisierte Eigeninitiative ist von der Politikwissenschaft zutreffend als "neue Subsidiarität" 104 gekennzeichnet worden. Ungeachtet der Frage, ob die Belange jener Gruppierungen und ihrer Klientel von den korporatistischen Gremien tatsächlich nicht hinreichend berücksichtigt wurden oder ob es sich hierbei lediglich um eine subjektive Einschätzung dieser Bürgerinitiativen gehandelt hat, kann das Phänomen der Abkopplung an sich jedenfalls als Indiz dafür gewertet werden, daß Formen korporatistischer und integrativer Politik mit den für diese Steuerungsformen typischen Nebenfolgen der mangelnden Transparenz, der Zentralisierung und Bürokratisierung an eine Akzeptanzgrenze stoßen. Beim Überschreiten dieser Grenze artikuliert sich ein elementares Bedürfnis nach subsidiären Strukturen und Verfahren in Formen der Abwendung und Abkopplung von der Gesamtgemeinschaft Dies wiederum erschwert eine politische Einflußnahme auf diese Gruppen und damit die gesellschaftliche Kontextsteuerung und letztlich die erforderliche Integration selbst. Hierin liegt die zweite Erkenntnis der in den siebziger und achtziger Jahren geführten Korporatismusdiskussion, die für den Prozeß der euro103 Vgl. dazu die polemischen Ausführungen M. Brunners, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (13 f.). 104 Vgl. zum Begriff und zur Entstehung von Selbsthilfegruppen als unmittelbare Reaktion auf die Auswirkungen korporatistischer Politik R. G. Heinze!T. Olk, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 162ff. (181 ff.); dies., in: Rudolf Bauer/Hatmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe, S. 173 ff. (185ff.); R. G. Heinze, in: Jürgen Krüger/Eckart Pankoke (Hrsg.), Kommunale Sozialpolitik, S. 196ff. (212ff.); H. Grob/eben, in: Rudolf Bauer/Hatmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe, S. 162ff. (166). Zum Selbstverständnis und zur gesellschaftspolitischen Einordnung von Selbsthilfegruppen A. Trojan/E. Halves, in: Rudolf Bauer/Hartmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe, S. 148ff. (148 ff).

B. Die Bedeutung in politikwissenschaftlicher Perspektive

47

päischen Integration und der Implementation des Subsidiaritätsprinzips in das Gemeinschaftsrecht fruchtbar gemacht werden kann.

b) Delegation und Subsidiarität Im Gegensatz zu den korporatistischen Modellen, die als allgemein einsetzbare Instrumente nicht-etatistischer Steuerung angesehen werden, soll den Formen der "Delegation" und der "Subsidiarität" aus politikwissenschaftlicher Sicht lediglich als sektoral und bereichsspezifisch verwendbare Steuerungsstrategien Bedeutung zukommen. Bei dieser Betrachtungsweise bezeichnet "Delegation" jedoch nichts anderes als das Konzept der Dezentralisierung105, das in verschiedenen Formen der Selbstverwaltung 106 institutionalisiert und von der Staats- und Organisationslehre bereits zuvor "als ubiquitär anwendbares Organisationsprinzip" 107 instrumentalisiert wurde 108 • Die Politikwissenschaft scheint demgegenüber "Delegation" ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verlagerung von Steuerungsmacht auf vorhandene berufsständische und territoriale Selbstverwaltungskörperschaften zu diskutieren 109. Das Subsidiaritätsprinzip wird andererseits nur dort als Steuerungskonzept1 10 in Betracht gezogen, wo es um die Gestaltung sozialpolitischer Bereiche geht 111 . Zwar wurde auch das Modell des Korparatismus zumeist in Verbindung mit der Konzertierten Aktion und der Frage nach einem wirtschaftspolitischen Steuerungsmodell erörtert, dies jedoch nur beispielgebend und nicht in der Absicht, die Anwendungsmöglichkeit des Korparatismuskonzeptes auf dieses Politikfeld zu beschränken. Das Subsidiaritätsprinzip wird von der Politikwissenschaft hingegen als ein rein themenspezifisches Steuerungsinstrument angesehen. Vgl. dazu R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 345 ff. So unterscheidet G. F. Schuppert, Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staatsverwaltung, FG für Georg Christoph von Unruh, S. 183ff., (203ff.), insgesamt fünf verschiedene Erscheinungsformen von Selbstverwaltung. 107 So G. F. Schuppert, AöR 114 ( 1989), S. 127 ff. ( 130). 108 R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 345. 109 Vgl. dazu U. Schimank/M. Glagow, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. 4 ff. (17); M. Glagow, in: ders. (Hrsg.), S. 115 ff. (115). 110 Eine andere Betrachtung des Subsidiaritätsprinzips nimmt F. W. Scharpf, in: Vierzig Jahre Bundesrat, S. 121 ff. (126), vor, der in diesem Grundsatz ein spezifisch deutsches Legitimationsmoment für "parastaatliche Organisationen" wie Verbände, Gewerkschaften, Kammern, etc. sieht, die ihrerseits wiederum entscheidend zur "Handlungsschwäche der deutschen Politik" beitrügen. 111 U. Schimank/M. Glagow, in: Manfred Glagow (Hrsg.), S. 4ff. (14ff.); R. G. Heinze/T. Olk, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung, S. l62ff. (162 et passim). 105

106

48

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Während also die Delegation als Steuerungskonzept mit der Ausrichtung auf Verbands- und Gebietskörperschaften eine institutionelle Ausgestaltung erfährt, stellt die ausschließliche Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf das Gebiet der Sozialpolitik eine inhaltliche Verwendungsbeschränkung dar. Diese in der politikwissenschaftlichen Steuerungsdiskussion durchgängig anzutreffende thematische Festlegung des Subsidiaritätsgedankens auf den Sektor der "Wohlfahrts- und Sozialpolitik" hat ihren Grund zum Teil in einer ideologisch motivierten Verengung der Betrachtungsweise 112, die das "klassische Subsidiaritätsprinzip" 113 als "naturrechtlich-klerikalen Ursprungs" 114 begreift, dessen "Formulierung für die katholische Kirche [... ] einen Versuch" darstelle, "die eigene Dogmatik im Hinblick auf so folgenreiche gesellschaftliche Umwälzungen wie den Prozeß der Säkularisierung und der Ausdehnung des Wohlfahrtsstaates fortzuschreiben'" 15 • Dabei verstellt eine solchermaßen eingeengte Sichtweise zum einen den Blick auf die ältere liberale Tradition des Subsidiaritätsgrundsatzes und verkennt zum anderen, daß dem Subsidiaritätsprinzip auch in der katholischen Soziallehre gerade keine primär theologische und konfessionelle Bedeutung zugemessen wird 116• Unter steuerungstheoretischen Gesichtspunkten laufen sowohl das korporatistische Konzept als auch die Delegation und das Subsidiaritätsprinzip auf eine Erweiterung des Kreises der Steuerungsakteure hinaus. Der Unterschied liegt allein in ihrer systemischen Anordnung. Während das korporatistische Modell zu einer Zentralisation und Konzentration der Steuerungsakteure an der Spitze des politischen Systems führt, zielen Delegation und Subsidiarität in die entgegengesetzte Richtung, indem sie eine dezentrale Verteilung der Steuerungssubjekte auf unterschiedlichen Hierarchiestufen erlauben. 112 Vor dem Hintergrund dieser einseitigen ideologischen Ausrichtung muß auch die Progressivität und Innovation suggerierende Bezeichnung "neue Subsidiarität" gesehen werden, die jedoch lediglich das gleiche Prinzip beschreibt wie die "alte" oder "klassische Subsidiarität". Dennoch entbehrt die Bezeichnung "neue Subsidiarität" nicht einer gewissen Bedeutung. Ermöglicht sie es doch auch den ideologisch festgelegten Autoren, sich an der Diskussion um diesen zeitlosen und vielschichtigen Grundsatz zu beteiligen, ohne dabei in innere Konflikte zu geraten oder sich in ablehnender Polemik ergehen zu müssen. 113 So die Formulierung bei R. G. Heinze!T. Olk, Sozialpolitische Steuerung, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung zwischen Korparatismus und Subsidiarität, S. 162 ff. (169). 114 So J. Plaschke, in: Rudolf Bauer/Hartmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe, S. 134ff. (145). 115 R. G. Heinze/T. Olk, Sozialpolitische Steuerung, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssterung zwischen Korparatismus und Subsidiarität, S. 162 ff. (171 ). 116 Vgl. dazu J. Schasching, FS für Hebert Schambeck, S. 107 ff. (1 08 und 110f.).

B. Die Bedeutung in politikwissenschaftlicher Perspektive

49

III. Fazit Zunächst kommt der Politologie das Verdienst zu, mit der rein funktionalen Betrachtung des Subsidiaritätsgedankens die Bedeutung dieses Grundsatzes als Instrument der Politik- und Gesellschaftssteuerung herausgestellt zu haben. Erst diese Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips als Steuerungsmittel erlaubt es, den Grundsatz endgültig aus seinen ideologischen Bindungen zu lösen und die Frage seiner Anwendung ausschließlich unter dem Aspekt der Sachangemessenheit und nicht als Bekenntnis für oder gegen eine bestimmte Weltanschauung 117 zu betrachten. Zwar ist im politikwissenschaftlichen Schrifttum der Wert dieser Funktionalisierung des Subsidiaritätsprinzips nicht erkannt worden, denn weiterführende Überlegungen zu den sich aus diesem Grundsatz ergebenden Möglichkeiten der Systemsteuerung wurden nicht angestellt, wie die Beschränkung des Grundsatzes als Steuerungsinstrument auf das Feld der Sozialpolitik belegt. Doch vermag dies die grundlegende Bedeutung der Einordnung des Prinzips als politisches und gesellschaftliches Steuerungskonzept nicht zu schmälern. Von größerem Wert als die Instrumentalisierungs- und Einordnungsleistung sind die Erkenntnisse, die die politikwissenschaftliche Analyse des Steuerungsproblems geliefert hat. Dies gilt in besonderem Maße für das Korporatismusmodell, das als institutionelle Anwendung oder Umsetzung eines Integrationskonzeptes anzusehen ist, so daß aus der Korporatismusdiskussion Rückschlüsse auf die Möglichkeiten und Grenzen des Integrationsgedankens selbst und das Verhältnis von Integration und Subsidiarität gezogen werden können. Die Analyse korporatistischer Gremien wie der Konzertierten Aktion und entsprechender Verhandlungs- und Entscheidungsmodelle läßt allgemeine Merkmale erkennen, die jeder Form von Integration eigen sind. So führt ein Integrationskonzept immer zu einer Modifikation bestehender Organisationsstrukturen und zu einer Veränderung der Funktionen bestimmter Akteure. Doch erweisen sich diese Verschiebungen zumeist dysfunktional und der Integrationsintention zuwiderlaufend. Dies gilt in besonderem Maße für die mit den korporatistischen und Integrationsmodellen verbundenen Erweiterung des Kreises der Steuerungsakteure. Die "Konzertierte Aktion" wie auch die Einrichtung "runder Tische" hat gezeigt, daß nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, daß die in den Kreis der Steuerungsakteure aufgenommenen Verbandsvertreter die erforderliche Bereitschaft mitbringen, von ihren Positionen als Interessenanwälte abzurücken, um sich in die gesamtgesellschaftliche Verantwortung einbinden zu 117 Als ein solcher Bekenntnisstreit muß auch die verfassungs- und rechtspolitisehe Auseinandersetzung um die Neuordnung des Bundessozialhilfe- und Jugendwohlfahrtsgesetz angesehen werden. Siehe dazu unten C. V. 1. a). 4 Moersch

50

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

lassen. Gelingt dies jedoch nicht, besteht die Gefahr der Instrumentalisierung und Indienstnahme des Staates oder der jeweiligen Gemeinschaft durch bestimmte Interessengruppen. Ein weiteres Problem korporatistischer Steuerungsmodelle besteht darin, daß sie einerseits einen Anreiz zur Bildung von spezifischen Lobbyorganisationen bieten andererseits jedoch nicht umhin kommen, den Kreis der in die Entscheidungsprozesse eingebundenen Verbände und Gruppen zu begrenzen, soll die Handlungsfähigkeit des Entscheidungsgremiums selbst nicht verloren gehen. Der damit zwangsläufig verbundene Ausschluß einer zunehmenden Zahl von Betroffenen läßt bei diesen wiederum den Eindruck mangelnder Berücksichtigung durch das etablierte System entstehen, was dann zu den bekannten Abwendungs- und Abkopplungstendenzen führt, die im politikwissenschaftlichen Schrifttum teilweise als "neue Subsidiarität" 118 bezeichnet worden sind. Es kommt hinzu, daß auf Integration hin angelegte Organisationen zum einen zur Verselbständigung neigen und zum anderen ganz besondere Verfahrensweisen entwickeln, die für Außenstehende zumeist nicht durchschaubar und daher auch nicht beeinflußbar sind 119• Der mangelnde Einfluß auf den Entscheidungsprozeß und die bloße Konfrontation mit dessen Ergebnis, zumeist ein mühevoll erreichter Kompromiß, der keinerlei Veränderung im nachhinein mehr verträgt, führt wiederum zu Frustrationen bei den Betroffenen und letztlich zu einer immer weiter sich steigernden Akzeptanzkrise der Entscheidungsgremien und ihrer Politik. Während dieser Unmut sich im innerstaatlichen Bereich unter anderem in Wahlverweigerung oder Protestwahl niederschlägt, äußert er sich auf europäischer Ebene mangels hinreichender Differenzierung häufig in einer grundsätzlichen Ablehnung der Gemeinschaftsinstitutionen selbst und schließlich des gesamten europäischen Einigungswerkes. Insgesamt läßt sich für das Verhältnis von Integration und Subsidiarität als eine Erkenntnis der politikwissenschaftlichen Steuerungsdiskussion feststellen, daß sich beide Prinzipien gegenseitig bedingen und begrenzen. Dabei folgt die Notwendigkeit zur Integration von Gemeinschaften aus dem Streben nach Gemeinsamkeit, die letztlich das identitätsstiftende Moment jeder Gemeinschaft darstellt. Dem steht die Subsidiarität als ein vom einzelnen ausgehendes Bedürfnis, seine eigene Identität und seinen Wirkungskreis gegenüber der Gemeinschaft als ganzer zu bewahren, gegenüber. So betrachtet sind beide Organisationsgrundsätze Ausdruck der Ambivalenz des Menschen. Während sich in dem Integrationsstreben ein Wunsch nach Gleichheit, eine auf "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" drängende Vgl. dazu oben l. Kapitel B. II. 2. a). Vgl. zu diesem Phänomen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und speziell der Euopäischen Kommission M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S 9ff. (passim). 11s 119

C. Ausprägungen und Merkmale

51

Erwartungshaltung der Bürger manifestiert 120, spiegelt sich in der Forderung nach subsiditätsadäquaten Organisationsstrukturen der Wunsch nach Bewahrung der Individualität der eigenen Person und des unmittelbaren Lebensbereichs wider. Ob dabei das Gleichheitsstreben und das mangelnde Verständnis für regionale Unterschiede tatsächlich das Beharren auf landsmannschaftlicher Eigentümlichkeit überwiegt oder nicht 121 , mag hier dahinstehen. Die politikwissenschaftliche Steuerungsdiskussion hat jedenfalls gezeigt, daß eine ausschließlich oder zumindest überwiegend auf die Herstellung von Integration und Egalität gerichtete Politik zu pendelartigen Gegenreaktionen bei den Betroffenen führt.

C. Ausprägungen und Merkmale I. Allgemeines

Die bisherigen Ausführungen haben die Entwicklung und Bedeutung des Grundsatzes der Subsidiarität in den liberalen Staatslehren des 19. Jahrhunderts und der katholischen Soziallehre sowie seine Einschätzung in der politikwissenschaftlichen Steuerungsdiskussion der siebziger und frühen achtziger Jahre gezeigt. Um mit Blick auf seine Leistungsfahigkeit und Operationalisierbarkeit zu erkenntnisträchtigen Aussagen zu gelangen, ist es erforderlich, die dieses Prinzip kennzeichnenden Merkmale herauszuarbeiten. Dabei gilt es, die struktur- und typusbildenden Eigenschaften des Subsidiaritätsgrundsatzes zu ermitteln und ihn von seiner jeweiligen sozialphilosophischen Provenienz und ideologischen Gebundenheit zu lösen. Es wird daher im Wege einer vergleichenden Analyse des Subsidiaritätsgedankens in seiner kirchlichen und seiner säkularen Ausprägung nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten gefragt, wobei die auftretenden Parallelen und Übereinstimmungen auf ihre Verallgemeinerungsfahigkeit und ihre themenspezifische Bedeutung hin zu betrachten sind. II. Das Subsidiaritätsprinzip als Relationsgrundsatz 122

Das entscheidende Charakteristikum des Subsidiaritätsprinzips besteht darin, daß es einen Zusammenhang zwischen einer definierten Aufgabe in einer Gemeinschaft von Menschen und einer bestimmten sozialen Hand120 So E.-W. Böckenförde, FS für Friedrich Schäfer, S. 182ff. (194), unter Bezugnahme auf die Unitarisierung des deutschen Bundesstaates und die Regelung des Art. 72 Abs. 2 GG alte Fassung; ähnlich M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 30, Rz. 2. 121 Vgl. zu dieser These und ihrer Kritik, G. Kisker, in: Probleme des Föderalismus, S. 23 ff. (35 ff.). 4'

52

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

lungseinheit (Teilgemeinschaft) herstellt. Es erzeugt mithin eine Relation123. Dabei ist das Kriterium, nach dem die Relation gebildet wird, abgestuft. Auf der ersten Stufe werden zunächst die Leistungsfähigkeit der potentiellen Zuordnungseinheiten betrachtet. Sind mindestens zwei Handlungseinheiten in gleicher Weise zur Erfüllung der betreffenden Aufgabe geeignet, so erfolgt auf der zweiten Stufe die Zuordnung der Aufgabe unter Rückgriff auf das Kriterium der ,,Nähe zum Individuum", das bedeutet, daß die Wahrnehmung der entsprechenden Tätigkeit der dem Menschen "am nächsten" stehenden Organisationseinheit übertragen wird. Hierin besteht die zentrale Aussage des Subsidiaritätsgrundsatzes 124. Da das Prinzip selbst weder inhaltliche Aussagen über die Zuordnungseinheiten noch über die zuzuweisenden Aufgaben macht, kann es als formal bezeichnet werden 125 • Das bedeutet, daß es nicht an die axiomatischen Prämissen einer bestimmten Ideologie oder Philosophie gebunden ist. Sein formaler Charakter erklärt außerdem, weshalb es sich sowohl in der liberalen Staatsphilosophie als auch in der den Liberalismus ablehnenden 126 katholischen Soziallehre findet. Die Charakterisierung des Subsidiaritätsprinzips als einer Relationsgröße von Aufgaben und Aufgabenträgem ist von entscheidender Bedeutung. Zum einen ist es genau in diesem Zusammenhang verwandt und beschrieben worden 127 , was gelegentlich nicht hinreichend beachtet wird, wenn ihm 122 Das Subsidiaritätsprinzip wird bisweilen auch als "Strukturprinzip" bezeichnet. So etwa von H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 52, passim; T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (26), was jedoch nur zum Teil zutrifft. Denn als strukturbildend kann das Subsidiaritätsprinzip nur bei der Errichtung einer Gemeinschaftsordnung wirken, ansonsten knüpft es an das Bestehen einer bestimmten (Organisations-)Struktur an und weist lediglich innerhalb dieser Aufgaben zu. So auch 0. von Nell-Breuning, in: StL, Bd. 7 (6. Aufl., 1962), Stichwort: Subsidiarität, Sp. 832. 123 P. Häberle, in: Alois Riklin/Gerard Batlinger (Hrsg.), Subsidiarität, S. 300f., spricht von "Relationscharakter" und "Korrelatbegriff". 124 Vgl. dazu neben der Enzyklika "Quadragesima anno", in: AAS XXIII (1931), Rz. 79, A. Rauscher, in: StL, Bd. 5, Stichwort: Subsidiarität, Sp. 387. 125 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß hier der Begriff ,,formal" gemäß allgemein juristischem Sprachgebrauch im Sinne von ,,inhaltlich ungebunden" und im Gegensatz zu ,,materiell" oder "material" verwandt wird. Diese Begriffsverwendung entspricht zugleich der Kantschen Philosophie, wohingegen in der aristotelisch-neuscholastischen Terminologie "forma" die Gestalt bedeutet, das Aussehen des Stoffes, der selbst mit dem Begriff ,,materia" bezeichnet wird. G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67 ff. (80), spricht ausdrücklich von einem "Formalprinzip". 126 Vgl. dazu G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67 ff. (70).

C. Ausprägungen und Merkmale

53

unter Rückgriff auf seine Wurzeln verschiedene Eigenschaften und "Verwandtschaften" zu anderen Prinzipien oder Gedanken zugemessen werden 128• Hier gilt es zwischen dem Subsidiaritätsgrundsatz an sich und seinen Wirkungen, die er bei der Implementation in ein bestimmtes Gesellschaftssystem oder Gemeinwesen unter speziellen Voraussetzungen tatsächlich oder möglicherweise entfaltet, zu differenzieren. Zum anderen lassen sich Affinitäten und Parallelen des Subsidiaritätsgedankens mit anderen Grundsätzen oder -werten nur auf der Grundlage einer simplifizierenden Verallgemeinerung und höheren Abstraktionsstufe gewinnen 129, deren Erkenntniswert bei der erforderlichen Konkretisierung des an sich schon abstrakten Grundsatzes der Subsidiarität als eher gering zu bewerten ist.

127 Auf seine Bedeutung als ,,Zuständigkeitsprinzip" weist ausdrücklich G. KüchenhojJ. ibd., hin; ebenso 0. von Nell-Breuning, in: StL, Bd. 7, (6. Auf!., 1962), Stichwort: Subsidiarität, Sp. 832. 128 Dies gilt etwa für die These, das Subsidiaritätsprinzip sei per se ein Freiheitsprinzip. So formuliert P. C. Mayer-Tasch, Korporativismus und Autoritarismus, S. 72: ,.Im Lichte seiner sozialphilosophischen Grundlegung erweist sich das Subsidiaritätsprinzip in erster Linie als ein Prinzip der Freiheit". Ebenso D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (89): ,,Das Subsidiaritätsprinzip als freiheitlicher Grundsatz". 0. Kimminich, in: Politische Studien, S. 587ff. (597), sieht in der ,.verfassungsrechtlichen Geltung des Subsidiaritätsprinzips eine eindrucksvolle Konstruktion, die mit zahlreichen Stützpfeilern, Querverbindungen und überwölbenden Bögen in den Gesamtbau der Verfassung eingefügt ist, ihn tragen hilft und gleichzeitig von ihm getragen wird". P. Motsch, Die rechtliche Stellung der Handwerkskammer gegenüber Staat und Gesellschaft, S. 36, kommt zu dem Ergebnis, daß die Systematik des Grundgesetzes eine "Vertäuung im Rechtsstaatsprinzip verlange", ,.als dessen Bestandteil das Subsidiaritätsprinzip ein echtes Gegenstück und notwendige Ergänzung zum Übermaßverbot darstellt". V. Zsijkovits, Soz.L., Sp. 2999, deutet schließlich sogar die ,.demokratische Staatsform" als ,,Anwendung des Subsidiaritätsprinzips", so daß für ihn "das demokratische Prinzip also ein Folgeprinzip des Subsidiaritätsprinzips" ist. 129 So gelangt D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff. (90), über die Deutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips zu der These, daß ,.das grundgesetzliche Regel-AusnahmePrinzip von Freiheit und Beschränkung" letztlich Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips sei. 0. Kimminich, in: Politische Studien 1987, S. 587ff. (S. 591), stellt eine Verbindung zwischen ,,Demokratie, Subsidiarität, Volkssouveränität und Rechtstaatsprinzip" her, wobei ihm die allgemeine Erkenntnis, daß es in der ,.Demokratie keine Verantwortung ohne Macht, und keine Macht ohne Verantwortung" gebe, als gemeinsame Klammer dient.

54

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

m.

Anwendungsvoraussetzungen

1. Bestehen eines Konkurrenzverhältnisses

Voraussetzung dafür, daß bei der Zuordnung einer Aufgabe zu einer sozialen Handlungseinheit überhaupt eine Option oder Wahlmöglichkeit besteht, ist, daß mindestens zwei Handlungseinheiten als Aufgabenträger prinzipiell in Betracht kommen. Zwar gehen kirchliche Soziallehre 130 und Teile der liberalen Staatslehre 131 von einem mehrstufigen, vielgliedrigen Gesellschafts- und Staatsaufbau aus, doch läßt sich der Subsidiaritätsgrundsatz auch in einem lediglich zweistufigen Organisationsmodell 132 umsetzen. Für eine Aufgabenzuweisung nach diesem Prinzip ist dagegen in jedem Fall erforderlich, daß die potentiellen Kompetenzträger in einem Hierarchieverhältnis133 zueinander stehen, wobei das Differenzierungskriterium die "Nähe zum Individuum" ist. Dabei wird implizit davon ausgegangen, daß die "höhere" oder vom Menschen entferntere Einheit die größeren Leistungspotentiale besitzt. Ferner bedarf es eines Konkurrenzverhältnisses dieser gestuften Handlungseinheiten. Hierbei ist Konkurrenz im eigentlichen Sinne als Wettbewerb zu verstehen. Das bedeutet, daß jede der für die Zuordnung einer konkreten Aufgabe in Betracht kommenden Einheiten faktisch und rechtlich in der Lage sein muß, diese auch tatsächlich zu erfüllen. Soweit die untere Einheit nämlich faktisch überhaupt nicht zur Aufgabenerfüllung imstande oder aus rechtlichen Gründen an der fraglichen Funktionswahrnehmung gehindert ist und allein aus diesem Grunde die in Rede stehende Tätigkeit der höheren Organisationsstufe zugewiesen werden muß, stellt sich diese Kompetenzzuweisung lediglich als Konsequenz der Faktizi130 Für die katholische Soziallehre vgl. dazu A.-F. Utz, in: ders. (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 1ff. (8), passim; H. E. Hengstenberg, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 19ff. (20), passim; J. J. M. van der Ven, in: Arthur-Fridolin Utz, Das Subdiaritätsprinzip, S. 46ff. (54f.)., passim; G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67 ff. (69), passim. 131 So etwa R. von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, S. 6ff.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 258 ff. 132 So liegt den Überlegungen /. Kants, in: Werke, Bd. XI, S. 145, über die Freiheit und die Personalität des Menschen gegenüber dem Staat letztlich eine dualistische Betrachtung zugrunde. Gleiches gilt für die Arbeit J. Isensees, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 12 f., der den Subsidiaritätsgrundsatz im Hinblick auf seine Tauglichkeit, als Kompetenzverteilungsmaßstab zwischen Staat und Gesellschaft zu dienen, untersucht. 133 Zur Beschreibung dieses für Subsidiärstrukturen charakteristischen Stufenverhältnisses werden zumeist die Bilder von "oben und unten" oder der ,,konzentrischen Kreise" gewählt, wobei sich trotz meist synonymer Verwendung dieser Figuren Bedeutungsunterschiede ergeben können. Hierauf weist zutreffend G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67 ff. (87 f.), hin.

C. Ausprägungen und Merkmale

55

tät dar, nicht jedoch als Aufgabenzuordnung nach dem Subsidiaritätsgrundsatz. Dieses Prinzip läßt sich so betrachtet nur in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz sinnvoll einsetzen. Nur wenn beide potentiellen Kompetenzträger prinzipiell die Aufgabe wahrnehmen könnten, jedoch eine von ihnen dazu "besser" in der Lage ist als die andere, kann somit von einer auf dem Subsidiaritätsprinzip basierenden Zuordnung gesprochen werden. Auf dieser Grundlage läßt sich somit abstrakt der mögliche Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips in einer Gemeinschaft als die Summe von Aufgaben beschreiben, die von ihrer Beschaffenheit und ihrem Umfang her grundsätzlich von mehr als einer sozialen Handlungseinheit erfüllt werden können. 2. Bezogenheit auf individualistische Systeme

Sowohl die Staatstheoretiker des Liberalismus als auch die kirchliche Dogmatik stellen den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Gesellschaftsbetrachtung. Beide Lehren versuchen, ausgehend von der Personalität des Menschen und seiner Fähigkeit zu freiem, vernünftigem und sittlichem Handeln, die Gesellschaft und den Staat als ein einheitliches System gestufter Ordnungen zu begründen. Dabei erfährt der Staat seine Rechtfertigung primär in einer den Menschen unterstützenden, menschliche Handlungsgrenzen erweiternden und damit letztlich in einer subsidiären Funktion. Zwar gelangen beide Lehren von ganz unterschiedlichen Prämissen her zu diesem individualistischen Gesellschaftsverständnis. So wirkt bei den liberalen Staatsdenkern der ethische Personalismus Kants fort, der den Menschen ausschließlich als selbständiges Wesen frei von jedweder Bestimmung oder Zwecksetzung zu erfassen versucht und dementsprechend auch die dem Menschen zukommende Freiheit als etwas ihm Immanentes und Unabgeleitetes versteht 134• Das kirchliche Menschenbild, das sich auch in der Sozialenzyklika niederschlägt, ist indes von einem "schöpfungstheologisch heilsgeschichtlichen" Verständnis geprägt, wonach dem Menschen als Schöpfung Gottes "eine sinnvolle Freiheit und damit sittliche Verantwortung für die Gestaltung dieser Welt gegeben ist". Damit kommt dem Menschen als Einzelwesen ebenso wie jedem Gemeinwesen ein spezifischer von Gott zugewiesener Zweck zu 135 , den er zu erfüllen hat 136. Besitzt Vgl. /. Kant, in: Werke, Bd. XI, S. 145f. m Vgl. dazu die Arbeit von T. Geppert, Theologie des Gemeinwesens, durchgehend. 136 Auf eine dem Menschen eigene Bestimmung in Form einer Zwecksetzung weist ausdrücklich J. J. M. van der Ven, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 46ff. (52), hin. Aber auch die Enzyklika "Quadragesima anno", AAS XXIII (1931 ), Rz. 118, bringt die Vorstellung von der Bestimmung des Men134

56

I. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

mithin der Mensch nach kirchlicher Auffassung auch eine gegenüber allen anderen Geschöpfen und "Gesellungen" herausgehobene Stellung 137, so ist er aus schöpfungstheologischer Sicht letztlich nicht originär, sondern von Gott abgeleitet, ihm und die dem einzelnen zukommende Freiheit sind dem Menschen zu einem bestimmten Zwecke anvertraut. Die Freiheit der Person wird damit Instrument zur Verwirklichung eines vorgegebenen göttlichen Ziels. Mögen die philosophischen Begründungen für die zentrale Stellung des Individuums auch verschieden sein, so bleibt festzuhalten, daß das Prinzip der Subsidiarität zwar ein formaler Grundsatz ist 138, wegen der ihm eigenen Präferenz für die jeweils kleinere oder dem Menschen näher stehende soziale Gemeinschaft letztlich aber nur mit individualistischen Gesellschaftsmodellen kompatibel ist, so daß das oben beschriebene Merkmal inhaltlicher Ungebundenheit dahingehend einzuschränken ist, daß eine Verbindung des Subsidiaritätsprinzips mit anti-individualistischen Gesellschafts- und Staatsmodellen ausscheidet. Denn der Mensch ist die kleinste denkbare soziale Handlungseinheit und daher fester Bezugspunkt des Subsidiaritätsgedankens. Versuche, seine Vereinbarkeil mit der Hegeischen Philosophie 139 nachzuweisen, wie sie Barion 140 unternimmt, müssen als abwegig bezeichnet werden. Aus der Tatsache, daß sowohl Hegel als auch die katholische Soziallehre den Individualismus ablehnen, eine Affinität Hegeischen Denkens zum Subsidiaritätsprinzip zu folgern, ist das Ergebnis eines logischen Fehlschlusses. Denn aus der Unvereinbarkeit zweier gegensätzlicher Ideologien mit einer dritten läßt sich nicht der Schluß einer darüber hinausgehenden Gemeinsamkeit ziehen. sehen deutlich zum Ausdruck. " ... ist der Mensch mit seiner gesellschaftlichen Anlage von Gott geschaffen, um in der Gesellschaft und in Unterordnung unter die gottgesetzte gesellschaftliche Autorität sich zur ganzen Fülle und zum ganzen Reichtum dessen, was Gott in ihn an Anlagen hineingelegt hat, zur Ehre Gottes zu entfalten und durch treue Erfüllung seines irdischen Lebensberufs sein zeitliches und zugleich sein ewiges Glück zu wirken". (Hervorhebung durch den Verf.). 137 So folgert die katholische Soziallehre aus der ,,Nähe" einer Gemeinschaft zum Menschen unmittelbar deren Wertigkeit und Rangstufe. Vgl. etwa A. Rauscher, Subsidiaritätsprinzip und berufsständische Ordnung, S. 53: "Die Werte und die ihnen folgenden Vergemeinschaftungen stehen in einer hierarchischen Rangordnung zueinander im Hinblick auf den Zentralwert, die Person". 138 Vgl. dazu oben C. II. 139 ,,Alles, was der Mensch ist, verdankt er dem Staat; er hat nur darin sein Wesen. Allen Wert, den der Mensch hat, als geistige Wirklichkeit, hat er allein durch den Staat", so eine zentrale These Hegels, in: G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Bd. I, S. 90. 140 J. Barion, in: Die neue Ordnung 1953, S. 284ff. (284).

C. Ausprägungen und Merkmale

57

Die Anknüpfung des Grundsatzes der Subsidiarität an personalistische Vorstellungen hat indes weitreichende Konsequenzen. Stellt der Mensch in seiner Individualität und Personalität den zentralen Bezugspunkt einer Gesellschaftsbetrachtung dar, dann folgt daraus zunächst ganz allgemein eine funktionale Ausrichtung aller anderen sozialen Handlungseinheiten auf das Individuum. Wenn Gemeinschaften aber ausschließlich über ihre Funktionen definiert werden, bedürfen sie der externen Rechtfertigung, da Funktionen beliebig festgelegt werden können und daher keine eigene Legitimationskraft besitzen. Diese Legitimation können funktional definierte Systeme über Zielvorgaben und Zwecke erfahren 141 , aus denen sich die differenzierten Funktionen ableiten. Dieser Zusammenhang wurde für die liberalen Staatstheorien bereits eingangs dargelegt 142 • Er gilt jedoch über diese hinaus allgemein für funktionsdefinierte Systeme. In seiner ausschließlichen Anknüpfung an den Personenbegriff liegt jedoch zugleich eine entscheidende Schwäche des Subsidiaritätsprinzips. Indem es zwar auf den einzelnen ausgerichtet ist, diesen aber nur in seiner individuellen Fähigkeit, bestimmte ihm übertragene Aufgaben erfüllen zu können, begreift, gelangt man zu einer eindimensionalen Betrachtung des Verhältnisses von Mensch und Gemeinschaft und entsprechend jeder Beziehung einer kleineren, der Person "näher stehenden" Organisation zu einer größeren, entfernteren sozialen Einheit. Diese Betrachtungsweise vermag jedoch das Beziehungsgeflecht, in das jeder Mensch eingebunden ist, nur sehr fragmentarisch zu erfassen. Zunächst ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß die Komplexität sozialer Verbindungen in der Realität eines Gemeinwesens sich nicht als klar abgegrenztes System hierarchisch gestufter Organisationseinheiten erfassen läßt. Doch handelt es sich hierbei um ein allgemeines Problem jedes Modelldenkens, daß das gedachte Ideal in der Wirklichkeit fast nie anzutreffen ist. Entscheidender ist jedoch, daß mit dem Subsidiaritätsmodell der Mensch selbst in seiner Existenz nur unzureichend beschrieben wird. Er ist eben nicht lediglich Individualist, sondern gleichzeitig und gleichgewichtig auch Zoon politikon, ein Gemeinschaftswesen. Zwischen Person und den verschiedenen Gemeinschaften bestehen "symbiotische" Wechselverhältnisse, die Gesellschaften dienen nicht lediglich der Vervollkommnung des einzelnen. Zudem sind viele Gemeinschaften dem Menschen vorgege141 Dem steht nicht entgegen, daß auch Zwecksetzungen letztlich subjektiv und veränderbar sind. Aber es entspricht menschlichem Denken, Handlungen und Institutionen als zweckgerichtet und an bestimmten Zielsetzungen orientiert zu begreifen. Zur Bedeutung der hinter der Denkfigur des ,,Zwecks" liegenden final-teleologischen Handlungslehre und ihrer Ausprägung im nationalen und im Völkerrecht vgl. unten l. Kapitel C. V. 2. b). 142 V gl. oben A. II. 2.

58

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

ben 143, zum Teil wird er sogar ohne sein Zutun in sie hineingeboren, was zeigt, daß die verschiedenen Gemeinschaften eine von der Mitgliedschaft der einzelnen Person durchaus unabhängige Existenz besitzen und eine Eigendynamik entfalten, die den Bezug zum Menschen als Mitglied oder Bürger bisweilen stark in den Hintergrund treten läßt. Darüber hinaus erfordert die Eingliederung in eine Gemeinschaft zumeist von jedem ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und -Willigkeit. Umgekehrt vermag der einzelne eine Gemeinschaft auch zu beeinflussen und zu prägen. Die Reduzierung der Relation Mensch - Gemeinschaft auf eine subsidiäre Stufenordnung wird weder der Struktur der meisten sozialen Einheiten noch der Natur des Menschen gerecht. Für die katholische Soziallehre ergibt sich darüber hinaus die Schwierigkeit, daß sie das Subsidiaritätsprinzip naturrechtlich begründet und "aus einem in sich feststehenden ontologisch-normativen 144 System entwikkelt"145, dennoch aber die Ambivalenz der menschlichen Existenz, ihre innere Spannung, nicht "thematisiert". Vielmehr wird der ontologisch gewonnene Personenbegriff "durch eine Rangfolge, einen Aufbau der Gesellschaft von der Person her, ersetzt'" 46. Wird das Subsidiaritätsprinzip als Bauplan der Gesellschaft verstanden147, so gerät es in Aporien und Widersprüche, die bei dem Versuch, das bestehende Gesellschafts-, Verfassungs- und Rechtssystem als detailgetreue Ausprägung und Anwendung dieses Grundsatzes zu deuten, besonders signifikant werden. So will G. Küchenhoff das Institut des Privateigentums aus dem Subsidiaritätsprinzip gewinnen, mißt jenem eine "persönliche" und "soziale Funktion" zu und vermischt in Ermangelung eines dem Subsidiaritätsgrundsatz entsprechenden "Stufeneigentums" zwangsläufig Eigentum und Besitz 148. Des weiteren sollen jeder "Gesellung" eigene 143 Dies gilt ebenso für die Familie wie für die Gemeinde, den Staat und selbst für Organisationen, die frei gegründet werden wie Vereine. 144 Vgl. zur Narrnativität des Subsidiaritätsprinzips unten 1. Kapitel C. V. 1. b). 145 Zutreffend T. Rendtorff, in: Der Staat 1962, S. 405 ff. (406). 146 So T. Rendtorff, ibd., S. 421. 147 So ausdrücklich G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67ff. (79f.). 148 G. Küchenhoff ibd., S. 89f.: ,.Somit gewinnen wir aus dem Subsidiaritätsprinzip im engsten Zuständigkeitskreise das Privateigentum als Rechtsinstitut und die [... ] Doppelseitigkeit des Eigentums: seine Funktionen in persönlicher und sozialer Hinsicht. Der primären Zuständigkeit des privaten Eigentümers folgen - wiederum nach unserem Grundprinzip - die subsidiär bestehenden Zuständigkeiten der Träger weiterer und immer weiterer Gesellungen und Bereiche. Diese Hilfszuständigkeiten[ .. .] werden [.. .] dort Platz greifen, wo der Einzelne (sie!) nicht mehr in der Lage ist, mit seinen Kräften und Fähigkeiten die Sachherrschaft (!) auszuüben" (Hervorhebung durch den Verf.).

C. Ausprägungen und Merkmale

59

Grundrechte 149 zukommen, insbesondere sollen sie über ein eigenes Existenzrecht verfügen, was in dieser Absolutheit ebenfalls im Widerspruch zur geltenden Rechtslage steht. Denn nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung und weit überwiegender Ansicht in der Staatsrechtslehre besitzen zumindest juristische Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere die Gebietskörperschaften keine Grundrechtsfähigkeit und genießen auch keinen verfassungsrechtlich gesicherten Bestandsschutz 150• Aber auch anderen Vereinigungen wie Vereinen, Parteien oder Personengesellschaften kommt keine uneingeschränkte Existenzgarantie zu. Vielmehr hängen Gründung und Fortbestehen dieser "Gesellungen" von bestimmten rechtlichen Voraussetzungen wie der Verfassungskonformität ihrer Ziele und Tätigkeit (Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG) oder der Erreichbarkeit ihres Zwecks (§ 726 BGB) oder der Existenz und Zahlungsfähigkeit aller ihrer Gesellschafter (§§ 727, 728 BGB) ab. Im übrigen ist dem Gesetzgeber bei der Normierung von Existenzbedingungen für die meisten Gemeinschaften ein weiter Gestaltungsspielraum gewährt, der erst in den Kerngehalten der Grundrechte eine definitive Schranke findet. Einen absoluten verfassungsrechtlichen Bestandsschutz genießen dagegen nur wenige "Gesellungen" wie etwa die Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Schon aus diesen wenig überzeugenden Bemühungen einer direkten, umfassenden und auf die bis in einzelne Rechtsinstitute hineinreichende Übertragung des Subsidiaritätsgedankens auf die bestehende Verfassungsund Gesellschaftsordnung läßt sich zumindest die Erkenntnis gewinnen, daß dieser Grundsatz jedenfalls nicht das alleinige Bauprinzip oder der "oberste philosophische Grundsatz" 151 der Gesellschaftsordnung sein kann, wenn 149 G. Küchenhojf. ibd., S. 92: "Daraus folgt [(aus dem Subsidiadtätsprinzip) der Verf.]: es gibt Grundrechte der Ehe, Grundrechte der Familie, Grundrechte der Leistungsgemeinschaften, Grundrechte der örtlich gebundenen Korporationen, Grund-· rechte des Staates (sie!), . .. von überstaatlichen Gesellungsformen, ... einer umfassenden Menschheitsorganisation, . .. von übernatürlichen Gemeinschaften im weltlichen Raum, Grundrechte also der Kirche". Auf diese Weise entwickelt Küchenhojf. ibd., S. 94, eine eigenständige "ganzheitliche Grundrechtskonzeption", die auf dem Subsidiariätsprinzip aufbauen soll und mit dem verfassungsrechtlich positivierten Grundrechtssystem nichts mehr gemeinsam hat. 150 So verneint das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Grundrechtsflihigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Vgl. BVerfGE 21 , 362; 45, 63 [781]; 61, 82 [101]; 68, 193 [205ff.]. Ausnahmen macht das Gericht in wenig überzeugender Weise für Universitäten, BVerfGE 15, 256, [262]; für Rundfunkanstalten, BVerfGE 31, 314 [322]; 59, 231 [254] und die Kirchen, BVerfGE 18, 385 [386]. Im übrigen besteht gerade auf dem Gebiet der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts seit langem ein heftiger Streit, vgl. dazu insgesamt G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III, Rz. 33 ff. 151 So die Übersetzung G. Gundlachs, Die sozialen Rundschreiben Leos XIII. und Pius XI., S. 35. Hier erlangt der Streit innerhalb der katholischen Soziallehre, ob die Worte "gravissimum principium" als Superlativ oder elativisch zu übersetzen

60

I. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

sich nicht unauflösliche Widersprüche zur Komplexität sozialen Handeins ergeben sollen. IV. Die Ambivalenz des Subsidiaritätsprinzips und ihre Auflösung Das Subsidiaritätsprinzip umfaßt grundsätzlich zwei Komponenten, die auch als positive und negative Funktion dieses Grundsatzes bezeichnet werden 152 • Dabei beschreibt die positive Komponente das Gebot einer höheren Einheit, die unter ihr stehenden Organisationen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, wenn und soweit diese Gemeinschaften aus eigener Kraft dazu nicht oder nicht hinreichend in der Lage sind. Seine negative Funktion besteht dagegen in dem an die höhere Einheit gerichteten Verbot, einer niedrigeren eine Aufgabe abzunehmen oder streitig zu machen, welche jene in eigener Verantwortung und aus eigenem Vermögen zu erfüllen vermag. Letzteres bedeutet jedoch umgekehrt, daß eine Übernahme jener Aufgabe durch die höhere Gemeinschaft nicht etwa gänzlich ausgeschlossen ist, sondern lediglich auf die Fälle beschränkt bleiben soll, in denen eine entsprechende Kompetenzwahrnehmung durch die untere Organisationseinheit nicht mehr gewährleistet werden kann. Daraus ergibt sich eine dem Subsidiaritätsprinzip inhärente Widersprüchlichkeit, da beide Komponenten nicht etwa klar gegeneinander abgrenzt sind, sondern - was zunächst paradox erscheint - fließend ineinander übergehen können. Dies läßt sich unter Rückgriff auf die Etymologie 153 und die wortgetreue Übersetzung von "subsidere" mit "daruntersitzen, unterstützen" in folgendem Bild veranschaulichen: Hilft jemand einem anderen beim Tragen eines schweren Gegenstandes, dann kann diese "unterstützende" Hilfe dadurch stufenlos gesteigert werden, daß der Helfende einen immer größeren Teil der Last mit seinen Kräften trägt, bis er zum Schluß den Gegenstand allein bewegt und damit in die Tätigkeit der ersten Person vollständig eingetreten ist. Die Unterstützung bei der Aufgabenerfüllung wird zur Übernahme der Aufgabe selbst. sind, entscheidende Bedeutung. Denn die Rückbeziehung der gesamten Soziallehre auf den Grundsatz der Subsidiarität, wie sie E. Link, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 1 et passim, vornimmt, rechtfertigt sich nur vor dem Hintergrund einer dem Grundsatz beigemessenen unbestrittenen, absolut bestimmenden Funktion. 152 Vgl. dazu J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 30; S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 37; H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 36; V. Zsitkovits, in: SozL., Sp. 2995; ders., in: Martin Nettesheim/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat, S. 96ff. (104). 153 Diese kann zur Klärung dieses speziellen Phänomens im Gegensatz zu der Grundaussage des Subsidiaritätsprinzips sinnvoll herangezogen werden.

C. Ausprägungen und Merkmale

61

Dem Subsidiaritätsprinzip lassen sich jedoch keinerlei Regeln oder Kriterien entnehmen, aus denen sich ableiten ließe, wann die höhere Einheit lediglich unterstützend eingreifen muß beziehungsweise unter welchen Umständen die vollständige Übernahme einer Tätigkeit durch die leistungsstärkere Einheit geboten ist. Daher stellt sich bei der praktischen Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes das Problem, daß die größere Gemeinschaft die vollständige Kompetenzübernahme und damit die Verdrängung des kleineren Verbandes aus seiner Position 154 fast immer ohne Verstoß gegen, wenn nicht sogar unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip zu rechtfertigen vermag. Zwar kann sowohl aus seiner geschichtlichen Entwicklung als auch aus dem ihm zugrunde liegenden Gedanken auf das Petitum geschlossen werden, die kleineren gesellschaftlichen, dem einzelnen Menschen näher stehenden Gemeinschaften in ihrer Existenz und Funktion gegenüber den höheren, leistungsstärkeren Verbänden zu schützen. Dennoch ist ein prinzipieller Vorrang des Unterstützungsgebots gegenüber dem Verbot des Aufgabenentzuges im Wege teleologischer Interpretation beider Komponenten des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht ableitbar 155 . Es lassen sich so allenfalls tendentielle Wertungen, aber keine konkreten Abgrenzungskriterien gewinnen. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, daß der Subsidiaritätsgrundsatz zwar immer wieder analysiert und interpretiert wurde, daß aber - soweit ersichtlich - keine Versuche unternommen wurden, die Widersprüchlichkeit seiner beiden Komponenten durch die Herausarbeitung eines differenzierten Kriteriensystems aufzulösen. Statt dessen hat sich die Diskussion schon sehr früh weitgehend auf die Betrachtung der Begrenzungsfunktion konzentriert156, wobei sich bei manchen Autoren noch der Hinweis auf die positive Komponente findet 157, zumeist wird jedoch ausschließlich die aus dem 154 Die Sozialenzyklika, AAS XXIII (1931), Rz. 79, spricht von "zerschlagen oder aufsaugen". 155 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 72, Fn. 3, leitet insoweit - allerdings nur aus der negativen Komponente - die Reihenfolge: "Selbsthilfe vor Fremdhilfe, Fremdhilfe des engeren Verbandes vor Fremdhilfe des weiteren Verbandes" ab. 156 So schon bei G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 259ff.; gleiches gilt jedoch auch für die Behandlung beider Komponenten in der Enzyklika "Quadragesima anno", AAS XXIII (1931), Rz. 79, in der aus den genannten Gründen die Darlegung der negativen Funktion des Subsidiaritätsprinzips einen erheblich breiteren Raum einnimmt als der kurze Hinweis auf die positive Komponente im letzten Halbsatz, wonach sie [(die Gesellschaftstätigkeit,) der Verf.] "die Glieder des Sozialkörpers unterstützen" soll. 157 So etwa bei H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 36, ders., in: Martin Nettesheim/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat, S. 96ff. (104). Vgl. auch den Titel der Arbeit von C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union.

62

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Subsidiaritätsgrundsatz fließende "Funktionssperre" 158 thematisiert 159. Der Begriff "Subsidiarität" wird dabei häufig als Synonym für die Sperrwirkung verwandt 160. Diese einseitige Ausrichtung der Diskussion hat statt zu einer differenzierten Abstufung beider Funktionen innerhalb des Subsidiaritätsbegriffs letztlich zur Verselbständigung der beiden Komponenten geführt. Dabei läßt sich das Unterstützungsgebot (positive Seite) mit der Kategorie der Solidarität161 erfassen, während sich das Einmischungs- und Übernahmeverbot (negative Seite) unter dem alten Namen "Subsidiarität" zu einem eigenständigen Prinzip gewandelt hat 162. Die isolierte Betrachtung beider Funktionen hat vereinzelt zu Fehldeutungen geführt. So wurde das Subsidiaritätsprinzip teilweise als Kampfbegriff163 zur "machtpolitischen Durchsetzung von Verhandsinteressen im Gewande naturrechtlicher Argumentation" 164 wiederentdeckt165. Doch auch ohne jedes politische Kalkül führt die einseitige VerZum Begriff J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 30. Im Bereich der kirchlichen Lehre weist J. J. M. van der Ven, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 47ff., ausdrücklich auf diesen Umstand hin. 160 Anmerkung: Der Verfasser geht hier ebenfalls von einem auf die Begrenzungsfunktion des Subsidiaritätsgrundsatzes reduzierten Begriffsverständnisses aus. Da der Ausgangspunkt dieser Arbeit das in der deutschen Staats- und Verfassungslehre diskutierte sowie das in den Art. 3 b EG-Vertrag aufgenommene Subsidiaritätsprinzip ist, können allgemeingültige Aussagen und Ergebnisse nur auf der Grundlage eines systemimmanenten Subsidiaritätsbegriffs erwartet werden. Hier soll lediglich auf die eingetretene Bedeutungsverschiebung hingewiesen werden! 161 Das Verhältnis der positiven Subsidiaritätskomponente zum Begriff der Solidarität ist im Schrifttum nicht eindeutig geklärt. Insbesondere die Interpreten der katholischen Soziallehre gehen trotz Annahme einer aus dem Subsidiaritätsprinzip fließenden Unterstützungspflicht (positive Komponente) der größeren Verbände gegenüber den kleineren zusätzlich vom Bestehen eines Prinzips der Solidarität aus. Vgl. etwa G. Küchenhoff in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67 ff. (80 f.), der das Subsidiaritätsprinzip als "formales Zuständigkeitsprinzip" betrachtet, dem er das "materielle Prinzip der Solidarität" gegenüberstellt, wobei allerdings offen bleibt, in welchem Verhältnis beide Grundsätze zueinander stehen sollen. 162 Auf dieses Phänomen der Aufspaltung weist auch J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 63, hin, wobei er jedoch lediglich auf die terminologische Verschiebung Bezug nimmt, aber nicht auf den damit einhergehenden Bedeutungswandel eingeht. 163 Auf die Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips als Kampfbegriff in der Auseinandersetzung um die Fortentwicklung des europäischen Integrationsprozesses weist ausdrücklich S. Magiera, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union, S. 71 f., hin. 164 T. Rendtorff, Der Staat 1962, S. 405ff. (429f.). 165 Auf die Formulierung und den Einsatz des Subsidiaritätsarguments zur Wahrung ihres traditionellen Wirkungs- und Einflußbereichs gegenüber dem Machtan158 159

C. Ausprägungen und Merkmale

63

wendung dieses Organisationsgrundsatzes als "Funktionssperre" zu einer grundlegenden semantischen Verschiebung gegenüber der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs. Aus dem ursprünglichen Gebot quantitativer Begrenzung von Ausmaß und Intensität der Unterstützungstätigkeit höherer Verbände gegenüber niedrigeren Einheiten wird so ein qualitatives Eingriffsverbot der höheren Ebene, das mit einem Erlaubnisvorbehalt versehen ist. Denn abgekoppelt von der komplementären Pflicht zur Hilfeleistung wird jedes Handeln der oberen Einheit, das in den Wirkungskreis der unteren Gemeinschaft hineinreicht, zum Eingriff in den "domaine reserve" des kleineren Verbandes. Dabei ist diese Intervention wiederum nur unter den Kautelen zulässig, die das Subsidiaritätsprinzip in seiner konkreten Ausgestaltung aufstellt. So gesehen reicht dieser Grundsatz in Funktion und Wirkungsweise dicht an das Verhältnismäßigkeitsprinzip heran 166, das den Bereich des Eingriffshandeins prägt.

V. Merkmale Das als Relationsgröße erlaßbare Subsidiaritätsprinzip, dessen Anwendbarkeit das Bestehen einer Konkurrenz mehrerer potentieller Kompetenzträger in einem individualistisch ausgerichteten und hierarchisch gestuften Gemeinwesen voraussetzt, weist einige signifikante Merkmale auf, die als typusbildend und für diesen Grundsatz charakteristisch bezeichnet werden können. 1. Universalität und Normativität

a) Die Universalität Der Grundsatz der Subsidiarität beansprucht universelle Geltung. Dies ergibt sich für die kirchliche Dogmatik zum einen aus ihrem Allgemeinverbindlichkeitsanspruch167 und zum anderen aus der Instrumentalisierung des spruch totalitärer Herrschaftsfonneo durch die kaholische Kirche wurde bereits oben unter A. II. 3. hingewiesen. 166 Augenfallig wird die Affinität von Subsidiaritätsprinzip und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Fonnulierung des Art. 5 EG-Vertrag, der in Absatz 2 das Subsidiaritätsprinzip und in Absatz 3 das Prinzip der Verhältnismäßigkeit für das Handeln der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten festschreibt. Zum Verhältnis und zur Abgrenzung dieser Grundsätze vgl. unten 3. Kapitel E. I. 1. 167 Auf die Universalität des Subsidiaritätsprinzips, mit der sich zugleich auch immer eine Relativierung des Staates als des höchsten Gemeinwesens verbindet, da dieser vor dem Hintergrund einer auf dem Prinzip der Subsidiarität aufbauenden Ordnung von Gemeinschaften nicht mehr als die letzte "Gesellung" erscheint, weist G. Küchenhojf. in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67ff. (82 und 85), ausdrücklich hin.

64

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Grundsatzes in der Auseinandersetzung mit den totalitären Ideologien und Regimen, die sich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts europa- und weltweit ausbreiteten. Von den Staatstheoretikern haben vor allem Robert von Mohl 168 und Georg Jellinek 169 auf die Bedeutung des Subsidiaritätsgrundsatzes als eines über den Staat hinausgreifenden Strukturprinzips hingewiesen, indem sie die völkerrechtliche Verbindung von Staaten als die konsequente Fortsetzung der Bildung von Gemeinschaften zur Erreichung von Zwecken, deren Verwirklichung kleineren Gemeinschaften nicht möglich ist, ansahen. Daß dabei insbesondere Georg Jellinek auf der Grundlage eines uneingeschränkten Monismus 170 zu diesem Ergebnis gelangt 171 , ändert an der prinzipiell universellen Ausrichtung des Grundsatzes der Subsidiarität nichts. Vor diesem Hintergrund steht die These, daß das Subsidiaritätsprinzip "typisch föderalistisch" 172 und damit letztlich ein "Staatlichkeitsprinzip" 173 sei, mit der weiteren Folgerung, daß die Aufnahme dieses Grundsatzes in den EG-Vertrag deutlich mache, daß das Maastrichter Vertragswerk den Versuch darstelle, einen "Oberstaat" 174 zu gründen und der Eigenstaatlichkeil Deutschlands die Substanz zu nehmen, in diametralem Gegensatz zu Entstehungsgeschichte und Bedeutung dieses Grundsatzes 175 • Vgl. dazu oben A. li. 2. b). Vgl. dazu oben A. li. 2. c). 170 Zur Theorie des Monismus, ihren Varianten und den dualistischen Gegenmodellen A. Verdross/B. Simrru~, Universelles Völkerrecht, §§ 71-74; M. Schweitzer, Staatsrecht III, Rz. 20-33. 171 So setzt sich G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, S. 16-36, eingehend und teilweise polemisch mit Vertretern einer Theorie eingeschränkter oder teilbarer staatlicher Souveränität auseinander und vertritt die dem strengen Monismus eigene Auffassung unbeschränkter staatlicher Souveränität, wonach jede völkerrechtliche Staatenbeziehung als freiwillige Selbstbeschränkung der eigenen Souveränität erscheint, ohne daß dem Völkerrecht der Charakter einer eigenständigen Rechtsordnung zugemessen würde. 172 So K. A. Schachtschneider in der Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union vom 07. Februar 1992, (B 11 5) S. 44f., (Der Schriftsatz wurde dem Verfasser dankenswerterweise vom Beschwerdeführer zur Verfügung gestellt). 173 So die Interpretation M. Brunners, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9 ff. (22), zu den Ausführungen Schachtschneiders. 174 So K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde, S. 44. Zum Begriff ..Oberstaat" vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 200, der ihn jedoch für den Gesamtstaat bei bundesstaatlicher Organisation verwendet, aber zugleich auch kritisiert. In diesem Sinne hat die Bezeichnung .,Oberstaat" auch Eingang in die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts gefunden, vgl. BVerfGE 13, 54 (78). M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität EurC?pas, S. 9ff. (22), spricht hingegen in bezug auf die Europäische Union von einem .,Uberstaat". 168

169

C. Ausprägungen und Merkmale

65

In scheinbarem Widerspruch zu seinem Universalität heischenden Anspruch steht auch die Behauptung, der Gedanke sei ein spezifisch deutsches Prinzip 176 . In die gleiche Richtung zielt wohl auch die Bemerkung Herbert Krügers 177, er habe im nicht-deutschsprachigen Schrifttum nichts von diesem Grundsatz entdecken können 178. Hier gilt es, zwischen der Aussage des Subsidiaritätsprinzips, die universellen Charakter besitzt, einerseits und seiner Ausbildung sowie seiner staatstheoretischen und gesellschaftspolitischen Reflexion, die unbestreitbar deutscher Provenienz sind, andererseits zu unterscheiden. Zunächst sind die meisten seiner Wegbereiter Deutsche gewesen 179. Bedeutender als diese eher formale Verbindung des Subsidiaritätsprinzips mit seinen deutschsprachigen Vertretern ist seine Affinität zu zwei traditionellen Elementen deutscher Staatslehre 180: dem Liberalismus181 und dem Föderalismus 182. Dabei treffen sich der Föderalismus und 175 Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum EU-Vertrag vom 28. Dezember 1992, (BGBI. li S. 1251 ), auf dieses Argument bezeichnenderweise nicht eingegangen. Das Gericht hat mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip lediglich auf die seiner Auffassung nach bestehende - enge Verbindung dieses Grundsatzes mit dem Prinzip beschränkter Einzelermächtigung hingewiesen, das durch das Subsidiaritätsprinzip .,verdeutlicht und weiter begrenzt" werde. Im übrigen hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung auf eine - wenn auch zum Teil eigenwillige - Auslegung des Art. 3 b Abs. 2 EG-Vertrag beschränkt. Darüber hinaus findet sich nur noch der Hinweis des Gerichts auf die sich aus Art. 23 Abs. 1 GG ergebende Verfassungspflicht der Bundesregierung, .,ihren Einfluß zugunsten einer strikten Handhabung des Art. 5 Abs. 2 EGV geltend zu machen", wobei nach Auffassung des Gerichts auch den Bundestag eine solche Verfassungspflicht trifft (BVerfGE 89, 155 [212]). 176 Als .,germanische Auffassung von der innren Staatsgestaltung", bezeichnet H. Kipp, Mensch, Recht und Staat, S. 329, das Subsidiaritätsprinzip. Dabei nimmt er allerdings eine andere Gewichtung vor, wenn er diesen Grundsatz dahingehend versteht, daß der .,kleinere Kreis [. . .] die Hilfe des größeren nicht in Anspruch zu nehmen" habe, soweit er zur Aufgabenerfüllung selbst in der Lage ist. 177 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 772, FN 47. 178 Bestätigt wird diese These durch die Untersuchung von J. Koch, NWVBI. 1997, S. 205 ff. (207), der im französischen Verfassungsrecht keine und im übrigen nur in der Staatstheorie erkennbare Verbindungen sowie indirekte Auswirkungen dieses Grundsatzes im französischen Verwaltungsaufbau ausmacht. Ebenso J.-P. Puissochet, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 205ff. (205, 213). Anders dagegen A. D'Atena, in: Martin Nettesheim/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat, S. 105 ff., der das Subsidiaritätsprinzip in der italienischen Verfassung ausmacht. 179 Dies gilt vornehmlich für die bereits erwähnten Immanuel Kant, Wilhelm von Humboldt, Robert von Mohl, Georg Jellinek, Otto von Nell-Breuning und Gustav Gundlach. 180 So auch J. /sensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, S. 35 ff. 181 Zum Zusammenhang von Subsidiarität und liberalen Staatsmodellen vgl. oben A. I. 2. 5 Moe.-.ch

66

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

der Subsidiaritätsgrundsatz in einem organischen Gesellschaftsideal 183 , bei dem ganz allgemein eine Anzahl verschiedener und verschiedenartiger sozialer Einheiten zu einem System verbunden und in ihrem Wirken auf einen gemeinsamen Zweck gerichtet sind, so daß das Ganze eine Synthese bildet, die in ihrer Leistungsfähigkeit und Bedeutung die Summe der Teilsysteme übersteigt. Auch wenn es letztlich an einer allgemeinen, seine verschiedenen Erscheinungsformen umfassenden Theorie des Föderalismus fehlt 184, so ist allen föderalen Gemeinwesen doch die Existenz unterschiedlicher, mit bestimmten eigenen Kompetenzen versehener räumlich abgegrenzter Einheiten eigen, die hierarchisch unter einer sie alle umfassenden Gesamtorganisation stehen. Mit einer solchen Struktur ist zwar nicht zwingend und automatisch ein Aufbau "von unten nach oben'" 85 verbunden, doch setzt der Grundsatz der Subsidiarität denknotwendig das Bestehen sozialer Einheiten unterschiedlicher Hierarchiestufen und Leistungsfähigkeit voraus 186• 182 Daß der Föderalismus ein spezifisches Element deutscher Verfassungstradition darstellt, ist unstreitig. Vgl. insoweit G. Waitz, in: ders., Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, S. 153 ff. (216), der den Föderalismus für die der deutschen Nation adäquate Verfassungsform hält, da er "ihrem eigensten Geiste wie ihrer Geschichte entspricht". K. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 318, kommt zu dem Ergebnis: "Wer den Föderalismus in seinem letzten Raffinement studieren will, muß sich an Deutschland halten, das ihn seit Jahrhunderten praktiziert". J. /sensee, HStR IV, § 98, Rz. l, nennt den Föderalismus eine "Staatsform genuin deutscher Prägung". 183 Diese Vorstellungen haben zum einen in verschiedenen Varianten der "organischen Staatslehre" ihren Niederschlag gefunden, wie sie etwa von G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 148, H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 147ff. m. w. N., beschrieben werden. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 147, weist zudem darauf hin, daß auch die Versuche, den Staat als "Organismus" zu begreifen und zu erklären, bis auf wenige Ausnahmen ihrerseits wiederum auf Deutschland beschränkt waren. 184 So auch R. Herzog, in: EvStL, Bd. 1, Stichwort: Föderalismus, Sp. 915; ähnlich auch J. lsensee, HStR IV, § 98 Rz. 2f., der davon ausgeht, daß der Föderalismus als radizierte Staatsidee "[... ] von bestimmten räumlichen und politischen, den historischen und kulturellen Voraussetzungen des einzelnen Landes abhängt und determiniert wird, so daß Föderalismus letztlich erst in Gestalt eines (Bundes-) Staates Konturen gewinnt und staatsrechtlich faßbar wird". 185 A.A. R. Herzog, in: EvStL, Bd. 1, Stichwort: Föderalismus, Sp. 915; ders., in: Maunz/Dürig, Art. 20, Rz. 14, der einen Aufbau "von unten nach oben" entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip offenbar als dem Föderalismus immanentes Prinzip auffaßt. Zwar findet sich die Konzeption des Aufbaus "von unten nach oben" als staatsrechtliche Doktrin in den meisten Bundesstaaten, es ist jedoch theoretisch keineswegs zwingend, daß föderal strukturierte Gemeinwesen im dargelegten Sinne nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebaut sein müßten. So auch J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfssungsrecht, S. 36: "Das Subsidiaritätsprinzip ist im Begriff des gesellschaftorganisatorischen Föderalismus nicht bereits enthalten, . . ." .

C. Ausprägungen und Merkmale

67

Daneben wurde in Deutschland früher als in den anderen europäischen Ländern erkannt, daß die Lösung der im Zuge der industriellen Revolution entstandenen "sozialen Frage" eine zentrale staatliche Aufgabe ist. Auf die Übernahme der "geregelten Armenfürsorge" von der Kirche durch den Staat weist auch Georg Jellinek hin 187. Staatstheoretisch befaßt sich Robert von Mohl eingehend mit der "Massen-Armuth (Proletariat)" 188, bevor dann mit der Sozialgesetzgebung Bismarcks in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts189 der Übergang von staatstheoretischen Überlegungen zum Staatshandeln und damit die Einführung des modernen Sozialrechts in Deutschland erreicht worden ist 190. Es ist weniger die Begründung dieses neuen Rechtsgebiets an sich als vielmehr die damit verbundene Verlagerung des Schwerpunkts der Staatstätigkeit 191 von der Eingriffsverwaltung hin zur Daseinsvorsorge 192 und dem weiteren Bereich der Leistungsverwaltung 193, die für das Organisations- und Strukturprinzip der Subsidiarität von entscheidender Bedeutung war. Denn mit dem Übergang zum Leistungsstaat 186

Näher zum Zusammenhang von Subsidiarität und Föderalismus vgl. unten

2. Kapitel B. und C.

Vgl. zum Begriff G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 259. R. von Mohl widmet diesem Aspekt staatlichen Handeins einen eigenen Abschnitt (§§ 67-70) seiner Polizei-Wissenschaft, wobei er nach einer eingehenden Ursachenanalyse und dem Versuch einer an dieser orientierten Kategorienbildung verschiedener ,.Proletariertypen" zu dem Schluß gelangt: ,.Die bisher geschilderten Zustände sind von der Art, daß sich offenbar der Staat, solange nicht eine vollständige Verbesserung dieser Zustände gelungen ist (voraussichtlich also noch lange, wo nicht immer), der Gewährung einer Unterstützung nicht entziehen kann" (Die Polizei-Wissenschaft, S. 444). 189 Hierzu gehören vor allem die in Ausführung der kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 erlassenen Gesetze zum Schutz und zur Absicherung der Arbeiter: das ,.Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" vom 15. Juni 1883, RGBI. S. 73; das ,.Unfallversicherungsgesetz" vom 6. Juli 1884, RGBI. S. 69, sowie das ,.Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung" vom 22. Juni 1889, RGBI. S. 97. 190 Dem steht nicht entgegen, daß die Einführung einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung, wie sie mit dem Sozialstaatsprinzip als einer Staatszielbestimmung im Gundgesetz verankert wurde, zunächst nicht in die Reichs- und Staatsverfassungen der deutschen Länder Eingang gefunden hat, worauf zutreffend H. F. Zacher, HStR I, § 25, Rz. 3 f., hinweist. 191 Vgl. dazu R. Herzog, HStR III, § 58, Rz. 70--81. 192 Der Begriff wurde von E. Forsthoff in seiner berühmt gewordenen Schrift: ,.Die Verwaltung als Leistungsträger" geprägt. ,.Die Veranstaltungen, welche zur Befriedigung des Appropriationsbedürfnisses getroffen werden, bezeichne ich als ,,Daseinsvorsorge". (Hervorhebung durch den Verfasser). Das Zitat ist dem von E. Forsthoff verfaßten Werk, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, S. 26, entnommen, in dem er das erste und vierte Kapitel seiner Arbeit ,,Die Verwaltung als Leistungsträger" mit einer zeitbezogenen Einführung wiedergegeben hat. 193 Zum Verhältnis dieser Begriffe zueinander, vgl. R. Herzog, HStR III, § 58, Rz. 70--74. 187 188

s•

68

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

rückt jenes Gebiet staatlichen Handeins zunehmend in das Blickfeld der Betrachtung, das Jellinek in die Kategorie der konkurrierenden Staatszwecke eingeordnet hatte, jener Bereich also, in welchem das Subsidiaritätsprinzip am sinnvollsten zur Geltung gebracht werden kann. Denn in dem Maße, in dem die Bedeutung der Leistungsverwaltung ·im modernen Industriestaat zunahm, konnte auch das Subsidiaritätsprinzip von einer "Randzone" 194 der Staatstätigkeiten zunehmend in das Zentrum für die Kompetenzverteilung zwischen Staat und nichtstaatlichen Einrichtungen treten. In diesem Zusanunenhang spielte jener Grundsatz zuletzt zu Beginn der sechziger Jahre im Rahmen der rechtspolitischen und staatstheoretischen Auseinandersetzung um die Änderung des Bundessozialhilfe- und des Jugendwohlfahrtsgesetzes eine besondere Rolle. Der dabei entbrannte Streit, ob diese grundlegenden Gesetzeswerke auf dem Gebiet des Sozialrechts mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar seien oder nicht 195 , wurde erst durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beendet, obwohl das Gericht zum Grundsatz der Subsidiarität selbst keine Stellung genommen hat 196 und damit auch in dem Streit um seine Geltung als Verfassungs- und Gesellschaftsorganisationsgrundsatz keine Position bezog. b) Die Narrnativität

Neben universeller Geltung beansprucht das Subsidiaritätsprinzip auch normative Beachtung 197 • Dabei soll hier mit dem Begriff der "Normativität" nur die Zugehörigkeit des Subsidiaritätsgrundsatzes zur Kategorie des "Sollens" beschrieben werden, sein Gebots- oder Postulatscharakter, in Abgrenzung zu deskriptiven, die Realität beschreibenden Begriffen 198 • Narrnativität ist demnach durch einen Verbindlichkeitsanspruch und durch die Zukunftsgerichtetheit gekennzeichnet. Die Bezeichnung "normativ" wird 1 ~ Als in eine "Randzone" gedrängt sah J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 69, das Subsidiaritätsprinzip durch die von G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 259, passim, vorgenommene Verortung dieses Grundsatzes im Bereich der konkurrierenden Staatszwecke. 195 Vgl. zu dieser Diskussion bezüglich des Jugendwohlfalutsgesetzes das Rechtsgutachten von A. Köttgen, S. I und 50f., der zu dem Ergebnis gelangt, daß der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Neuregelung des Jugendwohlfalutsgesetzes (BT-Drs. III Nr. 2226) nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip und daher auch nicht mit dem Gundgesetz zu vereinbaren sei. Den gegenteiligen Standpunkt vertritt in seinem Rechtsgutachten LA. Frhr. von der Heydte, S. 53 und 80. 196 Vgl. dazu BVerfGE 22, l80ff. 197 Vgl. zu diesem Merkmal des Subsidiaritätsprinzips, G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67ff. (90); H. Kalkbrenner, FS für Günther Küchenhoff, S. 515ff. (524ff.). 198 Vgl. grundlegend zur Differenzierung von "Sein" und "Sollen" /. Kant, in: Werke, Bd. IV, S. 498- 536.

C. Ausprägungen und Merkmale

69

hier deshalb nicht im Sinne sanktionsbewährter positivierter Handlungsanweisung verstanden 199, da mit Blick auf den abstrakten und formalen Grundsatz der Subsidiarität eine Sanktion bestimmter Handlungsweisen ausscheidet, solange aus dem Prinzip noch keine konkreten Handlungsgebote abgeleitet werden können. In diesem Sinne wird dem Subsidiaritätsprinzip in der Sozialenzyklika als apodiktisch formuliertes Gerechtigkeitspostulat, durchgängig ein normativer Anspruch beigemessen. Bei den meisten Vertretern liberaler Staatskonzeptionen kommt dem Verbindlichkeitsanspruch des Subsidiaritätsgedankens keine entscheidende und für diesen Grundsatz charakteristische Funktion zu. Eine Ausnahme bildet Wilhelm von Humboldt, der konsequent für eine Beschränkung staatlichen Handeins auf die Gefahrenabwehr und den Schutz der Bürger eintritt und jede wohlfahrtsstaatliche Betätigung des Staates ablehnt200. 2. Die Dependenz des Subsidiaritätsprinzips von Zweck- und Zielvorgaben201

a) Das Subsidiaritätsprinzip in teleologischen Lehren

Von elementarer Bedeutung für die konkrete Umsetzung und die Leistungsfähigkeit des Grundsatzes der Subsidiarität als einer Kompetenzzuordnungsmaxime ist die Abhängigkeit dieses Prinzips von den Teloi der jeweiligen Gemeinschaft. Dieser Umstand ist jedoch bisher im einschlägigen Schrifttum weithin unberücksichtigt geblieben202 . 199 Zum generellen Problem der Einbeziehung der Sollenskategone in die kalkülisierte Aussagenlogik und damit zu einer zentralen Frage rechtswissenschaftlicher Syllogistik R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 101 ff. 200 Vgl. dazu oben A. II. 2. a). 201 Die Begriffe ,,Zweck" und ,,Ziel" werden im folgenden weitgehend synonym verwandt, soweit ntit ,,Zweck" das intendierte Ziel bewußten Tuns gemeint ist. Vgl. im übrigen zur synonymen Bedeutung beider Begriffe M. Forschner, in: StL, Bd. 5, Sp. 1183. 202 So weist zwar J. lsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 71, FN. 2, darauf hin, daß das Bestehen eines "gemeinsamen Zieles" und "gemeinsamer Aufgaben" der sozialen Einheiten "Voraussetzung für das Subsidiaritätsprinzip" sei, begründet diese These jedoch nicht näher. Daß in der "menschlichen Ordnung" die teleologische Ausrichtung des Gemeinwesens ntit dem Subsidiaritätsprinzip im Zusammenhang steht, erkennen grundsätzlich auch die Vertreter der katholischen Soziallehre. Gleichwohl bleiben die konkreten Wirkzusanunenhänge und das Kausalgefüge von Subsidiarität und Gemeinwohlzweck diffus. Symptomatisch insoweit die Aussage G. Küchenhoffs, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67 ff. (99): "So wird das Ganze der menschlichen Ordnung durchwaltet von denselben Prinzipien: formal durch das Prinzip der Subsidiarität, materiell durch den

70

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Die Telosgebundenheit und damit die Abhängigkeit der Relationsgröße "Subsidiarität" von Gemeinschaftszwecksetzungen erschließt sich jedoch erst, wenn man sich Struktur und Funktion dieses Grundsatzes vor Augen führt. Als Aufgabenverteilungsmaxime setzt er differenzierte Funktionsstrukturen voraus. Dies folgt schon daraus, daß die Zuweisung von Aufgaben das Vorhandensein eines Bestandes von einander abgegrenzter Funktionen bedingt. Dabei lassen sich Aufgaben oder Funktionen als Konkretisierungen allgemeiner Zwecksetzungen und Zielerwartungen begreifen. So werden etwa Gemeinschafts- oder Staatsaufgaben mit Blick auf bestinunte allgemeine Zwecksetzungen dieser Gemeinschaften ihrem Inhalt und Umfang nach definiert. Auch die Zuweisung der Aufgabe an die zu ihrer Erfüllung am besten geeignete oder der dem einzelnen am "nächsten" stehenden Handlungsebene beruht letztlich auf einer Vorstellung von einer optimalen Aufgabenerfüllung. Wann eine Aufgabe optimal erfüllt ist, läßt sich jedoch nur auf der Grundlage des mit der konkreten Aufgabendefinition verfolgten Zwecks beantworten. Aufgaben lassen sich ferner als Handlungsanweisungen an bestinunte oder noch zu bestinunende Akteure betrachten. Bei dieser Sichtweise tritt die hinter den Funktionen und Kompetenzen liegende "Handlung" ins Blickfeld. Die Orientierung von Handlungen an vorgegebenen Zwecken ist jedoch eine menschlichem Denken geläufige Struktu~03 . Dies gilt in besonderem Maße für rechtserhebliche Handlungen204• Schließlich gilt es zu beachten, daß das Subsidiaritätsprinzip auf menschliche Gemeinschaften und damit auf "soziale Systeme"205 bezogen ist. Diese sind jedoch stets zweckorientiert206. Besondere Bedeutung erlangt die Zwecksetzung in Rechtsgemeinschaften, wie sie etwa der Staat, die Gemeinde aber auch vertraglich begründete Gemeinschaften wie Vereine oder völkerrechtliche Organisationen darstellen. Insgesamt gewinnen damit Zwecksetzungen auf drei verschiedenen Ebenen Relevanz für den Subsidiaritätsgedanken und seine Anwendung. Zunächst bei der Zuweisung der jeweiligen Aufgabe aufgrund einer an Gedanken der Ordnung, der Gerechtigkeit, des Gemeinwohls, zielmäßig (teleologisch) durch die Entfaltung von Menschsein und Menschenwürde [...]". 203 Vgl. dazu M. Forschner, StL, Bd. 5, Sp. 1182f.; W. Kerber, in: StL, Bd. 2, Stichwort: Gemeinwohl, Sp. 858, bezeichnet "die Hinordnung als Ziele" als zum Wesen des Menschen" gehörig. Mir erscheint es sinnvoller, von einer Konstante menschlichen Denkens zu sprechen. 204 Vgl. dazu schon die Ausführungen von R. von Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 3ff. 20!1 Vgl. zu diesem Gesellschaftsverständnis N. Luhmann, Soziale Systeme, s. 15 ff. 206 Vgl. zu der Zwecksetzung die jede Gemeinschaft aber auch der einzelne in der katholischen Soziallehre erfahrt oben C. III. 2.

C. Ausprägungen und Merkmale

71

Zwecken orientierten Ergebniserwartung. Darüber hinaus knüpft der für die Subsidiaritätsidee zentrale Begriff der Aufgabe in zweifacher Weise an den Zweckgedanken an, indem Aufgaben zum einen als Konkretisierungen von Zwecksetzungen betrachtet werden können und zum andern dadurch, daß sich Aufgaben als normative Handlungsanweisungen beschreiben lassen. Als solche verweisen sie wiederum auf die allgemeine Zweckgerichtetheit menschlichen Handelns. Bei dieser mehrfachen Bindung an die Denkfigur ,,Zweck" kann es nicht verwundern, daß der Grundsatz der Subsidiarität gerade in teleologisch ausgerichteten philosophischen Ansätzen, wie den liberalen Staatsmodellen und der final-teleologisch angelegten katholischen Dogmatik, die man auch als "Sozial- oder Gesellschaftszwecklehre" bezeichnen kann, besondere Ausprägung erfahren hat. Denn außer der Gemeinsamkeit teleologischer Ausrichtung weisen beide Lehren weitreichende Divergenzen in ihren Prämissen und Aussagen auf. Eine vergleichende Betrachtung des Subsidiaritätsgedankens in diesen beiden Sozialphilosophien läßt zudem erkennen, daß es für diese Konnexität nicht auf die Ausgestaltung der konkreten sozialen Einheit als Rechtsgemeinschaft ankommt und daß letztlich auch die philosophische Begründung der Zwecksetzung selbst bedeutungslos ist. So stellen einerseits die liberalen Staatstheorien lediglich auf die teleologische Bedeutung des Staates als einer Rechtsgemeinschaft ab, während der Bezugspunkt der kirchlichen Lehre letztlich die gesamte Menschheit ist, wobei der säkularen rechtlichen Verfaßtheit der einzelnen Gemeinschaften keine entscheidende Bedeutung zukommt. Andererseits gründet sich die kirchliche Dogmatik auf eine naturrechtlich-ganzheitliche Betrachtungsweise, wohingegen die Staatstheoretiker des Liberalismus ihren philosophischen Ausgangspunkt im kritischen Rationalismus Kantscher Provenienz haben. Diese Beobachtung vermag für sich betrachtet die These der Dependenz des Subsidiaritätsgrundsatzes von Gemeinschaftszwecksetzungen zwar noch nicht zu begründen. Aber sie zeigt, daß der Grund dieses Zusammenhangs nicht in den jeweiligen Zwecken selbst, ihren konkreten Inhalten also, sondern in einer bestimmten der Zwecksetzung zukommenden allgemeinen Funktion besteht.

b) Die Orientierungsfunktion von Ziel- und Zwecksetzungen Auch wenn der Zweckbegriff bereits in den metaphysischen Betrachtungen Aristoteles' 207 und Kants208 verwendet wird, wurde er erst in jüngster Zeit zu einem eigenen Gegenstand philosophischer Analysen 209 . In der 207

Philosophische Schriften, Bd. V, Metaphysik, passim.

72

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Wissenschaft ist vor allem mit zwei unterschiedlichen theoretischen Ansätzen versucht worden, Bedeutung und Funktion der Denkfigur "Zweck" zu erfassen. Die final-teleologische Handlungslehre, die vor allem in der Rechts-, insbesondere in der Strafrechtswissenschaft210, Bedeutung erlangt hat, betrachtet Zwecke vornehmlich als Ziel menschlicher Handlungen. Demgegenüber stellt die funktionale Systemtheorie auf die systembildende Leistung von Zwecksetzungen ab. Beide Ansätze messen Zielvorgaben und Zwecksetzungen letztlich eine Maßstabs- und Orientierungsfunktion zu.

aa) Die final-teleologische Handlungslehre Der final-teleologische Handlungsbegriff geht davon aus, daß das Handeln seinen Sinn in der Erfüllung eines bestimmten, erkennbaren Zwecks hat211 • Im Gegensatz zum sog. kausalen Handlungsbegriff, wonach unter einer Handlung lediglich das ursächliche Herbeiführen (Bewirken) eines Erfolges (einer Wirkung) verstanden wird, stellt somit die final-teleologische Betrachtungsweise eine definitorische Reduktion, eine Selektion, dar. Denn da von idealtypischen Fällen abgesehen zumeist eine Handlung mehrere Wirkungen zeitigt, wie auch umgekehrt häufig eine Wirkung durch mehrere gleichzeitige oder zeitlich aufeinander aufbauende Handlungen verursacht wird, erfaßt der ziel- und zweckbezogene Handlungsbegriff aus dem Spektrum tatsächlicher oder potentieller Wirkungen nur jene, die auf der Grundlage einer zuvor getroffenen Wertung als bedeutsam erscheinen. Diese Wertrelation wird durch die Zwecksetzung in der Weise hergestellt, "daß der Wert der bezweckten Wirkungen ungeachtet der Werte oder Unwerte der Nebenwirkungen bzw. der aufgegebenen Wirkungen anderer Handlungen das Handeln zu begründen vermag" 212 • Im Rahmen der finalteleologischen Handlungslehre erfüllt die Figur des Handlungszwecks eine Doppelfunktion. 208 /. Kant, in: Werke, Bd. VIII, passim, besonders S. 508 ff., wo Kant zwischen Zwecken in der Rechtslehre und der Ethik unterscheidet. 209 Vgl. auch M. Forschner, in: StL, Bd. 5, Sp. ll82ff. 210 Zur Darstellung und der Kritik an der strafrechtlichen Verwendbarkeit des finalen Handlungsbegriffs statt aller H.-H. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, S. 195 f. 211 N. Luhrru:mn, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 18; grundlegend zu dieser LehreR. von Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 5: "Das Zweckgesetz lautet: kein Wollen, oder, was dasselbe ist, keine Handlung ohne Zweck" (Hervorhebung im Original); ähnlich C. Sigwan, in: ders., Kleine Schriften, Bd. II, S. 66: ,,Der Zweck controlien die Ursache", wobei sich Sigwart ausdrücklich gegen Baruch de Spinozas Werk, "Ethik, nach geometrischer Methode dargestellt" wendet, der das zweckgerichtete Denken polemisierend kritisiert. 212 N. Luhmann, ibd., S. 44.

C. Ausprägungen und Merkmale

73

Zum einen erfahren Handlungen über die sinnstiftende Funktion der Zwecksetzung eine Legitimation oder Rechtfertigung213 . Zum anderen kommt dieser eine Orientierungswirkung bei der Wahrnehmung von Handlungsoptionen zu, indem über die Zweckdefinition eine Selektion von nicht dem Zweck entsprechenden oder ihn fördernden Handlungen erfolgt. Diese Orientierungsleistung gewinnt in Gestalt des Gemeinschaftszwecks besondere Bedeutung. Durch die Ausrichtung von Handlungen der Gemeinschaftsmitglieder am Gemeinschaftszweck, wird über dessen Orientierungsfunktion die Identität der Gemeinschaft sichergestellt. Auf diese identitätsstiftende Wirkung stellen vor allem das Zivilrecht und das Völkerrecht ab, die an der Zwecksetzung von Gemeinschaften nach wie vor festhalten, obwohl der final-teleologische Handlungsbegriff starker Kritik ausgesetzt ist2t4. bb) Zur rechtlichen Bedeutung von Gemeinschaftszwecken Das deutsche Zivilrecht geht davon aus, daß ein Verein einen bestimmten Zweck verfolgt (§§ 21 und 22 BGB). Will der Verein Rechtsfähigkeit erlangen, wird die Festlegung eines Vereinszwecks sogar zur konstitutiven Voraussetzung (§§ 60, 59 Abs. 2 Nr. 1, 57 Abs. 1, 21 BGB)215 • Bei der "Gesellschaft bürgerlichen Rechts" (§ 705 BGB) und den Personenhandelsgesellschaften (OHG und KG §§ 105 Abs. 1 und 161 Abs. 1 HGB) wird die Möglichkeit, den konstitutiven, vertraglich vereinbarten Gesellschaftszweck faktisch und rechtlich erreichen zu können, zur Existenzvoraussetzung der Gesellschaft216. Auch über den Bereich des Vereins- und Gesellschaftsrechts hinaus kommt der final-teleologischen Handlungslehre in der Rechtspraxis eine weitreichende Bedeutung zu. Das gilt zunächst für die anerkannte Interpretationsmethode der "teleologischen Gesetzesauslegung", die ihrerseits voraussetzt und unterstellt, daß jeder Rechtsnorm ein erkennbarer Telos innewohnt. Dabei kann und braucht im Rahmen dieser Untersuchung nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob es neben der subjektiven Zwecksetzung 213 Diese Telosfunktion steht bei den liberalen Staatszwecklehren und der katholischen Soziallehre im Vordergrund. 214 Insgesamt gegen die Denkfigur des Zwecks F. Tönnies, in: Erinnerungsgabe für Max Weber, Bd. I, S. 235 ff.; vgl. zu weiteren Kritikern des zweckrationalen Denkens die Nachweise bei N. Luhmann, Zweckbegriff und Systernrationalität, s. 7ff. 215 Da es "Wirtschaftsvereine" gemäß § 22 BGB in der Praxis nicht gibt, wird hier nur auf die Vorschriften über die Erlangung der Rechtsfähigkeit der Idealvereine nach § 21 BGB eingegangen. 216 So bestimmt § 726 BGB, daß "die Gesellschaft endigt, wenn der vereinbarte Zweck erreicht oder dessen Erreichung unmöglich geworden ist".

74

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

des historischen Gesetzgebers auch "objektive Zwecke des Rechts" und dementsprechend auch "objektiv-teleologische Kriterien" 217 für die Auslegung geben kann 218 . Im Völkervertragsrecht hat das Zweckdenken im Verbot der "Vertragsvereitelung" in Art. 18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969219 ebenso einen positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden wie in der Regel, daß ein Vertrag unter anderem auch "im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen" ist (Art. 31 Abs. l WVK). Über diese Bestimmungen der Wiener Vertragsrechtskonvention hinaus läßt sich für die geübte Staatenpraxis beim Abschluß multilateraler Verträge feststellen, daß sie sehr häufig ausdrückliche Ziel- und Zweckbestimmungen enthalten, soweit sich diese nicht bereits aus dem Vertragsinhalt und den einzelnen Bestimmungen ergeben220. Insbesondere bei den Verträgen zur Gründung internationaler Organisationen finden sich zumeist eindeutige Ziel- und Zwecksetzungen für diese Einrichtungen, wobei jedoch terminologisch uneinheitlich und ohne Abgrenzung221 die Begriffe "Ziele", 217 Von einer solchen Möglichkeit der Loslösung des Gesetzesinhalts geht das Bundesverfassungsgericht in einer inzwischen gefestigten Rechtsprechung aus. So etwa, wenn BVerfGE 33, 265 [294], vom ,.objektiven Willen des Gesetzes" spricht, ähnlich die Formulierungen in BVerfGE 36, 342 [367], und BVerfGE 51, 97 [111], wo der Senat von ... . .dem Schutzzweck dieser Vorschrift" ausgeht. In BVerfGE 45, 187 [227], heißt es: ,.Der Entstehungsgeschichte, den Vorstellungen und Motivationen des Verfassungsgebers kommt für die Auslegung des Grundgesetzes nicht unbedingt eine ausschlaggebende Bedeutung zu". Noch deutlicher die Formulierung in BVerfGE 59, 128 [153]: ,.Selbst wenn aber diese Aussage den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringt, ist dies für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht ausschlaggebend". In die gleiche Richtung gehen auch K. IArenz. Methodenlehre, S. 221 f. und F. Müller, Juristische Methodik, Rz. 24ff. 218 Zum Streit insgesamt, F. Müller, ibd. 219 Text in BGBI. 1985 II S. 926. 220 So ergibt sich der Vertragszweck bei Schutz- oder Förderungsabkommen zugunsten bestimmter Personen oder Personengruppen aus der Bezeichnung und/oder den Einzelbestimmungen, ohne daß es einer nochmaligen ausdrücklichen Erwähnung dieses Zwecks im Vertrag selbst bedarf. Vgl. z. B. aus dem Bereich der Menschenrechtsabkommen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBI. 1973 II S. 1534), den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBI. 1973 II S. 1570), oder das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (BGBI. 1990 II S. 246), und auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts das Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (RGBI. 1910 S. 107), das Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege vom 17. Juni 1925 (RGBI. 1929 II S. 174), oder die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 (BGBI. 1954 II S. 730).

C. Ausprägungen und Merkmale

75

"Zwecke" und "Aufgaben" verwandt werden222 . Die konkrete Zielsetzung einer internationalen Organisation ist demnach ungeachtet der Formulierung in einzelnen Bestimmungen nur im Wege einer Normenexegese zu ermitteln. Die Analyse derartiger Gründungsverträge läßt regelmäßig eine "pyramidenartige Zielstruktur" erkennen, an deren Spitze zumeist wenige allgemein gehaltene Ziel- und Zwecksetzungen stehen, die dann in mehrere konkretere "Unterziele" aufgespalten, als Aufgaben ausgestaltet und den Gemeinschaftsorganen und Mitgliedern zur Erfüllung nach Maßgabe ihrer jeweiligen Befugnisse zugewiesen werden223 . Die konsequent an den Vertrags- und Gemeinschaftszwecken ausgerichtete Aufgabenformulierung macht die orientierungs- und identitätsstiftende Funktion der Zwecksetzungen und damit die Dependenz der Aufgabendefinition und -Verteilung von entsprechenden Zielvorgaben für die verschiedenen Rechtsgemeinschaften deutlich. cc) Die funktionale Systemtheorie Im Gegensatz zu der final-teleologischen Handlungslehre stellt die funktionale Systemtheorie Luhmanns ausschließlich auf die systembildende Funktion von Ziel- und Zwecksetzungen ab. Mit diesem Ansatz läßt sich die Orientierungsfunktion von Zwecksetzungen verdeutlichen, ohne ihnen 221 So auch S. Magiera, GS für Wilhelm Kar! Geck, S. 505ff. (514), für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften. 222 So spricht Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (BGBI. 1973 li S. 431), von den ,,Zielen der Vereinten Nationen", demgegenüber bestimmt Art. 1 Abs. 1 der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) vom 16. November 1945 (BGBI. 1971 li S. 473), einleitend das ,,Ziel der Organisation ist es, ... ", während Art. 1 Abs. 2 die Mittel anspricht, wenn er festlegt: ,.Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Organisation ... ". Art. I des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (FUND) vom l./22. Juli 1944 (BGBI. 1952 li S. 638, in der Fassung der Änderung vom 18. Juni 1990 BGBI. 1991 li S. 814), beginnt mit den Worten: ,.Der Internationale Währungsfonds hat folgende Ziele... ". 223 Beispielhaft sei hier auf den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) vom 18. April 1951 (BGBI. 1952 II S. 447) verwiesen, der in Art. 1 zunächst lapidar feststellt, daß die von den Vertragspartnern gegründete Gemeinschaft für Kohle und Stahl ,.auf einem gemeinsamen Markt" beruht, ,.gemeinsame Ziele" verfolgt und ,.gemeinsame Organe" hat. Art. 2 EGKSV nennt dann als Ziele der Gemeinschaft ,.zur Ausweitung der Wirtschaft, zur Steigerung der Beschäftigung und zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten beizutragen" und die in Absatz 2 näher bezeichneten "Voraussetzungen ... zu schaffen". In Art. 3 EGKSV werden dann unter a) bis h) die konkreten Aufgaben genannt, die ,.die Organe der Gemeinschaft im Rahmen der jedem von ihnen zugewiesenen Befugnisse und im gemeinsamen Interesse" zu erfüllen haben. Zur Zielstruktur der EWG vgl. S. Magiera, GS für Wilhelm Kar! Geck, s. 505ff. (514).

76

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

eine spezifisch inhaltliche Bedeutung im Sinne einer Legitimation oder sinnstiftenden Wirkung von Handlungen beimessen zu müssen. Denn die Rechtfertigung von Handlungen über letztlich selbstgesetzte Zwecke bleibt stets beliebig und damit angreifbar. Den Ausgangspunkt des Luhmannschen Modells bildet die These, daß sich Systeme und damit auch "soziale Systeme"224 als Differenz von systeminterner Komplexität und Umweltkomplexität beschreiben lassen. Dabei ist die Binnenkomplexität des Systems stets geringer als die Komplexität der Umwelt. Allein durch diese Komplexitätsdifferenz läßt sich das System als solches von der Umwelt unterscheiden225 • Dabei wird ein System als "komplex" bezeichnet, "wenn aufgrund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität [... ] nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann"226 . Unter Zugrundelegung dieser Prämissen folgt für jedes System die Notwendigkeit, seine Binnenkomplexität permanent zu reduzieren, um so die Differenz zur Umwelt und damit seine Existenz gebende Identität zu sichern. Dem Erfordernis der Reduktion seiner Eigenkomplexität kann ein System dabei nur durch Selektion der Verknüpfungsmöglichkeiten der Elemente genügen227 • Zwecken kommt dabei als "vorgestellten Einheiten geschätzter Wirkungen" die Funktion zu, als Vorgaben rationaler Entscheidungsprozesse der Selektionssteuerung und damit der Reduktion von Systemkomplexität zu dienen228 • Ihre Beschränkung auf eine spezifische Funktion der Systembildung führt zu einer Relativierung der Zwecksetzung, so daß diese grundsätzlich auch durch sog. funktionale Äquivalente ersetzt werden könnten229. Bei ihrer grundsätzlichen Substituierbarkeit rechtfertigt sich der Rückgriff auf die Denkfigur "Zweck" aus Sicht der funktionalen Systemtheorie lediglich aus Effizienzgründen, da Zwecke gleichzeitig mehrere Selektionskriterien in sich vereinigen, die ansonsten durch Koordination verschiedener Strategien der Komplexitätsreduktion ersetzt werden müßten 230. Veranschaulichen lassen sich diese abstrakten Überlegungen, indem man die zu betrachtende Gemeinschaft als "System" und die Summe der gegebe224

Vgl. zu diesem Begriff und seinem Verständnis N. Luhmann, Soziale Systeme,

s. 15ff.

225 N. Luhmann, ibd., S. 50; besonders deutlich ders., Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 175 f.; V. von Prittwitz, Politikanalyse, S. 126. 226 V. von Prittwitz, ibd., S. 124; ähnlich N. Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. I, S. 8 und 174f. 227 Vgl. dazu N. Luhmann, Soziale Systeme, S. 48 et passim. 228 N. Luhmann, ibd., S. 179ff. 229 N. Luhmann, ibd., S. 181 f. 230 Vgl. dazu sowie zu den "funktionalen Äquivalenten", deren Erörterung in diesem Zusammenhang dahinstehen kann, N. Luhmann, ibd., S. 182ff. und 236ff.

C. Ausprägungen und Merkmale

77

nen Handlungsmöglichkeiten aller Akteure in einem Staat in diesem Sinne als "Elemente" betrachtet231 . Als "Akteure" sind dabei gleichermaßen die Bürger, Vereine, Verbände und Körperschaften wie auch politische und staatliche Einrichtungen im weitesten Sinne anzusehen. Unter den "Handlungsmöglichkeiten" sind sämtliche vorstellbaren Betätigungen dieser Akteure zu verstehen. Bei dieser Betrachtung wird die Notwendigkeit der Selektion von Handlungsoptionen und der Komplexitätsreduzierung deutlich. Um die Fülle der Aktionsmöglichkeiten der verschiedenen Akteure erfassen, kategorisieren und bewerten zu können, müssen Kriterien aufgestellt werden. Diese Aufgabe wird in weitem Umfang von einem System von Zwecksetzungen übernommen. So werden etwa die Handlungen des Staates und seiner Organe auf das Ziel der "Förderung des Allgemeinwohls" und seiner bereichsspezifischen Ausprägungen (z. B. öffentliche Belange, Schutz von Rechtsgütem) ausgerichtet. Ebenso läßt sich die Rechtsordnung als ein System von Ge- und Verboten begreifen, die von den Rechtsunterworfenen die Vomahme oder das Unterlassen bestimmter Handlungen verlangen und die ihrerseits wiederum Ausdruck spezifischer Zwecksetzungen sind. c) Der Bestimmtheitsgrad der Zwecksetzungen Die schlichte Existenz von Zwecksetzungen reicht allein jedoch nicht aus, um die Funktion eines Orientierungsmaßstabs zu erfüllen. Vielmehr müssen die Ziele und Zwecke auch hinreichend bestimmt sein. Abstrakt betrachtet, läßt sich der Bestimmtheilsgrad eines Zwecks als Variable auf einer Skala zwischen zwei Extremen beschreiben: So kann ein Zweck zum einen als Erwartung einer ganz spezifischen Wirkung formuliert werden, wobei er sich indifferent gegenüber allen sonstigen Wirkungen (Nebenwirkungen) verhält; zum anderen kann ein Zweck als unbestimmte offene Wunschvorstellung beschrieben sein, die gänzlich offen läßt, ob und welche Wege zum Ziel führen. Luhmann spricht hier von "koordinierender Generalisierung"232 der Zwecksetzung. Ausgehend von der den Zwecken in der Luhmannschen Theorie zukommenden Funktion, Systemkomplexität zu reduzieren, stellt sich die Zweckspezifikation für die funktionale System231 Der Abstraktionsgrad und die damit einhergehende schlechte Anwendbarkeit auf konkrete Sachverhalte müssen als entscheidende Schwäche des Luhmannschen Ansatzes angesehen werden. Auch Luhmann selbst hat keine Versuche einer Projizierung seiner Theorie auf reale Systeme unternommen, so daß der Kritik V. von Prittwitz', Politikanalyse, S. 127, zuzustimmen ist, daß die Luhmannsche Theorie trotz ihrer inneren Geschlossenheit, ihrer Plausibilität und ihres hohen Erklärungswertes für verschiedene Funktionsstrukturen in Systemen anderen, weniger ausdifferenzierten, aber konkreteren Ansätzen teilweise unterlegen ist. 232 N. Luhmann, ibd., S. 189ff. und 212ff.

78

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

theorie als ein ambivalentes Bezugsproblem dar. So kann einerseits um so mehr "Komplexität aufgenommen und verarbeitet"233 werden, je variabler und damit unbestimmter der Zweck formuliert wird. Demgegenüber kann die Selektion zweckfremder oder zweckwidriger Handlungen präziser bei einem höheren Spezifikationsgrad vorgenommen werden. Ungeachtet der Frage, von welchen Faktoren der Bestimmtheitsgrad einer Zwecksetzung im einzelnen abhängt234, bleibt auch für den systemtheoretischen Ansatz festzuhalten, "daß die Bestimmtheit der Zweckformel zugleich Grundlage der Organisation des Handeins ist und daß die Organisierbarkeit abnimmt bzw. auf eine andere Grundlage gestellt werden muß, wenn die Organisationszwecke nicht deutlich und instruktiv genug fixiert werden können"235 . Das bedeutet konkret, daß bei unzureichender Bestimmtheit der Zwecksetzung als systeminternem Selektionskriterium auf andere Kriterien zurückgegriffen werden muß, die bezüglich ihrer sytembildenden Leistung gegenüber Zwecksetzungen als funktionale Äquivalente betrachtet werden können 236• Während die Frage der Bestimmtheit der Zwecksetzung für die funktionale Systemtheorie ein ambivalentes Problem darstellt, bei dem es gilt, das richtige Maß zwischen Flexibilität (Unbestimmtheit der Zwecke) und Orientierungsleistung, die einen möglichst hohen Bestimmtheitsgrad der Zweckbeschreibung erfordert, zu finden, handelt es sich aus Sicht der finalteleologischen Handlungslehre bei der Zweckspezifikation ausschließlich um eine Optimierungsfrage. Je präziser die Zielvorgabe oder Zwecksetzung formuliert ist, desto besser lassen sich zweckkonforme von zweckfremden Handlungen trennen. Für den Bereich der Staatszielbestimmungen hat Sommermann diesen Gedanken wie folgt formuliert: ,)e konkreter ein Staatsziel gefaßt ist, desto enger wird sein Zielgehalt, desto konzentrierter und damit intensiver wird zugleich die Bindungswirkung. Der Einengung des Zielgehalts korrespondiert [... ] eine Zunahme der Normativkraft, oder: Die Offenheit des Ziels ist umgekehrt proportional zur effektiven Bindungswirkung"237.

Dabei wird eine an Gesellschaftszwecken oder Staatszielen ausgerichtete Handlungsorientierung immer auf eine Evidenzkontrolle beschränkt bleiben, 233 Gemeint ist damit, daß eine größere Zahl potentieller Handlungen zu dem entsprechenden Zweck in Beziehung gesetzt werden kann. 234 Siehe dazu N. Luhmann, ibd., S. 2l2ff. 23S N. Luhmann, ibd., S. 225 f. 236 Als ein die mangelnde Bestimmtheit der Zwecksetzung kompensierendes Kriterium kommt zum Beispiel die Orientierung an bestimmten Erwartungshaltungen (Publikums- oder Kunden wünschen) in Betracht. V gl. dazu N. Luhmann, ibd., s. 226. 237 K.-P. Sommermann, DÖV 1994, S. 595ff. (601).

C. Ausprägungen und Merkmale

79

die nur jene Handlungen oder Maßnahmen eliminiert, die der jeweiligen Zwecksetzung offensichtlich entgegenstehen238 . Die vorstehenden Überlegungen haben deutlich gemacht, daß sowohl das Subsidiaritätsprinzip selbst als auch der für diesen Grundsatz zentrale Begriff der Aufgabe an das Vorhandensein hinreichend bestimmter Gemeinschaftsteloi anknüpft.

VI. Funktionen und Zeitgebundenheit des Subsidiaritätsprinzips 1. Funktionen Wie oben dargelegt239, stellt der Grundsatz der Subsidiarität eine Relation zwischen Aufgaben und einem Kompetenzträger her. Dabei kann diese Relation grundsätzlich von den Aufgaben oder von den Zuordnungseinheiten aus betrachtet werden240• Im ersten Fall geht man von den einzelnen Aufgaben als Konstanten aus und ordnet die Kompetenzträger den Aufgaben zu. Im zweiten Fall bilden die bestehenden organisatorischen Einheiten des Gemeinwesens die Konstante und die zuzuordnenden Aufgaben die Variable241 • Sowohl in der älteren innerstaatlichen Auseinandersetzung als auch bei der aktuellen europarechtlichen Diskussion um das Subsidiaritätsprinzip stehen Fragen der Kompetenzverteilung zwischen den vorhandenen staatlichen, gesellschaftlichen und gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzträgem im Vordergrund, nicht hingegen die Errichtung neuer Gremien, sieht man von der Gründung des Ausschusses der Regionen in dem Vertragswerk von Maastricht (Art. 263 bis 265 EG-Vertrag) einmal ab242 • Daher soll auch hier der Grundsatz der Subsidiarität unter dem Gesichtspunkt der Zuordnung von Aufgaben (Variablen) zu den existierenden Kompetenzträgem So auch K.-P. Sommermann, ibd. Vgl. dazu oben C. Il. 240 Auf diese beiden Möglichkeiten einer dem Subsidiaritätsprinzip entsprechenden Zuordnung weisen R. Herzog, in: EvStL, Stichwort: Subsidiarität, Sp. 3565, und S. Magiera, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union - Europas Zukunft?, S. 71 ff. (81), hin. 241 S. Magiera, ibd., bezeichnet den ersten Fall als die "organisatorische Dimension" und die zweite Variante als die ,,kompetentielle Dimension" des Subsidiaritätsprinzips. 242 Ob allerdings in der Errichtung dieses Gremiums eine organisatorische Ausprägung des Subsidiaritätsgrundsatzes erblickt werden kann, erscheint angesichts der sehr beschränkten Kompetenzen dieses Ausschusses eher fraglich. Vgl. zur Bedeutung und zu den Befugnissen des Ausschusses der Regionen vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips die Arbeit von A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, S. 210, 251. 238 239

80

1. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

(Konstanten), insbesondere den Bundesländern, dem Bund und der EG, betrachtet werden. Doch auch bei dieser Festlegung kann das Subsidiaritätsprinzip wiederum auf unterschiedlichen Ebenen wirken: - Erstens: Es besteht die Möglichkeit, alle in einer Gemeinschaft anfallenden Aufgaben nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips unter den potentiellen Kompetenzträgern aufzuteilen, wobei dies naturgemäß nur für jene Aufgaben gelten kann, die "subsidiaritätsgeeignet" sind, d. h. bezüglich derer ein Konkurrenzverhältnis mindestens zweier Kompetenzträger besteht, also Funktionen, die prinzipiell von mehr als einer Organisationseinheit wahrgenommen werden könnten. Auf dieser Ebene wirkt das Subsidiaritätsprinzip kompetenzbegründend, indem es als Maßstab der Aufgabenübertragung 243 herangezogen wird. Insoweit kommt diesem Grundsatz eine kompetenzschaffende Funktion zu, er wirkt als Strukturprinzip. - Hinsichtlich der konkreten Kompetenzübertragung bieten sich zwei Varianten an. So kann eine Aufgabe einem der in Betracht kommenden Kompetenzträger zur exklusiven Wahrnehmung übertragen werden. Damit werden, rechtstechnisch gesehen, ausschließliche Kompetenzen begründet. Daneben besteht die Möglichkeit, die Erfüllung einer Aufgabe zwei oder auch mehreren Trägern zur gemeinsamen, arbeitsteiligen Wahrnehmung zu übertragen. Das führt zur Begründung konkurrierender Kompetenzen. - Zweitens: Soweit eine Festlegung konkurrierender Zuständigkeiten vorliegt, eröffnet sich die zweite Ebene, auf der der Subsidiaritätsgrundsatz angewandt werden kann. So läßt sich die Wahrnehmung der Aufgabe durch mehrere Kompetenzträger ebenfalls entsprechend diesem Prinzip gestalten, indem die jeweils höhere Organisationseinheit darauf verpflichtet wird, von der ihr eingeräumten Kompetenz nur in dem Maße Gebrauch zu machen, wie dies zur bestmöglichen Erfüllung der Gesamtaufgabe erforderlich ist. Das Subsidiaritätsprinzip wirkt in dieser Form als Kompetenzausübungsmaxime und damit als Steuerungsprinzip. 2. Zeitgebundenheit

Es kann daher festgestellt werden, daß der Subsidiaritätsgrundsatz bei einer exklusiven Kompetenzbegründung das ursprünglich vorhandene Kon243 Zur begrifflichen Klarstellung sei darauf hingewiesen, daß der Verfasser die Begriffe ,,Zuordnung" und ,,Zuweisung" im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip als synonyme Oberbegriffe sowohl für "Kompetenzausübung" als auch für "Kompetenzübertragung" verwendet.

C. Ausprägungen und Merkmale

81

kurrenzverhältnis zwischen den verschiedenen Aufgabenträgern aufhebt, während er bei einer konkurrierenden Zuständigkeitsübertragung das Konkurrenzverhältnis aufrechterhält. Dabei wird die fragliche Aufgabe in Teilfunktionen aufgespalten, die dann jeweils einer der konkurrierenden Kampelenzträger zugewiesen werden. Das schließt nicht aus, daß auch bei einer exklusiven Zuständigkeitsbegründung die Relation zwischen Aufgabe und Aufgabenträger wieder aufgehoben und die fragliche Funktion einer anderen Organisationseinheit übertragen werden kann; aber dies erfordert einen Eingriff in die bestehende Kompetenzstruktur, weshalb sich exklusive Kornpelenzbegründungen vornehmlich in Bereichen anbieten, in denen Veränderungen der Zuordnungsbedingungen gar nicht oder nur selten erforderlich werden244 . Demgegenüber muß bei einer konkurrierenden Kompetenzverteilung lediglich eine Verlagerung zwischen den ohnehin zuständigen Aufgabenträgern vorgenommen werden, um einer entsprechenden Änderung der Zuordnungsvoraussetzungen Rechnung zu tragen, die Kompetenzstruktur selbst bleibt jedoch erhalten. Ungeachtet der Frage, welche Folgen eine Veränderung der Zuordnungsvoraussetzungen im einzelnen zeitigt, ist entscheidend, daß die unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips hergestellte Relation temporären Charakter besitzt, d. h. nur so lange beständig ist, wie die Voraussetzungen vorliegen, auf die sie sich gründet. Verschiebt sich also das Verhältnis von Aufgabe und Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheit, fordert der Gedanke der Subsidiarität auch eine Neugestaltung dieser Relation245 • Damit werden zwei entscheidende Merkmale dieses Grundsatzes sichtbar. Zum einen wirkt das Prinzip permanent. Seine Anwendung erschöpft sich nicht in der einmaligen Herstellung einer Relation zwischen Aufgabe und Kompetenzträger, sondern der Fortbestand dieses Verhältnisses bleibt nur unter ständiger Überprüfung und Bestätigung seiner Zuordnungsvoraussetzungen gewahrt. Zum anderen wirkt das Subsidiaritätsprinzip dynamisch. Beim Auftreten einer Diskrepanz zwischen Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheit und Aufgabenumfang ist der Grundsatz der Subsidiarität auf eine Neubestim244 J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 72, bezeichnet daher die Begründung "auschließlicher Funktions vorbehalte" als "starre Subsidiarität", wohingegen die "konkurrierende Kompetenzordnung" einen Fall "elastischer Subsidiarität" darstelle. 245 Hier macht sich die Reduzierung des Subsidiaritätsprinzips auf seine negative Komponente bemerkbar. Da die Möglichkeit einer zeit- oder teilweisen Unterstützung einer kleineren Einheit nicht mehr in Betracht gezogen wird, muß eine entsprechende Differenz zwischen Aufgabengröße und Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheit unausweichlich zu einer Frage der Kompetenzverlagerung werden.

6 Moersch

82

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

mung der Zuordnungsrelation gerichtet. Die ihm immanente Dynamik ist somit lediglich die Folge seiner permanenten Wirkung. Demnach erlangt seine dynamische Wirkungsweise bei folgenden Fallkonstellationen Bedeutung: - Bei gleichbleibender Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheit ändert sich die Komplexität der Aufgabe. Dabei kann es sich sowohl um eine rein quantitative, eine qualitativ-inhaltliche oder um eine beide Komponenten enthaltende Modifikation handeln. - Umgekehrt kann bei konstanter Aufgabenkomplexität die Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheit wachsen oder abnehmen. Es ist über die beiden genannten Grundkonstellationen hinaus noch eine unbestimmte Zahl von Kombinationsmöglichkeiten beider Varianten denkbar. Dabei sind im Hinblick auf die Dynamik des Subsidiaritätsprinzips bei sämtlichen Veränderungskonstellationen nur jene Fälle relevant, die zu einer Differenz von Aufgabenumfang und Leistungsfähigkeit des Kompetenzträgers führen, welche - mit Blick auf die Aufgabenerfüllung - die bestehende Relation zwischen beiden Größen als inadäquat erscheinen lassen. Auch wenn sich seine dynamische Wirkung - wegen der steigenden Komplexität moderner Gesellschaften und dem damit verbundenen Anwachsen der staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben - zumeist in einer Verlagerung von Funktionen von den kleineren zu den größeren Einheiten niederschlägt246, fordert das Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich eine strikte (Rück)-Verlagerung von Kompetenzen auf die kleineren Gemeinschaften, soweit dies bei einer Veränderung der Zuordnungsvoraussetzungen möglich wird.

VII. Fazit Das Subsidiaritätsprinzip hat seine heute gebräuchliche Definition und seine sprachliche Fassung durch die apodiktische Formulierung in der Sozialenzyklika "Quadragesima anno" Papst Pius' XI. vom 15. Mai 1931 erhalten. Dennoch entstammt der Gedanke nicht der katholischen Soziallehre, sondern wurde auf der Grundlage des Kantschen Personalismus von den Vertretern der liberalen Staats- und Staatszwecklehren im 19. Jahrhundert geprägt247 , was im Schrifttum jedoch häufig verkannt oder ignoriert wird. 246 Das in diesem Zusammenhang zu beobachtende Phänomen der Ausweitung der Staatsaufgaben gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen beschreibt bereits G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 254. 247 Damit soll nicht behauptet werden, daß den Staatstheoretikern des 19. Jahrhunderts die Urheberschaft des Subsidiaritätsprinzips zukäme.

C. Ausprägungen und Merkmale

83

Da insbesondere die kirchliche Dogmatik den Subsidiaritätsgedanken als politisches Fanal gegen die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit sich ausbreitenden totalitären Ideologien instrumentalisiert und in die eigene Lehre integriert hat, lassen sich Aussagen über den Grundsatz selbst nur gewinnen, wenn man ihn aus seinen philosophischen Einbindungen löst und eine an den ihm zugemessenen Funktionen orientierte Betrachtungsweise wählt. Dabei erweist sich das Subsidiaritätsprinzip als eine formale, d. h. inhaltlich ungebundene "Relationsmaxime", die eine Beziehung zwisehen einer Gemeinschaftsaufgabe und einem Funktionsträger herstellt. Die Zuordnung der Aufgabe zu der jeweiligen sozialen Handlungseinheit erfolgt in einem zweistufigen Verfahren, bei dem zunächst anhand der Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen Teilgemeinschaften geprüft wird, welche von ihnen als potentielle Aufgabenträger in Betracht kommen. Soweit sich hierzu mehrere Kompetenzträger als geeignet erweisen, wird auf der zweiten Verfahrensstufe die Aufgabe der "untersten" oder der "dem einzelnen Menschen am nächsten stehenden" Handlungseinheit zugewiesen. Dies stellt zugleich die Hauptaussage des Subsidiaritätsprinzips dar. Ausgehend von dieser zentralen Aussage lassen sich seine Anwendungsvoraussetzungen und Eigenschaften entwickeln, die als für diesen Grundsatz typusbildend und strukturgebend bezeichnet werden können. Als Maxime zur Zuordnung von Funktionen an einzelne Kompetenzträger knüpft der Subsidiaritätsgedanke an einen Bestand differenzierter Aufgaben und die Existenz verschiedener sozialer Handlungseinheiten in einer Gemeinschaft an. Seine konkrete Anwendung setzt zudem voraus, daß es hinsichtlich einer bestimmten Gemeinschaftsaufgabe zumindest zwei Handlungseinheiten gibt, die zur Erfüllung der fraglichen Funktion in der Lage sind, sich also in einem Konkurrenzverhältnis zueinander befinden, und außerdem in eine hierarchische Stufenordnung eingebunden sind, deren Ausgangspunkt und "unterste" Ebene der einzelne Mensch ist. Dies zeigt, daß der Subsidiaritätsgrundsatz nur mit Gesellschaftssystemen und -konzeptionen kompatibel ist, die sich auf die Personalität und Individualität des Menschen gründen. Ferner ist das Ordnungs- und Organisationsprinzip "Subsidiarität" inhaltlich ungebunden, weshalb es mit dem Effektivitätsgebot als materiale Komponente angereichert werden muß, um zu inhaltlich konkreten Ergebnissen zu gelangen. Seinen sprachlichen Niederschlag findet dies unter anderem in der Formulierung "besser" in Art. 5 Abs. 2 EGV. Grundsätzlich sind zwei mögliche Wirkungsweisen des Subsidiaritätsprinzips zu unterscheiden. Zum einen kann es auf der Ebene der Zuweisung von Kompetenzen herangezogen werden, es wirkt dann "strukturbildend" oder als "Strukturprinzip". Zum anderen kann es als Maßstab bei der Kornpelenzausübung verwandt werden, seine Wirkungsweise ist dann steuernder Art, es wirkt als "Steuerungsprinzip".

84

l. Kap.: Zur metajuristischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips

Bei seiner Verwendung als Strukturprinzip erweist sich der Grundsatz der Subsidiarität überdies als dynamisch. Das bedeutet, er dringt auf eine Neubildung der geschaffenen Relation von Aufgabe und Aufgabenträger, wenn die Voraussetzungen dieser Zuordnung nicht mehr bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Leistungsfähigkeit des Funktionsträgers und/ oder der Umfang und die Größe der zu erfüllenden Aufgabe in der Weise ändern, daß die bisherige Relation als inadäquat angesehen werden muß. Von entscheidender Bedeutung für die Möglichkeiten der rechtstechnischen Umsetzung des Subsidiaritätsgrundsatzes ist die in der Literatur bisher kaum beachtete Abhängigkeit dieses Prinzips von gemeinschaftlichen Ziel- und Zwecksetzungen. Dabei besteht diese Dependenz ausschließlich gegenüber der Maßstabs- und Orientierungsfunktion von Zwecksetzungen, nicht hingegen gegenüber den Inhalten der Gemeinschaftsteloi. Erklären läßt sich die Telosgebundenheit des Subsidiaritätsprinzips sowohl mit dem final-teleologischen Handlungsbegriff als auch mit der funktionalen Systemtheorie. Als weiteres Charakteristikum haftet dem Subsidiaritätsgrundsatz ein Anspruch auf universelle Geltung und normative Beachtung an.

Zweites Kapitel

Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des Grundgesetzes A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion I. Methodologische Vorüberlegung Dem Grundsatz der Subsidiarität ist in der deutschen staatswissenschaftliehen und verfassungsrechtlichen Diskussion seit den fünfziger und sechziger Jahren immer wieder besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden, obwohl das Prinzip selbst im Grundgesetz bis zum Ende des Jahres 1992 überhaupt nicht erwähnt wurde und nunmehr ausschließlich in Art. 23 Abs. 1 GG als "Strukturprinzip" 1 der Europäischen Union Eingang in die Verfassung gefunden hat2 . Die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung konzentriert sich dabei im wesentlichen auf die Frage, ob dieses Prinzip als überpositiver, ungeschriebener Grundsatz oder Grundwert3 der Rechtsordnung des Grundgesetzes anzusehen ist oder nicht4 . Im folgenden sollen die Hauptargumente, die als 1 Als solches bezeichnen 0. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, Art. 23, Rz. 17ff. und R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 16ff., das Subsidiaritätsprinzip im Hinblick auf seine verfassungsrechtliche Funktion, die in Art. 23 Abs. 1 GG genannte Integrationsverpflichtung zu präzisieren. 2 Anmerkung: Der Verfasser geht auch nach der Einfügung des Art. 23 GG durch das Gesetz vom 21. Dezember 1992, BGBI. I S. 2086, davon aus, daß das Subsidiaritätsprinzip für die innerstaatliche Rechtsordnung keinen positivrechtlichen Niederschlag im Grundgesetz gefunden hat. Denn die Vorschrift des Art. 23 Abs. 1 GG stellt eine Spezialnorm dar, die sich ausschließlich auf die Regelung der Beziehungen der Bundesrepublik zur Europäischen Union beschränkt und daher keinerlei Rückschlüsse auf die Frage erlaubt, ob und ggf. wie der Grundsatz der Subsidiarität Eingang in die grundgesetzliche Ordnung gefunden hat, so daß sich diesbezüglich an der bestehenden Verfassungslage durch die Aufnahme des Art. 23 GG n. F. nichts geändert hat. Soweit ersichtlich, wird im Schrifttum die gegenteilige Ansicht auch nicht vertreten. 3 Als solches versteht wohl H. H. von Amim, Staatslehre, S. 203, das Subsidiaritätsprinzip. 4 Vgl. die ausdrückliche Leitfrage der Arbeit von R. Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 2: "Es soll geklärt werden, welche rechtliche Struktur das Subsidiaritätsprinzip hat und in welcher Form es im Grundgesetz verankert ist". Anders

86

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Beleg für die These, der Subsidiaritätsgrundsatz gelte als verfassungsrechtliches Prinzip und finde im Grundgesetz positiv-rechtlichen Ausdruck vor dem Hintergrund der hier zugrunde gelegten funktionalen Betrachtungsweise und des Verständnisses des Subsidiaritätsprinzips als einer formalen Relationsgröße kritisch gewürdigt werden. Darüber hinaus gilt es, auf der Grundlage der herausgearbeiteten Voraussetzungen und Merkmale, die Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen, diesen sozialphilosophischen Organisations- und Kompetenzzuordnungsgrundsatz in der Rechtsordnung des Grundgesetzes umzusetzen und zur Geltung zu bringen. Dabei steht die Behauptung, daß die Staatsorganisationsform des Föderalismus im allgemeinen sowie das bundesstaatliche Gefüge und seine Entwicklung in Deutschland im besonderen einen spezifischen Bezug zu dem Subsidiaritätsprinzip aufweisen, im Mittelpunkt der Betrachtung.

D. Hauptthesen Die Analyse mußte auf den Bereich des geltenden Verfassungsrechts beschränkt werden, um nicht den Rahmen der Untersuchung zu sprengen und den Bezug zur europarechtlichen Ebene zu verlieren. Das bedeutet, daß zum einen jene Beiträge außer Betracht bleiben, die dem Subsidiaritätsprinzip eine wie immer bezeichnete rein metajuristische5 oder ausschließlich ideologische6 Bedeutung zumessen und zum anderen auch die zahlreichen Arbeiten, die der Funktion dieses Grundsatzes auf bestimmten Gebieten des einfachen Gesetzesrechts nachgehen7, nur ganz punktuell in die Würdigung einbezogen werden können. dagegen die Ausgangsfrage der Arbeit von J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 12f., der das Subsidiaritätsprinzip daraufhin untersucht, ob es sich als taugliches Abgrenzungskriterium der Aufgabenbereiche von Staat und Gesellschaft eignet. Zur neueren verfassungsrechtlichen Diskussion um das Subsidiaritätsprinzip vgl. M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (12); D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (83ff.). 5 So etwa H. Stad/er, Subsidiaritätsprinzip und Föderalismus, S. 12 et passim, ,,Aufs Ganze gesehen bringt die föderalistische Gedankenwelt eine wertvolle Bereicherung für die Subsidiaritätslehre. [.. .] Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet seinerseits eine Bereicherung der föderalistischen Idee" (S. 168). (Hervorhebung im Original). 6 Vgl. etwa K. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 403, der das Subsidiaritätsprinzip - ohne es ausdrücklich zu nennen - als eine der geistigen Grundlagen des Korporatismus ansieht und zu der Bewertung gelangt: "Das Prestige der korporativen Ideologie gewann jedoch ihr Hauptgewicht durch die katholische Kirche". (Hervorhebung durch den Verf.). 7 So erhebt G. Dürig, JZ 1955, S. 525 FN 16, das Subsidiaritätsprinzip zu einem "verfassungsrechtlichen Leitprinzip" des öffentlich-rechtlichen Entschädigungssy-

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

87

Doch auch das Spektrum der verfassungsrechtsrelevanten Aussagen zum Subsidiaritätsprinzip reicht von der unbegründeten Behauptung eines entsprechenden Verfassungsgrundsatzes bis zur kategorischen Vemeinung jeder positiv-rechtlichen Umsetzung dieses Prinzips im Grundgesetz. Dies kann jedoch angesichts der unterschiedlichen Provenienz des Subsidiaritätsgrundsatzes und seiner formalen Struktur nicht verwundern. Der Umstand, daß das Grundgesetz selbst trotz der jüngsten Änderungen kein ausdrückliches Bekenntnis zu einem innerstaatlich geltenden Subsidiaritätsprinzip enthält, gibt zusätzlichen Raum für Spekulationen. Insgesamt läßt sich die Fülle der verschiedenen Auffassungen und Argumentationen bei aller Problematik, die mit jeder Kategorienbildung verbunden ist, wie folgt einteilen8 : 1. Die Annahme des Subsidiaritätsgrundsatzes als allgemeiner Verfassungsgrundsatz

a) Thesen Neben der lediglich apodiktischen Behauptung eines solchen Verfassungsprinzips9 finden sich vor allem im älteren Schrifttum zum Teil wenig überzeugende Begründungen für diese These. So stellt Maunz das Subsidiaritätsprinzip als Merkmal "der bestehenden Staatsform" in eine Linie mit den Instituten "Republik, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit, Bundesstaatlichkeit, Parlamentarismus und Repräsentation" und gelangt schließlich zu dem Ergebnis, es liege "der Subsidiaritätsgedanke dem stems. H. Maurer, FamRZ 1961, 248f. (249), deutet das zivilrechtliche Institut der Vormundschaft als Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips. 8 Ähnlich die Systematisierung von 0. Kimminich, in: Politische Studien, 1987, S. 587ff. (588); ders., in: ders., (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, S. 30ff. (32). 9 So formuliert P. Schmidle, Caritas 1962, S. 9ff. (9, 14): "Das Subsidiaritätsprinzip ist dem Staatswesen der BRD immanent ...". Ebenso M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (12): "Deutschland ist im Grunde selbst ein gutes Beispiel dafür, wie das Subsidiaritätsprinzip verkommen kann, von dem das Grundgesetz ausgegangen ist, ohne es zu erwähnen", und K. Pathe, DVBI. 1951, S. 681 ff. (682): ,,Das Grundgesetz wird offensichtlich bestimmt von dem der katholischen Soziallehre entlehnten Subsidiaritätsprinzip, ..."; H. Muthesius/D. Giese, JuS 1962, S. 455 (458): "Sicher ist es vertretbar, aus dem Grundgesetz einen Grundsatz der Subsidiarität des Inhalts zu entnehmen, ...". In die Kategorie unbegründeter Thesen fallen ferner jene Äußerungen, die unter dem pauschalen Hinweis auf eine Reihe von Grundgesetzbestimmungen ohne weiteres den Schluß ziehen, hierin komme das Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck. So T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 67: "Im Grundgesetz ist sie [(die Idee der Subsidiarität) d. Verf.] nicht ausdrücklich formuliert, findet aber insbesondere in den Art. 2 Abs. 1, 6, 9, 28 Abs. 2, 30, 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 und 83 einen Ausdruck".

88

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Staatsautbau und der Staatsform der Bundesrepublik mittelbar" zugrunde 10 . Ähnlich argumentiert Kimminich, der aus der Erkenntnis, daß es "in der Demokratie keine Verantwortung ohne Macht und keine Macht ohne Verantwortung" gebe, die These ableitet, daß sich "an dieser Stelle, Demokratie, Subsidiarität, Volkssouveränität und Rechtsstaatsprinzip" treffen 11 • Einen noch umfassenderen Ansatz wählt G. Küchenhoff, der den Subsidiaritätsbegriff dem der Souveränität gegenüberstellt 12 und schließlich insgesamt "den Verfassungsautbau aus dem Subsidiaritätsprinzip", das er ausdrücklich als "Rechtsprinzip" bezeichnet 13 , zu erklären versucht, wobei er neben der Grundrechts- und Eigentumsordnung 14 und der Selbstverwaltung auch die "Gebietskörperschaften" und die Leistungsgemeinschaften" 15 als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Subsidiaritätsgedankens deutet. b) Kritik

Die Ausführungen Küchenhaffs und Kimminichs werfen zunächst die Frage nach dem zugrunde gelegten Subsidiaritätsverständnis auf. Denn welchen Inhalt soll ein Grundsatz haben, aus dem sich so verschiedene Institute und "Unterprinzipien", wie sie von beiden Autoren genannt werden, ableiten lassen? Ein Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip als Maßstab zur Zuweisung von Aufgaben an bestimmte Kompetenzträger, der zentralen Aussage dieses Grundsatzes, ist bei diesen "Deduktionen" jedenfalls nicht mehr erkennbar. Maunz weicht mit der Formulierung, "der Subsidiaritätsgedanke" liege "dem Staatsautbau und der Staatsform der Bundesrepublik mittelbar zugrunde", letztlich der entscheidenden Frage nach der Umsetzung des Prinzips im geltenden Verfassungsrecht aus. Dies wird bei der Einordnung des Subsidiaritätsgrundsatzes in die von ihm als "Merkmale der bestehenden Staatsform" bezeichneten Verfassungsprinzipien besonders deutlich. Denn die Merkmale der Republik, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, 10 T. Maunz, Deutsches Staatsrecht (22. Aufl.), S. 62f.; demgegenüber gelangt T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 28 I, Rz. 6, zu einer wesentlich zurückhaltenderen Einschätzung dieses Prinzips, wenn er Zweifel äußert, ob das Subsidiaritätsprinzip "auf die Beziehungen zwischen einem Gesamtstaat und seinen Gliedstaaten erstreckt werden kann". 11 0. Kimminich, in: Politische Studien, 1987, S. 587ff. (591). 12 G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, s. 67 ff. (69). 13 G. Küchenhoff, ibd., S. 90. 14 Vgl. dazu oben 1. Kapitel C. Ill. 2. 15 G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, s. 67 ff. (97).

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

89

der Sozialstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit, des Parlamentarismus und der Repräsentation finden eine entsprechende Erwähnung und Ausgestaltung im Grundgesetz, das Subsidiaritätsprinzip dagegen nicht 16. 2. Ableitungen eines Verfassungsgrundsatzes der Subsidiarität aus konkreten Einzelbestimmungen des Grundgesetzes

Der Rückgriff auf einzelne Grundgesetzbestimmungen ist das am häufigsten verwandte Argumentationsmuster zum Beleg der These vom Subsidiaritätsprinzip als eines Grundsatzes des geltenden deutschen Verfassungsrechts. Von geringfügigen Variationen bei einzelnen Autoren abgesehen, sind es vor allem die Grundrechte 17 der Art. l, 2, 6 und 9, das in Art. 28 Abs. 2 GG genannte Institut der kommunalen Selbstverwaltung, die in den Art. 30, 72 ff. und 83 ff. GG festgelegte bundesstaatliche Ordnung 18 sowie 16 Auf die Spezialität der ausschließlich auf den europäischen Integrationsprozeß gerichteten Vorschrift des Art. 23 GG wurde bereits hingewiesen. 17 Auf die Grundrechte als entscheidendem Indiz für die Geltung des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Verfassungsrecht verweisen unter besonderer Bezugnahme auf das in Art. 1 GG zum Ausdruck kommende Menschenbild H. Kalkbrenner, FS für Günther Küchenhoff, 2. Halbband, S. 515ff. (529); ebenfalls auf das Menschenbild des Grundgesetzes abstellend, kommt /. von Münch, Staatliche Wirtschaftshilfe und Subsidiaritätsprinzip, JZ 1960, S. 303ff. (305), zu dem Schluß: "Aus dieser Sicht des Menschen als für sich selbst frei verantwortlich kann unmittelbar die Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips gefolgert werden". Ähnlich die Ausführungen bei A. Wallenstätter, Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten, S. 84ff. und S. 115; P. Motsch, Die rechtliche Stellung der Handwerkskammer gegenüber Staat und Gesellschaft, S. 35, der unter Einbeziehung des Freiheitsgedankens das Subsidiaritätsprinzip in der Formel: "Soviel Freiheit wie möglich, so wenig Staat wie nötig" realisiert sieht; in diesem Sinne auch A.-F. Utz, in: ders. (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 1ff. (8); G. Dahm, Deutsches Recht, S. 161; A. Kaufmann, FS für Heinrich Henkel, S. 89ff. (90), mit speziellem Verweis auf Art. 2 GG; J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 291, C. Mayer-Tasch, Korporativismus und Autoritarismus, S. 72; im Sinne einer soziologischen Stufenfolge werden die Art. I, 6, 9 von G. Dürig, JZ 1953, S. 193 ff. (193 ff.), als Beleg für eine grundgesetzliche Subsidiaritätsordnung angeführt; J. /sensee, HStR IV, § 98, Rz. 242, erblickt im Subsidiaritätsprinzip "den staatsethischen Bogen von der Staatsorganisation zur Individualfreiheit". 18 Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und der föderalistische Staatsaufbau mit der nominellen Prärogative der Länder bei Rechtsetzung und Verwaltung, wie sie in den Art. 28 Abs. 2; 30; 70 Abs. I; 72 Abs. 2 und 83 GG zum Ausdruck kommen, sind neben den Grundrechten die zweite Gruppe von Grundgesetzbestimmungen, aus denen die Geltung des Subsidiaritätsprinzips als Verfassungsgrundsatz hergeleitet wird. Dabei können die auf Art. 72 Abs. 2 GG a. F. ("Bedürfnisklausel") bezogenen Aussagen in ihrer grundsätzlichen Tendenz auch für die neue Fassung dieser Bestimmung Geltung beanspruchen. So sieht J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 36 und 236ff., den Subsidiaritäts-

90

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

vereinzelt Vorschriften der Finanzverfassung (Art. l04aff. GG) 19, aus denen im Wege der Induktion der Rückschluß auf einen Verfassungsgrundsatz der Subsidiarität gezogen wird 20• Nicht alle Autoren, die in einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes einen Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens sehen, folgern hieraus allerdings im Wege eines Pars-pro-toto-Schlusses zugleich auch einen allgemeinen Verfassungsgrundsatz dieses Inhalts 21 . 3. Allgemeine Verfassungs- und Rechtsgrundsätze als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips

Neben dem Rückgriff auf konkrete Einzelbestimmungen des Grundgesetzes findet sich bei einigen Autoren die Bezugnahme auf Verfassungs- und Rechtsgrundsätze, in denen das Prinzip der Subsidiarität einen spezifischen

gedanken als eine Legitimationsgrundlage des Föderalismus an; ausdrücklich, ders., AöR 115 (1990), S. 248ff. (260); L Kühnhardt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 45/91, S. 37ff. (45); ebenso A. Süsterhenn, in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltenteilung, S. 130ff. (131 f.); ders., in: ders. (Hrsg.), Föderalistische Ordnung, S. 27ff. (39); ähnlich P. M. Schmidhuber/G. Hitzler, NVwZ 1992, S. 720ff. (721), die ganz selbstverständlich davon ausgehen, daß das Subsidiaritätsprinzip "ein wesentlicher Bestandteil jeder föderalen Verfassung" sei; P. Pemthaler, Der differenzierte Bundesstaat, S. 19, ist der Ansicht, daß das Subsidiaritätsprinzip ungeachtet seiner Aufnahme in das positive Recht, ,jeder föderalistischen und konföderalistischen Ordnung" als "fundamentales Organisationsprinzip" zugrunde liege. Grundlegend zum Zusammenhang von Subsidiaritätsprinzip und Föderalismus E. Deuerlein, Föderalismus, S. 326, der nach einer Analyse des Diskussionsstandes zu dem Ergebnis gelangt, daß sich nur auf der Grundlage des Naturrechts der Föderalismus als "Konsequenz des Subsidiaritätsprinzips" darstelle; demgegenüber betrachtet H. W. Karte, VerwArch. 1970, S. 3ff. (21), das Subsidiaritätsprinzip als Legitimationsgrundlage sowohl für die kommunale Selbstverwaltung als auch für den Föderalismus. G. Küchenhoff/E. Küchenhoff Allgemeine Staatslehre, S. 38, differenzieren mit Blick auf die Unitarisierung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen dem Subsidiaritätsprinzip als bundesstaatlicher ,,Zuständigkeitsverteilung zwischen engeren und umfassenderen Gemeinschaften und deren Organisationen" sowie der "Rangordnung der von den verschiedenen Staatsgewalten gesetzten Rechtsvorschriften", für welche das Subsidiaritätsprinzip "nicht notwendig" gelte. 19 Aus den sich aus den Art. 106 und 107 GG der Finanzverfassung ergebenden Ausgleichspflichten folgert G. Küchenhoff, Naturrecht und Liebesrecht, S. 32ff., einen "materiellen Gehalt" des Subsidiaritätsprinzips. 20 T. Würtenberger, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 623 ff., sieht ausdrücklich Grundrechte, kommunale Selbstverwaltung und föderalen Staatsaufbau als Ausprägungen grundgesetzlicher Subsidiarität an. 21 So sieht W. Thieme, Subsidiarität und Zwangsmitgliedschaft, S. 19ff., unter Bezugnahme auf das Bund-Länder-Verhältnis sowie auf Art. 6 und 28 Abs. 2 GG das Prinzip der Subsidiarität nur in diesen EinzelfeilJen verfassungsrechtlich umgesetzt. Im übrigen verneint er ein durchgängiges Verfassungsprinzip der Subsidiarität.

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

91

Niederschlag22 gefunden haben soll. So sieht Merten im "Verhältnismäßigkeitsgrundsatz" eine "besondere Ausprägung" des Subsidiaritätsprinzips und stellt konsequent die Verbindung zu der dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrunde liegenden "Leitidee" des "grundgesetzlichen Regel-AusnahmePrinzips von Freiheit und Beschränkung" her23 . Demgegenüber geht Motsch davon aus, daß das Subsidiaritätsprinzip ein "Bestandteil" des Rechtsstaatsprinzips ist und als solcher ein "echtes Gegenstück und notwendige Ergänzung zum Übermaßverbot" darstellt. Auch Zuck sieht den Subsidiaritätsgrundsatz als "eine im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes mitenthaltene Grundentscheidung des Grundgesetzes für die Person in der Gemeinschaft", wobei er dem Subsidiaritätsprinzip darüber hinaus die Funktion einer Auslegungsregel für die Grundrechte, einer Kollisionsregel bei Grundrechtskollisionen und einer Ermächtigungsnorm für den einfachen Gesetzgeber zumißt Mit der zuletzt genannten Bedeutung meint Zuck offensichtlich die Funktion einer Kompetenzausübungsregel, wenn er formuliert: "Der einfache Gesetzgeber ist aufgerufen und ermächtigt, seine ihm auferlegten Aufgaben nach Maßgabe des Subsidiaritätssatzes zu erledigen"24. Ebenso findet sich noch die These, das Subsidiaritätsprinzip leite "das gesetzgebensehe Ermessen und das gesetzesabhängige Verwaltungsermessen"25. Gemeinsam ist den genannten Ansichten, daß sie letztlich alle dem Subsidiaritätsprinzip eine freiheitssichemde Funktion zumessen und es damit im Ergebnis weltanschaulich aufladen. Auf diese Weise läßt sich der Grundsatz dann für die verschiedenen Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat und die sie prägenden Grundsätze fruchtbar machen. In eine andere Richtung geht die These, die die "demokratische Staatsform" als "Anwendung des Subsidiaritätsprinzips" zu deuten versucht, so daß "das demokratische Prinzip also ein Folgeprinzip des Subsidiaritätsprinzips" ist26. 22 R. Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 61, spricht insoweit von einer verfassungsrechtlichen "Teilanerkennung des Subsidiaritätsprinzips", die er jedoch als Beleg für die These vom Subsidiaritätsprinzip als einem Verfassungsgrundsatz nicht gelten lassen will und daher die "Teilanerkennung" der "Vemeinung" eines Verfassungsgrundsatzes der Subsidiarität gleichstellt. 23 D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (90). 24 P. Motsch, Die rechtliche Stellung der Handwerkskammer gegenüber Staat und Gesellschaft, S. 35 f.; R. Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 133. 25 P. Motsch, ibd., S. 36. 26 V. Zsijkovits, in: SozL, Sp. 2999; ähnlich T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 67f., die die Ansicht vertreten: "Mit dem Gedanken der demokratischen Dezentralisierung begegnet sich das Subsidiaritätsprinzip", wobei das Prinzip der Selbstverwaltung in organisatorischer Hinsicht als ,,Dezentralisation" und unter einem legitimatorischen Gesichtspunkt als "gegliederte Demokratie" begriffen wird. Ähnlich W. Kerber, in: Otto Kimminich (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, s. 75 ff. (84 ff.).

92

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

4. Die Ablehnung einer verfassungsrechtlichen Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips

Herzog mißt dem Subsidiaritätsprinzip die Funktion eines "Leitmotivs einer stabilen, an den Erfordernissen der Wirklichkeit orientierten Sozialordnung" zu, sieht in dem Grundsatz aber kein Prinzip von Verfassungsrang27. Ähnlich argumentiert Rendtorff, wenn er das Subsidiaritätsprinzip "nur als Kategorie sozialen Handeins klar umrissen" sieht, aus welchem "nicht der Aufbau von Gesellschaft normativ entwickelt" werden könne 28 . Auch Thieme kommt im Rahmen einer gutachtlichen Betrachtung zu dem Ergebnis: "Zunächst einmal ist das Subsidiaritätsprinzip ein philosophisches Prinzip, nicht dagegen ein juristisches"29 . Ähnlich muß die Aussage Steiners verstanden werden, der mit Blick auf die staatlich betriebene Kulturpflege die Ansicht vertritt: "Subsidiarität als Leitprinzip kultureller Staatsverantwortung ist politisch selbstgewählte Staatsbeschränkung, nicht Verfassungsgebot"30. Neben einer allgemeinen Ablehnung des Subsidiaritätsgrundsatzes als Verfassungsprinzip finden sich auch Arbeiten, die sich mit einzelnen "Beweisführungen" und Argumentationsmustern, die als Begründungen für die behauptete Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes als eines Bestandteils des geltenden deutschen Verfassungsrechts, auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang greift Lerche sowohl die These einer Beziehung von Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip scharf an31 , wie er auch jede Verbindung der bundesstaatliehen Struktur und Kompetenzverteilung mit dem Subsidiaritätsgedanken bestreitet. Nach Lerche kann Art. 30 GG schon deshalb nicht als Beleg für diese Behauptungen herangezogen werden, weil 27 R. Herzog, in: Der Staat 1963, S. 399ff. (423): "Denn daß das GG einen Vorrang des Menschen vor dem Staat anerkennt, ist schlechterdings nicht zu bestreiten. [.. .] Nur muß davor gewarnt werden, aus dieser Tatsache ein Prinzip herzuleiten, das für Theorie und Praxis so wenig leistet wie das Subsidiaritätsprinzip in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung". 28 T. Rendtorff, in: Der Staat 1962, S. 405 ff. (428). 29 W. Thieme, Subsidiarität und Zwangsmitgliedschaft, S. 20f., der insbesondere Zweifel an der These äußert, daß das Subsidiaritätsprinzip in der kommunalen Selbstverwaltung und der bundesstaatliehen Ordnung Ausdruck finde. E. R. Huber, DÖV 1956, S. 200ff. (205), hält das Subsidiaritätsprinzip mit Blick auf eine ihm zugedachte Begrenzungswirkung staatlichen Handeins im Wirtschaftsleben für "zu eng". 30 U. Steiner, Kulturpflege, HStR III, § 86, Rz. 11. 31 P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 200f.: "Das Fehlen klarer Einsicht [... ] bildet gleichzeitig den Ausgangsirrtum jener Auffassungen, die - meist unausgesprochen - das Erforderlichkeilsprinzip in eine begriffliche Verbindung zu staatspolitischen Vorstellungen mit Vorschalttendenzen pressen; wie etwa dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip und anderen politischen Bekenntnissen". (Hervorhebung im Original).

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

93

die Norm mangels hinreichender Bestimmtheit von Bundes- und Länderzuständigkeiten im strengen Sinne gar keine Kompetenznorm sei. So werde Art. 30 GG im Regelfall durch Spezialzuweisungen verdrängt; wo dies jedoch nicht der Fall sei, versage "sein Verständnis in den bestrittenen und problematischen Randgebieten'm.

111. Kritische Würdigung der staatsrechtlichen Diskussion Ebenso wie es nicht möglich war in dem knappen Überblick über den Diskussionsstand jeden Beitrag, der sich mit Fragen der Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Verfassungsrecht befaßt, zu berücksichtigen, muß auch die nachfolgende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Auffassungen und Argumentationsmustern auf eine Betrachtung der zentralen Thesen des weitreichenden Meinungsspektrums beschränkt bleiben. Daß eine solche Eingrenzung dem Vorwurf der Subjektivität ausgesetzt ist, liegt in der Natur der Sache. 1. Die Ableitung des Subsidiaritätsprinzips aus dem Menschenbild des Grundgesetzes33

Bei dem Versuch, aus dem grundgesetzliehen Menschenbild den Rückschluß auf die verfassungsrechtliche Geltung des Subsidiaritätsprinzips zu ziehen, werden die Prämissen verkannt, die diesem Schluß zugrunde liegen. Dabei hat die logische Struktur dieser Argumentationsfigur folgende Voraussetzungen: (a) Dem Grundgesetz liegt ein Menschenbild zugrunde, (b) das Subsidiaritätsprinzip verkörpert das gleiche Menschenbild wie das Grundgesetz, (c) es kann nachgewiesen werden, daß das grundgesetzliche Menschenbild tatsächlich auf das des Subsidiaritätsprinzips zurückzuführen ist und nicht lediglich eine zuHillige Parallelität besteht. Selbst wenn man auf die zuletzt genannte Voraussetzung verzichtet und eine schlichte Entsprechung "beider Menschenbilder" als Nachweis eines verfassungsrechtlich verankerten Subsidiaritätsprinzips genügen ließe, gelingt die Beweisführung nicht. Daß dem Grundgesetz ein bestimmtes Menschenbild zu entnehmen ist, kann mit der von Lerche gemachten Einschränkung34 als gesicherte P. Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 66ff. (77 FN 37 und 39). Zu diesem Ansatz insbesondere/. von Münch, JZ 1960, S. 304f. (304). 34 P. Lerche, HStR V, § 122, Rz. 7, weist darauf hin, daß die "Vorstellung eines [... ] Menschenbildes des Grundgesetzes" sich ausschließlich aus der Verfassung 32

33

94

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Erkenntnis betrachtet werden 35 • Seinen positiv-rechtlichen Ausdruck wie auch seinen inhaltlichen und ideellen Anknüpfungspunkt findet dieses Menschenbild dabei zunächst in dem Begriff der "Menschenwürde" des Art. 1 Abs. 1 GG. Ungeachtet der unterschiedlichen Konkretisierungen, die die Menschenwürde als "Kernbereich" einzelner Grundrechte und verfassungsrechtlicher Grundsätze erfahrt36, kann festgestellt werden, daß der dem Menschen als freies, selbständiges und vernunftbegabtes Individuum zukommende Eigenwert im Vordergrund des grundgesetzliehen Menschenbildes steht. Dies hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in der Formulierung: "Der Mensch als Person ist ein Wesen höchster geistig-sittlicher Werte und verkörpert einen sittlichen Eigenwert, der unverlierbar und auch jedem Anspruch der Gemeinschaft, insbesondere allen rechtlichen und politischen Zugriffen des Staates und der Gesellschaft gegenüber eigenständig und unantastbar ist"37 , deutlich zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus hat vor allem das Bundesverfassungsgericht stets die dem Menschenbild des Grundgesetzes immanente Ambivalenz von individueller Freiheit und Gemeinschaftsgebundenheit der menschlichen Person betone8 und damit zugleich die Menschenwürde als den "obersten Wert des Grundgesetzes" 39 herausgearbeitet40. Läßt man die verschiedenen geistesgeschichtlichen Einflüsse, die das Menschenbild des Grundgesetzes und das auf ihm ruhende System der Grundrechte geprägt haben41 einmal außer Betracht, so zeigt sich, daß es von der Vorstellung des eigenständigen und eigenverantwortlich handelnden Menschen ausgeht, dem ein Eigenwert zukommt42 und der im Verhältnis selbst ergeben müsse, der Begriff dürfe nicht dazu verwandt werden, die Grundrechtssystematik des Grundgesetzes ideologisch aufzuladen. 35 Vgl. statt aller nur T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 163 ff.; K. Hesse, Grundzüge, Rz. 116. 36 Vgl. dazu T. Maunz!R. Zippelius, ibd., S. 166f. 37 BayVerfGH NF 1, 29 [32]. 38 So in BVerfGE 12, 51; 28, 189; 30, 20; 33, lOf. 39 Vorn "obersten Wert des Grundgesetzes" spricht das Bundesverfassungsgericht unter anderem in BVerfGE 30, 193; 34, 135; 34, 281; 39, 41. 40 BVerfGE 4, 7 [16]; 12, 45 [51]; 18, ll2 [117]; 21, 362 [372]; 41, 29 [SO]; 65, I [44].

41 Vgl. dazu den Überblick bei K. Stern, HStR V, § 108, Rz. I ff. (Rz. 9ff.); R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 30 et passim. 42 So hat das Gericht in BVerfGE 45, 187 [228], ausdrücklich festgestellt, daß der Satz "der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben" für alle Rechtsgebiete uneingeschränkt gelte, denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person bestehe gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibe. Darin liegt zugleich ein elementarer Gegensatz zum Menschenbild der katholischen Kirche, die den Menschen als Geschöpf Gottes einem göttlichen, übergeordneten Ziel und Zweck verpflichtet sieht.

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

95

zum Staat Selbstzweck ist. Insoweit steht das Grundgesetz jedoch dem Kautsehen Persönlichkeitsideal der Aufklärung43 näher als der in der katholischen Soziallehre herrschenden Auffassung von einer göttlichen Determination der menschlichen Existenz und einer teleologischen Gebundenheit menschlichen Handelns44 • Dem steht auch nicht entgegen, daß das Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung angelegt sieht und den Menschen als Bestandteil der Schöpfungsordnung bezeichnet45 und damit das Grundgesetz in die vom Christentum mitgeprägte deutsche Kulturtradition46 stellt. Auch von jenen Autoren, die von dem kirchlichen Subsidiaritätsverständnis ausgehen, wird zumeist die Funktion dieses Grundsatzes als formale Zuständigkeits-47 oder Korrelatmaxime48 ausdrücklich betont49 . Als solche ist er jedoch rein formal im Sinne inhaltlicher Ungebundenheit50• Daraus folgt, daß ihm per se kein bestimmtes "Menschenbild" zugrunde liegen kann51• Diese Überlegung wird durch die Tatsache bestätigt, daß der Subsidiaritätsgedanke sowohl mit dem Menschenbild des Liberalismus als auch mit dem der katholischen Soziallehre vereinbar ist.

Vgl. dazu oben 1. Kapitel A. Il. 2. Vgl. dazu J. J. M. van der Ven, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 45 ff. (52). Zum Ganzen siehe oben 1. Kapitel C. III. 2. 45 So führt das Gericht in BVerfGE 39, l [67], aus: "Gegenüber der Allmacht des totalitären Staates, der schrankenlose Herrschaft über alle Bereiche des sozialen Lebens für sich beanspruchte und dem bei der Verfolgung seiner Staatsziele die Rücksicht auch auf das Leben des einzelnen grundsätzlich nichts bedeutete, hat das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet, die den einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt aller seiner Regelungen stellt. Dem liegt, [. .. ], die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt, der die unbedingte Achtung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen [... ] unabdingbar fordert". 46 So auch 0. Kimminich, in: ders. (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, s. 30ff. (41). 47 So ausdrücklich 0. von Nell-Breuning, in: StL, Bd. 7, (6. Auf!. 1962), Stichwort: Subsidiarität, Sp. 832; ebenso R. Herzog, in: Der Staat 1963, S. 399ff. (405). 48 So die Bezeichnung bei P. Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, in: Alois Riklin/Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, S. 267ff. (300). 49 Vgl. etwa die Analyse der "Aussagen des Subsidiaritätsprinzips" bei P. Motsch, Die rechtliche Stellung der Handwerkskammer gegenüber Staat und Gesellschaft, S. 18 ff., unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Enzyklika "Quadragesimo anno". 50 V gl. dazu oben I . Kapitel C. li. 51 A. A. Th. Würtenberger, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1993, S. 621 ff. (621), der davon ausgeht, daß dem Subsidiaritätsprinzip das Menschenbild der Aufklärung und des Liberalismus zugrunde liege. 43 44

96

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Auch aus der Ausrichtung des Prinzips der Subsidiarität auf den Menschen als kleinster denkbarer Handlungseinheit läßt sich kein Bekenntnis dieses Grundsatzes zu einer anthropologischen oder sonstigen weltanschaulichen Lehre ableiten. Denn als Zuständigkeits- oder Steuerungsmaxime von Funktionen fragt das Subsidiaritätsprinzip nicht nach dem Wesen und der Würde des Menschen an sich, sondern stellt ausschließlich auf seine Fähigkeit ab, eine festgelegte Aufgabe erfüllen zu können, und greift damit lediglich einen spezifischen und zudem funktionsorientierten Aspekt menschlicher Existenz auf. Darüber hinaus erlangt der Mensch für das Subsidiaritätsprinzip nur noch als Maßstab Bedeutung, wenn eine zuzuweisende Funktion derjenigen Handlungseinheit übertragen werden soll, die bei gleicher Eignung wie andere Gemeinschaften dem einzelnen "näher" steht. Bei einer funktionalen Betrachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes gelangt man selbst dann nicht zu einem diesem Prinzip eigenen Menschenbild, wenn man die Formulierung in der Sozialenzyklika52 zugrunde legt. So zeigt eine genaue Analyse dann auch, daß die These von einem dem Subsidiaritätsprinzip immanenten Menschenbild auf einer mangelnden Differenzierung des Grundsatzes der Subsidiarität einerseits und der kirchlichen Dogmatik andererseits beruht. Denn erst in Verbindung mit den schöpfungstheologischen Aussagen der katholischen Soziallehre erhält der formale Grundsatz eine weltanschauliche Aufladung, die sich zu einem materiellen Menschenbild verdichten läßt. Dabei darf jedoch nicht verkannt werden, daß es sich hierbei in Wirklichkeit um die Einbindung eines sozialphilosophischen Grundsatzes in die kirchliche Lehrmeinung handelt, dem dann in dieser spezifischen Verbindung ein bestimmtes Menschenbild entnommen wird, welches dem Grundsatz an sich nicht eignet. Das von einigen Autoren behauptete Bild des Menschen, das sich im Subsidiaritätsgedanken ausdrücke53 , ist in Wirklichkeit das einer bestimmten Sozialphilosophie, in die der Subsidiaritätsgedanke implementiert wurde. 2. Der Induktionsschluß von einzelnen Grundrechten auf einen Verfassungsgrundsatz der Subsidiarität

Den Ausgangspunkt dieses Begründungsversuchs bildet die These, daß dem Subsidiaritätsprinzip ebenso wie den Grundrechten eine freiheitssichernde Funktion zukomme 54 . Dabei wird unter Bezugnahme auf die Formulierung der Sozialenzyklika eine Schutz- und Bestandsgarantie der kleiZum Text siehe oben 1. Kapitel A. I. So z.B. H. Kalkbrenner, FS für Günther Küchenhoff, 2. Halbband, S. 515ff. (520); ebenso P. Motsch, Die rechtliche Stellung der Handwerkskammer gegenüber Staat und Gesellschaft, S. 32 f. 52

53

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

97

neren Einheiten aus dem Subsidiaritätsgrundsatz hergeleitet. Im übrigen wird unterstellt, daß jeder Kompetenzträger, der zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe in der Lage ist, diese zugleich auch freiwillig zu übernehmen bereit ist. Zwar läßt sich dem Wortlaut des päpstlichen Rundschreibens, das die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zur Gerechtigkeitsfrage erhebt, durchaus das Postulat einer Bestandsgarantie für kleinere Sozialeinheiten entnehmen. Dabei gilt es jedoch, die Intention der Enzyklika in dem konkreten historischen Kontext zu berücksichtigen55 . In der Auseinandersetzung mit den totalitären Ideologien des Faschismus und des Kommunismus, die beide eine streng hierarchische Staats- und Gesellschaftsstruktur anstrebten, ging es der Kirche um die Bewahrung tradierter sozialer Strukturen. In diesem Zusammenhang bot sich das Prinzip der Subsidiarität als gesellschaftspolitisches Ordnungskonzept an, das in der apodiktischen Fassung eines Gerechtigkeitspostulats eine größere Wirkung versprach als seine Einkleidung in einen kirchlichen Appell. Losgelöst von dieser weltanschaulichen Instrumentalisierung erscheint es indes fraglich, ob aus der dem Subsidiaritätsprinzip eigenen Prärogativentscheidung für die personennähere Sozialeinheit zugleich auch eine entsprechende allgemeine Schutz- oder Bestandsgarantie gesehen werden kann. Als formale Zuordnungsmaxime setzt es an der jeweils in einer Gemeinschaft bestehenden Aufgabenstruktur und den bestehenden Handlungsebenen an. Eine Forderung zur Errichtung oder Beibehaltung einer bestimmten Struktur von Staat und Gesellschaft enthält der Grundsatz nicht. Doch selbst dann, wenn man dem Subsidiaritätsprinzip einen die kleineren gesellschaftlichen Einheiten schützenden Charakter beimißt, ist diese Schutzgarantie rein funktionaler Art. Denn in der eindimensionalen Ausrichtung dieses Prinzips dient die Sicherung bestimmter sozialer Handlungseinheiten ausschließlich dazu, diese als Aufgaben- oder Kompetenzträger zu erhalten. Eine Schutz- oder Bestandsgarantie um der jeweiligen Gemeinschaft selbst willen, läßt sich dem Subsidiaritätsprinzip dagegen nicht entnehmen. Hierin liegt zugleich auch ein entscheidender Unterschied zu den grundrechtlichen Schutzgarantien, die die verschiedenen Facetten menschlicher Freiheit als Eigenwert und Ausdruck der dem Menschen zukommenden Würde schützen56 . 54 So ausdrücklich P. C. Mayer-Tasch, Korporativismus und Autoritarismus, S. 72: "Im Lichte seiner sozialphilosophischen Grundlegung erweist sich das Subsidiaritätsprinzip in erster Linie als ein Prinzip der Freiheit". 55 Vgl. dazu insgesamt oben I. Kapitel A. II. 3. 56 Vgl. statt vielen K. Stern, HStR V,§ 108, Rz. 31 und 51. 7 Moersch

98

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Da eine nach dem Prinzip der Subsidiarität erfolgende Aufgabenzuweisung lediglich nach der Leistungsfähigkeit der potentiellen Kompetenzträger fragt, nicht aber danach, ob diese auch willens sind, die fragliche Aufgabe zu erfüllen, ist es mit dem Grundsatz der Subsidiarität durchaus vereinbar, dem einzelnen oder einer Gemeinschaft Aufgaben gegen ihren erklärten Willen zuzuweisen. Freiheit und Freiwilligkeit sind keine vom Subsidiaritätsgedanken erfaßten Kategorien. Auch die von den meisten57 Grundrechten mitgeschützte "negative Freiheit"58 findet mithin im Subsidiaritätsprinzip keine Entsprechung. Die These, in diesem Grundsatz finde sich eine Parallele zu den Grundrechten, was es erlaube, diese als Ausdruck eines verfassungsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips zu deuten, wird noch in einer anderen Variante vertreten. Ausgehend von der in Art. 11 Abs. 2 GG vorgesehenen Möglichkeit, die Freizügigkeit bei Fehlen einer "ausreichenden Lebensgrundlage" beschränken zu können, und der in dieser Regelung zum Ausdruck kommenden "Obliegenheit" des einzelnen, zunächst für sich selbst zu sorgen, "bevor der Staat sorgend, aber auch reglementierend eingreift", sieht Merten in dem "grundgesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip von Freiheit und Beschränkung" einen Niederschlag des Subsidiaritätsprinzips59. Art. 11 Abs. 2 GG lautet in seiner ersten Alternative: "Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle beschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden [... ]". Damit nennt die Vorschrift zwei kumulative Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um eine Beschränkung der Freizügigkeit wegen Fehlens einer ausreichenden Lebensgrundlage verfassungsrechtlich rechtfertigen zu können. Der Bestimmung kann jedoch nicht entnommen werden, daß die Verfassung verlangt, jede Person müsse ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Auch wenn die Existenz einer Person ausschließlich durch andere sichergestellt wird, wobei es wiederum unerheblich ist, ob dies etwa durch direkte finanzielle Unterstützung oder durch persönliche Betreuung erfolgt, entfällt eine der beiden konstitutiven Voraussetzungen für eine Freiheitsbeschänkung nach Maßgabe des Art. 11 Abs. 2 erste Alternative GG. ~ 7 Ausnahmen von der prinzipiell auch gewährleisteten negativen Freiheit finden sich dort, wo das Grundgesetz neben der Grundrechtsgewährleistung gleichzeitig auch Pflichten auferlegt, wie dies in den Art. 6 Abs. 2 und 14 Abs. 2 Satz I GG der Fall ist. ~ 8 K. Hesse, Grundzüge, Rz. 288. 59 D. Merlen, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff. (90).

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

99

Die Funktion auch dieser Grundrechtsschranke liegt allein in ihrer gemeinwohlschützenden Dimension. Entscheidend ist letztlich, ob aus dem Fehlen einer ausreichenden Lebensgrundlage einer Person die Gefahr besonderer Lasten für die Allgemeinheit erwächst. Die Frage, auf welche Weise und durch wen die Existenzsicherung im konkreten Einzelfall tatsächlich gewährleistet wird, spielt demgegenüber keine Rolle. Umgekehrt reicht auch das bloße Nichtvorhandensein einer ausreichenden Lebensgrundlage für sich allein nicht aus, um die Freizügigkeit einer Person zu beschränken. Vielmehr muß aus diesem Mangel zusätzlich und zugleich die Gefahr besonderer Lasten für die Allgemeinheit resultieren. Letzteres Merkmal ist mithin der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Möglichkeit der Freizügigkeitsbeschränkung. Für die praktische Anwendung des Art. 11 Abs. 2 erste Alternative GG folgt daraus, daß das Vorliegen einer Gefahr besonderer Lasten für die Allgemeinheit stets gesondert zu prüfen und positiv festzustellen ist. Die Gefahr zusätzlicher Gemeinschaftslasten darf also nicht etwa schlicht vermutet oder aus dem Fehlen einer ausreichenden Lebensgrundlage automatisch gefolgert werden. Im übrigen wird die lediglich auf einen Gemeinwohlschutz gerichtete Funktion der ersten Alternative des Art. 11 Abs. 2 GG auch durch eine systematische Betrachtung der anderen Beschränkungstatbestände bestätigt. Denn diese sind inhaltlich so heterogen, daß sie lediglich den Schutz der Allgemeinheit als verbindendes Element aufweisen. Ob sich über diese gemeinwohlschützende Funktion hinaus aus der Regelung des Art. 11 Abs. 2 erste Alternative GG weitergehende Aussagen für das Verhältnis Staat-Individuum ableiten lassen, erscheint zweifelhaft. Zumindest läßt sich unter Hinweis auf diese Grundgesetzbestimmung keine "Obliegenheit" des einzelnen, für sich selbst zu sorgen, herleiten. Das Bestehen einer solchen "Obliegenheit" oder Aufgabe des Individuums ist aber gerade Voraussetzung für die Interpretation des Grundrechtsverhältnisses als Anwendungsfall oder Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens. Denn dieser knüpft als Kompetenzverteilungsmaxime an das Bestehen bestimmter Aufgaben an, die von verschiedenen in Konkurrenz zueinander stehenden Handlungseinheiten versehen werden können. Für den damit angesprochenen grundsätzlichen Zusammenhang von Grundrechtsverhältnis und Subsidiaritätsprinzip ist entscheidend, daß beide Relationen herstellen, dies jedoch auf völlig verschiedenen Ebenen. Während bei dem Verhältnis von grundrechtlich geschützter Freiheit des einzelnen und allgemeinwohlbegründetem staatlichem Eingriff gegensätzliche Interessen aufeinandertreffen, geht es bei Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität um die Lösung eines Konkurrenzproblems und damit um gleichgerichtete Interessen. Aus der Unterschiedlichkeit der Probleme folgt die Verschiedenheit ihrer Lösungen und Entscheidungskriterien. So muß der Gegensatz zwischen individueller Freiheit und Allgemeinwohlbelang im Wege der Abwägung und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits-

100

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

gebots zu einem Ausgleich gebracht werden, während Kompetenzkonkurrenzen mit Blick auf Eindeutigkeit, Vorhersehbarkeit und Transparenz zumeist streng alternativ gelöst werden. Ebenso sind die Maßstäbe der Geeignetheit, der Erforderlichkeil und der Angemessenheil stets einzelfallbezogen und damit relativ. Der Vorstellung von der optimalen Aufgabenerfüllung wie auch der Einordnung des Kompetenzträgers in die Hierarchiestruktur liegt dagegen ein absoluter Maßstab zugrunde. So gesehen erscheint es fraglich, ob die grundrechtliche Freiheitsgewährleistung und die Möglichkeit ihrer staatlichen Beschränkung in ein Verhältnis der Aufgabenverteilung zwischen Bürger und Staat umgedeutet und damit als Kompetenzproblem betrachtet werden kann. Aus der Tatsache, daß das Grundgesetz dem einzelnen die Sicherung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert und gleichzeitig keine Verpflichtung des Staates zur Ernährung seiner Bürger enthält, läßt sich nicht ohne weiteres der Schluß auf eine "Aufgabe", "Pflicht" oder "Obliegenheit" des einzelnen, sich selbst zu unterhalten, ziehen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Regelungen des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG vor Augen hält, die im Gegensatz zu den übrigen Grundrechtsbestimmungen einen klassischen Anwendungsfall des Subsidiaritätsprinzips darstellen60• So normiert Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zunächst die Pflege und Erziehung der Kinder als Pflicht. Mit der Klassifizierung als "Pflicht" eröffnet sich die Möglichkeit, die Kindererziehung als Kompetenzfrage und damit unter Subsidiaritätsgesichtspunkten zu betrachten. Die Zuweisung der Aufgabe der "Pflege und Erziehung der Kinder" als das "natürliche" Recht der Eltern und als "die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht" legt die Primärzuständigkeit der kleineren und im Regelfall zur Erfüllung dieser Aufgabe am besten geeigneten Gemeinschaft fest. Erst ein Versagen der Eltern bei ihrer Erziehungspflicht, vermag unter bestimmten Umständen einen Entzug der Aufgabe und ihre Übertragung auf den Staat zu rechtfertigen. In diesem Fall besteht der staatliche Eingriff in das Freiheitsrecht (hier: das Elternrecht) in einer Aufgabenverlagerung. In der Janusköpfigkeil des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG schlägt sich das grundrechtliche "Regel-Ausnahme-Verhältnis" von individueller Freiheit und staatlichem Eingriff als Kompetenzzuweisung nieder. Dabei knüpft die 60 Auf die Regelung des Art. 6 GG wird von allen Vertretern der These, daß das Subsidiaritätsprinzip in den Grundrechten Ausdruck gefunden habe, verwiesen. V gl. dazu oben 2. Kapitel A. II. 2. Bezeichnenderweise wird auf die diese These am überzeugendsten stützende Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG aber nur von jenen Autoren hingewiesen, die sich mit der Vereinbarkeil staatlicher Jugendwohlfahrtspflege mit dem Subsidiaritätsprinzip befassen. Vgl. stellvertretend L A. Frhr. von der Heydte, in: ders./ Arnold Köttgen (Hrsg.), Vorrang oder Subsidiarität der freien Jugendhilfe, S. 58 f.

A. Zum Stand der staatsrechtlichen Diskussion

101

Deutung der Vorschrift als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips an der Normierung der Pflege- und Erziehungspflicht an, während das Elternrecht den Ausgangspunkt des allgemeinen Gundrechtsverhältnisses zwischen Bürger und Staat bildet. Die nähere Ausgestaltung des Verhältnisses "Eltern-Kinder-Staat" zeigt, daß für diese Beziehung das Subsidiaritätsprinzip grundlegende Bedeutung besitzt. So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß "der Staat nach Möglichkeit zunächst versuchen" muß, "durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen"61 • Zwar hat das Gericht diese Maßstäbe aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entwickelt, da Verfahrensgrundlage die Prüfung einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG war. Soweit man dagegen auf die Elternpflicht abstellt, drückt sich in dieser Rechtsprechung eine Anwendung des Subsidiaritätsprinzips aus. Dies gilt zunächst für die Grundaussage dieses Gedankens, der Aufgabenzuweisung an die dem Menschen (hier: dem Kinde) "näher" stehende Gemeinschaft, die schon in der Formulierung des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG zum Ausdruck kommt. Zudem hat auch das Bundesverfassungsgericht betont, daß sowohl die ursprünglich "positive Komponente"62 des Subsidiaritätsgedankens, auf die noch in der Sozialenzyklika ausdrücklich hingewiesen wurde63 , als auch die diesem Grundsatz zukommende permanente Wirkung64 bei Anwendung und Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG zu berücksichtigen sind. Schließlich hat auch der dynamische Charakter des Subsidiaritätsprinzips, als Folge seiner permanenten Wirkung65 , Eingang in die bundesverfassungsgerichtliche Jurisdiktion gefunden, wenn das Gericht klarstellt, daß die Regelung des Art. 6 Abs. 3 GG nicht nur im Augenblick der Trennung der Kinder von der Familie maßgeblich ist, sondern auch dann, wenn es um Entscheidungen über die Aufrechterhaltung dieses Zustandes geht66. Das macht zum einen deutlich, daß die Rechtsordnung die Übertragung der Aufgabe der Kindererziehung auf staatliche Stellen grundsätzlich als zeitlich befristete Ausnahme betrachtet und zum anderen dokumentiert die Entscheidung die Auffassung des Gerichts, daß der unnatürliche Zustand staatlicher Kindererziehung der ständigen Überprüfung seiner verfassungsrechtlichen Voraussetzungen unterliegt. BVerfGE 24, 119 [l44f.]. Vgl. dazu oben I. Kapitel C. IV. 63 Vgl. oben l. Kapitel A. I. 64 Vgl. zu diesem Merkmal des Subsidiaritätsprinzips oben I. Kapitel C. VI. 2. 65 Vgl. dazu sowie zu dem Zusammenhang von permanenter und dynamischer Wirkung des Subsidiaritätsprinzips oben 1. Kapitel C. VI. 2. 66 BVerfGE 68, 176 [187]. 61

62

102

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

In der eigentümlichen Verbindung von Elternrecht und Elternpflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder, wie sie in Art. 6 Abs. 2 GG angelegt ist, weist diese Grundrechtsbestimmung entscheidende, das Subsidiaritätsprinzip kennzeichnende Merkmale auf, so daß in Art. 6 Abs. 2 GG insoweit eine positiv-rechtliche Ausprägung dieses Grundsatzes im Grundgesetz gesehen werden kann. Dies läßt sich für die übrigen Grundrechte nicht sagen. So liefert weder die Bezugnahme auf die primär freiheitssichemde Funktion der Grundrechte im allgemeinen noch eine Umdeutung der individuellen Freiheitsgewährleistung in eine "Obliegenheit gegen sich selbst" eine dogmatisch überzeugende Begründung für die These, in den Grundrechten schlage sich das Subsidiaritätsprinzip verfassungsrechtlich nieder. Gerade die Betrachtung des Art. 6 Abs. 2 GG zeigt, daß der Anknüpfungspunkt für den Gedanken der Subsidiarität nicht das anpsruchsbegründende Recht, sondern die Aufgabe oder Pflicht ist. Verbindungen von dem Grundwert ,,Freiheit" zum Grundsatz der Subsidiarität können daher nur unter Rückgriff auf ideologische Aufladungen dieses Prinzips hergestellt werden. Es gilt insoweit das gleiche wie für die Behauptung, in dem Menschenbild des Grundgesetzes drücke sich das Subsidiaritätsprinzip oder ein diesem anhaftendes Bild des Menschen aus. Eine seine formale Aussage, seine Merkmale und seine eigentliche funktionale Bedeutung berücksichtigende Würdigung des Subsidiaritätsprinzips macht jedoch deutlich, daß diese vermeintlichen Zusammenhänge tatsächlich nicht bestehen.

B. Der föderalistische Staatsautbau als allgemeiner Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips67 I. Die Bewertung im Schrifttum

Neben den Grundrechten soll vor allem der föderalistische Staatsaufbau des Grundgesetzes Beleg für die These sein, daß das Prinzip der Subsidiarität Niederschlag im geltenden deutschen Verfassungsrecht gefunden habe68• Zu den Vertretern dieser Ansicht vgl. oben 2. Kapitel A. II. 2. Symptomatisch die Aussage von P. Pemthaler, Der differenzierte Bundesstaat, S. 18 f.: ,,Auch ohne ausdrückliche Verankerung ist das Subsidiaritätsprinzip ein theoretisches Baugesetz der bundesstaatliehen Kompetenzverteilung und ein fundamentales Organisationsprinzip jeder föderalischen und konföderalistischen Ordnung". (Hervorhebung durch den Verf.); ähnlich W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (416), ,,Das Subsidiaritätsprinzip geht als zentraler Bestandteil in dem umfassenderen und allemeineren Föderalismusprinzip auf, [... )". In diesem Sinne auch S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 568ff. 67 68

B. Der föderalistische Staatsaufbau als allgemeiner Ausdruck

103

Dabei wird im Schrifttum im wesentlichen auf den sich im Föderalismus wie auch in dem Institut der kommunalen Selbstverwaltung69 ausdrückenden vertikal gegliederten Staatsaufbau, die im Grundgesetz angelegte staatsorganisationsrechtliche Stufenordnung, hingewiesen70 . Ein anderer Teil der Rechtswissenschaft hegt indes Zweifel an einer Affinität oder einem inneren Zusammenhang der Prinzipien der Subsidiarität und der BundesstaatlichkeiL So ist Süsterhenn der Ansicht, "die gegenwärtige staatsrechtliche Form des deutschen Föderalismus ist weder hinsichtlich der Existenz von Ländern mit Staatscharakter noch erst recht hinsichtlich der Kompetenzenabgrenzung zwischen Ländern und Bund eine zwingende naturrechtliche Forderung oder einzig mögliche Anwendung des Subsidiaritätsprinzips"71 • Ähnlich zurückhaltend formuliert Zuck, ,,rechtlich und tatsächlich erlaubt das Bund-Länder-Verhältnis deshalb Schlüsse auf das Subsidiaritätsprinzip, es erzwingt sie aber nicht"72 . Auch Isensee spricht nicht von einer "Anwendung" oder "Umsetzung" des Subsidiaritätsgrundsatzes, die sich im Föderalismus ausdrücke, sondern formuliert bezüglich des Grundgesetzes vorsichtiger: "Das Subsidiaritätsprinzip wurde zu einem Leitbild des neuen Organisationsgefüges. Es sanktionierte Selbstverwaltung, Dezentralisierung und Bundesstaatlichkeit"73 • Hesse geht noch weiter, wenn er betont, "Föderalismus und Subsidiaritätsprinzip stehen nicht notwendig im Zusarrunenhang"74 • Stern weist dem Föderalismus ebenso wie dem Subsidiaritätsprinzip lediglich erläuternde Funktion zu und stellt fest: " ... im Grundgesetz haben nur der Bundesstaat und seine spezifisch verfassungsrechtliche Ausgestaltung Niederschlag gefunden. Ein Rückgriff auf den Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip kann klären helfen, aber nicht interpretieren"75 • Die sich in diesen zurückhaltenden Einschätzungen des Verhältnisses von föderalem Staatsaufbau und Subsidiaritätsidee ausdrückende Skepsis an dem inneren Zusammenhang beider Prinzipen erscheinen nicht unbegründet. So ist es vor allem die Offenheit des Föderalismusbegriffs, die sich in den zum Teil sehr unterschiedlichen Staatsorganisationsstrukturen einzelner Bundesstaaten ausdrückt, die den behaupteten Zusarrunenhang von föderalem Staatsaufbau und Subsidiaritätsprinzip fragwürdig erscheinen läßt. Vgl. dazu unten 2. Kapitel D. Vgl. die unter 2. Kapitel A. II. 2. angeführten Stimmen. 71 A. Süsterhenn, in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltenteilung, S. 113 ff. (126). 72 R. Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 102. 73 J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 112. 74 K. Hesse, Grundzüge, Rz. 219. 75 K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 661. 69

70

104

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

II. Die Offenheit des Föderalismusbegriffs Ebenso wie das lateinische Wort "foedus", das mit "Bündnis" oder ,,Zusammenschluß" übersetzt wird76, nichts über den Status der Bündnispartner und die innere Struktur ihrer Verbindung aussagt, so ist auch der Begriff des Föderalismus vieldeutig und offen77 • Die Bezeichnung "Föderalismus" wird sowohl zur Beschreibung unterschiedlicher Organisationsformen staatlicher Gemeinwesen als auch im Sinne einer "politischen Forderung bzw. Bejahung" derartiger Ordnungsmodelle verwandt, wobei über den Bereich der Staatsorganisation hinaus78 der Begriff auch auf dem Gebiet gesellschaftlicher Großorganisationen, auf kirchlicher Ebene und zunehmend auch in bezug auf internationale Organisationen79 gebraucht wird80• Darüber hinaus ist auch versucht worden, Föderalismus als ein "allgemeines Strukturprinzip"81 zu begreifen, dem die Eigenschaft zukomme, die verschiedensten Gegensätze politischer, sozialer, ethnischer oder religiöser Art auszugleichen und zu verbinden82 . Doch auch wenn man unter Zugrundelegung eines engen Begriffsverständnisses mit "Föderalismus" lediglich einen bestimmten Typus von Staatsorganisationsmodellen beschreiben wi11 83 , so erweisen sich die einzelnen Erscheinungsformen als 76 Näher zu der geschichtlichen Entwicklung des Begriffs E. Deuerlein, Föderalismus, S. 11 f.; vgl. auch W. D. Gruner, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, S. 51 ff. (54ff.). 77 B. Dennewitz, Der Föderalismus, S. 15, spricht von einem "schillernden und problematischen Begriff'. 78 Auf die grundlegende Unterscheidung zwischen der staatsrechtlichen und der "sozialen, ökonomischen und kulturellen" Bedeutung des Föderalismusbegriffs weist H. Nawiasky, Politeia 1948/49, S. 7ff. (7f.), hin. 79 Zur Deutung des Systems der internationalen Organisationen als eine spezifische Ausprägung des Föderalismus vgl. H. Bülck, VVDStRL 21 (1964), S. lff. (25 ff.). 80 Vgl. dazu R. Herzog, in: EvStL, Stichwort: Föderalismus, Sp. 913ff.; ebenso H. Schäffer, Der Österreichische Föderalismus, FS für Klaus Stern, S. 227ff. (228). 81 Vgl. dazu die Darstellung von E. Deuerlein, Föderalismus, S. 101 ff. 82 So z. B. das Föderalismusverständnis von C. Frantz, Der Föderalismus als das leitende Prinzip für die sociale, staatliche und internationale Organisation unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland kritisch nachgewiesen und constructiv dargestellt, wo Frantz auf S. 422, zu dem Ergebnis gelangt: "Ferner hat sich gezeigt, daß wie der Föderalismus sich dadurch charakterisirt, daß er einerseits alle Factoren der Entwicklung in ihrer Eigenartigkeit anerkennt, und andererseits zum Zusammenwirken verbindet. So, angefangen von den materiellen Fragen der Ökonomik: Naturkraft, Arbeitskraft, Intelligenz und Capital; dann weiter die verschiedenen Wirtschaftszweige und socialen Berufsarten, bis zur Regulirung der persönlichen Verhältnisse der dabei Betheiligten". Ders., Deutschland und der Föderalismus, S. 38 ff., wo Frantz versucht, den Föderalismus als allgemeines und adäquates Organisationsprinzip für die gesellschaftlichen, politischen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse in Deutschland darzustellen.

B. Der föderalistische Staatsaufbau als allgemeiner Ausdruck

105

so vielfaltig und heterogen84, daß die Definition des Begriffs letztlich immer noch sehr weit und unbestimmt bleiben muß. Allgemein wird mit "Föderalismus" ein "Organisationsprinzip für ein gegliedertes Gemeinwesen" bezeichnet, "in dem eigenständige Glieder zu einer übergreifenden Einheit verbunden sind"85 . Dabei wird "Föderalismus" als politisches Prinzip86 verstanden, dem in staatsrechtlicher Hinsicht die Organisationsform des Bundesstaates87 und völkerrechtlich die des Staatenbundes88 entspricht. Eine Betrachtung verschiedener Bundesstaaten und der ihnen zugrundeliegenden Föderalismuskonzeptionen zeigt jedoch, daß diese weit mehr an den jeweiligen Verfassungstraditionen89 ausgerichtet und von nationalen Besonderheiten determiniert sind, als daß sich aus ihnen auf ein einheitliches Föderalismusverständnis schließen ließe. Hinzu kommt ferner, daß die Motive für die Errichtung föderaler Strukturen sehr unterschiedlich sind90.

Vgl. dazu F. W. Jerusalem, Die Staatsidee des Föderalismus, S. 5 f. So auch H. Schäffer, in: Jutta Kramer (Hrsg.), Föderalismus zwischen Integration und Sezession, S. 171 ff. (171). 85 So ausdrücklich S. Magiera, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union - Europas Zukunft?, S. 71 ff. (73); U. Scheuner, DÖV 1966, s. 513ff. (513). 86 Zur Einordnung des Föderalismusbegriffs als politischer Kategorie vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 660, der von Föderalismus "als politischer Idee" spricht; ebenso B. Dennewitz, Der Föderalismus, S. 7 et passim; K. Bohr, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus - Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, S. VII.; H. Oberreuter, Stichwort: Föderalismus, in: StL, Bd. 2, Sp. 632. 87 Vgl. dazu T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 103, die ausdrücklich vom "Bundesstaat als Rechtsbegriff' ausgehen; ebenso K. Stern, ibd. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 785 ff., betrachtet indes ausschließlich den Bundesstaat als adäquate staatsrechtliche Umsetzung des föderalistischen Prinzips und sieht in "anderen völkerrechtlichen Verbindungen" lediglich Übergangsstadien zum Einheitsstaat oder zum Zerfall der Organisation. 88 Daß neben dem Bundesstaat auch dem Staatenbund der Föderalismus als politisches Organisationsprinzip zugrunde liegt, betont ausdrücklich H. Oberreuter, Stichwort: Föderalismus, in: StL, Bd. 2, Sp. 633. 89 Die Bedeutung der geschichtlichen Entwicklung für die jeweilige Bundesstaatsorganisation legt besonders deutlich M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 46ff. et passim, dar. 90 Auf diesen Umstand weist ausdrücklich H. Schäffer, FS für Klaus Stern, S. 227 ff. (228), hin. 83

84

106

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

lll. Zur Unterschiedlichkeit der Föderalismuskonzeptionen der USA, der Schweiz und Österreichs 1. Die Vereinigten Staaten von Amerika

Den Ausgangspunkt der bundesstaatliehen Entstehung der Vereinigten Staaten bildeten dreizehn Kolonien, die sich in der "Declaration of Independence" im Jahre 1776 für unabhängig vom englischen Mutterland erklärt hatten und unter den "Articles of Confederation" zunächst ein loses Bündnis gründeten91 , bevor dann 1787 die noch heute geltende amerikanische Bundesverfassung in Kraft trat. Dabei erfolgte der Zusammenschluß jener Staatsgebilde zum einen in Reaktion auf die militärische Bedrohung von außen92 und zum anderen aus eher pragmatischen Gründen wie der Erleichterung des Wirtschaftsverkehrs und der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung93. Im übrigen waren die Gliedstaaten jedoch auf die Wahrung ihres Status als souveräne Staaten bedacht, aus dem die "abtrünnigen" Südstaaten sogar ein "souveränes Sezessionsrecht"94 ableiteten, so daß der Bundesstaat in den USA erst im amerikanischen Bürgerkrieg 1861 bis 1865 gewaltsam durchgesetzt werden mußte. Die starke Stellung der Gliedstaaten gründet sich auf ein tiefes Mißtrauen gegen eine Machtkonzentration in den Händen der Zentralgewalt und der aus der Pionierzeit herrührenden "psychologischen Bindung an die geschaffenen Einheiten", die ihrerseits auf die "britische Tradition lokaler Selbstverwaltung" zurückzuführen ist95 . Die Verfassung ist diesen Vorbehalten mit einem ausgewogenen System von "checks and balances" und einer deutlichen Beschränkung bei der Aufnahme enumerativer Bundeszuständigkeiten96 begegnet. Die Verteilung der Rechtsetzungskompetenzen zwischen Bund und Gliedstaaten, die ihren zentralen verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt in dem am 5. Dezember 1791 in Kraft getretenen 10. Amendment hat97 , beläßt den M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 48. M. Bothe, ibd. 93 Vgl. dazu K. Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 7 ff. 94 M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 49. 95 So M. Bothe, ibd., S. 48 f., der allerdings auch darauf hinweist, daß diese Bindung in den letzten Jahrzehnten wegen der Mobilität von Wirtschaft und Arbeitskräften nachgelassen hat. 96 Einen synoptischen Überblick der Kompetenzverteilung zwischen der Zentralgewalt und den Gliedstaaten in den USA, Kanada, Australien, der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland gibt M. Bothe, ibd., S. 225 - 229. 97 Der Text dieses Zusatzartikels lautet: "The powers not delegated by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively". 91

92

B. Der föderalistische Staatsaufbau als allgemeiner Ausdruck

107

Einzelstaaten insgesamt weitgehende Regelungsbefugnisse. Dies gilt namentlich für die verschiedenen Bereiche des Privatrechts98 • Zwar hat die Rechtsprechung des Supreme Courts auch in den USA zu einer Ausweitung der Bundeskompetenzen geführt99 und damit dem seit 1787 erhöhten Integrationsbedarf Rechnung getragenHJO. Diese Kompetenzverschiebungen vollzogen sich jedoch stets im Wege einer weiten Auslegung verfassungsrechtlich verankerter Bundeszuständigkeiten 101 und nicht über die Annahme von Unionskompetenzen ,,kraft Natur der Sache" 102 oder über ein zur obersten Priorität staatlichen Handeins erhobenes Egalitätspostulat. Doch ließe sich die relativ autonome Stellung der amerikanischen Gliedstaaten nicht allein aus den ihnen zukommenden weitreichenden Rechtsetzungskompetenzen erklären, auch wenn diese den Einzelstaaten einen erheblichen politischen Gestaltungsspielraum eröffnen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß entsprechend angelsächsischer Verfassungstradition die Verwaltungskompetenzen grundsätzlich den Gesetzgebungszuständigkeiten folgen 103, so daß die Einzelstaaten das von Zu den Auslegungen und der Bedeutung dieser zentralen bundesstaatliehen Kompetenznorm des amerikanischen Verfassungsrechts vgl. M. Hilf, JöR N. F. 1973, s. 595 ff. (600ff.). 98 M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 223; R. Adams, DÖV 1961, S. 407ff. (410.). 99 Vgl. zu den maßgeblichen Entscheidungen des Supreme Courts, die eine Ausweitung der Bundeskompetenzen bewirkten R. Adams, ibd., S. 407 ff. 100 Vgl. dazu M. J. Crawley Vile, The structure of American Federalism, s. 129ff. 101 Als Anknüpfungspunkte dienten dem Supreme Court dabei die Generalklauseln der U.S. Verfassung: Art. I sec. 8 clause 18 (necessary and proper clause): "The Congress shall have Power [..] To make all Laws which shall be necesseray and proper for carrying into Execution the foregoing Powers, and all other Powers vested by this Constitution in the Govemment of the United States, or in any Department or Officer thereof'. (Zitiert nach Albert P. Blaustein!G. H. Flanz, Constitutions of the World, Loseblattsammlung, Bd. XX, Stand: Juli 1994). Aus dieser Bestimmung leitete der Supreme Court in der bekannten Entscheidung McCulloch versus Maryland im Jahre 1819 die "implied powers-Lehre" ab: "The Govemment of the Union [...) is acknowledged by all to be a govemment of enumerated powers [... ) But there is no phrase in the instrument which, like the Article of Confederation, excludes incidental or implied powers." Art. I § 8 clause 1 (welfare clause): "The Congress shall have Power To lay and collect Taxes, Duties, Imposts and Excises, to pay the Debts and provide for the common Defence and general Welfare of the United Staes; [... ]." Art. I § 8 clause 3 (commerce clause): "The Congress shall have Power [...] To regulate Commerce with foreign Nations, and among the several States, and with the Indian Tribes." (Zitiert nach A. P. Blaustein/G. H. Flanz, Constitutions of the World, Loseblattsammlung, Bd. XX, Stand: Juli 1994). 102 So auch M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 223. 103 Vgl. dazu M. Bothe, ibd., S. 224.

108

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

ihnen gesetzte Recht auch vollziehen. Überdies führt das Fallrecht in Verbindung mit der in den Einzelstaaten unterschiedlichen Gerichtsorganisation einerseits zu einer judikativen Autonomie der Einzelstaaten, andererseits jedoch auch zu einer auf weiten Gebieten uneinheitlichen, schwer zu überschauenden Rechtsprechung 104, da die Bundesgerichte nur in den in ihre Zuständigkeit fallenden Bereichen für eine Vereinheitlichung sorgen können 105 . Der unabhängige Status der Gliedstaaten wird ferner durch die Tatsache unterstrichen, daß der Supreme Court zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Gliedstaaten wiederholt Völkerrecht herangezogen hat mit der Begründung, daß diese Konflikte eher solchen zwischen souveränen Staaten glichen als Rechtsstreitigkeiten zwischen Individuen 106 . 2. Die Schweizer Eidgenossenschaft

Ebenso wie die Vereinigten Staaten von Amerika ist die Schweizer Eidgenossenschaft als Bündnis souveräner Staaten (Kantone) entstanden 107 , wobei die heutige territoriale Aufteilung im wesentlichen zwischen 1798 und 1814 erreicht wurde, während die bundesstaatliche Organisation erst in der ersten Bundesverfassung von 1848 festgeschrieben wurde 108 . Das eine Entwicklung zum Einheitsstaat verhindernde und damit zugleich die bündische Struktur der Eidgenossenschaft sichemde Element liegt in erster Linie in der sprachlichen Spaltung 109 des Landes 110• Zwar sind auch in der Schweiz die Bundeskompetenzen sowohl in der Verfassungsrevision von 1874 als auch in späteren Verfassungsänderungen 104 D. Fechtner/M. Hannes, ZG 1994, S. 153ff. (156), weisen zudem darauf hin, daß in den USA eine Tendenz erkennbar ist, daß die Gerichte der Einzelstaaten zunehmend auf Rechtsgarantien in den Gliedstaatsverfassungen rekurrieren, ein Phänomen, das auch mit "new judicial federalism" bezeichnet wird. 105 Vgl. dazu sowie zu den daraus resultierenden Problemen interlokaler Kollisionsrechte, C. Droop, Jura 1993, S. 293 ff. (294 ). 106 Vgl. dazu sowie zum Nachweis einzelner Entscheidungen des Supreme Courts M. Bothe, FS für Hermann Mosler, S. lllff. (118ff.). 107 Vgl. zur Entstehung des schweizerischen Föderalismus K. Eichenberger, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 17 ff. (20f.). 108 M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 58. 109 Nach K. Eichenberger, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 17 ff. (20 FN 3), lagen die Sprachanteile der Gesamtbevölkerung einschließlich in der Schweiz lebender Ausländer im Jahre 1988 bei 65% deutsch, 18% französisch, 10% italienisch, 1% rätoromanisch und 6% anderen Sprachen. IIO So auch M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 58.

B. Der föderalistische Staatsaufbau als allgemeiner Ausdruck

109

zu Lasten der Kantone ausgedehnt worden 111 • Dennoch ist es nicht zu einer übermäßig starken Unitarisierung des schweizerischen Bundesstaates gekommen, obwohl die Bundesverfassung eine gerichtliche Überprüfung von Bundesgesetzen ebensowenig vorsieht 112 wie einen als "Substanzgarantie" für die Kantone wirkenden Enumerativkatalog gliedstaatlicher Kompetenzen 113 . Die Gründe hierfür liegen zum einen in den Regelungen der Art. 89 und 123 der Schweizerischen Bundesverfassung, nach denen Bundesgesetze auf Antrag einer bestimmten Anzahl stimmberechtigter Bürger oder Kantone in einem Referendum bestätigt werden müssen 114, zum anderen in der Ausgestaltung der Finanzverfassung. Diese beläßt den Kantonen eine eigene Finanzhoheit und gesteht ihnen die Erhebung eigener Steuern zu. Überdies ist in der Schweiz bisher auf eine Steuerharmonisierung und einen am Egalitätsdenken ausgerichteten horizontalen und vertikalen Finanzausgleich weitgehend verzichtet worden, dies allerdings um den Preis erheblicher regionaler wirtschaftlicher Ungleichheiten 115• Schließlich ist dem schweizerischen Verfassungsrecht auch das Unitarisierungstendenzen fördernde Institut der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a und 91 b GG) fremd. 3. Die Republik Österreich

Während die Vereinigten Staaten von Amerika und die Schweizer Eidgenossenschaft als Bündnisse souveräner Einzelstaaten "gegründet" wurden, ist die Republik Österreich aus der völkerrechtlichen Dismembratio 116 der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im Jahre 1918 hervorgegangen 117• Auch wenn den Österreichischen Bundesländern ebenso Staatsqualität zukomme 18 wie den Schweizer Kantonen 119, den amerikanischen States 120 und den deutschen Ländern 121 , so wird bei der verfassungsrechtlichen AusVgl. dazu U. Häfelin, JöR N. F. 1973, S. 1ff. (8 ff.). M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 207. 113 K. Eichenberger, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 17 ff. (27 f.). 114 M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 92f. 115 K. Eichenberger, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 17 ff. (32 ff.). 116 Vgl. zur Dismembratio als völkerrechtlichem Entstehungstatbestand von Staaten/. von Münch, in: Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, S. 523ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 959. 117 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Österreichischen Föderalismus H. Schamheck, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 55 ff. (60 ff.). 11 8 So P. Pemthaler, Der differenzierte Bundesstaat, S. 5 und I 1 ff., folgert die Staatsqualität der Österreichischen Bundesländer aus den Art. 2 Abs. 2 und 3 Abs. 2 B-VG. H. Schambeck, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus 111

112

110

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

gestaltung des Rechtsstatus der Österreichischen Gliedstaaten und ihrem Verhältnis zum Gesamtstaat die andersartige geschichtliche Entstehung der Republik Österreich deutlich 122 • Seine Organisation als "dezentraler Einheitsstaat" zur Zeit der konstitutionellen Monarchie 123 hat auch dem späteren Österreichischen Bundesstaat einen starken unitarischen Zug verliehen, der sich in einer im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, der Schweiz und selbst zu Deutschland schwächeren Stellung der Gliedstaaten gegenüber dem Bund ausdrückt. Verfassungsrechtlichen Niederschlag findet dies vor allem in der Regelung des Art. 98 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes (B-VG), nach welcher jedes Landesgesetz vor seiner Bekanntmachung vom Landeshauptmann dem Bundeskanzler vorzulegen ist. Die Bundesregierung hat binnen einer Frist von acht Wochen die Möglichkeit, "wegen Gefährdung von Bundesinteressen" begründeten Einspruch gegen das Gesetz zu erheben. Zwar kann der betroffene Landtag mit einem sog. Beharrungsbeschluß die Verabschiedung und Inkraftsetzung des Gesetzes erzwingen, das Land riskiert dann jedoch eine Klage des Bundes gegen das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof. Das Einspruchsrecht des Bundes gegen Landesgesetze macht ebenso wie die Tatsache, daß der Bund zusätzlich über "weitgehende Aufsichtsmöglichkeiten [... ]. gegenüber Ländern und Gemeinden [... ] im Rahmen der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit" 124 verfügt, die Dominanz der Zentralgewalt im Österreichischen Föderalismus besonders deutlich. Damit überlagert im Österreichischen Verfassungsrecht das Institut der Bundesaufsicht die sich aus der "zersplitterten Rechtsgrundlage" des Art. 15 Abs. 1 B-VG einerseits und den "Kompetenzfeststellungen des Verfassungsgerichtshofes" andererseits ergebende Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern 125 als dem für die Beurteilung des föderalistischen Verständnisses eines Bundesstaates maßgeblichem Kriterium. in Europa, S. 55 ff. (70), spricht vom "Staatscharakter" der Österreichischen Bundesländer. 119 Zur Staatsqualität der schweizer Kantone vgl. K. Eichenberger, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 17 ff. (S. 27). 120 Zur Staatsqualität der amerikanischen Bundesstaaten vgl. M. Bothe, FS für Hermann Mosler, S. lllff. (119ff.). 121 Daß den deutschen Ländern traditionell Staatsqualität zukommt, ist unstreitig. Vgl. dazu statt aller U. Barsche I, Die Staatsqualität der deutschen Länder, S. 51 ff. 122 Einen knappen Überblick über die historische Entstehung des Österreichischen Föderalismus gibt H. Schäffer, FS für Klaus Stern, S. 227ff. (229ff.). 123 So auch H. Schambeck, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 55 ff. (60). 124 Vgl. dazu H. Schambeck, ibd., S. 87. 125 Dazu P. Pemthaler, Der differenzierte Bundesstaat, S. 6.

B. Der föderalistische Staatsautbau als allgemeiner Ausdruck

111

Die dominante Stellung des Bundes gegenüber den Österreichischen Ländern findet schließlich noch in der Finanzverfassung signifikanten Ausdruck. Da die Verteilung der Besteuerungsrechte und der Abgabenerträge zwischen den Gebietskörperschaften gemäß § 3 Abs. 1 Finanzverfassungsgesetz (F-VG) durch einfaches Bundesgesetz erfolgt, liegt letztlich die Kompetenz-Kompetenz im Bereich der Staatseinnahmen in den Händen des Bundes 126. Bereits diese kurze und ganz punktuelle Beschreibung einiger Besonderheiten dreier Bundesstaaten macht deutlich, daß der These Hailbronners, "a general theory of federalism simply doesn't seem to exist" 127 , uneingeschränkt zugestimmt werden kann. Erlaubt jedoch die Heterogenität der Föderalismuskonzeptionen einzelner bundesstaatlicher Strukturen keine über die genannte allgemeine, wenig aussagekräftige Definition hinausgehende Bestimmung des Föderalismusbegriffs, so erscheint es erst recht nicht möglich, den "Bundesstaat" schlechthin als eine staatsorganisatorische Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips zu deuten. Denn ohne die inhaltliche Vereinbarkeit beider Grundsätze näher zu betrachten, müßte jedenfalls die organisatorische "Umsetzung" oder "Anwendung" eines so abstrakten Grundsatzes, wie ihn das Subsidiaritätsprinzip darstellt, ein höheres Maß an Bestimmtheit aufweisen, als dies bei dem nicht minder abstrakten Begriff des Föderalismus der Fall ist. Vor dem Hintergrund, daß sowohl das Prinzip des Föderalismus als auch jenes der Subsidiarität Organisationsgrundsätze für Gemeinschaften darstellen und dabei beide auf eine in Handlungsebenen unterschiedlicher Hierarchiestufe gegliederte Struktur ausgerichtet sind, kann gefolgert werden, daß beide Prinzipien bei der Organisation eines bundesstaatliehen Gemeinwesens widerspruchsfrei miteinander verbunden werden können. Dies ergibt sich daraus, daß der Anknüpfungspunkt des Föderalismusgedankens die Existenz unterschiedlicher, eindeutig gegeneinander abgegrenzter Gebietskörperschaften unterhalb der Ebene des Gesamtstaates ist, während das Subsidiaritätsprinzip als Kompetenzzuordnungsmaßstab auf die Aufgabenverteilung zwischen den Handlungseinheiten der verschiedenen Ebenen abstellt. Mit anderen Worten: Föderalismus beschreibt eine geographischpolitische Gliederung; Subsidiarität kennzeichnet dagegen eine Relation von Zuständigkeiten. Der beiden Grundsätzen gemeinsame rein formale Charakter läßt sie gegenüber Anzahl und Legitimation der Glieder wie auch des Ziels und des Inhalts der zuzuordnenden Aufgaben indifferent erscheinen. Beide Prinzi126 H. Schambeck, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 55 ff. (83). 127 K. Hailbronner, Außenwirtschaft 1991, S. 485ff. (487).

112

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

pien unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihres Verbindlichkeitsanspruchs. Insoweit steht dem Narrnativität und Universalität heischenden Grundsatz der Subsidiarität 128 das deskriptive Prinzip des Föderalismus gegenüber. Funktional betrachtet sind beide Grundsätze darauf angelegt, das in mehrgliedrigen Gemeinschaften bestehende Spannungsverhältnis von Einheit und Vielfalt auszugleichen. Insgesamt läßt sich das Verhältnis von Föderalismus und Subsidiarität dahingehend beschreiben, daß beide Konzepte im Bezug auf ihre Funktionalität in gestuften Gemeinwesen gleichgerichtet sind und sich zueinander als kompatibel erweisen. Eine strukturelle Beziehung im Sinne eines notwendigen organisatorischen Zusammenhangs beider Prinzipien besteht indes nicht. Weder bedingt die föderative Ordnung eines Bundesstaates zwingend eine Verteilung und Ausübung der staatlichen Aufgaben nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips, noch setzt umgekehrt eine solche Aufgabenzuordnung ein solches Maß an Eigenständigkeil der einzelnen Glieder voraus, wie sie Bundesstaaten oder gar Staatenbünden eigen ist. Letzteres wird besonders deutlich, wenn man sich die Stufenordnungen Jellineks oder von Mahls vor Augen hält, die die Kategorien staatlicher Einheiten wie Glied- und Gesamtstaat übersteigen, indem sie soziale Verbände wie die Familie oder die Gruppe einbeziehen.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip I. Historische Entwicklung bis zum Grundgesetz 1. Allgemeines

Wie sich gezeigt hat, läßt sich die These einer spezifischen Beziehung zwischen dem Föderalismus als Staatsorganisationsgrundsatz und dem Subsidiaritätsprinzip auf der Ebene einer allgemeinen Betrachtung beider Ideen schon mangels eines hinreichend bestimmten Föderalismusbegriffs nicht erhärten. Wenn aber substantielle Erkenntnisse über den Föderalismus als Organisationsprinzip nur hinsichtlich seiner konkreten bundesstaatliehen Verwirklichung gewonnen werden können und diese wiederum maßgeblich von den historischen Entwicklungen und Erfahrungen des einzelnen Staates determiniert werden, ergibt sich die Notwendigkeit, der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Föderalismus nachzugehen, um seine mögliche Verbindung zu dem sozialphilosophischen Grundsatz der Subsidiarität untersuchen zu können. Bezogen auf die dem Subsidiaritätsprinzip zukommende Funktion einer Aufgabenzuweisungsmaxime, stehen dabei die Kompetenz128

Vgl. zu diesem Merkmal des Subsidiaritätsprinzips oben l. Kapitel C. V. l.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

113

verteilung und ihre Veränderung zwischen den deutschen Gliedstaaten und der Zentralgewalt, wie sie sich unter den verschiedenen deutschen Verfassungen vor dem Grundgesetz darstellten, zunächst im Vordergrund der Betrachtung. Begreift man "Föderalismus" als eine Organisationsform staatlicher Gemeinwesen, so knüpft er in seiner völkerrechtlichen Ausprägung als Staatenbund ebenso wie in seiner staatsrechtlichen Erscheinungsform des Bundesstaates an die Existenz souveräner Territorialstaaten an. Daraus folgt, daß vor der markanten Zäsur der europäischen Geschichte, dem Westfälischen Frieden von 1648, ernstlich nicht von föderalen Strukturen in Deutschland gesprochen werden kann 129• Die Herausbildung und Anerkennung fest umrissener Territorien unter der Führung souveräner Fürsten stellte zum einen das faktische Ende des Heiligen Römischen Reiches als des letzten Universalreichs der Weltgeschichte dar. Zum anderen schuf dieser Friedensschluß ein Ordnungssystem der damaligen europäischen Staatengemeinschaft, das deutliche staatenbündische Züge trug 130 und damit gleichermaßen den Ausgangspunkt des Föderalismus als rechtlicher Organisationsform auch auf deutschem Boden 131 wie auch des modernen Völkerrechts markiert 132 und zugleich dessen "dezentralisierte Struktur" 133 verdeutlicht. Dennoch wurden die bis in die Staatsorganisation des Grundgesetzes reichenden Traditionen des "deutschen Föderalismus" erst in den Staatenbünden des 19. Jahrhunderts begründet 134• Dabei ist die Entwicklung des Föderalismus in Deutschland, ungeachtet des Wandels vom Staatenbund zum Bundesstaat, der sich mit der Errichtung des Norddeutschen Bundes am 16. April 1867 als erstem Bundesstaat auf deutschem Boden vollzog 135 , durch eine stetige Stärkung der Zentralgewalt und einer entsprechenden Verminderung des Einflusses der Glieder Zustimmend auch 0. Kimminich, HStR I, § 26, Rz. 27. Zu dem lange währenden Streit, ob das Heilige Römische Reich nach dem Westfälischen Frieden juristisch als .,Staatenbund" zu qualifizieren ist oder nicht, vgl. 0. Kimminich, ibd., Rz. 28. 131 0 . Kimminich, ibd., Rz. 27f. 132 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 25 ff. 133 A. Verdross/B. Simma, ibd., §§ 25 und 73. Auf die föderative Struktur des Völkerrechts weist auch H. Bülck, VVDStRL 21 (1964), S. I ff. (3), hin. 134 0. Kimminich, HStR I, § 26, Rz. 29ff.; ebenso S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 17. 135 Zur Qualifizierung des Norddeutschen Bundes als Bundesstaat vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 252 f.; C. -F. Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 144f.; W. Ogris, JuS 1966, S. 306ff. (308); K. Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 291 f. 129 130

8 Mocr.ch

114

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

gekennzeichnet. Dies findet seinen signifikantesten Ausdruck in den "verfassungsrechtlichen" Kompetenzverteilungen zwischen der jeweiligen Bundesgewalt und den Gliedern. 2. Der Rheinbund

Wenn auch der Rheinbund vom 12. Juli 1806 136 als der Beginn der föderativen Strukturen im neuzeitlichen Deutschland angesehen werden kann, so blieb er ein historisches ,,Zwischenspiel" 137 , das keine nachhaltigen Wirkungen auf die föderale Entwicklung in Deutschland zeitigte. Das lag neben seiner kurzen Existenz von lediglich neun Jahren vor allem daran, daß das in der Rheinbundakte vorgesehene gemeinsame, die Bundesglieder zusammenhaltende Organ, der Bundestag, in der Praxis nicht gebildet wurde und die Entfaltung des Bündnisses insgesamt unter dem starken Einfluß des napoleonischen Frankreichs litt 138 . Während heute die Klassifizierung des Rheinbundes als Staatenbund unstreitig ist 139, bot seine Gründung der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts Anlaß zur Diskussion über die Zuordnung dieses Bündnisses zu den juristischen Kategorien von "Bundesstaat" und "Staatenbund" 140, so daß die Bedeutung dieser Konföderation vornehmlich auf staatstheoretischem Gebiet lag, indem sie Impulse zur Weiterentwicklung der Staatsformenlehre gab. Kennzeichnend für den Konföderationscharakter des Rheinbundes war die Verankerung der "vollen Souveränität" der Mitglieder in Art. 4 der Rheinbundakte, die in Art. 26 dahingehend präzisiert wurde, daß "die Rechte der Souveränität [... ] in der Gesetzgebung, in der hohen Jurisdiction, in der hohen Polizei, in der militärischen Konscription oder Rekrutierung und in dem Rechte der Auflagen" bestehen sollten 141 . Entsprechend erscheint auch die Feststellung, daß jene Souveränität nur gegenüber Mächten, die nicht der Konföderation angehörten, bestehen sollte (Art. 7 der Text der Rheinbundakte bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 28 ff. So die Formulierung von T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125 ff. (134). 138 Vgl. dazu T. Nipperdey, ibd. 139 Vgl. zur Einordnung des Rheinbundes als Staatenbund 0. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 314; ders., HStR I, § 26, Rz. 29; C.-F. Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 104; K. Stern, FS für Hans Huber, S. 319ff. (321); ders., Staatsrecht, Bd. V, S. 126ff. 140 Einen Überblick über die Staatsformdiskussion geben T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125 ff. (132ff.); R. Kose/leck, Artikel: Bund, in: Historisches Lexikon, S. 649ff.; K. Stern, FS für Hans Huber, s. 319ff. (320f.). 141 Zitiert nach E. R. Huber, Dokumente, Bd. I, S. 28ff. 136

137

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

115

Akte), sowie die Verpflichtung, die höchste Staatsgewalt nur an ein Mitglied des Bündnisses abzutreten (Art. 8 der Akte), eher als bloßes Bekenntnis oder freiwillige Selbstbeschränkung denn als Ausdruck einer Unterordnung unter einen gemeinsamen Gesamtwillen. 3. Der Deutsche Bund

Der am 8. Juni 1815 gegründete Deutsche Bund142 war wiederum ein Staatenbund, der schon "eingesprengte bundesstaatliche Elemente" 143 aufwies, auch wenn die Souveränität der "Bundes-Glieder" die Grundlage auch dieses Bündnisses bildete. Von ihrer Konzeption her war die Bundesakte von 1815 im Vergleich zur Rheinbundakte eindeutig auf eine Stärkung des Bundes hin angelegt. So waren die Verpflichtungen der Bundesglieder weitgehender und präziser gefaßt als in der vorangegangenen Konföderation. Das galt zunächst für die Beziehungen zu dritten Mächten: So enthielt Art. 11 der Bundesakte die klassische Formulierung eines völkerrechtlichen Beistandspaktes, wonach ein Angriff auf ein Mitglied oder "ganz Deutschland" den Bündnisfall auslöste. Damit einher ging das Verbot separater Friedensschlüsse und Waffenstillstandsvereinbarungen. Gleichzeitig garantierten sich alle Mitglieder des Bundes den Bestand ihrer "unter dem Bunde begriffenen Besitzungen" sowie gegeneinander nicht Krieg zu führen, sondern ihre Streitigkeiten dem gemeinsamen Organ, der Bundesversammlung (Art. 4--6 der Bundesakte), zu unterbreiten. Darüber hinaus nimmt die Bundesakte auf die Fortgeltung bereits bestehender Übereinkünfte Bedacht (Art. 14, 15 und 17 der Bundesakte), was als integrationspolitische Maßnahme zur Erhaltung des erreichten Status quo zwischen den Bundesgliedern gewertet werden kann. Diese auf eine Stärkung des Bündnisses angelegten Vorschriften wurden durch die Vereinbarungen der Schlußakte der Wiener Ministerkonferenz vom 15. Mai 1820 144 ergänzt, die durch den Beschluß der Bundesversammlung vom 8. Juli 1820145 "zu einem der Bundesacte an Kraft und Gültigkeit gleichen Grundgesetze des Bundes erhoben" wurden. Bei alledem gilt es jedoch zu berücksichtigen, daß der Deutsche Bund ein "Bund der Restauration" 146 war, gegründet von den souveränen Fürsten Text bei E. R. Huber, ibd., S. 84 ff. T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, s. 125 ff. (136). 144 Text bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. I, S. 91 ff. 145 Vgl. dazu E. R. Huber, ibd., S. 100 FN 2. 146 T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, s. 125 ff. (138). 142 143

116

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

der deutschen Territorialstaaten, erweitert um die vier freien Städte Bremen, Frankfurt, Harnburg und Lübeck. Mit seiner Ausrichtung auf die Interessenwahrung der patrimonialen Dynastien, die in den Karlsbader Beschlüssen vom 20. September 1819 147 ihren deutlichsten Ausdruck erfuhr, stand der Deutsche Bund in scharfem Gegensatz zu der nationalliberalen Opposition, die in ihrer Mehrheit die nationalstaatliche Einheit in der Form des Bundesstaates anstrebte, der zudem als Garant gesamtstaatlich geltender Bürgerrechte und parlamentarischer Verantwortlichkeit der Regierung betrachtet wurde 148 • 4. Der Norddeutsche Bund

Mit dem Inkrafttreten der Verfassung des Norddeutschen Bundes am

1. Juli 1867 149 war der erste Bundesstaat auf deutschem Boden geschaffen. Er

stellte jedoch kein national-liberales Gemeinwesen dar, sondern wiederum einen "ewigen" Fürstenbund, wie es die Präambel der Verfassung ausdrücklich festhält Der Norddeutsche Bund stand unter der alleinigen Hegemonie Preußens, nachdem Österreich nach der Niederlage von Königgrätz in Art. IV des Prager Friedens vom 23. August 1866 150 der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen mußte, so daß mit dem ersten deutschen Bundesstaat zugleich auch der preußisch-österreichische Dualismus sein Ende fand. Die Vormachtstellung Preußens im Norddeutschen Bund wurde in der Verfassung festgeschrieben. So stand gemäß Art. 11 der Bundesverfassung das Präsidium, dem die völkerrechtliche Vertretung und die Befugnis zukam, im Namen des Bundes Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, "der Krone Preußen" 151 zu. Darüber hinaus bestimmte Art. 6 der Bundesverfassung, daß Preußen im Bundesrat 17 Stimmen zustanden, während Sachsen als dem nächstgrößten Staat lediglich 4 Stimmen zugesprochen wurden und die Summe der Stimmen aller übrigen Staaten zusammen 26

Texte bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 101 ff. Vgl dazu auch T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125ff. (l38f.). Zu den unterschiedlichen Entwürfen und Vorstellungen über einen deutschen Nationalstaat vgl. R. Kose/leck, Artikel: Bund, in: Historisches Lexikon, S. 655 f. 149 BGBI. 1867 S. 2. ISO Text in Martens, Nouveau Recueil General, Deuxieme Serie, Tome XVIII, p. 344ff. m Mit der Formulierung "Krone Preußen" knüpft Art. 11 Abs. I der Bundesverfassung terminologisch wie semantisch an die Bestimmungen "über Thronfolge und Reichsverwesung (Regentschaft)" der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 an. Auf diesen Zusammenhang weist ausdrücklich auch F. Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Zollvereins, S. 127 f., hin. 147

148

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

117

betrug. Hinzu kam, daß die meisten kleineren Staaten des Bundes politisch, wirtschaftlich und militärisch von Preußen abhängig waren 152, so daß eine Mehrheit gegen Preußen im Bundesrat nicht zustandekommen konnte. Entsprechend den integrationspolitischen Notwendigkeiten konzentrierte sich die Bundesgesetzgebung, die der Landesgesetzgebung vorging (Art. 2 der Verfassung), vorwiegend auf drei Bereiche: So hatte der Bund die Gesetzgebungskompetenz erstens auf den Gebieten, die den Bund als Ganzes betrafen und die ihrer Natur nach nicht wirksam von den Einzelstaaten geregelt werden konnten, wie das Militärwesen, das Außenhandels- und Zollwesen, die Bundessteuern sowie die Gewährung diplomatischen Schutzes von Bundesangehörigen gegenüber dem Ausland. Zweitens oblag es dem Bundesgesetzgeber, Regelungen in den Bereichen zu treffen, die typischerweise einen die Grenzen der Gliedstaaten überschreitenden Charakter besitzen, wozu die Errichtung und Unterhaltung von Verkehrswegen, das Post- und Telegraphenwesen, die wechselseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen und die Beglaubigung öffentlicher Urkunden sowie das Maß-, Münz- und Gewichtssystem einschließlich der Papiergeldemission gerechnet wurden. Drittens erstreckte sich die Bundesgesetzgebungskompetenz auf die Materien, die den Status und die Rechte des einzelnen maßgeblich bestimmen, wie die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Gewerbe- und Niederlassungsrecht, den Schutz von geistigem Eigentum und von Erfindungen. Diese Bundeskompetenzen knüpften an das in Art. 3 der Verfassung festgelegte "gemeinsame Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige [... ] eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Ämtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter den selben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist", an. Dagegen ist die Festlegung legislatorischer Bundeszuständigkeiten in anderen Bereichen nicht ohne weiteres aus Sachgründen zu erklären. Das gilt etwa für die dem Bund eingeräumte Regelungskompetenz auf dem Gebiet des Bankwesens sowie der Medizinal- und Veterinärpolizei (Art. 4 Nr. 4 und Nr. 15 der Verfassung). Der Norddeutsche Bund entfaltete auf der Grundlage der dem Bundesgesetzgeber eingeräumten Legislativkompetenzen eine umfangreiche Rechtsetzungstätigkeit, die vornehmlich auf eine rechtliche Sicherung und Stärkung 152

Zustimmend auch D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 257 f.

118

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

der gewonnenen Staats- und Verfassungseinheit gerichtet war. Dabei konzentrierte sich die Rechtsetzung des Bundes inhaltlich auf die Schaffung gemeinsamer Bundesorgane sowie die Ausgestaltung einer einheitlichen Rechtsordnung, wobei der Status und die Rechtsstellung der "Bundesangehörigen" im Mittelpunkt standen. Dies erklärt sich aus der durch den deutschen Partikularismus bedingten Heterogenität der Rechtsordnungen und Verwaltungsstrukturen. Beispielgebend sei hier auf das "Gesetz betreffend die Kontrolle des Bundeshaushalts für die Jahre 1867 bis 1869" vom 4. Juli 1868, mit dem der "Rechnungshof des Norddeutschen Bundes" (Art. l des Kontrollgesetzes)153 geschaffen wurde, das "Gesetz über die Freizügigkeit" vom 1. November 1867 154, das "Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes" vom 31. Mai 1869 155 , die "Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund" vom 21. Juni 1869 156, das "Gesetz betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung" vom 3. Juli 1869 157, das "Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes" vom 31. Mai 1870158 und das "Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit" vom 1. Juni 1870 159 verwiesen. Diese Gesetze haben teilweise - neben anderen - nach Abschluß der sog. Novemberverträge des Norddeutschen Bundes mit Baden und Hessen 160 als Gesetze des um die genannten Länder sowie Bayem 161 und Württemberg 162 "erweiterten Bundes" 163 als Recht des "Deutschen Bundes" weitergegolBGBI. 1868 s. 433. BGBI. 1867 S. 55. ISS BGBI. 1869 s. 145. IS6 BGBI. 1869 S. 245. IS7 BGBI. 1869 s. 292. ISS BGBI. 1870 s. 197. ts9 BGBI. 1870 S. 355. 160 Vgl. dazu das ,,Protokoll betreffend die Vereinbarung zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen über Gründung des Deutschen Bundes und Annahme der Bundesverfassung" . 161 Vgl. dazu den "Vertrag betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes" vom 23. November 1870, BGBI. 1871 S. 9. 162 Vgl. dazu den "Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen einerseits und Württemberg andererseits, betreffend den Beitritt Württembergs zur Verfassung des Deutschen Bundes" vom 25. November 1870, BGBI. 1870 s. 654. 163 In Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht in der Staatsrechtslehre geht der Verf. davon aus, daß die "Novemberverträge" lediglich eine Ausweitung des Norddeutschen Bundes zum Deutschen Reich bewirkt haben. Nach a.A. sollen die Verträge zur Auflösung des Norddeutschen Bundes geführt haben und gleichzeitig eine Vereinbarung zur Gründung eines neuen Bundesverhältnisses darstellen. ISJ

IS4

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

119

ten 164 und sind schließlich gemäß § 2 des "Gesetzes betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches" vom 16. April 1871 165 in redigierter Fassung Bestandteil des Reichsrechts geworden. Als Bundes- oder Landesrecht neu bekanntgemacht, gelten diese Vorschriften zum Teil bis heute fort 166 oder sind erst unter der Geltung des Grundgesetzes durch Bundesrecht abgelöst worden, das sich teilweise stark an der alten Rechtslage orientiert. Einzelne Regelungen dieser Gesetze sind in neu geschaffenes Bundes- und Landesrecht übernommen worden, was zum Beispiel für Teile der "Gewerbeordnung"167 gilt. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ist beim Übergang vom Norddeutschen Bund zum Deutschen Bund lediglich um die Kompetenz zum Erlaß von "Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen" 168 erweitert worden, so daß insoweit nicht von einer entscheidenden Stärkung der Zentralgewalt gesprochen werden kann. Doch darf hierbei nicht übersehen werden, daß die Gründung des Deutschen Bundes ganz im Zeichen des Übergangs stand und in erster Linie der Erweiterung des Norddeutschen Bundes um die südlich des Mains gelegenen Gebiete Hessens sowie Badens, Bayerns und Württembergs diente, also primär außenpolitische Bedeutung besaß und von Bismarck unter dem Gesichtspunkt der Kriegsvorbereitung gegen Frankreich betrieben wurde 169.

Zum Meinungsstand vgl. 0. Kimminich, in: Probleme des Föderalismus, S. 1 ff. (13).

164 Die Fortgeltung der vom Norddeutschen Bund erlassenen Gesetze als Gesetze des Deutschen Bundes ist in Artikel 80 der "Verfassung des Deutschen Bundes" (ohne Datum), BGBI., ausgegeben zu Berlin am 3l. Dezember 1870, geregelt. 165 RGBI. 1871 S. 63. 166 Dies gilt namentlich für das Strafgesetzbuch, das als ,,Neubekanntmachung des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 ", RGBI. S. 127, in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. März 1987, BGBI. I S. 945, berichtigt S. 1160, heute geltendes Recht ist. 167 Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom l. Januar 1987, BGBI. I S. 425. 168 Vgl. dazu Art. 4 Nr. 16 der Verfassung des Deutschen Bundes, BGBI. 1870 s. 627. 169 Diese Erwägungen finden ihre Bestätigung in der Tatsache, daß im Zuge der sog. Novemberverträge zugleich entsprechende Militärkonventionen mit Baden und Württemberg abgeschlossen wurden, in denen die Truppen dieser Länder unter preußischen Oberbefehl gestellt wurden. Vgl. dazu die "Militärkonvention zwischen dem Norddeutschen Bund und Baden" vom 25. November 1870, Text bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 261; sowie die "Militärkonvention zwischen dem Norddeutschen Bund und Württemberg" vom 21./25. November 1870, BGBI. 1870 s. 658.

120

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG 5. Das Deutsche Reich

Eine Konsolidierung dieser Entwicklung trat erst mit der Verfassung des Deutschen Reichs 170 vom 16. April 1871 171 ein. Ebenso wie ihre beiden Vorgängerinnen war auch diese Bundesstaatsverfassung ein "ewiger Bund" der deutschen Fürsten. Mit Blick auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Gliedern wies die Reichsverfassung formal zunächst keine entscheidenden Unterschiede zu der seit der ersten Bundesverfassung vom 16. April 1867 geltenden Regelung auf. Dennoch trug die Verfassungsentwicklung bis zum Beginn - und besonders während 172 - des Ersten Weltkrieges starke unitarische Züge, die vor allem in einer extensiven Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenzen des Reiches insbesondere auf dem Gebiet des Militärwesens, der Außen- und Kolonialpolitik wie auch der Zoll-, Wirtschafts- und der neu hinzutretenden Sozialpolitik ihren Niederschlag fand. Hinzu kam die vermehrte Errichtung eigener Reichsverwaltungen 173 • Dabei hat sich dieser Prozeß der Kompetenzverschiebung zugunsten des Reiches im wesentlichen ohne Änderungen des Verfassungswortlauts vollzogen, sieht man von der bedeutenden Verfassungsänderung vom 20. Dezember 1873 174 ab, mit der Art. 4 der Reichsverfassung um die Nr. 13 dahingehend ergänzt wurde, daß sich die Reichsgesetzgebung nunmehr auf das "gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren" erstreckte. Letztlich bleibt auch die verfassungsrechtliche Kompentenzgrundlage der drei großen und kostenintensiven Sozialgesetze 175 des Reiches offen, wenngleich diese Gesetzeswerke in Ausführung der kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 176 ergangen und auf dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Wege - insbesondere unter Zustimmung des Bundesrates - zustandegekommen sind. Denn eine entsprechende Verfassungsänderung, mit der dem Reich eine umfassende Rechtsetzungskompetenz für die genannten 170 So auch S. Oeter, Integration uns Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 31 f. 171 RGBI. 1871 S. 63. 172 Da die im Verlauf und mit unmittelbarem Bezug zum Kriegsgeschehen vorgenommenen Ausdehnungen der Reichsbefugnisse zum größten Teil militär- und finanzspezifischer Natur waren und daher insgesamt als eine atypische Entwicklung angesehen werden müssen, werden sie nicht in die Betrachtung einbezogen. 173 Vgl. dazu T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125ff. (151). 174 RGBI. 1873 S. 379. 175 Hierzu zählen das "Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" vom 15. Juni 1883, RGBI. S. 73; das "Unfallversicherungsgesetz" vom 6. Juli 1884, RGBI. S. 69, sowie das "Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung" vom 22. Juni 1889, RGBI. S. 97. 176 Text bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 398f.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

121

Materien eingeräumt worden wäre, ist nicht erfolgt, und das Institut der "kaiserlichen Botschaft" als verbindlichen Gesetzgebungsauftrag sah die Verfassung nicht vor. Die Ausdehnung der Rechtsetzungskompetenzen und die Einrichtung unmittelbarer Reichsverwaltungszweige stand jedoch in krassem Mißverhältnis zu der Entwicklung der Reichseinnahmen. Der Reichskasse standen gemäß der Art. 35 und 38 der Reichsverfassung grundsätzlich nur die Erträge aus jenen indirekten Steuern zu, für deren Einführung das Reich auch die Gesetzgebungsbefugnis besaß. Überdies bestimmte Art. 38 der Reichsverfassung zum Teil umfangreiche Ertragsabzüge, so daß die von den Bundesstaaten an das Reich abzuführenden Beträge nochmals gemindert wurden. Daher machten insbesondere die Unterhaltung und Aufrüstung des Heeres und der Kriegsflotte die wiederholte Auflegung von Reichsanleihen oder Sonderabgaben 177 erforderlich. Im übrigen war das Reich zur Deckung von Fehlbeträgen auf anteilige Zuschüsse der Länder (sog. Matrikularbeiträge) angewiesen. Auch die 1906 178 eingeleitete Finanzreform brachte letztlich keine Lösung der finanziellen Probleme des Reiches, da die hierfür notwendige Umkehrung der Prärogative bei den Steuereinnahmen von den Bundesländern auf das Reich nicht durchsetzbar war und der Einführung unmittelbarer Reichssteuern wirtschaftliche und politische Grenzen gesetzt waren. So gelang es beispielsweise erst in dem genannten Finanzreformgesetz von 1906, den Reichsanteil am Ertrag der Erbschaftssteuer auf zwei Drittel des Nettoaufkommens zu steigern, der dann in Art. I § 5 des "Gesetzes, betreffend Änderung im Finanzwesen" vom 15. Juli 1909 179 auf drei Viertel des Ertrages ausgeweitet wurde. Das Bemühen des Reichskanzlers Fürst von Bülow, die Erbschaftssteuer als unmittelbare Reichssteuer auszugestalten, führte am 17. Juli 1909 sogar zum Sturz der Reichsregierung. Dies läßt den Widerstand des Bundesrates und der Bundesländer gegen eine Beschneidung ihrer Steuereinnahmen durch das Reich und damit letztlich die Dominanz der Gliedstaaten unter der Reichsverfassung von 1871 erkennen. Die Finanzverfassung war daher das entscheidende Problem des Reichsföderalismus bis 1914 180. 177 Vgl. dazu das "Gesetz über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbei trag" vom 3. Juli 1913, RGBI. S. 505. 178 Vgl. dazu das "Gesetz, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld" vom 3. Juni 1906, RGBI. S. 620. 179 RGBI. S. 743. Im Zusammenhang mit diesem "Artikelgesetz" sind unter dem gleichen Datum eine Reihe weiterer Steuergesetze geändert (vgl. dazu RGBI. 1909 S. 695ff.) sowie das Branntweinsteuergesetz vom 15. Juli 1909, RGBI. S. 661, eingeführt worden, das eine unmittelbare und allein der Reichskasse zufließende Steuer einführte.

122

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Insgesamt lassen sich Situation und Entwicklung des Föderalismus im Deutschen Reich bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges dahingehend beschreiben, daß im Verfassungsgefüge anfangs der unter hegemonialer Führung Preußens stehende Bundesrat eine stark dominierende RoHe spielte 181 , was sich unter anderem daran ersehen läßt, daß gemäß Art. 78 der Reichsverfassung im Bundesrat als .,dem obersten Organ des Reiches"182 eine qualifizierte Mehrheit für eine Verfassungsänderung erforderlich war, während im Reichstag eine einfache Mehrheit genügte. Dabei erwies sich die Kopplung des Reichspräsidiums an die preußische Krone zunächst als Absicherung der Vormachtste11ung Preußens im Reich. Vor diesem Hintergrund erschien der Föderalismus vor a11em als ein Konzept, mit dessen Hilfe die staatliche Einheit gesichert und gestärkt werden konnte, ohne die Souveränität der Bundesstaaten und damit zugleich auch den Machtanspruch der patrimonialen Dynastien mehr als unabdingbar zu beschneiden. Die Zentralisierung des Reiches, die durch das .,nationalunitarische Kaisertum" 183 gefördert wurde, führte jedoch nach der Jahrhundertwende paradoxerweise zu einer Stärkung seiner föderalen Struktur. So vo11zog sich mit der zunehmenden institutioneBen und personeBen Abkopplung der Reichsverwaltung von der preußischen Administration auch eine Belebung des Föderalismus, wenn auch unter Kompetenzverlusten der Länder. Der Erste Weltkrieg wirkte schon wegen seiner wirtschaftlichen Auswirkungen und als elementares nationales Ereignis als vereinheitlichendes Moment. Die auch in der Bevölkerung aUgemein positiv aufgenommene Unitarisierung stieß gegen Ende des Krieges auf weitgehende Ablehnung, da die alte politische Führungseltite und ihre Zentralisierungspolitik als gescheitert und diskreditiert angesehen wurden. Indes gingen von dieser aus der Niederlage und aus wirtschaftlicher Not resultierenden proföderalen Stimmung keine nachhaltigen Impulse für die staats- und verfassungsrechtliche Neugestaltung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg aus 184. Dies belegt unter anderem die Tatsache, daß sich der von Hugo Preuß ausgearbeitete Verfassungsentwurf, in dem das Reichsgebiet unter Auflösung Preußens neu gegliedert werden so11te, nicht durchsetzen konnte. Der Entwurf sah die Errichtung von sechzehn annähernd gleich großen .,Gebieten" vor, 180 So auch T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der P1aat (Hrsg.), Federa1ism, S. 125ff. (l52ff.). 181 H. Rumpler, Der Staat 1977, S. 215ff. (220ff.). 182 Zu dieser Bewertung des Bundesrates in der Reichsverfassung von 1871 vgl. C.-F. Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 148. 183 Zum Begriff T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der P1aat (Hrsg.), Federa1ism, S. 125ff. (151). 184 So auch T. Nipperdey, ibd., S. 153.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

123

die den Charakter von "potenzierten Selbstverwaltungskörperschaften" ohne Staatsqualität besitzen sollten 185. 6. Die Weimarer Reichsverfassung

Die nachfolgende Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 186 stellte in mehrfacher Hinsicht einen Bruch bis dahin bestehender deutscher Verfassungstraditionen dar. Dies gilt zunächst für den unter militärischem und politischem Druck 187 vollzogenen Wechsel der Staats- und Regierungsform, den Wandel von der konstitutionellen Monarchie zur demokratischen Republik, wie er in der Formulierung des Art. 1 der Weimarer Verfassung seinen prägnanten und nüchternen Ausdruck gefunden hat: "Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus". Darüber hinaus ist in der Verfassung von 1919 jedoch auch der deutsche Föderalismus auf eine völlig neue Grundlage gestellt worden 188• Während in allen vorausgehenden deutschen Verfassungen die Souveränität der Einzelstaaten und das von diesen gebildete Verfassungsorgan, der Bundesrat, sowohl den Ausgangspunkt für die staatliche Einheit als auch die Basis für die föderale Struktur bildeten, erhielten mit der Weimarer Verfassung die national-unitarischen Elemente das gegenüber dem Föderalismus größere Gewicht 189. Seinen augenfälligsten Niederschlag fand dies, neben dem Aufbau und der Systematik der Verfassung, die die Regelungen über den Reichsrat als Verfassungsorgan erst im vierten Abschnitt des ersten Hauptteils aufführte, in der ausgedehnten Rechtsetzungskompetenz 185 Vgl. dazu K. Stern, Staatsrecht Bd. V, S. 543ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 293. 186 RGBI. 1919 S. 1383. 187 Vgl. dazu die zweite Note des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Woodrow Wilson vom 14. Oktober 1918, in der unmißverständlich die Abschaffung der Erbmonarchie in Deutschland gefordert wird, wenn es heißt: "Vernichtung jeder willkürlichen Macht überall, welche es in Händen hat, allein, geheim und auf eigene Willensbestimmung den Weltfrieden zu stören, oder, falls diese Macht gegenwärtig nicht vernichtet werden kann, ihre Herabmii~derung bis zur tatsächlichen Ohnmacht". (Zitiert nach E. R. Huber, Dokumente, Bd. 3, S. 285.). 188 Zu Recht betont J. Abr. Frowein, in: Probleme des Föderalismus, S. 47ff. (50), daß dieser Bundesstaat totz der bundesstaatliehen Verfassung der ersten deutschen Republik, "keine eigentliche bündische Grundlage" mehr besaß. 189 Der starke unitarische Zug der Weimarer Reichsverfassung hat in Verbindung mit dem Umstand, daß die Verfassung selbst keinen Hinweis auf die Staatsorganisationsform des Bundesstaates enthielt, bisweilen zu der (unzutreffenden) Charakterisierung der ersten deutschen Demokratie als "dezentralisiertem Einheitsstaat" geführt. Vgl. dazu L. Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 102ff.; ders., ZöR III (1923), S. 503ff. (504).

124

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

des Reiches, die den Ländern kaum mehr substantielle legislatorische Befugnisse beließ. So erstreckte sich die Regelungskompetenz des Reiches über die Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung des Art. 6 WRV, der sich auf die in Bundesstaaten allgemein dem Gesamtstaat vorbehaltenen Materien beschränkte hinaus, auf nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, wie aus dem umfangreichen Enumerativkatalog des Art. 7 WRV deutlich wird. Dem Reich wurde hier aber keine "ausschließliche Rechtsetzungsbefugnis" eingeräumt, wie man aus der Formulierung, "das Reich hat die Gesetzgebung über: [... ]" vermuten könnte. Gemäß Art. 12 Abs. 1 WRV bedeutete diese Regelung lediglich, daß den Ländern die Rechtsetzungskompetenz über die in Art. 7 WRV genannten Materien bis zu deren Regelung durch den Reichsgesetzgeber verblieb. Es handelte sich mithin um eine zeitlich limitierte Ländergesetzgebungszuständigkeit, die in ihrer Struktur und Ausgestaltung einen Vorläufer des grundgesetzliehen Instituts der sog. konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 72 und 74 GG bildete. Darüber hinaus besaß das Reich gemäß Art. 9 WRV die Kompetenz zum Erlaß von Vorschriften auf den Gebieten der "Wohlfahrtspflege" und "des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit", "soweit ein Bedürfnis"190 nach einheitlicher Regelung bestand. Weiterhin sah die Weimarer Verfassung in den Art. 10 und 11 das Institut der "Grundsätzegesetzgebung" vor, wobei dem Reich unter anderem die Normierung von Grundsätzen auf dem Gebiet des "Schulwesens einschließlich des Hochschulwesens und des wissenschaftlichen Büchereiwesens" (Art. 10 Ziff. 2 WRV) sowie "des Rechts der Beamten aller öffentlichen Körperschaften" (Art. 10 Ziff. 3 WRV) oblag. Vor dem Hintergrund, daß in der Reichsverfassung von 1871 die Finanzhoheit ganz überwiegend den Bundesstaaten zukam, denen das Reich die Zuweisung von Steuererträgen und Finanzmitteln mühsam abringen mußte, drückt sich der Machtverlust der Länder in den Art. 8 und 11 WRV besonders deutlich aus. Während jedoch Art. 11 WRV dem Reich lediglich die Kompetenz zum Erlaß von Grundsatzregelungen "über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben" zugestand, verpflichtete Art. 8 Satz 2 WRV den Reichsgesetzgeber nur noch, "auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen", wenn "das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch" nehmen wollte, "die bisher den Ländern zustanden". 190 Formulierung und Konzeption dieser Vorschrift waren letztlich Vorbild für die sog. Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG, die erst mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994, BGBI. I S. 3146, zugunsten der jetzigen Fassung ihre Gültigkeit verlor.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

125

Waren die Finanzverfassung und die Reichseinnahmen das zentrale Problem des monarchischen Bundesstaates, so stellten die Heterogenität der einzelnen Länder und vor allem die übermächtige Stellung Preußens, die zu einem "Dualismus Reich-Preußen" 191 geführt hatte, die Hauptschwierigkeit des föderalen Gefüges in der ersten deutschen Republik dar. Doch war den Versuchen einer entsprechenden Reichsreform ebenso wenig Erfolg beschieden wie dem Preuß'schen Verfassungsentwurf. Die gemeinsam von der Reichs- und den Landesregierungen gebildete "Länderkonferenz", die von Januar 1928 bis Juli 1930 verschiedene Vorschläge zur Neugestaltung des Verhältnisses von Reich und Ländern erarbeitete, ließ die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den Gliedstaaten und der Zentralgewalt deutlich zutage treten 192• Die unitarischen Reformvorstellungen der Reichsregierung waren dabei auf eine Aufhebung des Landes Preußen und eine territoriale Neugliederung der Länder gerichtet, die die Errichtung und Erhaltung leistungsfähiger Gliedstaaten zum Ziel hatte und bestehende "Enklaven" aufzuheben suchte. Ferner sollten im Rahmen einer umfangreichen Auftragsverwaltung die Landesverwaltungen weitgehend an Vorgaben der Reichsregierung gebunden werden 193• Dagegen zielten die Reformvorschläge der größeren Länder außer Preußen in erster Linie auf eine Aufteilung dieses größten deutschen Gliedstaates in ungefähr gleich große Gebietskörperschaften ab, wobei diesen neuen Verwaltungseinheiten jedoch im Vergleich zu den alten Ländern ein minderer Rechtsstatus zukommen sollte. Insbesondere hätten sie in weit geringerem Umfang über eigenständige Rechtsetzungskompetenzen verfügen sollen als Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden, deren Stellung und Befugnisse nach diesen Vorstellungen von der angestrebten Verfassungsreform nicht berührt worden wären 194• Daß das entscheidende Motiv dieser Vorschläge nicht eine an den Bedürfnissen des Zum Begriff vgl. E. R. Huber, Dokumente, Bd. 4, S. 462f. So wurden in dem von der Länderkonferenz am 18. Januar 1928 vorgelegten "vorläufigen Schlußbericht" die Meinungsverschiedenheiten offen ausgesprochen, wenn es dort heißt: "Reichsregierung und Ländervertreter sind der Auffassung, daß die Weimarer Regelung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern unbefriedigend ist und einer grundlegenden Reform bedarf. Wenn auch darüber, ob die Reform die unitarischen oder die föderativen Kräfte stärken soll oder welche Vereinigung beider Kräfte in neuer Form möglich ist, eine Übereinstimmung nicht erzielt werden konnte, so bestand doch Einigkeit darüber, daß eine starke Reichsgewalt notwendig ist." (Zitiert nach E. R. Huber, ibd., S. 465ff. [466]. Hervorhebung durch den Verf.). 193 Vgl. zu diesen Absichten der Reichsregierung die "Entschließung der Reichsregierung Hermann Müller zur Frage der Reichsreform" vom 23. Oktober 1928, die während der Beratungen des "Verfassungsausschusses der Länderkonferenz" abgegeben wurde. Text der Entschließung bei E. R. Huber, ibd., S. 467 f. 194 Vgl. zu diesen Reformvorstellungen, die entscheidend auf den Einfluß der Vertreter Badens, Bayerns, Sachsens und Württembergs in der Länderkonferenz und dem Verfassungsausschuß zurückgingen, die "Vorschläge des Verfassungsausschusl9l

192

126

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Reiches ausgerichtete Reform des föderativen Systems war, sondern die Absicht der genannten Länder, ihre Position im Bundesrat und gegenüber dem Reich durch eine Zerschlagung Preußens aufzuwerten, ist offensicht· lieh. Es kann daher nicht verwundern, daß die Reform des föderativen Systems der Weimarer Reichsverfassung letztlich am Widerstand Preußens und seines Ministerpräsidenten Braun scheiterte. Wenn man die im Rahmen der ideologisch und machtpolitisch motivierten "Gleichschaltung" der nationalsozialistischen Diktatur praktizierte Zentralisierung als eine atypische Erscheinung außer Betracht läßt, so ist trotz der gescheiterten Bundesstaatsreform mit der Föderalismuskonzeption der Weimarer Reichsverfassung die strukturelle Entwicklung des deutschen Bundesstaates im wesentlichen abgeschlossen und das auch unter dem Grundgesetz fortbestehende verfassungsrechtliche Machtverhältnis zwischen dem Gesamtstaat und den Ländern auf eine stabile Grundlage gestellt worden, die, verglichen mit den Veränderungen des deutschen Föderalismus im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nur noch geringfügigen Modifikationen unterworfen war.

II. Würdigung der historischen Entwicklung des deutschen Föderalismus unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsgedankens 1. Politische Rahmenbedingungen

Die skizzierte verfassungsrechtliche Entwicklung des Föderalismus in Deutschland kann nicht losgelöst von jenen politischen, staatstheoretischen und geistesgeschichtlichen Einflußfaktoren betrachtet werden, welche die Erscheinungsformen der staatenbündischen und bundesstaatliehen Strukturen Deutschlands entscheidend geprägt haben. Zunächst gilt es zu berücksichtigen, daß die Entwicklung der deutschen Verfassungsgeschichte nie eine allein "innerdeutsche" Angelegenheit war, sondern daß die Ausgestaltung deutscher Verfassungen immer auch starken Einflüssen der internationalen Politik ausgesetzt gewesen ist 195 • Dies trifft in besonderem Maße auf den Föderalismus in Deutschland zu. So ist es kein geschichtlicher Zufall, daß der Westfalische Frieden von 1648 gleichzeitig den Beginn der "föderalen Tradition in der deutschen Verfassungsgeschichte" 196 wie auch des europäischen Staatensystems der ses der Länderkonferenz" vom 21. Juni 1930, in Auszügen abgedr. bei E. R. Huber, ibd., s. 470ff. 195 Vgl. dazu auch D. Merten, in: Michael Kloepfer/Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier/Wassilios Skouris, Kontinuität und Diskontinuität, S. 19ff. (21 ff.).

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

127

Neuzeit markiert 197 • Der Rheinbund war auf Drängen Napoleons gegründet worden 198 , und die Bundesakte vom 8. Juni 1815, mit der der Deutsche Bund errichtet wurde, stellte ein Verhandlungsergebnis des Wiener Kongresses dar 199• Zu diesen "internationalen" oder "außerdeutschen" Einflußfaktoren trat während des 19. Jahrhunderts noch der preußisch-österreichische Dualismus hinzu, der die Wirksamkeit wie die Weiterentwicklung des Deutschen Bundes verhinderte200, da Art. 7 Abs. 4 der Bundesakte für alle die "vertraglichen Grundlagen betreffenden Änderungen" Einstimmigkeit verlangte, die bei den zwischen den beiden deutschen Hegemonialmächten bestehenden Interessengegensätzen nicht zu erreichen war. Die Konkurrenz der beiden Großmächte um die Führungsrolle in Deutschland muß neben dem zweiten Gegensatz, dem Streben nach nationaler Einheit bei gleichzeitiger Existenz der vielen deutschen Einzelstaaten, als ein Hauptgrund für das Scheitern der verfassungsgebenden Nationalversammlung von 1848/49 angesehen werden201 . Seit der Beendigung des deutschen Dualismus durch die militärische Niederlage Österreichs bei Königgrätz 1866 und der Gründung des Norddeutschen Bundes wurde die Entwicklung des deutschen Föderalismus zwar weniger stark von äußeren Faktoren bestimmt. Statt dessen prägten jedoch die Interessen der übermächtigen Hegemonialmacht "Preußen" die verfassungsrechtlichen und föderativen Strukturen des deutschen Bundesstaates202 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Dieser Krieg führte verfassungsgeschichtlich gesehen wieder zu einer weitgehenden "Fremdbestimmung" der deutschen Verfassungsentwicklung, wobei jedoch die amerikanische Einflußnahme auf die Staats- und Regierungsform Deutschlands stärker war als auf die Staatsorganisation des Föderalismus, was der Notenwechsel zwischen dem amerikanischen Präsidenten So 0. Kimminich, HStR I, § 26, Rz. 27. Vgl. dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht,§ 25f. 198 E. Deuerlein, Föderalismus, S. 66; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 204f.; C.-F. Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, s. 104. 199 E. Deuerlein, ibd., S. 70. 200 So auch C.-F. Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 111, 134; 0. Kimminich, Politische Studien 1976, S. 17ff. (19). 201 Im Ergebnis zustimmend C.-F. Menger, ibd., S. 137. 202 H. Rumpler, Der Staat 1977, S. 215 ff. (220f.), sieht in der anfänglichen Konkurrenz Preußens und Österreichs und der späteren alleinigen Hegemonie Preußens in Deutschland das zentrale Problem und Hindernis der föderativen Entwicklung Deutschlands. 196 197

128

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Woodrow Wilson und dem deutschen Reichskanzler Prinz Max von Baden vom Oktober und November 1918203 belegt. Insgesamt läßt sich somit sagen, daß die konkrete Verfassungsentwicklung, die hinsichtlich der föderativen Strukturen bis zur Weimarer Reichsverfassung von einer stetigen Stärkung der Zentralgewalt bestimmt war, keine erkennbaren Bezüge des deutschen Föderalismus zu jenen Gedanken aufweist, die seit der Sozialenzyklika Papst Pius' XI. mit dem Begriff "Subsidiaritätsprinzip" umschrieben werden. So ging es bei dem Ringen um Kompetenzen zwischen der Zentralgewalt und den Einzelstaaten nicht um eine "bessere" Aufgabenerfüllung durch die "obere" oder "untere" Ebene, sondern um reine Machtfragen, wie dies am Beispiel der Steuererhebungsbefugnisse des Reiches und der Diskussion um eine Reform des föderativen Gefüges der Weimarer Reichsverfassung besonders deutlich wurde. 2. Föderalismuskonzeptionen in der deutschen staatstheoretischen Diskussion des neunzehnten Jahrhunderts

Weiterhin wurde die verfassungsrechtliche und politische Entwicklung des deutschen Föderalismus im 19. Jahrhundert von einer breiten Fachdiskussion begleitet, in der sich vornehmlich Staatsrechtler, Historiker und Philosophen 204 um die für Deutschland adäquate Staatsform und deren theoretische Begründung bemühten. Bei der sich um die Begriffe "Bundesstaat" und ,,Staatenbund" rankenden Auseinandersetzung stand inhaltlich die Frage im Mittelpunkt, wie sich das Streben und der Wunsch nach nationaler und staatlicher Einheit mit den Gegebenheiten der Existenz einer Vielzahl souveräner, von absolutistisch herrschenden Dynastien regierter Staaten in Einklang bringen ließ. Auch wenn die Begriffe "Föderalismus" und "Unitarismus" zunächst keine besondere Verbreitung fanden, kennzeichnet der fiktive Dialog Hans von Gageros zwischen dem "Unitarier" und dem "Föderalisten" die Argumentationsmuster sehr treffend. So läßt von Gagern den Unitarier sagen: "Ich sehe keine Rettung für uns, als die Vereinigung aller deutschen Staaten in ein einziges Reich", worauf der Föderalist antwortet: "Ich begreife weder, wie das zu erreichen ist, noch warum in dieser Einheit alles Heil liegen soll!"205 • Zur Begründung der von ihm als für Deutschland anzustreTexte bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 487ff. Die Beschränkung der Diskussion auf eine kleine intellektuelle Elite hat E. Deuerlein, Föderalismus, S. 89, zu der Bemerkung veranlaßt "Die Auseinandersetzung über die politische Ordnung Deutschlands wurde zur Fachsimpelei - ein Umstand, der zu einem beunruhigenden Mangel des deutschen Volkes an verfassungsrechtlichen Kenntnissen und zu einer bis heute nicht behobenen Unkenntnis des weitgreifenden Problemkreises des Föderalismus geführt hat". 203

204

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

129

bend dargestellten bundesstaatliehen Verfaßtheit führt von Gagern in seiner Abhandlung "Vom Bundesstaat" aus: "Denn im Bundesstaat liegt das Mittel, in auswärtigen Verhältnissen mit Ansehen und Macht aufzutreten, im Innem die Hindernisse wegzuräumen, welche Lokalinteressen dem Gemeinbesten in den Weg legen, [...], während den kleineren Territorien doch hinreichende Selbständigkeit bleibt, um ihre ei§fnen Angelegenheiten nach Lokalbedürfnissen und Rücksichten zu ordnen, [ ...]"2 •

Pfizer trat ebenfalls für die Errichtung eines deutschen Bundesstaates allerdings unter der Hegemonie Preußens - ein, wobei er jedoch, auf den inneren Zusammenhang von Freiheit und Einheit hinweisend, zu den Ergebnis gelangte, daß die "Wiedervereinigung"207 Deutschlands von dem Beharren der Fürsten an ihren Souveränitätsrechten verhindert werde. Pfizer sah daher eine bundesstaatliche Lösung der deutschen Frage nur unter zwei Voraussetzungen als realisierbar an: Zum einen sei eine Einigung Deutschlands nur unter Ausschluß Österreichs möglich, "weil aller Vortheil von der gegenwärtigen Politik des Deutschen Bundes ganz allein auf seiner Seite ist". Zudem müsse Österreich, "wohl erkennend, daß keine über ihre Rechte und Interessen aufgeklärte Nation von einer fremden Dynastie durch Dolmetscher regiert seyn will, der Entwicklung freisinniger und nationaler Ideen Widerstand leisten"208 • Zum anderen müsse die Erkenntnis Platz greifen, daß einerseits Preußen Deutschland "brauche", "wenn es nicht der Vasall Rußlands werden" wolle, wie andererseits "Deutschland Preußens" bedürfe209 , so daß Pfizer für die von ihm favorisierte "klein-deutsche" Lösung eine natürliche Interessenergänzung in der politischen Realität gegeben sah. Carl Theodor Welcker erblickte "den rechtlichen Grundcharakter des Bundesstaates" darin, "daß in ihm mehrere unvollkommene souveräne Staaten und Regierungen zu einer wahren moralischen Persönlichkeit oder Universitas, und zwar zu einer staatsrechtlichen oder zu einer gemeinschaftlichen höheren Staatsverfassung vereinigt und ihr untergeordnet sind". Dabei maß Welcker dem Bundesstaat ganz im Sinne der Staatszwecklehren seiner Zeit einen spezifischen Zweck zu. Zwischen ,,Staatszweck", "Nationalzweck" und "Menschheitszweck" differenzierend, sollte letzterer "nur insoweit Bundeszweck" sein, "als dessen Förderung und Schützung nicht genügend schon von den besonderen Staaten bewirkt werden kann. Nur insoweit 205 H. C. Reichsfreiherr von Gagem, Leben des Generals Friedrich von Gagem, Bd. 1, S. 361. 206 H. C. Reichsfreiherr von Gagem, ibd., S. 375 f. 207 Zum Begriff P. A. Pfizer, Über die Entwicklung des öffentlichen Rechts, s. 367. 2os P. A. Pfizer, ibd., S. 368. 209 P. A. Pfizer, ibd., S. 371 f.

9 Moersch

130

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

dieses nicht der Fall ist, soll der Bundesstaat für die einzelnen, in besondere Staaten geteilten Stämme einer Nation dasselbe sein, was der Staat für die einzelnen Familien ist. Eine Beschränkung der einzelnen Staaten durch die Bundesgewalt wird nur insoweit anerkannt, ist nur insoweit vemünftig"2IO. In dieser teleologischen Begründung des Bundesstaates finden sich jene Bezüge zum Subsidiaritätsprinzip liberalistischer Prägung, wie sie später auch in den Staatszwecklehren von Mahls und Jellineks 211 herausgearbeitet wurden. Auch Welcker greift auf den Gedanken eines gestuften Staatswesens, welches einem übergeordneten gemeinsamen Ziel verpflichtet ist, zurück, wobei an die Stelle des Gegensatzes von Individuum und Staat das Verhältnis von Einzel- und Gesamtstaat tritt. Den Antagonismus zwischen bestehendem Partikularismus und erstrebter nationalstaatlicher Einheit versucht Welcker in einem subsidiären Stufenverhältnis aufzulösen. Dabei soll die Fähigkeit der Gliedstaaten, dem übergeordneten "Menschheitszweck der Nation" zu dienen, das Kriterium für die Reichweite der "Bundesgewalt" sein. Gemeinsam ist den Bundesstaatsmodellen von Gagerns, Pfizers und Welckers, daß sie in erster Linie als Lösungsvorschläge für die Frage einer staatlichen Einheit Deutschlands gedacht waren und nicht als Beiträge zu einer allgemeinen staatsrechtlichen Diskussion über den Bundesstaat als Staatsorganisationsform212 . Dennoch blieben diese staatsorganisatorischen Vorstellungen weitgehend theoretisch, da sie letztlich keinen Weg aufzeigen konnten, wie die geistigen und politischen Gegensätze zwischen partikularer Souveränität und staatlicher Einheit sowie national-liberalem Impetus und absolutistischem Konservatismus zu konsensfähigen Kompromissen hätten geführt werden können. Auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Synthese dieser real existierenden Gegensätze wies Bluntschli hin. Er gelangte zu dem Ergebnis: "Wer die Zerfleischung Deutschlands nicht will, ist somit genötigt, jene beiden Tatsachen zugleich anzuerkennen, und beiden die gebührende Achtung zuzuwenden. [... ] Partikularität und Nationalität müssen sich also vereint zusammenfinden, da keine von beiden in Deutschland sich selber genügt, keine von beiden für sich allein Bestand und Kraft hat"213 . 210 C. T. Welcker, Stichwort: Bund, Bundesverfassung, in: Das Staats-Lexikon, Bd. III, S. 133 f. 211 Vgl. zu den Staatslehren Roben von Mohls und Georg Jellineks oben I. Kapitel A. II. 2. b) und c). 212 Auf diesen Umstand weist ausdrücklich auch E. Deuerlein, Föderalismus, S. 79, hin. 213 J. K. Bluntschli, Bemerkungen über die neuesten Vorschläge zur deutschen Verfassung. Eine Stimme aus Bayern, zitiert nach Ernst Deuerlein, ibd., S. 86f.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

131

Diese bei Bluntschli noch sehr abstrakten, wenn auch richtungsweisenden Überlegungen nahmen in der von dem Historiker Georg Waitz entwickelten Bundesstaatskonzeption, die stark von dem amerikanischen Modell und dessen Analyse von Tocqueville inspiriert war 14, konkretere Formen an. Der Kerngedanke des von Waitz entwickelten Bundesstaatsbegriffs lag in der Anerkennung der Staatsqualität sowohl der Gliedstaaten als auch des Gesamtstaates215 , wie sie in der amerikanischen Verfassung angelegt ist. Das Verdienst Waitz' besteht darin, die prinzipielle Übertragbarkeit dieses Systems doppelter Staatlichkeit auf die deutschen Verhältnisse erkannt und in dem Begriff des "monarchischen Bundesstaates"216 auf eine prägnante Formel gebracht zu haben, die in der staatswissenschaftliehen Diskussion eine eigenständige Bedeutung erlangte217 • So definierte Waitz den Bundesstaat als einen Staat, bei dem "ein bestimmter Theil des staatlichen Lebens gemeinsam, ein anderer ebenso bestimmter den einzelnen Gliedern überlassen ist"218 • Die Übertragung dieses Gedankens auf die politische Situation in Deutschland beschrieb Waitz dann mit den Worten: "Halten wir deshalb den Gedanken fest, daß es unserer Nation gelingen müsse, die Verfassungsform zu finden, welche ihrem eigensten Geiste wie ihrer Geschichte entspricht, und brauchen wir dafür fortwährend mit einigem Vertrauen den Ausdruck, daß es in der Form des monarchischen Bundesstaates geschehen werde, so erkennen wir zugleich, daß es sich dabei wesentlich um eine Vermittlung und Vereinigung deljenigen Prinzipien handelt, welche das politische Leben Deutschlands von Anbeginn her beherrschen, des Königtums und der Volksfreiheit, der Einheit der Nation und der Mannigfaltigkeit ihrer Glieder"219•

Diese Bundesstaatskonzeption bestimmte fortan die Diskussion um die Gestalt des deutschen Föderalismus. Sieht man von einzelnen Gegenstimmen wie Heinrich von Treitschke220 ab, der die Errichtung eines monarchi214 Vgl. dazu sowie zu dem Einfluß, den Tocquevilles "Doktrin" über "die Nordamerikanische Bundesverfassung" auf die deutsche Verfassungsdiskussion des 19. Jahrhunderts ausgeübt hat, S. Brie, Der Bundesstaat. Eine historische-dogmatische Untersuchung, S. 92ff. 215 G. Waitz, Das Wesen des Bundesstaates, in: ders., Gründzüge der Politik, s. 153 ff. ( 166). 216 Zum Begriff G. Waitz, ibd., S. 213. 217 So verstand R. Smend, Der monarchische Bundesstaat, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 39&3E;ff. (49ff.), den monarchischen Bundesstaat als eine spezifische Bundesstaatsform, in der etwa dem Grundsatz der Bundestreue eine besondere Bedeutung zukomme. 218 G. Waitz, Das Wesen des Bundesstaates, in: ders., Gründzüge der Politik, s. 153ff. (164). 219 G. Waitz, ibd., S. 218. 220 H. von Treitschke, Aufsätze, Reden und Briefe, S. 63, kommt nach einer Analyse der Verhältnisse des Deutschen Bundes und der Ergebnisse der Frankfurter Na-

9•

132

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

sehen Bundesstaates in Deutschland für undurchführbar hielt, wenn er am Ende seiner Betrachtungen über den Bundesstaat zu dem Ergebnis gelangt: "Es tut Not, daß [... ] der Verstand der Nation sich zu der nüchternen Einsicht erhebt: nur die Macht des größten deutschen Staates kann die Macht der kleineren Höfe zur Unterwerfung unter eine nationale Zentralgewalt zwingen"221 , so stimmten die meisten Autoren dem Ansatz Waitz' grundsätzlich zu222, wenngleich manche wie Heinrich Ahrens eine andere Begründung für die Errichtung eines Bundesstaates gaben. Ahrens vertritt letztlich die gleiche These wie Pfizer, daß die Einheit Deutschlands ausschließlich in Form eines von Preußen zu schaffenden und unter seiner Führung stehenden Bundesstaates zu erreichen und zu erhalten sei. Dabei knüpfte Ahrens an den Gedanken der nur dem Umfang, nicht dem Inhalt nach beschränkten Souveränität dynastischer Bundesstaaten an. Er kommt zu diesem Ergebnis jedoch nicht wie Waitz über eine Analyse der politischen Gegebenheiten des Deutschen Bundes und dem Vergleich mit den Entwicklungen der amerikanischen Verfassung, sondern sah den monarchischen Bundesstaat als ein Postulat an, das sich aus naturrechtlich rationalen Erwägungen ergab223 . Dabei verband Ahrens das Bundesstaatsmodell von Waitz mit den Gedanken der organischen Staatslehre224 • Insoweit kann es nicht überraschen, daß die Ausführungen Ahrens' eine starke Affinität zu "Vorstellungen und Forderungen des Subsidiaritätsprinzips"225 aufweisen. Sieht man von den bundesstaatliehen Ausprägungen der organischen Staatslehre und der Staatszwecklehre bei Ahrens und Welcker ab, deren Darlegungen letztlich keine eigenständigen Bundesstaats- oder Föderalismuskonzeptionen darstellen, sondern als paradigmatische Anwendungen dieser Lehren betrachtet werden müssen, so läßt sich feststellen, daß in der staatswissenschaftliehen Diskussion um den deutschen Föderalismus bis zur Weimarer Reichsverfassung Subsidiaritätserwägungen keine Rolle gespielt haben. tionalversarnrnlung und unter Bezugnahme auf die Ausführungen Waitz' zu dem Ergebnis: ,,Das Ideal unserer Föderalisten kann nach menschlichem Ermessen nur dann ins Leben treten, wenn der preußische Staat, gestützt auf eine nachhaltige Volksbewegung oder auf sichere auswärtige Verbündete, zur rechten Stunde seine Macht gebraucht". Dabei hat von Treitschke die Gefahren einer gewaltsamen Einigung Deutschlands durchaus gesehen, wenn er fortfahrt: "Ein durch Gewalt entstandener Bundesstaat trägt aber, was auch Waitz zugesteht, in sich den Keim des Verderbens, ehrliche eidgenössische Gesinnung kann in ihm schwerlich gedeihen". 22 1 H. von Treitschke, ibd., S. 146. 222 Zu der Diskussion, die sich an die Studie von Waitz anschloß, vgl. E. Deuerlein, Föderalismus, S. 92 ff. 223 H. Ahrens, Naturrecht, S. 342ff. 224 Zu diesen vgl. oben 1. Kapitel C. V. 1. a). 225 Dies stellt zutreffend auch E. Deuerlein, Föderalismus, S. 93, fest.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

133

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes standen vielmehr Überlegungen, ob und unter welchen Umständen die nationale Einheit Deutschlands erreicht werden konnte. Nach der Reichsgründung 1871 wurde zwar das Verhältnis von Einzelstaaten und Reich zum zentralen Problem des deutschen Föderalismus, doch war diese Auseinandersetzung um Kompetenzen in erster Linie von machtpolitischen Aspekten und Souveränitätserwägungen gekennzeichnet. Argumente einer effektiven und am Primat der "unteren" Ebene ausgerichteten Aufgabenverteilung zwischen Reich und Ländern, wie sie dem Subsidiaritätsprinzip eigen sind, lassen sich weder auf der praktisch-politischen Ebene noch in der wissenschaftlichen Diskussion um den deutschen Föderalismus des 19. Jahrhunderts nachweisen. Dabei darf die verfassungsrechtliche Entwicklung und die wissenschaftliche Erörterung um die bundesstaatliche Struktur Deutschlands nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Postulat nationaler Einigung letztlich ein Petitum akademischer Eliten blieb und keinesfalls ein allgemeines, im Volk wurzelndes Bedürfnis war226• Die Besinnung auf die "traditionsreichen Regionalismen", wie zum Beispiel in der Pfalz und in Franken, müssen dabei als Reaktion auf die Ausdehnung der innerdeutschen Hegemonialmächte Preußen und Bayern gesehen werden, was Hans Maier mit den Worten umschrieben hat: ..... wenn man nicht mehr Franke sein konnte, wollte man nicht Bayer, sondern Deutscher sein"227 • Doch auch das sich hierin ausdrückende Beharren auf tradierten Regionalstrukturen wird man kaum als Streben nach subsidiären, "bürgernahen" Organisationsformen und Entscheidungsprozessen deuten können. Insgesamt ist daher eine erkennbare Verbindung zwischen der Entwicklung des Föderalismus in Deutschland und den Forderungen des Subsidiaritätsgedankens für die Zeit vor dem Grundgesetz nicht nachweisbar. Vielmehr läßt sich mit Blick auf die Veränderung der Kompetenzverteilung zwischen Zentralgewalt und Gliedern eine eindeutige Tendenz zur Zentralisierung und Unitarisierung ausmachen, die in klarem Gegensatz zu den Forderungen des Subsidiaritätsprinzips steht. Bemerkenswerterweise hat dieser Zentralisierungsprozeß mit dem lokrafttreten der ersten demokratischen und republikanischen Verfassung Deutschlands 1919 einen weitaus stärkeren Impuls erfahren als bei dem Übergang vom Staatenbund zum Bundesstaat, wie er sich in der Umwandlung des Deutschen Bundes in den Norddeutschen Bund 1867 vollzog. 226 Dazu T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125 ff. (137). 227 H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 222f.

134

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Dieses Ergebnis bestätigt zugleich die These, daß das Subsidiaritätsprinzip in erster Linie als politisches Fanal und Kampfbegriff praktische Bedeutung erlangt und erst dann in die Diskussion eingeführt wird, wenn die eingetretene Entwicklung oder bestehende Situation als unerträglich und existenzbedrohend für bestimmte ,,kleinere soziale Handlungseinheiten" empfunden wird. In dieser Funktion diente der Subsidiaritätsgrundsatz der katholischen Kirche als ordnungspolitisches Gegenkonzept gegen die totalitären Ideologien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 228• Die Staatstheoretiker des Liberalismus rechtfertigten unter Rückgriff auf den Gedanken der Subsidiarität, auch wenn sie ihn nicht so bezeichneten, die dienende Funktion des Staates gegenüber dem Menschen, was diese Staatskonzeptionen in einen krassen Gegensatz zu den bestehenden Herrschaftsstrukturen des 19. Jahrhunderts treten ließ229 . Als Instrument gegen "Kompetenzverlust", "bürokratischen Zentralismus" und "Überreglementierung" fand das Subsidiaritätsprinzip schließlich auch Eingang in den EGVertrag230. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Situation der deutschen Staaten/Länder im 19. Jahrhundert bis zur Weimarer Verfassung, so läßt sich zwar eine sukzessive Stärkung der Zentralgewalt gegenüber den Gliedstaaten ausmachen, doch waren die Kompetenz- und Machtverluste der patrimonialen Dynastien zu dieser Zeit keineswegs so groß, daß sie ihre Position durch die Zentralgewalt ernstlich gefahrdet sahen231 • Das Erscheinungsbild des deutschen Föderalismus des 19. Jahrhunderts lieferte für die Länder keinen Anlaß, die Einhaltung oder Umsetzung des Subsidiaritätsgedankens zu fordern oder hierauf zu bestehen.

111. Entstehung und Wandel des Föderalismus unter dem Grundgesetz Daß die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat ist, ergibt sich zum einen aus dem Staatsnamen, zum anderen unmittelbar aus Art. 20 Abs. 1 GG, der bestimmt: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat". Im Gegensatz zum Deutschen Reich, dessen föderativer Charakter unter der Weimarer Reichsverfassung erst aus den Kompetenzverteilungsnormen sichtbar wurde232, wenngleich die StaatsquaVgl. dazu oben 1. Kapitel A. II. 3. Vgl. dazu oben ibd. 230 Siehe dazu unten 3. Kapitel 8. II. 1. c). 231 Anmerkung: Zwar haben die kleineren deutschen Staaten fast immer unter einem erheblichen wirtschaftlichen und politischen Druck der großen Staaten, insbesondere Preußens und Österreichs, gestanden und wurden zum Teil auch von diesen militärisch bedroht und annektiert, doch waren dies keine Phänomene, die sich als spezifische Ausprägung des föderativen Systems darstellten oder ihren Ausgangspunkt bei der Zentralgewalt gehabt hätten. 22s 229

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

135

lität der Länder und damit die Bundesstaatlichkeil des Reiches auch in der ersten deutschen Republik in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes unstreitig war233, bestehen hinsichtlich der Staatsorganisationsform der Bundesrepublik keine Zweifel. Neben dem Föderalismus als einer Konstanten deutscher Verfassungstradition234 teilt das Grundgesetz eine weitere Gemeinsamkeit mit den meisten deutschen Verfassungen: Es entstand unter maßgeblichem Einfluß fremder Staaten235 . Dennoch kann die These, daß die bundesstaatliche Struktur des Grundgesetzes ein Diktat oder Oktroi der Besatzungsmächte darstelle236, als widerlegt angesehen werden237 . So hätte der Parlamentarische Rat auch ohne die in dem Frankfurter Dokument Nr. I vom 1. Juli 1948 enthaltene Forderung nach Errichtung einer, "... democratic constitution which will establish for the participating states of a governmental structure of federal type [... ]'m8 , in Anknüpfung an die föderale Tradition deutscher VerfasVgl. dazu 0. Kimminich, HStR I, § 26, Rz. 34. Vgl. die Rechtsprechungsanalyse von Joachim Vetter, Die Bundesstaatlichkeil in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs der Weimarer Republik, S. 66 f. Von der "allerdings schwach ausgeprägten" Staatsqualität der Länder unter der Weimarer Verfassung geht auch K. Stern, FS für Hans Huber, S. 319ff. (324), aus. 234 0 . Kimminich, in: Probleme des Föderalismus, S. 1ff. (15), gelangt zu dem Ergebnis: "Der Föderalismus ist deutsches Schicksal". 235 Vgl. dazu den bezeichnenden Titel des Aufsatzes von R. Morsey, DÖV 1989, S. 471 ff. (471): Verfassungsschöpfung unter Besatzungsherrschaft Näher zu den Einflußnahmen der Alliierten auf die Errichtung und die Arbeit des Parlamentarischen Rates neuerdings K. Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 1215ff. 236 So vertritt K. Ebke, Bundesstaat und Gewaltenteilung, S. 42, die Ansicht: "Obwohl der Föderalismus in Deutschland eine feste Tradition besaß, waren es doch wohl die kräftigen Interventionen der Besatzungsmächte, die dem westdeutschen Staat die Form eines Bundesstaats gaben". Ebenso W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, S. 58: "Das Bonner Grundgesetz führt diesen historischen Prozeß um mehr als 30 Jahre zu der Verfassungsgestaltung einer ,Bundesrepublik' zurück. Allerdings trägt nicht der Parlamentarische Rat selbst dafür die eigentliche Verantwortung; vielmehr haben die Besatzungsmächte, vor allem das selbst streng zentralistische Frankreich, uns von verschiedenartigen Vorstellungen aus die bündische Auflockerung unseres Staates auferlegt". 237 Vgl. dazu J. Abr. Frowein, Deutscher Föderalismus der Gegenwart, S. 7; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 666; 0 . Kimminich, HStR I, § 26, Rz. 35. R. Mußgnug, HStR I, § 6 Rz. 71, spricht sogar von der Oktroi-These als einer "Legende". Mißverständlich insoweit T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125 ff. (161), der behauptet: "[ ...] es waren die Besatzungsmächte, die die föderale Struktur des neuen Staates bestimmt haben", dann jedoch auf S. 164 zu dem Ergebnis gelangt: ,,Aber es wäre falsch, den Föderalismus von 1949 als Besatzungsföderalismus zu charakterisieren". Vgl. auch S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 135 ff., der jedoch die Frage letztlich offen läßt. 238 Text in: BK, Einleitung, S. 40, und bei K. Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 1215f. 232 233

136

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

sungsgeschichte239 eine bundesstaatliche Organisationsstruktur für den westlichen Teilstaat gewählt 240. "Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates hielten, zumindest für die jetzige Phase der deutschen Geschichte, einen zentralistischen Staatsaufbau nicht für wünschenswert. Die Folge der Gleichschaltung der Länder im Dritten Reich schreckte sogar jene Sozialdemokraten, die ihre Parteitradition gelehrt hatte, nur eine alles übergreifende, demokratisch kontrollierte zentrale Staatsgewalt sei imstande, die ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen durchzuführen [. . .]"241 • Es kann mittlerweile jedoch als gesicherte Erkenntnis angesehen werden, daß die verfassunggebende Versammlung ohne die Einflußnahme der Westmächte eine andere, stärker an der unitarischen Struktur der Reichsverfassung orientierte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern getroffen und dem Grundgesetz dadurch einen weitaus zentralistischeren Zug verliehen hätte242, auch wenn die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern243 , die Gestaltung der Finanzverfassung244 sowie die Frage, ob ein "Bundesrat" oder ein "Senat" geschaffen werden sollte245 zwischen den Parteien246 aber auch über Parteigrenzen hinweg im einzelnen sehr umstritten waren247 . Ungeachtet dieses Streits im Parlamentarischen Rat ist die im Grundgesetz 1949 getroffene bundesstaatliche Kompetenzverteilung auf die massive Intervention der Alliierten zurückzuführen. Bereits am 22. November 1948 veröffentlichten die Militärgouverneure in einem Memorandum248 die Richtlinien ihrer Regierungen für die Gestaltung des Grundgesetzes. Obwohl sich zeigte, daß ihre Vorstellungen gerade im Bezug auf die Kompetenzordnung wesentlich von den Vorgaben der Siegermächte abwichen, ignorierten die Mitglieder des Parlamentarischen 239 So auch 0. Kimminich, HStR I, § 26, Rz. 35; ders., in Probleme des Föderalismus, S. 1 ff. (15). 240 Vgl. dazu R. Mußgnug, HStR I, § 6, Rz. 71 , ebenso K. Stern, FS für Hans Huber, S. 319 ff. (325), unter Verweis auf den Herrenchiemseer Konvent. 241 So C. Schmid, Erinnerungen, S. 376. 242 So T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125ff. (166); R. Morsey, DÖV 1989, S. 471 ff. (473), unter Verweis auf entsprechende interne Äußerungen von Konrad Adenauer. 243 Vgl. dazu JöR N.F. 1 (1951), S. 453ff. 244 Vgl. dazu H.-J. Grabbe, VZG 1978, S. 393ff. (397ff.). 245 Vgl. dazu insbondere R. Morsey, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, S.63 ff. (68 ff.); K. Kröger, Einftihrung in die Verfassungsgeschichte, S. 28; H.-J. Grabbe, ibd. 246 Vgl. zu den besonderen Vorstellungen der im Parlamentarischen Rat vertretenen Parteien zur Gestaltung des Verhältnisses von Bund und Ländern C. Schmid, Erinnerungen, S. 376ff., und insbesondere H.-J. Grabbe, Unionsparteien, S. 160ff. 247 Vgl. dazu K. Kröger, Einführung in die Verfassungsgeschichte, S. 29; H.-J. Grabbe, VZG 1978, S. 393ff. (397ff.), ders., Unionsparteien, 160ff. 248 Text abgedr. bei E. R. Huber, Quellen, Bd. li, S. 208 f.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

137

Rates dies zunächst und hielten unbeirrt an ihren Vorschlägen fest249 . In einem zweiten Memorandum vom 2. März 1949250, das eine Zehn-PunkteErklärung enthielt, stellten die Militärgouverneure in acht Bereichen Unvereinbarkeilen des Grundgesetzentwurfs mit den am 22. November 1948 veröffentlichten Richtlinien fest und forderten unter anderem eine engere Begrenzung der Bundeszuständigkeiten. Dabei unterbreiteten die Alliierten sogar konkrete Formulierungsvorschläge für die Abfassung der entsprechenden Verfassungsartikel251 . Am 5. April 1949 ließen die Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs in einem Schreiben dem Parlamentarischen Rat mitteilen, daß die in der Erklärung der Militärgouverneure vom 2. März enthaltenen Formulierungen den Bestimmungen des Londoner Abkommens entsprächen. Gleichzeitig gaben die Außenminister in diesem Schreiben ihrer Erwartung Ausdruck, "daß der Parlamentarische Rat und die verantwortlichen deutschen Parteiführer den Empfehlungen der Militärgouverneure die nötige Beachtung schenken werden ..." 252• Nipperdey verweist zudem auf die nicht unbedeutende Tatsache, daß 1948 bereits Länder als politische und Verwaltungseinheiten von den Alliierten eingerichtet worden waren, was bei der Bildung eines neuen gesamtstaatlichen Gemeinwesens nicht ignoriert werden konnte253 • Überdies sind es weniger die ursprünglich vom Verfassungsgeber festgelegten einzelnen Kompetenzzuweisungen zu Bund und Ländern, die das Erscheinungsbild des grundgesetzliehen Föderalismus prägen. Vielmehr haben die Ausgestaltung der Mitwirkungsbefugnisse der Länder an der Rechtsetzung des Bundes sowie die bereits in der Verfassung angelegte Unitarisierung des Bundesstaates dem deutschen Föderalismus unter dem Grundgesetz seine charakteristische Prägung verliehen. Bei beiden Phänomenen gilt es jedoch zwischen den vom Verfassungsgeber intendierten oder erwarteten und den tatsächlichen Verfassungsentwicklungen zu unterscheiden.

Vgl. dazu H.-J. Grabbe, VZG 1978, S. 393ff. (395). Text abgedr. bei E. R. Huber, Quellen, Bd. II, S. 210ff. 251 Vgl. H.-J. Grabbe, VZG 1978, S. 393ff. (397). 252 Text abgedr. bei E. R. Huber, Quellen, Bd. II, S. 214; vgl. insgesamt zu diesen Einflußnahmen der Alliierten auf das föderale Gefüge des Grundgesetzes K. Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 1308; S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 135 f. 253 T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, s. 125 ff. (163). 249

250

138

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

1. Artikel 30 GG als Generalklausel der grundgesetzliehen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern

Das Verhältnis von Bundes- und Länderkompetenzen findet in Art. 30 GG seine grundlegende Ausgestaltung, wonach "die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben" den Ländern übertragen ist, "soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt". Damit normiert Art. 30 GG eine Primärzuständigkeit der Länder sowohl auf dem Gebiet der Rechtsetzung wie der Verwaltung und der Rechtsprechung, indem er die Bundesbefugnis als Ausnahme und die Länderkompetenz als Regel bestimmt. Dennoch läßt sich diese Verfassungsnorm nicht ohne weiteres als Beleg für eine subsidiäre Struktur des föderalistischen Systems der Bundesrepublik oder gar als allgemeine verfassungsrechtliche Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz heranziehen254. Eine solche Interpretation verkennt zum einen die Reichweite und den Umfang der durch Art. 30 Halbsatz 2 GG ermöglichten Ausnahmen von der Länderprärogative und zum anderen den im rechtstechnischen Sinne subsidiären Charakter des Art. 30 GG selbst, der als generalklauselartige Grundsatznorm den spezielleren Kompetenzzuweisungen nachgeht. Mit Verweis auf seine mangelnde Bestimmtheit stellt Lerche255 sogar die Einordnung des Art. 30 GG als Kompetenznorm grundsätzlich in Frage. Eine differenziertere Betrachtung der bundesstaatliehen Kompetenzordnung zeigt indes, daß der Primat der Länderzuständigkeit nur noch im administrativen Bereich besteht, wohingegen die Rechtsetzungskompetenzen zum ganz überwiegenden Teil auf den Bund verlagert worden sind. So vollziehen die Länder nicht nur das von ihnen gesetzte Landesrecht, sondern nach Maßgabe der Art. 83 bis 85 GG auch die Bundesgesetze. Zwar hat die Zahl der bundeseigenen Verwaltungseinrichtungen im Laufe der Zeit zugenommen, doch ist es hierdurch zu keiner entscheidenden Schwächung der Länder im bundesstaatliehen Gefüge gekommen. Auf dem für die Frage der Umsetzung subsidiärer Strukturen bedeutsameren Gebiet der Gesetzgebungszuständigkeiten ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild. Hier hat seit dem lokrafttreten des Grundgesetzes eine stetige Kompetenzverlagerung von den Ländern zum Bund stattgefunden256, die sich zu einem Teil in der Zahl von nunmehr 46 verfassungsändernden Gesetzen257, die in ihrer Mehrzahl eine Ausweitung der Legislativkompe254 Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. Ill. 1.; ebenso K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 674. m P. Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 66ff. (77f.). 256 So setzte sich K. Hesse mit dieser Entwicklung des bundesdeutschen Föderalismus bereits 1962 in seiner Schrift: "Der unitarische Bundesstaat", durchgehend, auseinander.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

139

tenzen des Bundes enthalten258 , ausdrückt. Daß sich diese Unitarisierung nicht etwa ohne oder gar gegen den erklärten Willen der Länder vollzogen hat, ergibt sich bereits aus Art. 79 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG, wonach das Grundgesetz nur durch Gesetz geändert werden darf, das eines Quorums von zwei Dritteln der Stimmen in Bundestag und Bundesrat bedarf. Inhaltlich handelte es sich bei den Kompetenzerweiterungen zugunsten des Bundes sowohl um neue Materien, die entgegen der in Art. 30 GG festgelegten Länderprärogative direkt der Zentralgewalt zur Regelung zugewiesen wurden259, als auch um Zuständigkeitsverlagerungen von den Ländern auf den Bund260• Bemerkenswert ist dabei die gesetzgebensehe Vorgehensweise. So wurden die dem Bund zur Regelung übertragenen Bereiche regelmäßig als Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung in den Enumerativkatalog des Art. 74 Abs. 1 GG aufgenommen. Entgegen dem Sinn des Art. 72 Abs. l GG ging es in diesen Fällen jedoch im Grunde stets um die Schaffung einer Bundeskompetenz, deren Rückübertragung auf die Länder weder beabsichtigt war noch bis zur Einführung des Art. 72 Abs. 3 GG261 eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Erwähnung erfuhr. Vom Standpunkt der Verfassungsklarheit und Verfassungswahrheit ist die beschriebene legislatorische Praxis jedenfalls fragwürdig. Zudem entwertet sie das Institut der konkurrierenden Gesetzgebung noch weiter. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Regelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG hingewiesen, in der die Regelung der Staatshaftung in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung aufgenommen wurde. Die Vorschrift wurde auf Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eingeführt262. Zunächst zeigt sich hier, daß der Bundesgesetzgeber an seiner zweifelhaften Verfahrensweise festzuhalten scheint. Betrachtet man darüber hinaus die knappe amtliche Begründung263 dieser Kompetenzverschiebung, Stand 31 . Dezember 1998. Zustimmend J. lsensee, AöR 115 (1990), S. 248ff. (250). Auch wenn Isensee seine Bilanz auf der Grundlage von erst 35 Gesetzen zur Änderung des Grundgesetzes gezogen hat, ist die Aussage nach wie vor in ihrer Tendenz zutreffend. Dies bestätigt auch die Analyse von A. Bauer/M. Jestaedt, Das Grundgesetz im Wortlaut, S. II, die immerhin 45 Änderungsgesetze erfaßt. Vgl. auch H. Hofmann, HStR I, § 7, Rz. 62ff.; G. Robbers, NIW 1989, S. 1325ff. (1326). 259 Als Beispiel sei hier auf die Regelungen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 a und 26 GG verwiesen. 260 Hier ist insbesondere die Einführung des Art. 74a GG durch Gesetz vom 18. März 1971 (BGBI. I S. 206) zu nennen, der dem Bund die Befugnis zur Regelung der Besoldung und Versorgung der im öffentlichen Dienst Beschäftigten und ihrer Angehörigen zuweist. 261 Art. 72 Abs. 3 GG wurde durch Gesetz vom 27. Oktober 1994, BGBI. I S. 3146, eingeführt. 262 Gesetz vom 27. Oktober 1994, BGBI. I S. 3146. 263 BT-Drs. 12/6000, S. 34. 257 258

140

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

so werden die hier gefundenen Ergebnisse in aller Deutlichkeit bestätigt. Danach war der Grund für diese neuerliche Ausweitung der Bundesgesetzgebungskompetenzen nicht etwa die zwingende Notwendigkeit einer bundesgesetzliehen Regelung dieser Materie, sondern lediglich der "Wunsch der Bundesseite", die "Kompetenzgrundlage" für "eine bundeseinheitliche Staatshaftung" zu schaffen. Berücksichtigt man ferner, daß die weit überwiegende Zahl der Staatshaftungstatbestände in Spezialgesetzen geregelt ist, so erscheint die Erforderlichkeil dieser Kompentenzverschiebung noch zweifelhafter. Insgesamt läßt die Begründung dieser Verfassungsänderung damit klar erkennen, daß das entscheidende Motiv der "Wunsch nach bundeseinheitlicher Regelung" gewesen ist. Mit dem erklärten Ziel, durch die "Grundgesetzreform" auch eine Stärkung der Länder und einen besseren Schutz ihrer Kompetenzen zu erreichen264 , ist die Regelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG jedenfalls kaum vereinbar. Ob mit der nunmehr vorgesehenen sog. Rückholbefugnis in Art. 72 Abs. 3 GG tatsächlich ein verbesserter Schutz der Länder und ihrer Kompetenzausstattung265 erreicht werden kann, läßt sich mangels praktischer Anwendungsfalle der Vorschrift zur Zeit noch nicht absehen. Zweifel an der Wirksamkeit der Norm ergeben sich jedoch daraus, daß sie lediglich als "Kann-Bestimmung" ausgestaltet ist, daß die Entscheidung über die Rückübertragung der Befugnis auf die Landesgesetzgeber allein dem Bundesgesetzgeber überlassen ist und daß für die Länder und ihre Parlamente keine Möglichkeit besteht, in rechtserheblicher Weise auf die Entscheidung des Bundesgesetzgebers Einfluß zu nehmen oder sie auch nur verfassungsgerichtlich überprüfen zu lassen266. Neben der Ausdehnung der "konkurrierenden Gesetzgebung"267 und der vollständigen Verdrängung der Landesgesetzgeber auf diesen Gebieten war es eine bis in die Details regelnde Rahmengesetzgebung des Bundes268 , in der sich der Unitarisierungsprozeß niederschlug. Im übrigen trugen aus verVgl. ibd., S. 33 ff. Zum Begriff "Rückholbefugnis" sowie zu der mit der Einführung dieser Norm verfolgten Zielsetzung vgl. die amtliche Begründung im Bericht der Gemeinsamen Verfassungskomrnission, ibd., S. 34. 266 Vor diesem Hintergrund erscheint die Bezeichnung "Rückholbefugnis", die eine Kompetenz der Länder oder zumindest ein Initiativrecht vermuten läßt, zumindest mißverständlich, wenn nicht gar irreführend. 267 Eine Aufstellung der im Laufe der Zeit dem Bund übertragenen Kompetenzen gibt M. Brenner, DÖV 1992, S. 903 ff. (906). 268 Hier sei beispielgebend auf das Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) vom 3. Januar 1977 (BGBI. I S. 21) und das Melderechtsrahmengesetz (MRRG) vom 16. August 1980 (BGBI. I S. 1429) verwiesen, die beide so detaillierte Regelungen enthalten, daß sie den Landesgesetzgebern in weiten Bereichen lediglich die Möglichkeit wörtlicher Wiederholung bundesrechtlicher Formulierungen belassen. 264 265

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

141

fassungsrechtlicher Sicht die mit Gesetz vom 31. Juli 1969269 in das Grundgesetz aufgenommenen Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern maßgeblich zu einer Zentralisierung des Bundesstaates und vor allem zu einer verstärkten und dauerhaften finanziellen Abhängigkeit der Länder vom Bund bei 270. 2. Die Beteiligung des Bundesrates an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes

Das Grundgesetz sieht in Art. 50 GG vor, daß die Länder über den Bundesrat, einem Bundesorgan, das nach Maßgabe des Art. 51 Abs. I GG aus Mitgliedern der Landesregierungen besteht, an der Gesetzgebung und Verwaltung des "Bundes" mitwirken271 . Ungeachtet des Umstandes, daß mit Art. 50 GG die Aufgaben und Befugnisse des Bundesrates272 mit Blick auf Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vollständig genannt sind, liegt die entscheidende Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeit des Bundesrates im Bereich der Gesetzgebung. Hier lassen sich bei Einspruchs- und mehr noch bei zustimmungspflichtigen Gesetzen auch Vorstellungen und Anliegen der Landesregierungen wirksam in den Rechtsetzungsprozeß auf Bundesebene einbringen. Daraus folgt zum einen, daß eine Beteiligung der Landesparlamente an der Willensbildung und Rechtsetzung des Bundes - weder unmittelbar noch mittelbar über eine Bindung der Länderexekutiven an entsprechende Parlamentsvorgaben - verfassungsrechtlich vorgesehen ist, und zum anderen, daß auch die Landesregierungen nur mehrheitlich, nicht hingegen die einzelnen Länder die Bundesgesetzgebung beeinflussen können. Aus diesem Grunde ging gleichzeitig mit den Verlagerungen von substantiellen Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen von den Ländern auf den Bund eine entsprechende Ausweitung der Mitgestaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse des Bundesrates einher. Dies hatte jedoch auch zur Folge, daß die Einflußmöglichkeiten der einzelnen Länder und insbesondere der Landesparlamente zugunsten einer verstärkten Mitwirkung der Landesregierungen an der Willensbildung des Bundes abnahmen. BGBI. 1969 I S. 359. Eine analytische Beschreibung der Veränderung des föderativen Systems unter dem Grundgesetz unter Einbeziehung der politischen Implikationen liefert H. Klatt, Aus Politik und Zeitgeschichte 1986, B 28, S. 3 ff. (4 ff.). 271 Der Klarstellung halber sei darauf hingewiesen, daß das Grundgesetz den Begriff "Bund" nicht einheitlich verwendet. In Art. 50 GG wird "Bund" als Synonym für Bundesrepublik Deutschland gebraucht und bezeichnet mithin den Gesamtstaat, bestehend aus der zentralstaatlichen und der Länderebene. Dagegen wird im VII. Abschnitt des Grundgesetzes mit "Bund" allein die zentralstaatliche Ebene im Gegensatz zu den Ländern bezeichnet. 272 Zur Unterscheidung von "Aufgabe .. und "Befugnis" im Bereich verfassungsrechtlicher Kompetenzverteilung vgl. R. Herzog, HStR li, § 45, Rz. 1 ff. 269

270

142

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Diese Entwicklung des Föderalismus unter dem Grundgesetz ist seit den sechziger Jahren ein zentrales Thema der Staatsrechtslehre. Dabei haben sich in der Diskussion die Begriffe "Exekutivföderalismus"273 , "gouvernementale Bundesstaatlichkeit"274, "kooperativer275 Föderalismus"276, "Beteiligungsföderalismus"277 und "Unitarisierung des Bundesstaates"278 zur Beschreibung des Wandels der bundesstaatliehen Strukturen des Grundgesetzes durchgesetzt. Diese nachhaltige Veränderung der föderalen Ordnung der Bundesrepublik279 ist aber nicht nur Gegenstand zahlreicher staatswissenschaftlicher Analysen sondern auch heftiger Kritik gewesen. So weist Kisker zutreffenderweise darauf hin, daß die Vorzüge der föderalen Staatsorganisation unter den Bedingungen des Beteiligungsföderalismus kaum mehr sichtbar sind und daher "unsere bundesstaatliche Ordnung" auch nicht mehr "rechtfertigen können"280 • Teilweise wurde unter Bezugnahme auf diese Entwicklung sogar der föderale Charakter des Grundgesetzes insgesamt in Frage gestellt281 • Zudem ist über die in der Verfassung 273 H. H. Klein, in: Vierzig Jahre Bundesrat, S. 95ff. (100); E.-W. Böckenförde, FS für Friedrich Schäfer, S. 182ff. (185f.), spricht von einem "System kondorninialen Zusammenwirkens zwischen den Exekutiven von Bund und Ländern". 274 So K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 755. 275 Vgl. zur Kooperationsidee und ihren Auswirkungen im modernen Gemeinwesen K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 748 FN 636. 276 Vgl. A. Benz, DÖV 1993, S. 85ff. (85); F. H. U. Borkenhagen, Aus Politik und Zeitgeschichte 1992, B 42, S. 36ff. (36); P. Häberle, in: Jutta Kramer (Hrsg.), . Föderalismus zwischen Integration und Sezession, S. 201 ff. (209); ders., Die Verwaltung 1991, S. 169ff. (176ff.); R. Herzog, in: Dreißig Jahre Grundgesetz, S. 41ff. (50), spricht vom ,,kooperativen Bundesstaat"; ebenso K. Hesse, FS ftir Gebhard Müller, S. 141 ff. (142); W. Rudolf, Bund und Länder im aktuellen deutschen Verfassungsrecht, S. 50; U. Scheuner, DÖV 1966, S. 513ff. (518ff.); K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 748; W. Weber, Die Gegenwartslage des deutschen Föderalismus, S. 34; F. Ossenbühl, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 117ff. (151 ff.), spricht vom "unitarisch-kooperativen Bundesstaat". 277 Vgl. E.- W. Böckenförde, FS für Friedrich Schäfer, 182ff. (S. 188). 278 Vgl. dazu K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 14ff.; ders., Grundzüge, Rz. 221, E. Deuerlein, Föderalismus, S. 264ff.; N. Achterberg, VVDStRL 38 (1980), s. 55 ff. (89 ff.). 279 Auf den Umstand, daß gerade das Phänomen der Unitarisierung nicht auf den deutschen Bundesstaat beschränkt ist, weist insbesondere W. Rudolf, in: Probleme des Föderalismus, S. 227ff. (227), hin. 280 G. Kisker, in: Probleme des Föderalismus, S. 23 ff. (37). 281 Vgl. dazu R. Lhotta, ZParl. 1993, S. 117ff. (126), der vom "symbolischen Föderalismus" spricht. Ähnlich G. Kisker, in: Probleme des Föderalismus, S. 23 ff. (33), der am Ende seiner Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, "daß ein konsequent praktizierter Beteiligungsföderalismus unsere bundesstaatliche Ordnung nachhaltig in Frage stellt"; noch deutlicher H.-P. Schneider, in: Jutta Kramer (Hrsg.), Die Entwicklung des Staates der Autonomien in Spanien und der bundesstaatliehen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 37 ff. (42), "statt mit aller gebotenen Deutlichkeit daran zu erinnern, daß die Bundesrepublik bereits auf dem besten

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

143

vorgesehenen Organe und Gremien hinaus eine große Zahl von informellen Kooperationsformen sowohl zwischen Bund und Ländern als auch zwischen den Ländern entstanden282, die auf die Meinungsbildung im Bundesrat und in den einzelnen Ländern maßgeblichen, bisweilen sogar präjudizierenden Einfluß haben283 . Dieses Phänomen sowie die sich daraus ergebenden Probleme mangelnder rechtsstaatlicher Kontrolle und Transparenz werden häufig mit dem Begriff der "Politikverflechtung" oder als "dritte Ebene" bezeichnet284 . Einen signifikanten Ausdruck hat dieser Wandel des deutschen Föderalismus hin zum "Beteiligungsföderalismus" auf dem Gebiet der europäischen Integration erfahren, wofür die Regelung des Art. 23 GG n. F. als Beleg dienen mag285 . Die Vorschrift erlaubt dem Bund - ebenso wie Art. 24 Abs. 1 GG - die Übertragung auch solcher Hoheitsrechte286, die in den ausschließlichen Kompetenzbereich der Länder fallen. Deshalb forderten die Länder für den ihnen dadurch entstehenden Kompetenzverlust eine verstärkte Beteiligung am Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß des Bundes in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften287 . Dabei erreichten die Länder nunmehr288 mit der Änderung des Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG eine verfasWege ist, sich zu einem dezentralisierten Einheitsstaat zu verwandeln, hat man den Verfall der bundesstaatliehen Ordnung immer wieder zu beschönigen versucht". 282 Vgl. zu den Formen der Zusammenarbeit auf den unterschiedlichen Ebenen U. Leonardy, ZParl. 1990, S. l80ff. (192ff.); W. Rudolf, HStR IV, § 105, Rz. 29ff. Auf die in dem Erlaß abgestimmter allgemeiner Verwaltungsvorschriften durch die Länder liegende Unitarisierung weisen vor allem W. Blümel, HStR IV, § 101, Rz. 39; ders., AöR 93 (1968), S. 200ff. und 218ff. und Jost Pietzcker, HStR IV, § 99, Rz. 17 ff. hin. 283 Es sei hier etwa an die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) erinnert. 284 U. Leonardy, ibd., S. 195; F. W. Scharpf, in: Vierzig Jahre Bundesrat, S. 121 ff. (121); R. Herzog, in: Dreißig Jahre Grundgesetz. S. 41 ff. (50f.); H. Hofmann, HStR I, § 7 Rz. 66. 285 Zu Recht gelangt S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 486ff., zu dem Ergebnis, daß sich gerade am Beispiel der europäischen Integration die "Krise des Beteiligungsföderalismus" besonders deutlich zeigt. 286 Allgemeine Meinung. Vgl. bezüglich Art. 24 Abs. 1 GG E. Grabitz, AöR 111 (1986), S. lff. (22); G. Ress, EuGRZ 1986, S. 549ff. (554); T. Schilling, Der Staat 1990, S. 161 ff. (161); C. Tomuschat, in: Siegfried MagieraiDetief Merten (Hrsg.), Bundesländer und Europäische Gemeinschaften, S. 21 ff. (25). Für den insoweit nichts anderes bestimmenden Art. 23 Abs. 1 Satz l GG vgl. BVerfGE 89, 155 [l82f.]; U. Everling, DVBI. 936ff. (943ff.); J. Wolf, JZ 1993, S. 594ff. (599f.); F. Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629ff. (630ff.); R. Scho/z, NJW 1993, S. 1690ff. (1691). 287 Zu den früheren Bemühungen der Länder, eine maßgebliche Mitentscheidungsbefugnis bei der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG zu erlangen, vgl. BR-Drs. 50/86 (Beschluß) und BR-Drs. 150/86 (Beschluß).

144

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

sungsrechtliche Verankerung ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten in "Angelegenheiten der Europäischen Union", die eine nach Intensität und Bindungskraft gestufte Verfahrensbeteiligungung des Bundesrates vorsieht. Diese Ausweitung der Mitwirkungsbefugnisse der Landesregierungen als "Kompensation"289 für die abgegebenen Entscheidungskompetenzen anzusehen, erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Zum einen hat die Verschiebung im bundesstaatliehen Gefüge auf Seiten der Landtage ausschließlich zu einem Kompetenzverlust geführt290, dem keinerlei Zuwachs an Zuständigkeiten und Befugnissen gegenübersteht. Zum anderen "ist Mitbestimmung immer nur ein unzulängliches Surrogat für Selbstbestimmung"291 . Es läßt sich mithin feststellen, daß der die deutsche Verfassungsgeschichte kennzeichnende Prozeß der Zentralisierung gliedstaatlicher Kompetenzen auch unter dem Grundgesetz seinen Fortgang gefunden hat, wenn auch in der Variante des "kooperativen" oder "Beteiligungsföderalismus". Damit verlief jedoch auch die verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Entwicklung des grundgesetzliehen Föderalismus letztlich dem Subsidiaritätsprinzip zuwider. Dabei steht dieser Prozeß in einem gewissen Widerspruch zu der Bedeutung, die das Grundgesetz der föderativen Ordnung zumißt Denn im Gegensatz zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratie oder Sozialstaatsprinzip hat die Bundesstaatlichkeit Eingang in den Staatsnamen gefunden. Darüber hinaus erfährt das föderalistische Prinzip als einziges der in Art. 20 Abs. 1 GG genannten Strukturgrundsätze einen doppelten Schutz vor Veränderung. So erklärt Art. 79 Abs. 3 GG zunächst Grundgesetzänderungen, "durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung [... ] berührt werden" für unzulässig, bevor dieser Schutz dann allgemein auf die in den Art. 1 und 20 GG enthaltenen Prinzipien ausgedehnt und damit der Grundsatz der Bundesstaatlichkeit ein weiteres Mal erfaßt wird.

Vgl. zur Entwicklung der Länderbeteiligung unten 3. Kapitel B. II. 1. a). Grundlegend zum Gedanken der "Kompensation" durch Verfahrensbeteiligung M. Schröder, JöR N.F. 35 (1986), S. 83ff. (90); E.-W. Böckenförde, FS für Friedrich Schäfer, S. l82ff. (184); R. Rixecker, in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, S. 201 ff. (202). Zur Kritik an dem "Kompensationsdenken" der Länder F. W. Scharpf, Regionalisierung des europäischen Raums, S. 8; J. Isensee, in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, S. l39ff. (154). 290 Auf die Tatsache, daß die Unitarisierung zu einer Verschiebung der Gewaltenteilungsbalance in den Ländern geführt hat, indem die Le~islativen zugunsten der Exekutiven geschwächt werden, hat W. Leisner bereits in DOV 1968, S. 389ff., hingewiesen. 291 So J. Isensee, AöR 115 (1990), S. 248 ff. (257). 288 289

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

145

IV. Ursachen der Unitarisierung des Bundesstaates Fragt man nach den Ursachen für die Zentralisierung des deutschen Föderalismus unter dem Grundgesetz, so läßt sich eine Reihe von Gründen aufzeigen, die sich im wesentlichen in die nachfolgenden Gruppen einordnen lassen. 1. Historische Gründe

Der Föderalismus war als staatsorganisationsrechtliches Prinzip ungeachtet der ihn - in Deutschland - erzwingenden Tatsachen hierzulande nie völlig unumstritten. So galt er, als "Partikularismus" verpönt, vor dem Hintergrund jahrhundertelanger Rivalität mit Frankreich als eine dem Einheitsstaat unterlegene, die eigenen Kräfte zersplitternde und aufzehrende, letztlich also minderwertige Staatsforrn292 . Dabei korrespondierten diese deutschen Vorstellungen mit den traditionellen Intentionen französischer Deutschlandpolitik, die nach 1945 vehement für eine Teilung Deutschlands und ein loses Bündnis der Teilstaaten, ähnlich dem Rheinbundmodell, eintrat293. Erst die sich abzeichnende Teilung Europas und die sich dadurch ergebende Notwendigkeit, Westdeutschland als Staat in die westliche Allianz zu integrieren, sowie der massive Druck der amerikanischen Regierung brachte Frankreich dazu, seine Deutschlandpolitik zu ändern 294 . Neben diese grundsätzlichen Vorbehalte gegen den föderativen Staatsaufbau trat die ausweglos erscheinende Situation der Jahre nach 1945, die Ohnmacht und das Bewußtsein, dem Willen der Siegermächte politisch, wirtschaftlich und militärisch vollkommen ausgeliefert zu sein. In dieser Lage erschien vielen die größtmögliche "Bündelung der Kräfte", ein möglichst enges Zusammenführen der Teile Deutschlands, die in den Neuaufbau des staatlichen Gemeinwesens einbezogen werden konnten, die einzige Möglichkeit, der katastrophalen Lage Herr zu werden. Ungeachtet dessen blieb jedoch auch im Parlamentarischen Rat die Ausgestaltung des bundesstaatlichen Gefüges - im Rahmen des Spielraums, den deutsche Verfassungstradition und alliierte Vorgaben ließen - zwischen Unitariern und Föderalisten heftig umstritten295 . So auch J. /sensee, ibd., S. 261 f. Vgl. auch T. Nipperdey, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, S. 125ff. (161 f.); J. lsensee, ibd., S. 253; ders., in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, S. 139ff. (139). 294 Vgl. dazu G. Ziebura, Die V. Republik, S. 46; H.-1. Grabbe, VZG 1978, s. 393 ff. (393). 295 Vgl. dazu insgesamt S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 116ff.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 1308. 292 293

10 Moersch

146

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

2. Das Legitimationsdefizie96 des föderalen Prinzips

Von größerer Bedeutung und nachhaltigerer Wirkung für die Unitarisierung des deutschen Bundesstaates war und ist die mangelnde Legitimation des bündischen Prinzips. Daß gerade die Bundesstaatlichkeil als "Staatsform genuin deutscher Prägung"297 einem besonderen "Legitimationsdruck" ausgesetzt ist, hat vor allem drei Gründe. Zunächst war und ist Deutschland immer sprachlich, ethnisch und kulturell weitaus homogener als andere Bundesstaaten wie etwa Kanada oder die Schweiz, so daß die Integrationswirkung, die dem Föderalismus in diesen Staaten zukommt und aus der der Bundesstaat dort seine stärkste Legitimation erfährt, für Deutschland keine entscheidende Rolle spielt298 . Ferner entbehrt der Föderalismus des unmittelbaren Bezuges zum einzelnen, da ihm nicht das Missionarische und die Faszination ideologischer Doktrinen wie dem Kommunismus oder der Demokratie anhaften299 . Auch läßt sich das bündische Prinzip nicht ohne weiteres zur Begründung subjektiv-öffentlicher Rechte heranziehen, wie dies etwa beim Liberalismus der Fall ist. Schließlich erscheint der Föderalismus im Gegensatz zu anderen Verfassungsprinzipien wie der Rechtsstaatund Sozialstaatlichkeit nicht als "alternativlos". Immer dann, wenn der sich im Bundesstaat in erhöhtem Maße ergebende Koordinations- und Abstimmungsbedarf als beschwerlich und hinderlich empfunden wird, wird der Einheitsstaat von vielen als erstrebenswerte Alternative betrachtet. Daher wiegt es um so schwerer, daß die beiden dem Föderalismus aus der deutschen Verfassungsgeschichte zukommenden Legitimationsmomente für das Grundgesetz nicht mehr fruchtbar gemacht werden können. Traditionell gründete sich der Föderalismus in Deutschland auf die partrimonialen Dynastien und die von diesen beherrschten Territorien. Infolgedessen wurde das bündische Prinzip, das zuletzt in Gestalt des "ewigen Bundes der deutschen Fürsten" 300 seinen positiv-rechtlichen Ausdruck fand und dessen Legitimität im Gottesgnadentum wurzelte, mit den Ereignissen des Jahres 1918 seiner Grundlage beraubt, so daß der deutsche Föderalismus mit der Errichtung der ersten Republik 1919 in eine Legitimationskrise geriet, die die deutsche Staatsrechtswissenschaft bis heute nicht zufriedenstellend durch die Entwicklung einer modernen und eigenständigen Bundes296 Vgl. zu diesem Problem J. lsensee, AöR 115 (1990), S. 248ff. (durchgehend); F. Ossenbühl, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 117ff. (160), spricht von einem "Legitimationsdruck", dem der Föderalismus in Deutschland ausgesetzt sei; ebenso K. Stern, FS für Hans Huber, S. 319 ff. (326). 297 Zum Begriff vgl. J. lsensee, HStR IV, § 98, Rz. 1. 298 So auch H. Oberreuter, Stichwort: Föderalismus, in: StL, Bd. 2, Sp. 633 f. 299 Diesen Aspekt betont auch J. /sensee, AöR 115 (1990), S. 248ff. (252). 300 Vgl. dazu die Präambel der Verfassung von 1871 , RGBI. 1871 S. 63.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

147

staatslehre301 gelöst hat. Damit ist nicht das Fehlen einer allgemeinen, abstrakten Bundesstaatstheorie gemeint, deren Formulierung mit Blick auf die unterschiedliche geschichtliche Prägung und Entwicklung der verschiedenen Bundesstaaten zu Recht für unmöglich erachtet wird 302 . Vielmehr geht es um ein die konkrete Existenz und Erscheinungsform des deutschen Föderalismus erklärendes und aus sich selbst heraus legitimierendes Begriffsverständnis von "Bundesstaat"303 . Denn gleichermaßen fragwürdig wie die Situation kennzeichnend ist es, daß das Bundesverfassungsgericht in einer seiner ersten Entscheidungen304 zur Beschreibung und Charakterisierung des Grundsatzes der Bundestreue305 auf die Ausführungen Rudolf Smends306 zu den Eigentümlichkeiten des "monarchischen Bundesstaates" verwiesen hat. Da schon Smend diesen Begriff und die dahinter stehende Bundesstaatskonzeption von Georg Waitz307 übernommen hatte, verweist die verfassungsgerichtliche Jurisdiktion damit in einer zentralen Frage gegenwärtiger bundesstaatlicher Legitimation auf die staatswissenschaftliehe Diskussion in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ungeachtet der Tatsache, daß es nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, staatstheoretische Konzeptionen zu entwickeln, kann diesem Rückgriff auf die Geschichte nur der Einwand Hesses entgegengehalten werden, daß "eine Bundesstaatslehre, die der Geschichtlichkeit des Bundesstaatsprinzips nur dadurch Rechnung trägt, daß sie es aus einer vergangeneo geschichtlichen Situation entwickelt, seinen geschichtlichen Wandel aber außer acht läßt, auch heute bei einer Antinomie zwischen Prinzip und Wirklichkeit des Bundesstaates enden müßte" 308 • War somit schon der Weimarer Bundesstaat mit dem Mangel eigenständiger Legitimität behaftet, so ergab sich für das Grundgesetz noch eine wei301 Das Fehlen einer Bundesstaatslehre, "die das Ganze verständlich macht", beklagt auch K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 1 ff. ; vgl. insgesamt zu diesem Problem S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, s. 233ff. 302 Die Existenz einer allgemeinen Bundesstaatstheorie in diesem Sinne wird bestritten von U. Scheuner, Struktur und Aufgabe des Bundesstaates der Gegenwart, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, S. 415; ders., DÖV 1966, S. 513ff. (514); J. /sensee, HStR IV, § 98, Rz. 5 ff., stellt fest, der deutsche Bundesstaat lasse sich nicht als ,,konfektioniertes System" der Allgemeinen Staatslehre deuten; ders., AöR 115 (1990), S. 248ff. (S. 251). 303 In diesem Sinne auch K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. I ff. 304 BVerfGE 1, 299 [315]. 305 E. Benda, in: Probleme des Föderalismus, S. 71 ff. (79), sieht zu Recht auch in diesem ungeschriebenen Prinzip selbst einen Faktor der Unitarisierung. 306 R. Smend, Der monarchische Bundesstaat, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 51 f. 307 Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. II. 2. 308 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 5. 10•

148

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

tere Schwierigkeit. Denn die Errichtung von Besatzungszonen durch die Siegermächte des zweiten Weltkrieges führte dazu, daß nur noch wenige der traditionellen deutschen Länder in ihren historischen Grenzen 309 bestanden. Den Ausgangspunkt föderaler Überlegungen mußten fortan die Besatzungszonen und ,,künstliche", von den Siegermächten geschaffene Länder bilden, so daß auch das Territorialprinzip als zweite tragende Säule des deutschen Föderalismus den neuen Bundesstaat nicht mehr zu rechtfertigen vermochte310. Daß gerade der Zusammenbruch der tradierten Länderstruktur für den Neuaufbau eines stabilen föderal gegliederten Gemeinwesens in (West-)Deutschland erheblich Probleme mit sich bringen würde, haben schon die West-Alliierten erkannt, indem sie sich keineswegs auf die von ihnen geschaffene besatzungsrechtliche Ländergliederung verlassen wollten, sondern in dem Frankfurter Dokument 11311 die Ministerpräsidenten der deutschen Länder aufforderten, die bestehenden Ländergrenzen zu überprüfen und ggf. eine Länderneugliederung vorzunehmen 312 • In Ermangelung einer eigenständigen Begründung des Föderalismus und dem auf diesem Verfassungsprinzip lastenden "Legitimationsdruck" sind im staatsrechtlichen Schrifttum dem bundesstaatliehen Gefüge eine Reihe von Funktionen zugemessen worden, die seine Existenz rechtfertigen und seine konkrete Erscheinungsform begründen sollen. Dabei stehen in verschiedenen Varianten die Funktionen der "Freiheitssicherung" durch die zusätzliche "vertikale Gewaltenteilung" und die "Verbesserung des politisch-administrativen Systems"313 sowie die Wahrung "landsmannschaftlicher Besonderheiten" im Vordergrund. Auch wenn hier nicht den verschiedenen Argumentationsmustern vertieft nachgegangen werden kann, so gilt es doch festzuhalten, daß sie alle dem föderalen Prinzip gegenüber den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeil und der Demokratie keine eigenständige, originäre Mit Ausnahme der Stadtstaaten vor allem Bayern. Zu den Problernen vor die sich diesbezüglich der Parlamentarische Rat gestellt sah, vgl. die Äußerungen Carlo Schmids zur sprachlichen Fassung des Art. 30 GG, die zum Teil in: JöR Bd. I 1951 N.F., S. 297, wiedergegeben sind. 311 Text des Dokuments in: BK, Einleitung, S. 40ff. 312 Der Parlamentarische Rat ist dieser Aufforderung später nur teilweise nachgekommen, indem er zwar einen "Ausschuß zur Überprüfung der Ländergrenzen" eingesetzt hat, ein konkreter Vorschlag wurde jedoch letztlich nicht unterbreitet, so daß es zunächst (die Bildung Baden-Württernbergs erfolgte erst Anfang der SOer Jahre) im wesentlichen bei der vorgefundenen Länderstruktur geblieben ist. Vgl. dazu die Sitzungsprotokolle des Auschusses zur Überprüfung der Ländergrenzen, abgedr. bei K. G. Wemicke!J. Wagner, Der Parlamentarische Rat, S. 326-410; vgl. auch K. Stern, Staaatsrecht, Bd. V, S. 1236ff. 313 Vgl. dazu F. Ossenbühl, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 117ff. (161); G. Kisker, in: Problerne des Föderalismus, S. 23ff. (25ff.). 309

310

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

149

Bedeutung zumessen, sondern daß der Bundesstaat seine Rechtfertigung über eine Unterstützungs- und Verstärkungsfunktion jener anderen Grundsätze erfahrt314 . In der staatsrechtlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte ist daher die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Föderalismus und Subsidiarität zunehmend von der Begründung der subsidiären Funktion des Föderalismus selbst abgelöst worden. 3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Neben der Existenz eines Bundesverfassungsgerichts, die für sich schon eine unitarisierende Wirkung besitze 15, hat seine Rechtsprechung entscheidend zur Zentralisierung und Vereinheitlichung des Bundesstaates beigetragen316. Dies gilt zunächst unmittelbar für die Rechtsprechung selbst, die auf zwei Ebenen der Kompetenzverlagerung von den Ländern auf den Bund Vorschub geleistet hat. So hat das Gericht schon sehr früh damit begonnen, "ungeschriebene Bundeskompetenzen"317 herauszuarbeiten, aufgrund derer der Bund Rechtsetzungsbefugnisse beanspruchen konnte, für die es in der Verfassung keine Grundlage gibt, wie die Kompetenz ,,kraft Sachzusammenhangs"318 , als Sonderfall der "Annexkompetenz"319 und die Kompetenz "kraft Natur der Sache"320. Die Frage nach der bundesstaatli3 14 Ebenso J. /sensee, AöR 115 (1990), S. 248ff. (260); ders., in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, S. 139 ff. (153 f.). 315 So zu Recht auch E. Benda, in: Probleme des Föderalismus, S.71 ff. (81). Für den Supreme Court der USA bestätigt dies A. Schramm, ZfRV 2000, S. 8ff. (13ff.). 316 Eine umfassende Analyse dieser Rechtsprechung bietet S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 185ff. und 329ff. 3 17 Kritisch zu diesen Instituten M. Bullinger, AöR 96 (1971), S. 237ff. (241 ff. und 268 ff.). 3 18 BVerfGE 3, 407 [421]; II , 192 [199]; 12, 205 [237f.]; 15, 1 [20]; 26, 246 [256]. Danach ist eine Bundeskompetenz ,,kraft Sachzusammenhangs" dann gegeben, "wenn eine dem Bund zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne. daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie". 3 19 Vgl. dazu BVerfGE 8, 143 [148ff.]; 22, 180 [210]; 77,288 [299]. Zur Einordnung der "Annexkompetenz" als Sonderfall der "Kompetenz kraft Sachzusammenhangs" vgl. K. Hesse, Grundzüge, Rz. 236; H.-W. Rengeling, HStR IV, § 100, Rz. 55. 320 BVerfGE 11, 89 [96ff.]; 22, 180 [216ff.]; 26, 246 [257]. Nach dem Verständnis des Gerichts kommt eine Bundeskompetenz ,,kraft Natur der Sache" unter der Voraussetzung in Betracht, daß "gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheiten des Bundes darstellen, vom Bund und nur von ihm geregelt werden können" BVerfGE 3, 407 [421, 427f.], II, 89 [98], 12,205 [242], 15, 1 [24], 22, 180 [217].

150

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

eben Notwendigkeit ungeschriebener Bundeszuständigkeiten321 kann hier ebenso dahinstehen wie die Abgrenzung dieser Rechtsfiguren zueinander und ihre Reichweite im einzelnen. Unstreitig ist jedenfalls die unitarisierende Wirkung, die diese Form der Begründung zusätzlicher Bundeskompetenzen mit sich bringt. Weitaus stärker als die Begründung ungeschriebener Bundeszuständigkeiten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich jedoch die Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. durch das Gericht auf die Zentralisierung von Rechtsetzungsbefugnissen ausgewirkt322 . So hat das Bundesverfassungsgericht bereits in einer seiner ersten Entscheidungen das Tatbestandsmerkmal "Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung" mit der Begründung, hierbei handele es sich um "eine Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers, die ihrer Natur nach nicht justitiabei und daher der Nach~rüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen" sei32 , der politischen Opportunität des Bundesgesetzgebers anheim gestellt. Die insoweit verbleibende Evidenzkontrolle der Einhaltung der Grenzen des eingeräumten Ermessens und die Hinderung möglichen Ermessensmißbrauchs324 durch das Bundesverfassungsgericht mußte jedoch zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, als dem Bundesgesetzgeber hinsichtlich Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG a. F. "eine politische Vorabentscheidung, die das Bundesverfassungsgericht zu respektieren hat" 325 , eingeräumt wurde. Dabei kommt der Tatsache, daß das Gericht nicht klar zwischen "unbestimmten Rechtsbegriffen", deren Ausfüllung unstreitig zu seinen Aufgaben 321 Allgernein werden ungeschriebene Bundeszuständigkeiten in der Bundesstaatslehre für erforderlich erachtet. So auch K. Hesse, Grundzüge, Rz. 236f.; a. A. M. Bullinger, AöR 96 (1971), S. 237ff. (268ff.); Die genannten vorn Bundesverfassungsgericht entwickelten Rechtsfiguren gehen letztlich auf die "irnplied-powersLehre" zurück, die der Suprerne Court im Fall "McCulloch v. Maryland" im Jahre 1819 für das Verhältnis von Unions- und einzelstaatlichen Befugnissen im amerikanischen Verfassungsrecht herausgearbeitet hat. Der Text der Entscheidung und eine Erläuterung ihrer Vorgeschichte findet sich bei G. Gunther, Constitutional Law, S. 72ff. und 82ff. Zur "irnplied-powers-Lehre" im Bereich internationaler Organisationen vgl. H. F. Köck, FS für Ignaz Seidl-Hohenveldem, S. 279ff. (durchgehend); K. lpsen, Völkerrecht, S. 71 ff.; E. Klein, in: Wolfgang Graf Vitzthurn (Hrsg.), Völkerrecht, S. 287 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 33. Einen Vergleich der Anwendung der "irnplied-powers-Lehre" im Bundesstaats- und Völkerrecht stellt E. Loebenstein, FS für Ludwig Adarnovich, S. 339ff. (342ff.), an. Zur Bedeutung dieser Rechtsfigur im Europäischen Gerneinschaftsrecht, G. Nicolaysen, EuR 1966, S. 129ff. 322 Vgl. hierzu die Rechtsprechungsanalyse bei S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 201 ff. 323 BVerfGE 2, 213 [224f.]; 4, 115 [127]; 10,234 [245]; 13,230 [233f.]; 26,338 [382f.]; 33, 224 [229]; 34, 9 [39]; 39, 96 [114f.]; 65, 1 [63]; 67, 299 [327]. 324 So BVerfGE 34, 9 [39]. 32s So BVerfGE 26, 338 [382]; 78, 249 [270].

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

151

gehört, und "gesetzgeberischem Ermessen" trennt, nicht einmal zentrale Bedeutung zu326 . Grundlegender ist die Tatsache, daß sich das Bundesverfassungsgericht durch die Nichtausübung seiner Kontrollkompetenz letztlich rechtspolitisch betätigt und damit bewußt der Unitarisierung des deutschen Bundesstaates beträchtlichen Vorschub geleistet hat327 , mag das Motiv hierfür auch der Wunsch nach Korrektur einer von den Alliierten aufgezwungenen Verfassungsbestimmung gewesen sein328 . Kritikwürdig 329 erscheint in diesem Zusammenhang schließlich auch die Interpretation des Gerichts, das Bedürfnis nach "bundesgesetzlicher" Regelung in ein solches nach "bundeseinheitlicher"330 Normierung umzudeuten 331 . Wegen der Verweisung auf Art. 72 Abs. 2 GG in Art. 75 GG war der Rückgriff auf die Befugnis zur Rahmenrechtsetzung ebenfalls in das politische Ermessen des Bundesgesetzgebers gestellt. Bei dieser Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts nimmt es nicht wunder, daß unter der Geltung der alten Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG kein Bundesgesetz mit der Begründung fehlenden "Bedürfnisses" als gegen Art. 72 Abs. 2 oder 75 GG verstoßend verworfen worden ist. Ob insoweit die Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG 332 zu einer Neuorientierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führen wird, bleibt abzuwarten. Zumindest läßt sich sowohl der Begründung des Änderungsvorschlages der Gemeinsamen Verfassungskommission333 als auch der zum Teil bei der Neufassung der Vorschrift berücksichtigten Empfehlung des Bundesrates334 das eindeutige Ziel des verfassungsändernden GesetzgeWie hier H.-W. Rengeling, HStR IV, § 100, Rz. 121. Im Ergebnis zustimmend R. Herzog, in: Hubert Hier! (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 122ff. (130). 328 So R. Herzog, ibd.; D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff. (95), spricht von einem "Corriger Ia dictee"; für ihn zustimmend B. Pfeifer, Probleme des spanischen Föderalismus, S. 25. Einen Indiz für diese These mag man darin erblicken, daß der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hermann Höpker Aschoff zuvor als Mitglied des Parlamentarischen Rates im sog. SiebenerAusschuß für eine stärkere Stellung des Bundes gegenüber den Ländern, insbesondere auf dem Gebiet der Finanzverfassung, eingetreten war, diese Vorstellungen wie Höpker Aschoff selbst erkannte - bei den Alliierten nicht durchsetzbar waren. Vgl. zu Höpker Aschoffs Positionen im Parlamentarischen Rat K. Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 1312ff. 329 Zur Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung vgl. H. Bethge, BayVBI. 1985, S. 257 ff. (258 f.); R. Scho/z, FG für das Bundesverfassungsgericht, Bd. II, S. 252ff. (260f.). 330 So BVerfGE 18, 407 [415]; 26, 338 [383]. 331 So auch H.-W. Rengeling, HStR IV,§ 100, Rz. 121. 332 Die aktuelle Fassung des Art. 72 GG ist durch das 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBI. I S. 3146) eingefügt worden. 333 Vgl. dazu BT-Drs. 12/6000 vom 05. November 1993, S. 33. 326 327

152

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

bers entnehmen, "die bisherige Fassung der Bedürfnisklausel [... ] als eines der Haupteinfallstore für die Auszehrung der Länderkompetenzen" durch eine Formulierung zu ersetzen, die einen wirksameren Schutz vor der Abwanderung legislatorischer Länderzuständigkeiten bietet. Die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG erhält dadurch noch zusätzliches Gewicht, daß die Einhaltung der von dieser Norm dem Bundesgesetzgeber gezogenen materiellen Grenzen im Wege der ebenfalls neu geschaffenen verfassungsgerichtlichen Klagemöglichkeit in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG überprüft werden kann. Dabei kommt ausschließlich den Länderinteressen vertretenden Gremien "Bundesrat, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes" das Antragsrecht zu. Auch wenn sich die künftige Linie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser grundgesetzliehen Neubestimmung der konkurrierenden Gesetzgebung nicht vorhersagen läßt, so dürfte zumindest feststehen, daß das Gericht seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur inhaltlichen Überprüfung der Notwendigkeit bundesgesetzlieber Regelungen auf diesem Gebiet nicht mehr ausweichen335 und damit auch die Länderkompetenzen nicht mehr zur nahezu freien Disposition des Bundesgesetzgebers stellen kann. 4. Die unitarische Wirkung der Grundrechte

Nicht zuletzt entfalten auch die (Bundes-)Grundrechte gegenüber den Ländern eine stark vereinheitlichende Wirkung. Sie tragen damit entscheidend zur Unitarisierung des Bundesstaates bei 336 . Dies wird nicht ernsthaft bestritten337 , bisweilen sogar begrüße38 • Behauptung wie Bewertung dieses Phänomens bedürfen indes einer differenzierteren Betrachtung. Unstreitig 334 Vgl. dazu BR-Drs. 360/92 vom 14. Mai 1992, die den Bericht der vom Bundesrat mit Beschluß vom 1. März 1991 (BR-Drs. 103/91) eingesetzten "Kommission Verfassungsreform des Bundesrates" enthält. Der Bericht selbst trägt den Titel: "Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa sowie weitere Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes". Zu den Überlegungen der Kommission des Bundesrates zu einer Neufassung des Art. 72 GG vgl. auch C. Asmussen/U. Eggeling, VerwArch 1992, S. 246f. 335 Zustimmend R. Sannwald, ZG 1994, S. 134ff. (140). 336 Auf die Tatsache, daß es sich hierbei um ein allgemeines Phänomen handelt, daß keineswegs auf den deutschen Bundesstaat beschränkt ist, weist W. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7 ff. (33), unter Bezugnahme auf die Verfassungsentwicklung der Vereinigten Staaten hin. 337 Die unitarische Wirkung betonen J. /sensee, in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, S. 139ff. (151); M. Herdegen, HStR IV, § 97, Rz. 50ff.; mit speziellem Bezug zu Art. 3 Abs. 1 GG; E. Benda, in: Probleme des Föderalismus, S. 71 ff. (77 ff.); W. Leisner, Die bayerischen Grundrechte, S. 122; S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 426 ff, spricht von den Grundrechten als einem "Medium der Unitarisierung".

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

153

ist, daß jeder Bundesstaat eines Mindestmaßes an Homogenität bedarf. Dies gilt insbesondere für die grundrechtlich verbürgten Freiheiten und die Möglichkeiten ihrer staatlichen Beschränkung. Dabei erlangt die Forderung nach Grundrechtshomogenitäe39 nur in jenen Bundesstaaten praktische Bedeutung, in denen die Verfassungen der Gliedstaaten eigene Landesgrundrechte enthalten, die zumindest teilweise einen anderen Inhalt als die Bundesgrundrechte haben. Im Gegensatz zu den Österreichischen Landesverfassungen, die keine "grundrechtlichen Gewährleistungen" kennen 340 oder den Verfassungen der Schweizer Kantone, deren Grundrechtskataloge keine Abweichungen zur Bundesverfassung aufweisen341 , kann es in Deutschland zu Kollisionen zwischen Bundes- und Landesgrundrechten kommen342. Derartige Konflikte werden entsprechend der bundesstaatliehen Kollisionsnorm des Art. 31 GG gelöst, der bestimmt: "Bundesrecht bricht Landesrecht"343. Diese in der apodiktischen Formulierung zum Ausdruck kommende Rigorosität der Regelung mag in Fällen offenkundiger Widersprüche zwischen Bundes- und Landesgrundrechten zu einer wünschenswerten Klärung im Sinne eines bundeseinheitlichen Grundrechtsschutzes und einer die gesamtstaatliche Integration fördernden Lösung führen. Doch wenn die Grundrechtskollisionen nicht offen zutage treten, sondern erst durch zweifelhafte oder kaum mehr nachvollziehbare Interpretationen durch das Bundesverfassungsgeriche44 in Form von Wertungswidersprüchen entstehen, werden Problematik und Tragweite des Art. 31 GG sichtbar. Es ist jedoch nicht in erster Linie der von Art. 31 GG erzwungene Vorrang der Bundesgrundrechte, der ihnen jene unitarisierende Wirkung ver338 Vgl. dazu W. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7ff. (33), der die Ansicht vertritt: ..Die Vereinheitlichung des Grundrechtsschutzes ist das integrationspolitische Juwel in der Krone föderaler Verfassungsstaatlichkeit". 339 Zum Begriff K. Stern, Staaatsrecht, Bd. III/2, S. 1453. 340 Vgl. dazu B.-Ch. Funk, VVDStRL 46 (1988), S. 57ff. (76). 341 Vgl. dazu G. Schmid, VVDStRL 46 (1988), S. 92ff. (104). 342 Eine solche Normenkollision sieht das BVerfGE 36, 342 [363], als gegeben an, wenn zwei Normen die Kollisionsnorm hinweggedacht, auf einen Sachverhalt anwendbar sind und zu verschiedenen Ergebnissen führen können. Diese Ansicht wurde durch das Sondervotum des Richters Geiger dahingehend präzisiert, daß die beiden Normen .,nicht nur den gleichen Regelungsgegenstand betrefffen, sondern auch denselben Adressaten haben (müssen)" (BVerfGE 36, 342 [369]). 343 Dabei bedeutet .,brechen" nach ganz herrschender Auffassung, daß die dem Bundesrecht entgegenstehenden Landesgrundrechte nichtig sind und nicht lediglich ihre Anwendung gehindert ist. Vgl. insgesamt zur Problematik der "Verdrängung von Landesgrundrechten durch Bundesrecht" statt aller K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 1464 ff. 344 Zu dieser Bewertung gelangt W. Knies, in: Detlef Merten/Waldemar Schrekkenberger (Hrsg.), Kodifikation gestern und heute, S. 254, bezüglich BVerfGE 89, 1 ff.

154

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

leiht. Diese resultiert vielmehr aus der Verbindung einzelner Grundrechte mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner "numerus-clausus-Entscheidung"345 hergestellt hat. So forderte das Gericht bis dahin lediglich die Wahrung des Gleichheitssatzes innerhalb der Herrschaftsbereiche von Bund und Ländern, sah jedoch in dem Bestand föderaler Vielfalt keinen Grundrechtsverstoß346• In Abkehr von dieser Rechtsprechungslinie urteilte das Bundesverfassungsgericht in der "numerus-clausus-Entscheidung", daß wenn es bei einer in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fallenden Materie um einen Lebenssachverhalt gehe, der "seiner Natur nach" über die Ländergrenzen hinausgreife und eine für alle Bürger der Bundesrepublik in allen Bundesländern gleichermaßen gewährleistete Rechtsposition berühre, der Landesgesetzgeber prüfen müsse, "ob sich eine Bevorzugung der Einwohner seines Landes im Rahmen der Wertentscheidung des Grundgesetzes hält und ob sie nicht zur Entwertung von Grundrechten führen würde, wenn andere Länder ebenso verfahren"347 • Neben die bundes- und landesverfassungsrechtlichen Vorgaben tritt damit auch die Verpflichtung der Landesgesetzgeber zur Wahrung und Beachtung bundeseinheitlicher Gleichbehandlung. Dabei gerät der als Bekenntnis zum Föderalismus gedachte Hinweis des Gerichts, daß der Gleichheitssatz mit Rücksicht auf die föderalistische Struktur nicht zur Uniformität zwinge348, zur bloßen Formalie. Auch die Begrenzung der Gleichbehandlungspflicht auf Lebenssachverhalte, die "ihrer Natur nach" über die Ländergrenzen hinausgreifen, erweist sich letztlich als wirkungslos. Denn wie sich aus der Entscheidung selbst ergibt, folgt die Ländergrenzen übergreifende Bedeutung des Sachverhalts gerade daraus, daß der Landesgesetzgeber in eine durch Bundesgrundrechte vermittelte Rechtsposition eingreift. Ungeachtet der Frage, wie man die Gundgesetzkonforrnität einer Privilegierung sog. Landeskinder bei der Vergabe knapper Studienplätze auch beurteilt, kann jedenfalls der Einschätzung zugestimmt werden, daß die "numerus-clausus-Entscheidung" einen "großen Schritt weg vom föderalistischen Prinzip" bedeutet und letztlich auch die Landesgesetzgeber auf die "in Art. 72 Abs. 2 GG ([a. F.] der Verf.) angesprochene Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse"349 und damit auf das Gebot zur Wahrung und Herstellung unitarischer Gleichheit verpflichtet. BVerfGE 33, 303 [352ff.]. Vgl. BVerfGE 10, 354 [371]; 12, 139 [143]; 12, 319 [324]; 16, 6 [24]; 17, 319 [331]; 33, 224 [231]. 347 BVerfGE 33, 303 [353]. 348 BVerfGE 33, 303 [352]. 349 So E. Benda, in: Probleme des Föderalismus, S. 71 ff. (78); auf die bundesstaatliche Problematik der "numerus-clausus-Entscheidung" weist auch R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rz. 154, hin. Auf die Bedeutung dieser Entscheidung für 34s

346

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

155

Infolge dieser Entscheidung ist es zu einer sukzessiven "Selbstkoordination"350 der Länder bei der Studienplatzvergabe gekommen. Positiv-rechtlichen Ausdruck findet dies in entsprechenden Staatsverträgen351 . Nachdem zunächst einheitliche Regelungen über die Vergabe von Studienplätzen in einzelnen Fächern festgelegt und die Verfahren standardisiert worden waren, lag es in der Konsequenz der Entwicklung, die Durchführung und laufende Verwaltung bei einer von allen Ländern gemeinsam getragenen Behörde zu konzentrieren. Dies geschah 1985 mit der Errichtung der "Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen" in Dortmund352, die als "echte Gemeinschaftseinrichtung aller Länder" 353 zu einem Symbol bundesstaatlicher Unitarisierung geworden ise54. Mag den Grundrechten per se auch ein gewisses unitarisches Moment anhaften, so darf jedoch nicht verkannt werden, daß die Auswirkungen ihres Vereinheitlichungspotentials erst durch ihre Verbindung mit dem Gleichheitssatz in der bundesverfassungsgerichtliehen Jurisdiktion entscheidende Bedeutung erlangt haben. Diese erstreckt sich über die Gesetzgebung hinaus auch auf die Verwaltung der Länder. Wie das Beispiel der ,,Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen" zeigt, reicht dabei die unitarische Wirkung der Grundrechte - wenn auch nur mittelbar - bis in die Organisationshoheit der Länder hinein. Ungeachtet der von den Grundrechten und ihrer Egalität heischenden Interpretation erzwungenen Vereinheitlichung sind den bundesstaatliehen Kooperationsformen einschließlich der Selbstkoordinierung der Länder durch - an sich zulässige - staatsvertragliehe Bindungen verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt355 . die Unitarisierung des deutschen Bundesstaates verweist auch S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 330ff. und 427ff. 350 Zum Begriff vgl. W. Rudo/f. in: Probleme des Föderalismus, S. 227 ff. (238); W. Blümel, HStR IV, § 101, Rz. 167; F. Hufen, in: Probleme des Föderalismus, s. 199ff. (204). 351 Vgl. statt aller den Staatsvertrag vom 20. Oktober 1972, den Staatsvertrag vom 23. Juni 1978 und den Staatsvertrag vom 16. Juni 1985. Zur Einordnung dieser Staatsverträge als besonderer Kooperationsform zwischen den Ländern vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 749 mit FN 643; W. Blümel, HStR IV, § 101, Rz. 172 mit FN 961. 352 Diese Behörde wurde auf der Grundlage des Staatsvertrages vom 16. Juni 1985 errichtet. 353 So W. Blümel, ibd. 354 N. Achterberg, VVDStRL 38 ( 1980), S. 55 ff. (91 ), sieht in dieser Art von Gemeinschaftseinrichtungen der Länder zu Recht ,.quasizentralstaatliche Lösungen". 355 Vgl. dazu allgemein W. Rudo/f. HStR IV, § 105, Rz. 79ff. Bezüglich der verfassungsrechtlichen Grenzen der Selbstkoordinierung durch Staatsverträge der Länder vgl. 0. Bachof/G. Kisker, Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Staatsvertrages über die Errichtung der Anstalt ,,Zweites Deutsches Fernsehen", S. 52f., die zu dem Ergebnis gelangen, daß es den Ländern untersagt ist, ,.die ihnen durch

156

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

5. Das Gleichheitspostulat als entscheidende Ursache bundesstaatlicher Unitarisierung

Weder das beschriebene Legitimationsdefizit noch die bundesfreundliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hätten für sich betrachtet zu einem so tiefgreifenden Wandel des bundesstaatliehen Gefüges führen können. Beide Erscheinungen müssen ebenso wie die Verfassungsänderungen, mit denen Legislativkompetenzen auf den Bund übertragen wurden, vor dem Hintergrund des im Nachkriegsdeutschland zur obersten Maxime staatlichen Handeins avancierenden Gleichheitspostulats gesehen werden 356 . Seinen signifikantesten Ausdruck hat dies in dem extensiven Gebrauch der "qualifizierten Bedürfnisklausel" des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. durch den Bundesgesetzgeber gefunden, dessen Kompetenzausdehnung das Bundesverfassungsgericht zustimmend begleitet hat. Diese Norm sah unter drei alternativen Voraussetzungen die Möglichkeit einer bundesgesetzliehen Regelung einer an sich den Landesgesetzgebern vorbehaltenen Materie vor. Danach lag ein Bedürfnis für ein Bundesgesetz vor, "[ ... ]weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann, oder 2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert".

Während die erste Variante eine klassische Kodifizierung des Subsidiaritätsprinzips darstellt, indem nur im Falle des Versagens der unteren Ebene (einzelner Länder) die Regelungskompetenz auf die höhere Einheit, den Bund, übergehen soll, ergibt sich die zweite Alternative eines Kompetenzübergangs auf den Bund aus einer Notwendigkeit des Bundesstaates, wonach kein Glied anderen Gliedern oder dem Gesamten Schaden zufügen darf. Es ist bezeichnend, daß es keinen einzigen Fall gegeben hat, in dem der Bund unter Berufung auf eine dieser beiden Voraussetzungen das Bedürfnis einer bundesgesetzliehen Regelung geltend gemacht hat. Das bedeutet, daß sich weder wegen unzureichender oder unwirksamer Landesgesetzgebung noch aus Gründen des bundesstaatliehen Wohls ein Bedürfnis für eine AusdehKompetenzüberlassung eröffnete Möglichkeit zu eigener Initiative und Aktion sinnwidrig durch Selbstgleichschaltung zu mißbrauchen". 356 Vgl. dazu näher unten 2. Kapitel E. II. 3.; im Ergebnis zustimmend S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 532ff.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

157

nung der Bundesgesetzgebung gegenüber den Ländern ergeben hat. Vielmehr ist die vollständige Ausschöpfung der konkurrierenden Gesetzgebung durch den Bund ausschließlich unter Rückgriff auf die dritte Variante des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. "Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus" erfolgt. Doch auch diese Formel hätte die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Landes- und Bundesgesetzgebungszuständigkeit nicht zu rechtfertigen vermocht, wenn dem Verfassungswortlaut mehr Beachtung geschenkt worden wäre. Der Bundesgesetzgeber hat jedoch der Vorschrift ohne Berücksichtigung der Formulierung "Wahrung" einen dynamischen Charakter beigemessen und aus ihr einen Auftrag "zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse" abgeleitet357. Dabei diente in erster Linie das Sozialstaatsprinzip als Rechtfertigungsgrundlage358, wobei im Zuge rasch fortschreitender Prosperität in der Bundesrepublik Deutschland die diesem Grundsatz eignende absolute Zielvorgabe der Existenzsicherung des einzelnen359 in ihrer Bedeutung sehr schnell hinter das Streben nach relativer sozialer Gleichheit in allen Lebensbereichen zurücktrat. Die von diesem Sozialstaatsverständnis ausgehende vereinheitlichende Wirkung wurde von den (Bundes-)Grundrechten als einem weiteren "unitarischen Moment"360 noch verstärkt. Auch hier ist es der Staatsrechtslehre nicht gelungen, dem in Art. 20 Abs. 1 GG vorgegebenen Leitbild des "sozialen Bundesstaates" Konturen und Struktur zu geben361 . Erst vor diesem Hintergrund konnte sich die als Begrenzung gesamtstaatlicher Rechtsetzungsbefugnisse362 gedachte Formel von der "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" in Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG a. F. zu dem entscheidenden verfassungsrechtlichen Hebel bundesstaatlicher Unitarisierung wandeln. Mag die Zentralisierung legislativer und administrativer Kompetenzen auch unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip legitimiert worden sein363 , In diesem Sinne auch T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 72, Rz. 23. Vgl. dazu E.-W. Böckenförde, FS für Friedrich Schäfer, S. 182ff. (182); J. /sensee, HStR IV, § 98, Rz. 249ff. 359 Zu diesem wie zu den übrigen "Aufträgen des Sozialstaates" vgl. H. F. Zacher, HStR I, § 25, Rz. 27 ff. 360 Zum Begriff J. /sensee, HStR IV, § 98, Rz. 246. 361 Daß es sich bei diesem Problem nicht zuletzt auch um ein Versäumnis der Staatsrechtslehre handelt, bemerkt zu Recht J. /sensee, HStR IV, § 98, Rz. 250. 362 Vgl. zu dem Begrenzungscharakter des Art. 72 Abs. 2 GG H.-W. Rengeling, HStR IV,§ 100, Rz. 121; J. lsensee, HStR IV,§ 98, Rz. 251; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 679, mißt der Vorschrift die Bedeutung eines "Korrektivs" und nicht die eines "eigenständigen Kompetenztitels" zu. 363 So ausdrücklich E.-W. Böckenförde, FS für Friedrich Schäfer 1980, S. 182ff. (182). 357

358

158

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

so hat diese Staatszielbestimmung als eine Bund und Länder gleichermaßen bindende Verfassungsdirektive die Unitarisierung des bundesstaatliehen Gefüges jedoch keineswegs von sich aus erzwungen oder erforderlich gemacht364 . Denn der Gedanke der sozialen Gleichheit ist lediglich ein Aspekt sozialstaatliehen Handelns, keineswegs jedoch der einzige oder zentrale365. War es doch gerade der Bereich sozialer Fürsorge, auf dem das Subsidiaritätsprinzip traditionell seine größte Bedeutung und praktische Umsetzung erfahren hae66.

V. Würdigung der These des Zusammenhangs von Föderalismus und Subsidiarität Eine um Objektivität bemühte kritische Würdigung des grundgesetzliehen Föderalismus und seines Verhältnisses zu dem Grundsatz der Subsidiarität muß beim Verfassungswortlaut beginnen. Dabei ergibt sich der klare Befund, daß das Subsidiaritätsprinzip auch bei den Vorschriften über die bundesstaatliche Ordnung und hier namentlich bei den Kompetenzverteilungsregeln zwischen Bund und Ländern nicht ausdrücklich erwähnt wird, also keinen Niederschlag im positiven Verfassungsrecht findet. Zieht man über den Wortlaut hinaus auch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes in die Betrachtung mit ein, so läßt sich feststellen, daß es sowohl auf dem Herrenchiemseer Verfassungskonvent als auch im Parlamentarischen Rat Versuche gab, dem Subsidiaritätsgedanken einen positivrechtlichen Ausdruck zu geben367 . Einen konkreten Vorschlag unterbreitete der Abgeordnete Seebohm in der dritten Sitzung des Parlamentarischen Rates am 9. September 1948. Danach sollte folgender Grundsatz in den Verfassungstext aufgenommen werden: "Der Staat hat den Menschen zu dienen und mit der ihm anvertrauten Macht Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Er hat die Aufgabe, zu helfen und zu schützen. Was der einzelne in erlaubter Weise aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft leistet, darf der Staat nicht zerschlagen, aufsaugen oder zu ersetzen versuchen" 368 . Auch wenn insbesondere der erste Satz dieses Vorschlags das Bemühen, 364 Im Ergebnis ebenso W. Renzsch, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1997, S. 87 ff. (88 ff.), der in dem "föderal verflochtenen und parteienstaatlich versäulten politischen System der Bundesrepublik Deutschland" die Hauptursache der Unitarisierung des deutschen Bundesstaates erblickt. Diese sei "nur sekundär eine Folge von Staatszielen oder diskretionärer Entscheidung". 365 Vgl. zu den verschiedenen Dimensionen des sozialstaatliehen Auftrages H. F. Zacher, HStR I, § 25, Rz. 25 ff. 366 Vgl. dazu oben I. Kapitel C. V. I. a). 367 Ausführlich dazu J. /sensse, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 143ff.; K. Stem/J. Bunneister, Die kommunalen Sparkassen, S. 158f. 368 Vgl. oben 1. Kapitel A. I.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

159

auch der liberalen Tradition der Subsidiaritätsidee Ausdruck zu verleihen, widerspiegelt, so bleibt er doch insgesamt gesehen, weitgehend dem kirchlichen Subsidiaritätsverständnis verhaftet. Besonders deutlich wird dies daran, daß im letzten Satz Formulierungen der Sozialenzyklika "Quadragesima anno" sogar in ihrem (Übersetzungs-)Wortlaut übernommen werden. Diesem wie auch anderen Versuchen, den Gedanken der Subsidiarität als allgemeines Prinzip in der neu zu schaffenden "Verfassung" zu verankern, ist jedoch der Erfolg versagt geblieben, weil die Mehrheit der Mitglieder des Parlamentarischen Rates hierin eine Festlegung auf ein bestimmtes Menschenbild und Staatsverständnis sah, die man angesichts der unübersichtlichen Situation und um der Gefahr einer sich hierauf gründenden Ausgrenzung anders Denkender und einer möglichen Polarisierung in der Gesellschaft vorbeugen wollte369 . Daraus folgt zum einen, daß das Subsidiaritätsprinzip wissentlich und willentlich nicht in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Seine Nichtberücksichtigung stellt also nicht etwa ein "redaktionelles Versehen" oder eine "planwidrige Lücke" dar. Zum anderen zeigt aber die Argumentation, mit der seine Aufnahme abgelehnt wurde, daß der Subsidiaritätsgrundsatz von Gegnern wie Befürwortern stets ist seiner kirchlichen Prägung diskutiert wurde 370. Eine ausschließlich auf die Funktion dieses Ordnungs- und Organisationsprinzips als Kompetenzzuweisungsmaxime beschränkte Betrachtung war damaligem Denken fremd und hat auch nachweisbar im Parlamentarischen Rat keine Rolle gespielt. Daher lassen sich weder aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes noch aus der Tatsache, daß das Subsidiaritätsprinzip keinen Eingang in das geltende Verfassungsrecht gefunden hat, weiterführende Schlußfolgerungen ziehen 371 • Dies gilt gleichermaßen für die These, aus der Nichterwähnung dieses Grundsatzes ergebe sich eine eindeutige Absage des Grundgesetzes an jenes sozialphilosophische Ordnungsprinzip372, wie für die gegenteilige Behauptung. Stellt erstere eher das Ergebnis bloßen Verbarrens in streng positivistischer Dogmatik dar, so kann mit letzterer der insoweit eindeutige Wortlaut der Verfassung auch nicht einfach übergangen373 und die Geltung Vgl. dazu JöR N.F. Bd. I 1951, S. 41 ff. Diesen Gesichtspunkt verkennt B. P. Kuttenkeuler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz, S. 58 f. 371 Im Ergebnis zutreffend B. P. Kuttenkeuler, ibd., S. 59. 372 So aber R. Herzog, Der Staat 1963, S. 399ff. (412); P. Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 315; H. F. Zacher, Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege, S. 81. 373 So aber M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (12), der hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips zu dem Ergebnis gelangt, daß das Grundgesetz von ihm ausgegangen sei, "ohne es zu erwähnen"; ebenso W. Dicke, Deutsche Polizei 1994, S. 6ff. (10), der zum Subsidiaritätsprinzip bemerkt: "In Deutschland, wo dieses Prinzip bekanntlich in der Verfassung das Verhältnis zwischen Bund und Ländern regelt, [... ]". 369

370

160

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

des Subsidiaritätsgrundsatzes als ungeschriebenes Verfassungsrecht schlicht behauptet werden. Auch das zur verbindlichen Interpretation des Grundgesetzes berufene Bundesverfassungsgericht hat sich zu der Frage der Geltung des Subsidiaritätsprinzips als Grundsatz der Verfassung und des deutschen Bundesstaates nicht geäußert, obwohl es bei der Entscheidung über die Verfassungskonformität des Bundessozialhilfe- und des Jugendwohlfahrtsgesetzes Gelegenheit dazu gehabt hätte 374 und zudem von der Staatsrechtslehre in Anbetracht des heftigen Streits um die Vereinbarkeit dieser beiden Gesetzesvorhaben mit diesem Grundsatz eine entsprechende Stellungnahme des Gerichts erwartet wurde. Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, daß auch nach der Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission zu den Änderungsvorschlägen der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern - insbesondere zu Art. 72 Abs. 2 GG n. F. - zwar eine Stärkung und Absicherung der Stellung der Länder auf diesem Gebiet angestrebt wurde375 ; eine Bezugnahme oder Erwähnung des Grundsatzes der Subsidiarität findet sich jedoch auch hier nicht. Es scheiden mithin sowohl der Verfassungswortlaut und die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung als auch die Willensbekundungen des verfassungsgebenden wie des verfassungsändernden Gesetzgebers als Belege für eine grundgesetzliche Geltung des Subsidiaritätsprinzips aus. Der verbleibende Versuch, im Wege der Deduktion aus einzelnen Verfassungsnormen einen hinter diesen liegenden allgemeinen Vefassungsgrundsatz der Subsidiarität herzuleiten, begegnet den genannten Einwänden. Für den Bereich der bundesstaatliehen Kompetenzverteilung bleibt festzuhalten, daß Art. 30 GG in seiner Bedeutung hinter die konkreten Kompetenznormen zurücktritt, letztlich also selbst in rechtstechnischer Sicht subsidiär und somit nur sehr bedingt aussagefähig ist. Zudem relativiert die in Inhalt und Umfang unbestimmte Ausnahmemöglichkeit von dem Prinzip der Länderprärogative in Halbsatz 2 der Vorschrift diesen Grundsatz wieder. Ob sich der in Art. 70 Abs. 1 GG festgelegte Primat der Länderzuständigkeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung tatsächlich als Ausdruck einer nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips vorgenommenen Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse zwischen Bund und Ländern deuten läßt, erscheint fraglich. So ergibt eine entsprechende Analyse der Stellungnahmen der Mitglieder des Zuständigkeits-, des Haupt- und des Allgemeinen Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates zu diesem Themenkom374 375

Vgl. BVerfGE 22, 180ff. Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. IV. 3.

C. Der deutsche Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip

161

plex376 , daß die Verteilung und Zuweisung der Rechtsetzungskompetenzen als bewußte und gezielte Anknüpfung oder Abkehr von Regelungen der Reichsverfassung, als Frage einer gewollten Kontinuität oder Diskontinuität deutscher Verfassungsgeschichte also, und nicht als Problem der Umsetzung sozialphilosophischer Organisationsprinzipien diskutiert wurde. Insoweit erlaubt auch der grundgesetzlich festgeschriebene Primat der Länderzuständigkeit selbst dort, wo er tatsächlich noch fortbesteht - wie etwa im Bereich des Gesetzesvollzugs (Art. 83 ff. GG) -, keinen eindeutigen oder gar zwingenden Rückschluß auf eine intendierte Umsetzung oder Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität im Grundgesetz. Die These, der Gedanke der Subsidiarität habe im bundesstaatliehen Gefüge des Grundgesetzes eine verfassungsrechtliche Ausprägung erfahren377, läßt sich demnach auch nicht im Wege der Deduktion aus den Grundsatzregelungen der Art. 30, 70 Abs. 1 und 83 GG begründen, oder um es mit den Worten Roman Herzogs zu sagen: "Demgegenüber ist mit allem Nachdruck zu betonen, daß das bundesstaatliche Prinzip, zumindest in der Ausgestaltung, die es im Grundgesetz erfahren hat, einer näheren Gegenüberstellung mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht standhält; denn weder ist dieses in seiner heutigen Auslegung konkret genug, um gerade die Gliederung in Staaten von so unterschiedlicher Größe zu rechtfertigen, wie das etwa bei Nordrhein-Westfalen und Bremen der Fall ist, noch läßt sich der Nachweis erbringen, daß die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes auch nur in den Grundzügen dem Subsidiaritätsprinzip gerecht wird'm8 . Um so weniger trägt die Entwicklung, die der deutsche Föderalismus seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahre 1949 genommen hat und die durch eine stetige Unitarisierung des Bundesstaates sowie eine das föderale System gänzlich verändernde Verlagerung von Legislativ- und Gestaltungsbefugnissen von den Ländern auf den Bund gekennzeichnet ist, subsidiäre Züge. Da die unitarische Entwicklung des grundgesetzliehen Föderalismus auch von jenen Autoren nicht bestritten wird, die dem Subsidiaritätsprinzip für das Grundgesetz die Bedeutung eines Verfassungsgrundsatzes beimessen, müßten die Vertreter dieser These folgerichtig zu dem Ergebnis gelangen, daß alle obersten Bundesorgane permanent und kategorisch gegen ein grundlegendes Prinzip der Verfassung verstoßen haben. Daß dieser Vorwurf Vgl. dazu JöR N.F. Bd. I 1951, S. 453ff. Vgl. statt aller, insbesondere hinsichtlich der Argumentation A. Süsterhenn, in: ders. (Hrsg.), Föderalistische Ordnung, S. 27 ff. (37). Im Ergebnis ebenso B. P. Kuttenkeuler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz, S. 155 ff., wobei die Argumentation jedoch unklar bleibt. 378 R. Herzog, JuS 1997, S. 193ff. (194); ders., Der Staat 1963, S. 399ff. (412ff.); im Ergebnis zustimmend P. Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 66ff. (74ff.). 376

377

II Moer.ch

162

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

jedoch zumindest nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Bundessozialhilfe- das Jugendwohlfahrtsgesetz nicht mehr erhoben wurde 379 , stellt eine Inkonsequenz in der Argumentation der Befürworter eines Verfassungsrang beanspruchenden Subsidiaritätsgrundsatzes dar, die das hier gefundene Ergebnis bestätigt. Über den unmittelbaren Bereich des Grundgesetzes und seiner Entstehung hinaus hat auch die Betrachtung der früheren verfassungs- und geistesgeschichtlichen Entwicklung des Föderalismus in Deutschland gezeigt, daß dieser nie maßgeblich von Subsidiaritätserwägungen geprägt gewesen ist. Daher scheidet auch eine Berufung auf jenen sozialphilosophischen Ordnungsgrundsatz als einer überpositiven Rechtfertigung des in Deutschland unter Legitimationsdruck geratenen bundesstaatliehen Gefüges aus. Doch auch jenseits deutscher Bundesstaatlichkeil bleibt die behauptete Verbindung von Föderalismus und Subsidiaritätsprinzip, wie sie vor allem für die staatsorganisatorischen Ausprägungen des föderalen Gedankens angeführt wird 380, zweifelhaft. So erweisen sich die Bundesstaatskonzeptionen der einzelnen Staaten als so heterogen, daß sie nur unter Zugrundelegung eines sehr allgemeinen und formalen Föderalismusbegriffs erfaßt werden können, der nicht mehr als das Vorhandensein einer Zentralgewalt und mehrerer territorial begrenzter Glieder beschreibt. Dabei eignet diesen staatlichen Gemeinwesen weder hinsichtlich ihrer geschichtlichen Entstehung noch bezüglich ihrer gegenwärtigen Kompetenzverteilung ein gemeinsamer, dem Gedanken der Subsidiarität entsprechender Primat der Glieder gegenüber der Zentralmacht Zwar schließt der Föderalismus als Staatsorganisationsprinzip nicht aus, daß die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen der Staatsgewalt nach den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips erfolgt, doch erzwingt er sie auch nicht. Föderalismus und Subsidiarität sind kompatibel, aber nicht interdependene81 , was seinen Grund in den unterschiedlichen Ausgangspunkten beider Prinzipien hat. Während der Föderalismus eine politisch territoriale Staatsorganisationsform lediglich beschreibt, postuliert das Subsidiaritätsprinzip eine bestimmte Verteilung gemeinschaftlicher Aufgaben zwischen "unteren" und "oberen" oder "staatlichen" und "nicht-staatlichen" Gemeinschaften und 379 So spricht M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (12), lediglich davon, daß Deutschland ein Beispiel dafür sei, "wie das Subsidiaritätsprinzip verkommen" könne, [...]" (Hervorhebung durch den Verf.), von einem echten Verfassungsverstoß geht auch Brunner nicht aus. 380 So H. Schambeck, ÖJZ 1993, S. 113 ff. (117); P. Pemthaler, Der differenzierte Bundesstaat, S. 19. 381 Auf die Verschiedenheit beider Prinzipien weisen ausdrücklich M. Schweitzer/ 0. Fixson, Jura 1992, S. 579 ff. (585), hin. Im Ergebnis ebenso B. P. Kuttenkeuler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz, S. 46f.

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

163

beansprucht damit Nonnativität Der Ansatzpunkt des föderalen Prinzips ist die Existenz mehrerer territorialer Einheiten in einem Gesamtstaat. Der Anknüpfungspunkt des Subsidiaritätsprinzips sind die in einem Gemeinwesen zu versehenden Aufgaben.

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall des Subsidiaritätsprinzips I. Selbstverwaltung als organisatorische und kompetentielle Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips Als eine auf die Abgrenzung von Kompetenzen 382 angelegte Organisationsform383, die in Staat und Wirtschaft gleichermaßen Bedeutung erlangt hat 384, weist das Institut der Selbstverwaltung a priori eine größere Affinität zum Subsidiaritätsprinzip auf als die primär abwehrrechtlich ausgerichteten, die Freiheit des einzelnen sichernden Grundrechte. Doch auch über diese allgemeine funktionelle Parallelität beider Prinzipien hinaus zeigt sich, daß in dem Organisationsmodell "Selbstverwaltung" zentrale den Grundsatz der Subsidiarität kennzeichnende Merkmale wiederzufinden sind. Im folgenden soll die kommunale Selbstverwaltung im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, da sich unter dem Aspekt der Subsidiarität zum einen in der prinzipiellen Allzuständigkeit der Gemeinde für die "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft"385 größere Parallelen zum Bund-LänderVerhältnis und den Beziehungen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten finden lassen, als dies bei anderen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung wie etwa bei bereichsspezifisch ausgerichteten Selbstverwaltungsträgern der Fall ist386. Zum anderen rekurriert die staatsrechtliche Diskussion, soweit sie die Selbstverwaltung als Anwendungsfall einer Subsidiärstruktur des Grundgesetzes anführt, vornehmlich auf die Ähnlich J. /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 102. Zur Einordnung der Selbstverwaltung als einer Organisationsform vgl. R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 345 ff.; ders., HStR IV, § 106, Rz. 1; E. Schmidt-Aßmann, GS für Wolfgang Martens, S. 249ff. (255); G. F. Schuppert, AöR 114 (1989), S. 127ff. (129f.); im Ergebnis ebenso F.-L Knemeyer, FS für Hans Ulrich Scupin, S. 797ff. (805f.). 384 Zur Bedeutung der Selbstverwaltung als wirtschaftlichem Ordnungskonzept, vgl. J. Hauschildt, FS für Georg von Unruh, S. 79ff. (79ff.). 385 Zu diesem Merkmal E. Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 1ff. (18). 386 Vgl. dazu R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 284ff. 382 383

II'

164

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

kommunale Selbstverwaltung387 . Dabei wird diese These zumeist wie folgt begründet: - Im Zusammenhang mit dem grundrechtliehen Schutz des einzelnen, seiner Freiheit und dem föderalistischen Staatsaufbau stelle die kommunale Selbstverwaltung das Zwischenglied einer vom Grundgesetz vorgegebenen Stufenordnung dar, die dem Subsidiaritätsprinzip entspreche388 . - Die zweite Argumentationsfigur läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß in der verfassungsrechtlichen Verankerung der kommunalen Selbstverwaltung ein Rechtssubjekts- und Institutionsschutz389 einer unterstaatlichen Entscheidungs- und Verantwortungsebene vor dem beliebigen Zugriff des Staates gesehen wird, womit das zentrale Anliegen des Subsidiaritätsprinzips einen positiv-rechtlichen Ausdruck gefunden habe. Der These eines dem Subsidiaritätsprinzip entsprechenden Stufenaufbaus des Grundgesetzes ist entgegengehalten worden, sie berücksichtige nicht, daß die Gemeinden letztlich Bestandteile der Staatsorganisation seien, der Subsidiaritätsgrundsatz sich aber nicht auf die Organisationsstruktur innerhalb einer Handlungsebene beziehe, sondern auf das Verhältnis verschiedener Einheiten untereinander390. Außerdem kämen nach dem Grundgesetz nur den Ländern und dem Bund Staatsqualität zu, die Gemeinden seien insoweit Bestandteil der Länder, so daß von einer Dreigliedrigkeit in staatsorganisatorischer Hinsicht nicht gesprochen werden könne 391 . Beide Einwände vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Zunächst läßt sich aus der Tatsache, daß die Gemeinden "Teil der Verfassungsordnung der Länder"392 sind, nicht eine "monolithische" Staatsauffassung des Grundgesetzes, wie sie dieser These letztlich zugrunde liegt, ableiten. Dagegen spricht neben der eigenen Staatsqualität der Länder393 gerade auch die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 387 Vgl. zu den bereits oben in 2. Kapitel A. II. 2 genannten Stimmen weiter: R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 340; der der Auffassung ist, daß das Subsidiaritätsprinzip einen "wertvollen Beitrag zur Staats- und gesellschaftstheoretischen Fundierung der Selbstverwaltungsidee" liefere; J. Messner, Die soziale Frage, S. 371 f., betrachtet Selbstverwaltung als mit dem Subsidiaritätsprinzip identisch, wenn er erklärt: "Das Subsidiaritätsprinzip ist das Prinzip der Selbstverwaltung der kleineren Gemeinschaften [...]"; ihm zustimmend, K. Korinek, Wirtschaftliche Selbstverwaltung, S. 30. 388 Ausdrücklich G. Dürig, JZ 1953, S. 193 ff. (198); differenzierend insoweit R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 341 f., der dem Grundgesetz zwar einen Stufenbau entnimmt, den Rückschluß auf ein sich hierin ausdrückendes Verfassungsprinzip der Subsidiarität jedoch ausdrücklich nicht ziehen will. 3 89 So K. Stern, in: BK, Art. 28 (Zweitbearbeitung), Rz. 62 ff. 390 R. Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 94. 391 R. Zuck, ibd., S. 94 f. 392 Vgl. statt aller K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 666 und 685.

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

165

Abs. 2 GG sowie die in Art. 93 Nr. 3, 4 und 4 b GG vorgesehenen verfassungsgerichtlichen Streitverfahren, die nicht als "Insichprozesse" wie etwa der Kommunalverfassungsstreie 94 zu qualifizieren sind, sondern bei denen gerade unterschiedliche Rechtsträger eigene Rechte im eigenen Namen geltend machen. Doch auch wenn man einmal von der Prämisse eines undifferenzierten Staatsbegriffs ausgeht, bei dem Bund, Länder und Gemeinden lediglich als unterschiedliche organisatorische Ausformungen eines alle Ebenen umfassenden Staates erscheinen, schließt dies nicht aus, die kommunale Selbstverwaltung als Anwendungsfall oder Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips zu deuten. Denn der Grundsatz der Subsidiarität verhält sich in seiner abstrakten Fassung als sozialphilosophisches Prinzip indifferent gegenüber der rechtlichen Verfaßtheit der Gemeinschaft395 . Nicht das rechtliche Verhältnis der einzelnen sozialen Einheiten zueinander, sondern ihre unterschiedliche "Nähe" zum Individuum und ihre unterschiedliche Leistungsfähigkeit sind die Anknüpfungspunkte des Subsidiaritätsgrundsatzes. Daß die örtliche Gemeinschaft eine größere Nähe zum einzelnen aufweist und zudem eine geringere Finanz- und Verwaltungskraft besitzt als Land oder Bund, sind Tatsachen, die von der rechtstheoretischen Einordnung der Gemeinde als "Bestandteil des Staates" nicht berührt werden. Der zweite Einwand Zucks stößt auf die gleiche Kritik wie der erste. Daß mangels Staatsqualität der Kommunen, ihre Rechtsstellung landesrechtliehen Regelungen unterliege96 und daher "der Charakter des Grundgesetzes dualistisch ist"397 , vermag die Annahme, dem grundgesetzliehen Institut kommunaler Selbstverwaltung liege ein ,.Stufenaufbau" zugrunde, aus den genannten Gründen nicht zu widerlegen. Auch wenn die Argumente Zucks letztlich wenig Überzeugungskraft besitzen, so erscheint die These, das Institut der kommunalen Selbstverwaltung sei Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, indes aus anderen Gründen zweifelhaft zu sein. Bedenken erheben sich insbesondere gegen die Einbeziehung des einzelnen in die Stufenbetrachtung. So erscheint der Mensch im Grundgesetz 393 Grundlegend zur Staatlichkeit der Bundesländer U. Barschel, Die Staatsqualität der deutschen Länder, S. 51 ff. et passim; J. /sensee, HStR IV, § 98, Rz. 64; K. Stern, ibd. 394 Zur Einordnung des Kommunalverfassungsstreits als "Insichprozeß" vgl. F. Kopp/W. R. Schenke, VwGO, Vorb. zu § 40, Rz. 6 und § 63, Rz. 7; insgesamt zum Problem des Insichprozesses K. Redeker/H.-1. von Oertzen, VwGO, § 63, Rz. 8f. 395 Vgl. dazu oben 1. Kapitel C. V. 2. a). 396 Mißverständlich insofern die Formulierung bei R. Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 95: "Gemeinderecht ist Landesrecht". Das unter dem Begriff "Gemeinderecht" herkömmlicherweise verstandene Satzungsrecht, das von den Kommunen im Rahmen ihrer Rechtsetzungsautonomie erlassen wird, ist gerade kein Landesrecht, sondern untergesetzliches Recht eigener Art. 397 R. Zuck, ibd., S. 95.

166

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

von Amtsträgem abgesehen - in erster Linie als Grundrechtsträger, vereinzelt auch als Grundrechtsverpflichteter398 . Er ist jedoch nicht in das Kornpelenzgefüge staatlicher Aufgabenverteilung eingebunden. Auch eine Umdeutung grundgesetzlich gewährleisteter Freiheiten in "Obliegenheiten gegen sich selbst"399 vermag den einzelnen nicht zum Träger von Staatsaufgaben zu machen. Darüber hinaus läßt sich zwar die Gliederung der Staatsorganisation in Bund, Länder, Gemeindeverbände und Gemeinden durchaus als Stufenaufbau bezeichnen, soweit man auf die Existenz dieser Gebietskörperschaften, die grundgesetzliehen Institutsgarantien der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) und der Bundesstaatlichkeil in den Art. 20 Abs. 1 und 79 Abs. 3 GG abstellt. Bezieht man jedoch die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen den Gebietskörperschaften in die Betrachtung mit ein, so zeigt sich, daß diese Stufung nicht nach Subsidiaritätsgesichtspunkten erfolgt. Das Grundgesetz stellt als dem maßgeblichen Kriterium für die Klassifizierung einer Aufgabe als Selbstverwaltungsangelegenheit auf die Zugehörigkeit der Funktion zum Bereich der "örtlichen Gemeinschaft" (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) ab. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Begriff der "örtlichen Gemeinschaft" ausdrücklich nicht im Sinne gemeindlicher Leistungsfähigkeit zu verstehen400. Vielmehr kommt es für die Frage, ob eine Aufgabe eine solche der "örtlichen Gemeinschaft" ist, auf den Bezug der betreffenden Angelegenheit zum "Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der [... ] Gemeinde" an. Damit stehen jedoch die Maßstäbe und Kriterien für die kompetentielle Aufgabenzuweisung an die Gemeindeebene im Widerspruch zu dem zentralen Anknüpfungspunkt des Subsidiaritätsgedankens, der entscheidend auf die Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheit abstellt. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Kompetenz- und Zuständigkeitsverteilung erheben sich auch über das Institut der kommunalen Selbstverwaltung hinaus erhebliche Zweifel gegen die These eines subsidiaritätsadäquaten "Stufenbaus" des Grundgesetzes. Dies gilt zunächst für die Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach Art. 72 Abs. 2 GG. Denn bei der Inanspruchnahme der in Art. 74 Abs. 1 GG genannten Rechtsetzungsmaterien ist der Bund nicht an die Ineffektivität entsprechender landesrechtlicher Regelungen gebunden, wie es dem Grundsatz der Subsidiarität entspräche, sondern daran, daß die "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die So etwa in Art. 6 Abs. 2, 12a Abs. 1, 14 Abs. 2 Satz 1 GG. Zu den Bedenken, die sich gegen diese Betrachtungsweise erheben, vgl. oben 2. Kapitel A. III. 2. 400 Vgl. BVerfGE 79, 127 [152]. 398

399

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfan

167

Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit [... ] eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht". Kompetenzverschiebungen von der Landesauf die Bundesebene finden demnach in dem Streben nach Gleichheit ihre entscheidende verfassungsrechtliche Grundlage401 . Dabei ist die "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" tendenziell auf das Ziel materieller Egalität gerichtet, wenn auch in abgeschwächter Form, wohingegen die "Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit" primär auf den formellen Aspekt der Gleichheit hin angelegt ist. Nach der bis zum 14. November 1994 geltenden Fassung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 1 GG konnte ein "Bedürfnis" für eine bundesgesetzliche Regelung auch darauf gestützt werden, daß "eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden" konnte. Auch wenn der Bund von dieser Regelung in keinem einzigen Fall Gebrauch gemacht hat, so wurde sie im Schrifttum doch dahingehend verstanden, daß es sich um eine "faktisch nicht effektive" Landesregelung hätte handeln müssen, um ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzliehen Normierung zu rechtfertigen402 • Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität stellte mithin die alte Fassung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 1 GG eine den Grundgedanken dieses Prinzips zum Ausdruck bringende Kompetenznorm dar403. Insgesamt bleibt daher festzustellen, daß sich dem Grundgesetz mit seiner Gliederung der Staatsorganisation in Bund, Länder, Gemeindeverbände und Gemeinden eine als Stufenbau zu qualifizierende Struktur entnehmen läßt. Diese Einordnung beschränkt sich jedoch auf die Existenz dieser Einrichtungen und deren verfassungsrechtliche Absicherung. Die Zuordnung der Kompetenzen -insbesondere auf dem Gebiet der Rechtsetzung - folgt nicht den Grundsätzen der Leistungsfähigkeit und der "Nähe" zum einzelnen Menschen und kann daher auch nicht als Umsetzung oder Anwendung des Subsidiaritätsprinzips bezeichnet werden. Neben der Einordnung in einen dem Grundgesetz zu entnehmenden "Stufenbau" wird das Institut der kommunalen Selbstverwaltung auch als eine unmittelbare Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips betrachtet, weil es ebenso wie jener sozialphilosophische Organisationsgrundsatz tendenziell den Schutz von niederrangigeren Entscheidungs- und Verantwortungsebenen zum Ziel habe. Da dieses Argument gleichermaßen pauschal wie vielschichtig ist, bedarf es der eingehenderen Betrachtung. Zu dem Verhältnis von Subsidiarität und Gleichheit vgl. unten 2. Kapitel E. So T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 72, Rz. 21; ihm folgend H.-W. Rengeling, HStR IV, § 100, Rz. 122. 403 Näher zum Institut der konkurrierenden Gesetzgebung und zur Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG oben 2. Kapitel C. III. und IV. 401

402

168

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Zunächst kann dieser These nicht der Einwand entgegengehalten werden, sie sei durch die Praxis widerlegt, da die Allzuständigkeit der Gemeinden für die Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ganz überwiegend durch einen bloßen Gesetzesvollzug der Kommunen überlagert und verdrängt worden sei 404 • Denn diese Argumentation läuft darauf hinaus, aus einer bestimmten Entwicklung der Praxis auf die ursprüngliche verfassungsrechtliche Konzeption zu schließen. Da sich die praktische Handhabung eines Rechtsinstituts jedoch erheblich von den Vorstellungen und Absichten des Normgebers und dem Telos des Gesetzes selbst unterscheiden kann, läßt sich aus der praktischen Anwendung einer Rechtsnorm nur sehr bedingt auf die gesetzesimmanente Intention schließen. Dies gilt in besonderem Maße für die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, jenem Bereich, in dem die Verfassung am häufigsten geändert wurde405 und in welchem die Diskrepanz zwischen Verfassungswortlaut und Verfassungswirklichkeit am größten ist. Betrachtet man die organisatorische Komponente der Selbstverwaltung, so wird diese definitorisch von dem sog. juristischen Selbstverwaltungsbegrift06 erfaßt, dem im Schrifttum unter Bezugnahme auf die historischen Wurzeln407 des Selbstverwaltungsgedankens bisweilen ein "politischer Selbstverwaltungsbegriff'408 an die Seite gestellt wird409 . Ungeachtet des So aber R. Zuck, Subsidiarität und Grundgesetz, S. 95. So enthalten weit mehr als die Hälfte der bisherigen 46 Gesetze zur Änderung des Grundgesetzes Modifikationen des Kompetenzgefüges und der Finanzverfassung. 406 Vgl. zu dem juristischen Verständnis der Selbstverwaltung H. J. Wolff./0. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, S. 19ff. (Rz. 33f.); F. E. Schnapp, FG für Georg Christoph von Unruh, S. 881 ff. (885); H. E. Falz, FG für Georg Christoph von Unruh, S. 901 ff. (912), beide unter Verweis auf die Definition bei Wolf!/ Bachof/Stober, ibd. Ferner H. Faber, Verwaltungsrecht, S. 81. 407 Zur Geschichte der Selbstverwaltung in Deutschland vgl. die umfassende Arbeit von H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, S. 11 und durchgehend; ferner R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 8 ff.; ders., HStR IV, § 106, Rz. 2-11. 408 R. Hendler, ibd., Rz. 12f., weist darauf hin, daß mit dem Begriff ,.politische Selbstverwaltung" im 19. Jahrhundert die Beteiligung ehrenamtlich tätiger Bürger bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben bezeichnet wurde. Der Verwendung des Begriffs "politische Selbstverwaltung" liegt in dieser Arbeit jedoch das von E. Laux, FG für Georg Christoph von Unruh, S. 51 ff. (51), als ,,konstantes Element in der Gestaltung des Staatsaufbaues mit dem Ziel einer Integration von formal-demokratischen Strukturen mit der Organisation der öffentlichen Verwaltung" bezeichnete Verständnis zugrunde. 409 Auf die politische Komponente der Selbstverwaltung, die in einer die Demokratie stärkenden Funktion gesehen wird, verweisen grundlegend H. Hili, Die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung nach der Reform, S. 14 et passim, und R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 2, 315f. 404

405

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

169

Streits über den Sinn dieser Unterscheidung410, läßt sich die organisatorische Bedeutung der Selbstverwaltung als "die selbständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung enumerativ oder global überlassener oder zugewiesener eigener öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung in eigenem Namen"411 oder einfacher als "Wahrnehmung an sich staatlicher Aufgaben durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts"412 beschreiben. Unter Subsidiaritätsaspekten handelt es sich bei Selbstverwaltungseinrichtungen um "unterstaatliche" soziale Handlungseinheiten, die im Hinblick auf ihre Funktion, staatliche Aufgaben zu erfüllen, prinzipiell in einem Konkurrenzverhältnis zu unmittelbar staatlichen Verwaltungsträgern stehen. So beruht die Zuweisung bestimmter Aufgaben an Selbstverwaltungsträger auf historischen, finanziellen oder Zweckrnäßigkeitserwägungen. Sie ist aber nicht in dem Sinne zwingend, daß die Wahrnehmung jener Funktionen dem Staat durch Einrichtungen unmittelbarer Staatsverwaltung nicht auch möglich wäre. Erst diese grundsätzliche Möglichkeit einer anderen Aufgabenverteilung läßt die Deutung der Selbstverwaltung als Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens prinzipiell zu. Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität lassen sich "Außen-" und "lnnenbereich" kommunaler Selbstverwaltung unterscheiden, wobei unter ersterem das Verhältnis sämtlicher unter den Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG fallenden Gebietskörperschaften zu Bund und Ländern verstanden werden soll, während letzterer die Beziehungen der territorialen Selbstverwaltungseinheiten eines Landes untereinander bezeichnet.

et passim; ders., HStR IV, § 106, Rz. 15ff., der den in der Selbstverwaltung zum Ausdruck kommenden Gedanken der "Betroffenenpartizipation" besonders hervorhebt. Ferner W. Weber, Selbstverwaltung und Demokratie, S. 132 ff.; H. H. von Arnim, AöR 113 (1988), S. 1 ff. (8 ff.).; kritisch H. H. Klein, FS für Ernst Forsthoff, S. 165ff. (173f. und 184f.). 410 Vgl. zur Kritik an der Trennung von juristischem und politischem Selbstverwaltungsbegriff sowie dem gesamten Streit E. Laux, FG für Georg Christoph von Unruh, S. 51 ff. (51); W. Wertenbruch, FS für Horst Peters, S. 203ff. (209ff.); E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 474 (10. Aufl 1973). 411 Die Definition von H. Wolff./0. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht li, S. 19, Rz. 33f., wurde übernommen von K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 399f.; H. E. Folz, FG für Georg Christoph von Unruh, S. 901 ff. (912); N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 19, Rz. 3; P. J. Tettinger, Zum Tätigkeitsfeld der Bundesanwaltskammer, S. 37. 412 So E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 474.

170

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG 1. Der Außenbereich

Im Außenbereich wird die Reichweite kommunaler Selbstverwaltung nach Maßgabe des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt, wonach die Zuständigkeit der Gemeinden von der Zugehörigkeit einer Aufgabe zum Kreis der "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" abhängt und gleichzeitig durch "den Rahmen der Gesetze" begrenzt wird. Demgegenüber haben "die Gemeindeverbände [... ] im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung" (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG). Inhalt und Grenzen kommunaler Selbstverwaltung, die sich aus der Bindung an die "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" ergeben, hat das Bundesverfassungsgericht in einer grundlegenden Entscheidung413 dahingehend bestimmt, daß es sich um "diejenigen Bedürfnisse und Interessen" handelt, "die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, [... ], die also den Gemeindebewohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen; auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es hierfür nicht an" 414• Auch die zweite verfassungsrechtliche Schranke kommunaler Selbstverwaltung hat das Gericht zu bestimmen versucht, indem es die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers bezüglich der Aufgabenausstattung präzisiert hat. So führt das Bundesverfassungsgericht weiter aus: "[... ] Eine Aufgabe mit relevantem örtlichem Charakter darf der Gesetzgeber den Gemeinden nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Demgegenüber scheidet das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration - etwa im Interesse der Übersichtlichkeit der öffentlichen Verwaltung - als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus; denn dies zielte ausschließlich auf die Beseitigung eines Umstandes, der gerade durch die vom Grundgesetz gewollte dezentrale Aufgabenansiedlung bedingt wird. Auch Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung insgesamt rechtfertigen eine ,Hochzonung' nicht schon aus sich heraus, sondern erst dann, wenn ein Belassen der Aufgabe bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde. [... ]; daß andere Aufgabenträger in größeren Erledigungsräumen dieselbe Aufgabe insgesamt wirtschaftlicher erledigen können, gestattet -jedenfalls grundsätzlich -keinen Aufgabenentzug"415 . BVerfGE 79, 127 [15lf.]. Anmerkung: Wegen der durch diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingetretene Klärung der Rechtslage werden nur noch jene Argumente und Thesen aus dem älteren Schrifttum in die Betrachtung einbezogen, die auch nach der höchstrichterlichen Rechtspechung zur Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG noch Aktualität besitzen. 4 13

414

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

171

Zwar trifft der Einwand zu, daß mit dem unbestimmten Begriff des "Gemeininteresses" und der Formulierung "anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre" letztlich kein "absoluter Schutz der Gemeinden gegen Aufgabenentzug" gegeben ist416• Fest steht jedoch, daß durch die ausdrückliche Benennung jener Motive, die einen gesetzlichen Entzug kommunaler Aufgaben nicht zu rechtfertigen vermögen, der diesbezügliche legislatorische Spielraum erheblich eingeschränkt wurde. Hervorzuheben ist insbesondere, daß die Berufung auf die Argumente der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit grundsätzlich in ihrer Bedeutung hinter die wertorientierte Entscheidung der Verfassung für das Institut kommunaler Selbstverwaltung zurücktritt. Zudem macht die Verweisung des Staates auf die ihm zu Gebote stehenden Mittel der Kommunalaufsicht als vorrangigem Instrument deutlich, daß das Gericht die Entziehung von Kommunalaufgaben als ultima-ratio-Verfahren betrachtet. Hierin liegt zugleich eine Parallele zu den Aussagen der Sozialenzyklika, wonach es gegen die "Gerechtigkeit" verstößt, wenn die höhere Gemeinschaft den "untergeordneten Gemeinwesen" Aufgaben entzieht, die diese "zu einem guten Ende führen können". Nicht zuletzt entzieht das Gericht mit der genannten Entscheidung auch den Begriff der "örtlichen Gemeinschaft" der beliebigen Definition und Disposition des Gesetzgebers417 , indem die Klassifizierung einer Aufgabe als "Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft" unabhängig von der Verwaltungskraft der einzelnen Gemeinde zu erfolgen hat. 2. Der Innenbereich

Das Verhältnis der unter dem verfassungsrechtlichen Schutz kommunaler Selbstverwaltung stehenden Gebietskörperschaften zueinander ist in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG durch eine klare Prärogative der Kommunen vor den Kreisen und anderen Gemeindeverbänden gekennzeichnet. So gilt die Schutzgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Gemeinden die Allzuständigkeit für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sichert, auch gegenüber den Kreisen418 • Diesen kommt dagegen kein fest umrissener Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben zu. Entsprechend der Formulierung in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG sind die Gemeindeverbände hinsichtlich des Umfangs ihrer Selbstver41 j 416 417 418

BVerfGE 79, 127 [152]. SoG. Püttner, HStR IV, § 107, Rz. 23. Zustimmend G. Püttner, ibd., Rz. 18. BVerfGE 79, 127 [150].

172

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

wallungsaufgaben an die legislatorischen Vorgaben des Landesgesetzgebers gebunden. Soweit den Gemeindeverbänden jedoch Aufgaben zugewiesen wurden, steht ihr "Selbstverwaltungsrecht dem der Gemeinden nicht nach"419 . In Abgrenzung zu den den Gemeinden vorbehaltenen örtlichen Angelegenheiten läßt sich der Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben der Landkreise mit der Formel der "auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten" beschreiben420. Dabei besteht in der Praxis die Schwierigkeit, konkrete Aufgaben den unbestimmten Rechtsbegriffen "örtlich" und "überörtlich" zuzuordnen421 • Ungeachtet dieser Abgrenzungs- und Zuordnungsprobleme lassen sich die als Selbstverwaltungsaufgaben der Kreisebene in Betracht kommenden "überörtlichen Angelegenheiten" danach einteilen, ob sich ihre Überörtlichkeit aus der Natur der Sache, das heißt daraus ergibt, daß die Aufgabe ihrem Charakter nach über das Gebiet einer einzelnen Gemeinde hinausreicht oder ob es sich um Angelegenheiten handelt, "die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug" haben, deren ordnungsgemäße Erledigung jedoch von den einzelnen kreisangehörigen Gemeinden nicht mehr sichergestellt werden kann, so daß ihre Zuweisung zur Kreisebene sachangemessen und zulässig ist. Im Hinblick auf die zuletzt genannte Gruppe von Aufgaben kommt den Kreisen eine "Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion" 422 zu, die zugleich den dynamischen Aspekt des Subsidiaritätsgedankens423 deutlich zum Ausdruck bringt. Der Landesgesetzgeber kann über die in den Grenzen der grundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zu seiner Disposition stehende Aufgabenzuweisung an die Kreisebene einer Veränderung der Relation von Aufgabengröße und Leistungsfähigkeit der Kommunen in unterschiedlicher Weise Rechnung tragen. So kann beim Ansteigen oder Absinken der Einwohnerzahl oder der Finanzkraft einer Gemeinde ihr Status von "kreisangehörig" über "Stadt im Landkreis"424 bis hin zur K. Stern, BK, Art. 28, Rz. 172 (Zweitbearbeitung). G. Püttner, HStR IV, § 107, Rz. 27. 421 G. Püttner, ibd. 422 Ausdrücklich BVerfGE 79, 127 [152]. 423 Siehe dazu oben 1. Kapitel C. VI. 2. 424 Vgl. zu diesem Begriff die Arbeit F. Wageners, Die Städte im Landkreis. Beispielhaft für eine hierarchische Aufgabenzuweisung auf kommunaler Ebene auch Art. 2 § 3 des hessischen "Gesetzes zur Neugliederung des Lahn-Dill-Gebiets und zur Übertragung von weiteren Aufgaben auf kreisangehörige Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern sowie zur Regelung sonstiger Fragen der Verwaltungsreform" vom 10. Juli 1979 (GVBI. S. 179), geändert durch Gesetz vom 25. September 1991 (GVBI. S. 301), in dem den Gemeinden über 50.000 Einwohnern die Verantwortlichkeit für die "Förderung des sozialen Wohnungsbaus und der Wohnungsmodernisierung" übertragen wird. 419

420

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

173

"Kreisfreiheit" reichen, verbunden mit einem unterschiedlichen, im Landesrecht festgelegten Aufgabenbereich im eigenen und übertragenen Wirkungskreis. Andererseits lassen sich auch die Aufgabenzuweisungsbestimmungen425 und ihre Enumerativkataloge ändern, so daß auch die Zuweisung einzelner Aufgaben verändert werden kann, bei gleichzeitigem Festhalten an Organisationsstruktur und Status der einzelnen Gemeinden. Hierbei ist jedoch einzuräumen, daß es sich bei diesen Funktionen ausschließlich um "Weisungsaufgaben" handelt, deren Erfüllung unter Fach- und Rechtsaufsicht der Kommunalaufsichtsbehörden steht426 . Ungeachtet der Möglichkeit, Auftrags- und Weisungsaufgaben auf die Gemeinden übertragen zu können, wird man unter Berücksichtigung der bundesverfassungsgerichtliehen Rechtsprechung zur kommunalen Selbstverwaltung und der hierin betonten privilegierten Stellung der Gemeinden auch gegenüber den Kreisen eine grundsätzliche Rückübertragungspflicht von traditionellen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auf die Gemeinde folgern dürfen, wenn sich ihr Leistungsvermögen soweit steigert, daß sie zur W ahmehmung der betreffenden Aufgabe aus eigener Kraft (wieder) in der Lage sind. In dieser Rückübertragungspflicht liegt zugleich auch die vollständige Umsetzung des dynamischen Elements des Subsidiaritätsprinzips, das die Möglichkeit der Neuzuweisung von Aufgaben sowohl nach "oben" wie auch nach "unten" einschließt. 3. Fazit

Insgesamt läßt sich der Innenbereich kommunaler Selbstverwaltung im Bezug auf sein Verhältnis zum Subsidiaritätsprinzip wie folgt charakterisieren: Die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG festgelegte Allzuständigkeit der Gemeinden für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft verleiht den Kommunen sowohl gegenüber Bund und Ländern als auch gegenüber den Gemeindeverbänden eine herausgehobene, privilegierte Verfassungsposition. Diese schlägt sich in einer politischen, rechtlichen und verwaltungstechnischen Prärogative bei der Gestaltung sämtlicher Aufgaben nieder, die ihre Wurzel im "Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde" haben427 oder hierzu einen "spezifischen Bezug" aufweisen. Dies gilt wegen der verfassungsrechtlichen Allzuständigkeit der Gemeinden 425 Vgl. z. B. die gemäß § 59 Abs. 2 der hessischen Landkreisordnung (HKO) vom 25. Februar 1952 (GVBI. S. 37) erlassene "Verordnung über die Übertragung der Aufgaben der Landesverwaltung von der Kreisstufe auf Gemeinden" vom I. April 1953 (GVBI. S. 45). 426 Vgl. dazu E. Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, s. 34. 427 BVerfGE 79, 127 [151].

174

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

in gleichem Maße für traditionelle wie für sich neu stellende Gemeindeaufgaben. Soweit die Finanz- und Verwaltungskraft der Kommune für die Wahrnehmung einzelner gemeindlicher Aufgaben nicht ausreicht, besteht eine entsprechende Ergänzungs- und Unterstützungspflicht der Kreise als der nächsthöheren (Selbstverwaltungs-)Ebene. Diese genießen zwar hinsiehtlieh ihres Aufgabenbestandes gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG nicht den gleichen Schutz gegenüber dem Bund und den Ländern wie die Gemeinden; soweit ihnen jedoch Angelegenheiten zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen worden sind, können sie hinsichtlich der Aufgabenerfüllung selbst ebenfalls den grundgesetzliehen Schutz und das Privileg der Selbstverwaltung für sich beanspruchen. Gegenüber den Gemeinden besitzen die Kreise eine subsidiäre Stellung, soweit es um die Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft geht428 . So kann den Gemeindeverbänden die Erfüllung von an sich der örtlichen Gemeinschaft zugehörenden Aufgaben vom Landesgesetzgeber übertragen werden, wenn diese von den eigentlich zuständigen Gemeinden nicht ordnungsgemäß erfüllt werden können und eine Unterstützung der Kommunen durch die Kreise für die Sicherstellung der Aufgabenerfüllung nicht ausreicht. Doch muß in diesen Fällen von einer in der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG wurzelnden grundgesetzliehen Pflicht der Landesgesetzgeber ausgegangen werden, diese Aufgaben von den Gemeindeverbänden an die Kommunen zurückzuübertragen, wenn deren Verwaltungskraft dies zuläßt. Diese Überlegungen entsprechen den aus der Prärogativentscheidung des Subsidiaritätsprinzips für die kleinere oder untere Ebene ableitbaren Reihenfolge: Unterstützung der unteren durch die obere Ebene vor der ultimaratio-Maßnahme der Aufgabenübernahme durch die höhere Einheit. Die Funktionsübertragung steht wiederum prinzipiell unter der permanenten Bedingung unzureichender kommunaler Leistungsfähigkeit und findet in dem grundgesetzliehen Instituts der kommunalen Selbstverwaltung eine organisatorische und kompetentielle Ausgestaltung. Auch wenn sich somit ein hohes Maß an struktureller Übereinstimmung zwischen Subsidiarität und Selbstverwaltung ausmachen läßt, erheben sich jedoch gegen eine Gleichsetzung beider Prinzipien429 Bedenken. Denn auch 428 Mißverständlich insoweit G. Püttner, HStR IV, § 107, Rz. 29, der die Ansicht vertritt, "die Kreise sind [... ] nicht auf eine subsidiäre Rolle verwiesen". Dann aber fortfährt, "ihnen [(den Kreisen) d. Verf.] kann eine Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion zukommen, [... ]". 429 Eine Identität von Selbstverwaltung und Subsidiaritätsprinzip behauptet J. Messner, Die soziale Frage, S. 371 f., wenn er meint: "Das Subsidiaritätsprinzip ist das Prinzip der Selbstverwaltung der kleineren Gemeinschaften: außer der Familie besonders der Ortsgemeinde und der Berufsgemeinschaft" (Hervorhebung im Original). Ihm zustimmend K. Korinek, Wirtschaftliche Selbstverwaltung, S. 30.

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

I75

wenn beide Grundsätze als Organisationsschemata formalen Charakter besitzen, erfährt das Subsidiaritätsprinzip durch seine Ausrichtung auf das Individuum430 eine eindeutige Determination, die dem Institut der Selbstverwaltung als "technisches Organisationsschema"431 abgeht. Wegen seines rein instrumentalen Charakters läßt sich das Subsidiaritätsprinzip einerseits mit demokratischen Konzeptionen vereinbaren, verschließt sich andererseits jedoch auch einer Indienstnahme durch "führerstaatliche" und solche kollektivistisch ideologischen Konzeptionen nicht, denen eine "von oben nach unten" gerichtete Perspektive eigen ist. Trotz gewisser Parallelen beider Organisationsprinzipien wird man die Garantie kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 GG letztlich nicht als eine verfassungsrechtliche Positivierung des Subsidiaritätsgrundsatzes interpretieren können. Dazu besaß das Institut gemeindlicher Selbstverwaltung eine zu lange und eigenständige Tradition in Deutschland, als daß es der Verknüpfung mit einem anderen Prinzip bedurft hätte, um Eingang in das Grundgesetz zu finden. Als Beleg hierfür mag die genannte Erörterung des Subsidiaritätsgedankens im Parlamentarischen Rat dienen432• Eine erkennbare Verbindung oder gar eine gewollte Positivierung sozialphilosophischer Lehren in der kommunalen Selbstverwaltung läßt sich den Beratungen der "Verfassunggebenden Versammlung"433 jedenfalls nicht entnehmen. II. Selbstverwaltung und Demokratieprinzip

Dieser auch mit dem Begriff der "politischen Selbstverwaltung"434 umschriebene Sachverhalt leitet zu einem speziellen Aspekt des nach wie vor streitigen Verhältnisses435 von Demokratie und Selbstverwaltung über. Dabei konzentriert sich die Auseinandersetzung auf die Frage, ob beide Prinzipien im Zusammenhang stehen, zumindest jedoch miteinander vereinbar sind436, oder ob es sich hierbei um grundlegend verschiedene437 Vgl. dazu oben 1. Kapitel C. III. 2. Zum Begriff vgl. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, s. 103. 432 Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. V. 433 Zum Streit über die Bezeichnungen "Verfassung" und "Verfassunggebende Versammlung" vgl. Pari. Rat., Bd. I, S. 9lff.; R. Maier, Erinnerungen, S. 62. 434 Vgl. zu dem hier zugrunde gelegten begrifflichen Verständnis oben 2. Kapitel D. I. 435 So G. Püttner, HStR IV, § I07, Rz. I4; ebenso H. H. von Amim, AöR Il3 (1988), S. I ff. (2). 436 Soweit in Rechtsprechung und Schrifttum ein solcher Zusammenhang zwischen Selbstverwaltung und Demokratie angenommen wird, erweist sich seine nähere Bewertung als variantenreich: Das Bundesverfassungsgericht spricht in BVerfGE 430 431

176

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

oder sogar gegensätzliche Grundsätze handelt438 . Das Problem besteht darin, daß Selbstverwaltung, verstanden als eine exklusive Beteiligung spezifisch "Betroffener"439 an der demokratischen Willensbildung, in einem prinzipiellen Gegensatz zu dem der Demokratie immanenten "Kardinalprinzip"440 egalitärer Gleichheit steht, oder um es mit den Worten von Unruhs zu sagen: "Das gegenüber der Demokratie ,strukturfremde' Element der Selbstverwaltung liegt nämlich in ihrem wesensgemäßen Gegensatz zur Egalite, weil sich durch sie und mit ihr die Eigenart des Besonderen gegenüber dem Allgemeinen manifestiert"441 . Zwar eröffnen sowohl Selbstverwaltung als auch Demokratie dem einzelnen Partizipationsmöglichkeiten an der Lenkung und Verwaltung des Gemeinwesens442 • Doch gründen sich diese bei der Selbstverwaltung auf die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaft, eben auf die "Betroffenheit" des einzelnen, während sie bei der demokratischen Mitwirkung unabhängig von jedem persönlichen Bezug des Wählers zu der zu entscheidenden Angelegenheit allein auf seiner Zugehörigkeit zum "Gesamt-demos" gestützt ist. 52, 95 [111 f.), von der Bundesrepublik als einer "auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebauten gegliederten Demokratie" und auf dieser Linie bezeichnet das Gericht in BVerfGE 79, 127 [149), die Gemeinden als die "Keimzelle der Demokratie"; daran anknüpfend C. Starck, HStR II, § 29, Rz. 35, der die Wurzeln der Selbstverwaltung im "demokratischen Prinzip" ausmacht; der Gedanke der "in Selbstverwaltungskörperschaften gegliederten Demokratie" findet sich auch bei G. C. von Unruh, DVB!. 1975, S. I ff. (l); demgegenüber sieht H. Klages, Überlasteter Staat - verdrossene Bürger, S. 47, in der kommunalen Selbstverwaltung lediglich eine Erhöhung der "Demokratie-Qualität des Gemeinwesens". 437 G. C. von Unruh, DÖV 1986, S. 217ff. (223), folgert: "Da Demokratie und kommunale Selbstverwaltung nicht prinzipiell aufeinander bezogen sind, ergibt sich die in Art. 28 GG getroffene Entscheidung zu einer föderativen und auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebauten gegliederten [...) vervielfältigten Demokratie keineswegs aus dieser Regierungsform als solcher"; H. H. Klein, FS für Ernst Forsthoff, S. 165 ff. (184f.), tritt der Ansicht entgegen, in den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften "Demokratien im kleinen" zu sehen. 438 Einen Gegensatz zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Demokratie sieht E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 536, der beide Prinzipien für "unverwechselbar geschieden" hält. Demgegenüber ist W. Hitz, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22, 1999, S. 28ff. (37), der Ansicht, das Subsidiaritätsprinzip wirke sich "demokratisierend auf staatliche Ordnungen" aus. 439 R. Hendler, Die bürgerliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, S. 7 ff.; ders., Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 315 et passim; ders., HStR IV, § 106, Rz. 49, spricht von "Betroffenenpartizipation". Ähnlich das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 83, 37 [55), wo von "partizipatorischer Betroffenenverwaltung" die Rede ist. 440 So ausdrücklich G. Leibho/z, Strukturprobleme der Demokratie, S. 147. 441 G. C. von Unruh, DÖV 1986, S. 217ff. (223). 442 Vgl. dazu R. Hendler, HStR IV, § 106, Rz. 48.

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

177

In Rechtsprechung und Schrifttum ist unter Rückgriff auf die Vorstellung eines gegliederten Gemeinwesens oder einem dem Grundgesetz zu entnehmenden "differenzierenden Egalitätsdenken"443 versucht worden, den Selbstverwaltungsgedanken mit dem Demokratieprinzip in Einklang zu bringen. Doch deutet der andauernde Streit um die Vereinbarkeil beider Grundsätze darauf hin, daß sich das Spannungsverhältnis von subsidiärer Organisationsstruktur und Gleichheit444 nicht ohne weiteres im Wege "praktischer Konkordanz"445 lösen läßt, wie dies bei widerstreitenden, grundrechtlich geschützten Interessen geschieht446 • An diesem Befund vermag auch die Regelung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, der die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze und damit die Essentialia des Demokratieprinzips auch für die Wahl der Volksvertretungen in den Gemeinden und Gemeindeverbänden vorschreibt, nichts zu ändern447 • Denn weder das Homogenitätsgebot448 selbst noch der Gedanke der partiellen Identität der "Legitimationsquelle", die in dem Verhältnis von "GemeindeTeilvölkern" zum gesamten (deutschen) Volk liegen soll449, können als ein überzeugender Beleg für eine "verfassungsrechtliche Anerkennung" der Vereinbarkeil der Prinzipien der Selbstverwaltung und der Demokratie450 angesehen werden. Die Frage der Vereinbarkeil unterschiedlicher Grundsätze läßt sich weder durch "Anerkennung" noch durch das Aufstellen verfassungsrechtlicher Postulate beantworten. Überdies überzeugt auch die These einer Teilidentität der "Legitimationsquelle" letztlich nicht. Mit Blick auf die Ausnahmen, die bei Kommunalwahlen für EU-Ausländer gelten451 , kann jedenfalls für die Kommunalwahlberechtigten nicht ohne weiteres von "Gemeinde-Teilvölkern" als einer "Teilmenge" des deutschen 443

444

III.

So R. Hendler, ibd., Rz. 49. Zu dem Verhältnis von Subsidiarität und Demokratie vgl. unten 2. Kapitel D.

Zum Begriff K. Hesse, Grundzüge, Rz. 317ff. Auf die Tatsache, daß hinter dem Verhältnis von Selbstverwaltung und Demokratie letztlich ein "Gleichheitsproblem" liegt, weist ausdrücklich auch R. Hendler, HStR IV, § 106, Rz. 49, hin. 447 So aber K. Stern, in: BK, Art. 28 (Zweitbearbeitung), Rz. 46; W. Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28, Rz. 27. 448 Vgl. zur Reichweite des Homogenitätsgebots für Länder und Gemeinden B. Brockmeyer, in: Schmidt-Bieibtreu/Klein, Art. 28, Rz. 6ff.; H. Dreier, in: ders., Art. 28, Rz. 65ff.; W. Löwer, ibd., Rz. 23ff.; B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 28, Rz. 4; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 28, Rz. 27 ff.; M. Nierhaus, in: Sachs, Art. 17ff. 449 Vgl. zu diesem Gedanken und der Terminologie W. Löwer, ibd. 450 So aber ausdrücklich K. Stern, in: BK, Art. 28 (Zweitbearbeitung), Rz. 46. 451 Den Versuch einer dogmatischen Begründung der Ausnahmeregelung des Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG unternimmt R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 28, Rz. 41 aff. 445

446

12 Moer.ch

178

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Volkes gesprochen werden. Nimmt man die Sonderregelungen für die dänische Bevölkerungsminderheit in Schleswig-Holstein und die sorbische Minderheit in Brandenburg hinzu452, so erfahrt auch der Grundsatz der Wahlgleichheit Einschränkungen. Die in den Art. 20 Abs. 2 und 38 Abs. 1 GG festgelegten Grundsätzen des Demokratieprinzips erfahren demnach bei Wahlen zu den Volksvertretungen der unteren Gebietskörperschaften entscheidende Modifikationen, die jedoch ebenso mit dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar sind, wie sie sich innerhalb der Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG halten. Für das Verhältnis von Demokratieprinzip und kommunaler Selbstverwaltung bedeutet dies, daß letztere bisweilen Abweichungen insbesondere von dem Grundsatz egalitärer Wahlrechtsgleichheit erzwingt, diese also fallweise hinter die Erfordernisse des funktional gegliederten Gemeinwesens zurücktritt. Vor diesem Hintergrund kann von einer "Vereinbarkeit" beider Prinzipien nicht ernstlich gesprochen werden. 111. Zum Verhältnis von Subsidiaritäts- und Demokratieprinzip

Diese Überlegungen sowie die Tatsache, daß auch eine besondere Verbindung zwischen dem Demokratie- und dem Subsidiaritätsprinzip bestehen soll453 , die als Beleg für einen verfassungsrechtlichen Niederschlag des Subsidiaritätsgrundsatzes angeführt wird, macht es erforderlich, sich mit dem Verhältnis beider Grundsätze näher zu befassen. Begründet wird dieser Zusammenhang mit dem personalistischen Weltbild, auf dem beide Grundsätze aufbauen. Dabei bestimme das Subsidiaritätsprinzip, "was überhaupt und auf welcher Ebene gesellschaftlich geregelt werden soll". Das Demokratieprinzip lege demgegenüber fest, "auf welche Weise eine solche Regelung erfolgen" solle454• Dabei geht auch Kerber von dem Weltbild der katholischen Soziallehre und der von der kirchlichen Dogmatik dem Subsidiaritätsprinzip beigemessenen Bedeutung aus. Betrachtet man dagegen beide Prinzipien losgelöst von weltanschaulichen Determinanten und stellt auf ihre Funktion, ihre zentralen Aussagen und Merkmale ab, ergibt sich ein anderes Bild. So beschreibt Demokratie in erster Linie ein bestimmtes Verfahren zur Legitimierung von Herrschaft, mithin also eine Regierungsform455 , während Dazu M. Nierhaus, in: Sachs, Art. 28, Rz. 19. So 0. Kimminich, in: Polititische Studien 1987, S. 587 ff. (597); W. Kerber, in: Otto Kimminich (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, S. 75 ff. (85 f.). L. Kühnhardt, Aus Politik und Zeitgeschichte 1991, B 45, S. 37ff. (45), sieht in einer Stärkung der Rechte des Buropaparlaments zugleich eine Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. 454 W. Kerber, ibd., S. 84. 452

453

D. Das Institut der kommunalen Selbstverwaltung als Anwendungsfall

179

das Subsidiaritätsprinzip ein Organisations- und Ordnungsgrundsatz ist, der eine Aussage über die Zuweisung von Gemeinschaftsaufgaben trifft. Damit unterscheiden sich beide Prinzipien schon grundlegend hinsichtlich ihrer formalen Funktion. Die entscheidende Divergenz beider Grundsätze besteht jedoch in ihrem Verhältnis zum Individuum. Für das Subsidiaritätsprinzip bildet der einzelne Mensch den Ausgangspunkt einer hierarchischen Stufenordnung unterschiedlich leistungsstarker sozialer Handlungseinheiten. Bedeutung kommt damit dem einzelnen unter Subsidiaritätsgesichtspunkten in erster Linie in seiner individuellen Fähigkeit zu, bestimmte Gemeinschaftsaufgaben erfüllen zu können. Demgegenüber erfaßt das Demokratieprinzip gerade nicht die Individualität und Unterschiedlichkeit des einzelnen als Person, sondern stellt entscheidend auf seine unterschiedslose Gleichbehandlung mit allen anderen Gemeinschaftsmitgliedern hinsichtlich der Partizipation am politischen Willensbildungsprozeß und an der Herrschaft ab. Nicht in seiner Individualität, sondern in seiner Zugehörigkeit zum Demos liegt die entscheidende Verbindung des einzelnen zur Demokratie. Der unterschiedliche Bezug, den beide Grundsätze zum Individuum aufweisen, macht deutlich, daß zwischen Subsidiarität und Demokratie in Wirklichkeit ein Antagonismus besteht. Dieser ist bereits oben bei der Betrachtung des Instituts der kommunalen Selbstverwaltung unter dem Begriff der "Betroffenenpartizipation" angedeutet worden. Dabei liegt dieser Bezeichnung ebenso wie der These Kerbers, der Subsidiaritätsgrundsatz sei gegenüber dem der Demokratie das "grundlegendere"456 und damit vorrangige Prinzip, die Einsicht zugrunde, daß sich das bestehende Spannungsverhältnis beider Grundsätze nur im Wege einer hierarchischen Stufung, bei der dem Subsidiaritätsprinzip der Vorrang eingeräumt werden muß, lösen läßt. Denn letzteres kann gegenüber dem jede Form der Differenzierung negierenden, egalitären Grundsatz der Demokratie nur im Wege dezisionistischer, subjektiver Festlegung zur Geltung gebracht werden. Nur die vorherige Bildung und normative Fixierung einer Stufenordnung von verschiedenen Ebenen sozialer Handlungseinheiten, in denen dann über die Art und Weise der Erfüllung der ihnen jeweils nach dem Subsidiaritätsprinzip zugewiesenen Aufgaben demokratisch entschieden wird, ermöglicht eine Umsetzung sowohl des Gedankens der Subsidiarität wie auch des Demokratieprinzips innerhalb eines Gemeinwesens. So wenig damit auch das Verhältnis von Demokratie- und Subsidiaritätsprinzip durch eine besondere Affinität beider Grundsätze zueinander gekennzeichnet ist, sondern durch einen grundlegenden Gegensatz, so rieb455 Der Begriff "Demokratie" wird auch zur Bezeichnung einer bestimmten Staatsform verwendet, obwohl dies nicht seinem ursprünglichen Sinn entspricht. 456 W. Kerber, in: Otto Kimminich (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, s. 75 ff. (85). 12*

180

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

tungsweisend ist das Aufgreifen dieses Spannungsverhältnisses an sich. Denn in diesem Antagonismus liegt das zentrale Problem der Anwendung und Umsetzung subsidiärer Strukturen in mehrgliedrigen Rechtsgemeinschaften. Dieser Gegensatz hat seinen Grund letztlich wiederum in dem Spannungsverhältnis von Egalität als dem "Kardinalprinzip" der Demokratie und dem auf Differenzierung und Stufung angelegten Grundsatz der Subsidiarität. Das erfordert eine nähere Betrachtung dieses Zusammenhangs und der sich aus ihm ergebenden Konsequenzen.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration I. Zum Grundsatz der Subsidiarität Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß der Grund für den Gegensatz zwischen Subsidiaritäts- und Gleichheitsprinzip nicht in dem Umstand begründet ist, daß ersteres ein Organisations- und letzteres ein Legitimationsgrundsatz ist. Die Ursache hierfür liegt vielmehr in der Eindimensionalität beider Prinzipien. Indem das Subsidiaritätsprinzip, vom Menschen ausgehend, Relationen zwischen Aufgaben und Aufgabenträgem in einer in hierarchisch gestufte Handlungsebenen gegliederten Gemeinschaft herstellt457, ist es tendenziell auf eine rein vertikale Betrachtung hin angelegt. Das Phänomen der Gleichheit spielt im Rahmen des Subsidiaritätsgedankens zwar bei dem Vergleich der Leistungsfahigkeit zweier oder mehrerer zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe in Betracht gezogener Handlungseinheiten eine Rolle. Führt man sich jedoch die eigentliche Aussage des um den Maßstab der Effektivität ergänzten Subsidiaritätsgrundsatzes vor Augen, wonach die "untere" Einheit immer dann handeln soll, wenn sie zur Erfüllung der fraglichen Aufgabe gleich gut oder besser als die hierarchisch "höher" stehenden konkurrierenden Handlungsebenen in der Lage ist, so wird deutlich, daß im Rahmen von Subsidiaritätserwägungen "Gleichheit" lediglich als Vergleichsergebnis Bedeutung erlangt. Betrachtet man aber die sich aus der Feststellung gleicher Leistungskraft verschiedener Aufgabenträger ergebende Konsequenz, so zeigt sich, daß die Beurteilung des Leistungsvermögens als "gleich" ausschließlich als Grundlage für die dem Subsidiaritätsprinzip eigene dezisionistische Präferenzentscheidung zugunsten der "unteren" Gemeinschaft dient. Damit bildet die Feststellung gleicher Leistungsfahigkeit bei der Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität letztlich nur den Ausgangspunkt für die Lösung eines Konkurrenzproblems. Im übrigen stellt das Subsidiaritätsprinzip dem Gleichheitsphänomen gänzlich indifferent gegenüber. So spricht zwar die m Vgl. zu diesem typusbildenden Merkmal des Subsidiaritätsprinzips oben 1. Kapitel C. II.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

181

Sozialenzyklika von "den Gliedern des Sozialkörpers"458, doch erfolgt dies immer unter dem Aspekt einer gesellschaftlichen Stufenordnung459. Auch den staats- und gesellschaftstheoretischen Vorstellungen Robert von Mohls liegt notwendigerweise die Idee einer Stufenordnung zugrunde, was zeigt, daß es sich um ein dem Subsidiaritätsgedanken immanentes Element handelt und nicht etwa um eine spezielle Deutung der katholischen Soziallehre. Daß auf jeder Ebene der Gesellschaft und des Staates mit Ausnahme der obersten Stufe immer mehrere nebeneinander stehende, hierarchisch gleichgeordnete Handlungseinheiten existieren, findet im Subsidiaritätsprinzip keine Berücksichtigung. Aus der Indifferenz gegenüber dieser als "horizontale" Struktur zu charakterisierenden Gesellschaftsgliederung folgt konsequenterweise auch eine Nichtberücksichtigung der sich aus der Existenz mehrerer gleichgeordneter Einheiten ergebenden Notwendigkeit der Koordinierung, der Harmonisierung und der Integration. Damit erweist sich jedoch der Grundsatz der Subsidiarität als ungeeignet, alleiniger oder "oberster" Ordnungs- und Organisationsgrundsatz für ein Gemeinwesen zu sein. Da dieses Prinzip in seiner eindimensionalen Ausrichtung auf "vertikal" gegliederte Stufenordnungen das in allen menschlichen Gemeinschaften auftretende Phänomen der Existenz nebeneinanderstehender, gleichgeordneter Teilgemeinschaften der unterschiedlichsten Art, Größe und Zielsetzung strukturell letztlich nicht zu erfassen vermag, bedarf es der Ergänzung. Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung in dem bereits oben geführten Nachweis, daß sich vice versa die auf dem Grundgesetz aufbauende Rechtsordnung nicht als eine konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsgedankens deuten läßt460.

II. Zum Grundsatz der Gleichheit Auch der Gleichheitsgedanke hat seinen Ausgangspunkt beim lndividuum461. Der Unterschied zum Subsidiaritätsprinzip besteht lediglich in der Betrachtung des einzelnen. Während der Grundsatz der Subsidiarität den Menschen als singuläre und elementare Handlungseinheit begreift und ihn entsprechend seiner Fähigkeit, vorgegebene Gemeinschaftsaufgaben als einzelner erfüllen zu können, zum Kompetenzträger macht, erscheint der Mensch als "Tatbestand des Gleichheitssatzes" unter Zugrundelegung eines 458 Quadragesimo anno, in: Acta Apostolicae Sedis (AAS), XXIII, (1931), Rz. 79. 459 Besonders deutlich G. Küchenhoff, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S. 67 ff. (70). 460 Einen solchen Versuch unternimmt jedoch G. Küchenhoff, ibd., S. 89f. 461 P. Kirchhof, HStR V, § 124, Rz. I, spricht im Hinblick auf den Gleichheitssatz von dem "Tatbestand Mensch".

182

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

einheitlichen Vergleichsmaßstabes als Vergleichsobjekt zu anderen Menschen. Da es somit von dem gewählten tertium comparationis abhängt, ob sich die Vergleichsobjekte als "gleich" oder "ungleich" erweisen, fallt dem Gleichheitssatz als rechtlichem Postulat die Funktion eines Differenzierungsverbots zu (Art. 3 Abs. 3 GG)462 . Aus dieser Funktion des Gleichheitssatzes resultiert sein prinzipielles Spannungsverhältnis zu dem auf eine organisatorische und kompetentielle Differenzierung gerichteten Subsidiaritätsprinzip. Dieses allgemeine Spannungsverhältnis verdichtet sich dort zu einer konkreten Unvereinbarkeit, wo Gleichheit im Sinne von Egalität verstanden wird. 1. Die demokratische Gleichheit

Ein solches Gleichheitsverständnis liegt ganz allgemein dem Demokratieprinzip und speziell den Regelungen der Art. 38 Abs. 1 Satz I GG und Art. 28 Abs. I Satz 2 GG für die aktive und passive Beteiligung an den Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen als den entscheidenden Möglichkeiten, an der politischen Willensbildung partizipieren zu können, zugrunde. Dabei drückt sich die Egalität der Wahlrechtsgleichheit in der gegenüber dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 3 GG reduzierten Differenzierungsmöglichkeit aus, was nunmehr auch vom Bundesverfassungsgericht463 mit der Formulierung, daß "Differenzierungen der Wahlgleichheit stets eines besonderen, rechtfertigenden, zwingenden Grundes" bedürfen, zum Ausdruck gebracht wird464 . Ihren konkreten Niederschlag findet die Wahlgleichheit für die passive Wahlbeteiligung in der für alle Kandidaten "gleichen Behandlung bei der Zuteilung der Mandate". Für den Wähler schlägt sich die Wahlrechtsgleichheit zum einen in dem Anspruch auf Zählwertgleichheit465 seiner Stimme mit denen der übrigen Wähler nieder, was üblicherweise in der Formel: "one man, one vote" ausgedrückt zu werden pflegt. Zum anderen fließt aus der Wahlrechtsgleichheit der "Anspruch jedes Wählers, der einen gültigen 462 Auch in den Fällen, in denen dem Gleichheitssatz vordergründig ein Differenzierungsgebot zu entnehmen ist, wie etwa in Art. 33 Abs. 2 GG, stellt sich dieses Gebot lediglich als eingeschränktes Differenzierungsverbot dar, indem die zu treffende Differenzierung auf bestimmte Kriterien reduziert wird. Insoweit erscheint das Differenzierungsgebot dann als Verbot, nach anderen Merkmalen als den angegebenen zu unterscheiden. 463 So auch H. Meyer, HStR II, § 38. Rz. 23 ff., der jedoch zugleich darauf hinweist, daß das Bundesverfassungsgericht früher diese Ansicht nicht uneingeschränkt geteilt hat. 464 BVerfGE 69, 92 [106]. 465 Zum Begriff, Theodor Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rz. 50.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

183

Stimmzettel abgegeben hat, auf gleiche Behandlung seiner Stimme bei der Umsetzung in Mandate"466, sog. Erfolgswertgleichheit467 . Der Geltungsbereich des Grundsatzes der Wahlgleichheit erstreckt sich indes über die unmittelbare aktive und passive Beteiligung an der Wahl, den Wahlakt, hinaus auf "alle für die Institution Wahl konstitutiven Rechte und Rechtsbeziehungen"468. Vor diesem Hintergrund muß die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Ausdehnung der egalitären Wahlgleichheit auf die Bereiche der Wahlwerbung469 , der Erstattung der Wahlkampfkosten470 sowie den Wettbewerb der politischen Parteien um Spenden471 gesehen werden. Über diesen Bereich der verfassungsrechtlichen Partizipation am staatlichen Willensbildungprozeß und dem in unmittelbarem Zusammenhang mit der Legitimation staatlicher Macht stehenden Demokratieprinzip hinaus hat zunehmend "ein Verständnis von Demokratie als einem Gestaltungsprinzip für alle Gesellschaftsbereiche"472 Platz gegriffen. Daher ist es im Zuge der sog. Demokratisierung der Gesellschaft473 auch zu einer Ausdehnung des H. Meyer, HStR II, § 38, Rz. 25. Vor diesem Hintergrund können die Wahlen zum Europäischen Parlament nicht uneingeschränkt als "gleiche Wahlen" bezeichnet werden. Denn die in Art. 2 des "Aktes zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung" vom 20. September 1976, (Abi. 1976 Nr. L 278/l; BGBI. 1977 li S. 734), zuletzt geändert durch Beschluß 93/81/Euratom/EGKS/EWG vom l. Februar 1993 (BGBI. 1993 li S. 1243), festgesetzte Zahl der von den Wahlberechtigten der Mitgliedstaaten in das Europäische Parlament zu entsendenden Mandatsträgern entspricht nicht dem Verhältnis der Einwohnerzahlen der Mitgliedstaaten zueinander. Dies führt zu einem erheblichen Übergewicht der Stimmen der Wahlberechtigten der kleineren Mitgliedsstaaten. Hieraus jedoch den Schluß auf eine mangelnde demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments zu ziehen, erscheint indes nicht zwingend. 468 So ausdrücklich H. Meyer, HStR li, § 38, Rz. 25. 469 BVerfGE 51, 222 [235]; 69, 92 [106], wobei das Gericht hier den Terminus "Chancengleichheit" verwendet. 470 BVerfGE 69, 92 [106]. 471 BVerfGE 69, 92 [l06f.], wobei hier das Gericht mit der Formulierung der "grundsätzlich strengen Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber im Bereich der politischen Willensbildung" eine umfassende Geltung des Grundsatzes der Wahlgleichheit andeutet. 472 Vgl. dazu M. Hättich, Stichwort: Demokratie, in: StL, Bd. I, Sp. 1184. 473 Zum Begriff und den damit verbundenen ideologischen Vorstellungen vgl. W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz, FS für Ludwig Bergstraesser, S. 279ff., der in dem "Bekenntnis des Grundgesetzes zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat" die Grundlage für eine revolutionäre Umgestaltung sah, indem er hieraus folgerte, "[ ... ] stellt [das Grundgesetz d. Verf.] grundsätzlich diese Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung selbst zur Disposition der demokratischen Willensbildung des Volkes. (Hervorhebung im Original). 466 467

184

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Gleichheitspostulats auf nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gekommen. Dabei war der zentrale Gedanke dieser Entwicklung die Vorstellung, daß jedes Mitglied einer Gemeinschaft grundsätzlich in gleicher Weise an der in dieser Gemeinschaft zu treffenden Entscheidungen mitwirken können müsse. 2. Die Rechtsgleichheit

Neben dem Demokratieprinzip, bei dem das Element der Gleichheit das zentrale Merkmal ist, kommt diesem Grundsatz jedoch auch in anderen Verfassungsprinzipien maßgebliche Bedeutung zu. So haftet insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip ein egalitäres Moment an. Als Rechtsgleichheit findet der Gleichheitsgedanke in Art. 3 Abs. 1 GG in der apodiktischen Formulierung: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", seinen stärksten positiv-rechtlichen Ausdruck. Seine verfassungssystematische Verortung bei den Grundrechten sollte indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Rechtsgleichheit nicht nur Grundrecht ist, sondern anerkannter- und unbestrittenermaßen ebenso Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips474. Als solcher greift die Rechtsgleichheit über den Bereich der Rechtsanwendung in Verwaltung und Justiz hinaus und bindet in der Forderung nach Allgemeinverbindlichkeit von Rechtssätzen475 auch den Gesetzgeber. Die Rechtsgleichheit erweist sich damit - ebenso wie die demokratische Gleichheit - als ein Egalitätspostulat, das das staatliche Handeln aller drei Gewalten erfaßt, aber auch auf dieses beschränkt bleibt. Als komplementäres Element zur Freiheit knüpft die Rechtsgleichheit an die Tradition des liberalen Rechtsstaats des 19. Jahrhunderts an 476. Daher vermag Rechtsgleichheit - ebensowenig wie das Demokratieprinzip - auch nicht als verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für Forderungen nach allgemeiner gesellschaftlicher Egalisierung zu dienen. Das Streben nach materieller Gleichheit mag bis zu einem gewissen Grade politisch opportun und unter dem Gesichtspunkt staatlicher Integration und sozialer Stabilität sinnvoll sein, eine Verbindung zur Rechtsgleichheit als einer Komponente des rechtsstaatliehen Prinzips im Sinne eines verfassungsrechtlichen Auftrags zur Schaffung "sozialer Gerechtigkeit"477 durch Herstellung größtmöglicher Gleichheit läßt sich damit aber nicht begründen. Insoweit können 474 BVerfGE 23, 12 [24]; 38, 225 [228]; 41, 1 [13]; 49, 168 [184]; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 790; E. Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24, Rz. 31; K. Hesse, Grundzüge, Rz. 205; H.-R. Lipphardt, EuGRZ 1986, S. 149ff. (160ff.). 475 P. Kirchhof, HStR III, § 59, Rz. 140. 476 So auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 790. 477 Zum Begriff vgl. W. Leisner, Egalisierung - ein Anliegen der Gerechtigkeit?, in: Der Staat - Schriften zu Staatslehre und Staatsrecht, S. 51.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

185

der These, durch Egalisierung lasse sich per se mehr "Gerechtigkeit" erzeugen, nur die Worte Walter Leisners entgegenhalten werden: "Keine jener Gerechtigkeitsvorstellungen, die heute im Vordergrund der prinzipiellen Diskussion stehen, bietet eine Begründung für ,Egalisierung als Anliegen der Gerechtigkeit'"478 . 3. Die soziale Gleichheit

Daß nicht zuletzt auch dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit ein Gleichheitsmoment zugeschrieben wird479, wurde bereits erwähnt. Dabei weist das als Staatsziel normierte Postulat sozialer Staatlichkeil per se eine weitaus geringere Affinität zum Gleichheitsprinzip auf als die Grundsätze der Demokratie und der RechtsstaatlichkeiL So war es in der staatswissenschaftliehen Diskussion durchaus streitig480, ob den Begriffen des "sozialen Bundesstaates" und des "sozialen Rechtsstaates" in den Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch eine dynamische, auf den materiellen Ausgleich bestehender wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheiten gerichtete Funktion zukomme, der Staat also auch die Aufgabe der Herstellung von Verteilungs- und Chancengleichheit481 habe oder nicht482 . Ein dynamisches, auf die Herstellung "sozialer Gleichheit" gerichtetes Moment ließ sich dem Sozialstaatsprinzip mittelbar beimessen, indem die jedem Staatsziel immanente allgemeine staatliche Förderungspflicht mit dem Gleichheitspostulat des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG a. F. in Verbindung gebracht wurde. So wurde der in der Formulierung, "Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ..." zum Ausdruck kommende statische Charakter vor dem HinterW. Leisner, ibd., S. 49. Auf den Aspekt der Gleichheit im Rahmen des Sozialstaatsprinzips verweisen insbesondere H. F. lilcher, HStR I, § 25, Rz. 32ff. und 48ff.; W. Rüfner, HStR III, § 80, Rz. 92ff.; J. lsensee, HStR V, § 115, Rz. 158; P. Kirchhof, HStR V, § 124, Rz. 45, 228; M. Sachs, HStR V, § 127, Rz. 5; E. Benda, Handbuch des Verfassungsrechts, § 17, Rz. 169 ff. 480 Hierauf weist insbesondere K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 929, hin. 481 Auf den Umstand, daß die mit dem Begriff der "Chancengleichheit" beschriebene Forderung nach Einräumung gleich guter "Startpositionen", insbesondere im Bildungsbereich ihren dogmatischen Anknüpfungspunkt, nicht im Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG hat, sondern als spezieller Ausfluß der Rechtsgleichheit im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 Satz 1 GG wurzelt, macht ausdrücklich C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein, Art. 3, Rz. 29, aufmerksam. Aus diesem Grunde verwendet R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, VIII, Rz. 40, auch den Begriff der "Chancengerechtigkeit". 482 Gegen eine staatliche Verpflichtung zur Herstellung von Chancengleichheit als Ausfluß des Sozialstaatsgebots M. Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 43 f.; W. Leisner, Egalisierung - ein Anliegen der Gerechtigkeit?, in: Der Staat Schriften zu Staatslehre und Staatsrecht, S. 51 . 478

479

186

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

grund der dynamischen Funktion des Staatsziels in einen entsprechenden Auftrag zu staatlichem Handeln uminterpretiert483 • Darüber hinaus eignet dem Sozialstaatsgebot jedoch auch unmittelbar ein Gleichheitsmoment So hat das Bundesverfassungsgericht schon in einer sehr frühen Entscheidung die Funktion des Sozialstaatsprinzips dahingehend konkretisiert, daß es "schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindem und die Gleichheit fortschreitend bis zu dem vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen" solle484, wobei das Gericht den "Ausgleich sozialer Gegensätze" mit einer "gerechten Sozialordnung" gleichsetzt485 • Als verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte für eine sozialstaatlich gebotene "Umverteilung"486 dienen dabei die Menschenwürde in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und "das Gebot des sozialen Rechtsstaats"487 . Bei dieser Deutung der Formulierung des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG bleibt die primäre Funktion des Homogenitätsgebots488 für die Landesverfassungsgeber allerdings unberücksichtigt. Der sowohl aus der Unbestimmtheit des Begriffs des "Sozialen" selbst als auch aus der Offenheit der generalklauselartigen Regelung im Grundgesetz sich ergebende weite politische Gestaltungsspielraum - vor allem des Gesetzgebers - findet seine Grenzen zum einen in der freiheitssichemden Funktion der Grundrechte489. Konkret bedeutet dies, daß der Gesetzgeber "Ungleichbehandlungen bis zur Grenze der Willkür anordnen" kann, wie er umgekehrt "materielle Gleichheit [.. .] anstreben" kann, "solange er sich innerhalb der die Freiheit und Individualität sichemden Grundrechte bewegt"490• Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht auch immanente Begrenzungen des Grundsatzes der Sozialstaatlichkeit aufgezeigt, die es hinsichtlich der Gleichheitskomponente dahingehend bestimmt hat, daß auch das Sozialstaatsprinzip "nicht zu beliebiger Sozialgestaltung, die das Gebot der Gleichheit auflösen würde", ermächtige491 • Auch Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. IV. 3. BVerfGE 5, 85 [206]. 48s BVerfGE 22, 180 [204]. 486 Zum BegriffE. Benda, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 17, Rz. 169f. 487 So formuliert BVerfGE 35, 348 [356], "Das Gebot des sozialen Rechtsstaats ist in besonderem Maße auf einen Ausgleich sozialer Ungleichheiten zwischen den Menschen ausgerichtet und dient zuvörderst der Erhaltung und Sicherheit der menschlichen Würde, dem obersten Grundsatz der Verfassung". Ähnlich R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20, VIII, Rz. 40; H. F. Zacher, HStR I, § 25, Rz. 32 ff. 488 Vgl. zu dieser Primärfunktion des Art. 28 Abs. 1 und 3 GG statt aller K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 704 ff. 489 BVerfGE 33, 303 [334f.]; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 93; K. Doehring, GS für Wi1he1m Kar! Geck, S. 141 ff. (142f.). 490 So K. Stern, Stichwort: Sozialstaat, in: EvStL, Bd. 2, Sp. 3278. 491 BVerfGE 12, 354 [367]. 4 83

4 84

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

187

wenn demnach dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes von allen Staatsfundamentalnormen das größte politische Gestaltungspotential zukommt, haftet der sozialen Gleichheit gerade kein egalitäres Moment an492. Dennoch ist der Gleichheitsaspekt des Sozialstaatsprinzips zum Teil auf der Grundlage eines dem Grundgesetz fremden egalitären Menschenbildes überbetont worden, so daß Freiheit und Selbstverantwortung zugunsten eines Systems von Leistungen und Abgaben zurückgedrängt wurden, wobei die Umverteilung Größenordnungen angenommen hat, die es zum Teil erstrebenswerter erscheinen lassen, die eigene Existenz auf staatliche Zuwendungen der unterschiedlichsten Art zu stützen, als sein Dasein durch persönlichen Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel aus eigenen Kräften zu finanzieren493 . Erst die ideologische Überhöhung des Gleichheitsgedankens494, seine Erhebung zum alternativlosen Gesellschaftsideal und staatspolitischen Postulat, wie sie vor allem die Politik und den Zeitgeist der sechziger und siebziger Jahre gekennzeichnet hat, ließ das Sozialstaatsprinzip egalitäre Züge annehmen. In Verbindung mit den Grundrechten eröffnete es scheinbar unbegrenzte Ansprüche auf Schutz und Teilhabe495 gegen den Staat. In gleichem Maße wurden "Freiheit und Selbstverantwortung einem schleichenden Erosionsprozeß ausgesetzt"496 . Das im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dem Demokratieprinzip wie auch dem Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankerte Gleichbehandlungsgebot avancierte zum zentralen Anliegen politischen wie staatlichen Handelns. Seinen Ausdruck findet dies sowohl in dem Bemühen um eine relative wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Bürger untereinander als auch in dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot, das den Staat in den unterschiedlichen Verhältnissen zu seinen Bürgern auf den Grundsatz der Gleichheit verpflichtet. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dabei über das vom Grundgesetz geforderte Maß hinaus dem populären Petitum der Egalite aus ideologischen Gründen der Vorrang vor anderen Gesichtspunkten 492 Ausdrücklich auch K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 930; ebenso H. F. Zacher, HStR I § 25, Rz. 37. 493 Auf das Problem eines "Versorgungs- und entarteten Wohlfahrtsstaates", dessen Bürger von ihm "immer mehr fordern", weist ausdrücklich G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3, Rz. 149ff., hin. 494 Vgl. insgesamt den Titel und die Thesen der Arbeit W. Leisners, Der Gleichheitsstaat- Macht durch Nivellierung, S. 20 (et passim). 495 Grundsätzlich zu dieser Dimension der Grundrechte vgl. D. Murswiek, HStR V, § 112, Rz. 20ff. 496 Vgl. dazu C. Tomuschat, Güterverteilung als rechtliches Problem, in: Der Staat 1973, S. 433ff. (462); ähnlich C. Starck, DVBI. 1978, S. 937ff. (941); H. Schelsky, VSSR 1978, S. 151 ff. (157); D. Merten, VSSR 1980, S. lOlff. (11lff.).

188

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

eingeräumt worden ist, spielt für die hier zu betrachtenden Konsequenzen dieser Entwicklung keine Rolle und mag daher dahinstehen. Die von der Orientierung am und der teilweisen Fixierung auf den Gleichheitsgedanken ausgehenden nachhaltigen Auswirkungen auf die verfassungsorganisatorischen Grundstrukturen wurden bereits dargelegt. Dabei folgt aus dem oben dargelegten Gegensatz zwischen Gleichheits- und Subsidiaritätsprinzip, daß letzteres dort nicht wirksam zur Geltung gebracht werden kann, wo dem Grundsatz der Gleichheit der Primat zukommt. Dies ist im folgenden anband der im ersten Kapitel herausgearbeiteten Merkmale und Funktionsweisen des Subsidiaritätsgedankens konkret nachzuweisen. 4. Grenzen der Umsetzung subsidiärer Strukturen im Gleichheitsstaat

Das Subsidiaritätsprinzip ist als formaler Relationsgrundsatz, der zunächst lediglich eine Verknüpfung zwischen einem Aufgabenträger und einer Gemeinschaftsaufgabe herstellt, ergänzungsbedürftig. Die erforderliche materielle Anreicherung und damit seinen für die Herstellung der jeweiligen Relation relevanten Entscheidungsmaßstab gewinnt der Subsidiaritätsgrundsatz durch das Effektivitätsgebot497 . Erst in der Verbindung mit dem Effektivitätsprinzip gelangt der Grundsatz der Subsidiarität zu seiner zentralen Aussage: Von zwei oder mehr in Konkurrenz zueinander stehenden sozialen Handlungseinheiten soll die jeweils "untere" oder die dem Menschen am "nächsten" stehende mit der Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben betraut werden, solange und soweit eine "höherrangige" Sozialeinheit nicht (nachweislich) "besser" zur Erfüllung der fraglichen Funktionen geeignet ist. Da jedoch auch die grundsätzliche Festlegung auf das Effektivitätsprinzip als Maßstab gemeinschaftlicher Kompetenzverteilung zunächst die Definition der konkreten Beurteilungskriterien offen läßt, hängen Funktion und Wirkung des Subsidiaritätsgrundsatzes als Kompetenzzuordnungsmaxime letztlich davon ab, welches Verständnis von der "optimalen" Erfüllung einer Aufgabe in dem jeweiligen Gemeinwesen vorherrscht. Denn, wie bereits dargelegt, läßt sich die Frage, welche Institution eine Funktion "besser" als andere in Betracht kommende Funktionsträger erfüllt, nur auf der Grundlage einer Vorstellung von der bestmöglichen Lösung der Aufgabe beantworten498. An dieser Stelle gewinnt das Gleichheitspostulat Einfluß auf das Subsidiaritätsprinzip. Wenn die Herstellung und Erhaltung größtmöglicher 4 97

4 98

Siehe dazu oben I. Kapitel C. 111. I. Vgl. dazu oben I. Kapitel C. V. 2. a).

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

189

Gleichheit zum entscheidungserheblichen Kriterium staatlichen Handeins gemacht wird und damit zum entscheidenden Maßstab sowohl der Zuweisung von Aufgaben an staatliche Kompetenzträger als auch der Funktionsausübung durch staatliche Gremien, dann wird der im Subsidiaritätsprinzip angelegte Gedanke funktionaler Differenzierung entweder negiert oder pervertiert, d. h. in sein Gegenteil verkehrt. Denn unter den Bedingungen des demokratischen Rechtsstaates, läßt sich ein Maximum an Gleichheit nur dadurch realisieren, daß möglichst viele Bereiche des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens durch einheitliche Rechtsvorschriften geregelt und damit standardisiert werden499, wobei Verwaltung und Rechtsprechung die Aufgabe zukommt, auf der Grundlage einheitlichen Rechts das Gleichheitspostulat in praktisches Staatshandeln umzusetzen. Damit ist letztlich die Tätigkeit aller drei Staatsgewalten dem Streben nach und der Erhaltung von maximaler Gleichheit verpflichtet. Mit Blick auf den beschriebenen Antagonismus von Subsidiaritäts- und Gleichheitsprinzip führt die Präferierung des Egalitätspostulats automatisch zu einer Inkompatibilität staatlichen Handeins mit subsidiaritätsadäquaten Organisationsformen und Verfahrensweisen. Für die Praxis bedeutet das, der Grundsatz der Subsidiarität muß außer acht gelassen werden, soll dem Streben nach Gleichheit der Vorrang eingeräumt werden. Der Primat des Egalitätsprinzips wird durch schlichte Negation des Subsidiaritätsprinzips erreicht. Die andere Möglichkeit, die differenzierende und damit Ungleichheit fördernde Wirkung subsidiärer Strukturen zu verhindern, besteht darin, den Subsidiaritätsgrundsatz selbst in den Dienst des Gleichheitsstrebens zu stellen. Anknüpfungspunkt ist dabei die materielle Komponente des Subsidiaritätsprinzips, das Effektivitätsgebot Legt man per definitionem fest, daß die optimale Lösung einer Gemeinschaftsaufgabe diejenige ist, die ein Maximum an Gleichheit zeitigt oder verspricht, hat dies unmittelbare Konsequenzen für die Aufgabenzuweisung und Aufgabenerfüllung nach Subsidiaritätskriterien. Unter der Prämisse, daß die größtmögliche Vereinheitlichungswirkung zugleich die "beste" Form der Aufgabenerfüllung darstellt, erhält das Subsidiaritätsprinzip einen völlig anderen Inhalt. Die zentrale Aussage dieses Grundsatzes lautet dann: Von zwei oder mehr konkurrierenden sozialen Handlungseinheiten soll die jeweils "unterste" oder die dem Menschen am "nächsten" stehende mit der Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben betraut werden, solange und soweit eine "höherrangige" Sozialeinheit nicht nachweislich "besser" geeignet ist, die fraglichen Funktionen mit einer stärker vereinheitlichenden und egalitätsstiftenden Wirkung zu eifüllen. 499 So auch R. Herzog, in: Heiner Geißler (Hrsg.), Verwaltete Bürger - Gesellschaft in Fesseln, S. 83 ff. (89).

190

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Bei Zugrundelegung eines solchen Subsidiaritätsverständnisses wird der Gegensatz zwischen Subsidiaritäts- und Gleichheitsprinzip durch Implementation des letzteren in das materielle Differenzierungskriterium der "Effektivität" überwunden. Der dem Subsidiaritätsgrundsatz immanente Maßstab der "Effektivität", der sowohl in der Sozialenzyklika als auch in Art. 5 EGV seinen positiven Ausdruck in der Formulierung "besser" findet, wird dabei inhaltlich von einer rein an der Sachadäquanz ausgerichteten Definition gelöst und zu einem ausschließlich oder zumindest primär an Egalitätsgesichtspunkten orientierten Begriff umgewandelt. Da dem Ziel maximaler Gleichheit grundsätzlich nur eine Organisationsstruktur mit einer zentralisierten Kompetenzakkumulation an der Spitze aller drei Staatsgewalten gerecht zu werden vermag, gelangt man auf der Grundlage des soeben beschriebenen Subsidiaritätsverständnisses zu einer konsequenten Verlagerung von Zuständigkeiten von unten nach oben. Ein auf die organisatorischen und kompetentiellen Notwendigkeiten staatlichen Gleichheitsstrebens inhaltlich ausgerichtetes Subsidiaritätsprinzip wirkt daher sowohl als Strukturprinzip als auch als Steuerungsgrundsatz500 unitarisch zentralistisch. Ungeachtet der nachweislich geringen Bedeutung, die das Subsidiaritätsprinzip für das Kompetenzgefüge der staatlichen Ebenen und Organe unter dem Grundgesetz besitzt501 , bestätigt eine Betrachtung der Rechtsordnung und der rechtspolitischen Grundsatzentscheidungen der Bundesrepublik, daß alle drei Staatsgewalten auf die Erzeugung eines Maximums an Gleichheit festgelegt sind, wobei zum Teil auch die verfassungsrechtlich angelegte Funktionsdifferenzierung502 zugunsten des Egalitätsstrebens außer acht gelassen und übergangen wird. Besonders signifikant ist dies auf dem Gebiet der Gesetzgebung, dem zentralen Handlungs- und Gestaltungsmittel des demokratischen Rechtsstaats. Denn in einem in Bund, Länder und Gemeinden gegliederten Staatswesen wie der Bundesrepublik setzt eine auf die Erzeugung maximaler Gleichheit gerichtete einheitliche Rechtsetzung voraus, daß entsprechende Normen entweder unmittelbar auf Bundesebene erlassen werden und als Bundesrecht vereinheitlichend wirken oder daß das formelle RechtsetzungsVgl. zu diesen Funktionen des Subsidiaritätsprinzips oben 1. Kapitel C. VI. I. Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. V., D. I. 3. 502 Die Tatsache, daß das im Grundgesetz angelegte Kompetenzgefüge dabei weitgehend selbst nicht dem Subsidiaritätsprinzip entspricht, wurde bereits dargelegt. Für das Phänomen der eigendynamischen Veränderung dieses Kompetenzsystems selbst, welches unter dem Primat des Gleichheitspostulats zu beobachten ist, spielt der hinter der konkreten Ausgestaltung stehende Grund für die Errichtung der Zuständigkeitsverteilung keine Rolle. Entscheidend ist hier allein die Veränderung des Systems an sich. 500 501

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

191

verfahren zwar auf der Ebene der Länder oder Gemeinden angesiedelt bleibt, diesen jedoch hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der zu erlassenden Rechtsnormen Vorgaben gemacht werden, die die Einheitlichkeit der Rechtsetzungsakte sicherstellen. Auf die zahlreichen Verlagerungen von Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder auf den Bund, die entgegen dem in Art. 30 GG festgelegten Primat der Länderzuständigkeit dem Bund zugewiesenen Rechtsetzungsmaterien sowie die detaillierten und die Länder übermäßig reglementierenden Rahmengesetze des Bundes wurde bereits hingewiesen503 . Der entscheidende Grund für diese nachhaltigen Verschiebungen des Kompetenzgefüges war stets die Absicht, den jeweils größtmöglichen Vereinheitlichungsgrad der angestrebten Regelungen zu erzielen504• Die mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994505 durchgeführte Verfassungsreform hat trotz der erklärten Absicht, eine Stärkung der Stellung der Länder und einen besseren Schutz ihrer Kompetenzen vor Abwanderung an den Bund und die Europäischen Gemeinschaften herbeiführen zu wollen506, keineswegs zu einer grundsätzlichen Abkehr von dem staatlichen Gleichheitsstreben geführt. Dies läßt sich insbesondere an der lediglich mit dem "Wunsch der Bundesseite"507 begründeten Einführung einer konkurrierenden Bundeskompetenz für die Staatshaftung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG n. F. ersehen508 . In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß die Änderung der sog. Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG a. F., in deren Rahmen die Formulierung "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" durch die Worte "gleichwertige Lebensverhältnisse" ersetzt wurde, in erster Linie vor dem Hintergrund gesehen werden muß, daß damit etwaigen finanziellen Forderungen der neuen Länder an den Bund und die alten Bundesländer vorgebeugt werden sollte509 • Ein prinzipielles Abrücken von dem praktizierten Egalitätsstreben kann dieser Verfassungsänderung indes nicht entnommen werden. Darüber hinaus konkretisiert sich das Gleichheitsstreben in den für Länder und Gemeinden verbindlichen Vorgaben des Homogenitätsgebots des Art. 28 GG und der (Bundes-)Grundrechte sowie dem Institut des Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. III. 1. Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. IV. 5. 505 BGBI. I S. 3146. 506 Vgl. dazu die Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission zu den von ihr vorgeschlagenen Änderungen der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens BT-Drs. 12/6000, S. 33 ff. 507 Siehe dazu BT-Drs. 12/6000, S. 34. 508 Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. III. 1. 509 Vgl. dazu BT-Drs. 12/6000, S. 34f. 503

504

192

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

Finanzausgleichs. Dabei greifen insbesondere die egalitätsstiftenden Wirkungen beider Einrichtungen über den Bereich der Legislative hinaus und determinieren auch das Verwaltungshandeln der Gebietskörperschaften in erheblichem Umfang. Trotz seiner apodiktischen Formulierung in Art. 28 Abs. 1 GG kommt dem Homogenitätsgebot und seiner "Gewährleistung" durch den Bund (Art. 28 Abs. 3 GG) unter dem Gesichtspunkt der Unitarisierung des Bundesstaates eher geringe Bedeutung zu. Denn die grundgesetzliehen Anforderungen an die "verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern" sind auf "ein Mindestmaß gleicher Regelungen gerichtet"510 und verlangen weder völlige Konformität noch Uniformität mit dem Grundgesetz511 • Demgegenüber sind die vereinheitlichenden Wirkungen der Grundrechte weitaus stärker, wenngleich es im einzelnen bisweilen Schwierigkeiten bereitet, einheitliche Regelungen und Verwaltungspraktiken der Länder und Gemeinden als Konsequenz entsprechender grundrechtlicher Vorgaben einwandfrei auszumachen. Dennoch wird man die länderübergreifenden Vereinheitlichungsbemühungen, wie sie vor allem auf dem Gebiet des Polizeirechts in der weitgehenden Anlehnung der Landespolizeigesetze an den in endgültiger Fassung am 25. November 1977 beschlossenen "Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes" zum Ausdruck kommen, als Reaktion auf den von den Grundrechten und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgehenden Vereinheitlichungsdruck zu deuten haben. Denn die stark ausdifferenzierte Rechtsprechung zu den Grundrechten ließ schon sehr früh kaum noch Spielraum für eine differenzierte Anwendung eigenständigen Landespolizeirechts. Zudem können wegen der Art. 30 und 70 Abs. 1 GG, die die rechtliche und organisatorische Gestaltung der Polizei den Ländern zuweisen, andere Einflußfaktoren, die zu der vereinheitlichenden Polizeigesetzgebung der Länder geführt haben könnten, ausgeschlossen werden. Auch die zum Teil bis in einzelne Formulierungen übereinstimmenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder, die sich alle- bis auf die zeitlich frühere schleswig-holsteinische Regelung - an den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG)512 orientieren, müssen letztlich als Folge der unitarischen Wirkung der Grundrechte angesehen werden, auch wenn auf dem Gebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts die Einflußmöglichkeiten des Bundes auf die Länder größer sind als im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dies zeigt sich unter anderem daran, daß das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes gemäß 510 511

5 12

Vgl. dazu BVerfGE 9, 268 [279]; 24, 367 [390]; 27, 44 [55]. So auch T. Maunz, HStR IV, § 95, Rz. 2. Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. Mai 1976, BGBI. I S. 1253.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

193

§ 1 Abs. 3 VwVfG als subsidiäres Recht auch in den Ländern Geltung beansprucht, soweit diese Bundesrecht ausführen und kein eigenes Verwaltungsverfahrensrecht erlassen haben513 . Darüber hinaus findet das Verwaltungsverfahrensgesetz nach Maßgabe des Art. 84 Abs. 1 GG i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 VwVfG auf die Verwaltungstätigkeit der Landes- und Gemeindebehörden Anwendung, soweit diese "Gegenstände, die der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes" unterliegen, "als eigene Angelegenheiten ausführen". Ungeachtet der Frage, wie man die unitarisierende und determinierende Wirkung der Grundrechte auf die Rechtsetzung und Verwaltung der Gebietskörperschaften bewertet, steht fest, daß Ausgangspunkt und Ziel dieses Strebens nach Vereinheitlichung in der Herstellung und Wahrung der Rechtseinheit und in dem Bemühen um bundesweite Rechtsgleichheit liegen514 . Dagegen ist das in der Finanzverfassung angelegte Gleichheitsstreben und der von ihr geforderte Ausgleich bestehender Ungleichheiten wirtschaftlich motiviert und auf die Erzeugung maximaler materieller Gleichheit ausgerichtet. Dabei wird der Ausgleichsgedanke mehrfach ausdrücklich hervorgehoben. Zunächst kann der Bund gemäß Art. l04a Abs. 4 Satz l GG "den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet [... ] dienen". Darüber hinaus bestimmt Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG, daß für die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern am Umsatzsteueraufkommen die "Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder so aufeinander abzustimmen sind, daß ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird". Der Gedanke des "Ausgleichs unterschiedlicher Wirtschaftskraft" und der "Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet"515 beherrscht dabei jedoch nicht nur die finanzrechtlichen Beziehungen zwischen Bund und Ländern, sondern ist auch zentrales Anliegen des "horizontalen Finanzausgleichs"516 zwischen 513 Da mittlerweile jedoch alle Bundesländer über eigene Verwaltungsverfahrensgesetze verfügen, kommt der Vorschrift des § 1 Abs. 3 VwVfG lediglich noch theoretische Bedeutung zu. 514 Vgl. zu diesem Aspekt K.-P. Sommermann, DVBI. 1996, S. 889ff. (898), der vor dem Hintergrund der langwierigen Entwicklungsgeschichte der deutschen Rechtseinheit zu einer eher positiven Bewertung der Unitarisierungstendenzen des deutschen Bundesstaates auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts gelangt. 515 Auf die Tatsache, daß dieses verfassungsrechtliche Gebot vom Bundesgesetzgeber unter Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts bisher in dynamischem Sinne als Auftrag zur Herstellung solcher Verhältnisse interpretiert wurde, ist bereits hingewiesen worden. 13 Moersch

194

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

den Ländern. Nach der für dieses Verhältnis grundlegenden Norm des Art. 107 Abs. 2 Satz I GG ist als entscheidendes Kriterium für die einfachgesetzlich auszugestaltende Verteilung des Aufkommens jener Steuern, deren Erträge Bund und Ländern gemeinsam zustehen, ein angemessener Ausgleich der "unterschiedlichen Finanzkraft der Länder" zugrunde zu legen ist. Zwar kommt der Finanzverfassung des Grundgesetzes im Hinblick auf die föderale Struktur Deutschlands eine ambivalente Funktion zu 517 , worauf auch das Bundesverfassungsgericht wiederholt hingewiesen hat. Das Gericht leitet aus dem bündischen Prinzip zum einen die das Institut des Finanzausgleichs rechtfertigende gegenseitige Einstandspflicht des Bundes und der Länder ab518 . Zum anderen folgt aus dem sich auf die Eigenständigkeil und Eigenverantwortlichkeit der Länder gründenden Bundesstaatsprinzip zugleich die Grenze finanzpolitischer und finanzrechtlicher Unterstützungs- und Ausgleichspflichten. So stellt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klar, daß es nicht das Ziel des Finanzausgleichssystems ist, die Unterschiede in der Finanzkraft der Länder vollständig auszugleichen519 und zu nivellieren. Ungeachtet dieser verfassungsgerichtlichen Interpretation von Funktion und Reichweite des Finanzausgleichs ist gerade dieses Institut zu einem Hauptkritikpunkt des Zustandes und der Erscheinungsform des bundesstaatliehen Gefüges geworden. Die Ursache hierfür liegt in den Dimensionen, die die durch das Gleichheitsstreben bewirkte wirtschaftliche Umverteilung auch zwischen den Gebietskörperschaften angenommen hat. Die ausgleichspflichtigen Länder stellen daher den bundesstaatliehen Grundkonsens auf dem Gebiet der Staatsfinanzierung zunehmend in Frage520. Mit Blick auf die geforderte Reform der Finanzverfassung521 gilt es daher auch zu prüfen, 516 Zum Begriff vgl. statt aller M. Kloepfer, Stichwort: Finanzverfassung, Finanzausgleich, in: EvStL, Bd. 1, Sp. 887ff.; R. Wendt, HStR IV,§ 104, Rz. 73ff. 5 17 R. Wendt, ibd., Rz. 74f. 5 18 BVerfGE 32, 333 [338]; 72, 380 [386f.]. 519 BVerfGE 1, 117 [131]; 12, 205 [254]; 72, 333 [387]. Zuletzt in dem Urteil des Zweiten Senats vom 11. November 1999 - 2BvF 2/98 u. a. -, abgedr. in EuGRZ 1999, S. 617ff. (643). 520 Vgl. die von den Regierungen der Länder Baden-Württember, Bayern und Hessen angestrengte Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Finanzausgleichsgesetz sowie das Urteil, abgedr. in: EuGRZ 1999, S. 617ff. 521 Die Notwendigkeit einer Reform auf diesem für die Gestaltung des deutschen Föderalismus entscheidenden Gebiet ist weithin unstreitig. Vgl. etwa R. Wendt, ibd., Rz. 103f.; G. F. Schuppert, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, S. 675ff. (690); J. Quantz, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, S. 695 ff. (695, 699); K.-D. Henke, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, S. 643ff. (643,

656).

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

195

ob die mögliche Gefahr der Aufkündigung der "bundesstaatlichen Solidarität"522 nicht letztlich größere Probleme für die Einheit und Integration des föderalen Gefüges mit sich brächte als eine größere Bereitschaft, finanzielle Ungleichheiten zwischen den Ländern und damit auch im Hinblick auf die "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse"523 der Bürger zu akzeptieren524 . Unter dem Aspekt der Unitarisierung des Bundesstaates darf jedoch andererseits nicht verkannt werden, daß ein Mindestmaß an gleicher Finanzausstattung zwischen den Ländern bestehen muß, um eine immer weiter sich verstärkende Abhängigkeit der finanzschwächeren alten und der neuen Bundesländer vom Bund zu vermeiden525 . So betrachtet, wirkt der horizontale Finanzausgleich auch einer zunehmenden Zentralisierung finanzieller Entscheidungsbefugnisse beim Bund entgegen. Dennoch wird auf der Grundlage einer stärkeren finanzpolitischen Kompetenz der Länder vor allem eine Orientierung hin zu einem ,,kompetitiven Finanzausgleich"526 und insgesamt ein "solidarischer Wettbewerbsföderalismus" 527 gefordert528 . Es sei noch auf ein weiteres, faktisch wirkendes Moment der Vereinheitlichung im bundesstaatliehen Gefüge des Grundgesetzes hingewiesen. Gemeint ist die im Laufe der Zeit stark ausgeweitete Mitwirkung der Länder an der Willensbildung des Gesamtstaates, wie sie unter den Begriffen des "kooperativen" oder "Beteiligungsföderalismus"529 Eingang in das 522 Zum Begriff M. Kloepfer, Stichwort: Finanzverfassung, Finanzausgleich, in: EvStL, Bd. l , Sp. 890. 523 Bezeichnenderweise ist es der Gemeinsamen Vefassungskommission nicht einmal gelungen, sich auf eine Modifizierung der Formulierung ,,Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" auch in der Finanzverfassung zu einigen, wie dies im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen erfolgte. Auf eine Reform der Finanzverfassung hätte sich das Gremium schon gar nicht einigen können. 524 Das "Maß an Einheitlichkeit und Nivellierung", das durch eine reformierte Finanzverfassung erreicht werden soll, stellt auch G. F. Schuppen, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, S. 675ff. (691f.), in den Vordergrund seiner Überlegungen. Auf den Umstand, daß das bisherige Umverteilungssystem letztlich zu weit geht, verweist auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Finanzausgleichsgesetz vom 11. November 1999 - 2 BvF 2/98 -, abgedr. in EuGRZ 1999, s. 617ff. (643). 525 Diesen Aspekt betont besonders G. F. Schuppen, ibd., S. 686. Unter Verweis auf F. W. Scharpf, Finanzausgleich, Statement für das Werkstattgespräch der SPDFraktion zur Finanzverfassung am 23. Oktober 1992 in Bonn, (zitiert nach Schuppert, ibd.). 526 Zum Begriff M. Kloepfer, Stichwort: Finanzverfassung, Finanzausgleich, in: EvStL, Sp. 890; R. Wendt, HStR IV,§ 104, Rz. 103. 527 Vgl. dazu Punkt 8 des Positionspapiers der Bertelsmann-Stiftung, Föderalismusreform ist mehr als Länderfinanzausgleich, 1999. 528 Vgl. dazu auch das Manifest der Friedrich-Naumann-Stiftung, Subsidiarität ohne Wenn und Aber, abgedr. in der FAZ vom 30. Oktober 1999, S. 14. 529 Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. III. 2.

13•

196

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

staatswissenschaftliche Schrifttum gefunden hat. Da diese Gestaltungs- und Mitwirkungsrechte den Ländern immer nur in ihrer Gesamtheit und über den Bundesrat als Organ zustehen 530, setzt die Wahrnehmung dieser Rechte eine entsprechende und den Verhandlungen mit dem Bund vorhergehende einheitliche Willensbildung der Länder voraus. Die unitarisierende Wirkung des Beteiligungsföderalismus geht dabei jedoch über die Entwicklung einheitlicher Standpunkte hinaus und erstreckt sich auch auf die Koordinationsformen. So haben sich eine große Zahl von Gremien und Kooperationsarten herausgebildet531 , die schon auf organisatorischem Gebiet die Länder dazu zwingen, gleiche Strukturen zu unterhalten, um sich überhaupt an dem permanenten Kooperationsprozeß beteiligen und die ihnen zustehenden Mitwirkungsrechte ausüben zu können. Auch wenn das Gleichheitsstreben in der Verwaltung und vor allem der Rechtsetzung als dem zentralen Gestaltungsinstrument des demokratischen Rechtsstaates am stärksten ausgeprägt ist, so ist auch die Judikative dem Egalitätspostulat verpflichtet. Ausdruck findet dies in Art. 95 Abs. 3 Satz 1 GG i. V. m. § I Abs. I des "Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes"532 • Diese Vorschriften bestimmen, daß "zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung [... ] ein Gemeinsamer Senat [der obersten Bundesgerichte] zu bilden" ist. Zwar sind diesem Gremium seit seinem Bestehen nur wenige Fälle vorgelegt worden, so daß seine praktische Bedeutung eher gering ist, doch zeigt die Existenz des verfassungsrechtlichen Auftrags zur "Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung", daß das Grundgesetz letztlich den Gedanken der Rechtsprechungsgleichheit sogar über das Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit und über die Möglichkeit verschiedener Auslegungsergebnisse stellt, auch wenn sich die Forderung der Einheitlichkeit vornehmlich auf die Entscheidungsbegründung bezieht. Die genannten Beispiele haben gezeigt, daß in der deutschen Verfassungs- und Rechtsordnung dem Streben nach maximaler Gleichheit auf nahezu allen Gebieten des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens eine zentrale Bedeutung zukommt. Dabei reichen die Instrumente, mit denen dem Egalitätspostulat Geltung verschafft wird, von ausdrücklichen Verfassungsgeboten unterschiedlicher Intensität und Reichweite, wie der Homogenitätspflicht des Art. 28 Abs. I und 3 GG und dem Gebot "zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung" in Art. 95 Abs. 3 GG, bis zu mit~ 30 Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Regelung des Art. 23 Abs. 2 bis 6 GG in Verbindung mit dem "Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union - ZEUBLG" vom 12. März 1993, BGBI. I S. 313 vor Augen führt. SJJ Vgl. dazu die Darstellung bei U. Leonardy, ZParl. 1990, S. l80ff. (l92ff.). 532 Gesetz vom 19. Juni 1968, BGBI. I S. 661.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

197

telbaren und faktischen Zwängen zur Konformität, wie sie über die Grundrechte und die Kooperationsstrukturen des unitarischen Bundesstaates auf Länder und Gemeinden ausgeübt werden. Der determinierende Effekt des Gleichheitsstrebens wirkt sich auch auf den dynamischen Charakter des Subsidiaritätsprinzips aus. Dieser liegt, wie dargelegt533, darin, daß die geschaffene Relation zwischen Aufgabe und Aufgabenträger unter dem dauernden Vorbehalt "relativer Konstanz" von Aufgabengröße und Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheit steht. Das bedeutet, daß der Subsidiaritätsgedanke auf eine Neubildung dieser Relation drängt, wenn sich zwischen den genannten Größen eine Diskrepanz ergibt, die die getroffene Aufgabenzuweisung an einen Funktionsträger als inadäquat erscheinen läßt. Bei der Relationsneubildung ist entscheidend, daß nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips grundsätzlich die fragliche Aufgabe sowohl einer höheren als auch einer hierarchisch niedrigeren Handlungseinheit zugewiesen werden kann, was davon abhängt, in welcher Weise sich das Verhältnis von Leistungsvermögen des Funktionsträgers und Größe der Aufgabe verändert hat. Die dynamische Wirkungsweise des Subsidiaritätsgrundsatzes ist damit prinzipiell ambivalent. Dies ändert sich jedoch, wenn die nach diesem Prinzip vorzunehmende Kompetenz- und Funktionszuweisung nicht mit dem Ziel einer möglichst optimalen sachbezogenen Aufgabenerfüllung vorgenommen wird, sondern unter den Primat der Erzielung maximaler Gleichheit und größtmöglicher Vereinheitlichung gestellt wird. Denn, wie bereits dargelegt wurde534, erfordert eine dem Egalitätspostulat verhaftete Kompetenzverteilung eine Akkumulation von Zuständigkeiten auf der jeweils höchsten Handlungsebene535 . Wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat, findet diese Überlegung eine empirische Bestätigung in der unitarischen Entwicklung, die das bundesstaatliche Kornpelenzgefüge unter dem Grundgesetz seit 1949 genommen hat. Als weiteres Ergebnis läßt sich damit festhalten, daß unter den Bedingungen des "Gleichheitsstaates" die prinzipiell ambivalent wirkende Dynamik des Subsidiaritätsprinzips in eine einseitige Funktionsweise umschlägt, die auf eine Verlagerung von Zuständigkeiten von "unten" nach "oben" gerichtet ist und so entgegen der eigentlichen Forderung der Subsidiaritätsidee zu einer Hochzonung von Kompetenzen führt. 533 Vgl. zu der dynamischen Wirkungsweise des Subsidiaritätsprinzips oben I. Kapitel C. VI. 2. 534 Siehe oben 2. Kapitel E. Il. 4. 535 Die Möglichkeit, eine formal dezentralisierte Kompetenzzuweisung aufrechtzuerhalten und die Ausübung dieser Zuständigkeiten nach Maßgabe des Gleichheitspostulats inhaltlich vorzugeben, soll hier außer Betracht bleiben, da hier letztlich nicht mehr von "echten" Zuständigkeiten der unteren Ebene gesprochen werden kann.

198

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

111. Subsidiarität und Integration 1. Integration als Staatsaufgabe Entgegen der urspünglichen Wortbedeutung "Wiederherstellung" geht man heute allgemein von einem weiter gefaßten Verständnis des Integrationsbegriffs aus, der auch die Schaffung und Erhaltung "einer Einheit oder Ganzheit" urnfaßt, die in der Weise aus einzelnen Elementen zusammengefügt ist, daß die "gewonnene Einheit mehr als die [bloße] Summe der vereinigten Teile" darstellt536. Damit ist Integration zunächst unabdingbare Voraussetzung jeder Gemeinschaftsbildung. Für jedes staatliche Gemeinwesen ist die Integration der es bildenden Menschen die Grundlage seiner Existenz. Der Staat wird zum ,,realen Willensverband" seiner Bürgerm. Integration dient somit der Erhaltung des Staates als Gemeinschaft und wird daher gleichermaßen zur "genuinen Staatsaufgabe"538 wie zu einem permanenten Prozeß, "den Willen zur Staatlichkeit bei den Bürgern, den Ursprung der staatlichen Einheit, lebendig zu halten"539. Als Instrument zur Integration kommt der Verfassung maßgebliche Bedeutung zu540, auch wenn die Aufgabe der Staatseinung dem verfaßten Gemeinwesen an sich vorausliegt541 • Zwar kann die Aufgabe der Herstellung und Wahrung der staatlichen Einheit letztlich nur von den Staats-Bürgern selbst geleistet werden, indem diese ein Einheits- und Zusammengehörigkeitsgefühl und einen Willen zur Gemeinsamkeit entwickeln, die in einer inneren Bindung zum eigenen Staat ruhen. Dennoch haben zuerst die Staatsorgane und -institutionen die Pflicht, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Integration zu schaffen542. Die den Integrationsbegriff tragenden Merkmale der Einheit und Gemeinsamkeit rücken ihn in die Nähe des Gleichheitsphänomens und damit in einen Gegensatz zum Subsidiaritätsgedanken. ~ 36 Vgl. zu dieser allgemein anerkannten Begriffsbestimmung statt aller R. Smend, Stichwort: Integration, in: EvStL, Bd. I, Sp. 1355; M. Mols, Stichwort: Integration, in: StL, Bd. 3, Sp. 111. m Vgl. zu dieser bewußt der Drei-Elementen-Lehre Georg Jellineks entgegengestellten Staatskonzeption, R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119ff. (127ff.). sJs Zum Begriff R. Herzog, HStR III, § 58, Rz. 91 f. S39 So J. /sensee, HStR I, § 13, Rz. 115. S40 Vgl. dazu grundlegend R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders. Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119ff. (189ff.); diesem folgend J. /sensee, HStR I, § 13, Rz. 116. S4t Vgl. dazu R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 80f. und 136ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 35 ff. S4l Von einer diesbezüglichen "Verpflichtung" sprechen auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rz. 10; J. /sensee, HStR I, § 13, Rz. 115.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

199

Darüber hinaus gewinnen "Einheitlichkeit" und "Ganzheit" unter dem Topos "Integration" eine eigenständige Bedeutung als Elemente der Systemerhaltung. Dies findet staatsorganisatorisch und kompetentiell seinen Niederschlag in der Errichtung und Unterhaltung einer die einzelnen Glieder umspannenden Zentralgewalt und ihren Zuständigkeiten. Diese werden - wie bereits dargelegt - zum Teil um der Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit - also der staatlichen Integration - willen dem Gesamtstaat zugewiesen und nicht unbedingt, weil dies wegen der Größe der jeweiligen Aufgabe zwingend erforderlich wäre. Damit wohnt dem Integrationsgedanken notwendigerweise immer ein zentralistisches Moment inne, was ihn wiederum in einen Gegensatz zur Subsidiaritätsidee treten läßt. Demgegenüber eignet beiden Prinzipien ein formaler Charakter43 • Denn ungeachtet der sich für jede Gemeinschaft ergebenden Notwendigkeit zur Integration, bleibt das Ziel derselben zunächst offen. Das einende Moment eines Gemeinwesens läßt sich weder dem Integrationsbegriff selbst noch dem -prozeß entnehmen. Ebenso wie das Subsidiaritätsprinzip der materiellen Ergänzung um das Effektivitätsgebot bedarf544, so braucht die Integration materielle Zielvorgaben. Im verfaßten Gemeinwesen ergibt sich das Integrationsziel aus der "Verfassung als rechtliche(r) Grundordnung des Staates"545 • Dabei kann jedoch auch die Verfassung des modernen Staates keine absoluten, vorgegebenen Zielsetzungen festlegen546. Dennoch laufen die unterschiedlichen dem Staate obliegenden Aufgaben, seine Befugnisse und selbst die der Ausübung grundrechtlich verbürgter Individualfreiheiten gesetzten Schranken in einem Punkt zusammen: der Gemeinwohlidee547 • Über diesen Zusammenhang von Integration und Gemeinwohl hinaus macht es auch die beschriebene Dependenz des Subsidiaritätsgedankens von der Orientierungsfunktion gemeinschaftlicher Zwecksetzungen548 erforderlich, das Verhältnis des Subsidiaritätsprinzips zu Begriff und Funktion des "Gemeinwohls" einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Konkret geht es dabei um die Frage, ob die die Existenz und das Handeln des modernen Staates legitimierende Zwecksetzung "Gemeinwohl" jene Orien~ 43 Zum formalen Charakter des Subsidiaritätsprinzips vgl. oben 1. Kapitel C. li. und VII. ~ 44 Vgl. dazu oben ibd. ~4~ Vgl. grundlegend zu diesem materiellen Verfassungsbegriff W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, S. 39ff. und 152ff. ~ 46 Bisweilen wird sogar bezweifelt, daß der moderne Staat überhaupt über seine Zielsetzungen erfaßbar ist. Vgl. etwa J. Jsensee, HStR III, §57, Rz. 41 f., der vom modernen Staat als einem "zielindifferenten Instrumentarium" spricht. 547 Zu Recht spricht daher K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 199ff., vom Gemeinwohl als "umfassende(r) Integrationsforrnel". ~48 Siehe dazu oben 1. Kapitel C. V. 2.

200

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

tierungsfunktion zu erfüllen vermag, von der die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Subsidiarität als Kompetenzzuordnungsmaxime in einer (Rechts-) Gemeinschaft abhängt. a) Begriff und Funktion des Gemeinwohls Das "Gemeinwohl" ist ein schillernder Begriff, dessen unterschiedliche Bezeichnungen (bonum commune, Allgemeinwohl, Wohl der Allgemeinheit, das Allgemeine Beste, Gemeinnutz, das öffentliche Wohl etc.) ebenso vielfältig sind wie die Versuche seiner inhaltlichen Bestimmung in den verschiedenen philosophischen und staatstheoretischen Lehren549 . Dabei orientiert sich die jeweilige Definition verständlicherweise zumeist an dem politischen oder wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse des Definierenden. In seiner bekannten Formulierung vom Gemeinwohl als der "Resultante", die "sich jeweils aus dem Parallelogramm der ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Kräfte einer Nation dann ergibt, wenn ein Ausgleich angestrebt und erreicht wird, der objektiv den Mindestanforderungen einer gerechten Sozialordnung entspricht und subjektiv von keiner maßgeblichen Gruppe als Vergewaltigung empfunden wird" 550 betont Ernst Fraenkel vor allem den universalistischen, ganzheitlichen Aspekt des Gemeinwohlgedankens551 und überträgt ihn auf die Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft. Demgegenüber hat das II. Vatikanische Konzil das Gemeinwohl als "die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglicht", bezeichnet552 . Diese Definition rückt die Verantwortung des Staates für das Gemeinwohl in den Vordergrund und geht damit im Gegensatz zu Fraenkel von einem institutionellen Gemeinwohlverständnis aus, indem es entscheidend auf die "Gesamtheit der Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens" abstellt. Ungeachtet der sich aus der Offenheit des Gemeinwohlbegriffs ergebenden definitorischen Schwierigkeiten553 besteht weitgehend Einigkeit über Funktion und Bedeutung sowie die der Gemeinwohlidee immanenten Merkmale. Vgl. statt aller die knappe Übersicht bei J. Jsensee, HStR III, §57, Rz. 12ff. sso E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 21. 551 Dazu J. Jsensee, HStR III, § 57, Rz. 27. m Zitiert nach W. Kerber, Stichwort: Gemeinwohl I, in: StL, Bd. 2, Sp. 857. 553 So auch J. Jsensee, HStR III, § 57, Rz. 27, "Die Schwierigkeit, das Gemeinwohl definitorisch zu bestimmen, läßt sich auf seine Allgemeinheit zurückführen". 549

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

201

Als Leitbild, nicht als Abbild des "guten Zustandes des Gemeinwesens" ist das Gemeinwohl ebenso wie der Staat zunächst Emanation der Vernunft. Die Vorstellung vom Staat als der Organisation und dem institutionellen Gefüge des Gemeinwesens folgt jedoch dem Gemeinwohlgedanken als einer "jeden möglichen staatsrechtlichen Programmatik"554 und damit auch jeder Verfassung vorausliegenden Idee555 nach. Der Gedanke des bonum commune ist damit zeitlos und hat als "Fundamentalprinzip der politischen Ethik"556 in der klassischen Sentenz Ciceros, "salus rei publicae suprema Iex esto"557, seinen prägnanten wie apodiktischen Ausdruck gefunden. Inhaltlich ist die Gemeinwohlidee auf die Herstellung und Bewahrung der Einheit des Gemeinwesens, nicht nur des Staates als institutionellen Gefüges, letztlich also auf die Integration des staatlichen Lebens durch ein gemeinsames Ziel gerichtet558 . Darüber hinaus kommt dem bonum commune die Funktion eines letzten ethischen und rechtlichen Legitimationsgrundes jedweden staatlichen Handeins zu559 . Mit seiner Verkörperung des "guten Zustandes des Gemeinwesens" umfaßt der Gemeinwohlbegriff zugleich auch Vorstellungen von einer "gerechten Ordnung", worin sich die Affinität des Gemeinwohlgedankens zum Gerechtigkeitspostulat ausdrückt560. Dies zeigt, daß die Gemeinwohlidee trotz ihrer Zeitlosigkeit gleichwohl von zeitgebundenen Wertvorstellungen inhaltlich angereichert wird. Der Staatszielcharakter561 und die Legitimationsfunktion des Gemeinwohlgedankens verdeutlichen ihrerseits, daß auch die moderne Staatsrechtswissenschaft den Vorstellungen der Telosgebundenheit und der Rechtferti554

Zum Begriff J. lsensee, ibd., Rz. I.

m A. A. wohl H. H. von Amim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 22 ff.,

der davon ausgeht, daß sich das Verhältnis von allgemeinen und partikularen Interessen nur auf der Grundlage einer verfassungstheoretischen Gemeinwohlkonzeption entwickeln läßt. 556 J. /sensee, HStR III, § 57, Rz. I. 557 M. T. Cicero, de legibus, III, 3, 8. 558 J. lsensee, HStR III, § 57, Rz. 2, spricht von "Inbegriff aller legitimen Staatsziele". 559 Die Rechtfertigungsfunktion des Gemeinwohlgedankens kommt insbsondere bei der Begründung staatlicher - meist gesetzgebenscher - Eingriffe in grundrechtlieh geschützte Rechtspositionen zum Tragen. Vgl. dazu BVerfGE 3, 377 [405] ApothekenurteiL Diesen Aspekt betont auch A. Hollerbach, Stichwort: Gemeinwohl - III, in: StL, Bd. 2, Sp. 862. Allgemein zur Legtimationsfunktion der Gemeinwohlidee J. lsensee, HStR III, § 57, Rz. 3, 38, 39; P. Häberle, Rechtstheorie 1983, S. 257 ff. (270). 560 Mißverständlich insoweit P. Häberle, ibd., S. 260, wenn er "Gerechtigkeit" als "Gegenbegriff' zum Gemeinwohl bezeichnet, dem die Aufgabe der "Disziplinierung" des letzteren zukomme. 561 J. /sensee, HStR III, §57, Rz. I, spricht vom "allgemeinsten Staatsziel".

202

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

gungsbedürftigkeit des Staates als organisiertem Gemeinwesen verhaftet bleibt, ohne daß damit der Gemeinwohlbegriff an die Stelle jener naturrechtlichen und rationalistischen Staatszwecklehren des 19. Jahrhunderts562 getreten wäre 563 . Als Zieleinheit kommt dem Gemeinwohlgedanken schließlich entscheidende materielle Bedeutung bei der Integration des Gemeinwesens zu, was im Schrifttum jedoch zumeist nicht hinreichend berücksichtigt wird, wenn die Topoi "Integration" und "Gemeinwohl" getrennt und ohne Bezug zueinander betrachtet werden 564. In dieser integrativen Funktion liegt zugleich eine Verbindung der Gemeinwohlvorstellung zu der Staatskonzeption Hegels565 und der Integrationslehre Smends566 . Denn erst der Rückgriff auf die Gemeinwohlidee führt zu der Vorstellung von einer Vereinigung der verschiedenen Partikularinteressen zu einem gemeinsamen, übergeordneten Ziel, das als verbindlicher Maßstab für das staatliche und politische Handeln zu dienen vermag. Mit dem Prinzip der Subsidiarität verbindet den Gemeinwohlgedanken der normative Charakte~ 67 und der Anspruch universeller Geltung568 , der sich in jenem die Interessengegensätze innerhalb des pluralistischen Gemeinwesens vereinigenden und objektivierenden Begriff der "Allgemeinheit" ausdrückt. Dagegen weist gerade die Betonung der Vorstellungen vom "Gemeinsamen" und "Allgemeinen", die ihre Wurzeln im Gleichheits562 Zur spezifischen Funktion der Legitimation des Staates und seines Handeins vgl. K. Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts (durchgehend). 563 Auf die Unterschiede des Gemeinwohls als Staatsziel, der Figur des Staatsziels überhaupt sowie zu den Staatszwecken naturrechtlicher und rationalistischer Prägungen, denen als ausschließlich theoretische Konstruktionen zwar ein spezifischer Erklärungswert zukam, die jedoch im Gegesatz zu den modernen Staatszielen nicht an den konkreten Bedürfnissen und praktischen Notwendigkeiten des politischen Lebens und des Staatsrechts entwickelt wurden, weist auch J. /sensee, HStR III, § 57, Rz. 116, hin. 564 Auf den inneren Zusammenhang beider Prinzipien verweist dagegen ausdrücklich K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 199. 565 G. F. W. Hege/, Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte, Einleitung, B, c, "[ . . .] das Wahre ist die Einheit des allgemeinen und subjektiven Willens; und das Allgemeine ist im Staate in den Gesetzen, in allgemeinen und vernünftigen Bestimmungen". 566 Vgl. zu dem Gedanken der Integration durch gemeinsame Zwecke R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. ll9ff. (165): "Diese Einsicht in das Wesen der staatlichen ,Zwecke' und ,Aufgaben' als sachliches Moment des staatlichen lntegrationsprozesses, im Gegensatz zu ihrer Auffassung als wahre ,Zwecke', denen der Staat als Mittel zu dienen habe, deren Teleologie ihn rechtfertige - diese Einsicht ist eine wesentliche Voraussetzung, um dem Sinn des staatlichen Lebens überhaupt gerecht zu werden". 567 Dazu J. /sensee, HStR III, § 57, Rz. 19, 39. 568 Siehe hierzu wiederum J. /sensee, ibd., Rz. 3, 4.

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

203

gedanken haben, auf einen Gegensatz von Gemeinwohlbegriff und Subsidiaritätsprinzip hin. Ungeachtet der sich bereits hierin andeutenden Ambivalenz des Verhältnisses von Gemeinwohl und Subsidiarität bleibt bei funktionaler Betrachtungsweise die Frage zu klären, ob das Gemeinwohlkonzept als staatliche Zieleinheit jene Orientierungsleistung im Bezug auf die Gemeinschaftsaufgaben zu erbringen vermag, der das Subsidiaritätsprinzip zu seiner praktischen Umsetzung als Kompetenzzuweisungsmaxime bedarf. Da die Gemeinwohlidee grundsätzlich die Funktion eines übergeordneten Gemeinschaftstelos erfüllt, rückt der Gesichtspunkt hinreichender Bestimmtheit dieser Zielsetzung in den Vordergrund. Das leitet jedoch zugleich zu dem zentralen Problem der Gemeinwohldiskussion über, der Frage nach der Konkretisierbarkeit und Handhabbarkeil des Gemeinwohlbegriffs für die staatsrechtliche Praxis. b) Zur Orientierungsleistung des Gemeinwohlgedankens Es gehört zu den Aporien 569 der Theorie vom bonum commune, daß der Gemeinwohlbegriff seine Funktion als Leitbild des "guten Zustandes vom Gemeinwesen" nur um den Preis inhaltlicher Unbestimmtheit erfüllen kann. Dies hat der Gemeinwohlidee den Vorwurf der Leerformelhaftigkeit und des Gemeinplatzes eingetragen570. Zudem hat das "allgemeine Wohl" als eine der Verfaßtheil des staatlichen Gemeinwesens vorausliegende Idee mit der lndienstnahme durch die Nationalsozialisten571 zu legitimatorischen Zwecken seine Ideologieanfälligkeit gezeigt, was beides dazu führte, daß die Staatsrechtslehre bis gegen Ende der sechziger Jahre zum Gemeinwohlbegriff "auf Distanz"572 ging. Mit Beginn der siebziger Jahre hat dann eine intensive Diskussion um Gedanken und Begriff des Allgemeinwohls in den Rechts- und Staatswissenschaften eingesetzt, wobei die überwiegende Zahl der Arbeiten die Bedeutung dieses Topos hervorhebt573 . Dabei erweist sich die inhaltliche Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs als das zentrale Problem sowohl der 569 Als Aporie muß vor allem der Kerngedanke der Gemeinwohlidee angesehen werden. Denn wie und wodurch die pluralen Eigen- und Sonderinteressen letztlich zu einem Allgemeininteresse werden sollen, bleibt offen. 570 Vgl. statt vieler N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 217: "Die Diskussion des ,Staatszweckes' hat deshalb über Leerformeln wie ,Förderung des Gemeinwohls' oder ,Wahrnehmung öffentlicher Interessen' oder über unzureichende Teilkonzeptionen wie die liberale Formel von der Sicherung der Freiheit im rechtlich geordneten Zusammenhang nicht hinausführen können". 571 Vgl. hierzu sowie zu der Instrumentalisierung des Gemeinwohlgedankens durch die Nationalsozialisten M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht (passim). 572 Vgl. dazu J. /sensee, HStR III, § 57, Rz. 4, 5.

204

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

sog. Gemeinwohljudikatur574 als auch der rechtswissenschaftliehen Erörterungen. Methodisch lassen sich in der Gemeinwohldiskussion zwei Ansätze unterscheiden. Während ein Teil der Wissenschaft, auf den einheitsbildenden, integralen Charakter der Gemeinwohlidee abstellend, dem Problem der inhaltlichen Begriffsbestimmung keine besondere Bedeutung zumißt und statt dessen die Frage der Einflußnahme auf die Gemeinwohlbildung und das Problem der Interpretationsbefugnis in den Vordergrund ihrer Betrachtungen rückt575 , versuchen andere Autoren eine inhaltliche Annäherung an den Allgemeinwohlbegriff über eine Analyse der einschlägigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung oder eine Interpretation rechtlicher Positivierungen des Gemeinwohlgedankens im geltenden Recht576. Zwar kommt in einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft der Mitwirkung bei dem Verfahren der Gemeinwohlbestimmung und seiner Interpretation eine weit größere Bedeutung zu als im absolutistischen Wohlfahrtsstaat, in dem der princeps legibus solutus nur göttlichem Recht unterworfen war und die Belange des allgemeinen Wohls des Staates und seiner Untertanen letztlich allein und nicht im gesellschaftlichen Diskurs bestimmte. Doch kann der Verweis auf die prozeduralen Aspekte der Gemeinwohldiskussion letztlich mit Blick auf die Orientierungsfunktion des Gemeinwohltopos kein Ersatz für eine inhaltliche Begriffsbestimmung sein. Die Forderung nach Konkretisierung der verschiedenen Gemeinwohlbezeichnungen (öffentliches Interesse, das allgemeine Wohl, Wohl aller, die öffentlichen/allgemeinen Belange etc.) im geltenden Recht577 hat zunächst zu einer weitgehenden Einigkeit über die synonyme Bedeutung dieser Begriffe geführt, wobei die Hauptaufmerksamkeit in der Literatur der Gleichsetzung von "öffentlichem Interesse" und "Gemeinwohl" galt578 , was 573 W. Kerber, Stichwort: Gemeinwohl - I, in: StL, Bd. 2, Sp. 857, 859; A. Schwan, Stichwort: Gemeinwohl - li, in: StL, Bd. 2, Sp. 859ff.; P. Häberle, Rechtstheorie 1983, S. 257 ff. (257); J. Jsensee, HStR III, § 57, Rz. 36, hält den Gemeinwohlbegriff für "unentbehrlich"; zurückhaltend und eher kritisch M. Stolleis,

Stichwort: Gemeinwohl, in: EvStL, Bd. 1 , Sp. 1061 ff. 574 Zum Begriff vgl. den Titel der Arbeit P. Häberles, ",Gemeinwohljudikatur' und Bundesverfassungsgericht", AöR 95 (1970), S. 86ff. und S. 260ff. 575 Vgl. statt aller M. Stolleis, Stichwort: Gemeinwohl, in: EvStL, Bd. 1, Sp. l062f. 576 So P. Häberle, AöR 95 (1970), S. 90ff. (et passim). 577 So fordert H. Steiger, FS für Hans J. Wolff, S. 385 ff. (396 ff.), mit Blick auf die planende und gestaltende Verwaltung eine Konkretisierung der Gemeinwohlbegriffe in den Gesetzen. 578 Vgl. dazu P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 37; ders., Gemeinwohlproblematik, Rechtstheorie 1983, S. 257 ff. (257), einschränkend H. H. von Amim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 81 ff.; W. Schmidt, VVDStRL 33 (1975), S. 183 ff. (195 ff.).

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

205

sich aus der häufigen Verwendung dieser Bezeichnungen im geltenden Recht wie in der Judikatur erklärt. Im Grundgesetz finden sich ausdrückliche Bezugnahmen auf das Gemeinwohl zum einen in Art. 14 Abs. 2 und 3 GG, zum anderen in der in Art. 56 Abs. 1 GG vorgegebenen Eidesformel für den Bundespräsidenten, die gemäß Art. 64 Abs. 2 GG auch von Bundeskanzler und Bundesministern bei ihrer Vereidigung zu sprechen ist. Außerhalb der Verfassung kommt vor allem der Vorschrift des § 32 Abs. I des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) 579 Bedeutung zu, nach der das Gericht eine einstweilige Anordnung unter anderem auch dann erlassen kann, wenn dies "[ ... ] aus einem [... ] wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist". Der Begriff des "öffentlichen Interesses" findet sich unter anderem in einer Reihe strafrechtlicher Vorschriften wie z. B. den §§ 183 Abs. 2, 232, 248a, 353b Abs. 1 und 2 StGB sowie in den §§ 153, 153a Abs. 1, 376 StP0580. Betrachtet man vor diesem Hintergrund einige grundlegende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen der Gemeinwohlgedanke den maßgeblichen Topos bildet, unter dem Gesichtspunkt der Konkretisierungsleistung, so werden die Defizite dieser "Gemeinwohljudikatur" deutlich. Auch wenn im Schrifttum die "Gemeinwohlkompetenz"581 der Bürger im demokratischen Verfassungsstaat sowie in der pluralistischen Gesellschaft hervorgehoben wird 582 und auch das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des Gemeinwohlgedankens in seiner Sicherungsfunktion für grundrechtlich geschützte Freiheiten betont hat583 , bleibt doch festzuhalten, daß die Hauptbedeutung des Gemeinwohltopos - entsprechend seiner historischen Entwicklung - in der Legitimierung grundrechtsbeschränkender Maßnahmen liegt584 . Dabei befassen sich die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen vorwiegend mit kompetentiellen Fragen der Gemeinwohlproblematik und weniger mit einer einzelfall- und bereichsspezifischen Konkretisierung des Begriffs selbst. Beispielgebend sei hier auf das sog. Apothekenurteil585 verwiesen, das sich, ungeachtet seiner grundrechtsdogIn der Fassung der Bekanntmachung vom II. August 1993, BGBI. I S. 1473. Zu weiteren Nachweisen von Gemeinwohlnormierungen im geltenden Recht siehe P. Häberle, Öffentliches Interesse, S. 39ff., der eine Typologie von 12 "Gemeinwohltatbeständen" entwickelt. Ders., Rechtstheorie 1983, S. 257 ff. (260ff.). 581 Zum Begriff P. Häberle, ibd., S. 267 f. 582 So von J. /sensee, HStR III, § 57, Rz. 81 ff. und 171 ff.; M. Stolleis, Stichwort: Gemeinwohl, in: EvStL, Bd. 1, Sp. I 062 f. 583 So in BVerfGE 13, 97 [I 13], in der Zumutbarkeitsformel, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, daß bei Berufszulassungsbeschränkungen zu prüfen sei, ob die Regelung den "betroffenen Einzelnen nicht übermäßig und unzumutbar beschwert". 584 So auch P. Häberle, AöR 95 (1970), S. 86ff. (96ff.). 579

580

206

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

matischen Leistung, im wesentlichen darauf beschränkt, die Kompetenz zur Bestimmung von Gemeinwohlbelangen zwischen Gesetzgeber und Gericht abzugrenzen586 . Dabei weist das Bundesverfassungsgericht die Prärogative zur Definition und rechtsverbindlichen Aktualisierung des Gemeinwohls der Gestaltungsmacht des Gesetzgebers zu und beschränkt seine eigene Aufgabe auf eine Evidenzkontrolle der Legislative. Diese Prüfungskompetenz bemißt sich in Umfang und Reichweite für den Bereich des Art. 12 Abs. I GG danach, ob der fragliche Gemeinwohlaspekt die Berufsausübungs- oder die Berufswahlfreiheit einschränkt. So läßt das Gericht für eine Beschränkung der Freiheit der Berufsausübung eine "Regelung" ausreichen, die auf "vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls" gestützt ist, wohingegen eine Einschränkung der Berufswahlfreiheit nur zulässig ist, "soweit der Schutz besonders wichtiger (,überragender') Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert, d.h. soweit der Schutz von Gütern in Frage steht, denen bei sorgfältiger Abwägung der Vorrang vor dem Freiheitsanspruch des Einzelnen eingeräumt werden muß"587 . Einen Hinweis darauf, worin die "vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls" und die "überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter" bestehen, enthält die Entscheidung ebensowenig, wie sie Anhaltspunkte für eine Abgrenzung dieser beiden Kategorien von Gemeinwohlbelangen gibt588. Die Problematik verschärft sich noch, wenn man die Ausführungen des Gerichts zur Berufsfreiheit in dem sog. Handwerksurteil589 mit in die Betrachtung einbezieht. In dieser Entscheidung umschreibt das Gericht den Umfang seiner Kontrollkompetenz dahingehend, daß es auch überprüfe, "ob die öffentlichen Interessen, deren Schutz die gesetzliche Regelung dient, überhaupt Gemeinschaftswerte von so hohem Rang darstellen können, daß sie eine Einschränkung der freien Berufswahl rechtfertigen. Den Anschauungen des Gesetzgebers hierüber darf es [das Gericht, (d. Verfasser)] die Anerkennung versagen, wenn sie offensichtlich fehlsam oder mit der Wertordnung des GG unvereinbar sind"590 . Zunächst muß es zweifelhaft erscheinen, ob es in einer pluralistischen Gesellschaft mit einem offenen, sich stets wandelnden Gemeinwohlverständnis überhaupt "absolute" oder "höchste" Gemeinschaftsgüter geben kann, die einen prinzipiellen Vorrang vor den BVerfGE 3, 377 [405ff.]. Zustimmend P. Häberle, ibd., S. 98ff. 587 BVerfGE 3, 377 [405]. 588 Gleiches gilt für die auf dieser grundlegenden Entscheidung zur Berufsfreiheit aufbauenden verfassungsgerichtlichen Judikatur in BVerfGE 9, 73 [80]; 13, 97 [105]; 17, 269 [276f.]. 589 BVerfGE 13, 97 [105ff.]. 590 BVerfGE 13, 97 [107]. 585

5 86

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

207

grundrechtlich geschützten Individualrechtsgütern beanspruchen können. Im übrigen sind die Begriffe "offensichtlich fehlsam" und "mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar" so unbestimmt und vom Gericht bewußt offen gelassen, daß sie ungeachtet ihres Wortlauts, der auf eine stark eingeschränkte Evidenzkontrolle hindeutet, letztlich dem Bundesverfassungsgericht eine jederzeitige Korrektur der gesetzgebensehen Gemeinwohlwertungen erlauben. Das Gericht hat sich damit eine "Reservekompetenz" bei der Bestimmung und Bewertung von Gemeinwohlbelangen und deren Abwägung mit grundrechtlich geschützten Individualrechten vorbehalten, deren Gebrauch ihm jederzeit offen steht. Im übrigen setzt die Beurteilung einer gesetzgebensehen Maßnahme als "mit der Wertordnung des GG unvereinbar" eine positive Vorstellung von dieser Wertordnung, den sich in ihr konkretisierenden Gemeinwohlaspekten, deren Verhältnis zueinander und zu den verfassungsrechtlich geschützten Individualfreiheiten voraus. Hat das Gericht jedoch eine Vorstellung von der Wertordnung des Grundgesetzes und behält es sich überdies vor, diese Wertungen zum Kontrollmaßstab über die gesetzgebensehen Entscheidungen zu erheben - wenn auch nur in kassatorischer und nicht in unmittelbar substituierender Weise -, so ist es um so weniger verständlich, weshalb der Senat diese Wertvorstellungen nicht genauer präzisiert und benennt. Dies wäre im Wege der Beispielsnennung auch ohne eine determinierende und die gesetzgeberische Definitionsprärogative einschränkende Weise möglich. Mit Blick auf die Konkretisierungsleistung der "Gemeinwohljudikatur" bleibt schließlich auch offen, weshalb das Bundesverfassungsgericht den Begriff des "öffentlichen Interesses" bisweilen mit dem Attribut "legitim" versieht591 , wenn mit diesem Zusatz - wie Häberle zutreffend darlegt592 lediglich eine Verbindung zu dem normativen Merkmal der "verfassungsmäßigen Ordnung" hergestellt werden soll. Die "Gemeinwohljudikatur" trägt, ungeachtet ihrer dogmatisch zum Teil beachtlichen Leistung, zur Lösung des Konkretisierungsproblems des abstrakten und schwer faßbaren Gemeinwohlbegriffs mithin nicht entscheidend bei. Statt dessen stehen auch bei den bundesverfassungsgerichtliehen Urteilen, in denen das Gericht maßgeblich auf die "öffentlichen Interessen" als Entscheidungsmaßstab abstellt, Fragen der Kompetenzabgrenzung zwischen Gesetzgeber und Gericht auf dem Gebiet der verbindlichen Gemeinwohldefinition und -interpretation im Vordergrund. Es kann daher der These zugestimmt werden, daß "die bloße Verwendung des öffentlichen Interesses als verfassungsrechtlichem Topos mit bestimmten inhaltlichen 591 So in BVerfGE 9, 83 [87]; in BVerfGE 10, 89 [102] - Erft-Verbandurteil verwendet das Gericht die Formulierung "legitime öffentliche Aufgabe". 592 P. Häberle, AöR 95 (1970), S. 86ff. (104, 110).

208

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

und funktionellen Konsequenzen", "die Verfassungsgerichte jedenfalls nicht der Aufgabe enthebt, die öffentlichen Interessen von vornherein im Koordinatensystem der öffentlichen Verfassung anzusiedeln" 593 . Ebenso wie bei einem Teil der Literatur stehen auch bei der "Gemeinwohljudikatur" letztlich verfahrensrechtliche Aspekte des Gemeinwohlbegriffs im Mittelpunkt. Es soll nicht bestritten werden, daß die Hervorhebung der prozeduralen Dimension des Gemeinwohlgedankens, sein Verständnis als eines permanenten und offenen Prozesses594, geeignet ist, den politischen und heuristischen Wert der Gemeinwohlidee auch unter den Bedingungen einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft zu verdeutlichen. Doch läßt sich diesem Topos bei der Betrachtung als geistiger Zieleinheit des Gemeinwesens mangels hinreichender Bestimmtheit keine Orientierungsleistung für staatliches und gesellschaftliches Handeln mehr entnehmen. Ohne dem agnostizistischen Leerformelvorwurf das Wort zu reden, kann man mit Blick auf die Orientierungsfunktion des Gemeinwohls der Einschätzung Luhmanns beipflichten: "Gemeinwohl ist kein denkbarer Zweck"595 . Erweist sich jedoch die das Gemeinwesen "Staat" einende Zwecksetzung "Gemeinwohl" als zu unbestimmt, jene Maßstabs- und Orientierungsfunktion zu erfüllen, die Zwecken sowohl nach dem final-teleologischen Handlungsbegriff als auch nach der funktionalen Systemtheorie zukonunt, dann läßt sich auch das von dieser Orientierungsleistung dependente Subsidiaritätsprinzip jedenfalls auf der Ebene des gesamtstaatlichen Gemeinwesens nicht umsetzen. Das bedeutet, wenn die Zwecksetzung des Staates als "Förderung des Gemeinwohls" definiert wird, kann nicht zugleich der Grundsatz der Subsidiarität die zentrale Struktur- und Steuerungsmaxime des Staates sein. Das schließt nicht aus, daß in einzelnen sektoralen Bereichen, in denen das "öffentliche Interesse" eine ausreichende inhaltliche Bestimmung erfährt, die in Wahrnehmung dieser Interessen vorgenommene Zuweisung der Gemeinschaftsaufgaben nach dem Grundsatz der Subsidiarität erfolgt, wie dies auf dem Gebiet des Sozialhilferechts der Fall ist, das folgende Ziel- und Aufgabenstruktur aufweist: Ausgehend vom "Gemeinwohl" als "allgemeinstem Staatsziel"596, aus dem sich das Sozialstaatsgebot als konkreteres, verfassungsrechtlich normiertes "Unterziel" ableitet, folgt die in § 1 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)597 definierte Gemeinschaftsaufgabe. Diese besteht darin, dem HilP. Häberle, ibd., S. 111. Vgl. zu diesem Ansatz M. Stolleis, Stichwort: Gemeinwohl, in: EvStL, Bd. 1, Sp. 1062; A. Schwan, Stichwort: Gemeinwohl- II, in: StL, Bd. 2, Sp. 861. 595 N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 180. 5% Zum Begriff siehe J. lsensee, HStR III, § 57, Rz. l. S93

594

E. Subsidiarität, Gleichheit und Integration

209

fehedürftigen eine der Menschenwürde entsprechende Lebensführung zu ermöglichen. Diese Aufgabe ist ihrerseits wiederum nach dem Grundsatz der Subsidiarität verschiedenen privaten und staatlichen Verantwortlichen zugewiesen, wobei diese Aufgabenträger gemäß der in den §§ 2 und 11 BSHG genannten Reihenfolge in Anspruch genommen werden. 2. Würdigung des Verhältnisses von Integration und Gemeinwohl zur Subsidiarität

Für den modernen Staat stellen sich die Förderung von "Integration" und "Gemeinwohl" als Staatsaufgaben dar. Dabei sichert die Integration die Existenz des Staates, der Gemeinwohlbezug staatlichen Handeins stellt ein wesentliches Element seiner Legimation dar. Darüber hinaus kommt dem Gemeinwohlgedanken auch eine integrative Kraft zu, so daß sich insoweit beide Prinzipien teilweise überlappen. Zentrale Bedeutung für beide Funktionen kommt der Verfassung zu, die in formeller Hinsicht das entscheidende Instrument für die Einung des Staatswesens ist und als "rechtliche Grundordnung des Staates" mit dem bonum commune das "allgemeinste [materielle] Staatsziel" in unterschiedlichen Ausprägungen normiert. Integrations- wie Gemeinwohlbegriff vermögen ihre systembildende und -bewahrende Funktion nur um den Preis einer inhaltlichen Unbestimmtheit zu erfüllen, die sie als Zielvorgabe für eine nach Subsidiaritätsgesichtspunkten vorzunehmende Kompetenzzuweisung ungeeignet erscheinen läßt. Als auf Herstellung und Bewahrung der Kohärenz des Gemeinwesens gerichtete Prinzipien nehmen sie bereits auf die organisatorischen Grundstrukturen der verfaßten Gemeinschaft Einfluß und weisen damit sowohl Bezüge zum Staatsmodell Hegels als auch zur Integrationslehre Smends auf. Ebenso wie der Vorstellung vom bonum commune ist auch dem Integrationsgedanken ein universeller, die gesamte Gemeinschaft umspannender normativer Anspruch eigen598 . Hierin liegt zugleich die Gemeinsamkeit beider Topoi mit dem Subsidiaritätsprinzip. Der Unterschied besteht hingegen in der Perspektive. Als Relationsgröße bezieht sich der Subsidiaritätsgrundsatz auf das Verhältnis des einzelnen oder der Teilgemeinschaft zum übergeordneten Ganzen. In ihrer ausschließlichen Ausrichtung auf das überwölbende Gemeinwesen sind Gemeinwohl- wie Integrationsbegriff notwendigerweise indifferent gegenüber der Diversifikation gegliederter Gemeinschaften. Pluralität erscheint lediglich als Ausdruck von Partiku1arinteressen, die es zusammenzuführen und auf das gemeinsame Ziel hinzuführen 597 In der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994, BGBI. I S. 646, berichtigt S. 2975. 598 P.-C. Müller-Graff, ZHR 1995, S. 34 ff. (42), spricht sogar von "Gemeinschaftswohl". 14 MoeBCh

210

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

gilt. Hierin schlägt sich das egalitär-zentralistische Moment sowohl des Gemeinwohl- wie des Integrationsgedankens nieder, das beide Ideen in einen grundsätzlichen Gegensatz zum Subsidiaritätsprinzip treten läßt.

F. Fazit Die Analyse der staatsrechtlichen und staatstheoretischen Diskussion um das Subsidiaritätsprinzip, die durch die Implementation dieses Grundsatzes in den EG-Vertrag erneut aufgegriffen wurde, hat gezeigt, daß sich die These, jenes sozialphilosophische Organisationsprinzip habe als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz Eingang in das Grundgesetz gefunden, nicht belegen läßt. Dem Gedanken der Subsidiarität entsprechende Regelungen finden sich lediglich ganz punktuell in Art. 6 Abs. 2 und 3 GG sowie in der Ausgestaltung des Instituts der kommunalen Selbstverwaltung. Darüber hinaus ließ sich die Vorschrift des Art. 72 Abs. 2 Nr. 1 GG a. F. als Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens deuten. Diese Norm hat jedoch seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahre 1949 nie praktische Bedeutung gewonnen und wurde folgerichtig vom verfassungsändernden Gesetzgeber novelliert. Die kommunale Selbstverwaltung und das elterliche Sorgerecht sind schließlich spezielle Verfassungsinstitute, die keinerlei Rückschlüsse auf einen allgemeinen, dem Grundgesetz eignenden subsidiaritätsadäquaten Verfassungsaufbau zulassen. So besitzt die kommunale Selbstverwaltung eine eigenständige Tradition in der jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte, die einer Deutung dieses Instituts als bloße Umsetzung subsidiärer Strukturen entgegensteht. Zudem hat der Begriff der "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft", der die normative Basis dieses Rechtsinstituts bildet, eine definitorische Ausgestaltung erfahren, die nur zum Teil mit dem Kriterium der "Leistungsfahigkeit" als dem zentralen Merkmal des Subsidiaritätsprinzips kongruent ist. Daß sich in Art. 6 Abs. 2 GG der Grundsatz der Subsidiarität niederschlägt, hat seinen Grund allein in dem Doppelcharakter dieser Grundrechtsverbürgung. Die elterliche Verantwortung für die Kinder ist gleichermaßen Recht wie Pflicht. Aus dieser selbst unter den Grundrechten singulären Normstruktur können ebenfalls keine Schlußfolgerungen für eine allgemeine Geltung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz gezogen werden. Von den genannten Ausnahmen und einer gewissen strukturellen Parallelität der Selbstverwaltungs- und der Subsidiaritätsidee abgesehen, läßt sich dem Grundgesetz kein Hinweis auf einen vor- oder überpositiven Grundsatz der Subsidiarität entnehmen. Dies gilt zunächst für die These, dem Grund-

F. Fazit

211

gesetz und dem Subsidiaritätsprinzip liege das gleiche "Menschenbild" zugrunde. Wie eingangs dargelegt wurde, eignet der formalen Aufgabenzuordnungs- und -ausübungsmaxime "Subsidiarität" per se überhaupt kein "Menschenbild", soweit man - wie hier - unter dem Begriff "Menschenbild" mehr versteht als die bloße Beschreibung der Personenhaftigkeit menschlicher Existenz. Dem Menschen kommt im Rahmen subsidiärer Aufgabenzuweisung lediglich als kleinste soziale Handlungseinheit und damit in erster Linie als Bezugspunkt Bedeutung zu. Ein über diese funktionale Betrachtung des einzelnen hinausgehendes "Menschenbild" läßt sich dem Subsidiaritätsgedanken nur bei einer entsprechenden weltanschaulichen Aufladung entnehmen, wie sie dieses Prinzip etwa in der katholischen Soziallehre erfährt. Daß jedoch dem Grundgesetz das schöpfungstheologisch geprägte Menschenbild der katholischen Dogmatik zugrunde liegt, läßt sich nicht nachweisen. Auch die Behauptung, das Subsidiaritätsprinzip habe in den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere im Übermaßverbot, verfassungsrechtlichen Niederschlag gefunden, da der Subsidiaritätsgedanke ein auf die Bewahrung individueller Freiheit gerichteter Grundsatz sei, ist nicht haltbar. So kommt dem Subsidiaritätsgrundsatz in seiner Funktion als Kompetenzzuordnungsmaxime keine freiheitssichemde Bedeutung zu. Die Zuweisung von Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip richtet sich ausschließlich nach dem Kriterium der Leistungsfähigkeit der Zuordnungseinheiten. Ob die Übertragung einer Aufgabe mit, ohne oder gar gegen den Willen des Aufgabenträgers erfolgt, ist unter Subsidiaritätsgesichtspunkten unerheblich. Ebensowenig kann davon ausgegangen werden, daß mit der Zuweisung einer Aufgabe prinzipiell zugleich auch eine Mehrung der Gestaltungs- und Handlungsfreiheit des Aufgabenträgers einhergeht. Dies erscheint gerade vor dem Hintergrund der Bedingungen des modernen Leistungs- und Versorgungsstaates, in dem die Erfüllung staatlicher Aufgaben zumeist mit erheblichen finanziellen Belastungen für die jeweilige Punktionseinheit verbunden ist und zudem die Handlungsmöglichkeiten staatlicher Stellen in ·der Regel durch rechtsstaatliche Vorgaben bis ins Detail präjudiziert sind, eher fraglich. Die sich in den Grundrechten konkretisierende Beziehung zwischen Bürger und Staat läßt sich schon wegen ihrer andersartigen Struktur nicht als Subsidiaritätsproblem erfassen. Das als Regel-Ausnahme-Prinzip ausgestaltete Grundrechtsverhältnis ist darauf angelegt, den natürlichen Interessengegensatz zwischen individueller Freiheit und notwendiger staatlicher Beschränkung unter größtmöglicher Wahrung der Rechte des einzelnen zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Der Grundsatz der Subsidiarität ist dagegen auf die Zuweisung von Aufgaben zu verschiedenen potentiellen Handlungseinheiten gerichtet. Das Subsidiaritätsprinzip bezieht sich somit 14°

212

2. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsordnung des GG

auf die Regelung von Konkurrenzverhältnissen, d. h. auf die Lösung von Konflikten gleichgerichteter Interessen599 . Entgegen einer verbreiteten Behauptung stellt auch der Föderalismus als Staatsorganisationsform keinen Anwendungsfall des Subsidiaritätsprinzips auf staatlicher Ebene dar. Dies gilt wegen der unterschiedlichen Organisationsstrukturen der verschiedenen Bundesstaaten für den Föderalismus im allgemeinen wie für den deutschen Föderalismus einschließlich seiner historischen Entwicklung im besonderen. Föderalismus und Subsidiarität sind weder identisch noch interdependent. So bedingt ein föderativer Staatsaufbau nicht zwingend eine Kompetenzverteilung nach dem Subsidiaritätsprinzip, was gerade die Kompetenzordnungen der deutschen und der Österreichischen Verfassung anschaulich belegen. Andererseits greift der Grundsatz der Subsidiarität über den Rahmen der Staatsorganisationsform hinaus, so daß er prinzipiell auch in Einheitsstaaten umgesetzt werden kann. Im übrigen hat die skizzenhafte Betrachtung des amerikanischen, des schweizerischen und des Österreichischen Bundesstaates deutlich werden lassen, daß eine einheitliche Föderalismuskonzeption, die dem Subsidiaritätsprinzip gegenübergestellt werden könnte, nicht existiert. Vielmehr erweisen sich die föderalistischen Strukturen der einzelnen Bundesstaaten als äußerst heterogen und von nationalen Traditionen und Spezifika determiniert. Für den deutschen Bundesstaat, seine historische Entwicklung bis zum Grundgesetz und seine Veränderung unter diesem konnte nachgewiesen werden, daß für die Kompetenzstruktur des föderalen Gefüges in Deutschland der sozialphilosophische Ordnungsgrundsatz der Subsidiarität zu keinem Zeitpunkt maßgebliche Bedeutung erlangt hat. So ist das Verhältnis von Zentralgewalt zu den Gliedern in der deutschen Verfassungsgeschichte bis zur Verfassung von 1919 in erster Linie von machtpolitischen Erwägungen bestimmt gewesen, wobei es zu einer stetigen Stärkung des Reiches gegenüber den Ländern gekommen ist, ohne daß sich dies immer in entsprechenden verfassungsrechtlichen Kompetenzverlagerungen niedergeschlagen hat. Die Entwicklung des bundesstaatliehen Gefüges unter dem Grundgesetz ist unbestritten "anti-subsidiär" verlaufen. In der Literatur ist dies mit den Begriffen des "unitarischen Bundesstaates", des "kooperativen Föderalismus" und der "Politikverflechtung" beschrieben worden, mit denen zugleich auf die zunehmende Beteiligung der Länder an der Willensbildung des Gesamtstaates hingewiesen wird. Als Gründe für diese Veränderung der bundesstaatliehen Strukturen sind neben dem seit 1918 bestehenden Legitimationsdefizit des Föderalismus in Deutschland vor allem das zum Primat staatlichen wie gesellschaftspoliti599 Näher zum Verhältnis von Proportionalität und Subsidiarität unten 3. Kapitel E. I. I.

F. Fazit

213

sehen Handeins erhobene Gleichheitsstreben zu nennen. Wegen des prinzipiellen Gegensatzes zwischen Subsidiarität und Gleichheit liegt in dem Streben nach Egalität als alternativlosem Gesellschaftsideal zugleich eine Aufgabe des und eine Abkehr von dem Prinzip der Subsidiarität. Aus seinem Gegensatz zum Gleichheitsphänomen folgt, daß das Subsidiaritätsprinzip zu dem Grundsatz der Demokratie nicht nur keine besondere Affinität aufweist, sondern daß zwischen beiden ein Antagonismus besteht, der gerade auf die Negierung und Beseitigung von Unterschieden drängt und somit dem auf funktionale Differenzierung gerichteten und auf hierarchisch gestuften Strukturen aufbauenden Subsidiaritätspostulat diametral entgegensteht. Nicht zuletzt besteht auch zwischen dem Subsidiaritätsgedank:en und den allgemeinen Staatsaufgaben der Integration und der Gemeinwohlförderung ein Spannungsverhältnis, das sich aus der zwingend notwendigen Ausrichtung beider Topoi auf die Einung und Bewahrung des Gemeinwesens ergibt. Damit weisen beide Grundsätze wiederum einen Bezug zur Gleichheit wie zum Zentralismus auf. Denn jede Gemeinschaft bedarf eines Mindestmaßes an Gemeinsamkeit und Kohärenz, die wiederum nur über eine gewisse Einheitlichkeit und Gleichheit sowie eine Aufgabenaggregation auf der Ebene des übergeordneten Gemeinwesens zu erreichen sind. Zudem erweisen sich die allgemeinen Staatsziele "Integration" und "Gemeinwohl" als inhaltlich zu unbestimmt, als daß sie jene Maßstabs- und Orientierungsfunktion erfüllen könnten, derer das Subsidiaritätsprinzip als Kompetenzzuordnungsmaxime bedarf. Dies schließt eine Anwendung dieses Grundsatzes als zentrales Organisationsprinzip auf das Staatswesens als Ganzes aus und verweist ihn auf bestimmte, sektorale Bereiche des staatlichen Lebens wie etwa das Sozialhilferecht

Drittes Kapitel

Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union A. Allgemeines Im folgenden gilt es zu untersuchen, inwieweit die im ersten Kapitel herausgearbeiteten Anwendungsvoraussetzungen und Merkmale des Subsidiaritätsprinzips mit der Rechtsordnung und den Verfahrensweisen der Europäischen Union vereinbar sind und welche Funktionen dem Subsidiaritätsgedanken auf der Ebene des Europäischen Gemeinschaftsrechts zukommen können. Dabei bleibt die Betrachtung im wesentlichen auf den Bereich der Gemeinschaftsverträge, das sog. Primärrecht, beschränkt, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen und die Vergleichbarkeit zur verfassungsrechtlichen Diskussion sicherzustellen. Im übrigen muß bei einem Vergleich der deutschen staatsrechtlichen mit der europarechtlichen Erörterung die unterschiedliche Zielrichtung der Betrachtungen berücksichtigt werden. Dies gilt in besonderem Maße für die Bewertung von Gemeinsamkeiten und Parallelerscheinungen in beiden Rechtsordnungen. Wie bereits eingangs erwähnt, konzentriert sich die staatsrechtliche Diskussion um den Subsidiaritätsgrundsatz vorwiegend auf die Frage, ob dieses Prinzip in bestimmten Regelungen und Instituten des Grundgesetzes einen positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden hat, letztere also als Umsetzung oder Anwendungsfalle der Subsidiaritätsidee gedeutet werden können 1. Die staatswissenschaftliche Betrachtung ist somit in erster Linie darauf gerichtet, die These eines ungeschriebenen Verfassungsgrundsatzes der Subsidiarität zu verifizieren oder zu falsifizieren. Argumentationstechnisch handelt es sich hierbei um einen induktiven Ansatz, bei dem aus konkreten Einzelbestimmungen des Grundgesetzes auf das Bestehen eines allgemeinen Verfassungsgrundsatzes geschlossen und so dessen Existenz nachgewiesen werden soll. Damit ist das erkenntnisleitende Interesse der Staatswissenschaften vorwiegend hermeneutischer und ihr Ziel theoretischer Natur. Denn für Normativität, Funktion und Bedeutung der als Ausgangspunkt der jeweiligen Argumentation gewählten Grundgesetznormen ist es unerheblich, ob der Nachweis eines allgemeinen Verfassungsprinzips "Subsidiarität" gelingt oder nicht. Den 1

Vgl. dazu oben 2. Kapitel A. I.

A. Allgemeines

215

primär theoretischen Charakter dieser Diskussion hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, indem es in seiner Entscheidung zur Grundgesetzkonformität des Jugendwohlfahrts- und des Bundessozialhilfegesetzes2 keine Stellung zu der Frage genommen hat, ob diese beiden Gesetzeswerke gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen, obwohl gerade dieser Aspekt in dem im Vorfeld des Urteils entbrannten Streit eine zentrale Rolle gespielt hae. Die aktuelle europarechtliche Subsidiaritätsdiskussion ist demgegenüber sowohl inhaltlich als auch argumentativ völlig anders ausgerichtet. Ihren Ausgangs- wie entscheidenden Bezugspunkt bildet Art. 5 Abs. 2 EGV, der das Subsidiaritätsprinzip im Gegensatz zum Grundgesetz als grundlegendes Prinzip der Europäischen Gemeinschaft festschreibt. Schwerpunkte der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung sind dabei gleichermaßen die Funktion und Bedeutung, die dem Subsidiaritätsprinzip im Gemeinschaftsrecht überhaupt zukommen, wie die Interpretation der einzelnen Tatbestandsmerkmale und der unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 5 Abs. 2 EGV. Das Hauptinteresse gilt der Frage, wie der nunmehr primärrechtlich verankerte Grundsatz konkretisiert und damit operabel gemacht werden kann, um ihn als taugliches Instrument zur Abgrenzung gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Kompetenzen einsetzen zu können. Damit liegt der europarechtlichen Auseinandersetzung im Gegensatz zur verfassungsrechtlichen methodisch gesehen eine deduktive Betrachtungs- und Argumentationsweise zugrunde. Inhaltlich folgt sie der eher pragmatischen Zielsetzung sach- und interessengerechter Kompetenzabgrenzung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit und den Grenzen, die das Subsidiaritätsprinzip auf europarechtlicher Ebene kennzeichnen, läßt sich jedoch nicht ausschließlich auf der Grundlage seiner objektiven Voraussetzungen und Merkmale beantworten. Vielmehr müssen die Möglichkeiten, die dieser Grundsatz bietet, auch an den Erwartungen und Befürchtungen, die sich mit seiner Implementation in das geltende Gemeinschaftsrecht verbinden, sowie den Gründen, die zu seiner Aufnahme in den EG-Vertrag geführt haben, gemessen werden. Schließlich ist zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Regelung des Art. 5 Abs. 2 EGV tatsächlich geeignet ist, die mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips beabsichtigten Wirkungen herbeizuführen.

2

3

BVerfGE 22, 180ff. Vgl. dazu oben 1. Kapitel C. V. 1. a).

216

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

B. Diskussion und Ausprägungen des Subsidiaritätsprinzips in der Rechtsordnung der Europäischen Union I. Vorbemerkung Bei der Untersuchung der Absichten und Beweggründe der Vertragsparteien, den Subsidiaritätsgrundsatz in den EG-Vertrag aufzunehmen, stößt man zunächst auf die Schwierigkeit, daß die Verhandlungsprotokolle des Rates und seiner Gremien - diplomatischer Gepflogenheit folgend - grundsätzlich nicht veröffentlicht werden4 , so daß man zur Ermittlung der Motive auf sekundäre Quellen angewiesen ist5 . Wichtige Anhaltspunkte liefern die Beschlüsse und Entscheidungen nationaler Organe und die wissenschaftliche Diskussion um das Subsidiaritätsprinzip, die die Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag begleitet hat. Ob das auf der Regierungskonferenz in Maastricht am 7. Februar 1992 als ein zentraler6 Grundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts in Vgl. dazu auch J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 242f. Die Nichtveröffentlichung der Sitzungsprotokolle hat darüber hinaus auch noch zur Folge, daß der Europäische Gerichtshof bei seinen Entscheidungen nicht auf diese Dokumente zurückgreift, so daß die historische Auslegung, ein in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wichtiges und geläufiges Interpretationsverfahren, auf europäischer Ebene nur in sehr eingeschränktem Maße zur Verfügung steht. Vgl. hierzu U. Everling, GS für Leotin-Jean Constantinesco, S. 133ff. (134), wenn auch beschränkt auf nicht veröffentlichte Nebenabreden. 6 Ungeachtet der Frage, welche konkreten Auswirkungen die Einführung des Subsidiaritätsprinzips auf die künftige Rechtsetzungstätigkeit der Europäischen Gemeinschaft zeitigen wird, läßt sich die diesem Grundsatz beigemessene Bedeutung schon aus der vertragssystematischen Einordnung und der großen Zahl offizieller Dokumente und Stellungnahmen ersehen. Vertragssystematisch wurde das Subsidiaritätsprinzip bei den "Grundsätzen" des ersten Teils des EG-Vertrages, unmittelbar nach den Bestimmungen über die Aufgabe und Tätigkeiten der Gemeinschaft eingeordnet. Aus der mittlerweile kaum mehr übersehbaren Vielzahl von Dokumenten zu diesem Grundsatz sei hier stellvertretend auf folgende verwiesen: Zwischenbericht des Institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments über den Grundsatz der Subsidiarität vom 4. Juli 1990; abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 99ff.; Erklärung des Europäischen Rates von Birmingham vom 16. Oktober 1992, EA 1992, D, S. 612f.; Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament betreffend das Subsidiaritätsprinzip vom 27. Oktober 1992, abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112ff.; Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 16. und 28. Oktober 1992, Schlußfolgerungen des Vorsitzes der Tagung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft am 11.-12. Dezember 1992 in Edinburgh, EA 1993, D, S. 2f.; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vom 19. Juni 1997 und die Erklärung zu diesem Protokoll vom gleichen Tage. Die beiden zuletzt genannten Dokumente sind Bestandteile des Vertragswerkes von Amsterdam. 4

5

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

217

Art. 5 Abs. 2 EGV verankerte Subsidiaritätsgebot das Kompetenzgefüge zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten nachhaltig beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Mit Blick auf die breite Erörterung, die im europarechtlichen und -politischen Schrifttum zu diesem Problemkreis geführt wird, stellt seine Aufnahme in das geltende Vertragsrecht jedenfalls eine markante Zäsur dar, die die Schwerpunkte und die Richtung der Auseinandersetzung entscheidend verändert hat. Im folgenden geht es indes nicht darum, Entstehungsgeschichte und Verlauf der Debatte um den Art. 5 Abs. 2 EGV im Detail nachzuzeichnen7 , vielmehr sollen lediglich die Hauptargumentationslinien der Diskussion herausgearbeitet und einer kritischen Würdigung unterzogen werden, wobei die in den beiden vorausgegangenen Kapiteln gewonnenen Ergebnisse als Maßstab dienen.

II. Zum Stand der Diskussion 1. Schwerpunkte und Hauptargumentationslinien

a) Das Subsidiaritätsprinzip als Postulat der deutschen Uinder

Berücksichtigt man einerseits die lange Tradition, die die Subsidiaritätsidee in der deutschen Staats- und Gesellschaftswissenschaft besitzt8 und andererseits die Tatsache, daß für Deutschland als dem Mitgliedstaat mit den ausgeprägtesten föderalen Strukturen9 , die europäische Integration zwangsläufig empfindliche Eingriffe in das bundesstaatliche Kompetenzgefüge mit sich bringt, so kann es nicht verwundern, daß die Einführung dieses Grundsatzes in das Europäische Gemeinschaftsrecht vor allem von der Bundesrepublik 10, genauer von den deutschen Ländern 11 , gefordert wurde 12 . 7 Vgl. zur Entstehungsgeschichte und Entwicklung des deutschen Standpunktes in den Verhandlungen zum Maastrichter Vertragswerk die Dokumentenzusammenstellung von Joachim Bauer (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 1 ff., sowie D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (S. 82 FN 33). 8 Vgl. dazu oben 1. Kapitel A. li. (et passim). 9 Dies gilt auch nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zum 1. Januar 1995 (vgl. dazu den "Vertrag über den Beitritt des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union", BGBI. li, 1994, S. 2022) und nach der Umwandlung Belgiens in einen "Föderalstaat" (vgl. dazu die belgisehe Verfassung vom 17. Februar 1994 in Belgisch Staatsblad/Moniteur Beige in der Ausgabe vom 17. Februar 1994). 10 So auch G. Konow, DÖV 1993, S. 405 ff. (406). 11 Vgl. F.-L. Knemeyer, DVBI. 1990, S. 449ff. (450). 12 Damit soll nicht bestritten werden, daß Gedanken und Forderungen nach einer dem Grundsatz der Subsidiarität entsprechenden Aufgaben- und Kompetenzvertei-

218

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Am 27. Oktober 1987 beschlossen die Ministerpräsidenten der deutschen Länder auf ihrer Konferenz in München in Konkretisierung der "feierlichen Deklaration der Staats- und Regierungschefs zur Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaften in Richtung auf eine europäische Union" 13 , die am 19. Juni 1983 in Stuttgart verabschiedet worden war, ein zehnPunkte-Programm, in dem ausdrücklich die Einführung des Subsidiaritätsprinzips für jedwedes Tätigwerden der Gemeinschaften gefordert wird 14 . Die Länder und ihre Repräsentanten haben ihr Anliegen im Vorfeld und während der Verhandlungen über den "Vertrag über die Europäische Union" wiederholt bekräftigt 15 , bis sich schließlich auch die Bundesregierung diesen Standpunkt zu eigen machte und einen entsprechenden Formulierungsvorschlag am 7. Januar 1991 in die Verhandlungen über den zu revidierenden EG-Vertrag einbrachte 16 . Gleichwohl können diese verstärkten Aktivitäten der deutschen Gliedstaaten seit den 80er Jahren letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch sie zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses diesem entweder größere Bedeutung als dem Bundesstaatsprinzip eingeräumt haben 17 oder aber die Auswirkungen der Europäischen Gemeinschaften auf ihre eigene Stellung unterschätzten. Bei den Beratungen über das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Gründung der EuroJung zwischen den Gemeinschaften und den Mitgliedstaaten nicht schon früher und von anderer Seite erhoben wurden. 13 Text in: EA 1983, D, S. 420f. 14 So lautet Ziffer 2 der Münchener Erklärung: Die Europäische Gemeinschaft soll neue Aufgaben nur übernehmen, wenn ihre Erfüllung auf europäischer Ebene im Interesse der Bürger unabweisbar notwendig ist und ihre volle Wirksamkeit nur auf Gemeinschaftsebene erreicht werden kann. Den Ländern der Bundesrepublik Deutschland muß neben dem Verwaltungsvollzug ein Kern eigener Aufgaben verbleiben, wie beispielsweise die Kultur- und Bildungspolitik, die regionale Strukturpolitik, die Gesundheitspolitik. Auch künftig sollen die Länder alle Fragen regeln, die von ihnen sachgerechter, bürgernäher und besser gelöst werden können". Text abgedr. bei J. Bauer (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 13 ff. 15 Vgl. dazu stellvertretend BR-Drs. 780/90 vom 9. November 1990 (Beschluß) "Entschließung des Bundesrates zum föderativen Aufbau Europas im Rahmen der Politischen Union", S. 7, sowie den Beschluß der nach 1947 ersten gesamtdeutschen Ministerpräsidentenkonferenz vom 20./21. Dezember 1990, der als "Münchner Erklärung zum Föderalismus in Europa" bezeichnet wird. Text abgedr. bei J. Bauer (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 116ff. 16 Der deutsche Vorschlag hatte folgenden Wortlaut: "Die Gemeinschaft wird nur tätig, um die ihr im Rahmen dieses Vertrages übertragenen Maßnahmen durchzuführen und die darin festgelegten Ziele zu verwirklichen. Sie wird nur insoweit tätig, wie die Maßnahmen aufgrund ihrer Tragweite oder ihrer Auswirkungen die Grenzen eines Mitgliedstaates überschreitende Lösungen erfordern und wenn und soweit der verfolgte Zweck durch Maßnahmen auf den Ebenen der einzelnen Mitgliedstaaten allein nicht ausreichend verwirklicht werden kann". (Zitiert nach G. Konow, DÖV 1993, s. 405 ff. (406)). 17 So W. Rudolf, FS für Kar! Josef Partsch, S. 357 ff. (358).

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

219

päischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fanden die Warnungen Nordrhein-Westfalens, daß mit der Gründung dieser Einrichtung auch Gefahren für die Kompetenzen der Länder verbunden seien 18, bei den übrigen Ländern kein Gehör 19. Die Bemühungen von deutscher Seite, den Grundsatz der Subsidiarität auf der Ebene des gemeinschaftlichen Primärrechts zu etablieren und zu einem die Aktionsmöglichkeiten der Gemeinschaften limitierenden allgemeinen Handlungsprinzip auszubauen, müssen vor dem Hintergrund extensiver und expansiver Auslegung sowie einer "flächendeckenden Ausschöpfung"20 bestehender EG-Zuständigkeiten durch Kommission und Europäischen Gerichtshof gesehen werden. Insbesondere die von den Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel von Paris 1972 gegebene Empfehlung, "[... ] alle Bestimmungen der Verträge, einschließlich des Art. 235 EWGVertrages weitestgehend auszuschöpfen [... ]"21 , der die Kommission mit Blick auf das Binnenmarktprogramm nachdrücklich folgte, führte zu starken Eingriffen in den Kompetenzbereich der deutschen Länder. Symptomatisch für die Vorgehens- und Betrachtungsweise der Kommission ist ihre Argumentation auf dem Gebiet der Bildungspolitik. Da die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft unter anderem stark von der Qualifikation der Arbeitskräfte abhänge, dieses Niveau aber nur durch eine entsprechende Ausbildung und Schulung erzeugt und erhalten werden könne, beanspruchte die Kommission für die Gemeinschaft auch die Befugnis, auf dem Sektor der schulischen und beruflichen Bildung rechtsetzend tätig zu werden, obwohl die damalige Vorschrift des Art. 128 EWGV22 - ähnlich wie die zur Zeit geltenden Art. 149 und 150 EGV - der Gemeinschaft lediglich Bundesrat, 61. Sitzung am 27. Juni 1952, Sten. Prot. S. 445. Vgl. dazu H. E. Birke, Die deutschen Bundesländer in den europäischen Gemeinschaften, S. 37 ff.; W. Rudolf, FS für Kar) Josef Partsch, S. 357 ff. (358). 20 G. Konow, DÖV 1993, S. 405ff. (406). Kennzeichnend für die Argumentationsweise der Kommission sind die Ausführungen des ehemaligen Kabinettschefs von Kommissar Schmidhuber M. von Donat, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 9ff. (10): "Die Regierungen vereinbaren, die Landwirtschaft nach gemeinsamen Regeln einkommensstabilisierend zu ordnen. Rindfleisch zieht unmittelbar andere Vorschriften nach sich, sollen Wettbewerbsverzerrungen oder Diskriminierungen verhindert werden - Hygieneordnung der Schlachthöfe, Kennzeichnungspflicht für die Nahrungsmittelindustrie, umweltschonende Verpackung, ein Rattenschwanz von Regelungsbedarf. Wer A sagt, muß auch B sagen. Wir nennen dieses B-sagen-müssen: Spill-over-Effekt". 21 Text in: EA 1972, D, S. 502ff.; dazu auch U. Everling, EuR 1976, Sonderheft, s. 2 ff. (6 ff.). 22 Art. 128 EWGV hatte folgenden Wortlaut: "Auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses stellt der Rat in bezug auf die Berufsausbildung allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik auf, die zu einer harmonischen Entwicklung sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Gemeinsamen Marktes beitragen kann". 18

19

220

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

marginale, die mitgliedstaatliehen Maßnahmen auf diesem Gebiet unterstützende Zuständigkeiten einräumte23 . Unter Berufung auf ihre weitreichenden Kompetenzen in der Handels- und Wettbewerbspolitik gelang es der Kommission somit, maßgeblichen Einfluß auf die Rechtsetzung und damit die Gestaltung von Politikbereichen auszuüben, die nach dem Willen der Vertragsstaaten ihrer Zuständigkeit entzogen sein und bleiben sollten24 . Gerade der Zugriff der Gemeinschaftsorgane auf die Bildungspolitik25 , deren inhaltliche Gestaltung nach der grundgesetzliehen Kompetenzverteilung als Bestandteil der Kulturhoheit der Länder zu deren "Kembestand an Aufgaben" zu rechnen ist26 und daher für diese ein traditionelles "Hausgut"27 und ein entscheidendes Moment ihrer Eigenstaatlichkeit darstellt28 , hat zu einer Sensibilisierung des Bundesrates und der Länder für Fragen des Fortgangs des europäischen Integrationsprozesses geführt. Insgesamt haben dabei die Bundesländer entsprechend den unterschiedlichen Auswirkungen, die der Integrationsprozeß auf ihre politischen und rechtlichen Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zeitigt, versucht, der Schmälerung ihres Einflusses entgegenzutreten. Die rechtlichen und politischen Bemühungen der Länder lagen hierbei im wesentlichen auf drei Ebenen: Zunächst haben die deutschen Gliedstaaten nach Möglichkeiten gesucht, unmittelbaren Einfluß auf die Politik der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Organe - insbesondere der Kommission - zu erlangen. Dabei ergaben sich eine Reihe von Problemen, die hier nur kurz angedeutet werden können. So stellte das Gemeinschaftsrecht eine Rechtsordnung dar, die in Konsequenz ihres völkerrechtlichen Ausgangspunktes29 mit "Landesblindheit"30 geschlagen war, d. h. für die lediglich die Mitgliedstaaten als solche Vgl. dazu insgesamt G. Konow, DÖV 1993, S. 405ff. (406). T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 91 ff. (91), spricht von insoweit von ,.nationalen Reservaten". 25 Vgl. dazu T. Oppennann, in: Bemhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, S. 73 ff. (77 ff.). 26 Vgl. dazu statt aller M. Herdegen, HStR IV, § 97, Rz. 54ff. 27 Zum Begriff BVerfGE 34, 9 [19f.]. 28 Dieser Einordnung zustimmend T. Oppermann, in: Bemhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, S. 73 ff. (83 f.) und M. Erhardt, in: Bemhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus, S. 85 ff. (85 et passim); zweifelnd demgegenüber T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 91 ff. (107), der die Länderkulturhoheit zu einem bloßen ,.Angebot an die Hochschulen" herabgesunken sieht und daher auch eine weitere Ausdehnung der europäischen Bildungspolitik für unschädlich hält. 29 Auf die Tatsache, daß sich die Gemeinschaftsverträge - trotz zum Teil gegensätzlicher Thesen im Schrifttum - auch heute ,.nicht von dieser völkerrechtlichen Grundlage gelöst" haben, verweist zutreffenderweise R. Streinz, Europarecht, Rz. 70 und 112. 30 Zum Begriff H. P. Jpsen, FS für Walter Hallstein, S. 248 ff. (256). 23 24

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

221

und die Gemeinschaftsorgane als Akteure des Integrationsprozesses existierten31, so daß die deutschen Gliedstaaten durch den Bund "mediatisiert" wurden 32 . Teils als Folge dieser "Landesblindheit", teils unabhängig davon entbehrten sie auf europäischer Ebene ursprünglich jedweder Repräsentanz. Zudem fehlte es ihnen an "Bundesgenossen", da die Bundesrepublik Deutschland anfänglich der einzige Bundesstaat der Europäischen Gemeinschaften war. Dem Problem ihrer mangelnden Präsens und unzureichenden Information versuchten die Bundesländer zunächst durch die Entsendung eines sog. Länderbeobachters und später durch die Enichtung sog. Länderbüros33 am Sitz der Kommission entgegenzutreten34 . Verglichen mit der so grob skizzierten Ausgangslage, ist die Position der Länder in der Europäischen Union mittlerweile deutlich gestärkt worden. Maßgeblich dazu beigetragen hat die Aufnahme weiterer Bundes- und Regionalstaaten 35 wie Österreich und Spanien in die Union sowie die Schaffung regionaler Organisationsstrukturen in vormals zentralistisch geprägten Mitgliedsstaaten wie z. B. in Belgien und Italien, wodurch insgesamt das Bewußtsein der Gemeinschaftsorgane für die Existenz föderaler und regionaler Einheiten unterhalb der Ebene der Mitgliedstaaten geschärft wurde 36 . Eine institutionalisierte, wenn auch sehr begrenzte Möglichkeit, auf Politik und Rechtsetzung der Gemeinschaften Einfluß zu nehmen, eröffnete sich den deutschen Ländern in dem durch das Vertragswerk von Maastricht geschaffenen "Ausschuß der Regionen" (Art. 263 bis 265 EGV), dessen Befugnisse im Vertrag von Amsterdam dahingehend erweitert wurden, daß die Geschäftsordnung des Ausschusses nicht mehr der Genehmigung des Rates bedarf (Art. 264 Abs. 2 EGV), die fakultative Anhörung des Ausschusses auf Fälle grenzüberschreitender Zusammenarbeit erweitert 31 Vgl. W. Rudolf, in: Det1ef Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 263ff. (265); ders., FS für Kar1 Josef Partsch, S. 357ff. (371); F. Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1230ff. (1236f.); M. Schröder, JöR 35 (1986), S. 83ff. 32 So H. P. Ipsen, HStR VII, § 181, Rz. 36. 33 Vgl. zur Entwicklung dieser beiden Einrichtungen der Länder in Brüssel, M. Borchmann, AöR 112 (1987), S. 586ff. (590ff.). 34 Um Mißverständnissen vorzubeugen sei darauf hingewiesen, daß die neben den Länderbeobachter tretenden Länderbüros nicht ausschließlich Repräsentationsfunktionen erfüllen, sondern auch als Informationsstellen für die Länder und die Gemeinschaftsorgane fungieren. 35 U. Bullmann, in: ders. (Hrsg.), Die Politik der dritten Ebene, S. 15 ff. (24), spricht von "regionalierten Staaten". 36 Einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung eines föderalen Verständnisses hat auch die "Vereinigung der Regionen Europas" (VRE) geleistet. Vgl. zu dieser Einrichtung S. Kux, in: Dieter Freiburghaus (Hrsg.), Die Kantone in Europa, S. 91 ff. (durchgehend); K. v. Trotha, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, S. 151 ff. (156f.).

222

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

(Art. 265 Abs. 1 EGV) und der Kreis der Anhörungsberechtigten auf das Europäische Parlament ausgedehnt wurde {Art. 265 Abs. 4 EGV). Darüber hinaus wurde die Anhörung des Ausschusses der Regionen in verschiedenen Einzelbestimmungen modifiziert oder neu aufgenommen 37 . Mit der damit verbundenen deutlichen Aufwertung dieser Institution geht auch eine Stärkung der deutschen Länder auf europäischer Ebene einher38 . Doch weder der Ausschuß der Regionen noch die gestiegene Zahl regionaler Einheiten oder das gewachsene föderale Verständnis in den Gemeinschaftsorganen können darüber hinwegtäuschen, daß die Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder und Regionen auf europäischer Ebene insgesamt gesehen sehr gering sind. Aus diesem Grunde haben die Bundesländer seit dem Gesetzgebungsverfahren zum "Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" auf einer Einbeziehung des Bundesrates in die "Willensbildung der deutschen Stellen" "vor der Ratifizierung im Gesetz" bestanden39. In konsequenter Verfolgung dieses bereits 1951 eingeschlagenen Weges haben die Länder auf die unmittelbar mit der Übertragung von nationalen Rechtsetzungsbefugnissen auf die Europäischen Gemeinschaften verbundenen Kompetenzeinbußen mit einer sukzessiven Ausweitung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates am innerstaatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß in europäischen Angelegenheiten reagiert. Das in dem Briefwechsel vom September 1979 zwischen dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem damaligen Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz Johannes Rau40 vereinbarte Länderbeteiligungsverfahren41 , das Beteiligungsverfahren nach Art. 2 des Gesetzes zur Einheitlichen Euro37 Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sieht in der Fassung des Vertrages von Amsterdam in den Art. 128 und 129 (Beschäftigung); Art. 137 Abs. 2 und 3 (Sozialgesetzgebung); Art. 152 Abs. 4 (Gesundheit); Art. 175 Abs. 1 bis 3 (Umwelt); Art. 148 (Sozialfonds; Durchführung); Art. 150 Abs. 4 (berufliche Bildung); Art. 71 Abs. 1 (Verkehr) die Anhörung des Ausschusses der Regionen vor. 38 Vgl. dazu und zu den Begleitgesetzen ausführlich C. Dästner, NWVBJ. 1994, S. 1 ff. (durchgehend). 39 Vgl. dazu die Stellungnahme des Bundesrates vom 27. Juni 1951 , Nr. 5, BRDrs. 450/51 (Beschluß). 40 Vgl. dazu das Schreiben des Bundeskanzlers vom 19. September 1979 an den Vorsitzenden der Ministerpräsidenten-Konferenz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in EG-Angelegenheiten sowie das Antwortschreiben des Vorsitzenden der Ministerpräsidenten-Konferenz vom 26. September 1979. Die Brieftexte sind als Dokumente Nr. 11 und 12 in der vom Bundesrat herausgegebenen Dokumentensammlung "Bundesrat und Europäische Union" abgedruckt. 41 Das von den Chefs der Staats- und Senatskanzleien am 7./8. Februar 1980 gebilligte Schema des Beteiligungsverfahrens der Länder ist als Dukument Nr. 13 der Dokumentensammlung "Bundesrat und Europäische Union" abgedruckt.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

223

päischen Akte (EEAG)42 sowie die nunmehr in Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG in Verbindung mit den Regelungen des "Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union" vom 12. März 199343 festgelegten Verfahren stellen die entscheidenden Stationen dieser Entwicklung dar. Auch wenn die nunmehr in Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG verankerten Beteiligungsrechte des Bundesrates innerstaatlich eine beachtliche Stärkung der Position der Länder bewirkt haben44 , so erheben sich gegen die Einordnung dieser Kompetenzausweitung des Bundesrates als einer "Kompensation durch Verfahrensbeteiligung" gleichwohl die bereits oben dargelegten Bedenken45 • Ungeachtet dessen sind die erweiterten Mitwirkungsrechte der Ländervertretung auf Kritik gestoßen. Zum einen wird die Auffassung vertreten, sowohl das in Art. 2 des EEA-Gesetzes als auch das nunmehr in Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG festgelegte Bundesratsverfahren habe zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen Bundestag und Bundesrat zugunsten der Ländervertretung geführt46 . Zum anderen sahen sich die Länder anfanglieh dem Vorwurf ausgesetzt, durch ihre Aktivitäten auf europäischer Ebene, vornehmlich durch die Unterhaltung eigener Vertretungen in Brüssel, in die gemäß Art. 32 Abs. 1 GG dem Bund vorbehaltene Kompetenz zur Pflege der auswärtigen Beziehungen einzugreifen47 . Letzterer Einwand ist jedoch zunehmend der Erkenntnis gewichen, daß es sich bei dem Prozeß der europäischen Integration nicht um Außenpolitik im traditionellen Sinne handelt48 . Seinen bisher signifikantesten Ausdruck hat dieses gewandelte Verständnis der Einordnung der Beziehungen der 42 Gesetz vom 19. Dezember 1986 zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986, BGBl. li S. 1102 f. 43 BGBl. 1993 I S. 313. 44 Hierüber besteht im Gegensatz zur verfassungsrechtlichen und europapolitischen Bewertung dieser Bestimmungen weithin Einigkeit. Vgl. statt aller P. Badura, FS für Peter Lerche, S. 369ff. (370f.); G.-B. Oschatz, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 41 ff. (46ff.). 45 Siehe dazu oben 2. Kapitel C. III. 2. 46 So die Einschätzung von/. Pemice, DVBl. 1993, S. 909ff. (920). Eine Veränderung der Machtbalance zu Lasten des Parlaments und zugunsten des Bundesrates wurde bereits in der Regelung des Art. 2 EEAG gesehen. Vgl. dazu A. Brück, ZParl. 1988, S. 220ff. (220); P. Badura, Staatsrecht, S. 57. Vgl. insgesamt zur Problematik, R. Lang, Die Mitwirkungsrechte, S. 360ff. 47 So insbesondere J. Abr. Frowein, in: Vierzig Jahre Bundesrat, S. 285 f. (291 ff.). 48 Ausdrücklich R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 91; im Ergebnis zustimmend C. Tomuschat, in: Siegfried MagieraiDetief Merten (Hrsg.), Bundesländer und Europäische Gemeinschaften, S. 21 ff. (21 ff. und 42ff.); diesem folgend G.-B. Oschatz, in: Detlef Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 63 ff. (73 ff.); ebenso R. Lang, Die Mitwirkungsrechte, S. 234ff., unter Verweis auf die in Art. 32 GG geregelte Verbandskompetenz, die von der Organkompetenz unterschieden werden müsse.

224

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Bundesrepublik Deutschland zu den Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union in der Neufassung des Artikels 23 GG gefunden49 . Mit der Einführung dieser Norm hat der verfassungsändernde Gesetzgeber zum einen eine eigenständige verfassungsrechtliche Grundlage für die Integration Deutschlands in die Europäische Union geschaffen und diese Beziehungen damit in sachlicher und verfassungssystematischer Hinsicht aus den die auswärtigen Angelegenheiten betreffenden Vorschriften der Art. 24 bis 26 und 32 GG gelöst50 . Zum anderen hat die Position des Bundesrates gegenüber der früheren Rechtslage eine verfassungsrechtliche Absicherung und neuerliche Ausweitung erfahren51 . Der gewachsene Einfluß der Länder wird jedoch zum Teil mit dem Argument, er schränke die europapolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung zu stark ein, kritisiert52 . Ungeachtet der rechtspolitischen Bewertung dieses Prozesses, die hier dahinstehen kann, eröffnen die verfassungsrechtlich verankerten Mitwirkungsbefugnisse den Ländern jedoch lediglich innerstaatliche Gestaltungsmöglichkeiten. So stehen die deutschen Länder nach wie vor in dem Dilemma, einerseits zwar über verfassungsrechtlich gesicherte Mitwirkungsmöglichkeiten an der innerstaatlichen Willensbildung und Entscheidungstindung in europäischen Angelegenheiten zu verfügen, hierdurch aber lediglich mittelbar und im Zusammenwirken mit der Bundesregierung Einfluß auf die Politik und Rechtsetzung der Europäischen Union nehmen zu können; und dies auch nur im Rahmen der der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat offenstehenden politischen und rechtlichen Handlungsoptionen. Andererseits stellt sich der unmittelbare Einfluß der Bundesländer auf die Gemeinschaftsorgane als noch geringer dar. 49 Grundlegend zur Neugestaltung des Bund-Länder-Verhältnisses durch diese Norm P. Kunig, FS für den Carl Heymanns Verlag, S. 591 ff. (durchgehend). 50 Das Hauptmotiv des verfassungsändernden Gesetzgebers, mit der Einführung des neuen Art. 23 GG die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union auf eine eigenständige Grundlage zu stellen, war es jedoch, eine zweifelsfreie verfassungsrechtliche Grundlage für das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union zu schaffen, um dessen Inkrafttreten und den Beitritt Deutschlands zu diesem Vertrag sicherzustellen. Vgl. zu dieser Zielsetzung und der zentralen Frage, ob der mit dem Maastrichter Vertragswerk angestrebte Integrationsstand es noch erlaubt hätte, die Europäische Union und ihre Gemeinschaften unter den Begriff der "zwischenstaatlichen Einrichtungen" im Sinne des Art. 24 Abs. I GG zu subsumieren, K. Schmalenbach, Der neue Buropaartikel 23 des Grundgesetzes, S. 32ff., besonders S. 41 ff. (et passim). 51 So auch U. Kalbjleisch-Kottsieper, in: Dieter Freiburghaus (Hrsg.), Die Kantone in Europa, S. 145ff. (147); M. Herdegen, EuGRZ 1992, S. 589 und 593. 52 So P. Badura, FS für Peter Lerche, S. 369ff. (380f.); ders., FS für Konrad Redeker, S. 111 ff. (126 ff.); J. Schwarze, JZ 1993, S. 585 ff. (590); A. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 Abs. 1, Rz. 211; M. Brenner, DÖV 1992, S. 903ff. (904 f.); C. D. Classen, ZRP 1993, S. 57 ff. (58); U. Di Fabio, Der Staat 1993, S. 191 ff. (209).

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

225

Aus dieser Situation heraus und unter dem Eindruck der beschriebenen extensiven Auslegung und Anwendung der vertraglichen Ermächtigungsnormen durch die Gemeinschaftsorgane, die zu schweren Eingriffen in ihre durch die Unitarisierung des Bundesstaates53 ohnehin schon stark geschmälerten Kompetenzen geführt haben, strebten die Bundesländer nach einer primärrechtlich verankerten Begrenzung gemeinschaftlicher Rechtsetzung. Diese Bemühungen konkretisierten sich in der Forderung nach Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in die Gemeinschaftsverträge. In der Tatsache, daß mithin auch die deutschen Länder an die Tradition dieses Grundsatzes als eines politischen Kampfbegriffs anknüpfen, könnte der Grund dafür liegen, daß in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema eine auf die limitierende Funktion des Subsidiaritätsgedankens verengte Betrachtung vorherrscht, die die anderen für dieses Prinzip charakteristischen und typusbildenden Merkmale zumeist übersieht oder bewußt ignoriert. Diese Konzentration auf die Begrenzungswirkung bot zudem die Grundlage, über die nach wie vor bestehenden Meinungsverschiedenheiten von Bund und Ländern hinweg zu einer gemeinsamen Haltung gegenüber der Europäischen Union zu gelangen. Dies erklärt auch, weshalb Deutschland insgesamt und nicht lediglich die Bundesländer stets für eine Ausgestaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes im Sinne eines "Erforderlichkeits-"54 oder "Notwendigkeitsprinzips"55 eingetreten ist, wonach der Gemeinschaft erst dann eine Regelungskompetenz zustehen soll, wenn das in Aussicht genommene Ziel auf der Ebene der Mitgliedstaaten oder ihrer Untergliederungen "nicht ausreichend" geregelt werden kann und zudem eine Gemeinschaftsmaßnahme aus zwingenden Sachgründen "erforderlich" oder "notwendig" erscheint.

Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. III. und IV. Vgl. den von der deutschen Verhandlungsdelegation am 7. Januar 1991 eingebrachten Vorschlag zur Fassung des neuen Art. 5 Abs. 2 EGV: "[ ... ] Sie ([die Gemeinschaft] der Verf.) wird nur insofern tätig, wie die Maßnahmen aufgrund ihrer Tragweite oder ihrer Auswirkungen die Grenzen eines Mitgliedstaates überschreitende Lösungen eifordem und wenn und soweit der verfolgte Zweck durch Maßnahmen auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten allein nicht ausreichend verwirklicht werden kann". (Hervorhebung durch den Verf.). Zitiert nach G. Konow, DÖV 1993, s. 405 ff. (406). 55 V gl. etwa den Formulierungsvorschlag der Arbeitsgruppe der Staats- und Senatskanzleien der Länder zu dem Thema "Europa der Regionen [... ]" vom 22. Mai 1990, der folgendermaßen lautete: "Die Gemeinschaft übt die ihr nach diesem Vertrag zustehenden Befugnisse nur aus, wenn und soweit das Handeln der Gemeinschaft notwendig ist, um die in diesem Vetrag genannten Ziele wirksam zu erreichen und hierzu Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten bzw. Länder, Regionen und Autonomen Gemeinschaften nicht ausreichen". (Hervorhebung durch den Verf.). Text abgedr. bei J. Bauer (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 41 ff. 53 54

15 Moersch

226

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Diese Überlegungen zeigen, daß das Eintreten der Länder für die Verankerung des Subsidiaritätsgrundsatzes als ein grundlegendes Prinzip der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union als Bestandteil einer umfassenden Strategie zur Wahrung der bundesstaatliehen Strukturen Deutschlands und der politischen und rechtlichen Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der deutschen Länder auf nationaler und europäischer Ebene betrachtet werden muß. Vor dem Hintergrund dieser Bemühungen wird verständlich, weshalb trotz der grundlegenden Unterschiede zwischen Föderalismus und Subsidiarität56 in der europarechtlichen und -politischen Diskussion beide Prinzipien häufig als synonym oder substituierbar angesehen werden. Denn in das Spannungsverhältnis zwischen nationaler Identität und supranationaler Integration gestellt, wird das Subsidiaritätsprinzip häufig in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Organisationsgrundsatz des Föderalismus gebracht57 und als Signum und Conditio eines föderalen Europas angesehen 58 . Über den "Umweg" des Föderalismus wird dann auch Althusius zum "Vordenker des Subsidiaritätsprinzips"59 , wobei die Übertragung seiner Gedanken auf die Verfahrensweisen und das institutionelle Gefüge der Europäischen Union zumeist willkürlich60 und wenig überzeugend ist61 • b) Subsidiarität als Kompromißformel Auf der Grundlage eines Subsidiaritätsverständnisses, das dieses Prinzip in erster Linie als ein Instrument zur Begrenzung gemeinschaftlicher Aktivitäten und zur Sicherung nationaler Kompetenzen begreift, ergeben sich schließlich auch Gemeinsamkeiten zu jener reservierten Haltung, die GroßVgl. dazu oben 2. Kapitel C, besonders V. Grundsätzlich zum Verhältnis beider Prinzipien vgl. oben 2. Kapitel B. 1., II. und C. V. 58 Vgl. dazu etwa die Titel der Arbeiten von S. Magiera, in: Heinrich Schneider/ Wolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union- Europas Zukunft, S. 71 ff.; C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union; F.-L. Knemeyer, DVBI. 1990, S. 449ff.; in der Tendenz ebenso P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, NVwZ 1992, s. 720ff. 59 Vgl. T. 0. Hüglin, Althusius - Vordenker des Subsidiaritätsprinzips, in: Alois Riklin/Gerard Batlinger (Hrsg.), Subsidiarität - Ein interdisziplinäres Symposium S. 99ff. (sowie 107). 60 Vgl. dazu T. 0. Hüglin, ibd. S. 101 f. 61 Zu Recht warnt daher auch 0 . Höffe, in: Alois Riklin/Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität - Ein interdisziplinäres Symposium, S. 19 ff. (38), vor einer Überschätzung der Bedeutung der Lehren des Althusius für die historische Begründung des Subsidiaritätsprinzips; gegen eine Vermengung der unterschiedlichen Prinzipien von "Föderalismus, Regionalismus, Dezentalisierung, Deregulierung und Privatisierung oder Bürgemähe" auch P.-C. Müller-Graff, ZHR 1995, S. 34ff. (64). 56 57

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

227

britannien gegenüber dem europäischen Intergrationsprozeß traditionell einnimmt62. Denn einerseits ist nach überkommener63 britischer Staatsdoktrin die uneingeschränkte Parlamentssouveränität, nach der das britische Unterhaus über jeden beliebigen Gegenstand - einschließlich gerichtlicher Verfahren - entscheiden kann, mit dem gemeinschaftlichen Integrationsprozeß und der damit verbundenen .,Übertragung" staatlicher Hoheitsrechte auf die Gemeinschaften grundsätzlich unvereinbar64 . Andererseits läßt sich auch das von deutscher und österreichischer Seite favorisierte und propagierte Konzept eines föderal strukturierten Europas mit der britischen Vorstellung von Föderalismus nicht in Einklang bringen. Ausgehend von den in den "Federalist Papers"65 angestellten Erwägungen, wie durch eine föderale Verfassung eine Sezession der Gliedstaaten und damit ein Auseinanderfallen des Bundes verhindert werden könne, erscheint in Großbritannien der Begriff "Föderalismus" im Zusammenhang mit der Europäischen Union und den Europäischen Gemeinschaften als Synonym für "Zentralismus und [der] Willkürherrschaft einer demokratisch unverantwortlichen Eurokratie"66. Das britische Verständnis von Souveränität und Föderalismus67 und das Bemühen der deutschen Länder, ihre Eigenständig- und Eigenstaatlichkeil auch unter den Bedingungen des europäischen Integrationsprozesses zu bewahren, laufen somit in dem Bestreben zusammen, das Subsidiaritätsprinzip als wirksames Instrument gegen eine ausufernde Kompetenzanmaßung und -ausübung durch die Europäische Gemeinschaft fruchtbar zu machen. Insofern überrascht es auch nicht, daß der Subsidiaritätsbegriff letztlich auf Drängen Deutschlands und Großbritanniens in den EG-Vertrag aufgenommen wurde68 . Allerdings zeigt gerade die Tatsache, daß es unter Berufung auf den Gedanken der Subsidiarität möglich erscheint, so gegensätzliche 62 Vgl. grundsätzlich zur Haltung Großbritanniens zur Frage des europäischen Integrationsprozesses die knappe und prägnante Positionsbeschreibung von M. Jachtenfuchs, EA 1992, S. 279 ff. (279); J. Parry, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, S. 77 ff. (durchgehend). 63 Vgl. zur historischen Perspektive des britischen Staats- und Souveränitätsverständnisses K. Kluxen, Geschichte Englands, S. 112 ff. et passim; H. Schauer, Europäische Identität, S. 99 ff. 64 Vgl. H. G. Petersmann, Die Souveränität des britischen Parlaments in den Europäischen Gemeinschaften, S. 229ff.; H. Schauer, ibd., S. 113; K.-D. Schwarz, Englands Probleme, S. 27 ff. 65 Einen knappen Überblick über die Entstehungsgeschichte und die Hintergründe liefern L. Kramer/J. Weiler, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union- Europas Zukunft?, S. 145 ff. (durchgehend). 66 M. Jachtenfuchs, EA 1992, S. 279 ff. (280); K. -D. Schwarz, Englands Probleme, S. 29ff. 67 An dem britischen Föderalismusverständnis ist letztlich auch die ursprünglich geplante Aufnahme einer föderalen Zielsetzung in die Präambel des EU-Vertrages (vgl. dazu W. Hummer, ZfRV 1992, S. 88) gescheitert. So auch F. Laursenl S. Vanhoonacker, The Intergovernmental Conference on Political Union, S. 187ff.

15*

228

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

und letztlich unvereinbare Positionen wie die deutsche und die britische Haltung zum europäischen Integrationsprozeß auf einen Nenner zu bringen, welche Probleme es bereitet, diesem abstrakten Prinzip einen klar faßbaren Inhalt zu geben. c) Erwartungen und Befürchtungen gegenüber dem Subsidiaritätsprinzip Ebenso wie sich die Anstrengungen der deutschen Länder zur Sicherung ihres politischen und rechtlichen Einflusses nicht auf die Forderung nach Bindung der Europäischen Gemeinschaft an den Subsidiaritätsgrundsatz beschränken, so reduzieren sich die an dieses Prinzip geknüpften Erwartungen keineswegs auf seine tendenziell kompetenzbegrenzende Wirkung. Als "Architekturprinzip" Europas69 , "Schlüsselwort"70, "Magna Charta" für Europa71 , "magisches Wort"72 oder gar als "magisches Zauberwort", "Kampfbegriff'73 und "eschatologisches Erlösungsprinzip gegen die Übermacht des Leviathan der Brüsseler Eurokratie"74 bezeichnet, wird im Subsidiaritätsprinzip ein Mittel gegen "Überreglementierung", "Zentralisierung" und für eine "bürgernahe"75 und "transparente" Entscheidungsstruktur gese68

Vgl. dazu F. Laursen!S. Vanhoonacker, ibd., S. 37ff.; J. Cloos/G. Reineschi

D. Vignes/J. Weyland, Le traite de Maastricht, S. 141 ff.; B. Schima, Das Subsidiari-

tätsprinzip im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 5 I ff. ; C. Calliess, Subsidiaritätsund Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 50; G. Konow, DÖV 1993, S. 405ff. (406); H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 17ff.; S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 222ff.; P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (49); J. Gaster, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip im Gemeinschaftsrecht, S. 19 ff. (22). Ähnlich H. Timmemumn, in: ders. (Hrsg.), Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 41 ff. (47 ff.). W. Hilz, Subsidiaritätsprinzip und EU-Gemeinschaftsordnung, S. 103 ff.; ders., in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22, 1999, s. 28 ff. (29 f.). 69 So die Formulierung des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 20./21. Dezember 1990, abgedr. bei J. Bauer (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 118. 70 So P. M. Schmidhuber, DVBI. 1993, S. 417ff. (417); M. Jachtenfuchs, EA 1992, S. 279 ff. (279), spricht von einem "Schlüssel begriff für die weitere Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft"; ebenso G.-8. Oschatz, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 41 ff. (42). 71 So F.-L. Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen- Europa der Kommunen, S. 37 ff. (38). 72 So V. Constantinesco, integration 1990, S. 165ff. (165). 73 So S. Magiera, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union - Europas Zukunft?, S. 71 ff. (71 ). 74 So A. Weber, JZ 1993, S. 325 ff. (328). 75 Als "Hit" für Bürgernähe bezeichnet E. Vetter, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 35 ff. (35), den Subsidiaritätsgrundsatz.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

229

hen 76, mit dem zugleich dem diagnostizierten Akzeptanzverluse7 der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Politik entgegengewirkt werden soll. Häufig wird dem Subsidiaritätsgrundsatz die Rolle eines "Gegenprinzips" oder Korrektivs zum Integrationsprozeß zugeschrieben78 , das die "nationale Identität'' der Mitgliedstaaten und die sich aus dieser ergebenden "Vielfalt Europas" bewahren helfen soll. Indes stößt die Aufnahme des Subsidiaritätsgedankens in den EG-Vertrag als grundlegendes Strukturprinzip79 des Gemeinschaftsrechts auch auf Kritik, die in ihrer sprachlichen Dramatik den euphorischen Beschreibungen positiver Erwartungen· nicht nachsteht. So wähnt Pescatore in der Einführung des Subsidiaritätsgrundsatzes die "drohende Balkanisierung der Europäischen Gemeinschaft"80 ; andere sehen gar den Binnenmarkt im "Schatten des Subsidiaritätsprinzips"81 oder letzteres gar selbst im "Zwielicht"82 . Neben diesen kritischen Stimmen, die wiederum Ausdruck eines bestimmten Integrationsverständisses sind83 , finden sich auch Versuche, dem Grundsatz der Subsidiarität einen anderen Inhalt als den oben beschriebenen zu geben. Insbesondere in den frühen Vorschlägen und Bezugnahmen der 76 V gl. zu der mit dem Subsidiaritätsprinzip verbundenen Erwartung ,.bürgemäherer" und ,.transparenter" Entscheidungsprozesse C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 26. 77 Vgl. dazu das ,.Memorandum der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zum Subsidiaritätsprinzip", abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 130 ff. Von einem eingetretenen Vertrauensverlust der Bürger in die europäischen Institutionen und ihre Politik ging offensichtlich auch der Europäische Rat in Edinburgh aus, wenn in den "Schlußfolgerungen des Vorsitzes" darauf hingewiesen wird, daß die gefaßten Beschlüsse - unter anderem auch zum Subsidiaritätsprinzip - den "Weg für die Wiederherstellung des Vertrauens der Bürger in das europäische Aufbauwerk" ebnen sollen (Hervorhebung durch den Verf.). Text abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 136ff. Vgl. auch G. Konow, DÖV 1993, S. 405ff. (411f.). 78 So mißt U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. (1236), dem Subsidiaritätsprinzip eine "integrationshemmende Tendenz" zu. Zu dem Integrationsverständnis, das dieser Einschätzung des Subsidiaritätsprinzips zugrunde liegt vgl. näher unten 3. Kapitel C. II. bis VI. 79 Als solches bezeichnen es S. U. Pieper, DVBI. 1993, S. 705 ff. (705) und H. Lecheler, "Das Subsidiaritätsprinzip - Strukturprinzip einer europäischen Union". 80 P. Pescatore, FS für Ulrich Everling, Bd. II, S. 1071 ff. (1071). Im Gegensatz dazu sieht N. Bemard, CMLR 1996, S. 633 ff. (665), im Subsidiaritätsprinzip die einzige Alternative zu einem sich innerhalb der Europäischen Union zersplittemden Europa, wenn er ausführt: "The alternative [... ] would not only Iead to the fragmentation of the Community legal order but also generate an intricate web of interwined legal structures which would further distance the Community from its citizens". 81 J. Jickeli, JZ 1995, S. 57 ff. (62). 82 So W. Möschel, WiSt 1995, S. 232 ff. (232). 83 Näher dazu unten 3. Kapitel C. II. bis VI.

230

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Kommission 84 und des Europäischen Parlaments 85 wurde der Grundsatz als reines .,Effizienzprinzip" begriffen, dem schon Genüge getan sein sollte, wenn ein einfacher Vergleich ergebe, daß ein Gemeinschaftshandeln mit Blick auf das angestrebte Ziel "bessere" Ergebnisse verspreche86, als Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten, letztlich also von einem Tätigwerden der Gemeinschaft, ein sog. Mehrwert87 zu erwarten sei. Noch weiter geht die Einschätzung der spanischen Regierung, die in ihrem Memorandum vom 30. Oktober 1992 davon ausgeht, daß das Subsidiaritätsprinzip die Gemeinschaftsbefugnisse nicht nur nicht einschränke, sondern "im Gegenteil in vielen Fällen ein Tätigwerden auf Gemeinschaftsebene" erfordere88 . Die schließlich auf deutschen Druck hin entstandene Fassung des Art. 5 Abs. 2 EGV stellt einen Kompromiß dar89 , bei dem das "Effizienz-" und das "Erforderlichkeitsprinzip" zu kumulativen90 Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Gemeinschaft verbunden wurden. An dieser sich aus dem Wortlaut der Vorschrift eindeutig ergebenden .,gestuften Kumulation"91 der tatbestandliehen Voraussetzungen mitgliedstaatlicher Unzulänglichkeit einerseits und höherer Effektivität durch Gemeinschaftshandeln andererseits ändert sich auch dadurch nichts, daß angeblich ursprünglich Gleichrangigkeil zwischen beiden Voraussetzungen erstrebt worden ist und lediglich durch den Wegfall eines Kommas die geltende Stufenlösung entstand92. Die Eigenständigkeil beider Tatbestandsvoraussetzungen ist nunmehr ausdrücklich in dem auf der Regierungskonferenz von Amsterdam verabschiedeten "Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsi84 Die Erwähnung des Subsidiaritätsprinzip findet sich bereits in dem Kommissionsbericht zur Europäischen Union von 1975, Bulletin EG, Beilage 511975, S. II. 85 Vgl. etwa den "Verfassungsentwurf des Europäischen Parlaments für eine Europäische Union" (sog. Spinelli-Entwurf zur Weiterentwicklung des EWG-Vertrages). Text in: EA 1984, S. 209 ff. 86 So heißt es etwa in Art. 12 des "Verfassungsentwurfs des Europäischen Parlaments für eine Europäische Union", daß die Union nur tätig werden soll, "um die Aufgaben zu verwirklichen, die gemeinsam wirkungsvoller wahrgenommen werden können als von einzelnen Mitgliedstaaten allein". 87 Zum Begriff P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (723). 88 Zitiert nach G.-B. Oschatz, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 41 ff. (44). 89 So auch K. Stern, in: Jürgen F. Baur/Christian Watrin (Hrsg.), Recht und Wirtschaft in der Europäischen Union, S. 16ff. (33); H.-1. Blanke, DVBI. 1993, S. 819 ff. (827); W. Möschel, WiSt 1995, S. 232 ff. (233). 90 Diesen Aspekt betonen vor allem D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (81 ff.); P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (723). 9 ' Zum Begriff D. Merten, ibd. 92 So C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 108 mit FN 531.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

231

diarität und der Verhältnismäßigkeit"93 festgehalten, in dem die Vertragsparteien Grundsätze und Leitlinien für die Handhabung beider Prinzipien durch die Gemeinschaftsorgane vereinbart haben. So heißt es in Ziffer 5 des Protokolls: "Maßnahmen der Gemeinschaft sind nur gerechtfertigt, wenn beide Bedingungen des Subsidiaritätsprinzips erfüllt sind: die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen können nicht ausreichend durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verfassungsordnung erreicht werden; sie können daher besser durch Maßnahmen der Gemeinschaft erreicht werden".

Mit Inkrafttreten des "Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft" am 1. November 199394 war der Streit um die vertragliche Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips entschieden. Die Diskussion verlagerte sich fortan auf das Problem, wie dieser Grundsatz konkretisiert und effektiv angewandt werden könne, sowie die Frage, was unter dem Begriff der "ausschließlichen Zuständigkeit" der Gemeinschaft in Art. 5 Abs. 2 EGV zu verstehen sei, und vor allem, welche Materien hierunter zu fassen seien. Da der Begriff der "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit" jedoch weder in den Gemeinschaftsverträgen verwandt wird noch sonst als ein eindeutig definierter Terminus des Gemeinschaftsrechts angesehen werden kann, es sich also letztlich um einen neu eingeführten unbestimmten Rechtsbegriff des Gemeinschaftsrechts handelt, bietet dieser Ausdruck Raum für weitere Auseinandersetzungen95 . Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV soll das Subsidiaritätsprinzip nur auf jene Materien angewandt werden, die nicht in die "ausschließliche Zuständigkeit" der Europäischen Gemeinschaft fallen. Daher treten die Kritiker dieses Grundsatzes für ein weites Begriffsverständnis der "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten" ein, während seine Befürworter den Kreis jener Regelungsmaterien, die dem Zugriff der nationalen Gesetzgeber vollständig entzogen sind, möglichst eng ziehen möchten 96 . Neben einer Reihe von Einzelaspekten, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann, bildet die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit und der Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips einen weiteren Schwerpunkt in der europarechtlichen Diskussion97 . Text in: K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. Siehe dazu die Bekanntmachung vom 19. Oktober 1993, BGBI. II S. 1947. 95 Einen Überblick zu den verschiedenen Positionen und ihren Begründungen liefert C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 70ff.; ders., EuZW 1995, S. 693ff. (695); grundlegend auch U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. 96 Näher zur Problematik der "ausschließlichen Zuständigkeit" der Gemeinschaft unten 3. Kapitel D. I. 97 Vgl. dazu unten 3. Kapitel D. II. 93 94

232

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

2. Zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips vor dem Maastrichter Vertragswerk

In verschiedenen Varianten wird die These vertreten, der Grundsatz der Subsidiarität sei bereits vor seiner ausdrücklichen Aufnahme in den Art. 5 Abs. 2 EGV auf der Regierungskonferenz in Maastricht Bestandteil des geltenden Primärrechts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gewesen. Eine Auseinandersetzung mit dieser Behauptung erscheint aus folgenden Gründen angezeigt: Läßt sich diese These bestätigen, so kommt der Kodifizierung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 Abs. 2 EGV lediglich deklaratorische Bedeutung zu. Dies führte zu der Frage, weshalb dieser Grundsatz in kodifizierter Form mehr leisten soll als als ungeschriebenes Prinzip. Darüber hinaus handelt es sich bei der "Geltungsthese" um den Versuch, das Subsidiaritätsprinzip als ungeschriebenen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts nachzuweisen. Im Ausgangspunkt liegt somit das gleiche Problem und der gleiche induktive Lösungsansatz wie bei der deutschen staatswissenschaftliehen Diskussion um den Nachweis der Subsidiaritätsidee im Grundgesetz vor. Das legt die Vermutung nahe, daß auch die Argumentationsmuster strukturell gleich sind oder sich ihre Verschiedenheit allein aus den Unterschieden zwischen staatlichem Verfassungsrecht und europäischem Vertragsrecht ergibt. a) Hauptargumente und Begründungen

Die These, das Subsidiaritätsprinzip sei ein integraler Bestandteil des Gemeinschaftsrechts und habe schon mit dem Inkrafttreten der Gründungsverträge oder spätestens mit der Einführung des Art. 130 r Abs. 4 EEA am 28. Februar 198698 der Politik der Gemeinschaftsorgane zugrunde gelegen, wird im wesentlichen mit den folgenden Argumenten begründet, die lediglich im Detail einige Varianten aufweisen aa) Das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung99 Vornehmlich von einigen Gemeinschaftsorganen 100, aber auch in der Literatur 101 wird behauptet, das Subsidiaritätsprinzip sei mit dem Grundsatz begrenzter Einzelermächtigung bereits umgesetzt. 98 Text in: BGBI. II S. 1102; in Kraft getreten am I. Januar 1987, EG ABI. 1987 Nr. L 169/29. Geändert bzw. aufgehoben durch Art. 130 r des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 7. Februar 1992, BGBI. II S. 1253, in Kraft getreten am I. November 1992, Bekanntmachung vom 19. Oktober 1993, BGBI. II S. 1947.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

233

Nach diesem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz bestimmen sich die Kompetenzen internationaler Organisationen. Er besagt, daß eine internationale Organisation grundsätzlich nur über jene Zuständigkeiten und Befugnisse verfügt, die ihr von den Staaten, die sie gegründet haben, eingeräumt wurden 102 . Dieses allgemeine Prinzip gilt auch für die Kompetenzzuweisung an die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union 103 . Daher kommt Art. 5 Abs. I EGV, der diesen Grundsatz noch einmal ausdrücklich nennt 104, lediglich deklaratorische Bedeutung zu. Nach dem Prinzip begrenzter Einzelermächtigung sind die Gemeinschaften mithin nur dann und in dem Umfang zum Handeln befugt, wie sich in den Gründungsverträgen eine ausdrückliche oder zumindest im Wege der Auslegung nachweisbare Ermächtigungsgrundlage dazu findet 105 . Weder die drei Gemeinschaften noch die Europäische Union besitzen daher eine der 99 Anmerkung: Der Begriff "begrenzte Einzelermächtigung" ist mißverständlich, da er den Eindruck erweckt, als handele es sich um eine Ermächtigung im Einzelfall, die ihrerseits nochmals eingeschränkt oder "begrenzt" sei. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist die Wendung so zu verstehen, daß es sich um eine auf den jeweiligen Einzelfall begrenzte Ermächtigung handelt. Genau genommen handelt es sich um eine Tautologie oder einen Pleonasmus. Dennoch wird auch im folgenden an dem Terminus festgehalten, da er sowohl im Völkerrecht als auch im Recht der Europäischen Gemeinschaften allgemein gebräuchlich ist. 100 So der Zwischenbericht des Interinstitutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments über den Grundsatz der Subsidiarität vom 4. Juli 1990, abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 99 ff.; Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament betr. Das Subsidiaritätsprinzip, abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112ff.; W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (416), sieht einen -allerdings nicht näher dargelegten - "unauflösbaren Zusammeqhang" des Subsidiaritätsgedankens mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. 101 Vgl. etwa S. U. Pieper, DVBI. 1993, S. 705 ff. (708), der aus der "Allzuständigkeit der Staaten" sogar unmittelbar das Subsidiaritätsprinzip als Grundlage für die Gemeinschaftskompetenzen folgert. 102 Im Völkerrecht wird dies zumeist unter dem Begriff der "Völkerrechtssubjektivität" oder der "völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit" internationaler Organisationen behandelt. In der Sache besteht jedoch Einigkeit. Vgl. dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 415; 0. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 162; /. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rz. 0106; /. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 810ff.; K. lpsen, Völkerrecht, S. 71 ff. 103 Allgemeine Meinung. Vgl. statt aller H. P. Jpsen; Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 49 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rz. 70; T. Oppermann, Europarecht, Rz. 513 ff. 104 C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 90, sieht offenbar Art. 7 Abs. I Satz 2 EGV (a. F.) als Normierung des Prinzips begrenzter Einzelermächtigung an. Dies ist jedoch unzutreffend, da die Bestimmung eindeutig nur die Kompetenzabgrenzung zwischen den Organen, nicht jedoch das Verhältnis der Gemeinschaft insgesamt zu den Mitgliedstaaten betrifft.

234

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

"Kompetenz-Kompetenz" souveräner Staaten vergleichbare Allzuständigkeit106. Der Versuch, dieses Strukturmerkmal der Gemeinschaftsrechtsordnung als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips zu deuten, gründet sich vor allem darauf, an der bisher geübten Rechtsetzungs- und Rechtsanwendungspraxis ohne entscheidende Änderungen festhalten zu können. Indes läßt sich der behauptete Zusammenhang zwischen beiden Grundsätzen nicht nachweisen. Das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung stellt sich als logische Konsequenz der Lehre von der unbeschränkten Souveränität der Staaten dar 107 . Danach sind grundsätzlich allein die Staaten Träger aller Hoheitsgewalt Folgerichtig können die von den Staaten gegründeten und allein von ihrem Willen abhängenden völkerrechtlichen Organisationen nur über jene Hoheitsrechte verfügen, die ihnen von den Gründern "übertragen'" 08 wurden. Damit beschreibt der Grundsatz begrenzter Einzelermächtigung Ursprung und Umfang von Gemeinschaftskompetenzen, während das Subsidiaritätsprinzip Handlungsmaxime für die Zuordnung und die Ausübung von Aufgaben und Befugnissen ist 109. Daraus folgt zum einen, daß der Grundsatz der Subsidiarität über den Bereich der Aufgabenzuweisung auch noch den der Kompetenzausübung erfaßt und somit weiter reicht als das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung. Zum anderen ist letzterer Grundsatz - ebenso wie der des Föderalismus - deskriptiver Natur, indem er lediglich die Gemeinschaftskompetenzen in Abhängigkeit von der Souveränität der Mitgliedstaaten bezeichnet, wohingegen das Subsidiaritätsprinzip normativen Anspruch erhebt. Während der Subsidiarität als einer im Rationalismus wurzelnden Maxime der Kompetenzabgrenzung die Funktion eines materiell wirkenden Maßstabs zukommt 110, stellt das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung ein rechtstechnisches Verfahren zur Kompetenzübertragung dar. Doch vermögen diese Unterschiede für sich allein den fehlenden Zusammenhang beider Prinzipien noch nicht überzeugend zu erklären. Denn bezüglich der von beiden Grundsätzen erfaßten Kompetenzzuweisung wäre es mit Blick auf die Aufgaben der Europäischen Gemeinschaften und der 105 Vgl. H.-P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung, S. 20f.; T. Oppermann, Europarecht, Rz. 513 ff. 106 H. P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 194. 107 Vgl. dazu A. Verdross/8. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 31 ff. 108 Näher zu den hinter dem mißverständlichen und unscharfen Begriff der "Übertragung von Hoheitsrechten" liegenden Rechtshandlungen unten 3. Kapitel B. II. 2. a) dd). 109 So zutreffend auch C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 33. 110 Die materielle Wirkung des Subsidiaritätsprinzips steht dabei nicht im Gegensatz zu dem an sich formalen Charakter des Grundsatzes selbst, wie oben in I. Kapitel C. II., beschrieben wurde.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

235

Europäischen Union theoretisch nicht ausgeschlossen, daß sich die Mitgliedstaaten bei der Übertragung dieser Hoheitsrechte ausschließlich von Subsidiaritätserwägungen hätten leiten lassen, diesen Grundsatz also zum alleinigen oder entscheidenden Maßstab für Art und Umfang der den Europäischen Gemeinschaften eingeräumten Befugnisse gemacht hätten 111 • Dies läßt sich jedoch für den Gesamtbestand der übertragenen Aufgaben und besonders für die Gemeinschaftsrechtsentwicklung bis zur Einheitlichen Europäischen Akte nicht durchgängig nachweisen. bb) Das Einstimmigkeitserfordernis Bisweilen wird das in den Gemeinschaftsverträgen für eine Reihe vor allem grundlegender Entscheidungen aufgestellte Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat als Ausdruck und Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips angesehen 112 . Grundlage dieser These ist die Überlegung, daß in den Fällen, in denen die Gemeinschaftsverträge für den Erlaß von sekundärem Gemeinschaftsrecht oder für die Änderung der bestehenden Verträge einstimmige Ratsentscheidungen verlangen, jedem einzelnen Mitgliedstaat ein Vetorecht bezüglich der Übertragung weiterer Kompetenzen auf die Gemeinschaftsorgane oder der Rechtsetzung der Gemeinschaft zukommt. Folglich wird mit dem Erfordernis der Einstimmigkeit die denkbar höchste verfahrensrechtliche Anforderung an die Ausweitung und Anwendung der Gemeinschaftszuständigkeiten gestellt. Aus Sicht der Mitgliedstaaten und ihrer Untergliederungen bietet das Einstimmigkeitsprinzip somit einen wirksamen Schutz gegen Kompetenzverluste. Dennoch läßt sich dieser Verfahrensgrundsatz nicht als Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips deuten. Gegen diese These spricht zunächst die seit dem Maastrichter Vertragswerk zu beobachtende Entwicklung des Gemeinschaftsrechts. Diese ist durch die gegenläufigen Tendenzen, der Effektuierung und verstärkten Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips 113 und seiner Anwendung einerseits sowie der zunehmenden Abkehr vom Einstimmigkeitserfordernis zugunsten von Mehrheitsentscheidungen im Rat 114 anderer111 Dies verkennt C. Calliess, Subsidiarität und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, ibd., wenn er bereits aus den unterschiedlichen Grundaussagen von Subsidiaritätsgrundsatz und Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung einen allgemein fehlenden Zusammenhang beider Prinzipien ableiten will. 112 T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (30). 113 Vgl. hierzu die in dem "Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit" des Vertrages von Amsterdam aufgestellten Leitlinien zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Text in: K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. 114 Das Bemühen um den Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip zu Mehrheitsbeschlüssen ist seit dem sog. Luxemburger Kompromiß vom Januar 1966 (vgl. dazu

236

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

seits gekennzeichnet. Daran wird deutlich, daß zumindest die Mitgliedstaaten als "die Herren der Verträge" offensichtlich keine Verbindung zwischen dem Grundsatz einstimmiger Ratsentscheidungen und dem Subsidiaritätsprinzip sehen. Doch auch die innere Struktur beider Grundsätze läßt keinen Zusammenhang zwischen ihnen erkennen. Zwar erfaßt das Einstimmigkeitsprinzip im Gegensatz zum Grundsatz begrenzter Einzelermächtigung auch die Ebene der Kompetenzausübung. Hieraus kann jedoch nicht auf eine größere Affinität dieses Abstimmungsmodus zum Subsidiaritätsgrundsatz geschlossen werden. Als Verfahrensmodalität ist das Erfordernis der Einstimmigkeit zweckfrei und inhaltsleer 115 . Das bedeutet, daß aus dem Vorliegen einer einstimmigen Entscheidung des Rates, einem Rechtsetzungsakt der Gemeinschaften oder einer Ausweitung ihrer Kompetenzen zuzustimmen, keineswegs der Schluß gezogen werden kann, die Mitgliedstaaten seien übereinstimmend der Auffassung gewesen, "die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen" könnten "auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden" und seien "daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene" zu regeln. Ebensowenig kann aus dem Umstand, daß ein Mitgliedstaat einer Einstimmigkeit verlangenden Entscheidung seine Zustimmung versagt und dadurch deren Zustandekommen verhindert, gefolgert werden, die ablehnende Haltung beruhe in jedem Falle auf Subsidiaritätserwägungen. Aus dem Abstimmungsverhalten eines Mitgliedstaates lassen sich keine zwingenden Rückschlüsse auf seine Motive und Absichten ziehen. Bereits diese Überlegungen zeigen, daß zwischen dem Einstimmigkeitserfordernis und dem Subsidiaritätsprinzip jedenfalls dann kein Zusammenhang besteht, wenn man in letzterem - entsprechend seiner Ausrichtung am Effektivitätsgebot - mehr sieht als ein bloßes Instrument zur Verhinderung von Kompetenzverlagerungen auf die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union.

unten 3. Kapitel C. 1.) immer wieder ein wesentliches Anliegen der Reformen der Gemeinschaftsverträge gewesen. Mittlerweile sind die Mehrheitsentscheidungen der RegelfalL Vgl. dazu R. Streinz, Europarecht, Rz. 262. Auch im Vertrag von Amsterdam sind die Materien, über die mit qualifizierter Mehrheit im Rat entschieden wird, ausgedehnt worden. Vgl. zu dieser Frage D. Nickel, integration 1997, S. 219ff. (224). 115 Das schließt nicht aus, daß dieser Abstimmungsgrundsatz zur Erreichung bestimmter Zwecke instrumentalisiert werden kann. Zwar ist auch das Subsidiaritätsprinzip inhaltlich ungebunden und somit "formal" (vgl. dazu oben 1. Kapitel C. Il.). Es bedarf aber gerade deshalb - wie oben dargelegt - der materialen Anreicherung durch das Effektivitätsgebot, was bei dem Abstimmungsmodus der Einstimmigkeit nicht der Fall ist.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

237

cc) Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung Auch das Prinzip gegenseitiger Anerkennung soll nach Auffassung einiger Autoren Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips sein 116• Im Rahmen der Europäischen Union besagt dieser Grundsatz, daß Dienstleistungen, Waren und Kapital, die in einem Mitgliedstaat der Union nach dem dort geltenden Recht hergestellt, erwirtschaftet oder erworben wurden, ohne Diskriminierungen und Einschränkungen auch in jeden anderen Mitgliedstaat transferiert und dort angeboten, veräußert oder angelegt werden können, ohne den Regelungen des Empfängerstaates entsprechen zu müssen. Unter Zugrundelegung dieses Inhalts greift die Bezeichnung "gegenseitige Anerkennung" zu kurz. Da der entscheidende Anknüpfungspunkt dieses Prinzips letztlich die Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten sind, sollte man besser von Herkunfts- oder Ursprungslandprinzip, ergänzt um den Grundsatz gegenseitiger Anerkennung sprechen 117 • Vom Europäischen Gerichtshof in der "Cassis de Dijon"-Entscheidung entwickelt 118 , gewinnt dieses Prinzip vornehmlich im Bereich des Binnenmarktes Bedeutung 119 . Ein Bezug dieses Grundsatzes zum Subsidiaritätsgedanken ergibt sich erst, wenn man sich die Alternative zu diesem Ansatz vergegenwärtigt. Diese besteht vor dem Hintergrund des angestrebten Ziels, einen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen, in welchem sich Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital frei bewegen können, in der völligen Harmonisierung der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen. Diese "Totalharmonisierung" 120 bedeutet letztlich, einheitliches und für alle Mitgliedstaaten verbindliches Gemeinschaftsrecht zu setzen und an die Stelle der nationalen Vorschriften treten zu lassen 121 • Unter diesen Voraussetzungen kommt dem Herkunftsland- und Anerken116 So P. M. Schmidhuber/G. Hitzler, EuZW 1993, S. 8 ff. (9); S. Langer, ZG 1993, S. 193ff. (195ff.); K. Scheiter, EuZW 1990, S. 217ff. (218); C.-D. Eh/ermann, integration 1995, S. II ff., H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 122ff. 117 So zutreffend M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9 ff. (9). 118 EuGH Slg. 1979, S. 649 ff. (662), "In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und Vermarktung [... } ist es Sache der Mitgliedstaaten, alle die Herstellung und Vermarktung [... ] betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen. Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen [... ] ergeben, müssen hingenommen werden [... ]". Vgl. insgesamt zur Ausprägung des Herkunftsland- und Anerkennungsprinzips in der Rechtsprechung des EuGH und der Politik der Kommission, C. Calliess, Subsidiarität- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 43 ff. 119 Vgl. C.-D. Ehlermann, integration 1995, S. II ff.; S. Langer, ZG 1993, S. 193 ff. ( 193); P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, EuZW 1993, S. 8 ff. (8). 120 Zum Begriff vgl. P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, ibd., S. 9; M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (10). 121 Auf diese Alternative weist ausdrücklich M. Brunner, ibd., S. 9, hin.

238

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

nungsprinzip die gleiche Wirkung zu wie einem als Instrument zur Begrenzung gemeinschaftlicher Rechtsetzung verstandenen Grundsatz der Subsidiarität. Beide verhindern eine uniforme, nationale Eigenheiten nivellierende und negierende Gemeinschaftsrechtsetzung und wahren so mitgliedstaatliche Individualität und Identität. Doch darf in Anbetracht der Tatsache, daß beide Prinzipien unter den genannten Bedingungen auf die Herbeiführung der gleichen Wirkung gerichtet sind, nicht verkannt werden, daß es sich um strukturell und inhaltlich ganz unterschiedliche Ansätze handelt. So ist der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung im Gegensatz zu dem der Subsidiarität weder Relationsgröße noch Kompetenzverteilungsmaxime. Vielmehr beruhen Ursprungsland- und Anerkennungsprinzip gerade auf der Nichtübertragung und Nichtverteilung von Kompetenzen. Das Verfahren wechselseitiger Anerkennung setzt auch keineswegs das Bestehen gemeinsamer Institutionen und Verfahrensweisen voraus. Zu seiner Umsetzung reicht grundsätzlich der Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages aus, in dem die Vertragspartner Reichweite und Gegenstände der von ihnen gegenseitig anzuerkennenden Rechtsakte und -regeln festlegen. Diese Überlegungen zeigen, daß sich ein Zusammenhang zwischen den Prinzipien der Subsidiarität und der gegenseitigen Anerkennung ausschließlich im Hinblick auf die mit beiden Grundsätzen verbundene tendentielle Begrenzungswirkung herstellen läßt. Dies gilt jedoch auch wiederum nur unter den Voraussetzungen des Binnenmarktziels und unter Zugrundelegung eines auf die Limitierungsfunktion dieses Prinzips beschränkten Subsidiaritätsverständnisses. dd) Einzelne Vertragsbestimmungen 122 In verschiedenen Varianten findet sich die These, das Subsidiaritätsprinzip habe in einzelnen Vertragsbestimmungen positiv-rechtlichen Ausdruck gefunden. Die von den Vertretern dieser Ansicht aufgeführten Normenketten weisen zum Teil einige Unterschiede auf123, die Argumentationsmuster sind indes gleich. Die zumeist apodiktisch vorgetragene Behauptung, in den Art. 5, 6 und 67 EWGV schlage sich das Subsidiaritätsprinzip nieder 124, 122 Anmerkung: Soweit in diesem Abschnitt Vorschriften des EG-Vertrages genannt werden, handelt es sich um Normen des EWG-Vertrages in der Fassung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) vom 28. Februar 1986, BGBI. II S. 1104, in Kraft getreten am I. Juli 1987, BGBI. li S. 451. 123 Vgl. etwa die Aufzählungen von W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (416); C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus, S. 69ff.; M. Heintzen, JZ 1991, S. 317ff. (319); U. Everling, FS für Karl Doehring, S. 179ff. (et passim); H. P. Kraußer, Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung, S. 137; N. Wimmer/W. Mederer, ÖJZ 1991, S. 586ff. (586); H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 21. 124 So ausdrücklich W. Kahl, ibd.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

239

erscheint kaum nachvollziehbar. Diese Bestimmungen normieren lediglich Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu einem bestimmten gemeinsamen Vorgehen. Die Vorschriften enthalten auch keinerlei Kompetenzzuweisungen an die Gemeinschaft und ihre Organe 125 , so daß weder ein funktionaler noch ein thematischer Bezug zum Regelungsbereich des Subsidiaritätsprinzips besteht. Dies gilt auch für die Art. 105 und 145 EWGV, zu denen Art. 6 EWGV "in enger Verbindung" stehen soll 126. Aus dem gleichen Grunde können auch Regelungen, die ein gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten beschreiben, mithin also ausschließlich materielle Verbotsnormen darstellen, wie etwa Art. 85 EWGV nicht als "subsidiaritätsverdächtig" angesehen werden 127 • Auch die Art. 100 und 235 EWGV werden bisweilen als Ausdruck subsidiärer Strukturen gedeutet 128 . Der subsidiäre Charakter von Art. 100 EWGV soll dabei aus der Funktion dieser Norm folgen, lediglich Rechtsgrundlage für Interventionsmaßnahmen der Gemeinschaft zur Behebung von Mängeln des Gemeinsamen Marktes zu sein. Die Vorschrift ermögliche es der Gemeinschaft jedoch nicht, sich an die Stelle der Mitgliedstaaten zu setzen. Mithin erfordere die Anwendung der "Eingriffsbestimmung" des Art. 94 EGV gerade die Existenz entgegenstehenden oder das Fehlen nationalen Rechts 129 . Diese den Charakter und die Funktion der Norm zutreffend wiedergebende Beschreibung liefert jedoch keine Begründung für den behaupteten Zusammenhang zwischen Art. 94 EGV und dem Gedanken der Subsidiarität. Allein der Umstand, daß die Eingriffsbefugnis des Art. 94 EGV an die bestehenden nationalen Rechtsordnungen anknüpft, macht diese Vorschrift noch nicht zu einer Kompetenzverteilungsnorm. Ausgehend von der ihrerseits unbegründeten Annahme, bereits die "bestehenden Kompetenzen der Gemeinschaft" seien "im Verhältnis zu denen der Mitgliedstaaten subsidiär", sieht Constantinesco Art. 308 EGV als Ausdruck einer gestuften Subsidiarität an 130, da die Gemeinschaft auf diese befugnisbegründende Norm erst dann zurückgreifen dürfe, wenn sich die zur Erfüllung einer vertraglichen Aufgabe für erforderlich gehaltene Ermächtigungsgrundlage nicht aus dem geltenden Gemeinschaftsrecht 125 Hierauf verweist zutreffenderweise auch C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus, S. 70f. 126 So C. Stewing, ibd. 127 So jedoch W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414 ff. (416). 128 So etwa W. Kahl, ibd.; M. Heintzen, JZ 1991, S. 317ff. (319); S. V. Pieper, Subsidiarität, S. 200; V. Constantinesco, integration 1990, S. 165 ff. (169); J. Koch, NWVBI. 1997, S. 205ff. (205). 129 V. Constantinesco, ibd., S. V. Pieper, ibd. 130 V. Constantinesco, ibd., S. 169, "[ . . .] ermöglicht Art. 235 EGV Uetzt (Art. 308) d. Verf.] sozusagen Subsidiarität in der Subsidiarität: [. .. ]".

240

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

ergebe. Gegen diese Ansicht spricht zunächst, daß schon die Prämisse in dogmatischer Hinsicht fragwürdig erscheint. Die Europäischen Gemeinschaften erhalten ihre Kompetenzen durch die "Übertragung" entsprechender Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten im Wege der begrenzten Einzelermächtigung. Dabei handelt es sich bei diesem Vorgang rechtsdogmatisch gesehen nicht um eine Zession oder sonstige endgültige Aufgabe 131 der hoheitlichen Befugnisse 132, sondern lediglich um einen Verzicht auf die Ausübung dieser Rechte 133 . Zu diesem Verzicht tritt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das von den Gemeinschaftsorganen im Rahmen der ihnen eingeräumten Legeferierungskompetenz 134 gesetzte Recht als verbindlich zu beachten 135 und zu vollziehen 136, wobei normhierarchisch betrachtet dem Gemeinschaftsrecht nach allgemeiner Ansicht der Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht jeder Stufe gebührt 137 . Zwar erhalten demnach die Europäischen Gemeinschaften als "abgeleitete" oder "gekorene" Rechtssubjekte 138 ihre Kompetenzen von den Mitgliedstaaten, aber dies bedeutet lediglich, daß die Aufgaben und Befugnisse der Gemeinschaftsorgane in ihrem Bestand, Inhalt und Umfang vom Willen der Mitgliedstaaten abhängen. Die "Übertragung" einer Kompetenz auf die Gemeinschaften führt jedoch nicht zu einer "hierarchischen Abwertung" des jeweiligen Hoheitsrechts in dem Sinne, daß die entsprechende Befugnis als Gemein131 Zu dieser Wirkung eines echten völkerrechtlichen Verzichts vgl. A. Verdross/ B. Simma, Universelles Völkerrecht, Rz. 668. 132 Insoweit ist der Begriff "Übertragung" mißverständlich, woran auch seine verfassungsrechtliche Verwendung in den Art. 23 Abs. I Satz 2 und 24 Abs. 1 und 1 a GG nichts zu ändern vermag. 133 Hierauf weisen zu Recht I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rz. 0106, hin. 134 Die höchst umstrittene Frage, ob die "Übertragung" bestimmter Kompetenzen auf die Europäischen Gemeinschaften auch zur Beachtung von Gemeinschaftsrechtsakten verpflichtet, die über den eingeräumten Kompetenzrahmen hinausgehen, sog. Ulta-Vires-Akte, ist für das hier zu betrachtende Problem unerheblich und bedarf daher keiner Erörterung. 135 Ähnlich H. P. lpsen, HStR VII, § 181, Rz. 7, der "Übertragung" als "Verzicht auf ausschließlich staatliche Hoheitsentfaltung und Hinnahme solcher der Gemeinschaften" deutet. 136 Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Gemeinschaftsrechtsvollzug ist in den Gemeinschaftsverträgen nicht ausdrücklich normiert. Sie ergibt sich vertraglich lediglich aus Art. 5 EGV. So auch R. Streinz, HStR VII, § 182, Rz. 10. 137 Zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vgl. H. P. lpsen, HStR VII, § 181, Rz. 58; R. Streinz, ibd., Rz. 7; A. Bleckmann, Europarecht, Rz. 1074ff.; B. Beutler, in: B/B/P/S, S. 94ff.; H.-W. Arndt, Europarecht, S. 61 f.; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rz. 851 ff.; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, S. 45, 60ff.; ausführlicher zu dieser Problematik P. Fischer/H. F. Köck, Europarecht, S. 108ff., 338ff. (et passim); F. Emmert, Europarecht, § 13, Rz. I ff. und § 14, Rz. I ff. 138 Zum Begriff A. Verdross/ 8 . Simma, Universelles Völkerrecht,§ 415.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

241

Schaftskompetenz .,rangniedriger" als die mitgliedstaatliche wäre. Darüber hinaus bleibt - ungeachtet der Frage, wie man den Vorrang des Gemeinschaftsrechts im einzelnen auch begründet 139 - methodisch wie rechtsdogmatisch unklar, wie das auf der Grundlage einer der nationalen Rechtsetzungskompetenz gegenüber "nachrangigen" (subsidiären) Gemeinschaftsbefugnis erlassene Sekundärrecht seinerseits Vorrang vor entsprechenden innerstaatlichen Vorschriften erlangen soll. Zudem liegt der These einer sich in Art. 308 EGV ausdrückenden gestuften Subsidiarität ein Verständnis dieses Gedankens als schlichtes Nachrangigkeitsprinzip zugrunde 140, was mit Blick auf die tatbestandliehe Fassung dieses Grundsatzes in Art. 5 Abs. 2 EGV zu kurz greift. Neben dem wenig überzeugenden Argument gestufter Subsidiarität findet sich im Schrifttum auch die Behauptung, der subsidiäre Charakter des Art. 308 EGV folge aus dem Tatbestandsmerkmal .,erforderlich" 141 . Zwar kommt dieser Voraussetzung limitierende Funktion zu, weil die "Abrundungsklausel"142 von den Gemeinschaftsorganen nur in Anspruch genommen werden kann" [... ] um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes" ein Gemeinschaftsziel zu verwirklichen. Damit setzt aber Art. 308 EGV tatbestandlieh das Vorhandensein eines entsprechenden Ziels voraus und ermächtigt -lediglich zu einer punktuellen Ausdehnung der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsbefugnisse. Die Norm berechtigt ihrem Wortlaut nach mithin nicht zur Formulierung neuer Gemeinschaftskompetenzen 143 . Es handelt sich daher genau genommen nicht um eine die Aufgaben- oder Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten regelnde Bestimmung. Berücksichtigt man Wortlaut und ratio legis des Art. 308 EGV so schlägt sich in dieser Norm die aus dem Polizeirecht bekannte Unterscheidung von Aufgabe und Befugnis nieder 144 • Entscheidend ist jedoch, daß die Kriterien, mit denen im Einzelfall bisher die "Erforderlichkeit" eines Tätigwerdens der Gemeinschaft im Rahmen des Art. 308 EGV begründet worden ist, keineswegs die gleichen zu sein brauchen, wie sie nunmehr Art. 5 Abs. 2 EGV für ein Gemeinschaftshandeln aufstellt. Ähn139 Vgl. zu den verschiedenen Begründungsansätzen T. Oppermann, Europarecht, Rz. 616ff. 140 Im Ergebnis ebenso C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 34, der insoweit Art. 308 EGV als "Ausfluß der vertragsimmanenten Normenkollisionsregeln" ansieht. 141 So B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 60ff.; diesem folgend C. Calliess, ibd., der diese Argumentation jedenfalls für "möglich" hält. 142 Zum BegriffT. Oppermann, Europarecht, Rz. 513. 143 Zweifelnd V. Constantinesco, integration 1990, S. 165ff. (168); a.A. BVerfGE 89, 155 [196], wo das Gericht von Art. 235 EWGV (sie!) als einer "Kompetenzerweiterungsvorschrift" spricht. 144 Vgl. dazu statt aller J. lsensee, HStR III, § 57, Rz. 140ff. 16 Moersch

242

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

lieh wie im Falle der Bildungspolitik 145 hält die Kommission ein Gemeinschaftshandeln oft schon dann für "erforderlich", wenn sich zwischen der der Gemeinschaft obliegenden Aufgabe, einen Gemeinsamen Markt zu errichten, und der "erstrebten" Regelungsbefugnis ein nachvollziehbarer Kausalzusammenhang herstellen läßt 146. Gerade diese befugnis- und kompetenzerweiternde Interpretation der Gemeinschaftzuständigkeiten, die bisweilen weit über den Rahmen der Ermächtigungsgrundlagen des EG-Vertrages hinausgegangen ist, soll mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips als eines das Gemeinschaftshandeln insgesamt begrenzenden Grundsatzes eingeschränkt werden 147 . Vor diesem Hintergrund mutet es geradezu paradox an, Art. 308 EGV als Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens im Europäischen Gemeinschaftsrecht zu deuten. Es kann daher kaum verwundern, daß sich "diese Sichtweise [... ] in der bisherigen Praxis [... ] nicht durchgesetzt" hat 148. ee) Artikel 130 r Abs. 4 Satz l EWGV Mit der Einheitlichen Europäischen Akte erhielt die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft unter anderem auf dem Gebiet der Umweltpolitik neue Kompetenzen. Im Zuge dieser Zuständigkeitserweiterung wurde· der Art. 130 r Abs. 4 Satz 1 EWGV eingeführt, der im Schrifttum überwiegend als Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens und damit als "Vorläufemorm" zu Art. 5 EGV betrachtet wird, auch wenn diese These zahlreiche Varianten im Detail aufweist. Nach Scheuing handelt es sich bei Art. 130 Abs. 4 Satz 1 EWGV um eine "Besserklausel", die dann zum Tragen komme, wenn eine Umweltaufgabe "am wirksamsten" oder "wirkungsvoller" auf Gemeinschaftsebene wahrgenommen werden könne als auf der Ebene der Mitgliedstaaten149. Der von Zuleeg aus der "Subsidiaritätsklausel des Art. 130 r IV 145 Der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, daß die oben beschriebene Ausdehnung der gemeinschaftlichen Rechtsetzung auf die Bildungspolitik nicht auf Art. 308 EGV gestützt wurde, sondern auf der Grundlage einer äußerst extensiven Auslegung des Art. 128 EWGV erfolgte. Ungeachtet dessen liegt beiden Formen der Kompetenzausdehnung die gleiche Argumentationsweise zugrunde, mit der ihre Notwendigkeit begründet werden soll. Allein hierauf kommt es vorliegend an. 146 D. Grimm, Krit.V 1994, S. 6ff. (8), mißt daher Art. 308 EGV den Charakter einer "Allzuständigkeit" vermittelnden Norm bei. 147 So auch BVerfGE 89, 155 [209ff.]; ähnlich M. Rohe, RabelsZ 1997, S. l ff. (3): "Gesteht man dem Subsidiaritätsprinzip einen weiten Anwendungsbereich zu, so werden die Handlungsmöglichkeiten nach Art. 235 EGV [jetzt (Art. 308) d. Verf.] beschnitten". 148 So C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 34. 149 Vgl. statt aller D. H. Scheuing, EuR 1989, S. 152 (164f.); etwas mißverständlich I. Pemice, DV 1989, S. 1 ff. (34f.), der zunächst der Norm einen vom "Sub-

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

243

EWGV" entwickelte "Grundsatz des bestmöglichen Umweltschutzes" 150 ist dabei bestimmend für die weitere Diskussion geworden 151 • Gegen die Interpretation des Art. 130 r Abs. 4 EWGV als Subsidiaritätsklausel wendet sich Krämer mit dem Argument, die Norm erwähne das Subsidiaritätsprinzip nicht ausdrücklich und das Tatbestandsmerkmal "besser" stelle ein nicht quantifizierbares und einer präzisen juristischen Definition unzugängliches Werturteil dar 152 . Dem ist entgegenzuhalten, daß aus der nicht ausdrücklichen Erwähnung des Begriffs "Subsidiarität" nicht ohne weiteres gefolgert werden kann, daß die Vorschrift auch den Gedanken selbst nicht enthält. Wie bereits oben dargelegt, läßt sich der Grundsatz der Subsidiarität als Idee auch in den liberalen Staatszwecklehren des 19. Jahrhunderts nachweisen, ohne daß er von deren Vertretern so bezeichnet worden wäre. Auch die Tatsache, daß mit dem Merkmal "besser" ein unbestimmter Rechtsbegriff in Form einer Relationsgröße Eingang in einen Rechtstext gefunden hat, ist weder außergewöhnlich 153 , noch spricht dies dagegen, Art. 130 r Abs. 4 Satz 1 EWGV als Ausdruck einer der Gemeinschaft nur subsidiär zustehenden Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet der Umweltpolitik zu deuten. Die Interpretation der Vorschrift im Sinne einer die Gemeinschaftskompetenzen begrenzenden Subsidiaritätsklausel findet im übrigen eine Stütze in den Stellungnahmen des Bundesrates und der Bundesregierung, die im Vorfeld des Zustimmungsgesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte abgegeben wurden und in denen das Bemühen der deutschen Verfassungsorgane um die Wahrung des hohen nationalen Niveaus auf dem Gebiet des sidiaritätsprinzip inspirierten Aktualisierungsvorbehalt" attestiert, dann jedoch zu dem Ergebnis gelangt: "Art. 130 r Abs. 4 [... ] ist nicht Subsidiaritätsklausel, sondern Optimierungsklausel [... ]"; D. Grimm, Krit.V. 1994, S. 6ff. (8). 150 M. Zuleeg, NVwZ 1987, S. 280ff. (287). 151 E. Grabitz/C. Zocker, NVwZ 1989, S. 297 et passim, sprechen von einer "Aufgabenzuweisungsnorm", die auf dem "Grundsatz der geeigneten Aktionsebene" beruhe; deutlicher E. Grabitz, in: Bemhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, S. 139ff. (147), der die Vorschrift als "punktuelle Regelung des Subsidiaritätsprinzips" bezeichnet; ähnlich U. Beyerlin, UPR 1989, S. 361 ff. (363); V. Constantinesco, integration 1990, S. 165ff. (170); ders., Aussenwirtschaft 1991, S. 439ff. (450f.), unter Verweis auf Art. 12 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs des Europäischen Parlaments [Text in: EA 1983, D, S. 414ff.]; vgl. auch A. Vorwerk, Die umweltpolitischen Kompetenzen, S. 40ff.; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 35 ff. und 257 ff.; ders., Möglichkeiten und Grenzen, AöR 118 (1993), S. 414ff. (416, 421 et passim); R. Wägenbaur, in: Detlef Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 161 ff. (161); M. Seidel, DVBI. 1989, S. 44lff. (446), E. Stoiber, EA 1987, S. 543ff. (545 et passim). 152 L Krämer, in: G/T/E, (4. Auf!.), Art. 130 r, Rz. 59ff. 153 So stellt etwa das Merkmal der "Angemessenheit" in § 326 Abs. l BGB eine bloße Relation zwischen der zu setzenden Frist und der zu bewirkenden Leistung her, ohne nähere Kriterien für die Bemessung dieser Zeitspanne anzugeben. 16•

244

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Umweltschutzes zum Ausdruck kommt 154 . Darüber hinaus spricht auch die Tatsache, daß Art. 130 r Abs. 4 EWGV gleichzeitig mit der Einführung des Art. 5 Abs. 2 EGV aufgehoben wurde, für einen inhaltlichen Zusammenhang beider Normen. Auch wenn sich mithin Art. 130 r Abs. 4 Satz 1 EWGV als Subsidiaritätsklausel und insoweit als eine "Vorläuferregelung" zu Art. 5 Abs. 2 EGV betrachten läßt, weist jene Vorschrift gegenüber der geltenden Regelung zwei entscheidende Unterschiede auf. Zum einen war Art. 130 r Abs. 4 Satz 1 EWGV eine auf den mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 neu eingeführten Bereich der gemeinschaftlichen Umweltpolitik inhaltlich beschränkte Norm. Ihre spezifische Fassung wie die systematische Stellung lassen die Vorschrift als eine ausschließlich auf die Umweltpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft begrenzte Regelung erscheinen 155 , die einer Verallgemeinerung und damit einer Deutung als "allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts" 156 unzugänglich ist 157 • Zum anderen blieb jene umweltpolitische Subsidiaritätsklausel in ihrer tatbestandliehen Fassung hinter der des Art. 5 Abs. 2 EGV zurück, da sich der subsidiäre Charakter lediglich in der Formulierung "besser" niederschlug und ihr das Tatbestandsmerkmal unzureichender mitgliedstaatlicher Regelung als weiterer Voraussetzung für ein Gemeinschaftshandeln fehlte. Daher muß Art. 130 r ts4 Vgl. die Entschließung des Bundesrates zur Änderung der Römischen Verträge vom 21. Februar 1986, BR-Drs. 50/86, in der es unter A. 9. heißt: ,,Zur Umweltpolitik der Gemeinschaft geht der Bundesrat entsprechend den Erklärungen der Bundesregierung davon aus, daß Art. 130 r Abs. 4 nicht zu einer Übertragung einer umfassenden Kompetenz der EG auf dem Gebiet des Umweltschutzes führt, sondern dem Subsidiaritätsprinzip folgt". In der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 16. Mai 1986, BRDrs. 150/86 (Beschluß}, heißt es unter C. 9., "Es muß verhindert werden, daß bei der Hannonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, [...], der hohe Schutzstandard auf den Gebieten [... ] des Umweltschutzes [.. .] in der Bundesrepublik Deutschland auf ein insgesamt niedrigeres europäisches Niveau abgesenkt wird". In der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Mai 1986, BT-Drs. 10/6418, erklärt die Regierung: "Auch nach Auffassung der Bundesregierung dürfen die neuen Gemeinschaftskompetenzen in der [... ] Umweltpolitik nicht dazu benutzt werden, nationale Anstrengungen durch europäische Institutionen und Finanzierungsinstrumente zu verhindern. Sie tritt dafür ein, daß die neuen Kompetenzen nur zur Ergänzung und BündeJung der nationalen Initiativen eingesetzt werden". tss So auch H.-J. Blanke, ZG 1991, S. 133ff. (138), der der Norm "Einzigartigkeit" bescheinigt; P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (721). IS6 So jedoch ausdrücklich W. Kahl, AöR 118 (1993}, S. 414ff. (416). m Insoweit weist Art. 130 r Abs. 4 Satz 1 EWGV eine Parallele zur Normierung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 23 Abs. 1 GG auf, der - wie bereits oben ausgeführt - gleichfalls nur auf die Beziehungen Deutschlands zur Europäischen Union anwendbar ist und keine darüber hinausgehende Bedeutung im deutschen Verfassungsrecht besitzt.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

245

Abs. 4 EWGV statt als Subsidiaritätsklausel als "Erforderlichkeitsprinzip" bezeichnet werden. Gemeinsam ist beiden Gemeinschaftsrechtsnormen indes der Streit um ihre juristische Verbindlichkeit und Justitiabilität 158 . ff) Artikel 249 Abs. 3 EGV Nach verbreiteter Ansicht wird die Richtlinie als der signifikanteste Ausdruck des subsidiären Charakters gemeinschaftlicher Rechtsetzung angesehen159. Entsprechend der Regelung in Art. 249 Abs. 3 EGV ist eine Richtlinie "für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel". Damit stellt die Richtlinie ein Instrument zur Verteilung von Rechtsetzungsmacht zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft dar, wobei die Vorgabe des verbindlichen Ziels gleichermaßen das Privileg wie die Grenze der gemeinschaftlichen Kompetenz ausmacht, während den Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Determination Weg und Verfahren der Zielerreichung freigestellt bleiben. Läßt man die mittlerweile völlig veränderte Handhabung dieses Instruments durch die Kommission und den Europäischen Gerichtshof160 einmal außer Betracht, so kann die Richtlinie von ihrer Konzeption her durchaus als eine Kompetenzverteilungsregel 161 betrachtet werden, mit der die grundsätzlich bestehende Kompetenzkonkurrenz zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft bestehen bleiben kann und lediglich durch die Aufspaltung einer einheitlichen Rechtsetzungsmaterie in verschiedene Zuständigkeitsbereiche entschieden wird. Dabei folgt die Affinität des Subsidiaritätsprinzips zur Richtlinie unter anderem aus ihrer Ausrichtung auf ein Ziel und damit auf ein auch für die Anwendung des Subsidiaritätsgedankens konstitutiven Elements162. Indem die Richtlinie ein entscheidendes Merkmal dieses Grundsatzes enthält, weist sie eine strukturelle Parallelität zu ihm auf. Zwar 158 Vgl. L. Krämer, Aufgabenverflechtung, S. 199, der Art. 130 r Abs. 4 EWGV lediglich als politischer und rechtspolitischer Leitlinie Bedeutung für das Gemeinschaftshandeln beimißt und der Norm rechtliche Verbindlichkeit abspricht. A. A. dagegen E. Grabitz, in: Grabitz/Hilf, (Stand: September 1989), Art. 130 r, Rz. 72; zur Diskussion um die Rechtsverbindlichkeit und juristischen Überprüfbarkeil des Art. 5 Abs. 2 EGV vgl. unten 3. Kapitel D. li. 159 E. Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 189, Rz. 51 ff.; C. Calliess, Subsidiaritätsund Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 35; H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 431; W. Kahl, AöR 118 (1993). s. 414ff. (416). 160 Vgl. zur immer weiteren Annäherung der Richtlinie an die Verordnung statt aller T. Oppermann, Europarecht, Rz. 547ff. 16 1 Im Sinne der hier gewählten Terminologie handelt es sich um eine Strukturnorm, da die Richtlinie auf der Ebene der Zuständigkeitsverteilung wirkt. V gl. dazu oben 1. Kapitel C. VI. 1.

246

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

kommt der Zielorientierung bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips lediglich mittelbare Bedeutung zu 163 , indem Zielvorgaben als Maßstab zur theoretischen Bestimmung einer optimalen Aufgabenerfüllung dienen, um auf diese Weise Kriterien für die vorzunehmende Aufgabenzuweisung zu gewinnen. Entscheidend ist jedoch allein, daß die Ziel- oder Zwecksetzung der maßgebliche Bezugspunkt für die Richtliniengebung wie für die Kompetenzabgrenzung nach dem Subsidiaritätsgrundsatz darstellt. Eine Bestätigung dieser Erwägungen mag man darin sehen, daß sowohl die die Richtlinie definierende Vorschrift des Art. 249 Abs. 3 EGV als auch der das Subsidiaritätsprinzip für die Europäische Gemeinschaft be- und festschreibende Art. 5 Abs. 2 EGV ausdrücklich auf den Zielbegriff abstellen.

b) Zusammenfassende Würdigung Die Analyse der europarechtlichen Diskussion hat gezeigt, daß die These, der Grundsatz der Subsidiarität sei auch schon vor seiner ausdrücklichen Aufnahme in die Verträge zur Gründung der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft ein geltendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts gewesen, nicht haltbar ist. Mit Ausnahme des Rechtsetzungsinstruments "Richtlinie", die gemäß ihrer Definition in Art. 249 Abs. 3 EGV der Gemeinschaft lediglich erlaubt, verbindliche Zielvorgaben für die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten zu erlassen und die daher eine strukturelle Parallelität zum Subsidiaritätsgebot besitzt, vermögen die als Belege für diese These angeführten Bestimmungen und Prinzipien des Gemeinschaftsrechts nicht zu überzeugen. Auch die mit der Einheitlichen Europäischen Akte eingeführte Regelung des Art. 130 r Abs. 4 EWGV läßt sich zwar in gewisser Hinsicht als "Vorläufernorm" von Art. 5 Abs. 2 EGV bezeichnen. Dennoch unterscheidet sie sich sowohl in ihrer tatbestandliehen Fassung als auch durch ihre inhaltliche Beschränkung auf die Umweltpolitik deutlich von der geltenden Regelung. Der das Subsidiaritätsgebot als grundlegendes Prinzip der Europäischen Gemeinschaft normierende Art. 5 Abs. 2 EGV stellt mithin eine neuartige und konstitutive Bestimmung des Gemeinschaftsrechts dar und nicht lediglich die deklaratorische Kodifikation eines bereits früher geltenden allgemeinen ungeschriebenen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes 164•

162 Zur Dependenz des Subsidiaritätsgedankens von Zielvorgaben vgl. oben I. Kapitel C. V. 2. 163 Vgl. dazu oben 1. Kapitel C. V. 2. und VII. 164 Im Ergebnis zustimmend, C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 109; C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 47.

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

247

111. Fazit

Die Motive für die Einführung des Subsidiaritätsgrundsatzes in das Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß dieses Prinzip durch eine Begrenzung der Rechtsetzung auf Gemeinschaftsebene und eine Rückverlagerung bzw. ein Belassen von Entscheidungskompetenzen auf der Ebene der Mitgliedstaaten und ihrer Untergliederungen zum einen zu mehr "Bürgemähe" führen soll. Zum anderen versprechen sich die Befürworter dieses Prinzips von seiner konsequenten Anwendung eine Reduzierung von als "Überreglementierung" empfundenen detaillierten Normen und damit mehr "Transparenz" des Gemeinschaftsrechts. Größere "Bürgemähe" und höhere "Transparenz" sollen ihrerseits wiederum die "Akzeptanz" der Europäischen Gemeinschaften, ihrer Politik und Rechtsetzung bei den Unionsbürgern erhöhen. Daneben sehen einige Mitgliedstaaten und insbesondere die deutschen Länder im Subsidiaritätsprinzip ein Instrument zum Schutz eigener Kompetenzen vor Übertragung auf die Gemeinschaften und damit ein Mittel zur Wahrung nationaler und regionaler Identität. Demgegenüber betrachten die Gegner des Subsidiaritätsgedankens seine Implementierung im Gemeinschaftsrecht als eine Gefährdung des erreichten Integrationsstandes und ein Hindernis für die Weiterentwicklung der Europäischen Union wie des europäischen Einigungswerkes insgesamt. Eine Würdigung dieser Einschätzungen hat zunächst zu berücksichtigen, daß sich die Begriffe "Bürgemähe", "Überreglementierung", "Transparenz" und "Akzeptanz" mit Blick auf die Politik der Europäischen Union kaum klar definieren lassen und daher aus ihnen nur sehr schwer quantifizierbare Maßstäbe für die künftige Gemeinschaftspolitik gewonnen werden können. Im übrigen handelt es sich bei dem angenommenen Kausalzusammenhang von "Bürgemähe" und "Akzeptanz" um eine Behauptung und keineswegs um eine gesicherte Erkenntnis. Soweit an den Subsidiaritätsgrundsatz die Erwartung größerer Transparenz gemeinschaftlicher Maßnahmen geknüpft wird 165 , erscheinen zumindest mit Blick auf die inzwischen existierende "Dokumentensammlung" zu diesem Prinzip erhebliche Zweifel angebracht. Diese umfaßt mittlerweile neben der zentralen Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 EGV und dem Art. 2 EUV, der auf Art. 5 EGV verweist, das auf der Regierungskonferenz in Amsterdam beschlossene "Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit"166, in dessen Präambel wiederum auf die Schlußfolgerungen des EuroVgl. statt aller D. Grimm, KritV. 1994, S. 6ff. (6). Text abgedr. bei K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, 161 ff.

165

s.

166

248

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

päischen Rates von Birmingham vom 16. Oktober 167 und von Edinburgh vom 11./12. Dezember 1992 168 sowie die "Interinstitutionelle Vereinbarung" vom 28. Oktober 1993 169 verwiesen wird. Dieses Protokoll ist seinerseits durch eine ebenfalls in Amsterdam verabschiedete "Erklärung" 170 ergänzt worden, die wiederum auf die Art. 202 und 211 EGV (Art. 145 und 155 EGV) Bezug nimmt. Zudem liegt Begriffen wie "Bürgernähe" oder "Transparenz" vornehmlich ein individuelles und damit subjektives Verständnis zugrunde 171 , was ihre Objektivierung und Handhabbarkeit zusätzlich erschwert. Ungeachtet dieser definitorischen Schwierigkeiten erweist sich die Schlußfolgerung, die Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik am Subsidiaritätsgrundsatz führe durch mehr "Bürgernähe" letztlich zu einer höheren "Akzeptanz" der Europäischen Union, als fragwürdig. Berücksichtigt man, daß sich das Subsidiaritätsgebot des Gemeinschaftsrechts auf die Rechtsetzung und -anwendung bezieht, so erscheint es zweifelhaft, ob allein schon die Beachtung dieses Grundsatzes zu einer gesteigerten Akzeptanz des gesetzten Rechts selbst beizutragen vermag. Insoweit dürften der Inhalt und die Auswirkungen einer rechtlichen Regelung mindestens den gleichen, wenn nicht gar erheblich größeren Einfluß auf ihre "Akzeptanz" bei den Betroffenen haben als ihre Urheberschaft. So wird man davon ausgehen können, daß etwa die "Akzeptanz" eines Steuergesetzes in erster Linie von der Höhe der zu zahlenden Abgaben abhängen wird und weniger von der Frage, ob es sich um eine europarechtliche Verordnung, ein Bundes- oder Landesgesetz oder um eine kommunale Satzung handelt. Auch der Gesichtspunkt, welcher Gebietskörperschaft die Erträge aus dieser Steuer zustehen, dürfte für ihre "Akzeptanz" von eher untergeordneter Bedeutung sein. Diese Überlegungen machen deutlich, daß sich die Erwartung, die mit dem Subsidiaritätsprinzip erstrebte Verlagerung von Rechtsetzungsmacht auf die "bürgernäheren" Ebenen der Mitgliedstaaten und ihrer Untergliederungen führe zu einer größeren Akzeptanz der erlassenen Rechtsakte, auf ein überzogenes Subsidiaritätsverständnis gründet. Denn unter der Voraussetzung, daß die Akzeptanz einer Rechtsnorm in erster Linie von ihrem Inhalt und ihren konkreten Wirkungen für die Rechtsunterworfenen Text in: Bull. BReg. Nr. 115 vom 23. Oktober 1992, S. 1058. Text in: EA 1993, D, S. 2 ff. 169 Text in: EG ABI. C 1993/331, S. I ff. 170 Text abgedr. bei K.-P. Nantz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, s. 201. 171 So interpretiert M. Zuleeg, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185 ff. (186), "Bürgemähe" als größere Einflußmöglichkeit der Bürger auf die zu treffenden Entscheidungen, was den Begriff eher in die Nähe zu der Forderung nach "mehr Demokratie" rückt. 167 168

B. Diskussion und Ausprägungen in der Rechtsordnung

249

abhängt, läßt sich mit einer Verlagerung der formalen Rechtsetzungskompetenz nur dann eine Akzeptanzsteigerung rechtlicher Regelungen herbeiführen, wenn damit zugleich auch eine Dispositionsbefugnis über den Norminhalt einhergeht. Eine solche inhaltliche Gestaltungsfreiheit ist mit dem Grundsatz der Subsidiarität jedoch keineswegs zwingend verbunden 172 . Bezogen auf das Verhältnis von Europäischer Union und Mitgliedstaaten bedeutet dies, daß eine gemäß Art. 5 Abs. 2 EGV auf nationaler oder auf Länderebene zu erlassende Vorschrift nicht unbedingt einen entscheidend anderen Inhalt haben muß, als eine Richtlinie oder Verordnung der Europäischen Gemeinschaft. Insgesamt hat die europarechtliche und -politische Diskussion gezeigt, daß die Aussagen zum Grundsatz der Subsidiarität stark von den persönlichen Einstellungen der Autoren geprägt sind und weniger das Ergebnis einer die Merkmale und Eigenschaften dieses Prinzips berücksichtigenden Analyse. Dies kommt gleichermaßen in den an die Einführung dieses gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes geknüpften Erwartungen und Befürchtungen wie auch in der zum Teil polemischen und bildhaften Sprache, in die diese Einschätzungen gekleidet sind, deutlich zum Ausdruck. Inhaltlich hängt dabei die Bewertung entscheidend von dem Integrationsverständnis der Verfasser ab. Während jene Autoren, die der Ansicht sind, das bisherige Konzept europäischer Integration könne ohne entscheidende Veränderungen trotz des erreichten Integrationsstandes und der Größe der Gemeinschaften auch künftig beibehalten werden, in dem Subsidiaritätsgebot eher ein hemmendes Element für die Weiterentwicklung der Europäischen Union sehen, vertreten die Befürworter dieses Grundsatzes die Ansicht, daß die rechtlichen und politischen Grundlagen des Integrationsprozesses tiefgreifender und nachhaltiger Modifikationen bedürfen. Bei aller Gegensätzlichkeit der Standpunkte, der Subjektivität der geäußerten Bewertungen und der häufig mangelnden begrifflichen und argumentatorischen Klarheit lassen sich aus der aufgezeigten Auseinandersetzung um den Subsidiaritätsgrundsatz zwei eindeutige Ergebnisse gewinnen. Erstens:

Es herrscht ganz überwiegend die Erwartung vor, daß dieses Prinzip grundlegende und tiefgreifende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft zeitigen wird.

Zweitens:

Es wird allgemein von einem unmittelbaren Zusammenhang von Subsidiarität und Integration ausgegangen.

172

Vgl. dazu oben 2. Kapitel A. III. 2.

250

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes I. Historische Ausgangslage

Um die Frage, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen der Grundsatz der Subsidiarität tatsächlich auf den europäischen Integrationsprozeß haben wird, beantworten zu können, muß man sich die theoretischen und vertraglichen Grundlagen des zugrunde liegenden Integrationskonzeptes vergegenwärtigen. Erst wenn die Prämissen, auf denen die bisherige Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften aufbaut, geklärt sind, lassen sich Aussagen darüber treffen, ob und unter welchen Voraussetzungen das in Art. 5 Abs. 2 EGV und in Art. 2 Abs. 2 EUV normierte Subsidiaritätsgebot mit dem gegenwärtigen Integrationsprozeß vereinbar ist. Die Entwicklung, die die europäische Einigung nach dem zweiten Weltkrieg genommen hat, muß vor dem Hintergrund der historischen Situation der Gründungsphase der europäischen Institutionen betrachtet werden 173 • Der Krieg hatte ganz Europa wirtschaftlich, politisch und militärisch völlig erschöpft. Ebenso wie die früheren Weltmächte Frankreich und Großbritannien durch den Verlust ihrer Kolonialreiche ihre Führungsrolle an die Vereinigten Staaten von Amerika verloren hatten, drohte der ganze Kontinent zum bloßen Objekt des Hegemoniestrebens der USA und der UdSSR zu werden 174 . Der sich verschärfende ideologische Gegensatz zwischen diesen beiden Mächten führte einerseits zu einer Spaltung Deutschlands und Europas und ließ andererseits die Gefahr eines neuen Krieges entstehen. In dieser Situation stellten sich den europäischen Staaten vornehmlich drei Aufgaben. Es galt den Frieden in Europa nachhaltig und dauerhaft zu sichern 175 , die Leistungsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften rasch und umfassend zu steigern 176 und dem drohenden Bedeutungsverlust Europas entgegenzuwirken 177 • In der Erkenntnis, daß diese Ziele nur durch eine möglichst umfassende Einigung der europäischen Staaten zu erreichen waren, was zunächst eine Überwindung der jahrhunderte alten Feindschaft 173 Einen Überblick über die verschiedenen historischen Konzeptionen zur Einigung Europas gibt H. P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 139ff. 174 Vgl. dazu H. J. Küsters, Stichwort: Europa, in: StL, Bd. 2, Sp. 422. m Auf diese Aufgabe weisen insbesondere M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rz. 23; H. J. Küsters, ibd., diesem folgend R. Streinz, Europarecht, Rz. 10, hin. 176 Vgl. dazu H. J. Hahn, Stichwort: Europäische Einigung, in: EvStL, Bd. 1., Sp. 758; M. Schweitzer/W. Hummer, ibd., Rz. 25. 177 H. J. Küsters, Stichwort: Europa, in: StL, Bd. 2., Sp. 419; R. Streinz, Europarecht, Rz. 10; T. Oppermann, Europarecht, Rz. 12; H. P. lpsen, HStR VII, § 181, Rz. 3.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

251

zwischen Deutschland und Frankreich voraussetzte, forderte Winston Churchill in einer Rede am 19. September 1946 in Zürich: "[... ] Wir müssen eine Art Vereinigter Staaten von Europa schaffen. [. . .] Der erste Schritt bei der Neubildung der europäischen Familie muß ein Zusammengehen zwischen Deutschland und Frankreich sein. [... ]" 178 • Diesen Appell aufgreifend, machte der französische Außenminister Robert Schuman am 5. Juni 1950 den Vorschlag, "[ ... ], die Gesamtheit der deutsch-französischen Kohlen- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde (Haute Autorite) zu stellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht" 179. Bei der daraufhin erfolgten Gründung der Montanunion stand das Ziel der Friedenssicherung im Vordergrund 180, während sieben Jahre später im Vertrag zur Gründung der Europäischen (Wirtschafts-)Gemeinschaft die wirtschaftliche Ausrichtung stärker betont wurde 181 . Trotz Übereinstimmung in der Bewertung der geopolitischen und wirtschaftlichen Lage Europas und der Einsicht der politischen Elite in die Notwendigkeit europäischer Einigung 182 wurde auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit kein umfassendes europäisches Integrationskonzept entwikkelt183. Seinen augenfälligsten Niederschlag findet dies in den verschiedenen Vertragsregimen, die mit unterschiedlichen Mitgliedern und Konzeptionen in Europa errichtet wurden. Der am 5. Mai 1949 gegründete Europarat184 ist dabei die nach Mitgliederzahl 185 und Zielsetzung 186 umfassendste europäische Organisation, dessen bedeutendstes Werk die Verabschiedung Text abgedr. in Keesings Archiv der Gegenwart, Bd. 1946/47, S. 872. Erklärung der französischen Regierung über eine gemeinsame deutsch-französische Schwerindustrie vom 9. Mai 1950, abgedr. in: EA 1950, S. 3091 f. 180 Vgl. dazu die Präambel des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951, BGBI. 1952 II S. 445, in der Fassung des Beitrittsvertrages vom 24. Juni 1994, BGBI. II S. 2022. 181 Vgl. die Präambel des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957, BGBI. II S. 753, 1678; in der Fassung des Beitrittsvertrages vom 24. Juni 1994, BGBI. II S. 2022; ebenso P.-C. Müller-Graf!, in: Manfred Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. I, A. 1., Rz. 90. 182 Vgl. dazu T. Oppermann, Europarecht, Rz. 14. 183 Im Ergebnis ebenso P. Kirchhof, HStR VII,§ 183, Rz. 5ff. 184 Satzung des Europarates vom 5. Mai 1949, BGBI. 1950 I S. 263, in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Dezember 1996, BGBI. 1997 II S. 159. 185 Nach dem Fundstellennachweis B des Bundesgesetzblattes Teil II vom 31. Dezember 1999 wies der Europarat zu diesem Zeitpunkt 40 Mitgliedstaaten auf. 186 In Art. I a) der Satzung des Europarates wird die Aufgabe dieser Organisation wie folgt definiert: "Der Europarat hat zur Aufgabe, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze und zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern". 178 179

252

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

der Europäischen Menschenrechtskonvention 187 ist. Durch die Mitgliedschaft der Türkei und Rußlands greift der Europarat indes ebenso über die geographischen Grenzen Europas hinaus wie der Nordatlantikvertrag (NAT0) 188 , der neben der Türkei auch die Vereinigten Staaten und Kanada zu seinen Mitgliedern zählt. Neben die NATO als einer militärischen Allianz im herkömmlichen Sinne tritt mit der "Westeuropäischen Union" seit 1948 189 ein rein europäisches Bündnis, das zudem in seiner Funktion über eine militärische Zusammenarbeit hinausgehen sollte, bisher jedoch in der politischen Praxis keine besondere Bedeutung erlangt hat. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet bestehen neben den drei Europäischen Gemeinschaften eine Reihe von Organisationen mit wirtschaftlichen Zielsetzungen, an denen europäische Staaten in unterschiedlichen Konstellationen beteiligt sind. Stellvertretend seien hier nur die 1960 gegründete "Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" (OECD) 190 und die "Europäische Freihandelsassoziation" (EFTA) 191 genannt. Bereits diese - keineswegs vollständige - Aufzählung zwischenstaatlicher Organisationen in Europa macht die Heterogenität des europäischen Einigungsprozesses deutlich. Die Zersplitterung in verschiedene sich nach Zielsetzung und Mitgliedern unterscheidenden und zum Teil überschneidenden sektoralen Teilintegrationsformen wird erst in jüngster Zeit und sehr fragmentarisch durch die vertragliche Verbindung einzelner Organisationen langsam überwunden. So wurde in Art. 17 des Vertrages von Amsterdam eine institutionelle Einbeziehung der Westeuropäischen Union in die Organisationsstrukturen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union vereinbart und damit zumindest die Voraussetzung für 187 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBI. 1952 II S. 685 und 953, in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls von 1993/94, BGBI. 1995 II S. 578, das am 1. November 1998 in Kraft getreten ist. 188 Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949, in der Fassung vom 17. Oktober 1951, BGBI. 1955 II S. 256 und 289, in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juli 1982, BGBI. 1982 li S. 749. 189 Der offizielle Titel des Gründungsdokuments lautet: "Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung" (Brüsseler Vertrag) in der Fassung der Protokolle vom 23. Oktober 1954, BGBI. 1955 II S. 256, in der Fassung des Gesetzes vom 27. Juni 1994, BGBI. II s. 782. 190 "Übereinkommen über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" vom 14. Dezember 1960, in der Fassung des Gesetzes vom 16. August 1961, BGBI. II S. 1150. 191 "Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation" vom 4. Januar 1960, ÖBGBI. S. 893, geändert durch Anpassungsprotokoll zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom I. Januar 1994, BGBI. II S. 515.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

253

eine spätere vollständige Überführung des europäischen Verteidigungsbündnisses in die Union geschaffen. Demgegenüber scheiterte ein Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Menschenrechtskonvention bisher zum einen an dem Fehlen einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage im Gemeinschaftsvertrag, wie der Europäische Gerichtshof in einem Gutachten ausdrücklich feststellte 192 , zum anderen daran, daß die EMRK gemäß Art. 59 bisher nur Staaten zum Beitritt offensteht 193 . Somit muß der Europäische Gerichtshof bei seiner Grundrechtsrechtsprechung weiterhin ohne kodifizierten Grundrechtskatalog auskommen 194• Der Gerichtshof muß daher weiterhin aus den binnenmarktorientierten Grundfreiheiten Grundrechtspositionen ableiten 195 • Auch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum 196, das seit dem I. Januar 1995 zwischen der Europäischen Gemeinschaft, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, deren Mitgliedstaaten und den EFfA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen gilt, schafft letztlich auch keine umfassende wirtschaftliche Verbindung, da die schweizer Bevölkerung in einer Volksabstimmung mehrheitlich den Beitritt ihres Landes zu dieser Assoziation abgelehnt hat. Doch auch wenn man die Betrachtung auf die drei Europäischen Gemeinschaften und ihre sechs Gründungsmitglieder beschränkt, stellt man fest, daß die Staaten Westeuropas trotz des von der bedrückenden Nachkriegssituation ausgehenden Einigungszwangs nicht bereit waren, sich auf ein gemeinsames Integrationsziel festzulegen. Die Ursache hierfür liegt weniger in dem Umstand begründet, daß das Fernziel eines "vereinten Europas" ein Offenhalten der Gemeinschaftsverträge für den späteren Beitritt weiterer Staaten erfordert hätte, als in den unterschiedlichen Vorstellungen über Intensität und Reichweite der europäischen Einigung sowie in der mangelnden Bereitschaft der Staaten, auf nationale Hoheitsrechte zugunsten supranationaler Einrichtungen zu verzichten 197 . So war das Bestreben des französischen Staatspräsidenten de Gaulies auf die Schaffung eines Europas gerichtet, in dem den einzelnen Staaten auf Dauer die letzte Entscheidungsmacht zukommen sollte 198 . In den Europäischen Gemeinschaften sollte mithin der Rat als das Organ, in dem Gutachten vom 28. März 1996, EuGH Slg. 1996-1, S. 1543 (Pt. 35). Text der EMRK in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls von 1993/94 in BGBI. 1995 II S. 578. 194 Vgl. zu dieser Problematik G. Hirsch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 79 ff. (86 und 93). l95 G. Hirsch, ibd., S. 89 f. 196 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992, BGBI. 1993 II S. 266, in der Fassung des Anpassungsprotokolls vom 1. Januar 1994, BGBI. II S. 515. 197 So auch H. J. Küsters, Stichwort: Europa, in: StL, Bd. 2, Sp. 420. 192

193

254

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

die Staaten vertreten waren, die Letztentscheidungskompetenz besitzen. In Verbindung mit einem möglichst für alle Fragen geltenden Einstimmigkeitserfordernis bei der Beschlußfassung sollte diese organisatorische Ausgestaltung der Gemeinschaften Frankreich eine Führungsrolle in Europa sichern, nachdem der weltpolitische Einfluß des Landes nach dem Krieg erheblich geschwunden war. Auf der Grundlage dieser Gemeinschaftsstruktur trat Frankreich konsequent für eine mit umfassenden Kompetenzen ausgestattete politische Union im Sinne eines Staatenbundes ein. Der hegemoniale Anspruch Frankreichs war zugleich der eigentliche Grund für die wiederholte Weigerung de Gaulles, Großbritannien den Zugang zum Gemeinsamen Markt zu ermöglichen 199. Denn gegenüber dem Vereinigten Königreich hätte sich der französische Führungsanspruch weitaus schwerer durchsetzen lassen als gegenüber den kleineren europäischen Staaten und einem geteilten und geschwächten Nachkriegsdeutschland. Auch wenn sich diese europapolitische Konzeption letztlich nicht umsetzen ließ, so hat Frankreich dennoch erheblichen Einfluß auf die Gestaltung der inneren Strukturen der Europäischen Gemeinschaften ausgeübt. Dies gilt zunächst für die bereits beschriebene starke Stellung des Rates gegenüber den anderen Gemeinschaftsorganen. Darüber hinaus weisen auch die beschränkten Befugnisse des Europäischen Parlaments Parallelen zur relativ schwachen Stellung auf, die den beiden Kammern des französischen Parlaments nach der Verfassung der V. Republik200 gegenüber der bipolaren Exekutive von Staatspräsident und Regierung zukommt. Ohne hier einen eingehenden Vergleich des französischen Staatsorganisationsrechts mit der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften vornehmen zu können, sei noch auf die Einrichtung des "Wirtschafts- und Sozialausschusses" (Art. 257 bis 262 EGV) verwiesen, der im "Wirtschafts- und Sozialrat" (Art. 69 bis 71 der französischen Verfassung) bis hin zu seiner beratenden Funktion und seiner Bezeichnung eine Entsprechung im französischen Verfassungsrecht findet. Auch wenn die Römischen Verträge zeitlich vor der geltenden französischen Verfassung abgeschlossen wurden, so spiegeln die beschriebenen strukturellen Parallelen zwischen diesen Dokumenten vor allem die staatsoranisatorischen und europapolitischen Vorstellungen de Gaulies wider201 , der auf die inhaltliche Gestaltung beider Rechtsgrundlagen starken Einfluß ausübte. 198 Auf einer Pressekonferenz am 5. September 1960 erklärte de Gaulle: "[ ... ] Welches sind die Realitäten Europas und die Eckpfeiler, auf denen man weiterbauen könnte? In Wirldichkeit sind es die Staaten. [... ] Es ist eine Schimäre, zu glauben, man könnte etwas Wirksames schaffen und daß die Völker etwas billigen, was außerhalb oder über dem Staat stehen würde. [.. .]".Text in: EA 1960, D, S. 305. 199 So auch T. Oppermann, Europarecht, Rz. 26 ff. 200 Verfassung der Republik Frankreich vom 4. Oktober 1958, in der Fassung der Änderung vom 22. Februar 1996.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

255

Großbritannien sah sich demgegenüber trotz des von Winston Churchill ausgehenden Appells, die Einigung Europas voranzutreiben, nach Kriegsende eher in der Rolle des Beobachters202 und nicht als Beteiligter dieses Prozesses. Darin drückte sich das überkommene Verständnis britischer Außenpolitik aus, als Inselreich das Geschehen auf dem "Kontinent" aus dem Gefühl einer "splendid isolation"203 heraus zu betrachten. Diese Haltung wurde grundsätzlich nur dann zugunsten eines politischen oder militärischen Engagements auf dem europäischen Festland aufgegeben, wenn es galt, durch die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der "balance of power" 204 die Sicherheit oder die Interessen Großbritanniens zu wahren. Berücksichtigt man diese jahrhunderte alte Doktrin britischer Außenpolitik, so wird auch verständlich, warum sich für Churchill kein Widerspruch zwischen seiner Aufforderung, einen europäischen Einigungsprozeß in Gang zu setzen, und der mangelnden Bereitschaft seines Landes, hieran mitzuwirken, ergab. Erst nach Inkrafttreten der Römischen Verträge, als entgegen der britischen Erwartung die Errichtung des Gemeinsamen Marktes rasch voranschritt und bereits gegen Ende der fünfziger Jahre auch wirtschaftliche Erfolge erkennen ließ, wollte auch Großbritannien an der europäischen Entwicklung beteiligt werden. Dabei beschränkte sich jedoch der Wunsch nach Partizipation auf einen Zugang zu dem entstehenden Gemeinsamen Markt205 . Bis heute gilt das Interesse des Vereinigten Königreichs mehr den wirtschaftlichen Optionen, die die Europäischen Gemeinschaften bieten, als der Einbeziehung in die politischen Strukturen der Europäischen Union. Die Gründe hierfür liegen dabei gleichermaßen in dem Souveränitätsverständnis wie in der traditionellen Doktrin britischer Außen- und Europapolitik. Bereits dieser knappe Überblick über die Grundpositionen von zwei der größten und bedeutendsten Mitgliedstaaten der Europäischen Union läßt erkennen, wie schwierig sich die Suche nach einem gemeinsamen Integrationskonzept im Vorfeld und in den ersten Jahren nach der Gründung der drei Gemeinschaften darstellte. Ungeachtet dessen werden nach wie vor 201 Zu den staatspolitischen Vorstellungen und dem Einfluß de Gaulies auf die Organisationsstruktur der geltenden französischen Verfassung vgl. G. Ziebura, Die V. Republik, S. 33 ff. 202 T. Oppermann, Europarecht, Rz. 13, spricht zutreffend von der Rolle eines "wohlwollenden Freundes" die Churchill Großbritannien bei der europäischen Einigung ursprünglich zudachte. 203 Zum Begriff vgl. den Bericht des deutschen Botschafters in London vom 18. Januar 1901 an das Auswärtige Amt. Text in: Politik des Deutschen Reiches, Bd. 2, S. 217f. 204 Vgl. zu Begriff und Bedeutung dieses Elements britischer Außenpolitik Meyers Taschenlexikon Geschichte, Bd. 2, S. 275. 205 Ebenso T. Oppermann, Europarechr, Rz. 28.

256

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

zwei Integrationsmodelle diskutiert, die beide im Ergebnis auf die Errichtung eines gemeinsamen europäischen Staatswesens gerichtet sind. Der "föderalistische"206 Ansatz sucht dieses Ziel durch die "Schaffung einer europäischen politischen Autorität mit klar umschriebenen Zielen und bestimmten Vollmachten [... ]"207 , letztlich also durch die Gründung eines europäischen Bundesstaates mit eigener Verfassung, zu erreichen. Demgegenüber zielt das sog. funktionalistische Modell 208 darauf ab, im Wege fortschreitender sektoraler Teilintegration schließlich zu einer politischen Einigung zu gelangen209 . Dabei liegt diesem Konzept die Annahme zugrunde, daß bereits erreichte Integrationserfolge eine Eigendynamik in Gang setzen, die automatisch zu weiteren Integrationsschritten auf anderen Politikfeldern führten. Dieses Verfahren wird allgemein als "spill-overEffekt" bezeichnet210• Der verbreiteten Auffassung, die Entwicklung der europäischen Einigung sei in der Praxis entsprechend dem funktionalistischen Konzept verlaufen, kann jedoch nur bedingt zugestimmt werden. Zwar weist der seit Abschluß der Römischen Verträge zu verzeichnende Zuwachs an Gemeinschaftsmitgliedern und -kompetenzen eine beträchtliche Dynamik auf. Doch hat es wiederholt auch Krisen und Phasen der Stagnation gegeben, in denen die europäische Einigung auf Initiativen und politische Impulse von außen angewiesen war, so daß von einer "Eigendynamik" im Sinne eines sich selbst tragenden europäischen Integrationsprozesses wenn überhaupt, dann nur eingeschränkt gesprochen werden kann. Erinnert sei etwa an die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und den übrigen Mitgliedstaaten, als de Gaulies in den sechziger Jahren versuchte, seine Vorstellungen von einem staatenbundähnlich organisierten Europa den anderen Gemeinschaftsmitgliedern aufzudrängen. Die hieraus entstandene tiefgreifende Krise der Europäischen GemeinschafZum Begriff vgl. M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rz. 33. So die Formulierung der Beratenden Versammlung des Europarates auf ihrer ersten Sitzung vom 8. August bis zum 9. September 1949 in Straßburg. Text in: EA 1949, s. 2557ff. 208 Zum Begriff M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rz. 34. 209 Vgl. insgesamt zu den verschiedenen Integrationstheorien und ihrem unzureichenden Erklärungswert den Tagungsbericht von E. Häckel, integration 1979, S. 86ff. Auch der Befund von C. Giering, Europa zwischen Zweckverband und Superstaat, S. 269, flillt nicht besser aus, wenn er feststellt, daß die Europäische Union als eine neue "Entwicklungsstufe der Organisation menschlichen Gemeinwesens [... ] in ihrer heutigen Ausprägung keinen bestimmten theoretischen Vorgaben gefolgt ist, sondern sich im Zuge eines [... ] Evolutionsprozesses herausgebildet hat" (Hervorhebung durch den Verf.). 210 Vgl. dazu T. Oppermann, Europarecht, Rz. 24; R. Streinz, Europarecht, Rz. 18; H. J. Hahn, Stichwort: Europäische Einigung, in: EvStL, Bd. 1, Sp. 755; H. J. Küsters, Stichwort: Europa, in: StL, Bd. 2, Sp. 421; K. F. Bauer, EA 1966, S. 519ff. (519), spricht von der "immanent expansiven Logik der Integration". 206

207

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

257

ten um die Anwendung der im EWG-Vertrag vorgesehenen Mehrheitsentscheidungen im Jahre 1965 211 konnte erst durch die sog. Luxemburger Beschlüsse der EWG-Außenminister212 in einer Kompromißlösung beigelegt werden, die den französischen Forderungen weitgehend entsprach 213 . Ebenso gerieten die Gemeinschaften Mitte der siebziger Jahre trotz einiger innerer Reformen und dem Beitritt Dänemarks, Großbritanniens und Irlands zum 1. Januar 1973 214 in eine Sinn- und Identitätskrise über die weitere Entwicklungsperspektive des Einigungswerkes 215 , die schließlich erst mit der aus dem Reformvorschlag des deutschen und italienischen Außenministers (sog. GenscherI Colombo-Initiative)216 hervorgegangenen Einheitlichen Europäisehen Akte217 überwunden werden konnte218 • Betrachtet man den Integrationsprozeß in den verschiedenen Politikbereichen, so zeigen sich hinsichtlich der Entwicklungsdynamik und des erreichten Integrationsstandes gravierende Unterschiede. Während die wirtschaftliche Einigung bis zur schrittweisen Einführung einer Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 98 bis 124 EGV) vorangeschritten ist, läßt etwa die in den Art. 70 ff. EGV vorgesehene gemeinsame Verkehrspolitik keine vergleichbaren Fortschritte erkennen. Sie stagniert seit Jahren auf dem gleichen niedrigen Niveau 219 . Auch der Vertrag von Amsterdam hat auf diesem Sektor keine neuen Perspektiven eröffnet. Demgegenüber ist die zunächst nur Arbeitnehmern gewährte Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (Art. 39 ff. EGV) durch die Einführung des Art. 18 EGV von einer binnenmarktbezogenen Grundfreiheit zu einem echten GemeinschaftsgrundVgl. dazu die knappe Darstellung bei T. Oppermann, Europarecht, Rz. 29ff. Das Dokument ist unter der Bezeichnung "Vereinbarung der sechs Mitgliedstaaten der EWG vom 29. Januar 1966 auf einer Konferenz in Luxernburg betreffend das Abstimmungsverfahren im Rat und die Zusammenarbeit zwischen Rat und Kommission", in EA 1966, D, S. 85 ff., abgedruckt. 213 A. A. dagegen R. Lahr, EA 1983, S. 223 ff., der in den Luxemburger Beschlüssen unzutreffenderweise in erster Linie ein einseitiges Nachgeben Frankreichs sieht. 214 EG ABI. 1973 Nr. L 211; BGBI. 1973 II S. 175. 21 5 Vgl. E. Häckel, integration 1979, S. 86 ff. (86). 216 Rede des Bundesministers des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher in Rom am 21. Januar 1981, Bull. BReg. Nr. 5 vorn 23. Januar 1981. 217 Einheitliche Europäische Akte vom 28. Februar 1986, BGBI. II S. 1102, in der Fassung des Europäischen Unionsvertrages vom 7. Februar 1992, BGBI. 1993 II S. 125311295. 2l8 Im Ergebnis ebenso T. Oppermann, Europarecht, Rz. 41. 219 Vgl. dazu die Ausführungen von E. Brandt, in: Moritz Röttinger/C1audia Weyringer (Hrsg. ), Handbuch der europäischen Integration, S. 918 ff. (918 f. und 940), der bezeichnenderweise vor allem noch zu erfüllende Aufgaben und zu lösende Probleme der EG-Verkehrspolitik beschreibt. 211

212

17 Moersch

258

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

recht geworden. Dies läßt sich aus Sicht der funktionalistischen Integrationstheorie als gelungener "spill-over-Effekt" betrachten. Insgesamt gesehen verläuft mithin der Prozeß der europäischen Einigung sowohl hinsichtlich der einzelnen Sektoren als auch im Hinblick auf die Intensität und Dynamik der Entwicklung äußerst heterogen. Dies zeigt, daß Integrationsfortschritte offensichtlich weitaus stärker von anderen Faktoren bestimmt werden als von den bereits erzielten Erfolgen auf einzelnen Gebieten. Ein Automatismus oder gar eine Gesetzmäßigkeit läßt sich dem Verlauf europäischer Integration jedenfalls nicht entnehmen. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß bestimmte Entwicklungen spezielle andere Schritte erzwingen oder zumindest nahelegen können. Mit der Abschaffung der Grenzkontrollen ist zugleich ein entscheidendes Instrument zur Kriminalitätsbekämpfung entfallen, das es zu ersetzen gilt. Aus solchen Einzelbeispielen kann indes nicht der Schluß gezogen werden, der gesamte Integrationsprozeß stelle letztlich eine sich aus Sachzwängen ergebende Kette von Folgeentscheidungen dar.

II. Europäischer Bundesstaat als Ziel der Integration? Von größerer Bedeutung als die Tatsache, daß die bisherige Entwicklung der europäischen Einigung nicht entsprechend dem funktionalistischen Integrationsmodell verlaufen ist220, ist der Umstand, daß auch das hohe Integrationsniveau, das auf verschiedenen Gebieten seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften erreicht wurde, ebensowenig wie die prekäre Situation wenige Jahre nach Kriegsende zur Herausbildung einer gemeinsamen, konsensfähigen Zielperspektive für den Integrationsprozeß geführt hat. Zwar zielen auch das föderalistische und das funktionalistische Modell ebenso wie die übrigen Integrationstheorien ungeachtet ihres Erklärungswertes für die Praxis auf die Errichtung eines europäischen Staatswesens221 . Insoweit weisen diese Konzeptionen bei aller Verschiedenheit doch eine Gemeinsamkeit und einen Bezug zur Integrationslehre Rudolf Smends auf222 • Die tatsächliche Entwicklung ist dagegen ambivalent. Betrachtet 220 E. Häckel, integration 1979, S. 86 ff. (87 f.), bestätigt dieses Ergebnis, wenn er davon ausgeht, daß die bisherigen Integrationstheorien die tatsächliche Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses nicht zu erklären vermögen. 221 Dem steht nicht entgegen, daß einige Autoren wohl in Anbetracht des andersartigen Verlaufs der tatsächlichen Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses diese Zielrichtung des funktionalistischen Ansatzes unerwähnt lassen. So H. J. Hahn, Stichwort: Europäische Einigung, in: EvStL, Bd. 1, Sp. 755. 222 Vgl. R. Smend, Integrationslehre, S. 475ff.; ders. , Integration, S. 482ff., dessen Überlegungen sich zwar primär auf die innerstaatliche Integration beziehen, gleichwohl aber auf die überstaatliche Ebene übertragen werden können.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

259

man die europäische Integration unter dem Gesichtspunkt der immer weitere Politikbereiche ergreifenden Verlagerung von politischer Entscheidungs- und Rechtsetzungsmacht von den Mitgliedstaaten auf die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union, so läge es durchaus in der Konsequenz dieses Prozesses, "eine einheitliche europäische Gesamtrechtsordnung"223 zu schaffen und einen europäischen Bundesstaat zu gründen. Dabei stellen die Europäischen Gemeinschaften wie auch die Europäische Union sowohl nach ihrer Konzeption als auch hinsichtlich des bestehenden Integrationsniveaus bereits über einen herkömmlichen Staatenbund hinausgehende Vereinigungen dar. Dies drückt sich unter anderem in ihrer Klassifizierung als "supranationale Gemeinschaften", deren innerer Zusammenhalt über dem einer bloß "internationalen Organisation" liegt224 , oder in der Bezeichnung als "Staatenverbund"225 aus. Dennoch ist die Errichtung eines Bundesstaates "Europa" weder zwingende Folge dieser Entwicklung226, noch könnte ein solcher Staat durch bloßes Fortschreiten des Integrationsprozesses auf "evolutionärem" Wege entstehen. Hierzu bedürfte es vielmehr eines konstitutiven Gründungsaktes. Auf diesen Umstand wird bisweilen nicht deutlich genug hingewiesen, wenn von "qualitativen Sprüngen" oder dem "Überschreiten der Grenze zum Bundesstaat" gesprochen wird227 und lediglich die verfassungsrechtlichen Probleme des Aufgehens Deutschlands in einem solchen Staatsverband analysiert werden228 . Zudem stieße die Errichtung eines gesamteuropäischen Staates gegenwärtig - zumindest in einigen Mitgliedstaaten der Union - auf verfassungsrechtliche Grenzen. So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß entsprechend dem in Art. 38 GG zum Ausdruck kommenden Demokratieverständnis, dieses Prinzip zur Legitimierung politischer Herrschaft grundsätzlich und allgemein "vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig" ist, die jedenfalls zur Zeit in der Europäischen Union nicht gegeben sind. Zu diesen Bedingungen der Demo223 Zum Begriff A. Bleckmann, Europarecht, Rz. 805, wobei allerdings unklar bleibt, weshalb in einer solchen "einheitlichen" europäischen Rechtsordnung noch eine deutsche und eine französische bestehen bleiben sollten. 224 Vgl. zu den Unterschieden beider Organisationstypen, /. Seidl-Hohenveldeml G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rz. 0113 ff. 225 Zum Begriff P. Kirchhof, HStR VII, § 183, Rz. 69; BVerfGE 89, 155 [181, 185, 188]. 226 J. /sensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 567ff. (569), hält dies für eine bloße "Hypothese" und bezeichnet einen "Europastaat" derzeit als "politische Vision". 227 Vgl. etwa F. Cromme, Spezifische Verfassungselemente des Staatenverbundes, s. 9. 228 Dazu P. Lerche, FS für Konrad Redeker, S. 131 ff. (134, 147); M. Hilf, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75 ff. (83). 17*

260

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

kratie zählt das Gericht das Bestehen einer "den politischen Willen verformenden öffentlichen Meinung" sowie "daß die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind, und [.. .], daß der wahlberechtigte Bürger mit der Hoheitsgewalt [... ], in seiner Sprache kommunizieren kann"229 . Aber auch die Schaffung einer gemeinschaftsweit einheitlichen europäischen Gesamtrechtsordnung im Rahmen des bestehenden Staatenverbundes ist mit der geltenden deutschen und französischen Verfassung nicht vereinbar, soweit hiermit eine Übertragung sämtlicher oder des überwiegenden Teils nationaler Hoheitsrechte auf die Gemeinschaften und damit eine weitgehende Entäußerung staatlicher Kompetenzen verbunden wäre. So wird in dem im Zusammenhang mit dem Maastrichter Vertragswerk eingefügten Art. 88-1 der französischen Verfassung ausdrücklich betont, daß die in den Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union zusammengeschlossenen Mitgliedstaaten "einige ihrer Kompetenzen gemeinsam ausüben", was bedeutet, daß das Schwergewicht der Kompetenzausübung bei den einzelnen Staaten verbleibt. Abgesehen von der Aussage über die quantitative Verteilung der hoheitlichen Befugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und der Union interessiert die Regelung vor allem aus dogmatischer Sicht. Wortlaut wie Systematik des Art. 88-1 zeigen, daß der französische pouvoir constitues die Kompetenzen der Union nach wie vor als eine Ausnahme von der staatlichen Allzuständigkeit und Souveränität Frankreichs betrachtet. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über das Zustimmungsgesetz zum Maastrichter Vertragswerk in erster Linie auf das Demokratieprinzip als Maßstab abgestellt. Ausgehend von dem völkerrechtlichen Charakter der Gemeinschaftsverträge stellt das Gericht fest, daß die Handlungen und Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane ihre "demokratische Legitimation notwendig durch die Rückkopplung [... ] an die Parlamente der Mitgliedstaaten erfahren. [. .. ] Ein Übergewicht von Aufgaben und Befugnissen in der Verantwortung des europäischen Staatenverbundes würde die Demokratie auf staatlicher Ebene nachhaltig schwächen", [... ], was konsequenterweise dazu führe, daß "der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Union vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt sind" und daher "dem Deutschen Bundestag Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben müssen'm0 . Auch wenn damit das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Kompetenzverteilung zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten letztlich zum gleichen Ergebnis gelangt wie der französische verfassungsändernde Gesetzgeber so zeigen sich in der Betrachtung des Integrationspro229 230

BVerfGE 89, 155 [185]. BVerfGE ibd.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

261

zesses Unterschiede231 . Ungeachtet dessen hat auch der deutsche Bundeskanzler in einer Rede am 6. Mai 1993 ausdrücklich erklärt, daß eine Gründung "Vereinigter Staaten von Europa" derzeit nicht beabsichtigt sei 232 . Dieser einmütigen verfassungsrechtlichen und europapolitischen Bewertung gegenwärtiger und künftiger Integrationsentwicklung steht ein breit gefächertes Spektrum wissenschaftlicher Auffassungen gegenüber. Dabei bestehen divergierende Meinungen nicht nur hinsichtlich der rechtlichen und politischen Perspektiven des europäischen Einigungsprozesses, schon die begriffliche und rechtssystematische Erfassung der "Europäischen Union" selbst ist weithin umstritten. Sieht man davon ab, daß seit der sog. Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die fehlende Staatsqualität der Union allgemein unstreitig ist233 , so ist die Frage ihrer Rechtspersönlichkeit ebenso wie ihr Verhältnis zu den drei Gemeinschaften Gegenstand heftiger Kontroversen. Bereits der Rückgriff auf nicht juristische Termini wie "Dach" 234 , "Tempel" 235 , "Mantel"236 oder "Plattform"237 , die zur Charakterisierung dieser neuen europäischen Institution verwandt 231 Diese lassen sich auch nicht allein aus dem Umstand erklären, daß das Bundesverfassungsgericht bestimmten prozessualen Zwängen bei seiner Entscheidung unterlag. Denn eine dogmatische Verbindung von dem in Art. 38 GG niedergelegten Demokratieprinzip zur Souveränität hätte sich über den Gedanken der Volkssouveränität ohne weiteres herstellen lassen. 232 Bull. BReg. Nr. 39 vom 17. Mai 1993, S. 34lff. 233 Vgl. dazu K. Hänsch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. II ff. (22 und 26), .,Aus der Union kann kein europäischer Bundesstaat [... ] werden. Sie ist eine Union von Mitgliedstaaten und das wird sie bleiben". C. Koenig/M. Pechstein, EuZW 1997, S. 225; dies., Europäische Union, S. 20ff.; M. Seidel, EuR 1992, S. 125ff. (126); U. Everling, DVBI. 1993, S. 936ff. (941); H.-J. Blanke, DÖV 1993, S. 412ff. (415); P. M. Huber, Maastricht - ein Staatsstreich?, S. 45; ders., Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349ff. (353ff.); T. Stein, VVDStRL 53 (1994), S. 27ff. (29); M. Hilf, in: Peter Homme1hoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75 ff. (75); J. /sensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 567 ff. (572); S. Hobe, in: Der Staat 1993, S. 245 ff. (264); T. Oppermann, in: Rudo1f Hrbek (Hrsg.}, Der Vertrag von Maastricht, S. 103 ff. (109); ders., in: Peter Homme1hoff/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 87ff. (90); /. Pemice, DV 1993, S. 449ff. (454); M. Herdegen, EuGRZ 1992, S. 589ff. (590f.). 234 M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rz. 58; T. Oppermann, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 87ff. (94), spricht vom "eigentümliche(n) Dachcharakter"; H.-J. Blanke, ibd., S. 416; M. Hilf, ibd. 235 0. Schmuck, EA 1992, S. 97ff. (99); W. Wessels, in: Renate Ohr (Hrsg.), Europäische Integration, S. 19 ff. (25). 236 J. lsensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I. S. 567ff. (569), spricht vom "Maastrichter Mantel". 237 R. Streinz, Europarecht, Rz. 121 a, und C. Hillgruber, AdV 1996, S. 347ff. (355), sprechen von "intergouvemementaler Plattform".

262

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

werden 238, offenbart dogmatische Hilflosigkeit239 . Selbst der von Paul Kirchhof geprägte 240 und vom Bundesverfassungsgericht übernommene Begrife41 des "Staatenverbundes", der lediglich die der Europäischen Union eignenden und von niemandem bestrittenen Besonderheiten gegenüber Staatenbund und Bundesstaat verdeutlichen sollte242 , ist in die Kritik geraten243 • Auch wenn diese letztlich nicht überzeugt, da mit der Bezeichnung "Staatenverbund" weder die Dichotomie von völkerrechtlicher Konföderation und staatsrechtlicher Föderation244 durch Schaffung einer dritten Kategorie aufgelöst werden 245 noch die Klassifizierung der drei Gemeinschaften als internationale Organisationen246 angezweifelt werden sollte, so zeugt die Kritik dennoch von heuristischer Phantasielosigkeit der Allgemeinen Staatslehre, die sich mit der terminologischen Erfassung neuartiger juristischer Erscheinungen weit schwerer tut als das Völkerrecht, das mit der Bezeichnung "supranationale Gemeinschaften" einen brauchbaren und international akzeptierten Begriff für eine Subkategorie internationaler Organisationen gefunden hat. Die Einordnung der Europäischen Union als "föderal strukturierte zwischenstaatliche Einrichtung sui generis"247 mag zwar "konsensfähig" sein248 , weiterführende Erkenntnisse vermittelt sie indes 238 Zu dem Versuch, aus den verschiedenen Metaphern inhaltliche Schlüsse zu ziehen vgl. C. Koenig/M. Pechstein, Europäische Union, S. 32. 239 0. Dörr, EuR 1995, S. 334ff. (334); I. Pemice, ZEuP 1995, S. 177ff. (180), hält die Union für ein "amorphes politisches joint venture"; M. Hilf, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75 ff. (75), räumt ein: "Wir tun uns schwer mit dem Begriff der ,Europäischen Union'". 240 Vgl. P. Kirchhof, HStR VII, § 183, Rz. 50ff.; ders., in: Josef lsensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und rechtliche Form, S. 63 ff. (92 ff.). 241 BVerfGE 89, 155 [183, 185 et passim]. 242 So P. Kirchhof, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 12f. 243 K. Doehring, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 263ff. (263f.), der den Begriff für "untauglich" hält; J. /sensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 567ff. (582), sieht den Begriff "Verbund" sprachlich durch die Energiewirtschaft "besetzt"; ebenso M. Hilf, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75 ff. (76); H. P. lpsen, EuR 1994, S. 1 ff. (8); J. Abr. Frowein, ZaöRV 1994, S. 1 ff. (6), zeigt sich "erstaunt" über die Verwendung des Begriffs. 244 Vgl. dazu statt aller R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 400ff. 245 So aber der Vorwurf von J. /sensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 567 ff. (582), der lakonisch feststellt: "Bundesstaat oder Staatenbund - tertium non datur". 246 Darauf verweisen ausdrücklich A. Randelzhofer, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 39ff. (40); R. lglesias, EuGRZ 1996, S. 125ff. (126), H. Steinberger, VVDStRL 50 (1991 ), S. 9ff. (16); C. Tomuschat, DVBI. 1996, S. 1073ff. (1075); ders, in: G/T/E, Bd. 4, Art. 210, Rz. 4; K. Hänsch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 11 ff. (22 und 26).

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

263

nicht. Auch die dem Begriff "Staatenverbund" entgegengesetzte Bezeichnung "Verfassungsverbund"249 vermag nicht zu überzeugen, da sie über die Beschreibung der Spezifika der Union als eine besondere Staatenverbindung hinausgeht und einseitig ihre vermeintliche "Staatsähnlichkeit" hervorhebt250. Hinsichtlich der Frage, ob die Europäische Union eigene Rechtspersönlichkeit besitzt251 , ist ein Teil der Autoren unentschlossen 252, während die überwiegende Ansicht im Schrifttum ihr die Rechtssubjektsqualität abspricht253 . Eine Bestätigung der zuletzt genannten Auffassung mag man 247 M. Hilf, VVDStRL 53 (1994), S. 7ff. (8); ders., in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75 ff. (77): "Diese letztlich nur sui generis faßbare Union [.. .]"; G. Ress, JuS 1992, S. 985 ff. (986). 248 So 0. Dörr, EuR 1995, S. 334ff. (334). 249 Vgl. zu diesem Begriff/. Pemice, EuR 1996, S. 27ff. (29f.); diesem folgend M. Heintzen, EuR 1997, S. 1 ff. (15f.). 250 Vgl. dazu/. Pemice, ibd. 251 Rechtspersönlichkeit messen der Europäischen Union ausdrücklich G. Ress, JuS 1992, S. 985ff. (986) und A. Bleckmann, NVwZ 1993, S. 824ff. (824), unter Berufung auf die der Union auf dem Gebiet der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitk" eingeräumten Kompetenzen zu. Im Ergebnis wohl ebenso J. Wolf, JZ 1993, S. 594 ff. (596), der der Union bescheinigt, "in allen Bereichen eine selbständige Handlungseinheit zu sein", die sich über die "dem Art. 235 EWGV vergleichbare Generalermächtigung" mit den "erforderlichen [... ] Mitteln ausstattet" und für die daher im Gegensatz zu der EG das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung nicht mehr gelten soll. A. v. Bogdandy!M. Nettesheim, NJW 1995, S. 2324ff. (2324); dies., EuR 1996, S. 3ff., sehen mit dem Unionsvertrag eine Verschmelzung der drei Gemeinschaften und der Union, durch welche letztere Rechtspersönlichkeit erlangen soll. Gegen diese "Verschmelzungsthese" wenden sich mit Recht 0. Dörr, NJW 1995, S. 3162ff. (3163); ders., EuR 1995, S. 334ff. (344ff.); C. Hillgruber, AdV 1996, s. 347 ff. (350). 252 Unklar die Aussagen von T. Oppermann/C. D. Classen, NJW 1993, S. 5 ff. (7), die die Union als "rechtssubjektiv sehr beschränkt" sehen. Nach H. J. Hahn, Der Vertrag von Maasstricht als völkerrechtliche Übereinkunft und Verfassung, S. 37 f., soll die Frage der Rechtspersönlichkeit der Union von der "künftigen Praxis der Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten" beantwortet werden. Weil es sich bei der Rechtsfähigkeit der Union um "eine nicht einfach zu beantwortende Frage" handele, läßt M. Seidel, EuR 1992, S. 125 ff. (125), sie letztlich unbeantwortet; ebenso E. Klein/A. Haratsch, DÖV 1993, S. 785ff. (788). J. lsensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 567ff. (573), hält die Frage für "belanglos" und läßt sie deshalb unbeantwortet. 253 BVerfGE 89, 155 [195], unter Berufung auf die Rechtsauffassung der Bundesregierung und den Leiter des Juristischen Dienstes der Europäischen Gemeinschaften, Generaldirektor Jean-Louis Dewost; C. Koenig/M. Pechstein, EuZW 1997, S. 225; dies., Europäische Union, S. 20ff.; U. Everling, DVBI. 1993, S. 936ff. (941); H.-1. Blanke, DÖV 1993, S. 412ff. (416); M. Hilf, in: Peter Homme1hoff/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75 ff. (75); ders., VVDStRL 53 (1994), S. 7 ff. (8); T. Oppermann, in: Peter Hommelhoff/Paul

264

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

in der Tatsache sehen, daß die Mitgliedstaaten in den Unionsvertrag keine den Art. 6 EGKSV, Art. 184 EAGV und Art. 281 EGV entsprechende Regelung aufgenommen haben. Zwar ist die ausdrückliche vertragliche Verleihung keine konstitutive Voraussetzung für die Rechtspersönlichkeit einer internationalen Organisation254 , dennoch läßt sich dem augenfälligen Abweichen von der in den Gemeinschaftsverträgen geübten Praxis ein Indiz für den Willen der Vertragspartner entnehmen, mit der Gründung der Europäischen Union den drei Gemeinschaften kein weiteres eigenständiges Rechtssubjekt an die Seite stellen zu wollen. Sind schon der Begriff und die dogmatische Einordnung der Union selbst umstritten, so kann es kaum verwundern, daß die Meinungspalette hinsichtlich der integrationspolitischen Perspektiven des europäischen Einigungswerkes nahezu unübersehbar ist. So wird seit dem Abschluß des Maastrichter Vertragswerks wieder verstärkt die Möglichkeit, einen europäischen Bundesstaat zu errichten, kontrovers diskutiert, wobei sich die Auseinandersetzung zum Teil mit jener über eine europäische Verfassungsgebung überschneidet. Soweit die Bildung einer verfaßten europäischen Föderation für möglich255 oder gar erforderlich256 gehalten wird, soll ein solcher Bundesstaat eine adäquate "Antwort" auf die Legitimations- und Identitätsprobleme der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften darstellen sowie dem erkannten "Defizit an Effizienz und Transparenz" entgegenwirken 257 . In diesem Sinne und als eine konsequente Fortsetzung des Integrationsprozesses258 sind auch die Entwürfe259, Teilkonzeptionen und StruktureleKirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 87 ff. (90); D. Baetge, BayVBI. 1992, S. 711 ff.; B. Beutler, in: B/B/P/S, S. 74; R. Geiger, EGVertrag, Präambel, Rz. 10; ders. , Grundgesetz und Völkerrecht, S. 203; J. Sack, GS für Eberhard Grabitz, S. 631 ff. (631); K. Doehring, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 263 ff. (263); G. Winter, DÖV 1993, S. 173 ff. (177); R. Streinz, Europarecht, Rz. 121 b; ders., ZfRV 1995, S. 1 ff. (4f.); P. M. Huber, in: FS für den Carl Heymanns Verlag; S. 349ff. (350); H. Lecheler, in: FS für den Carl Heymanns Verlag,

s. 383 ff. (393).

Insgesamt zur Problematik vgl. S. Oeter, ZaöRV 55 (1995), S. 659ff. (678); C. Hillgruber, AdV 1996, S. 347ff. (349ff.); 0. Dörr, EuR 1995, S. 334ff. (337). C. Koenig/M. Pechstein, Europäische Union, S. 20ff. 254 So auch C. Koenig/M. Pechstein, ibd., S. 22.

255 Hierzu zählen auch jene Autoren, die dem System der Gemeinschaftsverträge insgesamt den Charakter einer Verfassung beimessen. Vgl. dazu etwa M. Herdegen, in: FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 447 ff. (448). 256 So T. Schilling, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1996, S. 387ff. (404), hält "eine Staatswerdung Europas [... ] rechtlich und tatsächlich für möglich und in gewissen Grenzen [... ] auch für wünschenswert". M. Hilf, integration 1994, S. 68 ff. (68), hält den "Verfassungsbedarf für die Europäische Union" für "unabweisbar". 257 So die Begründungen der Arbeitsgruppe "Europäische Verfassung" , in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, S. 13ff. (16) und W. Weidenfeld, in: ders. (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, S. 79 ff. (82 f.).

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

265

mente 260 für eine "europäische Verfassung" zu sehen, die zu Beginn und Mitte der neunziger Jahre ausgearbeitet wurden. Demgegenüber verweisen die Kritiker eines gesamteuropäischen Staatswesens261 neben den verfassungsrechtlichen Problemen262 und der zumindest zur Zeit fehlenden politischen Bereitschaft der Staaten Europas, die eigene Souveränität zugunsten eines Bundeslandstatus in einer europäischen Föderation aufzugeben263 , auf die bestehenden historischen264 , kulturellen und sprachlichen Unterschiede 265 der Völker Europas sowie auf das gemeinsame Erbe des Kontinents, das gerade in der Verschiedenheit und So im Ergebnis P. Häberle, EuGRZ 1992, S. 429ff. (433). Vgl. die einzelnen Verfassungsentwürfe von R. Luster/G. Pfennig/F. Fugmann, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, S. 105 ff.; den "Entwurf einer Verfassung für die europäische Union" vom 10. Februar 1994, erarbeitet von dem Institutionellen Ausschuß des Europäischen Parlaments (sog. Herman-Bericht), EG ABI. C 611156 vom 28. Februar 1994. Vgl. auch die Synopse von Entwürfen verschiedener Projektgruppen, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Titel, "In welcher Verfassung befindet sich Europa - Braucht Europa eine Verfassung", zusammengestellt wurden. 260 Arbeitsgruppe "Europäische Verfassung", in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, S. 19ff.; dort auch Vorträge von: U. Everling, S. 41 ff.; M. Hilf, S. 62 ff.; W. Däubler, S. 85 ff., der den Entwurf einer "europäischen Grundrechtsakte" vorlegt. 261 Bemerkenswert und bezogen auf die absehbare Zukunft realistisch sind die Ausführungen von K. Hänsch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. II ff. (20), "Es muß und es wird ein Amsterdam II geben [... ]. Aber einen ganz neuen Anfang wird es auch dann nicht geben. Ein Kerneuropa nicht und schon gar nicht eine europäische Verfassung". (Hervorhebung durch den Verf.). 262 P. M. Huber, in: ders. (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, S. 11 ff. (11); ders., Maastricht - ein Staatsstreich?, S. 48; H. H. Rupp, in: Peter Michael Huber (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, S. 49ff. (49); einen Überblick über die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Maastrichter Vertragswerkes in den einzelnen Mitgliedstaaten liefert H. Henrichs, DÖV 1994, S. 368ff. (durchgehend). 263 C. Tomuschat, DVBI. 1996, S. 1073ff. (1074); J. Abr. Frowein, EuR 1995, S. 315ff. (320); J. lsensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 567ff. (569); P. Lerche, FS für Konrad Redeker, S. 131 ff. (134); H. Lübbe, Abschied vom Superstaat, S. 15ff.; ders., in: Peter Michael Huber (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, S. 85 ff. (87); R. Berend, in: Peter Michael Huber (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, S. 41 ff. (43). 264 Auf die historische Determination der nationalen Identität und die hieraus resultierende unterschiedliche Haltung zum europäischen Einigungsprozeß weist H. Schauer, Aus Politik und Zeitgeschichte 1997, B 10, S. 3ff., hin. 265 Vornehmlich auf die sprachliche Heterogenität Europas - insbesondere im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika - weisen J. lsensee, in: ders. (Hrsg.), Europa als politische Idee und rechtliche Form, S. 103 ff. ( 137 f.) und P. Kirchhof, HStR VII, § 183, Rz. 12, hin. 258 259

266

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

der Vielfalt seiner Staatenwelt liegt266 . Auch wenn auf die einzelnen Argumente hier nicht näher eingegangen werden kann, so geht die Auseinandersetzung um eine europäische Verfassung jedenfalls über einen bloßen "Streit um Worte"267 hinaus, worauf zutreffenderweise auch D. Grimm268 hinweist. Denn die hinter dieser Diskussion stehende Frage nach dem Rechtsstatus der Europäischen Union und ihrem Verhältnis zu den Mitgliedstaaten läßt sich nicht ohne weiteres durch die terminologische Differenzierung in einen "materiellen" (weiten) und einen formellen (engeren) Verfassungsbegriff lösen 269 . Mithin bleibt auch über vierzig Jahre nach Abschluß der Römischen Verträge das Ziel der Integration unbestimmt270, der Begriff selbst "konturlos"271. 111. Konsequenzen der Zieloffenheit des Integrationsprozesses

Die divergierenden Vorstellungen der Vertragsstaaten über das Ziel der europäischen Einigung haben dazu geführt, daß in den Gründungsverträgen der drei Europäischen Gemeinschaften auf die Festlegung eines gemeinschaftlichen Endziels verzichtet wurde. Der prozeßhafte Charakter und die Zieloffenheit der Entwicklung werden in der Präambel des EG-Vertrages mit den Worten, "[... ] einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker[ ... ] schaffen [.. .]"zu wollen, beschrieben. Dieser Gedanke wird in leicht abgewandelter Form auch in der Präambel und dem Art. 1 des Vertrages über die Europäische Union aufgegriffen, wenn dort der Wille der Vertragspartner, "[ ... ] den Prozeß der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas, [... ], weiterzuführen", betont wird. Dies zeigt zum einen, daß auch bei der Gründung der die drei Euro266 So M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (10); vgl. auch den Titel des Aufsatzes von P. Kirchhof, "Die Staatenvielfalt - ein Wesensgehalt Europas", FS für Herbert Schambeck, S. 947ff.; C. 0. Lenz, NJW 1993, S. 1962ff. (1963), betont zudem die Angewiesenheit der Europäischen Union auf die Mitgliedstaaten. 267 So C. Tomuschat, DVBI. 1996, S. I 073 ff. ( 1074). 268 D. Grimm, BrauchtEuropa eine Verfassung?, S. 11 ff. (51 ff.). 269 So aber offenbar C. Tomuschat, DVBI. 1996, S. 1073ff. (1074). 270 So auch P. Kirchhof, HStR VII, § 183, Rz. 2; symptomatisch insoweit das Ergebnis bei M. P. Chiti, in: Martin Nettesheim/Pierange1o Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat, S. 194 f., der als Ziel der europäischen Integration "eine Gemeinschaft von gemeinsamen Werten" sieht. 27 1 So ausdrücklich H. H. Rupp, in: Peter Michael Huber (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, S. 49ff. (49); E. Häckel, integration 1979, S. 86ff. (88), spricht von einem "Allerweltsbegriff'', der "[ ... ] mehrdeutig und ungenau bleiben" müsse.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

267

päischen Gemeinschaften überwölbenden und um die "Bestimmungen über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" und die "Bestimmungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres" ergänzenden Europäischen Union kein Konsens über ein gemeinsames Integrationsziel bestand, so daß man den Ansatz der offenen Finalität fortgeschrieben hat. Zum anderen ist mit der Bezeichnung "Europäische Union" ein doppeldeutiger Begriff verwandt worden 272 , was insbesondere in Art. 1 EUV erkennbar wird. Während es in Absatz 1 heißt, daß die "Hohen Vertragsparteien [... ] eine Europäische Union, im folgenden als ,Union' bezeichnet" gründen, wodurch der Eindruck erweckt wird, als handele es sich bei der Europäischen Union um eine weitere Gemeinschaft oder gar ein staatsähnliches Gemeinwesen, lautet Absatz 2: "Dieser Vertrag !stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, [... ]". Der Begriff "Union" ersetzt hier lediglich die in der Präambel des EG-Vertrages gewählte Bezeichnung "Zusammenschluß", was die Prozeßhaftigkeit auch der Europäischen Union deutlich macht. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, daß lediglich in der deutschen Textfassung der im EWG-Vertrag gewählte Begriff "Zusammenschluß" im Unionsvertrag mit "Union" bezeichnet wird273 , während die französische und englische Formulierung "union sans cesse plus etroite bzw. ever closer union" unverändert in beiden Vertragstexten verwandt wird. In den einzelnen Vertragsbestimmungen wird der Union wiederum eindeutig die Rolle eines Akteurs zugewiesen. So hat sie nach Art. 5 EUV "Organe" und verfolgt etwa nach Maßgabe der Art. 11 und 29 EUV bestimmte Ziele - Eigenschaften, die einem schlichten "Vorgang" fehlen. Mit Blick auf das Primärziel der Friedenssicherung mochte die Festlegung eines vertraglichen Integrationsziels 1950 und 1957 noch entbehrlich erscheinen. Vielmehr kam es sechs bzw. elf Jahre nach Kriegsende zunächst darauf an, überhaupt Gemeinsamkeiten zwischen den Vertragspartnern zu entwickeln und diese möglichst kontinuierlich auszubauen274 . Demgegenüber traten die konkreten Inhalte des gemeinsamen Handeins in ihrer Bedeutung zurück 275 • Im übrigen schien auch die thematische Begren272 Auf diesen Umstand verweist ausdrücklich R. Hrbek, in: Hartmut Klatt (Hrsg.), Das Europa der Regionen nach Maastricht, S. II ff. (13). 273 Die Motive für diese Änderung der Formulierung in der deutschen Textfassung müssen letztlich Spekulation bleiben. Ein Grund könnte sein, daß mit dem Ersetzen des Wortes ,,Zusammenschluß" durch den Begriff "Union" der als unzureichend empfundene Fortschritt bei der Schaffung einer "Politischen Union" terminologisch kaschiert werden sollte. 274 Den Aspekt des gemeinschaftlichen Handeins hebt besonders R. Bieber, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 165 ff. (168 f.), als das tragende Element des europäischen Einigungswerkes hervor.

268

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

zung276 der drei Gemeinschaftsverträge als Bestimmung und Kontrolle der Entwicklung ausreichend. Betrachtet man indes den mittlerweile erreichten Integrationsstand der Europäischen Union und die immer weiter zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der Mitgliedstaaten, so treten die zwangsläufig mit dem Konzept des offenen Ziels verbundenen Probleme und Nachteile verstärkt zutage. Zunächst ist die Vorstellung einer Vertragsgemeinschaft ohne eine klar definierte Zielvorgabe allgemein menschlichem und insbesondere rechtlichem Denken fremd277 . Dies führte dazu, daß in der europarechtlichen Diskussion der Prozeß der Integration selbst als Ziel angesehen wurde und wird278. Der Integrationsprozeß ist Selbstzweck279 geworden. Dies hat sowohl auf das Gemeinschaftsrecht als auch auf die Gemeinschaftspolitik weitreichende Auswirkungen. Sieht man Ziel und Zweck der Europäischen Gemeinschaften in dem Vorgang der Integration selbst, ist der Gemeinschaftstelos einer permanenten Veränderung unterworfen. Folglich läßt sich der Gemeinschaftszweck jeweils nur für einen bestimmten Zeitpunkt und nicht dauerhaft ermitteln. Damit wird die teleologische Auslegung zeitgebunden, also dynamisch280 . Da die gemeinschaftsvertragliche Zielsetzung in aller Regel auch erhebliche Bedeutung für die Interpretation der einzelnen Vertragsbestimmungen besitzt281 , ist auch deren Inhalt letztlich nur vom 275 Der polemischen Behauptung M. Brunners, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9 ff. (20), diese Betrachtungsweise habe letztlich auch dem Maastrichter Vertragswerk zugrundegelegen, kann in dieser Form indes nicht zugestimmt werden. 276 Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl weist zudem in Art. 97 eine Befristung dieser Gemeinschaft auf fünfzig Jahre nach ihrem lokrafttreten auf. 277 Zur Zweckgerichtetheit menschlichen Denkens und der Bedeutung von Zielvorgaben für juristische Gemeinschaften vgl. oben I. Kapitel C. V. 2. b) bb). 278 So ausdrücklich M. Zuleeg, in: G/T/E, Päambel, Rz. 4; im Ergebnis zustimmend wohl auch H. P. lpsen, Gemeinschaftsrecht, S. 196ff., der die Gemeinschaften als ,,Zweckverbände funktioneller Integration" bezeichnet und die Integration auf bestimmten Politikfeldern als den eigentlichen Zweck der Gemeinschaften ansieht. 279 Vgl. auch P.-C. Müller-Graf!, in: Manfred Dauses (Hrsg.), Handbuch des EUWirtschaftsrechts, Bd. I, A. 1., Rz. 94, "allgemeinpolitisches Integrationsziel"; in der Tendenz ebenso, wenn auch den Begriff "Selbstzweck" ablehnend C.-D. Ehlermann, integration 1995, S. 11 ff. (18). 280 Auf diesen Umstand und die sich hieraus ergebende Konsequenz, "[ ... ] daß selbst aufgrund der in erste Linie verbindlichen teleologischen Auslegung keine endgültigen abstrakten Antworten auf eine bestimmte Rechtsfrage möglich sind, eine Tatsache, die aller bisherigen Auslegung ins Gesicht schlägt", verweist ausdrücklich A. Bleckmann, EuR 1979, S. 239ff. (255f.); ders., Europarecht, Rz. 808. 281 Vgl. dazu schon EuGH Slg. 1963, S. 24- RS 26/62- Van Gend/Loos; T. Oppermann, Europarecht, Rz. 685, A. Bleckmann, EuR 1979, S. 239ff. (242 et passim).

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

269

jeweiligen Integrationsniveau aus zu bestimmen. Berücksichtigt man die fundamentale Bedeutung, die der teleologischen Auslegung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zukommt282 , dann wird deutlich, wie zeit- und integrationsstandsabhängig die Jurisdiktion des Gerichtshofs ist. Somit führt die Ausrichtung auf das Gemeinschaftsziel "Integration" in letzter Konsequenz zu einer schwer vorhersehbaren, unberechenbaren Rechtsprechung und damit zu Rechtsunsicherheit Neben diesen spezifischen Rechtsfindungs- und -anwendungsproblemen birgt die Fixierung auf die Integration als einem prozeßhaften Vorgang ganz allgemeine gemeinschaftspolitische Schwierigkeiten. Wie bereits oben dargelegt283 , erfüllen Gemeinschaftszwecksetzungen unter anderem eine Orientierungsfunktion. Indem geplante oder bereits vorgenommene Handlungen der Mitglieder und Organe der Gemeinschaft daran gemessen werden, ob sie den gemeinschaftlichen Zielen förderlich oder abträglich sind, dienen Zielvorgaben als Selektionskriterien. Auch die Entwicklung einer Gemeinschaft wird üblicherweise durch einen Vergleich zwischen einem früheren, dem gegenwärtigen und dem angestrebten Ziel- oder Endzustand beurteilt. Der gemeinschaftlichen Zielsetzung kommt auch insoweit eine Maßstabsfunktion zu. Besteht der Gemeinschaftszweck indes nicht in einem anvisierten Endzustand, sondern in einem Integrationsprozeß, bedarf es mithin anderer Kriterien zur Bewertung der Gemeinschaftsentwicklung. Die Festlegung derartiger Maßstäbe erfordert wiederum zunächst eine Definition des Begriffs "Integration". Denn erst wenn die charakteristischen und prägenden Elemente dieser Entwicklung feststehen, läßt sie sich anhand dieser Merkmale bewerten284 . Damit stellt sich jedoch bei der inhaltlichen Bestimmung des Integrationsbegriffs das gleiche Problem wie bei der Festlegung eines verbindlichen Integrationsziels. Eine hinreichend präzise, an substantiellen Kriterien ausgerichtete Definition der "europäischen Integration" führte zwangsläufig zu einer Determination dieser Entwicklung. Eine solche inhaltliche Fixierung wäre bei den unterschiedlichen Vorstellungen der zur Zeit 15 Mitgliedstaaten über Ziel und Fortgang des europäischen Einigungsprozesses jedoch nicht durchsetzbar. Denn die konsensheischende Wirkung des Integrationsbegriffs liegt gerade in seiner inhaltlichen Unbestimmtheit. Nur solange jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union sein Verständnis von dem Ziel, dem Weg und dem Umfang des europäischen 282 Vgl. statt aller G. Hirsch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 79 ff. (80). 283 Siehe I. Kapitel C. V. 2. b). 284 E. Häckel, integration 1979, S. 86 ff. (88), weist zutreffend darauf hin, daß mit den herkömmlichen politikwissenschaftlichen und ökonomischen Integrationstheorien nicht einmal verläßliche Aussagen darüber getroffen werden können, ob sich der europäische Einigungsprozeß in einer Phase fortschreitender Integration oder der Desintegration befindet.

270

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Einigungswerkes noch in dem vorherrschenden Integrationskonzept gewahrt sieht, wird er bereit sein, dem Ansatz fortschreitender sektoraler Teilintegration zu folgen 285 . Das Fehlen einer inhaltlichen Definition des Integrationsbegriffs hat zur Folge, daß es auch an substantiellen Merkmalen zur Bewertung dieses Prozesses mangelt. Daher hat sich überwiegend ein quantitatives Begriffsverständnis durchgesetzt, bei dem als Maßstab für den Integrationsfortschritt in erster Linie der in einem bestimmten Zeitraum zu verzeichnende Zuwachs an Gemeinschaftsaufgaben dient286. Werden aber Zahl und Umfang der Gemeinschaftskompetenzen zum entscheidenden Kriterium für die Integrationsentwicklung, so tritt die Frage nach dem Inhalt der jeweiligen Befugnis ebenso in den Hintergrund wie die nach dem Weg, auf dem die einzelne Gemeinschaftszuständigkeit begründet wurde. Zum einen bedeutet dies, daß die Übertragung einer Aufgabe auf die Gemeinschaften nicht mehr mit dem Ziel und der Erwartung ihrer besseren W ahmehmung erfolgt, sondern unter dem Gesichtspunkt, daß mit dieser Kompetenzverlagerung das übergeordnete politische Ziel der europäischen Integration gefördert werde. Zum anderen läßt sich auf der Grundlage dieses Integrationsverständnisses nahezu jede Kompetenzüberschreitung der Gemeinschaftsorgane mit der Begründung, sie diene der von allen Mitgliedstaaten gewollten Integration, rechtfertigen. Kennzeichnend hierfür sind die Ausführungen Seidels, der mit Blick auf die von den Gemeinschaftsorganen beanspruchten Kompetenzen auf dem Gebiet des Umweltschutzes vor der Einheitlichen Europäischen Akte zutreffend feststellt, daß "diesen ausschließlich eine integrationspolitische Legitimation zugrunde" lag287 . Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß die Europäische Gemeinschaft Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes getroffen hat, ohne hierfür eine Ermächtigungsgrundlage im EG-Vertrag zu besitzen. Dabei haben die Gemeinschaftsorgane unter Berufung auf die behauptete integrationspolitische Notwendigkeit dieser Rechtsakte darauf vertraut, daß die Kompetenzüberschreitungen von den Mitgliedstaaten geduldet werden. Insgesamt zeigt sich also, daß seine fehlende Finalität den europäischen Einigungsprozeß hat zum Selbstzweck avancieren lassen. Die in Errnange285 Ähnlich J. Jsensee, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 567ff. (570), wenn er darauf hinweist, daß die Integrationsvorteile den .,Verlust an nationaler Substanz" überwiegen müssen. 286 So auch J. Jsensee, ibd., wenn er feststellt, daß "[ ... ] jeder Schritt zu mehr Einheit per se als Fortschritt gilt". Differenzierend U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. (1231), der diese quantitative Betrachtungsweise für die "ersten Jahrzehnte der Gemeinschaft" begrüßt, mit Blick auf die weitere Entwicklung jedoch zu dem Ergebnis gelangt, daß es darauf ankomme, "das richtige Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Entscheidungsebenen zu finden". 287 M. Seidel, DVBI. 1989, S. 441 ff. (446).

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

271

lung substantieller Kriterien entstandene quantitative Betrachtungsweise mißt den Integrationsfortschritt primär an der Ausweitung der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaften 288 . Dieses Integrationverständnis liefert damit seinerseits die Grundlage für die Rechtfertigung für die eigenmächtige Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen weit über die in den Gründungsverträgen gesetzten Grenzen hinaus. Rechtstechnisch schlägt sich dies in der extensiven Auslegung ausdrücklich eingeräumter und anerkannter ungeschriebener Ermächtigungsgrundlagen sowie in der Inanspruchnahme nicht übertragener Zuständigkeiten der Gemeinschaften nieder. Diese Vorgehensweise erfährt in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gleichermaßen eine Absicherung wie eine Verstärkung, indem das Gericht unter Rückgriff auf Auslegungsmethoden wie den "effet utile" 289 oder das "Prinzip der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften"290 "immer wieder ,kühne Sprünge nach vom'" wagt291 .

IV. Der Primat der Wirtschaft 1. Konzeption und Entwicklung der Gemeinschaftsverträge

Die Dominanz der Wirtschaft bei der europäischen Integration schlägt sich vor allem auf zwei Ebenen nieder. Allen drei Verträgen liegt eine wirtschaftspolitische Zielsetzung und Konzeption zugrunde. So wird der Gedanke, den Wohlstand der Völker der Mitgliedstaaten zu mehren und ihren Lebens- und Sozialstandard zu heben, in den Präambeln aller drei Verträge - zum Teil mehrfach - betont. Erreicht werden soll dieses Ziel durch eine sukzessive "Vergemeinschaftung" der mitgliedstaatliehen Volkswirtschaften, d. h. durch die Übertragung wirtschafts- und finanzpolitisch relevanter Rechtsetzungs- und Verwaltungskompetenzen auf die Gemeinschaften zum Zwecke gemeinsamer und zum Teil einheitlicher Wahrnehmung. Insoweit kommt den einzelnen in den Gemeinschaftsverträgen festgelegten Aufgaben die Rolle von "Unterzielen" zu. Bei dieser Betrachtung unterscheiden sich die drei Gemeinschaften in 288 Darin liegt ein weiterer fundamentaler Gegensatz zur britischen Sicht, die Z. Bankowski, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann, Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 23 ff. (36), sehr zutreffend dahingehend beschreibt: "What is important is not what you experienced but rather you did it". (Hervorhebung im Original). 289 Vgl. zu dieser Auslegungmaxime des Europäischen Gerichtshofs statt aller R. Streinz, FS für Ulrich Everling, Bd. Il, S. 1491 ff. (durchgehend); W. Möschel, NJW 1994, S. l709f.; G. Hirsch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 79ff. (80). 290 Zu dieser Figur vgl. H. P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 199 f., der diesen Grundsatz geprägt hat. 291 So ausdrücklich T. Oppermann, Europarecht, Rz. 685.

272

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

erster Linie dadurch, daß die Europäische Atomgemeinschaft und die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl jeweils nur die Verflechtung genau bestimmter Industriezweige zum Ziel haben (Art. 1 und 2 EAGV und Art. 1 EGKSV in Verbindung mit den Anlagen zu diesem Vertrag, in denen die unter die Begriffe "Kohle und Stahl" fallenden Produkte genau spezifiziert werden), wohingegen die Europäische Gemeinschaft grundsätzlich und tendentiell auf eine umfassende Integration hin angelegt ist. Durch die schnellen Erfolge, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft schon sehr bald nach ihrer Gründung zu verzeichnen hatte, wurden eine Reihe der im Gründungsvertrag festgelegten Aufgaben der Gemeinschaft sehr viel früher erfüllt als zunächst erwartet, was insbesondere für die Errichtung des Gemeinsamen Zolltarifs, des Gemeinsamen Marktes und der Agrarmarktordnung gilt292 • Dies hatte zur Folge, daß die Integrationsentwicklung in den siebziger Jahren zu stagnieren begann und das gesamte Einigungswerk in eine Identitäts- und Sinnkrise geriet293 • Diese wurde zwar mit der Einheitlichen Europäischen Akte überwunden, gleichzeitig hat die Europäische Gemeinschaft mit diesem Reformwerk jedoch eine Ausgestaltung erfahren, die bis heute die Ursache für einige der grundlegenden Probleme des europäischen Einigungswerkes darstellt. Im Schrifttum wird vor allem der in der Einheitlichen Europäischen Akte bekundete Wille, "die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten in eine Europäische Union umzuwandeln"294 , betont, wobei insbesondere auf die Institutionalisierung der "Europäischen Politischen Zusammenarbeit" (EPZ) und auf die der EG neu übertragenen Kompetenzen z. B. in der Umwelt- und Technologiepolitik verwiesen 295 wird. Das entscheidende Element der Vertragsrevision von 1986 war jedoch das mit einer genauen Terminierung versehene Konzept zur Vollendung des Binnenmarktes296• Dieses Programm knüpfte an die wirtschaftspolitischen Erfolge der Gemeinschaft an, lieferte eine tragfaltige Grundlage für den Fortgang der Integration und eröffnete damit für Mitgliedstaaten, Gemeinschaftsorgane und beitrittswillige Länder297 eine klare auf den 1. Januar 1993 298 ausgerichtete Entwicklungsperspektive. Neben 292 Vgl. dazu T. Oppermann, ibd., Rz. 109f.; V. Nienhaus, in: Paul Klemmer (Hrsg.), Handbuch Europäische Wirtschaftspolitik, S. l ff. (12). 29 3 Vgl. dazu oben 3. Kapitel C. I. 294 So T. Oppermann, Europarecht, Rz. 42 (Hervorhebung im Original). 295 So insbesondere A. Bleckmann, Europarecht, Rz. 2813 ff. 296 Zustimmend H. G. Fischer, Europarecht, S. II. 297 Auf den zuletzt genannten Gesichtspunkt verweist besonders K. Stern, in: ders. (Hrsg.), Zukunftsprobleme der Europäischen Union, S. 1 ff. (4). 298 Vgl. zu der Tatsache, daß es sich bei diesem Datum nach Auffassung der Mitgliedstaaten um keinen rechtsverbindlichen Termin, sondern lediglich um eine Selbstverpflichtung handelt, statt aller R. Streinz, Europarecht, Rz. 37. Dies hat jedoch die Bedeutung dieses Datums als zeitlicher Richtwert nicht gemindert.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

273

dieser eindeutigen wirtschaftspolitischen Integrationsvorgabe kommt den wenigen und zudem inhaltlich sehr beschränkten299 Kompetenzen, die der EG auf anderen Politikfeldern mit der EEA zugewiesen wurden, eher eine marginale, ergänzende Bedeutung zu. Dies gilt um so mehr, wenn man sich vor Augen hält, daß etwa die Aufnahme der Umweltschutzkompetenzen in den Vertrag nicht zuletzt deshalb erforderlich wurde, um bereits von der Gemeinschaft auf diesem Gebiet erlassene Vorschriften nachträglich eine Ermächtigungsgrundlage zu verschaffen und sie damit aus dem Dunkel bloß "integrationspolitischer Legitimation" 300 heraus zu holen. Diese Überlegungen finden ihre Bestätigung in der Tatsache, daß trotz der Ausdehnung der EG-Zuständigkeiten auf nicht primär wirtschaftliche Bereiche die Bezeichnung "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" 1986 nicht aufgegeben wurde. Berücksichtigt man den bereits vor der EEA erreichten Integrationsstand und den von dem Binnenmarktprogramm ausgehenden Entwicklungsschub für den wirtschaftlichen Einigungsprozeß301 , so wird deutlich, daß mit diesem Reformwerk der Wirtschaftsintegration faktisch dauerhaft Priorität gegenüber der politischen Einigung und der Integration auf anderen Sektoren eingeräumt worden ist. Ihrem Charakter als Wirtschaftsgemeinschaft entsprechend, erfolgten die weiteren Integrationsschritte in Abhängigkeit von den Notwendigkeiten, die die Herstellung, der Ausbau und die Aufrechterhaltung des Binnenmarktes mit sich brachte, oder mit Bezug zu ihm302 . Der Primat der Wirtschaft ist bei der am 7. Februar 1992 vorgenommenen Änderung des E(W)G-Vertrages nicht nur erhalten geblieben, sondern sogar noch verstärkt worden303 . Denn den Kern der vertraglichen Modifikationen bildet die Aufnahme der Regelungen über die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion 304 . Im Vergleich dazu nimmt sich der 299 Es sei hier etwa an die durch die Regelung des Art. 130 r Abs. 4 EWGV stark limitierten Befugnisse der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Umweltschutzes erinnert. 300 So ausdrücklich M. Seidel, DVBI. 1989, S. 441 ff. (446). So betrachtet wären diese Gemeinschaftskompetenzen mindestens ebenso nach rückwärts gerichtet wie zukunftsweisend. 301 So auch A. Bleckmann, Europarecht, Rz. 39. 302 Vgl. dazu das von der Kommission 1985 herausgegebene "Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes", KOM (85) 310 endg., das insgesamt 282 zu erlassende gemeinschaftsrechtliche Regelungen aufführt. Nach Angaben der Kommission, EuZW 1996, S. 66, haben die Mitgliedstaaten bis 1996 insgesamt 93,2% der Hannonisierungsmaßnahmen umgesetzt. 303 Anmerkung: Diese und die nachfolgenden Bewertungen beziehen sich ausschließlich auf den in Maastricht geschlossenen Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und nicht! auf den Unionsvertrag. 304 Zu dieser allgemein unstreitigen Einschätzung vgl. statt aller E. Klein/A. Haratsch, DÖV 1993, S. 785ff. (791). M. Seidel, EuR 1992, S. 125ff. (131), und J. Wolf, JZ 1993, S. 594 ff. (596), sehen in der Herstellung einer "Währungsunion" sogar "einen Akt der Staatsgründung impliziert". 18 Moersch

274

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Kompetenzzuwachs der Gemeinschaft in den übrigen Bereichen "eher bescheiden" aus 305 . Die Ursache für die Dominanz, die der wirtschaftlichen Integration für das gesamte europäische Einigungswerk zukommt, erklärt sich unter anderem daraus, daß die "Vergemeinschaftung" auf ökonomischem Gebiet sehr schnell zu unmittelbaren und vor allem finanziellen Vorteilen in jedem Mitgliedstaat führt, was die Bereitschaft, in diesem Bereich nationale Kompetenzen auf die Gemeinschaft zu übertragen, deutlich erhöht. In der primär wirtschaftlichen Ausrichtung des Einigungsprozesses zeigen sich mithin auch die Reichweite und die Grenzen des integrationspolitischen Konsenses der Mitgliedstaaten. 2. Struktur und Kompetenzordnung des EG-Vertrages

Die Vorrangstellung der Wirtschaft dokumentiert sich indes nicht nur in der grundsätzlichen Zielsetzung und der Konzeption der drei Gemeinschaften und ihrer Entwicklung, sondern auch in der rechtlichen Ausformung insbesondere der Europäischen Gemeinschaft306 . Nachfolgend kann und soll keine vollständige Analyse des gesamten Vertrages vorgenommen werden. Es geht vielmehr lediglich darum, einige markante Merkmale dieser Übereinkunft herauszuarbeiten, die für den Charakter dieser Gemeinschaft als wirtschaftliche Vereinigung maßgebliche Bedeutung besitzen. Bereits die quantitative Verteilung der im dritten Teil des EG-Vertrages unter der Überschrift "die Politiken der Gemeinschaft" genannten Einzelvorschriften läßt ein deutliches Übergewicht von Wirtschafts- und finanzrechtlichen Regelungen erkennen. Während beispielsweise die gesamte Kulturpolitik und das Gesundheitswesen mit nur jeweils einem Artikel bedacht werden307 , umfaßt allein das Kapitel über "Wettbewerbsregeln" insgesamt neun Vorschriften. Diese stark unterschiedliche Regelungsdichte entspricht der hierarchischen Stufung der vertraglich festgelegten Gemeinschaftsaufgaben. An deren Spitze stehen die in Art. 2 EGV in ihren verschiedenen Ausprägungen beschriebenen Hauptziele, die mittels der in Art. 2 und 3 EGV genannten Politiken von der Gemeinschaft verfolgt werden, so daß diesen "Tätigkeiten der Gemeinschaft" letztlich instrumentelle Bedeutung zukommt. Die in Art. 3 EGV zunächst ganz allgemein aufgeführten Tätig305 So ausdrücklich C. 0. Lenz. FS für Herbert Helrnrich, S. 269 ff. (270); a. A. ist H. H. Rupp, ZRP 1993, S. 211 ff. (212f. ). 306 Anmerkung: Die Beschränkung auf die EG rechtfertigt sich zum einen daraus, daß diese Gemeinschaft das größere Entwicklungspotential im Vergleich zu den beiden übrigen Organisationen besitzt und zum anderen aus der dem EG-Vertrag zugemessenen Funktion, die Basis für eine umfassende Integration darzustellen. 3° 7 Vgl. die Art. 151 und 152 EGV.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

275

keiten werden in der weiteren Systematik des Vertrages in konkrete Aufgaben und spezielle Handlungsermächtigungen aufgespalten, wobei sowohl die Gliederungstiefe, d. h. die Zahl der Subebenen als auch die Differenzierungsbreite sehr unterschiedlich ausfallt. So steht der einstufigen Struktur in der Kultur- und Gesundheitspolitik, die beide neben ihrer Erwähnung in Art. 3 Abs. l lit. p und q EGV nur in den genannten Art. 151 und 152 EGV eine sehr allgemeine Ausgestaltung erfahren, ein weit ausdifferenziertes Normengeflecht auf dem Gebiet des Binnenmarktes gegenüber. Die diesbezüglichen Regelungen sind zunächst gemäß den vier Grundfreiheiten des Marktes in Bestimmungen über den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr gegliedert und werden durch das Wettbewerbsregime ergänzt, wobei allein die unter den Titeln "Warenverkehr" und "Freizügigkeit [... ]" genannten Vorschriften nochmals in die Kapitel "Zollunion" und "Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen [... ]" bzw. "Arbeitskräfte" und "Niederlassungsrecht" unterteilt sind. Die Kompetenzen und Befugnisse der Gemeinschaft lassen sich so in ein System verschiedener "Konkretisierungsebenen" einordnen, dem in Anlehnung an den Grundsatz "lex specialis derogat legi generali" eine Prioritätenfolge der einzelnen Gemeinschaftsaufgaben entnommen werden kann308 . Ebenso wie in der Normierungsdichte und der Vertragssystematik zeigt sich die herausragende Bedeutung der Wirtschaftsintegration in den einzelnen Gemeinschaftskompetenzen und Ermächtigungsgrundlagen. So beschränkt sich ihre Zuständigkeit auf dem Gebiet der Kulturpolitik gemäß Art. 151 EGV darauf, "einen Beitrag" zu leisten bzw. die ,,Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten" zu "fördern", während der Vertrag im Wettbewerbsrecht in den Art. 81 und 82 konkrete materielle Verbotstatbestände für Unternehmen und Mitgliedstaaten normiert, zu deren Durchsetzung die Gemeinschaft "zweckdienliche Verordnungen und Richtlinien" erlassen kann (Art. 83 Abs. 1 EGV). Bei der Kontrolle staatlicher Beihilfen besitzt die Kommission gemäß Art. 88 EGV sogar unmittelbare Vollzugskompetenzen. In der Wirtschaftspolitik verfügt die Gemeinschaft mithin über weitreichende politische und rechtliche Gestaltungs- und Rechtsetzungsmöglichkeiten. Auf anderen Gebieten ist sie dagegen teilweise auf eine bloße Unterstützung und Förderung nationaler Politik verwiesen und damit an die mitgliedstaatliehen Vorgaben gebunden. Der Primat des Binnenmarktes zeigt sich überdies in Vorschriften, die die Zulässigkeil nationaler Schutzbestimmungen zugunsten der verschiedenen Rechtsgüter unter den Vorbehalt ihrer Vereinbarkeil mit dem Gemeinsamen Markt stellt309 . Trotz der Priorität, die nach der übereinstimmenden Auffassung der Mitgliedstaaten der wirtschaftlichen Integration zukommen soll, besteht seit der 308 309

18•

Vgl. dazu J. Basedow, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 49 ff. (51). Als Beispiele seien die Art. 30 Satz 2 und 86 Abs. 2 EGV genannt.

276

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Gründung der Europäischen Gemeinschaften ebenfalls Konsens darin, die Zuständigkeit für die allgemeine Wirtschaftspolitik und einen Teil des zu ihrer Umsetzung erforderlichen Instrumentariums in der nationalen Kompetenz zu belassen. Ausdruck findet diese Grundhaltung zum einen in dem seit dem Abschluß der Römischen Verträge unverändert gebliebenen Art. 295 EGV, wonach der Vertrag "die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt" läßt, zum anderen in den Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Aufnahme des Art. 295 in den EG-Vertrag sollte ursprünglich sicherstellen, daß in Anbetracht der heterogenen Wirtschaftspolitiken und Staatsquoten in den Gründungsstaaten von dem Gemeinschaftsvertrag keine Rechtspflicht zur Verstaatlichung oder Privatisierung von Unternehmen ausgehe 10. Für die Bundesrepublik Deutschland gewinnt diese Vorschrift in jüngster Zeit mit Blick auf die öffentlichen Unternehmen, die mit der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge betraut sind, wie etwa die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten311 und die kommunalen Sparkassen312 zunehmende Bedeutung, indem Art. 295 EGV dem von der Wettbewerbspolitik der Kommission ausgehenden Privatisierungsdruck313 eine rechtliche Grenze setzt. Insoweit stellt die Norm zugleich eine institutionelle Absicherung der wirtschaftspolitischen Dispositionsbefugnis der Mitgliedstaaten dar, die Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Gütern und Dienstleistungen als öffentliche

310 Diese Interpretation des Art. 295 EGV wurde auch von der Bundesregierung im Rahmen des Zustimmungsverfahrens zu den Römischen Vertägen vertreten. Vgl. dazu BT-Drs. 2/3440, S. 154, wo es heißt: "Keine Bestimmung des Vertrages darf daher so ausgelegt werden und keine Maßnahme der Organe der Gemeinschaft darf zum Ziele haben, ein Unternehmen in Gemeinwirtschaft zu überführen oder umgekehrt ein im Gemeineigentum stehendes Unternehmen zu privatisieren". 311 Zum öffentlichen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, eine "Grundversorgung" sicherzustellen, vgl. BVerfGE 35, 202 [222]; 73, 118 [158]; 74, 297 [324 f.]; 83, 238 [298]. 312 Der öffentliche Auftrag der kommunalen Sparkassen folgt unmittelbar aus den entsprechenden Landesgesetzen. Vgl. stellvertretend etwa § 2 des hessischen Sparkassengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 1991, GVBI. I S. 78, geändert durch Gesetz vom 20. Mai 1992, GVBI. I S. 189. Die Rechtsprechung hält ungeachtet der Ausweitung der Geschäftstätigkeit der kommunalen Sparkassen an deren Qualifizierung als Einrichtungen der Daseinsvorsoge fest. Vgl. dazu BVerfGE 75, 192 [199]; BVerwG, DVBI. 1972, S. 780f.; BVerwGE 41, 195 [l96f.]; 69, II [22]; BGH, NJW 1983, S. 2509, (2511); VGH NRW, NVwZ 1987, s. 211 (212 f.). 313 Vgl. dazu das ,,Non-paper zur Behandlung der Anstaltslast und Gewährträgerhaftung der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Deutschland angesichts des Art. 92 (I) des EG-Vertrages" vom Dezember 1995, wo auf Seite 25 unter Hinweis auf die Zusage Frankreichs, den Automobilhersteller "Renault" zu privatisieren, die Erwartungshaltung der Kommission bezüglich der deutschen öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute deutlich zum Ausdruck kommt.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

277

Aufgabe auszugestalten und diese von öffentlichen Unternehmen wahrnehmen zu lassen314 • Auch bei der rechtlichen Ausformung der Wirtschafts- und Währungsunion im Vertragswerk von Maastricht haben die Mitgliedstaaten ihre generelle Zuständigkeit für die allgemeine Wirtschaftspolitik nicht aufgegeben. Während die Währungspolitik und -hoheit nach Maßgabe des in Art. 105 bis 124 EGV festgelegten Zeitplans in die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Zentralbank (EZB) übergehen soll, haben sich die Mitgliedstaaten in der sog. Wirtschaftsunion lediglich zu einer "im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (Art. 98 Satz 2 EGV) stehenden Politik verpflichtet, die sie nach Art. 99 Abs. 1 EGV im Rat koordinieren wollen. Die Gemeinschaft selbst ist hierbei gemäß Art. 99 Abs. 2 EGV auf die Abgabe rechtlich nicht verbindlicher Empfehlungen315 beschränkt. Die Bezeichnung "Wirtschafts- und Währungsunion", die eine "Vergemeinschaftung" beider Politiken suggeriert, ist mit Blick auf den Vertragsinhalt zumindest mißverständlich, wenn nicht gar irreführend. Die fortbestehende wirtschaftspolitische Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß die Europäische Gemeinschaft in erster Linie eine auf ökonomische Integration hin ausgerichtete Organisation ist.

V. Konsequenzen der wirtschaftlichen Ausrichtung der Integration Die Tatsache, daß der Wirtschaftsintegration bei der europäischen Einigung eine herausragende Rolle zukommt, hat ebenso wie die fehlende Finalität dieses Prozesses weitreichende Konsequenzen. Bei der Betrachtung dieser Folgen, gilt es, sich stets zu vergegenwärtigen, daß der Primat der Ökonomie, nicht das Ergebnis einer zufälligen Entwicklung darstellt, sondern Bestandteil des von den Mitgliedstaaten gemeinsam getragenen Konzepts aller drei Gemeinschaften ist und als solcher eine Ausformung und Fortentwicklung in den Gemeinschaftsverträgen erfahren hat. Es wurde bereits angedeutet, daß die Einheitliche Europäische Akte eine markante Zäsur in der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft wie der des gesamten Integrationsprozesses darstellt. Dabei liegt die Bedeutung des Reformwerkes von 1986 vor allem in der eigentümlich ambivalenten Prä314 Vgl. zu dieser Funktion des Art. 295 EGV das Rechtsgutachen von K. Stern, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung in europarechtlicher Bewertung, Köln 1997 (unveröffentlicht), S. 73 ff. 315 Art. 249 Abs. 5 EGV.

278

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

gung, die sie der EG gegeben hat. Waren die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft bis zu dieser grundlegenden Reform ausschließlich wirtschaftlicher Art316, so wurden mit der EEA zum einen die Aufgaben der Gemeinschaft auf primär nicht wirtschaftliche Bereiche wie etwa die Technologie- und Umweltpolitik ausgedehnt317 • Zum anderen wurde der Gemeinschaft mit der Zuständigkeit für die Herstellung des Binnenmarktes bis zum Ende des Jahres 1992 eine inhaltlich wie systematisch völlig neuartige Funktion übertragen. Das Binnenmarktprogramm änderte daher auch den Charakter der Europäischen Gemeinschaft. Während die Errichtung einer Zollunion oder einer Agrarmarktordnung mit einem Mindestpreissystem eindeutig begrenzte und inhaltlich bestimmte Aufgaben sind, handelt es sich bei der Schaffung eines Binnenmarktes um eine nicht klar eingrenzbare Querschnittstätigkeit Diese erfordert ein Verbot bzw. die Reduzierung jener Maßnahmen und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die eine der Verkehrsfreiheiten einschränken und so dem Binnenmarkt entgegenstehen, wobei es prinzipiell auf den Sinn und Zweck dieser Marktbeeinträchtigungen nicht ankommt. Dies bedeutet, daß grundsätzlich auch solche nationalen Bestimmungen und Rechtsakte aufzuheben oder an die Bedürfnisse des Gemeinsamen Marktes anzupassen sind, die den Schutz spezieller Rechtsgüter und Gemeinwohlbelange bezwecken, soweit sie eine der Marktfreiheiten einschränken. Das Binnenmarktkonzept führt daher in Verbindung mit dem dem Gemeinschaftsrecht zukommenden Vorrang zu einer prinzipiellen Unterordnung aller übrigen Politiken und öffentlichen Belange unter die Bedürfnisse des Gemeinsamen Marktes. Dies wird in der Formulierung des Art. 96 EGV besonders deutlich318 . Daran vermögen auch jene Vertragsbestimmungen nichts zu ändern, die die Aufrechterhaltung und den Erlaß nationaler Schutzvorschriften oder finanzpolitischer Maßnahmen zugunsten bestimmter Rechtsgüter vorsehen 319 . Diese vertraglichen Regelungen haben 316 Der Verfasser verkennt nicht, daß die von den Gemeinschaftsorganen erlassenen Rechtsakte sich teilweise auch auf andere Gebiete bezogen haben und insoweit über den Bereich reiner wirtschaftspolitischer Maßnahmen hinausgegangen sind. Entscheidend ist jedoch, daß der EWG-Vertrag vor der Reform von 1986 keine eigenständigen Ermächtigungsgrundlagen für andere Politikfelder enthielt. 317 Siehe dazu die Art. 130 f bis 130 q und Art. 130 r bis 130 t des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in der durch die Einheitliche Europäische Akte geänderten Fassung, BGBI. 1986 II S. 1102. 318 Absatz 1 dieser Vorschrift lautet: "Stellt die Kommission fest, daß vorhandene Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten die Wettbewerbsbedingungen auf dem Gemeinsamen Markt verfalschen und dadurch eine Verzerrung hervorrufen, die zu beseitigen ist, so tritt sie mit den betreffenden Mitgliedstaaten in Beratungen ein". Absatz 2 gibt der Gemeinschaft für den Fall, daß diese Beratungen ergebnislos verlaufen, das Recht, "mit qualifizierter Mehrheit [...] die erforderlichen Richtlinien" zu erlassen. 319 Vgl. die Art. 30 Satz 1, 58 Abs. I, 87 Abs. 2 und 3 EGV.

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

279

zum einen Ausnahmecharakter und werden als solche320 vom Europäischen Gerichtshof eng ausgelegt 321 • Zum anderen sind die Ausnahmetatbestände zumeist ihrerseits unter den generellen Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit den Marktbedürfnissen gestellt322 . Somit sind Zielkonflikte zwischen dem Gemeinsamen Markt und anderen Politiken zugunsten der wirtschaftlichen Integration vertraglich präjudiziert. Daraus folgt jedoch, daß das auf dem dauerhaften Primat der Wirtschaft aufbauende Integrationskonzept im Widerspruch zu der funktionalistischen Theorie steht. Denn Integrationserfolge auf ökonomischem Gebiet können aus den genannten Gründen gerade nicht im Sinne dieses Ansatzes auf immer weitere Politikfelder übergreifen und so zu einer politischen Einigung in einem europäischen Staatswesen führen. Vielmehr bleiben die Integrationsfortschritte in den übrigen Politikfeldern stets von den Bedürfnissen des Gemeinsamen Marktes abhängig. Da zu den Grundvoraussetzungen eines jeden freien Marktes ein ungestörter und fairer Wettbewerb gehört, kommt den Kompetenzen der Gemeinschaft auf diesem Gebiet größte Bedeutung zu. Dabei sind die Regelungen des EG-Vertrages in gleicher Weise einem freien wie unverfälschten Wettbewerb verpflichtet. Diese beiden Ziele kommen sowohl in der an Unternehmen gerichteten Vorschrift des Art. 81 Abs. 1 EGV als auch in Art. 87 Abs. I EGV, der die Zulässigkeil staatlicher Beihilfen für Unternehmen regelt, klar zum Ausdruck. Um Wettbewerbsbeeinträchtigungen zu verhindem und jedem Anbieter einen möglichst ungehinderten Zugang zum Gemeinsamen Markt zu ermöglichen, müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Zu diesem Zweck enthält der EGVertrag ein eigenes Kapitel über die "Angleichung von Rechtsvorschriften" (Art. 94 bis 97 EGV). Die "Rechtsangleichung" oder "Harmonisierung" hat sich entsprechend der Bedeutung des Gemeinsamen Marktes zu einer der wichtigsten Tätigkeiten der Gemeinschaft entwickele23 • Dabei ist die Befugnis zur Rechtsangleichung auf jene "Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten" beschränkt, "die sich unmittelbar auf die 320 Auf die Fragwürdigkeit des ,.Grundsatzes", Ausnahmen seien "eng" auszulegen, weist zu Recht F. Müller, Juristische Methodik, Rz. 373, hin; er spricht daher von ,.pseudo-normativer Regel". Kritisch auch K. Larenz, Methodenlehre, S. 243f. 321 Vgl. EuGH Slg. 1995 I - 3069, Rz. 21; T. Schilling, EuR 1996, S. 44ff. (durchgehend). 322 Vgl. die Art. 30 Satz 2, 58 Abs. 3 und 87 Abs. 2 Satz 2 EGV. 323 In jüngster Zeit wird jedoch gerade aus Sicht der Wirtschaft zunehmende Kritik an der Harmonisierungspolitik der Gemeinschaft geübt. Vgl. dazu die überzeugenden Ausführungen von E. Wymeersch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 187 ff. (190ff.); ähnlich die Bemerkung H. Bieners, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 205 ff. (208), der EG-Vertrag verlange ,.nicht die Entwicklung eines Einheitsrechts".

280

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken" (Art. 94 EGV). Soweit Richtlinien zur Harmonisierung gemäß dem Verfahren des Art. 251 EGV mit qualifizierter Mehrheit erlassen werden können, müssen diese immerhin "die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben" (Art. 95 Abs. 1 EGV) 324 . Die Unbestimmtheit der Begriffe "unmittelbare Auswirkung" und "zum Gegenstand haben" erlaubt jedoch eine weite Auslegung, was die Begrenzungswirkung der genannten Regelungen erheblich mindert. Nimmt man die fehlende thematische Eingrenzung des Binnenmarktes und seine herausragende Bedeutung hinzu, wird deutlich, daß die Art. 94 und 95 EGV tatsächlich ein alle Politikbereiche erfassendes Integrationsinstrument darstellen. Wegen ihres großen Integrationspotentials sind die Harmonisierungsvorschriften bisweilen sogar unter Mißachtung ihrer vertraglich angelegten Limitierung als Mittel zur Ausdehnung der Gemeinschaftstätigkeit genutzt worden. Denn wenn die Gemeinschaftsorgane auf irgendeinem Gebiet einheitliches Recht schaffen wollen, müssen sie lediglich in nachvollziehbarer Weise darlegen, daß die Vereinheitlichung der fraglichen Vorschriften für den Binnenmarkt förderlich ise25 • Da sich ein solcher Zusammenhang jedoch fast immer herstellen läßt 326, erlauben die Harmonisierungsvorschriften nicht nur einen generellen Zugriff der Gemeinschaft auf die Rechtsordnung und die Verwaltungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten, sondern führen weit über den unmittelbaren Bereich des Binnenmarktes hinaus zur Nivellierung bestehender Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen. VI. Fazit

Ebenso wie die Montanunion und die Europäische Atomgemeinschaft ist auch die Europäische Gemeinschaft in erster Linie eine Wirtschaftsgemeinschaft An diesem Befund ändert weder die im Maastrichter Vertragswerk vorgenommene Umbenennung von EWG in EG noch die seit der Reform von 1986 praktizierte sukzessive Ausdehnung der EG-KompetenHervorhebungen durch den Verf. So auch M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (14 und 19). 326 Es sei hier nur an die oben in 3. Kapitel B. II. l. a), erwähnte Argumentation der Gemeinschaft zur Begründung ihrer Aktivitäten in der Bildungspolitik verwiesen. Wie hier C. Calliess, EuZW 1995, S. 693 ff. (695). Jüngstes Beispiel für diese Vorgehensweise der Gemeinschaft ist die Richtlinie für ein vollständiges Werbeverbot für Tabakwaren, der zwar nicht ausdrücklich auf die Binnenmarktkompetenzen abstellt, aber auf das Funktionieren des Binnenmarktes und damit letztlich auf die Vorschriften des (nunmehr aufgehobenen) Art. 47 und 90 EGV a.F. rekurriert. Vgl. dazu die Richtlinie 98/43/EG unter 98/C 91/03, EG ABI. L 213 vom 30. Juli 1998. So auch R. Wägenbaur, EuZW 1998, S. 23. 3 24 325

C. Grundlagen des bisherigen Integrationskonzeptes

281

zen auf nichtwirtschaftliche Politikbereiche etwas. Der Primat der Wirtschaft, der sich insbesondere in dem Binnenmarktprogramm der Einheitlichen Europäischen Akte und dem Plan zur Errichtung einer Wirtschaftsund Währungsunion niederschlägt, bildet neben der fehlenden Finalität des Integrationsprozesses die zweite Grundlage der europäischen Einigung. Die wirtschaftliche Ausrichtung und die Zieloffenheit der Integration prägen gleichermaßen die Gründungsverträge wie die Politik der Europäischen Gemeinschaft. Die mangelnde Zielvorgabe hat den Vorgang der Integration zum Selbstzweck werden lassen. Die Entwicklung selbst wird vornehmlich unter quantitativen Gesichtspunkten betrachtet, so daß die schlichte Ausdehnung der Gemeinschaftszuständigkeiten und -befugnisse unmittelbar als Fortschritt bei der europäischen Einigung angesehen oder sogar mit dieser gleichgesetzt wird. Dieses Integrationsverständnis führt zwangsläufig zu einer Konzentration von politischer Gestaltungs- und Rechtsetzungsmacht auf Gemeinschaftsebene und damit zu einer Zentralisierung von Kompetenzen. Die vertraglich festgeschriebene Dominanz der Wirtschaft hat zu einer starken Hierarchisierung der Gemeinschaftsaufgaben und -tätigkeiten geführt, in der nichtwirtschaftliche Funktionen den Notwendigkeiten des Binnenmarktes nachgeordnet werden, weshalb auch das Integrationsniveau auf den übrigen Politikfeldern letztlich von den Erfordernissen des Marktes abhängt. Da dieser vor allem einen unverfälschten Wettbewerb voraussetzt, kommt innerhalb der wirtschaftspolitischen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft dem Wettbewerbsrecht eine herausragende Bedeutung zu. Dabei ist das Wettbewerbsregime des EG-Vertrages vorrangig auf die Herstellung und Erhaltung gleicher Wettbewerbs- und Marktzugangsbedingungen gerichtet. Seine egalitätsstiftende Wirkung greift jedoch wegen der insgesamt dominanten Stellung der Wirtschaftspolitik über diese hinaus und prägt so auch stark die übrigen Tätigkeiten der Gemeinschaft. Dieser Effekt wird zusätzlich durch die Praxis der Gemeinschaftsorgane verstärkt, Verordnungen und Richtlinien häufig auf die weitreichenden marktbezogenen Querschnittskompetenzen und nicht auf die thematisch einschlägigen Zuständigkeiten zu stützen. Insgesamt gründet sich der europäische Einigungsprozeß damit auf zwei Prinzipien, die ihm einen ausgeprägt zentralistischen und Egalität heischenden Charakter verleihen. Dabei darf nicht verkannt werden, daß die Zieloffenheit und die Dominanz der Ökonomie bisher zugleich auch die Grenze des integrationspolitischen Konsenses der Mitgliedstaaten markieren, was jede Veränderung dieser Grundlagen als problematisch und langwierig, wenn nicht gar als ganz unmöglich erscheinen läßt. Bei den Konsequenzen, die dieses Einigungskonzept mit sich bringt, muß zwischen den Erfordernissen des Integrationsvorgangs einerseits sowie dem

282

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Verständnis und der Umsetzung dieses Prozesses andererseits differenziert werden. Jede Integration, verstanden als ein Zusammenführen sozialer Einheiten zu einer größeren Gemeinschafe27 , bedingt ein Mindestmaß an Zentralisierung328. Denn soll die Einigung nicht durch Verschmelzen der Glieder zu einem monolithischen Gebilde erfolgen, sondern durch eine deren Existenz und Vielgestaltigkeit bewahrende Verbindung, so bedarf diese ihrerseits der inneren Kohärenz und einer eigenen Identität. Beides wird bei Formen der staatlichen und zwischenstaatlichen Integration unter anderem durch die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen an die übergeordnete Gemeinschaft bewirkt. Damit geht notwendigerweise eine gewisse Zentralisierung und Unitarisierung einher. Trotz dieses grundsätzlichen Zusammenhangs erzwingt der in den Gemeinschaftsverträgen bekundete Einigungswille keineswegs das von den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union an den Tag gelegte Integrationsverständnis. Für das Verhältnis von Subsidiarität und Integration kann insoweit festgehalten werden, daß es sich um antagonistische Prinzipien handelt. Dieser Gegensatz wird durch die von den Gemeinschaftsorganen und der Mehrheit der Mitgliedstaaten betriebene Integrationspolitik noch verstärkt. Das führt zu der Frage, ob und in welcher Weise beide Grundsätze in der Rechtsordnung der Europäischen Union so miteinander in Einklang gebracht werden können, daß den Bedürfnissen nach gemeinschaftlicher Kohärenz und mitgliedstaatlicher Identität gleichermaßen Rechnung getragen wird. Nachfolgend wird ausgehend von den im ersten Kapitel herausgearbeiteten Merkmalen und mit Blick auf die mit seiner Einführung in den EG-Vertrag verbundenen Erwartungen die Ausgestaltung, die der Subsidiaritätsgrundsatz in Art. 5 Abs. 2 EGV erfahren hat, einer kritischen Würdigung unterzogen. Dabei gilt es, die Rahmenbedingungen des Intergrationsprozesses mit in die Betrachtungen einzubeziehen.

327 Auf diese allgemeine Bedeutung Jassen sich alle Integrationsbegriffe zurückführen. Vgl. statt aiier R. Smend, Integrationslehre, S. 475ff.; ders., Integration, S. 482 ff.; ders., Stichwort: Integration, in: EvStL, Bd. I, Sp. 1355; P. Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 377; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. SOff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 35 f. et passim; M. Mols, AöR 94 (1969), S. 513 ff. (540ff.); ders., Stichwort: Integration, in: StL, Bd. 3, Sp. 111 u. 116; K. Hesse, Grundzüge, Rz. 6f. 328 So auch M. Zuleeg, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185 ff. (186).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 283

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht I. Universalität 1. Die Anwendungsbeschränkungen des Art. 5 Abs. 2 EGV

Der Grundsatz der Subsidiarität beansprucht universelle Geltung 329• Bezogen auf die Rechtsordnung der Europäischen Union bedeutet dies, daß er für alle Politiken und Tätigkeiten der Gemeinschaftsorgane gelten müßte 330. Diesem Allgemeinverbindlichkeitsanspruch entspricht zunächst die vertragssystematische Verankerung des Subsidiaritätsprinzips als Bestandteil der Grundlagen von Europäischer Union und Gemeinschaft in Art. 2 Abs. 2 EUV und Art. 5 Abs. 2 EGV. Seinem universellen Charakter widerspricht es jedoch, die Anwendung dieses Organisationsgrundsatzes auf jene Bereiche, in denen die Gemeinschaft keine "ausschließliche Zuständigkeit" besitzt, zu beschränken. Zudem ist die Form, in der diese Begrenzung vorgenommen wurde, ihrerseits widersprüchlich. Das läßt sich anband folgender Überlegung verdeutlichen. Bei einer konsequenten Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV könnte die Gemeinschaft alle Materien regeln, für die sie eine vertragliche Kompetenz besitzt, wenn die jeweilige Aufgabe auf nationaler Ebene keine ausreichende Lösung erwarten ließe und ein Gemeinschaftshandeln insoweit bessere Ergebnisse verspräche. Bei dieser Ausgangslage ergibt ein partieller Anwendungsausschluß des Subsidiaritätsprinzips nur einen Sinn, wenn andernfalls die Regelungskompetenzen der Gemeinschaft auf bestimmten Gebieten verneint werden müßten und dieses Ergebnis vermieden werden soll. Dies führt zu folgenden Schlußfolgerungen: Die Mehrheit der Mitgliedstaaten sieht in dem Subsidiaritätsgrundsatz ein Instrument zur Begrenzung gemeinschaftlicher Kompetenzen, da andernfalls ein entsprechender Anwendungsausschluß keinen Sinn ergäbe. Dies war mit Blick auf die im Vorfeld der Vertragsänderungen von Maastricht kontrovers geführte Diskussion keineswegs selbstverständlich331 . Da das Subsidiaritätsprinzip in der Fassung des Art. 5 Abs. 2 EGV Kompetenzen nach den Gesichtspunkten ausreichender mitgliedstaatlicher bzw. besserer gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung Vgl. zu diesem Merkmal des Subsidiaritätsprinzips oben l. Kapitel C. V. l. a). Zutreffend die Bemerkung M. Heidenhains, EuZW 1993, S. 73, Subsidiarität sei "unteilbar". 331 Erinnert sei hier nur an die gänzlich andere Interpretation des Subsidiaritätsprinzips in dem Memorandum der spanischen Regierung vom 30. Oktober 1992. Vgl. dazu oben 3. Kapitel B. II. l. c). 329

330

284

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

den konkurrierenden Handlungsebenen zuweist, bedeutet die ausdrückliche Nichtanwendung dieses Grundsatzes, daß bei den betreffenden Materien eine an anderen Kriterien ausgerichtete Zuständigkeitszuweisung beabsichtigt wurde. Daraus kann zwar nicht der Schluß gezogen werden, daß in diesen Bereichen bewußt suboptimale Lösungen angestrebt werden. Die partielle Präklusion einer an dem Grundsatz adäquater Funktionswahrnehmung orientierten Kompetenzverteilung zeigt aber, daß für die Zuständigkeitszuordnung der fraglichen Politikbereiche andere Maßstäbe gelten sollen. Vor diesem Hintergrund erscheint es jedoch legistisch widersprüchlich, den Anwendungsausschluß des Subsidiaritätsprinzips durch Rückgriff auf den unbestimmten und den im Gemeinschaftsrecht ungebräuchlichen332 Begriff der "ausschließlichen Zuständigkeit" regeln zu wollen. Vielmehr wäre es folgerichtig gewesen, die konkreten Politikfelder, auf die der Subsidiaritätsgrundsatz nicht angewandt werden soll, namentlich zu bezeichnen. Vertragstechnisch hätte man dies entweder über einen Enumerativkatalog im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 EGV oder durch Einfügung entsprechender Ausschlußklauseln bei den einzelnen Kompetenznormen erreichen können. Die Tatsache, daß dieser Rechtssicherheit und -klarheit schaffende Weg nicht gewählt wurde, legt die Vermutung nahe, daß ebenso wie über die grundsätzliche Bedeutung und Funktion des Subsidiaritätsprinzips auch über seine Reichweite letztlich kein Konsens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestand. Diese Annahme wird durch die kontroverse Diskussion über die Auslegung des Begriffs "ausschließliche Zuständigkeiten" bestätigt, die in ihren Hauptargumenten nachfolgend betrachtet werden soll. 2. Abgrenzungs- und Definitionsprobleme

Der Begriff der "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit" wirft zwei zentrale Fragen auf. Zum einen müssen die Politiken und Tätigkeiten festgelegt werden, die in die alleinige Verantwortung der Gemeinschaft fallen. Zum anderen gilt es, diese Kategorisierung unter Darlegung der zugrunde gelegten Einordnungskriterien überzeugend zu begründen. Angesichts der offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten kann es kaum verwundern, daß sich der Rat bei der konkreten Bestimmung "ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen" stark zurückgehalten hat333 . 332 Der EG-Vertrag enthält lediglich in Art. 106 Abs. I EGV die Fonnulierung, daß der Europäischen Zentralbank nach Inkrafttreten der dritten Stufe der Währungsunion das "ausschließliche Recht, die Ausgabe von Banknoten zu genehmigen", zustehe. 333 So auch C. Calliess, EuZW 1995, S. 693 ff. (693); ders., Subsidiarität- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 7 I.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 285

So beschränken sich die Ausführungen des Europäischen Rates von Edinburgh auf die Angabe einer allgemeinen Relation, wonach der Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips um so kleiner sein soll, "je genauer eine Aufgabe durch den Vertrag definiert wird" 334 . Da es im übrigen auch an einer eindeutigen Stellungnahme des Rates zu den Motiven und Zielen, die mit dem partiellen Anwendungsausschluß des Subsidiaritätsgrundsatzes verfolgt werden, fehlt, eröffnet der Terminus "ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeiten" breiten Raum für Spekulationen und subjektive Erwägungen. Diese sind wiederum entscheidend von dem jeweiligen Integrationsverständnis der Autoren abhängig. a) Einordnung einzelner Politikfelder

Im folgenden gilt es, die zentralen Argumente der Auseinandersetzung um die Einführung des Subsidiaritätsprinzips in das geltende Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage des verfolgten Ziels, ein "Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Entscheidungsebenen"335 bei der Kompetenzaufteilung herzustellen, das den Bedürfnissen gemeinschaftlicher Kohärenz und nationaler Identität gleichermaßen gerecht wird, kritisch zu würdigen. Insgesamt gesehen besteht das Meinungsspektrum im wesentlichen aus unterschiedlichen Varianten zu zwei gegensätzlichen Positionen, ergänzt um einen weiteren Begründungsansatz. Den Ausgangspunkt markieren dabei die Standpunkte der Kommission und der Bundesregierung. Anknüpfend an ihr Memorandum zum Subsidiaritätsprinzip vom September 1992336, legt die Bundesregierung das Tatbestandsmerkmal der "ausschließlichen Zuständigkeit" der Gemeinschaft eng aus und faßt hierunter lediglich die Bereiche Handelspolitik, Zollrecht und Erhaltung der Fischereiressourcen337. Demgegenüber tritt die Kommission in ihrer "Mitteilung [.. .] an den Rat und an das Europäische Parlament betreffend das Subsidiaritätsprinzip"338 für eine weite Auslegung der ihr exklusiv zugewiesenen 334 Europäischer Rat von Edinburgh vom 11./12. Dezember 1992, Schlußfolgerungen des Vorsitzes. Text in: EA 1993, D, S. 2ff.; Bull. BReg. Nr. 140 vom 28. Dezember 1992. 335 So U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. (1231). Ähnlich H. Hili, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, S. 117 ff. ( 117), der abstrakter davon spricht, die Grundsätze der Subsidiarität und der Integration .,in eine innere Harmonie" zu bringen. 3 36 Text in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 130ff. 337 Vgl. dazu R. Hach, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 17 ff. (28). 338 Dok. SEK (92) 1990 endg. vom 27. Oktober 1992; Text in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112 ff.

286

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Zuständigkeiten ein. So sollen neben der Beseitigung der Hindernisse für die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes, die gemeinsame Handelspolitik, die allgemeinen Wettbewerbsregeln, die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, die Erhaltung der Fischbestände und die wesentlichen Elemente der Verkehrspolitik (Art. 71 lit. a und b EGV) als ausschließlich der Gemeinschaft vorbehaltene Tätigkeitsbereiche anzusehen sein. Ungeachtet einiger hier nicht relevanter Unterschiede im Detail lassen sich die in der Literatur vertretenen Auffassungen danach differenzieren, ob und in welchem Umfang sie die binnenmarktbezogenen funktionalen Querschnittskompetenzen der Gemeinschaft zu deren ausschließlichen Zuständigkeiten rechnen339 . Bezieht man diese in den Kreis der "ausschließlichen Gemein339 Eine weite Auslegung des Begriffs "ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeiten" unter Einschluß der Binnenmarktkompetenzen vertreten unter anderen: /. E. Schwanz, FS für Ulrich Everling, Bd. II, S. 133lff. (1334); ders., AfP 1993, S. 409ff. (414f.); H. W. Micklitz/N. Reich, EuZW 1992, S. 593ff. (594); J. Scherer, DVBI. 1993, S. 281ff. (283f.), allerdings beschränkt auf den freien Warenverkehr; G. Langguth, in: Lenz, Art. 3b, Rz. 18; W. Maihofer, HdbVR, § 25, Rz. 152ff.; A. G. Toth, CMLR 1992, S. 1079ff. (1090, 1094); N. Reich, ZEuP 1994, S. 381 ff. (403f.); P. W. Heennann, in: Rupert Scholz (Hrsg.), Deutschland auf dem Weg in die Europäische Union, S. 364 ff. (369); C. Gulmann, in: Kay Hailbronner (Hrsg.), Europa der Zukunft, S. 45ff. (46f.); P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (66ff.), der im Ergebnis sogar die Entscheidung über die Anwendung der Rechtsangleichungskompetenzen Art. 94 und 95 EGV zu den allein den Gemeinschaftsorganen zugewiesenen Aufgaben rechnet. Gegen die Einbeziehung der binnenmarktbezogenen Kompetenzen und für ein engeres Verständnis der ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen in Art. 5 Abs. 2 EGV sprechen sich aus: A. Bleckmann, Europarecht (5. Auf!. 1990), Rz. 118, der lediglich die gemeinsame Handelspolitik als zu dieser Kategorie gehörig ansieht; ebenso M. Heinze, RdA 1994, S. lff. (l, 5). G. Ress, DÖV 1992, S. 944ff. (948), will "sämtliche Harrnonisierungsbereiche" den konkurrierenden Zuständigkeiten zurechnen; P. M. Schmidhuber, DVBI. 1993, S. 417ff. (418), zählt lediglich "die gemeinsame Landwirtschaftsund Fischereipolitik, die Handelspolitik gegenüber Drittstaaten [undJ die Beihilfenkontrolle" zu den ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen; ebenso ders.IG. Hitz/er, EuZW 1993, S. 8ff. (9 mit Fn. 4); R. von Borries, FS für Arved Deringer, S. 22ff. (28); ders., EuR 1994, S. 263ff. (273ff.), sieht neben der ,,Erhaltung der Fischbestände und der Handelspolitik" in eingeschränktem Maße noch die "Agrarmarkt- und die Verkehrspolitik" sowie die "Wettbewerbsregeln für Unternehmen" als Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeiten an; nach T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (34); sollen nur "die auf einheitliches Auftreten nach außen, d. h. gegenüber Drittstaaten gerichteten" Kompetenzen ausschließliche sein, wozu er die Handels- und Fischereipolitik rechnet. U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. (1234), hält die Ergebnisse, die die Einbeziehung der Binnenmarkt- und Rechtsangleichungskompetenzen in die "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten" mit sich brächten für, "besonders seltsam". C. Calliess, EuZW 1995, S. 693 ff. (696); ders., Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 79 f., sieht über die von der Bundesregierung genannten Materien hinaus noch die Währungspolitik (Art. 105 ff.) ab dem 1. Januar 1999, die in Art. 71 Abs. 1 EGV genannten Teilbereiche der Verkehrspolitik, das interne

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 287

schaftszuständigkeiten" ein, so erhält dieses Merkmal eine extensiv-dynamische Wirkung. Das bedeutet, daß sich wegen der Offenheit und der Funktionsbezogenheil dieser Kompetenzen die exklusiv der Gemeinschaft vorbehaltenen Aufgabenbereiche thematisch und sachlich nicht mehr eingrenzen lassen. Dies führt konsequenterweise zu einem komplementären und umfassenden Ausschluß nationaler Gestaltungs- und Rechtsetzungsbefugnisse, wobei Ausmaß und Aktualisierung der Sperrwirkung von dem jeweiligen Stand und dem Umfang gemeinschaftlicher Rechtsetzung abhängig wären 340 . Nach Everling soll dem Tatbestandsmerkmal "ausschließliche Zuständigkeit" in Art. 5 Abs. 2 EGV überhaupt keine eigenständige Bedeutung zukommen, da sich die fraglichen Abgrenzungsprobleme über den Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dem mit diesem verbundenen "pre-emption"-Effekt341 für die nationalen Gesetzgeber lösen ließen342 • Die Frage, ob ein beabsichtigter Rechtsetzungsakt allein von der Gemeinschaft erlassen werden könne, entscheide sich nicht nach der Einordnung der Materie in die Kategorie "ausschließliche Zuständigkeit", sondern danach, "ob die geplante Regelung nach dem Stand des Gemeischaftsrechts nur noch von der Gemeinschaft getroffen werden" könne. b) Zuordnungskriterien

Die Bundesregierung beruft sich bei ihrer restriktiven Auslegung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft. Auch wenn die entsprechenden Entscheidungen alle vor der Einführung des Art. 5 Abs. 2 EGV ergangen sind und sich somit nicht auf diese Norm beziehen, läßt sich der europarechtliehen Judikatur entnehmen, daß der Gerichtshof auf den Gebieten der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 133 Abs. 1 EGV) 343 , der Erhaltung der Fischbestände (Art. 102 der Beitrittsakte 1972)344, des internen Organisations- und Verfahrensrechts345 sowie der Festlegung des Gemeinsamen Verfahrens- und Organisationsrecht sowie die Kontrolle staatlicher Beihilfen nach Art. 87 f. EGV als ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeiten an. Vgl. ferner S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 263; H. D. Jarass; EuGRZ 1994, S. 209ff. (210); K. Hailbronner, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft, S. 49ff. (58); ohne genaue Festlegung, jedoch mit eher restriktiver Tendenz auch J. Pipkom, EuZW 1992, s. 697 ff. (699). 340 Im Ergenis ebenso C. Calliess, EuZW 1995, S. 693 ff. (695); ders., Subsidiaritäts- und Soldaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 76f. 341 Vgl. zu diesem Begriff und seiner Bedeutung im Recht der Europäischen Gemeinschaften statt aller A. Furrer, Die Sperrwirkung, S. 9 ff. 342 U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. (1236). 34 3 EuGH Slg. 1976, 1921 (1937).

288

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Zolltarifs (GZT) und des materiellen Zollrechts346 keinen Spielraum für eigenständige nationale Regelungen neben dem Gemeinschaftsrecht mehr einräumt. Darüber hinaus soll aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs insgesamt ein System ausschließlicher, konkurrierender und paralleler Kompetenzen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ableitbar sein347 . Die Kommission sieht in ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament in dem Merkmal ausschließlicher Zuständigkeit ein "funktionales" und ein "materielles Element" enthalten. Die funktionale Komponente bestehe in der Verpflichtung der Gemeinschaft, "als allein zuständige Instanz [... ] tätig zu werden". Das materiell-rechtliche Moment soll in dem Verbot der Mitgliedstaaten, "einseitig tätig zu werden", zu sehen sein. Zur Begründung verweist die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verkehrspolitik348 der Gemeinschaft auf die Möglichkeit, wegen Untätigkeit in einem Verfahren nach Art. 232 EGV verurteilt werden zu können. In der Literatur wird mit unterschiedlichen Argumenten die These vertreten, dem Begriff der "ausschließlichen Zuständigkeit" komme letztlich überhaupt keine Bedeutung zu. Dies wird neben der bereits dargelegten Ansicht Everlings damit begründet, daß der Terminus im übrigen Vertragstext nicht verwandt werde und "die Gemeinschaftskompetenz [. . .] strukturell stets eine konkurrierende" sei 349 . Im Gegensatz dazu wird die Einbeziehung der binnenmarktbezogenen Kompetenzen in die exklusiv der Gemeinschaft vorbehaltenen Tätigkeitsbereiche meist überhaupt nicht begründet350 . Soweit dies doch geschieht, wird unter Verweis auf die erwähnte "Mitteilung der Kommission" 351 auf deren vertragliche Verpflichtung zur Herstellung eines Gemeinsamen Marktes352 und zur Vomahme bestimmter Tätig344 Vertrag vom 22. Januar 1972 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands, des Königreichs Norwegen (sie!) und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zur EWG und zur Euratom, BGBI. II 1125. 345 EuGH Slg. 1986, 2391 (2407f.). 346 EuGH Slg. 1970, 69 (80). 347 So A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hi1f, Art. 3 b, Rz. 11 ff. ; ähnlich R. von Borries, EuR 1994, 263 ff. (274 f.). 348 EuGH Slg. 1985, 1513 (1533). 349 So C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 104f. (106); ihm folgend A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, S. 76. 35 Keine Begründung liefert etwa G. Langguth, in: Lenz, Art. 3 b, Rz. 18, der lediglich apodiktisch feststellt, daß sich die "ausschließlichen Zuständigkeiten" aus der "Verpflichtung zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes entwickelt" hätten. 351 Text in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. l12ff. (119 ff.).

°

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 289

keiten verwiesen 353 . Dagegen wird die restriktive Auffassung überwiegend auf das Argument gestützt, daß bei einer Ausdehnung der "ausschließlichen Zuständigkeiten" auf die "offenen" oder funktionalen Gemeinschaftskompetenzen das Subsidiaritätsprinzip letztlich leerlaufe 354 . 3. Würdigung

a) Kritik der dargelegten Ansichten Ebenso wie die Einführung des Subsidiaritätsprinzips in das geltende EG-Recht ist auch seine normativ festgelegte Anwendungsbeschränkung eine Tatsache, an der keine Vertragsinterpretation etwas zu ändern vermag. Auslegungsversuche, die dem Grundsatz selbst oder seinem partiellen Ausschluß Bedeutungslosigkeit attestieren, müssen sich Realitätsfeme vorwerfen lassen. Diese zeigt sich in den Begründungen dieser These besonders deutlich. So soll nach Stewing allein aus der singulären Verwendung des Begriffs "ausschließliche Zuständigkeit" in Art. 5 Abs. 2 des EG-Vertrages seine Unbeachtlichkeit folgen 355 . Die Abwegigkeit dieser Argumentation wird bei einem Vergleich mit Art. I Abs. I Satz 1 GG deutlich. Das Bekenntnis, "die Würde des Menschen ist unantastbar", findet sich auch ausschließlich an dieser Stelle der Verfassung, ohne daß daraus seine Bedeutungslosigkeit gefolgert werden könnte. Auch die von Everling vorgenommene Gleichsetzung des Merkmals "ausschließliche Zuständigkeit" mit dem Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts überzeugt nicht. Während es sich bei dem Tatbestandsmerkmal exklusiver Gemeinschaftskompetenz um eine sachliche Beschränkung des Subsidiaritätsprinzips, rechtsdogmatisch also um eine konkrete Ausnahme handelt 356, stellt der Gemeinschaftsrechtsvorrang einen ausnahmslosen allgemeinen Grundsatz dar. Dies zeigt bereits die strukturelle Verschiedenheit beider Regeln. Da das Vorrangprinzip gerade auch für 352 Als symptomatisch für diese Ansicht kann die Einschätzung von P.-C. Müller-Graff, ZHR 1995, S. 34 ff. (75), angesehen werden, der in einer Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV auf die Grundfreiheiten und die Wettbewerbsregeln durch den EuGH eine "Belastung" der Rechtsprechung "mit einem pauschalen und diskretionären ,Subsidiaritäts'-Faktor" sieht, der "die erreichte Marktintegration [...] tendenziell aufs Spiel" setze. 353 Vgl. statt aller /. E. Schwartz, FS für Ulrich Everling, Bd. li, S. 1331 ff. (1338 ff.). 354 So T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (34). m C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 104ff. (106). 356 Zum Ausnahmecharakter dieser Bestimmung vgl. unten 3. Kapitel D. I. 3. c).

19 Mocrsch

290

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

das sekundäre Gemeinschaftsrecht gilt, führt diese Betrachtungsweise dazu, daß die Gemeinschaftsorgane selbst über den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips entscheiden könnten, indem sie durch intensive Normierung auf bestimmten Gebieten den gesetzgebensehen Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten so weit reduzierten, bis die fragliche Materie zu einer "ausschließlichen Gemeinschaftsangelegenbei t" geworden wäre 357 . Im Ergebnis läge hierin sowohl eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in Art. 5 Abs. 2 EGV als auch der Regelungsintention. Das zur Limitierung gemeinschaftlicher Rechtsetzung in den EG-Vertrag aufgenommene Subsidiaritätsprinzip würde nach dieser Auffassung letztlich seinerseits in seinem Anwendungsbereich von dem sekundären Gemeinschaftsrecht festgelegt. Daß der Begriff der "ausschließlichen Zuständigkeit" nicht mit dem Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts gleichgesetzt werden kann, zeigt sich im übrigen auch an der gemeinsamen Handelspolitik, die nach übereinstimmender Ansicht ausschließlich der Gemeinschaft vorbehalten sein soll. Da die Europäische Gemeinschaft nicht mit allen Staaten Handelsabkommen geschlossen hat, entfaltet insoweit auch das Vorrangprinzip keine umfassende Sperrwirkung gegenüber der Vertragsschlußkompetenz der Mitgliedstaaten. Schlössen diese jedoch eigene Handelsverträge mit Drittstaaten ab, so blieben die daraus resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen auch dann bestehen, wenn die Gemeinschaft später eigene Handelsabkommen mit diesen Staaten schließen würde 358 . Dies zeigt einerseits, daß die Handelspolitik schon aus Gründen des "einheitlichen Auftretens nach außen"359 zu den "ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen" gerechnet werden muß, und andererseits, daß das Vorrangprinzip und die von ihm ausgehende Sperrwirkung nicht die gleichen Wirkungen zeitigt und nicht in jedem Fall zu den gleichen Ergebnissen führt, wie die Festlegung exklusiver Gemeinschaftskompetenzen. Auch die von Teilen der Literatur befürwortete Einordnung der binnenmarktbezogenen Kompetenzen in den Kreis der allein der Gemeinschaft vorbehaltenen Zuständigkeiten ist abzulehnen. Denn auch nach dieser Ansicht könnte die Gemeinschaft letztlich selbst über die Reichweite des Subsidiaritätsgrundsatzes bestimmen, indem sie durch den Erlaß binnenmarktrelevanter Bestimmungen die ihr vorbehaltenen Regelungsbereiche stetig erweitern und wegen der Sperrwirkung des 357 Dies erkennt auch U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. (1231), wenn er feststellt: ,.Das Gemeinschaftsrecht kann jedoch nicht unbegrenzt ausgeweitet werden". 358 So auch C. Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 113, Rz. 4; C. Calliess, EuZW 1995, s. 693 ff. (696). 359 So ausdrücklich T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), die Subsidiarität Europas, S. 23ff. (34).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 291

Gemeinschaftsrechts die mitgliedstaatliehen Rechtsetzungsbefugnisse reduzieren und aushöhlen könnte. Unabhängig davon, welche konkreten Materien man der Kategorie "ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeiten" zurechnet, erscheinen auch die Zuordnungskriterien und -verfahrensweisen kritikwürdig. Das gilt gleichermaßen für den Versuch, aus vertraglichen Pflichten der Gemeinschaft Exklusivzuständigkeiten ableiten zu wollen360, wie für die Ansicht, den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abhängig machen zu können 361 . Unstreitig enthält der EG-Vertrag "Muß"- und "Kann"-Bestimmungen sowie Gemeinschaftsbefugnisse und -ermächtigungen unterschiedlicher Intensität und Bestimmtheit. Es soll auch nicht bezweifelt werden, daß man Art. 14 EGV sowohl eine allgemeine Handlungspflicht als auch eine "Verpflichtung zur Herbeiführung eines bestimmten Ergebnisses" 362 entnehmen kann. Doch aus keiner dieser Gemeinschaftsobliegenheiten läßt sich eine überzeugende Verbindung zu dem Merkmal der "ausschließlichen Zuständigkeit" herstellen363. Denn weder ihre Bestimmtheit noch ihr Verbindlichkeitsgrad machen eine Gemeinschaftskompetenz zu einer "ausschließlichen". Nonnativität und Exklusivität sind unterschiedliche Kategorien, zwischen denen keine Kausalbeziehungen bestehen, so daß "eine Verpflichtung zum Tätigwerden als solche eine ausschließliche Zuständigkeit" gerade nicht zu begründen vermag 364 . Zwar wollen auch der Europäische Rat365 und das Europäische Parlamene66 den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsgrundsatzes über die Bestimmtheit der vertraglichen Handlungspflichten der 360 Vgl. zu dieser These I. E. Schwartz, FS für Ulrich Everling, Bd. 2, S. 1331 ff. (1338ff.); unter Bezugnahme auf die bereits genannte "Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament betr. das Subsidiaritätsprinzip". 36 1 So wohl die Bundesregierung. Vgl. R. Hach, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 17 ff. (28). 362 Dazu und zu den verschiedenen Kategorien von Vertragspflichten vgl. /. E. Schwartz, FS für Ulrich Everling, Bd. 2, S. 1331 ff. ( 1338 ff.). 363 Dies erkennt ausdrücklich auch die Kommission in ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament an, Text bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112ff. (120). Zustimmend im Ergebnis auch J.-Y. Cherot, Marche commun, S. 14. 364 So aber ausdrücklich /. E. Schwartz, FS für Ulrich Everling, Bd. li, S. 1331 ff. (1341 f.). 365 Vgl. die Ausführungen des Europäischen Rates von Edinburgh in seinem "Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Artikels 3 b der Vertrags über die Europäische Union durch den Rat", Sub. I. 4. 6. Spiegelstrich, Text bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 136ff. (139). 366 Vgl. dazu die "Entschließung zu der Anpassung der geltenden Rechtsvorschriften an das Subsidiaritätsprinzip" vom 20. April 1994, Ziff. 2, EG ABI. Nr. C 128/190 vom 9. Mai 1994. 19*

292

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Gemeinschaft herleiten, doch zeigt dies lediglich die Ergebnisorientierung der Argumentation, die fehlende Beziehung von gemeinschaftlicher Handlungspflicht und "ausschließlicher Zuständigkeit" läßt sich auch von diesen Organen weder herstellen noch ersetzen. Der Rückgriff auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zur Bestimmung der Reichweite des Subsidiaritätsgrundsatzes in Art. 5 EGV erscheint sowohl methodisch als auch inhaltlich fragwürdig. Zunächst ist die Zuweisung von Rechtsetzungskompetenzen keine Aufgabe der Judikative, sondern des Verfassungsgebers - auf europäischer Ebene also der Vertragsstaaten. Das schließt nicht aus, daß die Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung darüber, welche Materien "ausschließlich" der Gemeinschaft vorbehalten sein sollen, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs berücksichtigen. Auch soll die Zuständigkeit des Gerichtshofs zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft gemäß Art. 230 Abs. 2 EGV nicht in Zweifel gezogen werden. Die Rechtsprechung kann aber nicht die alleinige oder maßgebliche Grundlage für die primäre Verteilung der Befugnisse zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bilden. Die Bezugnahme auf die Judikatur bedarf jedenfalls einer eingehenden und eigenständigen Begründung soll sie nicht als Ausdruck schlichter Scholastik mißverstanden werden. Zudem ist dieses Verfahren mit den Unwägbarkeiten einer sich wandelnden Jurisdiktion behaftet, eine Gefahr, die angesichts der mit der Dynamik europäischer Rechtsprechung einhergehenden Unberechenbarkeit nicht unterschätzt werden sollte367 . Doch auch inhaltlich überzeugt die auf der Grundlage der Judikatur erstellte Liste exklusiver Gemeinschaftszuständigkeiten nicht. So ist nicht einsichtig, weshalb die Europäischen Gemeinschaften nicht allein über ihre interne Organisation und die Verfahrensweisen befinden können sollen368 . Insgesamt gesehen müssen die Vorschläge zur Bestimmung des Begriffs der "ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz" in Art. 5 Abs. 2 EGV als unbefriedigend angesehen werden.

367 Ebenfalls kritisch gegenüber einem Rückgriff auf die EuGH-Rechtsprechung zur Bestimmung des Begriffs "ausschließliche Zuständigkeiten" in Art. 5 Abs. 2 EGV K. Lenaerts/P. van Ypserle, Cahiers de droit Europeen 1994, S. 3 ff. (27); B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 92 ff. (95) H.-J. Blanke, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 95 ff. ( 100); ders., ZG 1995, S. 193 ff. ( 199); C. Calliess, EuZW 1995, S. 693ff. (694); ders., Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 72. 368 So auch C. Calliess, ibd., S. 696 und S. 79.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 293

b) Ursachen der Definitionsprobleme Es sind vor allem zwei Gründe, die zu diesen wenig überzeugenden Definitionsversuchen geführt haben. Die eine Ursache liegt in den genannten369 polarisierten Auffassungen über den weiteren Fortgang der europäischen Einigung. Der Gegensatz in dieser Frage manifestiert sich in symbolträchtiger Weise in der Auseinandersetzung um das Subsidiaritätsprinzip, wobei sich nach dessen Aufnahme in das geltende Gemeinschaftsrecht die Diskussion auf die Fragen nach seiner inhaltlichen Konkretisierung, seiner praktischen Umsetzung und vor allem seines Geltungsbereichs verlagert hat. Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "ausschließliche Gemeinschaftskompetenz" steht erkennbar das Ziel, den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsgrundsatzes - je nach Standpunkt - möglichst weit oder eng zu ziehen, im Vordergrund. Erst in zweiter Linie geht es um eine sachorientierte Problemlösung. Der andere Grund für die Abgrenzungsschwierigkeiten besteht in der Wahl des Terminus "ausschließliche Zuständigkeit". Die Verwendung dieser dem Art. 73 GG entsprechenden Formulierung hat dazu geführt, daß die ohnehin schon von der deutschen Rechts- und Politikwissenschaft geprägte Debatte um das Subsidiaritätsprinzip nahezu vollständig an der grundgesetzliehen Terminologie sowie den Denkmustern und verfassungsrechtlichen Kategorien deutscher Bundesstaatlichkeit orientiert ist370 • Dies wird besonders an dem zur tatbestandliehen Beschreibung des Art. 5 Abs. 2 EGV gebildeten Korrelatbegriff deutlich, der, dem Sprachgebrauch des Grundgesetzes folgend, allgemein mit "konkurrierender Zuständigkeit" bezeichnet wird, obwohl der Vertragstext lediglich negativ abgrenzend von "nicht ausschließlicher Zuständigkeit" spricht371 . Bei der Übertragung der kompetenzrechtlichen Strukturen der deutschen Rechtsordnung auf das Gemeinschaftsrecht gilt es, die grundlegenden Unterschiede zwischen staatlichem Verfassungsrecht und dem Vertragsrecht der Europäischen Gemeinschaften zu berücksichtigen. So verbleiben die staatlichen Kompetenzen ungeachtet ihrer Aufteilung zwischen Bund und Ländern innerhalb der nationalen Verfassungsordnung und damit - im Rahmen der von Art. 79 Abs. 3 GG gesetzten Grenzen - allein in der Vgl. dazu oben 3. Kapitel B. II. 1. c). Auf diesen Umstand weisen unter anderem U. Everling, FS für Klaus Stern, S. 1227ff. (1229) und J. Pipkom, EuZW 1992, S. 697ff. (699), hin. 371 Lediglich in den "Schlußfolgerungen des Vorsitzes" des Europäischen Rats von Edinburgh ist im "Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Art. 5 des Vertrags über die Europäische Union durch den Rat", abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 136ff. (140), von "gemischter Zuständigkeit" die Rede. 369

370

294

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Dispositionsgewalt des verfassungsändernden Gesetzgebers. Die der Europäischen Union eingeräumten Zuständigkeiten lassen sich indes nur durch eine Revision der völkerrechtlichen Gründungsverträge ändern, was die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erfordert372. Zudem handelt es sich bei der Rechtsordnung der Europäischen Union um ein dynamisches, auf fortschreitende Integration angelegtes System, in dem die "Rückübertragung" von Kompetenzen grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Nicht zuletzt wegen dieser Eindimensionalität des Gemeinschaftsrechts unterliegt die Kompetenzverteilung auf nationaler Ebene strukturell gänzlich anderen Voraussetzungen als im Verhältnis von Mitgliedstaaten und Union 373 . Denn das Grundgesetz ist als Staatsverfassung primär auf die Bewahrung der bestehenden Rechtsordnung374 und nicht auf deren programmatische Weiterentwicklung angelegt. Das schließt nicht aus, daß auch die Verfassung geändert oder anders ausgelegt werden kann, wenn sich dies als erforderlich erweist. Doch die Änderung der Verfassung ist Möglichkeit nicht Aufgabe. Sie erfolgt in Reaktion auf Veränderungen in Staat und Gesellschaft, eilt diesen aber nicht zielgebend voraus. Unabhängig von diesen elementaren Unterschieden in den Kompetenzstrukturen von Europäischer Union und Grundgesetz wird zumeist nicht hinreichend beachtet, daß es bei der Konkretisierung des Begriffs "ausschließliche Zuständigkeit" in Art. 5 Abs. 2 EGV letztlich nicht um die Zuweisung von (neuen) Kompetenzen geht, sondern um die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Subsidiaritätsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht. Denn die Qualifizierung einer Materie als exklusiv der Gemeinschaft zugewiesener Bereich besagt lediglich, daß die Geneinschaftsorgane für einen konkret beabsichtigten Rechtsetzungsakt nicht nachzuweisen brauchen, daß die damit verfolgten Ziele "auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend [... ] und daher besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können". In jedem Fall muß jeder Rechtsetzungsakt der Gemeinschaft den Anforderungen des Art. 5, insbesondere der Absätze 1 und 3 EGV genügen und darf nicht über das zur Erreichung der Vertragsziele Erforderliche hinausgehen.

372 Dies ergibt sich ungeachtet allgemeinen Völkerrechts, vgl. dazu A. Verdross/ B. Simma, Universelles Völkerrecht, Rz. 792; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, Rz.l26, nunmehr unmittelbar aus Art. 48 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 EUV. 373 Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß eine Verschiebung der verfassungsrechtlichen Kompetenzen zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten auch in den Bundesstaaten erhebliche politische Schwierigkeiten bereiten kann. 374 Allgemeine Meinung. Vgl. statt aller K. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 86, P. Kirchhof, HStR I, § 19, Rz. 3 (et passim).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 295

c) Kriterien zur Bestimmung des Merkmals "ausschließliche Zuständigkeit"

Bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals und der Bestimmung jener Politikbereiche, die unter diese Kategorie zu subsumieren sind, erscheint es angezeigt, von folgenden Überlegungen auszugehen: - Mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips in die Rechtsordnung der Europäischen Union wird ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten im Detail eine bestimmtes Ziel verfolgt; - der Artikel 5 EGV weist eine innere Systematik auf, die es bei der Interpretation einzelner Merkmale dieser Norm zu beachten gilt; - der Begriff "ausschließliche Zuständigkeit" beschreibt eine durch bestimmte strukturelle Merkmale gekennzeichnete Kompetenzkategorie. Dem Grundsatz der Subsidiarität kommt auf der Ebene des Europäischen Gemeinschaftsrechts unstreitig die Aufgabe zu, die Aktivitäten der Gemeinschaftsorgane, insbesondere auf dem Gebiet der Rechtsetzung, zu begrenzen, um dadurch einer die Identität der Mitgliedstaaten gefährdenden Aushöhlung ihrer Legeferierungsmacht entgegenzuwirken. Auf diese Begrenzungsfunktion des Subsidiaritätsprinzips weisen die Kommission 375 sowie der Europäische Rat376 ausdrücklich hin. Auch das auf der Regierungskonferenz von Amsterdam verabschiedete "Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit"377 stellt in den Punkten 5 bis 7 den limitierenden Charakter des Subsidiaritätsgrundsatzes nochmals heraus 378 . Wie diese Stellungnahmen zeigen, ist es nicht lediglich die Vorstellung einiger Mitgliedstaaten der Union gewesen, mit diesem Prinzip ein Instrument zur Schaffung eines stabilen kompetenziellen Gleichgewichts zwi375 Vgl. dazu die "Mitteilung [.. .] an den Rat und das Europäische Parlament [... ]", Text abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112ff. (116). 376 Vgl. dazu das unter "Anlage I" dargelegte "Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Artikels 3 b des Vertrages über die Europäische Union durch den Rat", das vom Europäischen Rat auf seiner Tagung in Edinburgh verabschiedet wurde. Text abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S, 138 ff. 377 Text abgedr. bei K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. 378 Daß auch das Europäische Parlament diese Grundeinschätzung teilt, ergibt sich bereits aus dem "Zwischenbericht des Institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments über den Grundsatz der Subsidiarität vom 4. Juli 1990 (sog. Giscard-d'Estaing-Bericht), Text abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 99ff. (100).

296

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

sehen der nationalen und der Gemeinschaftsebene in das Vertragsrecht eingeführt zu haben. Auch Rat, Kommission und Europäisches Parlament haben die Notwendigkeit der Begrenzung gemeinschaftlicher Rechtsetzungsmacht erkannt und das Subsidiaritätsprinzip in diesem Sinne verstanden. Die Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 EGV ist somit der positiv-rechtliche Ausdruck dieses Verständnisses. Der Norm liegt damit eine klare und eindeutige Zielsetzung zugrunde. Der Hinweis der Gemeinschaftsorgane in den genannten Stellungnahmen, daß der Subsidiaritätsgrundsatz nicht dazu mißbraucht werden dürfe, die Gemeinschaft an der Erfüllung ihrer vertraglichen Aufgaben zu hindern, dient zum einen der Beschwichtigung der Kritiker dieses Prinzips und zum anderen als Warnung gegenüber jenen, die hierin eine Möglichkeit zu einer grundlegenden Revision des europäischen Einigungsprozesses gesehen haben mögen. An der grundsätzlichen Einschätzung des Subsidiaritätsprinzips durch die Gemeinschaftsorgane ändert dies jedoch nichts. Die innere Systematik des Art. 5 EGV zeigt, daß die Norm unterschiedliche Prinzipien enthält. Absatz 1 nennt den Grundsatz begrenzter Einzelermächtigung, der die äußerste Grenze jeder Gemeinschaftstätigkeit darstellt und dem mit Blick auf seine allgemeine völker- und gemeinschaftsrechtliche Geltung lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt. In Absatz 2 ist das Subsidiaritätsprinzip niedergelegt, während Absatz 3 den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für das Gemeinschaftshandeln normiert. Allen drei Prinzipien ist dabei eine tendentiell die Gemeinschaftstätigkeit limitierende Wirkung gemeinsam379 . Dennoch erscheint es wegen der unterschiedlichen Wirkungsweise und Herkunft dieser Grundsätze nicht angemessen, Art. 5 EGV insgesamt als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips zu betrachten 380 . Zudem zwingt diese Begriffswahl, zwischen Subsidiarität im weiteren und im engeren Sinne zu differenzieren 381 . Während die Prinzipien der begrenzten Ermächtigung und der Verhältnismäßigkeit uneingeschränkt gelten, erfahrt der Subsidiaritätsgrundsatz eine Einschränkung. Diese ist dogma379 Auf diesen Zusammenhang der in Art. 5 EGV enthaltenen Grundsätze weisen auch R. von Borries, EuR 1994, S. 263 ff. (270), und H. -P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung, S. 140ff., hin. 380 So aber ausdrücklich C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 61; ders. , EuZW 1995, S. 693ff. (693); vgl. auch die Stellungnahme des Europäischen Rates von Edinburgh, abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas; S. 136ff. (138); ebenso M. Zuleeg, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185ff. (190); W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (424ff.); S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 256. Wie hier P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34 ff. (64 f.). 381 Zwar ist diese Unterscheidung von dem Verhältnismäßigkeilsgrundsatz her geläufig, doch stellen dessen drei Elemente (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) keine eigenständigen Prinzipien dar, die im Grunde nichts miteinander zu tun haben.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 297

tisch als bereichsspezifischer Anwendungsausschluß und syntaktisch als einschränkender Relativsatz gestaltet. Terminologisch ist die Präklusion als negatives Tatbestandsmerkmal in Form eines negierten unbestimmten Rechtsbegriffs gefaßt. Da zwischen Anwendung und Nichtanwendung einer Regelung strenge Alternativität besteht, handelt es sich bei der Einschränkung des Art. 5 EGV auch nicht um eine graduelle Modifikation der Grundregel. Das Tatbestandsmerkmal "ausschließliche Zuständigkeit" kann somit in materieller und formeller Hinsicht als Ausnahme qualifiziert werden382 . Im Gegensatz zu sonstigen Formen "negativer Geltungsanordnung"383 und "unechten Ausnahmen" 384 liegt eine "echte" oder "sachliche" Ausnahme vor, wenn "das Gesetz eine Regel, der es in möglichst weitem Umfang Geltung zu verschaffen sucht, für bestimmte, meist eng umgrenzte Fälle durchbrachen hat, weil ihre Durchführung auch in diesen Fällen dem Gesetzgeber wenig praktikabel oder sonst unangebracht erschien [.. .]"385 . Auch wenn es sich bei dem Terminus "ausschließliche Zuständigkeit" um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, so lassen sich aus seiner Verwendung und seiner Funktion in verschiedenen Verfassungsordnungen gleichwohl Anhaltspunkte für seine inhaltliche Bestimmung entnehmen. So bezeichnet der Begriff allgemein eine Gruppe von Aufgaben, die in einer Rechtsordnung einem bestimmten Organ oder einer Handlungsebene allein vorbehalten bleiben sollen. Als Abgrenzungskriterium, das mindestens zwei mögliche Kompetenzträger voraussetzt, findet er sich insbesondere in Bundesstaatsverfassungen. Neben Art. 73 GG, der die ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes nennt, normieren auch die Abschnitte acht und zehn des ersten Artikels der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika Rechtsetzungsbefugnisse, die allein dem Kongreß als Unionsorgan vorbehalten sind 386 . Darüber hinaus zeigt die Regelung der französischen Verfassung, wonach die Gesetzgebungsbefugnis des Parlaments auf die in Art. 34 enumerativ aufgeführten Materien beschränkt ist, während die übrigen Bereiche gemäß Art. 37 auf dem Verordnungswege geregelt werden, daß das Verfahren, exklusive Rechtsetzungsbefugnisse verfassungs382 Auf die Tatsache, daß es sich bei der Qualifizierung einer Bestimmung als "Ausnahme" ebenfalls um eine Auslegung handelt, verweist zu Recht F. Müller, Juristische Methodik, Rz. 370. 383 Zum Begriff K. Larenz, Methodenlehre, S. 147 und 243. 384 Zum Begriff K. Larenz, ibd., S. 243f. 385 K. Larenz, ibd. 386 Dabei weicht die Normierungstechnik der amerikanischen Verfassung insoweit von der des Grundgesetzes etwas ab, als sie nicht allein mit dem Instrument positivrechtlicher Bundeszuweisung arbeitet, sondern dessen exklusive Zuständigkeit durch Einräumen einer einfachen Bundeskompetenz und einem gleichzeitigen ausdrücklichen Ausschluß jedweder einzelstaatlicher Legeferierungsbefugnis auf diesem Gebiet sicherstellt.

298

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

rechtlich festzulegen, nicht nur in bundesstaatliehen Kompetenzordnungen verwandt wird. Betrachtet man verfassungsvergleichend die ausschließlich dem Bundesgesetzgeber vorbehaltenen Zuständigkeiten, so ist diesen ihr Ausnahmecharakter gemeinsam, der sich sowohl in der relativ geringen Zahl exklusiver Regelungsbefugnisse als auch in deren namentlicher Bezeichnung ausdrückt. Zudem sind diese Vorschriften zumeist knapp und eindeutig formuliert, um die Gefahr von Kompetenzstreitigkeiten zu minimieren 387 . Die Gründe für die inhaltliche Beschränkung der Exklusivzuständigkeiten auf relativ wenige Materien liegen bei den Bundesstaaten in ihren föderalen Grundbedingungen und ihren historischen Determinanten388 sowie dem Bestreben der Verfassungsgeber, den dem System vertikaler Gewaltenteilung entzogenen Bereich möglichst gering zu halten. Dies erklärt auch, weshalb die Bundeskompetenzen insgesamt und damit auch die ausschließlichen sowohl im Grundgesetz als auch in der amerikanischen Verfassung und ihrem 10. Amendment als Ausnahme zur grundsätzlichen Zuständigkeit der Gliedstaaten ausgestaltet sind. Überdies zeigt die inhaltliche Betrachtung beider Verfassungen, daß sie hinsichtlich der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse der Zentralgewalt große Übereinstimmungen aufweisen, obwohl die amerikanische Verfassung über 160 Jahre vor dem Grundgesetz in Kraft trat und die außen- und innenpolitischen Umstände der Entstehung beider Konstitutionen grundlegend verschieden waren. Bei der Frage, welche Erkenntnisse hieraus möglicherweise für die Konkretisierung des Begriffs der "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten" gewonnen werden können, muß berücksichtigt werden, daß es sich bei Art. 5 Abs. 2 EGV nicht um eine Verfassungsnorm eines souveränen Staates, sondern um eine Vertragsbestimmung einer supranationalen Gemeinschaft mit begrenzten Befugnissen handelt. Daher kommt den Motiven, die den amerikanischen und deutschen Verfassungsgeber zu dieser Kompetenzverteilung veranlaßt haben, größere Bedeutung zu als der Einordnung der einzelnen Materien selbst. Dabei lassen sich zwei Haupterwägungen ausmachen. Dem Bund und der Union sind zum einen jene Aufgaben zur alleinigen Wahrnehmung übertragen worden, die wegen ihres Umfangs oder ihrer Natur von den Gliedstaaten nicht erfüllt werden können. Zur ersten Kategorie gehört insbesondere die Aufstellung und Unterhaltung von Streitkräften, der Zivilschutz und die Sicherung der Landesgrenzen, zur letzteren die Regelung der Staatsangehörigkeit, da deren Verleihung ein "Rechtsver3 87 Vgl. dazu die Äußerungen des Abgeordneten Dr. Schwalber in der dritten Plenumssitzung des Parlamentarischen Rates, vom 9. September 1948, Stenographischer Bericht, abgedr. in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949 - Akten und Protokolle, Bd. 9: Plenum, S. 89 ff. 388 Vgl. dazu hinsichtlich der deutschen Entwicklung oben 2. Kapitel D. I.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 299

hältnis" 389 zwischen dem einzelnen und dem Gesamtstaat schafft, sowie die mit dieser Materie unmittelbar zusammenhängenden Fragen der Ein- und Auswanderung und der Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes. Insoweit können diese Bundeszuständigkeiten auch als Anwendungsfall des Subsidiaritätsprinzips angesehen werden. Zum anderen erstrecken sich die exklusiv der Zentralgewalt vorbehaltenen Kompetenzen auf Bereiche, die aus verschiedenen Gründen ein hohes Maß an Einheitlichkeit erfordern, das auf andere Weise nicht zu gewährleisten ist. Hierbei handelt es sich einmal um "Außenbeziehungen" des Gesamtstaates, d. h. um Materien mit völkerrechtlichen Bezügen wie etwa das Zoll- und Außenhandelsrecht oder die "auswärtigen Angelegenheiten". Die übrigen ausschließlichen Bundeskompetenzen sind im wesentlichen390 auf die Herstellung und Erhaltung einheitlicher Verhältnisse im Gesamtstaat, also nach innen gerichtet. Bei dieser Kategorie exklusiver Zuständigkeiten stellt sich das Problem, daß es in starkem Maße von individuellen Wertungen abhängt, ob man eine einheitliche Regelung einer Materie überhaupt für erforderlich hält und ob man eine solche wiederum nur durch eine ausschließliche Kompetenzzuweisung an die Bundesebene als erreichbar ansieht. In Ermangelung objektiver oder zwingender Notwendigkeiten gründet sich die Kompetenzzuweisung in diesen Fällen zumeist auf Zweckmäßigkeits-, Konventions- oder schlicht auf Konsensargumente. Mag eine einheitliche Regelung für das "Währungs-, Geld- und Münzwesen" sowie die Festlegung von Maßen und Gewichten in einem Staatsverband als notwendig angesehen werden, so erscheint die Begründung ausschließlicher Bundeszuständigkeiten für diese Bereiche keineswegs zwingend. Dies belegt die Kompetenzverteilung der gegenüber der Konzeption des Grundgesetzes noch unitarischeren 391 Reichsverfassung von 1919. Diese wies zwar in Art. 6 Ziff. 5 das Münzwesen der ausschließlieben Reichsgesetzgebung zu, während die Papiergeldemission sowie das Maß und Gewichtswesen gemäß Art. 7 Ziff. 14 RV ebenso wie das Paßwesen (Art. 7 Ziff. 4 RV) Gegenstände der "konkurrierenden Zuständigkeit" 389 Der Begriff "Rechtsverhältnis" ist hier untechnisch gemeint. Er ist nicht im Sinne einer Entscheidung des Streits, ob die Staatsangehörigkeit lediglich einen Status darstellt oder bereits ein spezielles Rechtsverhältnis. Letzteres nehmen u. a. A. Verdross, in: ders./Stephan Verosta/Karl Zemanek, Völkerrecht, S. 316; F. A. Frhr. v. d. Heydte, Völkerrecht, Bd. I, S. 256, an. Als Status, der lediglich als Anknüpfungspunkt für die Zuerkennung von Rechten und die Auferlegung von Pflichten dient, sehen die Staatsangehörigkeit P. Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, Bd. I, S. 92; H. Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht, S. 254; A. N. Makarov, Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts, S. 24; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 116. 390 Eine Ausnahme stellt die in Art. 73 Nr. 11 GG normierte Kompetenz zur Regelung der "Statistik für Bundeszwecke" dar, deren Erforderlichkeil schon im Parlamentarischen Rat umstritten war. Vgl. dazu JöR N. F. Bd. I (1951), S. 482. 391 Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. I. 6.

300

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

waren 392 . Gleichwohl ist die Einführung einer alleinigen Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für diese Materien zweckmäßig, da der Aufrechterhaltung entsprechender gliedstaatlicher Kompetenzen lediglich formale Bedeutung zukommen könnte, weil keinerlei inhaltliche Gestaltungsspielräume für eine eigenständige landesrechtliche Regelung mehr verblieben. Dagegen vermag die alleinige Bundeszuständigkeit für die in Art. 73 Nr. 10 lit. a bis c GG aufgeführten Kooperationsbereiche von Bund und Ländern nicht ohne weiteres zu überzeugen. Unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer der beiden Hauptkategorien handelt es sich bei den ausschließlichen Zuständigkeiten stets um in sich geschlossene Sachmaterien, die nach inhaltlichen Kriterien definiert sind und daher auch keine einseitige Ausdehnung durch den Kompetenzträger zulassen. Soweit die Verfassung allgemeine Gestaltungsgebote393 in Form von Verfassungsaufträgen394 oder -direktiven395 , Leitgrundsätzen 396 oder Staatszielbestimmungen397 enthält, finden diese ihren Ausdruck in Vorschriften wie dem Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG, dem mittlerweile obsolet gewordenen Wiedervereinigungsgeboe98 , der negativen 392 Hierzu ist anzumerken, daß die Reichsverfassung den Begriff der "konkurrierenden Zuständigkeit" nicht verwendet. Es handelt sich jedoch der Sache nach insofern um konkurrierende Kompetenzen, als dem Reich lediglich eine "einfache" Gesetzgebungsbefugnis eingeräumt wird, ohne daß die Länder gleichzeitig von der Rechtsetzung auf diesen Gebieten ausgeschlossen werden (Arg. Art. 12 Abs. 2 RV). Insgesamt gilt es bei der Kompetenzverteilung der Reichsverfassung zu beachten, daß wegen der graduell abgestuften Gesetzgebungsbefugnisse des Reiches in den Art. 6 bis II RV und der damit verbundenen Zugriffsmöglichkeit auf nahezu alle bedeutsamen Politikbereiche der konkreten Einordnung der einzelnen Materien in die verschiedenen Kompetenzkategorien nicht die gleiche Bedeutung wie in der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes zukommt. 393 Vgl. dazu statt aller die grundlegenden Arbeiten von U. Scheuner, FS für Ulrich Scupin (1973), S. 323ff. (328ff.); H. Krüger; DÖV 1976, S. 613ff. (616); P. Saladin, VVDStRL 35 (1977), S. 7 ff. (43 f.); E. Kult, FS für Ernst Forthoff (1972), S. 213ff.; P. Häberle, AöR 102 (1977), S. 27ff. (55ff.); P. Lerche, AöR 90 (1965), s. 341 ff. 394 Zum Begriff vgl. statt aller R. Herzog, HStR III, § 58, Rz. 29; E. Denninger, JZ 1966, S. 767ff. (durchgehend); H. Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41ff. (42f.); T. Maunz, BayVBI. 1975, S. 601 ff. (durchgehend); dens., BayVBI. 1979, S. 513ff. (515f.); J. Lücke, AöR 107 (1982), S. 14ff. (25ff.). 395 Zum Begriff vgl. statt aller P. Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff. (durchgehend). 3% Zum Begriff vgl. statt aller U. Scheuner, FS für Ernst Forsthoff (1972), S. 325ff. (328ff.); N. Achterberg, Der Staat 1969, S. 159ff. (durchgehend); 0. Kimminich, DÖV 1979, S. 765 ff. (770). 397 Vgl. R. Herzog, HStR III, § 58, Rz. 30; dens. , in: Maunz/Dürig, Art. 20, Rz. 8f. 398 Zur Staatszielqualität des Wiedervereinigungsgebots vgl. statt aller J. Jsensee, HStR III, § 57, Rz. 49; auch zu seiner Verankerung im Grundgesetz G. Ress, HStR I,

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 301

Staatszielbestimmung des in Art. 26 GG normierten Verbots des Angriffskrieges399 oder in dem nunmehr in Art. 23 Abs. I GG verankerten Staatsziel, an der europäischen Integration mitzuwirken400 • Adressaten dieser verfassungsrechtlichen Gestaltungsaufträge sind ebenso Bund und Länder wie alle Staatsgewalten und -organe, auch wenn die Iegistische Umsetzung oder praktische Ausführung zum Teil nur dem Bund zukommen kann. Spezifische Kompetenzzuweisungen enthalten diese Verfassungsdirektiven indes nicht, wie umgekehrt die Kompetenzordnung ihrerseits keine Staatsziele nur für die Bundes- oder Landesebene vorgibt. Für die Bestimmung des Begriffs der .,ausschließlichen Zuständigkeit" in Art. 5 EGV lassen sich aus diesen Überlegungen einige Schlußfolgerungen ziehen. Der auf Limitierung der Gemeinschaftstätigkeit gerichtete Telos des gesamten Art. 5 EGV, die intendierte Begrenzungsfunktion des Subsidiaritätsprinzips sowie der dem Tatbestandsmerkmal .,ausschließlicher Gemeinschaftskompetenz" eignende Ausnahmecharakter stehen einer extensiven oder exzessiven Auslegung dieses Begriffs entgegen. Daraus folgt, daß funktionsbezogene Kompetenzen, die der Europäischen Gemeinschaft die Ausdehnung ihrer Rechtsetzungsmacht ohne formelle Änderung des Vertrages ermöglichten, nicht der Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes entzogen werden dürfen. Hinsichtlich der Frage, welche konkreten Materien als exklusive Gemeinschaftsaufgaben anzusehen sind, können die entsprechenden Enumerativkataloge bundesstaatlicher Verfassungen als Richtschnur dienen. Denn es ist nicht ersichtlich, daß dem Begriff der .,ausschließlichen Zuständigkeit" in Art. 5 Abs. 2 EGV eine andere Bedeutung als in den nationalen Verfassungen zukommen soll. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts sowie der für die Festlegung exklusiver Kompetenzen ausschlaggebenden Kriterien ist es sachlich geboten, folgende Materien der alleinigen Gemeinschaftsverantwortlichkeit zuzuweisen: - die Zoll- und Außenhandelspolitik; - ab dem 1. Januar 1999 die gemeinsame Währungspolitik, insbesondere die Geldemission; § II, Rz. 55ff.; R. Dolzer, HStR I, § 12, Rz. 7; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 122. In der Sache ebenso BVerfGE 5, 85 [126ff.]; 12, 45 [51]; 36, I [17ff.], wenn auch ohne den Terminus .,Staatsziel" zu verwenden. 399 Vgl. dazu R. Herzog, HStR III, § 58, Rz. 30. 400 Vgl. dazu die amtliche Begründung zur Neufassung dieser Verfassungsbestimmung in: BR-Drs. 501192, S. 11; K.-P. Sommermann, DÖV 1994, S. 595ff. (601); C. Heitsch, EuGRZ 1997, S. 461 ff. (462); P. Lerche, FS für Herbert Schambeck, S. 753ff. (754); R. Scholz, NJW 1993, S. 1690ff. (1691); 0 . Rojahn, in: v. Münch/ Kunig, Art. 23, Rz. 3 und R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 10; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 23, Rz. 3; P. Badura, FS für Herbert Schambeck, S. 887 ff. (887 et passim); P. Wilhelm, BayVBI. 1992, S. 705 ff. (706).

302

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

- das interne Organisations- und Verfahrensrecht der Union, der Gemeinschaften und ihrer Organe; - die Einwanderungs-, Aufenthalts- und Asylpolitik für Menschen aus Drittstaaten; - die Kontrolle über staatlich gewährte Beihilfen; - die in Art. 71 Abs. 1 lit. a und b EGV genannten Bereiche der Verkehrspolitik; - die Erhaltung der Fischereiressourcen401 • Bei der Erhaltung der Fischbestände handelt es sich allerdings um einen Politikbereich, der lediglich aus Zweckmäßigkeitserwägungen der alleinigen Gemeinschaftszuständigkeit zuzurechnen ist. Denn prinzipiell könnte die Festlegung von Fangquoten, um die es hierbei vorrangig geht, grundsätzlich auch intergouvernemental erfolgen. Doch bestünde bei diesem Verfahren kein Zwang zur Einigung, und es bliebe die Problematik der Überprüfung ungelöst, so daß gemeinschaftliche Vorgaben und Kontrollen in diesem Bereich größere Akzeptanz und Effektivität versprechen. Auf der Grundlage der hier dargelegten Erwägungen müßte bei einer Aufnahme der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) in den EG-Vertrag auch diese konsequenterweise der alleinigen Kompetenz der Gemeinschaft zugewiesen werden. Denn auch diese Materie gehört wegen ihres unmittelbaren völkerrechtlichen Bezugs zu den Aufgaben, bei denen ein einheitliches Auftreten nach außen zwingend erforderlich ist und insoweit kein Raum für einzelstaatliche Alleingänge verbliebe. Da die Staaten der Europäischen Union jedoch zu einer vollständigen Aufgabe ihrer außenpolitischen Kompetenzen nicht bereit sind, wird es zu einer "ausschließlichen Zuständigkeit" der Gemeinschaft für die Außen- und Sicherheitspolitik zumindest in absehbarer Zeit nicht kommen. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß der universelle Charakter des Subsidiaritätsprinzips grundsätzlich der Einschränkung seines Anwendungsbereichs, wie ihn Art. 5 Abs. 2 EGV festlegt, entgegensteht.

401 Wie hier auch C. Calliess, EuZW 1995, S. 693ff. (696); ders., Subsidiaritätsund Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 79f., der allerdings die Einwanderungs- und Asylpolitik nicht der alleinigen Gemeinschaftszuständigkeit zuweist.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 303

II. Normativität und Justitiabilität 1. Zum Stand der Diskussion

Der Gedanke der Subsidiarität heischt sowohl in seiner kirchlichen Ausprägung als Gerechtigkeitspostulat als auch als rationalistisches Prinzip Beachtung. Es haftet ihm insoweit also bereits als metajuristischem, philosophischem Grundsatz "Normativität" im Sinne eines allgemeinverbindlichen Handlungsgebots an402 . Dennoch ist dem Prinzip in Art. 5 Abs. 2 EGV die Rechtsverbindlichkeit abgesprochen und ihm mangels ,Jede(n) normative(n) Unterbau(s)"403 die Bedeutung einer "politischen Proklamation"404 im Sinne eines "principle of good sense"405 oder einer "rule of reason"406 zuerkannt worden. Die fehlende Rechtsbindungswirkung und die mangelnde Justitiabilität407 werden dabei teilweise unmittelbar aus der Unbestimmtheit des Subsidiaritätsbegriffs408 zum Teil auch daraus gefolgert, daß der Europäische Gerichtshof bei einer Überprüfung der Anwendung dieses Grundsatzes in die Rolle eines rechtspolitisch gestaltenden Organs gedrängt werde, was nicht akzeptabel sei409 . Unklar bleibt insoweit die vom Europäischen Rat in Edinburgh410 vertretene und von Teilen der Vgl. dazu oben I. Kapitel C. V. 1. b). So D. Grimm, FAZ vom 17. September 1992, S. 38. 404 So D. Grimm, KritV 1994, S. 6ff. (6). 405 So die einleitende Formulierung der Kommission in ihrer Erklärung vom 27. Oktober 1992, sec (92) 1990 final (Englische Fassung). 406 Vgl. zu Begriff und Bedeutung V. Constantinesco, integration 1990, S. 165ff. (173), der die Funktion des Subsidiaritätsprinzips weniger in der Begrenzung, sondern vor allem in der Legitimierung gemeinschaftlicher Kompetenzen sieht. Ihm folgend H.-J. Blanke, ZG 1991, S. 133ff. (145). 407 Anmerkung: Es wird hier an der begrifflichen Unterscheidung von Rechtsverbindlichkeit (Normativität) und gerichtlicher Überprüfbarkeit (Justitiabilität) festgehalten, obwohl in der Literatur beide Begriffe häufig miteinander vermischt werden oder lediglich auf die Justitiabilität abgestellt wird. 408 Dazu schon A. Süsterhenn, in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltenteilung, S. 113 ff. (120f.); diesem folgend V. Constantinesco, integration 1990, S. 165ff. (173); tendenziell auch H.-J. Blanke, ZG 1991, S. 133ff. (143), "[ .. .] recht unbestimmten und kaum justitiablen Subsidiaritätsprinzips [.. .]"; anders ders., ZG 1995, S. 193ff. (196, 213ff.); M. Jachtenfuchs, EA 1992, 279ff. (282), "Eine verbindliche, juristisch tragfahige Bedeutung läßt sich aus solchen Formeln nicht herauslesen [... ]"; N. Wimmer/W. Mederer, ÖJZ 1991, S. 586ff. (589), "Angesichts des vagen und kontroversiellen Inhalts [... ] ist es verständlich, daß gegenwärtig [...] eine Justitiabilität dieses Grundsatzes nicht vorstellbar ist"; R. Hrbek, FS für Hörner, S. 125ff. (138). 409 Vgl. zu dieser These D. Grimm, FAZ vom 17. September 1992, S. 38. 410 Vgl. dazu im "Gesamtkonzept [.. ]" unter I. 4. Spiegelstrich 5, der Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Edinburgh, abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 136ff. (139): "Das Subsidiaritätsprin402 403

304

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Literatur übernommene Argumentation, wonach das Subsidiaritätsprinzip wegen seiner Konkretisierungsbedürftigkeit "keine unmittelbare Wirkung" entfalten könne411 , während gleichzeitig die gerichtliche Überprüfung des Prinzips selbst und seine Konkretisierung für möglich gehalten werden. Demgegenüber halten sowohl die Bundesregierung412 als auch das Bundesverfassungsgericht413 - wenn auch ohne Begründung - die Einhaltung des Prinzips für gerichtlich überprüfbar. Von jenen Autoren, die diese Ansicht teilen, betrachten jedoch einige mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG a. F.414 diese Kontrollmöglichkeit als weitgehend oder ganz wirkungslos415 . Die überwiegende Auffassung in der Literatur geht von einer formell unbeschränkten Überprüfbarkeit durch den Europäischen Gerichtshof aus416, wobei das Gericht jedoch in materieller Hinsicht den weiten Ermessens- und Beurteizip kann nicht als unmittelbar wirksam betrachtet werden; allerdings werden die Auslegung dieses Prinzips wie auch die Überprüfung seiner Einhaltung [...] vom Gerichtshof überwacht, [.. ]". 411 S. Magiera, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union- Europas Zukunft?, S. 71 ff. (94); R. v. Borries, EuR 1994, S. 263ff. (279); W. Möschel, NJW 1993, S. 3025 ff. (3028); B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 145 und 156. 412 Siehe das Memorandum der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zum Subsidiaritätsprinzip vom 21. September 1992, Text bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 130ff. (130), "Das Subsidiaritätsprinzip ist nach Auffassung der Bundesregierung als Rechtsprinzip justitiabel". 413 BVerfGE 89, 155 [211]. 414 Demgegenüber weist M. Rohe, RabelsZ 61 (1997), S. I ff. (83), zu Recht darauf hin, daß ein Vergleich der Regelung des Art. 5 Abs. 2 EGV mit Art. 72 Abs. 2 GG a. F. nicht berücksichtige, daß die deutschen Länder nicht in gleichem Maße an der Rechtsetzung des Bundes beteiligt seien wie die Mitgliedstaaten an der der Gemeinschaft. 415 So ausdrücklich M. Schweitzer/0. Fixson, Jura 1992, S. 579 ff. (582); G. Konow, DÖV 1993, S. 405ff. (411); /. Hochbaum, DÖV 1992, S. 285ff. (292); S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 272, 274; J. Abr. Frowein, FS für Perter Lerche, S. 401 ff. (406f.); J. Pipkom, EuZW 1992, S. 697ff. (700), mit zusätzlichem Verweis auf die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Courts; F. L. Stauffenberg!M. Langenfeld, ZRP 1992, S. 252ff. (255f.); H.-J. Blanke, ZG 1991, S . 133ff. (147). 416 Vgl. dazu P. M. Schmidhuber!G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (725); A. v. BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 41; P. M. Schmidhuber, DVBI. 1993, S. 417ff. (420); G. Hirsch, Die Auswirkungen des Subsidiaritätsprinzips auf die Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Gemeinschaften, S. 12 ff.; T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (26); S. Magiera, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union Europas Zukunft?, S. 71 ff. (94); G. Langguth, in: Lenz, Art. 3 b, Rz. 26; J. Uckrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S . 45 f.; K. Hailbronner, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft, S . 49ff. (54); W. Kahl, AöR 118 (1993), S . 414ff. (440f.); M. Hilf, VVDStRL 53 (1994), S. 8ff. (14); H. D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 21 ff.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 305

lungsspielraum, der dem Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV eingeräumt sei, zu respektieren417 habe418 . 2. Kritische Würdigung

Die These, daß das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 Abs. 2 EGV keine Rechtsverbindlichkeit besitze und ihm lediglich als politischer Programmsatz Bedeutung zukomme, kann mittlerweile als widerlegt und überholt angesehen werden. Dies zeigt sich schon daran, daß diese Behauptung nur kurze Zeit vor und nach der Unterzeichnung des Maastrichter Vertragswerks aufgestellt wurde419 . Im neueren Schrifttum findet sie sich dagegen nicht mehr. Es läßt sich im übrigen auch kein überzeugendes Argument für diese Ansicht anführen. Die nichtjuristische Herkunft des Subsidiaritätsgedankens und die Unbestimmtheit des Begriffs sprechen jedenfalls weder gegen seine rechtliche Verbindlichkeit, noch hindern sie die gerichtliche Überprüfung seiner Einhaltung. Denn die Kontrolle von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensspielräumen420 sowie von Prognoseentscheidungen421 im Sinne "komplexer wirtschaftlicher Maßnahmen"422 sind dem Europäischen Gerichtshof der Sache nach keineswegs fremd, auch wenn er 417 M. Zuleeg, DVBI. 1992, S. 1329ff. (1335); J. Pipkom, EuZW 1992, S. 697ff. (700); G. Konow, DÖV 1993, S. 405 ff. (411); P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, ibd.; P. M. Schmidhuber, ibd.; /. Hochbaum, DÖV 1992, S. 285 ff. (292). 418 Ausführlich zur Problematik und zum Meinungsstand C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 265 ff. 419 Vgl. neben den bereits oben angeführten Stimmen vor allem H.-1. Blanke, der in ZG 1991, S. 133ff. (143), noch unsicher dem Subsidiaritätsprinzip attestiert, es sei "recht unbestimmt und kaum justitiabel", was insoweit schon nicht überzeugt, weil ,)ustitiabilität" nicht graduell abstufbar ist, während er in ZG 1995, S. 193 ff. (213f.), zu dem Ergebnis gelangt: "Unbestreitbar kann der EuGH die Beachtung der formellen Anforderungen kontrollieren [... ]. Aus der systematischen Stellung des Art. 5 EGV folgt [... ], daß er (der EuGH d. Verfasser) auch über die materiellen Anforderungen [... ] zu wachen hat". Wie zuletzt auch ders., in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 95 ff. ( 111 ). 420 Daß der EuGH nicht zwischen "Ermessen" und "unbestimmtem Rechtsbegrifr' differenziert, sondern insgesamt einen sehr weiten Ermessensbegriff seiner Rechtsprechung zugrundelegt, wird in den Entscheidungen EuGH Slg. 1985, S. 3351 ff. (3360f.) und EuGH Slg. 1978, S. 1245 ff. (1256), deutlich. Insgesamt zu dieser Rechtsprechung J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 455 ff. Inhaltlich greift der Europäische Gerichtshof bei der Überprüfung von "Ermessensentscheidungen" auf den Maßstab und die Kriterien von Art. 33 Abs. I Satz 2 EGKSV zurück. Vgl. dazu H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 247, 521 ff.; G. Nicolaysen, FS für Arved Deringer, S. 121 ff. (durchgehend); W. Cremer, Forschungssubventionen im Lichte des EGV, S. 96ff. 42 1 Auch die Einhaltung von Normen, die den rechtsetzenden Organen einen Prognose- oder Beurteilungsspielraum zuerkennen, mißt der EuGH an den Grundsätzen und Maßstäben für "Ermessensentscheidungen". Vgl. dazu EuGH Slg. 1973,

20 Moersch

306

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

diese terminologische und inhaltliche Differenzierung deutscher Rechtsdogmatik nicht übernommen hat423 . Als in sich widersprüchlich und daher nicht überzeugend muß indes die Argumentation angesehen werden, das Subsidiaritätsprinzip sei zwar justitiabel, der Europäische Gerichtshof müsse aber wegen der gemeinschaftsvertraglichen Gewaltenteilung die politische Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers über die Ebene der ausreichenden Zielerreichung und die konkrete Handlungsoption akzeptieren. Dem Vorwurf, durch diese Einschränkung der Überprüfungsmöglichkeit letztlich die Justitabilität des Subsidiaritätsgrundsatzes wirkungslos zu machen, entgeht diese These auch durch den Hinweis auf die bei den innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren stattfindende Prüfung der Verfassungskonformität nicht. Denn diese beruht gerade nicht auf der "bloßen Möglichkeit" verfassungsgerichtlicher Kontrolle424, sondern auf der Kassationsbefugnis der Verfassungsgerichte. Stehen damit Nonnativität und Justitiabilität des Subsidiaritätsgrundsatzes als gemeinschaftliches "Rechtsprinzip" 425 außer Zweifel, so bleibt die Frage, was damit hinsichtlich der praktischen Umsetzung dieses Grundsatzes tatsächlich erreicht werden kann. Zunächst gilt es zu berücksichtigen, daß der Europäische Gerichtshof bei der Überprüfung gemeinschaftlicher Rechtsakte am Maßstab der Subsidiarität in der Wahl seiner Auslegungsmethoden und -prinzipien sowie der Prüfungskriterien und vor allem des Prüfungsumfangs kraft seines Auslegungsmonopols grundsätzlich frei ist. Lediglich der von allen Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten zu achtende "gemeinschaftliche Besitzstand", der als Zielvorgabe der Europäischen Union in den Art. 2 Abs. lund 3 Abs. 1 EUV festgelegt ist426, begrenzt diesen Jurisdiktionsspielraum427 . S. 125ff. (142); M. Beckmann, Die Umweltkompetenzen der Europäischen Gemeinschaften, S. 64. 422 Zu dieser Kategorie gemeinschaftlicher Maßnahmen vgl. EuGH ibd., wobei sich die vom Gerichtshof angestellten Überlegungen auch auf nicht-wirtschaftliche "komplexe Sachverhalte" wie etwa die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips übertragen ließen. So auch C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 291. 423 So ausdrücklich C. Calliess, ibd., S. 278 ff. 424 So aber P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (62 f.). 425 So die Bundesregierung in ihrem Memorandum vom 21. September 1992, Text bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. l30ff. (130); T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (25 et passim). 426 Vgl. dazu auch das "Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Art. 3 b des Vertrages über die Europäische Union durch den Rat", der als "Teil A Anlage I" den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs in Edinburgh vom 11. und 12. Dezemer 1992 beigefügt ist. Text in: EA, D, S. 2ff. (7 ff.) und bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 136ff. (138).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 307

Dabei ist grundsätzlich weder auszuschließen, daß sich der Europäische Gerichtshof rechtspolitisch betätigt und sich über die Wertungen von Rat und Kommission hinwegsetzt428 , noch, daß er sich ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zur "Bedürfnisklausel" des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. auf eine an der Einhaltung formaler Verfahrensvoraussetzungen ausgerichteten Evidenzkontrolle429 beschränkt430• Analysierende und vergleichende Hinweise auf seine frühere Rechtsprechung können in diesem Zusammenhang ebenso wie Leitlinien oder Grundsätze zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips dem Gerichtshof allenfalls anregende Vorschläge, nicht aber verbindliche Vorgaben sein. Als Rechtsprechungsprognosen bleiben sie bloße Spekulation. Ungeachtet dessen, wie man die Frage der Justitiabilität des Subsidiaritätsgrundsatzes beurteilt, bleibt seine Umsetzung im Einzelfall trotz aller normativen Festlegungen letztlich in hohem Maße von dem integrationspolitischen Grundverständnis und den individuellen Einstellungen des Anwenders abhängig, wobei es sich gleich bleibt, ob dieser ein Beamter der Kommission oder ein Richter des Europäischen Gerichtshofs ist. Diese Überlegungen zeigen, daß die Umsetzung und Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV vor allem zwei Probleme aufwerfen. Diese liegen zum einen in der Konkretisierungsbedürftigkeit des Subsidiaritätsgrundsatzes und zum anderen in der Schwierigkeit, mit Hilfe dieses gegenstandsbezogenen Prinzips die zum Teil nur "final bestimmten Befugnisse"431 der Gemeinschaft zu begrenzen. Zu dieser strukturellen Ungleichheit kommt noch hinzu, daß die funktionalen Gemeinschaftskompetenzen wegen des Fehlens objektiver und inhaltlicher Be- und Abgrenzungskriterien dem individuellen Integrationsverständnis breiten Raum geben, wodurch die limitierende Wirkung des Subsidiaritätsprinzips stark gemindert werden kann. 427 So auch H.-J. Blanke, ZG 1995, S. 193 ff. (214), ders., in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 95 ff. (112). 428 So die Überlegung bei D. Grimm, FAZ vom 17. September 1992; M. Schweitzer/0. Fixson, Jura 1992, S. 579ff. (582). 429 So die Vermutung von C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 291. 430 Eine Bestätigung erfährt diese Befürchtung in dem Urteil des EuGH vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94, in der die Klage Deutschlands gegen den Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament, unterstützt durch die Europäische Kommission, die unter anderem auf die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 EGV gestützt war, mit der Begründung abgewiesen wurde, daß die angegriffene Richtlinie "Einlagensicherungssysteme" nicht gegen diese Vorschrift verstoße, da ein Tätigwerden der Kommission erforderlich gewesen sei. Die Begründung des Gerichtshofs beschränkt sich dabei ebenso wie die der Kommission für den Richtlinienvorschlag an den Rat im wesentlichen auf eine schlichte Wiederholung des Vertragstextes. 431 Zum Begriff H.-J. Blanke, ZG 1995, S. 193ff. (215).

20*

308

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

So betrachtet ist es in der Tat ein "politischer Grundsatz". Das bedeutet jedoch nicht, daß seiner gerichtlichen Überprütbarkeit keine Bedeutung zukommt. Sie ist jedoch weitaus geringer als dies die breite Diskussion dieser Frage vermuten läßt. Eine Ursache für die Überbewertung der Justitiabilität liegt in der vor allem in Deutschland verbreiteten Vorstellung, auch politische Sachverhalte und Gestaltungsentscheidungen rechtlich normieren und gerichtlich überprüfen zu können432 . Vor dem Hintergrund der Unwägbarkeiten bei der Überprüfung von Prognose- und Ermessensentscheidungen einerseits und dem Bedürfnis nach judikativer Kontrolle andererseits müssen auch die Bemühungen in der Literatur gesehen werden, durch die Entwicklung normativer Kriterien die Beurteilungsspielräume von Legislative und Exekutive zu begrenzen, um eine größtmögliche Überprütbarkeit ihrer Rechtsakte zu erreichen. Es erscheint jedoch fraglich, ob die mit Blick auf eine Einschränkung des Prognosespielraums des deutschen Gesetzgebers433 entwickelten, am Grundgesetz ausgerichteten "differenzierten Maßstäbe"434 auf die Ebene der Europäischen Union übertragen werden können. Denn die "absoluten Kernbereiche grundrechtlicher oder institutioneller Garantien" 435 sind durch Rechtsprechung und Wissenschaft weit stärker konturiert als die Begriffe der "nationalen Identität" in Art. 6 Abs. 3 EUV und der "bürgemahen Entscheidung" in Art. l Abs. 2 EUV436• Inhalt und Funktion des Art. l Abs. 2 EUV erfahren auch dadurch, daß das Bundesverfassungsgericht dieser Norm den Charakter einer "Verpflichtung" beigemessen hat, in deren "Dienst" es auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EGV gestellt sieht437 , keine entscheidende Klärung. Zunächst obliegt die rechtsverbindliche Auslegung auch des Unionsvertrages gemäß der Art. 5 EUV in Verbindung mit Art. 220 EGV allein dem Vgl. auch die Kritik von S. Langer, ZG 1993, S. 193ff. (197ff.). Vgl. zu diesen Überlegungen R. Breuer, Der Staat 1977, S. 21 ff. (35 ff.) ; P. J. Tettinger, DVBI. 1982, S. 421 ff. (425). 434 Zum Begriff vgl. BVerfGE 50, 290 [333], wo das Gericht darauf hinweist, daß es selbst auf der Grundlage unterschiedlicher Kriterien zu einem System differenzierter Kontrollmaßstäbe gelangt sei, die von einer bloßen Evidenzkontrolle (BVerfGE 36, I [17]; 37, I [20]; 40, 196 [223]) über eine Vertretbarkeitskontrolle (BVerfGE 25, I [12f., 17]; 30, 250 [263]; 39, 210 (225f.]) bis zu einer inhaltlichen Kontrolle (BVerfGE 7, 377 [415]; 11, 30 [45]; 17, 269 [276ff.]; 39, I [46, 51 ff.]; 45, 187 [238]) reichen. m So R. Breuer, Der Staat 1977, S. 21 ff. (44, 47). 436 Aus diesen Normen will jedoch C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 294, in entsprechender Anwendung der Überlegungen Breuers weitergehende Begrenzungen des Beurteilungsspielraums der Gemeinschaftsor~ane bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips gewinnen und dadurch dessen Uberprüfbarkeit durch den Europäischen Gerichtshof erweitern. 437 BVerfGE 89, 155 [212]. 432 433

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 309

Europäischen Gerichtshof, so daß den Ausführungen unmittelbare Wirkungen lediglich gegenüber den deutschen Staatsorganen zukommen, nicht aber hinsichtlich der allgemeinen Deutung gemeinschaftsvertraglicher Bestimmungen. Die Ausführungen überzeugen jedoch auch inhaltlich nicht, weil das Gericht in derselben Entscheidung, in Art. 6 Abs. 4 EUV, wonach sich die Union mit den Mitteln ausstattet, "die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchsetzung ihrer Politiken erforderlich sind", lediglich eine "politisch-programmatische" Absichtsbekundung sieht438 , obwohl diese Bestimmung in Sprachduktus und systematischer Stellung keinerlei Unterschiede zu Art. 6 Abs. 3 EUV aufweist. 3. Die Pflicht zur Begründung

Gerade wegen der Offenheit des Subsidiaritätsprinzips für persönliche Wertungen und Einstellungen kommt der Begründungspflicht gemeinschaftlichen Handeins eine herausragende Bedeutung zu439 . Während das Bestehen einer solchen Verpflichtung allgemein unstreitig440 ist und auch von der Kommission441 und dem Rat anerkannt wird442 , wird der Rechtsgrund der Begründungspflicht zum Teil unmittelbar in Art. 5 Abs. 2 EGV443 , zum Teil in der allgemeinen Begründungspflicht des Art. 253 EGV444 gesehen. Doch kann diese Frage hier ebenso dahinstehen wie jene, BVerfGE 89,155 [194]. So auch J. Abr. Frowein, FS für Peter Lerche, S. 401 ff. (407 f.), der in der Darlegungs- und Begründungspflicht "auf Dauer eine weit wirksamere Hemmschwelle" für die rechtsetzenden Organe sieht als in der Justitiabilität. 440 Vgl. statt aller C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 296. 441 Daß die Kommission hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips von einer Begründungspflicht für ihr Handeln ausgeht, läßt sich aus ihrer "Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament", abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112ff. (121), schließen, wenn die Kommission für den Bereich ihrer "ausschließlichen Zuständigkeit" die Auffassung vertritt, "nicht erst den Beweis für die Notwendigkeit ihres Handelns" antreten zu müssen. 442 Vgl. dazu Punkt 4 des auf der Regierungskonferenz von Amsterdam verabschiedeten "Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit", abgedr. bei K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. Vgl. auch das "Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Artikels 3 b des Vertrags über die Europäische Union durch den Rat", das als Anlage 1 der Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Edinburgh bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 136ff. (138 ff.), abgedruckt ist. 443 Vgl. statt aller P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (725); P. M. Schmidhuber, DVBI. 1993, S. 417ff. (419). 444 S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 273; G. Hirsch, Die Auswirkungen des Subsidiaritätsprinzips auf die Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Gemeinschaften, 438

439

310

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

ob diese Verpflichtung der Europäischen Gemeinschaft in analoger Anwendung von Art. 15 Abs. 1 EGKSV auch für unverbindliche Stellungnahmen gilt445 • Denn diese entfalten keine Wirkungen auf das Kompetenzgefüge zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten und sind daher unter Subsidiaritätsgesichtspunkten von untergeordneter Bedeutung. Sieht man die Hauptfunktionen der Begründung darin, dem entscheidenden oder rechtsetzenden Organ Selbstkontrolle, den übrigen Gemeinschaftsorganen Überprüfungsmöglichkeit und dem Europäischen Gerichtshof Entscheidungsgrundlage zu sein446, so wird deutlich, daß dieser Begründungspflicht um so größeres Gewicht zukommt, je weniger normative Vorgaben den Rechtsakt determinieren. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs läßt insoweit keine einheitliche Linie in bezug auf die Anforderungen, denen die Begründungen von Ermessens- und Prognoseentscheidungen zu genügen haben, erkennen. Während der Gerichtshof ursprünglich generell eine nach rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen differenzierte Begründung von Rechtsakten verlangte447 , sollte dieser strenge Maßstab später nur noch für "individuelle Entscheidungen" gelten, nicht hingegen für generell-abstrakte Regelungen, die lediglich hinsichtlich der zugrundegelegten Gesamtlagebeurteilung und ihrer allgemeinen Zielsetzung zu begründen seien448• Doch auch diese Unterscheidung hat der Europäische Gerichtshof letztlich nicht durchgehalten und trotz Vorliegens einer "individuellen Entscheidung" nicht nur keine gesteigerten Anforderungen an die Begründungspflicht gestellt, sondern scheinbar das Ermessen gerade als Rechtfertigung für das Fehlen der Begründung angesehen449 • Auch wenn ein Teil der Literatur dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zumindest die Tendenz entnehmen will, daß das Gericht die quantitativen und qualitativen Anforderungen an die Begründung generell-abstrakter Regelungen geringer ansetze als bei Einzelfallentscheidungen450, so vermitS. 12; B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 143; M. Zuleeg, DVBI. 1992, S. l329ff. (1334); K. Lenaerts/P. van Ypserle, Cahiers de droit europeen 1994, S. 27; J. Pipkom, EuZW 1992, S. 697ff. (700). 44s Siehe dazu C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 295. 446 Vgl. zu den Funktionen der Begründungspflicht T. Müller-lbo/d, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, S. 17 ff. 447 EuGH S1g. 1958, S. 9 ff. (69 f.). 448 EuGH Slg. 1968, S. 127ff. (144). 449 EuGH Slg. 1981, S. 637ff. (646), "Eben deshalb kann das Fehlen einer Begründung in der Entscheidung selbst für den Kläger kein Grund zur Beschwerde sein, z.umal es durch das Ennessen gerechtfertigt ist, [.. .)" (Hervorhebung durch den Verf.). 4so So J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 1359ff.; H. H. Scheffler, Die Pflicht zur Begründung von Maßnahmen nach den europäischen Gemeinschaftsverträgen, S. 183 f.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 311

telt diese Judikatur insgesamt gesehen doch eher das Bild kasuistischer Beliebigkeit. Die Zustimmung, die einzelne Entscheidungen451 wegen der Übertragbarkeit ihrer Maßstäbe auf die Überprüfung der Subsidiaritätskonformität gemeinschaftlicher Rechtsakte im Schrifttum gefunden haben452 , hat daher vor allem appellativen Charakter. Unabhängig davon, welche Anforderungen der Europäische Gerichtshof letztlich an die Begründungspflicht künftig stellen wird453 , läßt sich jedoch festhalten, daß die Möglichkeit, die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch den Gemeinschaftsgesetzgeber gerichtlich zu überprüfen, in jedem Falle maßgeblich von der Substantiiertheil der Begründung gemeinschaftlicher Legislativakte abhängt. Dabei kommt mangels objektiver Maßstäbe und normativer Vorgaben den Kriterien und Erwägungen, aus denen die Gemeinschaftsorgane mitgliedstaatliches Handeln im konkreten Fall für "nicht ausreichend" erachtet haben, herausragende Bedeutung zu. Insbesondere gilt es hier der Gefahr entgegenzuwirken, daß die Gemeinschaftsorgane ihrer Begründungspflicht durch stereotype, formelhafte Phrasen nachzukommen versuchen. 4. Klagebefugnis und Darlegungslast

Mit der grundsätzlichen gerichtlichen Überprüfbarkeit des Subsidiaritätsprinzips stellt sich - ungeachtet der Bedeutung, die dieser Kontrollmöglichkeit in der Praxis letztlich zukommen mag - die Frage nach den Klageberechtigten und der Beweislastverteilung.

Dies gilt insbesondere für EuGH Slg. 1960, S. 885 ff. (921 f.). So bei H.-H. Scheffler, Die Pflicht zur Begründung von Maßnahmen nach den europäischen Gemeinschaftsverträgen, S. 769; J. Jahns-Böhm/S. Breier, EuZW 1992, S. 49ff. (54); T. Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, S. 21 ff.; C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 298. 453 In seinem Urteil vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94 (Deutschland gegen den Europäischen Rat und Europäisches Parlament, unterstützt durch die Europäische Kommission) hat der Europäische Gerichtshof zwar die Begründungspflicht des Art. 253 EGV auch hinsichtlich der Subsidiarität betont. Im konkreten Fall hat er jedoch die formelhafte Begündung des Gemeinschaftsgesetzgebers, "daß das mit seinem Tätigwerden verfolgte Ziel wegen der Dimensionen der vorgesehenen Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden konnte", in Verbindung mit der ebenfalls vom Gemeinschaftsgesetzgeber stammenden Feststellung, daß das mit der Empfehlung der Kommission angestrebte Ziel durch die von den Mitgliedstaaten daraufhin ergriffenen Maßnahmen nicht vollständig erreicht worden sei, für deren Vereinbarkeil mit dem Subsidiaritätsprinzip und der Begründungspflicht ausreichen lassen. EuGH Slg. 1997 I, S. 2441, Rz. 26. 45 1 452

312

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

a) Klagebefugte

Ausgehend von den in Art. 230 EGV genannten Klageberechtigten muß mit Blick auf die Geltendmachung der Verletzung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 Abs. 2 EGV differenziert werden. Die Vorschrift ist eine Kompetenznorm, die die Gemeinschaftstätigkeiten zum Schutz der Befugnisse und Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und ihren Untergliederungen limitieren soll. Dementsprechend ist sie als einseitige Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane gefaßt454 . Damit sind zunächst unstreitig die Mitgliedstaaten berechtigt, Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips im Wege einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof geltend zu machen. Die Mitgliedstaaten sind in Art. 230 EGV als generell klagebefugt genannt und fallen zudem in den "Schutzbereich" von Art. 5 Abs. 2 EGV. Zwar können gemeinschaftliche Rechtsakte auch in die Kompetenzen der Länder und Regionen eingreifen, so daß das Subsidiaritätsprinzip auch ihrem Schutz dient, sie werden jedoch in Art. 230 EGV nicht als Klageberechtigte aufgeführt. Eine Klagebefugnis der unterstaatlichen Gebietskörperschaften könnte sich demnach nur aus ihnen in den Gemeinschaftsverträgen zuerkannten subjektiv-öffentlichen Rechten ergeben. Doch weder der Unionsvertrag noch die Gemeinschaftsverträge gewähren den Ländern und Regionen eigenständige, gerichtlich einklagbare Rechtspositionen. Auch die Bekenntnisse zu den Grundsätzen "bürgernaher Entscheidung" in Art. 1 Abs. 2 EUV und der "Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten" in Art. 6 Abs. 3 EUV vermitteln den Ländern und Regionen keine subjektiv-öffentlichen Rechte, deren Verletzung sie vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen könnten. Gleiches gilt für den aus der europaweit455 zu beobachtenden Regionalisierungstendenz456 abgeleiteten Grundsatz457 "größtmöglicher Berücksichtigung der Regionen"458 . Die deutschen Länder sind demnach nicht vor dem Europäi454 Auf diesen Umstand weist H. D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 21, hin. 455 Vgl. zu den europäischen Regionalisierungstendenzen P. Häberle, AöR 118 (1993), S. 1 ff. (durchgehend); A. Schink, DÖV 1992, S. 385ff. (durchgehend); mit speziellem Bezug zur spanischen Entwicklung G. Held, Aus Politik und Zeitgeschichte, 1993, B 20-21, S. 23ff. (durchgehend); unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten betrachtet B. von Plate, EA 1991, S. 558ff. (561 ff.) das Phänomen. 456 Vgl. dazu oben 3. Kapitel B. li. 1. a). 457 V gl. dazu insobesondere D. H. Voß, Regionen und Regionalismus im Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, S. 481 f., der insoweit sogar von einem "Rechtsgrundsatz" spricht. Wegen der "unübersichtlichen Regionalstruktur der EG" zu Recht kritisch C. Engel, integration 1991 , S. 9ff. (11f.); A. Epiney, EuR 1994, S. 301 ff. (307f.); G. Ress, EuGRZ 1986, S. 549ff. (550f.); T. Stein, VVDStRL 53 (1994), S. 27ff. (37). 458 Zustimmend A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, S. 98 f.; B. SchiTTUJ, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht,

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 313

sehen Gerichtshof klagebefugt; sie sind vielmehr zur Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Interessen auf die Vertretung durch den Bund459 angewiesen. Sie können jedoch gemäß § 7 Abs. 1 ZEUBLG460 von der Bundesregierung verlangen, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben, wenn Handlungen der Gemeinschaftsorgane die nach dem Grundgesetz ausschließlich den Ländern vorbehaltenen Gesetzgebungsbefugnisse verletzen. Von Teilen der Literatur wird die Ansicht vertreten, auch natürliche Personen könnten vor nationalen Gerichten die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips geltend machen. Nach Calliess soll dies zumindest dann möglich sein, wenn der einzelne neben der Verletzung einer unmittelbar anwendbaren Norm zusätzlich behauptet, daß die angegriffene Maßnahme auch gegen das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 EGV verstoße461 . In diesem Falle könnte der Europäische Gerichtshof in einem Vorlageverfahren incidenter die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips überptiifen462. Hierbei gilt es jedoch genau zwischen der Klagebefugnis des einzelnen, die sich auch nach dieser Konstellation allein aus der möglichen Verletzung eines subjektivöffentlichen Rechts ergibt, und der Gelegenheit des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen eines möglicherweise erforderlich werdenden Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 EGV zu ptiifen, ob zusätzlich auch ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip vorliegt. Es bleibt daher festzuhalten, daß Art. 5 EGV natürlichen Personen keine eigenständigen, einklagbaren Rechte einräumt. Die somit ausschließlich den Mitgliedstaaten vorbehaltene Berechtigung, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung des Art. 5 EGV zu erheben, wird auch dann nicht verwirkt, wenn der Staat der fraglichen Maßnahme im Rat ausdrucklieh zugestimmt hat. Einerseits läge es durchaus nahe, einem Mitgliedstaat die Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip unter dem Gesichtspunkt des "venire contra factum proprium"463 zu S. 159; /. Pemice, DVBI. 1993, S. 909ff. (916); M. Zuleeg, DVBI. 1992, S. 1329ff. (1336); C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. l53ff. und 302; ders., AöR 121 (1996), S. 510ff. (524ff.) 4S9 So auch C. Calliess, ibd. 460 Vgl. das "Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (ZEUBLG) vom 12. März 1993, BGBI. I S. 313. 461 C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, s. 304. 462 So auch K. Hailbronner, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft, S. 49ff. (63); P. Pescatore, FS für Ulrich Everling, Bd. II, S. 1071 ff. (1090); B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 145; K. Lenaerts/P. van Ypserele, Cahiers de droit europeen 1994, S. 88 ff. 463 Dieser Grundsatz gilt kraft allgemeinen Völkerrechts (vgl. dazu statt aller A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 60ff.; K. lpsen, Völkerrecht, S. 203) auch im Recht der Europäischen Union. Der Hinweis auf Art. 26 des Wie-

314

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

verwehren, wenn er zuvor an dem Zustandekommen464 des angegriffenen Rechtsaktes aktiv mitgewirkt hat465 . Dabei ist unter "aktiver Mitwirkung" sowohl die Zustimmung als auch die Enthaltung zu verstehen, letztere jedoch nur in den Fällen, in denen die Maßnahme durch die Enthaltung gerade des klagenden Staates nachweisbar zustande kam466. Andererseits sprechen einige Gründe dagegen, die Befugnis zur Erhebung einer Klage wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips von dem vorherigen Abstimmungsverhalten des klagenden Mitgliedstaates im Rat abhängig zu machen. Zunächst gilt es zu berücksichtigen, daß der Grundsatz "venire contra factum proprium" als eine Verletzung des Prinzips von "Treu und Glauben" ein treuwidriges Verhalten beschreibt. Ungeachtet der prinzipiellen Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf die Rechtsbeziehungen zwischen Staaten467, und Staatsorganen468 erscheint es jedoch geboten, die Wirkungen und Ergebnisse, die die Anwendung dieser rechtsgeschäftlich geprägten Prinzipien im Einzelfall entfalten, auf ihre Vereinbarkeil mit den Eigentümlichkeiten des jeweiligen Rechtsgebietes hin zu überprüfen. Einem Mitgliedstaat der Europäischen Union unter Berufung auf den Grundsatz widersprüchlichen Verhaltens das Recht, einen Gemeinschaftsrechtsakt vom Europäischen Gerichtshof kontrollieren zu lassen, versagen zu wollen, verkennt gleichermaßen die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts wie die Funktion der Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft. So ist deren Privilegiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (BGBJ. 1985 II S. 296), so bei C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 304, FN 269, erscheint insoweit mißverständlich, als dieses Abkommen mangels Beteiligung aller Mitglieder der Europäischen Union (Fundstellennachweis B zu BGBJ. II von 1998, abgeschlossen zum 31. Dezember 1997, S. 476) nicht der Geltungsgrund für diese Regel sein kann. 464 Zur unproblematischen Situation, daß ein Mitgliedstaat bei einer Mehrheitsentscheidung überstimmt wird, vgl. V. Götz, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 339ff. (349). 465 Da es entscheidend auf das konkrete Abstimmungsverhalten des einzelnen Mitgliedstaates ankommt, erscheint die Differenzierung in einstimmig und mehrheitlich beschlossene Ratsentscheidungen für die Frage der Verwirkung der Klageberechtigung nicht nachvollziehbar. So aber wohl C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 304ff. 466 Dies wäre bei einstimmig zu fassenden Beschlüssen und bei solchen Mehrheitsentscheidungen der Fall, bei denen durch die Gegenstimme des klagenden Staates die angegriffene Maßnahme im Rat abgelehnt worden wäre. 467 Vgl. zu Begriff und Bedeutung der "bona fides" im Völkerrecht A. Verdross/ B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 60ff. et passim; K. Jpsen, Völkerrecht, S. 555ff.; zu dem Institut der Bundestreue vgl. statt aller BVerfGE 1, 299 [315]; H. W. Bayer, Die Bundestreue (durchgehend); H. Bauer, Die Bundestreue (durchgehend). 468 Zu dem insoweit verwandten Begriff der "Verfassungsorgantreue" vgl. W. R. Schenke, Die Verfassungsorgantreue (durchgehend).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 315

rung hinsichtlich ihrer Klagebefugnis ebenso wie der Umstand, daß die Mitgliedstaaten bei Klagen gemäß Art. 230 EGV kein eigenes Rechtsschutzinteresse geltend zu machen brauchen469 , Ausdruck ihrer "Verantwortung für die Wahrung der [... ] Gemeinschaftsinteressen"470. Folgerichtig hat der Europäische Gerichtshof daher entschieden, daß die Mitgliedstaaten, ebenso wie die klagebefugten Gemeinschaftsorgane die Klageberechtigung gemäß Art. 230 Abs. 1 EGV auch dann nicht verlieren, wenn sie zuvor an dem Zustandekommen der angegriffenen Maßnahme mitgewirkt haben471 • Es ist nicht ersichtlich, weshalb für die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips etwas anderes gelten soll. Auch der Vorschlag, einer auf Art. 5 Abs. 2 EGV begrenzten Klagerechtsverwirkung, die dem Mitgliedstaat die Möglichkeit, wegen der Art und der Intensität des Gemeinschaftshandeins eine auf Art. 5 Abs. 3 EGV gestützte Klage zu erheben472 , überzeugt letztlich nicht. Nach Art. 230 Abs. 1 EGV können jeder Mitgliedstaat, der Rat und die Kommission innerhalb der in Art. 230 Abs. 3 EGV genannten Frist gegen jeden Rechtsakt Klage wegen Unzuständigkeit der Gemeinschaft oder Verletzung des Vertrages erheben. Wegen des Initiativmonopols der Kommission (Art. 211 EGV)473 und des Entscheidungsmonopols des aus den Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden Rats (Art. 202 EGV)474 sind stets alle privilegiert Klagebefugten des Art. 230 Abs. 1 EGV zwangsläufig am Zustandekommen eines angegriffenen Rechtsaktes beteiligt. Bei einer konsequenten Anwendung des Grundsatzes vom Verbot widersprüchlichen Verhaltens reduzierte sich der Kreis der Klageberechtigten auf jene Mitgliedstaaten, die der fraglichen Maßnahme nicht zugestimmt oder gegen sie gestimmt haben. Einstimmige Ratsbeschlüsse wären demnach überhaupt nicht mehr auf ihre Vereinbarkeil mit dem geltenden Vertragsrecht überprüfbar. Aus Stellung und Funktion des Europäischen Gerichtshofs insgesamt, insbesondere aber aus Art. 230 EGV sowie seiner bereits erwähnten Rechtsprechung zur Klagebefugnis ergibt sich, daß eine solche massive Einschränkung judikativer Kontrolle für das Gemeinschaftsrechtrecht erkennbar nicht gewollt ist. Eine Verwirkung nur für die Mitgliedstaaten anzunehmen erscheint indes inkonsequent. Im übrigen liefert Art. 230 EGV hierfür auch keine Grundlage. Sowohl der Wortlaut als auch Sinn und Zweck dieser Norm lassen ebenso wie die Rechtsprechung erkennen, daß eine Verwirkung der Klageberechtigung jedenfalls für die pri469 Vgl. statt aller EuGH Slg. 1985, S. 837ff.; T. Oppermann, Europarecht, Rz. 741; H. Wenig, in: Grabitz/Hilf, Art. 173, Rz. 16. 470 So bereits EuGH Slg. 1961, S. 273ff. (310); H. Wenig, ibd. 471 Ausdrücklich EuGH Slg. 1979, S. 2525 ff. (2596). 472 So C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 306. 473 Vgl. dazu statt aller W. Hummer, in: Grabitz/Hilf, Art. 155, Rz. 40. 474 Vgl. dazu statt aller M. Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, Art. 145, Rz. 1.

316

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

vilegiert Klagebefugten ungeachtet ihres "Vorverhaltens" nicht eintreten soll. Damit bleibt jedem Mitgliedstaat unabhängig von seinem Abstimmungsverhalten im Rat die Möglichkeit, einen Rechtsetzungsakt der Gemeinschaft auch auf seine Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 2 EGV vom Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen. Dieses Ergebnis findet in der mit Art. 230 Abs. 1 EGV vergleichbaren Regelung der abstrakten Normenkontrolle in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG eine Bestätigung. Auch nach dieser Vorschrift können die aufgeführten Antragsbefugten unabhängig von einem eigenen Rechtsschutzinteresse475 Bundesrecht auf seine Grundgesetzkonformität und Landesrecht zusätzlich auch noch auf seine Vereinbarkeit mit Bundesrecht verfassungsgerichtlich prüfen lassen. Dabei kann wie bei Art. 230 Abs. 1 EGV jeder Antragsberechtigte jeden der genannten Gegenstände dem Gericht vorlegen476, so daß auch bei der abstrakten Normenkontrolle mehrere Konstellationen möglich sind, bei denen der Antragsteller an dem Zustandekommen der vorgelegten Rechtsnorm mitgewirkt hat. Dennoch ist nicht ersichtlich, daß in der Rechtsprechung oder in der Literatur die Frage einer möglichen Verwirkung der Antragsbefugnis wegen widersprüchlichen Verhaltens des jeweiligen Verfassungsorgans diskutiert worden wäre. Auf europäischer Ebene zwänge die Annahme einer Klagerechtsverwirkung die Mitgliedstaaten dazu, im Zweifel gegen einen Verordnungs- oder Richtlinienvorschlag zu stimmen, um sich die Möglichkeit einer späteren Anrufung des Europäischen Gerichtshofs offenzuhalten. Um dieser Gefahr zu begegnen, will Calliess die Präklusion auf die Klagemöglichkeit nach Art. 5 Abs. 2 EGV beschränken und dadurch den Mitgliedstaaten die Überprüfung des von ihnen mitbeschlossenen Rechtsaktes auf seine Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in Art. 5 Abs. 3 EGV ermöglichen. Dies erscheint jedoch widersprüchlich. Wird dem Mitgliedstaat unter Berufung darauf, daß er das Zustandekommen des fraglichen Rechtsaktes nicht verhindert habe, die Gelegenheit, eine auf Art. 5 Abs. 2 EGV gestützten Klage anzustrengen, verwehrt, so ist nicht nachvollziehbar, weshalb für die Intensität des gleichen Rechtsaktes andere Maßstäbe gelten sollen. Auch auf die Art des Gemeinschaftshandeins hätte der Staat im Rat Einfluß nehmen können, so daß es unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Ver475 So schon BVerfGE 1, 208 [219f.]; G. Sturm, in: Sachs, GG, Art. 93, Rz. 42; K. Schlaich, Bundesverfassungsgericht, Rz. 122; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 1260. 476 BVerfGE 1, 184 (196f.); vgl. statt aller K. Stern, Staatsrecht, ibd., "Deshalb kann ,eigenes' oder ,fremdes' Recht überprüft werden". Mit "eigenem" Recht sind Rechtsakte gemeint, an deren Zustandekommen der Antragsteller beteiligt war. G. Ulsamer, in: M/S-B/K/U, § 76, Rz. 14ff.; C. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 8, Rz. 4.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 317

haltens nur konsequent wäre, die Klageberechtigung bezüglich des Art. 5 EGV insgesamt auszuschließen. Wegen dieser Inkonsequenz, vor allem aber, weil die Übertragung des Grundsatzes "venire contra factum proprium" auf die Ermächtigung, "abstrakte Normenkontrollklagen" erheben zu können, zu sachwidrigen und systemfremden Ergebnissen führt, ist die Anwendung dieses Prinzips auf die Klageberechtigung der Mitgliedstaaten abzulehnen. Zudem führte ein solches Klageverbot zu einer unnötigen Erschwerung der Durchsetzung des Subsidiaritätsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht Es ist daher davon auszugehen, daß die Möglichkeit eines jeden Mitgliedstaates, wegen Verletzung der in Art. 5 EGV niedergelegten Grundsätze den Europäischen Gerichtshof anzurufen, unabhängig von seinem möglichen Mitwirken am Erlaß des angegriffenen Rechtsaktes uneingeschränkt zusteht. b) Darlegungslast

Nach allgemeiner Ansicht in der Literatur hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Pflicht, in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof die Umstände darzulegen, aus denen sich ergeben soll, daß die angegriffene Maßnahme mit dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang steht und daher vertragskonform ist. 477 Mißverständlich ist es jedoch, im Bezug auf Art. 5 Abs. 2 EGV von einer "Beweislasturnkehr"478 zu sprechen. Denn ob ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip vorliegt oder nicht, ist nicht Tatsachen-, sondern Rechtsfrage und damit nicht dem Beweise zugänglich. Es handelt sich vielmehr um eine Verpflichtung der Gemeinschaft, substantiiert zu begründen, weshalb der angegriffene Rechtsakt den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes genügen soll. Insofern ist die Bezeichnung "Darlegungs-" oder "Argumentationslast"479 sachgerechter. Doch auch bezüglich dieser Verpflichtung stellt Art. 5 EGV keine schlichte "Umkehrung" bestehender Regelungen dar. So muß auch eine Klage wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips zulässig und damit schlüssig sein480. Darüber hinausgehende Anforderungen stellt Art. 230 Abs. 1 EGV jedoch generell nicht. Zwar steht es dem Gerichtshof frei, die Maßstäbe für ein schlüssiges Klägervorbringen entsprechend niedrig anzusetzen, doch läge hierin noch 477 A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 34; S. V. Pieper, DVBI. 1993, S. 705ff. (711); W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 415ff. (434); C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 308f.; a. A. wohl I. E. Schwartz, AfP 1993, S. 409ff. (411); C. Stewing, DVBI. 1993, S. 1516ff. (1518). 478 So unter anderen S. V. Pieper, ibd.; C. Calliess, ibd. 479 So A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 34. 480 Zu dieser Zulässigkeilsvoraussetzung vgl. statt aller H. Wenig, in: Grabitz/ Hilf, Art. 173, Rz. 20.

318

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

keine "Umkehrung der Darlegungslast". Eine solche läßt sich dem Subsidiaritätsgrundsatz allenfalls im Verhältnis zu dem Satz "in dubio pro communitate"481 entnehmen. Bei dieser "Regel" handelt es sich jedoch lediglich um eine häufig praktizierte Verfahrensweise oder Auslegungsmaxime des Gerichtshofs, keineswegs aber um einen Rechtssatz des Gemeinschaftsrechts. Im Ergebnis ist allerdings davon auszugehen, daß wegen des sowohl dem Prinzip begrenzter Einzelermächtigung als auch dem Subsidiaritätsgrundsatz selbst immanenten Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugunsten mitgliedstaatlieber Kompetenzen die Darlegungslast für die Vereinbarkeit der angegriffenen Maßnahme mit Art. 5 EGV bei der Gemeinschaft liegt. Dies stellt zugleich auch eine sachgerechte und konsequente Übertragung der Begründungspflicht aus Art. 253 EGV auf die Prozeßebene dar. 5. Politische Probleme bei der Anwendung und Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

Die rechtliche Verbindlichkeit und die prinzipielle Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle seiner Einhaltung dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die praktische Handhabung des Art. 5 Abs. 2 EGV einige rechtspolitische Probleme bereitet und durchaus noch verbesserungsbedürftig erscheint. Es wäre daher verfehlt, sich mit der Feststellung der Nonnativität dieses Grundsatzes zu begnügen und auf seine Justitiabilität zu vertrauen. Abgesehen davon, daß sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu diesem Grundsatz nur schwer vorhersagen läßt, gilt es zu berücksichtigen, daß das Subsidiaritätsprinzip zunächst auf eine Beschränkung gemeinschaftlicher Sekundärrechtsetzung gerichtet ist. Es soll seine limitierende Wirkung in erster Linie auf legalistischer Ebene und damit im rechtspolitischen Bereich entfalten. Bei der praktischen Handhabung des Subsidiaritätsprinzips durch die Gemeinschaft sind grundsätzlich zwei Problemkreise zu unterscheiden. Der generelle Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 EGV und die konkrete Umsetzung des Grundsatzes bei einzelnen Gemeinschaftsvorhaben.

a) Anwendung und Reichweite des Art. 5 Abs. 2 EGV Die Bundesregierung482 und der Bundesrat483 beklagen, daß die Kommission nach wie vor an der unzutreffenden Rechtsauffassung festhalte, der 481 Vgl. dazu S. U. Pieper, DVBI. 1993, S. 705ff. (711), diesem wohl folgend C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 308 f. 482 Vgl. dazu BT-Drs. 13/11074, S. 4; BT-Drs. 13/8174, S. 4.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 319 gesamte Binnen- und Agrarmarktbereich falle in ihre "ausschließliche Zuständigkeit", so daß das Subsidiaritätsprinzip bei Maßnahmen auf diesen Gebieten apriori keine Anwendung finde 484 . Das führt zum einen zu einer ungerechtfertigten und mit der Zielsetzung, die mit der Einführung dieses Grundsatzes verfolgt wurde, nicht zu vereinbarenden Einschränkung seiner Wirkungsmöglichkeit Zum anderen bezieht die Kommission entsprechend dieser Ansicht ihre Aktivitäten in den genannten Bereichen nicht in ihre jährlichen "Subsidiaritätsberichte" ein, so daß die Beurteilung der Erforderlichkeil und der Intensität dieser Maßnahmen erheblich erschwert wird. Im übrigen sieht die Kommission bereits in der seit der Einführung des Art. 5 EGV rückläufigen Zahl neuer Rechtsetzungsvorschläge eine Anwendung des Subsidiaritätsgedankens485 . Diese Einschätzung muß insoweit relativiert werden, als die Errichtung des Binnenmarktes in dem Zeitraum Juli 1987 bis Ende 1992 zu einer erheblich verstärkten Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft geführt hat, die nach der "Vollendung des Binnenmarktes" ohnehin zurückgegangen wäre. Zudem konnten sich auch die Europäischen Gemeinschaften dem weltweiten Trend zu Deregulierung und Liberalisierung nicht entziehen. Beide Faktoren müssen als mitursächlich für die Reduzierung der Regelungstätigkeit der Gemeinschaften angesehen werden486, so daß sich insoweit ein gesicherter und quantifizierbarer Zusammenhang zu dem Grundsatz der Subsidiarität nicht nachweisen läßt. Zudem muß beachtet werden, daß dem Rückgang von Vorschlägen für verbindliche Rechtsakte eine steigende Zahl von unverbindlichen Maßnahmen sowie von Förder- und Aktionsprogrammen gegenübersteht, die die Kommission zum Teil in Form von Grün- und Weißbüchern vorstellt und ankündigt487. Dabei scheint die Kommission bereits in dem Rückgriff auf diese Handlungsformen, die formal die Kompetenzen der Mitgliedstaaten unberührt lassen, eine Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zu sehen, ohne daß die vorrangige Frage einer vertraglichen Ermächtigung zu solchen Maßnahmen besonders geprüft wird488 . Demgegenüber geht der Bundesrat offensichtlich immer noch davon aus, daß der Grundsatz der Subsidiarität auch als Maßstab für die Kompetenzübertragung gilt489, was nicht zutrifft490. Darüber hinaus stützt die Ländervertretung ihre Kritik an Kommissionsvorhaben häufig auf das SubsidiariVgl. dazu BR-Drs. 263/97 (Beschluß), S. 1; BR-Drs. 469/98, S. 2. Vgl. zu dieser These und ihrer Widerlegung oben 3. Kapitel D. I. 485 Vgl. SEK (96) 7 endg.; Ratsdok. 12501196- Subsidiaritätsbericht 1996. 486 So auch die Einschätzung des Bundesrates in BR-Drs. 263/97, S. 2. 487 So weist der Kommissionsbericht ,.Eine bessere Rechtsetzung - 1996", SEK (96) 7 endg., Ratsdok. 12501/96, S. 1, allein für das Jahr 1996 insgesamt 15 Grünund 3 Weißbücher aus. 488 Vgl. dazu sogleich unten b). 483 484

320

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

tätsprinzip, obwohl letztlich die fehlende Kompetenz der Gemeinschaft für die fragliche Maßnahme angemahnt wird. Der häufig pauschale Verweis auf den Subsidiaritätsgrundsatz491 ist der Glaubwürdigkeit abträglich und bringt überdies die Gefahr mit sich, daß die noch nicht abschließend geklärten rechtlichen Konturen des Art. 5 Abs. 2 EGV verwischt werden und der Subsidiaritätseinwand nicht mehr Ernst genommen wird492 • b) Zur konkreten Handhabung des Art. 5 EGV

Als eindeutigen Ultra-Vires-Akt und damit als einen klaren Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip im vorgenannten Sinne muß die "Vorlage für eine Empfehlung des Rates für die Haltung wildlebender Tiere in Zoos"493 betrachtet werden. Eine derartige Regelung entbehrt jeder Rechtsgrundlage. Selbst im Wege extensiver Auslegung läßt sich den Gemeinschaftsverträgen keine Befugnis für ein solches Vorhaben entnehmen. Es fehlt insbesondere an einem grenzüberschreitenden Bezug, so daß ein Rückgriff auf die Binnenmarktzuständigkeiten ebenso ausscheidet wie eine Inanspruchnahme der Agrarmarktregelungen. Diese Vorgehensweise zeigt jedoch, daß sich die Kommission hinsichtlich unverbindlicher Maßnahmen nicht an die Kompetenzordnung der Verträge gebunden fühlt. Diese Praxis ist mit Art. 249 Abs. 1 EGV nicht vereinbar, der auch die "Empfehlung" als ein Instrument nennt, das die Gemeinschaftsorgane lediglich "zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe dieses Vertrages [... ]" einsetzen dürfen. Der genannte Empfehlungsvorschlag muß auch deswegen als ein besonders grober Verstoß gegen die Kompetenzordnung angesehen werden, weil die Kommission im Jahre 1991 mit einem entsprechenden Richtlinienentwurf bereits gescheitert ist494 . Ungeachtet dieses Kompetenzverstoßes greift die an diesem Vorhaben geübte Kritik des Bundesrates zu kurz, wenn 489 Vgl. dazu die auf das Subsidiaritätsprinzip gestützte Forderung des Bundesrates in BR-Drs. 263/97, Anlage S. 8 am Ende, auf die Einführung einer Gemeinschaftskompetenz für die Energiepolitik zu verzichten. 490 Vgl. dazu unten 3. Kapitel D. III. I. c). 491 Beispielgebend sei auf BR-Drs. 235/95 (Beschluß) Ziff. 18 verwiesen, der in Auseinandersetzung mit KOM (96) 59 endg.; Ratsdok. 5939/96, schlicht die Forderung erhebt: "Auch im übrigen soll der Grundsatz der Subsidiarität beachtet werden". 492 Überdies hat der Vertreter Schleswig-Holsteins Gerd Walter in der 692. Sitzung des Bundesratesam 15. Dezember 1995, Sten. Bericht, 589 B-631 C (Anlage 20), zutreffend darauf hingewiesen, daß das Subsidiaritätsargument auch von den Mitgliedstaaten immer wieder dazu mißbraucht worden ist, sich gemeinschaftlicher Verpflichtungen zu entziehen und die Weiterentwicklung der Europäischen Union zu behindern. 493 KOM (95) 619 endg.; Ratsdok. 4509/96. 494 Vgl. dazu BR-Drs. 583/91 (Beschluß).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 321

er in dem Kommissionsvorschlag lediglich einen Versuch sieht, das Subsidiaritätsprinzip zu "unterlaufen"495 . Diese Argumentation unterstellt, daß Art. 5 Abs. 2 EGV nur für verbindliche Rechtsakte der Gemeinschaft gilt. Eine solche Beschränkung des Subsidiaritätgrundsatzes ist jedoch weder dem Vertrag selbst noch dem den Art. 5 EGV erläuternden Protokoll von Amsterdam zu entnehmen496. Vielmehr werden die im Vertrag verwandten Termini "Maßnahmen" und "Tätigkeiten" stets in einem umfassenden, alle in Art. 249 EGV genannten gemeinschaftlichen Handlungsformen einschließenden Weise gebraucht. Über die Gründe für derartig eklatante Kompetenzüberschreitungen der Kommission kann letztlich nur spekuliert werden. Eine mögliche und überzeugende Begründung sieht M. Brunner in dem Bemühen einzelner Kommissionsmitglieder, Mißständen und Problemen in bestimmten Mitgliedstaaten auf dem "Umweg über Europa" abhelfen zu wollen, da bei den an sich zuständigen nationalen Behörden ein entsprechendes Problembewußsein oder der Lösungswille fehlen . Dieses Motiv mag auch der Richtlinie für ein vollständiges Werbeverbot von Tabakwaren zugrundeliegen497, in der keine konkrete Vertragsnorm als Ermächtigungsgrundlage genannt ist und für die sich bei genauerer Betrachtung auch keine Gemeinschaftskompetenz finden läßt. Stellt man auf die mit der Vorschrift angestrebten Ziele ab, so deuten die Erwägungsgründe eins, zwei und acht der Richtlinie eindeutig auf einen Binnenmarktbezug hin. Denn diese nennen die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen und Handelshemmnissen, die sich aufgrund der unterschiedlichen Werbeverbote in den einzelnen Mitgliedstaaten ergäben, als Ziel der Richtlinie. In Erwägungsgrund vier wird dann der Gesundheitsschutz bei Jugendlichen als Ziel des Vorhabens genannt. Soweit die Richtlinie auf die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen gerichtet ist, ist schon ihre Geeignetheit fraglich. Denn der Europäische Gerichtshof hat hinsichtlich vollständiger Werbeverbote ausdrücklich nicht ausgeschlossen, daß diese auch eine Wettbewerbsverzerrung herbeiführen oder aber eine bereits bestehende verstärken könnten498 , da etwa ausländische Produkte häufig von vornherein einen Wettbewerbsnachteil hätten, der nur über eine verstärkte Werbung gegenüber einheimischen Erzeugnissen kompensiert Vgl. BR-Drs. 107/96 (Beschluß). Vgl. den Text des "Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit" bei K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. 497 Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (98/C 91/03), EG ABI. L 213 vom 30. Juli 1998. 498 Vgl. EuGH Urteil vom 9. Juli 1997- Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, De Agostini/TV-Shop, EWS 1995, S. 119 und EuZW 1997, S. 654. 495

496

21 Moersch

322

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

werden könne. Betrachtet man Tabakwerbung unter dem Gesichtspunkt der Dienstleistung499, so erscheint es unverhältnismäßig, etwaige Wettbewerbsverzerrung auf diesem Sektor durch ein generelles Verbot der Dienstleitung beseitigen zu wollen. Ungeachtet dieser Überlegungen stellt sich jedoch die Frage, auf welche Vorschrift des EG-Vertrages die Richtlinie gestützt worden sein soll. Art. 152 Abs. 4c EGV erlaubt lediglich "Fördermaßnahmen unter Ausschluß jeglicher Harmonisierung . . ." und scheidet schon deshalb als Rechtsgrundlage aus. Da die Kommission im 4. Erwägungsgrund den Schutz der Gesundheit Jugendlicher als gleichrangiges Ziel neben der Förderung des Binnenmarktes aufführt, kommt auch Art. 95 Abs. 3 EGV nicht als Ermächtigungsgrundlage in Betracht. Zwar hat die Gemeinschaft gemäß Art. 95 Abs. 3 EGV von einem hohen Gesundheitsschutzniveau bei ihren Vorschlägen auszugehen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß die Vorschrift des Art. 95 EGV nur allein binnenmarktbezogene Maßnahmen deckt, so daß der Gesundheitsschutz als gleichrangiges Ziel der Richtlinie insofern als sachfremde Erwägung anzusehen ist500. Art. 308 EGV wäre zwar thematisch einschlägig gewesen, da der Europäische Gerichtshof bereits 1973 entschieden hat, daß der Rückgriff auf diese Vorschrift nicht durch das Bestehen speziellerer Ermächtigungsgrundlagen gehindert wird, wenn diese die konkret beabsichtigte Maßnahme nicht decken 501 , so daß hier Art. 152 EGV keine "Sperrwirkung" entfaltet hätte. Da Art. 308 EGV jedoch Einstimmigkeit verlangt, die bei dem massiven Widerstand Deutschlands gegen diese Richtlinie nicht zu erzielen gewesen wäre, kommt auch diese Vorschrift als Rechtsgrundlage für diesen Rechtsakt nicht in Betracht. Des weiteren versucht die Kommission, über eigene Förder- und Aktionsprogramme das vertragliche Kompetenzgefüge zu umgehen oder einseitig zugunsten der Gemeinschaften zu erweitern. In diesem Sinne müssen die Vorschläge für Gemeinschaftsaktionen und Programme auf dem Gebiet der Fremdenverkehrspolitik502 sowie die beabsichtigten Fördermaßnahmen von europäischen Film- und Femsehproduktionen503 , die Programme "KALEISo der 1. Erwägungsgrund der Richtlinie 98/43/EG. So auch T. Reher/M. Schöner, EWS 1998, S. 294ff. (297). 50 1 Vgl. das Urteil Rs. 8/73 vom 12. Juli 1973 in EuGH Slg. 1973, S. 897 ff. 502 Vgl. die Vorschläge in dem "Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über Katastrophenschutz, Fremdenverkehr und Energie", SEK (96) 496 endg., und den "Vorschlag für einen Beschluß des Rates über ein Mehrjahresprogramm zur Förderung des europäischen Tourismus [PHILOXENIA] (1997-2000), KOM (96) 168 endg.; Ratsdok. 7473/96, ABl. EG C 222 vom 31. Juli 1996, S. 9, sowie die hieran geübte Kritik des Bundesrates in BR-Drs. 263/97, Anlage, S. 15. 503 Vgl. dazu den "Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Errichtung eines Europäischen Garantiefonds zur Förderung der Film- und Fernsehproduktion", 499

500

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 323

DOSKOP 2000" und "ARIANE"504 sowie die ins Auge gefaßten Förderprogramme für kleine und mittlere Unternehmen 505 gesehen werden. Zwar berührt Fremdenverkehrspolitik auch die Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheil und besitzt somit Binnenmarktrelevanz. Indes folgt der besondere und unstreitige Regionalbezug dieses Sektors bereits aus der Natur der Sache. Als Bestandteil der Kulturpolitik fällt auch die Förderung von Filmund Fernsehproduktionen nach Art. 151 EGV grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, in Deutschland nach Art. 30 GG in die Kompetenz der Länder. Letzteres gilt auch für die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und des Handwerks506 . Insgesamt gesehen verfolgt die Kommission auch nach Einführung des Subsidiaritätsprinzips eine auf die Ausweitung ihrer Zuständigkeiten und ihres Einflusses gerichtete Politik. Dabei hat sich der Schwerpunkt weg von Verordnungs- und Richtlinienvorschlägen mit zweifelhafter vertraglicher Grundlage hin zu nicht rechtsverbindlichen Aktionsformen, insbesondere zu eigenständigen Förder- und Unterstützungsprogrammen, verlagert. Unter Subsidiaritätsgesichtspunkten erscheint diese Praxis vor allem dann problematisch, wenn die Kommission mit ihren Förderinitiativen die ihr gesetzten Befugnisgrenzen systematisch überschreitet. So greifen sowohl der geplante "Garantiefonds zur Förderung der Film- und Fernsehproduktion" als auch der Vorschlag zur Auflegung eines Melujahresprogramms zur "Förderung der sprachlichen Vielfalt der Gemeinschaft in der Informationsgesellschaft (MLIS)"507 über die Gemeinschaftszuständigkeit auf dem Gebiet der Kulturpolitik (Art. 151 EGV) hinaus, der die Tätigkeiten der Gemeinschaft auf eine Förderung, Unterstützung und Ergänzung mitgliedstaatlicher Maßnahmen beschränkt. Hinzu kommt, daß je nach der verwaltungspraktischen Ausgestaltung derartiger Programme die Bereitstellung und Auszahlung der Mittel sogar unter Umgehung der mitgliedstaatliehen Verwaltungen direkt an die Zielgruppen vorgenommen werden kann. Im KOM (95) 546 endg.; Ratsdok. 12357/95, ABI. EG C 41 vom 13. Februar 1996, S. 8. Zur Kritik des Bundesrates an diesem Vorhaben vgl. BR-Drs. 440/96 (Beschluß). · 504 Vgl. dazu den "Vorschlag für einen Beschluß des Europäischen Parlaments und des Rates für ein Programm zur Förderung europäisch ausgerichteter künstlerischer und kultureller Aktivitäten - KALEIDOSKOP 2000" sowie den "Vorschlag für einen Beschluß des Europäischen Parlaments und des Rates für ein Förderprogramm im Bereich Buch und Lesen- ARIANE", KOM (94) 356, ABI. EG C 324 vom 22. November 1994, S. 5 und 11. Zur Kritik siehe BR-Drs. 282/96 (Beschluß). 505 Vgl. die ,,Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über ein integriertes Programm für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und das Handwerk, KOM (96) 329 endg.; Ratsdok. 9244/96. 506 Vgl. insgesamt zur Kritik des Bundesrates an den genannten Gemeinschaftsvorhaben BR-Drs. 263/96 (Beschluß), Anlage, S. 11 ff. 507 KOM (95) 486 endg.; Ratsdok. 13055/95. 21•

324

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Extremfall könnte es sogar dazu kommen, daß die Gemeinschaft einerseits ein ihre Kompetenzen überschreitendes Förderprogramm auflegt und andererseits die Kommission Finanzhilfen der Mitgliedstaaten, die den gleichen Zweck verfolgen und die gleiche Zielgruppe ansprechen, als gemeinschaftswidrige staatliche Beihilfe für rechtswidrig erklärt. Dies führte dann im Ergebnis zu einer vollständigen Verlagerung der Kompetenzen auf die Gemeinschaft, ohne daß die Verteilung der Rechtsetzungszuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten verändert worden wäre. Diese Gefahr erscheint insbesondere bei beschäftigungsfördernden Programmen nicht fernliegend, da bei dem weit gefaßten Beihilfenbegriff508 nationale Maßnahmen auf diesem Gebiet nahezu immer als unzulässige Beihilfe interpretiert werden können. Vor diesem Hintergrund werfen Beschäftigungsinitiativen509 und Fördennaßnahmen der Gemeinschaft für bestimmte Berufsgruppen oder Regionen nicht nur Subsidiaritätsprobleme auf, sondern stellen gleichzeitig in Verbindung mit dem Beihilferegime des EG-Vertrages eine ernste Gefahr für den Fortbestand nationaler und regionaler Wirtschaftsförderung da? 10• Weiterhin ist festzustellen, daß das Subsidiaritätsprinzip von den Gemeinschaftsorganen auf dem Gebiet des Umweltschutzes nicht einheitlich und nicht konsequent angewandt wird. So weist die Kommission in ihrem Subsidiaritätsbericht 1996 ausdrucklieh darauf hin, daß die Richtlinie zur "Begrenzung von Emissionen organischer Verbindungen" (Ozonreduzierungsrichtlinie) bewußt sehr weit gefaßt wurde, um den Mitgliedstaaten ein "Höchstmaß an Flexibilität und Handlungsspielraum bei der Verminderung dieser Verbindungen zu gewährleisten"511 • So erlaube die Richtlinie die Wahl unterschiedlicher Strategien, selbst die Festlegung bestimmter Grenzwerte sei den Mitgliedstaaten überlassen worden. Dagegen greift der Richtlinienvorschlag "[... ] über Maßnahmen gegen Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen [... ]"512 über die Festlegung einer 508 Nach EuGH Slg. 1961, S. 1 ff. (43)- Rs. 30/59, sind unter einer staatlichen Beihilfe ganz allgemein "Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, welche ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat" zu verstehen. Vgl. auch R. Streinz, Europarecht, Rz. 828ff.; T. Oppennann, Europarecht, Rz. 1110ff. 509 Vgl. etwa das Programm "Stärkung des Vertrauens durch neue Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen - (ELISE - Europäische Beschäftigungsinitiative über Darlehensgarantien), KOM (96) 155 endg.; Ratsdok. 6929/96. 510 Vgl. zu den Auswirkungen der EU-Beihilfenkontrolle auf die regionale Wirtschaftsförderung T. M. Dietz, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 8 21-22, 1999, s. 17ff. 511 Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Europäischen Rat: "Eine bessere Rechtsetzung" 1996 - Bericht über die Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie über Vereinfachung und Kodifikation", SEK (96) 7 endg.; Ratsdok. 12501196, BR-Drs. 978/96, S. 4.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 325

Zielgröße in Form von Abgasgrenzwerten hinaus und bestimmt zugleich auch, daß die Reduzierung bei den Kraftfahrzeugen vorzunehmen ist. Damit läßt der Vorschlag unberücksichtigt, daß sämtliche bei dem Betrieb von Kraftfahrzeugen entstehenden Emissionen grundsätzlich auch bei anderen Verbrennungsvorgängen fossiler Brennstoffe, insbesondere von Erdölprodukten, anfallen. Die Festlegung der Mitgliedstaaten, die angestrebte Verminderung dieser Luftverunreinigungen zwingend bei Kraftfahrzeugen vorzunehmen, schränkt die Dispositionsfreiheit der nationalen Gesetzgeber und Verwaltungen in einer das Subsidiaritätsprinzip verletzenden Weise ein. Dies verkennt auch der Bundesrat, wenn er in seiner Kritik lediglich darauf verweist, daß Art. 6 Abs. 2 dieses Kommissionsvorschlags gegen Art. 153 Abs. 3 EGV verstoße, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit beläßt, strengere Schutzmaßnahmen als die Gemeinschaft festzulegen 513 . Die Analyse der Gemeinschaftstätigkeit der letzten Jahre läßt ferner erkennen, daß die Kommission bestrebt ist, ihre Vollzugs- und Kontrollkompetenzen gegenüber den Mitgliedstaaten auszudehnen. In diesem Sinne müssen der Vorschlag zur "Errichtung einer Europäischen Agentur für tierärztliche und pflanzengesundheitliche Überwachung"514, die in der "Mitteilung [... ] über die Wasserpolitik der Europäischen Union" 515 enthaltenen Vorschläge für die künftige Berichterstattung der Mitgliedstaaten und der Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung ..[. .. ] von Kontrollen vor Ort durch die Kommission zu Feststellung von Betrug [... ] zum Nachteil der [... ] Europäischen Gemeinschaften" betrachtet werden516 • Das verstärkte Bemühen der Kommission, Exekutivkompetenzen an sich zu ziehen, erklärt sich aus dem mittlerweile erreichten Bestand gemeinschaftsrechtlicher Regelungen. Dieser erlaubt einerseits in quantitativer Hinsicht keine entscheidende Vermehrung mehr. Andererseits bringen die zunehmenden Verpflichtungen und wechselseitigen Abhängigkeiten der Mitgliedstaaten untereinander und zur Europäischen Union einen steigenden Vollzugs- und Kontrollbedarf mit sich. In diesem im wesentlichen den Mitgliedstaaten und in Deutschland den Ländern vorbehaltenen Bereich besteht die Gefahr, daß die Kommission punktuelle Defizite bei nationalen Vollzugs- und Überprüfungsmaßnahmen sowie die mangelnde Kooperationsbereitschaft einzelner mitgliedstaatlicher Behörden als Argument für eine Verlagerung entspreKOM (96) 248 endg.; Ratsdok. 9856/96. Vgl. dazu BR-Drs. 721/96 vom 29. November 1996, wiederholt in BR Drs. 263/97 vom 25. April 1997, Anlage, S. 19. 514 Vgl. dazu KOM (96) 223 endg.; Ratsdok. 8460/96, ABI. EG C 239 vom 17. August 1996, S. 9. 5 15 Vgl. dazu KOM (96) 59 endg.; Ratsdok. 5939/96. 516 Vgl. dazu KOM (95) 690 endg.; Ratsdok. 4512/96, ABI. EG C 84 vom 21. März 1996, S. 10. 512

513

326

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

ehender Zuständigkeiten auf die Gemeinschaftseinrichtungen vorschiebt. So wird man die Forderung nach einer "Europäischen Agentur für tierärztliche und pflanzengesundheitliche Überwachung" als Reaktion der Gemeinschaft auf die anfangliehe zum Teil unzureichende Zusammenarbeit britischer Behörden mit der Kommission bei der Bekämpfung von Verstößen gegen die im Zusammenhang mit der BSE-Seuche verhängten Handelsverbote und der Seuche selbst zu werten haben. Darüber hinaus bergen die zahlreichen und umfangreichen Berichtspflichten der Mitgliedstaaten die Möglichkeit in sich, daß die Kommission die auf diesem Wege erlangten Informationen dazu verwendet, auch über die Grenze des Erforderlichen hinaus und entgegen den Voraussetzungen des Art. 5 EGV Handlungsspielräume und Betätigungsmöglichkeiten für die Gemeinschaftsorgane auszuloten. 6. Fazit

Mit Blick auf den universellen Geltungsanspruch des Subsidiaritätsprinzips ist der partielle Anwendungsausschluß in Art. 5 Abs. 2 EGV inkonsequent. Zudem trägt der unbestimmte und dem Gemeinschaftsrecht fremde Begriff der "ausschließlichen Zuständigkeit" deutliche Züge eines politischen Kompromisses, mit dem eine Entscheidung über Inhalt und Reichweite dieser Präklusion offensichtlich vermieden werden sollte. Die Bemühungen in der Literatur, dieses Tatbestandsmerkmal anband objektivierbarer Kriterien zu definieren und einzelne Politikfelder der Gemeinschaft hierunter zu subsumieren, sind stark von dem jeweiligen Integrationsverständnis der Autoren geprägt. Über diese grundlegend verschiedenen Auffassungen über den Fortgang der europäischen Integration hinaus, hat auch die Ausrichtung des Art. 5 Abs. 2 EGV an dem Sprachgebrauch und der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, die insbesondere in der Verwendung des Begriffs der "ausschließlichen Zuständigkeit" zum Ausdruck kommt, mit zur Verunsicherung beigetragen. Denn trotz Übernahme dieses Terminus aus dem Grundgesetz sind die Unterschiede zwischen staatlichem Verfassungsrecht und europäischem Vertragsrecht nicht hinreichend berücksichtigt worden. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, daß die Gemeinschaftszuständigkeiten in erster Linie funktioneller Art sind, während die verfassungsrechtlichen Kompetenzordnungen gegenstandsbezogene Abgrenzungen treffen. Neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über den Anwendungsbereich hat sich auch hinsichtlich der Rechtsverbindlichkeit und der Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips eine breite und kontroverse Diskussion entwickelt, die gleichfalls im Zeichen gegensätzlicher europäischer Integrationsvorstellungen und Entwicklungsperspektiven steht. Überdies

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 327

wird die Möglichkeit, die Einhaltung des Art. 5 Abs. 2 EGV vom Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen, angesichts des uneingeschränkten Auslegungsmonopols des Gerichts sowie seiner uneinheitlichen Rechtsprechung bezüglich der Kontrolle von Ermessens- und Prognoseentscheidungen, weithin überschätzt. Daher kann den Rechtsprechungsanalysen und den Verweisen auf frühere Entscheidungen des Gerichtshofs ebenso wie den verschiedenen im Schrifttum entwickelten Prüfungskriterien lediglich appellative Bedeutung zukommen. Demgegenüber spielt die Pflicht der Gemeinschaftsorgane, ihr Tätigwerden anband des Subsidiaritätskriteriums rechtfertigen und die Notwendigkeit ihres Handeins begründen zu müssen, als Instrument zur Beschränkung gemeinschaftlicher Rechtsetzung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn die Begründung stellt gleichermaßen die Grundlage für eine gerichtliche Überprüfung des Gemeinschaftshandeins durch den Europäischen Gerichtshof wie auch für die Rechtfertigung gegenüber den Mitgliedstaaten dar. Der dem ordnungspolitischen Grundsatz eignende Anspruch normativer Geltung hat somit zwar in der Ausgestaltung als verbindliches und justitiables Rechtsprinzip in den Art. 5 Abs. 2 EGV und Art. 2 Abs. 2 EUV eine Verankerung im europäischen Vertragsrecht gefunden. Doch kann dies nicht über den nach wie vor bestehenden ideologischen und damit grundlegenden Streit über Funktion, Bedeutung und Reichweite dieses Prinzips auf europäischer Ebene hinwegtäuschen. Auch wenn seine formale Einordnung als verbindlicher Grundsatz des Gemeinschaftsrechts heute nicht mehr offiziell bestritten wird, so wird dem Subsidiaritätsprinzip auch heute noch von Teilen der Literatur in erster Linie die Bedeutung einer "rule of reason" oder eines politischen Programmsatzes zugemessen. Dies weist jedoch auf ein Kernproblem bei der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV hin. Auch der Charakter des Subsidiaritätsgrundsatzes als Rechtsprinzip ändert nichts an der Tatsache, daß die Frage, ob eine bestimmte Zielvorgabe noch "ausreichend" von den Mitgliedstaaten verwirklicht werden kann, im Ergebnis keine rechtliche Frage ist. Ihre Entscheidung hängt vornehmlich von individuellen Einstellungen und Bewertungen sowie von dem zugrundegelegten Integrationsverständnis ab. Das Subsidiaritätsprinzip wird also auf im Kern politische und zudem äußerst vielfaltige Sachverhalte angewandt, die sich juristisch weder präzise erfassen noch bewerten oder gar determinieren lassen. Das macht zwar den Grundsatz der Subsidiarität selbst noch nicht zu einem politischen Programmsatz, seine Anwendung liegt jedoch in einer Grauzone zwischen Politik und Recht. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung der der Gemeinschaft von Art. 5 Abs. 2 EGV gezogenen Grenzen wird der Europäische Gerichtshof zwischen den Extremen einer reinen Evidenzkontrolle und einer legeferierenden, die rechtspolitischen Wertungen des Gemeinschaftsgesetzgebers verdrängenden Jurisdiktion den richtigen Maßstab finden müssen. Angesichts der Tatsache, daß sich bisher

328

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

nicht absehen läßt, welche Kriterien der Gerichtshof anlegen wird und zudem seine bisherige Rechtsprechung zu den vergleichbaren Problemen bei der Kontrolle von Ermessens- und Prognoseentscheidungen keine eindeutige Linie erkennen läßt, wird die grundsätzliche Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung des Subsidiaritätsgedankens insbesondere in der europarechtlichen Diskussion in Deutschland stark überbewertet517 • Die praktische Handhabung des Art. 5 EGV durch die Gemeinschaftsorgane weist weiterhin sowohl prinzipielle als auch punktuelle Defizite auf. So vertritt die Kommission nach wie vor die unzutreffende Ansicht, daß der gesamte Binnen- und Agrarmarktbereich in ihre "ausschließliche Zuständgkeit" falle und sie daher bei entsprechenden Vorhaben nicht an die Regelung des Art. 5 Abs. 2 EGV gebunden sei. Im übrigen kennzeichnet die Politik der Kommission in weiten Bereichen noch das überkommene Integrationsverständnis, das tendentiell auf eine Ausdehnung der Gemeinschaftszuständigkeilen zu Lasten mitgliedstaatlicher und regionaler Handlungsspielräume gerichtet ist. Praktisch äußert sich dies in Kompetenzüberschreitungen und Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips, wobei sich diese Verstöße vornehmlich auf zwei Ebenen niederschlagen. So hält sich die Kommission bei Vorschlägen für Ratsempfehlungen, Fördermaßnahmen und Aktionsprogrammen häufig nicht an die vertraglichen Befugnis- und Handlungsgrenzen. Zudem hat die Zahl von Vorschlägen für unverbindliche Maßnahmen seit Einführung des Subsidiaritätsgrundsatzes stark zugenommen. Darüber hinaus versucht die Kommission in den letzten Jahren verstäkt, eine Ausdehnung ihrer Vollzugs- und Kontrollkompetenzen zu erreichen. Auch dies steht im Widerspruch zum Subsidiaritätsgedanken. Die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV erweckt bisweilen den Eindruck der BeliebigkeiL So ist es nicht nachvollziehbar, weshalb etwa die Richtlinien zur Bekämpfung der Luftverschmutzung teilweise sehr weit gefaßt sind teilweise aber den Handlungsspielraum der nationalen Politik unnötig einschränken. Zudem erscheinen die jährlichen Subsidiaritätsberichte der Kommission sehr selektiv angelegt, wodurch sie den Charakter von "Beispielssammlungen" für die Anwendung des Art. 5 EGV erhalten518 . Einen 517 In diesem Sinne etwa die Einschätzung von K. Kinkel, FS für Klaus Stern, S. 1287 ff. 1290): "Das Rechtsprinzip der Subsidiarität wird zu einem Element föderativer Verfassung. Es sanktioniert eine politische Wirklichkeit, die weitgehend irreversibel geworden ist". (Hervorhebung im Original). 518 Insbesondere enthalten die Berichte regelmäßig keine vollständige Übersicht über die Vorschläge für nicht verbindliche Rechtsakte. So wird etwa der klar gegen die Kompetenzordnung des EG-Vertrages verstoßende "Vorschlag für eine Empfehlung des Rates für die Haltung wildlebender Tiere in Zoos", KOM (95) 619 endg.; Ratsdok. 4509/96 weder im Subsidiaritätsbericht 1995, SEK (95) 580; Ratsdok. 12183/95, noch im Subsidiaritätsbericht 1996, SEK (96) 7 endg.; Ratsdok. 12501/ 96, erwähnt.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 329

umfassenden Überblick über die Aktivitäten der Kommission und deren Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip geben diese Übersichten indes nicht. 111. Zielabhängigkeit 1. Ausgangslage

a) Allgemeines Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Subsidiaritätsidee in mehrfacher Weise an die Zwecksetzungen einer Gemeinschaft gebunden ist. So erfolgt die Zuweisung von Aufgaben nach diesem Prinzip auf der Grundlage einer an Zwecken ausgerichteten Ergebniserwartung. Zudem können Aufgaben zum einen als Konkretisierungen von Zwecksetzungen angesehen werden, zum anderen stellen sie aber auch als normative Handlungsanweisungen selbst Zielvorgaben dar519• Dabei kommt es für die Orientierungsfunktion von Ziel- und Zwecksetzungen maßgeblich auf ihren Bestimmtheitsgrad an520 . Diese Telosgebundenheit des Subsidiaritätsgedankens weist der Zielstruktur521 der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft für die Umsetzungsmöglichkeiten und die Leistungsfähigkeit dieses Prinzips entscheidende Bedeutung zu. b) Integration als übergeordneter Gemeinschaftstopos Das Prinzip der Integration ist nicht nur die dem europäischen Einigungswerk zugrunde liegende Idee, sondern auch das den drei Gemeinschaften immanente Konzept. Dabei kommt dem Integrationsbegriff trotz seiner inhaltlichen Unbestimmtheit zumindest nominell die Funktion einer Zielvorgabe auch für das Gemeinschaftshandeln zu. Mangels hinreichender Bestimmtheit des Integrationsziels läßt sich in Abwandlung der Lohmannsehen Einschätzung zur Denkfigur "Gemeinwohl"522 formulieren: "Integration ist kein denkbarer Zweck"523 . Daraus folgt, daß das Subsidiaritätsprinzip als grundlegendes und umfassendes Gemeinschaftsprinzip524 auf europäischer 519 Vgl. insgesamt zur Zielabhängigkeit des Subsidiaritätsgedankens oben I. Kapitel C. V. 2. 520 Vgl. dazu oben I. Kapitel C. V. 2. c). 521 Zur Zielstruktur der Europäischen Gemeinschaft vgl. S. Magiera, GS für Wilhelm Kar! Geck, S. 505ff. (514); J. Basedow, FS für Ulrich Everling, Bd. I, S. 49ff. (durchgehend). 522 Vgl. dazu oben 2. Kapitel E. III. I. b). 523 N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 180.

330

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Ebene ebensowenig umsetzbar ist wie im staatlichen Bereich. Seine Anwendung bleibt hier wie dort auf sektorale Teilgebiete beschränkt. Läßt sich der Subsidiaritätsgedanke auf die grundlegende Konzeption des europäischen Einigungswerkes mangels hinreichender Präzisierung seiner Zielvorgabe "Integration" nicht anwenden, so fragt sich, welche Bedeutung diesem Prinzip hinsichtlich der gemeinschaftsvertraglichen Zielvorgaben zukommen kann. Dabei gilt es zu beachten, daß die Zielsetzung der Europäischen Gemeinschaften und der Union sowie die Aufgabenzuweisung in den Gründungsverträgen in Verfolgung des oben dargelegten Integrationskonzeptes erfolgte. Insbesondere die Kompetenzausstattung der Europäischen Gemeinschaft ist seit ihrer Gründung als EWG im Jahre 1957 vor allem unter dem Gesichtspunkt vorgenommen worden, durch Vergemeinschaftung immer weiterer vormals staatlicher Aufgaben und eine fortschreitende Verflechtung der Volkswirtschaften den Frieden in Europa zu sichern und den Wohlstand der Völker der Mitgliedstaaten zu mehren. Zwar hätten diese Ziele wie auch die abnehmende Problemlösungskapazität der tradierten Nationalstaaten in jedem Falle eine europäische und zum Teil weltweite Kooperation erfordert, doch das europäische Einigungswerk ging bewußt und von Anfang an über diese sachlich erzwungene internationale Zusammenarbeit hinaus, indem es Gemeinschaften mit einem hohen Institutionalisierungsgrad und eigenen Rechtssetzungsbefugnissen schuf. So wie die Kompetenzverteilung zwischen der Zentralgewalt und den Gliedern in der Geschichte des deutschen Föderalismus in erster Linie Ausdruck der Machtverhältnisse zwischen dem Reich und den Einzelstaaten war und nicht am Grundsatz der Subsidiarität orientiert war525 , so folgte bisher auch die Übertragung von Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten auf die Europäischen Gemeinschaften vorrangig dem Ziel, "einige [... ] Kompetenzen gemeinsam auszuüben" 526 . Dabei hat die Ausrichtung der Integration auf die Wirtschaft zu einer den ökonomischen Bedürfnissen entsprechenden weitgehenden Vereinheitlichung der nationalen Rechtsordnungen geführt. Fragen des Schutzes nationaler und unterstaatlicher Kompetenzträger haben auch bei dieser Gemeinschaftsbildung keine entscheidende Rolle gespielt527 • Auf die extensive Auslegung und zum Teil exzessive Ausübung 524 So im Ergebnis auch M. Zuleeg, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185ff. (l93f.), der dieses Ergebnis jedoch auf die Ausnahme der ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten von der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips stützt. 525 Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. I. bis III. 526 Vgl. dazu den Art. 88-1 der französischen Verfassung. (Übersetzung durch den Verf.). 527 Im Ergebnis zustimmend P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (SOff.); zur Überbetonung, die die Integrationsidee insbesondere auch gegenüber der Bundes-

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 331

der vertraglichen Kompetenzen durch die Gemeinschaftsorgane wurde bereits hingewiesen528 . Ob und wie der Subsidiaritätsgrundsatz in der konkreten Ausgestaltung des EG-Vertrages hier Veränderungen im Sinne der oben beschriebenen Erwartungen herbeizuführen vermag, hängt zunächst von der Funktion ab, die ihm nach der Regelung des Art. 5 Abs. 2 EGV zukommt. Prinzipiell kann der Subsidiaritätsgedanke als Aufgabenzuweisungsmaxime529 Maßstabsfunktionell bei der Festlegung bzw. Übertragung von Zuständigkeiten erfüllen. Das Prinzip wirkt dann als Strukturprinzip kompetenzbegründend. Daneben besteht die Möglichkeit, den Grundsatz als Kriterium bei der Wahrnehmung bestehender Befugnisse zu verwenden. Seine Funktion ist dann die einer Kompetenzausübungsmaxime oder eines Steuerungsprinzips53o.

c) Kompetenzübertragungs- oder Kompetenzausübungsregel Zum Teil wird in der Literatur die Ansicht vertreten, Art. 5 Abs. 2 EGV komme auch die Funktion einer "Kompetenzverteilungsregel" zu 531 . Gegen diese These spricht zunächst der Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV, wonach "die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig" wird, sofern die geplante Maßnahme nicht in den Bereich ihrer "ausschließlichen Zuständigkeit" fallt. Zum einen kann die Gemeinschaft überhaupt nur "tätig staatlichkeit in Deutschland erfahren hat, vgl. W. Rudolf, FS für Karl Josef Partsch,

s. 357 ff. (358 f.).

Vgl. dazu oben 3. Kapitel B. II. I. b). Zur begrifflichen Klarstellung sei nochmals darauf hingewiesen, daß der Verfasser die Begriffe ,,Zuordnung" und "Zuweisung" im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip als synonyme Oberbegriffe sowohl für "Kompetenzausübung" als auch für "Kompetenzübertragung" verwendet. 530 Vgl. zu diesen beiden grundlegenden Funktionsweisen sowie zu der hier verwandten Terminologie oben I. Kapitel C. VI. I. 531 So ausdrucklieh W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (433); D. Merten, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (81); P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (723); so wohl auch P. M. Schmidhuber, DVBI. 1993, S. 417ff. (418), wenn er davon spricht, daß das Subsidiaritätsprinzip für die Gemeinschaft "kompetenzbegrundend", für die Mitgliedstaaten dagegen "kompetenzerhaltend" wirke; C. Stewing, DVBI. 1992, S. 1516ff. (1518), "[ ... ] politisches Steuerungsprinzip zur Aufgabenverteilung [...]"; ders., Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 177, wo er noch die Forderung einer entsprechenden Ausgestaltung dieses Grundsatzes aufstellt; P. Wilhelm, Bay.VBI. 1992, S. 705ff. (707); "Strukturprinzip [... ] (daß) vor allem bei der Zuweisung von Kompetenzen [. .. ] (wirkt)"; H.-J. Lambers, EuR 1993, S. 229ff. (230f.), der zudem davon ausgeht, daß das Subsidiaritätsprinzip schon für die in Maastricht vorgenommene Änderung der Gemeinschaftskompetenzen Grundlage war. 528

529

332

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

werden", wenn sie über eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage im EG-Vertrag verfügt. Zum anderen zeigt auch die Bezugnahme auf die "Zuständigkeiten" der Gemeinschaft, daß die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV das Bestehen einer nicht ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz voraussetzt. Zudem sind nach der Formulierung der Vorschrift lediglich die Gemeinschaft und ihre Organe, nicht aber die Mitgliedstaaten Adressaten der Norm. Im Gegensatz zu Art. 10 EGV ergeben sich aus Art. 5 Abs. 2 EGV keine unmittelbaren Pflichten für die Mitgliedstaaten. Die Ausdehnung dieser Regelung auf die Kompetenzverteilung läuft jedoch auf die Annahme einer solchen Verpflichtung der Staaten hinaus. Denn da einerseits die Europäischen Gemeinschaften ihre Zuständigkeiten und Befugnisse im Wege begrenzter Einzelermächtigungen erhalten und andererseits dem Grundsatz der Subsidiarität in Art. 5 Abs. 2 EGV Rechtsverbindlichkeit zukommt, führte eine Ausdehnung dieses Prinzips auf das Verfahren der Kompetenzausstattung zwangsläufig zu einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten, sich bei künftigen Entscheidungen im Rat über die Aufgabenübertragung auf die Europäische Gemeinschaft am Maßstab und den Kriterien des Art. 5 Abs. 2 EGV zu orientieren. Eine solche Verpflichtung stellte eine im Vorfeld der eigentlichen Vertragspflichten liegende weitreichende Souveränitätsbeschränkung dar, die von den Mitgliedstaaten kaum gewollt sein dürfte. Zudem erfährt das Subsidiaritätsprinzip auch keine ungeteilte Zustimmung bei den Mitgliedstaaten532, so daß die Annahme, diese hätten sich zum Teil gegen ihren erklärten Willen darauf geeinigt, ihre Souveränität bei der künftigen Ausgestaltung der Gemeinschaftsverträge im Sinne dieses Grundsatzes auszuüben, abwegig erscheint. Vielmehr ist davon auszugehen, daß sich Art. 5 Abs. 2 EGV lediglich auf die Ausübung bestehender Gemeinschaftszuständigkeiten bezieht533 . Zwar ist es jedem Mitgliedstaat unbenommen, sich bei der Entscheidung darüber, ob eine bestimmte 532 Auf die der deutschen Ansicht diametral entgegengesetzte Interpretation dieses Prinzips im Memorandum der spanischen Regierung vom 30. Oktober 1992 wurde bereits hingewiesen. Vgl. dazu oben 3. Kapitel B. II. 1. c). 533 So auch die "Mitteilung der Kommission [.. .]", abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 117 ff., sowie die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur. Vgl. H.-J. Blanke, ZG 1995, S. 193ff. (204f.); J. Scherer, DVBI. 1993, S. 281 ff. (284); /. E. Schwartz, AfP 1993, S. 409ff. (411); R. von Borries, EuR 1994, S. 263ff. (279); M. Zuleeg, in: G/T/E, Art. 3 b, Rz. 18; ders., in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185 ff. ( 190); R. Geiger, EG-Vertrag, Art. 3 b, Rz. 6; G. Langguth, in: Lenz, Art. 3 b, Rz. 3; A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 19; J. Abr. Frowein, FS für Peter Lerche, S. 401 ff. (406); R. Scholz, FS für Herbert He1mrich, S. 411 ff. (420); G. Konow, DÖV 1993, S. 405ff. (407); T. Bruha, in: Alois Riklin/Gerhard Batlinger (Hrsg.), Subsidiarität, S. 375 ff. (396); F. L. StaufJenbergIM. Langenfeld, ZRP 1992, S. 252ff. (255); P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (47); M. Rohe, Rabe1sZ 61 (1997), S. 1 ff. (30).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 333

Aufgabe der Gemeinschaft übertragen werden soll, von Subsidiaritätserwägungen leiten zu lassen, eine Verpflichtung hierzu besteht indes nicht. Damit kann festgehalten werden, daß dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EGV ausschließlich die Funktion einer Ausübungsregel bestehender Gemeinschaftskompetenzen zukommt. Doch auch insoweit erweist sich seine Telosgebundenheit sowohl bei den zielgerichteten Gemeinschaftsaufgaben als auch bei den mit dem jeweiligen Gemeinschaftshandeln verfolgten "Zielen" als überaus bedeutsam. 2. "Die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen"

Die Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 EGV stellt ausdrücklich auf die "Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen" ab, worin sich gleichermaßen die Einzelfallbezogenheil wie die Telosgebundesheil des Subsidiaritätsprinzips ausdrückt. Damit wird jedoch das jeweilige "Handlungsziel" zum zentralen Element bei der Anwendung dieses Grundsatzes im Gemeinschaftsrecht Hinsichtlich der Bestimmung dieser Zielsetzungen ist unstreitig, daß sie sich im Rahmen der vertraglichen Aufgaben und Befugnisse halten müssen534 , was sich ohne weiteres auch aus dem Grundsatz begrenzter Einzelermächtigung ergibt. Damit steht jedoch lediglich fest, daß die Handlungszwecke innerhalb der Zielstruktur der Gemeinschaft als Unter- oder Etappenziele der vertraglichen Aufgaben einzuordnen sind. Offen bleiben jedoch die der Beurteilung "ausreichender" Zielverwirklichung vorausliegenden und übergeordneten Fragen535 , von wem und wie die Handlungsziele festgelegt werden und welchen Inhalt und Detailliertheitsgrad diese Vorgaben haben dürfen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß mit der Einführung des Subsidiaritätsgrundsatzes in das Gemeinschaftsrecht ein besonderes Spannungsverhältnis erzeugt wurde, das entscheidende Auswirkungen auf die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV hat. a) Der grundlegende Zielkonflikt im Gemeinschaftsrecht Ist der Gedanke der Integration Ausgangspunkt und Grundlage für die Funktionszuweisungen an die Europäische Union, dann können umgekehrt die Zuständigkeiten und Befugnisse der Gemeinschaften als Konkretisierungen der Integrationsidee betrachtet werden. Sollen diese Kompetenzen nunmehr nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips ausgeübt werden, so stellt 534 Vgl. statt aller M. Zuleeg, in: G/T/E, Art. 3b, Rz. 19; ders., in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Opperrnann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185ff. (192); A. von Bogdandy/M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3b, Rz. 33, mit Verweis auf Art. 5 Abs. I EGV. 535 A.A. unter anderen P.-C. Müller-Graff, ZHR 1995, S. 34ff. (61 f.).

334

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

dies einen Paradigmenwechsel dar, der zu einem Antagonismus im Gemeinschaftsrecht führt. Die Allokation von Aufgaben auf Gemeinschaftsebene zum Zwecke ihrer gemeinsamen und einheitlichen Wahrnehmung ist ein gleichermaßen zentralistischer wie Egalität heischender Vorgang. Demgegenüber soll die Ausübung dieser Zuständigkeiten unter größtmöglicher Wahrung nationaler Eigenheiten wenn möglich auf der Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen und damit an den Vorgaben der Dezentralisation und der Diversifikation orientiert werden. Die Einführung des Subsidiaritätsgrundsatzes hat also einen Zielkonflikt zwischen primärer und sekundärer Gemeinschaftsrechtssetzung entstehen lassen. Die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV wird damit zu einem Problem konfligierender Zielvorgaben, bei dessen Lösung stets zu beachten ist, daß sowohl die Gesamtentwicklung der Europäischen Union als auch ihre Kompetenzausstattung dem Integrationsgedanken folgen 536 • Der Grundsatz der Subsidiarität, der erst auf der Ebene der Sekundärrechtssetzung eingreift, stellt insoweit kein "Gegenkonzept" dar, sondern soll den Integrationsprozeß steuern und regulieren. Diese Regulation kann wiederum nur im Wege einer strikten Einzelfallprüfung erfolgen, da nur so eine differenzierte Abwägung von Integrationsund Subsidiaritätsbelangen sichergestellt werden kann. Diese Abwägung darf nicht dazu mißbraucht werden, eines der beiden widerstreitenden Prinzipien vollkommen leerlaufen oder unberücksichtigt zu lassen. Vielmehr sind die beiden Kriterien des Art. 5 Abs. 2 EGV unter Äbwägung der Subsidiaritäts- und Integrationsbelange so auf das mit der konkret geplanten Maßnahme verfolgte "Ziel" anzuwenden, daß beide Grundsätze zu einem sachangemessenen Ausgleich gebracht werden. Das bedeutet nicht, daß nicht im Einzelfall den Erfordernissen der Integration oder der Subsidiarität der klare Vorrang vor den jeweils anderen Belangen gebühren kann.

b) Der Inhalt der Gemeinschaftsziele Aus der Forderung, daß trotz des beschriebenen Gegensatzes von Subsidiaritäts- und Integrationskonzept beide Prinzipien zu beachten und soweit wie möglich zur Geltung zu bringen sind, folgt für die möglichen Inhalte von Gemeinschaftszielsetzungen eine inhaltliche Limitierung. So muß eine gemeinschaftsweit einheitliche Regelung einer bestimmten Materie grundsätzlich als eigenständige Zielvorgabe einer Maßnahme im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EGV ausgeschlossen werden537 • Denn wie bereits oben gezeigt 536 So auch W. Möschel, NJW 1993, S. 3025ff. (3027), wenn er zu Recht darauf verweist, daß der Grundsatz der "Subsidiarität" dadurch relativiert wurde, daß er sowohl auf Ebene des EU-Vertrages wie auf der des EG-Vertrages mit den gegenläufigen Prinzipien der "Kohärenz" und der "Solidarität" konkurriere. 537 So auch A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 33.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 335

wurde, läßt sich die Forderung nach Gleichheit oder Einheitlichkeit nur durch eine Allokation oder Ausübung von Kompetenzen auf der jeweils obersten Ebene erreichen, so daß bei einer solchen Zielsetzung stets ein Gemeinschaftshandeln erforderlich und gerechtfertigt wäre. Einheitlichkeit könnte lediglich dort als eigenständiges Handlungsziel der Gemeinschaft anerkannt werden, wo sie von rechtlichen oder tatsächlichen Umständen erzwungen wird, die die Union und die Mitgliedstaaten nicht allein bestimmen können, wie dies typischerweise bei den dem Völkerrecht unterfallenden Außenbeziehungen der Gemeinschaften der Fall ist. Da diese Bereiche aber bereits zum Kreis der "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten" zu rechnen sind, dürfte es in der Praxis kaum Fälle geben, in denen das Gleichheitsstreben für sich gesehen einen Rechtfertigungsgrund für eine entsprechende Zielsetzung gemeinschaftlicher Maßnahmen darstellt. Insbesondere kann nicht unter Berufung auf den generell grenzüberschreitenden Charakter von Luft- und Gewässerverschmutzungen eine pauschale Gemeinschaftszuständigkeit für Maßnahmen auf diesem Gebiet begründet werden. Auch wenn diese Interpretation des Art. 5 Abs. 2 EGV plausibel und sachangemessen erscheint, so dürfte es schwierig sein, sie in der Praxis gemeinschaftlicher Rechtsetzung durchzusetzen. Denn diese Auslegung bedeutet einen Bruch mit der bisherigen Ausübung der Vertragskompetenzen durch die Gemeinschaftsorgane, bei der zum Teil die Vereinheitlichung als Selbstzweck oder zumindest als ein per se zu verstehender Integrationsgewinn betrachtet wurde538 . Ungeachtet dieses Durchsetzungsproblems läßt sich jedoch mit einem "Verbot", eine unionsweit einheitliche Regelung als eigenständiges Ziel anzustreben und auf diesem Wege die Erforderlichkeil eines Gemeinschaftshandeins zu begründen, nur ein begrenzter Bereich des Zielkonflikts zwischen Gleichheitsstreben und Subsidiaritätsprinzip lösen. Die Hauptschwierigkeit bei der Umsetzung des Art. 5 Abs. 2 EGV liegt darin, die Binnenmarktziele539 mit dem Anliegen des Subsidiaritätsgedankens in Einklang zu bringen. Dabei lassen zwar die Gemeinschaftskompetenzen zur Rechtsangleichung in den Art. 94 bis 96 EGV erkennen, daß die Vertragspartner für den Bereich des Binnenmarktes einen gegenüber anderen Politikbereichen erhöhten Bedarf an Rechtsvereinheitlichung und -angleichung gesehen haben. Daraus folgt aber weder eine faktische oder rechtliche Unanwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips auf Gemeinschaftsmaßnahmen mit Binnenmarktbezug540, wie Müller-Graff meint, noch muß 538 Zu diesem Vertsändnis von "Rechtsangleichung" vgl. C.-D. Ehlennann, integration 1995, S. 1lff. ( 18). 539 Vgl. dazu grundlegend statt aller P.-C. Müller-Graf!, in: Manfred Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. I, A. I., Rz. 94ff.; ders., ZHR 1995, S. 34ff. (37ff.); M. Rohe, RabelsZ 61 (1997), S. 1 ff. (30ff.).

336

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

umgekehrt die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV in diesem Bereich zwingend zu der von Jickeli erwarteten "Schwächung des Binnenmarktes" 541 oder gar zu der von Pescatore befürchteten "Balkanisierung der Europäischen Gemeinschaft" 542 führen. Beide Auffassungen gehen trotz ihrer gegenteiligen Schlußfolgerungen hinsichtlich der Wirkungen des Subsidiaritätsgrundsatzes von der gemeinsamen Grundüberzeugung aus, daß Herstellung, Funktionsfahigkeit und Qualität des Binnenmarktes allein oder doch in erster Linie von dem Grad der Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften abhängen. Insoweit sind beide Ansichten Ausdruck des oben beschriebenen Integrationsverständnisses, was besonders in der von Jickeli geäußerten Kritik543 an dem "Keck-Urteil"544 des Europäischen Gerichtshofs zum Ausdruck kommt. Was das Erfordernis und den Umfang der Rechtsvereinheitlichung angeht, muß indes strikt zwischen den Anforderungen, die der Binnenmarktauftrag an sich stellt, und den Auswirkungen politischer Interessen der Mitgliedstaaten auf dieses Vorhaben unterschieden werden. Hinsichtlich des Binnenmarktkonzeptes muß berücksichtigt werden, daß dieses ursprünglich sehr viel stärker auf das Herkunftslandprinzip, verbunden mit dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung, gestützt war, wohingegen bei der späteren Realisierung dieses Programms mehr und mehr auf das Instrument der Totalhannonisierung zurückgegriffen worden ist. So hatte der Rat im Zusammenhang mit dem Weißbuch "Vollendung des Binnenmarktes" im Mai 1985 den sog. neuen Ansatz für den Bereich der Harmonisierung technischer Nonnen545 beschlossen, nach dem lediglich die Grundanforderungen des Gesundheits-, Sicherheits-, Verbraucher- und Umweltschutzes auf Gemeinschaftsebene geregelt werden sollten, während alle übrigen Fragen der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten überantwortet wurden 546 . Zudem hatte die Kommission im Herbst des gleichen Jahres vorgeschlagen, in die Einheitliche Europäische Akte einen Artikel aufzunehmen, der vorsah, alle den vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Vorschriften zum 1. Januar 1993 automatisch gegenseitig anzuerkennen547. Die Mitgliedstaaten lehnten diesen Vorschlag jedoch ab und So aber im Ergebnis P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (66ff.). So aber J. Jickeli, JZ 1995, S. 57 ff. (58, 64 ff.). 542 So die Befürchtung von P. Pescatore, FS für Ulrich Everling, Bd. II, S. 1071 ff. (1071). 543 J. Jickeli, JZ 1995, S. 57 ff. (64 ff.). In dieser Tendenz, wenn auch weniger polemisch die Bewertung des Subsidiaritätsprinzips bei W. Hi/z, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22, 1999, S. 28ff. (35). 544 EuGH Slg. 1993, 1-6097 ff. 545 Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985, EG ABI. Nr. C 136 vom 3. Juni 1985,S I. 546 Vgl. dazu P. M. Schmidhuber/G. Hitzler, EuZW 1993, S. 8ff. (9). 540

54 1

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 337

verabschiedeten statt dessen den Art. 100 b EGV a. F., wonach der Rat im Einzelfall die gegenseitige Anerkennung nationaler Regelungen anordnen konnte. Nimmt man die Ausnahmevorschriften in Art. 95 Abs. 4 und 5 EGV hinzu, so zeigt sich, daß das Binnenmarktprogramm den Weg gegenseitiger Anerkennung als mindestens gleichwertiges Verfahren neben der Vereinheitlichung nationalen Rechts und dem Erlaß unmittelbar und unionsweit wirkenden Gemeinschaftsrechts ansieht. Es ist vor allem die Folge der protektionistischen Einstellung sowie des Mißtrauens und der Intoleranz der Mitgliedstaaten gegenüber den Schutzvorschriften und Verfahrensweisen der anderen Gemeinschaftsmitglieder548 , daß die Totalharmonisierung das Hauptinstrument zur Herstellung des Binnenmarktes wurde. So haben die Mitgliedstaaten zunächst die Aufnahme des Kommissionsvorschlags zur automatischen gegenseitigen Anerkennung nationaler Schutzvorschriften in das Reformwerk von 1986 abgelehnt und letztlich den von ihnen beschlossenen Art. I 00 b EGV a. F. im Rat nie angewandt549 . Auch auf dem Gebiet technischer Normung ist es entgegen dem vom Rat beschlossenen "neuen Ansatz" in weiten Bereichen zu einer vollständigen Harmonisierung gekommen. Die Gründe für die Ablehnung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung liegen darin, daß die Mitgliedstaaten nationale Schutzvorschriften als Protektionsmechanismen zum Schutz der eigenen Wirtschaft mißbraucht haben. Darüber hinaus wollten insbesondere die Länder mit hohen Schutzstandards den ungehinderten Zustrom von Waren und Dienstleistungen aus Mitgliedstaaten mit erheblich niedrigerem Schutzniveau verhindem550. Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, daß gerade Deutschland als "Hochregulierungs-"551 und "Hochlohnland" mit zumeist höheren Schutzstandards und zum Teil höheren Produktionskosten als viele andere EU-Staaten dem Herkunftslandprinzip, verbunden mit dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung, eher kritisch bis ablehnend gegenüberstand552 und im Zweifel lieber die eigene Rechtset547 Vgl. dazu H.-J. Glaesner, EuR 1986, S. 119ff. (132f.); C.-D. Ehlermann, integration 1995, S. 11 ff. (13), ist sogar der Ansicht, daß die Kommission seit der Entscheidung "Cassis de Dijon" des Europäischen Gerichtshofs (EuGH Slg. 1979, S. 649ff.), das Prinzip gegenseitiger Anerkennung "zur Richtschnur ihres Verhaltens" gemacht habe. 548 Auf dieses Motiv verweisen zutreffenderweise auch U. Everling, EuR 1987, S. 214ff. (214), sowie P.-C. Müller-Graf!, ZHR 1995, S. 34ff. (54); C. -D. Eh/ermann, ibd. 549 Vgl. statt aller B. Langeheine, in: Garbitz/Hilf, Art. lOOb, Rz. 5; C.-D. Eh/ermann, ibd. 550 Vgl. insgesamt zu diesen Motiven und ihrer praktischen Auswirkung auf den Binnenmarkt T. Oppennann, Europarecht, Rz. 1267 ff., der auch eine Übersicht über die nach der "Cassis de Dijon-Entscheidung" vom Europäischen Gerichtshof für gemeinschaftsrechtswidrig erkannten nationalen Vorschriften bietet. 551 Vgl. zum Begriff C. -D. Ehlermann, integration 1995, S. 11 ff. (13).

22 Moersch

338

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

zungskompetenz zugunsten einer europaweit einheitlich geltenden Gemeinschaftsnorm aufgegeben hat. Denn so ließ sich wenigstens ein gewisser Einfluß auf die Gestaltung des europäischen Mindeststandards nehmen, und die eigene exportorientierte Wirtschaft konnte sich auf einheitliche europäische Anforderungen einstellen. Daß die Kommission den sich aus dieser Grundhaltung ergebenden großen Harmonisierungsbedarf im Bereich des Binnenmarktes als eine willkommene Gestaltungs- und Betätigungsmöglichkeit für sich erkannt hat, kann dabei kaum verwundern. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß weder der der Europäischen Gemeinschaft erteilte Auftrag, einen Binnenmarkt zu errichten und zu erhalten, noch die ursprüngliche Konzeption zur Umsetzung dieses Programms die Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in dem Umfang und der Intensität, in der sie tatsächlich vorgenommen wurde, erforderten. Doch auch bei genauerer Betrachtung des Binnenmarktziels selbst entschärft sich der Gegensatz zum Subsidiaritätsprinzip. Ungeachtet der Vorstellungen, die bei der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte über den Umfang und die Realisierungschancen dieser ehrgeizigen Gemeinschaftsaufgabe auch bestanden haben mochten, stellte sich im Zuge der Umsetzung immer wieder heraus, daß es Bereiche gibt, in denen weder eine Harmonisierung noch eine gegenseitige Anerkennung der unterschiedlichen nationalen Regeln - zumindest nicht zwischen allen Mitgliedstaaten - herbeigeführt werden kann553 . Aus der Erkenntnis der Unerreichbarkeil des vollkommenen Binnenmarktes554 folgte so das Bekenntnis zum "unvollkommenen Binnenmarkt"555 . Ob man das "Keck-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs als Ausdruck dieses gewandelten Binnenmarktverständnisses ansieht556, kann hier ebenso dahinstehen wie die Frage, ob diese Entscheidung als Auswirkung der "Subsidiaritätsdebatte"557 zu werten ist. In jedem Fall kommt diesem Urteil insoweit entscheidende und zukunftsweisende Bedeutung zu, als der Europäische Gerichtshof hierin hat erkennen lassen, daß er dem Ursprungslandprinzip, verbunden mit dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung, nunmehr größere Bedeutung als in der Verganm So auch C.-D. Ehlermann, ibd.

553 Vgl. hierzu die in der Sache zutreffenden, wenn auch zum Teil polemischen Ausführungen M. Brunners, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, s. 9 ff. (!Off.). 554 Unzutreffend ist es daher, das Subsidiaritätsprinzip als Ursache für die "Unvollkommenheit" des Binnenmarktes anzusehen. So aber J. Jickeli, JZ 1995, S. 57ff. (61): "Unter der Herrschaft des Subsidiaritätsprinzips kann es dann immer nur einen unvollkommenen Binnenmarkt geben". 555 Zum Begriff vgl. den Titel des Aufsatzes von E. Steindorff, ZHR 1994, S. 149ff., "Unvollkommener Binnenmarkt". 556 So E. Steindorff, ibd., S. 160. 557 So J. Jickeli, JZ 1995, S. 57ff. (64).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 339

genheit zumißt. Ob diese Rechtsprechung allerdings auch präjudizierende Wirkung auf die Rechtsetzung der Gemeinschaft entfalten wird, läßt sich noch nicht abschätzen. Das beschlossene generelle Werbeverbot für Tabakwaren deutet eher in die entgegengesetzte Richtung. Schließlich gilt es zu berücksichtigen, daß mittlerweile über 90% der im Weißbuch von 1985 aufgeführten Legislativakte, die zur Errichtung des Binnenmarktes von der Kommission für erforderlich gehalten wurden, bereits erlassen worden sind558, so daß sich der noch verbleibende Regelungsbedarf auf diesem zentralen Gebiet der Gemeinschaftstätigkeit deutlich verringert hat. Es kann somit festgehalten werden, daß weder das Binnenmarktziel selbst noch seine Verwirklichung eine "Sachrechts-" und "Kollisionsrechtsvereinheitlichung"559 in dem Ausmaß, wie sie tatsächlich stattgefunden haben, erfordert hätten. Dennoch kann und soll nicht bestritten werden, daß sowohl der Binnenmarktauftrag als auch die übrigen Gemeinschaftsziele ein bestimmtes Maß an gemeinschaftsweit einheitlichen Rechts bedingen, das unter integrationspolitischen wie sachbezogenen Gründen sinnvollerweise auf Gemeinschaftsebene erlassen werden muß. Läßt man jedoch einmal die Notwendigkeit einer unionsweit "gleichen" Regelung außer Betracht, so stellt sich mit Blick auf Art. 5 Abs. 2 EGV die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich das mit einer Gemeinschaftsmaßnahme verfolgte Ziel "nicht ausreichend" auf der Ebene der Mitgliedstaaten erreichen läßt. Hierbei gilt es zu beachten, daß die Gemeinschaftstätigkeit in erster Linie legislatorischer Art ist, während die Umsetzung und Verwaltung, von vereinzelten Prüfungskompetenzen wie etwa der Beihilfenkontrolle in Art. 88 EGV abgesehen, ohnehin bei den Mitgliedstaaten liegt. Obliegt diesen jedoch in jedem Fall der Gesetzesvollzug, unabhängig davon, ob es sich bei der konkreten Norm um eine solche des Gemeinschafts- oder des innerstaatlichen Rechts handelt, dann können Finanzierungs- oder sonstige Umsetzungsprobleme im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 EGV kein Argument für eine Gemeinschaftsregelung sein560. Deren 558 Vgl. dazu den Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Der Binnenmarkt in der Gemeinschaft- Bericht für das Jahr 1993 - KOM (94) 55 endg., S. 3. 559 Zu den Begriffen vgl. M. Rohe, RabelsZ 61 (1997), S. I ff. (58ff.). 560 Insofern sind die Ausführungen der Kommission in ihrer "Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament [.. .]", abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. ll2ff. (122), es sei im Rahmen der Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Gemeinschaft auch zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten über die "finanziellen Mittel zur Erreichung der Ziele" verfügten, unverständlich. Denn die finanziellen Belastungen, die ein Gesetzgebungsverfahren mit sich bringt, dürften auch für die ärmeren Länder der Union tragbar sein, zumal die gesetzgebenden Körperschaften ohnehin bestehen.

22•

340

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Notwendigkeit kann sich vielmehr nur aus erwarteten Rechtsetzungsdefiziten der Mitgliedstaaten bei der Zielverwirklichung ergeben. Dabei ist bei der zu treffenden Prognoseentscheidung allein die künftige Situation in den Mitgliedstaaten maßgeblich. Aus der Tatsache, daß in den nationalen Rechtsordnungen bislang keine hinreichenden Vorschriften für die Erreichung eines Gemeinschaftsziels existieren, ergibt sich jedenfalls noch nicht das Erfordernis gemeinschaftlichen Handelns561 . Es müssen vielmehr Umstände vorliegen, die die Prognose rechtfertigen, die Mitgliedstaaten würden überhaupt keine, keine ausreichenden oder fristgerechten Rechtsgrundlagen schaffen, um die festgelegten Ziele zu erreichen. Derartige Regelungsdefizite können sich daraus ergeben, daß bestimmte Mitgliedstaaten aus verfassungsrechtlichen Gründen an der Verfolgung eines bestimmten Gemeinschaftsziels gehindert sind. Ebenso könnte eine Zielvorgabe zu einer schwerwiegenden Störung der Sicherheit oder der Wirtschaft in einem Mitgliedstaat führen, so daß dieser keine entsprechenden Umsetzungsvorschriften erlassen würde. Neben diesen theoretisch vorstellbaren rechtlichen und faktischen Hinderungsgründen dürfte die Hauptursache unzureichender mitgliedstaatlicher Zielverfolgung jedoch eher darin liegen, daß das fragliche Ziel in einzelnen Staaten auf Ablehnung stößt, so daß bei ihnen keine Bereitschaft besteht, die entsprechende Zielvorgabe umzusetzen. Mit Blick auf die zweite von Art. 5 Abs. 2 EGV genannte Voraussetzung für ein Gemeinschaftshandeln ist zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen eine Gemeinschaftsmaßnahme tatsächlich eine "bessere" Zielerreichung erwarten läßt. Dabei ist wie folgt zu differenzieren: Soweit das Ziel nur mit Maßnahmen verwirklicht werden kann, die eines einstimmigen Ratsbeschlusses bedürfen, ist davon auszugehen, daß ein Mitgliedstaat, der dieses Ziel grundsätzlich ablehnt oder sich aus einem der genannten Gründe an seiner Verwirklichung auf nationaler Ebene gehindert sieht, entsprechenden Vorschlägen auch im Rat nicht zustimmen wird. Die Umsetzungsdefizite im nationalen Bereich schlügen insoweit in vollem Umfang auf die Gemeinschaftsebene durch. Eine "bessere" Zielverwirklichung wäre daher auch bei einem Handeln der Gemeinschaft nicht zu erwarten. Etwas anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die fragliche Zielsetzung von einem anderen Gesetzgebungsorgan in einem Mitgliedstaat abgelehnt würde, die Regierung das Ziel hingegen unterstützte. In diesem Falle könnte diese einem entsprechenden Gemeinschaftsakt im Rat zustimmen, so daß verbindliches, von allen Mitgliedstaten umzusetzendes Gemeinschaftsrecht geschaffen werden könnte. Ob allerdings ein solches Übergehen nationaler Gesetzgebungsorgane verfassungsrechtlich zulässig und wahrscheinlich ist, mag hier dahin561 Wie hier M. Zuleeg, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185 ff. (192), ders., in: G/T /E, Art. 3 b, Rz. 21 ; a. A. H.-1. Lambers, EuR 1993, S. 229ff. (236).

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 341

stehen562 . Können dagegen die ins Auge gefaßten Ziele und die zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Maßnahmen durch Mehrheitsbeschluß im Rat festgelegt werden, lassen sich prinzipiell alle Hindernisse, die lediglich in einzelnen Mitgliedstaaten auftreten, durch gemeinschaftliches Handeln überwinden, sofern nur die erforderlichen Abstimmungsmehrheiten zustande kommen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß sich die Beachtung des Art. 5 Abs. 2 EGV auf den Bereich einstimmiger Ratsentscheidungen beschränkt563 und im übrigen vom Wohlwollen der Majorität im Rat abhängt564. Bereits aus dem Charakter des Subsidiaritätsgrundsatzes als Rechtsprinzip des Gemeinschaftsrechts folgt, daß er Verbindlichkeit gegenüber allen Gemeinschaftsorganen beansprucht und seine Anwendung nicht in deren Belieben gestellt oder dem Demokratieprinzip untergeordnet ist. Darüber hinaus wird aus dem vom Europäischen Gerichtshof entwickelten565 "Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit"566 eine allgemeine Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane, bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen auf die "elementaren Interessen der Mitgliedstaaten"567 , deren "grundlegende Verfassungsprinzipien"568, wie etwa ihre föderale Struktur569, Rücksicht zu nehmen, abgeleitet. Auch wenn Inhalt und Reichweite 562 Zu der sich in Deutschland aus Art. 23 GG und § 7 ZEUBLG ergebenden Rechtslage vgl. 3. Kapitel D. II. 4. a). 563 Zum Verhältnis von Einstimmigkeitsprinzip und Subsidiarität vgl. oben Kapitel 3. 8. II. 2. a) bb). 564 So im Ergebnis auch S. Langer, ZG 1993, S. 193ff. (196). 565 Zur Herleitung des "Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit" vgl. EuGH Slg. 1983, S. 255 (287); 1987, 901 (921ff.); 1990, 1-3365 (3372). 566 Vgl. zu diesem Grundsatz R. Geiger, EG-Vertrag, Art. 5, Rz. 5; K. Hailbronner, JZ 1990, S. 149ff. (152); H.-W. Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 202ff. (233); R. Streinz, Europarecht, Rz. 142; J. Wuermeling, EuR 1987, S. 237ff. (242); M. Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), S. 154ff. (179); H.-P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 217f.; A. Epiney, EuR 1994, S. 301 ff. (310ff.); A. von Bogdandy, GS für Eberhard Grabitz, S. 17ff. (19ff.). P. J. G. Kapteyn/P. VerLaren van Themaat, lntroduction to the Law of the European Communities, p. 155f.; W. Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10, Rz. 5.; E. Ellis/T. Tridimas, Public Law of the European Community, p. 71 f. 567 So E. Klein, in: Handkommentar, Art. 5, Rz. 49; ders., RIW 1985, S. 291 ff. (294); K. Hailbronner, ibd.; speziell zur Rücksichtnahmepflicht der Gemeinschaft auf das nationale Verwaltungsrecht E. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924ff. (932). 568 BVerfGE 89, 155, (174 und 202); A. Bleckmann, Europarecht, Rz. 709ff.; A. Epiney, EuR 1994, S. 301 ff. (309); K. Hailbronner, ibd. Speziell zu den Folgerungen dieser Gemeinschaftspflicht für das deutsche Verfassungsrecht A. Randelshofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 Abs. 1; Rz. 84ff.; P. Kirchhof, in: Josef Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee, S. 63 ff. (97 ff.) ; R. Scholz, NJW 1992, S. 2593 ff. (2595 ff.); T. Oppermann/C. D. Classen, Aus Politik und Zeitgeschichte, 8 28 (1993), S. 11 ff. (16); C. Tomuschat, in: BK, Art. 24, Rz. 58; A. von Bogdandy, GS für Eberhard Grabitz, S. 17ff. (19ff.).

342

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

dieser Loyalitätspflichten570 ebenso wie ihr Verhältnis zu dem sog. Grundsatz der Gemeinschaftstreue571 im einzelnen streitig sind, so stellen sie doch eine anerkannte Begrenzung gemeinschaftlicher Kompetenzausübung neben dem Subsidiaritätsprinzip dar. Die "Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen", auf die Art. 5 Abs. 2 EGV abstellt, unterliegen inhaltlich nur drei allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Einschränkungen. So müssen sich die Zielsetzungen ebenso wie die konkreten Handlungen der Gemeinschaftsorgane im Rahmen der von den Gründungsverträgen der Gemeinschaft eingeräumten Aufgaben und Befugnisse halten, was ohne weiteres aus dem allgemeinen völker- wie gemeinschaftsrechtlichen Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das nunmehr auch in Art. 5 Abs. 1 EGV ausdrücklich niedergelegt ist, folgt. Darüber hinaus gebietet Art. 6 Abs. 3 EUV sowie der Grundsatz der "loyalen Zusammenarbeit" den Gemeinschaftsorganen bei ihrer Tätigkeit, auf die Identität der Mitgliedstaaten und ihre grundlegenden Verfassungsstrukturen Rücksicht zu nehmen. Schließlich ergibt sich aus dem prinzipiellen Antagonismus von Subsidiarität und Gleichheit, daß die Schaffung 569 Vgl. dazu E. Klein, in: Handkommentar, Art. 5, Rz. 51; A. Epiney, ibd., S. 314ff.; K. Hailbronner, ibd. 570 So geht M. Zuleeg, in: G/T/E, Art. 5, Rz. 11, wohl von einer echten Rechtspflicht der Gemeinschaft aus, die sich praktisch in der Beachtung des "Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" niederschlage; E. Klein, ibd., Rz. 49; leitet aus der Rücksichtnahmepflicht der Gemeinschaft die Verbote, die Erfüllung mitgliedstaatlicher völkerrechtlicher Pflichten zu "verhindern" oder zu "erschweren" sowie die Gemeinschaftskompetenzen zu Lasten mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten auszudehnen ab. Demgegenüber lehnen A. von Bogdandy!M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 5, Rz. 82, die Annahme einer "allgemeinen Rechtsptlicht" ausdrücklich ab und verweisen insbesondere darauf, daß die ,,Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit" nur bei "schweren Eingriffen" der Gemeinschaft in das nationale Verfassungsrecht eine "Schranke" darstelle. m Zum Teil werden der Begriff "Gemeinschaftstreue" und die vom Europäischen Gerichtshof verwandte Bezeichnung "Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit" als Synonyme angesehen, so von E. Klein, ibd.; K. Hailbronner, JZ 1990, S. 149ff. (152); A. Bleckmann, DVBI. 1976, S. 483ff. (486); ders., Europarecht, Rz. 1074ff.; ders., RIW 1981, S. 653 ff., (durchgehend), unter Auswertung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs; M. Zuleeg, NJW 1994, S. 545ff. (549); ders., in: G/T/E, Art. 5, Rz. I, wobei zum Teil Parallelen zum Grundsatz der "Bundestreue" gezogen werden, so von A. Bleckmann, ibd., M. Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 92ff. und I30f.; T. Oppermann, Europarecht, Rz. 367; A. Epiney, EuR 1994, S. 301 ff. (311); zweifelnd H. Lecheler, EA 1968, S. 403ff. (410). Gegen eine Gleichsetzung von "Gemeinschaftstreue" und "Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit" sowie eine Analogie zum Institut der Bundestreue ablehnend A. von Bogdandy!M. Nettesheim, ibd., Rz. 6; H.-P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 227f.; R. Söllner, Art. 5 EWG-Vertrag, S. 22ff.; R. Streinz., Europarecht, Rz. 143, J. Wuenneling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 192. Zu der zunehmenden Verbreitung des Gemeinschaftstreuebegriffs in der englisch- und französischsprachigen Literatur vgl. W. Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10, Rz. 5.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 343

einer einheitlichen Regelung nicht "Ziel" einer Gemeinschaftsmaßnahme sein darf, soll das Subsidiaritätsprinzip nicht leerlaufen. Darüber hinausgehende Beschränkungen der Zielsetzung gemeinschaftlicher Maßnahmen lassen sich weder aus dem Gemeinschaftsrecht noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs herleiten. Auch Art. 5 Abs. 2 EGV bietet keine Anhaltspunkte für eine weitergehende inhaltliche Determination gemeinschaftlicher Zielvorgaben. Dieser Befund kann jedoch angesichts der umfangreichen und unterschiedlichen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft sowie des formalen Charakters des Subsidiaritätsprinzips und der nach wie vor politisch wie rechtlich angestrebten europäischen Integration nicht verwundern.

c) Die Definitionsbefugnis Der große rechtliche und politische Gestaltungsspielraum, der sich aus dem Fehlen vertraglich verbindlicher Vorgaben für die Handlungsziele der Gemeinschaft ergibt, führt zu der Frage, wer den Inhalt, die Reichweite und den Detailliertheilsgrad dieser Zielsetzungen letztlich bestimmt572 • Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV sowie die Tatsache, daß die Vorschrift nur die Gemeinschaft als Adressaten ausweist, legt die Vermutung nahe, daß diese auch ermächtigt sein soll, die Zielvorgaben künftigen Gemeinschaftshandeins festzulegen. Nach der internen Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaft fiele diese Aufgabe unter das Initiativmonopol der Kommission gemäß Art. 211 EGV. Könnten jedoch die Gemeinschaftsorgane allein über die Ziele künftiger Sekundärrechtsetzung befinden573, ergäbe sich - ähnlich wie bei den Richtlinien - das Problem, daß die Gemeinschaft mittels einer entsprechenden inhaltlichen und detaillierten Festlegung von Zielvorgaben zugleich auch über den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips und damit den Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers und der Landesgesetzgeber entscheiden könnte574 • 572 Auf den Umstand, daß die Frage nach der Entscheidungskompetenz insbesondere dann besondere Bedeutung erlangt, wenn die Maßstäbe und Kriterien unklar sind, verweist auch R. Herzog, in: Hubert Hierl (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 122 ff. (125). 573 Soweit auf diese Frage im Schrifttum überhaupt näher eingegangen wird, wird unproblematisch von einer Definitionszuständigkeit der Gemeinschaft für die Zielvorgaben im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 EGV ausgegangen. Vgl. statt aller M. Zuleeg, in: G/T /E, Art. 3 b, Rz. 19, "[ ... ] müssen die Gemeinschaftsorgane zunächst das angestrebte Ziel benennen"; ders., in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Opperrnann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185 ff. (192). 574 Die Bedeutung der Definitionsbefugnis für die Zielvorgaben bei der Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes und die damit zusammenhängende Problematik erkennt W. Schön, ZGR 1995, S. 1 ff. (22f.), wenn er zu dem Ergebnis gelangt, die

344

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

So ließe sich auf der Grundlage der Umweltkompetenzen der Europäischen Gemeinschaft in Art. 175 Abs. 1 und 251 EGV das Ziel einer Verringerung der Luftverschmutzung mit Kohlenmonoxid durch eine Richtlinie erreichen, die die Reduzierung der Emissionen dieses Schadstoffes in den einzelnen Mitgliedstaaten allgemein um einen festgelegten Prozentsatz oder eine festgelegte absolute Menge innerhalb einer bestimmten Frist vorsieht. Dieses Ziel könnte indes auch so formuliert werden, daß die von Personenkraftwagen mit mehr als 1,5 Liter Hubraum und zivilen Luftfahrzeugen mit einer Beförderungskapazität von mehr als zweihundertfünfzig Passagieren bzw. einer entsprechenden Frachtkapazität ausgestoßene Menge an Kohlenmonoxid nach Ablauf der Frist nicht mehr als einen festgelegten Anteil pro Kubikmeter Abgas betragen darf. Während im ersten Fall den Mitgliedstaaten sowohl die Wahl des Sektors als auch die des Instrumentariums zur Erreichung des Ziels vorbehalten bliebe575 , wären sie im zweiten Fall auf den Erlaß entsprechender Verbotsgesetze für die bezeichneten Fahrzeuge beschränkt. Dieses theoretische Beispiel weist auf ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Telosgebundenheit des Subsidiaritätsgrundsatzes hin. Da die Grenze zwischen Ziel und Mittel unscharf ist, ist es fast immer möglich, ein bestimmtes Instrument so mit in die Definition einer Zielvorgabe einzubeziehen, daß es letztlich als Bestandteil derselben erscheint. Dies führt dazu, daß der Detailliertheilsgrad der Zielsetzung zunimmt, während gleichzeitig der Gestaltungsspielraum der an diese Vorgabe gebundenen Mitgliedstaaten und der ihrer Untergliederungen abnimmt. Damit lassen sich Reichweite und Wirkung des Subsidiaritätsprinzips unmittelbar über seine Zielabhängigkeit steuern. Betrachtet man einerseits die große inhaltliche Vielfalt möglicher Zielvorgaben von Gemeinschaftsmaßnahmen und andererseits die hierdurch gegebenen Einflußmöglichkeiten auf Anwendung und Umsetzung des Art. 5 Abs. 2 EGV, so ergeben sich hinsichtlich der Zielsetzungsbefugnis die gleichen Probleme wie bei der Einbeziehung der binnenmarktbezogenen Kompetenzen in den Kreis "ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeiten". In beiden Fällen führte eine allein den Vorstellungen der Gemeinschaftsorgane überlassene Definitionsmacht dazu, daß der Anwendungsbereich und die Wirkung des Subsidiaritätsprinzips letztlich von der GemeinFestlegung der Ziele sei der "archimedische Punkt der Subsidiaritätsprüfung", mit dessen Hilfe die Gemeischaftsorgane den besseren Ausgangspunkt als die Mitgliedstaaten besitzen. m So könnten die Mitgliedstaten zum einen neben Automobilen und Flugzeugen auch die Industrie und die Heizung von privaten und öffentlichen Gebäuden mit in die Schadstoffreduzierung einbeziehen. Zum anderen stünde neben dem Instrument der Verbotsnorm etwa auch das Mittel finanzieller Anreize zur Verfügung.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 345

schaft selbst bestimmt werden könnte. Während sich das Problem bei der Definition der exklusiven Gemeinschaftskompetenzen jedoch im Wege der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs sowie rechtsvergleichender Betrachtungen über seine Verwendung in nationalen Verfassungsordnungen lösen läßt, ist dies bei der Festlegung der Zielsetzungen künftiger Gemeinschaftsmaßnahmen nicht möglich. Zunächst sind die Begriffe "Ziel" und "Subsidiarität" zu abstrakt und formal, als daß sich aus ihnen geeignete Kriterien für eine inhaltliche Gestaltung von Gemeinschaftszielen ableiten ließen. Zudem lassen die sehr unterschiedlichen und zum Teil sehr weit gefaßten Aufgaben, die der Europäischen Gemeinschaft übertragen wurden, sowie die sich ändernden Lebenssachverhalte eine prinzipielle und im voraus festgelegte Begrenzung gemeinschaftlicher Zielsetzungen nicht zu. Es kommt hinzu, daß - wie dargelegt - den Gemeinschaftsverträgen auch keine Anhaltspunkte für eine solche Limitierung zu entnehmen sind. Daher kann auch die Forderung, "daß nur solche Ziele einer Maßnahme als Bezugspunkt dienen dürfen, die ihrerseits mit dem Gedanken der Subsidiarität in Einklang stehen"576, nicht überzeugen. Scheidet damit eine inhaltliche Eingrenzung möglicher Zielvorgaben aus, verbleibt nur die Möglichkeit, über eine Beteiligung der Mitgliedstaaten bei der Festlegung derartiger Zielsetzungen dem mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips verfolgten Anliegen Rechnung zu tragen. Zwar legt der Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV prima facies eine alleinige Definitionsbefugnis der Gemeinschaft nahe, doch schließt er eine Beteiligung der Mitgliedstaaten auch nicht ausdrücklich aus. Demgegenüber sprechen sowohl Sinn und Zweck der Vorschrift als auch die Besonderheiten des Subsidiaritätsprinzips für eine Einbeziehung der Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Zielvorgaben künftigen Gemeinschaftshandelns. Artikel 5 Abs. 2 EGV ist eine Bestimmung, die dem Schutz mitgliedstaatlicher und regionaler Kompetenzen vor einem expansiven und exzessiven Gebrauch gemeinschaftlicher Befugnisse dienen soll, indem deren Ausübung durch die Gemeinschaftsorgane an den Grundsatz der Subsidiarität gebunden wird. Gleichzeitig lassen sich Wirkung und Anwendungsmöglichkeiten dieses Prinzips wegen seiner Telosgebundenheit über eine entsprechende Definition von Zielvorgaben steuern. Bei dieser Ausgangssituation wäre es widersinnig, jene Organe, deren Handlungsmöglichkeiten mit dem Subsidiaritätsgrundsatz begrenzt werden sollen, im Ergebnis über dessen Wirksamkeit befinden zu lassen, indem man ihnen die alleinige Zieldefinitionsbefugnis zuspricht. Einer sachlich gebotenen Beteiligung der Mitgliedstaaten bei der Festlegung neuer Ziele der Gemeinschaftspolitik steht auch das Initiativmonopol 576 So A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 33 f., die jedoch selbst einräumen, "ein diesbezüglicher Prüfungsmaßstab läßt sich allerdings weder dem Wortlaut noch ideengeschichtlichen Betrachtungen entnehmen [.. .]".

346

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

der Kommission nicht entgegen. Denn sowohl bei der Ausarbeitung der Leitlinien als auch bei der Festlegung der Einzelheiten ihrer Politik arbeitet die Kommission eng mit den Mitgliedstaaten zusammen577 • Die Bestimmung entsprechender Zielvorgaben stellt insoweit einen integralen, wenn auch gesonderten Bestandteil der Leitlinienbildung dar. Zudem erfordert die bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zu treffende Prognoseentscheidung über die ausreichende Zielerfüllung auf Ebene der Mitgliedstaaten deren Konsultation durch die Kommission, da nur auf diese Weise die notwendigen Informationen über geplante nationale Maßnahmen zur Verwirklichung des ins Auge gefaßten Ziels gewonnen werden können. Schließlich weist die Kommission sowohl in der genannten "Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament [... ]"578 als auch in ihren jährlichen "Subsidiaritätsberichten"579 darauf hin, daß sie vor der Ausarbeitung von Verordnungs- und Richtlinienvorschlägen stets umfangreiche Konsultationen mit dem Rat, dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten pflege. Daher wäre deren Einbindung in das Verfahren zur Festlegung von Gemeinschaftszielen nicht nur mit dem Initiativmonopol der Kornmission vereinbar, sondern läge auch auf der Linie der bisher geübten Praxis.

d) Die "Ebene der Mitgliedstaaten" Die Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 EGV stellt auf eine ausreichende Zielerreichung "auf der Ebene der Mitgliedstaaten" ab. Das wirft die Frage auf, ob eine Gemeinschaftsmaßnahme schon dann erforderlich wird, wenn lediglich ein Teil der Mitgliedstaaten zu einer ausreichenden Verwirklichung der Zielvorgaben nicht in der Lage ist. Im Schrifttum wird dieses Problem kontrovers diskutiert. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, daß, wenn nur ein Mitgliedstaat zur Erreichung des Zieles nicht in der Lage sei, eine Regelung auf Gemeinschaftsebene getroffen werden müsse580• Dagegen steht die Ansicht, die Gemeinschaft m Vgl. zu diesen beiden Fonnen der Wahrnehmung des Initiativrechts der Kommission sowie zu den unterschiedlichen Fonnen der Konsultation und Kooperation mit den Mitgliedstaaten, W. Hummer, in: Grabitz/Hilf, Art. 155, Rz. 40. 578 Vgl. dazu Ziffer 2 des Anhangs "Das Subsidiaritätsprinzip" zur "Mitteilung [...], abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112ff. (116), wo die Kommission etwas ungenau von "[ ...] umfassenden Konsultationen mit den zuständigen Kreisen [... ]" spricht. 579 Vgl. dazu stellvertretend ihren "Bericht an den Europäischen Rat über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1994", KOM (94) 533 endg. vom 25. November 1994, S. 6, 16, in der durch das Dokument KOM 533 endg./2 vom 29. November 1994 korrigierten Fassung. 580 So M. Zuleeg, in: G/T/E, Art. 3b, Rz. 23; J. Abr. Frowein, FS für Peter Lerche, S. 40lff. (407); so wohl auch R. von Borries, EuR 1994, S. 263ff. (278), der

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 347

habe sich auf die Unterstützung der "nicht handlungsfähigen" Mitgliedstaaten zu beschränken, wenn ein Teil von ihnen eine adäquate Umsetzung auf nationaler Ebene sicherstellen könne581 . Schließlich wird die Regelungsbefugnis der Gemeinschaft ganz verneint, wenn "mehrere Mitgliedstaaten den Erlaß entsprechender Maßnahmen überhaupt für unnötig halten"582 . Im Ergebnis können diese Lösungsansätze nicht überzeugen. Die Forderung nach einer ausreichenden Zielverwirklichung in allen Mitgliedstaaten berücksichtigt deren Heterogenität nicht, die nach der bereits beschlossenen Erweiterung der Europäischen Union noch erheblich zunehmen wird, und führt in letzter Konsequenz zu einem Aushebeln des Subsidiaritätsgrundsatzes, da ein solcher Fall so gut wie nie vorkommen wird. Damit verkennt diese Ansicht auch den Charakter des Art. 5 Abs. 2 EGV als Schutznorm zugunsten mitgliedstaatlicher und regionaler Kompetenzen. Die von dieser Bestimmung intendierte Schutzwirkung kann jedoch nicht davon abhängig sein, ob andere Mitgliedstaaten gegebenenfalls willens und in der Lage sind, ein verbindliches Gemeinschaftsziel hinreichend zu fördern. Dieser Gedanke liefe darauf hinaus, die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV an das "Einstimmigkeitsprinzip" zu binden. Der Vorschlag, den "nicht handlungsfahigen" Mitgliedstaaten "finanzielle" oder "administrative" Unterstützung von seiten der Gemeinschaft zu gewähren, beachtet zwar das Anliegen des Subsidiaritätsprinzips und greift auch mit dem Gedanken, daß die "höhere" oder "größere" Gemeinschaft der "unteren" oder "kleineren" Hilfe leistet, ein Grundmotiv des Subsidiaritätsgrundsatzes auf583 . Doch übersieht dieser Ansatz die Tatsache, daß Art. 5 Abs. 2 EGV auf die legislatorische Umsetzung gemeinschaftlicher Zielvorgaben durch die nationalen Gesetzgeber abstellt und nicht auf den Verwaltungsvollzug. Welche Hilfe die Gemeinschaftsorgane einzelnen Staaten beim Erlaß entsprechender Rechtsetzungsakte angedeihen lassen könnten, ist jedoch nicht ersichtlich. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Fall mangelnder Umsetzungsdiesen Fall zwar nicht in seine Übersicht aufgenommen hat, sondern lediglich die Konstellation betrachtet, daß ein Mitgliedstaat nicht ausreichend regeln kann, gleichzeitig aber die Gemeinschaft zu einer "besseren" Zielverwirklichung nicht in der Lage ist. Unklar insoweit A. von Bogdandy/M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 36, die die Frage lediglich unter dem Gesichtspunkt betrachten, daß die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung bereits feststeht und unter dieser Voraussetzung zu dem Ergebnis gelangen, daß bei divergierender Rechtslage in den Mitgliedstaaten in jedem Falle eine Gemeinschaftsregelung erforderlich sei. 581 So R. von Borries, ibd.; P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (723); H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 63; G. Konow, DÖV 1993, S. 405 ff. (410); ähnlich auch R. Herzog, in: Hubert Hier) (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 122ff. (125f.). 582 So P. M. Schmidhuber/G. Hitz/er, ibd. 583 Vgl. insbesondere die Formulierung in der Sozialenzyklika. Oben 1. Kapitel

A. I.

348

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

bereitschaft auf mitgliedstaatlicher Ebene in Betracht zieht. Der Gemeinschaft die Regelungszuständigkeit zu versagen, wenn einzelnen Mitgliedstaaten der Erlaß entsprechender Maßnahmen überflüssig oder unangebracht erscheint, ist gleichfalls nicht sachgerecht und auch mit dem geltenden Vertragsrecht nicht zu vereinbaren. Dieses Verfahren führte dazu, daß die Handlungsbefugnis der Gemeinschaftsorgane im Bereich der "nicht ausschließlichen Zuständigkeiten" von dem Wohlwollen einzelner Mitgliedstaaten584 abhinge. Dies stellt jedoch einen krassen Widerspruch zu dem Integrationskonzept dar. Ebenso wie letzteres nicht dazu mißbraucht werden darf, das Subsidiaritätsprinzip leerlaufen zu lassen, kann Art. 5 Abs. 2 EGV nicht dazu dienen, die Verwirklichung eines verbindlich festgelegten Gemeinschaftsziels zu verhindern. Ist eine Zielvorgabe beschlossen, geht es im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung lediglich darum, auf welcher Ebene die gesetzgebensehe Umsetzung zu erfolgen hat, für ein nachträgliches Infragestellen des Zieles selbst durch die Verweigerung sowohl nationaler als auch gemeinschaftlicher Maßnahmen liefert Art. 5 Abs. 2 EGV indes keine Grundlage. Soweit die Mitgliedstaaten jedoch nur durch ein gemeinsames Handeln zur Umsetzung beschlossener Ziele in der Lage wären, wird allgemein zu Recht eine Gemeinschaftsregelung für erforderlich und angemessen erachtet585 und den Unionsmitgliedern eine "Flucht ins Völkerrecht" verwehrt. Denn die Notwendigkeit einer intergouvernementalen Zusammenarbeit beweist gerade, daß die einzelnen Mitgliedstaaten die fraglichen Vorgaben "nicht ausreichend" umsetzen können, so daß entsprechende völkerrechtliche Verträge als Umgehung des Art. 5 Abs. 2 EGV angesehen werden müssen. 3. Fazit

Die vorangegangen Ausführungen haben gezeigt, daß dem Merkmal der Telosgebundenheit bei der Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips auf europäischer Ebene die entscheidende Bedeutung zukommt. Seinen positiv-rechtlichen Ausdruck findet dies im Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV, der nicht etwa auf die einzelnen Tätigkeiten der Gemeinschaft, sondern auf die "Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen" abstellt. Die Zielabhängig584 P. M. Schmidhuber/G. Hitzler, NVwZ 1992, S. 720ff. (723), nennen keine bestimmte Zahl von Mitgliedstaaten, die ein Tätigwerden der Gemeinschaft verhindem können sollen, sondern sprechen nur allgemein von "mehreren Mitgliedstaaten". 585 Vgl. statt aller M. Zuleeg, in: G/T /E, Art. 3 b, Rz. 23, der zu Recht darauf verweist, daß andernfalls "das Wesensmerkmal der Gemeinschaft, in einem auf Integration ausgerichteten Verband Hoheitsgewalt auszuüben, [... ] ausgehöhlt" würde. Ebenso A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 37.

D. Merkmale des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Gemeinschaftsrecht 349

keit des Subsidiaritätsgrundsatzes führt bei dieser tatbestandliehen Fassung jedoch dazu, daß seine Wirkung als Schutznorm mitgliedstaatlicher und regionaler Kompetenzen über die Festlegung entsprechender Zielvorgaben gesteuert werden kann. Die Rechtsetzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten und ihrer Untergliederungen hängen daher entscheidend davon ab, welchen Inhalt die Gemeinschaftszielsetzungen haben und wem die Definitionsbefugnis hierüber zusteht. Bei dieser Betrachtungsweise zeigt sich auch, daß das Kriterium "ausreichender" Verwirklichung der Zielvorgaben eine weitaus geringere Rolle bei der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV spielt als ihr Inhalt. Insoweit gilt es zu beachten, daß die Frage einer möglicherweise "ausreichenden" Zielverwirklichung auf "Ebene der Mitgliedstaaten" hypothetisch im Wege einer Prognoseentscheidung und nicht etwa auf empirischer Grundlage entschieden werden muß. Daher müssen die Entscheidungskriterien so gewählt werden, daß das Ergebnis möglichst evident ist. Dies wiederum läßt sich am ehesten durch eine entsprechende Zielwahl erreichen. In den Fällen, in denen eine eindeutige Zuweisung der Kompetenzausübungszuständigkeit gelingt, hängt die Entscheidung in letzter Konsequenz von politischen Erwägungen ab, die sich einer juristischen Bewertung weitgehend entziehen. Die Zielproblematik läßt zugleich die Grenzen des Subsidiaritätsprinzips sichtbar werden. Auch wenn dieser Grundsatz als Rechtsprinzip in den Verträgen zur Gründung der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft verankert wurde, so hängen seine Umsetzung und Wirkung von vorrechtliehen Prämissen ab. Bedingt durch den Antagonismus von Subsidiarität und Egalität, verlangt die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV den Ausschluß einer unionsweit einheitlichen Regelung als Selbstzweck, soll das Subsidiaritätsprinzip nicht leerlaufen. Ein solches Verbot erscheint als logische Konsequenz der inneren Struktur der Subsidiaritätsidee plausibel. Rechtsdogmatisch gelangt man zu diesem Ergebnis jedoch nur im Wege teleologischer Auslegung, also unter Rückgriff auf metajuristische Gesichtspunkte. Erst die juristischen Erwägungen vorausliegende Frage nach dem Sinn und Zweck der Norm führt zur Annahme eines Verbots egalitärer Zwecksetzung. Ist aber ein Verzicht auf ein sich selbst rechtfertigendes Gleichheitsstreben nicht Folge, sondern Voraussetzung für die Umsetzung von Subsidiaritätserwägungen, dann fragt sich, warum es zu seiner Umsetzung erst der Einführung des Art. 5 Abs. 2 EGV bedurfte. Die gleiche Frage stellt sich bei der häufig kritisierten europarechtlichen "Überreglementierung", der das Subsidiaritätsprinzip entgegenwirken soll. Dabei bezeichnet dieser unscharfe Begriff die Tatsache, daß die Gemeinschaft Rechtsnormen erlassen hat, die als überflüssig oder als zu weitreichend und zu detailliert angesehen werden. Die übermäßige Detailliertheil einer Norm ist jedoch zumeist die Folge ihrer Überfrachtung mit Spezialre-

350

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

gelungen, die über das angestrebte Ziel hinaus Fragen der Zielverwirklichung erfassen. So betrachtet stellt sich diese Variante der "Überreglementierung" als eine mangelnde Differenzierung von Ziel und Mittel dar, die gewollt oder ungewollt sein kann. Als obsolet kann eine Gemeinschaftsregelung bezeichnet werden, wenn der mit ihr verfolgte Zweck bereits erreicht ist oder wenn seine Verwirklichung keines der vertraglichen Gemeinschaftsziele fördert. Damit stellt sich jedoch auch diese Form der "Überreglementierung" als Defizit bei der Festlegung der Zielvorgaben gemeinschaftlicher Maßnahmen dar. Letzteres bleibt aber im Kern eine Gestaltungsaufgabe der Politik, die sich auch mit Hilfe eines rechtsverbindlichen Gemeinschaftsprinzips der Subsidiarität nicht juristisch determinieren läßt. Funktion und Bedeutung des Art. 5 Abs. 2 EGV liegen neben seiner europapolitischen Signalwirkung daher in erster Linie darin, daß er eine genaue rechtsdogmatische Erfassung und Verortung der genannten Probleme erlaubt und damit zugleich die Richtung weist, in der eine Lösung zu suchen ist. Diese besteht darin, integrationspolitische Leitlinien und gemeinschaftsrechtliche Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung des europäischen Einigungswerkes zu setzen, die den Anliegen des Subsidiaritätsgedankens gebührend Rechnung tragen.

E. Das Verhältnis des Subsidiaritätsprinzips zu anderen Rechtsnormen und -prinzipien I. Das Europäische Gemeinschaftsrecht Nachdem die bisherigen europarechtlichen Ausführungen zum einen den integrationspolitischen Bedingungen in ihrer historischen Entstehung und ihren Auswirkungen auf den Subsidiaritätsgrundsatz und zum anderen inhaltlichen Fragen des Art. 5 Abs. 2 EGV selbst gewidmet waren, sollen im folgenden einige Überlegungen zu den Rechtsprinzipien angestellt werden, zu denen dieser neue Grundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts in engem Zusammenhang steht. 1. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EGV

a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Subsidiarität und Proportionalität

Nach ganz überwiegender Ansicht in der Literatur soll zwischen den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eine besondere

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnonnen und -prinzipien

351

Beziehung oder "enge Verwandtschaft" bestehen586 . Bei der Frage, worin genau diese Affinität beider Prinzipien liegen soll, gehen die Auffassungen jedoch recht weit auseinander. Entsprechend seinem Ansatz, aus dem Subsidiaritätsprinzip einen brauchbaren Maßstab für die Abgrenzung gesellschaftlicher und staatlicher Tätigkeit zu gewinnen, sieht Isensee in diesem Grundsatz eine Maxime, die auf gesellschaftspolitischer Ebene die gleiche Funktion erfüllt wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip im verfassungsrechtlichen Bereich587 • Merten mißt demgegenüber beiden Grundsätzen juristischen Gehalt zu, der seiner Auffassung nach in der freiheitssichernden Wirkung beider Prinzipien588 besteht, so daß sich für ihn das Subsidiaritätsprinzip als "eine besondere Ausprägung [...]" des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt589 . Dagegen geht Motsch davon aus, daß auch das Subsidiaritätsprinzip zwar ein "Bestandteil" des Rechtsstaatsprinzips ist, als solcher jedoch ein "echtes Gegenstück und notwendige Ergänzung zum Übermaßverbot" darstellt590 . Hält man sich die zentralen Aussagen beider Grundsätze vor Augen, so zeigt sich, daß ihnen ein limitierendes Moment eigen ist591 • Während das Subsidiaritätsprinzip einer "höheren" oder "größeren" Handlungseinheit Begrenzungen beim Zugriff auf die Aufgaben und Zuständigkeiten "kleinerer" Gemeinschaften auferlegt, beschränkt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz staatliche Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen auf geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen. Der Inhalt beider Prinzipien weist jedoch zugleich auf ihren grundlegenden Unterschied hin. Das Übermaßverbot folgt als eine die grundrechtliehen FreiheitsverbürguDgen schützende Maxime "im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst"592. In dieser Funktion bleibt das Proportionalitätsgebot als "Leitidee"593 der Verfassung auf "das grundgesetzliche Regel-AusnahmePrinzip von Freiheit und Beschränkung" 594 bezogen oder zumindest in 586 So im Ergebnis J. Jsenssee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 88; S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 114 ff.; D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77ff. (90); H.-J. Blanke, DVBI. 1993, S. 819 ff. (827); C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 104. 587 Vgl. dazu J. Jsensee, ibd., S. 88 ff. 588 Vgl. zu diesem Grundverständnis des Subsidiaritätsprinzips sowie seiner Herleitung aus den Grundrechten oben 2. Kapitel A. Il. 3. und III. 2. 589 So D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff. (90). 590 So P. Morsch, Die rechtliche Stellung der Handwerkskammer gegenüber Staat und Gesellschaft, S. 35 f. 591 So im Ergebnis auch C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 106, "zentrale Ähnlichkeit [ .. .] besteht in ihrem begrenzenden Charakter". 592 So BVerfGE 19, 342 [348f.]; 17, 306 [313f.]. 593 So BVerfGE 6, 55 [81].

352

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

seiner Anwendung auf kontradiktorische Interessenkonflikte, die diesem Paradigma entsprechen, beschränkt. Der Subsidiaritätsgedanke ist indes sowohl als Kompetenzverteilungs- als auch als Kompetenzausübungsregel auf die Lösung eines Konkurrenzproblems595 gerichtet. Kompetenzkonflikte sind jedoch nicht von einem Antagonismus zwischen Individualrechtsgut und Allgemeinwohlbelang gekennzeichnet, sondern vielmehr durch einen Streit zwischen zwei oder mehr Handlungseinheiten um die Zuweisung oder Ausübung einer Kompetenz. Der Grundsatz der Subsidiarität bezieht sich mithin auf Konflikte, bei denen sich das Interesse der "Kontrahenten" auf ein gemeinsames Ziel richtet, während das Verhältnismäßigkeitsprinzip typischerweise Situationen erfaßt, in denen die Parteien gegensätzliche Ziele verfolgen. Beide Prinzipien unterscheiden sich jedoch nicht nur hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Interessenkonstellationen, sondern auch in bezug auf die angewandten Kriterien. So erfährt der Subsidiaritätsgrundsatz durch das Effektivitätsgebot eine materielle Anreicherung596, so daß er unter dem Gesichtspunkt optimaler Aufgabenerfüllung den Kompetenzkonflikt zugunsten desjenigen Konkurrenten entscheidet, der hierzu "besser" in der Lage erscheint. Es handelt sich mithin um einen Vergleich, dessen tertium comparationis ein bestimmtes gedachtes Ziel bildet. Daher kann jede Anwendung des Subsidiaritätsprinzips bezüglich einer bestimmten Zuständigkeit nur ein Ergebnis haben: Entweder erweist sich bei dem anzustellenden Vergleich eine Handlungseinheit als "besser" geeignet oder alle Gemeinschaften sind gleich gut zur Erfüllung der fraglichen Funktion imstande, dann fordert das Subsidiaritätsgebot eine Zuweisung an die jeweils "unterste" oder "kleinste" Einheit. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dagegen grundsätzlich ergebnisoffen. Es wird vielmehr unter Rückgriff auf die drei Elemente dieses Grundsatzes nach einem optimalen Ausgleich der widerstreitenden Interessen gesucht, wobei das Ergebnis im Extremfall - je nach der zugrunde liegenden Konstellation - in einem völligen Zurücktreten der Belange des einzelnen oder des Staates oder in jeder Kompromißlösung dazwischen zu finden sein kann. Diese Überlegungen zeigen, daß sich die Gemeinsamkeiten von Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf ihren begrenzenden Charakter beschränken, sieht man von ihrer allgemeinen Einordnung als "Konfliktlösungsmechanismen" einmal ab597 . Mit Blick auf die beschriebenen Unter594

(90). 595

596

Zum Begriff D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff. Vgl. dazu grundlegend oben I. Kapitel C. III. 1. Vgl. dazu oben ibd.

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnonnen und -prinzipien

353

schiede beider Prinzipien hat das Bundesverfassungsgericht bisher die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern mit der Begründung abgelehnt, daß ein Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff nicht auf Fragen der Kompetenzabgrenzung übertragbar sei598 . Damit weist das Gericht auf einen entscheidenden Punkt hin. Begreift man mit dem Bundesverfassungsgericht das Verhältnismäßigkeitsprinzip als einen "die individuelle Rechtsund Freiheitssphäre verteidigenden"599 Grundsatz, dann liegt seiner Anwendung ein gänzlich anderes Denken zugrunde als der Subsidiaritätsidee. b) Das Verhältnis der Absätze 2 und 3 des Artikels 5 EGV Der Europäische Gerichtshof erkennt das Verhältnismäßigkeitsprinzip als einen in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten existierenden600 und damit allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts an601 , wobei das Gericht trotz der Verwendung der Begriffe "geeignet" und "erforderlich"602 nicht dem deutschen Sprachgebrauch und der grundgesetzliehen Dogmatik folgt603 . Entscheidend ist jedoch, daß der Europäische Gerichtshof diesen Grundsatz nicht nur auf Rechtsakte der Gemeinschaft gegenüber Individualrechtsträgem angewandt hat, sondern auch im Verhältnis der Gemeinschaften zu den Mitgliedstaaten604 . Insoweit stellt die Regelung des Art. 5 Abs. 3 EGV keinen neuen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar605 , sondern schreibt diesen lediglich als einen auch vom Gemeinschafts597 Im Ergebnis zustimmend C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 106f., wenn er feststellt, daß "beide Prinzipien nicht miteinander gleichgesetzt werden" können. 598 BVerfGE 79,311 [314]; 81,310 [338]. 599 BVerfGE ibd. 600 Vgl. EuGH Slg. 1980, S. 1979 (1997); J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 644ff.; /. Pemice, in: Grabitz/Hilf, Art. 164, Rz. 101 ff. 601 Vgl. etwa EuGH S1g. 1994, S. 2171 ff. (2175); S1g. 1985, 3051, Rz. 36. Vgl. auch W. G. Grupp/G. Schäder, EWS 1993, S. 27ff.; T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (29). 602 Vgl. EuGH Slg. 1986, S. 2519, Rz. 21, wo der Gerichtshof den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dahingehend beschreibt, daß dieser verlange, "daß die durch die Rechtsakte der Gemeinschaft auferlegten Maßnahmen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet (sein müssen) und nicht die Grenzen des dazu Erforderlichen überschreiten (dürfen)" (Hervorhebung durch den Verf.). 603 Vgl. dazu J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 831 ff.; C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 105. 604 Hierauf verweisen insbesondere J. Schwarze, ibd., S. 841, und M. Zuleeg, DVBI. 1992, S. 1329ff. (1334). 605 So aber wohl M. Zuleeg, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppennann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, S. 185ff. (190).

23 Moersch

354

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

gesetzgeber zu beachtenden Maßstab fest. Auch wenn das gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip im Gegensatz zu seinem deutschen Vorbild606 die "Angemessenheit" oder "Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" nicht als eigenständiges Prüfungskriterium enthält607 , weshalb Zuleeg zutreffenderweise vom "Grundsatz der Erforderlichkeit" spricht608 , so stellt sich das Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaften im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 EGV als offener Konflikt gegensätzlicher Interessen dar609 • Bemerkenswert ist dabei weniger die bereits bekannte Tatsache an sich als vielmehr der Umstand, daß sich der Vertrag durch die Aufnahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nunmehr ausdrücklich dazu bekennt, daß die Ausübung gemeinschaftlicher Befugnisse einen Eingriff in nationale Kompetenzen darstellt und als solcher einer objektiven, rechtsstaatliehen und justitiablen Prüfung zu unterwerfen ist610 . Für das systematische Verhältnis von Art. 5 Abs. 2 und 3 EGV ergibt sich daraus ein Paradigmenwechsel von einer am Maßstab "ausreichender" bzw. "besserer" Zielverwirklichung orientierten Betrachtung hin zu dem Kriterium eines "erforderlichen" gemeinschaftlichen Eingriffs in die mitgliedstaatliche Kompetenzsphäre. Dieser Betrachtungswechsel wirft zwar keine besonderen Rechtsprobleme auf, ist jedoch gemeinschaftspolitisch überaus bedeutsam, insbesondere wenn man sich das bisherige Integrationsverständnis der Gemeinschaftsorgane vor Augen führt. Rechtserhebliche Bedeutung kommt indes der in der Literatur kontrovers erörterten Frage zu, ob das Tatbestandsmerkmals "nicht ausreichend" in Art. 5 Abs. 2 EGV im Sinne eines Erforderlichkeits- oder Notwendigkeitskriteriums zu interpretieren ist611 , mit der Folge, daß bereits im Rahmen 606 Auf die Einflüsse des deutschen Rechts bei der Herausbildung dieses Grundsatzes durch den Europäischen Gerichtshof verweisen vor allem J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 830ff.; ihm folgend C. Calliess, Subsidiaritätsund Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 105; M. Zuleeg, ibd., S. 195. 607 Vgl. dazu M. Zuleeg, ibd. 608 M. Zuleeg, ibd.; ders., in: G/T/E, Art. 3 b, Rz. 29. 609 In diesem Sinne auch BVerfGE 89, 155 [212], wenn es die Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 EGV dahingehend deutet, daß das Verhältnismäßigkeilsprinzip .. [. . .] im Rahmen eines Staatenverbundes, [. .. ], die Regelungsintensität von Gemeinschaftsmaßnahmen auch im Dienste der Verpflichtung des Art. F Abs. 1 EUV beschränken und so die nationale Identität der Mitgliedstaaten und damit auch die Aufgaben und Befugnisse ihrer Parlamente gegen ein Übermaß europäischer Regelungen wahren" könne. 610 Zu Recht verweist T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (29), darauf, daß die Beachtung dieses Prinzips bei der Rechtsetzung der Gemeinschaften "bisher eher an der Weisheit der Kommission oder der Unwilligkeil des Rates [. . .]" lag. 611 In diesem Sinne G. Langguth, in: Lenz, Art. 3 b, Rz. 24; R. von Borries, EuR 1994, S. 263 ff. (277); K. Hailbronner, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft, S. 49ff. (54ff.); B. Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im europäischen Gemein-

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnormen und -prinzipien

355

des eigentlichen Subsidiaritätsprinzips - gewissermaßen incident - eine eigene "Erforderlichkeitsprüfung" vorzunehmen ist612 . Zwar trifft es zu, daß sich die deutschen Vorschläge zur Fassung des Art. 5 Abs. 2 EGV vom 22. Mai 1990613 und vom 7. Januar 1991 614 , die das "Notwendigkeits-" bzw. "Erforderlichkeitskriterium" als zusätzliche Voraussetzung für ein Tätigwerden der Gemeinschaft neben einer "nicht ausreichenden" Zielverwirklichung der Mitgliedstaaten enthielten, keine Mehrheit gefunden haben615 . Damit steht aber lediglich fest, daß diese Merkmale nicht als zusätzliche Voraussetzungen eines Gemeinschaftshandeins in den Vertragstext aufgenommen wurden. Denn die deutschen Vorschläge zielten im Ergebnis darauf ab, das Initiativrecht der Gemeinschaft zu beschneiden, indem diese selbst bei einem unzureichenden mitgliedstaatliehen Handeln nur bei einer zusätzlich zu prüfenden, sich aus Sachzwängen ergebenden Notwendigkeit tätig werden sollte. Das Scheitern dieser Bemühungen sagt indes noch nicht, daß nicht auch im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 EGV Verhältnismäßigkeitserwägungen angestellt werden dürfen. Geht man von der mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips verfolgten Zielsetzung und dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV aus, so wird deutschaftsrecht, S. 112; M. Schweitzer/0. Fixson, Jura 1992, S. 579ff. (581); W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (426ff.); T. Stein, ibd., S. 29; A. von Bogdandy!M. Net· tesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 33; P. M. Schmidhuber/G. Hitzler, NVwZ 1992, S. 720ff. (722); J. Scherer, DVBI. 1993, S. 281 ff. (283). Gegen eine solche Interpretation des Merkmals "nicht ausreichend" I. E. Schwartz, AfP 1993, S. 409 ff. (416); S. U. Pieper, DVBI. 1993, S. 705ff. (709); J. Pipkom, EuZW 1992, S. 697ff. (699); W. Möschel, NJW 1993, S. 3025ff. (3026). 612 Dies hat jedoch nichts damit zu tun, Art. 5 Abs. 3 EGV unmittelbar auf das "Ob" eines Gemeinschaftshandeins zu beziehen. So aber C. Calliess, Subsidiaritätsund Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. l07f. 613 Dieser Formulierungsvorschlag stellt das Ergebnis der Arbeitsgruppe der Staats- und Senatskanzleien der Länder zu dem Thema ,,Europa der Regionen [... ]" dar und lautet folgendermaßen: "Die Gemeinschaft übt die ihr nach diesem Vertrag zustehenden Befugnisse nur aus, wenn und soweit das Handeln der Gemeinschaft notwendig ist, um die in diesem Vertrag genannten Ziele wirksam zu erreichen und hierzu Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten bzw. Länder, Regionen und Autonomen Gemeinschaften nicht ausreichen" (Hervorhebung durch den Verf.). Text abgedr. bei J. Bauer, Europa der Regionen, S. 41 ff. 614 Dieser Vorschlag hat folgenden Wortlaut: "[ . . .] Sie ([die Gemeinschaft] der Verf.) wird nur insofern tätig, wie die Maßnahmen aufgrund ihrer Tragweite oder ihrer Auswirkungen die Grenzen eines Mitgliedstaates überschreitende Lösungen erfordern und wenn und soweit der verfolgte Zweck durch Maßnahmen auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten allein nicht ausreichend verwirklicht werden kann" (Hervorhebung durch den Verf.). Zitiert nach G. Konow, DÖV 1993, S. 405 ff. (406). 615 Auf diesen Umstand verweisen insbesondere D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff. (82); G. Konow, ibd.; C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 97. 23•

356

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

lieh, daß eine am Maßstab der Erforderlichkeit ausgerichtete Betrachtung des Merkmals "nicht ausreichend" von Sinn und Zweck der Norm nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sogar geboten ist. Mit dem Subsidiaritätsgrundsatz soll einerseits der Primat mitgliedstaatliehen Handeins gegenüber Gemeinschaftsmaßnahmen festgeschrieben und gleichzeitig die effektive Umsetzung der Gemeinschaftsziele sichergestellt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es angezeigt, nicht bei der schlichten Feststellung unzureichender mitgliedstaatlicher Maßnahmen zu verharren, sondern sich mit Ursachen und Umfang nationaler Regelungsdefizite auseinanderzusetzen. Denn es macht einen Unterschied, ob ein Staat überhaupt keine Umsetzungsmaßnahmen zu treffen bereit ist oder ob die geplante Regelung lediglich marginale Mängel aufweist. In jedem Falle die mitgliedstaatliche Legeferierungskompetenz durch Gemeinschaftsmaßnahmen verdrängen zu wollen liefe dem Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips zuwider616 • Zudem zeigt das zweite Kriterium des Art. 5 Abs. 2 EGV, wonach die Gemeinschaft nur tätig wird, wenn die ,,Ziele [... ] wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können", daß das Gemeinschaftshandeln nicht nur an die Erfüllung des sog. Negativkriteriums gebunden ist, sondern darüber hinaus auch an ein materielles positives Merkmal, das - ungeachtet seiner inhaltlichen Unbestimmtheit - eine Analyse der Gründe für die Unzulänglichkeiten nationaler Lösungskonzepte erfordert. Denn wenn diese Ursachen auch bei einem Gemeinschaftshandeln vorlägen, wird man von diesem kaum eine "bessere" Zielerreichung erwarten dürfen. Diese Überlegungen zeigen, daß Wortlaut und Sinn des Art. 5 Abs. 2 EGV der Gemeinschaft eine die Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung der Gemeinschaftsziele unterstützende und ergänzende Rolle zuweisen. Letzteres läßt sich zudem ohne weiteres aus der Formulierung, "[ ... ] wird die Gemeinschaft [... ] nur tätig, sofern und soweit die Ziele [.. .] nicht ausreichend erreicht werden können", ableiten 617 • Denn die Wendung "sofern und soweit" läßt sich, ohne ihren Sinn zu verändern, auch mit "für den Fall, daß ... und in dem Umfang, wie . . ." wiedergeben. Damit wird gemeinschaftliches Handeln jedoch einerseits durch die Gemeinschaftsziele und andererseits durch die Effektivität mitgliedstaatlieber Maßnahmen begrenzt. Die konkrete Auslotung dieses Handlungsspiel616 Daß der Gemeinschaftsgesetzgeber und der Europäische Gerichtshof eine solche Differenzierung bisher nicht vornehmen, ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94 "Einlagensicherungssysteme", in der der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme unter anderem auf die Feststellung des Gemeinschaftsgesetzgebers stützt, daß das mit der Empfehlung der Kommission angetrebte Ziel durch die von den Mitgliedstaaten daraufhin ergriffenen Maßnahmen nicht vollständig erreicht worden sei (Hervorhebung durch den Verf.). EuGH Slg. 1-1997, S. 2441 ff. 61 7 So im Ergebnis auch W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (426).

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnonnen und -prinzipien

357

raums erfolgt jedoch durch eine Erforderlichk:eitsprüfung. Der Unterschied zu Art. 5 Abs. 3 EGV besteht lediglich in dem zugrunde liegenden Maßstab. Während Absatz 2 auf das zur Erreichung des konkreten ,,Maßnahmenziels" Erforderliche abstellt, ist Bezugspunkt in Absatz 3 das jeweilige Vertragsziel. Dies zeigt, daß auch das Problem des Verhältnisses dieser beiden Absätze des Art. 5 EGV zueinander letztlich wieder zu der Frage der Zieldefinition zurückführt. Denn erweisen sich einerseits die .,Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen" unter vertragsrechtliehen und Subsidiaritätsgesichtspunkten618 als unbedenklich und entsprechen andererseits die von der Gemeinschaft zur Erreichung dieser Ziele ergriffenen Maßnahmen den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 EGV, dann ist nicht ersichtlich, wie diese Gemeinschaftshandlungen gegen das Erforderlichk:eitsgebot des Art. 5 Abs. 3 EGV verstoßen könnten. Denn Tätigkeiten, die zur Verwirklichung eines legitimen Unterziels als erforderlich angesehen werden, können nicht gegenüber dem übergeordneten Vertragsziel als .,nicht erforderlich" betrachtet werden. Damit kann festgehalten werden, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EGV zwar prinzipiell für alle Gemeinschaftsmaßnahmen gilt619 , seine Bedeutung sich indes auf solche Handlungen beschränkt, die die Gemeinschaft im Bereich ihrer .,ausschließlichen Zuständigkeiten" erläßt oder die sich als Eingriffe in vertraglich gewährte Individualrechte darstellen620.

618 Vgl. zu den Anforderungen an die Zielsetzungen, die sich aus Art. 5 EGV ergeben, oben 3. Kapitel D. III. 2. a) und b). 619 Dies ist unstreitig. Vgl. statt aller R. Geiger, Art. 3b, Rz. 9; A. von Bogdandy/M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 42; G. IAngguth, in: Lenz, Art. 3 b, Rz. 24; /. E. Schwanz, AfP 1993, S. 409ff. (416); T. Stein, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 23 ff. (29); H. D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 29; H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, S. 15; R. von Borries, EuR 1994, S. 263ff. (269f.); S. Magiera, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union - Europas Zukunft?, S. 71 ff. (96); T. Bruha, in: Alois Riklin/Gerard Batlinger (Hrsg.), Subsidiarität, S. 373 ff. (398); J. Pipkom, EuZW 1992, S. 697 ff. (699); P. M. Schmidhuber!G. Hitz/er, NVwZ 1992, S. 720ff. (722), C. Stewing; Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S. 109. 620 In der letztgenannten Funktion sieht W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (428), den entscheidenden Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 EGV.

358

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

2. Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue in ArtikellO EGV und die Auslegungsmaxime des "effet utile"

a) Artikel 10 EGV Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, der vom Europäischen Gerichtshof als "Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit" zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaften bezeichnet wird621 und von Bleckmann in Anlehnung an den Grundsatz der Bundestreue im Bundesstaat entwickelt wurde622, wird bisher allgemein in Art. 10 EGV dogmatisch verankert623 . Dies überzeugt jedoch schon deswegen nicht, weil diese Norm ausdrücklich nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Gemeinschaft enthält, jedem Treue- oder Zusammenarbeitsverhältnis aber eine Wechselbezüglichkeil immanent ist. Der Bundesrat hatte daher in seinem Forderungskalakog zur Regierungskonferenz 1996 auch eine den Gegenseitigkeitscharakter zum Ausdruck bringende Änderung des Wortlauts des Art. 10 EGV angemahnt624, ist mit diesem Anliegen jedoch nicht durchgedrungen. 621 Vgl. hierzu sowie zur Gleichsetzung beider Begriffe E. Klein, in: Handkommentar, Art. 5, Rz. 49; K. Hailbronner, JZ 1990, S. 149ff. (152); W. Kahl, in: CaiIiess/Ruffert, Art. 10, Rz. lff.; A. Bleckmann, DVBI. 1976, S. 483ff. (486); ders., Europarecht, Rz. 1074ff.; ders., RIW 1981, S. 653ff., (durchgehend), unter Auswertung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs; M. Zu leeg, NJW 1994, S. 545ff. (549); ders., in: G/T/E, Art. 5, Rz. 1, wobei zum Teil Parallelen zum Grundsatz der .,Bundestreue" gezogen werden, so von A. Bleckmann, ibd., M. Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der europäischen Gemeinschaft: ein Vergleich zur Bundestreue im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 92ff. und 130f.; M. Zuleeg, in: G/T/E, ibd.; T. Oppennann, Europarecht, Rz. 367; A. Epiney, EuR 1994, S. 301 ff. (311); zweifelnd H. Lecheler, EA 1968, S. 403 ff. (41 0). Gegen eine Gleichsetzung von .,Gemeinschaftstreue" und ,,Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit" sowie eine Analogie zum Institut der Bundestreue ablehnend A. von BogdandyIM. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3 b, Rz. 6; H.·P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 227f.; R. Söllner, Art. 5 EWGVertrag, S. 22ff.; R. Streinz, Europarecht, Rz. 143, J. Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 192; P. J. G. Kapteyn/P. VerLoren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, p. 148ff.; sprechen von .,principle of community loyality (or solidaity); ähnlich E. Ellis/T. Tridimas, Public Law of the European Community, p. 71 f. 622 Vgl. A. Bleckmann, DVBI. 1976, S. 483ff. (486f.); ders., RIW 1981, S. 635 ff. (durchgehend). 623 Allgemeine Meinung vgl. statt aller E. Klein, in: Handkommentar, Art. 5, Rz. 49; A. Bleckmann, Europarecht, Rz. 1074ff. 624 Vgl. dazu den Teil B "konkrete Formulierungsvorschläge" der Entschließung des Bundesrates vom 15. Dezember 1995 .,Forderungen der Länder zur Regierungskonferenz 1996", BR-Drs. 667/95 (Beschluß), in dem unter Punkt 14 eine Ergänzung des Artikels 10 Abs. 1 EGV um die Formulierung ,,Auch die Gemeinschaft hat bei der Ausübung ihrer Befugnisse auf die Belange und die inneren Strukturen

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnormen und -prinzipien

359

Auch wenn schon wegen der Vielzahl der verbindlichen Sprachfassungen625 der Wortlautauslegung vom Europäischen Gerichtshof keine besondere Bedeutung zugemessen wird626, so erscheint die Ableitung der genannten Gemeinschaftspflichten627 gegenüber den Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV dogmatisch zweifelhaft. Die Annahme und Herleitung entsprechender Rücksichtnahmepflichten der Gemeinschaftsorgane durch den Europäischen Gerichtshof stellt sich somit vornehmlich als Einsicht in die Notwendigkeiten einer Kooperation denn als Ergebnis einer methodisch nachvollziehbaren Nonninterpretation dar. Mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 Abs. 2 EGV und in Art. 2 Abs. 2 EUV werden nunmehr spezifische Pflichten der Gemeinschaft und ihrer Organe gegenüber den Mitgliedstaaten normiert, die eine strukturelle Parallelität zu den mitgliedstaatliehen Obliegenheiten aus Art. 10 EGV aufweisen628 . Beide Vorschriften haben Grundsatzcharakter629, nicht nur wegen ihrer systematischen Stellung in dem so titulierten ersten Teil des EG-Vertrages, sondern vor allem, weil sie als allgemeine Verpflichtungen umfassende Geltung beanspruchen630 und daher der Konkretisierung im Einzelfall bedürfen, um angewandt werden zu können. Als Regelungen, die im Spannungsfeld zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten angesiedelt sind, erfüllen sie eine Schutzfunktion. Diese besteht bei Art. 5 EGV, der insoweit in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 und 3 EUV gesehen werden muß, in der Wahrung der Identität der Mitgliedstaaten und ihrer Untergliederungen sowie in deren Rechtsetzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Dagegen zielt Art. 10 EGV auf die Funktionsfahigkeit631 der Gemeinschaft, ihrer Organe und Verfahrensweisen ab. Entsprechend ihrer Funktion als Schutznonnen sind beide Vorschriften als Verpflichtunder Mitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen. Gemeinschaft und Mitgliedstaaten sind zur gegenseitigen loyalen Zusammenarbeit verpflichtet", gefordert wird. 625 Vgl. dazu Art. 314 EGV. 626 Vgl. G. Hirsch, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 79ff. (79f.). 627 Vgl. dazu oben 3. Kapitel D. III. 2. b). 628 Damit geht die Beziehung von Subsidiaritätsprinzip und Gemeinschaftstreue über eine bloße "inhaltliche Verwandtschaft" und eine "partielle Überschneidung" hinaus. So charakterisiert W. Kahl, AöR 118 (1993), S. 414ff. (429), das Verhältnis beider Grundsätze. 629 So auch bezüglich des Art. 10 EGV (ex-Artikel 5) A. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 5, Rz. 6, unter Verweis auf den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Der Grundsatzcharakter des Art. 5 Abs. 2 EGV folgt selbstredend bereits aus dem Subsidiaritätsprinzip an sich. 630 Hier ist die Einschränkung zu machen, daß das Subsidiaritätsprinzip nicht für die "ausschließlichen Zuständigkeiten" der Gemeinschaft gilt. 631 Vgl. dazu statt aller A. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 5 (a.F.), Rz. 7 und 13.

360

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

gen der jeweils "anderen Seite" ausgestaltet. Da die Identität und der rechtspolitische Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten vor allem durch die Rechtsetzungsbefugnisse der Gemeinschaft beeinträchtigt werden, richtet sich das Subsidiaritätsprinzip an die Gemeinschaft und erstreckt sich zwar nicht nominell, aber tatsächlich in erster Linie auf die Sekundärrechtsetzung. Artikel 10 EGV nennt demgegenüber die Mitgliedstaaten als Adressaten632 und zielt primär auf deren Verpflichtung zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts, auch wenn die Formulierung in Art. 10 Abs. 1 EGV, "die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben" ebenso wie Art. 10 Abs. 2 EGV über den Bereich des Gesetzesvollzuges hinausgreift. Insgesamt erscheint es daher angezeigt, künftig die "Loyalitätspflichten" der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten vorgreiflieh aus Art. 5 EGV zu entwickeln. Gerade das Subsidiaritätsprinzip und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bieten wegen ihrer allgemeinen Fassung genügend Anknüpfungsmöglichkeiten, um insbesondere die Rücksichtnahmepflichten der Gemeinschaft auf eine argurnentatarisch und dogmatisch überzeugendere Grundlage zu stellen. Daher erscheint es sachgerecht, Art. 5 EGV neben Art. 10 EGV als die zweite Grundlage der Gemeinschaftstreue anzusehen, so daß deren Konkretisierungen aus der Asymmetrie von normierten mitgliedstaatliehen Pflichten einerseits und richterrechtlich konstruierten Obliegenheiten der Gemeinschaft andererseits gelöst und neu verortet werden können. In Art. 5 EGV lediglich eine weitere generelle Voraussetzung für die Herleitung einer Rechtspflicht aus Art. 10 EGV zu sehen633 , wird weder der Bedeutung dieser Norm gerecht noch löst dieser Vorschlag das dogmatische Problem. So betrachtet weist die Beziehung von Subsidiaritätsprinzip und Gemeinschaftstreue über eine bloße "Verwandtschaft" und "partielle Überschneidung" hinaus. b) Die Auslegungsmaxime des ., effet utile"

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem "Maastricht-Urteil" im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip angemahnt, daß bei der künftigen Auslegung von "Befugnisnormen" der Gemeinschaftsverträge die Grenze zur Vertragserweiterung nicht überschritten werden dürfe. Eine "dynamische Erweiterung der bestehenden Verträge" wie sie in der Vergan632 Dies schließt nachgeordnete innerstaatliche Stellen ein. Vgl. dazu A. von Bogdandy, ibd., Rz. 24. 633 So H.-W. Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 202ff. (232).

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnormen und -prinzipien

361

genheit von den Gemeinschaftsorganen vorgenommen worden sei, "würde für Deutschland keine Bindungswirkung entfalten". Dabei hat das Gericht namentlich die bisherige Handhabung des Art. 308 EGV sowie die der Institute der "implied powers" und des "effet utile", letzteren verstanden als "größtmögliche Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse", genannt634 . Dies gibt Anlaß, dem Verhältnis dieser Rechtsfiguren, insbesondere dem des "effet utile" zum Subsidiaritätsgedanken nachzugehen. Dabei muß differenziert werden. Artikel 308 EGV ist schon seinem Wortlaut nach eine Vorschrift, die der Gemeinschaft als "Abrundungskompetenz" dient und somit unter den genannten Voraussetzungen eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage darstellt. Gleiches gilt für die sowohl im nationalen Recht als auch im Recht internationaler Organisationen anerkannten Lehre von den "implied powers"635 . Beide Rechtsinstitute sind daher unmittelbar auf eine Befugniserweiterung der Verbandskompetenzen der Europäischen Gemeinschaften angelegt. In der Praxis gemeinschaftlicher Rechtsetzung hat die "impliedpower-Regel" jedoch eine untergeordnete Rolle gespielt636, was nicht zuletzt daran liegt, daß mit Art. 308 EGV eine Vertragsnorm zur Verfügung steht, die trotz ihres Einstimmigkeitserfordernisses häufig als Kompetenznorm herangezogen wird. Doch auch die herausragende Bedeutung, die Art. 308 EGV als Instrument zur "Lückenschließung" nicht zuletzt aufgrund der Empfehlung der Pariser Gipfelkonferenz von 1972, "alle Bestimmungen der Verträge einschließlich Art. 308 weitestgehend auszuschöpfen"637, vor allem vor dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte besaß, hat durch die Einführung weiterer Kompetenztitel in den Reformen von 1986 und 1992 stark abgenommen. So kommen Bundesregierung und Bundesrat in ihrer Beurteilung der Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft zu dem Ergebnis, daß sich die in dem Zeitraum "vom 1. November 1993 bis 31. Dezember 1997 auf der Basis von Artikel 235 EGV [jetzt (Art. 308) d. Verf.] erlassenen Rechtsakte im Rahmen der Kompetenzgrenzen der Gemeinschaft gehalten haben und somit den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts im Maastricht-Urteil entsprochen haben" 638 . Ungeachtet ihrer abnehmenden Bedeutung für die Rechtsetzungspraxis bleibt jedoch festzuhalten, daß es sich bei Art. 308 EGV und der "imp1iedpowers-Lehre" dem Grundsatz nach um die Gemeinschaftszuständigkeiten ausdehnende Instrumente handelt. Daher unterliegt ihre Inanspruchnahme BVerfGE 89, 155 [210]. Vgl. dazu oben 2. Kapitel C. IV. 3. 636 So auch R. Streinz, FS für Ulrich Everling, Bd. II, S. 1491 ff. (1503). 637 Vgl. die Erklärung vom 20. Oktober 1972, Ziff. 15, Text abgedr. in EA 1972, D, S. 502ff. Dazu auch U. Everling, EuR 1976, Sonderheft, S. 2ff. (6ff.). 638 Vgl. BT-Drs. 13111074 vom 17. Juni 1998, S. 5, Subsidiaritätsbericht 1997. 634 635

362

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

durch die Gemeinschaftsorgane der Prüfung des Art. 5 EGV und damit auch des Subsidiaritätsprinzips. Die beim Rückgriff auf diese befugniserweitemden Institute regelmäßig auftretenden Fragen, auf die auch das Bundesverfassungsgericht hingewiesen hat, ob bei der Rekurrierung auf die implied powers oder Art. 308 EGV auch die tatbestandliehen Voraussetzungen639 erfüllt sind und ob die Grenze zur Vertragsänderung eingehalten wurde, gehören rechtssystematisch in den Bereich des Art. 5 Abs. 1 EGV. Denn die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips setzt die Klärung der Kompetenzfrage voraus. Erst wenn feststeht, daß die Gemeinschaft eine Zuständigkeit, die keine ausschließliche ist, für die fragliche Maßnahme besitzt, eröffnet sich der Prüfungsbereich des Art. 5 Abs. 2 EGV. Diese Überlegungen machen deutlich, daß in rechtsdogmatischer Hinsicht zwischen dem als Kompetenzausübungsmaxime in Art. 5 Abs. 2 EGV verankerten Grundsatz der Subsidiarität640 einerseits und den befugniserweiternden Instituten der sog. inhärenten Zuständigkeiten (implied powers) und des Art. 308 EGV kein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Ein solcher ließe sich lediglich bei Zugrundelegung eines weiten Subsidiaritätsbegriffs, der die drei unterschiedlichen Grundsätze des Art. 5 EGV insgesamt als Ausprägungen dieses Prinzips begreift, herstellen. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht641 und Teile der Literatur642 den Grundsatz des "effet utile" unterschiedslos in eine Reihe mit den genannten Rechtsfiguren stellen, so bestehen zwischen ihnen doch erhebliche Unterschiede. Zunächst ist der Grundsatz des "effet utile" kein dem Gemeinschaftsgesetzgeber zur Verfügung stehender Kompetenztitel, sondern eine besondere teleologische Auslegungsmaxime, des Europäischen Gerichtshofs643 . Die gerraue inhaltliche Erfassung dieses Topos bereitet indes einige Probleme, wie sich bereits aus der Übernahme dieses französischen Begriffs in die deutsche Rechtssprache zeigt. Dieser Befund wird bestätigt, wenn man sich die verschiedenen Übersetzungen und Definitionen dieses Begriffs in der deutschsprachigen Literatur betrachtet. So definiert Breitenmoser, den "effet utile" als den "beabsichtigte(n) Nutzeffekt einer Norm entsprechend ihrer allgemeinen Zielsetzung"644, Bleckmann 639 So darf die Gemeinschaft auf Art. 308 EGV nur zurückgreifen, "um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen". 640 Vgl. zu dieser Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips oben 3. Kapitel D. III. 1.

c).

Vgl. BVerfGE 89, 155 [210]. Vgl. T. Oppermann, Europarecht, Rz. 527 ff. 643 Vgl. zu dieser Einordnung statt aller /. Pemice, in: Grabitz/Hilf, Art. 164, Rz. 27; T. Oppermann, Europarecht, ibd.; U. Everling, EuR 1994, S. 127ff. (128); R. Streinz, FS für Ulrich Everling, Bd. li, S. 1491 ff. (1491); W. Möschel, NJW 1994, s. 1709ff. (1709). 644 Vgl. S. Breitenmoser, Praxis des Europarechts, S. 69. 641

642

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnormen und -prinzipien

363

versteht die Figur als ein Effektivitätsprinzip, "das auf eine effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gerichte und Behörden gerichtet ist"645 . Pernice übersetzt den Begriff einmal mit "nützlicher Wirkung" und dann mit "praktischer Wirksamkeit"646. Bezieht man die Verwendung des Terminus in einzelnen Prozessen vor dem Europäischen Gerichtshof mit in die Betrachtung ein, so erweitert sich das Bedeutungsspektrum noch erheblich. So hat Generalanwalt Mischo die Ansicht vertreten, daß eine Verordnung so auszulegen sei, "daß der ,effet utile' des gesamten Systems, in dem sie stehe, durch sie ([die Verordnung] d. Verf.) erhalten bleibe"647 , Generalanwalt Lenz hat demgegenüber den Begriff des "effet utile" als Synonym für eine Auslegung nach "Sinn und Zweck" der Vorschrift verwandt648 . Ebenso wie die einzelnen Versuche einer Begriffsbestimmung dieses Auslegungsgrundsatzes eine beachtliche Bandbreite aufweisen, so gehen auch die Auffassungen über seine Funktion und Bedeutung weit auseinander. Während das Bundesverfassungsgericht in ihm eine Auslegungsregel "im Sinne einer größtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse"649 sieht, hegt Möschel die Befürchtung, "die effet utile-Rechtsprechung des EuGH" könne "inutile"650 werden. Der Kritik des Bundesverfassungsgerichts ist entgegengehalten worden, daß der Europäische Gerichtshof das Prinzip des "effet utile" nie im Sinne einer "größtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse" verstanden habe651 • Auch die von Streinz vorgenommene grundlegende Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu dieser Figur kommt zu dem Ergebnis, daß der Rückgriff auf dieses Argument in erster Linie darauf gerichtet ist, eine die Zielsetzung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts unterlaufende Praxis der Mitgliedstaaten zu unterbinden652 . In diesem Sinne hat der Europäische Gerichtshof die "unmittelbare Wirkung von Richtlinien und staatsgerichteten Entscheidungen", einige "allgemeine Grundsätze" im V gl. A. Bleckmann, Europarecht, Rz. 1318. Pemice, in: Grabitz/Hilf, Art. 164, Rz. 27; ebenso B. Wegener, in: Ca1liess/Ruffert, Art. 220, Rz. 10. 647 Generalanwalt Mischo, Schlußantrag zu Rs. 22/86, EuGH Slg. 1987, S. 1335. 648 Generalanwalt Lenz. Schlußantrag zu Rs. 157/86, EuGH Slg. 1988, S. 673ff. (684). 649 Vgl. BVerfGE 89, 155 [210]; diesem folgend K.-D. Borchardt, in: Moritz Röttinger/Ciaudia Weyringer (Hrsg.), Handbuch der europäischen Integration, S. 72f. (88). 6SO W. Möschel, NJW 1994, S. 1709ff. (1709). 651 So U. Everling, EuR 1994, S. 127ff. (128, Fn. 12); /. Pemice, in: Grabitz/ Hilf, Art. 164, Rz. 27; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Art. 220, Rz. 10. 652 Vgl. dazu sowie zu den nachfolgend skizzierten Fallgruppen R. Streinz, FS für Ulrich Everling, Bd. II, S. 1491 ff. (1496ff.). 645

646 /.

364

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Wettbewerbsrecht, den Grundsatz vom "Vorrang des Gemeinschaftsrechts"653, die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts"654, den Grundsatz eines "effizienten Vollzugs des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten"655 und zuletzt die Herausarbeitung eines "gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs bei Verstößen der Mitgliedstaaten gegen das Gemeinschaftsrecht"656 mit dem "effet-utile-Argument" begründet. Bei einer formalen Betrachtung, die lediglich auf den Wortlaut der Vertragstexte abstellt, lassen sich auch diese Entscheidungen bereits als Verletzungen der den Europäischen Gemeinschaften eingeräumten vertraglichen Befugnisse interpretieren. Eine solche Sichtweise berücksichtigt aber nicht die diesen "Kompetenzübertretungen" zugrundeliegenden rechtsmißbräuchlichen Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten. Zu einer "echten" Kompetenzausweitung gestützt auf den Gedanken des "effet utile" ist es jedoch in dem sensiblen Bereich der Bildungspolitik gekommen. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war ein Ratsbeschluß vom 2. April 1963, in dem allgemeine Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung aufgestellt wurden657 . Der Europäische Gerichtshof hat diesen Beschluß in einer späteren Entscheidung nicht etwa als einen Verstoß gegen sondern als eine Konkretisierung des Art. 128 EGV (in der Fassung der EEA vom 1. Juli 1987) betrachtet und in diesem Zusammenhang die Herausarbeitung allgemeiner Prinzipien für die Berufsausbildung als eine den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gemeinsam obliegende Aufgabe bezeichnet658 . An diese Rechtsprechung hat der EuGH in seinem ERASMUS-Urtei1659 angeknüpft und die Regelung des Art. 151 EGV dahingehend interpretiert, daß sie auch "zur Anerkennung einer Befugnis des Rates, Rechtsakte zu erlassen, die gemeinschaftliche Aktionen auf dem Gebiet der Berufsausbildung vorsehen und den Mitgliedstaten entsprechende Mitwirkungspflichten auferlegen" führe . Eine solche Auslegung stehe im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 151 EGV und gewährleiste auch "dessen praktische Wirksamkeit" 660 . Der Unterschied dieser Vorgehensweise gegenüber den oben genannten Kompe653 Vgl. dazu die bekannte Entscheidung EuGH Slg. 1964, S. 1269ff., Rz. 8-12Costa/ENEL. 654 Vgl. dazu EuGH Slg. 1978, S. 644ff., Rz. 19/20 und 21/23- Simmenthal II -; EuGH Slg. 1979, S. 629ff.- Cassis de Dijon -; EuGH Slg. 1974, S. 1299ff.- van Binsbergen; EuGH Slg. 1974, S. 631 ff.- Reyners. 655 Vgl. dazu die Übersicht bei U. Everling, DVBI. 1983, S. 649ff. (durchgehend). 656 Vgl. dazu EuGH Slg. 1-1991, S. 5357ff.- Francovich. 657 Vgl. ABI. EG 1963 Nr. 1338, S. 63. 658 Vgl. EuGH Slg. 1989, S. 1615ff. 659 EuGH Slg. 1989, S. 1425ff. (1443), Rz. 12. 660 Hervorhebung durch den Verf.

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnormen und -prinzipien

365

tenzausdehnungen liegt darin, daß es hierbei gerade nicht um den Versuch geht, die "praktische Wirksamkeit" einer an sich vom EG-Vertrag gedeckten Maßnahme sicherzustellen. Vielmehr wurde in diesem Fall das "effetutile-Prinzip" von den Gemeinschaftsorganen dazu mißbraucht, sich eine sachbezogene Zuständigkeit anzumaßen, die ihnen von den Mitgliedstaaten als den "Herren der Verträge" bewußt und gewollt nicht eingeräumt wurde. Das bedenkliche an dieser Praxis ist dabei weniger die kompetenzerweiternde und rechtswidrige Rechtsprechung an sich, als vielmehr die Systematik, mit der diese vorangetrieben wird und das kollusive Zusammenwirken von Rat und Gerichtsho~ 1 • Zwar ist diese gravierende Kompetenzverletzung soweit ersichtlich bisher der einzige Fall gewesen, in dem die Auslegungsmaxime des "effet utile" die entscheidende Grundlage darstellte. Dennoch bleibt festzuhalten, daß dieses Instrument grundsätzlich ebenso wie Art. 308 EGV und die Lehre von den inhärenten Zuständigkeiten (implied powers) zu einer Ausweitung der Gemeinschaftsbefugnisse über die vertraglich gesetzten Grenzen hinaus verwendet werden kann. Auch wenn dies bisher nicht die Hauptfunktion dieses Prinzips gewesen ist, so erscheint die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer vertragskonformen Handhabung auch dieses Grundsatzes zumindest seit der ERASMUS-Entscheidung des EuGH nicht mehr als unbegründet. Denn im Ergebnis erweist sich die Rechtsfigur des "effet utile" und seine Anwendung durch den Europäischen Gerichtshof als noch weniger berechenbar als der auch aus dem amerikanischen Verfassungsrecht und der Praxis internationaler Organisationen bekannte Grundsatz der imlied powers. Denn als Kreation des EuGH, die in dieser unscharfen Form keine Entsprechung in der überwiegenden Mehrzahl der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hat und deren dogmatische Grundlagen sich nur fallweise und zumeist nur post festurn erschließen lassen rückt die Auslegungsmaxime der "nützlichen Wirkung" bedenklich nahe an das Prinzip "der Zweck heiligt die Mittel". Ungeachtet dessen muß jedoch auch für die auf der Grundlage der "Effet-U ti Je-Rechtsprechung" vorgenommenen Kompetenzerweiterungen der Gemeinschaft darauf hingewiesen werden, daß es sich hierbei nicht um spezifische Subsidiaritätsprobleme handelt, sondern um eine der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV vorgelagerte Kompetenzfrage. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Betrachtet man indes den Subsidiaritätsgedanken nicht unter rechtsdogmatischen sondern unter rechts661 Auf diesen Umstand hat besonders treffend M. Schweitzer, in: Detlef Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung von Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung, S. 147ff. (153), hingewiesen, wenn er feststellt: "Zuerst wird vom Rat Sekundärrecht erlassen, das über das Primärrecht hinausgeht und dann wird das Primärrecht vom EuGH unter Berufung auf das Sekundärrecht weit ausgelegt, um noch weiter gehendes Sekundärrecht kompetenzmäßig zu rechtfertigen".

366

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

politischen Gesichtspunkten, so erscheint die Einführung des Art. 5 EGV insgesamt als ein von den Mitgliedstaaten gewollter Paradigmenwechsel weg von dem bisherigen Integrationsverständnis, das primär auf eine Ausweitung der Gemeinschaftszuständigkeiten ausgerichtet war, hin zu einem Bemühen um ein stabiles und dauerhaftes Gleichgewicht zwischen den Mitgliedstaten und den Gemeinschaftsorganen hinsichtlich der Aufgaben- und Kompetenzverteilung. Im Rahmen eines so verstandenen Integrationsbegriffs, der auch dem bisher erreichten Integrationsstand Rechnung trägt, kommt dem Subsidiaritätsgedanken über seine rechtstechnische Funktion als Kompetenzausübungsmaxime in Art. 5 Abs. 2 EGV und Art. 2 Abs. 2 EUV hinaus auch eine Bedeutung als neues gemeinschaftspolitisches Bekenntnis der Mitgliedstaaten zu. Insoweit muß dieser Grundsatz auch als "actus contrarius" zu der auf der Pariser Gipfelkonferenz 1972 bekundeten Absicht, die Gemeinschaft auf neue Bereiche auszudehnen und dazu "alle Bestimmungen der Verträge einschließlich des Art. 308 EGV weitesgehend auszuschöpfen" angesehen werden. Bei dieser Betrachtung, die den Charakter des Subsidiaritätsprinzips als einen die Gemneinschaftsbefugnisse insgesamt limitierenden Grundsatz begreift, wird der Bezug zu den zuständigkeitserweiternden Instrumentarien des Gemeinschaftsrechts deutlich. In diesem Sinne müssen auch die genannten Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts verstanden werden.

II. Artikel 23 des Grundgesetzes Die Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirft zum einen die Frage auf, welches Ziel der verfassungsändernde Gesetzgeber mit Einführung dieses Grundsatzes in die "clausula integrationis"662 verfolgt hat. Zum anderen gilt es, das Verhältnis zwischen der gemeinschaftsrechtlichen und der verfassungsrechtlichen Verankerung des Prinzips sowie seine Funktion und Bedeutung gegenüber den anderen Elementen des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zu klären. Wie bereits dargelegt, sollten mit dieser Regelung die Mitwirkungsrechte der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union gestärkt und verfassungsrechtlich abgesichert werden663 . Das Hauptmotiv für die Einführung des Art. 23 GG war jedoch das Bedürfnis, die Beziehungen Deutschlands zur Europäischen Union auf eine eigenständige und vor allem verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage zu stellen. Denn der mit dem Maastrichter Vertragswerk anvisierte Integrationsstand, insbesondere die geplante Errich662

Zum Begriff vgl. D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas,

663

Vgl. dazu näher oben 3. Kapitel B. II. 1. a).

s. 77 ff. (83).

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnonnen und -prinzipien

367

tung einer Wirtschafts- und Währungsunion, ließen es zweifelhaft erscheinen, ob die Europäische Union und ihre drei Gemeinschaften noch als "zwischenstaatliche Einrichtungen" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG angesehen werden konnten und damit diese Norm auch für das Zustimmungsgesetz zu diesem Vertragswerk eine ausreichende verfassungsrechtliche Ermächtigung bot664 . Verfassungssystematisch passend, zwischen der Bestimmung über die Bundesflagge (Art. 22 GG) und den Regelungen über die völkerrechtliche Einbindung der Bundesrepublik (Art. 24 bis 26 GG), erhielt der neue Europaartikel in symbolträchtiger Weise jenen Platz, an dem zuvor die verfassungsrechtliche Grundlage für die Herstellung der Einheit Deutschlands665 verankert war666 . Inhaltlich normiert Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG eine Staatszielbestimmung, die in Präzision und Regelungsintensität über das Bekenntnis zu einem vereinten Europa in der Präambel der Grundgesetzes hinausgeht667 , und eine Rechtspflicht668 der Bundesrepublik Deutschland, "zur Verwirklichung eines vereinten Europas [... ] bei der Entwicklung der Europäischen Union" mitzuwirken. Darüber hinaus enthält die Vorschrift jedoch auch eine "materielle Schranke der Integrationsermächtigung"669 in Form einer Struktursicherungsklausel670, die die deutsche Mitwirkungspflicht davon abhän664 Vgl. zu diesem Motiv eingehend G. Verheugen , Redebeitrag, PI. Prot. 12/126, S. 10834; ders., ZG 1993, S. 162ff. (162); insgesamt zu der Diskussion um die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung in der Gemeinsamen Verfassungskommission K. Schmalenbach, Der neue Europaartike1 23 des Grundgesetzes, S. 32ff., 41 ff. (et passim); BT-Drs. 12/6000, S. 20; R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 3; A. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 Abs. 1, Rz. 200; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 23, Rz. 1; ders., NJW 1992, S. 2593ff. (2593); H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 23, Rz. 1.; U. Di Fabio, Der Staat 1993, S. 191 ff. (191 ff.); S. Hölscheidt!T. Schotten, DÖV 1995, S. 187ff. (187f.). Die Notwendigkeit einer gegenüber Art. 24 Abs. 1 GG veränderten Fassung für die Zustimmung zum Maastrichter Vertragswerk bestreitet C. D. Classen, ZRP 1993, S. 57ff. (57 FN 2). P. Kunig, in: FS für den Carl Beymanns Verlag, S. 591 ff. (591 FN 2), läßt die Frage der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung offen. 665 Art. 23 GG alte Fassung wurde durch Art. 4 Nr. 2 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990, BGBI. II S. 889, aufgehoben. 666 Auf diesen politischen Zusammenhang verweist unter anderen R. Scholz, NJW 1992, S. 2593ff. (2594); ders., in: Maunz/Dürig, Art. 23, Rz. 1. 667 Vgl. dazu R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 10.; C. Heitsch, EuGRZ 1997, s. 461 ff. (462). 668 Auch die Qualifizierung des Art. 23 Abs. 1 GG als Staatszielbestimmung und sein Verpflichtungscharakter sind unstreitig. BT-Drs. 12/6000, S. 20; vgl. auch statt aller R. Streinz, ibd., Rz. 10; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 23, Rz. 4; C. Heitsch, ibd., S. 463. 669 So R. Streinz, ibd., Rz. 12. 670 Während hinsichtlich der Sache und der Funktion der Bestimmung Einigkeit besteht, gehen die Bezeichnungen auseinander. Im Anschluß an BT-Drs. 12/6000, S. 20, sprechen einige Autoren von "Struktursicherungsklausel". So R. Scholz, NJW

368

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

gig macht, daß die Europäische Union "demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet". Damit ist das Subsidiaritätsprinzip formal zunächst Bestandteil der StruktursicherungsklauseL Diese ist abgesehen von dem Fehlen des republikanischen Elements und dem hinzugefügten Grundsatz der Subsidiarität inhaltlich der innerstaatlichen Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG nachgebildet671 . Gleichzeitig umfaßt Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG als "Verfassungsbindungsklausel"672 "im wesentlichen"673 die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Essentialia deutscher VerfassungsstaatlichkeiL Damit erfüllt die Bestimmung eine rechtliche wie politische Funktion. Buropapolitisch "dokumentiert" sie, "welche Strukturen die Bundesrepublik Deutschland im vereinigten Europa anstrebt"674, verfassungsrechtlich enthält die Norm gleichermaßen ein Gebot an die zuständigen deutschen Organe, an der Errichtung einer den genannten Anforderungen genügenden Europäischen Union mitzuwirken, wie ein Verbot der Mitwirkung an einer Union, die diese Voraussetzungen nicht oder nicht mehr erfüllt675 . Die über die "negativ-grenzziehende" Funktion hinausgreifende "positiv-richtungsweisende"676 Zielsetzung enthüllt sich dabei besonders in dem vom "Maßgabevorbehalt"677 für das politische Gestaltungsermessen der Bundesorgane mitumfaßten Subsidiaritätsprinzip, das nicht zu den unabänderbaren Grundsätzen des Art. 79 Abs. 3 GG gehört. Auch die ihm zugedachte Sicherungsgarantie für die kommunale Selbstverwaltung678 nimmt dem Subsidiaritätsprinzip nicht seinen richtungsweisenden Charakter679 . 1992, S. 2593ff. (2598); ders. in: Maunz/Dürig, Art. 23, Rz. 5; F. Ossenbühl, DVBI. 1993, S. 629 ff. (633); andere von "Strukturklausel" so R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 16; P. Wilhelm, BayVBI. 1992, S. 705ff. (706). D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 ff. (84), wählt deutlicher den Begriff "Integrationsschranke". 671 Auf diese Parallele verweist zu Recht D. Merten, ibd., S. 86, der jedoch wegen der einseitigen Bindungswirkung des Art. 23 GG für die deutschen Staatsorgane von einer "hinkenden Homogenitätsklausel" spricht. 672 Vgl. die Terminologie bei R. Breuer, NVwZ 1994, S. 417ff. (421f.), der zwischen "Struktursicherungsklausel", die bei der "Offensive der Europäisierung", und der "Verfassungsbindungsklausel", die bei der "Defensive der Grundgesetzes" ansetze, differenziert. 6 73 So BT-Drs. 12/6000, S. 20. 674 Vgl. dazu die Ausführungen der Bundesregierung in BT-Drs. 12/3338, S. 4. 675 Bezeichnenderweise fehlt in der amtlichen Begründung der Hinweis auf die Verbotswirkung. Vgl. BT-Drs. 12/6000, S. 19ff. 676 Zu den Begriffen vgl. 0. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, Art. 23, Rz. 17. 677 Zum Begriff R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 16. 678 Vgl. dazu BT-Drs. 12/6000, S. 20.

E. Das Verhältnis zu anderen Rechtsnonnen und -prinzipien

369

Funktion und Bedeutung dieses Grundsatzes erschließen sich jedoch erst vollkommen, wenn man sich die dargelegten Bemühungen der Bundesregierung und der deutschen Länder um eine Beschränkung der Regelungsbefugnisse der Gemeinschaft680 und eine Sicherung der föderalen Struktur Deutschlands im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses vergegenwärtigt. Nimmt man die zwar unzutreffende681 , aber gerade in der deutschen und Österreichischen Diskussion verbreitete Auffassung einer zwingenden oder gesetzmäßigen Verbindung von Subsidiarität und Föderalismus682 hinzu, dann wird verständlich, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber im Subsidiaritätsgrundsatz ein Instrument erblickt, mit dem sich das Anliegen gemeinschaftlicher Kompetenzbegrenzung und das einer Absicherung des deutschen Föderalismus verbinden läßt. Der zuletzt genannte Aspekt gewinnt um so größere Bedeutung, als die deutschen Bemühungen um eine Verankerung des Föderalismusbegriffs im neuen EGVertrag nicht zuletzt am Widerstand Großbritanniens gescheitert sind683 . Dem Aufgreifen des in Art. 5 Abs. 2 EGV festgeschriebenen Subsidiaritätsprinzips in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG684 kommt daher im Gegensatz zu den übrigen Elementen der Struktursicherungsklausel, die auf den unmittelbaren Schutz spezifischer Verfassungsgrundsätze gerichtet sind, instrumentelle Bedeutung zu. Die Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität ist nicht Selbstzweck, sondern dient in erster Linie der Bewahrung der föderativen Strukturen und vor allem dem Schutz der Kompetenzen der deutschen Länder685 . Während sich das Subsidiaritätsprinzip als Bestandteil einer verfassungsrechtlichen Norm in der Beschränkung seiner Rechtsbindungswirkung auf den innerstaatlichen Bereich nicht von den übrigen Elementen der 679 Zudem hätte eine ausdrückliche Erwähnung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie in Art. 23 Abs. 1 GG eine größere Schutzwirkung für dieses Rechtsinstitut bewirken können als die bloße Bezugnahme auf die Auffassung der Berichterstatter in der Gesetzesbegründung. H. Schnoor, selbst einer dieser Berichterstatter der Gemeinsamen Verfassungskommission, in: Reiner Timmennann (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, S. 87 ff. (89), hegt Zweifel, daß es gelingen könnte, den Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung auf europäischer Ebene zu etablieren. 680 Vgl. dazu oben 3. Kapitel B. II. I. a). 6 8 1 Vgl. dazu oben 2. Kapitel B. und C. V. 682 Vgl. dazu oben ibd. 683 Vgl. dazu W. Hummer, ZfRV 1992, S. 81 ff. (82ff.), der in einer synopsenartigen Übersicht die verschiedenen deutschen Vorschläge zur Verankerung des Föderalismusbegriffs im neuen EG-Vertrag auflistet. 684 Auf den Bezug zu Art. 5 EGV verweist auch die amtliche Begründung in BT-Drs. 12/6000, S. 20. 685 Vgl. dazu die Beanstandungen des Bundesrates an den Maßnahmen der Kommission im "Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 1997 (Subsidiaritätsbericht 1997)" BT-Drs. 13/11074, vom 17.06.1998, S. 2. 24 Moersch

370

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. l Satz 1 GG unterscheidet, kommt ihm im Vergleich zu diesen eine größere politische Bedeutung gegenüber den Gemeinschaftsorganen zu. Mit ihm mahnt das Grundgesetz die Beachtung und die Einhaltung eines neuen, umstrittenen, wenn auch gemeinschaftsrechtlich verbindlichen Grundsatzes an. Die Prinzipien der Demokratie, der Rechts- und Sozialstaatlichkeil sind dagegen im Kern auf europäischer Ebene unstreitig und zudem fester Bestandteil der Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten686. Schließlich kann die Affinität von Subsidiaritäts- und föderalistischem Grundsatz auch das Problem der Interpretation der Verpflichtungen der Europäischen Union auf das föderative Prinzip entschärfen. Da Art. 79 Abs. 3 GG die Bundesstaatlichkeil Deutschlands zu den änderungsfesten Grundsätzen des Grundgesetzes erklärt, mußte sich auch der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Einführung der Integrationsklausel zur bundesstaatlichen Ordnung bekennen und darf der integrationswillige (einfache) Gesetzgeber dieses Prinzip nicht preisgeben687 . Mit Rücksicht auf das Wesen der Europäischen Gemeinschaften als supranationale Organisationen und die andersartigen Staatsorganisationsformen der meisten anderen Mitgliedstaaten enthält Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG eine Verpflichtung auf den gegenüber dem Bundesstaat weiteren Begriff des Föderalismus688 . Folgerichtig verlangt die Vorschrift von den Gemeinschaften die Achtung der Bundesstaatlichkeit Deutschlandes und die Rücksichtnahme auf seine föderativen Strukturen689. Im Schrifttum wird darüber hinausgehend diese Bestimmung zum Teil als "missionarischer Auftrag" an die Bundesorgane verstanden, sich für die Schaffung föderativer Strukturen im Rahmen der Europäischen Union einzusetzen690. So sieht Scholz in Art. 23 Abs. I Satz I GG ein "ausdrückliches" Bekenntnis "zu einem dreistufigen Aufbau der Europäischen Union [.. .]", an dessen Fortentwicklung die zuständigen Bundesorgane mitzuwirken hätten. Rojahn entnimmt der Bestimmung "eine Verpflichtung [... ], auf eine institutionelle Entwicklung des Regionalismus im Gemeinschaftsrecht 686 Dem steht nicht entgegen, daß die deutsche Bevölkerung im Europäischen Parlament hinsichtlich der von ihr entsandten Mandatsträger unterrepräsentiert ist und daß sich die britischen Vorstellungen einer "rule of law" und die französische Auffassung vom "etat de droit" (Legalitätsprinzip) nur zum Teil mit dem deutschen Rechtsstaatsbegriff decken. So auch U. Everling, DVBI. 1993, S. 936ff. (944). 687 Dies ist unstreitig. Vgl. statt aller F. Ossenbühl, DVBI. 1993, S. 629ff. (631). 688 Vgl. BT-Drs. 12/6000, S. 20. 689 So auch BVerfGE 89, 155 [202]. 690 Vgl. R. Scholz, NJW 1992, S. 2593ff. (2599), deutlich zurückhaltender ders., in: Maunz/Dürig, Art. 23, Rz. 62 ff., wo er der Norm nur die Forderung nach einem "dezentralen Aufbau der EU" entnimmt und im übrigen den Schutzcharakter für die deutsche Bundesstaatlichkeit stärker hervorhebt.

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

371

hinzuwirken"691 . Hinter diesen Interpretationsversuchen steht die Vermutung, daß sich die Bedeutung des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in der Bewahrung des bundesstaatliehen Gefüges erschöpfen könne692. Eine über diese Funktion hinausgehende Bedeutung der Struktursicherungsklausel läßt sich jedoch weder der Norm selbst noch der amtlichen Begründung entnehmen693, die lediglich auf Art. 79 Abs. 3 GG verweist694. Daher erscheint es sachangemessener zu sein, die Verpflichtung der Gemeinschaft auf die föderativen Grundsätze im Sinne einer Rücksichtnahmepflicht auf die deutsche Verfassungslage zu betrachten. Gleichzeitig sollte versucht werden, durch ein Beharren auf der strikten Einhaltung des auch in Art. 2 Abs. 2 EUV und Art. 5 Abs. 2 EGV für die Union und die Europäische Gemeinschaft verbindlichen Subsidiaritätsprinzips eine Kompetenzstruktur zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten herbeizuführen, die es erlaubt, die Vorzüge föderativer Vielfalt überzeugend darzutun. Dies hindert Deutschland nicht, zugleich für den Föderalismus als Organisationsstruktur zu werben und entsprechende Bestrebungen in anderen Unionsstaaten zu unterstützen. Wer demgegenüber im oben genannten Sinne in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG eine Rechtspflicht Deutschlands, sich für die Schaffung und den Aufbau föderativer Strukturen auf europäischer Ebene einzusetzen, sieht, muß erklären, welche Vorstellungen er von der künftigen Gestalt einer Europäischen Union hat, in der die übrigen Mitgliedsstaaten die gleiche Einflußnahme auf die Strukturen dieser Union einfordern.

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips im Recht der Europäischen Gemeinschaft I. Würdigung bisheriger Lösungskonzepte Sowohl in offiziellen Dokumenten695 als auch in der Literatur finden sich zum Teil sehr unterschiedliche Vorschläge zur Konkretisierung und Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV. Diese lassen sich vor dem Hintergrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse zu Gruppen zusammenfassen, was eine eingehende Einzelbetrachtung weitgehend entbehrlich macht. 691 0. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Art. 23, Rz. 29, dagegen R. Breuer, NVwZ 1994, S. 417ff. (425), krit. auch P. Badura, FS für Peter Lerche, S. 369ff. (389). 6 92 0. Rojahn, ibd. und R. Breuer, ibd. 693 Im Ergebnis ebenso U. Everling, DVBI. 1993, S. 936ff. (944ff.), R. Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz. 35. 694 BT-Drs. 12/6000, S. 20. 69S Vgl. etwa die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament [. ..], abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, s. ll2ff. (l15ff.).

24•

372

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Eine in verschiedenen Varianten und mit unterschiedlichen Schwerpunkten vertretene These geht davon aus, daß die bestehenden gemeinschaftsvertraglichen Instrumentarien ausreichen, den Subsidiaritätsgrundsatz adäquat umzusetzen696. Wegen der Einzelheiten kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden697, da sich diese Vorstellungen weitgehend mit jenen Ansichten decken, die den Subsidiaritätsgedanken als einen schon vor dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertragswerkes geltenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts betrachten. Es wurde bereits dargelegt, daß lediglich das in Art. 249 Abs. 3 EGV genannte Instrument der Richtlinie sowie das Herkunftslandprinzip, verbunden mit dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung, gewisse Parallelen zum Subsidiaritätsgedanken aufweisen. Bei den übrigen genannten Vorschriften und Grundsätzen lassen sich bei genauerer Betrachtung keine überzeugenden Zusammenhänge zur Subsidiaritätsidee herstellen. Dies gilt namentlich für das Prinzip begrenzter Einzelermächtigung698 und das Erfordernis einstimmiger Ratsentscheidungen699. Während ihre Ausrichtung auf ein Ziel das Instrument "Richtlinie" mit dem Subsidiaritätsgrundsatz verbindet, liegt dessen Affinität zum Anerkennungsprinzip lediglich in dem Ergebnis, Rechtsetzungsakte der Gemeinschaft zugunsten mitgliedstaatlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu beschränken. Zu beachten ist jedoch, daß Art. 249 Abs. 3 EGV den Mitgliedstaaten zwar die Wahl der Form und der Mittel der Zielverwirklichung freistellt, der Gemeinschaft aber die Kompetenz, rechtsverbindliche Zielsetzungen vorzugeben, zuweist. Soweit man jedoch - wie hier - davon ausgeht, daß das zentrale Problem bei der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV gerade in der Definition und Festlegung gemeinschaftlicher Ziele besteht, zeigt sich, daß die Richtlinie als Rechtsetzungselement zur Lösung dieses Problems nichts beizutragen vermag. Vielmehr kann eine Gemeinschaftsrichtlinie erst dann erlassen werden, wenn die im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 EGV anzustellende Prognose ergeben hat, daß ein festgelegtes Ziel "nicht ausreichend" von den Mitgliedstaaten verwirklicht werden kann und im konkreten Fall ein Gemeinschaftshandeln erforderlich ist. Bei dieser Sachlage ist dann zu prüfen, ob ggf. der Erlaß einer Richtlinie mit Blick auf den Schutz mitgliedstaatlicher Kompetenzen als das gegenüber einer Verordnung mildere Mittel in Betracht kommt. Dies sind aber Überlegungen, die typischerweise im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 EGV anzustellen sind. Als besondere Form gemeinschaftlicher Rechtsetzung knüpft Art. 249 Abs. 3 EGV somit an ein bestimmtes Ergebnis der Subsidiaritätsprüfung des Art. 5 Abs. 2 696 697 698

699

Vgl. dazu oben 3. Kapitel B. li. 2. a) und b). 3. Kapitel B. 2. a) aa) bisff. Vgl. dazu 3. Kapitel B. II. 2. a) aa). Vgl. dazu 3. Kapitel B. li. 2. a) bb).

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

373

EGV an. Daran wird deutlich, daß die Richtlinie nicht als Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips angesehen werden kann. Bei der Betrachtung des Anerkennungsgrundsatzes ergibt sich der gleiche Befund unter umgekehrten Vorzeichen. Materielle Kriterien zur Entscheidung der Frage, ob mitgliedstaatliches Handeln zur Zielerreichung genügt und damit auf das Herkunftslandprinzip zurückgegriffen werden kann, liefert dieses Instrument ebensowenig, wie es ein Verfahren aufzeigt, mit dem das Problem der Zielbestimmung in Art. 5 Abs. 2 EGV gelöst werden kann. Auch der Anerkennungsgrundsatz setzt inhaltlich eine Entscheidung über die Frage mitgliedstaatlicher Handlungsbefugnis voraus. Während sich Art. 249 Abs. 3 EGV darauf beschränkt, nach Feststellung einer gemeinschaftlichen Handlungsermächtigung diese auf die Normierung eines verbindlichen Ziels zu begrenzen und den Mitgliedstaaten die Wahl der Mittel freizustellen, erschöpft sich der Regelungsgehalt des Anerkennungsprinzips darin, bei Annahme mitgliedstaatlicher Regelungszuständigkeit die gegenseitige Anerkennung der unterschiedlichen nationalen Bestimmungen anzuordnen. Damit sind beide Verfahren zwar darauf angelegt, das Spannungsverhältnis zwischen nationaler Identität und gemeinschaftlicher Integration abzubauen, eine Umsetzung des Subsidiaritätsgedankens kann in ihnen aber nicht gesehen werden. Eine weitere Gruppe von Vorschlägen zur Operationalisierung des Subsidiaritätsprinzips bilden die sog. Prüfraster700. Gemeinsam ist diesen Konzepten der Versuch, die Einhaltung des Art. 5 Abs. 2 EGV mittels abgestufter Kriterienkataloge zu überprüfen. Ungeachtet ihrer überzeugenden Konkretisierungsleistung weisen diese Überlegungen eine entscheidende Schwäche auf. Sie bedürften zu ihrer Wirksamkeit der Verankerung als verbindliche Handlungsvorgaben in den Geschäftsordnungen der Gemeinschaftsorgane oder in den Gemeinschaftsverträgen. Dies erscheint jedoch auf absehbare Zeit europapolitisch nicht durchsetzbar, was wiederum verschiedene Ursachen hat. Zunächst laufen diese Modelle auf eine Konkretisierung des Subsidiaritätsgrundsatzes im Sinne des deutschen Verständnisses hinaus. Als solche stoßen sie auf Ablehnung bei den Gegnern dieser Interpretation701 . Hinzu kommt, daß auch die Vorgehensweise, durch gene700 Vgl. hierzu statt aller das in der Anlage zu § 85 a GGO II enthaltene Prüfraster der Bundesministerien vom 10. Dezember 1993 (vgl. auch den Materia1band, S. 108, zum Abschlußbericht des Sachverständigenrates "Schlanker Staat"), leicht erweitert gegenüber dem Modell der Bundesregierung das Prüfraster der Bayerischen Staatsregierung vom 9. Februar 1993, abgedr. bei r. Goppel, EuZW 1993, S. 367ff. (368). Ferner/. E. Schwartz, AfP 1993, S. 409ff. (416). Ausführlicher das von C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 243 ff., aufgeführte Schema. 701 Vgl. zu den gegenteiligen Auffassungen und dem unterschiedlichen Grundverständnis des Subsidiaritätsgedankens oben 3. Kapitel B. II. 1. und C. II. bis VI.

374

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

reH-abstrakte Regelungen genau festgelegte Verfahrensweisen verbindlich festzuschreiben und so den politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum zugunsten einer rechtlich determinierten und vorhersehbaren Entscheidung aufzugeben, in vielen Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen auf Widerstand stößt. Als Beleg hierfür kann darauf verwiesen werden, daß es erst in dem auf der Regierungskonferenz von Amsterdam verabschiedeten "Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit"702 - also vier Jahre nach Aufnahme des Art. 5 EGV in das geltende Gemeinschaftsrecht - gelungen ist, den kumulativen Charakter der beiden in Art. 5 Abs. 2 EGV genannten Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Gemeinschaft verbindlich festzuschreiben. Schließlich gilt es zu berücksichtigen, daß der Subsidiaritätsgrundsatz schon eine große inhaltliche Veränderung vor allem der Kommissionsarbeit mit sich bringt. Wenn dieses Prinzip darüber hinaus auch noch umfangreiche Verfahrensmodifikationen erforderlich machte, könnte dies zu einer inneren Blockadehaltung bei den Organwaltem der Europäischen Union führen, was angesichts der dargelegten weitgehenden Abhängigkeit des Subsidiaritätsprinzips von den persönlichen Einstellungen der Anwender nicht unterschätzt werden sollte. Diese Überlegungen lassen auch die "Prüfraster" nicht als geeignetes Instrument zur Konkretisierung des Art. 5 Abs. 2 EGV erscheinen. In die gleiche Richtung wie die Prüfschemata zielt auch der Versuch, die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft durch sog. Subsidiaritäts- oder Kompetenzkataloge zu beschränken. Grundgedanke ist hierbei, thematisch bestimmte Bereiche festzulegen, die ausschließlich nationaler Regelung vorbehalten bleiben sollen, also von der Gemeinschaftsrechtsetzung unberührt bleiben703 • Ebenso wie bei den "Prüfrastem" wird auch bei den "Katalog(en) von Ausschließungsregeln"704 versucht, im Wege allgemeinverbindlicher materieller Vorgaben die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die Gemeinschaft zu erreichen. Die Prüfungsschemata wollen dies durch eine weitgehende Determination des Verfahrens sicherstellen, die Kompetenzkataloge greifen dagegen auf eine enumerative Festlegung von Sachgebieten zurück. Doch überzeugt auch dieses Konzept nicht. Zunächst erscheint es mit Blick auf den Streit über die Auslegung des Begriffs der "ausschließlichen Zuständigkeiten" in Art. 5 Abs. 2 EGV äußerst fraglich, ob es gelänge, einen gemeinschaftsrechtlich verbindlichen Katalog "ausschließlich nationaler Kompetenzen" festzuschreiben, der einerseits inhaltlich den Vorstellungen Deutschlands und seinen Ländern entspräche und andererseits auf 702 Vgl. dazu Punkt 5 des genannten Protokolls. Text abgedr. bei K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. (163). 703 Vgl. zu diesen Überlegungen H. D. Jarass, EuGRZ 1994, S. 209ff. (218); D. Grimm, Krit.V 1994, S. 6ff. (11). 704 Zum Begriff D. Grimm, ibd.

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

375

Unionsebene konsensfahig wäre. Von diesen Unwägbarkeilen abgesehen liefe eine solche Liste exklusiver Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten faktisch auf eine partielle Umkehrung des Grundsatzes begrenzter Einzelermächtigung und der Begrtindungspflicht hinaus. Nicht die Gemeinschaft müßte im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 EGV die Notwendigkeit ihres Handeins begründen und rechtfertigen, sondern die Mitgliedstaaten müßten darlegen, daß eine geplante Gemeinschaftsmaßnahme unzulässigerweise in die ihnen allein vorbehaltenen Regelungsbereiche eingreift. Ein solcher Einwand sähe sich wiederum - begrundet oder unbegründet - dem Vorwurf ausgesetzt, für die Weiterentwicklung der Europäischen Union essentielle Maßnahmen zu blockieren. Aus diesem Grunde wäre ein "Katalog von Ausschließungsregeln" nur zusammen mit einer "Öffnungsklausel" durchsetzbar, die in AusnahmeHHlen doch ein Eingreifen in die Exklusivzuständigkeiten der Mitgliedstaaten erlaubte. Damit wäre dann jedoch die gleiche Situation gegeben, die Anlaß war, das Subsidiaritätsprinzip in den EG-Vertrag einzuführen. Der Unterschied bestünde lediglich darin, daß das Problem kompetenzüberschreitender Gemeinschaftsmaßnahmen eine ausdruckliehe vertragliche Regelung erführe. Im übrigen wäre davon auszugehen, daß sich die Mitgliedstaaten um eine extensive Auslegung ihrer "Reservatrechte" bemühten, während die Gemeinschaftsorgane eine weitreichende Interpretation ihrer funktionsbezogenen Kompetenzen geltend machten. Insgesamt ist das Verhältnis von gegenstandsbezogenen "Ausschlußregelungen" und funktionalen Gemeinschaftskompetenzen noch ungeklärt. Dies verdeutlicht ein Blick auf die in den Art. 149 Abs. 4, 150 Abs. 4 und 151 Abs. 5 EGV ausgesprochenen Harmonisierungsverbote. Unstreitig erlauben diese Vorschriften keine Harmonisierungen bei Maßnahmen, die auf diese Ermächtigungsgrundlagen gestützt sind705 • Keineswegs sicher ist jedoch, daß nicht Harmonisierungsmaßnahmen, die auf der Grundlage anderer Kompetenztitel - insbesondere etwa auf den Binnenmarktzuständigkeiten der Gemeinschaft - erlassen werden, nicht doch in die den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Materien eingreifen706. Daß die Gemeinschaftsorgane in den genannten Regelungen keine umfassenden Harmonisierungsverbote sehen, ergibt sich sowohl aus der Stellungnahme des Europäischen Rates von Edinburgh707 als auch aus der Tatsache, daß die jüngst erlassene Richtlinie Vgl. statt aller H. -J. Blanke, in: Grabitz/Hilf, Art. 126, 127, Rz. SOff. Von einem solchen umfassenden Harmonisierungsverbot geht aber offenbar D. Grimm, Krit.V 1994, S. 6 ff. (II ), aus, wenn er die genannten Vorschriften dahingehend auslegt, daß sie Gemeinschaftsregelungen selbst dann ausschlössen, "wenn Ziele des gemeinsamen Marktes berührt sind". 707 Vgl. dazu die Schlußfolgerungen des Vorsitzes, EA 1993, D, S. 1 ff. (9), "Harmonisierungsmaßnahmen (dürfen) im Sinne der spezifischen Ziele der Artikel 126 bis 129 nicht auf Art. 235 gestützt werden. Dies heißt jedoch nicht, {. .. ] daß andere Ziele der Gemeinschaft, (die) durch andere Artikel des Vertrags als die Arti705

706

376

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

für ein vollständiges Werbeverbot für Tabakerzeugnisse708 , die eindeutig gesundheitspolitische Ziele verfolgt, "in erster Linie auf das Funktionieren des Binnenrnarktes"709 abstellt710. Es sind mithin begründete Zweifel an der Wirksamkeit von Katalogen exklusiver mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten angebracht. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu der oben erhobenen Forderung, das Tatbestandsmerkmal der "ausschließlichen Gerneinschaftszuständigkeiten" in Art. 5 Abs. 2 EGV durch einen nach den bezeichneten Kriterien aufgestellten Kompetenzkatalog zu konkretisieren711 . Denn die Festlegung exklusiver Gemeinschaftskompetenzen steht dem Integrationsgedanken nicht entgegen, sondern wirkt immer nur zu Lasten der Gemeinschaftsglieder. Da diese sich aber von den Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane zumeist in sehr unterschiedlichem Maße beeinträchtigt fühlen, besitzen die Kompetenzen und Maßnahmen der Gerneinschaft regelmäßig eine höhere Akzeptanz bei der Mehrheit der Mitgliedstaaten als Handlungen und Regelungen der übrigen nationalen Gesetzgeber und Verwaltungen712 . Das bei Mitgliedstaaten wie Gemeinschaftsorganen verbreitete "Mißtrauen" gegenüber nationalen Regelungen und der bisweilen nicht unberechtigte Verdacht des Mißbrauchs mitgliedstaatlicher Regelungsbefugnisse zur Diskriminierung von Personen, Waren und Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten wird daher bei dem Versuch, nationale Exklusivzuständigkeiten für ganze Politikbereiche zu begründen, besonders ausgeprägt sein. Daher müssen mitgliedstaatliche "Reservatrechte" anders betrachtet werden als ausschließliche Gemeinschaftskornpetenzen. Ein sich von den bisherigen Umsetzungsvorschlägen unterscheidender Ansatz geht von einem prozeduralen Subsidiaritätsverständnis aus. Danach soll die Kommission ihr Initiativrecht in der Weise ausüben, daß sie Regelungshereiche bestimmt, die innerhalb einer von ihr festgelegten Frist von den Mitgliedstaaten unter Rückgriff auf das Herkunftslandprinzip, verbunden mit dem Gebot gegenseitiger Anerkennung, geregelt werden sollen. kel 126 bis 129 angestrebt werden, (sich) nicht auf diese Bereiche auswirken (dürfen)" (Hervorhebung durch den Verf.). 708 Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (98/C 91103), EG ABI. L 213 vom 30. Juli 1998. 709 So auch R. Wägenbaur, EuZW 1998, S. 33. 710 Vgl. zur Kritik an der Richtlinie statt aller T. Reher/M. Schöner, EWS 1998, s. 294ff. (296ff.). 711 Vgl. dazu oben 3. Kapitel D. I. 3. b) und c). 712 Signifikanten Ausdruck findet dies in der (bisher) ablehnenden Haltung der Regierungen der Mitgliedstaaten gegenüber dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung. Vgl. dazu oben 3. Kapitel D. III. 2. b).

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

377

Nach Ablauf der Frist schlägt die Kommission in den Bereichen, in denen die Mitgliedstaaten entweder keine ausreichenden Regelungen getroffen haben oder die gegenseitige Anerkennung nicht erreicht werden konnte, eigene von der Gemeinschaft zu treffende Maßnahmen vor. Diese erfahren durch die Defizite des mitgliedstaatliehen Handeins gleichermaßen ihre Legitimation wie ihre Begrenzung713 . Zustimmung verdient dieses Modell zunächst wegen seines prozeduralen Ansatzes, der ohne weitreichende, politisch nicht durchsetzbare materielle Vorgaben auskommt. Darüber hinaus geht auch der Versuch, den Mitgliedstaaten ausreichende politische Gestaltungsbefugnisse einzuräumen und diese mit dem Initiativrecht der Kommission zu verbinden, in die richtige Richtung. Gleiches gilt für die Beschränkung des Gemeinschaftshandeins auf eine Ergänzungsfunktion. Auch stellt das Konzept Langers den unauflösbaren Zusammenhang von Subsidiaritäts- und Anerkennungsprinzip heraus. Dennoch weist der Vorschlag Langers einige Schwächen auf. So erscheint es kaum möglich, das Initiativrecht der Kommission auf die Vorgabe von Aufgabenbereichen zu beschränken, die von den Mitgliedstaaten geregelt werden sollen. Dieses Verfahren differenziert nicht zwischen Ziel und Mittel, so daß es der Kommission unbenommen ist, über eine entsprechende Auswahl von Aufgaben schon wesentlichen Einfluß auf die Möglichkeiten mitgliedstaatlicher Regelung zu nehmen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, der Gemeinschaft pauschal die Befugnis für alle Ergänzungsregelungen zuzuweisen, bei denen die mitgliedstaatliehen Maßnahmen Defizite aufweisen. Denn dies führte im Ergebnis dazu, daß die Staaten, die sich einer Problemlösung auf Ebene der Mitgliedstaaten vollständig verschließen oder die gegenseitige Anerkennung nationaler Regelungen kategorisch ablehnen, letztlich über die Reichweite gemeinschaftlicher bzw. mitgliedstaatlicher Gestaltungsmacht entscheiden könnten. Damit hinge aber die Reichweite der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips unter Umständen sogar von einer Minorität von Mitgliedstaaten ab. Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß wegen der Vielfalt der der Gemeinschaft übertragenen Aufgaben und der daraus resultierenden unterschiedlichen Ziele und Maßnahmen eine prozedurale Umsetzung des Subsidiaritätsgedankens erheblich bessere Ergebnisse verspricht, als der Versuch, - über wie auch immer- festgelegte verbindliche materielle Vorgaben eine Einhaltung des Art. 5 Abs. 2 EGV erzwingen zu wollen. Hinzu kommt, daß diese Konzepte auf die beschriebenen Widerstände bei den Gegnern des Subsidiaritätsgrundsatzes stoßen müssen. 713

Vgl. zu dieser KonzeptionS. Langer, ZG 1993, S. 193ff. (208f.).

378

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

II. Lösungsvorschlag Vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Merkmale und Besonderheiten, die dem Subsidiaritätsprinzip allgemein sowie in der speziellen Fassung des Art. 5 Abs. 2 EGV eigen sind, und unter Berücksichtigung der politischen und rechtlichen Ausgangs- und Rahmenbedingungen des europäischen Integrationsprozesses und der Gemeinschaftsverträge soll im folgenden ein Umsetzungsvorschlag unterbreitet werden, der dem Anliegen des Subsidiaritätsprinzips gebührend Rechnung trägt. Dabei wird insbesondere der dargelegten Zielabhängigkeit dieses Grundsatzes ein besonderes Gewicht beigemessen. Anknüpfend an die bisherige Praxis und die erklärte Absicht der Kommission, im Vorfeld geplanter Maßnahmen verstärkte Konsultationen mit den Mitgliedstaaten zu führen714, sollte diese in einem ersten Schritt einen Katalog von kurz-, mittel- und langfristig zu verwirklichenden Zielen der Gemeinschaft vorschlagen. Dies könnte etwa in Form von Weiß- oder Grünbüchern geschehen, zu denen dann die Mitgliedstaaten innerhalb einer angemessenen Frist Stellung nehmen können. Diese Handlungsziele müssen eine eindeutige Zuordnung zu den vertraglichen Aufgaben der Gemeinschaft aufweisen und dürfen nicht lediglich die Schaffung unionsweit einheitlicher Regelungen zum Inhalt haben. Darüber hinaus ist strikt zwischen bloßen Zielen und Mitteln zu ihrer Erreichung zu unterscheiden. Nach Ablauf der Frist legt die Kommission ihren Zielkatalog unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Mitgliedstaaten dem Rat und dem Europäischen Parlament vor, wobei über die einzelnen Ziele entsprechend den im EG-Vertrag für die einzelnen Materien vorgesehenen Verfahren und mit den jeweiligen Quoren abgestimmt wird. Damit werden die Ziele für die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten verbindlich. Den von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen kommt dagegen in diesem Verfahrensstadium lediglich unverbindlicher Beispielcharakter zu. Auf der Grundlage der Ratsbeschlüsse715 erhalten die Mitgliedstaaten wiederum fristgebunden - die Gelegenheit, eigene Vorschläge zur Umsetzung der nunmehr verbindlichen Gemeinschaftsziele auf nationaler Ebene 714 Vgl. dazu Ziffer 2 des Anhangs ,,Das Subsidiaritätsprinzip" zur "Mitteilung [... ], abgedr. bei Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 112ff. (116), wo die Kommission etwas ungenau von "[... ] umfassenden Konsultationen mit den zuständigen Kreisen [...]" spricht; sowie den Bericht der Kommission an den Europäischen Rat über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1994", KOM (94) 533 endg. vom 25. November 1994, S. 6, 16, in der durch das Dokument KOM 533 endg./2 vom 29. November 1994 korrigierten Fassung. 715 Anmerkung: Angesichts der Themenvielfalt müßte der Rat die Beschlüsse in unterschiedlicher Zusammensetzung der Fachminister treffen oder als Rat der Staats- und Regierungschefs, soweit nicht eine entsprechende Vertretungsregelung

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

379

zu machen. Die Lösungskonzepte müssen mit Blick auf die Ziele angemessen sein. Das bedeutet, daß die geplanten Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Rahmen der anzustellenden Prognose des Art. 5 Abs. 2 EGV eine "ausreichende" Zielverwirklichung in einer angemessenen Zeitspanne erwarten lassen müssen. Parallel dazu arbeitet die Kommission ebenfalls Umsetzungsmaßnahmen aus, die als dispositives Gemeinschaftsrecht in den vertraglich vorgesehenen Verfahren und mit den entsprechenden Mehrheiten vom Europäischen Parlament und dem Rat gebilligt werden müssen. Im Regelfall wird die Kommission hierzu lediglich die bereits im Zusammenhang mit dem Zielkatalog als Beispiele angeführten Rechtsetzungsakte und Handlungsoptionen konkretisieren. Nach Ablauf der Frist leitet die Kommission die Regelungsvorschläge der Staaten zusammen mit einer eigenen Stellungnahme, in der sie sich dazu äußert, welche der geplanten nationalen Maßnahmen ihrer Auffassung nach vollständig, teilweise oder gar nicht geeignet sind, die jeweiligen Zielsetzungen zu realisieren, an das Europäische Parlament und den Rat weiter. Beide Organe prüfen die Umsetzungskonzeptionen und entscheiden dann wiederum nach Maßgabe der für die jeweilige Materie vorgesehenen Verfahren und den entsprechenden Mehrheiten, welche der mitgliedstaatliehen Lösungskonzepte eine "ausreichende", welche eine "nur zum Teil ausreichende" und welche eine "unzureichend" Zielverwirklichung erwarten lassen. Zugleich verabschiedet der Rat die von der Kommission ausgearbeiteten Rechtsetzungsakte als dispositives Gemeinschaftsrecht Die Staaten, deren Maßnahmen als "ausreichend" eingestuft wurden, werden auf der Grundlage des Ratsbeschlusses dazu verpflichtet, diese Konzepte in einer bestimmten Zeit umzusetzen. Diese sind dann automatisch und in vollem Umfang von den übrigen Unionsmitgliedern anzuerkennen. Jene Vorschläge der Mitgliedstaaten, die partielle Unzulänglichkeiten aufweisen, werden von der Kommission durch punktuelle Gemeinschaftsrechtsakte ergänzt oder modifiziert. Lediglich für jene Staaten, die innerhalb der Frist keine oder gänzlich ungeeignete Umsetzungsvorschläge vorgelegt haben, treten die von der Kommission erarbeiteten und vom Rat beschlossenen Instrumentarien in Kraft. Möglich wäre es auch, diesen Staaten die Übernahme eines als "ausreichend" angesehenen Lösungsmodells eines anderen Unionsmitgliedes zu gestatten. Jeder Mitgliedstaat kann ungeachtet der Frage, ob und welche Vorschläge für eigene Umsetzungsmaßnahmen er gemacht hat, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung des Art. 5 EGV in seinem vollen Umfang erheben. Dabei kann entsprechend dem hier vorgeschlagenen zweigefunden wird. In jedem Falle handelt es sich hierbei jedoch lediglich um ein technisches Problem und formal um mehrere Ratsbeschlüsse.

380

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

stufigen Verfahren zunächst gegen die Zielfestsetzungen der Gemeinschaft geklagt werden. Dies rechtfertigt sich aus der überragenden Bedeutung, die den Zielvorgaben für die Anwendung und Wirkung des Subsidiaritätsprinzips zukommt. Die Klagemöglichkeit gegen die Zielsetzungen ist insoweit jedoch inhaltlich auf die Geltendmachung spezifischer Subsidiaritätsbelange zu begrenzen, um die Gemeinschaft nicht bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten zu behindern. Daher kann der Europäische Gerichtshof in diesem Verfahrensstadium nur mit den Behauptungen angerufen werden, die Zielsetzungen ließen keine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten vertraglichen Ermächtigungsgrundlage erkennen oder die Ziele enthielten bereits Vorgaben für die Umsetzung, wodurch der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten unzulässigerweise eingeschränkt werde. Die allgemeine, nicht in einem speziellen Zusammenhang zu Art. 5 EGV stehende Unzuständigkeitsklage des Art. 230 Abs. I EGV bleibt hiervon unberührt. Gegen die Entscheidung der Gemeinschaft über die Geeignetheit der vorgeschlagenen nationalen Regelungen kann jeder Mitgliedstaat den Europäischen Gerichtshof anrufen, da wegen des zwingenden Erfordernisses gegenseitiger Anerkennung der schließlich umzusetzenden Rechtsakte automatisch stets alle Mitgliedstaaten betroffen sind. 111. Begründung

Dieses Konzept weicht lediglich in zwei Punkten von der bestehenden vertraglichen Rechtslage und der von den Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten geübten Praxis ab. Zum einen in der Trennung der Beschlußverfahren über die Zielsetzung künftiger Gemeinschaftspolitik und deren Umsetzungsmaßnahmen, zum anderen durch die Schaffung dispositiven Gemeinschaftsrechts, das auf der Ebene der Zielverwirklichung grundsätzlich hinter nationales Recht zurücktritt. Dem Initiativrecht der Kommission wird durch das ihr vorbehaltene Vorschlagsmonopol bei den Zielsetzungen künftigen Gemeinschaftshandeins Rechnung getragen. Die Kommission erhält hierdurch die Möglichkeit, die Gebiete, die Schwerpunkte, die Reihenfolge und den zeitlichen Rahmen künftiger Gemeinschaftspolitik zu bestimmen. Dabei unterliegt die Kommission lediglich den drei folgenden allgemeinen Beschränkungen. Die Forderung, die konkreten Ermächtigungsgrundlagen, auf die die einzelnen Ziele gestützt werden, zu bezeichnen, stellt nur eine Präzisierung der ohnehin bestehenden Begründungspflicht aus Art. 253 EGV dar716, die sich aus 716 Deren Notwendigkeit hat die bereits erwähnte Entscheidung in der Rechtssache C-233/94 vom 13. Mai 1997 deutlich zu Ausdruck gebracht. EuGH Slg. 1997 I, S. 2441 ff.

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

381

den "allgemeinen Grundsätzen ordentlicher Verwaltung"717 ergibt. Erforderlich ist weiterhin eine eindeutige Zuordnung der Ziele zu den vertraglichen Kompetenzvorschriften, weil diese den Gemeinschaftsorganen unterschiedlich weitreichende Befugnisse einräumen und verschiedene Ratsmehrheiten erfordern, so daß nur bei einer entsprechenden Nennung dieser Rechtsgrundlagen die Gemeinschaftsrechtskonformität einer Zielsetzung und der zu ihrer Umsetzung vorgeschlagenen Rechtsakte und Programme718 überprüft werden kann. Das Verbot, unionsweit einheitliche Regelungen als Selbstzweck anzustreben, folgt ebenso wie das Gebot strikter Trennung von Zielen und Mittel aus den beschriebenen Erfordernissen des Subsidiaritätsprinzips719 • Rechtsdogmatisch ergeben sich diese Vorgaben daher aus einer teleologischen Auslegung des Art. 5 Abs. 2 EGV. Das Letztentscheidungsrecht des Rates über die von der Gemeinschaft angestrebten Ziele ergibt sich schon aus der allgemeinen Aufgabenzuweisung des Art. 202 EGV an dieses Organ. Zudem handelt es sich hierbei um eine Aufspaltung der bisherigen Entscheidung über eine Gemeinschaftsmaßnahme in zwei Einzelentscheidungen, differenziert nach Zielsetzung und Umsetzungsmaßnahmen. Während bei der Zielbestimmung das Initiativrecht der Kommission das maßgebende Verfahrensmerkmal ist, das nur insoweit begrenzt wird, wie dies erforderlich ist, um ein mögliches Leerlaufen des Subsidiaritätsprinzips zu vermeiden, kommen bei der Entscheidung über die Zielerreichung die spezifischen Anforderungen und Besonderheiten des Subsidiaritätsprinzips als einer Kompetenzausübungsregel des Gemeinschaftsrechts zur Geltung. Demgemäß treten die Gemeinschaftsmaßnahmen gegenüber den mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschlägen zurück und werden nur subsidiär als ergänzende, unterstützende oder im Falle unzureichender nationaler Aufgabenerfüllung als ersetzende Regelungen angewandt. Diese Vorgehensweise trägt den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 EGV ebenso Rechnung wie den heterogenen Integrationsvorstellungen der Mitgliedstaaten, ihren unterschiedlichen Rechtsordnungen und Problemlösungsstrategien. Das aus der eindimensionalen Betrachtung von "höherer" und "niedrigerer" Handlungsebene resultierende Problem der Indifferenz des Subsidiaritätsprinzips 717 Vgl. zu diesem Begriff EuGH Slg. 1980, S. 1677ff.; T. Oppermann, Europarecht, Rz. 486. 718 Eine Ausdehnung sowohl der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf die Aktions- und Förderprogramme wie auch deren Aufnahme in die jährlich von der Kommission vorzulegenden Subsidiaritätsberichte wird ausdrücklich auch von der Bundesregierung und vom Bundesrat gefordert. Vgl. dazu den "Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1997 (Subsidiaritätsbericht)" der Bundesregierung, BT-Drs. 13/11074 vom 17. Juni 1998, S. 3 und 5. 719 Vgl. dazu oben 3. Kapitel D. III. 2. b).

382

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

gegenüber der Existenz mehrerer gleichgeordneter Handlungseinheiten in einer Gemeinschaft findet in dem Nebeneinander von nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen eine gleichermaßen pragmatische wie systemkonforme Lösung. Für die Praxis erübrigt sich daher auch die Frage, wieviele Mitgliedstaaten adäquate Umsetzungsvorschriften erlassen müssen, damit von einer "ausreichenden" Regelung "auf Ebene der Mitgliedstaaten" gesprochen werden kann. Schließlich erlaubt das hier vorgeschlagene Verfahren, dem Grundsatz der Subsidiarität selbst dann Geltung zu verschaffen, wenn einzelne Mitgliedstaaten eine Gemeinschaftsregelung bevorzugen und daher keine eigenen Vorschläge zur Umsetzung eines Gemeinschaftsziels auf nationaler Ebene unterbreiten. Auch bei dem hier vorgeschlagenen Verfahren ist die Zeitgebundenheit und der dynamische Charakter des Subsidiaritätsgrundsatzes720, auf den in dem in Amsterdam verabschiedeten "Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit"721 erneut ausdrücklich verwiesen wird, zu berücksichtigen. Das bedeutet auch, daß, wenn sich die bei der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV zu stellende Prognose über eine ausreichende mitgliedstaatliche Aufgabenerfüllung oder umgekehrt die Notwendigkeit gemeinschaftlichen Handeins als unzutreffend erweisen sollte, die Entscheidung über die Zuständigkeit für den Erlaß entsprechender Umsetzungsmaßnahmen zu korrigieren ist.

IV. Folgerungen für die Praxis Mit dem hier dargestellten Verfahren zur effektiven Umsetzung des Subsidiaritätsgedankens lassen sich auch einige der oben dargelegten Probleme bei der Anwendung und Umsetzung des Art. 5 EGV durch die Organe der Gemeinschaft722 lösen. Gerade in vielen Bereichen der Umweltpolitik kann das beschriebene Konzept sinnvoll und effektiv umgesetzt werden. Soweit es um die Verminderung von Schadstoffemissionen geht, sollte versucht werden, durchgängig zu Regelungen zu gelangen, bei denen die Gemeinschaft in Form von Richtlinien Grenzwerte und Mindststandards festlegt, den Mitgliedstaaten aber die Wahl der Mittel und die Umsetzungsformen überläßt. Diese Verfahrensweise trägt dem Anliegen der Subsidiarität optimal Rechnung, sichert den Mitgliedstaaten ein Höchstmaß an Flexibilität bei der Problemlösung und trägt zudem zur Transparenz europarechtlicher Vorgaben bei, da eine Überfrachtung der Richtlinien mit detaillierten Ausführungsbestimmungen entfällt und ein einheitliches Regelungssystem für 720 721

(162). 722

Vgl. dazu oben 1. Kapitel C. VI. 2. Vgl. dazu K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. Vgl. dazu oben 3. Kapitel D. Il. 5.

F. Vorschlag zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips

383

diesen Bereich eingeführt werden könnte. Schließlich knüpft dieses Verfahren an die auch bei den Vereinten Nationen übliche Praxis an. Die strikte Trennung von Zielvorgaben und Umsetzungsvorschlägen kann zudem auch auf unverbindliche Tätigkeiten wie Empfehlungen und Stellungnahmen angewandt werden. Gleiches gilt für Fördermaßnahmen und Aktionsprogramme der Gemeinschaft. Dies setzt jedoch voraus, daß die Kommission erkennt, daß sie auch im Bereich rechtlich nicht verbindlicher Aktivitäten strikt an die Kompetenzordnung der Gemeinschaftsverträge und damit auch an Art. 5 EGV gebunden ist. Aus dieser Vorschrift, die allgemein von "tätig werden" und von "Maßnahmen" spricht, läßt sich nicht entnehmen, daß sie lediglich für den Erlaß von Richtlinien und Verordnungen gelten soll. Vielmehr zeigt der Wortlaut der Norm, daß jedwede Tätigkeit der Gemeinschaft an den genannten Maßstäben des Art. 5 EGV zu messen ist und sich insbesondere im Rahmen der vertraglich eingeräumten Befugnisse zu halten hat. Dies muß gerade bei Förderprogrammen gelten. Dieses Instrument darf nicht dazu mißbraucht werden, eine lediglich auf die Unterstützung, Förderung und Ergänzung mitgliedstaatlicher und regionaler Maßnahmen beschränkte Handlungsbefugnis (Art. 151 Abs. 2 EGV) in ein allgemeines Initiativrecht zugunsten der Kornmission zu verwandeln. Vielmehr sind Förderprogramme in Bereichen, in denen die Handlungsprärogative den Mitgliedstaaten oder Regionen zusteht, inhaltlich und organisatorisch mit den verantwortlichen Gebietskörperschaften abzustimmen und durchzuführen. Wegen der möglichen Auswirkungen auf die nationale und regionale Wirtschaftsförderung723 muß dem Verhältnis zwischen der Beihilfenpolitik der Kornmission einerseits und den von ihr vorgeschlagenen Förder- und Unterstützungsmaßnahmen andererseits besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Insbesondere kommt es darauf an, einer möglichen Doppelstrategie der Kommission entgegenzuwirken, einerseits nationale und regionale Fördermaßnahmen als wettbewerbsverzerrende und damit unzulässige staatliche Beihilfen zu verbieten und andererseits eigene Förderprogramme aufzulegen, die in Ausnutzung des so erzeugten Regelungsbedarfs zu einer faktischen Kompetenzverschiebung führen, ohne daß entsprechende Vertragsänderungen erforderlich oder gar vorgenommen würden. Um eine solche einseitige Zuständigkeitsverlagerung zu vermeiden, ist es neben einer strikten Einhaltung des gesamten Art. 5 EGV erforderlich, den Begriff der "Beihilfe" in Art. 87 ff. EGV724 enger und präsizer zu fassen als das bisher geschehen ist. 723 Vgl. zu diesem Zusammenhang T. M. Dietz, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22, 1999, S. 17ff. 724 Vgl. zur Definition des Beihilfebegriffs statt aller G. von Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Art. 92, Rz. 3 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rz. 828 ff.

384

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Bei der Ausdehnung der Vollzugs- und Kontrollbefugnisse der Kommission liegt die Problematik dagegen etwas anders. Im Gegensatz zum Legislativbereich besitzen die Gemeinschaften bisher auf dem Gebiet der Verwaltung und des Rechtsvollzuges nur sehr punktuelle Zuständigkeiten. Auch sind einer "schleichenden" sukzessiven Ausdehnung von Exekutivkompetenzen wegen ihres unmittelbar belastenden Charakters gegenüber Personen und Mitgliedstaaten engere Grenzen gesetzt als bei Rechtsetzungsakten. Zudem sind die Verwaltungskompetenzen auf nationaler Ebene zwischen Bund und Ländern wie auch im Verhältnis der Gemeinschaften zu den Mitgliedstaaten deutlicher abgegrenzt als dies bei den Legeferierungsbefugnissen der Fall ist. Daher liegt das Problem hier weniger darin, daß die Gemeinschaftsorgane ihre vertraglichen Kompetenzen überschreiten, sondern darin, daß die Kommission als Konsequenz bestimmter praktischer Defizite beim Gemeinschaftsrechtsvollzug durch nationale Behörden oder bei der Kooperation mit der Kommission die Ausdehnung ihrer Zuständigkeiten fordert und entsprechende organisatorische Vorschläge dem Rat und dem Europäischen Parlament unterbreitet, wie dies etwa im Falle der "Errichtung einer Europäischen Agentur [... ]"725 geschehen ist. Dabei erschwert das Versagen nationaler Behörden die Argumentation insofern, als dieses als Beleg für eine "nicht ausreichende" Aufgabenerfüllung auf mitgliedstaatlicher Ebene angeführt werden kann und damit der Subsidiaritätsgedanke gerade für die erstrebte Zuständigkeitsverlagerung streitet726 . Hier zeigt sich zugleich die Ambivalenz des Subsidiaritätsarguments. Die hierauf gestützte Forderung nach Bewahrung eigener Kompetenzen kommt gleichzeitig auch immer jenen zugute, die diese Befugnisse mißbrauchen oder die ihnen obliegenden Aufgaben nicht ausreichend wahrnehmen können oder wollen. Gleichwohl erscheint es nicht gerechtfertigt, die Vollzugs- und Kontrollbefugnisse aller Mitgliedstaaten auf einem speziellen Gebiet auf die Gemeinschaftsorgane zu übertragen, nur weil sich in Einzelfällen bei bestimmten Behörden Defizite ergeben haben. Soweit die Kommission daher der Auffassung ist, daß Vollzugsdefizite bei nationalen 725 Vgl. den "Vorschlag einer Verordnung (EG) des Rates über die Errichtung einer Europäischen Agentur für tierärztliche und pflanzengesundheitliche Überwachung", KOM (96) 233 endg.; Ratsdok. 8460/96, ABI. EG C 239 vom 17. August 1996, s. 9. 726 Hier macht sich die dynamische Wirkung des Subsidiaritätsgrundsatzes bemerkbar, die in diesen Fällen auf eine Neubildung der Relation von Aufgabe und Aufgabenträger drängt, was im Ergebnis auch zu einer Verlagerung der Kompetenz auf die höhere Ebene führen kann. Auf diesen Gesichtpunkt wird ausdrücklich auch in Punkt 3 des "Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit" hingewiesen. Text bei K.-P. Nanz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 1661 ff. (162). Vgl. insgesamt zum dynamischen Charakter des Subsidiaritätsprinzips oben 1. Kapitel C. VI. 2.

G. Fazit

385

Behörden vorherrschen, sollte sie im Sinne des Gedankens größtmöglicher Wahrung mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten in einen Dialog mit dem betreffenden Staat treten, mit dem Ziel, die Mängel zu beseitigen. Diese Konsultationen könnten in Anlehnung an das hier vorgeschlagene Verfahren standardisiert und institutionalisiert werden. So könnte die Kommission einen Bericht über die von ihr beanstandeten Mängel erstellen, zu dem dann die Mitgliedstaaten in angemessener Frist Stellung zu nehmen hätten und ggf. Vorschläge zur Behebung der Mißstände unterbreiten. Erst wenn sich die Beseitigung der Defizite auf nationaler Ebene als nicht möglich erweist oder wenn die einzelnen Staaten keine ernsthaften Versuche zur Verbesserung der Lage zu unternehmen bereit sind, käme als ultima-ratio eine Verlagerung der Exekutivkompetenz auf die Kommission in Betracht.

G. Fazit Die Untersuchung hat gezeigt, daß die wissenschaftliche Diskussion um das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union stark von individuellen Einstellungen geprägt ist, die ihrerseits wiederum Ausdruck einer ideologischen Grundhaltung sind. Inhaltlich stehen sich dabei zwei gegensätzliche Integrationsvorstellungen gegenüber. Beide Auffassungen haben dabei ihren gemeinsamen Bezugspunkt in dem bisherigen Integrationskonzept des europäischen Einigungswerkes, das im wesentlichen durch drei Merkmale gekennzeichnet ist: Ein dynamisches Anwachsen von Aufgaben und Mitgliedern der Gemeinschaften, die Zieloffenheit des Integrationsprozesses selbst sowie den Primat der Wirtschaft. Während für die Vergangenheit Einigkeit über die beachtlichen Erfolge dieses Integrationsansatzes besteht, ist mit Blick auf die Zukunft umstritten, ob an diesem Konzept auch weiterhin festgehalten werden kann. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, daß sich die anhaltende Akzeptanzkrise der Europäischen Union und ihrer Politik, ihre große Kompetenzfülle, die die Existenz der Mitgliedstaaten zunehmend in Frage stellt, sowie die allenthalben beklagte Überreglementierung und mangelnde Transparenz gemeinschaftlicher Rechtsetzungs- und Entscheidungsprozesse letztlich unmittelbare Konsequenzen des dargelegten Integrationsverständnisses sind. Unter Verweis auf den mittlerweile erreichten Integrationsstand und die genannten Defizite ist eine grundlegende Modifikation des bisherigen Integrationskonzeptes zu fordern. Dabei erscheint vielen der Subsidiaritätsgedanke als ein geeignetes Instrument, die für notwendig erachteten Korrekturen des europäischen Einigungsprozesses anzubringen. Die Gegner dieses Organisationsgrundsatzes befürchten, daß unter Berufung auf dieses Prinzip eine Renationalisierung in Gang gesetzt werden könnte, die nicht nur eine Weiterentwicklung der europäischen Integration behindern, sondern auch den bereits erreichten 25 Moersch

386

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Integrationsstand gefährden könnte, wobei insbesondere die Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes und damit das Kernstück des europäischen Einigungswerkes bedroht sei. Der grundlegende Gegensatz dieser beiden Standpunkte zieht sich als das zentrale Motiv durch die gesamte Subsidiaritätsdiskussion. Dies zeigt sich besonders bei den Schwerpunkten der Auseinandersetzung um die Einführung, die Reichweite, die Rechtsverbindlichkeit und Justitiabilität des Subsidiaritätsgrundsatzes. Damit hängen die Wirkungen und die Frage, ob die gerade von deutscher Seite an die Einführung dieses Grundsatzes in das Europäische Gemeinschaftsrecht geknüpften Erwartungen erfüllt werden können, in erster Linie davon ab, welcher der genannten Grundeinsteilungen die Organe der drei Gemeinschaften künftig stärker zuneigen werden. Da das Subsidiaritätsprinzip entsprechend seiner Ausgestaltung als Kompetenzausübungsregel in Art. 5 Abs. 2 EGV primär für die Sekundärrechtsetzung der Gemeinschaft bedeutsam ist, fällt insoweit dem Gemeinschaftsgesetzgeber und hier besonders der Kommission wegen ihres Initiativmonopols eine Schlüsselrolle zu. Auch die Anwendungsvoraussetzungen und die dem Subsidiaritätsprinzip eignenden Merkmale werden von dem zugrundegelegten Integrationsverständnis nachhaltig beeinflußt. Dies gilt zunächst für die Frage, was unter dem Begriff der "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten" verstanden werden soll und welche Materien damit entgegen dem universellen Geltungsanspruch der Subsidiaritätsidee einer Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EGV entzogen sind. Zentrale Bedeutung kommt darüber hinaus der Telosgebundenheit des Subsidiaritätsgedankens zu. Gerade dieses Merkmal macht die Ideologieanfälligkeit und die Manipulierbarkeil dieses Prinzips besonders deutlich. Wer verbindlich die "Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen" festlegen kann, kann letztlich auch über die Reichweite mitgliedstaatlicher und regionaler Kompetenzen bestimmen. Die Fassung des Art. 5 Abs. 2 EGV birgt angesichts des fortbestehenden Meinungsstreites um die weitere Entwicklung der europäischen Integration die Gefahr, daß das Subsidiaritätsprinzip auch in ein Instrument zur Zentralisierung von Zuständigkeiten auf Gemeinschaftsebene verkehrt wird. Die Grundlage hierfür wäre die Zielabhängigkeit und der dynamische Charakter des Subsidiaritätsprinzips. Mit Blick auf die Leistungsfähigkeit und die Grenzen des Subsidiaritätsprinzips in der Europäischen Union kann damit folgendes festgehalten werden: Der Grundsatz der Subsidiarität ist in Art. 5 Abs. 2 EGV und damit auch in Art. 2 Abs. 2 EUV als ein rechtsverbindliches, justitiables Prinzip des Gemeinschaftsrechts ausgestaltet. Seine Anwendungsmöglichkeiten wie seine Wirksamkeit als Instrument zur Begrenzung gemeinschaftlicher Rechtsetzung zugunsten mitgliedstaatlicher Gestaltungsmöglichkeiten werden jedoch entscheidend von den politischen Einstellungen insbesondere

H. Ausblick

387

von dem Integrationsverständnis der jeweiligen Anwender bestimmt. Damit wird das Prinzip zwar nicht zu einer bloßen "rule of reason", aber die vor allem in der deutschen Diskussion in den Mittelpunkt gerückten Fragen nach seiner Narrnativität und Justitiabilität erweisen sich als weitaus weniger bedeutsam. Als weitere Erkenntnis folgt daraus, daß auch ein als verbindlicher Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts ausgestaltetes Subsidiaritätsprinzip nur dann die in es gesetzten Erwartungen zu erfüllen vermag, wenn es gelingt, bei den Gemeinschaftsorganen und den übrigen Mitgliedstaaten Verständnis für die Besonderheiten föderal strukturierter Gemeinwesen zu wecken und sie von den Vorzügen der Subsidiaritätsidee als den Integrationsprozeß stabilisierendes Element zu überzeugen. Nicht durch die Einführung des Subsidiaritätsprinzips läßt sich das bisherige Integrationsverständnis ändern, sondern das Subsidiaritätsprinzip bedarf eines anderen Integrationskonzeptes, soll es seine Wirkung voll entfalten zu können. Dies führt zu einem weiteren Untersuchungsergebnis. Wegen seines Antagonismus zum Gleichheitsstreben ist die Subsidiaritätsidee grundsätzlich mit dem Verfahren der Totalharmonisierung unvereinbar. Bei Wahrung der erforderlichen Kohärenz lassen sich nur im Wege gegenseitiger Anerkennung nationaler Regelungen subsidiaritätsgerechte Lösungen finden. Das weist aber den Mitgliedstaaten eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung dieses Prinzips zu. Gerade Deutschland als starker Verfechter des Subsidiaritätsgrundsatzes hat bisher dem Verfahren gegenseitiger Anerkennung kritisch gegenüber gestanden. Das Gemeinschaftsrecht selbst und auch die Konzeption und die Bestimmungen über den Binnenmarkt stehen einer verstärkten Anwendung des Anerkennungsgrundsatzes jedenfalls nicht entgegen.

H. Ausblick Im Schrifttum finden sich zumeist eher skeptische Einschätzungen zum künftigen Einfluß des Subsidiaritätsprinzips auf die Gemeinschaftsentwicklung727. 727 So sieht J. Bames, in: Christian Tomuschat/Hein Kötz/Bernd von Maydell (Hrsg.), Europäische Integration und nationale Rechtskulturen, S. 311 ff. (314), den Grundsatz mit zu vielen "ungerechtfertigten Hoffnungen" beladen; ähnlich E. Grabitz, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, S. 139ff. (139), der zu dem Ergebnis gelangt: "Das ,Subsidiaritätsprinzip' übt in der Diskussion um die zukünftige Entwicklung eine Faszination aus, die weit über den praktischen Wert dieses Prinzips hinausgeht". Besonders plastisch der Vergleich von W. Möschel, WiSt 1995, S. 232ff. (232): "Was für die Anhänger Sigmund Freuds der Sex ist, ist für die Europapolitiker mittlerweile das Subsidiaritäts-

2S*

388

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

Es soll diesen eher pauschalen Prognosen keine weitere hinzugefügt werden. Statt dessen soll auf einige grundlegende Aspekte hingewiesen werden, die jenseits der hier untersuchten Fragen liegen und die auf die Möglichkeiten, dem Subsidiaritätsgedanken auf der Ebene der Europäischen Union verstärkt Geltung zu verschaffen, entscheidenden Einfluß haben und behalten werden. Zunächst gereicht es dem Subsidiaritätsgrundsatz zum Nachteil, daß er eine sehr abstrakte und allgemeine Formel ist728 • Dies führt zu einer ungleichen Ausgangslage in der Diskussion. Während seine Befürworter eine Grundsatzdebatte führen müssen und letztlich gezwungen sind, auf den vagen Begriff der "Identität der Mitgliedstaaten und ihrer Untergliederungen" zurückzugreifen, um die Vorzüge dieser Kompetenzausübungsregel deutlich zu machen, können sich die Gegner darauf beschränken, konkrete Gemeinschaftsmaßnahmen zu benennen und deren identitätsgefährdende Bedeutung zu bestreiten. Dabei stellt sich das Problem, daß das Subsidiaritätsprinzip zwar auf den Einzelfall angewandt werden muß, dieser für sich allein betrachtet jedoch zumeist keine "unmittelbare ldentitätsbedrohung" für die Mitgliedstaaten darstellen wird. So muß man über die dargelegten engeren Bedingungen, die die Merkmale des Prinzips vorgeben und die den unmittelbaren Integrationsprozeß bestimmen, hinausblicken. Dabei gilt es, zwischen dem Subsidiaritätsprinzip als Ausdruck einer bestimmten Ordnungsvorstellung und dem mit seiner Aufnahme in das Gemeinschaftsrecht verfolgten Ziel, der Schaffung und Erhaltung eines kompetentiellen Gleichgewichts, das den Erfordernissen gemeinschaftlicher Integration und mitgliedstaatlicher Identität gleichermaßen Rechnung trägt, zu unterscheiden. Der Subsidiaritätsgedanke hat seine historischen Wurzeln sowohl im Liberalismus als auch im Konservatismus in der Form des Katholizismus729• Damit weist dieses Organisationsprinzip jedoch keine Verbindung zum Sozialismus, der dritten bedeutenden geistesgeschichtlich-politischen Hauptströmung, Europas auf. Denn allen sozialistischen Modellen ist ein egalitäres Moment eigen730, das sie in einen fundamentalen Gegensatz zu der auf funktionale Differenzierung und Diversifizierung hin angelegten Subsidiaritätsidee bringt. Zudem läßt sich gesellschaftliche Egalität angesichts natürlich bestehender Ungleichheiten nur durch zentrale Reglementieprinzip im Vertrag von Maastricht: Man versucht, alles damit zu erklären. Vielleicht werden beide etwas überschätzt" (Hervorhebungen im Original). 728 In diesem Sinne wohl auch R. Herzog, in: Hubert Hier! (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 122ff. (122). 729 Vgl. zu diesen geistesgeschichtlich politischen Strömungen T. Schieder, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 6, § 5, S. 35 ff. 730 Vgl. dazu G. Schwan, Stichwort: Sozialismus I, in: StL, Bd. 5, Sp. 23; P. Glotz, Stichwort: Sozialismus, in: EvStL, Bd. 2, Sp. 3224.

H. Ausblick

389

rung herbeiführen731 , so daß sozialistische Organisationsstrukturen zwangsläufig zentralistischen Charakter haben und damit wiederum im Widerspruch zum Anliegen des Subsidiaritätsgedankens stehen. Daraus folgt, daß ein nicht unerheblicher Teil der politischen Kräfte in Europa dauerhaft in einem ideologischen Gegensatz zur Ordnungsmaxime der Subsidiarität verharren wird. Hinzu kommt, daß in einem großen Teil der Mitgliedstaaten der Europäischen Union unabhängig von der politischen Ausrichtung zentralistische und zentralstaatliche Ordnungsmodelle vorherrschen732, die den dort lebenden und aus diesen Ländern stammenden Funktionsträgern föderale und subsidiäre Organisationsstrukturen weitgehend fremd erscheinen lassen733 • Schließlich sieht sich das Subsidiaritätsprinzip dem Vorwurf ausgesetzt, ein Konzept reicher und entwickelter Staaten zu sein, da naturgemäß nur leistungsfähige Gemeinwesen die Forderung nach einer Aufgabenallokation auf unterer Ebene erheben734 . Auch wenn dieses Argument insofern nicht zutrifft, als sich die Vorschriften der Art. 5 Abs. 2 EGV und Art. 2 Abs. 2 EUV auf die Rechtsetzung, nicht auf den Gesetzesvollzug beziehen. Dennoch läßt sich die These nicht ganz entkräften, da auch die Regelungsbereitschaft und das Problembewußtsein in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Gleichwohl kann dieses Problem mit dem oben aufgezeigten Verfahren, in dem nationale und gemeinschaftliche Regelungen nebeneinander bestehen können, gelöst werden. Demgegenüber muß man sehen, daß das Konzept der Totalharmonisierung zunehmend auch bei der Wirtschaft auf Ablehnung stößt735 und die Errichtung des Binnenmarktes weitgehend abgeschlossen ist. Das entscheidende Moment, das die zentralistischen wie egalitären Bestrebungen in der Europäischen Union zurückdrängen wird, werden die Sachzwänge sein, die 731 So auch in der Sache zutreffend, wenn auch polemisierend M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (15). 732 Insgesamt zur zentralstaatlichen Struktur Frankreichs G. Ziebura, Die V. Republik, S. 33ff.; F. Sirjacques-Manfrass, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), S. 101 ff. (durchgehend). 733 Vgl. dazu die Ausführungen von J. Koch, Subsidiarität im Zentralstaat?, NWVBI. 1997, S. 205 ff., der im französischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht keine subsidiaritätsähnlichen Strukturen ausmachen kann. 734 Vgl. dazu die sehr anschaulichen Ausführungen von M. Brunner, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 9ff. (14f.). 735 Vgl. zu der zunehmenden Kritik der Wirtschaft am Konzept der Totalharmonisierung die überzeugenden Ausführungen von E. Wymeersch, in: Jürgen F. Baur/ Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 187ff. (190ff.); ähnlich die Bemerkung H. Bieners, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/ Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge, S. 205ff. (208), Der EG-Vertrag verlangt "nicht die Entwicklung eines Einheitsrechts".

390

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

von dem beschlossenen Beitritt der osteuropäischen Staaten zur Union ausgehen werden. Durch diese Mitglieder werden die Gemeinschaften sehr viel heterogener als sie es zur Zeit sind. Unter dieser Voraussetzung kann der erforderliche Zusammenhalt der Union über die weit größeren Interessengegensätze und Verteilungskämpfe hinweg nur gewahrt werden, wenn sich die Gemeinschaften stärker als bisher auf eine richtungsgebende und rahmensetzende Tätigkeit beschränken und nationaler Gestaltungsfreiheit größeren Raum geben. Die bisherigen Reaktionen der Gemeinschaftsorgane auf die Regelung des Subsidiaritätsprinzips lassen noch kein eindeutiges Bild erkennen. Das liegt unter anderem daran, daß sich eine verbindliche Interpretation des Art. 5 Abs. 2 EGV aus dem politischen Prozeß zwischen den Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten noch nicht herauskristallisiert hat. Einerseits schreibt das auf der Regierungskonferenz von Amsterdam verabschiedete Protokoll736, den kumulativen Charakter der beiden Tatbestandsvoraussetzungen der Bestimmung fest, wobei auch der Europäische Gerichtshof dieser Auslegung im Grundsatz gefolgt ist737 . Andererseits hält die Europäische Kommission nach wie vor an ihrer Auffassung, daß die binnenmarktbezogenen Kompetenzen des EG-Vertrages zu den "ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten" gehören, fest, was wegen der beschriebenen Konsequenzen738 von der Bundesregierung kritisiert wird739 . Als unzureichend muß auch die in der Richtlinie ,,Einlagensicherungssysteme" vom Gemeinschaftsgesetzgeber angeführte und vom Europäischen Gerichtshof als ausreichend befundene Begründung der Subsidiaritätskonformität angesehen werden740• Gleiches gilt auch für die mangelnde Differenzierung hinsichtlich der Geeignetheit mitgliedstaatlicher Umsetzungsmaßnahmen741 • Dies zeigt jedoch gerade die Notwendigkeit, dispositives Gemeinschaftsrecht zu schaffen, das nationale Regelungen gleichermaßen ergänzen wie ersetzen kann und die Möglichkeit eröffnet, wieder zu den "ursprünglichen Absichten"742 der europäischen Integration zurückzukehren. Text in: K.-P. Nanrz/R. Silberberg, Der Vertrag von Amsterdam, S. 161 ff. Siehe dazu die Entscheidung des EuGH vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94, EuGH Slg. 1997-1 S. 2441, Rz. 26. 738 Vgl. dazu oben 3. Kapitel D. I. 3. 739 Vgl. dazu den Subsidiaritätsbericht 1997, BT-Drs. 13/11074, S. 4. 740 Siehe dazu die Entscheidung des EuGH vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94, EuGH Slg. 1-1997 S. 2441, Rz. 26. 741 Vgl. dazu EuGH, ibd., sowie den von der Bundesregierung herausgegebenen Subsidiaritätsbericht 1997, BT-Drs. 13/11074 vom 17. Juni 1998. 742 So die Einschätzung F. de Quadros, in: Christian Tomuschat/Hein Kötz/ Bemd von Maydell (Hrsg.), Europäische Integration und nationale Rechtskulturen, s. 335 ff. (353). 736 737

I. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

391

Die verstärkten Konsultationsbemühungen der Kommission im Vorfeld von Rechtsetzungsinitiativen weisen dagegen ebenso in die richtige Richtung wie die in der "Keck"-Entscheidung743 des Europäischen Gerichtshofs zum Ausdruck kommende Präferierung des Anerkennungsverfahrens vor der Totalharmonisierung. Dabei kann dann letztlich dahinstehen, ob man hierin eine Auswirkung oder Anwendung des Subsidiaritätsgedankens sieht744 oder nicht. Doch zeigt sich gerade an dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung, daß den Mitgliedstaaten eine entscheidende Verantwortung745 sowohl bei der unmittelbaren Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips als auch allgemein bei der Austarierung des Kompetenzgefüges zwischen der Europäischen Union und den nationalen Rechtsordnungen zukommt.

I. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen 1. Die historischen Wurzeln des heutigen Subsidiaritätsprinzips gehen auf die liberalen Staatszwecklehren des späten 18. und des 19. Jahrhunderts sowie auf die katholische Soziallehre vor dem zweiten Weltkrieg zurück. Letztere hat ihm in der Enzyklika "Quadragesima anno" 1931 einen prägnanten apodiktischen Ausdruck verliehen. (1. Kapitel A.) 2. Die politikwissenschaftliche Steuerungsdiskussion hat das systembildende Potential des Subsidiaritätsprinzips zwar im Ansatz erkannt, dies jedoch keiner eingehenden Betrachtung unterzogen. (1. Kapitel B.) 3. Gelöst von den nationalen Anforderungen sozialphilosophischer Lehren erweist sich der Grundsatz als formale, eindimensionale Relationsgröße, die lediglich Aussagen zwischen "höherer" und "niedrigerer" Handlungsebene trifft. Das Subsidiaritätsprinzip beansprucht universelle und normative Geltung. Es ist als sozialer Ordnungsgrundsatz in seiner Anwendung von der Orientierungsleistung gemeinschaftlicher Zielsetzungen abhängig und stellt bei seiner Relation von Aufgaben und Aufgabenträgem ausschließlich auf die Leistungsfähigkeit der konkurrierenden Handlungseinheiten ab und ist daher zeitgebunden. (1. Kapitel C.) 4. Die These, das Subsidiaritätsprinzip liege als überpositiver Grundsatz dem Grundgesetz zugrunde, läßt sich nicht belegen. Mit Ausnahme des Art. 6 Abs. 2 GG lassen sich weder die Grundrechte noch das Prinzip EuGH Slg. 1993, l-6097ff. J. Jickeli, JZ 1995, S. 57ff. (64ff.). 743 Dazu, daß auch den Regierungen der Mitgliedstaaten bewußt geworden ist, daß die Grenzen der Rechtsangleichung in Europa erreicht sind, vgl. den Bericht in der FAZ vom 1. November 1999, S. 29, "Im Binnenmarkt kommt es auf die gegenseitige Anerkennung an". 743 744

392

3. Kap.: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union

der kommunalen Selbstverwaltung als Ausprägungen der Subsidiaritätsidee deuten. (2. Kapitel A. und D. I. und li.) 5. Auch die Staatsorganisationsform des Föderalismus kann wegen der Verschiedenartigkeit der Föderalismuskonzeptionen nicht als allgemeiner Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens gedeutet werden. Föderalismus und Subsidiarität sind weder identisch noch interdependent. (2. Kapitel B.) 6. Für die Geschichte des deutschen Föderalismus läßt sich nachweisen, daß Subsidiaritätsgesichtspunkte zu keinem Zeitpunkt für die Kompetenzverteilung zwischen Gliedstaaten und Zentralgewalt ausschlaggebend gewesen sind. (2. Kapitel C. I. und li.) 7. Die Entwicklung der Aufgabenverteilung unter dem Grundgesetz ist durch eine Unitarisierung des bundesstaatliehen Gefüges gekennzeichnet. Sie ist mithin anti-subsidiär verlaufen. Die Länder haben ihre materiellen Kompetenzeinbußen teilweise über verstärkte Beteiligungsrechte des Bundesrates zu kompensieren versucht. (2. Kapitel C. III. bis V.) 8. Zwischen Subsidiaritäts- und Demokratieprinzip besteht wegen der Egalität als dem Kernelement der Demokratie ein prinzipieller Gegensatz. (2. Kapitel D. III.) 9. Der Antagonismus zwischen Subsidiarität und Gleichheit begrenzt die Anwendungsmöglichkeiten subsidiärer Strukturen in einem stark am Gleichheitsstreben orientierten Staatswesen wie dem der Bundesrepublik Deutschland erheblich. (2. Kapitel E.) 10. Die Aufnahme des Subsidiaritätsgrundsatzes in den EG- und EU-Vertrag ist maßgeblich auf die Bemühungen der Bundesregierung und der deutschen Länder zurückzuführen, die sich hiervon eine Schutzwirkung für die Bundes- und Landesgesetzgebungskompetenzen versprechen und eine größere Transparenz und Bürgemähe der europäischen Rechtsetzungsakte und Entscheidungsprozesse erwarten. Die These, der Subsidiaritätsgrundsatz sei bereits vor dem Maastrichter Vertragswerk Bestandteil des Europäischen Gemeinschaftsrechts gewesen, ist mit Blick auf die Regelung des Art. 5 Abs. 2 EGV nicht haltbar. (3. Kapitel B. I. und II.) 11. Der europäische Integrationsprozeß folgt keiner bestimmten politischen Theorie im Sinne eines "föderalistischen" oder "funktionalistischen" Ansatzes. Er ist aber durch drei Merkmale gekennzeichnet: ein dynamisches Anwachsen der Mitgliederzahl und der Aufgaben der Gemeinschaften, seine Zieloffenheit sowie einem strikten Vorrang der Wirtschaft vor allen anderen Politikbereichen. Dieses Integrationskonzept ist zugleich Hauptursache für eine Reihe von Mißständen, denen durch die

I. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

393

Einführung des Subsidiaritätsgrundsatzes in das Gemeinschaftsrecht entgegengewirkt werden soll. (3. Kapitel C.) I 2. Vor dem Hintergrund der dem Subsidiaritätsprinzip immanenten Besonderheiten erweist sich die Regelung des Art. 5 Abs. 2 EGV besonders in zwei Punkten als problematisch. Zum einen steht der partielle Anwendungsausschluß für die Bereiche "ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit" im Widerspruch zum universellen Geltungsanspruch der Subsidiaritätsidee. (3. Kapitel D. I.) Zum anderen erweist sich die Telosgebundenheit dieses Prinzips als der neuralgische Punkt des Art. 5 Abs. 2 EGV, da der Grundsatz über eine entsprechende Definition der Gemeinschaftsziele in seiner Wirkung gesteuert werden kann. (3. Kapitel D. III.) Im Gegensatz zum Problem der Telosgebundenheit werden die Fragen nach der Rechtsverbindlichkeit und der Justitiabilität sowie der Auslegung der Merkmale "nicht ausreichend und daher besser" in ihrer Bedeutung überbewertet. (3. Kapitel D. II. und III.) 13. Die Regelung des Art. 5 Abs. 2 EGV steht auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts in einem spezifischen Verhältnis sowohl zum Proportionalitätsgebot des Art. 5 Abs. 3 EGV als auch zum Grundsatz der Gemeinschaftstreue. (3. Kapitel E. 1.) 14. Der inhaltliche Bezug von Art. 5 Abs. 2 EGV zum Europaartikel 23 Abs. 1 Satz 1 GG muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die Aufnahme des Begriffs "Föderalismus" in das Gemeinschaftsrecht in den Verhandlungen zum Maastrichter Vertragswerk nicht durchgesetzt werden konnte. (3. Kapitel E. II.) 15. Ein Konzept zur effektiven Umsetzung des Grundsatzes der Subsidiarität im Recht der Europäischen Gemeinschaft muß bei der Einflußnahme auf die Zielsetzungen der Gemeinschaftspolitik ansetzen und die in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägte Problemwahrnehmung und Handlungsbereitschaft berücksichtigen. Dies erfordert eine Verfahrensbeteiligung der Mitgliedstaaten schon bei der Zielbestimmung künftigen Gemeinschaftshandeins sowie die Einführung dispositiven EG-Rechts, das unzureichende nationale Regelungen primär ergänzt und nur ausnahmsweise vollständig verdrängt. (3. Kapitel F.)

Literaturverzeichnis Abendroth, Wolfgang: Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz, in: Aus Geschichte und Politik. Festschrift für Ludwig Bergstraesser, hrsg. von Alfred Herrmann, Düsseldorf 1954, S. 279-301 Achterberg, Norbert: Allgemeines Verwaltungsrecht, Heidelberg 1988

-

Antinomien verfassungsgestaltender Grundentscheidungen, Der Staat 1969, 159-180

s.

Deutschland nach 30 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 38 (1980), S. 55-106

Adams, Robert: Bund und Gliedstaaten in den USA, DÖV 1961, S. 407-411 Ahrens, Heinrich: Naturrecht oder Philosophie des Rechts und des Staates, Bd. 2, Neudruck der 6. Aufl., Wien 1871 Alber, Siegbert: Subsidiaritätsprinzip und Europäische Union: Zur Verfassungsdebatte in der EG, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, Köln 1992, S. 131-138 Albers, Willi: Reform und Konsolidierung des Sozialstaats, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1996, S. 87-97 Alemann, Ulrich von/ Heinze. Rolf G.: Auf dem Weg zum liberalen Ständestaat? Einführung in die Korporatismusdiskussion, in: dies. (Hrsg.), Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus - Analysen, Positionen, Dokumente, 2. Aufl., Opladen 1981, S. 38-49

-

Kooperativer Staat und Korporatismus - Dimensionen der Neo-Korporatismusdiskussion, in: U1rich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, Frankfurt a. M./ New York 1981, S. 43-61

Angennann, Erich: Robert von Mohl 1799-1875, Leben und Werk eines Altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962

Arbeitsgruppe ,,Europäische Verfassung": Wie Europa verfaßt sein soll. Vorschläge zur institutionellen Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll - Materialien zur Politischen Union, Gütersloh 1991, S. 19-36 Aristoteles: Philosophische Schriften in sechs Bänden, hrsg. vom Felix Meiner Verlag, Harnburg 1995 Amdt, Hans-Wolfgang: Europarecht, 2. Aufl., Heidelberg 1995 Amim, Hans Herbert von: Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), s. 1-30

-

Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Frankfurt a. M. 1977

-

Staatslehre für die Bundesrepublik Deutschland, München 1984

Literaturverzeichnis

395

Asmussen, Cl aus/ Eggeling, Ulrich: Empfehlungen des Bundesrates zur Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa, VerwArch 1992, S. 230--259 Bachof, Ottol Kisker, Gunter: Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Staatsvertrages über die Errichtung der Anstalt "Zweites Deutsches Fernsehen", Mainz 1965 Badura, Peter: Das Staatsziel "Europäische Integration" im Grundgesetz, in: Für Recht und Staat - FS für Herbert Schambeck, hrsg. von Johannes Hengstsch1äger/Heribert Franz Köck/Karl Korinek/Klaus Stern/ Antonio Truyol y Serra, Berlin 1994, S. 887-906

-

Das Verwaltungsmonopo1, Berlin 1963

-

Die "Kunst der föderalen Form" - Der Bundesstaat in Europa und die europäische Föderation, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens. FS für Peter Lerche, hrsg. von ders./Rupert Scholz, München 1993, S. 369-384

-

Staatsrecht, München 1986

-

Thesen zur Verfassungsreform in Deutschland, in: Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung und Rechtsschutz. FS für Konrad Redeker zum 70. Geburtstag, hrsg. von Bernd Bender/Rüdiger Breuer/Fritz Ossenbühl/Horst Sendler, München 1993, s. 111-130

Baetge, Dietmar: Grundzüge des Vertrags von Maastricht, BayVBI. 1992, S. 711717 Bankowski, Zenon: Subsidiarity, Sovereignty and the Self, in: Knut Wolfgang Nörr/ Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit. Zur Reichweite eines Prinzips in Deutschland und Europa, Tübingen 1997, S. 23-37 Barion, Jakob: Hegels Staatslehre und das Prinzip der Subsidiarität, in: Die neue Ordnung 1953, S. 284-302 Bames, Javier: Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht und sein Einfluß auf die europäischen Regionen, in: Christian Tomuschat/Hein Kötz/Bernd von Maydell (Hrsg.), Europäische Integration und nationale Rechtskulturen, Köln u.a. 1995, S. 311-334 Barschel, Uwe: Die Staatsqualität der deutschen Länder. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis des Föderalismus in der Bundesrepublik, Heidelberg/Hamburg 1982 Basedow, Jürgen: Zielkonflikte und Zielhierarchien im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, Baden-Baden 1995, S. 49-68 Bauer, Angela/Jestaedt, Matthias: Das Grundgesetz im Wortlaut, Heidelberg 1997 Bauer, Hartmut Die Bundestreue, Tübingen 1992 Bauer, Joachim: Europa der Regionen, 2. unveränderte Aufl., Berlin 1992 Bauer, Klaus F.: Spill-over oder Spill-back?, EA 1966, S. 519-526 Bayer, Hermann Winfried: Die Bundestreue, Tübingen 1961

396

Literaturverzeichnis

Beckmann, Martina: Die Umweltkompetenzen der Europäischen Gemeinschaften nach Art 130 r-t EWG-Vertrag - Zur Analyse der "Besser"-Klausel (Art. 130 Abs. 4 ), Mainz 1992 Benda, Ernst: Der soziale Rechtsstaat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg. von ders./Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel, 2. Auf!., Berlin/New York 1994, § 17

-

Föderalismus in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Probleme des Föderalismus, Tübingen 1985, S. 71-83

Benz, Arthur: Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Ländern, DÖV 1993, s. 85-95 Berend, Rolf: Statement zu einer europäischen Verfassung in: Peter Michael Huber (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, Berlin 1996, S. 41-48 Bemard, Nicolas: The Future of European Economic Law in the Light of the Peincipie of Subsidiarity, CMLR 1996, S. 633--666 Bethge, Herbert: Verfassungsgerichtsbarkeit im Bundesstaat, BayVBI. 1985, S. 257263 Beutler, Bengt/ Bieber, Roland/ Pipkom, Jörn/ Streit, Jochen: Die Europäische Union - Rechtsordnung und Politik, 4. Auf!., Baden-Baden 1993 Beyerlin, Ulrich: Die "neue" Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften Möglichkeiten und Grenzen der Kompetenzausschöpfung, UPR 1989, S. 361364 Beyme, Klaus von: Der liberale Korporalismus als Mittel gegen die Unregierbarkeit, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, Frankfurt a. M./New York 1981, s. 80--91

-

Der Neo-Korporatismus und die Politik des begrenzten Pluralismus in der Bundesrepublik, in: Jürgen Habermas (Hrsg.), Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, Bd. 1: Nation und Republik, 4. Auf!., Frankfurt 1982, S. 229-262

Bieber, Roland: in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, Tübingen 1997, S. 165-183 Biener, Herbert: Internationale Perspektiven der Unternehmenspublizistik, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union, Berlin/ New York 1998, S. 205-216 Birke, Hans Eberhard: Die deutschen Bundesländer in den Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1973 Blanke, Hermann-Josef: Normativer Gehalt und Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3 b EGV, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union - Bedeutung und Wirkung für ausgewählte Politikbereiche, Baden-Baden 1995, S. 95-118

-

Normativität und Justitiabilität des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips, ZG 1995, S. 193-223

Literaturverzeichnis

397

-

Das Subsidiaritätsprinzip als Schranke des Europäischen Gemeinschaftsrechts?, ZG 1991, S. 133-148

-

Die kommunale Selbstverwaltung im Zuge der fortschreitenden Integration, DVBI. 1993, S. 819-831

-

Der Unionsvertrag von Maastricht - Ein Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat?, DÖV 1993, S. 412-423

Blaustein, Albert P./Flanz, Gisbert H.: Constitutions of the Countries of the World, Loseblatt-Sammlung, Bd. XX, Stand: Juli 1994 Bleckmann, Albert: Art. 5 EWG-Vertrag und die Gemeinschaftstreue, DVBI. 1976, s. 483-486 -

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Gemeinschaftstreue, RIW 1981, S. 653-655

-

Die Rechtsquellen des Europäischen Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1993, S. 824828

-

Europarecht, 6. Auf!., Köln 1997

-

Teleologie und dynamische Auslegung des Europäischen Gerichtshofs, EuR 1979, s. 239-260

Blümel, Willi: Bundesstaatsrechtliche Aspekte der Verwaltungsvorschriften, AöR 93 (1968), S. 200-236 -

Verwaltungszuständigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 101

Bluntschli, Johann Kasper: Bemerkungen über die neuesten Vorschläge zur deutschen Verfassung. Eine Stimme aus Bayern (zitiert nach Ernst Deuerlein, Föderalismus, S. 86f.) Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie, in: Politik als gelebte Verfassung - FS für Friedrich Schäfer, hrsg. von Jürgen Jekewitz/Michael Melzer/Wolfgang Zeh, Opladen 1980, S. 182-199 Bogdandy, Armin von: Rechtsfortbildung mit Artikel 5 EG-Vertrag - Zur Zulässigkeil gemeinschaftsrechtlicher Innovationen nach EG-Vertrag und Grundgesetz, in: GS für Eberhard Grabitz, hrsg. von Albrecht Randelzhofer/Rupert Scholz/ Dieter Wilke, München 1995, S. 17-28 Bogdandy, Armin von/ Nettesheim, Martin: Die Verschmelzung der Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Union, NJW 1995, S. 2324-2328 -

Europäische Union: Ein einheitlicher Verband mit eigener Rechtsordnung, EuR 1996, s. 3-26

Bohr, Kurt: Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus - Demokratische Struktur für Deutschland und Europa -, München 1992, S. VII-XIII Bonß, Wolfgang: Gewerkschaftliches Handeln zwischen Korporalismus und Selbstverwaltung - Die Konzertierte Aktion und ihre Folgen, in: Volker Ronge (Hrsg.), Am Staat vorbei - Politik der Selbstregulierung von Kapital und Arbeit, Frankfurt a.M./New York 1980, S. 125-169

398

Literaturverzeichnis

Borchardt, Klaus-Dieter: Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, Hei-

delberg 1996

-

Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Gemeinschaften - Rechtsquellen, Rechtshandlungen, Rechtsetzung, in: Moritz Röttinger/Ciaudia Weyringer (Hrsg.), Handbuch der europäischen Integration, 2. Aufl., Wien 1996

Borchmann, Michael: Bundesstaat und europäische Integration, AöR 112 (1987),

s. 586-622

Borkenhagen, Pranz H. U.: Vom kooperativen Föderalismus zum "Europa der

Regionen", in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1992, B 42, S. 36--44

Borries, Reimer von: Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union,

EuR 1994, S. 263-300

-

Gedanken zur Tragweite des Subsidiaritätsprinzips im Europäischen Gemeinschaftsrecht, in: Ulrich Everling/Karl-Heinz Naljes/ Joachim Sedemund (Hrsg.), FS für Arved Deringer, Baden-Baden 1993, S. 22-39

Bothe, Michael: Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates, Berlin u. a.

1977 (zit.: M. Bothe, Kompetenzstruktur, S.)

-

Völkerrecht und Bundesstaat, in: Völkerrecht als Rechtsordnung- Internationale Gerichtsbarkeit - Menschenrechte - FS für Hermann Mosler, hrsg. von Rudolf Bernhardt/Wilhelm Karl Geck/Günther Jaenicke/Helmut Steinberger, Berlin 1983, s. 111-143

Bracher, Karl Dietrich: Die totalitäre Erfahrung, München/Zürich 1987 Brandt, Eberhard: Verkehrspolitik und transeuropäische Netze, in: Handbuch der

europäischen Integration, hrsg. von Moritz Röttinger und Claudia Weyringer, 2. Aufl., Wien 1996, S. 918-940

Breitenmoser, Stephan: Praxis des Europarechts, Zürich 1996 Brenner, Michael: Der unitarische Bundesstaat in der Europäischen Union - Zum

Ausgleich unitarischer und föderativer Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund eines vereinten Europa -, DÖV 1992, S. 903-

911

Breuer, Rüdiger: Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), NVwZ

1994, s. 417-429

-

Legislative und administrative Prognoseentscheidungen, Der Staat 1977, S. 2154

Brie, Siegfried: Das Wesen des Bundesstaates. Eine historisch-dogmatische Untersu-

chung, Leipzig 1874

Brück, Alwin: Europäische Integration und Entmachtung des Deutschen Bundesta-

ges: Ein Unterausschuß ist genug, ZParl 1988, S. 220-224

Bruha, Thomas: Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft,

in: Alois Riklin/Gerhard Batlinger (Hrsg.), Subsidiarität. Ein interdisziplinäres Symposium, Vaduz 1994, S. 375-410

Brunner, Manfred: Das Subsidiaritätsprinzip als europäisches Prinzip, in: Detlef

Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 9-22

Literaturverzeichnis

399

Bülck, Hartwig: Föderalismus als internationales Ordnungsprinzip, VVDStRL 21 (1964), S. l-65 Bullinger, Martin: Ungeschriebene Kompetenzen im Bundesstaat, AöR 96 (1971), s. 237-285 Bullmann, Udo: Regionen im Integrationsprozeß der Europäischen Union, in: ders. (Hrsg.), Die Politik der dritten Ebene. Regionen im Europa der Union, BadenBaden 1994, S. 15-41 Busche, Jürgen: Ein Priester, dem die Politik viel zu verdanken hat - Zum Tode von Oswald von Nell-Breuning, Süddeutsche Zeitung vom 24.08.1991, S. 14 Calliess, Christian: Das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip (Art. 3 b EGV) als "Grundsatz der größtmöglichen Berücksichtigung der Regionen, AöR 121 (1996), s. 510-543

-

Der Schlüsselbegriff der "ausschließlichen Zuständigkeit" im Subsidiaritätsprinzip des Art. 3b II EGV, EuZW 1995, S. 693-700

-

Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, Baden-Baden 1996

Calliess, Christian/Ruffert, Mattbias (Hrsg.): Kommentar zu EU-Vertrag und EGVertrag, Neuwied 1999 (zit.: Bearbeiter, in: Calliess/Ruffert, EUV /EGV, Art.) Cherot, Jean-Yves: Marche commun, regles et politiques communes?, Vorträge und Berichte des Europa-Instituts der Universität des Saarlandes, Nr. 299, Saarbrükken 1993 Chiti, Mario P.: Das Ziel der europäischen Integration, in: Martin Nettesheim/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat - Verfassungs- und europarechtliche Betrachtungen aus italienischer und deutscher Perspektive, Berlin 1999, S. 177195 Classen, Claus Dieter: Maastricht und die Verfassung: kritische Bemerkungen zum neuen "Europa-Artikel" 23 GG, ZRP 1993, S. 57-61 Cloos, Jim/Reinesch, Gaston/Vignes, Daniel/Weyland, Joseph: Le traite de Maastricht, Bruxelles 1993 Constantinesco, Vlad: "Subsidiarität": Magisches Wort oder Handlungsprinzip der Europäischen Union?, EuZW 1991, S. 561-563

-

La Subsidiarite comme Principe Constitutionnel de !'Integration Europeene, Außenwirtschaft 1991, S. 439-459

-

Subsidiarität: Zentrales Verfassungsprinzip für die Politische Union, integration 1990, s. 165-178

Cremer, Wolfram: Forschungssubventionen im Lichte des EG-Vertrages, BadenBaden 1995 Cromme, Franz: Spezifische Verfassungselemente des Staatenverbundes, Berlin 1997 D 'Atena, Antonio: Das Subsidiaritätsprinzip in der italienischen Verfassung, in: Martin Nettesheim/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat - Verfas-

400

Literaturverzeichnis

sungs- und europarechtliche Betrachtungen aus italienischer und deutscher Perspektive, Berlin 1999, S. 105-128 Dahm, Georg: Deutsches Recht, 2. Aufl., Stuttgart 1963 Dästner, Christian: Zur Aufgabenverteilung zwischen Bundesrat, Landesregierungen

und Landesparlamenten in Angelegenheiten der Europäischen Union, NWVBI. 1994, s. 1-9

Däubler, Wolfgang: Europäische Grundrechtsakte, in: Wemer Weidenfeld (Hrsg.),

Wie Europa verfaßt sein soll, Gütersloh 1991, S. 85-102

David, 1.: Streit um das Subsidiaritätsprinzip, in: Orientierung 21 (1957), S. 15-32 Dennewitz, Bodo: Der Föderalismus. Wesen und Geschichte, Harnburg 1947 Denninger, Erhard: Verfassungsauftrag und gesetzgebende Gewalt, JZ 1966, S. 767-

772

Deuerlein, Ernst: Föderalismus, München 1972 Di Fabio, Udo: Der neue Art. 23 des Grundgesetzes - Positivierung vollzogenen

Verfassungswandels oder Verfassungsneuschöpfung?, Der Staat 1993, S. 191-217

Dicke, Wolfgang: Europa im Einigungszwang, in: Deutsche Polizei 6/1994, S. 6--10 Dietz, Thomas M.: Die Reform der EU-Beihilfenkontrolle und ihre Auswirkungen

auf die regionale Wirtschaftsordnung, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22, 1999, s. 17-27

Digel, Wemer (Hrsg.): Meyers Taschenlexikon Geschichte in sechs Bänden, Bd. 2,

hrsg. Von der Redaktion Geschichte des Bibliographischen Instituts Mannheim/ Wien/Zürich 1982

Doehring, Kar!: Die nationale "Identität" der Mitgliedstaaten der Europäischen

Union, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, Baden-Baden 1995, S. 263-271

-

Gerechtigkeit im Sozialstaat unter den Forderungen der Gleichheit und Freiheit, in: GS für Wilhe1m Karl Geck, hrsg. von Wilfried Fiedler/Georg Ress, Köln u.a. 1989, S. 141-156

Dolzer, Rudolf: Die rechtliche Ordnung des Verhältnisses der Bundesrepublik

Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Aufl., Heidelberg 1995, § 12

Donat, Mareeil von: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union aus der

Perspektive der Europäischen Kommission, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union - Bedeutung und Wirkung für ausgewählte Politikbereiche, Baden-Baden 1995, S. 9-16

Dörr, Oliver: Noch einmal: Die Europäische Union und die Europäischen Gemein-

schaften, NJW 1995, S. 3162-3165

- Zur Rechtsnatur der Europäischen Union, EuR 1995, S. 334-348 Droop, Christian: Sachrechte (sie!) der Gliedstaaten der USA und ihre kollisions-

rechtliche Bewältigung, Jura 1993, S. 293-300

Literaturverzeichnis

401

Dürig, Günter: Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts, JZ 1955, S. 521-525

-

Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ 1953, S. 193-199

Ebke, Klaus: Bundesstaat und Gewaltenteilung, Göttingen 1965 Ehlermann, Claus-Dieter: Ökonomische Aspekte des Subsidiaritätsprinzips: Harrnonisierung versus Wettbewerb der Systeme, integration 1995, S. 11-21 Eichenberger, Kurt: Der geforderte Staat: Zur Problematik der Staatsaufgaben, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 1, Stuttgart 1977, S. 103-117

-

Föderalismus und Regionalismus in Europa - Landesbericht Schweiz, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, Baden-Baden 1990, s. 17-54

Ellis, Evelyn/Tridimas, Takis: Public Law of the European Community, London 1995 Emmert, Frank: Europarecht, München 1996 Engel, Christian: Regionen in der Europäischen Gemeinschaft: Eine integrationspolitische Rollensuche, integration 1991, S. 9-20 Epiney, Astrid: Gemeinschaftsrecht und Föderalismus: "Landes-Blindheit" und Pflicht zur Berücksichtigung innerstaatlicher Verfassungsstrukturen, EuR 1994, s. 301-324 Erhardt, Manfred: Die Kulturhoheit der Länder als Kern der Eigenstaatlichkeit der Länder und EG-Aktivitäten auf den Gebieten von Erziehung, Ausbildung und Forschung, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, Köln 1992, S. 85-90 Esser, Josef: Grundsatz und Norm, 4. Aufl., Tübingen 1990 Everling, Ulrich: Die allgemeine Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaft zur Zielverwirklichung nach Art. 235 EWG-Vertrag, EuR 1976, Sonderheft, S. 2-27

-

Elemente eines europäischen Verwaltungsrechts, DVBI. 1983, S. 649-655

-

Gestaltungsbedarf des Europäischen Rechts, EuR 1987, S. 214-235

-

Subsidiaritätsprinzip und "ausschließliches" Gemeinschaftsrecht - ein "faux probleme" der Verfassungsauslegung, in: Verfassungsstaatlichkeit. FS für Klaus Stern, hrsg. von Joachim Burrneister, München 1997, S. 1227-1237

-

Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, DVBI. 1993, S. 936-947

-

Zur Aufteilung der Kompetenzen in einer föderal gegliederten Europäischen Union, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, Gütersloh 1991, s. 41-49

-

Zur Begründung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1994, S. 127-143

26 Moersch

402 -

Literaturverzeichnis

Zur föderalen Struktur der Europäischen Gemeinschaft, in: Kay Hailbronner/ Georg Ress/Torsten Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung - FS für Karl Doehring, Heidelberg 1989, S. 179-198 Zur rechtlichen Wirkung von Beschlüssen, Entschließungen, Erklärungen und Vereinbarungen des Rates oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, in: Rechtsvergleichung, Europarecht und Staatenintegration. GS für Leotin-Jean Constantinesco, hrsg. von Gerhard Lüke/Georg Ress/Michael R. Will, Köln 1983, S. 133-156

Faber, Angela: Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, DVBI. 1991, S. 1126-1135 Faber, Heiko: Verwa1tungsrecht, 4. Aufl., Tübingen 1995 Fach, Wolfgang: Neo-Korporatismus oder so: ein Review-Symposion, in: Journal für Sozialforschung 1983, S. 385-388 Fechtner, Detlef/Hannes, Matthias: Die Vereinigten Staaten von Amerika: Jenseits des kooperativen Föderalismus?, ZG 1994, S. 153-157 Fischer, Hans Georg: Europarecht, 2. Aufl., München 1997 Fischer, Peter/ Köck, Heribert F.: Europarecht einschließlich des Rechts der supranationalen Organisationen, 3. Aufl., Wien 1997 Folz, Hans Ernst: Die Selbstverwaltung der Studentenwerke, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft - FG für Georg Christoph von Unruh, Heidelberg 1983, S. 901-918 Forschner, Maximilian: Stichwort: Zweck, in: Staatslexikon Bd. 5, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. Br. 1988 und 1995 Forsthoff, Ernst: Die Verwaltung als Leistungsträger (zitiert nach Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959)

-

Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., München 1973

Fraenkel, Ernst: Deutschland und die westlichen Demokratien, 7. Aufl., Stuttgart 1979 Frantz, Constantin: Der Föderalismus als das leitende Prinzip für die sociale, staatliche und internationale Organisation, unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland, kritisch nachgewiesen und constructi v dargestellt, Mainz 1879

-

Deutschland und der Föderalismus, Berlin 1921

Frowein, Jochen Abr.: Das Maastricht-Urteil und die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, ZaöRV 1994, S. 1-16

-

Bundesrat, Länder und europäische Einigung, in: Vierzig Jahre Bundesrat, hrsg. vom Bundesrat, Baden-Baden 1989, S. 285-302

-

Deutscher Föderalismus der Gegenwart, in: Schriften der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Folge 2, 1981 Die Konstruktion des Bundesstaates, in: Probleme des Föderalismus, Tübingen 1985,S. 47-58 Die Verfassung der Europäischen Union aus der Sicht der Mitgliedstaaten, EuR 1995, s. 315-333

-

Literaturverzeichnis -

403

Konkurrierende Zuständigkeit und Subsidiarität. Zur Kompetenzverteilung in bündischen Systemen, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens - FS für Peter Lerche, hrsg. von Peter Badura/Rupert Scholz, München 1993, S. 401-410

Funk, Bernd-Christian: Die Bedeutung gliedstaatliehen Verfassungsrechts in der Gegenwart, VVDStRL 46 (1988), S. 57-91 Furrer, Andreas: Die Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen, Berlin u. a. 1993 Gagem, Hans Christoph Reichsfreiherr von: Leben des Generals Friedrich von Gagern, Bd. I, Leipzig und Heidelberg 1856 Gaster, Jens: Subsidiaritätsprinzip im Gemeinschaftsrecht, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, Berlin 1998, s. 19-39 Geiger, Rudolf: EG-Vertrag, Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl., München 1995

-

Grundgesetz und Völkerrecht, 2. Aufl., München 1994

Geppert, Th.: Teleologie des Gemeinwesens, Münster 1955 Giering, Claus: Europa zwischen Zweckverband und Superstaat, Bonn 1997 Glaesner, Hans-Joachim: Die Einheitliche Europäische Akte, EuR 1986, S. 119-152 Glagow, Manfred: Zur Delegation staatlicher Aufgaben im Umweltschutz an Selbstverwaltungskörperschaften: Die verordnete Selbsteuerung, in: ders. (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung zwischen Korporalismus und Subsidiarität, Bietefeld 1984, s. 115-139 Glotz, Peter: Stichwort: Sozialismus, in: Evangelisches Staatslexikon, hrsg. von Roman HerzogtHermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, Bd. 2, 3. Aufl., Stuttgart 1987 Gneist, Rudolf von: Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, unveränderter Neudruck der 3. Aufl., Berlin 1879 Goppel, Thomas: Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips - Der Beitrag Bayerns zur Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips in der EG, EuZW 1993, S. 367370 Gotsch, Wilfried: Neokorporalismus in steuerungstheoretischer Perspektive, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung zwischen Korporalismus und Subsidiarität, Bietefeld 1984, S. 54-88 Götz, Volkmar: Mehrheitsbeschlüsse des Rates der Europäischen Union, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, Baden-Baden 1995, S. 339-353 Grabbe, Hans-Jürgen: Die deutsch-alliierte Kontroverse um den Grundgesetzentwurf im Frühjahr 1949, VZG, Heft 26 (1978), S. 393-418

26•

Unionsparteien, Sozialdemokratie und Vereinigte Staaten von Amerika 19451966, Düsseldorf 1983

404

Literaturverzeichnis

Grabitz, Eberhard: Die Rechtsbefugnis von Bund und Ländern bei der Durchfüh-

rung von Gemeinschaftsrecht, AöR lll (1986), S. l-33

-

Subsidiarität im Gemeinschaftsrecht, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, Köln 1992, S. 139-149

Grabitz, Eberhard/ Hilf, Meinhard (Hrsg.): Kommentar zur Europäischen Union, 4 Bde., Loseblattsammlung, München, Stand: Mai 1999 (zit.: Bearbeiter, in: Grabitz/Hilf, Art.; Rz.) Grabitz, Eberhard/Zßcker, Christian: Die neuen Umweltkompetenzen der EWG,

NVwZ 1989, S. 297-303

Grimm, Dieter: Braucht Europa eine Verfassung?, Vortrag gehalten in der Carl

Friedrich von Siemens Stiftung am 19. Januar 1994, Privatdruck, hrsg. von Heinrich Meier, München 1994

-Effektivität und Effektuierung des Subsidiaritätsprinzips, Krit.V. 1994, S. 6--12 -

Subsidiarität ist nur ein Wort, FAZ vom 17.9. 1992, S. 38

Grob/eben, Harald: Große Verbände und kleine Vereine, in: Rudolf Bauer/Hartmut

DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe. Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe in der Krise des Sozialstaats, Opladen 1984, S. 162-170

Groeben, Hans von der/Thiesing, Jochen/ Ehlermann, Claus-Dieter (Hrsg.): Kom-

mentar zum EU-lEG-Vertrag, Bd. l, 5. Aufl., Baden-Baden 1997, Bd. 2, 5. Aufl. 1999, Bd, 3, 5. Aufl., 1999, Bd. 4, 5. Aufl. 1997, Bd. 5, 5. Aufl. 1997 (zit.: Bearbeiter, in: G/T /E, Art., Rz.)

Gruner, Wolf D.: Der Föderalismus als Gestaltungsprinzip, in: Heiner Timmermann

(Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, Berlin 1998,

s. 51-76

Grupp, Walter G./Schäder, Gerhard: Neue Tendenzen in der Rechtsprechung des

Europäischen Gerichtshofs, EWS 1993, S. 27-29

Gulmann, Claus: Some Remarks concerning the principle of Subsidiarity, in: Kay

Hailbronner (Hrsg.), Europa der Zukunft - Zentrale und dezentrale Lösungsansätze, Köln 1994, S. 45-47

Gundlach, Gustav: Die sozialen Rundschreiben Leos XIII. und Pius XI., Paderborn

1931

Gunther, Gerald: Constitutional Law, IIth edition, New York 1985 Gutknecht, Brigitte: Das Subsidiaritätsprinzip als Grundsatz des Europarechts, in:

Für Staat und Recht - FS für Herbert Schambeck, hrsg. von Johannes Hengstschläger/Heribert Franz Köck/Karl Korinek/Klaus Stern/ Antonio Truyol y Serra, Berlin 1994, S. 921-946

Häberle, Peter: "Gemeinwohljudikatur" und Bundesverfassungsgericht, AöR 95

(1970), S. 86--125 und S. 260-298

-

Aktuelle Probleme des Föderalismus, in: DV 1991, S. 169-209

-

Das Prinzip der Subsidiarität aus Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, in: Alois Riklin/Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, Vaduz 1994, S. 267- 310

Literaturverzeichnis

405

-

Demokratische Verfassungstheorie im Lichte des Möglichkeitsdenkens, AöR 102 (1977), s. 27--68

-

Der Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, AöR 118 (1993), S. 1-44

-

Die Entwicklung des Föderalismus in Deutschland - insbesondere in der Phase der Vereinigung, in: Jutta Kramer (Hrsg.), Föderalismus zwischen Integration und Sezession, Baden-Baden 1993, S. 201-243

-

Die Gemeinwohlproblematik in rechtswissenschaftlicher Sicht, in: Rechtstheorie 14 (1983). s. 257-284

-

Öffentliches Interesse als juristisches Problem, Bad Hornburg 1970

-

Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl., Berlin 1998

-

Verfassungsrechtliche Fragen im Prozeß der europäischen Einigung, EuGRZ 1992, s. 429-437

Hach, Renate: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union aus der Perspektive der Bundesregierung, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union - Bedeutung und Wirkung für ausgewählte Politikbereiche, Baden-Baden 1995, S. 17-34 Häckel, Erwin: Tagungsbericht, integration 1979, S. 86-90 Häfelin, Ulrich: Die Fortbildung des schweizerischen Bundesstaatsrechts in den Jahren 1954- 1971, JöR N. F. 1973, S. 1-100 Hahn, Hugo J.: Der Vertrag von Maastricht als völkerrechtliche Übereinkunft und Verfassung, Baden-Baden 1992

-

Stichwort: Europäische Einigung, in: Evangelisches Staatslexikon, hrsg. von Roman HerzogtHermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, Bd. I, 3. Aufl., Stuttgart 1987

Hailbronner, Kay: Das Subsidiaritätsprinzip als Rechtsprinzip nach dem Maastrichter Vertrag, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft, Zentrale und dezentrale Lösungsansätze, Köln 1994, S. 49--67

-

Die deutschen Bundesländer in der EG, JZ 1990, S. 149-158

-

Legal Institutional Reform of the EEC: What Can We Leam from Federalism Theory and Practice?, in: Außenwirtschaft 1991, S. 485-496

Hailbronner, Kay I Klein, Eckart I Magiera, Siegfried/Müller-Graff, Peter-Christian: Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union (EUV /EGV), Köln u. a., Loseblattsammlung, Stand: November 1998 (zit.: Bearbeiter, in: Handkommentar, Art., Rz.) Hänsch, Klaus: Gegenwart und Perspektiven der europäischen Integration, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge - Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union, Berlin/New York 1998, S. 11-28 Hättich, Manfred: Stichwort: Demokratie, in: Staatslexikon, Bd. 1, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Freiburg i. Br. u.a. 1988 und 1995

406

Literaturverzeichnis

Hauschild, Jürgen: Selbstverwaltung als Organisationsprinzip in Staat und Wirtschaft, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft - FG für Georg Christoph von Unruh, Beideiberg 1983, S. 79-89 Heermann, Peter W.: Auswirkungen der europäischen Rechtsentwicklung auf das deutsche Wettbewerbsrecht oder: Wohin steuert das deutsche Werberecht nach der Entscheidung des EuGH vom 7.3.1990 in Sachen .,GB-INNO-BM ./. Confederation du commerce Luxembourgeois"?, in: Rupert Scholz (Hrsg.), Deutschland auf dem Weg in die Europäische Union: Wieviel Eurozentralismus - wieviel Subsidiarität?, Köln 1994, S. 364-369 Heffter, Heinrich: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 2. Aufl., Stuttgart 1969 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Bd. I (Ausgabe Lasson), Leipzig 1920 Heidenhain, Martin: Subsidiaritätsprinzip - Abbau oder Aufbau von Kompetenzen, EuZW 1993, S. 73 Heintzen, Markus: Gemeineuropäisches Verfassungsrecht in der Europäischen Union, EuR 1997, S. 1-16

-

Subsidiaritätsprinzip und Europäische Gemeinschaft, JZ 1991, S. 317-323

Heinze. Meinhard: Europäische Einflüsse auf das nationale Arbeitsrecht, RdA 1994, s. 1-11 Heinze. Rolf G.: Verbandlichung der Sozialpolitik? Zur neuen Diskussion des Subsidiaritätsprinzips, in: Jürgen Krüger/Eckart Pankoke (Hrsg.), Kommunale Sozialpolitik, München u.a. 1985, S. 19fr221 Heinze. Rolf G./Olk, Thomas: Rückzug des Staates - Aufwertung der Wohlfahrtsverbände?, in: Rudolf Bauer/Hartmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe. Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe in der Krise des Sozialstaats, Opladen 1984, S. 173-187

-

Sozialpolitische Steuerung: Von der Subsidiarität zum Korporatismus, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung zwischen Korporalismus und Subsidiarität, Bielefeld 1984, S. 162-194

Heitsch, Christian: Prüfungspflichten des Bundesverfassungsgerichts unter dem Staatsziel der europäischen Integration, EuGRZ 1997, S. 461-469 Held, Gerd: Föderalismus am Mittelmeer?, Aus Politik und Zeitgeschichte, 1993, B 2~21, s. 23-29 Heller, Hennann: Staatslehre (in der Bearbeitung von Gerhard Niemeyer) 6. Aufl., Tübingen 1983 Hendler, Reinhard: Das Prinzip der Selbstverwaltung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 106

-

Die bürgerliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, Göttingen 1977

-

Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, Köln u. a. 1984

Literaturverzeichnis

407

Hengstenberg, H. E.: Philosophische Begründung des Subsidiaritätsprinzips, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, Heidelberg 1953, S. 1944 Henke, Klaus-Dirk: Möglichkeiten zur Stärkung der Länderautonomie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, S. 643-655 Hennis, Wilhelm: Zur Begründung der Fragestellung, in: ders./Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit - Studien zu ihrer Problematisierung, Bd. 1, Stuttgart 1977, S. 9-21 Henrichs, Helmut: Der Vertrag über die Europäische Union und seine Auswirkungen auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten, DÖV 1994, S. 368-377 Herdegen, Matthias: Die Belastbarkeit des Verfassungsgefüges auf dem Weg zur Europäischen Union, EuGRZ 1992, S. 589-594

-

Strukturen und Institute des Verfassungsrechts der Länder, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 97

-

Vertragliche Eingriffe in das "Verfassungssystem" der Europäischen Union, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, Baden-Baden 1995, S. 447-461

Herzog, Roman: Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971

-

Aufgaben des Bundesrates, in: Josef lsensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Heidelberg 1987, § 45

-

Gleichheit und Gerechtigkeit. "Normierungswut" als Ursache der Aufblähung der Bürokratie, in: Heiner Geißler (Hrsg.), Verwaltete Bürger - Gesellschaft in Fesseln. Bürokratisierung und ihre Folgen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1978, S. 83-92

-

Stichwort: Föderalismus, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. 1, hrsg. von ders./ Hermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, 3. Aufl., Stuttgart 1987

-

Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung, in: Der Staat 2 (1963), S. 399-423

-

Wandel des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Dreißig Jahre Grundgesetz- Vorträge und Diskussionsbeiträge der 47. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, hrsg. von Detlef Merten und Rudolf Morsey, Berlin 1979, S. 41-54

-

Was bedeutet das Subsidiaritätsprinzip wirklich?, in: Hubert Hier! (Hrsg.), Europa der Regionen, S. 122-133

-

Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: Josef lsensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 2. durchgesehene Aufl., Heidetberg 1996, § 58

-

Zwischenbilanz im Streit um die bundesstaatliche Ordnung, JuS 1967, S. 193200

Hespe, Klaus: Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Köln 1964

408

Literaturverzeichnis

Hesse, Konrad: Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, in: FS für Gebhard Müller, hrsg. von Theo Ritterspach/Willi Geiger, Tübingen 1970, s. 141-160

-

Der unitarische Bundesstaat, Karlsruhe 1962

-

Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995

Heydte, Friedrich August Freiherr von der: Völkerrecht, Bd. I, Köln 1958 Heydte, Ludwig August Freiherr von der: Rechtsgutachten, in: ders./ Arnold Köttgen (Hrsg.), Vorrang oder Subsidiarität der freien Jugendhilfe?, Harnburg 1961, S. 53-80 Hilf, Meinhard: Das 10. Amendment im Wandel des Föderalismus der Vereinigten Staaten von Amerika, JöR N. F. 1973, S. 595--619

-

Die Europäische Union und die Eigenstaatlichkeil ihrer Mitgliedstaaten, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, Heidelberg 1994, S. 75-85

-

Eine Verfassung für die Europäische Union: Zum Entwurf des Institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments, integration 1994, S. 68-78

-

Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz, VVDStRL 53 (1994), S. 8-25

-

Grundrechte für eine europäische Verfassung, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, Gütersloh 1991, S. 62-71

Hili, Hermann: ,,Europa der Regionen": Zur Bedeutung der Zusammenarbeit von Bundesländern und Regionen im europäischen Integrationsprozeß, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, Köln 1992,S. 117-122

-

Die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung nach der Reform, Baden-Baden 1987

-

Impulse zum Erlaß eines Gesetzes, DÖV 1981, S. 487-497

Hillgruber, Christian: Das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union zu ihren Mitgliedstaaten - staats- und völkerrechtlich betrachtet, AdV 1996, S. 347-375

Hilz. Wolfram: Bedeutung und Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips für den europäischen Integrationsprozeß, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22, 1999, s. 28-38

-

Subsidiaritätsprinzip und die EU-Gemeinschaftsordnung. Anspruch und Wirklichkeit am Beispiel des Maastricht-Prozesses, Opladen 1998

Hirsch, Günter: Die Auswirkungen des Subsidiaritätsprinzips auf die Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Gemeinschaften, Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes, hrsg. von Georg Ress und Torsten Stein, Saarbrücken 1995, Nr. 330

-

Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig

Literaturverzeichnis

409

Jahre Römische Verträge - Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union, Berlin 1998, S. 79-95 Habe, Stephan: Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag von Maastricht, Der Staat

1993,

s. 245-268

Hochbaum, Ingo: Kohäsion und Subsidiarität, DÖV 1992, S. 285-292 Höffe, Otfried: Subsidiarität als staatsphilosophisches Prinzip, in: Alois Riklin/

Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität- Ein interdisziplinäres Symposium, Vaduz 1994, s. 19-44

Hofmann, Hasso: Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949, in: Josef Isensee/

Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Auf!., Heidelberg 1995, § 7

Hollerbach, Alexander: Stichwort: Gemeinwohl - III, Juristische Aspekte, in:

Staatslexikon, Bd. II, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. Br. u. a. 1986 und 1995

Hölscheidt, Sven/Schotten, Thomas: Die Erweiterung der Europäischen Union als

Anwendungsfall des neuen Buropaartikels 23 GG?, DÖV 1995, S. 187-193

Hrbek, Rudolf: Der Ertrag der "Verfassungsdebatte" von Maastricht: Ein Erfolg für

den Föderalismus und die deutschen Länder?, in: Europarecht - Energierecht Wirtschaftsrecht FS für Bodo Börner, hrsg. von Jürgen F. Baur/Peter-Christian Müller-Graff/Manfred Zuleeg, Köln 1992, S. 125-149

- Der Vertrag von Maastricht über die Europäische Union: Entstehung, Inhalt, Probleme und Kontroversen, in: Hartmut Klatt (Hrsg.), Das Europa der Regionen nach Maastricht- Analysen und Perspektiven, Bonn 1995, S. 11-23 Huber, Ernst Rudolf: Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, Teil IV, DÖV

1956,

s. 200-207

-

Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Auf!., Stuttgart u. a. 1978; Bd. 2, 3. Auf!., Stuttgart u. a. 1986; Bd. 3, 3. Auf!. Stuttgart u. a. 1990

-

Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, Bd. II, Stuttgart 1951

Huber, Peter Michael: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der

europäischen Integration, in: ders. (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, Berlin 1996, S. 11-39

-

Der Staatenverbund der Europäische Union, in: Jörn lpsen/Hans-Werner Rengelingt Jörg Manfred Mössner/ Albrecht Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel. FS zum ISOjährigen Bestehen des Carl Heymanns Verlag KG, Köln 1995, s. 349-372

- Die Rolle des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsprozeß, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349-378 -

Maastricht- ein Staatsstreich?, Stuttgart u.a. 1993

Hufen, Friedhelm: Kulturstaatlichkeit im Bundesstaat, in: Probleme des Föderalis-

mus, Tübingen 1985, S. 199-219

410

Literaturverzeichnis

Hüglin, Thomas 0.: Althusius - Vordenker des Subsidiaritätsprinzips, in: Alois Riklin/Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität - Ein interdisziplinäres Symposium, Vaduz 1994, S. 99-117 Humboldt, Wilhelm von: Werke in 5 Bänden, hrsg. von Andreas Flinter/Kiaus Giel, Darmstadt, Bd. I 1960, Bd. II 1961, Bd. III 1963, Bd. IV 1964, Bd. V 1981 Hummer, Waldemar: Subsidiarität und Föderalismus als Strukturprinzipien der Europäischen Gemeinschaften, ZfRV 1992, S. 81-91 lglesias, Rodriguez Gil Carlos: Zur "Verfassung" der Europäischen Gemeinschaft, EuGRZ 1996, S. 125-131 lpsen, Hans Peter: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, in: Probleme des Europäischen Rechts - FS für Walter Hallstein, hrsg. von Ernst von Caemmerer/ Hans-Jürgen Schlochauer/Emst Steindorff, Frankfurt a.M. 1966, S. 248-265 -

Die Bundesrepublik Deutschland in den Europäischen Gemeinschaften, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, Heidelberg 1992, § 181

-

Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972

-

Zehn Glossen zum Maastricht-Urteil, EuR 1994, S. 1-21

lpsen, Knut: Völkerrecht, 4. Aufl., München 1999 /sensee, Josef: Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, AöR 115 (1990), s. 248-280 -

Einheit in Ungleichheit: der Bundesstaat - Vielfalt der Länder als Legitimationsbasis des deutschen Föderalismus, in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, S. 139162

-

Europa - die politische Erfindung eines Erdteils, in: ders. (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 103-138

-

Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 2. durchgesehene Aufl., Heidelberg 1996, § 57

-

Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Heidelberg 1992, § 115

-

Idee und Gestalt des Föderalismus, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 98

-

Integrationsziel Europastaat?, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, Baden-Baden 1995, S. 567-592

-

Staat und Verfassung, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 13

-

Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, Berlin 1968

Jachtenfuchs, Markus: Die EG nach Maastricht, Das Subsidiaritätsprinzip und die Zukunft der Integration, EA 1992, S. 279-287

Literaturverzeichnis

411

Jahns-Böhm, Jutta/ Breier, Siegfried: Die umweltrechtliche Querschnittsklausel des Art. 130 r II 2 EWGV, EuZW 1992, S. 49-55 Jarass, Hans D.: Die EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität nach Schaffung der Europäischen Union, EuGRZ 1994, S. 209-219

-

Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, Köln u. a. 1994

Jarass, Hans/ Pieroth, Bodo: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., München 1997 Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1913 (zit. nach dem Nachdruck des fünften Neudrucks der 3. Auflage), Kronberg/Taunus 1914

-

Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1882

-

System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tübingen 1905 (Nachdruck Darmstadt 1963)

Jerusalem, Franz W.: Die Staatsidee des Föderalismus, Tübingen 1948 Jescheck, Hans-Heinrich: Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Berlin 1996 Jhering, Rudolph von: Der Zweck im Recht, Bd. I, Leipzig 1877 Jickeli, Joachim: Der Binnenmarkt im Schatten des Subsidiaritätsprinzips, JZ 1995, s. 57-64 Kägi, Wemer: Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates. Untersuchungen über die Entwicklungstendenzen im modernen Verfassungsrecht, Zürich 1945 Kahl, Wolfgang: Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3 b EG-Vertrag, AöR 1993, S. 41~6

-

Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht eine Untersuchung zur Rechtsidee "bestmöglichen Umweltschutzes" im EWG-Vertrag, Heidelberg 1993

Kalbfleisch-Kottsieper, Ulla: Föderalismus und Regionalismus in Europa - die Buropapolitik der deutschen Bundesländer, in: Dieter Freiburghaus (Hrsg.), Die Kantone in Europa, Bem u.a. 1994, S. 145-156 Kalkbrenner, Helmut: Die rechtliche Verbindlichkeit des Subsidiaritätsprinzips, in: Recht und Staat - FS für Günther Küchenhoff, hrsg. von Hans Halblitzel und Michael Wollenschläger, zweiter Halbband, Berlin 1972, S. 515-540

-

Verfassungsauftrag und Verpflichtung des Grundgesetzes, DÖV 1963, S. 41-51

Kant, Immanuel: Werke: hrsg. von Wilhelm Weischedel, 8. Aufl., Frankfurt a. M. 1991 Kapteyn, P. J. G./VerLoren van Themaat, P.: Introduction to the Law of the European Communities, 9. Ed., London u.a. 1998 Kaufmann, Arthur: Subsidiaritätsprinzip und Strafrecht, in: Grundlagen der gesamten Strafrechtswissenschaft, FS für Heinrich Henkel, hrsg. von Claus Roxin, Berlin/New York 1974, S. 89-108 Kelsen, Hans: Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925

412

Literaturverzeichnis

Kempen, Otto Ernst: Subsidiaritätsprinzip, europäisches Gemeinschaftsrecht und

Tarifautonomie, Krit.V. 1994, S. 13-56

Kerber, Walter: Stichwort: Gemeinwohl - I. Sozialphilosophische Grundlagen, in:

Staatslexikon, Bd. 2, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. Br. u. a. 1988 und 1995

-

Subsidiarität und Demokratie - Philosophische Abgrenzungen, in: Otto Kimminich (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, Düsseldorf 1981, S. 75-86

Kielmansegg, Peter Graf: Demokratieprinzip und Regierbarkeit, in: Wilhelm

Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 1, Stuttgart 1977,S. 118-133

-

Organisierte Interessen als "Gegenregierung"?, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 139176

Kimminich, Otto: Das Subsidiaritätsprinzip und seine Auswirkungen im geltenden

Verfassungsrecht, in: Politische Studien 1987, S. 587-598

-

Der Bundesstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Aufl., Heidelberg 1995, § 26

-

Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., Baden-Baden 1987

-

Die deutsche Frage in der europäischen Ordnung des 19. Jahrhunderts, in: Politische Studien 1976, S. 17-26

-

Die Subsidiarität in der Verfassungsordnung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, in: ders. (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, Düsseldorf 1981, s. 30-61

-

Die Verknüpfung der Rechtsstaatsidee mit den anderen Leitprinzipien des Grundgesetzes, DÖV 1979, S. 765-772

-

Historische Grundlagen und Entwicklung des Föderalismus in Deutschland, in: Probleme des Föderalismus, Tübingen 1985, S. 1-15

Kinkel, Klaus: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, in: Verfas-

sungsstaatlichkeil - FS für Klaus Stern, hrsg. von Joachim Burmeister, München 1997, s. 1287-1299

Kipp, Heinrich: Mensch, Recht und Staat- Staatslehre, Köln 1947 Kirchhof, Paul: Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Peter

Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 11-24

-

Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Heidelberg 1992, § 124

-

Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: Josef Isensse/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, Heidelberg 1992, § 183

-

Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Aufl., Heidelberg 1995, § 19

Literaturverzeichnis

413

-

Die Staatenvielfalt - ein Wesensgehalt Europas, in: Für Recht und Staat - FS für Herbert Schambeck, hrsg. von Johannes Hengstschläger/Heribert Franz Köck/ Kar! Korinek/KJaus Stern/ Antonio Truyol y Serra, Berlin 1994, S. 947-958

-

Europäische Einigung und der Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland, in: Josef Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und rechtliche Form, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 63-101

Kisker, Gunter: Ideologische und theoretische Grundlagen der Bundesstaatlichen

Ordnung der Bundesrepublik Deutschland - Zur Rechtfertigung des Föderalismus, in: Probleme des Föderalismus, Tübingen 1985, S. 23-37

Klages, Helmut: Überlasteter Staat - verdrossene Bürger? Zu den Dissonanzen der

Wohlfahrtsgesellschaft, Frankfurt a. M. /New York 1981

Klatt, Hartmut Reform und Perspektiven des Föderalismus in der Bundesrepublik

Deutschland - Stärkung der Länder als Modemisierungskonzept, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/86 vom 12.07.1986, S. 3-28

Kleffner-Riedel, Angelika: Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, Frankfurt

a. M. 1993

Klein, Eckart: Zulässigkeit von Wirtschaftssanktionen der EWG gegen die Mitglied-

staaten, RIW 1985, S. 291-296

Klein, Eckart/ Haratsch, Andreas: Neuere Entwicklungen des Rechts der Euro-

päischen Gemeinschaften- Teil 1, DÖV 1993, S. 785-798

Klein, Hans Hugo: Demokratie und Selbstverwaltung, in: FS für Ernst Forsthoff,

hrsg. von Roman Schnur, 2. Aufl., München 1974, S. 165-185

-

Die Legitimation des Bundesrates und sein Verhältnis zu den Landesparlamenten und Landesregierungen, in: Vierzig Jahre Bundesrat, hrsg. vom Bundesrat, Baden-Baden 1989, S. 95-111

Klein, Heribert: Der Wortführer der katholischen Soziallehre - Zum Tode von

Oswald von Nell-Breuning, FAZ vom 23.8. 1991, S. 6

Kloepfer, Michael: Gleichheit als Verfassungsfrage, Berlin 1980

-

Stichwort: Finanzverfassung, Finanzausgleich, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. I, hrsg. von Roman HerzogtHermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, 3. Aufl., Stuttgart 1987

Kluxen, Kurt: Geschichte Englands, 2. Aufl., Stuttgart 1976 Knemeyer, Franz-Ludwig: Kommunale Selbstverwaltung im Wandel, in: Recht und

Staat im sozialen Wandel - FS für Hans Ulrich Scupin, hrsg. von Norbert Achterberg/Wemer Krawietz/Dieter Wyduckel, Berlin 1983, S. 797-811

-

Subsidiarität - Föderalismus - Regionalismus, Dezentralisation, kommunale Selbstverwaltung, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen - Europa der Kommunen, Baden-Baden 1994, S. 37-53

-

Subsidiarität - Föderalismus, Dezentralisation, DVBI. 1990, S. 449-454

Knies, Wolfgang: Diskussionsbeitrag, in: Kodifikation gestern und heute. Zum

200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, hrsg. von Detlef Merten und Waldemar Schreckenberger, Berlin 1995, S. 254

414

Literaturverzeichnis

Koch, Johannes: Subsidiarität im Zentralstaat? Zur Rechtslage in Frankreich,

NWVBI. 1997, S. 205-210

Köck, Franz Heribert: Die "implied powers" in den Europäischen Gemeinschaften

als Anwendungsfall der "implied powers" internationaler Organisationen überhaupt, in: Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht - FS für lgnaz Seidi-Hohenveldern, hrsg. von Kari-Heinz Böckstiegei!Hans-Ernst Folz/Jörg Manfred Mössner/Karl Zemanek, Köln u.a. 1988, s. 279-299

Koenig, Christian/ Pechstein, Matthias: Die Europäische Union. Der Vertrag von

Maastricht, 2. Aufl., Tübingen 1999

-

Matthias, Rechtspersönlichkeit für die Europäische Union?, EuZW 1997, S. 225

Konow, Gerhard: Zum Subsidiaritätsprinzip des Vertrags von Maastricht, DÖV

1993, s. 405-412

Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): In welcher Verfassung befindet sich Europa Braucht Europa eine Verfassung?: Materialien und Dokumente zu einem Expertengespräch am 11. Dezember 1992, St. Augustin 1993 Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger: VwGO, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl., München 1998

Kopp,

Korinek, Karl: Wirtschaftliche Selbstverwaltung, Wien/New York 1970 Korte, Heinz W.: Die Aufgabenverteilung zwischen Gemeinde und Staat unter

besonderer Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips, VerwArch. 1970, S. 359

Kosseleck, Reinhard: Artikel: Bund (Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat), in:

Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. I, hrsg. von Otto Brunner/Werner Conze/Reinhard Koselleck, Stuttgart 1992

Köttgen, Arnold: Rechtsgutachten, in: Ludwig August Freiherr von der Heydte/

Amold Köttgen (Hrsg.), Vorrang oder Subsidiarität der freien Jugendhilfe?, Harnburg 1961, S. l-51

Kramer, Larry!Weiler, Joseph: Theorie und Praxis des amerikanischen Föderalismus

- Vorbild oder Kontrastmodell für Europa?, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union - Europas Zukunft?, München 1994, S. 145167

Krämer, Ludwig: Aufgabenverflechtung zwischen europäischer Gemeinschaft, Bund

und Ländern, dargestellt am Beispiel des Umweltschutzes, in: Siegfried MagieraiDetief Merten (Hrsg.), Bundesländer und Europäische Gemeinschaft, Berlin 1988, S. 189-216

Kraußer, Hans-Peter: Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht

als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, Berlin 1991

Kröger, Klaus: Einführung in die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik

Deutschland, München 1993

Krüger, Herbert: Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966

Literaturverzeichnis -

Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, DVBI. 1951, S. 361-368

-

Subkonstitutionelle Verfassungen, DÖV 1976, S. 613-624

415

Küchenhoff, Günther: Naturrecht und Liebesrecht, 2. Aufl., Hildesheim 1962

-

Staatsverfassung und Subsidiarität, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, Heidelberg 1953, S. 67-100

Küchenhoff, Günther/ Küchenhoff, Erich: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Stuttgart u.a. 1977 Kühnhardt, Ludger: Föderalismus und Subsidiarität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 45/91, S. 37-45 Kuli, Edgar: Verfassung als Parteiprogramm - Zur Expansion der "relevanten Kräfte", in: FS für Ernst Forsthoff, hrsg. von Roman Schnur, 2. Aufl., München 213-227 1974,

s.

Kunig, Philip: Mitwirkung der Länder bei der europäischen Integration: Art. 23 des Grundgesetzes im Zwielicht, in: Jörn Ipsen/Hans-Werner Rengeling/Jörg Manfred Mössner/ Albrecht Weber (Hrsg.) Verfassungsrecht im Wandel. FS zum ISOjährigen Bestehen des Carl Heymanns Verlag KG, Köln 1995, S. 591-605 Küsters, Hanns Jürgen: Stichwort: Europa, Teil li, in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 2, 7. Aufl., Freiburg i. Br. 1986 und 1995 Kuttenkeuler, Benedikt P.: Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz, Frankfurt a. M., u. a. 1998 Kux, Stephan: Die Versammlung der Regionen Europas, in: Dieter Freiburghaus

(Hrsg.), Die Kantone in Europa, Bern u.a. 1994, S. 91-144

Laband, Paul: Deutsches Reichsstaatsrecht, Bd. I: Das öffentliche Recht der Gegenwart, 6. Aufl., Tübingen 1912 Lahr, Rolf: Die Legende vom "Luxemburger Kompromiß", EA 1983, S. 223-232 Lambers, Hans-Jürgen: Subsidiarität in Europa - Allheilmittel oder juristische Leerformel?, EuR 1993, S. 229-242 Lang, Ruth: Die Mitwirkungsrechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Artikel 23 Abs. 2 bis 7 GG, Berlin 1997 Langer, Stefan: Subsidiarität und Anerkennungsprinzip, ZG 1993, S. 193-211 Larenz, Kar!: Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., München 1987

-

Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Studienausgabe), 2. Aufl., Berlin u. a. 1992

Laursen, Finn/Van-Hoonacker, Sophie: The Intergovernmental Conference on Political Union, Institutional Reforms, New Policies and International Identity of the European Community, Maastricht 1992 Laux, Eberhard: Kommunale Selbstverwaltung als politisches Prinzip - Wege der

Diskussion, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Indu-

416

Literaturverzeichnis

striegesellschaft- FG für Georg Christoph von Unruh, Heide1berg 1983, S. 5178 Lecheler, Helmut: Das Subsidiaritätsprinzip - Strukturprinzip einer europäischen Union, Berlin 1993

-

Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, in: FS für Werner Thieme, hrsg. von Hans Peter Bull, Berlin u.a. 1993, S. 431-443

-

Der Fortgang der europäischen Integration im Spiegel der Rechtsprechung des EuGH und der nationalen Gerichte - Ansatzpunkte für eine "europäische Bundestreue", EA 1968, S. 403-411

-

Der Rechtscharakter der Europäischen Union, in: Jörn lpsen/Hans-Werner Rengeling/Jörg Manfred Mössner/ Albrecht Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel. FS zum ISOjährigen Bestehen des Carl Heymanns Verlag, Köln 1995, s. 383-394

-

Einheitsbildung und Subsidiarität, in: Martin Nettesheim/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat - Verfassungs- und europarechtliche Betrachtungen aus italienischer und deutscher Perspektive, Berlin 1999, S. 96-104

Lehmbruch, Gerhard: Neokorporatismus in Westeuropa: Hauptprobleme im internationalen Vergleich, in: Journal für Sozialforschung 1983, S. 407-421 Lehner, Franz: Grenzen des Regierens - Eine Studie zur Regierungsproblematik hochindustrialisierter Demokratien, Königstein/Ts. 1979 Leibholz, Gerhard: Strukturprobleme der Demokratie, 3. Aufl., Frankfurt 1974 Leisner, Walter: Der Gleichheitsstaat- Macht durch Nivellierung, Berlin 1980

-

Die bayerischen Grundrechte, München 1968

-

Egalisierung -ein Anliegen der Gerechtigkeit?, in: Walter Leisner: Der Staat Schriften zu Staatslehre und Staatsrecht, hrsg. von Josef Isensee, Berlin 1994

-

Schwächung der Landesparlamente durch grundgesetzliehen Föderalismus, DÖV 1968, s. 389-396

Lenaerts, Koen/Ypserle, Patrick van: Le principe de subsidiarite et son contexte: etude de L'article 3 b du traite de CE, Cahiers de droit europeen 1994, p. 3-62 Lenz, Carl Otto: Maastricht und das Grundgesetz, in: Für Recht und Staat - FS für Herben Helmrich, hrsg. von Klaus Letzgus/Hermann Hill/Hans Hugo Klein/ Detlef Kleinert/Georg-Berndt Oschatz/Hans de With, München 1994, S. 269277

-

Vertrag von Maastricht - Ende demokratischer Staatlichkeit?, NJW 1993, S. 1962-1964

-

(Hrsg.), Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl., Köln 1999 (zit.: Bearbeiter, in: Lenz, Art., Rz.)

Leonardy, Uwe: Gegenwart und Zukunft der Arbeitsstrukturen des Föderalismus: Status quo, "Europa der Regionen" und staatliche Einheit Deutschlands, ZParl 1990, s. 180-200

Literaturverzeichnis

417

Lerche, Peter: Das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsdirektiven - Zu den "nicht erfüllten Gesetzgebungsaufträgen", AöR 90 (1965), S. 341-372

-

Europäische Staatlichkeil und die Iodentität des Grundgesetzes, in: Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung und Rechtsschutz. FS für Konrad Redeker, hrsg. von Bemd Bender/Rüdiger Breuer/Fritz Ossenbühl/Horst Sendler, München 1993, s. 131-147

-

Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, VVDStRL 21 (1964), S. 66--104

-

Grundrechtsschranken, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Heidelberg 1992, § 122

-

Übermaß und Verfassungsrecht, Köln u. a. 1961

-

Zur Position der deutschen Länder nach dem neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, in: Für Recht und Staat - FS für Herbert Schambeck, hrsg. von Johannes Hengstschläger/Heribert Franz Köck/Karl Korinek/Klaus Stern/ Antonio Truyol y Serra, Berlin 1994, S. 753-766

Lhotta, Roland: Der "verkorkste Bundesstaat" - Anmerkungen zur bundesstaatliehen Reformdiskussion, ZParl 1993, S. 117-131 Link, Ewald: Das Subsidiaritätsprinzip - Sein Wesen und seine Bedeutung für die Sozialethik, Freiburg 1955 Lipphardt, Hans-Rudolf: Grundrechte und Rechtsstaat, EuGRZ 1986, S. 149-162 Listl, Josef: Stichwort: Staat, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. 2, hrsg. von Roman HerzogtHermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, 3. Aufl., Stuttgart 1987 Loebenstein, Edwin: Die implied power-Theorie im Völkerrecht und in der Verfassungsordnung eines Bundesstaates, in: FS für Ludwig Adamovich, hrsg. von Bemd-Christian Funk/Wolfgang Mantl, Wien 1992, S. 339-360 Loewenstein, Kar!: Verfassungslehre, 3. Aufl., Tübingen 1975

-

Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, Berlin 1959

Lübbe, Hermann: Abschied vom Superstaat - Vereinigte Staaten von Europa wird es nicht geben, Berlin (ohne Erscheinungsjahr)

-

Regionalismus und Föderalismus in der politischen Transformation Europas, in: Peter Michael Huber (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, Berlin 1996, s. 85-95

Lück, Michael: Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der europäischen Gemeinschaft: ein Vergleich zur Bundestreue im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1991 Lücke, Jörg: Soziale Grundrechte als Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge, AöR 107 (1982), S. 15-60 Luhmann, Niklas: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1980

-

Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München 1981

-

Soziale Systeme - Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984

27 Moersch

418 -

Literaturverzeichnis

Zweckbegriff und Systemrationalität, Tübingen 1968 (zitiert nach der lizensierten Taschenbuchausgabe, Tübingen 1973)

Luster, Rudolf/ Pfennig, Gero/ Fugmann, Friedrich: Bundesstaat Europäische Union: ein Verfassungsentwurf, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, Gütersloh 1991, S. 105-134 Magiera, Siegfried: Die Einheitliche Europäische Akte und die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union, in: Verfassungsrecht und Völkerrecht - GS für Wilhelm Kar! Geck, hrsg. von Wilfried Fiedler/Georg Ress, Köln. u. a. 1989, S. 505-530 -

Föderalismus und Subsidiarität als Rechtsprinzipien der Europäischen Union, in: Heinrich SchneidertWolfgang Wessels (Hrsg.), Föderale Union - Europas Zukunft?, München 1994, S. 71-98

Maier, Hans: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., München 1980 Maier, Reinhold: Erinnerungen, Tübingen 1966 Maihofer, Werner: Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, in: Ernst Benda/ Werner Maihafer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., Berlin 1994, § 5 Makarov, Alexander N.: Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts, 2. Aufl., Stuttgart 1962 Manfrass-Siracques, Fran~oise: Frankreich im Spannungsfeld zwischen Integration, Zentralstaat und Regionalismus, in: Heiner Timmerrnann (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, Berlin 1998, S. 101-109 Mangoldt, Hans von/ Klein, Fritz: Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl., Bd. 1, hrsg. von Christian Starck, München 1985 (zit.: C. Starck, Grundgesetz, Art., Rz.) Matz, Ulrich: Der überforderte Staat: Zur Problematik der heute wirksamen Staatsvorstellungen, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.),Regierbarkeit, Bd. 1, Stuttgart 1977, S. 82-102 Maunz, Theodor: Deutsches Staatsrecht, 22. Aufl., München 1978 -

Die gegenwärtige Gestalt des Grundgesetzes, BayVBI. 1979, S. 513-518

-

Verfassungsaufträge an den Gesetzgeber, BayVBI. 1975, S. 601-606

-

Verfassungshomogenität von Bund und Ländern, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 95

Maunz, Theodor/ Dürig, Günter: Grundgesetz. Kommentar, München Loseblattsammlung, Stand: Februar 1999 (zit.: Bearbeiter, in: Maunz/Dürig, Art., Rz.) Maunz, Theodor/Schmidt-Bleibtreu, Bruno/ Klein, Franz/ Ulsamer, Gerhard: Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Kommentar, München, Loseblattsammlung, Stand: April 1997 (zit.: Bearbeiter, M/S-B/K/U, §, Rz.) Maunz, Theodor/Zippelius, Reinhold: Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl., München 1998

Literaturverzeichnis

419

Maurer, Hartmut: Ohne Titel. Erwiderung auf Dunz, FamRZ 1961, S. 248-249 Mayer-Tasch, Peter Comelius: Korporativismus und Autoritarismus, Eine Studie zu Theorie und Praxis der berufsständischen Rechts- und Staatsidee, Frankfurt a. M. 1971 Mayntz, Renate: Politische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme Anmerkungen zu einem theoretischen Paradigma, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 89-110 Menger, Christian-Friedrich: Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 8. Aufl., Heidelberg 1993 Merten, Detlef: Deutschland im europäischen Kräftefeld, in: Michael Kloepfer/ Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier/Wassilios Skouris, Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Verfassungsgeschichte, Berlin 1994, S. 19-33

-

Subsidiarität als Verfassungsprinzip, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 77-96

-

Verfassungsstaat und Sozialstaat, VSSR, Bd. 8 (1980), S. 101-114

Messner, Johannes: Die soziale Frage im Blickfeld der Irrwege von gestern, der Sozialkämpfe von heute, der Weltentscheidungen von morgen, 7. Aufl., Ionsbrock 1964 Meyer, Hans: Wahlgrundsätze und Wahlverfahren, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Heidelberg 1987, § 38 Micklitz, Hans W./Reich, Norbert: Verbraucherschutz im Vertrag über die Europäische Union, EuZW 1992, S. 593-598 Mohl, Robert von: Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. I, Tübingen 1844

-

Encyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl. und 3. Aufl., Heidelberg 1872

Mols, Manfred: Integrationslehre und politische Theorie, AöR 94 ( 1969), S. 513553

-

Stichwort: Integration, in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 3, Freiburg i. Br. 1987 und 1995

Morsey, Rudolf: Die Entstehung des Bundesstaates im Parlamentarischen Rat, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft. Beiträge zum 25jährigen Bestehen des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Bundesrat, Bad Honnef und Darmstadt 1974, S. 63-77

-

Verfassungsschöpfung unter Besatzungsherrschaft, DÖV 1989, S. 471-482

Möschel, Wemhard: Subsidiaritätsprinzip im Zwielicht, WiSt 1995, S. 232-236

-

Wird die "effet utile"-Rechtsprechung des EuGH "inutile"?, NJW 1994, s. 1709-1710

-

Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, NJW 1993, S. 3025-3028

Matsch, Peter: Die rechtliche Stellung der Handwerkskammer gegenüber Staat und Gesellschaft. - Eine konkretisierende Studie zum Subsidiaritätsprinzip, Würzburg 1970 27•

420

Literaturverzeichnis

Müller, Friedrich: Juristische Methodik, 5. Aufl., Berlin 1993 Müller-Graf!, Peter-Christian: Binnenmarktauftrag und Subsidiaritätsprinzip?, ZHR 1995, s. 34-77

-

Verfassungsordnung der EG/EU, in: Manfred Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU Wirtshaftsrechts, Bd. I, Loseblattsammlung, Müchen Stand: 1997

Müller-/hold, Till: Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht - Eine rechtsvergleichende Untersuchung, Frankfurt a. M. 1990 Münch, Ingo von: Staatliche Wirtschaftshilfe und Subsidiaritätsprinzip, JZ 1960, s. 303-306

-

Stichwort: Verselbständigung von Staatsteilen, in: Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, hrsg. von Kar! Stropp/Hans J. Schlochauer/Hermann Mosler/Ulrich Scheuner, Berlin/New York 1962

Münch, Ingo von/ Kunig, Philip (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl., München 1995 (zitiert: Bearbeiter, in: von Münch/Kunig, Art., Rz.) Murswiek, Dietrich: Grundrechte als Teilhaberechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd V, Heidelberg 1992, § 112 Mußgnug, Reinhard: Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Auflage, Heidelberg 1995, § 6 Muthesius, Hans!Giese, Dieter: Die wichtigsten dogmatischen Grundsätze des Bundessozialhilfegesetzes, JuS 1962, S. 455-458 Mutius, Albert von!Thomas, Friedrich: Verfassungsentwicklung in den neuen Bundesländern - zwischen Eigenstaatlichkeil und notwendiger Homogenität, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1991, S. 243-281 Nanz, Klaus-Peter!Silberberg, Reinhard: Der Vertrag von Amsterdam, Stamberg 1997 Nawiasky, Hans: Bayerisches Verfassungsrecht, München u. a. 1923

-

Notes sur le concept "Federalisme", Politeia, Val. I (1948/49), S. 7-22

Nell-Breuning, Otto von: Stichwort: Subsidiarität, in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 7, 6. Aufl., Freiburg 1962

-

Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. III, Freiburg 1960

Nickel, Dietmar: Ein Kommentar zum Amsterdamer Vertrag aus der Sicht des Europäischen Parlaments, integration 1997, S. 219-227 Nicolaysen, Gert: Die Würdigung der Gesamtlage - ein Beitrag zu Art. 33 I S. 2 EGKSV, in: Ulrich Everling/Karl-Heinz Narjes/Joachim Sedemund (Hrsg.), Europarecht, Kartellrecht, Wirtschaftsrecht FS für Arved Deringer, BadenBaden 1993, S. 121-134

-

Zur Theorie der Implied Powers in den Europäischen Gemeinschaften, EuR 1966, S. 129-142

Literaturverzeichnis

421

Nienhaus, Volker: Geschichte, Institutionen und Strategien der Europäischen Union, in: Paul Klemmer (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Wirtschaftspolitik, München 1998, S. 1-139 Nipperdey, Thomas: Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: J. C. Boogman/G. N. van der Plaat (Hrsg.), Federalism, The Hague 1980, S. 125-175 Nocken, Ulrich: Korporalistische Theorien und Strukturen in der deutschen Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, Frankfurt a.M./New York 1981, S. 17-39 Oberreuter, Heinrich: Stichwort: Föderalismus, in: Staatslexikon, Bd. 2, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Freiburg i. Br. 1986 und 1995 Oeter, Stefan: Souveränität und Demokratie als Probleme in der "Verfassungsentwicklung" der Europäischen Union, ZaöRV 55 (1995), S. 659-712

- Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, Tübingen 1998 Offe, Claus: Die Staatstheorie auf der Suche nach ihrem Gegenstand. Beobachtungen zur aktuellen Diskussion, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 309-320 Ogris, Wemer: Der Norddeutsche Bund, JuS 1966, S. 306--310 Oppermann, Thomas: Der Maastrichter Unionsvertrag - Rechtspolitische Wertung, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Der Vertrag von Maastricht in der wissenschaftlichen Kontroverse, Baden-Baden 1993, S. 103-120

-

Die deutsche Länderkulturhoheit und EG-Aktivitäten in Bildung, Forschung und technologischer Entwicklung, in: Bemhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, Köln 1992, S. 73-84

-

Europarecht, 2. Aufl., München 1999

- Zur Eigenart der Europäischen Union, in: Peter Hommelhoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, Heidelberg 1994, S. 87-98 Oppermann, Thomas/ Classen, Claus Dieter: Die EG vor der Europäischen Union, NJW 1993, S. 5-12

- Europäische Union: Erfüllung des Grundgesetzes, Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, B 28, S. 11-20 Oschatz, Georg-Bemdt: Die Mitwirkung der Länder an der europäischen Rechtsetzung als Mittel zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 41-51

- EG-Rechtsetzung und deutscher Föderalismus - Die Europäisierung des Rechts und ihre Auswirkungen auf das bundesstaatliche und institutionelle Gefüge in der Bundesrepublik Deutschland, in: Föderalismus und Europäischen Gemeinschaften, hrsg. von Detlef Merten, Berlin 1990, S. 63-80 Ossenbühl, Fritz: Föderalismus nach 40 Jahren Grundgesetz, DVBI. 1989, S. 12301237

-

Föderalismus und Regionalismus in Europa - Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, Baden-Baden 1990,S. 117-165

422

Literaturverzeichnis

-

Maastricht und das Grundgesetz - eine verfassungsrechtliche Wende?, DVBI. 1993, s. 629-637

-

Probleme der Verfassungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, DVBI. 1992, s. 468-477

Parry, John: The Union - Bundesstaat auf Britisch?, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, Berlin 1998,

s. 77-86

Pathe, Karl: Die Ausführung der Baugesetze, DVBI. 1951, S. 681-685 Pemice, Ingolf: "Europäische Union" - die Sprachverwirrung von Maastricht, ZEuP 1995, s. 177-180

-

Befugnisse der EG auf dem Gebiet des Umwelt- und Technikrechts, DV 1989, s. 1-54

-

Die Dritte Gewalt im europäischen Verfassungsverbund, EuR 1996, S. 27-43

-

Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und Schweiz, DVBl. 1993, S. 909-924

-

Maastricht, Staat und Demokratie, DV 1993, S. 449-488

Pemthaler, Peter: Der differenzierte Bundesstaat, Wien 1992 Pescatore, Pierre: Mit der Subsidiarität leben - Gedanken zu einer drohenden Bal-

kanisierung der Europäischen Gemeinschaft, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. II, Baden-Baden 1995, S. 10711094

Pestalozza, Christian: Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., München 1991 Petersen, Ulrich: Zur Rolle der Regionen im künftigen Europa, DÖV 1991, S. 278285

Petersmann, Hans G.: Die Souveränität des britischen Parlaments in den Europäischen Gemeinschaften, Baden-Baden 1975

Pfeifer, Bemd: Probleme des spanischen Föderalismus, Berlin 1998 Pjizer, Paul A.: Über die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Deutschland durch die Verfassung des Bundes, Stuttgart 1835

Pieper, Stefan U1rich: Subsidiaritätsprinzip - Strukturprinzip der Europäischen Union, DVBl. 1993, S. 705-712

-

Subsidiarität, Münster 1992

Pietzcker, Jost: Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht im Bundesstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Beideiberg 1990, § 99

Pipkom, Jöm: Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag über die Europäische Union -

Rechtliche Bedeutung und gerichtliche Überprüfbarkeit, EuZW 1992, S. 697700

Plaschke, Jürgen: Subsidiarität und "neue" Subsidiarität - Wandel der Aktionsfor-

men gesellschaftlicher Problembewältigung, in: Rudolf Bauer/Hartmut Dießen-

Literaturverzeichnis

423

bach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe. Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe in der Krise des Sozialstaats, Opladen 1984, S. 134-147 Plate, Bemard von: Subregionalismus. Eine Zwischenebene in einer gesamteuropäischen Ordnung, EA 1991, S. 558-566 Press, Volker: Staatswerdungsprozeß in Mitteleuropa: Heiliges Römisches Reich, Deutschland, Österreich, in: Alois Riklin/Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität Ein interdisziplinäres Symposium, Vaduz 1994, S. 213-242 Preu, Peter: Polizeibegriff und Staatszwecklehre, Göttingen 1983 Prittwitz, Volker von: Politikanalyse, Opladen 1994 Puissochet, Jean-Pierre: La Subsidiarite en droit Fra~ais, in: Knut Wolfgang Nörr/ Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit. Zur Reichweite eines Prinzips in Deutschland und Europa, Tübingen 1997, S. 205-213 Pütter, Johann Stephan: Eiementa juris publici germanici, 4. Aufl., Göttingen 1766 Püttner, Günter: Kommunale Selbstverwaltung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Beideiberg 1990, § 107 Quadros, Fausto de: Das Subsidiaritätsprinzip im EG-Recht nach Maastricht, in: Christian Tomuschat/Hein Kötz/Bemd von Maydell (Hrsg.), Europäische Integration und nationale Rechtskulturen, Köln u. a. 1994, S. 335-354 Quantz, Jürgen: Reform der Finanzverfassung, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, S. 695-699 Randelzhofer, Albrecht Zum behaupteten Demokratiedefizit der Europäischen Union, in: Peter Homme1hoff/Paul Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, Beideiberg 1994, S. 39-55 Rauscher, Anton: Stichwort: Subsidiarität, in: Staatslexikon, hrsg. von der GörresGesellschaft, Bd. 5, 7. Aufl., Freiburg i. Br. 1989 und 1995

-

Subsidiaritätsprinzip und berufsständische Ordnung, in: Quadragesimo anno, Münster 1958

Redeker, Konrad/Oertzen, Joachim von: Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl., Stuttgart u. a. 1997 Reher, Tim/ Schöner, Markus: Das Werbeverbot für Tabakerzeugnisse - geht das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in Rauch auf?, EWS 1998, S. 294298 Reich, Norbert: Zur Theorie des Europäischen Verbraucherrechtes, ZEuP 1994, s. 381-407 Rendtorff, Trutz: Kritische Erwägungen zum Subsidiaritätsprinzip, in: Der Staat 1962, s. 405-430 Rengeling, Hans-Wemer: Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 202-239

-

Gesetzgebungszuständigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Beideiberg 1990, § 100

424

Literaturverzeichnis

Renzsch, Wolfgang: Die Subsidiaritätsklausel des Maastrichter Vertrages: Keine Grundlage für die Kompetenzabgrenzung in einer Europäischen Politischen Union, ZParl 1993, S. 104-116

-

Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse oder Wettbewerb der Regionen?, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1997, S. 87-108

Ress, Georg: Die europäische Union (sie!) und die neue juristische Qualität der Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften, JuS 1992, S. 985-991.

-

Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, EuGRZ 1986, S. 549-558

-

Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: Josef lsensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Aufl., Heidelberg 1995, § 11

-

Die neue Kulturkompetenz der EG, DÖV 1992, S. 944--955

Rixecker, Roland: Grenzüberschreitender Föderalismus - eine Vision der deutschen Verfassungsreform zu Art. 24 Abs. I des Grundgesetzes, in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, S. 201-220 Robbers, Gerhard: Die Änderungen des Grundgesetzes, NJW 1989, S. 1325-1332 Rohe, Mathias: Binnenmarkt oder Interessenverband? - Zum Verhältnis von Binnenmarkt und Subsidiaritätsprinzip nach dem Maastricht-Vertrag, RabelsZ Bd. 61 (1997), S. l-85 Rotter, Manfred: Das Subsidiaritätsprinzip und der Ausschuß der Regionen im Unionsvertrag von Maastricht, in: Für Staat und Recht, FS für Herbert Schamheck, hrsg. von Johannes Hengstschläger/Heribert Franz Köck/Kar1 Korinek/ Klaus Stem/Antonio Truyol y Serra, Berlin 1994, S. 981-1001 Rudolj. Walter: Aktuelle Probleme und Entwicklungstendenzen des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Probleme des Föderalismus, Tübingen 1985, s. 227-244

-

Bund und Länder im aktuellen deutschen Verfassungsrecht, Bad Harzburg u. a. 1968

-

Die Bundesländer und die europäische Einigung, in: Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, hrsg. von Detlef Merten, Berlin 1990, S. 263-273

-

Die deutschen Bundesländer und die Europäischen Gemeinschaften nach der Einheitlichen Europäischen Akte, in: Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung. FS für Karl Josef Partsch, hrsg. von Jürgen Jekewitz/Karl Heinz Klein/Jörg Detlef Kühne/Hans Petersmann/Rüdiger Wolfrum, Berlin 1989, s. 357-375

Rüfner, Wolfgang: Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 2. durchgesehene Aufl., Heide1berg 1996, § 80 Rumpler, Helmut: Föderalismus als Problem der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, in: Der Staat 1977, S. 215-228

Literaturverzeichnis

425

Rupp, Hans Heinrich: Eine Verfassung für Europa?, in: Peter Michael Huber

(Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, Berlin 1996, S. 49-53

-

Maastricht- Eine neue Verfassung?, ZRP 1993, S. 211-213

Sachs, Michael: Die Auswirkungen des allgemeinen Gleichheitssatzes auf die Teil-

rechtsordnungen, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Beideiberg 1992, § 127

-

(Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 1996 (zit.: Bearbeiter, in: Sachs, Grundgesetz, Art. Rz.)

Sack, Jörn: Die Europäische Gemeinschaft als Mitglied internationaler Organisatio-

nen, in: GS für Eberhard Grabitz, hrsg. von Albrecht Randelzhofer/Rupert Scholz/Dieter Wilke, München 1995, S. 631-660

Saladin, Peter: Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ord-

nung der Wirtschaft, VVDStRL 35 (1977), S. 7-50

Sannwald, Rüdiger: Die Reform der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzge-

bungsverfahrens nach den Beschlüssen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, ZG 1994, S. 134-145

Schachtschneider, Kar! Albrecht Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungs-

gesetz zum Vertrag über die Europäische Union (Maschinenschriftliches Manuskript der Beschwerdeschrift, im Besitz des Verfassers)

Schäffer, Heinz: Der Österreichische Föderalismus - Rechtskonzept und politische

Realität, in: Jutta Kramer (Hrsg.), Föderalismus zwischen Integration und Sezession, Baden-Baden 1993, S. 171-199

-

Der Österreichische Föderalismus - Zustand und Entwicklung, in: Verfassungsstaatlichkeit, FS für Klaus Stern, hrsg. von Joachim Burmeister, München 1997, S. 227-251

Schambeck, Herbert: Demokratie und Föderalismus als europäischer Auftrag, ÖJZ

1993,S.l13-119

-

Föderalismus und Gewaltenteilung, in: FS für Willi Geiger, hrsg. von Gerhard Leibholz/Hans Joachim Faller/Paul Mikat/Hans Reis, Tübingen 1974, S. 643676

-

Föderalismus und Regionalismus in Europa - Landesbericht Österreich, in: Fritz Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, Baden-Baden 1990, s. 55-116

Scharpf, Fritz W.: Der Bundesrat und die Kooperation auf der "dritten Ebene", in:

Vierzig Jahre Bundesrat, hrsg. vom Bundesrat, Baden-Baden 1989, S. 121-162

- Föderalismus an der Wegscheide: eine Replik, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1990, S. 579-587 -

Regionalismus des europäischen Raumes - Die Zukunft der Bundesländer im Spannungsfeld zwischen EG, Bund und Kommunen - Cappenberger Gespräche der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Bd. 23, Köln 1988

426

Literaturverzeichnis

Schasching, Johannes: Subsidiarität, "Der höchstgewichtige sozialphilosophische Grundsatz" (Quadragesimo anno Nr. 79), in: FS für Herbert Schambeck, hrsg. von Johannes Hengstschläger u. a., Berlin 1994, S. 107-115 Schauer, Hans: Europäische Identität und demokratische Tradition - Zum Staatsverständnis in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, München/Landsberg a.L. 1996

-

Nationale und europäische Identität - Die unterschiedlichen Auffassungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Aus Politik und Zeitgeschichte 1997, B 10, S. 3-13

Scheffler, Hans-Hermann: Die Pflicht zur Begründung von Maßnahmen nach den europäischen Gemeinschaftsverträgen, Berlin 1974 Schelsky, Helmut: Der selbständige Mensch in der freiheitlichen Gesellschaftsordnung, VSSR, Bd. 6 (1978), S. 151-163 Scheiter, Kurt: Subsidiarität - Handlungsprinzip für das Europa der Zukunft, EuZW 1990, s. 217-219 Schenke, Wolf-Rüdiger: Die Verfassungsorgantreue, Berlin 1977 Scherer, Josef: Subsidiaritätsprinzip und EG-Agrarreform, DVBI. 1993, S. 281-291 Scheuing, Dieter H.: Umweltschutz auf der Grundlage der Einheitlichen Europäischen Akte, EuR 1989, S. 152-192 Scheuner, Ulrich: Normative Gewährleistungen und Bezugnahme auf Fakten im Verfassungstext, in: FS für Hans Ulrich Scupin, hrsg. von Norbert Achterberg, Berlin 1973, S. 323-341

-

Staatstheorie und Staatsrecht, Gesammelte Schriften, hrsg. von Josef List! und Wolfgang Rüfner, Berlin 1978

-

Staatszielbestimmungen, in: Roman Schnur (Hrsg.), FS für Ernst Forsthoff, 2. Aufl., München 1974, S. 325-346

-

Wandlungen im Föderalismus der Bundesrepublik, DÖV 1966, S. 513-520

Schieder, Theodor: Politische Bewegungen und Parteien: Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 6, Stuttgart 1968, § 5 Schilling, Theodor: Artikel 24 Absatz I des Grundgesetzes, Artikel 177 des EWGVertrages und die Einheit der Rechtsordnung, in: Der Staat 1990, S. 161-183

-

Die Verfassung Europas, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1996, S. 387417

-

Singularia non sunt extenda. Die Auslegung der Ausnahme in der Rechtsprechung des EuGH, EuR 1996, S. 44-57

Schima, Bernhard: Das Subsidiaritätsprinzip im europäischen Gemeinschaftsrecht, Wien 1994 Schimank, Uwe/Glagow, Manfred: Formen politischer Steuerung: Etatismus, Subsidiarität, Delegation und Neokorporatismus, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesell-

Literaturverzeichnis

427

Schaftssteuerung zwischen Korparatismus und Subsidiarität, Bielefeld 1984, S. 4-28

Schink, Alexander: Die europäische Regionalisierung - Erwartungen und deutsche Erfahrungen, DÖV 1992, S. 385-393 Schlaich, Klaus: Bundesverfassungsgericht - Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 4. Aufl., München 1997 Schmahl, Stefanie: Die Kulturkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, BadenBaden 1986 Schmalenbach, Kirsten: Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Gemeinsamen Verfassungskommission - Motive einer Verfassungsänderung, Berlin 1996 Schmid, Carlo: Erinnerungen, Bem u. a. 1979 Schmid, Gerhard: Die Bedeutung gliedstaatliehen Verfassungsrechts in der Gegenwart, VVDStRL 46 (1988), S. 92-119 Schmidhuber, Peter M.: Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, DVBI. 1993, s. 417-422 Schmidhuber, Peter M./ Hitzler, Gerhard: Binnenmarkt und Subsidiaritätsprinzip, EuZW 1993, S. 8-10 -

Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EWG-Vertrag - ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer föderalen Verfassung der Europäischen Gemeinschaft, NVwZ 1992, S. 720-725

Schmidle, Paul: Das Gesetz für Jugendwohlfahrt - Chance und Aufgabe für die caritative Jugendhilfe, Caritas 1962, S. 9-16 Schmidt, Walter: Organisierte Einwirkungen auf die Verwaltung - Zur Lage der zweiten Gewalt, VVDStRL 33 (1975), S. 183-220 Schmidt-Aßmann, Eberhard: Der Rechtsstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Aufl., Heidelberg 1995, § 24 -

Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, DVBI. 1993, S. 924-936

-

Kommunalrecht, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Berlin/New York 1995, S. 1-96

-

Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: GS für Wolfgang Martens, hrsg. von Peter Selmer/lngo von Münch, Berlin/New York 1987, S. 249264

Schmitt, Theodor Adam: Das Subsidiaritätsprinzip. Ein Beitrag zur Problematik der Begründung und Verwirklichung, Würzburg 1979 Schmitter, Philippe C.: Still the Century of Corporatism?, in: ders./Gerhard Lehmbruch (ed.), Trends Toward Corporatist Intermediation, Beverly Hills/London 1979, s. 7-52 Schmuck, Otto: DerMaastrichter Vertrag zur Europäischen Union, EA 1992, S. 97106

428

Literaturverzeichnis

Schnabel, Franz: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 3 (Taschenbuchausgabe), Freiburg 1964 Schnapp, Friedrich E.: Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Idustriegesellschaft - FG für Georg Christoph von Unruh, Heidelberg 1983, S. 881-900 Schneider, Hans-Peter: Die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern nach dem Grundgesetz - Eine Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips?, in: Jutta Kramer (Hrsg.), Die Entwicklung des Staates der Autonomien in Spanien und der bundesstaatliehen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, BadenBaden 1996, S. 37-47 Schnoor, Herbert: Föderalismus - Chance für Europa, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, Berlin 1998, s. 87-100 Scholz, Rupert: Ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: FG für das Bundesverfassungsgericht, Bd. II, hrsg. von Christian Starck, Tübingen 1976, S. 252-276 -

Das Subsidiaritätsprinzip im europäischen Gemeinschaftsrecht - ein tragflihiger Maßstab zur Kompetenzabgrenzung?, in: FS für Herbert Helmrich, hrsg. von Klaus Letzgus/Hermann Hill/Hans Hugo Klein/Detlef Kleinert/Georg-Berndt Oschatz/Hans de With, München 1994, S. 411-426

-

Europäische Union und Verfassungsreform, NJW 1993, S. 1690-1692

-

Grundgesetz und europäische Einigung. Zu den reformpolitischen Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission, NJW 1992, S. 2593-2601

Schön, Wolfgang: Gesellschaftsrecht nach Maastricht - Art. 3 b EGV und das europäische Gesellschaftsrecht, ZGR 1995, S. 1-38 Schramm, Alfred: US-Föderalistische Anregungen zur Weiterentwicklung des EGSubsidiaritätsprinzips, ZfRV 2000, S. 8-16 Schröder, Meinhard: Bundesstaatliche Erosionen im Prozeß der europäischen Integration, JöR N.F. 35 (1986), S. 83-102 Schuppert, Gunnar Polke: Der bundesstaatliche Finanzausgleich: status-quo Denken oder Reformprojekt?, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis (1995), S. 675693 -

Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staatsverwaltung?, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft - FG für Georg Christoph von Unruh, Heidelberg 1983, S. 183-205

-

Selbstverwaltung, Selbststeuerung, Selbstorganisation - Zur Begrifflichkeil einer Wiederbelebung des Subsidiaritätsgedankens, in: AöR 114 (1989), S. 127-148

Schütz, Jörg: Der Grundsatz der Subsidiarität und das Grundgesetz, Würzburg 1965 Schwan, Alexander: Stichwort: Gemeinwohl - II. Gemeinwohl aus politikwissenschaftlicher Sicht, in: Staatslexikon, Bd. 2, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. Br. 1986 und 1995

Literaturverzeichnis

429

Schwan, Gesine: Stichwort: Sozialismus I, in: Staatslexikon, hrsg. von der GörresGesellschaft, Bd. 5, 7. Aufl., Freiburg i. Br. 1986 und 1995 Schwanenjlügel, Mattbias von: Die Entwicklung der Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitswesen, Berlin 1996 (zit.: M. von Schwanenjlügel, Gesundheitswesen) Schwartz, Ivo E.: EG-Kompetenzen für den Binnenmarkt: Exklusiv oder konkurrierend/subsidiär?, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. li, Baden-Baden 1995, S. 1331-1354

-

Subsidiarität und EG-Kompetenzen. Der neue Titel "Kultur". Medienvielfalt und Binnenmarkt, AfP 1993, S. 409-421

Schwarz, Klaus-Dieter: Englands Probleme mit Europa, Baden-Baden 1997 Schwarze, Jürgen: Das Staatsrecht in Europa, JZ 1993, S. 585-593

-

Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. I und li, Baden-Baden 1988

Schweitzer, Michael: EG-Kompetenzen im Bereich von Kultur und Bildung, in: Detlef Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung von Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung, Berlin 1990, S. 147-165

-

Staatsrecht III, 5. Aufl., Heidelberg 1995

Schweitzer, Michael/Fixson, Oliver: Subsidiarität und Regionalismus in der Europäischen Gemeinschaft, Jura 1992, S. 579-586 Schweitzer, Michael/ Hummer, Waldemar: Europarecht, 5. Aufl., Neuwied 1996 Seidel, Martin: Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft - Träger oder Hemmnis des Fortschritts?, DVBI. 1989, S. 441-448

-

Zur Verfassung der Europäischen Gemeinschaft nach Maastricht, EuR 1992, s. 125-144

Seidl-Hohenveldem, Ignaz: Völkerrecht, 10. Aufl., Köln u.a. 2000 Seidl-Hohenveldem, Ignaz/ Loibl, Gerhard: Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 5. Aufl., Köln u. a. 1992

Sekretariat des Bundesrates (Hrsg.): Bundesrat und Europäische Union, Dokumentensammlung, Bonn 1997 Sigwart, Christoph: Der Kampf gegen den Zweck, in: ders., Kleine Schriften, Bd. II, 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1889 Smend, Rudolf: Der monarchische Bundesstaat, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl., Berlin 1968

-

Integration, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl., Berlin 1994,

s. 482-486

Integrationslehre, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl., Berlin 1994,

s. 475-481

430

Literaturverzeichnis

-

Stichwort: Integration, in: Evangelisches Staatslexikon, hrsg. von Roman HerzogtHermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, Bd. l, 3. Aufl., Stuttgart 1987

-

Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl., Berlin I994, S. 39-59

-

Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl., Berlin I994, S. 1I9-276

Söllner, Renate: Art. 5 EGW-Vertrag in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, Berlin I985 Sommermann, Karl-Peter: Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, DVBI. 1996, S. 889-898 -

Staatsziel "Europäische Union" - Zur normativen Reichweite des Art. 23 Abs. I S. I GG n.F., DÖV I994, S. 596--604

-

Staatsziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997

Stad/er, Hans: Subsidiaritätsprinzip und Föderalismus, Freiburg i. d. Schweiz 1951 Starck, Christian: Gesetzgeber und Richter im Sozialstaat, DVBI. 1978, S. 937-945 -

Grundrechte und demokratische Freiheitsrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Heidelberg I987, § 29

Stauffenberg, Franz Ludwig Graf!Langenfeld, Christine: Maastricht - ein Fortschritt für Europa?, ZRP I992, S. 252-259 Steiger, Heinhard: Zur Entscheidung kollidierender öffentlicher Interessen bei der politischen Planung als rechtliches Problem, in: Fortschritte des Verwaltungsrechts - FS Hans J. Wolff, hrsg. von Christian-Friedrich Menger, München I973, s. 385-428 Stein, Torsten: Europäische Integration und nationale Reservate, in: Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, hrsg. von Detlef Merten, Berlin I990, S. 91107 -

Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz, VVDStRL 53 (1994), S. 27-47

-

Subsidiarität als Rechtsprinzip?, in: Detlef Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 23-40

Steinberger, Helmut: Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, VVDStRL 50 (l99I), S. 9-55 Steindorff, Ernst: Unvollkommener Binnenmarkt, ZHR 1994, S. 149-169 Steiner, Udo: Kulturpflege, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 2. Aufl., Heidelberg 1996, § 86 Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., München 1984, Bd. III/2, München 1994, Bd. V., München 2000 -

Einführung, in: ders. (Hrsg.), Zukunftsprobleme der Europäischen Union, Berlin 1997, s. 1-6

Literaturverzeichnis

431

-

Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, in: Jürgen F. Baur/Christian Watrin (Hrsg.), Recht und Wirtschaft in der Europäischen Union, Berlin u. a. 1997, S. 16-41

-

Föderative Besinnungen, in: Recht als Prozeß und Gefüge - FS für Hans Huber, hrsg. von Jörg Paul Müller, Bern 1981, S. 319-331

-

Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Heidelberg 1992, § 108

-

Stichwort: Sozialstaat, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. 2, hrsg. von Roman Herzog/Hermann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, 3. Aufl., Stuttgart 1987

-

in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, hrsg. von Rudolf Dolzer, Artikel 28, Zweitbearbeitung, Heidelberg 1964

Stern, Klaus/ Burmeister, Joachim: Die kommunalen Sparkassen. Verfassungs- und Verwaltungsrechtliche Probleme, Stuttgart u. a. 1972 Stewing, Clemens: Das Subsidiaritätsprinzip als Kompetenzverteilungsregel im Europäischen Recht, DVBI. 1992, S. 1516-1518

-

Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, Köln/Berlin u. a. 1992

Stoiber, Edmund: Auswirkungen der Entwicklung Europas zur Rechtsgemeinschaft auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland, EA 1987, S. 543-552 Stolleis, Michael: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974

-

Stichwort: Gemeinwohl, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. 1, hrsg. von Roman Herzog/Herrnann Kunst/Klaus Schlaich/Wilhelm Schneemelcher, 3. Aufl., Stuttgart 1987

-

(Hrsg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit, 3. Aufl., München 1995

Streinz, Rudolf: Der "effet utile" in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, in: Oie Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. II, Baden-Baden 1995, S. 1491-1510

-

Der Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts durch deutsche Staatsorgane, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, Heidelberg 1992, § 182

-

Die Europäische Union nach dem Vertrag von Maastricht, ZfRV 1995, S. 1-13

-

Europarecht, 4. Aufl., Heidelberg 1999

Süsterhenn, Adolf: Das Subsidiaritätsprinzip als Grundlage der vertikalen Gewaltenteilung, in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltenteilung, Darmstadt 1969, S. 113-130

-

Föderalismus und Freiheit, in: ders. (Hrsg.), Föderalistische Ordnung, Koblenz 1961, s. 27-41

Tettinger, Peter J.: Überlegungen zu einem administrativen Prognosespielraum, DVBI. 1982, S. 421-433

-

Zum Tätigkeitsfeld der Bundesrechtsanwaltskammer, München 1985

432

Literaturverzeichnis

Teubner, Gunther/Willke, Helmut: Kontext und Autonomie: Kontextsteuerung durch Recht? - Zur Steuerungsfunktion des Rechts in polyzentrischer Gesellschaft, in: Manfred Glagow/Helmut Willke (Hrsg.), Dezentrale Gesellschaftssteuerung. Probleme der Integration polyzentrischer Gesellschaft, Paffenweiler 1987, s. 3-26 Thieme, Werner: Subsidiarität und Zwangsmitgliedschaft, Saarbrücken 1962 Thoma, Richard: Rechtsstaatsidee und Verfassungswissenschaften, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, 1910, S. 196-218 Thränhardt, Dietrich: Im Dickicht der Verbände. Korporatistische Politikformulierung und verbandgerechte Verwaltung am Beispiel der Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik, in: Rudolf Bauer/Hartmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe. Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe in der Krise des Sozialstaats, Opladen 1984, S. 45-66 Thudichum, Friedrich: Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Zollvereins, Tübingen 1870 Timmermann, Heiner: Die Regionen Europas und der Vertrag von Maastricht, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus und Subsidiarität in der Europäischen Union, Berlin 1998, s. 41-50 Tomuschat, Christian: Bundesstaats- und Integrationsprinzip in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, in: Siegfried MagieraiDetief Merten (Hrsg.), Bundesländer und Europäische Gemeinschaften, Berlin 1988, S. 21-43

-

Das Endziel der europäischen Integration - Maastricht ad infinitum?, DVBI. 1996, s. 1073-1082

-

Güterverteilung als rechtliches Problem, in: Der Staat 1973, S. 433-466

-

in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, hrsg. von Rudolf Dolzer, Art. 24, Zweitbearbeitung, Heidelberg 1981

Tönnies, Ferdinand: Zweck und Mittel im sozialen Leben, in: Erinnerungsgabe für Max Weber, Bd. I, hrsg. von Melchior Palyi, München und Leipzig 1923, s. 235-270 Toth, A. G.: The Principle of Subsidiarity in the Maastricht Treaty, CMLR 1992, s. 1079-1095 Treitschke, Heinrich von: Aufsätze, Reden und Briefe, Bd. 3, hrsg. von Karl Martin Schiller, Meersburg 1929 Trojan, Alfl Halves, Edith: Selbsthilfegruppen - Eine Alternative zu sozialstaatliehen Leistungen?, in: Rudolf Bauer/Hartmut DieBenbach (Hrsg.), Organisierte Nächstenliebe. Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe in der Krise des Sozialstaats, Opladen 1984, S. 148-160 Trotha, Klaus von: Föderalismus als Ordnungsfaktor, in: Bernhard Vogel/Günther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, Köln 1992, S. 151-158 Uckrow, Jörg: Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, Baden-Baden 1995 Unruh, Georg Christoph von: Demokratie und kommunale Selbstverwaltung, DÖV 1986, s. 217- 224

Literaturverzeichnis -

433

Gebiet und Gebietskörperschaft als Organisationsgrundlagen nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, DVBI. 1975, S. 1-4

Utz, Arthur-Fridolin: Der Mythos des Subsidiaritätsprinzips, in: Neue Ordnung 10 (1956), S. 11-23

-

Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Subsidiaritätsprinzips, in: ders. (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, Heidelberg 1953, S. 1-17

-

Formen und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, Heidelberg 1956

Ven, J. J. M. van der: Organisation, Ordnung und Gerechtigkeit, in: Arthur-Fridolin Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, Heidelberg 1953, S. 45-65 Verdross, Alfred/Simma, Bruno: Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984 Verdross, Aifred/Verosta, Stephan/Zemanek, Kar!: Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964 Verheugen, Günter: Die Arbeit des Sonderausschusses "europäische Union (Vertrag von Maastricht)" des Deutschen Bundestages, ZG 1993, S. 162-167 Vetter, Erwin: Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union aus der Perspektive der deutschen Länder, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union - Bedeutung und Wirkung für ausgewählte Politikbereiche, Baden-Baden 1995, S. 35-43 Vetter, Joachim: Die Bundesstaatlichkeit in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs der Weimarer Republik, Baden-Baden 1979 Vile, Maurice John Crawley: The Structure of American Federalism, London 1965 Vitzthum, Wolfgang Graf: Die Bedeutung gliedstaatliehen Verfassungsrechts in der Gegenwart, VVDStRL 46 (1988), S. 7-56

-

Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, Berlin/ New York 1997, S. 1-100

-

(Hrsg.), Völkerrecht, Berlin/New York 1997 (zit.: Bearbeiter, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S.)

Vorwerk, Axel: Die umweltpolitischen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der EEA, München 1989 Voß, Dirk Hermann: Regionen und Regionalismus im Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft: Strukturelemente einer Europäischen Verfassungsordnung, Frankfurt a. M. u. a. 1989 Wägenbaur, Rolf: Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf den Gebieten Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung, in: Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, hrsg. von Detlef Merten, Berlin 1990, S. 161-173

-

Webeverbot für Tabakerzeugnisse: Betrachtungen eines Nichtrauchers, EuZW 1998, s. 23

Wagener, Frido: Die Städte im Landkreis, Göttingen 1955 Waitz, Georg: Das Wesen des Bundesstaates, in: ders., Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, Kiel 1862, S. 153-218 28 Moersch

434

Literaturverzeichnis

Wallenstätter, Alfred: Das Subsidiaritätsprinzip und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten, Würzburg 1976 Watrin, Christian: Zur Überlastung des Staates mit wirtschaftspolitischen Aufgaben, in: Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 233-253 Weber, Albrecht Zur künftigen Verfassung der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, s. 325-330 Weber, Wemer: Die Gegenwartslage des deutschen Föderalismus, Vortragsreihe der Niedersächsischen Landesregierung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Niedersachsen, Sonderheft, hrsg. von der Niedersächsischen Landesregierung, Göttingen 1966

-

Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 3. Aufl., Berlin 1970

Weber, Wolf: Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, Siegburg 1982 Weidenfeld, Wemer: Notwendigkeiten und Kriterien für eine Europäische Verfassung, in: ders. (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, Gütersloh 1991, S. 79-84 Weinacht, Paul-Ludwig: Aktive und passive Subsidiarität: Prinzipien europäischer Gemeinschaftsbildung, Aus Politik und Zeitgeschichte 1995, B 3-4, S. 33-39 Welcker, Carl: Stichwort: Bund, Bundesverfassung, in: Carl von Rotteck/Carl Welcker (Hrsg.), Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. III, 3. Aufl., Leipzig 1859 Wendt, Rudolf: Finanzhoheit und Finanzausgleich, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 105 Wemicke, Georg: Der Parlamentarische Rat: 1948-1949: Akten und Protokolle, Bd. I, Boppard. a. Rh. 1975 Wertenbruch, Wilhelm: Zur Selbstverwaltung im Sozialrecht, in: FS für Horst Peters, hrsg. von Hans F. Zacher, Stuttgart u. a. 1975, S. 203-222 Wessels, Wolfgang: Europäische Integration - Entwicklung eines politischen Systems, in: Renate Ohr (Hrsg.), Europäische Integration, Stuttgart u. a. 1996, s. 19-45 Wichmann, Jürgen: Subsidiarität - Genese eines Begriffs von der christlichen Sozialethik bis zum Vertrag von Maastricht, in: Reiner Timmermann (Hrsg.), Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, Berlin 1998, S. 7-17 Wiedmann, Thomas: Föderalismus als europäische Utopie - Die Rolle der Regionen aus rechtsvergleichender Sicht - Das Beispiel Deutschlands und Frankreichs, AöR 117 (1992), S. 46-70 Wiesenthal, Helmut: Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen - Ein Beispiel für Theorie und Politik des modernen Korporatismus, Frankfurt a. M./New York 1981

Literaturverzeichnis -

435

Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Ein korporatistisches Verhandlungssystem der Sozialpolitik, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Neokorporatismus, Frankfurt a.M./New York 1981, S. 180-206

Wilhelm, Paul: Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, BayVBI. 1992, s. 705-710 Willke, Helmut: Gesellschaftssteuerung, in: Manfred Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung zwischen Korparatismus und Subsidiarität, Bielefeld 1984, S. 29-53 -

Ironie des Staates - Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1992

-

Zur Integrationsfunktion des Staates - Die Konzertierte Aktion als Paradigma in der neuen staatstheoretischen Diskussion, in: Politische Vierteljahresschrift 1979, s. 221-240

Willoweit, Dietmar: Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands, 3. Aufl., München 1999 Wimmer, Norbert/ Mederer, Wolfgang: Das Subsidiaritätsprinzip und seine Entdekkung durch die Europäische Gemeinschaft, ÖJZ 1991, S. 586-592 Winter, Gerd: Institutionelle Strukturen der Europäischen Union, DÖV 1993, s. 173-184 Wittmayer, Leo: Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1922 -

Schwächen der neuen deutschen Bundesstaatslehre, ZöR III (1923), S. 503-518

Wolf. Joachim: Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht. Ein Anwendungsfall des Art. 146 GG, JZ 1993, S. 594-601 Wolff, Hans/Bachof, Otto/Stober, Rolf: Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., München 2000 Wuenneling, Joachim: Die Gemeinschaftstreue und die Rechtsakte der Gesamtheit der Mitgliedstaaten der EG, EuR 1987, S. 237-243 -

Kooperatives Gemeinschaftsrecht, Berlin 1988

Würtenberger, Thomas: Das Subsidiaritätsprinzip als Verfassungsprinzip, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1993, S. 621-645 Wymeersch, Eddy: Unternehmensrecht in Europa - Perspektiven einer Harmonisierung, in: Jürgen F. Baur/Norbert Horn/Klaus Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre Römische Verträge - Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union, Berlin/New York 1998, S. 187-203 Zacher, Hans F.: Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. unveränderte Aufl., Heidelberg 1995, § 25 -

Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege, Köln 1964

Zemanek, Kar!: Das Vertragsrecht der internationalen Organisationen, Wien 1957 Ziebura, Gilbert: Die V. Republik - Frankreichs neues Regierungssystem, Köln/ Opladen 1960 Ziegler, Karl-Heinz: Völkerrechtsgeschichte, München 1994 28*

436 -

Literaturverzeichnis

Zur Geschichtlichkeit des Völkerrechts, Jura 1997, S. 449-453

Zippelius, Reinhold: Allgemeine Staatslehre, 13. Aufl., München 1999

-

Juristische Methodenlehre, 6. Aufl., München 1994

Zsifkovits, Valentin: Stichwort: Subsidiarität in: Katholisches Soziallexikon, hrsg. von Alfred Klose/Wolfgang Mantl/Valentin Zsifkovits, 2. Aufl., Innsbruck u. a. 1980 Zuck, Rüdiger: Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, München 1968 Zuleeg, Manfred: Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 154-201

-

Die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft, NJW 1994, S. 545-549

-

Die Stellung der Länder und Regionen im europäischen Integrationsprozeß, DVBI. 1992, S. 1329-1337

-

Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips, in: Knut Wolfgang Nörr/Thomas Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit. Zur Reichweite eines Prinzips in Deutschland und Europa, Tübingen 1997, S. 185-204

-

Vorbehaltene Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiete des Umweltschutzes, NVwZ 1987, S. 280-286

Personen- und Sachverzeichnis Abrundungsklausel (Art. 308 EG) 241 f. Ahrens, Heinrich (1808-1874) 132 Allgemeinwohl 156, 170f., 199,201 ff., 205 ff. - als Emanation der Vernunft 201 - als Legitimationsgrund 201 - als Staatsaufgabe 209 - Anspruch universeller Geltung 202 - Apothekenurteil 205 - Begriff 199f., 203 - Bestimmtheit 203 - Diskussion 204 - Egalität 210 - Funktion 199 f. - Gegensatz zum Subsidiaritätsprinzip 210, 213 - Gemeinwohljudikatur 204, 207 f. - Gestaltungsmacht des Gesetzgebers 206 - Handwerksurteil 206 - heuristischer Wert 208 - Ideologieanfalligkeit 203 - inhaltliche Unbestimmtheit 203, 208 - Inhaltsbestimmung 204 - institutionelles Verständnis 200 - Integration 202 - Kategorien 206 - Konkretisierbarkeit 203 - Legitimationsgrund 201 - Leitbild 201 - Merkmale 200 - normativer Charakter 202, 209 - öffentliches Interesse 207 f. - Orientierungsfunktion 200, 203 - prozedurale Dimension 208 - Rechtsprechungsanalyse 204

-

Staatslegitimation 199 Staatsverantwortung 200 Staatswissenschaft 203 Staatsziel 201 ff., 208, 213 unbestimmter Begriff 171 und Bundesverfassungsgericht 205 und Gleichheitsgedanken 203 und Integration 209 und Rechtsvorschriften 205 und Subsidiaritätsprinzip 202, 209, 213 - unterschiedliche Bezeichnungen 200 - Vatikanische Konzil II 200 - Zeitlosigkeit 201 - Zentralismus 210 A1thusius, Johannes (1557-1638) 226 Amsterdamer Vertrag 230, 252 - Regierungskonferenz 230 - Westeuropäische Union (WEU) 252 Analyse, vergleichende 22 Ansatz, funktionaler 22 Anwendungsvorrang 240 Artikel 23 Absatz 1 GG 17, 366, 393 - clausula integrationis 366 - eigenständige Integrationsgrundlage 366 -Gebot 368 - instrumentelle Bedeutung 369 - Integrationsschranke 367 - kein Missionsauftrag 370 - politische Bedeutung 370 - Rechtspflicht 367 - rechtsverbindlicher Auftrag 17 - Sicherung der Bundesstaatlichkeit 369f. - Staatszielbestimmung 367 - Stärkung der Länder 366

438

Personen- und Sachverzeichnis

- Struktursicherungsklausel 367, 370 - und Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips 371 - und Essentialia deutscher Verfassungsstaatlichkeil 368 - und innerstaatliche Homogenitätsklausel 368 - und Rücksichtnahmepflicht der Gemeinschaften 370 f. - und Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union 366 -Verbot 368 - Verfassungsbindungsklausel 368 - verfassungssystematischer Standort 367 Aufgabenträger Siehe Kompetenzträger Ausnahme 297 Ausschuß der Regionen 79, 221 f. Baden, Prinz Max von (1867-1929) 128 Besatzungsmächte 135ff., 145, 148 - Formulierungsvorschläge 137 - Frankfurter Dokument I 135 - Frankfurter Dokument II 148 - Intervention 136 - Länderneugliederung 148 - Londoner Abkommen (1948) 137 - Memorandum 136f. - Militärgouverneure 137 - Zehn-Punkte-Erklärung 137 Binnenmarkt 219, 272ff., 335, 337, 386f. - als Perspektive 272 - Anerkennungsprinzip 336f., 387 - Aufrechterhaltung 273 - Ausdehnung der Gemeinschaftstätigkeit 280 - ausdifferenziertes Normengeflecht 275 - Bedürfnisse 279 - Begrenzung 280 - Bekenntnis zur Unvollkommenheit 338

- Charakter der Europäischen Gemeinschaft 278 - Deregulierung 319 - egalitätsstiftende Wirkung 281 - EG-Kompetenzen 279 - Entwicklungsschub 273 - Förderung 280 - Fortgang der Europäischen Integration 272 - Funktionsfahigkeit 386 - gewandeltes Verständnis 338 - Grundfreiheiten 257, 275 - Grundvoraussetzungen 279 - Harmonisierung 279 f. - Herkunftslandprinzip 336 - Herstellung 273 - Integrationsinstrument 280 - Liberalisierung 319 - "neuer Ansatz" 336f. - Nivellierung 280 - Notwendigkeiten 273, 281 - Primat 275, 278 - Querschnittskompetenzen 278, 281 - Rechtsangleichung 279 f., 335 f. - staatliche Beihilfen 279 - Totalharmonisierung 336 - Unbestimmtheit 280 - und Grundrechte 258 - und nationale Rechtsordnungen 280 - und nationale Schutzbestimmungen 275, 278 - und politische Interessen 336 - und Schutz spezieller Rechtsgüter 278 - und Subsidiaritätsprinzip 335, 338 - ungehinderter Zugang 279 - unverfälschter Wettbewerb 281 - Verkehrsfreiheiten 278 - Verringerung des Regelungsbedarfs 339 - Vollendung 319 - vollkommener 338 - Weißbuch (1985) 336

Personen- und Sachverzeichnis - Wettbewerb 279, 281 - Wettbewerbsregeln 275 - wirtschaftspolitische Integrationsvorgabe 273 - Zielkonflikte 279 Bismarck, Otto von (1815-1898) 67, 119 f. - Sozialgesetze 67, 120 Bluntschli, Johann Kasper (1808-1881) 130f. Braun, Otto (1872-1955) 126 Bülow, Bernhard Fürst von (18491929) 121 Bund 138 ff., 149, 156ff., 165, 191 f. - Bundesgesetzgeber 152, 156 - Einflußmöglichkeiten auf Länder 192 - konkurrierende Gesetzgebung 139 f., 157 - Rahmengesetzgebung 140, 151, 191 - Rechtsetzungsbefugnisse 149 -Reform 140 - Staatshaftung 139 f. - Übertragung von Hoheitsrechten 143 - Willensbildung 141 - Zentralisierung 195 Bundesgrundrechte 153f. Bundesländer, Österreichische 109f. Bundesrat 141, 143f., 151, 196, 220, 222 ff., 318 ff., 325 - Bundesratsverfahren 223 - Einbeziehung 222 - Empfehlungen 151 - Kompensation durch Verfahrensbeteiligung 223 - Kompetenzausweitung 223 - Kritik 223 - Kritik an Kommission 319 f., 325 - Länderbeteiligungsverfahren 222 - Meinungsbildung 143 - Mitwirkungsrechte in europäischen Angelegenheiten 222 - und Bundestag 223 - und Gesetzgebung des Bundes 141

-

439

und Kompetenzübertragung 319 und Subsidiaritätsprinzip 319 und Verwaltung des Bundes 141 Verfahrensbeteiligung 144 verfassungsrechtliche Absicherung 224 - Zusammenarbeitsgesetz 223 Bundesregierung 224, 318, 390 - europapolitische Handlungsfreiheit 224 - und Subsidiaritätsprinzip 319 Bundesrepublik Deutschland 134, 142, 190, 224 - als Mitgliedstaat der Europäischen Union 224 - Bundesstaat 134 - Egalitätsstreben 190ff. - Einheitlichkeit der Rechtsetzungsakte 191 - gegliedertes Staatswesen 190 - Gesetzgebung 190 - Grundsatzentscheidungen 190 - Rechtsordnung 190 - Staatsname 134, 144 - Übertragung von Hoheitsrechten 143 Bundessozialhilfegesetz 208, 215 Bundesstaat 134, 138, 144 ff., 153, 155f., 158, 160 ff., 166, 192, 195, 197, 212 - Begriffsverständnis 147 - Bundesrat 139 - Bundesstaatslehre 147 - Bundestag 139 - dritte Ebene 143 - Entwicklung 161 - Gemeinschaftsaufgaben 141 - Glieder 162 - gouvernementale Bundesstaatlichkelt 142 - Homogenitätsbedarf 153 - Kompetenzverteilung 160 - Konzeptionen 162 - Kooperationsformen 143, 155, 197 - Koordinationsbedarf 146

440 -

Personen- und Sachverzeichnis

Legitimationsdefizit 147 örtliche Gemeinschaft 166 Politikverflechtung 143 solidarischer Wettbewerbsföderalismus 195 - und Zentralgewalt 162 - Unitarisierung 139 f., 142, 145 f., 161, 195, 197 - Zentralisierung 157 - Zuständigkeitsverlagerungen 139 Bundesstaat, monarchischer 125, 147 Bundesverfassungsgericht 68, 94 f., 147, 149ff., 160, 162, 166, 170f., 182f., 186, 192, 194, 215, 259, 260 - Allgemeinwohl 205 - Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 166, 170 f. - Annexkompetenz 149 - Apothekenurteil 205 - Auslegung der Bedürfnisklausel 150f. - Bundessozialhilfegesetz 160, 162, 215 - Bundestreue 147 - Demokratieverständnis des Grundgesetzes 259 - Evidenzkontrolle 150, 206 - Finanzausgleich 194 - Föderalismus und Grundgesetz 154 - Gemeinwohljudikatur 205, 207 f. - gerechte Sozialordnung 186 - gesetzgeberisches Ermessen 151 - Handwerksurteil 206 - Jugendwohlfahrtsgesetz 160, 162, 215 - Kindererziehung I 01 - Kompetenzkraft Natur der Sache 149 - Kompetenz kraft Sachzusammenhangs 149 - Kompetenzverteilung 260 - Kontrollkompetenz 151 - Menschenbild des Grundgesetzes 94 - monarchischer Bundesstaat 147

-

Neuorientierung 151 numerus-clausus-Entscheidung 154 öffentliches Interesse 207 f. Parteispenden 183 Rahmenrechtsetzung 151 Sozialstaatlichkeit 186 unbestimmter Rechtsbegriff 150 und europäischer Bundesstaat 259 und Gleichheitssatz 154 und Grundrechte 153 und Maastrichter Vertragswerk 260 und Subsidiaritätsprinzip 160 und Wahlgleichheit 182f. ungeschriebene Bundeskompetenzen 149f. - Unitarisierung 149, 151 - Vereinheitlichungsdruck 192 - Wahlkampfkosten 183 Churchill, Sir Winston (1874-1965) 251, 255 Cicero, Marcus Tullius (106-43 v. Chr.) 201

Daseinsvorsorge 67 de Gaulle, Charles ( 1890--1970) 253 f., 256 Demokratie 175 ff., 183, 259 - Bundesverfassungsgericht 259 - differenzierendes Egalitätsdenken 177 - egalitärer Grundsatz 176 f., 179 f. - Essentialia 177 - Kardinalprinzip 176, 180 - Legitimation von Herrschaft 178 - Ordnungsgrundsatz 179 - Regierungsform 178 - und Individuum 179 - und Selbstverwaltung 175 f. -und Subsidiaritätsprinzip 178f., 213 - Verständnis 183 - Voraussetzungen 259 -Wähler 176

Personen- und Sachverzeichnis - Wahlrechtsgrundsätze 177 f. Deutscher Bund (1815) 115f., 118f., 127, 133 Deutsches Reich (1871) 120ff., 134 Deutschland 133, 337 Dispositives Gemeinschaftsrecht 379 f., 390, 393 Ebene der Mitgliedstaaten 346 ff. effet utile 358, 360ff., 365 - als praktische Wirksamkeit 364 f. - als Vertragsverletzung 364 - Auslegungsmaxime des EuGH 360, 363 - Definitionsversuche 362 f. - "der Zweck heiligt die Mittel" 365 - dogmatische Grundlagen 365 - kein eigener Kompetenztitel 362 - kein Subsidiaritätsproblem 365 - Kompetenzausweitung 365 - Kreation des EuGH 365 - Mißbrauch 365 - und Abrundungsklausel 361 f. - und Befugnisnormen 360 - und Bildungspolitik 364 - und effizienter Vollzug des Gemeinschaftsrechts 364 - und implied powers 361 f. - und Rechtsmißbrauch der Mitgliedstaaten 364 - und Staatshaftungsansprüche 364 - und Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union 361 - und unmittelbare Richtlinienwirkung 363 - und Vorrang des Gemeinschaftsrechts 364 - verschiedene Übersetzungen 362 EG-Kommission 219, 221, 319, 323, 325 f., 328, 378, 384 f., 390 - Ausdehnung der Vollzugs- und Kontrollbefugnisse 325, 328, 384 - Begründungspflicht 380 - Beihilfenpolitik 383

441

- Berichtspflichten der Mitgliedstaaten 326 - Beschränkungen 380 - Bezeichnung der Rechtsgrundlage 380 - Bildungspolitik 219 -Dialog 385 - Doppelstrategie 383 - faktische Kompetenzverschiebung 383 - Förder- und Aktionsprogramme 328, 383 -Grün- und Weißbücher 319, 378 - Integrationsverständnis 328 - Kompetenzverlagerung als ultimaratio 385 - Konsultationen 378, 385 - Mängelberichte 385 - Maßnahmen mit Beispielcharakter 378 - regionale Wirtschaftsförderung 383 - Stellungnahmen 379 - Subsidiaritätsberichte 328 - Umsetzungsvorschläge 379 - und Binnenmarktkompetenzen 390 - und Vorschläge der Mitgliedstaaten 379 - Verlagerung der Aktivitäten 323 - Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips 328 - Versagen nationaler Behörden 384 - Vertragsänderungen 383 - Vorschlagsmonopol 380 - Zielkatalog 378 f. - Zielzuordnung 381 - Zuständigkeitsausweitung 323 Einheitliche Europäische Akte (EEA) 235, 242ff., 257, 270, 272f., 277, 281, 336 - Agrarmarktordnung 278 - als markante Zäsur 277 - Ambivalenz der Europäischen Gemeinschaft 277 - automatische Anerkennung 336

442

Personen- und Sachverzeichnis

- Binnenmarkt 272, 278 - Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) 272 - Integrationsstand 273 - Reformwerk 272 - Stellungnahmen des Bundesrates und der Bundesregierung 243 - Technologiepolitik 272, 278 - Umweltpolitik 270, 272, 278 - Ziel der Europäischen Union 272 - Zollunion 278 - Zustimmungsgesetz 243 Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse 154, 157, 191, 193, 195 - dynamischer Charakter 157 - Gleichwertigkeit 191 - Herstellung 157 - neue Länder 191 - Sozialstaatsprinzip 157 - Wahrung 157 Einstimmigkeitsprinzip 235 f. Enzyklika "Quadragesima anno" 38, 97 Erster Weltkrieg 120, 122 Etymologie 23, 60 Europa 250ff. Europäische Atomgemeinschaft (EAG) 272, 280 Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) 252 Europäische Gemeinschaft (EG) 272, 277 f., 280, 330 - Agrarmarktordnung 272 - Binnenmarktprogramm 281 - Daseinsvorsorge 276 - Einheitliche Europäische Akte (EEA) 281 - Etappenziele 333 - Förderprogramme und Beihilfekontrolle 324 - Förderung nationaler Politik 275 - Gemeinsamer Markt 272 - Gemeinsamer Zolltarif 272

- Gestaltungs- und Rechtsetzungskompetenzen 275, 330 - Handlungszwecke 333 - keine Kompetenz für allgemeine Wirtschaftspolitik 276 - Kompetenzausstattung 330 - Kompetenzen vor Einheitlicher Europäischer Akte (EEA) 278 - Kulturpolitik 323 - Primat der Wirtschaft 281 - Privatisierungsdruck 276 - umfassende Integration 272 - und Beihilfekontrolle 324 - und Eigentumsordnung 276 - und kommunale Sparkassen 276 - und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten 276 - und Subsidiaritätsprinzip 215, 324 - Verstaatlichung 276 - Verständnis 326 - Vertrag 266, 274f. - Wettbewerbspolitik 276 - Wirtschafts- und Währungsunion 281 - Zielstruktur 333 -Zuständigkeiten 219 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 218 f., 251, 272 Europäische Gemeinschaften 163, 221 f., 236, 242, 246, 252f., 259, 267 f., 271' 330 - abgeleitete Rechtssubjekte 240 - als supranationale Gemeinschaften 262 - Begrenzung der Rechtsetzung 225 - Dominanz der Wirtschaft 271 - Endzustand 269 - Entwicklungsperspektive 257, 268 f. - Friedenssicherung als Primärziel 267 - Gemeinschaftszweck 268 - Genscher/Colombo-Initiative 257 - Gründung 231, 266 - Gründungsmitglieder 253 - Identitätskrise 257 - Inkrafttreten 231

Personen- und Sachverzeichnis Integrationskonzept 330 Integrationsziel 253 Kompetenzausweitung 271 Kompetenzverlagerungen 236 Kontrolle 268 Mitwirkung der Länder 221 offene Finalität 267 Prinzip begrenzter Einzelermächtigung 333 - Rechtsetzung 221 - Staatenverbund 259 f. - Subsidiaritätsprinzip 246 - supranationale Gemeinschaften 259 - Telos 268 f. - thematische Begrenzung 268 - Vertrag 231 - Wirtschaftsgemeinschaften 280 - wirtschaftspolitische Zielsetzung 271, 330 - Zuständigkeitsübertragung 330 Europäische Integration 50, 217 f., 220, 223, 227, 252, 256, 258f., 266, 268ff., 277, 281, 329, 385, 390, 392 - Ablehnung 50 - Abschaffung der Grenzkontrollen 258 - als Gemeinschaftstopos 329 - als Idee 329 - als Legitimation 270, 273 - als Prozeß 268 - als Selbstzweck 268, 270 - Ambivalenz 258 - Arbeitnehmerfreizügigkeit 257 - Aufgabenzuwachs 256 - Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen 281 - Auswirkungen 220 - Bedeutung 218 -Beginn 218 - Begriff 269f., 329 - Bewertung 261 - Dynamik 256, 258, 385, 392 - egalitärer Charakter 281 - Eigendynamik 256 -

443

- Einheitliche Europäische Akte (EEA) 235 - Entäußerung staatlicher Kompetenzen 260 - Entwicklung 250, 269 f. - Erfolge 256, 279 - Erfordernisse 281 - europäische Gesamtrechtsordnung 259f. - europäische Verfassung 256 - europäischer Bundesstaat 256, 258 - fehlende Finalität 266f., 270, 281, 385, 392 - föderalistisches Modell 256, 258 - Fortgang 269 - Fortschritt 270f. - funktionalistisches Modell 256, 258 - Gefährdung 386 - Gemeinsamkeiten 267 - Grenzen 274 - Grundfreiheit 257 - Grundlagen 224, 250 - Gründungsphase 250 - Heterogenität 252, 258 - historische Ausgangslage 250 - Identitätskrise 272 - Inhalte 267 - Intensität 258 - keine Außenpolitik 223 - keine Theorie 258, 392 - Konsens 274, 281 - Konsequenzen 277, 281 - Konzept 250, 255, 279, 281, 385 - Kriminalitätsbekämpfung 258 - Merkmale 392 - Mindestmaß an Zentralisierung 282 - Mitgliederzuwachs 256 - Modelle 256 - monolithisches Gebilde 282 - Neufassung des Artikels 23 GG 224 - Niveau 258, 269 - Perspektiven 261 - Politikbereiche 257

444

Personen- und Sachverzeichnis

- Prämissen 250 - Primat der Wirtschaft 271, 273, 279, 281, 385, 392 - Prozeß 249f., 266 - quantitatives Begriffsverständnis 270f., 281 - Rechtsfindungsproblem 269 - Reichweite 274 - sektorale Teilintegration 252, 270 - Selbstzweck 281 - Spill-over-Effekt 256, 258 - Stagnation 256, 272 - Stand 249, 268 - Umsetzung 282 - Unbestimmtheit 266, 329 - und Bundesstaat 218 - und Endzustand 269 - und Gemeinschaftszweck 269 - und Identität der Mitgliedstaaten 226, 282 - und Kompetenzüberschreitung 270 - und Subsidiaritätsprinzip 249 - Ursprung 390 - Veränderungen 249 - Vereintes Europa 253 - Verständnis 223, 281 - vertragliche Grundlagen 250 - Vielgestaltigkeit 282 - Vorgang 268 - Vorstellungen de Gaulies 253 - wirtschaftliche Ausrichtung 277 - Zentralisierung 281 - Zersplitterung 252 - Ziel 253, 258, 267 ff. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 252 f. Europäische Union (EU) 22, 214, 221, 224, 236, 246, 249, 252, 259, 263 f., 266ff., 282, 329, 367, 385 - Akzeptanzkrise 229, 385 - als Einrichtung sui generis 262 - als Staatenverbund 262 f. - als Vertragsgemeinschaft 268

- als zwischenstaatliche Einrichtung 367 - Außen- und Sicherheitspolitik 252 - Begriffe 261, 264 - dogmatische Einordnung 264 - Identität der Mitgliedstaaten 282 - Integration Deutschlands 224 - Integrationskonzeptionen 22 - Integrationsverständnis 282 - kein Gemeinwesen 267 - keine Staatsqualität 261 - Kompetenzverlagerungen 236 - offene Finalität 267 - Perspektiven 264 - Politik 224 - Prozeßhaftigkeit 267 - Rechtsetzung 224 - Rechtsordnung 214, 282 - Rechtspersönlichkeit 261, 263 f. - Staatsähnlichkeit 263 - Stärkung der Länder 221 - Subsidiaritätsprinzip 214, 246, 249 - und Bundesstaaten 221 - und europäische Verfassung 264 - und europäischer Bundesstaat 264 - und Mitgliedstaaten 269 - und Regionalstaaten 221 - Verfassungsverbund 263 - Verhältnis zu Europäischen Gemeinschaften 261 - Vertrag 266 - Weiterentwicklung 249 - Zielstruktur 329 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Siehe Europäische Gemeinschaft Europäische Zentralbank (EZB) 277 Europäischer Bundesstaat 258 f., 264 - als verfaßte europäische Föderation 264 - als Ziel der europäischen Integration 258 - Erbe des Kontinents 265 - Kostitutionsakt 259

Personen- und Sachverzeichnis -

Kritiker 265 und Bundesverfassungsgericht 259 und europäische Integration 259 Unterschiede der Völker Europas 265 - Verfassungsbegriff 266 - Verfassungsentwürfe 264 - Verfassungsgrenzen 259 f. - verfassungsrechtliche Probleme 265 - Vielfalt Europas 266 Europäischer Gerichtshof 237, 253, 269, 271, 306, 3Il, 315, 318, 327, 338,341,353,363, 365,390( - Anforderungen an Begründungspflicht 311, 390 - Auslegung 318 - Auslegungsmonopol 306, 327 - Cassis de Dijon 237 - effet utile 271 - ERASMUS-Entscheidung 365 - Evidenzkontrolle 327 - Funktionsfahigkeit der Gemeinschaften 271 - gegenseitige Anerkennung 327, 338 - Grundfreiheiten 253 - Grundrechtskatalog 253 - Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit 341 - in dubio pro communitate 318 - Keck-Urteil 336, 338, 391 - Klagebefugnis 315 - Klagerechtsverwirkung 316 - Prüfungskriterien 327 - rechtspolitische Wertungen 327 -Rechtsprechung 269, 318 - Rechtsschutzinteresse 315 - und Bundesverfassungsgericht 307 - und gemeinschaftlicher Besitzstand 306 - und Herkunftslandprinzip 338 - und Integrationsstand 269 - und Verhältnismäßigkeitsprinzip 353 - Verstärkung der Kompetenzausweitung 271

445

Europäischer Rat von Edinburgh 285, 303, 375 Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) 253 Europäisches Parlament (EP) 222 Europarat 251 - Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 252 Faschismus 97 Föderalismus 65 f., 102 ff., 112, 146, 148, 158, 161 f., 212 - allgemeines Strukturprinzip 104 - als Organisationsprinzip 104, 111 - als Synonym für Subsidiaritätsprinzip 226 - Begriff 103 f., 111 f. - Besonderheiten 111 - Bundesstaat 105 - Bund-Länder-Verhältnis 103 - formaler Charakter 111 - Gebietskörperschaften 111 - geschichtliche Determination Il2 - Integrationswirkung 146 - Konzeptionen 105 f., 111, 212 - Legitimationsdefizit 212 - Offenheit 104f. - Prinzip 111 - Staatenbund 105 - Staatsorganisationsgrundsatz 105, 112, 162 - Staatsrecht 105 -Theorie 66 - und Subsidiaritätsprinzip 102f., 111 f., 162, 212, 226 - Völkerrecht 105 Föderalismus, deutscher 89, 112f., 122, 126ff., 131 , 133f., 143, 146, 148, 162, 212, 330, 392 - absolutistische Dynastien 128 - Ahrens, Heinrich (1808-1874) 132 - als bundesstaatliche Struktur Deutschlands 133 - als "minderwertige" Staatsform 145

446

Personen- und Sachverzeichnis

- amerikanischeEinflußnahme 127 - Belebung 122 - Bluntschli, Johann Kasper (18081881) 130 - Bundesstaat 113, 126, 128 - deutsche Verfassungen 113 - Deutscher Bund (1815) 115, 127 - Deutsches Reich (1871) 120 - Dualismus Preußen-Österreich 127 - Dualismus Reich-Preußen 125 - Entwicklung 112, 122, 126, 162 - Finanzverfassung 121, 125 - Fürstenbund 146 - Gagem, Hans Christoph Ernst Frhr. von (1766-1852) 128, 130 - Geistesgeschichte 126 - Geschichte 112, 392 - Gliedstaaten 113 - Hegemonialmacht 122, 127 - Jellinek, Georg (1851-1911) 130 - Kompetenzverluste der Länder 122 - Kompetenzverteilung 113 f., 330 - Konsolidierung 120 - Konzeptionen 128, 131 -Länder 212 - Legitimationsdefizit 146 - Machtfragen 128 - Machtverhältnisse 330 - Mohl, Robert von (1799-1875) 130 - Napoleon, Bonaparte (1769-1821) 114, 127 - Norddeutscher Bund (1867) 116, 117, 133 - organische Staatslehre 132 - Partikularismus 118, 145 - patrimoniale Dynastien 122, 134, 146 - Pfizer, Paul Achatius (1801-1867) 130, 132 - Politik 126 - politische Rahmenbedingungen 126 - Preußen 125, 127 - Regionalismen 133 - Rheinbund (1806) 114, 145

-

Souveränität der Bundesstaaten 122 Staatenbund 113, 126, 128 Staatseinheit 122, 128 ff. Staatsform 128 Staatsrecht 113 Staatstheorie 126, 128 Stärkung der Zentralgewalt 113, 119, 128, 133f. - Streben nach nationaler Einheit 127 - Territorialstaaten 113 - Treitschke, Heinrich von (18341896) 131 - und Einheitsstaat 145 - und Subsidiaritätsprinzip 112, 126, 133f. - und Unitarismus 128, 133 - Verfassungsgeschichte 126 - Völkerrecht 113 - Waitz, Georg (1813-1886) 132 - Weimarer Reichsverfassung (1919) 123, 128 - Welcker, Carl Theodor (1790-1869) 130, 132 - WestHilischer Frieden (1648) 126 - Wiener Kongreß (1815) 127 - Wilson, Woodrow (1856-1924) 128 - Zentralgewalt 113, 212 Föderalismus im Grundgesetz 134, 137, 142, 145, 158, 161, 194, 392 - anti-subsidiäre Entwicklung 392 - Bedeutung 144 - Beteiligungsföderalismus 142 f., 195f. - Exekutivföderalismus 142 - Freiheitssicherung 148 - Gleichheitsstreben 213 - kein Oktroi 135 - Kompetenzzuweisungen 138 - Kooperationsformen 196 - kooperativer Beteiligungsföderalismus 142, 195 - Länderprärogative 138 f. - landsmannschaftliehe Besonderheiten 148

Personen- und Sachverzeichnis -

Legitimationsdefizit 148, 156 Staatsrechtslehre 142 Stärkung der Zentralgewalt 144f. Umverteilung 194 und Besatzungsmächte 135 und Finanzausgleich 194 und Subsidiaritätsprinzip 149, 158 Unitarisierung 392 Unterstützungsfunktion 149 Verbesserung des politisch-administrativen Systems 148 - Verfassungstradition 135 - vertikale Gewaltenteilung 148 Fraenkel, Ernst (1898-1975) 200 Frankreich 137, 250, 254, 256 - bipolare Exekutive 254 - Einfluß auf Europäische Gemeinschaften 254 - Krise der Europäischen Gemeinschaften 257 - Luxemburger Kompromiß 257 - Mehrheitsentscheidungen 257 - Parallelen zu den Europäischen Gemeinschaften 254 - Souveränität 260 - Staatsorganisationsrecht 254 - und Maastrichter Vertragswerk 260 - Verfassung der V. Republik 254, 260 - Wirtschafts- und Sozialrat 254 Freizügigkeit 98 f. Gagern, Hans Christoph Ernst Frhr. von (1766-1852) 128f. Gemeinde 163 ff., 168, 170 ff., 177 - Allzuständigkeit 163, 168, 173 - Aufgabenentzug 170 f. - Aufgabenerfüllung 170 - Bestandteil der Länder 164 f. - Finanzkraft 165, 172 - Gesetzesvollzug 168 - Kreiszuständigkeit 170 - Leistungsfähigkeit 165 - örtliche Gemeinschaft 165

447

- privilegierte Stellung 173 - Rückübertragungspflicht 173 - Status 173 - Verwaltungskraft 165, 171, 174 - Weisungsaufgaben 173 - Zuständigkeit 170 Gemeinsame Verfassungskommission 151, 160 Gemeinsamer Markt 239, 242, 255, 272 Gemeinschaftsorgane 220ff., 224f., 254 - Bewußtsein 221 - Einfluß der Länder 224 - Ermächtigungsnormen 225 - Europäisches Parlament (EP) 254 - föderales Verständnis 222 -Rat 254 Gemeinschaftsrecht 220, 235, 240f., 268, 333, 342 - Anwendungsvorrang 241 - Einheitlichkeit 343 - Einschränkungen 342 - Entwicklung 235 - Ergänzungsfunktion 377 - Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit 342 - Integrationsgedanke als Ausgangspunkt 333 - kein Gemeinschaftsziel 343 - konfligierende Zielvorgaben 334 - Prinzip begrenzter Einzelermächtigung 342 - Rücksichtnahmegebot 342 - Sekundärrecht 241 - Subsidiaritätsprinzip als Paradigmenwechsel 334 - teleologische Auslegung 268 f. - und materielle Vorgaben 377 - Zielkonflikt 333 f. Gemeinschaftstreue 358 ff. Gemeinschaftsverträge 271 Gemeinschaftsziele 334 - als Steuerungsinstrumente des Subsidiaritätsprinzips 344

448

Personen- und Sachverzeichnis

- ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeiten 335 - Beteiligung der Mitgliedstaaten 345 - Definitionsbefugnis 343 ff., 349 - Detailliertheilsgrad 343 f. - Inhalte 334 - Initiativmonopol der Kommission 343, 346 - keine inhaltliche Eingrenzung 345 - Konsultationen 346 - Limitierung 334 - Subsidiaritätsberichte 346 - und Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips 344 - und Einheitlichkeit 334 f. - und Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten 343 f. - und Mittel 344 Gemeinwohl Siehe Allgemeinwohl Genscher/Colombo-Initiative 257 Gleichheit 156, 167, 177, 180ff., 184f., 190 - als Anliegen staatlichen Handeins 187 - als Gesellschaftsideal 187 - als Integrationsgewinn 335 - als Rechtsgleichheit 184 - als Selbstzweck 335 - als "soziale Gerechtigkeit" 184f. - als Vergleichsergebnis 180 - demokratische 182 - Egalität 167, 182 - Eindimensionalität 180 - Fixierung auf 188 - formelle 167 - Grenze der Willkür 186 - Grundsatz 187 - ideologische Überhöhung 187 - im Wahlrecht 182 - Kompetenzakkumulation 190 - materielle 184, 186 - Organisationsstruktur 190 - Phänomen 180 - populäres Petitum 187

- Postulat 156, 189 - Primat 189 - soziale 185 - Streben nach 167, 184 - tertium comparationis 182 - und Individuum 181 - und Sozialstaatlichkeit 185 - und Staatshandeln 189 - und Subsidiaritätsprinzip 156, 181 - Unitarisierungsgrund 156 - Vergleichsmaßstab 182 - Zuständigkeitsverlagerung 190 Gleichheitssatz 182, 187 Gleichheitsstaat 188 Gliedstaaten 106 ff. Großbritannien 137, 227, 250, 254f., 369 - Außen- und Buropapolitik 255 - Außenpolitik 255 - balance of power 255 - britische Haltung 226 - Federalist Papers 227 - Föderalismusbegriff 227, 369 - Interessen 255 - Parlamentssouveränität 227 - Souveränitätsverständnis 255 - splendid isolation 255 - Staatsdoktrin 227 - Subsidiaritätsprinzip 227 - Übertragung von Hoheitsrechten 227 - und europäische Integration 227 f. - und Europäische Union 255 - Unterhaus 227 - Zugang zum Gemeinsamen Markt 255 Grundgesetz 85, 87, 93, 95, 102, 134, 136, 139, 141 f., 159, 161 f., 164, 166ff., 181, 187, 191, 194, 196f., 212, 215, 294 - abstrakte Normenkontrolle 316 - Allgemeinwohl 205 - als Staatsaufgabe 209 - als Staatsverfassung 294

Personen- und Sachverzeichnis -Änderungen 138, 151, 191 - Bedürfnisklausel 167, 191 - Bundeskompetenzen 137ff. - Bundesrat 136 - Bundesstaat 136 - Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse 166 - Einzelfallgerechtigkeit 196 - Entstehungsgeschichte 158 f., 162 - Finanzverfassung 136, 193 f., 194 - Frankfurter Dokumente 135, 148 - Gemeinschaftsaufgaben 141 - Gestaltungsgebote 300 - Gleichheitsstreben 196f. - Herrenchiemseer Verfassungskonvent (1948) 158 - Homogenitätsgebot (Art. 28 Abs. 1GG) 191 - Integrationsgebot 301 - katholische Soziallehre 95 - kein ausdrückliches Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip 87 - Kompetenzausdehnung 156 - Kompetenzordnung 168 - Kompetenzverteilung 136, 138, 166 - konkurrierende Gesetzgebung 157, 166 - kooperativer Föderalismus 212 - Länderkompetenzen 138 - Länderprärogative 160f. - Leitgrundsätze 300 - Menschenbild 93 f., 102, 187 - Menschenwürde 94 - Parlamentarischer Rat 135 ff. , 145 - Persönlichkeitsideal Kants 95 - Politikverflechtung 212 - qualifizierte Bedürfnisklausel 156 - Rechtseinheit 193 - Rechtsetzungskompetenzen 138 - Rechtsprechungsgleichheit 196 - Senat 136 - Sozialstaatsgebot 208 - Sozialstaatsprinzip 300 29 Moersch

449

-

Staatshaftung 191 Staatsorganisation 167 Staatszielbestimmungen 300 Stufenbau 164, 167 und Gemeinschaftsrecht 293 f. und Subsidiaritätsprinzip 85, 102, 159, 161 f., 181, 209 - unitarische Entwicklung 137, 145, 197 - unitarischer Bundesstaat 212 - verfassunggebende Versammlung 136 - Verfassungsdirektiven 300 - Verfassungsgeber 137 - Verfassungswirklichkeit 168 - Verfassungswortlaut 158 - wertgebundene Ordnung 95 - Wertordnung 207 - Wiedervereinigungsgebot 300 -Wortlaut 168 Grundrechte 89, 96, 98f., 101, 152, 154f., 192 - Allgemeinwohl 99 - determinierende Wirkung 193 - freiheitssichemde Funktion 96 - keine Aufgaben 100 - Kindererziehung 100 - Kollisionen 153 - Konkurrenzverhältnis 99 - negative Freiheit 98 - Rechtsgleichheit 193 - Subsidiaritätsprinzip 102 - und Gleichheitssatz 154 - und Subsidiaritätsprinzip 89, 96, 99 - unitarische Wirkung 152, 155, 192 f. - Verhältnismäßigkeitsprinzip lOOf. Handlungseinheit Mensch Siehe Kampelenzträger Handlungslehre, finalteleologische 72f., 78, 84 Hege!, Georg Wilhelm Friedrich (17701831) 56, 202, 209 Heiliges Römisches Reich 113 Hoheitsrechte 240

450

Personen- und Sachverzeichnis

Homogenitätsgebot (Art. 28 Abs. l GO) 191 f., 196 Humboldt, Wilhelm Frhr. von (17671835) 27, 29, 32, 69 Induktionsschluß 90 Integration 44, 49 ff., 180, 198 f. , 282 - Allgemeinwohl 199, 201 f., 209, 213 - als Staatsaufgabe 198, 209 - Aufgabenübertragung 282 - Begriff 198, 199 - Eindimensionalität 180 - Einheitlichkeit 199 - formaler Charakter 199 - Gegensatz zum Subsidiaritätsprinzip 210 - Merkmale 198 - normativer Anspruch 209 - notwendige Zentralisierung 210, 282 - Organisationsgrundsatz 180 - Politik 282 - Politikwissenschaft 44, 49 - Prozeß 198 f. - staatliche 282 - Staatsbürger 198 - Staatsziel 213 - Systemerhaltung 199 - Unbestimmtheit 209 - und Gleichheit 51, 180, 210 - und Identität 50 - und Subsidiaritätsprinzip 50, 198 f., 209, 213 - Universalität 209 - Verfassung 198 - Verständnis 282 - Voraussetzung jeder Gemeinschaft 198 - Zentralgewalt 199 -Ziel 199 - zwischenstaatliche 282 Internationale Organisation 75 Jellinek, Georg (1851-1911) 3lff., 64, 67f., ll2, 130

-Aporien 35 - ausschließliche Staatszwecke 31 - Ausweitung der Staatstätigkeit 33 - Begrenzung der Staatstätigkeit 32, 35 - keine staatsfreien Räume 34 - konkurrierende Staatszwecke 31, 68 - Mittelzwecke 33 - Monismus 64 - potentielle Anwendungsbereiche 31 - soziologische Staats(zweck)lehre 31 - Subsidiaritätsprinzip 32 - teleologische Rechtfertigung des Staates 35 - Zentralisierung 33 Judikative 196 Jugendwohlfahrtsgesetz 215 Kaisertum, nationalunitarisches 122 Kant, Immanuel (1724-1804) 27ff., 55, 71 , 82 Kantone 109 Karlsbader Beschlüsse (1819) 116 Katholische Soziallehre 20f., 24, 26, 35f., 38 , 48,5~55f.,63, 83, 95f., 159, 178, 181, 211, 391 - Allgemeinverbindlichkeitsanspruch 63 - kirchliche Dogmatik 38 - Menschenbild 55, 95 - Sozialenzyklika 391 - Subsidiaritätsformel 24 - Subsidiaritätsverständnis 20 - und Grundgesetz 95 - Weltbild 178 Kindererziehung (Art. 6 Abs. 2 und 3 GO) lOOf. - Pflicht 100 ff. - und Subsidiaritätsprinzip 102 Kommunale Selbstverwaltung 163 ff., 169 ff., 177, 179 - Allzuständigkeit der Gemeinde 163 - als Betroffenenpartizipation 176, 179 - als dezentrale Aufgabenansiedlung 170

Personen- und Sachverzeichnis - Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 163, 170 - Aufgaben 171 - Außenbereich 169f. - Fachaufsicht 173 - Gemeinde-Teilvölker 177 - Grenzen 170 - Homogenitätsgebot 177 f. - Inhalt 170 - Innenbereich 169, 171 - Kommunalaufsicht 171 - Kommunalwahlen 177 - Kompetenzabgrenzung 163 - Kreise 171 - Merkmale 163 - Organisationsform 163 - örtliche Gemeinschaft 171 - Rechtsaufsicht 173 - Sozialphilosophie 175 - Stufenordnung 164, 166 - technisches Organisationsschema 175 - Tradition 175 -Träger 163 -und Demokratie 175, 177f. - und Subsidiaritätsprinzip 163f., 167, 169, 173 - Verfassungsgarantie 164, 171, 174 - verfassungsrechtliche Schranke 170 - Wahlgleichheit 178 Kommunalverfassungsstreit 165 Kommunismus 97 Kompetenzträger 52, 54, 97 Komplexität sozialer Verhältnisse 57, 60 Königgrätz (1866) 116 Konzertierte Aktion 43, 49 - als Steuerungsmodell 44 - Defizite des Korporatismusansatzes 44 - dysfunktionale Wirkung 45 - korporatistische Steuerungsmodelle 45 - Scheitern 44 29•

451

- Steuerungsbegriff 44 - und Europäische Gemeinschaften 45 - und runde Tische 49 - Verbändestaat 45 Korporatismus 43, 46 f., 49 - als Integrationsform 44 - dysfunktionale Wirkung 49 - europäische Integration 47 -Idee 44 - institutionalisierte Kooperation 43 - Interessenakkumulation 46 - Machtkonglomerat 46 - Steuerungsproblem 43 - und Europäische Gemeinschaften 46 - und neue Subsidiarität 46 - Zentralisierung 46 Kreise 172, 174 Kriegsgefahr 250 Länder, deutsche 109, 137f., 141, 143, 148, 155, 158, 164f., 167, 191 ff., 323 - Abhängigkeit vom Bund 195 - Besatzungsmächte 148 - Besatzungszonen 148 - Eigenständigkeit 194 - Finanzhilfen 193 - Gesetzgebung 167 - Investitionen 193 - Kompensation 144 - Kompetenzausstattung 140 - Kompetenzverschiebungen 191 - Kulturpolitik 323 - künstliche 148 - Landesgesetzgeber 154, 156 - Mitwirkungsbefugnisse 137, 196 - Neugliederung 148 - Organisationshoheit 155 - Parlamente 141 - Polizeirechtsvereinheitlichung 192 - Regierungen 141 - Rückholbefugnis 140 - Schwächung 138

452

Personen- und Sachverzeichnis

- Selbstkoordination 155 - Staatsqualität 109, 164 - Staatsverträge 155 - Stärkung 140, 191 Länder, deutsche und EU 219ff., 224, 228 - Ausschuß der Regionen 221 - Bildungspolitik 219f. - Bundesgenossen 221 - Eigenstaatlichkelt 220 - Hausgut 220 - innerstaatliche Gestaltungsmöglichkeiten 224 - Kompetenzeinbußen 222 - Kulturhoheit 220 - Landesblindheit 221 - Mitwirkung 224 - Pflege der auswärtigen Beziehungen 223 - Position 221 - Repräsentanz 221 - Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen 222 - und Bundesregierung 224 - und Europäische Gemeinschaften 220f. - und Maastrichter Vertragswerk 221 Länderbeobachter 221 Länderbüros 221 Landesgrundrechte 153 Landesparlamente 141 Landesregierungen 141 Leistungsverwaltung 67 f. Liberalismus 26, 37, 52, 55, 71, 95, 146 - funktionales Staatsverständnis 27 - Menschenbild 95 - Rechtfertigungsbedürftigkeit des Staates 26 - Staat als Emanation der Vernunft 26 - Staatstheorien spätes 18. und 19. Jahrhundert 26 - Staatszwecklehre 26 f., 82

- Vorrang des Menschen vor dem Staat 27 Maastrichter Vertragswerk 64, 79, 216, 221,235,260,273,280,366,392 - Integrationsstand 366 - Regierungskonferenz (7.2.1992) 216 - Subsidiaritätsprinzip 217 - und französische Verfassung 260 - Wirtschafts- und Währungsunion 273, 367 Menschenwürde 97 Mahl, Robert von (1799-1875) 28f., 31f., 64, 67, 112, 130, 181 - Lebenszwecke 28 - Ordnungssystem 29 - Staatenverbindung 29 - Staatslehre 28 - Überschätzung des Subsidiaritätsprinzips 31 - Verbindungen zu Menschen 28 Montanunion Siehe Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) Napoleon, Bonaparte (1769-1821) 114, 127 Neli-Breuning, Oswald von (189~ 1991) 36ff. Neokorporalismus Siehe Korparatismus Nordatlantikvertrag (NATO) 252 Norddeutscher Bund (1867) 113, 116ff., 127, 133 - Bundesangehörige 118 - Bundesgesetzgebung 117 - Bundesrat 117 - Bundesstaat 116 - Deutscher Bund (1815) 118 f. - Dualismus Preußen-Österreich 116 - ewiger Fürstenbund 116 - Hegemonie Preußens 116 - Landesgesetzgebung 117 - Novemberverträge (1870) 118 - Prager Frieden (1866) 116

Personen- und Sachverzeichnis - Präsidium 116 - Rechtsetzungstätigkeit 117 - Schaffung gemeinsamer Bundesorgane 118 - Stärkung der Verfassungseinheit 117 - Verfassung 116 Ordnung, bundesstaatliche Siehe Föderalismus, deutscher Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 252 Organisationseinheit Siehe Kompetenzträger Österreich 109ff., 153 Pariser Gipfel (1972) 219 Parlamentarischer Rat 158 ff., 175 - Redaktionsausschuß 160 - und Subsidiaritätsprinzip 175 Personalität des Menschen 55 Pfizer, Paul Achatius von (1801-1867) 129, 132 Planungs- und Lenkungspolitik 40 Politikwissenschaft 39, 47, 49, 391 - Delegation 47f. - Delegation und Subsidiarität 42 - dreidimensionaler Politikbegriff 39 - etatistisches Steuerungsmodell 42 - gesellschaftliche Kontextsteuerung 41 f., 46 - Mittlerposition 39 - Neokorporalismus 42 - Polyzentrismus 42 - Recht als Steuerungsinstrument 41 - Staatsversagen 40 - Steuerungsbegriff 40, 42 - Steuerungsdiskussion 40ff., 391 - Steuerungsmodelle 39, 41, 47, 49f. - Subsidiarität 47 f. - Teilbereichsautonomie 41 - und neue Subsidiarität 50 - Unregierbarkeit 40 Prager Frieden (1866) 116

453

Preuß, Hugo (1860--1925) 122, 125 Preußen 125, 127, 129 - Aufhebung 125 - Aufteilung in Gebietskörperschaften 125 - Hegemonialmacht 129 - Wiedervereinigung 129 - Zerschlagung 126 Primärrecht 214 Prinzip begrenzter Einzelermächtigung 233f.• 240 Prinzip gegenseitiger Anerkennung 237 f. Protektionismus 337 Quadragesimo anno 23, 82, 159 Rechtsgleichheit 184, 193 Rechtsgrundsatz 387 Rechtsordnung der Europäischen Union (EU) 216 Rechtsstaat 189 Rechtsstaatsprinzip 91 Rheinbund (1806) 114, 145 Richtlinie 245 f. Römische Verträge 254 ff. Rundschreiben, päpstliche 35 Schuman, Robert (1886--1963) 251 Schweizer Eidgenossenschaft 108 f., 153 Seebohm, Hans-Christoph ( 1903-1967) 158 Selbstverwaltung 175 Selbstverwaltung, kommunale 89, 103 Selbstverwaltung, politische 175 Selbstverwaltungsbegriff 168 Smend, Rudolf (1882-1975) 147, 202, 209, 258 Sowjetunion 250 Soziale Frage 67 Sozialenzyklika 38, 55, 69, 96, 128, 159, 181 Sozialgesetze 120

454

Personen- und Sachverzeichnis

Sozialstaatlichkeil 185 ff. Sozialstaatsprinzip 157 f. Staatsaufgaben 19 Staatszwecklehren, liberale 21 States 109 Steuerungsdiskussion 40 Strafrechtswissenschaft 72 Stufenordnung 103 Subsidiarität und Proportionalität 350f., 357 Subsidiaritätsgedanke 27 Subsidiaritätsgrundsatz Siehe Subsidiaritätsprinzip Subsidiaritätsprinzip 17, 47ff., 80, 93, 96, 103, 134, 162, 164, 167, 173ff., 177 ff., 188 ff., 197 f., 208 ff., 217. 234, 247, 282, 352, 391 f. - Abhängigkeit von Zwecken 69, 71, 84 - als Auslegungs- und Kollisionsregel für Grundrechte 91 - als Bauplan der Gesellschaft 58 f. - als Egalitätspostulat 190 - als Ermächtigungsnorm 91 - als Ermessensleitlinie 91 - als funktionale Differenzierung 182, 189 - als genuiner Bestandteil der liberalen Staatszwecklehren 27 - als Instrument zur Gesellschaftssteuerung 40 - als Kompetenzzuordnungsmaxime 213 - als ontologisch-normatives System 58 - als Postulat 21, 162 - als Sektorales Steuerungsprinzip 47, 49, 80, 83 - als Staatlichkeilsprinzip 64 - als Strukturprinzip 17, 64, 80, 83, 190, 208 - als Synonym für Sperrwirkung 62 - als Thema der deutschen Staatsrechtslehre 17

- als überpositives Verfassungsprinzip 20, 22, 85 - als Verfassungsprinzip 178, 214 - Ambivalenz 58, 60 - anderer Inhalt 189 - Anwendungsvoraussetzungen 21, 54 -Aporien 58 - Aufgabenzuweisung 211 - Ausprägungen 51 - Aussage 23, 65, 188 - ausschließliche Kompetenzen 80 - Ausschuß der Regionen 79 - Begrenzungsfunktion 36 - Berichtspflichten 18 - Bundessozialhilfegesetz 68 - Bundesverfassungsgericht 68, 101 - Charakteristika 21 - Dependenz 71, 199, 208 - dezisionistische Präferenzentscheidung 180 - Differenzierungskriterium 54 -Dynamik 82, 101, 172f., 197 - EG-Vertrag 134 - Eindimensionalität 57, 97, 181, 391 - Eingriffsverbot (negative Komponente) 60, 62 - Entwicklungslinien 26 - Enzyklika "Quadragesima anno" 20 - Erläuterungsfunktion 103 - Erwähnung im Grundgesetz 89 - formale Relationsgröße 21 , 52, 56, 111 - freiheitssichemde Funktion 96 - Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 2 GG) 98 - funktionale Schutzgarantie 97 - Funktionen 79, 188 - funktionsbezogene Instrumentalisierung 39, 63, 97 - Funktionsmerkmale 21 - Gerechtigkeitspostulat 38, 97 - Handlungseinheiten 134 - Herrenchiemseer Verfassungskonvent (1948) 158

Personen- und Sachverzeichnis - Hierarchieverhältnis der Kompetenzträger 54 - historische Wurzeln 388, 391 - immanente Ambivalenz 36 - in teleologischen Lehren 69 - individualistische Systeme 55 f. - inhaltliche Aufladungen 21 - institutionalisierte Prüfungsverfahren 18 - Integration 213 - Jugendwohlfahrtsgesetz 68 - Kampfbegriff 62, 134 - Kategorie sozialen Handeins 92 - Katholizismus 388 - kein konfessioneller Grundsatz 38 - kein Menschenbild 95 - kein theologischer Grundsatz 38 - keine axiomatischen Prämissen 52 - keine Forderung nach föderativen Strukturen 39, 97 - keine präzise historische Einordnung möglich 35 - kennzeichnende Merkmale 51 - Kompetenzabgrenzung 20f., 234 - Kompetenzausübung 80, 83 - Kompetenzbegründung 80 f., 83 - Kompetenzträger 80, 83, 88, 97, 100, 134, 180, 188, 197, 211 - Kompetenzverteilungs- und Kompetenzausübungsregel 352 - Konkretisierung 20 - Konkurrenzverhältnis 54, 81, 83, 99, 352 - Legitimationsfunktion für liberalen Rechtsstaat 29 - Leistungseinheit 52 - Leistungsfähigkeit 20, 66, 83, 98, 166f., 197 - Leitprinzip kultureller Selbstverantwortung 92 - Liberalismus 35, 388 - Maßstab 189 - mehrstufiger Staatsaufbau 54

455

- Menschenbild des Grundgesetzes 93, 96, 211 - metajuristischer Grundsatz 21 - modifizierende Einflüsse 25 - Nachrangigkeit des Staates 27 - Nähe zum Individuum 52 - naturrechtliche Begründung 58 - individualistische Systeme 57 - Negation 189 - Normativität 63, 68, 84, 163, 234, 391 - Organisationsprinzip 21, 179, 181, 213 - Parlamentarischer Rat 158 - permanente Wirkung 81 f., 101 - personalistisches Weltbild 178 - philosophisches Prinzip 92 - Politikwissenschaft 39 - politisches Fanal 38, 83, 134 - positive Komponente 101 - Präferenzentscheidung zugunsten der "kleineren" Gemeinschaften 20 - Prämissen 21 - Quadragesimo anno 23 - Rationalismus 234 - Rechtsprechung 160 - Rechtsprinzip 21, 88 - Relationsgröße 51 f., 63, 79, 83, 111, 188, 197, 209, 391 - Sachadäquanz 190 - säkulare Ausprägung 35 - Schwäche 57 - soziale Systeme 70, 76 - Sozialphilosophie 19 - Staatsrechtslehre 160 - staatstheoretische Diskussion 210, 214 - Staatszwecklehren 391 - Steuerungsprinzip 190, 208 - Stufenordnung 58, 164, 179 - Subsidiaritätsverständnis 35 - temporärer Charakter 81 - totalitäre Gesellschaftsformen 38 - Tradition in Deutschland 217

456

Personen- und Sachverzeichnis

- traditionelle Strukturen 37 - typusbildende Merkmale 21, 63, 163, 188 - und Allgemeinwohl 202, 209, 213 -und Demokratie 178f., 213, 392 - und Effektivitätsgebot 55, 83, 180, 188, 190, 236, 352 - und Einheitsstaaten 212 - und Einstimmigkeitsprinzip 235 - und Einzelbestimmungen des Grundgesetzes 89 - und elterliches Sorgerecht 210 - und Föderalismus 65, 212, 392 - und Gemeinschaftsrecht 214 - und Gleichheit 177, 180, 188, 392 - und Grundgesetz 161, 190, 210, 391 - und Grundrechte 88, 211 - und horizontale Struktur 181 - und Individuum 179 - und Integration 180, 198, 209, 282 - und kommunale Selbstverwaltung 163, 174, 210, 392 - und Kompetenzübernahme 61 - und Kompetenzverteilung (Art. 30 GG) 92 - und Korporatismus 48 - und Liberalismus 65 - und organische Staatslehre 66 - und Prinzip gegenseitiger Anerkennung 237 - und Sozialhilferecht 213 - und Sozialismus 388 - und Sozialpolitik 48 f. - und Staatsaufbau 88 - und Staatsorganisation 212 - und Verhältnismäßigkeitsprinzip 63 - und Zentralstaaten 389 - Universalität 38, 63, 64, 65, 302, 391 - Unmöglichkeit zeitlicher Fixierung 25 - Unterstützungspflicht (positive Komponente) 36, 60 - Ursprung 20

- Verfassung 160 - Verständnis 190 - Verwandtschaften zu anderen Prinzipien 53 - Wegbereiter 65 - weltanschauliche Aufladung 21, 91 , 96, 211 - Wirkung 80, 188 - Wortbedeutung 23 - Zeitgebundenheit 79 f., 10 l - Zielabhängigkeit 329, 352 - Zusammenführung unterschiedlicher Vorstellungen 25 - zwei Komponenten 60 f. - zweistufiges Organisationsmodell 54 Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union 214 ff., 218, 225 f., 228, 231' 234, 238 f., 243, 246, 283 ff., 292, 295, 305, 307' 309, 311' 324, 331, 333, 355, 368, 371, 373, 378, 384 f., 392 f. - abgestufte Kriterienkataloge 373 - abstrakte und allgemeine Formel 388 - Akzeptanz 247 f. - Allgemeinverbindlichkeitsanspruch 283 - als Bestandteil der Gründungsverträge 232 - als Forderung der deutschen Länder 217, 219, 225 f. - als gemeinschaftspolitisches Bekenntnis 366 - als Grundsatz des Primärrechts 232 - als Handlungsgebot 303 - als Kompetenzerweiterung 230 - als Kompromißformel 226 - als Korrektiv 229 - als politischer Grundsatz 308 - als rule of reason 303, 327, 387 - als Schutz der Länderkompetenzen 392 - als Strukturprinzip 331 - als Synonym für Föderalismus 226 - als ungeschriebenes Prinzip 232

Personen- und Sachverzeichnis -

als Zäsur 217 Ambivalenz 384 Anerkennungspflicht 379 Anwendungsprobleme 318, 326 Anwendungsvoraussetzungen 214f., 340, 349 - Architekturprinzip Europas 228 - Aufgabenzuweisungsmaxime 331 - Auseinandersetzung 217, 229 - Ausgestaltung 331 - Ausprägungen 216 - ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeiten 231, 283 f., 386, 393 - Ausschlußklauseln 284 - "Balkanisierung der Europäischen Gemeinschaft" 229 - Bedeutung 232 - Bedeutung der Mitgliedstaaten 387 - Befürchtungen 228, 249 - Begrenzung finaler Befugnisse 307 - Begrenzungsfunktion 225, 228, 247, 283, 295 f., 327 - Begründungspflicht 309 ff., 318 - "bessere" Aufgabenerfüllung 283 - bessere Zielerreichung 340, 379 - Beteiligung der Mitgliedstaaten 393 - Beweislastumkehr 311, 317 - Blockadehaltung 374 - Bürgemähe 228, 247f., 308 - Darlegungslast 311, 317 f. - Deutscher Formulierungsvorschlag 218 - deutsches Verständnis 373 - Dissens über Reichweite 284 - Dokumentensammlung 247 - Durchsetzung 317 - dynamischer Charakter 382, 386 - Eigenschaften 249 -Einführung 215, 218, 247, 386 - Einheitlichkeit kein Selbstzweck 349, 381 - Einzelfallbezogenheit 333 - Entstehungsgeschichte 217

457

- Entwicklung normativer Kriterien 308 - Enumerationen 284, 374 - Erforderlichkeitsprinzip 225, 241 - "Erlösungsprinzip" 228 - Ermächtigungsgrundlage 239 - Ermessensspielraum des EuGH 304 - Erwartungen 228, 249, 386 - europapolitische Signalwirkung 350 - europarechtliche Subsidiaritätsdiskussion 215 - Flexibilität für Mitgliedstaaten 382 - Förder- und Aktionsprogramme 319, 322f., 383 - Gefahrdung der Integration 247 - Geltungsthese 232 - gemeinschaftsrechtliche Rahmenbedingungen 350 - Gestaltungsfreiheit 249 - gestufte 239, 241 - gewandeltes Integrationsverständnis 366 - Grenzen 215, 349 - Grenzwerte 382 - grundlegendes Prinzip von EG und EU 215, 226, 246 - Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit 341 - Handhabung 320 - Hauptargumente 217 - Herkunftslandprinzip 376 - Ideologieanfälligkeit 386 - in dubio pro communitate 318 - individuelle Einstellungen 385 - Initiativrecht der Kommission 380 - innere Systematik 296 - integrationspolitische Leitlinien 350 - Jahresberichte der Kommission 319 - Justitiabilität 231, 303 f., 306f., 318, 326,386,393 - Kampfbegriff 225, 228 - kein Gegenkonzept 229, 334 - keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten 332f.

458

Personen- und Sachverzeichnis

- Klage gegen Zielfestsetzung 380 - Klagebefugnis 311ff., 315, 317 - Kompetenzausübungsregel 331, 333, 381, 386 - kompetenzielles Gleichgewicht 295, 366, 388 - Kompetenzkataloge 215, 374, 375 - Kompetenzübertragungsregel 331 - Konkretisierung 231, 304, 307, 371 - Konzept entwickelter Staaten 389 - kumulative Voraussetzungen 230, 374, 390 - Leistungsfähigkeit 215 - Letztentscheidung des Rates 381 - Maßstabsfunktionen 331 - Merkmale 214, 249, 283, 386 - Mindststandards 382 - Mitteilung der Kommission 285 - Motive für Einführung 216, 247 - Münchener MinisterpräsidentenKonferenz (27.10.1987) 218 - Nachrangigkeitsprinzip 241 - nicht ausreichende Zielerreichung 339 - Normadressaten 332 - Normativität 303, 305f., 318, 327 - ordnungspolitischer Grundsatz 327, 388 - partieller Anwendungsausschluß 283ff., 326 - persönliche Einstellung 249 - politische Erwägungen 349 - politischer Programmsatz 305, 327 -praktische Handhabung 318, 328 - Primärrecht 219, 247 - principle of good sense 303 - Prognoseentscheidung 340, 349 - prozedurales Verständnis 376 f. - Prüfraster 373 f. - Rahmenbedingungen 378 - Rechtsetzungsdefizite der Mitgliedstaaten 340 - Rechtsordnung 216

- Rechtsprinzip 306, 327, 341, 349, 386 - Rechtsschutzinteresse 315 - Rechtsverbindlichkeit 231, 326, 386, 393 - Regelungsdefizite der Mitgliedstaaten 340 - Reichweite 318, 386 - Renationalisierung 385 - Rückverlagerung von Kompetenzen 247 - Sekundärrechtssetzung 334 - Spanien 230 - Spannungsverhältnis 333 - Spekulationen 285 - Stellungnahme der Kommission 230 - Stellungnahme des Europäischen Parlaments 230 - Steuerung über Zielvorgaben 349 - Steuerungsprinzip 331 - Strukturprinzip 229 - Stuttgarter Deklaration (19.6. 1983) 218 - Tatbestandsmerkmale 215 - Telosgebundenheit 333, 348, 393 - Transparenz 228, 247 f. - Trennung von Ziel und Mittel 381 - Ultra-Vires-Akte 320 - Umsetzung 238, 318 - Umsetzungsfrist 379 - Umsetzungsvorschlag 371, 378, 393 - Umweltschutzklausel der EEA (Art. 130 r Abs. 4 EWGV 243 - unbestimmter Rechtsbegriff 215, 305 - Unbestimmtheit 303, 305 - und Ablehnung der Totalharmonisierung 389 - und Abrundungsklausel 241 - und Anerkennungsprinzip 373, 377 - und Beitritt osteuropäischer Staaten 390 - und Binnenmarkt 229 - und Binnenmarktkompetenzen 375 - und Bundesrat 318

Personen- und Sachverzeichnis - und Bundesregierung 318 - und Demokratieprinzip 341 -und EEA 232 - und Einstimmigkeit 340 - und Empfehlungen 320, 383 - und EuGH-Rechtsprechung 292 - und Föderalismus 226 - und gegenseitige Anerkennung 387 - und Gemeinschaftstreue 393 - und generell-abstrakte Regelungen 374 - und Gleichheit 387 - und Handlungspflichten der Gemeinschaft 292 - und Harmonisierungsverbote 375 - und Heterogenität der Europäischen Union 390 - und Identität der Mitgliedstaaten 388 - und Integrationsverständnis 229, 249, 327, 387 - und Kommissionspraxis 319 - und kommunale Selbstverwaltung 368 - und Länder 312 - und Maastrichter Vertragswerk 392 - und Maßnahmenziele 333 - und materielle Vorgaben 374 - und Mehrheitsentscheidung 341 - und nationale Identität 229, 308 - und natürliche Personen 313 - und Prinzip begrenzter Einzelermächtigung 232, 234, 296 - und regionale Identität 247, 312 - und Richtlinie 245 f., 372 f., 382 - und Rücksichtnahmepflichten 341 - und Stellungnahmen 383 - und Totalharmonisierung 387 - und Überreglementierung 228, 247, 349, 350 - und Umweltschutz 324 - und unverbindliche Maßnahmen 320f. - und Verhältnismäßigkeilsprinzip 296, 393

459

- und Zentralisierung von Zuständigkeiten 228, 386 - und ZEUBLG 313 - Universalität 283, 326 - unmittelbare Wirkung 304 - Ursachen von Regelungsdefiziten der Mitgliedsta\ten 356 - venire contra factum proprium 313 f., 317 - Verständnis 88, 248 - Verstöße 320 - Vertragssystematik 283 - Verzicht auf die Ausübung 240 - Vorläufernorm 246, 232, 372 - Vorschläge der Mitgliedstaaten 378 - Widersprüchlichkeil 283 - Würdigung 217 - Zeitgebundenheit 382 - Zielabhängigkeit 378, 386 - Zielsetzung 296, 319, 393 - Zielverbindlichkeit 378 - Zukunft 387 - Zuständigkeitszuweisung 284 Supranationale Integration 226 System gestufter Ordnungen 55 Systemtheorie, funktionale 75 f., 84, 208 Tocqueville, Charles Alexis Henri Clerel de (1805-1859) 131 Treitschke, Heinrich von (1834-1896) 131 Umweltschutzklausel der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) Art. 130 r Abs. 4 EWGV 242 ff. Unitarisierung 145 f., 152 - Bundesstaat 145, 157 - Bundesverfassungsgericht 149 - Grundrechte 152 - historische Gründe 145 USA 106f., 121, 137, 198 Verantwortung der Mitgliedstaaten 391

460

Personen- und Sachverzeichnis

Vereinigte Staaten von Amerika Siehe USA Verfassungsgeschichte 161 Verfassungsgeschichte, deutsche 126 f., 135f. Verfassungsgrundsätze, allgemeine 90 Verfassungskommission, Gemeinsame 139 ' Verhältnismäßigkeitsprinzip 91, 100, 353 - als Erforderlichkeitsprinzip 354 - Ergebnisoffenheit 352 - Freiheitsverbürgung 351 - im EG-Vertrag 354 - keine Anwendung auf Kompetenzstreitigkeiten 353 - kontradiktorische Interessenkonflikte 352 - Leitidee der Verfassung 351 - optimaler Interessenausgleich 352 - und Subsidiaritätsprinzip 91 Wahlrechtsgleichheit 182 f. Waitz, Georg (1813-1886) 131 f., 147 Weimarer Reichsverfassung (1919) 123, 126, 128, 134, 147 - Beamtenrecht 124 - Bruch mit Verfassungstradition 123 - Bundesstaatlichkeit 135 - Finanzhoheit 124 - Föderalismuskonzeption 123, 126 - Grundsätzegesetzgebung 124 - Länderkonferenz (1928-1930) 125 - Lebensfähigkeit der Länder 124 - Rechtsetzungskompetenzen des Reiches 124 - Reichsrat 123 - Reichsreform 125 - Republik 125 - republikanische Verfassung 133 - Staatsformwechsel 123 - Staatsgerichtshof 135 - Stärkung der Zentralgewalt 124 - Systematik 123

- Wohlfahrtspflege 124 Welcker, Carl Theodor (1790-1869) 129f. Werbeverbot für Tabakwaren 321 f., 376 Westeuropäische Union (WEU) 252 f. Westfälischer Frieden (1648) 113, 126 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge 74 Wilson, Woodrow (1856-1924) 128 Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) 257, 276f., 281 Zuordnungseinheiten Siehe Kompetenzträger Zusammenarbeitsgesetz 223 Zuständigkeit, ausschließliche 231, 283f., 287, 289, 290f., 293, 295, 297 f., 301 f., 326 - Abgrenzungsprobleme 284, 297 - als Anwendungsfall des Subsidiaritätsprinzips 299 - Auslegungsversuche 285, 289 - Ausnahmecharakter 297 f. - Ausschließlichkeit 291 - Ausschlußwirkung 287 - Außenbeziehungen 299 - Bedeutungslosigkeit 289 - Begriff 284, 293, 297, 301 - Bestimmtheit 291 - Bestimmungskriterien 295 - Bundesregierung 287 - Definitionsprobleme 284, 287, 293 - Einheitlichkeilserfordernis 299 - Einordnungskriterien 284 - einzelne Politikfelder 285, 300f. - Erhaltung der Fischbestände 287 - EuGH-Rechtsprechung 287f. - extensiv-dynamische Wirkung 287 - Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 302 - Gemeinsamer Zolltarif 288 - geringe Zahl 298 - Handelspolitik 287, 290

Personen- und Sachverzeichnis -

individuelle Wertungen 299 Kohärenz 285 Kommission 288 Kompetenzaufteilung 285 Konkretisierung 284, 298 Meinungsverschiedenheiten 284 f. Memorandum der Bundesregierung 285 Mitteilung der Kommission 285 nationale Identität 285 Organisations- und Verfahrensrecht 287 Singularität 289 Sprachgebrauch des Grundgesetzes 293 Umfang und Natur der Aufgabe 298 unbestimmter Rechtsbegriff 297 und Binnenmarktkompetenzen 290 und Bundesstaatsverfassungen 297 und französische Verfassung 297 und Gmeinschaftsrechtsetzung 287 und Grundgesetz 299 und Querschnittskompetenzen 286 und Reichsverfassung 299 und Sperrwirkung des Gemeinschaftsrechts 290 f. und vertikale Gewaltenteilung 298 und Vorrang des Gemeinschaftsrechts 289f. Zuordnungskriterien 287, 291 Zweckmäßigkeitserwägungen 302

461

Zwecke 26, 28, 32f., 56f., 59, 66, 70, 72, 75f., 208 - als Denkfigur 71 f., 76 - als Gegenstand philosophischer Analysen 71 - als Selektionskriterien 269 - Begriffe 71 - bei Aristoteles (384-322 v. Chr.) 71 - bei Kant, Immanuel (1724-1804) 71 - Bestimmtheitsgrad 77 f. - final-teleologische Handlungslehre 72f. - funktionale Äquivalente 76 - funktionale Systemtheorie 72 - Gesellungen 56, 58 f. - im Völkerrecht 73 f. - im Zivilrecht 73 - Internationale Organisationen 75 - Legitimationsfunktion 57, 73 -Mensch 55 - Orientierungsfunktion 71, 78, 269 - rechtliche Bedeutung 73 - soziale Systeme 70 - teleologische Gesetzesauslegung 73 - und katholische Soziallehre 71 - und liberale Staatsmodelle 71 - Zuweisung von Aufgaben 70 - Zwecksetzung 70f., 77ff. Zweckgerichtetheit menschlichen Handeins 71